Friedrich Meggendorfer: Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus 3515119647, 9783515119641

Friedrich Meggendorfers erbhygienische Verwicklung beruhte auf einer Trias von eigenem wissenschaftlichen Interesse, pos

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INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1 Forschungsdesiderate: Psychiatriegeschichte und Ethik
1.2 Methodik der Untersuchung: Quellen und Literaturschwerpunkte
2. BIOGRAPHISCHER RAHMEN UND WISSENSCHATFLICHER WERDEGANG
2.1 Vom Kaufmannslehrling zum Psychiater
2.1.1 Erste akademische Schritte in München und Prägung durch Kraepelin
2.1.2 Die Alkoholfrage in Bezug zur Degenerationslehre
2.1.3 Meggendorfers Habilitationsarbeit zur “moral insanity” bei Rüdin
2.2 Leiter der Genealogischen Abteilung in Friedrichsberg
2.2.1 Private und berufliche Meilensteine: Familiengründung, wissenschaftliche und klinische Leitungspositionen
2.2.2 Die Anstalt Friedrichsberg: Entwicklung und Stand unter Weygandt
2.2.3 Die Genealogische Abteilung in Friedrichsberg
2.2.4 Studien zur Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung und zu Chorea Huntington
2.2.5 Meggendorfers politische Orientierung im Kontext seiner Suchtexpertise
2.2.6. Wissenschaftliche Etablierung in Erbpsychiatrie und forensischer Eugenik
2.3 Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen
2.3.1 Berufung nach Erlangen
2.3.2 Ausgleich zum Arbeitsalltag
2.3.3. Die GzVeNs-assoziierte Planung zur Namensänderung der Bayerischen Psychiatrischen Kliniken
2.3.4 Exkurs zu Reaktionen von Angehörigen auf die Sterilisierungen im Rahmen des GzVeN
2.3.5 Reduzierte erbpsychiatrische Forschungsmöglichkeiten in Erlangen
2.3.6 Scheitern der Rückberufung nach Hamburg
2.3.7 Meggendorfer als Experte in puncto Alkoholismus
2.4 Begründer neuer Heilbehandlung:
Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
2.4.1 Meggendorfers Position im Spannungsfeld zwischen „Erbhygiene“ und somatischen Therapieverfahren
2.4.2 Zur Rolle des oberärztlichen Mitarbeiters Gustav Bingel
2.4.3 Die italienischen Vorarbeiten zur ersten klinischen EKT in Deutschland
2.4.4 Die EKT-Anwendung an Meggendorfers Klinik
2.4.5 EKT als individueller Heilversuch
2.4.6 Zur Debatte um psychopathologische Kunst: mögliche Zusammenhänge mit Meggendorfers Klinik in Erlangen
2.4.7 Exkurs: Psychiatrieethische Reflexion zu Psychopatholologie und Kunst
3. ROLLE ALS HOCHSCHULPSYCHIATER IN DER NS-ZEIT
3.1 Meggendorfer und die “Scientific community”
3.1.1 Meggendorfer im Netzwerk der gleichgeschalteten Fachgesellschaft
3.1.2 NS-bedingte Emigration von Psycho- und Neurowissenschaftlern
3.1.3 Die Meggendorfer-Festschrift 1940
3.1.4 Meggendorfers Verhältnis zu Vertretern der „NS-Wissenschaft“
3.1.5 Exkurs: psychiatrische Relevanz der Enzephalitiden – einst und jetzt
3.1.6 Meggendorfers Mitarbeiterwahl
3.1.7 Die 200-Jahrfeier der Universität Erlangen
3.2 Gutachterliche Tätigkeit
3.2.1 Die Delegationspraxis im Vergleich mit anderen Orten
3.2.2 Kritik von Meggendorfers Expertise in puncto „schwerer Alkoholismus“
3.2.3 Diagnostische Schwierigkeiten bei Schizophrenie
3.2.4 Die Zulässigkeit eines Eingriffes zur Wiederfruchtbarmachung
3.2.5 Notwendigkeit zur apparativen Diagnostik der Epilepsie
3.2.6 Zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit
3.2.7 Veröffentlichungen zur Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis
3.3 Beziehung zu jüdischen Kollegen und Patienten
3.3.1 Aspekte zur „semitischen Rasse“ in Meggendorfers Schrifttum
3.3.2 Kooperation mit und Zitation von jüdischen Kollegen
3.3.3 Behandlung von Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg
3.3.4 Tod der jüdischen Patientin H. B. nach Insulinschocktherapie
3.3.5 Die Anordnung zu „judenfreiem“ Patientengut und ihre Umsetzung
3.4 Bezug zu psychisch kranken Zwangsarbeitern und
Dienstverpflichteten
3.4.1 Verlegungspraxis von Zwangsarbeiterinnen in die Heimat/Heil- und Pflegeanstalt (HuPflA)
3.4.2 Gutachten zum Ausschluss der Simulation bei angedrohter Zwangsversetzung in den Osten
3.4.3 Umgang mit dienstverpflichteten ärztlichen Kollegen
3.5 Die Psychiatrische Klinik als Gast der HuPflA
3.5.1 Der Adnexstatus zur HuPflA
3.5.2 Gescheiterte Pläne für einen Klinikneubau
3.5.3 Zur Krampfdurchführung an der HuPflA
3.5.4 Involvierung der HuPflA in die „Euthanasie“-Aktionen
3.5.5 Zur „T4“-Beteiligung deutscher Hochschulpsychiatrien mit Schwerpunkt Erlangen
3.5.6 Zur Rolle deutscher Hochschulpsychiatrien bei der zweiten Phase der „Euthanasie“ psychisch Kranker: Untersuchung speziell zu Erlangen
4. POSITIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT
4.1 Dienstsuspension und Entnazifizierung
4.1.1 Zur Situation der FAU in der Zeit der US-Militärregierung
4.1.2 Zur Nachkriegssituation an der HuPflA
4.1.3 Meggendorfer vor Hochschulausschuss und Spruchkammer
4.2 Versuch der Reintegration in den Lehrkörper
4.3 Meggendorfer im Spiegel zeitgenössischer Meinungen
5. ZU PERSON UND MORAL VON FRIEDRICH MEGGENDORFER
5.1 Rolle als Militärpsychiater
5.2 Spannungsfelder in der forensischen Psychiatrie
5.3 Abhängigkeitsverhältnis zu Wilhelm Einsle
5.4 Konfliktreiche Beziehung zu Werner Leibbrand
5.5 Klinisches und wissenschaftliches Expertentum
5.6 Kontinuität in der Nachkriegszeit?
5.7 Exkurs: Neurodeterminismus und seine Folgen für die Praxis
5.8 Zur Rezeption ausgewählter Fachkollegen Meggendorfers
5.9 Zeitgenössischer Umgang der Profession mit ihrer
NS-Vergangenheit
6. SCHLUSSBETRACHTUNGEN
6.1 Positionierung der Psychiatrie als Fachgesellschaft
6.2 Differenzierungen psychiatrieethischer Biographik
6.3 Versuch einer Annäherung zu Differenzierungen bei
geschichtswissenschaftshistorischer und -ethischer Biographik
6.4 Meggendorfers Moral als Motivator für mehr Ethik in der
Psychiatrie
6.5 Zusammenfassung und Ausblick
6.6 Epilog
7. REFERENZEN
7.1 Quellenverzeichnis (ungedruckt und gedruckt)
7.2 Literaturverzeichnis
7.3 Zeitschriften ohne Autorenangabe, Kataloge, Flyer und Kalender
(primär und sekundär)
7.4 Vorträge
7.5 Internet
7.6 Kongressposter
8. ÜBERSICHT DER ABBILDUNGEN
9. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
10. DANKSAGUNG
11. PERSONENREGISTER
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Friedrich Meggendorfer: Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus
 3515119647, 9783515119641

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Birgit Braun Friedrich Meggendorfer

Geschichte und PhilosoPhie der Medizin history and PhilosoPhy of Medicine Herausgegeben von Professor Dr. Andreas Frewer, M.A. Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Universität Erlangen-Nürnberg, Glückstrasse 10, 91054 Erlangen Band 14

Birgit Braun

Friedrich Meggendorfer Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Links: Portrait Friedrich Meggendorfers, ca. 1952, FAM. Rechts: „Familientafel Backer“ aus: Meggendorfer (1930a), S. 338.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Die vorliegende Arbeit ist die aktualisierte und ergänzte Version der Promotionsschrift, welche der Philosophischen Fakultät mit dem Fachbereich Theologie der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg am 03.08.2016 zur Erlangung des Doktorgrades Dr. phil. vorgelegt wurde. Die Disputation fand am 23.02.2017 statt. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11964-1 (Print) ISBN 978-3-515-11965-8 (E-Book)

„Die Psychiatrie ist ein äußerst interessantes Fach. Das Studium der krankhaften Erscheinungen des Seelenlebens gibt uns wertvolle Hinweise für das Verständnis auch des gesunden Seelenlebens. Die Psychiatrie bringt manche Erscheinungen des Lebens unserem Verständnis näher, so mancherlei Strömungen und Wandlungen der Wissenschaft, der Kunst, der Religion und der Politik. Sie eröffnet uns Ausblicke auf die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes. […]. Vieles ließe sich noch zum Lobe der Psychiatrie anführen.“1

1

Meggendorfer (1940/41), S. 42.

INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG ............................................................................................ 11 1.1 Forschungsdesiderate: Psychiatriegeschichte und Ethik ................... 11 1.2 Methodik der Untersuchung: Quellen und Literaturschwerpunkte ... 15 2 BIOGRAPHISCHER RAHMEN UND WISSENSCHAFTLICHERWERDEGANG............................................................................ 21 2.1 Vom Kaufmannslehrling zum Psychiater ......................................... 21 2.1.1 Erste akademische Schritte in München und Prägung durch Kraepelin ...................................................................... 30 2.1.2 Die Alkoholfrage in Bezug zur Degenerationslehre ................ 40 2.1.3 Meggendorfers Habilitationsarbeit zur “moral insanity” bei Rüdin .................................................................................. 47 2.2 Leiter der Genealogischen Abteilung in Friedrichsberg ................... 59 2.2.1 Private und berufliche Meilensteine: Familiengründung, wissenschaftliche und klinische Leitungspositionen .............. 59 2.2.2 Die Anstalt Friedrichsberg: Entwicklung und Stand unter Weygandt ........................................................................ 62 2.2.3 Die Genealogische Abteilung in Friedrichsberg ..................... 66 2.2.4 Studien zur Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung und zu Chorea Huntington .............................................................. 73 2.2.5 Meggendorfers politische Orientierung im Kontext seiner Suchtexpertise .................................................. 90 2.2.6 Wissenschaftliche Etablierung in Erbpsychiatrie und forensischer Eugenik .............................................................. 108 2.3 Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen ........................................... 149 2.3.1 Berufung nach Erlangen ........................................................ 149 2.3.2 Ausgleich zum Arbeitsalltag ................................................. 161 2.3.3 Die GzVeN-assoziierte Planung zur Namensänderung der Bayerischen Psychiatrischen Kliniken ................................... 165 2.3.4. Exkurs zu Reaktionen von Angehörigen auf die Sterilisierungen im Rahmen des GzVeN .............................. 169 2.3.5 Reduzierte erbpsychiatrische Forschungsmöglichkeiten in Erlangen ............................................................................ 172 2.3.6 Scheitern der Rückberufung nach Hamburg ......................... 178 2.3.7 Meggendorfer als Experte in puncto Alkoholismus ............. 183 2.4 Begründer neuer Heilbehandlung: Elektrokonvulsionstherapie (EKT) .................................................. 205

8

Inhaltsverzeichnis

2.4.1 Meggendorfers Position im Spannungsfeld zwischen „Erbhygiene“ und somatischen Therapieverfahren............... 207 2.4.2 Zur Rolle des oberärztlichen Mitarbeiters Gustav Bingel ... 210 2.4.3 Die italienischen Vorarbeiten zur ersten klinischen EKT in Deutschland ....................................................................... 219 2.4.4 Die EKT-Anwendung an Meggendorfers Klinik ................ 220 2.4.5 EKT als individueller Heilversuch ....................................... 243 2.4.6 Zur Debatte um psychopathologische Kunst: mögliche Zusammenhänge mit Meggendorfers Klinik in Erlangen ........................................................................... 249 2.4.7 Exkurs: Psychiatrieethische Reflexion zu Psychopathologie und Kunst .............................................................................. 269 3. ROLLE ALS HOCHSCHULPSYCHIATER IN DER NS-ZEIT ........... 272 3.1 Meggendorfer und die “Scientific community” ............................. 272 3.1.1 Meggendorfer im Netzwerk der gleichgeschalteten Fachgesellschaft .................................................................... 272 3.1.2 NS-bedingte Emigration von Psycho- und Neurowissenschaftlern .......................................................... 279 3.1.3 Die Meggendorfer-Festschrift 1940 ...................................... 286 3.1.4 Meggendorfers Verhältnis zu Vertretern der „NS-Wissenschaft“ .............................................................. 288 3.1.5 Exkurs: psychiatrische Relevanz der Enzephalitiden – einst und jetzt ......................................................................... 295 3.1.6 Meggendorfers Mitarbeiterwahl .......................................... 308 3.1.7 Die 200-Jahrfeier der Universität Erlangen .......................... 321 3.2 Gutachterliche Tätigkeit ................................................................... 326 3.2.1 Die Delegationspraxis für Gutachten im Vergleich mit anderen Orten ........................................................................ 330 3.2.2 Kritik von Meggendorfers Expertise in puncto „schwerer Alkoholismus“ ..................................................... 334 3.2.3 Diagnostische Schwierigkeiten bei Schizophrenie ............... 340 3.2.4 Die Zulässigkeit eines Eingriffes zur Wiederfruchtbarmachung ....................................................... 367 3.2.5 Notwendigkeit zur apparativen Diagnostik der Epilepsie ..... 370 3.2.6 Zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit ............................................ 376 3.2.7 Veröffentlichungen zur Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis .............................................................................. 382 3.3 Beziehung zu jüdischen Kollegen und Patienten ............................. 392 3.3.1 Aspekte zur „semitischen Rasse“ in Meggendorfers Schrifttum ............................................................................. 392 3.3.2 Kooperation mit und Zitation von jüdischen Kollegen ......... 397

Inhaltsverzeichnis

9

3.3.3 Behandlung von Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg .................................................... 401 3.3.4 Tod der jüdischen Patientin H. B. nach Insulinschocktherapie............................................................ 403 3.3.5 Die Anordnung zu „judenfreiem“ Patientengut und ihre Umsetzung ..................................................................... 418 3.4 Bezug zu psychisch kranken Zwangsarbeitern und Dienstverpflichteten ......................................................................... 426 3.4.1 Verlegungspraxis von Zwangsarbeiterinnen in die Heimat/Heil- und Pflegeanstalt (HuPflA) ............................ 427 3.4.2 Gutachten zum Ausschluss der Simulation bei angedrohter Zwangsversetzung in den Osten .......................................... 446 3.4.3 Umgang mit dienstverpflichteten ärztlichen Kollegen ......... 450 3.5 Die Psychiatrische Klinik als Gast der HuPflA ............................... 457 3.5.1 Der Adnexstatus zur HuPflA ................................................ 457 3.5.2 Gescheiterte Pläne für einen Klinikneubau ........................... 461 3.5.3 Zur Krampfdurchführung an der HuPflA .............................. 469 3.5.4 Involvierung der HuPflA in die „Euthanasie“-Aktionen ...... 472 3.5.5 Zur „T4“-Beteiligung deutscher Hochschulpsychiatrien mit Schwerpunkt Erlangen .................................................... 478 3.5.6 Zur Rolle deutscher Hochschulpsychiatrien bei der zweiten Phase der „Euthanasie“ psychisch Kranker: Untersuchung speziell zu Erlangen ............................................................... 483 4 POSITIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT ........................................ 495 4.1 Dienstsuspension und Entnazifizierung ........................................... 4.1.1 Zur Situation der FAU in der Zeit der US-Militärregierung ........................................................ 4.1.2 Zur Nachkriegssituation an der HuPflA ................................ 4.1.3 Meggendorfer vor Hochschulausschuss und Spruchkammer ...................................................................... 4.2 Versuch der Reintegration in den Lehrkörper .................................. 4.3 Meggendorfer im Spiegel zeitgenössischer Meinungen ..................

495 497 500 501 516 529

5 ZU PERSON UND MORAL VON FRIEDRICH MEGGENDORFER ............................................................................... 531 5.1 Rolle als Militärpsychiater ............................................................... 5.2 Spannungsfelder in der forensischen Psychiatrie ............................. 5.3 Abhängigkeitsverhältnis zu Wilhelm Einsle .................................... 5.4 Konfliktreiche Beziehung zu Werner Leibbrand ............................. 5.5 Klinisches und wissenschaftliches Expertentum ............................. 5.6 Kontinuität in der Nachkriegszeit? .................................................. 5.7 Exkurs: Neurodeterminismus und seine Folgen für die Praxis ......... 5.8 Zur Rezeption ausgewählter Fachkollegen Meggendorfers .............

532 551 563 574 587 613 622 624

10

Inhaltsverzeichnis

5.9 Zeitgenössischer Umgang der Profession mit ihrer NS-Vergangenheit ........................................................................... 633 6 SCHLUSSBETRACHTUNGEN ............................................................. 647 6.1 Positionierung der Psychiatrie als Fachgesellschaft ........................ 6.2 Differenzierungen psychiatrieethischer Biographik ........................ 6.3 Versuch einer Annäherung zu Differenzierungen bei geschichtswissenschaftshistorischer und -ethischer Biographik ...... 6.4 Meggendorfers Moral als Motivator für mehr Ethik in der Psychiatrie ....................................................................................... 6.5 Zusammenfassung und Ausblick ...................................................... 6.6 Epilog ...............................................................................................

647 651 655 660 665 671

7 REFERENZEN ........................................................................................ 672 7.1 Quellenverzeichnis (ungedruckt und gedruckt) ............................... 672 7.2 Literaturverzeichnis .......................................................................... 673 7.3 Zeitschriften ohne Autorenangabe, Kataloge, Flyer und Kalender (primär und sekundär) ................................................................... 769 7.4 Vorträge ............................................................................................ 771 7.5 Internet ............................................................................................. 774 7.6 Kongressposter .................................................................................. 779 8 ÜBERSICHT DER ABBILDUNGEN .................................................... 780 9 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ............................................................ 783 10 DANKSAGUNG ................................................................................... 788 11 PERSONENREGISTER .... …………………………………………… 789

1 EINLEITUNG 1.1 FORSCHUNGSDESIDERATE: PSYCHIATRIEGESCHICHTE UND ETHIK Die vorliegende Analyse der Biographie1 von Friedrich Meggendorfer (1880–1953) soll das Leben und die Motivation, die Beteiligung sowie die Verteidigungsmuster eines bedeutenden Fachvertreters der Psychiatrie und Neurologie zur Zeit des Nationalsozialismus klären. Ziel der Arbeit ist es, zur Aufarbeitung der Geschichte der Ärztinnen und Ärzte in der Zeit des „Dritten Reichs“ beizutragen. Nach dem Gießener Medizinhistoriker Volker Roelcke stellt „[d]ie Medizin im Nationalsozialismus2 nicht einfach eine abgegrenzte Epoche aus der gesamten Geschichte der Medizin dar, die mit der heutigen Medizin praktisch nichts mehr zu tun hat“;3 vielmehr spiegelt die Zeit zwischen 1933 und 1945 „problematische Potenziale“4 wider, „die der gesamten modernen Medizin inhärent sind“.5 Diese moralischen Konfliktherde sollen in der Studie zu Friedrich Meggendorfer „wie unter einem Vergrößerungsglas“6 betrachtet werden. Der Werdegang Friedrich Meggendorfers verdient eine aktuelle Darstellung – vor allem unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rezeptionsgeschichte. In Anlehnung an Wilhelm Rimpaus Position zu Viktor von Weizsäcker (1886–1957)7 „[w]enden wir bei [der] Betrachtung der Rolle […] im Nationalsozialismus die biographische Methode an“,8 wobei wir „zum Beteiligten am Entstehen, Werden, Zweifeln, Verändern, [an] Widerspruch, Schuld, also [an] all dem, was das Leben ausmacht“,9 werden. Dass „in diese Betrachtung unsere 1

2 3 4 5 6 7

8 9

Mit Marc Twain (1835–1910) sei angeführt: “What a wee little part of a person’s life are his acts and his words! His real life is led in his head, and is known to none but himself… Biographies are but the clothes and buttons of a man – the biography of the man himself cannot be written”. Vgl. Twain (1906), zit. n. Scott (2015), Widmungsseite. Siehe ferner Twain (2012). Ferner sei verwiesen auf Jütte et al. (2011). Roelcke (2008), S. 67. Ebd. Ebd. Siehe ferner auch Sidel (1996) und Barondess (1996). Roelcke (2008), S. 67. „Er warnte vor einer politischen Überschätzung der Erbforschung. Dennoch zeigen diese Worte 1933, auf wie furchtbare Weise der bisher nach links tendierende Mediziner die Ideen der sozialen Solidarität mit den nazistischen Schlagworten wie ‚Volksgemeinschaft‘, ‚Staatskörper‘, ‚unwertes Leben‘, ‚Vernichtungsmaßnahmen‘ in Einklang brachte“. Vgl. Rimpau (1990), S. 118. „Obwohl nie Mitglied der NSDAP, der SS oder SA, hatte von Weizsäcker zunächst Hoffnungen in den nationalsozialistischen Staat bezüglich der Erneuerung der Medizin gesetzt. Später bezog er auch Positionen, die indirekt gegen Formen der NS-Politik standen […]. Zwar stimmte Weizsäcker dem Inhalt des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ aus dem Jahr 1933 zu, er galt aber in anderen Angelegenheiten eher als politisch unzuverlässig“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 14. Rimpau (1990), S. 113. Ebd.

12

Einleitung

Vorstellung und Motivation mit ein[fliessen]“,10 mag somit unbestritten bleiben. Hierdurch lässt sich nach Christoph Gradmann das subjektive Element in historischen Prozessen erforschen11 womit unser „Befund[] der historischen Analyse […] auch für heutige Debatten zur Ethik in der Medizin12 einigen Stoff zur Reflexion“13 liefern kann. Wenn die vorliegende Arbeit Person und Ethik14 Friedrich Meggendorfers als Psychiater zu NS-Zeit untersucht, so versteht sich die ethische Analyse als „metaethische Betrachtungsweise“. Im Spiegel von Meggendorfers wissenschaftlichem Werk mit den gesellschaftlichen Implikationen seines Handelns als Psychiater im

10 Roelcke (2008), S. 83. Interessant auch folgende Position von Thomas Nipperdey (1927–1992): „Wissenschaftsmoralisch ist die Behauptung, alle historische Erkenntnis sei primär standortgebunden, folgenschwer: Sie hat zum Resultat, dass die historische Forschung auch in Wirklichkeit primär standortgebunden wird; es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie ist geeignet, die parteiliche Stellungnahme zu rechtfertigen und den möglichen Grad von Objektivität zu untergraben. Geschichte kann aber in dem eingeschränkten Sinne, den ich zu beschreiben suche, objektiv sein, sich auf die wirkliche Vergangenheit beziehen und intersubjektiv Geltung haben“. Vgl. Nipperdey (2013), S. 81–82. 11 Vgl. Gradmann (1998), S. 252. „Was ist Wirklichkeit? Bestimmt nicht das äußere Geschehen, das der fleißige Historiker registrieren und rekonstruieren kann. Wirklichkeit ist mehr als dies, denn die emotionellen Kräfte, die seelischen Triebkräfte, die latent gegebenen Stimmungen handelnder und leidender Menschen sind nicht minder Realität als die äußere Wirklichkeit. Sie bestimmen und verwandeln sie, determinieren das Geschehen, das ohne diese innere Wirklichkeit eine Anhäufung von Sinnlosigkeit und Zufall wäre. Oft aber vermag der Historiker um so weniger, je genauer er ist, diesen inneren Kern der Wirklichkeit zu erfassen“. Vgl. Ben-Chorin (1980), S. 10. Der 1935 aus Deutschland nach Jerusalem emigrierte Literaturgeschichts- und Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin (1913–1999) bemühte sich als Dichter und theologischer Denker um eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Juden und Christen. Vgl. ebd., S. 1. 12 „In der gegenwärtigen Diskussion um ethische Probleme der Medizin werden häufig verschiedene Begriffe relativ synonym verwendet: Medizinische Ethik, Medizinethik und biomedizinische Ethik. Traditionelle Termini wie Deontologie – ‚das, was in der Medizin sein muss oder sollte‘ werden nur noch vereinzelt gebraucht, sind aber zum Teil noch in anderen europäischen Ländern in Verwendung. Parallel hält sich die Formulierung ,Ärztliche Ethik‘, obwohl bei deren Gebrauch die Gefahr am größten erscheint, dass sie als Sonderethik missverstanden wird, obwohl sie sich nur auf besondere Situationen im Bereich der Medizin bezieht. Ein positiver Aspekt dieses Terminus ist die Betonung des Handelnden als Arzt, der von seinen Implikationen über das Verständnis eines Mediziners hinausgeht“. Vgl. Frewer (2000), S. 17. 13 Roelcke (2008), S. 83. 14 „Die Frage nach dem, was der Mensch tun oder nicht tun soll, ist unauflösbar verbunden mit anthropologischen Grundfragen (‚was ist der Mensch, die Person?‘). In der Formulierung ‚was ist human?‘ zeigt sich schon sprachlich die enge Verknüpfung. Das von der modernen Medizin(ausbildung) mit ihren Theorien und Konzepten geprägte Menschenbild beeinflusst – häufig implizit – unsere Einstellungen und Wertsetzungen in ethischen Entscheidungskonflikten“. Vgl. Frewer/Rödel (1993), S. 10.

Einleitung

13

Nationalsozialismus nähern wir uns seiner praktischen „Moral“15 und seiner „ungeschriebenen“ Ethik.16 Wie bei jedem Wissenschaftler17 und/oder Arzt lassen sich auch bei Meggendorfer moralische und moraltheoretische Grundpositionen als inhärente oder verdeckte Konzepte aus seiner wissenschaftlichen wie auch klinischen Praxis ableiten.18 Die Arbeit steht unter dem Anspruch, möglichst die post-hoc-Situation des Historikers einzunehmen. Für die zeitgenössische Biographik erscheint nach Gradmann das Individuum nicht mehr als abgeschlossener Mikrokosmos, sondern vielmehr „als individuierte soziale Struktur. Diese ist ihrerseits erst einmal zu konstituieren und steht gegenüber der sie umgebenden Gesellschaft in offenen und komplizierten Verhältnissen“.19 Die Untersuchung von Person und Ethik Friedrich Meggendorfers erfordert den Einbezug der allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnisse und soll den einstigen „Zeitgeist“ nachempfindbar werden lassen. In der vorliegenden psychiatriehistorischen Studie wird umfangreiches Quellen- und Literaturmaterial im Wortlaut wiedergegeben. Da Kontextualisierung sowie Auslegung von Quellen und Schrifttum immer auch der individuellen wissenschaftlichen Herangehensweise des jeweiligen Autors unterliegen,20 soll die Methode der wörtlichen Zitation ein bestmögliches Aufzeigen des ausgeschöpften Interpretationsspielraumes gewährleisten. In Anbetracht der ärztlichen Tätigkeit der Verfasserin an der Nachfolgeinstitution der Meggendorferschen Psychiatrischen 15 „Die physiologische Menschenkenntnis geht auf die Erforschung dessen, was die Natur aus dem Menschen macht; die pragmatische auf das, was er als frei handelndes Wesen aus sich selber macht oder machen kann oder soll“. Vgl. Kant (1798), zit. n. Payk (2007), Widmung. 16 „Die erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstandene Disziplin der Neuroethik widmet sich […] [unter anderem] Fragen […], die sich auf die neurowissenschaftliche Untersuchung menschlicher Moralvorstellungen beziehen“. Vgl. Herzog (2016), S. 159. Siehe ferner Frings/Jox (2015). 17 „Wo immer Wissenserwerb als oberste Maxime gilt, die allein allen andern moralischen Werten übergeordnet wird, dort entfaltet sich diese ‚dunkle Seite‘ der Wissenschaft im ‚Dritten Reich‘, in anderen totalitären Regimen, auch in demokratischen Staaten, wenn die moralischen Widerstände zu schwach sind“. Vgl. Karenberg (2016), S. 53. 18 „Medizinische Ethik ist eine auf einen spezifischen menschlichen Handlungsbereich bezogene Untersuchung menschlicher Praxis. Sie unternimmt eine Beurteilung von Bedingungen der Moralität der Handlungen in diesem Bereich. Sie hat es dabei mit spezifischen theoretischmoralischen Rahmenbedingungen (aus denen sich etwa die Verpflichtung des Arztes ableitet, seinen Patienten nicht zu schaden) oder spezifischen pragmatischen Rahmenbedingungen (etwa dem Umstand, dass in der Medizin unter bestimmten Voraussetzungen Entscheidungen unter Zeitdruck und auf der Grundlage unsicheren Wissens gefällt werden müssen) des Anwendungsbereiches – hier also der Medizin – zu tun. Deshalb ist Medizinische Ethik nicht mehr autonom, sondern angewandte Ethik“. Vgl. Paul (1997), S. 58. Empfehlenswert auch Bondolfi (2000), Wiesing (2004), Bruchhausen (2008), Marckmann (2015) und Eckart (2017c). 19 Gradmann (1998), S. 252. 20 „Es ist unmöglich, der Geschichte gegenüber objektiv zu sein, weil wir nur aus unserer Perspektive auf das Vergangene blicken können und uns die Perspektiven ihrer Akteure nicht oder doch nur mittelbar, nämlich in aus unserer Perspektive erfolgender Interpretation, zugänglich sind. Jeder Versuch, Geschichte zu begreifen und niederzuschreiben, bleibt so ein unvermeidlich subjektives Narrativ“. Vgl. Rupschus (2016), S. 70.

14

Einleitung

und Nervenklinik21 lassen sich unbewusste „selbstlegitimatorische“ Analyse-Aspekte im Sinne des Aufrechterhaltens professioneller Identität nicht ohne Weiteres ausschließen. Gerade vor diesem Hintergrund soll die angewandte deskriptive Methode22 dem Rezipienten eine hohe Kompetenz verleihen, sich eigenständig mit den vorgeschlagenen Deutungsansätzen der Verfasserin auseinanderzusetzen.23 Die Autorin erhofft sich somit auch eine Multiplikatorwirkung für eine fortgeführte Reflexion zur Rolle der Erlanger Hochschulpsychiatrie24 unter der Leitung Friedrich Meggendorfers im Gesamtkontext der nationalsozialistischen Psychiatrie. Denn der „selbstkritische […] ‚Blick aufs Ganze‘ […] dieses zentrale[n] Kapitel[s] der deutschen Geschichte lehr[t] […] [uns] die heilsame Reflexion auf die eigene Wissenschaftsgeschichte“.25 Dieser historische Ansatz seitens einer psychiatrischen Fachvertreterin beinhaltet relevante Implikationen für aktuelle psychiatrieethische Entscheidungen.26 Gemäß den geschichtsphilosophischen Überlegungen von Urban Wiesing,27 kann, so Andreas-Holger Maehle,

21 Empfehlenswert und weiterführend: Jessen (2016). 22 Mit Tacitus (ca. 58–120 n. Chr.) gilt es, „sina ira et studio“ die „Quellen für sich sprechen“ zu lassen. Vgl. Tacitus (1903). Wenn Historiker sich „sine ira et studio“ in einer imaginierten Welt reiner Objektivität positionieren, so stellen sie – nach Magnus Brechtken vom Münchener Institut für Zeitgeschichte – mit ihren verwendeten Begriffen und vorgenommenen Wertungen einen konstitutiven Teil der gegenwärtigen soziopolitischen Landschaft dar. Vgl. Brechtken (2016).) 23 Zudem stellt die deskriptive Methode in gewisser Hinsicht eine der psychiatrischen Kernkompetenzen dar: „Auffälliges, abweichendes Benehmen, Fühlen und Denken fanden bereits früh Interesse beobachtender Mitmenschen. Im Laufe der Psychologie- und Psychiatriegeschichte formten sich erste Vorstellungen und Konzepte psychischer Störungen, die sowohl psychologisch-philosophisch zu einer Pathophysiologie wie auch klinisch-psychiatrisch zu einer Psychopathologie ausgeformt wurden. Mit der Verwissenschaftlichung der Erkennung und Behandlung psychisch Kranker und Geisteskranker im 19. Jhd. wurde die phänomenologischdeskriptive Sichtweise psychischer Abnormitäten weiter ausdifferenziert, begrifflich ausgeformt und systematisch gegliedert“. Vgl. Payk (2007), S. 19. 24 „Denn nicht zuletzt weichen nicht selten biographische oder regionale Befunde gerade zum polykratischen System der NS-Diktatur von den allgemein festzustellenden Entwicklungen ab“. Vgl. Fangerau (2016), S. 2. 25 Sandweg (1993), S. 100. Ferner verwiesen sei auf Mayer (1961) und (1966). 26 Weiterführend hierzu empfohlen sei McIntye/Popper (1983), Hanauske-Abel (1986), Peiffer (1992), Hanauske-Abel (1996), Dudley/Gale (2002), Geidermann (2002), O’ Mathuna (2006), Wynia/Wells (2007), Hohendorf (2010), Rotzoll et al. (2010b) sowie Colaianni (2012). In Bezug auf historische Kenntnisse und aktuelle Implikationen zur Medizin im Nationalsozialismus siehe ferner Frewer (2000), Bruns (2009) und Roelcke (2012). 27 „Die Ebene der historischen Interpretation […] ist immer mit der Schwierigkeit behaftet, dass man definitive Interpretationen nicht finden kann […]. Aus diesem Grunde bleibt bei der Nutzung historischer Erkenntnisse in der medizinischen Ethik ein Moment der Unwägbarkeit, das die Urteilskraft herausfordert“. Vgl. Wiesing (1995), S. 141.

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„kein systematischer Zusammenhang zwischen dem Verlauf der Geschichte und moralischen Entscheidungen bestehe[n] [, so dass] folglich Historiker [allein] keine unmittelbaren Lösungen für die heutigen ethischen Probleme in der Medizin liefern könnten“.28

Was den systematischen Einbezug normativ-ethischer Dimensionen bei aktuellen medizinethischen Debatten anbelangt, so lassen sich unterschiedliche Lesarten und Zugangsweisen verzeichnen.29 Die Diskussionen hierzu sind komplex, unabgeschlossen und wohl am ehesten interdisziplinär zu lösen im Sinne einer Kooperation von Vertretern der Philosophie sowie der Geschichtswissenschaften auf der einen Seite mit Repräsentanten der Medizintheorie und der klinischen Praxis auf der anderen Seite. 1.2 METHODIK DER UNTERSUCHUNG: QUELLEN UND LITERATURSCHWERPUNKTE Im Zeitraum von 2010 bis 2017 erfolgte neben dem sorgfältigen Studium von Primär- und Sekundärliteratur30 die Arbeit mit relevanten Quellen. Bisher nicht bekanntes Material aus 16 Archiven in neun Städten wurde erschlossen. In den historischen Beständen31 der Psychiatrischen und Nervenklinik im Archiv des Kopfklinikums der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (APNK/FAU) konnten 1.537 historische Akten gesichtet werden. 1.498 davon betrafen Patientinnen,32 die während der NS-Zeit an der Psychiatrischen und Nervenklinik behandelt wurden. In 561 der 1.498 Akten war eine dem Erbgesundheitsgesetz unterworfene 28 Maehle (1998), S. 336–337. 29 „Während […] [zum Beispiel das Argument der schiefen Ebene] vorher [gemeint vor 1992] vornehmlich am Rande von Aufsätzen und Monographien abgehandelt worden ist, die sich mit bestimmten Einzelproblemen der Medizinethik beschäftigen, tritt es jetzt immer mehr in den Mittelpunkt philosophischer Arbeiten“. Vgl. Guckes (1997), S. 1. Weiterführend auch Kröner (1997). 30 Als Bibliographien empfohlen seien Beck (1992) und Ruck (2000). Der Literaturüberblick von Siemen (1984/1985) bildet den damaligen Stand ab. 31 Ungeordnet. 32 Eine plausible Begründung für den Sachverhalt des Fehlens des Großteils der Akten von männlichen Patienten aus dem Zeitraum des Nationalsozialismus besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Es muss folglich davon ausgegangen werden, dass die aktuelle Quellenlage unvollständig ist. Eine Anfrage bei Prof. Dr. Holger Schneider, Leiter des Bezirksklinikums zum Zeitpunkt der örtlichen Trennung von der Hochschulpsychiatrie, bezüglich der „Kriterien für die Aufteilung der Patientenakten zwischen psychiatrischer Universitätsklinik und Bezirkskrankenhaus zum Zeitpunkt des BZK-Umzuges an den Europakanal“ konnte keine fragestellungsrelevanten Informationen erbringen. Vgl. persönliche Korrespondenz mit Prof. Dr. H. K. Schneider ab 24.11.2011. Zwei Akten männlicher Patienten, die während der NS-Zeit an der Meggendorferschen Klinik behandelt wurden, konnten detektiert werden. Einer der Aktendeckel ist versehentlich beschriftet mit der weiblichen statt männlichen Version des Vornamens. Es handelt sich hierbei um die Akten des 1933, 1939 und 1941 in der Klinik behandelten Dr. P. C. sowie des G. W., welcher im Folgezustand nach Kopfverletzung von 24.01.–25.01.1945 stationär in der Klinik war. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 150/62; 149/54; 364/294 sowie ebd., Aufnahmenr.: 97/27. Zu Dr. P. C. siehe S. 561.

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Erkrankung dokumentiert. Die Aufzeichnungen in den (veröffentlichten und unveröffentlichten) Krankengeschichten ließen sich – entgegen der oftmals propagierten „Stimmungsmache“ in puncto „einst wurden Diagnosen übergestülpt – ohne wissenschaftlichen Kern“33– für die Verfasserin aus zeitgenössisch hochschulpsychiatrischer Perspektive an vielen Stellen gut nachvollziehbar lesen und unmittelbar in die aktuell verwendete Fachterminologie übersetzen. Diese Tendenz mag sich in einigen der notwendigerweise vorgenommenen Paraphrasen teils widerspiegeln. Bei Paraphrasen von Krankengeschichten, deren Formulierungen heutzutage als wissenschaftlich obsolet gelten müssen, erfolgt die Wiedergabe in Direktzitation. Bei fehlenden allgemeingültigen Richtlinien für eine historische Aufarbeitung34 beruht ein anerkannter Kodex guter wissenschaftlicher Praxis bei psychiatriehistorischen Fragestellungen auf den Punkten Unabhängigkeit, Eigenverantwortlichkeit,35 Datenschutz und Quellenzugang. Aus Gründen des Datenschutzes anonymisierte die Verfasserin die dargestellten patientenbezogenen Unterlagen.36 Was den Quellenzugang anbelangt, so befindet sich die Psychiatrische und Psychotherapeutische Klinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in gewisser Hinsicht in einer vergleichbaren Situation mit der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. Im Rahmen der Vorstellung der Ergebnisse der Historischen Kommission zur Rolle der psychiatrischen Fachgesellschaft im National33 Vgl. Diskussion im Rahmen des Abschlusskolloquiums zu „Erinnern heißt gedenken und informieren“ – DFG-Erkenntnistransfer-Projekt zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bonn, 08.04.2016. 34 Begründet in der Trias aus besonderem Erkenntnisinteresse, besonderem Gegenstand und besonderen Verfahrensweisen. Vgl. Sachse (2015). 35 Vgl. ebd. Die Verfasserin wurde im Rahmen ihrer Funktion als Assistenzärztin und wissenschaftliche Mitarbeiterin von Herrn Prof. Dr. Johannes Kornhuber mit der Aktenaufarbeitung betraut, ohne im inhaltlichen Sinne unter Einflussnahme zu stehen. Die Eigenverantwortlichkeit liegt zudem in der Qualifikationsarbeit zum Dr. phil. unter Betreuung von Herrn Prof. Dr. Andreas Frewer begründet. 36 Bei bereits veröffentlichten Namen (wie z. B. „Martin Bader“) nahm die Verfasserin keine nachträgliche Anonymisierung vor. Erwähnenswert zeigt sich die gegenwärtige Diskussion zur Namensnennung mit der grundlegend positiven Haltung von Cranachs in Bezug auf die Namensnennung der „T4“-Opfer vs. Vorbehalten von Seiten der Bundesarchivvertretung. Als Hauptargument für die Namensnennung wird vor allem das Bemühen dargelegt, den Betroffenen ihre Identität zurückgeben zu wollen, anstatt sie durch Anonymisierung ein weiteres Mal zu diskriminieren, zu stigmatisieren und zu entwürdigen. Vgl. Cranach (2016). In ihrer Konsequenz nur unzureichend plausibel stellt sich die vorgenommene Selektivität in der Anwendbarkeit des Kriteriums der Namensnennung dar: Während die Namensnennung bei „Euthanasieopfern“ eingefordert wird, wird sie bei „reinen“ Sterilisationsopfern einstimmig abgelehnt. Vielen Dank für die anregende Diskussion an Frau Dr. phil. Carola S. Rudnick von der Bildungs- und Gedenkstätte „Opfer der NS-Psychiatrie“ in Lüneburg, 07.04.2016. „Die härtesten Gegner einer Namensnennung scheinen aber in den Archiven selbst zu sitzen. […] Man war in Bonn skeptisch. Bis auf Weiteres bleibt nur, weiterhin vor Ort eine Lösung zu finden. Mit dem Wechsel der Generationen könnte sich das Problem ohnehin erledigen“. Vgl. Jachertz (2016b), S. A 924. Ferner empfehlenswert Hohendorf (2014).

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sozialismus37 verwies Frank Schneider38 darauf, dass die „gegenwärtigen Aktenberge im Keller der Geschäftsstelle“39 erst nach einer Aufbereitung für die wissen-

37 Im Folgenden sei ein Einblick gegeben in die aktuelle NS-geschichtliche Aufarbeitung anderer medizinischer Disziplinen: „Mit einer aufwendigen Buchpublikation widmet sich [auch] die Deutsche Gesellschaft für Urologie der Geschichte des Faches in der Zeit des Nationalsozialismus“, vgl. Thiel (2011). Siehe ferner Krischel et al. (2011a) und (2011b) sowie Krischel (2014). Zur Aufarbeitung der Rolle der gynäkologischen Fachgesellschaft in der NS-Zeit siehe Dross et al. (2016). „Ende Oktober [2016] fand am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum der RWTH [=Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule] Aachen, unter der Leitung von Prof. Dominik Groß und Dr. Mathias Schmidt die Fachtagung ,Die Ärzte der Nazi-Führer – Karrieren und Netzwerke‘ statt. Beleuchtet wurden die beruflichen Biografien der Haus-, Leib- und Begleitärzte führender Vertreter des NS-Regimes […]. Ärzte und Medizinhistoriker aus ganz Deutschland zeigten, dass diese Mediziner führend an den Nazi-Verbrechen beteiligt waren und sie bisweilen sogar selbst initiierten. Nahezu zeitgleich startete am Aachener Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin das erste nationale Drittmittelprojekt zur Aufarbeitung der Rolle der Zahnärzteschaft im Nationalsozialismus […]“. Vgl. Anonymus (2017), S. 61. Zur Aufarbeitung der Rolle der zahnmedizinischen Fachgesellschaft in der NS-Zeit siehe Tascher (2016a). Auch „[d]ie Landesärztekammer Hessen und die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin machen sich mit ambitionierten Projekten an die Vergangenheitsbewältigung […]. [D]er Präsident der Ärztekammer, Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, betonte […], dass man sich in Hessen als erste Landeskammer überhaupt in Form eines historischen Forschungsprojekts mit der eigenen Geschichte auseinandersetze. Gerade die Fokussierung auf die NS-Zeit biete die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zur Entwicklung nach 1933 zeigten, dass ‚wir als freier Beruf immer wieder sensibel überprüfen müssen, inwieweit von außerhalb in das ärztliche Handeln eingegriffen wird‘. Als aktuelle Beispiele, wo diese Gefahr möglicherweise drohe, nannte der Kammerpräsident, ökonomische Vorgaben für die ärztliche Versorgung, den Umgang mit ärztlicher Schweigepflicht oder mit Sterbehilfe. […] Auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) hat vor zwei Jahren Historiker damit beauftragt, die Geschichte der Fachgesellschaft in der NS-Zeit näher unter die Lupe zu nehmen. […] Bis zum Jahr 2018 soll eine abschließende wissenschaftliche Monographie vorliegen, die sich auch mit den Kontinuitäten nach 1945 befassen soll“. Vgl. Gerst (2015a), S. B 685. „Endlich schafft es eine Landesärztekammer nach 70 Jahren (!), sich mit ihrer NS-Vergangenheit auseinanderzusetzen! […]. Ich bin der festen Überzeugung, dass […] die Gefahr schon längst existent ist! Sehenden Auges lassen wir es immer stärker zu, dass immer massiver in unser ärztliches Handeln eingegriffen wird! Die Ökonomisierung der Medizin ist bereits weit fortgeschritten, die ärztliche Schweigepflicht scheint immer weniger Wert zu sein (siehe aktuell den Umgang mit dem Germanwings-Copiloten!), und bei der ‚Sterbehilfe‘ will zwar die Mehrheit, dass der Arzt ‚hilft‘, obwohl es doch nicht seine Aufgabe ist, den Tod herbeizuführen! Haben wir wirklich in ausreichendem Maß aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?“ Vgl. Freudenberg (2015), S. B 1041. Die von Freudenberg exemplarisch angeführte Germanwings-Katastrophe als „vorurteilsschürende Diskussion wird dazu führen, dass sich die Erfolge der Anti-Stigmatisierungskampagnen der letzten Jahre wieder aufheben. Angst und Scham vieler psychisch Kranker, sich mit ihrer Krankheit zu offenbaren, könnte erneut verstärkt werden. Die Motivation, verfügbare und wirksame Therapiemethoden in Anspruch zu nehmen, könnte weiter sinken“. Vgl. Bühring (2015), S. B 549. Zur Indikation des Brechens ärztlicher Schweigepflicht führte Nedbal als „vorläufiges Fazit [an]: Muss ein Arzt – nach reiflicher Abwägung – annehmen, dass sein Patient/Pilot eine erhebliche Gefahr für andere Menschen darstellt, sollte er sich an den Chef der nächstliegenden Polizeidienststelle wenden“. Vgl. Nedbal (2015), S. B 228.

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schaftliche Forschung zugänglich sind. Um dem Kriterium der Überprüfbarkeit gerecht zu werden, besteht die Möglichkeit, gemäß der Praxis des Max-Plack-Institutes (MPI), zitiertes Aktenmaterial im Original einzusehen. Bei der Konzeption des Studiendesigns folgte die Autorin nicht der Herangehensweise der Hamburger Universitätspsychiatrie40 in der zahlenmäßigen Erfassung von Entlassungen beziehungsweise Verlegungen.41 Der Grund für den bewussten Verzicht auf die Registrierung der Verlegungspraxis der Meggendorferschen Klinik42 ist das besondere Verhältnis der Hochschulpsychiatrie Erlangen zur Heil- und Pflegeanstalt (HuPflA),43 der Vorläuferklinik des heutigen Bezirkskrankenhauses am Europakanal. Eine Verlegung in die HuPflA beruhte formal nicht auf der Eigeninitiative des Klinikdirektors, sondern bedeutete vielmehr die Beendigung der „Leihgabe“ des Anstaltsleiters. Des Weiteren wurden die Akten der in die HuPflA verlegten Klinikpatienten mitgegeben,44 so dass sich in den Historischen Beständen der Psychiatrischen und Nervenklinik nur im Einzelfall Hinweise zu den verlegten Patienten finden lassen.45 Eine alternative Untersuchungsmöglichkeit des Verle-

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Zur Germanwings-Affäre als Amok im Sinne einer Paradoxie des flexiblen Normalismus vgl. Link/Link-Heer (2017). Unter Verweis auf die Konsequenzen der Germanwings-Katastrophe in Hinblick auf die psychiatrische Schweigepflicht empfahl Antonio Bulbena für den Abwägungsprozess u. a. die Anwendung einer Art „Vierfeldermodell“: “Pobability of damage: low and high; Magnitude of damage: low and high”. Vgl. Bulbena (2017). German Berrios warnte u. a. in Hinblick auf die German Wings Debatte davor, dass aus Kontroll-Kriterien zur Vermeidung politischer Notfallsituationen die ärztliche Schweigepflicht gelockert wird ohne Berücksichtigung von Ethik und Gesetz. Vgl. Berrios (2017a). Fn.-Kursivschrift durch Autorin. „Für das Bemühen darum, ‚dass die Rolle der Psychiatrie während der NS-Zeit verbandsintern untersucht und öffentlich bekannt wird‘, wurde Frank Schneider am 21. November [2015] mit dem Preis ‚Gegen Vergessen – Für Demokratie‘ der gleichnamigen Vereinigung ausgezeichnet. Bei der Preisverleihung in Duisburg verwies Schneider auf das lange Schweigen der Ärzte über die massenhaften Morde an psychisch Kranken und die Zwangssterilisationen. ‚Die Fachvertreter standen auch in der Bundesrepublik lange Zeit nicht aufseiten der Opfer‘. Laudator bei der Preisverleihung war Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer. Er würdigte das Engagement und den Mut, den Schneider in seinem Bemühen gezeigt habe, um das Schweigen zu brechen. ‚Wer die Schuld nicht aufarbeitet, wird zum Mitläufer‘, sagte Montgomery“. Vgl. Gerst (2015b), S. B 1817. Schneider (2015). Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 45–46. Zwischen 1936 und 1941 wurden etwa 20% der Patienten der Hamburger Psychiatrischen und Nervenklinik in andere Anstalten verlegt, 65% wurden nach Hause entlassen. Vgl. ebd. Mitunter lassen sich anhand der Patientenakten Verlegung in ortsferne Heil- und Pflegeanstalten, nämlich nach Ansbach, Kutzenberg, Eglfing-Haar und Karthaus-Prüll nachweisen. Die Verlegungen erfolgten wegen Heimatnähe oder wegen expliziten Wunsches des Patienten bzw. der Angehörigen. Sie stehen zeitlich kaum in näherem Zusammenhang mit den dortigen „T4“Transporten. Vereinzelt sind die Krankenakten der HuPflA integriert in die historischen Bestände der Psychiatrischen Klinik. Siehe hierzu S. 103, Fn. 434; S. 334, Fn. 336; S. 337, Fn. 352; S. 386, Fn. 579. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M 46. Siehe hierzu S. 172–173. Z. B. bei S. H., geb. 1929. Am 18.02.1953 hatte Flügel in einem Schreiben an das Stadtgesundheitsamt, Fürsorgestelle für Geisteskranke Frankfurt a. M. „In Erledigung dort. Ersuchens vom

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gungsverhaltens der Klinik in die HuPflA existierte bei Fehlen der Aufnahmebücher nicht. Waren zum Zeitpunkt von Astrid Leys Untersuchungen die „Diagnosebücher [=Aufnahmebücher] der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen“ im Archivbestand der Psychiatrischen- und Nervenklinik der Universität Erlangen, so ergaben sich im Zeitraum von 2011–2017 keine Hinweise für deren Verbleib. Neben den historischen Akten der Psychiatrischen und Nervenklinik wurden auch die entscheidenden Personalakten des Archivs der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) berücksichtigt. Durch Einsichtsnahme in das Material des „MedArchiv-Siemens/Unternehmensarchiv für Medizintechnik“ konnten wichtige Quellen erschlossen werden, welche die Zusammenarbeit mit der Psychiatrischen Klinik zu Meggendorfers Zeit betreffen. Im Stadtarchiv Erlangen konnten vor allem zentrale Zeitungsartikel der 1930er bis 50er Jahre einbezogen werden. Im Bayerischen Staatsarchiv Nürnberg (StBN) wurde der Verlauf der Entnazifizierung Meggendorfers erarbeitet. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München (BayHStA) ließen sich zudem wichtige Vorgänge zu Meggendorfers gescheiterter Berufung nach Hamburg finden. Das Bundesarchiv Berlin (BAB) zeigte sich relevant bezüglich einer forensischen Auseinandersetzung Meggendorfers. In der Berliner Staatsbibliothek (BStB) ließ sich eine Korrespondenz zwischen Meggendorfer und dem Verleger J. C. B. Mohr finden. Im BundesarchivMilitärarchiv Freiburg (BA-MA) konnte Meggendorfers Tätigkeit als Militärpsychiater46 nachvollzogen werden. Untersuchungen im Archiv der Friedrich-SchillerUniversität Jena (FSU)47 und im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW) erlaubten eine Kontrastierung Meggendorfers zu einem OrdinariatsKollegen. Ähnliches gilt für die hinzugezogenen Materialien aus dem Archiv der Goethe-Universität Frankfurt a. M. (UAF), aus dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M. sowie aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStA). 7.1.1953“ folgendes geantwortet: „[W]ir [sind] lediglich in der Lage die beliegenden Karteikarten zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen, da sich die Krankengeschichte bis jetzt nicht ermitteln ließ. Da diese Karten letztere in gedrängter Darstellung enthalten und aus ihnen alles Wesentlich zu ersehen ist, glauben wir, Ihnen damit auch gedient zu haben, und bitten um gelegentliche Rückleitung“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Gemäß des Schreibens von OA Dr. Grosch vom 4.2.1954 an die Heil- und Pflegeanstalt Heppenheim a. d. B. geht „[a]us der Karteikarte […] hervor, dass sich die Pat. in der Zeit vom 25.3. bis 6.3.44 hier befunden hat, dann in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt wurde. Sie war dann neuerdings vom 24.1.– 17.9.1945 in der Klinik. Die Diagnose lautete: Schizophrenie (Hebephrenie) […] Auf Grund dieser Unterlagen erscheint rückblickend nicht ausreichend gesichert zu sein, ob es sich wirklich um eine endogene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gehandelt hat. Es könnte nach den mitgeteilten stichwortartigen Vermerken auch eine epileptoide Psychopathie mit poriomanen Episoden und Verstimmungszuständen vorgelegen haben. Es ist anzunehmen, dass das nicht mehr auffindbare Krankenblatt von einer anderen Stelle angefordert und nicht zurückgegeben worden ist“, zumal das Krankenblatt gemäß dem Antwortschreiben des Dr. F. A. Hoffmann, Oberarzt i. V. auf das Gesuch des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll, Hamburg, vom 25.03.1959 „seit Jahren nicht mehr auffindbar“ ist. Vgl. ebd. Zu der im November 1944 von Meggendorfers Klinik in die HuPflA verlegten Ukrainerin S. S. siehe S. 441–444. 46 Zur „Behandlung im Schatten des Krieges“ siehe ferner Köhner (2009). 47 Zur Rolle der Universität Jena in der NS-Zeit sei verwiesen auf John (1983), Zimmermann (2000), John/Walther (2007) und John/Stutz (2009).

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Der Inhalt des erschlossenenen Quellenmaterials bedingte die Auswahl der Protagonisten, die als historische Akteure in ihrer Verbindung zu Meggendorfer skizziert werden. Aufgrund der Fülle des Stoffes zu Meggendorfer selbst kann der Forschungsstand zu den weiteren angeführten Wissenschaftlern nur punktuell aufgezeigt werden. Anliegen der vorliegenden Arbeit soll und kann es nicht sein, für diese – in ihrer Beziehung zu Meggendorfer behandelten – Personen medizinhistoriographische Forschungsfelder und deren konsekutive Implikationen zu diskutieren. Wichtige Bestandteile des im Privatbesitz befindlichen Familienarchives Meggendorfer (FAM) konnten erstmalig einer wissenschaftlichen Analyse zugänglich gemacht werden. Zur aktuell dünnen familienarchivarischen Datenlage mit Aufschluss über Meggendorfers Moralpraxis lassen sich verschiedene Hypothesen aufstellen. Neben kriegsbedingter Zerstörung, Verlust im Rahmen der Nachkriegswirren, Verwendung als Brennmaterial oder eigener Vernichtung, sei es im Rahmen möglicher Exkulpations- bzw. Dekulpationsbestrebungen oder im Kontext (umzugsbedingter) Bestandsreduktion kann – trotz fehlender Verdachtsmomente – auch eine bewusste aktuelle Ausdünnung im Sinne des selektiven Einblickes für die Wissenschaft nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Sollten im weiteren Verlauf zusätzliche Quellen für eine Erschließung zur Verfügung stehen, könnten sich durchaus Kontroversen entwickeln. Die Vollständigkeit der Quellen ist nicht abschließend beurteilbar. Die vorliegende Arbeit stellt die mittels Krankenvignetten nachskizzierbare Lebenssituation einiger Patientinnen detailliert dar. „[I]ndem in den einzelnen Fallgeschichten an das Vorgehen vor Ort, an die damalige Praxis des Bewertens von Menschen erinnert wird“,48 erfüllt die Abhandlung zu Friedrich Meggendorfer auch das aktuelle historische Desiderat „durch die historische Rekonstruktion ausgewählter Patientengeschichten Erinnerungsarbeit49 [zu] [...] leiste[n]“.50

48 Steger et al. (2011a), S. 1477. 49 „Erinnerung an die Vernichtungspraxis der NS-Medizin heisst für uns nach […] Jahren der Verdrängung zunächst Erinnerung an die Opfer von Sterilisation, ‚Euthanasie‘, Menschenversuchen und des NS-Rassenwahns, die zum Teil heute immer noch um ihre Anerkennung kämpfen müssen: wie z. B. Sinti und Roma, Homosexuelle und Opfer der Zwangssterilisation. Erinnerung setzt voraus, dass das, was geschehen ist, öffentlich gemacht und dokumentiert wird. Erinnerung ist für uns nicht im wesentlichen eine objektivierende Darstellung im Sinne wissenschaftlicher Geschichtsschreibung, sondern soll Raum schaffen für die Mahnung der Opfer. Darüber hinaus soll Erinnerung helfen, eigenes Betroffensein artikulieren [zu] können: Die Verfügbarkeit von Ärzten und Ärztinnen im Nationalsozialismus durch Macht und Karrierestreben auf der einen und opportunistische Anpassung an hierarchische Systeme auf der anderen Seite macht deutlich, dass wir uns auch heute nicht so einfach von der ‚Perversion‘ der ‚Heilkunde‘ zur ‚Massentötung‘ distanzieren können. Es bleiben Zweifel an der eigenen Identitätsbildung als Arzt oder Ärztin zurück“. Vgl. Hohendorf/Magull-Seltenreich (1990), S. 15– 16. 50 Ebd. Siehe hierzu ferner Fuchs et al. (2007) sowie Rotzoll et al. (2010a).

2 BIOGRAPHISCHER RAHMEN UND WISSENSCHATFLICHER WERDEGANG 2.1 VOM KAUFMANNSLEHRLING ZUM PSYCHIATER Friedrich Georg Josef Meggendorfer wurde am 07.06.1880 in Aibling als zweiter von sieben Geschwistern1 mütterlicherseits in eine Arzt- und väterlicherseits in eine Kaufmannsfamilie2 hineingeboren. Die Kolonial- und Materialwarenhandlung Kajetan Meggendorfers erweiterte sein Sohn Ludwig, Friedrichs Vater, um ein Bankgeschäft (Bayerische Vereinsbank) mit Geldwechsel.

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Der Erstgeborene Oskar (1878–1879) war an einer Pocken-Impfkomplikation gestorben; weitere Geschwister Friedrich Meggendorfers: Leo (1883–1883), verstorben an Diphtherie; Karl (1888–1963), Auguste (1884–1967), Pauline (1885–1969) und Bruno (1900–1982). Für Karls Sohn Heinrich (geb. am 06.06.1910) sollte Friedrich Meggendorfer später Doktorvater werden und ihn 1938 mit der Dissertation „Über den Einfluss der Salvarsanbehandlung der Lues auf die Inkubationszeit der Metaluischen Erkrankung“ zum „Dr. med.“ promovieren. Vgl. Meggendorfer, H. (1938). Heinrich sollte im weiteren Verlauf eine chirurgische Praxis in Bad Aibling betreiben. Vgl. Dr. Hilde Nusser-Overmeyer, April 2010 in FAM. Der früheste urkundlich belegbare Stammvater war Wolfgang Johannes Me„ck“endorfer, gestorben 1719, ein Müller in Plankstetten, dessen Sohn Laurentius Me„gg“endorfer (1653– 1727) war ebenfalls Müller an der Weihermühle in der Oberpfalz. „Die ursprüngliche Schreibweise war ‚Meckendorfer‘. Die Endung ‚dorfer‘ könnte auf eine gleichnamige Ortschaft verweisen, wahrscheinlich im süddeutschen Raum, die Schreibweise mit ‚gg‘ wäre dagegen ein Hinweis auf den alemannisch-schweizerischen Raum“. Vgl. genealogische Studien von (Jakob)Ina/e Meggendorfer in ebd. Der Sohn von Laurentius hieß wiederum Laurentius Meggendorfer (1713–1787) und war Hofmarksverwalter des Grafen Max von Preysing in Reichersbeuern. Der Sohn des Laurentius Meggendorfer jun. war Josef Meggendorfer (1742–1814). Dieser arbeitete als Hofmarksverwalter des Grafen Max von Preysing in Reichersbeuern, sein Sohn Franz von Paula [sic] Meggendorfer (1784–1842) war Eisenhüttenamtsverweser und königlicher Forstmeister in Hohenaschau. Ein weiterer Sohn von Josef Meggendorfer war Nepomuk Meggendorfer. Nepomuk ist der Vater von Lothar Meggendorfer (1847–1925), dem Kunstmaler und Illustrator, bekannt durch die „Meggendorfer Blätter“ und durch „Meggendorfers fliegendem Zirkus“. Franz von Paulas Sohn war Heinrich Kajetan Meggendorfer (1810–1885), der Gründer eines Kolonialwarengeschäftes in Aibling. Dessen Sohn war Ludwig Meggendorfer (1842–1907), der Vater von Friedrich Meggendorfer. Ludwig Meggendorfer, Friedrichs Vater, sollte das vom Vater gegründete Kolonialwarengeschäft übernehmen. Vgl. ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang

Abb. 1: Inserat im Reiseführer Bad Aibling, Wilhelm Mayer 19083

Meggendorfers Vater kaufte das nach einem Stadtbrand 1766 beschädigte Haus in der Rosenheimerstraße 4 und ließ es in den 1870er-Jahren wieder aufbauen. In den Jahren zwischen 1896 und 1902 – Aibling war zwischenzeitlich zum „Bad“ erhoben worden – ließ Ludwig Meggendorfer in der Meggendorferstraße4 für seine sieben Kinder5 sieben Ärztehäuser und Kurpensionen bauen. Die Häuser wurden in der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg von Meggendorfers Bruder Karl verkauft und sind heute als Baudenkmäler in der Liste des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege verzeichnet.6 Ludwig Meggendorfer war viele Jahre Vorstand der „Aiblinger Kaufmannsgilde“ und von 1902 bis zu seinem Tod im Jahr 1907 Besitzer des „Ludwigsbades“.7 Für das Moorbad des väterlicherseits aufgebauten 3 4

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Ebd. „Seit 04.07.1921 gibt es die Meggendorferstraße in Bad Aibling. Die Straße wurde zum Andenken an Ludwig Meggendorfer, Kaufmannsvorstand des großen Kollegiums und Erbauer der Badeanlage im Ludwigbad sowie Erbauer der Villen in der nach ihm benannten Straße benannt. Wann die Villa Meggendorfer erbaut wurde bzw. wann es den Namen Meggendorfer erhalten hat, ist der Stadt nicht bekannt“. Vgl. Kink, M./Bauamt Bad Aibling, persönliche Auskunft vom 07.06.2016. Oskar (gest. 1879), Friedrich, Leo (gest. 1883), Karl, Auguste, Pauline, Bruno. Ludwig Meggendorfer berücksichtigte auch seine im Kleinkindalter verstorbenen Söhne Oskar und Leo. Vgl. genealogische Studien von (Jakob)Ina/e Meggendorfer in FAM und persönliche Auskunft von Dr. Thomas Remold vom 19.01.2016. „Nach der Eiszeit hinterließen die Gletscher im Alpenvorland Endmoränen, in den verlandenden Seen bildeten sich Hochmoore; die Nutzung des Rosenheimer Moors galt als wichtiges Gewerbe. Nach Entwässerung und Stechen von Torf wurde es u. a. als billiger Brennstoff verwendet. Der Bader Michael Gschwändler hatte die heilsame Wirkung der im Moor enthaltenen Huminsäuren entdeckt. Der Gerichtsarzt Dr. Desiderius Beck kam 1838 auf den Gedanken, nach dem Vorbild der böhmischen Kurorte Karlsbad, Marienbad und Franzensbad in Aibling eine Badeanstalt zu errichten. 1846 wurde in der Rosenheimer Straße 18 die erste ‚Moor- und Solebadeanstalt‘ Bayerns gegründet. Hierzu wurde Sole aus der Saline Rosenheim nach Aibling geleitet, dort mit Torf vermengt und in großen Steinwannen den Patienten als Heilbad verabreicht. Die warmen Moorbäder dauerten etwa 30 min. Ritter Carl von Berüff, Besitzer der Theresienapotheke in München, erwarb 1857 die Badeanlage für 24.000 Gulden und benannte

Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang

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Kurhotels Ludwigsbad soll Friedrich Meggendorfer während seiner Kindheit Eintrittskarten verkauft haben.8 Der vorangegangene bebilderte Text trägt dazu bei, einen Eindruck von der äußeren Lebenswelt Friedrich Meggendorfers als Kind in Bad Aibling zu erhalten.

Abb. 2: Friedrich Meggendorfer als Kind9

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sie 1871 zu Ehren des bayerischen Königs Ludwig II. [1845–1886]. In einem Inserat im Führer Bad Aibling von 1908 empfahl sich das Ludwigsbad als ‚erstes salinisches Moorbad Bayerns, gegründet 1846, erstes und größtes Haus am Platze, Saison 1. Mai bis 1. Oktober. Neuzeitlich eingerichtete, sehenswerte Badeanstalt. Spezialität: Moorbäder. Sole-, Mutterlaugen-, Fichtennadel-Bäder und alle Arten medizinischer Bäder. Kaltwasser-Abteilung. Sonnenbad. Elektrisches Lichtbad, elektrisches Wasserbad. Eigene Stahlquelle. Dampfheizung der ganzen Anlage. Schöne komfortable Fremdenzimmer. Großer Speisesaal und Restaurationsgarten. Alles mit elektrischem Licht. Eigener, ausgedehnter Park um das Hotel. Omnibus am Bahnhof. Illustrierter Prospekt bereitwilligst durch den Besitzer Ludwig Meggendorfer‘“. Vgl. Aibling. Führer von Nikodemus Krebs, zit. n. FAM. „Damals war das Ludwigsbad ein vornehmes Kurhaus mit Teppichen in der großen Eingangshalle. Die Art der Zubereitung der Bäder und die Badepreise waren überall in Aibling gleich. 1893 kostete ein Moorbad mit Reinigungsbad 1 Mark 80 Pfennig. Dazu kamen 20 Pfennig Trinkgeld für den Badediener. Ab 5. April 1906 kostete ein Moorbad mit Reinigungsbad und Trinkgeld 2 Mark 70 Pfennige. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte das Ludwigsbad bevorzugt von kurenden Militärangehörigen; 1925 kaufte die Marktgemeinde Bad Aibling das Haus, um es als führendes Hotel und Badeanstalt zu erhalten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Ludwigsbad in ein Lazarett und nach dem Krieg als Flüchtlingslager umgewandelt. Bis in die 90er-Jahre gehörte das Luwigsbad zu den ersten Häusern Bad Aiblings und stellte erst 1997 seinen Betrieb ein. Zur Erinnerung an die langjährigen Förderer Ludwig Meggendorfer und Dr. Desiderius Beck waren am Ludwigsbad Tafeln angebracht. Obwohl das Ludwigsbad unter Denkmalschutz stand, wurden die Gebäude 2011 abgerissen“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, Dr. Walburga Remold, ca. 2012 in ebd. Vgl. ebd. Ebd.

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Einen punktuellen Einblick in die kindlichen Gedankenwelten Meggendorfers in den 1880er Jahren bietet zum Beispiel der folgende Gratulationsbrief an seinen Vater10 vom 24.08.1888: „Lieber Papa! Wir grüßen Dich an diesem frohen Tag und wünschen Heil Dir, liebes Väterlein. Es soll stets Dein Leben ohne Sorgen, ein jeder Tag ein Tag der Freude sein. Weil wir hier stehen Hand in Hand verbunden, so schling’ die Liebe fest um Dich ein Band: Die Liebe heiligt dieses Tages Stunden, in jeder reicht glückwünschend [sie?] Dir die Hand. Der Himmel sende oft den Tag hernieder und finde Dich, wie er Dich heute sah! Dann rufen immer wir, wie heute wieder Hoch, dreimal hoch! Es lebe der Papa! Dieses wünscht Dein dankbares Kind Fritz“.11

Es liegt nahe, dass der achtjährige Friedrich für dieses Schreiben an seinen Vater Poesieverse als Vorlagen verwendete. Als Anlass dieser Glückwünsche kann der väterliche Namenstag12 vermutet werden. Undatiert findet sich der kindliche Wunsch Meggendorfers nach Erwachsenwerden, den er in folgendem Glückwunschschreiben an den Vater in altklug-humorvollem Ton anklingen lässt: „Lieber Papa! Ich wollt’ ich wäre schon groß und klug genug Daß ich alles zu sagen verstände! Doch bin ich zu Einem [sic] wohl groß genug, zu wünschen Dir das Beßte [sic]. Und Dich zu bitten recht […] innig warm[,] daß Du mich mögest lieb behalten. Dein dankbares Kind Fritz Meggendorfer“.13

Abb. 3: Schreiben von Fritz an seinen Vater, undatiert14

Friedrich Meggendorfers Vater gründete außerdem das erste Kino Aiblings in Form der „Kinematographische[n] Anstalt“.

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Geb. 23.10.1842; gest. 28.09.1907. FAM, transkribiert. 25. August: Ludwig IX (1214–1270), genannt „Ludwig der Heilige“. FAM, transkribiert. Ebd.

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Nach Besuch der Volksschule in Bad Aibling ging Friedrich von 1892 bis 1897 in die Realschule in Traunstein. Familienarchivarische Unterlagen lassen unter anderem auf einen Aufenthalt in verschiedenen Internaten schließen, darunter auch in Schloss Hohenaschau. Auf ausdrücklichen Wunsch seines Vaters begann Friedrich in Traunstein eine kaufmännische Lehrzeit, so die Quellenlage. Familienarchivarische Unterlagen geben darüber Ausschluss, dass Friedrich als „Handlungskommiss“ bei seinem Vater ausgebildet wurde. Er setzte die kaufmännische Lehre von 1897 bis 1901 in Rovereto, Genf, Paris und London fort. In Rovereto ging er bei einem Geschäftsfreund seines Vaters, Guido Piccolovrazi, in die Lehre. Die Freundschaft mit der Familie Piccolovrazi habe ein Leben lang angehalten. Friedrich Meggendorfer soll mehrmals in Rovereto zu Besuch gewesen sein. Die kaufmännische Lehre jedoch empfand Meggendorfer bald als „todlangweilig“.15 Nach Angaben seiner ältesten Tochter Ida erzählte er in späteren Jahren mit Begeisterung, wie er von einem Schweizer Lehrbetrieb aus einen Stapel Postkarten mit der Nachricht, es gehe ihm gut, für einen längeren Zeitraum im Voraus beschrieben habe. Diese Postkarten habe er von einem anderen Lehrling sukzessive versenden lassen, während er selbst zwischenzeitlich von der Kaufmannswelt „in die weite Welt der Abenteuer“16 geflohen sei. So sei er beispielsweise als Zwischendeck-Passagier17 schwarz nach Algerien gereist, um von dort aus eine Postkarte „me voilà en Afrique“18 zu senden. In diesem Kontext sei er nur knapp der Einziehung in die französische Fremdenlegion entgangen. Das Schiff, in dessen Frachtraum er mitgefahren sei, habe zum Teil verfaulte Zwiebeln geladen gehabt, weshalb Friedrich Meggendorfer später möglichst darauf verzichtete, Zwiebeln zu riechen, geschweige denn zu essen.19 Von 1900 bis 1903 absolvierte Meggendorfer seinen Militärdienst,20 wobei er sich – getragen vom Wunsch zur Teilnahme an der Niederschlagung des Boxeraufstandes21 – für das II. Seebataillon in Wilhelmshaven meldete zum einjährigen freiwilligen Jahr (1901–1902).22

15 Valeton (2000), S. 16. 16 Ebd. 17 Ob er diese Postkarte letztlich doch an seine Eltern sandte, denen er bislang seine Exkursionen verheimlich hatte, oder an (einen) andere(n) Adressaten bleibt unklar. 18 Valeton (2000), S. 16. 19 Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. 20 Es sei darauf verwiesen, dass Schneider et al. im Jahre 2016 in ihrem Kapitel zur Diagnostik folgenden anamnestischen Punkt aufführen: „Militär (Probleme beim Militär? Ausgemustert? Warum?)“. Vgl. Schneider et al. (2016), S. 21. 21 Chinesische Bewegung gegen den europäischen, nordamerikanischen und japanischen Imperialismus von 1899 bis 1901. 22 Abiturienten und Realschüler mussten statt drei nur ein Jahr dienen. Diese „Einjährig-Freiwilligen“ erhielten nach Ende der Militärzeit den Rang eines Reserveleutnants. Vgl. Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM.

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Abb. 4: Fritz Meggendorfer, 190223

Die Soldaten des Expeditionscorps, das Kaiser Wilhelm II. (1859–1941)24 zur Niederschlagung des Boxeraufstands in den Jahren 1900 und 1901 in die deutschen Kolonien nach China zu schicken gedachte, sollten von der Marine gestellt werden, so dass Meggendorfer – für einen Bayern eher ungewöhnlich – zur Marine kam.25

23 Ebd. 24 Weiterführend ferner Bruns (2016). Zu den psychiatrischen Gesellschaftsbedingungen im bürgerlichen Zeitalter (1790–1914) siehe Roelcke (1999a). 25 Vgl. Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM.

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Abb. 5: Fritz Meggendorfer als Marinekadett, ca. 190326

Bevor er seine Ausbildung bei der Marine absolviert hatte, war der Krieg jedoch bereits zu Ende.27 Nach seiner Rückkehr konnte Meggendorfer 1903 endlich von seinem Vater die Erlaubnis zum Studium der Medizin erhalten. Der jüngere Bruder Karl B. übernahm anstelle von Friedrich im weiteren Verlauf als neuer Inhaber das elterliche Geschäft.

Abb. 6: Inserat. Wilhelm Mayer: Reiseführer Bad Aibling, 192628

26 Ebd. 27 Vgl. ebd. 28 Ebd.

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Nach circa einjähriger privater Vorbereitung und Absolvierung eines Kurzlehrganges an einem Kolleg in Würzburg29 absolvierte Meggendorfer 1904 die Reifeprüfung am Realgymnasium in Würzburg. Zum Wintersemester 1904/05 nahm er das Medzinstudium in München auf. Nach passagerem Studienortswechsel nach Berlin kehrte Meggendorfer nach München zurück.

Abb. 7: Visitenkarte Friedrich Meggendorfers, circa. 190430

Offenbar war es seinerzeit für Meggendorfer üblich, bereits als Student der Medizin Visitenkarten zu führen. Das anfänglich noch handschriftlich angefügte Kürzel „stud. med.“ ließ Meggendorfer während seiner Berliner Studienzeit auf seine Visitenkarte aufdrucken.

Abb. 8: Visitenkarte Friedrich Meggendorfers, circa 1905/1906 oder 190731

29 Vgl. ebd. 30 Ebd. 31 Ebd.

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Nach München als Studienort zurückgekehrt, löste er eine Preisaufgabe der Medizinischen Fakultät,32 publizierte 1908 „[e]in[en] Fall von Thymustumor mit vorausgegangenen myasthenieähnlichen Erscheinungen“33 und absolvierte 1909 sein me-

32 Vgl. Ley (1999), S. 128. Eine Anfrage zum Thema der Aufgabe und zum entsprechenden Preisgeld beim Universitätsarchiv München ergab, dass „im Universitätsarchiv München zu Friedrich Meggendorfer – neben dem Doktordiplom – nur Unterlagen hinsichtlich seiner Assistenz in der Psychiatrischen Klinik verwahrt“ werden. Vgl. persönliche Information von Dr. Claudius Stein ab 17.07.2016. „Die medizinischen Promotionsakten sind leider fast vollständig im letzten Krieg zugrunde gegangen“. Es besteht die Möglichkeit, die Karteikarte aus der Studentenkartei I (1914–1935) sowie die Belegblätter mit den Titeln der semesterweise besuchten Veranstaltungen einzusehen. Vgl. ebd. 33 Kasuistik zum 47jährigen Schlosser G. B., erstaufgenommen im städtischen Krankenhaus l. d. I. in München am 02.05.1898, nach neun Wochen entlassen in gebessertem Zustand mit den Diagnosen „Abulie, Myasthenie, Hysterie“. „Am 13.02.1908 trat Pat. in die II. med. Abt. des Krankenhauses l. d. I. ein. Pat. klagte beim Eintritt über heftige Schmerzen in beiden Knien und im Hoden […]. Am 27. Februar wurde notiert: ,Auffallende Atemnot, Unruhe, sehr starkes Zittern, starke Schweissekretion. Hals gerötet. Angina. Rechts hinten unten einige feuchte Rasselgeräusche. Eitriges, konfluierendes Sputum. Im Sputum keine Tuberkelbazillen; es enthält Streifen rötlichen Blutes; kein abnormes Pigment, keine abnormen Epithelien. Abends und nachts öfters Anfälle von Atemnot und Cyanose im Gesicht, was Pat. als Asthmaanfälle deutete, wie er’s schon öfters gehabt habe. Um ½ 4 Uhr morgens erfolgte in einem solchen Anfalle von Atemnot plötzlicher Exitus letalis‘. Die am 28. Februar von Herrn Professor Dr. Dück vorgenommene Sektion ergab folgenden Befund [….]. Wir können also wohl annehmen, dass wir es hier, wenn auch nicht mit typischer Myasthenie, so doch mit myasthenieähnlichen Erscheinungen zu tun hatten. Auch in diesem Falle war ein abnormes Verhalten des lymphatischen Systems vorhanden. Im Blute waren von den 9200 Leukocyten p. cmm 39,5% polymorphkernige Leukocyten, 60% Lymphocyten und 0,5% Mastzellen. Eosinophile Zellen waren überhaupt nicht zu sehen. Die Follikel der Milz und die Follikularapparate des Darmes waren gar nicht zu erkennen. Leider konnten die Muskeln nicht untersucht werden, da sie im pathologischen Institut verloren gingen. Was nun den Mediastinaltumor betrifft, so nimmt [Carl] Weigert [1845–1904] an, dass alle diese grossen Mediastinaltumoren von der Thymus ausgehen. Das erscheint auch hier sehr wahrscheinlich, denn der Tumor entsprach seiner Lage nach der Thymus und hatte makroskopisch und mikroskopisch unverkennbare Ähnlichkeit mit diesem Organ. Wenn wir in diesem Falle einen Zusammenhang zwischen dem Thymussarkom und der vor Jahren bestandenen myasthenieähnlichen Erkrankung erkennen wollen, so müssen wir, wie Goldflam es in einem ähnlichen Falle tut, annehmen, dass der Tumor nach der Kohnheimschen Theorie jahrelang im Keime latent blieb und dabei doch ein toxisches Produkt lieferte. Der vorliegende Fall ist deswegen interessant, weil er wieder eine Veränderung am lymphatischen System bei myasthenieähnlichen Erscheinungen zeigt“. Vgl. Meggendorfer (1908), Sonderdruck, S. 4–5 und S. 7. Zu Samuel Goldflam (1852–1932) siehe ferner Herman (1963). Eine aktuelle Einschätzung der Rolle der Tyhmus bei der Genese myasthener Erscheinungen lautet folgendermaßen: „Polyklonale Autoantikörper binden [bei Myasthenia gravis] sich an postsynaptische Ach-Rezeptoren [Acetylcholin-Rezeptoren] und führen damit zu einer Abnahme verfügbarer Ach-Rezeptoren an der neuromuskulären Endplatte, aktivieren das Komplementsystem mit anschließender Zerstörung postsynaptischer Membranen durch den ʻmembrane-attack-complexʼ und bedingen eine Aggregation der Ach-Rezeptoren mit konsekutiv beschleunigtem Abbau der Rezeptoren. Eine zentrale Rolle bei der Autoantikörperbildung scheint der Thymus zu spielen, der in über 80% der Fälle Veränderungen (z. B. Thymitis, Thymom)

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dizinisches Staatsexamen mit der Note „gut“. Das darauffolgende Medizinalpraktikanten-Jahr verbrachte Meggendorfer an den Heil- und Pflegeanstalten in EglfingHaar und Bad Oeynhausen. Als Volontärassistent am Deutschen Krankenhaus in Konstantinopel lernte Meggendorfer die dortige Bakteriologische Untersuchungsanstalt kennen. Meggendorfers Mitbringsel von seinem Türkei-Aufenthalt sind teilweise noch in den Familienbeständen erhalten, so zum Beispiel eine Koransure, welche Herr Dr. Thomas Remold als Andenken an seinen Großvater bewahrt.34 2.1.1 Erste akademische Schritte in München und Prägung durch Kraepelin Am 17.12.1910 erhielt Meggendorfer seine Approbation. Bei Emil Kraepelin (1856–1926) promovierte er über experimentelle Untersuchungen zu Schreibstörungen bei Paralytikern.35 Meggendorfer identifizierte sich auch im dienstsuspendierten Zustand mit seiner Promotionsschrift. Dies zeigt sich unter anderem darin,

aufweist. Welcher Mechanismus letztendlich zur Autoaggression führt, ist unklar. In erster Linie vermutet man eine molekulare Mimikry bakterieller oder viraler Keime mit partieller Antigeneigenschaft von erregerspezifischen Epitopen und Epitopen des Ach-Rezeptors“. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 281–282. 34 Persönliche Information vom 19.01.2016. 35 „Die vorliegenden Untersuchungen der Schrift bei Paralytikern wurden mittels der Schriftwage ausgeführt. Die benutzte Wage stimmt mit Ausnahme einiger für die Untersuchungen selbst unwesentlicher Verbesserungen mit der in der Arbeit von Groß beschriebenen Kraepelinschen Schriftwage überein. Sie wurde nach den Angaben Dr. Weilers von M. Sendtner in München gebaut“. Vgl. Meggendorfer (1910), Sonderdruck S. 427. Bei der Person des Dr. Weiler könnte es sich um Karl Weiler handeln. Siehe hierzu S. 33, Fn. 49. „Es wurden im ganzen zwölf Kranke untersucht. Davon schied wegen zu großer Demenz ein Kranker während der Untersuchung aus. Bei zwei Kranken wurde später Lues cerebri festgestellt. Es blieben also zum Vergleich mit den Gesunden nur folgende neun, mit römischen Ziffern bezeichnete Paralytiker, über deren psychischen Zustand ich einige wesentliche Züge den Krankengeschichten entnehme. I, Wirt, 56 Jahre alt, demente Form der progressiven Paralyse; Beginn der psychischen Erscheinungen vor ungefähr 3 Monaten; jedoch bestanden schon seit Jahren typische somatische Störungen. Im allgemeinen ruhiges, schwerfälliges Verhalten; zeitweise Erregungszustände und Reizbarkeit. II, Kaufmann, 41 Jahre alt, demente, vielleicht depressive Form der Paralyse; Beginn der Erkrankung vor über drei Jahren; ruhiges Verhalten mit Depressions- und Erregungszuständen, hochgradige Demenz. III, Bäcker, 42 Jahre alt, expansive Form der Paralyse; Beginn der Erkrankung vor kurzem; lebhaft, heiter, Größenideen. IV, Brauer, 52 Jahre alt, demente Form der Paralyse; Beginn der Erkrankung vor über 2 Jahren; ruhig, euphorisch, dement. V, Ausgeher, früher Brauer, 51 Jahre alt, demente Form der Paralyse; Beginn vor 8 Monaten; während der Untersuchung in den ersten Tagen unruhig, später ruhig, euphorisch. VI, früher Eisendreher, dann Musiker, 38 Jahre alt, demente Form der Paralyse; Beginn vor kurzem; ruhig, schwerfällig, euphorisch, dement. VII, Kaufmann, zuletzt Tabakschneider, 50 Jahre alt, Tabesparalyse; Beginn vor über 2 Jahren; ruhig, euphorisch, dement, sehr ataktisch. VIII, Offizier, 38 Jahre alt, expansive Form der Paralyse; Beginn vor 3 Monaten; hochgradige motorische Unruhe, in den letzten Tagen während der Untersuchung etwas ruhiger, euphorisch, Größenideen. IX, Ingenieur, 40 Jahre alt, expansive Form der Paralyse; Beginn vor kurzem; starke motorische Unruhe, euphorisch, Größenideen“. Vgl. Meggendorfer (1910), Sonderdruck

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dass er sie anlässlich des Weihnachtsfestes 1947 seinem zukünftigen Schwiegersohn36 überreichte. Mit einer originellen Widmung griff Meggendorfer die Vornamensgleicheit von Verfasser und Beschenktem auf und weckte im Zustand des militärischen, gesellschaftlichen und moralischen Zusammenbruchs Deutschlands eine assoziative Rückblende auf die einstige glanzvolle Zeit seines Heimatlandes unter Friedrich dem Großen (1712–1786), dem „Alten Fritz“.37 Von 01.01.1911 bis 10.04.1913 war Meggendorfer als wissenschaftlicher Assistent an der damals „Königlich Psychiatrischen Klinik“ unter Emil Kraepelin in der Nussbaumstr. in München tätig. Unter der Ägide Kraepelins wurde Meggendorfer bereits von den ersten akademischen Schritten an auch an das Gebiet der psychiatrischen Eugenik herangeführt, denn Kraepelins Wissenschaft zeigte sich bemüht um die „psychische Volkshygiene“.38 So förderte er schon vor dem Ersten Weltkrieg die psychiatrie-genetische Forschung Ernst Rüdins (1874–1952) sowie die Untersuchungen von Alois Alzheimer (1864–1915) über Demenz und von Felix Plaut (1877–1940) über Syphilis und Paralyse. Meggendorfer wurde bei Kraepelin vertraut mit psychiatrischen Versorgungsangeboten, welche neben Erhalt, Regeneration oder Optimierung der Individualgesundheit noch weitere relevante Zielsetzungen verfolgten, nämlich die Prosperität der Volksökonomie und die (biologische) Stärke des Staates.39 Bereits seit

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S. 463–464. Zu den Patienten IV, V, VIII setzte Meggendorfer jeweils folgende Fußnotenanmerkung: „Inzwischen mit Tod abgegangen. Die Sektion ergab den für Paralyse typischen Befund. Bei den übrigen Kranken bestätigte der weitere Verlauf des Leidens die Richtigkeit der klinischen Diagnose“. Vgl. ebd., S. 464. „Die Kranken schrieben also das Wort ,München‘ kleiner, langsamer und mit viel geringerem Druck als die Gesunden. Ferner zeigt sich hier am deutlichsten der Gegensatz in dem Verhalten der Druckkurven. Während die Kurven der Gesunden an den verschiedenen Tagen ausnahmslos gleichen Verlauf nehmen, ist dies bei den Druckkurven der Paralytiker nicht der Fall; nur bei III ist dies stellenweise angedeutet“. Vgl. ebd., S. 493. „Von welchem Gesichtspunkt aus man die Schrift der Paralytiker auch betrachtet, immer fällt auf, dass man zwei deutlich unterscheidbare Gruppen vor sich hat. Diese beiden Gruppen verhalten sich im Vergleich zu Gesunden in folgender Weise: Schreibweg: 1. kleiner, 2. etwas größer; Schreibzeit: 1. wenig länger, 2. viel länger; Geschwindigkeit: 1. kleiner, 2. viel kleiner; Druck: 1. viel geringer, 2. geringer; Zwischenpausen: 1. länger, 2. viel länger; Innenpausen: 1. länger, 2. viel länger“. Vgl. ebd., S. 495. Seine Dissertationsschrift widmete Meggendorfer seiner „Lieben Mutter in Verehrung und Dankbarkeit“. Vgl. ebd., Widmung. Die Hochzeit zwischen Walburga und Fritz Remold erfolgte am 26.05.1951. Vgl. FAM. Vgl. ebd., Widmung an den Schwiegersohn Weber et al. (2006), S. A 2690. Als Ursache für eine „tiefgehende persönliche Kränkung“ bei Kraepelin sieht Steinberg die Tatsache, „dass Militär, Verwaltung und weite Teile der Ärzteschaft sein Angebot ablehnten, die Verbreitung der Syphilis und des Alkoholkonsums im Heere zu untersuchen, zweier Aspekte, denen er eine immense, mitunter kriegsentscheidende Relevanz zusprach. […]. Augenfällig spielt hier zudem sein vergeblicher Kampf um die Hebung der Volksgesundheit allgemein eine Rolle: Die Gruppe der Alkoholabstinenzler, in der er engagiert war, wird in der Öffentlichkeit verlacht. Seine ärztlichen Ratschläge zur Verhinderung psychischer Krankheiten und Eindämmung ihrer hereditären Ausbreitung werden genauso wie seine Ideen zur Reform des Strafrechts kaum wahrgenommen, geschweige denn befolgt“. Vgl. Steinberg (2002), S. 295.

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der Aufklärung fokussierte die Psychiatrie europaweit40 neben dem Individuum an sich auch auf nationale Ökonomie und Volksgesundheit als wichtige Kernelemente des Heilungsfokus. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts waren Forschungsbemühungen zur Rolle der Erblichkeit bei psychiatrischen Erkrankungen lanciert und circa seit der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre nochmals deutlich intensiviert worden. Bereits 1910 waren Kraepelin und andere Repräsentanten des Faches eingetreten für systematische Langzeituntersuchungen zur Erfassung der Erbgesundheit des deutschen Volkes. Psychiatrische Erkrankungen inklusive Verhaltensauffälligkeiten wie Straffälligkeit und sexuelle Devianzen interpretierte man als Resultat einer Degeneration im Sinne einer stufenweise ablaufenden qualitativen Verschlechterung des kollektiven Genpools.41 Entsprechend den Forderungen von Kraepelin und weiteren psychiatrischen Fachkollegen wie Robert Sommer (1864–1937) und Alois Alzheimer kam es zur Etablierung eines zentralen, staatlich subventionierten Instituts für psychiatrische genetische und epidemiologische Forschung42 in Form der 1917 gegründeten Deutschen Forschungsanstalt (DFA) für Psychiatrie.43 Der Kraepelin-Schüler Ernst Rüdin44 als Schlüsselfigur der deutschen eugenisch-rassenhygienischen Bewegung wurde zum Leiter der neu gegründeten Genealogisch-Demographischen Abteilung (GDA). Kurze Zeit zuvor hatte Rüdin sein Konzept der empirischen Erbprognose als neue statistische Methodik eingeführt, welche international zum Paradigma im Bereich der psychiatrischen Eugenik wurde:45 1933/34 galt Rüdin mit seinen Mitarbeitern an der GDA als die international führende Arbeitsgruppe im Themenfeld der psychiatrischen Genetik.46 Um profunde wissenschaftliche Arbeit finanzieren zu können, sah Kraepelin die Durchsetzung sämtlicher Mittel zur Verringerung der gesellschaftlichen Kosten durch psychisch Kranke47 als notwendig an: 40 Weiterführend hierzu Baron (1997). Interessant zur „ eugenische[n] Bewegung in europäischer Perspektive bis in die 1930er Jahre“ Roelcke (2010b). 41 Thoma sieht in der Geschichte der deutschen Psychiatrie des 20. Jahrhunderts auf gewisse Weise die Folge des Verlustes der tragischen Vision der Verrücktheit: „L’ histoire de la psychiatrie allemande du XXe siècle peut, d’une certaine manière, être interprétée comme une conséquence de la perte de la vision tragique de la folie: si le tragique de la folie désigne un destin humain, potentiel et commun, alors cette relation intime de l’ homme avec la folie ne puvait être tout particulièrement oblitérée dans la psychiatrie nazie. Pour les nazis, la folie ne pouvait être intégrée à leur conception de l’ homme, car elle apparaîssait au contraire comme une sorte de dégénérescence biologique qui n’ avait plus rien d’ humain“. Vgl. Thoma (2016), S. 182–185. 42 Interessant hierzu auch Kraepelin (1916a). 43 Weiterführend empfohlen sei Weber (1991) und (2000). 44 „Ernst Rüdin vermerkte 1939, dass es das Verdienst ‚des Psychiaters‘ gewesen sei, ‚Staat und Partei auf die ungeheueren Erbgefahren aufmerksam gemacht‘ zu haben. Die Bekämpfung dieser Gefahr sei eine ‚Großtat des deutschen Staates und Volkes‘. In den USA war die erzwungene Sterilisation bestimmter psychiatrischer Patienten bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts gesetzlich erlaubt“. Vgl. Heinz (2011), S. 36. Siehe ferner Roelcke (2012). 45 Vgl. Roelcke (2008), S. 69–70. 46 Ebd., S. 70. Siehe ferner Roelcke (2000a), (2002b) und (2014c). Interessant auch Roelcke/Ritter (2005). 47 Siehe hierzu auch Blankenburg/Dreyer (1933).

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„auf unserem Gebiete [ist] an rasche, blendende Erfolge nicht zu denken […], [zumal] […] auch die Beschaffung der für eine selbstständige Ausgestaltung der Forschungsanstalt erforderlichen, sehr bedeutenden Mittel noch eine Frage der Zukunft [ist]. […]. Die Kosten, die unsere heutige Irrenfürsorge verschlingt, sind so ungemein hohe, dass alle Bestrebungen, die deren Verminderung möglich erscheinen lassen, unbedingt allseitige Unterstützung finden müssen. […]. Gelänge es daher den Arbeiten der Forschungsanstalt nur, von je 1000 Krankheitsfällen einen einzigen zu verhüten oder von 1000 Anstaltsinsassen jährlich einen einzigen so weit zu fördern, dass er dem Leben in Freiheit zurückgegeben werden kann, so wäre der Aufwand für die wissenschaftliche Arbeit schon gedeckt. Sollte sich das deutsche Volk derartigen Erwägungen verschließen können?“48

Mit diesem Streben nach Kostenreduktion durch effiziente psychiatrische Behandlungsoptionen mag Kraepelin bereits seinem Doktoranden und Assistenten Meggendorfer die zeitnahe Erforschung neuer Therapieverfahren in der Psychiatrie wegen ihrer gesellschaftsökonomischen Relevanz mit auf den beruflichen Weg gegeben haben. Es ist davon auszugehen, dass Meggendorfer während seiner Zeit als Doktorand und wissenschaftlicher Assistent unter Kraepelin49 auch in Kontakt kam mit der international besetzten Arbeitsgruppe von Alois Alzheimer.50 Neben den Deutschen Hans Gerhard Creutzfeldt (1885–1964),51 Alfons Maria Jakob (1884– 1932), Ludwig Merzbacher (1875–1942), Georg Stertz (1878–1959)52 und Friedrich Heinrich Lewy (1885–1950),53 dem Schweizer Fritz Lotmar (1878–1964),54 48 Kraepelin (1918), S. 111–112. 49 „Als wertvolle Mitglieder der Münchener Klinik unter Kraepelin sind schließlich zu nennen Karl Weiler ([…] 1878 [–1973]), jetzt verdienter Präsident der Landesärztekammer Bayern, Friedrich Meggendorfer (1880–1953), späterer Inhaber des Lehrstuhles für Psychiatrie in Erlangen, Ulrich Fleck (geb. 1890), späterer Direktor der Nervenklinik im Nürnberger Krankenhaus, und Johannes Lange (1891–1938); Lange wurde noch zu Lebzeiten von Kraepelin Leiter der auf seine Anregung geschaffenen, im Krankenhaus München-Schwabing eingerichteten psychiatrischen Abteilung, die gleichzeitig die klinische Station der Forschungsanstalt für Psychiatrie war. […]. Als Volontärärzte arbeiteten auch einige Zeit an der Klinik Hans Luxenburger (geb. 1894), der sich als Erbbiologe einen guten Namen verschaffte und Erich Guttmann (1896–1948), der leider viel zu früh in der Emigration verstorbene vortreffliche Neurologe. 1923 war Georg Schaltenbrand (geb. 1897), jetzt ordentlicher Professor für Neurologie in Würzburg, Medizinalpraktikant und promovierte auch unter Kraepelin. Im Winter 1904/05 arbeitete H. W. Gruhle, geb. 1880 (später Ordinarius in Bonn), in den psychologischen Laboratorien der Klinik, wo er seine Inaugural-Dissertation vorbereitete“. Vgl. Kolle (1955), S. 181. 50 Weiterführend hierzu auch Perusini (1907). 51 Siehe ferner Wolf (2003). 52 Zu Stertz siehe S. 531–532, Fn. 2. 53 “Lewy’s career in many diverse branches of neurology and internal medicine was strongly affected by World War I and the difficult situation faced by Jews in Germany. Shortly after the Neurological Institute was founded in Berlin in 1932 (as a clinic and research institute), he was forced, in 1933, to emigrate. His exile in England and the United States mirrors the fate of many German Jews and academics in the first half of the 20th century”. Vgl. Holdorff (2002), Abstract. Siehe ferner ders. (2001). 54 „Bald widmete er sich mit vertieften Interesse der Neurologie und war Schüler von [Jules Joseph] Déjerine in Paris, von Hermann Oppenheim [1858–1919] und von [Richard] Cassirer [1868–1925] in Berlin. Die engen Beziehungen, die damals in Deutschland zwischen Neurologie und Psychiatrie bestanden, veranlassten Lotmar, bei Kraepelin in München Psychiatrie zu studieren und im neuropathologischen Laboratorium der Kraepelinschen Klinik bei Alzheimer

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dem Argentinier José M. Achúcarro (1880–1918),55 dem Russen Boris Doinikow,56 den Polen Stefan Rosenthal57 und Teofil Simchowicz (1879–1957) arbeitete dort „il gruppo di Monaco“,58 die sich zusammensetzte aus Gaetano Perusini (1879– 1915),59 F. Fulcri,60 Francesco Bonfiglio (1883–1966) und Ugo Cerletti (1877– 1963).61 In München eignete sich Meggendorfer bei dem Psychiater Felix Plaut – bis zur Dienstentfernung durch die Nationalsozialisten 1935 und anschließender Emigration nach England62 Direktor der Serologischen Abteilung an der DFA –

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zu arbeiten. Hier entstand auch auf Grund von Versuchen mit Diphtherietoxin seine erste bedeutende wissenschaftliche Untersuchung: ‚Beitrag zur Histologie der akuten Myelitis und Encephalitis sowie verwandter Prozesse‘“. Vgl. Mumenthaler (1964), S. 327. Zum [Ludwig] Binswanger [1881–1960]-Lotmar-Disput über Aphasie (1926–1963) siehe ferner Fuchs (2007). Zu Jules Joseph Déjerine (1849–1917) siehe ferner Heuyer (1961). Siehe ferner hierzu http://www.achucarro.org/es/people. Stand vom 08.12.2015. Lebensdaten unbekannt. Lebensdaten unbekannt. Zu seinem Namensvetter Isidor Rosenthal, Ordinarius für Physiologie in Erlangen in der Zeit von 1872 bis 1913, siehe S. 44. Braun et al. (2011), Autorendruck S. 3. Vgl. hierzu Lucci (2010), Braun et al. (2010a), (2010b) und (2011) sowie Braun (2012a). Lebensdaten unbekannt. Der Biograph Gaetano Perusinis sollte zu einem wichtigen Begründer der Elektrokonvulsionstherapie werden. Vgl. Holdorff/Hoff (1998), S. 180. Zur Bedeutung von England als Exilland für deutsche Psychiater siehe Peters (1996). “Britain’s role, however, was only as a temporary refuge, […]. North America was very much a presence in the psychiatric transfers, exerting a pull on the medical refugees”. Vgl. Weindling (2010), S. 219. Nicht nur unter Psychiatern war das United Kingdom (UK) ein beliebtes (primäres) Emigrationsziel, auch der Genetikerin Charlotte Auerbach (1899–1994) bot es eine neue Wirkstätte: „Im Winter 1928/1929 kam die junge Frau Charlotte Auerbach als Doktorandin an das Kaiser-Wilhelm Institut (KWI) für Biologie in Berlin-Dahlem, um bei dem bedeutenden Biologen Otto Mangold (1891–1962) eine Dissertation anzufertigen. Das KWI für Biologie war eines der ersten Institute der Kaiser-Wilhelm Gesellschaft und genoß einen ausgezeichneten Ruf“. Vgl. Vogt (1999), S. 55. „Nach der Machtübernahme der Nazis verschlechterten sich auch die Bedingungen am KWI für Biologie drastisch. Durch das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ vom 7. April 1933 verlor Charlotte Auerbach ihre finanzielle und berufliche Absicherung, denn sie wurde sofort aus dem Schuldienst entlassen. Mit diesem Gesetz wurden politische Gegner(innen), vermeintliche Gegner-(innen) und alle, die nach NS-Definition nicht ‚arisch‘ waren, nicht nur aus den Beamtenstellen, sondern aus allen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes entlassen. Das traf für alle Schulen, Fach- und Hochschulen zu, an den Universitäten waren nicht nur die – nichtbeamteten – Professoren und Privatdozenten, sondern auch alle Assistenten und Laboranten von diesem Gesetz betroffen. Auch die Institute der Kaiser-Wilhelm Gesellschaft mußten dieses ‚Gesetz‘ umsetzen. Nur in ganz wenigen Fällen fanden die so Vertriebenen und ihrer Existenz Beraubten Hilfe oder Unterstützung. Noch 1933 verließ sie Deutschland. […] Charlotte Auerbach war nun Emigrantin und trat den zunächst bitteren Weg in eine ungewisse Zukunft an. Aber sie hatte auch Glück. Sie war an einem KWI gewesen, dessen international geschätzter Ruf auch in Großbritannien galt und ihr half. Sie wurde von einem Freund ihres Vaters an die Universität in Edinburgh vermittelt, an der vergleichsweise wenig Emigranten Zuflucht gesucht hatten“. Vgl. ebd., S. 57. „Die aus Nazi-Deutschland geflohene Genetikerin Charlotte Auerbach [sollte] 1957 Fellow of the Royal Society in London [werden]. Sie war die 13. Frau, die in die Royal Society aufgenommen wurde. Als ehemaliger Emigrantin gelang ihr in ihrem neuen Heimatland Großbritannien eine erstaunliche wissenschaftliche Karriere. Der Beginn dieser Laufbahn

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serologische Untersuchungsmethoden an. Bei Felix Plaut in München lernte Meggendorfer auch die Techniken des Schweizer Physiologen Emil Abderhalden63 (1877–1950) kennen. Letzterer verfasste 1904 eine Bibliographie der gesamten wissenschaftlichen Literatur über den Alkohol und den Alkoholismus.64 Aufgrund der Erkenntnisse der Grundlagenforschung des ausgehenden 19. Jahrhunderts bildete die physiologische, pathologische, psychologische sowie pharmakologische Wirkung des Alkohols bereits den Gegenstand zahlreicher Forschungsanliegen. „Bis 1904 registrierte Abderhalden zwischen 12.000 und 13.000 wissenschaftliche Literaturbeiträge über Alkohol und Alkoholismus“.65 Abderhalden bezweckte mit seiner Bibliographie „einesteils, das Studium der wissenschaftlichen Alkoholfrage zu erleichtern, und anderenteils, den weiteren Forschungen im genannten Gebiete eine sichere Grundlage zu geben“.66 Es ist davon auszugehen, dass Meggendorfer als späterer Alkoholismus-Experte gut vertraut war mit der Abderhaldensche Bibliographie der gesamten wissenschaftlichen Literatur über den Alkohol und den Alkoholismus von 1904.67 Abderhaldens Vorschlag vom bayerischen Ärztetag 1930 zur Antikonzeption im Zustand nach der Geburt eines „minderwertigen“ Kindes beurteilte Meggendorfer 1931 als unzureichend.68 Er sah in der Blütezeit seiner wissenschaftlichen Karriere den schweren Alkoholismus als eine berechtigterweise dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses69 unterworfene Erkrankung an.

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aber war mit Berlin verbunden“. Vgl. ebd. Zur Genetikerin Paula Hertwig (1889–1983) siehe Gerstengarbe (2012). Empfehlenswert hierzu Frewer (2000). Zum wissenschaftlichen Konsens zwischen Abderhalden und Hoche in Bezug auf Humanexperimente siehe Frewer (2004), S. 143. Siehe ferner Ewalds Beschäftigung mit der Abderhaldenschen Reaktion und seinem Dialysierverfahren: Ewald (1920b) und (1921). Vgl. Abderhalden (1904). Finzen (1977), S. 87. Abderhalden (1904), Vorwort. Nach Bynum beinhaltet Abderhaldens Bibliographie einen reichhaltigen Fundus an relevanten moralischen und ideologischen Dimensionen. Die Abderhaldensche Bibliographie beinhalte “not only medical and psychiatric ramifications of intoxication, delirium tremens, chronic alcoholism and the medicinal uses of alcohol, but work on the statistics of consumption, the temperance movement, inebriate asylums and the legal, social and moral dimensions of alcoholic drinks. This mountain of material has hardly been noticed by historians, although there are sound monographs on the English temperance movement and the economics of the brewing industry, and a number of scholar articles on other facets of the subject. This relative historical neglect is the more surprising in that alcohol problems offer a splendid entré into the moral and ideological dimensions of medical science”. Vgl. Bynum (1984), S. 59. „Abderhalden führte […] auf dem bayerischen Ärztetage 1930 aus, sie hielten es für eine Pflicht des Arztes u. U. besonders auch dann, wenn die bereits vorhandene Nachkommenschaft minderwertig ist, Mittel zur Verhütung weiterer Schwangerschaften zu verschreiben. Aber dieser Weg ist für eine staatliche Maßnahme zu unsicher, würde auch an Geisteskranke und Schwachsinnige zu große Anforderungen stellen und sich schließlich nur kontraselektorisch auswirken“. Vgl. Meggendorfer (1931a), S. 121. Siehe hierzu ferner auch Matussek (1961), Bock (1986), Vogel (1990), Rothmaler (1993) und Bock (1997).

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Am 10.04.1913 endete für den 32-jährigen Meggendorfer vorerst der Aufenthalt in Bayern, ab 01.05.1913 begann er seine neurologische Ausbildung als wissenschaftlicher Assistent bei Max Nonne (1861–1959)70 an der Neurologischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Hamburg-Eppendorf. Aus den Erfahrungen bei Nonne71 mag sich auch die Veröffentlichung Meggendorfers „Über Vortäuschung verschiedener Nervenkrankheiten durch Hypophysentumoren“72 gespeist haben.73 Im Sommer 1914 trat Meggendorfer eine Reise als Schiffsarzt nach 70 „[A]auch Neurologen beteiligten sich an der Diskussion über die Tötung von Patientinnen und Patienten. Max Nonne berief sich in einem Gutachten über die Zulässigkeit der ‚Euthanasie‘ aus dem Jahr 1941, nachdem die Ermordungsaktionen schon psychiatrischer Alltag geworden waren, ausdrücklich auf Hoche, wonach der Tod bei unheilbar quälendem schmerzhaften Leiden als Erlösung und vorgezogenes Ereignis gerechtfertigt sei“. Vgl. Martin et al. (2016c), S. 33. Auch Nonnes Position selbst ist dokumentiert: „Zur Zeit begegnet der Gedanke, durch Freigabe der Vernichtung völlig wertloser geistiger Toter eine Entlastung für unsere nationale Überbürdung herbeizuführen, vielerorts noch Widerspruch. Zunächst und vielleicht noch für eine weitere Zeit stehen vorwiegend gefühlsmäßige und religiöse Bedenken dagegen. Dem Publikum muss auch heute noch die Überzeugung herrschen, dass die Ärzte und insbesondere die Psychiater nie aufhören werden, körperliche und geistig Erkrankte bis zum Äußersten zu behandeln, solange noch eine Änderung ihres Zustandes zum Guten vorhanden ist. Es soll aber vernünftiger Aufklärung die Aufgabe gestellt werden, die Öffentlichkeit der Auffassung heranreifen zu lassen, dass die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine moralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern ein erlaubter nützlicher Akt ist. Gez. Prof. Dr. Nonne“. Vgl. Denkschrift Nonne für Senator Ofterdinger, 1941 in LG Hamburg 14 Js 265/48, Bd.1, Bl. 46 zit. n. Burlon (2009), S. 279–283. „Ursprünglich entstammte die Neurologie gleich ihrer älteren Schwester, der Psychiatrie, der Inneren Medizin. Viele Internisten wie [Moritz Heinrich] Romberg [1795–1873], Strümpell, [Wilhelm] Erb [1840–1921], Friedrich Müller, Hans Curschmann waren hervorragende Neurologen. Auch Nonne ging aus der inneren Medizin hervor, hat es aber erreicht, dass seine 3. Innere Abteilung am Eppendorfer Krankenhaus mit der Zeit zu einer Neurologischen Klinik wurde“. Vgl. Schaltenbrand (1963b), S. 164. Für die Festschriften von Nonne, Kraepelin und Weygandt trug Meggendorfer umfangreiche Veröffentlichungen bei, nämlich Meggendorfer (1921a), (1926a), (1930a) und (1930b). Zu Max Nonne weiterführend Pöniz (1960) sowie Reese (1960) und ferner Nonne (1971). Zu Friedrich von Müller (1858–1941) weiterführend siehe Müller (1951). 71 „Als konservativer Bildungsbürger soll […] [Nonne] den Nationalsozialisten ablehnend gegenüber gestanden haben, auch wird berichtet, er habe sich z. B. geweigert, den Hiltergruß zu akzeptieren. Er soll sich für seine jüdischen Kollegen eingesetzt oder ihnen eine Stellung im Ausland vermittelt haben; nach Kriegsende wiederum soll er sich für Kollegen, die NSDAPMitglieder waren, gleichermaßen als Fürsprecher verwendet haben“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 9. 72 Meggendorfer (1916). 73 Gleiches gilt für Meggendorfers erbbiologische Arbeit über die hereditäre Disposition zur Dementia senilis. Vgl. Meggendorfer (1926b). Eine bemerkenswerte Referenz hierzu findet sich noch 1967 im Kapitel „berühmte psychotische Hochtalente“ aus Lange-Eichbaums und Kurths Werk „Genie, Irrsinn und Ruhm“: „So hatte Kant alle seine großen Werke vollendet, als er an einer Altersdemenz erkrankte. An der gleichen Demenz oder an Hirnarteriosklerose erkrankten ferner nachträglich: [Gaspard] Monge [1746–1818], [Nikolaus] Kopernikus [1473–1543], der Mathematiker [August Ferdinand] Möbius [1790–1868], [Christiaan] Huygens [1629–1695] […], auch G[ottfried] Keller [1819–1890], Stendhal [1783–1842], Faraday, Linné [1707– 1778], [Arnold] Böcklin [1827–1901]. Von der ‚senilen Geistesstörung‘ erklärt [Paul] Möbius […] ‚Die, die ihr verfallen, sind gewöhnlich nie ganz normal gewesen. Insofern gehört sie zu

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Amerika an. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde er als Marine-Assistenzarzt am 11.11.1914 der Kaiserlichen Mittelmeerdivision zugeteilt.

Abb. 9: Meggendorfer bei der „Mittelmeerdivision“, 191774

Von dort wechselte Meggendorfers Einsatzgebiet auf die „SMS Ostfriesland“ mit mehreren Unternehmungen in der Nord- und Ostsee, dem finnischen Meerbusen sowie im Mittelmeer. Zeitweilig wurde Meggendorfer zudem als Dolmetscher im Rahmen einer Sonderkommission wiederum an der Bakteriologischen Untersuchungsanstalt in Konstantinopel eingesetzt. In Konstantinopel war Meggendorfer

den endogenen Geistestörungen‘. Aber sie deutet nur auf ‚verhältnismäßig leichte Belastung‘. Dieser Fall lag bei Kant vor, der ein anfälliger Bionegativer war. Meggendorfer hat eine ursprüngliche Anlage auch für den späteren Altersblödsinn exakt nachgewiesen; es sei ‚eine nervöse, reizbare, haltlose, vielleicht auch ,schizoide‘ Veranlagung, überhaupt eine schwache und anfällige Konstitution des Zentralnervensystems‘ Voraussetzung“. Vgl. Lange-Eichbaum/Kurth (1967), S. 280. Siehe ferner Meggendorfer (1926b), S. 401 und Möbius (1900), S. 128–129. 74 FAM. Foto mit dem Stempel „Mittelmeerdivision 1917“ auf der Rückseite.

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unter anderem mit der Hygiene75 des Grund- und Trinkwassers beschäftigt.76 Familienarchivarischen Unterlagen gemäß meldete sich Meggendorfer auch zum Einsatz am Deutschen Krankenhaus in Istanbul, dem „Alman Hastanesi“.77Anfangs habe er dort im gynäkologischen Aufnahmebereich gearbeitet, später sei er für den internistischen Bereich zuständig gewesen. 1918 veröffentlichte Meggendorfer als „Marineoberassistenzarzt d. R.“78 seine Beobachtungen über eine Anfang April 1917 „bei einem deutschen Truppenteile“79 ausgebrochene „kleine, umschriebene Choleraepidemie“.80 Da Meggendorfer eine Eindämmung der Seuche durch die Lokalisation eines Brunnens als Infektionsherd gelang, erhielt er den Zivilorden „Eisernes Kreuz 2. Klasse“ und einen türkischen Orden als Anerkennung für seine Leistung.81 Meggendorfer nutzte seinen Aufenthalt im Orient, um Türkisch und Arabisch zu lernen. Er übersetzte sogar einige medizinische Werke aus dem Arabischen ins Deutsche.82 Mit Kriegsende 1918 musste er die Türkei verlassen und kehrte auf dem Seeweg nach Hamburg zurück.83 Der berufliche Neuanfang nach dem Ersten Weltkrieg gestaltete sich für Meggendorfer initial schwierig,84 so dass er eine Zeitlang seinen späteren Schwiegervater, den Amtsarzt Nikodemus Krebs,85 in Bad Aibling vertrat. Er verkehrte dabei häufig im Hause Krebs.86 Da die „Hamburger Lebensart, [die er von seiner Tätigkeit an Nonnes Klinik kannte] […] seinem Interesse nach Seefahrt, Länderkunde und fremden Sprachen 75 Familienarchivarische Unterlagen geben darüber Aufschluss, dass Meggendorfer in nähere Erwägung gezogen hatte, Hygieniker zu werden. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in ebd. Insofern begründete auch ein mikrobiologisch-hygienisches Interesse Meggendorfers berufliche Weiterentwicklung hin zu einem Repräsentanten der „Rassenhygiene“ als deutscher Spielart der Eugenik. 76 Vgl. BayHStA: MK 44017, 72018. 77 „Deutsches Krankenhaus in Taksim-Istanbul. Die vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. [1795–1861] 1852 gegründete und später vom deutschen Kaiser Wilhelm II. geförderte Klinik, stand allen Kranken offen und existiert, unter türkischer Leitung, bis heute“. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, circa April 2010 in FAM. 78 Die Abkürzung „d. R.“ meint „der Reserve“. 79 Meggendorfer (1918), S. 274. 80 Ebd. 81 Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, circa April 2010 in FAM. 82 Ein von Meggendorfer ins Deutsche übersetztes arabisches Pest-Werk kam – Ernst Rüdin zufolge – im Rahmen der Novemberrevolution 1919 auf dem Transport nach Deutschland abhanden. Vgl. Rüdin (1940), S. 207. 83 „Leider sind dabei viele seiner Mitbringsel verloren gegangen, da er auf der Heimfahrt vom Ausbruch der Revolution überrascht wurde und die Matrosen kistenweise die Ladung über Bord warfen. Darunter waren Teile seines Gepäcks, wertvolle Teppiche und Souvenirs. Auch eine Übersetzung der Bibel ins türkische, die er selbst gemacht hatte. Das tat ihm besonders leid“. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, circa. April 2010 in FAM. 84 Vgl. ebd. 85 Dieser gehörte unter anderem gemeinsam mit Ludwig Meggendorfer, dem Vater von Friedrich Meggendorfer, zu den Gründungsmitgliedern der „Sektion Aibling des deutschen Alpenvereins“. Vgl. ebd. 86 Nähere Bekanntschaft mit der Tochter des Hauses, der zehn Jahre jüngeren (Jakob)Ina sollte Meggendorfer erst bei einem Heimaturlaub 1920 schließen. Vgl. ebd.

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entgegen [kam]“,87 wie es Heinrich Scheller (1901–1972) – Nachfolger Meggendorfers auf dem Erlanger Lehrstuhl für Psychiatrie – später formulieren sollte, entschloss sich Meggendorfer für die Fortsetzung seiner psychiatrischen Weiterbildung in Hamburg. Ab Januar 1919, also genau im Jahre der Gründung der Universität Hamburg,88 wurde Meggendorfer als wissenschaftlicher Assistent an der Hamburgischen Staatskrankenanstalt Friedrichsberg89 und Psychiatrischen Universitätsklinik unter der Leitung Wilhelm Weygandts (1870–1939)90 tätig. Weygandt war 1908 zum Direktor der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg berufen worden, hatte 1912 einen Ruf nach Greifswald abgelehnt und wurde 1919 zum ordentlichen Professor für Psychiatrie und „zum Direktor der in den Räumen der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg untergebrachten Psychiatrischen Universitätsklinik“91 ernannt. Ein Jahr nach seiner Tätigkeitsaufnahme in der Weygandtschen Klinik wurde Meggendorfer 1920 für sieben Monate zur Fortbildung an die GDA der DFA für Psychiatrie in München92 unter Ernst Rüdin93 geschickt. Dieser hatte sich als erster

87 Scheller (1954), S. 79. 88 Vgl. Kreuter (1996), S. 1571. 89 Zur Geschichte der ärztlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Hamburg und ihren Vorgängerinnen von 1376 bis zur Gegenwart siehe Krüger (1968). 90 Weiterführend hierzu Weber-Jasper (1996). Zur Rolle des Kraepelin-Schülers Weygandts bei der Beschreibung der gemischten affektiven Zustände sei folgendes angeführt: “Although the first descriptions of mental disorders which could be characterized as ʻmixed states̕̕ have their roots in the work of the Greek physicians of classical times, especially Hippokrates (460–337 BC) and Aretaeus of Cappadocia (a Greek physician of the first century BC), the creator of the concept – as we understand it today – is undoubtedly Emil Kraepelin (1893, 1896, 1899, 1904, 1913), with the assistance of his pupil and colleague Wilhelm Weygandt (1899)”. Vgl. Marneros (2001), S. 229. “An indicator of the diminished interest in mixed states after the end of the third decade of the 20th century – especially in german-speaking countries – is the fact that, since the monograph of Weygandt […], only one additional german monograph on this topic has been published. This monograph, by Stavros Mentzos (1967), was published a full 68 years after Weygandt’s monograph. The study of Mentzos reflects the ideas of the so-called ʻHamburg schoolʼ under the leadership of Bürger-Prinz, which continued the tradition of mixed states (perhaps some influence was exerted by WilhelmWeygandt, who moved at the beginning of the century to Hamburg); however, in a much more complicated fashion than Kraepelin’s delineation. The Hamburg school distinguished three types of ʻmixed formsʼ: Kraepelins ̒mixed states̕ (Mischzustände); ʻMixed psychoses̕ (Mischpsychosen), roughly equivalent to what we today call schizoaffective disorder; and a third group consisting of ̒Mischbildʼ and ʻMischbildhaftʼ psychoses, which are difficult to translate into English” .Vgl. ebd., S. 235. Siehe ferner Kraepelin (1893), (1896), (1899), (1903–1904) und (1913). Ferner verwiesen sei auf Weygandt (1899a) und (1899b). 91 Kreuter (1996), S. 1571. 92 Während dieses erneuten Aufenthalts in Bayern konnte Meggendorfer vermehrt Heimatbesuche in Bad Aibling abstatten und den Kontakt zu Ina Krebs vertiefen. 93 “Rüdin took advantage of the prominence of his position to influence the selection of candidates for leading positions in the area of university psychiatry, setting up as he did so a network of similarly minded researchers involved with psychiatric genetics. […]. For example, he went

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deutscher Rassenhygieniker öffentlich für Sterilisationen94 ausgesprochen. Auf dem Bremer Alkoholismus-Kongress im Jahre 190395 war Rüdin eingetreten für gesetzliche Eheverbote sowie für Zwangsinternierung bei minderwertigen Alkoholikern und hatte operative Eingriffe bei bestimmten Heiratskandidaten favorisiert.96 Mit Rüdin als Betreuer seiner Habilitationsarbeit wurde Meggendorfer also – noch intensiver als von seinem einstigen Doktorvater Emil Kraepelin97 und von seinem Klinikdirektor Wilhelm Weygandt – an die Thematik des Alkoholismus im Kontext der Erbbiologie herangeführt. 2.1.2 Die Alkoholfrage in Bezug zur Degenerationslehre Hatte die Erbbiologie entscheidende Impulse von Großbritannien aus erhalten, so waren die Psychiater und Neurologen im Vorfeld vor allem von französischer Seite her mit der sogenannten „Degenerationslehre“ vertraut. Die Lehre von der „Entartung“ ging aus von einer körperlichen und seelischen Degeneration, die sich anhand entsprechender Stigmata offenbarte. In Anbetracht der existierenden Ansichten zur

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through the respective Ministeries of Education and Offices of the Dean to intervene successfully in connection with the selection of individuals to fill professorships to Hermann Hoffmann and Kurt Pohlisch, formerly visiting scientists at the GDA”. Vgl. Roelcke (2006), S. 81. „1928 wurde im Schweizer Kanton Waadt das europaweit erste eugenisch inspirierte Gesetz zur Sterilisation eingeführt; Dänemark folgte 1929. In den USA gab es um 1930 bereits in über 20 Bundesstaaten gesetzliche Regelungen zur Sterilisation. Diese internationale Situation wurde bei den deutschen Diskussionen zu einer Sterilisationsgesetzgebung aufmerksam verfolgt“. Vgl. ders. (2002a), S. 1025. Der IX. Internationale Kongress gegen den Alkoholismus fand von 14.–19.04.1903 in Bremen statt. Siehe hierzu Rüdin (1904a), S. 95–109. „Leider ist in fast allen Ländern, dem Geiste oder der Praxis nach, die Gesetzgebung noch nicht so weit, den Trinkern das Recht der Kinderzeugung abzusprechen. Doch glaube ich, dass durch eine im Sinne des Schutzes der Nachkommenschaft etwas weitergehende Interpretation der bestehenden Gesetze, sowie durch in diesem Sinne vorzunehmende, gewiss bei genügender Agitation nicht unmögliche Abänderung der bestehenden Gesetze, noch recht viel für diese Ziele zu erreichen wäre. Eventuell würde man einer gewissen Kategorie von Trinkern auch die Heirat gestatten können, unter der Bedingung, dass sie vor Eingehung der Ehe, auf eigenen Wunsch und mit Wissen der Ehegatten, sich der Vornahme einer kleinen Operation (wie Unterbindung der Vasa deferentia oder dergl.) unterzögen“. Vgl. Rüdins Aussage von 1903, zit. n. Hähnel (1904), S. 104–105. Interessant auch das Gespräch von Benno Müller-Hill mit Prof. Dr. Edith Zerbin-Rüdin (1921–2015), Tochter von Prof. Dr. Ernst Rüdin, ca. 1980/81. Vgl. Müller-Hill (1985), S. 130–133. Ferner: Zerbin-Rüdin (1974). Kraepelin hatte zum Beispiel auch gemeinsam mit dem Hygieniker Max Gruber (1853–1927) die vom Lehmanns Verlag in München gedruckten „Wandtafeln zur Alkoholfrage“ (o. J.) konzipiert: „Preis der Tafeln unaufgezogen je Mk. 1,50. Inhalt der einzelnen Tafeln: Ausgaben f. geistige Getränke/Alkohol und Entartung/Einfluß von Alkohol auf das Addieren einstelliger Zahlen/Wirkung des täglichen Alkoholgenusses auf Rechenleistungen/Alkohol und Schule/Alkohol und Sterblichkeit/Alkohol u. Körperverletzungen/Alkohol und Verbrechen/Lebenslauf eines verkommenen Trinkers“. Vgl. Kraepelin (1928), Werbeseiten im Anhang. Siehe ferner Kraepelin (1916b) und (1923).

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Erblichkeit von Geisteskrankheiten gestaltete Bénédict Augustin Morel (1809– 1873) im Zeitraum von 1839 bis 1857 den Terminus der „Degenerationspsychose“. Morel98 versteht unter Degeneration eine krankhafte Abweichung von der Normaltypologie,99 welche erblich übertragbar ist und progredient dem Untergang entgegengeht. „Neben körperlichen Entstehungsursachen wirken auch das soziale Milieu und moralische Schäden mit. Der Nachweis der Degeneration erfolgt über körperliche Stigmata“.100 Hatte Francis Galton (1822–1911) den Begriff „Eugenik“ 1883 geprägt,101 so wurde insbesondere die psychiatrische Eugenik mitgeformt von der 1885 aufgestellten Keimplasmatheorie des Evolutionstheoretikers August Weismann (1834–1914).102 Ausgehend von den Psychiatrieanstalten Großbritanniens und Frankreichs wurde das Forschungskonstrukt einer Assoziation von Dipsomanie103 und Geisteskrankheit auch in den Vereinigten Staaten von Amerika rezipiert.104 98 “Francis Galton may have coined the word eugenics in 1883, but the perseveration of the publics collective germ plasm was of concern to psychiatrists and neurologists well before the ʻscienceʼ of the well-born made its debut. Many physicians argued that dipsomaniacs and inebriates should not have children, while others believed that drunkards simply should wait to reproduce until they were cured of their condition. Among those discussing dipsomania’s hereditary nature and dangers, none was more prominent than French psychiatrist Benedict-Augustin Morel. If dipsomanias ties to insanity were born in the asylums of Great Britain and France, so […] Morel’s influential theory of hereditary degeneration […] found an attentive American audience”. Vgl. Tracy (2005), S. 34. 99 Seit Ende des Zweiten Weltkrieges nimmt die flexibel-normalistische Diskursstrategie im Gegensatz zur protonormalistischen Diskurstheorie in den meisten okzidentellen Gesellschaften eine Hegemonialstellung ein. Vgl. Link/Link-Heer (2017). Ferner empfehlenswert Link (2013). 100 Baer (1998), S. 63. 101 Vgl. Galton (1883). 102 Siehe ferner Weismann (1875), (1876), (1885), (1892) und (1893). 103 Laux und Möller führen die Dipsomanie als „periodische Alkoholsucht […] [mit] Trinkexzesse[n]“ unter der Rubrik der Impulskontrollstörung auf. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 152. 104 “Why was the term dipsomania so important for the inebriate reform movement? In its most common usage, whether to refer broadly to the disease of inebriety or to refer to a special type of diseased drunkenness, dipsomania stood for a type of alcoholism that posessed three important characteristics: it was a form of insanity; it was often hereditary; and it affected the middle and upper ranks of society. Several scholars – William F. Bynum, Roy MacLeod, and Marianna Valverde – have traced the concept of dipsomania back to the french alienists Philippe Pinel [1745–1826], Jean Etienne Dominique Esquirol [1772–1840], and Jean Etienne Georget [1795–1828], who promoted the concept of monomania, manie sans délire, in French psychiatry in the first half of the nineteenth century. Called ʻmoral insanityʼ in Great Britain and the United States, monomania was a form of partial insanity that required the physician’s expertise for correct diagnosis. While a dipsomaniac’s intellect could be fully functional, his emotions and willpower could still lead him to commit implusive acts. For Esquirol, dipsomania was one form of monomania, distinct from other types such as kleptomania, pyromania, suicidal mania, and homocidal mania. If kleptomania was defined in the late nineteenth century as a disease of the middle-class or affluent woman, dipsomania was believed to affect mostly middle-und upperclass men and women. Professional men frequently depleted their small stores of nervous energy through overexertion in the workplace, while women’s delicate and cyclical reproductive systems predisposed them to periodic cravings for alcohol”. Vgl. Tracy (2005), S. 33.

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Nach Aufkommen der Entwicklungslehre Darwins105 kam die Degenerationslehre Morels in ihrer religiös-naiven Ausprägung ins Hintertreffen, bis sie von Valentin Magnan (1835–1916) adaptiert wurde. Die Magnansche Degenerationslehre klassifizierte die „Entarteten nach geistigen Fähigkeiten, denen seelische und körperliche ‚Stigmata der Entartung‘ zugeordnet waren“.106 Magnan beschrieb somit die seitens des Darwinismus107 „als minderwertig an[ge]s[e]hen[e] [Gruppe]“.108 Um die Jahrhundertwende sah sich die Degenerationslehre zunehmend der Kritik ausgesetzt. Sigmund Freud (1856–1939)109 beispielsweise sah den Begriff der „Degeneration“ an sich als zu unspezifisch: „[e]s ist doch Sitte geworden, jede Art von Krankheitsäußerung, die nicht gerade traumatischen oder infektiösen Ursprungs ist, der Degeneration zuzurechnen“.110 Auch für Bleuler schmälerte die wahllose begriffliche Verwendung von „Degeneration“ deren ätiologische Erklärungspotenz: „Wer von einer degenerativen Gefängnispsychose oder einem degenerativen Delirium liest, hat zunächst zu raten oder nachzuforschen, was damit gemeint ist“.111 Nach Freud schließe sogar „die vorzüglichste Allgemeingestaltung der Nervenleistung die Anwendbarkeit des Begriffes Degeneration nicht aus […]“.112 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts motivierte die Degenerationslehre viele Psychiater, sich der Bekämpfung des Alkoholismus113 zuzuwenden, um beizutragen zur Unterbrechung der Entartungskette.114 Somit wurde das Alkoholproblem in sei-

105 „Darüber hinaus hat Darwins Theorie Konsequenzen für unser Menschen- und Naturbild und damit für die Philosophie und andere Geisteswissenschaften. Naturphilosophie, philosophische Anthropologie, Erkenntnistheorie, Ethik – um nur die in diesem Kontext wichtigsten philosophischen Disziplinen zu nennen – müssen sich den von Darwin damals wie heute nachhaltig ergehenden Herausforderungen auch im Lichte neuer Forschungsergebnisse stellen“. Vgl. Engels (2009), S. 155–156. 106 Finzen (1977), S. 89. 107 „Trockene methodologische Prinzipien werden durch den Entdecker und Forscher Darwin lebendig und erweisen hier sowie in der positiven Aufnahme seiner Theorie durch die “scientific community” ihre Fruchtbarkeit. Darwins Theoriebildung und -überprüfung erfolgt von Anfang an im Lichte wissenschaftstheoretischer Reflexionen, die zeigen, dass er ein feines Gespür für die Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnis sowohl im Entdeckungszusammenhang (context of discovery) als auch im Rechtfertigungszusammenhang (context of justification) wissenschaftlicher Theorien hat, um es in der Sprache der heutigen Wissenschaftstheorie auszudrücken. Solche wissenschaftsphilosophischen Reflexionen sind konstitutiv für Darwins Arbeit, er praktiziert seine Wissenschaftsphilosophie. Man gewinnt den Eindruck, dass er viele Themen aus der Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts vorweggenommen hat“. Vgl. Engels (2009), S. 184. 108 Finzen (1977), S. 89. 109 Zu Sigmund Freud siehe auch Storr (2013) sowie Mayer (2016). Zu Freuds Sexualtheorie siehe Freud (1905, in der Ausgabe von 2015). 110 Freud (1961), S. 16, zit. n. Finzen (1977), S. 89. 111 Bleuler (1919), S. 65, zit. n. ebd., S. 91. 112 Freud (1961), zit. n. ebd., S. 89. 113 Empfehlenswert auch Schott (2001). 114 Weiterführend auch Lengwiler (2014).

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ner sozialen und psychiatrischen Dimension zunehmend im Kontext des Degenerationsdenkens ideologisiert115 und geriet schließlich „zum Modellfall, an dem sich Entstehung, Wesen und Verlauf der Degeneration in exemplarischer Weise darstellen ließ“.116 Charakteristischerweise förderten die Anhänger der Degenerationstheorie die Antialkoholbewegung;117 so auch Magnan in Frankreich und Auguste Forel (1848–1931) im deutschsprachigen Raum. Dem Schweizer Psychiater Forel118 war es gelungen, mit Hilfe seines Konzeptes der Blastophthorie119 die Degenerations-

115 „Zweierlei Vorwürfe dienen im Allgemeinen der Abgrenzung wissenschaftlicher von pseudowissenschaftlicher Erforschung der Humandiversität: Zum einen der der Unwissenschaftlichkeit – zum Beispiel der methodischen Unzulänglichkeit –, zum anderen, mindestens ebenso schwerwiegend, der der ideologischen Motivierung, kurz: des offenen oder latenten Rassismus. […]. Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen ‚böser Pseudowissenschaft und guter Wissenschaft‘ ergeben sich also in vielerlei Hinsicht. Meine These lautet, dass dies im konkreten Fall auf die anhaltende Uneinigkeit über eine angemessene Erforschung der Humandiversität zurückzuführen ist“. Vgl. Lipphardt (2008), S. 225. 116 Finzen (1977), S. 92–93. 117 “Since the fist constructions of alcoholism and drug addiction in the 19th century concepts of heredity have played an important role in framing substance use and abuse. In the linkage of alcoholism and drug addiction to themes of hereditary defects and biological and racial degeneration, the often supposed dichotomy between ʻmedicalʼ and ʻmoralʼ views of substance abuse was transcended. An analysis of alcoholism and hereditary health in Dutch medical discourses from 1900 until the end of the Second World War shows that the medicalization-moralization dichotomy fails to explain the complexity of historical dynamics around alcoholism and addiction. The discourses show a prevalence of a perspective of ʻbiologizationʼ (instead of strictly medical thoughts and practices) that closely follows German discourses. In the interwar period the rise of mendelian genetics challenges the idea that alcohol poisons the hereditary material, leading to racial degeneration. Another conceptualization developed, in which alcoholism and drug addiction were seen not as cause but as the expression of a more general psychopathological heredity condition. Though clearly having a medical condition, alcoholics and other addicts were also subjected to moral judgement. Different prevention options were discussed including sterilization and seggregation, but political support for putting these options in practice was insufficient”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 130. 118 “The view that alcohol and drugs like morphine were ʻpoisonersʼ of human physiology, including hereditary material, ultimately led to an important connection being drawn between substance use and racial degeneration. On the eve of the First World War, the most influential proponent of this view was Henri-Auguste Forel, the Swiss psychiatrist and an important spokesman for the radical wing of the international temperance movement that advocated outright prohibition of alcohol […]. Forel was a Social-democrat, but his ideas were influential among the political left as well as the right. One of his pupils, the german psychiatrist Ernst Rüdin, would become an architect of the Nazi sterilization laws – laws aimed at ʻchronic alcoholicsʼ and others with inheritable pathological conditions. Forel posted three mechanisms that accounted for alcoholic racial degeneration. Essential to his ideas was the concept of a ʻgerminativeʼ or ʻgermʼ ʻplasmaʼ which had been introduced by the German biologist August Weis[s]mann in the early 1880s”. Vgl. ebd., S. 133–134. Siehe ferner Wettley (1948) u. (1953). 119 „[D]er zerstörerische Angriff [des Alkohols] auf die Keimzellen, die daraus folgende Verbreitung des Verfalls der Keimbahn, reintegrierte das soziale Laster in das biologische Schicksal. Alkohol, so verkündete der Rassenhygieniker Alfred Ploetz, sei ein ‚Rassengift‘, während Magnus Hirschfeld einfach von einer ‚alkoholischen Entartung der Rasse sprach‘“. Vgl. Stoff (2004), S. 340. Siehe ferner Hirschfeld (1926), S. 150.

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lehre in Pseudokompatibilität mit der Erblehre treten zu lassen und somit rassenhygienischen Aspekten Vorschub zu leisten.120 Gemäß der Forelschen Keimschädigungslehre konnte durch Alkoholismus oder Syphilis der Keim in dem Ausmaße geschädigt werden, dass trotz guter elterlicher Anlage der Nachkomme „geisteskrank“ wird.121 Hatten die Schüler Forels in der hohen Säuglingssterblichkeit einen Beweis für das alkoholimmanente Entartungspotenzial gesehen, so wurde von den Rassenhygienikern hingegen der Wegfall der natürlichen Selektion durch zunehmende geringere Säuglingssterblichkeit122 als Ursache der Entartung angesehen.123 Auch unter den Rassenhygienikern selbst sahen sich unterschiedliche Positionen124 zur Alkoholfrage vertreten. Alfred Ploetz (1860–1940)125 und Ernst Rüdin126 setzten sich mit den divergierenden Meinungen auf dem IX. Internationalen Kongress 1903 gegen den Alkoholismus in Bremen kritisch auseinander:127 Ein Teil der Rassenhygieniker sah den Alkoholismus als Degenerationspromotor an, während ein anderer Teil der “Scientific community” den Alkoholkonsum als Evolutionsfaktor würdigte.128 Isidor Rosenthal (1836–1915), ab 1872 Ordinarius für Physiologie in Erlangen, referierte in öffentlichen Vorträgen für ein städtisches Publikum unter anderem 1908 über Rassenhyiene. War die Rassenhygiene als „deutsche Spielart 120 Vgl. Finzen (1977), S. 92–93. Weiterführend empfehlenswert auch Spöring (2014). 121 Vgl. Peters (2011), S. 82. 122 „Die Beurteilung der Säuglingssterblichkeit in der Entartungsdiskussion geriet sogar zu einer heftigen Kontroverse zwischen Hygienikern, z. B. Gruber und Rassenhygienikern, in deren Verlauf selbst [Wilhelm] Schallm[a]yer [1857–1919] zugeben musste, dass sie meist soziale Ursachen habe“. Vgl. Finzen (1977), S. 97. Weiterführend hierzu siehe ferner Strümpell (1893), Gruber (1903), Schallmayer (1904), Weygandt (1906) sowie Wettley (1958/59) und (1959). Siehe ferner auch Gruber/Rüdin (1911). 123 Vgl. Finzen (1977), S. 97. 124 “Similarly, in the United States, the experience of prohibition led to disenchantment with moralizing perspectives on substance use and with the temperance movement. Yet there are other facts that complicate the picture. In Germany, according to Robert Proctor, the disenchantment with moralism set in only after the fall of the Third Reich; indeed, temperance movements were actually strengthened by the rule of the Nazi regime. It is far from clear why the Netherlands, where there had been no prohibition and where German medicine was very influential, should have followed the American rather than the German model”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 131. Weiterführend auch Proctor (1988) und (1997). 125 Siehe ferner Ploetz (1895a) und (1895b). 126 Alfred Ploetz war ein Schwager Ernst Rüdins. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 18. 127 Über den 5. Internationalen Kongress zur Bekämpfung des Missbrauchs geistiger Getränke zu Basel vom 20.–22.08.1895 hatte Plötz in seiner Arbeit „Über die Alkoholfrage vom Standpunkt der Rassenhygiene“ berichtet. Vgl. Ploetz (1895a). 128 „Die einen halten ihn für eine der hauptsächlichsten Ursachen der Entartung und erhoffen von einer starken Temperenz- oder Abstinenzbewegung eine allgemeine Erhöhung des Tüchtigkeitsniveaus, die anderen sehen im Alkohol durch sein Ausmerzen minderwertiger Menschen einen Förderer der Entwicklung und glauben, dass ein allgemeines Aufhören des Alkoholgenusses durch Beihilfe staatlichen Zwanges nur zur Folge haben würde, den Typus des Trinkers vor der Ausmerzung zu schützen, ihm zur ungestörten Erzeugung von Nachkommenschaft zu verhelfen und dadurch die Rasse mit so vielen potentiellen Trinkern zu überladen, dass früher oder später das Trinken heftiger denn ja ausbrechen würde“. Vgl. ders. (1904), S. 73–74, zit. n. Finzen (1977), S. 79.

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der international aufstrebenden Eugenik“129 bereits zu dieser Zeit im Interessensfokus von konservativen, antisemitisch130 oder rassistisch orientierten Wissenschaftlern, so übte sie jedoch um die Jahrhundertwende auch eine deutliche Attraktion aus auf liberal denkende, sozialistisch eingestellte Mediziner unter anderem auch auf solche jüdischen Ursprungs. „Linke, Liberale und Rechte waren sich einig, dass angesichts einer vermeintlichen ‚rassischen Degeneration‘, die sich durch den Ersten Weltkrieg noch verstärkt hätte, eine Unterweisung der Öffentlichkeit auf wissenschaftlicher Basis erfolgen sollte“.131

Zur effizienten Bekämpfung der Trunksucht sah Rosenthal die Maßnahmen der Strafandrohung und Verteuerung nicht als geeignet an. Vielmehr galt es, eine Alternative zum alkoholinduzierten „Gefühl der Wärme und Sättigung“132aufzuzeigen. Nach Rosenthal können „[w]ir […] uns nicht damit begnügen, das Laster der Trunksucht, wenn sein Vorhandensein oder gar seine Zunahme gegen frühere Zeiten festgestellt sein sollte, nur als einen Ausfluss der schlechten Eigenschaften in der menschlichen Natur zu verdammen oder zu beklagen. Wir überlassen es den Theologen oder Philosophen, zu untersuchen, ob der Mensch von Natur gut oder böse ist. Wir versuchen, die Erscheinungen der menschlichen Gesellschaften zu verstehen, indem wir womöglich die Art ihres Entstehens ergründen. Wir können mit dem Philosophen sagen: ‚Alles, was ist, ist vernünftig‘, wenn wir den Satz so deuten, dass es einen Grund geben muss, warum es gerade so und nicht anders geworden ist. Dieses ‚Geworden‘ ist der Schlüssel zum Verständnis. Denn nichts in der Natur ist heute so, wie es gestern war, alles ist entstanden aus dem Vorhergehenden und von diesem wie von den Bedingungen unter denen es entstanden ist, hängt es ab, wie es geworden ist“.133

Rosenthal kritisierte indirekt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche den Betroffenen in seiner Affinität zum Alkoholkonsum bekräftigen. Zumindest

129 Plattig (2015), S. 61. Siehe ferner Biddiss (1970), Weindling (1987), Schmuhl (1992), Aly et al. (1994) und Paul (2001). 130 „Im ‚Rabbi von Bacherach‘ (Heine schreibt den Namen in der Mitte mit ‚e‘, heute sind die drei ‚a‘ üblich) schildert Heinrich Heine [1797–1856] eingangs den historischen Hintergrund von Judenhass und Aberglauben und den immer wieder aufflammenden Pogromen […]. Im Städtchen Bacharach von heute erinnert wenig an das jüdische Leben von einst. Eine Gedenktafel, einige wenige ‚Stolpersteine‘ des Kölner Künstlers Gunter Demnig. An der Wernerkapelle ein Gedenken ‚des schweren Erbes des Judenhasses‘ und ein auf einer Platte eingemeißeltes Gebet von Papst Johannes XXIII. [1881–1963] (‚Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen der Juden hefteten‘“. Vgl. Jachertz (2015), S. B 545. Zum Vorgänger Johannes’ XXIII. , dem Pacelli-Papst Pius XII. [1876–1958] siehe weiterführend auch Besier (2004). Heines Text „handelt von einem Mord, der den Juden von Bacharach als Ritualmord untergeschoben wurde. Der ‚Knabe Werner‘, ein Junge von 16 Jahren, wurde der Legende nach von seinem Arbeitgeber, einem Juden, im Jahr 1287 ermordet. Man habe das Christenblut für das Pessahfest benötigt. Nach einer anderen Legende wurde Werner an den Füßen aufgehängt, weil man einer von ihm verschluckten Hostie habhaft werden wollte, um sie zu durchbohren“. Vgl. Jachertz (2015), S. B 544. 131 Plattig (2015), S. 61–62. 132 Rosenthal, zit. n. Ritter (2008), S. 189–190. 133 Rosenthal (1881), S. 38.

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beim Bieralkoholismus betonte Rosenthal mehr ein exogenes als ein endogenes Element. Zudem sah er im „Bier […] eine[n] der wichtigsten Hebel des Culturfortschritts, indem es den barbarischen und civilisationsfeindlichen Schnaps verdräng[t] und seine milde Wirkung an die Stelle des verderblicheren und gefährlicheren setz[t]. Wo kein Wein wächst, der billig genug ist, um Volksgetränk zu werden, da haben wir alle Ursachen, den Bierconsum zu begünstigen, um den Schnaps zu bekämpfen“.134

Zwar ließ Rosenthal das Bier durchaus als „ein nützliches Gewürz und Genussmittel“135 gelten und beurteilte die Gesundheitsschäden durch Schnaps als gravierender, dennoch betonte er die erheblichen gesundheitlichen und ökonomischen Folgen durch Alkoholkrankheit. Nicht nur von psychiatrischer,136 sondern auch von physiologischer Seite wurde somit in der Person Rosenthals betont, welch großen „moralischen […] Schaden“137 der Alkoholkonsum nach sich ziehe. Kraepelin gab 1899 an, man müsse alkoholbedingt „mit einer recht bedeutsamen Zunahme des Irreseins […] rechnen […]“.138 Für Kraepelin fungieren Alkoholismus und venerologische Erkrankungen als „Gradmesser der Gesittung“.139 Rüdins „optimistisches Temperament ließ ihn in der Degeneration kein unabwendbares Schicksal sehen“,140 vielmehr widmete er seine rassenhygienische Forschung einem ganzheitlichen Reformkonzept von psychiatrischer Versorgung, Forschung und Therapie.141 Die von Weygandt beförderte Forschung bei Rüdin142 sollte Meggendorfer dazu befähigen, die erbbiologische Abteilung der Anstalt Friedrichsberg weiter auszubauen.

134 Ebd., S. 45. 135 Ebd., S. 50. 136 „In […] [Rüdins – im] Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie ausführlich wiedergegebenen [–] Vortrag vom Jahre 1910 ‚Über den Zusammenhang zwischen Geisteskrankheit und Kultur‘ liest man den lapidaren Satz ‚Der Syphilis und dem Alkoholismus verdanken wir die Neuentstehung, dem Psychiater verdanken wir die Konservierung der Geisteskrankheiten‘“. Vgl. Becker (1988), S. 124. 137 Rosenthal (1881), S. 50. 138 Kraepelin (1899), S. 88–90, zit. n. Finzen (1977), S. 100. 139 Ebd. 140 Becker (1988), S. 124. 141 Vgl. Hohendorf (2008), S. 49. 142 Weiterführend auch Roelcke (2002b).

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2.1.3 Meggendorfers Habilitationsarbeit zur “moral insanity”143 bei Rüdin Während seiner Forschungszeit in München kam Meggendorfer vermutlich mit Hermann Hoffmann (1891–1941)144 in näheren Kontakt. Dieser unternahm für seine Habilitationsarbeit genealogisch-charakterologische Untersuchungen zur Nachkommenschaft bei endogenen Psychosen145 an Rüdins Abteilung.146 Gerade

143 Die Schrift zur “moral insanity” stellt keine moralphilosophische Position Meggendorfers dar, sondern steht im Kontext des im weiteren Textverlauf näher dargelegten klinisch-psychiatrischen Konzeptes. Meggendorfer als Hochschulpsychiater verwendete keine expliziten Thesen zur Moraltheorie, er entwickelte kein Konzept zur Ethik im engeren Sinne. Gegenübergestellt diesbezüglich sei der Physiologe Emil Abderhalden, Mitbegründer des „Ethikbund“ und Herausgeber der Zeitschrift „Ethik“, 1922/1925–1938. Vgl. Frewer (2000). Als eine Art „Wortspiel“ zur “moral insanity” sei folgendes Konzept Hervey M. Cleckleys (1903–1984) angeführt: „Die emotionalen Defizite und die soziopathische Störung bei Psychopathie können sich gerade bei schillernden Psychopathen hinter einer ʻmask of sanityʼ (den Begriff hat H. Cleckley geprägt) verstecken“. Vgl. Trenckmann (2011), S. 103, siehe ferner Cleckley (1941). 144 Nicht zu verwechseln mit Heinrich Hoffmann (1809–1894), deutscher Psychiater und Verfasser des „Struwwelpeter“: „Als der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann 1844 kein geeignetes Weihnachtsgeschenk für seinen Sohn Carl Philipp fand, schrieb und zeichnete er kurzerhand selbst ein Kinderbuch, das als ,Struwwelpeter‘ eines der erfolgreichsten Kinderbücher der Geschichte werden sollte (Hoffmann 1845). Darin beschrieb er auch die Figur des ,Zappelphillipps‘, die weltweit Namenspate des [Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndroms] [=] AD[H]S werden sollte“. Vgl. Hein (2010), S. 257. Ferner: Hoffmann (1994). Bei Hermann Hoffmann hingegen handelt es sich um den späteren Psychiatrischen Ordinarius in Gießen und Tübingen: „1933 NSDAP, Lehrstuhl in Gießen, Vorsitzender der Ortsgruppe der ‚Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene‘. Finanziert von Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Kerckhoff-Stiftung: ‚Erbbiologische Forschungen an Gießener Fürsorgezöglingen‘. 1935 im Beirat der neu gegründeten Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater. 1936 Nachfolger seines Lehrers [Robert Eugen] Gaupp in Tübingen. 1937–1939 Rektor (Porträt in SAUniform). Antrittsrede: ‚Tiefster Urgrund der nationalsozialistischen Weltanschauung ist der Rassengedanke‘. […]. Forderung zur Sterilisierung von ‚Sozial-Abnormen‘. Oberfeldarzt. Beratender Militärpsychiater in Frankreich, Juni bis Oktober 1941 bei der Vierten Armee an der Ostfront, bis zum Tode im Wehrkreis V in Tübingen“. Vgl. Klee (2003), S. 265. Siehe weiterführend Leonhardt (1996). Zu Gaupp siehe ferner Gaupp (1930), (1949/1950) und (1953). 145 „Der Autor ist sich der psychiatriehistorischen Problematik v. a. d[es] Begriffes [der Psychose] bewusst. […]. Um 1880 befand er sich ebenfalls im Wandel und umfasste einen noch stärker vom Psychiater individuell empfundenen Bedeutungsinhalt und konnte mitunter von hirnorganischen Psychosyndromen über die neurologischen Erkrankungen des ZNS bis hin zu affektiven und schizophrenen Psychosen reichen“. Vgl. Steinberg (2014), S. 872. Zu historischen und phänomenologischen Aspekten des Psychose-Konzeptes weiterführend siehe Bürgy (2008). 146 „Die vorliegende Arbeit entstand in der Zeit meiner Beurlaubung an die genealogische Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München (Frühjahr 1920). Seitdem ich im Jahre 1918 begonnen habe, mich mit erbbiologischen Problemen vom psychiatrischen Standpunkte aus zu beschäftigen, hat Herr Professor Gaupp meine Neigungen tatkräftig unterstützt […]. Rüdins oft wiederholtes Postulat, dass naturwissenschaftliche Behauptungen und Meinungen mathematisch-statistisch bewiesen werden müssen, habe ich, wie ich konnte, zu erfüllen gesucht“. Vgl. Hoffmann (1921), Vorwort.

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aufgrund der zeitlichen und institutionellen Assoziation zu Meggendorfers Habilitationsarbeit soll vergleichend Hoffmanns Zusammenfassung gekürzt angeführt werden: „Ein wesentlicher Fortschritt dieser Arbeit besteht jedoch vor allem darin, dass sie auf die große Bedeutung genealogischer Gruppierungen hinweist, wie sie in Zukunft aller Deszendenzforschung zugrunde gelegt werden sollte. Nicht allein die Elternkreuzung Dementia praecox:147Dementia praecox-frei darf uns genügen, vielmehr müssen wir mit Hilfe der charakterologischen Forschung uns bemühen, den Dementia praecox-freien Elter in seiner konstitutionellen Struktur näher festzulegen und die so gewonnenen Gruppen (z. B. Dementia praecox:schiziod; Dementia praecox:nicht schizoid; Dementia praecox:hypomanisch; Dementia praecox:zirkuläres Irresein) hinsichtlich der Proportionen bei den Kindern vergleichsweise miteinander in Beziehung zu setzen. […]. Welche Wege der Genealogie ferner noch offen stehen, um den Gesetzmäßigkeiten der Vererbung auf die Spur zu kommen, ist uns in den einzelnen Abschnitten klar geworden. […]. Wesen und Ziel der Forschung können wir in der Überlegung zusammenfassen, dass der psychiatrische Erbbiologe bestimmte Kreuzungen in der menschlichen Bevölkerung aufsuchen und auslesen muss, die der Botaniker und Zoologe im gleichen Falle sich nach seinem Willen durch Züchtung148 schaffen würde.149 Hier liegt der 147 Der Doppelpunkt steht für „gekreuzt mit“. 148 „Höherzüchtungsphantasien heute. Die Abgründe, in die die ,Höherzüchtungsphantasien’ der NS-Ideologen geführt haben, dürfen uns nicht glauben machen, dieses Denken sei ein für allemal überwunden. Positive Eugenik wird wieder gesellschaftsfähig. Die Verbindung von Gentechnologie und Computerwissenschaft eröffnet heute viel weitergehende Möglichkeiten, aber auch Gefahren: Vererbung wird als der wesentliche Faktor gesehen – und selbst Eingriffe des Menschen in sein eigenes Erbgut werden zunehmend neutral diskutiert. Gigantische Summen an Risikokapital fließen in Firmen, die behaupten, die künstliche Verbesserung und Erweiterung der Erbanlagen seien in längstens zwei Jahrzehnten machbar. Kinder, die ein Wunder an Schönheit, Intelligenz, Begabung und Gesundheit sind, wären das vermarktbare Ergebnis. […]. Kritiker warnen vor den ethischen, politischen und sozialen Konsequenzen der von Profiterwartung gesteuerten Biotechnologie […]: Der allmählich dahinströmende Fluss der Evolution bewege sich auf einen Wasserfall zu, dessen Tiefe nicht absehbar ist“. Vgl. Freidl/Poier (2004). Vielen Dank an Herrn Prof. Dr. Wolfgang Freidl/Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Medizinischen Universität Graz für die Übersendung der entsprechenden Ausstellungs-CD und des Plakates von Freidl, W. zu „NS-Euthanasie in der Steiermark. Wiedergefundene Lebensgeschichten von Grazer Opfern der Rassenhygiene. Plakat zu Ausstellung vom 09.10.2004–28.01.2005. Zeitgeschichtelabor/Universität Graz“. 149 Eine Assoziation zu der heutzutage teilweise psychopharmakotherapeutisch intendierten „kognitiven Turbofunktion auf Tabletteneinwurf“ stellt sich ein : “Ethical perspectives on the use of stimulants to enhance human cognitive performance (neuroenhancement) are polarized between conservative and liberal theories offering opposing advice on whether individuals have a right to use neuroenhancers and what the social outcomes of neuroenhancement might be. Meanwhile, empirical evidence shows modest prevalence and guarded public attitudes toward the neuroenhancement use of stimulants. In this perspective, we argue that the dissonance between the prescriptions of ethical theories (what ought to be) and empirical evidence (what is) has impaired our understanding of neuroenhancement practices. This dissonance is a result of three common errors in research on the ethics of neuroenhancement: (1) expecting that public perspectives will conform to a prescriptive ethical framework; (2) ignoring the socio-economic infrastructures that influence individuals’ decisions on whether or not to use neuroenhancement; and (3) overlooking conflicts between fundamental ethical values namely, safety of neuroenhancement and autonomy. We argue that in order to understand neuroenhancement practices it is essential to recognize which values affect individual decisions to use or refuse to use

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Kernpunkt aller Zukunftsuntersuchungen; zugleich wird uns klar, welche Schwierigkeit der Psychiater aus dem Weg räumen muss, der mit hochdifferenzierten, niemals messbaren und begrifflich unendlich schwer fixierbaren charakterologischen Eigenschaften und Merkmalen arbeitet. […]. Ich schließe meine Ausführungen mit dem lebhaften Wunsche, dass die vorliegende Arbeit, welche die Leistungsfähigkeit der genealogischen Forschung, wie ich hoffe, klarer hervorgehoben hat, Anregungen an die psychiatrische Wissenschaft hineintragen möge, die nicht klanglos verhallen. Damit wäre der Sache gedient“.150

1921, also im gleichen Jahr wie Hoffmann, veröffentlichte Meggendorfer die Ergebnisse seiner Forschungszeit an der DFA in München151 in Form seiner Habilitationsschrift: „Klinische und genealogische Untersuchungen über ʻMoral insanityʼ“:152 „Mit der Erkenntnis wirklicher Krankheitseinheiten oder wenigstens dem Bestreben, wirkliche Krankheitseinheiten zu erfassen, wurde hier und dort aus der symptomatischen Diagnose ein Symptom oder ein Symptomenkomplex. Als Syndrom kann die moral insanity bei den verschiedensten Krankheiten vorkommen; die mannigfachsten abnormen Zustände und Prozesse können gesellschaftsfeindliches Verhalten auslösen. Wollen wir uns in einem gegebenen Falle ein Urteil über die Sachlage verschaffen, so handelt es sich darum, zu ermitteln, welcher abnorme Zustand oder Vorgang der Erscheinung zugrunde liegt. Wenn wir auch hoffen können, neuroenhancement. Future research on the ethics of neuroenhancement should assess the morally significant values for stakeholders. This will fill the gap between what ought to be done and what is done with an improved understanding of what can be done within a particular context. Clarifying conflicts between competing moral values is critical in conducting research on the efficacy of substances putatively used for neuroenhancement and also on neuroenhancement practices within academic, professional and social environments”. Vgl. Forlini/Hall (2016), Abstract. 150 Hoffmann (1921), S. 231–233. Weiterführend auch Goldschmidt (1920). 151 Am 21.12.1920 referierte Meggendorfer die Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Sitzung der DFA. Vgl. Meggendorfer (1921b), S. 208. 152 Ebd., Titel. Meggendorfer und Specht verwendeten mitunter die Großschreibung von “Moral”, im internationalen Schrifttum findet sich insbesondere die Kleinschreibung. Bumke verwendete den Terminus “moral insanity” in Zusammenhang mit einer Einschätzung psychopathologischer Merkmale Adolf Hitlers: „[Heinz] Guderian [1888–1954, ab 1940 Generaloberst] berichtet: seit dem Jahre 1941 wäre es unverkennbar gewesen, dass Hitler nicht mehr normal war. Eine Verletzung oder Verkalkung des Gehirns hätte zu einem körperlichen und moralischen Verfall geführt. Beim letzten Zusammentreffen am 28. März 1945 hätten seine rechte Schulter und sein rechtes Bein dauernd gezittert, Rücken und Nacken wären gebeugt gewesen, er hätte kaum allein aufstehen oder sich hinlegen können. – Hitlers langjähriger Chauffeur Hempke dagegen hat bei ihm nie, auch 1945 nicht, ein abnormes Verhalten bemerkt. Aber auch die Aussagen von [Erhard] Milch [(1892–1972), ab 1941 Generalluftzeugmeister], Heß und Guderian erbringen für die Annahme einer Geisteskrankheit keinen Beweis. Hitler hätte von einem Psychiater untersucht werden müssen, und das ist offenbar niemals geschehen. Trotzdem scheint mir ein Urteil möglich zu sein. Die moral insanity ist keine Psychose, das heißt: moralische Defekte allein machen noch keine Geisteskrankheiten aus, – man dürfte sonst keine Gewohnheitsverbrecher für verantwortlich halten, und das Strafgesetzbuch verlöre jeglichen Sinn. Was ist also Adolf Hitler gewesen? Schizoid und hysterisch, brutal, grausam, von Geltungsbedürfnis, Ehrgeiz und Machthunger besessen, halbgebildet, unbeherrscht und verlogen, ohne Güte, ohne Verantwortungsgefühl und überhaupt ohne jede Moral – aber unzurechnungsfähig, nein, dafür hätte ich ihn, außer allenfalls für die letzte Zeit, bestimmt nicht erklärt“. Vgl. Bumke (1952), S. 179–180.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang dass unsere heutige Krankheitseinteilung die pathogenetischen Krankheitseinheiten restlos erfasst, so ist unser Bemühen, doch auch nicht ohne Nutzen. Da nämlich das derzeitige System rein empirisch unter weitgehender Berücksichtigung von Verlauf und Ausgang aufgestellt wurde, können wir erwarten, mit einer Diagnose auch Anhaltspunkte für die Prognose zu gewinnen. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich versucht, festzustellen, welchen klinischen Gruppen die gemeinhin als Moral insanity gehenden Fälle angehören, und wie sie unterschieden werden können“.153

Für seine Habilitationsarbeit sammelte Meggendorfer etwa ein Hundert „möglichst weit, 20, 30, selbst 40 Jahre zurückliegende Fälle“154 und bemühte sich, deren Lebens- und Krankheitsverlauf „bis zum heutigen Tage“155 zu rekonstruieren. Was „in Deutschland ganz allgemein [unter moral insanity] […] verst[anden werde]“156 bezeichnete Meggendorfer als „moralische Minderwertigkeit, moralische[n] Schwachsinn,157 moralische Defektzustände, psychopathisches gesellschaftswidriges Verhalten158“.159 In seiner Habilitationsschrift schrieb Meggendorfer der “moral insanity”160 keine genetisch einheitliche Grundlage zu. Meggendorfer betonte, das schwierigste Gebiet der klinischen Psychiatrie bestehe in den „Grenzfälle[n] zwischen geistiger Gesundheit und ausgesprochener Erkrankung. […]. Das geringe Hervortreten der Krankheitszeichen erschwer[e] ihre Erkennung und Unterscheidung“.161 Die Tatsache, dass Meggendorfers Amtsvorgänger Gustav Specht (1860–1940) im Jahre 1918 zur “Moral insanity” nach Gehirnerschütterung publizierte162 lässt

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Meggendorfer (1921b), S. 208–209. Ebd., S. 209. Ebd. Ebd., S. 208. Hans Walter Gruhle warnte vor einer Gleichsetzung sämtlicher Fälle von “moral insanity”. Siehe hierzu S. 53, Fn. 171. 158 Interessant hierzu auch ein Schreiben Gustav Spechts als Amtsvorgänger Meggendorfers vom 09.07.1934 an die Mutter der 1909 in Zürich geborenen O. L. Siehe hierzu folg. Fn. 162. 159 Meggendorfer (1921b), S. 208. 160 Ein interessanter aktueller Bezug hinsichtlich der damals diskutierten Assoziation von “moral insanity” und Asozialität zeigt sich bei Berthoz und Grèzes: “The most recent models on social psychology concerning morality, and in particular that of Jonathan Haidt, suggest that we are predisposed to instinctively make emotional evaluations of our own actions and of those of others. This would be the core of moral sense”. Vgl. Berthoz/Grèzes (2013), S. 45. 161 Meggendorfer (1921b), S. 230. 162 Vgl. Specht (1918). Interessant hierzu auch ein Schreiben Gustav Spechts als Amtsvorgänger Meggendorfers vom 09.07.1934 an die Mutter der 1909 in Zürich geborenen O. L.: „[…] Ihre Tochter Frl. O. L. verhetzt die Angehörigen von Kranken, die sie bei ihrem Aufenthalt in der Klinik kennen gelernt hat und sucht dabei in verleumderischer Weise die Klinik herabzusetzen. Die einzelnen Fälle sind uns genau bekannt geworden. Ich erkläre hiermit auf das Bestimmteste, dass ich Ihre Tochter beim Stadtrat Nürnberg zur Anzeige bringen und um Schutz gegen das gemeinschädliche Treiben dieser moralisch defekten Psychopathin ersuchen werde, falls noch ein einziges Mal ich dergleichen höre. Aus diesem Gebaren Ihrer Tochter geht wiederum deutlich hervor, dass Sie als Mutter nicht imstande sind, die Kranke entsprechend zu betreuen. Die Angehörigen, die solche Kranke in ihre Familie aufnehmen, sind gesetzlich verpflichtet, die Öffentlichkeit vor Schaden zu behüten. Wenn Sie das nicht fertig bringen, dann wird die

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es mitunter notwendig werden, den Terminus der “moral insanity”, seine Historie in Assoziation zur Degenerationslehre sowie seine Vermengung mit dem Begriff der „Psychopathie“163 im deutschsprachigen Raum näher zu beleuchten: Hatte der Philosoph und Psychologe J. C. A. Grohmann (1769–1847) 1819 von „moralischen Krankheiten der Seele“ gesprochen, so nutzte 16 Jahre später James Cowles Prichard (1786–1848) den Terminus “moral insanity” für einen Krankheitszustand pathologischer Verkehrung der natürlichen Gefühle, Affekthandlungen, Neigungen, Stimmungen, Gewohnheiten und der natürlichen Strebungen ohne Halluzinationen oder Störung intellektueller Funktionen.164 Von hier führt – nach Baer – eine direkte Linie über die Beschreibung der psychopathischen „Minderwertigkeiten“, ausgehend von der französischen Psychiatrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts und den entsprechenden deutschen Übersetzungen von Paul Julius Möbius (1853– 1907)165 aus den Jahren 1892 und 1893, zum Konzept des degenerativen Charakters: „Für Magnan wird die Disharmonie im Zusammenwirken der geistig-seelischen Elementaranlagen zum wichtigsten Kennzeichen des degenerativen Charakters, in den die alten Monomanien, kriminelle Gewohnheiten, Phobien und Zwangserscheinungen sowie Anomalien des Geschlechtstriebes eingehen, Zustände, die heute eher als neurotisch bezeichnet würden“.166

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165 166

Polizei die Kranke auf meine Anzeige hin amtlich auf Grund des Art. 80 Abs. 2 Polizeistrafgesetzbuch einweisen. Hochachtungsvoll! Prof. Geh. Med. Rat“. Vgl. APNK/FAU, Aufnr.: 151/55; 163/67. Die Patientin war von 14.05.1934–15.06.1934 sowie von 18.06.1934– 19.06.1934 an der Spechtschen Klinik behandelt unter der Diagnose „Manisch-depressiver Formenkreis, Manie“. Zur interimsartigen Situation an der Psychiatrischen Klinik Erlangen von April bis September 1934 siehe S. 375. Am 15.06.1934 nahm die Mutter Ihre Tochter O. L. „gegen ärztlichen Rat und mit Übernahme der vollen Verantwortung nach Hause“. Vgl. APNK/FAU, Aufnr.: 151/55; 163/67. Bereits zwei Tage später, am 18.06.1934, wurde die Patientin „in Begleitung von 4 Sanitätern wieder zur Aufnahme in die Klinik gebracht […] 19.6.34 […] [:] Die Mutter, die anscheinend ebenfalls an großer Einsichtslosigkeit leidet, und für die Krankheit ihrer Tochter keinerlei Verständnis zeigt[,] kommt dann mit einer Menge von unbegründeten und belanglosen Klagen[,] worauf ihr die Tochter sofort wieder mitgegeben wird. Patientin meinte dazu mit leichtem Lächeln, dass sie doch das gleich gewusst habe [sic], dass es die Mutter nun doch wieder reue, dass sie sie hierhergebracht habe“. Vgl. ebd. Die Psychiatrische Universitätsklinik Zürich forderte etwa 30 Jahre später die Akten der Patientin an, worauf ein Begleitschreiben zur Aktenrücksendung vom 29.12.1966 hinweist. Vgl. ebd. Siehe hierzu auch Schneider (1923) sowie Mauz (1939). “The English physician J. C. Prichard is credited with coining the term ʻmoral insanity as a diagnosis for these individualsʼ. In 1835, he wrote, ʻThere is a form of mental derangement in which the intellectual faculties [are not impaired], while the disorder is manifested principally or alone in the state of feelings, temper, or habits […]. The moral […] principles of the mind […] are depraved or pervertedʼ”. Vgl. Dossey (2012), S. 2. Empfehlenswert hierzu Bodenheimer (1963). Baer (1998), S. 62. Zur „psychoneurotische[n] erbliche[n] Belastung der Geistesgesunden und der Geisteskranken“ vgl. Diem (1905).

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Abb. 10: Zeichnungen eines unbekannten Künstlers: Kranker mit Katatonie167

Bis in das 20. Jahrhundert entfaltete die französisch geprägte Ansicht zur Heredität von charakterologischen Merkmalen ihre Wirkung, so sah z. B. auch Hans Luxenburger (1894–1976) 1939168 Charaktereigenschaften als hereditär an. Unter der sogenannten „Psychopathie“ – ein Terminus, der sich in der französischen Psychiatrie

167 Vgl. Baer (1985), S. 52. Zu Psychopathologie und Kunst siehe ferner S. 269–271. 168 Ein Jahr im Vorfeld hatte Luxenburger in seinem Beitrag des gemeinsam mit Rüdin verfassten Werkes „Psychiatrische Erblehre und Erbpflege“ seine Ansichten zur gesellschaftlichen Relevanz der psychiatrischen Erblehre veröffentlicht und einen kurzen historischen Abriss über die spezifische Bedeutung der Erbwissenschaften in der Fachdisziplin der Psychiatrie gegeben: „Wir mögen in der Heilkunde hinschauen, wohin wir wollen: Nirgendwo trat die Tatsache der familiären Gebundenheit, aus der man ja leicht auf Vererbung zu schließen geneigt ist, so auffällig zutage als bei den geistigen Erkrankungen, Unzulänglichkeiten und Absonderlichkeiten. […]. Die psychiatrische Erbforschung geriet im Laufe der Zeit an einen Punkt, an dem es kein Vorwärts und kein Zurück mehr zu geben schien […]. Es ist vielleicht die größte Tat Rüdins und auf jeden Fall sein bleibendes Verdienst, dass er die psychiatrische Erbforschung an einen Anfang zurückführte und seine Schüler die schlichte und einfache Beobachtung wieder lehrte, die einem sich mehr und mehr ins Spekulative verlierenden Denken abhanden gekommen zu sein schien. Eine zwangsläufige Folge dieser Neubesinnung war die Abkehr der Problemstellung von den rein theoretischen Fragen und eine immer klarer zutage tretende Ausrichtung der Forschung auf die Bedürfnisse der Praxis“. Vgl. Luxenburger (1938), S. 7–8.

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des 19. Jahrhunderts tabliert hatte – „verstand man […] alle psychischen Auffälligkeiten, aufgeteilt in Neurosen, Psychosen und Defektzustände aller Art“.169 Nach Baer hatten „[d]ie Problematik des ‚degenerativen Charakters‘ und der Psychopatiebegriff […] zunächst nichts miteinander zu tun. Deren Zusammenführung geschah erst in der deutschsprachigen Psychiatrie“.170

Kraepelin nämlich betrachtete 1883 „Schwächezustände mit einer ‚Verminderung der Widerstandsfähigkeit auf allen Gebieten des psychischen Lebens‘ als ‚Basis der psychopathischen Disposition‘.171 Die Weiterentwicklung führt zu einer Typenlehre“.172

Nach Baer orientierte sich Kraepelin in seiner wertenden Persönlichkeitstypologie von 1915173 an den Schlagworten „Entartung“ und „Minderwertigkeit“ als konzeptuelle Herangehensweise des 19. Jahrhunderts.174 Gegen die oftmals praktizierte Vermengung des Psychopathie-Konzeptes mit Asozialität positionierte sich Hans Walther Gruhle (1880–1958) 1940 eindeutig: „Dieser Kampf gegen Verbrecher und Schmarotzer, der heute erneut mit so großem Aufschwung aufgenommen ist, kann, wie das unsere endlich erreichte Sicherungsverwahrung und andere Maßnahmen erweisen, mit aller Sachkenntnis und Strenge geführt werden, ohne dass man den Psychopathiebegriff in den Vordergrund rückt. Eine Prüfung des Einzelnen, ob er für die Gesellschaft eine Belastung darstellt, worauf diese belastende Haltung beruht, in welcher

169 Baer (1998), S. 62. 170 Ebd. 171 „Manche Menschen sind wegen des Mangels normaler Gemütsdispositionen als psp. [=psychopathisch] zu bezeichnen. Sie sind zuweilen arm im Geist und Gemüt, zuweilen aber auch allein gemütsarm. In der Zeit des herrschenden Materialismus verfiel man auf den seltsamen Gedanken, dass bei ihnen ein wirklicher Hirndefekt, das Fehlen des ‚moralischen Fasersystems‘ ([Ludwig Karl] Kahlbaum [1828–1899]) angenommen werden müsse. Daraus ergab sich die Idee einer wirklichen Erkrankung im Sinne der ʻmoral insanityʼ (Prichard). Daran glaubt man heute nicht mehr. Aber man kennt Personen, die durch ihre Anlage wirklich arm an Gemütsregungen sind. Da ein Hauptteil der Erziehung in der Gemütsverankerung vieler Handlungen und Gegenstände besteht (die Gründung des sog. Gewissens), so geht ein solcher gemütskalter Mensch leer aus. Er hat keinen Gemütsgrund, in dem etwas verankert werden kann, er ist nicht ansprechbar. Deshalb bleibt er roh, brutal, gefühllos; deshalb wird er zum Verbrecher. Wenn man von diesen, von der Natur so stiefmütterlich behandelten Menschen den Ausdruck des ‚geborenen Verbrechers‘ gebrauchen will, so hat dieser Ausdruck zwar eine ganz andere Bedeutung als der ‚delinquente nato‘ [Cesare] Lombrosos, der an einen körperlich stigmatisierten Verbrecher glaubte, aber jene neue Bedeutung hat einen guten Sinn: ein geborener Verbrecher ist ein von Natur aus kalter, gemütsarmer, roher, brutaler, aktiver Mensch, dass er auf dem sozialen Niveau des einfachsten Standes zum Verbrecher werden muss“. Vgl. Gruhle (1935), S. 596–597. Zu Cesare Lombroso (1835–1909) empfehlenswert Zambianchi (1963). 172 Kraepelin (1883), zit. n. Baer (1998), S. 62. 173 Kraepelin unterschied „Erregbare“, „Haltlose“, „Triebmenschen“, „Verschrobene“, „Lügner“ und „Schwindler“, „Gesellschaftsfeinde (Antisoziale)“ sowie „Streitsüchtige“. Vgl. ebd. 174 “Moral insanity remained an accepted diagnosis in the United States and Europe for most of the 19th century […]. The term morphed over the years, replaced in term by ʻpsychopathic inferiorityʼ, ʻpsychopathyʼ, and ʻpsychopathic personalityʼ”. Vgl. Dossey (2012), S. 2.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Weise man sie beeinflussen kann, wird im allgemeinen wenig praktischen Nutzen von der Feststellung haben, ob man ihn außerdem noch für psychopathisch erklärt oder nicht. Lediglich jene wirklich psychopathischen Asozialen, bei denen die Lebenshaltung auf nachweisbaren psychopathischen Wesenszügen beruht, aus ihnen hervorgeht, bedürfen eines besonderen Eingriffes, einer sozialen Heilerziehung. Aber wo stehen heute hierfür Einrichtungen und kundige Menschen zur Verfügung? Asozialität und Psychopathie gleichzusetzen ist ein Denkfehler“.175

Im aktuellen „Diagnostic and Statistical Manual“ (DSM)- Klassifikationssystem ist das Konzept der “moral insanity” am ehesten in der antisozialen176 Persönlichkeitsstörung177 inkludiert.178 Dieses terminologische Verständnis entfernte sich weit vom ursprünglichen Prichardschen Begriffsverständnis der “moral insanity”.179 175 Gruhle (1940b), S. 236. Siehe ferner Gruhle (1940a), (1940c), (1940d) und (1943). 176 Zur Forderung nach „Unfruchtbarmachung des Asozialen“ siehe ferner Kopp (1939). 177 „Eine erste Beschreibung der abnormen oder gestörten Persönlichkeit in Abgrenzung zu Störungen der ‚Verstandeskraft‘ stammt von Pinel (‚Manie sans délire‘, 1809). Prichard versuchte 1835 mit dem Begriff ʻmoral insanityʼ die Unterscheidung von persönlichkeitsbedingter und krimineller Devianz. Mit der Entstehung der Degenerationslehre des 19. Jahrhunderts wurden moralphilosophische (Morel 1857) und kriminalanthropologische (Lombroso 1876) Überlegungen zunehmend zur Erklärung sozialer Normabweichungen in die psychiatrische Theoriebildung einbezogen, wobei man von einer sekundären Weitergabe krimineller Gewohnheiten durch Vererbung ausging. Von der Degenerationslehre geprägt, erlangte der Begriff Psychopathie durch die Monographie ‚Die Psychopathischen Minderwertigkeiten‘ von Koch (1891) weitere Verbreitung und Differenzierung in Deutschland. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts erfolgte durch Kraepelin und insbesondere mit Kretschmer eine Hinwendung zu konstitutionell bedingten Persönlichkeitstypologien, die Übergänge zu psychiatrischen Erkrankungen mitberücksichtigten. Die heutigen Klassifikationssysteme wurden jedoch von Kurt Schneiders Monographie „Die psychopathischen Persönlichkeiten“ (1923) maßgeblich geprägt. Schneiders Typologie forderte erstmals die Abweichung von einer Durchschnittsnorm, nicht von einer Wertnorm, als diagnostisches Kriterium und stellte damit eine Kontinuität zum normalen Erleben her. Die Schwelle zur Abnormalität liege im Leiden des Betroffenenen oder im Leiden der Gesellschaft. Dennoch sah Schneider psychopathische Persönlichkeiten nicht als krankheitswertig, sondern als charakterologische Spielarten an. Der Begriff Persönlichkeitsstörung wurde im DSM III (APA 1980) bzw. ICD-10 (WHO 1991) eingeführt. Der rein deskriptive, theoriefreie Störungsbegriff ermöglicht eine operationalisierte Diagnostik, bleibt jedoch in seinem Verhältnis zum Begriff ‚Krankheit‘ offen“. Vgl. Montag (2010), S. 203. Siehe ferner Pinel (1809), Morel (1857), Lombroso (1876), Koch (1891–1893), Schneider (1923), Cleckley (1941), Freud (1999), American Psychiatric Association (1980), Koehler (1984) und Dilling (1991). Zu Julius Ludwig August Koch (1841–1908) siehe Gaupp (1924) und Gutmann (2006). 178 “The current Diagnostic and Statistical Manual-IV uses the term ʻantisocial personalityʼ to capture the earlier meanings”. Vgl. Dossey (2012), S. 2. “Rather than moral insanity or psychopathy, I prefer to think in terms of moral inhibition, arrested moral development, and moral atrophy”. Vgl. Rhead (2012). Empfehlenswert ferner Bohus et al. (2009). 179 “It can be concluded, therefore, that Prichard was not talking about psychopathic personalities at all. He did for the British psychiatry what Pinel had done for his own: break away from the intellectualistic definition of insanity by broadening its boundaries to the point that symptoms affecting mental functions other than the intellectual ones were sufficient to diagnose insanity. By means of the category ʻmoral insanityʼ, Pichard introduced the non-psychotic manic and depressive states into the main stream of the insanities (psychoses). Apart from being forensically convenient, this move also encouraged the development of a more detailed descriptive psychopathology for the affective disorders”. Vgl. Berrios (1999), S. 116.

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Meggendorfer schloss sich in seinen Abhandlungen zur “Moral insanity” der „Anschauung Kraepelins, dass die Affektepilepsie nichts mit der genuinen Epilepsie zu tun hat“180 an: man könne „eher […] Erbbeziehungen zur Hysterie feststellen“.181 Bei einer zweiten Gruppe der “moral insanes” stellte Meggendorfer Beziehungen zur Schizophrenie182 her; er sah die Parathymie183 als „eine Form der Schizophrenie“,184 bei welcher „sich noch am ehesten eine gleichartige Vererbung von verbrecherischen Anlagen annehmen“185 ließe. Auch Kurt Kolle (1898–1975)186 ging noch 1961 von einer Assoziation zwischen Schizophrenie und “moral insanity” aus: „Bei vielen Verbrechern wird man geneigt sein, eine gemütlose Anlage anzunehmen. […]. [D]iese ausgeprägte ‚moralische Haltlosigkeit‘ (Moral insanity) [ist jedoch] meistens als Folge eines früher durchgemachten schizophrenen Schubes anzusehen […]“.187

180 Meggendorfer (1921b), S. 217. 181 Ebd. Zum Vergleich hierzu der aktuelle Wissensstand: „[v]on den epileptischen Anfällen sind in erster Linie psychogene Anfälle abzugrenzen. Die Differenzierung kann schwierig sein, insbesondere wenn ein Patient sowohl epileptische als auch psychogene Abfälle hat. Etwa 5–35% aller Anfallspatienten haben zusätzliche oder ausschließlich psychogene Anfälle. Sie treten am häufigsten bei jungen Erwachsenen auf, wobei Frauen etwa 3-mal so oft betroffen sind wie Männer. Die sicherste Methode der Diagnosestellung ist die simultane Doppelbildaufzeichnung eines Anfalls mit Video und EEG“. Vgl. Tettenborn (2013), S. 79. 182 Weiterführend zur Ätiopathogenese der Schizophrenie: Kornhuber/Bleich (2003). Zur „Debatte über die ‚Natur‘ der Schizophrenie, 1906 bis 1932“ vgl. Roelcke (2000b). 183 Parathymie: „Vor allem bei der Schizophrenie vorkommende Störung des Affektlebens. Statt des normalen, zu dem jeweiligen Denkinhalt passenden Gefühlstons tritt ein falscher, inadäquater, eventuell sogar entgegengesetzter Affekt auf. Z. B. erzählt ein Kranker reuelos lächelnd, er habe seine Schwester umgebracht. Diese ‚Spaltung‘ zwischen Denkinhalt und Affekt ist einer der Gründe, weshalb Bleuler die Bez. ‚Spaltungsirresein‘ (= Schizophrenie) prägte“. Vgl. Peters (2011), S. 391. 184 Meggendorfer (1921b), S. 230. 185 Ders. (1927/28), S. 1. Siehe ferner Rinderknecht (1920). Zu Gegenthesen in den 1930er Jahren weiterführend: “The first theory, which posited a genetic link between criminality and mental illness, was supported by several prewar studies. Some of these found an especially high incidence of schizophrenia among the families of criminals, suggesting that criminality was genetically related to schizophrenia. Although this theory had some early critics, the proposition that criminal behavior had close genetic ties to mental illness, especially schizophrenia, was widely accepted into the 1930s, when it was discredited by a statistical study conducted by Friedrich Stumpfl [1902–1994]”. Vgl Wetzell (2000), S. 155. Siehe ferner einerseits Reiss (1922) und Lange (1928) sowie andererseits Stumpfl (1935). 186 „Kurt Kolle zum 70. Geburtstag zugeeignet“ war die Rede von Hans Jörg Weitbrecht, gehalten am 10.02.1966 in der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn im Rahmen des Studium Universale zum Thema Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 5. Weitbrecht appellierte darin an die Studenten: „Machen Sie die Konfrontierung mit diesem Stück unmenschlicher Vergangenheit, das noch in uns allen nachzittert, die wir es miterlebt haben, fruchtbar für Ihre Zukunft“! Vgl. ebd., S. 46. In diesem Kontext verwiesen sei auch auf Toellner (1989). 187 Kolle (1961a), S. 77. Zur Historie der “Moral insanity” ferner empfohlen sei Ozarin (2001).

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In Bezug auf forensische188 und kriminalbiologische Auswirkungen der Erblichkeitslehre schlussfolgerte Meggendorfer sechs Jahre später, 1927, „[e]inige der Geistesstörungen, von denen wir annehmen, dass sie eine indirekte Disposition zum Verbrechen darstellen,189 gehen einen einfach dominanten Erbgang“.190 Um eine angepasste prognostische Einschätzung bezüglich moralischer Minderwertigkeit aussprechen zu können, plädierte Meggendorfer für eine individuell differenzierte Vorgehensweise. Auch in einem Vortrag von 1937, dessen Manuskript sich in den Spruchkammerunterlagen Meggendorfers befindet, betonte Meggendorfer, welch deutliche charakterologische Unterschiede die jeweilige Einzelfallanalyse erkennen lasse. Bei „den Asozialen und Antisozialen“191 komme es zu einer „Nachreifung gegen Ende des dritten oder anfangs des vierten Dezenniums“, wohingegen dies „bei den schizoiden und schizophrenen Moral insanes“ kaum der Fall sei.192 Geprägt von Meggendorfers Habilitationsthema sollte auch ein von Meggendorfer gezeichnetes Gutachten zu N. F. vom 24.03.1939 mit Bestätigung der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ ausfallen: „Die Untersuchung in der Klinik ergab ebenfalls, dass N. F. in intellektueller Hinsicht schwach ist […]. Daneben bietet N., die genau weiss, um was es sich handelt und die sich sichtlich Mühe gibt, sich zu beherrschen, Stimmungsschwankungen, Unbeherrschtheiten, Neigung zu Widerwilligkeit; sie verhält sich in dieser Hinsicht wie viele angeborene Schwachsinnige, die neben der intellektuellen Schwäche noch eine affektive Schwäche, eine moralische Minderwertigkeit, eine Neigung zu Stimmungsschwankung, zur Unbeherrschtheit zeigen […]. Zwar mag der Einfluss der verkehrten mütterlichen Erziehung Manches zu dem Versagen der N. beigetragen haben, die Belastung, die Feststellung der geistigen Schwäche schon im kindlichen Alter, das dauernde weitgehende Versagen, sprechen aber dafür, dass es sich in der Hauptsache doch um eine endogene, erblich bedingte Minderwertigkeit des Verstandes, wie auch der Gefühle, namentlich in moralischer Hinsicht handelt“.193

Diese Ansicht gilt es um die Position Hans Walter Gruhles zu ergänzen, welcher zur „Frage der Moral insanity“ bei „[g]emütsarme[n] (geborene[n] Verbrecher[n]) und Gemütsreiche[n]“ vor einer Gleichsetzung sämtlicher Fälle von “moral insanity” warnte:

188 Forensische (gerichtliche) Psychiatrie: „Rechtliche Konsequenzen können sich in verschiedenen Rechtsbereichen (Straf-, Zivil-, Sozialrecht) aus psychiatrischen u. neurologischen Erkrankungen ergeben. Der Arzt ist dabei in einem Verfahren Gutachter u. Sachverständiger“ Vgl. Gleixner et al. (2007/08), S. 400. 189 Zum Beispiel verschiedene Schwachsinnsformen. Vgl. Meggendorfer (1927/28), S. 2. 190 Ebd. 191 „Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (sog. antisoziale Persönlichkeitsstörung im DSM-5) ist laut ICD-10 erst bei Personen ab 18 Jahren zu diagnostizieren. Diagnostisch bedeutsam ist eine Störung des Sozialverhaltens vor dem 15. Lebensjahr“. Vgl. Mathiak et al. (2016), S. 513. 192 StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VI.I. 193 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 126/26.

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„Von dem allgemeinen Verhältnis von Psp. [Psychopathie] zum Verbrechen wird noch später die Rede sein […]. Die soeben besprochenen Typen bilden nur eine kleine Sondergruppe. Den Ausdruck ‚moralischer Schwachsinn‘ möge man meiden“.194

Meggendorfer mag – entgegen der Einschätzung des zuständigen Erbgesundheitsobergerichtes – dieser Ansicht Gruhles wohl kaum vollauf zugestimmt haben. Das Ergebnis der stationären Begutachtung der Hilfsarbeiterin S. A. von 03.04.– 05.06.1935 nämlich lautete „moralisch-minderwertige-schwachsinnige Psychopathin“. Die unvollständige Krankenakte enthält ein Schreiben an „Herrn Bezirksrat Dr. Franke, Erlangen“ vom 29.11.1935. Das Dokument bzw. dessen Abdruck ist nicht unterschrieben. Gemäß des Inhaltes ist davon auszugehen, dass Meggendorfer Autor des Schreibens ist: „In Sachen S. A.195 wegen Unfruchtbarmachung muss ich aus dem Gedächtnis berichten, da die Krankengeschichte beim Erbgesundheitsgericht bezw. -obergericht sich befindet. Es ist durchaus möglich, dass in der Krankengeschichte nicht alle getroffenen Feststellungen enthalten sind, da bei dem Mangel an Schreibkräften nicht alles protokolliert werden kann“.196

Meggendorfer betonte, er habe „seinerzeit S. A. in der ärztlichen Konferenz persönlich nach einem Bericht des Stationsarztes über die Vorgeschichte und den von ihm erhobenen Befund untersucht“197. Er habe selbst einige Fragen der Intelligenzprüfung198 an die Patientin gerichtet und habe sich „besonders davon überzeugt, dass auch eine intellektuelle Schwäche bei ihr vorliegt. Bezüglich ihrer Lebensführung gab mir die S. an, sie habe wiederholt mit Männern verkehrt, deren Namen sie nicht wusste und die ihr überhaupt gänzlich fremd waren. Erst auf eingehendes Nachfragen, ob sie denn nicht gewusst habe, dass sie sich da der Gefahr ausgesetzt habe, Kinder zu bekommen oder geschlechtskrank zu werden, meinte die S., das wisse sie jetzt schon, sie habe aber damals nicht daran gedacht“.199

Meggendorfer verstand es „darnach nicht, dass aus dieser Angabe der S. vom Erbgesundheitsobergericht Zweifel darüber geäußert werden, dass sie die Folgen ihrer Handlungsweise nicht zu übersehen vermöge. Die kritiklose Lebensführung der S. weist auch sonst [nicht] nur auf moralische, sondern auch auf 194 Vgl. Gruhle (1935), S. 596–597. 195 Im Originaltext entspricht die Initialenanordung A. S. 196 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 193/98. 197 Ebd. 198 Vergleichsweise wurde an der Spechtschen Klinik z. B. bei der manisch-depressiv erkrankten W. M. am 08.04.1913 folgender „Ergänzungs-Test“ durchgeführt, wobei die punktierten Stellen von Seiten der Patientin auszufüllen waren: ,,Die Aepfel [sic]: In einem Garten… ein Apfelbaum, der herrlich Früchte… Unter demselben… viele Äpfel. Dies… Georg. Er…. grosses Verlangen danach. Eiligst…. er durch eine Lücke des Zaunes und alle Taschen voll. Der Eigentümer, welcher den Dieb von einem Fenster aus…. mit einem Stecken herbei. Rasch wollte Georg…; aber er blieb in der Lücke…. Er… weder vor… noch rückwärts. Der Mann… ihn am Kragen, …. ihn aus der Lücke heraus und …. ihm derbe Streiche. Die gestohlenen Äpfel … er wieder. Beschämt… der Bestrafte nach Hause. Seine Kameraden aber… von nun an nicht mehr mit ihm“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 4357. Weiterführend zu W. M. sowie zur entsprechenden Krankenakten-Signatur siehe S. 172, Fn. 777; S. 358, Fn. 464. 199 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 193/98.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang intellektuelle Defekte hin. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass der S. zur Last gelegt worden war, an einer Stelle, in der sie früher war, Strümpfe gestohlen zu haben. Sie scheute sich nicht, angetan mit den gestohlenen Strümpfen, wieder dort zu erscheinen und sah nicht voraus, dass man dadurch ihren Diebstahl entdecken würde“,200

was die mangelhafte Überlegung und Voraussicht der S. zum Ausdruck bringe. Meggendorfer gab an, sich augenblicklich nur an die erwähnten Beispiele zu erinnern, ging jedoch davon aus, dass genügend weitere Anhaltspunkte vorlagen, die „neben der zweifellose vorhandenen moralischen, auch eine deutliche intellektuelle Schwäche anzunehmen“201 rechtfertigten. „Jedenfalls kam ich auf Grund der eingehenden, vor dem Ärztekollegium vorgenommenen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es sich bei S. A. um angeborenen Schwachsinn handelt“.202 Im Rahmen des Klinikaufenthaltes wurde die Indikation für die Aufnahme der Patientin in die offene Fürsorge der Anstalt gestellt. Der Sterilisierungsantrag wurde sowohl vom Erbgesundheitsgericht als auch vom Erbgesundheitsobergericht abgelehnt, zumal es keinen Hinweis auf das Vorliegen eines intellektueller Schwachsinns deutlichen Grades gebe. „Hingegen besteh[e] die Diagnose Psychopathie zweifellos zurecht“.203 Die vorangestellte Vignette der S. A. zeigt, dass seine Forschungsergebnisse zur “moral insanity” Meggendorfers klinisch-gutachterliche Praxis nachhaltig prägten. Vor seiner Rückkehr Ende 1920 nach Friedrichsberg bildete sich Meggendorfer unter Otfrid Foerster (1873–1941)204 in Breslau neurochirurgisch fort. Foerster205 war ab 1921 ordentlicher Professor für Neurologie in Breslau und gilt als Begründer verschiedener neurochirurgischer Operationsmethoden.206 Nach Rüdin setzte Meggendorfer 1920 207 „in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg – Hamburg bei Weygandt seine eigentliche Laufbahn als Psychiater, in der er seine frühere vorzügliche psychiatrische und neurologische Ausbildung zum Wohle der Kranken und zum Nutze der Wissenschaft vortrefflich anwenden konnte, fort“.208

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Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Diese Information ist enthalten in einem Vermerk der fortgeführten Fürsorgeakte vom 21.02.1936: „Das Staatliche Gesundheitsamt ersucht bezgl. der Feststellung des Erbwertes um Auskunft“. Vgl. ebd. Siehe ferner Zülch (1966). Foerster ließ sich 65-jährig „1938 auf eigenen Antrag emeritier[en]“. Vgl. Kreuter (1996), S. 360. Vgl. Rimpau (1990), S. 119. Rüdin bezog sich auf den Zeitraum nach Meggendorfers Tätigkeit an der DFA für Psychiatrie in München und seiner Hospitation bei Otfrid Foerster, es muss sich hierbei etwa um das Jahresende 1920 gehandelt haben. Rüdin (1940), S. 208.

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2.2 LEITER DER GENEALOGISCHEN ABTEILUNG IN FRIEDRICHSBERG 2.2.1 Private und berufliche Meilensteine: Familiengründung, wissenschaftliche und klinische Leitungspositionen Nach diesen externen Studienaufenthalten in München und Breslau kehrte Meggendorfer an die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg als deutschlandweit vorbildliche Institution psychiatrischer Versorgung zurück. Dort erwartete Meggendorfer ein Zugewinn an beruflicher Verantwortung. Des Weiteren wurde Meggendorfer Ehemann und Vater. Am 05.05.1921 verlobte sich Meggendorfer mit Ina Krebs.

Abb. 11: Glückwunschschreiben des Vetters vom 10.05.1921209

Anlässlich der Verlobung erhielt Friedrich von seinem Vetter Emanuel Felix-Heinrich eine Gratulationskarte mit kunstvoll abgebildetem Familienwappen und folgendem Text:

209 FAM.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Innig lieber Vetter! Von Deiner Verlobung mit dem hochverehrten Fräulein Ina Krebs haben wir mit Freude Kenntnis genommen und sende ich als Familienältester des Hauptstammes und zugleich Senior = Chef aller Meggendorfer Deiner lieben Fräulein Braut und Dir unsere herzlichen Glückwünsche! Gottes reichster Segen sei Euch stets beschieden! Wir entbieten Euch Beide[n] die innigsten Grüße! Dein getreuer Vetter Emanuel Felix Heinrich m. Familie. Hohenaschau am 10. Mai 1921“.210

Gut einen Monat nach seiner Verlobung mit Ina Krebs erhielt Meggendorfer die Lehrbefugnis als wichtiges Element seiner akademischen Laufbahn. Am 23.06.1921 hielt er seine Antrittsvorlesung über „[d]ie Entwicklung der psychiatrischen Erblichkeitsforschung“. Am 08.08.1921 heiratete Meggendorfer Jakobine (Spitzname: „Ina“), geborene Krebs.

Abb. 12: Bad Aibling, Hochzeit von Ina und Fritz, 09.08.1921211

Gemeinsam mit Jakobine hatte Friedrich vier Töchter. Nach der Erstgeborenen Ida (26.05.1922–04.04.2016)212 folgte Walburga, geboren am 24.09.1923. Diese wurde ebenfalls Ärztin und promovierte 1949 in Erlangen über „Abnorme Erlebnisreaktionen bei Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft“.213

210 Ebd., transkribiert. 211 Ebd. 212 Die von Ida Valeton an ihrem 85. Geburtstag, am 26.05.2007, in Gedichtform verfassten Abschiedszeilen beinhalten die typisch-fränkische Grußformel „Ade“, was gegebenenfalls auch eine Art Verbundenheit mit Erlangen ausdrücken könnte: „Noch nie hab’ ich so an den Tod gedacht, noch nie hat er mich so ausgelacht. Mach’ halt nun endlich mal, bist genug gerannt über Berg und Tal, Dein Leben war reich und gut, nun nimm in Ehre deinen Hut. Und lass’ die Jungen leben weiter, das Andenken sei voll und heiter. Ade nun allesamt! Auf Wiederseh’n im anderen Land! Ida Valeton, 26.05.2007. Vgl. FAM: Günter, A. Bestattungen. Sterbebild. Siehe ferner Traueranzeige in Zeit Feuilleton vom 14.04.2016, S. 46. 213 Meggendorfer, W. (1949).

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Abb. 13: „Familienquartett“, ca.1924/1925214

Als dritte Tochter kam Irmingard (15.09.1925–06.01.2016) zur Welt. Am 06.11.1926 folgte Hildegard als vierte Tochter. Diese promovierte 1951 in Erlangen über „Vergleichende anatomische Untersuchungen über die Großhirnrinde beim Menschen und einigen höheren Säugetieren“.215 Die Erstgeborene schrieb in ihrer späteren Biographie, sie habe „[v]on [ihrem] Vater […] die intellektuelle und wissenschaftliche Begabung, den Spürsinn und die Intuition geerbt“.216 Als sechsköpfige Familie bezogen die Meggendorfers 1928 „eine Wohnung im Parterre einer schönen Gründerzeitvilla am Mittelweg 158a,217 zu der ein großer Garten gehörte“.218 Somit zogen die Meggendorfers in eine Wohngegend Hamburgs, die heutzutage teils unter Kulturdenkmalschutz steht.219

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FAM. Meggendorfer, H. (1951). Valeton (2000), S. 8. Eine Seite aus Meggendorfers personalisiertem Notizblock gibt Aufschluss darüber, dass Meggendorfer neben seiner oberärztlichen Kliniktätigkeit auch eine klinikexterne Privatsprechstunde anbieten konnte: „Prof. Dr. F. Meggendorfer. Nervenarzt. Hamburg 13, Mittelweg 158a. Fernsprecher: H 4 Norden 4514. Sprechstunde: 8–9, 5–6. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 127/32. Ein bekritzelter Notizblock mit diesem Vordruck findet sich in der Akte der D. M., geb.1917, Epliepsie-erkrankt. Dass die Möglichkeit zur Privatliquidation auch während seiner Erlanger Zeit gegeben war zeigt folgender Rechnungsvordruck: „Professor Meggendorfer Nervenarzt. Direktor der psychiatrischen [sic] und Nervenklinik der Universität. Fernsprecher: 2451. Bankkonto: Bayer. Vereinsbank Erlangen. Postscheckkonto: Nürnberg 15469. Erlangen, den […], Schillerstr. Für ärztliche Bemühungen erlaube ich mir R; […] zu berechnen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 225/132. Die Rückseite dieses unausgefüllten Vordruckes wurde für anderweitige Dokumentation zur Patientin G. G. verwendet. Vgl. ebd. 218 Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM. 219 So zum Beispiel das Gebäude am Mittelweg Nr. 50, ein „1826 errichtetes Garten- bzw. Landhaus. Zweigeschossiger, verputzter Bau mit Walmdach. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts mehr-

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2.2.2 Die Anstalt Friedrichsberg: Entwicklung und Stand unter Weygandt Nachdem die psychisch Kranken der Stadt Hamburg bis 1858 in der „Irrenstation des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg“220 untergebracht waren, konnte 1864221 die Anstalt Friedrichsberg unter der Leitung von Ludwig Meyer (1827–1900) für 240 Patienten eröffnet werden. Während „[d]ie unheilbaren Fälle“222 weiterhin in St. Georg verblieben, galt die Anstalt Friedrichsberg als Heilanstalt. Unter Wilhelm Reye (1833–1912), einem „Anstaltsleiter ohne wissenschaftlichen Ehrgeiz“,223 der die Anstalt als Nachfolger Meyers 42 Jahre lang leitete, erfolgte der Anstaltsausbau durch die Ergänzung von sogenannten „Siechenhäuser[n]“.224 Bestand 1878 eine Aufnahmekapazität von 800 Patienten, so stieg diese 1885 auf über 1.100 Patienten und 1910 sogar auf 1.400 Patienten pro Jahr. „[A]ls Filiale von Friedrichsberg“ bot die „Landwirtschaftliche Colonie Langenhorn“ zusätzlich Aufnahmemöglichkeit für „200 chronische, ruhige, arbeitsfähige arme Kranke“.225 Während 1897 „die Irrenanstalt Friedrichsberg […] [eine als] veraltet geltende psychiatrische Versorgung […] [bot]“,226 zeigte sie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen sehr fortschrittlichen Ansatz. Als Symbol für die „zwangsfreie, moderne Behandlung“, 227 die in Friedrichsberg praktiziert wurde, fungierte auch das Planschbecken, in welchem „[j]ugendliche Patienten […] unter Aufsicht (um 1915) baden“.228 Erwähnenswert in Bezug auf die im weiteren Textverlauf analysierte Rolle Meggendorfers als Beratender Psychiater des Wehrkreises XIII Erlangen ist die Tatsache, dass in Friedrichsberg während des Ersten Weltkrieges eine spezifische Abteilung für militärgerichtliche Begutachtungen existierte: „Eine Station wurde vorwiegend zur Beobachtung von Militärpersonen auf ihren Geisteszustand für kriegsgerichtliche Zwecke aus dem Gesamtbereich des IX. Armeekorps, also der Hansestädte Schleswig-Holsteins und Mecklenburgs insbesondere für die Frage der Zurechnungsfähigkeit bei einer Straftat, verwandt“.229

Nach Weygandts rückschauender Perspektive aus dem Jahr 1922 war in Friedrichsberg für psychisch Kranke und Nervenleidende eine Anstalt mit herrlichen Parkanlagen, modernen Pavillons und umfassenden diagnostischem und therapeutischem

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fach umgebaut bzw. erweitert. Äußeres im Wesentlichen in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten, Inneres stark verändert“. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_ Kulturdenkm%C 3%A4ler_ im_HamburgerBezirk_Eimsb%C3%BCttel Stand vom 04.04.2016. Weygandt (1928), S. 18. Die Kreisirrenanstalt Erlangen war bereits 1846 eröffnet worden. Vgl. Braun/Kornhuber (2013a) und (2013b). Weygandt (1928), S. 18. Sammet (2011), S. 151. Weygandt (1928), S. 18. Ebd. Sammet (2005), S. 50 http://www.aerzteblatt.de/archiv/163493/Antipsychiatrie-Bewegung-Eine-Institution-stehtam-Pranger. Stand vom 30.11.2015. Ebd. Weygandt (1928), S. 15.

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Angebot geschaffen worden, die „des hanseatischen Geistes, wie er sich in den Friedensjahren entfalten konnte, als durchaus würdig bezeichnet werden darf“.230 Weygandt sah in Friedrichsberg „ein Forschungsinstitut für Hirn- und Seelenforschung geschaffen, wie ein solches, etwa vom Deutschen Forschungsinstitut für Psychiatrie in München abgesehen, sonst nirgends zu finden ist“.231 Das von seinem Vorgänger Wilhelm Reye 1899 installierte anatomische Labor unter der Leitung von Theodor Kaes (1852–1913)232 baute Weygandt aus und etablierte zusätzliche Forschungsrichtungen. Unter Weygandt standen der Klinik zwei Hörsäle und 1500 m² Forschungsraum,233 aufgeteilt auf 32 Säale beziehungsweise Zimmer,234 zur Verfügung. Der Psychiater Walter Jacobi (1889–1938),235 ab 01.11.1934 Ordinarius in Greifswald236 in der Nachfolge von Edmund Forster (1878–1933),237 sah 230 231 232 233

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Weygandt (1922), S. 30. Ebd., S. 30–31. Siehe weiterführend hierzu Sammet (2006). Die Laboratorien wurden zur Ausbildung und für wissenschaftliche Studien von deutschen wie von ausländischen Gastärzten aufgesucht, „wobei für letztere selbstverständlich Voraussetzung ist, dass sie der deutschen Kultur freundschaftliche Gesinnung entgegenbringen“. Vgl. Weygandt (1922), S. 31. 1. Psychologische und klinische Sammlung 2. Photograph-kinematographischer Aufnahmeraum. 3–7. Psycholog. Laboratorium. 10. Dunkelkammer. 12. Zeichner- und Malerraum. 13.– 15. Psycholog.-anthropometrische Räume. 16. Großer anatomischer Kurs- und Arbeitssaal. 21. Prosektorzimmer. 22. Kleiner anatomischer Arbeitssaal. 26.–29. Serologische Arbeitsräume. 30. Tieroperationsraum. 31. Tierobduktionsraum. 32.–33. Anatomische Sammlung. Vgl. ebd., S. 25. Weiterführend empfohlen sei Viehberg (2004), S. 300–306 sowie Klimpel (2005), S. 126 –127. Zu seinem Schrifftum als „Abteilungsarzt der Psychiatrischen Universitätsklinik zu Jena (Direktor Professor Dr. Berger)“ siehe Jacobi (1920). Zu Edmund Forster als Behandler von Hitlers „hysterischer Blindheit“ sei folgender Hintergrund gegeben: „[a]bgesehen von einem mehrmonatigen Genesungsaufenthalt im Lazarett Beelitz und beim Ersatzbataillon in München, den er im Anschluss an eine Beinverwundung im Oktober 1916 erhielt, machte Hitler den ganzen Krieg bei dem Regiment List mit, bis er im Oktober 1919 nach einem Gasangriff südlich von Ypern zusammenbrach und in das Lazarett Pasewalk in Pommern verlegt wurde“. Vgl. Domarus (1966), S. 351. Weiterführend auch Armbruster (2009). In Pasewalk wurde er der psychiatrischen Therapie von Forster zugeführt: “After examining Hitler’s eyes closely, Forster lied by claiming they had indeed been irreparably damaged by the gas […]. Maybe you yourself have the rare power, that occurs only once every millennium, to perform a miracle. Jesus did this, Mohammed and the saints…[sic]. With your symptoms a normal person would be blind for life. But for a person with exceptional will power and mental energy there are no limits, scientific knowledge does not apply to that persons…[sic]. You need to believe in yourself totally, then you will stop being blind… [sic]. You know that Germany now needs people who have energy and blind faith in themselves… [sic]. For you anything is possible […]. Edmund Forster had cured Hitler’s blindness but, in doing so, given birth to a monster”. Vgl. Lewis (2003). Während des Ersten Weltkrieges hatte Hitler auch eine enge Beziehung zu Fritz Wiedemann (1891–1970): „Im Ersten Weltkrieg war Fritz Wiedemann Vorgesetzter und Vaterfigur für Adolf Hitler, später sein Adjutant – dann wandelte er sich zum Gegner: Neue Forschungsergebnisse belegen die Entschiedenheit, mit der er Briten und Amerikaner zu dessen Sturz drängte“. Vgl. Diekmann (2012). Siehe ferner Weber (2010). Wiedemann sollte auch vor dem Internationalen Militärgerichtshof (IMG)/International Military Tribunal (IMT) aussagen zur Hitlers „Aktion T4“-Planung. Vgl. Fleischmann (2016).

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1930 – damals noch Direktor der Thüringischen Landesheilanstalten Stadtroda – die Entwicklung der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg unter der Leitung Weygandts als besten Beweis dafür, dass „jede menschliche Leistung nicht allein von der mechanistisch eingestellten Ratio herkommt, sondern sich nur vollenden kann, wenn sie sich ständig verzehrt und neu gestaltet“.238 Das Psychologische Laboratorium unter der Leitung von Ernst Rittershaus (1881–1945) soll im Folgenden näher dargestellt werden, zumal eine relevante Verknüpfung zur Hochschulpsychiatrie Erlangen besteht. Ernst Rittershaus nämlich hatte von 1907 bis 1909 an dem von Gustav Specht in Erlangen innerhalb der Psychiatrischen Klinik etablierten Psychologischen Laboratorium experimentell gearbeitet.239 Später errichtete Rittershaus in der Friedrichsberger Anstalt ein Psychologisches Laboratorium nach den Grundsätzen, die er „bei seinem Chef Gustav Specht […] Erlangen abgeguckt“240 hatte – nämlich mit verschieden psychologischen Tests und Apparaten, wie Intelligenz-, Berufseignungs-, Begabtenprüfungstests, Fünftelsekundenuhren oder dem Hippschen Chronoskop. „Das Labor diente der ‚Ergänzung des Krankenstatus‘, besonders bei forensischer Begutachtung, der Erforschung der Psychopathologie241 und psychologischer Phänomene bei Gesunden sowie der Ausbildung“.242

Als Hauptaufgaben „dieses so reich ausgestatteten Laboratoriums“243 führte Weygandt neben der wissenschaftlichen Forschung und Lehre auch die klinische Praxis durch die Komplettierung des Krankenstatus an. Eine ausführliche Testung im Psychologischen Laboratorium sah er vor allem als relevant an für differentialdiagnostische und forensische Zwecke, insbesondere um eine Simulation oder Dissimulation zu demaskieren. Das Psychologische Laboratorium unter der Leitung von Rittershaus und Albrecht Langelüddeke (1889–1977)244 war direkt neben der Direktion lokalisiert und bestand aus fünf Räumen. Seit 1908 wurden mehr und mehr 238 Jacobi (1930), S. 129. 239 Zu Rittershaus existieren im Universitätsarchiv Erlangen keine Personalakten. Vgl. persönliche Auskunft von Dr. Clemens Wachter vom 08.07.2014. 240 Sammet (2011), S. 150–151. 241 „Die Psychopathologie, einst ‚Grundlage der Psychiatrie‘, ist deutlich in die Defensive geraten. Die aktuelle Debatte um das Selbstverständnis der Psychiatrie im 21. Jahrhundert bietet Gelegenheit zu zeigen, dass die Psychopathologie jenseits technischer Aspekte der Symptomerfassung und algorithmengesteuerter Diagnostik eine wichtige Klammerfunktion wahrnehmen kann, welche den zentrifugalen Kräften der einzelnen psychiatrischen Perspektiven entgegenwirkt“. Vgl. Hoff (2016), S. 73. Siehe ferner Janzarik (1979). 242 Sammet (2011), S. 156. 243 Weygandt (1922), S. 29. 244 Langelüddeke, Albrecht „Geb. 26.10.1889 Heinade, Kreis Holzminden, 1930 Privatdozent in Hamburg. 1933 NSDAP, auch NSV, NS-Dozentenbund, NS-Ärztebund […]. Am 11.11.1933 auf Unterzeichnerliste ‚Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat‘. 1935 ao. Prof., Leiter der Landesheilanstalt (LHA) Haina/Hessen. 1937–1945 Direktor der LHA Marburg. Richter am Erbgesundheitsobergericht Kassel. 1938 Autor: ,Die Bedeutung des Cardiazolkrampfes für die Epilepsiediagnose‘. Versuche mit Cardiazolschocks zur Diagnose erblicher Epilepsie (wichtig für Zwangssterilisierung). 1949–1954 erneut Direktor der LHA Marburg. Häufig beschäftigter

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experimentell-psychologische Methoden verwendet, so dass nach und nach eine umfangreiche Sammlung245 von Untersuchungsmaterial und Tests angelegt werden konnte. Die Intelligenzprüfung mittels standardisierten umfangreichen Testbatterien246 zielte darauf ab, Gerichtsgutachter. Gest 18.1.1977 Hofheim am Taunus“. Vgl. Klee (2003), S. 357. Weiterführend Langelüddeke (1920), (1925), (1940a), (1940b), (1941) und (1943) sowie S. 113, Fn. 479. 245 „Intelligenzprüfungsformulare nach Kraepelin, Sommer, Specht, [Georg Theodor] Ziehen, die Binet-Simon’schen Tests, die von W. Stern bei den Begabtenprüfungen in den Hamburger Schulen angewandten Tests, ferner Bilderbogen der verschiedensten Art (z. B. nach Ziehen), die Tests von [Hermann] Ebbinghaus [1850–1909] (Silbenergänzung), von Henneberg (verdeckte Bilder, die nach und nach durch einzelne Klappen des Deckels sichtbar werden), [Karol] Mikulski [1901–1940] (zusammenzufügende Tierbilder), ferner komische und sinnlose Bilder (z. T. nach Angaben von Weygandt), anachronistische Abbildungen, wie überhaupt zahlreiches Bildermaterial der verschiedensten Art, Schattenrisse usw. Ferner Baukästen, Geschicklichkeitsprüfungsmittel durch Pastilinmodellieren, Scheerenschneiden, Knüpfen usw“. Vgl. Weygandt (1928), S. 51. Zu Mikulski weiterführend angeführt sei der Beitrag von Hojan, A. mit dem Titel „Unfaithful to the oath. Dem Schwur untreu“ auf der Homepage des Gedenkortes „T4“: „Auf dem Blog zur Konferenz NS-‚Euthanasie‘ in europäischer Perspektive wurde ein Film eingestellt, in dem die Tochter des polnischen Psychiaters Dr. Karol Mikulski, Izabella Gawicka, zusammen mit der polnischen Historikerin Magdalena Gawin die Lebensgeschichte des Arztes rekonstruieren. […] ʻOn November 6th 2012 the Warsaw premiere of the semidocumentary movie titled ʻDeath of the Psychiatrist. Eugenics and Totalitarianismʼ took place. It presents the story of Dr. Karol Mikulski (1901–1940) who was a psychiatrist and head doctor of the psychiatric hospital in Gostynin, a small town between Warsaw and Poznan. He commited suicide on March 18th 1940 to protest – as the authors of this film believe – the murder of his patients planned by the Nazis. Before the war Dr. Mikulski was a member of the Polish Eugenics Society. During his travels in Europe in 1936 he met Professor Ernst Rüdin who is known as the father of racial hygiene and Professor Otmar Freiherr von Verschuer, the director of the Kaiser Wilhelm Institute of Anthropology, Human Heredity, and Eugenics, later known as the supervisor of Dr. Josef Mengele. He also had contacts with Professor Karl [sic] Schneider, who was a senior researcher for the Heidelberg branch of Aktion T4ʼ“. Vgl. http://blog.gedenkort-t4.eu/2013/01/15/artur-hojan-unfaithful-to-the-oathdem-schwur-untreu/. Stand vom 15.07.2016. Der in der unmittelbar vorangegangenen Textstelle im Kontext der „T4“-Aktion erwähnte Carl Schneider (Heidelberg) ist nicht zu verwechseln mit Kurt Schneider (ab 1931 München; ab 1946 Heidelberg). 246 „Die genauere Bestimmung des Intelligenzalters bei schweren Schwachsinnigen, wie es besonders ja die Methode von Binet-Simon tut, hat zwar weniger praktisch-forensisches, dafür aber um so mehr theoretisch-wissenschaftliches Interesse“. Vgl. Weygandt (1928), S. 51. „Die Messung der Intelligenz nach Binet und Simon ist der erste psychische Test gewesen, der in der Praxis wirklich verwandt werden konnte. Sein Wert hat eine in der Geschichte der Wissenschaften seltene übereinstimmende Anerkennung gefunden. [Alfred] Binet [1857–1911] ist in der ganzen Welt als der wirkliche Schöpfer der Methode der psychischen Testung anerkannt worden. Dieser hervorragende Erfolg war an drei Faktoren gebunden: Binet hatte angenommen, dass es eine umfassende Funktion, nämlich die ‚allgemeine Intelligenz‘ (‚intelligence générale‘) gäbe. Er hatte gezeigt, dass diese Funktion durch Tests, die nicht nur an elementaren psychischen Prozessen, sondern an den höheren geistigen Elementen ausgerichtet waren, gemessen werden konnte. Zur Schätzung der Intelligenz hatte er eine Einheit, das IntelligenzAlter, eingeführt, an dem geeicht wurde“. Vgl. Pichot (1963), S. 217. Weiterführend ferner Binet (1903). „Dazu kommt dann noch die Prüfung der ausgesprochenen Idiotieformen mit dem Weygandt’schen Schwachsinnprüfungskasten. Ferner sind zahlreiche Tests vorhanden zur

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „gerade [auch] die leichteren und allerleichtesten Formen von Schwachsinnszuständen zu erkennen und dies so plastisch herauszuarbeiten, dass gegebenenfalls ein Richter sich von der krankhaften Geistesverfassung des betreffenden Patienten zu überzeugen vermag“.247

Diese Beschreibung des Psychologischen Laboratoriums in Friedrichsberg unter dem Specht-Schüler Ernst Rittershaus ermöglicht uns, einen Eindruck zu gewinnen, von dem Laboratorium in Erlangen, welches Meggendorfer in der Amtsnachfolge Spechts wohl vorgefunden haben mag. Bislang konnte kein direktes Literatur- oder Archivmaterial zum Spechtschen Psychologischen Laboratorium in Erlangen detektiert werden. Die Möglichkeit der ausführlichen psychopathologischen Testung in dem Laboratorium von Rittershaus optimierte die interdisziplinäre Zusammenarbeit der einzelnen Laboratorien. So führte Meggendorfer gemeinsam mit seinem Friedrichsberger Kollegen Ernst Rittershaus die in der Psychiatrie „bereits vor dem Ersten Weltkrieg“ gelehrte „Eugenik unter psychiatrischen Gesichtspunkten“ fort.248 2.2.3 Die Genealogische Abteilung in Friedrichsberg Die Genealogische Abteilung, deren Leitung Meggendorfer am 10.06.1921249 übertragen wurde, war klein.250 „1918 auf Privatinitiative gegründet, privat gefördert, bestand sie aus einem Raum für eine Kartothek, in der sich Daten zu allen seit 1864 versorgten zweiundsechzig Tausend Patienten fanden“.251 Unter Meggendorfer wurde die Genealogische Abteilung in Friedrichberg zum „Krankengeschichts- und Zählkartenarchiv“252 ausgebaut. In der Darstellung der Friedrichsberger Einrichtungen wird die Genealogische Abteilung Meggendorfers 1922253 folgendermaßen beschrieben:

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optischen und akustischen Prüfung des Gedächtnisses und der Merkfähigkeit sowie für Lernversuche von den einfachsten bis zu den kompliziertesten Prüfungen; sodann Bilder und Bilderbücher zu Auffassungs- und Aussageversuchen“. Vgl. Weygandt (1928), S. 52. Ebd. Schmuhl (1987), S. 80. Seine Antrittsvorlesung fand erst am 23.06.1921 statt. Eventuell wurde Meggendorfer bereits als Dr. med. habil. und nicht erst nach seiner Ernennung zum Privatdozenten – wie Sammet anführt – zum Leiter der Genealogischen Abteilung. Vgl. Sammet (2011), S. 155. Die Genealogische Abteilung führte nach Sammet „ein Eigenleben“. Vgl. Sammet, K. „Hannimaus beim Skat im Bilde: Friedrich Meggendorfer, Chorea Huntington, Anatomie, Experimentalpsychologie und Vererbungsforschung in Hamburg-Friedrichsberg um 1925“. Vortrag auf 25. Jahrestagung der DGGN/Würzburg, 02.10.2015, Vortrag veröffentlicht als Sammet (2016b). Sammet (2011), S. 155. Ebd. Ebenfalls 1922 referierte Meggendorfer am 04.07. vor der ärztlichen Vereinigung Hamburg „[ü]ber spezifische Vererbung einer Angst- und Zwangsneurose“. Hierbei „zeigt[e] [er] […] eine[n] Stammbaum [zur] […] spezifische[n] Vererbung einer Angst- und Zwangsneurose [und] […] konnte zufällig zwei entfernt verwandte Angehörige dieser Familie, deren einziger gemeinsamer Ahn ca. 1670 lebte, untersuchen“. Vgl. Meggendorfer (1922a), S. 221.

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„Die Abteilung für Vererbungsforschung (Priv. Doz. Dr. Meggendorfer) verfügt über zwei beim Hörsaal gelegene Räume, in denen eine Sammlung der Familientafeln und der dazu gehörigen Akten untergebracht ist. Hier werden die zur Auskunftserteilung in die Anstalt gebetenen Angehörigen der Kranken zwecks Aufnahme der Familiengeschichte befragt, hier besorgt auch eine Schreibkraft die umfangreichen schriftlichen Erhebungen, die Ordnung und Registrierung des erhaltenen Materials und macht die zur Vervollständigung der Akten nötigen Abschriften der Krankengeschichten auswärtiger Anstalten“.254

Abb. 14: Zahlkarte der Abschrift einer Krankengeschichte255

1925 beschrieb Meggendorfer die Entwicklung der Genealogischen Abteilung unter seiner Leitung folgendermaßen: „Außer der Rüdinschen Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München haben von den zahlreichen psychiatrischen Kliniken und Irrenanstalten Deutschlands kaum drei256 eine eigene Abteilung für Familienforschung. Wir haben hier in Friedrichsberg seit drei Jahren eine solche unter meiner allerdings nur nebenamtlichen Leitung stehende Abteilung. Trotz der kurzen Zeit ihres Bestehens wurde in dieser Abteilung schon allerlei geleistet. Ein Zählkartenbetrieb und eine Kartothek über alle seit Gründung der Anstalt hier verpflegten

254 Weygandt (1922), S. 30. 255 Nachdem die Krankenhausverwaltung am 23.01.1941 die Zahlkarte zu den „2 Seiten á [sic] RM , -.30“ Krankengeschichtsabschrift der manisch-depressiv erkrankten G. M. beigelegt hatte, traf am 27.01.1942 ein Schreiben von „Stadtobermed.-Rat Professor Dr. Fleck“ als Vorstand der Psychiatrischen und Nervenklinik des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg an Frl. Dr. med. Bauer ein: „Die Berechnung der Abschrift der Krankengeschichte beruht auf einem Missverständnis der Verwaltung. Die Krankengeschichte musste abgeschrieben werden, da sie in einem grossen Band eingebunden war. Krankengeschichtenabschrift lege ich bei“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 391/311; 177/84; 516/423. 256 Erst 1926 wurde Löwenstein Leiter des Instituts für Neurologisch-Psychiatrische Erbforschung an der Universität Bonn. Siehe hierzu S. 68–69.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang 56000257 Kranken wurden angelegt. Für den Unterricht in allgemeiner und besonders psychiatrischer Erblichkeitslehre wurden etwa 200 Tafeln und Diapositive angefertigt“.258

1928, also nach siebenjähriger Leitung durch Meggendorfer stellte sich die Genealogische Abteilung Friedrichsbergs folgendermaßen der Außenwelt dar: „Die Abteilung für psychiatrische Erblichkeitsforschung (Professor Dr. Meggendorfer) bemüht sich, die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung, die beim Zustandekommen der meisten geistigen Mängel und Gebrechen eine Hauptrolle spielt, zu klären. Die aus privater Initiative hervorgegangene und zeitweise im Wesentlichen durch private Unterstützung erhaltene ‚Genealogische Abteilung‘ verfügt über einen beim Hörsaal gelegenen Raum, in dem ein Zählkartenbetrieb und eine Karthotek über alle seit Gründung der Anstalt hier verpflegten 62000 Kranken, sowie eine Sammlung von Familientafeln und den dazugehörigen Akten, die Grundlagen für die Forschung, untergebracht sind. Ausführliche Familiengeschichten wurden angelegt und zu wissenschaftlichen Untersuchungen erarbeitet betreffs einer größeren Anzahl von Paralytikern, moralisch Minderwertigen, Epileptikern, Choreatikern, Hirnarteriosklerotikern und Senildementen. In Zukunft soll die Abteilung zu einem Krankengeschichts- und Zählkartenarchiv ausgebaut werden und eigene Schreibkraft erhalten, und so dem klinisch-wissenschaftlichen Betriebe und der Ursachenforschung […] dienstbar gemacht werden. Für photographische und kinematographische Aufnahmen dient ein etwa 10m langer Oberlichtsaal mit 3 Nebenräumen“.259

An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit der „Erbbiologischen Abteilung der Rheinischen Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme“ in Bonn260 an, die unter der Leitung von Otto Löwenstein (1889–1965) stand. Der zur Zeit des Nationalsozialismus dienstsuspendierte und verfolgte Löwenstein propagierte 1931 die herausragende Bedeutung einer sorgfältigen erbbiologischen Analyse: „Die Frage, wie groß im besonderen Falle für das Zustandekommen einer psychopathischen Reaktion261 das Moment der Anlage war, wie groß das Moment des schädigenden Milieueinflusses, ist praktisch eine der wichtigsten Fragen, die wir überhaupt zu entscheiden haben. […]. In ihrer Gesamtheit vermögen uns die Resultate dieser Untersuchungen etwas auszusagen darüber, ob eine pathologische Reaktion tiefer oder weniger tief in der Konstitution, d. h. in der dem Kranken überkommenen Erbmasse begründet liegt. Für die Prognose und Therapie ist eine solche Feststellung von ausschlaggebender Bedeutung. An die Erbmasse selbst reichen die Untersuchungen natürlich nicht heran. Diese Lücke soll ausgefüllt werden durch die erbbiologische Analyse. […]. Die große Schwierigkeit einer solchen Feststellung besteht im Allgemeinen darin, dass uns die Familie der meisten Menschen unbekannt ist und dass ihre Eruierung den größten Schwierigkeiten begegnet. Soweit es sich dabei um die Feststellung des Erbganges von Geisteskrankheiten handelt, befinden wir uns jedoch in unserem Institut in einer relativ günstigen Lage. Es ist uns nämlich gelungen, die Krankengeschichten nicht nur der wichtigsten öffentlichen, sondern auch aller größeren privaten Irrenanstalten, die im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Rheinprovinz bestanden haben, zu sammeln und in einem besonderen erbbiologischen Institut, das der Anstalt angegliedert ist, zu vereinigen. Dieses Archiv umfasst zurzeit mehr als 18.000 Aktenstücke […]. Auf Grund dieser Krankengeschichten wurde eine große

257 Meggendorfer mag während seiner Leitung entschieden dazu beigetragen haben, dass sich die Krankenakten von 56.000 im Jahre 1925 innerhalb von drei Jahren auf eine Anzahl von 62.000 vermehren ließen. 258 Meggendorfer (1925a), S. 228. 259 Weygandt (1928), S. 54. 260 Zur Medizinischen Fakultät der Universität Bonn im „Dritten Reich“ siehe Forsbach (2006). 261 Zum Begriff der Reaktion in der Psychiatrie siehe ferner Schneider (1925).

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Kartothek angefertigt, in der nicht nur die Namen der Kranken, ihrer Kinder, Enkel, Schwiegerkinder und Schwiegerenkel sondern nach Möglichkeit auch der Mütter, Großmütter, Schwiegermütter erhalten sind. Durch Descendenten-Untersuchungen ist es uns auch gelungen[,] in Form von Stammtafeln in einem sehr großen Teil dieser Fälle die Beziehungen zu der zurzeit lebenden Generation herzustellen. Andererseits aber ist es nicht schwer auf Grund der vorhandenen Kartothek von jedem in die Anstalt aufgenommenen kranken Kinde sogleich festzustellen, ob es einer derjenigen rheinischen Familien entstammt, die schon in den vorangegangenen Generationen Geisteskranke in die rheinische Anstalt geliefert haben“.262

Die Löwensteinsche Erbiologische Abteilung basierte vor allem auf den Siegburger Krankenakten, die bereits während der Anstaltsleitung von Maximilian Jacobi (1775–1858) angelegt wurden.263 „Eine große Anzahl von Stammtafeln, in denen nicht nur die Krankheiten der einzelnen Familienmitglieder, sondern auch ihre charakterologischen Eigenschaften enthalten sind, sind bereits ausgearbeitet; die größte, die vollständig fertig ist, umfasst mehr als 2600 Personen, eine andere, die zu einem Drittel fertig ist, umfasst 13000 Personen. Im Ganzen sind zurzeit viele tausend Stammtafeln vorhanden, davon 400, die einen größeren Umfang haben. So sollen die neurologisch-psychiatrische Untersuchung, die klinische Beobachtung, die psychologische, die psychophysische, die psychotechnische und die erbbiologische Analyse zusammenwirken, um uns ein Bild der Persönlichkeit zu verschaffen, deren Beobachtung und Behandlung uns übertragen ist“.264

Diese Beschreibung der Erbbiologischen Abteilung unter Löwenstein in Bonn bietet eine Vergleichsebene, um Rüdins Skepsis bezüglich der Bedeutung der Genealogischen Abteilung in Hamburg zu kontextualisieren. Rüdin schrieb nämlich in seiner Festschrift265 für Meggendorfer, der Jubilar habe: „[s]ein Programm, dessen Unterstützung man ihm zugesagt hatte, in Friedrichsberg eine psychiatrisch-erbbiologische Forschungsstätte einzurichten und auszubauen, […] zu seinem großen Leidwesen nicht durch[führen] [können], da der Direktor der Anstalt ihn immer wieder vor andere Aufgaben stellte“.266

Mit den „andere[n] Aufgaben“,267 welche Weygandt – nach Rüdin – für Meggendorfer vorsah, könnte Rüdin Meggendorfers Position als Abteilungsarzt der Friedrichsberger Offenen Station mit circa 800 Betten ab 15.07.1925 gemeint haben sowie die Tatsache, dass sich Meggendorfer, obwohl 1927 zum außerordentlichen Professor der Abteilung „Vererbungsforschung“ der Universität Hamburg ernannt, auch zunehmend mit gerichtlichen Fragestellungen beschäftigte.268 Möglicher-

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Löwenstein (1931a), S. 339–341. Siehe ferner ders. (1931b). Ders. (1931a), S. 341 Ebd., S. 343. Vielen Dank für einen weiterführenden Hinweis diesbezüglich an Frau Dr. med. Lara Rzesnitzek/Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité/Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwigkrankenhaus, Berlin. 266 Rüdin (1940), S. 208. 267 Ebd. 268 Doch gerade die Verknüpfung von forensischer Kompetenz mit Eugenik-Expertise sollte sich im kommenden nationalsozialistischen Staat mitunter zur wissenschaftlichen Fundierung sowie klinischen Kommentierung der NS-Erbgesundheitsgesetze als relevant erweisen. Auch

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weise sollte Meggendorfer als außerordentlicher Professor – auf Drängen Weygandts – zudem das Aufgabengebiet von Buchholz mitabdecken.269 Mit diesem kritischen Seitenhieb auf seinen klinisch tätigen Rassenhygieniker-Kollegen Weygandt zollte Rüdin270 der unter Meggendorfers Leitung an der Weygandtschen Klinik etablierten Genealogischen Forschungseinrichtung nur wenig Anerkennung. Für Weygandt schien die Friedrichsberger Genealogische Abteilung auch als wissenschaftliche „Prestigeinstitution“ zu dienen. 1928 berichtete er stolz, es sei der Anstalt Kraft seiner Leitung gelungen „in engste Fühlung mit dem Deutschen Verband für psychische Hygiene, wie mit den einschlägigen, von Amerika ausgehenden internationalen Bestrebungen“271 zu treten. Nach Weygandt waren somit in Friedrichsberg gute Bedingungen geschaffen, um es wahr werden zu lassen, „was ein genialer Psycho- und Neurologe, Paul Julius Möbius272 [...] vor Jahrzehnten prophezeit hat: ‚Der Psychiater wird ein Richter273 sein in allen menschlichen Dingen, ein Lehrer des Juristen und des Theologen, ein Führer des Historikers und des Schriftstellers‘“.274

Die im Vordergrund stehende erbhygienische Ausrichtung von Friedrichsberg klingt auch im weiter unten zitierten Schlusswort zur Präsentationsschrift der Anstalt von 1922 an.275 Schließlich hatte sich Weygandt – wie Meggendorfer in seinem Nachruf von 1940 betonte – „sehr eingehend mit Fragen der Vererbung und der Rassenhygiene 276 [beschäftigt]“:277

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Rüdin betätigte sich auf forensischem Gebiet. Vgl. mitunter Rüdin (1911), (1931) und (1933) sowie Gütt et al. (1934). 1922 nämlich wurden folgende Bereichsleiter in Weygandts Präsentationsschrift der Anstalt Friedrichsberg erwähnt: „Professor Dr. Buchholz hat als a.o. Universitätsprofessor einen Lehrauftrag für gerichtliche Psychiatrie; Prosektor Dr. Jakob, der Serologe Dr. Kafka, Dr. Rittershaus (Psychologie) und Dr. Meggendorfer (Erblichkeitsforschung) wirken als Privatdozenten“. Vgl. Weygandt (1922), S. 22–23. In der Präsentationsschrift von 1928 wurde Buchholz nicht mehr genannt, eine Ersatzperson für dessen Funktion wurde nicht erwähnt. Weiterführend auch Rüdin (1924). Weygandt (1928), S. 57. Weiterführend diesbezüglich auch Engmann/Steinberg (2014). Ob Weygandt hiermit die Tätigkeit der Psychiater an den NS-Erbgesundheitsgerichten antizipierte, kann diskutiert werden. Weygandt proklamierte nämlich in derselben Schrift radikale Vorgehen im rassenhygienischen Sinne: „Gerade in Deutschland, das auf Qualitätsarbeit angewiesen ist, sollte alles Erdenkliche geleistet werden, was die psychische Wertigkeit der Volksgesamtheit fördert, und mit allen Mitteln daran gearbeitet werden, jegliche Beeinträchtigung geistigen Vermögens zu überwinden!“ Vgl. Weygandt (1928), S. 59. Ebd., S. 57. Siehe hierzu S. 72. „Die Geschichte der Rassenhygiene/Eugenik in Deutschland ist ein Ausschnitt aus dem umfassenden Rationalisierungsprozess, der den zentralen Bereich menschlicher Gesellschaft, nämlich die Fortpflanzung und die sie orientierenden Werte und Institutionen betrifft. Sie ist überdies die Geschichte der Genese der dafür verantwortlichen Wissenschaften und deren Entwicklung von utopischen Sozialtechnologien zu durchschlagskräftigen medizinischen Techniken. Und sie ist schließlich die Geschichte der Verquickung von wissenschaftlicher Entwicklung, politischen Ideologien und gesellschaftlichen Werten“. Vgl. Weingart et al. (1992), Deckblatt. Meggendorfer (1940a), S. 147.

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„Seine gründliche Beschäftigung mit dem Schwachsinn278 des Jugendalters hatte ihn schon früh zu dem Problem Vererbung und Entartung geführt […]. Früh[zeitig] setzte er sich für die obligatorische Unfruchtbarmachung der Erbkranken ein, die er als psychologisch allein zielsicheren Weg bezeichnete“.279

Trotz seiner radikalen Empfehlung zur Sterilisierung bei Schwachsinn bereits in jungen Lebensjahren sah Weygandt in Hinblick auf „Spätentwickler“ kritische Vorsicht geboten bei allzu schneller diagnostischer Eingrenzung, denn jeder Pädagoge kenne Fälle, dass ein Sekundaner „wie Paul Heyse [1830–1914],280 in der Mathematik völlig versagte. Als unbegabt galten in ihrer Jugend Thomas von Aquino [ca. 1225–1274], [Isaac] Newton [1643–1727], [Jonathan] Swift [1667–1745], [Carl von] Linné [1707–1778], in gewissem Grade Napoleon [1769–1821], ferner Walter Scott [1771–1832], Wellington, Stephenson, Sheridan, Ulysses Grant [1822– 1885], [Justus von] Liebig [1803–1873], [Lew Nikolajewitsch] Tolstoi [1828–1910], [Louis] Pasteur [1822–1895], [Theodor] Billroth [1829–1894], Thomas Mann [1875–1955], Wilhelm Jordan [1819–1904], Heinrich Seidel [1842–1906], Gerhard281 Hauptmann [1862–1946], [Friedrich Wilhelm] Bessel [1784–1846], [Friedrich Wilhelm] Ostwald [1853–1932]“.282

1968 kommentierte Hans Jörg Weitbrecht (1909–1975)283 Weygandts Kapitel zum Schwachsinn in dessen Lehrbuch von 1935284 kritisch.285 Weitbrecht verwies auf den internationalen Bevölkerungskongress von 1935 in Berlin, auf welchem sich Weygandt skeptisch positioniert hatte gegenüber der anglo-amerikanisch negativen Rezeption der „nicht allein auf die deutschen Teilnehmer beschränkt[en]“286 Rassenvorurteilen. Unter der Anleitung Wilhelm Weygandts, der in die Medizingeschichte als „radikaler Vertreter der erbhygienisch denkenden Psychiatrie“287 einging, beschäftigte sich Meggendorfer neben psychiatrisch-neurologischer Klinik vornehmlich mit Erblichkeitsforschung und Rassenhygiene.288 Die rassenhygienische Sichtweise

278 „Durch die Zuordnung zu prä-, peri- oder postnataler Ätiologie kann die Behandlung besser angepasst, die Familie bezüglich genetischer Disposition beraten und eine genauere Prognose gestellt werden“. Vgl. Hölscher/Schneider (2016), S. 535. 279 Meggendorfer (1940a), S. 147. 280 „Aus der deutschen Literatur sind die Novellen ‚Auf Tod und Leben‘ von Paul Heyse (1885) und ‚Ein Bekenntnis‘ von Theodor Storm [1817–1888] (1887) wichtige literarische Texte, die den assistierten Suizid und die Tötung auf Verlagen thematisieren“. Vgl. Carlsson (2015), S. B 1394. Zum Briefwechsel von Theodor Fontane und Paul Heyse siehe Fontane/Heyse (1929). 281 Häufiger findet sich die Schreibweise Gerhart Hauptmann. 282 Weygandt (1935c), S. 381–382. 283 Weitbrecht „[p]rägte die Bez. ‚endoreaktive Dysthymie‘“. Vgl. Peters (2011), S. 606. 284 Vgl. Weygandt (1935c), S. 373–418. 285 Weygandt bezeichnete „voller Empörung wissenschaftliche Publikationen, die gegen das Gesetz überhaupt gerichtet waren oder in Einzelheiten zur Vorsicht mahnten, als durchaus unsachlich, namentlich politisch einseitig eingestellt und somit als ‚Schmähschriften‘ […], deren Urheber noch dazu jenseits der Grenzen säßen“. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 18. 286 Ebd., S. 19. 287 Wittern (1993), S. 390. 288 „Die eigentlich bestimmende Figur dieser neuen Rassenhygiene ist Alfred Ploetz; auf ihn geht auch der Terminus ‚Rassenhygiene‘ (1895) zurück. Sein Interesse ist es – und zwar von früh-

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Weygandts spiegelt sich auch in der Friedrichsberger Präsentationsschrift von 1922 wider: „Möge es dieser Schrift vergönnt sein, das Verständnis der Freunde aller Forschung und Fürsorge auf seelischem Gebiet zu wecken und Mittel für eine Weiterführung der so verheißungsvollen Einrichtungen in Friedrichsberg zu gewinnen! Möge es in Hamburg, in ganz Deutschland und auch alldort im Auslande, wo den deutschen Kulturbestrebungen gerechte Würdigung entgegengebracht wird, vollauf begriffen werden, dass der Kampf gegen das Unheil, welches seelische Schwäche und Krankheit über die Menschheit bringen [sic], nicht besser geführt werden kann, als wenn mit allen Mitteln wissenschaftlicher Forschung daran gearbeitet wird, die Grundlagen seelischer Leistung und Leiden zu erforschen und deren Mängel zu beheben! Unser Institut soll eine Pflanzstätte der Psychohygiene im weitesten Sinne darstellen, deren Gedeihen und Erfolge geeignet sind, das geistige Wohl der Menschheit zu fördern. Möge eine Zeit kommen, in der allgemein eine würdigere Einschätzung geistiger Werte obwaltet und auch unter kraftvoller Förderung erkannt wird, welch eine hohe kulturelle, soziale und wirtschaftliche Bedeutung aus der das Wesen und die Bekämpfungsmöglichkeit der seelischen Mängel und Krankheiten bearbeitenden Forschertätigkeit erwächst!“289

Meggendorfer profitierte in seiner wissenschaftlichen Entfaltung von der Möglichkeit der Kooperation mit den unterschiedlichen Laboratorien Friedrichbergs. Nach Sammet erlauben „Disziplinäre Subsysteme […] unterschiedliche Perspektiven auf einen Fall, der im ‚Laborraum‘ Friedrichsberg idealiter so verlaufen wäre, dass nach Abklärung der Erblichkeit, eine klinische Diagnose erfolgt wäre. Serologie und Psychologie hätten Ergänzungen geliefert. Schließlich (seit [Michel] Foucault [1926–1984] ist der Tod Lehrmeister der klinischen Medizin) hätte eine mikroskopische Untersuchung des Gehirns einen morphologischen Abschluss

ester Jugend an – Deutschland zur Reinheit der Rasse zurückzuführen. Den Begriff Rasse weicht er insofern auf, als er unter der eigentlichen Rasse die sogenannte Vitalrasse versteht; dies ist nichts anderes als eine Vielzahl von abstammungsverwandten Individuen, die durch ihre Fortpflanzungs- und Vererbungsfunktionen neue und ähnliche Individuen erzeugen. Das Rassewohl gelte es herzustellen, und zwar durch die Erzeugung möglichst vieler Devarianten, d.h. Nachkommen, durch die scharfe Ausjätung des schlechteren Teils der Konvarianten der gleichen Generation, durch den Kampf ums Dasein und durch die Vernichtung der Kontraselektion, d. h. keine Kriege und Revolutionen, aber auch kein Schutz der Kranken und Schwachen. Was die Eugenik betrifft, so solle Zeugung – so seine rassenhygienische Utopie – nicht irgendeinem Zufall überlassen werden, sondern die Fortpflanzung solle nur solchen Ehepaaren gestattet werden, deren rassische Hochwertigkeit die Wissenschaft ermittelt habe“. Vgl. Baader (1990), S. 29. Siehe ferner Ploetz (1895a). Postmortem sollte Ploetz folgendermaßen von einem psychiatrischen Fachjournal gewürdigt werden: „Am 20. März 1940 ist Dr. med., Dr. phil. h. c. Alfred Plötz in München im 80. Lebensjahr verschieden. Mit ihm ist der Nestor der deutschen Rassenhygiene dahingegangen. Er hat sie während eines langen, arbeitsreichen Lebens durch den Einsatz seiner kraftvollen Persönlichkeit, vor allem durch die Gründung der führenden Zeitschrift, des Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie und -hygiene sowie der Gesellschaft für Rassenhygiene begründet und maßgebend entwickelt. Diese seine Lebensarbeit wurde im Dritten Reich voll anerkannt und vom Führer durch die Verleihung des Adlerschildes des Deutschen Reiches gewürdigt. In der deutschen Psychiatrie, die er in erster Linie für seine weitgesteckten Ziele gewonnen hat, wird sein Andenken für alle Zeiten unvergessen bleiben!“ Vgl. Anonymus (1940b), S. 202. 289 Weygandt (1922), S. 31.

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gebracht. So sollte jeder Fall funktionieren, zugleich ein statistisches Puzzleteil (in der genealogischen Kartothek) für die Erforschung der ‚Biomasse‘“.290

2.2.4 Studien zur Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung und zu Chorea Huntington Die vier wissenschaftlichen Abteilungen in Friedrichsberg boten eine vielschichtige interdisziplinär-wissenschaftliche Zugangsmöglichkeit, was sich in mehreren Publikationen Meggendorfers in Kooperation mit Viktor Kafka (1881–1955)291 und Alfons Maria Jakob292 unter Verwendung der psychopathologischen Befunde von Ernst Rittershaus niederschlägt. So publizierte Meggendorfer zum Beispiel 1921 gemeinsam mit Jakob als Leiter des Pathologisch-Anatomischen Laboratoriums Hamburg-Friedrichsberg293 „[ü]ber einen Fall von Lepra mit Psychose“.294 Meggendorfer könnte mit Jakob eventuell bereits während seiner Tätigkeit in der Kraepelinschen Klinik in der Nussbaumstraße Bekanntschaft geknüpft haben. Dort nämlich hatte Jakob gemeinsam mit Hans Gerhard Creutzfeldt295 in der Forschungs-

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Sammet (2011), S. 158–159. Siehe ferner Ewald (1920a). Empfehlenswert hierzu Sammet (2008). Siehe Jakob (1930a). Meggendorfer/Jakob (1921). Hans Gerhard Creutzfeldt war von 1938 bis 1953 Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie in Kiel. Von Juni 1945 bis Mai 1946 war er Rektor der Christian-Albrechts-Universität/Kiel (CAU). „Für den Wiederaufbau der CAU auf dem Schlossgelände, die nach Bombenangriffen in Schutt und Asche lag, spielte Creutzfeldt eine entscheidende Rolle. So setzte er sich mit dafür ein, dass die Hochschule nach der Verlagerung ins unzerstörte Schleswig wieder nach Kiel zurückkehrte. […]. Creutzfeldts persönliche Beziehungen als Marineoffizier halfen, dass die etwa 1000 Studenten und Studentinnen nach dem Krieg schwimmende Hörsäle und Unterkünfte vorfanden: Der Lehrbetrieb, der am 27. November 1945 begann, wurde kurzerhand auf noch mit Tarnfarben bemalte Schiffe verlegt, die am Pier vor der Kunsthalle festgemacht hatten. Der Rektor hatte erfolgreich die Genehmigung bei Stäben der Royal Navy eingeholt, die Schiffe zu chartern“ Vgl. Kieler Nachrichten, 12.02.2001. zit. n. https://web.archive. org/web/ 20070927024138/http:// www.kn-online.de/htm/dauer/lok/hochschulen/hochschulseiten/0101 12/c-Creutzfeldt_ART.htm. Stand vom 12.12.2015. Da sich Creutzfeldt den Vorgaben der britischen Militärregierung widersetzte, die besagte, maximal 10% der Neuimmatrikulationen dürften Wehrmachtsoffiziere sein, wurde er von seiner Funktion als Rektor der CAU enthoben. „Nach seiner Emeritierung verließ er Kiel 1953 und ging nach München. Dort arbeitete er noch lange an einem Forschungsauftrag der Max-Planck-Gesellschaft, bevor er 80-jährig im Dezember 1964 starb. Die Kieler Universität würdigte ihn damals als eigenständige Persönlichkeit, die vom Geist christlicher Verantwortung geprägt war: ‚In den Zeiten der Diktatur bewies er in Wort und Handeln hohen persönlichen Mut. Nicht wenige Verfolgte verdanken ihm ihre Rettung‘“. Vgl. ebd. Das 1988 in Kiel von seiner Familie gegründete H. G. Creutzfeldt-Institut, „schreibt, dass Creutzfeldt Patienten vor Zugriffen der Gestapo oder des Kriegsgerichts, vor Sterilisation und Todesurteilen gerettet hat. Für eine endgültige Bewertung prüft das Kieler Klinikum derzeit die Krankenakten aus der Nazizeit“. Vgl. ebd. Als Resultat der genaueren Untersuchung der Rolle Creutzfeldts in der NS-Zeit sei auf Martin et al. verwiesen: „Seine

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gruppe Alois Alzheimers gearbeitet. Aufgrund der Beschreibung von sechs Erkrankungsfällen durch Creutzfeldt 1920296 und durch Jakob 1921297 wurde auf Walther Spielmeyers (1879–1935)298 Vorschlag hin, diese Neurodegeneration ab 1922 als Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung (CJD)299 bezeichnet.300 Die erste familiale CJD-Kasuistik stammt von Walter R. Kirschbaum (1894–1982)301 aus dem Jahr 1924.302 Meggendorfer konnte als erster die Erblichkeit der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung303 anhand einer komplexen Familienuntersuchung demonstrieren. Sechs Jahre

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Haltung zu den NS-Verbrechen gegen psychisch Kranke ist zwiespältig. Er lehnte Zwangssterilisationen in Pflichtgutachten nicht grundsätzlich ab und nahm in Kauf, dass chronisch Kranken, wenn sie zur Langzeitbehandlung unvermeidbar in Landeskrankenhäuser verlegt wurden, nach dem NS-‚Euthanasieprogramm‘ die Überführung in Tötungsanstalten drohte. Tatsächlich wurden von 605 aus seiner Klinik verlegten Patienten 135 deportiert, davon sind nachweislich 65, wahrscheinlich aber mehr als 100 Opfer der Krankenmorde geworden. […]. Nach dem Krieg enttarnte Creutzfeldt 1954 gegenüber Behördenkreisen den in Schleswig-Holstein unter dem falschen Namen ‚Dr. Fritz Sawade‘ als Gerichtsgutachter arbeitenden, ehemaligen medizinischen Leiter des ‚Euthanasie‘-programms Werner Heyde (1902–1964). Der Gerichtspräsident reichte Creutzfeldt das Schreiben zurück, ohne gegen Heyde vorzugehen. Letztlich schreckte Creutzfeldt davor zurück, gegen Heyde polizeilich Anzeige zu erstatten“. Vgl. Martin et al. (2016d), S. 50. Zur Heyde/Sawade-Affäre siehe ferner Godau-Schüttke (2001). Creutzfeldt (1920). Jakob (1921). Nach Hans Jacob (1907–1997) zeigte sich Walther Spielmeyer (1879–1935) unter anderem auch forensisch interessiert, was er auf den Einfluss Hoches zurückführt: „es mag der frühen Begegnung mit [Gustav] Aschaffenburg und dem Einfluss von Hoche zu verdanken sein, dass er – neben der Einführung in die Psychiatrie – auch eine solche in die forensische Psychiatrie las, eine Wissenschaft, an der sich die kritische Grundhaltung Spielmeyers besonders bewähren konnte“. Vgl. Jacob (1963), S. 32. Bei Laux und Möller liest man die Bezeichnung „Jacob-Creutzfeldt-Erkrankung“.Vgl. Laux/Möller (2011), S. 161. „Während seiner Tätigkeit in der Deutschen Forschungsgesellschaft für Psychiatrie in München publizierte [Creutzfeldt] 1920/21 ‚eine eigenartig herdförmige Erkrankung des Zentralnervensystems‘, für die Spielmeyer die Bezeichnung ‚Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung‘ vorschlug, nachdem A. Jakob einen gleichartigen Fall beschrieben hatte. Die damals beschriebenen Befunde haben noch heute ihre Gültigkeit und sind im Rahmen spongioformer Enzephalopathien aktuell im Gespräch“. Vgl. http://creutzfeldt-institut.com/arzt.php. Stand vom 12.12.2015. Vgl. Kirschbaum (1924). „Aus dem Laboratorium [Prof. Dr. A. Jakob] der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg-Friedrichsberg – Prof. Dr. Weygandt“. Vgl. ebd; Lebensdaten und Gesamtvornamen von Walter R. Kirschbaum unbekannt. Vgl. Gambetti et al. (2003), S. 227 Neben der familiären CJD-Form existieren weitere Entstehungstypen: „Die Creutzfeldt-JakobKrankheit (CJD) gehört zu den Prionerkrankungen [Prion= proteinaceous infectious particle]. Das Prionprotein ist ein vorwiegend auf Neuronen lokalisiertes Membranprotein, dessen Funktion noch unklar ist. Das Prionproteingen liegt beim Menschen auf Chromosom 20. Neben der häufigsten sporadischen Form unterscheidet man familiäre (10–15%) und iatrogene Formen sowie die ‚neue Variante‘ (vCJD). Diese wurde 1996 erstmalig in England beobachtet. Sie zeigt einen, im Vergleich zu den anderen Formen, mit durchschnittlich 1,5 Jahren etwas längeren Verlauf und abweichende neuropathologische Befunde und betrifft jüngere Patienten unter 40 Jahren. Im Gegensatz zur sporadischen Form wird angenommen, dass die neue Variante auf der Übertragung der bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) auf den Menschen beruht.

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nach Kirschbaums Kasuistik zeigte Meggendorfer 1930 anhand von genealogischen Untersuchungen klinische Auffälligkeiten bei sämtlichen Verwandten der von Kirschbaum beschriebenen Patienten. Bei einer Krankheit, deren „Ätiologie […] noch völlig ungeklärt [war]; [bewies] der eine von Meggendorfer erwähnte Fall […], dass die Krankheit auch auf heredo-degenerativer Grundlage entstehen kann“.304 Im Jahr vor der Veröffentlichung seiner „Klinische[n] und genealogische[n] Beobachtungen bei einem Fall von spastischer Pseudosklerose Jakobs“305 referierte Meggendorfer auf der 26. Jahresversammlung des Vereins Nordwestdeutscher Psychiater und Neurologen in Bremen am 19. und 20. Oktober 1929 zur Klinik der Pseudosklerose Jakobs: „Die Fälle von Jakobs Pseudosklerose wurden bisher klinisch nicht diagnostiziert. Immerhin habe ich bereits im Jahre 1921 einen Fall veröffentlicht,306 bei dem ich die Diagnose mit einiger

Das Erkrankungsalter der sporadischen Form der CJD liegt bei ca. 50 Jahren, mit einem Verlauf von ca. einem Jahr bis zum Tod. Die rasch progrediente Demenz ist somit nicht altersabhängig, und die Inzidenz scheint sogar oberhalb von 60 Jahren abzunehmen. Zu Beginn der Erkrankung stehen häufig eine Wesensänderung, Sehstörungen und zerebelläre Symptome im Vordergrund. Bei ausgeprägter Symptomatik im Verlauf der Erkrankung bestehen eine schwere Demenz, ein hypertones Syndrom, Myoklonien und Sprechstörungen. Bei der neuen Variante kommt es am Beginn der Symptomatik zu Verhaltensänderungen, depressiven Verstimmungen und Angst. Später entwickelt sich eine Ataxie und Demenz. Neben dem charakteristischen klinischen Bild kann das EEG mit Nachweis triphasischer Spike-Wave-Komplexe, die jedoch häufig erst spät im Verlauf beobachtet werden, zur Diagnosestellung beitragen. Das Protein 14–3–3, das vermutlich eine Rolle in der Signaltransduktion spielt, wird mittels Immunoblot im Liquor nachgewiesen. Diese Bestimmung hat eine diagnostische Sensitivität und Spezifität von über 90%. Im MRI [=Magnet Resonance Imaging] finden sich häufig hyperintense Areale im Bereich der Basalganglien. Neuropathologisch zeigen sich Prionablagerungen und eine Neurodegeneration, die sowohl die Pyramidenbahn als auch das extrapyramidale System betreffen. Der Nachweis einer partiellen Proteaseresistenz im Gehirngewebe ist charakteristisch“.Vgl. Maurer (2009), S. 54. „Abnorme Prionproteine führen zu einer zunehmenden Konfigurationsänderung der ‚normalen‘ Prionproteine von einer helikalen in eine beta-Faltblattstruktur. Die sich daraus bildenden Aggregate verursachen die neuropathologischen Veränderungen mit anschließendem Zelluntergang. Die familiären Formen zeigen Mutationen im Prion-Gen, bei den sporadischen Formen der CJD ist die Aminsäuresequenz zwar mit der des normalen Prions identisch, die Prionen weisen jedoch andere biochemische Eigenschaften auf. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 215. Siehe ferner Jansen/Monrad-Kohn (1938). 304 Jakob (1930b), S. 719. 305 Meggendorfer (1930a). 306 Meggendorfer zitierte hierzu „Zeitschrift für Neurologie (75); 204“. Der Band 75 des Jahres 1921 enthält keinen Beitrag Meggendorfers. Der von Meggendorfer zitierte Fall stellt vermutlich seine Beschreibung zur „[c]hronische[n] Encephalitis epidemica“, erschienen in der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 1922; 75: 189–220 dar. Vgl. Meggendorfer (1922b). Die Veröffentlichung selbst erfolgte erst 1922, doch bereits 1921 referierte Meggendorfer vor der Sitzung der Ärztlichen Vereinigung Hamburgs am 22.11. zur Postencephalitischen Paralysis agitans: „Vortr. berichtet unter Demonstration von Photogrammen über Fälle von Encephalitis epidemica, welche in das klinische Bild der Paralysis agitans übergehen. Er unterscheidet zwei Gruppen: a) diejenige, bei der die Encephailits zunächst ein schweres Krankheitsbild bietet, dann abheilt, unter Temperatursteigerungen rezidiviert und schließlich alle Übergänge aus der Chorea-Athetose zum parkinsonschen Bild bietet; b) leicht verlaufende

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Wahrscheinlichkeit stellte, und bei dem dann die Obduktion die Richtigkeit erwies. Sicher diagnostizieren konnte ich 1926 einen Fall, bei dem die Begleitumstände allerdings sehr günstig lagen. Es handelte sich um eine 46-jährige Frau“.307

An familienanamnestischen Hinweisen zu dieser 46-jährigen Patientin erwähnte Meggendorfer den Paralysetod des Großvaters sowie der sieben von insgesamt neun Geschwistern der Mutter. Letztere habe bei regelrechtem Pupillen- und Reflexstatus308 mit 54 Jahren Gedächtnisdefizite beklagt, sei 18 Monate später verstorben. Der ältere Bruder der Indexpatientin sei 44-jährig bei Gedächtnisschwäche, Schlaflosigkeit und Angstzuständen in Friedrichsberg behandelt worden. Bei optischen und akustischen Halluzinationen, ausgeprägter Merkfähigkeitsstörung und vierfacher Desorientierung, Artikulationsstörung, muskulärer Rigidität und Fehlen von Bauchdecken- und Cremasterreflexen habe man den Verdacht auf das Vorliegen einer Alzheimerschen Krankheit gestellt; nach viereinhalb Monaten sei es zum Exitus gekommen, die neuropathologische Analyse habe eine Jakobsche Pseudosklerose detektiert.309 In Bezug auf die 64-jährig erkrankte Indexpatientin selbst führte Meggendorfer aus, sie habe initial etwas zerstreut und vergesslich imponiert. „die Vergesslichkeit nahm aber schnell zu, so dass die Kranke auf die offene Station in Friedrichsberg aufgenommen wurde. Sie war örtlich und persönlich orientiert, zeitlich dagegen recht unsicher. Immerhin sprach sie noch korrekt deutsch, französisch und etwas polnisch, konnte auch Rechnungen richtig ausführen. Sie befand sich in einer dauernden ‚nervösen‘ Unruhe. Körperlich bot sie eine leichte artikulatorische Sprachstörung, Zittern der Zunge und der Hände, Rigidität der Muskulatur, lebhafte Sehenreflexe, Andeutung von Babinski,310 stampfenden Gang. Blut und Liquor waren vollkommen negativ. Der Zustand der Kranken verschlechterte sich sehr schnell“.311

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Encephalitiden mit allmählichem Übergang zur Paralysis agitans ohne stürmische Erscheinungen, ohne Temperatur. Anatomisch ist eine fortschreitende Parenchymdegeneration im Striatopallidum nachweisbar“. Vgl. Wohlwill (1922), S. 512. In der gleichen Sitzung demonstrierte auch Meggendorfers Kollege Jakob anhand von „Mikrophotogrammen die histologischen Veränderungen bei Encephalitis lethargica und ihren Übergängen in paralysis agitansartige Krankheitsbilder, bestehend in Verarmung der Ganglienzellen, zelliger Gliawucherung, Lymphocytenanhäufung um die Gefäße und Erweiterung der Gefäßlymphscheiden. Diese Veränderungen haben ihren Sitz im Pons, in den Vierhügeln, den basalen Stammganglien und der vorderen Zentralwindung. Die motorische Willensbahn bleibt intakt, das gibt einen Hinweis darauf, dass durch Übungstherapie diese Fälle günstig zu beeinflussen sind“. Vgl. ebd. Meggendorfer (1930h), S. 716. „René Descartes (1596–1650) war 1662 wahrscheinlich der Erste, der einen Reflex beschrieb. Der von ihm beschriebene Reflex war der Blinkreflex, der durch einen Luftstoß auf das offene Auge ausgelöst werden kann. Das Wort Reflex ist wahrscheinlich von Reflexion oder ‚réflexion‘ abgeleitet und verdeutlicht die Reaktion des Gehirns auf ein herannahendes Objekt. Descartes beschäftigte sich aber auch mit Reflexen aus philosophischer Sicht als unfreiwillige Handlungen von Lebewesen“. Vgl. Limmroth (2013), S. 271. „Der ältere Bruder […] der Kranken ist der von Kirschbaum […] veröffentlichte Fall P. Backer“. Vgl. Meggendorfer (1930a), S. 338. Joseph François Félix Babinski (1857–1932). „Beschreiber des nach ihm benannten Zehenzeichens, mit dessen Hilfe er organische Symptome von hysterischen zu unterscheiden suchte“. Vgl. Peters (2011), S. 63. Meggendorfer (1930h), S. 716–717.

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Drei Monate nach Krankenhausaufnahme habe die Indexpatientin weder ihren Vornamen noch den Beruf des Ehemannes angeben können; sie habe auf sämtliche Fragen „blöde gelacht“, wobei sie noch einigermaßen affektive Schwingungsfähigkeit aufgezeigt habe. „Bald versagten die sprachlichen Fähigkeiten ganz. Es traten schließlich choreiforme Zuckungen auf. Die Kranke wurde ganz hilflos und starb nach 7 Monaten. Die pathologisch-anatomische Untersuchung bestätigte die Diagnose Jakobsche Pseudosklerose […]. Der Fall ist deshalb bemerkenswert, weil er wohl der erste ist, bei dem die Diagnose zu Lebzeiten mit Sicherheit gestellt wurde. Die Heredität erwies sich dabei als ein wichtiger Hinweis. Dann ist der Fall auch eben wegen dieser Heredität von Bedeutung. Es handelt sich um eine durchaus gleichartige Vererbung, und zwar kommt kaum ein anderer als ein einfach dominanter Erbgang in Betracht. Bei den anderen bisher bekannten Fällen von Jakobscher Pseudosklerose konnte bisher eine Heredität nicht nachgewiesen werden; doch sind diese Fälle auch noch nicht genügend erforscht“.312

Seinen „Fall von spastischer Pseudosklerose Jakobs“313 schilderte Meggendorfer als „ein lehrreiches Beispiel dafür, dass die erbbiologische Beforschung einer Familie manchmal auch ein wertvolles diagnostisches und differentialdiagnostisches Hilfsmittel sein kann. So wertvoll aber im vorliegenden Falle die Berücksichtigung der Heredität auch war, so darf vorläufig die aus klinischen Gründen gestellte Diagnose doch nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil sich die gleichartige Heredität und die im Anschein nach direkte, einfach-dominante Vererbung nicht nachweisen lassen“.314

65 Jahre später bewiesen Kretzschmar et al., dass die von Meggendorfer beschriebenen „Backer“-Familienmitglieder allesamt Träger einer hereditären CJD-Form waren.315 Hatte Kirschbaum 1924 das erste Verdachtsmoment auf Familiarität der CJD geäußert, so lieferte Meggendorfer den Beweis für die Heredität der CJD anhand detaillierter genealogischer Forschung zur Familie Backer. Diese wissenschaftliche Leistung Meggendorfers wurde international zeitnah gewürdigt. So werden seine “Clinical and genealogical observations in a case of the spastic pseudosclerosis of Jakob” in der Bibliographie relevanten Schrifttums des XI. Bandes des “Journal of Neurology and Psychopathology” der “British Medical Association” aufgeführt.316 In Anbetracht dieser internationalen Anerkennung der Forschungsleistung Meggendorfers soll seine entsprechende Publikation zumindest partiell auch im direkten Wortlaut wiedergegeben werden: „Bereits im Jahre 1922 konnte ich einen Fall veröffentlichen,317 bei dem ich die Vermutung aussprach, es könnte sich um einen der Fälle handeln, wie sie kurz vorher Jakob auf Grund

312 Ebd. 313 Meggendorfer (1930a). 314 Ebd., S. 341. Diese Aussage Meggendorfers besitzt weiterhin eine partielle Gültigkeit; eine Untergruppe der CJD als Prionenerkrankung wird den hereditären Fällen zugeordnet. Siehe hierzu auch S. 74, Fn. 303. 315 Vgl. Kretzschmar et al. (1995), S. 96. 316 Vgl. Kinnier (1930/1931), S. 7 und S. 9. 317 Gemeint Meggendorfer (1922b).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang anatomischer Befunde als ‚spastische Pseudosklerose‘ beschrieben hatte. [...]. In der Folge traten zerfahrene Wahnideen318 auf; es entwickelten sich aber auch eine maskenartige Starre der Mimik, Haltungsanomalien, eigentümliche, ruckartige Bewegungen, Pro- und Retropulsionen bis zur völligen Unfähigkeit zu gehen und zu stehen; schließlich traten auch spastische Phänomene auf. Namentlich die allmählich in Erscheinung tretenden Bewegungsstörungen, die schließlich trotz erhaltener Beweglichkeit der Beine zur völligen Unfähigkeit zum Stehen und Gehen führte, dann auch das Nebeneinander von striären Symptomen und Pyramidenbahnzeichen, auch das Bestehen von psychischen Erscheinungen, alles das brachte mich zur Wahrscheinlichkeitsdiagnose ‚Jakobsche Pseudoklerose‘“.319

Die anatomische Untersuchung bestätigte die Verdachtsdiagnose Meggendorfers. Bezüglich der Ätiologie hatte er die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit der Encephalitis epidemica diskutiert, wobei die neuropathologischen Befunde keinen Anhalt für eine infektiöse Genese der Erkrankung liefern konnten.320 Meggendorfer betonte, dass sich die genealogische Forschung bei der Familie Backer verkompliziere „durch den Umstand, dass sie aus Flandern stammt, dass die Familienmitglieder zerstreut in Deutschland, in der Schweiz und in Polen leben und keine Beziehungen untereinander und zu den belgischen Verwandten mehr haben. Immerhin darf nach den vorhandenen Angaben mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die in der Familie gehäuft vorgekommenen schweren Erkrankungen des Zentralnervensystems einheitlicher Natur waren“.321

Zur Sozialanamnese der am 24.02.1880 geborenen Indexpatientin gab Meggendorfer an, sie sei eine gute Schülerin und bis 1925 immer gesund gewesen. Sie sei beruflich tätig gewesen als geschickte und geschätzte Verkäuferin in einem großen Mode- und Konfektionshause. Kinderlos – im Zustand nach mehreren Aborten – sei sie seit 1924 verwitwet. Zur Krankheitsvorgeschichte erfährt der Leser, Frau Backer sei bereits im Sommer und Herbst 1925 etwas zerstreut und vergesslich gewesen. Erstmalig eindringlich bewusst sei dies ihrer Umgebung an Weihnachten 1925 geworden, zumal sie zu einer Einladung mehrere Stunden zu spät gekommen sei und sich sonderbar benommen habe. Der von ihren Angehörigen zugezogene Arzt habe sie am 08.01.1926 unter Paralyseverdacht in Friedrichsberg eingewiesen. „Bei der Aufnahme hatte die Kranke eine gewisse Krankheitseinsicht; sei erklärte selbst, sie sei kurz von Gedanken, wisse im nächsten Moment nicht mehr, was sie gesagt habe. Sie war 318 Zur Bedeutung des Wahnbegriffs siehe ferner Hoff (2016). 319 Meggendorfer (1930a), S. 337. 320 Die ätiopathogenetische Überlegung bezüglich der infektiösen Genese sollte dennoch ihre Berechtigung haben: „Nota: Meldepflicht“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 70. „Die CJD [nämlich] kann auch iatrogen, z. B. durch kontaminierte Dura-mater-Implantate (z. B. nach Schädeltrepanation), durch intrazerebrale EEG-Elektroden oder kontaminierte Corneatransplantate übertragen werden. Für die iatrogenen Formen scheint es eine gewisse genetische Prädisposition zu geben. Die neue Variante der CJD (nvCJD) ist wahrscheinlich durch eine Infektion mit dem BSE-Erreger (bovine spongiforme Encephalopathie), einer Prionenerkrankung des Rindes bedingt. Bei den Patienten, die an einer nvCJD erkranken, findet sich immer ein bestimmter Genotypus (Homozygotie für Methionin im Genom des Prionproteins am Codon 129). […]. Die familiäre Form verläuft etwas langsamer als die sporadische Form“. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 215–216. 321 Meggendorfer (1930a), S. 338.

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persönlich und örtlich orientiert, zeitlich dagegen recht unsicher, berichtete auch von weiter zurückliegenden Ereignissen, als wären sie soeben erst geschehen. Andererseits konnte man tadellos ein Gespräch allgemeinen Inhalts mit ihr führen“.322

Meggendorfer betonte, die Untersuchung von Blut und Liquor habe blande Ergebnisse einschließlich Eiweiß- und Zellvermehrung sowie Mastix- und Paraffinreaktion ergeben. Auffallend sei in der Folge die zunächst heitere Stimmung der Kranken gewesen. So habe sie auf Befragen stets angegeben, es gehe ihr gut. Sie habe bei sämtlichen Vorgängen im Krankensaal ein lebhaftes Interesse an ihrer Umgebung gezeigt; gemütlich sei sie sehr erregbar gewesen, infolgedessen habe sie Herzklopfen bekommen – selbst bei Vorkommnissen im Saal, die sie in keiner Weise betrafen. „Der Zustand der Kranken verschlechterte sich sehr schnell. Nach 3 Monaten war eine deutliche Demenz festzustellen; immerhin erschien sie gemütlich besser ansprechbar. Körperlich fiel besonders eine mimische Starre des Gesichts auf. Die Sprache wurde immer schlechter; es zeigte sich immer mehr Häsitieren und Tremolieren, dann ein an Logoklonie erinnerndes Stottern. Dabei haftete die Kranke an einem zuerst gesprochenen Wort oder verschmolz dieses mit einem kommenden, etwa statt Sonnabend: ‚Donnerstagabend‘ oder ‚Donnersonnabend‘. Beim Sprechen war lebhaftes Zittern und Bebern [sic] um den Mund zu bemerken. Ferner bildete sich immer mehr eine zunehmende Rigidität der unteren, weniger der oberen Extremitäten aus. Es waren erschöpfbare Kloni auszulösen. Babinski und Oppenheim323 waren positiv. Die rechten oberen und mittleren Bauchdeckenreflexe waren nicht auszulösen. Der Gang war unbeholfen, zunächst ataktisch; Mitbewegungen der Hände waren dabei nicht vorhanden. Es schien dann eine Zeitlang eine gewisse Besserung einzusetzen, namentlich hinsichtlich der Sprache. Aber langsam verschlechterte sich der Zustand weiter“.324

Eines Tages habe die Kranke weder Bett noch Abort finden können, so dass sie in einen Pantoffel uriniert und mitten im Saal defäkiert habe. „Anfang Juli, also nach 6-monatigem Krankenhausaufenthalt, war die Kranke in einem Zustande hochgradiger Demenz. Trat man an ihr Bett, so lachte sie. Das Lachen machte den Eindruck von Zwangslachen; seltener hatte die Kranke auch Zwangsweinen. Sie verstand offenbar nicht mehr das, was man ihr sagte, sie beobachtete aber anscheinend den Sprechenden aufmerksam. Es traten immer mehr kurze Zuckungen, dann choreatische Bewegungen im Gesicht, in den Händen, Armen und Beinen auf. Fasste man die Extremitäten an oder suchte sie passiv zu bewegen, so trat sofort eine Muskelspannung ein. Dabei war die Kranke vollkommen hilflos“.325

322 Ebd., S. 339. 323 Zu Hermann Oppenheim siehe ferner Holdorff (1998), Gijn (2004) und Pech/Schmiedebach (2008). Zu Oppenheims „tiefe[r] Verwurzelung in der jüdischen Tradition“ siehe Färber et al. (2016), S. 1100. 324 Meggendorfer (1930a), S. 339–340. 325 Ebd., S. 340.

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Abb. 15: „Frau Backers Muskelanspannung bei passiver Bewegung der Extremitäten“326

Frau Backer verstarb am 23.07.1926 infolge einer Bronchopneumonie. Die neuropathologische Analyse zeigte das Bild einer Jakobschen Pseudosklerose. Als typische Klinik der CJD fasste Meggendorfer zusammen, dass sich „aus anfänglichen neurasthenieähnlichen Beschwerden […] ein schweres Krankheitsbild [entwickelte], so dass man zunächst an eine Paralyse dachte, zumal Pyramidenbahnzeichen vorhanden waren. Dann traten striäre Erscheinungen auf. Während in anderen Fällen sich gleichzeitig eine Halluzinose mit Verfolgungsideen ausbildete, die in einen mehr oder weniger deutlichen amnestischen Symptomenkomplex ausging, trat hier das amnestische Syndrom schon früh auf und ging in einen Zustand schwerster Demenz und vollkommener Hilflosigkeit aus, wobei die gemütliche Ansprechbarkeit noch verhältnismäßig lange erhalten blieb. Wir haben also auch hier die Trias der Symptome: extrapyramidale striäre, thalamische und pallidäre Erscheinungen, Pyramidenbahnzeichen und psychische Störungen. Die Symptome, ihre Verknüpfung, ihre Entwicklung und ihr Verlauf geben der Erkrankung ein durchaus kennzeichnendes Gepräge. Die Diagnose wird sich in Zukunft auch rein klinisch nach differentialdiagnostischer Berücksichtigung von Paralyse, Postencephalitis, Schizophrenie und Alzheimerscher Krankheit stellen lassen“.327

Auch Meggendorfers Arbeit zu Chorea Huntington328 an der Friedrichsberger Genealogischen Abteilung entstand in Zusammenarbeit mit der Gehirnanatomischen Abteilung unter Alfons Jakob, der Serologisch-Bakteriologischen Abteilung unter Viktor Kafka329 und der Experimentalpsychologischen Abteilung unter Ernst Rittershaus. Die Huntingtonsche Chorea spiegelt demnach die Relevanz der Kooperation der unterschiedlichen Abteilungen der Friedrichsberger Anstalt par excellence wider, denn die psychopathologischen Auffälligkeiten bei der Huntingtonschen Chorea sind – wie Meggendorfer 1923 ausführte –

326 Ebd. 327 Ebd., S. 341. 328 “The last quarter of the 19th century is marked by the works of Jean-Martin Charcot [1825– 1893], Silas Weir Mitchell [1829–1914], William Osler [1849–1919], and William Richard Gowers [1845–1915], all of paramount importance in the refinement of the definition of chorea, its causes, and differential diagnosis. In 1841, Charles Oscar Waters gave a concise account of a syndrome, likely to be Huntington’s disease (HD), later described further by George Huntington (1850–1916) and named after him”. Vgl. Vale/Cardoso (2015), Abstract. Siehe ferner Huntington (1872) und Lanska (2000). 329 Siehe hierzu Kafka (1928) und (1930).

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„für den Psychiater vor allem deshalb von hervorragendem Interesse, weil es sich hier um einen durch klinische, erbbiologische330 und anatomische Gesichtspunkte von äußerlich ähnlichen Bildern gut abgrenzbaren einheitlichen Krankheitsprozess handelt, wie wir ihm sonst nur selten in der Psychiatrie begegnen“.331

Den „Huntington-Fällen“ Meggendorfers soll zur besseren klinischen Einordnung ein entsprechender Auszug aus einem aktuellen Lehrbuch vorangestellt werden: „Die Chorea Huntington (Syn. Veitstanz, Chorea major) ist eine autosomal-dominante Erkrankung (vollständige Penetranz, variable Expressivität) mit distal betonten Hyperkinesien, variablen Basalgangliensymptomen und im Verlauf zunehmenden psychischen Veränderungen bis zur Demenz. […]. Der Genort liegt in über 95% der Fälle auf dem Chromosom 4. Dabei handelt es sich um eine pathologische Wiederholung des Basenpaares CAG im sog. Huntingtin-Gen. Bei Gesunden liegt das CAG-Triplett in max. 35 Kopien vor, bei Patienten mit Chorea Huntington manchmal in bis zu 250 Kopien. In der Folge entsteht ein pathologisches Huntingtin-Protein mit einem zu großen Polyglutaminanteil. Ein normales Huntingtinprotein scheint das Apoptoseprogramm (= programmierter Selbsttod) der Nervenzelle zu blockieren und einen Nervenwachstumsfaktor zu stimulieren. Normale und pathologische Huntingtinproteine können sich zusammenlagern; die normalen Huntingtin-Proteine stehen dann der Zelle nicht mehr

330 „Ein weiterer Gesichtspunkt, der hier vielleicht mit Nutzen herangezogen werden kann, ist die von V[alentin] Haecker [1864–1927] zuerst ausgesprochene und begründete entwicklungsgeschichtliche Vererbungsregel. Darnach weisen alle Merkmale mit einfacher, ausgesprochen autonomer Entwicklung klare Spaltungsverhältnisse im Erbgang auf, während Merkmale mit komplex-verursachter Entwicklung größere und kleinere Abweichungen vom Mendelschen Schema zeigen. Bei Krankheiten scheint eine regelmäßige Vererbung neben anderen als ‚einfach‘ anzusprechenden Bedingungen namentlich dann vorzukommen, wenn sich die Krankheit auf ein Organ oder einen Organteil beschränkt. So ist nach Haecker bei Anomalien des endokrinen Systems dessen Komplexität als Grund für die Unübersichtlichkeit der Erblichkeitsverhältnisse anzusehen, während bei erblicher Minderwertigkeit einer einzelnen Drüse auch Fälle mit strenger und gleichartiger Vererbung vorkommen. Bei Erkrankungen des Nervensystems begegnen wir einer regelmäßigen Übertragungsweise gerade bei abiotrophischen Erkrankungen bestimmter systematisch zusammenhängender Bahnen und Zentren, so bei der Friedreichschen und Marieschen Krankheit. Umgekehrt könnte man schließen: Erkrankungen, die einem einfachen Mendelschen Erbgang folgen, sind einfach verursacht. Wenn diese Regel richtig ist, wofür ja manches zu sprechen scheint, dürfen wir annehmen, dass die Huntingtonsche Chorea einfach verursacht ist; denn diese Erkrankung folgt einem so klaren Erbgang, wie wir ihn sonst nur bei wenigen Erkrankungen beobachten. Wir dürfen ferner annehmen, dass auch die Huntingtonsche Chorea eine Erkrankung systematisch zusammenhängender Zentren, nämlich des Striatum und der unteren Rindenschichten ist“. Vgl. Meggendorfer (1923), S. 36–37. Siehe ferner: Haecker (1914). Zu Nikolaus Friedreich (1825–1882), Begründer des Pathologischen Institutes der Universität Heidelberg, Ideengeber für die Errichtung eines eigenen Lehrstuhles für Psychiatrie in Heidelberg und Namensgeber der nach ihm benannten Form der spino-cerbellären Heredodegeneration, vgl. Kreuter (1996), S. 406–407. Weiterführend zu Pierre Marie (1853–1940) und der nach ihm benannten Erkrankung: “The term gigantism refers to the childhood form of this disease. Onset usually between 30 and 40 years of age. […]. Many descriptions preceded those of Marie (1886) who first correlated the clinical and pathological findings. […] Probably first described in 1801 by Nicolas Saucerotte (1741–1814), described in 1883 by Friedrich Daniel von Recklinghausen (1833–1910), in 1884 by Chr. F. Fritsche and Theodor Albrecht Edwin Klebs (1834–1913); Pierre Marie in 1886”. Vgl. http://www.whonamedit.com/synd.cfm/287.html. Stand vom 15.07.2016. Siehe ferner Marie (1886). 331 Meggendorfer (1923), S. 1.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang zur Verfügung, so dass es zu einer beschleunigten Apoptose kommt. […]. Aufgrund der fehlenden Hemmung der striatalen Neuronenaktivität kommt es zu Hyperkinesien, die typischerweise im Schlaf sistieren. Oft sind die Basalganglien in ihrer Gesamtheit betroffen, so dass ein Mischbild mit Hyperkinesien, parkinsonähnlichen332 Symptomen oder Dystonie resultiert. Die choreatischen Bewegungsstörungen können im Verlauf der Erkrankung sogar wieder abnehmen! Es dominiert dann evtl. ein reines Parkinson- oder Dystoniebild […]. Weitere Leitsymptome sind eine frühzeitig auftretende Wesensänderung (oft Jahre vor Auftreten der Hyperkinesien) mit Dysphorie und persönlicher Vernachlässigung bis hin zu vermehrter Straffälligkeit. Weiterhin zeigen sich im Verlauf Zeichen einer vorwiegend subkortikalen Demenz. Fakultativ treten psychiatrische Symptome v.a. aus dem depressiven, manchmal aber auch aus dem schizophrenen Formenkreis auf. Dies hat zu der Bezeichnung ‚Choreophrenie‘ geführt“.333

Rüdin würdigte die Arbeit Meggendorfers zu Chorea Huntington als „auch […] praktisch so wichtige Bemühung[], die Heterozygotie der Erbchoreatiker-Kinder334 rechtzeitig zu erkennen“.335 Hiermit antizipierte Rüdin ein gegenwärtig weiterhin aktuelles Forschungsdesiderat.336 Meggendorfer hatte sein Forschungsziel 1923 folgendermaßen formuliert: „Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Huntingtonsche Chorea meist erst jenseits des durchschnittlichen Heiratsalters in Erscheinung tritt. Es käme deshalb hier darauf an, die Träger der krankhaften Erbanlage möglichst frühzeitig zu erkennen“.337

Gerade seine Chorea Huntington-Studien führten Meggendorfer besonders eindrücklich das fatale Dilemma von Erbgut einerseits und therapeutischer Ausweglosigkeit andererseits vor Augen:

332 Siehe ferner Berg (2017). 333 Gerlach/Bickel (2009), S. 170. 334 „Heterozygotie“ meint in diesem Fall, dass nicht das gesunde elterliche Allel, sondern das Kranke vererbt wurde, d. h. das Kind ist Mutationsträger und wird somit früher oder später manifest erkranken. 335 Rüdin (1940), S. 209. „Rechtzeitig“ im Sinne von „vor erneuter Reproduktion“. Aufgrund der relativ späten Erkrankungsmanifestation kommt der Selektionsvorteil nicht zum Tragen, so dass die Chorea Huntington – verglichen mit anderen autosomal-dominanten Erkrankungen – relativ häufig vorkommt. Der UK-Genetiker John Burdon Sanderson Haldane (1892–1964) machte in den 1940er Jahren „noch eine weitere einfallsreiche Feststellung. Er erkannte, dass der hartnäckige Fortbestand der Huntington-Mutation ein neues evolutionäres Prinzip enthüllt: Die Kraft, mit der die natürliche Selektion Mutationen mit schädlichen Wirkungen aus der Population entfernt, nimmt mit zunehmendem Alter ab. […]. Theoretisch kann dieser Effekt den Alterungsprozess erklären“. Vgl. Gems (2009), S. 30. 336 “For example, our data suggest that in a cohort of individuals age 26 with a Unified Huntington’s Disease Rating Scale (UHDRS) motor score of 7–10, 70% of them will carry the HD mutation. For individuals age 56, the same motor score suggests only a 40% chance of carrying the mutation. Early motor signs of HD, overall and the chorea subscore, were highly predictive of disease onset at any age. However, body mass index (BMI) and cognitive performance scores were not as highly predictive. These results suggest that if researchers or clinicians are looking for early clues of HD, it may be more foretelling to look at motor rather than cognitive signs. Application of similar approaches could be used with other adult-onset genetic conditions”. Vgl. Oster et al. (2015), Abstract. 337 Meggendorfer (1923), S. 44.

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„Bekanntlich ist die Therapie der Huntingtonschen Chorea338 vollkommen machtlos. Das einzige, was man hier tun kann, ist die Prophylaxe, nämlich die Verhinderung der Vermehrung von Nachkommen Huntingtonkranker. Die Erkrankung gehört zu den Erbkrankheiten, deren Erbgang genau bekannt ist. Wenn wir schon eine obligatorische ärztliche Eheberatung hätten, wäre gewiss bei Mitgliedern dieser Familien eine Verweigerung der Heiratserlaubnis angezeigt“.339

338 Meggendorfer erstattete „[a]uf Ersuchen des Herrn Vorsitzenden des Genossenschaftsvorstandes der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Niederbayern-Oberpfalz in Landshut“ ein Gutachten bei unfallsversicherungsrechtlicher Fragestellung zu der von 11.02.1935– 06.03.1935 untersuchten choreatiform erkrankten F. M.: : „[…] Die Zunge kann gerade vorgestreckt werden, sie wird allerdings auf Aufforderung bald extrem nach rechts, bald nach links vorgestreckt. Im Gesicht bemerkt man dauernd lebhafte Zuckungen, besonders auf der linken Seite. Immer wieder wird der linke Mundwinkel in die Höhe gezogen, sodass die ganze Gesichtshaut der linken Seite verzerrt wird, gleichzeitig wird das linke Auge zugekniffen. Auch die Hautmuskulatur des Halses (Platysma) nimmt an den Zuckungen teil. Bei Hinlenkung der Aufmerksamkeit nehmen die Zuckungen an Häufigkeit, Stärke und Ausdehnung zu, greifen auch auf die rechte Gesichtsseite über. Es werden in der Minute etwa 70 Zuckungen ausgeführt. […]. Die Untersuchungen und Beobachtungen haben ergeben, dass die Untersuchte ein eigentümliches Zucken im Gesicht hat, das organischen Charakter trägt, wenn es auch bei Hinlenkung der Aufmerksamkeit erheblich verstärkt wird. Es sind aber hier Muskelgruppen befallen, die willkürlich in dieser Weise gar nicht innerviert werden können. Ausserdem besteht eine ziemlich hochgradige geistige Schwäche. Das Bild, das hier festgestellt wird, erinnert stark an die Huntington’sche Chorea, wenn es auch nicht in allen Punkten typisch ist. Auf jeden Fall gehört es in die gleiche Krankheitsgruppe wie die Huntington’sche Chorea. Dieser Krankheitszustand hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt, während sie früher anlässlich der Begutachtung in [sic] Jahre 1926 und 1928 noch keine Hinweise dafür finden. Es ist auch in keiner Weise einzusehen, wie die jetzt bestehende Erkrankung mit dem im Jahre 1924 erlittenen Unfall zusammenhängen könnte. Die Huntington’sche Chorea oder der erbliche Veitstanz, zu dem das hier vorliegende Krankheitsbild offenbar gehört, ist keine Folge von äusseren Schädigungen, sondern entwickelt sich meist im Alter zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr auf Grund vererbter Anlagen. […]“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/18. 339 Meggendorfer (1923), S. 43. Rittershaus zog 1924 eine Testung auf Kokainunverträglichkeit zur Detektion von Huntingtin-Genträgern in Betracht: „Einige Erwägungen allgemeinerer Art ließen sich vielleicht noch anknüpfen. Einmal die natürlich zunächst noch sehr hypothetische Vermutung, ob wir es hier vielleicht mit dem Beginn einer Huntingtonfamilie zu tun haben. Trotz aller Erblichkeitsforschung muss man doch annehmen, dass jeder Huntington-Stammbaum schließlich irgendwo einmal anfängt, selbst wenn es praktisch möglich wäre, den Stammbaum jeder einzelnen Familie über Jahrhunderte hin zu verfolgen. Es wäre nun wohl denkbar – mehr kann natürlich nicht gesagt werden, – dass bei einer derartigen konvergierenden Belastung mit einer Schwäche des striären Systems, einer Schwäche, die sich hier in dieser spezifischen Kokain-Intoleranz manifestierte, schließlich sich diese Tendenz befestigte, und so eine Huntingtonfamilie entstünde. Auch wenn sich diese Vermutung in dem vorliegenden Falle nicht bestätigen sollte, was natürlich erst nach vielen Jahren festzustellen wäre, so könnte man doch noch eine andere Erwägung hier anstellen. Möglicherweise hätte man in dem Kokain ein Mittel an der Hand, durch Prüfung einer etwaigen Kokain-Intoleranz in der Deszendenz von Huntingtonerkrankten diejenigen Personen schon frühzeitig auszusondern, die evt. Gefahr laufen, in höherem Alter an jener Choreaform zu erkranken, bei der Frage einer Eheberatung ein vielleicht nicht ganz zweckloses Mittel. Auf das Problem der Huntingtonnachkommen hat ja auch Meggendorfer kürzlich erst aufmerksam gemacht“. Vgl. Rittershaus (1924), S. 424, siehe ferner Meggendorfer (1923).

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Die aktuelle gendiagnostische Prädiktionsmöglichkeit der Huntingtonschen Erkrankung bedingt folgende Denkanstösse von Christiane Lohkamp, Mitglied des Nationalen Ethikrates und einstige Vorsitzende der Deutschen Huntington-Hilfe und der International Huntington Association: „[…]. Die prädiktive molekulargenetische Diagnostik beendet die[] Ungewissheit. Ein positives Ergebnis kann eine Herausforderung sein. Die Zweifel um [den] Gen-Status gibt es nicht mehr, aber sie werden durch andere Fragen ersetzt“.340

Diese sogenannten „anderen Fragen“ weiten die Blickperspektive auf die Debatte um den ärztlich assistierten Suizid. In diesem Kontext steht eine historische Darstellung Berthold Kihns (1895–1964) im Sinne einer Typologie des Umgangs mit „Euthanasie“.341 Meggendorfers Forschungen zur frühzeitigen Detektion der Prodromalhuntington-Erkrankten beruhten auf einer engen Kooperation zur gehirnanatomischen Abteilung unter Alfons Jakob, zur Serologisch-Bakteriologischen Abteilung unter Viktor Kafka und zur experimentalpsychologischen Abteilung unter Ernst Rittershaus.342 Gerade die experimentalpsychologischen Ergebnisse ließen Meggendorfer 340 Lohkamp, zit. n. http://www.huntington-hilfe.de/?newwpID=29667&MttgSession= 4215ea26bf128d63cf1d90ede050729d Stand vom 04.05.2016. „Molekulargenetische Diagnostik bei Chorea Huntington – Prinzipien der Durchführung. Bei klinisch Gesunden (prädiktive Testung): Volljährigkeit, Freiwilligkeit, Ausführliche humangenetische Beratung, Psychotherapeutische Betreuung während und nach der Testung, Bedenkzeit vor der Ergebnismitteilung von mindestens 1 Monat, Ergebnismitteilung mit Humangenetiker, Risikoperson und Psychotherapeut. Das Ergebnis wird nur mitgeteilt, wenn alle 3 Personen damit einverstanden sind. Bei Kranken (differentialdiagnostische Testung): Solange der Patient einwilligungsfähig ist, informierte und freiwillige Entscheidung. Empfehlung einer humangenetischen Beratung. Ergebnismitteilung durch einen Nervenarzt“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 66. 341 Vgl. Braun et al. (2015). 342 „Bei der gewöhnlichen Untersuchung ergaben sich keine Anhaltspunkte für agnostische, aphasische und apraktische Störungen, und auch die psychologische Untersuchung ergab gelegentlich der Assoziations-, Auffassungs- usw. Versuche keinerlei Hinweise darauf. Die Sprache war langsam, schwerfällig, leise, unverständlich. Der Kranke beurteilte seine Krankheit annähernd richtig. Er war vollkommen klar, örtlich und zeitlich durchaus orientiert. Die Auffassung erwies sich als gering. Immerhin war sie wesentlich besser als bei den anderen Kranken dieser Gruppe. Der Spontanbericht war verhältnismäßig gut. Die mittels der Bourdonschen Probe vorgenommene Prüfung der Aufmerksamkeit ergab anfangs mittlere, später ziemlich lange Zeiten für das Ausstreichen bestimmter Buchstaben einer Zeile, dabei recht deutliche Schwankungen. Die Ablenkbarkeit erwies sich als ziemlich groß. Trotz der langen Zeiten machte der Kranke viele Fehler. Der Assoziationsversuch zeigte außerordentlich lange, aber trotzdem stark schwankende Reaktionszeiten. Unter den Reaktionen fanden sich viele ‚formale Perseverationen‘, z. B. Ziege – ‚Ziegenstall‘, Seide – ‚Seidenfaden‘, Urlaub – ‚Urlaubsferien‘, Pinsel – ‚Pinselstiel‘, Vorteil – ‚Vorteilskraft‘, Müller – ‚Müllwerdamm‘ [sic], Baum – ‚Baumstrauch‘ [sic]. Wie die Beispiele zeigen, sind die Wortzusammensetzungen vielfach recht gezwungen. Bei Wiederholung der gleichen Reihe wurden in 80% die gleichen Reaktionen wiederholt. Die sonstige Prüfung der Merkfähigkeit ergab besonders Herabsetzung der akustischen Merkfähigkeit, weniger der optischen. Die Schulkenntnisse Vorsters waren leidlich gut. Die eigentlichen Intelligenzaufgaben wurden im Ganzen sehr langsam, aber richtig gelöst“. Vgl. Meggendorfer (1923), S. 10–13. Zum Pseudonym „Vorster“ siehe S. 85 und S. 86, Fn. 351.

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1923 die psychischen Störungen bei manifester Chorea Huntington343 beschreiben als „Beeinträchtigung des Erkennens, des Benennens, der Aufmerksamkeit, der Merkfähigkeit, der Verfügung über den Vorstellungsschatz, der geistigen Regsamkeit, Ausfälle, die zu einer Einengung des geistigen Horizonts und zur Unfähigkeit des selbstständigen Urteils führen“.344 Die reduzierte Einsichtsfähigkeit einer HD-Prodromalgruppe wurde aktuell betont im Rahmen einer Studie, publiziert im American Journal of Psychiatry.345 Als Resultat seiner Friedrichsberger laboratorienübergreifenden Studien schlussfolgerte Meggendorfer: „Die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind: Die Huntingtonsche Chorea entwickelt sich auf der Grundlage einer allgemeinen Minderwertigkeit des Zentralnervensystems, die sich äußert in Erregbarkeit, Reizbarkeit, geschlechtlichen und alkoholischen Ausschweifungen und asozialen Verhalten. Lassen sich bei Nachkommen von Huntingtonkranken diese Züge oder auch nur einzelne davon nachweisen, so kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie Träger der Anlage zur Krankheit sind. […]. Die […] psychischen Störungen lassen sich zurückführen teils auf Erschwerung und Aufhebung der Verknüpfung psychischer Elemente, deren Substrat hauptsächlich in den tieferen Rindenschichten zu suchen ist, teils auch auf die Bewegungsstörung, die im Striatum zu lokalisieren ist. Es ist aber nicht möglich, diese beiden Grundstörungen, deren Substrate wahrscheinlich ein zusammengehöriges Hirnsystem betreffen, scharf voneinander abzugrenzen“.346

In ihrer aktuellen Studie betonen Epping et al., die Assoziation zwischen CAGrepeats-Anzahl und Erkrankungsalter sei bereits seit einiger Zeit bekannt, wohingegen eine signifikante unerklärte Variabilität in Präsentation und Schweregrad insbesondere der psychiatrischen Manifestation bestehe. Zu dieser Variablität hatte bereits Meggendorfer geforscht. So betonte Meggendorfer, der pseudonymisierte Bernhard Vorster347 benötige zwar lange Zeit zur Reflexion im Sinne einer Ver-

343 Das Schreiben Meggendorfers an den Feldwebel G., „Feldp.Nr. 00611“ enthält eine Chorea Huntington-Angehörigen-Information: „Sehr geehrter Herr G.! Auf Ihre Anfrage vom 25.2.1944 muss ich Ihnen mitteilen, dass bei Ihrer Mutter, Frau G. B. aus Kronach ein schweres Leiden, die sogenannte Huntingtonsche Chorea oder erblicher Veitstanz vorliegt. Aus dieser Diagnose ergibt sich schon die Beantwortung der mir vorgelegten Fragen. Es haben keine äusseren Umstände zur Erkrankung geführt, sondern die Erbverfassung. Die Krankheit ist nicht heilbar, wohl aber ist eine gewisse Besserung möglich. Auch bei Ihrer Mutter ist bereits eine gewisse Besserung eingetreten. Die Krankheit ist eine Erbkrankheit; es erkranken aber nicht alle Nachkommen an ihr, sondern nur etwa die Hälfte der Kinder“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 121/28. 344 Meggendorfer (1923), S. 49. 345 Vgl. Epping et al. (2016). „Ergebnisse der Eigen- vs. Fremdbeurteilung psychiatrischer Parameter weisen auf eine abnehmende Einsichtsfähigkeit der Huntingtin-Genmutationsträger hin, je näher der Zeitpunkt der motorischen Konversion rückt. Umso größere Relevanz kommt dem Einholen von Fremdbeurteilung zu bei der Beurteilung der psychiatrischen Symptome in Prodromal-Huntington-Erkrankten“. Vgl. Braun/Kornhuber (2016b). 346 Meggendorfer (1923), S. 49. 347 Dank an dieser Stelle an Dr. med. Kai Sammet vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Hamburg-Eppendorf für seinen Vortrag im Rahmen der DGGN-Tagung 2015. Vgl. Sammet, K. „Hannimaus beim Skat im Bilde: Friedrich Meggendorfer, Chorea Huntington,

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langsamung der Verknüpfung der einzelnen Gedanken beim Skat-Spielen, die Logik der gedanklichen Verknüpfungen sei jedoch nicht beeinträchtigt.348 Anhand des Bernhard Vorster349 (03.03.1863–22.11.1922) zeigte Meggendorfer die interindividuelle Spannbreite der Symptomenmanifestation der Huntingonschen Chorea. Er konnte demnach im darauffolgenden Jahr schlussfolgern, es gebe „also Huntingtonfälle mit und ohne Chorea, mit und ohne Versteifung, mit psychischen Störungen und ohne solche, bzw. nur geringfügigen, sowie die verschiedensten Mischungen und Übergänge dieser Störungen“.350

Zusätzlich zu den fünf eigenständig beobachteten Krankenfällen bezog Meggendorfer als Ergänzung „die Krankengeschichten einer Reihe sicherer Fälle, teils Verwandter unserer Kranken, teils früher in unserer Anstalt beobachteter Kranken“351

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Anatomie, Experimentalpsychologie und Vererbungsforschung in Hamburg-Friedrichsberg um 1925“. Vortrag auf 25. Jahrestagung der DGGN. Würzburg, 02.10.2015, Vortrag veröffentlicht als Sammet (2016b). „Der Kranke spielte auch recht gut ‚Dame‘, leidlich ‚Skat‘. Er brauchte aber lange zum Nachdenken, weshalb die anderen Kranken nicht gerne mit ihm spielten. Beim fortlaufenden Addieren war die absolute Leistung wesentlich unter der Norm; die Schwankungen waren ziemlich groß, die Ermüdbarkeit schien aber nicht besonders groß zu sein. […]. Man sagte, er […] lasse beim Spiel den schwächeren Gegner gewinnen, um ihm das Spiel nicht zu verleiden. Vielleicht geschah das aber auch aus anderen Motiven“. Vgl. Meggendorfer (1923), S. 10–13. Meggendorfers fünfter Chorea-Fall entspricht dem zweiten Fall aus Jakobs Monographie zu extrapyramidal-motorischen Erkrankungen: „Neben der echten choreatischen Unruhe konnte man auch häufig Parakinesen (Greifen nach dem Gesicht, Mundwischen u. dgl.) beobachten und nicht selten machte der Kranke mehr den Eindruck eines ‚zappeligen‘, nervösen Menschen mit zahlreichen Reaktivbewegungen als den eines Choreatikers. Der Muskeltonus zeigt keine besonderen Abweichungen, zeitweise ist eine gewisse Hypotonie deutlich. Sonst sind keine körperlichen Anomalien nachzuweisen. Ebenso […] [ist] die choreatische Bewegungsstörung eine dem Grade nach sehr wenig ausgesprochene […], so dass sich der Kranke mit kleineren Arbeiten fleißig und gut beschäftigen, auch z. B. Karten spielen kann […]. [D]er Kranke stirbt 8 Monate nach der Krankenhausaufnahme, also nicht ganz 2 Jahre nach deutlichem Ausbruch des Leidens, an einem Erysipel. Anatomische Untersuchung: […]. Das Gehirn, das 2 Stunden nach dem Tode seziert wurde, bot normalen Windungstypus mit nur angedeuteten Windungsverschmälerungen (Hirngewicht 1270g, Dura 60g, Schädelinhalt 1420ccm, Hypophysengewicht 0,5g). Auf Frontalschnitten durch das Gehirn zeigt sich eine deutliche Erweiterung der Seitenventrikel mit Schrumpfung des Caudatum und Putamen um ungefähr ein Drittel des gewöhnlichen Volumens. Sonst sind makroskopisch keine Veränderungen festzustellen. […]. Durchaus charakteristische und schwere architektonische und histologische Veränderungen bietet das ganze Striatum. […]. Ab und zu begegnet man auch diffusen Anfärbungen der Ganglienzellfortsätze, die dann in abnormer Weise weithin sichtbar sind. Gerade auf letztere Erscheinung hat F. H. Lewy hingewiesen. […] [D]ie Entartung der drei untersten Rindenschichten und der inneren Körnerschicht [muss] als im gewissen Sinne pathognomonisch für die Huntingtonsche Chorea angesehen werden […]. Ich betone die Übereinstimmung mit ähnlichen Befunden C[écile] [1875–1963] und O[skar] Vogts [1870–1959]“. Vgl. Jakob (1923), S. 61–66. Zu den Vogts empfehlenswert ferner Satzinger (1998), Gijn (2003) und Hagner (2003). Meggendorfer (1924), S. 660. Ders. (1923), S. 13. Den ersten der fünf von Seiten Meggendorfers direkt klinisch untersuchten und in seiner Publikation vorgestellten Patienten, Max Kramer, versah Meggendorfer mit folgender Fußnote: „Deckname; für die wissenschaftliche Forschung ist der Namensschlüssel in

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ein. Anhand der Krankengeschichte der Johanna Frühling352 analysierte Meggendorfer unter anderem das Phänomen der Wahrnehmungsstörung im Sinne von „Lebhaftwerden von Erinnerungsbildern“353 bei Chorea Huntington. Die pseudonymisierte Johanna Frühling lief „[m]anchmal […] ans offene Klosettfenster und rief ‚Emil, Emil‘ hinaus. Auf Befragen gab sie an, Emil sei ihr ‚Verlobter‘. Sie habe ihn weder gesehen noch gehört, habe nur so ein Verlangen nach ihm gehabt. Danach sprach sie wieder vor sich hin: ‚Mein lieber guter Emil, bring mir doch den Ring her; ich will auch stets die Deine sein‘. Oder: ‚Ich bin verlobt mit meinem lieben Emil, will mich in den nächsten Tagen mit ihm verheiraten. Ich will doch Emil seine Frau werden. Ich bin meinen Geschwistern auch nicht mehr böse, habe mich wieder mit allen vertragen; darüber bin ich ganz glücklich‘. Einmal meinte sie auf die Frage, was sie da rede: ‚Ich unterhalte mich mit meinem Rechtsanwalt, der ist da draußen. Es ist wegen der Scheidung von meinem ersten Mann‘. Ein anderes Mal erzählte sie, sie sei von ihrem Emil in anderen Umständen, musste dann aber gleich darauf zugeben, dass sie ihn schon jahrelang nicht mehr gesehen hatte. […] ‚Ich heiße Hannimaus, den Namen hat mir mein Emil gegeben‘. […]. Plötzlich rief sie mit erhobener Stimme ‚Deine Hannimaus ist hier‘“.354

In seiner Studie zu einer interessanten Huntingtonfamilie, die seinen ersten veröffentlichten Choreatikerfällen im Jahresabstand als Publikation folgte, schlussfolgerte Meggendorfer anhand der Beobachtung, dass die gleiche Familienanlage verschiedenste Erscheinungen auslösen könne, „die Annahme […], dass die Erbanlage an verschiedenen Punkten des erwähnten Systems angreifen kann. Diese Überlegungen eröffnen uns vielleicht auch ein Verständnis für manche sonst nur schwer fassbaren Zusammenhänge, so beispielsweise für die Tatsache, dass in einer Familie nebeneinander und nacheinander die verschiedensten Formen der Dementia praecox355 vorkommen können. Sie sind aber auch von erheblichem allgemeinpathologischen und erbbiologischen Interesse; scheinen sie doch zu zeigen, dass eine Erbanlage an verschiedenen

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der Abteilung für Familienforschung der deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München hinterlegt“. Ebd., S. 2. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch Bernhard Vorster und Johanna Frühling „Pseudonyme“ sind. Weiterführend zu Meggendorfers Chorea-Studien auch Sammet, Vortrag auf 25. Jahrestagung der DGGN/Würzburg, 02.10.2015, Vortrag veröffentlicht als Sammet (2016b). Deckname. Siehe auch vorg. Fn. 351. Meggendorfer (1923), S. 32. Ebd., S. 17–19. 1911 bezeichnete Bleuler die Kraepelinsche „Dementia praecox“ als „Gruppe der Schizophrenien“: „Die Kenntnis der Krankheitsgruppe, die Kraepelin unter dem Namen der Dementia praecox zusammengefasst hat, ist zu jung, als dass man jetzt schon eine abgeschlossene Beschreibung derselben geben könnte. Alles ist noch flüssig, unfertig, vorläufig. Es wäre aber zu schleppend, überall die dadurch bedingten Vorbehalte zu machen; ich darf wohl annehmen, dass jeder Leser sie sich hinzudenken kann“. Vgl. Bleuler (1911), S. VII. Weiterführend zur Krankheitsgruppe „Dementia praecox“: „I. Gleichartige Heredität; II. Dementia praecox und tardive Demenzformen; III. Dementia praecox und Alkoholismus; IV. Dementia praecox und progressive Paralyse; V. Dementia praecox und manisch-depressives Irresein; VI. Dementia praecox und die großen Neurosen; VII. Dementia praecox und zirkumskripte Zerebropathien; VIII. Dementia praecox und Idiotie“. Vgl. Berze (1910), Inhaltsverzeichnis. Weiterführend hierzu auch Schneiders Arbeit aus der Kleistschen Klinik über Psychopathen in Dementiapraecox-Familien. Vgl. Schneider (1923). Zur unterschiedlichen Herkunft von Schizophrenien und ihren philosophischen Grundlagen siehe Musalek (2005).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Punkten eines Systems angreifen kann und dass so die verschiedensten, ja sogar entgegengesetzte Erscheinungen auf die gleiche Erbanlage zurückgeführt werden können, ohne dass man einen sog. Transformismus oder andere mehr oder weniger mystische Vorgänge anzunehmen braucht“.356

Kurze Zeit vor Meggendorfers Amtsantritt in Erlangen vergab Gustav Specht eine Doktorarbeit zu folgender Fragestellung: „Ist das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses imstande, die Huntington-Chorea-Familien zum Aussterben zu bringen?“357 Alfred Dubitscher (1905–1978),358 im Jahr 1942 „Oberarzt der Poliklinik für Erb- und Rassenpflege Berlin“,359 rezensierte die 1935 erschienene Dissertation von Martin Herrmann360 folgendermaßen: „Der Manifestationsbeginn der Huntingtonschen Chorea liegt meist in einem Alter, in dem der Erkrankte schon Kinder hat. Durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses werden also die Choreafamilien nicht zum Aussterben kommen. Verf. [gemeint: Herrmann] fordert daher die Unfruchtbarmachung sämtlicher Kinder der an Chorea Huntington Erkrankten. Diese radikale Maßnahme, durch die, wie Verf. selbst ausführt, unter Umständen auch gesunde Kinder, die man in dem Alter von den Krankheitsträgern noch nicht [zu] unterscheiden wisse, ihre Zeugungsfähigkeit verlieren, vergleicht er mit der Handlungsweise des Chirurgen, der bei der Entfernung bösartiger Geschwülste etwas mehr vom Gesunden mitnimmt, um ja sicher zu gehen, das Krankhafte völlig beseitigt zu haben. Im übrigen bringen die Auffassungen nichts Neues“.361

356 Meggendorfer (1924), S. 660. 357 Herrmann (1935). Zur Huntington’schen Chorea hatte Gustav Specht bereits 14 Jahre im Vorfeld eine Dissertation vergeben. Sein Doktorand Hans Prießmann fertigte während seiner Zeit als Medizinalpraktikant an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen ab August 1921 seine Promotion an. Siehe hierzu Prießmann (1922). Es findet sich ein Hinweis darauf, dass der einstige Doktorand später Oberarzt an der HuPflA wurde. Siehe hierzu S. 337, Fn. 352. 358 „Dubitscher Fred (Alfred). Nervenarzt. […] Nicht NSDAP. Mitglied DAF, NSV, Deutscher Luftsportverband. Richter am Erbgesundheitsobergericht, laut Personalblatt konfessionslos und deutschblütig […]. 1937 Autor: ,Der Schwachsinn‘ in Gütts Handbuch der Erbkrankheiten. […]. Regierungsrat, Abt. Erb- und Rassenpflege im Reichsgesundheitsamt. 1938 Autor: ‚Asozialität und Unfruchtbarmachung‘. 1941 Anwärter NS-Ärztebund […]. 1942 Autor: ‚Asoziale Sippen‘. Nach 1945 Oberregierungsmedizinalrat, Leitender Regierungsmedizinalrat bei Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen“. Vgl. Klee (2003), S. 120. Das von Klee mit Publikationsjahr 1938 angegebene Werk lässt sich unter dem entsprechenden Titel als Publikation aus dem Jahr 1937 finden. Vgl. Dubitscher (1937a). Siehe ferner ders. (1937b), (1942), (1957) und (1971). Interessanterweise gehört das Werk Dubitschers von 1972 mit dem Titel „Lebensschwierigkeiten und Selbsttötung“ in den Bestand der Erlanger Universitätsteilbibliothek Pflegeschule (03PF). 359 Dubitscher (1942), Deckblatt. 360 „[B]estand […] im Juli 1934 die ärztliche Prüfung. Seit dieser Zeit ist er als Medizinalpraktikant an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen tätig. Während der Praktikantenzeit wurde diese Arbeit angefertigt“. Vgl. Herrmann (1935), Lebenslauf, abschließendes Deckblatt. 361 Dubitscher rezensiert Martin Herrmann, S. 19. In: Rezensionen von Schriften aus den Jahren 1935/36 zum Thema Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene in FAM, S. 18–23. Zeitschrift sowie Jahrgang und Heft nicht ersichtlich. Zum Rezensenten siehe ferner Dubitscher (1957). Weiterführend auch Platzek (1988).

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Während die von Specht betreute Promotionsarbeit zu Chorea Huntington von Alfred Dubitscher362 als wenig wegweisend rezensiert wurde, so prägten Meggendorfer die eigenen, circa zehn Jahre im Vorfeld unternommenen, Chorea-Studien ganz entscheidend für den weiteren wissenschaftlichen Werdegang. In relevanter Weise mögen sie Meggendorfers Einsatz für somatische Therapieformen motiviert haben. Die fatale therapeutische Perspektive, welcher sich seine Chorea Huntington-Patienten ausgesetzt sahen, mag Meggendorfer in seiner eugenischen Radikalität bestärkt haben. Letztere tritt auch in der oben genannten, von Gustav Specht betreuten Dissertationsarbeit vom Jahre 1935 zu Tage. Die Chorea Huntington spiegelt den lange Zeit psychiatrieübergreifenden therapeutischen Nihilismus augenscheinlich wider. Bedingt durch seinen unmittelbaren ärztlichen und wissenschaftlichen Kontakt mit den Huntington-Patienten entwickelte sich bei Meggendorfer ein therapeutischer Optimismus, wenn Erkrankungen vorlagen, die Besserung durch die neuen somatischen Therapieverfahren in Aussicht stellten. Zudem begründeten die Chorea-Studien das Meggendorfersche Modell der Gen-Umwelt-Interaktion,363 welches er später in seinen Publikationen über den Dominanzwechsel präzisierte.364 „Verschiedene Beobachtungen legen schließlich die Annahme nahe, dass in den zu Huntingtonscher Chorea Disponierten der Choreamechanismus schon lange vor dem eigentlichen Ausbruch der Erkrankung vorgebildet vorhanden ist. Unter dem Einfluss schwächender fieberhafter Erkrankungen, anstrengender, ermüdender Arbeit, seelischer Erregungen (ärztliche Untersuchungen, Prüfungen in der Schule) kann die Bewegungsstörung gelegentlich schon in sehr jugendlichem Alter hervortreten. Vom vererbungsbiologischen Standpunkte aus kann man diejenigen Nachkommen der Huntingtonkranken, die Träger der krankhaften Anlage sind, zunächst als intermediäre Typen auffassen, denn sie stellen eine Mischung aus phänotypischen Auswirkungen von Allelomorphen dar. Bald äußert sich mehr der eine, bald mehr der andere Anlagenpaarling. Dem flüchtigen Beobachter scheinen die Träger der Huntingtonanlage zwar noch als gesund, derjenige aber, der sich genauer mit ihnen befasst, erkennt in ihrer Reizbarkeit, Erregbarkeit und Haltlosigkeit die Auswirkungen der krankhaften Anlage. Die Manifestation der schließlich dominierenden krankhaften Anlage scheint z. T. von Milieufaktoren abhängig zu sein; sie geschieht vorübergehend durch gewisse, oben erwähnte schwächende Einflüsse sowie dauernd im vorgerückteren Alter“.365

362 „Regierungsrat im Reichsgesundheitsamt“. Vgl. Dubitscher (1937b), Deckblatt. Das Werk beinhaltet ein Geleitwort „Dr. med. Arthur Gütt[s], Berlin. Ministerialdirektor. Leiter der Abteilung Volksgesundheit im Reichs- und Preussischen Ministerium des Innern. Präsident des Preussischen Landesgesundheitsrats“ Vgl. ebd. und Gütt (1937), S. V–VIII. Siehe ferner auch: Ders. (1940). 363 Unter anderem aufgrund heutiger Erkenntnisse zu epigenetischen Zusammenhängen scheint folgende Bewertung von Christoph Mai und Hendrik van den Bussche nur partiell nachvollziehbar: „[d]ie im Genotyp-Umwelt-Modell unterstellte vollständige Berechenbarkeit menschlicher Eigenschaften kollidiert also zum einen mit der physikalischen Erkenntnis quantenhafter Störungen aller mikroskopischen Prozesse und zum anderen mit den Phänomenen emergenter Unwägbarkeiten biologischer Systeme. Das dem Modell zugrundeliegende Weltbild kann als deterministisch-reduktionistisch gekennzeichnet werden“. Vgl. Mai/Bussche (1989), S. 180. 364 Vgl. Meggendorfer (1934b) und (1934c). 365 Ders. (1923), S. 48. Diese Beobachtungen Meggendorfers könnten sich am ehesten im Rahmen einer variablen Expressivität der Chorea Huntington-Manifestation sehen lassen.

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Das heutige Gen-Umwelt-Interaktionsmodell dürfte gerade bei der – nach aktueller wissenschaftlicher Erkenntnis – hereditär autosomal-dominant determinierten Chorea Huntington kaum eine Rolle spielen. Meggendorfers Einsichten aus seinen Studien zu Chorea Huntington in ihrer Weiterentwicklung in Richtung Gen-Umwelt-Konzept weisen die Kernelemente jeglichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns auf: Meggendorfer wurde anhand von Choreatikern auf ein Phänomen aufmerksam, welches nach heutigem genetischen Wissensstand wohl am ehesten durch variable Penetranz im Rahmen eines Antizipationsmodells eingeordnet würde.366 Erst mit Hilfe der Gensequenzierung konnte die Antizipationshypothese als Erklärung für das von Meggendorfer beobachtete Phänomen der variablen Chorea Huntington-Expressivität aufgestellt werden. Doch das anhand der Chorea Huntington-Beobachtung bei Meggendorfer initiierte und mittels Theorie zum Dominanzwechsel in der Psychiatrie fortentwickelte Konzept der Wechselwirkung von Anlage und Milieu floß nicht nur in Luxenburgers Gen-Umwelt-Modell367 ein, sondern zeigt auch seine Relevanz im aktuell wissenschaftlich etablierten Verständnis zur Ätiologie psychiatrischer Erkrankungen. 2.2.5 Meggendorfers politische Orientierung im Kontext seiner Suchtexpertise Während seiner frühen Hamburger Zeit war Meggendorfer gemeinsam mit Rittershaus bis 1933 – wie viele Beamte der gesellschaftlichen Mittel- und Oberschicht – 366 „Auf molekularer Ebene kommt es zu einer pathologischen Verlängerung der Trinukleotidsequenz CAG in einem Gen, das für ein ‚Huntingtin‘ bezeichnetes Protein kodiert. Eine Kopienzahl über ca. 40 dieser Sequenz führt zu einer Funktionsstörung des Proteins und letztendlich über einen noch unbekannten Mechanismus zu der Manifestation der Erkrankung. Da diese Extensionen instabil sind und meist von Generation zu Generation an Länge zunehmen, kommt es zu dem Phänomen der ‚Antizipation‘. Da die Anzahl der Kopien negativ mit dem Alter korreliert, liegt der Erkrankungsbeginn von Generation zu Generation früher“. Vgl. Maurer (2009), S. 54. 367 Gemäß der Rezeption von Friedrich Albert Panse (1899–1973) zum Gen-Anlage-Konzept Luxenburgers „kann man nach den bisherigen familienanalytischen statistischen und Zwillingsbefunden als ziemlich gesichert ansehen, dass bei der Schizophrenie mit erheblichen Manifestationsschwankungen zu rechnen ist und dass diese Schwankungen in der Durchschlagsbereitschaft der Anlage für starke Einflüsse der inneren und äußeren Umwelt auf dem Wege von der Anlage zum psychiatrisch feststellbaren Merkmal Schizophrenie sprechen […]. Zieht man die klinischen Erfahrungen mit zu Rate, so gewinnt man den bestimmten Eindruck, dass es vor allem die Wirkungen der inneren Umwelt, d. h. die Gesamtheit der übrigen Anlagen, des Restgenoms, sind, die im Wesentlichen die Ursache der in den repräsentativen Zwillingsserien nachgewiesenen Manifestationsschwankungen bilden. Insofern wird man Luxenburger beipflichten können, als man mit ihm in solchen außerhalb des Schizophreniegens liegenden, die Manifestation fördernden ‚äußeren Umständen‘, die aber doch der inneren Umwelt (praktisch z. B. der Körperkonstitution, Stoffwechselanlagen usw.) angehören, echte und vielleicht notwendige Ursachen zum Zustandekommen der voll ausgebildeten Psychose sieht“. Vgl. Panse (1940b), S. 531–532. Zu erbpsychiatrischen Forschungsergebnissen an Zwillingen siehe ferner Grosch (1944). Weiterführend zu nationalsozialistischen Schizophrenie-Eradikationsbestrebungen sei verwiesen auf Häfner (2010) und Strous (2010b).

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Mitglied der Deutschen Volkspartei (DVP), einer nationalliberalen Partei der Weimarer Republik. Weygandt gehörte bis 1928 der liberalen Deutschen Demokratischen Partei an, so dass nach Mai „[d]ie Radikalität der Friedrichsberger Psychiater […] nicht in direkter Beziehung zum politischen Lager [stand]“.368 Die Tendenzen der rassenhygienischen Ideologie wurden vielmehr begründet im Streben nach einer Leistungsgesellschaft als Garantie für Deutschlands hegemoniale beziehungsweise imperialistische Bestrebungen.369 Mit zunehmendem Machteinfluss der Nationalsozialisten kam es zu einem politischen „Kurswechsel“ in Bezug auf die staatliche Förderung des erbbiologischen Forschungsgebietes.370 Hatte die Politik der Weimarer Republik (1918–1933) die Forderungen seitens der Eugeniker und Rassenhygieniker nach Zwangssterilisierung zurückgedrängt, so konnte das „rassenhygienische Paradigma schon frühzeitig zum festen Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie“371 werden und erfüllte sämtliche Voraussetzungen, „um der aus dem inneren Bewegungsgesetz des Regimes resultierenden Genozidpolitik auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege Ziel und Richtung zu geben“.372 Nach Weingart et al. waren „Rassenhygiene als wissenschaftliche Ideologie und Nationalsozialismus als politische Ideologie […] weder dem Inhalt noch

368 Mai (1989), S. 244. 369 Vgl. hierzu unter anderem Baader (1990). 370 Die Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes vom 13.04.1933 enthält einleitend die Mitteilung der Geschäftsstelle, „[i]nfolge der allgemeinen Lage muss der Ärztetag voraussichtlich bis zum September vertagt werden“. Vgl. Schneider (1933), S. 153. Struve erwähnte den seinerseits in der Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes vom 11.03.1932 begründeten Beschluss des Preußischen Staatsrates vom 20.01.1932, „den anerkannten Lehren der Eugenik in Fühlungnahme mit den dazu berufenen Stellen eine größere Verbreitung und Beachtung zu schenken, da der Geburtenrückgang gerade in der erbgesunden, familiär verantwortungsbewussten Bevölkerung sich besonders stark auswirkt“. Vgl. Struve (1933), S. 154. Infolge der Machtübernahme wurde dieser Beschluss als „förmliche Anfrage“ an das Staatsministerium weitergeleitet. Die Antwort des Preußischen Innenministeriums vom 13.03.1932 „durch den Kommissar des Reiches (K. d. R.)“ hatte nach Struve folgenden wesentlichen Kern: „Als erste praktische Maßnahme hat der Landesgesundheitsrat den Entwurf eines Gesetzes über eugenische Sterilisierung ausgearbeitet. […]. Sobald die übrigen Zustimmungen eingegangen sind, wird der Entwurf dem Herrn Reichsminister des Innern als Grundlage für weitere Beratungen im Reich übermittelt werden, wobei ich mir vorbehalten werde, bei diesen Beratungen weitere Ergänzungen zu beantragen“. Vgl. ebd. 371 Schmuhl (1991), S. 301. 372 Ebd., S. 300.

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der Form nach vor und nach 1933 deckungsgleich“.373 Vielmehr lässt sich ihr Verhältnis beschreiben als eine „intellektuelle und utilitaristische Affinität“.374 Meggendorfers Vorgesetzter Weygandt, ein ehemaliger Freimaurer,375 war zwar im November 1933 auf der Unterzeichnerliste des „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler (1889–1945) und dem nationalsozialistischen Staat“, lehnte aber den Aufnahmeantrag in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ab.376 „Die Nazis rechneten ihn zum feindlichen Lager und entließen ihn“.377 Wilhelm Weygandt war von Robert Sommer378 als Nachfolger an der Spitze des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene vorgesehen. Nach Schmuhl hatte Sommer in seinen strategischen Plänen übersehen,

373 Weingart et al. (1992), S. 369. 374 Ebd. Auch in den Geschichtswissenschaften „gehörte das Interesse an rassischer Auslese und Elitenbildung in der Zeit vor 1933 […] durchaus zum mainstream des Faches, nicht nur in Deutschland. Seit 1933 waren aber hier, anders als in anderen Ländern, die kritischen Gegenstimmen gegen den Ansatz der Rassenhygiene unterdrückt. Das intellektuelle Widerlager fehlte, so dass sich die auf gesellschaftsbiologischer Grundlage stehenden Ansätze dynamisierten und radikalisierten, während im internationalen wissenschaftlichen Diskurs rassenhygienische Ansätze seit den 1930er-Jahren an Bedeutung verloren und seit den 1940er-Jahren gänzlich als überholt galten. Im nationalsozialistischen Deutschland hingegen waren Rassenhygiene, biologische Soziologie und Völkerkunde nun eng mit politischen Gegenwartsdeutungen verbunden und verschafften den politischen Aussagen der Nationalsozialisten den Nimbus einer aus der Geschichte und Natur abgeleiteten Gesetzlichkeit“. Vgl. Herbert (2016), S. 8–9. 375 Weiterführend empfohlen sei ferner: Vereinigte Freimaurerloge Libanon zu den 3 Cedern e. V. und Stadtmuseum Erlangen (2007). 376 Vgl. Klee (2003), S. 674. 377 Mai (1989), S. 244. Das Werk von Weygandt zu Grundlagen und Gefahren des Okkultismus mag dazu beigetragen haben, die Nationalsozialisten in ihrer argwöhnischen Position gegenüber Weygandt bestätigt zu sehen. Zur Rolle des Okkultismus im Nationalsozialismus siehe weiterführend Freund (1995). Im Rahmen der Posthum-Veröffentlichung des Weygandtschen Werkes zum Okkultismus sah sich Gaupp zu folgender distanzierenden Rechtfertigung gezwungen: „Wenige Wochen vor seinem Tode bat mich Weygandt, damals schon schwer leidend, um Aufnahme seiner Arbeit über den Okkultismus in die Zeitschrift. Ehe ich mich mit ihm über die Änderung einzelner Abschnitte einigen konnte, erlag er seiner Erkrankung. Da ihm viel an der Veröffentlichung dieser Arbeit lag, erscheint sie nun in ihrer ursprünglichen Form. Eine Nachprüfung vieler, in der Abhandlung angeführten Einzelheiten ist nicht möglich. Gaupp“. Vgl. Weygandt (1939), S. 453. Weygandt selbst schloss seine letzte Veröffentlichung mit folgenden appellativen Schlusssentenzen an die “Scientific community” ab: „Jeder, dem es vergönnt ist, aus den Quellen gediegener Bildung zu schöpfen, muss sich als Helfer betätigen im Kampf gegen die verwirrenden Lehren der Mystik und des Okkultismus und stets bereit sein, als Beispiel und Aufklärer für vernunftgemäßes Denken aufzutreten. Oft wurde schon als das Wesen deutscher Geistesart kennzeichnend das klare Denken betont. Dies erfordert unweigerlich die Ablehnung der okkultistischen Lehren, die das seelische und leibliche Wohl des Volkes bedrohen und schädigen. Gegen diese Gefahren als Vorkämpfer mitzuwirken gehört zu den Pflichten der deutschen Ärzteschaft“. Vgl. ebd., S. 495–496. Zu „[o]kkulten Schauplätze[n] als Schwellenraum zwischen Wissenschaft und Spektakel“ siehe Dornhof (2012). 378 Siehe ferner hierzu Roelcke (2007c).

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„dass Weygandt bei den neuen Machthabern persona non grata war, so dass […] sich der gesamte Vorstand einschließlich Weygandts für ein Bündnis mit Ernst Rüdin entschied, der den unmittelbaren Zugang zur Sphäre der Politik eröffnete“.379

Meggendorfer folgte am 01.05.1933 der Aufforderung eines an ihn herantretenden „Beamten und Werbers“,380 in die NSDAP einzutreten.381 Von Seiten der Leitung der Ortsgruppe der Deutschen Volkspartei habe man Meggendorfer – so seine spätere Spruchkammer-Rechtfertigung – „zudem erklärt, die Ortsgruppe trete geschlossen zur NSDAP über“.382 Da es in Hamburg und insbesondere an der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg „eine ganz besonders lebhafte politische Gärung und Aktivität […] [mit] mehr Gegensätze[n] und Kämpfe[n] als anderswo“383 gegeben habe, hätte er zusätzlich den „schöne[n], verlockende[n] Programmpunkte[n]“384 des Nationalsozialismus (NS), nämlich „Volksgemeinschaft, Freiheit, Ende der Arbeitslosigkeit usw. [Glauben geschenkt], [sei] wieder hoffnungsfreudig und begeistert [gewesen]“385 – derart beurteilte Meggendorfer Jahrzehnte später im Rahmen seiner „Entnazifizierung“ sein politisches Zugehörigkeitsgefühl der frühen 1930er Jahre. In einer Korrespondenz mit einem der Enkel Meggendorfers kristallisiert sich die Hamburger Suchtlandschaft als familienintern tradiertes Motiv für dessen NSDAP-Beitritt heraus:

379 Schmuhl (2016), S. 130. Zu „Politik und Psychiatrie“ von 1920–1939 sei empfohlen Neuner (2011). 380 StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M. 76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. 381 „Meggendorfer trat am 1.5.33 in die NSDAP ein. Er hatte die Mitgliedsnummer 3007873“, so Baer in seinem Vortragsmanuskript, S. 7, veröffentlicht als Baer (2003a). „Offenbar trat er in diese Partei ein, als es klar wurde, dass dies zweckmäßig sein könnte. Schon diese Konstellation weckt den Verdacht, dass Meggendorfer politisch in erster Linie Opportunist und Mitläufer war, nicht von jenem Maß an Fanatismus getrieben, das einen seiner Lehrer, Ernst Rüdin beherrschte“. Vgl. ebd. Das Vortragsmanuskript wurde der Verfasserin freundlicherweise von Prof. Dr. Rolf Baer zur Verfügung gestellt. 382 StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M. 76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. Bereits im Frühjahr 1933 hatte der stellvertretende DVP-Vorsitzende Dr. phil. Otto Hugo (1878–1942) die komplette Überführung der DVP in die NSDAP gefordert. Vgl. http://de.wikipedia. org/wiki/ Deutsche_Volkspartei. Stand vom 09.01.2015. 383 StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. „der Anteil der Parteieintritte war bei den nicht beamteten bzw. den außerplanmäßigen Professoren und den Privatdozenten stets besonders hoch. Die Hoffnung auf Aufstiegschancen wird hier ein starker Impuls gewesen sein. Für das Sommersemester 1934 wurde für Hamburg ein Nazifizierungsgrad von fast 50% ermittelt. Diese Zahlen wären sicherlich noch gestiegen, hätte die NSDAP nicht am 19.4.1933 eine Aufnahmesperre für Neumitglieder eingeführt, um die Masseneintritte in die Partei zu lenken und sog. ‚Märzgefallene‘ auszuschließen, die allein aus opportunistischen Motiven beitreten wollten“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 15. Zum Terminus der „Märzgefallenen“ siehe ferner Schmitz-Berning (2000). Weiterführend zur Aufnahmesperre ferner Wetzel (2009). 384 StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. 385 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Seine Hoffnung war, dass die NSDAP hier durchgreife,386 den von Sucht Bedrohten durch Arbeit eine andere Lebensperspektive gebe und ihnen damit helfe, vom Drogenkonsum wegzukommen“.387

In der Tat hatten die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme am 30.01.1933 „in kurzer Zeit die exaltierte Vergnügungskultur der Weimarer Republik mit all ihren Offenheiten und Ambivalenzen [erstickt]. Drogen wurden tabuisiert, da sie andere Irrealitäten erlebbar machten als die nationalsozialistischen. ‚Verführungsgifte‘388 hatten in einem System, in dem allein der Führer verführen sollte, keinen Platz mehr“.389

Das Opiumgesetz der Weimarer Zeit390 besaß zwar auch im Nationalsozialismus weiterhin seine Gültigkeit,391 zusätzlich jedoch erließ der gleichgeschaltete Reichstag im November 1933 ein Gesetz über eine Zwangseinweisung392 Süchtiger in eine geschlossene Anstalt für bis zu zwei Jahre, bei richterlichem Beschluss bis auf weiteres.393 Zusätzlich wurden Regelungen geschaffen, um Rauschmittel konsumierenden Ärzten bis zu fünf Jahren Berufsverbot zu erteilen. Die ärztliche Schweigepflicht galt bei Konsumenten illegaler Drogen als aufgehoben. Bei einer Betäubungsmittel-Verordnung, die über drei Wochen hinausging, ordnete der Vorsitzende der Berliner Ärztekammer die Erstattung einer „Rauschgiftmeldung“ an, zumal die „öffentliche Sicherheit […] fast in jedem Fall von chronischem Alkaloidmissbrauch gefährdet“394 ist. Zwei Gutachter überprüften nun die gemeldete Person erbgesundheitlich: „Befanden sie seine Erbanlagen für ‚in Ordnung‘, kam es zu einer abrupten Zwangsentziehung“.395 Hatte man zu Zeiten der Weimarer Republik einen „sanften“ Entzug favorisiert, so „wollte man nun zur Abschreckung der Abhängigen die Entzugsschmerzen

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Weiterführend hierzu: Hecht (1939), Freienstein (1936/37). Persönliche Korrespondenz mit Dr. Johannes W. Dietrich, 09.01.2016. Pieper (2002), S. 364, zit. n. Ohler (2015), S. 33. Ebd. Zur Ärzteschaft „[z]wischen […] Gehorsam und […] Verweigerung“ siehe Schmuhl (2002a). Weiterführend ferner auch Hoffmann (2014). BAB R 1501/126497, Bl. 214, 216, 220, zit. n. Ohler (2015), S. 33. Den gesetzlichen Einschluss des Kokainismus und Morphinismus zusätzlich zur Trunksucht beim Entmündigungsparagraphen in Ziffer 3 des § 6 BGB hätten die Friedrichsberger Psychiater befürwortet. Vgl. Wulf (2016), S. 200. Vgl. Ohler (2015), S. 34. Maßregeln der Sicherung und Besserung. In: §§ 42 b, c RStGB: Unterbringung von straffälligen Süchtigen in Heil- und Pflegeanstalten. Diese Regelung war bis zum 1. Oktober 1953 in Kraft, vgl. ebd. Ebd., Reichsärzteordnung vom 13.12.1935. Weiterführend auch Fraeb (1937). Vgl. ferner Pieper (2002), S. 171 und S. 214. Ohler (2015), S. 34. Zur Frage der erbbiologischen Bedeutung des Alkohols siehe auch Boss (1929). Zu „Erblichkeitsfragen bei Trinkern“ siehe ferner Croon (1935).

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nicht ersparen“.396 Sofern die Erbanlagen397 für schlecht befunden wurden, stand es dem Gericht frei, den Betreffenden auf unbestimmte Zeit einzuweisen. „Drogenkonsumenten landeten bald auch in Konzentrationslagern. Zudem wurde jeder Deutsche aufgefordert, ‚Beobachtungen über etwa an Rauschgiftsucht leidende Angehörige und Bekannte mitzuteilen, damit sofort Abhilfe geschafft werden kann‘. Karteien398 wurden erstellt, die eine lückenlose Erfassung ermöglichen sollten“.399

Es scheint durchaus glaubhaft, dass Meggendorfer die Antidrogenkampagne der Nationalsozialisten als attraktiv ansah. Bereits 1925 hatte er „eine energische Abwehr dieser Gifte [für] angezeigt“400 gesehen, wobei er Folgendes anführte: „Über den Grad der Verbreitung des Kokainismus und der anderen ähnlichen Suchten,401 des Morphinismus und des Heroinismus, können wir uns kaum eine richtige Vorstellung machen.

396 Holzer (2006), S. 179, zit. n. Ohler (2015), S. 34. Auch aktuell besteht die Option, den Entzug von Opiaten und opiathaltigen Analgetika als „kalten Entzug“ durchzuführen, d. h. einen „Entzug ohne psychoaktiv wirksame Substanzen zur Linderung der Entzugssymptome. Psychologische Führung (ʻTalk-downʼ-Methode). Rückfallgefährdung nicht geringer als beim Entzug mit pharmakologischer symptomatischer Behandlung“. Vgl. Veselinović/Schneider (2016), S. 315. 397 Morphinismus war keine dem GzVeN unterworfene Erkrankung, obwohl „Angehörige 1. Grades [ein] 10-fach erhöhtes Risiko“ der Opiat- und Opioid-Abhängigkeit haben. Vgl. Payk (2003), S. 241. 398 Siehe z. B. „Zentralkartei“ in: BAB R 58/473, Bl. 22 (Mikrofiche), zit. n. Ohler (2015), S. 35. 399 Ebd., S. 33–35. Siehe auch Pieper (2002), S. 380. 400 Meggendorfer (1925b), Sonderdruck, S. 6. 401 Durch die Betonung auf „ähnliche Suchten“ grenzte Meggendorfer das Gebiet auf die stoffgebundenen Süchte ein. Hierzu angeführt sei die Pansesche Darlegung zum Suchtterminus: „das Wort ‚Sucht‘ leitet sich her von einem alten Stamm der ähnlich wie Siechtum Krankheit bedeutet […]. Wir finden diese Verwendung des Begriffes noch in unserer guten deutschen Bezeichnung Fallsucht. Allmählich, im psychologischen Sprachgebrauch, hat dieser Begriff aber eine Wandlung erfahren nach der Bedeutung Gier, Hang, Drang, zwingendes Bedürfnis hin, und in diesem Sinne wird der Begriff Sucht innerhalb unseres Fragenkomplexes gebraucht. Inhaltlich ist aber in ihn von einer phänomenologischen Betrachtungsweise her sehr viel hineingestopft worden. Er ist heute so ausgeweitet, dass ihrer psychologischen Genese nach so verschiedenartige Dinge wie etwa Trunksucht, Opiatsucht auf der einen Seite, Brandstiftungs, Spiel-, Wander-, Stehlsucht auf der anderen Seite sich in ihm vereinigt finden. Alle psychischen Erscheinungsformen, welche etwas Dranghaftes, Zwingendes, den Menschen Treibendes in sich zu haben scheinen, wurden mit dem Kennzeichen ‚Sucht‘ versehen. In diesem weiten Sinne allerdings möchte ich den Begriff ‚Sucht‘ hier nicht verstanden wissen, sondern in einem viel engeren, sich [an] unmittelbar tieffundierte psychische Grundfunktionen, sogar an somatisch fundierte Erscheinungen anschließendem Sinne“. Vgl. Panse (1939), S. 148–149. „Die süchtigen Verhaltensweisen nötigen hinsichtlich der therapeutischen Strategie, der Prognose und der forensischen Aspekte zu einer Differenzierung zwischen ,Sucht‘ und ,Süchtigkeit‘ […]. Letztere geht im Kontrast zu den stoffgebundenen Abhängigkeiten nicht mit körperlichen Entzugssymptomen einher, es werden allerdings Zustände von Unruhe, Bedrücktheit, Gereiztheit und Überstimulation beobachtet. Dennoch sollten – auch aus therapeutischen Gründen – die neurobiologischen Grundlagen der echten Sucht als Unterscheidungsmerkmal nicht aus dem Auge verloren werden“. Vgl. Payk (2003), S. 272. Bezüglich der nicht stoffgebundenen Süchten aktuell von gesundheitspolitischer Relevanz zeigt sich insbesondere auch das exzessive In-

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Am verbreitetsten scheinen diese Vergiftungen in den Vereinigten Staaten von Amerika zu sein; dort wird die Zahl der Süchtigen auf etwa eine Million geschätzt. Wenn wir in Deutschland auch wohl noch hinter dieser Zahl und den entsprechenden Zahlen von Frankreich und der Schweiz zurückstehen, erscheint doch auch bei uns eine energische Abwehr dieser Gifte angezeigt zu sein“.402

In seinem drei Jahre später erschienenem Kapitel zu den Intoxikationspsychosen403 in Bumkes Lehrbuch lieferte Meggendorfer eine eindrückliche Bebilderung; diese lässt es nachfühlbar werden, warum die Enthaltsamkeitsparolen der NSDAP für Meggendorfer eine primäre Attraktion haben ausüben können. Rolf Baer, emeritierter Professor für Psychiatrie an der Erlanger Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der FAU, referierte auf der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde (DGGN) in Erlangen 2002 zu „Organischen Psychosen: Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt der Erlanger Psychiatrie“.404 Nach Baer eröffnet Meggendorfers Einführung zu seinem Werk über Intoxikationspsychosen von 1928 einen interessanten Rückblick auf die einstige Diskussion hinsichtlich der organischen Psychosen: „So schwierig und unvollkommen nun die grundsätzliche Abgrenzung der Intoxikationspsychosen nach Vergiftungen von den übrigen Geistesstörungen ist, so scheint sie doch gegenüber den meisten anderen Krankheiten den bedeutenden Vorteil zu haben, dass wir hier eine Gruppe von Geistesstörungen vor uns haben, bei der wenigstens die Ursache klar und eindeutig bekannt ternetnutzungsverhalten. Zu letzterem weiterführend in Bezug auf die Bedeutung von Religiosiät/Spiritualität (R/S) bei Computerspielverhalten siehe Braun et al. (2016). Zu R/S weiterführend sei verwiesen auf Demling et al. (2001). „[…] Die Echtheitsfrage im Bereich des Religiösen ist an das personale Wesen des Menschen gebunden, weil sie sich auf das Selbstverständnis des Menschen bezieht, auf den geistigen (idealen) Typus, in welchem er sich aus sich selbst versteht und mit welchem er einen Anspruch an seine Mitwelt richtet, nämlich so und nicht anders verstanden zu werden […]. Echte Formen der Religiosität liegen vor, wenn dem geistigen Leitbild der Person die Entschlossenheit und die psychophysische Möglichkeit zur Verwirklichung entsprechen“. Vgl. Heimann (1961), S. 489. 402 Meggendorfer (1925b), Sonderdruck, S. 6. 403 „Die Bezeichnung ‚Intoxikationspsychosen‘ drückt aus, dass es sich hier um Geistesstörungen handelt, die durch Gifte hervorgerufen werden. Diese Erklärung ist aber viel zu weit und würde auch zahlreiche Geistesstörungen umfassen, die wir nicht zu den Intoxikationspsychosen rechnen. Auch die durch Krankheitserreger verursachten Geistesstörungen beruhen unserer heutigen Kenntnis nach letzten Endes zum größten Teil auf Giftwirkungen, ebenso die durch Stoffwechselstörungen, Krankheiten der inneren Drüsen, Krebssiechtum, Übermüdung und Erschöpfung aller Art verursachten. Ja, man ist geneigt, auch die Schizophrenie und die Epilepsie, vielleicht sogar das manisch-depressive Irresein (Stransky, Specht u. a.) auf irgendwelche Vergiftungen des Gehirns zurückzuführen“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 151. Bei dem von Meggendorfer zitierten Stransky handelt es sich um Erwin Stransky (1877–1962). 404 Veröffentlicht als Baer (2003a). In seinem Vortrag führte Baer auch Meggendorfers Forschung zu organischen Psychosen an. Einleitend stellte er folgende Sentenz: „Über einige problematische Aspekte seiner Biographie habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten gesonderte Vorträge gehalten. Man möge mir erlauben, heute lediglich ein zur Thematik des heutigen Vortrages gehörendes Gebiet zu referieren“. Vgl. Vortragsmanuskript, S. 14. Das Vortragsmanuskript wurde der Verfasserin freundlicherweise von Prof. Dr. Rolf Baer zur Verfügung gestellt. Über den Inhalt der erwähnten anderen Vorträge referierte Baer – gemäß seiner persönlichen Information vom 22.09.2015 – auch im darauffolgenden Jahr. Vgl. Baer (2003b) und (2003c).

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ist. Während wir sonst in der Irrenheilkunde meist vergeblich oder doch nur unsicher nach Krankheitseinheiten suchen, glauben wir uns hier, wo Ursachen, Zustandsbilder und Verläufe übereinstimmen, auf sicherem Grund und Boden zu befinden. Eine genauere Beschäftigung mit diesem Gegenstande zeigt jedoch, dass die Verhältnisse keineswegs so einfach liegen. In der Auffassung über die Rolle des Giftes als Ursache der Intoxikationspsychosen spiegeln sich geradezu verschiedene wichtige psychiatrische Strömungen der letzten Jahrzehnte wider“.405

Baer betonte, Meggendorfer zitiere einerseits die ätiopathogenetisch ausgerichtete Kraepelinsche Nosologie, andererseits rekurriere er auch auf Carl Wernicke (1848– 1905),406 der zu Bedenken gegeben habe, „dass gleiche Gifte verschiedene Krankheitsbilder erzeugen und dass umgekehrt verschiedene Gifte die gleichen Krankheitsbilder hervorrufen können“.407 Abgesehen von Intoxikationspsychosen durch willentlichen, berauschungsintendierenden Konsum illegaler Drogen beschrieb und bebilderte Meggendorfer auch Vergiftungen durch Einnahme pflanzlicher psychotroper Substanzen in suizidaler Absicht.408 405 Meggendorfer (1928a), S. 151–152. 406 Siehe ferner: DGPPN-Kongressposter Braun/Kornhuber (2015d) sowie Braun (2014b). Weiterführend auch Marneros et al. (2004). 407 Baer (2003a), S. 13–14. 408 „H. S., 21-jährige Verkäuferin, wurde am 13. September ‚wegen geistiger Verwirrtheit‘ in die Anstalt gebracht. Sie war in der Nähe von Hamburg auf der Landstraße mit zerrissenen Kleidern und Kratzwunden aufgefunden worden. […]. Außer zahlreichen Kratzwunden und Hautabschürfungen am Körper zeigte sie glänzende Augen, weite lichtstarre Pupillen, trockene Lippen, heisere Sprache, arrhythmische Atmung, stark beschleunigten Puls. Sie gab ihren Namen, ihr Alter, ihre Beschäftigung richtig an, sonst war sie vollkommen verwirrt, suchte im Bett nach 10-Pfennigstücken, zupfte auf ihrer Bettdecke herum, redete vor sich hin. Durch zufällig Gehörtes war sie sehr ablenkbar. Plötzlich setzte sie sich auf, griff nach etwas, meinte dann ‚das Wasser ist ja schon alles verkocht‘. Im Laufe der nächsten Tage war die Kranke ebenfalls verwirrt und unruhig. Wassermann fiel im Blut und Liquor negativ aus, letzterer enthielt 6:3 Zellen, zeigte keine Eiweißvermehrung und negative Kolloidreaktionen. Erst am 16. September war Patientin wieder leidlich klar und berichtet[e], sie habe am 12. September Streit mit ihren Eltern gehabt und sei dann vom Hause weggelaufen. Im Botanischen Garten habe sie einen Strauch mit schwarzen Beeren gesehen, daneben eine Tafel: ‚Achtung, stark giftig‘. Sie habe etwa 10 Beeren gepflückt und sie in ihrem Täschchen verwahrt. (Erhebungen ergaben, dass an der bezeichneten Stelle ein Tollkirschstrauch steht.) Sie sei dann bis zu einer Station außerhalb Hamburg gefahren und sei draußen spazieren gegangen. Gegen 12 Uhr nachts habe sie die Beeren gegessen. Gegen 4 Uhr morgens habe sie bemerkt, dass sie etwas benommen war, als ob sie betrunken wäre, ihre Augen schmerzten. Sie habe dann mehrmals ihren Hut verloren, ebenso ihren Schirm, habe die Sachen aber immer wieder aufgehoben. Dann sei sie selbst ein paar mal hingefallen. Sie habe laufen wollen, habe aber nicht gekonnt, sei über ihre eigenen Beine gestolpert, habe ihre Beine nicht richtig bewegen können. Einmal sei sie auch einige Minuten liegen geblieben. Ihre Finger seien ganz steif gewesen. Dann sei sie an einem Kornfeldrand gewesen. Es sei ein Landstreicher dagewesen, der habe wohl etwas von ihr gewollt; er habe ihr den Regenmantel aufgerissen, sie habe furchtbar geschrien; er habe ihr den Mund zugehalten. Er habe furchtbare Kräfte gehabt, habe sie stark angefasst wie mit Krallen, habe gesagt: ‚Nur ganz ruhig, das ist nicht so schlimm‘. Wie sie dann hierher kam, das wisse sie nicht; sie erinnere sich auch nicht, dass sie in den letzten Tagen mehrmals im Untersuchungszimmer war. Sie habe Leute vor dem Fenster des Krankensaals tanzen sehen; die hätten sie raus holen wollen; es seien auch ihre Verwandten und Polizisten draußen gewesen. Im Laufe der nächsten Tage fühlte sich die Kranke zunächst noch müde. Am 5. Oktober wurde sie entlassen,

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Wenn Rolf Baer der Meggendorferschen Arbeit über die Intoxikationspsychosen von 1928 „eine solche Fülle klinischer Beobachtungen [zuspricht], dass es auch heute keineswegs als veraltet gelten kann“,409 so scheint eine wörtliche Zitation daraus lohnend, passend zur Kasuistik der H. S.410 „Das Atropin findet sich in den Pflanzen der Gattungen Atropa, Datura, Hysoscyamus, Scopolia, Duboisia. Es hat die gleiche chemische Formel wie das Hysoscyamin, während dieses aber die Ebene des polarisierten Lichtes nach links dreht, ist es optisch inaktiv. Auch die Wirkung ist der des Scopolamins sehr ähnlich, doch ist es giftiger und wirkt rascher. Die Vergiftung äußert sich durch scharlachgerötete, trockene Haut, fliegenden Puls und Atem, weite Pupillen in den trockenen glänzenden Augen. Dazu kommen lebhafte Aufregung mit Delirien, Lachen oder Schreien, heftige Bewegungen oder auch Konvulsionen; wegen der Lähmung eines Teiles der Schlundmuskulatur besteht Unfähigkeit zu schlucken, Wasserscheu. Schließlich tritt zentrale Lähmung mit Stupor, Schlafsucht, tiefes Koma [ein], das in den Tod übergehen kann […]. Diese Erscheinungen beobachtet man sowohl bei Atropinvergiftung als auch bei Tollkirsch-, Bilsenkrautfrucht- und Stechapfelvergiftungen, die besonders bei Kindern vorkommen. […]. Bei solchen Vergiftungen machen sich zunächst Akkomodationslähmungen, Trockenheit des Mundes und der Kehle und Heiserkeit bemerkbar. Die Vergifteten klagen über innere Unruhe und Schwindel. Die Kranken erscheinen unaufmerksam und zerfahren, leicht ablenkbar. Es treten dann Sinnestäuschungen auf, zunächst mehr Illusionen, später richtige Halluzinationen, meist rasch vorüberziehende Bilder angenehmen Inhalts von großer Farbenfreudigkeit und Helligkeit oder auch grandiose und groteske Erscheinungen. Die seltenen Gehörstäuschungen sind laut, geradezu lärmend. Auch Tasthalluzinationen und Störungen des Lagegefühls scheinen vorzukommen. […]. Wegen der Pupillenstarre, der Verwirrtheit und scheinbaren Demenz wurde die Atropinvergiftung schon wiederholt zunächst für eine Paralyse gehalten; auch Infektionsdelirien kommen differentialdiagnostisch in Betracht; zumal nicht selten erhebliche Temperatursteigerung besteht. Eine genaue Anamnese, Beobachtung der Akkomodationslähmung, der Trockenheit des Mundes, der Heiserkeit wird auf die richtige Fährte führen. In dem erbrochenen oder ausgeheberten [sic] Mageninhalt werden sich dann die Reste der genossenen Giftfrüchte oder das Gift selbst nachweisen lassen. Die Behandlung besteht in erster Linie in Magenspülung oder Herbeiführen von Erbrechen, eventuell von Morphium- und Pilocarpininjektionen.411 Im Koma sind Exzitatien und Kochsalzinfusionen anzuwenden; auch ist auf Entleerung der Blase, eventuell mit dem Katheter zu achten“.412

Das von Rolf Baer ausgestellte Prädikat der Zeitüberdauerung des wissenschaftlichen Wertes von Meggendorfers Werk über die Intoxikationspsychosen von 1928 weckt Interesse an dessen weiterführender Lektüre, vor allem unter der Rubrik Alkoholismus, zumal Meggendorfers spezielle Expertise auf diesem Themenbereich lag: „[z]ahlreich sind die äußeren und inneren Gründe, die zum Gebrauch alkoholischer Getränke veranlassen. Die Hebung der Stimmung und überhaupt des körperlichen und geistigen Befin-

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nachdem festgestellt worden war, dass die Pupillen auf Licht und Konvergenz einwandfrei reagierten“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 380–381. Baer (2003a), S. 14. Siehe hierzu S. 97, Fn. 408. Empfehlenswert als aktueller Kitteltaschenformat-Überblick zu Vergiftungen und ihrer Antidotbehandlung: Strehl/Zilker (2002). Meggendorfer (1928a), S. 378–381. Die entsprechende Stelle gehört zu Kapitel 4: „Scopolamin und Atropin (Bilsenkraut, Stechapfel und Tollkirsche)“.

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dens durch den Alkoholgenuß hat den Menschen wohl seit der Entdeckung dieser Zusammenhänge unbewußt und bewußt Gelegenheit zur Einverleibung von alkoholischen Getränken finden lassen. […]; gerade in manchen gesellschaftlich gehobenen Kreisen haben diese Trinksitten feste Formen angenommen, die dann aber auch von den niederen übernommen wurden. Dazu kommen bei den niederen Kreisen noch eine Reihe wichtiger Gesichtspunkte, die deren großen Alkoholverbrauch erklären. Die Erholung oder wenigstens das Gefühl der Erholung wird am raschesten durch Alkoholgenuss herbeigeführt. Die Enge und Unfreundlichkeit der Wohnungen, die Störungen durch Kinder und Hauswirtschaft lassen den ermüdeten Mann die Erholung außer dem Hause, in der Kneipe, wo er sich ungezwungen und ungestört mit Gleichgesinnten und Freunden treffen kann, suchen. Was aber den Handarbeiter vor allem hinsichtlich des Alkoholgenusses kennzeichnet, das ist das Trinken während der Arbeit. Das Bedürfnis nach Lustempfindungen während einer schweren und eintönigen Arbeit, die Vortäuschung einer Steigerung seiner Kraft und einer Erleichterung der Arbeit, wirkliches und vermeintliches Trinkbedürfnis während der Arbeit durch Staub, Hitze und dergleichen mögen ihn dazu bestimmen. Auch während der Arbeitspausen wird getrunken. Die oft weite Entfernung vom Hause, der Umstand, dass auch die Frau werktätig ist und nicht für die Zubereitung der Mahlzeiten sorgen kann, und andere Gründe zwingen den Arbeiter, sich auf mitgebrachtes kaltes Essen zu beschränken. Der Alkohol aber bringt das Gefühl der Sättigung, der Wärme, des Wohlbehagens. Gerade unterernährte Arbeiter haben ein Bedürfnis nach Alkohol“.413

Mag dem Alkohol, insbesondere in Form von Bier – nach Meggendorfer –, zwar ein gewisser Nährwert zukommen, so „[f]reilich mag andererseits der Alkoholgenuss auch wieder Ernährungsstörungen zur Folge haben, wodurch ein verderblicher Kreislauf bedingt ist. Abgesehen von diesen mehr allgemeinen Gesichtspunkten neigen Angehörige bestimmter Gewerbe aus beruflichen Gründen im engeren Sinne zum stärkeren Genuss alkoholischer Getränke, so die Arbeiter und Angestellten von Brennereien, die Bierbrauer, die Küfer,414 die Angestellten des Gastwirtsgewerbes, besonders dann, wenn sie, wie das früher häufig geschah, einen Teil ihres Lohnes in den Erzeugnissen der Brennerei oder Brauerei ausbezahlt erhalten. Diese allgemeinen und aus Sitten und Gebräuchen hervorgegangenen äußeren Gründe zum Alkoholgenuss, die man als ‚normale‘ bezeichnen kann, führen in zahlreichen Übergängen hinüber zu ausgesprochen krankhaften Beweggründen, die zur Verhütung von Wiederholungen beim chronischen Alkoholismus besprochen werden sollen“.415

Im Kontext der Darstellung der Meggendorferschen Arbeit zu den Intoxikationspsychosen gilt es auch, deren aktuelle Rezeption zu skizzieren. In seiner Untersuchung des „Zusammenhang[s] zwischen Drogensucht und Psychopathie“416als „Anmerkung[] zum Konstrukt der Psychopathie im Hamburger Drogendiskurs der 1920er Jahre“417 führt Wulf folgendes aus: „Wie prekär aber die entsprechende Konstruktion der Friedrichsberger Ärzte in den Entmündigungsgutachten war, wurde von psychiatrischer Seite durchaus gesehen. Meggendorfer hob

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Ebd., S. 179–180. Synonym für „Fassbinder“. Ebd., S. 180. Wulf (2016), S. 186. Ebd., Titel.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang hervor, dass es vielleicht etwas einseitig und übertrieben sei, in jedem Fall von Morphinismus,418einen von Haus aus irgendwie anfälligen Menschen zu sehen‘. Man habe zu bedenken, dass bestimmte Symptome bei Süchtigen gerade durch Narkotika bedingt (und eben nicht ursprünglich vorhanden) seien“. 419

Diese Textpassage könnte den Verdacht nahelegen, dass Meggendorfers Werk erarbeitet wurde unter der Prämisse, möglicherweise hypothesenstützende Textpassagen ihres Gesamtkontextes zu entkleiden,420 um sie somit als richtungsweisend für die untersuchte Fragestellung zitieren zu können. Wulf analysierte die Friedrichsberger Gutachten dahingehend, ob „der Zusammenhang zwischen Psychopathie und Rauschmittelsucht unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Entmündigung der betreffenden Patienten diskutiert und ausgelotet“421 wurde. Wenn er Meggendorfers Positionen hierzu anführt, so gilt es zu berücksichtigen, dass kein

418 „Oft wäre es wichtig und wünschenswert, einen Morphinisten entmündigen zu können; denn nur dann wäre es möglich, auch gegen seinen Willen die zu seiner Heilung und zur Verhütung von Schädigungen der Familie und der Allgemeinheit nötigen Schritte zu unternehmen. Nach dem jetzt geltenden bürgerlichen Recht ist aber eine Entmündigung nur in einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Fällen möglich. Möglich ist sie u. U. nach § 6,1 BGB, wenn man nachweisen kann, dass der Morphinist wegen Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Diese Voraussetzung ist, wenn man unter ‚Geistesschwäche‘ nicht nur einen Mangel der Verstandeskräfte, sondern auch Gemüts- und Willensstörungen, überhaupt leichtere Grade von Geistesstörung versteht, in manchen Fällen wohl gegeben. Tatsächlich gelingt es zum Beispiel in Hamburg nicht selten, einen Morphinisten aus § 6, a BGB zu entmündigen, während andere Gerichte und auch Sachverständige die Voraussetzungen viel enger fassen sollen. So wäre sehr zu begrüßen, wenn es in einem künftigen Gesetz eine Möglichkeit gäbe, den Morphinisten frühzeitig unter vormundschaftlichen Schutz zu stellen; denn es liegt weder im persönlichen Interesse des Morphinisten noch in dem der Allgemeinheit, dass er vorher erst durch jahrelangen Giftmissbrauch sich schwer schädigen und durch allerlei törichte und schädliche, unter Umständen selbst verbrecherische Handlungen seine Unfähigkeit zu einer geordneten Lebensführung nachweisen muss. Am einfachsten wäre der Zweck erreicht, wenn der § 6, 3 BGB, nach dem entmündigt werden kann, wer infolge Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, auch auf andere Suchten ausgedehnt werden würde. Der entmündigte Morphinist sollte dann auch gegen seinen Willen wie ein entmündigter Trinker nach § 1631 und § 1800 BGB in einer Heilanstalt untergebracht werden können“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 319. 419 Wulf (2016), S. 203–204. Siehe auch Meggendorfer (1928a), S. 298 und 303. 420 Diese Vorgehensweise räumt der Autor selbst ein. Zu „dieser Feststellung Langelüddekes […] [, die] das Thema des vorliegenden Beitrags bereits klar umr[e]iss[t]“ gibt Wulf folgende kontextuelle Information: „Die oben zitierte Fragestellung Langelüddekes ist einem Gutachten entnommen, in dem es um den Grad der Arbeitsverminderung durch Morphiumabhängigkeit geht“. Vgl. Wulf (2016), S. 186. Wulf bezieht sich auf folgende Quelle: Historisches Krankenblatt-Archiv des Hamburger Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Akte Friedrichsberg, No. 56.743: Gutachten Langelüddeke, 5.7.1926, zit. n. ebd., S. 185–186. Wulf setzt somit Langelüddekes Aussage – originär getroffen im Rahmen eines Erwerbsminderungs-Gutachtens – in den untersuchten Kontext von Entmüdigungs-Gutachten. 421 Ebd., S. 186.

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explizit von Meggendorfer erstelltes Gutachten als Quelle herangezogen beziehungsweise als solches zitiert wurde.422 Um die Aussagekraft der angeführten Positionen Meggendorfers für die von Wulf untersuchte Fragestellung adäquat einschätzen zu können, ist es von Relevanz, ihren Kontext näher anzuführen. Die erste zitierte Aussage Meggendorfers stand nicht im Kontext von Gutachten, sondern einer Kasuistik zu G. K.: „Er war schon immer etwas schwächlich […] Er soll damals nachts schlaflos und unruhig, zeitweise benommen gewesen sein, soll Erbrechen, Trübsinnszustände und Lebensüberdruss gehabt haben. In dieser Zeit soll er zum ersten Male zum Morphium gegriffen haben, das er schon von einer früher durchgemachten Operation her kannte. Wahrscheinlicher ist aber seine spätere Angabe, dass er schon seit jener Operation, zunächst allerdings nur unregelmäßig, Morphium gebrauchte; denn bei einer nun bald erfolgten Krankenhausaufnahme soll er bereits 1 Gramm pro die angelangt sein. Im Krankenhaus machte K., da er zur Reinhaltung des Saales mit herangezogen wurde, aus gekränkter Ehre einen Selbstmordversuch. Er kam deshalb in die Anstalt, wo ihm das Morphium sofort entzogen wurde“.423

In unmittelbarem Anschluss an die von Wulf zitierte Aussage Meggendorfers schließt sich folgender Originaltext an: „Wenn wir bei unseren Morphinisten durchweg nervöse Erschöpfungszustände beobachten, so müssen wir auch bedenken, dass diese gerade durch den Morphinismus bedingt sein können. Der Morphiumgebrauch macht eben überempfindlich, wehleidig, ermüdbar, schlaflos; er macht psychopathisch und hysterisch und weckt verborgene Anlagen dazu. So haben wir bis auf weiteres mit der Möglichkeit zu rechnen, dass auch körperlich und geistig gesunde und rüstige Menschen unter langdauerndem Morphiumeinfluss zu Morphinisten werden können“.424

Wulf ordnet Meggendorfers Ausführungen425 zur juristischerseits vollzogenen Entmündung in Abhängigkeit von „gutachterlichen Äußerungen der Hamburger Ärzte 422 Als Gutachter der entsprechend analysierten Entmündigungsgutachten werden angeführt: Stationsarzt Herbert Kaltenbach mit seinem Gutachten (GA No 56.95) zu Patientin Hildegard W. vom 18.12.1924 und Arzt Emil Bernd mit seinem entsprechenden Re-Gutachten hierzu, Febr. 1926 sowie Assistenzarzt Arist Stender mit seinem Gutachten (GA No 64.54) zu Patientin Anna Sch., 9. Dez. 1929, ferner Abteilungsarzt Hermann Josephy mit seinem Gutachten (GA No. 57.610) zu Nanny L., 30.06.1926. Vgl. Historisches Krankenblatt-Archiv des Hamburger Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Akte Friedrichsberg, zit. n. ebd., S. 195 und ebd., S. 197–198. 423 Meggendorfer (1928a), S. 297–298. 424 Ebd. S. 298. 425 „‚Tatsächlich gelingt es zum Beispiel in Hamburg nicht selten, Morphinisten aus § 6, 1 BGB zu entmündigen, während andere Gerichte und auch Sachverständige die Voraussetzungen viel enger fassen sollten‘. Die Hamburger Gerichte scheinen also in gewissem Maße geneigt gewesen zu sein, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 6, 1 weniger streng zu definieren als anderswo und damit dem Bemühen von Wohlfahrtsbehörde und Psychiatrie in der Hansestadt, möglichst viele Drogensüchtige unter Zwang zu behandeln, entgegenzukommen. An einer anderen Stelle präzisierte Meggendorfer den für ihn und seine Friedrichsberger Kollegen ausschlaggebenden Aspekt: ,Selbst in Fällen, in denen der Cocainist seine Haltlosigkeit und seine Unfähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen, offensichtlich ausgiebig bewiesen hat, lehnen manche Richter die wegen Geistesschwäche angestrebte Entmündigung dann ab, wenn anzunehmen ist, dass die sich in Haltlosigkeit, Verkommenheit, Neigung zu Vergehen usw. äußernde ,Geistesschwäche‘ eine Folge des Cocainismus ist, während sie die Entmündigung

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und ihre[n] entsprechenden medizinischen Erklärungsansätze[n]“426 in den Gesamtkontext, man „schein[e] […] in Friedrichsberg einen entsprechenden Erklärungsansatz für die Entstehung von Rauschmittelsucht konzipiert zu haben, der genau auf die beschriebenen Denkmuster der Juristen427 zugeschnitten war“.428

Diese Hypothese Wulfs lässt die Anfälligkeit psychiatrischer Konzepte für Instrumentalisierungen deutlich werden. Um hiermit einhergehende psychiatrieethische Implikationen nachhaltig werden zu lassen, könnte es interessant sein, vermehrt auf die Betroffenenperspektive zu fokussieren. Auch wenn die Patientin Hedwig H. – soweit angegeben nicht in direktem Bezug zur Frage der Entmündigung – eine „regelrechte ,Hetzjagd‘ der Fürsorge“429 angab, so gilt es zu berücksichtigen, dass die a-priori-Annahme, eine Entmündigung sei zu Lasten des Patienten, detaillierter geprüft werden könnte.430 Unmittelbar im Vorfeld zu der – auf S. 101, Fn. 425 zitierten – Testpassage bezüglich der juristischen Entmündigungspraxis in Hamburg führte Meggendorfer an, oft sei es

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dann aussprechen, wenn sich erweisen lässt, dass der Cocainismus und die Haltlosigkeit usw. nur Folgen einer schon vorher bestehenden ,Geistesschwäche‘ darstellen“. Vgl. Wulf (2016), S. 202–203 sowie Meggendorfer (1928a), S. 319 und S. 352. Siehe ferner auch S. 100, Fn. 418. Wulf (2016), S. 202. „In zivilrechtlicher Hinsicht ist ein chronischer Cocainist wohl meist als geschäftsunfähig zu bezeichnen; aber auch die in einer vereinzelten Cocainvergiftung abgegebenen Willenserklärungen sind nach § 105, 2 BGB nichtig. Anzustreben ist eine Entmündigung der Cocainisten, wenn diese auch nach den bestehenden Gesetzen zuweilen Schwierigkeiten machen wird. Selbst in Fällen, in denen der Cocainist seine Haltlosigkeit und seine Unfähigkeit, seine Angelegenheiten zu besorgen, offensichtlich ausgiebig bewiesen hat, lehnen manche Richter die wegen Geistesschwäche angestrebte Entmündigung dann ab, wenn anzunehmen ist, dass die sich in Haltlosigkeit, Verkommenheit, Neigung zu Vergehen usw. äußernde ‚Geistesschwäche‘ eine Folge des Cocainismus ist, während sie die Entmündigung dann aussprechen, wenn sich erweisen lässt, dass der Cocainismus und die Haltlosigkeit usw. nur Folgen einer schon vorher bestehenden ‚Geistesschwäche‘ darstellten. Nur zu sehr sehen wir in der Entmündigung eine Beschränkung der Rechte des Entmündigten, oft nur zu seinem Nachteil, während sie doch eine Schutzmaßnahme für ihn darstellt. Mit Recht vermeidet der Schweizer Psychiater Maier in seiner Darstellung des Cocainismus den Ausdruck ‚Entmündigung‘ und spricht von ‚vormundschaftlichen Maßnahmen‘“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 352. Wulf (2016), S. 203. Historisches Krankenblatt-Archiv des Hamburger Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Akte Friedrichsberg, No 61.265, zit. n. ebd., S. 202. So sehen Veselinović und Schneider die „Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung“ auch im Jahre 2016 als Bestandteil einer langfristigen Behandlung der Opiatabhängigkeit. Vgl. Veselinović/Schneider (2016), S. 312. Auch in Bezug auf Störungen der Geschlechtsidentität kann „[es] […] notwendig sein, mit den […] Gerichten (z. B. evtl. Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung für die Bereiche Finanzen) zusammenzuarbeiten“. Vgl. Mathiak et al. (2016), S. 527.

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„wichtig und wünschenswert, einen Morphinisten entmündigen zu können; denn nur dann wäre es möglich, auch gegen seinen Willen die zu seiner Heilung und zur Verhütung von Schädigungen der Familie und der Allgemeinheit nötigen Schritte zu unternehmen“.431

Meggendorfer fokussierte also primär auf die Sicherung des Gemeinwohles als Hintergrund für den Entschluss zur Entmündigung.432 Unmittelbar im Anschluss an das Wulfsche Zitat der Position Meggendorfers, die „den für ihn und seine Friedrichsberger Kollegen ausschlaggebenden Aspekt [präzisierte]“,433 heisst es bei Meggendorfer: „Nur zu sehr sehen wir in der Entmündigung eine Beschränkung der Rechte des Entmündigten, oft nur zu seinem Nachteil, während sie doch eine Schutzmaßnahme für ihn darstellt.434 Mit

431 Meggendorfer (1928a), S. 319. 432 „Durch das Inkrafttreten des Betreuungsgesetzes (BtG) am 01.11.1992 haben sich die rechtlichen Grundlagen für den Psychiater als Gutachter verändert. Das BtG hat die Entmündigung, die Vormundschaft über Volljährige und die Gebrechlichkeitspflegschaft abgeschafft und durch die völlig neue Konzeption der Betreuung ersetzt“. Vgl. Osterheider (2008), S. 223. „Die typischen Aufgabenbereiche [des Betreuers] sind: Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsfürsorge, freiheitsentziehende Maßnahmen (Unterbringungen, Anbringen von Bettgittern), Anhalten und Öffnen der Post“. Vgl. ebd., S. 224. „Eine Totalbetreuung macht dem Betreuer die Besorgung aller rechtlichen Angelegenheiten des Betreuten zur Aufgabe. Hat sie darüber hinaus beispielsweise den Verlust des Wahlrechts zur Folge, kommt sie im Ergebnis der früheren Entmündigung gleich“. Vgl. ebd. Die Erfahrung des klinischen Alltags lehrt, dass die Betreuungseinrichtung von vielen Patienten durchaus positiv gewertet oder sogar explizit gewünscht wird. Eine negative Konnotation der Betreuung nach § 1896 BGB findet sich bei den Betroffenen insbesondere, wenn „[c]hronisch-progrediente hirnorganische Erkrankungen [hierzu] führen […]. Daher sollten bei absehbarer zunehmender Betreuungsbedürftigkeit bereits frühzeitig im Einverständnis mit dem Betroffenen notwendige Betreuungsmaßnahmen geplant werden“. Vgl. Kalus/Gallinat (2010), S. 384. „In Deutschland stehen zur Zeit etwa 1,1 Millionen Menschen unter Betreuung. Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung ist zu erwarten, dass Betreuungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl überproportional zunehmen werden“. Vgl. Osterheider (2011), S. 220. 433 Wulf (2016), S. 202. 434 Die von 04.07.1940–28.10.1940, von 09.12.1940–05.06.1941 und von 01.10.1941– 29.06.1942 bei „Schlafmittelsucht“ an der Psychiatrischen Klinik behandelte F. L. erschien am 15.02.1943 in der Klinik und „verlangt[e]“ den Direktor zu sprechen. Die von Meggendorfer signierte Aktennotiz gibt den Inhalt des Gespräches folgendermaßen wieder: „sie werde von ihrem Vormund, Herrn K. hergeschickt, um mit mir wegen der Aufhebung ihrer Entmündigung zu sprechen. Auch der Vormundschaftsrichter habe das angeregt, weil die Entmündigung ihr in der Stellungssuche nachteilig sei. […]. Nach einigem Hin und Her, in dem Frau F. aber klar zu machen versucht wurde, dass die Entmündigung in ihrem eigenen Interesse wäre, und dass sie eine günstige Hemmung für sie darstelle, meinte Frau F., wenn sie bis jetzt diese Wirkung nicht erreicht habe, werde sie sie auch nicht mehr erreichen. Aber sie sehe schon, dass ich der Aufhebung der Entmündigung ablehnend gegenüberstehe. Mit nur mangelhafter Beherrschung und ziemlich gespannt lief dann Frau F. weg ohne weitere Verabschiedung; sie äusserte ziemlich patzig: ,Eine wohlwollende Einstellung kann ich da nicht erkennen‘“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 215/111; 347/243. Später wurde die Patientin von 14.05.1948–01.09.1949 mit „Depressionszustand bei Cyclothymie. Medikamentensucht“ in der HuPflA behandelt. Bemerkenswerterweise sind die HuPflA-Dokumente integriert in APNK/FAU. Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 38825.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Recht vermeidet der Schweizer Psychiater Maier in seiner Darstellung des Cocainismus den Ausdruck ,Entmündigung‘ und spricht von ,vormundschaftlichen Maßnahmen‘“.435

Meggendorfer betonte also neben dem Schutz der Allgemeinheit vor allem die sichernde Funktion der Entmündigung für den Betroffenen selbst. Wulf führt unter Zitation von Meggendorfer fort: „,Es ist oft schwer, ja unmöglich zu entscheiden, was durch den Morphinismus, was durch die schon vorher vorhanden gewesene Psychopathie bewirkt ist‘. Differenziertere Überlegungen dieser Art treten in den Gutachten gegenüber der durchgehenden Marginalisierung und Diffamierung von Patienten durch Zuweisung einer psychopathischen Konstitution eher in den Hintergrund. So basierte die vermeintlich436 wissenschaftlich fundierte Erklärung von Drogenabhängigkeit auf willkürlichen, kaum belegbaren Vermutungen, die in wesentlichem Maße auf die praktischen Erfordernisse der Entmündigungspraxis in Hamburg ausgerichtet waren“.437

Abb. 16: Von einem Morphinisten in die Anstalt mitgebrachte Ausrüstung438

435 Meggendorfer (1928b), S. 352. Siehe ferner S. 101, Fn. 425. Meggendorfer führte fort: „Dringend wünschenswert wäre, dass ein künftiges Gesetz solche Maßnahmen ,wegen Trunksucht und anderer Rauschgiftsucht‘ erlaubte. Ist eine Entmündigung zustande gekommen, so ist bei ihrer Aufhebung besondere Vorsicht angezeigt; es müsste der Nachweis einer wenigstens einjährigen Enthaltsamkeit in der Freiheit erbracht warden. Vgl. Meggendorfer (1928b), S. 352. Die aktuellen Bestimmungen hierzu seien vergleichend angeführt: „Eine unbefristete Betreuerbestellung ist unzulässig. Die Bestellung muss einen zeitlich definierten Endpunkt haben. Sie darf höchstens 5 Jahre erfolgen. Bei der erneuten Bestellung gelten die Erfordernisse der Erstbestellung, mit Ausnahme der vollen Begutachtung. Im Übrigen entscheidet über die Dauer der Erforderlichkeitsgrundsatz. Die Dauer der Betreuung ist zu regeln. Eine regelmäßige Überprüfung der Betreuungsvoraussetzungen ist vorgeschrieben. Die Dauer der Betreuung und die Überprüfungsfrist wird stets vom Vormundschaftsgericht festgelegt, der Betreuer und der Betreute haben jederzeit die Möglichkeit, Antrag auf Aufhebung der Betreuung zu stellen. Ggf. wird die Aufhebung vom Vormundschaftsgericht angeordnet“. Vgl. Osterheider (2008), S. 224. 436 Als „vermeintlich“ wird in einer aktuellen Rezeption zu Friedrich Meggendorfer auch die Vererbbarkeit von Alkoholismus bezeichnet. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. Zur wissenschaftlichen Datenlage bzgl. Heredität und Alkoholkrankheit siehe S. 588, Fn. 316. 437 Wulf (2016), S. 204 sowie Meggendorfer (1928a), S. 298 und 303. 438 Ebd., S. 310.

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Das von Meggendorfer angesprochene „Henne-Ei“-Problem zeigt sich in abgewandelter Form aktuell als wissenschaftlich anerkannte sowie gemeinhin rezipierte Dilemmasituation.439 Die Betonung der Wechselwirkung zwischen primärem Auslöser und sekundären Folgen440 ist oftmals auch weiterhin im Suchtkontext relevant:441 „Die Kausalität zwischen Abhängigkeitserkrankungen und psychisch komorbiden sonstigen Erkrankungen442 kann grundsätzlich folgende Assoziationen aufweisen: 1. Genetische und Umweltfaktoren prädisponieren mit ähnlichen neurobiologischen Pathways zu beiden Erkrankungen. 2. Psychische Erkrankungen erhöhen die Einnahmewahrscheinlichkeit suchterzeugender Stoffe (z. B. Angsterkrankungen→ BZDs/Alkohol; somatoforme Schmerzstörung → Opiate). 3. Langfristiger Konsum führt zu Komplikationen mit höherer Auftrittswahrscheinlichkeit von psychischen Folgeerkrankungen, die nicht rein stofflich durch die Substanz erzeugt werden (z. B. Alkoholabhängigkeit → sozial prekäre Situation → affektive Erkrankung)“.443

Der Rezipient wird im Unklaren darüber gelassen, inwiefern die zitierte Aussage Meggendorfers – die erneut in direkten Kontext zu Gutachten angeführt wird, obwohl kein von Meggendorfer erstelltes Gutachten als Quelle aufgeführt ist – überhaupt ursprünglich als „Erklärung von Drogenabhängigkeit“444 intendiert war. Die Aussage Meggendorfers reiht sich nicht ohne weiteres in einen ätiopathogeneti-

439 Zum Beispiel im Rahmen der Überlegungen zu „Depression“ vs. „Alkoholkrankheit“. Einerseits versuchen Patienten ihre affektive Notlage im Alkohol zu „ertränken“, andererseits ist chronischer Alkoholmissbrauch depressiogen. „Alkohol löst viele Dinge. Gummi, Harz, Lack, Fett, Benzin […] [Alkohol löst Leber- und Nervenzellen, aber keine Probleme]. Giesst man Alkohol auf Sorgen, sind die erst nicht mehr zu sehen, um dann grösser aufzutauchen statt ersäuft unterzugehen. Denn die Sorgen können schwimmen, schwimmen gut in Bier und Wein“. Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=CwIceEYw8bc. Stand vom 25.07.2016. Siehe ferner Suchtmedizinische Grundversorgung II 23.02.2013/München, persönliche Mitschrift der Verfasserin. „Von einer simplizistischen Spekulation kausaler Beziehung innerhalb der Komorbiditäten sollte individuell in aller Regel abgesehen werden“. Vgl. Vernaleken/Schneider (2016), S. 277. Zu psychischen Komorbiditäten bei alkoholbedingten Störungen siehe ferner Preuss et al. (2016). 440 „Häufig ist es schwer zu entscheiden, ob die […] [komorbiden] psychischen Erkrankungen als Folge- bzw. Begleiterscheinung der Opiatabhängigkeit anzusehen sind, oder ob sie der Opiatabhängigkeit vorausgegangen sind“. Vgl. Veselinović/Schneider (2016), S. 311. 441 „Bei Frauen, weniger häufig bei Männern finden sich neben der Alkoholabhängigkeit weitere psychiatrische Erkrankungen. Dies ist u. U. mit einer schlechteren Prognose verbunden. Psychiatrische Symptome wie Ängstlichkeit und Depressivität, die während häufiger Intoxikationen oder im zeitlichen Umfeld des Entzugs auftreten, sollten nicht mit einer Komorbidität im engeren Sinn verwechselt werden“. Vgl. Mann et al. (2009), S. 352. 442 Alkohol: „Erhöhtes relatives Risiko für insbesondere depressive Erkrankungen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen (v. a. emotional instabil und dissozial, aber auch unsichere Persönlichkeitsstörung), zu anderen Suchterkrankungen hohe Kreuzanfälligkeit, zu Benzodiazepinabhängigkeiten Kreuztoleranz“. Vgl. Vernaleken/Schneider (2016), S. 282. 443 Ebd., S. 273. 444 Wulf (2016), S. 204.

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schen Darstellungsstrang ein, vielmehr zeigt sie sich eingebettet in klinische Aspekte.445 Wulf extrahierte seine Wertung bezüglich „Marginalisierung und Diffamierung“446 mitunter aus folgender Textpassage: „Die Stimmung der Morphinisten schwankt, je nachdem ob sie gerade unter Morphiumeinwirkung stehen oder nicht, zwischen stillem, träumerischem Wohlbehagen und ärgerlicher Ernüchterung.447 Im allgemeinen erscheinen sie verstimmt, mürrisch, gereizt, unzufrieden, zuweilen

445 Es sei hierbei darauf verwiesen, dass Rolf Baer den Inhalten des Meggendorferschen Werkes zu den Intoxikationspsychosen von 1928 weiterhin Relevanz einräumt. Vgl. Baer (2003a), S. 14. 446 Wulf (2016), S. 204. 447 Die Stimmungsschwankungen der stationär ab 09.11.1936 auf „Betäubungsmittel-Freiheit“ untersuchten praktischen Ärztin Dr. med. F. K. sah Meggendorfer als verdächtig für einen fortgesetzten Opiatkonsum: „Die letzte Erkrankung, Morphinismus, sei seelisch bedingt. Vor Jahren habe sie einen Arzt kennengelernt, dem sie bei Narkosen und als Assistentin geholfen habe. Er sei verheiratet gewesen, habe ihr aber versprochen, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten. Besonders habe sie sein Versprechen verlockt, sie nach den Tropen mitzunehmen. Er sei vor dem Kriege Arzt in Togo (in Dahonie) gewesen. Es habe ihr große Mühe gekostet, das Verhältnis zu verbergen, da ihre und seine Familie gesellschaftlich verkehrt hätten. Mit der Zeit habe sie ihn als gemeinen Lügner erkannt. Sie habe deshalb die Beziehungen abbrechen wollen, aber er habe sie immer wieder dadurch zu sich gezwungen, dass er telefonisch in ihrer Wohnung anrief, sie möge kommen und ihm bei einer Narkose helfen. Damals habe sie zuerst zur Spritze gegriffen. Daraufhin habe sie wieder alle Hemmungen vergessen und habe sein Benehmen in ganz anderem Lichte gesehen. Es habe sich nun nicht gleich ein fortlaufender Abusus entwickelt, sondern nur alle 3–6 Wochen, wenn sein Lügen sie allzusehr [sic] angeekelt habe, habe sie Morphium genommen. In der Zwischenzeit half sie sich mit Brom. Wann sich ein richtiger Abusus entwickelt habe, wisse sie bei bestem Willen nicht mehr. Im Jahre 1931 habe dieser Arzt an ihr eine Entziehungskur vorgenommen. Daraufhin habe sie 9 Monate lang kein Gift genommen. Bald aber begann der Mißbrauch von neuem aus den oben geschilderten Gründen. Um endlich wieder gesund zu werden[,] habe sie mit ihrem Freunde gebrochen. Sein Benehmen daraufhin sei einfach unbeschreibbar gewesen. Er habe Briefe geschrieben, die man vielleicht nicht gerade als Drohbriefe, aber vielleicht als Versuch einer geistigen Vergewaltigung bezeichnen könne. Er schrieb z. B. einmal, sie solle sich nur in Acht nehmen wegen ihres Morphinismus, er sei mit dem neuen Bezirksarzt, Dr. von Ebner, gut bekannt. Ausserdem habe er ihr auf Weg und Steg aufgelauert, sodass sie sich kaum mehr getraut habe, auszugehen. Da sie sich bei diesen Aufregungen nicht selbstständig habe vom Morphinismus befreien können, habe sie sich in der Entziehungsanstalt Obersendling einer zweiten Entziehungskur unterzogen, die am 15.5.1935 begonnen habe. Am 18.5.35 habe sie das letzte Morphium bekommen, die Entziehungserscheinungen seien in zwei Wochen vollständig überstanden gewesen. Seitdem habe sie kein Morphium mehr genommen. Die höchste Dosis während des letzten Morphinismus sei 30 Ampullen à 0,02 gewesen. Nach 2 tägigem Klinikaufenthalt trat plötzlich bei F. eine Stimmungsschwankung auf. Sie war weinerlich, einrissig, einsichtslos. Verlangte nachts um 10 Uhr 30 Min. ihre Entlassung. Erklärte laut und gereizt, sie würde keine Minute mehr hier bleiben. Es habe doch keinen Wert mehr[,] wenn sie hier bleiben würde, es dauere viel zu lange. Sie könne es nicht mehr aushalten. F. war auch gegen das Pflegepersonal etwas ausfällig. Lief nachts auf dem Gang hin und her. Ref. gegenüber war sie einsichtslos. Liess sich aber auf längeres Zureden hin einigermaßen beruhigen. Machte einige Tage eine leichtere Grippe durch“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 252/189. Die Patientin wurde am 16.11.1936 entlassen. Das Schreiben der Klinik an das Städtische Gesundheitsamt Nürnberg vom 26.11.1936 lautete wie folgt: „Frl. D. med. F. K. war vom 9./16.11.1936 auf ihren Wunsch zu einer Kon-

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trotzdem mit einem heiteren Einschlag spöttisch, kritisch, sich selbst und andere verhöhnend, dann ganz unvermittelt auch wieder heiter, zufrieden, liebenswürdig. Gelegentlich kommen auch heftige Angstanfälle vor. Die Morphinisten werden gemütlich eingeengt; sie verlieren mehr oder weniger die allgemeinen und höheren Interessen; ihre Hauptsorge dreht sich um die Beschaffung des Morphiums. Sie vernachlässigen ihre Familie, ihren Beruf und ihre sonstigen Pflichten, werden weich, nachgiebig, namentlich auch ihren eigenen Leiden und Beschwerden, aber auch fremden Klagen gegenüber. Darin liegt die große Gefahr morphinistischer Ärzte, die alle Schmerzen dann sogleich mit Morphium zu bekämpfen geneigt sind. Immer mehr tritt eine gemütliche Stumpfheit hervor. Auch das Äußere wird von den Morphinisten nicht selten vernachlässigt. Die Unternehmungslust der Kranken leidet; sie betätigen sich nur ungern. Ihre Spannkraft, ihre Ausdauer und Willenskraft liegen danieder. Allerdings ist oft schwer, ja unmöglich zu entscheiden, was durch den Morphinismus, was durch die schon vorher vorhanden gewesene Psychopathie bewirkt ist“.448

In Bezug auf die von Wulf als diffamierend gewerteten deskriptiven Aussagen Meggendorfers gilt es zu berücksichtigen, dass die psychiatrische Terminologie einem zeitlichen Wandel unterworfen ist. Ein aktuelles Lehrbuch beschreibt unter „F11.1; Chronische Abhängigkeit von Opiaten und Opioiden“449 folgende Klinik der psychischen Veränderungen: „Leistungsabfall, Apathie, Affektlabilität, emotionale Verflachung, Depressionen, Suizidgedanken und Suizid, Depravation“.450 Ohne Zweifel verwendete Meggendorfer Begrifflichkeiten, welchen kein Stellenwert mehr in der aktuell etablierten Fachsprache zukommt. Unter Berücksichtigung der soziokulturellen Gegebenheiten sowie des etablierten fachpsychiatrischen Dokumentationsstils zu Meggendorfers Zeiten lassen sich – zumindest was die Textpassagen in Nähe zum angeführten Meggendorferschen Zitat Wulfs anbelangt – nicht ohne Weiteres Rückschlüsse auf „Marginalisierung und Diffamierung“451 finden. Beim historischen Zugang zu einem Repräsentanten der Psychiatrie lässt dessen Begrifflichkeitswahl nur bei differenzierter Betrachtung einen Rückschluss zu auf zugrundeliegende moralische Dispositionen. Unter Vernachlässigung dieses Aspektes könnte auch der aktuell fachwissenschaftlich etablierte psychiatrische Dokumentationsstil von Historikern der Folgezeit als diffamierend und marginalisierend gewertet werden. Es sei in diesem Kontext vor allem hingewiesen auf die aktuelle Diskussion zur Umbenennung der „Schizophrenie“452 in „Integrationsstörung“ gemäß dem japanischen Vorbild, wo im August 2002 „Sêshin Bunretsu Byô“ umbenannt wurde zu „Tôgô Shicchô Shô“.453

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trolluntersuchung hier in der Klinik. Sie zeigte wiederholt eigentümliche Stimmungsschwankungen, die den Verdacht auf einen Alkaloidgebrauch erweckten. Positiv konnte aber trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nichts nachgewiesen werden. Frl. F. hatte während ihres Hierseins eine leichte fieberhafte Erkrankung (,Grippe‘) und bezog hierauf die Stimmungsschwankungen“. Vgl. ebd. Weiterführend zum Thema suchtkranke Ärzte siehe Bühring (2017). Meggendorfer (1928a), S. 298. Siehe auch Wulf (2016), S. 203–204. Payk (2003), S. 240. Ebd. Wulf (2016), S. 204. Siehe ferner Clauss/Bonah (2016) sowie Sammet (2016a). Vgl. Umehara et al. (2011), Zusammenfassung. Siehe ferner Sartorius et al. (2016).

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2.2.6. Wissenschaftliche Etablierung in Erbpsychiatrie und forensischer Eugenik In einem Vortrag über die klinische Bedeutung der Erblichkeitslehre454 vom 10.02.1925 in Hamburg stellte Meggendorfer fest, die Mittel und Wege der Rassenhygiene seien „keineswegs Utopien; sie bauen sich vielmehr auf sicheren biologischen Grundlagen auf und bedienen sich auch praktisch wohl durchführbarer Maßnahmen“.455 In seinem Beitrag über „Erblichkeitsforschung und Psychiatrie“ von 1925 führte Meggendorfer an, „[e]igentlich müssten die psychischen Störungen als das denkbar ungeeignetste Objekt der Erblichkeitsforschung erscheinen; ist es doch gerade hier meist unmöglich, ein scharf abgrenzbares ‚Material‘ zu erfassen, da bekanntlich geistige Gesundheit und Krankheit fließend ineinander übergehen. Andererseits aber ist die Bedeutung der Vererbung bei den Geisteskrankheiten so klar offenkundig und jedem Beobachter so sehr in die Augen springend, dass sie schon von den ersten Anfängen der wissenschaftlichen Psychiatrie an ausgiebig gewürdigt wurde“.456

Seiner wissenschaftlichen Begeisterung für genealogische Forschung verlieh Meggendorfer Ausdruck, wenn er bemerkte: „unser psychiatrischer Altmeister Kraepelin sagte einmal, auch die Psychiatrie werde unter den Wissenschaften den ihr gebührenden Platz finden, verfüge sie doch über die gleichen Hilfsmittel, die sich auf den übrigen Gebieten der Medizin so glänzend bewährt haben: die klinische Beobachtung, das Mikroskop und das Experiment. Vielleicht dachte Kraepelin damals nicht an die Erblichkeitsforschung, letzten Endes ist aber auch die Familiengeschichte ein Versuchsprotokoll über Experimente, die die Menschen unbewusst im Laufe der Generationen mit sich anstellen. […]. Mit Recht spendete erst kürzlich Kleist457 der psychiatrischen Erblichkeits- und Konstitutionsforschung das hohe Lob, sie hätte das durch die Erstarrung der ätiologischen Fragestellung festgefahrene Schiff der klinischen Forschung wieder flott gemacht […]. Darüber

454 Hatte Ewald Stier (1874–1962) im WS 1912/13 rassenhygienischen Unterricht in Berlin initiiert „ohne sich weiter der Eugenik zu widmen“, so bot zu Anfang des Ersten Weltkrieges lediglich Gabriel Anton (1858–1933), Direktor der Klinik für Psychiatrie und Neurologie in Halle in der Nachfolge Carl Wernickes eine Veranstaltung zur Eugenik unter psychiatrischen Aspekten an. „Mit Kriegsverlauf wurden die Vorlesungen beschränkt auf die fachlichen Grundlagen, zu Beginn der 20er Jahre erneut ausgedehnt auf erbliche Rassenqualitäten und deren Verbesserungsmöglichkeiten. […]. Was vor und während des Ersten Weltkrieges eher dem persönlichen Interesse einzelner Psychiater entsprach, wurde im Laufe der 1920er Jahre – ähnlich der […] Entwicklung in den Fachbereichen Hygiene und Anthropologie – von einer zunehmenden Zahl von Psychiatriedozenten aufgegriffen und in verschiedenen Veranstaltungen behandelt“. Vgl. Günther (1982), S. 82. Siehe ferner Stier (1911). 455 Meggendorfer (1925c), S. 1258. 456 Ders. (1925a), S. 225. 457 Anhand der „13 laufenden Meter“ Archivmaterial des HHStA zu Karl Kleist sollte die Aussage von Georg Goldenberg geprüft werden, wonach “the suspicion that the person hidden behind the famous map was a fervent Nazi, if not a criminal of war, does not seem warranted”. Vgl. Kleemann, C. Archivarin HHStA, Telefonauskunft vom 04.03.2015 und Goldenberg (2011), S. 524. Siehe weiterführend auch Schreiben von Kleist an de Crinis vom 19.10.1939 als “de Crinis, unpublished” in Neumärker/Bartsch (2003), S. 441.

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hinaus vermag uns die erbbiologische Familienforschung nicht selten ein tieferes Verständnis der psychischen und psychotischen Zusammenhänge zu vermitteln“.458

1926 publizierte Meggendorfer zur geschlechtsassoziierten Lebenserwartung in der Zeitschrift der Zentralstelle für Niedersächsische Familiengeschichte. In seiner Arbeit über „[d]ie Langlebigkeit der Frauen und die Kurzlebigkeit der Männer“459 schlussfolgerte Meggendorfer „dass das männliche Geschlecht im allgemeinen eine kürzere Lebensdauer als das weibliche hat, und dass diese Eigentümlichkeit zum Teil auf inneren, erblichen, also nicht vermeidbaren Gründen, zum Teil auf äußeren und vermeidbaren Schädigungen beruht“.460

Die Differenzierung dieser ätiologischen Momente stellt auch heutzutage ein Forschungsdesiderat dar.461 In seinem Vortrag über „[f]amiliengeschichtliche Untersuchungen bei Hirnarteriosklerose“ auf der 90. Versammlung der Gesamten Deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg in der Sitzung vom 16.–19.09.1928 berichtete Meggendorfer die familienanamnestischen Hintergründe von 41 nicht „verkomplizierten“ Fällen von Hirnarteriosklerose, wobei er zur Hypothese kam, nicht allein die arteriosklerotische Vulnerabilität sondern auch die Lokalisation des entsprechend betroffenen Gefäßbezirks seien hereditär bedingt. Abgesehen von den typischen Manifestationen der Hirnarteriosklerose boten Meggendorfers Indexpatienten „meist auch psychische Störungen […]. Irgendein Parallelismus zwischen anatomischer Lokalisation der gröberen Hirnläsionen und den psychischen Störungen ließ sich nicht nachweisen; bei gleichen psychischen Erscheinungen waren Herde in ganz verschiedenen Hirnteilen festzustellen. Immerhin könnten neben den gröberen Störungen auch feinere vorgelegen haben, wie wir sie vielleicht bei den sog. endogenen Psychosen462 anzunehmen haben. Die Beforschung

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Meggendorfer (1925a), S. 226. Ders. (1926c). Ebd., S. 7. Vgl. Luy (2006). „Beide Erkrankungen, d. h. ‚manisch-depressives Irresein‘ und Schizophrenie, wurden endogene Psychosen genannt. Durch den Endogenitätsbegriff wurde eine körperliche, d. h. auf heredo-konstitutionelle Faktoren beruhende Ursache unterstellt, die zumindest bis heute jedoch noch nicht nachgewiesen werden konnte. Die endogenen Psychosen wurden somit nicht im Kausalzusammenhang mit belastenden Erlebnissen gesehen. Leichteren depressiven Störungen wurde nicht der Status eigentlicher Krankheiten zugesprochen, sondern sie wurden – etwa von Kurt Schneider – als ‚Spielarten der Norm‘ […] zugeordnet. [ …]. In der Diagnostik setzte sich eine Dichotomisierung zwischen endogenen Depressionen einerseits und neurotischen bzw. reaktiv-situativen Depressionen andererseits durch. Dabei ging man in der Regel davon aus, dass es sich hierbei um klar abgrenzbare Krankheitseinheiten (mit bimodaler Häufigkeitsverteilung) handelt, d. h. Genetik, Symptomatologie, Verlauf, aber auch Ätiopathogenese und Therapierbarkeit beider Krankheitsgruppen wurden als eindeutig unterscheidbar erachtet. Diese Sichtweise wurde in den letzten 15 Jahren [seit 1994] weitgehend verlassen. Umfangreiche Studien zu allen genannten Bereichen ergaben mehr Überschneidungen und Gemeinsamkeiten als Differenzen zwischen den unterschiedlichen Depressionsformen: So genannte neurotische und reaktive Depressionen zeigen bei detaillierter wissenschaftlicher Analyse in Genetik, Symptomatologie, Epidemiologie, Verlauf und Ansprechen auf unterschiedliche Therapieverfahren keine

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang der Familiengeschichte ergab in fast allen Fällen, in denen ein an eine manisch-depressive oder schizophrene Psychose, an Hysterie oder Epilepsie erinnerndes Bild bestanden hatte, eine entsprechende Belastung in der Familie. Keine Belastung ließ sich nachweisen in den Fällen, in denen Angstzustände, nächtliche Delirien, amnestische Syndrome und stumpfe Demenzen das Bild beherrschten. In den mit Angstzuständen einhergehenden Fällen lag immer eine stärkere Coronarsklerose vor; die anderen Fälle, die den ‚exogenen Reaktionstypen‘ entsprachen, betrafen vorwiegend, aber keineswegs immer, frühere Potatoren“.463

Meggendorfer sah – zumindest bei Hirnarteriosklerose-Erkrankten – keinen direkten Zusammenhang zwischen psychopathologischer Auffälligkeit und fassbarer cerebraler Lokalisation an sich. Diese Position kann als dezente Abgrenzung zur Wernicke-Kleist-Leonhard Schule der Psychopathologie464 interpretiert werden. Meggendorfer schlussfolgerte, ein komplizierterer Aufbau der Psychose lasse sich unter Einbezug der persönlichen- und der Familiengeschichte an manchen Fällen von Hirnarteriosklerose mit psychischen Störungen durchaus didaktisch wirkungsvoll studieren.465 Noch bevor eine neue Bestallungsordnung für Ärzte vom 25.03.1936 „Rassenhygiene“ als Pflichtfach vorsah, hielt Meggendorfer bereits ab dem WS 1921/22 Vorlesungen zu Eugenik und Rassenhygiene.466 Gemäß dem Vorbild führender

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entscheidenden Unterschiede zu den sogenannten endogenen oder früher auch als autonom bezeichneten Depressionen“. Vgl. Berger et al. (2009), S. 492. „Die alte Einteilung in exogene und endogene Depressionen ist sowohl beim ICD-Klassifikationssystem als auch beim amerikanischen DSM-System verlassen worden, und zwar aus diagnostischen und therapeutischen Gründen. Es ist ausgesprochen schwierig festzustellen, welches Ereignis oder welche Verhältnisse bei einem gewissen Patienten als Auslöser für eine Depression in Frage kommen. Viel wichtiger ist, dass dies absolut keine therapeutische Konsequenz hat. Obwohl es sicher verschiedene Subtypen von Depressionen gibt, werden schwere depressive Episoden zumindest in der Anfangsphase der Therapie mit gleichen Methoden behandelt“. Vgl. Schläpfer et al. (2011), S. 69. Die Schwierigkeit der strikten diagnostischen Abgrenzung in endogen und exogen spiegelt sich auch wider in der Diskussion über die Möglichkeit der exogenen Auslösung endogener Störungen. Empfehlenswert hierzu Kornhuber (1955). Zur Frage der körperlichen Störungen der endogenen Psychosen und ihrer Verwertbarkeit in differentialdiagnostischer Hinsicht siehe Roggenbau (1936). Meggendorfer (1929a), S. 640. „So erscheint zunächst wichtig, dass sich eine als praktische Wissenschaft verstehende Psychiatrie nicht nur auf Biologie bzw. Neurobiologie als theoretische Grundlagenwissenschaften stützen kann, sondern dass sie darüber hinaus auch die Sozial- und Kulturwissenschaften einbeziehen muss. Einen besonderen Stellenwert ist jedoch der Psychopathologie beizumessen“. Vgl. Jäger et al. (2017), S. 57. Vgl. Meggendorfer (1929a), S. 640. Eine Auswahl aus der Vorlesungstätigkeit Friedrich Meggendorfers: Wintersemester (WS) 1921/22: „Medizinische Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung der Rassenhygiene“; Sommersemester (SS) 1922: „ärztliche Eheberatung (Ehekonsens) auf Grund der Vererbungslehre“; WS 1922/23: „menschliche Vererbungslehre“, „Rassenhygiene“; SS 1923: „Vererbung und Entartung, dargelegt am Beispiel der neueren Literatur (öffentlich)“; WS 1923/24: „Entartung und Rückartung“, „Medizinische Vererbungslehre“; SS 1924: „Sozialanthropologie (mit besonderer Berücksichtigung von Vererbung und Entartung)“, „Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten im genealogisch demographischem Laboratorium“; WS 1924/25: „Vererbung beim Menschen“, „Anleitung zu wissenschaftlichem Arbeiten im genealogisch demo-

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graphischem Laboratorium“; SS 1925: „Geistesstörung und Giftwirkung (Intoxikationspsychosen)“. Vgl. Pfäfflin et al. (1989), S. 283. In Bezug zur Lehrtätigkeit im Suchtbereich sei verwiesen auf eine aktuelle latente Klassenanalyse von Mannarini/Boffo (2014) zu “Anxiety, bulimia, drug and alcohol addiction, depression, and schizophrenia: what do you think about their aetiology, dangerousness, social distance, and treatment”? Die Autoren kommen zusammenfassend zum Resultat, „[e]in besseres Wissen über mögliche Ursachen und Behandlungsoptionen bei Suchterkrankungen k[ö]nn[e] einer sozialen Stigmatisierung entgegenwirken“. Vgl. Braun (2014a), S. 19; WS 1925/26: „Eugenik (Rassenhygiene)“; SS 1926: „Rausch- und Genussgifte und ihre Wirkung (besonders Alkohol, Morphium, Kokain) (öffentlich)“; WS 1926/27: „Erblichkeitslehre mit besonderer Berücksichtigung der Geistes- und Nervenkrankheiten“; SS 1927: „Hygiene der Nerven- und Geisteskrankheiten (öffentlich)“; WS 1927/28: „Erblichkeitslehre mit besonderer Berücksichtigung der Geistes- und Nervenkrankheiten“; SS 1928: „Hygiene der Nerven- und Geisteskrankheiten (öffentlich)“; WS 1928/29: „Vererbung von Krankheiten, besonders Geistes- und Nervenkrankheiten“; SS 1929: „Psychopathologie, die psychiatrische Propädeutik“; WS 1929/30: „Psychotherapie, die verschiedenen Lehren und Methoden“; SS 1930: „Psychopathologie, die psychiatrische Propädeutik“; WS 1930/31: „Psychotherapie (spezielle Psychotherapie)“; SS 1931: „Die Psychoneurosen und ihre Behandlung“; WS 1931/32: „Psychotherapie (allgemeine Psychotherapie, Wachpsychotherapie, Suggestion und Hypnose)“; SS 1932: „Psychotherapie. Theorie und Kritik der Psychoanalyse“; WS 1932/1933: „Die Psychologie der Neurosen als Grundlage ihrer Behandlung“; SS 1933: „Eugenik“ (Entartung und Rückartung); WS 1933/34: „Menschliche Erblichkeitslehre als Grundlage der Eugenik“; SS 1934: „Rassenhygiene (Eugenik)“, „Erbklinik (Vorstellung von Erbkranken; Besprechung rassenhygienischer Maßnahmen)“; WS 1934/1935: „Menschliche Erblichkeitslehre“, „Rassenhygiene“. Vgl. Pfäfflin et al. (1989), S. 283. Ferner verwiesen sei auf Bussche (1989c), S. 381–398. Neben [Andreas] Pratje und Karl von Angerer wurde Friedrich Meggendorfer in Erlangen in der rassenhygienischen Ausbildung tätig. Vgl. Wittern (1993), S. 389. „Seit dem SS 1934 las von Angerer über ,Erbgesundheitslehre (Rassenhygiene)‘ oder ,Rassenhygiene (die allgemeinen Grundlagen der Erbgesundheitslehre)‘. Im WS 1938/39 bot er gemeinsam mit Meggendorfer unter der jetzt neu im VV [Vorlesungsverzeichnis] eingeführten Fachüberschrift ,Rassenhygiene‘ die einstündige Vorlesung ,Bevölkerungspolitik und Rassenhygiene, mit ihren biologischen, rechtlichen und psychiatrischen Grundlagen‘. [S]ie erschien seit dem SS 1939 unter dem Titel ,Rassenhygiene‘ und wurde seit dem WS 1939/40, offenkundig als Folge der neuen Bestallungsordnung, zweistündig gelesen“. Vgl. ebd., S. 390. „Vom SS 1942 bis SS 1944 organisierte […] [Meggendorfer] eine Gemeinschaftsveranstaltung an der neben ihm noch die Ordinarien Bruno Fleischer [1874–1965] (Augenheilkunde), Otto Goetze (Chirurgie), Richard Greving (Innere Medizin), Fritz Specht (HNO) und Hermann Wintz (Gynäkologie) mitwirkten“. Vgl. ebd., S. 391. Weiterführend auch Fleischer (1930) und zudem http://www.mrcophth.com/ophthalmologyhalloffame/fleischer.html. Stand vom 24.08.2017. „Dieselben Fakultätsmitglieder hatten bereits 1936/37 an einer Vortragsreihe über ,Vererbung beim Menschen‘ teilgenommen, die von der Ortsgruppe Erlangen der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene durchgeführt worden war. Außerdem waren noch die Professoren [Julius] Schwemmle [1894–1979], Pratje und Jamin beteiligt.“ Vgl. Arch. Dek. Med. Fak. Erl. , Nr. 89: „Vererbungslehre“, Bl. 3, zit. n. Wittern (1993), S. 390. Zu Schwemmle siehe ferner Ziegler (1979). Ein Protokoll der Sitzung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie (DGA) vom 09.01.1949 in Frankfurt führt Andreas Pratje auf als Gründungsmitglied neben „Fritz Lenz, P. Diepgen, […] Otmar von Verschuer, Günther Just, […]“. Vgl. Best. 89–16, 1946 –1952: Gründung und Satzung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie (DGA). In: https://www.ub.uni-mainz.de/files/2014/12/Best89_Anthropologie.pdf. Stand vom 25.08.2017. Vgl. weiterführend auch Best. 89–45. 1951–1952: Erstattung anthropologisch-erbbiologischer Vaterschaftsgutachten. In: Ebd. Siehe ferner Braun, I. (2017). Zu Diepgen siehe S.115, Fn. 491.

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Rassenhygieniker467 wie Eugen Fischer468 (1874–1967), Ottmar Freiherr von Verschuer469(1896–1969) und Hermann Muckermann470(1877–1962) als Mitarbeiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts (KWI)471 für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik hatte Meggendorfer – bereits ab 1920 – eine rege Vortragsaktivität472 gezeigt. Dies mag der Schlüsselrolle der Universität Hamburg473 geschuldet gewesen sein. Nach Maria Günther war sie als einzige Universität in 467 Vgl. Weingart et al. (1992), S. 215. 468 Er hatte gemeinsam mit Fritz Lenz und Erwin Baur (1875–1933) das Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene verfasst. Hierin heißt es: „Wenn wir nicht wissen, welche verschiedenen Rassenbestandteile ein Volk zusammensetzen, nach welchen Gesetzen die Rassenunterschiede und die zahllosen Unterschiede der Einzelmenschen vererbt werden und wie Auslesevorgänge auf ein Volk einwirken, tappen wir mit allen Betrachtungen über die Wirkung von sozialen und politischen Einflüssen auf die Beschaffenheit eines Volkes völlig im Dunkeln“. Vgl. Baur et al. (1923), S. 2. Ferner siehe Fischer (1933). Interessant auch das Gespräch von Benno Müller-Hill mit Frau Gertraud Fischer, Tochter von Prof. Eugen Fischer, ca. 1980/1981. Vgl. Müller-Hill (1985), S. 119–121. 469 Zu Verschuers Position zur Unfruchtbarmachung bei schwerer erblicher geistiger Störung siehe Verschuer (1938). Siehe ferner Verschuer (1959). Interessant auch das Gespräch von Benno Müller-Hill mit Dr. Helmut v. Verschuer, Sohn von Prof. Otmar v. Verschuer, ca. 1980/1981. Vgl. Müller-Hill (1985), S. 127–130. 470 Pater Hermann Muckermann, bis 1933 am KWI für Vererbungswissenschaft wirkender Rassenhygieniker, zeigte ein scharfes Auftreten gegen das geplante Sterilisierungsgesetz. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 11. Zu „Eugenik und Katholizismus“ siehe Muckermann (1934). 471 Siehe ferner Roelcke (2004c) und (2011) sowie Ash (2014). 472 Ergänzende Vortragstätigkeit Friedrich Meggendorfers: „Intraarterielle Salvarsanbehandlung“. Sitzung des Ärztlichen Vereins Hamburg vom 18.05.1920; „Postencephalitische Paralysis agitans“. Sitzung des Ärztlichen Vereins Hamburg vom 22.11.1921; „Über spezifische Vererbung einer Angst- und Zwangsneurose“. Sitzung des Ärztlichen Vereins Hamburg vom 04.07.1922; „Tabiker mit Atrophien verschiedener kleiner Handmuskeln“. Gesellschaft der Psychiater und Neurologen Groß-Hamburgs, Sitzung vom 26.11.1922; „Zur Aetiologie der Dementia senilis und Arteriosclerosis cerebri“. Tagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Innsbruck 1924; „Über die klinische Bedeutung der Erblichkeitslehre“, Hamburg, Sitzung vom 10.02.1925; „Einige forensische und kriminalbiologische Auswirkungen der Erblichkeitslehre“. Forensisch- psychologische Gesellschaft Hamburg, 1927; „Familiengeschichtliche Untersuchungen bei Hirnarteriosklerose“. 90. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Hamburg, Sitzung vom 16.–19.09.1928; „Über die Behandlung der Sexualverbrecher“. Vortrag vor der ärztlich-juristischen Gesellschaft in Bremen, 1933; „§ 51 StGB und Rassenpflege“, Fachschaft Justiz, Hamburg, Sitzung vom 14.02.1934; „Zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit“. Tagung des Vereins Deutscher Nervenärzte und Psychiater, Dresden, 1935; „Die Rolle der Konstitution bei der Spätlues des Nervensystems“, Tagung des Vereins Deutscher Nervenärzte und Psychiater, Dresden, 1935; „Erbliche Nervenleiden und Geisteskrankheiten“; Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene, Erlangen, Sitzung vom 07.01.1937; „Vier Vorträge über erbliche Geisteskrankheiten“. Im Auftrag des rassenpolitischen Amtes, Erlangen, April–Mai 1937; „Elektrokrampfbehandlung der Psychosen“. Physikalisch-Medizinische Gesellschaft, Erlangen, 1940; „Alkoholismus und Volksbestand“. Vortrag an der Vierten Konferenz für praktische Bekämpfung der Alkoholgefahren der Reichstelle gegen die Alkohol- und Tabakgefahren, 1940; „Kriminalpsychiatrie“. Vortrag vor Staatsanwälten im Auftrag des Generalstaatsanwalts Nürnberg 1944. Vgl. BayHStA: MK 72018. Zu letzterem Thema fortführend siehe ferner Wetzell (2000). 473 Siehe hierzu Eckardt (1991) und Vogel (1991).

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Deutschland in der psychiatrischen Rassenhygiene-Forschung474 und -Ausbildung jahrelang an führender Position.475 Ab 1926 wurde Meggendorfer in seiner Vortragstätigkeit von Ernst Rittershaus476 unterstützt, so dass innerhalb der angebotenen rassenhygienischen Vorlesungen der psychiatrische Themenbereich dominierte: „[w]ährend einiger Semester, z. B. SS 1922, WS 1922/23, WS 1923/24 und SS 1925 wurden sogar die Veranstaltungen des anthropologischen Fachbereichs zahlenmäßig erreicht bzw. übertroffen“.477

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass ein „Auseinanderklaffen zwischen gesichertem wissenschaftlichen Wissen, praktischer Anwendung von medizinischem Wissen und öffentlicher Proklamation“478 nach Roelcke durchaus kein Spezifikum nationalsozialistischer Wissenschaft und Forschung darstellt. Wilhelm Weygandt befürwortete eindringlich in einer Korrespondenz vom 27.06.1933 einen rassenhygienischen Kurs in München, obgleich er selbst mit den Referenten Friedrich Meggendorfer, Ernst Rittershaus und Albrecht Langelüddeke479 einen Vorlesungszyklus480 an der Hamburger Universität beabsichtigte. Obwohl

474 Als einer der Wegbereiter von Eugenik und Rassenhygiene ist auch Ernst Haeckel (1834–1919) zu erwähnen: „Kolonialismus und Sozialdarwinismus finden durch Haeckels Fortschrittskonzept ihre Begründung. Seine Basistheorie ist denkbar einfach. Ist der Mensch ein Lebewesen, wie jedes andere, dann müssen für ihn die gleichen Bedingungen gelten wie für es; und wenn es um die Evolution geht, dann muss der Darwinismus ganz selbstverständlich auch für die menschliche Evolution gültig sein, so dass natürliche und künstliche Zuchtwahl – Selektion – auch für sie zutreffen müssen. Der ‚Kampf ums Dasein‘ ist sowohl biologisches Grundgesetz für Fauna und Flora wie auch für Individuen, Völker, Kulturen und filtert diejenigen, die die Mitbewerber verdrängen können. Doch dieser ‚Verdrängunsgwettbewerb‘ geht ‚über Leichen‘, er begründet ‚spartanische Selektion‘“. Vgl. Schnase (2005), S. 168. Ernst Haeckels „Lebenswunder“ zeigten sich führend bei der Popularisierung sozialdarwinistischen Gedankenguts in Deutschland. Vgl. Seiderer (1991), S. 24. Siehe ferner Haeckel (1905), S. 136. 475 Vgl. Günther (1982), S. 82. 476 Aus seinem Schrifttum angeführt seien Rittershaus (1924), (1936), (1940) und (1942). 477 Günther (1982), S. 82. 478 Roelcke (2002a), S. 1025. 479 Langelüddeke wurde nach seiner Zeit in Hamburg unter Weygandt bei Ernst Kretschmer in Marburg tätig. Dort betreute er auch eine Dissertationsarbeit über „[d]ie Erfolge der Malariabehandlung der progressiven Paralyse an der Landesheilanstalt in Marburg während der Jahre 1923–1935“. Vgl. Manderbach (1940): „Referent: Prof. Dr. Langelüddeke; Koref.: Prof. Dr. Kretschmer“. Vgl. ebd., S. 2. Zu Langelüddeke siehe ferner StA HH, 131-8 (Senatskommission für den höheren Verwaltungsdienst), G1c HV 1935, LA III/11 (Langelüddeke) und G1c HV 1935, La IV/6 (Langelüddeke); Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in Kassel, Bestand 16 (Marburg), Unterbestand Personalakten (Langelüddeke), zit. n. Wulf (2016), S. 185. Weiterführend auch „Begutachtungen von Albrecht Langelüddeke“. Vgl. Müller (2001), S. 174–198 und „Karrieren Marburger Arztsoldaten. Karl Hermann Albrecht Langelüddeke“. Vgl. ebd., S. 271–278. 480 „Der geplante Titel des Hamburger Vorlesungszyklus ‚Rassenhygiene des Geistes und der Nerven‘ barg für den Hamburger Ärzteführer Wilhelm Holzmann [1878–1949] zu viel ‚Intellektualismus‘ in sich, so dass Weygandt und die Mitreferenten auf Empfehlung des Rektors den

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Weygandt mit seiner Veranstaltungsreihe in Hamburg „eine[] Zuhörerschaft von vielen Hunderten“481 einplante, sieht Schmuhl darin „doch eine regionale Aktion von eher symbolischer Bedeutung“,482 wohingegen Weygandt „[b]ei einem Kurs in München […] ‚[…] ein tieferes Eindringen und sozusagen […] [eine] Ausbildung von Ärzten und Fachleuten […]“483 antizipierte. Eine zunehmende erbhygienische Radikalisierung Meggendorfers lässt sich aus einem Vergleich seiner Positionen zur Syphilis von 1920 versus 1936 ableiten. 1920 hatte er, inspiriert vom Forschungsgebiet seiner akademischen Vorbilder Weygandt484 und Rüdin, in vergleichender Weise die in der Türkei gewonnenen Eindrücke in Bezug zur paralytischen Disposition analysiert und seine EugenikTendenz geoffenbart: „In Konstantinopel zeigten die einzelnen Rassen eine ganz verschiedene Empfänglichkeit für die Paralyse, obgleich die Syphilis der Türken, Griechen, Juden und Armenier doch sicherlich dieselbe ist. […]. Eine Durchsicht der Krankenblätter von Eppendorf und Friedrichsberg […] ergibt keine deutlichen Anhaltspunkte für ein schärferes Hervortreten einzelner Typen […]. Es gibt somit nur wenige unwidersprochene Anhaltspunkte dafür, dass vererbbare konstitutionelle Einflüsse für das Zustandekommen der Paralyse eine erhebliche Rolle spielen“.485

Obwohl Meggendorfer keine Hinweise für eine konstitutionelle Disposition zur Paralyse fand, sah er dennoch eine „Syphilisdurchseuchung der Ascendenten“486 als möglichen Triggerfaktor an. Bei Richtigkeit der „in den allergröbsten Umrissen gezeichnete[n] Auffassung der Paralyse“487 forderte Meggendorfer – 17 Jahre nach Rüdin – die Sterilisierung als negative eugenische Maßnahme. 16 Jahre nach seiner Veröffentlichung zur Disposition zur Paralyse, also zu nationalsozialistischer Regierungszeit, sollte sich Meggendorfers Ansicht zur „Rolle der Konstitution bei der Spätlues des Nervensystems“488 „regimeadaptiert“ zeigen. Die Neurosyphilis zeige wie andere exogen bedingte Geistes- und Nervenkrankheiten „pathoplastisch […] [und] pathogenetisch einen Aufbau aus exogenen und endogenen konstitutionell verankerten Elementen“.489 Um eine erbliche Komponente zumindest bei der individuellen Ausgestaltung der syphilitischen Erkrankung nahe zu legen, sollte Meg-

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Titel änderten in ‚Pflege der Rasse vom Standpunkt des Psychiaters und Nervenarztes‘. Anstelle der Anführung im allgemeinen Vorlesungsverzeichnis wurde der Weygandtsche Zyklus als ‚Publice-Vorlesung‘ angeboten“. Vgl. Schmuhl (2016), S. 211. Weygandt an Rüdin, 27.06.1933, MPIP-HA: GDA 127, zit. n. ebd. Ebd. Vgl. Weygandt an Rüdin, 27.06.1933, MPIP-HA: GDA 127, zit. n. ebd. Weiterführend hierzu: Meggendorfer (1939a), (1939b) und (1939c). Ders. (1920), S. 305–306. Ebd., S. 308. Ebd. Ders. (1936a). Ebd., S. 160.

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gendorfer 1936 nicht davor zurückscheuen, die Ansicht eines „Vorläufer[s] der Psychiatrie“,490 nämlich Paracelsus Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493– 1541),491 zu zitieren: 490 Kirchhoff (1921), zit. n. Kreuter (1996), S. 1074. 491 Paracelsus kritisierte die Humoralpathologie von Hippokrates (circa 460–370 v. Chr). Zur emblematischen Verwendung des hippokratischen Eides als Zeichen einer anachronistischen Grundhaltung bezüglich der Historie des eigenen Standes vgl. Leserbrief von Leven (1997a). Ferner sei verwiesen auf Leven (1997b). Eine Doppelvorbildschaft, repräsentiert durch Hippokrates einerseits und Paracelsus andererseits für die zeitgenössische Ärzteschaft propagierte Paul Diepgen (1878–1966), von 1929–1944 Leiter des Institutes für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, in seinem Vortrag am 31.10.1936 anlässlich der Feier des 75-jährigen Bestehens der Lausitzer Ärztegesellschaft in Cottbus: „Jede Zeit hat ihr Arztideal. Welches soll das unsere sein? Hippokrates oder Paracelsus? Beide waren große Männer, hervorragende, volksverbundene Ärzte und glänzende Therapeuten, beide von Menschenliebe und vom höchsten ärztlichen Ethos erfüllt, beide im Denken und Handeln von der Erfahrung geleitet, der eine kosmopolitisch, der andere national eingestellt. Hippokrates vorsichtiger wägend, vielleicht skeptischer, aus rationeller Überlegung heraus der erste Wegbereiter einer wissenschaftlich fundierten und damit weiter entwicklungsfähigen Medizin, Paracelsus von seiner Totalitätsbetrachtung her der geniale Erfasser großer Zusammenhänge, der Begründer fruchtbarer neuer Gedanken, die berufen waren, das Arzttum und seine Grundlagen in ganz moderne Bahnen und über Hippokrates heraus zu lenken. Beide haben unzähligen Kranken geholfen. Hippokrates oder Paracelsus? Ich glaube, der Arzt fährt heute am besten, der sagt: Hippokrates und Paracelsus soll mein Vorbild sein; denn Rationalismus und Intuition, Skepsis und Zuversicht, eng auf den Einzelfall eingestellte Kritik und Weite des Denkens, Nationalismus und Verstehen für die Belange der anderen Völker der Erde, Jugend und Alter gehören im wahren Arzttum zusammen“. Vgl. Diepgen (1937), S. 29–30. Zu „Hippokrates in der Hölle. Die Verbrechen der KZ-Ärzte“ siehe Cymes (2016). Zu Diepgen selbst und seiner Rolle als NS-Medizinhistoriker empfehlenswert: Frewer/Bruns (2003), dies. (2004), Bruns/Frewer (2005) und Kümmel (2014). Weiterführend auch S. 111. Siehe ferner auch Hoedman (1991). „In den Jahren 1939 bis 1945 konstituierte sich eine ganz ‚neue Medizingeschichte‘. Medizinhistorische Grundlagen sollten nicht nur zur Propagierung des nationalsozialistischen Arztbildes verwendet werden, sondern auf allen Ebenen von Eugenik und ‚Euthanasie‘ bis zur ‚Neuen Ethik‘ eingesetzt werden“. Vgl. Frewer (2008), S. 97. „Man stellte eine Ethik in der Tradition dieses stilisierten Eides nicht grundsätzlich infrage – das wäre in der Ärzteschaft nicht vermittelbar gewesen –, sondern bestritt deren Anwendbarkeit auf bestimmte Konstellationen. So hielt man etwa die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht bei der Anzeige ‚erbkranker‘ Patienten für gerechtfertigt; dies verlange ‚der höhere sittliche Gesichtspunkt‘“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 21. „Spätestens während der Kriegszeit fand in Deutschland eine völlige Umwertung der moralischen Maßstäbe im Bereich des Gesundheitswesens statt. Viele der von den Nationalsozialisten eingeleiteten Maßnahmen bedrohten im Kern das ethische Selbstverständnis, das die Ärzteschaft bis dahin für sich beanspruchte und das oft mit dem unscharfen Begriff des ‚Arzttums‘ umschrieben wurde“. Vgl. Frewer (2008), S. 102. Zu den moralischen Ordnungen des Nationalsozialismus siehe ferner Bialas (2014). „Der nationalsozialistische Staat konzentrierte sich im Jahr 1941 in besonderer Weise auf die Propaganda zu medizinhistorischen und ethischen Themen. Der 400. Todestag des Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, wurde 1941 mit einem wahrhaft ‚bombastischen‘ Aufwand in Salzburger Festtagen und 1943 auch noch cineastisch ins rechte Licht gerückt“. Vgl. Frewer (2008), S. 94. Den Namen „Paracelsus“ anstelle des eigentlichen Herkunftsnamens soll von Hohenheim „erstmals in seinem Nürnberger Jahr von 1529 auf 1530“ verwendet haben. Vgl. Wehr (2012), S. 82. Empfehlenswert ferner Derr (1989).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Wenn wir darin auch noch keineswegs klar sehen, so verstehen wir doch heute schon besser als vor wenigen Jahrzehnten den Ausspruch des alten Paracelsus:492 ‚Die Syphilis nimmt bei jedem Menschen den Charakter derjenigen Krankheit an, zu der er durch Erblichkeit und andere prädisponierende Momente neigt‘“.493

1930 wurde Meggendorfer mit der Abfassung von Enzyklopädie-Beiträgen zu den Themen erbliche Belastung, Infantilismus,494 Schwachsinn und Schwachsinnigenfürsorge betraut. Diese Themenzuordnung zeigt auch Meggendorfers Kenntnis in damaligen kinder- und jugendpsychiatrischen Fragestellungen, womit er auch in der Nachfolge seines Lehrer Weygandt stand.495 In seinem Beitrag zur Schwachsinnigenfürsorge im enzyklopädischen Handbuch des Kinderschutzes und der Jugendfürsorge von 1930 stellte Meggendorfer fest, die Förderung des Schwachsinnigen sei vom Standpunkt der Humanität erfreulich. Die hierdurch steigende Gefahr

492 „In alchimistischen Werken wie dem posthum veröffentlichten Archidoxa (1541) riet Paracelsus zur Anwendung neuer Techniken wie etwa der Destillation, um natürliche Substanzen in chemische ‚Quintessenzen‘ mit starken, den antiken Medizinern unbekannten ‚Tugenden‘ zu verwandeln“. Vgl. Jay (2010), S. 63. „Der einstige Heidelberger Medizinhistoriker Heinrich Schipperges (1918–2003) charakterisierte […] [Paracelsus] mit den Worten: ,Wie eine geheimnisvolle Hieroglyphe zieht sich durch die neuere Geistesgeschichte der Name des Paracelsus und rührt die Geister zu hohem Gespräch‘“. Vgl. Schipperges (1974), zit. n. Wehr (2012), S. 76 493 Meggendorfer (1936a), S. 169. 494 „Auch vom Schwachsinn ist der I.[nfantilismus] wohl abzugrenzen, wenn auch die Infantilen bezüglich ihrer intellektuellen Entwicklung etwa den Debilen gleichzusetzen sind. Beim I. beobachtet man im Gegensatz zum eigentlichen Schwachsinn in den ersten Kindheits- und Schuljahren eine ziemlich normale Entwicklung; erst später tritt die geistige Schwäche deutlich hervor, besonders zur Zeit der Pubertät (s. d.). Während andererseits der Debile und Imbezile eine normale, nicht selten sogar stürmische sexuelle Entwicklung mit all ihren Folgen zeigt, ist sie beim Infantilen verlangsamt und schwach ausgeprägt“. Vgl. ders. (1930c), S. 313. 495 Meggendorfer betreute eine 1932 vorgelegte Dissertationsarbeit mit dem Titel „Ein Beitrag zur Sterilisation Schwachsinniger“: „An dieser Stelle sei es mir gestattet, Herrn ao Professor Dr. med. F. Meggendorfer für die Anregung dieser Arbeit und für die Förderung, die er ihr durch jeder Zeit in der bereitwilligsten Weise gegebene Ratschläge angedeihen ließ, meinen ganz ergebensten Dank auszusprechen“. Vgl. Haselmayer (1932), S. 18. Ein Verweis auf die Promotionsschrift von Heinrich Haselmayer (1906–1978) sowie eine Einschätzung zu Meggendorfer lassen sich im Kontext der Besprechung einer Studie zur nationalsozialistischen Unterwanderung der nordrhein-westfälischen FDP lesen: „Doch dieses Opfer Haselmayer, ein sehr praktischer Arzt, war eher das Gegenteil eines Geburtshelfers. Bereits 1932 wurde der Hamburger NS-Studentenführer mit der 32-seitigen Dissertation ‚Ein Beitrag zur Sterilisation Schwachsinniger‘ von dem Psychiater und Elektroschocker Friedrich Meggendorfer – der forderte pünktlich 1933 die Kastration von Homosexuellen – zum Doktor der Medizin promoviert. Haselmayer betätigte sich als Rassenforscher und als Sterilisierungsexperte. 1935 wurde ihm die seltene Ehre zuteil, als Vorbild der Bewegung in das offizielle ‚Deutsche Führerlexikon‘ der Nazis aufgenommen zu werden. Schon 1923 hatte er den Führer beim Marsch auf die Feldherrnhalle begleitet“. Vgl. Köhler (2010), S. 10. Zu Haselmayer siehe ferner Der Spiegel 04/1953 zit. n. http://www.spiegel.de/spiegel /print/d-25655646.html. Stand vom 07.06.2016. Empfehlenswert auch Lorent (2016), S. 621–656.

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der vermehrten Fortpflanzungsrate könne durch eine zielbewusste Eugenik abgewendet werden.496 Sein Handbuchbeitrag zur erblichen Belastung lautete folgendermaßen: „Bei vielen Geisteskrankheiten und Minderwertigkeiten springt der Einfluss der Erblichkeit so sehr in die Augen, dass schon früh die Aufmerksamkeit der Irrenärzte darauf gelenkt wurde. Aber die Anschauungen, die hierüber noch bis vor kurzem herrschten, erscheinen uns heute recht unklar. […]. Inzwischen haben uns Mendel und seine Nachfolger in der Erblichkeitsforschung verschiedene Formen von Erbgängen kennen gelehrt, und Rüdin zeigte, dass sich diese Forschungsmethoden und -ergebnisse auch auf die Psychiatrie anwenden lassen. Dadurch wurde uns das Verständnis für das Zustandekommen zahlreicher bisher unerklärlicher scheinbarer Unregelmäßigkeiten eröffnet. Es zeigte sich, dass es nicht angängig ist, die verschiedenen Formen der Geisteskrankheiten zusammenzuwerfen und eine Statistik der B.[elastung] von Geisteskrankheiten mit Geisteskrankheiten schlichtweg aufzustellen, sondern dass die B.[elastung] bei jeder Form von Geistesstörung für sich untersucht werden müsse. […]. Diese Forschungen haben bisher u. a. ergeben, dass die verschiedenen Formen der erblich bedingten Idiotie einen rezessiven, die nicht durch äußere Schädigung verursachte Imbezilität und Debilität,497 die schizoide und hysterische Psychopathie und der erbliche Veitstanz (s. betr. Artikel) dagegen einen dominanten Erbgang gehen. In der Praxis ermöglicht die Klärung der Belastungsverhältnisse nicht selten eine richtige Einschätzung der angeschuldigten äußeren Schädigungen und verhilft zur Stellung der für die Behandlung so wichtigen Diagnose“.498

Meggendorfer sah also in seinem Handbuchbeitrag zur erblichen Belastung deren Feststellung insbesondere als relevant für diagnostische Präzisierung und konsekutiv abgestimmte Therapieeinleitung. In Anbetracht seiner eugenischen Ausrichtung lässt sich zwischen den Zeilen lesen, dass mit dieser vagen Formulierung eine interpretative Freiheit auch gegeben sein mag in puncto Therapielimitierung bei Nachweis familiärer Erbbelastung. Die Rolle der Genetik für die Psychiatrie hinsichtlich der Abschätzung des Therapieaufwandes wird auch in einem aktuellen Lehrbuch pointiert dargestellt: „Genetik für den praktischen Alltag des Psychiaters und Psychotherapeuten bedeutet eine sorgfältige Familienanamnese […]. Bei einer psychiatrischen Neuerkrankung ist es prognostisch wichtig zu wissen, ob es in der direkten Verwandtschaft manifeste psychische Erkrankungen gab bzw. gibt, da bei familiärer Belastung mit einer aufwendigeren Therapie zu rechnen ist und auch der Psychoedukation eine besondere Bedeutung zukommt“.499

496 „So wird der Schwachsinnige heute in jeder Weise geschützt und gefördert und in den Stand gesetzt, selbst eine Familie zu gründen und sich fortzupflanzen. So erfreulich dies vom Standpunkte der Humanität auch ist, so liegt darin bei der Erblichkeit vieler Formen von Schwachsinn auch eine gewisse Gefahr, zumal sich Schwachsinnige in der Fortpflanzung nicht wie Vollund Hochwertige Beschränkungen aufzuerlegen pflegen“. Vgl. Meggendorfer (1930g), S. 705. 497 „Pseudodebilität liegt vor bei einem Leistungsversagen (trotz ausreichender Begabung) aufgrund ungünstiger Milieuverhältnisse“. Vgl. Payk (2003), S. 99. 498 Meggendorfer (1930e), S. 75–76. 499 Braus (2004), S. 61.

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Im Sinne positiv eugenischer Maßnahmen befürwortete Meggendorfer 1930 in der Festschrift für Wilhelm Weygandt eine Verbesserung der Ehescheidung500 bei familiär angelegter Erbkrankheit.501

500 Die formalen Schwierigkeiten, die 1937 mit einem einseitigen Ehescheidungsanliegen verbunden waren, zeigt ein Gutachten, welches Meggendorfer auf Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichtes Nürnberg-Fürth vom 21.04.1938 darüber abgab, „ob die beklagte B. F. […], geb. 1903[,] an Schizophrenie, also einer Erbkrankheit leidet und ob die Anlage zu dieser Erkrankung schon zur Zeit der Eheschliessung am 23.12.1927 vorhanden war“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Zur Vorgeschichte gemäß der Aktenlage erhält der Leser des Gutachtens folgende Informationen: Am 23.10.1937 hatte der Ehemann B. Scheidung von seiner Ehefrau wegen eines von ihr begangenen Ehebruches beantragt. Am 11.11.1937 hatte er um Bewilligung des Armenrechtes in der Ehescheidungssache gebeten. Er betonte, seine Ehefrau habe eingestanden, „mit zwei Männern Ehebruch getrieben“ zu haben. Vgl. ebd. Am 03.03.1927 hatte sich die B. F. aus einem Fenster der im 3. Stock gelegenen Wohnung gestürzt und wohl hierdurch eine Gehirnerschütterung, einen dreifachen „Wirbelsäulenbruch und Rückenmarksquetschungen erlitten“. Vgl. ebd. Im Vorfeld habe sie versucht, sich die „Pulsadern aufzuschneiden“. Vgl. ebd. Der Ehemann führte diese Tat auf Liebeskummer zurück. „Die Bitte des Ehemannes wurde abgewiesen, da sich die Ehefrau seit 17.9.37 in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen befinde und nach einer gutachterlichen Aeusserung der Direktion der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen seit etwa März 1937 geisteskrank sei. Eine Beschwerde des Ehemannes B. gegen diesen Beschluss wurde von Oberlandesgericht Nürnberg zurückgewiesen, da der als Zeuge gehörte angebliche Ehebrecher einen Ehebruch in Abrede stellte und auch ein sonstiger Ehebruch der Ehefrau nicht glaubhaft gemacht wurde. Ihr behauptetes Eingeständnis genüge nicht mit Rücksicht auf ihren Geisteszustand“. Vgl. ebd. Am 25.02.1938 hatte der Ehemann B. abermals Gewährung des Armenrechtes beantragt. „Er wolle die Ehe anfechten, er sei in der Heil- und Pflegeanstalt gewesen. Die behandelnde Ärztin habe ihm erklärt, dass es sich bei seiner Frau zweifellos um eine Erbkrankheit handle. Mit Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichtes Nürnberg-Fürth vom 4.3.1938 wurde dem Antragsteller das Armenrecht bewilligt, nachdem durch eine gutachterliche Aeusserung der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen dargetan wurde, dass Frau B. an Schizophrenie leidet. Am 23.3.38 beantragte B. die am 23.12.1927 geschlossene Ehe für nichtig zu erklären. Seine Ehefrau leide an Schizophrenie, einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Da sie am 23.1.1903 geboren, also erst 35 Jahre alt und noch fortpflanzungsfähig sei, müsste vor ihrer Entlassung das Sterilisierungsverfahren durchgeführt werden. Unter diesen Umständen könne ihm nicht länger zugemutet werden, diese Ehe noch länger zu erhalten. Am 29.3.38 beantragte die als Pfleger für Frau B. bestellte Frau A. Z. […] Bewilligung des Armenrechtes für ihren Pflegling. Sie führte zur Begründung an, die Behauptung in der Klage, dass die Beklagte an einer Erbkrankheit leide, müsse mit aller Entschiedenheit bestritten werden. Die Beklagte habe sich seinerzeit aus wirtschaftlicher Not und Verzweiflung, da der Mann jahrelang erwerbslos war, vom zweiten Stock ihrer Wohnung aus dem Fenster herabgestürzt – nur dadurch habe sie den geistigen Defekt erlitten, wegen dessen sie nunmehr Aufnahme in der Heil- und Pflegeanstalt finden musste. Die zur Zeit bestehende geistige Erkrankung sei also nur die Folge der schweren Verletzungen durch den Sturz aus dem Fenster. Auch der in der Folge für Frau B. bestellte Anwalt erklärte, er werde die Abweisung der Klage beantragen. Die Erkrankung der Beklagten sei keinesfalls so, dass sie die Anfechtung der Ehe rechtfertigen könnte. Insbesondere sei es nicht richtig, dass die Beklagte etwa an erblicher Geisteskrankheit leide“. Vgl. ebd. Meggendorfer rezipierte in seinem Gutachten die dokumentierten Inhalte eines stationären Aufenthaltes der B. F. im Städtischen Krankenhaus Nürnberg. „Auch anlässlich einer kürzlich durch mich vorgenommenen Untersuchung liessen sich diese Beobachtungen durchaus bestä-

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tigen. Das bei Frau B. vorliegende Krankheitsbild ist m. E. durchaus eindeutig das einer Schizophrenie, einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. […]. Der Sturz ging nicht mit einer Kopf- oder Gehirnverletzung einher; es bestand hernach keine länger dauernde Bewusstlosigkeit, das Krankheitsbild war und ist durchaus anders als das, das nach einer schweren Gehirnerschütterung oder Gehirnverletzung auftreten kann, sondern es bietet die Kennzeichen einer Schizophrenie. Wie bereits ausgeführt wurde, haben ja auch die psychischen Störungen schon vor dem Sturz aus dem Fenster bestanden. Der Selbstmordversuch war offenbar nicht die Ursache, sondern die Folge der geistigen Erkrankung der Frau B. […] Frau B. leidet an Schizophrenie, einer Erbkrankheit. Die Krankheit beruht auf einer entsprechenden Erbanlage. Die Erbanlage war in Frau B. zum Zeitpunkt ihrer Zeugung an vorhanden, also jedenfalls auch schon zur Zeit ihrer Eheschliessung am 23.12.1927“. Vgl. ebd. 501 Vgl. Meggendorfer (1930b). Die Aussage auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“, „die Rechtsprechung [habe] seine Forderung [übernommen], Ehen dann scheiden lassen zu können, wenn beim Partner ‚minderwertige Erbanlagen‘ vorhanden seien“ muss differenziert betrachtet werden. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/de/geschichte/20koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. Es sind aktuell keine Quellen auffindbar, die belegen, dass die Rechtsprechung explizit Meggendorfers Forderung übernommen hat, vielmehr könnte sie den „eugenische[n] Scheidungsvorschlag“ letztlich gesetzgebend integriert haben, welcher 1930 „[d]er Reichsregierung […] zugegangen sein [soll], der aber in die Regierungsvorlage nicht mit aufgenommen wurde. Von eugenischen Gesichtspunkten aus wäre eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches dringend erwünscht, die allerdings nicht hier, sondern an anderer Stelle Platz finden müsste, nämlich die, dass wegen Geistesschwäche Entmündigte nicht wie bisher eine Ehe eingehen können“. Vgl. Meggendorfer (1930f), S. 294. 1930 forderte Meggendorfer, „[d]ie als sicher vorhanden nachgewiesene Erbanlage für eine schwere Geisteskrankheit oder sonstige psychische Abwegigkeiten aber sollte […] als eine ‚persönliche Eigenschaft‘ im Sinne des § 1333 BGB. angesehen werden“. Vgl. ders. (1930b), S. 349. Meggendorfer präzisierte zusammenfassend, dass im Gegensatz zur Anwesenheit einer Erbanlage zu einer Geisteskrankheit „[e]ine erbliche Belastung mit diesen Übeln dagegen […] an sich keine ‚persönliche‘ Eigenschaft im Sinne des Gesetzes dar[stellt]; wohl aber kann man unter Umständen auf die Anwesenheit einer entsprechenden Erbanlage in der belasteten Person schließen“. Vgl. ebd., S. 351. Im darauffolgenden Jahr beurteilte Meggendorfer den Gesetzgebungsvorgang folgendermaßen: „Für den §1596 BGB sah der Regierungsentwurf folgende Neufassung vor: ‚Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, der Krankheitszustand einen solchen Grad erreicht hat, dass die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist und kein Anlass dafür besteht, dass sie wieder hergestellt werden wird‘. Nach dieser Fassung würde also gegenüber der jetzt geltenden Bestimmung die dreijährige Dauer der Geisteskrankheit nicht mehr Voraussetzung zur Ehescheidung sein. Eine gewisse Erleichterung, besonders auch für den Gutachter, würde die Fassung der letzten Voraussetzung sein, dass nicht mehr jede Aussicht auf Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft ausgeschlossen sein muss, sondern dass nur kein Anhalt für ihre Wiederherstellung zu bestehen braucht. Für eine Ablehnung der rechtlichen Voraussetzungen würde also ein positiver Anhalt für die Wiederherstellung der geistigen Gemeinschaft gefordert. Einstweilen ist die Ehescheidungsreform zum Stillstand gekonmmen, da sich die weltanschaulichen Gegensätze inerhalb der gesetzgebenden Körperschaft nicht überbrücken ließen“. Vgl. ders. (1931b), S. 145–146. Siehe ferner ebd., S. 125 und 143. Sein Werk „Das neue Ehegesetz“ von 1939 leitete Meggendorfer mit folgenden Worten ein: „Die Auswirkung der bereits bestehenden rassenhygienischen Gesetze, insbesondere des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 und des Geset-

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In seinem gerichtlichen Referat von 1931 forderte Meggendorfer – wie bereits 1920502 – negative Eugenik.503 Zur Aufgabe der Ärzteschaft bei der Durchführung eugenischer Gesetze504 positionierte er sich folgendermaßen: „Fast immer aber ist der Arzt in diesen Dingen Anreger und Berater. Dazu muss er die Ziele und die Wege klar erkennen. Die eugenischen Gesetze des eigenen Landes wie die des Auslandes, ihre Entstehung und ihr Ausbau, ihre Vorzüge und Nachteile, müssen ihm wohl vertraut sein“.505

Zunehmend mit forensischen Fragestellungen506 hatte sich Meggendorfer bereits ab 1927 beschäftigt. Seine Perspektive von 1927 in Bezug auf die gerichtliche Relevanz der erbbiologischen Betrachtungsweise zeigte sich differenziert. Einerseits hob Meggendorfer hervor, man könne „[a]us dem Fehlen einer Belastung […], keineswegs auf das Nichtvorhandensein einer erblichen Geistesstörung schließen […], da sich eine Anlage viele Generationen hindurch latent vererben k[önne]“.507

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zes zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes (Ehegesundheitsgesetz) vom 18. Oktober 1935 ließen eine umfassende Regelung der Möglichkeit zur Auflösung nicht mehr tragbarer Ehen vordringlich erscheinen“. Vgl. ders. (1939e), S. 1. Weiterführend zum „Blutschutzgesetz“ und Justiz siehe Gruchmann (1992). Meggendorfer fuhr fort, es sei „deshalb klar, dass nicht nur eine Erbkrankheit selbst, unter Umständen auch schon die Anwesenheit der Anlagen zu einer solchen in einem Gatten einen Umstand darstellt, der bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben könnte“. Vgl. Meggendorfer (1939e), S. 5. Eine Vielzahl der entsprechenden legislativen Anregungen Meggendorfers sehen sich weiterhin im Ehegesetz verankert: „Eherecht (EheG = Ehegesetz). Nach §18 EheG wird die Nichtigkeit einer Ehe erklärt, wenn einer der Ehepartner zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig war (z. B. manische, depressive Phasen, Rauschzustände). Nach § 32 EheG wird eine Ehe für ungültig erklärt, wenn Irrtum über die persönlichen Eigenschaften des Ehegatten vorlag (Oligophrenie, Sucht, sexuelle Abweichung). Das Zerrüttungsprinzip kann angewandt werden: bei einer Zerrüttung der Ehe durch eine psychische Erkrankung“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 443. „Vor allem muss, wie es ja auch schon geschieht, möglichst früh eine Sterilisierung des Körpers angestrebt werden“. Vgl. Meggendorfer (1920), S. 308. Vgl. ders. (1931a). „während die positiven Maßnahmen der Eugenik […] nur soweit für den Arzt in Betracht kommen, als er Berater des Gesetzgebers und Erzieher der Gesellschaft in Sachen der Fortpflanzung und Vermehrung sein kann, gehören besonders die der sog. negativen Eugenik, die den Ausschluss der krankhaften und minderwertigen Erbanlagen aus dem Artprozess bezwecken, weitgehend in das Interessensgebiet des Nerven- und Irrenarztes“. Vgl. ebd., S. 118. Siehe ferner Steinwallner (1939a), (1939b) und (1940a). Meggendorfer (1931a), S. 118. „Die forensische Psychiatrie widmet sich als Subspezialität der Schnittstelle von Psychiatrie und Recht. Sie wendet zu Diagnostik, Beurteilung, Therapie und Forschung Paradigmata und Erkenntnisse aus der allgemeinen Psychiatrie unter Beachtung der speziellen Erfordernisse rechtlicher Fragestellungen und Rahmenbedingungen an und ist daher in ihrer wissenschaftlichen Fortentwicklung wesentlich auf den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt in der Psychiatrie und damit heute auch der Neurowissenschaften angewiesen“. Vgl. Schiltz et al. (2016), S. 274. Meggendorfer (1927/28), S. 2.

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Andererseits betonte Meggendorfer, „[s]elbst bei schwerer Belastung können die Nachkommen vollkommen gesund sein. Deshalb kann man aus der Tatsache der Belastung keinerlei Schlüsse auf die Zurechnungsfähigkeit eines Beschuldigten ziehen“.508

Bereits 1930 hatte Meggendorfer den strafgesetzlichen Entwurf der Verfolgung „männlicher homosexueller 509 Betätigung“ 510 kommentiert, wonach „mit Gefängnis nicht unter 6 Monaten […] bestraft [wird]: erstens ein Mann, der einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründeten Abhängigkeit nötigt, sich zur Unzucht missbrauchen zu lassen; zweitens ein Mann, der gewohnheitsmäßig zum Erwerb mit einem Mann Unzucht treibt, oder sich dazu anbietet; drittens ein Mann über 21 Jahren, der einen männlichen Minderjährigen verführt, sich zur Unzucht missbrauchen zu lassen“.511

Meggendorfer hatte 1930 zurückhaltend betont, „[f]ast alle an dieser Stellungnahme Beteiligten sprachen sich dahin[gehend] aus, dass bei der Entstehung der Homosexualität512 neben der Veranlagung auch der Verführung513 eine recht erhebliche Rolle zukomme. Die Strafandrohung des homosexuellen Verkehrs514 im allgemeinen könne zwar für manche Homosexuelle515 eine gewisse Hemmung bedeuten, doch habe

508 Ebd. 509 Zur Verbindung von “moral insanity” und Homosexualität weiterführend: „Überblickt man den Lebenslauf des W., muss man zu dem Urteil gelangen, dass bei ihm eine psychopathische Anlage schweren Grades vorlag. Von Leidenschaften, Launen und Einfällen getrieben, wankelmütig, ohne feste Lebensziele, ohne rechte Bindungen an andere Menschen, unfähig eine Familie zu gründen, unentwickelt oder gar abartig in seinem Geschlechtsleben, zeigt er das Bild eines haltlosen, süchtigen, homosexuellen ‚dégéneré supérieur‘, wie die Franzosen es genannt haben, oder auch einer ʻmoral insanityʼ, wie die Engländer diesen Typus bezeichnen“. Vgl. Kolle (1961a), S. 337. 510 Meggendorfer (1930f), S. 292. 511 Ebd. 512 Eine chinesische Arbeitsgruppe kam 2016 zu folgender Folgerung: “Sexual orientation is influenced by both environmental factors and biological factors. Family and twin studies have shown that genetic factors play an important role in the formation of male homosexuality. Genome-wide scan also revealed candidate chromosomal regions which may be associated with male homosexuality, but so far no clearly related genes have been found”. Vgl. Tu et al. (2016), Abstract. Siehe ferner Friedman (1993), Voß (2013) und Beachy (2015). 513 „Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass es für die Entwicklung einer heterosexuellen oder homosexuellen Orientierung keine spezifischen Sozialisationsbedingungen gibt […]. Man kann weder zur Homosexualität noch zur Heterosexuelität erzogen oder verführt werden. Sehr wohl aber hängt das sexuelle Verhalten oder die sexuelle Identität mit den jeweiligen familiären oder soziokulturellen Umständen des Aufwachsens zusammen“. Vgl. Mahler (2010), S. 365. 514 Weiterführend auch Schröder (1940) und (1941). 515 „Auch das Wechselspiel zwischen Pathologisierung und Entpathologisierung ungewöhnlicher sexueller Interessen ist seit jeher eingebunden in sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse. Nachdem mit Kinsey et al. […] die empirische Sexualwissenschaft den Menschen zunächst spiegelte, welche Praktiken in welchem Maß verbreitet sind und damit auch darüber aufzuklären meinte, welche Art von sexuellem Wesen der Mensch im Grunde sei, nahm sie mithilfe dieser und in der Folge entstehender weiterer Ergebnisse als neu anerkannte Wissenschaft auch selbst Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse. Diese empirische Wende der Sexualwissenschaft

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang bisher das Strafrecht und das Strafverfahren durchaus versagt; die Abgrenzung der strafbaren Tatbestände sei oft sehr schwierig, ja unmöglich. Zudem leiste die Strafverfolgung der homosexuellen Handlungen der sich breitmachenden Propaganda Vorschub“.516

Im Vergleich zu dieser Position Meggendorfers aus dem Jahr 1930 sah Karl Birnbaum (1878–1950)517 in der zweiten Auflage seines Werkes „Kriminalpsychopathologie und psychobiologische Verbrecherkunde“ von 1931 in der Homosexualität518 die Indikation für hatte selbstverständlich nicht nur in den USA, sondern auch in den europäischen Ländern, so auch in Deutschland ab Mitte der 1960er-Jahre, besonders aber im Nachgang der sog. sexuellen Revolution in den 1970er-Jahren“ seine Bedeutung. Vgl. Briken (2016), S. 259. Siehe ferner Kinsey et al. (1948) und (1954). „Nahezu alle sexuellen Interessen wurden in den letzten 70 Jahren seit Kinsey aus der Umklammerung der Pathologie befreit. Gleichzeitig wird die sexuelle Selbstbestimmung des Gegenübers oder das individuelle Leiden zentral für die Störungskonstruktionen“.Vgl. Briken (2016), S. 263. 516 Meggendorfer (1930f), S. 293. Als „Gedanken zum Problem der Homosexualität“ weiterführend auch Bürger-Prinz (1939a) und (1941b). Ferner publizierte Bürger-Prinz zum Transvestitismus bei Männern. Vgl. ders./Weigel (1940). Bürger-Prinz veröffentlichte zur forensischen Bedeutung menschlichen Trieblebens. Vgl. Bürger-Prinz (1939b). Bezüglich seiner Position zu „Psychiatrie und Strafrecht“ sei verwiesen auf ders. (1942). Zum Forschungsstand bzgl. Transvestitismus in der NS-Zeit sei verwiesen auf Herrn (2014). Zum Transvestitismus in gutachterlichen Aushandlungen zwischen Psychiatrie und Sexualwissenschaft siehe ferner Herrn (2016). Transvestismus und Transvestitismus werden synonym gebraucht. Vgl. Payk (2003), S. 281. 517 Trotz rassenhygienisch relevanten Schrifttums wurde Birnbaum als Jude dienstsuspendiert. Siehe hierzu S. 280. Zu Leben und Werk Birnbaums empfehlenswert Liedtke (1982). 518 „Im Zusammenhang mit einem extrem politisierten Feindbild vom homosexuellen Delinquenten verloren jedoch Erklärungsmuster von Homosexualität als Krankheit ausgerechnet im Nationalsozialismus, der die Erbbiologie zur Grundlage der Politik erhoben hatte, an wissenschaftlicher Bedeutung“. Vgl. Nieden (2005), Zusammenfassung. Primär hatte „mithin erst ein veränderter gesellschaftlicher Umgang mit männlicher Homosexualität, der unbedingte Verfolgungswille der staatlichen Instanzen, […] es möglich [ge]macht[], das Phänomen Homosexualität mit erbbiologischen Untersuchungsmethoden zu bearbeiten. Theo[bald] Langs [1898– 1957] Vorhaben, den genetischen Ursprung der Homosexualität statistisch zu belegen, war folglich etwas grundlegend Neues“. Vgl. ebd., S. 18. Jedoch lässt sich „[a]m Beispiel des beruflichen Scheiterns Theo Langs […] eine in gewisser Weise paradoxe Bewegung nachzeichnen“. Vgl. ebd., S. 41. „Lang machte sich die Hypothese [Richard] Goldschmidts [1887–1958] zueigen, der eine vollständige physiologische Geschlechtsumwandlung als Endpunkt der Intersexualitätsreihe für möglich gehalten, und diese in einen Zusammenhang mit Homosexualität gebracht hatte. Lang wollte nun Goldschmidts These statistisch überprüfen. Er interpretierte zu diesem Zweck homosexuelle Betätigung als Indikator und unterstellte, dass es sich bei männlichen homosexuellen Probanden um ‚genetisch‘ weibliche ‚Intersexuelle‘ in einem männlichen Körper, in Langs Terminologie um ‚Umwandlungsmännchen‘ handelte. Männliche Homosexualität galt als Indiz einer genotypisch weiblichen Anlage und eine dem genetischen Geschlecht biologisch entsprechende sexuelle Ausrichtung. Den Nachweis glaubte er erbringen zu können, indem er aufzeigte, dass es in Familien mit männlichen Homosexuellen statistisch mehr männliche Geschwister gebe als in Familien, in denen keiner der Geschwister aufgrund von Homosexualität auffällig geworden war“. Vgl. ebd., S. 22–23. „Die verschobene ,Geschwisterrelation‘ war als Kriterium eindeutig und hing weder von der Einschätzung der Betroffenen noch der des Forschers ab“. Vgl. ebd., S. 23. „Mochten Theo Langs Annahmen auch Zweifel hervorrufen; das Verfahren der ‚empirischen Erbprognose‘, mit der er den wissenschaftlichen Beweis antreten wollte, galt jedoch als plausibel“. Vgl. ebd. „Entsprechend liest

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man noch 1940 in einem Gutachten, dass Prof. Dr. H. Böhm 1940 für die deutsche Forschungsgemeinschaft verfasste, auch wenn Langs Versuch, die Goldschmidtsche Theorie der Intersexualität auf den Menschen zu übertragen, reichlich phantastisch erscheine, so ließe sich doch nicht leugnen, dass ‚die statistisch exakt durchgearbeiteten Beobachtungen Langs eine gewisse Berechtigung zur Aufstellung einer Hypothese geben“. Vgl. Gutachten Prof. Dr. H. Böhm, 14.3.1940. Bundesarchiv Koblenz, Akten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Akte Theo Lang, R 73/12576, zit. n. ebd. In Anbetracht dieser Theorie Langs sei verwiesen auf folgende aktuelle Forschunngsergebnisse: „Valide und mehrfach reproduziert sind Ergebnisse von Studien, die ein ‚Bruder-Phänomen‘ (ʻfraternal birth order effectʼ) bei homosexuellen Männern zeigen. Demnach haben homosexuelle Männer mehr ältere Brüder als heterosexuelle Männer. Statistische Auswertungen der epidemiologischen Untersuchungen ergeben, dass bei einem von sieben homosexuellen Männern die sexuelle Orientierung auf diesen Effekt zurückzuführen ist […]. Vermutet wird eine mütterliche Immunantwort auf die speziellen Proteine des yChromosoms, die bei jeder folgenden Schwangerschaft mit einem Sohn zunimmt […]. Weibliche Homosexualität kann folglich nicht mit diesem Modell erklärt werden. Die Immunreaktion konnte zudem im direkten Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung noch nicht bewiesen werden“. Vgl. Mahler (2010), S. 365. Siehe ferner Blanchard/Bogaert (1996) sowie Cantor et al. (2002). Langs Studie zur „Hang“-Homosexualität sowie „[d]as Manuskript seiner gleichnamigen Habilitationsschrift gilt als verschollen“. Vgl. Grau (1993), S. 22, zit. n. Nieden (2005), S. 37. Wenn Rauh im Dezember 2016 die Untersuchungen Theo Langs als „Auftragsforschung im schlechtesten Sinne“ bezeichnete, bei welcher es darum gegangen sei, die „Ätiologie zu überprüfen, aber auf keinen Fall den Endogenitätsnachweis zu erbringen“, so mag sich seine Hypothese vorrangig stützen auf die oben angeführten Untersuchungen von Susanne zur Nieden. Rauh präsentierte diese als Ergebnis eigener aktueller Untersuchungen und bezog sich nicht auf die bereits über 10 Jahre alte Arbeit von zur Nieden. Vgl. Rauh (2016f). Siehe ferner Nieden (2005): „Auf der einen Seite war die staatliche Verfolgung homosexueller Männer die Voraussetzung, die das Vorhaben des ehrgeizigen Forschers überhaupt möglich machte. Auf der anderen Seite kollidierte die wissenschaftlich erfolgreiche Durchführung des Projektes letztlich mit eben jenen Bedingungen, die für seine Existenz ursächlich gewesen waren. Vor dem Hintergrund der politischen Aufladung der Homosexuellenproblematik, in deren Mittelpunkt die Konstruktion des Homosexuellen als Staatsfeind stand, wurde das erbbiologische Paradigma relativiert und die wissenschaftliche Definitionsmacht in Frage gestellt. Denn der empirische Nachweis, dass Homosexualiät erblich bedingt war, war dazu geeignet, die polizeiliche Verfolgung und juristische Bestrafung homosexueller Verfehlungen fragwürdig erscheinen lassen. Obwohl die Erbpsychiatrie mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten einen enormen Auftrieb erhielt und erbbiologische Konzepte in nationalsozialistische ‚Rassenpolitik‘ übersetzt wurden, verloren erbbiologische Erklärungsmuster für Homosexualität ausgerechnet im Verlauf der NS-Zeit nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch für die politischen Entscheidungsträger an Bedeutung“. Vgl. ebd., S. 41. Siehe hierzu Goldschmidt (1916). Siehe ferner Lang (1930), (1936), (1937), (1938a), (1938b), (1939a), (1939b), (1940a), (1940b), (1940c), (1941a), (1941b), (1941c), (1943a), (1943b), (1944) und (1945). Wenn Rauh in diesem Kontext Ernst Rüdin und andere zu NS-Zeit erbbiologisch tätige Psychiater als „elastisch genug“ bezeichnet im Sinne einer rein karrierestrategischen Verortung wissenschaflicher Standpunkte, so gilt es, eine zeitliche Einordnung des sexuologischen Diskurs-Wechsels aus Hartmut A. G. Bosinskis Arbeit von 2000 zu zitieren: „Aber auch durch wissenschaftsimmanente Entwicklungen wurde dieser Prozess des Umdenkens über die Geschlechterverhältnisse begleitet und verstärkt. Wesentlichen Anteil an der Veränderung der Sicht auf die Geschlechterdifferenzen hatte zweifellos die sexuologische und psychoneuroendokrinologische Forschung, die mit ihren Ergebnissen die Relativität der biologischen Geschlechterkategorien und deren nur vermittelten Einfluss auf die psychosoziale Geschlechtlichkeit (insbesondere die Geschlechtsidentität und die sexuelle Orientierung) demonstrierte. Diese Prozesse führten

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dazu, dass in den letzten 30 Jahren sich allmählich – zumindest im populärwissenschaftliche gestützten common sense – die Vorstellung herausbildete, der Prozess der Entwicklung der Geschlechtsidentität, des Seins, Fühlens und Verhaltens als Mann oder Frau, sei primär oder gar ausschließlich durch sozialisatorische bzw. psychosoziale Faktoren determiniert. […]. Die Verhältnisse verkehren sich nun: Autoren, die darauf hinwiesen, dass eine solche einseitig soziogenetische Sicht empirisch nicht haltbar sei und der Komplexität menschlicher Entwicklung nicht gerecht würde, liefen Gefahr, als ‚Biologisten‘,‚Traditionalisten‘, letztlich ‚Fortschrittsfeinde‘ angegriffen zu werden. In jüngster Zeit werden nun sexuologische Befunde mitgeteilt, die die zentrale Grundannahme einer solchen exklusiv sozio- und/oder psychogenetischen Sicht auf die Geschlechterentwicklung in Frage stellen. Und es hat den Anschein, als ob nun ein erneutes ‚Umschwingen des Diskurs-Pendels‘ erfolgt: Weg von einem Verständnis des Menschen als ‚Produkt seiner Verhältnisse/Erziehung‘, hin zu einem Bild, das ihn eher als mehr oder weniger willenlosen Spielball in der Hand der ,Biologie als Schicksal‘ zeichnet“. Vgl. Bosinski (2000), S. 97. Zudem gilt es, einen weiterführenden Einblick in die Historie der wissenschaftlichen Positionen bzgl. der genetischen Bedingtheit von Homosexualität zu geben: „War ‚Angeborensein‘ zunächst – u. a. bei [Karl Heinrich] Ulrichs [1825–1895] – eher so zu verstehen, dass in der Embryonalentwicklung eine spezifische Ausformung auch der sexuellen Orientierung erfolge, ging der Schwenk zur Annahme der Erblichkeit von Merkmalen Ende des 19. Jahrhunderts auch in die biologisch-medizinischen Theorien zu Homosexualität ein. Goldschmidt band zunächst auch Homosexualität in sein Modell der Entstehung geschlechtlicher Merkmale, ausgehend von einer genetischen Grundlage, ein, verwarf diese Sicht aber später […]. Lang schloss an Goldschmidts Auffassung an und beschrieb nach Verwandtschaftsstudien in den 1930er Jahren Erblichkeit von Homosexualität. Nachdem [Franz Josef] Kallmann [1897–1965] mit dem Ziel der Sterilisation der Betroffenen Schizophrenie als erblich beschrieben hatte, wandte er sich in den 1950er Jahren Homosexualität zu. Er führte Zwillingsexperimente durch und beschrieb bei eineiigen Zwillingen eine größere Häufigkeit, dass beide Geschwister homosexuell waren, als bei zweieiigen Zwillingen und Nicht-Zwillings-Geschwistern […]. Erst seit den 1980er Jahren wurden solche Sichtweisen nennenswert weiterverfolgt (in den Jahrzehnten zuvor fanden nur einige kleinere Zwillingsstudien zu Homosexualität statt, mit sehr begrenzter Aussagekraft). Bailey et al. führten ebenfalls Zwillingsstudien durch und gelangten – wie Kallmann– zu einer größeren Übereinstimmung homosexueller Orientierung bei eineiigen Zwillingen. Andere Studien konnten keine signifikanten Unterschiede in der Konkordanz bzgl. Homosexualität von eineiigen und zweieiigen Zwillingen finden […]. Hamer et al. beschrieben bei häufigerem Auftreten von männlicher Homosexualität in der mütterlichen Verwandtschaftslinie einen Abschnitt auf dem X-Chromosom (Xq28) als bedeutsam für die Ausbildung männlicher Homosexualität. Rice et al. konnten dies bei gleich angelegtem Experiment nicht zeigen. Später schlugen Hamer et al. (2005) weitere Chromosomenabschnitte auf dem Chromosom 7, 8 und 10 als ergänzend zu Xq28 vor.“. Vgl. Voß (2013), S.72–73. Siehe ferner Goldschmidt (1916), (1931) und (1961), Lang (1936), (1940c), (1941a) und (1943b), Kallmann (1952a) und (1952b), Hamer et al. (1993), Ulrichs (1994), Rice et al. (1999), Kendler et al. (2000), Bearman/Bruckner (2002), Hamer (2005) sowie Långström et al. (2010). Zum Homosexualitäts-Diskurs 1850 –1970 siehe ferner Mildenberger (2002a). Die Studienlage zum Nachweis eines hereditären Einflusses bei Homosexualität zeigt sich uneinheitlich. Es existieren durchaus aktuelle genetische Studien, die keinen hereditären Einfluss nachweisen können. Die oben erwähnte Hypothese zur rein soziopolitisch konformen Ablehnung des Erblichkeitsnachweises Langs durch Rüdin zeigt sich also nicht gänzlich durchdacht. Eine vergleichende Überprüfung der einstigen sowie heutigen wissenschaftlich-genetischen Ergebnisse in Bezug auf ehemals GzVeN-pflichtige Erkrankungen wäre zur Überprüfung der Hypothese wünschenswert.

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„eine Sonderbehandlung, die sich von der rein äußerlichen Gegenwehr einer sichernden Dauerverwahrung in geschlossenen Anstalten durch ihre der Sondereigenart [sic] angepasste Richtung grundsätzlich entfernt: Sie geht auf unmittelbaren körperlichen Eingriff in die beteiligte Sexualsphäre aus […] durch geeignete operative Maßnahmen, speziell Kastration“.519

Die Kastration führe nach Birnbaum zur Abschwächung der sexuell-unsozialen Tendenzen und zur Ausschaltung deren Betätigung. Gemäß der Gesetzeslage von 1931 konnte die Kastration als Heilverfahren bei vorliegender Einverständniserklärung des sexuell Devianten520 vorgenommen werden. In seinem gerichtlichen Referat über die eugenische Gesetzgebung von 1931 sah Meggendorfer in der Kastration521 als Heilbehandlung nur „nebenbei auch einen eugenischen Effekt“;522 vielmehr sei sie aufgrund „der schweren Nachteile […] für die Gesundheit und das Befinden der Operierten […] für die Ausmerzung von ungünstigen Erbanlagen in größerem Umfang nicht geeignet“.523 Am 16.10.1933 wurde „das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln zur Sicherung und Besserung“ erlassen und führte zu grundlegenden Änderungen im Strafrecht und Strafvollzug sowie in der Unterbringung psychisch kranker Straftäter.524 Zu Zeiten der Weimarer Republik seitens der Psy-

519 Birnbaum (1931), S. 128–129. Ferner aus Birnbaums Schrifttum sei angeführt ders. (1923). 520 Ferner empfehlenswert Eschebach (2012). “Political controversies about sexual orientation have often overlapped with scientific controversies. That is, participants on both sides of the sociopolitical debates have tended to believe that scientific findings – and scientific truths – about sexual orientation matter a great deal in making political decisions. The most contentious scientific issues have concerned the causes of sexual orientation – that is, why are some people heterosexual, others bisexual, and others homosexual? The actual relevance of these issues to social, political, and ethical decisions is often poorly justified, however”. Vgl. Bailey et al. (2016), Summary. „Die Geschlechtsidentitätserkrankungen des ICD-10 (F64) wurden neu konzeptualisiert und werden jetzt als Geschlechterinkongruenz bezeichnet. Sie werden nicht mehr psychischen Erkrankungen zugeordnet, sondern erhalten ein eigenes Kapitel im Bereich sexuelle Gesundheit“. Vgl. Klein (2017), S. 70. Siehe ferner Reed et al. (2016). 521 Zur zehnjährigen Erfahrung der gesetzlichen Kastration siehe Sand (1940). 522 Meggendorfer (1931a), S. 124. 523 Ebd. 524 Siehe hierzu auch Creutz (1939).

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chiater kritisch diskutiert, sollte das Gesetz ursprünglich gemeinsam mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (14.07.1933)525 verabschiedet werden.526 Man sah jedoch von einer Inbezugsetzung von Erbkranken- mit Gewohnheitsverbrechergesetz ab, weil man eine negative öffentliche Rezeption fürchtete.527 525 „Das Sterilisierungsgesetz wurde von der Psychiatrie nicht nur kommentiert, sondern auch ‚praktiziert‘. Psychiater waren von ihm, das 1935 dahingehend erweitert wurde, dass bei zu sterilisierenden Frauen, die schwanger waren, mit deren Einwilligung die Leibesfrucht abgetrieben werden konnte [Gesetz betr. die Unterbrechung von Schwangerschaften aus Gründen der Erbkrankheit vom 26. Juni 1935], in zweifacher Weise betroffen. Einmal hatten sie als Anstaltspsychiater eine Anzeigepflicht wie ein Antragsrecht bei den zuständigen Gesundheitsämtern; zum anderen traten sie als Gutachter vor den Erbgesundheitsgerichten auf, die über gestellte Anträge entschieden. Auch in den Spruchkammern dieser Gerichte waren vor allem Anstaltspsychiater vertreten – als Beisitzer neben einem Richter und einem Amtsarzt. Die Einbindung vor allem der Anstaltspsychiatrie in die Praxis der nationalsozialistischen Rassenpolitik muss man sich ansehen und analysieren, um zu einem begründeten Urteil über das Versagen ‚der‘ deutschen Psychiatrie zu gelangen. […]. Sieht man sich die Jahresberichte örtlicher Gesundheitsämter über die Durchführung des Sterilisierungsgesetzes an, so fällt die retardierende Rolle der Anstaltspsychiatrie auf. Sie hat weder bei der ‚Anzeigenerstattung‘ noch bei der ‚Antragstellung‘ besondere Aktivitäten entfaltet. Noch etwas anderes zeigt die Durchsicht dieser Berichte. […]. [Der Widerstand seitens der Betroffenen und der Öffentlichkeit sei] vielleicht für Anstaltspsychiater der Anstoß [gewesen], auf ihre Weise sich für die Interessen ihrer Patienten einzusetzen. Der Widerstand gegen die Sterilisierung wurde vom Reichsministerium des Innern sehr genau registriert. Schon Mitte 1935 machte man sich Gedanken darüber, wie der ‚verschärften Propaganda gegen das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ zu begegnen sei“. Vgl. Blasius (1981), S. 370–373. Die Position von Blasius in Hinblick auf die angeblich „retardierende Rolle der Anstaltspsychiatrie“ kann mittlerweile als widerlegt gelten. Siehe hierzu zum Beispiel Ley (2004). 526 Siehe ferner hierzu Gütt (1933). 527 Weiterführend ferner Fickert (1938). „Die deutschen Psychiater reagierten auf diese nationalsozialistische Gesetzesvorgabe aus einem Geist, der die Verantwortung gegenüber den ihnen anvertrauten Kranken der Verantwortung gegenüber den neuen Machthabern opferte. Nur vereinzelt wurde die Forderung nach Sterilisierung psychisch kranker Menschen zurückgewiesen, so z. B. von Karl Bonhoeffer von einer streng naturwissenschaftlichen Position aus. Die Prominenz der deutschen Psychiatrie aber, die sich in der ab 1935 gleichgeschalteten ‚Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater‘ zusammenfand, stand empathisch [sic] hinter der nationalsozialistischen Gesetzgebung. Hier ist auf den offiziellen Kommentar des Sterilisierungsgesetzes von Gütt, Rüdin und Ruttke zu verweisen, dessen Bezug im März 1934 allen Kassenärzten zur Pflicht gemacht wurde. Namhafte Psychiater stellten ihre Autorität in den Dienst des Sterilisierungsgesetzes. Obwohl z. B. die Erblichkeit der Schizophrenie wissenschaftlich völlig ungeklärt war, machte gerade für die Koryphäen der Psychiatrie ‚jeder Krankheitsschub von schizophrenem Gepräge, auch wenn er nicht schwer ist und nicht zu groben Persönlichkeitsänderungen führt, […] Sterilisierung notwendig. Schizophrenie ist ein unbedingter Sterilisierungsanlass‘. Die Erblichkeit psychiatrischer Krankheitsbilder war für viele Psychiater ein Bekenntnis, dessen außerwissenschaftliche Herkunft sie sich nicht einmal zu verbergen genötigt sahen. Sie hatten auch keine Skrupel, den Schwellenwert von Geisteskrankheit in den Bereich von Minderbegabung und Sozialschädlichkeit zu verlagern. ‚Die Grenze des sterilisierungsbedürftigen Schwachsinns‘ sei ‚dort anzunehmen, wo er hilfsschulbedürftig macht‘. Besonders ‚Alkoholismus‘ war eine Kategorie, die die Möglichkeit eröffnete, auch soziales ‚Fehlverhalten‘ dem Sterilisierungszwang auszusetzen. Die Psychiatrie hatte in der NS-Zeit eine ihrer dunkelsten Stunden; sie hat mit dazu beigetragen, dass in dieser Zeit die Geisteskranken in

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Emmerich sprach von einer ideologisierten „Zangenbewegung, die das Verbrecherische528 und Kranke in der Gesellschaft als ‚gemeinschaftsfeindlich‘ erfassen und ‚ausmerzen‘ sollte“.529 In diesem Kontext bemerkenswert ist, dass Meggendorfer das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN)530 wie „nebenbei“ im Rahmen seiner Abhandlungen zum zukünftigen nationalsozialistischen Strafrecht 1934 erläuterte: „Schließlich sei hier noch kurz auf das ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ vom 14. Juli 1933 eingegangen“:531 „Dieses Gesetz ist zwar keineswegs etwa ein Strafgesetz; es hat aber doch zu den strafgesetzlichen Neuerungen gewisse noch zu besprechende Beziehungen. Das Gesetz ist eine ‚Kannvorschrift‘. Die Entscheidung ist aber im allgemeinen nicht etwa dem Erbkranken selbst oder seinen Angehörigen, sondern fast ausschliesslich dem Ermessen des ‚Erbgesundheitsgerichtes‘

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Deutschland als ‚Erbfeinde unseres Volkes‘ stigmatisiert werden konnten; sie waren damit lebensvernichtender bürokratischer Willkür preisgegeben. Psychiatrischer Opportunismus stand hinter einer Haltung, die die Administrierung psychischer und in letzter Konsequenz auch physischer Vernichtung als Alltagsgeschäft ansah“. Vgl. Blasius (1981), S. 369–370. „Epileptische Erkrankungen führen nach heutiger Forschungslage im Gegensatz zu früheren Auffassungen […] nicht grundsätzlich zu einem erhöhten Delinquenzrisiko. Lediglich bedingt durch das Hinzutreten weiterer kriminogener Faktoren (soziale Isolierung, Alkoholmissbrauch, Intelligenzminderung, Wesensänderung etc.) konnte in einer Population junger epilepsiekranker Männer ein vermehrtes Risiko für Gewaltverbrechen (meist Körperverletzungsdelikte) nachgewiesen werden. Die während epileptischer Anfälle auftretenden Bewusstseinsstörungen führen in aller Regel zur Schuldunfähigkeit, wobei in der Praxis aggressive Verhaltensweisen deutlich häufiger in der Postiktalphase beobachtet werden“. Vgl. Kalus/Gallinat (2010), S. 384. Emmerich (1988), S. 105. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges galt das GzVeN nicht als nationalsozialistisch. Erst in den späten 1950er Jahren diskutierte man den nationalsozialistischen Hintergrund des Gesetzes. Da vergleichbare Gesetze auch in anderen europäischen und außereuropäischen Ländern existierten, wurde es nicht als nationalsozialistisch gewertet. Erst 1986 beurteilte das Amtsgericht Kiel als erstes deutsches Gericht das Gesetz als grundgesetzwidrig. Vgl. Beschluss vom 07.02.1986, AZ 4 XIII 1 /1985, FamRZ 1986, 990, zit. n. Pfeiffer (2008), S. 2. „Neben den nach § 1 GzVeN festgelegten eugenischen Indikationen waren nach § 14 GzVeN auch solche zur ‚Abwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit‘ gesetzlich festgelegt. Bereits im Jahr 1934 veröffentlichten der Medizinalbeamte Arthur Gütt, der Psychiater Ernst Rüdin und der SS-Jurist Falk Ruttke [1894–1955] einen Gesetzeskommentar, in dem die Sterilisation als notwendige präventiv-medizinische Maßnahme dargestellt und Kriterien zur Indikationsstellung formuliert wurden. […]. Als maßgebliches Kriterium für die Selektion von Patienten zur Sterilisation wurde die ‚Fortpflanzungsgefährlichkeit‘ der Betroffenen angeführt, worin die ‚Hauptgefahr‘ für den ‚Volkskörper‘ gesehen wurde. Der Ausprägungsgrad der Krankheitsbilder spielte daneben eine untergeordnete Rolle. Auffallend hierbei ist, dass sich mit dem GzVeN eine andere Form von Krankheitsprophylaxe etablierte, die darauf hinzielte, dem Auftreten von Krankheiten durch die ‚Verhütung‘ potenziell erkrankter Menschen vorzubeugen. Am 26.06.1935 erfuhr das GzVeN eine erste Gesetzesänderung, durch welche die Zulässigkeit und Indikation von eugenischen wie auch medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbrüchen geregelt wurde. Eine zweite Gesetzesänderung vom 04.02.1936 sah des Weiteren vor, dass bei Frauen Sterilisationen auch mittels Bestrahlung der Gonaden und nicht alleine durch operative Verfahren durchgeführt werden konnten“. Vgl. Steger et al. (2012), S. 366–367. Siehe ferner Gütt et al. (1934). Meggendorfer (1934d), S. 72.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang überlassen, dem neben einem ordentlichen, rechtskundigen Richter zwei besonders qualifizierte Ärzte als Richter angehören müssen. […]. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses stellt an die Ärzte die größten Anforderungen: es gibt ihnen zum ersten Male im deutschen Rechtsleben Gelegenheit, in ihrer Eigenschaft als Ärzte gleichzeitig als Richter aufzutreten und die folgenschweren Entscheidungen zu fällen. Dies Gesetz ist wie kein anderes auf die Mithilfe der Ärzte angewiesen; es kann ohne ihre treue und willige, aber auch sachverständige Mitarbeit nicht zu dem Erfolge führen, der erst in mehreren Generationen zu verzeichnen sein wird“.532

Die drei entscheidenden neuen Gesichtspunkte des NS-Gewohnheitsverbrechergesetzes ermöglichten zum Ersten eine staatsanwaltliche Zwangseinweisung533 in die Anstalt; zum Zweiten schafften sie die gesetzliche Grundlage für eine Zwangskastration von Sittlichkeitsverbrechern,534 für die Zwangseinweisung in ein Arbeitshaus oder für die Sicherungsverwahrung;535 zum Dritten führten sie den Terminus der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“ ein: „Dass ein auf den ersten Blick liberales Rechtsinstitut, die ‚verminderte Zurechnungsfähigkeit‘, von den Nationalsozialisten eingeführt wird, könnte verwundern. Aber es wird nicht nur ein neuer Begriff geschaffen, mit ihm wird der Zugriff auf den Menschen erweitert. Zielgruppe des Begriffs der ‚verminderten Zurechungsfähigkeit‘ war nämlich der ‚geistig Minderwertigen‘ [sic], die ‚Psychopathen‘; und selbst fortschrittliche Psychiater sahen für diese Patientengruppe 532 Ebd., S. 72–74. 533 Zur psychiatrischen Einweisungspraxis in den deutschen Diktaturen und in der BRD im Zeitraum von 1941–1963 sei verwiesen auf Coché et al. (2017). 534 Müller, G. aus der der Lippischen Heil- und Pflegeanstalt, Lindenhaus, Brake i. L. stellte Betrachtungen zu den die „Entmannung“ betreffenden Bestimmungen an, welche von Luxenburger folgendermaßen rezensiert wurden: „Verf. weist auf eine Lücke in den die Entmannung betreffenden gesetzlichen Bestimmungen hin, die in der Praxis zu schwierigen Situationen führen kann. Wenn nämlich der für die Entmannung in Betracht kommende Sittlichkeitsverbrecher bisher stets den Schutz des § 51 genossen hatte und nie wegen seiner Straftaten verurteilt werden konnte, oder wenn er, erstmals straffällig geworden, exculpiert werden muss, ist es nicht möglich, ihn nach § 42k des Gesetzes von 24. XI. 1933 zu entmannen, auch dann nicht, wenn er selbst die Entmannung verlangt. Die Anwendbarkeit des § 14 Ges. Verh. erbkr. Nachw. kommt nur in Ausnahmefällen in Frage, nämlich dann, wenn erhebliche Selbstmordgefahr besteht, die nur durch den vom Patienten gewünschten Eingriff behoben werden kann. Verf. fühlt aber selbst, dass es sich hier um eine etwas spitzfindige Auslegung der ‚Abwendung einer ernsten Gefahr für die Gesundheit oder das Leben‘ handelt. An 2 Fällen aus der Praxis werden diese Schwierigkeiten klar gemacht und es wird angeregt, für entsprechend gelagerte Fälle eine Befreiung von den Bindungen zu ermöglichen, die in Abs. 1–3 des § 42k aufgezählt sind und grundsätzlich die geschehene oder zu erwartende Bestrafung eines Zurechnungsfähigen zur Voraussetzung haben. ‚Was letzterem als Strafe auferlegt werden kann‘, sagt Verf., ‚sollte dem Kranken nicht als Wohltat und möglicher Weg zur Heilung verwehrt werden‘“. Vgl. Luxenburger rezensiert Müller, S. 22–23. In: Rezensionen von Schriften aus den Jahren 1935/36 zum Thema Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene in FAM, S. 18–23. Zeitschrift sowie Jahrgang und Heft nicht ersichtlich. Siehe hierzu Müller (1935), ferner weiterführend auch Rattenhuber (1939). 535 Die neugeschaffenen Möglichkeiten der Bestrafung waren eine Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt (§ 42b), die Trinkerheilanstalt (§ 42c), das Arbeitshaus (§ 42d), die Sicherungsverwahrung (§ 42e), die Zwangskastration (§ 42k), die Berufsuntersagung und Reichsverweisung (§ 42l). Vgl. Emmerich (1988), S. 106. Langelüddeke publizierte noch 1963 zur „Entmannung von Sittlichkeitsverbrechern“. Siehe Langelüddeke (1963).

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die Einweisung in das Arbeitslager536 oder die Schaffung eines neuen Anstaltstyps, die Sonderanstalt oder Sicherungsanstalt537 für den Asozialen oder Dissozialen538 vor“.539

Die im Jahresverlauf 1933 anstehende Verabschiedung des Gewohnheitsverbrechergesetzes änderte Meggendorfers Position zur Kastration bei Homosexualität. Hatte er 1931 die „Zeichen des plötzlich gestörten endokrinen Gleichgewichts, allerlei psychonervöse Erscheinungen, selbst epileptische Anfälle […], [das] Gefühl der Verstümmelung und Entwertung“540 als schwere Nachteile der Kastration als Heilbehandlung angeführt, betonte er 1933 in seinem Referat „Über die Behandlung der Sexualverbrecher“,541 dass man „hier zu leicht an die ‚Kastraten‘ mit ihrer hohen kindlichen Stimme und an die orientalischen Eunuchen mit ihrem weibischen Wesen [denke]. Diese Folgen s[eien] aber nicht zu befürchten, wenn die Kastration erst bei erwachsenen Menschen, wenn die sekundären Geschlechtsmerkmale schon ausgebildet sind, ausgeführt w[erde]“.542

Im Jahr von Meggendorfers Berufung auf das Ordinariat in Erlangen hob sein Lehrer Weygandt zum Abschluss seines Kapitels „Über Kastration“ in Rüdins Werk „Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat“ folgendes hervor: „[w]as die von dem neuen Gesetz für Geschlechtsverbrecher vorgesehene Entmannung betrifft, so bedeutet sie keine irgendwie als erheblich zu bezeichnende gesundheitliche Gefahr“.543

536 Im Falle von freiwillig Arbeitsdienst Leistenden findet sich eine Bekanntmachung zur ärztlichen Betreuung der Arbeitsdienstfreiwilligen. Vgl. Ritzau (1933). 537 „Die Berliner Regelung der Bewahrung von Asozialen galt als mustergültig; die gegenüber den vorher geltenden Bestimmungen von 1934 verschärfte Verfügung über Bewahrungsfürsorge (29.03.1938) hatte Modellcharakter – man sprach vom Berliner Bewahrungsgesetz. Im Zweiten Weltkrieg wurden die ‚Gemeinschaftsfremden‘ überwiegend in der Rüstungsindustrie eingesetzt“. Vgl. Emmerich (1988), S. 106. Empfehlenswert als rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge: Willing (2003). 538 „Eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (sog. antisoziale Persönlichkeitsstörung im DSM-5) ist laut ICD-10 erst bei Personen ab 18 Jahren zu diagnostizieren […]. Psychopathie stellt ein Konzept zur Beschreibung einer schweren Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung dar und ist einer der zentralen Begriffe in der forensischen Psychiatrie […]. Psychopathie und dissoziale Persönlichkeitsstörung unterscheiden sich v. a. in der Art der Aggressivität. Ist bei der Psychopathie die Aggressivität meist instrumenteller Natur, d. h. zweck- und zielorientiert, zeigt sich aggressives Verhalten bei der dissozialen Persönlichkeitsstörung hauptsächlich reaktiv“. Vgl. Mathiak et al. (2016), S. 513. Wenn Mathiak erneut Gebrauch macht vom Konzept der Psychopathie, so gilt es die Einschätzung Payks 13 Jahre im Vorfeld hierzu anzuführen: „Der Begriff ,Persönlichkeitsstörung‘ ist teils an die Stelle der früher üblichen Bezeichnung ,abnorme‘ oder ,akzentuierte Persönlichkeit‘ (obsolet: ,Psychopathie‘) getreten, teils findet er Verwendung beim Vorliegen sog. Charakter- oder Kernneurosen mit Prägnanzsymptomatik“. Vgl. Payk (2003), S. 253. 539 Emmerich (1988), S. 105–106. 540 Meggendorfer (1931a), S. 123. 541 Ders. (1933a). 542 Ebd., S. 415. 543 Weygandt (1934), S. 364.

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Im Kontext der „Unfruchtbarmachung von Verbrechern“ gewährt uns Steinwallner einen relevanten „Streifzug544 durch Gesetzgebung und Schrifttum des Auslandes“.545 So existierte seit 26.11.1932 im mexikanischen Bundesstaat Veracruz ein Gesetz zur Unfruchtbarmachung von „rückfälligen“, „unverbesserlichen“ oder „sozial unerwünschte Nachkommenschaft“ hervorbringenden Kriminellen. Das isländische Aufartungsgesetz vom 18.01.1938 legitimierte die „Unfruchtbarmachung von Personen, die so schwer erblich belastet sind, dass sie wahrscheinlich ihre Anlagen zur Verbrechensbegehung auf ihre Nachkommenschaft übertragen werden“.546

Steinwallner verwies zusätzlich auf die entsprechenden Verordnungen zum “hereditary criminals”-Gesetz der amerikanischen Bundesstaaten Connecticut (12.08. 1910), Wisconsin (30.07.1913), California (10.08.1913), Iowa (16.04.1915), Washington (08.03.1921), Oregon (24.02.1923), Idaho (13.03.1925), North Dakota (03.03.1927), Nebraska (30.04.1929).547 Zum Aspekt der Ausschaltung kriminellen Erbgutes aus dem gesellschaftlichen Genpool führte Steinwallner für Kriminalpsychiater und Rassenhygieniker an, dass: „die meisten bisher in den einzelnen Erbkrankengesetzen verwirklichten Indikationsvoraussetzungen (angeborener Schwachsinn usw.) keineswegs ausreichen, um wirksam verbrecherische Erbanlagen – soweit man von solchen heute schon mit Gewissheit sprechen kann – zu erfassen. […] Weiter sollte die Unfruchtbarmachung nur auf jene Fälle beschränkt bleiben, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer diesbezüglichen Belastung der Despendens [sic] gerechnet werden kann; […] [ansonsten] haben staatlicherseits entsprechende Absonderungs-, Erziehungs,- usw. Maßnahmen einzusetzen, die verhüten, dass eine verbrecherische Umwelt unheilvollen Einfluss auf derartige Kinder gewinnt. Nur die kriminelle Veranlagung allein darf hier entscheidend sein. Schließlich ist aus Zweckmäßigkeitsgründen für die Durchführung dieser Maßnahmen grundsätzlich Zwang zu fordern“.548

Es ist davon auszugehen, dass Meggendorfer teilnahm am 11. Internationalen Kongress für Strafrecht und Gefängniswesen, der vom 18. bis 24.08.1935 in Berlin stattfand. Er sollte nämlich die Veröffentlichung zum dortigen Vortrag von Johannes Lange (1891–1938)549 zur Frage, in welchem Falle und nach welchen Grundsätzen

544 Analog hierzu gewährte Meggendorfer einen „Streifzug“ durch die „[n]euere[n] ausländische[n] Strafgesetze und die Probleme der Zurechnungsfähigkeit und der verminderten Zurechnungsfähigkeit“. Vgl. Meggendorfer (1933b). 545 Steinwallner (1940a). Siehe ferner Kennedy (1942), Clees (1994), Carey (1998) und Sofair/Kaldjian (2000). 546 Steinwallner (1940a), S. 363–364. 547 Vgl. ebd. 548 Ebd., S. 365. 549 Im Gegensatz zu Meggendorfer, der die Kastration als ultima ratio und psychotherapeutische Versuche als primär indiziert ansah, bezeichnete Lange den „Versuch einer psychotherapeutischen Beeinflussung […]. wegen des immer zweifelhaften Erfolges und angesichts der ausgezeichneten Wirkungen der Kastration [als] nicht berechtigt“. Vgl. Meggendorfer rezensiert Lange, S. 23. In: Rezensionen von Schriften aus den Jahren 1935/36 zum Thema Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene in FAM, S. 18–23. Zeitschrift sowie Jahrgang und Heft nicht ersichtlich.

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sich im modernen Strafsystem die Anwendung der Sterilisation durch Kastration oder durch Vasektomie oder Salpingektomie empfiehlt, rezensieren:550 „Die Kastration [unter forensischen Gesichtspunkten] hat als Nebenerfolg wahrscheinlich auch eine gute rassenhygienische Wirkung, da sie gleichzeitig die Sterilisation der zum großen Teil erblich minderwertigen Sittlichkeitsverbrecher zur Folge hat. Die Sterilisation durch Vasektomie oder Salpingektomie dagegen empfiehlt sich ausschließlich aus rassenhygienischen [, nicht aus strafrechtlichen] Gesichtspunkten und dann, wenn die kriminelle Neigung eines Verbrechers vorwiegend erblich bedingt ist“.551

Gemäß der Meggendorferschen Rezension von Lange lassen gewisse Erfahrungen darauf schließen, „dass günstige Erfolge mit Wahrscheinlichkeit in der Mehrzahl der Fälle auch dann eintreten werden, wenn der Eingriff ohne oder gegen den Willen der Betroffenen erfolgt“.552 Meggendorfer setzte der „Auffassung Magnus Hirschfelds [1868–1935],553 [Homosexualität beruhe] auf einer anlagemäßigen Verschiedenheit der Keimdrüsen“,554 Befunde von Slotopolsky aus der Chirurgischen Universitätsklinik Zürich

550 Weiterführend Lange (1935). 551 Meggendorfer rezensiert Lange, S. 23. In: Rezensionen von Schriften aus den Jahren 1935/36 zum Thema Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene in FAM, S. 18–23. Zeitschrift sowie Jahrgang und Heft nicht ersichtlich. Ebenso wie Fritz Lenz rezensierte auch Meggendorfer Langes Werk „Verbrechen als Schicksal“. Vgl. Wetzell (2000), S. 167. Siehe ferner Meggendorfer (1929c) und Lenz (1929) sowie Lange (1929). 552 Meggendorfer rezensiert Lange, S. 23. In: Rezensionen von Schriften aus den Jahren 1935/36 zum Thema Vererbungswissenschaft und Rassenhygiene in FAM, S. 18–23. 553 „1919 gründete Magnus Hirschfeld das weltweit erste ‚Institut für Sexualwissenschaft‘. Es war in einer großen, dreigeschossigen Villa im Tiergarten untergebracht. Die Bibliothek umfasste ca. 20.000 Bücher, 35.000 Photographien und 40.000 Erfahrungsberichte bzw. biographische Briefe. 1924 wurde das Institut in eine Stiftung umgewandelt und Hirschfeld zum Direktor auf Lebenszeit ernannt. Die Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität verpflichtete sich seinerzeit, das Institut nach Hirschfelds Tod als eine universitäre Einrichtung zu übernehmen und einen Lehrstuhl für Sexualwissenschaften zu schaffen. Dazu ist es nach dem Krieg nicht gekommen. Das Institut hatte zu Hirschfelds Zeit über vierzig Mitarbeiter und bot wissenschaftliche und juristische Hilfe in allen sexuellen Fragen an: Schwangerschaftsberatung, allgemeine körperliche und seelische Sexualleiden sowie spezielle Hilfe für Homosexuelle, Transvestiten und Hermaphroditen. [Ludwig] Levy-Lenz [1892–1966], ein damaliger Mitarbeiter, führte den Vandalismus der Nazis nicht zuletzt darauf zurück, dass viele prominente Nationalsozialisten selbst Patienten des Instituts gewesen waren und Indiskretionen fürchteten“. Vgl. http://www.buecherverbrennung33.de/hirschfeld.html. Stand vom 12.12.2016. Weiterführend auch: https://gedenkort.charite.de/aktivitaeten/meldungen/artikel/detail/sex brennt_magnus_hirschfelds_institut_fuer_sexualwssenschaft_und_die_buecherverbrennung/. Stand vom 08.12.2016. Zu Hirschfeld siehe ferner S. 400–401. 554 Meggendorfer (1933a), S. 416. Siehe ferner Hirschfeld (1898) sowie Mildenberger (2002b).

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entgegen, wonach die Hoden von acht in der Schweiz kastrierten Sexualverbrecher555 keine von der Norm abweichenden Veränderungen aufzeigten. Meggendorfer bezweifelte kaum, „dass es Fälle von Homosexualität gibt, die nicht angeboren und organisch-konstitutionell, sondern erworben und psychogen bedingt sind“.556 „Bei Homosexualität, wenn sie immer wieder zu strafbaren Handlungen führt […] [sollte] die Behandlung […] außer der Einleitung der Alkoholabstinenz zunächst möglichst eine Psychotherapie557 sein. Kommt man mit der Psychotherapie nicht zum Ziele […] so bleibt als ultima ratio die Kastration“.558

555 „Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gab es lange Jahre jeweils eine Abteilung für Sexualforschung (Direktoren: Eberhard Schorsch, Wolfgang Berner) und eine für forensische Psychiatrie (Direktoren: Werner F. J. Krause, Hans Jürgen Horn), die sich – obwohl in einem Gebäude untergebracht – sehr unterschiedlich positionierten. In der Amtszeit von Wolfgang Berner wurden in Hamburg unter Druck universitärer Sparzwänge beide Institutionen zusammengelegt. Die Verbindungen der beiden Themen dürften allerdings kaum nur zufällig, sondern auf die Legierung […] und die Versuche der Differenzierung zwischen Aggressivem und Sexuellem zurückzuführen sein, wie sie schon in Krafft-Ebings […] [1840–1902] zentralem Werk der ‚Psychopathia sexualis‘ beschrieben wurden oder wie sie Freud psychoanalytisch interpretiert hat“. Vgl. Briken (2016), S. 258–259. Zu Krafft-Ebing siehe ferner Krafft-Ebing (1886) sowie Ammerer (2011). Als Personenlexikon der Sexualforschung sei verwiesen auf Sigusch/Grau (2009). 556 Meggendorfer (1933a), S. 416 557 „Psychotherapie, Seelendienst im Sinne der Hilfe, setzt voraus, dass der Mensch in seiner anthropologischen Gegebenheit ein leidendes Wesen ist. Insofern ist Psychotherapie in allgemeiner Bedeutung mit jeder ärztlichen Handlung verknüpft. Das Wort Psychotherapie in moderner Begrifflichkeit ist ein spätes Kind des 19. Jahrhunderts, und hier erwies sich die Psychotherapie als eine spezifische Bewegung, die einen Anspruch auf Selbstständigkeit innerhalb der medizinischen Fachdisziplinen erhebt. Ihre historische Entwicklung geht im Vergleich mit anderen Fachgebieten der Medizin – wenn ein solcher Vergleich überhaupt möglich ist – einen völlig anderen Weg. Am ehesten noch benachbart einer Geschichte der Psychopathologie, verbleibt Psychotherapie als Seelendienst jahrhundertelang enger mit nicht-medizinischen Bereichen verbunden als mit Medizin. Diese innere Zugehörigkeit zu nicht-medizinischen Kategorien macht noch heute ihre Zwitterstellung aus“. Vgl. Wettley (1965), S. 42. 558 Meggendorfer (1933a), S. 417. „So genannte Konversionstherapie und Reparativtherapien haben die Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten und/oder der homosexuellen Orientierung in eine heterosexuelle zum Ziel. Die weltweit führenden Fachgesellschaften lehnen solche Behandlungsversuche ab, da sie im Widerspruch zur heutigen psychiatrischen Auffassung von Homosexualität stehen. Es gibt keinen Beleg für eine nachhaltige Veränderbarkeit der sexuellen Orientierung durch therapeutische Interventionen“. Vgl. Mahler (2010), S. 369. “Conversion therapies are any treatments, including individual talk therapy, behavioral (e. g. aversive stimuli), group therapy or milieu […] treatments, which attempt to change an individual’s sexual orientation from homosexual to heterosexual. However these practices have been repudiated by major mental health organizations because of increasing evidence that they are ineffective and may cause harm to patients and their families who fail to change.[…]. The growing trend toward banning conversion therapies creates challenges for licensing boards and ethics committees, most of which are unfamiliar with the issues raised by complaints against conversion therapists. This paper reviews the history of conversion therapy practices as well as clinical, ethical and research issues they raise. With this information, state licensing boards, ethics committees and other regulatory bodies will be better able to adjudicate complaints from members of the public who have been exposed to conversion therapies”. Vgl. Drescher et al.

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Diesen „ultima ratio“-Status der Empfehlung gilt es zu berücksichtigen, wenn Klee 2001 angab „der Psychiater Friedrich Meggendorfer empfahl schon 1933 die Entmannung als Therapie der Homosexuellen“.559 Meggendorfer betonte, diese ultima ratio-Lösung sei zwar verstümmelnd, beinhalte jedoch keine Erfolgsgarantie. Im Gegensatz zum Psychiater Rudolf Lemke (1906–1957),560 welcher sich in Jena „über die Ursache und strafrechtliche Beurteilung der Homosexualität“561 habilitiert hatte, findet sich kein Hinweis darauf, dass Meggendorfer speziell als Gutachter in „Homosexuellen-Verfahren“ tätig war.562 Lemkes Röntgen- bzw. luftencephalographischen Untersuchungen signalisieren die unternommenen Forschungsbemühungen, die Ätiologie von Homosexualität563 sichtbar zu machen. Noch in der vierten überarbeiteten Auflage des Werkes „Sexual disorders in the male“ bearbeitete der Kretschmer-Schüler Eric Benjamin Strauss (1894–1961)

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(2016), Abstract. Zu “Continuities or Ruptures? Concepts, Institutions, and Contexts of Twentieth-Century German Psychiatry and Mental Health Care” siehe Roelcke (2005). Ob Meggendorfers Empfehlung zur Psychotherapie womöglich den Einbezug der Schottschen „diabolischen” Verfahren einschloss, muss offen bleiben. Siehe hierzu S. 548. Klee (2001), S. 203. Zur Rolle Rudolf Lemkes bei der Etablierung der Kinderneuropsychiatrie in der Nachkriegszeit siehe ferner Gerhard/Schönberg (2007). Lemke (1940) und Klee (2003), S. 365. Siehe ferner Lemke (1939b) und (1941). Ferner siehe Pfäfflin (1991) und Rönn (2000). Zu „Homosexuelle[n] unter dem Hakenkreuz“ siehe Jellonnek (1990). Der in Ansbach geborene August von Platen-Hallermund (1796–1835), spätere August von Platen-Hallermünde/Graf Platen ist im weiteren Sinne ein „Kind“ der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen: „Es ist bekannt, dass der Dichter während seines siebenjährigen Erlanger Aufenthaltes mehrere Jahre, vom Herbst 1823 bis zu seiner Abreise nach Italien im Herbst 1826, an der Universitätsbibliothek als ‚practizierender Lieutnant‘ tätig war […]“. Vgl. Stollreither (1936), Vorwort. Vor diesem Hintergrund soll auf dessen Rolle im Diskurs der Homosexualität verwiesen werden: “A neglected area of Platen’s legacy featured here occurs outside the established german literary canon. Platen’s unabridged Tagebücher (1896–1900) influenced pioneering psychoanalysts. These diaries also inspired articles about Platen in der ‚Eigene‘ and ,Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen‘, the first gay periodicals. German homosexual studies were first translated into English by Xavier Mayne [Pseudonym des Edward Irenaeus Prime-Stevenson (1858–1942)] in The Intersexes (1908), a sexology treated here in detail. In this work, Mayne upheld Platen as a cultural icon for the nascent gay community. He also treated Platen in other writings, such as in Imre (1906), which is considered the first American gay novel”.Vgl. Sean (2001), Abstract. Siehe ferner Hirschfeld (1899–1923, Ausgabe von 1992) Prime-Stevenson (1906) und Prime-Stevenson (1908). Weiterführend auch Stollreither (1936) sowie Dobler (2004). Das Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen wurde zwischen 1899 und 1923 in 23 Jahrgängen von Magnus Hirschfeld und dem Wissenschaftlich-humanitären Komitee (WhK) herausgegeben. „Das Jahrbuch ist eine bis heute beeindruckende einzigartige Sammlung von Forschungsbeiträgen über sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, insbesondere Homosexuelle, Transvestiten und Hermaphroditen in all ihren Facetten der Geschichte, der Ethnologie, der Medizin, der Rechtswissenschaft, der Biologie, des Emanzipationskampfes, der Literatur, der Kunst, der Religion und der Biographieforschung. Darüber hinaus spiegelt es den Stand der sich etablierenden damaligen Sexualwissenschaft insgesamt wider“.Vgl. ebd., S. 7.

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1954 gemeinsam mit K. Walker564 das Thema der Homosexualität565 insbesondere in Bezug auf ihre strafrechtlichen Konsequenzen: “Homosexuality is of special importance, not only on account of its frequent incidence, but because homosexual practices of all grades and kinds were treated by law as grave misdemeanours or felonies. In fact, imprisonment is the only recognized form of ʻtreatmentʼ for sexual inversion. At this point we might with advantage consider whether penal laws directed against homosexual practices are desirable or even effectual”.566

Die Wirkungsweise einer psychiatrischen Behandlung der Homosexualität sahen Strauss und Walker in der differentialdiagnostischen Zuordnung567 zwischen “adventitious homosexuality and true inversion”568 sowie in der Durchführung von Psychotherapie. Strauss und Walker schlussfolgerten, Bestrafung erziele weniger

564 Vorname und Lebensdaten unbekannt. 565 „Eine differenziertere Betrachtungsweise von Homosexualität begann vor allem in Folge der Ergebnisse der so genannten Kinsey-Studien (Kinsey et al. 1948, 1954). Heute zählen HeteroBi- und Homosexualität zu den Normvarianten der sexuellen Orientierung. Nach langen wissenschaftlichen Debatten wurde daher die Homosexualität 1973 aus dem DSM und 1991 aus der ICD-Klassifikation als Diagnose gestrichen. Auch wenn bei den meisten Ärzten und Therapeuten Konsens darüber besteht, dass Homosexualität keine Erkrankung ist, herrscht bei den meisten von ihnen eine große Verunsicherung und Ambivalenz vor […]. Nicht pathologisierende Entwicklungstheorien und neuere Erkenntnisse zur sexuellen Orientierung, die einen wertfreien und professionellen Umgang mit Menschen mit homo- oder bisexueller Orientierung ermöglichen und deren spezifischen Bedarf im therapeutischen Setting erkennbar machen, finden in der Lehre kaum Beachtung“. Vgl. Mahler (2010), S. 363. Siehe ferner Kinsey et al. (1948) und (1954) sowie Bell et al. (1978). „[…] [M]an kann […] erschließen, dass schon vor etwa 30–40 Jahren eine Wende in der deutschsprachigen Sexualpathologie eintrat. […]. Ein amerikanisches Werk unserer Tage, das gewaltiges Aufsehen und ebensoviel Widerspruch wie Zustimmung erweckte, hängt aber noch, für den Leser unsichtbar, mit dieser alten Forschungsrichtung zusammen. Gemeint sind natürlich die Kinsey-Rapporte […]“. Vgl. Wyrsch (1961), S. 353. Vgl. ferner Kinsey et al. (1948) und (1954). 566 Walker/Strauss (1954), S. 190. 567 „Die aufgrund empirischer Befunde gewandelten Positionen zur Homosexualität waren […] mit Veränderungen in den Klassifikationssystemen verbunden. Die noch im DSR-III aufgeführte Kategorie ,Ich-dystone Homosexualität‘ wurde im DSM III-R endgültig gestrichen. In der ICD-10 finden sich jedoch noch folgende Diagnosen, die inzwischen als obsolet gelten: F66.0. Sexuelle Reifungskrise: Die betroffene Person leidet unter einer Unsicherheit hinsichtlich ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung, mit Ängsten oder Depressionen […]. F66.1. Ich-dystone Sexualorientierung: Die Geschlechtsidentität oder sexuelle Ausrichtung (heterosexuell, homosexuell, bisexuell oder präpubertär) ist eindeutig, aber die betroffene Person hat den Wunsch, dass diese wegen begleitender psychischer oder Verhaltensstörung anders wäre, und unterzieht sich möglicherweise einer Behandlung, um diese zu ändern. F66.2. Sexuelle Beziehungsstörung: Die Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung (heterosexuell, homosexuell oder bisexuell) bereitet bei der Aufnahme oder Aufrechterhaltung einer Beziehung mit einem Sexualpartner Probleme“. Vgl. Mahler (2010), S. 368. 568 Walker/Strauss (1954), S. 190.

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eine Abschreckung, sondern provoziere vielmehr eine Fortführung homosexueller Praktiken569 unter Ausdehnung des Schutzes vor Entdeckung.570 Bedenken gegen die Entmannung von Exhibitionisten äußerte Meggendorfer 1934 in seinem Aufsatz „[a]uf dem Wege zu einem nationalsozialistischen Strafrecht“,571 denn der Exhibitionismus sei „eben nichts Einheitliches. Es mag Exhibitionisten aus Hypererotismus geben; es gibt aber sicher auch solche aus Hypoerotismus“.572 Meggendorfer betonte, dass es sich um eine sogenannte „Kannvorschrift“573 handle, wobei „das Gericht vor der Anordnung einen Sachverständigen zu hören“574 habe. Vergleichsweise diskutierte der Bericht der „Field Information Agency [FIAT] [als] […] Einrichtung der Alliierten, die den Entwicklungsstand der deutschen Forschung und Entwicklung gegen Ende des Krieges ermitteln sollte“,575 1948 folgendes zum Thema der Entmannung von Sittlichkeitsverbrechern: „Die Therapieresistenz der genuinen Homosexuellen ist wohl durch die tiefe Verwurzelung ihrer Abnormalität in der Persönlichkeit bedingt. Feminine Stigmen in ihrer Körperbauform fielen nicht auf, aber ihr unmännliches Gehaben. [sic] […]. ‚Freiwillige‘ Entmannung erfolgte häufig nur, um der Sicherungsverwahrung zu entgehen. In solchen Fällen sind die Aussichten, besonders auch bei den Homosexuellen, wohl nicht anders zu beurteilen als bei den Zwangskastrierten. Nur dort, wo wirklich ärztliche Hilfe gesucht wird, ist die Freiwilligkeit ein prognostisch günstiger Faktor“.576

Zur forensischen Tragweite der Erkrankung Schizophrenie positionierte sich Meggendorfer 1931 folgendermaßen: „Die Schizophrenie im gebräuchlichen psychiatrischen Sinne ist eine schwere Geisteskrankheit, die den Voraussetzungen des § 51 StGB entspricht. Immerhin können auch hier Schwierigkeiten entstehen. Bleuler577 fasst bekanntlich die Schizophrenie außerordentlich weit; er 569 „Theorien zur Homosexualität. Die sexuelle Orientierung wird in ihrer Entwicklung und Ausprägung vermutlich durch genetische, biologische, soziale, kulturelle Faktoren und psychodynamische Prozesse im Zuge der individuellen Verarbeitung geprägt. Stammbaum- und Zwillingsuntersuchungen zeigten eine erhöhte familiäre Häufung von Homosexualität (Bailey und Pillard 1991, 1993). Eineiige, gemeinsam oder getrennt aufgewachsene Zwillinge wiesen mit 20–40% eine überdurchschnittliche Konkordanz hinsichtlich der (homo-)sexuellen Orientierung auf (Puterbaugh 1990; Whitam et al. 1993). Dies legt einen genetischen Einfluss auf die sexuelle Orientierung nahe, eine bestimmte genetische Variante wurde jedoch nicht nachgewiesen“. Vgl. Mahler (2010), S. 365. Siehe ferner Puterbaugh (1990) Bailey/Pillard (1991) und Bailey et al. (1993) sowie Whitam et al. (1993). 570 Walker/Strauss (1954), S. 194–195. 571 Meggendorfer (1934d). 572 Ebd., S. 70. 573 Ebd. 574 Ebd. 575 Martin et al. (2016d), S. 45. „Deutsche Wissenschaftler wurden beauftragt, Übersichtsberichte zu den während des Krieges durchgeführten Forschungsarbeiten abzufassen. Bis 1948 wurden 88 Berichte, die FIAT-Reviews, publiziert“. Vgl. ebd. 576 Ernst (1948), S. 264–265. 577 „Zu den Psychopathen gehörten laut Bleuler auch die ‚moralischen Idioten‘, die kein Mitgefühl kennen und die den Kern des ‚Lombrososchen Begriffs des ‚geborenen Verbrechers‘ bilden sollten“. Vgl. Heinz (2011), S. 32. Empfehlenswert auch Hovenbitzer (2001). „Neben dem

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang rechnet hierher schon Fälle, die von anderen Psychiatern als Psychopathien und schizoide Reaktionen aufgefasst werden. In praktischer Hinsicht besteht dann allerdings wieder Übereinstimmung, da Bleuler für diese leichten Schizophrenien Zurechnungsfähigkeit annimmt. Schwer zu beurteilen sind auch die Fälle, die früher einmal einen einwandfreien Schub einer Dementia praecox durchgemacht haben, aber dann in vollkommene Heilung oder in gute Defektheilung ausgegangen sind. Man wird diese Fälle nicht als unzurechnungsfähig bezeichnen können; allerdings erfordert ihre Begutachtung besondere Vorsicht, ob nicht vielleicht die Motivierung der Straftat wahnhaft oder verschroben ist, so dass ein leichtes Wiederaufflackern des Prozesses anzunehmen ist. Ähnliches gilt auch bezüglich der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit“.578

In seinem Vortrag vom 14.02.1934 zu „§ 51 StGB und Rassenpflege“ vor der Fachschaft Justiz in Hamburg zeigte sich Meggendorfer in hoffnungsfroher Zuversicht, „auf jeden Fall [darauf] […] vertrauen [zu dürfen], dass es [gemeint: das Strafgesetz des Dritten Reiches] ein im Einklang mit dem gesunden Rechtsempfinden unseres Volkes stehendes und deshalb wirksames Strafgesetz sein wird“.579

Die Publikation „§ 51 StGB und Rassenpflege“ aus dem Jahr 1934 stellte die einzige Veröffentlichung Meggendorfers dar, in welcher dem Terminus „Rasse“580 titelgebende Funktion zukam.

Abb. 17: Portrait Friedrich Meggendorfers, ca. 1934581

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deutschen Psychiater Hoche hatte auch Bleuler für die Zwangssterilisation unheilbar Krimineller plädiert“. Vgl. Heinz (2011), S. 36. Meggendorfer (1931b), S. 171–172. Ders. (1934e), S. 17. „Es gibt nur wenige Begriffe der Biologie, die so mißverstanden und mißdeutet, so unsachlich verwendet und falsch interpretiert wurden, wie der Begriff der Rasse. Es wurden und werden unter dieser Bezeichnung oft recht unterschiedliche und uneinheitliche Bevölkerungsgruppen zusammengefasst, die mit dem biologischen Rassenbegriff nicht übereinstimmen“. Vgl. Stengel (1976), S. 125. Riebeling (1953a), Anhang.

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Bemerkenswerterweise zog Scheller im Nachruf auf seinen Erlanger Amtsvorgänger noch 1954 den Begriff der „Rasse“ zur Beschreibung der äußeren Erscheinung Meggendorfers zu Hilfe, wenn er schrieb: „Die dunklen Augen, das feingeschnittene Profil mit dem buschigen Schnurrbart, überhaupt seine zierliche Gestalt glichen in der Tat ja auch mehr einem Angehörigen der Mittelmeerrasse“.582

In diesem Kontext soll die Ansicht des schwedischen Humangenetikers Gunnar Dahlberg (1893–1956)583 zum schwierigen Begriff der „Rasse“ aus dem Jahr 1940,584 zitiert werden: „Wenn es sich um den Menschen handelt, spricht man auch bis weit in wissenschaftliche Kreise hinein von Rassen, ohne dass man sich klar zu machen versucht, was man eigentlich meint. Es ist jedoch für die Lage bezeichnend, dass unter den 396 Vorträgen, die auf dem Internationalen Erblichkeitskongress in Edinburgh 1939585 gehalten wurden, nur 5 das Wort Rasse im Titel enthielten“.586

Mit dieser vagen Formulierung könnte Dahlberg die 1939 bereits negative Verknüpfung des Terminus „Rasse“ mit der „NS-Rassenideologie“ impliziert haben. Dahlberg führte weiter aus, „[d]er Rassenbegriff [sei] alt und stammt aus Zeiten, lange bevor der Mendelismus die Grundlage für die wissenschaftliche Erblichkeitsforschung gab“.587

582 Scheller (1954), S. 79. 583 Nach Erhalt der ärztlichen Approbation 1920 wurde er zu einem der ersten wissenschaftlichen Mitarbeiter des 1921 gegründeten schwedischen Institutes für Humangenetik. Siehe hierzu Böök (1956). 584 Das Werk Dahlbergs wurde erst sieben Jahre später, 1947, von Josef Wagner ins Deutsche übersetzt. Vgl. Dahlberg (1947). 585 An der Organisation dieses Kongresses war Hermann Joseph Muller (1890–1967) beteiligt. Als „[a]uswärtiges Wissenschaftliches Mitglied am Berliner KWI für Hirnforschung […] hatte [er] bis 1937 in der Sowjetunion mit den damals führenden Genetikern zusammengearbeitet. Er war wesentlich an der Organisation des Internationalen Genetiker-Kongresses 1939 in Edinburgh beteiligt gewesen, der eigentlich in der Sowjetunion hatte [sic] stattfinden sollen, aber wegen der Stalinschen Repressionspolitik nach Edinburgh verlegt worden war. […]. Muller erhielt 1946 den Nobelpreis für Medizin für seine Entdeckung von 1926, dass Mutationen mit Hilfe von Röntgenstrahlen hervorgerufen werden können“. Vgl. Vogt (1999), S. 58. Zum „Vater des weltberühmten ,Erlanger Röntgeninstitutes‘“, dem Direktor der Universitätsfrauenklinik Erlangen von 1910 bis 1921, Ludwig Seitz siehe http://www.frauenklinik.uk-erlangen.de/ueberuns/unsere-historie/direktoren-der-frauenklinik/Stand vom 01.10.2017 sowie S. 293 und S. 374, Fn. 529. 586 Dahlberg (1947), S. 134. 587 Ebd., S. 137.

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Die Einführung der Zwangssterilisation588 tat dem Ansehen der deutschen Psychiatrie in der internationalen “Scientific community” keinen Abbruch.589 Nach Wecker konnten sich die deutschen Rassenhygieniker „weiterhin als Teil einer community fühlen, die gleiche Ziele hatte“.590 So betonte Wecker, dass deutsche Eugeniker weiterhin an internationalen Konferenzen teilnahmen – „[s]elbst in Staaten, in denen – wie in der Schweiz – direkter Zwang abgelehnt wurde“.591 Diese Aussage Weckers soll differenziert betrachtet werden. Auch der Grundsatz des gesetzlichen Zwanges zur Sterilisation592 wurde in vielen Ländern, selbst in Teilen der Schweiz, angewendet: „Eugenik und Euthanasie waren als Gedankengut nicht nur deutsche sondern internationale Phänomene. Im Unterschied zu den Mordaktionen der Euthanasie, die ab 1939 allein in

588 „Luxenburger rechtfertigte [...] die Zwangssterilisation psychiatrischer Patienten mit dem Verweis auf die Gefahren der Zivilisation, die die natürliche Auslese und Ausmerze in Frage gestellt habe. Die Rassenpflege wirke dieser gefährlichen Entwicklung entgegen indem sie die ‚Erbtüchtigen‘ fördere und die ‚Erbkranken‘ durch den Ausschluss von der Fortpflanzung ausmerze“. Vgl. Heinz (2011), S. 37. Siehe ferner Luxenburger (1940) und (1943). Zur Struktur und Praxis, Tätern und Opfern der nationalsozialistischen Zwangssterilisationen in Sachsen von 1933–1945 siehe ferner Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (2016). 589 Zu eugenischem Denken und Handeln in international vergleichender Perspektive siehe Schwartz (2005/2006). „Nennenswerten Widerstand gegen dieses Gesetz gab es nur von seiten der katholischen Kirche, die sich weigerte, Sterilisierungen in katholischen Krankenhäusern durchzuführen und die in ihren Anstalten, durch strikte Geschlechtertrennung und sichere Umzäunung, viele ihrer Pfleglinge vor der Unfruchtbarmachung bewahren konnte“. Vgl. Hühn (1988a), S. 93. „Das Reichsministerium des Innern lag mit seiner Vermutung richtig: Gerade katholische Kreise standen dem Sterilisierungsgesetz am ablehnendsten gegenüber. Sie entwickelten auch Aktivitäten, seine Durchführung zu verhindern oder zumindest zu erschweren. So berichtete der Amtsarzt des Rhein-Wupper-Kreises am 4. Dezember 1935 an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf, dass der ‚Widerstand‘ hauptsächlich von der ‚römisch-katholischen Weltanschauung‘ herkomme“. Vgl. Blasius (1981), S. 374. 590 Wecker (2012), S. 38. 591 Ebd. 592 „Mit dem rasseideologischen Vorstellungen waren die Nazis nicht die ersten, aber die radikalsten. Seit dem Aufkommen des Sozialdarwinismus Ende des letzten Jahrhunderts gab es auch in anderen Ländern vergleichbare Überlegungen, sogenannte ‚Erbkranke‘ an der Fortpflanzung zu hindern. In Deutschland konnten die Nazis an eine unrühmliche Vorgeschichte anknüpfen. Der Entwurf eines Sterilisationsgesetzes aus dem letzten Jahr der Weimarer Republik machte im Unterschied zu dem 1933 erlassenen Gesetz die Zustimmung des Betroffenen bzw. des Vormundes zur Voraussetzung. Mit dem Inkrafttreten des Erbgesundheitsgesetzes am 1.1.1934 wurde zugleich eine eigene Gerichtsbarkeit installiert“. Vgl. Hühn (1988a), S. 93.

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Deutschland und Hitlers osteuropäischen Herrschaftsbereichen umgesetzt wurde,593 wurde negative Eugenik (insb. Sterilisationspolitik)594 beileibe nicht nur in Deutschland praktiziert. In zahlreichen Ländern Europas und in den USA existierten lange vor 1933 starke Eugenik-Bewegungen595 und Zwangssterilisation von erblich ‚Minderwertigen‘ wurde bereits vor dem NSSterilisationsgesetz in Teilen der USA, in Dänemark und einem Kanton der Schweiz (Waadt) in die Tat umgesetzt“.596

Am 26.07.1935 erfolgte eine Änderung des Sterilisationsgesetzes dahingehend, dass selbst bei schwangeren Frauen eine Sterilisierung unter Schwangerschaftsunterbrechung durchzuführen war. Neben einem Anstieg der Letalkomplikationen des Eingriffes kam es ab 1935 zu einem Anstieg der Suizide. Nachdem die Sterilisierungen bis zum Kriegsausbruch zunehmend forciert worden waren, veranlasste Hitler „am 01.09.1939 den Sterilisierungsstopp“597 und trieb stattdessen die Realisation der Planungen zur „Euthanasie“598 voran.

593 „1939 […] verfasste Hitler seinen ‚Euthanasie‘-Erlass, der als eine ‚Kriegserklärung nach innen‘ verstanden werden kann. Dieser ‚Krieg‘ war letztlich nicht nur Ausdruck einer Diktatur, sondern auch der Radikalisierung einer ‚biologistischen Medizinethik des Volkskörpers‘, die das zentrale Paradigma für die Umsetzung von der ‚Eugenik‘ zur ‚Euthanasie‘ darstellte“. Vgl. Frewer/Bruns (2003), S. 317. Siehe ferner auch Seiderer (1991) und Bruns/Chelouche (2017). „Trotz der ausgedehnten Vorbereitungen und Planungen sollte eine NS-,Euthanasie‘Gesetzgebung nie erfolgen“. Vgl. Braun et al. (2015), S. 635. 594 Interessant hierzu der Vollzug des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14.07.1933 in der Universitäts-Frauenklinik Erlangen. „Unterzeichneter [Prof. Dr. med. Dr. phil. Wintz] bestätigt den Eingang des Schreibens […] vom 6. August 1934 betreffs Vollzug des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Zu diesem wäre zu bemerken, dass an der hiesigen Klinik die Sterilisationen stets sofort durchgeführt werden“. Vgl. Schreiben an das Rektorat der Universität, gez. Wintz. Erlangen, 31.08.1934. Vgl. UAE: 24, 12, zit. n. Lehmann (1993b), S. 350. 595 Zum schwedischen Entwurf eines Sterilisationsgesetzes siehe Wigert (1929). 596 Schwartz (2008), S. 69. „Das professionspolitische Argument der Erhaltung möglichst großer Autonomie der Ärzte behielt auch in den 1930er-Jahren die Oberhand, als man sich [in der Schweiz] gegen eine völkisch radikalisierte Eugenik und die Zwangssterilisation im nationalsozialistischen Deutschland abgrenzte. So war die Schweizer Eugenik weniger an einem biologischen Rassismus ausgerichtet und stärker an einer individuellen Betrachtung orientiert, welche eine Sterilisation medizinisch-therapeutisch begründete. Hier konnte es durchaus auch zu Zwangseingriffen kommen, wie Ritter an Fallgeschichten aus der psychiatrischen Klinik Basel in seinem fünften Kapitel nachweist. […] Auf dem Gebiet der Eheverbotspraxis fanden zu Beginn der 1940er-Jahre Vorstöße gerade von psychiatrischer Seite statt, die einen verstärkten Zugriff auf Heiratswillige durch Registrierung und Kontrolle anstrebten und hierfür die Bestimmung im Schweizerischen Zivilgesetzbuch über das Eheverbot von Geisteskranken nutzten. Doch diese eugenisch motivierten Initiativen scheiterten auf der Bundesebene, ähnlich wie auch im Fall der Sterilisation“. Vgl. Kaminsky (2009) in: http://www.hsozkult.de/ publicationreview/id/rezbuecher-12645. Stand vom 03.03.2017. Siehe ferner Ritter (2009). 597 Bäumer (1990), S. 92. 598 Sandner sieht einen “[m]assive shift from the elimination of diseases to the elimination of patients”. Vgl. Sandner (2006), S. 117, Abstract. Zur Schätzung der Zahl der „Euthanasie“-Opfer siehe Faulstich (2011), S. 93 und Referenznahme hierzu auf S. 477, Fn. 1013.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Sterilisierungen wurden aber dennoch bis Kriegsende durchgeführt, wenn auch in bedeutend geringerem Umfange. Insgesamt – [so die Aussage Bäumers vor 27 Jahren] – wurden zwischen 200.000 bis 350.000 Sterilisierungen vorgenommen“.599

Aktuell geht man sogar von 400.000 Sterilisationsopfern aus.600 Somit dürfte auch die Aussage von Glass aus dem Jahr 1997 zur Sterilisierungsrate von 1% der deutschen Bevölkerung in den Jahren von 1934 und 1945601 zu revidieren sein. Gemeinsam mit Wilhelm Weygandt referierte Meggendorfer im Rahmen des erbbiologisch-rassehygienischen Schulungskurses des Verbandes für psychische Hygiene und Rassenhygiene in München. Nach Ansicht Karl Kleists sprachen beide „über die erbbiologischen Ergebnisse der übrigen Medizin und über die erbbiologischen Ergebnisse in der Neurologie in ungemein ausführlicher, fast erschöpfender Weise“.602 Thematisch passend zu seinem Vortragstitel verfasste Meggendorfer das Kapitel „Die erbbiologischen Ergebnisse in der übrigen Medizin“ in Rüdins Werk „Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat“, erschienen im Lehmanns Verlag/München.603 Meggendorfer leitete sein Kapitel folgendermaßen ein: „Bei der Durchsicht der Literatur fiel mir auf, dass sich die meisten medizinischen Fachgebiete in Bezug auf erbbiologische Erkenntnisse mit der Psychiatrie kaum messen können. Ihren Vorsprung auf diesem Gebiete verdankt die Psychiatrie wohl in erster Linie der Initiative und der unermüdlichen Forscherpersönlichkeit von Ernst Rüdin“.604

599 Bäumer (1990), S. 92. 600 Vgl. Diskussion i. R. d. Abschlusskolloquiums zu „Erinnern heißt gedenken und informieren“ – DFG-Erkenntnistransfer-Projekt zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bonn, 08.04.2016. 601 Vgl. Glass (1997), S. 39. 602 Bericht von Karl Kleist an die medizinische Fakultät der Universität Frankfurt a. M. über den erbbiologisch-rassehygienischen Schulungskurs in München vom 08.–16.01.1934. Vgl. Nachlass Karl Kleist, HHStA Wiesbaden, 1069; 57/2. 603 Meggendorfer (1934a). Weiterführend in Bezug auf den Verleger Lehmann: „Lehmann, Julius Friedrich. Verleger. *28.11.1864 Zürich. 1890 Übernahme der Münchner medizinischen [sic] Wochenschrift, Gründung des J. F. Lehmanns Verlags. Freikorps, bekannt mit Epp und Hitler. Mitglied ‚Gesellschaft für Rassenhygiene‘ (zur Vervollkommnung der Rasse). 1917 Gründung der Zeitschrift ‚Alldeutschlands Erneuerung‘ mit von Gruber und Chamberlain als Herausgebern. 1920 erstmals NSDAP. 1921 Erwerb der Burg Hoheneck bei Ipsheim in Mittelfranken, Stützbund für ‚Bund Oberland‘ und SA. 1922 Übernahme des ‚Archivs für Rassen- und Gesellschaftsbiologie‘. 1926 Verleger der Zeitschrift ‚Volk und Rasse‘, 1928 der ‚Zeitschrift für Rassenphysiologie‘. Im Vorstand von Rosenbergs ‚Kampfbund für Deutsche Kultur‘ […]. Zum 70. Geburtstag Verleihung des Adlerschildes des Deutschen Reiches (höchster Wissenschaftspreis) von Hitler, Inschrift: ‚Dem verdienten Vorkämpfer für das deutsche Volkstum‘. Außerdem Goldenes Parteiabzeichen. Gest. 24.3.1935 München an den Folgen einer Mittelohrentzündung. Einstufung des Verlags als ‚kriegswichtig‘, Bevorzugung bei Papierzuteilung“. Vgl. Klee (2003), S. 362. Weiterführend empfohlen sei Stöckel (2002). 604 Meggendorfer (1934a), S. 230.

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Meggendorfer bezog sich in seinem Artikel unter anderem auf von Verschuer zur Darstellung rassenhygienischer Erkenntnisse anhand von Zwillingsstudien605 in Bezug auf die Tuberkulose.606 Zudem sprach Meggendorfer erneut als Kenner der Chorea Huntington: „Schließlich möchte ich noch weiter eine Anregung […] geben. Sie bezieht sich wieder auf die Huntingtonsche Chorea, könnte aber wohl auch noch auf ähnlich gelagerte Fälle Anwendung finden. Entres beobachtete einen jungen Mann, den Sohn eines Huntingtonkranken, der während einer akuten fieberhaften Erkrankung, einer Pneumonie, eine Chorea zeigte, die später aber wieder vollkommen zurücktrat. Auch ich machte eine ähnliche Beobachtung. Es scheint also, dass durch eine akute Schädigung oder Schwächung des gesunden Anlagepaarlings der krankhafte hervortreten kann. Vielleicht eröffnet sich hier nach weiteren Beobachtungen bei interkurrenten Erkrankungen und nach anderen Vorarbeiten die Möglichkeit, durch ein künstliches Fieber oder durch andere Maßnahmen die latente Anlage zur Manifestation zu zwingen. Wenn dies auch wohl noch nicht ausreichen würde, die Betreffenden zu sterilisieren, so ließen sich doch mit ihnen andere Maßnahmen der Eugenik vornehmen; und vor allem könnte man denjenigen, die sich als anlagefrei erweisen, die Heirats- und Kindererlaubnis geben; und damit wäre angesichts der hier wie beim dominanten Erbgang überhaupt gültigen Nettleshipschen607 Regel: ‚einmal frei – immer frei‘ schon viel erreicht“.608

Das von Meggendorfer zur Rechtfertigung eugenischer Maßnahmen dargelegte Beispiel ist fragwürdig. Bei Chorea Huntington handelt es sich um eine autosomaldominante Erkrankung mit vollständiger Penetranz und variabler Expressivität. Eine Expressivitätstriggerung im Sinne einer Tripletterhöhung durch eine Infektion ist aus aktueller wissenschaftlicher Perspektive wenig wahrscheinlich. Eventuell könnte bei dem von Meggendorfer vorgestellten Huntington-Genträger bei bisheriger fehlender Expressivität zusätzlich eine autoimmun-infektiöse Chorea minor Sydenham609 vorgelegen haben. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Meggendorfer

605 „Die Etablierung der Zwillingsmethode vollzog sich in eben dem Zeitraum, in dem die moderne Physik in der Folge der Einstein’schen Relativitätstheorie und der Heisenberg’schen Quantenmechanik endgültig vom Laplace’schen Universum abrückte. Insoweit stützt sich die Zwillingsmethode auf ein schon zu ihren Anfängen anachronistisches Weltbild“. Vgl. Mai/Bussche (1989), S. 179. 606 Weiterführend zur psychischen Symptomatik der Lungentuberkulose siehe Kloos/Näser (1938) mit einem Geleitwort von Ludolph Brauer (1865–1951) und Wilhelm Weygandt. Siehe auch ferner Tacke (1941) und Geissler (1941) sowie Aschenbrenner (1942a) und Hoefer (1942). Zur Trias „Tuberkulose, Konstitution und Arbeitseinsatz“ vgl. Dehoff (1942). Empfohlen sei zusätzlich Aly (1992). Zur Katastrophe der Tuberkuloseimpfung von 1930 siehe ferner Hahn (1995). 607 Vermutlich bezogen auf Edward Nettleship (1845–1913), britischer Ophthalmologe, der sich vor allem im Bereich der erblichen Augenkrankheiten wissenschaftlich etablierte. Siehe mitunter Pagel (1901), S. 1200. Empfehlenswert ferner Bergen et al. (1992). 608 Meggendorfer (1934a), S. 255–256. Weiterführend auch Entres (1921) sowie Röll/Entres (1946). 609 „Chorea minor: Kindesalter, postinfektiös, keine Demenz, Ausheilung“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 66. Zu Thomas Sydenham (1624–1689) siehe Sydenham (1815) sowie Kushner/Cortes (2000), S. 350–357. Zur „Chorea als Hauptsymptom des rheumatischen Fiebers mit Spätmanifestation nach Wochen bis Monaten als Folge des Hirnbefalls“ siehe Peters (2011), S. 96.

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auch diese Option durchdacht hatte.610 Wenn auch aus heutiger Perspektive die zitierten Gedankengänge Meggendorfers in Bezug auf die Expressivität der Chorea Huntington keine direkte Bestätigung haben finden können, so zeigte sich Meggendorfers Arbeitshypothese zu Chorea Huntington weiterführend. Seine Reflexionen zu Chorea Huntington mögen Meggendorfer nämlich hingeführt haben zu seiner Veröffentlichung „Über die Bedeutung des Dominanzwechsels in der Psychiatrie“.611 Meggendorfer verwendete den Terminus „Dominanzwechsel“ nicht im Sinne Hermann Hoffmanns, welcher im Jahr 1922 psychiatrische Beobachtungen im Rahmen dieser Begrifflichkeit analysiert hatte. Auf diese nimmt Meggendorfer folgenden Bezug: „Hoffmann hatte im wesentlichen Vorgänge im Auge, die ich vorhin als Epistasie und Hypostasie bezeichnet habe. Es handelt sich hier um eine quantitative und qualitative Wechselwirkung im Sinne der Hemmung und Förderung zwischen verschiedenen Allelen; bei dem Dominanzwechsel dagegen handelt es sich um einen Vorgang innerhalb eines Allels, nämlich derart, dass eine Anlage, die vorher rezessiv war, dominant wird, während bei der anderen Anlage das Gegenteil der Fall war“.612

Die wissenschaftliche Weiterentwicklung Meggendorfers ausgehend von seinen Studien zu Chorea Huntington beschrieb Rittershaus folgendermaßen: „Meggendorfer geht aus von der Huntingtonschen Chorea, die bekanntlich erst in höherem Alter ausbricht, und bei der es sich um einen dominanten Erbgang handelt. Er nimmt an, dass die Anlage zum Ausbruch schon vorher rezessiv vorhanden gewesen sei, und dass durch das Alter ein Dominanzwechsel ausgelöst werde, der regelmäßig die während der ersten Lebensjahrzehnte überdeckte Erkrankungsanlage nun zu einer überdeckenden mache“.613

In seiner Schrift „Über die Bedeutung des Dominanzwechsels in der Psychiatrie“614 von 1934 betonte Meggendorfer – wie bereits Ende der 1920er-Jahre –615 erneut die Relevanz von differenzierter individueller Erbprognose, wenn er anführte, es sei „bei den Anlagen keineswegs sicher, ob sie sich auch realisieren. Das hängt von der

610 Denn bereits in seiner Mitteilung elf neuer Huntingtonfamilien von 1923 hatte er betont: „Die psychischen Störungen bei Chorea minor, die Kleist analysiert hat, stimmen in vielen Zügen mit den bei Huntington beobachteten überein: Unaufmerksamkeit, Vergesslichkeit, Versagen bei komplizierten assoziativen Leistungen, zuweilen auch eine gewisse Denkträgheit, die größere intellektuelle Ausfallserscheinungen vortäuscht als wirklich vorhanden sind, ferner gemütliche Verstimmungen, die sich häufiger als ängstlich-schreckhafte, seltener als heiter-zornmütige Verstimmungen darstellen, nicht selten auch Ausfall der Spontaneität. Die von unseren Kranken abweichenden Züge erklären sich zum großen Teil leicht aus dem Umstand, dass es sich bei der Sydenhamschen Chorea um eine akute Erkrankung jugendlicher Personen, bei Huntingtonscher Chorea dagegen um ein chronisches Leiden älterer Menschen handelt; ferner aus dem Einfluss des Fiebers, der Narkotica bei ersterer Erkrankung“. Vgl. Meggendorfer (1923), S. 34. Siehe ferner Kleist (1907). 611 Siehe hierzu Meggendorfer (1934b) und (1934c). 612 Ebd., S. 458. 613 Rittershaus (1940), S. 269. 614 Meggendorfer (1934b). 615 Ders. (1927/28).

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übrigen Erbkonstitution ab, in mehr oder weniger starkem Grad aber auch von der Einwirkung der Umwelt“.616 Weiterführend sah Meggendorfer im „Dominanzwechsel […] einen Vorgang innerhalb eines Allels, nämlich derart, dass die eine Anlage, die vorher rezessiv war, dominant wird, während bei der anderen Anlage das Gegenteil der Fall ist […]. Es ist nun möglich, dass diese Beobachtungen einen Mechanismus erklären, der in der Psychiatrie eine sehr weitreichende Wirksamkeit hat […]“.617

Meggendorfer hypothetisierte: „[w]enn Anlagen für die Gesundheit durch äußere Einflüsse so geschädigt werden können, dass sie nicht mehr imstande sind, entsprechende krankhafte Anlagen zu überdecken, so muss es andererseits auch möglich sein, sie durch äußere Einflüsse zu kräftigen und in den Stand zu setzen, die vorher innegehabte Fähigkeit wieder auszuüben“.618

Man könnte – vorsichtig abwägend – in Meggendorfers Veröffentlichung zum Dominanzwechsel von 1934 ansatzweise eine Vorarbeit zum heutzutage etablierten Modell einer Gen-Umwelt-Interaktion sehen.619 Wie Rittershaus 1940 treffend feststellte, hat die „Arbeit von Meggendorfer, […] anscheinend nicht diejenige Beachtung gefunden […], die sie vielleicht verdient [hat]“.620 Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass Luxenburger unter anderem auch von den Arbeiten Meggendorfers profitierte für die Ausarbeitung seines „neuen Anlage-Umwelt-Konzepts“.621 Hans Luxenburger

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Ders. (1934c), S. 457. Ebd., S. 458. Ebd., S. 459. Genaueres hierzu siehe S. 89–90 und S. 614–615. „Ähnliche Modelle werden zumeist als sog. bio-psycho-soziale Krankheitsmodelle für zahlreiche psychiatrische oder auch nicht psychiatrische Erkrankungen diskutiert. Ihr multifaktorieller Ansatz hat sich für offene Hypothesenbildungen über mögliche Entstehungen von Erkrankungen als sehr fruchtbar erwiesen“. Vgl. Schläpfer et al. (2011), S. 65. „Im Kern geht es darum auszuloten, inwiefern das biopsychosoziale Modell psychischer Störungen dem Fach heute zu einer stabilen Identität verhelfen kann. Skeptiker befürchten, das Modell werde zu einem bloßen Feigenblatt, hinter dem allerlei reduktionistische Ansätze weiterblühen können, oder zu einem vagen und als Orientierungsmarke untauglichen Instrument“. Vgl. Hoff (2016), S. 69. 620 Rittershaus (1940), S. 269. 621 Schmuhl (2016), zum Titelbild. „Die Psychiatrie hat stets mit dem Leib-Seele-Problem zu tun und steht unter allen medizinischen Disziplinen zwangsläufig am meisten im Brennpunkt widerstreitender Meinungen, Überzeugungen und Lehren über das uralte, weltanschaulich höchst bedeutungsvolle Problem: Anlage und Umwelt. Es kann nun geschehen, dass von politischer Seite unter Einsatz aller Propaganda- und Machtmittel bestimmte, in ein Programm passende anthropologische Aspekte vom Menschen als Ziel gelenkter Meinungsbildung verabsolutiert werden. […]. Anlage und Vererbung wurden in der nationalsozialistischen Weltanschauung als Rasse und Blut mythologisiert und zum Kernpunkt der Diktatur der Menschenverachtung. Konsequenz der Vergötzung der eigenen Rasse war die Ausmerzung des erbbiologisch und rassisch Unerwünschten“. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 5.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „entwarf […] ein differenziertes Konzept der Anlage-Umwelt-Problematik,622 das den neuen Erkenntnissen der menschlichen Erblehre Rechnung trug und im Hinblick auf den Indikationskatalog des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ manche kritische Frage aufwarf“.623

Meggendorfer selbst ging – in der Rezeption von Rittershaus – ausgehend von seinen Überlegungen zu Chorea Huntington „weiter und führt[e] diese Gedankengänge dann insbesondere für die Schizophrenie näher aus. Diese Erkrankung geht nach der allgemeinen Ansicht wahrscheinlich in einem dihybrid-rezessiven Erbgang, d. h. es sind 2 Anlagepaare vorhanden. […] Ist etwa das erste Anlagepaar reinerbig krank und das zweite reinerbig gesund, so würde sich ein schizoider Charakter ergeben, ein Mensch, der aber niemals schizophren erkrankt; ist das erste Paar gesund und das zweite reinerbig krank, dann hätten wir etwa einen zwar nicht typisch schizoiden, aber doch immerhin auffallend von der Norm abweichenden Psychopathen vor uns, wie sie in schizophrenen Sippen bekanntlich häufig vorkommen. Sind aber beide Anlagepaare spalterbig, d. h. haben sie je eine Anlage für krank und eine für gesund, so kann es sehr wohl vorkommen, oder ist vielleicht die Regel, dass zunächst die Anlage für gesund überwiegt und die für krank überdeckt wird, dann aber tritt aus irgendwelchen[,] uns noch nicht näher bekannten Gründen624 ein Dominanzwechsel ein, und der betreffende Mensch erkrankt. Noch andere Möglichkeiten sind gegeben, wenn

622 Luxenburger stellte sein Konzept in einem Vortrag über „Zwillingspathologische Untersuchungen im schizophrenen Kreis“ am 04.09.1935 im Rahmen der Ersten Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater vor und publizierte es wenig später in seinem Kapitel über „eugenische Prophylaxe“ in der sechsten Auflage des von Eugen Bleuler (1857–1939) unter Mitwirkung von Josef Berze (1866–1957), Hans Luxenburger und Friedrich Megggendorfer herausgegebenen „Lehrbuch der Psychiatrie“, erschienen im Jahr 1937 im Verlag Julius Springer (1880–1968) in Berlin. Vgl. Schmuhl (2016), S. 189. Siehe ferner Luxenburger (1937). 623 Schmuhl (2016), S. 189. 624 Auch zu unterschiedlichsten hypothetisierten Gründen der Manifestation schizophrener Erkrankungen wurde geforscht: Margret Ullrich promovierte unter Erstgutachterschaft von Ludwig Heilmeyer (1899–1969) und Zweitgutachterschaft von Rudolf Lemke in Jena zu „[s]omatische[n] Befunde bei der Schizophrenie und das Verhältnis des Kupfer- und Eisenspiegels“ mit Fokussierung des „Erbfaktors“: „Trotzdem diese Psychose also nicht ganz das gesetzmäßige Verhalten in Bezug auf die Kupfer- und Eisenbewegungen bei infektiösen oder toxischen Schädigungen zeigt, müssen wir doch auf Grund der Kupfererhöhung an Stoffwechselvorgänge im Zellinneren denken, die eben eine Schädigung hervorrufen. Und hierbei wird der Erbfaktor für das Zustandekommen der Psychose eine Rolle spielen. Denn nur für Menschen, die eine erbliche Minderwertigkeit ihres Nervensystems besitzen, werden diese Zellstoffwechselvorgänge zur schädlichen Noxe und ihr Organismus reagiert mit Abwehrvorgängen, als deren sichtbarer Ausdruck wir dann die Kupfer- und Eisenbewegungen finden“. Vgl. Ullrich (1942), S. 20. Zum Doktorvater Ullrichs weiterführend zeigt sich ein Artikel in der Badischen Zeitung vom 15.10.2016, welcher berichtet von einer achtköpfigen Expertenkommission, die beauftragt wurde mit der Erstellung von Einzelgutachten zu 27 Persönlichkeiten, die als Namensgeber von Freiburgerstraßen fungieren. In Bezug auf den Hämatologen Ludwig Heilmeyer, der 1927 an der Universität Jena habilitierte „und bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst 1941 [dort] arbeitete […] [sowie] den Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund [gründete] und […] dessen erster Führer [wurde]“ nahmen die Kommissionsmitglieder „einstimmig [eine Einstufung] in die A-Gruppe der schwer belasteten Personen […] [vor]. Denn: Heilmeyer war Mitglied des Freikorps Epp, das in der Weimarer Republik für sein rücksichtsloses Vorgehen bekannt war und mordete; diesem gehörten auch der spätere SA-Chef Ernst Röhm [1887–1919]

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nur eines der Anlagepaare spalterbig ist, und man kann theoretisch leicht die entsprechenden Möglichkeiten sich konstruieren, die Meggendorfer in der erwähnten Arbeit auch zeichnerisch dargestellt hat.625 Diese Fälle, die so infolge eines Dominanzwechsels erkranken, sind dann nach Meggendorfer auch diejenigen, bei denen eine Behandlung die meiste Aussicht auf Erfolg hat“.626

Nach Rittershaus führte die wissenschaftliche Entwicklung Meggendorfers von der Chorea-Huntington kommend über seine Theorie zum Dominanzwechsel direkt hin zu seiner Aufgeschlossenheit für somatische Therapieverfahren. Was Meggendorfer selbst im Kontext der „[g]erade in letzter Zeit […] von berufener und unberufener Seite aus anderen Überlegungen [als der Meggendorferschen zum Dominanzwechsel] und vielleicht auch mit gänzlich ungeeigneten und unzweckmäßigen Mitteln [unternommenen] Versuche[n] einer sog. ‚Konstitutionsumstimmung‘“.627

als möglicherweise erfolgversprechend bezeichnete, wurde von seinem Kollegen Rittershaus im Jahr 1940 aggressiver rezipiert: „Es kommt nur darauf an, dass es gelingt, einen derartigen Schock einwirken zu lassen, dass ein nochmaliger Dominanzwechsel, diesmal wieder zurück nach dem gesunden, eintritt. Soweit Meggendorfer. Seine Ausführungen sind bestechend, und man muss unwillkürlich an die Geschichte der Psychiatrie, an die bis vor kurzem uns ganz unverständlichen grausamen Behandlungsmethoden früherer Zeiten denken, die aber schließlich doch irgendwelche Erfolge gehabt haben müssen, sonst wären sie nicht so weit verbreitet gewesen. In Verfolgung solcher Gedanken wäre es dann wirklich gleichgültig, ob man einen Schizophrenen auf den Drehstuhl setzt, ob man ihn mit Brechweinsteinsalbe oder mit dem Haarseil behandelt, ob man die Aderlasskur […] vornimmt oder die Insulin- oder die Krampfbehandlung, es kommt eben nur darauf an, ihm einen so heftigen Schock zu versetzen, dass ein Dominanzwechsel eintritt. Meggendorfer weist aber auch schon auf das manisch-depressive Irresein hin, und hier ergeben sich zwangsläufig ganz ähnliche Schlussfolgerungen“.628

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und der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß [1894–1987] an. Heilmeyer hatte als Mitglied des Freikorps 1919 an der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik teilgenommen. In seinen Lebenserinnerungen prahlte er davon, dass München von den Roten ,gesäubert‘ worden sei. Später war er im antidemokratischen Frontsoldatenbund ‚Stahlhelm‘ aktiv, der in die SA überführt wurde“. Vgl. Zimmermann (2016), S. 2. „Nach Rüdins Untersuchung ist es das wahrscheinlichste, dass es sich um einen dihybrid-rezessiven Erbgang handelt. Hier würden vier krankhafte Anlagen Krankheit bedeuten.“ Vgl. Meggendorfer (1934c), S. 459. Meggendorfer skizzierte hierzu symbolisch zwei schwarz ausgefüllte Kreise in einer oberen Reihe und zwei schwarz ausgefüllte Quadrate in einer unteren Reihe. Um darzustellen, unter welchen Genotypen „[l]atente Anlagen“ vorkommen könnten, variierte Meggendorfer die Schwarzfüllung der Anlagesymbole zu „sieben Fällen […] [in denen] sich die Erkrankung nicht manifestieren [würde], aber diese Erbverfassungen stellen vielleicht die Grundlagen für verschiedene psychopathische Phänotypen dar. Wenn man einen Dominanzwechsel annimmt, so könnten die letzteren drei Kombinationen schizophrene Phänotypen darstellen“. Vgl. ebd. Rittershaus (1940), S. 269–271. Meggendorfer (1934c), S. 458. Rittershaus (1940), S. 270–271. Rittershaus führte weiter aus: „Auch hier [gemeint: beim manisch-depressiven Irresein] haben wir es höchstwahrscheinlich mit einer zum wenigsten dihybriden Veranlagung zu tun, und wenn auch vielleicht das eine Anlagepaar, das für den manisch-

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18 Jahre nach seiner Veröffentlichung zum Dominanzwechsel vertrat Meggendorfer 1952 weiterhin eine ähnliche multifaktorielle ätiologische Betrachtungsweise, wenn er folgendermaßen zurückblickt auf „[f]ünfzig Jahre Schizophrenie“:629 „[e]ine Richtung der Erblichkeitsforschung, die Zwillingsforschung, hat auch gezeigt, dass für die Entstehung einer Schizophrenie nicht allein Erbanlagen, sondern auch Umwelteinflüsse maßgebend sein müssen. Die vorhandenen Erbanlagen brauchen sich nicht notwendigerweise zu manifestieren. Es wäre des Schweißes der Edlen wert, das manifestationsverhindernde Arkanum630 zu finden“.631

depressiven Charakter, im dominanten Erbgang geht, so ändert das an der grundsätzlichen Betrachtung nichts, es vereinfacht höchstens die Frage hier etwas. Tatsächlich hat man ja auch neuerdings durch die Krampfbehandlung beachtliche Erfolge erzielt, und der Gedanke liegt nahe, genau in der gleichen Weise, wie Meggendorfer dies s. Zt. für die Schizophrenie ausgeführt hatte, in diesem Falle daran zu denken, dass jede Neuerkrankung eines manisch-Depressiven einen solchen Dominanzwechsel darstellt, dass vielleicht die Stärke der beiden Anlagepaare sich einander fast die Waage hält, so dass zahlreiche äußere Möglichkeiten imstande sind, jeweils einen Dominanzwechsel, ein Überwiegen der betreffenden krankhaften Anlage hervorzurufen, das allerdings dann in den meisten Fällen nicht von allzu langer Dauer ist, sondern nach einer gewissen Zeit wieder zurückschlägt, so dass die Veranlagung für gesund die Oberhand gewinnt und der Schub wieder ausheilt. Als solche, einen Dominanzwechsel auslösende Ursachen könnten dann alle diejenigen wirken, die wir oben aufgezählt hatten, psychischer Schock, Schädeltrauma, Paralyse und Lues cerebri, Arteriosklerose, Basedow und auch schließlich, wenn auch ganz vorübergehend, der Alkohol. Man müsste also dann wohl auch annehmen, dass jeder Mensch, der auf eine seelische Erschütterung hin zum Selbstmord schreitet, oder der im Verlauf eines Basedow manisch-depressive Erscheinungen zeigt usw. usw., eine Anlage für krank bei diesem zweiten Anlagepaar oder bei beiden in sich trägt, und dass die Depression bzw. die psychische Erkrankung eben die Folge eines derartigen Dominanzwechsels seien. Ja, man müsste dann sogar annehmen, dass auch jeder, der im Alkoholrausch vorübergehend manisch-depressive Erscheinungen zeigt, eine entsprechende Veranlagung in sich trage, denn es gibt ja schließlich auch Menschen, die auf Alkohol nicht mit solch manischdepressiven Erscheinungen reagieren, sondern die einfach stumpfsinnig werden, und andere die in epileptoider Weise reagieren, etwa mit einem pathologischen Rauschzustand. Es sind sicherlich interessante Fragestellungen und Theorien, die sich aus alledem ergeben, und wenn auch vielfach nicht jeder Fachgenosse geneigt sein wird, hier unbedingt mitzugehen, so ist es doch wert, dass man diese Gedankengänge im Auge behält und gegebenenfalls die Arbeitshypothese bei praktischen Fällen auf ihre Brauchbarkeit hin prüft. Auch in Bezug auf die Unfruchtbarmachung ergeben sich unter solchen Gesichtspunkten Möglichkeiten, deren praktische Anwendung selbstverständlich heute noch verfrüht ist, die aber vielleicht in späterer Zeit zu wichtigen Folgerungen führen könnten. Aber auch, wenn man von allen diesen, auf den ersten Blick vielleicht etwas allzu kühn erscheinenden Theorien absieht, so dürften doch schon unsere übrigen Darlegungen uns einen Blick vermitteln in die außerordentlichen Schwierigkeiten, mit denen wir es hier bei dem manisch-depressiven Irresein zu tun haben. Je mehr man aber dieser Schwierigkeit sich bewusst ist und im Einzelfalle darauf achtet, desto weniger wird man Gefahr laufen, eine Fehlentscheidung zu treffen“. Vgl. ebd., S. 271–272. 629 Meggendorfer (1952a). 630 Von lateinisch „arcanum“: „Geheimnis“. 631 Ebd., S. 434.

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In vorsichtiger Zurückhaltung könnte man in der Meggendorferschen Theorie zum Dominanzwechsel einen Vorläufer des heutigen Epigenetik-Modells diskutieren.632 Heutzutage wird der Epigenetik oftmals eine bedeutsamere Rolle für die Psychiatrie zugeschrieben als der Genetik633 an sich. Die Epigenetik handelt von der Wechselwirkung zwischen Genen und Umweltfaktoren. Letztere können ein Anund Abschalten beziehungsweise eine Auf- oder Abregulierung der Genfunktion bewirken. „Die epigenetisch über individuelle Umweltvariablen veränderte Transkription beeinflusst in sensiblen Phasen der Hirnentwicklung auch die Vulnerabilität für psychische Erkrankungen“.634

Befürwortete Meggendorfer einerseits den Ausschluss eines erblich kranken oder minderwertigen Menschens aus dem Artprozess des Volkes,635 so beforschte er andererseits symptomatische Therapien für das erkrankte Individuum. Ein weiterer Friedrichsberger Kollege Meggendorfers war neben Alfons Maria Jakob, Ernst Rittershaus und Carl Riebeling636 unter anderem auch Arthur Claus († 11.09.1932),637 Ordinarius für Psychiatrie an der flämischen Universität Gent im Zeitraum von 1916–1919, für welchen Meggendorfer einen Nekrolog verfasste.638 Mit Claus teilte Meggendorfer seine Affinität für forensische und genealogische Fragestellungen generell sowie für die Behandlung der Epilepsie im Speziellen. Als 632 “[…] there is a growing evidence suggesting that early life adversity affects molecular meachnisms involved in the regulation of behavior. These effects involve alterations in DNA methylation and histone modifications, which are believed to induce behavioral aberrations during development or later in life by affecting genes involved in crucial neuronal processes […]. From a therapeutic point of view, it is tempting to speculate on the clinical potential these findings may provide. In the future, they could potentially lead to the development of tools for the identification of individuals at risk, and therefore, the possibility of preventive intervention [… ]”. Vgl. Labonté/Turecki (2014), S. 210. 633 “The history of psychiatric genetics reflects the fatal misapprehensions of applied genetics […]. The original ideology of eugenics has been replaced by an emphasis on fundamental values of medical ethics such as autonomy, non-malevolence, dignity, and confidentiality”. Vgl. Propping (2010), S. 469. Weiterführend auch ders. (1992). Zu Peter Propping (1942–2016) weiterführend siehe Nöthen (2016). Die Genetik verspricht weiterhin einen wesentlichen Forschungsfortschritt für die Psychiatrie. So bezeichnet Andreas Meyer-Lindenberg “genetics as a driver of psychiatric neuroscience”. Vgl. Meyer-Lindenberg (2017). 634 Braus (2004), S. 64. 635 Vgl. Meggendorfer (1931a), S. 118. 636 „Carl Riebeling. Aus dem Serol. Bakt. Chem. Laboratorium, Oberarzt Dr. habil. Riebeling aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Hamburg. Komm. Direktor Prof. Dr. Bürger-Prinz“. Vgl. Riebeling (1937), S. 186. Carl Riebeling war als Redner gemeinsam mit H. Jacob (beide aus Hamburg) für den ersten Sitzungstag am 05.10.1941der sechsten Jahresversammlung der GDNP in Würzburg vorgesehen zum Thema „Hirnödem, Hirnschwellung und Folgezustände“. Die Veranstaltung kam „letztlich nie zustande“. Vgl. Schmuhl (2016), S. 359 und S. 361. Zur Frage der Hirschwellung publizierte Riebeling auch 1953 im Journal of Neurology. Vgl. Riebeling (1953b). 637 Eine Anfrage der Verfasserin bei info@uzgent vom 28.10.2013 zu vorhandenem Quellenmaterial in Bezug auf Arthur Claus verlief ergebnislos. 638 Vgl. Meggendorfer (1932a).

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Direktor der Männerirrenanstalt Mortsel bei Antwerpen hatte Claus gemeinsam mit Omer van der Stricht,639 die Monographie „Pathologénie et Traitement de l’ Épilepsie“640 verfasst und war im Rahmen seiner forensischen Expertise psychiatrischer Sachverständiger des höchsten Gerichtshofs in Belgien. Am Beispiel von Arthur Claus zeigt sich exemplarisch eine Verfolgungssituation mit Zwangsemigration641 im Rahmen des Ersten Weltkrieges: „Claus war ein glühender flämischer Patriot, eilte in dieser seiner Einstellung freilich der politischen Entwicklung seines Vaterlandes voraus und hatte deshalb viel Ungemach und Leid zu erdulden, namentlich nach dem für uns so unglücklichen Ausgang des Krieges. Eine schwere Verfolgung brach über Claus herein. Er ging ins Exil642 nach Holland, nach Deutschland, kam hier auch nach Hamburg. In Friedrichsberg arbeitete er auf der genealogischen Abteilung, trieb seinem alten Interessensgebiet entsprechend Studien über die Vererbung der Epilepsie“.643

In seinem „Beitrag zur Therapie der Epilepsie“644 von 1932 beschrieb Meggendorfer die Ergebnisse der Behandlung von 53 Friedrichsberger Epilepsie-Patienten mit „Phenyläthylbarbitursäure-Belladonna-Kombinationspräparat“.645 Da „[d]ie Kombination von Phenyläthylbarbitursäure mit Bellafolin […] um ein Drittel wirksamer als die reine Barbitursäure“646 sei, könne „man daher mit Belladenal in der Therapie 30% der bisherigen Phenyläthylbarbitursäure-Dosen einsparen“.647 Meggendorfer betonte, „gerade das Ausbleiben der betäubenden Wirkung [könne] ein Vorzug des Kombinationspräparates Belladenal sein“.648 639Vgl.https://books.google.de/books?id=bGBl3XtYwHIC&pg=PA313&lpg=PA313&dq=%C2% BBPathologie+et+traitement+de+l%60%C3%A9pilepsie%C2%AB+:arthur+claus&source=bl&ots=3RqFqHi8Ka&sig=avl81Td4JIPAMejryCzEwe0axus&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjolZyJwMzJAhVJGCwKHRKiAVMQ6AEIHzAA#v=onepage&q=claus&f=false. Stand vom 08.12.2015. 640 Claus/van der Stricht (1896). 641 „[…] der fortgerissene Flüchtling oder der Vertriebene […] ist ein Sozialer ohne Sozietät. Als herangereifter Erwachsener verliert er sein Biotop […], das Milieu, dem er leidend und arbeitend angehörte, und gerät soziologisch wie psychologisch in ein Vakuum. Er vermag nicht zu planen, sondern muss mit dem Tod um die Wette rennen. Er wechselt nicht organisch zwischen zwei festgefügten Sozietäten oder nimmt die seine mit sich, sondern hat alle Kraft auf die Selbsterhaltung zu verwenden. Blind muss er fortstürzen und atemlos, hin zu irgendeinem rettenden Gestade, das ihm oft völlig unbekannt ist. Erreicht er diese Zufluchtstätte, dann muss er dort tastend seinen Weg suchen; er ist nun ein an sich Sozialer in fremder Sozietät“. Vgl. Pfister-Ammende (1961), S. 761. 642 Herta Müller, 2009 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, reiste 1987 von Rumänien „nach Deutschland aus und ging ins Exil, wie sie ausdrücklich betonte. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema Exil plädierte sie immer wieder für die Sichtbarmachung von Exilerfahrungen im öffentlichen Raum: ‚Es gibt zwar Gedenktafeln für einzelne Künstler, aber keinen großen Ort der Erinnerung an das Exil, an die schon 1933 vertriebenen Deutschen‘“. Vgl. Müller (2013) zit. n. http://kuenste-im-exil.de/KIE/Content/DE/Personen/mueller-herta.html. Stand vom 10.11.2016. Ferner hierzu weiterführend: Schoeller im Gespräch mit Müller (2016). 643 Meggendorfer (1932c), S. 539. 644 Ders. (1932b). 645 Ebd., S. 4. 646 Ebd., S. 16. 647 Ebd. 648 Ebd., S. 12.

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Meggendorfers Bemühen um die Erforschung antiepiletischer Behandlungsmöglichkeiten sollte sich fortsetzen. Berthold Kihn (1895–1964),649 langjähriger Mitarbeiter an der Erlanger Psychiatrischen Klinik (1923–1936), sollte 1953 in seinem Vortrag zur Therapie der Epilepsie anlässlich der vierten Lindauer Psychotherapiewoche die Verdienste Meggendorfers würdigend erwähnen: „Sonderbarerweise hat man in der Epilepsiebehandlung bisher eines Mittels sich wenig bedient, das meines Erachtens große Bedeutung verdient. Es ist der Borax, um dessen Einführung in die Epilepsiebehandlung sich französische Neurologen, der Schweizer [Lucien] Bovet [1907– 1951]650 und der […] deutsche Psychiater Meggendorfer große Verdienste erworben haben“.651

In Hinblick auf die Anwendung von Bor(ax)652 lässt sich in Meggendorfers Schrifttum eine therapeutische Empfehlung in seinem Werk „Allgemeine und spezielle Therapie der Geistes- und Nervenkrankheiten“653 von 1950 finden: „Epileptiker, die auf Brom und Luminal nicht ansprechen, reagieren oft überraschend gut auf Bor […]. Bei manchem Epileptiker wirkt Epiron, eine Kombination von Brom, Bor und Baldrian, günstig […]. Bei vorwiegend kleinen Anfällen hat sich die kombinierte Brom-Borbehandlung nach Veinberg bewährt“.654

2.3 ORDINARIUS FÜR PSYCHIATRIE IN ERLANGEN 2.3.1 Berufung nach Erlangen Der von Seiten der Universität Erlangen angestrebte Amtsnachfolger von Geheimrat Gustav Specht sollte

649 Vgl. hierzu Braun/Kornhuber (2014c) und Braun et al. (2015). 650 Weiterführend hierzu siehe http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D43712.php?topdf=1. Stand vom 16.07.2017. 651 Kihn (1953), S. 98. 652 „Eine sehr umstrittene Bedeutung in der Behandlung der Epilepsie scheint das Bor zu haben. Ich kenne namhafte Neurologen, die es ablehnen, das Mittel zu gebrauchen. Sehr zu Unrecht. Denn das Bor ist ein differentes Mittel, mit welchem man bei falschem therapeutischen Gebrauche viel schaden kann; bei richtiger Anwendung kann man die konservative Behandlung der epileptischen Erkrankung auf eine neue Stufe stellen. In seiner besonderen Zusammensetzung als Borax ändert es die Reaktionslage des Körpers nach der Seite der Acidose“. Vgl. ders. (1954), S. 724. 653 Meggendorfer (1950). 654 Ebd., S. 188–189.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „[i]n der Zeit der Volkserneuerung […] die Fähigkeit und Neigung besitzen, ein Verkünder und Förderer erb- und rassengesundheitlicher Lehren zu sein.655 Selbstverständlich […] auch als Persönlichkeit die Gewähr echter vaterländischer und gemeinnütziger Gesinnung bieten“.656

Diesen Grundsätzen gemäß wurde nach einer Experten657-Befragung folgende Auswahl getroffen: „Primo loco: Gottfried Ewald, Secundo loco: Max de Crinis,658

655 Vergleichsweise seien die Berufungsmotivationen 1938 in Rostock angeführt: „In der Fakultätsbegründung für den Berufungsvorschlag von E. Braun wurde zwar hervorgehoben, dass er sich auf dem Gebiet der Erbbiologie hervorgetan habe, aber auch andere Forschungsbereiche und insbesondere seine Erfahrungen in der Klinikleitung den Ausschlag gegeben hätten“. Vgl. Schläfke et al. (2004), S. 46–47. 656 UAE: A2/1 Nr. S. 53. bzw. alte Signatur: UAE: II, 1, 53. 657 Anonym. 658 Mit Hilfe von Unterstützung seitens österreichischer Parteimitglieder nach gescheitertem Putschversuch im Jahre 1934 wurde de Crinis (1889–1945) im selben Jahr als Ordinarius für Psychiatrie an die Universität Köln berufen. „In seiner Kölner Zeit publizierte de Crinis ein Lehrbuch zur ‚Gerichtlichen Psychiatrie‘, das zu strenger Beachtung nationalsozialistischer Gesetzgebung anleitete. […] Im November 1938 wurde de Crinis gegen das explizite Votum der Berliner Medizinischen Fakultät auf den Lehrstuhl für Psychiatrie berufen. Eine besondere Hinhaltetechnik von Bonheoffer zur Verhinderung dieser Berufung, die gelegentlich postuliert wurde, lässt sich nach neueren historischen Forschungen nicht belegen“. Vgl. Roelcke (2008), S. 78. De Crinis gilt als beteiligt an der Planung der Tötung psychisch kranker Menschen. Vgl. Klee (2003), S. 97. „Nach Aussage des zum Tod verurteilten SS-Arztes Dr. [Friedrich] Mennecke [1904–1947], des Leiters der Beobachtungsanstalt Eichberg, gehörte auch Prof. de Crinis zu den Obergutachtern“. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 29. „An der ‚T-4‘ war er nicht offiziell, sondern als graue Eminenz beteiligt“. Vgl. Aly (1987a), S. 15. De Crinis suizidierte sich am 02.05.1945 durch Zyankali-Ingestion. Vgl. Klee (2003), S. 97. Wenn Neumärker 1990 die Frage stellte, „[wo] [...] die Psychiatrische und Nervenklinik der Charité des Jahres 1940 unter de Crinis [stand]?“, so verweist er auf die Aussage von Roggenbau aus dem Jahr 1949. Als ehemaliger Mitarbeiter Karl Bonhoeffers positionierte sich Christel Heinrich Roggenbau (1896– ?) folgendermaßen: „Diese erschütternde Verminderung in dem Krankenbestand [Reduktion um vierzehn tausend Patienten in den Berliner Anstalten und in den Provinzialanstalten Brandenburgs im Vergleich zum Jahre 1939] lässt den Verdacht nicht zur Ruhe kommen, dass die Mehrzahl gestorben ist und dass ein großer Teil dieser Kranken jenem nationalsozialistischen Gesetz von der Vernichtung lebensunwerten Lebens, das zwar niemals veröffentlicht, aber mitleidslos gehandhabt wurde und das nur den Menschen als erhaltenswert bezeichnete, der produktiv tätig war, zum Opfer fiel“. Vgl. Neumärker (1990), S. 202, siehe ferner Roggenbau (1949).

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Egon Küppers (1887–1980),659 Friedrich Meggendorfer, Tertio loco: Ernst Fünfgeld (1895–1948),660 Berthold Kihn“.661 Von den hier genannten potenziellen 659 Es sei verwiesen auf Küppers Arbeit „Der Existenzbegriff und die Neurologie“. Vgl. Küppers (1950). Die Suchtthematik-Publikation mit dem Titel „Die Deliranz und ihre Behandlung“ stammt von Dr. phil. et med. habil. Karl Küppers, Oberarzt in der Luftgau-Sanitätsabteilung XI, Luftwaffenlazarett Rerik. Vgl. Küppers (1942). 660 Auch Fünfgeld befasste sich später mit der Elektrokrampfbehandlung. Vgl. Fünfgeld (1940). Fünfgeld wurde ab Juli 1939 Ordinarius der Kölner Nervenklinik. Fünfgeld publizierte unter anderem über tetanische Erscheinungen. Tetanie ist ein „Syndrom neuromuskulärer Übererregbarkeit durch Mangel an nicht gebundenen Serumkalzium, entweder bei Hypokalzämie […] oder bei Alkalose (z. B. durch Hyperventilation [zumeist psychisch bedingt]). Meist nach Prodromi, z. B. Schwindel oder Kribbelparästhesien der Akren, einsetzende symmetrische, schmerzhafte tonische Muskelverkrampfung mit Karpopedalspasmen (Pfötchenstellung der Hände, Equinovarusstellung der Füße), Verziehung der mimischen Muskulatur (‚Fischmaul‘). Auch die laryngeale (Glottiskrampf) und glatte Muskulatur kann betroffen sein, z. B. in Form von asthmoiden oder stenokardialen Symtomen, Blasen-, Magen- oder Darmkoliken.“ Vgl. Berlitt (2005), S. 1232–1233. Im folgenden sei ein Ausschnitt aus Fünfgelds Werk angeführt: „Die […] [zu dieser Zeit] gefassten Pläne einer eingehenden chemisch-physiologischen Durchuntersuchung und erbbiologischen Erforschung tetanisch Kranker wurde durch den Krieg vereitelt. Trotzdem habe ich es für richtig gehalten, den Niederschlag meiner Erfahrungen den Fachgenossen vorzulegen“. Vgl. Fünfgeld (1943), Vorwort. Einen guten Einblick in die absolute Dominanz der Genetik bei pathogenetischen Prozessmodellen zu nationalsozialistischer Zeit vermittelt die Tatsache, dass Fünfgeld sogar die „idiopathischen Tetanien“ zu „hereditären Tetanien“„stilisierte“: „Eugenische Maßnahmen der Tetanie gegenüber halte ich nicht für möglich, auch nicht für erforderlich. Wenn auch die Tetanien echte Erbkrankheiten sind, so sind sie doch zu wenig einschneidend und sozial schwerwiegend, außerdem meist so leicht behebbar, dass einer Maßnahme wie der eugenischen Sterilisation niemals zugestimmt werden könnte. Prophylaktisch [anzustreben] sind […] Aufklärung, Erziehung zu vernünftiger Lebensweise. […]. Die sog. Übererregbarkeitsepilepsien mit tetanischen Erscheinungen bedürfen besonderer erbwissenschaftlicher Beachtung, weil hier die Differentialdiagnose gegenüber der Erbepilepsie noch unsicher, aber von ganz besonderer Wichtigkeit ist. Die idiopathische Tetanie ist also ein Erbleiden, das im Gegensatz zu den im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses aufgeführten ein leichtes Erbleiden darstellt. […] Tetanische Menschen zu behandeln, gehört zu den schönsten Aufgaben des an ärztlichen Freuden nicht überreich gesegneten Faches der Neurologie und Psychiatrie“. Vgl. ebd., S. 118–119. Zu der von Fünfgeld behandelten erblichen Komponente der Tetanie gilt es folgenden Hintergrund anzugeben: Neben einer womöglich genetischen Komponente für psychogene Hyperventilationsneigung und konsekutive tetanische Erscheinungen gilt es, die sehr seltenen Tetanien im Rahmen von Pseudohypoparathyreodismus anzusprechen. Letzterer „kommt familiär gehäuft vor und geht mit organischen Stigmata einher […]. Bei Familienangehörigen dieser Patienten spricht man von Pseudo-Pseudo-Hypoparathyreoidismus, wenn sie die typischen Stigmata zeigen, jedoch keine Kalziumstörung vorliegt“. Vgl. Herold (2008), S. 709. Zu Fünfgeld siehe ferner als gerontopsychiatrische Publikation: Fünfgeld (1939). Auf die Relevanz der Differentialdiagnose von Tetanien zu epileptischen Anfällen verwies Meggendorfer in seinem Gutachten zu P. S. vom 08.01.1936. „Und dann hat die Blutuntersuchung einen an der untersten Grenze liegenden Calciumgehalt ergeben, was an die Möglichkeit denken lässt, dass es sich vielleicht um tetanische Erscheinungen, vielleicht sogar um eine ‚Epithelkörperchenepilepsie‘ gehandelt hat. Auch an Anfälle, die mit einer anderen Störung des endokrinen Gleichgewichtes zusammenhängen, wäre zu denken, namentlich mit Rücksicht auf die Angabe, der erste Anfall sei zur Zeit der ersten Menses aufgetreten. Erst kürzlich hat Bonhoeffer (Med. Welt 16. XI, 1935) auf die Fälle

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Amtsnachfolgern Gustav Spechts662 sollten Maximinian de Crinis als Ordinarius für Psychiatrie in Berlin sowie Berthold Kihn663 als Ordinarius für Psychiatrie in Jena später zum engeren Kreis psychiatrischer Experten für das nationalsozialistische „Euthanasie“-Programm gehören. Unter der Überschrift „[d]ie erste nationalsozialistische Universität des Reiches“664 verweist Schieber in seiner illustrierten Erlanger Stadtgeschichte auf Berthold Kihn,665 der schon 1932 „die Ausschaltung der Minderwertigen aus der Gesellschaft“666 in Erlangen propagierte. Schieber betont, „[d]as Führerprinzip wurde auch auf das Rektorenamt übertragen“,667 welches fast ausschließlich Mediziner inne gehabt hätten. Johannes Reinmöller (1877–1955),668 Direktor der Erlanger

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von ‚Epilepsie‘ hingewiesen, die mit endokrinen Entwicklungsstörungen in den ersten Lebensdezennien zusammenhängen, die einige Jahre nach der Pubertät zum Stillstand kommen und sich verlieren und deren Zugehörigkeit zur erblichen Fallsucht seiner Ansicht nach, vorläufig wenigstens, zu verneinen sei. Freilich handelt es sich hier nur um ziemlich vage Möglichkeiten und keineswegs um Beweise; ich glaube aber doch auch hierauf eingehen zu müssen. Zusammenfassend lässt sich meiner Ansicht nach sagen, dass nach wie vor ein erheblicher Verdacht auf das Bestehen einer erblichen Fallsucht bei Frau P. besteht, dass aber die einwandfreie Feststellung bisher noch nicht gelungen ist“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 277/182. Siehe ferner Bonhoeffer (1935). Am 03.12.1935 hatte sich Prof. Dr. med. et Dr. phil. H. Wintz bei der „Direktion der Heil- und Pflegeanstalt“ bedankt für die Überweisung der P. S.: „Es ist natürlich allein aus den Angaben der Patientin heute schwer zu sagen, ob es sich bei ihrer Krankheit vor 1 ½ Jahren wirklich um eine Gebärmutterentzündung gehandelt hat. Jedenfalls ist heute kein Befund mehr da, der hierfür spräche. Der Unterus ist klein, anteflektiert, gut beweglich. Beide Adnexe u. Parametrien sind frei. Eine Gegenindikation gegen die gesetzliche Sterilisation besteht von unserer Seite aus nicht“. Letzteres Schreiben wurde unterzeichnet von Dr. Bosch. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 277/182. Schreiben des Dekan Friedrich Jamin (1872–1951) an Rektor Reinmöller vom 12.05.1934. Vgl. UAE: A2/1, S. 53. bzw. alte Signatur: UAE: II, 1, 53. Friedrich Jamin war von WS 1920/21 bis SS 1921 „[n]ach Abschaffung der Monarchie[…]“ der erste aus den Reihen der Professoren gewählte „Rektor“. Vgl. https://www.fau.de/universitaet/das-ist-die-fau/uniarch iv/. Stand vom 24.05.2016. Zu Specht siehe ferner DGPPN-Kongressposter Braun/Kornhuber (2014e). Siehe Zimmermann (2000) und John (1983). Siehe ferner John/Stutz (2009), S. 68. Schieber (2002), S. 119. Siehe weiterführend Reimann (1986). Siehe hierzu Braun/Kornhuber (2014c) sowie Braun et al. (2015). Ferner siehe Rauh (2016a). Kihn (1932). Schieber (2002), S. 119. Ein Portraitbild Reinmöllers ist abgedruckt bei Wendehorst (1993), S. 187. Weiterführend hierzu Rauh (2016c), insbesondere: „Erlanger Kliniker als Hochschulführer. Die Rektoren Reinmöller, Specht und Wintz“ auf S. 234–235. „1926 soll Reinmöller […] dem SA-Führer und späteren Reichstagsabgeordneten Edmund Heines [1897–1934] […], der im Zusammenhang mit der Röhm-Revolte (1934) dann selbst ein Opfer der Häscher Hitlers wurde, zur Immatrikulation in Erlangen verholfen haben; doch lässt sich diese Nachricht nicht sicher belegen“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 164. Interessant in diesem Kontext zeigt sich die vielschichtige Rezeption Reinmöllers von juristischer Seite: Entgegen der 1933 weithin geforderten Entlassung des „Nazifresser[s] von Erlangen“ – wie beispielsweise in der Juni-Ausgabe von „Der Stürmer“ – verhielt sich Rektor Reinmöller in der „causa Stollreither“ zurückhaltend. Anders als öffentlich gefordert, reichte er beim Ministerium nicht das Gesuch nach Entlassung von Eugen Stollreither (1874–1956) als Leiter der Universitätsbibliothek sondern vielmehr auf

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Universitäts- Zahn- Mund- und Kieferklinik, der im Jahr der Machtübernahme Rektor der Friedrich-Alexander-Universität wurde,669 verstand sich eher als politische statt als wissenschaftliche Leitfigur.670 Zudem war er einst von Gustav Specht psychiatrisch begutachtet worden.671 In Kontrast zur Bezeichnung der Friedrich-Alexander-Universität als „erste nationalsozialistische Universität des Reiches“672 gilt es mit Gotthard Jasper anzumerken, dass der Erlanger Lehrkörper sich nur zu einem relativ geringen Anteil aus NS-Aktivisten zusammensetzte, zumal „diese jungen Parteibuch-Karrieristen in Erlangen kaum eine Chance“673 hatten. Jasper sieht die fehlenden „Einlasstore für junge NS-Professoren“674 darin begründet, dass in Erlangen ohnehin – im Gegensatz zu beispielsweise Heidelberg und Berlin – nur wenige jüdische und liberale Professoren dem Lehrkörper angehörten, deren Stellen nach einer Zwangssuspension neu hätten besetzt werden müssen. Bei den Vorschlägen zur Wiederbesetzung des Erlanger Lehrstuhls für Psychiatrie, so die Dokumentation bezüglich der Nachfolgeberufung675 zu Gustav Specht im Universitätsarchiv, „musste die Fakultät darauf bedacht sein, für dieses Lehramt Anwärter auszuwählen, die sich nicht nur als Forscher und Lehrer in Psychiatrie und Nervenheilkunde bewährt haben, sondern die auch befähigt erscheinen, das Amt eines Vorstandes der von dem entpflichteten Herrn geh. Med. Rat Prof. Dr. Specht unter den eigenartigen und schwierigen Bedingungen676 der Angliederung an die hiesige Kreis- Heil- und Pflegeanstalt zu schöner Blüte geförderten psychiatrischen Klinik weiterhin mit gleichem Erfolg zu versehen. An einer Universität, an der diese wichtigen Fächer klinischer Psychiatrie und Nervenheilkunde planmäßig nur durch eine Lehrkraft vertreten sind und an der dem akademischen Lehrer der Psychiatrie und Psychopathologie zugleich die praktische Aufgabe erwächst, mit der Kreis-Irrenanstalt in Beziehung zu treten und sie für Unterricht und Forschung nutzbar zu machen, braucht man für dieses Amt einen Versetzung ein. Vgl. Safferling (2016). Weiterführend auch Stollreither (1936). Als Vergleich zu den Universitätsbibliotheken Heidelberg, Jena und Köln unter dem Nationalsozialismus sei weiterführend verwiesen auf Toussaint (1989). Zu Hermann Corsten (1889–1968) als Bibliotheksdirektor der Universitäts-und Stadtbibliothek Köln im Nationalsozialismus siehe Hoffrath (2012). Zu Rudolf Buttmann (1885–1947) als „Politiker und Bibliothekar zwischen bürgerlicher Tradition und Nationalsozialismus“ vgl. Wanninger (2014). Zur Rolle wissenschaftlicher Bibliothekare im Nationalsozialismus siehe auch Knoche/Schmitz (2011). 669 Er bekleidete das Rektorenamt von WS 1933/34–WS 1934/35. „Per Erlass des bayerischen Kultusministeriums vom 28.8.1933 wurden die Rektoren während der NS-Zeit nicht gewählt, sondern vom bayerischen Kultusministerium ernannt“. Vgl. https://www.fau.de/ universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. „Die drei [bayerischen Landesuniversitäten] standen seitdem unter der Führung eines nicht mehr vom Senat gewählten, sondern vom Kultusministerium ernannten Rektors. Alle Kompetenzen des Senats gingen auf den Führer-Rektor über“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 189. 670 Vgl. hierzu ebd. 671 Angabe Gustav Spechts in: UAE: II, 1, 53 bzw. UAE: A6/3i. Ein schriftlich fixiertes Gutachten ließ sich bislang nicht finden. 672 Schieber (2002), S. 119. 673 Jasper (2013), S. 321. 674 Ebd. 675 „Die hohe Zahl der Neuberufungen spiegelt sich auch im Bereich der Psychiatrie und Neurologie wider, in dem im deutschsprachigen Raum zwischen 1933 und 1936 von 30 Lehrstühlen 15 neu besetzt wurden“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 15. 676 Vgl. ferner Braun/Kornhuber (2016a).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Mann, der nicht nur in Psychiatrie und Neurologie das Ansehen eines Forschers und Kenners genießt, sondern der auch mit allen praktischen Aufgaben vollauf vertraut ist, die aus dem Verkehr mit den Behörden und Anstalten und bei der Leitung einer großen Anstalt dem Irrenarzte erwachsen“.677

Die Ausführungen der Berufungskommission678 zu Friedrich Meggendorfer betonten, er habe 677 UAE: A2/1, S. 53. bzw. alte Signatur: II, 1, 53. Weiterführend zum „Streitfall Nervenheilkunde“ als „Studie zur disziplinären Genese der klinischen Neurologie in Deutschland“ siehe Pantel (1993). Ferner interessant auch Thom (1982). 678 Die Ausführungen der Berufungskommission zu den anderen Ordinariatskandidaten lauteten folgendermaßen: „An erster Stelle schlagen wir vor: Herrn Professor Dr. Gottfried Ewald, z. Zt. in Greifswald. Prof. Ewald erfreut sich in der psychiatrischen Fachwissenschaft eines ausgezeichneten Ansehens. Er hat sich durch zahlreiche vorzügliche psychiatrische und medizinisch-psychologische Arbeiten allgemeine Anerkennung erworben und gilt als einer der besten Kenner auf dem Gebiet der psychiatrischen Temperaments- und Charakterlehre. Er verfügt auch auf dem Gesamtgebiet der Psychiatrie über ein sehr umfangreiches Wissen; alle seine Arbeiten werden von fachkundiger Seite als gediegen, klug und zuverlässig gepriesen. Er hat in manchen strittigen Fragen es verstanden, männlich seinen Standpunkt zu wahren und jedesmal hat ihm die Folgezeit recht gegeben, so auch in der Ablehnung der diagnostischen Bedeutung des Dialysierverfahrens in der Psychiatrie. Die Fakultät hat ihn hier durch Jahre als Oberarzt an der psychiatrischen Klinik kennen und schätzen gelernt. Dabei haben die Kliniken die Unterstützung seiner gründlichen neurologischen Untersuchungsweise dankbar genossen. Seine lichtvollen Vorträge haben viel Anregung gegeben. Auch seine forensische Tätigkeit hat Gutes gewirkt. Er hat seine Anteilnahme an Fragen der Erbgesundheitslehre durch Vorträge und durch seine Teilnahme am erbbiologisch-rassenhygienischen Lehrgang für Psychiater in München bekundet. Seine hohe Einschätzung als Kliniker, Lehrer, Arzt und Mensch wurde dadurch bezeugt, dass er in den letzten Jahren auf verschiedenen Berufungslisten an hervorragender Stelle genannt wurde und dass er im letzten Semester mit der Vertretung des psychiatrischen Lehramts in Greifswald beauftragt war, wohin er nun auch berufen wurde. Die schwierige Aufgabe einer Neuordnung hat er dort in anerkannt trefflicher Weise gelöst. Dadurch wird seine Eignung zum Anstaltsleiter neu bestätigt. Mit den hiesigen besonders gelagerten Verhältnissen ist er so innig vertraut, dass er sie nach dieser guten Vorschule aufs Beste würde meistern können. Ewald hat einen sehr guten Vortrag und ist ein eindringlicher und erfolgreicher Lehrer. Beweglich, unermüdlich und außerordentlich leistungsfähig ist er in keiner Weise behindert durch den im Kriegssanitätsdienst erlittenen Verlust der linken Hand. Er ist hier allgemein beliebt als eine gradlinige, hilfsbereite, liebenswürdig feine und bei großem Wissen und vielseitiger Begabung schlichte Persönlichkeit. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder. Prof. Dr. Max de Crinis, Oberarzt an der Psychiatrischen und Nervenklinik in Graz, ist aus der physiologisch chemischen Schule [Fritz] Pregls [1869–1930] hervorgegangen. So hat er sich zuerst physiologisch-chemisch-histologischen Aufgaben zugewandt und besondere Methoden zur Erforschung der Gehirnzellen in gesundem und krankem Zustande ausgearbeitet. Später hat er serologische und Abbaufermentmethoden zur Klarlegung der Gehirnpathologie ausgearbeitet, auch mit Bezug auf Stoffwechselfragen und Einsonderungsdrüsen. Damit kam er zu einer Betrachtung der humoralen Konstitution. Daneben hat er stets ein besonderes therapeutisches Bestreben gezeigt und hier neue Wege gesucht. Seine wissenschaftliche und praktische Arbeitsrichtung zielt mehr nach der Seite der Neurologie und der Gehirnpathologie als nach der hier in Erlangen überlieferten psychologisch-psychiatrischen Richtung. Er wird als ein Mann von großer Lehrbegabung mit klarem und formvollendetem Vortrag geschildert und hat auch, häufig mit der Leitung einer großen psychiatrisch-neurologischen Klinik vertretungsweise betraut, ausreichend Erfahrung in der Leitung und Verwaltung einer Heilanstalt. Er ist in Deutschland

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weniger bekannt und noch kaum in Vorschlägen genannt worden. Wenn wir ihn trotzdem den anderen bevorzugten Anwärtern an die Seite stellen, so geschieht es einerseits wegen der rühmenden Anerkennung, die seine Lehrbefähigung, der Ernst seines wissenschaftlichen Strebens und seine hervorragenden Charaktereigenschaften von den hervorragendsten österreichischen Fachleuten gefunden haben und andererseits und vorzugsweise auch deshalb, weil Herr de Crinis derzeit in Österreich wegen der treudeutschen Gesinnung, die er stets gezeigt hat, und wegen seines offenen Eintretens für seine Überzeugung unter den heutigen Verhältnissen schon verschiedene Male dort Zurücksetzung hat erfahren müssen und auch, obwohl er nach fachkundigem Urteil der einzige in Österreich in Betracht kommende Anwärter ist, bei künftigen Berufungen dort fürchten muss, übergangen zu werden. […] Mit der Berufung auf den psychiatrischen Lehrstuhl schlage ich [gemeint: Rektor Reinmöller] Herrn Prof. Dr. de Crinis vor. Die Eignung in wissenschaftlicher Beziehung, sowie als Lehrer und Erzieher der akademischen Jugend ist in hervorragender Weise gegeben, ebenso die Eignung als Leiter einer großen Klinik. Herr Professor de Crinis ist ein bekannter und tapferer Vorkämpfer des Nationalsozialismus in Österreich, was ihm selbstverständlich den Haß der Dollfußregierung eingetragen hat. Gerade dieser Umstand veranlasst mich, ganz besonders für die Berufung des Herrn de Crinis einzutreten. In dieser Auffassung gehe ich mit dem Vertrauensmann der NSDAP bei der Medizinischen Fakultät, sowie mit dem Führer der Dozentenschaft den gleichen Weg. Beide Herren haben die Berufung des Herrn de Crinis vorgeschlagen. Prof. Egon Küppers hat in letzter Zeit die Leitung der psychiatrischen Klinik in Freiburg i. B. vertreten. So ist auch er mit der Führung einer solchen Anstalt wohl vertraut. Er hat von der psychologischen Seite her mit gutem Erfolg das Leib-Seele-Problem angegriffen und die Störungen der psychischen Leistungen mit dem Aufbau des Zentralnervensystems, besonders dem Hirnstamm, in Beziehung gesetzt und damit auch zum Ausbau der Lehre vom vegetativen Nervensystem beigetragen. Seine Arbeiten haben als gründliche und verlässige Studien bei den Kennern aufmerksame Beachtung gefunden. Er ist ein bei seinen Hörern beliebter sehr guter Lehrer und wird als eine Persönlichkeit von gewinnendem und charakterlich hocheinzuschätzendem Wesen von verschiedensten Seiten aufs Wärmste empfohlen. Er ist verheiratet und hat 2 Kinder […]. In dritter Stelle schlagen wir vor: – in alphabetischer Reihenfolge – Herrn Professor Dr. Ernst Fünfgeld, Frankfurt a. M. Professor Dr. Ernst Fünfgeld ist Oberarzt der psychiatrischen Klinik in Frankfurt und hat als Vertreter des Vorstands dieser großen Anstalt in Zusammenarbeit mit den Heilanstalten sich Vertrautheit mit den Aufgaben eines Anstaltsleiters erworben. Er ist ein erfahrener Gutachter und ein tüchtiger Arzt. Er hat bei seiner Forschungsarbeit in der Histopathologie des Zentralnervensystems nie die Fühlung mit der Klinik verloren und so für die Lehre von den schizophrenen Krankheiten, auch für die Rückbildungserscheinungen und für manche organische Hirn- und Rückenmarksleiden neue Grundlagen aufgedeckt. Dabei hat er auch die erbbiologischen Seiten solcher Krankheiten zu würdigen gewusst. Er wird als guter Redner und Lehrer geschildert, als ein kenntnisreicher Arzt von sicherem und zuverlässigem Wesen. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Professor Dr. Berthold Kihn ist uns als Assistent der hiesigen psychiatrischen Klinik seit 10 Jahren bekannt. Er hat bei Oskar Vogt in Berlin am Kaiser Wilhelm Institut für Hirnforschung und bei Spielmeyer in München an der deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie gearbeitet und die so gewonnene Methodik in wertvollen Arbeiten über die Histopathologie des Zentralnervensystems und der peripheren Nerven verwertet. Eingehender hat er die Pathologie der Avitaminosen und die Therapie der Paralysen verfolgt, dabei aber auch psychopathologische Probleme angepackt. Der Erbgesundheitslehre hat er 1931 schon in einer Studie über die Ausschaltung der Minderwertigen und in Bearbeitung der choreatischen Erscheinungen Beachtung gezollt. Er hat eine erstaunliche Vielseitigkeit des Wissens und Könnens und eine fabelhafte Arbeitskraft, die in Hingebung an Dienst und Pflicht, in wissenschaftlichem Streben und in freudigem Auswirken als Arzt, als Anstaltsführer, als Gutachter und Helfer der Berufsgenossen, wie als Lehrer und Organisator keine Grenzen zu kennen scheint. Bei seinen reichen

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „in Hamburg […] an der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg in den letzten Jahren vielfach den Vorstand in den Hauptvorlesungen vertreten und ha[be] in der Bearbeitung der Aufgaben einer so großen Krankenanstalt reiche Erfahrung. Er ist psychiatrisch (bei Kraepelin)679 und neurologisch (bei Nonne) gleich gut vorgebildet und hat 1920 auch sieben Monate an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie gearbeitet. Hier hat er sich in die Aufgaben der Erbbiologie und der Rassenhygiene vertieft, denen er einen wichtigen Teil seiner zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten besonders über den Erbgang der chronischen [sic] Huntingtonschen Chorea gewidmet hat. Dabei hat er auch Fragen der Paralysebehandlung verfolgt und sich bei Foerster in Breslau auch neurochirurgisch betätigt. Er hat eine gerichtliche Psychiatrie geschrieben und wertvolle Handbucheinträge [sic] über die toxischen Psychosen und andere Gebiete geliefert. Seine Hauptbedeutung liegt jetzt neben seiner allseitigen psychiatrischen neurologischen und medizinischen Bildung darin, dass er – wie Herr Prof. Rüdin schreibt – volles Verständnis für das biologische Programm der Regierung hat und auch dem akademischen Nachwuchs Gelegenheit geben wird, sich für die psychiatrischen Aufgaben im neuen Staate mit den erforderlichen gediegenen Kenntnissen auszurüsten. Er wird als ein umgänglicher, gediegener, gewis-

Gaben ziert ihn ein starkes, geschlossenes, aufrechtes und stets waches Wesen, verantwortungsfrohe Treue und Rührigkeit. So dürfte er sowohl neurologisch, wie psychiatrisch und als tatkräftiger Anstaltsleiter den besonderen Aufgaben dieses Lehramts und der hiesigen psychiatrischen Klinik, die auch er seit langem aus praktischer Erfahrung kennt, aufs Beste gewachsen sein. Als eine aufrechte und durchaus zuverlässige Persönlichkeit ist er allseits beliebt und wurde von der studentischen Jugend in den Vordergrund gestellt. Er ist verheiratet. Von allen Vorgeschlagenen liegt ein Verzeichnis der Arbeiten und ein Lebenslauf bei. Die Vorgeschlagenen sind durchwegs arischer Abstammung und im Sinne der M. E. v. 27.03.1934 Nr. V 14918 ist zu bestätigen, dass ihre nationale Zuverlässigkeit einwandfrei feststeht. Dies geht mit Ausnahme von Prof. de Crinis schon aus der amtlichen Stellung hervor, die sie alle an deutschen Universitäten bekleiden. Es ist uns außerdem bei jedem der Einzelnen von denen, die wir nicht wie die hiesigen Anwärter persönlich näher kennen, in glaubwürdiger Weise versichert worden“. Vgl. Vorschläge zur Wiederbesetzung der erledigten Professur von Gustav Specht, 12.05.1934, UAE: II, 1, 53. Zu den erwähnten Kihnschen Studien zu Chorea siehe Kihn (1933): „Über Probleme der Choreaforschung zu schreiben, könnte heute manchem als Anachronismus erscheinen. Zu leicht glaubt man, es wäre alles, was mit der Chorea zusammenhängt, gesichertes fachwissenschaftliches Besitztum. Für diese Annahme ist zunächst insofern eine gewisse Berechtigung vorhanden, als es sich bei den Choreakrankheiten um lange bekannte und oft durchforschte Krankheitstypen handelt, deren klinische Geschlossenheit sie zu Schulbeispielen des Begriffes der Krankheitseinheit zu machen pflegt. Dazu kommt, dass dem scheinbar klinisch gesicherten Tatbestand ein festes anatomisches Substrat zu entsprechen scheint auf Grund dessen sich eine sichere Physiologie der choreatischen Bewegungsstörung – sollte man meinen – eigentlich ganz von selbst ergäbe. Aber leider sind wir in Wirklichkeit von diesen Zielen noch weit entfernt. Es kann gar nicht genug betont werden, wie ganz anders es um die Tatsachen bestellt ist“. Vgl. ebd., S. 505. „So findet sich also, wie man sieht, noch heute eine ganz erhebliche Diskrepanz der Auffassungen, die sich wohl nur durch weitere eingehende Arbeit wird ausgleichen lasen. Wichtig scheint uns heute, dass, entgegen anderslautender Anschauungen, auch jetzt noch betont wird: die Schwierigkeiten in der Choreafrage seien größer denn je und wir seien von einer Lösung noch weit entfernt“. Vgl. ebd., S. 513. Zur erwähnten Ewaldschen „Ablehnung der diagnostischen Bedeutung des Dialysierverfahrens in der Psychiatrie“ siehe Ewald (1919), (1920a), (1920b) und (1921). Weiterführend zum KWI: Weber (2002), Schmuhl (2002b) und Rürup (2008). Kursivschrift als Hervorhebung durch Autorin. 679 Bemerkenswert zeigt sich die Tatsache, dass Wilhelm Weygandt als Lehrer Meggendorfers nicht namentlich erwähnt wurde. Dies könnte in Zusammenhang mit dessen „persona non grata“-Stellung im nationalsozialistischen Regime stehen. Siehe hierzu S. 92–93.

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senhafter, pflichttreuer und bescheidener Charakter geschildert, als ein Mann, der alle Voraussetzungen für die Leitung einer solchen Klinik aufs Beste erfüllt. Er ist verheiratet und hat 4 Kinder“.680

In einer Korrespondenz des Staatsministeriums des Inneren an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 01.06.1934 wurde Meggendorfer gegenüber Gottfried Ewald bevorzugt, da Meggendorfer als langjähriger erster Mitarbeiter Rüdins681 immer eine ausgesprochen erbbiologische Orientierung gehabt habe. Für Meggendorfer sprachen sich vor allem der Leiter der Gesundheitsabteilung im Staatsministerium des Innern und Prof. Dr. Franz Wirz (1889–1962) – Dermatologe682 und Referent für medizinische Hochschulangelegenheiten bei der Hochschulkommission der NSDAP –683 aus. Wirz favorisierte in einer Korrespondenz mit dem Bayerischen Ministerium für Unterricht und Kultus vom 06.06.1934 Meggendorfer als Nachfolger Spechts.684 Dieser entspräche erstens „dem, was wir weltanschaulich politisch fordern müssen, zweitens ist M. einer der wenigen Psychiater, der erbbiologisch gearbeitet hat und es scheint uns von ganz besonderer Bedeutung

680 UAE: II, 1, 53. 681 Rüdin hatte in einer Korrespondenz mit Weygandt vom 1. September 1933 bereits eine baldige Lehrstuhlübernahme durch Meggendorfer antizipiert: „In der Nachfolgesache Sommer habe ich nichts Neues gehört. Sommer scheint die Idee des Rücktritts sehr unangenehm zu sein […]. Vielleicht hat er auch Versuche gemacht, den Zeitpunkt seines Rücktritts noch hinauszuschieben. Ich weiß nichts Positives. Ich habe aber dafür gesorgt, dass für den Fall seines Rücktrittes die maßgebenden Stellen davon unterrichtet sind, dass es unter den Psychiatern Leute gibt, wie Meggendorfer, Hoffmann, Luxenburger, die für die Besetzung der offenen Lehrstühle am ersten [sic] in Betracht [gezogen] werden sollten. Ich würde mich riesig freuen, wenn unsere erbbiologischen Psychiater jetzt zum Zuge kämen“. Vgl. Rüdin an Weygandt, 01.09.1933, MPIPHA: GDA 127, zit. n. Schmuhl (2016), S. 130. 682 Zur Rolle der Dermatologie und Venerologie in der NS-Zeit sei weiterführend verwiesen auf Kapp/Bondio (2011). So liessen sich z. B. an der Universitätshautklinik Greifswald „politisch motivierte Umbesetzungen, nationalsozialistisch geprägte Forschung mit dem Giftgas Lost und die Umsetzung spezifischer NS-Gesetze nachweisen. Die Zahl zwangseingewiesener Patienten nahm während des Krieges um das 16-fache zu, ebenso die Zahl der geschlechtskranken Patienten an sich. Die Zunahme an sterilisierten Patienten mit einem Gipfel um das Jahr 1936 konnte anhand der Patientenakten gezeigt werden, wobei die UHK selbst in 6 Fällen in die Sterilisationspolitik involviert war“. Vgl. ebd., Zusamenfassung. 683 Vgl. Klee (2003), S. 682. 684 „Gustav Specht hatte im Laufe seines langen Psychiaterlebens viele Forschungstrends kommen und gehen sehen und dabei stets eine skeptische Distanz neuen wissenschaftlichen Modeerscheinungen gegenüber bewahrt. Insofern waren seine Monita an den ‚Rüdin’schen Zahlen‘, wie er sie abschätzig nannte, nur konsequent“. Vgl. Rauh (2016b), S. 269 und Zapf (2003), S. 74. Der von Rauh hergestellte Kontrast zwischen Specht und Meggendorfer bezüglich ihrer Bereitschaft zur Umsetzung eugenischer Maßnahmen scheint zu scharf. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Specht Kihns Arbeiten gut hieß und Kihn förderte.Vgl. THStA. Personalakte beim Reichstatthalter in Thüringen; Reichsstatthalter an die Geschäftsabteilung III a VI.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang zu sein, auch Spezialkliniker mit erbbiologischen Kenntnissen an der Hochschule als Ordinarius wirken zu lassen. Schließlich ist M. gebürtiger Bayer, was gerade hinsichtlich der Erlanger Studentenschaft685 nicht ohne Bedeutung sein dürfte“.686

Meggendorfer gab am 02.07.1934 dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus bekannt, er würde die Übertragung dieser Professur vor allem deshalb dankbar begrüßen, weil sie ihm gestatten würde, sich wieder in weiterem Ausmaße, als es ihm in den letzten Jahren seiner Tätigkeit an einer der größten Irrenanstalten möglich war, der Forschungs- und Lehrtätigkeit zu widmen.687

Abb. 18: Akten zur Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen von 1923 bis 1947688

685 Weiterführend Franze (1972). 686 BayHStA: MK 44365. 687 Vgl. ebd. Inwiefern Meggendorfer zum Zeitpunkt der Annahme des Rufes nach Erlangen informiert war bezüglich seiner eingeschränkten Selbstständigkeit als „Abteilungsarzt der Anstalt“ ist unklar. Die Friedrichsberger Rezeption des „Erlanger Systems“ blendete dieses Autonomiedefizit nämlich aus: „Zu einer genetischen Betrachtungsweise gehört auch der vorausschauende Blick in die zukünftige Entwicklung. Über kurz oder lang wird das Problem seine Lösung erheischen, ob und wie die Organisation zweckmäßiger getroffen werden kann. Heute schon hat man nur an wenigen Plätzen, wie in Göttingen, Jena, Bonn eine Art Personalunion zwischen Anstaltsdirektor und ordentlichem Universitätsprofessor. Freilich sind die verschiedenen Institute dort bei weiterem nicht so groß wie in Hamburg. In Bonn, dessen Anstalt auch nicht an die Belegzahl von Friedrichsberg heranreicht, kann der ordentliche Professor den größeren Teil seiner Kraft der Klinik widmen und wird in seiner direktorialen Tätigkeit sehr weitgehend entlastet durch einen Stellvertreter. Das Bonner System wäre entschieden auch in Hamburg gangbar. Vielleicht vermag aber das Erlanger System noch zweckmäßiger zu erscheinen. Hier hat man die ursprünglich mit der Kreisanstalt verbundene Klinik ganz von jener getrennt und einem ordentlichen Professor der Psychiatrie überwiesen, während die Anstalt unter einem Anstaltsdirektor steht und durch diesen bekanntlich hinsichtlich der Einführung der offenen Fürsorge segensreich und vorbildlich gewirkt hat. Bei den so viel komplizierteren Verhältnissen Hamburgs, woselbst auch die Weiträumigkeit zu beachten ist, die die Wahrnehmung von Sitzungen und Terminen erschwert, wäre letzten Endes das in Erlangen unter so viel kleineren Verhältnissen als zweckmäßig erkannte System am ratsamsten“. Vgl. Weygandt (1928), S. 58. 688 BayHStA: MK 72098.

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Nach Übernahme des Lehrstuhls in Erlangen zum 01.10.1934 wurde Meggendorfer als langjähriges Mitglied zum Ortsvorsitzenden der 1904 gegründeten „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ bestellt. Er sollte im Rahmen der Entnazifizierung689 betonen, das Wort „Rassenhygiene“ sei in der Gesellschaft gleichbedeutend mit „Eugenik“ gebraucht worden – im Sinne Francis Galtons,690 Karl Pearsons (1857–1936),691 und Paul Popenoes (1888– 1979)692 – ohne rassenpolitische oder antisemitische693 Tendenz.694 Eine aktuelle Publikation sieht zwar die synonyme Verwendbarkeit der Begriffe „Rassenhygiene“ und „Eugenik“ durch die gemeinsamen humangenetisch-695sozialdarwinistischen wissenschaftlichen Wurzeln gegeben, differenziert hinsichtlich ihrer zeitgenössischen Rahmenbedingungen und ihrer spezielle Prägung „zwischen der auf die Sozialhygiene rekurrierenden, aus England stammenden Eugenik und der stärker rassenideologisch orientierten deutschen (und skandinavischen) Rassenhygiene“.696 Roelcke sieht in der deutschen Sterilisationsgesetzgebung und -praxis während der Zeit des Nationalsozialismus kein örtlich oder zeitlich isoliertes Phänomen, sondern ortet sie „vielmehr im breiteren Kontext der eugenisch-rassenhygienischen

689 Siehe ferner Taylor (2011). 690 Cousin von Charles Darwin, britischer Anthropologe. Darwins damals noch spekulative Hypothese über den Vererbungsmechanismus – Gregor Mendels Entdeckung der nach ihm benannten Vererbungsgesetze wurde erst 1900 durch Hugo de Vries (1848–1935) wiederentdeckt – hatte die Arbeiten seines Vetters Francis Galton veranlasst „der sich bemühte, besonders die Vererbung der geistigen und der Charaktereigenschaften des Menschen nachzuweisen“. Es ging ihm „darüber hinaus darum, die menschliche Rasse genetisch zu verbessern; der Terminus ‚Eugenik‘ wurde dafür von ihm 1883 geprägt. Ihre erste Absicht ist es – so wird er es 1908 ausdrücken – ‚die Geburtenrate der Ungeeigneten (Unfit)‘ zu kontrollieren, anstelle es ihnen zu gestatten, ins Dasein zu treten, obschon sie in großer Zahl dazu verdammt sind, bereits vor der Geburt umzukommen. Die zweite Absicht ist die Verbesserung der Rasse durch Förderung der Produktivität der Geeigneten (Fit) mittels früher Heiraten und gesunder Aufzucht ihrer Kinder“. Vgl. Baader (1990), S. 24–25. Nach Collin et al. ist Francis Galton ein Universalgelehrter und Vertreter der Biologischen Psychologie in der Nachfolge von John Locke (1632–1704), welcher proklamierte, der „Geist des Neugeborenen [sei] ein ungeschriebenes Blatt […], alle werden also gleich geboren“. Vgl. Collin et al. (2012), S. 29. Collin et al. sehen Galton in der Nachfolge von Charles Darwin sowie in der Nachfolge von William James (1842–1910), dem eine Schlüsselrolle bei der Etablierung der Psychologie als wissenschaftliche Disziplin zukommt. In der Nachfolge Galtons wiederum stehe der Behaviorist John B. Watson (1878– 1948). Vgl. ebd. 691 Britischer Mathematiker. 692 Amerikanischer Arzt mit einer führenden Rolle bei der kalifornischen Eugenik-Bewegung in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. „das Aufkommen der Biometrik in England unter Galton und Pearson musste naturnotwendig die Aufmerksamkeit auf das Vererbungsproblem lenken“. Vgl. Nachtsheim (ca.1951), S. 39. 693 Zum europäischen Antisemitismus im Zeitraum von 1880–1945 siehe Aly (2017). 694 Vgl. StNB. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. Interessant hierzu ferner Baron (2007). 695 Weiterführend zu den Wechselbeziehungen zwischen Psychiatrie, Eugenik und Humangenetik siehe Roelcke (2013b). 696 Christians (2013), S. 143. Weiterführend auch Kopp (1934).

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Bewegung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts international sehr weit verbreitet war“.697 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sollten die Eugeniker nun ihren Wissenschaftszweig als wertgeschätzt und gesetzlich legitimiert erleben.698 Nach Lerner dürften die im Ersten Weltkrieg führend beteiligten Psychiater einen wichtigen geistigen Beitrag in der Entwicklung von “ʻmass well-beingʼ to ʻmass annihilationʼ”699 geleistet haben. Der Rassenhygieniker Fritz Lenz (1887– 1976)700 sah in der Volksaufartung als nationalsozialistisches Programm sogar die Möglichkeit, als Weltmacht das einstige Imperium Romanum zu übertrumpfen. Er sah in der „Tüchtigkeit der Rasse die erste und unerlässlichste Bedingung des Gedeihens des Volkes […]. Wenn im Kampf um die Macht das beste Blut geopfert und kein Ersatz dafür geschaffen wird, so ist das sinnlos. Ein Imperialismus wie der des römischen Reiches, der das Volk opfert und dem die Macht Selbstzweck wird, kann nicht das Ziel eines vernünftiges Nationalismus sein“.701

697 Roelcke (2002a), S. 1019. 698 “[T]he Nazi project did fulfill many common psychiatric goals, inasmuch as the Nazis sought to base politics on biomedical principles, gave certain doctors heightened influence over state policy, and promised to rejuvenate and rebuild the nation”. Vgl. Lerner (2003), S. 247. „Rüdin und die anderen Protagonisten der psychiatrischen Genetik begrüßten den Machtwechsel und erwarteten vom nationalsozialistischen Staat die Umsetzung ihres wissenschaftlichen Programms. Zudem erhofften sie, ihren eigenen Status zu stabilisieren oder noch zu verbessern […]“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 22. 699 Lerner (2003), S. 247. Siehe ferner auch Lerner/Rothmann (1995). 700 Bzgl. „Standardwerk zur menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz im Spiegel der zeitgenössischen Rezensionsliteratur 1921–1941“ vgl. Fangerau (2000). Siehe ferner Lenz (1919) und (1921). Interessant auch das Gespräch von Benno Müller-Hill mit Prof. Widukind Lenz, Direktor des Instituts für Humangenetik der Universität Münster, Sohn von Prof. Fritz Lenz, ca. 1980/1981. Vgl. Müller-Hill (1985), S. 121– 127. 701 Lenz (1932), S. 556–557. Wenn Lenz einen Bezug zum römischen Imperium herstellte, so waren Römer und Germanen für Hitler in einer „Grundrasse“ vereinigt. Deshalb „ergab sich auch der historische Brückenschlag für eine Fortsetzung der Weltmachtsgeschichte der einstigen Mittelmeerbeherrscherin unter deutschem Vorzeichen. Auf die Architektur und Stadtplanung unseres Jahrhunderts bezogen, bedeuteten Hitlers abstruse Geschichtsvorstellungen, erneut Foren, Tempel, Thermen und Zirkusse zu errichten und zur Akropolislage vor 2500 Jahren zurückzukehren“. Vgl. Thies (1992), S. 178–179. „Von den Riesenbaustellen, sie seit 1935 existierten, war Nürnberg sicherlich die Imposanteste. In der Planung eine Fläche von 10 km x 6 km einnehmend, machte sie bereits in ihren Anfängen auf einen kritischen Beobachter den Eindruck, er müsse sich nach Babylon oder nach Assur verirrt haben. Vor allem das Stadion konnte zu einer solchen Einschätzung beitragen, denn es sollte 405.000 Zuschauer fassen. […]. Als Speer im Frühjahr 1937 Hitler auf die nicht-olympischen Maße des Spielfeldes hinwies, wurde er von ihm mit den aufschlussreichen Worten belehrt: ,Ganz unwichtig. 1940 finden die Olympischen Spiele noch einmal in Tokio statt. Aber danach, da werden sie für alle Zeiten in Deutschland stattfinden, in diesem Stadion. Und wie das Sportfeld zu bemessen ist, das bestimmen dann wir‘“.Vgl. ebd., S. 185. Zu Albert Speer (1905–1981) siehe Brechtken (2017).

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1936 erhielt Meggendorfer das NSDAP-Mitgliedsbuch, nachdem er am 01.05.1933 in die Partei eingetreten war.702 Im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Universitätsausschuss703 im Zuge der Entnazifizierung nahm Meggendorfer folgendermaßen dazu Stellung: „Damals [1936] wäre ich kaum mehr beigetreten, denn ich fand in der Partei alsbald allerlei Schwierigkeiten. Schon die zahlreichen Versammlungen, an denen ich teilnehmen musste, störten mich in meiner beruflichen und wissenschaftlichen Arbeit. Ich hatte deshalb allerlei Auseinandersetzungen mit den Blockleitern“.704

Die von Meggendorfer rechtfertigend vorgebrachten Unstimmigkeiten mit den Blockleitern lassen sich nach aktueller Quellenlage nicht belegen. 2.3.2 Ausgleich zum Arbeitsalltag Obwohl Meggendorfer zum Zeitpunkt der Ordinariatsübernahme noch keine Wohnungsmöglichkeit für die gesamte Familie zur Verfügung hatte, begleiteten ihn seine Frau und seine vier Töchter nach Mittelfranken. Letztere wohnten bis zur Bezugsmöglichkeit eines Hauses in der Schillerstraße im Winter 1934 einige Wochen

702 Der Zeitpunkt des Partei-Eintritts sowie der Zeitraum bis zum Erhalt des NSDAP-Mitgliedsbuches lässt einige kurze bemerkende Zitate sinnvoll erscheinen: „Als die Mitgliederstärke der NSDAP zwischen Januar und April 1933 von rund 850.000 auf über 2,5 Millionen anschwoll, verhängte die Parteileitung am 1. Mai 1933 eine vorläufige – nicht ganz undurchlässige – Aufnahmesperre. Nach deren Aufhebung 1937 stieg die Zahl der Parteimitglieder bis 1939 auf 5,3 Millionen an. 1945 war jeder fünfte erwachsene Deutsche einer von insgesamt 8,5 Millionen Parteigenossen“. Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns-organisationen/nsdap/. Stand vom 19.03.2017. Einerseits scheint es gut nachvollziehbar, dass seitens der NSDAPGauleitung für Meggendorfer eine Sonderregelung zum Tragen kam, war er doch in seiner Funktion als Leiter der genealogischen Abteilung ein wichtiger gesellschaftlicher Repräsentant der Eugenik als einem Forschungsbereich, welcher konform war mit einem Teilspektrum des NS-Ideologiebereiches. Zudem „hieß es zur Sperre im Verordnungsblatt der Reichsleitung der NSDAP vom 30. April 1933: ‚[…] Die Gaue können bis längstens 15. Mai die vor dem 1. Mai bei den Dienststellen eingegangenen Neuanmeldungen der Reichsleitung vorlegen‘“, was durchaus einen rein formalen zeitlichen Spielraum dokumentiert und weniger auf individuelle Handhabungsdifferenzen bei potentiell staatsraison-profitträchtigen Parteianwärtern hindeutet. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Mitglieder-Aufnahmesperre_ der_NSDAP. Stand vom 19.03.2017. Weiterführend auch das Online-Bundesarchiv: Online-Bundesarchiv: Stand vom 19.03.2017. Siehe ferner Benz (2009). 703 „Die Reinigungsrituale im Rahmen der Medizin vollzogen sich auf unterschiedlichen Ebenen. An einigen Universitäten trennten sich die noch verbliebenen Ordinarien mithilfe von sogenannten (Selbst-)Reinigungskommissionen von jenen Wissenschaftlern, die allein wegen ihrer Partei- oder SS-Mitgliedschaft mit der Politik des NS-Staates identifiziert wurden, so dass nur diejenigen in ihren Ämtern blieben, die für eine Neujustierung medizinischer Wissenschaft in Frage kamen“. Vgl. Schleiermacher/Schagen (2008), S. 252. 704 StNB. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII.

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in einem Schülerinnenheim des Marie-Theresia-Gymnasiums in der Rathsbergerstraße 3.705 Obwohl Meggendorfer als „Universitätslehrer, Klinikleiter und Forscher […] in dieser Zeit viel gearbeitet [hat] und […] spät nach Hause [kam]“,706 widmete er die Sonntage neben dem Kirchgang seiner Familie. Das Argument des „guten Katholizismus“,707 welches der Dekan Neundörfer708 in seinem Spruchkammerzeugnis für Meggendorfer vorbrachte, um dessen Nonkonformität mit Zielen des NS-Regimes zu untermauern, muss als unzulässig weit gefasst angesehen werden. Während nämlich katholische Kreise deutliche Kritik am GzVeN übten,709 sah Meggendorfer darin eine eugenische Zielsetzung verwirklicht. Auch Meggendorfers Schriften zum nationalsozialistischen Ehegesetz, worin er die erleichterte Eheauflösung bei psychiatrischer Krankheit des Ehepartners befürwortete,710 kontrastiert zum röm.-kath. Paradigma der „Unauflöslichkeit“ der Ehe: „Was nun Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“.711

705 Vgl. FAM. 706 Prof. Dr. Ida Valeton, ca. April 2010 in ebd. 707 Zu Meggendorfers Bibelübersetzung ins Türkische siehe S. 38, Fn. 83. Zu „Katholizismus und Eugenik in der Weimarer Republik und im Dritten Reich: zwischen Sittlichkeitsreform und Rassenhygiene“ siehe Richter (2001). 708 Zu Neundörfer weiterführend: „Der Bau der St. Bonifaz-Kirche war in Erlangen der erste Kirchenneubau des 20. Jahrhunderts. Erster Pfarrer war der spätere Dekan und Prälat Ambros Neundörfer. Ab 1934 als Seelsorger und ab 1940 als Pfarrer von St. Bonifaz hatte er mit seinen zeitweise bis zu drei Kaplänen eine riesige Gemeinde zu betreuen. In den nach dem Zweiten Weltkrieg sich entwickelnden Wohngebieten entstanden unter seiner Initiative in den 60er und 70er Jahren die Pfarreien St. Sebald, Heilig Kreuz und St. Theresia“. Vgl. Richter, N. Die Geschichte der Pfarrkirche St. Bonifaz, Erlangen. In: http://www.eo-bamberg.de/eob/ dcms/sites/bistum/pfarreien/dekanate/erlangen/st_bonifaz_erlangen/die_kirche/index.html. Stand vom 22.07.2016. 709 Siehe hierzu S. 485, Fn. 1047. 710 Um fremdanamnestische Information für eine Ehescheidungsbegutachtung zu erhalten schrieb Meggendorfer am 18.11.1937 die Tochter der begutachteten Z. E. an: „wenn Sie an einem der nächsten Wochentage zwischen 11 und 12 Uhr oder nachm. nach 4 Uhr zu mir in die Klinik (hinter der Heil- und Pflegeanstalt) kommen könnten“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Aufschluss über die regulären Sprechzeiten Meggendorfers gibt auch der Briefkopf seines Gutachtens zu B. F. vom 20.05.1938: „Prof. Dr. Meggendorfer. Direktor der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität. Sprechstunde werktäglich 11–12 Uhr. Erlangen, den 20. Mai 1938; Maximiliansplatz 2; Telefon Nr. 2451“. Vgl. ebd., keine Aufnahmenr. 711 Markus 10 (9), zit. n. Keppler (1955), S. 95. Der aktuelle katholische Trau-Ritus beinhaltet folgende zentrale Sätze: „Er ist der Gott Ihres Lebens und Ihrer Liebe. Er heiligt Ihre Liebe und vereint Sie zu einem untrennbaren Lebensbund. […]. Wollen Sie Ihre Frau/Ihren Mann lieben und achten und ihr/ihm die Treue halten alle Tage ihres/seines Lebens?“ Vgl. https://www.erzbistum-muenchen.de/Page074573.aspx. Stand vom 22.07.2016.

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Abb. 19: Wohnzimmer der Familie Meggendorfer mit „Herrgottswinkel“712

Gerne unternahm er sonntägliche Ausflüge in die Umgebung von Erlangen. So stand zum Beispiel am Maifeiertag 1935 im Hause Meggendorfer eine kleine Exkursion zum Walberla auf dem Tagesprogramm: „Am Eingang zur Fränkischen Schweiz liegt das ‚Walberla‘,713 die Ehrenbürg mit einer uralten keltischen Siedlung, wo jedes Jahr am 1. Sonntag im Mai ein Volksfest stattfindet. Wir gingen natürlich zu Fuß hin und abends zurück. Da zog Vati gerne die kurze Lederhose, die grüne Weste mit Silberknöpfen und die grün paspelierte Trachtenjacke aus grauem Loden [an], und setzte dazu den Trachtenhut mit Gamsbart auf. Wir Frauen gingen im Dirndl. Als ein Festbesucher Vati dort mit den Worten: ‚Grüß Gott Herr Salontiroler‘ begrüsste, ärgerte ihn das furchtbar. An Pfingsten wurden natürlich die Erlanger Bergkirchweih und die Gartenwirtschaften und Bierkeller am südlichen Abhang des Burgberges besucht“.714

Die Urlaube verbrachte Friedrich Meggendorfer oft gemeinsam mit der Familie beim Bergsteigen, so zum Beispiel in Kufstein oder in den Allgäuer Alpen.715 Rüdin schrieb im Rahmen der Festschrift zu Meggendorfers 60. Geburtstag, der Jubilar

712 Hamburg Friedrichsberg, 1925 in FAM. 713 „Auf dem Bergrücken, einem Zeugenfelsen (Kalksteinriff) wird seit der christlichen Missionierung die heilige Walburga verehrt“. Vgl. ebd. 714 Ebd. 715 „Bereits seit 75 Jahren ist Dr. Walburga Remold Mitglied [des deutschen Deutschen Alpenvereins [DAV)]. Im Alter von fünf Jahren bestieg sie mit ihren Eltern den Wendelstein, 1939 trat sie dem DAV bei“. Vgl. Lang (2014).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „ist und war stets ein großer Naturfreund und benützt von jeher gerne jede Urlaubsgelegenheit zu Wanderungen im Gebirge und zu größeren und kleineren Auslandsreisen, wo er auch seine Freude an fremden Sprachen und Völkern betätigen kann“.716

Rüdin hatte somit ein gutes Wissen zu Meggendorfers Vorlieben bei der Freizeitgestaltung. Allein die Tatsache, dass letzterer im Rahmen seiner Habilitationsarbeit zur “moral insanity” am Rüdinschen Institut in München geforscht hatte, scheint keine ausreichende Erklärung zu sein für diese Einblicke Rüdins in Bezug auf Meggendorfers Privatleben. Vielmehr lässt sich aus Rüdins Wissen um die Hobbies Meggendorfers auf ein vertrautes Verhältnis beider rückschließen.717

Abb. 20: Hochvogel, 1940718

Meggendorfers Tochter Walburga kam als Schülerin zu den sogenannten „Jungmädeln“ mit einer nachmittäglichen Gruppenstunde pro Woche,719 bei welchen gemeinsam Lieder gesungen und Wanderungen unternommen wurden. Zusätzlich fanden Marschübungen, Sport720 und Geländespiele als Teil einer vormilitärischen Erziehung statt. Meggendorfers zunehmende Distanz zur NS-Ideologie könnte sich darin widerspiegeln, dass er seine Tochter Walburga als Heranwachsende nicht zum Bund Deutscher Mädels (BDM)721 schickte. Zur Umgehung des Mechanismus der

716 Rüdin (1940), S. 208. 717 „Rüdin und Meggendorfer kannten und schätzten sich bereits seit langer Zeit, hatten doch beide ihre psychiatrischen Lehrjahre Anfang der 1910er Jahre in München unter Emil Krapelin verbracht. Auch als Meggendorfer 1913 an die Universität Hamburg wechselte, […] blieb der fachlich und persönlich enge Kontakt zwischen beiden bestehen“. Vgl. Rauh (2016b), S. 269. Diese Ansicht Rauhs lässt sich nur bedingt nachvollziehen. Der sechs Jahre ältere Rüdin war zu Meggendorfers Berufsanfängerjahren an der Kraepelinschen Klinik bereits habilitierter Oberarzt. 718 FAM. 719 „Da machten wir Spiele, lernten Lieder und strickten fleißig Kinderbekleidung und Socken oder veranstalteten Sammlungen für das Winterhilfswerk“. Vgl. Aufzeichnungen von Dr. Walburga Remold, geb. Meggendorfer, ca. April 2010 in ebd. 720 Als kommentierte Bibliographie zu „Sport im Nationalsozialismus. Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung“ vgl. Peiffer (2015). 721 Siehe weiterführend Reese (2007).

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dortigen ideologischen Indoktrination allerdings war alternatives Engagement als Gruppenführerin für das Jungvolk notwendig.722 2.3.3. Die GzVeNs-assoziierte Planung zur Namensänderung der Bayerischen Psychiatrischen Kliniken Die 1903 unter Gustav Specht als dem ersten Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen723 gegründete „Psychiatrische Klinik“ war am 01.04.1927 umbenannt worden in „Psychiatrische und Nervenklinik“.724 Nach Verabschiedung des GzVeN setzte sich Oswald Bumke (1877–1950)725 ein für die Umbenennung der Münchener Psychiatrischen und Nervenklinik in „Nervenklinik“. Somit sollte die unangenehme Konnotation726 der Bezeichnung „psychiatrisch“ bei Kranken und deren Angehörigen abgemildert werden. In Zusammenhang mit dem Vollzug des GzVeN sei es besonders notwendig, das Vorurteil der Bevölkerung gegen die Psychiatrische Klinik zu beseitigen. Um eine Einheitlichkeit der Namensgebung der psychiatrischen Landesuniversitätskliniken zu gewährleisten, erbat das Kultusministerium eine Stellungnahme der Direktoren der Psychiatrischen und Nervenkliniken in Würzburg

722 Vgl. Aufzeichnungen von Dr. Walburga Remold, geb. Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. 723 Siehe auch DGPPN-Kongressposter Braun/Kornhuber (2014e). 724 Es findet sich auf Briefköpfen die Schreibweise „Psychiatrische und Nervenklinik“; auf Briefköpfen ebenso wie auf Stempeln ist auch als verwendete Schreibalternative „Psychiatrischeund Nervenklinik“ dokumentiert. Vgl. UAE: A6/3 i, Schreiben an den Rektor vom 23.04.1941; BayHStA: MK 72096, Schreiben vom 21.02.1936 an den Rektor sowie UAE: A6/3 i, Schreiben an den Rektor vom 22.01.1934. Vereinzelt verwendet wurde die Schreibweise mit Kleinbuchstabe zu Beginn: „psychiatrische und Nervenklinik“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 225/132 und ebd., Aufnahmenr.: 213/134 sowie ebd., keine Aufnahmenr. Siehe hierzu S. 162, Fn. 710 sowie Abb. 48. 725 Zu Bumke siehe ferner Schimmelpenning (1993), Steinberg (2008). 726 Interessant in diesem Kontext zeigt sich ein Schreiben Meggendorfers an die Medizinsche Fakultät vom 30.10.1935: „In der Anlage erlaube ich mir[,] die Verfügung des Herrn Reichs- und Preussischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 8.X.1935 W I a Nr. 2010 M und des Herrn Reichs- und Preuss. Ministers des Innern vom 11.9.35 IV f 5034 II/1079 k nach Kenntnisnahme zurückzugeben. Die genannte Verfügung wurde mir bereits am 23.9. durch die Heil- und Pflegeanstalt zur Kenntnis gegeben, da ja die psychiatrische Klinik weiter nichts ist als eine Abteilung der Heil- und Pflegeanstalt. Die Ministerialverfügung scheint mir auch nicht auf die psychiatrische Klinik Erlangen zuzutreffen, da darin die Rede ist, dass die Kliniken sich jederzeit durch Verlegung der zu verwahrenden Erbkranken in Heilund Pflegeanstalten usw. entlasten können. Eine solche Entlastung ist hier nicht möglich, da ja die Klinik eine Abteilung der Heil- und Pflegeanstalt ist und vertragsmäßig alle Aufnahmen und Entlassungen durch die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt gehen müssen. Schon vor der erwähnten Ministerialverfügung [Betreff: Unterbringung nicht gemeinschaftsgefährlicher Geisteskranker zur Durchführung der Unfruchtbarmachung in einer geschlossenen Anstalt] wurden die Entlassungen aus der Klinik wie Entlassungen aus einer geschlossenen Anstalt gehandhabt“. Vgl. UAE: A6/3 i Nr. 15.

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und Erlangen.727 In seinem Bericht von 02.07.1934728 betonte Gustav Specht, die von Bumke vorgeschlagene Umbenennung eigne sich für die Erlanger Klinik nicht, zumal sie auch ein „Stück Heil- und Pflegeanstalt“729 sei. Obwohl Specht oft die Unzulänglichkeiten des Abhängigkeitsverhältnisses von Klinik und Anstalt bedauerte, stellte er in diesem Kontext Positives heraus. Die vertragliche Bindung der Klinik an die Anstalt sei „aus wissenschaftlichen und didaktischen Gründen zu ihrem Vorteil ganz im Gegensatz zu ‚reinen‘ Kliniken“.730 Aus der Anstaltsbindung resultiere für die Klinik die Notwendigkeit zur ärztlichen Betreuung von „Geisteskranken akuter und chronischer Art […], auf die der beschönigende Ausdruck ‚nervenkrank‘ auch bei weitester Fassung schlechterdings nicht passt“.731 Außerdem, so Specht, sei der Ordinarius der medizinischen Klinik Ludwig Robert Müller (1870–1962)732 mit der Umbenennung nicht einverstanden, zumal seine Klinik seit Adolf Strümpells (1853–1925)733 Zeiten auch als „Nervenklinik“ gelte.734 Bislang habe sich die Verteilung von Nervenkranken auf die Psychiatrische und die Medi-

727 Vgl. BayHStA: MK 72096. 728 In einem Schreiben des Rektor Reinmöller an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 09.03.1934 war das Emeritierungsgesuch Gustav Spechts eingereicht worden „mit dem Antrag, d[en] Herr[]n vom 1. April 1934 ab von der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen unter Belassung des von ih[m] erdienten Diensteinkommens zu befreien. Da die sofortige Wiederbesetzung der Professur[] nicht erfolgen kann, bitte ich die Weiterverwendung de[s] Herr[]n in [seinen] bisherigen Funktionen für das Sommersemester 1934 zu verfügen“. Vgl. UAE: A2/1 Nr. S. 53 bzw. BayHStA: MK 44365. 729 UAE: A6/3 i. 730 Ebd. 731 BayHStA: MK 72096. 732 Weiterführend hierzu Müller, L. R. (1940). 733 „Adolf Strümpell […] plädierte […] für die Verbindung der Neurologie mit der Psychiatrie. Die Erlanger Entwicklung entsprach dieser Auffassung: im Jahre 1927 wurde die noch unter der Leitung Spechts stehende Psychiatrische Klinik in ,Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Erlangen‘ umbenannt“. Vgl. Wittern (1993), S. 412. 734 „Strümpell trat also [in Erlangen] 1886 die Nachfolge des nach Würzburg berufenen [Wilhelm Olivier von] Leube [1842–1922] an. Ungemein anschaulich schildert Strümpell in seiner Autobiographie das Leben und Treiben an einer kleinen deutschen Universität um die Jahrhundertwende. Mit Recht wünscht er, dass die späteren Professoren der Medizin längere Zeit an einer kleinen Universität sich auf ihre Aufgabe vorbereiten; die großstädtische Universität lenke zu sehr ab. […]. Wie in Leipzig beteiligte sich Strümpell auch in Erlangen am geistigen Leben der Universität, zu deren Prorektor er für das Jahr 1892/93 gewählt wurde (Rektor magnificentissimus war stets der König, zu seiner Zeit Prinzregent Luitpold [1821–1912]). Strümpells Rektoratsrede handelte vom ‚Einfluss der Vorstellungen auf die Entstehung und Heilung von Krankheiten‘, sie befasste sich mit dem ‚psychogenen Ursprung zahlreicher Krankheitszustände und der Möglichkeit ihrer Heilung wiederum auf psychischem Wege‘. Dieses Thema beschäftigte ihn so nachdrücklich, dass er auf dem XII. Kongress für innere Medizin in Wiesbaden als Referent bestellt wurde: ‚Die traumatischen Neurosen‘. Zum Abschluss seines Rektorates wurde er durch die Verleihung des bayerischen Kronenordens in den persönlichen Adelsstand erhoben“. Vgl. Kolle (1963a), S. 186. Weiterführend siehe Strümpell (1925), Neundörfer/Hilz (1998), Erbguth/Neundörfer (2000) und Holdorff (2004).

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zinische Klinik in Erlangen gerade wegen der Doppelbezeichnung als „Psychiatrische und Nervenklinik“ „ganz reibungslos vollzogen“.735 Specht favorisierte eine Umbenennung in „Universitätsklinik für Nerven- und Gemütsleiden“.736 Das Gegenargument Spechts sowie sein Alternativvorschlag erfuhren – soweit die Aktenlage – keine Würdigung. Das Ministerium sprach sich dafür aus, die „Psychiatrischen und Nervenkliniken“ künftig als „Nervenkliniken“ zu benennen. Die bisher als „Medizinische und Nervenkliniken“ bezeichneten internistischen Kliniken sollten mit dem Namen „Medizinische und neurologische Kliniken“ versehen werden. Der Kultusminister forderte eine reichsweit einheitliche Umbenennung. Vor einer Entscheidung sah es der Reichsminister am 05.07.1937 als notwendig an, die Ergebnisse der Erhebungen des Rechnungshofes über alle deutschen Universitätskliniken abzuwarten. Diese Resultate von Seiten des Rechnungshofes und ihre Konsequenz lassen sich aus den untersuchten archivarischen Beständen nicht ersehen. Hatte Specht vor Beginn des Zweiten Weltkrieges auf den Widerstand der Medizinischen Klinik gegen die Umbenennung der „Psychiatrischen und Nervenklinik“ in „Nervenklinik“ verwiesen, so sollte seitens der Medizinischen Fakultät am 24.11.1948 der Vorschlag „der Einbeziehung der Psychiatrie in die Neurologie“737 dem Senat unterbreitet werden. Der Prorektor bezeichnete dies als „Euphemismus“738 und Rudolf Zocher (1887–1976)739 als Mitglied der philosophischen Fakultät brachte den „wissenschaftsätiologischen Standpunkt[]“740 als Gegenargument ein. Die Neurologie – so Zocher in einem Schreiben an den Rektor vom 25.11.1948 – beziehe sich auf rein somatische Dinge. Bei diesen „rein somatische[n] Dinge[n]“741 werde „im allgemeinen die geistige Persönlichkeit nicht in Frage gestellt“.742 Dies grenze das neurologische Krankheitsspektrum ab von den Krankheiten, „die der Psychiater behandelt, und die eben ‚Geisteskrankheiten‘ heißen“.743 Nach Zocher erklärte sich die Haltung der Psychiater „vermutlich aus der Tendenz, dem Satze ‚Geisteskrankheiten sind Gehirnkrankheiten‘ eine Geltung in der Richtung zu erschaffen, dass alles unter den Generalnenner des Somatischen kommt, wobei aber eben die Einbuße, die die geistige Persönlichkeit durch diese Krankheiten in allgemein anerkannter Weise erleidet, bewusst ignoriert wird“.744

735 736 737 738 739

740 741 742 743 744

UAE: A6/3 i. Ebd. Ebd. Ebd. „Herrigel war es auch, der zwölf Jahre lang seine schützende Hand über den Privatdozenten für Philosophie Rudolph Zocher (1887–1976, in Erlangen seit 1926) hielt, der sich dem Nationalsozialismus vollständig verweigerte“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 184. UAE: A6/3 i. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Für die Gesamtbetrachtung müsse dieses Dictum grundlegend bleiben. „Vom logischen Ganzen des wissenschaftlichen Kosmos aus gesehen besteht deshalb ein einschneidender Unterschied zwischen Neurologie und Psychiatrie“.745 Der Einspruch des Philosophen mag beigetragen haben zur Verzögerung der Namensänderung. Erst elf Jahre später wurde die Klinik 1959 unter Fritz Eugen Flügel (1897–1971) in „Nervenklinik mit Poliklinik“ umbenannt.746 Die einstige kategorische Abgrenzung neurologischer versus psychiatrischen Erkrankungen aus philosophischer Sicht deckt sich nicht mit der aktuellen fachinternen Ansicht. Nach Beschluss des Vorstandes der DGPPN soll das Pflichtjahr Neurologie – Psychiatrie „weiterhin wesentlicher Bestandteil der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie wie auch für den Facharzt für Neurologie bleiben, zumal der Erwerb von Kernkompetenzen beider Fächer für die adäquate Diagnose und Behandlung von Menschen mit Erkrankungen des Gehirns notwendig ist“.747

Nach Hans-Jürgen Möller, emeritierter Ordinarius für Psychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), befindet sich die Psychiatrie als medizinische Fachdisziplin angesichts der Problematik der unzureichenden Objektivierbarkeit von geistig-seelischen Zuständen mittels quantitativer Messung oder experimenteller Beeinflussung im Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaften. Im Zentrum dieser „Polarisierung der Methodendiskussion“748 stünden insbesondere die „polaren Gegensätze von empirischer (realwissenschaftlicher) und geisteswissenschaftlicher (hermeneutischer) Methodik“.749 Möller betont zudem, „der Spannungsbogen zwischen geistes- und naturwissenschaftlicher Methodik [werde teils] als so essenziell für das Fach angesehen, dass jedes stärkere Abweichen in die eine oder andere Richtung als Entfremdung vom Fach kritisiert wird“.750

Im Hörsaal 124 der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU eröffnete Andreas Straube unter „Rückendeckung“ der im Hörsaal angebrachten Portraitbilder von Emil Kraepelin und Alois Alzheimer das NeurologischPsychiatrische Kolloquium am 09.05.2015 „als politische Ansage“ gegen Bestrebungen, die nervenheilkundlichen Fachdisziplinen zu separieren durch Abschaffen des verpflichtenden Rotationsjahres.751

745 Ebd. 746 Zur Historie der Abtrennung von Neurologie und Psychiatrie empfohlen sei Wittern (2016). Zu Flügel siehe ferner http://research.uni-leipzig.de/catalogus-professorum-lipsiensium/leipzig/ Fluegel_453.pdf.Stand vom 24.09.2017. 747 Beschluss des Vorstandes der DGPPN vom 09.09.2013. Vgl. www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/stellungnahmen/2013/1300918_Eckpunktepapier_Novellierung_WBO_DGPPN_final.pdf. Stand vom 02.05.2015. 748 Möller (2011), S. 430. 749 Ebd., S. 429. 750 Ebd., S. 430. 751 Vgl. Straube (2015).

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2.3.4 Exkurs zu Reaktionen von Angehörigen auf die Sterilisierungen im Rahmen des GzVeN Nach Dirk Blasius zeugen die Jahresberichte örtlicher Gesundheitsämter davon, dass zur Durchführung der Unfruchtbarmachung „in sehr vielen Fällen de[r] Einsatz von polizeilichen ‚Zwangsmaßnahmen‘“752 notwendig war. „Es gab bei Betroffenen ebenso wie in der Öffentlichkeit erheblichen Widerstand“.753 Diese Aussage Blasius’ gilt es differenziert zu betrachten. Im Gegensatz zu kritischer Öffentlichkeitswirksamkeit der grauen GeKraT-[„Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft“] Tarnungsbusse der „T4“-Aktion wurden die Sterilisierungsmaßnahmen von der Bevölkerung durchaus akzeptiert. Eine Zeitzeugenbefragung der Schwester einer wegen angeborenen Schwachsinns Sterilisierten etwa um die Jahrtausendwende ergab ungefähr folgende Aussage: „das war auch gut so, dass sie sterilisiert wurde, wir konnten sie ja nicht ständig im Auge behalten“.754 Um die Ambivalenz der Position von Angehörigen in Bezug auf die Sterilisierung von Familienmitgliedern zu verdeutlich sollen relevante Aktendokumentationen zweier Patientinnen der Meggendorferschen Klinik und einer Patientin der Einsleschen HuPflA angeführt werden. Bei der schizophren diagnostizierten G. B. wurde am 18.09.1941 der Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt. Am 03.06.1942 wurde die Sterilisation in der Erlanger Frauenklinik durchgeführt. „Pat. wird nach der Operation sofort zurückverlegt. 10.6.42. Die Wunde ist p. p. [sic] geheilt. Pat. äußert keinerlei Beschwerden und fühlt sich wohl. Der Eingriff war ihr vollkommen gleichgültig. Sie zeigt kein Interesse dafür. Ihre Sprechweise ist sehr maniriert. In ihrem Wesen sehr läppisch“. 755

Am 17.06.1942 ist der Besuch der Mutter dokumentiert: „Heute erscheint die Mutter, die ihre Empörung darüber äußert, dass ihre Tochter sterilisiert worden sei. Ihre Tochter sei nicht krank und sie fände es nicht richtig, dass sie solange in der Klinik behalten wurde, wo sie sie so nötig zu Hause gebraucht hätte: Auch stimme es nicht, dass die Familie erblich belastet sei. Wohl sei ihr einer Bruder in Kutzenberg, aber der arbeite dort sehr viel und sei also folglich eigentlich normal. Macht einen sehr uneinsichtigen Eindruck. Die Pat. wird entlassen“. 756

Wenn sich die Mutter der G. B. empört über die durchgeführte Sterilisation bei der Tochter zeigte, so wurde dies gemäß der Aktendokumentation u. a. auch im Kontext der hierdurch bedingten verzögerten Entlassung mit konsekutivem Fehlen einer häuslichen Arbeitskraft gesehen.

752 Blasius (1981), S. 371. 753 Ebd. 754 Persönliche Information von Dr. Uwe Kaminsky vom Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre/Ruhr-Universiät Bochum, 07.04.2016. 755 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 242/162. 756 Ebd.

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Bei P. M., die Meggendorfer gutachterlich am 29.05.1935 als „nicht nervenund geisteskrank“757 befundete, hatte die eigene Mutter am 28.12.1934 den „Antrag auf Unfruchtbarmachung ihrer Tochter wegen Anfällen, Epilepsie“758 gestellt hatte. Das Gutachten Meggendorfers zeigt insbesondere, dass die psychopathologischen Auffälligkeiten vorrangig bei der Mutter der P. M. und nicht bei ihrer GzVeN-angezeigten Tochter vorlagen. Auch der zuständige Amtsarzt hatte sich dem Antrag der Mutter angeschlosssen. In dem amtsärztlichen Gutachten vom 15.01.1935 wurde der Vater der 1920 geborenen P. M. als „roh, jähzornig“ beschrieben, er habe „die Familie oft mit dem Messer bedroht […] und sich 1934 erhängt. Die Mutter leide an Schwermut und sei deshalb 1934 unfruchtbar gemacht worden. Von den Geschwistern der Mutter sei eines blöde, eines sei Trinker, der Vater der Mutter, J. L., sei schwermütig gewesen, habe Anfälle gehabt. […] Von den zwei Geschwistern der P. M. sei eine schwermütig, eine schwachsinnig […]“. 759

Infolge hielt die Mutter der Gutachtenspatientin vor dem Amtsgericht Altdorf diesen Antrag aufrecht unter der Angabe, die entsprechende Genehmigung von Seiten des Vormundschaftsgerichts erhalten zu haben. Herr Dr. von Reinhardstoettner aus Alfeld, welcher die P. M. in früheren Zeiten behandelt hatte, hingegen erklärte, „er könne sich der Diagnose ,Epilepsie‘ nicht anschliessen. Er halte die ,Anfälle‘ für eine freie Erfindung der Mutter […], einer ganz raffinierten Person, deren Angaben nicht der geringste Wert beizumessen sei. Nach der ganzen Gesinnung der Mutter […] sei es wohl denkbar, dass sie durch eine Unfruchtbarmachung ihrer Tochter die Wege zu ebnen gedenke“.760

Zudem verweist das Gutachten darauf, dass auch die Mutter der P. M. sich selbst im Vorfeld – offensichtlich ganz bewusst – als GzVeN-pflichtig diagnostizieren ließ,761 um die Indikation zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erhalten: „Aus den Erhebungen geht weiter hervor, dass Frau P. K. im Oktober 34 in Nürnberg die Unterbrechung einer damals bestehenden Schwangerschaft betrieb und dabei angab, sie sei vor 10 Jahren wegen eines Depressionszustandes in der psychiatrischen Klinik Erlangen gewesen 757 „Die über mehr als drei Wochen ausgedehnte Untersuchung und Beobachtung haben ergeben, dass P. M. körperlich gesund ist und keine Hinweise für eine organische Erkrankung des Nervensystems, auch keine Residuen von Anfällen, wie Verletzungen, Zungenbisse und dgl. bietet. In der Beobachtungszeit hat sie auch keine Anfälle, keine Bewusstseinstrübungen geboten. Auch durch einen Hyperventilationsversuch konnte ein epileptischer Anfall nicht ausgelöst werden. Die psychische Verfassung des Mädchens ist ebenfalls nicht die einer Epileptikerin, die Schul- und Allgemeinkenntnisse sind zwar gering, doch reichen sie für ihre bescheidenen Bedürfnisse wohl aus, zumal sie in praktischer Hinsicht ganz gut beschlagen ist. Auch ist die eigentliche Verstandestätigkeit als ganz gut zu bezeichnen. Von Schwachsinn kann also auch keine Rede sein. Was die früher behaupteten Anfälle betrifft, so scheint es sich um andere Störungen in der Kindheit gehandelt zu haben, vielleicht um kindlichen Veitstanz, vielleicht um Tetanieanfälle in der Kindheit, vielleicht um andere Bewegungsstörungen und Anfälle, wie sie im Kindesalter nicht selten vorkommen, Störungen, die mit Epilepsie nicht zu tun haben müssen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 162/6. 758 Ebd. 759 Ebd. 760 Ebd. 761 „Immerhin scheint aus einem Kirchenbuchauszug hervorzugehen, dass Frau P. mit Geistesund Gemütskrankheit schwer belastet ist“. Vgl. ebd.

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(nach den Büchern und Listen der Klinik trifft dies nicht zu). Es wurde damals tatsächlich das Bestehen eines manisch-depressiven Irreseins angenommen und aus eugenischen Gründen die Unterbrechung und Sterilisierung für notwendig erachtet, genehmigt und offenbar auch durchgeführt“.762

Zur Beurteilung des ganzen Sachverhaltes führte Meggendorfer des Weiteren den Besuch der Mutter der Untersuchten vom 06.05.1935 an. Die Mutter sei „zu einer etwas ungewöhnlichen Zeit“ gekommen, habe „sich ihrer Tochter gegenüber ziemlich exaltiert“ verhalten, „sie sofort nach Hause nehmen“ wollen. Sie habe „sehr aufgeregt“ reagiert, „als ihr ruhig gesagt wurde, dass das nicht ginge. Sie wurde dann aufgefordert, zumal gerade ärztliche Visite war, die Abteilung zu verlassen. Sie machte darauf eine grosse Szene und zog laut weinend und schreiend ab. Kurze Zeit darauf wurde für die Tochter ein Kuchen abgegeben mit einem Brief der Mutter, in dem sie ihr mitteilte, sie wolle aus dem Leben gehen“. 763

Meggendorfer schloss sein Gutachten dahingehend ab, es scheine sich „[n]ach dem Eindruck, den man von dem Mädchen und der Mutter gewinnen konnte, […] schon so zu verhalten, wie es in den Erhebungen des Erbgesundheitsgerichtes dargestellt wurde. Es ist zwar anzunehmen, dass auch P. M. keine besonders hochwertigen Erbanlagen besitzt, doch lässt sich bis jetzt bei ihr eine Erbkrankheit nicht nachweisen“.764

Die an „Dementia praecox/Schizophrenie“ erkrankte und von 14.09.1925 bis 14.11.1925 in der Psychiatrischen Klinik behandelte H. H. war unmittelbar nach Sterilisationsoperation von 30.01.1935 bis 18.02.1935 stationär in der HuPflA.765 Die Patientin sei bis zur Operation „sehr unruhig [gewesen], tobte auf den Gängen herum und wollte sofort ihre Kleider, um nach Hause zu fahren. Die Operation wurde soeben durchgeführt, die Kranke ist noch benommen. Auch bei der Aufnahme benommen, reagiert kaum auf Anrede“.766

Am 31.01.1935 ist dokumentiert, die Patientin verhalte sich ruhig und gebe an, von Seiten der Operationswunde keine besonderen Beschwerden zu haben; „[m]öchte wieder in die Frauenklinik zurückgebracht werden“.767 Die Patientin verblieb insgesamt 19 Tage in der HuPflA768 bevor sie nach Hause und die „offene Fürsorge“ entlassen wurde. Die erste Fürsorge- Dokumentation ist vom 27.02.1935 erhalten:

762 Ebd. 763 Ebd. 764 Ebd. 765 Erstaunlicherweise befindet sich die Akte dennoch in APNK/FAU, keine Aufnahmenr. „30.1.35, WR2. Wird heute durch die Sanitätskolonne aus der Frauenklinik in die Anstalt gebracht. Aus dem ärztlichem Zeugnis der Universitäts-Frauenklinik Erlangen (Dr. Bosch) geht hervor, dass die Kranke durch den Bezirksarzt in Neustadt a. Aisch zwecks Vornahme der Sterilisierung heute in die Frauenklinik eingewiesen wurde. Die Kranke leide an Schizophrenie“. Vgl. ebd. 766 Ebd. 767 Ebd. 768 „4.2.35. Der Wundverlauf ist geordnet. 11.2.35. bei der Herausnahme einer Klammer vor einigen Tagen ist eine kleine Wunde entstanden, sodass nochmals eine Klammer gelegt werden

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Hat sich nach Rückkehr aus der Klinik zunehmend beruhigt. Ist aber noch etwas labil und auch leicht maniriert [sic]. Nach Aussage der Mutter sei der Zustand vollständig durch die Sterilisierung bezw. die Begleitumstände ausgelöst worden“.769

Die Fürsorgedokumentation betonte, die Mutter brächte „dies aber ohne irgendwelche Animositäten vor“.770 Am 28.08.1935 wurde festgehalten, die Fürsorge-Patientin sei „[w]eniger auffällig als das letzte Mal, wenn auch immer noch etwas eigentümlich und zurückhaltend“.771 Was die Sterilisierung anbelangt, so habe die „Stimmung der Mutter jetzt gänzlich ungeschlagen, sie führt die jetzige, auch von ihr stark hervorgehobene Besserung der Tochter auf die Wirkung der Operation zurück“.772 2.3.5 Reduzierte erbpsychiatrische Forschungsmöglichkeiten in Erlangen Dass sich Meggendorfer mit seiner Berufung auf den Erlanger Lehrstuhl „Mitte 50, endlich an ein Ziel gekommen“773 sah, wo er als „ausgesprochener Bayer […] seine 4 Kinder […] Wurzel schlagen lassen“774 wollte, lässt sich auch anhand der mündlichen familienarchivarischen Überlieferungen gut nachvollziehen.775 Jedoch beklagte Meggendorfer knapp drei Monate nach Amtsantritt in einem Schreiben an die Medizinische Fakultät am 30.12.1934 die Reformbedürftigkeit der Krankengeschichtensammlung der Psychiatrischen und Nervenklinik. Es seien für die „ziemlich zahlreichen Fälle, die nur zur Beobachtung von […] den Erbgesundheitsgerichten eingewiesen wurden, […] bisher keine Krankengeschichten angelegt“776 worden. Erschwerend komme die Tatsache hinzu, dass „die Krankengeschichten der Kranken, die aus irgendeinem Grunde in die Anstalt verlegt wurden oder nach ihrer Entlassung in die Fürsorge kamen,777 an die Anstalt oder an die Fürsorge

769 770 771 772 773 774 775 776 777

musste. Im übrigen ist die Wundheilung gut…[…]. 13.2.35. Hält sich ordentlich. Die Wundklammern sind alle entfernt. An einer Nahtstelle ist noch ein größerer, oberflächlicher ungefähr erbsengroßer Hautdefekt vorhanden.[…]. 18.2.35 […]. Die Wunde an der früheren Wundklammerstelle sezerniert noch etwas, ist aber in Heilung begriffen. Der Bruder [, der Pat. abholen kommt wird darauf aufmerksam gemacht, dass für die Wundbehandlung in nächster Zeit noch ärztliche Hilfe notwendig ist“. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. UAE: A2/1 Nr. M 46. Ebd. Persönliche Information von Dr. Thomas Remold, 19.01.2016. UAE: A2/1 Nr. M 46. Siehe hierzu ein Antwortschreiben der Klinik an die Geschäftsstelle des Erbgesundheitsgerichts Bamberg vom 09.02.1940. „Da Frau M. von hier aus befürsorgt wird, wurde die Krankengeschichte nach ihrer Entlassung aus der Klinik an die Fürsorge der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen abgegeben. Ich stelle anheim, sich direkt an die Aussenfürsorge der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen zu wenden. Frau M. war vom 21.6. bis 13.8.39 in Behandlung der Klinik. Ein

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abgegeben wurden und so aus dem Gesichtskreis des Klinikdirektors völlig verschwanden. Für eine wissenschaftliche Bearbeitung des Klinikmaterials ist dieser Zustand ganz unerträglich. Insbesondere ist auch die erbbiologische Bearbeitung des Materials ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich, ja es lassen sich schon die jetzt zahlreichen Nachfragen der Amtsärzte778 und der Erbgesundheitsgerichte nach früheren Kranken und Beobachtungsfällen der Klinik gar nicht oder doch nur unter einem großen Aufwand an Zeit und Arbeit erledigen“.779

Einen zusätzlichen Aufschluss über die im Vergleich zu Hamburg in Erlangen reduzierte erbbiologische Forschungsmöglichkeit780 gibt Meggendorfers Schreiben an den Rektor vom 25.03.1935, in welchem er betonte, den Ruf nach Erlangen trotz wirtschaftlicher Verschlechterung angenommen zu haben in der Hoffnung, „hier mehr zur wissenschaftlichen Arbeit und zur rassenhygienischen Betätigung zu

Bruder des Vaters soll an Depression erkrankt gewesen sein. Die Kranke selbst war in der Klinik stuporös, initiative- und interesselos, verweigerte die Nahrungsaufnahme, stand immer herum und war zu keiner Beschäftigung zu gebrauchen, Sie unterhielt sich mit niemandem. Sie machte eine Neospirankur durch u. wurde etwas gebessert entlassen“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Zu den „Erfahrungen mit Neospiran und Azoman bei der Krampfbehandlung von Schizophrenien“ an der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren unter der Leitung von Obermedizinalrat Dr. Faltlhauser siehe Salm (1939). Eine Neospiran-Therapie versuchte man auch bei der manisch-depressiv erkrankten W. M. Am 29.04.1937 hatte Meggendorfer in einem Schreiben betont, die „bald 68-jährige Witwe“ sei „schon viel, aber nur immer zeitweise geistig erkrankt [gewesen]. Im höheren Alter kommt sie schwerer über die einzelnen Anfälle hinweg. Sie ist jetzt bereits seit 20 Jahren hier in der Klinik und wird wohl kaum wieder entlassen werden. Zur Zeit ist sie in einem stark gehemmten Zustand, so dass man kaum mit ihr reden kann“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 4357. Entsprechend des Signaturschemas war W. M. auch HuPflA-Patientin. Siehe hierzu S. 57, Fn. 198 und S. 358, Fn. 464. Anhand der in einem Insulinschema-Bogen angefertigten Eintragungen lässt sich der Versuch einer Neospiran-Therapie im Juli 1939 nachvollziehen: „13.7.: Neospiran 1,9ccm i.v.: starke Gesichtsrötung, zittert, zieht die Decke über den Kopf. Verhalten unverändert. 15.7.: Neospiran 1,9ccm i.v.: gleiche Reaktion. Verhalten unverändert. 25.7.: Neospiran 2,0 ccm: ziemlich starke Reaktion mit Gesichtsrötung u. Zittern. Verhalten unverändert“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 4357. Der auf den 14.02.1936 folgende Akteneintrag von 05.12.1940 gibt darüber Aufschluss, dass „in den letzten 4 Jahren keine Veränderung [eingetreten war]. Pat. liegt entweder im Bett oder sitzt auf einem Stuhl mit nach vorn geneigtem Kopf. Spricht nicht. Ihr Essen zu den Mahlzeiten holt sie sich. 3.4.43: Unverändert. 20.8.43: In der letzten Zeit ist sie körperlich wesentlich zurückgegangen. Liegt seit langem im Bett. Der Appetit hat sehr nachgelassen. 24.8.43: Exitus letalis“. Vgl. ebd. 778 Im Kontext der Anfragen von Amtsärzten bemerkenswert zeigt sich die Position Bonhoeffers. „Sein Unbehagen an der Zwangssterilisation war ein persönliches, das allerdings zu einer persönlichen Konsequenz führt: Bonhoeffer lehnte es ab – und darin unterschied er sich von fast allen seinen Kollegen –, das Arztgeheimnis zu brechen und dem Amtsarzt Meldungen von Patienten aus seiner Sprechstunde zu machen“. Vgl. Grell (1988), S. 211. 779 UAE: A2/1 Nr. M 46. 780 Nach Bussche betätigte sich Meggendorfer „[n]ach seiner Berufung auf den Lehrstuhl in Erlangen im Jahr 1934 […] verstärkt im erbpsychiatrischen Sinne“. Vgl. Bussche (2014), S. 221. Siehe ferner auch Mai/Bussche (1989), S. 233. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass sich Meggendorfer gerade während seiner Zeit in Erlangen aufgeschlossen zeigte für somatische Therapieverfahren.

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kommen als in Hamburg. Wie die Dinge aber zur Zeit liegen, ist gerade das Gegenteil der Fall“.781 Meggendorfer sah die „Bearbeitung von bestimmten Krankheitsgruppen auf statistischer Grundlage, insbesondere aber die gerade heute unbedingt erforderliche familien- und erbbiologische Bearbeitung, die sich auf das ganze, unausgelesene Material stützen muss, […] einfach [in Anbetracht der Erlanger Verhältnissen als] unmöglich“782

an, zumal selbst die auf Anstaltsformularen aufzuzeichnenden Krankengeschichten der Klinikpatienten letztlich Eigentum der Anstalt seien: „sie werden auch bei Verlegungen der Kranken in die Anstalt mit diese[n] weitergegeben und kommen bei Entlassungen von Kranken, die weiter von der Anstaltsfürsorge betreut werden, in die Anstalt. So zerfliesst das Krankengeschichtenmaterial, das doch die Grundlage jeder klinischen Forschung darstellt, fast vollständig“.783

Diese situative Unzufriedenheit Meggendorfers, der bislang von den Gegebenheiten der erbbiologischen Abteilung Hamburg-Friedrichsberg für klinische und wissenschaftliche Arbeit profitiert hatte, lässt sich nachvollziehen. An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit der Universitätspsychiatrie Frankfurt a. M. an, wo „ein Fragebogen [existierte], der u. a. nach bestimmten ‚Eigenschaften‘ der Personen fragte, die häufig für eine psychiatrische Diagnose im Sinne des GzVeN ausschlaggebend waren: ‚Fragebogen der Nervenklinik der Stadt- und Universität Frankfurt Main: Wir bitten diesen Fragebogen möglichst genau auszufüllen: In der letzten Spalte […] sind kurz die Eigenschaften der einzelnen Personen anzugeben, z. B.: nervös, aufgeregt, feinfühlig, empfindlich, scheu, schüchtern, gesellig, ungesellig, verschlossen, kühl, zurückhaltend, streng, hörig, menschenscheu, humorlos, pedantisch, korrekt, geistig, mißtrauisch, schweigsam, mürrisch, bedürfnislos, bissig, eigensinnig, rücksichtslos, steif, ungelenk, langsam, lenksam, stumpf, gleichgültig, schwach, begabt, beschränkt, brav, ernst, still, ruhig, gutmütig, gewissenhaft, hypochondrisch, religiös, gemütsweich, schwernehmend, schwerblütig, zufrieden, friedfertig, umsichtig, klug, lustig, heiter, freundlich, gemütlich, witzig, beliebt, lebhaft, tätig, hitzig, umtriebig, wohltätig, aufgeschlossen, geschäftstüchtig, jähzornig, streitsüchtig, unstet, trunksüchtig. Ferner: Krämpfe, Anfälle, Linkshändigkeit, Bettnässen, Sprachfehler, Mißbildungen, starke Kopfschmerzen, Selbstmorde, Straftaten. Wichtig ist besonders, ob dergl. in der Verwandtschaft vorkommen oder vorkamen: Wenn einer der Blutsverwandten nerven- oder geisteskrank gewesen ist, so bitten wir darüber genau zu berichten. Besonders bitten wir um Angabe der Anstalt oder Klinik falls der Betreffende einmal Aufnahme in einer solchen gefunden hat‘“.784

Im Vergleich zu diesem detailreich-„spitzfindigen“ Frankfurter Fragebogen zeigen sich die grob orientierenden Erlanger erbbiologischen Erhebungen – sofern überhaupt in die Krankenakten integriert – unvollständig bis gar nicht ausgefüllt.

781 782 783 784

UAE: A2/1 Nr. M 46. BayHStA: MK 72099. Ebd. Fragebogen der Nervenklinik der Stadt- und Universität Frankfurt am Main, StAFfM., Akte 606/36, K. 173. Vgl. Daum/Deppe (1991), S. 59–60.

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Abb. 21: in Erlangen verwendeter erbbiologischer Erhebungsbogen785

Nach Meggendorfers Einschätzung gegenüber der Medizinischen Fakultät vom 30.12.1934 ließe sich die Krankengeschichtensammlung der Psychiatrischen und Nervenklinik „am besten [reformieren] durch die Anlage einer Kartei, die für alle Kranken der Klinik, auch für die Begutachtungsfälle und die poliklinischen Patienten geführt wird […]. Diese Kartei müsste Eigentum der Klinik bleiben; die Karten müssten auf der Rückseite einen kurzen Auszug der Krankengeschichte enthalten, wie das in mehreren anderen psychiatrischen Kliniken, z. B. der Münchener Klinik, üblich ist und sich dort sehr gut bewährt hat“.786

Vereinzelt lassen sich Ansätze zur Verwirklichung dieses Konzeptes der Patientenregistrierung787 finden.

785 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 104/24. 786 BayHStA: MK 72096. 787 Krankenkartei-Vorderseite: „Erbleiden: ja; Ziffer: 2; Sterilisierung notwendig? Ja; Aufnahme: 20.09.1942; gebessert abgegangen: 08.02.1943; Krankheitsform: Pfropfschizophrenie (14);

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Sollte die erbpsychiatrische Forschungsmöglichkeit von Meggendorfer in Erlangen als reduziert angegeben werden, so betätigte er sich weiterhin auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie.788 In seinem Werk „Zur Ablösung des BGB.“789 von 1938 sah er es als „[f]reilich [an, dass] […] der neue Staat und das kommende Eherecht nicht mehr wie das bisher geltende Eherecht die persönlichen Wünsche und Belange des Einzelmenschen in den Vordergrund stellen; die neuen Gesetze werden […] insbesondere die Rücksicht auf die Kinder, den Inbegriff des künftigen deutschen Reiches und Volkes, wie überhaupt das Gedeihen der Ehe und der Familie in der Volksgemeinschaft herausstellen“.790

Aufnahme: 23.02.1946“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 365/286, 140/66. Die Klassifikationsziffer (14) bezieht sich auf den Würzburger-Diagnosenschlüssel gemäß der Diagnosentabelle des Deutschen Vereins für Psychiatrie: 1. Angeborene und früherworbene Schwachsinnszustände (Idiotie und Imbezilität), 2. Psychische Störungen nach Gehirnverletzung, 3. Progressive Paralyse, 4. Psychische Störungen bei Lues cerebri und Tabes, 5. Encephalitis epidemica. 6. Psychische Störungen des höheren Lebensalters, 7. Huntingtonsche Chorea, 8. Psychische Störungen bei anderen Hirnkrankheiten (Tumor, Multiple Sklerose usw.), 9. Psychische Störungen bei akuten Infektionen, bei Erkrankungen der inneren Drüsen, bei Allgemeinerkrankungen und Kachexien („symptomatische Psychosen“ im engeren Sinne), 10. Alkoholismus, 11. Suchten (Morphinismus, Kokainismus usw.), 12. Psychische Störungen bei anderen Vergiftungen (Schlafmittel, Blei, Quecksilber, Arsen, Schwefelkohlenstoff, Kohlenmonoxyd usw.), 13a. Epilepsie ohne nachweisbare Ursache, 13b. symptomatische Epilepsie (soweit nicht in einer anderen Gruppe aufzuführen), 14. Schizophrener Formenkreis, 15. Manisch-depressiver Formenkreis, 16. Psychopathische Persönlichkeit, 17. Abnorme Reaktion, 18. Psychopathische Kinder und Jugendliche (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres), 19. Ungeklärte Fälle, 20. Nervenkrankheiten ohne psychische Störungen, 20. Nicht nervenkrank und frei von psychischen Abweichungen. Vgl. Gütt et al. (1936), S. 347–348. Krankenkartei- Rückseite: „Belastung: Mutter leidet an Schizophrenie; Sonstige Vorgeschichte: Früher nie ernstlich krank gewesen. Kam in der Schule nicht mit. Versorgte den Haushalt so schlecht und recht. Der Vater musste überall nachhelfen, wenn er von der Arbeit kam. Vor 5 [ds] plötzlich verändert, sehr lebhaft, redet verwirrt, wollte von zu Hause fortlaufen. Sagte, es brenne draußen und rieche überall schlecht; Erscheinungen und Verlauf: In der ersten Zeit verwirrt, hört Stimmen, äußert Wahnideen. Nach Elektrokrampfbehandlung Besserung. Pat. ist debil, sie kennt nicht einmal die Uhr, zeigt ein dürftiges Schul- und Allgemeinwissen. Körperlich o. B.“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 365/280, 140/66. 788 „Für die forensische Psychiatrie und Psychotherapie ist eine Auseinandersetzung mit ihren historischen Wurzeln von grundlegender Bedeutung, da die Arbeit des forensischen Psychiaters stets in weltanschauliche Vorstellungen und gesellschaftlich-politische Vorgaben eingebunden und insofern von Relativität durchdrungen ist. Auch die Konzeptbildung und klinische Praxis ist hierbei keineswegs ausschließlich von wissenschaftlichen, sondern auch von außerwissenschaftlichen, soziokulturellen und sozialpsychologischen Faktoren beeinflusst […]. Dies gilt auch für die bislang lediglich in Ansätzen begonnene Auseinandersetzung der forensischen Psychiatrie mit der Zeit des Nationalsozialismus […]. Dieser Mangel kontrastiert zu den zahlreichen und umfangreichen Arbeiten zur Geschichte der klinischen Psychiatrie während des Nationalsozialismus […]. Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte der forensischen Psychiatrie, die neben der konkreten Praxis der Begutachtung auch die jeweiligen theoretischen Grundlagen der Krankheitskonzepte einbezieht, bleibt somit ein Desideratum“. Vgl. Foerster/Dreßing (2009), S. 5–6. 789 Meggendorfer (1938). 790 Ebd., S. 3.

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Meggendorfer setzte erbpsychiatrisches Wissen ein zur Legitimation791 des nationalsozialistischen Ehescheidungsrechtes:792 791 „Die Durchführung der erwähnten rassenhygienischen Gesetze wird in Zukunft die zur Auflösung der unerwünschten, nicht gedeihlichen und zerrütteten Ehen notwendigen Maßnahmen weitgehend erübrigen, denn ein großer Teil der unglücklichen Ehen hat ihre Grundlage in krankhaften und abwegigen geistigen Verfassungen, die das Ehegesundheitsgesetz als Ehehindernis erklärt. Vorbeugen steht auch hier im Vordergrunde“. Vgl. ebd., S. 5. „So werden die künftig im Ehe- und Familienrecht zusammengefassten Gesetze zu rassenhygienischen, die dazu berufen sind, die übrigen rassenhygienischen Gesetze des Dritten Reiches zu ergänzen und zur vollen Auswirkung zu bringen“. Vgl. ebd., S. 16. 792 „In dem bisherigen Ehescheidungsrecht finden rassenhygienische Gesichtspunkte keinerlei Berücksichtigung“. Vgl. ebd., S. 13. In der klinisch-praktischen Umsetzung zeigte Meggendorfer ein differenziertes Vorgehen – auch bei Ehescheidungsprozessen. In den Historischen Beständen der Psychiatrischen und Nervenklinik lässt sich folgendes Ehescheidungsgutachten Meggendorfers für die Zivilkammer des Landgerichts Bamberg vom 07.01.1943 finden: „Ich gebe deshalb das von mir geforderte Obergutachten dahin ab, dass die beklagte L. R. nicht an einer geistigen Störung leidet, jedenfalls nicht an einer krankhaften geistigen Störung und auch zur Zeit der Eheschließung nicht daran gelitten hat“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenummer. Circa drei Wochen später ging ein Klinikgutachten auch an das Landgericht Weiden, worauf folgendes Schreiben der Klinik vom 16.11.1944 rückschließen lässt, in welchem sie sich aktiv um Informationen über den Verlauf der Gerichtsentscheidungen bemühte: „Betreff: Ehescheidungssache L. J./L. R. In obiger Sache erstattete die Klinik am 28.2.43 für das dortige Gericht [gemeint Landgericht Weiden] ein Gutachten über die Beklagte Frau L. R. Da wir aus wissenschaftlichen Gründen an dem Ausgang des Verfahrens sehr interessiert sind, wären wir für eine kurze Mitteilung hierüber bezw. für Überlassung des endgültigen Beschlusses sehr dankbar“. Vgl. ebd. Eine geistige Störung mit Relevanz für eine Ehezerrüttung bejahte Meggendorfer bei einer anderen Patientin mit Nachnamen-Erstbuchstaben „L“.: „Es wurde von mir bei Frau L. auch eine Encephalographie durchgeführt. Dabei wurden 230ccm Hirn-Rückenmarksflüssigkeit entnommen und durch 220 ccm Luft ersetzt. Die daraufhin vorgenommene Röntgenaufnahmen gaben ein sehr kennzeichnendes Bild. Während auf der seitlichen Aufnahme in den mittleren Partien die Rindenzeichnung des Gehirns deutlich zu sehen ist, ist dies am Stirnhirn, am Hinterhauptslappen und am Kleinhirn nicht der Fall. Es finden sich hier große Luftansammlungen. Auch an der Hirnbasis ist dies der Fall (s. beiliegendes Bild!) […]. Die Untersuchung hat ergeben, dass Frau L. nicht, wie zunächst angenommen wurde, an multipler Sklerose leidet, sondern an einer anderen, selteneren schweren Erkrankung, die durch Schrumpfung von verschiedenen Hirnteilen gekennzeichnet ist. Das Krankheitsbild gehört zur sogenannten Pickschen Atrophie, einer Erkrankung, die familiär vorkommt […]. Frau L. ist eben, wie sie versichert, durch die eheliche Zerrüttung geistig geknickt, sie will die Ehescheidung keinesfalls haben und meint, lieber solle ihr Mann sterben, als dass er von ihr geschieden werde. Diesen Gedanken drückt sie in ihrer geistigen Schwäche so aus, wie sie es getan hat. Jedenfalls kann man sagen, dass das an sich ehewidrige Verhalten der Frau L. ihr nicht als Eheverfehlung angerechnet werden kann, weil es auf einer geistigen Störung beruht. M. E. sind damit die Voraussetzungen des §50 EheG erfüllt. Was die Frage anlangt [sic], ob die geistige Störung der Frau L. durch die Mißhandlungen des Klägers verursacht worden ist, ist zu sagen, dass die Erkrankung der Frau L. in der Anlage begründet und nicht durch äußere Schädigungen verursacht ist. Wohl aber ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass durch Mißhandlungen und andere ungünstige Einflüsse das Leiden beschleunigt und verschlechtert wurde“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 282/203. Am 18.07.1942 hatte Meggendorfer wegen Stammbaumforschung bei Chorea-Erkrankungen an Herrn Obermedizinalrat Dr. Entres in Kutzenberg geschrieben, da bei Frau L. „ein gewisser Verdacht auf Chorea Huntington besteht. […] Ihre

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Bei Erbanlagen, die ein materielles Substrat in den Chromosomen der Zellkerne haben, das mit den Keimzellen von Generation zu Generation weitergegeben wird, handelt es sich nicht um etwas Unbestimmtes, sondern um etwas Wirkliches, Materielles, um wichtige Teile der Einzelperson, deren persönliche Eigenschaften sie bestimmen. Diese Überlegung zeigt, dass die Erbanlagen zu schweren geistigen Erkrankungen ohne Zweifel ,persönliche Eigenschaften‘ im Sinne des § 1333 BGB. darstellen können“.793

Wenn Meggendorfer in Hinblick auf die „jetzt [als viel zu lang bezeichnete] […] Forderung des dreijährigen Bestehens der Geisteskrankheit während der Ehe […] dar[]legt[e], [dass] dem gesunden Gatten794 oft gerade die wertvollsten Lebensjahre verloren [gehen], [so betonte er,] [d]ie heutige Psychiatrie ist in weitaus den meisten Fällen in der Lage, in viel kürzerer Zeit eine sichere Diagnose zu stellen“.795

Diese Formulierung Meggendorfers könnte durchaus „anbiederisch“ imponieren im Sinne des Angebots psychiatrischer Kompetenzen für die wissenschaftliche Fundierung der NS-Gesetzgebung. 2.3.6 Scheitern der Rückberufung nach Hamburg Sein Interesse an einer Berufung zurück auf den psychiatrischen Lehrstuhl in Hamburg bekundete Meggendorfer als Drittplatzierter796 gegenüber dem Behördenreferenten und Oberregierungsrat Dr. Clausen. Meggendorfer ließ sich von Clausen zu einem klärenden Gespräch in Erlangen besuchen. Am 31.01.1936 wurde Meggendorfer vom Rektor der Universität Hamburg dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (RMWEV) für den dortigen Psychiatrischen

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Schwester Katharina […] und ihr Bruder Fritz […] sollen das gleiche Leiden haben. […]. Vielleicht befindet sich der Name in Ihrem Choreamaterial […]“. Vgl. ebd. Meggendorfer (1938), S. 6–7. „Was die Folgen der Ehescheidung anlangt, so ist es mit Rücksicht auf die aus einer geschiedenen Ehen hervorgegangenen Kinder vom psychiatrischen Standpunkt aus zu begrüßen, dass die Vertretung des Kindes nicht mehr wie bisher lediglich dem Vater, sondern auch der Mutter übertragen werden kann“. Vgl. ebd., S. 15. Ebd. S. 14. 1.: Ernst Kretschmer (1888–1964)/August Bostroem (1886–1944); 2.: Kurt Schneider (1887– 1967)/Hans Walther Gruhle (1880–1958). Vgl. StA HH: Innere Verwaltung, A IV 22, zit. n. Bussche (1998a), S. 83. „Gruhle war 1934 von der medizinischen Fakultät der Universität Bonn primo loco auf die Berufungsliste gesetzt worden, jedoch hatte ihm das Ministerium wegen politischen Bedenken die Berufung verweigert, da er in vielen wichtigen Bereichen nicht mit der NS-Erbtheorie übereinstimmte; erst nach dem Krieg wurde er in Bonn als Ordinarius berufen. Als Autor des ‚Grundrisses der Psychiatrie‘ hatte er allerdings zu verantworten, dass in dessen zweiter Auflage (1943) das GzVeN ungefiltert abgedruckt wurde“. Vgl. Holdorff/Hoff (1998), S. 182. „Die medizinische Fakultät der Universität Bonn hatte ihn zum Nachfolger des verstorbenen [Arthur] Hübners [1878–1934] auserkoren. Aber das Hitler-Regime lehnte ihn ab, und der zunächst kommissarische Auftrag, die Leitung der Bonner Klinik zu übernehmen, wurde nicht in eine Berufung umgewandelt. Gruhle wurde durch einen politisch zuverlässigeren Mann ersetzt“. Vgl. Kolle (1963b), S. 69. Von Gruhles Veröffentlichungen während der NS-Zeit sei verwiesen auf Gruhle (1935), (1938), (1940a), (1940b), (1940c), (1940d), (1942a), (1942b), (1942c) und (1943).

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Lehrstuhl in der Nachfolge Weygandts vorgeschlagen. Am 10.02.1936 sprach Meggendorfer im „Referat 2“ des Bayerischen Ministeriums gemeinsam mit Rüdin vor und berichtete von seiner Berufungsmöglichkeit an die Universität Hamburg. Er zeigte ein Schreiben des Senats der Stadt Hamburg vor, das den Neubau einer Psychiatrischen Klinik in Aussicht stellte. Meggendorfer ließ sich vom Bayerischen Ministerium als Anreiz für sein Bleiben in Erlangen den zeitnahen Neubau einer Psychiatrischen Klinik zusichern. Am 26.02.1936 erhielt das Bayerische Ministerium ein informatives Schreiben des RMWEV. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in Hamburg komme für die dortige Berufung ein anderer gleichgeeigneter Psychiater kaum in Frage. Es müsse bei Meggendorfer ein Wechsel des Tätigkeitsortes hingenommen werden. Am 06.03.1936 informierte Clausen den bayerischen Ministerialrat Dr. Müller über Meggendorfers Berufung an die Hansische Universität auf Erlass des RMWEV. In einem Schreiben an Clausen vom 09.03.1936 bat Meggendorfer „um die Ernennung zum oP für ‚Psychiatrie und Neurologie‘ und um entsprechende Kompetenzen für seine Klinik, was ihm prompt einen Rüffel seines Lehrers Nonne einbrachte“.797 Diese Forderung Meggendorfers, der formal in Erlangen als ordentlicher Professor für Psychiatrie die Direktion der Psychiatrischen und Nervenklinik innehatte,798 – sich aber durchaus selbst als „ordentlichen Professor für Psychiatrie und Neurologie“ bezeichnete –799 steht in Einklang mit der Tatsache, dass Meggendorfer auf Rüdins Anfrage zur Benennung von Fachkollegen mit neurologischer Erbbiologie- Expertise mitunter sich selbst anführte.800 Meggendorfers NachkriegsSelbstdarstellung in puncto neurologischer Expertenschaft sollte sich gewandelt zeigen.801 Die strategische Motivation, hierdurch die Mitarbeit Bingels an der Klinik erhalten zu können, scheint evident. Der Dienstantritt Meggendorfers in Hamburg sollte zum 01.04.1936 erfolgen. 797 StA HH: HW II, Ai 6/13, Meggendorfer an Clausen, 09.03.1936; Clausen an Meggendorfer, 12.03.1936; Nonne an Meggendorfer, 13.03.1936, zit. n. Bussche (1989a), S. 83. 798 „Im Namen des Reichs. Der Herr Reichsstatthalter in Bayern hat auf Vorschlag der Bayer. Landesregierung mit Wirkung vom 1. Oktober 1934 den nichtbeamteten außerordentlichen Professor an der Universität Hamburg Dr. Friedrich Meggendorfer zum ordentlichen Professor für Psychiatrie in der medizinischen Fakultät der Universität Erlangen mit einem jährlichen Grundgehalt von 11.600 RM […] unter Berufung in das Beamtenverhältnis in etatmäßiger Eigenschaft ernannt. Gleichzeitig wird dem Genannten – ohne Anspruch auf besondere Vergütung – die Direktion der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen übertragen“. Vgl. UAE: II, 1, M 46, Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Rektor der Universität Erlangen vom 25.09.1934. 799 Schreiben Meggendorfers an den Beauftragten für die Durchführung des Reichsberufswettkampfes vom 26.11.1938, vgl. ebd.: A6/3i. Siehe auch folg. Fn. 801. Ferner: S. 411 und S. 469. 800 Vgl. Schmuhl (2016), S. 114. 801 Kurz vor seiner Dienstsuspension überstellte Meggendorfer an das Dekanat Fragebogen, Beschäftigungsausweis und Entlastungszeugnisse für seinen Mitarbeiter Adolf Bingel gemeinsam mit folgendem Schreiben: „[d]a [Bingel] vorwiegend Neurologe ist, ergänzt er mich, der ich vorwiegend Psychiater bin, sehr gut. Gerade jetzt nach dem Kriege, wo dauernd schwierige neurologische Entscheidungen bei Hirnverletzten usw. an die Klinik herantreten, wäre die Mitarbeit eines so tüchtigen Neurologen für die Klinik von großer Bedeutung“. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 3212, zit. n. Braun/Kornhuber (2013c), S. 587–588.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „In den […] weiteren Verhandlungen mit Meggendorfer tauchten aber erneut die Probleme des Standortes und der Konzeption der Universitätspsychiatrie auf, die bereits Grund für das Scheitern der Verhandlungen mit Schneider und Bostroem gewesen waren“.802

Meggendorfer nutzte seinen Berufungsvorschlag, um möglichst die Bedingungen seiner Klinik in Erlangen zu verbessern. Der Dekan der Medizinischen Fakultät Erlangen erbat folglich in einem Schreiben an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, „dass 1. Herrn Prof. Dr. Meggendorfer ein Klinik-Neubau in Aussicht gestellt werden kann, dass 2. seine persönlichen Wünsche Berücksichtigung finden, um ihn unserer Universität zu erhalten, dass 3. für die Zeit des Übergangs eine größere Selbstständigkeit der psychiatrischen Klinik im Rahmen der Heil- und Pflegeanstalt angestrebt und ermöglicht wird und dass 4. auch für den Fall, dass die ganze Klinik hier wieder wie früher dem Universitäts-Lehrer unterstellt werden sollte,803 doch die besonderen Bedürfnisse einer psychiatrischen Universitätsklinik, die auch eine Klinik für geistesgesunde Nervenkranke sein soll, entsprechend Berücksichtigung finden“.804

Vor Abschluss der Verhandlungen mit Meggendorfer805 wurde Hans Bürger-Prinz (1897–1976), vorher Oberarzt an der Universitätsnervenklinik Leipzig,806 ab 802 StA HH: Innere Verwaltung, A IV 22, zit. n. Bussche (1989a), S. 83. „Die Fakultät legte nach Absage von K. Schneider im Juni 1935 eine neue Aequo-loco-Liste vor: K[arl] Pönitz (Halle) [1888–1973]/W. Runge (Chemnitz)/F. K. Walter (Bremen). Trotzdem verhandelte die Landesunterrichtsbehörde mit den Kandidaten der ersten Liste weiter. […]. Nachdem Meggendorfer Interesse zeigte, führte Clausen mit Zustimmung des Dekans und im Auftrag des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Verhandlungen weiter, mit dem Ergebnis, dass der Hamburger Senat am 26.3.1936 über die Berufungsvereinbarung mit Meggendorfer beriet […]. Am gleichen Tag verfügte aber das Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, dass der Leipziger Privatdozent Bürger-Prinz als Vertreter des Lehrstuhls und kommissarischer Leiter der Klinik einzusetzen war, obwohl Bürger-Prinz kein Kandidat auf der Berufungsliste der Fakultät war und die Hamburger Unterrichtsbehörde mit Kandidaten der Fakultätsliste noch verhandelte“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 44. Als Veröffentlichungen der mitvorgeschlagenen Kandidaten selektiv angeführt seien Pönitz (1921), Runge (1932) und Walter (1931). Weiterführend zu Pönitz empfohlen sei Rennert et al. (1988). 803 Als Schüler des Johann Michael Leupoldt (1794–1874) – welcher ab 1818 als Privatdozent und späterer ordentlicher Professor für Anatomie und Physiologie in Erlangen die ersten psychiatrischen Vorlesungen („de morbis psychicis“) gehalten hatte und auf dessen sachkundiger Beratung die Realisierung der ersten bayerischen Kreisirrenanstalt in Erlangen im Jahr 1846 beruhte – hielt Karl August Solbrig (1809–1872) als erster Anstaltsdirektor der deutschlandweit einzigen panoptischen Anstalt in Erlangen klinisch-psychiatrischen Unterricht für interessierte Studenten. Die nachfolgenden Anstaltsdirektoren Friedrich Wilhelm Hagen (1814–1888) und Anton Bumm (1849–1903) waren außerordentliche Professoren für Psychiatrie. Vgl. Lungershausen (1985b), S. 6–7. 804 UAE: A6/3 i . 805 Siehe weiterführend hierzu: Clausen an Meggendorfer, 25.01.1936; Clausen an Meggendorfer, 28.03.1936; Meggendorfer an Clausen, 29.03.1936; Clausen an Meggendorfer, 31.03.1936. Vgl. StA HH, HW II, A i 6/13 zit. n. Bussche (2014), S. 223. 806 Zu den NS-Euthansieverbrechen in Leipzig siehe Seyde (2008). „Die NS-Ideologie ließ auch die Leipziger Universitätsmedizin nicht unberührt: Es kam zu Zwangssterilisationen, zu Verwicklungen in verbrecherische Menschenversuche im KZ Buchenwald und insbesondere zu einer maßgeblichen Beteiligung an der Kinder-‚Euthanasie‘ […]“. Vgl. Riha (2015), S. B 1046.

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01.04.1936807 die Vertretung des Lehrstuhls sowie die kommissarische Leitung der Hamburger Klinik „völlig überraschend“808 übertragen.809 Nach Bussche bildet die Berufung von Bürger-Prinz „de[n] gravierendste[n] Verstoß des RMWEV gegen das traditionelle Selbstrekrutierungsrecht der Fakultät. Die Gründe für diesen selbst im ‚Dritten Reich‘ nicht alltäglichen Vorgang können noch nicht als geklärt angesehen werden“.810

807 1936 stellte das Jahr dar, in welchem die bisherige Personalunion von Anstalts- und Klinikdirektor aufgehoben wurde. „Direktor der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg wurde Ernst Rittershaus, zum ordentlichen Professor für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik wurde Hans Bürger-Prinz ernannt“. Vgl. Kreuter (1996), S. 1571. 808 Bussche (2014), S. 123. „Der zuständige Referent im RMWEV, Prof. Jansen, teilte dem Hochschulwesen jedenfalls noch einen Monat vor der Berufung von Bürger-Prinz schriftlich mit, dass er ‚beabsichtige, meinem Herrn Minister die Berufung […] Meggendorfer[s] in Vorschlag zu bringen‘“. Vgl. StA HH, HW II, A i 6/13, Jansen an Clausen, 26.02.1936, zit. n. ebd. „Weniger als eine Woche bevor Bürger-Prinz seinen Dienst antrat, beriet der Hamburger Senat über die Berufungsvereinbarung mit Meggendorfer. Vgl. StA HH, Innere Verwaltung, A IV 22, Senatsprotokoll 26.03.1936, zit. n. ebd. 809 „Mit Dienstantritt von Bürger-Prinz als kommissarischer Leiter am 1. April 1936 wurde die ‚Restklinik‘ als ‚Psychiatrische und Nervenklinik der Hansischen Universität‘ auf dem Friedrichsberger Gelände neu eröffnet. Sie hatte nunmehr 300 Betten und 20 Notbetten. Der Klinik standen 13 Arztstellen und 137 Stellen für geprüfte Pflegekräfte zur Verfügung“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 45. 810 Bussche (1989a), S. 83. Während Bussche Roths Argumentationslinien zur zeitlichen Beschleunigung im Kontext des Ablehnens seitens der Kandidaten widerlegt, findet er „[i]n den Akten Hinweise darauf, dass der Anstoß zu dieser Berufung nicht einmal vom RMWEV selbst ausgegangen ist. Denkbar ist, dass die treibende Instanz in dieser Sache das RMI war, das ab 1933 zielstrebig an der Durchsetzung einer erbbiologischen Ausrichtung der Psychiatrie arbeitete […]. Hans-Bürger Prinz dürfte diesen Voraussetzungen entsprochen haben“. Vgl. ebd., S. 83–84. Zusätzliche Relevanz könnten – nach Ansicht der Verfasserin – auch die persönlichen Beziehungen der Ordinariatskandidaten zu dem abgesetzten Wegyandt sein. Seinem Schrifttum nach zu urteilen ging Meggendorfer größtenteils mit Weygandt konform; Bürger-Prinz hingegen kritisierte in einer als Geburtstagsgabe „camouflierten“ Nachuntersuchungskasuistik zu Patient W. offen die diagnostische Treffsicherheit Weygandts: „Weygandt, der ausgezeichnete Kenner seelischer Krankheitserscheinungen im jugendlichen Alter, hatte im Jahr 1932 einen Fall demonstriert, bei dem er sich entschloss, das Vorliegen einer kindlichen Schizophrenie anzunehmen. Bei der außerordentlichen Vorsicht, die Weygandt gerade bei dieser Diagnose übte, und der Skepsis, die er Krankheitsbildern wie z. B. der ‚Dementia praecocissima‘ als endogenen Psychosen entgegenbrachte, wiegt diese diagnostische Entscheidung besonders schwer. Ich hatte Gelegenheit, diesen Fall jetzt nachzuuntersuchen. Er scheint mir interessant genug zu sein, um über ihn zu berichten; auch geeignet, in die Diskussion über die mit der kindlichen Schizophrenie gegebenen Probleme einzuführen. Zugleich möchte diese Veröffentlichung ein Zeichen der Dankbarkeit für den Mann sein, dem wir neben dem Altmeister P [aul] Schröder [1873–1941] auf dem Gebiet der Kinderpsychiatrie so viel verdanken“. Vgl. BürgerPrinz (1940), S. 301. Zu „Aufgaben und Probleme[n] der Kinderpsychiatrie“ vgl. ders. (1941a). „Im Falle W. sehe ich keine Veranlassung, eine schizophrene [Psychose] oder eine Prozesspsychose anzunehmen. Diskutabel erscheinen mir: eine hirnorganische Erkrankung z. B. im Sinne einer eigenartig verlaufenden Encephalitis mit den Folgeerscheinungen von Entwicklungsstillstand, Senkung des Intelligenzniveaus und Antriebsverarmung oder phasische Verstimmungen bei einer infantilen, asthenischen, minderbegabten Persönlichkeit“. Vgl. ders. (1940), S. 307.

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In diesem Zusammenhang lassen sich weitere aufschlussreiche Dokument finden: In seinem Schreiben vom 18.03.1936 an den Reichdozentenführer Schultze bat Rektor Fritz Specht darum, dass Meggendorfer „nicht gegen seinen Willen nach Hamburg versetzt“811 werde. Vier Tage nach Beginn des Kommissariats von Bürger-Prinz wurde am 04.04.1936 folgendes Schreiben812 des Reichs- und Preussischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus verfasst: „Von der Entschließung Professor Meggendorfers, in Erlangen bleiben zu wollen, habe ich Kenntnis genommen. Da auch nicht die Absicht besteht, Professor Meggendorfer gegen seinen Willen nach Hamburg zu versetzen, hat das Berufungsvorhaben damit seinen Abschluss gefunden. Dem Versuch, die Ablehnung einer Berufung zum Anlass einer Aufbesserung der persönlichen813 Bezüge zu benutzen, muss ich aus grundsätzlichen Erwägungen entgegentreten; ich sehe mich daher auch nicht in der Lage, hierzu in diesem Fall meine Einwilligung zu geben“.814

An dieser Stelle sei zusätzlich darauf hingewiesen, dass Bürger-Prinz815 am 01.05.1933 Mitglied der NSDAP und der Sturmabteilung (SA) wurde, ab 01.10.1933 gehörte er dem NSDÄB und ab 25.11.1934 dem NSLB sowie dem NSDDozB an.816 Nach der „völlig unerwartet[en] und ohne Begründung […] [aus Berlin in Hamburg eingegangene[n] Nachricht“817 musste „[d]ie Landesunterrichtsbehörde […] Meggendorfer kleinlaut über diese überraschende Wende ins Bild setzen“.818 Am 06.05.1936 berichtete das Erlanger Tagesblatt „Völkischer Beobachter“ stolz, Meggendorfer habe es „trotz großen Entgegenkommens von Seiten der Universität Hamburg, und obwohl die Annahme des Rufes beträchtliche Vorteile geboten hätte vorgezogen, an seiner seitherigen Wirkungsstätte zu bleiben“.819

811 UAE: A2/1 Nr. M 46, siehe ferner S. 523, Fn. 144. Zu Schultze siehe ferner: https://verwaltungshandbuch.bayerische-landesbibliothek-online.de/schultze-walter. Stand vom 01.10.2017. 812 „Im Auftrage gez. Bacher“. Vgl. UAE: A6/3 i Nr. 15. 813 Kursivschrift, da im Original hervorgehoben. 814 Ebd. 815 „Bürger-Prinz wurde 1937 zum Ordinarius berufen. Er gibt an, die Insulintherapie in diesem Jahr an der Klinik eingeführt zu haben, wohingegen die Arbeit von Kögler (1939) beweist, dass bereits 1936 Insulinbehandlungen an der Klinik durchgeführt wurden. Bürger-Prinz war aber wohl der erste in Deutschland, der diese neue Behandlungsmethode in großem Maßstab umsetzte. 80 der 320 Betten waren ausschließlich für die Insulintherapie reserviert. Erste Sichtungen des Klinikarchivs zeigen aber, dass nicht in diesem Umfang behandelt wurde. 1938 kam die Elektrokrampfbehandlung hinzu“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 46. Die mit 1938 angegebene Jahreszahl dürfte auf einem Irrtum beruhen, zumal deutschlandweit die erste Elektrokonvulsionsbehandlung an der Meggendorferschen Klinik 1939 stattfand. 816 Ebd. 817 Bussche (1989a), S. 83. 818 StA HH: HW II, Ai 6/13, zit. n. ebd. 819 Stadtarchiv Erlangen III.104.M.1, III.101.E.1, 340.Nr.5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12) bzw. UAE: A2/1 Nr. M 46. „Professor Dr. Meggendorfer hat seinen Ruf nach Hamburg abgelehnt“. Vgl. Fränkischer Kurier vom 06.05.1936 N. 126, in: UAE: A2/1 Nr. M 46. „[…] so dass also der nahmhafte Gelehrte der Universität Erlangen erhalten bleiben wird“. Vgl. Erlanger Neueste Nachrichten vom 06.05.1933; N.105, zit. n. ebd.

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2.3.7 Meggendorfer als Experte in puncto Alkoholismus Hatte sich Meggendorfer mit seinem Beitrag zu den Intoxikationspsychosen in Bumkes Lehrbuch820 einen Namen in der Suchtmedizin gemacht, so spezialisierte er sich zunehmend weg vom Bereich der illegalen Drogen und inzidentellen Vergiftungen hin zum Alkohol als legaler Droge. Mit seinem Werk „Was ist schwerer Alkoholismus?“821 legte Meggendorfer 1936 den Paragraphen 1 (1) des GzVeN822 aus, wonach sterilisiert werden kann, „wer an schwerem Alkoholismus leidet“. Meggendorfer definierte folgende Formen der Alkoholkrankheit als „schweren Alkoholismus“: „1. Alkoholismus bei pathologischen Rauschzuständen, wenn nicht exogene Anlässe mit Sicherheit nachzuweisen sind, ferner bei einwandfrei endogener Dipsomanie, bei der Alkoholepilepsie, dem Eifersuchtswahn der Trinker, der Alkoholhalluzinose823 und der Korsakowschen Psychose. 2. darüber hinaus Alkoholismus jeder Art bei sonst psychisch Auffälligen und Belasteten, bei Kriminellen und Asozialen und bei Frauen“.824

Meggendorfer gilt als Schöpfer des Eponyms der „Korsakowschen Psychose“, wenn er am Korsakowschen Symptomenkomplex folgende äthyltoxisch-ätiologische Eingrenzung vornimmt:825 820 Meggendorfer (1928a). 821 Ders. (1936b). 822 „Der wichtigste erste Paragraph lautet: § 1: ‚1. Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. 2. Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch- depressivem) Irresein, 4. Erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung, 9. Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet‘“. Vgl. ders. (1934d), S. 72. „Besonders wichtig und gleichzeitig problematisch [bei der Diagnose ‚Fallsucht‘] war der Zusatz ‚erblich‘. In dem ‚Würzburger Schlüssel‘, der Diagnosetabelle des deutschen Vereins für Psychiatrie, die seit 1930 dem praktischen Zweck dienen sollte, Statistiken über psychiatrische Erkrankungen reichsweit vergleichbar zu erheben, war lediglich die Unterscheidung zwischen ‚Epilepsie ohne nachweisbare Ursache‘ und ‚symptomatische[r] Epilepsie (soweit nicht in einer anderen Gruppe aufzuführen)‘ angegeben“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 20. Weiterführend sei verwiesen auf Dörries (1999). 823 Hierzu interessant zeigt sich die Rezeption von Meggendorfers Ansicht zur Alkoholhalluzinose durch Roemer anlässlich der Besprechung der Huberschen Arbeit von 1939 aus Zürich. „Der Annahme Meggendorfers, die Grundlage zu der Erkrankung werde durch Teilanlagen der Schizophrenie gegeben, wird eine gewisse Wahrscheinlichkeit zugebilligt, wenn auch andererseits nicht von der Hand zu weisen sei, dass die Alkoholhalluzinose als selbstständiges Syndrom einer latenten Schizophrenie zum Durchbruch verhelfen könne, womit übereinstimmen würde, dass die Halluzinose stets am Beginne und nie im Verlauf einer schon offenkundigen Schizophrenie beobachtet werde“. Vgl. Roemer (1940), S. 402. Siehe ferner Huber (1939). 824 Meggendorfer (1936b), S. 13. 825 „Von S. S. Korsakow 1887 als cerebropathia psychica toxaemica beschriebenes Krankheitsbild. Entspricht klinisch einem amnestischen Syndrom, das durch chronischen Alkoholismus

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Die hier geschilderte Geistesstörung wurde zuerst 1862 von Magnus Huss [1807–1890] beschrieben, der sie allerdings nur als eine der Erscheinungsformen des chronischen Alkoholismus auffasste. Auch verschiedene ältere deutsche Irrenärzte berichteten über ähnliche Erkrankungen. Nachdem dann [Ernst Victor] Leyden [1832–1910] im Jahre 1880 die Neuritis beschrieben hatte, erkannte [Karl] Moeli [1849–1919] zuerst die neuritische Natur der bei der alkoholischen Geistesstörung vorkommenden Lähmungen; auch eine Reihe anderer deutscher und ausländischer Forscher fanden in rascher Folge dabei neuritische Erscheinungen. 1887 beschrieb der russische Irrenarzt [Sergej Sergejewitsch] Korsakow [1854–1900] ausführlich eine Geistesstörung mit Neuritis bei Kindbettfieber, bei zerfallenden Neubildungen, bei akuten und chronischen Infektionskrankheiten und betonte, dass diese ‚polyneuritische Psychose‘ oder ‚psychische toxämische Cerebropathie‘ auch bei Alkoholismus und bei Arsenik-, Blei-, Schwefelkohlenstoff-, Kohlenoxyd- und Mutterkornvergiftung vorkomme. Die psychischen Erscheinungen wurden in der Folge aber auch bei den verschiedensten schweren Hirnschädigungen, bei Hirnerschütterung und -verletzung, bei Strangulation und vor allem bei einer bestimmten Form des Altersschwachsinns nachgewiesen. Immerhin bilden die aus dem chronischen Alkoholismus hervorgehenden Erkrankungen dieser Art etwas nach ätiologischen wie symptomatologischen Gesichtspunkten Einheitliches. Wie insbesondere aus den Darstellungen [Karl] Bonhoeffers [1868–1948] hervorgeht, handelt es sich um eine ‚toxämische Cerebropathie‘ im Sinne Korsakows; die Benennung nach Korsakow826 erscheint deshalb gerechtfertigt“.827

entsteht und mit einer Polyneuritis einhergeht. Nur in dieser Konstellation wird von einer Korsakow’-schen Psychose gesprochen. Die Bez. wurde 1928 von Meggendorfer so bestimmt und seither mit gleicher Bedeutung beibehalten“. Vgl. Peters (2011), S. 302. Siehe ferner Korsakoff (1890). Ein Jahr vor Petersʼ Feststellung sah Kienast das Konzept des Korakow-Syndroms deutlich weiter gefasst: „Ein Korsakow-Syndrom kann bei folgenden Erkrankungen auftreten: Mangelernährung, Tumoren des dritten Ventrikels, Herpes-simplex-Enzephalitis, SchädelHirn-Traumata, Morbus Alzheimer, Anoxische Enzephalopathie“. Vgl. Kienast et al. (2010), S. 57. „Wernicke-Enzephalopathie und Korsakow-Psychose werden heute als eine Krankheitsentität aufgefasst. Die ursprünglichen Bezeichnungen charakterisieren die eher neurologische (Wernicke) oder eher psychiatrische (Korsakow) Manifestationsform. Bei der Wernicke-Enzephalopathie finden sich Ophthalmoplegie (vor allem bilaterale Abduzensparese), seltener Störungen der Pupillomotorik und Ataxie (rumpf- und beinbetont). Die klassische Korsakow-Trias beinhaltet Merkfähigkeitsstörungen (typische Unfähigkeit neue Gedächtnisinhalte zu engrammieren), Desorientierung/Bewusstseinsstörungen und Konfabulation (charakteristisch aber nicht immer vorhanden)“. Vgl. Gallinat (2010), S. 78. Es existieren auch geringgradig anders konzipierte Definitionen des Korsakow-Syndroms unter Wegfall des Polyneuritis-Kriteriums als „Gedächtnisstörung organischer Ursache, die Alltagsfunktionen beeinträchtigt“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 31. 826 Neben der Schreibweise „Korsakow“ existiert auch die Schreibweise „Korsakoff“, so zum Beispiel in Korsakoff (1890) sowie bei Vernaleken/Schneider (2016), der das amnestische Syndrom folgendermaßen erklärt: „Die Definition der Erkrankung orientiert sich stark an der Symptomatik des bei fortgesetzten Alkoholkonsum auftretenden Korsakoff-Syndroms mit der Trias Kurzzeitgedächntisstörung/Merkfähigkeitsstörungen, [a]usgepägter Konfabulation, [z]eitliche Orientierungsstörungen. Typisch sind die z. T. noch sehr gut erhaltenen sonstigen kognitiven Leistungen (Exekutivfunktionen und das Sofortgedächtnis); Hinweise auf chronischen und hohen Substanz (Alkohol-) Konsum; Abzugrenzen sind die substanzbezogenen Demenzen (F10.73)“.Vgl. ebd., S. 276–277. 827 Meggendorfer (1928a), S. 272. Siehe ferner Huss (1852), Leyden (1880), Korsakow (1890) und Korsakoff (1890), Moeli (1900) sowie Bonhoeffer (1905).

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Bei Frauen als Alkoholismus- Betroffenen828 argumentierte Meggendorfer folgendermaßen: „Wenn unter unseren sozialen und kulturellen Verhältnissen eine Frau sich oft oder gewohnheitsmäßig betrinkt, so muss man wohl annehmen, dass dies aus inneren krankhaften Gründen geschieht. Auch der Umstand, dass gerade bei trinkenden Frauen die Nachkommenschaft besonders gefährdet ist, sowohl vor wie nach der Geburt, und auch dann noch auf viele Jahre hinaus, wird eine möglichste Ausschaltung der Trinkerinnen aus dem Erneuerungsprozess des Volkes wünschenswert erscheinen lassen“.829

Meggendorfer führte an, das Gesetz wolle „nur solche Alkoholiker erfassen […], deren Nachkommen durch schwere Erbschäden gefährdet sind“.830 Es erfasse insofern „auch […] Alkoholiker, die klinisch oder nach der in dieser Hinsicht besonders laxen populären Meinung noch nicht als ‚schwer‘ bezeichnet werden […], nämlich solche, die durch ihre Belastung, ihre Psychopathie, ihre Kriminalität und ihr sonstiges asoziales Wesen zeigen, dass sie Träger von krankhaften Erbanlagen sind“.831

In seinem Buchbeitrag zur Erbbiologie des Menschen betonte Meggendorfer 1939,832 beim Zustandekommen der Intoxikationspsychosen sei das Herausarbeiten verschiedener ätiologischer Gesichtspunkte von erheblichem praktischen Interesse. „Die Behandlung muss tiefer gehen, muss insbesondere die persönliche Veranlagung berücksichtigen, muss unter Umständen eine zum Ausgleich einer anfälligen Veranlagung geeignete Erziehung und Wiedererziehung, eine Willensstärkung und sonstige Korrektur anstreben, muss in der Gestaltung der ganzen Umweltverhältnisse diese Veranlagung berücksichtigen. Aber wenn die anlagemäßig, erblich bedingte Anfälligkeit überwiegt, werden alle diese Maßnahmen auch bestenfalls nur eine symptomatische Therapie darstellen. Eine kausale Therapie ist nur in der Ausschaltung der ganz oder teilweise verursachenden Erbanlagen aus dem Erneuerungsprozesse des Volkskörpers möglich, wie dies das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 bezüglich des schweren Alkoholismus vorsieht. […] [die Intoxikationspsychosen] haben Beziehungen zur Entartung, indem sie aus der Entartung hervorgehen und

828 „Die Geschlechtsspezifik in der Argumentation Meggendorfers ist ein treffendes Beispiel für die These Gisela Bocks, Sterilisationspolitik sei auch immer Genderpolitik gewesen“. Vgl. Bock (2010), passim; zit. n. Bussche (2014), S. 222. Zur Rolle von Geschlechtsunterschieden bei der Entstehung und Therapie einer Depression siehe Kendler/Gardner (2014) und ferner Braun/Kornhuber (2014d). 829 Meggendorfer (1936b), S. 13. 830 Ebd. 831 Ebd. 832 Im gleichen Jahr erschien Kolles kritische Übersicht über die Unfruchtbarmachung bei Alkoholismus, die er wie folgt abschließt: „Damit komme ich zum Schluß. Das aus der Idee des Nationalsozialismus entstandene Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses will gewiss nicht, dass man zwar den Buchstaben des Gesetzes erfülle, darüber aber den eigentlichen Sinn des Gesetzes vergesse. Richtschnur aller derer, die berufen sind, das Gesetz durchzuführen, muss bleiben die Erkenntnis, dass für die Volksgemeinschaft und den Einzelnen ungünstige Erbanlagen ausgemerzt werden sollen. Die zahlreichen Unklarheiten, die bezüglich des ‚schweren Alkoholismus‘ noch bestehen, werden sich leicht vermindern lassen, wenn die deutschen Ärzte durch positive und kritische Mitarbeit helfen, die wissenschaftlichen Grundlagen für unser praktisches Handeln zu vertiefen“. Vgl. Kolle (1939), S. 403.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang vielleicht auch wieder zur Entartung führen. Auch deshalb ist die Erkenntnis der Zusammenhänge dieser Störungen mit ihren erblich bedingten Wurzeln von der allergrößten, Wohl und Bestand des Volkes betreffenden Bedeutung“.833

Ebenfalls 1939, drei Jahre nach seiner Veröffentlichung zur angestrebten erbgesundheitlichen Praxis der Detektion von „schwer“ Alkohol-Kranken834 widmete sich Meggendorfer der theoretischen Auseinandersetzung mit der seit Forel diskutierten Blastophthorie-Lehre: „Forel lehrte, es gäbe zwei Formen der alkoholischen Blastophthorie, eine akute und eine chronische. […]. Folgen der akuten Blastophthorie seien die entarteten, häufig epileptischen oder schwachsinnigen Rauschkinder; Folgen der chronischen Blastophthorie Lebensschwäche, Anfälligkeit gegenüber Infektionskrankheiten, Schwachsinn, Neigung zu Rachitis, Geisteskrankheiten, Epilepsie, Verbrechen und Stillunfähigkeit. Die alkoholische Blastophthorie sei wahrscheinlich vererbbar, doch könne die erblich gewordene Blastophthorie durch eine mehrere Generationen hindurch eingehaltene Nüchternheit wieder rückgängig gemacht werden“.835

Die zwischenzeitlich gesammelten Erfahrungen, so Meggendorfer, ließen das von Forel konzeptualisierte alkoholtoxische Keimschädigungsproblem zunehmend komplex erscheinen: „die Trinkernachkommen zeigen nicht nur Minderwertigkeiten, die man als Umweltschäden auffassen kann, sondern auch körperliche und geistige Abwegigkeiten, die als Erbübel anzusehen sind wie Schwachsinn, Epilepsie, alle Arten von Geisteskrankheiten, Psychopathien, Neigung zu Verbrechen. […]. Gerade in Bezug auf die Gesetze der Erblichkeit haben wir heute genauere Einblicke als Forel. […]. Unserer heutigen Auffassung nach ist der Alkoholismus in vielen Fällen Ausdruck einer in der Familie liegenden erblichen Minderwertigkeit. […]. Etwas näher der von Forel angenommenen Blastophthorie stehen die Fälle, in denen die schwangere Frau trinkt.836 Der Alkohol geht in das Fruchtwasser und in das Blut des Embryos über. […]. Besser begründet erscheint die Annahme einer chronischen Blastophthorie“.837

Meggendorfer erwähnte den theoretischen Standpunkt von Fritz Lenz, wonach sich das Vorkommen von Erbänderungen durch chronische Alkoholvergiftung nachvollziehen lasse, da „ein Gift, das bei starker Einwirkung [eine Zelle] zu zerstören vermag, bei schwächerer Einwirkung die darin enthaltenen Chromosomen zu verändern imstande ist“.838 Meggendorfer verwies auf Georg Schmidt,839 der für seine Dissertation an der Psychiatrischen Klinik Erlangen Untersuchungen vornahm bei Nachkommen von trinkenden Ehepartnern. Hierfür „ließen sich durch die Nürnberger Trinkerfürsorge sieben Ehepaare ermitteln, bei denen beide Gatten ein schweres Potatorium zeigten. […]. Von den 33 Kindern der sieben Ehepaare waren 15 schwachsinnig, sieben schwer psychopathisch, eines körperlich mißgebildet und eines kriminell. Die gleichen Anomalien lagen aber schon vorher in den betreffenden Familien. Bei den 833 Meggendorfer (1939g), S. 1065. Weiterführend hierzu Renner (1939). 834 Siehe Meggendorfer (1936b). 835 Ders. (1939f). Sonderdruck, S. 15. Zur „Gesetzgebung zur Förderung der Nüchternheit“ siehe ferner Englund (1940). 836 Zu FASD siehe S. 594. 837 Meggendorfer (1939f). Sonderdruck, S.16–18. 838 Ebd., S. 19. 839 Siehe Schmidt (1937).

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Nachkommen waren keine neuen Abwegigkeiten festzustellen. Es ließen sich also auch aus diesen, den erwähnten Einwand berücksichtigenden Untersuchungen positive Hinweise für eine Neuentstehung minderwertiger Erbanlagen durch chronischen Alkoholmißbrauch nicht gewinnen. [...]. Einen indirekten Einfluss hat der Alkoholismus auf die körperliche und geistige Beschaffenheit der Nachkommen insofern, als er die Partnerwahl ungünstig beeinflusst. […]. So trägt der Alkoholismus zur Ausbreitung der verschiedenen erblichen Minderwertigkeiten mächtig bei“.840

Zusammenfassend ist, so Meggendorfer, „die von Forel herausgestellte alkoholische Blastophthorie […] zum großen Teile auch heute noch anzuerkennen und zwar vorwiegend als chronische Blastophthorie und als Dauermodifikation“.841

Nach Meggendorfer schädigt der Alkohol die „Rasse“ nicht nur direkt, auf Umwege wie durch die Provokation von Unfällen und Geschlechtskrankheiten sondern insbesondere auch indirekt im Sinne „eine[r] schwere[n] Schädigung der Nachkommenschaft und der Rasse. Diese Schädigung der Rasse rechtfertigt die im neuen Deutschland bei schwerem Alkoholismus angeordneten rassenhygienischen Maßnahmen, insbesondere die Unfruchtbarmachung, die Rüdin bereits im Jahre 1903 vorgeschlagen hatte“.842

Vergleichbar mit seiner Schrift „[z]ur Ablösung des BGB“843 von 1938 ließ sich Meggendorfer auch im darauffolgenden Jahr in seiner Schrift zur Blastophthorie844 dazu hinreissen, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Legitimation der NSGesetzgebung einzusetzen. Meggendorfers Abhandlung zur Frage der alkoholischen Bastophthorie845 erfuhr eine internationale Rezeption.846 Nachdem Meggendorfer 1936 definiert hatte, wann die Diagnose eines schweren Alkoholismus im Sinne einer GzVeN-pflichtigen Erkrankung gestellt werden sollte, verfasste er 1940 einen Beitrag zum schweren Alkoholismus in Arthur Gütts (1891–1949) Handbuch der Erbkrankheiten.847 Dem oftmals unternommenen Ver840 841 842 843 844 845

Meggendorfer (1939f); Sonderdruck, S. 21–23. Ebd., S. 24. Siehe ferner Gabriel (1934). Meggendorfer (1939f); Sonderdruck, S. 24. Ders. (1938). Siehe ders. (1939f). Siehe ebd. In seiner Dissertation von 1937 betonte Kreienberg, dass „nach Meggendorfer […] eine Erbänderung, und zwar eine Entstehung minderwertiger und kranker Erbanlagen durch Alkoholmissbrauch zwar als möglich, aber noch nicht als bewiesen zu bezeichnen [sei]“. Vgl. Kreienberg (1937), S. 21. 846 Siehe Haggard/Jellinek (1943), S. 285. 847 Im Band 3 sind die Themenkomplexe „die erbliche Fallsucht“, „der Erbveitstanz (Huntingtonsche Chorea)“ und „der schwere Alkoholismus“ bearbeitet von „Doz. Dr. habil. Klaus Conrad, Marburg a. d. L., Ob.-Med.-Rat Dr. J. L. Entres, Kutzenberg, Prof. Dr. Ferd. Adalbert Kehrer, Münster/Westf., Prof. Dr. Friedrich Meggendorfer, Erlangen, Prof. Dr. Kurt Pohlisch, Bonn“. Das von „Dr. Arthur Gütt, Potsdam, Staatssekretär a. D., SS.-Brigadeführer“ herausgegebene Werk wurde von „Prof. Dr. Ernst Rüdin, München“ redigiert. Vgl. Meggendorfer (1940b). Zu Ferdinand Kehrer (1883–1966) siehe weiterführend Mamali (2013).

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such, die Bedeutung der Erbverfassung beim Auftreten der Alkoholkrankheit abzuschwächen durch Verweis auf ihr – möglicherweise soziokulturell bedingt – selteneres Vorkommen bei Frauen setzte er Folgendes entgegen: „Aber die Frauen zeigen eine erhöhte Empfindlichkeit für Alkohol, die nicht umweltbedingt, sondern konstitutionell verankert ist; und gerade diese erhöhte Empfindlichkeit dem Alkohol gegenüber schützt sie vor Alkoholismus“.848

In seinem Beitrag zu Gütts Handbuch der Erbkrankheiten lieferte Meggendorfer zur besseren Anschaulichkeit auch einige mit Abbildungen versehene Fallbeispiele849 des schweren Alkoholismus. In Anbetracht der zahlreichen aufgeführten Stammbäume, drängt sich die Zitation einer Bemerkung Rüdins bezüglich deren limitierter Aussagekraft auf. In seinen Studien über Vererbung und Entstehung geistiger Störungen aus dem Laboratorium für Familienforschung an der Psychiatrischen Klinik in München hatte Rüdin 1916 „absichtlich“850 darauf verzichtet, „Stammbäume […] bei [zu]geben, entgegen dem sonst üblichen Brauch. Denn jeder Stammbaum851 ist nur je eine spezielle Verwirklichung im Würfelspiel der Vererbung und beweist für sich allein nichts. Das zeigt schon die Tatsache, dass es gelingt, fast jede Ansicht durch diesen oder jenen ad hoc ausgewählten Stammbaum zu stützen“.852

Meggendorfer schilderte eine Fallgeschichte von Alkoholismus „wohl auf manisch-depressiver Grundlage: A. S., geboren 28.4.1891, Bücherrevisor. Jugendentwicklung o. B. Lernte gut, besuchte die Oberrealschule bis Obersekunda, war 2 Jahre im Felde. Trank nach dem Kriege von Jahr zu Jahr immer mehr, kam wirtschaftlich herunter, ist zeitweise niedergeschlagen, weint viel, tobt in der Trunkenheit und zerschlägt die Wohnungseinrichtung. Erster Anstaltsaufenthalt 16.3.1928 bis 29.5.1928. Bei der Aufnahme ruhig, gedrückt, schwer besinnlich, zeitlich nicht genau orientiert. In der Folge zugänglich, freundlich, ansprechbar. Gebessert entlassen. Zu Hause gelegentlich Alkoholexzesse. 13.11.1928 berichtet die Frau, ihr Mann döse viel vor sich hin, sei gleich gereizt, schimpfe oft. Zweiter Anstaltsaufenthalt 2.5.1929 bis 17.11.1929. Bei der Aufnahme angeheitert, etwas gereizt, berichtet, es sei ihm ganz gut gegangen. ‚No ja, und dann hab’ ich halt wieder gesoffen‘ (Bier, Schnaps, Wein). Rührselig, verspricht alles, sehr selbstbewusst. Nach Entlassung zuerst enthaltsam. November 1931 fängt er wieder an, Wirtschaften zu besuchen, zunächst aber mäßig. Seit Ende 1935 kommt er manchmal betrunken nach Hause“.853

Als Kasuistik zum Alkoholismus mit forensisch relevanter Impulskontrollstörung bei angeborenem Schwachsinn schilderte Meggendorfer unter anderem K. K.: 848 Meggendorfer (1940b), S. 302. 849 Die Kasuistiken beziehen sich auf Zeiträume, in denen Meggendorfer als Oberarzt in Friedrichsberg tätig war. Ob Meggendorfer die entsprechenden Abschriften der Dokumentationen bereits vor seiner Berufung nach Erlangen anfertigte, oder ob er für die Publikation erneut zur Anstalt Friedrichsberg reiste, ist unklar. 850 Es bleibt zu diskutieren, ob Rüdin an dieser Stelle in Anbetracht kriegsbedingter Papierknappheit „aus der Not eine Tugend machte“. 851 „,Auch die Stammbaumforschung gehört in das Gebiet der Statistik; auch sie ist Feststellung tatsächlicher Verhältnisse nach Zahl und Maß, und auch sie dient der Erkenntnis allgemeiner Gesetzlichkeiten‘, urteilt sehr treffend Lenz“. Vgl. Kehrer/Kretschmer (1924), S. 19. 852 Rüdin (1916), V–VI. 853 Meggendorfer (1940b), S. 292–293.

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„K. K.,854 Bierbrauer und Landwirt, geboren 1891. Er war ein bewegliches, munteres Kind, als Schüler mittelmäßig. Nach der Schulzeit im väterlichen Geschäft, führte dieses nach dem Tode des Vaters selbstständig. War im Felde wegen Grippe und Mittelohreiterung im Lazarett. 1919 Heirat. Trank maßlos, 10–15 Liter täglich. Seit 1928 wegen angeblicher Untreue der Frau Zwistigkeiten. In der Trunksucht aufgeregt, tätlich gegen Frau und Kinder, ging auf die Frau mit dem Messer los, zerschlug Gegenstände. 27.1. bis 1.4.1930 Psychiatrische Klinik: Leber etwas vergrößert, Sprache schlecht artikuliert, psychisch sehr uneinsichtig, leugnet zu trinken, plumpvertraulich, stumpf, zeigt aber doch Trinkerhumor. Gebessert entlassen. 1934 Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden. 1934 wollte K. seinem bei der geschiedenen Frau befindlichen Sohn ein Konfirmationsgeschenk bringen. Dieses wurde abgelehnt. Aus Ärger darüber zündete er seine Scheune an. In dem Gerichtsverfahren schilderten ihn die Ortsgenossen als aufgeregten Mann, bald zu sehr freundlich, bald den Gruß nicht erwidernd und nichts sprechend. Sein früherer Lehrer erklärte, er sei schwach veranlagt, faul, unbeholfen, könne sich schlecht ausdrücken. Er habe zu flegelhaftem Wesen geneigt. Der Sachverständige nahm Geistesschwäche und schizoide Psychopathie an und bezeichnete K. als vermindert zurechnungsfähig. Er bekam 8 Monate Gefängnis und wurde in die Anstalt eingewiesen. In der Anstalt war K. im ganzen einsichtslos, schob alle Schuld auf ‚Familienverhältnisse‘. Auch in der Folge zeitweise nörgelnd, schimpfte uneinsichtig. Zeitweise verdrossen und sehr gereizt, zeitweise übermütig und zu albernen Streichen geneigt“.855

Meggendorfer betonte eine möglicherweise bestehende Assoziation zwischen Epilepsie und Alkoholismus.856 Er sah diese nicht nur im Rahmen der komorbiden Überschneidung bei Alkoholentzugsanfällen,857 sondern vielmehr in den gemeinsamen affektiven und psychomtorischen Gegebenheiten: 854 Familienanamnese: „1. (Vater): starker Trinker (Bier und Schnaps), reizbarer, zanksüchtiger Mann. ‚Notorischer Schnapssäufer‘. 2. (Mutter). Stolze, auf ihr Vermögen pochende Frau. 3. (Bruder): geboren 1881, von Kindheit an still, sonderte sich gerne ab, fing schon früh zu trinken an. Im Krieg bald wieder vom Militär entlassen, trank dann sehr viel, bekam Erregungszustände. 8.5.1913 bis 16.4.1918 Anstalt: orientiert, wortkarg, starrt stundenlang vor sich hin, schlägt unvermittelt ein Fenster ein, erklärt dazu auf Befragen, er habe das früher einmal gesehen, habe das jetzt nachmachen müssen. Häufig geladen und jähzornig-gereizt. Liegt teilnahmslos-apathisch im Bett, springt plötzlich auf und überfällt Pfleger und Kranke. Explosive Erregungen aus stuporösem Verhalten heraus. Geistiger Verfall. Untergebracht in einer Heilund Pflegeanstalt. Diagnose: Schizophrenie. 4. (Bruder): gestorben mit 24 Jahren an Leukämie. 5. (Schwester): geboren 1888, sehr lernschwach, hat öfter Ohnmachtsanfälle und Herzkrämpfe, ist seelisch sehr erregbar, furchtsam, kann nicht längere Zeit allein sein. 6. Proband K. K“.Vgl. ebd., S. 294. 855 Ebd., S. 293–294. 856 Zur aktuellen wissenschaftlichen Position angeführt sei: „Epileptische Anfälle […] gehören neben der Polyneuropathie zu den häufigsten neurologischen Folgestörungen bei der Alkoholkrankheit. […] in den meisten Fällen [handelt es sich] um Entzugsanfälle, die fast ausschließlich als primär generalisierte Grand-mal-Anfälle auftreten. Andere Anfallstypen sowie zum Beispiel ein primär fokaler bzw. psychomotorischer Anfall und Abscencen deuten auf eine andere, nicht alkoholbedingte Ursache hin. Anders als bei der genuinen Epilepsie liegt das Erstmanifestationalter typischerweise im mittleren Erwachsenenalter von etwa 30 bis 50 Jahren. Männer sind bevorzugt betroffen. Klinisch relevant ist, dass epileptische Anfälle häufig ein Delirium tremens einleiten können. […]. Handelt es sich um Entzugsanfälle treten diese praktisch ausschließlich innerhalb der ersten 1 bis 2 Tage nach Beginn der Abstinenz auf“. Vgl. Soyka (2013), S. 43. 857 Siehe hierzu insbesondere Patient J. P. Vgl. Meggendorfer (1940b), S. 319.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Weiter scheinen besonders zwischen Epilepsie und Alkoholismus ursächliche Beziehungen zu bestehen. Zahlreiche Trinker haben epileptoide Züge. […]. Manche Trinker haben aber schon von vornherein eine gewisse Ähnlichkeit mit Epileptikern. Es besteht bei ihnen eine Langsamkeit, eine Schwerfälligkeit und Beschränktheit, insbesondere auch eine Erregbarkeit wie bei Epileptikern. Sie leiden unter Stimmungsschwankungen, Anwandlungen von Reizbarkeit, ärgern sich leicht und kommen über die Ursache des Ärgers nur schwer hinweg. Die Verstimmungen und Gereiztheitszustände veranlassen sie im Alkohol Ausgleich der Stimmung und Beruhigung zu suchen. Sie vertragen aber nicht viel, es kommt bei ihnen leicht zu Ausschreitungen und krankhaften Rauschzuständen. […]. . Nach den Erfahrungen Rüdins findet man auch in der verwandtschaftlichen Umgebung der Epileptiker verhältnismäßig viele Trinker. Nicht so selten hört man, dass der Vater von Epileptikern Trinker gewesen sei. Damit mag die Meinung zusammenhängen, die auch heute noch gelegentlich vertreten wird, die Epilepsie entstehe durch den elterlichen Alkoholismus“.858

Im Folgenden betonte Meggendorfer die Notwendigkeit, auch die leichten oligophrenen Stadien zu erfassen, um die Relevanz des gemeinsamen Vorkommens von Schwachsinn und Alkoholismus zu erfassen: „Die Verstandesschwäche lässt sich nicht selten aus den Begründungen der Trinker, womit sie ihre Alkoholausschreitungen zu rechtfertigen versuchen, erkennen, auch aus ihrer ganzen Lebensführung, einschließlich ihrer Gattenwahl. Sie trinken tatsächlich aus reiner Dummheit, ‚weil auch andere trinken‘, auch aus Stumpfheit. Manchmal kann man freilich im Zweifel sein, ob es sich hier um die Grundlage oder die Folge des Alkoholmißbrauches handelt. Familiengeschichtliche Untersuchungen lassen aber erkennen, dass tatsächlich oft erblich bedingter Schwachsinn in der Familie liegt“.859

Bemerkenswert zeigte sich Meggendorfers Differenzierung der Psychopathie im Sinne von primärer und sekundärer. Mit letzterer bezeichnet Meggendorfer – zumindest im vorliegenden Kontext – die bloße positive Familienanamnese für Psychosen: „Während bisher die Beziehungen der Psychopathie zum Alkoholismus hinsichtlich jener Psychopathen besprochen wurden, die als ‚Zwieerbige‘ oder ‚Heterozygoten‘ zu den in den Familien vorkommenden Geisteskranken in Beziehung stehen, müssen auch die primären Psychopathen, die ‚Charakterneurosen‘ erwähnt werden. […] die Hyperthymen, die Stimmungslabilen und Explosiven und die Willenlosen […] die erregbaren, reizbaren Psychopathen. Dann sind unter ihnen haltlose, leicht beeinflussbare und verführbare Menschen vertreten. Begreiflicherweise lassen allerhand Konflikte gerade diese willensschwachen, bestimmbaren und verstimmbaren Menschen leicht zum Alkohol greifen. […] und die von Bonhoeffer geschilderten trinkenden Vagabunden und die trinkenden Schwindler. […] und wohl auch noch anderen Menschen noch nicht näher zu umschreibender psychopathischer Verfassung ist die eigentümliche Hemmungslosigkeit, die Unfähigkeit, im Alkoholgenuss zur rechten Zeit wieder aufhören zu können, eigen, die […] das eigentliche Kennzeichen der Trunksucht ausmacht“.860

858 Ebd., S. 294–295. 859 Ebd., S. 297–298. 860 Ebd., S. 298–299.

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In der biologistischen Perspektive der Ausführungen Meggendorfers spiegelt sich nach Snelders et al. die problematische Tendenz wider, die Behandlung einer Erkrankung mit moralischen Aspekten861 zu verknüpfen.862 Die Arbeit Meggendorfers zum schweren Alkoholismus in Gütts Handbuch der Erbkrankheiten, Band 3,863 wurde seitens des niederländischen Psychiaters864 und gemäßigten Eugenikers Gerrit Willem Kastein (1910–1943) positiv rezensiert. Kastein865 selbst war Kommunist und suizidierte sich nach seiner Verhaftung durch den Sicherheitsdienst (SD). Vor diesem Hintergrund kann seine anerkennende Rezension des Meggendorferschen Werkes interpretiert werden als Indikator, bis zu wel-

861 „Vielen Menschen mag es sehr naiv vorkommen, auf moralischen Fortschritt zu hoffen. […]“. Vgl. Borchel (2014), S. 197. 862 Vgl. Snelders et al. (2008), S. 139. 863 Siehe Meggendorfer (1940b). 864 Zur psychiatrischen Situation in den Niederlanden von 1920 bis 1950 siehe ferner Vijselaar (2013). 865 Im Kontext der tödlich verlaufenden Insulinkrampfbehandlung der H. B. an Meggendorfers Klinik (vgl. Kapitel 3.3.4) zeigt sich folgender Kasteinsche Fall interessant: „Mit der Einführung der Insulintherapie bei den schizophrenen Psychosen hat die Kenntnis des Insulinkomas sehr zugenommen. Zu dieser Kenntnis haben sowohl die physiologische Chemie als auch die Neurologie und die pathologische Anatomie beigetragen. Die Ergebnisse der Forschung auf diesen Gebieten sind jedoch erst im Anfang einer Koordination begriffen. […]. In einem tödlich verlaufenen Fall [der Psychiatrischen Klinik der Universität Leiden], wobei die betreffende Patientin nach der letzten Insulininjektion noch 20 Tage komatös weiterlebte, wurde aus therapeutischen Gründen eine ausführliche klinisch-chemische Untersuchung angestellt. Nach dem Tode konnten das Gehirn und das Rückenmark anatomisch untersucht werden“. Vgl. Kastein (1938a), S. 322. „Vor der tödlichen Endkomplikation verlief die Kur mit einer ernsten Komplikation. Am 1.2. erbrach die Patientin morgens während des Komas. Dies war schon öfter vorgekommen und deswegen bekam sie auch regelmäßig morgens 9½ Uhr ½ mg Atropin subcutan. Nach dem Erbrechen am 1.2. (10½ Uhr) wurden um 103/4 Uhr 10g Glucose + 0,1g Pentamethylentetrazol (Cardiazol, Corvis, Metrazol) intravenös injiziert. Die Patientin kam nicht zu sich und um 12 Uhr trat ein epileptischer Anfall auf. Danach wurden wieder 10g Glucose + 0,1g Pentamethylentetrazol injiziert, jedoch ohne Resultat. Um 4 Uhr nachmittags wurde 0,3 g Pentamethylentetrazol eingespritzt und die Patientin erwachte aus dem Koma; die oral gegebene flüssige Mahlzeit wurde gleich wieder erbrochen. Ein Kohlehydratklysma blieb im Rectum. Der Zustand wurde zusehends besser und am nächsten Morgen war die Patientin wieder wie sonst. Nach 5 Tagen wurde die Kur weiter fortgesetzt, weil die Besserung des psychischen Bildes nicht angehalten hatte und ein Rückfall aufgetreten war. Dieses Eintreten von Komplikationen und verlängerten Komata sieht man in den Krankengeschichten der mitgeteilten Fälle von tödlichen Insulinvergiftungen relativ sehr oft“. Vgl. ebd., S. 323. „Die histologischen Erscheinungen sind in unserem Falle anzusehen als die Folgen eines generellen, sich in allen Ganglienzellen auswirkenden toxisch-metabolen Prozesses, zu dem örtliche Veränderungen der Ganglien- und Gliazellen als Folge von Gefäßveränderungen kommen. Die Gefäßveränderungen lassen sich kennzeichnen als primäre Wucherungen der Intimazellen mit sekundär auftretenden Thromben, Leukocytenthromben, Leukocytenaustritten, Blutungen per diapedesin und per rhexin und Gefäßerweiterungen mit Stase; in den Infarkten findet man starke Capillärvermehrung“. Vgl. ders. (1938b), S. 361.

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chem Ausmaß eugenisches Gedankengut in Beziehung zu Alkoholismus die unterschiedlichsten politischen Zugehörigkeiten einte.866 Meggendorfer hob zudem eine Verknüpfung des Alkoholismus mit der Kriminalität hervor: „Der Alkoholismus hat nicht nur innere Beziehungen zu Psychosen, zum Schwachsinn und zu Psychopathien, er hat auch Anlagebeziehungen zum Verbrechen, zur Verwahrlosung, zur Prostitution“.867

Unter Einbezug aktuellster Forschungsergebnisse seitens relevanter Suchtforscher resumierte Meggendorfer, „in den Beziehungen zwischen Alkoholismus und Kriminalität [bestehe] über die alkoholische Verursachung oder Auslösung hinaus ein tieferer Zusammenhang“.868 Nach den theoretischen Ausführungen lieferte Meggendorfer zur Verknüpfung von Alkoholismus und Kriminalität die Fallbeschreibung des M. F.: „M. F.,869 Holzarbeiter, geboren 1867. F. ist seit Jahren als gewalttätig bekannt, häufig betrunken, krakeelt dann, bedroht die Umgebung mit dem Messer. 1921 kam er nach einem schweren 866 “A German synthesis of the latest research into the role of heredity in alcoholism was published in 1940 and seems to have been widely accepted among Dutch physicians, regardless of their political sympathies. This synthesis took the form of a contribution by Friedrich Meggendorfer, professor of psychiatry at Erlangen University, to the third volume of the textbook series Handbuch der Erbkrankheiten edited by Ernst Rüdin, and it was favorably reviewed by the Dutch psychiatrist and moderate eugenicist G. W. Kastein (1940). This shows the extend to which eugenic thought around alcoholism was shared across political boundaries. Kastein was a communist who would commit suicide later in the war when arrested by the Sicherheitsdienst or SD, the secret intelligence service of the SS; Meggendorfer was a member of the German National Socialist Party, the NSDAP. In his essay, Meggendorfer explained a number of causes of alcoholism, including social misery, psychoanalytical and psychological factors, and social habits. Also, personal disposition (Veranlagung) played a role. Alcoholism could run in families, but this did not prove that it was hereditary, while the theory of Blastophthorie was also unproven. However, researchers had noticed a correlation between alcoholism and various mental diseases: a psychopathological predisposition could manifest itself in alcoholism or in addiction to morphine or cocaine. It was this psychopathological inferiority that caused the Entartung, the degeneration of families in which alcoholism ran rampant. The step from an individual to a collective level was easily taken: because these families had a high birth rate, their degeneracy also entailed the Entartung des Volkskörpers, the degeneration of the public body. Furthermore, the prognosis for alcoholic patient was good, unless the disease was caused by hereditary defects. Treatment in these cases would be less effective than prevention and Meggendorfer recommended prophylaxis, put into practice in nazi Germany’s laws on sterilization and marriage”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 137–138. Herausgeber des Handbuches der Erbkrankheiten mit dem von Snelders et al. zitierten Beitrag von Meggendorfer im dritten Band war Arthur Gütt, Ernst Rüdin redigierte das Werk. Vgl. Gütt (1940). 867 Meggendorfer (1940b), S. 299. 868 Ebd. 869 Familienanamnese: Familie […]: 1. (Großmutter mütterlicherseits): war geisteskrank. 2. (Bruder): Brandtifter [sic]. 3. Proband M. F. 4. Querulant, wegen Unterschlagung und Hehlerei bestraft. 5. (Neffe): wegen Betruges bestraft. 6. (Neffe): Psychopath, wegen Diebstahls bestraft. 7. (Nichte): wegen Hehlerei, Nötigung, Körperverletzung bestraft, gestorben an Paralyse. 8. (Neffe): bestraft wegen schweren Diebstahls, Hehlerei, Sittlichkeitsvergehens, Körperverletzung, Widerstands. 9. (Neffe): bestraft wegen Bettels, Widerstands, Diebstahls, Raubes (9 ½ Jahre Zuchthaus). 10. (Nichte): bestraft wegen Gewerbsunzucht. 11. (Nichte): bestraft wegen

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Alkoholerregungszustand in die Anstalt, blieb hier mehrere Monate, war ordentlich und unauffällig, im nüchternen Zustand gut zu haben. Nach seiner Entlassung wurde er alsbald wieder rückfällig. 1934 erhielt er wegen Unzucht mit Kindern 1 Jahr Gefängnis. Hernach trank er wieder viel, führte unsittliche Redensarten, musste neuerdings in die Anstalt eingewiesen werden. Hier war er einsichtslos, läppisch, heiter, zuweilen rührselig weinerlich“.870

Die Darstellung Meggendorfers der Verbindung von internistischen Auffälligkeiten und Alkoholismus, wozu er auf Forschungsergebnisse aus der Schweiz rekurrierte, liest sich teils als Auflistung typischer internistischer äthyltoxischer Langzeitkomplikationen. Die festgestellte Assoziation zu Polyarthritis oder Geschlechtskrankheiten sollte sich im weiteren Verlauf nicht wissenschaftlich validieren: „H. und O. Gsell sind an der medizinischen Klinik Zürich den Zusammenhängen zwischen Alkohol und inneren Krankheiten nachgegangen. […]. Es fand sich chronischer Alkoholismus in allen Fällen von Leberzirrhose und von Speiseröhrenkrebs, überdurchschnittlich hohe Zahlen bei Gastritis, subakuter und chronischer Polyarthritis, bei Syphilis der inneren Organe. Keine Beziehung zum Alkohol dagegen zeigten die akuten Tonsillenerkrankungen, die akute Gastroenteritis, der Ileus catarrhalis, das Ulcus ventriculi et duodeni, der Diabetes mellitus, die uropeotischen und hämatopoetischen Organleiden“.871

Zusätzlich verwies Meggendorfer auf die Erfahrung des Bezirksarztes Dr. Gückel/Nürnberg872 bezüglich der somatischen Auffälligkeiten bei sogenannten „Bieralkoholikern“: „Ein sehr erfahrener Vertrauensarzt (Bezirksarzt Dr. Gückel873 in Nürnberg) schildert den körperlichen Untersuchungsbefund bei chronischen Bieralkoholikern folgendermaßen: ‚Symmetrische Fazialisschwäche, Schlaffheit der mimischen Muskulatur, gedunsene schwammige Gesichtszüge, subikterische, lehmfarbige, fahle Gesichtszüge, stechender, zuweilen flackernder

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Hehlerei, Forstfrevels, Widerstands, hat 5 uneheliche Kinder von drei verschiedenen Vätern; es wird jedoch behauptet, ihr Vater, der Proband, sei der Vater der Kinder. 12. (Neffe): bestraft wegen Diebstahls und Abtreibung“. Vgl. ebd., S. 299–300. Ebd., S. 299–300. Ebd., S. 305. Siehe ferner Gückels Doktorarbeit aus der Psychiatrischen Klinik Erlangen unter Gustav Specht: Gückel (1906). „Gückel, Hans geb. am 28. Juli 1876 in Bamberg, besuchte dort das Gymnasium und studierte Medizin in München, Würzburg und Erlangen, und unterzog sich hier 1902 dem ärztlichen Staatsexamen.“ Vgl. ebd. Lebenslauf, Deckblatt hinten. „Von 1903 bis 1906 war er Assistenzarzt an der Erlanger psychiatrischen Universitätsklinik. Anschließend betrieb er fast zwanzig Jahre lang eine allgemeinärztliche Praxis in Nürnberg, bis er 1925 zum Bezirksarzt von Neustadt/Aisch ernannt wurde. Im Oktober 1933 trat er als stellvertretender Bezirksarzt in das Nürnberger Gesundheitsamt ein, das er schließlich von Anfang 1938 bis zum Sommer 1947 leitete“. Vgl. Personalakten Gückel des Nürnberger Gesundheitsamts: StadtA Nbg. C 48/I Nr. 651, 654, zit. n. Ley (2004), S. 319. Zur erbgutachterlich divergierenden Meinung Gückels und Meggendorfers in Bezug auf Margarethe M. siehe ebd., S. 306–327. Siehe ferner S. 358, Fn. 463 und S. 362–365. Interessanterweise berichtet Schmuhl von einem „Bezirksarzt der Stadt Nürnberg, Dr. Hans Glückel [, der] warnte vor der Gefahr eines Missbrauchs der eugenischen Indikation“, um nicht „sub forma Eugenik […] soziale […] Motive“ einzubeziehen. Vgl. Schmuhl (2016), S. 225 sowie Ilberg, Jahresversanmmlung des deutschen Vereins für Psychiatrie 1934, S. 416, zit. n. ebd. Ob es sich hierbei um den von Meggendorfer unter dem Namen „Dr. Gückel“ zitierten Bezirksarzt in Nürnberg, einstigen Doktoranden bei Gustav Specht handelt, bleibt aktuell offen.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Blick, wohl infolge einer Inkoordination der Augenmuskelinnervation in den Einstellungen der Augäpfel, besonders nach oben und unten. Über den Brustmuskeln gesteigerte mechanische Muskelerregbarkeit, strangweises Vorspringen der Muskelbündel, Abmagerung der gesamten Körpermuskulatur, besonders auffallend am Gesäß; Tropfenbauch. Der Faustschlag auf die dem rechten Rippenbogen flach aufliegende linke Hand des Untersuchers wird im Gegensatz zur linken Seite sehr schmerzhaft empfunden, auch wenn die gewöhnliche Leberuntersuchung keinen auffälligen Befund ergibt. Die Nervenstränge an der Außenseite beider Unterschenkel im Gebiet des Peronaeus sind bei derbem Zugriff und Kneten außerordentlich empfindlich. Feinschlägiges Zittern der Hände. Nicht selten Eiweiss im Urin, gesteigerter Blutdruck, häufig starke Gewichtsabnahme“.874

Neben der Beschreibung der langfristigen Komplikationen der Alkoholkrankheit schilderte Meggendorfer auch detailliert die Stadien der unmittelbaren Alkoholwirkung von leichtem „Gesellschaftstrinken“ bis zum Alkoholvollrausch: „Der Alkohol versetzt den Trinker zunächst in einen behaglichen Zustand; körperliche und seelische Mißempfindungen aller Art werden ausgeglichen, Kummer und Sorgen vergessen. Es macht sich immer mehr eine Heiterkeit, eine Fröhlichkeit und Lustigkeit, schließlich eine ausgelassene Stimmung geltend. […]. Der Angetrunkene wird gesprächig, mitteilsam, geht aus sich heraus, unterhält sich angeregt, glaubt geistreich und witzig zu sein, während er in Wirklichkeit doch meist nur seichte Reden führt. […]. Der Alkohol täuscht dem Angetrunkenen erhöhte Fähigkeiten und Leistungen vor; in Wirklichkeit stehen sie in einem verhängnisvollen Gegensatz zu den tatsächlich vorhandenen. Der Betrunkene liebt laute Ausdrucksformen; [… ]. Dieser Zustand, der durch Gehobenheit der Stimmung, durch Erregung auf den verschiedensten Willensgebieten und Verflachung der Verstandestätigkeit bei Anregung der Einbildungskraft gekennzeichnet ist, mag eine Zeitlang anhalten, unter Umständen auch noch zu steigern. Aber immer mehr machen sich Einflüsse der Lähmung geltend. […]. Das Bewusstsein wird immer mehr gestört, das Denkvermögen wird gröber, gestört. Der sorglosen Fröhlichkeit mischen sich Mißtöne mannigfacher Art bei. Das gehobene Selbstgefühl erfährt leicht eine Kränkung; die Stimmung nimmt immer mehr eine gereizte und zornige Färbung an; es kommt aus dieser Stimmungslage heraus leicht zu ungehemmten und sinnlosen Entladungen. Nicht so selten erfolgen in diesem Stadium auch törichte oder brutale Handlungen auf geschlechtlichem Gebiet. Schließlich aber kommt es zur Schwerbesinnlichkeit, zur Benommenheit, zur gänzlichen Lähmung der Willensregungen und zur Bewusstlosigkeit in einem schweren, dumpfen Schlaf“.875

Gerade von forensischer Bedeutung ist der sogenannte „pathologische Rausch“, der bei entsprechender Disposition, wie zum Beispiel im Zustand nach Schädelhirntrauma, bereits bei nur geringen Alkoholmengen auftritt und eine entsprechende Schuldunfähigkeit876 nach sich zieht. Meggendorfer betonte die Wichtigkeit der dauernden Abstinenz im Zustand nach einmalig erlebtem pathologischen Rausch.877 874 Meggendorfer (1940b), S. 324–325. 875 Ebd., S. 306–307. 876 „Die in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale ‚krankhafte seelische Störung‘, ‚tiefgreifende[] Bewusstseinsstörung‘, ‚Schwachsinn‘ und ‚schwere andere seelische Abartigkeit‘ sind rein juristische Fachtermini (und aus medizinischer Sicht als veraltet und z. T. stigmatisierend anzusehen), denen psychische Erkrankungen zugeordnet werden können“. Vgl. Schneider/Weber-Papen (2016), S. 654. 877 Meggendorfer (1940b), S. 312–313. Zu „klinische[n] und genealogische[n] Untersuchungen an pathologisch Berauschten siehe Binswanger (1935).

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Wenn Meggendorfer bei entzogenen „Dipsomanen“878 strikte Alkohlabstinenz empfahl,879 so deckt sich dies mit der gegenwärtig etablierten Schulmeinung, wobei aktuell zunehmend reduziertes Trinken als therapeutische Alternative nach frustran verlaufenen Alkoholentzugstherapien propagiert wird.880 Meggendorfer lieferte uns zur Dipsomanie881 folgende Erläuterungen: 878 „Dipsomanie (C[hristoph] W[ilhelm] Hufeland [1762–1836], 1819). 1. Ursprünglich jede Form des Alkoholmissbrauchs. 2. Periodisch auftretende Trinkexzesse, teils aus äußerer Ursache (Lohnempfang), teils aus innerer Ursache (Verstimmung bei Epileptikern, Manikern, Depressiven, Psychopathen und Neurotikern). Die Trinkexzesse können tage- oder sogar wochenlang anhalten. Die Trinker ziehen oft von Wirtschaft zu Wirtschaft und sind zu keiner Arbeit fähig. Zwischen den Trinkphasen könnenWochen und Monate relativer oder absoluter Abstinenz liegen. Syn: periodische Alkoholsucht, Quartalssaufen“. Vgl. Peters (2011), S. 135. Siehe ferner Hufeland (1818, Ausgabe von 1993). Laux und Möller führen die Dipsomanie neben dem Alkoholismus als Synonyme zur Alkoholabhängigkeit an. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 12. Weiterführend auch Friderici (1916). Zur Dipsomanie als Unterform der Alkoholabhängigkeit liest man bei Kienast folgendes: „Der Versuch, klinische Untergruppen von Patienten mit Alkoholabhängigkeit zu bilden, erscheint sinnvoll, mündete aber in eine Vielzahl von verschiedenen typologischen Ansätzen. Jede Typologie fokussiert lediglich auf Teilaspekte der Erkrankung. Die klinisch bekannteste ist die Typologie nach Elvin Morton Jellinek (1960): Alpha-Trinker: Konflikttrinker, kein Kontrollverlust, zur Abstinenz fähig, nur psychisch abhängig; Beta-Trinker: Gelegenheitstrinker, kein Kontrollverlust, zur Abstinenz fähig, nicht abhängig; GammaTrinker: Süchtiger Trinker, Kontrollverlust, aber zur Abstinenz fähig, psychisch und körperlich abhängig; Delta-Trinker: ‚Spiegeltrinker‘, kein Kontrollverlust, unfähig zur Abstinenz, körperlich abhängig; Epsilon-Trinker: Episodischer Trinker/Dipsomanie, periodische, mehrtägige Trinkexzesse mit Kontrollverlust, körperlich abhängig“. Vgl. Kienast et al. (2010), S. 53. „[D]erzeit [vermag jedoch] keine Typologie alle Trinkmuster, klinischen und biologischen Aspekte zufriedenstellend gegeneinander abzugrenzen“. Vgl. ebd., S. 54. Siehe ferner Payk (2003), S. 234. Ein tabellarischer Überblick über Alkoholtypologien mit teils historischem (Jellinek-Typologie), teils studienrelevantem (Cloninger) Charakter findet sich bei Soyka (2013), S. 15. 879 Vgl. Meggendorfer (1940b), S. 317. 880 Entsprechen Meggendorfers Ansichten der klassischen Schulmeinung bzgl. Abstinenz, so gilt es anzuführen, dass die Abstinenz auf Lebenszeit als primäres Behandlungsziel „allerdings selten erreicht“ wird. „Ein tatsächlich kontrollierter Konsum ist i. d. R. nicht möglich. Reduktion von Trinkmengen (Heavy Drinking Days = 5 (4 bei Frauen) oder mehr ʻStandard Drinksʼ pro Tag und Erhöhung der Anzahl trinkfreier Tage rücken als realistischeres Ziel zunehmend in den Vordergrund. Rückfälle sind Regelfälle“. Vgl. Vernaleken/Schneider (2016), S. 283. Aktuell setzten sich in der Schulmeinung auch Ansätze durch zur Trinkmengenreduktion: „AntiCraving-Substanzen sollen den Trinkdruck, die kumulative Trinkmenge [reduzieren] und die Abstinenzraten […] sowie die Anzahl der trinkfreien Tage erhöhen […]. Frühere Studien konnten 10–15% höhere Abstinenzraten gegenüber Plazebo darstellen; neue Studien relativieren dies. Eher finden sich eine signifikante Reduktion von Heavy Drinking Days und eine Erhöhung der Anzahl der trinkfreien Tage“. Vgl. ebd., S. 287. “Nalmefene is an effective and welltolerated medication for the reduction of alcohol consumption. Additional data are necessary to demonstrate possible advantages of nalmefene over naltrexone in the treatment of alcohol dependence”. Vgl. Soyka et al. (2016), Abstract. „Nelmefen soll ʻon demandʼ eingenommen werden in Situationen erhöhter Trinkgefahr (Trinkdruck; risikoreiche Umgebungssituation“. Vgl. Vernaleken et al. (2016), S. 166. 881 „Eine Selbstschilderung eines dipsomanen Anfalls in dichterischer Verklärung verdanken wir Fritz Reuter [1810–1874]: ‚Ich habe nicht Fürsten und Kön’gen gedient, Ich war mein eigener

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Die Dipsomanie ist, bei uns in Deutschland wenigstens, erheblich häufiger bei Männern als bei Frauen. […]. Aber auch sonst ist den Dipsomanen völlige Alkoholenthaltsamkeit dringend zu empfehlen. Die echte Dipsomanie tritt schon im jüngeren Alter […] hervor und bleibt dann ziemlich unverändert weiter bestehen. Unter günstigen Umständen werden die Zwischenzeiten etwas länger, wodurch sich die Betreffenden gesellschaftlich einigermaßen halten können, im ungünstigen Fall aber geht die Dipsomanie in chronischen Alkoholismus über“.882

Meggendorfer betonte die Interindividualität der Dipsomanie hinsichtlich ihrer Ausgestaltung, zumal die „Beispiele von Dipsomanie, […] gleichzeitig zeigen, dass die Einzelfälle unter sich Verschiedenheiten aufweisen“.883 Meggendorfer verwies insbesondere auf die mangelnde Krankheitseinsicht bei dem dipsomanen Patienten J. P.884 König: Und hab' ich auch vieles auf Erden geschafft, Fürs Ende schaft ich zu wenig. Nun klopft an die Tür eine bleiche Gestalt, ‚Herein, du alter Geselle! Ich hab’ dich schon einmal im Kerker gekannt, Komm, Hunger, komm setz’ dich zu Stelle! Beiß ein! Beiß ein mit dem wilden Zahn Und hilf mir die Mahlzeit verzehren: Du hast es vordem ja schon öfter getan, Komm, bring mir mein Schwarzbrot zu Ehren‘. Und er setzte sich an den nackten Tisch Und da draußen, da klopft's wie Gespenster: ‚Herein, herein, du Winter Frisch, Herein, du Sturm an dem Fenster! Ich habe euch beide auf öder Heid’ Am Meeresstrande getroffen. Ihr findet lust’ge Gesellschaft heut, Die Türen stehen euch offen‘. Sie treten ein, sie setzten sich, Die beiden herben Burschen. Der Wintersturm, der schüttelt mich, Vor Frost die Zähne gnurschen [sic]. Da tritt mit lahmen, leisem Fuß Ein Weib, das ich nicht kannte, Zur Tür hinein, ‚Einen schönen Gruß! Ich bin der Dreien Tante. Ich bin die Seuche, bin die Pest, ich bin die alte Krankheit; was ich gepackt, das halt ich fest, Und nestelt sich an mich heran, Und packt mich, wie mit Krallen: Ja wehr’ sich, wer sich wehren kann,‘ Ich muß ihm doch gefallen. Komm her, mein Schatz, komm her, mein Kind, was willst du mit mir hadern? Es glüht wie giftiger Höllenwind Mir durch Gehirn und Adern. Der Hunger, Wintersturm und Frost, Die halten mich zurücke: ‚Gesellen helft! Gesellen reißt Sie runter vom Genicke.‘ Und wildes Lachen um und um! Und wilde, wilde Schmerzen! Selbst Hunger, Sturm und Frost wird stumm, Sie saugt an meinem Herzen. – Da wird es hell in dem Gemach. Da zittern leise Schimmer. Da wird zum hellen Gottestag das enge dunkle Zimmer!“ Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 196. 882 Ders. (1940b), S. 317. 883 Ebd., S. 318. 884 Ebd., S. 319. „J. P., verheirateter Buchhalter, 50 Jahre alt. Familie […]: Der Vater […] hat etwas getrunken, eine jetzt 26-jährige Tochter […] hat seit ihrem 17. Lebensjahr epileptische Anfälle. Patient hat eine normale Kindheit und Jugendentwicklung durchgemacht, besuchte die Realschule, lernte gut, wurde Buchhalter, zeitweise etwas angetrunken. Er war 4 Jahre im Blaukreuz, 1½ Jahre im Guttemplerorden. Er war 1932 2mal in der Klinik. Er hat jetzt alle 6–8 Wochen einen Zustand, in dem er verstimmt ist und dann sinnlos trinkt. Er legt sich um diese Zeit meist zu Bett, nimmt mehrere Flaschen Kümmel mit ins Bett, lässt alles unter sich, macht Krach, wenn er keinen Kümmel bekommt. Der Zustand dauert 1–2 Tage. Vor 5 Wochen bekam er ‚nüchtern‘ auf der Straße einen Krampfanfall und biss sich dabei auf die Zunge. Gleich darauf fing er wieder an zu trinken. Er wurde am 18.2.1933 in die Klinik aufgenommen, war angetrunken, aber gut orientiert. Er schämte sich wegen seiner Betrunkenheit, schob aber die Schuld auf widrige Familienverhältnisse. Seine Frau mache ihn bei den Nachbarn immer schlecht. Wenn seine Tochter sich nicht gegen seinen Willen verlobt hätte, dann hätte er keine Ursache zum Trinken gehabt. Er schien völlig einsichtslos. Im Laufe der nächsten Tage wurde er einsichtiger. Er meinte, er wäre nicht krank, habe nur einen schwachen Willen, er könne auch gar nichts vertragen. 7.3.1933 gebessert entlassen. 25.4.1933 wurde P. von der Frau neuerdings in die Klinik gebracht, nachdem er wieder mehrere Tage im Bett getrunken hatte. Nach der letzten Entlassung war er zunächst enthaltsam gewesen. P. zeigte bei der Untersuchung

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Seine Ausführungen zum Delirium tremens illustrierte Meggendorfer mit anschaulichen Fotographien von Patienten sowie deren Schriftbildern: „In körperlicher Hinsicht ist das Delirium tremens von der lebhaften Unruhe beherrscht. Abgesehen von den soeben geschilderten gröberen […] Bewegungen ist der Körper auch in einer beständigen feineren Unruhe. Die Hände und Arme, aber auch die Beine, der Kopf, alles zeigt das grobschlächtige Zittern, dem das Delirium die Bezeichnung ‚tremens‘ verdankt“.885

Neben den körperlichen Auffälligkeiten im Delirium tremens beschrieb Meggendorfer insbesondere detailliert die psychischen Veränderungen: „Das ausgesprochene Delirium tremens ist gekennzeichnet durch eine deutliche, aber nicht starke Trübung des Bewusstseins. Die Kranken sind über ihre eigene Person und ihre Vorgeschichte ziemlich gut im Bilde, keineswegs aber hinsichtlich Ort und Zeit. […]. Aber nachts, in der Ruhe, überwiegen die Sinnestäuschungen, besonders des Gesichts. Zum Teil handelt es sich bei den Gesichtstäuschungen um Verkennungen, vor allem aber um echte Trugwahrnehmungen von großem Wirklichkeitswert. Dass die Deliranten weiße Mäuse sehen, ist schon in weiten Kreisen bekannt; aber auch andere kleine und größere, fast immer bewegliche Tiere und Gegenstände erscheinen, manchmal auch verkleinerte Pferde, Ochsen, Elefanten. Ganze Aufzüge kommen unter den Bettstellen hervor, ziehen in lebhaften Wechsel vorüber. An der Wand oder an der Decke spielen sich ganze Kinovorstellungen ab. Angreifer stürmen auf die Kranken ein; sie wehren sich mit Waffen, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind. Bemerkenswert ist, dass sich nach Angabe der Kranken alles ziemlich ruhig, ja lautlos vollzieht; […]. Die Kranken, die etwa im Bade und nackt sind, glauben bekleidet zu sein, greifen in die Taschen und nehmen halluzinierte Gegenstände heraus; sie fühlen sich in Drähte und Stricke verwickelt, sehen und fühlen auf der Hand Fliegen und andere Insekten usw., liegende Kranke machen Geh- und Steigbewegungen, stehende halten sich gelegentlich schief, sind sich über ihre Stellung und Lage offenbar nicht im klaren [sic]“.886

Meggendorfer schilderte den Patienten W. S., der im beginnenden deliranten Zustand eingewiesen wurde und einen 3-wöchigen stationären Aufenthalt in der Klinik verbrachte: „W. S., verheirateter Kellermeister, 33 Jahre alt. Der Kranke wurde aus einem Krankenhaus zuverlegt, in das er wegen Herz- und Nervenleidens eingeliefert worden war. […]. . Der Kranke machte bei der Aufnahme einen motorisch sehr unsicheren Eindruck, zeigte insbesondere starkes Zittern. […]. Der Kranke konnte über seine Vorgeschichte geordnet berichten. Er erzählte auf Befragen nach seinen Erlebnissen in der letzten Nacht, er habe Teufel und Hexen gesehen; die ganze Walpurgisnacht sei bei ihm gewesen. Er habe das Gefühl gehabt, als wäre er vom wilden Heer verfolgt worden. Gestalten aus der Sage wären ihm erschienen; Riesen hätten gegen Zwerge gekämpft und Reinheit gegen Schmutz. Vor lauter Angst habe er ein regelrechtes Alpdrücken verspürt. Dann seien Drahtspiralen auf ihn zugeschwirrt; große Spinnen seien auf ihn zugekrochen. Wenn er aber danach gegriffen habe, seien alle diese Gestalten wie Traumbilder entschwunden. Die Bilder seien im Rahmen auf einmal lebendig geworden, hätten sich bewegt und seien auf ihn zugekommen. […]. Abend wurde der Kranke sehr unruhig. Er blieb nicht im Bett. Er bewegte sich dauernd im Saal, schob die Stühle umher, rückte die Bettstellen, gab an, er müsse die Fässer rollen und die Backsteine aufschichten, machte auch, nachdem er wieder ins Bett gebracht worden war, entsprechende Bewegungen. Im Laufe der folgenden ziemlich starken Tremor der Hände. Er schlief nachts. Am nächsten Tage war er geordnet, aber sehr einsichtslos, drängte fort. Am 29.5.1933 gebessert entlassen“. Vgl. ebd. 885 Ebd., S. 339. 886 Ebd., S. 338.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Tage war der Kranke örtlich und zeitlich nicht mehr orientiert. Er verkannte die Personen in seiner Umgebung, glaubte in ihnen alte Bekannte wiederzusehen; er hielt sogar einen Mitkranken für seine Frau. Im Bade sah er allerlei Getier; er fischte nach Mäusen, Bisamratten und Fischen. […]. In einem leeren Blatt sah er eine Weinkarte und las die verschiedenen Weinsorten und Preise ab. In der vierten Nacht nach der Aufnahme schlief der Kranke ein. Er erwachte morgens wie umgewandelt. Er lag ruhig zu Bett, wusste, dass er im Krankenhaus war und erzählte, er hätte einen seltsamen Traum gehabt. Er habe sich in einem Bergwerk mit großen Gewölben befunden. […]. Die starke Unruhe, auch das grobschlägige Zittern waren vollständig verschwunden. Der Kranke erholte sich sehr rasch wieder; er bot aber immer noch feinschlägiges Zittern, als er nach 3 Wochen entlassen wurde“.887

Interessant zeigen sich auch Meggendorfers Ausführungen zum Alkoholwahnsinn: „In den ausgesprochenen Fällen, die übrigens ziemlich selten sind, setzt die Erkrankung [Alkoholwahnsinn] einigermaßen unvermittelt mit ängstlichen Wahnvorstellungen und Gehörstäuschungen ein. […]. Es wird über sie gesprochen. Sie nehmen an, vor dem Fenster stünden Verfolger, die über sie Bemerkungen machten, […]. Dabei sind die Kranken klar und besonnen, meist vollkommen über Ort, Zeit und nähere Umstände im Bilde; sie lassen keine Störung der Aufmerksamkeit, der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses und des Gedankenganges erkennen. Die Schul- und Allgemeinkenntnisse entsprechen ihrem Bildungsgrade und ihrem Berufe. Um so auffallender ist eine gewisse Urteilsschwäche gegenüber den Sinnestäuschungen und Wahnideen. Die Kranken sind scheu, misstrauisch, verschlossen, was aber ihrer Umgebung nicht besonders aufzufallen pflegt, da es sich meist um Menschen handelt, die schon von Haus aus ruhig und zurückgezogen und keineswegs so lebhaft, aufgeschlossen, gesellig und heiter waren wie etwa die Mehrzahl der Deliranten“.888

Als Beispiele der typischen Korsakowschen889 Psychose führte Meggendorfer folgende Patientengeschichten an: „M. B., verheirateter Gastwirt und Metzger, 57 Jahre alt. B. wird wegen schweren Alkoholmißbrauchs vom Hausarzt eingewiesen. […] In der letzten Zeit habe er sich krank und hilflos gefühlt, habe Rheumatismus gehabt und könne schlecht gehen. Ab und zu habe er ein leises Flüstern gehört, wie: ‚er wird’ s doch nicht gehört haben‘. Seine Frau habe das wohl zum Sohn gesagt. Sicher hätten die beiden ihm etwas ins Bier getan, um ihn zu vergiften. Seine Frau gehe wohl manchmal aus und hielte es mit anderen Männern. Direkte Beweise hierfür habe er allerdings nicht. […]. Die ersten Nächte ist der Kranke schlaflos, kommt immer wieder aus dem Bett, glaubt in seiner Wohnung zu sein und will aufräumen. Er scheint zunächst ein Delirium

887 Ebd., S. 343–344. 888 Ebd., S. 345–346. 889 „Der Name ‚Korsakow-Syndrom‘ rührt daher, dass Korsakow im Jahre 1889 erstmals sechs offensichtlich alkoholisch bedingte Krankheitsfälle mit einer Kombination von Vergesslichkeit, Verwirrtheit und Konfabulationen beschrieben hatte“. Vgl. Payk (1979), S. 97. „Für die russische Psychiatrie bedeutet der Name Korsakow jedoch viel mehr. Unter den Begründern der russischen Psychiatrie, I. M. Balinski, I. P. Mershejewski, W. Ch. Kandinski, nimmt Korsakow den ersten Platz ein. Der Fortschritt der klinischen Psychiatrie und Psychopathologie, die breite Entwicklung der psychiatrischen Krankenversorgung in Russland, die Ausbildung von Fachärzten und die Schaffung der Moskauer psychiatrischen Schule sind eng mit dem Namen Korsakow verbunden. Korsakow hat nicht nur die Entwicklung der russischen Psychiatrie mächtig gefördert, sondern auch der Weltpsychiatrie wertvolle Beiträge geliefert“. Vgl. Snjeshnewski (1963), S. 86. Siehe ferner Korsakow (1890) und Korsakoff (1890). Zur unterschiedlichen Namensschreibweise siehe S. 184, Fn. 826.

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zu bekommen, doch beruhigt er sich bald. Es zeigt sich dann, dass der Kranke örtlich und zeitlich desorientiert ist. Er bietet eine außerordentlich starke Merkschwäche. Er weiß nicht, wo er her ist, wie lange er hier ist, weiß nicht, ob er schon gegessen hat. […]. Spontan konfabuliert er nicht, wohl aber lassen sich auf Befragen dürftige Konfabulationen herausholen. […]. Als ihm eines Tages mitgeteilt wird, dass ein Pfleger für ihn bestellt werden müsse, weil sein Anwesen auf den Sohn übergehen solle, wird er jedoch etwas lebhafter, meint, wenn er sein Anwesen übergeben solle, dann wolle er es selbst tun. Aber schon eine halbe Stunde darauf weiß er nichts mehr davon. […]. Nach etwa 1½ Jahren wird B. etwas lebhafter; er weiß im allgemeinen, dass er in einem Krankenhaus oder in einer Klinik ist. Er ist auch etwas beweglicher, kann leidlich gehen. Zuweilen kommt er ganz aufgeregt zum Arzt oder zu einem Pfleger und beschuldigt irgendeinen anderen, meist ganz ruhigen Kranken, dieser hätte ihm seine Sachen gestohlen und schildert genau, er hätte ihm den kleinen Schlüssel, den er da und da aufbewahrt habe, gestohlen. Er lässt sich in keiner Weise davon abbringen. Schon bald darauf weiß er von der ganzen Sache nichts mehr; er bringt aber irgendeine neue Anschuldigung vor. Diese Aufregungszustände mit Beschuldigungen anderer Kranker wiederholen sich während einer Zeitspanne von etwa 6 Wochen, dann tritt wieder Beruhigung ein. Der Kranke sitzt den ganzen Tag über meist auf demselben Stuhl –, er findet sich jetzt im Gegensatz zu früher auf der Abteilung einigermaßen zurecht, doch ist die Merkfähigkeitsstörung noch sehr stark. B. weiß oft nicht, was man gerade mit ihm besprochen hat. Der Kranke ist jetzt, etwa 2 Jahre nach dem Beginn seiner Erkrankung, im wesentlichen noch unverändert“.890

Am 17.08.1940 referierte Meggendorfer auf der 4. Konferenz für praktische Bekämpfung der Alkoholgefahren, welche die „Reichsstelle gegen die Alkohol- und Tabakgefahren“891 in Berlin veranstaltete. Ein Sonderdruck des Vortragsmanuskriptes, erschienen in der Zeitschrift „Gesundheitsführung. Ziel und Weg“ als Monatsschrift des Hauptamtes für Volksgesundheit der NSDAP, liefert uns den möglichst genauen Wortlaut von Meggendorfers Vortrag. Das Vokabular Meggendorfers ist ganz dem nationalsozialistischen Duktus angepasst: „Es ist, vorläufig wenigsten, ganz unmöglich, den Verlust, den das deutsche Volk durch den Alkoholgenuss erleidet, zahlenmäßig zu erfassen. Wir gehen aber nicht fehl, wenn wir annehmen, dass die alljährigen Verluste des Volkes mindestens so groß sind, wie die einer großen blutigen Schlacht, wie wir sie vor kurzem in Polen und in Frankreich erlebt haben. Nur wenig kann uns die Überlegung trösten, dass ein großer Teil der Trinker von Haus aus krank und minderwertig veranlagt ist. Das mag gewiss für einen Teil, vielleicht etwa für die Hälfte der eigentlich Trunksüchtigen zutreffen, aber bei der anderen Hälfte handelt es sich um sonst gesunde, kräftige und leistungsfähige Volksgenossen im besten Alter. Sicher trifft der Einwand auch nicht zu auf den leichten Alltags- und Gewohnheitsalkoholismus“.892

Meggendorfer rekurrierte in seiner weiteren Ausführung auf die BlastophthorieTheorie: „Gehen wir noch weiter zurück in der individuellen Entwicklung! Der Alkohol schädigt höchstwahrscheinlich schon die Keimzellen. Beim Menschen sind die Verhältnisse ja schwer zu übersehen; es ist oft kaum zu unterscheiden, was auf Schädigung der Keimzellen, auf Schädigung 890 Meggendorfer (1940b), S. 354–355. 891 Leiter: Reichgesundheitsführer Dr. Leonardo Conti (1900–1945). Fortführend zur aktuellen wissenschaftlichen Lage zur Therapie der Komorbidität von Nikotinabhängigkeit und Alkoholkrankheit siehe Fucito et al. (2012) sowie Braun (2013b). 892 Meggendorfer (1940c), S. 3.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang der Frucht vor und nach der Geburt zu beziehen, was auf ungünstige äußere Lebensbedingungen zurückzuführen ist“.893

Meggendorfer verwies nicht nur auf die schweren Alkoholfolgeerkrankungen; er betonte auch die Komplikation der Arbeitsunfähigkeit gerade bei leicht- und mittelgradigem regelmäßigen Alkoholgebrauch: „Aus dem chronischen Alkoholismus gehen eine Reihe von Alkoholkrankheiten hervor, so der Eifersuchtswahn der Trinker, die Alkoholepilepsie, das Delirium tremens, der Alkoholwahnsinn, die Korsakowsche Psychose und die Pseudoencephalitis Wernicke.894 Es sind schwere Erkrankungen, die zum Teil längeren, selbst dauernden Anstaltsaufenthalt erforderlich machen. Es ist aber auch hier wieder auf die leichteren und leichtesten Formen des Alkoholismus hinzuweisen, auf den landläufigen, gewohnheitsmäßigen leichteren und mittleren Alkoholgebrauch, den man noch nicht als ‚Mißbrauch‘ zu bezeichnen geneigt ist, auf die Stammtischfreunde und eifrigen Vereinsmitglieder, die man nicht als Trinker ansprechen wird. Aber gerade sie zeigen, wie bereits erwähnt, in mittleren und höheren Jahren allerlei Beschwerden, die zur vorzeitigen Arbeitsunfähigkeit führen und noch obendrein Renten, Pensionen und Hinterbliebenenversorgung kosten. So kommt zu den eigentlich Alkoholkranken noch ein Heer von Halbund Grenzinvaliden. Gerade der leichte, aber gewohnheitsmäßig betriebene Alkoholismus ist es, der wesentlich zur Voralterung und zum Verbrauchtsein der Männer in den besten Jahren beiträgt“.895

Meggendorfer beendete seinen Vortrag mit einem „Lobgesang“ auf die NS-Gesundheitspolitik: „Die Gegenwart und die Zukunft stellen an uns schwere Anforderungen. Es ist notwendig, dass wir zur Abwehr der zahlreichen und mannigfachen Gefahren, die der Alkoholismus für den Bestand des Volkes bedeutet, alles unternehmen, was in unseren Kräften steht. Und ich bezweifle nicht, dass sich unter den Maßnahmen einer verantwortungsbewussten nationalsozialistischen Gesundheitsführung die körperliche und geistige Gesundheit des deutschen Volkes noch weiter heben wird“.896

In seinem Vortrag ließ Meggendorfer seine Forderung, Alkoholismus als „Krankheit“ an sich anzuerkennen, unerwähnt. Diese sollte er jedoch im Abdruck zum Konferenzbericht, erschienen bei der Neuland-Verlags-Gesellschaft publizieren:

893 Ebd., S. 4. 894 “The effect of brain damages on the functions of the sufferer is so drastic that consciousness is nearly obliterated. In consequence, the behavior symptoms which one usually associates with a psychosis are lacking, and the manifestations of the behavior are practically reduced to involuntary bodily movements, such as aimless groping. The motor nerves of the eyes are nearly always paralyzed. The best-known disease of this group was described by the German physician, Carl Wernicke, in 1881 and is called Wernicke’s disease. Wernicke’s disease and other brain diseases related to it occur in perhaps less than 1,0 per cent of all chronic alcoholics”. Vgl. Haggard/Jellinek (1943), S. 242. 895 Meggendorfer (1940c), S. 5. 896 Ebd., S. 7.

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Meggendorfer trat somit dafür ein, „dass der Alkoholismus von Seiten der Versicherungsträger schon frühzeitig als Krankheit897 anerkannt“898 werden solle, so dass „manches für die Heilung gewonnen“899 werden könne. Im Kontext von Meggendorfers Alkoholismusexpertise zeigt sich auch der Beitrag seiner Hilfsärztin Elisabeth Bauer zur Festschrift anlässlich seines 60. Geburtstages: „Ausgehend von dem Gedanken, dass der Alkoholmissbrauch sich möglicherweise manifestationsfördernd auf verschiedene sonst latent bleibende Erbverfassungen für Krankheit und Minderwertigkeit auswirkt […] hat Meggendorfer bereits 1920 und erst kürzlich wieder betont, dass der Alkoholismus einen indirekten, aber sehr erheblichen Einfluss auf die körperliche und geistige Beschaffenheit der Nachkommen ausübt, da er gleichzeitig die Wahl der Ehepartner ungünstig beeinflusst. Meggendorfer hat ferner darauf hingewiesen, dass die Trinkerehefrauen viel häufiger, als man erwarten würde, schwachsinnig, gemütslabil und willensschwach sind. […]. Einer Anregung von Herrn Professor Meggendorfer folgend habe ich das Alkoholikermaterial der Erlanger Klinik auf diese Frage hin studiert, insbesondere auch daraufhin untersucht, inwieweit aus den psychischen Abwegigkeiten der Ehepartner auf eine ungünstige Erbverfassung geschlossen werden kann. Dank dem freundlichen Entgegenkommen der Außenfürsorgestelle der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen konnte ich auch die Fürsorgekrankengeschichten meiner Fälle einsehen und in meiner Ausführung verwerten“.900

Bauer sammelte 204 Fälle, sich zusammensetzend aus 197 Trinkern und sieben Trinkerinnen. Da die männlichen Probanden teils mehrmals verheiratet waren, ließen sich 225 Partnerinnen recherchieren. Zur Professionsverteilung gab Bauer an, fünf der Probanden seien im Gastgewerbe tätig gewesen, 158 seien ungelernte oder gelernte Arbeiter, neun selbstständige Geschäftsleute, 13 Kaufleute, vier Beamte, drei berufslos gewesen. Ein Musiker, ein Heilmagnetiseur, ein Landwirt, ein Chauffeur und ein Photograph seien in der Untersuchung miterfasst worden. Vier der Trinkerinnen seien aus der Arbeiterbranche gewesen, jeweils eine der Trinkerinnen war Kellner-, Kaufmanns- und Beamtenfrau. Das deutliche Überwiegen der niedrigen sozialen Schichten901 führte Bauer auf deren leichtere und frühere Erfassbarkeit zurück, zumal wirtschaftlich schlecht gestellte Trinker alkoholismusbedingt früher

897 “The notion that alcohol is potentially addicitive dates not from the late eighteenth but from the early seventeenth century […]. Seen in this light, the American physician Benjamin Rush (1745–1813) was less an innovator in advancing the notion of addiction than the last great voice in a tradition already 150 years old”. Vgl. Warner (1994), S. 685. 898 Meggendorfer (1940d), S. 11. “In all of this, Meggendorfer specifically claimed that alcoholism was seen more and more as a disease and not as a vice, Laster. But, at the same time and in almost the same breath, he spoke of the alcoholics’ geistige und körperliche Minderwertigkeit (mental and physical inferiority). His biological perspective was a classic expression of the problematic tendency to combine medicalization with moralization”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 138–139. 899 Meggendorfer (1940d), S. 11. Verwiesen sei zusätzlich auf die, ebenfalls im Neuland-Verlag erschienene, Arbeit von Feuerstein (1944). 900 Bauer (1940), S. 344–345. 901 Dieses von Bauer im Sinne einer Studienlimitation angeführte “bias” zeigte sich in vergleichbarer Ausprägung auch bei der aktuellen NOAH-Studien-Datenacquise. Genaueres hierzu siehe S. 618.

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in eine finanzielle Notlage geraten, auf soziale Hilfe angewiesen sind und somit bei den Ämtern vorstellig werden, „[d]azu kommen auch noch die gesellschaftlichen Rücksichten, aus denen heraus ein weniger wertvolles Glied der Familie solange mitgeschleppt wird, als es eben geht […]. Bei einem Überblick über das ganze Untersuchungsmaterial ließen sich mehrere große Gruppen von Alkoholiker-Ehegatten finden, und zwar je nach ihrer Einstellung zum Alkoholismus des Partners. Ich habe demgemäß drei große Gruppen unterschieden: 1. Ehepartner mit ungünstigen [sic] Einfluss, 2. Die Resignierten, 3. Ehepartner mit günstigen [sic] Einfluss“.902

Bezüglich der Ehepartner mit ungünstigem Einfluss aus dem Patientengut der Erlanger Anstalt schilderte Bauer unter anderem folgende Kasuistik: „J. S., 1902 geboren, wurde als arbeitsscheuer, debiler Psychopath und Trinker wiederholt polizeilich in die Anstalt eingewiesen, wo er wohl die einzige Arbeit seines bisherigen Lebens leistete. Bald nach seiner Entlassung betrank er sich wiederholt sinnlos, war im Asyl, wurde wegen Ruhestörung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Bettel und Betrug bestraft. Er misshandelte seine Mutter und seine Braut häufig. […]. 1934 kam der arbeitsscheue Trinker für ein Jahr in das Konzentrationslager Dachau und im nächsten Jahr nochmals für 6 Monate. Während dieser Zeit führte seine Frau ein recht ausschweifendes Leben, knüpfte Beziehungen zu anderen Männern an und stellte schließlich Antrag auf Ehescheidung. Nach der Rückkehr aus Dachau kam der Ehemann zur Fürsorgestelle in wesentlich gebessertem Zustande, er erhob Gegenanzeige gegen seine Frau, die Ehe wurde aus Verschulden der Frau geschieden, denn es konnte einwandfrei nachgewiesen werden, dass sie mehrfach Ehebruch betrieben hatte“.903

Im folgenden schilderte Bauer eine Kasuistik mit Zuordnungswechsel von der Gruppe der Ehepartner mit günstigem Einfluss in die Gruppe der Ehepartner mit ungünstigem Einfluss: „Seine Frau erweckte bei den Fürsorgebesuchen und auch in der Klinik einen sehr guten Eindruck, der eines Tages bei der Ehescheidung sehr rasch verschwand. Es stellte sich nämlich heraus, dass die so ‚tüchtige und aufopfernde‘ Ehefrau ein ‚Doppelleben‘ führte. Alfred S., 1882 geboren, war mit Trunksucht erheblich belastet, […] die ersten Jahre der Ehe waren glücklich, bis der Mann in zunehmenden Maße trank, im Rausch seine Familie mißhandelte und deshalb polizeilich in die Klinik eingeliefert wurde. Während seines Klinikaufenthaltes äußerte S. wiederholt Eifersuchtsideen, die bei dem guten Eindruck, den die Ehefrau machte, als Wahnideen gedeutet wurden. Erst bei den Erhebungen, die zur Ehescheidung nötig waren, stellte sich heraus, dass die Frau gern Schulden machte, Geld unterschlug, über ihre Verhältnisse lebte, ihren Mann schikanierte und beachtliche Mengen Alkohol trank. Aus diesen Gründen wurde die Ehe aus beiderseitigem Verschulden geschieden“.904

Zur Alkoholkrankheit bei Frauen vermerkte Bauer: „Das furchtbare Elend und der sittliche Tiefstand einer solchen Trinkerehe kommt aus den folgenden Krankengeschichten am besten zum Ausdruck: A. G., 1882 geboren, ist debil und schon von Jugend auf an Alkohol gewöhnt. Sie war wegen Diebstähle, Hehlerei und Gewerbsunzucht wiederholt vorbestraft, gebar zwei uneheliche Kinder und heiratete mit 32 Jahren einen vorbestraften Trinker, der zwei Kinder aus erster Ehe hatte. […]. Zweitweise trank sie täglich 20 Glas Bier. […]. Bei jeder Klinikaufnahme bestritt Frau G., die ihr zur Last gelegte Trunksucht, führte sich in der Klinik ordentlich, war fleißig, sehr freundlich und unausfällig. Sehr gewandt 902 Bauer (1940), S. 345–346. 903 Ebd., S. 346. 904 Ebd. S. 351–352.

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war sie im Vorbringen neuer Gründe, die eine baldige Entlassung bezwecken sollten. Die Ehe wurde geschieden, die Frau entmündigt und in eine Pflegeanstalt verlegt, nachdem wiederholte Entlassungsversuche gescheitert waren; auch in Familienpflege und in einem karitativ geleiteten Heime konnte sie nicht gehalten werden, entwich und betrank sich“.905

Bauer sah in ihrer Studie, zu der sie Meggendorfer motiviert hatte, eine eher erbpsychiatrieabgewandte Herangehensweise umgesetzt. Dieser Einschätzung lässt sich nur bedingt folgen: „[B]ei der Beurteilung von Ehepartnern der Trinker ist von wesentlicher Bedeutung, unter welchem Gesichtspunkt und mit welchem Ziel die Erhebungen vorgenommen werden, ob es sich um genaue erbbiologische Feststellungen handelt, oder ob man vorwiegend der Psychologie der Trinkerehe nachgeht, wie es in den vorstehenden Ausführungen versucht worden ist. […]. Aus dieser Aufstellung geht zur Genüge der Tiefstand der Mehrzahl der Trinkerehen, die Kritiklosigkeit bei der Wahl des Ehepartners und vor allem die große Gefahr dieser Trinkerehen hervor, da man ohne Zweifel sagen muss, dass durch solche Eheschließungen minderwertiges Erbgut erheblich vermehrt und verbreitet wird. Die meisten Alkoholiker meines Materials heirateten sehr jung und hatten auch häufig eine stattliche Kinderanzahl, oft brachte die Frau schon Kinder mit in die Ehe oder der Mann hatte ein außereheliches Kind. Gerade der Kinderreichtum ist eine große Gefahr für das Volksganze, denn in diesen Nachkommen strömen von beiden Elternteilen die minderwertigen Erbanlagen zusammen. Mit der Gleichstellung des ‚schweren Alkoholismus‘ mit den anderen zur Unfruchtbarmachung führenden Krankheiten ist die einzige Möglichkeit gegeben, diese minderwertigen Anlagen auszutilgen und zwar ist zu fordern, dass diese Maßnahme möglichst frühzeitig in Kraft tritt. Wie Meggendorfer bereits betonte, macht jedoch die frühzeitige Erfassung der schweren Trinker große Schwierigkeiten. Außerdem hat die Erfahrung gezeigt, dass viele Erbgesundheitsgerichte dem Alkoholismus zu wohlwollend gegenüberstehen, dass Alkoholiker offenbar viel zu selten sterilisiert werden“.906

Meggendorfer, der bislang weitestgehend entsprechend dem damaligen erbbiologischen Stand gearbeitet und sich auf erbpsychiatrische Datensätze gestützt hatte, schien nunmehr bei seinen Mitarbeitern auch eine psychologisierende Herangehensweise907 zur Rechtfertigung seiner GzVeN-Auslegung in puncto schwerer Alkoholismus willkommen zu heissen.908 Trotz angeführter Fallbeispiele zur Gruppe 1, sprich Ehepartnern mit günstigem Einfluss, plädierte Bauer anhand ihrer psychologischen Studie für das frühzeitige Sterilisieren von schweren Alkoholikern, um dem „Zusammenströmen minderwertiger Erbanlagen“909 in ihrer Nachkommenschaft vorzubeugen. In ihren Ausführungen scheint Bauer „zwischen den Zeilen“ auf die Diskussion um das Inkludieren der „asozialen Psychopathie“ in den GzVeN-Erkrankungskatalog zu verweisen.910 Einerseits illustrierte Bauer anhand des „Doppellebens“ der Ehefrau des 905 Ebd., S. 352. 906 Ebd., S.353–354. 907 „Es gibt keine typische Sucht-Persönlichkeitsstruktur. Sucht-Präventionsprogramme verbessern das Wissen, haben aber keinen oder nur minimalen Einfluss auf den Substanzgebrauch!“ Vgl. Laux/Möller (2011), S. 1. 908 Siehe ferner hierzu auch Lindner (1937). 909 Bauer (1940), S. 355. 910 Siehe hierzu unter anderem Kopp (1939). „Dissoziale Persönlichkeit, Soziopathie […]. Hereditäre Belastung bzw. konstitutionelle Faktoren sind schwer zu trennen von ungünstigen Sozialisationseinflüssen […]“. Vgl. Payk (2003), S. 264.

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Alfred S. die diagnostische Treffunsicherheit bezüglich asozialer Psychopathie. Andererseits vermengte sie, gemäß der Parole „gleich und gleich gesellt sich gern“, Alkoholismus und asoziale Psychopathie – und dies, obwohl sie auch Fallbeschreibungen anführt, bei welchen den sozial gefestigten Ehepartnern ein günstiger Einfluss auf das Trinkverhalten der Patienten zukommt. Meggendorfers Expertise in puncto Alkoholismus wurde 1948 folgendermaßen rezipiert: „Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14.7.1933 sah unter anderem auch die Unfruchtbarmachung von Personen mit schwerem Alkoholismus vor (§ 1, Abs. III). Im Handbuch der Erbkrankheiten ist deshalb auch dem Alkoholismus ein besonderes Kapitel gewidmet worden. Meggendorfer behandelt darin zunächst die Ursachen des Alkoholismus (Umwelteinflüsse, Anlagefaktoren, konstitutionelle Bedingtheiten) und gibt dann einen Überblick über die Symptomatik des Alkoholismus. Im erbbiologischen Teil wird eingehend Stellung zu der Forelschen Theorie einer Keimzellenschädigung durch Alkoholismus (‚Blastophthorie‘911) genommen“.912

Nach Winklers Übersichtsartikel im FIAT Review of German Science913 kann es infolge der Keimschädigung914 zu Unfruchtbarkeit, Aborten und Fehlgeburten, zur

911 Weiterführend auch die verschiedenen Definitionen der Blastophthorie-Lehre von Forel vs. Frets. Hier die Ausführung von Frets, “[p]athological anatomist of the hospital for mental and nervous diseases at Roterdam”: “Injuries to the germ (blastophthory) are brought about by chronic poisoning (mercury, lead, alcohol), by infection (syphilis, tuberculosis), by constitutional diseases (diseases of metabolism), by chronic underfeeding and by local diseases of the sexual glands. It may also be caused by subjection to experiments and further by ray treatment. These injuries we know through pathologic-anatomical examinations of the sex glands of the parents, and we also conclude from examples of defective offspring that such injuries to the germ substance exist. We consider these changes to the germ plasm to be very indefinite and they must be strictly distinguished from hereditary modifications. The question in how far acquired characters are hereditary, or may become so, will not be discussed here. Forel (1911) classified blastophthorical injuries to the germ as ‚any influence, except those of heredity, which directly and immediately disturb or destroy the structure of the cell, so that the productions of such germs, which otherwise were good in themselves, would turn out to be inferior in their further development, in consequence of a disturbance of their latent determiners (predetermined energies). If the respective determiners of the germ cells are permanently injured, this injury will without a doubt be transferred to the predisposition of the offspring and in this manner it may also happen that it will further establish itself hereditarily in their germ cells. The blastophthorical disturbances then become hereditary. Alcoholic poisoning of the germ constitutes the prototype of blastophthory‘. Forel recognises here a certain theory of heredity, which we, following our own definition, do not accept”. Vgl. Frets (1931), S. 1. Ferner: Forel (1911). 912 Winkler (1948), S. 127. 913 „Die medizinische Forschung im ‚regulären‘ Alltagsbetrieb an Hochschulen und Instituten war kein Thema juristischer Verfolgung und fand auch in der öffentlichen Diskussion – soweit es überhaupt eine gab – nicht statt. Einen Ansatzpunkt hierfür hätten die ‚FIAT-Berichte‘ bieten können“. Vgl. Martin et al. (2016d), S. 45. 914 „Der Ärztin und Forscherin Prof. Dr. med. Agnes Bluhm in Berlin-Lichterfelde, die bekanntlich bei Tieren den exakten Nachweis der Keimschädigung durch Alkohol erbracht hat, wurde anlässlich ihres 78. Lebensjahres vom Führer und Reichskanzler die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft verliehen“. Vgl. Anonymus (1940c), S. 439. „Die Wissenschaftsgeschichte

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Säuglingssterblichkeit, Retardierung, Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, und genereller Schwächlichkeit im Kindesalter kommen. Für Winkler ist „[d]ie Entstehung seelischer Abwegigkeiten durch chronische alkoholische Keimzellschädigung […] aber nach Meggendorfer nicht erwiesen. Die bei den Nachkommen von Trinkern häufig auftretenden Erbkrankheiten (Psychosen usw.) müssen vielmehr auf die in der Sippe schon vorher vorhandenen Erbanlagen zurückgeführt werden. Für Neuentstehung krankhafter Anlagen durch Alkoholabusus liegen keine Beweise vor“.915

2.4 BEGRÜNDER NEUER HEILBEHANDLUNG: ELEKTROKONVULSIONSTHERAPIE (EKT)916 Als geschulter Erbpsychiater hatte Meggendorfer mit Hilfe der „Psychiatrie […] in Verbindung mit der Erbbiologie Einblicke in die Gesetzmäßigkeiten des Lebens der Völker, ihres Blühens und Gedeihens wie auch ihres Abstieges und Unterganges zu gewähren und dem Staatsmann die Grundlagen für staats- und volkerhaltende Gesetze und Maßnahmen zu geben“.917

Meggendorfer sah „die grenzenlose Aussichtslosigkeit in therapeutischer Hinsicht“918 als Ursache, die „früher vielen Ärzten die Psychiatrie verleidete“.919

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hat in den letzten Jahren eine ganze Reihe von lange vergessenen Wissenschaftlerinnen rehabilitiert: Namen wie Emmy Nöther (1882–1935), Lise Meitner (1878–1958), Rhoda Erdmann (1870–1925), Rahel Hirsch (1870–1953) zieren heute zumindest wissenschaftliche Nachwuchsprogramme oder Förderpreise. Mit der Ärztin und Genetikerin Agnes Bluhm (1862– 1942) verbinden wir nichts dergleichen. Doch auch Bluhm gehörte zur ersten Akademikerinnengeneration Deutschlands und war zu ihren Lebzeiten eine hoch geachtete Wissenschaftlerin“. Vgl. Bleker (2007), S. 89. „Die rassenhygienische Bewegung Deutschlands stützte sich wesentlich auf Alfred Ploetz’ Hauptwerk von 1895. Dieses reflektierte den wissenschaftlichen Kenntnisstand seiner Entstehungszeit. Weder Alfred Ploetz noch einer der anderen Vertreter der Gründergeneration haben sich je ernsthaft bemüht, diese Ideen im Einklang mit der ab 1900 rasant voranschreitenden Vererbungsforschung zu überprüfen oder weiterzuentwickeln. Dies geschah erst durch jüngere Kräfte wie Fritz Lenz […] oder Ernst Rüdin […]. Die einzige Ausnahme unter den älteren war Agnes Bluhm“. Vgl. ebd., S. 94 „Die ersten Ergebnisse, die Bluhm 1921 veröffentlichte, basierten auf einem Vorversuch mit ‚nur‘ 262 Würfen und 1296 Jungen. Bluhm war aufgefallen, dass sich das natürliche Geschlechterverhältnis bei der weiblichen Maus bei starker Alkoholisierung der Männchen vor dem Begattungsakt verschob und zwar in Richtung auf eine deutliche Steigerung der Männchenziffer. Daraus hatte sie geschlossen, dass die narkotisierende Wirkung von Alkohol die weibchenbestimmenden Gameten stärker beeinträchtigte als die männchenbestimmenden, so dass letztere ‚im Wettlauf nach den Eiern‘ einen Vorteil hätten“. Vgl. ebd., S. 96. Siehe außerdem Ploetz (1895b). Winkler (1948), S. 127. Die „Elektrokrampftherapie“ (EKT) aus Meggendorfers Zeiten wird aktuell – in modifizierter Form – unter dem Begriff „Elektrokonvulsionstherapie“ durchgeführt. Siehe hierzu S. 598– 599. Das Akronym ist für beide Bezeichnungen identisch. Meggendorfer (1940/41), S. 42. Ebd. Ebd.

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In seinem Vortrag vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen920 am 25. Juni 1940 schilderte Meggendorfer den einst passiven Arbeitsalltag eines Psychiaters als passé:921 „Tag für Tag konnte man als Psychiater Zeuge gewaltigster Umwälzungen seelischer und körperlicher Art sein, man konnte äußerst interessante Entwicklungen und überraschende Ausgänge beobachten, aber alles gewissermaßen als Zuschauer, ohne eigenes Dazutun. Man konnte dieses tun oder jenes, die Krankheit machte dennoch Fortschritte; man erhoffte Genesung und sah den Kranken unaufhaltsam verblöden oder dem sicheren Tode entgegengehen; man gab andererseits resigniert den Kranken auf und sah ihn wieder gesund werden. Kein Wunder, dass der Psychiater schließlich auf eigenes Eingreifen verzichtete und dem therapeutischen Nihilismus verfiel. Dieser psychiatrische Pessimismus, Nihilismus, Inaktivismus hat nun in den letzten Jahrzehnten einem frischen Optimismus und Aktivismus Platz gemacht. Der Psychiater, der bisher bestenfalls als der Mann galt, der viel weiß und nichts kann, hat sich doch nun auch ein gewisses, wenn auch noch bescheidenes Können angeeignet. Ich erinnere nur an den planvollen Ausbau der Psychotherapie,922 an die aktive Anstaltstherapie [Hermann] Simons [1867–

920 Ein Inhaltsverzeichnis der Sitzungsberichte der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen. 72. Band, 1940/1941 findet sich bei http://www.booklooker.de/ B%FCcher/Ha%DFelwander+ Sitzungsberichte-der-Physikalisch-medizinischen-Soziet%E4t-zu-Erlangen-72-Band-1940-1941/id /A01FcF2501ZZ1. Stand vom 16.12.2015. Dem Referenten Friedrich Meggendorfer ist der Vortragstitel „Die Elektrokrampfbehandlung an langfristig beobachteten tuberkulösen Kindern“ zugeordnet. Dieser Titel lässt sich nicht verifizieren. 921 „Die Einführung der ,Schockverfahren‘ Mitte der 1930er Jahre markiert eine Radikalisierung psychiatrischer Praxis – und sie war zugleich das Ergebnis eines breiten internationalen Konsenses über wissenschaftlichen Fortschritt“. Vgl. Borck (2013), S. 148. 922 „Analog den aufkommenden aktiven Therapien in der Psychiatrie – Malaria-, Cardiazol-, Insulin- und Elektroschock-Therapie – setzen sich in den dreißiger und vierziger Jahren aktive Psychotherapie-Verfahren (AT, Arbeitstherapie, Suggestion, Massage etc.) durch. Selbst unter den die Psychosomatik ablehnenden erbbiologisch orientierten Psychiatern findet das Autogene Training Zustimmung, weil es sich um eine Therapiemethode handelt, die man ‚mit größerem Recht eine deutsche nennen‘ kann ‚als jene so häufig als deutsch bezeichneten ‚psychosomatischen Praktiken, die weiter nichts sind als ununiformierte Soldaten abberufener Heerführer‘ (Luxenburger, 1939). Der Begründer des Autogenen Trainings, J. H. Schultz [1884– 1970], ist mit seiner Zeit, obwohl er nie Parteimitglied war, eng verwoben. Ausdrücklich tritt er für die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ ein, indem er der Hoffnung Ausdruck gibt, ‚dass die Idiotenanstalten sich bald in diesem Sinne leeren werden‘ (Schultz, 1940). Der interessanten Frage, warum sich von den verschiedensten Psychotherapie-Verfahren gerade das autogene Training bis in den heutigen Ausbildungskatalog für den Psychotherapie-Teil – selbst in der früheren DDR – durchzusetzen vermochte, ist bisher nicht weiter nachgegangen worden. Denkbar ist, dass dem offen deklarierten leistungsmedizinischen Aspekt, der auch durch eine Gleichschaltung aller Sinne erreicht wird, eine entscheidende Bedeutung zukommt“. Vgl. Schultz-Venrath/Hermanns (1991), S. 92.

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1947],923 an die erfolgreiche Behandlung des Kretinismus924 und vor allem an die Behandlung der Paralyse durch Wagner von Jauregg [sic]“.925

Für weiteren Optimismus in Bezug auf psychiatrische Therapieverfahren sorgte nach Meggendorfer „auch der neueste Versuch, den elektrischen Strom zur Auslösung der epileptischen Anfälle zu benützen [sic]“.926 Unter Meggendorfers Leitung wurde an der Universitätsklinik Erlangen die erste Elektrokrampfbehandlung in Deutschland durchgeführt.927 2.4.1 Meggendorfers Position im Spannungsfeld zwischen „Erbhygiene“ und somatischen Therapieverfahren Wenn nach Schmuhl „[d]ie Einschätzung von Matthias Hamann-Roth, ‚erbbiologisch orientierte und einflussreiche Psychiater […]‘ hätten die ‚Propagierung der Insulinschockbehandlung auf kleiner Flamme zu halten‘ gewünscht, ‚um die Politik der Zwangssterilisation nicht zu beeinflussen‘, […] allenfalls bis Sommer 1936 Geltung beanspruchen [kann]“,928

923 Weiterführend zu „Begründungszusammenhängen[n]“ der „‚[a]ktivere[n] Krankenbehandlung‘ und ‚Arbeitstherapie‘ […] bei Hermann Simon [1867–1947] und Carl Schneider“ siehe Beddies (2013). Zum „Arbeitsrhythmus und Anstaltsalltag. Arbeit in der Psychiatrie vom frühen 19. Jahrhundert bis in die NS-Zeit“ vgl. Ankele (2015). 924 Siehe hierzu ferner Perusini (1904). 925 Meggendorfer (1940/41), S. 43. „[…] Während bis 1917 die Diagnose Paralyse noch ein Todesurteil für den Kranken war, ist heute dieser Schrecken von ihr gewichen. Der Malariakur Wagner von Jaureggs [sic] [gemeint: Julius von Wagner-Jauregg (1857–1940)] folgten andere Behandlungsarten der Paralyse, die mit Recurrens, mit Sodoku und anderen Erregern, mit Vakzinen wie Pyrifer, mit chemischen Mitteln wie Sulfosin, Anästhesulf usw. und schließlich mit elektrischen Kurzwellen. In den letzten Jahren hat die Behandlung einer anderen, bisher grundsätzlich als unheilbar geltenden Geisteskrankheit, der Schizophrenie, große Fortschritte gemacht. Die Ärzte Dr. Schuster und Dr. [Manfred] Sakel [1900–1957] führten die Insulinkur, Dr. v. Meduna die Krampfbehandlung der Schizophrenie ein. Die Insulinkur wird in der Weise durchgeführt, dass der Kranke eine Reihe von Wochen hindurch täglich eine große Menge Insulin erhält, wodurch das Blut und die Körpergewebe an Zucker verarmen und der Kranke in den sogenannten hypoglykämischen Schock mit Bewusstlosigkeit verfällt, aus dem er dann durch Zuckerzufuhr wieder erweckt wird. Bei der Krampfbehandlung nach v. Meduna erhält der Kranke eine intravenöse Injektion einer großen Menge, etwa 4 bis 10 ccm einer 10%igen Lösung Cardiazol. Bald darauf verfällt er in einen epileptiformen Anfall. Man ruft so 10 bis 12 Wochen lang wöchentlich etwa zwei Krampfanfälle hervor. In der Folgezeit wurden diese beiden Verfahren mehrfach modifiziert und auch kombiniert“. Vgl. ebd. Siehe ferner WagnerJauregg (1939). Zur Sodoku-Therapie siehe Kihn (1927), S. 271. 926 Meggendorfer (1940/41), S. 44. 927 Bingel/Meggendorfer (1940). „Das Terrain der Elektrokrampfbehandlung in England zeigte sich [Anfang Dezember 1939] bereits umkämpft“. Vgl. Rzesnitzek (2013), S. 210. Zur Rolle Kalinowskys bei der EKT-Etablierung in den USA siehe ebd. 928 Schmuhl (2016), S. 254. Siehe ferner Hamann-Roth (2001), S. 169. Weiterführend auch Rzesnitzek (2014).

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so gilt es Meggendorfers Position im Spannungsfeld zwischen „Erbhygiene“ und somatischen Therapieverfahren exemplarisch anhand des Erbgesundheitsverfahrens der 1913 geborenen Patientin M. R. näher zu beleuchten. Am 06.03.1940 erhielt Meggendorfer die Information über den Beschluss des Erbgesundheitsgerichts Erlangen, vertreten durch die Herren Krieger, Dr. Reinhardt und Dr. Doepke, dass der „Antrag des Direktors der Psychiatrischen- und Nervenklinik in Erlangen auf Unfruchtbarmachung der Bauersfrau M. R. […] wegen des Erbleidens Schizophrenie […] abgelehnt [wurde]“.929 Meggendorfer leitete hierzu beim Oberlandesgericht Bamberg weitere Schritte ein: „[z]u meiner Beschwerde gegen die Ablehnung der Unfruchtbarmachung der Bauersfrau M. R. aus Strullendorf lege ich folgendes dar: Frau M. ist insoferne belastet, als der Bruder ihres Vaters im Jahre 1938 wegen eines Depressionszustandes sind der Heil- und Pflegeanstalt Skt. Getreu war. Dieser Umstand reicht freilich allein nicht zum Nachweis einer Schizophrenie bei Frau M, aus; er muss aber m. E. bei der ausgesprochenen Psychose der Frau M. doch mit in Betracht gezogen werden“.930

Meggendorfer betonte, Frau M. soll bis Mai 1939 stets gesund gewesen sein. Dieser Umstand, so Meggendorfer könne bei einer 26-jährigen Frau nicht gegen die Diagnose einer Schizophrenie verwendet werden. Zu Beginn des Monats Mai im Jahre 1939 habe der Ehemann der Frau M. erstmalig bemerkt, „dass sie während der Unterhaltung mal ein falsches Wort gebrauchte“.931 Um ihre Menstruationszeit sei Frau M. teilweise „untätig herum[ge]stand[en]“,932 habe das Essen abgelehnt und von sich aus nur wenig gesprochen. „Dass sie sich bei Feldarbeiten erkältet habe und Regelstörungen davon getragen habe, ist lediglich eine Vermutung der Angehörigen. Jedenfalls aber wird man wohl nicht im Ernst annehmen können, dass die bei Frau M. ausgebrochene Psychose auf die Erklärung zurückzuführen sei. Zuhause äusserte Frau M. allerlei krankhafte Ideen: Sie hätte nicht richtig gebeichtet, der böse Feind sei in ihr, sie hätte die Schwiegereltern nicht gut behandelt, usw. Sie tat nichts mehr, verweigerte die Nahrungsaufnahme, benahm sich auch sonst auffallend. Gelegentlich war sie widerstrebend, geradezu negativistisch, biss z. B. beim Anbieten von Speise die Zähne aufeinander. Sie wollte auch nicht ins Auto steigen, als man sie hierher brachte. Dabei waren äussere Gründe für dieses Verhalten nach Aussage der Stiefmutter und des Ehemanns nicht gegeben“.933

Nach Überweisung von Dr. Bauerschmidt in Bamberg wegen „Geisteskrankheit“ in die Meggendorfersche Klinik am 21.06.1939 „war die Kranke anfangs gesperrt, nahezu stuporös, ohne jeglichen Antrieb, dann auch wieder ablehnend. Sie war affektiv abgeflacht, interesselos. Sie stand untätig herum, war zu keiner Beschäftigung zu gebrauchen. Erst nach einer Neospirankur wurde sie etwas freier“.934

929 930 931 932 933 934

APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Entsprechend der geschilderten Symptome und ihrem Verlauf, so Meggendorfer könne „es wohl nicht zweifelhaft sein, dass bei Frau M. eine ausgesprochene Geisteskrankheit vorlag. Das geht aus der Schilderung der Angehörigen, aus der Diagnose des einweisenden Arztes und aus den in der Krankengeschichte niedergelegten Beobachtungen hervor“.935

Meggendorfer räumte ein, „[d]ie Krankengeschichte könnte vielleicht eingehender sein, doch ist zu berücksichtigen, dass die Erkrankung in die Zeit fiel, in der die Klinikärzte wegen Beurlaubung und militärischen Übungen der anderen Ärzte936 überlastet waren. Die Diagnose wird von den Klinikärzten und von mir selbstverständlich nicht aus der Krankengeschichte, sondern aus der unmittelbaren Beobachtung gestellt. Wenn bei Frau M. keine Schizophrenie vorlag, so wüsste ich nicht, aus welchen Kriterien diese Diagnose nun gefolgert werden könnte“. 937

Handschriftlich vermerkt ist an dieser Stelle im Dokument eine differentialdiagnostische Überlegung bzgl. Melancholie, wobei jedoch „der ausgesprochene melancholische Affekt“938 gefehlt habe. In Anbetracht des Fehlens von äußeren Gründen, „käme ev. noch eine Melancholie des manisch-depressiven Formenkreises in Betracht, dann aber wäre die Consequenz [sic] die gleiche wie bei der Schizophrenie“.939 Im folgenden bezog Meggendorfer eine relevante Position zur polarisierten erbgesundheitlichen Konsequenz bei therapieresponsiblen GzVeN-pflichtigen psychischen Erkrankungen:940 „Wenn Frau M. bei ihrer Vernehmung durch das Erbgesundheitsgericht keinerlei Auffälligkeiten zeigte, so spricht das nicht gegen die Diagnose, da ja zahlreiche Beobachtungen dafür vorliegen, dass nach Insulin-Cardiazol-Neospiran-Azoman- und Elektrokrampfkur die schizophrenen Erscheinungen vollkommen zurücktreten können“.941

Meggendorfer sah im Einsatz somatischer Therapieverfahren eine gute Option, individuell Symptome zu lindern mit der Chance auch schwer psychisch erkrankten Menschen ein möglichst eigenständiges Leben zu ermöglichen. „Wollte man [jedoch] in allen diesen Fällen von einer Unfruchtbarmachung absehen, so würde m. E. das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses seine Wirksamkeit einbüssen“.942 Meggendorfers Ansicht zu erbgesundheitlichen Maßnahmen bei GzVeNpflichtigen Erkrankten ist eindeutig und fokussiert gemäß seinem eugenischen Gedankengut auf die „Volksgesundheit“, „denn die wiederholt erkrankten und definitiv verblödeten Schizophrenen pflanzen sich nunmehr gering fort. Frau M. R. aber ist eine erst 26-jährige Frau; sie ist verheiratet, hat erst ein

935 Ebd. 936 Diese Textpassage könnte darauf hinweisen, dass die Klinikärzte teilweise die Anstaltsärzte vertraten. 937 Ebd. 938 Ebd. 939 Ebd. 940 Zu Meggendorfers Position bzgl. der von Lindenschen „Grenzfälle“ siehe auch S. 364–365. 941 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 942 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Kind und ist in hohem Maße fortpflanzungsgefährlich. Ich halte deshalb die Unfruchtbarmachung der Frau M. entsprechend dem Sinn des Gesetzes für notwendig; die Gründe der Ablehnung durch das Erbgesundheitsgericht Bamberg erscheinen mir nicht stichhaltig“.943

Am 06.08.1940 schlossen sich die Herren Buff, Dr. Weiß und Dr. Einsle von der Geschäftsstelle des EGOG Bamberg der Ansicht Meggendorfers an.

2.4.2 Zur Rolle des oberärztlichen Mitarbeiters Gustav Bingel Adolf Abraham Gustav Bingel (1901–1982) hatte im März 1937 die Oberarztstelle bei Meggendorfer in der Nachfolge Berthold Kihns angetreten,944 nachdem er ab Februar 1935 unter Heinrich Pette (1887–1964)945 in Hamburg neurologisch tätig

943 Ebd. 944 Unter Kihn als ersten Assistenten war die zweite planmäßige Assistentenstelle mit Heubeck, die außerplanmäßige Assistentenstellte mit Stracke besetzt gewesen. Während der Vakanz der ersten Assistentenstelle wurde Dr. Sailer als Hilfskraft tätig. Am 19.02.1937 teilte Meggendorfer dem Rektor mit, nunmehr „besteht […] die Aussicht, dass die erste planmäßige Assistentenstelle zum 1. März 1937 wieder besetzt wird“. Vgl. UAE: A2/1 Nr. S 194. Meggendorfer pflegte mit seinen Assistenten ein „kollegiales Verhältnis auf Augenhöhe“, wie folgendes Antwortschreiben an den Ehemann der schizophren erkrankten L. R. vom 11.12.1936 zeigt: „der Zustand Ihrer Ehefrau, Frau L. R., [hat sich] insofern etwas geändert hat, als die Kranke jetzt etwas mehr traurig verstimmt ist. Ich habe auch mit Herrn Dr. Heubeck darüber gesprochen; er ist mit mir einer Meinung, dass ein Besuch zur Zeit nicht angezeigt ist, da er die Kranke eher aufregen würde. Der Direktor“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 278/185; 213/144. Da Heubeck am 15.02.1937 aus der Klinik ausschied, bat Meggendorfer im gleichen Schreiben um die Übertragung der somit freigewordenen zweiten planmässigen Assistentenstelle an Stracke. Für letzteren erbat Meggendorfer in einem Schreiben an den Rektor vom 01.09.1938 eine Dienstzeitverlängerung bis mindestens 31.12.1938, womit dieser dann die geforderten Facharzt-Voraussetzungen erfülle. Vgl. ebd. Letztlich schied Stracke am 30.08.1939 aus der Klinik aus. Vgl. ebd. 945 „Die Gründung der Nervenklinik [Magdeburg] als eigenständige Institution des Sudenburger Krankenhauses erfolgte 1929. Als erster Direktor wurde H. Pette […] berufen, dessen Interessensschwerpunkt in der Nervenheilkunde auf neurologischem Gebiet lag. Für akut Kranke wurden in der Klinik Isolierungsmöglichkeiten geschaffen, chronisch psychisch Kranke wurden in die benachbarten Heil- und Pflegeanstalten verlegt. Von 1931 bis 1934 war W. Jacobi (1889–1937) Direktor der Nervenklinik. Zu dieser Zeit wurde die erste Karotisangiographie durchgeführt. Als weitere Direktoren folgten E. Fünfgeld (1935–1939) und H. Ruffin (1939–1945). Die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch üblichen Isolierzellen und Dauerbäder wurden in den 30er Jahren von Fünfgeld abgeschafft. Im Jahre 1944 wurde ein großer Teil der Nervenklinik durch eine Luftmine zerstört; der Wiederaufbau erfolgte unter dem damaligen Klinikleiter Steinkopff, der bis 1954 Direktor war. Im Jahre 1952 gründete Steinkopff die kinderpsychiatrische Abteilung. 1955 wurde die Electroenzephalographie in die Klinik eingeführt“. Vgl. Bogerts (2004), S. 436–437. „Zwar trat Pette die Position als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht in Hamburg nicht an, hat aber zu einzelnen Verfahren Gutachten verfasst. In seiner eigenen Forschung hat er erbbiologische Themen gemieden, kann aber keineswegs als der ‚Oppositionelle‘ gelten, als der er sich selbst in der Nachkriegszeit dargestellt hat“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 11.

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gewesen war.946 Pette war Nonnes Nachfolger auf dem Neurologischen Lehrstuhl in Hamburg;947 Nonne,948 bei welchem Meggendorfer seine neurologische Ausbildung absolviert hatte, kommt vorrangig das Verdienst zu, der Neurologie zu einer Anerkennung als eigenständiges Fachgebiet – abgesondert von der Psychiatrie einerseits als auch von der inneren Medizin andererseits – verholfen zu haben.949 In den ersten Jahren seiner psychiatrischen Tätigkeit unter Meggendorfer konnte Bingel Erfahrungen sammeln in der Anwendung der Insulinschock- und Cardiazolkrampfbehandlung950 bei schizophrenen Patienten.951

946 Vgl. Braun/Kornhuber (2013c). Ferner UAE: C3/4 Nr.120. Zu Pette weiterführend sei verwiesen auf Bauer (1998). 947 Siehe ferner hierzu Pette (1960). 948 Nonne publizierte unter anderem in Bonhoeffers Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914–1918. Vgl. Nonne (1922). 949 Weiterführend ferner Schaltenbrand (1963b). Zur geschichtlichen Entwicklung der deutschen Neurologie siehe ferner Zülch (1989). 950 Zur Formänderung des cardiazol-epileptischen Anfalls im hypoglykämischen Zustande führte Schütz unter der Leitung von Küppers Untersuchungen durch. Siehe hierzu Schütz (1940). 951 Die Interaktion Bingels mit der schizophren erkrankten Syringomyelie-Patientin S. A., welche am 23.01.1935 in die Klinik aufgenommen worden war und am 21.10.1941 an Kachexie, Bronchopneumonie und Herzversagen verstarb, zeigt sich bemerkenswert: Die Patientin lag, so zeigt die Dokumentation vom 10.03.1938 „meist still im Bett, ohne jegliche Teilnahme an ihrer Umgebung. Wird sie angesprochen, so verfällt sie in einen ungeheueren Redeschwall, den sie mit singender Stimme von sich gibt. Dabei ist höchstens der erste Satz geordnet, wobei immer wieder Wörter gemeiner Bedeutung oder mit sexuellem Anstrich vorkommen. Ist den meisten Ärzten gegenüber freundlich, nur der Oberarzt darf sich nicht nähern ohne angespuckt zu werden“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 104/9. „Bei einer Syringomyelie handelt es sich um eine flüssigkeitsgefüllte Höhlenbildung im Bereich des Rückenmarks. […]. Eine Syringomyelie kann angeboren und dann oft mit weiteren Anomalien des kraniozervikalen Übergangs assoziiert sein […]. Wegweisend ist die dissoziierte Sensibilitätsstörung an den oberen Extremitäten. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 156–157. Bei der Patientin interessant zeigt sich die ausführlich erhaltene Notiz zu ihrer Ausgestaltung formaler Denkstörungen im Sinne von „Kontamination“, d. h. Verschmelzung von mehreren Worten zu einem einzigen Wort sowie von „Neologismen“ als Wortneubildungen, die den sprachlichen Regeln nicht entsprechen und oft nicht unmittelbar verständlich sind sowie semantisch ungewöhnlicher Wortgebrauch. Vgl. Stieglitz/Freyberger (2009), S. 28. Nachdem die Dokumentation zu S. A. vom 27.01.1940 Aufschluss darüber gibt, dass die Patientin „[i]In den letzten beiden Jahren unverändert“ gewesen und pflegerisch keine besonders grossen Schwierigkeiten bereite, findet sich eine Notiz vom 16.04.1941, die sich in Hinblick auf die genannten formalen Denkstörungen weiterführend zeigt: „Patientin hat sich zum Saal-Closett begeben und singt dort in ihrer eigenen Melodie: ,Ach, alles in der Hauptstrasse, in der Schlosseria Nürnberg Storia, in der ganzen Gottes Welt, […]. Denn alles geht nach meinem Kopf, alles geht nach meiner Haut und Kopf […]. Zu dieser Krozzinen Krotschinen, zu diesen anderen Krotschinen zu meinem grossen Bierfass sind 2 Kortschinen, eines ist auf Tatschinen und 2 Bierfässer in meine Wirtschaft in Boxdorf der Rüsselrotschini einrotschini“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 104/9.

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In einem vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen gehaltenen Vortrag vom 07.02.1939 stellte Bingel die Ergebnisse der Erlanger Klinik bezüglich der neuen somatischen Therapieverfahren vor.952 Als bahnbrechende Errungenschaften für den enormen Auftrieb der psychiatrischen Therapie schilderte Bingel die Insulinschock- und die Cardiazolkrampfbehandlung. Bingel beschrieb, wie Sakel 1928 in Wien einen Rückgang motorischer Erregtheit und psychotischer Reaktionen als interessanten Zufallsbefund im Rahmen der Insulinbehandlung von Morphinisten und Alkoholikern habe erheben können.953 Sakel sah seine Beobachtungen in Korrelation zu einem Zustand der Hypoglykämie infolge einer InsulinÜberdosierung. 1933 wandte Sakel nun die Strategie der Induktion von Hypoglykämien durch Insulindarreichungen als Therapiemethode bei „Geisteskranken“ an.954 Wenn Bingel anführte, Sakel „g[ebe] selbst zu, dass er nicht der erste war, der diese Behandlungsmethode angewandt hat“,955 so gebührt Sakel selbst das Wort. In der Festschrift für Otto Pötzl (1877–1962),956 wichtigem Vertreter der Wiener Schule, führte Sakel folgendes zu dessen Rolle in der Insulinschocktherapie aus: „Pötzl’s [sic] Bemühungen um die Einführung der Schocktherapie sind bisher nicht entsprechend gewürdigt worden. Die physiologische Schocktherapie geht auf das Jahr 1927 zurück, zu welcher Zeit ich in Berlin tätig war. […]. Im Juni 1927 wurde der erste schizophrene Patient mit willkürlich hervorgerufenen Schocks behandelt. Psychosen nicht als Krankheit des ‚Geistes‘, sondern als eine physiologisch bedingte Störung der Nervenzellen hinzustellen und damit ihre Behandlung in den Bereich der Physiologie zu verlegen, mochte revolutionär erscheinen. Bei Einführung der neuen Behandlungsmethode stieß man auch auf hartnäckigen Widerstand, und wäre dies ohne die tatkräftige Unterstützung von Seiten Pötzl’s [sic] und seiner Mitarbeiter Prof. Kauders und Prof. Hoff, kaum gelungen [sic]. [...] Nach ungefähr drei Jahren war dank der Intervention Prof. Bonhoeffer’s [sic] die erste Veröffentlichung möglich. Im Jahre 1933 kam ich nach Wien. Hier wandte ich mich an die Klinik Wagner-Jauregg, deren Leiter Pötzl war. […]. Bei den damaligen Verhältnissen war überdies nicht auszuschließen, dass Vorurteile rassischer Natur eine Rolle spielen könnten.957 Alles in allem waren die Aussichten auf Erfolg die denkbar ungünstigsten […]. Nach einer kaum halbstündigen Unterredung erklärte sich Pötzl 952 Es ist davon auszugehen, dass Bingels Referatsthema im Einvernehmen mit Meggendorfer stand. 953 Das „Doppelforschungsinteresse“ Meggendorfers an Suchtkrankheiten einerseits und somatischen Therapieverfahren andererseits könnte mitunter auch in der Tradition Sakels stehen. 954 Siehe ferner auch Roggenbau (1939). 955 Bingel (1939a), S. 228. 956 „Prof. Dr. Otto Pötzl, unser Jubilar, hat als erster, nicht nur in Österreich, sondern wohl im gesamten deutschen Sprachgebiet, an seiner Klinik eine Vorlesung über Psychoanalyse und eine psychotherapeutische Ambulanz eingeführt; dies alles bereits vor Jahrzehnten, d. h. zu einer Zeit, als ein solcher Schritt noch ein Wagnis bedeutete für einen Wissenschaftler von seinem Ansehen. Ihm folgend wurde ähnliches auch an der Innsbrucker Neurologisch-Psychiatrischen Klinik geschaffen, ohne Unterstützung, ja gegen den Willen mancher Behörden. […]. Noch heute fehlt der psychotherapeutischen Ambulanz unserer Klinik, die sich außerordentlich erfolgreich entwickelte, jede staatliche Unterstützung für die dort arbeitenden Ärzte, Psychologen, Social-Worker, Schwestern usw. Ihnen und den privaten Förderern sei für Ihre [sic] Hilfe im Kampfe gegen die schwere seelische Not der Nachkriegszeit herzlich gedankt. Der Herausgeber“. Vgl. Urban (1947), Nachsatz des Herausgebers, S. 464. 957 Sakel war jüdischen Ursprungs. Vgl. Schmuhl (2016), S. 258.

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bereit, meine Behandlungsmethode an seiner Klinik einer Nachprüfung zu unterziehen. Dies war im Mai 1933 und ist daher als wichtiges Datum in der Geschichte der Schock- und Insulingrenzdosentherapie anzusehen […]“.958

Bingel führte in seinem Vortrag vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät Erlangen über somatische Therapieverfahren aus, wie zügig sich die Insulinkomatherapie von Wien959 ausgehend in Polen, Ungarn, Jugoslawien und insbesondere in der Schweiz etablieren konnte. Ab 1937 wurde sie in Deutschland in größerem Umfange eingeführt; so konnte Küppers auf der Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater in München im September 1937 bereits die Ergebnisse einer Umfrage in deutschen Kliniken und Anstalten über insgesamt 1.224 Behandlungsfälle vorstellen.960 Bingel betonte, die Definition des Insulinschocks variiere je nach Autor: „Im Allgemeinen sagt man, dass ein tiefes Koma dann vorliegt, wenn der Kranke auf Schmerzreize keine zielgerichteten Abwehrbewegungen mehr ausführt. Diese Definition wird von anderen Autoren jedoch für nicht ausreichend erachtet. So sieht man als Zeichen einer tiefen Bewusstlosigkeit erst das Erloschensein des Konjunktivalreflexes, das Fehlen einer Blinzelreaktion auf Anblasen der Augen, das Fehlen der Pupillenreaktion auf Licht, das Verschwinden des Nasenschleimhautreflexes bei Einführen der Nasensonde an. Eine größere Erfahrung in der Schockbehandlung hat uns jedoch gezeigt, dass das Fehlen zielgerichteter Abwehrreaktionen auf Schmerzreize praktisch zum Nachweis eines genügend tiefen Komas ausreicht“.961

Bingel verwies auf die individuelle Variabilität der schockrelevanten Insulindosen. Nach Bingel wurde an der Meggendorferschen Klinik in Erlangen bei einem Schizophrenen eine Insulinkur abgebrochen, da die tägliche Applikation von über 300 Insulineinheiten keine nennenswerten Symptome induziert habe. Bei einem anderen Patienten hingegen ließ sich unter der Darreichung von 240–250 Einheiten täglich ein Schock erzielen. Bingel führte die enorme individuelle Schwankung der schockinduzierenden Insulindosis zurück auf individuelle Differenzen der endokrinen Konstitution, im speziellen des hypophysären und adrenalen Systems. Bingel betonte, im Verlauf einer Insulinkur ändere sich bei den meisten Patienten die Insulinempfindlichkeit. So trete häufig parallel zum Rückgang der psychischen Auffälligkeiten eine Sensibilisierung ein, welche eine Reduktion der Insulindosis zulasse.962 Bingel bezeichnete die Insulinbehandlung als schlichtweg nicht schematisierbar: „Man erkennt schon aus diesen Erfahrungen, dass jede Schematisierung in der Insulinbehandlung unmöglich ist, dass nur ein vorsichtiges Abwägen aller Umstände und Bedingungen Gefahren zu vermeiden und die Therapie zum Erfolge zu führen vermag. Modifikationen der Technik sollten nach Möglichkeit, besonders im Beginn, wenn man noch nicht über größere eigene Erfahrungen verfügt, vermieden werden“.963

958 959 960 961 962 963

Sakel (1947), S. 404–405. Zu Zwangssterilisationen in Wien im Zeitraum von 1940–1945 siehe Spring (2009). Vgl. Bingel (1939a), S. 228. Ebd., S. 229–230. Vgl. ebd., S. 230. Ebd., S. 231.

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Das Mortalitätsridiko der Insulinschockbehandlung sah Bingel bei 1–1,6%, „sie liegt also sehr niedrig und ist sicher sehr viel geringer als die der Schlafbehandlung964 und vor allem wesentlich günstiger als die Mortalität der Malariabehandlung965 der progressiven Paralyse“.966

Nach Bingel war 1939 die Insulinbehandlung nicht mehr zu trennen von der Cardiazolkrampfbehandlung.967 Letztere ginge „jedoch im Gegensatz zu der rein empirisch gefundenen Insulintherapie von einer Arbeitshypothese aus. [Ladislas J.] [v]. Meduna [1896–1964], der Begründer dieser Therapie, nahm an, dass zwischen Schizophrenie und Epilepsie ein biologischer Antagonismus bestehe. In der Tat findet man sehr selten bei Schizophrenen epileptische Anfälle, doch sind einzelne derartige Fälle beschrieben und als Einwand gegen die Hypothese v. Medunas vorgebracht worden.968 V. Meduna hatte beobachtet, dass ein epileptischer Anfall im Verlauf einer Schizophrenie eine

964 Seit 1920 führte Jakob Klaesi (1883–1980) als Oberarzt am Burghölzli unter Eugen Bleuler die Schlafkur zur Therapie von Schizophrenien durch. Mittels Applikation von Somnifen als Kombinationspräparat von Diäthylbarbiturat, Dipropenylbarbiturat und Diäthylamin wurden die Patienten in eine Dauernarkose von sechs bis zehn Tagen Länge versetzt. Teils wurde vor Start des Somnifen-Dauerschlafes zusätzlich Skopolamin-Morphin verabreicht. Max Müller beschrieb eine Mortalitätsrate bei Klaesis Somnifenkuren von 5 Prozent. Maier gestaltete im weiteren Verlauf die Behandlung mit Hilfe des Pharmakologen Max Cloëtta sicherer. Vgl. http://med-etc.com/ps/Huonker_Zuerich-fuersorge-1890-1970/05-zwangstherapien.html. Stand vom 21.02.2016. Siehe ferner Oberholzer (1927) und Cloëtta/Maier (1934). 965 Weiterführend hierzu: Brown (2000) und Eckart/Vondra (2000). 966 Bingel (1939a), S. 236. 967 Die Cardiazolkrampfbehandlung wurde an der Meggendorferschen Klinik auch kombiniert mit der Neospiran-Behandlung durchgeführt, wie z. B. bei der 1910 geborenen G. M. Unter ihrem Mädchennamen S. M. war sie erstmalig an der Spechtschen Klinik unter den Diagnosen „Psychopathie, (psychogener Verwirrungszustand)“ von 26.10.1931–21.11.1931 behandelt worden. Die zweite Klinik-Aufnahme fand am 31.05.1939 statt, am 17.08.1939 wurde folgendes dokumentiert: „[n]ach reiflicher Überlegung und nach Würdigung aller reaktiven Momente, die zu dem Geisteszustand der Frau G. geführt haben könnten, wird die Diagnose Schizophrenie gestellt und der Antrag auf Unfruchtbarmachung abgeschickt“. Vgl. APNK/FAU, Anfnahmenr.: 243/141; 232/132. Am 06.09.1939 wurde Herrn Dr. med. Demetz, Erlangen, mitgeteilt, „[…] eine kombinierte Cardiazol-Neospiran-Kur [sei] mit sehr gutem Erfolg bei ihr durch [geführt worden] [...]. Am 5.9.29 konnten wir sie erheblich gebessert entlassen“. Vgl. ebd. Die entsprechende Insulin-Krampfkurformblatt-Aufzeichnungen ergeben: 13.07.1939: „Neospiran 4ccm i.v.; atmet tief und beschleunigt, Gesicht gerötet, zittert. Verhalten unverändert, steht ratlos herum, sieht einen fragend an, spricht sehr wenig. Hat etwas an einer Decke gestrickt, sonst keine Beschäftigung“. Vgl. ebd. 15.07.1939: „Neospiran 4,2 ccm i.v.; gleiche Reaktion. Nachmittags kann man mit ihr reden, macht Handarbeiten, sonst idem“. Vgl. ebd. 05.08.1939: „Cardiazol 0,5; Anfall“. Vgl. ebd. 08.08.1939: „Cardiazol 0,5; kein Anfall. 0,6 aufgespritzt […] Anfall. Ratlos, hilflos […] fragt […], ob sie immer noch bleiben muss“. Vgl. ebd. 12.08.1939: „Cardiazol 0,6; Anfall […] zugänglicher“. Vgl. ebd. 15.08.1939: „Cardiazol 0,6; unsicher, ängstlich, kein Anfall“. Vgl. ebd. Am 17.08.1939 wurde vermerkt „von einer Fortsetzung der Cardiazolkur [werde] Abstand genommen“, „[…] [n]achdem sich seit etwa 10 Tagen eine Besserung im Zustand der Kranken gezeigt hat“. Vgl. ebd. 968 „Von Meduna ging von der Arbeitshypothese eines biologischen Antagonismus zwischen Schizophrenie und Epilepsie aus, was sich in dieser Form zwar nicht bestätigte, zunächst aber eine therapeutisch fruchtbare These war“. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 475.

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wesentliche Besserung des psychischen Zustandsbildes herbeiführen konnte. Er versuchte daher, bei Schizophrenen epileptische Anfälle durch krampferzeugende Mittel zu produzieren und bediente sich zu diesem Zwecke zuerst des Kampfers. Sehr bald ging er jedoch zum Cardiazol (= Pentamethylentetrazol) über, das er zunächst in einer 20%-, nachher wegen der Gefahr der Venenverödung in einer 10%-Lösung intravenös injizierte“.969

Bingel erwähnte in seinem Vortrag auch das „[i]n letzter Zeit […] statt des Cardiazol[s] [empfohlene] […] ‚Azoman‘970 als krampferzeugendes Mittel für die Schizophrenietherapie […]. Es hat, wie wir uns in eigenen Versuchen überzeugen konnten, dem Cardiazol gegenüber einige Vorteile; vor allem scheint es nicht zu derartig quälenden Mißempfindungen im Beginn des Anfalls zu führen. Auch eine Venenverödung ist in viel geringerem Maße zu befürchten“.971

Die Tatsache, dass sich Bingel und Meggendorfer auch von einem weniger erfolgreich verlaufenden Versuch des Azoman972-Einsatzes in der Klinik überzeugen konnten, findet ihren Niederschlag in einer Veröffentlichung Bingels über die „Gefahren der Azomanbehandlung“: „Die […] Häufung von Anfällen nach Azomaninjektion hat in einem unserer Fälle zum Tode geführt. Es handelte sich um einen fast 20 jähr. Kranken, der am 20.2.1939 der Klinik wegen eines seit ungefähr Anfang Januar bestehenden schizophrenen, vornehmlich kataton-stuporösen Krankheitsbildes zugewiesen wurde. Von dem Kranken waren keinerlei Angaben zu erhalten, er lag fast den ganzen Tag mit geschlossenen Augen im Bett und nahm von seiner Umgebung keine Notiz“.973

Nach initialem intravenösem Cardiazol-Therapieregime folgte später der Entschluss für eine Azomanbehandlung, die standardmäßig als intramuskuläre Applikation stattfand. „Das psychische Bild änderte sich jedoch nicht; es trat eher eine gewisse Verschlechterung ein. […]. Wegen des schlechten Allgemeinzustands wurde gegen Mitte März die Cardiazolbehandlung zunächst ausgesetzt; der Kranke erholte sich wieder etwas, war zugänglicher, die Nahrungsaufnahme besserte sich. Gegen Ende März war er aber wieder ganz stuporös, so dass die Weiterführung der Cardiazolkur beschlossen wurde. […]. Am 13.4.1939 erfolgte die erste Azomaninjektion, und zwar 2,8ccm intraglutäal. Etwa 5 Min. [sic] nach der Injektion sprang der Kranke plötzlich aus dem Bett, er rannte gegen die Tür, wo er zusammenbrach und einen epileptischen Anfall bekam. Noch während der tonischen Starre wurde er ins Bett gebracht. Nach dem Anfall kam er nur langsam zu sich. Etwa 7 Min. nach Ablauf des ersten trat ein zweiter epileptischer Anfall ein, 3 bis 4 Min. nach diesem ein dritter. Gleich im Anschluss an diesen dritten Anfall setzte plötzlich die Atmung aus, während der Puls noch sehr gut und gleichmäßig tastbar war, das Gesicht wurde stark zyanotisch. Die Atmung kam trotz reichlicher Anwendung 969 Bingel (1939a), S. 244–245. 970 „Es wurde auch versucht, das Cardiazol bei der Krampfbehandlung durch andere chemische Mittel zu ersetzen. So wurde in Deutschland das ‚Azoman‘ verwendet, von Italienern das Ammoniumchlorid und das salzsaure Azetylcholin“. Vgl. Meggendorfer (1940/41), S. 43. 971 Bingel (1939a), S. 247. 972 „Ein Versuch mit dem von der Firma C. H. Boehringer Sohn Nieder-Ingelheim a. Rh. freundlicherweise zur Verfügung gestellten neuen Mittel, das die chemische Formel 3 Äthyl-4 Cyklohexyl-1, 2, 4 Triazol hat und unter dem Handelsnamen Azoman erschienen ist, war […] angezeigt und musste unternommen werden“. Vgl. Müller, F. (1940), S. 290–291. 973 Bingel (1939b), S. 287.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang von Wiederbelebungsmitteln nicht wieder in Gang, sehr bald wurde auch der Puls klein und unregelmäßig, es trat der Exitus letalis ein“.974

Bingel resumierte, ein status epilepticus als Komplikation der Azomantherapie habe zu einem zentralbedingt letalen Azomantherapieausgang an der Meggendorferschen Klinik geführt: „Bei kritischer Betrachtung des Verlaufs muss man sich vor allem die Fragen stellen, ob das Azoman richtig dosiert war. […], immerhin liegt die Vermutung nahe, dass eine vorsichtigere Dosierung eher auf die Gefahren des Azomans aufmerksam gemacht hätte. Unsere Beobachtung zeigt ferner, dass von anfänglichen Erfahrungen bei der Dosierung von Cardiazolbehandlung nicht auf die Dosierung des Azomans geschlossen werden darf. […]. Ist die Behandlung aus irgendeinem Grunde ausgesetzt worden, so muss bei Wiederbeginn auf die Ausgangsdosis zurückgegangen werden“.975

Bingel sah einen Nachteil von Azoman gegenüber Cardiazol in der „niedrigen Mehrkrampfschwelle“;976 trotz des beobachteten Todesfalles unter der Azomantherapie, resultiere für die klinische Praxis, so Bingel, nicht die gänzliche Verfahrenseinstellung, zumal „die intramuskuläre Anwendbarkeit des Mittels ein großer Vorzug ist; wir werden uns aber bei der Dosierung sehr streng an die oben gegebenen Regeln halten“.977 Bingel konnte eine Übersicht über die Ergebnisse von 60 Insulin- und/oder Cardiazolkrampfbehandlungen978 an der Erlanger Klinik unter Meggendorfer vorstellen. Seine Resultate besagen, dass „die Erfolge der modernen Schizophreniebehandlung bei kurzer Krankheitsdauer am besten sind und dass die Erfolgsaussichten mit zunehmender Krankheitsdauer wesentlich schlechter werden; […]. Unter den 60 abgeschlossenen Behandlungen unserer Klinik sind uns bisher in 5 Fällen Wiedererkrankungen bekannt geworden. Bei 3 von diesen konnte durch eine erneute Kur wiederum eine gute Remission erreicht werden, ein Kranker blieb durch die zweite Kur unbeeinflusst, der letzte ist leider nicht wieder in unsere Behandlung gekommen“.979

974 Ebd. „Die durch das Pathologische Institut (Direktor Prof. Dr. Kirch, Obduzent Dr. Schmidt) vorgenommene Sektion ergab folgenden Befund: Akuter Kreislaufkollaps mit Absackung des Blutes in der Peripherie und Hyperämie vorallem des Gehirns, der Leber, Nieren und Milz. Schlaffes, linksdilatiertes Herz, multiple Schleimhautblutungen im Dünndarm. Einige Kolloidzysten in der Schilddrüse. Status lymphaticus mit Hyperplasie der Tonsillen, des Waldeyerschen Rachenrings und des lymphathischen Apparats im Dickdarm, keine Thymushyperplasie (15, 5g)“. Vgl. ebd., S. 288. Zu Eugen Kirch siehe auch S. 595, Fn. 366. 975 Bingel (1939b), S. 288. 976 Ebd., S. 289. 977 Ebd. 978 „Auf dem Kongreß der Schweizer Neurologen und Psychiater in Münsingen (1937) berichtete [Felix] Georgi als erster über die Möglichkeit, das von v. Meduna angegebene Verfahren zur Behandlung der Schizophrenie, die Erzeugung cardiazolepileptischer Anfälle, mit der von Sakel angegebenen Insulinschockbehandlung in der Weise der ‚Summation‘ zu kombinieren“. Vgl. Schütz (1940), S. 132. Zu Georgi siehe ferner Zwirner (1964). 979 Bingel (1939a), S. 251.

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Im Zuge seiner 1940 veröffentlichten Habilitationsarbeit „über die Tagesperiodik Geisteskranker dargestellt am Elektrodermatogramm“ (EDG) 980 konnte Bingel Expertise gewinnen in der Anwendung von elektrischen Strom am Menschen. Durch das Anlegen einer Gleichstromquelle griff er mit Hilfe des EDGs die – in Abhängigkeit vom psychischen Zustand der Untersuchten – auftretenden Schwankungen der elektrischen Zellgrenzladungen ab. Die Untersuchung zielte auf das Erfassen der „Änderungen einer Polarisationsspannung, d. h. des sog. scheinbaren (also nicht des Ohmschen) Widerstandes981 der menschlichen Haut“.982

Abb. 22: Hilfsvorrichtung für die Krankenuntersuchung mittels elektrischer Ströme983

Das EDG nach Regelsberger erlaubte Bingel die Detektion „[sekundärelektromotorischer Erscheinungen der Haut […] in ihrem tagesperiodischen Ablauf“.984

980 Bingel (1940a). „Bei ,wohlbekannte[m] Jahresrhythmus von Psychosen, Selbstmord und Verbrechen‘ bemühte sich Bingel, Tagesrhythmen bei psychischen Störungen zu detektieren. Er verwendete für seine Untersuchungen das Elektrodermatogramm (= EDG) Her[]mann Regel[s]bergers (1891–?) zur fortlaufenden Aufzeichnung von sekundär-elektrischen Hauterscheinungen. Bingel schloss in seine Untersuchung insgesamt 120 Patienten ein, darunter 22 manisch- depressive, 76 Schizophrene sowie 20 Paralytiker. Die elektrischen Hautmessungen wurden zum Teil durch laufende Auszählungen des Blutbildes, Blutzuckerbestimmungen und Feststellung des Urin-PH ergänzt. ‚Aus der Fülle interessanter Untersuchungsergebnisse sei die Betonung einer in vielen Fällen sehr ausgeprägten psychischen Tagesdisposition herausgestellt, wobei offenbar bei schizoiden und schizophrenen Menschen der Morgentyp, bei Cyclothymen und Manisch-Depressiven der Abendtyp vorherrscht; zwischen beiden Typen sind Übergänge vorhanden‘. Die von den [Habilitations-] Gutachtern antizipierte praktische Bedeutung des EDGs für die Diagnosestellung sowie differentialdiagnostische Abgrenzungen sollte dem EDG nicht zukommen“. Vgl. Braun/Kornhuber (2013c), S. 588–589 sowie Bingel (1940a). Ferner empfehlenswert ders. (1939c). 981 Zu Georg Simon Ohm (1789–1854) weiterführend Deuerlein (1954). 982 Medarchiv-Siemens, EDG-Beschreibung, S. 2. 983 Ebd., P.A. 818795 vom 15.11.1929. 984 Bingel (1940a), S. 409.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang

Abb. 23: EDG: 985 „Die notwendige Apparatur wurde mir von Herrn Prof. Regelsberger bzw. den Siemens-Reiniger-Werken Erlangen freundlichst zur Verfügung gestellt“.986

Anhand der EDG-Kurve des an Psychose erkrankten Patienten Julius H. beschrieb Bingel die Tagesperiodik der EDG-Ausschläge. „Sofern der Umweltkontakt einigermaßen erhalten geblieben ist, bleiben auch die nahrungsabhängigen unbedingten und bedingten Ausschläge des EDG bestehen. Die Kurven verwischen sich jedoch, wenn die Beziehung zur Umgebung mehr und mehr verblasst, die einzelnen Teile weichen auseinander, d. h. es bestehen größere Differenzen zwischen rechts und links. Damit stimmt überein, dass klinisch in solchen Fällen auch die Integrität der gedanklichen Verknüpfungen stärker gestört ist“.987

Bingels klinisches und wissenschaftliches Interesse an der Insulin-, Cardiazol- und Azomankrampftherapie sowie seine Beschäftigung mit der klinischen Anwendung von Elektrizität im Rahmen seiner Habilitationsarbeit und der damit einhergehenden Kooperation mit den Erlanger Siemens-Reiniger-Werken haben wohl entscheidend beigetragen zu seiner wichtigen Rolle988 bei der frühzeitigen Etablierung der Elektrokrampftherapie (EKT) an der Meggendorferschen Klinik.

985 Medarchiv-Siemens. Fotografie R 304.25.I. In: SMA AO. Technische Entwicklung – Elektroencephalographie (EEG) – Elektrodermatometer (Leitwertmessung). 986 Bingel (1940a), S. 411. 987 Ebd., S. 419. 988 „Kaum aus Kopenhagen [vom III. internationalen Neurologen-Kongress] zurückgekehrt, hatte er [gemeint: Bingel] Meggendorfer schnell zu eigenen Versuchen überredet. Offenbar unabhängig von Bingel hatte Meggendorfer bereits zwei Tage vor den Vorträgen Binis und Cerlettis

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2.4.3 Die italienischen Vorarbeiten zur ersten klinischen EKT in Deutschland G. Sogliani aus dem Psychiatrischen Provinzialkrankenhaus von Sondrio989 unter der Leitung von A. Rostan beschrieb 1939 die Elektroschocktherapie als den „Durchgang einer kleinen Menge elektrischen Stromes innerhalb eines Bruchteiles einer Sekunde durch den Kopf des Kranken. Es ist dies die Methode, welche von Cerletti mit dem Namen Elektroshoc [sic] belegt wurde; er hat sie in Zusammenarbeit mit Bini an der Neuropsychiatrischen Klinik von Rom studiert. Auf dem Mailänder Kongress (14.XI.1937) über die moderne Therapie der Schizophrenie erwähnte Prof. Cerletti Versuche, die in der von ihm geleiteten Klinik bei Tieren im Gange waren, um mittels elektrischen Stromes epileptische Anfälle hervorzurufen. In einer späteren, der Kgl. Medizinischen Akademie in Rom am 28.V.1938 gemachten Mitteilung gab Cerletti, in Zusammenarbeit mit Bini, die bei der Fortführung dieser Versuche erhaltenen Ergebnisse bekannt.990 Sie waren in der Zwischenzeit auch schon auf den

in Kopenhagen den für Erlangen zuständigen Leiter der SRW [Siemens-Reiniger-Werke]- Geschäftsstelle Nürnberg zu sich gebeten, um ihn […] aufmerksam zu machen“ auf Sogliani (1939). Vgl. Lang (2013), S. 218–219. Langs Textpassage lässt den Rezipienten im Unklaren darüber, warum Bingel Meggendorfer zur Versuchsvornahme „überredet“ haben hätte sollen, wo doch letzterer bereits im Vorfeld mit den SRW in Bezug auf Soglianis Arbeit in Kontakt getreten war. Zur Klärung dieses, in Langs Text nicht aufgelösten, Widerspruches siehe S. 221. Das „Überreden“ könnte sich am ehesten beziehen auf den EKT-Einsatz direkt am Menschen. Umso missverständlicher auslegbar zeigt sich Langs Formulierung bezüglich „Versuchsvornahme“, könnte sie doch beim Rezipienten eine Gleichsetzung mit „Experiment“ nach sich ziehen. Meggendofer und Bingel nahmen im Rahmen der EKT-Durchführung an ihrer Klinik keine „Menschenexperimente“ vor, sondern am ehesten – zumindest bei ihren Erstanwendungen – „individuelle Heilversuche“. 989 Interessant ist die Vorreiterrolle Italiens bei der Elektrokrampftherapie unter anderem im Kontext der politischen Zusammenarbeit zwischen „Führer“ und „Duce“ und der Mussolinischen Rassenpropaganda: „Auf Vorschlag des Volkskultusministeriums hat der Duce verfügt, dass im Jahr 1940 in Rom eine große Rassenausstellung stattfinden soll, auf der der Ursprung und die tausendjährige Entwicklung der italienischen Rasse gezeigt werden. An der Ausstellung werden zahlreiche wissenschaftliche Spezialisten mitarbeiten“. Vgl. Anonymus (1940b), S. 202. Ebenfalls in diesem Kontext weiterführend: „Im Zuge der deutsch-italienischen Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Rassen- und Bevölkerungspolitik werden im Februar und März in Rom Vorträge halten: Prof. v. Verschuer – Frankfurt, Prof. Rüdin – München. Es werden auch sprechen der Reichsgesundheitsführer Staatsrat Dr. Conti und der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Prof. W. Groß [1904–1945]“. Vgl. Anonymus (1940a), S. 223. 990 „Bini espone le difficoltà techniche per la misura dell' intensità della corrente che deve provocare lo shock e descrive l’ apparecchio; questo consta essenzialmente di un orologio interruttore, per regolare il tempo a frazioni di secondo e di apparecchi di misura e di regolazione della corrente alternata“. Vgl. Cerletti/Bini (1938a), S. 138. „Si compie dapprima con un circuito a parte (provvisorio) a corrente continua, la misura della resistenza del capo del malato, misura necessaria per dosare opportunamente il tempo e l’ intensità di corrente. […]. Accena infine ai diversi effetti finora osservati sull’ uomo in rapporto al differente dosaggio della corrente e del suo tempo di passagio. Davanti all’ Academia, alla fine della comunicazione, viene provocato un accesso epilettico mediante Cardiazol, e su un altro malato, per confronto, un acceso epilettico con il metodo dell’ Elettroshock“. Vgl. Cerletti/Bini (1938b), S. 268.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Menschen ausgedehnt worden, und es wurden auch Angaben bezüglich der verwendeten elektrischen Ströme sowie über die Vorteile der neuen Methode gemacht“.991

Im Anschluss an die einleitenden Worte zur Methode der Krampftherapie stellte Sogliani die ersten hundert Fälle der seit November 1938 in Sondrio mit EKT behandelten Patienten einer deutschsprachigen Leserschaft vor: „Da nun seit November vorigen Jahres der elektrische Krampfanfall bei allen Patienten des Psychiatrischen Krankenhauses von Sondrio hervorgerufen wird, bei welchen man die Krampftherapie als angezeigt betrachtet, bin ich jetzt in der Lage, in diesem Artikel die Ergebnisse der ersten 100 Fälle mitzuteilen, bei welchen die Behandlung zu Ende geführt worden ist“.992

2.4.4 Die EKT-Anwendung an Meggendorfers Klinik Gemäß einer Aktennotiz der SRW vom 06.12.1939 war Bingel Anfang September 1939 an das Unternehmen herangetreten mit der Frage, ob es „zur Nachprüfung der italienischen Arbeiten […] eine entsprechende Apparatur bauen wollte“.993 Hierauf sei von Seiten der SRW „unverzüglich“994 eingegangen worden, da das Unternehmen bereits im Vorfeld am „Gegenstande“995 interessiert gewesen sei: „ Es waren uns nämlich von Seiten der italienischen Erfinder die entsprechenden Patentanmeldungen996 zur Prüfung zugegangen und die endgültige Stellungnahme unsererseits dadurch erschwert, dass der Wert der Anmeldung in hohem Masse von der medizinischen Bedeutung des neuen Verfahrens, die wir nicht beurteilen können, abhängig ist. Bereits am 25. November

991 Sogliani (1939), S.160. Interessant hierzu ferner: „I vantaggi del metodo, sinora constatati, sono anzitutto la immediata ed assoluta incoscienza del sogetto, perdurante per tutto lo svoglimento dello shock. Questi malati, richiesti dello loro sensazioni, affermano di non saper nulla, semplicamente di aver dormito. Manca inoltre lo stato di subeccitamento che spesso segue all'attaco cardiozolico. I soggeti, dopo l’ Eletroshock, dormono più a lungo che non quelli iniettati col Cardiazol, e dopo svegliati sono di buon umore e calmi. L’ apparato circolatorio non entra affatto in sofferenza durante lo shock, si ha solo un leggero aumento della frequenza del polso in rapporto agli sforzi muscolari della fase clonica“. Vgl. Cerletti/Bini (1938b). S. 267. 992 Sogliani (1939), S. 161. 993 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 994 Ebd. 995 Ebd. 996 Eine Aktennotiz Pätzolds vom 09.03.1940 dokumentiert, „[n]ach den bisherigen Feststellungen unserer Patentabteilung scheint an der Patentanmeldung der italienischen Erfinder lediglich die schaltungsmäßige Kopplung zwischen Widerstandsmessung und Voreinstellung der Behandlungsspannung neu zu sein. Nach der ausführlichen Veröffentlichung von Sogliani scheint bei Beherrschung der Behandlungstechnik die Widerstandsmessung zwischen den Behandlungselektroden vor jeder Behandlung nicht unbedingt notwendig zu sein. Diese Schule steht auf dem Standpunkt, dass die Grösse des Kopfwiderstandes keinen Anhaltspunkt für die zur Auslösung des Krampfes erforderliche Reizdosis darstellt. Immerhin schafft die Angabe des Widerstandes Bezugspunkte für eine Nachprüfung und dürfte insbesondere von dem Anfänger geschätzt werden. Über diesen Punkt befragt, teilte Dr. B[ingel] mit, dass er die Widerstandsmessung nicht missen möchte, konnte indessen natürlich noch nicht ein abschliessendes Urteil hierzu abgeben“. Vgl. ebd. Siehe ferner Sogliani (1939).

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konnten wir Dr. B. eine Apparatur zur Verfügung stellen, die zunächst bewusst nach italienischen Unterlagen gebaut war, bereits aber in einem wichtigen Punkt, nämlich dem der Spannungsvoranzeige, eine wesentliche Verbesserung besaß. Heute teilte uns Dr. B[ingel] fernmündlich seine ersten praktischen Erfahrungen, die er mit diesem Apparat gesammelt hat, mit und äußerte sich dahingehend, dass seine seit dem internationalen Neurologenkongress im Sommer ds. Js. in Kopenhagen auf den praktischen Wert des Verfahrens gesetzten Erwartungen noch wesentlich übertroffen seien. Die Krampfauslösung und die epileptischen Anfälle treten mit geradezu phantastischer Bestimmtheit ein und werden von den Patienten ausgezeichnet vertragen“.997

Meggendorfer selbst vertrat in Bezug auf die Durchführung der EKT am Menschen initial eine vorsichtig-zurückhaltende Position, er wünschte eine Erprobung des Verfahrens zunächst an Hunden und äußerte anfänglich Bedenken gegen die von seinem Oberarzt Adolf Bingel intendierte sofortige Erprobung an „aussichtslosen“998 Patienten. Die Aufzeichnungen eines Besuches von Siemensmitarbeitern in Meggendorfers Klinik999 betonen dessen große Sorgfalt und Umsicht bei der Applikation des Elektrokrampfes: „Zur Behandlung legt sich der Patient auf eine Chaiselongue. Die Elektroden werden an den Schläfen angelegt und mittels Stirnbandes befestigt […].1000 Der Konvulsator wird nicht auf eine bestimmte, erprobte mAs-Dosis eingestellt, sondern Prof. Meggendorfer ist bemüht, jeden Patienten mit einer individuellen Schwellenwertdosis zu behandeln,1001 offensichtlich in der 997 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 998 Ebd. 999 „Prof. Meggendorfer behandelt jeden Patienten einzeln in seinem Zimmer. Die Patienten werden in bekleidetem Zustand auf einer Bahre hereingebracht oder kommen selbst. Nach dem Elektrokrampf werden sie in bewusstlosem Zustand auf der Bahre wieder herausgefahren. Sie sind im Gegensatz zu den im hypoglykämischen Zustand befindlichen (Eglfing-Haar) vor der Behandlung bei vollem Bewusstsein, so dass man sich mit ihnen unterhalten kann. Sie geben auf Befragen Auskunft über ihr Befinden […]“. Vgl. ebd. 1000 “[…] a material history of electroshock therapy in terms of a history from below with a focus on screws, electrodes, circuitry and patents still remains a desideratum. With this article we aim to write a history of the medical electroshock therapy technique with its changing electric wirings, electrodes and handlings by applying the Social Construction of Technology (SCOT) theory, which assumes that any technology is determined by a contingent of social factors […]”. Vgl. Rzesnitzek/Lang (2016), S. 252. 1001 Bei der an Schizophrenie erkrankten, 1924 geborenen F. R. finden sich folgende expliziten Angaben bzgl. der EKT-Anwendung: „23.10.41: Heute beginnen wir eine Elektrokrampfkur zu machen. Stufe 250, Zeit 4/10 Sek. Krampf kommt plötzlich; – später benimmt sich die Pat. unverändert. 28.10.41: Die Pat. ist im Allgemeinen etwas ruhiger. Der Anfall kam nur bei der Stufe 30. 30.10.41: Sie ist stuporös. Anfall kommt prompt, verläuft gut“. Am 01.11.1941 begann sich der stuporöse Zustand der Patientin zu lösen, sie lachte oft, sei „aber […] noch immer schwer zugänglich“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 343/263. Vermutlich wurde aufgrund der weiterhin „schweren Zugänglichkeit“ am 01.11.1941 begonnen „noch auch eine Insulinkur zu machen“. Vgl. ebd. Auch bei der Insulinbehandlung ist für diese Patientin die sukzessiv stufenweise Höherdosierung nicht nun in den Beobachtungsbögen sondern auch direkt in den Kurveneinträgen dokumentiert: „20 E., unter der Wirkung ist sie ruhig, schläft. 3.11.41: 30 E. Insulinkur, der Zustand ist im Allgemeinen unverändert, – 20 gr. Zuckerlösung getrunken. 5.11.41: 50 E. Insulinkur; während der Wirkung ist sie ruhig. […]. 6.11.41: 60 E. Insulin; Pat. war unruhig, hat laut geschrien, Nachmittag auch sehr unruhig. 7.11.41: 70 E Insulin; während der Wirkung war sie ruhig, schwitzte leicht. Nachmittag war sie zeitweise laut. Psychisch noch

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Absicht, unnötig starke Stromeinwirkungen und damit wohl auch allzu heftige Krampferscheinungen möglichst zu vermeiden. Prof. Meggendorfer hält sich bei jedem Behandlungsfall wesentlich länger auf als Dr. v. Braunmühl.1002 Er [Meggendorfer] sammelt Beobachtungsmaterial und macht sich jeweils Notizen über Stromstärke und Stromstoßdauer, sowie die mittels Stoppuhr gemessenen Latenzzeiten,1003 die Dauer der tonischen und klonischen Krampfphase, die er dann zur Grundlage seines weiteren Vorgehens bei den folgenden Behandlungen macht […]. Die Applikation nach Dr. v. Braunmühl1004 mit einer erprobten Dosis (350mA, 0,7s) ist das

kaum zugänglich, sie gibt nur selten eine Antwort. 8.11.41: 80 E, Insulin. Pat war zeitweise laut, kam nicht in Schock, 180gr. Zuckerlösung, hat selbst getrunken. Nachmittag musste man sie im Bad setzen, war sehr laut immer […] 15.11.41: in den letzten Tagen ruhiger, aber immer noch wenig zugänglich, ist autistisch, mit sich beschäftigt, gibt auf Fragen unzulänglich und widerwillig Antwort. Wird versuchsweise auf die obere Station verlegt. 3.12.44: der Zustand hat sich etwas gebessert. […]. Klagt darüber, dass sie die Kur nicht vertrage“. Vgl. ebd. Die Aktendokumentation gibt keinen Aufschluss darüber, ob die Behandlung weitergeführt oder bei schlechter Verträglichkeit abgebrochen wurde. Am 11.12.1941 heisst es „[d]ie Besserung hat weitere gute Fortschritte gemacht. Pat. ist zwar noch recht autistisch […]. 17.12.41: Weitere Besserung. Ganz frei ist die Pat. noch nicht. Sie zeigt ein läppisches Wesen und ist noch etwas autistisch. Die Angehörigen wollen die Pat. nach Hause nehmen, damit sie das Weihnachtsfest zu Hause verleben kann. Sie wird daher heute entlassen“.Vgl. ebd. 1002 „von Braunmühl, der 1947 das Lehrbuch ,Insulinschock und Heilkrampf in der Psychiatrie‘ veröffentlichte, wurde zum Schocktheoretiker der Nachkriegszeit. Als ihn 1945 der auch in München ermittelnde amerikanische Offizier Leo Alexander [1905–1985] befragte, täuschte Braunmühl den Widerstandskämpfer vor, händigte einige Geheimakten […] aus und konnte später miterleben, wie Alexander in den USA der Elektroschockbehandlung zum Durchbruch verhalf“. Vgl. Aly (2012), S. 196–197. 1003 Von schweizerischer Seite aus wurde der von Bingel und Meggendorfer vermutete Zusammenhang zwischen Stromstärke/Durchlaufszeit und Anfallspromptheit bestätigt: „Ob sich der Anfall sofort oder erst nach einer Latenzzeit anschließt, steht, wie schon Bingel und Meggendorfer vermuten, nach unseren Untersuchungen sicher in direktem Zusammenhang mit der verwendeten Stromstärke bzw. Durchlaufszeit. Die genannten Autoren nehmen deshalb mit Recht an, durch gesteigerte Dosierung lasse sich die Latenzzeit überhaupt zum Verschwinden bringen. Es frägt [sic] sich nur, ob dies wünschenswert ist; für uns bildet das Fehlen der Latenzzeit, wie bereits angeführt, vielmehr ein Anzeichen für eine Überdosierung und für den nachfolgenden überkräftigen und nicht unbedenklichen Anfall. Nach Bingel und Meggendorfer schwankt die Latenzzeit, sofern sie auftritt, zwischen 4 und 25 Sekunden, nach Cerletti und nach unseren eigenen Erfahrungen zwischen 1 und 52 Sekunden. Sämtliche Autoren sind sich darüber einig, dass eine kürzere oder längere Latenzzeit infolge der immer vorhandenen Bewusstlosigkeit und der nachfolgenden Amnesie für den Kranken keine Unannehmlichkeiten bedeutet“. Vgl. Müller (1941), S. 211–212. 1004 „Mit der deutschen Invasion in Norwegen im April 1940 war Bingel als Luftwaffenarzt nach Limburg abkommandiert und stand dadurch den SRW für eine Fortsetzung der Forschungsarbeiten nicht mehr zur Verfügung. An Bingels Stelle trat Anton Edler v. Braunmühl“. Vgl. Lang (2013), S. 225. Leider gibt Lang keine Referenz an zur Aussage, Bingel sei „nach Limburg abkommandiert“ worden. Hiermit könnte vermutlich nicht Limburg a. d. Lahn, sondern die niederländische Provinz Limburg als belgischer Militärflugplatz gemeint sein. Gemäß der Aussage Meggendorfers war Bingel hingegen nach Norwegen abkommandiert. Vgl. BAB VBS 307/8200001963. Eine norwegische Stadt namens „Limburg“ ist der Verfasserin nicht bekannt.

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Vorgehen eines stark beschäftigten Praktikers, der mit seiner Zeit rechnen muss.1005 Die Technik des individuellen Schwellenwertes nach Prof. Meggendorfer entspricht der Arbeitsweise des Forschers“.1006

Am 01.12.1939 fand an der Klinik von Meggendorfer die erste klinische Elektrokrampfbehandlung in Deutschland statt.1007 Als eine der ersten an der Klinik mit EKT behandelten Patienten kann die schizophren erkrankte B. K. gelten. Waren bei ihr am 01.03.1939 nach „im Ganzen 38 Insulinschocks und 3 Cardiazolschocks“ zwar „die anfänglich deutlichen schizophrenen Erscheinungen […] weitgehend zurückgetreten“,1008 so blieb „die Kranke doch noch psychisch recht auffällig. Sie arbeitet wohl, doch ohne den nötigen Impuls und mit der richtigen inneren Anteilnahme, muss noch viel geschoben werden. Sie ist auch noch ausgesprochen maniriert [sic], lacht fast läppisch, doch ist eine Verständigung mit ihr sehr wohl möglich. Sie ist nur noch ziemlich zurückhaltend und neigt zum Alleinsein“. 1009

Am 18.01.1940 wurde die Patientin von der Pflegeanstalt Neuendettelsau „in d. Anstalt auf W U“1010 eingewiesen und gegen Mittag des gleichen Tages in die Kli-

1005 Anton Edler von Braunmühl (1901–1957) – späterer Anhänger der Leukotomie – bezeichnete das Zucken der EKT-Patienten als „Hampelmann-Bewegungen“. Vgl. Klee (2003), S. 73. Einen Vergleich zwischen der EKT-Anwendung in der Klinik Meggendorfers und der Anstalt von Braunmühls liefert Gawlich (2015). „Die Analyse wird von der Frage angeleitet [sic], wie das neuartige technische Artefakt in der Anstaltspsychiatrie wirkte, und unter der Prämisse durchgeführt, dass die Behandlung durch die Wechselwirkung zwischen Apparat, Entwicklern und Anwendern bestimmt wurde. […]. Die Unterschiede zwischen den Elektrokrampftherapien in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und in der psychiatrischen Klinik Erlangen werden herausgestellt sowie als Wechselspiel apparativer Eigenschaften und institutioneller Bedingungen beschrieben. […]. Die entstehende historiografische Spannung, die vielfältigen Effekte der Elektrokrampftherapie […] können dabei nicht in der ‚Dialektik von Heilen und Vernichten‘ aufgelöst werden“. Vgl. ebd., Zusammenfassung, in: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0040-117X-2015-3-225/medizinisch-handeln-und-wirken-entwicklungenund-handhabungen-der-apparategestuetzten-elektrokrampftherapie-1939-1950-medical-action-and-effectiveness-development-and-performance-of-electroconvulsive-therapy-devices1939-1950-jahrgang-82-2015-heft-3. Stand vom 02.03.2017. 1006 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Zu Leo Alexander siehe ferner: Alexander (1949a) und (1949b), Shevell (1996). 1007 „Indes hatten Bingel und Meggendorfer Anfang Februar 1940 [gemeint: 03.02.], hastig und ohne die Reaktion Pätzolds abzuwarten, ihre ersten Erfahrungen und Ergebnisse mit dem Prototyp in einem Aufsatz […] veröffentlicht. Darin versuchten sie, die von ihnen begründeten deutschen Ansätze von Anfang an gegenüber der italienischen Forschung durch eine veränderte Nomenklatur abzugrenzen, indem sie ihre Methode als ‚Elektrokrampf‘ [und nicht ‚Elektroshocktherapie‘ Vgl. Sogliani (1939)] bezeichneten“. Vgl. Lang (2013), S. 224. Siehe ferner Bingel/Meggendorfer (1940). 1008 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 115/17; 294/193; 156/52. 1009 Ebd. 1010 Ebd.

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nik verlegt, sie habe „bei der Aufnahme protestiert […] gegen ihren hiesigen Aufenthalt“.1011 Am 20.01.1940 äußerte die Patientin, „von dem Direktor der Neuendettelsauer Anstalten in der Hoffnung“1012 zu sein. Folgende Dokumentation zeigt, dass die Elektrokrampfbehandlung an der Klinik, zumindest in den ersten Monaten nach Einführung, durchaus auch gegen den Patientenwillen durchgeführt wurde: „Am 24.01.1940 wurde mit einer Elektrokrampfbehandlung begonnen, die Kranke sträubt sich heute bereits dagegen, erhebt lebhaften Protest, weil sie glaubt, dadurch ,blöde‘ gemacht zu werden, schimpft über die Neuendettelsauer ,Blödenanstalt‘“.1013

Aus heutiger Sicht ist das Klagen der Patientin über kognitive Beeinträchtigung retrospektiv als adäquate Wahrnehmung zu werten. Es ist davon auszugehen, dass heutzutage die Behandlung vor dem Erreichen des Vollbildes eines (reversiblen) amnestischen Syndroms abgebrochen würde. Damals wurde die Therapie fortgesetzt. Am 07.02.1940 wurde dokumentiert, sie Patientin sei „zugänglicher und freundlicher“.1014 Gemäß der Dokumentation vom 17.02.1940 wurde erst „[v]or 3 Tagen […] mit der Elektrokrampfbehandlung aufgehört, weil die Kranke über Nachlassen der Merkfähigkeit klagte. Sie wusste z. B. nicht mehr genau, wann sie in Neuendettelsau war, konnte den Namen der dortigen Schwester nicht angeben, verlegte Sachen auf der Abteilung, wusste nicht mehr, dass ihr Bruder sie besucht hatte“.1015

Am 01.03.1940 wurde vermerkt, die Besserung habe angehalten, „der amnestische Symptomenkomplex ist wieder verschwunden. Die Angehörigen, die die Kranke besuchten, waren restlos begeistert von dem guten Zustand der Kranken“.1016 Nach einer Entlassung am 12.03.1940 wurde die Patientin am 17.04.1940 erneut aufgenommen, am 04.07.1940 begann „eine[] neue[] Elektrokrampfkur. 29.7.40: Unter der Elektrokrampfbehandlung ist d. Kranke erheblich freier geworden, macht Handarbeiten, ist freundlich und zugänglich“.1017 Die Elektrokrampfbehandlung wurde bis Anfang August fortgesetzt. Hierunter sei die Patientin „erheblich freier geworden, macht Handarbeiten, ist freundlich und zugänglich“. 1018

1011 Ebd. Der Klinikverbleib der Patientin trotz Proteste kann verschiedene Gründe haben. Es ist am ehesten davon auszugehen dass die Formalitäten im Rahmen der stattgehabten Anstaltsaufnahme hierfür einen gesetzlichen Rahmen vorgaben. 1012 Ebd. 1013 Ebd. 1014 Ebd. 1015 Ebd. Zur „Diakonissenanstalt Neuendettelsau“ siehe ferner Schmuhl/Winkler (2014). 1016 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 115/17; 294/193; 156/52. 1017 Ebd. 1018 Ebd. Am 05.08.1940 wurde die Patientin „von ihrer Mutter gegen Revers nach Hause genommen“. Vgl. ebd.

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Abb. 24: „Herrn Direktor Dr. [Heinrich Emanuel] von Buol [1880–1945]1019 zur gefl. Kenntnisnahme“1020

In dem abgebildeten Sonderabdruck wird von Buol als Vorstandsvorsitzender der Siemenswerke von Franz Maximilian Anderlohr (1884–1961)1021 darüber informiert, dass „[d]ie vorliegenden Arbeit [dem Verlag] wegen des Wunsches der Verfasser, als erste über diesen Gegenstand in Deutschland zu publizieren,1022 nicht im Manuskript vorgelegt [worden

1019 „1906 trat er bei der Siemens & Halske AG Berlin ein, der fortan sein Lebenswerk galt. […] 1921 [wurde er] Direktor der Wernerwerke und übernahm 1932 als Vorsitzender des Vorstandes die Gesamtleitung der Siemens & Halske AG. In dieser Eigenschaft wurde er 1945 nach der Eroberung Berlins durch die Russen verhaftet und im Flugzeug nach Moskau gebracht, wo er noch am gleichen Tag seinem Leben ein Ende machte“. Vgl. http://www.deutsche-biographie.de/sfz7410.html. Stand vom 22.11.2015. 1020 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Unter Bezugnahme auf diese Quelle führt Lang an: „Wahrscheinlich fasste er [gemeint: Bingel] noch in Kopenhagen den Entschluss, die vielversprechende Methode der Italiener aufzugreifen, um sie als erster Psychiater im Deutschen Reich einzuführen. Schließlich war zu erwarten, dass sich das maßgeblich auf seine Reputation in der ʻscientific communityʼ auswirken würde. Deshalb gehörte es zu den wissenschaftlichen Bestandteilen seines Vorhabens, über die ersten deutschen Versuche mit der Methode auch als erster deutscher Wissenschaftler in einer der einschlägigen Fachzeitschriften zu berichten“. Vgl. Lang (2013), S. 218. Bei Lang findet sich als Quellenangabe „Notiz Anderlohr an von Buol, eingegangen 4.3.1940, Siemens MedArchiv Zwischenarchiv (=SMAZ), Sonderdrucke, Fremde Autoren bis 1970, Elektrokrampf u. a.“ Vgl. ebd. Die leichtgradige Divergenz zu der seitens der Autorin angegebenen Quelle mag sich erklären durch doppelte Quellenbestände oder durch einen Bestandzuordnungswechsel im Zeitverlauf. 1021 Weiterführend siehe https://web.archive.org/web/20101030233545/http://www.med-archiv.de/persoenlichkeiten/anderlohr.php?lang=de. Stand vom 22.07.2016. 1022 Zur zeitlichen Abfolge englischsprachiger Publikationen: Kalinowsky (1939): 9.12.1939; Shepley/McGregor (1939): 30.12.1939; Fleming et al. (1939): genaues Erscheinungsdatum unklar; Reports of Societies (1940): 20.01.1940; Vgl. Rzesnitzek (2013), S. 210. Eine Ab-

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang sei]. Die Ausführungen über das Methodische und Physikalische sind nicht fehlerfrei. Es ist für später eine ausführliche Veröffentlichung geplant, von der wir erwarten, dass sie eine sorgfältigere und gründlichere Ausarbeitung erfährt“.1023

Die initiale Beschreibung von Bingel und Meggendorfer im Methodenteil liest sich folgendermaßen: „In Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Pätzold und Herrn Koesche von der Firma Siemens-Reiniger-Werke in Erlangen ist von diesem Werk ein Apparat gebaut worden, der dem von Cerletti und Bini benutzten insofern ähnlich ist, als er die Anwendung des Wechselstroms in der von den italienischen Autoren angegebenen Weise ermöglicht. Durch einen gesonderten Stromkreis wird ebenfalls vor Beginn jeder Behandlung ein Wechselstrom von anfänglich 1 Volt Spannung an den Kopf angelegt und auf diese Weise der Widerstand des Kopfes gemessen“.1024

Bingel und Meggendorfer betonten die Notwendigkeit der Messung des Kopfwiderstandes1025 bei ausgebliebenem Anfallsgeschehen nach dem ersten Stromstoss:1026 „[w]ir sind schon aus diesem Grunde nicht dem Vorgehen von Sogliani

schrift des Artikels von Fleming et al. (1939), entnommen aus den „Nachrichten für den Außenhandel” vom 16.10.1944, leiteten die SRW am 11.01.1945 an Meggendorfer und von Braunmühl weiter. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 1023 Ebd. 1024 Bingel/Meggendorfer (1940), S. 41. Ergänzend zur „Entwicklung und Erprobung der Elektrokrampftherapie“ siehe Ude-Koeller (2016). 1025 Interessant auch die SRW-Aktennotiz vom 12.02.1940. „Betr.: Besuch des Herrn Oberarzt Dr. Bingel, Psychiatrische Universitätsklinik, Erlangen, im E-Laboratorium am 8.2.40. Herr Dr. B. war gebeten in das Laboratorium zu kommen, um sich die von uns entwickelte Brettschaltung für Elektroschocktherapie anzusehen, die bei Gewährleistung genauer Behandlungsstärken im Bereich von 120–540mA und veränderlichen Patientenwiderständen zwischen 200 und 1000 Ω die Benutzung eines Eichkreises zur Kopfwiderstandsmessung überflüssig macht. Wir haben ihm alle Vor- und Nachteile vorgetragen und sie eingehend diskutiert. Als Ergebnis dieser Besprechung ist die Feststellung zu beachten, dass diese Methode wegen des bei 220 Volt erforderlichen Strombedarfs von ca. 20 A in vielen Fällen mangels einer Kraftleitung nicht in Betracht kommt. Es wird deshalb dieser Lösungsgedanke in Zukunft nicht mehr verfolgt. […]“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Weiterführend siehe S. 230, Fn. 1039. 1026 Diese Vorgehensweise wurde von schweizerischer Seite folgendermaßen rezipiert: „[u]m eine genaue Dosierung zu gewährleisten, misst Cerletti vor Einschaltung des Schockstromes den Schädelwiderstand in Ω. Die meisten seither konstruierten Apparate besitzen eine entsprechende Vorrichtung, wobei es sich für diesen Vorversuch als zweckmäßig erwiesen hat, Gleichstrom zu verwenden, da bei Wechselstrom auch bei Anwendung minimaler Stromstärken Reizerscheinungen an den Ansatzstellen der Elektroden sich nicht ganz vermeiden lassen (s. auch Bingel und Meggendorfer). Bei genauem Anpassen und festem Anpressen der Elektroden, vorherigem Rasieren der Schläfenhaare und genügendem Auftragen einer leitenden Paste soll der Widerstand nach Cerletti bei einzelnen Individuen nur unerheblich schwanken und sich in der Mehrzahl der Fälle zwischen 300 und 1000 Ω (nach Bingel und Meggendorfer sogar nur zwischen 200 und 500 Ω) bewegen. Es wird weiter angenommen, dass zwischen dem im Vorversuch festgestellten Schädelwiderstand und dem zur Anfallsauslösung notwendigen Stromreiz eine gesetzmäßige Beziehung bestehe, so dass aus der gefundenen Ohmzahl die Schockdosis, d. h. die zu verwendende Spannung und Durchlaufzeit errechnet werden

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gefolgt, der die Widerstandsmessung für unnötig hält und sie deshalb weglässt“.1027 Die folgenden Veröffentlichungen zur EKT von Meggendorfer,1028 Bingel1029 und Pätzold1030 erschienen explizit nicht mehr in der „Psychiatrisch-Neurologischen Wochenschrift“, bei welcher eine ausführlichere methodische Darstellung implizit angekündigt worden war. Vielmehr kamen sie im „Nervenarzt“, in der „Therapie kann. Nach Bingel und Meggendorfer soll auch bei wiederholter Stromanwendung, die zu verwendende Spannung und Durchlaufszeit errechnet werden; auf diese Weise gelinge es, sich den oft [von] Tag zu Tag wechselnden Widerstandswerten anzupassen und eine genaue Dosierung zu erreichen“. Vgl. Müller (1941), S. 205. 1027 Bingel/Meggendorfer (1940), S. 42. Ein Schreiben Bingels an Pätzold ist erhalten, in welchem er sich bekümmert darüber zeigt, „dass Herr Professor Meggendorfer unsere Arbeit nicht abschließt! Ich habe sie nun Anfang Dezember vorigen Jahres schon weitgehend fertiggemacht, er braucht nur noch einige klinische Bemerkungen hinzuzufügen. Ich weiß ja, dass Prof. M. sehr stark belastet ist, mehr denn je, aber wenn wir diese Arbeit nicht bald herausbringen, kommt uns Herr v. Braunmühl oder sonst einer zuvor. Daher meine Bitte: wollen Sie nicht so freundlich sein und Prof. M. Ihrerseits ein wenig mahnen und drängeln? Vielleicht haben Sie mehr Erfolg, als ich. Mir gegenüber hat er ein schlechtes Gewissen, daher schreibt er mir im Augenblick nicht (aber das nur unter uns!). Evtl. genügt es ja, wenn Sie ihn nur anrufen und nachfragen, indem Sie sich darauf beziehen, dass Sie mit mir Anfang Dezember schon die Arbeit weitgehend besprochen bezw. fertig gestellt hätten“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Das handschriftliche Dokument ist von Bingel mit einem schlecht leserlichen Datum versehen. Die Vermutung könnte nahe liegen, dass das Schreiben in zeitlichem Umfeld zur Publikation von Bingel/Meggendorfer (1940) entstanden ist. Andererseits ähnelt die Jahreszahl eher „1941“, zudem gibt Bingel in demselben Schreiben die Information, er habe „hier im Norden bei einem Arzt, der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung eines großen Krankenhauses ist, Propaganda für die Elektrokrampfbehandlung gemacht!“ Vgl. ebd. Offensichtlich schrieb Bingel an Pätzold den Brief während seiner militärischen Verpflichtung in Norwegen. Vor diesem Hintergrund ist in Erwägung zu ziehen, dass Bingel und Meggendorfer womöglich noch eine weitere gemeinsame EKT-Publikation geplant hatten, die in dieser Form nicht zu Stande kam. Diese Vermutung zeigt sich bekräftigt durch ein Schreiben von Pätzold an Bingel vom 15.01.1941: „Tatsächlich haben auch wir sehr grosses Interesse daran, dass aus der hiesigen Klinik, wo nun schon am längsten mit dem Konvulsator gearbeitet wird, einmal etwas darüber publiziert wird. Wir waren uns ja schon im Dezember einig, dass es an der Zeit ist, über die interessanten Ergebnisse bei exakter Dosierung etwas bekannt zu geben“. Vgl. ebd. Pätzold verfasste an Meggendorfer am 12.03.1941 ein Schreiben folgenden Inhaltes „Anlässlich unserer letzten Besprechung während des Urlaubes des Herrn Dr. Bingel im Dezember vorig. Js. war die Rede von einer Veröffentlichung über weitere Ergebnisse mit dem Elektrokrampfverfahren. Insbesondere sollten erstmalig die Erfahrungen mit dem Konvulsator mitgeteilt werden. Kurz vor meiner Abreise übergab und Herr Dr. Bingel ein Manuskript zur Korrektur, das wir umgehend auf technisch-physikalische Unstimmigkeiten hin durchsahen. Ich erlaube mir bei Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, anzufragen, wie es mit dieser Veröffentlichung steht, und wann und wo sie erscheinen wird. Wie ich damals schon zum Ausdruck brachte, haben wir ein grosses Interesse daran, dass nunmehr eine Arbeit erscheint, in welcher über Erfahrungen mit dem serienmäßig hergestellten […] ,Konvulsator‘ berichtet wird“. Vgl. ebd. Am 29.03.1941 teilte Pätzold Bingel mit, „Herr Prof. Meggendorfer hat sich in der Zwischenzeit leider noch nicht zu unserer Mahnung geäussert“. Vgl. ebd. 1028 Meggendorfer (1940e) und (1944a). 1029 Bingel (1940b). 1030 Pätzold (1940).

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der Gegenwart“, in der „Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie“ sowie in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ zum Abdruck.1031 Die Hintergründe sind bei intransparentem Aufschluss der Quellen nicht eindeutig anzugeben.1032

1031 Pätzolds Veröffentlichung ist ein Auszug aus einem am 25.06.1940 vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät der Universität Erlangen gehaltenen Vortrag. Zur Vorgeschichte der Vortragsveröffentlichung weiterführend zeigt sich folgendes Schreiben von Pätzold an Meggendorfer vom 31.07.1940: „Zu Ihrem Vorschlag, den Hinweis auf dem am 25.6. in der Physikalisch-Medizinischen Sozietät gehaltenen Vortrag wegzulassen, möchte ich darauf hinweisen [sic], dass er mir für meine Arbeit aus folgenden Gründen nicht tragbar erscheint: 1. Die Arbeit stellt den Wortlaut meines Vortrages dar und trägt deshalb Merkmale eines Stiles, die für einen normalen Aufsatz nicht üblich sind. 2. Wie uns inzwischen bekannt wurde, beschäftigen sich schon viele Stellen mit Arbeiten auf dem Gebiete des Elektrokrampfes, darunter auch 3 Konkurrenzfirmen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die von den Italienern geübte unrichtige Dosierung inzwischen auch von anderen Stellen als fehlerhaft erkannt wird und an Lösungen gearbeitet wird, die mit unserer identisch sind. Um die Prioritätsanfrage von vornherein sicher zu stellen, erscheint es mir deshalb zweckmäßig, in der Veröffentlichung unbedingt auf den Termin hinzuweisen, an welchem die Öffentlichkeit erstmalig von unseren Messergebnissen sowie von dem von unserem Laboratorium ausgegangenen Vorschlag einer exakten Stromdosierung und der Konstruktion eines verbesserten Gerätes Kenntnis erhielt.[…]. Ich sehe mich unter diesen Umständen gezwungen, den Hinweis auf meinen Vortrag beizubehalten. Daher würde ich es begrüssen, wenn Sie sich auch noch entschliessen könnten, zur Wahrung der Einheitlichkeit des Vorgehens und zur Verwirklichung unseres früheren Planes auch in Ihrer mit Herrn Dr. Bingel z. Zt. in Vorbereitung befindlichen Arbeit auf Ihren damaligen Vortrag vor der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft hinzuweisen. Sollte sich allerdings Ihre neue Arbeit so weit vom Inhalt Ihres Vortrages entfernen, dass Ihnen dieser Hinweis unzulässig erscheint, so liegt meines Erachtens kein Grund mehr vor, der es ratsam erscheinen lässt, die Veröffentlichung meines Vortrages so lange zu verzögern, bis Ihre Arbeit zusammen damit im gleichen Heft erscheint“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Am 21.08.1940 informierte Pätzold Meggendorfer, er stelle „nunmehr den Vortrag in seiner ursprünglichen Form, d. h. ohne Abkürzungen, Herrn Prof. Hasselwander für die Berichte der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft zur Verfügung“. Vgl. ebd., siehe ferner Pätzold (1940) und (1940/1941). Albert Hasselwander (1877– 1954) war im Zeitraum von 1918–1948 Ordinarius des Erlanger Anatomischen Institutes. Vgl. http://www.universitaetssammlungen.de/person/952. Stand vom 20.07.2017. 1032 Ein Schreiben Pätzolds an Meggendorfer vom 31.07.1940 weist darauf hin, dass zudem die „Zeitschrift für Nervenheilkunde“ als Publikationsorgan in Erwägung gezogen war: „Herr Dir. Anderlohr hat sich im Anschluss an seine mit Ihnen gehabte Unterredung am 26.7. davon verständigt [sic], dass er in eine nochmalige Verschiebung des Termines für die Drucklegung meines Vortrages ,Das Gerät zur Elektrokrampf-Erzeugung und seine physikalischen Grundlagen‘ auf spätestens Ende August eingewilligt hat. Die Zustimmung des Herrn Dir. Anderlohr für das an sich nicht im Sinne unserer Interessen liegende Hinausschieben wurde erleichtert durch Ihre Absicht, beim Herausgeber der Zeitschrift für Nervenheilkunde zu erreichen, dass die Arbeiten dann so rasch wie möglich veröffentlicht werden“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Letztlich wurde Pätzolds Artikel in der „Deutsche[n] Medizinische[n] Wochenschrift“ publiziert. Siehe Pätzold (1940).

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Der „Konkurrent“ von Braunmühl1033 publizierte in der „Münchner Medizinischen Wochenschrift“ unter anderem zur Irrelevanz der von Bingel und Meggendorfer hervorgehobenen Widerstandsmessung des Kopfes:1034 „Ganz sicher ist jedenfalls, dass der Widerstandsmessung nicht die Bedeutung zukommt, wie sie ihr Cerletti und Bini zuweisen. Man kann deshalb beim Erwachsenen auf eine Widerstandsmessung verzichten, wie das Sogliani auch tut. Nachdem unser Apparat über einen Widerstandsmesser verfügt, wäre oder ist es einfach, die ‚Eichzahl‘ abzulesen; ganz unnötig ist jedenfalls eine wiederholte Widerstandsmessung bei abortiven1035 oder gänzlich ausgebliebenem Anfall, wie das soeben Bingel und Meggendorfer angeben“.1036

Dr. phil. nat. habil. Johannes Pätzold aus dem Elektromedizinischen Laboratorium der Siemens-Reiniger-Werke AG 1037 führte (in der Publikation zu seinem) Vortrag 1033 „Nach seiner Rückkehr wandte [] sich [von Braunmühl] im November 1939 an die Geschäftsstelle München der Siemens-Reiniger-Werke Erlangen, um ein Gerät zu erwerben. Von Braunmühl beschloss, keinen italienischen Apparat bei Arcioni in Mailand zu bestellen, sondern auf das ‚deutsche Fabrikat‘ zu warten. Es war sein ausgesprochenes Interesse, sich als einer der ersten Psychiater im Deutschen Reich mit dem neuen Verfahren zu profilieren und mit den Siemens-Reinger-Werken eng zusammen zu arbeiten. Siemens ließ von Braunmühl darüber in Unkenntnis, dass bereits eine Kooperation mit den Erlanger Psychiatern Friedrich Meggendorfer und Adolf Bingel bestand“. Vgl. Gawlich (2015), S. 237–238. 1034 „Während die italienischen Entwickler und die Erlanger Psychiater Meggendorfer und Bingel darauf beharrten, dass der Kopfwiderstand des Patienten bei der Bestimmung der Stromdosis von zentraler Bedeutung bei der Behandlung sei, schlug von Braunmühl einen anderen Weg ein“. Vgl. ebd., S. 240. „Indem die individuelle Widerstandsmessung aufgegeben und die Schwankungen des Widerstands kompensiert wurden, konnte eine serielle Behandlungsweise durchgeführt werden“. Vgl. ebd., S. 251. „In der Universitätsklinik, wo die Behandlung des akuten Einzelfalls im Vordergrund stand, wurde die Elektrokrampftherapie weiterhin individuell und mit Bezug auf die diagnostizierte Krankheit durchgeführt“. Vgl. ebd., S. 242. 1035 Näheres zum abortiven Anfall beschreibt Müller: „Unsere eigenen Erfahrungen haben gezeigt, dass die abortiven Anfälle nicht nur vielfach therapeutisch wertvoll sind, sondern in einzelnen Fällen den Vollschocks sogar überlegen. Als eine fassbare Gruppe haben sich in dieser Beziehung die stupösen, katatonen Endzustände erwiesen, die mit einzelnen, evtl. sehr rasch wiederholenden inkompletten Anfällen aufzuwecken sind und gelegentlich ganz erstaunlich aktiv und beredt werden, während volle Anfälle wirkungslos bleiben. Meggendorfer hat ähnliches gesehen. Allerdings sind diese Besserungen regelmäßig nur von kurzer Dauer. Es gibt jedoch auch frische Fälle aller Psychoseformen, die gelegentlich auf komplette Anfälle nicht reagieren, ja sogar in Form von Erregungszuständen (s. Bingel) eine Verschlimmerung aufzeigen, auf unterschwellige Reize aber ausgezeichnet ansprechen und zur Remission gelangen“. Vgl. Müller (1941), S. 224. „Im Verlauf von EKT-Behandlungen können abortive, insuffiziente und prolongierte Anfälle auftreten; durch entsprechende Gegenmaßnahmen stellen sie i. d. R. kein Hindernis für die Fortsetzung der Therapie dar“. Vgl. Grözinger et al. (2016), S. 230. Abortiv und insuffizient verläuft der Anfall, wenn die Qualitätsmerkmale einer Mindestdauer von >25s bzw. von > 20s bei älteren Patienten, einer iktalen Amplitude von >80 μV bzw. von >150μV bei älteren Patienten, einer iktalen Synchronisation des EEG-Signals der beiden Hemisphären von mindestens 90%iger Kohärenz, einer EEG-Suppression nach dem Anfall sowie einer Herzfrequenz von bpm >120 nicht oder nur partiell erfüllt sind. Vgl. ebd. 1036 Braunmühl (1940), S. 513. Zu den Erfahrungen nach „[f]ünf Jahre[n] Shock- [sic] und Krampfbehandlung in Eglfing-Haar“ siehe Braunmühl (1941). 1037 Pätzold verwies bezüglich der Historie der therapeutischen Nutzbarmachung cranialer elektrischer Stromapplikation auf das Jahr 1870, in welchem Fritsch und [Eduard] Hitzig [1838–

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am 25.06.1940 vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät die technischen Grundlagen der EKT-Handhabung näher aus: „[Folgendes] Bild […] zeigt die Prinzipschaltung eines Gerätes, das wir in Anlehnung an die Konstruktion von Bini gebaut haben und das zuerst in der Universitäts-Nervenklinik Erlangen praktisch erprobt wurde“.1038

Zur Widerstandsbestimmung favorisierte Pätzold Gleichstrom, bei der Bestimmung der Behandlungsstromstärke sollte Wechselspannung (0,5 V) angelegt werden. „Im Vordergrund stand für uns die Frage, inwieweit die einfache Widerstandsmessung aus Stromstärke bei 0,5 V. den für die Behandlungsspannung von ca. 100 V. geltenden Wert richtig vermittelt. Unseres Wissens ist noch nirgends am lebenden, menschlichen Körper, insbesondere am Schädel, bei so hohen Spannungen der Wechselstromwiderstand gemessen worden. Wir oszillographierten1039 zu diesem Zweck an einer größeren Anzahl von Patienten Strom und 1907] in ihrer Arbeit „über die elektrische Erregbarkeit des Großhirns“ feststellten, man könne durch elektrische Reizung des Tierhirns einen epileptischen Anfall verursachen. Vgl. Pätzold (1940), S.1157. „[E]s geht ferner aus der Summe aller unserer Versuche hervor, dass keineswegs wie [Marie-Jean-Pierre] Flourens [1794–1867] und die Meisten nach ihm meinten, die Seele eine Art Gesamtfunction [sic] der Gesamtheit des Grosshirns ist, deren Ausdruck man wohl im ganzen aber nicht in seinen einzelnen Theilen durch mechanische Mittel aufzuheben vermag, sondern dass vielmehr sicher einzelne seelische Funktionen, wahrscheinlich alle, zu ihrem Eintritt in die Materie oder zur Entstehung aus derselben auf circumscripte Centra der Großhirnrinde angewiesen sind“. Vgl. Fritsch/Hitzig (1870), S. 332. Weiterführend zu Hitzig siehe auch Marneros/Pillmann (2006). 1038 Pätzold (1940), S. 1157. 1039 Trotz initial verworfener Option der Brettschaltung, vgl. S. 226, Fn. 1025, verwies Pätzold gegen Ende seiner Aktennotiz vom 09.03.1940 erneut hierauf: „[a]m 24.2.40 wurden die von uns seit längerer Zeit geplanten und anlässlich des Besuches des Herrn Oberarzt Dr. Bingel im E-Lab am 8.2.40 verabredeten oszillographischen Messungen am Elektroschockgerät während der Behandlung durchgeführt. Von derartigen Untersuchungen versprechend wir uns genauere Angaben über den Strom-Spannungsverlauf in Abhängigkeit von der Zeit und damit Aufschlüsse über die komplexe Grösse Patientenwiderstand zu erhalten, die in gleicher Weise für die wissenschaftliche Fundierung des Verfahrens wie für die Weiterentwicklung des zugehörigen technischen Rüstzeugs von Interesse sind. Wegen der Kürze der Behandlungsdauer (0,3– 0,7sec) kann der Vorgang exakt nur durch [O]szillographieren untersucht werden. Es wurde am 24.2. ein Schleifenoszillograph im Behandlungsraum der Erlanger Nervenklinik aufgestellt und mit derartigen Untersuchungen begonnen. Es standen an jenem Tage (Samstag) leider nur 3 Patienten zur Verfügung; an anderen Tagen war der Oszillograph im Werk anderweitig besetzt. […]. Da angestrebt werden musste, die Untersuchungen an den Patienten durch die an sich zeitraubenden Arbeiten in der Dunkelkammer nicht zu sehr in die Länge zu ziehen, wurde nur bei den Messungen an einem Patienten auf die Möglichkeit einer quantitativen Auswertung geachtet. Die anderen sollten uns zunächst qualitativ Aufschlüsse über die in Frage stehenden Zusammenhänge geben“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte Die quantitative Auswertung der Oszillogramme „nach Stromspannung und danach Widerstand“ habe, so das Dokument, folgendes bemerkenswertes Ergebnis ergeben: „der Patientenwiderstand ist relativ stark spannungsabhängig, derart, dass sein Wert bei der kleinen Eichspannung (ca. 0,5 V) wesentlich grösser ist, als bei der Behandlungsspannung“. Vgl. ebd. „In keinem Falle wurden bei der oszillographischen Ermittlung der wahren Widerstände Phasenverschiebungen zwischen Strom und Spannung gefunden. Aus theoretischen Gründen wäre es wünschenswert, weitere oszillographische Messungen durchzuführen um Strom- und Spannungsverhältnisse in dem scheinbaren Widerstand

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Spannung während der Auslösung des Elektrokrampfes (Behandlungszeiten von 0,3–0,8 Sek.)“.1040

Die ausgewerteten Oszillogramme1041 ließen keinen Rückschluss auf eine zeitliche Zunahme des Stromes zu, so dass – nach Pätzold – keine relevanten Durchschläge innerhalb der Kopfhaut unter den bei EKT applizierten Strom- und Zeitwerten resultierten. In Bezug auf das erste für den klinischen Einsatz in Deutschland verwendete EKT-Gerät der Firma Siemens-Reiniger betonte Pätzold am 25.06.1940 vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät, „[a]bweichend von dem Gerät Binis ist im wesentlichen nur die Verwendung von Wechselspannung zur Widerstandsmessung. Diese Abänderung wurde von uns bewusst vorgenomen, da die Benutzung von Gleichstrom zur Widerstandsbestimmung, die doch die Grundlage für die Dosierung der Behandlungsstromstärke (Wechselstrom) liefern soll, wegen der bekannten großen Abweichungen, insbesondere der Haut, […] von vornherein äußerst problematisch erscheint“.1042

Ebenfalls anlässlich seines Vortrages vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät stellte Pätzold das neuere Siemens-EKT-Gerät vor. Der experimentell gewonnene Befund individuell kaum variierender Schädelwiderstände unter einer Behandlungsspannung von etwa 100 V. und unter der Verwendung gleichgroßer Elektroden bedingte nach Pätzold die Möglichkeit, „durch Serienschaltung erträglich großer Ohmscher Widerstände in an sich bekannter Weise die Patientenstromstärke bis auf wenige Prozente genau einstellen. Schaltet man, wie wir es bei dem neuen Gerät (Konvulsator[…]) ausführen, in Serie zum Patientenwiderstand 2000 Ω und

(Patientenwiderstand bei 0,5 Volt gemessen) zu ermitteln“. Vgl. ebd. Bisher, so Pätzold, könne der Patientenstrom „mit genügender Sicherheit nach der bisherigen Methode nur dann im Voraus eingestellt werden, wenn die Abhängigkeit des Patientenwiderstandes von der Spannung bekannt und für alle Patienten annähernd dieselbe ist. Andernfalls [wird verwiesen auf die konzeptualisierte] Brettschaltung, da hierbei die Behandlungsstromstärke in weiten Grenzen unabhängig vom Patientenwiderstand ist“.Vgl. ebd. 1040 Pätzold (1940/41), S. 51. 1041 „Am 18.3.1940 wurden in der Erlanger Univ. Nervenklinik weitere oszillographische Messungen am Elektroschockgerät während der Behandlung durchgeführt. Wie bereits in der Aktennotiz vom 2.3.40 erwähnt ist, haben die Messungen den Zweck, genaueren Aufschluss über die Spannungsabhängigkeit des Patientenwiderstandes zu geben“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. In einem Schreiben an Bingel und Meggendorfer vom 13.04.1940 betonte Pätzold, besonders wichtig sei „die aus der [oszillographischen] Messreihe gewonnene Feststellung, dass die grösste Abweichung der scheinbaren Widerstandswerte 1350–485 =865 Ω beträgt, während sich die tatsächlichen Widerstandswerte nur um 386–244=142 Ω unterscheiden.[…]. Die so dicht beieinanderliegenden wahren Widerstandswerte verschiedener Patienten (Mittelwert aus unseren Messungen 320 Ω ) machen die praktische Brauchbarkeit der einfachen, von Sogliani benutzten Methode verständlich. Sogliani hält bekanntlich die Spannung konstant auf 110 Volt und variiert ausschliesslich die Zeit. Bei dieser Spannung würde nach unseren Messungen unter sonst gleichen Umständen im Mittel eine Stromstärke von 344mA fliessen und als höchster Wert 450 mA nicht überschritten“. Vgl. ebd. 1042 Pätzold (1940/41), S. 50.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang nehmen den auf Grund unserer oszillographischen Messungen1043 bestimmten mittleren Schädelwiderstand von 300 Ω als richtig an, so können wir es leicht durch entsprechende Anzapfungen des Transformators erreichen, dass innerhalb des gewünschten Strombereiches von 150–500 mA jeweils die am Stromwähler stufenweise […] voreinstellbare Behandlungsstärke exakt fließt“.1044

Nach Pätzold betragen die Abweichungen vom Sollwert der Behandlungsstromstärke bei 400 Ω bzw. 200 Ω Schädelwiderstand im „ungünstigsten Falle nur 5% […] Diese einfache und in bezug [sic] auf das Dosierungsproblem voll befriedigende Lösung vermeidet jede Widerstandsmessung“.1045 Mit dem neuen EKT-Modell hoffte Pätzold, „dem Arzt ein Gerät zur Elektrokrampferzeugung übergeben zu können, dass ihm erstmalig die Möglichkeit einer zuverlässigen Stromdosierung bei denkbar einfachster Handhabung bietet“.1046

Meggendorfer selbst betonte 1944 die Irrelevanz der Messung des individuellen Kopfwiderstandes: „[i]m Laufe der Zeit wurde das Gerät technisch sehr vervollkommnet. Es wurde von den Siemens-Reiniger-Werken-A.-G. in Erlangen unter dem Namen ‚Convulsator‘ in den Handel gebracht. […]. Der ‚Convulsator‘ arbeitet mit Wechselstrom. Wo nur Gleichstrom zur Verfügung steht, muss ein Transformator eingeschaltet werden. Im Apparat selbst ist ein so hoher Widerstand eingebaut, dass der individuelle Widerstand1047 des Kopfes des Patienten nicht in Betracht kommt. Deshalb erübrigt sich im Gegensatz zu dem von den italienischen Autoren benützten Apparat ein Vorversuch“.1048

Bingel publizierte zu psychischen und chirurgischen Komplikationen als zweite Mitteilung zur Elektrokrampftherapie:1049 Bei sieben Fällen sei großteils nach dem 1043 Eine Aktennotiz von Pätzold vom 09.03.1940 dokumentiert, dass mit Hilfe von oszillographischen Untersuchungen „an einem grösseren Material“ die Frage analysiert werden sollte, „wie sich der Schädelwiderstand über den beim Elektroschockverfahren benutzten Spannungsbereich mit der Höhe der Spannung ändert. In der einschlägigen elektro-physiologischen Literatur, soweit sie uns zugänglich ist, haben wir lediglich einen Hinweis aus früherer Zeit in den Messergebnissen von Rasehorn (Siemens u. Halske) gefunden. (Handbuch der gesamten medizinischen Anwendungen der Elektrizität, Ergänzungsband zu I und II, von L. Mann, 1928, S. 107)“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Siehe ferner Boruttau/Mann (1928), S. 107. 1044 Pätzold (1940/41), S. 58. 1045 Ebd., S. 59. 1046 Ebd., S. 60. 1047 Ein vergleichender Blick ins UK: “The patient then has his fit, the voltage used being determined (at least in part) by the skull A. C. resistance”. Vgl. Strauss/Macphail (1940), S. 780. Weiterführend auch S. 576. 1048 Meggendorfer (1944a), S. 1–2. 1049 Bingel (1940b). Interessant auch die schweizerische Perspektive: „Zudem ist festzuhalten, dass nach unserer eigenen und der Erfahrung verschiedener anderer schweizerischer Behandlungsleiter die ominösen Rückenschmerzen nach dem Anfall sehr viel seltener beobachtet werden als nach dem Cardiazolkrampf, eine Erfahrung, die sich auch mit derjenigen von Bingel und Meggendorfer deckt“. Vgl. Müller (1941), S. 216. „Bingel und Meggendorfer erlebten schon in den ersten Monaten nach Einführung der Behandlung bei einer sicher noch kleinen Zahl von Fällen (sie wird leider nicht angegeben, dürfte aber unter 50 liegen) eine Distorsion

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neunten oder zehnten Krampfanfall ein amnestisches Syndrom als Komplikation eingetreten,1050 weshalb die Erlanger Klinik nun „in der Häufigkeit der Anfallsauslösungen etwas zurückhaltender geworden“1051 sei. In Bezug auf die chirurgischen Komplikationen,1052 wie z. B. eine Luxationsfraktur am collum chirurgicum humeri gab Bingel Strategien zur Prophylaxe der unerwünschten Nebenwirkungen an. Um einem initialen Vorschnellen der Arme entgegenzuwirken erfolge das „Andrücken der Oberarme an den Thorax bzw. [...], ein kräftiges Verschränken der Arme über der Brust. […]. Ich glaube, dass durch das Verschränken der Arme auf der Brust auch die initiale ruckhafte Bewegung der Arme nach vorn gehemmt bzw. gebremst wird. […]. Wir haben jedenfalls nach Anwendung der Armverschränkung über der Brust keine der genannten chirurgischen Komplikationen bei der Elektrokrampfbehandlung mehr erlebt“.1053

Zunehmend etablierte sich die EKT als neue Heilbehandlung an Meggendorfers Klinik. Folgende Aktendokumentation lässt darauf schließen, dass die EKT auch unter den Mitpatienten positiv aufgenommen wurde:1054 „Möchte gerne mit Elektrokrampf behandelt werden, damit sie wieder schneller in die Höhe kommt. Dem Manne wird aus diesem Grunde geschrieben“.1055 Standardmäßig erhielten die entsprechenden Patient(inn)en im Vorfeld folgendes Aufklärungsschreiben:1056

im Schultergelenk, 3 Frakturen im Bereich des Schultergürtels sowie verschiedene Ausrenkungen des Unterkiefers. […]. In seiner letzten Arbeit spricht Meggendorfer von 4% chirurgischer Komplikationen, bezogen auf die Zahl der Stromanwendungen“. Vgl. ebd., S. 214. 1050 Vgl. Bingel (1940b), S. 331. 1051 Ebd., S. 333. 1052 Zu chirurgischen EKT-Komplikationen bei der EKT weiterführend auch die Aktendokumentation zu P. E. siehe S. 459, Fn. 912. 1053 Bingel (1940b), S. 340. 1054 Es finden sich jedoch auch gegenteilige (zumindest passagere) Patientenpositionen zur EKT dokumentiert, wie z. B. bei dem 1901 geborenen einstigen Ansbacher Fürsorgepflegling S. A. Die Fürsorgestelle Ansbach nahm Einträge vor am vom 27.04.1933, am 07.07.1933 und am 18.07.1933, zuletzt „[o]hne Änderung“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 486/393. Vor Übergabe an die Ansbacher Fürsorge war die Patientin von 24.02.1932 bis 03.04.1933 in der Spechtschen Klinik behandelt worden. Nach erneuter Klinikaufnahme am 28.11.44 wurde am 27.12.1944 mit einer „Elektrokrampfkur“ begonnen Am 03.01.1945 zeigt sich dokumentiert, „[d]ie Elektrokrampfkur empfinde[] die Kranke sehr unangenehm“. Vgl. ebd. 1055 Ebd., Aufnahmenr.: 216/112. 1056 Ein Schreiben der Klinik vom 18.08.1942 an den Vater der Patientin G. N. gibt Aufschluss über die Betonung der Autonomie von Patienten und betreuendem Angehörigen an Meggendorfers Klinik: „Auf ihr an die Verwaltung der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen gerichtetes Schreiben vom 14. ds. teile ich Ihnen mit, dass es eigentlich am besten wäre, wenn Ihre Tochter, Frau G. N., noch einige Zeit in der Klinik bliebe und hier eine richtige Kur durchmachte. Wenn sie aber die Entlassung der Kranken wünschen, so kann die Entlassung jederzeit erfolgen. Die Kranke kann an jedem Wochentag abgeholt werden“. Frau G. N. wurde letztlich am 24.11.1942 entlassen. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 258/179.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „Die Insulin- bzw. Cardiazol-1057 und Elektrokrampfbehandlung1058 und die Malariakur geben heute die Möglichkeit[,] geistige Erkrankungen heilend anzugehen. Wir halten es deshalb für unsere ärztliche Pflicht, ihnen diese Behandlung vorzuschlagen und bitten Sie, uns baldmöglichst Ihre Zustimmung dazu zu geben. Da die Behandlung eingreifend ist und in seltenen Fällen Komplikationen1059 mit sich bringen kann, unterrichten wir Sie von unserer Absicht. Falls Sie mit der Vornahme der Behandlung einverstanden sind, bitten wir um Unterschrift und Rücksendung“.1060

Abb. 25: Aufklärungsbogen zur Krampfbehandlung1061

1057 „[Z]entrale Erregungsmittel, wie Campher und seiner Abkömmlinge (Cardiazol oder Coramin)“. Vgl. Braunmühl (1938), S. 33. 1058 Zur Darstellung der Insulinbehandlung und der EKT im Fachjournal „Der Nervenarzt“ in den Jahren 1928 bis 1947 siehe ferner Panfilova (2005). „Der Anteil nationalsozialistischer Inhalte bei den Originalarbeiten beträgt 0,87% in ‚Der Nervenarzt‘, 0,76% in der ,Deutschen Zeitschrift für Nervenheilkunde‘ und 1,12% im ,Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten‘“. Vgl. Claus (2017), S. 186. 1059 Die Komplikation des Atemaussetzens ist vermerkt in der Aktendokumentation der F. L., die bei Verdacht auf Schizophrenie ab 14.08.1941 mit EKT behandelt wurde: „Heute wird mit einer Elektroschockbehandlung begonnen. Der Anfall wird bei 183 mAmp. und 4/10 Sek. Stromdurchgang prompt ausgelöst. Nach Schluss des klonischen Stadiums kommt die Atmung nicht sofort wieder in Gang, so dass künstliche Atmung eingeleitet werden muss. Nach einigen Kompressionen des Brustkorbes setzt sie wieder ein. 18.8.41: Nach dem 2. Schock ist F. wesentlich lebhafter, sie unterhält sich mit anderen Pat. […]“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 263/183. 1060 Ebd., Aufnahmenr.: 216/112. 1061 Ebd.

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Für eine bessere Kontextualisierung der dokumentierten Aufklärungspraxis an der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik gilt es, die Regelung seitens des nationalsozialistischen deutschen Strafrechtes1062 in Bezug auf „die schwierige Frage der Heilbehandlung“1063 anzuführen: „Eingriffe und Behandlungen, die der Übung eines gewissenhaften Arztes entsprechen, sind keine Körperverletzungen, können aber als eigenmächtige Heilbehandlungen bestraft werden. Natürlich kann der Kranke die Einwilligung nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend erteilen; unter Umständen kann er sie auch nachträglich erteilen, sei es ausdrücklich, sei es durch Abstandsnahme von einer Strafverfolgung“.1064

In den Krankenakten der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik ergibt sich kein Hinweis auf einen missbräuchlichen Einsatz der ab 09.12.19391065 zunehmend etablierten Elektrokonvulsionsbehandlung.1066 In einem Vortrag in der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft Erlangen zur „Elektrokrampfbehandlung der Psychosen“1067 am 25.06.1940 berichtete Meggendorfer stolz, „nach Überwindung verschiedener Schwierigkeiten konnte uns die Firma Siemens-Reiniger in Erlangen Ende November 1939 einen geeigneten[,] neu konstruierten Apparat zur Verfügung stellen.1068 So waren wir an der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik als erste in Deutschland1069 in der Lage, dieses neuartige Heilverfahren anzuwenden“.1070

Meggendorfer referierte vor der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft ausführlich über die an seiner Klinik erstmalig deutschlandweit zum klinischen Einsatz gebrachte Elektrokrampftherapie: „Bei der Behandlung werden zunächst dem Kranken die Schläfen ausrasiert;1071 dann wird die Haut mit Kochsalzlösung durchfeuchtet und es werden zu beiden Seiten des Kopfes die kissenförmigen Elektroden angelegt. Nachdem der Kranke auf einem Ruhebett bequem gelagert 1062 Weiterführend hierzu die „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ vom Jahre 1931. Vgl. Reichsministeriums des Innern (1931), S. 74. Ferner interessant: Roelcke (2004a), (2004b), (2004d) und (2009). 1063 Meggendorfer (1936c), S. 500. 1064 Ebd. 1065 Im Vergleich hierzu fanden die ersten dokumentierten Elektrokrampfbehandlungen an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität München ab März 1941 statt. Vgl. Heintz (2004), S. 31. 1066 Vgl. Braun/Kornhuber (2013c), S. 590. 1067 Meggendorfer (1940/41) und gekürzt in Meggendorfer (1940e). 1068 Empfehlenswert hierzu auch Lang (2013). 1069 „[D]ie Einführung der Elektrokrampftherapie und ihres technisches [sic] Apparates [war] von den politischen Gegebenheiten der Zeit abhängig“. Vgl. Rzesnitzek (2013), S. 210. So mochte der zwangsemigrierte Lothar B. Kalinowsky (1899–1992) im Mai 1940 „glauben, dass es dank der politischen Situation einfach sein wird, mit Deutschland zu verhandeln“. Vgl. Kalinowsky an Bini, 26.05.1940. Menninger Archives Collection, Lucio Bini papers, Kalinowsky correspondence, zit. n. ebd., S. 214. „,Dank der politischen Situation‘– das ist eine erstaunlich pragmatische Formulierung, wenn man bedenkt, was diese ,politische Situation‘ für Kalinowsky und seine Familie bedeutete“.Vgl. ebd. 1070 Meggendorfer (1940e), S. 1156. 1071 „07.02.1940: Heute wird mit einer Elektrokrampfbehandlung bei der Kranken [U. B.] begonnen. Auffallend ist, dass sie sich nicht gegen die Rasur sträubt, sondern auf die Mitteilung, dass

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang wurde, wird mittels des Apparates während einer kurzen Zeitspanne ein Wechselstrom durch seinen Kopf geschickt. Es handelt sich um Zeiten von 3/10 bis 8/10 Sekunden, um Ströme von etwa 250 bis 450 Milliampères bei einer Spannung von etwa 80 bis 130 Volt. Ist die Reizstärke1072 richtig gewählt, so tritt sofort völlige Bewusstlosigkeit ein und es kommt ein epileptiformer Anfall mit seiner tonischen und klonischen Phase zum Ablauf. Der Anfall dauert etwa 40 bis 50 Sekunden und wird dann von einer 5 bis 10 Minuten dauernden zunächst schweren, dann allmählich sich aufhellenden Benommenheit gefolgt. War der Reiz unterschwellig, so tritt nur ein kurz dauerndes Zusammenzucken oder eine leichte Benommenheit auf. Es kann der Reiz in gesteigerter Form nach kurzer Zeit ohne Bedenken wiederholt werden“.1073

Meggendorfer gab an, vergleichbar mit der Cardiazolkur auch im Rahmen der „Elektrokrampfkur“ wöchentlich zwei Sitzungen vorzunehmen; bis zum Eintritt einer Remission könnten bis zu 30 Anfallsprovokationen notwendig werden .1074 „Wir haben bisher 52 Patienten mit insgesamt 790 Einzelanwendungen des Elektrokrampfes behandelt; davon waren 199 Anwendungen frustran, während 591 mal epileptiforme Anfälle ausgelöst wurden. Von den behandelten 52 Kranken litten 40 an Schizophrenie, von diesen betrafen aber 16 alte, abgelaufene Fälle, die bei der Beurteilung des Behandlungserfolges wohl ausscheiden müssen. Von den übrigen 24 Fällen von Schizophrenie bekamen sehr gute und gute Remissionen 10, vorübergehende Besserungen 10, während rund 4 unbeeinflusst blieben. Es hatten also, anders ausgedrückt sehr gute und gute Remissionen 42%, vorübergehende Besserungen 42% und blieben unbeeinflusst 16%“.1075

sie dadurch gesund werden soll, ganz still sitzen bleibt. Sie bekommt auch prompt einen Anfall. Danach ist sie in der 1. Stunde ziemlich müde, schläft auch u. klagt dann über Kopfschmerzen. […]. 28.02.1940. Nachdem sich nach den ersten Behandlungen eine wesentliche Besserung einstellte, wurde ungefähr 14 Tage mit der Behandlung ausgesetzt“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 1072 „Einstellung des Anfallsstromes. Dosierung. Für die Abstufung der dem Gehirn zur Auslösung des Anfalles zugeführten Reizintensität kommen grundsätzlich zwei Faktoren in Frage: Die Steigerung oder Verminderung der Durchlaufzeit des Stromes. Schon mit der Einführung der Elektrokrampfmethode haben sich nun, je nachdem [ob] man auf den einen oder den anderen dieser Faktoren das Hauptgewicht verlegte, zwei Richtungen herausgebildet. Die eine, entsprechend dem Vorgehen Cerlettis, kann als ‚Spannungsvariationsmethode‘ (SVM) bezeichnet werden; sie ist die in Italien am meisten verbreitete und wird in der Schweiz und in England ausschließlich verwendet. Die zweite wurde von Sogliani angeregt und nachher namentlich von v. Braunmühl übernommen; sie kann als ‚Zeitvariationsmethode‘ (ZVM) bezeichnet werden“. Vgl. Müller (1941), S. 207–208. 1073 Meggendorfer (1940/41), S. 44. „Elektroden. Die Siemens-Reiniger-Werke arbeiten mit einem Panzergliedgeflecht, das in einen Metallring von 40mm Durchmesser gefasst ist und ebenfalls durch Gummipolster an den Schädel gedrückt und durch ein Stirnband gehalten wird“. Vgl. Müller (1941), S. 206. Eine SRW-Aktennotiz von 12.2.1940 vermerkt weiterführend, Dr. Bingel habe „seine inzwischen gesammelten Erfahrungen mit den neuen Elektroden mit[geteilt], bei denen der ursprünglich zur Befestigung dienende Kopfbügel durch verstellbare Bänder ersetzt ist. Diese Art der Befestigung habe sich wesentlich besser bewährt, aber es sind auch an dieser Elektrode noch einige Mängel zu beseitigen, insbesondere hält Dr. B. das Metallgeflecht für unerwünscht und nicht hinreichend haltbar“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Zu „mobile[r] Elektrodentechnik bei der Elektrokrampftherapie“ siehe Braunmühl (1942). 1074 Vgl. Meggendorfer (1944a), S. 3. 1075 Meggendorfer (1940/41), S. 45.

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Meggendorfer betonte den hohen Anteil an Gebesserten unter den hebephren und paranoid erkrankten Schizophrenie-Patienten,1076 wobei die Hebephrenie und die paranoide Schizophrenie als Subtypen der Schizophrenie gemeinhin eine negativere Prognose mit sich brächten. Bei den acht mit EKT behandelten manisch-depressiven Patienten (sieben melancholische Patienten; ein hypomanischer Patient) habe sich zwar eine initial gute Besserung eingestellt, die Rezidivrate habe allerdings bei etwa 50% gelegen. Die anhand von zwei Patienten dargestellte ausgezeichnete Wirkung der EKT bei psychogenen Störungen führte Meggendorfer auf einen andersartigen Wirkmechanismus zurück als bei den endogenen Psychosen: „Hier scheint der Elektrokrampf vielmehr eine kaschierte Psychotherapie im Sinne einer Überrumpelung darzustellen“.1077 Für die sechste Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater (GDNP), „die vom 5. bis 7. Oktober 1941 in Würzburg stattfinden sollte (dann aber wegen der Kriegslage ausfiel)“1078 waren zwei der insgesamt elf – überwiegend zur Elektrokonvulsionsbehandlung – geplanten Referate von Seiten der Erlanger Hochschulpsychiatrie vorgesehen. Meggendorfer hätte „[z]ur Klinik

1076 „Die ‚Schizophrenie‘ scheint ihren Sonderstatus als Pars pro toto der Psychiatrie also in den letzten Jahrzehnten zunehmend verloren zu haben. In der (stationären) psychiatrischen Versorgung ist sie eine Erkrankung unter vielen geworden. Existentielle Fragen verbindet man heutzutage zunehmend mit psychischen Erkrankungen allgemein. Kritik an der Psychiatrie als Institution wie auch als Wissenschaft betrifft die ,Schizophrenie‘ in gleichem Maße wie andere psychische Erkrankungen und psychiatrische Praktiken. Folglich ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschaffung der ,Schizophrenie‘, wie von [Thomas] Szasz [1920–2012] postuliert, die Abschaffung der Psychiatrie impliziert“. Vgl. Maatz/Hoff (2017), S. 81. Zur Diskussion um die „Abschaffung der ,Schizophrenie‘“ im Sinne einer Umbenennung des Krankheitsbildes siehe S. 107. 1077 Meggendorfer (1940/41), S. 46. Von schweizerischer Seite aus wurde 1941 folgendes zur Technik der EKT angeführt: „Der Elektrokrampf wird heute allgemein durch einen Wechselstrom von 400–800mA bei 60–130 Volt Spannung und einer wechselnden, nach Zehntelsekunden bemessenen Stromdurchlaufzeit erzeugt. Über die elektrophysikalischen Probleme hat sich neben Fleming, Golla und Walther insbesondere Pätzold von den Siemens-Reiniger-Werken in Erlangen ausführlich geäußert“. Vgl. Müller (1941), S. 204. Siehe ferner Baeyers Kapitel: „Die Psychische Eigenwirkung der Schockmethoden“. Vgl. Baeyer (1951), S. 46–50. 1078 Schmuhl/Roelcke (2013b), S. 15. Auch die SRW mögen dem Ausfallen des Kongresses nachgetrauert haben, denn am 16.09.1941 hatten Sie Meggendorfer gegenüber schriftlich geäußert, „die bei der Tagung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater am 5. bis 7. Oktober in Würzburg zu haltenden Vorträge über die Elektrokrampftherapie und die zu erwartenden Aussprachen sind für uns von grossem Interesse. […]. Wir wären Ihnen, sehr geehrter Herr Professor, sehr verbunden, wenn Sie erforderlichenfalls in dieser Sache vermitteln oder uns raten würden, an wen wir uns wegen der Teilnahme unserer Herren wenden können“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte.

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des Elektrokrampfes“, Bingel zur „Technik des Elektrokrampfes“1079 vortragen sollen.1080 1079 Interessant in diesem Kontext zeigt sich Bingels Schreiben an Pätzold vom 16.11.1941: „Professor Meggendorfer schrieb mir in diesen Tagen, dass er das Manuskript seines Vortrages zur Veröffentlichung an die Zeitschrift ,der Nervenarzt‘ gegeben habe; er rät mir, mit meinem Manuskript das gleiche zu tun. Ich beabsichtige das auch, muss aber zunächst meinen Vortrag noch ergänzen, bezw. etwas umarbeiten. Vor allem muss ich auf die Holzer’schen Arbeiten eingehen“. Vgl.ebd. Siehe ferner Holzer (1941a) und (1941b). Bingel betonte ferner, er habe sich „zunächst […] gefreut, dass Holzer unsere Konvulsatormethode anerkannt und sein zweites Gerät in ähnlicher Weise konstruiert hat. Offen gesagt, habe ich aber das Prinzip des dritten Holzer’schen Gerätes der ,selbsttätigen Anpassung‘ vom physikalischen Standpunkt aus nicht ganz begriffen. Wollen Sie mir darin nicht ein wenig helfen? Aus der Arbeit von Holzer hat mich vor allem die Diskussion der Frage interessiert, ob zur Erzielung eines bestimmten Reizeffektes, die Spannung oder die Stromstärke allein massgeblich sei. Sollte in Anbetracht der nach unseren Untersuchungen doch ziemlich konstanten Schädelwiderstandsverhältnisse der Spannung vielleicht eine höhere Bedeutung zukommen? Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu dieser Frage noch einmal Stellung nehmen würden. Leider besteht die nächsten Monate kaum Aussicht für mich, nach Erlangen zu kommen, wir müssten uns deshalb auf briefliche Besprechungen beschränken“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Circa acht Monate im Vorfeld, am 29.03.1941, hatte Pätzold in Bezug auf die „Wiener Angelegenheit“ Auskunft gegeben und knüpfte daran die Bitte, sich auf ihn nur soweit zu beziehen, als Bingel von ihm „lediglich erfahren habe[], dass dort ebenfalls in grossem Masstabe Elektrokrampftherapie ausgeübt wird. Es handelt sich um die bekannte Psychiatrisch-Neurologische Universitäts-Klinik von Pötzl, früher Wagner v. Jauregg, wo der Assistent der Physikalisch-Therapeutischen Abteilung, Dr. Holzer, Elektrokrampfbehandlungen durchführt. Bei dem ausserordentlich stark ausgeprägten Ehrgeiz des Herrn Dr. Holzer ist keineswegs zu fürchten, dass er Ihnen nicht auch alle die Dinge mitteilt, über die er mir berichtet hat. Da ich nun Dr. Holzer schon 10 Jahre kenne und seine früheren Arbeiten verfolgt habe, möchte ich Sie von vornherein darauf aufmerksam machen, dass eine gewisse Zurückhaltung ihm gegenüber mir sehr am Platze zu sein scheint. Es würde mich interessieren, von Ihnen später zu erfahren, welchen Eindruck Sie dort gewonnen haben. Zu bemerken ist, dass Dr. Holzer erst seit wenigen Monaten in der Psychiatrischen Klinik tätig ist und früher im Physiologischen Institut bei Prof. Scheminsky gearbeitet hat. Mit der Firma Rainer A. G. Wien hat er ein Elektrokrampfgerät zusammengebaut, das lediglich aus einem Potentiometer mit Spannungsanzeiger besteht und keinerlei Vorrichtungen für eine exakte Dosierung aufweist. Er kann lediglich die Spannung nach dem Voltmeter am Potentiometer verändern. Die Elektrodenanordnung ähnelt sehr der italienischen. Die Halterung besteht ähnlich wir dort aus einer Zange, mit der die Schläfengegend gefasst wird. Es handelt sich, wie Sie sich selbst überzeugen werden, um ein ausserordentlich primitives Gerät. Das aber nur vertraulich nebenbei!“. Vgl. ebd. Zu Wolfgang Holzer siehe weiterführend: Holzer (1940) und (1942) sowie Holzer et al. (1942). Mit Prof. „Scheminsky“ vermutlich gemeint ist der Physiologe und Balneologe Ferdinand Scheminzky/Scheminsky (1899–1973). Vgl. https://www.wien.gv.at/wiki/ index.php?title=Ferdinand_Scheminzky. Stand vom 18.07.2017. Weiterführend auch https:// www.gasteiner-heilstollen.com/de/todestag-prof-dr-scheminsky-gastein/. Stand vom 18.07. 2017. Bereits am 15.01.1941 hatte Pätzold Bingel über die EKT-Forschungen in Wien informiert: „Anlässlich einer Wiener Reise erfuhr ich von einer anderen Stelle, dass dort in vollkommener Übereinstimmung mit den hiesigen Ergebnissen an Menschenversuchen ermittelt worden ist, dass innerhalb sehr großer Strombereiche der Schwellenwert für das Auslösen eines epileptischen Anfalles bei ein und demselben Individuum überraschend exakt von einem ganz bestimmten mAs-Produkt bestimmt wird, sodass bei Auftragung der Behandlungsstromstärke eine gleichseitige Hyperbel herauskommt (Behandlungsstromstärke x Behandlungszeit

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Abb. 26: „357 a Elektroschockgerät 1940“1081

Seine Erfahrungen in Bezug auf die Durchführung der EKT 20 Monate nach Erstapplikation publizierte Meggendorfer erneut: „In der Zeit vom 1. Dezember 1939 bis 31. August 1941 haben wir an der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen 171 Geisteskranke mit dem Elektrokrampf behandelt. Wir haben an diesen 171 Kranken 2060 Einzelshocks [sic] vorgenommen und damit in 1569 Fällen Krämpfe ausgelöst […]. Wir haben zunächst mit einem Apparat gearbeitet, der ähnlich dem von Bini und Cerletti gebrauchten und beschriebenen konstruiert war. Nach verschiedenen

= konstant). Auch der andere Punkt, nämlich dass die chirurgischen Komplikationen in letzter Zeit seltener geworden sind, verdient doch in höchstem Masse Beachtung und sollte anderen mitgeteilt werden. Sobald sich Herr Prof. M. zu dieser Mahnung äussert, werde ich Ihnen selbstverständlich weitere Nachricht geben. Uns geht es soweit gut, nach wie vor viel Arbeit wie überall. Wir alle sind in Erwartung, dass nun bald zum letzten grossen Schlag gegen England ausgeholt wird“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 1080 Erster gedruckter Entwurf des Programms in: National Archives Washington (NAW), Record Group 549, Stack 290, Row 59, Comp.17, Bl.125827–125834; Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift 1941; 43: S. 359–360, zit. n. Schmuhl/Roelcke (2013b), S. 16. Am 01.09.1941 hatte Pätzold bezüglich Bingels Frage nach evtl. Anregungen für seinen Vortrag „lediglich dem Wunsche Ausdruck [ge]geben, dass nun endlich von maßgebender Stelle unter Hinweis auf die praktischen Erfahrungen Ihrer Klinik etwas über den mit der Schaffung des Konvulsators tatsächlich erreichten Fortschritt gegenüber den älteren Konstruktionen gesagt wird. Es sind dies einmal gewisse gebrauchstechnische Vorteile und dann vor allem die Möglichkeit, in einfacher Weise die Behandlungsstromstärke exakt dosieren zu können. Ich darf Sie in diesem Zusammenhange daran erinnern, dass Ihre Klinik wesentliche Fortschritte in Bezug auf [die] Herabsetzung der chirurgischen Komplikationen erzielt hat und dass Müller – Münsingen, der bisher nicht die Möglichkeit gehabt hat[,] mit dem Konvulsator zu arbeiten, in seiner letzten Arbeit die Forderung einer besseren Dosierungsmöglichkeit gerade zum Zwecke der Herabsetzung des in der Schweiz noch relativ grossen Prozentsatzes von chirurgischen Komplikationen erhebt“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 1081 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Abänderungen kamen wir zu dem von der Firma Siemens-Reiniger in Erlangen nach den Angaben von Dr. Pätzold konstruierten ‚Konvulsator‘, den wir seit Ende August 1940 ausschließlich benutzten. Der Konvulsator gestattet Stromanwendungen in Stufen von 150 bis zu 500mA bei verschiedenen Zeitspannen von 1/10 Sekunde an. Ein Vorversuch, eine ‚Eichung‘ ist bei Gebrauch des Konvulsators nicht mehr nötig. Bei dem Bestreben, optimale Bedingungen für die Therapie zu gewinnen, kann man entweder die angewandte Stromstärke oder die Zeit variieren. Nach mancherlei Versuchen entschied ich mich für die Variation der Stromstärke“.1082

In seiner Veröffentlichung von 1944 berichtete Meggendorfer von 5200 Einzelanwendungen an 511 Kranken1083 ab Dezember 1939 an seiner Klinik: „[d]er Elektrokrampf wurde zunächst bei der Schizophrenie angewandt. Es hat sich gezeigt, dass besonders frische Fälle von Schizophrenie (etwa im ersten halben Jahr) gut reagieren […]. Später hat sich herausgestellt, dass auch das manisch-depressive Irresein der Behandlung mit dem Elektrokrampf zugänglich ist, und zwar besonders die Melancholie.1084 Die Melancholien können durch den Elektrokrampf ganz erheblich abgekürzt werden. Weniger gut sind die Erfolge bei der Manie. Ganz besonders günstig sind die Erfolge der Elektrokrampfkur bei den Depressionen des Rückbildungsalters. […]. Wir haben den Elektrokrampf auch bei Patienten anfangs der 60iger Jahre mit gutem Erfolg und bei der Wahl niedrigerer Stromstärken und langer Zeiten ohne irgendwelche unangenehme oder gar gefährliche Begleiterscheinungen angewandt“.1085

Die Pionierleistung Meggendorfers in Bezug auf die EKT würdigte sein Friedrichsberger Kollege Carl Riebeling1086 in seinem Nachruf auf Meggendorfer besonders: „Dass Meggendorfer als erster in Deutschland die Bedeutung der von Cerletti entdeckten Elektroschockbehandlung erkannt, und sie mit seinem Schüler Bingel zusammen an seiner Klinik einführte, von wo aus sie erst an den anderen deutschen Kliniken bekannt wurde, verdient besonders hervorgehoben zu werden“.1087

1082 Meggendorfer (1942), S. 49. Im gleichen Jahr publizierte auch Ewald gemeinsam mit Siegfried Haddenbrock zur Elektrokonvulsionstherapie. Vgl. Ewald/Haddenbrock (1942). 1083 Vgl. Meggendorfer (1944a), S. 1. 1084 „Beide Begriffe [‚Inkludenz‘ und ‚Remanenz‘] gehören zum Konzept des Typus melancholicus, das von [Hubertus] Tellenbach [1914–1994] entwickelt wurde. Dieses Konzept stellt die Bedeutung einer bestimmten Persönlichkeitsstruktur als prädisponierenden Faktor für die Entwicklung einer damals sog. endogenen Depression dar. Menschen mit einem typus melancholicus sind durch eine überdurchschnittlich hohe Empfindlichkeit des Gewissens und Angst, in Schuld zu geraten, gekennzeichnet. Es besteht ein hoher Anspruch an die eigene Leistung sowie ein Beharren auf Ordnung und Ordentlichkeit. Sie sind bemüht, eine Struktur aufrecht zu erhalten, die Sicherheit verspricht. Eine Gefährdung dieser Ordnung bedroht gleich das ganze Dasein. Es sind zwanghafte Züge vorhanden, es liegt jedoch keine anankastische Persönlichkeitsstörung vor“. Vgl. Schläpfer et al. (2011), S. 75. 1085 Meggendorfer (1944a), S. 3. 1086 Carl Riebeling führte an der Hamburger Universitätsklinik für Psychiatrie unter Bürger-Prinz ab 1941 die Behandlung mit Pyramidon zur Auslösung zerebraler Anfälle ein. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 46. 1087 Riebeling (1953a), S. 2.

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Nicht erst posthum wurde Meggendorfers Verdienst hervorgehoben. Bereits 1941 würdigte Max Müller (1894–1980),1088 schweizer Experte für somatische Therapieverfahren, den Einsatz Bingels und Meggendorfers unter der Rubrik „Historisches“. Erstmalig, so Müller, stellte Lucio Bini (1908–1964) im Frühjahr 1937 anlässlich der Versammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie in Münsterlingen die unter Cerlettis Leitung an der Römischen Psychiatrischen Klinik durchgeführten Untersuchungen vor.1089 Die Versuche an Hunden unter Anwendung des gewöhnlichen Lichtstromes (120 Volt), sehr kurzer Durchlaufzeit (1/10–1/20 Sekunden) und Anbringen der Elektroden im After und am Kopf seien insbesondere in Hinblick auf eine therapeutische Verwendung beim Menschen durchgeführt worden. Histologisch seien in der Folge jedoch ähnliche neuropathologische Veränderungen wie im Zustand nach Insulinkomatherapie1090 aufgetreten, nämlich gravierende, irreversible Ganglienzellenmodifikationen, insbesondere der tieferen Rindenschichten bei moderaten Veränderungen an Glia und mesenchymalem Gewebe. Trotz anfänglicher Zurückhaltung aufgrund dieser komplikatorischen Feststellungen „wurde durch Bini ein Apparat konstruiert, der eine genaue Dosierung der Spannung und der Durchlaufzeit erlaubt und im Frühjahr 1938 konnte Cerletti vor der medizinischen Gesellschaft Rom die ersten elektrisch beim Menschen erzeugten Anfälle vorführen. In Italien hat daraufhin Sogliani (Sondrio) als erster den Elektrokrampf außerhalb der Römer [sic] Klinik durchgeführt;

1088 „1920 Dr. med., Assistenzarzt bei Eugen Bleuler in Zürich, Oberarzt an der psychiatr. Klinik in Münsingen, 1939–54 deren Direktor. In Bern 1931 PD für Psychiatrie, 1944 ao., 1954 o. Prof. und 1954–63 Direktor der psychiatr. Universitätsklinik Waldau. M. modernisierte die Münsinger Klinik, die als Zentrum der somat. Therapie (Insulin, Elektrokrampfverfahren) ebenso wie für den Einbezug der Psychoanalyse internat. Anerkennung fand. Er setzte sich für die Ausbildung des Pflegepersonals ein und förderte die neurobiolog. Forschung“. Vgl. http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/ d/D31022.php. Stand vom 22.02.2016. „Die erste EKT außerhalb Italiens wurde in Münsingen/Schweiz, der Klinik Max Müllers, durchgeführt. Ermuntert von den Schweizer Psychiatern Walter Morgenthaler [1882–1965] und Oscar Forel [1891– 1982], die in Rom Vorträge Cerlettis gehört hatten, begann Müller im Spätsommer 1939 mit eigenen Behandlungen“. Vgl. Reinke et al. (2013), S. 9. Mit Hilfe des Siemens-Reiniger-EKT Gerätes konnten höhere Ströme erzielt werden als mit dem italienischen Modell von Arcioni. Vgl. ebd. „Meggendorfer war von der EKT als Therapie für Schizophrenie wegen der nur kurz anhaltenden Erfolge nicht vollständig überzeugt, hielt sie in Kombination mit der Insulinschocktherapie jedoch für das erfolgversprechendste Verfahren“. Vgl. ebd. 1089 “ECT soon replaced metrazol therapy all over the world because it was cheaper, less frightening and more convenient. Cerletti and Bini were nominated for a Nobel Prize but did not receive one. By 1940, the procedure was introduced to both England and the US. In Germany and Austria it was promoted by Friedrich Meggendorfer. Through the 1940s and 1950s, the use of ECT became widespread”. Vgl. http://www.neuralcloud.it/1938-ugo-cerletti-and-luciobini-started-the-use-of-elettroconvulsive-therapy/Stand vom 07.06.2016. 1090 „Jakob fasst die Hirnschäden bei der Schocktherapie als Folgeerscheinungen präparoxysmaler Gefäßspasmen auf, deren klinisches Korrelat die regelmäßig zu beobachtenden epileptiformen Krämpfe sind“. Vgl. Ederle (1948b), S. 153.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang seit 1939 wurde die Methode in Deutschland durch Bingel und Meggendorfer sowie v. Braunmühl, in der Schweiz durch den Berichterstatter und in England durch Fleming der Fachwelt zugänglich gemacht“.1091

Im Gegensatz zu den vereinzelten Letalkomplikationen bei anderen somatischen Therapieverfahren, die sich in der Meggendorferschen Klinik ereignet hatten1092 wurden bislang keine Quellen und kein Schrifttum gefunden zu möglicherweise tödlich verlaufenden EKT-Sitzungen an der Meggendorferschen Klinik. Die EKT zeigte sich jedoch nicht gänzlich frei von Letalkomplikationsrisiko. Müller berichtete 1941 anhand seiner eigenen „Erfahrungen an 110 Fällen sowie d[er] Ergebnisse [s]einer […] durchgeführten […] Umfrage über die an schweizerischen Anstalten und Kliniken bis zum 31. Dezember 1940 erfolgten Anwendungen des Elektrokrampfes (über 500 Fälle)“.1093

vom „ersten[n] bisher bekannte[n] Todesfall in direktem Anschluss an den Anfall […], der auf ein nachträgliches Versagen des Herzens zurückzuführen ist“.1094 Eine Obduktion des an Kreislaufversagen nach EKT verstorbenen Patienten aus Müllers Krankengut wurde nicht durchgeführt. In der Folge wurde zum Beispiel die cerebrale Fettembolie im internationalen Schrifttum als neuropathologische Veränderung im Zustand nach letal verlaufender EKT-Sitzung an einem rheumatisch Herzkranken beschrieben:1095

1091 Müller (1941), S. 204. 1092 Siehe hierzu die Veröffentlichung Bingels zur Azomankur. Vgl. Bingel (1939b). Siehe ferner die letal verlaufende Insulinkrampfbehandlung bei Patientin H. B. in APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12; siehe hierzu auch Kapitel 3.3.4. 1093 Müller (1941), S. 204. 1094 Ebd., S. 218. „Am 3. Dezember 1940 erhielt der Kranke 180 E. [=Einheiten] Insulin und nach 1½ Stunden einen Elektroschock, der zunächst mit 90 Volt nur zu einem abortiven Anfall führte. Mit 110 Volt erfolgte ein kompletter Anfall, nach einer Apnoe von üblicher Dauer ohne Herzstillstand setzte die Atmung nur sehr mühsam wieder ein bei zunächst noch ordentlichem Puls. Da die Atmung dann erneut schlechter wurde und wieder ganz aussetzte wurde Lobelin verabreicht und künstliche Atmung eingeleitet. Trotz massiven Dosen Coramin, Lobelin, Adrenalin und Koffein versagte aber das Herz sehr rasch, und es trat der Exitus ein. Eine Obduktion konnte aus äußeren Gründen nicht vorgenommen werden“. Vgl. ebd. 1095 “The only thoroughly investigated case of cerebral fat embolism causing death with E.C.T. [Electric Convulsion Treatment] is that reportet by Meyer and Teare (1945). These two appear to be the only cases of fat embolism as a complication of E.C.T. […]. Note the softening on the R.[ight] side involving basal ganglia, insula and adjacent parts of temporal and parietal lobes. Underlaying condition was subacute rheumatic heart disease without clinical symptoms. Embolism occured immediately after E.C.T., the embolic softening shown in a slide stained for myelin”. Vgl. Maclay (1952), S. 15.

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2.4.5 EKT als individueller Heilversuch Dass es für den Einsatz der EKT1096 zu Meggendorfers Zeit noch kein klar abgegrenztes Indikationsgebiet1097 gab, zeigt der EKT-Einsatz bei der rumäniendeutschen Medizinstudentin N. H., geb. am 08.02.1919 in Lukawetz, „[g]ewöhnlicher Aufenthaltsort: Erlangen, Hindenburgstr. 44 bei Professor Elert“.1098 Frau N. H. 1096 „EKT weist ein breites syndromales Anwendungsspektrum auf; sie wirkt antidepressiv, antimanisch, antipsychotisch, antikonvulsiv, antisuizidal, stimmungsstabilisierend und bei katatonen Störungen“. Vgl. Grözinger et al. (2016), S. 225. Neben antidepressiv wirkenden Psychopharmaka führt auch die EKT „zu einer Neurogenese (Neubildung von Nervenzellen) im Stratum granulare des Hippocampus“. Vgl. Schläpfer et al. (2011), S. 65. 1097 Auch heutzutage wird die EKT als individueller Heilversuch zum Beispiel bei limbischen Enzephalitiden angewendet. Vgl. Kanbayashi et al. (2014). 1098 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. Werner Elert (1885–1954), evangelischer Theologe und von WS 1927/28 bis SS 1928 Rektor der FAU. Vgl. https://www.fau.de/universitaet/das-istdie-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. Für ein Portraitbild Werner Elerts aus dem Jahr 1953 siehe Sandweg (1996), S. 379. „Die Professoren [Paul] Althaus – Erlangen und Elert – Erlangen haben fünf Irrlehren im ‚Barmer Bekenntnis‘ festgestellt. Prof. Althaus sagt, daß das Barmer Bekenntnis die Lage der Kirche überhaupt nicht ernst nehme, und Prof. Elert, einer der bedeutendsten lebenden Kenner des Luthertums: ‚Das ‚Barmer Bekenntnis‘ steht im glatten Widerspruch zum lutherischen Bekenntnis‘.– Und diese sog. Bekenntnisfront verketzert andere wegen Bekenntniswidrigkeit! Alle nicht in der Bekenntnisfront Stehenden werden damit schwer beleidigt“. Vgl. Dienst (2012), S. 132. Siehe ferner Althaus (1934) sowie Ericksen (1985). Die Veröffentlichung seiner drei theologischen Vorträge mit dem Titel „Bekenntnis, Blut und Boden“ leitete Elert mit folgender programmatischen Erklärung ein: „Diese drei Vorträge wurden am 4. und 5. Juli d. J. auf einer Pfarrerfreizeit in Neuendettelsau gehalten. Der Vortrag, den ich am 26. Oktober 1933 über dasselbe Thema in Greiz hielt, erörterte hauptsächlich die im jetzigen dritten Stück aufgeworfenen Fragen. Die Auseinandersetzungen, die sich an den von mir mitunterzeichneten ‚Ansbacher Ratschlag von 1934‘ knüpften, sowie die Zuschriften, die mir mein Aufsatz ‚Confessio Barmensis‘ in der Allg. Ev.-luth. Kirchenzeitung eintrug, waren die Veranlassung, nunmehr etwas weiter auszuholen. Auf die gegen diesen Aufsatz gerichteten Angriffe kann ich nur erwidern, was Hegel dem Minister v. Altenstein antwortete, als er sich wegen seiner Kritik an der römisch-katholischen Lehre verantworten sollte: ‚Dass von mir als Professor […] und als lutherischem Christen nichts anderes erwartet werden dürfe, als dass ich mich nach diesen Qualitäten […] aussprechen werde; dass es etwas Neues sei, wenn dies auffallend befunden werde; eine andere Erwartung hätte ich als persönliche Beleidigung […] anzusehen‘. Den mir erteilten Auftrag, Theologie gemäß dem lutherischen Bekenntnis zu lehren und dementsprechend das Gegenteil zu verwerfen, verdanke ich weder den Deutschen Christen noch der Barmer Synode. Ich gedenke ihn daher auch weder dieser noch jenen zuliebe weiterzuführen, es sei denn, dass von irgendeiner Stelle wieder einmal – um die Worte des alten Heidelberger Rationalisten Paulus zu verwenden – Gebrauch gemacht wird von der ‚Kunst des Herrn Schelling in Berlin[,] sich mit Hilfe der Polizei unwiderleglich zu machen‘. Wer glaubt, dass unsere Kritik an Barmen eine Option für die deutschen Christen bedeutet, irrt. Wir bestreiten den einen den Anspruch, dass sie das Bekenntnis, den anderen, dass sie Blut und Boden des deutschen Volkes gepachtet haben. Erlangen, 31. August 1934“. Vgl. Elert (1934), Vorwort. Zu den theologischen Lehren von Barmen sowie zu deren politischen Folgewirkungen siehe Busch (2015) und Schilling (2015). Zu den von Elert angeführten Personen siehe S. 249, Fn. 1120. Zur völkisch-nationalen Theologie Elerts siehe S. 502, Fn. 38. Zu „Täter[n] und Komplizen in Theologie und Kirchen“ siehe Gailus (2015).

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wurde am 25.10.19441099 in die Klinik aufgenommen und erhielt am 25.01.1945 die Diagnose „Psychopathie Depression Schema Nr. 16“.1100 Am 23.02.1945 wurde sie 1099 „Zur Vorgeschichte: Eigene Angaben: Auf die Frage, ob die Mutter noch lebe und wie alt sie sei, sagt sie, sie könne überhaupt nicht mehr rechnen, könne sich nichts merken. Schließlich nach Zögern, die Mutter ist 1886 geboren, also ist sie wohl 58 Jahre alt, erzählt, dass sie gestern auf dem Postamt gewesen sei und 40 6-Pfennig-Briefmarken gekauft habe. Sie habe dann dagestanden und unmöglich ausrechnen können, wie viel 40x6 sei. Die Postbeamtin habe es ihr erst sagen müssen. […]. Vielleicht sei [die Erkrankung] […] aber auch von der äußerst schlechten Ehe gekommen. Ihre Eltern hätten sich nie verstanden. Ihre Mutter sei eine kühle Natur und ihr Vater sehr heißblütig gewesen. Bis 1941 war sie in Rumänien, war sehr gerne dort, ‚hatte ein Heimatgefühl‘, möchte auch gerne wieder zurück. 1941 kam sie mit ihrer Mutter und ihren Schwestern in ein Lager nach Schlesien, wo sie 8 Mon. war, arbeitete in der Krankenstube. Fühlte sich dort nicht wohl. Die Menschen waren ihr fremd, sie kamen ihr sehr verschlossen vor. In Rumänien war sie voller Begeisterung, für Deutschland zu leben und sah sich nun leicht enttäuscht. Kam dann nach Berlin zum Arbeitseinsatz ins Polizeipräsidium, arbeitete im Passamt. Die Arbeit gefiel ihr und man schätzte sie dort. Mit dem Essen kam sie ganz gut zurecht, hatte ein möbliertes Zimmer. Damals fühlte sie sich immer müde, war ganz apathisch, merkte, dass sie keine Lebenslust mehr hatte. Nach 2, 3 Monaten wurde sie in Berlin in das Hegelhaus aufgenommen, um ihr Abitur zu machen. Wohnte von Okt. 41 bis Mai 42 dort, machte dann das Abitur, bestand es gut, begab sich dann nach Graz, wo sie den Krankenpflegedienst aufnahm und gleichzeitig studierte. Ihre Mutter befand sich in einem Umsiedlungslager in der Steiermark. Sie besuchte sie alle 14 Tage. Auch in dieser Zeit in Graz fühlte sie sich oft müde, hatte aber sonst keine Klagen. Im 3. Semester ging sie nach Posen, blieb 1 Semester dort (Sommer 43). Da ging es ihr körperlich schon schlecht. […]. Erzählt weiter, dass sie erst mit 3 J. Laufen lernte, weil sie Rachitis hatte. Mit 5 J. Lungenentzündung, mit 12 J. Gelbsucht, mit 16 J. Lungenspitzenkatarrh und Pleuritis. Mit 20 J. Ruhr, hat oft Blasenkatarrh und seit 4–5 J. jeden Winter eine schwere Grippe. Im vorigen Jahr wegen Adnextumor mit Kurzwellen behandelt. Menarche mit 11 J., regelmäßig, setzte mit 15 J. 8 Monate aus, dann wieder regelmäßig bis März 44 und seit Juli 44 keine Menses mehr. Ist mit einem Deutschen in Rumänien verlobt, der sie im letzten Sommer in Berlin bei ihrer Schwester besuchte, hörte seit der Zeit nichts mehr von ihm, glaubt, dass er den Kommunisten in die Hände gefallen ist“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. Handschriftlich durch Patientin auf Feldpostbriefpapier verfasst wurde die „Anamnese (12.XII.44). In der Entwicklungszeit nahm ich an Körpergewicht dauernd zu. Weil ich dadurch zum Spottobjekt wurde, meine Freundinnen sich darüber amüsierten, unternahm ich Abmagerungskuren ohne ärztliche Aufsicht und ohne geringste Rücksichtnahme auf den Gesundheitszustand. Ich kam körperlich soweit herunter, dass der Chefarzt des dortigen Krankenhauses eine Schwindsucht bei mir befürchtete. Die Röntgenaufnahme ergab Verschattungen rechts oben. Diagnose: Lungenspitzenkatarrh. Mit Calciumspritzen und Mastkuren wurde ich zum Erstaunen meiner behandelnden Ärzte – da man mich als hoffnungslosen Fall ansah – wieder einigermaßen gesund. Körperlich war ich jedoch so hinfällig schwach, dass seit jener Zeit bei jedem Witterungswechsel eine Grippe oder Tonsillitis zum Ausdruck kam. Mein seelischer Zustand fiel allgemein auf. Stundenlang weilte ich auf alten Friedhöfen, nachdem ich die dortige Ruhe und Einsamkeit als wohltuend empfand. Die anwandelbaren Schwermutsepochen kamen immer vehementer zum Vorscheine und eine unerklärliche Vorliebe als auch Hang für alle mysteriösen Dinge war zu verzeichnen. Mit 17 Jahren bekam ich eine Pleuritis sicca und begab mich abermals in ärztliche Behandlung. Meine seelische Verfassung fiel diesem Arzt u. bekannten Psychologen auf, deshalb befasste er sich die längste Zeit mit mir. Seelisch stand ich ihm als Mensch sehr nahe und brachte ihm auch das größte Vertrauen entgegen nachdem ich darob überzeugt war, dass er nur das Beste mit mir vor hat. Ich kam zu diesem Arzt stets mit einer derartigen Zuversicht, dass er in meinem Inneren lesen konnte wie nie wieder ein Mensch. Stundenlang konnte er mich ansehen, mit

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als „arbeitsfähig“ entlassen. Sozial- und familienanamnestisch berichtete N. H., ihre beiden Brüder seien vermisst (in Rumänien und in Griechenland). Eine 23-jährige Schwester befinde sich derzeit auf der Kunstakademie in Dresden.1101 Diese habe im vorigen Jahr einen schizophrenen Schub erlitten und sei vier Monate in der Nervenklinik in Graz gewesen, wo sie

einer Ruhe und Klarheit beseelt, dass ich gar nicht fähig war, die geringste innere Regung zu verbergen. Es war keine Liebe und auch keine Leidenschaft[,] die mich zu diesem Arzt führte, sondern ein unbeschreiblicher Glaube und Verehrung als auch [die] Hoffnung[,] in seiner Nähe, seelisch einzig und allein gesunden zu können! Für diesen Menschen gab es nur die Erfüllung der auferlegten Pflichten und Aufgaben, von denen er immer in brüderlicher Vertrautheit zu mir sprach. Schmerzlich und quälend zugleich beherrschten mich Gefühle, die ich auch heute unmöglich deffinieren [sic] könnte. Während ich mir in dieser Welt ganz einsam und verloren vorkam war ich andererseits zu Menschen[,] die mir gerne helfen wollten, unverantwortlich abweisend und sonderbar. Die große Sehnsucht nach einer gleichgearteten Seele[,] die mich versteht, wird auch jetzt immer misverstanden [sic]. Und sobald ich dieselbe zu finden glaubte, dringt eine andere unsichtbar eingreifende Macht durch, die mich zum Alleinsein, zum Kämpfertum anspornt. Diese geschilderten und nichterlebten Gefühle nannte er bei mir zwei Seelen oder Seelenspaltung, weil deshalb nie die geringste Harmonie oder Eintracht möglich war. Genau so [sic] geht es mir heute, auf der einen Seite die wermutsvolle [sic] schmerzhafte Sehnsucht nach meiner früheren Heimat, auf der anderen Seite bindet mich unsagbar viel an Deutschland. Dieses Für und Gegen brachte mich in ein Konfliktleben und es fehlt nur die ruhige, sichere Hand, die mich auf den richtigen Weg führen könnte! Aber Niemandem gelang es, weil ich von der Wirklichkeit soweit abgewichen bin und den Boden unter den Füssen verloren habe. Wie gerne würde ich versuchen[,] ein neues Leben anzufangen, erfüllt von Arbeit und gesunden normalen Gedanken – doch die Kraft dazu fehlt – Damals bei diesen gewaltsamen Entfettungskuren sagte mir bereits der Arzt, er würde Hypophysenhormonstörungen befürchten. Ich verstand zu jener Zeit die Bedeutung dieser Worte nicht, doch als ich gestern eine Schwester davon sprechen hörte, war ich vor Schreck erstarrt. Jetzt ist mir auch das unerklärliche unerwünschte und förmlich zur Verzweiflung führende Triebleben erklärbar, wo ich mit diesen Gedanken allein, nichts zu tun haben möchte. Stabsarzt Dr. Schellig ist der Ansicht, dass meine schon im Februar/März auftretende Krankheitserscheinung nur durch besonderen Vitaminersatz und hormonal bedingte Behandlung zu beheben wäre. Der jetzige Erschöpfungszustand war somit der [sic] auslösende Moment zu meinem jetzigen Zustandsbild. Ich möchte in keiner Hinsicht irgendeine Therapie oder Maßnahme anfordern, sondern ich empfand es nur als Pflicht, darauf hinzuweisen. Gleichzeitig bürge ich für die Wahrheit dieses Berichtes“. Vgl. ebd. 1100 Zur Klassifikationsziffer siehe Würzburger-Diagnosenschlüssel. Vgl. Gütt et al. (1936), S. 347–348. Siehe auch S. 176, Fn. 787. 1101 Zu „Dresdner Täter[n] und Akteure[n] im Nationalsozialismus“ siehe Pieper/Schmeitzner (2012).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „auf Cardiazolschocks geheilt worden sei.1102 Sie sei wieder vollkommen die [A]lte. Von Nerven- und Geisteskrankheiten in der Familie wisse sie nichts. Ihre Mutter habe vor den Wechseljahren einige Jahre schwere Melancholien gehabt“.1103

Bis 1941 habe sie in Rumänien gelebt, sie habe sich dort heimisch gefühlt. 1941 sei sie gemeinsam mit Mutter und Schwester für acht Monate in ein Lager nach Schlesien gekommen. Die einstige Begeisterung, in Deutschland leben zu können, „sah sich nun leicht enttäuscht“.1104 Der Arbeitseinsatz in einem Polizeipräsidium in Berlin und auf einem Passamt habe ihr gefallen, man habe sie dort geschätzt. Mit dem Essen sei sie ganz gut zurechtgekommen, sie habe ein möbliertes Zimmer bewohnt. Während dieser Zeit habe sie sich „immer müde [gefühlt], war ganz apathisch, merkte, dass sie keine Lebenslust mehr hatte“.1105 Von Oktober 1941 bis Mai 1942 konnte sie im Berliner Hegelhaus wohnen und das Abitur absolvieren, welches sie gut bestand. In Graz nahm sie den Krankenpflegedienst auf und studierte gleichzeitig Humanmedizin. Auch in dieser Zeit in Graz fühlte sie sich oft müde, hatte aber sonst keine Klagen. Im 3. Semester ging sie nach Posen, blieb dort für das Sommersemester 1943. Es sei ihr dort körperlich schon schlecht gegangen. „Sie verstand das Gelernte alles und konnte z. B. ihren Kolleginnen alles erklären, prüfte der Dozent sie dann zum Testat, so versagte sie vollkommen und wusste überhaupt nicht mehr zu reden, die Gedanken waren wie weggeblasen, sie hatte damals auch viel Brechreiz und eine Art Verfolgungswahn, sie glaubte, jeder Polizist auf der Straße ginge ihr nach. Manchmal habe sie auch verwirrt gesprochen. Sie ging zu dem dortigen Nervenarzt, der ihr sagte, dass sie an einer Zwangsneurose litte und sich sehr zusammennehmen müsse, damit es nicht schlimmer werde, sonst müsse man Cardiazolschocks bei ihr machen. Sie habe sich dann sehr zusammengenommen und es sei ihr dann eine Zeitlang ganz gut gegangen“.1106

1102 Die Behandlung mit Cardiazolschocks bei der Schwester der N. H. an der Grazer Nervenklinik im Jahre 1943 mag stattgefunden haben unter der Leitung des T4-Gutachters Otto Reisch (1891–1977). Vgl. https://archiv.uni-graz.at/de/geschichte/geschichte-einzelner-institute-undkliniken/neurologie-und-psychiatrie/liste-der-vorstaende-professoren-und-dozenten/Stand vom 24.06.2017. Reisch „promovierte 1924 in Innsbruck, wo er seine Karriere an der Psychiatrisch-[N]eurologischen Klinik begann. 1936 musste er Innsbruck aus politischen Gründen verlassen und ging nach Berlin. Kurz nach dem Anschluss kehrte er nach Österreich zurück und wurde in Wien mit dem Neubau des Gesundheitswesens beauftragt. Als zuständiger Referent war er darüber hinaus für die Durchführung der Berufsbeamtenverordnung in der Ärzteschaft verantwortlich. 1940 wurde er als Vorstand der Psychiatrisch-[N]eurologischen Klinik nach Graz berufen. Nach Kriegsende wurde er entlassen, setzte seine Karriere später jedoch als niedergelassener Arzt in Innsbruck fort. Als Mitglied am und Gutachter für das Erbgesundheitsobergericht Graz war er 1942–1945 maßgeblich an der Durchführung von Zwangssterilisationen beteiligt. 1940 war er Gutachter der ,T4‘“.Vgl. Freidl/Poier (2004). Siehe ferner Freidl et al. (2001) und Freidl/Sauer (2004). Zu den Grazer Medizinhistorikern „im Dienste der NS-Medizin“ siehe ferner Bruns/Frewer (2005). 1103 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. Trotz des berichteten „schizophrenen Schubs“ der eigenen Schwester sowie der klimakterischen Melancholien der Mutter bezeichnete N. H. die Familienanamnese als leer für psychiatrische und neurologische Erkrankungen. 1104 Ebd. 1105 Ebd. 1106 Ebd.

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Im Zeitraum von Januar bis März 1944 habe sie „alle 8 Tage die Periode, immer nur ganz kurz“1107 gehabt. Das Sommersemester 1944 verbrachte sie in Erlangen. „Da war ihre Stimmung bald ganz oben und bald ganz unten. Sie hatte grundlos Selbstmordgedanken, glaubte, dass sie jeder beobachte und als Staatsfeind betrachten würde. Hatte immer das Gefühl, dass ihr Gedächtnis so nachgelassen hätte. Sie wisse oft nicht mehr, was sie vorher noch gerade gewollt habe. Manchmal könne sie auch konzentriert hintereinander reden, fühle sich dann aber sehr erschöpft. In der Nacht wache sie oft auf und habe heftige Angstgefühle. Vor 2–3 Wochen hörte sie oft ihren Namen rufen, wusste aber nicht, woher es kam. Stimmen habe sie sonst nie gehört, sie habe Momente, wo sie überhaupt nicht denken könne. Tag und Nacht habe sie ein Druckgefühl im Schädel und ein beklemmendes Gefühl in der Brust, es werde ihr alles so eng. Innerlich sei sie ganz abgestorben. Sie könne sich weder freuen noch könne sie weinen. Nach dem Semester sei sie zum Kriegseinsatz1108 hier in die Fabrik zu Siemens gekommen. Die Arbeit, von morgens 6 bis abends 6 Uhr, habe sie außerordentlich angestrengt, hatte oft Brechreiz und Flimmern vor den Augen, musste sich manchmal hinsetzen, weil sie nicht weiterkonnte [sic], dann sei gleich die Aufsicht gekommen und habe mit ihr gescholten. In den letzten Tagen klappte sie ganz zusammen, hat nachts schreckliche Träume, die sich immer um Leichen drehen. Es habe aber nichts mit den Leichen im Anatomiesaal1109 zu tun, sie liebe ihr Studium über alles“.1110

1107 Ebd. 1108 Zur generellen Arbeitsdienstregelung: „Nach Beendigung der Schule wurden die Schüler von Schuldirektoren zum Militär oder zum Arbeitsdienst angemeldet. Wer studieren wollte, musste zuerst seinen Arbeitsdienst ableisten“. Vgl. Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM. So leistete auch Walburga Meggendorfer bis Frühjahr 1943 Arbeitsdienst unter anderem als Erntehelferin in Sternberg im Kreis Rhön/Grabfeld. Nach Ablegen des Vorphysikums wurde sie im Winter 1944 zum Fabrikeinsatz bei der Firma Trix einberufen. Die originäre Modelleisenbahnfirma war als kriegswichtiger Betrieb von Nürnberg nach Spalt verlegt worden. Walburga Meggendorfer setzte dort Flugzeugteile zusammen und kontrollierte diese. Vgl. ebd. Die Tätigkeit im Arbeitsdienst wurde bei der erstmalig von 25.06.1945 –28.06.1945 aufgenommenen Abiturientin R. E. als mitverursachend für eine „[p]sychogene Reaktion? Hebephrenie?“ diskutiert, die Epikrise vom 28.06.1945 gibt folgende Informationen: „Erkrankte im Februar 45 an einem Erregungszustand, der sich hauptsächlich in Ideenflucht, Verkennung der Personen u. Vielrederei äußerte. In den letzten Wochen langsames Abklingen des Zustandes. Da die Pat. zum erstenmal von zu Hause weg war (RAD und Munitionsfabrik), ihr fremden und auch unsympathischen Einflüssen ausgesetzt war, ließe sich wohl am ehesten eine exogene Ursache für die Erkrankung annehmen, andererseits könnte auch eine beginnende Hebephrenie vorliegen, so erscheint die letztere Annahme nicht sehr wahrscheinlich“.Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 253/158. 1109 „Die Geschichte der Anatomie im Dritten Reich ist erst in den letzten Jahren systematisch erforscht worden. Dabei zeigt sich, dass Anatomen die Körper von Opfern des Nationalsozialismus für anatomische Lehre und Forschung verwendeten und darin mit dem NS-Regime kollaborierten. Unter den Anatomen gab es einen hohen Anteil von NSDAP-Mitgliedern einerseits, gleichzeitig aber wurden Anatomen auch aus sogenannten ‚rassischen‘ und politischen Gründen verfolgt. […] [D]ie Entwicklung der Anatomie in der NS-Zeit […] [beinhaltete eine] Änderung der gesetzlichen Leichenversorgung durch das Hinzukommen von NS-Opfern und die Verschiebung des traditionellen anatomischen Paradigmas der Arbeit mit Toten zu einer Hinwendung zur Forschung an ‚zukünftigen Toten‘ im Sinne von medizinischen Experimenten. Die Bedeutung dieser Geschichte für die Entwicklung ethischer Richtlinien in der modernen Anatomie wird diskutiert“. Vgl. Hildebrandt (2014). Ferner: Oehler-Klein et al. (2012). 1110 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354.

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Vom 02.11.1944 findet sich folgende Aktendokumentation: „Die gestern durchgeführte Lumbalpunktion ergab einen Druck von 130/230, eine Zellzahl 2/3, Pandy, Nonne, Appelt, Weichbrodt- Reaktionen1111 negativ. Pat. verspürt subjektiv eine Druckentlastung im Kopf und auf die beiden Magnesium-Sulfateinläufe verschwanden auch die Kopfschmerzen. Ihr Strabismus- Convergenz besteht erst seit 2 Jahren und zwar nicht dauernd“.1112

Laut Aktenvermerk vom 01.12.1944 wurde die Patientin bislang „dreimal mit Elektrokrampf behandelt. Bittet darum, nicht weiter behandelt zu werden, da sie sich auf die Behandlung hin noch schlechter fühle.1113 Sie habe das Gefühl, dass sie auch hier beobachtet werde und man sie für eine Spionin halte. Macht einen sehr depressiven Eindruck. Sie klagt über starkes Heimweh, berichtet wieder, wie sehr sie darunter leide, dass sie sich in Deutschland so unverstanden fühle. Die Deutschen seien so kalt, besonders die deutschen Männer. Es könne auch sein, dass sie nach außen nur so kalt wirkten; in Rumänien habe man mehr Gefühl. Die Sehnsucht nach der ‚großen Liebe‘ scheint bei ihr eine große Rolle zu spielen, jedenfalls lässt sie derartige Gedanken immer wieder durchblicken. Sie fühlt sich innerlich vereinsamt und allein“.1114

Vom 25.01.1945 ist folgende diagnostische Einschätzung übermittelt: „Man hat nicht die Überzeugung, dass es sich bei der Patientin um eine Schizophrenie handelt. Vielmehr um eine etwas schwierige psychopathische Persönlichkeit1115 (s. beiliegende Aufzeichnungen der Patientin). Sie schreibt sehr gerne und viel, schwärmt für Nietzsche,1116 ist intellektuell sehr begabt. Sonst unausgeglichen. Zwischendurch kommen immer wieder Klagen,

1111 Siehe hierzu weiterführend Schmitt (1930). „Raphael Weichbrodt [1886–1942] wurde im Mai 1942 von Frankfurt aus in den Osten deportiert, wahrscheinlich mit dem Transport vom 24. Mai 1942 in die Region Lublin nach Groß Rosen. Er wurde am 31. Mai 1942 ermordet. Seine Tochter Dorrit wurde zur selben Zeit nach Mauthausen deportiert. Für sie wurde dasselbe Todesdatum festgelegt. Die Tochter Ruth Weichbrodt, verheiratete Josel, lebte später in Sao Paulo/Brasilien. Nach ihrer 1992 bei einem Besuch in Frankfurt erfolgten Darstellung hat ihr Vater wenige Tage nach seiner Festnahme Selbstmord begangen. Er hätte immer Gift bei sich getragen“. Vgl. https://www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=1907322&_ ffmpar[_id_ inhalt]=29551091. Stand vom 25.08.2017. Weichbrodts Schrift aus dem Jahr 1923 mit dem Titel „Der Selbstmord“ erhält vor diesem Hintergrund eine besondere Dimension. Vgl. Weichbrodt (1923). 1112 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1113 „Wieweit in der Aura selbst eine Wurzel zur Elektroschockangst liegen kann, die entgegen den Angaben der Literatur wesentlich häufiger zu beobachten ist, sei zur Diskussion gestellt. Dass die Schockerwartungsangst und die psychotische Angst mancher Kranker in das Schockerlebnis hineingenommen wird [sic], versteht sich von selbst. Es ist bisher merkwürdig wenig in der Literatur des Elektroschocks über die Tatsache berichtet worden, dass es immer wieder Fälle gibt, die nach dem dritten oder vierten Krampf eine so hochgradige Furcht vor dem Elektroschock haben, dass sie sich gegen eine weitere Behandlung sträuben und sie ablehnen, obwohl sie auf Befragen zugeben, keinerlei unangenehme Erinnerung an die Schocktherapie zu haben“. Vgl. Schildge (1947), S. 197. 1114 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1115 Empfehlenswert hierzu Trümmers (2010). 1116 Nietzsche „war durch den Missbrauch im Nationalsozialismus so vollständig vergiftet, dass man nicht mal von fern Interesse an seine[n] Schriften entwickelte. […]. Man meinte ja immer schon zu wissen, dass da nichts zu holen sein würde, nur Irrationales, Anti-Demokratisches,

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dass man sie nicht ernst nehme, dass man sie doch für eine Spionin halte oder glaube, dass sie sich nur vor der Arbeit drücken wolle. Das sei aber wirklich nicht der Fall. Häufig Klagen über Kopfschmerzen, Stechen in der Herzgegend, auch Magenbeschwerden. Wegen der seit Monaten ausgebliebenden Menses [wurde] eine Progynon- und Prolutonkur durchgeführt“.1117

Die erwähnten, dem Krankenjournal der N. H. „beiliegenden Aufzeichnungen“ bilden den Inhalt des folgenden Kapitels. 2.4.6 Zur Debatte um psychopathologische Kunst: mögliche Zusammenhänge mit Meggendorfers Klinik in Erlangen Die im Krankenjournal archivierten „pathographischen Versuche“ der rumäniendeutschen Medizinstudentin N. H. während ihres Aufenthaltes an der Meggendorferschen Klinik verdienen eine wörtliche Wiedergabe – insbesondere unter dem Aspekt eines möglichen Interesses Meggendorfers an dem viel diskutierten Sujet der Verbindung von Psychopathologie und Kunst.1118 Seitens der psychisch erkrankten Medizinstudentin N. H. wurde folgender „Seelenspiegel“1119 verfasst: „24. Nov. Der ehrgeizige und impulsive Einsatz meiner Kräfte, lies [sic] mich oft wegen mangelnder Ausdauer an zähen Widerständen zerbrechen. Die stete Anspannung machte mich leicht feister und verursachte jähzornige Störungen. Ein einmal vorgestecktes Ziel, gab ich nicht leichten Herzen[s] auf, daher die ewigen inneren Konflikte. Mit zu wenigem, oft sehr kleinem Selbstvertrauen an mein Wissen und meine Fähigkeiten gehe ich an die Bewältigung meiner Aufgaben heran, und nehme jeden Erfolg zaghaft und schüchtern in mir auf. Sehr vielseitig interessiert, sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich, führt diese absolute Vielseitigkeit zu einer Zersplitterung, die zu einer vom Zeitgeist unabhängigen Haltung führt – Entweder in der Vergangenheit lebend, sah man mich als Verfechterin absoluter Ideen oder als irreale Utopistin an. Oder der Gegenwart weit voraus, würde ich die größte Nietzsche[-] Anbeterin, der meiner Meinung nach, der größte und gewaltigste Geist aller Zeiten war. Wie hell und klar, wie tief und [sic] sind seine philosophischen Abhandlungen,1120 im Verhältnis zu den undurchdringbaren Sätzen Kants und Schopenhauers. Jeder deutsche Mensch, müsste sich in tiefster Anti-Semitisches, Anti-Feministisches, Elitäres, den Faschismus und seine Epoche Vorbereitendes – die herrschende Philosophie der NS-Zeit eben. Die ‚blonde Bestie‘, die ‚Herrenrasse‘, der ‚Übermensch‘, der ‚Gott ist tot!‘, ‚Der Wille zur Macht‘, ‚Vergiss die Peitsche nicht!‘ – vielleicht noch ‚die ewige Wiederkehr des Gleichen‘, und dann auch noch die Verknüpfung mit Wagner, dem Liebling des Führers und der NS-Größen: Das war so ziemlich alles, wovon man [d. h. die in den 1940er Jahren geborene Generation] gehört hatte“. Vgl. Liebau (2013), S. 85. 1117 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1118Weiterführend unter anderem Neumayr (2000). Der Biedermeier-Autor „Adalbert Stifter [1805–1868] starb an den Folgen eines Suizidversuchs. Mit einem Rasiermesser hatte er sich durch die Kehle geschnitten. […]. Stifter-Verehrer äußern sich immer wieder irritiert darüber, dass ausgerechnet der Verkünder eines maßvollen, dem sanften Gesetz folgenden Lebens seinem Leben selbst und dazu noch so rabiat ein Ende setzte. Doch wird man sich damit abfinden müssen, dass bei Stifter Werk und Leben auseinanderfallen. Manch anderem Dichter erging es genauso“. Vgl. Jachertz (2016a), S. B 1875. 1119 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1120 An dieser Stelle sei eingegangen auf die im Zitat von Elert (S. 243, Fn. 1098) angeführten Personen: Zum Ersten: Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831). Sein

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Sehnsucht vor der Größe und Tragweite seiner Leistungen im Geistesleben neigen. Trotzdem mich die Umwelt als ungewöhnlich anpassungsfähig, gesellschaftlich gewandt, höflich, taktvoll und durch jugendliche Lebendigkeit sprühend, unterhaltend beurteilt, jage ich gehetzt u. ruhelos durch die Welt umher, so unverstanden und innerlich einsam wie nur sehr selten ein Mensch. Niemand ahnt es auch, wie ich mich persönlich hasse u. nochmals hasse, weil sich egozentrische Gedanken mit immer stärkerer Macht aufdrängen. Ich will sie ja gar nicht haben. Kein Ideal ferner, sondern atemnahes Erleben, ewige Sehnsucht ist es von mir u. greifbarer Wunsch, der leidtragenden Menschheit zu helfen und nochmals zu helfen seelisch u. körperlich. Deshalb allein, könnte ich ohne meinem [sic] Studium nicht existieren. Weil hier die Stimme meiner Seele mir den Weg frei macht, zu einem neuen Leben, zu einem Schöpferin [sic] – sehen, dass einem über die Greuel des Alltags heraushebt [sic]. Wie oft hat mir allein das angeborene psychologische Verständnis dazu geholfen, Menschen aus der Tiefe der Verzweiflung zu retten, und sie hineinzustellen in ein starkes Leben, aus dem nur Tapferkeit und Titanentum spricht. Wo die wissenschaftliche Kunst versagt und man organische Mittel nicht mehr als ausreichend ansieht und die ewige u. einfache Kunst die Schriften ersetzen – die Kunst der lebensspendenen Freude! Das ist die Welt der tausend Fragen und unzähligen Antworten, die jeden zum eigenen Meere der Sehnsüchte u. Gefühle hineinführt. Aus dem man den Glauben an alles Schöne, an das lebenswerte Dasein, das den Zweck, wofür ihn die Natur bestimmt hat, erfüllen soll. Die Stärke des Schicksals, das unerforscht und als unlösbares Problem über uns waltet, soll mit dem Ernst des Lebens vereinbart, die Brücke zum erkämpften und überwundenen seelischen Ausgleich und dem Frieden bilden“.1121

Die Patientin N. H. verfasste zusätzlich zu ihrem „Seelenspiegel“1122 ein „Charakteristikum des Seelenlebens“:1123 „Ich bin eine von denen[,] die alleine bleiben und [sic] weil ich mich von meinen Mitmenschen absondere und meinen Weg suche! Geist, Arbeit und Kampf sind meine Begleiter, durch sie und mit ihnen, will ich meine Zukunft gestalten. Andere sammeln Schätze und Geld, ich aber hasse das Gold, weil es alles Gute u. Edle im Keime erstickt. Aus dem Überfluss meiner Seele möchte ich verschwenden, der Menschheit einen neuen stolzen Typ vorbilden, aus dem man Kraft schöpfen kann. Aber dabei vergesse ich, dass ich an einem Kreuzwege des Lebens angelangt bin, je mehr ich um den Frieden der Seele kämpfe, desto deutlicher fühle ich[,] wie alles in mir nur Kampf, Zuckung und Qual ist. Dabei rase ich von Problem zu Problem, von aufbrausendem Schmerz zu aufbrausender Fröhlichkeit. Gedankenklar und rein wie die Sonnenstrahlen erscheinen mir im Augenblick meine Eingebungen, verzerrt bis zur krankhaften Lächerlichkeit beherrscht mich ein heimlicher Dämon, der mir allerlei Gedanken ins Gehirn brennt. Warum findet meine Seele keinen Zusammenhang mehr mit meinem Geist? Wenn meine Seele zu mir spricht, erscheint sie zart und schüchtern, weil sie so endlos viel von mir verlangt, aber mein Geist[,] sie beherrschend, wie bedenkenlos, wahllos fordernd tritt er an mich heran. In ihm findet man Idealismus, Sadismus, Skeptizismus, Expressionismus, trotzdem muss ich ihm folgen. Das Alte aus meiner Seele muss heraus, um den Neuen Platz zu machen, denn meine Seele ist zu eng, es ist zu wenig Raum für das Nebeneinander wohnen [sic]. Und doch Sohn Karl Hegel (1813–1901) nahm 1856 den Ruf nach Erlangen an und vertrat eine Geschichtswissenschaft modernen Stils. Vgl. Herbers (2000), S. 75. Weiterführend auch Neuhaus (2001). Zum Zweiten: Der erste preussische Minister Karl Freiherr von Stein zum Altenstein (1770–1840). Siehe hierzu weiterführend: https://www.deutsche-biographie. de/ sfz69023.html. Stand vom 27.06.2016. Zum Dritten: Der evangelische Kontrovers-Theologe Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761–1851). Zum Vierten: Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854). 1121 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. Kursivschrift des gesamten Textes der N. H. im Original. 1122 Ebd. 1123 Ebd.

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bedrängt mich alles sehr. Ich suche die Einsamkeit auf, damit meine Gedanken klar und groß werden aber wie vergeblich – in dieser Einsamkeit glaube ich stets meinen Verstand verlieren zu müssen. Ich habe keine falschen Vorstellungen von dem Leben der krassen Wirklichkeiten, sondern ich will kämpfen, überwinden, Titane sein, warum kann ich es jedoch nicht? In meiner Seele lebt der nicht unnatürlich große Drang, dass ich große Liebe erleben will, weil mir ein Gefühl richtig verrät, dass mir damit die Krone des Lebens gereicht wird. Und doch fühle ich es, wie wenig kraftvoll ich für ein solches Erlebnis bin. Jede große Liebe ist ein Schicksal und meist ein sehr schweres. Deshalb hüte ich mich, es von mir aus zu suchen, denn nur die Stärksten können es tragen und sich aus dem Feuer der Leidenschaft erheben. Wer liebt, der muss sich schon ganz riskieren, er muss aber auch was zum Riskieren haben. Oft glaube ich, in irgend einer großen Liebe zu mir zurückfinden zu können, doch weiß ich es mir zu genau, dass jede Liebe nie das Glück, sondern der Gradmesser unserer Kräfte ist[,] die im Sturm der Gefühle mehr verzehrt als gestärkt werden. Man soll sie daher weder wünschen noch auf sie warten. In dieser sentimentalen Schwärmerei blieb ich stecken und fühle es einwandfrei[,] wie fremd ich mir gegenüber bin. Meine Seele, mein Geist und ich sind Dinge, die nie wieder zusammenfinden können. Soll mir diese Zersplitterung zum Verhängnis werden? Denn ich merke ganz klar, wie ich an der Grenze der geistigen Umnachtung stehe!“1124

Des Weiteren finden sich in N. H. s Akten archivierte Tagebuch-Einträge aus dem Jahr 1942 mit dem Titel „Illusion!“: „Das blaue Himmelsmeer wölbte sich in sonnigem Abendfrieden über zackig schroffe Bergformen. Die Dolomitenzinnen standen in grandioser, majestätischer Haltung in einer Kettenform, in ihrer weltfernen Höhe, und unten das blühende Tal eines kleinen italienischen Dörfchens! In andächtigem Schweigen versunken, stand ich auf einer vorspringenden Ter[r]assenform und meine Blicke versenkten sich in die Schönheit der Umgebung, die so rein, so gewaltig und so unnahbar erschien! Meine Augen füllten sich mit Tränen, Liebling diese Gegend ist wie Du, hatte er gestern gesagt, heute wartete ich auf ihn und er kam nicht! Mitten in dieser einsamen, heimlichen Stille des Waldfriedens sah ich den wandernden Wolken nach, die ihren Bahnen folgten. Mir war es eigenartig zu Mute, meine ganze Vergangenheit lag vor mir wie ein offenes Buch! Ich blätterte wehmütig darin und verweilte nachdenklich bei allen schmerzlichen und glücklichen Zeiträumen, die hinter mir lagen! Klar leuchtend und silbern tönte plötzlich eine Geige durch die träumende Umgebung. Es kam mir vor[,] als würde der Spieler ein paar unausgesprochene Worte an mich richten und ich lauschte andächtig und gespannt, allen Höhen und Tiefen der Töne, die sich kraftvoll und dann wieder weich fortsetzten. – Es war eine Tokkata von Paganini [1782–1840]! Kein Virtuosentum und keine Tondichtung war es[,] die mich dermaßen fesselte, sondern eine Melodie in de[r] jedes Gefühl der eigenen Empfindung ausgedrückt war, die in einer Form zu mir sprach, die mit Worten nicht erfasst werden konnte[]! Wer war es, der so hinreißend gespielt hatte? Ich lehnte noch immer an einem Baum und blickte sehnsuchtsvoll in die Ferne, aus der die Melodie kam! So ging ich dann den erstorbenen Klängen nach, kletterte den Tannenhang entlang, schlug ein Gesträuch zur Seite und sah Dich stehen! Du hattest die Geige im Arm und Deine Blicke waren weit entrückt! Zaghaft legte ich meine Hand über Dein Augenpaar und im nächsten Augenblick strahlte Dein Gesicht, wie das eines glücklichen Kindes! Warum hattest Du mich heute so lange Zeit allein gelassen? ‚Weil ich einsam sein musste[,] um mit vielen Konflikten fertig zu werden‘ entgegnetest Du, Verzeih, ich konnte Dir in den letzten Stunden nicht begegnen! Unser eigenes Menschenleben ist oft so arm, besonders wenn wir bittere Enttäuschungen erleben und die bleiben ja niemandem erspart! Da müssen wir uns vor dieser inneren Verarmung bewahren und einzig und allein, indem wir Liebe geben und Liebe nehmen. Dann sind und bleiben wir innerlich reich, trotz persönlichem Unglück, denn es hat dann keine Gewalt mehr über uns! Ich war nachdenklich gestimmt, als ich diese Worte ausgesprochen hatte und fühlte wie in Deinem Herzen der Widerhall freudig 1124 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang ertönte! Es gibt 2 Arten von Liebe: eine[,] die einen Menschen erhebt [–] die, die Macht hat eine[n] zum Vollmenschen zu erheben, eine zweite[,] die man als Leidenschaft kennt, in der man zumeist sinkt und zum Halbtier wird! Ja oftmals ist die Liebe eine sehr harte Forderung! Wie viel Opfer verlangt sie von uns? Wo finden wir noch heute die unpersönliche große Menschenliebe, die der Franzose Charité nennt? Immer seltener werden die Menschen die am Edlen und Guten im Menschenherzen Freude empfinden! Nur wo sehr viel Kraft und Sehnsucht vorhanden ist, der kann das beste geben, was er hat – Liebe, dazu gehört viel Tiefe und heißes seelisches Erfassen [,] um diese Gefühle zu einer wunderbaren Harmonie zu vereinen! Den meisten Menschen fehlt diese innere Harmonie, sie nehmen und geben ohne einen tieferen Sinn zu beanspruchen, sondern empfinden jedes Gefühl gleich einer Sklavenfessel von der man sich nicht befreien kann! Wie arm sind wohl diese Menschenkinder, die wohl fordern[,] aber nicht das Edelste zu geben imstande sind! Sie verlieren sich in der grauen Masse der Menschheit und haben das halbe Leben kaum gelebt! Die Krönung dieses Lebens, das Höchste was ein Menschenherz zu empfinden vermag – blieb ihnen versagt! Wir waren am Meeresstrande angelangt, glutrot und langsam sank der blasse Mond wie eine Mattscheibe herab, und schweifte in die fernen, grenzenlosen Weiten! Ich fühlte Deine liebevolle Nähe, die so klar und lichtvoll von Gefühlen beseelt war, wie Du sie nie vorher empfunden hattest. Aber wie kurz sind solche Augenblicke, wie kurz aber wie schön, da fühlt man das Menschseindürfen als ein großes und mächtiges Glück, das fast zu groß, zu schwer zu tragen ist […] für eine arme Menschenseele! Man sah in Deinem Gesichte die verklärte Seeligkeit [sic] leuchten. Das gab Dir den Glauben an Dich selbst, an Deine eigene Kraft und Du fühltest Dich in diesem Gefühle zur reinen Menschlichkeit emporwachsen! Und über allem Streben, Irren und Vertrauen stand die Sehnsucht nach anders gearteter Liebe, die strahlend wie die Sonne, als ewiges und versöhnendes Element allein in diesem und jenem Leben steht! Es war etwas Neues, Mächtiges, Geheimnisvolles über Dich gekommen. Der große Feiertag Deiner Seele war angebrochen, unverhof[f]t und strahlend indem Du Dir mit jeder Faser Deines Seins eingestehen musstest, dass Du liebtest und geliebt wurdest. Ich blickte Dir tief in die Augen und fühlte es[,] wie ich vor ihnen nichts mehr zu verbergen hatte, in Deinen Blicken schimmerte ein seltsames verstehendes Leuchten, denn sie wussten mehr als meine Lippen auszusprechen wagten! Immer dämmerte aus der frühen, dunklen, dunklen Nacht wie ein Morgenrot, strahlend und siegreich die leuchtende Offenbarung! Das Leben[,] das Du früher für wertlos hieltest[,] barg doch noch wundersame Schätze, es war wieder wert gelebt zu werden! Du hattest dadurch die Zusammenhänge erfahren, indem Du seelisch und menschlich zu wachsen, zu reifen begannst um vo[n] Sprosse zu Sprosse aufwärts zu klimmen, die unermüdliche Leiter hinauf zum Bessersein zum Besserwerden! Somit war der Grundstein für Deine Lebensauffassung gelegt und Du selbst hattest es merkbar und immer mehr empfunden[,] wie Du täglich reicher wurdest an Geist und Seele! Dieses geheimnisvolle mitreißende Gefühl, das Dein Innerstes aus tiefem, träumendem Schlafe erwachen ließ, hatte mit jeder unvorhergesehenen Macht Besitz von Dir ergriffen! So ist es uns Menschen beschieden[,] alle Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens zu empfinden und das Sein und die Bedeutung des Irdischen in uns aufzunehmen! Genau so [sic] stolz aber und mit freier erhobener Stirne steht der mit Kämpfermut beseelte Mensch in den schwersten Tagen, wie auch in Zeiträumen wo der Ruhm des Sieges und der Liebe sein Haupt krönte! Die Sehnsucht[,] die immer grösser wurde, wuchs zu einem Strom der glühend und viel freier, erhabener als persönliche Liebe ist, die große Nächstenliebe fordert rein gar nichts, sie wird nur unter der Menschheit ausgestreut um edelste Früchte zu ernten! Die dazu da ist, um sich [sic] zum Wohle der Mitmenschen einzusetzen!“1125

Auch ein Tagebucheintrag mit dem Titel „Episode 1943“ ist den Krankenakten der N. H. beigelegt:

1125 Ebd.

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„Von einem Kollegen wurden wir einander vorgestellt. Prüfend betrachtete er mich, doch ich tat[,] als bemerke ich dies nicht und sah an ihm vorbei, in die Weite. Es sollte mein Vorgesetzter sein. Wacher Verstand, gesammelte Energie, kluge gütige Männlichkeit strahlte aus seinem Wesen, mit einem Wort ein Mann der weiß[,] was er will. In diesem Lichte erschien er mir bei der ersten Begegnung[,] Freitag 7h abends. Müde legte er die Schreibmappe auf den Tisch und ging zum Waschbecken. Wie versonnen er seine Hände bürstete. Ich streifte seine Gestalt fast ungewollt und vertiefte mich zum ersten Male in seinen Gesichtsausdruck. Seltsam ernst, fast traurig blickten diese Augen in die Welt und welch bitterer Zug lag um den halb geschlossenen Mund. Er brachte mich die breite Treppe herunter, reichte mir die Hand zum Abschied und verschwand. Inzwischen schritt ich nachdenklich durch den alten Stadtpark und war zu Hause angelangt. Lange stand ich noch am Fenster und blickte in die sternenklare Nacht. Kaum löschte ich das Licht und begab mich zur Ruhe ohne den ersehnten Schlaf finden zu können. Warum musste ich heute unaufhörlich an dieses Antlitz denken? Wundersame Tage, für die es keine Antwort gab. Im Geiste sah ich seine traurigen Augen und den bitteren Zug[,] der um seinen Mund lag, [es] tat mir wie eine tiefe Wunde weh. Wenn ich jetzt vor ihm hintreten und ihn fragen würde, wie könnte ich Ihnen helfen? Was würde er mir als Antwort geben? So lag ich diesem Gedanken hingegeben und alles andere aus den alltäglichen Leben erschien mir unwichtig und belanglos. Ganz verändert war ich seit jenem Tage. Immer wollte ich gerne alleine sein und in freien Mittagspausen suchte ich den nahegelegenen Strand auf, wo ich stundenlang in der Sonne lag und vor mir [sic] hin träumte. Sonst vergingen die Tage und Wochen in arbeitsreicher Tätigkeit. Meine schönsten Augenblicke waren es, hilfsbereit an seiner Seite zu stehen. Nie wurde ich müde, auch wenn die Dienststunden vielfach überschritten waren. Für mich gab es nur eine heilige Aufgabe und das war die Erfüllung der auferlegten Pflichten. Mehr als einmal in den letzten Tagen hatte er es mir offenbart, welches unbegrenzte Vertrauen er in sich, zu mir trug und wie viel ich ihm bedeute. Heute gab er mir auch sein letztes Geheimnis preis in brüderlicher Vertrautheit. Unendlich viel haben andere Mitarbeiter zu wissen geglaubt doch, dass uns beide nichts anderes als eine tiefe Seelenharmonie verband, wusste niemand, außer uns allein. Dienstag 9h abends. Langsamen Schrittes gingen wir dem nahegelegenen [Silber]teich entgegen. In kurzer Zeit war die Terrasse erreicht. Während am Himmel tausend Lichter brannten und aufleuchteten in ihrer Pracht, kam mir die Erde und alles was auf ihr stand wie kindliche Notdürftigkeit vor. Nur die Gefühle[,] die ich selig und schmerzlich zugleich, in meinem Innersten trug, bildeten das Zentrum meines Seins. Der See lag im stillen Abendfrieden, nur der Wind strich leise, kaum hörbar durch die Bäume. Ich nahm im Kahn, ihm gegenüber Platz und fühlte[,] wie er sich in den nachdenklichen Zügen meines Gesichtes vertiefte. Aber was hier in meinem kleinen Herzen verborgen lag, das würde niemals jemand erfahren, auch er nicht. All dies trug ich in meiner Seele, in solch großer Andacht wie nie zuvor! Die Wellen rieselten wie Silberhalbmonde, im Schein der Abendbeleuchtung. Wenn ich jetzt sein Haupt in meine Hände legen würde, wie zu einem Gebet, wie schön das wäre. 1 Stunde später waren wir am großen, alten Haustor angelangt. Er nahm zum Abschied meine beiden Hände, die er als hilflose Kinderhände liebte und küsste sie zart und innig [sic]. Immer tat mein Herz so schmerzlich weh, wenn er von mir ging, wenn dieser Abschied nahte, denn ich stand ganz allein in dieser grausamen kalten Welt. Ein ganz mächtiges, würgendes Gefühl stieg dann in mir auf und im nächsten Augenblick lehnte ich schluchzend an seiner Brust. Lange konnte ich keine Worte finden, erst allmählich fühlte ich unter seinen sicheren, gütigen Händen Ruhe und nochmals Ruhe wiederkehren. Zärtlich küsste er mir die salzigen Tränen von den Augenlidern fort und als er mich auf den Mund küssen wollte, wich ich aus. Nicht böse sein – vielleicht später einmal – Gute Nacht. Tönend verhallten seine Schritte, dann war es still im Haus. Endlos gedehnt gingen die Stunden vorbei, nein nur nicht an alles Zukünftige denken. Diesmal fiel mir alles schwer[,] so endlos schwer zu tragen, weil meine Seele zu viel von mir verlangte. In seiner Anwesenheit konnte ich auch von nichts Gegenwärtigem sprechen, denn die Zeit[,] die ich mit ihm verbrachte, war zu wertvoll[,] zu kostbar, als dass man sie mit Untröstlichem belasten dürfte. Am nächsten Nachmittage saßen wir beide im Garten des Park-Hotels und das durchs

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Blattlicht fallende Licht, fiel auf sein braunes Haar. Draußen jagten Menschen und hastige Autos vorbei, alles war und blieb mir fremd, für mich gab es in dieser Zeit nur einen Menschen, der mir nahe stand – aber wie lange noch? Als ahnte ich den bevorstehenden Abschiedsbefehl seufzte ich kaum hörbar vor mir [sic] hin. Von vielen weiten Reisen erzählte er mir, dann fuhren wir nach Maria [–] Trost,1126 es war sein alter Lieblingsort.1127 Wenn die Sehnsucht nach dir zu groß wird, so fahre ich hier her und denke an dich, dabei strahlten seine Augen wie bei einem Kinde. Als wir die berühmte prunkvolle Kirche betreten hatten, wanderten wir durch die weihevolle Stille, die kostbaren Mosaikgegenstände bewundernd.1128 Ich merkte es erst viel später, dass wir Hand in Hand durch den Raum, in dem der große Atem der Andacht lag, schritten. Wie traumverloren hörte man die wohlklingenden Orgeltöne in der Ferne verhallen. Dieser schön verlebte Tag, bildete ein nie vergängliches Märchen in meinem Inneren, das unaufhörlich bestehen blieb“.1129

Die Episode findet ihre Fortsetzung mit einem Tagebuch-Eintrag N. H. s vom 20.07.1943: „unglaublich hart trifft uns beide das Unabwendbare, als er seinen Einsatzbefehl erhält. Derartige Zeitepochen fordern nur stärkste Herzen, die schwachen werden zu Boden geworfen und zertrümmert. Aber ich will stark bleiben, das bin ich meinem Namen und meinem Frauentum schuldig. Als ich am Bahnsteig stand und seine warme vertrauensvolle Rechte in meiner fühlte, so kam es mir nur klarer zum Bewusstsein, dass er zu den Menschen zählt, die mich nicht bald vergessen werden. Kein Versprechen, kein sehnsüchtiges Wiedersehen versprechend, schieden wir im Gedanken[,] uns vielleicht nie wieder zu begegnen! ‚Bleibe so tapfer und stark, wie ich es nie anders von Dir erwartet habe. Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten‘, waren seine letzten Worte und in seinen Augen lag etwas Wehes! Kaum entführte der Zug den Sohn seiner

1126 Heutzutage „Mariatrost“, 11. Stadbezirk von Graz. 1127 „Unter den zahlreichen steirischen Wallfahrtsorten dürfte es nicht allzu viele geben, die durch eine so herrliche Lage ausgezeichnet sind und wo sich Natur und barocke Architektur so innig ergänzen wir in Mariatrost. Von welcher Richtung man immer kommen mag, von jeder bietet die Wallfahrt[s]burg einen harmonischen Anblick. […]. Ein junger Meister war es, Johann Georg Stengg [1689–1753], der diese Schönheit schuf, vielleicht sein erstes Werk. Dabei war der Künstler nicht einmal Kirchenbauer, sondern Festungsbaumeister“. Vgl. Bierbauer (2005), S. 2. 1128 Weiterführend zur Gründung von Maria Trost: „Bereits im 12. Jahrhundert brachten Pilger oder Kreuzfahrer aus dem Heiligen Land einen Splitter des Heiligen Kreuzes mit nach Graz. Sie stellten den Kreuzsplitter in einer Kapelle aus, die ‚Zum heiligen Kreuz‘ genannt wurde. Es kamen unzählige Pilger hierher und so nannte man die Wallfahrtsstätte ‚Heiliges Kreuz zum Landestrost‘. Auch ein Spital für kranke Pilger wurde in Kapellennähe erbaut. Zur Zeit der Türkeneinfälle wurden die Kapelle und das Spital zerstört. Der Berg wurde danach ‚Purberg‘ (kahler Berg) genannt. Freiherr von Wilfersdorf brachte 1666 eine Marienstatue aus der Kirche von Rein hierher, wo er ein kleines Schloss errichtete. Er stellte die schöne Statue im Schloss auf. Nach dem Tod des Freiherrn übernahm Franz Caspar Canduzzi, Edler von Heldenfeld, den Besitz. Canduzzi begann mit dem Bau einer Kirche mit Kloster. Von ‚Maria Trost am Joachimsberg‘ war nun die Rede. Die Kirche erhielt den Namen ‚Heilige Maria zum Landestrost‘, wovon der heutige Name ‚Maria Trost‘ abgeleitet wurde. Die Gnadenstatue wurde auf den Hochaltar gestellt. Es geschah einmal, dass ein Wiener Fleischergeselle nach einem Arbeitsunfall schwer krank wurde. Er gelobte[,] ein Kreuz von Wien nach Maria Trost zu tragen, was er auch tat. Er kam geheilt nach Wien zurück“. Vgl. Schleich (1999), S. 384, zit. n. http://www.sagen.at/texte/sagen /oesterreich/ steiermark/div/Gruendung_Maria_Trost.html. Stand vom 22.07.2016. Siehe ferner Kölbl/Resch (2004), S. 189–192. 1129 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354.

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Heimat vielleicht für immer, wer kann es sagen? Noch ein müdes, nachdenkliches Winken – und alles ist vorbei. Heute ging ich durch die Straßen, die ich einst in fröhlichster Gesellschaft durchzog in einsamer Traurigkeit. Ich kam bei einer Brücke vorbei, und beobachte die tiefen, brausenden Fluten! Wenn mich eine von ihnen auffangen würde um mich mitzureißen in das Reich der Ewigkeiten. So ohne Schmerz und schneidendem Weh zu versinken in ein dunkles, unerkanntes Schicksal! War es persönliche Tapferkeit oder Pflicht seinen Angehörigen gegenüber[,] sich von diesem sündhaften Gedanken zu lösen, um den Irrweg ohne Ziel und Licht weiterzuschreiten? Ein flatternder Vogel setzte sich auf meine Schulter, es kam mir vor, als sei diese[r] ein Symbol der Entschädigung mit Liebe. Aber ich ging abweisend, halb unbemerkt davon vorbei, in ein neues pflichterfülltes Leben!!!“1130

Der nächste archivierte Tagebuch-Eintrag der N.H. stammt von März 1944 und hat ihre „Hospitation“ auf der Gebärstation der Frauenklinik1131 zum Inhalt: „Es war ein stürmischer Februartag, Der Himmel hing an grauen Wolken, die Bäume an den Seiten der nassglatten, spiegelnden Straße. Die dunklen Äste wurden im Winde gepeitscht vom Regen und Eiskörnern. Ich stand am Fenster und sah über die mattierte Hälfte des Glases hinweg. In gelblichgrünem Schimmer glänzten die Lampen auf. Es war der 6. Abend, den ich in der Frauenklinik zubrachte. Es war dies mein freiwilliger Entschluss, den der Oberarzt freundlich lächelnd für mein großes Interesse genehmigte. Ich wartete. Nebenan lag der langgestreckte weißgekachelte Saal, in dem Bett an Bett Frauen lagen. Frauen, die danach verlangten, dass das Leben, das sie fast ein Jahr lang in sich wachsen fühlten, nun zur Offenbarung werde. Das[s] sie ein Kind in den Armen halten würden, das ihnen im stillen, großen Glück gehört. Es war totenstill im Raume. Die meisten Frauen erwarteten ihr erstes Kind, deshalb waren sie in die Klinik geflüchtet, wo das Unbekannte[,] das sie erfassen würde, ohne Gnade über sie kommen würde. Was ihnen bevorstand hatte sie mit trüben Ahnungen und verborgener Angst erfüllt. (Es war totenstill im Raume)[.] So lagen sie still, in den weißen Betten und blickten gedankenschwer umher. Zeitweise klammerten sich ihre Blicke an die Pflegerinnen, die mit leisen Schritten ihrer Tätigkeit nachgingen. Ich ging vom Fenster fort und trat in den Saal, an das Bett der kleinen schmächtigen Frau, die meiner Obhut anvertraut war. Immer krampfhafter bäumte sich ihr Leib und mit zusammengepressten Zähnen griff sie nach der Eisenkante ihres Lagers, um neue Kraft zu sammeln. Durchdringendes Stöhnen wurde hörbar, ich sah[,] wie der krümmende Schmerz über sie hinfuhr. Eine schwere Geburt war vorauszusehen, sie ahnte es auch. Der Oberarzt kam und erkundigte sich nach dem Befinden. Wenn es in 2 Stunden nicht anders wird, dann rufen sie mich Schwester und verschwand wieder! Mit angsterfülltem Gesichtsausdruck klammerte sich die Frau, an ihre noch bestehende Kraft, die sie allmählich und immer deutlicher zu schwinden fühlte. Also es geht doch nicht ohne Eingriff, hörte ich sie flüstern. Ihre zarten Finger verkrampfte sie ineinander, als sei etwas Unerwartetes über sie gekommen. Nun setzte ich mich neben sie und schloss ihre Hand, strich ihr die Schweißperlen von der Stirne, in sanftester Form fort. Immer merkbarer fühlte ich, wie diese schwachen Finger sich in unglaublicher Kraft vor Schmerz und Angst in meine Hand eingruben. Alle diese Frauen fürchteten sich vor der Ungnade und Gewalt des Schmerzes, sie fühlten[,] wie die unaufhaltsamen Wehen, wie ausströmende Meereswellen über sie dahinführen. Als wenn brausende Fluten gegen einen Widerstand kämpfen würden, die nur stärker schwollen und das Zurückdrängen nur schlimmer würde! Auch diese Frau fühlte diesen verzweifelten Kampf in sich, und sank einer Ohnmacht nahe mit verschlossenen Augen in ihr Kissen zurück. Der Oberarzt kam wieder und untersuchte – wir müssen eingreifen!!! Das Licht im Saal flammte auf, die Instrumente wurden aus dem heißen Dampf der Sterilisationsgefäße entfernt. Der Oberarzt stand am weißen 1130 Ebd. 1131 Weiterführend empfehlenswert Ley/Ruisinger (2003). Ferner weiterführend zum Thema „Geburtshilfe zwischen Hebammenkunst und medizinischer Wissenschaft“ siehe Stadlober-Degwerth (2008).

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang Waschbecken und bürstete seine Hände. Das Schweigen der anderen Frauen deutete auf eine große, immense Angstatmosphäre, indem [sic] kaum noch eine unter ihnen wagte, einen Stoßseufzer von sich zu geben! Ich sah[,] wie die kleine Frau die Hände über das Gesicht zog[,] um die Tränen ihrer feuchtglänzenden Augen zu verwischen. Aus ihrem Mienenspiel sah man die bisherige Tapferkeit schwinden. Ich war bei der Frau in der Zwischenzeit geblieben, die angsterfüllt bald mich, bald den Oberarzt anblickte. Eine Zangengeburt war notwendig, nicht nur der Mutter wegen, sondern auch des Kindes, dessen Herztöne dauernd schwächer wurden. Es war meine Aufgabe, die Frau zu beruhigen, die erschreckt und ratlos wie ein gefangenes Tier nach einem Ausweg suchte. Ich fühlte es, aus meinem Fraueninstinkt heraus, dass ich dieser Frau nicht nur Ruhe und Vertrauen sondern auch Trost bringen konnte. Meine Seele war in jenen Momenten wie die überspannte Seite einer Geige, eine innerlich sich abspielende Unruhe bemächtigte sich meiner, die ich nur mit meine[m] beherrschten Äußeren bezwang. Ich hielt nun die Hand der Frau und presste sie, als fühle ich selbst, jede schmerzliche Regung, sowohl körperlich als auch seelisch! Unter meinen zärtlichen Blicken und warmen Worten hatte sich die Frau beruhigt. Die vorher bestehende große Angst hatte sich tatsächlich in Vertrauen gewandelt, nachdem ich ihr mit zusprechenden Worten beibrachte, dass sie keinerlei Schmerzen erwarten, sondern nur später das Erwachen wie aus einem tiefen Schlafe und das kleine Wunder würde ihr in die Arme gelegt werden [sic]. Sie nahm meine geschilderten Worte mit sichtlich wandelbarer Freude in sich auf und ihre feuchtglänzenden Augen schimmerten glückstrahlend. Als der Gaseschleier [sic] über ihr Gesicht gelegt wurde und sie die Tropfen des süßlich betäubenden Aethers einatmete[,] hörte ich sie noch wenige Sekunden laut ‚Siebenundsiebzig‘ dann immer leiser – bis vierzig zählen, dann war sie eingeschlafen. Es war die erste Zangengeburt, die ich zu sehen bekam und [ich] war von dem neugewonnenen Eindruck sehr ergriffen. Wunderbarer [sic] ist der Augenblick, wie unter rechts und linksseitigem Einschnitt mit einer Metallzange der Kopf des Kindes und gleichzeitig der ganze Körper herausgehoben wird [sic]. Von der Schwester schon ergriffen, schreit es seinen ersten Schrei. Erlöst lehnte ich mich an den Tisch durch die anhaltende Spannung ermüdet und betrachtete das kleine Neugeborene, das frisch gebadet vor mir lag. Wie ein zerbrechliches, gläsernes Wunder dachte ich im Stillen und bewunderte die wenigen dunklen Härchen auf der zartschimmernden Kopfhaut. ‚Wir sind fertig‘ sagte der Oberarzt und verließ höflich grüßend den Saal!1132 Ich blieb in Gedanken versunken und dachte an die Schwerkranken in der Klinik in Graz, wo Menschen mich aus tiefeingesunkenen Augen apathisch anblickten. Nur wer es ein einziges Mal mit angesehen hatte, wie alte und abgemagerte Patienten mit zitternder Stimme nach den Ergebnissen ihres Befundes fragten. Wie große, angsterfüllte Augenpaare mit ganzer Hoffnung auf wenige Trostworte warteten, der allein kann sich ein Bild von meinen großen inneren Konflikten machen und diese sehnlichsten Wünsche verstehen, diesen Menschen beistehen zu müssen. Ohne jede Rücksicht auf persönliche Wünsche oder gar auf mein eigenes ‚Ich‘. Schmerz und Tod haben sich [zu] tief in meine Seele eingegraben, als dass ich gefühllos an leidenden Menschen vorbeigehen könnte. An das Gesicht eines Menschen[,] den ich als Ersten streben sah, werde ich immer denken. Sein schmales Gesicht trug den Ausdruck seelischer Abwesenheit. Die Knochen des Schädels und der Wangen traten scharfkantig hervor, die Lippen vollständig blutleer. Und dieses Gesicht von elfenbeinerner Blässe, war alles andere als hässlich, im Gegenteil. Es war wie von einem überirdischen Glanz umstrahlt[,] das [sic] an einen dargestellten Heiland erinnerte. Er kam mir wie ein König der Leidenden vor. Als ich ihm eine Spritze gab, sahen seine Augen so müde aus, er konnte keine Silbe mehr sprechen. Wenige Minuten später fiel sein Haupt zur Seite, das Licht des Lebens war erloschen. Damals war ich wie vor Schreck erstarrt, wie ein wogendes Feuer strömte es heiß und brennend über mich[,] nach Jahren, mich meinem Berufe ganz zu weihen. An der Seite meiner Patienten Schulter an Schulter gegen alle körperlichen Qualen zu kämpfen. Jenes Auflösen des Geistes und der Seele beim Versterben, hatte den Funken in mir entzündet[,] der jahrelang in mir grübelte, in dem ich meine Berufung erkannte.

1132 Zum „Wöchnerinnen Sterben“ siehe ferner Stadtmuseum Erlangen (1992), S. 34.

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Immer deutlicher fühlte ich, wie meine Pläne und Ziele einen größeren Besitz von mir ergreifen. Wenn von Zukunftsfragen die Sprache kam, so überwältigten mich seltsam schmerzliche Gefühle, für mich gab es keinen goldenen Mittelweg, sondern nur! Persönliches Glück [sic], an der Seite eines Menschen den man liebt, oder ein Leben für die anderen! Aber wie würde es ein persönliches Glück für mich geben, wenn die Leidenschaft für meinen späteren Beruf immer größer wurde und heranwuchs. Ein Leben für die anderen würde hingegen keine Früchte tragen, wenn es nur mit halber Liebe geschehen würde. Oft tauchen Erinnerungsbilder aus meiner praktischen Tätigkeit im Krankenhaus auf, wie zaghaft und beinahe zitternd ich den Kranken bei jeder Behandlung gegenüberstand. Es erschien mir stets als ganz unverdientes Glück, von Menschen, denen ich Schmerzen bereiten musste, geliebt zu werden und zugleich das rasch gewonnene Vertrauen zu besitzen. Womit ich niemals vorher gerechnet hatte. Deshalb waren Menschen aus meinem Kreise nur ganz selten fähig, mich und meine felsenfesten Ziele zu verstehen. Mein früherer Beruf, an dem ich mit Interesse und Begeisterung hing, hätte mir zwar Ruhm und Aufstieg verleihen können, doch nie den inneren Frieden, um den ich seit frühester Jugend kämpfte. Aber heute bin ich weder zu einem Studium, noch zum Journalistentum fähig, sondern fühle ganz deutlich die geistige Dekadenz. Der Geist aus dem wir handeln, ist das Höchste, wenn dieser aber fehlt, so kann auch nie ein seelisches Gleichgewicht erlangt werden. Ist es überhaupt ein gerechtes Urteil, meine ewigen Selbstmordgedanken als Feigheit anzusehen? Alle seelischen Ausdrücke, die ich schildere sind nichts anderes als Nebensymptome. Auf den Ursprung und eigentlichen Grund meiner Seelenspaltung und größten Kämpfe, bin ich nie gekommen. Könnte ich dies, so würde ich aus eigener Kraft versuchen, mir zu helfen. Nicht aus egoistischen Motiven, sondern weil mich Viele brauchen, die ich einst seelisch vollständig aufrichten konnte!“1133

Von 28. Juli 1944 erhalten ist folgender Tagebuch-Eintrag der N. H.: „Irgendetwas beunruhigt mich, planlos, ziellos treibe ich mich in den Gassen umher, einsam und verlassen. Es ist eine Flucht vor mir selbst? Vor meinen Eingebungen? Eine wahnsinnige Flucht natürlich, vor der ich mich nicht schützen kann. Ich wehre mich gegen jene Feuerpeitsche mit aller Kraft, aber sie geben mich nicht frei diese Gedanken, sie verfolgen mich überall auf allen Wegen und rütteln am Reiche der Vergangenheit. Wie schmerzlich dieses Gewesen sein noch ist und ‚Damals‘ war es eine Welt voller Seligkeit und Glück. Meine niedliche Stube[,] in der ich mich früher stets so wohl fühlte, wie kalt, wie fremd[,] wie unpersönlich empfing sie mich heute. Als ich mich fast totgelaufen, müde und erschöpft wie eine bleierne Masse auf mein Bett fallen ließ. Mich friert es bis in den tiefsten Winkel des Herzens und wie dunkel war alles um mich, mein ganzes ‚Sein‘ lag schwarz in schwarz gehüllt. Ob diese dunklen schicksalsschweren Tage und Monate auch bei mir einmal zu einer befreienden Auferstehung führen werden? Mein Kopf sinkt schwer in das mattweiße weiche Kissen zurück und wie ein schleierhafter Schatten nimmt mich der wilde Schmerz gefangen. Trostlos und unglaublich allein stand ich diesmal mit leerem, so leerem Herzen. Nur diesem einen Gedanken ‚Damals‘ kann ich mich so restlos hingeben, dass ich darüber Zeit und Dasein vergesse und erst nach fiebernden Nächten im Morgengrauen schneidend verwirrt und mühselig in die Welt der Wirklichkeit zurückkehre. Das Schrecklichste sind die Visionen in jenen Nächten, wo ich vor Müdigkeit kaum Schlaf finde, und nur unbekannte zerklumpte Gestalten sich an mich in schreiendem und lärmendem Gewirr herandrängen. Dieser grausige Anblick jagt mir immer eine erstickende Angst in die Glieder, als ob ich meinen Verstand verlieren müsste? Und diese großen Kämpfe bestehen nicht aus Hass, so fern bin ich von all dem, was die Menschheit Hass oder Feindschaft nennt. Diese innere Haltlosigkeit, das ewige Hin[-] und Hergerissensein der Stimmungen, bald niedergeschmettert, dann wieder seltsam ruhig in sich gekehrt von Melancholie und Lethargie beherrscht. Dann wieder erfassen mich Gefühle so stürmend, als müsste ich unbedingt in die Ferne ziehen wohin mich die Sehnsucht treibt. Das Wort ‚Heimat‘ taucht auf, 1133 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang dieses Stück Erde, das uns geboren hat und sich als einmaliger Begriff schon in die kleine Kinderseele versenkt hat. Wie viel unglaubliche Kraft und Großes wurde schon geleistet in jener Heimatliebe[,] die nie verlöscht [sic], auch wenn man sich ein ganzes Leben in fremden Ländern wohl zu fühlen glaubt. Man merkt es ganz deutlich und objektiv wie man nie mehr zu seinem eigenen ‚Ich‘ zurückfindet. [Vom] 5. Juni […] finde ich in meinem Tagebuch vermerkt das Gefühl des Traumhaften als Musik in Farben übertragen [auf] das Land in dem ich Jahrelang [sic] weilte, das ich lieben lernte, weil es unsagbar schön in seiner Art ist! Das Land[,] das den Stempel der Sehnsucht, der Verträumtheit nur noch viel mehr vertieft und hervorhebt. Südliche Wärme und Licht[,] wobei sogar die Luft um so viel weicher zu sein scheint, ganz dazu angetan[,] noch mehr Empfindungen aus einer sehnsuchtsvollen Seele erwachen zu lassen. Dieses wunderbare Land rührt jetzt noch mehr an meinem Herzen als früher und weckt Gefühle, die wie ausgestorben in mir geruht haben. Alles in dieser Gegend besteht aus sehnsüchtigen Weiche [sic] und Weite. Während man daran denkt, legt sich eine eiserne Schwere um das Herz und eine ganz unsagbare Traurigkeit. Dann fühlt man plötzlich so ein würgendes Gefühl in sich aufsteigen, ein Gefühl das erst schwindet, sobald man ganz alleine ist und den Kopf in seine Hände versinken lässt, um die bitteren Tränen ausbrechen zu lassen! Diese zitternde, wahnsinnige Angst, die ich nie vorher hatte, mein Gott bin ich tatsächlich so schwach geworden? So wenig Herr über mich selbst? Und diese kauernde Leere im Kopfe, ich möchte weinen, schreien – aber ich kann es nicht mehr? Ich höhne über meinen eigenen Schmerz und lache laut heraus, mir graut es vor mir selber, schrecklich! Das scheint die heftigste Äußerungsform der inneren Gefühle zu sein, denn mit der Erstarrung des Körpers kam auch die förmliche Zerrüttung zum Ausbruch. Klein darf ich trotz allem nicht werden [–] nein nie! Für mich ist mir die Sonne der Liebe auf dieser Erde untergegangen [sic] und ich blieb frierend und ganz alleine zurück! Es gibt nur einen Schmerz[,] der bis zur höchsten Grenze heranwächst, um dann zusammenzubrechen. Was aber bleibt? Dann bleiben nur Trümmer[,] die lastend und steinern um das Herz gelegt sind. Mein Herz ist zerrhüttet [sic] und die einzige Rettung[,] die unter den Trümmern zurück bleibt, ist die Pflicht, die Arbeit. Vielleicht genügt dies[,] um ein ganzes weiteres Alleinseinleben [sic] zu erhellen? Vielleicht aber auch, werde ich lachend, lachend bis zuletzt hinter Gitter in einer Zelle mein junges Leben fristen? Wer kann es sagen? So ist auch diese Liebe gesunken, wie das Leuchten einer Sonne[,] die zur Neige ging. Nur manchmal wächst die Sehnsucht so übermächtig heran, dass sie zu körperlichen Schmerzen wird, dann fühle ich[,] wie all dies der Anfang und das Ende für mich war! Und gefühlsmäßig webt sich um mich die Nacht, die mich mit ihrer Kälte umfängt. Vielleicht wird noch eine Zeit kommen[,] wo wärmende Strahlen im Körper auch jener Kälte vorangehen werden können, auch wenn es für mich immerdar Nacht wurde, weil ich sehr müde geworden bin. So müde wie ein Greis[,] der einen sehr langen Weg hinter sich fortgelegt hat. Und der alle seine Wünsche bereits aufgab. Ich lasse den Kopf in meine Hände sinken und fühle den Traum der Vergangenheit an mir vorbeiziehen. [D]as war der Anfang und das Ende[,] sagt mir meine innere Stimme. Dort liegt das Ende eines aufgeblühten Herzens, das vom Schicksal mit Füßen getreten wurde für so viel wahre, echte Liebe. Mir kommt es vor, dass alles [E]dle und Gute in dieser Welt am Absterben begriffen zu sein scheint. Für Liebe, Sehnsucht scheint kein Platz mehr zu sein. Egoismus, Rücksichtslosigkeit besitzen das Vorrecht und allüberall wohin man sieht[,] wird nur Hass ausgestreut unter Völkern und artverwandten Menschen. Jener Hass[,] den ich nie im Sinne des Wortes erfassen und verstehen konnte. Ja, dorten in jenen Abschnitten der Vergangenheit liegt das verstummte Grab zertrümmerten Herzens! Ich vergesse allmählich[,] dass es Menschen, dass es noch Abwechslungen auf dieser Welt gibt. Nichts erscheint mir daher idealer wie das Leben eines Sonderlings. Alle Fröhlichkeit bei Menschen ekelt [sic] mich wie ein Totentanz an! Und dann ist in mir jene Warmherzigkeit[,] die ich mit aus dem Süden brachte, vollständig erstarrt. Worte[,] die ich früher so gerne gesagt hätte[,] ersterben auf meinen Lippen. Selbst nahestehende Menschen sind mir heute viel zu fremd dazu!! So mancher wird sich vielleicht fragen ‚warum schweigt sie über alles und löst nicht jene stuckartigen Felsen von ihrem Herzen? Die ihr womöglich helfen möchten und würden?‘ Darauf habe ich nur die eine Antwort: Nicht dorten ist

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der Schmerz am tiefsten, wo getobt und geweint wird, nein, in stiller Einsamkeit reift er heran und erfüllt sich erst im Wechsel der Zeiträume! Vielleicht schweige ich auch nur aus Angst zu viel zu sagen, ich weiß es selber nicht!“1134

Vom 09.11.1944 ist folgender „Zustandsbericht“ der N. H. überliefert: „Während ich gestern in einer unbegrenzten Freude, alle Menschen[,] die mir entgegenkommen [sic] umarmte, ist heute in meiner Seele alles wie ausgebrannt. So vollständig abgestorben kommt man sich vor. Dabei entsinne ich mich zufällig an die Worte eines behandelnden Arztes als ich 17 Jahre alt war. Dass in meinem Inneren zwei Seelen wohnen, die mir zum Verhängnis werden können. Irgendeine Seelenstörung glaubte dieser Arzt schon damals im Entfaltungsstadium konstatieren zu können, da er ein ganz ausgezeichneter Psychologe war. Damals konnte man von mir noch von keinen seelischen Niederlagen sprechen, sondern vielmehr von einer Frühreife und ausgesprochenen Melancholie. Meistenteils glaubt man Nervenkranken gar nicht alles, sondern vermutet womöglich, dass viele interessant auffallen wollen, aber wie weit bin ich von alledem entfernt. Wenn man so viele felsenfeste Ziele vor sich hat, so ist man am glücklichsten, seine Sinne am richtigen Platz zu haben. Wie soll ich später einen Patienten behandeln, wenn ich heute alle in größter Liebe und Begeisterung umgebe, morgen aber bereits dieselben gar nicht mehr ansehe? Und sie mit ruhigem und kalten Herzen verenden sehen kann. So geht es bei mir in allen Dingen. Menschen[,] die mich aufrichtig gerne haben[,] verachte ich, und [bei] solche[n][,] die mich hassen[,] bin ich liebevoll, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich bin auch davon überzeugt, dass man mich hier in der Klinik als geistig absolut normal ansieht, nur weil ich schreiben kann, was mir ein Instinkt vorschreibt. Aber gibt man mir einen best. Aufsatz auf, oder würde man eine streng begrenzte Abhandlung verlangen, so versage ich förmlich. Und aus diesem Grunde[,] weil es sich um keine einfache Krankheitsform seelischer Art handelt, weiß ich auch, dass mir Niemand helfen wird können!“1135

Der Tagebucheintrag der N. H. vom 26.11.1944 spiegelt deren Sehnsucht nach ihrem Heimatland Rumänien wider: „Vor mir lag das schwarze Meer, düster und schwer in seinem Wogenschlage. Hinter diesem Meere liegt Rumänien in dem Land[,] wo das Leben so seltsam fremd anmutet. Wo orientalischer Gleichmut und stolze Ruhe alles Lebendige bestimmt. Die Kullissen [sic] der grünen Berge die tropischen Palmen winken hier im Vorfrühling bereits, all dies löst eine tiefe bezaubernde Wirkung auf mich aus! Der Hauch des wundervollen Orients wird hier vom Südosteuropäer zum ersten Male eingeatmet. Wie oft ging ich ganz traumverloren durch die Gegend, da lag die Welt vor mir wie ein buntes Tuch mit Webereien. Die Grundumgebung ist ein ganz bestimmter Umriss für die Stellung des Menschen zum Kosmos. Daher wird der Balkanmensch in Bezug auf Selbsterhaltung, anders beurteilt als nordische Menschen. Der Mensch lebt hier im Horizont des Mysteriums, der auf eine krönende Enthüllung oder Offenbarung wartet. So sieht man Gestalten vom kühlen Dauerdunkel umfangen, reglos in sich versunken, knien sie im Scheine des Wachslichtes, das sie zuckend umleuchtet in Kirchen und Kappellen [sic][,] wie eine Steinfigur. Unbeweglich sieht man sie vor einem Altar knien und ausströmende Ruhe fühlt man von ihnen ausgehen sobald sie ihre konzentrierte Andacht beendet haben. Das Bestreben der menschlichen Gesetzmäßigkeiten[,] das Mysterium zu enthüllen geschieht nur durch geistige Kräfte. Es ist ganz allgemein bekannt, dass eine geographische Landschaft das stilistische Feld aber auch die Kultur bestimmt – Deshalb werden aus den indischen stilistischen Feldern ganz [andere] moderne Methoden und Ergebnisse hervorgehen, als bei europäischen Wissenschaftlern. So findet man bei rum. Philosophen die Kultur und Seinsart der Menschen von besonderen stilistischen Kategorien begründet. Der wellenförmige Raum und das Malerische 1134 Ebd. 1135 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang kennzeichnet hier die südosteuropäischen Völker, die sich in ihrer Wesen[s]art grundverschieden von den anderen abendländischen Völkern unterscheiden [sic]. Z. B. sind alleine rum[änische] Dorfsiedlungen niemals monoton, sondern sei es in den Bergen oder in der Ebene, so sind die Bauernhöfe durch hügelige Landstriche gestreut. Genau so [sic] wird auch von Rumänien die Macht des Schicksals als ein Weg, eine Landschaft empfunden auf dem die Höhen der Gefühle mit der Tiefe der Resignation ständig wechseln. Der abendländische Geist, der im Grunde zur Abstraktheit und Organisation neigt, besitzt hier andere Richtlinien. Volk und Nation waren niemals für das Empfinden der Rum[änen] ein staatspolitischer Begriff, sondern die organische Wirklichkeit und die aneinander gereihte Kette von Generationen. Im Wesen dieser Menschen liegt ein metaphysischer Mythos von einer ungeheuren romantischen Phantasie beherrscht. Kosten [im Sinne von Genießen?][be]herrscht auch das bunte lebhafte Leben, von den stolzen Statuen beherrscht, den dunklen, schlanken Frauen und den wunderschönen Männern. Daselbst hat der Schritt der Bauern etwas Gedämpftes, Ehrwürdiges an sich. Diese Menschen kämpfen auch nicht titanisch in Lebensstürmen, sondern sehen tatenlos in fatalistischer Ergebenheit, allem Kommen entgegen. Sie verneigen sich dabei mit jenem demütigen[,] dem Nordeuropäer ganz weltfremden ‚Doamme Miulieusck‘ auf den Lippen. Das nicht mehr westlich, sondern ganz orientalisch, in all seiner dumpfen Ergebenheit, in das Schicksal bedeutet [sic]. Einst stand auch ich dem Angesichte der Karpaten gegenüber. Das ganze schneeweiße Vulkanmassiv stand vor mir, handgreiflich nahe und löste eine tiefe, bezaubernde Wirkung auf mich aus. Lange findet man keine Worte, sondern steht gebannt und sieht nur zum Gipfel hinauf, auf dem die Schneefahnen wehen. Und man trinkt die majestätische Einsamkeit[,] die von diesen Bergriesen ausgeht in sich hinein. Alle Wünsche, die man einst gehegt hatte[,] wurden immer kleiner und kleiner, alles schmilzt dahin vor der Allmacht und Gewalt dieses Anblickes. Dort droben ist nichts dumpf, nichts seltsam und voll düsterem Gewitter, sondern alles auf eine einfache Art groß, gewaltig und von so eindeutiger Klarheit in seinem Ausdrucke, dass man zu nichts anderem mehr fähig ist, als zur reinen Anbetung einer erhabenen Natur. Die stolze Schönheit und Pracht der Karpaten sind durch die heroische Einsamkeit dieser Bergvölker übertönt. Die erhabene Romantik der Berge, der Bewohner mit ihrem unauslöschlichen Aberglauben, das ist das Leben des wirklichen Balkans. Bukarest – Paris des Südostens, die Stadt von Statuen und Palmen umgeben an einem schönen großen blauen See im Königspark. Heute mehr denn je, träume ich von einem … [sic] von der Donau, wie ich dem Rauschen der Wogen zuhause und der Schein eines blassen Mondes zwischen den Wolken dahinzieht [sic]. Übermächtig wächst oftmals die Sehnsucht heran nochmals den Strand[,] auf dem ich in der Kinderzeit spielte, entlang zu laufen, um den weichen Sand zu fühlen, den der nächtliche Sturm an das Ufer geweht hat. Stundenlang würde ich lauschend dem Fischer zusehen, wie er seine Netze in den Grund versenkt. Und die wunderbaren, zärtlichen Geigentöne eines Zigeuners[,]1136 der

1136 „Deutschland, 1933: Ernst Lossa stammt aus einer Familie von Jenischen, ‚Zigeuner‘, wie man damals sagte. Er gilt als schwieriges Kind, wird von Heim zu Heim geschoben, bis er schließlich in die psychiatrische Anstalt in Kaufbeuren eingewiesen wird. Obgleich völlig gesund, wird er mit dem Stempel ‚asozialer Psychopath‘ als unwertes Leben gekennzeichnet. Eine wahre Geschichte über ein weniger bekanntes Kapitel der NS-Vergangenheit – zutiefst aufrüttelnd, gründlich recherchiert, einzigartig berührend erzählt“. Vgl. Domes (2008), Klappentext. Siehe ferner: Sonderausstellung vom 27.10.2016–29.01.2017. „Die Verfolgung der Sinti und Roma in München und Bayern 1933–1945“. NS-Dokumentationszentrum München. Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus. Briennerstr. 34, 80333 München, Flyer. Siehe ferner https:// www.Ns-dokumentationszentrum-muenchen.de. Stand vom 29.10.2016. Zum NS-„Zigeunerforscher“ Robert Ritter (1901–1951) weiterführend siehe Schmidt-Degenhard (2012). Zur „Behandlung der Sinti und Roma im Schatten von Auschwitz“ siehe Margalit (2001).

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sich kurzen Illusionen hingibt, halb träumend wie ein Märchen in meine Seele aufnehmend! Dann erst könnte ich selig sein für immer!“1137

Mit „Samstag 2.XII“ überschrieben führte N. H. weiter aus: „Gestern haben mich einige Patienten im Luftschutzkeller ausgelacht! Ich hätte ihnen am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, aber konnte mich noch so weit beherrschen[,] um aufstehen zu können und in einen anderen Raum zu gehen! Überhaupt behandeln mich alle Menschen seit 2 Tagen sonderbar, mit ironischem Lächeln kommt man mir entgegen. Ich kann keinen Spott vertragen! Heute bin ich dermaßen abgeschlagen und apathisch, dass ich weder um mich herum jemanden vertrage noch Gedanken formen kann. Alles aus der Vergangenheit ist wie ausgelöscht, nur ganz schwer kann ich mich an Einzelheiten erinnern. Selbst Namen nahestehender Menschen fallen mir nicht mehr ein! Nach jede[m] Chock bin ich wie zerschlagen und die Kopfschmerzen sind am darauffolgenden Tage immer heftiger. Jeder behandelnde Arzt müsste es (bereits) beurteilen können, dass ich auf diese sonst heilbringende Therapie nicht anspreche. Bereits mein angehender Schwager hat von Hormonstörungen bei mir gesprochen und [sich] sehr davor gefürchtet, dass ich eines Tages in der Irrenanstalt lande! Sie werden sich im Laufe der Zeit davon überzeugen, dass kaum ein Patient objektiver Krankheitsformen beurteilen kann, sondern stets darum bemüht ist [sic], ganz ohne Unterschätzung oder gar Übertreibung auf den Grund der Sache zu kommen. Gerade weil die Seelenprobleme noch nicht ganz erforscht sind und man darin fast im Dunkeln tastet, ist es meine Pflicht, nutzbringende Aufschlüsse zu geben. Meinen Lebenslauf1138 kann ich noch immer nicht schreiben, weil jede Konzentration ganz unmöglich ist“.1139

Des Weiteren findet sich im Krankenjournal der N. H. eine mit „Freitag“ überschriebene Notiz: „Heute möchte ich aus einer überdimensionalen inneren Kraft heraus jeden Menschen an die Kehle springen. Ich fühle[,] wie jeder Nerv in mir zum Zerreißen gespannt ist, doch ich beherrsche mich titanisch, um nicht in die Zelle zu kommen. Denn sonst kann ich mein Studium auf den Nagel hängen [sic]. An dieses noch einzige Lebensziel klammere ich mich mit jeder Kraft[,] die noch vorhanden ist. Wenn ich einige Menschen auf der Straße zerschmettert liegen sehen würde, das wäre mein augenblicklicher Wunsch! Ich wünsche unbedingt, dass mein, von mir geschriebener Seelenspiegel vernichtet wird. Es war nie meine Eigenart, positive Eigenschaften, die jeder Mensch in größerem oder kleinerem Maße besitzt, hervorzuheben. Dies geschah nur aus bestehenden Minderwertigkeitskomplexen, die ich nicht ablegen kann! Sie sind mir auch viel erwünschter, als jede größenwahnsinnige Idee, die man nur verachten muss! Gestern Abend hatte ich Atemnot und sehr schwachen Puls. Heute aber könnte ich alles um mich herum zerschlagen vor Wut! So unhöflich war ich auch bisher noch nie zu allen Menschen. Es ist mir peinlich und doch kann ich es nicht ändern! Es besteht, wie mir der Arzt in der Med. Poliklinik sagte, eine Verengung der Coronargefäße [–] durch den Vagus bedingt dadurch ein perverser Kreislauf [sic] [–] aber trotzdem handelt es sich um keine pathologischen Erscheinungen[,] behaupte ich felsenfest. Denn ich will gesund sein und noch mehr werden“.1140

1137 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1138 Da das Erheben von biographischer Anamnese und Sozialanamnese mit „[g]ewöhnlich hohe[m] Zeitbedarf [verbunden ist,] […] kann [es] […] hilfreich sein, den Patienten zusätzlich um eine Niederschrift seines Lebenslaufes zu bitten […]“. Vgl. Payk (2003), S. 10. Auch die Beurteilung der Handschrift gehört zur Beurteilung psychomotorischer Gebundenheit und Erstarrung, „sofern sie nicht als spekulative Graphologie fungiert“. Vgl. ebd., S. 8. 1139 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 447/354. 1140 Ebd.

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Die Patientenunterlagen der N. H. enthalten auch das von ihr am 14.01.1945 verfasste Gedicht mit dem Titel „Abschied!“: „Gleich einer fremden Gestalt Fühlte ich heute deine Nähe. Trostlos schweigend Sich im Schmerze neigend. Wie bohrende Pfeile Drang aus der Finsternis. Die reife Erkenntnis Der wahren Liebe. Höhnend flüstert mir ein Seufzer Der wie ein Stöhnen aus der Tiefe drang. Es war ja nur ein begonnenes Traumbild Das so rasch wieder entschwand. Ich sah dich von mir gehen Mit tastendem, zögerlichem Schritt. Ein letzter, verstehender Blick. Dann bleib ich einsam und verlassen allein zurück“.1141

Soweit die literarisch-anmutenden tagebuchartigen Aufzeichnungen der N. H. Wenn Baer „in einem vergessenen Winkel der alten Bibliothek der Erlanger Klinik […] Zeichnungen eines unbekannten Künstlers aus einer unbekannten Zeit“1142 fand, so könnte dies ein Interesse Meggendorfers nicht nur an literarischen Versuchen, sondern auch an Zeichnungen psychisch Kranker implizieren. Mit der Debatte um psychopathologische Kunst nämlich war Meggendorfer bereits während seiner Münchener Zeit unter Emil Kraepelin sowie seiner Hamburger Zeit unter Wilhelm Weygandt in Berührung gekommen. Den Aufruf Max Nordaus (1849–1923) Ende des 18. Jahrhunderts gegen eine pathologisch-idealistische zugusten einer physiologisch-realistischen Kunst beherzigte Emil Kraepelin während seiner Heidelberger Klinikleitung: „um 1895 [schrieb er] Diagnosen auf Blätter symbolistischer Künstler und Literaten wie Max Klinger [1857–1920], Jan Toorop [1858–1928], Richard Demel [1863–1920], oder Stéphane Mallarmé [1842–1898], um sie vermischt mit Irrenkunst Studenten als Ratespiel vorzulegen. Wer ist krank? Was sind die Indizien?“1143

Waren diese akademischen Experimente anfänglich auf öffentliche Ablehnung gestossen, so ließ die Situation nach dem Ersten Weltkrieg durchaus eine Kontinuität der „Psychopathologie und Kunst“-Debatte1144 zu. So setzte „Kraepelins Schüler Wilhelm Weygandt die Indiziensuche fort, unterstützt von ähnlich denkenden oder schweigenden Kollegen. Ungehindert suchte der Direktor der Hamburger Psychiatrischen Universitätsklinik nach eindeutigen Zeichen für Krankhaftes“. 1145

1141 Ebd. 1142 Baer (1985), S. 51. Betitelt zum Beispiel als „Kranker mit Katatonie“ oder als „Angst“. Vgl. ebd., S. 52. Siehe hierzu Abb. 10 auf S. 52. 1143 Rotzoll et al. (2002), S. 51. 1144Volmat betonte 1961 u. a. den fließenden Übergang zwischen Kunstproduktionen psychisch Kranker vs. psychisch Gesunder: „Il semble exister un style assez typique de l’ aliénation, facile à determiner par rapport à l’ idéal classique, mais dont les limites et les caractères deviennent moins tranchés dès qu’ on suscite un parallèle avec les arts non-classiques. Le style de la folie n’ est pas univoque. Il s’ extériorise le plus aisément dans les productions des schizophrènes chroniques poignant de manière spontanée. De nombreux autres styles correspondent aux structures mentales caractérisant les multiples aspects pathologiques et humains rencontrés en Clinique psychiatrique. En outre il n’ y a pas de barrière absolue entre les représentations pathologiques et celles considérées comme normales. En ce sens, on ne peut strictement parler d’ art pathologique, d’ autant que les reactions saines, aussi bien que les pathologiques se projettent dans les oeuvres“. Vgl. Volmat (1961), S. 519. 1145 Rotzoll et al. (2002), S. 51.

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Die Präsentationsschrift zu Friedrichsberg aus dem Jahr 1928 bietet einen Einblick in die anstaltseigene Sammlung pathologischer Kunst.1146 In der Friedrichsberger Anstaltsschrift von 1922 berichtete Weygandt1147 stolz über durchgeführte „Studien, Sammlungen, Vorträge und Veröffentlichungen über die Beziehungen der Auswüchse moderner Kunst zur Psychopathologie“.1148 Nach Rotzoll spiegelt „Weygandts Kunstvernichtungsarbeit“1149 ab circa 1920 wider, „was Teile der Universitätspsychiatrie längst beschäftigte: [….] die Etablierung des erbhygienischen Diskurses im Kulturbereich“.1150 So förderte Weygandt die im folgenden näher ausgeführte Untersuchung Peter Emils Beckers (1908–2000),1151 der mittels Zeichenexperiment den Versuch startete, das Wesen schizophrenen Zeichnens zu erforschen. Nach der Serienmethode ließen sich für Becker drei Zeichenarten differenzieren, nämlich die Form des „ausdrucksmäßigen Gestalten“,1152 das „ertastende Formen“1153 sowie „das Zeichnen bei unzentrierter Bewusstheit“.1154 Zusätzlich zu den serienmethodisch erzielten Resultaten ließen sich – nach Becker – unter Einbezug der Gesamtleistung einer Versuchsperson Perseverations- und Verdichtungsphänomene nachweisen, so dass er schlussfolgerte, „[d]ie schizophrenen zeichnerischen Verhaltungsweisen deuten auf eine andersartige Subjekt-Objektbeziehung hin“.1155 Bei der Zeichnung des Patienten St. Becker1156 kritisierte Becker dass „jeder Baum seinen eigenen Himmel hat“,1157 Blumen „wachsen streng senkrecht zum Weg und stehen deshalb, bezogen auf die Gesamtheit des Bildes, auf dem Kopf“.1158 Becker räumte zwar ein, diese Darstellungsform sei per se nicht pathologisch, sondern sei durchaus auch bei Kindern und Primitiven häufig anzutreffen. Bei St. – so die Interpretation Beckers – ist das fehlende Aufeinanderbezogensein sämtlicher Einzelelemente jedoch

1146 Vgl. Weygandt (1928), S. 53. 1147 Weiterführend hierzu auch das ein Jahr später von Weygandt auf italienisch publizierte Werk „La psicopatologia nell’ arte. Giornale di Psichiatria clinica e Manicomiale“. Vgl. ders. (1923). 1148 Ders. (1922), S. 31. 1149 Rotzoll et al. (2002), S. 52. 1150 Ebd. 1151 „Wir haben in dieser Untersuchung die Schizophrenie als einheitlichen, statischen Begriff genommen. Es wird Aufgabe der Zukunft sein, die zeichnerischen Verhaltungsweisen der einzelnen Formen und Entwicklungsstadien der Krankheit festzulegen. Für wirksame Förderung dieser Arbeit danke ich Herrn Prof. Weygandt, Herrn Privatdozent Dr. Kirschbaum (Staatskrankenanstalt Friedrichsberg), Herrn Prof. Werner (derzeit. Leiter des Psychol. Institutes der Universität Hamburg)“. Vgl. Becker (1934), S. 489. Becker referierte 1947 im Rahmen des Kongresses für Neurologie und Psychiatrie zum „[…] Bildcharakter neurotischer Symptome“. Vgl. ders. (1947). 1152 Ders. (1934), S. 489. 1153 Ebd. 1154 Ebd. 1155 Ebd., S. 488. 1156 Ebd. S. 476–477. 1157 Ebd. 1158 Ebd.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang „durchaus eigentümlich […] Hier möchte ich mit einem Wort hinweisen auf die Ähnlichkeit seiner Linienführung mit der [Vincent] van Goghs.1159 Bei diesem großen Expressionisten ist die Linie zeitweise einziges, herrschendes Gestaltungsmittel“.1160

Hatte Kraepelin die Psychopathologische Kunstbetrachtung in Heidelberg eingeführt, so sammelte Hans Prinzhorn (1886–1933) während seiner zweijährigen Forschungstätigkeit in Heidelberg von 1919–1921 über 5000 Patientenarbeiten aus der Zeit von 1890–1920 aus mehreren europäischen Ländern für die Wilmannsche Klinik1161 und arbeitete die Kunstwerke der Patienten wissenschaftlich auf.1162 Die resultierende Prinzhorn-Sammlung bilden „außergewöhnliche geistesgeschichtliche Dokumente, da sie unmittelbarer Ausdruck vitaler Kämpfe und Bewältigungsversuche gefährdeter Existenzen sind“.1163 Die von Kraepelin in Heidelberg initiierte

1159 Siehe hierzu ferner Jaspers et al. (1922). 1160 Becker (1934), S. 476. 1161 Kraepelins Ordinariat in Heidelberg erstreckte sich von 1891 bis 1903. Nachdem Karl Bonhoeffer für wenige Monate das nach dem Weggang Kraepelins freigewordene Ordinariat übernommen hatte, folgte Franz Nissl (1860–1919) bis 1918 und anschließend Karl Wilmanns. Vgl. Kreuter (1996), S. 1588–1589. 1162 „Wie sorgsam aber das Werten im Geiste irgendwelcher Normen vermieden wurde, so wird doch dem Kundigen kaum entgehen, dass diese oft anarchisch anmutende Hingabe an Kleinstes wie an Größtes im Namen des einen Leitbegriffes ‚Gestaltung‘ dennoch auf neu zu errichtende Normen hinblickt. Zu so weit ausholender Darstellung gab vielleicht gerade den stärksten Antrieb die Vorausschau auf eine Zeit, die sich wieder um Normen bemühen wird. Die könnten vor doktrinärer Enge bewahrt werden, wenn sie sich auch an diesen neuen Bildwerken erproben müssten. Sollen wir den Angelpunkt unserer Betrachtungsweise noch näher bezeichnen, so erinnern wir an Tolstojs Auffassung der Kunst, der es entsprechen würde, wenn wir hinter der ästhetisch und kulturell zu bewertenden Schale des Gestaltungsvorganges einen allgemein menschlichen Kernvorgang annehmen. Der wäre in seinem Wesen der gleiche in der souveränen Zeichnung Rembrandts [1606–1669] und in dem kläglichsten Gesudel des Paralytikers: Ausdruck von seelischem. Vielleicht muss man der ästhetischen und kulturellen Zugänge zu Gestaltendem völlig sicher sein, um zu verstehen, wie jemand allen Wertens ledig solchen äußersten Wertgegensätzen bedingungslos sich hinzugeben vermag. Denn beileibe nicht dürfte man eine pharisäische oder banausische Auslegung des Satzes dahinter suchen: es ist hier kein Unterschied“. Vgl. Prinzhorn (1923), S. IV. Das Vorwort ist folgendermaßen unterzeichnet: „Heidelberg, Oktober 1921; Dresden – Weißer Hirsch, Februar 1923. Der Verfasser“. Vgl. ebd. 1163 Somburg/Steinberg (2008), S.1313. Die Heidelberger Sammlung lässt sich nach Volmat in fünf Gruppen einteilen: „La collection de Heidelberg est ainsi classée en cinq groupes: 1. Production des lignes désordonnées (Kritzeleien); dessins généralement au crayon (lettres, zigzags, gribouillages). 2. Dessins ornementaux et décoratifs, obéissants aux lois de la formation d’ ensembles, où prédominent l’ intention de jeu et les règles de la symétrie, de la répétition et des ensembles décoratif rythmiques. 3. Figurations: production ludiques où prédomine la tendance à l’imitation: scènes, figures humanes, paysages. 4. Scènes fantastiques (Anschauliche Phantastik), inventant ou déformant la réalité, en relation fréquente avec l’ activité délirante et hallucinatoire. 5. Compositions symboliques, où s’ exprime un matériel élaboré et délirant. Pour Prinzhorn le sentiment qui domine devant les oeuvres des schizophrènes est l’ inquiétante étrangeté, la tendance à l’ autonomie des éléments par rapport au rhythme de l’ ensemble (caractère où convergent l’ autisme et l’ ambivalence), le défaut de résonnance chez autrui: ces oeuvres étant marquées du sceau de l’ isolement et du solipsisme

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Debatte um Psychopathologie und Kunst wurde von Carl Schneider (1891–1946) als Nachfolger des entlassenen Karl Wilmanns (1873–1945)1164 ab November 19331165 in radikaler Weise fortgesetzt. Carl Schneider1166 war nach seiner Assistenzarztzeit an der Leipziger-Universitäts-Nervenklinik an der sächsischen Anstalt Arnsdorf tätig gewesen und hatte sich in den 20er Jahren vornehmlich psychopathologischer Forschung gewidmet. 1930 wurde er Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung der Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. In demselben Jahr veröffentlichte Schneider erstmalig eine rassenhygienisch untermauerte Anschauung.1167 Dem Zeitgeist entsprechend baute er die Heidelberger Klinik1168 entsprechend dem Bestreben der bestmöglichen Verwirklichung folgender Aspekte1169 um: „Umsetzung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, erbbiologische Feldforschung und als Hauptanliegen die arbeitstherapeutische Gestaltung der Klinik“.1170 Schneider propagierte rassenhygienische Maßnahmen zur Gesundung des deutschen Volkskörpers. „Wie er sich diese Gemeinschaft des Volkes vorstellte, terrifiant. C’ est l’ impossibilité de ‚l’ Einfühlung‘ soulignée par Bürger-Prinz […]“. Vgl. Volmat (1961), S. 504. 1164 Wilmanns begutachtete die militärmedizinische Versorgungslage während des Ersten Weltkrieges: „Ein schonungsloser Bericht des Heidelberger Psychiaters Karl Wilmann […] blieb unveröffentlicht. Er entstand im Auftrag des Sanitätsamts des XVI. Armeekorps: ‚Wiederholte Besichtigungen der dem Sanitätsamt unterstellten Lazarette haben gezeigt, dass vielerorts ernste Mißstände bestehen‘. Lazarette seien ‚ohne Rücksicht auf ihre Eigenart und Leistungsfähigkeit der an ihnen tätigen Ärzte‘ belegt worden“. Vgl. Osten (2015), S. B 319. 1165 Als Gratulanten zum 60. Geburtstag Wilmanns fand sich unter anderem Weygandt. Vgl. „Zum XXVI. Juli MCMXXXIII“. Glückwunsch-Album zum 60. Geburtstag von Professor Dr. Karl Wilmanns. In: Universitätsbibliothek Heidelberg. Heid. Hs. 4147: Nachlass Wilmanns, Karl In: file:///G:/Dezember%202015 /Drucke%2022.12/HeidHs4147. Nachlass vonWilmanns.pdf. Stand vom 29.12.2015. Verwiesen sei auch auf Wilmanns Arbeit zur „sogenante[n] verminderte[n] Zurechnungsfähigkeit als zentrales Problem der Entwürfe zu einem deutschen Strafgesetzbuch“. Vgl. Wilmanns (1927). 1166 Siehe hierzu ferner Dörner (1986). Empfehlenswert des Weiteren Teller (1990). Siehe auch Roelcke et al. (1994). Zur Zusammenarbeit von Schneider mit Rüdin und Julius Deussen [1906–1974] siehe Roelcke et al. (1998). 1167 Vgl. Rotzoll et al. (2002), S. 50. 1168 Aktuell wird teilweise die „Auffassung vertreten, dass die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg, die über ihren damaligen Direktor Prof. Carl Schneider maßgeblich an der wissenschaftlichen Begleitung, Planung und Durchführung des psychiatrischen Holocaust beteiligt war, das moralische Recht verloren habe, über Kunstwerke von Patienten und Patientinnen zu verfügen, die potentiell oder tatsächlich nationalsozialistischen Vernichtungsaktionen zum Opfer gefallen sind“. Vgl. ebd., S. 42. 1169 „Der psychiatrische Reformeifer und der wissenschaftliche Impetus Schneiders mitten im Zweiten Weltkrieg erklärt sich durch einen subjektiven therapeutischen Idealismus sowie eine Überschätzung der Rolle der Psychiatrie für die damalige Gesellschaft bzw. das ‚deutsche Volk‘. ‚Es ist an der Zeit, dass eine am Menschen heilend handelnde Disziplin endlich eingreift in den Gang der Ideengeschichte der Menschheit; denn so wie einst die Astronomie durch K[o]pernikus, so wird einmal die Psychiatrie […] den Weg frei machen zu einem innigeren und reicheren Leben unseres Volkes nach seinen eigenen Kräften und Gaben‘“. Vgl. Schneider, C. Schlussbemerkungen. In: Heidelberger Dokumente 127; 585–591. Washington: National Archives, T 1021 Roll 10 File 707 Vol. 20, Mikrofilm BAB, Nr. 41151. Zit n. ebd., S. 50. 1170 Ebd., S. 46.

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spiegelte sich auch in seiner Kunstauffassung wider“.1171 So benutzte er Teile der Sammlung-Prinzhorn,1172 gemäß nationalsozialistischem usus, „zur Diffamierung von Avantgarde-Künstlern“.1173 Wenn der Neurologe und Direktor des “Memory Resource and Research Centre of Strasbourg-Colmar” François Sellal in seinem Vorwort zu Dieguez’ “Artist’s afflictions. How sickness influences creativity”1174 auf Hans Prinzhorn verweist als einen der ersten, der bemerkte, wie die Psychose-Erkrankung einige seiner Patienten zur künstlerischen Ausdrucksgestaltung befähigte,1175 so soll sich die Betrachtung zu einem möglichen Interesse Meggendorfers an Psychopathologie und Kunst schließen über einen „Zwischen-link“ zu Don Quichote. In Dieguez’Arbeit nämlich

1171 Ebd., S. 50. 1172 „Die Sammlung Prinzhorn in Heidelberg verfügt über eine historisch einzigartige Sammlung unterschiedlichster Werke (Zeichnungen, Gemälde, Collagen, Textilien, Skulpturen und Texte) aus dem psychiatrischen Kontext zwischen 1880 und 1920. Sie ist die weltweit größte Zusammenstellung dieser Art von Kunst (ca. 5000 Werke allein im ursprünglichen Bestand), die bis heute ästhetische Impulse setzt. Seit Hans Prinzhorn die Werke zwischen 1919 und 1921 zusammen getragen und mit seinem kultur-kritischen Buch ‚Bildnerei der Geisteskranken‘ (1922) für eine Neubewertung der bis dahin verachteten ‚Irrenkunst‘ gesorgt hat, haben sie Anlass zur Beschäftigung von künstlerischer, kunst- und kulturwissenschaftlicher, politischer und psychiatrischer Seite gegeben“. Vgl. Frohoff et al. (2014), Vorwort. Siehe ferner Schott (2015). „Prinzhorn äußert sich einmal über das schizophrene bildnerische Schaffen folgendermaßen: […] ‚wenn dieser Gestaltungsvorgang von dem anschaulichen Besitzstand des Bildners durch alle Phasen einer inneren bis hin zur Vollendung einer äußeren Gestalt führt, so verweilen diese Bildwerke in einem Spannungszustand, kurz vor jener endgültigen Gestaltung! Ein solches Verweilen in einem Spannungszustand vor der Entscheidung ist kennzeichnend für das Verhalten Schizophrener‘ (Prinzhorn, 1922). Mit diesem Verweilen vor der Entscheidung scheint Prinzhorn etwas unserer Auffassung Ähnliches anzudeuten“. Vgl. Becker (1934), S.487–488. Siehe ferner Prinzhorn (1923). 1173 Frohoff et al. (2014), Vorwort. Nachdem die Werke des Expressionisten Franz Marc (1880– 1916) auf der ersten Ausstellung „Entartete Kunst“ präsentiert worden waren, kam es zu einer Beschwerde des Regimentes, in welchem Marc im Ersten Weltkrieg gedient hatte. In diesem Kontext anzuführen ist auch der stattgehabte „Versuch, Marc als NS-kompatiblen Expressionisten zu skizzieren“. Vgl. Auffermann im Gespräch mit Schoeller (2016). Siehe ferner Kaiser (1988), Fleckner/Steinkamp (2015) und Schoeller (2016). „Das Einhundertste Todesjahr von Franz Marc ist Anlass, 2016 zum Franz Marc-Jahr auszurufen. […]. ‚Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen‘“. Vgl. Marc, 1912, zit. n. Anonymus (2016). Formen als Ideen. In: Zeit für Kunst. Highlights. Internationale Kunstmesse München 26. bis 30. Oktober 2016, Residenz München. Siehe ferner Kandinsky/Marc (1912, in der Ausgabe von 1979). 1174 im Kapitel “Altered creativity” werden unter anderem Alphonse Daudet (1840–1897), Frida Kahlo (1907–1954), William Utermohlen (1933–2007), Maurice Ravel (1875–1937) und Ernest Hemingway (1899–1961), im Kapitel “Identity under threat” unter anderem Friedrich Nietzsche (1844–1900), Franz Kafka (1883–1924), Guy de Maupassant (1850–1893) und Don Quixote sowie im Kapitel “Troubled personalities” unter anderem Vincent Van Gogh (1853– 1890), Camille Claudel (1864–1943), Klaus Kinski (1926–1991), Werner Herzog und Michael Jackson (1958–2009) angeführt. Vgl. Dieguez (2011), Inhaltsverzeichnis. 1175 Vgl. ebd., S. 5.

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wird Don Quijote im Kapitel “Identity under threat”1176 einer psychopathologischen Analyse zugänglich gemacht.1177 Miguel de Cervantes’ (1547–1616) psychopathologisch markanter Protagonist Don Quichote1178 wurde auch familienintern bei Meggendorfer rezipiert: „Vati las gerne Bücher wie ‚Don Quijote‘ auf französisch und konnte sich über den skurrilen Humor von Cervantes amüsieren“.1179 Anders als sein Ansbacher Kollege Krauß rekurrierte Meggendorfer in seinem Schrifttum nicht auf Weltliteratur zur Untermauerung rassenhygienischer Maßnahmen. Krauß sah Schillers Don Carlos als „Mahnmal für Rasenhygiene“. Nach Krauß sollte auch die Geschichtsforschung zunehmend Elemente der Erbforschung zu Hilfe ziehen, stellten die genealogischen Forschungsergebnisse doch unter Beweis, „dass es sich bei Don Carlos um das traurige Endergebnis einer von kranken Familien betriebenen Inzucht handle.[…]. So löst sich das Rätsel des Don Carlos zwar nicht zu dessen Gunsten, aber doch so, dass wir nicht ihn selbst, sondern das in ihm ruhende, schlimme Ahnenerbe für sein Versagen im Kampfe des Lebens verantwortlich machen müssen“.1180

1176 „[…] indem man sich mit Don Quijote beschäftigt, stellen sich ganz automatisch Fragen, die auch in unserer Gegenwart nichts an Brisanz verloren haben: inwieweit steuern Systeme (seien sie religiöser, politischer, medialer… [sic] Art) die Denkweise jedes Einzelnen, wie orientiert man sich als Individuum in einer Gesellschaft, die ständig extremen Tendenzen wie Fundamentalismus, Rassismus, Fremden-, Frauenfeindlichkeit – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen – ausgesetzt ist?“ Vgl. Montero (2017), S. 8–9. 1177 “Psychiatrists have sometimes diagnosed Don Quixote and his sidekick Sancho Panza with ʻfolie à deux, on the grounds that the former’s delusions are progressively shared by the latterʼ”. Vgl. Dieguez (2011), S. 131. 1178 „Was mich an Don Quijote besonders fasziniert, ist der schmale Grat zwischen Recht und Unrecht, Wahnsinn und Gesundheit, den er beschreitet. Für Don Quijote haben die Dinge keinen eindeutigen Bezugspunkt mehr, daher erfindet er die Welt nach seinen Vorstellungen, bildet sich die Gesellschaft nach seinen Ideen. […]. Bei Cervantes ist die Wirklichkeit ein Schwebezustand, die Welt in der Don Quijote seine fiktiven Abenteuer besteht, oszilliert stets zwischen Traum und Wahn, Ideal und Horrorszenario und der Leser […] kann sich nie sicher sei, ist Don Quijote nun ein Idealist, Moralist, Enthusiast oder ein Wahnsinniger?“ Vgl. Montero (2017), S. 4–5. 1179 Aufzeichnungen Dr. Walburga, geb. Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. In den familienarchivarischen Aufzeichnungen schließt sich folgende Familienanekdote an: „Gerne erzählte Vati einen Witz wie diesen, der jedes Mal bei ihm große Heiterkeit erzeugte: ‚Ein Missionar, der die Bevölkerung in Afrika für den Glauben gewinnen wollte, lud sich bei einem Besuch mit der Frage ‚habt ihr was zu Essen?‘ selber ein und bekam die Antwort: ‚In der Röhre liegt noch ein Stückchen gebratener Missionar‘“. Vgl. ebd. 1180 Krauß (1939), S. 739. Zur „Tragödie des Don Carlos“ siehe Thoma (2001), S. 77–101.

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Krauß’ Schlusssentenzen1181 mit der Eloge des „Menschheitsgut[es] der Gedankenfreiheit“1182 wirkt in Anbetracht der nationalsozialistischen Diktatur nahezu als Parodie. Entgegen der Kraußschen Entartungsperspektive scheint das vermutete Interesse Meggendorfers an Psychopathologie und Kunst auch würdigend und anerkennend gewesen zu sein.1183 Meggendorfer selbst publizierte nicht zu diesem Themenkomplex. Es existieren auch keine Anhalte für mögliche Bestrebungen Meggendorfers, einen seiner Mitarbeiter für dieses Forschungsgebiet zu motivieren. Interessant in diesem Zusammenhang zeigt sich vielmehr die Rolle Hermann Müllers, der als Oberarzt und späterer stellvertretender Direktor der HuPflA Erlangen gleichgeschalteter „Führer“ des Kunstvereins Erlangen war und in dieser Funktion Verantwortung trug für die Ausstellung der „Mannheimer Schreckenskammer“ in der Erlanger Orangerie 1933.1184

1181 „Um das Menschheitsgut der Gedankenfreiheit zu vernichten, ließen blutige Inquisitoren und Tyrannen viele Tausende eines qualvollen Todes sterben! Und endlich sind die Herrscherhäuser selbst der Unkenntnis erbbiologischer Gesetze zum Opfer gefallen. Möge solch ein Trauerspiel sich nie mehr in der Menschheitsgeschichte wiederholen! Möge das klare Licht der Erbforschung immer weiter strahlen, einer Wissenschaft, deren Wert vom Arzte und Dichter [Friedrich] Schiller [1759–1805] vorausgeahnt wurde, als er seinen Helden Wallenstein [1583–1634] sagen ließ: ‚des Menschen Taten und Gedanken, wist [sic]: Sind nicht, wie Meeres windbewegte Wellen. Die inn're Welt, sein Mikrokosmos ist. Der tiefe Schatz, aus dem sie ewig quellen. Sie sind notwendig, wie des Baumes Frucht; Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln; Hab ich des Menschen Kern erst untersucht, So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln‘“! Vgl. Krauß (1939), S. 742. 1182 Ebd. 1183 Meggendorfer soll gemäß familienarchivarischer Aufzeichnungen verstört auf die öffentlichen Verbrennungen der als „entartet“ deklarierten Bücher reagiert haben. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. Die Bücherverbrennung in Erlangen fand am 12.05.1933, also zwei Tage später als an den meisten anderen Hochschulen statt. Vgl. Wendehorst (1993), S. 184. „Was als reichsweite Aktion in allen Haupt- und Universitätsstädten für den 10. Mai gaplant war, wurde örtlichen Gegebenheiten folgend, auch an anderen Tagen durchgeführt. Dieses Fanal für den Sieg des Ungeistes vollzog sich in Erlangen auf dem Schlossplatz am 12.05.1933 in Anwesenheit des Rektors [Eugen] Locher und anderer Dozenten der Universität, sämtlicher Parteigliederungen und der Reichswehr“. Vgl. Lehmann (1993b), S. 336. „Zivilrechtler Eugen Locher (1890–1946, in Erlangen von 1926 bis 1942 und nochmals 1946), ein Mitmacher ohne Umgestaltungsenergien, wurde erst zu Beginn des Wintersemesters 1933/34 (15. Oktober) durch […] Reinmöller […] ersetzt“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 190. 1184 Vgl. persönliche Korrespondenz mit Lisa Bussinger ab 21.03.2016. Ihre Masterarbeit in Kunstgeschichte an der FAU wird von Frau Prof. Dr. Heidrun Stein-Kecks betreut. „Im Jahre 1933 erfolgte nach der ‚Machtergreifung‘ Hitlers die ,Gleichschaltung‘ des Kunstvereins mit dem Ziel einer ‚völkischen‘ Kunstpflege. Dem geschäftsführenden 2. Vorsitzenden Dr. Müller wurde die Leitung der Erlanger Ortsgruppe des ‚Kampfbundes für deutsche Kultur‘ übertragen. Bereits im Juli dieses Schicksalsjahres brachte Müller mit der sogenannten ‚Mannheimer Schreckenskammer‘‚entartete Kunst‘ nach Erlangen. Kunstliebhaber waren begeistert, sie erklärten ironisch: ‚Das war Müllers beste Ausstellung‘. Vgl. http:// www.kunstverein-erlangen.de/archiv/archiv/kve-100jahre.html. Stand vom 19.02.2017.

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Als Abschluss der Ausführungen zur Debatte um psychopathologische Kunst soll darauf verwiesen werden, dass Eberhard Lungershausen (1931–2011),1185 psychiatrischer Ordinarius in Erlangen in der Nachfolge von Hans-Heinrich Wieck (1918–1980)1186 den Abdruck seiner „Betrachtungen über Gesundheit, Krankheit und Kranke“ vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen 1997 bebilderte mit einem Werk von Edvard Munch (1863–1944), welches mit „Stimmen hörend“1187 betitelt ist. 2.4.7 Exkurs: Psychiatrieethische Reflexion zu Psychopatholologie und Kunst Interessante psychiatrieethische Impulse zur Verbindung Psychopatholologie und Kunst finden sich unter anderem in der Anwaltserie „Die Kanzlei. Der nächste Zug“.1188 Die Rechtsanwältin „Isa von Brede wird von Frau Markwart um Hilfe gebeten. Ihr Ehemann Kurt, ein Lokführer, hat mit seinem Zug den Tod des Malers Lutz Siebholz verursacht.1189 Die Witwe des Malers aber, Michaela Siebholz, will den Selbstmord ihres Mannes nicht anerkennen und verklagt die Bahn. Sie behauptet, ihr Ehemann wäre nur aufgrund eines fehlenden Warnschildes auf die Gleise geraten. Frau Markwart wiederum möchte, dass ihr Ehemann Kurt die Witwe des Malers

1185 Weiterführend hierzu Kornhuber et al. (2012). Empfohlen sei mitunter Lungershausen (1985a). 1186 Wieck war der letzte neuropsychiatrische Ordinarius in Erlangen. „Hinsichtlich ihrer Genese als medizinische Disziplin war die Neurologie in Deutschland ein ‚verspätetes Fach‘. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in einem komplizierten Loslösungsprozess von der Inneren Medizin und der Psychiatrie begriffen, gelangen zwar die Gründung eines Journals […] und einer separaten Fachgesellschaft (Gesellschaft Deutscher Nervenärzte/GDN 1907), im internationalen Vergleich blieb der institutionelle Ausreifungsgrad mit wenigen Lehrstühlen und Fachabteilungen jedoch gering“. Vgl. Martin et al. (2016a), S. 7. Weiterführend zu Wieck auch Soyka (1980). 1187 Lungershausen (1997), S. 19. „(Stimmen?) ‚Die habe ich zu Hause noch nicht gehört, aber als ich in der Zelle war. Es drehte sich immer um diese Spionagegeschichte und um den Zeitungsartikel. Ich weiß, dass ich da ganz durcheinander war und nicht immer bei Bewusstsein, Jetzt höre ich schon längere Zeit keine Stimmen mehr‘“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 99/3. 1188 Folge 8 der Staffel 1, Deutschland, 2014, aktuelle NDR-Ausstrahlung vom 09.07.2016; 23.15 Uhr. 1189 Eine Fallbeschreibung hierzu: „Ein 32-jähriger U-Bahnfahrer kommt nachts in die Klinik. Etwa 2 Stunden vorher hatte sich eine Person in suizidaler Absicht auf die Gleise gestellt, wurde vom Zug überrollt und tödlich verletzt. Der U-Bahnfahrer berichtet […], dass der ‚Selbstmörder‘ ihm in diesem Moment direkt in die Augen geblickt habe. Diese[s] Bild könne er nicht mehr aus dem Kopf bekommen, er sei angespannt, ängstlich, schreckhaft und finde sich nicht mehr zurecht. Der Patient zittert und wirkt hilflos. Sie befürchten ausgehend von der akuten Belastungssituation die spätere Entwicklung einer PTBS“. Vgl. Scheel et al. (2010), S. 163.

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Biographischer Rahmen und wissenschaftlicher Werdegang verklagt. Nur so kann ihr Mann, der seit dem Unfall arbeitsunfähig ist, den Schock überwinden und darauf aufmerksam machen, was Zugführer in Deutschland tagtäglich erleben müssen“.1190

Die Witwe des Künstlers hat sich zudem mit ihrem Schwager überworfen, welcher die beiden letzten Kunstwerke des Suizidierten nicht, dem Wunsch der Witwe gemäß, vor der Öffentlichkeit unter Verschluss zu halten bereit ist. Durch einen Besuch der Anwältin beim Bruder des verstorbenen Künstlers wird der Zuschauer zum Betrachter der düsteren letzten Abschiedsbilder, die Hilfeschreicharakter in sich tragen. Diese letzten künstlerischen Äußerungen Lutz Siebolds sieht dessen Bruder als Ausdruck der schweren Depression, die rezidivierend den Künstler leiden hat lassen. Auch er selbst sei von rezidivierenden depressiven Episoden betroffen, er habe sich in psychiatrische Behandlung begeben. Lutz Siebold hingegen hätte diesen Schritt, trotz dringenden Anratens von Seiten des psychiatrieerfahrenen Bruders, stets abgelehnt. Einerseits habe Lutz Siebold – so die Witwe – die affektive Erkrankung als Quelle der Inspiration1191 betrachtet, andererseits habe er – nach der Aussage seines Bruders – versucht, sich mit Hilfe von künstlerischer „Transformation“ von der Depression zu „befreien“. „Diesen Kampf hat er verloren, das zeigen seine letzten Bilder deutlich“,1192 so Isa von Brede. Ohne Zweifel kann eine künstlerisch veranlagte Natur aus den Extremen affektiver Zustände oder aus dem Erleben psychotischer Zustände Schaffenspotential schöpfen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch Dieguez’ Kapitelüberschrift “Inspiration through illness”1193 mit der Portraitierung von Giorgio De Chirico (1888–1978), Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906–1975),1194 Marcel 1190 Vgl. https://www.ndr.de/fernsehen/Die-Kanzlei-Der-naechste-Zug, 138.html. Stand vom 22.07. 2016. 1191 Als typische psychische Nebenwirkung von Lithium als Stimmungsstabilisierer zu erwähnen ist das Vermissen der Hypomanie und der Mangel an Kreativität. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 386. Im Film „Hirngespinster“, Regie Christian Bach, Deutschland 2014, verweigert der an paranoider Schizophrenie erkrankte Hans Dollinger (Tobias Moretti) jegliche Psychopharmaka-Einnahme. Dollinger akzeptiert seine psychiatrische Erkrankung nicht. Im Anschluss an seinen akutpsychiatrischen Aufenthalt nach polizeilicher Unterbringung beteiligt er sich mit einem Baumodell an einem Wettbewerb. Medikationsfrei gelingt dem mittlerweile gesetzlich betreutem Architekten ein „schöpferischer Coup“: Sein anonym eingereichter Bauplan wird mit dem ausgeschriebenen Preisgeld prämiert. Vgl. „Irre Filme“, Betreuungsdienst Psychiatrie Erlangen in Kooperation mit Lamm-Lichtspielen Erlangen, 08.11.2016, 18 Uhr, Flyer. Siehe ferner http://www.hirngespinster.de/ Stand vom 10.11.2016. Zum „vitalen Faktor im manischen Krankheitszustand“ siehe Specht (1939). 1192 Folge 8 der Staffel 1, Deutschland, 2014, aktuelle NDR-Ausstrahlung vom 09.07.2016; 23.15 Uhr. 1193 “Whether or not creative genius is the product of an unhealthy constitution is a question that has often been asked. The problem is hardly new. Nethertheless, leaving aside the powerful appeal of overarching theories and ambitious explanations, some light can still be thrown on the matter by taking a few specific examples. As our knowledge of the workings of temporal lobe epilepsy, migraine and Parkinson’s disease keeps increasing, our understanding of some works of art can benefit from these new findings and thereby enrich our understanding of the creative process, leading to at least a partial demystification of the curious phenomenon called inspiration”. Vgl. Dieguez (2011), S. 11. 1194 Weiterführend hierzu Felber (2016).

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Proust (1871–1922), Vladimir Nabokov (1899–1977) und Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821–1881). In Bezug auf Letzteren lautet zum Beispiel Frage Nr. 1041 der kommentierten Prüfungsfragen zur Facharztprüfung Neurologie folgendermaßen: „Welcher russische Schriftsteller litt an einer Epilepsie und ließ in seinen Romanen auch immer wieder Romanfiguren an dieser Erkrankung leiden? – Fjodor M. Dostojewski wurde mit seinem Werk ‚Die Brüder Karamasow‘ weltberühmt. Er hatte seinen ersten epileptischen Anfall im Alter von 7 Jahren. Für den Rest seines Lebens litt er unter komplex partiellen, aber auch generalisierten Anfällen. Er beschrieb seine eigene Aura als Ekstase und sogar als extreme Freude“.1195

In diesem Kontext sei auch Goffried „Benns [1886–1956] Faszination für die Epilepsie“1196 erwähnt. Es gilt zu betonen, dass aufgrund methodischer Schwierigkeiten keine aussagekräftigen Studienergebnisse zur Thematik des Einflusses psychiatrischer Behandlung auf das künstlerische „Outcome“ existieren. Inwieweit überhaupt wissenschaftlich valide Daten hierzu erhebbar sind, muss als unsicher gelten. In Analogie zum Bekenntnis berühmter Karzinompatienten1197 – unter anderem für eine gestärkte Wahrnehmung von Krebsvorsorgeuntersuchungen – könnte dem „Outing“ bekannter zeitgenössischer Psychiatriepatienten-Künstler eine suizidpräventive Wirkung zukommen.

1195 Limmroth (2013), S. 271. 1196 Ketteler (2007), S. 283. Harald Steinhagen, emeritierter Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der Universität Bonn, führt zum Dichter Benn unter der Rubrik „Stationen eines Lebens“ im Jahr 1933 an: „Obwohl bedeutende Künstler die Akademie nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler verlassen, bleibt Benn. In den Rundfunkvorträgen ,Der neue Staat und die Intellektuellen‘ und ,Antwort an die literarischen Emigranten‘ verteidigt er den Nationalsozialismus, von dem er eine Wiedergeburt der deutschen Nation erhofft“. Vgl. Steinhagen (2017), S. 71. Als „Station“ des Jahres 1934 zitiert Steinhagen folgende Position Benns: „Der neue Staat ist gegen die Intellektuellen entstanden. Alles, was sich im letzten Jahrzehnt zu den Intellektuellen rechnete, bekämpfte das Entstehen dieses neuen Staates. Sie, die jeden revolutionären Stoß von Seiten des Marxismus begrüßten, ihm neue Offenbarungswerte zusprachen, ihm jeden inneren Kredit einzuräumen bereit waren, betrachteten es als ihre intellektuelle Ehre, die Revolution vom Nationalen her als unmoralisch, wüst, gegen den Sinn der Geschichte gerichtet, anzusehen. Welch sonderbarer Sinn und welch sonderbare Geschichte, Lohnfragen als den Inhalt aller menschlichen Kämpfe anzusehen“. Vgl. Benn (1933), zit. n. ebd. Siehe ferner Rauh (2016e). 1197 Vgl. Mäurer (2008).

3. ROLLE ALS HOCHSCHULPSYCHIATER IN DER NS-ZEIT 3.1 MEGGENDORFER UND DIE “SCIENTIFIC COMMUNITY” 3.1.1 Meggendorfer im Netzwerk der gleichgeschalteten Fachgesellschaft Im Juli 19341 erfolgte die „Gleichschaltung“ der deutschen neurowissenschaftlich tätigen Ärzteschaft durch Zusammenschluss des Deutschen Vereins für Psychiatrie (DVP) mit der Deutschen Gesellschaft für Nervenheilkunde unter dem Vorsitz von Rüdin als Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater (GDNP). Am 29.12.1934 sah Ernst Rüdin als Beiratsmitglieder unter anderem Max de Crinis, Viktor von Weizsäcker,2 Hugo Spatz (1888–1969) und Hans Demme (1900–1964)

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Vgl. Rimpau (1990), S. 122. Schmuhl siedelt „[d]ie ‚Gleichschaltung‘ der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte und des Deutschen Vereins für Psychiatrie Juni bis Oktober 1934“ an. Vgl. Schmuhl (2016), S. 78. Warum auf der aktuellen Homepage der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) hingegen das Jahr 1935 als Gleichschaltungsdatum angeführt ist, zeigt sich unklar: „1935 erfügte die nationalsozialistische Regierung die Auflösung der Deutschen Gesellschaft für Nervenheilkunde und erzwang ihre Vereinigung mit der Psychiatrie zu einer ‚Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater‘. Im Rückblick ist es wahrscheinlich, dass diese zunächst unverständliche Regierungsanordnung zum Ziel hatte, das sogenannte Euthanasie-Programm durchzuführen“. Vgl. http://www.dgn.org/rubrik-dgn/geschichte/9-ueber-diedgn/25-geschichte-der-deutschen-gesellschaft-fuer-neurologie. Stand vom 18.07.2016. Im Jahr 1935 fand bereits die erste gemeinsame Jahrestagung der gleichgeschalteten Fachgesellschaft statt. Viktor von Weizsäcker hatte zum „Vorteil und bis zu gewissen Grade auch [zum] Nachteil, dass er aus einer alten Familie stammt; sein Großvater [Carl Heinrich v. Weizsäcker, 1822– 1899] war der Bibelübersetzer, sein Vater [Karl Hugo v. Weizsäcker, 1853–1926] der frühere badische Staatsminister“. Vgl. Schmuhl (2016), S. 113. Zu Leben und Werk des „Arztphilosoph[en] Viktor von Weizsäcker“ vgl. Benzenhöfer (2007). In Bezug auf von Weizsäcker gilt es, dessen problematisches Verhältnis zu Kurt Goldstein (1878–1965) zu erwähnen. „Wie Goldstein waren auch andere […] verfehmt und angefeindet, weil sie jüdisch oder politisch verdächtig waren […] Es liegt ein Brief vor vom 03.06.1933 mit einer unleserlichen Unterschrift aus der Nußbaumallee [korrekt wäre: Nussbaumstrasse] München, also der dortigen Psychiatrie, an Weizsäcker. In diesem geht es um die Besetzung des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Nervenärzte. Foerster plädiert für den Gesamtrücktritt des Vorstandes, weil zwei jüdische Mitglieder im Vorstand inzwischen exiliert – also im Ausland lebend – sich weigern, zurückzutreten, u. a. Goldstein. Von Goldstein wird in diesem Brief berichtet, dass er nicht nur Jude und emigriert sei und deswegen nicht vorstandsfähig, sondern auch offenbar politisch schwer belastet. Er sei schon in den 20iger Jahren linksradikal gewesen. Da Goldstein zu einem freiwilligen Rücktritt nicht zu bewegen sei, solle man den gesamten Vorstand zurücktreten lassen und bittet nun Bumke, Nonne, Foerster und Weizsäcker, die Geschäftsführung zu übernehmen“. Vgl. Rimpau (1990), S. 122. Wenn Rimpau von der „Deutschen Gesellschaft für Nervenärzte“ spricht, so finden sich für diese Vorläuferorganisation der DGN auch die Bezeichnungen „Gesellschaft Deutscher Nervenärzte“ (1907–1935) oder „Deutsche Gesellschaft

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vor.3 Demme hatte 1930 über mikrobiologische Probleme in der Neurologie habilitiert und leitete die Klinik in Hamburg Bernbeck. Rüdin erhoffte sich von Friedrich Meggendorfer eine Aussage, „ob Demme ‚wirklich so bedeutend‘ sei, wie Nonne meinte, und wie er ‚in politischer und weltanschaulicher Beziehung‘4 einzuschätzen sei. Ausdrücklich fragte Rüdin auch nach der Parteimitgliedschaft Demmes. Meggendorfer antwortete postwendend5 und teilte mit, dass Demme ‚ein sehr ordentlicher Mann‘ sei: ‚Er ist Parteimitglied; ist Vertreter des Hamburgischen Ärzteführers Prof. Holzmann (offen gestanden viel besser als dieser!), ist auch Vertrauensmann der Partei an der Fakultät. Er ist rein neurologisch bei Nonne ausgebildet, war nur einmal wegen einer Eppendorfer Kasinoaffäre auf einige Monate nach Friedrichsberg ‚strafversetzt‘6 (unter dem alten Regime). Wissenschaftlich ist er nie besonders hervorgetreten, auch sind seine neurologischen Arbeiten, […] gut, auch hatten seine wissenschaftlichen Demonstrationen […] Hand und Fuß. Ich kann von ihm wohl sagen, dass er das Vertrauen weiter Kollegenkreise, auch mein Vertrauen, besitzt. (Er wäre mir jedenfalls erheblich lieber als Pette)“.7

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für Nervenheilkunde“. Vgl. http://www.dgn.org/rubrik-dgn/geschichte/9-ueber-die-dgn/25-geschichte-der-deutschen-gesellschaft-fuer-neurologie. Stand vom 18.07.2016. Ferner sei verwiesen auf Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007). Siehe hierzu Böhme (2009) Aus Viktor von Weizsäckers Schrifttum ferner angeführt seien Weizsäcker (1939), (1940a) und (1940b). Vgl. Schmuhl (2016), S. 112–113. Rüdin an Meggendorfer, 29.12.1934, MPIP-HA: GDA 129, zit. n. ebd. Gemeint: knapp 2 Monate später. Diese Wortwahl Meggendorfers bedient wohl am ehesten das Klischee des „Superioritätsgefühls“ von „Rein-Neurologen“ gegenüber „Rein-Psychiatern“. MPIP-HA: GDA 129, zit. n. ebd., S. 113–114. Meggendorfer an Rüdin, 20.2.1935: Meggendorfer gab an, keine Neurologen mit expliziter neurologischer Erbbiologie-Expertise benennen zu können. „In Frage kämen Friedrich Curtius [1896–1975], Ernst Hanhart (1891–1973), Ferdinand Kehrer [1883–1966] und Meggendorfer selber“. Vgl. ebd., S. 114. „Kehrer war nicht Nationalsozialist, er gehörte weder der Partei noch einer anderen Organisation an. Er sei ‚der NSDAP nicht genehm‘ gewesen (so Kehrer 1964), denn er sei im Zweiten Weltkrieg nicht mit der Leitung eines Lazarettes beauftragt worden, was aufgrund seiner Fachkenntnis sonst der Fall gewesen wäre. Aber er kam in Kontakt mit der nationalsozialistischen Ideologie, da er erklärter Vertreter der Eugenik war. Hierfür sprechen auch seine zahlreichen Arbeiten über die Veranlagung zu neurologischen und psychiatrischen Krankheiten. Er trat für die Sterilisation ein, bedingt auch für die Zwangssterilisation. In einer Arbeit von 1934 betonte er die ‚KannVorschrift‘ des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Im gleichen Jahr (1934), als in Münster die von Kehrer organisierte Jahresversammlung Deutscher Psychiater stattfand, soll Kehrer in einer Diskussionsbemerkung gefordert haben, dass auch bei vielen Krankheiten, die nicht mit seelischen Störungen, sondern ausschließlich mit Bewegungsstörungen einhergehen, das Erbgesundheitsgesetz anzuwenden sei. Diese Anmerkung in einem kurzen Kongressbericht in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 13.6.1934 sagt nicht, welche Krankheiten gemeint waren. Später gab Kehrer eine Schrift ‚Richtlinien für die Erkennung des psychischen und nervösen Erbleidens‘ (1939) heraus, die heute nicht mehr auffindbar ist. An der Universität Münster hielt Kehrer, wie auch zwei andere Medizinprofessoren eine Vorlesung über ‚Die erblichen Krankheiten, insbesondere die Geistes- und Nervenleiden und ihre Bedeutung für die Volksgesundheit‘. Zu dieser Vorlesung sah er sich auch veranlasst, weil es in Münster, anders als sonst an den deutschen Universitäten keinen Lehrstuhl für Rassenhygiene gab. Über den Inhalt von Kehrers Vorlesung ist heute nichts mehr bekannt“. Vgl. Tölle (2006), S. 111. Zur „seelischen Gesundheitsführung“ im Nationalsozialismus siehe ferner Roelcke (1996a).

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Diese zurückhaltende Position Meggendorfers in Bezug zu Heinrich Pette sollte – zumindest was die Wahl des Vorsitzenden der neurologischen Abteilung anbelangte – nicht berücksichtigt werden. Passend zur gleichgeschalteten neurologischen und psychiatrischen Fachgesellschaft8 konzipierte auch Wilhelm Weygandt sein Lehrbuch der Nerven- und Geisteskrankheiten, welches 1935 mit einem Geleitwort von Ernst Rüdin, „Reichsleiter der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater“,9 erschien. Rüdin hob die Relevanz des Weygandtschen Lehrbuches insofern hervor, als es ein Novum darstelle bezüglich der gemeinschaftlichen Abhandlung der „beiden eng verschwisterten Gebiete der Neurologie und Psychiatrie“.10 In der ersten Auflage verfasste Meggendorfer das Kapitel zu den „Ursachen der Geistes- und Nervenkrankheiten“11 und das Kapitel über „[l]uigene Krankheiten des Nervensystems und der Psyche“12. Weygandt selbst war unter anderem Autor des Kapitels zur Therapie. In der Auflage von 1952 sollte Meggendorfer anstelle des mittlerweile verstorbenen Weygandts die Autorenschaft des Kapitels zur Therapie übernehmen.13 An der ersten Jahresversammlung der neuen vereinigten Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater 1935 in Dresden14 nahm Meggendorfer teil und lieferte an zwei Tagen Vortragsbeiträge. Am dritten Kongresstag, dem 03.09.1935, referierte er zur 8 9 10 11

Empfehlenswert hierzu: Schmuhl (2011). Weygandt (1935b). Rüdin (1935), III. Meggendorfer (1935c). Siehe auch Meggendorfers Kapitel in der von Gruhle redigierten zweiten Auflage des Weygandtschen Werkes: Ders. (1952b). 12 Ders. (1935b). Siehe auch Meggendorfers Kapitel in der von Gruhle redigierten zweiten Auflage des Weygandtschen Werkes: Ders. (1952d). 13 Exemplarisch zu den 12 Kapiteln und ihren Autoren des von Weygandt herausgegebenen Lehrbuches: A. 1. Meggendorfer, F. (Erlangen). Die Ursachen der Geistes- und Nervenkrankheiten. 2.a) Weygandt, W. (Hamburg). Körperliche Symptome bei Nerven- und Geisteskrankheiten. 2.b) Walter, F. K. (Bremen). Biologische Symptomatologie. 2.c) Gruhle, W. (Heidelberg). Psychopathologie. 3. Scholz, W. (München) Pathologische Anatomie des Zentralnervensystems. 4. Weygandt, W. Diagnostik und Prognostik. 5. Weygandt, W. Behandlung der Nerven- und Geisteskrankheiten. 6. Rittershaus, E. (Hamburg). Gerichtliche Psychiatrie. B. 1. Kihn, B. (Erlangen). Die Erkrankungen der peripherischen Nerven. 2. Kihn, B. Die Krankheiten des vegetativen Nervensystems. 3. Stertz, G. (Kiel). Rückenmarkskrankheiten. 4a) Veraguth, O. [1870– 1944] (Direktor des Universitäts-Instituts für physikalische Therapie (Zürich). Lokalisatorische Herderkrankungen des Gehirns. 4b) Veraguth, O. Erkrankungen der Hirnhäute. 4c) Kehrer, F. (Münster i.W.). Extrapyramidale Erkrankungen. 4d) Meggendorfer, F. Luigene Krankheiten des Nervensystems und der Psyche. 4e) Kihn, B. Die Krankheiten des Rückbildungs- und Greisenalters. 5. Weygandt, W. Entwicklungsstörungen der Psyche und des Nervensystems im Kindesalter (Idiotie, Imbezilität, Debilität). 6a) Weygandt, W. Schizophrenie. 6b) Gruhle, W. Manisch-depressive Seelenstörung (zirkuläres Irresein, Zyklothymie). 7a) Rosenfeld, M. (Rostock). Die exogenen Intoxikationen und Infektionen. 7b) Weygandt, W. Nerven- und Geistesstörungen außerhalb des europäischen Kulturkreises, besonders in den Tropen. 8. Stertz, G. (Kiel). Psychische und nervöse Störungen bei organischen Erkrankungen und inneren Vergiftungen (einschließlich der endokrinen Erkrankungen). Vgl. Weygandt (1935a), S. VII–XIX. 14 „Am 9. Januar 1935 beschloss das Triumvirat Rüdin, Nitsche und Jacobi, in der Sitzung der Neurologischen Abteilung das Thema ‚Die Spätlues des Zentralnervensystems, einschließlich der progressiven Paralyse‘ durch fünf Referate behandeln zu lassen: Hugo Spatz [1888–1969]

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Rolle der Konstitution bei der Spätlues15 des Nervensystems.16 Am vierten Kongresstag, dem 04.09.1935, sprach Meggendorfer zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns gegen die physiologische Beschränktheit.17 Somit befasste er sich „mit dem wohl gravierendsten Problem […], vor das sich die Erbgesundheitsgerichte gestellt sahen: der Grenzziehung zwischen krankhaften ‚Schwachsinn‘18 und gewöhnlicher ‚Dummheit‘“.19 Nach Meggendorfer sind „‚in der langen Reihe fließender Übergänge von hoher Begabung zu tiefem Schwachsinn […] zwei ihrem Wesen nach ganz verschiedene Arten von Begabungsschwankungen enthalten‘ […], nämlich die ‚normalen Variationen der Begabung‘ und die ‚krankhaften Schwankungen von leichter Debilität bis zu schwerer Idiotie‘. In ‚Grenzfällen‘ komme es darauf an zu prüfen, ob ein durch eine Intelligenzprüfung oder ein ‚Versagen in Schule und Leben‘ offenbar werdender ‚Mangel an Verstandestätigkeit der krankhaften Schwankungsreihe angehört‘. Indizien

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sollte über ‚Anatomisches‘ sprechen, Hans Demme über ‚Serologisches‘, Berthold Kihn (1895–1964), seit 1934 außerordentlicher Professor an der Universität Erlangen, über ‚Klinisches‘, Friedrich Meggendorfer über ‚Erbbiologisches‘ und Kurt Schneider, [Paul] Schröder [1873–1941] über ‚Therapie, Stand der Paralysetherapie, Soziales‘“. Vgl. „Paul Nitsche, Niederschrift über das Ergebnis der Besprechung […] in Berlin am 9. Januar 1935, 10.1.1935 („streng vertraulich!)“ in MPIP-HA: GDA 130, zit. n. Schmuhl (2016), S. 230. Weiterführend zu Gustav Spechts Ausführungen im Rahmen Kihns Ernennung zum außerordentlichen Professor am 06.02.1934 sei verwiesen auf UAE: F2/1 Nr. 2323. In Bezug auf Demmes Expertise in puncto Serologie sei verwiesen auf Demme (1940). „Zur Zusammenarbeit zwischen Ernst Rüdin, Carl Schneider und Paul Nitsche“ vgl. Roelcke et al. (2000). Als Kasuistik zur Hirnsyphilis sei die Erlanger Patientin F. K. angeführt: Ihre „Anfälle verlaufen nicht typisch epileptisch: es treten zuerst Zuckungen in den Händen, dann am ganzen Körper auf und dann erst kommt es zur Bewusstlosigkeit. Bemerkenswert ist auch, dass beiderseits Andeutung von Babinski besteht. Die Demenz, wie überhaupt die ganze Geistesverfassung, ist ebenfalls nicht gerade typisch epileptisch. Es besteht mehr ein Ausfall an Kenntnissen als eine eigentliche Demenz und der Charakter ist mehr infantil als eigentlich epileptisch. Es sind also verschiedene Hinweise dafür vorhanden, die eher für eine organische Hirnerkrankung als für eine erbliche Fallsucht sprechen, wenn man auch mit Sicherheit diese Differentialdiagnose nicht treffen kann. Zusammen mit der bereits erörterten Vorgeschichte glaube ich aber doch, dass die größere Wahrscheinlichkeit für einen Folgezustand einer Hirnsyphilis, also einer exogenen Erkrankung, spricht. Prof. Dr. F. Meggendorfer“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 148/53. Meggendorfers Referat stand unter dem Vorsitz von Nonne, Schriftführer war Nitsche. Siehe hierzu Meggendorfer (1936a). Auf Meggendorfers Vortrag folgten Kihns Ausführungen zur Klinik und Therapie der nervösen Spätlues. Meggendorfers Referat vom Vormittag stand unter dem Vorsitz von Bumke, Schriftführer war erneut Nitsche. Siehe hierzu Meggendorfer (1935c). Nachmittags sprach v. Baeyer über die Erbbiologie der pathologischen Schwindler. Interessant ist die diagnostische Umschreibung der Erkrankung im Jahr 1951 in Form von „Primitivreaktion bei Minderbegabter“. Folgende in der Akte befindliche Notiz könnte darauf hinweisen, dass diese diagnostische Bezeichnung von Annemarie Wettley stammte: „An die Universitäts-Nervenklinik mit der Bitte um die Krankengeschichte D. M. […], geb. 20.6.34, die vom 8.2.51–17.2.51 in der Nervenklinik war, für Frau O. Ä. Dr. Wetteley“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/54. D. M. war „von dem Anstaltsarzt der evangelischen Erziehungsanstalt Puckenhof, Dr. Heubeck, eingewiesen“ worden. Vgl. ebd. Rüdin/Nitsche, Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater 1935, S. 103, zit. n. Schmuhl (2016), S. 230.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit hierfür seien ‚Unbeherrschtheit des Trieblebens, sexuelle Hemmungslosigkeit, moralische Minderwertigkeit, Süchtigkeit, Neigung zu asozialem und antisozialem Verhalten, Schädelmissbildungen und Entartungszeichen‘, sowohl bei den Probanden als auch innerhalb ihrer Familien“.20

Soweit die Rezension von Seiten Rüdins und des Schriftführers Hermann Paul Nitsche (1876–1948)21 zu Meggendorfers Referat zu differentialdiagnostischen Schwierigkeiten in der Erfassung der physiologischen und pathologischen Intelligenz-Schwankungen, gehalten anlässlich der ersten Jahresversammlung22 der GDNP. Die Eröffnung der Versammlung erfolgte mit einer Eingangsrede „des Reichsleiters“ Rüdin vor den anwesenden Vertretern der Reichsbehörden, der Wehrmacht, der Sächsischen Staatsregierung und anderer staatlichen Behörden, des deutschen Gemeindetages, der Stadt Dresden, der parteiamtlichen Stellen, der Gerichtsbehörden und der Ärzteschaft sowie vor dem Präsidenten des Landesgesundheitsamtes, dem Rektor der Technischen Hochschule, den Anstaltsdezernenten sowie den ausländischen Gästen aus Ungarn, der Türkei und der Tschechoslowakei.23 In seiner Eröffnungsansprache versuchte Rüdin die stattgehabte Gleichschaltung der nervenheilkundlichen Fachgesellschaften insbesondere durch das rassenhygienische Überschneidungsfeld zu rechtfertigen und Ängste seitens der Befürworter zunehmender Spezialisierung abzuschwächen: „Es war ein Wunsch sowohl vieler Psychiater und Neurologen, als auch der Reichsregierung, den auseinanderstrebenden Tendenzen des Spezialistentums wieder zusammenführende Tendenzen entgegenzusetzen. […]. Die Vorteile einer nach wie vor weiterzufördernden Selbstständigkeit beider Disziplinen […], sollen durchaus gewahrt bleiben. Und es soll nur der Vorteil

20 Ebd. Siehe ferner Meggendorfer (1935c). 21 Weiterführend siehe Böhm (2012). 22 „Der zweite Sitzungstag, der 6. Oktober 1941, stand unter dem Oberthema ‚Therapie der Psychosen‘ […] Meggendorfer: Zur Klinik des Elektrokrampfes […] Bingel: Die Technik des Elektrokrampfes. […] [Georg Heinrich] Leuthold, München, Erfahrungen mit Elektroschockbehandlung an der Universitäts-Nervenklinik München [….] Fünfgeld: Köln, Behandlung von Schlafstörungen mit Insulin […] Villinger, Breslau: Zur Behandlung Süchtiger“. Vgl. Schmuhl (2016), S. 363. „Erbbiologie und Erbgesundheitspolitik [bildeten] keineswegs den alles beherrschenden Themenkomplex […]. Auf den Jahresversammlungen wurden auch Themen verhandelt, die nicht oder allenfalls mittelbar mit Erbbiologie und Erbgesundheitspolitik zu tun hatten, vor allem aus dem Bereich der Neurologie und Inneren Medizin, der Hirnanatomie und -pathologie, aber auch der Psychotherapie […], der neuen Somatotherapien. Analysiert man die insgesamt 69 Beiträge, die sich eindeutig dem Themenkomplex Erbbiologie und Erbgesundheitspolitik zuordnen lassen, so fällt auf, dass lediglich elf sich direkt und explizit auf konkrete erbgesundheitspolitische Fragen wie die Spruchpraxis der Erbgesundheitsgerichte bezogen“. Vgl. ebd., S. 186. Als Beispiele hierfür werden unter anderem angeführt: 1935: Friedrich Meggendorfer, Die Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns gegen die physiologische Beschränktheit. Karl Pönitz (1888–1973) (Halle/Saale), Die ärztliche Beurteilung der „Dummheit“ vor dem Erbgesundheitsobergericht; 1936: Felix Stemplinger, Nürnberg, Über die intellektuelle Spät- und Nachreife von Hilfsschulkindern. Vgl. ebd. 23 Vgl. Rüdin (1936), S. 5.

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der besseren gegenseitigen Belehrung und Orientierung, der Ergänzung und Zusammenarbeit in Praxis und Forschung neu hinzukommen“.24

Rüdin hob die Rassenhygiene als vereinigendes Element beider Schwesterndisziplinen hervor; er betonte, die Erbkrankenbeurteilung erfordere oft eine gleichzeitige Berücksichtigung neurologischer wie psychiatrischer Aspekte und betonte, die Fachkollegen seien diesbezüglich angewiesen auf „das Wohlwollen der Behörden und der Bewegung“:25 „Der rassenhygienisch eingestellte Neurologe und Psychiater braucht die nationalsozialistische Bewegung und den neuen Staat, denn ohne ihn, seine Organe und seinen Führer wären die Bestrebungen des Rasse[n]hygienikers heute dazu verdammt, höchstens ein kümmerliches Dasein der gnädigen Duldung eines Minimums an Rassenhygiene zu fristen. Deutsche Volksgenossen, wir müssen dem Führer Adolf Hitler ewig dankbar sein, dass er durch eine geniale politische Tat für unsere rassenhygienische Arbeit überhaupt erst die breite Bahn der Gegenwart geschaffen hat und immer noch schafft“.26

Pette als Vorsitzender der neurologischen Abteilung27 führte im Rahmen seiner Kongressansprache aus, er habe die von Rüdin zugedachte Funktion des Vorsitzes der neurologischen Sektion der GDNP angenommen im Wissen um seine enorme Verantwortung in Anbetracht der wachsenden Bedeutung der Neurologie im Rahmen der neuen Gesetze der Erbgesundheit. „So soll die Neurologie Seite an Seite mit der Psychiatrie, ihr gleichberechtigt, nicht als Teil von ihr, zusammenarbeiten. […]. In den Fragen der Erbbiologie kreuzen sich die Wege beider Disziplinen, ihre Arbeitsmethoden berühren sich aufs engste“.28

Pette räumte ein, die rein neurologischen Arbeiten auf erbbiologischen Gebiet seien noch rar; er betonte jedoch das befruchtende Potenzial erbgesundheitlicher Fragestellungen für neurologische Themen auch über die neurodegenerativen Erkrankungen hinausgehend.29 Interessanterweise hatte sich Rüdin durch Meggendorfers schriftlich mitgeteilte Favorisierung von Demme im Vergleich zu Pette nicht beeindrucken lassen. Dieser Gesichtspunkt für sich allein genommen könnte darauf hinweisen, dass Meggendorfer in der “Scientific community” nicht viel mitzureden hatte. In seiner Kongressansprache setzte Rüdin nationalsozialistisches Engagement als Voraussetzung, um der beruflichen Verantwortung der psychiatrischen Profession gerecht zu werden. In diesem Kontext sollte für Meggendorfer einmal mehr deutlich werden, dass im NS-Regime eine Trennlinie zwischen den „Sphären der Wissenschaft und der Politik“30 zunehmend illusorisch werden musste. Wenn 24 25 26 27

Ebd., S. 6–7. Weiterführend auch ders. (1939). Ders. (1936), S. 7. Ebd., S. 10. „[E]twa eine[] Woche“ im Vorfeld war Rüdin an Heinrich Pette herangetreten „mit der Bitte, den Vorsitz der neurologischen Abteilung dieser Gesellschaft zu übernehmen“. Vgl. ebd., S. 11. 28 Pette, zit. n. ebd., S. 12–13. 29 Vgl. Pette, zit. n. ebd., S. 13. 30 Schmuhl (2016), S. 130.

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Schmuhl in Bezug auf Karl Bonhoeffer, Fritz Eichelberg (1881–1935) und Georg Ilberg (1862–1942) anführt, diese hätten „– gleichsam ‚auf Bestellung‘ ihrer Widersacher aus der Sphäre der Wissenschaft – politischem Druck weichen“31 müssen, so spiegelt dies eine für viele Psychiater zutreffende Dilemmasituation wider. Für Meggendorfer selbst mag sich die Lage zusätzlich verschärft haben, da er als Schüler sowohl Rüdins als auch Weygandts den Erwartungen zweier miteinander konkurrierender Lehrmeister ausgesetzt war – ein innerer Zwiespalt, der sich eventuell auch nach dem Versterben Weygandts bei Meggendorfer nicht gänzlich auflösen konnte. Auch an der vierten Jahresversammlung der GDNP im Jahr 1938 in Köln von 24. – 27. September32 nahm Meggendorfer teil. Im familienarchivarischen Nachlass in Bad Aibling ließ sich 2016 eine Postkarte33 finden, welche Friedrich Meggendorfer am 24. September 1938 aus Köln an seine Familie in Erlangen geschickt hat:

Abb. 27: Postkarte Friedrich Meggendorfers aus Köln an seine Familie vom 24.09.1938.34

31 Ebd. Ferner interessant: Ilberg (1934). 32 „Schwerpunkte: Die Lehren Meynerts, Wernickes und Kraepelins; Ohr, Hirn und Nervensystem“. Vgl. ebd., S. 186. Zur Fragestellung, inwieweit nationalsozialistische rassenhygienische und erbbiologische Ideen die Jahresversammlung der GDNP 1938 in Köln beeinflussten siehe Firnhaber (2013). 33 „Köln, 24-IX-38. Liebe Mutti, liebe Kinder! Gestern abend oder vielmehr heute morgen gegen 1 Uhr bin ich gut hier angekommen. Ich habe die Ereignisse teils in Zeitung, teils im Radio zu verfolgen versucht, habe bis jetzt aber nicht viel erfahren; es sieht ja sehr ernst aus. Herzliche Grüße Euch allen Euer Vati. Telephon 226648“. Vgl. FAM, Bad Aibling (2016). „Jemand hat mit Bleistift auf die Karte ‚1953‘ geschrieben, der Poststempel ist aber vom 24. September 1938“. Vgl. persönliche Korrespondenz mit Dr. Johannes W. Dietrich vom 17.10.2016. Bei den „Ereignisse[n]“, auf welche Meggendorfer rekurrierte, mag es sich um die Sudetenkrise gehandelt haben. Zur Sudetenkrise siehe ferner Rönnefarth (1961). 34 FAM, Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, erhalten am 17.10.2016.

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3.1.2 NS-bedingte Emigration von Psycho- und Neurowissenschaftlern Infolge des seit 07.04.1933 wirksamen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ kam es zur Entlassung sämtlicher Wissenschaftler und Ärzte „nicht-arischer“ Abstammung,35 es sei denn der Betreffende hatte als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg gedient.36 Zusätzlich kam es zur Suspension von politisch Unzuverlässigen, so dass die Frontkämpferlimitation umgangen werden konnte.37 Auf diese Weise musste der „Altmeister der forensischen Psychiatrie Gustav Aschaffenburg (1866–1944) aus Köln“38 seinen Lehrstuhl verlassen. Von der Dienstsus-

35 Betroffen vom Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war auch Richard Koch (1882–1949). Er „dürfte nur einer kleinen Zahl von Interessierten bekannt sein, ja selbst in seinem Fachgebiet, der Geschichte und Philosophie der Medizin, gehört er nicht zu den Vertretern, auf die sich die Forschung vorrangig konzentriert“. Vgl. Wiesing (1996), S. 99. Siehe ferner Koch (1926). „1933 wurde er als Jude aufgrund des nationalsozialistischen ‚Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ aus der Universität Frankfurt [, wo er 1926 zum außerplanmäßigen Professor für Geschichte der Medizin ernannt worden war] entlassen. Drei Jahre später flüchtete er über Belgien in die Sowjetunion, nachdem ihn ein Polizist vor der drohenden Festnahme gewarnt hatte. Richard Koch war einer der wenigen Emigranten, die nicht aus politischer Überzeugung oder als Mitglied der KPD in der UdSSR Zuflucht suchten; mit einer gewissen politischen Blauäugigkeit und durch eine unglaubliche Verkettung von glücklichen Zufällen emigrierte er in die Sowjetunion und lebte dort bis zu seinem Tod 1949 – unbehelligt von allen stalinistischen ‚Säuberungen‘“.Vgl. Wiesing (1996), S. 100. Koch „hegte keinen Zweifel an seinem jüdischen Glauben, auch als ihn sein Bekenntnis um die mühsam erkämpfte Stellung an der Universität brachte. In einem Brief vom 12.5.1934 fragte Koch seinen Schüler Eduard Rothschuh (1908–1984), ob er eigentlich ‚Arier‘ oder ‚Nichtarier‘ sei. Nach der Antwort von Rothschuh (der Brief ist nicht enthalten) schrieb Koch seinerseits: ‚es ist ein wahres Glück, dass Sie also doch Arier sind, Sie ersparen sich damit viel Bitterkeit, viel Traurigkeit, aber Sie sind damit auch um manches sehr Wichtige gebracht‘. Wie sich die schrecklichste Erfahrung seines Lebens auf seinen Glauben auswirkte, davon zeugt sein Gedicht ‚Auschwitz – eine Feier für die Seele der Toten‘, das Richard Koch in den Jahren 1945 und 1946 verfasst hat. Er sandte im darauffolgenden Jahr eine Kopie an Henry E. Sigerist (1891–1957), seinen medizinhistorischen Kollegen, der bereits 1932 in Ahnung der kommenden Ereignisse den Leipziger Lehrstuhl für Geschichte der Medizin aufgegeben hatte und nach Baltimore emigriert war“. Vgl. ebd., S. 102. Siehe ferner Koch (1925), (1926) und (1996). Empfehlenswert auch Rothschuh (1980b), S. 43 und ders. (1980a). 36 „Es gibt wohl keinen Beruf, der für Größe und Zukunft der Nation so bedeutungsvoll ist wie der ärztliche […]. Aber auch keiner ist so verjudet wie er und so hoffnungslos in volksfremdes Denken hineingezogen worden. Jüdische Dozenten beherrschen die Lehrstühle der Medizin, entseelen die Heilkunst und haben Generation um Generation der jungen Ärzte mit mechanistischem Geist durchtränkt. Jüdische ‚Kollegen‘ setzten sich an die Spitze der Standesvereine und der Ärztekammern; sie verfälschten den ärztlichen Ehrbegriff und untergruben arteigene Ethik und Moral“. Vgl. Völkischer Beobachter vom 23.03.1933, zit. n. Lepsien/Lange (1992), S. 32. Siehe ferner Villiez (2009). 37 Zur „Judenfrage“ an der Medizinischen Fakultät der Universität Halle-Wittenberg siehe ferner Kaiser (1994). 38 Kröner (1988), S. A 2574. „Mit Kraepelin und anderen Psychiater (etwa Auguste Forel und Eugen Bleuler) ist Aschaffenburg entschiedener Gegner jedes Alkoholkonsums, nennt diesen gar die ‚ergiebigste aller Quellen des Verbrechertums‘, eine Haltung, die sich empirisch nicht

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pension betroffen waren von den nervenheilkundlichen Extraordinarien unter anderem die Psychiater Karl Birnbaum und Arthur Kronfeld (1886–1941) sowie der Neurologe Kurt Goldstein (1878–1965).39 Letzterer hatte sich im Ersten Weltkrieg gegen Stromstoßtherapie bei „Kriegsneurotikern“40 eingesetzt und 1917 ein Institut zur Erforschung der Folgeerscheinungen von Hirnverletzungen in Frankfurt etabliert. 1930 wurde er zum Leiter der neugegründeten Neurologischen Abteilung in Berlin-Moabit. Als Jude, SPD-Mitglied und Mitglied im Verein Sozialistischer Ärzte wurde er am 01.04.1933 von der SA verhaftet. Es gelang Goldstein,41 über die Schweiz und Holland in die USA zu flüchten.42

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belegen lässt“. Vgl. Goddemeier (2016), S. B 710. 1938 emigrierte Aschaffenburg, Sohn eines jüdischen Kaufmanns in die USA, „wo er vermutlich 1944 starb, der genaue Todezeitpunkt ist nicht bekannt“. Vgl. ebd. Zum Schicksal der Juden Raphael Weichbrodt und Paul Plaut siehe S. 248, Fn. 1111 und S. 541, Fn. 51 Vgl. Kröner (1988), S. A 2574. Zu Birnbaum siehe auch S. 122. Zu Golstein ferner empfohlen sei Cramon (1998). „Goldstein gründet 1916 das Institut für die Erforschung der Folgeerscheinungen von Hirnverletzungen. Zusammen mit dem Gestaltpsychologen Adhémar Gelb [1887– 1936] sammelt er umfangreiche Erfahrungen bei der Rehabilitation schwer hirnverletzter Soldaten. 1930 geht Goldstein nach Berlin und übernimmt dort die Leitung der neurologischen Abteilung am Krankenhaus Moabit. 1933 wird er als Wissenschaftler jüdischer Abstammung von der SA verhaftet und zur Emigration gezwungen. Er diktiert in seinem Amsterdamer Exil in fünf Wochen sein Lehrbuch ‚Der Aufbau des Organismus‘, das 1934 in Den Haag in deutscher Sprache veröffentlicht wird. Goldstein emigriert weiter in die USA, wird Professor an der Columbia Universität in New York […]. Sein Hauptwerk wird 1939 ins Englische übersetzt und 1995 neu aufgelegt, mit einem Vorwort von Oliver Sacks [1933–2015]. Maurice MerleauPonty [1908–1961] sorgt 1951 für eine französische Übersetzung “. Vgl. Kamps (2015), S. B 842. Zu Adhémar Gelb weiterführend Wolfradt (2015), S. 131–132. Zu Merleau-Ponty empfehlenswert Morris (2015) sowie Colonna (2014). Kamps empfiehlt die Beschäftigung mit Goldsteins Werk, zumal „[d]ie Zersplitterung des Menschen in Körper und Seele […] auch durch ein bio-psycho-soziales Menschenbild nicht geheilt [wird]. Ganzheitliche Betrachtungen werden in der deutschen Medizin von der Naturmedizin monopolisiert und dort nicht kritisch hinterfragt“. Vgl. Kamps (2015), S. B 842. Siehe ferner Goldstein (2014) und Geroulanos/Meyers (2014). Zu Merleau-Pontys „Erneuerung der Metaphysik“ weiterführend: „S’ il est évidemment pas question de restituer fidèlement un travail aussi riche et aussi complexe, il est néanmoins possible de donner une idée de son movement. La question est bien celle de la nouveauté de Merleau-Ponty dans le champ de la métaphysique, bref, pour reprendre la formule de Jean Wahl, très présent dans ce travail, celle du sens du renouvèlement de la métaphysique qui s’ y fait jour. La question est d’ autant plus cruciale qu’ elle prend place dans une époque dominée par le thème de la fin de la métaphysique, voire de l’anti-métaphysique, de sorte que le renouvèlement de la métaphysique aura lui-même un sens nouveau, intégrant le motif de sa propre négation“.Vgl. Barbaras (2014), S. 7. Zur sog. „Kaufmann-Kehrer“-Methode siehe S. 545, Fn. 75. Zum politisch verfolgten NS-Gegner Fredy Quadfasel (1902–1981) als Schüler Kurt Goldsteins siehe weiterführend Neumärker/Holdorff (2016). Vgl. Rimpau (1990), S. 122. Weiterführend auch Andersch, N. Die späte Wiederentdeckung Kurt Goldsteins. 25. Jahrestagung DGGN. Würzburg, 02.10.2015, Vortrag veröffentlicht als Andersch (2016). Zur Rolle von Lothar Kalinowsky als zwangsemigrierter „Pate der amerikanischen Elektrokrampftherapie“ siehe Rzesnitzek (2013), S. 200. Zur Emigration deutschsprachiger Mediziner im Nationalsozialismus siehe ferner Kröner (1989), zu emigrierten Berliner Psychiatern siehe Peters (2008). Ferner interessant Peters (1992). Zum Emigrationsverlust des

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Lehrkörpers der deutschen Universitäten (1931–1938) siehe Ferber (1956), S. 145–147. Weiterführend hierzu auch emigrierte und „[h]iergebliebene“ deutschsprachige Psychosomatiker, die nach Schultz-Venrath/Hermanns (1991) definiert sind als Publikatoren von mindestens zwei psychosomatischen Arbeiten seit 1925. Unter den von Schultz-Venrath und Hermanns angeführten Psychosomatikern, die Deutschland verlassen haben, finden sich NS-Opfer, sofern ihre Emigration in ein im weiteren Kriegsverlauf von deutscher Seite okkupiertes Land erfolgt war. Unter den hiergebliebenen Psychosomatikern führen Schultz-Venrath und Hermanns auch Mediziner ohne jüdische Wurzeln und bereits vor der NS-Zeit Verstorbene an. Eine „Kritik der Methoden“ von ebd. liefert Sponsel (2001). Als Sofern nur die Initialen angegeben sind, ließen sich keine Information bezüglich der vollständigen Vornamen finden. Gleiches gilt für fehlende Lebensdaten, sofern diese nicht im Haupttext bei Nennung der entsprechenden Person vermerkt sind. Aus Deutschland emigrierte Psychosomatiker: Alfred Adler (1870–1937), Franz Alexander (1891–1964), Rudolf Allers (1883–1963), Michael Balint (1896–1970), Julius Bauer (1887–1979), Moses Barinbaum, Clemens Ernst Benda (1898–1975), Therese Benedek (1892– 1977), Edmund Bergler (1899–1962), Ludwig Braun, Gustav Bychowski (1895–1972), Bernhard Dattner (1887–1952), Felix Deutsch (1884–1964), Helene Deutsch (1884–1982), Karl Dreyfuss, Ludwig Eidelberg (1898–1970), Dorian Feigenbaum (1887–1937), Otto Fenichel (1897–1946), Sandor Ferenczi (1873–1933), Sigmund Freud, Josef K. Friedjung (1871–1946), Frieda Fromm-Reichmann (1889–1957), Felix Georgi, Kurt Goldstein, Emil Gutheil (1889– 1959), Erich Guttmann (1896–1948), Carl M. Herold (1892–1953), Hans Hoff (1879–1969), Karen Horney (1885–1952), Ludwig Jaffé, Georg Klemperer (1865–1946), Walter Kluge, Arthur Kronfeld (1886–1941), Karl Landauer (1887–1945), Erich Lindemann (1900–1974), O. Mauthner, Käthe Misch, Emil Oberholzer (1883–1958), Martin Pappenheim (1881–1943), Fritz Perls (1893–1970), Sandor Rado (1890–1972), Wilhelm Reich (1897–1957), Walter Riese (1890–1976), Friedrich S. Rothschild (1899–1995), Paul Schilder (1886–1940), Melitta Schmiedeberg (1904–1983), Ernst Simmel (1882–1947), Wilhelm Stekel (1868–1940), Maxim Steiner, Erwin Stengel (1902–1973), Erich Stern (1889–1959), Leopold Szondi (1893–1986), A. A. Weinfeld, Edoardo Weiss, Fritz Wengraf (geb. 1895), Erwin Wexberg (1889–1957), Erich Wittkower (1899–1983), Heinz-Detlef, später Henry D. von Witzleben (1896–1994), Moshe Wulff (1878–1971). Vgl. Schultz-Venrath/Hermanns (1991), S. 87. Zu „Wilhelm Reich und die Psychoanalyse im Nationalsozialismus“ vgl. Peglau (2017). Weiterführend zu Wittkower siehe Krakowski (1984). „Hiergebliebene“ deutschsprachige Psychosomatiker: Leopold Alkan (1877–1933), Gustav Bally (1893–1966), Gustav von Bergmann (1878–1955), Fritz Besold, Rudolf Bilz (1898–1976), Otto Binswanger (1852–1929), P. Bühler, Otto Bunnemann, Felix Buttersack, Theodor Brugsch (1978–1963), Paul Christian (1910–1996), Hans Christoffel (1888–1959), Walter Cimbal (1877–1964), N. Costa, Hans Curschmann (1875– 1950), H. Cramer, Günter Elsässer (1907–1999), P. Engelen, Karl Fahrenkamp, Hans Fendel, Kurt Gauger, Matthias Heinrich Goering (1879–1945), Gustav H. Graber (1893–1982), Georg Groddeck (1866–1934), Carl Haeberlin (1870–1954), Benno Hahn, A. Hanse, Karl Hansen (1876–1965), Hans von Hattingberg (1879–1944), E. Heinrich, W. R. Hess, Eugen Heun, Gustav R. Heyer (1890–1967), Werner Hollmann, Walter Jaensch (1889–1950), Carl Gustav Jung, Imre Hermann (1889–1984), Gerhardt Katsch (1887–1961), Werner Kemper, Arthur Kielholz (1879–1962), Ludolf von Krehl (1861–1937), Friedrich Kraus, Paul Krauß, H. Kirsch, Arthur Theodor Jores (1901–1982), B. Liegner, Johannes J. Marcinowski (1868–1935), Hellmut Marx, August Mayer, Fritz Mohr (1874–1957), Constantin von Monakow (1853–1930), Erwin Moos, L. von Muralt, Ludwig Robert Müller, J. Novak, A. Oswald, G. A. Roemer, Carl Römer, W. Th. Sack, Rudolf Schindler (1888–1968), Johannes H. Schultz (1884–1970), Harald Schultz-Hencke (1892–1953), Oswald Schwarz, Richard Siebeck (1883–1965), Ernst Speer (1889–1964), Thure von Uexküll (1908–2004), Max Walthard (1876–1933), Viktor von Weizsäcker, Karl Westphal, Otto Wuth (1885–1945), Walter von Wyss, Theodor Ziehen

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Neben den erwähnten, mit Meggendorfer bekannten, nach England43 emigrierten Neurowissenschaftlern44 Friedrich Lewy und Felix Plaut45 soll im Folgenden die Lebenslinie von Otto Löwenstein exemplarisch für NS-emigrierte Neurowissenschaftler skizziert werden. Dies bietet sich insbesondere aus folgender Überlegung heraus an: es ist davon auszugehen, dass sich Meggendorfer und Löwenstein für den Ausbau des Genealogischen Institutes in Hamburg-Friedrichsberg einerseits und die Gründung des Bonner Erbbiologischen Institutes andererseits gegenseitig vergleichend orientiert haben. Ein direkter Vergleich des von Löwenstein in Bonn gegründeten Erbbiologischen Institutes mit der unter Meggendorfer ausgebauten Genealogischen Abteilung in Hamburg-Friedrichsberg findet sich auf S. 68–69. Otto Löwenstein war im Alter von 20 Jahren vom Judentum zum Protestantismus konvertiert. Nach anfänglichem Studium von Philosophie und Mathematik entschied er sich für das Studienfach Humanmedizin, erhielt im März 1913 seine Ap-

(1862–1950). Vgl. Schultz-Venrath/Hermanns (1991), S. 86. Zu Goering ferner empfehlenswert Cocks (1985) sowie Lockot (1985). Interessant zu Kemper ferner Füchtner (2003). In Bezug auf A. Kielholz sei verwiesen auf das nach seinem Sohn Paul Kielholz (1916–1990) benannte Schema der Einteilung von Antidepressiva. Vgl. https://www.karteikarte.com/ card/604135/kielholz-schema. Stand vom 26.08.2017. „Das früher gängige Kielholz-Schema ist nicht mehr gebräuchlich, u. a. weil es die neuen Antidepressiva nicht enthält”. Vgl. Laux (2005), S. 166. Siehe ferner Kielholz (1969). Zu Constantin v. Monakows Übersicht zu „Charakter, ethische[n] Begriffe[n] (Tugenden und Untugenden)“ siehe Monakow (1950), S. 134. Ferner siehe weiterführend Georgi (1963). „Für eine direkte Beteiligung von Siebeck an erzwungener Forschung an Menschen in Konzentrationslagern oder anderen, de facto rechtsfreien Räumen gibt es keinen Anhaltspunkt.“ Vgl. Roelcke (2016d), S. 55. Vom erwähnten Leopold Szondi begründet wurde der sogenannte „Szondi-Test“ als projektives Verfahren zur Aufdeckung der Triebstruktur. „[D]er Auswertung liegt die Theorie der Schicksalsanalyse Szondis zugrunde“. Vgl. Peters (2011), S. 547. Bei dem erwähnten Karl Westphal mag es sich um Alexander Carl/Karl Otto Westphal (1863–1941) handeln, den Sohn des Psychiaters Carl/Karl Friedrich Otto Westphal (1833–1890) und den Enkelsohn des Mediziners Otto Carl Friedrich Westphal (1800–1879). Interessant zu Carl Friedrich Otto u. a. seine Rede zu „Psychiatrie und psychiatrischer Unterricht“. Vgl. Westphal (1880). Zur „universitäre[n] Etablierung von psychosomatischer Medizin und Psychotherapie in der Nachkriegszeit“ siehe Roelcke (2013c). Zu „[r]assisch und politisch verfolgte[n] Ärztinnen und Ärzte[n] in Deutschland 1933–1945“ siehe Eckart (2000). Zu der Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945 siehe ferner Grüttner/Kinas (2007). 43 Zu Palästina als Flüchtlingsland für Psychiater siehe Zalashik (2013). 44 Weiterführend ebenfalls empfehlenswert die Beschäftigung mit Alfred Hauptmann (1881– 1948). Vgl. hierzu Kumbier/Haack (2002). 45 Felix Plaut als einstiger Kollege Meggendorfers, der diesen in das serologische Arbeitsgebiet einführte, gehört neben Friedrich Lewy, welchen Meggendorfer wohl während seiner Zeit in der Nussbaumstrasse kennengelernt haben mag, zu der „hohe[n] Zahl emigrierter Psychiater und Neurologen (ohne Psychoanalytiker), die einen Anteil von 10,7 Prozent an den medizinischen Emigranten stellten, während ihr Anteil an der Gesamtärzteschaft nur knapp zwei Prozent betrug“. Vgl. Kröner (1988), S. A 2575. Weiterführend zur ambivalenten Rolle der Fachgesellschaft empfehlenswert: Schmuhl (2016). Eine Liste der vertriebenen und ermordeten Neurologen und Neurowissenschaftler findet man bei Martin et al. (2016e), S. 237.

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probation und wurde 1914 mit einer Dissertationsarbeit zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit von Halluzinanten nach psychologischen Prinzipien bei Alexander Westphal (1863–1941) zum Dr. med. promoviert.46 1920 wurde Löwenstein Oberarzt, erhielt seine Venia legendi und wurde drei Jahre später zum nichtbeamteten außerplanmäßigen (apl.) Professor ernannt. Löwenstein interessierte sich für die Pupilleneffekte von unterschiedlichen Emotionen und entwickelte in Bonn 1925 ein spezielles Instrument zur Pupillenbeobachtung.47 Neben seinen Studien zur Pupillographie mit entsprechender Erfindung von spezifischen Untersuchungsinstrumenten setzte Löwenstein sein technisches Erfindungsgenie auch für die Erforschung der Epilepsien ein. Otto Löwenstein konzipierte 1928 eine kinematographische Versuchsanordnung für die Untersuchung der Bewegungsabläufe bei epileptischen Anfällen: „ein leicht bedienbarer Filmaufnahme- und Beleuchtungsapparat im Wachsaal oberhalb des Krankenbettes [war] fest installiert […], so dass die Filmaufnahme bei Beginn eines Anfalls unverzüglich gestartet werden konnte“.48

Löwenstein gilt als Pionier auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er setzte sich ein für die Gründung einer Provinzial-Kinderanstalt für seelisch Abnorme in Bonn, wo er ab deren Fertigstellung 1926 leitender Arzt wurde. Seine Provinzial-Kinderanstalt gilt als erste eigenständige kinder- und jugendpsychiatrische Anstalt deutschland – ja sogar weltweit.49 Löwenstein gründete hier auch ein Erbbiologisches Institut, wo hunderttausende individuelle Krankheitsbilder aus dem Rheinland erfasst werden sollten. Entgegen Löwensteins Absicht sollte sein Institut missbraucht werden für rassenhygienische Datenacquise.50 1931 erhielt Löwenstein 46 Vgl. Löwenstein (1914). 47 1957 entwickelte Löwenstein in Zusammenarbeit mit seiner Mitarbeiterin Irene Loewenfeld (1922–2009) das Instrument des elektronischen Pupillographen. Als graphische Abbildung zur „Änderung des Pupillenreflexes durch Schreckreiz“ sei angeführt: Ders. (1933), S. 52. 48 Podoll/Lüning (1998), S. 125. Weiterführend ebenfalls http://www.rheinische-geschichte. lvr.de/persoenlichkeiten/L/Seiten/OttoLoewenstein.aspx Stand vom 05.12.2015. Empfehlenswert ferner Löwenstein (1928), (1931a), (1931b) und (1933). 49 Löwenstein unterteilte die Anstalt in verschiedene Laboratorien, „in denen unterschiedliche Methoden angewandt und miteinander in Verbindung gebracht wurden. Löwensteins Psychologie benötigte ein chemisches Labor zur Untersuchung von Blut und Liquor ebenso wie Bereiche, wo die geistigen Fähigkeiten durch Teste ermittelt wurden und andere Räume, in denen Patienten gezielt beobachtet wurden. So wurde in den Schlafsälen gefilmt und ein physiologisch-optisches Laboratorium war unter anderem mit einem Pupillographen zur Beobachtung der Augenbewegungen ausgestattet“. Vgl. http://www.rheinische-geschichte. lvr.de/ persoenlichkeiten/L/Seiten/OttoLoewenstein.aspx Stand vom 05.12.2015. Weiterführend hierzu auch Krämer (2015). 50 Vgl. http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/L/Seiten/OttoLoewenstein. aspx. Stand vom 05.12.2015. Weiterführend zur Entwicklung des Rheinischen Provinzialinstitutes für psychiatrisch-neurologische Erbforschung in Bonn während der Jahre 1935 bis 1941 siehe ferner Pohlisch (1941b). „Die Förderung Erbtüchtiger, insbesondere der Hochwertigen aus kinderreichen Ehen, wird ständig noch an Bedeutung gewinnen. Es handelt sich um erbpflegerische Maßnahmen, die in den ,Richtlinien für die Beurteilung der Erbgesundheit‘ nach dem Erlass des Reichsministeriums des Innern vom 18. Juli 1940 niedergelegt sind. Danach

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eine Stiftungsprofessur der Rheinischen Provinzialanstalt für Pathopsychologie. Die Spezifizierung dieser Fachdiszipin aus der Klinischen Psychiatrie heraus wurde von der medizinischen Fakultät durchaus skeptisch betrachtet und stellte damals ein Unicum in Deutschland dar.51 Am 01.03.1933 wurde Löwenstein im Rahmen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus seiner Klinikleitungsfunktion in den Ruhestand versetzt. Gegen den Flüchtigen wurde ein Schutzhaftbefehl erlassen. Von seinen universitären Ämtern wurde Löwenstein am 08.03.1933 abgesetzt. Neben neurologisch-psychiatrischem Konsildienst war er in einem privaten Sanatorium in Nyon am Genfer See tätig und gründete dort eine Kinderklinik. 1938/1939 nahm Löwenstein einen Ruf 52 an die New York Univer-

wird die Bevölkerung sippenmäßig in folgende 4 Gruppen aufgeteilt: 1. Die asozialen, d. h. gemeinschaftsfremden Familien, 2. Die Gruppe der tragbaren Familien, 3. Die große Gruppe der Durchschnittsbevölkerung, 4. Die Gruppe der erbbiologisch besonders Hochwertigen“. Vgl. ebd., S.154–155. Zur erbforscherischen Situation in Düsseldorf weiterführend Heuser (2003). 51 Vgl. http://www.rheinische-geschichte. lvr.de/persoenlichkeiten/L/ Seiten/Otto Loewenstein.aspx. Stand vom 05.12.2015. 52 Keine Emigration – trotz eines Rufes nach Chicago 1933 – erfolgte bei dem Pathologen Ludwig Pick (1868–1944): „weil, […] [er] [s]ich auch in diesen schweren Zeiten [s]einem deutschen Vaterland nach wie vor verbunden fühle“. Vgl. Schwoch (2009), S. 684–685. Pick klassifizierte unter anderem die Uterussarkome und die Schweißdrüsentumore der Vulva. Vgl. http://www.deutsche-biographie.de/sfz74529.html. Stand vom 02.06.2016. Anhand von Pick lässt sich exemplarisch der Umgang einer nichtpsychiatrischen medizinischen Fachgesellschaft in Bezug auf jüdische Mitglieder nachvollziehen. Thum bezeichnet den Umgang der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG) als geprägt von „Uneindeutigkeit und merkwürdiger Zurückhaltung“. Vgl. Thum (2016). Ähnlich der DGG ließ auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) die Schicksale von 308 jüdischen Chirurgen in der NS-Zeit in einem aktuellen Gedenkband aufarbeiten. Vgl. Schwoch (2017). Pick starb im Konzentrationslager Theresienstadt. Weiterführend auch Simmer (1994). Nicht zu verwechseln mit Ludwig Pick ist Arnold Pick (1851–1924), ab 1886 Direktor der neu gegründeten Psychiatrisch-Neurologischen Klinik der deutschen Universität Prag, bekannt als Erstbeschreiber der Pick’schen Krankheit. Vgl. Peters (2011), S. 411. Siehe ferner Kertesz/Kalvach (1996). Zur Vertreibung deutscher Neuropathologen siehe ferner Peiffer (1998). Wenn Arnold Pick als Namensgeber des „Morbus Pick“ fungierte, so ist ein Verweis auf die Debatte um die mit der NS-Zeit verknüpften Eponyme weiterführend. Siehe hierzu Kondzielle (2009). Bei „Hallervorden und Spatz [zum Beispiel gilt zwar, dass sie] ihre neuropathologische Beschreibung schon Anfang der 1920er Jahre publizierten, […] ihre Ehrung im Eponym angesichts ihres weiteren Wirkens im Nationalsozialismus [bleibt] [dennoch] problematisch“. Vgl. Martin et al. (2016d), S. 51. Wie Ludwig Pick und viele weitere erkannte auch der Gynäkologe und Geburtshelfer Benno Hallauer (1880–1943) „die ‚Zeichen der Zeit‘ nicht und blieb in Deutschland. […]. Im Vertrauen auf den kollegialen Zusammenhalt äußerte es sich im Januar 1937 gegenüber einem nichtjüdischen Kollegen, der Kaufinteresse an seiner Klinik vorgab, kritisch über den Nationalsozialismus. Dieser denunzierte ihn bei der Gestapo. Hallauer wurde wegen Vergehens gegen das ‚Heimtückegesetz‘ angeklagt und zu 9 Monaten Haft verurteilt. […]. Hallauer hatte damals in seiner Not wie viele bedrohte deutsche Juden einen Bittbrief um Unterstützung an Albert Einstein [1879–1955] geschrieben […], der sich – allerdings vergeblich – für ihn in Großbritannien und den Niederlanden einsetzte […]. 1940 musste Hallauer nach Breslau umsiedeln, wo er als ‚Krankenbehandler‘ eine Stelle am jüdischen Krankenhaus antrat. […]. Unter den Deportierten

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sity an. Ab 1947 wurde er zum Leiter des von ihm begründeten Laboratory of Pupillography an der Columbia University. Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Löwenstein wieder in das Vorlesungsverzeichnis der Medizinischen Fakultät Bonn aufgenommen. Seine kultusministeriell geförderte Rückkehr nach Deutschland lehnte Löwenstein jedoch ab.53 Löwenstein blieb weiterhin vom Amt entbunden bei Zuerkennung der Emeritusbezüge. Löwenstein referierte mehrmals als Gastdozent in Bonn. Anlässlich seiner Bonn-Reise 196454 enthüllte man eine Bronzebüste in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Rheinischen Landesklinik Bonn und markierte somit „gleichsam seine öffentliche Rehabilitation“.55 Im gleichen Jahr erhielt Löwenstein von Seiten der Philosophischen Fakultät die Ehrendoktorwürde aufgrund seiner Forschungen im Grenzbereich von Psychiatrie und Psychologie.56 Soweit der Exkurs zur Emigration von Neurowissenschaftlern zur NS-Zeit anhand des Beispiels von Otto Löwenstein; wobei angemerkt werden muss, dass diese Form der Rehabilitation durchaus selten war.

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waren auch Benno Hallauer und seine Ehefrau Lieselotte Buchwald, die beide wahrscheinlich 1943 in Auschwitz umkamen (Gedenkbuch des Bundesarchives)“. Vgl. David/Ebert (2015), S. B 1121. Im Gegensatz hierzu gab es auch Re-Immigrationen „Nach Österreich reimmigrierten der Psychiater Hans Hoff […]. der Neurologe Max Schacherl [gest. 1964]“. Vgl. Kröner (1988), S. A 2576. Zu Hans Hoff empfehlenswert: Berner (1998). Auch Alfred Döblin kehrte „[a]m 9. November 1945 […] als Kulturoffizier der französischen Besatzungsmacht, fast 70-jährig, nach Deutschland zurück“. Vgl. Richter (2007), S. 307. „Als Dichter in Deutschland verdrängt, vergessen und isoliert, zog sich Döblin Ende April 1953, verbittert über die restaurativen Tendenzen in Deutschland, nach Paris zurück […]. Anfang 1954 war Döblin jedoch schon wieder in Deutschland“, insbesondere zur medizinischen Behandlung seiner Parkinson-Erkrankung. Vgl. ebd., S. 307–308. Weiterführend zur „Sicht deutscher Emigrantenärzte auf die NS- ,Rassenhygiene‘“: Pross (2010). http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/L/Seiten/OttoLoewenstein.aspx Stand vom 05.12.2015. Vgl. ebd. „Aber einer Wissenschaftsrichtung, die zur Psychologie von allem am nächsten steht, müssen wir noch besonders gedenken. In ihr liegen die beiden Wertwissenschaften: Ethik und Ästhetik – die Wissenschaft von Gut und Böse und die Wissenschaft von den Schönheitswerten. Da von den beiden Ähnliches zu sagen ist, beschränken wir uns auf die Ethik. […]. Erst wenn es zu zeigen gelingt, dass es ,objektive‘ Werte gibt […], – die solche sind und bleiben, gleichgültig, ob sie von den meisten oder gar allen Menschen anerkannt oder abgelehnt werden, – wäre der Nachweis geliefert, dass eine Ethik als eigene Wissenschaft möglich ist. […]. Einen solchen Nachweis kann die Psychologie nicht leisten, ohne das ihr eigene Gebiet zu verlassen, – denn: die Psychologie fragt nur danach, hat auch nur danach zu fragen, wie der Mensch urteilt und wertet, nicht aber, wie er urteilen und werten soll, damit sein Urteil wahr sei. Das sagt ihm für das Gebiet der ethischen Werte jener Teil seines Ich, den man ,Gewissen‘ zu nennen pflegt. Die Konstatierung, dass uns ein Gewissen eigen ist, gehört selbst noch zur Psychologie. Was aber das erhellte, das klar und deutliche urteilende Gewissen als Gut und Böse erkennt, gehört schon ins Gebiet der Ethik“. Vgl. Erismann (1958), S. 32–33. Kursivschrift im Original.

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3.1.3 Die Meggendorfer-Festschrift 1940 Trotz gewahrter Loyalität zum einstigen Habilitanden kritisierte Rüdin gerade in der Festschrift für Meggendorfer57 dessen unzureichenden Ausbau der genealogischen Abteilung in Friedrichsberg unter Weygandt. Vordergründig bescheinigte Rüdin in seinen Gratulationszeilen dem ehemaligen Schüler Meggendorfer honorables “understatement”. Doch mag gerade Rüdins unbegründetes Anführen angeblicher Karriere-Rückschläge58 in Zusammenhang mit Meggendorfers rassenhygienischer Betätigung für diesen eine Art Drohgebärde aufgebaut haben. Implizit könnten die Gratulationszeilen Rüdins für Meggendorfer somit eine Aufforderung nach Akzeptanz des stattgehabten Grenzübertrittes von erbpsychiatrischer Wissenschaft hin zu alltagspraktischen Entscheidungen bezüglich der Volksgesundheit beinhaltet haben.59 Nach diesen interpretierenden Bemerkungen nun auszugsweise die Geburtstagswünsche Rüdins: „Im umgekehrten Verhältnis zu seinen großen wissenschaftlichen und praktischen Leistungen steht eine vornehme Bescheidenheit, die ihn leider wiederholt nicht den Platz in seiner Laufbahn einnehmen ließ, der ihm nach seinem Wert eigentlich gebührte. Meggendorfer ist eine durch und durch vornehme, rücksichtsvolle Persönlichkeit und damit hängt es auch sicher zusammen, dass er allgemein beliebt und geachtet ist. Seine äußere Zurückhaltung hat ihn aber nicht daran gehindert, in Wort und Schrift mit großer Überzeugungstreue nicht bloß seine rassenhygienischen Grundsätze überall in seinen großen ärztlichen Wissensschatz einzubauen, sondern auch seine übrige nationalsozialistische Gesinnung in Praxis und Lehre zu bekennen und zu betätigen […]. So grüßen wir denn Meggendorfer als lieben Freund, Kollegen und Vorkämpfer für die Rassenhygiene. Der zwar äußerlich sehr bescheiden zurücktritt, aber mit der Kraft seiner Schriften und seines Unterrichts zum Gelingen des großen rassenhygienischen Reform-Programms des Führers beizutragen hilft“.60

Rüdin ließ in seinem Beitrag zur Festschrift Meggendorfers zumindest „zwischen den Zeilen“ durchscheinen, Meggendorfer habe sein Karriere-Potential nicht voll-

57 Meggendorfer-Festschrift mit Beiträgen von Bauer (1940), Bingel (1940b) und (1940c), Bostroem (1940), Entres (1940), Ewald (1940), Fleck (1940), Haege (1940), Kihn (1940), Langelüddeke (1940b), Riebeling (1940a), Rittershaus (1940) sowie Rüdin (1940). Bingels Glückwünsche eröffnen die Festschrift: „Sehr verehrter Herr Professor Meggendorfer! Im Namen Ihrer Mitarbeiter, Schüler und Freunde, möchte ich Ihnen zu Ihrem 60. Geburtstag unsere herzlichsten Glückwünsche aussprechen. Die in dieser Festschrift zusammengefassten Beiträge, deren Fertigstellung trotz stärkster Beanspruchung eines jeden durch die Kriegszeit gelang, sollen Ihnen ein Zeichen der großen Verehrung sein, die wir Ihnen entgegenbringen. Wir Alle hoffen, dass es Ihnen noch viele Jahre vergönnt sein möge, als Arzt, Forscher und Lehrer erfolgreich zu wirken. Dr. Adolf Bingel – z. Zt. im Felde“. Vgl. Bingel (1940c), S. 206. 58 Gegebenenfalls spielte Rüdin hier auf die nicht erfolgte Rückberufung Meggendorfers nach Hamburg an. 59 Zur Festschrift-Entstehungszeit lief die NS-„Euthanasie“-Planung auf „Hochtoren“. Als weiterführend bzgl. des Beginns der „Euthanasie“-Planung sei verwiesen auf Schmidt (1999). Zu „,Alltag‘, Ethik und Mentalität der universitären medizinischen Forschung bis (und ab) 1945“ siehe Roelcke/Duckheim (2014). 60 Rüdin (1940), S. 209.

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ständig genutzt. Dem Facettenreichtum seines Werdegangs hin zur Psychiatrie entsprechend legte Meggendorfer Wert auf den Erwerb vielseitig medizinischen Wissens. Dieses umfassende Interesse klingt in der Rezeption Rüdins eher wie der indirekte Vorwurf, Meggendorfer habe sich „verzettelt“: „Wie wohl kaum ein anderer Psychiater“61 betätigte er sich in seinem klinisch psychiatrisch-neurologischem62 Berufsfeld auch „auf bakteriologischem,63 serologischem,64 internistischem,65 dermatologischem,66 epidemiologischem,67 therapeutischem,68 forensischem69 und erbbiologischem70 Gebiete“.71 Die von Rüdin in der Festschrift zu Meggendorfers 60. Geburtstag hervorgehobene Vielschichtigkeit des Jubiliars zeigt sich in den Thematiken seiner Publikationen. Im Vergleich zum durchaus kritischen Unterton Rüdins wurde von Rittershaus „augenzwinkernd“ das Thema auf die Anzahl an Kopfhaaren gelenkt, was eher als „kleine Neckerei“ anmuten dürfte: „Die erste Schwierigkeit [bei der Beurteilung des manisch-depressiven Irreseins] ist ähnlich wie diejenige bei dem angeborenen Schwachsinn, es ist die Frage nach der Grenze. Wie so oft, muss auch hier ein Gesetz eine scharfe Grenze ziehen, wo in Wirklichkeit fließende Übergänge bestehen. Es ist die alte, schon in der altgriechischen Philosophie in mehr oder weniger scherzhafter Weise aufgeworfene Frage, bei wievielen Haaren die Glatze beginne. Ein Haar mehr oder weniger kann da unmöglich den Ausschlag geben, und doch wird eine derartige Entscheidung gewissermaßen von dem Gutachter verlangt“.72

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Ebd., S. 208. Siehe hierzu Meggendorfer (1908) und (1916). Siehe hierzu ders. (1918) und (1921c). Die serologischen Untersuchungen, mit welchen sich Meggendorfer bei Felix Plaut vertraut machen konnte, beziehen sich hauptsächlich auf die Befundung bei progressiver Paralyse: „Und doch erschient uns die Beantwortung der Frage, was denn eigentlich das Typische, das Charakteristische für die progressive Paralyse ist, nicht leicht. Vor allem müssen wir die klinischen Zustandsbilder als nicht typisch ausnehmen; denn kaum gibt es eine Krankheit, die in ihren Erscheinungen vielgestaltiger wäre als die Paralyse, und kaum bietet sie einen Symptomenkomplex, der nicht auch bei anderen Erkrankungen vorkommen könnte. Wesentlich eindeutiger schon ist der serologische Befund. Zwar können auch hier einzelne der in Betracht kommenden Reaktionen negativ ausfallen, erhebliche Unterschiede in ihrer Stärke zeigen und vor allem auch bei anderen Erkrankungen vorkommen, doch bietet gerade das Zusammentreffen einer Reihe von Reaktionen einen ungemein charakteristischen Befund“. Vgl. ders. (1920), S. 309. Siehe hierzu am ehesten ders.(1928b). Siehe hierzu Meggendorfer/Jakob (1921). Siehe hierzu Meggendorfer (1922b) und (1926c). Siehe hierzu ders. (1921a), (1926a), (1932b), (1933a) und (1940e) sowie Bingel/Meggendorfer (1940). Siehe hierzu Meggendorfer (1929b), (1930b), (1930f), (1931a), (1933a), (1933b), (1934d), (1934e), (1936c), (1937a), (1937b), (1937c), (1938), (1939a), (1939e) und (1940f). Siehe hierzu ders. (1914), (1920), (1921b), (1921d), (1923), (1924), (1925a), (1925c), (1925d), (1926b), (1930a), (1930e), (1934b), (1934c), (1934e), (1935c) und (1939g). Rüdin (1940), S. 208. Rittershaus (1940), S. 257.

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Metaphorisch gelesen könnte die von Rittershaus als philosophisches Grundproblem angesprochene Grenzziehungsproblematik wohl anspielen auf den sehr komplexen Abwägungsspielraum in der Gradwanderung zwischen zeitadäquat wissenschaftlich fundierten Grundüberzeugungen einerseits und zeitpraktisch-psychiatrischen Entscheidungszwängen andererseits. 3.1.4 Meggendorfers Verhältnis zu Vertretern der „NS-Wissenschaft“ Am 07.03.1941 nahm Hans Nachtsheim (1890–1978),73 der „Begründer der Humangenetik in der BRD“74 mit Meggendorfer Kontakt auf, um sich zu informieren über mögliche EKT-Dosierungen bei Tierversuchen: „Nachdem meine Cardiazolversuche an epileptischen Kaninchen75 vorläufig zum Abschluss gekommen sind, möchte ich einige weitere Fragen mit Hilfe der Elektrokrampfmethode untersuchen“. 76 Nachtsheim77 hatte im Schlusswort seines Werks „vom Wildtier zum Haustier“ 1936 betont, „Erst die neuzeitliche Vererbungsforschung hat uns zwischen individuellen Anpassungen und solchen der Art und Rasse, zwischen nichterblichen und erblichen Abänderungen zu unterscheiden gelehrt“.78

Der „Haustiergenetiker“79 Nachtsheim – von 1953–1960 Direktor für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie am Institut für Vererbungs- und Züchtungsforschung des MPI Berlin-Dahlem – führte zu NS-Zeit mit behinderten Kindern der Landespflegeanstalt Brandenburg an der Havel Unterdruckkammerversuche für die Luftwaffe80 durch. Angesichts der Verbindung Nachtsheims mit Hohenlychen als

73 Nach Freimüller gilt Nachtsheim zwar „als einer der wenigen nicht völlig nazifizierten Rassenhygieniker“, jedoch benutzte er als Abteilungsleiter für experimentelle Erbpathologie am KWI für Anthropologie „behinderte Kinder der Mordanstalt Brandenburg-Görden für Versuche in der Unterkammer der Luftwaffe“. Vgl. Klee (2003), S. 427. Siehe ferner Freimüller (2001), S. 34. Weiterführend sei verwiesen auf Nachtsheim (1936), (1939), (1941), (1943), (1952), (1962), (1963) und (1966). 74 Klee (2003), S. 427. 75 Vgl. Nachtsheim (1943). Im Namen des KWI für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik widmete Nachtsheim die Arbeit Agnes Bluhm zum 80. Geburtstag: „Agnes Bluhms auf breiter Grundlage in 20 Jahren durchgeführten Untersuchungen an Mäusen zu dem Problem Alkohol und Nachkommenschaft stellen einen der ersten großen Versuche einer experimentellen und vergleichenden Erbpathologie dar“. Vgl. ebd., S. 24. 76 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 77 Zum Genetiker Hans Nachtsheim und der vergleichenden Erbpathologie siehe ferner Schwerin (2004). 78 Nachtsheim (1936), S. 95. 79 Klee (2003), S. 427. 80 „Anfang 1940 setzte die Luftwaffe das erste ‚Höhenflugzeug‘ ein. Die neue Lösung schuf neue medizinische Probleme. Die Auswirkungen eines plötzlichen Druckabfalls in großer Höhe, z. B. durch einen Beschuß der Druckkabine, und die geeigneten Rettungsmaßnahmen waren völlig unklar. Flugmediziner versuchten diese Fragen durch Selbstversuche in Unterdruckkam-

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großes medizinisches Forschungszentrum der SS betont Weindling dessen Involvierung in Menschenversuche:81 „Er ließ es zu, dass seine Expertise eine Form der Forschung untermauerte, die eine rassisch fundierte klinische Praxis befördern half. Wie auch Hallervorden82 und Verschuer betrachtete er es offenbar als legitim, das menschliche ‚Material‘ auszunutzen, das bei den NS-Genoziden anfiel“.83

Infolge von Auseinandersetzungen mit den Sowjets in Bezug auf die Lehre des sowjetischen Genetikers Trofim Denissowitsch Lyssenko (1898–1976)84 sollte Nachtsheim vom Genetik-Lehrstuhl der Berliner Humboldt-Universität, auf den er 1946 berufen wurde, im Jahr 1949 an die Freie Universität Berlin wechseln. Unkritisch in Bezug auf seine eigenen möglicherweise karrieristischen Motivationen im Rahmen des NS-Regimes warnte Nachtsheim in seiner Akademischen Festrede zur Immatrikulationsfeier der Freien Universität Berlin am 02.06.1951 vor einem erneuten „Terror in der Wissenschaft“.85 In Rückschau auf die NS-Zeit betonte

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mern zu klären. Bei einer simulierten Höhe von 15.000 Metern mussten sie jedoch wegen unerträglicher Beschwerden abbrechen. 1942 erhielt die Frage eine neue Brisanz: Ein britischer Jagdpilot hatte einen deutschen Druckkabinenaufklärer aus einer überlegenen Höhe angegriffen. Eine neuerliche Ausweitung des Luftkampfraums auf Höhen von 20 bis 21 Kilometer schien absehbar“. Vgl. Kressner/Ruisinger (2006), S. 127. „Über die Zulässigkeit von Versuchen am Menschen im allgemeinen kann nicht der geringste Zweifel bestehen. Man hat die Krankheiten selbst als einen Versuch der Natur am Menschen bezeichnet“. Vgl. Weizsäcker (1947), S. 23. „Die Greuel von Dachau und so weiter zeigen, wohin man nicht gehen darf, also umso deutlicher auch, wie weit man gehen darf und muss. Das sieht denn so aus: ‚Euthanasie‘ und Menschenversuche sind ‚an sich‘ ärztlich begründbar, nur müssen sittliche Grenzen eingehalten werden. Was aber dies ‚an sich‘ bedeutet, bleibt hier immer noch dunkel. Ich gestehe, erst im Verlauf meiner Untersuchung selbst die Klarheit gefunden zu haben, dass ein ganz bestimmtes Prinzip, nämlich das der Solidarität, mir brauchbar erscheint, um zu beweisen, dass es eine An-sich-Berechtigung jener Maßnahmen nicht gibt, und dass das Wesen vernichtender und experimentierender Maßnahmen aus dem Solidaritätsprinzip ableitbar ist“. Vgl. ebd., S. 1. Weiterführend ebenfalls Berger (1990), Winau (1996), Maio (1996) und Pethes/Griesecke (2008). Julius Hallervorden (1882–1965), tätig am KWI Berlin-Buch. Siehe hierzu: Shevell (1992). Siehe ferner Daroff (1994), Harper (1996), Peiffer (1997) und insbesondere Hughes (2007). „Als Hallervorden zum 5. Internationalen Kongress für Lissabon 1953 eingeladen wurde, gab es erstmals Proteste, insbesondere seitens der niederländischen Neurologen, die sich explizit auf das Dokument L-170 des Nürnberger Prozesses beriefen“. Vgl. Martin et al. (2016d), S. 47. Der „Prozess, der vom 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 stattfand, sollte mit führenden Vertretern der nationalsozialistischen Ärzteschaft abrechnen“. Vgl. Eckart (2017b), S. B 1292. Weindling (2003), S. 268. Die Lehre des „Lyssenkoismus“ sah Erbeigenschaften als durch Umweltbedingungen bestimmt. „Wieder versucht ein totalitäres System, unsere Wissenschaft seiner Ideologie dienstbar zu machen. Was die Genetik in einem halben Jahrhundert in zäher, oft mühseliger Arbeit zu unserem biologischen Weltbilde an Erkenntnissen beigesteuert hat, passt nicht in diese Ideologie. Man leugnet die Bedeutung der Erbanlage, man möchte mit Hilfe der Umwelt den Menschen nach dem Belieben eines politischen Systems formen und propagiert eine Pseudogenetik blutiger Dilettanten, die bar jeder wissenschaftlichen Grundlage ist. Gegen diese Front zu machen und

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Nachtsheim, in diesen „verhängnisvollen zwölf Jahren [habe man] durch die pseudowissenschaftliche Rassentheorie die Genetik missbraucht“.86 1959 trat ein „Wiedergutmachungsausschuss“ der Bundesregierung zur Beratung über die Entschädigung von NS-Zwangssterilisierten zusammen.87 Zu den am 13. April 1961 geladenen Experten gehörte auch Hans Nachtsheim, der auch nach 1945 weiterhin eine „Sterilisation aus eugenischer Indikation“ befürwortete. Die Möglichkeit zur freiwilligen Sterilisation analog zum Gesetzentwurf aus dem Jahr 1932 forderte Nachtsheim, gemäß Freimüller, nur öffentlich; im Rahmen seiner Befragung als Experte habe er weiterhin die Notwendigkeit zur Zwangssterilisation propagiert, zumal das NS-Sterilisationsgesetz rechtsstaatlich zustande gekommen sei.88

die Freiheit in Forschung und Lehre zu verteidigen, sehe ich als eine Aufgabe auch der deutschen Genetik an“. Vgl. Nachtsheim (ca. 1951), S. 17. 86 Freimüller (2001), S. 48. Im Vorwort der Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans Nachtsheim im Jahr 1950 lässt sich folgendes lesen: „Nachtsheim gehört zu denen, die sich ein eigenes Forschungsgebiet eröffnet haben und schon frühzeitig zu einer charakteristischen Leistung gelangt sind. Jedermann kennt ihn als Erforscher der Erbbiologie und Erbpathologie der Haustiere und des Menschen“. Vgl. Grüneberg (1950), S. 7. 87 „Das GzVeN wurde nach 1945 keineswegs obsolet, sondern galt in weiten Teilen weiter. So auch in der BRD nach 1949, während es in der DDR aufgehoben war. In den folgenden Jahrzehnten gab es immer wieder Diskussionen um die eugenische Zwangssterilisation. Erst 2007 wurde das GzVeN ‚in seiner Ausgestaltung und Anwendung‘ vom Deutschen Bundestag als ‚nationalsozialistisches Unrecht‘ geächtet“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 26. Siehe ferner Trümmers (2008) und (2011). 88 Vgl. Freimüller (2001), S. 48. Der schwedische Genetiker Gunnar Dahlberg hatte sich 1940 folgendermaßen zu dieser Frage positioniert: „Die gegenwärtig auf das politische Gebiet überführten erbbiologischen Fragen betreffen teils die Sterilisierung defekter Individuen, teils gegen Juden gerichtete Maßnahmen. Beide Probleme sind, erbbiologisch gesehen, ohne größere Bedeutung. Die Sterilisierung Defekter kann niemals praktische Konsequenzen nach sich ziehen. Ein nicht richtiges Handhaben von Maßnahmen kann einer kleinen Gruppe von Individuen unnötiges Leiden verursachen; aber das ist auch alles. Sterilisiert man zu wenig, werden unnötigerweise eine geringe Anzahl Defekter geboren. Sterilisiert man zu viel, wendet man insbesondere Zwangssterilisierung an, macht man auch unnötigerweise einen ganzen Teil Menschen unglücklich. Es kann sich jedoch hierbei, menschlich zu urteilen, nicht um eine größere Anzahl handeln. In Schweden hat man in den Jahren, in denen das Sterilisierungsgesetz angewandt wurde (eingeführt 1934) in keinem Jahr vor dem Ausbruch des [Z]weiten Weltkrieges mehr als dreihundert Individuen nach dem Gesetz sterilisiert. Als Kuriosität mag angeführt werden, dass, praktisch genommen, alle Sterilisierten Frauen waren. Nur etwa zehn Männer sind jährlich Gegenstand der Sterilisierung gewesen, und doch sollte es ja ungefähr gleich viele minderwertige Männer wie Frauen geben. In Wirklichkeit scheinen unter den Defekten die Männer in der Mehrheit zu sein, ein Verhältnis, das man sich bisher nicht hat erklären können. In Deutschland sterilisierte man im ersten Jahr der Anwendung des Sterilisierungsgesetzes 56000 Individuen. Diese Angabe stammt vom Jahre 1937. Man hat jedoch später keine Ziffern mehr veröffentlicht. Es besteht aber kein Zweifel, dass man sich in Deutschland der Sterilisierung in viel größerem Ausmaße bedient hat als in Schweden. Da man jedoch keine näheren Angaben veröffentlicht, fehlen bestimmte Anhaltspunkte zur näheren Beurteilung der Lage“. Vgl. Dahlberg (1947), S. 160–161. Eine Anfrage bei der Direktion der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen mit der Bitte um Einsichtnahme in Krankenakten von Patienten, welche im Zeitraum von 1933–1945 in der einstigen chirurgischen Klinik sterilisiert wurden, um somit eine even-

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Eine Antwort Meggendorfers auf Nachtsheims potenziell kooperationslancierende Anfrage zu möglichen EKT-Dosierungen bei Tierversuchen ist nicht bekannt. Vielmehr leitete Meggendorfer die Fragestellung am 10.03.1941 weiter an Pätzold: „Heute erhielt ich ein Schreiben, das ich Ihnen in Abschrift übermittle von dem Zoologen Professor Nachtsheim vom Institut für Vererbungs- und Züchtungsforschung in Berlin-Dahlem. Vielleicht könnte das Schreiben auch von Ihnen direkt beantwortet werden, namentlich auch bezüglich der Elektroden nach Braunmühl. Ich könnte es aber auch selbst schreiben; ich würde aber dann um nähere Angaben bitten“.89

Pätzold beantwortete am 12.03.1941 Nachtsheims Frage an Meggendorfer folgendermaßen: „Herr Prof. Meggendorfer gab uns Kenntnis von Ihrer Anfrage vom 7. März, die wir folgendermaßen beantworten. Unser Gerät zur Elektrokrampferzeugung ,Konvulsator‘ wird wahrscheinlich für die von Ihnen geplanten Tierversuche ohne weiteres geeignet sein. Bei den jetzigen Geräten beträgt der kleinste Wert des Behandlungsstromes 150 mA. Bei einer kürzesten Behandlungsdauer von 0,2 sec. Kann man somit bis auf die Elektrizitätsmenge von 30mAs herunterkommen. Dieser Wert stellt nur einen Bruchteil […] von dem dar, was man zur Auslösung eines Elektrokrampfes beim Menschen benötigt. Sollte sich jedoch zeigen, dass Sie noch wesentlich kleinere Milliampèresekunden für die Versuche an Kaninchen benötigen, so bietet sich nachträglich durch Einschalten entsprechend dimensionierter Ohm’scher Widerstände in die äusseren Zuleitungen zu den Elektroden ein bequemes Mittel, die an normalem Gerät einstellbare kleinste Dosis beliebig weiter zu reduzieren. Bezüglich Ihrer Frage nach brauchbaren Elektroden teilen wir Ihre Auffassung, dass für die Tierversuche wahrscheinlich die nach v. Braunmühl besser geeignet sind. Wir legen diesem Schreiben eine Abbildung sowohl der Stirnbandelektroden nach Prof. Meggendorfer als auch der Elektroden nach v. Braunmühl bei, und bitten Sie zu prüfen, ob deren Abmessungen überhaupt für Kaninchenversuche in Frage kommen. Der Durchmesse der Elektrodenfläche beträgt in beiden Fällen ca. 40mm […]“.90

Die von den SRW angedachte indirekte Kooperation zwischen Walter Kreienberg91 (1911–1994) und Meggendorfer bildet den Inhalt einer vertraulichen Mitteilung des Siemens-„E-Lab“.92 Der Physiologe Walter Kreienberg hatte 1937 bei Meggendorfer über „[d]ie Auswirkungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“93 promoviert. Kreienberg war 1933 in die SA und 1937 in die NSDAP eingetreten. Ab 1940 war Kreienberg im Hauptamt für Volksgesundheit tätig; er habilitierte sich im Physiologischen Institut der Universität Breslau 1942/43 über den Kohlenhydratstoffwechsel bei Sauerstoffmangel.94 Nach dem Krieg wurde Kreienberg Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer und erhielt 1971 das Große

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tuelle Überweisungspraxis der psychiatrischen Universitätsklinik bezüglich männlicher Patienten im Rahmen des GzVeN nachvollziehen zu können resultierte in einem persönlichen Gesprächstermin mit dem Klinikdirektor am 17.07.2012. Eine Akteneinsicht konnte infolge nicht gewährt werden. 50% der Sterilisierten seien Männer, 50% Frauen gewesen Vgl. Dross (2016b). Zur psychosozialen Untersuchung der Sterilisation des Mannes: Musselmann (1984). Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte Ebd. Zum Entlastungsschreiben Kreienbergs für Meggendorfer siehe S. 511, Fn. 82. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Kreienberg (1937). Vgl. Klee (2003), S. 338.

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Verdienstkreuz.95 Die Akademie für ärztliche Fortbildung Rheinland-Pfalz verleiht alljährlich die „Walter-Kreienberg-Medaille“ für Verdienste um die ärztliche Fortbildung. Von Kreienberg ließ sich Meggendorfer ein Entlastungszeugnis ausstellen.96 Die entsprechende Aktennotiz der SRW vom 19.07.1943 „Betr.: Konvulsator großer Leistung für Elektrokrampfversuche. Besuch des Herrn Stabsarzt Dr. Kreienberg am 17.7.43“97 lautet folgendermaßen: „Der Besuch des Herrn Stabsarzt Dr. med. habil. Walter Kreienberg […] war von der Dienststelle Unterdruckkammer der Fliegeruntersuchungsstelle 1/VIII, Breslau 16, Robert KochStraße 10, schriftlich angekündigt worden. […]. Es handelt sich um die Aufgabe, Elektrokrampfversuche an großen Hunden durchzuführen, für die die größte Stromstärke des listenmäßigen Konvulsators (etwa 500mA) nicht ausreicht. Wie Herr Dr. K. vertraulich berichtete, tritt bei Jägern, die in großer Höhe [mit] Sauerstoffmaske fliegen müssen, mitunter plötzliche Bewusstlosigkeit auf. Untersuchungen an derart abgestürzten Fliegern haben gezeigt, dass es sich offenbar um einen durch den Sauerstoffmangel verursachten Krampfzustand handelt, ganz derart, wie er bei Epilepsie und Elektrokrampf auftritt. Die Elektrokrampfversuche an Hunden sollen der Ermittlung von Abhilfemaßnahmen dienen. Für kleine Hunde reichen 500 mA vollständig aus, nicht jedoch bei großen Hunden von Menschengewicht. Herr K. erklärt dies damit, dass beim Hund die Elektrokrampfdosis wegen der primitiveren Struktur des Gehirns viel größer sei als beim Menschen. […]. Wir erwiderten, dass wir über einen Konvulsator für höhere [Strom]stärken (bis etwa 800mA) verfügen, der sich z. Zt. in der Univ.-Nervenklinik befindet und der voraussichtlich für die in Breslau geplanten Versuche eine Zeitlang leihweise zur Verfügung gestellt werden könnte, um zunächst festzustellen, ob bei den Hundeversuchen mit diesem Apparat erzielbare Stromstärke ausreicht. Es wurde zum Schluß vereinbart, dass wir, vorbehaltlich der Einwilligung des Herrn Prof. Meggendorfer, den Apparat […] der Dienststelle des Herrn Dr. Kreienberg für 2 Monate zur Verfügung stellen werden […]“.98

Die Quellen geben keinen Aufschluss darüber, ob Meggendorfer seine Einwilligung hierzu gab. Im Archiv der Goethe- Universität Frankfurt a. M. findet sich eine Korrespondenz zwischen Meggendorfer und dem Dekan der Medizinischen Fakultät Frankfurt a. M., Heinrich Guthmann (geb. 1893) vom 28.10.1943. Guthmann99 war seit 1938 Ordinarius für Frauenheilkunde an der Goethe-Universität100 und zudem Gaudozentenführer von 1940–1944. Er war „[e]rmächtigt zur Sterilisation per Strahlen“101 und galt „als Werkzeug des Gauleiters“.102 Guthmann war bereits vor eigener Ordinariatsübernahme am 30.06.1938 als geeigneter Vertreter der Universitäts-

95 Vgl. ebd. 96 Siehe hierzu S. 511, Fn. 82. 97 Klee (2003), S. 338. 98 Ebd. 99 „In Frankfurt angekommen empfing mich die Botschaft, dass bei meiner Frau infolge einer placenta praevia ein Kaiserschnitt notwendig geworden war. Meine Frau wäre fast verblutet, wenn nicht der einsichtige und tatkräftige Geburtshelfer Professor Guthmann sofort zum Messer gegriffen hätte“, so Kolle in seiner Biographie „Wanderer zwischen Natur und Geist“. Vgl. Kolle (1972), S. 77. 100 Empfehlenswert weiterführend Stuchlik (1984). 101 Klee (2003), S. 211. 102 Ebd.

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frauenklinik im Städtischen Krankenhaus Sachsenhausen unter Direktorat des Geheimen Hofrates Prof. Seitz mit einem Gutachten spezieller Art von der 1. Kammer der Erbgesundheitsgerichtes (EGG) Frankfurt a. M. (FfM) beauftragt worden. Am 19.08.1938 verfasste Guthmann unter dem AZ 92/93 XIII 199/38 folgendes Gutachten: „Auf Grund der eigenen Erfahrungen und des Studiums der geringen Anzahl der in die Literatur niedergelegten Fälle, muss ich zu einer Ablehnung eines Zusammenhanges zwischen dem damaligen Unfall und dem jetzt vorhandenen Schwachsinn des Kindes kommen. Als Folge einer traumatischen Verletzung einer Schwangeren oder infolge einer besonders starken seelischen Aufregung kann es praktisch nur zu einem früheren Einsetzen der Wehentätigkeit kommen. […]. Wie weit es sich um einen wirklichen erblichen Schwachsinn handelt, muss die Nachforschung des EGG ergeben“.103

Guthmann erbat von Meggendorfer eine Beurteilung zu Karl Leonhard (1904– 1988).104 Karl Leonhard komplettierte die Klassifikation der endogenen Psychosen durch Karl Kleist (1879–1960) auf Grundlage der psychopathologischen Beschreibungen Carl Wernickes (1848–1905) und Emil Kraepelins. Somit schuf Leonhard die differenzierteste Einteilung endogener Psychosen.105 Die Anfrage Guthmanns an Meggendorfer ist wohl weniger im Kontext nationalsozialistischer Gleichgesinnung zu sehen, als vielmehr im Rahmen dessen Beschäftigung mit Leonhards Systematik in Zusammenhang mit seinem Beitrag zur Erbpathologie der Psychosen in Günther Justs (1892–1950) Handbuch der Erbbiologie des Menschen aus dem Jahr 1939.106 Nach Meggendorfers Einschätzung von 1939 unternahm Leonhard „neuerdings den Versuch […], die Angstpsychose aus dem manisch-depressiven Erb- und Formenkreis abzugrenzen“,107 so sei nach Leonhard die Angstpsychose eine Erkrankung mit einer relevanten Erbkomponente, stünde in keiner Erbbeziehung zum manisch-depressiven Irrsein, sondern vielmehr zu den Psychosen des Involutionsalters.108 Vier Jahre später stufte Meggendorfer gegenüber Guthmann die Systematik Leonhards zwar als kaum durchsetzbar ein, seine Verdienste jedoch würdigte er: „Nach der Rückkehr von einer militärischen Kommandierung nach auswärts fand ich Ihr an den Herrn Dekan der hiesigen Medizinischen Fakultät gerichtetes Schreiben vom 28.10.43 vor. Ich habe mich immer für Herrn Dozent Dr. Leonhard interessiert, da er früher an hiesiger Klinik, allerdings unter meinem Vorgänger, später an der hiesigen Heil- und Pflegeanstalt tätig war.109 Ich kenne die meisten seiner Arbeiten. Ich habe Herrn L. immer wegen seines Fleißes 103 Institut für Stadtgeschichte FfM. III/5–85. Bestand Gesundheitsamt Akten zu Zwangssterilisationen. 4.553 Bl. 19–20. Zu Ludwig Seitz (1872–1961) siehe weiterführend S. 137, Fn. 585. 104 Siehe ferner: Leonhard (1995), Beckmann (1998), Neumärker (2008) und Braun/Kornhuber (2015b). 105 Vgl. Ausschnitt aus Zusammenfassung zu konzipiertem Symposium von Stöber/Braun/Kumbier/Leonhard für DGPPN-Kongress 2015, abgewiesen. Zu „Emil Kraepelins Lehre von den endogenen Psychosen“ siehe Roelcke (1996b). 106 Vgl. Meggendorfer (1939g). 107 Ebd., S. 1023. 108 Vgl. ebd., S. 1025–1026. 109 Zur akademischen Prägung Leonhards in Erlangen siehe ferner DGPPN-Kongressposter Braun/Kornhuber (2015c).

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit und seiner Unermüdlichkeit in der Umgruppierung der klinischen Krankheitsgruppen sehr geschätzt. Wenn auch manche seiner Neueingruppierungen sich kaum durchzusetzen vermögen, bleibt doch sicher manches erhalten und auf alle Fälle hat er durch seine Arbeiten sehr anregend gewirkt. M. E. erfüllt er in vollem Ausmaße die wissenschaftlichen Voraussetzungen für einen apl. Prof“.110

Meggendorfers Einschätzung in Bezug auf die unzureichende klassifikatorische Relevanz der letztlich von Leonhard ausdifferenzierten 35 Psychoseformen sollte sich zum Teil bewahrheiten. Die detaillierte Leonhardsche Klassifikation der endogenen Psychosen fand keine Berücksichtigung in den internationalen Klassifikationssystemen.111 Dennoch bietet die komplexe Leonhardsche Nosologie die Möglichkeit, „den psychopathologischen Blick zu schärfen und zu erweitern“.112 So besitzen Leonhards einleitende Worte zu seiner ersten Auflage der „Aufteilung der endogenen Psychosen“113 von 1957 einen eindringlichen Charakter: „Wenn die klinische Psychiatrie schwierig wird, so ist das nur ein Vorteil, denn auch die Schwierigkeit des Faches führt zu einer Vertiefung. Gerade die Leichtigkeit, mit der heute ein junger Psychiater seine Diagnose zu stellen vermag […] hat dazu geführt, dass viele überhaupt nicht mehr lernen, ein psychiatrisches Bild richtig zu sehen und zu beschreiben“.114

Zusätzlich ermöglicht die Leonhardsche Klassifikation die Möglichkeit, differenziert biologisch-psychiatrisch und neuropsychiatrisch-genetisch zu forschen.115 Dieser Forschungsansatz wird international wahrgenommen.116 Anhand der Vorstellung von (leider nur 2) Angst-Glücks-Psychose-Krankengeschichten117 bekräftigt eine Forschungsgruppe aus Harvard die Leonhardsche Auffassung, zumal sich die psychopharmakologische Behandlung der Leonhardschen Zykloiden Psychosen (LZP) unterscheidet von den medikamentösen Strategien bei bipolar-affektiver Störung und bei Schizophrenie.118 Die Leonhardsche phänomenologische Betrachtungsweise in der Tradition der Wernicke-Kleist-Leonhard-(WKL)-Schule liefert auch relevante Impulse für eine differenzierte psychopathologische Befundung mit einer individualisierten Therapieoption. So motivieren Harel et al. zu einer phänomenologischen Herangehensweise, um die affektiven Auffälligkeiten bei Multipler 110 UAF: Abt 4 Nr. 1454 K. 111 ICD: International Classification of Diseases; DSM: Diagnostic and Statistical Manual. Die Leonhardschen Zykloiden Psychosen (LZP: Motilitätspsychose, Angst-Glücks-Psychose, Verwirrtheitspsychose) gehen z. B. undifferenziert ein in die „akut polymorph psychotische Störung“ (ICD-10: F23). Vgl. 13. Fortbildungsveranstaltung der Internationalen Wernicke-KleistLeonhard Gesellschaft. Würzburg, 25.07.2014, Abschlussdiskussion. Zur „Ambivalenz psychiatrischer Klassifikationen“ siehe Roelcke (2015b). 112 Hohl-Radke (2007), S. 32. Siehe ferner Szewczyk (1985). 113 Leonhard (1957). 114 Ebd. S. 3. 115 Vgl. Schanze et al. (2012). Siehe ferner auch Jabs et al. (2002). 116 So empfehlen Vertreter der Harvard Medical School in einer Publikation von 2008 “that the cylcloid psychosis concept should be reconsidered both for clinical diagnosis and to provide relatively homogenous disorders for genetic, physiological, neuroimaging, therapeutic and other types of research”. Vgl. Salvatore et al. (2008), S. 177. 117 Vgl. ebd., S. 168–169. 118 Vgl. ebd., S. 177.

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Sklerose entweder als genuines Element der chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankung oder aber als psychiatrische Komorbidität zu präzisieren. Traditionell werde der Affekt entweder als gedrückt oder als gehoben bezeichnet. Aufgrund dieser Dichotomie würden die verschiedenen Spielarten der affektiven Verfassung oft nur unzureichend spezifisch definiert. Harel et al. befürworten einen phänomenologischen Ansatz119 in Bezug auf die Erfassung einer Dysregulation des Affektes (DyA).120 In Bezug auf die Rolle Leonhards als Psychiater in der NS-Zeit121 wurde 2004 eine Kontroverse122 zwischen Hans-Ulrich Deppe123 und Hans-Joachim Bochnik124 im Sinne eines Beschuldigungs- und Entschuldigungswetteifers an die Öffentlichkeit getragen.125 In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass Ottmar von Verschuer, dessen „Lieblingsschüler“126 der NS-Kriegsverbrecher127 Josef Mengele (1911– 1979) war, neben Karl Kleist als Gutachter für Leonhards Habilitationsschrift fungierte. 3.1.5 Exkurs: psychiatrische Relevanz der Enzephalitiden – einst und jetzt Wenn Meggendorfer angab, die meisten Werke des unter Gustav Specht in Erlangen tätigen Kollegen Leonhard zu kennen, so mag er auch dessen Beitrag für die 119 “Phenomenology offers an access to subjective experience as a meaningful and coherent structure”. Vgl. Fuchs (2017). 120 Bei 651 Multiple Sklerose (MS)-Patienten detektierten Harel et al. das Auftreten von DyA, definierten psychopathologische Komorbidität und setzten diese in Relation zu anderen Krankheitsvariablen. Gemäß ihrer Ergebnisse trat bei 1/3 der MS-Patienten mit DyA keine psychiatrische Komorbidität auf, bei 2/3 der MS-Patienten mit DyA traten komorbide psychotische-, affektive-, kognitive- oder Persönlichkeitsstörungen auf. Bei diesen Patienten könne die DyA in Bezug stehen zur psychiatrischen Komorbidität, zur MS, oder zu beidem. Wenn eine DyA vor der Diagnosestellung einer MS auftrete oder sich als deren klinische Erstmanifestation zeige, werde die MS-Diagnosestellung schwierig und teils verzögert. Harel et al. betonen, DyA könne vergleichbar mit einer Neuritis nervi optici (NNO) als Erstsymptom einer beginnenden MS gewertet werden. Die Ergebnisse von Harel et al. zeigen keine signifikante Korrelation zwischen DyA und MS-Aktivität. “We further attempted to apply an inclusive phenomenological approach to DyA among MS patients. A salient point in the diagnosis of DyA thus becomes syntonicity. […] ego-dystonic (full insight) […] ego-syntonic (no insight)”. Vgl. Harel et al. (2007), S. 97. Gemäß dem phänomenologischen Ansatz von Harel et al. lässt sich durch EgoSyntonizität, sprich fehlender Einsicht, eine DyA im Rahmen einer genuin psychiatrischen Grunderkrankung von einer MS-assoziierten DyA, z. B. im Rahmen einer pseudobulbären Beteiligung differenzieren. Bei letzterer lasse sich Ego-Dystonizität, sprich erhaltene Einsicht im psychopathologischen Befund abbilden. Vgl. Braun (2016a) und Harel et al. (2007). 121 Leonard wurde am 09.11.1946 als „Mitläufer“ eingestuft. Vgl. HHStA 520/11 Abt: 11187/1. 122 Die Rolle Leonhards als NS-Hochschulpsychiater kann als bisher unzureichend aufgearbeitet gelten. 123 Geb. 1939, ehemals Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie/FfM. 124 (1920–2005), emeritierter Ordinarius für Psychiatrie/FfM. 125 Vgl. hierzu: Bochnik (2004a) und (2004b); Deppe (2004). 126 Segal (1991), S. 173. 127 Siehe ferner Dimsdale (2016).

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Festschrift zum 70. Geburtstag seines Amtsvorgängers gekannt haben. Da sich Meggendorfer selbst knapp zehn Jahre im Vorfeld ebenfalls mit der epidemischen Encephalitis in Vorträgen128 und Veröffentlichungen129 auseinandergesetzt hatte, kann davon ausgegangen werden, dass er Leonhards Arbeit über „[p]artielle Schlafzustände mit Halluzinationen bei postencephalitischem Parkinsonismus“130 mit besonderem Interesse verfolgte. Die epidemische Encephalitis stellte „[s]eit einer 1916–1927 aufgetretenen Epidemie“131 eine „noch sporadisch auftretende Erkrankung“132 dar. Ein durch Streptokokken der Gruppe A getriggerter Autoimmunprozess gegen Neurone der Basalganglien gilt beteiligt an der Entstehung. Die Encephalitis manifestiert sich oft im Anschluss an eine Infektion des oberen Atmungstraktes durch Schlafstörungen mit Störung des Schlafwachrhythmus, Hypersomnie, Insomnie, Parkinsonismus, Dyskinesien, Lethargie133 sowie durch weitere neuropsychiatrische Symptome, wie Demenz oder Wesensänderung. Eine etablierte Therapie ist nicht bekannt, nach Einzelfallberichten sollen Steroide eine gute Wirksamkeit zeigen.134 Am 22.11.1921 referierte Meggendorfer vor der Ärztlichen Vereinigung in Hamburg zur postencephalitischen Paralysis agitans. Er unterschied darin zwei Gruppen. Zum Ersten „diejenige, bei der die Encephalitis zunächst ein schweres Krankheitsbild bietet, dann abheilt, unter Temperatursteigerungen rezidiviert und schließlich alle Übergänge aus der Chorea-Athetose zum Parkinsonschen Bild bietet“135

128 „Postencephalitische Paralysis agitans“. Vortrag von Meggendorfer vor der Ärztlichen Vereinigung, Hamburg, Sitzung vom 22.11.1921. 129 Siehe hierzu Meggendorfer (1921a) und (1922b). 130 Leonhard (1930). 131 Hufschmidt/Lücking (2006), S. 171–172. 132 Ebd. 133 Daher wurde die von Economo erstbeschriebene Enzephalitis epidemica auch als Encephalitis lethargica oder Schlafkrankheit bezeichnet. Oliver Sacks beschreibt in seinem Werk „Awakenings“ die „Zeit des Erwachens“ mancher Enzephalitis epidemica-Patienten durch L-DopaApplikation in den 60er Jahren. Empfehlenswert hierzu auch die Verfilmung von Penny Marshall mit Robert de Niro als Enzephalitispatient von 1991. Mit Hilfe eines Verweises auf Rilke liefert der mutistische, an Enzephalitis erkrankte Protagonist Lennart eine Beschreibung seines Zustandes in Analogie zu einem eingesperrten Raubtier: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf –. Dann geht ein Blick hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein“. Vgl. Rilke (1903), zit. n. Echtermeyer (2005), S. 450. Siehe auch Sacks (1990). 134 Vgl. Hufschmidt/Lücking (2006), S. 171–172. 135 Der Vortrag Meggendorfers wurde referiert von Friedrich Wohlwill (1881–1958). Vgl. Wohlwill (1922), S. 512. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Friedrich Joachim Wohlwill (1881–1958) handelt, welchen Martin et al. in ihrer Tabelle “Expelled and murdered neurologists and neuroscientists” aufführen. Vgl. Martin et al. (2016e), S. 237.

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und zum Zweiten „leicht verlaufende Encephalitiden mit allmählichem Übergang zur Paralysis agitans ohne stürmische Erscheinungen, ohne Temperatur“.136 1922 publizierte Meggendorfer zur chronischen Encephalitis epidemica. Die Krankheitsgeschichte der 38-jährigen Näherin A. Hoffert bildet den Inhalt der siebten Fallbeschreibung in Meggendorfers Publikation. Zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme am 07.05.1921 berichtete die Patientin, „[s]ie sei sehr aufgeregt, habe viel Kopfschmerzen, möchte oft alles zertrümmern. Sie habe sich aber noch so weit in der Gewalt, dass sie diese Gedanken nicht zur Äußerung brachte. Ihr Gedächtnis sei ganz furchtbar schlecht geworden. Sie schlafe sehr wenig. Außerdem vergesse sie alles. Sie sei mit ihrem Geld sehr nachlässig umgegangen; […]. Ihren Haushalt habe sie bis zuletzt selbst geführt, nur sei sie in den letzten Wochen etwas im Rückstand geblieben. Sie habe überhaupt in allem nachgelassen, […] überhaupt sei sie in allem langsam geworden. Sie habe oft dasselbe gesprochen […] Sie habe nicht still sitzen können. Mit den Händen habe sie oft ‚so komisch gekrabbelt‘. Sie habe bis zuletzt ganz gut gehen können, nur am letzten Tag habe sie sich ab und zu nach vorne geneigt und versagt“.137

Im weiteren Verlauf des Klinikaufenthaltes bis zu ihrem Exitus am 30.01.1922 trug die Patientin mehrmals deutlich angstbesetzte Ideen in humoristischer Art vor, so äußerte sie im Rahmen einer Visite spontan: „‚Nicht wahr, Herr Doktor, die Anatomie138 hat gewiss viel zu tun?‘ Auf die Frage, was sie mit dieser geheimnisvollen Andeutung sagen wolle, erklärte sie, sie habe es wohl gesehen, aber sprechen wolle sie nicht darüber. Auf Zureden erzählte sie aber dann, sie habe vom Klosettfenster aus große Kübel gesehen und darin seien Fleischteile gewesen und daneben habe sie Blumen gesehen; […]. Die Kranke lief auch zuweilen ohne Grund aus dem Bett und fand sich [sic] dann nicht mehr in ihr Bett zurück. Sie fand sich [sic] nicht mehr allein von ihrem Bett zur Toilette und zurück, sondern verlief sich, stetig in ein falsches Bett“.139

Meggendorfer betonte eine progredient schwerfälliger und undeutlicher werdende Sprache und den körperlichen Verfall bis hin zur Bettlägerigkeit: „sie wurde so hilflos, dass sie sich nicht einmal selbst umdrehen konnte. Dabei traten besonders akustische Sinnestäuschungen hervor“.140 Im Rahmen einer am 27.07.1921 durchgeführten Intelligenzprüfung zeigte sich die Patientin durchweg orientiert und stellte ein gutes Allgemein- und Schulwissen unter Beweis:

136 Meggendorfer, zit. n. Wohlwill (1922), S. 512. 137 Meggendorfer (1922b), S. 189. 138 „In den 1980er Jahren warfen zuerst der Historiker Götz Aly und der Genetiker Benno MüllerHill kritische Fragen über die Herkunft der anatomischen Präparatesammlungen der anatomischen Präparatesammlung des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie in Berlin auf, die sich noch im Besitz der Max-Plack-Gesellschaft befanden. Das Schweigen der Anatomen zu den von ihnen genutzten NS-Opfern wurde zum ersten Mal an der Universität Tübingen im Jahr 1988 gebrochen. Die Tübinger Untersuchung gilt noch heute wegen ihrer Transparenz und Konsequenz als vorbildlich. Sie führte dazu, dass Präparate aus der NS-Zeit identifiziert und bestattet wurden und der Opfer gedacht wurde“. Vgl. Redies/Hildebrandt (2012), S. A 2414. Zur „Universität Tübingen im Nationalsozialismus“ siehe Wiesing (2010). 139 Meggendorfer (1922b), S. 190. 140 Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Sie wusste über Geographie, geschichtliche und politische Dinge Bescheid, wusste, wer Goethe,141 Böcklin, Wagner waren. Auch Kopfrechnen ging mit kleinen Zahlen leidlich, bei größeren versagte die Merkfähigkeit. Auch eigentliche Intelligenzfragen beantwortete die Pat. erstaunlich gut; z. B. Unterschied zwischen Korb und Kiste: ‚Korb ist Geflecht, Kiste, das sind Bretter‘. Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz: ‚Sparsamkeit geht bis zu einer bestimmten Grenze, dann fängt der Geiz an, wenn man sich auch das Unentbehrliche nicht mehr gönnt‘. Wo lebt und wovon nährt sich der ägyptische Aasgeier? ‚Das sagt ja der Name!‘“142

Im weiteren Verlauf schilderte Meggendorfer eine zunehmende Merkfähigkeitsstörung mit Konfabulationen sowie vierfache Desorientiertheit. Zur diagnostischen Komplexität der Erkrankung der Patientin führte Meggendorfer aus, initial habe man den Verdacht auf das Vorliegen einer Paralyse gestellt, welcher jedoch bei blander serologischer Untersuchung sowie erhaltenen Pupillenreaktionen und regelrechtem Reflexstatus nicht habe bestätigt werden können. „Die weitere Entwicklung sprach wegen der zerfahrenen Wahnideen, der vorwiegend akustischen und körperlichen Sinnestäuschungen mehr für eine schizophrene Psychose, eine Diagnose, die aber wegen des organischen Eindrucks, den die Kranke von Anfang an machte, nie ernstlich gestellt wurde“.143

Meggendorfer betonte das Hinzutreten relevanter körperliche Symptome, nämlich „maskenartige Starre der Mimik, Haltungsanomalien, eigentümliche ruckartige Bewegungen, Pro- und Retropulsationen bis zur vollständigen Unfähigkeit zu gehen und zu stehen, schließlich auch Reflexanomalien“.144

Vor diesem Hintergrund habe man die Differentialdiagnosen eines Stirnhirntumors in die nähere Erwägung gezogen, wobei das Fehlen sämtlicher Hirndrucksymptome und die offensichtlich diffuse Beteiligung unterschiedlicher Hirnregionen eher dagegen sprachen.

141 „An Ostern begann das festliche Familienfrühstück erst, wenn Vati den ‚Osterspaziergang‘ aus Goethes Faust vorgetragen hatte. Überhaupt kann ich mich erinnern, dass er gerne Goethe, andere Dichter und Philosophen zitierte und uns gelegentlich vorlas […]“. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. Auch Walter Jacobi mahnte in seiner Weygandt zugeeigneten Schrift von 1930 in Rückbezug auf Honigmann (1922) sowie auf Bier (1927a), (1927b) und (1927c) „mehr Goethe“ an: „Goethe vereinigte Verstand mit Intuition und Phantasie, Dichtung mit exakter Wissenschaft und viele andere Gegensätze zur Harmonie“. Vgl. Jacobi (1930), S. 130. Mit Bier als Rekurrenz gemeint ist August Bier (1861–1949), der 1898 einen Selbstversuch mit der Lumbalanästhesie vornahm und welcher 1899 als Ordinarius für Chirurgie nach Greifswald, 1903 nach Bonn und 1907 nach Berlin berufen wurde. Viele seiner Schriften gelten auch für Nervenärzte bedeutsam. Vgl. Kreuter (1996), S. 131. Siehe ferner Bier (1926a), (1926b), (1927a), (1927b), (1927c) und (1928). Zur Person des von Jacobi zitierten Honigmann findet sich lediglich der deutsche Byzantinist Ernst Honigmann (1892 – 1954). Vgl. hierzu auch Personalbogen Honigmanns in http://bbf.dipf.de/ kataloge/archivdatenbank /digiakt.pl?id=p99488. Stand vom 29.05.2016. Es muss jedoch als fraglich gelten, ob es sich hierbei um den von Jacobi gemeinten Honigmann handelt, eine Schrift von 1922 konnte bei Ernst Honigmann von der Verfasserin bislang nicht detektiert werden. 142 Meggendorfer (1922b), S. 201. 143 Ebd., S. 207. 144 Ebd., S. 207–208.

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„Es ist hier eine gewisse Ähnlichkeit mit den postencephalitischen Krankheitsbildern nicht zu verkennen, wenn sich auch die initialen grippösen Erscheinungen und die akute Enzephalitis selbst nicht nachweisen lassen“.145

Meggendorfer wies „[a]ngesichts der im vorstehenden [sic] angedeuteten Vielgestaltigkeit der chronischen Encephalitis und der weiten Verbreitung der ‚Grippe‘“146 auf die Gefahr vor einem ungebührlichen Überspannen des Krankheitsbegriffes der chronischen Encephalitis hin: „Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen und keineswegs einer kritiklosen Diagnosenstellung in dieser Richtung das Wort reden“.147 Zusammenfassend betonte Meggendorfer auch die Ähnlichkeit zu dem kürzlich von Jakob beschriebenen Fall von spastischer Pseudosklerose. Diese klinisch differentialdiagnostische Skepsis Meggendorfers motivierte ihn zu Nachuntersuchungen, welche letztlich eine Einordung als CJD ermöglichten. Sie führten zu Meggendorfers bahnbrechender Entdeckung der Familiarität als Entstehungsmechanismus der CJD, aufgezeigt anhand der Familie Backer.148 Im Kontext dieser klinischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung Meggendorfers mit der Encephalitis epidemica149 könnte auch die Anfrage Guthmanns bei Meggendorfer bezüglich der Wertung von Karl Leonhard einzuordnen sein. Karl Leonhard nämlich beschrieb 1930 ausführlich das postenzephalitische Krankheitsbild eines „Amyostatischen Symptomenkomplex[es]150 mit halluzinatorischen Erlebnissen“151 von „Frau N. R“.152 Im Zustand nach einer 1920 erlittenen „Kopfgrippe“153 litt die Patientin zum Zeitpunkt der Vorstellung in der Psychiatrischen Klinik „an einem schweren Parkinsonismus […]“.154 Die Autorin konnte die entsprechende Patientenakte auffinden.155 Frau N. R. wurde in der Erlanger Universitätspsychiatrie im Zeitraum vom 15.03.1930 bis 19.04.1930 behandelt.

145 146 147 148 149

Ebd., S. 208. Ebd., S. 209. Ebd. Siehe hierzu Kapitel 2.2.4, v. a. S. 74–80. Syn. für Encephalitis lethargica: „Die Krankheit wurde von vielen Psychiatern gründlich studiert, auch im Sinne einer Modellpsychose. Man rechnet mit dem Wiederauftreten einer Epidemie“. Vgl. Peters (2011), S. 159–160. Siehe ferner Ewald (1925). 150 In seinem Lehrbuch von 1948 beschrieb Leonhard das amyostatische Syndrom als das neurologische Äquivalent des metencephalitischen [Metencephalon: Hinterhirn, Teil des Rhombencephalons] Zustandes mit „Rigor, Amimie, Fehlen der Mitbewegungen, Adiadochokinese, Propulsion, Retropulsion, Antagonistentremor“. Vgl. Leonhard (1948), S. 193. 151 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 125/30. 152 Leonhard (1930), S. 235. 153 Ebd., S. 236. 154 Ebd., S. 243. 155 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 125/30.

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Abb. 28: Krankenblatt der N. R.156

Meggendorfer könnte sich insbesondere interessiert haben für Leonhards Beobachtungen von „Trugwahrnehmungen […] in fester Verbindung mit gewissen halbschlafartigen Zuständen, wodurch dem Bilde sein besonderes Gepräge verliehen wird“.157 Meggendorfer nämlich sah 1921

156 Ebd. 157 Leonhard (1930), S. 235.

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„[e]ine weitgehende Übereinstimmung von Encephalitis lethargica, normalem Schlaf und Scopolaminwirkung158 […] [als] nicht von der Hand zu weisen, wenn sich gewiss auch mühelos Unterschiede nachweisen ließen“.159

Nach Leonhard zeigte sich N. R. bei Klinikaufnahme seit einigen Wochen gequält von „hypnotischen Schlaf“.160 „Sie merkt das Herannahen desselben, möchte sich dagegen wehren, kann aber nicht, sie fühlt sich wie gewaltsam hineingezwungen“.161 Während N. R. für den Außenbetrachter schlafend wirkte, beschrieb sie

158 Hierzu soll ein Ausschnitt aus Meggendorfers Arbeit über die Intoxikationspsychosen angeführt werden: „Das Scopolamin oder Hysocin ist eines der wirksamsten Alkaloide des Bilsenkrautes, Hysoscyamus niger. Es wird therapeutisch als Scopolaminum hydrobromicum verwendet. Es wirkt nach Meyer-Gottlieb nicht wie die eigentlichen Hypnotika auf Zentren der Sinneseindrücke und der Auffassung, sondern zunächst auf motorische Zentren, die, wie ich aus klinischen Beobachtungen schloss, in den großen basalen Ganglien gelegen sind. In diesem Stadium ist das Bewusstsein noch erhalten; die Wahrnehmungen können aber durch Sinnestäuschungen verfälscht werden. Erst dann tritt der Schlaf ein. Gleichzeitig mit der motorischen Lähmung werden auch die sympathischen Zentren befallen; es kommt zur Verminderung der Sekretion, die besonders als Trockenheit im Halse und als Durstgefühl empfunden wird; starke Mydriasis und Lähmung der Akkomodation machen sich geltend. Eine Gefahr liegt darin, dass die Lähmung auf das Atemzentrum übergreifen kann. Schon bei der therapeutischen Anwendung des Scopolamins kommt es vor, dass einzelne Kranke, die sonst nicht halluzinieren, aber, wie Bumke animmt, besonders disponiert sind, statt der gewünschten Schlafwirkung oder vor dieser Sinnestäuschungen bekommen. Klinke, Konrad, neuerdings Mannheim und mehrere andere Ärzte konnten in Selbstversuchen mit Einspritzungen von je 1 mg Scopolamin massenhaft Illusionen und in geringerem Maße Halluzinationen mit Wirklichkeitscharakter, mit und ohne Realitätsurteil, besonders des Gesichts und des Gehörs, beobachten, überhaupt schien ihnen die Wahrnehmungswelt ins Zauberhafte, Romantisch-Märchenhafte verändert. Dabei war die Stimmung gedrückt; es bestand eine ‚gelähmte‘ Verdrossenheit, das Lebensgefühl lag darnieder, jede Spontaneität und Aktivität kam ihnen abhanden. Deliriöse [sic] Erscheinungen beobachtete auch Sudler bei einem Augenkranken, dem vom Arzte 0,007g Scopolamin in die Augen eingeträufelt worden war. Chronischer Scopolaminmissbrauch kann nach den Untersuchungen von Schaltenbrand bei Kranken mit metenzephalitischen Parkinsonismen, nicht aber bei Gesunden zur Scopolaminsucht führen. Bei diesen Kranken ist eine deutliche Gewöhnung zu beobachten; die Toleranz für das Gift steigt, die Kranken haben ein starkes Verlangen nach dem Mittel, bei Entzug treten Ausfallserscheinungen ein. Während die Scopolaminsucht der Kranken mit metencephalitischem und genuinem Parkinson, wie Démètre und Tomovici besonders betonen, ohne toxische und trophische Störungen einhergeht, werden bei anderen Kranken, die längere Zeit Scopolamin gebrauchten, lebhafte Sinnestäuschungen und Delirien beobachtet. Sieht man sich die bisher veröffentlichten Fälle näher an, so handelt es sich allerdings stets um Personen, bei denen entweder hysterische oder epileptische Veranlagung oder gleichzeitig Morphin- oder Alkoholmissbrauch vorlag. […] . Auch die [Atropin-] Wirkung ist der des Scopolamins sehr ähnlich, doch ist es giftiger und wirkt rascher“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 378–381. 159 Meggendorfer (1921a), S. 161. 160 Leonhard (1930), S. 235. 161 Ebd., S. 243.

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großen Leidensdruck durch „Trugwahrnehmungen von großer sinnlicher Deutlichkeit“.162 Vornehmlich träten optische, teils auch akustische Halluzinationen auf.163 „Es erscheinen Männer und Frauen, die ihr Nadeln durch den Kopf, durch die Beine stechen, die ihr die Brust zusammendrücken, die ihr drohen, sie auffordern, sich zum Fenster hinauszustürzen. Sie sieht deutlich die Gestalten, fühlt deutlich den Schmerz, hört deutlich das Sprechen. Schlangen und Ratten kommen zu ihrem Bett herauf. Sie sieht die langen Schneidezähne der letzteren, fühlt einen lebhaften Schmerz, wie sich diese Zähne in ihre Hand einbohren. In langer Reihe ziehen Menschen an ihr vorüber wie Geistererscheinungen“.164

Die phänomenologische Betrachtungsweise Leonhards zielte mitunter darauf ab, psychopathologische Befunde mit Abgrenzungspotential organischer vs. endogener Psychosen mittels minutiös deskriptiver Beschreibung zu präzisieren. Wie einst die – nach aktueller Kenntnislage mikrobakteriell-getriggerte autoimmun vermittelte – Encephailits epidemica zur klinischen Betrachtung des Psychiaters kam, so werden aktuell Patienten mit autoimmun getriggerten anti- N-methyl-D-aspartate-Receptor (anti-NMDA-R) limbischen Encephailitiden psychiatrisch (erst)vorstellig.165 Eine Arbeit der japanischen Gruppe um Kanbayashi et al. betont die Relevanz einer guten Psychopathologieschule in der Nachfolge Leonhards für die Differentialdiagnose einer limbischen Enzephalitis166 und weist auf die gute Wirksamkeit der modifizierten EKT bei dieser autoimmunen Enzephalitis hin.167 Für Meggendofers Festschrift beschäftigte sich sein Assistenzarzt Ernst Haege mit der Frage nach der Bedeutung der Intervalllänge zwischen akutem und chronischem Stadium der Encephalitis epidemica.168 Abgesehen von einem bewussten 162 Ebd. 163 Auch Destunis von der Universitäts-Nervenklinik der Charité Berlin unter Max de Crinis publizierte noch 1943 zum chronisch encephalitischen Prozess mit schizophrenieähnlichem Bild. Vgl. Destunis (1943). 164 Leonhard (1930), S. 243–244. 165 “Given the neuropsychiatric symptoms in the relatively early phase of the illness, approximately 77% of the patients are first evaluated by a psychiatrist. Earlier recognition of this illness is of paramount importance as prompt diagnosis and treatment can potentially improve prognosis”. Vgl. Kuppuswamy et al. (2014), Abstract. Empfehlenswert zur Anti-NMDA-RezeptorEnzephalitis als wichtige Differentialdiagnose der Katatonie bei jungen Ersterkrankten siehe Stanischewski et al. (2013). Verwiesen sei auch auf Steiner/Falkai (2016). 166 “Thereafter, we have also found anti-NMDAR antibody positive patients of young females with acute florid psychiatric symptoms without clinical signs of encephalitis. The features of these patients mirror-those of ʻAtypical psychosisʼ proposed by [Hisatoshi] Mitsuda [gest. 1979] in Japan, a notion derived from ʻCycloid psychosisʼ conceptualized by German psychiatrist, Leonhard. Both cycloid and atypical psychosis have coinciding features of acute onset, emotional disturbances, psychomotor disturbances, alternations of consciousness, high prevalence in women and oriented premorbid personality”. Vgl. Kanbayashi et al. (2014), Abstract. 167 “Both malignant catatonia and atypical psychosis have been known to be effectively treated with modified electroconvulsion therapy (m-ECT). Our 5 cases with anti-NMDAR antibody, m-ECT treatments were effective [sic]. Infectious encephalitis is contra indication of m-ECT, but this autoimmune encephalitis would be careful indication”. Vgl. ebd. 168 „das akute Stadium der Economoschen Krankheit spielt gegenwärtig eine geringere Rolle, weil in den letzten fünf Jahren in Deutschland nur noch sporadisch akute Fälle aufgetreten sind. Die

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Rückgriff auf eine von Meggendorfer – an Pionierstellung bezüglich Differentialdiagnose – beforschte Thematik, benannte Haege als zusätzliche Arbeitsmotivation die Tatsache, dass erneut relativ oft chronische Encephalitiker mit teils längerem freien Intervall zur klinischen Beobachtung kämen. Er sei auf die Fragestellung Kurt Beringers (1893–1949)169 zurückgekommen und habe sämtliche Krankenunterlagen mit der sicheren Diagnose einer chronischen Enzephalitis epidemica oder eines amyostatischen Symptomenkomplexes seit 1920 einer genauen Durchsicht unterzogen.170 In den Jahren 1918 und 1919, so Haege, war kein Patient mit der Diagnose eines amyostatischer Symptomenkomplex nach stattgehabter Encephalitis in der Klinik behandelt worden. Auch die Krankenunterlagen sämtlicher in diesem Zeitraum vorstelligen Paralysis agitans- und Hysteriefälle hätten keinen Hinweis auf eine stattgehabte Enzephalitis ergeben. Haege schilderte die Krankengeschichte der 28-jährigen Arbeiterin G., die im September 1937 in die Klinik aufgenommen worden war. Mit 11 Jahren habe sie einige Tage hohes Fieber, Kopfschmerzen und erhöhtes Schlafbedürfnis gehabt. Eine relevante Verlangsamung des Arbeitstempos in der Porzellanfabrik sei erst Anfang 1937 aufgefallen. Zeitgleich hätten sich permanente Cephalgien eingestellt: „Bei der Untersuchung fand sich eine bewegungsarme Mimik, beim Gang fehlten die Mitbewegungen links, die Hand stand etwas in Pfötchenstellung und zitterte. An der Muskulatur der ganzen linken Seite bestand deutlicher Rigor, ebenso in der Nackenmuskulatur. Feinere Bewegungen konnten mit der linken Hand nicht ausgeführt werden. Sonst bot die neurologische wie interne Untersuchung keine Besonderheiten. Psychisch war G. völlig frei und unauffällig.

chronische Encephalitis epidemica beschäftigt uns dagegen heute noch genau so [sic] wie vor 20 Jahren, als man sie mit der Paralysis agitans verwechselte, denn die Zahl der Kranken, die in den meisten Fällen während der Hauptepidemien ihr akutes Stadium durchgemacht haben, ist in dieser Zeit außerordentlich groß geworden und nimmt immer noch zu, wie verschiedene kasuistische Mitteilungen in den letzten drei Jahren […] annehmen lassen. Im Jahre 1920 hat Meggendorfer als erster einen Fall von ‚Grippe-Encephalitis lethargica mit chronischem Verlauf‘ vorgestellt, die die gleiche Symptomatologie bot, die uns auch heute noch die Diagnose ‚Chronische Encephalitis epidemica‘ stellen lässt. Ein Jahr später hat er den Fall in einer größeren Arbeit noch einmal beschrieben und dabei ausgeführt: ‚Es besteht für mich kein Zweifel, dass sich derartige Fälle jetzt in größerer Zahl einstellen werden‘“. Vgl. Haege (1940), S. 291. Zu Constantin von Economo (1876–1931) siehe auch Sak/Grzybowski (2013). Auch Karl Leonhard publizierte zu „[l]ange[n] Intervalle[n] zwischen akuter Encephalitis epidemica und dem parkinsonistischen Folgezustand“. Vgl. Leonhard (1937). 169 Weiterführend Beringer (1937b). 170 „Zusammenfassung: Es wurde über 107 chronische Encephalitiker mit Parkinson-Erscheinungen berichtet, von denen bei 21 die akute Erkrankung zehn oder mehr Jahre zurücklagen [sic]. Das längste Intervall betrug 20 Jahre. In der Zwischenzeit waren sie arbeitsfähig und hatten angeblich keinerlei Krankheitserscheinungen. Es war aber auch nicht bei allen Fällen mit absoluter Sicherheit festzustellen, dass ein völlig freies Intervall vorgelegen hat, sondern es dürfte sich nur um soziale Heilungen gehandelt haben. Das akute Stadium war durch kurze Dauer und leichten Verlauf mit Augenmuskelstörungen, Schlafsucht bzw. Schlaflosigkeit gekennzeichnet, während vegetative Erscheinungen fehlten. Diese waren den Fällen mit kurzem Intervall in 77% eigentümlich. Auch das erst spät einsetzende chronische Stadium zeigte keinen so schweren Verlauf und bot weniger Zeichen einer zunehmenden Progredienz und rasch einsetzender Arbeitsunfähigkeit“. Vgl. Haege (1940), S. 300.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit Schauanfälle171 konnten während des Klinikaufenthaltes nur einer, am zweiten Tage nach der Aufnahme, beobachtet werden [sic]. In der Folgezeit blieben sie aus“.172

Zusätzlich schilderte Haege die Kasuistik des längsten bisher in der Erlanger Klinik beobachteten symptomfreien Intervalls. Der 35-jährige Straßenaufseher P. wurde im Mai 1939 in der Klinik vorstellig. Im Alter von 14 Jahren erlitt er 1918 eine „Kopfgrippe“, wobei er seine Arbeitsfähigkeit bereits nach 2 Wochen wiedererworben hatte. 20 Jahre später kam es zu einem Tremor des rechten Armes. Zum Zeitpunkt der Klinikvorstellung hatte er eine leicht „vornübergebeugte“ Haltung, wobei der rechte Arm, leicht angewinkelt an den Körper gepresst wurde. „die Mimik ist starr […]. Die Sprache ist hastig, manchmal ist Palilalie173 zu bemerken. Am rechten Arm und Bein finden sich deutliche Tonusvermehrung, im Sinne des Rigor, und grobschlägiger Tremor“.174

Haege schlussfolgerte, bei 89% der Patienten mit einem langen Intervall bis zur Manifestation der Spätkomplikationen habe er im akuten Stadium die charakteristischen Symptome wie Schlafsucht, Augenmuskelfunktionsstörungen, Kopfschmerz, Fieber und/oder Abgeschlagenheit feststellen können. „Agrypnie“175 anstelle der Schlafsucht habe er in einigen Fällen vorgefunden. Hypersomnisch-ophthalmologische Erscheinungen befundete Haege als das häufigste akute cerebrale Bild der Encephalitis epidemica. Haege betonte dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass bei den Erkrankten mit einer maximal zweijährigen Latenzphase nur in 12,5% der Fälle Hirnnervenlähmungen aufgetreten seien. Als weiteren relevanten „Unterschied im Verlauf des akuten Stadiums zwischen den Fällen mit einem frühen und dem mit spätem Hervortreten des chronischen Syndroms“176 stellte Haege Folgendes fest: bei einer kurzen Latenzphase habe die akute Encephalitis immer mindestens vier Wochen, oft sogar bis zu drei Monaten angehalten, wobei ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl aufgetreten sei. Bei milder oder kurzdauernder Akuterkrankung sei regelhaft ein langes Zwischenstadium mit vorhandener Arbeitsfähigkeit aufgetreten. Was den Erkrankungsverlauf in der chronischen Phase anbelangt, so komme es vor allem bei den Patienten mit langem gesunden Intervall zum Hemiparkinson. Abschließend stellte Haege Vergleiche auf zu den von Meggendorfer bei Paralytikern angestellten Beobachtungen: „Wie schon einmal hervorgehoben, hat man den Eindruck, dass die Encephalitiker nach dem Überstehen der akuten Erkrankung eben doch nicht völlig wiederhergestellt sind, – wie dies 171 Empfehlenswert hierzu auch Ewald (1925). 172 Haege (1940), S. 295. 173 „Palilali (Brissaud, 1899; A. Pick, 1921). Wiederholung von eigenen Worten oder Satzenden in Form eines Nicht-aufhören-Könnens“. Vgl. Peters (2011), S. 383. Weiterführend zu Arnold Pick (1851–1924) auch Kertesz/Kalvach (1996), vgl. auch S. 284, Fn. 52. Zu Édouard Brissaud (1852–1909) empfohlen sei Poirier (2010). 174 Haege (1940), S. 298. 175 Ebd. Der von Haege aus dem Griechischen verwendete Fachterminus für Schlaflosigkeit wird heute hauptsächlich in der lateinischen Variante als „Insomnie“ bezeichnet. 176 Ebd.

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nach der Lues der Fall zu sein pflegt, – sondern dass feinste Erschwerungen des Bewegungsablaufes oder psychische Auffälligkeiten während des Intervalles vorhanden sind und sich irgend einmal [sic] plötzlich so verstärken, dass die Kranken deshalb zum Arzt geführt werden. Auch die Tatsache, dass ein Individuum um so eher chronisch erkrankt, je älter es zur Zeit der ersten Erkrankung war, wie sie bereits Meggendorfer für die Paralyse nachweisen konnte, kann nicht behauptet werden. Außerdem kommen wohl die meisten Enzephalitiker, die nicht im akuten Stadium sterben, einmal in ein chronisches, während dies bei Syphilitikern nicht der Fall ist“.177

Diese Ausführungen Haeges zur hohen Wahrscheinlichkeit chronischer motorischer und/oder psychischer Störungen bei „Economo-Enzephalitis“-Überlebenden in der Jubiläumsschrift für Meggendorfer zeigen sich von Brisanz vor dem Hintergrund, dass vereinzelt auch diese postenzephalitischen Patienten der „T4“-Aktion178 zugeführt wurden.179 177 Ebd., S. 300. 178 Seitdem die „‚Euthanasie‘-Zentraldienststelle“ ab April 1940 in einer enteigneten jüdischen Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin-Charlottenburg eingerichtet war, wurde der Terminus „Aktion T4“ für die „Euthanasie“ an sich verwendet. Vgl. Schmuhl (1991), S. 304. „[O]ft diente auch einfach diese Anschrift als umschreibender Begriff für das mörderische Ganze. Im Berliner Adressbuch von 1943 steht für diese Liegenschaft lediglich: E (=Eigentümer): ungenannt“. Vgl. Aly (2012), S. 46. Ferner siehe: Benzenhöfer (2000a), weiterführend auch empfehlenswert: Djordjevic (2002). 179 „Im Oktober 1918 kam ich drei Wochen ins Krankenhaus wegen Erkrankung an Kopfgrippe. Meine Schwester starb am 21. Oktober an Kopfgrippe. […]. Nun kommt das Traurige, nämlich es stellte sich 1926 ein Nervenzittern auf meiner linken Körperhälfte ein als Folgezustand von meiner Kopfgrippe von 1918. Das Leiden hatte sich immer mehr verschlechtert, dass ich schließlich in die psychiatr. Klinik nach Tübingen kam, denn es hatte auch eine Zeitlang das Gehirn notgelitten. […]. Auf meinem Handwerk konnte ich nicht mehr arbeiten und betrieb deshalb einen Handel mit Seifen bis zum 6. August 1930. Am 6. August 1930 kam ich wieder in die Nervenklinik nach Tübingen u. war dort 63 Tage. […] Am 27. Oktober 1931 durfte ich gebessert nach Hause fahren […]. Nun fing ich wieder an[,] auf meinem Handwerk zu arbeiten, und ich bekam so langsam meine Kundschaft wieder“. Vgl. Martin Bader (1901–1940). Lebensgeschichte, zit. n. Fuchs et al. (2007), S. 112–114. „Im September 1938 verschlimmerte sich sein Zustand erneut, so dass er in die Heilanstalt Schussenried eingewiesen wurde. Briefe an seine Familie zeigen, dass er vor allem an der Untätigkeit und an den dort herrschenden Zuständen litt. Auch von Misshandlungen war die Rede. Am 14. Juni 1940 wurde Martin Bader vom T4-Personal in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert und am selben Tag in der dortigen Gaskammer ermordet. Der Familie wurde in einem ‚Trostbrief‘ mitgeteilt, dass er am 26. Juni 1940 an ‚Hirnschlag‘ verstorben sei. Seine Witwe musste die beiden Kinder nun allein ernähren. Auch nach 1945 erhielten sie keine Entschädigung“. Vgl. http://www.t4-denkmal.de/Martin-Bader. Stand vom 24.05.2016. Siehe ferner Bader (2016). Das “Outing” von Herrn Helmut Bader ist einzuordnen in den Kontext des väterlichen postenzephalitischen Parkinsonismus als eine Erkrankung mit (autoimmun para-) infektiösem und nicht hereditärem Initialpathomechanismus. Zur öffentlichen Deutungskultur und der Aufarbeitung der NS-„Euthanasie“ in den Familien der Opfer weiterführend Fleßner (2013). „Sehr geehrter Fräulein Narodlavsky! Wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Schwester Klementine Narodlavsky am 24.1. unerwartet infolge eines Herzschlages im akuten Erregungszustand gestorben ist. Ihre Verlegung in unsere Anstalt stellt eine Kriegsmassnahme dar und erfolgte aus mit der Reichsverteidigung in Zusammenhang stehenden Gründen. Nachdem unsere Anstalt nur als Durchgangsanstalt für diejenigen Kranken bestimmt ist, die in eine andere Anstalt unserer Gegend verlegt

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Haeges Beitrag zur Festschrift Meggendorfers folgte mitunter dessen impliziter Aufforderung zur sorgfältigen differentialdiagnostischen Herangehensweise. Gerade in Anbetracht des Hinweises Meggendorfers bezüglich der Vergleichbarkeit von Encephalitis lethargica, normalem Schlaf und Scopolaminwirkung180 scheint es besonders bemerkenswert, dass N. R. an der Erlanger Hochschulpsychiatrie als Medikation „1/4 mg Scopolamin181 + 1/7 mg Atropin182“183 erhielt, worunter – wie dokumentiert am 06.04.1930 – kein „hypnotische[r] Schlaf“184 mehr aufgetreten sei.

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werden sollen und der Aufenthalt hier lediglich der Feststellung von Bazillenträgern dient, deren sich solche bekanntlich immer wieder unter derartigen Kranken befinden, hat die zuständige Ortspolizeibehörde Hartheim im Einvernehmen mit den beteiligten Stellen weitgehende Schutzmassnahmen angeordnet und gemäss § 22 der Verordnung zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten die sofortige Einäscherung der Leiche und die Desinfektion des Nachlasses verfügt. Einer Einwilligung der Angehörigen bedarf es in diesem Falle nicht. Der Nachlass wird in erster Linie als Pfand für den Kostenträger der Anstaltsunterbringung hier zurückgelegt. Bei dieser Gelegenheit erlauben wir uns darauf hinzuweisen, dass sich eine Beschädigung der [sic] Nachlasses durch die Deinfektion infolge Verwendung nachhaltiger Mittel sehr oft nicht vermeiden lässt und sowohl Versendung wie Herbeiführung eines Entscheides über Zuweisung des Nachlasses mehr Zeit und Kosten verursacht als der Nachlass wert ist. Wir schlagen Ihnen daher vor auf ihn zu verzichten, sodass wir ihn […] dem Kostenträger zur Verfügung überlassen können. Falls Sie die Urne auf einem bestimmten Friedhof beisetzen lassen wollen – die Überführung erfolgt kostenlos – bitten wir Sie unter Beifügung einer Einverständniserklärung der betreffenden Friedhofsverwaltung um Nachricht. Sollten Sie und diese nicht innerhalb 14 Tagen zusenden, werden wir die Beisetzung anderweitig veranlassen, wie wir auch annehmen würden, dass Sie auf den Nachlass verzichten, wenn uns nicht innerhalb gleicher zeit Nachricht hierüber zugeht. Zwei Sterbeurkunden fügen wir bei, die Sie zur evtl. Vorlage bei Behörden verwenden können“. Vgl. Historische Bestände der Landesanstalt Hartheim. Schreiben an Hinterbliebene vom 24.01.1941. In: Freidl/Poier (2004). Vgl. Meggendorfer (1921a), S. 161. Das Nachtschattengewächs „Scopolamin wirkt annähernd so wie Atropin, im Vergleich allerdings etwas beruhigender und dämpfender. Es lähmt die Magensaft- und Schweißabsonderung ebenso wie das zentrale Nervensystem. Der Wirkstoff sorgt für einen Zustand der Willenlosigkeit und Apathie, ähnlich wie bei einer Hypnose“. Vgl. http://www.onmeda.de/ drogen/nachtschatten-gewaechse-wirkungsweise-1865-3.html. Stand vom 13.06.2015. Das Nachtschattengewächst Atropin ist „chemisch gesehen eine Mischung (Racemat) aus DHyoscyamin und dem psychoaktiv wirksamen L-Hyoscyamin. Es wirkt erregend auf das zentrale Nervensystem. Dies äußert sich in einer allgemeinen Erregung mit motorischer Unruhe und erhöhter Herzfrequenz. Handlungsabläufe werden ständig wiederholt. Es kommt neben Rededrang, Euphorie und Tobsucht auch zu Weinkrämpfen, Irrereden und Halluzinationen. Die Haut rötet sich, die Schleimhäute trocknen aus. Außerdem erweitern sich die Pupillen und die Speichelsekretion nimmt ab. Schluckbeschwerden treten auf. Atropin kann zu Koma und tödlicher Atemlähmung führen“. Vgl. ebd. Neben Hyoscyamin (Engelstrompete) gehört auch Scopolamin (Stechapfel) zu den Halluzinogenen. Vgl. Payk (2003), S. 243. Leonhard (1930), S. 241. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 125/30.

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Dieses Therapieregime185 lässt an einen individuellen therapeutischen Heilversuch gemäß dem Simile-Prinzip186 des Homöopathie-Begründers Samuel Hahnemann (1755–1843)187 denken. Diese Behandlungsstrategie an der Erlanger Hochschulpsychiatrie erscheint vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass sich mit Erstarken des Nationalsozialismus Anfang der 1930er Jahre eine Gleichstellung der Homöopathie188 mit der Schulmedizin abzeichnete.189 „Abgesehen vom fehlenden Wirksamkeitsnachweis“190 ist die Homöopathie aus medizinischer,191 wissenschaftstheoretischer192 sowie ethischer193 Perspektive umstritten.

185 In diesem Kontext ferner interessant: Witzleben (1938). 186 „Krankheiten werden nur durch solche Mittel geheilt, die an Gesunden Symptome hervorrufen, die denen ähneln, an denen der Patient leidet“. Vgl. Wolf (2006), S. 457. 187 Samuel Hahnemann promovierte an der Friedrich-Alexander-Universität mit einer Arbeit über muskuläre Verkrampfungen. Vgl. Hahnemann (1779). Siehe ferner Wilkes (2006), S. 233. Weiterführend empfohlen sei auch Leibbrands Arbeit zum hundertsten Todestag des Begründers der Homöopathie. Vgl. Leibbrand (1942/43). 188 „Anlässlich der ersten gemeinsamen großen Reichstagung der deutschen Volksheilverbände in Nürnberg (unter Schirmherrschaft des fränkischen Gauleiters Julius Streicher), wurde die ‚Reichsarbeitsgemeinschaft für die Neue Deutsche Heilkunde‘ als Zusammenschluss unterschiedlichster natur- und außenseiterärztlicher Verbände aus der Taufe gehoben. Ihr gehörten die folgenden Organisationen an: Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte, Kneippärztebund, Reichsverband der Naturärzte, Deutsche Gesellschaft für Bäder- und Klimakunde, Reichsverband Deutscher Privatkrankenanstalten, Vereinigung Anthroposophischer Ärzte und Deutsche Allgemeine Ärztliche Gesellschaft für Psychotherapie“. Vgl. Väth (1935), S. 591, zit. n. Haug (1993), S. 130–131. „Die Heterogenität der Verbände legt die Vermutung einer zentralistischen Zwangsvereinigung nahe“. Vgl. ebd., S. 131. 189 „Auf einer Verbandstagung am 21. Mai 1933 äußerte sich der Vorsitzende des Süddeutschen Verbandes für Homöopathie und Lebenspflege, Immanuel Wolf (1870–1964), zu den Zukunftsaussichten der Homöopathie im ‚Dritten Reich‘: ‚Die Homöopathie wird öffentlich anerkannt und gleichgestellt; die Errichtung weiterer homöopathischer Lehrstühle ist nur noch eine Frage der nächsten Monate; in den öffentlichen Krankenhäusern sollen homöopathische Abteilungen eingerichtet werden; wenigstens einige Betten für die Homöopathie bereitgestellt werden‘“. Vgl. Jütte (2014), S. A 394. 190 Wolf (2006), S. 458. 191 „Krankheitssymptome werden durch wenig verdünnte Homöopathika unnötig verstärkt (‚Erstverschlimmerung‘)“.Vgl. ebd. 192 „Das ‚Potenzieren‘ widerspricht dem Massenwirkungsgesetz, das sich in der gesamten Chemie und Biochemie als gültig erwiesen hat“. Vgl. ebd. 193 „Patienten starben, weil lebensrettende Therapien der ‚Schulmedizin‘ fahrlässig verzögert wurden“. Vgl. ebd.

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3.1.6 Meggendorfers Mitarbeiterwahl Nachdem Meggendorfer zum 01.10.1934 den Lehrstuhl in Erlangen übernommen hatte,194 beantragte er am 11.12.1934 eine Verlängerung der Dienstzeit von Berthold Kihn195 als „1. Assistenten der Klinik“, dessen Dienstzeit andernfalls am 01.03.1935 abgelaufen wäre. Meggendorfer beschäftigte somit den unter seinem Vorgänger Gustav Specht akademisch profilierten Berthold Kihn196 für zwei weitere Jahre als Oberarzt,197 bevor dieser am 12.10.1936 den Antrag auf Beurlaubung zur Leitung der Landesheilanstalten (LHA) Stadtroda stellte. In der Personalakte (PA) Kihns beim Reichstatthalter im Thüringischen Hauptstaatsarchiv findet sich Meggendorfers Ergänzung vom 06.11.1936 zu dem von Seiten Spechts tags zuvor ausgestellten Dienstzeugnis198 für Kihn: 194 Bemerkenswerterweise erschien seitens der juristischen Fakultät in eben diesem Jahr eine Dissertationsarbeit über „[d]ie Rechtmäßigkeit der Euthanasie. Ihr Umfang und ihre Grenzen“. Vgl. Bötel (1934). Darin verwies der 1909 geborene Student der Rechtswissenschaften Erich Bötel auch auf religiöse Aspekte: „Der Glaube an die Seele, die auch in dem leidenden oder geistesgestörten Menschen wohne, sei es, der es gebiete, auch Geisteskranke am Leben zu erhalten und mit Respekt zu pflegen“. Vgl. Wilkes (2006), S. 165. Bötels Arbeit „spendet Trost und dieser Trost ist kein geringer: An der Erlanger Universität hat es einen jungen Studenten gegeben, der sich mutig und selbstlos für die Schwächen der Gesellschaft eingesetzt hat. Eine Flamme in der Dunkelheit, die beweist, dass es den Nazis nicht gelungen ist, Zivilcourage und Menschlichkeit auszurotten. Auch nicht an den Hochschulen. Es mag viele bedeutende Doktorarbeiten in der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität gegeben haben, eine mutigere wird sich kaum finden“. Vgl. ebd., S. 166. 195 „Hatte Kihn als Oberarzt der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik 1932 über ‚[d]ie Ausschaltung der Minderwertigen aus der Gesellschaft‘ referiert, so selektierte er als Ordinarius für Psychiatrie in Jena Patienten für die Euthanasie-‚Aktion-T4‘. Kihn gilt als beteiligt an der Konzeption eines [letztlich nie verabschiedeten] ‚Euthanasie-Gesetzes‘. Als ‚Mitläufer‘ konnte sich Kihn in den akademischen Lehrkörper der Friedrich-Alexander-Universität reintegrieren und leitete eine Privatklinik in Erlangen“. Vgl. Braun et al. (2015), S. 634. 196 Am 18.12.1933 hatte Gustav Specht an den Rektor eine Bitte um Entlastung Berthold Kihns durch die Etablierung einer Laborantenstelle erbeten: „Es ist uns eine genügend erprobte Hilfskraft in der Person des SA. [sic] Oberscharführers Luitpold Herzing zur Verfügung gestellt worden, ich bringe ihn für die Laborantenstelle an unserem Laboratorium wärmstens in Vorschlag“. Vgl. BayHStA: MK 72096. 197 In einem Schreiben an den Ehemann der Patientin S. K. vom 07.04.1936 z. B. verwies Meggendorfer auf Kihn als seinen Vertreter: „Auf Ihre an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen gerichtete Anfrage vom 4. IV, die erst heute in meinen Besitz kam, teile ich Ihnen mit, dass ich während der Osterfeiertage voraussichtlich nicht hier sein werde, dass aber mein Vertreter, Herr Professor Kihn, sowie auch einer der Abteilungsärzte hier sein werden und zu einer Rücksprache bereits ein werden. Ihrer Gattin geht es zur Zeit recht ordentlich. Sie beschäftigt sich fleissig mit Handarbeiten und bietet wenig Krankhaftes. Wir haben deshalb schon daran gedacht, einen Versuch mit einer Entlassung zu machen“. Die Patientin wurde am 11.04.1936 entlassen. Vgl. APNK/FAU. Aufnahmer. 140/44. 198 „Über die persönlichen Eigenschaften Kihns kann ich mich kurz fassen. Wäre er kein vortrefflicher Charakter, dann hätte ich ihn nicht an mich und meine Klinik zu fesseln gesucht, denn Bewerber um seine Stelle gab und gibt es in Hülle und Fülle“. Vgl. ThStAW: Personalakte beim Reichstatthalter in Thüringen, Dienstzeugnis von Gustav Specht an Berthold Kihn vom 05.11.1936.

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„Den vorstehenden Ausführungen meines Vorgängers […] möchte ich hinzufügen, dass auch ich Kihn, der mir schon seit langem wissenschaftlich bestens bekannt war, seit der am 01.10.1934 erfolgten Übernahme der Klinik sowohl als Arzt wie als Mensch hoch schätzen gelernt habe. Er ist ein ausserordentlich umsichtiger, kenntnisreicher und gewissenhafter Arzt, der den schwierigsten Aufgaben der Organisation und Leitung einer selbstständigen Krankenhausabteilung oder Klinik in jeder Hinsicht gewachsen ist. Dabei werden seine Zuverlässigkeit und Gewandtheit, sein taktvolles Verhalten wie seine sonst vortrefflichen menschlichen Eigenschaften ganz besonders zur Geltung kommen“.199

Kihn lobte seinerseits in seinem Festschrift-Beitrag für Meggendorfer dessen Versiertheit in puncto Psychotherapie: „Ich schreibe diese Zeilen als bescheidene Geburtstaggabe für unseren Jubilar, dem ich als sein Schüler und Mitarbeiter gerade in Fragen der Psychotherapie viele wertvolle Anregungen verdanke und dem ich ein langes gedeihliches Wirken zum Segen seiner Kranken wünsche“.200

Auf dem Gebiet der Psychotherapie hatte sich Meggendorfer bislang keinen Namen gemacht.201 Wenn Kihn angibt, er habe von Meggendorfer gerade in Bezug auf die Psychotherapie-Praxis202 viel gelernt, so suchte er sich ein bislang von Meggendorfer mit eher wenig wissenschaftlichem Ehrgeiz betriebenes Gebiet aus. Einerseits könnte dies eine fehlende Anerkennung für Meggendorfers eigentliche wissenschaftliche Expertise zum Ausdruck bringen. Andererseits könnte die Publikation zur Hypnose in der Festschrift Meggendorfers signalisieren, dass Kihn in gesellschaftspolitisch heikleren psychiatrischen Fragestellungen nicht mit Meggendorfer konform ging. 1940, im Erscheinungsjahr der Meggendorfer-Festschrift, war die „Hochphase“ der „T4“-„Euthanasie“-Planungen. Während Kihn sich an der „T4Aktion“ als Gutachter beteiligte, findet sich kein Hinweis darauf, dass man Meggendorfer für diese Funktion überhaupt zu gewinnen suchte. Nach dem Weggang Berthold Kihns besetzte Meggendorfer ab März 1937 die freigewordene Oberarztstelle nicht erneut durch einen „Euthanasie“-propagierenden Psychiater, sondern vielmehr durch den internistisch versierten Nervenarzt Adolf Bingel, der seinen Arbeitsschwerpunkt vor allem auf neurologischem Gebiet hatte.203 Ein erstes Kennenlernen zwischen Bingel und Meggendorfer könnte bereits auf der 26. Jahresversammlung des Vereins Nordwestdeutscher Psychiater und Neurologen in Bremen am 19. und 20. Oktober 1929 stattgefunden haben.204 199 Ebd. Ergänzung Meggendorfers zum Dienstzeugnis für Kihn vom 06.11.1936. 200 Kihn (1940), S. 324. Weiterführend zur „Psychotherapie der Suchten“ vgl. Gabriel (1940). 201 Er hatte zum Thema Psychotherapie Vorlesungen gehalten im WS 1929/30, WS 1930/31,WS 1931/32 und SS 1932. Vgl. Pfäfflin et al. (1989), S. 283. Bei Straftaten im Kontext von Homosexualität empfahl Meggendorfer eine Psychotherapie als Methode 1. Wahl. Vgl. Meggendorfer (1933a), S. 417. Die EKT-Wirksamkeit bei Erkrankungen aus dem Neurosen-Formenkreis sah er als „kaschierte Psychotherapie“ an. Vgl. ders. (1940e), S. 6. 202 Weiterführend zum Dissens zwischen theoretischem Psychotherapie-Diskurs und klinischer Umsetzung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts siehe: Lohff/Kintrup (2013). 203 Vgl. Braun/Kornhuber (2013c), S. 587–588. 204 Auf der Anwesenheitsliste ist „Bingel (Bremen)“ vermerkt. Dass es sich hierbei um Adolf Abraham Gustav Bingel (1901–1982) handelte, erscheint plausibel, da er nach seinem Staatsexamen im Juni 1925 seine initial in Frankfurt a. M. begonnene internistische Facharztausbildung in Bremen fortsetzte. Vgl. hierzu: Ebd. Meggendorfer referierte „Zur Klinik der Pseudosklerose

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Das Gesuch Adolf Bingels zur Neufestsetzung seines Gehalts an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 19.03.1937 befürwortete Meggendorfer am 20.03.1937 „aufs wärmste. Es ist außerordentlich schwer, heute in der Psychiatrie erfahrene und geeignete Ärzte zu bekommen, wie mir ein monatelanges eifriges Suchen nach einem Nachfolger für den ausgeschiedenen Professor Kihn besonders eindringlich gezeigt hat“.205

Im Kontext von Meggendorfers Auseinandersetzung mit der strafrechtlichen Verfolgung von männlichen Homosexuellen weiterführend interessant zeigt sich ein Schuldfähigkeitsgutachten206 von Adolf Bingel zu der wegen Mordes ihrer Liebespartnerin angeklagten Frau W. M., geb. 1904. Im Vorfeld hatte Landgerichtsarzt Dr. Leschmann Frau W. M. „strafrechtlich für ihre Tat als voll und ganz verantwortlich an[ge]sehen”.207Am 11.06.1937 hatte Meggendorfer zur „Erstattung des gewünschten Gutachtens […] eine Klinikbeobachtung […]beantrag[t]” beim Oberstaatsanwalt bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth”.208Nach einer stationären Beobachtung von 12.07.1937 bis 23.08.1937 schlussfolgerte Bingel im Einvernehmen mit Meggendorfer in einem 56-seitigen Gutachten vom 01.09.1937: „Wir haben zuerst Zweifel gehabt, ob Frau W. überhaupt als eine Homosexuelle im engeren Sinne angesehen werden könne. Sie hat mit ihrem Mann zunächst jahrelang eheliche Gemeinschaft gehabt, wobei zwar der sexuelle Trieb, wahrscheinlich auf beiden Seiten, nicht sehr stark ausgeprägt war. Frau W. gibt auch heute noch an, dass sie nicht homosexuell sei

Jakobs“ und beendete die anschließende Aussprache mit folgendem Schlusswort: „Die psychischen Störungen entwickeln sich sehr langsam im Laufe von wenigen Monaten. Im Anfang produzieren die Kranken allerdings bei näherem Nachforschen noch weit mehr als sich bei ihnen vermuten lässt. Gegenüber der Pelizaeus-Merzbacherschen Krankheit ist der späte Beginn hervorzuheben. Die Pelizaeus-Merzbachersche Krankheit geht einen geschlechtsgebundenen Erbgang, während ich hier einen dominanten beobachtete“. Vgl. Meggendorfer (1930i), S. 719. Zu Friedrich Christoph Pelizaeus (1851–1942) weiterführend sei verwiesen auf Ferbert et al. (2006). 205 BayHStA: MK 72098. 206 Die sogenannten „Eingangskriterien“ für die Begutachtung der Schuldfähigkeit als „Merkmalskategorien bedeuten zwar verschiedene Kategorien psychischer Störung, sollen sich nach dem Willen des Gesetzgebers in ihren praktischen Auswirkungen auf die Einsichts- oder Handlungsfähigkeit indessen in etwa gleichen, da die Reihenfolge der Aufzählung nicht als Rangordnung, sondern als analoger Diagnosekatalog zu verstehen ist“.Vgl. Foerster/Dreßing (2009), S. 7. Zu den „Eingangskriterien“ siehe Fußnote weiter oben. 207 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. 208 Ebd.

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und dass die homosexuelle Betätigung ihr abgesehen von wenigen Ausnahmen keinerlei Befriedigung gegeben habe,209 ja ihr sogar zuwider gewesen sei“.210

Zumindest für die jüngere Vergangenheit konstatierte Bingel bei Frau W. Bisexualität unter Betonung eines Überwiegens des homosexuellen Teils. „Wir wissen, dass gerade Frauen in ihrer sexuellen Triebrichtung eher Schwankungen unterworfen sind, als Männer, die meist stärker einseitig festgelegt sind, sei es in der einen oder der anderen Richtung. Diese Labilität der sexuellen Haltung brachte es mit sich, dass sie der ersten Probe auf ihre homosexuelle Einstellung nicht standhalten konnte“.211

Bingel sah in dem Erlebnis mit L. N. den ersten Anstoss zum Umschwung der heterosexuellen in eine homosexuelle Orientierung der Frau W., welcher sich vollständig vollzogen habe unter der Bekanntschaft zu Frau G. Bingel schenkte der Aussage W.s, der homosexuelle Verkehr mit ihrer Freundin sei ihr sehr zuwider gewesen, kaum Glauben.

209 „Frau W. schreibt in ihrem Lebenslauf über diese noch folgenden Erlebnisse: L. N., wie lernten wir uns doch kennen? Weisst du noch? An der Strassenecke, Juni–Juli 1933, ich prallte in der Eile auf dich. Ein Lächeln, gegenseitiges Entschuldigen und du gingst vor mir her. Ich glaubte es mit einem Manne zu tun gehabt zu haben, doch mein Erstaunen! Du trugst einen Rock! Plötzlich drehtest du dich nach mir um und wiederum, in einem Lächeln grüssten sich unsere Augen. Auf dem Ostmarkt beim Einkauf von süssen roten Kirschen botest du mir deine Dienste als Kavalier an. Behilflich wolltest du mir sein, meine Packetchen zu tragen. Ich lehnte erst ab, doch wie konnte man deinen bittenden Blicken und Worten auf die Dauer widerstehen. Ebenso später, als du um ein Wiedersehen batest, auch haben dunkle Andeutungen und Anspielungen meine Neugier u. Interesse geweckt. So trafen wir uns öfters und deine Erzählungen u. Eröffnungen liessen mich einen Blick tun in eine ganz andere Welt. Du sprachst von Lebensgemeinschaft zwischen 2 Frauen und Intimitäten sexueller Art. Allmählich stelltest du auch Forderungen in dieser Richtung an mich. Mein Mund, mein verführerischer Mund, wie du dich immer ausdrückest, hat es dir angetan. Tag und Nacht träumtest du von Küssen, die ich dir doch noch einmal geben würde und von der Berührung und Liebkosung deines Körpers durch meine weissen Hände mit den grausamen spitzen Nägeln. Dabei kann ich gar nicht grausam sein, nie zuvor hatte ein Mensch oder ein Tier körperlichen Schmerz durch mich zu erleiden. […]. Ich wich deinen Wünschen aus und zog mich auch so in unserem öfteren Sehen u. von gemeinsamen Spaziergängen etwas zurück. Aber, o weh! Grosses Lamento auf deiner Seite und Beteuerungen, wie artig du sein willst, nur meinen Anblick sollte ich dir nicht entziehen. So liess ich mich denn erweichen, denn deine lebensbejahende, oft übersprudelnde, heitere Art und hauptsächlich die Musik, dein Geigenspiel, hatten auf mich, die ich immer schwer am Leben trug, besondere Anziehungskraft […] [und so wurde ich] eingeführt in „den Kreis der lesbischen Frauen“ […]. G. G.: „Plötzlich zogest du mich, die ich neben dir stand auf deinen Schoss. Dein Vorgehen war so vorsichtig, so voll Bedacht, dass nichts für mich Erschreckendes oder zur Auflehnung mahnendes, vorlag. Spielerisch tändelnd und mich bei Wehren und Ablehnen verspottend, kamst du zu dem, was dir, heute weiss ich es bestimmt, schon lange im Sinn war. Deine Lippen berührten die meinen und saugten sich fest in nicht enden wollende[m], atemberaubenden Kuss. Deine Hände glitten in aufrührerischen Kosen [sic] über meinen Körper, bis die, durch deine Kunst zum Höhepunkt gesteigerte Erregung, deinen spielenden Fingern nichts mehr verweigerte […]“. Vgl. ebd. 210 Ebd. 211 Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Dass Frau W. wirklich homosexuell ist,212 geht m. E. auch daraus hervor, dass sie diese Art der geschlechtlichen Betätigung fast 3 Jahre ausgehalten ist. Eine vorwiegend normal-sexuell empfindende Frau würde m. E. schon sehr bald diesen Zustand beendet haben, selbst wenn die psychischen Bindungen an die Freundin noch so stark gewesen wären“.213

Hinsichtlich der Frage nach der Entstehung der homosexuellen Triebrichtung214 bei Frau W. führte Bingel zwei Punkte an. Einerseits habe Frau W. bereits in ihrer Kindheit wiederholt „sexuelle Handlungen unter Kameradinnen”215 erlebt. Zudem räumte Bingel dem väterlichen Mordversuchs entscheidenden Einfluss auf W.s weitere Entwicklung auch auf sexuellem Gebiet ein. „Der Vater, an dem sie sehr hing, der ihr noch kurz vorher Schokolade kaufte, wurde plötzlich und aus völlig unersichtlichen Gründen ihr Feind, der sie bedrohte, ja umbringen wollte und danach noch sich selbst umbrachte bezw. sie ganz alleine liess. Aus der enttäuschten Vaterliebe wurde dann der Vaterhass und, wie nicht selten in solchen oder ähnlichen Fällen, wurde der Vaterhass ganz unbewusst umgewandelt in den Hass bezw. die innerste Abneigung gegen das männliche Geschlecht überhaupt und damit der Vorstellung Raum gegeben, dass die wahre und beständige Liebe doch die der Mutter bezw. der Frau überhaupt sein müsse. Derartige Gedankengänge, die dem Psychologen sehr naheliegen, haben natürlich vorwiegend theoretisches Interesse, sie können aber in vorliegenden Falle W. geeignet sein, einen Teil der psychischen und körperlichen Entwicklung dieser Frau dem Verständnis näher zu bringen“.216

Bingel bezweifelte, dass der Mord an der Freundin „allein aus dieser homosexuellen Veranlagung heraus”217 vollbracht werden konnte. Zwar sei bekannt, dass „homosexuelle Frauen218 im allgemeinen sehr empfindliche Menschen sind und das trifft ja für Frau W. auch zu. Auf der anderen Seite gibt aber der Fall W. ein deutliches Beispiel für die von dem Marburger Psychiater Professor Kretschmer gemachte Erfahrung, dass unter den Homosexuellen eine auffallend große Zahl schizoider Persönlichkeiten zu finden sind. Aus dieser

212 Zur Veranschaulichung der homosexuellen Bindungen im „Unterbewussten“ Frau W. s führte Bingel den von der Patientin niedergeschriebenen nächtlichen Traum vom 13.08.1937 an: „Wohin bringt mich das Auto? Die fremde Frau und zwei Männer, warum bestürmen sie mich, was wollen sie von mir? Ein breites Ruhebett. Mollig umschmeichelt weiches Fell meine Glieder, über mich gebeugt die Fremde. Beschämt denke ich an mein Nacktsein…[sic]. Tief, bittend, beschwörend senken sich deine Blicke schwarzer Funkelaugen [sic], denen ich vergebens auszuweichen versuche, in die meinigen. Starrheit, Lähmung, [sic] hält mich wie in Fesseln. In der Fensterecke unterhalten sich zwei Männer über die Kreditfähigkeit eines Kunden. Die Schwarze lässt nicht von mir. Spielerisch-tastende Hände befühlen mich und weisse Perlzähnchen, in meinen Leib verbissen, lassen mich vor Schmerz und Lust kleine Schreie des Entzückens, die in seltene Vögel verwandelt, zum geöffneten Fenster hinausfliegen, ausstossen!!!“ Vgl. ebd. 213 Ebd. 214 Zur Verfolgung der Homosexualität im Nationalsozialismus siehe Grau (2014). 215 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. 216 Ebd. 217 Ebd. 218 Zur Bedeutung weiblicher Homosexualität im Dritten Reich weiterführend Schoppmann (2014). Siehe ferner auch ders. (1991).

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schizoiden Veranlagung heraus ist, neben anderen Faktoren, auch die Tat der W. zu analysieren. Diese Tat ist m. E. eine Eifersuchts-und Verzweiflungshandlung einer schizoiden Psychopathin,219 bei der die Homosexualität nur eine indirekte Rolle spielt“.220

Bingel beurteilte die scheinbar aus einem ruhigen Entschluss hervorgegangene Mordhandlung als „Zeugnis tiefer Verzweiflung, in welcher eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorlag, welche die Fähigkeit, das Unerlaubte dieser Tat einzusehen, oder danach zu handeln, sicher erheblich vermindert sein liess. Ich glaube also nicht, dass Frau W. in der Lage war, alle Konsequenzen der Tat zu durchdenken oder durchzuarbeiten, bezw. dass sie sich der Folgen bewusst war, schon deshalb nicht, weil sie selbst doch auch mit ihrem Tod rechnete“.221

Nach Bingel warf die Tatanalyse unmittelbar die Fragestellung auf, „ob bei ihr ein moralischer Defekt vorliegt;222 oder diese Tat ist dem Bewusstsein der Täterin so fremd, dass sie keinerlei Stellung, auch keine kritische zu ihr findet. Man muss nach solchen

219 „Schizoide Persönlichkeitsstörungen zeichnen sich durch eine ausgeprägte emotionale Kühle, eine reduzierte Fähigkeit, warme und zärtliche Gefühle für andere auszudrücken, Gleichgültigkeit gegenüber Lob und Kritik, soziale Isolation und ein deutlich mangelhaftes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen aus. In den Forschungskriterien des ICD-10 ist hierzu explizit ausgeführt, dass im Fall des Nichtbefolgens sozialer Normen und Konventionen davon auszugehen sei, dass dies unbeabsichtigt geschieht. Es findet sich hier der außergewöhnliche Fall, dass in den diagnostischen Kriterien bereits ein direkter Hinweis auf die Bewertung sozial abweichenden Verhaltens – das Nichtbefolgen sozialer Normen und Konventionen erfolgt unbeabsichtigt! – enthalten ist, der natürlich auch im forensischen Kontext gewichtig ist. Bei schizoiden Persönlichkeitsstörungen kann es auch zu unvermittelten Gewalthandlungen gegenüber anderen Personen kommen“. Vgl. Dreßing (2009), S. 318. 220 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. 221 Ebd. Im Gegensatz hierzu beurteilte ein von Bingel gezeichnetes 11-seitiges Gutachten vom 19.02.1938 die im Juni 1937 „wegen Verdacht auf Urkundenfälschung, Betrugsversuch und Verdacht auf Diebstahl angezeigt[e]“, mit „Psychopathie“ diagnostizierte H. K. „strafrechtlich voll verantwortlich“: „Weder zur Zeit der Tat noch jetzt lässt sich ein Anhalt dafür gewinnen, dass Frau H. in einem Zustand der Bewusstseinstrübung sich befand bezw. befindet[,] auch eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit oder eine Geistesschwäche kann zu den genannten Zeiten nicht angenommen werden. Es berechtigt ferner nichts zu der Annahme, dass aus einem der genannten Gründe die Fähigkeit, das Unerlaubte der Handlungen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, bei Frau H. im Augenblick der Tat wesentlich vermindert war oder jetzt ist“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 129/28. 222 Folgende Dokumentation zur Religiosität W.s vom 27.07.1937 könnte in Zusammenhang mit der Beurteilung ihrer Moral gestanden haben: „Zum Christentum u. zur Religion habe sie bisher sehr schwankend gestanden, jetzt aber fest. Sie glaube jetzt an eine höhere Macht, habe doch oft Kraft bekommen, so dass sie viele Dinge doch mit einer gewissen Tapferkeit bestanden habe. Ein Buch eines katholischen Geistlichen über katholische Lebensphilosophie habe zu diesem Umschwung wohl sehr beigetragen, Alles was jetzt noch komme betrachte sie als Sühne nicht an ihrer Freundin, sondern an ihrem Mann. Was sie zuletzt getan habe, davon habe sie eigentlich gar nicht gewusst, dass es Unrecht gewesen sei. Sie habe gar nicht gedacht[,] was da kommen sollte, sie habe nichts gedacht oder überlegt, das habe sie gar nicht gekonnt. Sie habe selbst nur aus dem Leben gehen wollen und dabei ihre Freundin mitnehmen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 431/361.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit Beobachtungen zu dem Ergebnis kommen, dass das Bild ihrer Persönlichkeit doch nicht so abgerundet und durchsichtig ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen könnte“.223

Zusammenfassend gab Bingel sein Gutachten dahingehend ab, dass Frau W. „eine schizoide Psychopathin“224 und familiär „erheblich belastet“225 sei. Zudem habe das jugendliche Erlebnis des versuchten Mordes an ihr durch den eigenen Vater und dessen Suizid einen nachhaltigen Eindruck auf Frau W.s „sensitive[n] und labile[n] Charakter“226 gemacht. Aufgrund der „schizoiden Anlage“ sei es Frau W. nicht möglich gewesen, aus dem der Tat vorausgehenden zunehmenden seelischen Enttäuschungs- und Eifersuchtskonflikt heraus eine „reinliche Lösung“ zu finden.227 Es sei zunächst zu einer tiefgreifenden Depression und zum Suizid-Entschluss gekommen. „Dieser Suicidgedanke aus einem deprimierenden Affekt ist das primäre in dem ganzen Tatkomplex gewesen. Sekundär kommt der Gedanke hinzu, die Freundin im Tod mitzunehmen. Im Zustand des deprimierenden Affektes war offenbar auch bei Frau W. eine klare Überlegung ausgeschlossen. Die anscheinend aus einem ruhigen Entschluss hervorgegangene und nach einem durchdachten Plan ausgeführte Tat ist daher als Zeugnis tiefster innerer Verzweiflung zu charakterisieren, in welcher eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorlag, welche die Fähigkeit, das Unerlaubte dieser Tat einzusehen oder danach zu handeln, erheblich vermindert sein liess. Ich halte daher für die Beurteilung der Tat der Frau W. die Anwendung des § 51 Abs. 2 St.G.B. für durchaus gerechtfertigt“. 228

Abb. 29: Schreiben an Oberarzt Dr. Bingel „[v]on der Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte Nürnberg-Fürth“229

223 Ebd. 224 Ebd. 225 Ebd. 226 Ebd. 227 Ebd. 228 Ebd. 229 Ebd. Die Rechtsanwaltskanzlei Zilcher, „[z]ugelassen bei dem Oberlandesgerichte Nürnberg, dem Landgerichte Nürnberg-Fürth der abgezweigten Kammer für Handelssachen in Fürth, sowie bei den Amtsgerichten“ sandte ein Schreiben, welches Frau W. am 26.07. bei den Juristen

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In Bezug auf Bingel wandte sich Meggendorfer im Oktober 1943 an seinen Berliner Ordinariatskollegen Max de Crinis.230 Meggendorfer erbat von Max de Crinis als Referent beim Reichserziehungsministerium, einen „persönlichen Rat in einer Klinikangelegenheit“.231 Neben seiner Tätigkeit als Beratender Psychiater beim Wehrkreisarzt XIII, habe er „nebenbei die Klinik zu versehen“.232 Die drei Assistenten der Klinik seien alle einberufen; als Ersatz stünden lediglich zwei Assistentinnen233 zur Verfügung, „von denen eine nebenbei noch einen Haushalt zu versorgen ha[be] sowie ein jüngerer psychiatrisch noch wenig erfahrener Assistent“.234 Ein 80-jähriger Volontärarzt könne „leider gar nicht mehr gerechnet werden“.235 Meggendorfer räumte zwar ein, seine Klinik sei verhältnismäßig klein, dennoch sei „allerlei zu tun“,236 zumal die Fliegerschäden in Nürnberg237 und anderswo dazu zwängen, Kranke aus Kliniken und Anstalten aufzunehmen. Zahlreiche Gutachten und Obergutachten seien anzufertigen, größtenteils würden diese von ihm persönlich gefordert werden. „Unter diesen Umständen habe ich den dringenden Wunsch, den Oberarzt der Klinik, Dozent Dr. Bingel, der sich seit Anfang des Krieges bei der Wehrmacht befindet, wieder an die Klinik zu bekommen. Es wäre mir schon erheblich geholfen, wenn er mich wenigstens durch eine halbtägige Arbeit an der Klinik entlasten und auch einen Teil der Vorlesungen übernehmen könnte. Zum anderen Teil könnte Herr B. die neurologische Konsiliartätigkeit in den hiesigen Reservelazaretten übernehmen“.238

230 231 232 233

234 235 236 237 238

eingereicht hatte, am 29.07.1937 an Adolf Bingel. Letzterer entschuldigte sich in einem Brief vom 23.08.1937 bei der „Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth“ „betr. Verfahren gegen W. M. wegen Mordes“ für den Zeitraum seiner Beurlaubung für wissenschaftliche Arbeiten: In der Zeit vom 26.08. bis 05.09.1937 sei ihm ein „persönliches Erscheinen vor Gericht“ daher nicht möglich. Vgl. ebd. Weiterführende Korrespondenz zwischen Meggendorfer und de Crinis von April 1943 siehe Kapitel 5.2. BAB VBS 307/8200001963. Ebd. „Das weitverbreitete Bild von der Zurückdrängung der Frauen aus dem Berufsleben in der NSZeit entspricht also nicht den Tatsachen. Besonders die Behauptung, im Nationalsozialismus seien Frauen auf ihr Mutterdasein reduziert worden, erweist sich als nicht stichhaltig. Frauenmassenorganisationen beschleunigten vielmehr die Eingliederung der weiblichen Bevölkerung in den NS-Staat. Sie wirkten bei der ,Erb- und Rassenpflege‘ mit, indem sie unter den Frauen das Verbot propagierten, Juden, ,Zigeuner‘ und andere -,Minderwertige‘ zu heiraten. Sie unterstützten die Sterilisationspolitik, indem sie auf Anzeigen drängten. Millionen Frauen in NSFrauenorganisationen waren nicht bloß Instrumente männlicher Wünsche, sondern traten erstmals in so großer Zahl als selbstbewusste politische Akteurinnen auf“. Vgl. Radonic´ (2016), S. 202–203. Siehe ferner Bock (1986) und (2010). BAB VBS 307/8200001963. Ebd. Ebd. Empfehlenswert hierzu auch Seiderer (2004). BAB VBS 307/8200001963.

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Meggendorfer führte an, seine vielfach unternommenen Versuche, Bingel auf dem militärischen Dienstwege für die Klinik freigestellt zu bekommen, seien gescheitert. Als Angehöriger der Luftwaffe leite Bingel eine Fliegeruntersuchungsstelle239 239 Seine während der fliegermedizinischen Untersuchung gesammelten Erfahrungen mögen Bingels Alternativtätigkeitsgebiet zur Psychiatrie nach Dienstsuspension 1945 motiviert haben. Er ging an das luftfahrtmedizinische Zentrum in Heidelberg unter Hubertus Strughold (1898– 1986), bevor er im Rahmen der “Operation Paperclip” 1946 nach Texas auswanderte. „Namensgeber des von Präsident Harry S. Truman (1884–1972) gebilligten Projektes stellte die Büroklammer (ʻpaperclipʼ ) dar, mit welcher die Akten potentiell kriegswichtiger deutscher Forscher gekennzeichnet waren“. Vgl. Braun/Kornhuber (2013c), S. 588. Weiterführend empfehlenswert auch Bower (1987). Der von Strughold und seinem Assistenten Siegfried Ruff 1939 publizierte „Grundriss“ entstand im „US-Raub-Druck“; Strughold kann als Begründer der amerikanischen Luft-Raumfahrt gelten, das „Apollo“-Projekt beruhte auch auf Ergebnissen von Experimenten, die an KZ-Häftlingen durchgeführt worden waren. Siegfried Ruff wurde in den Nürnberger Prozessen freigesprochen; Strughold wurde von vornherein nicht nach Nürnberg überstellt. Vgl. Leven (2016a). Der „Grundriss der Luftfahrtmedizin“, hrsg. von „Siegfried Ruff, Dr. med. habil., Flugkapität, Leiter der luftfahrtmedizinischen Abtlg. der deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt E.V., Berlin und Hubertus Strughold, Prof. Dr. med. et phil., Leiter des luftfahrtmedizinischen Forschungsinstitutes des Reichsluftfahrtministeriums, Berlin“ war gewidmet „unserem Kameraden Hans Hartmann, der 1937 im Dienste der Wissenschaft am Nanga Parbat starb zum Gedenken“ und versehen mit folgendem Geleitwort des Generalarztes Prof. Dr. Erich Hippke (1888–1969), Chef des Sanitätswesens der deutschen Luftwaffe: „Die deutsche Luftfahrtmedizin hat mit dem gewaltigsten Aufstieg der deutschen Luftfahrt tapfer Schritt gehalten. Unermüdlich forschend gab sie der Technik eine Fülle von Hinweisen und Hilfen, empfing ihrerseits in gleicher Weise Anregungen und Wünsche. […]. Möge das kleine aber inhaltreiche [sic] Werk Zeugnis ablegen von der Leistung der deutschen Luftfahrtmedizin, von ihrer wichtigen Stellung im Rahmen der Gesamtmedizin. Der Leser betrachte auch dieses Werk als einen bescheidenen Beitrag zur großen deutschen Sehnsucht nach tiefgründiger Erkenntnis“. Vgl. Hippke (1939). Weiterführend Ruff/Strughold (1939). Siehe ferner Freeman (1995). Ein Assistent von Hubertus Strughold, Ulrich Cameron Luft, war Teilnehmer der Tagung über Ärztliche Fragen bei Seenot und Wintertod im Februar 1942 in Nürnberg, auf welcher über die „Unterkühlungsversuche“ im KZ Dachau referiert wurde. Vgl. http://www.ihdsl.de/2015 /04/page/95/A. Stand vom 09.01.2016. Im Jahr 1948 publizierte Kretschmer im “FIAT Review of German Science” über die deutschen Forschungsergebnisse in den Jahren 1939–1946. Bingel lieferte einen Beitrag zu den „Beziehungen der Psychiatrie zur Luftfahrtmedizin [.] [Sie] sind erst im Verlauf des vergangenen Krieges enger geworden. Die vielfachen Belastungsproben, denen der Flieger schon in ruhigen Zeiten ausgesetzt war, wurden im Kriege durch das Kampferlebnis vermehrt. Es traten dementsprechend psychische Störungen in größerer Zahl auf, zu deren Beurteilung der Psychiater unentbehrlich war. Daneben warf die sich sehr schnell weiter entwickelnde Technik immer wieder neue Probleme auf, auch auf ärztlichem Gebiet, die teilweise eine psychologische Mitbeurteilung erforderten. Vielfach standen sinnesphysiologische Fragestellungen zur Diskussion, oder es war die Abhängigkeit eines Vorganges von psychischen Faktoren zu studieren. Im Vergleich zu der Vielzahl der aufgegriffenen Probleme ist die Zahl der erschienenen Publikationen relativ gering. Teilweise sind Untersuchungsergebnisse lediglich in Erfahrungsberichten niedergelegt, die jetzt nur schwer oder überhaupt nicht mehr zugänglich sind. Andere Erfahrungen sind nur in Vorträgen auf luftfahrtmedizinischen Tagungen oder in Diskussionsbemerkungen zur Sprache gekommen. Derartige Umstände geben die Berechtigung [ausgehend vom Kaiser-Wilhelm-Institut, Heidelberg] im Rahmen dieses Berichtes einige Kapitel etwas ausführlicher darzustellen“. Vgl. Bingel (1948), S. 276.

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in Norwegen, wo er „jahraus jahrein einen viele Seiten langen Fragebogen auszufüllen“240 habe, was auch ein entsprechend angeleiteter241 Arzt, alternativ übernehmen könne.

240 BAB VBS 307/8200001963. 241 Lemke aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Jena unter Berthold Kihn präzisierte hingegen die ärztliche Eignung zur Prüfung von Fliegertauglichkeit: „Zum Flugdienst soll eine Auslese von Menschen kommen, und nur die sind flugtauglich, die in jeder Hinsicht gesund und kräftig sind, und die über ein widerstandsfähiges Nervensystem verfügen, so heisst es in den Bestimmungen für die ärztliche Untersuchung der Luftfahrer. […]. An unserer Klinik werden seit dem Jahre 1934 die neurologischen und charakterologischen Untersuchungen zur Beurteilung der Fliegertauglichkeit durchgeführt. Bisher haben wir 2000 Flieger untersucht, die Ergebnisse und unsere dabei gesammelten Erfahrungen möchte ich hier besprechen. Allmählich ergaben sich aus der Praxis gewisse Richtlinien für die Beurteilung der Tauglichkeit, und wir sind im Urteil wohl sicherer als früher“. Vgl. Lemke (1939a), S. 73. „Bei der psychischen Beurteilung nimmt die intellektuelle Prüfung einen wesentlichen Teil ein. Der Untersuchte bekommt einige leichte Rechenaufgaben zu lösen, er hat einfache Unterschiedsfragen zu beantworten, und dann wird er aus der Geschichte und aus der Geographie geprüft. Bei einer intellektuellen Minderbegabung ist die Beurteilung einfach. Wenn der Prüfling die leichten Fragen mangelhaft beantwortet, ist er fluguntauglich, selbst wenn er von der Grenze des Schwachsinns im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes noch weit entfernt ist“. Vgl. ebd., S. 77. „Die Erkennung und richtige Einschätzung der psychopathischen Wesenszüge ist bei einmaliger Untersuchung bisweilen oft schwer. Bei der charakterologischen Untersuchung fragen wir nach dem Fortkommen auf der Schule, nach der Berufsausbildung, wir erkundigen uns kurz nach den Interessen des Untersuchten und nach seinen Plänen für die Zukunft. Wir stellen fest, ob der Untersuchte aufmerksam unseren Prüfungen folgt, ob er geistig beweglich ist und einer ganz anderen Aufgabe sich sofort anpassen kann. Die Art, wie die Untersuchten über ihr Vorleben berichten, über ihren Beruf erzählen, gibt uns einen Einblick in ihre Zielstrebigkeit. Wir bemerken bisweilen aus wenigen Äußerungen ihre Stimmungslage und ihre Einstellung zum Leben. Aus ihrem Verhalten bei der körperlichen Untersuchung bekommt man einen Eindruck von ihrer Selbstdisziplin. So erhalten wir wichtige Hinweise für die psychische Beurteilung, ihre richtige Auswertung ist nur durch einen psychologisch interessierten und psychiatrisch gebildeten Arzt möglich. […]. Die Diagnostik der psychischen Abwegigkeiten macht dagegen Schwierigkeiten, weil wir über die Vorgeschichte des Untersuchten oft nur mangelhaft unterrichtet sind. Ein Psychopath vermag bei einmaliger Untersuchung sich völlig unauffällig zu geben, die psychopathischen Züge entfalten sich häufig erst im freien Leben, wenn Anforderungen an den Willen und an die Lebensenergie gestellt werden. Genau so [sic] verhält es sich bei den anderen abwegigen Naturen, eine Psychasthenie versagt bei einer Schwierigkeit im Leben, bei der Unterhaltung mit dem Arzt kann der Psychastheniker ausgeglichen und unauffällig sein. Da solche Naturen sich oft Mühe geben, gesund zu erscheinen, und da ihre Kräfte für die eine Untersuchung vor dem Arzt voll ausreichen, merkt man ihnen manchmal nichts Besonderes an. Eine Psychasthenie braucht erst bei den besonderen Anforderungen, die das Fliegen stellt, zum Ausbruch kommen. Es ist verständlich, dass eine Veranlagung zur Angstneurose oder zu einer Zwangsneurose im ruhigen bürgerlichen Leben latent bleiben kann und erst bei der gefahrvollen Tätigkeit des Fliegers manifest wird. Die Erfassung und Ausscheidung aller Psychopathen und abwegigen Naturen bei der einmaligen Untersuchung wird daher nie gelingen, ihre Erkennung wird manchmal erst später im Fliegerdienst möglich sein. Wir werden eine Psychopathie besonders bei denen vermuten, die mit Geisteskrankheit erblich belastet sind, denn bekanntlich finden wir unter ihnen häufig Grenzzustände zwischen Gesundheit und Krankheit, Menschen, die wegen ihrer abnormen Wesenszüge fliegeruntauglich sind“. Vgl.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Ich erlaube mir deshalb, Sie zu fragen, ob Sie mir einen Rat geben können, wie ich es am besten anstelle, Dr. Bingel wenigstens teilweise wieder an die Klinik zu bekommen. Es wurde mir mitgeteilt, dass eine Abkommandierung Dr. Bingels nur gegen Gestellung [sic] eines Ersatzmannes möglich wäre. Auf welchem Wege halten Sie eine Austauschversetzung für möglich?“242

Max de Crinis verwies in seinem Antwortschreiben auf den „außerordentlichen Ärztemangel bei der Wehrmacht“,243 welcher eine Freistellung des Oberarztes in Frage stelle. Bei nationalsozialistisch gesinnten Rassenhygienikern ließen sich entsprechende Wünsche zur Wehrmachts-Befreiung durch „Netzwerk-Klüngeleien“ erfüllen. Dies verdeutlicht die Freistellung Rudolf Lemkes. Als Oberarzt der Jenaer Psychiatrischen und Nervenklinik unter dem Direktorat des „T-4“-Gutachters Berthold Kihn war Lemke ab 1934 am Erbgesundheitsobergericht Jena tätig.244 Karl Astel (1898–1945), Direktor des Institutes für menschliche Züchtungslehre in Jena,245 informierte – in seiner Funktion als Rektor der Universität Jena – am 09.01.1940 das Thüringische Ministerium für Volksbildung darüber, dass „auf [s]einen Antrag [hin] der Oberarzt der Klinik, Dozent Dr. Lemke, vom Wehrdienst freigestellt“246 worden sei. Als Direktor der Jenaer Universitätsanstalt für „Menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung“ war Astel ab 1939 Leiter der Gauamtsstelle des Rassenpolitischen Amts der NSDAP, er suizidierte sich am 04.04.1945. Lemke wurde ab 1950 Direktor der Universitätsnervenklinik Jena und erhielt den Titel „Verdienter Arzt des Volkes“.247 Am 04.08.1936 sprach sich Meggendorfer aus für die Aufnahme des Nürnberger Kollegen Ulrich Fleck (1890–1990) in den Lehrkörper der FAU.248 Fleck wurde am 28.10.1936 von der Universität Göttingen, wo er a.o. Professor bei Gottfried Ewald gewesen war, an die Universität Erlangen umhabilitiert und am 27.10.1939 zum apl. Professor ernannt. „Als Beamter der Stadt der Reichsparteitage“249 soll sich Fleck am 20.07.1940 einem Kollegen gegenüber folgendermaßen positioniert haben: „Es ist ja so, dass man bei manchen Kranken, die angeboren blöd sind, […] immer wieder daran denkt, dass es fast menschlicher wäre, ihr Leben

242 243 244 245 246 247 248 249

ebd., S. 78. „Gerade der Psychiater ist in den letzten Jahren durch seine Arbeit in den Erbgesundheitsgerichten geübt worden, nicht nur in der Beurteilung des Schwachsinns und seiner Grenzgebiete, sondern gerade in der Beurteilung einzelner abnormer Wesenszüge für den Gesamtcharakter“. Vgl. ebd., S. 79. „Nur die besten Menschen sollen Flieger werden, so heisst es in den ärztlichen Untersuchungsbestimmungen, und der Nervenarzt ist durch seine Untersuchungen wesentlich daran beteiligt, dass diese Bestimmung auch sinngemäß durchgeführt wird“. Vgl. ebd., S. 81. Vergleichend lassen sich „Eignungsprüfungen für Funker“ finden bei Lipmann (1928). BAB VBS 307/8200001963. Ebd. Zudem war Lemke Mitarbeiter im Amt für Volksgesundheit. Vgl. Klee (2003), S. 365. Interessant auch Astel (1938). UAJ: BA 2154. Klee (2003), S. 20. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 2243 Ebd. Zur Rede von Gerhard Wagner (1888–1939) als „Reichsärzteführer“ vor dem Nürnberger NSDAP-Kongress 1935 siehe Wagner (1935).

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zu beenden“.250 Fleck betreute eine Doktorarbeit zur experimentellen Auslösung epileptischer Anfälle251 als möglicher Beitrag für die Differentialdiagnoseklärung von epileptischen vs. pseudoepileptischen Anfällen.252 Diese von Fleck betreute Untersuchung steht einerseits im Kontext ärztlicher Ethik widersprechender Menschenversuche,253 andererseits, so Frobenius, ist sie im Zusammenhang zu sehen mit einem Paradigmenwechsels der Psychiatrie weg vom therapeutischen Nihilismus hin zu somatischen Therapieverfahren.254 Flecks Veröffentlichungen „[a]us der psychiatrischen und Nervenklinik des allgemeinen Krankenhauses der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg“255 von 1942 und 1943 stellten jeweils eine Referenz zu Meggendorfers Schrifttum an den Textbeginn: In seiner Übersichtsarbeit zu den symptomatischen Psychosen rekurrierte Fleck bereits initial auf Meggendorfers Abhandlung bezüglich erbbiologischer Fragen der symptomatischen Psychosen, welche „einen klaren und umfassenden Überblick“256 verschaffe. In seiner im Jahr darauf publizierten Übersichtsarbeit über die Intoxikationspsychosen stimmte Fleck der Ansicht Riebelings von 1939257 zu, exogene Psychosen seien nicht als Ausdruck einer psychiatrischen und erblichen Minderwertigkeit ansehen. Fleck griff, seinen Angaben gemäß, eine Kontroverse zwischen Meggendorfer und Riebeling auf, wenn er anführte: „Ob allerdings [Riebelings] Ansicht zu Recht besteht, dass es keine Bleipsychose gäbe, weiß ich nicht recht. Wenn man das, was Meggendorfer zusammenfassend berichtet,258 berücksichtigt, so wird man sagen müssen, dass es auch über die Bleidemenz heraus Psychosen gibt, die man wohl als Bleipsychosen bezeichnen darf. Allerdings habe ich selbst entsprechende Fälle nie gesehen. Das hängt aber möglicherweise doch mit dem Fortschreiten der Gewerbehygiene in neuerer Zeit zusammen. Prinzipiell wird man nichts gegen das Vorkommen solcher Psychosen sagen können“.259

Nach seiner Entnazifizierung wurde Fleck260 die Venia legendi im Jahr 1954 – nicht 1947261 – wiederverliehen. Eine Bescheinigung des Rektors der Universität vom 250 251 252 253

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Klee (2003), S.155. Siehe hierzu Reger (1937). Vgl. Frobenius (2016), S. 251. Bei der Veröffentlichung der „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“ im Jahr 1931 legte „der Reichsgesundheitsrat […] besonderern Wert darauf […], Vorsorge zu treffen, dass alle Ärzte von den nachstehenden Richtlinien Kenntnis erhalten, und nahm von diesem Gesichtspunkt aus einstimmig eine Entschließung an, wonach alle in Anstalten der geschlossenen und offenen Krankenbehandlung oder Krankenfürsorge tätigen Ärzte bei ihrem Eintritt auf die Beachtung dieser Richtlinien unterschriftlich verpflichtet werden sollten“. Vgl. Reichsministeriums des Innern (1931), S. 74. Vgl. Frobenius (2016), S. 251. Fleck (1942) und (1943). Ders. (1942), S. 327. Siehe hierzu Riebeling (1939). Vgl. Meggendorfer (1928a). Fleck (1943), S. 27. „Ulrich Fleck, mit dem Kehrer schon früher Kontakt hatte, erbat 1947 für sich selbst und seinen Sohn eine Stelle in der Klinik in Münster“. Vgl. Mamali (2011), S. 110. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 2243 vs. Klee (2003), S. 155.

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27.09.1948 dokumentierte, Fleck habe sich 1945 nicht zur Wiederaufnahme des Dienstes gemeldet und sei folglich „als entfernt zu betrachten“.262 Der vierte Erlanger Ordinarius für Psychiatrie Fritz Eugen Flügel (1879–1973) schrieb 1954 in seiner Rolle als Dekan der Medizinischen Fakultät Folgendes an das Rektorat und an das Bayerische Staatministerium für Unterricht und Kultus: „Dass der Antrag auf Wiederernennung zum Privatdozenten und apl. Professor erst jetzt dem Ministerium vorgelegt wird hat seinen Grund darin, dass wegen bestandener persönlicher Differenzen des Prof. Fleck und Prof. Leibbrand die Wiederaufnahme des Fleck in den Lehrkörper der Universität Erlangen nicht betrieben worden war. Da durch das Ausscheiden von Leibbrand dieser Grund hinfällig geworden ist, hat Fleck jetzt eine Wiederaufnahme angestrebt“.263

Von 1942 bis 1943 beschäftigte Meggendorfer Johannes Schottky, geb. 1902, als explizit rassenhygienisch orientierten Dozenten.264 Schottky hatte 1933 zum Umgang mit seelisch Kranken in der Familie publiziert, eine Arbeit, welche „[v]om Unterausschuss für Psychische Hygiene der österreichischen Gesellschaft für Volksgesundheit mit dem ersten Preise ausgezeichnet“265 wurde. Die Arbeit beinhaltet ein Geleitwort von Wagner-Jauregg266 vom 11.05.1933 mit einer „[w]ärmste[n]“267 Empfehlung „dieses Büchlein[s] [an] Alle[], die sich für die Familienpflege268 Geisteskranker interessieren“269. Schottky war hauptamtlich im Rasseund Siedlungsamt der Schutzstaffel (SS) der NSDAP tätig und ab 1936 Leiter der Anstalt in Hildburghausen. Von Karl Brandt (1904–1948), dem ranghöchsten NS262 UAE: F2/1 Nr. 2243. 263 Ebd. Weiterführend das Schreiben von Leibbrand an Eduard Brenner am 02.10.1947: „wenn ich ferner täglich hören muss, dass die Wiedereinsetzung gleicher Reaktionäre nur an meiner eigenwilligen Tätigkeit in der Vorspruchkammer scheiterte, wenn ich täglich hören muss, dass ein in die Gruppe 3 eingegliederter, aber immer noch nicht aus der Universität ausgeschlossener Privatdozent und Nürnberger Nervenarzt, der mich im 3. Reich verfolgt hat, sich damit brüstet, dass er völlig rehabilitiert wieder seine Praxis aufnehmen darf und den Professorentitel weiter führt“. Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 53. 264 Verwiesen sei ferner auf Schottky (1933), (1936), (1937a), (1937b), (1940 a), (1940b), (1940c), (1941a), (1941b), (1941c), (1941d), (1941e), (1941f), (1941g), (1941h) und (1942). 265 Ders. (1933), Titelseite. 266 Empfehlenswert hierzu auch Wagner-Jauregg (1939) sowie Whitrow (1990). 267 Schottky (1933), Deckblatt. 268 Interessant hierzu die Kasuistik des Familienpfleglings H. E. Gustav Kolb, der Begründer des Erlanger Systems der offenen Fürsorge hatte am 33.01.1933 „keine Bedenken“ gesehen, „wenn Frl. H. E. zu Frau Professor Degel in Versorgung kommt, d. h. wenn die Angehörigen mit Frau Professor Degel einen Vertrag abschliessen, wonach Frau Degel in der bisherigen Weise die Leistungen für Fräulein H. übernimmt. Auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses über Fräulein H. im Falle einer späteren Verschlechterung bin ich jederzeit bereit[,] sie in die Anstalt zurückzuübernehmen [sic]“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Die 1874 geborene, an „angeborenem Schwachsinn“ leidende H. E. kam am 06.05.1941 mit „Sa. Kolonne [=Sanitätskolonne] aus der medizinischen Klinik Erlangen und geht auf Abteilung WS 2 zu, d. h. wurde nach Aussprache mit Frau Prof. Degel sofort in die Klinik verlegt“ Vgl. ebd. Im Rahmen der Aufnahmedokumentation wurde festgehalten, die Patientin mache einen „schwerkranken Eindruck“. Am 12.05.1941 ist „exitus letalis“ dokumentiert, der pathologische Befund ergab eine Lungenembolie als Todesursache. Vgl. ebd. 269 Schottky (1933), Deckblatt.

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Mediziner,270 wurde Schottky 1944 für den Rassenhygiene-Lehrstuhl in München vorgeschlagen. Ab 1947 wirkte Schottky als niedergelassener Nervenarzt in Herford.271 3.1.7 Die 200-Jahrfeier der Universität Erlangen Die Erlanger Tätigkeit von Schottky könnte zu einer beruflichen Entlastung Meggendorfers beigetragen haben, zumal er Zeit fand, sich bezüglich der Kleiderordnung beim Festzeremoniell zur 200 Jahrfeier der Universität Erlangen272 an den Universitäts-Syndikus Zinner zu wenden:

270 Vgl. Klee (2003), S.70. 271 Mündliche Information durch Herrn Dr. Albrecht Schottky, Werneck von August 2013. 272 Es ist davon auszugehen, dass auch Meggendorfer über den Festablauf wie folgt informiert wurde: „Mittwoch, den 3. November: 20.00 Uhr abends im großen Saal des Studentenhauses allgemeines Treffen. ‚Begrüßungsabend‘. Donnerstag, den 4. November: 10.15 Uhr im Redoutensaal Gedenkstunde. Orchesterouvertüre von Johann Pfeiffer [1697–1761], Hofrat und Kapellmeister der Markgräfin Wilhelmine [1709–1758] in Bayreuth, ausgeführt von Oberstudiendirektor Max Gebhard, Direktor der Landesmusikschule Nürnberg. Begrüßung der Gäste durch S. Magnifizenz den Rektor. Gefallenenehrung. Es spricht: Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus. Gauleiter Geisler. Der Hoheitsträger im Gau Franken stellv. Gauleiter Karl Holz. Der Oberbürgermeister der Stadt Erlangen. Oberbereichsleiter A. Groß. Der Gaustudentenführer Oberleutnant Giegerich. Weitere Ansprachen und Glückwünsche für die Universität. Überblick über die Geschichte der Universität, gegeben von Prof. Dr. jur. Liermann. Ansprache S. Magnifizenz des Rektors: Ehrungen. Führerehrung. Lieder der Nation. Schluss ca. 13 Uhr. Mittagessen. Ab 15 Uhr gemeinsame Teestunde im Studentenhaus, Einladung des Rektors. Musikalische Ausgestaltung durch Prof. Kempf. 18.45 Uhr im alten Markgräflichen Theater Aufführung von ‚Orpheus und Eurydike‘ von Gluck. Einladung des H. Oberbürgermeisters. Gegen 21 Uhr Treffen im Studentenhaus, Gelegenheit zu einfachem Abendessen. Zur Tee-Einladung des Rektors sollen 100g Brotmarken, 50g Fleischmarken und 20g Fettmarken bereitgestellt werden. Für alle Veranstaltungen Uniform oder dunkler Anzug“. Vgl. UAE: A1–3 a Nr. 1118. Der erwähnte Jurist Hans Liermann hatte vom 01.06.1946 bis 31.07.1956 die kommissarische Vetretung des Rektors der FAU inne. Vgl. https://www.fau.de/ universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. Liermann wurde im WS 1929/30 als „persönlicher Ordinarius für Kirchenrecht als Nachfolger von Emil Sehling [1860–1928] berufen. […]. 1932/33 war er Prokanzler, d. h. er stand dem Rektor Locher in der schwierigen Übergangszeit der ‚Machtergreifung‘ als Fachjurist und Kollege mit Rat zur Seite. […] vom Rektor Wintz zum Dekan ernannt (1939– 1945) […] überstand [er] als einer der wenigen wegen seiner Loyalität gegenüber dem Rektor die Wintzprojekt-Affäre 1934/44. Während des ‚Dritten Reiches‘ und nach 1945 war Liermann ein von auswärts viel begehrter Gutachter, weil ihn seine Publikationen auf den Gebieten des evangelischen Kirchenrechts, der fränkischen Rechtsgeschichte, des Stiftungsrechts und der Rechtsphilosophie als bedeutenden Fachmann auswiesen“. Vgl. Lehmann (1993a), S. 358–359. „Christoph Willibald Gluck [1714–1787] steht für eine lebendige Verbindung zwischen dem Kulturland Bayern und dem Rest der Welt, zwischen kreativem Verständnis und künstlerischer Gegenwart. […]. Mit den Internationalen Gluck Opern Festspielen kehrt Glucks musikalisches Erbe gleichsam zurück in die alte Heimat, und der Kreis schließt sich: Gluck brachte seine Musik in die ganze Welt, doch dank seines künstlerischen Vermächtnisses findet seit einigen

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Es handelt sich um die Bekleidung zum Fest. Es besteht ja die Anordnung, dass bei der Veranstaltung am Vormittag Talar getragen wird. In dieser Hinsicht besteht wohl jetzt unter den Kollegen wahrscheinlich Einigkeit, während ursprünglich die einen in Talar, die anderen in Uniform erscheinen wollten.273 Dagegen besteht darüber keine Einigkeit, ob zum Talar die Orden und Ehrenzeichen getragen werden oder nicht und weiterhin, wie sie getragen werden sollen“.274

Meggendorfer beschrieb detailverliebt, wie die große Ordensschnalle in schräger Anordnung auf dem Revers des Talars zu befestigen sei,275 was 1993 als „banal und weltfremd“276 rezensiert wurde. Am 27.10.1943 wurde der Beschluss für die traditionelle Kleidung277 und gegen Uniform und Orden bekannt gegeben. Am 04.11.1743 war die Universität Erlangen durch Markgraf Friedrich eröffnet worden. Wintz als Rektor plante anfänglich eine Vorverlegung der Jubiläumsfeier278

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Jahren auch die musikbegeisterte Welt den Weg zu den Internationalen Gluck Opern Festspielen“. Vgl. Internationale Gluck Opern Festspiele 2014. ReFORM und ReVISION. Gluck/300, Programmheft, S. 25. „Wieviel Talent der Komponist auch hat, er wird stets nur mittelmäßig Musik machen, wenn der Dichter in ihm nicht jenen Enthusiasmus erregt, ohne den die Erzeugnisse aller Künste schwach und matt sind. Die Nachahmung der Natur ist das Ziel, das sich alle setzen müssen“. Vgl. Gluck, C. W. an den Redakteur des „Mercure de France“ (1773), zit. n. ebd., S. 24. „Für die Griechen war der Thraker Orpheus der Sohn der Muse Kalliope, der mythische Vater der Musik; aber die Faszination, die Orpheus auf die Künstler der Neuzeit ausgeübt hat, ist, dass sein Gesang ihm den Weg zu seiner verstorbenen Eurydike ebnet. Hier ist es die Kunst, durch deren Kraft sich der Weg auftut. Ein frühes Epos über den Abstieg in den Hades rührt aus dem 6. Jahrhundert. Von dem verhängnisvollen Blick zurück, der ihn seine Frau dann endgültig verlieren lässt, liest man zum ersten Mal bei Vergil [70 –19 v. Chr.] ungefähr 30 Jahre vor unserer Zeitrechnung“. Vgl. ebd., S. 91. Die Vermutung liegt nahe, dass Meggendorfer zu jenen gehörte, die im Talar die Erlanger Hochschule repräsentieren wollten, denn bereits vom 01.10.1942 lässt sich folgende Kurzmitteilung Meggendorfers finden: „Ich bestätige hiermit den Empfang meines Talars. Prof. Dr. Fr. Meggendorfer“. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M 46. Schreiben von Meggendorfer an Syndikus Regierungsrat Dr. Zinner, Erlangen, Schloss; 29.10.1943. Vgl. ebd.: A1–3 a Nr. 1118. Vgl. ebd. Jakob (1993), S. 213. „Zur akademischen Feier vormittags 10 Uhr wird der Talar getragen. Als ich seinerzeit anordnete, dass die Talare jedem Talarträger ins Haus gegeben werden, ließ ich auch die Wäsche in frisch gebügeltem Zustand mit übergeben. Ich nahm an, dass alles in tadellosem Zustand ist. Bitte stellen Sie fest, ob Ihr Talar und Ihre Wäsche in Ordnung ist [sic]. Sollte dies nicht der Fall sein, setzen Sie sich mit Herrn Syndikus Zinner in Verbindung“. Der Rektor, Rundschreiben Nr. 31; 15.10.1943. Vgl. UAE: A1–3 a Nr. 1118. „Wann und in welchem Raume die Talare angelegt werden, wird noch später bekannt gegeben […] Soweit kein Talar getragen wird, bitte ich Uniform oder dunklen Anzug (Cutaway oder kleinen Gesellschaftsanzug, nicht aber Frack oder Smoking) anzulegen“. Der Rektor, Rundschreiben Nr. 33; 27.10.1943. Vgl. ebd. „Jubiläen deutscher Universitäten und Hochschulen in den letzten Jahren: 6.6.1935, technische Hochschule Breslau: 25-jähriges Bestehen; 11.11.1935, Universität Berlin: 125-jähriges Bestehen; 26.5.1936, Technische Hochschule Darmstadt: 100-Jahrfeier; 27.6.1936, Universität Heidelberg: 550-jähriges Bestehen; 1.11.1936, Universität Breslau: 125-jähriges Bestehen; 28.6.1937, Universität Göttingen: 20-Jahrfeier; 24.6.1938, Universität Köln: Feier zur Erinnerung an die Gründung der ersten Kölner Univ. vor 550 Jahren; 1940, Universität Kiel: 275-

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auf Ende Juli, wie dies wohl bereits im Vorfeld bei Gründungszeremonien usus gewesen war. Der Rektor nämlich nahm an, dass „immerhin zahlreiche ‚alte Erlanger‘279 gern teilnehmen wollten. Nun sind aber z. Zt. die Unterbringungsmöglichkeiten in Erlangen katastrophal. Ein Schlossgartenfest o. ä. kann jetzt nicht abgehalten werden. Daher bestand ein zwingender Grund, den Tag, der bisher immer als Geburtstag unserer alma mater begangen wurde, nicht für das Jubiläum zu nehmen“.280

Am 12.10.1943281 sandte Wintz ein Einladungsschreiben an Adolf Hitler,282 in welchem er betonte, die Friedrich-Alexander-Universität nenne sich die „erste nationalsozialistische Hochschule des deutschen Reiches“.283 In diesem Kontext sei ein mit „Reichsadler-Hakenkreuz-Siegel“ beglaubigtes Dokument der Psychiatrischen und Nervenklinik abgebildet.

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jähriges Bestehen; 1940, technische Hochschule Wien: 125-jähriges Bestehen; 13.1.1943, Universität München: 470-jähriges Jubiläum; 1943, Universität Halle: 350-jähriges Bestehen; 1943, Universität Bonn: 125-jähriges Bestehen“. Vgl. ebd. Aus der Vorschlagsliste der Medizinischen Fakultät für die Einladungen zum 200-jährigen Jubiläum der Universität Erlangen seien die Vertreter der Fachdisziplin Psychiatrie erwähnt: Ewald, Kleist, Kihn. Vgl. ebd. Ebd. Einen Tag vorher hatte Wintz an Franz Ritter von Epp, Reichsstatthalter in Bayern, folgende Zeilen gesendet: „Wenn die jetzigen Verhältnisse auch die Abhaltung größerer Festlichkeiten verbieten, so wollen wir den Tag doch nicht vorübergehen lassen ohne des Jubiläums in einfacher aber würdiger Form zu gedenken“. Vgl. ebd., Wintz an Franz Ritter von Epp, Reichsstatthalter, 11.10.1943. „Mein Führer! Die Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen kann am 4. November 1943 auf ein 200-jähriges Bestehen zurückblicken. Wenn die jetzigen Verhältnisse auch die Abhaltung grösserer Festlichkeiten verbieten, so wollen wir den Tag doch aber nicht vorübergehen lassen ohne des Jubiläums in einfacher aber würdiger Form zu gedenken. In Friedenszeiten würde die Universität, die Sie, mein Führer, in der Kampfzeit mehrfach mit Ihrem Besuche beehrt haben und die sich mit Stolz die erste nationalsozialistische Hochschule des deutschen Reiches nennt[,] Sie bitten zum Jubiläum nach Erlangen zu kommen. Wir wissen, dass wir diesen Wunsch heute nicht aussprechen dürfen; trotzdem erlauben wir uns die offizielle Karte, mit der wir zu einer Gedenkstunde eingeladen haben, ehrerbietigst zu unterbreiten. Mit der Versicherung unverbrüchlicher [sic] Treue grüsst Sie, mein Führer, durch mich als den Rektor die Hochschule Erlangen aufrichtig und herzlich gez. Wintz“. Vgl. ebd., Nr. 1118 b. Zudem sei verwiesen auf Biddiss (1997). UAE: A1–3 a Nr. 1118 b.

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Abb. 30: „Stempel mit „Reichsadler- und Hakenkreuz-Siegel“ zur Beglaubigung der „Psychiatrische[n] und Nervenklinik der Universität Erlangen“284

284 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 205/110, 182/91. Die Patientin N. A. war von Dr. Bücking-Kopfermann am 18.05.1937 „[a]n die Psychiatrische Klinik Erlangen“ überwiesen worden mit: „Subj. Beschwerden: Will in den Kanal, hat es auch versucht, Kopfweh (dauernd); hoffnungslos. Objekt. Befund: Weinerlich, wechselnd mit.......[sic] redet von Selbstmord, weil hoffnungslos krank. Puls auffallend hoch. Bisherige Behandlung: Beruhigungsmittel. Warum ist Klinikbehandlung notwendig? War im August schon in der Klinik. Zur Zeit weiter Spezialbehandlung, Ursache ev. Arteriosclerose [sic], muss geschulte Daueraufsicht haben. Mutmassliche notwendige Dauer des Klinikaufenthaltes: Ev. ganze Internierung falls Besserung durch Behandlung nicht erreicht wird. Zur Beglaubigung“. Vgl. ebd. Beantragt wurden von Überweiser Dr. Bücking-Kopfermann „8 Tage [Psychiatrische Klinik,] dann ev. Medizin“. Vgl. ebd. Mit „Kanal“ gemeint ist der Ludwig-Donau-Main-Kanal als Vorgänger des ab 1960 errichteten „Europakanals“. Siehe ferner „Festschrift zur feierlichen Eröffnung des Ludwig-Kanals und Enthüllung des Kanal-Monuments am Burgberge bei Erlangen: den 15. Juli 1846“. Nürnberg: Stein, 1846. In: http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0007/ bsb 00073538/images/index.html ?id= 00073538 &groesser=&fip= eayasdaseayafsdrxsfsdreayaxsxdsyd&no=15&seite=5. Stand vom 23.05.2017.

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Der Festakt im Redoutensaal285 wurde am Vormittag des 04.11.1943 musikalisch vom akademischen Chorverein der Universität Erlangen umrahmt. Zur Kantate Nr. 205 von Johann Sebastian Bach (1685–1750) erklang folgender Singtext: „Vivat Deutschland! Deutschland vivat! Sei beglückt, geliebtes Land! Dein Vergnügen müsse blühen, Dass dein Schaffen, dein Bemühen Möge starke Jugend ziehen, Treu, Stärke, Wahrheit, Scheu vor eitlem Tand! Vivat! Alma Mater vivat! Sei beglückt, Du stolzes Haus! All dein Streben müsse blühen, Dass dein Lehren, dein Bemühen Möge starke Jugend ziehen!“286

Aufgrund der Wohnungsknappheit in Erlangen waren im Vorfeld die Hochschullehrer gebeten worden, auswärtigen Festgästen bei sich daheim eine Unterbringungsmöglichkeit zu gewähren.287 Es findet sich im Universitätsarchiv eine Wohnungsliste der Gäste zur 200-Jahrfeier. Interessanterweise wurde bei Meggendorfer kein psychiatrischer Berufskollege untergebracht. So wohnte „Schottky, Obermed.rat Hildburghausen“288 im Hotel Erlangerhof. Die seitens der medizinischen Fakultät explizit geladenen „Erlanger Psychiatriegrößen“ Kleist, Ewald und Kihn finden sich in der Wohnungsliste nicht. Die aktuelle Datenlage erlaubt keine sichere

285 Die Brüsseler Zeitung zitierte in Ihrem Bericht über die Erlanger Festzeremonie aus der Festansprache des Reichserziehungsministers Rust: „Die Friedrich-Alexander-Universität feierte am Donnerstag ihren 200. Gründungstag. Bei der Feier im Städtischen Redoutensaal waren zahlreiche führende Persönlichkeiten aus Staat, Partei, Wehrmacht und des geistigen Lebens zugegen. Im Mittelpunkt der Feier stand die Ansprache des Reichserziehungsministers Rust, der ein Bekenntnis zur grossen deutschen Vergangenheit und zugleich zur europäischen Kultur ablegte. ‚In einem Augenblick, da England wie ein tollwütiger Hund unsere Kultur anfällt, wollen wir sie umso entschlossener hiergegen und gegen den Ansturm des Bolschewismus verteidigen. Zum Kampf der Fronten ist der Kampf des schöpferischen Geistes getreten, den Tugenden des deutschen Soldaten stehen gleichwertig die Fähigkeiten des deutschen Wissenschaftlers zur Seite‘. Am Schluss seiner Ausführungen erinnerte der Minister daran, dass sich im Jahre 1919 gerade die Erlanger Studenten mit der Waffe in der Hand dem Freikorps Epp zur Verfügung stellten“. Vgl. Brüsseler Zeitung vom 5.11.1943, zit. n. UAE: A1–3 a Nr. 1118 b. 286 Ebd. 287 „Die Voraussage für die Zahl der benötigten Gastbetten während des Jubiläums ist nahezu unmöglich; ich glaube aber, dass der Besuch ein ziemlich großer sein wird. Daher bitte ich die Herren Kollegen und vor allem die verehrten Hausfrauen nachzudenken, ob nicht für 1 oder 2 Nächte ein Gastbett freigemacht werden kann“. Vgl. Der Rektor. Rundschreiben Nr. 33, 27.10.1943. Vgl. ebd. 288 Ebd.

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Aussage darüber, ob sie am Festtage selbst aus Erlangen wieder abreisten oder womöglich der Jubiläumseinladung von vornherein nicht nachkommen konnten. Karl Astel war als Repräsentant einer radikalen Eugenik im Hotel Kaiserhof untergebracht. Bei Meggendorfer in der Schillerstraße wohnte der Festgast „Odenwald, Prof, Heidelberg“.289 Johann Karl Theodor Odenwald (1889–1970) war ein evangelischer Theologe,290 der ab 1929 Lehrstuhlinhaber in Heidelberg war. Odenwald gehörte zu den Deutschen Christen291 und gehörte zu den Unterzeichnern der Godesberger Erklärung vom 26.03.1939.292 3.2 GUTACHTERLICHE TÄTIGKEIT Als „Experte[] für Rassenhygiene“293 wurde Meggendorfer ab 1933 regelmäßig als Gutachter herangezogen. In ihrer Dissertation bei Meggendorfer „Über die Durchführung des GzVeN aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen“294 schilderte Ingeborg Vollenbruck 1941 „die große Vorsicht, mit der das GzVeN durchgeführt wird“.295 In den ersten drei Gültigkeitsjahren des GzVeN hätten sich die Erlanger Universitätspsychiater in nur circa zehn Prozent der fraglich 289 Ebd. 290 Zur Rolle der Bekennenden Kirche im NS-Regime als protestantische Gegenbewegung zum staatlichen Gleichschaltungsprozess der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) siehe Schulze (2015). Zur Rolle der evangelischen Diakonie im NS-Regime siehe Klee (1992b). 291 Zur Rolle der Deutschen Christen in der NS-ideologietreuen Stilisierung Luthers weiterführend: „1933: le 450e anniversaire de Luther est fêté en Allemagne. Les Deutsche Christen font du réformateur le messager du Führer allemand, avec ce slogan: ‚Mit Luther und Hitler für Glaube und Rasse‘. Cependant l’ Eglise confessante revendique aussi Luther, en revendiquant l’autonomie des Eglises protestantes. Le 455e anniversaire de Luther, le 10 novembre 1938, a lieu le jour suivant la Nuit de Cristal. Les nazis mettent en avant la ‚réformation allemande‘ et Luther, honoré conmme ‚le plus grand antisémite de son temps, protecteur du peuple allemand contre les juifs‘. De son côté, la propagande alliée pendant la guerre fait le lien entre Luther et Hitler“. Vgl. Carbonnier-Burkard (2014), S. 223–224. Zu Eugen Mattiat (1901–1976) vom „Deutschen Christen“ zum Volkskundeprofessor und wieder zurück ins Pastorat als „Fallstudie einer Karriere im Nationalsozialismus“ siehe Bozsa (2014). 292 „Indem der Nationalsozialismus jeden politischen Machtanspruch der Kirchen bekämpft und die dem deutschen Volke artgemäße nationalsozialistische Weltanschauung für alle verbindlich macht, führt er das Werk Martin Luthers […] fort“. Vgl. Odenwald, zit. n. Klee (2003), S. 442. Odenwald trat 1939 der NSDAP bei, er war Mitarbeiter am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben in Eisenach. Im Oktober 1945 wurde er durch US-Militärregierung aus seinem Amt enthoben. Später wurde er tätig an einem Privatgymnasium. Im Jahr 1962 erhielt er die Rechtsstellung eines entpflichteten ordentlichen Professors. Er verstarb am 09.01.1970. Vgl. ebd. Zum Jesusbild im Horizont des Nationalsozialismus anhand der Studien zum Neuen Testament des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ siehe Lorenz (2017). Zur Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus siehe vorg. Fn. 290 und S. 138, Fn. 589. 293 Lehmann (1993a), S. 360. 294 Vollenbruck (1941). 295 Ebd., S. 22.

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erbkranken psychiatrischen Patienten zu einer Antragsstellung entschlossen.296 Eine Auswertung des Antragregisters des Erbgesundheitgerichtes (EGG) Erlangen ergab, dass die Psychiatrische und Nervenklinik dort zwischen Anfang 1937 und Ende 1943 mit 88 Prozent ihrer Anträge erfolgreich war.297 Die 236 an das EGG Erlangen gerichteten Anträge zur Durchführung des GzVeN stellten etwa 50 Prozent des gesamten Antragvolumens der Klinik dar.298 Es findet sich ein Hinweis darauf, dass die Assistenzärztin Dr. Frommlet299 unter Meggendorfers Leitung womöglich individuell diagnostische „Tricks“ anwenden konnte, um eine im Vorfeld diagnostizierte schizophrene Erkrankung abzumildern hin zu einer Verdachtsdiagnose, wie das Beispiel der M. R. zeigt. 296 Auf Anfrage des Sohnes der ab 10.11.1935 in der Klinik behandelten B. E. antwortete Bingel zum Beispiel: „Als Vertreter von Herrn Prof. Dr. Meggendorfer, der zur Zeit in Urlaub ist, beantworte ich Ihren Brief dahin, dass […] vor allem nach Kenntnisnahme des ärztlichen Zeugnisses, das am 23. Januar 1936 ausgestellt worden ist, bei Ihrer Mutter eine etwas atypische Psychose im Bereich des manisch-depressiven Irreseins vorgelegen hat. Da das manisch-depressive Irresein eine Erbkrankheit im Sinne des Erbgesundheitsgesetzes ist, glaube ich, dass Ihnen an der Ausstellung eines Zeugnisses nichts gelegen ist. Gegen eine solche Diagnose spricht nicht, dass die Krankheit bis zu einem gewissen Grade heilbar ist. Heil Hitler! Oberarzt der Klinik“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 261/16. 297 Vgl. Ley (2004), S. 282. 298 Vgl. ebd. 299 „die einzige Person mit dem Nachnamen Frommlet in unserer Datenbank ist Dr. Anna Frommlet. Von ihr gibt es leider keine Personalakte, sondern nur eine Approbationsakte 1935/36 (UAE: C3/6 Nr. 1395) und eine Promotionsakte 1936/37 (Ebd.: C3/3 Nr. 1936/37-158)“. Diese beiden Akten geben keinen Aufschluss über ihre Anstellung als Assistenzärztin. Vgl. persönliche Information von Dr. Clemens Wachter, 29.05.2017. Signiert mit „gez. Dr. Frommlet. Einverstanden Der Direktor“ sollte sie sogar für ein Erbgesundheitsobergericht, nämlich in Bamberg, ein 13-seitiges Gutachten am 09.02.1938 zu der 1903 geborenen P. M. verfassen. In dem Gutachten wird eine deutliche Kritik an der psychiatrisch-diagnostischen Kompetenz des Amtsarztes geübt. Zudem zeigt sich das Gutachten aufschlussreich darüber, dass offensichtlich auch nicht direkt GzVeN-involvierte Behörden ein „Mitspracherecht“ bei den anzuzeigenden Personen beanspruchten, in diesem Falle z. B. der Bürgermeister. Am 27.02.1937 war P. M. vom Amtsarzt in Lichtenfels zur eugenischen Sterilisation angezeigt worden: „Dem Gutachten ist weiter zu entnehmen, dass P. zuhause Gelegenheit hatte, viel zu trinken. Sie hat zwei aussereheliche Kinder; nur von einem ist der Vater genau bekannt. […]. Hinzuzufügen wäre noch, dass der Bürgermeister dem Gesundheitsamt meldete, dass P. dauernd die Stellen wechselte und sich beschäftigungslos in der Heimat herumtreibe, dass ausserdem die Befürchtung bestehe, dass sie bei ihrer Männertollheit abermals schwanger werde. Durch die ortspolizeilichen Erhebungen konnte festgestellt werden, dass P. nur zur Zeit der Periode zu sittlichen Ausartungen neige und dann auch gleichgültig in ihrer Arbeit sei und Wandertrieb zeige, während dies zu anderen Zeiten nicht bemerkt werden könne. Allerdings neige sie zum Trinken, vor allem da ihr durch die Gastwirtschaft des Bruders die Möglichkeit dazu gegeben ist. […]. Zur Zeit der Menses[,] die zufällig während der Beobachtungszeit auftraten, zeigte sich in ihrem psychischen Verhalten nicht die geringste Veränderung. […]. Worauf sich die Diagnose des Amtsarztes ,manische Phase des zirkulären Irreseins‘ stützt, sind m. E. keine sicheren Erscheinungen dieser Erkrankung. In dem Gutachten ist ein Befund nieder gelegt, der keineswegs mit der genügenden Sicherheit die gestellte Diagnose zulässt, sondern ebensogut auch als Reaktionserscheinung einer psychopathischen Persönlichkeit aufgefasst werden kann. Es ist auch nicht recht verständlich, weshalb, wenn schon eine Geschäftsunfähigkeit bedingte Manie bestanden

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Die 1913 geborene M. R. wurde von 14.01.1938 bis 14.04.1938 in Meggendorfers Klinik behandelt. Am 04.03.1938 wurde auf die Anfrage des Leiters der Allg. Ortskrankenkasse Nürnberg vom 28.02.1938 geantwortet, „der anfängliche Verdacht auf Schizophrenie […] [habe sich] inzwischen bestätigt“.300 Nach anfänglicher Erregung habe sich die Kranke „zwar beruhigt, sie antwortet aber nicht auf Fragen, ist ratlos, eigenartig, steht beschäftigungslos herum“.301 Am 11.03.1938 wurde dem Bruder der Patientin auf seine Anfrage vom 07.03.1938 mitgeteilt, Frau M. R. erscheine „zwar zeitweise ziemlich gesund“,302 es träten jedoch „immer wieder Rückfälle“303 auf. „Die Erkrankung scheint auf Veranlagung zu beruhen, doch ist die Natur der Krankheit noch nicht ganz geklärt. Die Kranke muss deshalb noch einige Zeit hier bleiben“.304 Vom 03.04.1938 ist folgender Akteneintrag erhalten: „Sie ängstigt sich dauernd wegen der Kostenfrage bezüglich ihres Aufenthaltes, meint, wenn die Fürsorge nicht bezahle, büsse [sic] sie ihr bisschen Erspartes ein, was auch tatsächlich der Fall ist. Aus diesem Grunde möchte sie unbedingt nach Hause. Da […] die Diagnose Schizophrenie nicht mit genügender Sicherheit gestellt werden kann […] könnte die Pat. entlassen werden, da ja der Psychische Zustand im Vergleich zur ersten Zeit des Klinikaufenthaltes weitgehend gebessert ist“.305

Am 04.04.1938 wurde die Patientin „gebessert entlassen. Es erfolgt Anzeige wegen Verdachts auf Schizophrenie. Epikrise siehe Arztbericht. Dr. Frommlet“.306 Es kann davon ausgegangen werden, dass es nachträglich zu Änderungen in den initial gemachten Angaben zum körperlichen Befund gekommen war. Sämtliche Angaben zur Rubrik „körperlicher Befund“ sind mit Schreibmaschine geschrieben. Über die

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haben soll, der Amtsarzt die auf sich angewiesene Kranke wieder auf freien Fuss setzte und sie in Stellung gehen liess. Wenn tatsächlich eine Manie bestanden hätte, wäre P. zu einer Arbeit nicht mehr zu gebrauchen gewesen und hätte m. E. in eine Anstalt eingewiesen werden müssen. Auch bei der jetzigen klinischen Untersuchung sprach nichts für das Vorliegen einer manischen bezw. depressiven Phase des zirkulären Formenkreises. P. war dafür stimmungsmäßig viel zu gleichgültig und indolent und zeigte weder Überschwenglichkeit und Ideenflucht noch Zeichen von Gehemmtsein oder trauriger Verstimmung. Man müsste vielmehr eine Schizophrenie oder eine Unterform derselben in Erwägung ziehen, doch fehlt auch hierfür erstens der Nachweis eines durchgemachten Prozesses und zweitens eines jetzigen ausreichenden Defektzustandes. Obwohl eine Belastung väterlicherseits vorliegt, ist man m. E. nach dem jetzigen Untersuchungsbefund nicht berechtigt, Fräulein P. für erbkrank zu halten. Bei der relativen Affektarmut und Antriebslosigkeit kann man eher eine schizoide Psychopathie annehmen. Für eine manische Phase des zirkulären Irreseins bzw. eine endogene Depression fanden sich meines Erachtens weder nach Vorgeschichte und Aktenlage, noch nach dem jetzigen Untersuchungsergebnis genügend Anhaltspunkte. Das ganze psychische Verhalten der P. sprach vielmehr, soweit dies überhaupt bei einer 14 tägigen Beobachtungszeit zu beurteilen ist, für eine schizoide Psychopathie. Fräulein P. leidet demnach nicht an einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 133/32. Ebd., Aufnahmenr.: 114/13. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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schreibmaschinelle Angabe „Schädel: normal konfiguriert“307 wurde handschriftlich „Turmschädel“308 nachgebessert. Gegenüber dem überweisenden Dr. med. H. Nützel, Staffelstein wurde, wie ein Schreiben vom 19.04.1938 zeigt, der Krankheitsverlauf und die diagnostische Einschätzung dahingehend zusammengefasst, dass „[d]er anfängliche Erregungszustand, welcher Anlass zur Klinikaufnahme gab“309 nach dreitägigem Aufenthalt vollständig abgeklungen sei. Die Patientin habe sich in der Folgezeit „stets ruhig“310 verhalten, sei aber „in psychischer Hinsicht dadurch auf[gefallen], dass sie zeitweise ohne ersichtlichen Grund gedrückter Stimmung war und einen ängstlichen, ratlosen Eindruck machte. Dabei zog sie sich gänzlich von anderen zurück, beschäftigte sich kaum und erschien manchmal wie gesperrt“. 311

Diese Zustände werden hauptsächlich zur Zeit des Menses beschrieben, zu anderen Zeiten hingegen sei sie „psychisch unauffällig“312 gewesen. „Das Röntgenbild des Schädels zeigte die Form eines Turmschädels“.313 Lumbalpunktion, Lues-Reaktion und neurologischer Befund seien unauffällig gewesen. „Das Krankheitsbild der Pat. sprach für das Vorliegen einer Psychose, vor allem bei Berücksichtigung des anfänglichen Erregungszustandes. Ob es sich jedoch um eine Schizophrenie oder um eine symptomatische Psychose bei Turmschädel handelt, konnte wegen des eigenartigen Verlaufs nicht eindeutig entschieden werden. – Wir erstatteten Anzeige wegen Verdachts auf Schizophrenie“.314

Neben den Antragsgutachten, die hauptsächlich von Amtsärzten erstellt wurden, kam es im Rahmen eines Erbgesundheitsverfahrens auch zur „Expertisen-Einholung“ bei klinisch tätigen Psychiatern. Diese Begutachtung fremder Antragsdiagnosen wurde von der Fachgemeinschaft vielfach „als Urteile über die Befunde psychiatrischer Laien [Amtsärzte] auf irrenärztlichem Terrain betrachtet“.315 Diese Re307 Ebd. 308 Ebd. 309 Ebd. 310 Ebd. 311 Ebd. 312 Ebd. 313 Ebd. 314 Ebd 315 Ley (2004), S. 287. Kihns Rückgriff auf die psychiatrische Einschätzung des bezirksärztlichen Gutachters scheint oberflächlich betrachtet wertschätzend, könnte jedoch eine subtile „von oben herab“-Perspektive widerspiegeln. Kihn führte nämlich in seinem Gutachten vom 23.12.1935 zur 1910 geborenen und von 09.12.1935 bis 22.12.1935 stationär beobachteten Frau S. folgendes an, um die Diagnose „Man. depr. Irresein“ zu bestätigen: „Als Persönlichkeit wirkt sie im ganzen recht sympathisch und harmonisch. Aber man hat doch den Eindruck, dass sie sich im ganzen quält und dass ihre Gemütslage nach der depressiven Seite hin verschoben ist. Sie spricht leise, gezwungen, es strengt sie offensichtlich an und sie spricht nicht mehr als sie muss. Das Lachen klingt nicht überzeugend und auch die Psychomotorik erscheint gebunden. Sie weicht natürlich allen Fragen, die versuchen, in ihren jetzigen Seelenzustand einzudringen und ihn als krankhaft zu erweisen, aus und hat für alles eine unverfängliche Erklärung. Aber es bleibt die Tatsache bestehen, dass Frau S. auch jetzt noch nicht gänzlich psychisch genesen ist und dass die in dem bezirksärztlichen Gutachten des Aktes festgestellte Beobachtung, dass Frau S. noch hypomelancholisch verändert sei, wirklich zutrifft. Zu den früheren

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Begutachtungen leitete Meggendorfer teils mit der Aussage ein, er sei gerichtlich aufgefordert worden, die betreffende „Antragsdiagnose zu überprüfen“.316 Gemäß einer 50-prozentigen, nach Jahren geschichteten Stichprobe (n=258) aus 516 Zusatzgutachten der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik gab es einen Anstieg des Beobachtungszeitraums von durchschnittlich fünf Tagen im Jahr 1934 auf durchschnittlich 23 Tage im Jahr 1938. Als Ursache hierfür wird die Tatsache angeführt, dass die Gutachten seit 1935 zunehmend von Assistenz- und Hilfsärzten angefertigt wurden.317 3.2.1 Die Delegationspraxis im Vergleich mit anderen Orten Obwohl gemäß den Vorschriften des Gesetzgebers die Expertisen für die Erbgesundheitsgerichte grundsätzlich in den Aufgabenbereich der Klinikvorstände selbst depressiven Verstimmungszuständen von Frau S. ist zu sagen, dass sie zweifelsfrei in den Formenkreis des manisch-melancholischen Irreseins fallen und als periodisch melancholische anzusprechen sind. Hierfür spricht die ganze eindeutige Schilderung welche die Kranke von ihrem Zustand gibt und der bisherige klinische Verlauf, ausserdem weist die gegenwärtige seelische Verfassung der Patientin nach dieser Richtung“. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 283/189. 316 Ebd., Aufnahmenr.: z. B. 216/112; 307/200 und gemäß Ley (2004): 231/149; 406/321; 121/24. Dass Friedrich Meggendorfer die bezirksärztliche psychiatrisch-diagnostische Einschätzung durchaus für valide betrachtete zeigt sein Gutachten zur 1902 geborenen C. N. vom 7.2.1936. „Sie wurde [1933] von dem Bezirksarzt in Ebermannstadt, also einem mit der Psychiatrie vertrauten Arzt, behandelt, der die Diagnose ,zirkuläres Irresein‘ stellte, sie wiederholt genau untersuchte, auch für die Invalidenversicherung begutachtete […]. Heute ist bei Frau C. kein wesentlicher krankhafter Befund zu erheben, insbesondere ist keine geistige Schwäche nachzuweisen. […]. M. E. besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der Erkrankung im Jahre 1933 etwa um eine Hirnsyphilis gehandelt hat. […]. Der Arzt, der Frau C. damals behandelte, zog, obwohl er von der früheren syphilitischen Infektion wusste, eine Hirnsyphilis nicht in Betracht. […] der Umstand, dass die Erkrankung offenbar ohne geistigen Defekt abgeklungen ist, spr[i]ch[t] m. E. doch sehr dafür, dass es sich um eine depressive Phase des zirkulären Irreseins gehandelt hat“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 94/1. Am 03.02.1936 war ein Untersuchungsantrag an die bakteriologische Untersuchungsanstalt in Erlangen mit „V.a Lues“ gemäß. Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 der Betriebsverordnung M. B. V 22.3.1924. (M. A. Bl. S. 33) gestellt worden. Meggendorfer erhielt blande Ergebnisse vom 08.01.1936: „Liquorprobe: Wassermannsche Reaktion: neg. Meinicke-Klärungs-Reaktion: neg“. Vgl. ebd. Das „Sachs-GeorgiReaktion“-Feld war nicht ausgefüllt. Vgl. ebd. Zur Bedeutung der Sachs-Georgischen Auflockerungsmethode für die Serodiagnostik der Syphilis siehe Hauck (1919). 317 Vgl. Ley (2004), S. 295–296. „[Die Universitätsklinik [fertigte] […] ausweislich ihrer Aufnahmebücher insgesamt 516 Zusatzgutachten für Erbgesundheitsgerichte aus ganz Bayern sowie aus anderen Reichsgebieten an[…]“. Vgl. Diagnosebücher [=Aufnahmebücher] der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen 1934 (Archiv der Psychiatrischen- und Nervenklinik der Universität Erlangen), zit n. ebd., S. 291. Die Diagnosebücher sind spätestens ab Juli 2011 nicht mehr Bestandteil der historischen Bestände der Psychiatrischen und Nervenklinik im Archiv des Kopfklinikums Erlangen (APNK/FAU). Zum fraglichen Verbleib der männlichen Patientenakten siehe S. 15, Fn. 32. „233 (45%) dieser 516 Zusatzgutachten entstanden im Auftrag des EG[G] Erlangen. Die übrigen waren mehrheitlich von anderen bayerischen Erbgesundheitsgerichten angefordert worden“. Vgl. Ley (2004), S. 291.

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gehörten, bezog Meggendorfer auch andere ärztliche Mitarbeiter seiner Klinik mit ein. Gründe für diese Zuwiderhandlung gegenüber den gesetzlichen Vorgaben lassen sich, nach Astrid Ley, nicht ausreichend begründen318 mit einer generellen Zunahme gerichtlicher Einweisungen und konsekutiv angestiegener Arbeitslast.319 In der Frankfurter Psychiatrischen Universitätsklinik unter der Leitung von Karl Kleist, die – ähnlich der Hamburger Hochschulpsychiatrie – über eine spezielle erbbiologische Abteilung verfügte, wurden – nach aktuellem Forschungsstand – ab Juli 1936 Gutachten von Volontärärzt(inn)en unter oberärztlicher Abzeichnung angefertigt. So beispielsweise unter Supervision von Hermann Lehmann-Facius (1899– 1960)320 das Gutachten für eine Versicherung vom 07.07.1936 zu B. M.,321 das Gutachten vom 07.10.1936 zu M. A.322 bei „schwerer körperlicher Missbildung“323 an das Erbgesundheitsgericht Wiesbaden sowie das Gutachten vom 30.10.1936 zu L. M.324 bei „angeborenen Schwachsinn“325 an das Erbgesundheitsgericht Ff. M. Auch in Meggendorfers Klinik gestaltete sich das Delegationsverhalten bei Gutachten analog zur Kleistschen Klinik. Eine wichtige Rolle hierbei mag der zahlenmäßigen Besetzung des ärztlichen Klinikpersonals zugekommen sein. Dieses beschrieb

318 Es gilt anzumerken, dass die aktuelle Weiterbildungsordnung zum Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie „Gutachten aus den Bereichen Sozial-, Zivil- und Strafrecht“ vorsieht. Auch heutzutage also werden Gutachten teils von Assistenten unter oberärztlicher Supervision erstellt. Vgl. http://www.blaek.de/weiterbildung/wbo_2004/download/WBO/B/Psychiatrie.pdf. Stand vom 31.07.2016. 319 Vgl. Ley (2004), S. 296. 320 Weiterführend empfehlenswert Nagel (1939). 321 Vgl. HHStA 520/11 Abt: 11187/1. 322 Vgl. ebd. 323 Ebd. In einem 12 seitigen Gutachten vom 23.08.1939 für das Erbgesundheitsobergericht Bamberg zur 1921 geborenen und von 08.08.1939–19.08.1939 stationär untersuchten K. S. erhärtete Meggendorfer neben der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ auch die Diagnose „Friedreichsche Ataxie“: „Die Röntgenaufnahme des Kopfes hat keinerlei krankhaften Befund ergeben; insbesondere zeigte der Türkensattel eine normale Form. […] es unterliegt keinem Zweifel, dass Frl. K. schwachsinnig ist; das wird auch von keiner Seite bestritten. Die körperliche Untersuchung hat auch keinen Hinweis auf eine Erkrankung der Schilddrüse, der Hyphopyse, für eine Schädelerkrankung oder sonst eine äussere Bedingtheit des Schwachsinns ergeben. Dagegen hat die körperliche Untersuchung das Fehlen und die Schwäche der Sehnenreflexe ergeben bei Andeutung von spastischen Zeichen. Es besteht auch ein ausgesprochener Friedreichfuss. Die Bewegungen sind etwas ungeschickt, der Gang ist leicht ataktisch. Die Sprache ist etwas undeutlich. Alle diese Erscheinungen sprechen dafür, dass bei K. S. eine Friedreichsche Ataxie vorliegt. Die Ataxie ist allerdings zur Zeit noch nicht ausgeprägt, alle übrigen Zeichen sind doch deutlich vorhanden. Die Friedreichsche Erkrankung ist eine erblich bedingte Erkrankung, die einen rezessiven Erbgang geht. Sie ist auch als eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes, als eine schwere erbliche körperliche Missbildung aufzufassen. Es kommen bei der Friedreichsche Ataxie auch psychische Störungen, auch geistige Schwächezsuatände vor. Ob im vorliegenden Falle die ziemlich schwere geistige Schwäche mit der Friedreichschen Ataxie zusammenhängt, möchte ich bezweifeln; wahrscheinlicher ist ein zufälliges Zusammentreffen“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 287/187. 324 Vgl. HHStA 520/11 Abt: 11187/1. 325 Interessant auch Polstorff (1940).

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Meggendorfer in seinem Schreiben an den Rektor vom 07.10.1936. Hierin beklagte er, „dass die Einstellung [des Dr. Stracke] eigentlich schon am 1. September 1936 unbedingt erforderlich war, da die Klinik mit 200 Kranken, poliklinischen Patienten und zahlreichen Beobachtungs- und Begutachtungsfällen im ganzen nur über drei Assistenzärzte verfügt, von denen einer die Stelle eines Oberarztes und Vertreter des Vorstandes versieht. Die Einstellung des Dr. Stracke verzögerte sich nur deshalb, weil er nicht sogleich abkommen konnte“.326

Die Klinik wurde vom Erbgesundheitsobergericht (EGOG) in Bamberg mit der Begutachtung der G. A., geb. am 09.03.1917, wegen angeborenen Schwachsinns beauftragt.327 Bingel selbst328 führte während der ambulanten Untersuchung329 die Intelligenzprüfung anhand eines schematisch vorgefertigten Intelligenzprüfungsbogens durch. Das Ergebnis der laborchemischen Analyse war auch an Bingel direkt adressiert.330 Das schriftliche Gutachten331 ließ Bingel anfertigen und signierte es als „gezeichnet“. 326 UAE: A2/1 Nr. S 194. 327 „Das prädilektive Gebundensein bestimmter Krankheitsformen an bestimmte Lebensalter stellt ein wichtiges psychiatrisches ontogenetisches Gesetz dar. Die wissenschaftlich und erbpflegerisch zu fordernde Auflösung des Sammelbegriffes Schwachsinn nach ursächlich aufgestellten Gruppen wird auch innerhalb der erbbedingten Gruppen mehrere Schwachsinnsformen ergeben. Einige sind bereits bekannt. Es kommt dominanter und, wohl seltener auch, rezessiver Erbgang vor. Für den dominanten Erbmodus spricht u. a. die Häufung von Schwachsinn in solchen Sippen“. Vgl. Pohlisch (1941a), S. 5. 328 Resultat eines Laien-Handschriftenvergleiches Bingels durch Verfasserin. 329 Der Ladung zur klinischen Begutachtung vom 15.03.1938 zu entnehmen ist, dass sich die Klinik prinzipiell bei primär uneindeutigen Symptomenbildern eine stationäre Aufnahme zur weiteren Beobachtung offenhielt: „Ihre Tochter wolle sich so einrichten, dass Sie [sic], wenn es nötig sein sollte, auch einige Zeit hier bleiben kann. Heil Hitler! IA“ [Keine Unterschrift!!!] Vgl. ANPK/FAU, keine Aufnahmenummer, da Patientin ambulant verblieb. Registrierung im Rahmen des laboranalytischen Auftrages an die staatlich Bakteriologische Untersuchungs-Anstalt Erlangen: TBNr. S 1795. 330 An „Herrn Dr. Bingel“ vom 26.03.1938; Wassermann’sche Reaktion, Meinicke-Klärungsreaktion, Citochol-Reaktion, Pallida-Reaktion: Negativ. Vgl. ebd. „Zur Frage der Spezifität der Wassermanschen Reaktion des Liquors bei negativer Blutreaktion“ siehe Riebeling (1937). 331 „Nach dem Ergebnis der eingehenden körperlichen und psychischen Untersuchung kann kein Zweifel bestehen, dass bei G. A. ein Schwachsinn erheblichen Grades vorliegt. Die hier in der Klinik vorgenommenen Prüfungen haben in Übereinstimmung mit dem Antragsgutachten gezeigt, dass G. zeitlich und örtlich nicht ganz einwandfrei orientiert ist, sie hat ein geringes Schul- und allgemeines Lebenswissen, sie ist zu keiner einigermaßen befriedigenden besonderen Denkleistung fähig, sie vermag höchstens ihren Namen schreiben; wenn man sie auffordert, mehr zu schreiben, sagt sie einfach, ,ich kann nicht‘. G. ist auch nicht in der Lage, einfache Wörter zu lesen; sie macht in ihrem Gesamtbild einen ausgesprochenen schwachsinnigen Eindruck, sie wirkt ausgesprochen stumpf, zeigt wenig Initiative und erheblich erschwerte Auffassung. Ich halte es für absolut unwahrscheinlich, dass Frl. G. in häuslichen oder landwirtschaftlichen Arbeiten derartig befähigt sein sollte, dass sie zu selbstständigen Arbeiten in der Lage wäre. Der Vater gibt ja selbst zu, dass seine Tochter dauernd einer Anleitung bedürfte. Bei der körperlichen Untersuchung ergab sich weder an den inneren Organen noch am Zentralnervensystem ein objektiver krankhafter Befund. Es bestanden insbesondere keinerlei Zeichen einer

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Die Konsequenz Meggendorfers zunehmender Delegationspraxis soll anhand eines Beispiels skizziert werden: Der Vater des in der Psychiatrischen und Nervenklinik auf genuine Epilepsie begutachteten Patienten E. wandte sich am 25.01.1944 mit einem Beschwerdeschreiben an den Rektor der Universität: „[w]as Herr Prof. M. über meine Person im selben Absatz alles vorbringt, möchte ich kurz erwidern. Dass ich einen eigentümlichen und sonderbaren Eindruck mache, ist darauf zurückzuführen, dass ich ein Glasauge habe und auf dem anderen nur 10% Sehkraft“.332

In seinem Erklärungsschreiben an den Syndikus der Universität Erlangen gab Meggendorfer am 26.05.1944 an, der Betreffende sei mehrmals von seinem Assistenten begutachtet worden. Nach der Patientenvorstellung habe er das Gutachten für richtig anerkannt und unterschrieben. Er halte sich dafür verantwortlich, obwohl im Einzelnen der ihm zugeschriebene Ausdruck nicht von ihm stamme.333 Zwischen 1934 und 1935 wurden die Gutachten in erster Linie von Oberärzten unterzeichnet, zwischen 1937 und 1938 zunehmend auch von Assistenzärzten. 1938 unterzeichneten die Assistenzärzte für mehr als die Hälfte der erstellten Expertisen selbstständig.334 Mit Kriegsbeginn leisteten zwei der drei Erlanger Assistenten Militärdienst, so dass auch Doktoranden als „Hilfsärzte“ unter oberärztlicher Hilfestellung begutachteten.335 Gemäß einer Dissertation von 2007 stammten die aus psychiatrischer Indikation zur Sterilisation an die Erlanger Frauenklinik überwiesenen Patientinnen zu 23% (56/243) aus der Psychiatrischen Klinik der Universität,336 76% (184/243) hingegen wurden aus der HuPflA überwiesen. In über der

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lokalisierten Erkrankung des Gehirns oder seiner Häute. Danach lässt sich also sagen, dass für den bei Fr. G. nachgewiesenen Schwachsinn eine primäre Ursache nicht gefunden werden konnte. Auch Zeichen einer durchgemachten höhergradigen Rachitis bestanden bei ihr nicht; es ist zudem in der Mehrzahl der Fälle absolut unwahrscheinlich, dass die Rachitis Ursache eines Schwachsinns sein könnte. Da also eine körperliche Ursache für den Schwachsinn der G. A. nicht gefunden werden kann, ist zu folgern, dass dieser Schwachsinn angeborener Natur ist. Für diese Diagnose spricht, dass G. von frühester Kindheit an offensichtlich zurückgeblieben ist, besonders in ihren Schulleistungen. Für die angeborene Natur des Schwachsinns spricht nicht zuletzt, dass auch ein Bruder der Untersuchten an Schwachsinn leidet; selbst der Vater wird in [sic] seiner Umgebung als nicht ganz normal bezeichnet, er soll in der Schule einen beschränkten Eindruck gemacht haben. Zusammenfassend komme ich also zu folgendem Schluss: Bei G. A. liegt sicher ein Schwachsinn vor; wegen des Fehlens irgend einer primären Ursache muss dieser Schwachsinn als angeboren bezeichnet werden. Für diese Diagnose spricht auch der Nachweis einer familiären Belastung. G. A. dürfte ausserdem ohne Zweifel fortpflanzungsfähig sein. Ich gebe das gewünschte Gutachten deshalb dahingehend ab: G. A. leidet an angeborenem Schwachsinn, einer Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes. Gez. A. Bingel“. Vgl. ANPK/FAU, keine Aufnahmenr.; Registrierung im Rahmen des laboranalytischen Auftrages an die staatlich Bakteriologische Untersuchungs-Anstalt Erlangen: TBNr. S 1795. BayHStA: MK 72096. Vgl. ebd. Vgl. Ley (2004), S. 296. Vgl. ebd. So z. B. die schizophren erkrankte F. E., dessen Ehemann mitunter bei der Forcierung der Verlegung in die Frauenklinik zur Sterilisationoperation eine nicht zu unterschätzende Rolle zukommt: „ […]5.10.40: Die Pat. ist ruhig, macht keine Schwierigkeiten, ist immer freundlich.

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Hälfte der Fälle wurde die Sterilisation aufgrund der Diagnose „Schizophrenie“ durchgeführt, bei 29,2% aufgrund „angeborenen Schwachsinns“, bei 8,8% aufgrund von „erblicher Fallsucht“,337 in 4,5% aufgrund „manisch-depressiven Irreseins“.338 3.2.2 Kritik von Meggendorfers Expertise in puncto „schwerer Alkoholismus“ Für ihre Dissertation von 1941 analysierte Ingeborg Vollenbruck insgesamt 366 Klinikbegutachtungen im Zeitraum von 1934 bis 1939. In drei Fällen hatte die Psychiatrische Klinik hierbei die Diagnose „schwerer Alkoholismus“ erhärtet.339 Bei diesen jedoch lehnte das Erbgesundheitsgericht die Sterilisierung ab, was Vollenbruck folgendermaßen kommentierte: „Es scheint, als ob die Klinik und das Gericht in der Beurteilung dieser Erkrankung auf verschiedenem Standpunkt stehen […]“.340 Unter den von Vollenbruck erwähnten drei GzVeN-pflichtigen Alkoholkranken mag der von Konrad Schwarzkopf angeführte – zur differentialdiagnostischen Validierung einer Schizophrenie-Diagnose vorstellig gewordene – Patient A. gewesen sein. Dessen Kasuistik beschrieb Schwarzkopf 1939 unter der Rubrik „chronischer Alkoholismus“. A. hatte als Kriegsfreiwillliger am Weltkrieg teilgenommen. Dort wurde er wegen sehr nervösen, unruhigen Verhaltens und konfusen

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Sprich sehr wenig. 10.10.40: Es sind keine krankhaften Erscheinungen aufgetreten. Der Ehemann benimmt sich beim Besuch wieder sehr uneinsichtig. Er regt sich darüber auf, dass seine Fr Frau [sic] immer noch noch operiert sei, gibt der Klinik die Schuld und will seine Frau durchaus mit nach Hause nehmen. 12.11.40: Zustand ist unverändert. Pat. benimmt sich ganz unauffällig. Sie sitzt meist ziemlich teilnahmslos herum, beschäftigt sich kaum einmal, hat einen ziemlich debilen Gesichtsausdruck. 19.11.40: Sterilisationsoperation in der hiesigen Frauenklinik. Die Pat. wird im Laufe des Vormittags in die Klinik zurückverlegt, klagt am Nachmittag über starke Schmerze[n] erhält 1ccm M[orphium]. Keine Temperatur. 20.11.40: Klagt immer noch über Schmerzen, erhält Beruhigungsmittel, sonst Zustand gut, keine Temperatur. 26.11.40: Wunde heilt gut, keine Komplikationen. Pat. liegt ruhig im Bett. 30.11.40: entlassen, wird vom Ehemann abgeholt“. Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 28017. F. E. war etwa Anfang August 1940 von der HuPflA in die Psychiatrische Klinik verlegt worden. Warum keine eigenständige Klinik-Signatur der Patientenakte angelegt wurde, muss offen bleiben. Siehe weiterführend S. 172, Fn. 777. Zur Motivation der Klinikverlegung der F. E. siehe S. 470. Zum Versuch der Datengewinnung zu durchgeführten Sterilisationen bei hochschulpsychiatrischerseits der Chirurgischen Klinik zugewiesenen männlichen Patienten siehe S. 290, Fn. 88. „Die Wiedereinführung des alten deutschen Begriffes ‚Fallsucht‘ für Epilepsie war der ‚Sprachreinigungskampagne‘ der Nationalsozialisten geschuldet, Fremdwörter aus den Wissenschaften zu verbannen. Im medizinischen Sprachgebrauch war spätestens seit dem beginnenden 20. Jahrhundert diese Bezeichnung nicht mehr gebräuchlich“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 20. „Zur Abgrenzung der erblichen Fallsucht von anderen Formen des epileptischen Symptomenkomplexes“ siehe ferner Stefan (1936). Zu wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlichem Vorurteil von Erblichkeit und Psychopathologie im deutschen Epilepsiediskurs siehe ferner Möller (2010). Krüger (2007), S. 68. Vgl. Vollenbruck (1941), S. 18. Ebd.

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Ideen ins Lazarett aufgenommen. Er habe dort viel geraucht und getrunken. Im ersten Lazarett sei eine Neurasthenie341 festgestellt worden, in einem weiteren Lazarett seien eine „hochgradige nervöse Überreizung auf schwerer psychopathischer Grundlage und hysterische Überlagerungen“342 diagnostiziert worden. Ein gegen Ende des Ersten Weltkrieges erstattetes Gutachten zeichnete A. als einen psychopathischen exzentrischen Charakter. 1927 wurde in der Charité bei A. der Verdacht auf Schizophrenie gestellt, 1928 erfolgte die Anordnung zur „Entmündigung wegen Geistesschwäche“.343 Ein Gutachten des Versorgungsamtes Kassel aus dem Jahr 1929 bezweifelte die Haltbarkeit der Schizophrenie-Diagnose und propagierte vielmehr die Differentialdiagnose einer „Psychopathie mit querulatorischen344 Zügen“.345 Das Gutachten eines Landgerichtsarztes von 1935 stellte bei A. eine „Psychopathie mit hypomanisch-hysterischen Zügen und schizoider Reaktionsweise“346 fest. Amtsärztlich erfolgte 1937 die Antragstellung auf Unfruchtbarmachung „wegen manisch-depressiven Irreseins (Schizophrenie?)“.347 Auf seine Beschwerde348 hin wurde A. in der Meggendorferschen Klinik erneut begutachtet: 341 „Als chronische Wirkung aller möglichen Kriegsschädlichkeiten entwickelt sich am häufigsten der Zustand reizbarer Schwäche des zentralen Nervensystems, der als Neurasthenie auch im Frieden nur allzu bekannt ist, und von dessen Symptomen ich hier nicht zu sprechen brauche. Als etwas den aus dem Kriege neurasthenisch Heimkehrenden besonders Eigentümliches ist eine hartnäckige Beeinträchtigung des Schlafes zu bezeichnen, der auch, wenn er eintritt, durch lebhafte und schreckhafte Träume mit Wiedererleben von Kampfszenen gestört wird. Die Lebhaftigkeit dieser Träume, über welche die Patienten stark klagen, äußert sich auch für den Beobachter in der Unruhe und dem Sprechen im Schlaf, dem Ausstoßen von Kommandorufen u. a. m., gelegentlich auch in plötzlichen, in der Angst des Halbtraumzustandes beim Erwachen verübten unzweckmäßigen oder gefährlichen Handlungen, die im Felde zu falschem Alarm u. dgl. schon Anlass gegeben haben“ . Vgl. Hoche (1915), S. 19. Siehe ferner Roelcke (1997). 342 Schwarzkopf (1939), S. 29. 343 Ebd. 344 Zum „Querulantenwahn“ siehe auch Mählmann/Borck (2016). 345 Schwarzkopf (1939), S. 29. Umgekehrt sah ein von Meggendorfer gezeichnetes 26-seitiges Gutachten vom 05.06.1939 zur 1912 geborenen, von 22.05.1939 bis 05.06.1939 stationär beobachteten D. K. eine Schizopohrenie und keine Psychopathie gegeben: „Seit 1936 musste Fräulein D. mit Unterbrechungen in verschiedenen Anstalten untergebracht werden. Hier machte sie zunächst mehr den Eindruck einer empfindlichen und empfindsamen ,sensitiven Psychopathin‘. […]. In der letzten Zeit kam man in der Anstalt immer mehr zu der Erkenntnis, dass bei der Kranken nicht nur eine Psychopathie, sondern schon eine ausgesprochene Schizophrenie vorlag.[…]. Bei Fräulein D. kann man also einen geistigen Schwächezustand auf allen Gebieten des Seelenlebens feststellen, einen geistigen Schwächezustand, der besonders auf dem Gebiete des Gemüts und Willens liegt. Dieser geistige Schwächezustand trat nach anfänglich normaler Entwicklung um die 20er Jahre mit einer Entfremdung den Freundinnen und der Familie gegenüber hervor. Wenn auch das Leiden bisher nicht sehr stürmisch verlief und ohne massive Symptome auftrat, sind doch seine Entwicklung und der festgestellte Zustand recht kennzeichnend für eine schizophrene und zwar für eine hebephrene Erkrankung. […]. Ihre geistigen Störungen sind nicht mehr als Psychopathie zu erachten“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 225/125. 346 Schwarzkopf (1939), S. 29. 347 Ebd., S. 30. 348 „Es bestand die Möglichkeit gegen die Entscheidung des Gerichtes Beschwerde bei Erbgesundheitsobergerichten einzulegen. Letztere trafen 1943 im Deutschen Reich 62463 Anordnungen

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „A. war nach seinen eigenen Angaben nicht erheblich belastet, obwohl seine Schwestern den Freitod gewählt hatten. Er selbst war schon früh auffallend durch seine von Zeit zu Zeit stark hervortretende Betrunkenheit. Wenn man A. betrachtete und sich mit ihm längere Zeit befasste, musste man sagen, dass es sich bei ihm unmöglich um einen schizophrenen Defekt handeln kann, auch die Diagnose: manisch-depressives Irresein kann nicht mit Sicherheit gestellt werden, da es trotz der dauernden Schwankungen des psychischen Verhaltens zu einem Schwächezustand gekommen ist. Dagegen steht einwandfrei fest, dass A. ein haltloser Psychopath mit Neigung zu Alkoholmissbrauch ist. Erfahrungsgemäß liegt auch dem alkoholsüchtigen und alkoholintoleranten Verhalten, wie es A. immer wieder geboten hat, in den meisten Fällen eine

und 71760 im darauffolgenden Jahr zur Sterilisation; ihnen standen 4874 Ablehnungen 1934 und 8976 Ablehnungen 1935 gegenüber“. Vgl. Christiani (2006), S. 183. Wie die GzVeN-angezeigten Personen über dieses „Einspruchsrecht“ aufgeklärt wurden, zeigt ein Dokument in der Akte der 1907 geborenen Schizophrenie-erkrankten Tänzerin B. P. Diese war am 20.3.1933 von Dr. med. Wilhelm Bork der Klinik zur Untersuchung überwiesen worden, nachdem sie „vom Konsulat [aus den USA] nach Deutschland abgeschoben“ worden war. Vgl. ANPK/FAU, Aufnahmenr.: 163/169. Sie wurde 1936 erneut in die Klinik aufgenommen, wobei sich folgendes „[ä]rztliches Dringlichkeitszeugnis“ von Kihn vom 17.10.1936 findet: „Frl P. B, , Tänzerin aus Rötenbach a. P., die vom 20.3.33 bis 22.3.33 bereits in klinischer Beobachtung hier stand und bei der damals die Diagnose Schizophrenie gestellt wurde, kommt heute wieder ohne Begleitung und ohne Aufforderung zu dem Unterzeichneten. Sie redet konfuses Zeug, man habe ihr in Münster, wo sie als Tänzerin tätig war, Medikamente ins Essen, damit sie mannstoll werde, sie höre eine Männerstimme, die zu ihr in obscönsten [sic] Redensarten spreche, man verfolge sie wegen der Wahl Adolf Hitlers und anderes mehr. Sie reist ziel- und planlos in der Welt herum, will nicht zu ihren Eltern, weigert sich in ärztliche Behandlung zu treten, ist vollkommen uneinsichtig. Da die Kranke in ihrem jetzigen Zustand eine Gefahr für die Allgemeinheit bildet, begutachte ich deren sofortige Aufnahme in die Klinik“. Vgl. ebd. Am 06.01.1936 erhielt B. P. als „z. Zt. Insassin der psychiatr.- Nervenklinik [sic] folgendes Schreiben vom Erbgesundheitsgericht Erlangen „[b]etreff[s] Unfruchtbarmachung [:] Nach einem Gutachten des Herrn Prof. Dr. Meggendorfer leiden Sie an Schizophrenie. […]. Bevor das Erbgesundheitsgericht hierüber entscheidet, erhalten Sie hiermit Gelegenheit, sich zur Sache zu äussern. Die Äusserung hat binnen 3 Tagen zu erfolgen, entweder in schriftlicher Eingabe an das Gericht oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts. Auf Wunsch wird sich ein Beamter der Geschäftsststelle in der Klinik zur Entgegennahme Ihrer Erklärung einfinden“. Vgl. ebd. Letztlich wurde am Erbgesundheitsgericht Erlangen am 19.11.1936 von „Amtgerichtsdirektor Weber als Vorsitzenden, Landgerichtsarzt Dr. Schneller als beamteten Arzt [und] Obermedizinalrat Dr. Caselmann als weiteren Arzt" die Unfruchtbarmachung beschlossen. Ein Gutachten Meggendorfers ist nicht in der Patientenakte enthalten; das Anzeigeerstattungsformular wurde standardmäßig schreibmaschinell mit der Signatur „Der Direktor“ versehen. Das in der Akte enthaltene ausgefüllte „[a]mtsärztlich-Ärztliche[] Gutachten“ ist vermutlich von Kihn, die entsprechenden Felder zu „Name und Amtsstellung“ wurden nicht ausgefüllt. Am 04.03.1939 erreichte die Psychiatrische Klinik folgendes Schreiben der „Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg. Sozialverwaltung. Landesfürsorgeamt Gesundheits- und Sonderfürsorgeabteilung“: „P.B. hat hier angegeben, nach ihrer Deportation aus U.S.A. nach Deutschland 1933 sich freiwillig in der dortigen Anstalt als Patient gemeldet zu haben, sie sei auch dort sterlisiert worden. 1937 war sie ebenfalls wieder freiwillig in der dortigen Anstalt gewesen und dann zu ihrem Vater zurückgekehrt. P. B. fällt hier durch offenbar erneute Geisteserkrankung auf, hört ,Radiostimmen aus USA“ mit Zwangsvorstellungen und bedarf offenbar baldiger ärztlicher Behandlung“. Vgl. ebd.

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abwegige krankhafte Konstitution zu Grunde. Es ist nicht zweifelhaft, dass der Alkoholismus bei A. im wesentlichen nicht auf exogener, sondern auf endogener Grundlage beruht“.349

Die von Schwarzkopf unter der Leitung Meggendorfers kasuistisch präsentierten diagnostischen Schwierigkeiten in der Abgrenzung von Schizophrenie und Alkoholkrankheit werden in modifizierter Form auch in einem aktuellen Update zur Alkoholkrankheit thematisiert.350 Die differentialdiagnostischen Arbeitsschritte hin zur Erhärtung der endogenen Grundlage des Alkoholismus schilderte Konrad Renner mit Referenz auf Meggendorfer in seiner Promotion von 1939 „[ü]ber den schweren Alkoholismus“ anhand von Akten des EGG Erlangen und der zuständigen Gesundheitsämter. Renner untersuchte 104 wegen schweren Alkoholismus beim EGG Erlangen bis Anfang 1938 eingegangenen Anträge auf Unfruchtbarmachung.351 19 der Anträge wurden abgewiesen, größtenteils aufgrund des Überwiegens der Gegenhypothese, d. h. des Vorliegens eines umweltbedingten Alkoholismus. Einige Anträge wurden bei erwiesener Fortpflanzungsunfähigkeit und Irrelevanz weiterer Interventionen abgelehnt;352

349 Schwarzkopf (1939), S. 30. 350 Zur Differentialdiagnose von Alkoholhalluzinose und Schizophrenie führt Soyka folgendes an: „Alkoholhalluzinose: Beginn: Akut, Alter bei Erstmanifestation: Ca. 40–50 J., Prognose: Meist gut (80–90%), Alkoholanamnese: Langjährig positiv, familiäre Belastung mit Schizophrenen: Nicht erhöht, Familiäre Belastung mit Alkoholismus: Deutlich erhöht, Stimmenhören: Obligat, optische Halluzinationen: Manchmal, Denkstörungen: Sehr selten, Affektstörungen: Ängstlichdepressiv, keine Parathymie, Ich-Störungen: Sehr selten, Neurologische Störungen: Möglich z. B. Tremor, Polyneuropathie; Schizophrenie: Beginn: Oft schleichend, Alter bei Erstmanifestation: Meist vor dem 30. Lebensjahr, selten nach dem 40. Lebensjahr, Prognose: Oft chronische Verläufe, Alkoholanamnese: Kann positiv sein, familiäre Belastung mit Schizophrenen: Deutlich erhöht, familiäre Belastung mit Alkoholismus: Nicht erhöht, Stimmenhören: Häufig, optische Halluzinationen: Selten, Denkstörungen: Denkzerfahrenheit, Affektstörungen: Parathymie, Ich-Störungen: Sehr häufig, Neurologische Störungen: Sehr selten, allenfalls „soft signs“. Vgl. Soyka (2013), S. 76. 351 Beschlüsse XIII 374/37; Beschluss 636/34; XIII 354/37; XIII 468/37; Akten UR. 600/34; XIII 575/36; XIII 196/36; UR XIII 327/34; XIII 514(36; XIII 101/37, zit. n. Renner (1939). 352 Als alternativer Grund für Antragsablehnung wurde auch die Unwahrscheinlichkeit sexueller Aktivität seitens der Betroffenen angeführt, wie die Dokumentation zur schizophren erkrankten O. E. zeigt. Die 1894 geborene Patientin war von 21.04.1917 bis 02.09.1917, von 19.06.1922 bis 23.09.1922, von 19.11.1926 bis 16.01.1927, von 07.12.1928 bis 10.02.1929 und von 24.01.1930 bis 19.06.1933 an der HuPflA in Behandlung gewesen, bevor sie in das Paulinenheim in Nürnberg verlegt wurde. Am 05.08.1938 wurde dokumentiert, sie habe „aus Engelthal einen Brief an den Oberarzt Dr. Prießmann [geschrieben], in dem sie über alles mögliche quengelt“. Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 4997. Zur Doktorarbeit Prießmanns von 1922 unter Specht an der HuPflA siehe S. 88, Fn. 357. Die Antwort auf den Brief erfolgte durch Dr. Grimm. Nach erneutem HuPflA-Aufenthalt vom 21.02.1939 bis 10.11.1940 wurde O. E. erstmalig vom 12.02.1941 bis 02.06.1941 in der Klinik behandelt, was erklären könnte, warum die HuPflA-Gesamtakte (Aufnahmenr.: 4997) zu finden ist in: APNK/FAU, Aufnahmenr.: 116/36. Am 28.02.1939 wurde in der HuPflA dokumentiert: „Aus den Akten des Erbgesundheitsgerichtes beim Amtsgericht Erlangen (A.Z. U.R. 277/34) ist ersichtlich, dass Antrag auf Unfruchtbarmachung am 15.6.34 vom Vorstand der psychiatr. Klinik des städt. Krankenhaues Nürnberg beim zuständigen Erbgesundheitsgericht gestellt wurde. Das zuständige Gericht hat

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einige andere wurden aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. Aus den übriggebliebenen 84 rechtskräftig gewordenen Beschlüssen wählte Renner 60 Fälle aus, „in denen über Persönlichkeit und Sippe des Probanden genauere Ermittlungen vorlagen“.353 Nach Renner haben „Meggendorfer’s [sic] vier Gesichtspunkte, die im Kommentar zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von Gütt-RüdinRuttke niedergelegt sind“,354 dem schweren Alkoholismus als „an sich neuen Begriff in der Rassenpflege erst sein Gesicht gegeben“.355Als vier Kriterien benannte Renner: „1. […] Kenntnis der Persönlichkeit, namentlich der praemorbiden Persönlichkeit.356 2. […] gleichzeitig bestehende[] Neigung zu krimineller und asozialer Betätigung. 3. […] Bild des Alkoholismus, das der Kranke bietet (Meggendorfer). 4. Möchte ich hier noch hinzufügen – Meggendorfer hat darauf schon an anderer Stelle hingewiesen –, dass besonders auch die Betrachtung der Sippe und ihre Durchseuchung nach psychisch und sozial abwegigen Typen wichtige Aufschlüsse und Beweisgründe erbringen kann“.357

Renner sah die erbgesundheitliche Praxis der Sterilisationsdurchführung bei schwerem Alkoholismus als wenig zufriedenstellend an. Unter Bezugnahme auf die vielfache Forderung einer Ausdehnung des GzVeN auf „Asoziale“ und „Kriminelle“358 warnte Renner vor einer „Ausweitung des Begriffes Schwachsinn nach der moralischen Seite hin […] [zum] Begriff[] ‚rassenhygienischer Schwachsinn‘ mit der Absicht, damit gewisse Psychopathieformen zu treffen, [zumal es] vom sehr subjektiven Empfinden des einzelnen Richters abhängig sein [würde]“.359

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in einer Sitzung vom 4.12.34 die Unfruchtbarmachung beschlossen. Pat. hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. In der Sitzung des Erbgesundheitsgerichtes vom 16.3.35 wurde der Antrag auf Unfruchtbarmachung abgewiesen. In der Begründung heisst es: ‚Zwar leidet die Beschwerdeführerin an Schizophrenie, allein nach den Erhebungen ist nicht anzunehmen, dass sie in Zukunft Geschlechtsverkehr pflegen und Kinder gebären werde. Es kann von der Anordnung der Unfruchtbarmachung trotz des Vorliegens der Erbkrankheit abgesehen werden‘“.Vgl. ebd. Renner (1939), S. 12. „Bei keiner der unter dieses Gesetz fallenden Krankheitsgruppen ist der erbkundlichen und volksgemeinschaftlichen Urteilsfähigkeit des Antragstellers ebenso wie des Erbgesundheitsrichters ein derartig weites Feld gesteckt wie bei dem schweren Alkoholismus“. Vgl. Gütt et al. (1936), S. 170. Wenn Renner „Meggendorfer’s [sic] vier Gesichtspunkte“ als solche im Kommentar zum GzVeN von Gütt-Rüdin-Ruttke niedergelegt sieht, so gilt es zu betonen, dass diese nicht unter diesem „Urheber-Terminus“ aufgeführt sind. Vgl. ebd., S.171–175. Renner (1939), S. 20. Es sei betont, dass sich Karl Kleist für einen Einschluss der „Psychopathie“-Diagnose in den GzVeN-Katalog aussprach. Vgl. Schmuhl (2016), S. 231. Siehe hierzu auch S. 378. „Genetische Disposition soll bis zu 40% der Varianz der Persönlichkeit [er]klären“. Vgl. Mathiak et al. (2016), S, 509. Renner (1939), S. 11–12. Siehe hierzu auch Kopp (1939). Renner (1939), S. 21.

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Renner sah jedoch eine Modifikation der Erbgesundheitsgesetze im Sinne einer Erweiterung des sterilisierungspflichtigen Kreises als relevant an, um nicht „in Halbheiten stecken“360 zu bleiben: „Was von minderwertigen Eltern nicht geboren wird, macht Mittel frei, die der positiven Erbpflege zugute kommen können, und dem Erbtüchtigen noch stärker als bisher die Gründung einer Familie in jungen Jahren und die Zeugung und gesicherte Aufzucht zahlreichen Nachwuchses ermöglichen sollen“.361

Die aus seiner Analyse zur Sterilisierungspraxis bei diagnostiziertem schweren Alkoholismus gezogenen Folgeschlüsse des Doktoranden Renner dürften wohl die Perspektive Meggendorfers widerspiegeln.362 In seinem Beitrag zum Handbuch der Erbkrankheiten führte Meggendorfer 1940 an, „dass zur Zeit noch zu wenig Alkoholiker von der gesetzlichen Maßnahme erfasst werden. Dabei kann durchaus anerkannt werden, dass es unter Trinkern sicher zahlreiche erbgesunde und biologisch vollwertige gibt und dass es mindestens ein ebenso großes Unrecht an der Volksgemeinschaft wäre, sie der Unfruchtbarmachung zuzuführen, wie es ein Unrecht wäre, erblich minderwertige Trinker weiter Kinder zeugen zu lassen. Aber die letztere Gefahr ist zur Zeit entschieden viel größer als die erstere“.363

Meggendorfers Expertise in der Beurteilung des schweren Alkoholismus wurde von den Erbgesundheitsgerichten kaum anerkannt.364 Um einer Zunahme an Alkoholikerkindern entgegenzuwirken, plädierte Meggendorfer für eine straffere Handha-

360 Ebd., S. 23. 361 Ebd. 362 Weitere zum Thema Alkoholismus unter Meggendorfer entstandene Dissertationen sind: Karl (1938), Schmidt (1937), Schmidt (1939). Ferner entstand in Bezug auf andere Suchtmittel unter Meggendorfers Leitung 1937 eine Dissertation von Busche zum Thema Phanodormsucht (= Cyclobarbital). Vgl. Busche (1937). 363 Meggendorfer (1940 b), S. 434. 364 Im Gegenzug hierzu soll beispielhaft aufgezeigt werden, dass Meggendorfers gutachterliche Expertise in anderen Bereichen durchaus deutschlandweit geschätzt wurde. So wurde er sogar von Seiten des Erbgesundheitsobergerichtes Berlin am 20.05.1937 als Obergutachter in der „Erbgesundheitssache der Ingenieursfrau G. E.“ bestellt. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 198/107. Sein Gutachten vom 23.06.1937 stütze sich „auf den Inhalt der Akten des Erbgesundheitsgerichtes Berlin 261 XIII Nr. 121. 36, die auch die Krankengeschichten der Frau G. vom Rudolf Virchow-Krankenhaus und [die Befunde] von Dr. Schauss, Sanatorium Heidehaus, Zepernick bei Berlin enthalten, sowie auf die persönliche Untersuchung und Beobachtung Frau Frau G.s vom 8. bis 14. Juni 1937. […]. Ich habe Frau G. vom 8. bis 14.6.1937 in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen untersucht und beobachtet. […]. Die jetzt mit Frau G. vorgenommene Untersuchung und Begutachtung hat nur noch wenige, aber doch deutliche Zeichen einer psychischen Alteration, insbesondere einer gemütlichen Verflachung und Verkrampfung, eine gewisse Stereotypie und eine Andeutung von Grimassieren ergeben. Ich kann in dieser Hinsicht den Befund der Psychiatrischen und Nervenklinik Würzburg [Herr Dr. Schumacher] nur bestätigen. Auch das Verhalten auf der Abteilung, das unabhängig von mir von einer erfahrenen Oberpflegerin beobachtet und berichtet wurde, spricht sehr für das Vorliegen eines gewissen Autismus. Nach alledem habe ich kein Bedenken, bei Frau G. E. eine Schizophrenie anzunehmen; sie ist daher als erbkrank im Sinne des Gesetzes anzusehen“. Vgl. ebd.

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bung der Meldepflicht seitens der Ärzte. Diese sollten nicht die Entscheidungsverantwortung des Schweregrades der Alkoholkrankheit übernehmen, sondern generell dazu verpflichtet sein, jeden vorstelligen Patienten mit Alkoholismus, Trunksucht, Betrunkenheit, Verletzungen oder Unfällen in der Betrunkenheit als „Verdachtsfall“ zu melden. Zudem sei die Meldepflicht gegebenenfalls auf die Polizei, die Wohlfahrtsämter sowie die Fürsorgestellen auszudehnen.365 3.2.3 Diagnostische Schwierigkeiten bei Schizophrenie Einleitend soll zum besseren Verständnis der psychopathologischen Terminologie von schizophreniediagnoserelevanten Symptom- und Syndromkonstellationen ein kurzer kursorischer Einblick in verschiedene Formen schizophrener Erkrankung gegeben werden. Grob lässt sich ein Typ 1 von einem Typ 2 bezüglich klinischer Manifestation und Verlauf der Erkrankung differenzieren: Beim Typ I der Schizophrenie treten positive bzw. Plussymptome (z. B. Halluzinationen, Wahn, formale Denkstörungen und motorische Symptome) auf. „Der Verlauf ist hier eher günstig mit Remissionen bei gutem Ansprechen auf die Behandlung“.366 Beim Typ II der Schizophrenie treten negative Symptome bzw. Minussymptome (z. B. Rückzug, Denkverarmung und andere kognitive Einbußen, Affekt- und Antriebsdefizite) auf „bei einem prognostisch ungünstigen, chronisch-einförmigen Verlauf mit mangelhafter therapeutischer Ansprechbarkeit. Unabhängig hiervon kann auch eine floride produktiv-psychotische Symptomatik in ein Residual- oder Defektsyndrom367 einmünden mit den Merkmalen des Psychose-Typs II“.368

Die „Schizophrenia simplex“ beginnt unspezifisch mit schleichendem intellektuellen Leistungsabfall, Initiativeverlust und Einbußen an Vitalität. Es kommt zu IchStörungen, affektiver Verflachung oder inadäquater Gestimmtheit, zu gekünstelt wirkendem Verhalten, zu Parathymie und Zwangssymptomen. Es setzt eine allmähliche Persönlichkeitsveränderung ein mit „Zerfahrenheit, Manieriertheit, Sprecheigentümlichkeiten, Stereotypien, Echopraxie, Echolalie, Verschrobenheit, soziale[r] Isolierung, Autismus, oberflächliche[n] Interessen und bizarre[n] Gewohnheiten.369

Während Payk die „Hebephrenie“ als synonym zur Schizophrenia simplex behandelt,370 nimmt die ICD-Klassifikation eine Differenzierung vor371 und betont bei der hebephrenen Schizophrenie die affektiven Veränderungen bei Auftreten von 365 366 367 368 369 370 371

Vgl. Meggendorfer (1940 b), S. 434. Payk (2003), S. 169. Zum schizophrenen Residuum (Defektsyndrom) vgl. ebd., S. 184–185. Ebd., S. 169. Ebd. Vgl. ebd., S. 172. Hebephrene Schizophrenie: F20.1., Schizophrenia simplex: F20.6: „Die Stellung dieser Diagnose wird in der Praxis nicht empfohlen“. Vgl. Dilling/Freyberger (2010), S. 101.

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flüchtigen, bruchstückhaften Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Die Hebephrenie kann verantwortungsloses und unvorhersehbares Verhalten sowie desorganisiertes Denken bedingen. „Wegen der schnellen Entwicklung der Minussymptomatik, besonders von Affektverflachung und Antriebsverlust, ist die Prognose meist schlecht. Eine Hebephrenie soll in aller Regel nur bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen diagnostiziert werden“. 372

Die paranoid-halluzinatorische373 Schizophrenie beginnt, vergleichbar der Schizophrenia simplex, mit einem uncharakteristischen Vorstadium mit Antriebs-, Affektund kognitiven Störungen, im weiteren Verlauf kommt es zum Auftreten von Wahnsymptomen bis hin zum systematisierten Wahn, zu anderen inhaltlichen Denkstörungen, zu Halluzinationen, Ich-Störungen, formalen Denkstörungen, Störungen im Ausdrucksverhalten (Mimik, Gestik, Psychomotorik), Affektstörungen und Wahrnehmungsstörungen.374 Bei der katatonen Schizophrenie handelt es sich um ein Krankheitsbild aus der Gruppe der Schizophrenien mit vor allem motorischen Auffälligkeiten: „Erregtheit, Bewegungsstereotypien und Automatismen, alternativ Erstarrung (katatoner Stupor), Verhalten in bizarrer Körperhaltung (Katalepsie), Rigidität, Angespanntheit, Negativismus, Mutismus, Manieriesmen [sic], Befehlsautomatismen, Perseverationen, Echolalie und Echopraxie, Wahnsymptome und Sinnestäuschungen“.375

Nach Peters Einschätzung aus dem Jahr 2013 wird „[d]ie Berechtigung, eine [von Kraepelin terminologisch geprägte] Pfropfschizophrenie gegenüber anderen Schizophrenieformen abzugrenzen […] von den meisten Psychiatern bestritten“.376 „Nach älterer Vorstellung ist Schwachsinn in manchen Fällen wichtige Mitursache einer Schizophrenie, die sich gleichsam auf den Schwachsinn aufpfropft. Vielfach werden darunter auch Psychosen von Schwachsinnigen verstanden, die nur schizophrenieähnlich sind. Das Zusammentreffen von Schizophrenie und Schwachsinn gilt als zufällig“. 377

372 Ebd., S. 97. 373 Die obsolete Bezeichnung für die paranoide Form der Schizophrenie ist die von Kraepelin geprägte „Dementia paranoides“. In der Akte der an „Dementia paranoides“ erkrankten, 1890 geborenen V. J. befindet sich ein mit kunstvollem bunten Innenfutter ausgestatteter leerer Briefumschlag mit folgender kalligraphischer, über die gesamte Vorderseite verteilten Aufschrift: „Einschreiben. Hochwohlg. Herrn Reichskanzler Hitler. Berlin. Wilhelmstraße“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Die in der Akte enthaltenen handschriftlichen Schreiben des Ehemannes der Patientin vom 16.04.1942, 24.07.1942 und 29.07.1942 wurden von Meggendorfer wiederholt beantwortet, am 20.04.1942 dahingehend, dass die Kranke von Wahnideen beherrscht sei, „es erscheint ein längerer Klinikaufenthalt erforderlich. Eine Entmündigung wäre unter den von Ihnen geschilderten Umständen wohl zu empfehlen“. Vgl. ebd. Am 25.07.1942 wurde dem Gatten der Patientin mitgeteilt, es sei „wohl das Beste, wenn Sie Ihre Gattin sobald wie möglich in die Klinik zurückbringen. Ich glaube Ihnen gern, dass sie infolge ihrer Wahnideen Ihnen sehr zusetzt und störend wirkt“. Vgl. ebd. 374 Vgl. Payk (2003), S. 175. 375 Ebd., S. 177. 376 Peters (2011), S. 403. 377 Ebd.

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Offensichtlich hatte Meggendorfer von Kraepelin als seinem ersten akademischen Lehrer das Konzept der Pfropfschizophrenie übernommen und es auch im weiteren Verlauf seiner akademischen Entwicklung beibehalten, wie die Akte der 1926 geborenen P. K. zeigt, die von 20.09.1942 bis 08.03.1943 in der Meggendorferschen Klinik behandelt wurde.378 Die Diagnose sollte auch bei ihrem zweiten Klinikaufenthalt im Jahr 1946 in dieser Form aufrechterhalten werden. Am 09.02.1943 zeigte Meggendorfer P. K. beim staatlichen Gesundheitsamt Erlangen verdachtsdiagnostisch an. Bei dem auszufüllenden Feld „Ich stütze mich dabei auf folgende Beobachtungen“379 wurde maschinell eingetragen, die Patientin „wurde nach Elektrokrampfkur gebessert, aber noch geistig geschwächt entlassen. Offenbar handelte es sich um eine Pfropfhebephrenie. Erhebliche Fortpflanzungsgefahr scheint nicht zu bestehen, doch ist häusliche Ueberwachung nicht gewährleistet, da auch die Mutter an Schizophrenie leidet“.380

In Meggendorfers Schriften lassen sich – augenscheinlich – pauschalisierende Thesen finden, wie zum Beispiel folgende: „es genügt, dass die Erkrankung einmal deutlich hervorgetreten ist. Ist dies der Fall, so hat sich gezeigt, dass der Betroffene Träger der krankhaften Erbanlagen ist, die aus dem Erneuerungsvorgang des Volkskörpers ausgeschaltet werden sollen, mag er auch später wieder nach außen hin (erscheinungsbildlich) gesund geworden sein“.381

Die theoretischen Aussagen Meggendorfers sollten vor dem Hintergrund seiner differenzierten Vorgehensweise in der Praxis eingeordnet werden. Bei seiner gutachterlichen Tätigkeit arbeitete Meggendorfer mit Präzision und Sorgfalt. Hierfür kann exemplarisch Meggendorfers Begutachtung von S. K. angeführt werden. Die 33-jährige Patientin hatte wiederholt mit juristischer Hilfe Beschwerde eingelegt gegen den am 28.02.1935 von Seiten des EGG Bamberg gefassten Beschluss zur Unfruchtbarmachung wegen Schizophrenie. Der erste Widerspruch der S. K. war durch Beschluss des EGOG vom 12.04.1935 als unbegründet zurückgewiesen worden. Nach Beschluss zur Wiederaufnahme des Verfahrens vom 26.09.1935 ordnete das Gericht die Unterbringung der S. K. zur Beobachtung und Begutachtung in der Psychiatrischen und Nervenklinik an. Meggendorfers ausführliche Beobachtung

378 „24.9.42. Keine Veränderung. Pat. ist häufig so erregt, dass sie in die Zelle muss. Sie ist nicht fixierbar, spricht in einemfort [sic] verwirrt vor sich hin. Es hat den Anschein, alsob [sic] sie lebhaft halluziniere. 1. Elektrokrampfbehandlung. 20.10.42. Noch keine Besserung. Vielfach Erregungszustände, springt aus dem Bett, drängt zur Tür hinaus, ist ablehnend. 27.11.42. Zustand wechselnd. […] fühlt sich verfolgt und beobachtet, schreit, sie wolle von den Juden nichts wissen, man solle sie hinaus tun, Hört viel Stimmen. 5.1.43. Wurde mit Elektrokrampf weiterbehandelt. In den letzten Tagen Besserung“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 365/286; 140/66. 379 Amtsärztliches Formblatt Nr. 153, Carl Gerber, München, zit. n. ebd. „Hier nach Möglichkeit auch anzugeben, ob und welche Erbkrankheiten in der Sippe bekannt sind“. Vgl. ebd. 380 Ebd. 381 Meggendorfer (1939a), S. 210.

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und Untersuchung im Zeitraum vom 17.10.1935 bis zum 30.10.1935382 ergab weder Verdachtsmomente auf das Vorliegen einer schizophrenen Erkrankung noch ließen sich die Residuen einer durchgemachten Schizophrenie nachweisen. Meggendorfer betonte in seinem Gutachten vom 31.10.1935 die Unmöglichkeit, einen psychischen Ausnahmezustand nach einem Zeitraum von sieben Jahren korrekt zu beurteilen. Er verwies auf die Gesichtspunkte, welche den Rückschluss auf einen reaktiven Verwirrtheits- und Dämmerzustand383 wahrscheinlich werden lassen: Meggendorfer führte in seinem Gutachten aus, Frl. S. habe ihm anlässlich täglicher längerer Unterhaltungen und Untersuchungen im Wesentlichen identisch die in den Akten beschriebene Vorgeschichte geschildert. Auf seinen Wunsch hin habe sie ihm einen ausführlichen selbstgeschriebenen Lebenslauf ausgehändigt.384 Er habe

382 „Aktueller psychopathologischer Befund, Vorgeschichte und Verlaufsbeobachtung führen zur psychiatrischen Diagnose, ohne die keine zielgerichtete und angemessene Behandlungsstrategie entwickelt werden kann. Ihre Funktion und eigentliche Bedeutung reichen also weit über das gelegentlich kritisierte ,Labeling‘ hinaus“. Vgl. Payk (2003), S. 78. 383 Zur schizoiden Reaktion weiterführend: „Aus unseren Fällen kann festgestellt werden, daß ad 1. neben der Schizophrenie, die Annahme eines selbständigen Krankheitsbildes der schizoiden Reaktionen, sowohl was die Prognose als auch den Ablauf betrifft, berechtigt ist, und wir darunter einen solchen endogenen oder exogenen und in jedem Falle feststellbaren, durch aktuelle Ursachen ausgelösten, durch schizoide gespaltene Symptome charakterisierten, längere oder kürzere Zeit dauernden Krankheitsprozeß verstehen, der mit Heilung endet und als Endresultat eine Restitutio ad integrum hinterläßt. ad 2. Die schizoiden Reaktionen können vom ätiologischen Gesichtspunkte in vier Gruppen geteilt werden: a) in die Gruppe der endokrinen, b) der psychogenen, c) der traumatischen, d) der toxischen Schizoidreaktionen. ad 3. Die prämorbide Persönlichkeit der an schizoiden Reaktionen leidenden Individuen hat einen ausgesprochen schizothymen Charakter. Hinsichtlich des Habitus gehören sie sozusagen ausschließlich in die Leptosomengruppe Kretschmers. ad 4. Auf die Annahmen Lienaus und Bunejeffs gestützt, können wir feststellen, daß die Neurasthenie nicht mehr als Krankheitseinheit betrachtet werden kann und daß dort, wo die neurasthenische Symptomengruppe als eine Teilerscheinung einer anderen psychischen Erkrankung nicht gewertet werden kann, wir sie als einen eigentümlichen Reaktionstypus der schizothymen Individuen betrachten müssen. ad 5. Die Annahme von schizoiden Krisen, neben den schizoiden Reaktionen, erscheint sowohl hinsichtlich der Dauer als auch hinsichtlich des Verlaufes motiviert“. Vgl. Jablonszky (1929), Zusammenfassung. Zur Schizoidie und Schizophrenie im Erbgang siehe Kahn (1923) und Strohmeyer (1925). Siehe ferner auch Stransky (1936). Zur Neurasthenie angeführt sei folgende literarische Notiz: „Am 30. März bekommt er [Robert Musil (1880–1942)] endlich einen Termin beim Nervenarzt Dr. Otto Pötzl […]. Heute würde man es ʻBurn-Outʼ nennen, damals sagte man: ‚Derselbe leidet an den Erscheinungen einer schweren Herzneurose: Anfälle von Herzklopfen mit jagendem Puls, Palpitationen beim Einschlafen, Verdauungsstörungen verbunden mit den entsprechenden psychischen Erscheinungen: Depressionszuständen und mit hochgradiger körperlicher und psychischer Ermüdbarkeit‘. 1913 fasste man das zusammen unter dem Begriff: ‚Neurasthenie‘. Spötter sangen: ‚Raste nie und haste nie, sonst haste die Neurasthenie‘“. Vgl. Illies (2013), S. 90. Aktuelle Synonyma für Neurasthenie sind „Chronisches Müdigkeitssyndrom“/“Chronic Fatigue Syndrome (CFS)” oder „postvirales Müdigkeitssyndrom“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 67. Weiterführend verwiesen sei auch auf Radkau (2000). Zu „Psychiatrische[n] Diagnosen des Politischen“ im Kontext der Novemberrevolution 1918/1919 siehe ferner Freis (2013). 384 Dies war offensichtlich ein gängiges Diagnostikum, das mitunter auch bei N. H. eingesetzt worden war.

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unter Einbezug der Krankengeschichte die einstige Erkrankung mit Frl. S. besprochen. Rezidivierende intensive Besprechungen einzelner in der Krankengeschichte vermerkter Ereignisse hätten eine offensichtlich nur ganz summarische Orientierung des Frl. S. in Bezug auf die Vorkommnisse in der Anstalt offenkundig werden lassen. In der psychischen Untersuchung lieferte Frl. S gute Ergebnisse, wurde von Meggendorfer als „in jeder Hinsicht klar und besonnen und wohl orientiert“385 beschrieben. Ihre Auffassung sei prompt und korrekt. Über ihre Biographie könne sie zusammenhängend berichten: „Der Gedankengang zeigt keinerlei Abweichung von der Norm, ist weder zerfahren noch ideenflüchtig, weder beschleunigt, noch verlangsamt. Die Assoziationsprüfung ergibt im Allgemeinen nach logischen Gesichtspunkten gewählte Reaktionen bei kurzen Reaktionszeiten: 1,0–2,0 Sekunden. Nur einzelne Assoziationen zeigen eine gewisse Verlängerung, wie etwa Bein – Operation, Fach – Brieffach, Gas – Gift, Herd – eigener Herd, Fest – Festfreude“. 386

In der Auslegung Meggendorfers betrafen diese Assoziationen bestimmte affektbetonte Vorstellungen als sogenannte „Komplexe“. Die Reaktionen ordnete Meggendorfer als nach logischen Gesichtspunkten nachvollziehbar ein; er betonte das Fehlen von verschrobenen Reaktionen, von Klangassoziationen und von Reimen. Meggendorfer beschrieb den Gedankengang von Frl. S. als geordnet, ihren Affekt als „gemütlich regsam“,387 ihr Verhalten als einfach und natürlich. Als psychopathologisch hervorstechend sah Meggendorfer lediglich eine „gewisse Empfindlichkeit, eine leichte Verletzlichkeit, vielleicht auch ein leicht misstrauisches und beobachtendes Wesen“.388 Meggendorfer ging diesem Charakterzug näher nach und sah ihn letztlich verständlich begründbar mit der Tatsache, dass Frl. S. als einziges Mädchen in einer neunköpfigen Geschwisterreihe aufgewachsen war: „Offenbar handelt es sich um eine etwas empfindliche, sensitive, vielleicht auch von Haus aus etwas verzogene Persönlichkeit“.389 Die Einträge in der Krankengeschichte aus Kutzenberg ließen, nach Meggendorfer, nicht den Verdacht auf das Vorliegen einer Schizophrenie zu. Anstelle einer Verhaltendeskription seien oftmals in der Akte bereits diagnoseimplizierende Wertungen vorgenommen: „So heißt es z. B. unterm 7.8.28: ‚sie ist vollkommend abweisend‘, 11.9.28: ‚in ihrem Wesen maniriert‘ [sic], 18.9.28: ‚zerfahren in ihren Reden, steht in katatoner Haltung herum‘ (sie habe im Bad ein Kimonohemd angehabt. Sie könne sich noch erinnern, dass sie sich hinstellte, dieses Hemd hochzog und sich damit seitlich trappierte. Das hinge mit ihrem Beruf zusammen. Das machten die Schneiderinnen so, dass sie aus einem Tuch verschiedene Formen von Kleidern legten. Das habe die Schwester, die im Bade war, wohl nicht verstanden) u. dgl.“390

An den Stellen, in welchem das Krankenjournal eine reine Zustandsbeschreibung liefere, ließe sich der Rückschluss auf einen traumhaften und bewusstseinsgetrübten Zustand ziehen. Als schizophrenie-untypisch hob Meggendorfer zudem den 385 386 387 388 389 390

Meggendorfers Gutachten vom 31.10.1935. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 243/148. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Ausgang der Krankheit hervor, „die offenbar keinerlei geistige Schwäche, keinerlei Abstumpfung des Gemüts und keinen Verlust der Initiative zur Folge hatte“.391 In den Kutzenberger Akten fanden sich nämlich folgende Eintragungen: „‚In Bezug auf ihre Stimmung etwas über der Linie‘, ‚heiter, lebhaft, aber ohne manischen Einschlag‘, ‚in sehr guter psychischer Verfassung‘, ‚ordentlich, sehr zugänglich‘“.392 Zusammenfassend ordnete Meggendorfer die stattgehabte psychische Erkrankung von Frl. S. als traumhaften Zustand im Rahmen einer nachhaltig psychophysischen Reaktion auf ein sehr schmerzliches gemütliches Erlebnis ein.393 Das Erbgesundheitsgericht, namentlich „Amtsgerichtsdirektor Obermaier, Landgerichtsamtsarzt Dr. Reinhardt und Anstaltsdirektor Dr. Einsle“394 bezeichneten Meggendorfers Einschätzung als „Irrtum des Gutachtens“.395 Wilhelm Max Maria Einsle (1887–1961) – ab Herbst 1934 Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen in der Nachfolge Gustav Kolbs (1870–1938), des Begründers des „Erlanger Systems der offenen Fürsorge“396 – beurteilte (gemeinsam mit Reinhardt und Obermaier) die Erkrankung 391 392 393 394 395 396

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Die „Perversion“ der Erlanger offenen Fürsorge kann exemplarisch anhand der 1914 geborenen P. K. verdeutlicht werden. P. K. wurde von Seiten eines Fürsorgemitarbeites/einer Fürsorgemitarbeiterin anlässlich eines Besuches bei ihrer Schwester, die ein „Fürsorgezögling“ war, als psychopathologisch auffällig befunden. In der „Fürsorge-Krankengeschichte über P. K.“ heisst es: „P. ist die Schwester der in Fürsorge stehenden P. A. […], die sich vom 27.10.33–4.1.34 in der Psychiatrischen Klinik Erlangen unter der Diagnose Epilepsie befand. Beim Besuch der Schwester befindet sich P.[K.] in einem Zustand, der dem von der Schwester durchgemachten ziemlich ähnelt“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 136/41. Konsekutiv sollte P. K. von 23.03.1935 bis 18.08.1935 stationär in der Meggendorferschen Klinik behandelt werden. Die Dokumentation vom 26.06.1935 lautet: „Sterilisierungsgutachten erstellt“. Vgl. ebd. Das Gutachten selbst lässt sich in der Akte nicht nachweisen. Etwa zeitgleich, am 25.06.1935 erstattete Meggendorfer die Anzeige als Erbkranke. Am 26.07.1935 ging folgendes bezirksärztliche Schreiben an „Frl. P. K. ggw. in Psychiatrische[r] Klinik Erlangen. Betreff: Unfruchtbarmachung: Aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Erbgesundheitsgerichtes Erlangen vom 10.07.1935 fordere ich Sie auf, den zu Ihrer Umfruchtbarmachung erforderlichen Eingriff binnen zwei Wochen vom Empfang des Schreibens an, in der Frauenklinik Erlangen vornehmen zu lassen. Bemerkt wird, dass der Eingriff auch gegen Ihren Willen vorgenommen wird. Ist bei Ablauf der Frist der Eingriff noch nicht erfolgt, so ist der Eingriff mit Hilfe der Polizeibehörde, nötigenfalls unter Anwendung unmittelbaren Zwangs, in der von mir bezeichneten Anstalt auszuführen. Wenn Sie sich auf Ihre eigenen Kosten in eine geschlossene Anstalt (Heil- oder Pflegeanstalt) aufnehmen lassen, die volle Gewähr dafür bietet, dass die Fortpflanzung unterbleibt, wird das Erbgesundheitsgericht auf Ihren Antrag anordnen, dass die Vornahme des Eingriffs solange ausgesetzt wird, als Sie sich in der Anstalt befinden. Der Eintritt in eine geschlossene Anstalt müsste ebenfalls binnen zwei Wochen erfolgen. Dabei hätten Sie der Anstalt anzugeben, dass Ihre Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen ist. Gez. Dr. Franke“. Vgl. Formbl. Nr. U 11. München: Verlagsanstalt Walter König, Fraunhoferstr. 19, zit. n. ebd. Am 06.08.1935 wurde die Patientin „zwecks Vornahme der Sterilisierung in die Frauenklinik verlegt. Nachdem die Operation ohne jegliche Komplikation verlaufen[,] wird Pat. nachderselben wieder zurückverlegt. 12.8.35. Komplikationsloser Heilverlauf [sic]. Die Wunde sah zwar in den ersten Tagen etwas schmierig aus, doch reinigte sie sich in den nächsten Tagen ganz gut“. Vgl. ebd. Zwei

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der S. K. im Jahr 1928 retrospektiv „unzweifelhaft“397 als einen schizophrenen Schub, welcher in einen nachweisbaren leichten Defektzustand ausgegangen sei. Meggendorfers gutachterliche Einschätzung entgegen einer Schizophrenie-Diagnose bei S. K. wurde abgewiesen. Der Beschluss zur Unfruchtbarmachung vom 28.02.1935 wurde somit aufrechterhalten.

Abb. 31: Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes im Wiederaufnahmeverfahren der S. K.398

Tage nach Entlassung sollte die Patientin „Fürsorge-Besuch“ erhalten. Die Dokumentation vom 21.08.1935 verweist darauf, dass die Patientin selbst nicht angetroffen wurde. „Sie sei aber nach Bericht der Eltern wieder völlig in normaler Verfassung und sehe sich nach Arbeit um“. Vgl. ebd. Der letzte Fürsorge-Eintrag stammt vom 19.08.1936: „Nach Mitteilung des Vaters Befinden gut, stehe in Arbeit“. Vgl. ebd. Weiterführend zum Erlanger System der „offenen Fürsorge“ siehe Braun/Kornhuber (2014a) und (2014b). Siehe ferner auch Söhner (2016). 397 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 243/148. 398 Ebd.

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Möglicherweise ließ Meggendorfer gerade infolge dieser bei S. K. gewonnenen Einsicht zur vielerorts leichtfertigen Schizophrenie-Diagnosestellung von Konrad Schwarzkopf im Rahmen einer Promotion über die „[d]iagnostische[n] Schwierigkeiten bei Schizophrenie“399 23 Gutachten aus seiner Klinik aufarbeiten. Ein diagnostisch ähnlich gelagerter Fall wie der von S. K., ebenfalls mit Initialaufenthalt in Kutzenberg, bildete den neunten Fall der insgesamt von Schwarzkopf400 angeführten elf Kasuistiken von „Psychopathie“ in Abgrenzung zur Schizophrenie:401 Frl. J.402 war mit 26 Lebensjahren in die Heil- und Pflegeanstalt Kutzenberg eingewiesen worden wegen „akuter Geistesstörung mit Selbstmordabsichten“.403 Zum Aufnahmezeitpunkt war Frl. J. motorisch sehr unruhig und ängstlich; auf gestellte Fragen antwortete sie nicht. Familienanamnestisch erwähnte sie einen „entfernten Verwandten, der in geistiger Umnachtung ins Wasser ging“.404 Infolge einer enttäuschend verlaufenden Verliebtheit sei sie „von bösen Menschen und von ihren eigenen Freundinnen verfolgt worden“.405 Während des stationären Aufenthaltes zeigte sich ein ausgesprochener Schuldwahn; Frl. J. äußerte religiöse Ideen und verkannte Personen. Intermittierend kam es zu starken Aufregungszuständen oder starrem Verzücktsein. Nach circa acht Tagen habe sich der Zustand der Patientin bedeutend gebessert. Gemäß der Dokumentation der Kutzenberger Krankengeschichten war „sie in einem recht guten Zustand […], stets lebendig und munter und […] [zeigte] Krankheitseinsicht“.406 Nach fünf Monaten wurde sie nach Hause entlassen. Die Diagnose lautete: „Schizophrenie“. Anlässlich der Untersuchung an der Meggendorferschen Klinik zeigte sie sich über den ersten Teil ihres Aufenthaltes in der Anstalt Kutzenberg nur sehr schemenhaft orientiert, ein Befund, der wie-

399 Schwarzkopf (1939). Interessant hierzu auch Ast (1939). Siehe ferner Berze (1942). 400 Schwarzkopf anonymisierte mittels alphabetischer Initiale. 401 Bei der an Schizophrenie erkrankten N. H. wurde am 10.11.1938 die „Insulinbehandlung auf Wunsch des Vaters abgesetzt. Äußert nichts Wahnhaftes mehr, wirkt aber in ihrem Wesen, insbesondere bei den Visiten wenig natürlich[,] unfrei, oft geradezu läppisch, dann wieder trotzig und arrogant. Auffallend ist die Unbekümmertheit, mit der sie angibt, schon immer viel gelogen zu haben. Ihre sämtlichen Äußerungen machen daher einen nicht ganz glaubwürdigen Eindruck. Wörtlich sagt sie: ‚Nur Deppen sagen die reine Wahrheit‘. 20.11.38: Unverändert. Auf der Abteilung nicht auffällig; unterhält sich und spielt mit andern Kranken, zeigt ein gleichmäßig heiteres Wesen. Dem Arzt gegenüber aber immer unfrei und etwas läppisch. Bleibt dabei, dass die Angabe, Stimmen gehört zu haben, erlogen gewesen sei. – Nach den Angaben der Pat., die z. T. freilich der Überprüfung bedürfen, wäre es nicht ausgeschlossen, dass es sich, zumal die Erscheinungen sehr rasch wieder abklangen, um eine psychogene Reaktion einer Psychopathin handelt bzw. gehandelt hat. 20.11.38: Wird heute fast erscheinungsfrei aus der Klinik entlassen“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 269/168. 402 Die Initiale „I“ wurde von Schwarzkopf nicht verwendet. Nach Fall 8: Patient H. folgt Fall 9: Frl. J. Vgl. Schwarzkopf (1939), S. 18–19. 403 Ebd., S. 19. 404 Ebd., S. 19. 405 Ebd. 406 Ebd.

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derum den Verdacht auf einen stattgehabten bewusstseinsgetrübten und traumhaften Zustand nahe legte.407 „Bemerkenswert war, dass nur optische Sinnestäuschungen (Personenverkennung) eine Rolle spielten, was ja nicht gerade für Schizophrenie spricht“.408 Nach Remission sei es weder zu einer geistigen Schwäche und gemütlicher Abstumpfung noch zu Initiativverlust gekommen: „Die Persönlichkeit, wie sie in der hiesigen Untersuchung zur Geltung kam, ist durchaus darnach, dass man ihr eine nachhaltige psychopathische Reaktion auf ein sehr schmerzliches gemütvolles Erlebnis zutrauen kann. Von diesem Gesichtspunkt aus kann man die in der Krankengeschichte dargelegten Erscheinungen als einen reaktiven traumhaften Verstimmungszustand ansehen“.409

Da der Gesetzgeber die schwerwiegenden Folgen für das als „erbminderwertig“ befundene und aus dem Reproduktionsprozess ausgeschaltete Individuum – der Ansicht Schwarzkopfs entsprechend – „genau kannte“,410 sei die Möglichkeit zur Beschwerde etabliert worden. Die Wichtigkeit hierzu untermauerte Schwarzkopf anhand von 23 Revisionsgutachten aus der Erlanger Psychiatrischen und Neurologischen Universitätsklinik: „Diese Gutachten streifen fast alle differentialdiagnostischen Gesichtspunkte, die bei der Schizophrenie in Frage kommen. Alle Personen, auf die sich die Gutachten beziehen, haben bzw. hatten einen psychischen Defekt. Die richtige Einreihung dieser psychisch irgendwie anormalen411 Menschen erbrachten folgendes Bild: Eine große Anzahl gehört dem Krankheitsbild der

407 Als „reaktiver Verwirrtheits- und Dämmerzustand“ war retrospektiv von Meggendorfer auch die psychotische Störung der S. K. eingeordnet worden, was vom Erbgesundheitsgericht abgelehnt worden war. Vgl. hierzu S. 342–347. 408 Schwarzkopf (1939), S. 19. 409 Ebd. 410 Ebd., S. 2. 411 Interessant hierzu die Rezension Roemers der Kollerschen Anormalenzählung im Kanton Appenzell a. Rh. vom Jahr 1937: „Nachdem 1907 und 1922 im Kanton Appenzell a. Rh. eine Zählung der im schulpflichtigen Alter befindlichen geistesschwachen, taubstummen und epileptischen Kinder erfolgreich stattgefunden hatte, wurde 1937 eine dritte solche Erhebung veranstaltet und mit einer Nachzählung der 1907 und 1922 erfassten Personen über die weitere Entwicklung ihres Gebrechens und dessen Einfluss auf Erwerbstätigkeit und soziale Stellung vorgenommen. Die Zählkommission bestehend aus Pädagogen, Schulärzten und Psychiatern, stellte eine ausführliche Zählkarte, u. a. mit genauen Daten über den Grad des Schwachsinns auf, die durch Vermittlung der Behörde von der Lehrerschaft unter Zuziehung der Schulärzte ausgefüllt wurde […]. Äußere Ursachen der Gebrechen fanden sich nur selten, dagegen stellte sich die überragende Bedeutung der erblichen Belastung heraus. Von 385 Familien zeigten 167 direkte Belastung durch die Eltern, obwohl die diesbezüglichen Erhebungen unvollständig waren; hiervon wurden in 79 Familien (20% aller Familien) Geistesschwäche eines der Eltern oder beider zusammen oft verbunden mit anderen Defekten nachgewiesen. 56 weitere Familien litten unter der Trunksucht eines oder beider Eltern. Schließlich fand sich eine große Anzahl von Geschwisterschaften Anormaler: von 385 Familien wiesen 111 mehr als 1 (1–6) anormales Kind auf, und zwar fand sich in 62 von diesen Familien elterliche Belastung meist durch Geistesschwäche oder Trunksucht. Die eingehende Wiedergabe der Verhältnisse in den Familien mit mehreren abnormen Kindern gestattet einen aufschlussreichen Einblick in die Bedeutung der Vererbung für das Zustandekommen der geistigen Gebrechlichkeit und veranlasste den

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Psychopathie an, die sich in [r]eaktive-Verstimmung, [e]xogene Psychose und Neurose untergliedert. Ferner sind die psychischen Veränderungen auf schwere Sinnesorganstörungen zurückzuführen. Auch die Diagnose Manisch-Depressives Irresein muss in einigen Fällen gestellt werden“.412

Da – bezogen auf die GzVeN-Pflichtigkeit413– die ersten drei der von Schwarzkopf angeführten Differentialdiagnosen zur Schizophrenie folgenschwere Relevanz

Verfasser im Interesse der Volksgesundheit auf die Dringlichkeit der Einführung der Unfruchtbarmachung der Erbkranken nach dem Beispiel Deutschlands mit Nachdruck hinzuweisen. Die 51 Fragen enthaltene Zählkarte nebst der Anleitung zur Ausfüllung ist der Arbeit als Anhang beigegeben“. Vgl. Roemer (1940), S. 402. Siehe ferner Koller (1939). Interessant auch Koller (1895). Weiterführend zu „Alterationen der Persönlichkeit“ und der Frage nach dem „Normalzustand“ mit Fallgeschichten aus Psychiatrie und Experimenteller Psychologie 1875–1900 empfehlenswert auch Link-Heer (1999). 412 Schwarzkopf (1939), S. 6. 413 In Bezug auf die Durchführung einer Unfruchtbarmachung war für den Patienten die Differentialdiagnose „manisch-depressives Irresein“ vs. „Schizophrenie“ kaum von Relevanz. Schwarzkopf schildert unter dieser Rubrik folgende Kasuistik: „Große Schwierigkeiten bereitet die Unterscheidung der Schizophrenie von manisch depressivem Irresein. Nach Kretschmer gibt es Übergänge beider Krankheitserscheinungen ineinander, wobei bald die Erscheinungen der Schizophrenie, bald die des man. depr. Irreseins überwiegen. Er spricht dann von Überkreuzungen bzw. Legierungen. Auch Bleuler schliesst sich im großen und ganzen dieser Anschauung an; nach ihm können alle manisch depressiven Symptome bei der Schizophrenie vorkommen, jedoch nicht umgekehrt, d. h. nicht die spezifischen schizophrenen Symptome bei manisch depr. Irrsein. Besonders schwer ist die Unterscheidung der Paranoiden- und Wahnsinnsformen; hier kann nur durch längere und gute Beobachtung der Verdacht auf Schizophrenie fallen gelassen werden. Die paranoia-ähnlichen manisch-depressiven [sonst verwendet Schwarzkopf durchweg die Schreibweise ohne Bindestrich] Fälle können von schizophrener Paranoia nur unterschieden werden durch Symptome und Verlauf bei dem ausgesprochen man. depr. Typus. Kraepelin dagegen lehnt eine Kombination von manisch depressiven Irresein und Schizophrenie ab. Auch Bumke äußert sich dahingehend, ‚dass eine wirkliche Mischung zwischen Schizophrenie und den circulären Formen […] entweder gar nicht oder nur ganz ausnahmsweise vorkommt‘. Im folgenden Gutachten ist der Fall jedoch nicht so gelagert, dass an eine Kombination gedacht werden kann. Fall 1. A. Wurde vom Bezirksarzt wegen Geistesstörung in die Heil- und Pflegeanstalt eingeliefert. Sie litt unter Wahnideen, glaubte, sie hätte ihre Eltern und ihre eigenen Kinder ins Grab gebracht. In der Anstalt traten Versündigungsideen auf. Nach 4 Monaten wurde sie als gebessert entlassen, die Diagnose lautete: Schizophrenie. Es wurde Antrag auf Unfruchtbarmachung wegen Schizophrenie gestellt. A. wurde in hiesiger Klinik untersucht und beobachtet. Hier gab sie an, dass sie damals überlastet gewesen wäre, weil ihr Mann krank gewesen und auf ihr die ganze Arbeit geruht hätte. Sie hätte in einem religiösen Buch gelesen und da seien die Wahnideen aufgetreten. Die Untersuchung ergab, dass A. völlig besonnen und orientiert war, die Gedankenverbindung war nicht gestört. Sie fasste rasch und sicher auf und beantwortete die Fragen rasch und richtig. Klangassoziationen spielten eine erhebliche Rolle. Das Verhalten war geordnet und unauffällig. Die psychische Erkrankung ist das typische Bild einer agitierten Depression: sie äußerte Verfolgungsideen, glaubte ihre Eltern und Kinder ins Grab zu gebracht zu haben, verkannte Personen, hielt eine alte Patientin für den lb. Gott, eine andere für den Teufel. Auch der hier erhobene Befund mit den hypomanischen Zügen spricht für man. depr. Irresein. Wohl können die körperlichen Erschöpfungszustände, Kummer und Sorgen eine psychische Störung bewirken, doch Wahnideen von solchem Ausmaß, die monatelang währten, haben ihren Grund in einer endogenen psychischen Störung.

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zeigten und den Begutachteten möglicherweise vor einer Unfruchtbarmachung schützen, sollen die entsprechenden Gutachten- und Fallgeschichten der Meggendorferschen Klinik auszugsweise, entsprechend der Veröffentlichung Schwarzkopfs, angeführt werden: Der erste von Schwarzkopfs „Psychopathie“-414 Gutachtenspatienten war von einer Medizinischen in eine Psychiatrische Klinik verlegt worden, da infolge eines „schläfrigen, müden und uninteressierten Eindruck[s]“415 die Verdachtsdiagnose Schizophrenie gestellt worden war. Drei Wochen später wurde er mit der Diagnose „Schizophrenie“ als gebessert nach Hause entlassen. Nach zwei Jahren wurde er erneut für 14 Tage in einer Medizinischen Klinik wegen Magenbeschwerden vorstellig. Ein konsekutives vertrauensärztliches Gutachten diagnostizierte Schizophrenie aufgrund von „nervösen Beschwerden, Zerfahrenheit, Vergesslichkeit, Kopfschmerzen und körperlichen Erschöpfungsgefühl“,416 woraufhin der Amtsarzt den Antrag auf Unfruchtbarmachung stellte. Da A. hiergegen Beschwerde einlegte, wurde er in der Meggendorferschen Klinik erneut begutachtet; er zeigte sich „klar und besonnen, über Ort, Zeit und nähere Umstände orientiert. Es konnte keine Störung des Gedankenganges festgestellt werden, er war weder zerfahren noch ideenflüchtig. A. neigte dazu, seine früheren Beschwerden zu bagatellisieren, alles wäre nur ein wenig Ermüdung oder Übertreibung oder Verstellung gewesen. Er war auch leicht überheblich und von sich eingenommen, er glaubte, er sei der gesündeste Mensch, hätte als Verkäufer landwirtschaftlicher Geräte bedeutendes geleistet“.417

Von seinem Klinikausgang zurückgekehrt, zeigte er sich begeistert darüber, gut Anschluss gefunden zu haben und erzählte das Neueste aus dem Stadtgeschehen. Er zeigte sich keineswegs „schlaff und leer“418 sondern vielmehr „aufgeschlossen […], energisch und ideenreich“.419 Schwarzkopf resumierte, die Diagnose einer „Schizophrenie“ sei von der Klinik abgelehnt worden, „da keine Auflösung der Persönlichkeit zu erkennen war“.420 Der zweite von Schwarzkopfs „Psychopathie“-Gutachtenspatienten war familiär vorbelastet: „sein Vater starb an Rückenmarksschwund, seine Mutter war öfters in der Nervenklinik wegen Nervenzusammenbruchs, Großmutter mütterlicherseits war immer sehr leicht reizbar und erregt. Er selber war Trinker“.421

414 415 416 417 418 419 420 421

Die Diagnose Schizophrenie besteht zu Unrecht. Sie muss lauten: ‚manisch depressives Irresein‘“. Vgl. ebd., S. 27–28. Weiterführend zu aktuellen neurobiologischen Forschungsbefunden bei “psychopathy” empfohlen sei Dreßing (2009), S. 321. Schwarzkopf (1939), S. 12. Ebd., S. 13. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 13–14.

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Der Patient selbst machte im Kontext von Ehescheidungsverhandlungen einen Suizidversuch, der das Beibringen oberflächlicher Verwundung nicht überschritt. Formalgedanklich zerfahren und verworren zeigte er inhaltlich Beziehungsideen. In der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses war die Diagnose „Schizophrenie“ gestellt worden. Während der Beobachtung in der Meggendorferschen Klinik war der Patient empfindlich, leicht erregbar und gereizt, „schimpfte gegen seine Frau, gegen die Rechtsanwälte und Ärzte vom Krankenhaus“.422 Schwarzkopf betonte die gute örtliche und zeitliche Orientierung des Patienten. Sogar bei psychischen Erregungszuständen seien seine Gedankengänge frei von Zerfahren- oder Zusammenhanglosigkeit gewesen. Trotz intermittierender formalgedanklicher Sprunghaftigkeit habe immer eine Einfühlbarkeit bestanden. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Halluzinationen oder Sinnestäuschungen, von Wahnvorstellungen oder dergleichen konnten, laut Schwarzkopf, während des stationären Aufenthaltes nicht erhoben werden. Die Diagnose an der Meggendorferschen Klinik lautete „labiler Psychopath“; die Scheidungsklage habe nämlich dazu beigetragen, den Patienten „bei seiner schon vorhandenen Reizbarkeit äußerst stark in ‚die Höhe gehen‘“423 zu lassen. Die dritte von Schwarzkopfs Psychopathie-Begutachtungspatient(inn)en war in einem auswärtigen Krankenhaus von der Hautabteilung auf die psychiatrische Abteilung verlegt worden wegen überspannten Verhaltens: „Sie verkannte Personen, brachte zerfahrene Redensarten vor, war in ihrem Affekt sehr labil“.424 Die Verdachtsdiagnose „Schizophrenie mit hysterischen Zügen“ wurde extern gestellt. Nachdem der Amtsarzt den Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt hatte, erach tete das Erbgesundheitsgericht eine weiterführende klinische Beobachtung für notwendig, so dass die Patientin in der Meggendorferschen Klinik acht Tage stationär beobachtet wurde. Initial sehr misstrauisch sei sie nach wenigen Tagen freier geworden: „Die anfängliche Sperrung wich bald einem gemütlichen Konnex. – Die Tatsache, dass die Persönlichkeit in keiner Weise psychisch verändert ist und dass ferner die wirtschaftlichen Erfolge von Frl. C. bis zuletzt von ihrem Arbeitgeber bestätigt wurden, sprechen endgültig gegen die Annahme einer Schizophrenie“.425

Der vierte Psychopathie-Gutachtenspatient Schwarzkopfs wurde von seinem Arbeitgeber als „geistesgestört“ bezeichnet, da er sich bei seiner Tätigkeit als „Ausfahrer“ keinen Straßennamen mehr habe merken können. Infolge der amtsärztlicherseits gestellten Verdachtsdiagnose „Schizophrenie“ wurde der Patient an der Meggendorferschen Klink begutachtet. Der Patient habe sich durchaus auffällig gezeigt. Nach einem „sinnlosen Fluchtversuch aus der Anstalt“426 habe er sich verschlossen und steif verhalten, er habe affektarm und psychomotorisch starr gewirkt.

422 423 424 425 426

Ebd., S. 14. Ebd. Ebd. Ebd., S. 15. Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Seine intellektuellen Fähigkeiten waren jedoch nicht herabgesetzt, ferner konnte eine ausgesprochene Denkstörung niemals beobachtet werden. Auf affektivem Gebiet bestand keine übertriebene Reizbarkeit. Er hatte auch den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht verloren“.427

Vor allem unter Bezug auf die fehlende Prozesshaftigkeit in der Erkrankungsdynamik des Gutachtenpatientens konnte, so Schwarzkopf, das Gutachten die Diagnose „Schizophrenie“ nicht erhärten; es bezeichnete den Patienten vielmehr als „schizoiden Psychopathen“.428 Der fünfte Psychopathie-Gutachtenspatient Schwarzkopfs war im Wald beim Holzmachen beschäftigt gewesen. Entgegen seinem Vorhaben der mittaglichen Rückkehr nach Hause, sei er – ohne zu arbeiten – im Wald geblieben, sei ziel- und planlos umhergelaufen. Er habe das Gefühl gehabt, etwas anstellen zu müssen. Der Untersucher überwies ihn wegen Verdachts auf Schizophrenie in eine Nervenklinik, wo Anzeige auf Unfruchtbarmachung gestellt wurde. Während der drei Wochen an der Meggendorferschen Klinik habe der zu Begutachtende keine Zeichen einer schizophrenen Erkrankung gezeigt. Die Tatsache, dass „er sich nicht ganz im seelischen Gleichgewicht befindet“429 wurde durch die Meggendorfersche Klinik am ehesten im Rahmen einer Angst- oder Zwangsneurose eingeordnet. Der sechste Psychopathie-Gutachtenspatient Schwarzkopfs war wegen eines Nervenleidens in zeitlichem Zusammenhang mit einem schweren Unfall für drei Tage in eine Nervenklinik gebracht worden. Ein zweiter folgender Nervenklinikaufenthalt habe sechs Monate angedauert und sei in einen sechsmonatigem Aufenthalt in einer Heil- und Pflegeanstalt eingemündet. Es erfolgte GzVeN-Anzeigeerstattung wegen Schizophrenie. Im Rahmen seiner Einlieferung in die Meggendorfersche Klinik äußerte der Patient, „geisteskrank“ zu sein. Nach dem einst erlittenen Unfall habe er die Stimme seines Onkels gehört. Auf die Frage, was die Stimme gesagt habe, habe er ausweichend reagiert. Während der Beobachtungsphase an der Meggendorferschen Klinik sei der Patient zunächst sehr abweisend gewesen, habe angegeben, sich an nichts mehr zu erinnern; er habe „pseudodemente Grimassen“430 geschnitten. In der Folge sei er zugänglicher geworden; zeitlich, örtlich und personell wurde er als gleichgut orientiert beschrieben. Er sei nicht autistisch431 und ablehnend, vielmehr affektiv gut ansprechbar gewesen. „Da der Kranke sein Leiden, 427 428 429 430

Ebd. Ebd. Ebd., S. 16. „Noch einmal sei betont: ein grob psychogenes Verhalten eines akut psychisch erkrankten Patienten, zu dem der Arzt gerufen wird, ein pseudodementes Vorbeireden in der Unterhaltung mit der Tendenz, eine ‚Geistesstörung‘ recht massiv zu demonstrieren, ein durch unsinniges Schwätzen und Grimassieren Sich-verrückt-Stellen oder auch einmal Den-wilden-Mann-Spielen bedeutet noch lange nicht, dass sich dahinter nicht doch eine echte körperlich begründbare Psychose verbergen könnte. Manche Fehldiagnosen kommen zustande, wenn man sich durch das psychogene Gehabe von dem weiteren Fahnden nach der Grundkrankheit ablenken lässt“. Vgl. Weitbrecht (1963), S. 187. 431 „Selbstisch. Sich auf Autismus beziehend. Ohne Kontakt zu anderen“. Vgl. Peters (2011), S. 59. „Inhaltlich unterscheidet sich der mit dem Asperger-Syndrom [erstbeschrieben 1944] verbundene Autismus-Begriff von der Verwendung bei E. Bleuler, der Autismus ursprünglich als typisches, nur der Schizophrenie zugeordnetes Symptom mit Loslösung von der Wirklichkeit

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übrigens auch seine angeblich geistige Störung, außerordentlich stark zur Schau trägt“,432 wurde er an der Meggendorferschen Klinik als „schwachsinniger Psychopath mit pseudodementen und neurotischen Reaktionen“433 diagnostiziert. Der siebte von Schwarzkopfs Psychopathie- Gutachtenspatienten war bei Verwirrtheit, Verfolgungs- und Missionswahn in eine psychiatrische Abteilung gebracht worden. Dort verweigerte er die Nahrungsaufnahme, „war pathetisch gespreizt, verkannte Personen“.434 Nach 21,5 Monaten habe er, laut der externen Krankenakten, so die Angabe Schwarzkopfs, geordnet über den Beginn seiner Erkrankung erzählt. „Der Reichstagsbrand habe ihn wahnsinnig aufgeregt, während der Nacht habe er das Bild [Benito] Mussolinis [1883–1945] bei offenen Augen gesehen. Am nächsten Tag habe er plötzlich seine verstorbene Mutter im Türrahmen stehen sehen und plötzlich habe er sich im Krankenhaus befunden“.435

Nach insgesamt 22,5 Monaten sei er als geordnet angesehen worden. Er habe sich gesorgt um seinen Vater sowie um sein krankheitsbedingt verzögertes Assessorexamen. Er erhielt die Diagnose „Schizophrenie“. Im Rahmen eines Besuches von Seiten des Fürsorgearztes 14 Tage nach Entlassung aus der Klinik kam es zu folgendem Akteneintrag: G. „habe eine gute Kretik, sei in Sprache und Benehmen sicher und biete zur Zeit nichts Schizophrenes“.436 Ein Jahr nach bestandenem Assessorexamen, auf welches er sich mehrere Monate vorbereitet hatte, wurde vom Amtsarzt der Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt. „Beim Gericht reichte er selbst einen großen Schriftsatz ein, worin er den plötzlichen Tod seiner Mutter, die er sehr verehrte, den politischen Umschwung und die Examenspsychose für seine damalige psychische Erkrankung verantwortlich machte“.437

Schwarzkopf betonte, während des stationären Aufenthaltes sowie im Rahmen der wiederholten ambulanten Untersuchungen hätte sich bei dem Patienten „keinerlei Persönlichkeitszerfall […], auch nicht eine Spur leisester Verschrobenheit“438 feststellen lassen. In der Krankengeschichte selbst seien nur minimal Anhaltspunkte für akustische- und körperliche Sinnestäuschungen vorhanden, wohingegen sich optische Sinnestäuschungen zeigten, „die bei der Schizophrenie verhältnismäßig selten vorkommen“.439 Unter Einbezug der initialen Bewusstseinstrübung sah das von Schwarzkopf dargestellte Gutachten unter differentialdiagnostischer Erwägung des

432 433 434 435 436 437 438 439

zusammen mit dem relativen oder absoluten Überwiegen des Binnenlebens beschrieb“. Vgl. Ebert (2009), S. 964. Zu „den Spuren Hans Aspergers [1906–1980]. Fokus Asperger-Syndrom: gestern, heute, morgen“ sei empfohlen Pollak (2015). Schwarzkopf (1939), S. 17. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 18.

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manisch-depressiven Irreseins einen Dämmerzustand440 differentialdiagnostisch für möglich an. Die achte von Schwarzkopf geschilderte Psychopathie-Gutachtenspatientin litt schwer an einer Auseinandersetzung mit ihrer früheren Dienstherrschaft. „Sie konnte 8 Monate lang ihren Dienst noch gut bei der Herrschaft versehen, jedoch war sie immer traurig und ohne jede innere Anteilnahme“.441 Nach einer Predigt sei es zu dem Wahngedanken gekommen, unwürdig kommuniziert zu haben. Bei zunehmend erdrückender Gewissenslast habe sie angegeben, „nicht mehr recht denken [zu können]‚ da ihr die Gedanken verschwänden“.442 Aufgrund des Verdachtes auf das Vorliegen von Gedankenentzug wurde wohl die Diagnose „man. depr. Irresein (Schizophrenie?)“.443 gestellt. Im Rahmen der Untersuchung an der Meggendorferschen Klinik waren, so Schwarzkopf, weder Symptome einer endogenen Geisteskrankheit noch einer ausgesprochenen Psychopathie nachweisbar: „Bei dieser Patientin handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um einen reaktiven Verstimmungszustand“.444 Frl. K., die zehnte Psychopathie-Gutachtenspatientin Schwarzkopfs soll sich bei schlechtem Familienleben mit Geburt eines außerehelichen Kindes, anschließender reiner „Versorgungsheirat“ und Erleiden ehelicher Gewalt „sehr stark auf [geregt]“445 haben. Bei zunehmender Situationseskalation wurde eine Einweisung in eine Psychiatrische Klinik notwendig. Zum Aufnahmezeitpunkt soll sie im Kontakt freundlich und zugänglich gewesen sein. Als psychopathologische Auffälligkeiten zeigten sich akustische Halluzinationen in Form von Stimmen hören und inhaltliche Denkstörung in Form von Beziehungsideen. „Die Sprache sei zuweilen etwas geziert und maniriert [sic] gewesen. Die Diagnose lautete Schizophrenie“.446 Bei der Untersuchung an der Meggendorferschen Klinik ließen sich keine Hinweise auf das Vorliegen von Sinnestäuschungen, Wahnideen oder körperlicher Beeinflussung erheben. Sie sei nicht autistisch, aber etwas empfindlich und redselig gewesen. Die akustischen Wahrnehmungsstörungen während ihres vorangegangenen Aufenthaltes in der Psychiatrischen Klinik wurden seitens des Revisionsgutachtens an der Meggendorferschen Klinik als reaktiv beurteilt: 440 „Dämmerzustand“ wird definiert als „Bewusstseinsstörung (fehlende Klarheit, aber handlungsfähig)“ mit folgenden charakteristischen psychopathologischen Auffälligkeiten: „Bewusstsein: getrübt oder eingeengt; Gedächtnis: Erinnerungslücke; Orientierung: meist gestört; Wahrnehmung: Sinnestäuschungen; Denken: Wahnideen; Stimmung: gespannt, ängstlich, zornig; Antriebslage: Erregung; Vorkommen: Epilepsie, Hirnverletzungen, pathologischer Rausch, psychogene Reaktion“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 71 und ebd., S. 297. Im Folgenden sei eine Einteilung der Dämmerzustandsformen angeführt: 1. Organisch mit der Sonderform des geordneten, besonnenen, orientierten Dämmerzustandes; 2. Psychogen. Als Diagnosekriterium angeführt wird ein Sekunden bis Tage andauernder verschobener Bewusstseinszustand mit nachfolgender Amnesie. Vgl. ebd., S. 72. 441 Schwarzkopf (1939), S. 18. 442 Ebd. 443 Ebd. 444 Ebd. 445 Ebd., S. 19. 446 Ebd., S. 20.

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„K. weicht sicher in ihrer psychischen Verfassung von der Norm ab, sie ist als eine erregbare labile Psychopathin anzusprechen, die wahrscheinlich eine reaktive Psychose durchmachte und sich immer noch nicht im seelischen Gleichgewicht befindet, da die reaktiven Momente (außereheliches Kind) noch keineswegs beseitigt sind“.447

Patient L. als elfter Psychopathie-Gutachtenspatient Schwarzkopfs, zeigte sich akut psychisch verändert; er wurde vom Bezirksarzt als „bewegungsarm, ziemlich stumpf, gleichgültig, entschlusslos, verschlossen und wortkarg“448 beschrieben. Er habe „kein Interesse an seinem künftigen Leben“.449 Es erfolgte die externe Diagnosestellung „Dementia simplex, Form der Schizophrenie“.450 Gegen den seitens des Bezirksarztes gestellten Antrag auf Unfruchtbarmachung legte L. Widerspruch ein. Im Rahmen des Gutachtens an der Klinik unter Meggendorfer war er „klar und besonnen, sein Gedankengang nicht verlangsamt, er erfolgte in geordneter und logischer Weise. Zerfahrenheit und Ideenflucht konnten bei ihm nicht festgestellt werden. Die Stimmung war gleichmäßig und indifferent“.451

Im Stationsbetrieb habe er sich ruhig und zurückgezogen verhalten; auf Ansprache seiner Umgebung sei er in eine Kommunikation eingetreten. Das Revisionsgutachten beschrieb ihn, so Schwarzkopf, als für sein junges Alter auffallend ruhig, „besonders in gemütlicher Hinsicht“,452 er habe teils „gedrückt und verstimmt, manchmal auch etwas stumpf“453 gewirkt. Schwarzkopf resumierte, es könne sich bei L. zwar um einen schleichenden schizophrenen Prozess handeln, jedoch lägen hierfür keine eindeutigen Anzeichen vor. In Zusammenschau sei die psychische Störung des L. „mit einiger Wahrscheinlichkeit auf seine hypochondrischen Beschwerden zurückzuführen“.454 Schwarzkopf schloss seine Promotion über 23 Gutachten an der Meggendorferschen Klinik mit der zusammenfassenden Feststellung, anstelle der gestellten Diagnose Schizophrenie habe es sich in vier Fällen um Pubertätspsychosen, in elf Fällen um Psychopathien, in vier Fällen um exogene Psychosen (Trauma, Lues, Enzephalitis), in zwei Fällen um Sinnesorganstörungen, in einem Fall um manisch-depressives Irresein und in einem weiteren Fall um chronischen Alkoholismus gehandelt. Obwohl die Schwarkopfschen differentialdiagnostischen Erwägungen zur Schizophrenie durchaus eine skeptische Haltung zur gemeinhin praktizierten GzVeN-Antragstellung offenlegen, betonte er regimeadaptiert: „Durch die Tatsache, dass erstens Fälle von Schizophrenie überhaupt unerkannt bleiben und zweitens diese Psychose plötzlich, ohne vorher in der Familie aufgetreten zu sein, aufzutreten vermag, sind dem Erfolg des Sterilisationsgesetzes Grenzen gezogen. Die Einführung des Sterilisationsgesetzes stellt uns vor die Aufgabe, unsere diagnostischen Möglichkeiten mit aller

447 448 449 450 451 452 453 454

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 21. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit Tatkraft weiteraus [sic] zubauen [sic] und unsere Erkenntnisse und Erfahrungen über die Vererbung der im Gesetze angeführten Erbkrankheiten zu vertiefen und zu vervollständigen“.455

Die von Schwarzkopf unter der Anleitung Meggendorfers geschilderten Kasuistiken zum Wechsel der diagnostischen Psychose-Zuordnung im Zeitverlauf verdeutlichen, wie entscheidend die Langzeitevaluation zur Diagnosesicherung einer querschnittsdiagnostisch gestellten Arbeitshypothese im psychiatrischen Bereich ist. Dass die Beurteilung der Querschnittssymptomatik für eine adäquate Prognostizierung des psychiatrischen Langzeit-“outcomes” nur bedingt valide ist, unterstreicht Meggendorfer auch in seiner Stellungnahme zu der unter den Diagnosen „Laktationspsychose, V. a. Schizophrenie, Katatonie“456 „geführten“, am 24.03. 1943 aufgenommenen G. F. In einem Schreiben an „Reg-Präs. Ansbach“ vom 08.05.1943 gab Meggendorfer an, der Zustand der G. F. habe sich durch den Klinikaufenthalt gebessert, eine baldige Entlassung stehe in Aussicht. „Eine andere Frage ist die, ob es sich bei Frau G. um eine Schizophrenie handelt. Frau G. ist im 4. Monat nach einer Geburt, unmittelbar nach dem Abstillen, erkrankt. Es handelt sich um eine sogenannte Laktationspsychose.457 Eine solche ist meist in Wirklichkeit eine Schizophrenie.458 Es sprechen bei Frau G. aber auch einige Zeichen gegen das Vorliegen einer Schizophrenie. Zur Zeit kann noch nicht mit Sicherheit eine Schizophrenie angenommen oder auch ausgeschlossen werden; diese Entscheidung hängt im wesentlichen davon ab, ob im weiteren Verlaufe Defekterscheinungen zurückbleiben oder nicht“.459

Die Relevanz der Längsschnittsdiagnostik für eine Diagnose-Verifikation zeigt auch die aktuelle Studie von Bromet et al. zum Wandel der Psychose-Diagnosen im Langzeitverlauf.460

455 Ebd., S. 31. 456 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 166/97. 457 „Jede während der Stillzeit (Laktationsperiode) auftretende Psychose. Als Laktationszeit wird dabei die Zeit von 6 Wochen nach der Niederkunft bis zum Ende des ersten Jahres gerechnet, gleichgültig ob in dieser Zeit gestillt wird oder nicht. Die Psychosen brechen überwiegend während der ersten 3–4 Monate nach der Niederkunft aus. Die Symptomatik kann sehr verschiedenartig sein, meist wie bei Wochenbettpsychose“. Vgl. Peters (2011), S. 315. 458 Weiterführend zur aktuellen wissenschaftlichen Ansicht zu den Puerperalpsychosen: „Ersterkrankungen typischer Schizophrenien im Wochenbett gehören offenbar zu den Seltenheiten, endogene Depressionen sind etwas häufiger […], am häufigsten möglicherweise zykloide Randpsychosen“. Vgl. ebd., S. 610. „Das typischerweise gehäufte Auftreten psychotischer Syndrome im Puerperium, die entsprechend traditionellen diagnostischen Kriterien weder bei den affektiven noch bei den schizophrenen Erkrankungen eingeordnet werden konnten, führte zu der Annahme, dass sie in ihrem klinischen Bild und in ihrem Verlauf atypisch seien. Im Rahmen der Weiterentwicklung von ICD und DSM ergeben sich Möglichkeiten, die Puerperalpsychosen differenzierter einzuordnen […]. Schizophrene Verlaufstypen mit Ausbildung eines Residualsyndroms sind extrem selten. Diese Patientinnen waren dann in der Regel schon vor der Schwangerschaft chronisch psychotisch erkrankt. Das Risiko, erneut postpartal psychotisch zu erkranken, liegt bei 13–14%“. Vgl. Leucht et al. (2009), S. 483–484. 459 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 166/97. 460 Vgl. Bromet et al. (2011). „Ein beachtlicher Teil der initialen Diagnosen ‚Psychotische Depression‘, ‚unspezifische Psychose‘ sowie 15% der Diagnosen ‚bipolar-affektive Störung‘ unterlagen einem Wandel hin zur Diagnose ‚Schizophrenie‘ vor allem aufgrund zunehmender Ne-

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Gemäß dieser aktuellen Studienergebnisse hätte Meggendorfer bei S. K. aus ihrem, sieben Jahre vor seiner Konsultation, stattgehabten Verwirrtheitszustand im Sinne einer unspezifischen Psychose insbesondere dann die seitens des EGGs gestellte Diagnose einer Schizophrenie erhärten können, wenn Negativsymptome in Kombination mit Funktionsverlust auf psychosozialer Ebene dominiert hätten. Diesbezüglich geben die Quellen keinen Hinweis, so dass von diagnostischer Treffsicherheit Meggendorfers bei S. K., entgegen den Meinungen des EGOG, ausgegangen werden kann. Das Streben Meggendorfers nach klinisch erbpsychiatrischer Präzision zeigte sich für die Patienten teils vorteilhaft. Als Beispiel für Meggendorfers Gewissenhaftigkeit im direkten Patientenkontakt kann sein Gutachten für das EGOG Bamberg über die 40-jährige Frau P. B.461 dienen. Während des Begutachtungszeitraums in der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen von 22.07.1939 – 04.08.1939 ließ Meggendorfer die Akten des Versorgungsamtes Würzburg einholen. Mithilfe der Aktendokumentation prüfte Meggendorfer, inwiefern die Aussage der P. B., sie werde von „Kriegsfürsorgerinnen“ kontrolliert, tatsächlich diagnostisch als Beziehungs- oder Verfolgungsidee zu werten sei. Sein Gutachten vom 31.08.1939 gab Meggendorfer dahingehend ab, „dass die geistige Erkrankung der Frau P.B. nicht auf Schizophrenie und wahrscheinlich auch nicht auf einem circulären Irresein beruhte, sondern als Reaktion auf äußere Erlebnisse erachtet werden kann“.462

Andererseits gereichte Meggendorfers wissenschaftlich exakte Begutachungspraxis teils den Patienten zum Nachteil. Um eine präzise Diagnosestellung463 bemühte gativsymptome sowie geringem psychosozialen Funktionsniveau. […]. Desorganisierte Symptome und Rehospitalisierung [standen] weitgehend ohne Bezug zu diagnostischem Wandel“. Vgl. Braun/Kornhuber (2012), S. 25. 461 Schneidermeisterswitwe, geb. 28.01.1899. Aus Meggendorfers Gutachten sei zitiert: „Die zunächst wirklich absurd anmutenden Vorstellungen, die Frau P. früher vorgebracht hatte, lassen sich unter Berücksichtigung ihrer Mentalität einigermaßen verstehen; sie stellten etwas exaltierte und demonstrative Äußerungen ihrer Verstimmung und Verzweiflung und Verärgerung dar. Man kann unter diesen Umständen kaum annehmen, dass es sich wirklich um eine schizophrene Erkrankung gehandelt hat, zumal es sich bei dem Alter der Kranken und den geäußerten Vorstellungen um eine Dementia paranoides gehandelt haben müsste, deren Wahnideen ja erfahrungsgemäß ziemlich fest verankert und beständig sind. Es handelte sich ja übrigens gar nicht um eigentliche Wahnideen. Unter diesen Umständen drängt sich die Frage auf, ob es sich bei Frau P. vielleicht um eine Melancholie gehandelt hat [...]. Der Depressionszustand trat nicht ohne äußere Umstände auf, er schloss sich an eine außerordentlich schwere seelische und auch körperliche Erschütterung an. Die genannten Erscheinungen kommen auch bei psychogenen Depressionszuständen, besonders bei psychogen veranlagten Menschen vor. Diese Zustände können auch längere Zeit andauern […]“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 273/173. 462 Ebd. 463 „[D]er eigenen Patientenschaft gegenüber legte er das Gesetz in einem vergleichsweise engen Rahmen aus. Demzufolge wurden ‚lediglich‘ die ‚sicheren Fälle‘ angezeigt bzw. deren Unfruchtbarmachung beantragt“. Vgl. Rauh (2016b), S. 271. Rauh gibt als Referenz „Ley (2004), S. 276ff“ an. Dort stösst man auf Seite 277 auf die Aussage Leys, „[d]er Einfluss solcher Vorbehalte auf die psychiatrische Antragsdiagnostik wird anschließend vor allem mit Blick auf die

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sich Meggendorfer nicht nur zugunsten seiner Patienten. Am 12.04.1943 zeigte er die 30-jährige Frau L. F, geb. H. F., beim staatlichen Gesundheitsamt Erlangen an und widersprach somit den Gutachten seines Amtsvorgängers Gustav Specht und dessen Oberarzt Gottfried Ewald:464 beiden psychiatrischen Krankenhäuser in Erlangen illustriert, wo man den Bedenken gegen das EG-Verfahren offenbar dadurch Rechnung trug, dass man in vielen Fällen von vornherein von einer Antragstellung absah“. Vgl. ebd., S. 277. Liest man bei Ley weiter, so illustriert sie die Tatsache, dass „sich Bumke vor[behielt], auch unter den Bedingungen des GzVeN gemäß den eigenen diagnostischen Grundsätzen zu handeln“, vgl. ebd., S. 281, und führt unter Verweis auf Kreienberg (1937) fort: „Eine ähnliche Auffassung herrscht offenbar an der psychiatrischen Universitätsklinik in Erlangen vor. Einer 1937 gedruckten Dissertation zufolge […] verfuhr man bei der Antragstellung nach einem festen Prinzip. Danach sahen die Erlanger Hochschulpsychiater in allen ‚zweifelhaften Fällen, bei denen ein geringer Verdacht einer Erbkrankheit‘ bestand, von einem Sterilisationsantrag ab“. Vgl. ebd. Diese „offenbar ähnliche“ Vorgehensweise an der Psychiatrischen Klinik unter Friedrich Meggendorfer schlussfolgert Ley lediglich unter Bezug auf die Dissertation von Kreienberg aus dem Jahr 1936. Ohne weitere Referenzen oder Quellen anzuführen resumiert Rauh: „Friedrich Meggendorfer war kein Sterilisationsfanatiker. Bei aller grundsätzlichen Bejahung dieser rassenhygienischen Zwangsmaßnahme weist die Praxis in seiner Klinik auf eine differenzierte Haltung hin. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass auf sein Geheiß geistig behinderte und psychisch kranke Menschen gegen ihren Willen durch ein entwürdigendes, schmerzhaftes und nicht ungefährliches Verfahren ihrer Fortpflanzung beraubt wurden“. Vgl. Rauh (2016b), S. 271. Sucht man bei Ley weiter nach Hinweisen für Rauhs referenzfrei angegebene Aussage, so findet sich lediglich die Beschreibung der Begutachtungspatientin Margarethe M., bei welcher Meggendorfer jedoch nach elf Tagen Beobachtung am 17.11.1941 „kaum ein[en] Zweifel an der Diagnose Schizophrenie“ einräumen konnte. „‚Nur zur Not‘ könne man ‚allenfalls an ein manisch-depressives Irresein‘ denken“. Vgl. Ley (2004), S. 318. Dieses Gutachtenergebnis (vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 337/257 und siehe ausführlicher S. 363–365) kontrastiert folglich mit Rauhs Hypothese. In Anbetracht von Rauhs referenzfrei angegebener Aussage zur „differenziert[]-abwägende[n] Haltung“ an Meggendorfers Klinik drängt sich der Verdacht auf, dass aus dritter Hand erhaltene Ergebnisse des Vortrages von Braun (2015) zitationsfrei übernommen wurden. In der Vortragsdiskussion schilderte die Referentin insbesondere detailliert die sorgfältige Begutachtungspraxis Meggendorfers in Bezug auf S. K. Rauh sowie sein Institutsdirektor und Mitherausgeber des 200 Jahre Uniklinikum Erlangen-Jubiläumsbandes waren einer Einladung zu diesem Vortrag mit Präsentation von Ergebnissen der Untersuchung zu Friedrich Meggendorfer nicht gefolgt. Vgl. „Forschungsaktivitäten – Anregungen zum Austausch“, e-mail-Korrespondenz von Andreas Frewer vom 19.05.2015. 464 Es lässt sich die Dokumentation einer Patientenvorstellung Ewalds vom 30.04.1913 finden. Die 1869 geborene W. M. war an „[m]anisch-melancholische[m] Irrsinn“ erkrankt. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 4357. Entsprechend des Signaturschemas war W. M. auch HuPflAPatientin. Siehe hierzu S. 173, Fn. 777. Ihr erster Aufenthalt sollte bis 09.03.1914 dauern. „Betritt den Hörsaal mit den Worten: ,Ja, und Sie wünschen? Was soll ich da tun? (Wie alt?) Mein’ 74. (Warum sind Sie hier?) Weil sie mich ’rübergeführt haben‘ . (Wie lange hier in der Klinik?) . Ja, weiss auch nit, muss mich erst besinnen (nach einer Pause) ein Vierteljahr, ungefähr‘. (Zählt dabei an den Fingern; Januar, Februar, März, April, Mai – ist doch das letzt’, solange wird’ ich schon hier sein‘ (Seit 11.III.13. Also wie lange?) Besinnt sich lange, zögert, erblickt plötzlich im Hintergrund eine Dame und ruft: ,Die Eisners’ Wands‘! (Sehen Sie sonst Bekannte?) – Schöner’s August (auf einen Herrn zeigend). Von unser’m Land sinds net, – aus der Aschaffenburger Gegend, – Lorenz‘ (zeigt auf einen anderen Herrn): ,der Herr ist mit bekannt, der mit seiner spitzen Nasen – Lacht mich nur nicht aus – Der Herr da auch!‘ Sagt dann

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„Früher wurde die Diagnose Pubertätspsychose (Schizophrenie?) gestellt. Mit bemerkenswerter Sicherheit wurde in verschiedenen Gutachten das Vorliegen einer Schizophrenie ausgeschlossen. Der Ausschluss dieser Diagnose wurde damit begründet, dass in der Familie zirkuläre Züge vorherrschend seien und dass die Psychose sich restlos zurückgebildet habe. Meiner Ansicht nach war das Letztere nicht ganz richtig, denn Frau L. hat nach verschiedenen Äußerungen der Angehörigen auch in den angeblich gesunden Zeiten doch allerlei auffällige Erscheinungen geboten […]. Jedenfalls hat Frau L. jetzt ein ausgesprochen schizophrenes Bild geboten“.465

Dieses Begutachtungsergebnis zeigt sich von besonderer Brisanz. Meggendorfer vertrat eine explizite Gegenansicht zu der einstigen Diagnose seines Amtsvorgängers Specht sowie des „T4“- Gegners und Göttinger Ordinariatskollegen Ewald. Eine gutachterlich differierende Position vertritt Meggendorfer auch zur Voreinschätzung Kurt Schneiders in Bezug auf K. E. War diese im Vorfeld auf der psychiatrischen Abteilung der Städtischen Krankenhauses München-Schwabing unter Kurt Schneider als unauffällig begutachtet worden, so ergab ein von Meggendorfer gezeichnetes Gutachten das Vorliegen einer Schizophrenie. Vom zuständi-

spontan: ,Wenn ich das müsst’ ging’ ich nach Kist (wo?) Käskisten, das ist ein Wirtshaus in Nürnberg, das ist nicht gross‘. (Wo sind Sie hier?) ,Kei’ ,Pfarrkneipp’‘ wird’s nicht sein, eine Schul’ oder eine Unterrichtsstube, ich weiss auch nit‘. (Wie fühlen Sie sich?) ,Recht gut, schwitzen tu’i’‘. (zeigt auf einen Herrn) ,Das ist Aschenberger!‘ (Kennen Sie den Herrn am Ofen?) ,ja, der Spitzige! Gehen Sie halt auch vor!‘ (Kennen Sie auch diesen?) ,Sie sind auch da drunten rauf her!‘ (Was sind denn das für Herren?) ,Ich denk’ halt, das wird eine Studentenkneip’ sein, eine Rechtschul’ die wo so ’drafschlagen‘. (Was waren Sie früher?) ,War als Köchin bei einem Oberamtsrichter 1 ½ Jahr, der Herr hat in Montabaur studiert. Ich will’s Ihnen in den Büchern aufzeigen. (dann Seiens Sie nicht so grob – einen Grog wenn ich hier hätt’, wär’s besser‘ (kommt von ,grob‘ auf ,Grog‘). (Haben Sie gute Zeugnisse gehabt?) ,Soweit schon, bloss die gekochten Kartoffelknödel sind einmal auseinandergefallen.‘ Auf die Frage, wie man diese denn zubereite, fängt sie an, es richtig zu schildern, schweift dabei aber ab, kommt auf Beuf [sic] a [sic] la mode und ähnliches zu sprechen, schimpft dazwischen über das Essen, schildert aber auf Fragen richtig die Zubereitung von Beuf [sic] a [sic] la mode. Erklärt dabei entrüstet, die Erlanger könnten doch nichts Gescheites machen, ,ihre Griesssuppe könnten sie selber essen‘ etc. (Sind Sie recht kritisch?) ,Heut’ ist so ein kritischer Tag, darum, bin ich so kritisch‘, ,es is’ nut nur so, wie’s Bärbele sagt‘. (sieht sich um). ,Ist denn der Herr Wilhelm nicht hier? Sie haben doch gesagt, er sei hier‘. Merkfähigkeit [:] Erklärt ihre Konsumnummer (7298) sei 5763, sie sei nicht so gescheit, dass sie so viele Zahlen in ihrem Kopf 'reinbringen könnte (haftet scheinbar am Gedanken an die Konsumnummer, denn sie redet spontan von 30 Mark und 4%, da könne sie doch eine Wolle kaufen zu Socken stricken [sic]). (Nach einer Pause): ,Geben’s mir mal ein paar Hopfenstangen her, dass mein Rückgrat gräder wird‘. Unterbricht die Ausführungen von Herrn Oberarzt mit einem Mal: ,Entschuldigen Sie, wenn Sie mich nicht gut leiden können, ich will Ihnen mal gescheit Holz, es is nit wie’s Bärbele sagt‘ (wollte jedenfalls sagen gescheid reden, kommt dann auf Scheit Holz zu sprechen, Ideenflucht). Schüttelt sich aus vor Lachen. Während Herr Oberarzt von Manie spricht, erfasst sie das Wort und sagt: ,Ja, Manieren‘. (Sind Sie immer so lustig gewesen?) ,Lustig und fidel‘ – warum, das wird’ ich selber wissen!‘ (Warum?) ,Nun, wegen dem Erbsenbrei‘ – (plötzlich :,Da hat eine schwarze Hex’ herausgeschaut!‘ – Zeigt ein sehr lebhaftes Verhalten, macht viele Witze und lacht häufig belustigt darüber. Spricht zwischendurch auch halblaut und murmelnd fast unverständlich Worte und Sätze“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 4357. 465 Ebd., Aufnahmenr.: 99/3.

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gen Amtsarzt war am 17.11.1936 der Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt worden wegen angeborenen Schwachsinns. Das Ergebnis der anschließenden Begutachtung in der „psychiatrischen Abteilung der Städtischen Krankenhauses München-Schwabing bei Prof. Dr. Schneider“ vom 14.4.1937, die „sich auf eine einmalige Untersuchung am 9.4.1937 stützte, kam zu dem Ergebnis, bei der Diagnose angeborener Schwachsinn in dem amtsärztlichen Antrag liege wohl ein Irrtum vor. Die Vorfälle […] seien normalpsychologisch verstehbar, insbesondere wenn man bedenke, dass sie in die Zeit der Pubertät der K. hineinfallen. Die Handlungsweisen der K. im August 1936 […] seien als unüberlegt, unreif und explosibel zu bezeichnen“.466

Frl. K. wurde 1938 nach Artikel 80/II P. StGB. in die Psychiatrische und Nervenklinik München eingewiesen. Dort war sie zunächst sehr erregt, gereizt, gewalttätig. Im Laufe der nächsten Tage wurde sie ruhiger, gab Auskunft, grimassierte jedoch, stumm auf dem Stuhl sitzend. Auf Fragen antwortete sie nur mit Achselzucken. Gegenüber der Umgebung war sie verschlossen und teilnahmslos. Am 05.01.1939 wurde K. E. von Herrn Dr. phil. et med. Boeckh467 aus Neuendettelsau in die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen gebracht. „In der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen wurde die Kranke ins Untersuchungszimmer gerufen. Sie blieb an der Türe ganz steif stehen und fragte was soll ich hier tun. Sie beantwortete in der Folge die Fragen, redete dabei aber vorbei […]. Nach der ersten Unterredung verließ Frl. K. das Zimmer mit eigentümlicher Haltung, mit auf dem Rücken nach unten gefalteten Händen. Bei der zweiten Unterredung […] flüsterte […] [Frl. K.] dann noch etwas Unverständliches und 466 Ebd., Aufnahmenr.: 204/4. 467 Auf Boeckhs „telefonische Anfrage bezüglich der Vorgeschichte von P. L. aus Memmelsdorf/Ebern“ teilte Meggendorfer am 14.09.1940 schriftlich „folgendes mit: Bei der Aufnahme in die Klinik machte der Vater der [1920 geborenen] P. folgende Angaben: Kindheit- u. Jugendentwicklung normal. Auffällig seit 28.8.1940, begann verwirrt zu reden, schlief schlecht, war ängstlich, wollte nichts essen. Bereits 3 Wochen vorher klagte sie über Müdigkeit, fühlte sich matt. Der Arzt verordnete Bettruhe. Im Bett soll P. innerhalb 2 Tagen 2 ,Anfälle‘ erlitten haben. Der Vater gab an, dass sie sich verfärbte, wie weg war, Zuckungen an Armen und Beinen hatte, sich im Bett herumgeworfen hat u. danach klagte, dass sie glaubte, dass es ihr ,das Hirn herausreisse‘. Nach diesen Angaben war durchaus an die Diagnose ,Epilepsie‘ zu denken. P. selber aber schilderte die Anfälle ganz anders und sah sie auch als ,körperliche Beeinflussungen‘ an (Frauen hätten sie geschüttelt, Männer ihr den Hals zugedruckt [sic], worauf sie Her[z]schmerzen, Hitzegefühl und Schwindel bekommen hätte). Ausserdem erzählte sie, dass sie bereits seit 3 Jahren ,anders geworden wäre‘, sie wäre am liebsten allein gewesen, wollte mit niemandem reden, glaubte, dass die Leute über sie reden und sie ausspotten, wurde dadurch mehr erregt, habe ihre Angehörigen geschlagen. Wenn sie im Bett lag, seien Mäuse um sie herumgesprungen, die sich nicht verscheuchen liessen. Der heilige Geist sei ihr auch erschienen und habe ihr viel erzählt. Nach Stimmen befragt, lächelte sie geheimnisvoll, war aber zu keiner Antwort zu bewegen. Nach den Angaben der P. und ihrem etwas läppischen Verhalten auf der Abteilung erschien die Annahme einer schizophrenen Erkrankung doch am wahrscheinlichsten. Deshalb erfolgte auch Anzeige wegen Verdachtes auf Schizophrenie. Während ihres hiesigen Aufenthaltes war P. ziemlich unauffällig, bot wenige Zeichen eines akuten Schubes, beschäftigte sich auf der Abteilung. Bei den Besuchen ihrer Angehörigen erzählte sie allerdings sehr viel Wahnhaftes“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 257/153. Im Oktober 1938 konnten die Patienten, speiziell „Frl. N.[S., geb. 1984] […] an den Besuchstagen Sonntag, Dienstag, Mittwoch besucht werden“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 263/162.

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lachte plötzlich auf […]. Auf weitere Fragen gab Frl. K. keine Antwort, sie stand auf, ging zum Fenster, sah eine Weile hinaus, sah dann auf die Uhr […]. In ähnlicher Weise verliefen auch die alltäglichen folgenden Untersuchungen […] Während der letzten Tage ihres Aufenthaltes in Erlangen hatte Frl. K. ziemlich starken Schnupfen. Während der Untersuchung breitete sie ihr nasses Taschentuch auf den Knien anscheinend zum Trocknen aus. Sie benahm sich überhaupt sehr ungeniert, stand auf einmal auf und sah über meine Schultern in die Akten, versuchte auch verschiedene, auf dem Schreibtisch liegende Schriftstücke an sich zu nehmen. Bei wiederholt angestellten Intelligenzprüfungen gab Frl. K. im Gegensatz zu ihrem sonstigen Verhalten ganz gut Auskunft. […]. Die eigenartige psychopathische Belastung, die ganze Entwicklung des Leidens, der Ausbruch der ängstlichen Unruhe, die mehrmals unterscheidbaren Schübe und Besserungen, alles das spricht m. E. für Schizophrenie. Wenn im April 1937 bei der Untersuchung im Schwabinger Krankenhaus keine schizophrenen Zeichen beobachtet wurden, so spricht das m. E. nicht gegen die Diagnose Schizophrenie; denn Fräulein K. befand sich damals offenbar in einer guten Remission. Sie wurde auch nur ambulant untersucht. Die in der Psychiatrischen Klinik München, im Sanatorium Obersendling und im Kurhaus Friedenshort gemachte Beobachtungen sprechen dagegen ebenso wie die jetzt in der Erlanger Klinik getroffenen Feststellungen durchaus gleichsinnig für eine Schizophrenie und zwar eine Hebephrenie. Gez. Meggendorfer“.468

Die amtsärztliche Einschätzung entkräftigte Meggendorfer durch den Verweis auf wiederholt gute Intelligenzprüfungen. Im 2-Jahres-Längsschnittsverlauf kann sich für Meggendorfer als Gutachter die Diagnose durchaus eindeutiger herauskristallisiert haben als zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Kurt Schneider. Meggendorfer übte jedoch Kritik an der rein ambulanten Begutachtung K. E.s unter der Leitung Kurt Schneiders. Die diagnostische Gegenposition Meggendorfers zu der von Kurt Schneiders zeigt sich insbesondere daher interessant, da „[i]n alten Einteilungen (und teilweise in Examensfragen des IMPP) […] noch die Unterscheidung der Symptome nach K. Schneider in Symptome ersten und zweiten Ranges verwendet [wird]. Danach kann die Diagnose [Schizophrenie] gestellt werden, wenn mind. 1 Symptom des ersten Ranges od. mind. 2 Symptome des zweiten Ranges für >1 Monat vorliegen: Symptome 1. Ranges: Hören von Stimmen in Rede u. Gegenrede, sog. dialogische od. kommentierende Stimmen, Gedanken werden laut, Gedankeneingebung, Gedankenentzug, Gedankenausbreitung, Wahnwahrnehmung. Symptome 2. Ranges: Akustische, optische, olfaktorische oder gustatorische Halluzinationen, Zönästhesien, ergänzt um Ausdruckssymptome wie Denkstörungen, katatone Störungen, Affektstörungen“. 469

Anhand der katatonen Symptome, des inadäquaten Affekes sowie der formalen Denkstörungen lassen sich bei K. E. drei der Schneiderschen Zweitrangsymptome470 gemäß der Aktendokumentation nachweisen, wonach sich – sofern die Symptome gleichzeitig für die Dauer von über einen Monat vorhanden waren – die Meggendorfersche Diagnose „Schizophrenie“ retrospektiv validieren lässt. 468 Ebd., Aufnahmenr.: 204/4. 469 Gleixner et al. (2007/08), S. 315. 470 “Schneiderian ʻfirst rankʼ symptoms at first presentation, such as thought broadcast or insertion, passivity (ʻreplacement of willʼ) experiences an hallucinatory third-person ʻvoicesʼ, which are given special diagnostic weight in both ICD-10 and DSM IV, exhibited in the WHO 10-country study a strong tendemcy to recur during subsequent psychotic episodes, but were not associated with a poorer outcome as compared to patients with no first-rank symptoms on initial examination”. Vgl. Jablensky (2011), S. 18.

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Im Einklang mit der diagnostischen Einschätzung seiner begutachtenden Vorgänger Ulrich Fleck und Karl Kleist fiel Meggendorfers Gutachten zur Patientin Margarethe M. aus.471 Das Gutachten ist auszugsweise dargestellt im Kapitel „Das Erbgesundheitsgerichtsverfahren als Schauplatz psychiatrischer Bemühungen zur Wahrung eigener Gruppeninteressen: Ein Fallbeispiel“:472 „Nach zweieinhalb Jahren konsequenter Zurückweisung sämtlicher Neuverhandlungsgesuche nahm das EG den Fall am 19. September 1941 wieder auf und ordnete eine fachärztliche Begutachtung der Betroffenen durch die psychiatrische Universitätsklinik Erlangen an. Es kann als Hinweis auf ein großes psychiatrisches Interesse an dem fraglichen Verfahren gelten, dass […] Friedrich Meggendorfer […] den Auftrag persönlich übernahm“. 473

Kleist habe sich, so Ley, eher von professioninternen Zielen als von eigenen diagnostischen Kriterien474 leiten lassen: „Diese Absicht lässt – wenngleich nicht ganz so deutlich – auch das Vorgehen […] Meggendorfers erkennen, der beim Versuch, die psychiatrische Antragsdiagnose durch eine Widerlegung der von Gückel vorgebrachten Argumente zu untermauern, im Grunde ebenfalls gegen die eigene diagnostische Doktrin verstieß“.475

Um diese Aussage Leys zu kontextualisieren sei aus dem maschinell mit „gez. Prof. Dr. Meggendorfer (Dr. Schmelzer)“ unterzeichneten Gutachten vom 17.11.1941 zitiert: „Wenn man eine Schizophrenie bei Fräulein M. mit Sicherheit ausschliessen könnte (was m. E. nicht der Fall ist), könnte man vielleicht die erste, im Jahre 1932 durchgemachte Erkrankung als eine atypische Manie auffassen, obwohl die Annahme einer Zerfahrenheit viel näher liegt als die einer Ideenflucht, obwohl ferner die Stimmung läppisch und nicht eigentlich heiter war und obwohl schliesslich die vorwiegend akustischen Sinnestäuschungen gegen die Diagnose einer Manie sprechen. Die im Jahre 1937 durchgemachte psychische Erkrankung könnte man zur Not als eine atypische Melancholie bezeichnen, obwohl die Kranke nicht eigentlich depressiv und auch nicht gehemmt war und allerlei nicht depressive Wahn- und Beziehungsideen produzierte. Aber schliesslich wäre bezüglich des hier bestehenden Zweckes der Untersuchung die Konsequenz die gleiche, denn auch im Falle, dass es sich bei Fräulein M. um manisch-depressives Irresein gehandelt hätte, müsste eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes angenommen werden, denn die beiden Psychosen waren doch so ausgesprochen, dass man nicht lediglich Schwankungen bei einer ‚hypomanischen Konsitution‘ oder psychopathische und hysterische Zustände annehmen könnte. Wollte man über die ausgesprochenen Psychosen, die Fräulein M. durchgemacht hat, hinwegsehen, dann blieben wohl nur sehr wenige Fälle von endogenen Psychosen, auf welche

471 Die von Ley als „Margarethe M.“ angeführte Patientin wird in der Patientenakte durchgehend mit der Namenskurzform „Grete M.“ bezeichnet. Vgl. Ley (2004), S. 306–327 vs. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 337/257. 472 Ley (2004), S. 306–327. 473 Ebd., S. 317–318. 474 „defektlos ausheilende psychotische Erscheinungen hielt er […] nicht für schizophren […]. Dass er den betreffenden Fall dennoch fast einzig anhand der Schub-Symptomatik beurteilt hatte, legt nahe, dass der Psychiater Kleist den Beobachtungen des Nicht-Psychiaters Gückel kaum Bedeutung beimaß“. Vgl. ebd., S. 315–316. 475 Ebd., S. 326. Siehe ferner: Sippenakten des Nürnberger Gesundheitsamtes Nr. 1617 (StadtA Nbg. C 48/II), zit. n. ebd. Siehe auch Hoffmann (1971), Horn (1972), Kreutzer (1972). Ferner sei verwiesen auf Thürauf (1970).

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das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses in Betracht käme, übrig, vor allem diejenige, die deutliche Defektzustände bieten. M. E. sind aber gerade diejenigen, die nach einer erfolgreichen Behandlung eine gute Remission bieten, in rassenhygienischer Hinsicht bedenklich. Ich gebe deshalb das von mir geforderte Gutachten dahin ab: Fräulein M. leidet an Schizophrenie“. 476

Des Weiteren sei Meggendorfers Schreiben an das Erbgesundheitsgericht Erlangen477 vom 17.06.1942 angeführt. Darin betonte er, nach Kenntnisnahme der Äußerungen des Städt. Gesundheitsamts Nürnberg vom 09.01. und 21.01.1942 nochmals kurz mit „Fräulein M.“ gesprochen zu haben und im folgenden, entsprechend des Gesuches vom 05.02.1942, zu den Äußerungen des Städt. Gesundheitsamtes Nürnberg Stellung zu beziehen: „Wie in meinem Gutachten vom 17.11.1941 dargelegt wurde, hat Fräulein M. in der in der Klinik vorgenommenen Intelligenzprüfung weitgehend versagt, sie hat hier auch gemütlich recht abgeflacht gewirkt. Letzteres kam insbesondere auch bei der Besprechung in der Aerztekonferenz zum Ausdruck. Ich kann mich in dieser Hinsicht Herrn Bezirksrat Dr. Gückel nicht anschliessen. Dabei mag wohl zutreffen, dass Fräulein M. eine fleissige, tüchtige und brauchbare Arbeiterin ist. Mit Rücksicht auf die eingehend beschriebene Psychose und den hier erhobenen Befund, der m. E. doch deutliche Defekte erkennen lässt, bin ich überzeugt, dass bei Fräulein M. eine Schizophrenie vorliegt. Dieser Meinung ist ja auch Herr Professor Kleist in Frankfurt, der zudem den Begriff der Schizophrenie als Erbkrankheit bekanntlich sehr eng fasst.478 Auch Herr Professor Fleck stellte zunächst die Diagnose Schizophrenie; er wurde allerdings etwas unsicher und entschied sich dann mehr für manisch-depressives Irresein. Mit Rücksicht auf die bei der Untersuchung in der Klinik erhobene und erwähnte Feststellung glaube ich jedoch eine Schizophrenie und nicht manisch-depressives Irresein annehmen zu müssen. Im übrigen dürfte es hier auf die 476 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 337/257. 477 Die Dokumentationen zu der mit „[ä]ngstl. Depression/manisch-melancholischer Formenkreis“ diagnostizierten Patientin N. L. weisen darauf hin, dass die Verhandlungen des Erbgesundheitsgerichtes Erlangen mitunter an der Heil- und Pflegeanstalt direkt stattfanden. Das Schreiben Meggendorfers vom 19.01.1935 an den Ehemann der Patientin lautete folgendermaßen: „Anbei übersende ich Ihnen den gewünschten Antrag auf Fahrpreisermässigung. Es ist aber leider nicht möglich, dass Sie Ihre Frau bereits am 26. Januar abholen, da vom Erbgesundheitsgericht Erlangen Verhandlungstermin auf 31.1.35 angesetzt worden ist und dazu Ihre Frau erscheinen muss. Der Verhandlungstermin findet in der Anstalt statt und ist dadurch viel schonender für Ihre Frau als wenn er am Gericht in Weiden wäre. Ich muss Sie deshalb bitten, die Abholung etwas zu verschieben“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 196/220. Im Vorfeld hatte am 17.01.1935 der Amtsgerichtsdirektor den Klinikdirektor schriftlich darum „ersucht[] mit der Entlassung, wenn möglich, solange zuzuwarten [, bis] am 31.1.35 in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen [die] mündliche Verhandlung stattf[and]“. Vgl. ebd. Für einen weiteren kursorischen Einblick in die Krankengeschichte der N. L. sei aus einem initalen sowie abschließenden Krankenakteneintrag zitiert: „5.1.35: Vor der Sterilisation hat sie angeblich keine Angst. […]. 2.2.35. wird heute von ihrem Mann abgeholt und in gebessertem Zustand aus der Klinik entlassen“. Vgl. ebd. 478 „Karl Kleist, Schüler des bedeutenden Hirnpathologen Carl Wernicke, war von 1920 bis 1950 Leiter der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Frankfurt am Mai. Beeinflusst durch die hirnlokalisatorischen Vorstellungen seines Lehrers, betrachtete Kleist Schizophrenien als erblich bedingte Läsionen eines bestimmten Hirnareals, die über periodisch auftretende Krankheitsschübe hinaus stets zu bleibenden Persönlichkeitsdefekten führten. Sowohl im Hinblick auf seine Lokalisierungsversuche als auch auf seine enge Auffassung der Schizophrenie nahm Kleist eine gewisse Außenseiterrolle in der damaligen Psychiaterschaft ein“. Vgl. Ley (2004), S. 315.

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Fragestellung ankommen: Wird gefragt: ,Liegt bei G. M. Schizophrenie oder eine andere Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkr. Nachwuchses vor?‘ So muss ich diese Frage meiner Ueberzeugung nach mit ,ja‘ beantworten. Lautet dagegen die Frage: ,Handelt es sich bei G. M. um einen sogenannten Grenzfall im Sinne der Bestimmung des R. M. D. I. vom 5.12.1939?‘[,] so kann ich auch diese Frage mit ,ja‘ beantworten. M. E. kann der Sachverständige nur nach bestem Wissen und Gewissen seine Diagnose stellen und zwar nach wissenschaftlichmedizinischen Gesichtspunkten; die in den Ausführungen von Herrn Ministerialdirektor Dr. Linden vom Reichsministerium des Innern vom 5.12.1939 und auch in den Aeusserungen von Herrn Bezirksrat Dr. Gückel vom 9.1.1942 enthaltenen sozialpolitischen Gesichtspunkte können vielleicht für das Gericht, nicht aber für den Sachverständigen bindend sein“.479

Meggendorfer bezog sich zudem auf die Abschrift eines Briefes Kleists an den Rechtsanwalt der M. vom 28.03.1941, wonach „Herr Professor Kleist auf Grund des Durchsehens der Krankengeschichten die Ueberzeugung hat, dass es sich bei M. um eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes handelt. Er erklärt, dass, wenn die Krankheiten von Fräulein M. nicht schizophrener Art gewesen wären, s[ie] doch den manisch-depressiven Erkrankungen zugerechnet werden müssten und zwar würde es sich dann um atypische, heiter-verwirrte, bezw. ängstlich-ratlose Gestaltungen der Krankheit handeln“.480

Entgegen der Ansicht Astrid Leys bzgl. eines Verstoßes gegen die „eigene diagnostische Doktrin“481 gibt die Quellenlage keinen Aufschluss über ein erbgesundheitlich-praktisches Abweichen Meggendorfers gegen seine wissenschaftlichen und klinischen Leitsätze.482 Als Eugeniker verfolgte Meggendorfer in Theorie und Praxis das Ziel, „krankhaftes Erbgut“ aus dem Genpool „auszusondern“. Auch durch sein Bemühen um eine Verbesserung der somatischen Therapie wurde Meggendorfer neben dem genuin ärztlichen auch dem volkswirtschaftlichen Aspekt gerecht. Es ist als eugenische Konsequenz und wissenschaftliche Treue zu werten,483 dass

479 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 337/257. 480 Ebd. 481 Ley (2004), S. 326. 482 „Nach Meggendorfers Ansicht konnte die Frage, ob die früheren Krankheitserscheinungen der Margarethe M. Ausdruck einer Schizophrenie gewesen seien, bereits anhand der damals gezeigten Symptome eindeutig geklärt werden. Trotzdem ließ er nichts unversucht, um zu belegen, dass auch das momentane psychische Erscheinungsbild der Betroffenen für die psychiatrische Einschätzung spräche, ein Bemühen, das von Meggendorfers diagnostischem Standpunkt aus eigentlich völlig überflüssig war, das er aber angesichts der hartnäckigen Interventionsversuche des Amtsarztes offenbar für unerlässlich hielt“. Vgl. ebd. Diese Argumentationslinie Leys lässt sich nicht gänzlich nachvollziehen. Mag Meggendorfers diagnostischer Standpunkt mit entsprechender wissenschaftlicher Fundierung unter Fachkollegen bekannt gewesen sein, so besteht die Aufgabe des vor Gericht tätigen Psychiaters darin, das Ergebnis der Begutachtung laienverständlich darzustellen. Zudem zeugt es von wissenschaftlich präziser Vorgehensweise, dass Meggendorfer in seine gutachterliche Diskussion auch relevante Alternativpositionen, nämlich die diagnostische Vorgehensweise der Kleistschen Schule, einbezieht, womit er seine Einschätzung zum Vorliegen einer GzVeN-pflichtigen Erkrankung bei „Fräulein M.“ differenziert. Zu Meggendorfers diagnostischem Standpunkt vgl. Meggendorfer (1939a), S. 210 und siehe S. 363–365. 483 Auch Ley sieht in Meggendorfers Gutachten einen „Appell an die eugenische Verantwortung der Richter“. Vgl. Ley (2004), S. 321–322.

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die Lindensche Entscheidung bzgl. der sogenannten therapie-responsiven „Grenzfälle“484 Meggendorfer zu keinem diagnostischen “switch“ verleiteten. Von Relevanz hingegen hielt Meggendorfer z. B. die Lindensche „Grenzfall“-Auslegung bei unklarer Differentialdiagnose von „genuiner Epilepsie“ einerseits und „vegetativnervösen Anfällen“ andererseits.485 Wenn der dezidierte „T4“-Gegner August Bostroem (1886–1944)486 in Meggendorfers Festschrift zur persönlichen Reaktion des Untersuchers als diagnostisches Kriterium publizierte,487 so könnte dies darauf hinweisen, dass er mit Meg-

484 Ein fehlendes therapeutisches Ansprechen hingegen galt als Indikator für das Vorliegen familiärer Belastung. Siehe hierzu S. 575, Fn. 224. 485 Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 313/233. Näheres hierzu siehe S. 372, Fn. 519. Das Gutachten gemäß Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Regensburg vom 20.08.1941, XIII 22/41 ist auf folgendem Briefkopf verfasst: „Der Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität. Prof. Dr. Friedrich Meggendorfer. Es wird gebeten, alle Zuschriften nur an die obige Anschrift zu richten und dabei die Akten-Nr. anzugeben. Bei Anfragen Rückporto beifügen. Erlangen, den 28.2.1942. Maximiliansplatz 2. Fernsprecher 2451“. Vgl. ebd. 486 Bostroem August: „1923 Lehrstuhl in Königsberg. 1937 NSDAP, NS-Lehrerbund, 1939 in Leipzig, 1942 NS-Kampfuniversität Straßburg. Beratender Militärpsychiater Wehrkreis V Straßburg. Oberfeldarzt. Am 8.8.1940 an [Karsten] Jaspersen [1896–1968], Bethel: ‚Über eine Euthanasie bei Unheilbaren, sich nur quälenden Kranken lässt sich ja reden, aber das kann man nicht nach Fragebogenlektüre bestimmen‘. Gestorben 3.2.1944 Straßburg“. Vgl. Klee (2003), S. 67. Weiterführend auch http://www.uni-leipzig.de/unigeschichte/professorenkatalog/leipzig/Bostroem _ 588/. Stand vom 27.01.2016. 487 Es sei an dieser Stelle auch verwiesen auf Widukind Lenz (1919–1995), den Sohn von Fritz Lenz, der noch 1976 dem persönlichen Ermessen des Untersuchers einen Spielraum einräumte: „Wenn das Ergebnis einer Zwillingsserie durch eine andere nicht bestätigt wird, so ist es damit nicht widerlegt. Zu beachten sind auch Unterschiede in den diagnostischen Kriterien. Die Diagnose lässt bei multifaktoriellen Krankheiten dem Ermessen einen gewissen Spielraum. Bei der Schizophrenie und bei epileptischen Krämpfen ist die Konkordanzrate eineiiger Zwillinge um so höher, je mehr der Untersucher sich auf schwerkranke, in Anstalten untergebrachte Patienten beschränkt […]. Auf Grund von Familienuntersuchungen lässt sich die Rolle erblicher und psychogener Faktoren bei der Schizophrenie nicht entwirren. Abnorme Verhaltensweisen der Eltern schizophrener Patienten können erbbiologisch bedingt sein, üben vielleicht aber auch einen pathogenen Einfluss aus. Hinzu kommt, dass das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern nicht nur deren Charakter formt, sondern auch von diesem mitbestimmt wird. Die Mütter schizophrener Patienten werden oft als herrschsüchtig, grausam, ablehnend, zwanghaft oder überfürsorglich, die Väter als passiv und untüchtig geschildert. Notwendigerweise beruhen solche Schilderungen zum Teil auf Angaben der Familienangehörigen, manchmal sogar der Patienten selbst. Dabei können primäre charakterliche Besonderheiten der Handelnden in dem Familiendrama das Bild färben. Mit verschiedenen Testmethoden lassen sich bei der Mehrzahl der Eltern von Schizophrenen Denkstörungen nachweisen, auch wenn ihr soziales Verhalten nie als pathologisch diagnostiziert worden war […]. Gleichartige Denkstörungen werden bei Vergleichspersonen wesentlich seltener gefunden. Die multifaktorielle Hypothese passt gut zu diesem Befund. Sie lässt erwarten, dass Schizophrenie nicht ein streng alternatives Merkmal ist, das nur entweder vorhanden sein oder fehlen kann, sondern ein Zustand jenseits einer Schwelle additiver Genwirkungen, die schon diesseits der Schwelle der Psychose zu wesensverwandten, leichteren Auffälligkeiten führen können. Untrennbar mit der Frage nach der Erbbedingtheit der Schizophrenie verknüpft ist daher die weitere, ob die weit häufigeren ‚Psychopathien‘,

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gendorfer diesbezüglich einen fachlichen Austausch gehabt hatte. Bostroem verwies auf die Relevanz des persönlichen Eindruckes bei der Diagnosefindung insbesondere bei Psychosen ohne gut objektivierbare Symptome. Diese persönlichen Reaktionen auf den untersuchten Kranken mache man sich am häufigsten bei der Erfassung des Schizophrenen zu eigen. „Kurt Schneider488 hat dieses Verfahren als eine Möglichkeit der Erfassung des Schizophrenen herausgehoben und hier von einer ‚Erfassung aus der Beziehung‘489 gesprochen. Er hat dabei die Ansicht ventiliert, dass es sich hier um die Reaktion des Unschizophrenen auf die schizophrenen Denk- und Gefühlsstörungen handeln könne“.490

Bostroem schlussfolgerte, trotz größtmöglicher Bemühung um eine sachlich-neutrale Diagnosestellung491 sei „gerade im Schizophreniegebiet […] das, was uns zur Diagnose veranlasst, oft sehr schwer zu formulieren“.492 Bostroem plädierte daher für eine sorgfältige Differenzierung der jeweiligen Erkenntnisquellen: „Und auch der, der gewohnt ist, auf sein persönliches Gefühl für das Schizophrene zu bauen, wird namentlich bei so schwerwiegenden Entscheidungen wie im Erbgesundheitsgerichtsverfahren zu trennen haben zwischen dem, was er nach seiner klinischen Überzeugung für richtig hält und dem, was im juristischen Sinne als bewiesen angesehen werden kann“.493

Auch mit seinem Kollegen Josef Lothar Entres, geb. 1883, mit welchem Meggendorfer mitunter das Interesse für die Chorea Huntington teilte,494 mag Meggendorfer fachliches Gespräch bezüglich der differentialdiagostischen Zuordnungsproblematik von psychotischen Zuständen gesucht haben. Entres schilderte nämlich in der Festschrift für Meggendorfer das Resultat gründlicher genealogischer Untersuch-

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‚Neurosen‘, ‚schizoiden‘ oder ‚autistischen‘ Störungen, wie man sie unter den Verwandten der Schizophrenen so oft findet, ebenfalls vorwiegend genetisch bedingt sind“. Vgl. Lenz (1976), S. 310–312. Weiterführend zu Kurt Schneider sei verwiesen auf Huber (1998). Schneider (1925), S. 502, zit. n. Bostroem (1940), S. 213. Ebd. „Nach 1945 erfolgte in der Sichtweise auf affektive Störungen jedoch durch Schneider ein Paradigmenwechsel in Deutschland: Manien wurden ausschließlich durch euphorische Stimmung charakterisiert und stimmungsinkongruente, psychotische Symptome wurden als so genannte Symptome ersten Ranges als spezifisch für Schizophrenien angesehen. Diese Sichtweise führte dazu, dass die Mehrzahl der Patienten mit Depressionen, Manien und vor allem mit manischdepressiven Mischzuständen insbesondere bei Vorhandensein (stimmungsinkongruenter) psychotischer Symptome die Diagnose Schizophrenie erhielt. Daher wurde die manisch-depressive Erkrankung in Deutschland nur noch selten diagnostiziert. […] Seit[…] [den 1990er Jahren] ist das klinische und wissenschaftliche Interesse an den bipolaren Störungen auch in Deutschland größer geworden“. Vgl. Krüger (2010), S. 113. Bostroem (1940), S. 213. Ebd., S. 214. Siehe hierzu Entres (1921). Interessant ferner auch folgendes Schreiben an „Herrn Obermedizinalrat Dr. Entres, Kutzenberg vom 06.08.1942: „Herr Prof. Meggendorfer hat im Laufe der Beobachtung den Verdacht auf Huntingtonsche Chorea bei Frau L. fallen lassen und eine Picksche Atrophie angenommen. Ich bedauere, dass Sie sich umsonst bemüht haben. i.V. Der Direktor“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 282/203.

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ungen einer Kranken, welche 13 Jahre im Vorfeld einen als Schizophrenie diagnostizierten, ohne Defekt ausgeheilten psychotischen Zustand erlitten hatte.495 Mit Hilfe dieser Studien erhoffte Entres Hinweise zu gewinnen für die Zuteilung vs. Nichtzuteilung zum schizophrenen Erbkreis. Diese erbbiologischen Untersuchungen über eine als Schizophrenie diagnostizierte Psychose griff unter anderem die Ergebnisse der Wernicke-Kleist-Schule auf: „Die Frage, ob die Prognose der Schizophrenie wirklich so ungünstig zu stellen ist, wie von der einen Seite angenommen wird, oder ob die wesentlich hoffnungsvollere Beurteilung der anderen Seite mehr Berechtigung für sich hat, ist kaum zu lösen, solange es an sicheren biologischen Merkmalen der Schizophrenie gebricht und die Entscheidung im wesentlichen von der Vorstellung abhängt, die man sich theoretisch vom Wesen des schizophrenen Krankheitsprozesses macht“.496

Die folgende abschließende Bemerkung von Entres könnte die Vermutung bekräftigen, dass Meggendorfer seine Erfahrungen mit der Begutachtung von S. K.497 mit seinem Kollegen ausgetauscht haben mag: „Im Grunde aber sind alle Erscheinungen auf eine reaktiv und symptomatisch labile Veranlagung im Zusammenwirken mit seelisch schwerer erschütternder Lebenserfahrung und körperlichen Unstimmigkeiten zurückzuführen. Das Hineinwirken einer endogenen Störung der Lebensgrundgefühle in die vorwiegend reaktiv-symptomatischen Krankheitserscheinungen ist im gegebenen Fall weder zu beweisen, noch lässt es sich einigermaßen wahrscheinlich machen“.498

In Anbetracht der Festschrift-Beiträge seitens Bostroems und seitens Entres könnte vermutet werden, dass Meggendorfer die Dilemmasituation der präzisen Diagnosefindung in Anbetracht des folgenreichen GzVeN gegenüber seinen engen beruflichen Kollegen thematisierte. 3.2.4 Die Zulässigkeit eines Eingriffes zur Wiederfruchtbarmachung Ein Gutachten zur Zulässigkeit eines Eingriffes zur Wiederfruchtbarmachung erstellte Meggendorfer am 20.10.1943 für die 27jährige Haushaltsgehilfin K. A., bei welcher die Diagnose Schizophrenie gestellt worden war.499 Die Sinnhaftigkeit einer erneuten Begutachtung trotz bereits durchgeführter Unfruchtbarmachung verdeutlicht folgende Stellungnahme des EGOG Bamberg vom 05.01.1944, welche gemeinsam mit den Patientenunterlagen der K. A. archiviert ist: „Nach neuerlich in verschiedenen Sachen erhaltenen Auskünften von Chirurgen, insbesondere nach der gutachterlichen Äußerung des Prof. Dr. Sauerbruch [1875–1951]500 in Berlin, ist aber 495 Vgl. Entres (1940), S. 239. 496 Ebd., S. 238. Zum Versuch der Biomarker-Detektion bei Schizophrenie und Schwachsinn siehe Alhassan (1973). 497 Näheres hierzu siehe S. 342–347. 498 Entres (1940), S. 256. 499 Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. 500 “[A]ttemps by Professor Sauerbruch to white-wash their roles in the nazi system”. Vgl. Frewer (2007), S. 259. „So versuchte [Martin] Bormann [1900–1945], Brandt in die Nähe des 20. Juli

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit die Wiederherstellung der Fruchtbarkeit nach vollständiger Unterbrechung der Tätigkeit der Eileiter schon in einer Mehrzahl der Fälle gelungen“.501

Aufgrund der wissenschaftlich erwiesenen Möglichkeit der Wiederfruchtbarmachung nach erfolgter Sterilisation sah sich das Erbgesundheitsgericht veranlasst, die Zulässigkeit einer Refertilisierungsmaßnahme prüfen zu lassen.502 Meggendorfer beurteilte die Erkrankung der K. A. gutachterlich als reaktiv:503 „Ich gebe deshalb das von mir geforderte Gutachten dahin ab: Die im Jahre 1939 bei K. A. (in der Heil- und Pflegeanstalt Bayreuth) gestellte Diagnose Schizophrenie war sicher unrichtig“,504

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1944 zu rücken. Als bekannt wurde, dass Ferdinand Sauerbruch Kontakt zu den Verschwörern gehabt hatte, bemerkte Bormann, dass ihn dies angesichts dessen bekanntermaßen ‚höchst fragwürdig[er]‘ politischen Haltung nicht überrasche und ließ den Hinweis fallen, dass der Berliner Chirurg ein ‚Dutzbruder‘ des Herrn Generalkommissar Prof. Dr. Brandt [sei]“. Vgl. Fernschreiben Bormann an Panse, undatierte Abschrift von 1944, IfZ, MA 146/3, zit. n. Süß (2003), S. 176. “One of the leading German surgeons, Ferdinand Sauerbruch, was on the Research Review Committee of the Reichsforschungsrat (the Reich research Council) that approved the grants for Mengele”. Vgl. Pross (1992), S. 35. Interessant zeigt sich in diesem Kontext auch die Tatsache, dass Sauerbruch offensichtlich mit Max de Crinis kooperierte: „Schließlich möchte ich noch erwähnen, dass die Sympathikus-Chirurgie in der Behandlung der Anfälle einen Erfolg zu versprechen scheint. Gemeinsam mit Geheimrat Sauerbruch haben wir bereits bei einer größeren Anzahl von Patienten, welche an Krampfanfällen zu leiden haben, die Sympathektomie durchgeführt und bei vielen ein Aufhören oder eine deutliche Abnahme der Anfälle feststellen können. Ein endgültiges Resultat können wir noch nicht vorlegen, sondern möchten, bevor wir diese Operationsmethode im allgemeinen empfehlen, den Verlauf dieser Fälle durch mehrere Jahre beobachten“. Vgl. Crinis (1942), S. 1008. Siehe ferner „‚spezifische Eiweisskörper‘: Das Dreieck Abderhalden-Sauerbruch-Verschuer“. Vgl. Frewer (2000), S. 172–181. Zur „punktuellen Kritik“ Sauerbruchs an dem nationalsozialistischen Regime vgl. Kudlien/Andree (1980), zit. n. Schmuhl (1987), S. 298. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. Folgende informative Beilage ist Bestand der Krankenakte: „Die förmliche Anordnung eines Wiederfruchtbarmachungseingriffes ist allerdings nicht sachgemäß, da der betroffenen Person nicht zugemutet werden kann, sich einem neuen Eingriff zu unterziehen, der wesentlich schwieriger ist als der frühere und eine doch immer noch recht unsichere Aussicht auf Erfolg eröffnet. Demgemäß kann eine Entscheidung, sofern im übrigen die Voraussetzungen zur Wiederaufnahme gegeben sind, nur dahin lauten, dass die Wiederfruchtbarmachung zulässig ist“. Vgl. ebd. „Da der Vater seiner Tochter gesagt hatte, sie solle den Ärzten gegenüber nichts von Liebeskummer sagen, sprach sie nicht oder nur sehr zurückhaltend davon. Deshalb wurde eine exogene Entstehung der Erkrankung verneint. Dieser Umstand mag auch zu dem Eindruck von Gebundenheit und Maniriertheit [sic] der K. mit beigetragen haben. Das gleiche gilt auch bezüglich des Verhaltens der K. vor dem Erbgesundheitsgericht. Wenn dort Frl. K. über die Ursache ihrer Erkrankung nicht sprach und auf Befragung, wann sie zuletzt Geschlechtsverkehr gehabt habe, nur ausweichend Antwort gab und damit einen gebundenen, manirierten [sic], unfreien Eindruck machte, ist das aus der ganzen Situation, aus der Befragung in Gegenwart ihres Vaters, vielleicht auch aus dem Bestreben, möglichst hochdeutsch zu sprechen, wohl zu verstehen“. Vgl. ebd. Ebd.

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womit Meggendorfer eine Wiederfruchtbarmachung als zulässig befundete.505 In diesem Zusammenhang interessant zeigt sich die nach Kriegsende aufkommende Fragestellung, ob „eine aus eugenischen Gründen506 zwangsweise sterilisierte Person heute Anspruch erheben [kann], dass durch Reoperation die Wiederherstellung der Fertilität versucht wird?“507 Die Einschätzungen der Ärzteschaft in Bezug auf mögliche Erfolgsaussichten bei Refertilisierungsoperationen zeigten sich unterschiedlich. Nach Westermann und Kühl beurteilte ein Teil der Ärzteschaft die Refertilisierungschancen durchaus als positiv, wohingegen der andere Teil „die durch die Verfahren gegebene Möglichkeit zur Überprüfung der – nach wie vor rechtskräftigen – Urteile mehr oder weniger in den Wind gesprochen [sah], da eine tatsächliche Rückgängigmachung der Sterilisation kaum möglich sei“.508

505 Am 05.01.1944 wurde von der Geschäftsstelle des Erbgesundheitsobergerichtes, repräsentiert durch „Buff, Amon, Molitoris“ die Wiederfruchtbarmachung als zulässig beschlossen. Vgl. ebd. 506 Eine interessante Position zu „Eugenik. Das allgemeine Problem“ findet sich bei Penrose: „Die Idee, einen Stamm von Pflanzen oder Haustieren durch Selektion der besten Exemplare für die Zucht zu verbessern, ist schon sehr alt. Die Regel, die guten Stämme so rein wie möglich zu erhalten, ist auch schon lange bekannt. Bei Leviticus XIX, 19 finden wir das Gebot: ,Du sollst dein Rindvieh nicht mit einer anderen Art kreuzen!‘ Dass solche Methoden auf die Dauer von Erfolg begleitet werden, beweist die Existenz der Haustiere und-pflanzen, die ihrer neuen Umwelt sehr gut angepasst sind, etwa die Jersey-Rinder, die Schäferhunde und der Weizen. Es hat Versuche gegeben, besonders bei königlichen Dynastien. Bei den Ptolemäern haben zur Erhaltung der Tugend (oder des Reichtums) der königlichen Familie sogar Geschwister geheiratet. Weniger ausgeprägte Fälle von Aristokratien oder Kasten, die sich durch Inzucht schützen, sind verbreitet. In jüngerer Zeit findet man dieselbe Idee in den Vorschlägen von Eugenikern wieder, deren Ziel die Verbesserung einer bestimmtem Klasse, eines Stammes oder einer Rasse ist. Ihrer Meinung nach sollte die Zucht einer Rasse gesunder Menschen von überlegener Gestalt und Intelligenz ebenso leicht sein, wie die Zucht von Schäferhunden und Rennpferden. Dies glaubte jedenfalls Galton, als er den Begriff ,Eugenik‘ für die Wissenschaft der erblichen Verbesserung des Menschen oder der Tiere durch selektive Zucht oder andere Methoden prägte. Dabei treten aber theoretische wie praktische Schweirigkeiten auf. Erstens hat man sich nicht darüber einigen könen, welches die wünschenswertesten erblichen Merkmale sind. Soll der Geist gegenüber dem Körper bevorzugt werden, falls eine solche Wahl möglich ist, oder vielleicht die natürliche Abwehrkraft gegen Infektionen? Nehmen wir an, einige der wünschenswertesten Merkmale, wie gute Sitten, gut entwickeltes Sozialempfinden, und seelische Gesundheit hingen vorwiegend von der Erziehung und Ausbildung in früher Jugend ab, dann wird ihre Ausprägung von den eugenischen Maßnahmen nicht beeinflusst werden. Zweitens ist die Variabilität als solche zu begrüssen, weil sie eine Möglichkeit zur Anpassung bietet. Wenn ein Typ sich in einer bestimmten ungünstigen Situation nicht durchsetzen kann, ist vielleicht ein anderer dazu in der Lage“. Vgl. Penrose (1965), S. 82–83. Lionel Sharples Penrose (1898– 1972) studierte „in Cambridge, England, Medizin, wo er auch seine psychiatrische Facharztausbildung erhielt. Im Jahre 1930 begann er mit Forschungen über die Ursachen des Schwachsinns. […]. Von 1939 bis 1945 leitete Penrose psychiatrische Forschungsarbeiten in Ontario, Kanada. Seit 1945 lehrt er als Professor für Eugenik am University College in London“. Vgl. ebd, Autoreninformation. Im Vorwort bedankt sich Penrose u. a. bei Frau Dr. Edith Rüdin. 507 Schröder (1953), S. 1574. 508 Westermann/Kühl (2009), S. 209. „Nach Recherchen von Joachim Müller aus dem Jahr 1985 betrug die Quote erfolgreicher Refertilisierungen nach operativen Sterilisierungen bei Frauen

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3.2.5 Notwendigkeit zur apparativen Diagnostik der Epilepsie In Bezug zur genuinen Epilepsie509 als eine dem GzVeN unterworfene Erkrankung510 stellt neben der traumatischen Epilepsie auch der sogenannte „Gelegenheitsanfall“ eine wichtige Differentialdiagnose511 dar. Meggendorfers Hamburger Kollege Riebeling lieferte relevante „Betrachtungen zum Wesen des Anfalls“:512

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etwa 20%, nach Vasektomien bei Männern etwa 38%. Helmut Kretz hingegen nannte 1967 eine zwischen 2 bis maximal 5% liegende Chance, dass eine Refertilisierungsoperation bei undurchgängigen Tuben zu einem später lebend geborenen Kind führt“. Vgl. Anonymus (1952a), zit. n. ebd., S. 210. Siehe ferner auch Fischer (1982). „Für die Verständigung wäre es bei dem heutigen Stande unseres Wissens vielleicht richtiger, den Ausdruck ‚genuine Epilepsie‘, der vielfach mißverständlich gleichbedeutend mit erblicher Epilepsie genommen wird, in ‚erbliche Epilepsie‘ und ‚Epilepsie unbekannter Aetiologie‘ aufzuteilen“.Vgl. Bonhoeffer (1935), S. 1660. „Mit seiner Forderung, die ‚genuine‘ Epilepsie in eine erbliche und eine nichterbliche zu unterscheiden, begab sich Bonhoeffer in Widerspruch zu den Kommentatoren des GzVeN sowie der Mehrheit in der Ärzteschaft, die die genuine Epilepsie mit der erblichen Fallsucht gleichsetzten“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 24. Ewald, so Conrad, „wendet sich in seinem kurzen Aufsatz gegen die[se] Forderung nach dem Nachweis der Erblichkeit, also nach Belastung in der Familie, zur Diagnosestellung der erblichen Fallsucht im Sinne des Gesetzes. Er zeigt, dass in einem Material von 20 weiblichen sicher genuinen Epileptikern in 7 Fällen keinerlei Belastung in der Familie gefunden wurde, bei 30 ebensolchen männlichen Epileptikern sogar in 15 Fällen. Es ginge nicht an, alle diese Fälle als Epilepsie unbekannter Ätiologie zu diagnostizieren, wie dies Bonhoeffer vorgeschlagen hat. Hingegen hält er für das zentrale Symptom der genuinen Epilepsie die Schwerfälligkeit, das Haften, die zähflüssige Affektivität (im Sinne von Mauz) und rät, dieses psychische Syndrom als Leitsymptom für die Diagnose der erblichen Fallsucht zu betrachten“. Vgl. Conrad (1937), S. 542. Siehe ferner Ewald (1936). Zu Angaben in puncto „genuine Epilepsie“ von Widukind Lenz aus dem Jahr 1976 und zur aktuellen Klassifikation der Epilepsien siehe folg. Fn. 512. Siehe hierzu ferner Sailer (1936), Stefan (1936) und Langelüddeke (1940a). Die Differentialdiagnose der symptomatischen Epilepsie wurde z. B. auch bei P. L., aufgenommen am 06.07.1935, entlassen am 28.08.1935, berücksichtigt. In der Patientenakte ist am 01.08.1935 folgendes notiert: „im wesentlichen unverändert. Drängt nach wie vor nach Hause. Betreff der Sterilisierung wurde mit dem hiesigen Bezirksarzt gesprochen. Nachdem es sich nicht ausschließen lässt[,] dass die Epilepsie sich auf dem Boden einer dauernden toxischen Einwirkung von Seiten der chron. Nephritis entstanden ist, kann also auch nicht von einer genuinen Epilepsie im Sinne des Gesetzes gesprochen werden“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 195/100. Riebeling (1940b). Die aktuelle Klassifikation der Epilepsien mag mitbedingt sein durch die Tatsache, dass „[d]ie [einstige] Diskussion [zur Epilepsiefrage] […] insbesondere von eugenisch inspirierten Wissenschaftlern vehement geführt [wurde]“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 24. „Je nach Ätiologie der Epilepsie erfolgt [aktuell nämlich] eine Zuordnung in idiopathische (genetisch determiniert), symptomatische oder kryptogene (d. h. mit unbekannter, aber vermutlich symptomatischer Ursache) Epilepsien“. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 251–252. Die Umschreibung von genetisch determinierten, also erblichen Formen der Epilepsie als „idiopathische“ könnte dem Versuch geschuldet sein, eine Stigmatisierung durch mögliche unbewusste Assoziationen zur einstigen GzVeN-Pflichtigkeit zu vermeiden. Die einstige „erbliche Fallsucht“ wird heutzutage folgendermaßen umschrieben: „die Ursache der zugrundeliegenden Epilepsie […] ist vermutlich idiopathisch, da der Beginn im Jugendalter liegt, eine familiäre Belastung vorhanden ist“. Vgl. ebd., S. 140. Die Verwendung des Terminus „idiopathisch“ im Sinne von „genetisch“ findet sich auch beim idiopathischen Parkinson-Syndrom, dem Morbus

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„Trifft die gleiche Dosis exogenen Giftes auf ein Wellental, d. h. auf einen Zustand besonders geringer Disposition, dann tritt kein Krampf ein. Die obere Wellenlinie soll die Krampfdisposition des Epileptikers darstellen, und zwar nur diejenige, die noch nicht zum Spontankrampf führt […]. Wir verstehen, dass die Dosis Krampfgift mit dem Ansteigen der endogenen Disposition immer kleiner werden kann […]“.513

Meggendorfer überprüfte – wie vom Vorsitzenden des EGOG beim Oberlandesgericht Nürnberg angefordert – die Epilepsie-Diagnose der 24jährigen P. B. In seiner 32 Seiten umfassenden Gutachten-Expertise vom 25.02.1937 bedauerte Meggendorfer, dass der Vorgutachter, gemäß seines Berichtes an das EG Bamberg, zwar Frau P. wegen genuiner Epilepsie514 behandelt, sie jedoch nie persönlich gesehen, untersucht oder beobachtet hatte. Meggendorfer betonte, bei Frau P. keine Hinweise auf Zungenbissnarben detektiert zu haben. Frau P. habe während der Beobachtungszeit weder einen klassischen epileptischen Anfall noch Hinweise auf „sogenannte kleine Anfälle und Abscencen verdächtige Erscheinungen“515 geboten. Meggendorfer gab an, „keine Zeichen von epileptischem Wesen,516 keine Denkverlangsamung, keine Umständlichkeit, keine Klebrigkeit, keine Reizbarkeit, keine

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Parkinson im eigentlichen Sinne. Hierbei ist weiterhin die „Ursache für den Untergang der dopaminergen Neurone [ungeklärt ], zunehmend erkannt werden [jedoch] genetische Faktoren und neurotoxische Mechanismen“. Vgl. Hufschmidt/Lücking (2006), S. 250. Ähnlich wie bei der „idiopathischen“ Epilepsie nimmt man also auch bei der Parkinson-Erkrankung, die ebenfalls als potentiell NS-ideologisch aufgeladen gelten kann, eine genetische Komponente an. Siehe hierzu „Euthanasierung“ von (postenzephalitischen) (Hemi)parkinsonoid-Patienten. Vgl. Martin Bader (1901–1940). Lebensgeschichte, zit. n. Fuchs et al. (2007), S. 112–114. Vor dem Hintergrund der Verwendung „idiopathisch“ bei Epilepsien und bei der Parkinsonerkrankung könnte der Verdacht aufkommen, der Terminus werde euphemisierend verwendet, um Stigmata zu vermeiden. Andererseits wird der Terminus „idiopathisch“ jedoch auch weiterhin in seinem eigentlichen Sinne (ἴδιος ídios „eigen“ sowie πάθος páthos „Leiden“) verwendet. So werden zum Beispiel Kleinhirnatrophien in „hereditäre“, „symptomatische“ und „sporadische (‚idiopathische‘) Formen“ eingeteilt. Vgl. Gerlach/Bickel (2009), S. 221. Riebeling (1940a), S. 1207–1208. Widukind Lenz, der Sohn von Fritz Lenz, gab 1976 in Bezug auf „‚Genuine Epilepsie‘– ein Symptom“ folgende Angabe: „Die ‚genuine Epilepsie‘ galt früher als ein relativ gut umschriebenes Erbleiden. Mindestens 1% der Bevölkerung erlebt im Laufe des Lebens mehrere epileptische Krämpfe. Für monogene Vererbung fehlt jeder Hinweis. Eltern, Geschwister und Kinder von Probanden sind in 1 bis 4% betroffen. In unausgelesenen Zwillingsserien waren 29,6% der eineiigen und 5% der zweieiigen Zwillinge konkordant. Epilepsie ist offensichtlich mutlifaktoriell bedingt mit beträchtlicher genetischer Komponente. Damit steht nicht im Widerspruch, dass es zahlreiche monogene Erbleiden gibt, zu deren Symptomen epileptische Anfälle gehören. […], im Gegenteil, für multifaktoriell bedingte Phänomene können im Einzelfall ganz verschiedene Faktoren entscheidend sein“. Vgl. Lenz (1976), S. 315. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 105/14. Abgesehen von „epileptischem Wesen“ wurde auch eine Art „epileptoider habitus“ beschrieben, wie das 14-seitige Gutachten vom 16.01.1937 zur 1912 geborenen, am 21.11.1936 aufgenommenen P. M. dokumentiert: „In körperlicher Hinsicht ist P. eine kleine, etwas schwächliche und leicht infantile Persönlichkeit. Sie zeigt nicht den bei Epilepsie häufig beobachteten gedrungenen Habitus mit breitem Schädel und derben Gesichtszügen. Interessant ist auch die Tatsache, dass die P. erst seit ihrem 23. Lebensjahr geschlechtliche Beziehungen unterhält. Ob diese Tatsache zufällig mit dem einstweiligen Aufhören der Anfälle zusammentrifft oder ob man es als Abschluss der Pubertät auffassen will und eine günstige Beeinflussung der inneren

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Stimmungsschwankungen“,517 sondern eine normale Intelligenz bei lebhaftem Interesse für die Umgebung detektiert zu haben. „Der Versuch, einen Anfall zu provozieren hatte ein negatives Ergebnis […]. Von einem sicheren Nachweis der Epilepsie kann man meines Erachtens bei Frau P. nicht sprechen“.518 Im Kontext der Epilepsie-Diagnose519 wichtig ist die Mitteilung Meggendorfers an den Rektor der Universität vom 02.12.1935, dass von maßgebenden neurologisch-psychiatrischen Stellen die Forderung erhoben worden sei, „dass alle für

Sekretion annehmen kann, ist sicher ein noch nicht genügend geklärtes Problem. Eine exogene Ursache für die Anfälle der P. ließ sich trotz eingehender Nachprüfung nicht nachweisen. Trotz genauer Beobachtung und Untersuchung in der Klinik konnte während der Beobachtungszeit kaum etwas Epilepsieverdächtiges nachgewiesen werden. Es muss jedoch gesagt werden, dass die Vorgeschichte sehr verdächtige Tatsachen für das Vorliegen einer erblichen Fallsucht enthält. Da allerdings die Anfälle der P. bisher nur in der Pubertätszeit auftraten, ist auch die Vermutung möglich, es könnte sich lediglich um symptomatische Anfälle in der Pubertät handeln. […] Die Untersuchungen und Beobachtungen ergaben keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei P. M. eine erbliche Fallsucht vorliegt. Es besteht lediglich auf Grund der Vorgeschichte der Verdacht […]. Erlangen, Assistenzarzt. Einverstanden Der Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 300/207. Wenn der Assistenzarzt die Bedeutung der „inneren Sekretion“ im jungen Erwachsenenalter in Hinblick auf eine Relativierung der Epilepsie-Diagnose-Sicherheit bei P. M. anführte, so könnte ihm das knapp ein Jahr im Vorfeld von Kihn für das EG Erlangen am 12.02.1936 verfasste Gutachten zur 1914 geborenen und von 24.01.1936 bis 08.02.1936 stationär beobachteten freireligiösen A. H. bekannt gewesen sein. Hierin grenzte Kihn u. a. auch die „endogene Epilepsie“ von der „erblichen Fallsucht“ ab: „Es bleibt also per exclusionem als bei weitem wahrscheinlichste und best begründete Diagnose die einer endogenen Epilepsie übrig. Dieser Begriff nähert sich zwar dem der erblichen Fallsucht, ist aber nicht völlig mit ihm identisch. Er umfasst nicht nur Fälle von zweifelsfreier erblicher Fallsucht mit allen Kennzeichen einer solchen Krankheit, sondern auch jene Beobachtungen, bei denen jugendliche, offenbar endokrin erheblich gestörte Patienten in der Zeit der körperlichen Reife vorübergehend epileptiform krampfen bis mit zunehmendem Alter ein bleibendes Gleichgewicht im innersekretorischen System hergestellt ist. Es handelt sich also bei der letzteren Gruppe um Zustände, bei denen eine Erbkrankheit nur mit Einschränkungen gegeben ist und die auch prognostisch sich wesentlich günstiger stellen als die erbliche Fallsucht im eigentlichen Sinne. […]. [Daher] schlagen wir vor, das Verfahren bei der Kranken auf die Dauer von 2 Jahren auszusetzen und dann je nach der weiteren Entwicklung des Falles zu ihm diagnostisch endgültig Stellung zu nehmen. Von Bedeutung ist dabei, dass die Kranke unter fachärztlicher Beaufsichtigung bleibt […]. Der Verdacht, dass bei der Kranken doch eine erbliche Fallsucht vorliegt, ist weiterhin gegeben und wir vermuten, dass der Fall später doch mit einer Unfruchtbarmachung enden wird. Wir möchten aber doch alle diagnostischen Möglichkeiten erschöpfen und keinerlei weiteren diagnostischen Einwänden mehr Spielraum lassen, ehe wir eine für die Kranke so einschneidende Diagnose mit jeder Sicherheit aussprechen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 109/16. 517 Ebd., Aufnahmenr.: 105/14. 518 Ebd. 519 Nach stationärer Beobachtung der L. M. von 22.09.1941 bis 11.10.1941 kam das – mit der handschriftlichen Bleistift-Signatur „Gez. Prof. Dr. Meggendorfer (Dr. Schmelzer)“ versehene – Gutachten zu folgendem Ergebnis: „Im ganzen muss man vom psychiatrisch-wissenschaftlichen Standpunkt aus sagen, dass bei L. zwar ein gewisser Verdacht auf Epilepsie besteht, dass sich diese Diagnose jedoch nicht mit der nötigen Sicherheit stellen lässt. Es ist nach der Sachlage nicht ausgeschlossen, dass es sich bei den Anfällen der L. nur um vegetativ-nervöse An-

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das Erbgesundheitsgericht zu begutachtenden [Epilepsie-] Fälle [luft]encephalographiert520 werden sollten“.521 Bisher sei eine Verlegung der Patientin in die chirurgische Klinik notwendig, um dort die Lufteinblasung in den Hirnrückenmarksraum mit anschließender Durchleuchtung522 durchführen zu lassen. Abgesehen von dem beschämenden Effekt der fehlenden Eigenständigkeit der Klinik, sehe er in den von chirurgischer Seite vorgenommenen Untersuchungen einige der psychiatrisch-neurologischen Fragestellungen nicht in Gänze berücksichtigt.523 Außerdem sei man in der chirurgischen Klinik mit „psychisch anfälligen Patienten“524 besonders vorsichtig und unterbreche zum Beispiel bei unruhigen und lauten Patienten den Füllungsvorgang der Gehirnkammern vorzeitig. Somit entstehe ein nur inkomplett verwertbarer, unter Umständen sogar irreführender Befund. Der Wunsch Meggendorfers nach Genehmigung der Beschaffung einer Röntgeneinrichtung wurde – auf seine wiederholte Nachfrage hin – mit Ministerialbeschluss vom 16.04.1936 bewilligt.525 Die Durchführung der Luftenzephalographie zeigte sich durchaus komplikationsträchtig, wie ein von Meggendorfer gezeichnetes Gutachten zur R. A. vom 15.06.1939 verdeutlicht, bei welcher „mit Rücksicht auf die Schädelformation und die Reflexanomalien“526 eine encephalographische Untersuchung stattfand. „Dieser Eingriff wurde am 8. Tage des Klinikaufenthaltes ausgeführt; nachher war die Untersuchte ausserordentlich schwer mitgenommen, hatte heftige Kopfschmerzen und bekam bei jedem Versuch, sich aufzurichten, Erbrechen. Dieser Zustand hielt bis zu dem Tage, an dem fälle handelte, die mit der Entwicklung zusammenhingen. Nach der Entschließung des Reichsministeriums des Inneren und dem Schreiben des Herrn Ministerialrates Dr. Linden vom 5.12.39 wäre Frl. L. als sogenannter Grenzfall anzusehen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 313/233. 520 „Encephalographie [von griech. enkephalos = Gehirn, graphein = schreiben], […] kaum gebräuchlicher Überbegriff für verschiedene Gehirnuntersuchungsmethoden (Elektroencephalographie, Pneum[o]encephalographie, Ventrikulographie usw.); die Messergebnisse werden in den entsprechenden Encephalogrammen aufgezeichnet“. Vgl. http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/encephalographie/3433. Stand vom 21.05.2017. 521 UAE: A6/3i. 522 Für Näheres zur wiederholt inkorrekten Identitätszuordung von Adolf Bingel (1879–1953) als Pionier der Luftencephalographie in Deutschland vs. Adolf Abraham Gustav Bingel (1901– 1982), Wegbereiter der EKT in Deutschland, siehe Braun/Kornhuber (2013c), S. 588. Das Schreiben des „Landesverein[s] für Innere Mission. Anstalt Weiher b. Hersbruck. Bewahrungsund Aufnahmeheim für Frauen und Mädchen“ an die „Heil- und Pflegeanstalt, Psychiatrische Abteilung“ [sic] vom 16.06.1940 zeigt eindrücklich, dass die Pneumenzephalographie von einer Patientin nicht nur als diagnostisches Verfahren verstanden sondern auch als therapeutisches Mittel interpretiert wurde. So gab L. L. im „Bewahrungs- und Aufnahmeheim“ „an, neben der Punktierung auch noch einer anderen Kur, die die Heilung der Anfälle bezwecken sollte, unterworfen worden zu sein“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 175/71. Das Klinik-Antwortschreiben vom 19.06.1940 enthielt die Mitteilung, „dass aus diagnostischen Gründen eine Luftfüllung der Gehirnkammern vorgenommen werden musste. Diesen Eingriff hat L. wohl als Kur gedeutet, die zu ihrer völligen Wiederherstellung dienen solle. Leider ist es bisher nicht möglich die typisch epileptischen Anfälle, die bei L. rein anlagemäßig bedingt sind, therapeutisch wirksam angehen […]“. Vgl. ebd. 523 Vgl. UAE: A6/3i. 524 Ebd. 525 Vgl. ebd. Weiterführend siehe Braun (1941) und Georg (1941). 526 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 227/127.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit die Entlassung erfolgen musste, an. Eine eingehendere Untersuchung war deshalb in der zweiten Woche des Klinikaufenthaltes kaum mehr möglich“.527

Gegen Ende des Kapitels zur Notwendigkeit der apparativen Untersuchungen zur Klärung der Diagnose „Epilepsie“ soll der Fokus geweitet werden auf die Rolle der Radiologie in der NS-Zeit. In einem, auf Veranlassung des Erbgesundheitsgerichtes Eichstätt erstellten Gutachten vom 08.11.1936 zur 1900 geborenen S. T.528 empfahl Kihn explizit die Unfruchtbarmachung durch Röntgenstrahlen:529 „Wir kommen daher zu dem Ergebnis, dass Frl. S an erblichem leidet und somit unter das Erbgesundheitsgesetz fällt. In Anbetracht der Tatsache, dass Frl. S erheblich vorgealtert ist und [mit] ihrer somatischen Verfassung zweifellos in der Nähe des Klimakteriums steht, [sowie der Tatsache, dass] […] sie weiterhin körperlich eine gewisse Anfälligkeit zeigt, möchten wir empfehlen, die Unfruchtbarmachung mit Röntgenstrahlen durchführen zu lassen“.530

Kapitelabschliessend gilt es, einen exemplarischen Vergleich anzuführen zur Praxis der Epilesie-Diagnostizierung an der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen vor Meggendorfers Amtsantritt. Die Akte zur 1926 geborenen, von 28.04.1934 bis 19.05.1934 stationär beobachteten N. G. enthält – zumindest zu aktuellem Zeitpunkt – weder dokumentierte diagnostische Ergebnisse noch ein standardisiertes Gutachten.531 „29.4.34: Hat bereits gestern und auch heute schon eine Menge von Anfällen, die mitten aus dem Spiel heraus erfolgen, fällt dabei auf den Boden, die Daumen eingekrampft, schlägt sie dann mit den Händen und Füssen um sich, dabei einige Laute hervorstoßend. Ein Anfall dauert etwa 1–2 Min. worauf sie dann noch einige Zeit benommen bleibt. Kein Einnässen, kein Schäumen. Erholt sich dann nach etwa 10–15 Min. und spielt dann wieder frisch. 2.5.34. Hat fast jeden Tag 3–4–5 Anfälle von verschiedener Stärke, auch Nachts [sic] sind schon einige beobachtet worden“.532

Die Aktendokumentationen geben darüber Aufschluss, dass das Kind N. G. psychisch einen „lebhaften Eindruck [mache], nimmt an allem Teil, springt herum und rechnet auch für ihr Alter überraschend gut. Erhält heute 2 mal 2 Luminaltabletten 0,015“.533 Am 12.05.1934 habe sie 527 Ebd. 528 Ebd., Aufnahmenr.: 248/155. 529 „Zusammenfassend kann man annehmen, dass weniger als 2% der Gesamtzahl der 360000 Zwangssterilisierten der Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung unterzogen wurden, da die Methode erst im 3. Jahr der Geltung des GzVeN zugelassen wurde […]. Ähnlich wie die beiden Referenten auf dem 30. Röntgen-Kongress 1939 bewerteten die zeitgenössischen Dissertationen die Unfruchtbarmachung durch Strahlenbehandlung insgesamt als positive Ergänzung der operativen Sterilisierungsmethode […]. Eine systematische Bestandsaufnahme der Opfer eugenischer zwangsweiser Unfruchtbarmachung durch Strahlen ist immer noch ein Desiderat der Forschung“. Vgl. Moser (2014c), S. 217. Zum Runderlass des Reichs- und Preussischen Minister des Innern vom 1. Juli 1936 – IV A8969/1079 siehe Deutsches Ärzteblatt 1936, 34: 856–860. Zur Radiologie in der NS-Zeit weiterführend empfohlen sei Moser (2014a) und (2014b). Weiterführend siehe auch S. 137, Fn. 585. 530 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 248/155. 531 Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 146/50. 532 Ebd. 533 Ebd.

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„[i]mmer noch eine Menge von Anfällen tagsüber, von verschiedener Heftigkeit [erlitten]. Hat auch bei den letzten Anfällen Urin untersich [sic] gehen lassen. Das Kind selbst macht einen verhältnismäßig frischen Eindruck, obwohl es in seinen Bewegungen etwas plump und schwerfällig erscheint. […]. Erhält ab heute 3 mal 2 Luminaltabletten. 17.5.34: Die Anfälle haben sich in letzter Zeit nach der gesteigerten Dosis vermindert, so dass sogar anfallsfreie Tage öfters nun aufgetreten sind“.534

In einem Schreiben vom 22.05.1934 an die Ortskrankenkasse Kronach wird angeführt, es handle sich beim „Kind N. G. […] zweifelsohne um eine genuine Epilepsie. Die Zahl der Anfälle verringerte sich bei 3mal 2 Luminaltabletten und verschwanden schließlich ganz. Wir würden zur Fortsetzung der Therapie raten und eventuell zur Verbringung in eine Anstalt“.535

Diese diagnostische Einschätzung zeigt sich vor allem deshalb bemerkenswert, da der „Leitende[] Arzt des Bezirkskrankenhauses Kronach“ am 03.04.1934 in schriftlicher Form dem Bezirksarzt Dr. Siebert eine andere diagnostische Beurteilung hat zukommen lassen: „Das Kind N. G. aus Stockheim haben wir vom 25.3. bis 2.4.34 beobachtet. Die Anfälle sind bestimmt nicht solche[r] epileptischer Natur. Wir haben bei dem Kind den Eindruck gewonnen, dass es sich um eine beträchtliche Psychopathie handelt. Das Kind hatte z. B. niemals Anfälle, wenn es irgendwie abgelenkt wurde. Ferner hat die Kleine auch einmal bei uns einer Pat. Geld gestohlen u. […] hernach, als sie von der Oberin deswegen zur Rede gestellt wurde, [sind] Anfälle in ganz verstärktem Maß aufgetreten, aber auch absolut uncharakteristisch“.536

Die Praxis der Epilepsie-Diagnostizierung537 bei N. G. im Sinne einer empirischen Diagnose-Sicherung an Hand medikamentöser Wirksamkeit könnte unter Umständen vor dem Hintergrund einer Art „Interims-Situation“538 zu sehen sein. Unter Meggendorfer wurde an der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik die apparative Epilepsie-Diagnose zu einem gängigen Verfahren.

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Ebd. Ebd. Ebd. Die Akte enthält den minimal ausgefüllten Vordruck eines Epilepsie-Protokolls: „Tag. Ursächliche Faktoren. Anfälle, Psychische Ausnahmezustände“. Vgl. ebd. 538 In einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an den Rektor der Erlanger Universität vom 24.03.1934 wurde Specht „mit Wirkung vom 1.4.34 von der Verpflichtung zur Abhaltung von Vorlesungen […] befreit“. Vgl. BHtStA: MK 44365. Knapp einen Monat später bewilligte das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 19.04.1934, dass der „o. Prof Geheimr[a]t[] Dr. Gustav Specht im Sommerhalbjahr 1934 [seine] frühere[] Professur[] weiterversehe[]“. Vgl. ebd. Weiterführend zur durchaus gegebenen klinischen und administrativen „Präsenz“ Spechts in der Zeit von April bis September 1934 siehe S. 503, Fn. 47.

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3.2.6 Zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit Die Veröffentlichung Meggendorfers zu seinem bereits erwähnten Fachgesellschaftsvortrag „[z]ur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit“539, soll im folgenden näher beleuchtet werden.540 Zu den referierten Kasuistiken legte Meggendorfer generell nicht die Begutachtungsklinik und nur selten das antragsentscheidende Erbgesundheitsgericht offen. Meggendorfer untersuchte circa 800 Akten verschiedener Erbgesundheitsgerichte und Erbgesundheitsobergerichte541 mit der Fragestellung zur praktischen Anwendung des Gesetzes. Meggendorfer sah die Vornahme und Dokumentation einer detaillierten sachgemäßen Schwachsinnsprüfung als unabdingbar an. „Versucht man die verschiedenen Begabungsschwankungen graphisch darzustellen, so kann man das Absinken von der hohen Begabung zum tiefen Schwachsinn darstellen […]. Von der höchsten Begabung bis zum tiefsten Schwachsinn gibt es alle Übergänge. Der Übergang ist durchaus fließend. Die Intelligenzprüfung kann allenfalls ausweisen, wo auf dieser Strecke der Untersuchte steht, sie kann aber bei Grenzfällen nicht entscheiden, ob er oberhalb oder unterhalb des imaginären Punktes, der die Grenze zwischen Beschränktheit und Schwachsinn542 bezeichnet, steht“.543

Im folgenden führte Meggendorfer das vor Gericht relevante Kriterium der Lebensbewährung544 weiter aus:

539 Meggendorfer (1935c). 540 Etwa sieben Wochen nach seinem Vortrag vor der Fachgesellschaft trug Meggendorfer über die Thematik erneut vor: „Zur Verfügung des Herrn Rektors vom 17.10.1935, Ziff.1. berichte ich, dass ich auf Einladung der ‚wissenschaftlichen Gesellschaft der deutschen Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes‘ am Samstag, den 26. Oktober vor den Mitgliedern dieser Gesellschaft einen Vortrag über ‚Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit‘ halten werde“. Vgl. UAE: A6/3 i Nr. 15, Meggendorfer an Rektorat, 18.10.1935. 541 In Württemberg kam die Diagnose „Schwachsinn“ 1934 bei 53% der zur Sterilisation führenden Diagnosen vor, im Jahr 1935 bereits bei 60%. „[V]on ministerieller Seite wurde das Zustandekommen dieser Überzahl von Schwachsinnigendiagnosen durch Einbeziehung der ‚Lebensbewährung‘ als richtig empfunden“. Vgl. Meyer (1992), S. 46. 542 „Bekannt ist, dass schwachsinnige Mädchen sich hemmungslos jedem hingeben. Der Anteil der Schwachsinnigen an der Prostitution ist groß, und bekannt ist auch der erhebliche Anteil des Schwachsinns an der Kriminalität. Um nur beispielsweise einige Zahlen zu nennen, sei darauf hingewiesen, dass Aschaffenburg bei Sittenverbrechern 36,5% Schwachsinnige fand, Bonhoeffer unter den Fällen von Körperverletzung im Rückfall 22%, Riedl unter den Dieben 31%, Warstadt unter den Rückfallverbrechern 30%. Sicher sind die angegebenen Zahlen noch zu gering, da hier nur die ausgesprochenen Schwachsinnigen gezählt wurden. Erst kürzlich teilte der belgische Kriminologe [Louis] Vervaeck [1872–1943] mit, die Mehrzahl der wegen Körperverletzung Verurteilten habe in ihrem geistigen Niveau dem der 7– bis 8-Jährigen entsprochen“. Vgl. Meggendorfer (1935c), S. 490. Interessant auch Vervaeck (1918) und (1928). 543 Meggendorfer (1935c), S. 487. 544 „Insbesondere bezüglich der Elementarfunktionen sind Grenzen zwischen ,noch normal‘ und ,schon gestört‘ fließend; der psychiatrische Krankheitsbegriff ist in hohem Maße abhängig von

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„Bewährung im Leben ist schließlich wichtiger als zweifelhafte Schulleistungen. […]. Aber auch die Bewährung im Leben, das Mitkommen in manchen praktischen Berufen ist kein unbedingter Beweis dafür, dass Schwachsinn nicht vorliegt. Mancher wird auch durch den Ehepartner oder sonst durch günstige Umstände über Wasser gehalten. Umgekehrt kommt eine gewisse Weltfremdheit und Unbeholfenheit in praktischen Dingen bei hoher Intelligenz vor“.545

Meggendorfer grenzte Schwachsinn von Verhaltensauffälligkeiten, Kriminalität und Sucht ab, verwies aber auf „enge Beziehungen zwischen Haltlosigkeit, Kriminalität, Süchtigkeit und Schwachsinn. Deshalb stellt ihr Vorkommen bei Fällen, in denen es sich um leichteres Versagen auf dem Gebiete des Verstandes handelt, ein wichtiges Indiz dafür dar, dass diese Fälle zu dem Streuungsbereich des krankhaften Schwachsinns gehören“.546

Meggendorfer betonte das Risiko, dass „ein Schwachsinniger, der als ‚debil‘, ja als ‚imbezil‘ erkannt wurde, nur deshalb der Unfruchtbarmachung entzogen wird, weil sich bei ihm ein soziales Versagen nicht nachweisen ließ“.547 Familienanamnestische Angaben548 sind nach Meggendorfer hilfreiche Anhaltspunkte zur Zuordnung eines Grenzfalles zum krankhaften Streuungskreise:

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Kultur und Zeitgeist“. Vgl. Payk (2003), S. 78. „Überzeugende Versuche, psychische Krankheitsphänomene zu konzeptualisieren, die sowohl in der Praxis der Diagnostik und Therapie hilfreich sein können als auch der gesellschaftlichen Realität von Verhaltensvarianzen gerecht werden wollen, werden die Frage nach dem Verständnis von Erkenntnisgegenstand und Erkenntnismethode[n] grundsätzlich neu stellen und sich auf komplementäre Erklärungsansätze einstellen müssen“. Vgl. Szlezák (2012), S. 205. Meggendorfer (1935c), S. 488. Ebd., S. 491. Ebd., S. 493. „Die 21-jährige ledige Schneiderstochter Regina K. […] hatte sich schon in der Schule als schlecht veranlagt erwiesen. Wie die Verstandesprüfung gezeigt hat, ist auch seither eine Nachreife nicht eingetreten. […]. Das Erbgesundheitsobergericht stellte fest, dass Regina in der Schule schlecht gelernt hatte, auch nach Angabe der Lehrer willensschwach, furchtsam, aufgeregt und unruhig war. Der Schwachsinn sei nicht Folge der angegebenen ungünstigen Bedingungen. ‚Dagegen ist eine erbliche Belastung mit geistigen Schäden in der Familie deutlich hervorgetreten. Die Mutter des Vaters war von 1915 bis zu ihrem Tode 1918 an einer Depression erkrankt, deren Schwester war in einer Heil- und Pflegeanstalt wegen Schizophrenie, eine weitere Schwester hatte zwei geisteskranke Kinder, einen Sohn, der schwachsinnig war und dazu an Schizophrenie erkrankte, und eine Tochter, die ebenfalls an Schizophrenie litt. Angesichts dieser Belastung steht außer Zweifel, dass der Schwachsinn der K. auf erblicher Anlage beruht und angeboren ist […]. Die Unfruchtbarmachung ist daher zulässig und geboten‘. (Später stellte sich heraus, dass auch in der Verwandtschaft des Großvaters väterlicherseits ein Fall von Schizophrenie vorgekommen war. Der Großvater selbst war ein schwachbegabter schizoider Psychopath.) Eine Beziehung des Schwachsinns zur Belastung mit endogenen Psychosen scheint […] zu bestehen. […] Auch [Hans Otto] Wildenskov wirft die Frage auf, ob […] eine scharfe Trennung zwischen exogenen und endogenen Schwachsinnsformen aufgegeben werden müsse. Die Beziehungen zwischen Schwachsinn und sexueller Haltlosigkeit, Süchtigkeit und Kriminalität wurden bereits gedacht. Aber nicht nur individuelle Psychopathien zeigen die Zugehörigkeit zur erbkranken Variationsreihe an, sondern auch psychopathische Erbanlagen, die sich sonstwie in den betreffenden Sippen auswirken. Nicht selten können wir bei den Ge-

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Die abschließenden Worte von Meggendorfers Publikation zur Differenzierung zwischen Schwachsinn und Beschränktheit zeigten sich Regime-anbiedernd und NS-rassenhygienegläubig. Möglicherweise könnte man folgende Parolen sogar als „verblendet“ einordnen im Sinne von unzureichender Voraussicht gesellschaftlicher Konsequenzen dieser legitimatorischen Aussage in Bezug auf die Praxis der Erbgesundheitsgerichte: „Bei dem Studium der durchweg ungemein sorgfältig und mit großem Verantwortungsbewusstsein geführten Akten der Erbgesundheitsgerichte550 drängte sich mir der Umstand auf, dass diese intellektuell, psychopathisch und sozial Minderwertigen nicht selten eine ganz erstaunliche Affinität zu ebensolchen Geschlechtspartnern zeigten. […]. Gewiss gehören diese Vorgänge zu denjenigen, durch welche sich der Volkskörper selbst reinigt und ausheilt. Aber mit wieviel Elend, Leiden und Not sind sie verknüpft! Auch die Rassenhygiene und mit ihr das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses geht diesen uns von der Natur gezeigten Weg, das Beschreiten des Weges aber bedeutet, wie der Führer gesagt hat, ‚die humanste Tat der Menschlichkeit‘“.551

An den Vortrag Meggendorfers schloss sich eine Podiumsdiskussion an. So gab Kleist an, sich in seiner Funktion als Gutachter und ärztlicher Beisitzer am EGOG schwerpunktmäßig orientiert zu haben an „begleitende[n] charakterliche[n] Mängel[n] und bedenkliche[n] psychopathische[n] Eigenschaften“;552 er sei jedoch sehr vorsichtig, derartige Erscheinungen als Manifestationen des Schwachsinns zu werten. „Denn ‚Schwachsinn und Psychopathie müssen begrifflich scharf auseinandergehalten werden, sonst verfällt man wieder in die jahrelang überwundene Vorstellung eines ‚moralischen Schwachsinns‘, während Moral und Intelligenz nichts miteinander zu tun haben“.553

Nach Kleist sollte die „Psychopathie“ unter das GzVeN fallen, um somit einer Vermehrung der „weit gefährlicheren intelligenten psychopathischen Gemeinschaftsschädlinge“ entgegenzuwirken.554 In Anbetracht der Expertise Meggendorfers bezüglich der Schwachsinnsdiagnose stellt sich die Frage nach klinikintern verwendeten Erfassungsinstrumenten.

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schwistern, den Eltern, ja den Großeltern die gleiche sexuelle Haltlosigkeit, die gleiche Neigung und Anfälligkeit zu illegitimen Kindern usw. nachweisen wie bei den Schwachsinnigen selbst […]“. Vgl. ebd. Ebd., S. 495. In Bezug auf die zu begutachtende angeblich schizophren erkrankte S. K. sollte Meggendorfer einen guten Monat nach diesem Vortrag bereits bezüglich des seinerseits gepriesenen Verantwortungsbewusstseins der EGG enttäuscht werden. Näheres hierzu S. 342–347. Meggendorfer (1935c), S.497–498. Rüdin/Nitsche (1936), S.105, zit. n. Schmuhl (2016), S. 231. Ebd. Ebd.

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Zeigen sich erbbiologischer Erhebungsbogen und Kranken-Kartei im Krankengeschichten-Bestand der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik unter Friedrich Meggendorfer nur rudimentär, so wurde standardmäßig ein vorgefertigter Intelligenzprüfungsbogen555 zum Einsatz gebracht. 555 Exemplarisch sei verwiesen auf den Intelligenzprüfungsbogen der S. L. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 153/62. Den Versuch einer standardisierten Anleitung zur Intelligenzprüfung gab mitunter Gerhard Kloos (1941a) und (1941d). Im ersten Kriegstrimester 1939 wurde Berthold Kihn als Ordinarius für Psychiatrie und Klinikdirektor in Jena vertreten durch den Emeritus Hans Berger (1873–1941), durch Gerhard Kloos (1906–1988) und durch Rudolf Lemke (1906– 1957). Vgl. UAJ: BA 2139, BA 2149, BA 2054, L526/1, D 1565. Dr. med. habil. Dr. phil. Gerhard Kloss eröffnete seinen Grundriss der Psychiatrie mit folgendem Vorwort: „Dazu kommt im psychiatrischen Teil als weitere Schwierigkeit die vorwiegend unanschauliche Eigenart dieses Faches, das viel begriffliches Denken erfordert. Eine Wahnidee, Sinnestäuschung, Gefühlsstörung usw. lässt sich nicht sichtbarmachen [sic] wie ein Carcinom oder Ulcus. Das Unanschauliche liegt den Medizinern aber im allgemeinen wenig; die ausgesprochen formal Begabten strömen eher den philosophischen und philologischen, mathematischen und juristischen Berufen zu. Für manchen sonst sehr tüchtigen Arzt bleibt die Begriffswelt der Psychiatrie zeitlebens eine Art ‚höhere Mathematik‘, um die er nach Möglichkeit einen großen Bogen schlägt. Das Bedürfnis weiter Medizinerkreise nach einer leichtfasslichen, kurzen und übersichtlichen Darstellung dieses nicht gerade einfachen, aber rassenpolitisch und sozial, bedeutsamen Fachgebietes ist daher groß: aus diesem Grunde glaubte ich mich der Aufforderung des Verlages, den vorliegenden Grundriss abzufassen, nicht entziehen zu dürfen […] Zwischen diesen Klippen einen sowohl wissenschaftlich als auch didaktisch richtigen Weg zu finden, ist gerade in unserem Fach nicht leicht“. Vgl. Kloss (1944), Vorwort. Als Schrifttum von Kloos sei ferner verwiesen auf ders. (1940), (1941b), (1941c) und (1944). In diesem Kontext interessant zeigt sich die Tatsache, dass Meggendorfers Mitarbeiter Bingel offensichtlich auch eine Anleitung zur Beurteilung und Beschreibung der Intelligenz und der Persönlichkeit herausgab. Sein im Archiv des Baylor College of Medicine (BCM) in Houston befindliches 5-seitiges Curriculum vitae führt, gemäß der Herbstausgabe des Neurological Sciences Biographical des Jahres 1967, unter den Publikationen folgende auf: „Bingel A.: Anleitung zur Beurteilung und Beschreibung der Intelligenz und der Persönlichkeit. (nicht mehr gedruckt)“. Persönliche Information Joann Pospisil, 08.01.2013. Hinweise auf diese einst von Bingel herausgegebene „Anleitung zur Beurteilung und Beschreibung der Intelligenz und der Persönlichkeit“ könnten folgende, vereinzelt in Krankenakten befindliche „Frage-B[ö]“gen für einfache Begriffe und Urteile liefern, wie z. B. bei B. F., geb. 1922, Diagnose „angeborener Schwachsinn“: „Name, Datum, Tageszeit. I. Einfache Personalien und Lebensgeschichte. Wie heißen Sie? Was sind Sie? Wie alt sind Sie? Wann sind Sie geboren? Wo sind Sie geboren? Wie heißen Ihre Eltern? Leben dieselben, resp. wann sind sie gestorben? Haben Sie Geschwister? Wo sind Sie in die Schule gegangen? Bis zu welcher Klasse? Wie gelernt? Nie sitzen geblieben? Welche Fächer sind ihnen leicht, welche schwer geworden? Wie hießen Ihre Lehrer? Was haben Sie später gelernt? Was haben Sie später gearbeitet? Wo waren Sie in Dienst oder Stellung? Wie lange? Genauere Angaben der Stellungen, resp. Aufenthalt und Arbeit in den letzten 5 Jahren? Sind sie verheiratet? Seit wann? Mit wem? Namen und Alter der Kinder? II. Orientierung zu Zeit und Zeitbegriffe. Welches Jahr haben wir jetzt? Welchen Monat haben wir jetzt? Welches Datum im Monat haben wir jetzt? Welchen Wochentag haben wir heute? Wie lang sind Sie hier? Wo waren Sie vor 8 Tagen? Wo waren Sie vor 1 Monat? Wo waren Sie vorherige Weihnachten? Welches sind die Namen der Wochentage? Welches sind die Namen der Monate? Wieviel Stunden hat der Tag? Wieviel Minuten die Stunde? Wieviel Sekunden hat die Minute? Wie spät ist es auf der Uhr? Wieviel Tage hat der Monat? Hat jeder Monat gleichviel Tage? Wieviel Wochen hat das Jahr? Hat jedes Jahr gleichviel Tage? Wieviel Tage hat das Schaltjahr? Wie

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oft ist Schaltjahr? Wann ist Weihnachten? Wann ist Ostern? Ist Ostern stets am gleichen Datum? Wodurch entsteht der Wechsel von Tag und Nacht? Wann ist der Tag länger, wann ist er kürzer? An welchem Tage nehmen die Tage wieder zu? Wann fängt der Herbst an? III. Orientierung im Raum und Raumbegriffe. In welcher Stadt sind Sie? In welchem Land sind Sie? Wo wohnten Sie zuletzt? Wieviel Einwohner hat Nürnberg? Welche Stadt ist größer München oder Nürnberg? Nürnberg oder Regensburg? Nach welcher Richtung von Erlangen liegt Nürnberg? In welcher Himmelsrichtung von Erlangen liegt die fränkische Schweiz? Was ist ein Kilometer? Wie lange geht man daran? Wie groß ist ein Quadratmeter? Wie groß sind Sie? Wie lang ist Ihr Mittelfinger? An welchem Fluss liegt Erlangen? Wohin fließt er? Kennen Sie Nebenflüsse der Donau? Nennen Sie mir Gebirge? Welches sind die größten Flüsse Deutschlands? Waren Sie einmal verreist? Wohin? Evtl. Beschreibung der Reise? IV. Orientierung über Personen. Wer hat Sie hierher gebracht? Mit was für Leuten sind Sie im Saal zusammen? Wer kommt täglich zu Ihnen? Wie heißen Ihre Krankenwärter? Wie heißen die Ärzte? Wie heißen die neben Ihnen liegenden Kranken? V. Rechenaufgaben. 2x4=; 5x7=; 7x9=; 9x7=; 11x12=; 2+2=; 5+8=; 20+38=; 8+14=; 28+44=; 3–1=; 8–3=; 13–5=; 28–17=; 43–17=; 6:3=; 44:4=; 10:3=; 39:7=; 248: 6=; 16 M. sind wieviel frs., wenn 4 M.=5 frs.? Wenn mann [sic] in einen [sic] Tage 2 M. 70 P. verdient, wieviel verdient man in der Woche? Wieviel Zinsen bringen 120 M. zu 4% in s [sic] Jahren? Wenn 6 Mann zu einer Arbeit 4 Tage brauchen, wieviel Tage brauchen dann 3 Mann zu derselben Arbeit? ¾ M. sind wieviel Pfennige? Welchen Kubikinhalt hat ein Zimmer von 6 m Länge, 5 m Breite und 4 m Höhe? Ein Quadratmeter hat wieviel Quadratzentimeter? VI. Elementare Kenntnisse, Begriffe und Urteile. Was gibt es für Bäume im Wald? Wie unterscheiden sich Eichen-und Tannenbäume? Woher kommt Wolle und Baumwolle? Wie unterscheiden sich Pferd und Kuh? Welcher Religion gehören Sie an? Was gibt es außerdem für Religion [sic]? Wodurch unterscheiden sich dieselben? Wie heißt der Papst? Wer war Luther? Wer war Christus? Was bedeutet Weihnachten? Was bedeutet Ostern? Was bedeutet Pfingsten? Was bedeutet die Taufe? Wer war Schiller? Kennen Sie etwas von ihm? Was ist ein Thermometer? Wie heißt der Kaiser von Deutschland? Wer war vor ihm Kaiser? Wie heißt der König von Bayern? Wer war Bismarck? Zu welchem Kreis gehört München, Nürnberg, Augsburg? Wie heißen die Kreise Bayerns? Was gibt es in Deutschland für Staaten? Wie heißt die Hauptstadt von Deutschland, Bayern, Württemberg, Hessen, Baden, Sachsen, Frankreich, England? Was ist größer: Preußen oder Bayern? Bayern oder Württemberg? Wie heißen die Erdteile? Was war 1870? Wann war die Schlacht bei Sedan? Seit wann besteht das Deutsche Reich? Wer ist heute Reichskanzler? Wo wird jetzt Krieg geführt und von wem? Wann muss man Soldat werden? Muss jedermann Soldat werden? Wie lange muß man als Soldat dienen? Was gibt es für verschiedene Waffengattungen? Was hat der Soldat für einen Zweck? Welchen Zweck haben die Wahlen? Wann sind Sie wahlberechtigt? Wie unterscheiden sich Reichstagsund Landtagswahlen? Was gibt es für Parteien? Was wollen die Sozialdemokraten? Was will das Zentrum? Wofür sind die Schutzleute da? Wofür sind die Gerichte da? Weshalb wird man bestraft? Warum wird Diebstahl bestraft? Wird man wegen Lügens vor Gericht bestraft? Was verstehen Sie unter Ihrer Obrigkeit? Wer gibt die Gesetze? Was ist für ein Unterschied zwischen Rechtsanwalt und Staatsanwalt? Was haben wir für Silbergeld? Was haben wir außerdem für Geldsorten? Was ist ein Wertpapier? Welches ist das notwendigste Metall? Welche Gewichte gibt es? Warum schwimmt Holz und sinkt Eisen unter? Warum schwimmt ein Schiff aus Eisenblech? Was ist schwerer: 1 Pfund oder 1 Kilo? Wie denken Sie sich Ihre Zukunft? VII. Ethische Begriffe und Urteile.? Was haben Sie für Pflichten gegen Ihre Eltern? Wie können Sie sich Ihren Eltern dankbar erweisen? Was haben Sie für Pflichten gegen Ihre Mitmenschen? Was ist Meineid? Wem ist man Gehorsam schuldig? Was ist Treue? Unter welchen Umständen fühlen Sie sich glücklich? Worüber würden Sie traurig sein? Was ist der Zweck der Ehe? Warum wird die Unzucht mit Kindern bestraft? Warum darf man sein Haus nicht anzünden? Was würden Sie tun, wenn Sie eine Börse mit 500 Mark fänden? Was ist der Unterschied zwischen Hass und Neid? Was ist der Unterschied zwischen Sparsamkeit und Geiz?“. Vgl.

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In Zusammenhang mit den in Erlangen zum Einsatz gebrachten Intelligenzprüfungsbögen gilt es zu erwähnen, dass eine standardisierte Anleitung zur Intelligenzprüfung und ihrer Auswertung im Auftrage des Thüringischen Landesamtes für Rassewesen unter der Leitung Karl Astels 1943 publiziert wurde.556 Bei einem von Bingel signierten Gutachten zu G. A. wurde folgendes standardisierte Formular verwendet: „Intelligenzprüfungsbogen Vordruck 5a. B 121 (1,37) Reichsdruckerei, Berlin. DIA 476 A4“. Bei der Prüfung der Kenntnisleistungen und Fähigkeiten des Prüflings, so ist einleitend auf dem Bogen vermerkt, sei „besonderes Gewicht darauf zu legen, dass neben den Fragen nach Schul- und Lebenswissen557 auch solche nach den persönlichen Verhältnissen des Prüflings und seinem Berufsleben bzw. seiner allgemeinen Beschäftigung gestellt werden“.558

Auf vier vorgefertigten Seiten sollen „1. Orientierung. 2. Schulwissen. 3. Allgemeines Lebenswissen. 4. Spezielle Fragen aus dem Beruf.559 5. Urteilsfähigkeit. 6. Kombinationsfähigkeit. 7. Geschichtserzählung und Sprichworterklärung. 8. Gedächtnis und Merkfähigkeit. 9. Verhalten bei der Untersuchung 8. Haltung, Augen, Mimik, Stimme, Aussprache, Wortfolge, Promptheit der Antwort, Zugänglichkeit, Anteilnahme an der Untersuchung usw“.560

dokumentiert werden.

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APNK/FAU, Aufnahmenr.: 341/237. Unter Mitwirkung des Amtsgerichtsdirektors Fensterer als Vorsitzenden, des Landgerichtsarztes Dr. Schneller als beamteten Arzt und des Psychiaters Dr. Müller (stv. Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen) als weiteren Arzt beschloss das Erbgesundheitsgericht bei dem Amtsgerichte Erlangen in der nichtöffentlichen Sitzung vom 27.02.1941 die Unfruchtbarmachung der B. F., welche mit dem oben dargestellten Intelligenprüfungsbogen getestet worden war. „[D]ie Kosten des gerichtlichen Verfahrens [wurden von der] Reichskasse“ getragen. Vgl. ebd. Wurde dieser Fragebogen zur Diagnosesicherung „angeborener Schwachsinn“ am 02.12.1940 zum Einsatz gebracht, so könnte sich anhand der schreibmaschinellen Überschreibungen der entsprechenden Formularangaben in der Akte einer Epilepsie-Patientin von März 1935 zeigen, dass 1935 noch Modifikationen für eine endgültige Formularversion der Klinik stattfanden. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 127/32. Diese könnte in der Person Gustav Bingels ab Beginn seiner Erlanger Kliniktätigkeit im März 1937 komplettiert worden sein zu einer publikationsfähigen Variante. Darin vorgestellt ist unter anderem ein Prüfungsbild zur Urteilsfähigkeit: „Stellungnahme zu Sinnwidrigkeiten. Beim Blindekuhspiel: ‚Das ist Vater!‘. Warum meint der Junge das?“. Vgl. Kloos (1941a), S. 34. In einem 16-seitigen Gutachten Bingels für ein n. n. b. Erbgesundheitsobergericht vom 11.06.1938 sah er „[i]n mangelhaftem Schulbesuch und in fehlender häuslicher Anleitung […]. auch die Ursache des geringen Schul- und Lebenswissens“ der von 24.05.1938 bis 11.06.1938 beobachteten, 1915 geborenen und mit der Diagnose „Psychopathie. Kein (angeborener) Schwachsinn!“ entlassenen W. K. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 187/86. „Es bleibt noch zu erwähnen, dass eine sichere erbliche Belastung bei Frau W. fehlt“. Vgl. ebd. Ebd., keine Aufnahmenr. „Zur Frage der Lebensbewährung und der sozialen Einordnungsfähigkeit ist in dem ärztlichen Gutachten (Vordruck 5) im Abschnitt II Stellung zu nehmen“ Vgl. ebd. Ebd.

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Neben Intelligenzprüfungsbögen kamen in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen unter Meggendorfer auch zeitkontrollierte Assoziationsprüfungsbögen561 regelhaft zum Einsatz.562 An der Klinik Meggendorfers wurde die GzVeN-pflichtige Diagnose „angeborener Schwachsinn“ sorgfältig differentialdiagnostisch beleuchtet, wie folgendes Gutachten dokumentiert: „Ein weiterer Gesichtspunkt, der einigen Zweifel an der erblichen Bedingtheit der bei R. A. bestehenden geistigen Schwäche zulässt, ist der körperliche Befund: Die etwas vorspringenden Stirnhöcker, die leicht erweiterten Hirnhöhlen, […] das linksseitig positive Babinskische und Oppenheimsche Zeichen. Alle diese Zeichen sind einzeln nahezu bedeutungslos, in ihrer Gesamtheit dürfen sie aber doch nicht übergangen werden und deuten auf eine intrauterin oder in früher Kindheit durchgemachte Entwicklungsstörung des Schädels und des Gehirns hin, wenn auch von solchen Störungen in der Vorgeschichte nicht berichtet wird […]. Bei R. A. liegt eine gewisse umweltbedingte Verwahrlosung, aber wahrscheinlich kein Schwachsinn im Sinn des Gesetzes vor“.563

3.2.7 Veröffentlichungen zur Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis Hatte Meggendorfer 1935 „zur Abgrenzung des krankhaften Schwachsinns von der physiologischen Beschränktheit“564 referiert, so musste er im weiteren Verlauf erfahren, dass seine um sorgfältige Diagnosestellung bemühten Gutachten auf Ablehnung der Gerichte stießen. In Bezug zum schweren Alkoholismus, also dem Krankheitsbild, welches initial mittels Abstinenzbewegung zum Erstarken der wissenschaftlichen Rassenhygiene geführt hatte, sah Meggendorfer die NS-erbgesundheitliche Praxis zu inkonsequent agieren. Umgekehrt wurden seine um wissenschaftliche Fundierung bemühten Gutachten mit bestätigter „Erbtauglichkeit“ von den EGGs als „Irrtum“ abgelehnt,565 so dass – vom rassenhygienischen Expertenstand aus betrachtet – „überflüssige“ Sterilisationen vorgenommen wurden. Meggendorfers Anspruch nach sorgfältiger, dem Stand der Wissenschaft entsprechender Diagnostik sollte sich als utopisch herauskristallisieren. Die erwähnten Veröffentlichungen von Bostroem566 und Entres567 in der Festschrift für Meggendorfer könnten darauf hinweisen, dass sich Meggendorfer kollegialen Ratschlag einholte, um mit der Differenz zwischen eugenischem Ideal und NS-Rassenhygiene-Realität umgehen zu können. Die NS-rassenhygienische Realität sah nämlich derart aus,

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Zu Assoziationsversuchen mittels Silbenergänzung siehe ferner Müller-Hegemann (1942). Siehe hierzu APNK/FAU, Aufnahmenr.: 283/203; 241/40 unter anderem. Ebd., Aufnahmenr.: 227/127. Meggendorfer (1935c). Siehe hierzu S. 345. Vgl. Bostroem (1940). Siehe hierzu S. 365–366. Vgl. Entres (1940). Siehe hierzu S. 366–367.

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„dass die […] nach strengen Maßstäben durchgeführte Mitarbeit am GzVeN beileibe nicht von jedem seiner Ärztekollegen geteilt wurde. Insbesondere in den Anfangsjahren war es, wie der Tübinger Psychiater Robert Gaupp kritisch anmerkte, mancherorten zu einem regelrechten ‚Konkurrenzdenken um möglichst hohe Sterilisierungszahlen gekommen‘“.568

In Anbetracht des zunehmend widrigeren Kriegsverlaufes für Deutschland und der dringlichen Notwendigkeit zur „Aufrechterhaltung“ wehrfähiger Männer könnte sich Meggendorfer zunehmend gezwungen gesehen haben, sorgfältige wissenschaftliche Kriterien und Eugenik-Maßstäbe außer Acht zu lassen. In seinem 1944 erschienenen „Beitrag zur Kenntnis der erblichen kongenitalen Wortblindheit“569 legte Meggendorfer die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis in der Diagnosestellung GzVeN-pflichtiger psychischer Erkrankungen dar.570 568 Gaupp R. in einem Brief an den Tübinger Gynäkologen August Mayer (1876–1968) vom November 1934. Vgl. Frobenius (2012), S.120, zit. n. Rauh (2016b), S. 271. „Bereits vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten machte sich Mayer für die eugenische Sterilisierung, wenn nötig auch unter Zwang, stark. […]. In den […] Entnazifizierungsverfahren wurde Mayer durchgehend als nicht belastet eingestuft. Mayers wissenschaftliche Forschungen befassen sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Körper und Seele, insbesondere mit den Auswirkungen psychischer Traumen auf die weiblichen Sexualfunktionen. An der Weiterentwicklung psychosomatischer Konzepte war Mayer jedoch kaum beteiligt.[…]. Auf die moderne Psychosomatik konnte Mayer keinen Einfluß nehmen“. Vgl. Doneith (2007), Zusammenfassung. 569 Meggendorfer (1944b). 570 Folgende Aussage, die sich auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ findet, zeigt sich nur bedingt differenziert: „Meggendorfer, der sich intensiv mit Fragen des Alkoholismus beschäftigte, vertrat in diesem Zusammenhang die Forderung, vor allem die ‚asozialen‘ Alkoholiker zu sterilisieren, da sie zu Verbrechen, zur Verwahrlosung oder zur Prostitution neigten. Während Meggendorfer als Wissenschaftler somit für eine sehr großzügige Auslegung des GzVeN plädierte, scheint er als Klinikdirektor nur diejenigen seiner Patienten zur Sterilisation angezeigt zu haben, die aufgrund der gestellten Diagnosen ‚eindeutig‘ unter die im GzVeN vorgesehene Meldepflicht fielen“. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/ de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06. 2016. Diese dichotomisierende Auslegung wird Meggendorfers wissenschaftlicher und klinischer Praxis nur unzureichend gerecht. Die vordergründige „Schwarz-Weiss-Skizzierung“ von Meggendorfers wissenschaftlicher Theorie einerseits vs. klinischer Praxis andererseits unter der Suggestion von Grautonschattierungsparadigma-Treue entpuppt sich vielmehr bei genauer Betrachtung als Dämonisierung. Die auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ vorgenommene Gegenüberstellung nämlich könnte im Rezipienten nahelegen, Meggendorfer habe seine wissenschaftlichen Erkenntnisse lediglich zur NS-Psychiatrie-Legitimierung eingesetzt, ihnen jedoch selbst kaum Glauben geschenkt und sie insofern klinisch praktisch nicht zur Anwendung gebracht. Dieser Vorwurf an einen Hochschulpsychiater zeigt sich gravierend und lässt sich nur unzureichend begründen. Von einem reinen wissenschaftlichen Plädoyer zu sprechen, unterschlägt Meggendorfers herausragenden Expertenstatus. Er lieferte weitaus mehr als ein Plädoyer. Vielmehr definierte er die wissenschaftlich exakte Auslegung der Diagnose „schwerer Alkoholismus“. Im heutigen Sinne könnte dies am ehesten vergleichbar sein mit einer Leitlinien-Urheberschaft, womit Meggendorfer zum Teil dazu beitrug, die NS-Psychiatrie zu legitimieren. Wenn Meggendorfer als Klinikdirektor auf eine sehr differenzierte wissenschaftliche Diagnosesicherung verzichtete, so machte er dies transparent, wie zum Beispiel bei den im Haupttext dargelegten Fällen kongenitaler Wortblindheit. Siehe hierzu S. 383–392. Darüber hinaus lassen sich aktuell keine Quellen finden, die auf eine wissenschaftlich nicht gedeckte, klinische Vorgehensweise Meggendorfers hinweisen.

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Abb. 32: Ehepaar Meggendorfer, Erlangen 1943571

Dem Beginn seines Textes stellte Meggendorfer eine Definition des Krankheitsbildes voran: „In den letzten Jahren wurden mehrfach Fälle von erblicher kongenitaler Wortblindheit beschrieben. Man versteht darunter eine mehr oder weniger isolierte Unfähigkeit lesen zu lernen. Auch das Diktatschreiben und das Rechtschreiben sowie das Rechnen572 sind erschwert oder unmöglich, während das Abschreiben oder Abzeichnen meist keine Schwierigkeiten machen“.573

Nach Meggendorfer zeigte sich der Umgang mit dieser Krankheitsentität im erbgesundheitsgerichtlichen Prozess schwierig, „zumal diese Abwegigkeit in ärztlichen Kreisen noch recht wenig bekannt ist“.574 Die Anomalie der kongenitalen Wortblindheit als umschriebene Störung im Bereich des linksseitigen Gyrus angularis wurde aufgefasst als Manifestationsform eines allgemeinen Schwachsinns. Der 21jährige Maschinenformer K. A. wurde landgerichtlich zur Begutachtung in einer Ehescheidungs- beziehungsweise Eheaufhebungssache in die Klinik überwiesen. K. A. hatte die Ehescheidung beantragt, da ihn seine Ehefrau während seiner Einziehung zur Wehrmacht betrogen habe. Im weiteren Verlauf erhob die Ehefrau eine Gegenklage auf „arglistige Täuschung“:575 Der Ehemann hätte ihr vor der 571 FAM. 572 Bei der Lese- und Rechtschreibstörung (F81.0) kann das Rechnen beeinträchtigt sein aufgrund fehlenden Verständnisses der Rechenaufgabe. Hiervon abzugrenzen ist die Rechenstörung (F81.2): „Die umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten umfasst Schwächen in den Grundrechenarten Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Weniger relevant sind die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie sowie Differenzial- und Integralrechnung benötigt werden. Kombinierte Störung schulischer Fertigkeiten (F81.3) […] liegt vor, wenn sowohl Lese- und Rechtschreibfähigkeiten als auch Rechenfertigkeiten beeinträchtigt sind, ohne dass die Entwicklungsstörungen durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder unangemessene Beschulung erklärbar sind“. Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (2007), S. 207–208. 573 Meggendorfer (1944b), S. 201. 574 Ebd. 575 Ebd., S. 202.

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Eheschließung verheimlicht, nicht lesen und schreiben zu können. Hätte sie hiervon Kenntnis gehabt, so wäre sie die Ehe nicht mit ihm eingegangen. Der Schwiegervater könne ebenfalls nicht lesen und schreiben, ihr Ehemann stünde in der Tradition des erblichen Schwachsinns. Die Schulzeugnisse der ersten Vorschulklassen des K. A. belegen sein Versagen im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen. Auch in der Hilfsschule erzielte er im Lesen und Rechtschreiben keine besseren Ergebnisse, während er beim Rechnen und Schönschreiben „dürftige“, im Zeichnen und Turnen hingegen sehr gute Leistungen erbrachte. Die Beurteilung durch die Hilfsschule bescheinigte K. A. „Leseschwäche. Große Defekte im Aufmerken und im Gedächtnis. Leichter Schwachsinn, verbunden mit einer komplizierten Leseschwäche. Typische Vergesslichkeit, Ablenkbarkeit und Konzentrationsschwäche, Aufmerksamkeitsstörungen, dagegen beachtenswertes Erfahrungswissen“.576

17-jährig wurde K. A. dem Gesundheitsamt wegen angeborenen Schwachsinns gemeldet, die Recherchen seitens des Gesundheitsamtes ergaben unauffällige Befunde bezüglich der beiden jüngeren Geschwister des K. A. Der Vater jedoch habe ebenfalls Rechen- und Leseschwierigkeiten gehabt. Im Schlussgutachten des Gesundheitsamtes wurde ausgeführt, bei K. A. läge kein angeborener Schwachsinn im Sinne des Gesetzes vor; eine entsprechende Gesamtpersönlichkeitsstörung577 sei nicht zu verzeichnen. Es liege ein Mangel an Lese- und Rechenvermögen im Sinne eines „isolierten Schwachsinn[s]“578 vor, wohingegen die Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie die Auffassungsgabe besser seien. Der Untersuchte sei, so das Gutachten des Gesundheitsamtes, „sozial gut brauchbar, habe ein ausgesprochenes Handgeschick, arbeite andauernd und gut, sei zuverlässig, selbstständig, aufrichtig, leicht lenkbar, von gemütlicher Ansprechbarkeit, fleissig, eigenantriebig in praktischen Dingen, ein gefälliger kameradschaftlicher Junge mit viel Sinn

576 Ebd. 577 „Eine neurobiologische Disposition [bei der Persönlichkeitsstörung] ist nicht determinierend für das soziale Verhalten, sondern kann durch Umweltfaktoren und Erziehungsstile weitgehend kompensiert werden, sodass ein normales psychosoziales Funktionsniveau erreicht werden kann“. Vgl. Mathiak et al. (2016), S. 509. 578 Meggendorfer (1944b), S. 202.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit für Sport. Er sei charakterologisch579 und ethisch einwandfrei,580 nicht asozial,581 nicht kriminell, gut praktisch brauchbar im Leben, trotz seiner isolierten Lese- und Rechenschwäche.582 Ein angeborener Schwachsinn im Sinne des Gesetzes könne nicht angenommen werden“.583

Im Rahmen seines Begutachtungstermins bei Meggendorfer berichtete K. A. davon, gut beim Militär zurechtgekommen und sogar zweitbester Schütze seiner Kompanie gewesen zu sein. Infolge einer Verwundung und Erfrierung der Füße sei er von der Front zurückgekommen. Meggendorfer hob in seiner Publikation hervor, der Gutachtenspatient hinterlasse einen „fast eleganten, sportgewandten Eindruck“:584 „Er ist hochgewachsen, schmal, aber sehnig. Er hat weiches, gewelltes Haar. Er

579 Kihn integrierte in seinem Gutachten zu O. G. vom 14.06.1934 eine moralische Bewertung: „Wie bei Schwachsinnigen so oft, verdeckt ihr freundliches und gutmütiges Wesen einen Teil der Ausfälle, sie kann aber auf Dauer ihr Manko doch nicht ganz verbergen. Daneben sind schwere psychopathische Charakterabwegigkeiten vorhanden. Hierzu gehört ihre persönliche Unzuverlässigkeit, ihre Faulheit und Unaufrichtigkeit, namentlich aber ihre schwere moralische Verderbtheit und Hemmungslosigkeit. Ihr geringes Urteilsvermögen und ihre oberflächliche Einsicht haben naturgemäss sehr unerwünschte Rückwirkungen auf ihre moralischen Qualitäten, wie umgekehrt ihre tiefstehende Ethik nicht dazu angetan ist, sie noch weiter bildungsfähig und erziehbar zu machen […] und es wäre sehr zu wünschen, wenn das Mädchen daran gehindert würde, ihre verderblichen Erbanlagen weiter zu verbreiten“. Dieses Gutachten zu O. G. befindet sich innerhalb der Akte der O. E. Letztere war u. a. auch stationär in der HuPflA. Dort wurde eine von der Klinik abweichende Signatur-Verschlüsselung vorgenommen. Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 4997. Bemerkenswerterweise sind die HuPflA-Dokumente integriert in APNK/FAU. Weiterführend hierzu auch S. 337, Fn. 352. 580 Da Meggendorfer die seitens des Gesundheitsamtes angeführte Beurteilung von K. A. s ethischen Grundgefüges nur als indirekte Wiedergabe anführt, bleibt offen, ob diese Formulierung direkt im Gutachten zu finden war, oder ob Meggendorfer möglicherweise deskriptive Aussagen zu „ethisch einwandfrei“ subsumierte. In Hinblick auf die besagte einstige „moralische“ Beurteilung von Seiten des Psychiaters sei verwiesen auf Anlage 5 „Amtsärztliches-ÄrztlichesGutachten (gemäß § 4 Satz 2 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 – Reichsgesetzbl. I S. 529)“ , wonach der psychische Befund neben den Unterpunkten „1. Allgemeines Verhalten“, „2. Stimmungs- und Affektlage“, „4. Bewusstseinslage“, „5. Gedankenablauf“, „6. Sexuelle Perversionen“, „7. Anfälle“ auch aus der Funktion „3.Willenssphäre“ bestand. Hierzu wurden folgende Unterpunkte eingeordnet: „Hemmung, Sperrung, Stupor, Katalepsie, Befehlsautomatie, Negativismus, Mutismus, Erregung, Befehlsdrang, impulsive Handlungen, sinnlose Handlungen, Rededrang, Fortlaufen, Manieren, Stereotypien, Sprachmanieren, Grimassieren“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 193/98. Bei der Patientin S. A. wurde der 3. Unterpunkt schreibmaschinell bewertet als „Neigung zum Streunen“. Vgl. ebd. 581 Heutzutage obliegt dem Psychiater eine „ethische Einschätzung“ des Patienten allenfalls bei der Beurteilung eines an dissozialer (ICD- 10) oder antisozialer (DSM-IV) Persönlichkeitsstörung Erkrankten: „Mißachtung sozialer Normen und Regeln (bereits während der Kindheit Lügen, Schuleschwänzen, Weglaufen und Eigentumsdelikte) geringe Frustrationstoleranz mit Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten […]. Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein, emotionale Defizite, Haltschwäche [sic], Egoismus, fehlende Empathie. […] häufige Partnerwechsel“. Vgl. Payk (2003), S. 264. 582 „Bei der Lernbehinderung [IQ 70–84] handelt es sich nicht um eine Form der Intelligenzminderung“. Vgl. Hölscher/Schneider (2016), S. 535. 583 Meggendorfer (1944b), S. 203. 584 Ebd.

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sieht keineswegs schwachsinnig aus“.585 Hinsichtlich Bewusstsein, Auffassung, Gedankengang, Merkfähigkeit und Gedächtnis konnte Meggendorfer bei K. A. keine Störungen feststellen. Umso frappierender sei die Prüfung der Lesefähigkeit ausgefallen. „Den [Text las K. A.] mühsam buchstabierend wie ein Schüler der ersten Klasse: ‚In….d….e…m….dem…. g….a….r….gar….t….e….n….ten….‘, er war aber nicht imstande, die gelesenen Silben zu Worten ‚in dem Garten‘ zusammenzufügen“.586

Meggendorfer betonte, K. A. habe trotz längerem Nachdenken nicht angeben können, was er gelesen hatte. Waren ein- und zweistellige Zahlen für K. A. ganz gut bewerkstelligbar, so brachten ihn drei- und mehrstellige Zahlen in zunehmende Schwierigkeiten. „Größeren Zahlen stand er völlig ratlos gegenüber“.587 Was das Schreiben anbelangte, so schrieb er einen Text in zehn Minuten ordentlich ab, ohne jedoch in der Lage zu sein, das soeben Geschriebene zu lesen. Beim Diktat sowie beim Buchstabieren des eigenen Namens habe er „völlig versagt“:588 „Das ihm langsam vorbuchstabierte Wort ‚Erlangen‘ konnte [K.] A. nicht erkennen. Er meinte, es könne vielleicht ‚Georg‘ heißen. Auch die vorgesagten Silben ‚er–lan–gen‘ konnte er nicht richtig vereinigen; er meinte vielmehr, das könnte ‚Eltern‘ heißen“.589

Meggendorfer betonte Ausfälle in unterschiedlichen Bereichen der Schul- und Allgemeinkenntnisse.590 Letztere könnten nach Meggendorfer damit zu begründen sein, dass K. A. in der Schule nicht tiefergehend zum Lernen motiviert worden sei und später selbst infolge seiner Leseschwäche die eigenen Kenntnisse nicht grundlegend habe erweitern können. Als zweiten Fall von kongenitaler Wortblindheit schilderte Meggendorfer den Fall des M. M., geb. 12.7.1912, verheirateter Bohrer. M. M. war vom zuständigen Amtsarzt wegen angeborenen Schwachsinns erbgesundheitsgerichtlich gemeldet worden. Seine Mutter war bereits wegen angeborenen Schwachsinns zur Unfruchtbarmachung angezeigt worden. In diesem Kontext interessant zeigt sich das im folgenden abgebildete Dokument, welches Aufschluss darüber gibt, dass von Seiten der NS-Frauenschaft bei kinderreichen, psychisch ernst erkrankten Müttern neben der Entlassung aus der 585 586 587 588 589 590

Ebd. Ebd., S. 204. Ebd. Ebd. Ebd., S. 204–205. „[K.]A. nannte als große deutsche Ströme ‚Pegnitz, Ludwigskanal und Isar‘, er meinte, der Main komme aus dem Rhein und gehe in die Ostsee. Er konnte auch nicht angeben, an welchem Fluß Köln liegt. Er wusste nichts von [Otto von] Bismarck [1815–1898], Napoleon, Friedrich dem Großen. Seiner Meinung nach hat 1kg 100g, 1 Jahr 1000 Tage. Er gab an, der Führer wäre am 30.4.23 [Korrektes Datum wäre der 20.04.1889] geboren und habe die Macht im Jahre 1939 übernommen. Schwierigkeiten machte ihm auch die Aufgabe: Welche Zeit gibt die Uhr an, wenn man um 3 Uhr die beiden Zeiger vertauscht? Es stellte sich dabei heraus, dass er sich die Situation nicht vergegenwärtigen konnte. Unterschiedsfragen, Begriffsbestimmungen, Erklären von Sprichwörtern dagegen konnte [K.]A. meist richtig lösen“. Vgl. ebd. Zum Ludwigskanal siehe S. 324, Fn. 284.

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„NS-Frauenschaft“ auch ein Entzug des „Ehrenkreuzes der Deutschen Mutter“ angedacht war.591

Abb. 33: Anfrage der NS-Frauenschaft zum Schweregrad der psychischen Erkrankung eines Mitglieds zwecks Entlassung592 591 Siehe hierzu folg. Fn. 592. 592 Auf die abgebildete Anfrage erging seitens der Klinik am 23.10.1942 folgende Antwort an die „NSDAP, Gauleitung Franken, NS-Frauenschaft-Abt. Recht und Schlichtung“: „Auf die an die Heil- und Pflegeanstalt gerichtete Anfrage v. 19.10.42 teile ich mit, dass sich Frau N. wegen Schizophrenie in Behandlung der Klinik befindet. Nach einer Elektrokrampfkur geht es ihr bereits erheblich besser; sie wird voraussichtlich in absehbarer Zeit entlassen werden können“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 258/179. Vom 12.02.1943 liegt ein Schreiben des Hauptverwaltungsamtes Nürnberg an die HuPflA vor betreff: „Ehrenkreuz der deutschen Mutter“: „Frau N. G. hat am 19. Mai 1940 das Ehrenkreuz der deutschen Mutter Stufe III ausgehändigt erhalten. Durch die später erfolgte Geburt des 6. Kindes waren die Voraussetzungen zur Verleihung des Ehrenkreuzes der deutschen Mutter Stufe II gegeben. Inzwischen hat sich aber herausgestellt, dass Frau N. bis jetzt in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen untergebracht war. Ich bitte nun

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Auch einer der Brüder des kongenital wortblind erkrankten M. M. war wegen angeborenen Schwachsinns angezeigt worden. M. M. selbst nässte bis zu seinem vierten Lebensjahr ein, wiederholte die erste Schulklasse und kam von der zweiten Klasse an in die Hilfsschule. Gemäß der dortigen Schullisten zeigte er ein „verstocktes Wesen“,593 konnte dem Unterricht nicht aufmerksam folgen. Er habe oft gestört, häufig Schule geschwänzt, sei „arbeitsunlustig“594 gewesen; Ehr- und Schamgefühl oder eine normale Begriffs- und Urteilsfähigkeit fehlten. Von seinem circa sechsmonatigen Kriegseinsatz in Frankreich sei er wegen Nesselsucht und leichten Schwachsinns entlassen worden. Bereits zu Beginn der Exploration bei Meggendorfer berichtete M. M., sich von jeher im Schreiben, Lesen und Rechnen schwer getan zu haben. Druck- und Schreibschrift konnte M. M. in der durchgeführten Prüfung nur buchstabierend lesen. Einfache Rechenaufgaben sowie Multiplikationen und Divisionen löste er korrekt, kompliziertere Rechnungen überforderten ihn jedoch. „Das übrige Schul- und Allgemeinwissen [M.]Ms. war leidlich gut. Er wusste die Hauptstädte der großen Länder Europas, kannte große Flüsse und Gebirge Deutschlands, wusste über Hindenburg [1847–1934] und den Weltkrieg Bescheid. Er war über die Partei, ihre Gliederungen und die verschiedenen Taten des Führers unterrichtet“.595

Unterschiedsfragen sowie Sprichwörter habe er richtig beantwortet. Die Zusammenhänge sowie Einzelheiten der Binet-Simonschen596 Bilder habe er richtig erfasst. In dem Gutachten der Meggendorferschen Klinik wurden die Ausfälle des M. M. zusammenfassend als nur fraglich ausreichend angesehen, um angeborenen Schwachsinn im Sinne des Gesetzes sicher zu stellen. Das EGG lehnte infolge eine Unfruchtbarmachung ab mit der Begründung der Lebenstauglichkeit des M. M. Entgegen der Ansicht der EGGs bezüglich der „Lebenstauglichkeit“ verwies Meggendorfer darauf, dass auch „der isolierte, umschriebene Ausfall eine […] für

um Mitteilung, ob der Zustand der Kranken die Aushändigung des neuen Ehrenkreuzes der deutschen Mutter zulässt, oder ab Frau N. so erkrankt ist, dass ihr das im Mai 1940 verliehene Ehrenkreuz der Deutschen Mutter wieder entzogen werden müsste“. Vgl. ebd. Die Antwort der Klinik vom 14.1.1943 lautete: „Frau N. G. war […] in Behandlung der Klinik. Sie litt an Schizophrenie und wurde am 1ren Tage [sic] in gutem Zustande nach Hause entlassen. Vgl. ebd. 593 Meggendorfer (1944b), S. 205. 594 Ebd. 595 Ebd., S. 206. 596 „Binet-Simon-Test, eine historisch einflußreiche Reihe von zunächst 30 verbalen, perzeptiven und manipulativen Intelligenzaufgaben, die 1905 von A. Binet [1857–1911] und Th. Simon [1872–1961] im Auftrag des französischen Unterrichtsministeriums entwickelt wurden, um die Überweisung schwachbegabter Kinder in Sonderschulen zu regeln. Die Testreihe enthielt Jahresstaffeln für die Altersstufen zwei bis dreizehn, spätere Verfahren verwendeten zum Teil differenziertere Altersskalen und erweiterten den Altersbereich nach oben bis ins Erwachsenenalter. Die Summe aller lösbaren Aufgaben kennzeichnet der Entwicklungsstand auf einer Skala des Intelligenzalters (Intelligenz, Intelligenztest)“. Vgl. http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/binet-simon-test/2414. Stand vom 14.08.2017.

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das Leben des Betroffenen wie für die Allgemeinheit recht unangenehme, hemmende und auch störende Erscheinung darstellt“.597 Unter Verweis auf die zweite Auflage des Erläuterungsbuches zu Gütt-Rüdin-Ruttke betonte Meggendorfer, der angeborene Schwachsinn müsse nicht automatisch eine Störung der Gesamtpersönlichkeit nach sich ziehen. Der Gesichtspunkt der sogenannten Lebensbewährung598 dürfte laut Meggendorfer lediglich bei geringgradigen Mängeln den Ausschlag geben; nämlich bei der Grenzziehung zur Dummheit. Zudem sollte der Begriff der Lebensbewährung exakt definiert werden in Bezug auf Anforderungen an die Bewährung sowie deren Dauer. Meggendorfer schloss seinen Artikel zur kongenitalen Wortblindheit mit folgender Schlussphrase: „Wenn sich diese Forderungen auch in der jetzigen Kriegszeit nur unvollkommen verwirklichen lassen, so erscheinen sie doch in regulären Zeiten erforderlich, damit die Gesundung unseres Volkes dem großen Lebensziele Ernst Rüdins entsprechend auch durchgeführt werden kann“.599

Meggendorfer, der zu Beginn der nationalsozialistischen Regierungszeit noch die sorgfältige Arbeitsweise der EGGs betonte, hatte im weiteren Zeitverlauf feststellen müssen, dass auch Erbgesunde undifferenziert und wissenschaftlich unbegründet sterilisiert wurden. In seiner Funktion als Beratender Psychiater plädierte er im Januar 1944 für eine teilweise Aufhebung des grundsätzlichen Verbotes der Einziehung sterilisierter Erbkranker.600 „Dabei dachte er insbesondere an die ‚wegen Schwachsinn Sterilisierten‘, befänden sich unter ihnen doch ‚verhältnismäßig viele, die nicht wirklich schwachsinnig sind‘. So sei man ‚in der ersten Zeit nach Erlass des Sterilisationsgesetzes (…) [sic] etwas zu scharf vorgegangen. Man hat u. a. ganze Hilfsschulen sterilisiert, obwohl in manchen Städten nur 10 oder 20% der Hilfsschüler schwachsinnig sind; die übrigen kommen aus sozialer Indikation in die Hilfsschule‘“.601

Neben anderen „Psychiater[n] des Ersatzheeres […], machte[] [er] sich [daher] dafür stark, die ‚Wehruntauglichkeitsbestimmung‘ für Sterilisierte zu lockern“.602 Bezüglich der Lockerung der Wehr(un)tauglichkeitsbestimmungen schloss sich Meggendorfer einzelnen seiner Kollegen an, die den Spielraum hierfür „‚insbesondere bei den wegen Schwachsinns Sterilisierten [sahen]. Unter diesen befinden sich nämlich verhältnismäßig viele, die nicht wirklich schwachsinnig sind‘“.603

597 Meggendorfer (1944b), S. 206. 598 „Gesund ist auch der Mensch, dem trotz Leidensdrucks sein Leben gelingt (Selbstverwirklichung), der den Forderungen seines Wesens (Echtheit) und der Welt entsprechen und ihre Aufgaben bestehen kann (Adaptation und Coping), einer der sich im Leben bewährt“. Vgl. Scharfetter (2002) zit. n. Mundt/Gallinat (2010), S. 1. 599 Meggendorfer (1944b), S. 207. 600 Ders. Erfahrungsbericht vom 08.01.1944. In: BA-MA, RH 12–23/Nr. 671, zit. n. Rauh (2016b), S. 271. 601 Ebd. 602 Vgl. Meggendorfer. Erfahrungsbericht vom 08.01.1944 in BA-MA, RH 12-23, H 20/501b, zit. n. Berger (1998), S. 148. 603 Ebd. Zur „Problematik der Entlassungen aus dem Wehrdienst wegen mangelnder geistiger Tauglichkeit“ vgl. Dick (1980). Ferner sieher Dieckhöfer (1981).

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Vor dem Hintergrund der zunehmend aussichtslosen militärischen Lage604 Deutschlands warf Meggendorfer 1944 schließlich seine rassenhygienischen Maßstäbe bezüglich Erbtauglichkeit „über Bord“. Obwohl er unter rassenhygienischwissenschaftlichen Gesichtspunkten – unter Bezugnahme auf die Gütt-Rüdinsche Auslegung – nur zweifelhafte Erbtauglichkeit der kasuistisch dargestellten kongenital Wortblinden annehmen durfte, arrangierte er sich „nolens-volens“ mit der „in der jetzigen Kriegszeit nur [noch] unvollkommen[en]“605 wissenschaftlich fundiert durchführbaren Praxis der „erbgesund“-Attestierung im Sinne der Wehrtauglichkeitsbescheinigung. Zum Thema der kongenitalen Wortblindheit606 als Teilleistungsschwäche war bereits 1917 international publiziert worden.607 1994 wurde zum Thema Wortblindheit im Sinne lokalisationsdiagnostischer Aspekte bei Schlaganfall-Patienten „revisitiert“.608 Meggendorfer hatte sich 1944 eines im Schrifttum selten beachteten Syndroms angenommen, an welchem er den Kontrast zwischen Lebenstauglichkeitskriterium, kriegsbedingter Zwänge und wissenschaftlich-eugenischer Lehrmeinung bezüglich der Schwachsinnskriterien darstellte. Mit ihren repetitiven Formulierungen könnte die Veröffentlichung Meggendorfers im Jahr vor Kriegsende formal 604 Siehe weiterführend hierzu S. 383. 605 Meggendorfer (1944b), S. 207. 606 Interessant zeigt sich auch eine Kasuistik zur reinen Wortblindheit bei Hirntumor: „Bekanntlich ist das Syndrom der reinen Wortblindheit bei Hirngeschwülsten sehr selten. Es würde darum schon aus kasuistischem Interesse gerechtfertigt sein, einen Fall zu veröffentlichen, der als Hauptsymptom einer Hirngeschwulst die reine Wortblindheit dargeboten hat. […]. Franz Sch., zur Zeit der Beobachtung (Februar bis April 1937) 39 Jahre alt, Landwirt in einer Weingegend. Pat. selbst bemerkte seit mehreren Monaten, dass er vergesslich werde. Eines Tages (im Dezember 1936) nahm er einen Weinbaukalender zur Hand und bemerkte plötzlich, dass er nicht lesen könne; seitdem ist er nicht imstande, die Zeitung oder ein Buch zu lesen; hingegen war ihm die Fähigkeit, zu schreiben, in vollkommender Geläufigkeit geblieben“. Vgl. Hoff/Pötzl (1937), S. 385. 607 Vgl. Weber (1917). Auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhundert widmete man sich diesem Thema. Als Beispiele angeführt seien Hermann (1949), Walter (1954) und Benson et al. (1971). Aktuell zeigt sich der Terminus „Wortblindheit“ weitgehend nicht mehr in fachsprachlicher Verwendung. Angeführt sei hierzu aus einer aktuellen Publikation: „weltweit leiden etwa 3– 11% der Kinder und Jugendlichen unter einer Lese- und/oder Rechtschreibstörung (LRS). Die ICD-10 unterscheidet eine kombinierte Lese- und Rechtschreibstörung (Prävalenz um 8%) von einer isolierten Rechtschreibstörung (Prävalenz um 6%), die bisher nicht in der ICD-10 gelistet wird […]. Die Lesestörung ist gekennzeichnet durch viele Fehler beim leisen und lauten Wortlesen, durch eine deutlich herabgesetzte Lesegeschwindigkeit und ein deutlich beeinträchtigtes Leseverständnis. Dies zeigt sich in allen Schulfächern, in den Fremdsprachen oder auch beim Aufgabenverstehen in der Mathematik. Bei der Rechtschreibstörung bestehen mit Beginn des Schreibenlernens massive Schwierigkeiten, die Laut-Buchstaben-Beziehung sowie die orthografisch richtige Schreibweise von Wortbestandteilen und Wörtern zu lernen. Bei der kombinierten LRS treten die Symptome der Lese- und Rechtschreibstörung gemeinsam auf“. Vgl. Galuschka/Schulte-Körne (2016), S. 279. 608 Wobei betont wird: “A patient who developed pure alexia without agraphia following a stroke is described. An infarction of the left occipital pole was demonstrated by Magnetic Resonance Imaging (MRI). The literature on this rare syndrome is reviewed, and the localisation of damage in relation to the clinical findings discussed”. Vgl. Duffield et al. (1994), Abstract.

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dessen innere Zermürbung im Dilemma zwischen erbpsychiatrischen Idealen und NS-Rassenhygiene widerspiegeln. Inhaltlich trug Meggendorfer in dieser Veröffentlichung seine einstigen eugenischen Ziele „zu Grabe“. Die Publikation liest sich wie die offizielle „Niederlageerklärung“ des Meggendorferschen „Kampfes“ für die Durchsetzung erbgesundheitlicher Maßstäbe. Dass Meggendorfer für die Übermittlung dieser Botschaft ein wenig beachtetes Sujet auswählte, könnte symbolisieren, dass er kritisierende Rückmeldungen seitens der Fachdisziplin und Politik umgehen wollte. 3.3 BEZIEHUNG ZU JÜDISCHEN KOLLEGEN UND PATIENTEN 3.3.1 Aspekte zur „semitischen Rasse“ in Meggendorfers Schrifttum Gerade aufgrund von Meggendorfers Forschungsschwerpunkt der Rassenhygiene drängt sich die Frage auf nach einer eventuellen antisemitischen Involvierung609 der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen.610 1935 hatte Meggendorfer im Weygandtschen Lehrbuch der Nerven- und Geisteskrankheiten 609 Weiterführend hierzu auch Gershon/Müller-Hill (1986), Kümmel (1992), Halperin (2001), Strous (2010a) und Knittel (2015). 610 „In der Klinik machte ich den Anstaltsgeistlichen, auch dem jüdischen, nicht nur keinerlei Schwierigkeiten; ich suchte ihnen ihre Aufgaben in jeder Hinsicht zu erleichtern. Auch insofern bekundete ich meine Vorurteilslosigkeit als ich von den zahlreichen Werken jüdischer Autoren der Klinikbücherei nicht eines ausschaltete, obwohl dies gefordert war. Bei der Auswahl von Büchern für die Bibliothek und bei der Anführung von Verfassern in wissenschaftlichen Arbeiten umging ich die jüdischen Autoren nicht, wie dies ebenfalls gefordert wurde. Ja, ich händigte den Klinikärzten, die sexualpathologische Gutachten zu erstatten hatten, einen von Magnus Hirschfeld verfassten Fragebogen aus und empfahl ihnen, sich daran zu richten. 1943 zog ich mir eine Beschwerde beim damaligen Rektor, Prof. Wintz, zu, weil ich in einem Gerichtlichen Gutachten und vor Gericht (J. Wanger) Magnus Hirschfeld zitiert hatte. Ich glaube, dass die genannten Tatsachen, die sich leicht noch vermehren ließen, meine Einstellungen genügend klarstellen“. Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76. Zu Magnus Hirschfeld siehe S. 398, Fn. 631 und S. 400–401. Unter Bezugnahme auf diese Aussage Meggendorfers vor der Spruchkammer erfolgte am 26.09.2013 eine Anfrage bei Herrn Christof P. A. Eberstadt, Beauftragter der Jüdischen Kultusgemeinde Erlangen für die alte Jüdische Gemeinde, „wie lange ein jüdischer Anstaltsgeistlicher zur Zeit des Nationalsozialismus seelsorgerisch an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen tätig werden konnte“. Vgl. persönliche Korrespondenz mit Eberstadt, C., 26.09.2013. Herr Eberstadt verwies in seiner Antwort vom 01.10.2013 auf das Werk von Christina Zirbs, wo sich folgende Informationen zu Justin Fraenkel (1896–1984) finden lassen: „Als Kantor der israelitischen Kultusgemeinde Erlangen kümmerte er sich durch monatliche Besuche um die Seelsorge der jüdischen Insassen der HuPflA“. Vgl. maschinenschriftliche Abschrift eines Fragebogens für die Seelsorge und Fürsorge in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen 33, Nr. 3.21, zit. n. Zirbs (2007), S. 7. „Vielmehr wird in der Hupfla [sic] (so nennt sich im Erlanger Sprachgebrauch diese Institution) aber nach seiner Verhaftung 1937 und Emigration im Juli 1938 auch nicht stattgefunden haben! Aber das vermute ich nur“. Vgl. persönliche Korrespondenz mit Eberstadt, C., 01.10.2013. Zu Fraenkel siehe ferner: “Justin Fraenkel was born in 1896. He served in the German army during WW I, and he was a teacher at a high school for girls until he was fired as being Jewish in 1936.

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„[d]as fremde Rassenelement […] bei den Geistesstörungen der Juden in Deutschland [...] [darin gesehen], dass sie ‚atypisch‘ erscheinen. Bei jüdischen Schizophrenen ist der Autismus weniger ausgesprochen, es verbleibt eine gewisse Ansprechbarkeit; doch herrscht Unruhe, Unzufriedenheit, Neigung zum Hetzen und Querulieren vor; eine gewisse Neigung zur Selbstreflexion und Selbstverspottung, aber wenig ausgeprägte paranoide Ideen. Bei Zyklischen besteht oft lebhafte Übererregbarkeit, intensiver Rededrang mit Neigung zu Wortwitzen, die auch bei geistesgesunden Juden auffällt; doch wenig Hemmung in der depressiven Phase. Bemerkenswert ist die reizbare Stimmung und reaktive Labilität, auch bei den vielen Hysterieformen“.611

Im Kontext seines Sucht-Forschungsschwerpunktes bemerkte Meggendorfer, die Juden seien, obwohl sie – auch gemäß der Feststellungen jüdischer Beobachter, – die verschiedenartigsten geistigen und nervösen Störungen sowie psychopathischen Verfassungen ziemlich häufig entwickelten, nur selten Trinker.612 Das seltene VorFraenkel was arrested from April to November 1937, and he succeeded to organize his emigration to the U. S. in July 1938. He settled in Cincinnati, Ohio, where he died in 1984”. Vgl. Zirbs (2007), Abstract. 611 Meggendorfer (1935a), S. 12. Als Referenz verwies Meggendorfer auf Burkhardt (1931). In seiner Studie über endogene Psychosen bei Juden hatte Hans Burkhardt, geb. 1904, als Mitarbeiter an der Weygandtschen Klinik zusammengefasst, „[d]er charakteristische Zug der jüdischen Psychosen ist jener Einschlag von reaktiver Labilität, der weder in das syntone noch in das autistische Register passt, und den wir mit den Worten Unruhe und Unzufriedenheit gekennzeichnet haben“. Vgl. Burkhardt (1931), S. 766. In diesem Kontext sei verwiesen auf die Internetseite zu Hans Burkhardt, die ihn als „Denker des Selbstseins“ präsentiert. In seinem Lebenslauf verzeichnet ist „Von 1929 bis 1932: Psychiatrisches Landeskrankenhaus und Universitätsklinik Hamburg-Friedrichsberg“. Vgl. https://hansburkhardt.wordpress.com/vita/ Stand vom 11.07.2016. Die Angabe seiner Publikation aus dem Jahr 1931 erfolgt auf der im Internet angegebenen Publikationsliste nicht. Zu „Kultur, Religion und Rasse im psychiatrischen Diskurs um 1900“ siehe Roelcke (2003). 612 Die Auffassung von der geringen Anfälligkeit von Juden gegenüber der Alkoholkrankheit bildete Gegenstand internationaler Forschung: “The most striking feature […] is the extremely low first-admission rate for Jews. It has been pointed out by many investigators here as well as abroad that alcoholic mental disorders and alcoholic diseases in general, as well as any manifestations of inebriety, are rare among Jews and that Jewish race is particularly free of inebriety. The important cultural features of Jewish society which develop moderation in the use of alcoholic beverages are disussed at lenght in Chapter V”. Vgl. Haggard/Jellinek (1943), S. 252. “The most quoted instance of cultural influence on the prevalence of inebriety is that of the Jews. Inebriety among them is a rare occurence, although they are by no means abstainers. No religious motive can be found in this behavior. There are even indications that in ancient Judea inebriety was frequent. Many surmises have been made about the absence of inebriety among present-day Jews. The most reasonable of these explanations seems to be the one given by the German philosopher Kant, who thought that the Jews, forming isolated groups within other nations and beeing exposed to constant censure, must avoid, in the interest of their racial welfare, anything that would make them conspicious. Their temperate use of alcohol is an unconscious defense against the censure of their race. Changing attitudes of society have often brought about great changes in inebriate habits. Thus in Germany the drinking of huge quantities of beer was once regarded as an expression of manliness, and consequently it was a matter of honor among students to strain themselves to exhibit their capacities. The ideal manliness has changed a great deal in present-day Germany, and with it has vanished the excessive drinking by studens”. Vgl. ebd., S. 169. Weiterführend zu Immanuel Kants (1724–1804) Position zur psychischen Gesundheit: „Außerdem hat er den Fragen, die sich auf die Erhaltung und

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kommen der Alkoholkrankheit bei Juden kontrastierte Meggendorfer mit der Tatsache, dass in dem früheren polnischen Staate der Alkoholhandel und insbesondere der Schnapsausschank fast ausschließlich in jüdischen Händen lagen, wobei die polnischen Juden weder alkoholenthaltsam, noch besonders alkoholintolerant gewesen seien.613 Zur Erklärung des moderaten Trinkverhaltens bei Juden verwiesen Haggard und Jellinek mitunter auf Kants Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.614 Während Juden – gemäß der internationalen Beobachtungslage – 615 nur selten alkoholkrank wurden, „ist der Morphinismus unter den Juden, besonders den jüdischen Ärzten, keineswegs selten“.616 Als Erklärung für die „innere Verschiedenheit des Alkoholismus und des Morphinismus“617 erwog Meggendorfer rassenbiologische Unterschiede im Kontext von Selektion: „Vielleicht darf man dieses unterschiedliche Verhalten auf die Wirkung jahrhunderte- und jahrtausendealter Auslesevorgänge in Weinbauländern beziehen“.618 Meggendorfer wies darauf hin, man treffe in den Familien der Morphinisten die verschiedensten Psychopathen. Besonders häufig fänden sich unter den „Blutsverwandten“ wieder „Giftsüchte“. Meggendorfer bezog sich auf seinen Münchener Ordinariatskollegen Oswald Bumke, der in den Morphinisten „meist von Haus aus hysterische, nervöse, psycho-

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Wiederherstellung der Gesundheit beziehen, ein durch seine eigene etwas schwache Konstitution noch verstärktes Interesse zugewandt. In seiner Schrift ‚der Macht des Gemüts, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister zu sein‘ berichtet er über seine an sich selbst gemachten Erfahrungen, die er als naturheilkundliche Reflexionen der medizinischen Wissenschaft an die Seite und auch entgegenstellt. Er hat diese Abhandlung 1798 seiner letzten eigenen Buchveröffentlichung ‚Der Streit der Facultäten‘ als dritten Abschnitt unter der Überschrift ‚Der Streit der philosophischen Facultät mit der medicinischen‘ eingefügt“.Vgl. Schulz (2005), S. 17. Siehe ferner Kant (1919). Vgl. Meggendorfer (1939h), S. 298. Vgl. Haggard/Jellinek (1943), S. 169. Siehe ferner Kant (1798). “Medico-scientific researchers identified a group of alcoholics who not only had biological defects but, what is more, were morally inferior because of these defects. In line with this, the term ʻpsychische minderwaardigheidʼ (mental inferiority) was used without hesitation by Dutch physicians in their publications about those with a disposition to abuse. This disposition could express itself in alcohol abuse or, depending on hereditary constitutions, in other substance abuse. For instance, it was stated that Jews rarely became alcoholics but were constitutionally more inclined to morphinism […]. In 1943 Frets discussed the latest research findings in another literature review. German research had demonstrated that in certain families a disposition to alcoholism and delirium tremens went hand in hand with a disposition to somatic psychoses. Clearly, there existed a biological substratum that was predisposed to alcoholism, mental retardation, asocial behavior, and other mental disorders. Race and gender (women were particularly vulnerable) played their role in shaping the predisposition […]. But it was a predisposition, not a predetermination: everybody agreed that environmental factors played their part”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 137–139. Meggendorfer (1939h), S. 320. Ebd. Ders. (1940b), S. 303.

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pathische, besonders haltlose Menschen, vielfach große Egoisten, nicht selten arrogante Besserwisser“619 sah. Meggendorfer ergänzte Bumkes Ansicht um die Aussage, die Morphinisten seien „wohl kompliziertere, empfindsamere, deutlicher krankhaft anmutende Persönlichkeiten als die Alkoholiker“.620 Meggendorfer begrüßte zwar die Aufnahme des Morphiums in das Betäubungsmittelgesetz im Rahmen des Reichsopiumgesetzes, anders als beim schweren Alkoholismus setzte er sich beim schweren Morphinismus jedoch nicht für die Durchführung des GzVeN ein.

Abb. 34: Eingangsbestätigung über Suchtmittelverordnung bei der „Zentralmeldestellte für Suchtgiftbekämpfung (Suchtgiftmeldestelle) bei der Ärztekammer Bayern621

Gunnar Dahlberg als Direktor des Staatlichen Rassenbiologischen Instituts in Uppsala bezeichnete in seinem 1940 erschienenem Werk „Vererbung und Rasse“622 die Judenfrage als sehr kompliziert; wegen „der empörenden Zustände in gewissen

619 Bumke, zit. n. ders. (1939g), S. 1071. 620 Ebd. 621 Am 15.02.1945 lag F. M. „den ganzen Tag im Bett, ist verstimmt, gehemmt, verhält sich ruhig. Erhält Calcibromat, da kein Opium vorhanden“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 132/36; 93/19. 622 Dahlberg (1947). Die deutschsprachige Übersetzung erfolgte erst sieben Jahre nach Herausgabe.

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Teilen der Welt und der allgemein verbreiteten Vorurteile623 gegen die Juden“624 habe er es für notwendig erachtet „ausführlich und mit einer gewissen Schärfe einige Tatsachen und Verhältnisse aufzuzeigen, denen wegen ihrer Selbstverständlichkeit in einer normalen Zeit nicht viele Worte hätten gewidmet werden brauchen“.625

Zusammenfassend betonte Dahlberg das Fehlen wissenschaftlich haltbarer Beweise für die propagierte Minderwertigkeit der Juden gegenüber anderen Völkern. Insbesondere wies Dahlberg deren behauptete „besondere psychische Eigenart“626 bezüglich der erblich bedingten Eigenschaften zurück. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus sei die angewandte antisemitische Beweisführung nicht zulässig. Im individuellen Falle, so Dahlberg ließe sich „keine Schlussfolgerung ziehen aus der Tatsache, dass ein Mensch Jude oder Arier ist. Er kann gescheit sein oder dumm. Ehrenhaft oder unehrenhaft, angriffsfreudig oder ausweichend. Darum gibt es nichts, das dazu berechtigt, die Juden über einen Kamm zu scheren627 und sie des Rechts zu berauben, unter denselben Bedingungen wie wir für ihren Unterhalt zu arbeiten. Es

623 Weiterführend zur Tradition der „allgemeinen Vorurteile“ zeigt sich auch der „grand opera“Stoff zu „La Juive“ von Jaques Fromental Halévy, Libretto Eugène Scribe, uraufgeführt 1835, Spielort Konstanz im Jahr 1414. Der Vater des Komponisten, Élie Halévy, war ein gebürtiger Fürther Jude, der später nach Frankreich emigrierte. „Jacques Fromental Halévys ‚Die Jüdin‘ ist eine der erfolgreichsten Opern des 19. Jahrhunderts, die seit einigen Jahren ihre Renaissance erlebt. Im mittelalterlichen Konstanz liebt die Jüdin Rachel den jungen Mann Samuel. Sie weiß nicht, dass dieser in Wahrheit der christliche Reichsfürst Léopold und bereits verheiratet ist. Nur ihr Vater, der Goldschmied Éléazar, weiß, dass Rachel keine Jüdin, sondern die Tochter des mächtigen Kardinals Brogni ist, der die Söhne Éléazars einst als Ketzer hatte hinrichten lassen. Rachels verbotene Liebe wird entdeckt, und beiden Liebenden droht die Hinrichtung. Éléazar steht vor einer schwierigen Entscheidung: Soll er die Identität seiner Ziehtochter aufdecken, um sie zu retten, oder opfert er sie für die Rache an seinem Erzfeind Brogni? Der Komponist Halévy, dessen Vater aus Fürth nach Frankreich ausgewandert war, kannte die Geschichte jüdischer Unterdrückung in einer christlichen Gesellschaft aus eigener Erfahrung und hat mit der Figur des Éléazar einen zutiefst zwiespältigen Helden geschaffen“. Vgl. http://www.staatstheater-nuernberg.de/index.php?page=oper, veranstaltung ,die_juedin__la_juive, 95147. Stand vom 28.02.2016. Interessant auch das Symposium hierzu vom 28.02.2015 mit unter anderem folgenden Vortragstiteln: „Imaginierte Vergangenheiten. Halévys ‚Die Jüdin‘ zwischen Mittelalter und Restauration“/Prof. Dr. Anselm Schubert; Erlangen; „Jüdisches und Christliches in Halévys ‚La Juive‘, ‚La Magicienne‘ und ‚Noé‘“/Dr. Karl Leich-Galland; Montpellier. Vgl. ebd., veranstaltung ,zwischen_pessach_und_ te_deum, 99053-. Stand vom 28.02.2016. 624 Dahlberg (1947), S. 158. 625 Ebd. 626 Ebd. 627 Empfehlenswert hierzu auch Gotthold Ephraim Lessings (1729–1781) Werk „Die Juden“: „Eine Sensation und 1749 zugleich Anlaß für finstere Religionswächter: Zum ersten Mal in der Geschichte des Theaters betritt die Figur eines positiv gezeichneten Juden die Bretter des Welttheaters“. Vgl. Theaterprogramm des Markgrafentheater Erlangen zu dem Gastspiel des Berliner Ensembles vom 08.03.2016 in der Inszenierung von George Tabori (1914–2007).

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gibt natürlich keinerlei Gründe, weswegen man sie verfolgen, aushungern, plagen und schlechter als Tiere behandeln solle“.628

3.3.2 Kooperation mit und Zitation von jüdischen Kollegen Meggendorfers Spruchkammer-Ausführung, er habe nach wie vor Beziehungen zu jüdischen Kollegen gepflegt, soll im Folgenden geprüft werden. Mit dem Mitentdecker der Creutzfeldt-Jakob Krankheit, Alfons Maria Jakob, Sohn jüdischer Eltern, verband Meggendorfer eine fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit,629 nach dessen frühem Tod publizierte Meggendorfer einen Nachruf auf ihn.630 Mit

628 Dahlberg (1947), S. 158. 629 Vgl. Meggendorfer/Jakob (1921): „Geistesstörungen bei Lepra sind bisher wiederholt beschrieben worden. Meist allerdings handelte es sich dabei um Feststellung einer gewissen psychopathischen Abweichung des seelischen Dauerzustandes […]. Es soll sich dabei, namentlich bei europäischen Kranken, um ängstliche Verstimmungszustände bei traurigen, sich einsam und verlassen fühlenden Menschen handeln. Bei Orientalen dagegen soll eine heitere Stimmung vorherrschen“.Vgl. ebd., S. 367. „Der Kranke M. V. stammte aus Columbien. Herrn Prof. Dr. Unna verdanken wir folgende Vorgeschichte: […] Als er 10 Jahre alt war, wurde in Columbien bei ihm die Diagnose ,Lepra‘ gestellt; […]. Im Jahre 1910, mit 16 Jahren, trat der Kranke in die Unnasche Klinik in Hamburg ein. […]. Anfang März 1919 wurde dem Kranken mitgeteilt, dass er jetzt vielleicht in seine Heimat zurückkehren könne. Diese Nachricht soll ihn sehr aufgeregt haben, es entwickelte sich akut ein eigentümlicher Erregungszustand mit großer motorischer Unruhe, mit Rededrang und Nahrungsverweigerung. Der Kranke konnte deshalb in der Hautklinik nicht länger behandelt werden und musste in die Anstalt Friedrichsberg verlegt werden“. Vgl. ebd., S. 369–370. Zu Paul Gerson Unna (1850–1929) siehe Stumm (1990). „Wie ist nun das psychische Krankheitsbild aufzufassen? Rein klinisch haben wir es hier mit einem katatonischen Zustandsbild zu tun, das, wie die psychiatrische Erfahrung lehrt, nicht nur bei der großen Gruppe der Dementia praecox oder Schizophrenie zu beobachten ist, sondern auch eine plausible Reaktionsweise bei verschiedenen exogenen Schädigungen des Gehirns darstellt. […]. So muss auch in unserem Falle vom klinischen Standpunkte aus zunächst die Frage offen bleiben, ob wir es hier mit einem zufälligen Auftreten einer Dementia-praecox-Erkrankung bei einer schweren Lepra zu tun haben oder mit einer symptomatischen Psychose, wobei die Lepra selbst und ihre Gifte oder toxische Schädigungen infolge der eingreifenden Behandlung pathogenetisch anzuschuldigen wären“. Vgl. Meggendorfer/Jakob (1921) S. 384. 630 Vgl. Meggendorfer (1932a). „1909 wurde er Assistent bei Kraepelin in München. Mit Feuereifer widmete er sich hier neben der klinischen Arbeit der anatomischen Forschung unter Alzheimers Leitung. Unermüdlich, von früh bis spät war er im Laboratorium tätig; […]1912 übersiedelte Jakob nach Hamburg an die damals unter Weygandt in wissenschaftlichem Leben aufbühende Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Auch hier versah er eine klinische Station, daneben aber unterstützte er den Prosektor Dr. Kaes und vertrat ihn während seiner Ende 1931 zum Tode führenden Erkrankung. So bedeutend war damals schon das wissenschaftliche Ansehen Jakobs, dass er 1914, erst 30-jährig, zum Prosektor ernannt wurde. […]. Bei der Gründung der Hamburgischen Universität 1919 habilitierte sich Jakob als einer der ersten; 1924 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. […]. Es war überhaupt die Stärke Jakobs, dass er bei aller Spezialisierung nie die engen Beziehungen der Hirnanatomie zur Hirnphysiologie, zur Serologie und Liquorforschung und insbesondere zur Klinik vergaß und stets auf sie einging“. Vgl. ebd., S. 408.

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Viktor Kafka teilte Meggendorfer nicht nur seine Affinität für serologische Untersuchungen, sondern auch das Interesse an sexualpathologischen631 Erscheinungen.632 Kafka wurde als österreichischer Neuropsychologe und Bakteriologe jüdischen Ursprungs ab 1917 Mitglied im Vorstand der Serologischen Abteilung in

631 „[…] von Krafft-Ebing (1840–1902) […] gilt mit der Publikation ‚Psychopathia sexualis‘ (1886) als Begründer der Sexualpathologie. Aber er betrachtet auch ‚natürliche‘ – also vorgegebene und unabänderliche – Homosexualität als bedeutsame Variante der Homosexualität und unterzeichnete in diesem Sinne auch die […] Petition für eine Streichung des § 175“. Vgl. Voß (2013), S. 16. Siehe ferner Krafft-Ebing (1886). „Psychiater wie Richard von Krafft-Ebing und später Albert Moll [1862–1939] oder Magnus Hirschfeld, der Begründer der eben erst entstehenden Sexualwissenschaft, berieten ihre verstörte Klientel und schrieben gerichtsmedizinische Gutachten, wenn es zu juristischen Auseinandersetzungen kam. Besonders Hirschfeld stritt um Milde und Straffreiheit gegenüber denen, die er als ‚drittes Geschlecht‘ bezeichnete und nach Grad der ‚sexuellen Zwischenstufen‘ in seinen Publikationen sortierte. Er gründete schon 1897 das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, das für die Rechte ‚homosexuell Veranlagter‘ stritt“. Vgl. Nieden (2012), S. 25. „Sexuelle Handlungen unter Männern waren in der DDR bis 1968 strafbar, in der Bundesrepublik bis 1969. Ganz abgeschafft wurde der Paragraf 175 erst 1994“. Vgl. Anonymus. Paragraf 175: Verurteilte Homosexuelle sollen Entschädigung erhalten. ZEIT online, 21.10.2016 in: http:// www. zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/201610/paragraf-175-bundesjustizministerium-homosexuelle-entschaedigung. Stand vom 29.03.2017. „Homosexuelle Männer, die nach dem Paragrafen 175 verurteilt worden sind, sollen eine Ausgleichszahlung bekommen. Bestehen soll sie aus pauschal 3.000 Euro sowie 1.500 Euro je angefangenem Jahr einer Inhaftierung. Das sieht ein Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums vor. Das Ministerium rechnet mit bis zu 5.000 Betroffenen und einer Summe von 30 Millionen Euro. Beansprucht werden können die Entschädigungen laut dem Ministerium binnen fünf Jahren. Der Entwurf soll nun [2016/2017] innerhalb der Bundesregierung abgestimmt werden“. Vgl. ebd. 632 „Vor Jahren hatte ich die Gelegenheit, einen Mann, der wegen Anstiftung zum Meineid und Beihilfe zum Meineid angeklagt war, zu beobachten. Im Laufe der Untersuchung ergab sich eine sehr auffallende Vorgeschichte bezüglich des sexuellen Verhaltens, über die im folgenden kurz berichtet werden soll. […]. Schon zu Beginn der Praktiken hatte XY der AB ein unbedingtes Gehorsamsgelübde abgenommen und sie auf strengste Verschwiegenheit vereidigt. […]. Das Beschämungsopfer bestand darin, dass sie beide sich völlig entkleiden mussten, das Schmerzopfer in der gegenseitigen Zufügung von Schmerzen, wie Geißelung mit Ruten, später mit einem ‚Geißel‘ genannten Instrument, Fesselung, dabei Verbinden der Augen, Anlegen eines Bußgürtels mit spitzigen Stacheln, Hautschnitten mit einem scharfen Taschenmesser usw. XY gebrauchte dabei der AB gegenüber immer wieder den Ausdruck ‚dein Sklave‘. Dabei wurden ihm auch Schnüre um die Genitalien gebunden und die AB musste daran zerren. Es kam bei den Manipulationen zur Erektion und Ejakulation […]. Er führte ihr kantige Hölzer in die Vulva und in die Vagina ein, so dass sogar Blutungen aufgetreten sein sollen […]. Das Inszenesetzen der Praktiken nach einem bestimmten, schriftlich festgelegten Programm, die Entgegennahme von Befehlen, das Sichanherrschenlassen, die Selbstbezeichnung ‚dein Sklave‘, alles ist so, wie wir es von und über Masochisten zu hören gewohnt sind. Beachtlich erscheint vor allem auch der Umstand, dass gerade bei der Zufügung der Schmerzen, und anscheinend nur dann, der sexuelle Paroxysmus herbeigeführt wurde. XY gehörte zu den Fällen, bei denen die beiden gewissermaßen entgegengesetzten Sexualtendenzen nebeneinander vorkommen. Er war gleichzeitig Sadist und Masochist, bei ihm war aber das Sexualziel nur durch Demütigung und Schmerzleiden zu verzeichnen. Beide entgegengesetzten Sexualtendenzen gehören offenbar zusammen; sie stellen eine Perversion dar, die nach [Albert von] Schrenck-

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Hamburg-Friedrichsberg. 1920 erfolgte seine Berufung zum Abteilungsdirektor des dortigen Bakteriologisch-Serologischen Institutes. 1939 ging Kafka ins Exil nach Norwegen, schließlich 1942 nach Schweden. Meggendorfer widmete seine Veröffentlichung zu einem Fall von Algolagnie633 Viktor Kafka zu seinem 70. Geburtstag. In seiner Geburtstagsgabe zitierte Meggendorfer 1951 aus Kafkas Werk „Sexualpathologie“ von 1932: Ärztliche Kompetenz in diesem Spezialgebiet werde zukünftig „die sexualpathologischen Störungen genau wie andere Krankheiten“634 erkennen und beurteilen lassen, so „dass sie also ihre auch heute noch bestehende Ausnahmestellung verlieren und alles Mystischen und Sensationellen entkleidet werden“.635 Diese Aussage reihte Meggendorfer in den Kontext der angestrebten wirksamen Prophylaxe, wodurch „ein sehr bedeutungsvoller Fortschritt menschlicher Kultur erzielt werden“636 könne. Um seine „semitische“ „Vorurteilslosigkeit“637 zu belegen, schrieb Meggendorfer in seinen Unterlagen für die Spruchkammer, er habe trotz politischer Anordnung keines der zahlreichen Werke jüdischer Autoren aus der Klinikbücherei „ausschalten“ lassen.638 Meggendorfers Aussage, er habe – entgegen der offiziellen Forderung – jüdische Autoren von der Zitation in wissenschaftlichen Arbeiten nicht

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Notzing [1862–1929] und [Albert] Eulenburg [1840–1917] am besten als ‚Algolagnie‘ bezeichnet wird“. Vgl. Meggendorfer, F. (1951), S. 393–394. Siehe weiterführend auch SchrenckNotzing (1892) und (1895). Ferner sei verwiesen auf Eulenburg (1902). Siehe hierzu vorg. Fn. 632. Zum Begriff „Algolagnie“: griech.: algos: Schmerz; lagneia: Wollust. Terminus aktuell weitgehend abgelöst durch den Begriff Sadomasochismus. Im Gegensatz zur Homosexualität ist der Sadomasochismus weiterhin eine ICD-Diagnose. Vgl. Payk (2003), S. 285. „Damit stehen wir bei der Perversion des Sado-Masochismus, der Algolagnie, welchen Namen Eulenburg zuerst gebraucht haben soll. Man sagt gern, das erste sei die Karikatur der männlichen Aktivität und das zweite der weiblichen Passivität, und für eine rasche Kennzeichnung trifft dies zu“. Vgl. Wyrsch (1961), S. 365. Meggendorfer, F. (1951), S. 394. Kafka (1932), zit. n. ebd. Ebd. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. „Das einzige Mal[,] dass Ida [Meggendorfer], damals 12 Jahre alt, ihren Vater völlig aufgelöst nach Hause kommen sah, [da] erzählte er von der Zerstörung von jüdischen Geschäften, Häuser wurden in Brand gesteckt. Die Feuerwehr schritt nicht ein. Es gab keine Festnahmen […] und es wurden keine Verantwortlichen dingfest gemacht. Vati hatte ein Radiogerät, das ganz oben in einem Schrank eingesperrt war, der Schlüssel war versteckt. Er erlaubte uns nie[,] Radio zu hören, vermutlich hörte er auch Auslandssender […]. Eine frühe Erinnerung von Tante Ida ist die an den 9. November 193[8], die Reichspogromnacht. Vati[,] der sonst immer mit Arbeit beschäftigt war[,] [war] an diesem Tag in die Stadt gegangen. Wahrscheinlich hatte er von dem[,] was sich an diesem Tag ereignen sollte vorher im Radio gehört. Zitternd und völlig aufgelöst war er dann nach Hause gekommen“. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. Weiterführend zum „Kulturraub“ jüdischen Eigentums in Folge der Pogrome: „Große Teile der wertvollen Kunstsammlung [von Alfred Pringsheim (1850–1941)] – Gemälde, Silber, Bronzen, Uhren – wurden im November 1938 konfisziert. Nicht nur die Pringsheims waren von diesem Beutezug betroffen. Wie viele Leidtragende es in München tatsächlich gab, ist erst bekannt, seit 2007 im Keller des Stadtmuseums eine historische Akte auftauchte, die den perfiden Kunstraub genau dokumentiert. In den Monaten nach den Novemberpogromen von 1938 beschlagnahmte die Gestapo in 70 jüdischen Haushalten rund 2200

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ausgeschlossen,639 kann teils bestätigt werden. Wenn Meggendorfer 1940 die psychopathologischen Erscheinungen im Rahmen des „Alkoholwahnsinns“ mit Zuständen im Kontext einer „Luespsychose“ verglich, so bezog er sich auf den Juden Felix Plaut,640 der 1935 durch die Nationalsozialisten vom Dienst suspendiert worden war. Trotz kritischer Bezugnahme auf die wissenschaftlichen Ansichten des Juden Magnus Hirschfelds in Bezug auf Homosexualität641 hatte Meggendorfer im Kunstgegenstände. 2015 initiierten das Jüdische Museum, das Lenbachhaus und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ein Forschungsprojekt, das Ende November [2016] mit der Vorstellung des Buches ‚Raub von Kulturgut‘ seinen Abschluss findet“. Vgl. González (2016), S. 81–83. Siehe ferner https://www5.in.tum.de/lehre/seminare/math_nszeit/SS03/ vortraege/ muench/pringsheim_ vermoegen.htm. Stand vom 25.08.2017 sowie Voss (2013). Weiterführend auch Schleusener (2016). Zur „Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen“ vgl. Meinl/Zwilling (2004). 639 Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. 640 Meggendorfer (1940b), S. 347. „Nach dem Tod von Kraepelin (1926) bildete Plaut zusammen mit W. Spielmeyer (1879–1935) das Direktorium der Forschungsanstalt; Spielmeyer fungierte als Geschäftsführender Direktor. Diese Funktion übernahm 1931 der – nach einer dreijährigen Tätigkeit als Direktor der Baseler Psychiatrischen Universitätsklinik – 1928 nach München zurückgekehrte E. Rüdin. Da Plaut Jude war, wurden ihm nach 1933 zunehmend Schwierigkeiten bereitet. 1933 konnte Max Plank noch durch persönlichen Einsatz verhindern, dass Plaut aus dem Staatsdienst entlassen wurde. Im Oktober 1935 erhielt Plaut von Rüdin das endgültige Entlassungsschreiben. Plaut emigrierte nach England. In Epson konnte er – unterstützt von der Rockefeller-Foundation – seine Arbeiten über Malaria-Therapie der progressiven Paralyse fortsetzen. Die erzwungene Emigration und den Verlust seiner prominenten Position an der deutschen Forschungsanstalt konnte er jedoch nicht verwinden. Als ihm – dem deutschen Emigranten – nach Ausbruch des 2. Weltkriegs in England die Internierung in einem Lager drohte, setzte er seinem Leben im Juni 1940 durch Suizid ein Ende“. Vgl. Hippius (2003), S. 14. Zu personellen „NS-Säuberungen“ der Max-Planck-Gesellschaft vgl. Beyler (2004). 641 Weiterführend auch Sommer (1998) sowie Grau/Schoppmann (2004). Auch Abderhalden polemisierte gegen die Initiativen des 1933 von den Nationalsozialisten vertriebenen Hirschfeld. Vgl. Frewer (2000), S. 83. „Mit dazu beigetragen hat sicherlich die Inakzeptanz der Homosexualität; Abderhalden und der Kreis seiner Mitstreiter waren hier konservativ ausgerichtet und durch ‚allgemein-sittliche‘ nicht zuletzt auch bevölkerungspolitische Erwägungen deutlich gegen derartige ‚unnatürliche‘ und ,liberalistische‘ Bewegungen eingestellt“. Vgl. ebd., S. 83 – 84. „In seiner Methodenkritik an Magnus Hirschfeld, der die Angeborenheit der Homosexualität hatte nachweisen wollen, hatte z. B. Ernst Rüdin bemängelt, dass Hirschfeld sich auf die Aussagen Betroffener stütze, die wenig verlässlich seien“. Vgl. Nieden (2005), S. 23. Siehe ferner Rüdin (1904b): „Dem kühnen Flug der Übertragung dieser Durchschnittsziffern auf die Gesamtbevölkerung, d. h. auf alle Altersklassen, auf beide Geschlechter, auf Stadt und Land, auf Norden und Süden, auf die unteren und oberen Volksschichten, auf Kultur- und Naturvölker und auf die verschiedenen Rassen, vermögen wir aber nicht zu folgen. Denn gerade den ‚weitgereisten Gewährsmännern‘, von denen der Autor spricht, mißtrauen wir auf diesem heiklen Gebiet, wie wir andernorts schon betont haben, gründlich und halten sie nicht für fähig, zu unterscheiden, was angeboren und was erworben, was mit rein käuflicher Liebe, was mit Surrogat-Masturbation, was mit Neigung usw. usw. zu tun hat. Die ‚weit gereisten Gewährsmänner‘ passen also gewiß nicht in den Rahmen obiger mehr oder weniger exakter statistischer Untersuchungen“. Vgl ebd., S. 761. Siehe ferner Hirschfeld (1904). In Rüdins Buchrezension findet sich „8“ anstelle von „9“. Das Buch von Hirschfeld erschien im selben Jahr wie die Rüdinsche Rezension hierzu: 1904, nicht 1804. Vgl. Rüdin (1904b).

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Literaturverzeichnis seiner Veröffentlichung „Über die Behandlung der Sexualverbrecher“642 1933 keine Referenz zu Hirschfeld aufgeführt. Ob Meggendorfer tatsächlich – wie er es in seiner Spruchkammer-Rechtfertigung angab – seinen Mitarbeitern einen Fragebogen von Magnus Hirschfeld zur sexualpathologischen Begutachtung empfahl, kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. Da Meggendorfer aber öffentlich die wissenschaftliche Sichtweise Hirschfelds widerlegte, erscheint dieses Argument wenig plausibel. Meggendorfer sah sogar eine Bedrohung der eugenischen Gesetzgebung durch „diese lähmende Wirkung der Ansichten Hirschfelds“.643 Die Spruchkammer-Aussage Meggendorfers, er habe sich 1943 eine Beschwerde beim damaligen Rektor644 Prof. Dr. Hermann Wintz (1887– 1947)645 zugezogen, weil er „in einem Gerichtlichen Gutachten und vor Gericht […] Magnus Hirschfeld zitiert hatte“,646 scheint wenig nachvollziehbar, da Meggendorfer die Ansichten Hirschfelds nicht teilte. 3.3.3 Behandlung von Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg Meggendorfer führte im Nachtrag seiner Spruchkammer-Rechtfertigungsschrift am 19.12.1946 folgende Gesichtspunkte an: „Ich behandelte stets alle Patienten, die hilfesuchend zu mir kamen, ohne Rücksicht auf ParteiRasse- und Religionszugehörigkeit nach bestem Wissen und Können. Ich hielt dies für selbstverständlich und habe es deshalb nicht eingehend dargelegt. Ich habe damit fortgesetzt den Anordnungen der NSDAP zuwidergehandelt und musste die Folgen davon gewärtigen“.647

Meggendorfer führte in seiner Rechtfertigungsschrift namentlich jüdische Patienten aus Hamburg an, welche noch den Kontakt nach Erlangen zu ihm gehalten hätten.648 Meggendorfer erwähnte seine Beziehung zur Israelitischen Kultusgemeinde

642 Meggendorfer (1933a). 643 Ebd., S. 414. 644 SS 1938–SS 1944. Vgl. https://www.fau.de/universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. 645 Siehe weiterführend Becker (1993), S. 38. „Während des Krieges war der Gynäkologe Hermann Wintz Rector magnificus. Eine Rektoratsrede von ihm ist nicht überliefert“. Vgl. ebd., S. 39. Interessant auch das Gutachten über Wintz von Dozentenschaftsführer Molitoris: Erlangen ca. 1932/1935; „Charakterlich zuverlässig und absolut einwandfrei. Hilfsbereit […] Ein ganz hervorragender Organisator. Spricht sehr gut und gewandt. Eine representative Persönlichkeit. In politischer Hinsicht von jeher rechts eingestellt; hat sich politisch nicht betätigt aber unauffällig, schon lange vor der Machtübernahme, materielle Opfer für die Partei gebracht. In hochschulpolitischer Hinsicht sicher einwandfrei […]. Ist ein überaus gern gesuchter Arzt“. Vgl. Lehmann (1993b), S. 346. 646 Meggendorfer vor StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 647 Ebd. 648 „So habe ich in Hamburg in den Jahren 1933/34 den Kaufmann F. I. (Jude) und seinen Sohn F. E. behandelt. Bei meiner Übersiedelung nach Erlangen schenkte mir Herr F. als besonderen Beweis seiner Zuneigung eine kleine Bronze; er schrieb mir noch jahrelang zu Neujahr und ich

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Nürnberg,649 von welcher ihm „Herr Lehrer Wormser“650 regelmäßig Patienten zugeführt habe.

Abb. 35 : Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg an Meggendorfer651

antwortete ihm auch. Auch von einer Frau I. und einer Frau M. wurde ich nach meiner Übersiedlung nach Erlangen von Hamburg aus noch in Anspruch genommen. Dann wurde ich auch in Erlangen von einer Reihe von jüdischen Patienten konsultiert. Ich kann hier nur einige von ihnen anführen: Herr U. W. von Nürnberg, Herr D. I. von Erlangen; Herr Dr. K. S., Nürnberg; Herr F. H., Nürnberg; Frau K. M., Nürnberg; Frau M. T., Nürnberg. Besonders möchte ich Herrn K. L., Nürnberg erwähnen, der mir 1938 von Herrn Dr. Regensburger, Nürnberg überwiesen worden war (Überhaupt wurde ich nicht selten von jüdischen Ärzten zu Consilen zugezogen). Herrn K. behandelte ich in der Folge von 1938 bis 1941. Herr W. W., Nürnberg wurde mir 1941 von der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg überwiesen und durch Herrn Lehrer Wormser zugeführt. Auch andere Patienten wurden mir von der Isr. Kultusgemeinde überwiesen. In den Kriegsjahren schrieb ich einer jüdischen Dame ein Attest für eine Badekur; die Dame war erstaunt und gerührt, dass ich es wagte, für sie ein solches Attest zu schreiben [...]. Von den genannten Persönlichkeiten dürfte die eine oder andere noch zu erreichen sein – ich bitte, sie über mich zu befragen“. Vgl. ebd. 649 „Deutschlands und Israels Ärzte haben jetzt, fünfzig Jahre nachdem Ben Gurion und Konrad Adenauer einen Neuanfang gewagt haben, in einer gemeinsamen Deklaration angekündigt, in ihrer ethischen Verpflichtung eng zusammenzuarbeiten. Sie wollen ihren Beitrag leisten, dass ärztliche Arbeit, ob in der alltäglichen Praxis im eigenen Land oder im humanitären Einsatz auf internationaler Ebene, ganz im Geiste der Deklaration von Helsinki geschieht“. Vgl. Maibach-Nagel (2015), S. B 1213. 650 Meggendorfer vor StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 651 Ebd.

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Tatsächlich wurden die Sprechstundentermine für jüdische Patienten bei Meggendorfer bis circa April 1941 unter anderem durch Isaak Wormser vereinbart.652 Als Lehrer an der Jüdischen Konfessionsschule Nürnberg begleitete Wormser jüdische Patienten zu ihrem Termin in die Psychiatrische Klinik. Isaak Wormser wurde am 18.06.1943 nach Theresienstadt deportiert, wo er am 06.07.1943 getötet wurde.653 3.3.4 Tod der jüdischen Patientin H. B. nach Insulinschocktherapie Bei der 31jährigen, an Schizophrenie erkrankten, „konfessionslosen Jüdin“654 und Arzttochter H. B. wurde – nach Ablehnung der Kostenübernahme der zusätzlich anfallenden „RM [=Reichsmark] 60–80“655 durch die Allgemeine Ortskrankenkasse Fürth – ab 15.02.1938 – vermutlich auf „Selbstzahler“-Basis – eine Insulinkur vorgenommen. Noch am 04.11.1936 hatte Meggendorfer dem Rektor mitgeteilt, „neue anderwärts bereits erprobte Untersuchungs- und Behandlungsverfahren, z. B. Wasseranwendungen, Packungen, Heilgymnastik, Arbeitstherapie usw. auch differente größere Anforderungen an eine sorgfältige Pflege stellende Verfahren wie die Insulintherapie bei der Schizophrenie usw“.656

seien nicht durchführbar. In dieser Hinsicht bleibe die Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Erlangen nicht nur hinter anderen Psychiatrischen Kliniken sondern auch hinter vielen Provinzial- Heil- und Pflegeanstalten, ja sogar hinter den „Anstalten mancher sonst rückständiger Staaten“657 zurück. Meggendorfer sah sich 652 „[…] teilen wir Ihnen höfl. mit, dass Herr Wormser am kommenden Donnerstag, den 1.08.[1940] sich erlauben wird, von Ihrer freundlichen Erlaubnis Gebrauch zu machen, um bei Ihnen vorzusprechen. Da es Herrn Wormser leider nicht möglich ist, wie wir dieses auf Grund Ihrer Angaben selbst gewünscht hätten, seinen Besuch von 11–1Uhr vorzunehmen, bitten wir Sie, den genannten Herrn nachmittags um 16 Uhr empfangen zu wollen. –“ Vgl. ebd. Siehe ferner das Schreiben Isaak Wormsers an Meggendorfer vom 21.08.1940: „Wollen Sie gütigst verzeihen, wenn ich mich in der Angelegenheit M. T-S. nochmals an Sie wende. Es bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen Frau M. und mir hinsichtlich eines Zwischenaufenthaltes bei der Überführung der Patientin nach hier. Ich bitte daher ergebenst, mir noch einmal eine kurze persönliche Unterredung an einem Ihnen genehmen Tage der nächsten Woche, unter gefl. Angabe der Tageszeit, gewähren zu wollen“. Vgl. ebd. Weiterführend auch das Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, Zweigstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Abteilung Fürsorge, Abraham Israel Krämer an Meggendorfer vom 04.04.1941: „Wir gestatten uns hiermit die höfl. Anfrage, ob Sie die Güte haben wollten, unseren Schützling W. noch einmal zu untersuchen. Im gegebenen Fall bitten wir um gefl. Angabe des Tages und der Tageszeit. W. würde sich wieder in Begleitung unseres Herrn Wormser bei Ihnen einfinden“ Vgl. ebd. 653 Vgl. http://www.rijo.homepage.t-online.de/pdf/DE_NU_JU_kolb_text.pdf. Stand vom 25.05.2016. 654 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. 655 Ebd. 656 UAE: A6/3i. 657 Ebd.

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Ende 1936 unter diesen Umständen kaum zur Übernahme der Verantwortung „bezüglich einer ausreichenden Pflege und Beaufsichtigung der Kranken, bezüglich einer Verhütung von Unglücksfällen und Entweichungen“658 im Stande. Ab 15.02.1938 wurde bei H. B. eine Insulinkur durchgeführt.659 Gemäß der Ausführungen zur „Insulinschocktherapie“ der Schizophrenie, angeführt im Lehrbuch Eugen Bleulers660 (1857–1939) von 1937, befand sich zu dieser Zeit die Methode noch im Versuchsstadium.661 Zwar erscheine eine weitgehende Beruhigung und Sozialisierung vieler Kranker bereits möglich, oft aber sei ein frustraner Verlauf zu verzeichen. Ob die Insulinkur „wirklich auf die Grundsymptome der Krankheit heilend einwirkt, ist noch fraglich“.662 Die Anwendungstechnik bezeichnete Bleuler als schwierig und mühsam.663 1950 lieferte uns Meggendorfer in seinem Lehrbuch zur Allgemeinen und speziellen Therapie der Geistes- und Nervenkrankheiten eine detrailreiche Beschreibung des Verlaufes einer Insulinschockbehandlung: „Der Schock setzt gewöhnlich etwa 4 Stunden nach der Einspritzung des Insulins ein. Manchmal tritt er unmittelbar, häufiger nach einem Vorstadium, das durch Euphorie und Müdigkeit oder mehr oder weniger starke Unruhe und Erregung, durch Muskelzuckungen, Schwitzen, 658 Ebd. 659 H. B., geb. 03.03.1907, stationärer Aufenthalt: 14.01.1938–18.03.1938, Diagnose: Schizophrenie. 02.03.1938: „Im Laufe der Insulinwirkung gegen 10 Uhr vormittags Auftreten eines epileptischen Anfalls. Daraufhin sofortige Unterbrechung durch Zuckerlösung, die Pat. noch selbst trinken konnte. Nach etwa 1 Std. fühlte sich Pat. recht wohl. Sie zeigte lebhaftes Interesse an ihrer Umgebung, fragte die Pflegerinnen nach ihrem Namen, meinte, ihr Gedächtnis habe sich sehr verschlechtert, sie müsse doch sehr krank gewesen sein. Bat[,] aufstehen zu dürfen u. verhielt sich danach sehr geordnet. Bei der Nachmittagsvisite verhielt sie sich den Ärzten gegenüber sehr höflich, bedankte sich für die Behandlung, gab geordnete Antworten. Die Veränderung im psychischen Verhalten war erstaunlich. Pat. wurde nachmittags von ihrem Vater besucht, der über den Zustand sehr erfreut war“. 03.03.1938 „Nur mit großer Mühe gelingt es, nochmals Coramin zu spritzen. Da keine beruhigende Wirkung durch das Luminal zu erreichen ist, soll Evipan versucht werden, aber dies ist nicht möglich, da die Venen bereits kollabiert sind. Deshalb wird[,] wie schon oben erwähnt[,] ein 2. mal Luminal i.m. gegeben […]. Pat. ist immer noch unrein. Wenn sie nass liegt, wird sie sehr unruhig und man sieht ihr die Freude an, wenn sie von der Pflegerin wieder umgebettet wird“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. 660 Weiterführend hierzu Goddemeier (2007) und Tölle (2008). Insbesondere sei auch verwiesen auf die Arbeit von Eugen Bleulers Sohn Manfred zu „Kretschmer E. und Bleuler E.“ Vgl. Bleuler (1965). Von Manfred Bleuler sei ferner folgendes Schrifttum angeführt: Bleuler (1941), (1943), (1965) und (1972). 661 Im gleichen Jahr berichtete Lemke aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Jena unter Hans Berger, „[d]ie günstigen Berichte über die Insulinshockbehandlung [sic] veranlassten uns, die Sakelsche Methode auch an unserer Klinik anzuwenden. Seit etwa über einem Jahr […] haben wir bis jetzt 46 Schizophrene mit der Insulinkur behandelt. Die erreichten Erfolge waren nicht so günstig und die dabei eingetretenen Komplikationen waren größer, als wir nach den Literaturberichten erwartet hatten. Ich möchte unsere Erfahrungen mit dieser Behandlungsweise mitteilen, denn die Insulintherapie ist nach unseren Beobachtungen nicht so ungefährlich, wie man nach den darüber veröffentlichten Arbeiten denken könnte“. Vgl. Lemke (1937), S. 223. 662 Bleuler (1904, Auflage von 1937), S. 320. 663 Vgl. ebd.

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Schwerbesinnlichkeit gekennzeichnet ist, auf. Eine möglichst genaue Bestimmung des Komaeintritts ist sehr wichtig; sie erfordert eine genaue Beobachtung des Patienten. Der Kranke wird immer wieder angesprochen, gerüttelt, leicht gekniffen, angeblasen. Reagiert er nicht mehr darauf, so ist das Koma eingetreten. Vielfach merkt man das an dem verwaschenen Gesichtsausdruck, dem glasigen Blick des Kranken. Es sind dann auch verschiedene neurologische Zeichen wie Reflexanomalien, spastische Zeichen usw. nachweisbar, und Schweiß und Speichel sind zähflüssig. Der Kranke bietet das Bild eines recht schweren Zustandes“.664

Abb. 36: Kurvenblatt bei Patientin mit Insulinkur665

Am 27.02.1938 ist in den Akten der H. B. folgendes dokumentiert: „Pat. sträubt sich gegen die Insulininjektionen, sieht deren Zweck nicht ein, meint, bei ihr habe ja doch nichts mehr Sinn. Sie möchte lieber sterben, sie habe es nicht anders verdient“.666 Dass die Heilbehandlung zwischenzeitlich gegen den Willen der Patientin fortgeführt wurde, könnte sich begründen lassen durch psychosebedingt herabgesetzte Einsichtsfähigkeit seitens der Patientin und gegebener Zustimmung des Vaters als Vormund. Die Besuche der Eltern der Patientin finden sich regelmäßig in der Patientenakte verzeichnet. Es ergibt sich bei H. B. kein Hinweis auf ein – im Vergleich zu „arischen“ Patienten – risikoreicheres Prozedere der Insulinkur.

664 Meggendorfer (1950), S. 32. 665 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. Zum Vergleich und zur näheren Erklärung des Erlanger Kurvenblattes bei Insulinbehandlung sei verwiesen auf ein analoges Schema bei Braunmühl (1938), S. 21. „Ja, ich versuche im Grunde vorhandene oder sich bahnende Sensibilisierung durch Sensibilisierung zu beseitigen. Bei meinen Arbeiten musste ich immer wieder an das ‚Similia similibus‘ denken“. Vgl. Braunmühl (1937), S. 553. 666 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12.

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Abb. 37: Beobachtungsbogen667

Die sorgfältige Dokumentation des Insulinschockverlaufes in entsprechenden Beobachtungsbögen, deren Relevanz Meggendorfer in seinem Lehrbuch von 1950 betonte, erfolgte auch bei H. B.: „Für jeden Patienten muss ein Bogen bereitliegen, auf dem die Zeiten, die verabreichten Mengen, die Zeichen des Schocks und sonstige Beobachtungen eingetragen werden. Diese Blätter kommen später zur Krankengeschichte“.668

Meggendorfer betonte in seinem Lehrbuch von 1950, fundiertes Wissen und ausreichende Erfahrung sei die Voraussetzung für eine sachgemäße Anwendung der Insulinbehandlung.669 Manchmal sei eine Fortsetzung des täglichen Insulinschocks über Wochen hinweg notwendig bis zum Erzielen einer Remission, welche in circa 30 von 100 Fällen zu verzeichnen sei. Die Insulinschocktherapie bezeichnete Meggendorfer als „ein recht schweres und nicht ungefährliches Geschehen. Trotz aller Sorgfalt und Sachkenntnis lassen sich Körperschäden und selbst Todesfälle nicht ganz vermeiden. Dabei ist für die Insulinkur ein ziemlich großer Apparat nötig, vor allem ein eingeübtes, mit den Vorbereitungen, den Hilfeleistungen und den Zwischenfällen vertrautes Personal“.670

667 Ebd. 668 Meggendorfer (1950), S. 31–32. 669 „Während der Kur sind mancherlei Einzelheiten zu beachten. Vor allem muss der Patient vor, während und nach dem Schock ärztlich genau und zuverlässig beachtet werden; die geringste Abweichung vom gewohnten Verlaufe ist u. U. von Bedeutung“. Vgl. ebd., S. 32. 670 Ders. (1952a), S. 435.

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War 1938 aufgrund mangelnder klinischer Erfahrung das Koma versuchsweise erst 40 Minuten nach Schockeinsatz beendet worden, so riet Meggendorfer 1950 folgendes Prozedere an: „15 bis höchstens 30 Minuten, nachdem der Schock erreicht ist, muss das Koma unterbrochen werden […]. Die Ausschüttung körpereigenen Insulins erkennt man daran, dass sich das Koma nach der Zuckerverabreichung vertieft, und dass Herz- und Atemstörungen, Erweiterung der Pupillen und Streckkrämpfe auftreten. Man gibt dann 1–2ccm Adrenalin, ferner Coramin und Traubenzucker intravenös. Es kann aber auch vorkommen, dass der Patient nach der Zuckergabe zwar erwacht, aber alsbald wieder in Sopor oder Koma verfällt. Hier handelt es sich meist um den gefährlichen Zustand der Sensibilisierung […]. Bei günstigem Verlauf kann es tagelang dauern, bis der Kranke wieder völlig hergestellt ist. Bei letalem Verlauf wurden schwere Hirnschäden nachgewiesen – Manchmal kommt es in der praekomatösen Phase, manchmal im Koma selbst oder auch nachher zu epileptischen Anfällen. Diese sind immer alarmierende Erscheinungen und stellen eine Gefahr für die Kranken dar. Man wird den Schock, falls er noch nicht vorüber ist, unterbrechen, am nächsten Tag aussetzen und dann die Kur mit geringeren Insulindosen fortsetzen. Die Sterblichkeit wird auf etwa 0,5% geschätzt“.671

Im Gegensatz zu dieser Empfehlung Meggendorfers von 1950 wurde in seiner Klinik 1938 nach dem hypoglykämischen epileptischen Anfall von H. B. – aufgrund mangelnder klinischer Erfahrung – die „Komatherapie“ direkt am darauffolgenden Tag fortgeführt. Interessant hierzu zeigt sich die Arbeit von Oberholtzer zur Veränderung der Toleranz gegenüber Insulin bei „der Sakelschen672 Behandlung“.673 Die individuelle Insulinsensibilität variiere in komplexer Weise. Die Erfassung aller zugrundeliegender Ursachen674 in ihrer entsprechenden Bedeutung erachtete Oberholtzer jedoch für beinahe unmöglich, so sei „der Einfluss der motorischen Erregung bei Erniedrigung der Komadosen physiologisch erklärbar […], [wohingegen] […] die Rolle der psychogenen Resistenz ein Beispiel psychophysischer Verbindung“675 bilde. 1939 nahm Bingel in seinem Vortrag vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät eine Risikodifferenzierung von früh- vs. späthypoglykämischen Anfällen vor. Abgesehen von ihrer Wertung als unliebsame Komplikation,676 könne den frühhypoglykämischen Anfällen durchaus die Funktion eines fördernden Zwischenfalls zukommen: „Im Gegensatz zu manchen Autoren pflegen wir jedoch auch im Anschluss an einen frühhypoglykämischen Anfall den Insulinschock zu unterbrechen. Ein Status epilepticus, der auf ein Koma folgt, muss unbedingt als einer der ernstesten Zwischenfälle angesehen werden“.677 671 672 673 674

Ders. (1950), S. 32. Weiterführend hierzu Sakel (1933) und (1937). Oberholtzer (1940), S. 288. Zu katamnestischen Untersuchungen über die „Insulin-Shock-[sic] und Konvulsionstherapie“ der Schizophrenie empfehlenswert auch Lehoczky et al. (1939), aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Kg. Ung. Pázmány´-Universität in Budapest [Vorstand Prof. L. Benedek]. 675 Oberholtzer (1940), S. 288. 676 Vgl. Bingel (1939a), S. 234. 677 Ebd., S. 234–235. “The discovery of Insulin in 1921 generated the initial interest in the possibility of brain damage resulting from hypoglycemia. This was due firstly to the occurrence of insulin overdosage in the treatment of diabetes mellitus. The second reason for this interest was the deliberate administration of insulin in doses high enough to produce coma (ʻinsulin shockʼ

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Es kann gemutmaßt werden, dass die von Bingel 1939 geschilderte klinikintern etablierte „Sicherheitsstufe“ in Zusammenhang mit der 1938 erlebten Letalkomplikation678 der insulinbehandelten H. B. stand. Unter Betonung der Tatsache der kaum vorkommenden Kombination von Epilepsie und Schizophrenie,679 sah Bingel die epileptischen Anfälle im Rahmen der or ʻinsulin comaʼ), for amelioration of schizophrenia and other psychiatric conditions. This treatment modality was introduced by Sakel in 1933 and led many to suspect the side effect, or indeed, the mechanism of action of such ʻtherapyʼ was due to resulting brain damage. Insulin was also given for acne and for morphine addiction”. Vgl. Auer (1986), S. 699, Abstract. 678 Jan Cammermeyer aus dem Krankenhaus Dikemark Asker (Chefarzt: R. Gjessing) und dem Anatomischen Institut der Universität Oslo (Prof. K. E. Schreiner) berichtete im selben Jahr: „Trotzdem die Sakelsche Schizophreniebehandlung mit großen Dosen Insulin allmählich eine ausgedehnte Anwendung gefunden hat, liegen doch nur wenige Mitteilungen über tödlichen Ausgang vor“. Vgl. Cammermeyer (1938). Zur Krankenjournal-Wiedergabe siehe ebd., S. 618–621. Zur entsprechenden Histopathologie finden sich vier Abbildungen in ebd., S. 622– 625. 679 „[z]ur Frage der Kombination von Epilepsie und Schizophrenie“ promovierte 1947 Werner Gottwald (1919–2003) während seiner Assistenzarztzeit an der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach bei „Referent[en], Stadtobermedizinalrat Privatdozent Dr. Ritter v. Baeyer“: „Zusammenfassung. 1) Am Vorkommen der echten Kombination von genuiner Epilepsie und originärer endogener Schizophrenie kann nach den Veröffentlichungen der letzten 15 Jahre nicht mehr gezweifelt werden. 2) Der antagonistische Einfluss beider Krankheiten aufeinander steht ebenso sicher fest. Der schizophrene Proseß [sic] besitzt gegenüber der Epilepsie stärkere antagonistische (und damit therapeutische) Wirksamkeit als umgekehrt epileptische Krampfanfälle auf das Spaltungsirresein. 3) Dagegen besteht zwischen den symptomatischen epileptiformen Krampfanfällen der Schizophrenie und dem schizophrenen Grundprozess im allgemeinen keine konträre Tendenz, sondern im Gegenteil auf Grund der homologen Entstehung eine gewisse Affinität und somit auch keine direkt therapeutische Wirksamkeit. Daraus wird trotz des äußerlich gleichartigen klinischen Aussehens auf grundlegende physiologische und pathophysiologische Unterschiede in der Genese dieser Krämpfe und der der echten epileptischen Anfälle bzw. der experimentell-therapeutisch erzeugten geschlossen. 4) Was schizophrene oder zumindest schizophren anmutende Wahnbildungen bei genuiner Epilepsie betrifft, so kann man – immer abgesehen von Ausnahmezuständen im eigentlichen Sinne und damit von Bewusstseinsveränderungen – nach unseren heutigen Kenntnissen ungefähr folgende Einteilung geben: a) Residualwahn; b) Mehr oder minder episodische, autochthon auftretende oder exogen-toxisch z. B. durch experimentell hervorgerufene Veränderungen im Wasserhaushalt entstandene, im einzelnen vielgestaltige Bilder. In einem Teil dieser Fälle ist wiederum ein antagonistisches Verhalten, diesmal nur des schizophrenen Syndroms und der Krampfanfälle, festzustellen. Es erscheint zweifelhaft, ob man dies einfach durch die Annahme einer ‚Äquivalenz‘ erklären kann. c) Echte Kombination von genuiner Epilepsie und originärer Schizophrenie. Ein solcher Fall mit einem paranoid-halluzinatorischen Zustandsbild, also dem absoluten Primat des Wahnsystems, wurde in dieser Eindeutigkeit und Ausführlichkeit wohl zum ersten Mal beschrieben. Zu den sonst etwa als sogenannte symptomatische Schizophrenien bezeichneten Psychosen konnte man diesen Fall nicht zählen, [sic] Ob und inwieweit man diese von Gruhle als durch die genuine Epilepsie ausgelöste ‚symptomatische Schizophrenien‘ betitelten chronischen Wahnbildungen als hierher gehörig rechnen kann, bleibt wegen der bisher nur skizzenhaften Angaben unklar. d) Aus der Demenz und Characterveränderung [sic] ableitbare katathyme Wahnbildung von oft lebenslänglicher Dauer“. Vgl. Gottwald (1947), S. 63–64. Werner Gottwald absolvierte 1938 die Reifeprüfung und studierte Medizin an der Friedrich-WilhelmsUniversiät Breslau. Zwischensemester legte er in Wien und in Innsbruck ein. 1944 bestand er

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Insulintherapie „am ehesten in einer durch die Insulinkur bedingten Hirnschädigung“.680 Im Rahmen zunehmender Zustandsverschlechterung ab 03.03.1938 wurden bei H. B. sämtliche verfügbare medikamentöse sowie pflegerische Gegenmaßnahmen eingeleitet (Adrenalin, Luminal, Neurostrontyl, Coramin, Evipan, Cardiazol-Chinin, 681 Nährklysma, Dauerbad im Schwebetuch bei Dekubitus, Pudern und Salbensein Staatsexamen ab und war im Anschluss bis zum 31.01.1945 an der Breslauer Augenklinik dienstverpflichtet. „In den Monaten des Zusammenbruchs musste ich als Begleitarzt in Lazarett- und Evakuierungszügen, in der ärztlichen Betreuung von Flüchtlingslagern und am Städtischen Gesundheitsamt Meissen tätig sein. Am 25.7.1945 trat ich meinen Dienst als Abteilungsarzt an der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach an. […] 2 Doktorarbeiten aus dem Gebiet der inneren Medizin bzw. der Geburtshilfe konnte ich wegen kriegsbedingter Umstände nicht vollenden. Ich promovierte dann 1948 an der Erlanger Universität mit dem Thema ‚Zur Frage der Kombination von Epilepsie und Schizophrenie‘ mit magna cum laude“. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 14546. Werner Gottwald „war, als [Professor Dr. Joachim Demling] vor 32 Jahren [s]eine Tätigkeit an der Klinik aufnahm, einer der Oberärzte, zusammen mit den Professoren Daun und Baer. […]. Er war als Schüler von H. H. Wieck einer der letzten Neuropsychiater und hat auch neurologisch publiziert, z. B. über Phakomatosen. […]. Als Neurologe und patriotischer Schlesier interessierte er sich sehr für Otfrid Förster und hat über ihn auch biographische Artikel veröffentlicht. Er war sehr gebildet. Persönlich galt er ein wenig als Sonderling […]“. Vgl. Persönliche Information von Prof. Dr. Joachim Demling, 23.11.2015. Siehe ferner Gottwald (1974). Zu Foerster weiterführend: Ders. (1990). Heribert Daun (1925–2004) kam „1968 […] nach Erlangen und übernahm hier bis 1980 die Leitung der Poliklinik der Universitäts-Nervenklinik. 1971 erfolgte die Habilitation. Von 1980 bis 1984 fungierte er als kommissarischer Direktor der Nervenklinik bzw. der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums, 1984 wechselte er an die Psychiatrische Klinik. [, wo er bis zu seiner Emeritierung 1990 Leitender Oberarzt war] […]. In seiner wissenschaftlichen Arbeit befasste sich Prof. Daun insbesondere mit Schäden des peripheren Nervensystems, mit Ablauf und Gliederung geistiger Tätigkeit, der Syndromentstehung bei Psychosen und mit Störungen von Bewusstsein und Gedächtnis“. Vgl. Mediendienst FAU-Aktuell Nr. 3915 vom 24.11.2004 in: http://www.presse.uni-erlangen.de/infocenter/presse/pressemitteilungen/nachrichten_2004/11/3915daun_verstorben. shtml. Stand vom 25.05.2016. Abzugrenzen von der durch Bingel als selten bezeichneten Kombination von Schizophrenie und Epilepsie ist die Epilepsiepsychose, d. h. psychotische Episoden im Rahmen einer epileptischen Erkrankung (v.a. Temporallappenepilepsie): „interiktal (im anfallsfreien Intervall): Bei Alternativ- bzw. Normalisierungs-Psychosen (hier psychotische Symptomatik einhergehend mit einer Normalisierung des EEG-Befundes), Psychose alternativ zum Anfall“. Vgl. Payk (2003), S. 144. Siehe ferner Bingel (1939a), S. 234–235. „Wenn Patienten mit Epilepsie eine Psychose entwickeln, sistieren die epileptischen Krampfanfälle beim Auftreten der Psychose, sodass man auch von einer ,Alternativpsychose‘ spricht […]. Der Begriff wurde in den 1960er Jahren von Heinrich Landolt [1917–1971] geprägt“. Vgl. Lemke (2011), S. 233–234. Als Therapie der „Alternativpsychose“ erwähnt Payk die „Reduzierung oder Abbruch der antikonvulsiven Medikation, bei mangelnder klinischer Besserung auch bis zur Krampfschwelle. Gleichzeitig Verabreichung mittelpotenter Antipsychotika […], evtl. EKT“. Vgl. Payk (2003), S. 145. 680 Bingel (1939a), S. 234–235. 681 Die Gabe von „1ccm Cardiazol, 10ccm Traubenzucker i.v.“ zeigt sich auf dem Beobachtungsbogen der H. B. vermerkt. Siehe hierzu Abb. 37. Zu Cardiazol bzw. Cardiazol-Chinin als HerzKreislauf-Mittel vgl. Anonymus. Arzneiheft für Heer und Luftwaffe, S. 90 in: http://digisrv1.biblio.etc.tu-bs.de:8080/docportal/servlets/MCRFileNodeServlet/DocPortal_derivate_00012572/gesamtwerk.pdf. Stand vom 03.08.2017, wobei „[d]en Arzneiverordnungen

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Bestreichen der betroffenen Stellen, Normosal, Sonden-Fütterung) – jedoch ohne Erfolg. Am 18.03.1938 verstarb die Patientin. In seinem Vortrag „[ü]ber Grundlagen und Ergebnisse der Insulinschock- und Cardiazolkrampfbehandlung bei Schizophrenen“ beschrieb Bingel dem Auditorium der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen die erlebte letal verlaufende Insulinkrampfanwendung an der Psychiatrischen und Nervenklinik682 folgendermaßen: „Wir selbst haben unter unserem Material eine Kranke durch einen solchen epileptischen Status verloren. Es handelte sich um eine erblich belastete Hausangestellte, die mit 124 Einheiten683 Insulin zum erstenmal in den Schock kam“. 684

Unmittelbar nach dem ersten Schock sei es zum epileptischen Anfall gekommen, welcher gut vertragen worden sei. Am darauffolgenden Tage habe das Auftreten eines epileptischen Anfalls „vor Eintritt in das tiefe Koma“685 die sofortige Beendigung des hypoglykämischen Zustands notwendig werden lassen. Bereits am Nachmittag sei eine erhebliche Besserung des psychischen Zustandes eingetreten. Unter Reduktion der Insulindosis686 habe sich im weiteren Verlauf ein adäquater dritter Schock auslösen lassen. „Am Mittag dieses Tages traten plötzlich vier epileptische Anfälle spontan auf und am Abend gegen 18 Uhr setzte ein Status epilepticus ein, in dessen Verlauf bis zum anderen Morgen 4 Uhr insgesamt 76 Anfälle gezählt wurden. Weder Traubenzucker noch Adrenalin, noch Luminal, Betaxin, Coramin, Calcium oder Lumbalpunktion vermochten diesen Zustand noch zu beeinflussen. Die Kranke erholte sich danach nicht mehr völlig, sie blieb bewusstseinsgetrübt und starb 15 Tage nach dem Status epilepticus an einer Bronchopneumonie. Auf Grund dieses Todesfalles, der der einzige unter den bisher behandelten 65 Kranken ist, sind wir in der Beurteilung des epileptischen Anfalls im Insulinkoma sehr vorsichtig geworden“.687

Bingel verwies in seinem Vortrag des Weiteren auf die – im damals existierenden Schrifttum bereits in Einzelfällen behandelte – Komplikation des Lungenödems im Rahmen der Insulinkomatherapie.688 Zu den gefährlichsten Komplikationen rechnete Bingel das protrahierte Koma, „d. h. die Unmöglichkeit, den Kranken aus dem

[…] vorwiegend die ,Formulae Magistrales Berolinenses 1937‘ zugrunde gelegt [sind]“. Vgl. ebd., S. 3. 682 Ein Vergleich der Angaben Bingels in seinem Vortrag mit der Aktendokumentation bei H. B. lässt darauf schliessen, dass Bingel die Kasuistik der H. B. darstellte. Vgl. Bingel (1939a) und APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. 683 In der Münsinger Anstalt wurden z. B. bei der kombinierten Insulin- und Elektrokrampftherapie 180 Insulineinheiten zugeführt. Vgl. Müller (1941), S. 218. Siehe weiterführend auch S. 412, Fn. 695; S. 416, Fn. 710 und S. 417. 684 Bingel (1939a), S. 235. 685 Ebd. 686 Wobei die Reduktion von 124 I. E. auf 120 I. E. als geringgradig einzustufen sein dürfte. Vgl. hierzu Abb. 37. 687 Bingel (1939a), S. 235. 688 Nach Einführung der Antipsychotika wurde die Bedeutung der Insulinkomatherapie folgendermaßen beurteilt: „Seit der Einführung der Psychopharmaka, speziell der Neuroleptika, deren thymoplegische Wirkung mit einem (temporären) Leukotomieefekt verglichen worden ist, sind

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Zustand der Bewusstlosigkeit zu erwecken“.689 Auch durch entsprechende Zuckerzufuhr lasse sich der Tage bis Wochen persistierende komatöse Zustand nicht modulieren. Die Ursache hierfür sah Bingel in der Tatsache, dass es während des protrahierten Komas zu keiner Hypo- sondern vielmehr zu einer Hyperglykämie komme, „so dass eine weitere Zuckerzufuhr geradezu kontraindiziert ist. Die Ursache dieses Zustandes wird in einer irreversiblen, organischen Ganglienzellschädigung des Gehirnes gesehen. Therapeutisch gibt man Coramin, Calcium, Vitamin B, Nebennierenrindenpräparate, Sauerstoffinhalation und führt Lumbalpunktionen690 aus“.691

Ein Schriftstück Meggendorfers vom 26.11.1938 aus dem Kontext einer Besprechung mit Herrn Dr. Engel, dem „Beauftragten für die Durchführung des Reichsberufswettkampfes“, dokumentierte seinen therapeutischen Optimismus – trotz der acht Monate im Vorfeld erlittenen Letalkomplikation bei H. B.: „Erfahrungen mit diesen modernen Behandlungsmethoden [Fieber-, Schock-, und Krampftherapie] haben auch in unserer Klinik gezeigt, dass es möglich ist, z. B. frische SchizophrenieFälle, sofern sie richtig und intensiv behandelt werden, bis zu 70 v. H. entlassungsfähig und in der Mehrzahl auch arbeitsfähig zu machen. Alle derartigen Maßnahmen sind in erheblichen Maße geeignet, im Laufe der Zeit die Lasten der öffentlichen Fürsorge für Geisteskranke zu vermindern, sie sind damit indirekt auch ein Mittel zur Förderung des Vierjahresplanes, wenn sich ihre Auswirkungen auch erst in einigen Jahren zeigen wird“.692

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die verstümmelnden und in gewisser Weise entmenschlichenden psychochirurgischen Eingriffe völlig in den Hintergrund getreten. Die Insulinkomabehandlung hat gegenwärtig noch eine gewisse Bedeutung bei sonst therapieresistenten, schleichend schizophrenen Verläufen des jüngeren Alters. Die Elektroschockbehandlung gilt noch immer als die wirksamste Therapie bei phasischen Depressionen und lebensbedrohlichen perakuten Schizophrenien. Im übrigen beherrschen Pharmakotherapie und Soziotherapie das Feld. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass schon mit der Einführung der Arbeitstherapie und der Schockverfahren der therapeutische Nihilismus in der Psychiatrie ein Ende gefunden und die Empirie der Therapeuten das Gesicht des Faches seither mehr verändert hat als alle Theorienbildung. Bezeichnenderweise ist nach der Auflösung der Heidelberger Psychopathologenschule im Gefolge des politischen Umsturzes von 1933 die schweizerische Anstalt Münsingen durch die hier von Max Müller beispielsweise entfaltete therapeutische Aktivität für etliche Jahre so etwas wie ein ideeller Mittelpunkt der deutschsprachigen Psychiatrie gewesen“. Vgl. Janzarik (1974), S. 42. Zu Max Müller siehe ferner Müller (1939) und (1941). Bingel (1939a), S. 235. Weiterführend zu Liquoruntersuchungen bei Schizophrenie-Kranken siehe Borghaus/Gaupp (1941). Bingel (1939a), S. 233. UAE: A6/3i. Dieses Schriftstück Meggendorfers könnte seinen Einsatz für somatische Therapieverfahren „entpuppen“ als motiviert durch den „Vierjahresplan“, wonach die militärische und wirtschaftliche Autarkie Deutschlands bis 1940 erreicht werden musste. Andererseits mag Meggendorfer – genuin interessiert an bestmöglicher Erforschung von Linderungs- oder Heilungsmethoden psychiatrischer Erkrankungen – die Relevanz seiner Forschungen zur Realisierung der politischen Ansage des Vierjahresplans gegenüber Dr. Engel aus strategischen Gründen als Argument vorgebracht haben. Vielleicht erhoffte sich Meggendorfer hierdurch eine Beeinflussung Engels dahingehend, dass Forschungsthemen aus dem Gebiet der somatischen

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Nach Versterben der H. B. am 18.03.1938 wurde das Gehirn an Herrn Prof. Dr. Scholz693 vom Hirnpathologischen Institut der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie des Kaiser-Wilhelm-Instituts in München/Kraepelinstr. gesandt694 mit detaillierter Beschreibung des Verlaufes der Insulinkur: „Am 01.03. setzte mit 124 Einheiten Insulin695 der erste Schock ein. Kurz nach Verabreichung von Traubenzuckerlösung mit der Sonde trat ein epileptischer Anfall auf. Nach dem Anfall Therapieverfahren verstärkt in den Fokus der Themenauswahl für die am Wettkampf teilnehmenden Medizinstudenten rückten. Anhalt für eine Berechtigung dieser Überlegung als Begründung zu Meggendorfers Aussage gegenüber Dr. Engel gibt zum Beispiel die Reichsberufswettkampf-Siegerarbeit 1937/1937 der Studentengruppe um Hans Grimm (1910–1995) zur Thematik „Rasse und Gesundheitswesen“. Vgl. Grimm (1938). Siehe ferner Grimm (1939). Die untersuchten Quellen geben keinen Aufschluss über die Reaktion Dr. Engels. Zum Vierjahresplan siehe weiterführend Petzina (1968). In Bezug auf den Reichsberufswettkampf sei verwiesen auf Axmann (1938) sowie Kater (1974). 693 W. Scholz referierte im Rahmen des Kongresses für Neurologie und Psychiatrie in Tübingen 1947 über Krämpfe in der Entwicklung körperlicher und geistiger Defektzustände. Im Rahmen der sich anschließenden Podiumsdiskussion lieferte Karl Leonhard folgenden Beitrag: „Nach den klinischen Erfahrungen gehen genuine Formen von Epilepsie nicht mit neurologischen Ausfallserscheinungen einher. Vielleicht erklärt sich diese Diskrepanz zu den Befunden von Scholz damit, dass nur Krampfanfälle des Kindesalters zu schweren cerebralen Ausfallserscheinungen führen können, genuine Epilepsien aber noch nicht so früh beginnen“. Vgl. Leonhard, zit. n. Kretschmer (1947), S. 61. 694 Weiterführend hierzu: “Moreover, organs of patients who died at the Günzburg State Hospital were sent to the Kaiser-Wilhelm Institut München (German Institute for Psychiatric Research) for the purpose of neuropathological research”. Vgl. Steger et al. (2011 b), S. 269. 695 Wenn der medizinische Laie intuitiv die verabreichte Anzahl an Insulineinheiten als ausgesprochen hoch ansehen und die Frage aufwerfen sollte, inwiefern es sich auch nach damaligen zeitgenössischen Maßstäben um ein „Menschenexperiment“ bei Inkaufnahme eines potentiell letalen Ausganges gehandelt haben mag, so sei vergleichend auf die Dosisangaben von G. W. Kastein aus der Psychiatrischen Klinik der Universität Leiden unter der Leitung von Prof. Dr. E. A. D. E. Carp hingewiesen: Bei der 32jährigen, im September 1937 stationär aufgenommenen, an katatoner Schizophrenie erkrankten Patientin wurde eine Insulinkur durchgeführt, die ebenfalls letal verlief: „Im ganzen bekam die Patientin 75mal eine Insulininjektion, wonach 60mal ein Koma eintrat. Die Totalmenge des verabreichten Insulins betrug 9600 Einheiten Insulin ‚Organon‘. Die Zahl der Insulineinheiten, bei der die Patientin komatös wurde, wechselte. Als Stichzahlen geben wir die Menge Insulin, an folgenden Tagen verabreicht: 11.11.37: 160 Einheiten Insulin (erstes Koma), 12.12.37: 175 Einheiten Insulin, 8.1.38: 70 Einheiten Insulin (nach einer Pause von 10 Tagen), 5.3.38: 160 Einheiten Insulin (danach 20 Tage komatös). Regelmäßig findet man bei den mit Insulin behandelten Patienten einen derartigen Wechsel der Insulinmengen, die nötig sind, um ein Koma herbeizuführen. Die Menge muss meistens während einer regelmäßig 5mal in der Woche stattfindenden Injektion immer mehr erhöht werden“. Vgl. Kastein (1938a), S. 324. Die Gabe von 175 Einheiten Insulin am 12.12.37 verlief komplikationslos, eine erste Komplikation wird am 1.2.38 mit Erbrechen während des Komas geschildert. Vgl. ebd., S. 323. Vor dem Hintergrund der komplikationslos vertragenen Gabe von 175 Einheiten Insulin bei einer Frau vergleichbaren Alters in der Universitätsklinik Leiden sollte der Vorwurf, Meggendorfer habe bei H. B. „menschenversuchsähnliche Dosisexperimente“ angewendet, entkräftigt sein. Vgl. Diskussion zur Disputation von Braun, B. Friedrich Meggendorfer. Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus. Seminarraum der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der FAU, 23.02.2017. In der Münsinger Anstalt wurden vergleichsweise bei der kombinierten Insulin- und Elektrokrampftherapie sogar

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bestand starke Müdigkeit, die jedoch sehr rasch abklang. Am 02.03. erfolgte vor Beginn des Schockes wieder ein epileptischer Anfall. Daraufhin wurde sofort mit Traubenzuckerlösung unterbrochen. Pat. konnte sie noch selbst trinken. Tagsüber war sie geordnet und auffallend gebessert. Am folgenden Tag, nachdem Pat. aus dem Schock durch Traubenzuckerlösung erwachte, traten nach dem Mittagessen einige epileptische Anfälle im Abstand von 10 Minuten auf. Diese häuften sich gegen Abend bis zum status epilepticus. Gegen Morgen hörten die Anfälle auf. In der anfallsfreien Zeit war Pat. auch bewusstlos. Die normalerweise vorhandenen Reflexe der unteren Extremität waren erloschen, es entstanden spastische Zeichen. Verschiedene Herz- Kreislauf- und Beruhigungsmittel wurden gegeben. Im Laufe der nächsten Tage besserte sich der Zustand der Pat. langsam. Sie war wieder ansprechbar und nahm genügend Nahrung zu sich. Die Areflexie verschwand teilweise, ebenso die spastischen Zeichen. Von der unteren linken Extremität kehrten die normalerweise vorhandenen Reflexe wieder. Es bestand aber während der ganzen Zeit Inkontinenz der Blase und des Mastdarms. Nach 10 Tagen verschlechterte sich der Zustand zunehmend, so dass am 18.03. Exitus an Aspirationspneumonie erfolgte“.696

Am 18.02.1939, also genau elf Monate nach Versterben der H. B., wurde folgende histopathologische Befundmitteilung697 an den Vater der Verstorbenen, Herrn Dr. Israel H. B. gesandt: „unvollständige Gewebsnekrose auf vaskulärer Grundlage. Derartige Befunde sollen leider wiederholt bei Insulinbehandlung vorgekommen sein, ohne dass man sich die Zusammenhänge näher erklären kann; vielleicht handelt es sich um toxische Einflüsse noch nicht näher bekannter Ursache“.698 180 Insulineinheiten zugeführt. Vgl. Müller (1941), S. 218. Zudem finden sich eine Aktendokumentation, wonach die an Schizophrenie DD „psychogener Reaktion bei Psychopathie“ erkrankte N. H. am 09.11.1938 komplikationsfrei mit 180 Insulin-Einheiten behandelt wurde. Nachdem am 14.10. die „Insulinkur mit 20 E.“ begonnen worden war und die Patientin am 28.10.1938 „mit 120 Insulin-Einheiten noch nicht in den Schock“ gekommen war, sondern lediglich Hungergefühl äußerte und guten Appetit zeigte, wurde N. H. ab 07.11.1938, „da auch 170 Insulineinheiten ohne Wirkung blieben ‚geschaukelt‘. Erhält an einem Tag 60, am nächsten Tag 170 Einheiten. […]. 9.11.38: Kommt mit 180 Einheiten in den Schock. Nachmittags […] zugänglich und freundlich. […].“ Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 269/168. 696 Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 113/12. 697 „Zur Frage der morphologischen Hirnveränderungen im Gefolge von Insulinshock- [sic], Cardiazol- und Azomankrampfbehandlung“ sei u. a. verwiesen auf die Untersuchungen Johanna Hempels vom hirnpathologischen Institut der DFA für Psychiatrie. Vgl. Hempel (1941). Friedrich Wohlwill aus dem Pathologischen Institut des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg – St. Georg berichtete in der Biologischen Abteilung des Ärztlichen Vereins zu Hamburg am 08.11. 1927, dass sich „[b]ei zwei Diabetikern mit cerebralen Erscheinungen, die im Anschluss an offenbar überdosierte Insulindarreichung entstanden waren, […] weit verbreitete Ganglienzellveränderungen im Sinne der schweren Erkrankung Nissls, schwere Amöboidose der Glia und – in einem der beiden Fälle – eigenartige Achsenzylinderveränderungen [fanden]. Im Zusammenhang mit Tierversuchen wird angenommen, dass es sich um intravital eingeleitete, postmortal weiter fortschreitende Veränderungen handelt, die ihre Entstehung der im Gefolge der Insulinhypoglykämie auftretenden Alkalose verdanken. Die klinischen Erscheinungen dürften auf geringeren gleichartigen Einwirkungen beruhen, die sich schon in einem früheren Termin auf die Funktion des Nervengewebes geltend machen“. Vgl. Wohlwill (1928), S. 344. 698 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. Hans Jacob „[a]us der anatomischen Abteilung (Dr. Jacob) der Psychiatrischen und Nervenklinik der Hansischen Universität Hamburg-Eilbechtal (Prof. Bürger-Prinz)“ beurteilte „[d]ie Frage, inwieweit man aus dem Hirnbefund auf eine direkte

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Dem handschriftlichen Antwortschreiben des Dr. Israel H. B. vom 21.02.1939 können keine Verdachtsmomente seinerseits bezüglich eines risikoreicheren Vorgehens der Klinik bei jüdischen Patienten entnommen werden: „Hochgeehrter Herr Professor! Für die gütige Übersendung des mikroskopischen Befundes des Gehirnes meiner verstorbenen Tochter sage ich meinen herzlichen Dank. Besonders hat mich interessiert die Angabe btr. Insulinbehandlung. Hochachtungsvoll“!699

Es ist davon auszugehen, dass Meggendorfer alle möglicherweise verantwortlichen Teilaspekte für diesen unheilvollen Behandlungsverlauf rekapitulierte. Die Aktendokumentation im darauffolgenden Jahr zu E. G. weist darauf hin, dass an der Klinik nunmehr beim Auftreten von Komplikationen die Insulinbehandlung umgehend abgebrochen wurde: „10.10.40: gestern wurde mit der Insulinkur begonnen, Pat. kam noch nicht in den Shok [sic], schwitzte leicht. […]. 20.10.40. Noch nicht in den Shok [sic] gekommen […]. 26.10.40: Kommt heute zum ersten mal [sic] in den Shok [sic], wird gefüttert. Erhält 50ccm Traubenzucker i.v.[,] da sie von selbst nicht wach wird. Fühlt sich sehr elend, hustet, Temperatur steigt abends auf 39, die Pat. bekommt nachts Atemnot, der Zustand wird etwas bedrohlich. Pat. erhält Herzmittel, erholt sich langsam, die Insulinkur wird abgebrochen, da sie nicht von Pat. vertragen wird“.700

Mit Zugewinn an klinischer Erfahrung in dieser Behandlungstechnik konnte Meggendorfer in seinem Lehrbuch von 1950 bestimmte präzise Interventionsvorgaben bei gewissen Komplikationen angeben.701 Wäre dieses klinisch-praktische Wissen bereits 1938 verfügbar gewesen,702 so hätte eventuell das Versterben der H. B. verhindert werden können.

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toxische Einwirkung auf das Hirnparenchym schließen darf, […] zunächst deshalb [als] unentschieden […] weil alle Veränderungen, die dafür verantwortlich gemacht wurden, eben auch bei einwandfreien Kreislaufstörungen gefunden wurden […]“. Vgl. Jacob (1939), S. 302 und ebd., S. 305. Hans Jacob (1907–1997) arbeitete „[n]ach einer Weiterbildung in Neuropathologie an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München unter Walter Spielmeyer und Willibald Scholz [1889–1971] in den Jahren 1934 und 1935 […] von 1935 bis 1936 an der Landesanstalt für Psychiatrie in Zschadrass und war dann von 1937 bis 1956 als Oberarzt an der Universitäts-Nervenklinik in Hamburg-Eppendorf bei Hans Bürger-Prinz tätig. Dort leitete er in der Nachfolge von Alfons Maria Jakob das neuropathologische Labor“. Vgl. Schäfer (2004), S. 220. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 113/12. Ebd., Aufnahmenr.: 303/199. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 33. Die Notwendigkeit zur detaillierten Forschung anhand des individuellen gegebenenfalls auch komplikationsbehafteten Verlaufes der Insulinschocktherapie sah Maylay 1952 als entscheidend an: “In respect of irreversible coma these findings are in accord with the views of Rivers and Rome (1944) that age, sex and insulin dosage are not significantly related to prolonged coma but that the decisive facor is the total reaction at a given time. In insulin treatment even more than in other physical treatments avoidance of complications depends in skilled supervision; and better understanding of the complications depends more on detailed research on individual patients than on the kind of information that comes to me”. Vgl. Maclay (1952), S. 19.

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In seinem Vortrag vor der Physikalisch-Medizinischen Sozietät zu Erlangen ordnete Bingel die histopathologisch ausgedehnten, vaskulär bedingten Zellausfälle in der Hirnrinde am ehesten als unspezifisch ein, zumal sie bei den verschiedensten cerebral hypoxischen Zuständen, wie zum Beispiel bei CO-Vergiftung, Seifenembolie und Strangulation zu detektieren seien.703 „Auch die Epilepsie kann bekanntlich, zumal nach einem status epilepticus, zu derartigen Erbleichungen in der Hirnrinde führen. Ich nehme deshalb an, dass in den Fällen, in denen solche Hirnveränderungen nach Insulinbehandung gefunden wurden, die Komplikationen des Schocks, z. B. der epileptische Anfall oder Status epilepticus, für ihre Entstehung verantwortlich zu machen sind“.704

Revitch sah in seiner Veröffentlichung von 1954 gerade in den hirnmorphologischen Veränderungen das therapeutische Agens der Insulinkrampfbehandlung.705 Auer lieferte 1986 ein pathophysiologisches Erklärungsmodell für die neuronalen Veränderungen im Rahmen der Hypoglykämie. Hiernach steht der Neunonenuntergang in Zusammenhang mit einer Ruptur der Zellmembran im Kontext zellulärer Hyperexzitation.706 Maclay veröffentlichte 1952 seine Untersuchungen zu Todesfällen als Komplikation von psychiatrischer Behandlung.707 Gemäß seiner Studien zeigten die Letalkomplikationen bei Insulinkrampfbehandlung eine andere Altersverteilung als die bei der EKT.708 Hinweis auf den differenzierten Einsatz der Insulinkrampftherapie im Rahmen der zur Verfügung stehenden somatischen Therapieverfahren gibt folgendes Schreiben Meggendorfers an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung – geleitet über Dekanat und Rektorat Rektorat – vom 28.02.1942 zum Betreff „Insulinverwendung in den Universitäts-Nervenkliniken“: 703 Vgl. Bingel (1939a), S. 240. 704 Ebd. 705 “[a] study of eight cases of chronic schizophrenics who developed protracted coma during insulin shock therapy is reportet. Five of the eight patients showed marked improvement after protracted coma, and three remained unimproved. […]. Improvement is attributed to the organic brain damage which results in disruption of associative pathways not unlike the disruption in lobotomy”. Vgl. Revitch (1954), S. 91. 706 “Recent results indicate that uncomplicated hypoglycemia is capable of killing neurons in the brain. However, mechanism does not appear to be simply glucose starvation of the neuron resulting neuronal breakdown. Rather than such an ʻinternal catabolic deathʼ current evidence suggests that in hypoglycemia, neurons are killed from without, i. e. from the extracellular pace […]. The toxin acts by first disrupting dendritic trees, sparing intermediate axons, indicating it to be an excitotoxin. Exact mechanisms of excitotoxic neuronal necrosis are not yet clear, but neuronal death involves hyperexcitation, and culminates in cell membrane rupture”. Vgl. Auer (1986), S. 699. Summary. 707 “The information available is in the reports of death sent to the Board of Control, letters to Coroners, depositions at inquest, post-mortem reports and some instances additional facts provided by medical superintendents. I have been gone through the records of the last five and a half years (1947 to end of June 1952) in order to pick out the deaths which seem to be directly attributable to the treatment given”. Vgl. Maclay (1952), S. 13. 708 “The number of deaths due to insulin treatment of schizophrenia was 44, 24 males and 20 females. The age distribution is, as might be expected, in sharp contrast with the E. C. T. deaths. 36 were under the age of 35 and only 2 were over 55 years”. Vgl. ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Zu dem Erlass des Herrn Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 4.2.1942, As. da Nr. 89/42, der die Einteilung neuer Insulinkuren zur Behandlung schizophrener Kranker für die Zukunft verbietet,709 erlaubt sich die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen bemerken zu dürfen, dass in der Frage der Gleichwertigkeit der verschiedenen Behandlungsmethoden der Schizophrenie die offensichtlich irrige Ansicht besteht, dass die Insulintherapie durch die Krampfbehandlung (Cardiazolmethode oder Elektrokrampfverfahren) vollwertig ersetzt werden könne. Diese Ansicht entspricht sowohl nach den hiesigen Erfahrungen, wie nach den Erfahrungen vieler deutscher Kliniken und Anstalten keineswegs den Tatsachen. Es ist bekannt, dass nicht jeder Schizophrene auf die Krampfbehandlung gut reagiert. Es gibt bestimmte Erkrankungsformen der Schizophrenie, die in ganz ausgesprochener Weise nur auf die Insulinbehandlung reagieren, während andere Formen besonders gut durch die Krampfbehandlung beeinflusst werden. Ein bestimmtes Schema lässt sich hier nicht aufstellen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass vielfach schizophrene Krankheitszustände, die mit Erregung einhergehen, besser auf die Insulintherapie ansprechen, während die Krankheitsbilder, bei denen der Aktivitätsverlust im Vordergrund der Erscheinungen steht, besonders gut auf die Krampfbehandlung zu reagieren scheinen. Bekannt ist vor allem die gute Beeinflussung paranoid gefärbter Zustandsbilder durch die Insulin-Schockbehandlung. Vor allem darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass durch die Kombination der Insulin- und der Krampfmethode, vor allem in Form der sogenannten Superponierung, d. h. der Anwendung des Krampfes im hypoglykämischen Zustand, vielfach bis dahin noch unbeeinflusste Krankheitsbilder zu einer überraschenden Remission gebracht werden können.710 Aus diesen Erfahrungstatsachen, die unseres Wissens in den meisten Kliniken und Anstalten, die sich intensiver mit den modernen Behandlungsmethoden der Schizophrenie befassen, bestätigt worden ist, geht eindeutig hervor, dass die moderne Psychiatrie die Insulinbehandlung der Geisteskrankheiten nicht oder nur mit dem größten Bedauern entbehren kann. Es sei in diesem Zusammenhang weiter daran erinnert, dass auch beim manisch-depressiven Irresein die Insulin- und Krampfbehandlung zu einem unentbehrlichen therapeutischen Hilfsmittel geworden ist. In der Schizophreniebehandlung liegen die Verhältnisse sogar so, dass bestimmte, sehr lebensbedrohliche Zustandsbilder, z. B. die katatone Erregung,711 fast ausschließlich durch die Schockbehandlung beeinflusst werden kann bzw. die Kranken gerettet werden können. Es ist sicher, dass die ungeheueren Fortschritte der modernen Behandlung von Geisteskrankheiten weitgehend zunichte gemacht wird [sic], wenn die Möglichkeiten einer Insulinbehandlung in Zukunft ganz ausgeschlossen werden. Die Insulinbehandlung steht eben als gleichwertiger Faktor neben der Krampfbehandlung, sie kann niemals durch die Krampfbehandlung ersetzt werden. Aus diesen Überlegungen her-

709 „In Deutschland wurde die Insulinkomatherapie 1942 vorübergehend wegen des kriegsbedingten Insulinmangels verboten und vollständig durch die EKT ersetzt […]. Ab Anfang 1942 waren Insulinkuren nur noch auf Antrag möglich“. Vgl. Reinke et al. (2013), S. 9–10. 710 Eine kombinierte Insulin- und Elektrokrampftherapie wurde z. B. bei der verdachtsdiagnostisch an Schizophrenie leidenden K. K. durchgeführt: „25.2.42. Beginn der Insulin- und Elektrokrampfbehandlung. Pat. lag bisher im Bett, sie zeigte keine Lust aufzustehen. Sie wirkt im Ganzen etwas leer und antriebslos. Sie hofft, dass die Kur einen guten Erfolg bei ihr haben wird. 25.3.42: Pat. kam das erste Mal in den Schockzustand bei 168 Einheiten Insulin. 20.4.42. Kur wurde fortgesetzt. Pat. kommt fast täglich in den Zustand der Bewusstlosigkeit und wird mit der Sonde gefüttert. […]. Sie habe immer Minderwertigkeitsgefühle, wolle nach der Entlassung auch erst zu Hause bleiben und vielleicht erst später ihren Beruf wieder anfangen. […]. Intellektuell bestehen keine Ausfälle. 25.4.42: entlassen“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 121/42. 711 Die perniziöse Katatonie, ein „stets lebensbedrohlicher Zustand mit Akinese, Rigor, Hyperthermie, Exsikkose, Elektrolytentgleisungen und vegetativer Dysregualation“ ist aktuell weiterhin eine EKT-Indikation. Vgl. Payk (2003), S. 177 und ebd., S. 364.

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aus ergibt sich die Folgerung, dass nach Möglichkeit eine Revision der oben angeführten Anordnung des Herrn Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung erreicht werden möge. Wenn auch eine weitgehende Beschränkung des Insulinverbrauchs dringend erforderlich ist, so ließe sich doch vielleicht eine bestimmte Menge Insulin für die Behandlung von Geisteskranken freistellen. Dabei könnte ausdrücklich angeordnet werden, dass zur Ersparung einerseits nur die am meisten aussichtsreichen Fälle mit kurzer Krankheitsdauer (bis zu einem halben Jahr) behandelt werden dürfen und dass andererseits solche Fälle von der Behandlung auszuschließen wären, bei denen sich bei Einleitung des Behandlungsverfahrens ergibt, dass sie eine abnorm hohe Insulinresistenz besitzen (bei der letzteren Gruppe der Kranken handelt es sich um solche, die zur Erzielung einer einwandfreien Hypoglykämie weit über 200, ja über 300 Einheiten Insulin brauchen712). Die Psychiatrische und Nervenklinik hat jedenfalls den dringenden Wunsch, auch weiterhin die Insulintherapie bei ihren Kranken anwenden zu können, und wird einen entsprechenden Antrag auf Zuweisung von Insulin unmittelbar an den Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten in Berlin richten“.713

Interessant in diesem Kontext ist auch der vergleichende Blick zu Bürger-Prinz, der sich als Beratender Psychiater „[i]n seinen Briefen und Berichten […] für die Beibehaltung der Insulinschocktherapie bei psychogenen Reaktionen trotz der Knappheit des Insulins ein[setzte]“.714 Meggendorfers Vorschlag zur Auswahl der erfolgversprechendsten Insulinkrampftherapie-Kandidaten könnte als moralisch fragwürdig imponieren; im Kontext der allgemeinen kriegsbedingten Begrenzungen ließe sich ein derartiges Verhalten – in Assoziation zur Schiffbruch-Situation – am ehesten im Sinne eines „Frauen und Kinder zuerst“715-Verhaltenskodex einreihen. Seine dringende Bitte um fortgeführte Möglichkeit der Anwendung von Insulinkuren könnte als Beweis fungieren, dass Meggendorfers Einsatz für somatische Therapieverfahren nicht originär „Vierjahresplan“- motiviert war – wie auf S. 411, Fn. 692 diskutiert – sondern dass Meggendorfer primär die bestmögliche Therapieoption für seine Patienten anstrebte.

712 Weiterführend zur Dosierung bei der Insulinkrampftherapie siehe S. 410 sowie S. 412, Fn. 695 und S. 416, Fn. 710. 713 UAE: A6/3i. 714 Berger (1998), S. 259. Weiterführend ebd., S. 114–115. „Bekannt ist auch, dass sich Ärzte der [Münchener Nerven][k]linik unter Bumke zugunsten ihrer Patienten über Anordnungen der Behörden hinwegsetzten. So sollte beispielsweise die Verwendung von Insulin zur Behandlung der Geisteskrankheiten – die ‚Insulinkur‘ wurde vor allem bei Schizophrenien eingesetzt – mit dem Runderlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 4.2.1942 eingestellt und Insulin ausschließlich für Diabetiker genutzt werden. Dennoch wurden Insulinkuren, wenn auch in geringerer Quantität, in der Klinik durchgehend bis zum Sommer 1944 angewandt und – soweit Insulin überhaupt zu bekommen war, – auch darüber hinaus“. Vgl. Hippius et al. (2005), S. 123. 715 Kinder, zumal die größte Lebensspanne noch vor sich habend, sollen als erste das sinkende Schiff verlassen. In Analogie hierzu könnte Meggendorfers Vorschlag stehen, die kostenintensive Insulintherapie nur den „frischen Fällen“, zumal mit bester Aussicht auf einen Gewinn an krankheitsunbeeinträchtigten Lebensjahren, vorzuenthalten.

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3.3.5 Die Anordnung zu „judenfreiem“ Patientengut und ihre Umsetzung Die ärztliche Versorgung der Juden im NS-Deutschland716 stellt nach Henry Friedlander (1930–2012) ein relevantes Verbindungselement dar „für die Klärung des Zusammenhangs zwischen ‚Euthanasie‘ und ‚Endlösung‘“.717 Die 1898 im polnischen Ort „Friszthak“718 geborene, israelitisch verheiratete Patientin S. S. wurde – auf Einweisung des Landgerichtsarztes des staatlichen Gesundheitsamtes Coburg – am 25.11.1938 in die Psychiatrische und Nervenklinik aufgenommen, wo man die Diagnose „symptomatische Psychose bei Basedow“ stellte. Im Verlauf wurde die Patientin zur Schilddrüsenoperation in die Chirurgische Klinik unter der Leitung von Prof. Dr. Otto Goetze (1886–1955)719 verlegt. Am 24.01.1939 übersandte ein Oberarzt der Chirurgischen Universitätsklinik eine Mitteilung an die Psychiatrische und Nervenklinik. Die angedachte Schilddrüsenoperation habe nicht stattfinden können: „Am 20.01. wurde die Patientin aus unserem Krankenhaus entlassen, auf Grund einer Verordnung, dass jüdische Kranke an jüdischen Krankenhäusern zu behandeln sind“.720 Die Chirurgische Universitätsklinik Erlangen befolgte somit spätestens ab Anfang des Jahres 1939 die Anordnung zu „judenfreiem“ Patientengut.

Abb. 38: Schreiben der Chirurgischen Klinik an die Psychiatrische Klinik betr. Entlassung jüdischer Patienten721

716 Zur Herausforderung für eine halachisch orientierte Medizinethik in Anbetracht der Opfer der Medizin im Nationalsozialismus siehe ferner Baader (1996). 717 Friedlander (1987), S. 34. Siehe ferner: Ders. (1995). 718 Vermutlich gemeint sein könnte der Ort „Frysztak“ bzw. auf deutsch „Freistadt“. Weiterführend siehe auch Statistisches Bundesamt Wiesbaden (1958). 719 Rektor der Universität Erlangen im Studienjahr 1951/1952. Vgl. http://www.historische-kommission-muenchen-editionen.de/rektoratsreden/anzeige/index.php?type=universitaet &id=127. Stand vom 03.01.2015. 720 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 315/204. 721 Ebd.

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Eine Befolgung dieser Vorgabe seitens der Psychiatrischen und Nervenklinik unter der Leitung Friedrich Meggendorfers lässt sich erst drei Jahre später – Anfang des Jahres 1942 – nachweisen anhand der Aktendokumentation zur jüdischen Patientin M. K. Die 43jährige manisch-depressiv erkrankte, geschiedene Patientin war bereits 1938/1939 für circa neun Monate in der Psychiatrischen Universitätsklinik behandelt worden722 und wurde von der Gestapo am 22.11.1941 erneut eingewiesen. 722 „M. K., geb. 05.04.95, israelisch [sic], geschieden, Kaufmannsehefrau, Diagnose: manisch- depressives Irresein, stationäre Aufenthalte: 28.11.1938–31.8.1939; 22.11.1941–15.01.1942, Sterilisation: durchgeführt 1937“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 307/200; 376/296. 1. stationärer Aufenthalt: „Wird von einer Schwester des Städt. Kr. Hs. hie[r]her gebracht. – Wird in lebhafter Unterhaltung, laut lachend auf der Abtl. angetroffen. Spricht davon, dass ‚der Hitler‘ so ein idealer Mensch ist. Sie hätte schon vor 2 Jahren von Marienbad dem Hitler geschrieben: ‚Sehr geehrter Reichskanzler und Diktator! Ich verehre Sie als Reichskanzler und Diktator. Rassentheorie ist eine Sache für sich. Gez. M. K., Jüdin. NB. [Nicht Bekennend?] Besuchen Sie mich, XXstr. 282‘. Redet ununterbrochen, hauptsächlich über Hitler. Ist sichtlich euphorisch, kommt von einer Idee auf die andere: ‚Ich habe im Januar den Führer gesehen. Zuerst habe ich ihn in Nürnberg auf dem Reichsparteitag gesehen. Da bin ich schon ausgerissen, weil mir der Trubel zu groß war. Marienbad war ganz kommunistisch eingestellt. Ich würde den Führer heiraten, wenn er jüdisch wird. Ich meine aber, jede Sau bleibt bei ihrem Trog. Ich habe den Führer sehr gern, aber nur unter der Bedingung, dass er Jude wird. Er muss gekrönt werden erst, der König von Bayern muss er werden. Bayernland [sic] ist sein Lieblingsland, Obersalzberg. Der ist einer der größten Männer von ganz Europa. Ich habe an den Führer geschrieben, das liegt alles bei Herrn Prof. Fleck‘: ‚Sie sind ein großer Staatsmann aber kein Diplomat wie Bismarck. Nehmen Sie sich zusammen, sonst werden Sie überrumpelt‘, stille Verehrerin M. K. habe ich geschrieben. U. s. w. […] Sie sei reich, sehr reich, besitze eine Viertel Million, nein, eine halbe Million, vielleicht 5 Millionen mit ihrer Mutter zusammen. Sie hält sich für eine große Persönlichkeit, ‚dem Führer ebenbürtig‘. Es lebt nur noch die Mutter, 71 J. alt, der Vater starb 1929 an Herzleiden. 1 Kind, Sohn mit 14 Jahren gesund. In der Familie sollen keine Nervenleiden u. ä. vorgekommen sein“. Vgl. ebd. „XX“ wurde eingesetzt, da Straßennahme nicht lesbar. 29.11.1938: „Redet ununterbrochen von den zahlreichen Heiratsanträgen, die ihr sowohl Christen als auch Juden gemacht hätten. Sieht in einer Mitpatientin ‚ein Verhältnis‘ ihres 70-jährigen Onkels, die ihn ‚verführt‘ habe. In ihrer Stimmung sehr labil. Sagt in dem einen Augenblick, sie habe mit Politik nichts zu tun, sei die größte ‚Antisemitin, die je gelebt‘ habe, schimpft dann plötzlich los, sie bleibe nicht in einem ‚antijüdischen‘ Hause. Hat dauernd Sonderwünsche, vermag Mitkranke, Pflegerinnen und Ärzte den ganzen Tag zu beschäftigen“. Vgl. ebd. 11.12.1938: „Weiterhin vorwiegend euphorisch gestimmt. Starker Rede- und Betätigungsdrang. Macht in der Pflege große Schwierigkeiten, räumt die Nachtkästchen der anderen Kranken aus, belästigt durch ihr vieles Reden ihre Umgebung. Sieht in jeder Mitkranken eine andere Bekannte. Muss auf die unruhige Wachabteilung verlegt werden, wird hier ‚gesondert‘“. Vgl. ebd. 22.12.1938: „Ist von der Verlegung in keiner Weise beeindruckt. Singt fast den ganzen Tag, nimmt jede Gelegenheit wahr[,] um aus dem Einzelzimmer herauszukommen[,] um sich unterhalten zu können. Gelegentliche Stimmungsschwankung. Schimpft und weint zeitweise“. Vgl. ebd. 04.01.1939: „Zustand völlig unverändert. Wirft infolge ihres Betätigungsdranges Kleidungsstücke und Esswaren aus dem Fenster. Bekritzelt die Wände, wischt Stuhl und Urin mit dem Hemd oder dem Bettbezug vom Boden auf“. Vgl. ebd. 19.01.1939: „Geringe Besserung. Kommt jedoch mit einigen Pat. immer in Konflikt, sie kann ihren Mund nicht halten, redet ununterbrochen auf ihre Umgebung ein, auf Vorhaltungen spielt sie immer die Unschuldige. Queruliert sehr viel. Wirkt sehr lästig bei den Visiten, läuft dem Arzt ständig nach, hat viele Fragen. Ist immer noch hemmungslos, äußert Größenideen, will heute noch Hitler heiraten, wenn er damit einverstanden wäre“. Vgl. ebd. 12.02.1939: „Ist nicht mehr isoliert, läuft auf der

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Der zweite stationäre Aufenthalt der M. K. zeigt am Aufnahmetag, dem 22.11. 1941, folgende Dokumentation: „Heute wird die Pat. von der Gestapo eingewiesen. Seit sie vor 2 Jahren nach Hause ging, war sie immer zu Haus, lebte ruhig, ihre Gesundheit war gut. Sie hat sich ganz gesund gefühlt, konnte ihre Arbeiten beim Haushalt ordentlich machen – Sie glaubt, dass dieser Krieg ganz umsonst gemacht wird, die Juden sind nicht auszurotten, weil es gibt auch gute Juden, nicht nur schlechte. Sie hat ihre Meinung an Roosevelt [1882–1945] geschrieben, aber ihr Brief wurde von Gestapo gestoppt. Sie hat alles andere an Führer geschrieben, weil sie überzeugt ist, dass der Führer sie verheiraten [sic]723 wird, damit hat sie alles mit Zuversicht geschrieben,

Abteilung herum, gibt an, tut selbst wenig, schwätzt nur ununterbrochen; ist nicht mehr ausgesprochen ideenflüchtig. Stimmung vorwiegend hypomanisch, dazwischen treten plötzlich weinerliche Verstimmungszustände aus, bringt allerlei körperliche Klagen dann vor[,] wie, dass es ihr im Hals wehtue, macht dem Arzt Vorwürfe, dass er sich um sie nicht kümmere. Ist überhaupt sehr distanzlos, kennt wenig Rücksicht, selbst z. B. ihrer Mutter gegenüber. Bei deren Besuch beschimpfte sie die über 70-jährige Frau und lehnte nach kurzem Wortwechsel eine weitere Unterhaltung mit dieser ab. Zeigt sich nachher vollkommen kritiklos, versucht sich hinauszureden, kommt rasch vom Kern der Sache ab“. Vgl. ebd. 28.02.1939: „Das Verhalten der Pat. hat sich auch weiterhin nicht geändert. Charakteristisch ist ein vor wenigen Tagen an Gauleiter [Julius] Streicher [1885–1946] gerichteter Brief. Auf zerknittertem dünnen Papier schreibt sie ‚An den Obergauleiter‘ und setzt dabei als selbstverständlich voraus, dass Streicher von ihrem Aufenthalt im Städt. Krankenhaus Bescheid weiß, Prof. Fleck wird, so meint sie[,] Streicher davon in Kenntnis gesetzt haben. Als Grund ihres Aufenthaltes im Krankenhaus gibt sie ‚schwere Herzgeschichte‘ an. In ihrem Brief will sie sich merkwürdigerweise über eine Pat. beschweren, die sie als lebensgefährlich bezeichnet und die auf sie losgegangen sein soll[,] was im 3. Reich [sic] nicht statthaft wäre. Sie bittet den Gauleiter, er soll so liebenswürdig sein und sie dahin bringen, wohin sie gehöre. Sie beruft sich darauf, dass sie Nürnbergerin ist und keine Polin“. Vgl. ebd. 06.04.1939: „Ist noch sehr störend, redet ohne Unterbrechung, musste einige Wochen in der Zelle gehalten werden, da sie andere Pat. belästigte, ihnen auch Teller aus der Hand schlug, dann wieder sehr anlehnungsbedürftig war, andere Mitpatienten küssen wollte e.c.t. – Während der Zeit, in der sie isoliert war, hatte sie keinerlei Hemmungen mehr, sie urinierte in ihren Teller, schmierte mit Kot die Wände voll, sang, pfiff während der Nächte“. Vgl. ebd. 10.06.1939: „Die manische Erregung hat etwas nachgelassen, sie ist noch sehr geschäftig und geschwätzig, will auf der Visite überall beachtet werden, hat bei jeder Visite eine andere Klage oder Beschwerde, bald hat sie Kopfschmerzen, dann angeblich einen geschwollenen Fuß. Objektiv lässt sich aber nie etwas finden“. Vgl. ebd. 18.07.1939: „Die Erregung ist völlig abgeklungen, sie ist eher depressiv, weint, macht sich Sorgen um ihre Mutter u. ihr Kind, bringt allerlei Versündigungsideen vor, glaubt, dass sie u. ihre Angehörigen verloren seien, spricht auch gelegentlich von Selbstmordabsichten, die aber anscheinend nicht sehr ernst gemeint sind. Dann sitzt sie längere Zeit ruhig dort, starrt vor sich hin, heult und jammert zwischendurch“. Vgl. ebd. 10.08.1939: „Der depressive Zustand ist wieder weitgehend abgeklungen, sie ist freier und gelöster, macht sich keine Sorgen mehr um allerlei Nichtigkeiten, ihr Befinden schwankt im Tage zwischen leicht verstimmt u. hypomanisch. Bes. gegen Abend wird sie gesprächig, lacht viel, ist anmaßend (wohl schon vor ihrer Erkrankung), will die Hauptrolle spielen, provoziert andere Pat., singt das Horst Wessellied u. das Deutschlandlied“. Vgl. ebd. 13.08.1939: „Wird heute in weitgehend gebessertem Zustand nach Hause entlassen. Ist zwar immer noch leicht hypomanisch, aber sie war wohl in ‚gesunden‘ Zeiten immer so“. Vgl. ebd. Zu Horst Wessel (1907–1930) weiterführend Siemens (2009). 723 Es bleibt offen, ob die Patientin wechselweise einerseits die Vorstellungen artikulierte, Adolf Hitler selbst werde sie ehelichen beziehungsweise andererseits angab, Adolf Hitler werde die

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Polizei und Gestapo haben sie oft besucht, jetzt endlich hierher eingewiesen, aber sie hofft, dass sie in den nächsten Tagen wieder frei werden kann. Körperlich kann man keine Veränderung feststellen (gegen den Befund 28.11.38) – Psychisch ist sie außerordentlich aufgeregt, sie klagt, weint endlos, dann betet [sie] für die ‚guten‘ Juden, dass Moskau nicht fallen soll, dass der Krieg beendet sei. Sie ist örtlich, zeitlich und persönlich gut orientiert“.724

Fünf Tage später, am 27.11.1941 wurde dokumentiert, die Patientin verletze die Mitpatienten durch Kratzen und Beißen. Sie müsse tagelang im Bade und nachts oft in der Zelle sein. Sie gebe an, der Führer sei ihr Mann. Am 07.12.1941 wurde M. K. als außerordentlich lebhaft und manisch beschrieben. Sie rede sehr viel, sei in den letzten Tagen immer sehr froh, esse ausreichend, schlafe nur wenig. Am 09.12.1941 redete die Patientin ununterbrochen und griff ihre Mitpatienten oft an. „Sie muss den ganzen Tag im Dauerbad gehalten werden. Abends bekommt sie täglich 1 gr. Veronal, so schläft sie verhältnismäßig ruhig“.725 Fünf Tage später, am 14.12.1941, findet sich der Vermerk, M. K.s „Unruhigkeit steige[] immer“.726 Sie könne kaum im Bade gehalten werden und müsse in der Einzelzelle bleiben. Wiederum fünf Tage später, am 19.12.1941, ist als Ausspruch M. K.s dokumentiert, „Stalin [1878–1953] muss siegen, dass die Juden in Frieden leben können“.727 Die Patientin machte die Angabe, an Roosevelt schreiben zu wollen. Sie erwarte den Führer, „dass er sie abholen und feierlich verheiraten [sic] soll. Sie begrüßt jedermann mit ‚Heil Hitler‘!“.728 Vier Tage später, am 23.12.1941, ist vermerkt, im psychischen Zustand der M. K. sei keine Besserung zu sehen. Die Dokumentation von 04.01.1942 gibt an, in den letzten Tagen sei keine Änderung beobachtbar gewesen. Am 15.01.1942 ist abschließend festgehalten: „Pat. wird heute in die HuPflA Sayn abgeholt“.729 In der Patientenakte archiviert ist ein Schreiben des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 22.07.1958 an die Universitätsnervenklinik Erlangen mit folgendem Wortlaut: „In einer Entschädigungssache vertreten wir die Erben der jüdischen Verfolgten M. K. […]. Offenbar hielt sich Frau K., die schwer nervenleidend war, nach ihrer Abmeldung aus Nürnberg in der Universitäts-Nervenklinik Erlangen auf. Wir bitten um Mitteilung, ob sich über diese Tatsache, sowie über das weitere Schicksal der Frau K. Unterlagen bei Ihnen finden. Wir benötigen diese Angaben zum Nachweis dem Landesentschädigungsamt gegenüber“.730

Das oberärztliche Antwortschreiben vom 30.07.1958 auf die Anfrage des Oberlandesgerichts Nürnberg hatte folgenden Inhalt:

724 725 726 727 728 729 730

Trauungszeremonie leiten. Alternativ könnte es sich um verschriftlichte Ungenauigkeiten handeln, so dass das Einklammern des „ver“ erfolgte. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200; 376/296. Zur Gestapo siehe ferner Dams/Stolle (2017). APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200; 376/296. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Auf Ihre Anfrage […] teilen wir mit, dass Frau M. K. in der Zeit vom 28.11.38 bis 31.8.39 sowie vom 22.11.41 bis 15.1.42 in der hiesigen Klinik behandelt worden ist. An dem letztgenannten Termin wurde sie in die Heil- und Pflegeanstalt Sayn b/Bendorf/Rh, die der damaligen ‚Reichsvereinigung der Juden in Deutschland‘ vorbehalten war, verlegt“.731

In den Krankenakten von M. K. ist folgendes Schreiben Meggendorfers an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland/Berlin-Charlottenplatz – Abteilung Fürsorge vom 11.12.1941 enthalten: „Ich habe mich am 22.11.41 bereit erklärt, M. K. […] vorübergehend in die Klinik aufzunehmen, vorausgesetzt, dass sie sobald als möglich in die Heil- und Pflegeanstalt Sayn überführt wird. Frau K. ist Selbstzahlerin, sie scheint ganz vermögend zu sein. Bis jetzt konnte ich nicht erfahren, ob bereits Anstalten zur Verlegung von Frau K. nach Sayn, eingeleitet sind. Ich bitte für die baldige Verlegung von Frau K. besorgt zu sein. Hochachtungsvoll! Der Direktor“.732

Vor dem Hintergrund, dass die Chirurgische Klinik – wie oben angeführt –733 bereits ab Anfang 1939 keine jüdischen Patienten mehr behandelte, ist Meggendorfers Angebot der vorübergehenden stationären Aufnahme hervorzuheben. Am 30.11. 1941 erkundigte sich „Dr. C. Israel Beer – Arzt für innere Krankheiten – Zur ärztlichen Behandlung ausschließlich von Juden berechtigt“734 bei der psychiatrischen Direktion nach dem Zustand seiner Patientin M. K.

Abb. 39: Schreiben des Dr. Carl Israel Beer an Meggendorfer735

731 732 733 734

Ebd. Ebd. Siehe hierzu S. 418. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200; 376/296. Weiterführend hierzu auch Schmiedebach (2002). 735 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200; 376/296. Zur Pflicht jüdischer Bürger, ab August 1938 „Sara“ oder „Israel“ als zweiten Vornamen zu tragen siehe Kleikamp (2013).

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Der selbige niedergelassene jüdische Mediziner736 praktizierte noch 1943 in Nürnberg und bat die Erlanger Universität schriftlich, sie möge an ihren Kliniken jüdische Kranke aufnehmen.737 Am 19.12.1941 antworteten Dr. Dr. Walter Lustig und Margarete Hartstein von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland auf Meggendorfers Schreiben vom 11.12.1941 folgendermaßen: „Der Fall war uns bisher nicht bekannt. Wir haben uns mit der ärztlichen zuständigen Jüd. Kultusvereinigung Nürnberg und der Heil- und Pflegeanstalt Sayn in Verbindung gesetzt. Sofern feststeht, dass es sich um ein von uns zu betreuendes Mitglied der Reichsvereinigung handelt und die Verlegung der Patientin nach Sayn durch die Direktion Ihrer Klinik erfolgt, wird für schnellstmögliche Unterbringung Sorge getragen werden. Wir bitten noch um Angabe, ob die Patientin entmündigt und wer ihr Vormund bzw. Pfleger ist“.738

Abb. 40: Schreiben der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an Meggendorfer739

736 Weiterführend zum „Deutsche[n] Ärzteblatt und d[en] jüdischen Mediziner 1933–1945“ siehe Waigand (2001). 737 „Gesuch um Behandlung von jüdischen Kranken in den Universitätskliniken. […], 27.3.1943. ‚Es besteht hier nicht die Möglichkeit, jüdische Kranke, die dringend operiert werden müssen, in ein Krankenhaus zu überweisen. Ich bitte daher um die Genehmigung, dass solche Patienten in den Universitätskliniken in Erlangen aufgenommen werden dürfen‘“. Vgl. Lehmann (1993b), S. 348. „Ablehnung des Gesuches durch den Dekan der Medizinischen Fakultät Erlangen. Weitergabe des Gesuchs [sic] durch Prorektor Herrigel und Stellungnahme des Dekans Prof. Greving. Erlangen 5./8.10.1943 ‚Meines Erachtens ist es die Aufgabe der Stadtverwaltung dafür Sorge zu tragen, jüdische Kranke einem Städtischen Krankenhaus zuzuweisen. Wenn städtische Krankenhäuser die Aufnahme […] verweigern, so kann dies Universitäts-Kliniken ebensowenig zugemutet werden. Es kommt hinzu, dass z. Zt. wegen der starken Besetzung der Kliniken nicht einmal alle arischen Patienten aufgenommen werden können. Es ist daher auch aus diesem Grunde unmöglich[,] jüdische Kranke aufzunehmen‘“. Vgl. ebd. 738 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200, 376/296. 739 Ebd.

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Am 21.12.1941 erbat der behandelnde Arzt Dr. Carl Beer das passagere Übersenden der Krankengeschichte an das Jüdische Krankenhaus/Sayn: „Sehr geehrter Herr Professor, für Ihren Bericht betr. den Zustand meiner Patientin, Frau M- S. K., danke ich Ihnen sehr. Inzwischen bekam ich auf mein Ersuchen von der Heil- und Pflegeanstalt Sayn – Bendorf den Bescheid, dass die Patientin unter gewissen Voraussetzungen dort Aufnahme finden kann. Wäre es möglich, die dortige Krankengeschichte auf kurze Zeit der Anstalt Sayn zu überlassen? Darf ich Sie, Herr Professor, auch um Mitteilung bitten, ob ungefähr abzusehen ist, wann an die Möglichkeit der Überführung der Kranken nach Sayn zu denken wäre? Die Mutter der Patientin wollte sie eventuell besuchen, aber ich habe ihr davon für die nächste Zeit abgeraten“.740

Der Transport nach Sayn wurde durch Meggendorfers Klinik organisiert, zumal die Reichsvereinigung „zu [ihrem] Bedauern [Meggendorfer am 27.12.1941] mitteilen [musste], dass [sie] infolge Personalmangels741 Frau K. nicht abholen können“.742 Die 1868 gegründete Israelitische Krankenanstalt in Sayn wurde 1939 von den nationalsozialistischen Machthabern übernommen und stand ab September 1939 unter der Kontrolle des Reichssicherheitshauptamtes beziehungsweise der Gestapo.743 Ein Runderlass des Innenministeriums vom 12.12.1940 sah vor, „dass geisteskranke Juden künftig nur noch in die von der Reichsvereinigung der Juden unterhaltene Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn, Kr. Koblenz, aufgenommen werden dürfen“.744 Ende September 1941 wurde dort angeordnet, „dass […] die […] untergebrachten Geisteskranken das Kennzeichen745 tragen müssten“.746 Bereits am 12.10.1940 hatte es einen Erlass gegeben, wonach jüdische nicht gemeinsam mit „arischen“ Patienten unterzubringen seien: „Jüdische Kranke sollten, wenn die Aufnahme schon nicht zu vermeiden war, so bald wie möglich in die‚ von der Reichvereinigung der Juden unterhaltene Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn, Krs. Koblenz‘ verlegt werden“.747

Infolgedessen musste die 1869 gegründete, an sich für circa 80–100 Patienten konzipierte Anstalt im Verlauf der 1940er Jahre bis zu über 500 Kranke beherbergen. Von hier aus wurden, wie Hühn anführt, Anstaltsinsassen initial nach Hadamar,748 ab März 1942 nach Osten transportiert in die Lager der „Aktion Reinhard“. 740 Ebd. 741 Ein anhaltender Personalmangel könnte mitverantwortlich gewesen sein für den Tod der manisch-depressiv erkrankten P. E. durch fremdaggressives Verhalten einer Mitpatientin. Siehe hierzu S. 459. 742 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 307/200, 376/296. 743 Vgl. http://www.alemannia-judaica. de/sayn_ anstalt. htm#Zur. Stand vom 06.12.2013. 744 RMBliV 1940 Nr. 51, S. 2262, zit. n. ebd. 745 gemeint: Judenstern. 746 Hildesheimer (1994), S. 206. 747 Landesarchiv Berlin Rep. 214, Acc. 794, Nr.13., zit. n. Hühn (1988b), S. 130. 748 Zu jüdischen Opfern der „Aktion T4“ siehe ferner Hinz-Wessels (2010). „Dieser Begriff [‚Gnadentod‘] wurde so wörtlich genommen, dass man den ‚Gnadentod’ in den ersten Monaten der Euthanasie nur ‚arischen Kranken’gewährte. Geisteskranke Juden blieben am Leben, sie waren dieser ,Wohltat nicht würdig’. Doch bald verschob sich der Maßstab immer mehr zu den Gesunden hin“. Vgl. Kleemann (1970), S. 11. „In den Nürnberger Prozessen haben SS-Offiziere

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Nach Räumung der Anstalt am 10.11.1942 erfolgte ein Umfunktionieren der Gebäudlichkeiten zu einem Ausweichkrankenhaus.749 Um die Verlegungspraxis Meggendorfers in Bezug auf die Patientin M. K. besser beurteilen zu können sind folgende nähere Angaben zu Sayn und den Formalitäten der „Patientenbestückung“ notwendig: Nach Strous stellte das Jüdische Krankenhaus in Bendorf/Sayn (Rheinland)750 “[a]n island of temporary safety for the jewish mentally-ill” dar.751 Bendorf-Sayn stellte also – den Angaben von Strous zufolge – im Zeitraum zwischen Oktober 1941 und Oktober 1942 wohl den geschütztesten Raum für Juden in Deutschland und Österreich dar. In einem Schriftstück des Gründers der Anstalt Bendorf-Sayn lässt sich zu Sayn folgende Passage finden: „Das […] von mir gegründete und neu gebaute Asyl Bendorf wurde am 1. Juli 1857 eröffnet […]. Im Jahre 1863 wurde die Villa Sayn dazu erworben […]. Namentlich Sayn freut sich einer

später jedoch gestanden, dass die Gaswagen und das Personal aus dem Euthanasieprogramm, also die an Geisteskranken ausgebildeten Mörder, später in den Osten gebracht worden sind. Dort wurden diese Truppen mit praktischen ‚Vorstudien‘ mit der Massenvernichtung der Juden und der slawischen Völker beauftragt. Diese Kausalkette kann niemand wegdiskutieren“.Vgl. ebd. Weiterführend zu „[j]üdische[n] Patienten als Opfer der NS-,Euthanasie‘“ siehe Lilienthal (2009). 749 Vgl. Hühn (1988b), S. 130. Siehe ferner Schmelter (1999). 750 In Bezug auf die sogenannten „Rheinlandbastarde“ aus der Liaison deutscher Frauen mit afrikanischen Besatzungssoldaten während der Rheinlandbesetzung von 1918 bis 1926 „bildete man [im Reichsgebiet] drei Kommissionen, die von Beamten der Gestapo geleitet wurden und über die durchzuführende Sterilisation im Einzelfall entscheiden sollten. Neben zwei ärztlichen Mitgliedern, einem Protokollführer und einem Fotografen gehörten den Kommissionen ‚anthropologische Gutachter‘ an, die Gutachten über die ‚rassische‘ Zugehörigkeit der Kinder anfertigen sollten. Zu diesen Gutachtern gehörten Wissenschaftler wie Prof. Dr. med. Eugen Fischer, Prof. Dr. Wolfgang Abel [1905–1997], Prof. Dr. Herbert Göllner und Dr. Engelhardt Bühler vom ‚Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik‘ (KWI) in Berlin-Dahlem, die auch Blut- und Haarproben von den Sterilisierten in Berlin untersuchten. Vgl. Tascher (2016b), S. B 354. Zur biowissenschaftlichen Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten und den Verbrechen des NS-Regimes sei verwiesen auf Sachse/Massin (2000). 751 Strous (2008), S. 254. “In 1939 the hospital, named Jacoby hospital (Jacoby’sche Heil- und Pflegeanstalt) after its original founders in 1869, was bought from the Jacoby family by the Reich association of Jews in Germany (Reichsvereinigung). On 12 December, 1940, an order was issued instructing all Jewish patients to be sendt to the hospital. However, it was an order that could not be executed since the hospital could not provide service for all Jewish mentallyill of the area. Here at this hospital for the Jewish mentally-ill Jewish handicapped patients were not included in T4 Program since they were ʻalready isolatedʼ from German Society. This safety net was short-lived and the Reich Inferior Ministry via the commissioner of the Reich for all psychiatric hospitals, Dr. Herbert Linden [1899–1945], officially declared the Jewish psychiatric hospital ʻclosedʼ as of 11 October, 1942. All Jewish patients would be sent to the Berlin Jewish hospital. But following the deportation of all German and Austrian Jews from October 1941, Jewish patients from Bendorf-Sayn were transferred in cattle cars to death camps in Poland (via Lublin district). In this manner, Jewish staff, mentally and non-mentally–ill shared a common fate. Following the transfer and death of all Jewish mentally-ill and their staff, Bendorf-Sayn received a new landlord – the Evengelical Monastery of St. Martin”. Vgl. ebd. Zu Linden siehe ferner Linden (1939).

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit herrlichen Lage am Ausgange zweier romantischer Seitenthäler des Rheines, und der terrassenförmig am Bergabhange angelegte Garten der Villa beherrscht einen grossen Theil des herrlichen Panoramas von Coblenz“.752

Zu den Korrespondenzpartnern Meggendorfers von Seiten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland sowie zu dieser Organisation an sich lassen sich mitunter folgende Informationen finden: Dr. Dr. Walter Lustig war ab 1939 Leiter der Abteilung Gesundheitsfürsorge der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und seit 1942 ärztlicher Direktor des Jüdischen Krankenhauses Berlin. „Der Name Walter Lustig weckt bis heute bei jüdischen Zeitzeugen heftige Aversionen. Vor allem nach 1945 umrankte seine Person ein negativer Mythos“.753 Ab 1943 hatte die Reichsvereinigung (RV) keinerlei Möglichkeiten der Intervention mehr, sie wurde am 10.06.1943 offiziell aufgelöst. Ersetzt wurde die Organisation durch die Person Lustigs, der die Rest-RV mit einem kleinen Stab ergebener Mitarbeiter weiterführte.754 Ende Juni 1945 wurde Lustig von überlebenden Juden wegen seiner Zusammenarbeit mit der Gestapo angezeigt und vom „Volkskommissariat für innere Angelegenheiten“ der UdSSR verhaftet. Er wurde im Gefängnis Rummelsberg Ende 1945 hingerichtet. Die Wohlfahrtspflegerin Margarete Hartstein suizidierte sich bereits 1942. Von Sayn aus wurden im Jahr 1942 zwischen März und November 573 Personen in Vernichtungslager deportiert. Von der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, an welche Meggendorfers Psychiatrische und Nervenklinik angeschlossen war, wurden am 16.09.1940 unter der Leitung Wilhelm Einsles 21 jüdische Patienten in die Sammelanstalt Eglfing verlegt.755 3.4 BEZUG ZU PSYCHISCH KRANKEN ZWANGSARBEITERN UND DIENSTVERPFLICHTETEN Als Bestandteil der „totalen Mobilisierung von Arbeit“ wurde die Arbeitskraft von Bewohnern der von Deutschland besetzten Gebiete ausgebeutet. Unter der Leitung von Fritz Sauckel (1894–1946) als Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz kam es ab März 1942 zum Beispiel zur Verschleppung von 2,5 Millionen Personen aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich.756 Im Sommer 1944 leisteten neben den KZ-Häftlingen ca. 1,9 Millionen Kriegsgefangene sowie 5,7 Millionen ausländische Zivilisten Zwangsarbeit. Insgesamt geht man aus von einer über zwölf Millionen liegenden Gesamtzahl der Zwangsarbeiter, deren Großteil 752 753 754 755 756

Brosius (1878), S. 1. Meyer (2000), S. 325. Vgl. ebd., S. 319. Vgl. Siemen (1999), S. 162. Vgl. Gottschalk et al. (2002), S. 573. „In totalitären Staaten (Deutschland, Sowjetunion) wurden zahlreiche Kriegsgefangene in Konzentrations- bzw. Zwangsarbeiterlager gebracht, in Deutschland (soweit wir wissen) ohne Gerichtsverfahren, in der Sowjetunion nach einer förmlichen Verurteilung meist zu 20–25 Jahren Zwangsarbeit. Die meisten der (überwiegend 1949/50) in der Sowjetunion verurteilten deutschen Kriegsgefangenen wurden 1955/56 aus der Zwangsarbeit entlassen“. Vgl. Kornhuber (1961), S. 684.

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von russischen und polnischen Frauen gebildet wurde. Die hygienischen Bedingungen und die Nahrungsmittelversorgung in den Internierungslagern waren „völlig mangelhaft“.757 Die hierdurch massiv geschwächten Zwangsarbeiter wurden oftmals Misshandlungen ausgesetzt, sie waren somit „binnen kurzer Zeit gesundheitlich zerrüttet und in einem Maße unterernährt, dass sie schließlich arbeitsunfähig‚unbrauchbar‘“758 waren. Der Arbeitseinsatz führte „nicht nur zu körperlicher, sondern auch zu völliger psychischer Erschöpfung“.759 War mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zeitnah zu rechnen, so wurden die „geisteskranke[n] Ostarbeiter und Polen“760 bis circa Sommer 1943 in ihr Heimatland zurücktransportiert. Ein Bericht des Ostministeriums vom September 1942 schildert die miserablen Bedingungen des Rücktransportes.761 Während der Zugfahrt entbundene Kinder wurden „aus dem Fenster geworfen […], während in dem gleichen Wagenraum tuberkulöse und geschlechtskranke Personen mitfuhren, wie hier Sterbende in Güterwagen ohne Stroh lagen“.762 Soweit nachweisbar zeigten sich bis Juli 1943 die Arbeitsämter und Anstalten zuständig für die Bewerkstelligung des Rücktransports der einzelnen „in Deutschland psychiatrisierte[n]“763 Polen. 3.4.1 Verlegungspraxis von Zwangsarbeiterinnen in die Heimat/Heil- und Pflegeanstalt (HuPflA) Am 03.10.1941764 wurde die Zwangsarbeiterin M. A., geb. 04.08.1908 in die Psychiatrische Klinik aufgenommen. In ihrem Krankenjournal ist zur Vorgeschichte Folgendes eingetragen: „Pat. macht einen ziemlich erregten Eindruck, spricht ununterbrochen in einem polnischdeutschen Kauderwelsch vor sich hin, aus dem man nicht klug wird. Sie will immer wieder die Zähne aus dem Mund nehmen un[d] sagt: ‚Dentist muss machen‘. Angaben der Begleiterin, die aus Kattowitz stammt und freiwillig in der Fabrik in Arzberg arbeitet: Sie habe mit der Patientin in einem Zimmer gewohnt. Die Pat. sei Polin765 und als Arbeiterin an der Porzellanfabrik in Arzberg kriegsdienstverpflichtet. Seit einem Jahr sei sie dort. Seit 14 Tagen benähme sie sich auffällig. Sie rede wirr, habe sich plötzlich ausgezogen, sich beschmutzt und sei in dem nassen Hemd am hellen Tage in die Kirche gelaufen. Sie habe viel gesungen und sei herumgetanzt, habe gesagt, sie wolle heiraten. Einmal habe sie ein rotes Kopfkissen auf den Kopf getan und habe so zum Fenster herausspringen wollen. 3mal [sic] habe sie ihr Essen aus dem Fenster

757 758 759 760 761 762 763 764

Frewer et al. (2001a), S. A 2866. Ebd. Zur Entschädigung der Opfer von NS-Zwangsarbeit siehe auch Hense (2008). Frewer et al. (2001a), S. A 2866. Gottschalk et al. (2002), S. 573. Vgl. ferner Frewer et al. (2001b). Siehe hierzu auch Danker et al. (2001). Hamann (1987), S. 128. Ebd., S. 135. Diese Datumsangabe optimiert die Untersuchungen Uebeleins, wonach „in Erlangen und im umgebenden Landkreis die ersten Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter im April 1942 zum Einsatz [kamen]“. Vgl. Friederich (2007), S. 197. Siehe ferner Uebelein (1990). 765 Weiterführend hierzu Loose (2016).

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit geworfen. In den letzten Tagen habe sie nichts mehr arbeiten können. Sie habe oft gesagt, ihre verstorbene Mutter spräche mit ihr“.766

Am 04.10.1941 wurde in die Akte eingetragen, eine Kommunikation mit der Patientin sei unmöglich;767 sie könne nur einzelne Worte in Deutsch sagen. Auch einfache deutsche Sätze verstehe sie anscheinend nicht. „Sie redet ununterbrochen wie ein Wasserfall in polnischer Sprache, gestikuliert dabei lebhaft. Ab und zu geht sie aus dem Bett, neigt zum Zuschlagen. Muss Beruhigungsmittel erhalten“.768 19 Tage später, am 23.10.41 zeigt sich noch „keine Veränderung“,769 sie sei teils sehr unruhig und müsse dann in die Zelle. „Sonst sitzt sie im Bett[,] redet laut in den Saal hinein, gestikuliert dabei lebhaft, scheint lebhaft zu halluzinieren, horcht öfter, antwortet, macht abwehrende Handbewegungen“.770 Teils verweigere sie die Nahrungsaufnahme, verkrieche sich unter der Bettdecke und rühre sich nicht. Am 05.11.1941 wurde der Zustand als „völlig unverändert“771 dokumentiert. Die Dokumentation vom 10.12.1941 beschrieb die Patientin trotz anhaltender Halluzinationen als ziemlich ruhig. Sie wurde als freundschaftlich beschrieben, sage schon teilweise einige deutsche Worte, wie „Danke schön [sic]“.772 Im Zustand nach Bissverletzung durch eine Mitpatientin in den linken Vorarm sei die phlegmonös veränderte Wunde chirurgisch behandelt worden, so dass mittlerweile der Zustand bereits viel besser sei. „Eine Granulation ist in der Wunde, sie mussten wir mit Silbernitrat behandeln. Die vegetativen [Situationen?]773 sind in Ordnung“.774 Etwa fünf Wochen später, am 28.01.1942, ist vermerkt: „In der letzten Zeit wurde M. wieder äusserst unruhig, schreit u. redet den ganzen Tag u[.] Nacht durcheinander.

766 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 767 Von der 1898 geborenen, Siemens-kriegsdienstverpflichteten Französin G. M., die von 30.09. – 04.10.1941 in der Klinik unter der Diagnose „psychogene Reaktion“ behandelt wurde, ist eine in Bleistift geschriebene handschriftliche französische Befindlichkeitsnotiz enthalten, die der Behandler offenbar übersetzen und für seinen Krankenakten-Eintrag verwerten konnte: „Pat. wird im Sanitäts-Auto gebracht, da sie sich in der Stadt vor ein Auto in selbstmörderischer Absicht geworfen hat. Sie liegt steif wie ein Brett auf der Bahre, hält die Augen geschlossen. Auch später in der Badewanne behält sie die steife Stellung bei, kneift die Augen zu und reagiert auf nichts. Da sie ab und zu die Augenlider bewegt, ist ersichtlich, dass sie nicht bewusstlos ist. Als die Pat. im Bett im unteren Wachsaal liegt und sich einige Zeit selbst überlassen ist, schlägt sie die Augen auf und fängt bald zu reden an, sie zeigt sich entsetzt darüber, dass sie sich in einem ‚Narrenhaus‘ befindet und verlangt ihre sofortige Entlassung. Sie erzählt, dass sie nur eine Komödie gespielt habe und zwar um zu erreichen, dass man sie wieder nach Frankreich lasse. Sie habe sich vor ein Auto geworfen, da sie keinen anderen Ausweg gewusst habe. Sie habe so großes Heimweh nach ihrem Mann und könne es in Deutschland nicht mehr aushalten“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 327/244. 768 Ebd., Aufnahmenr.: 330/250. 769 Ebd. 770 Ebd. 771 Ebd. 772 Ebd. 773 Schlecht leserlich geschrieben. 774 Ebd.

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Oft unrein“.775 Am 20.02.1942 wurde dokumentiert „[w]eiterhin unruhig, unzulänglich, unsauber“.776 Der nächste Eintrag findet sich vom 25.03.1942: „Immer noch unruhig oder sie sitzt auf einer Bank u. nimmt von ihrer Umgebung nichts wahr“.777 Am 14.04.1942 wurde in der Akte festgehalten: „psychisch u[.] körperlich keine Veränderung“.778 Am 16.04.1942 wurde sie als zeitweise unruhig, bewegt und oft unter dem Einfluss von Wahrnehmungsstörungen stehend beschrieben. Sie sei kaum zugänglich und habe nicht arbeiten wollen: „Sie verweigert oft die Nahrungsaufn. u. schläft unruhig. Andersmal schläft sie am Tage stundenlang oder singt, tanzt unermüdlich. Unverändert entlassen“.779 Womöglich war der Eintrag zur Entlassung verfrüht eingetragen und nicht entsprechend korrigiert worden. Zehn Tage später nämlich, am 26.04.1942, findet sich der Vermerk: „Entlassen. (Pat. wird in die Heimat zu ihrem Vater in Begleitung von 2 Pflegerinnen zurückgebracht“).780 Vor ihrer stationären Aufnahme hatte M. A. circa ein Jahr Zwangsarbeit in der Porzellanfarbrik Carl Schumann, Arzberg781 geleistet.782 An die Heil- und Pflegeanstalt gerichtet war das Schreiben der Betriebskrankenkasse vom 02.10.1941 mit dem „Betreff: Einlieferung der Polin M. A.“:783 „Wir haben heute durch einen Sanitäter und eine Hilfskraft die obengenannte Polin nach dort schaffen lassen. Diese Polin zeigt seit vergangenem Samstag Spuren von Geistesgestörtheit. Sie war bis jetzt ganz ruhig, und wir hatten geglaubt, dass wir sie direkt nach Polen zurückschicken können. Bis nun die Formalitäten beim Arbeitsamt und Landrat erledigt waren, hat sich die Sache allem Anschein nach weiter verschlechtert, deshalb konnten wir es nicht mehr wagen, sie unter Begleitung einer weiblichen Kraft in die Heimat zurückzuschicken und waren gezwungen, sie bei Ihnen einzuweisen. Wir wären nun dankbar, wenn Sie uns mitteilen würden, wie der Zustand ist u. ob ev. Rückführung von dort aus in ihren Heimatort nach einiger Zeit erfolgen kann“.784

Am 04.10.1941 antwortete Meggendorfer der Betriebskrankenkasse Folgendes:

775 776 777 778 779 780 781 782

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. hierzu auch: Hirsch/Bender (2012). „Durch Einberufung der Männer in den Wehrdienst entstanden in Selb kurzzeitig personelle Engpässe, die aber durch den Einsatz von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern beseitigt wurden“. Vgl. http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/inhalt/porzellanikon-museum-zwangsarbeit -selb -100.html. Stand vom 27.04.2015. 783 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 784 Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Die gestern hier aufgenommene obengenannte Polin ist zeitweise erregt und ausfallend gegen die Umgebung. Wahrscheinlich handelt es sich bei ihr um eine Schizophrenie.785 Bei der Sachlage ist die Möglichkeit einer Rückführung in den Heimatort zur Zeit noch nicht abzusehen“.786

Knapp einen Monat später lässt sich folgendes Schreiben Meggendorfers vom 03.11.1941 an die Betriebskrankenkasse finden: „Die am 03.10.1941 hier aufgenommene obengenannte Polin leidet an Schizophrenie. Da die Krankheit in absehbarer Zeit nicht zum Abklingen zu kommen scheint, wäre es am besten, die Kranke in eine heimatliche Anstalt zu überführen. Als solche käme vermutlich eine der drei Provinzialanstalten von Oberschlesien, Kreuzburg, Leschnitz oder Tost787 in Betracht. Da ich nicht weiss, ob die genannten Anstalten zur Zeit geöffnet sind und welche von ihnen zuständig ist, dürfte es sich empfehlen, bei einer dieser Anstalten, etwa in Kreuzburg anzufragen. Dem Vater habe ich geschrieben, dass die Verlegung seiner Tochter angezeigt wäre“.788

Mit Datum vom 15.11.1941 existiert ein Schreiben Meggendorfers an die Heil- und Pflegeanstalt Tarnowitz: „Seit 03.10.1941 befindet sich M. A., die als Arbeiterin bei der Porzellanfabrik Carl Schumann in Arzberg beschäftigt war, als Patientin in unserer Klinik. Da die Patientin kein Wort Deutsch versteht, ist eine Verständigung mit ihr für uns sehr schwierig. Nach der Vorgeschichte und dem Eindruck, den wir von M[.] haben, leidet sie an einer Schizophrenie. Der Vater […] wünscht eine Verlegung in Ihre Anstalt. Wir bitten Sie[,] uns mitzuteilen, ob die Patientin bei Ihnen aufgenommen werden kann“.789

Am selben Tag schrieb Meggendorfer auch die Betriebskrankenkasse folgendermaßen an: „M. A., die am 03.10.1941 bei uns aufgenommen wurde, leidet an einer geistigen Störung, wahrscheinlich an einer Schizophrenie. Da die Patientin kein Wort Deutsch versteht, ist die Verständigung mit ihr für uns sehr schwierig. Wir halten es daher für notwendig, dass M. A. in

785 „Kraepelin ist den von Kahlbaum eingeschlagenen Weg einer klinischen Zustands-VerlaufsDiagnostik mit nosografischer Intention konsequent weitergegangen. Gestützt auf Kahlbaums methodische Grundsätze ist es Kraepelin bei den endogenen Psychosen mit der Gegenüberstellung der periodischen manisch-depressiven Psychosen und den frühzeitig Residuen bildenden Psychosen (Dementia praecox) gelungen, einen die Bedürfnisse der praktischen Psychiatrie auf lange Sicht befriedigenden klassifikatorischen Rahmen zu geben“. Vgl. Bräunig/Krüger (2003), S. 272. „Emil Kraepelin unterteilte 1893 die endogenen Psychosen in das ‚manischdepressive Irresein‘ (heute Bipolare affektive Störungen) und die ‚Dementia praecox‘ (heute Schizophrenie). Der Schweizer Eugen Bleuler gewichtete 1911 die Psychopathologie stärker und unterschied die Grundsymtome (‚die vier großen As‘: Ambivalenz, Assoziationslockerung, Autismus, Affektstörungen) von akzessorischen Symptomen (Wahn, Halluzinationen, katatone Symptome) und prägte den Begriff Schizophrenie (griechisch: σχίζειν, ‚abspalten‘ und φρήν, ‚Zwerchfell, Seele‘), da er in den akzessorischen Symptomen eine Spaltung seelischer Vorgänge sah. Kurt Schneider definierte 1938 die Symptome 1. Ranges (Wahnwahrnehmung, dialogisierende Stimmen, Gedankeneingebung,-entzug,-ausbreitung, leibliches Beeinflussungserleben), die in der heutigen Diagnosestellung nach ICD-10 und DSM-IV großes Gewicht haben“. Vgl. Gallinat (2010), S. 71. 786 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 787 Zu Tost weiterführend Chrząszcz (1900). 788 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 789 Ebd.

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die Anstalt Tarnowitz/Oberschlesien verlegt wird, wo sie auch mehr in der Nähe ihrer Angehörigen ist. Da die Patientin zeitweise auch sehr unruhig ist, halten wir für die Reise zwei Begleitpersonen für unbedingt erforderlich. Wir bitten um Mitteilung, ob Sie die Reisekosten für M. A. und zwei Begleitpersonen übernehmen werden. Selbstverständlich können die Begleitpersonen auch von Ihnen gestellt werden“.790

Am 18.11.1941 lautete die Antwort der Betriebskrankenkasse dahingehend, dass bereits unmittelbar nach Meggendorfers Schreiben vom 03.11.1941 und 15.11.1941 der Versuch unternommen worden sei, den Kontakt mit der Anstalt in Kreuzburg herzustellen. Bislang sei kein Bescheid in Bezug auf eine dortige Aufnahmemöglichkeit der M. A. eingegangen. „Was nun Ihren Vorschlag anbelangt, dieselbe nach Tarnowitz zu verlegen, so haben wir dagegen nichts einzuwenden, wenn die Überführung vorgenommen werden kann. Für die Reisespesen müssen wir aufkommen, wenn die Begleitung von 2 Personen notwendig ist“.791

Das im folgenden abgebildete Schreiben des Direktors der Landesheil- und Pflegeanstalt des Schlesischen Provinzialverbandes/Loben792 vom 19.11.1941 an die Psychiatrische und Nervenklinik informierte Meggendorfer darüber, „dass Anträge auf Unterbringung von Geisteskranken in den schlesischen Heil- und Pflegeanstalten dem Herrn Oberpräsidenten (Verwaltung des Schlesischen Provinzial Verbandes) in Breslau, Landeshaus, Gartenstr. 74 zu stellen sind. Dabei sind die vorgeschriebenen Aufnahmepapiere – wie beiliegende Formulare, ärztlicher Fragebogen in doppelter Ausfertigung Geburts- bzw. Heiratsurkunde und die Kleiderkarte – einzureichen“.793

790 Ebd. 791 Ebd. 792 „Vor dem Landgericht Dortmund lief zwischen 1965 und 1974 ein Strafverfahren gegen Ärzte und Pflegerinnen der Heil- und Pflegeanstalt Loben, insbesondere gegen deren ehemaligen Direktor, Ernst Buchalik, und dessen Stellvertreterin, Elisabeth Hecker. Wenn auch keine Verurteilung erfolgte – das Verfahren wurde eingestellt –, so erbrachten die Ermittlungen doch den Beleg, dass auch Oberschlesien nicht von Patiententransporten in Gasmordanstalten (‚Aktion T4‘) verschont blieb“. Vgl. Schulze (2010), S. 179. Siehe weiterführend auch Rimpau (1990), S. 119. Ferner vgl. S. 448, Fn. 860. 793 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. Schlesien im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg: „Später als in anderen Teilen Deutschlands fand die NSDAP in Schlesien Rückhalt in der Bevölkerung. Dann aber erzielte sie hier deutliche Wahlsiege. Die Machtübernahme 1933 zerstörte auch in Schlesien die demokratischen Institutionen und bedeutete einen Bruch mit Traditionen von Freiheit und Toleranz. In zunehmendem Maße wirkte sich die Politik des NSRegimes im Alltag aus: Kriegsvorbereitungen, Gewalt und Terror, eine totalitäre Ideologie aus Nationalismus und Rassenwahn. Tausende Deutsche, Juden und Andersdenkende, wurden interniert, vertrieben, ermordet. Auch von Schlesien aus brachen deutsche Truppen am 1. September 1939 in Polen ein: der Zweite Weltkrieg begann. Für die deutsche Kriegsführung war Schlesien, jetzt um polnische Gebiete erweitert, von großer Bedeutung. Denn hier lagen wichtige Standorte der Rüstungsindustrie, Schutzzonen für Evakuierte aus ganz Deutschland, aber auch Konzentrationslager und Vernichtungsstätten”. Vgl. http://www.schlesisches-museum.de/index.php?id=1275. Stand vom 04.09.2017.

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Abb. 41: Antwortschreiben des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Loben an Meggendorfer794

Am 01.12.1941 informierte Meggendorfer die Betriebskrankenkasse der Firma Carl Schumann, Porzellanfabrik AG Arzberg darüber, dass die Verwaltung des schlesischen Provinzialverbandes, auf seine Anfrage hin, mitgeteilt habe, dass die „Aufnahme der Kranken [nur dann] […] erfolgen [kann], wenn die Kranke ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich der Provinz Schlesien hatte. Soll die Unterbringung im Wege der öffentlichen Fürsorge geschehen und die Krankenkasse sich nur im Rahmen des § 1531 beteiligen, so gebe [der Oberpäsident] anheim, der Anstaltsleitung in Erlangen nahe zu legen, bei dem zuständigen Bezirksfürsorgeverband Erlangen, den Antrag auf Uebernahme in die öffentliche Fürsorge zu stellen. Von da aus würden dann die weiteren Verhandlungen wegen Uebernahme der Kranken in eine Fürsorge und die Unterbringung in eine schlesische Anstalt erfolgen. Dies aber nur, wenn die Kranke im Bereich der Provinz Schlesien ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die letzteren Voraussetzungen dürften gegeben sein, da die Kranke aus der oberschlesischen Stadt Sosnowitz stammt und auch zuletzt dort wohnhaft war. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie die hilfsbedürftige Kranke in einer dortigen Anstalt unterbringen könnten. […]. Die Betriebskrankenkasse, welche als Versicherungsträgerin für die einstweilige Unterbringung der Hilfebedürftigen gesorgt und in die Krankenpflege genommen hat, bittet nunmehr, die Kranke im Wege der öffentlichen Fürsorge zu übernehmen und ist bereit die Erstattungskosten nach § 1533 der RVO ab 3.10.1941 zu übernehmen. Die Erstattungskosten betragen die Hälfte des Grundlohns d. h. RM 1.50 kalendertäglich. Ueber den Verlauf der weiteren Verhandlungen bitten wir uns gelegentlich wieder zu berichten“.795

Am 02.12.1941 sandte Meggendorfer die – gemäß der Information durch die Direktion der Landes- Heil- und Pflegeanstalt Loben vom 19.11.1941 – notwendigen 794 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 795 Ebd.

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Unterlagen796 von M. A. an den Herrn Oberpräsidenten mit folgender klinischen Beschreibung des Zustandsbildes der M. A. vom 24.11.1941: „M. A. befindet sich seit dem 03.10.1942 in der Klinik. […] 14 Tage[] [vor stationärer Aufnahme] sei sie grundlos auffällig geworden. Sie habe manchmal wirr geredet, habe viel gesungen und sei herumgetanzt. In den letzten Tagen habe sich der Zustand verschlimmert. Einmal habe sich die M. plötzlich ausgezogen, habe sich beschmutzt und sei im Hemd bei hell[l]ichten Tag in die Kirche gelaufen. […]. In den letzten Tagen habe sie nicht mehr arbeiten können. […]. Befund: M. spricht nur wenige Worte deutsch, eine Unterhaltung ist daher mit ihr nicht möglich. Während der Wochen des Hierseins war sie zeitweise sehr unruhig und erregt. Sie steht offenbar unter dem Einfluss von Sinnestäuschungen. Sie unterhält sich dauernd mit Personen, die nicht da sind, gestikuliert dabei sehr lebhaft. Ab und zu will sie keine Nahrung zu sich nehmen. Die körperliche Untersuchung ergab, dass M. sich in genügendem Ernährungsund Kräftezustand befindet. Sie ist von asthenischem Habitus und wiegt bei einer Größe von 156 cm 50,6 kg. Sie hat ein etwas blasses Aussehen. Im Oberkiefer trägt sie eine Zahnprothese, die übrigen Zähne sind schadhaft. An den inneren Organen, Augen und Ohren, sowie neurologisch lässt sich kein krankhafter Befund erheben. Der Gang ist unauffällig. Die Syphilisreaktionen mit dem Blutserum sind negativ ausgefallen. Auf Grund der Vorgeschichte und des Benehmens der M. in der Klinik nehmen wir an, dass sie an der Geisteskrankheit Schizophrenie leidet“.797

Am 09.12.1941 informierte der Oberpräsident die Betriebskrankenkasse über eine „Abänderung [s]eines Schreibens vom 25.11.1941 […] [dahingehend], dass [er] die Aufnahme der [M. A.] in eine geschlossene Heil- und Pflegeanstalt Schlesiens ablehnen muss, da M. in Sosnowitz ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sosnowitz liegt im Generalgouvernement798 und ist daher als Ausland anzusehen – Ihre Vorgänge folgen in der Anlage zurück. Auf Anordnung Landes-Oberpräsident“.799

Anders als brieflich angekündigt, erhielt Meggendorfer die nach Loben versandten Unterlagen primär nicht zurück. Am 26.01.1942 wies Meggendorfer den Oberpräsidenten darauf hin, die Aufnahmepapiere für die Polin M. A. seien ihm – gemäß Posteinlieferungsbuch – am 03.12.1941 als eingeschriebene Sendung zugegangen. Er bat um nochmalige eingehende Nachforschungen in puncto Aufnahmeantrag, zumal der Landrat Wunsiedel beim Bezirksfürsorgeverband Erlangen auf baldige Überführung der M. A. in ihre Heimat dräng[e]“.800 Nach weiterem, durch Meggendorfer an seinen Oberarzt delegierten Schriftverkehr zum Nachvollzug der ver-

796 Aufnahmeantrag. Zweite Reichskleiderkarte des Landrates Wunsiedel. Wanderpersonalkarte. Geburtsurkunde d.d. Sosnowitz, den 28.11.1941 Nr. Akt.186/1908. Eine Personalbeschreibung. Aerztlicher Fragebogen zum Aufnahmegesuch in doppelter Fertigung. Vgl. ebd. 797 Ebd. 798 „In dem Teil Polens, in dem das Generalgouvernement gegründet wurde, war der Generalgouverneur Hans Frank [1900–1946] die entscheidende Person. Die von ihm angeordnete ‚Aktion AB‘ hatte die Ausrottung der polnischen Intelligenz zum Ziel. […]. Der Generalgouverneur Hans Frank ist in Nürnberg zur Todesstrafe verurteilt und 1946 hingerichtet worden. Das auf polnische Initiative eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Verwaltungsdirektor der Anstalt in Kobierzyn, Kroll, wurde durch die Staatsanwaltschaft München 1971 auf Grund des Mangels an ausreichenden Beweisen eingestellt“. Vgl. Kulesza (2010), S. 177–178. 799 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 800 Ebd. Zu den „bayerischen Landräte[n] im Dritten Reich“ siehe Penholz (2016).

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sendeten wichtigen Unterlagen und Zustellungsprüfung bei der Post ließ sich letztlich der Verbleib der Materialien durch ein Schreiben der Betriebskrankenkasse an die Psychiatrische und Nervenklinik vom 19.02.1942 folgendermaßen aufklären: „Wir bestätigen den Erhalt Ihres Schreibens vom 12. des. Mts. und haben wir [sic] bei Durchsicht des Aktes der Obengenannten festgestellt, dass sich Papiere darunter befinden, die wahrscheinlich nicht für uns bestimmt sind. Vielleicht handelt es sich um die Unterlagen, die benötigt werden und wir lassen Ihnen diese in der Anlage zugehen. Unter Einberufung des Leiters und des Vorstandes der Kasse ist es übersehen worden, die Sachen801 seinerzeit gleich zurückzugeben, da dem Stellvertreter die Einsendung der Papiere an uns verständlich war. Wir fügen auch die Arbeitskarte sowie die Wanderpersonalkarte für die Polin mit bei und hoffen, dass nun die Sache raschest zur Entscheidung kommt“.802

Abb. 42: Nachforschungsauftrag der Psychiatrischen Klinik bei der Post803

Mit Datum vom 03.03.1942 sandte der Landesfürsorgeverband Oberfranken und Mittelfranken an die Psychiatrische und Nervenklinik die Information, dass

801 Aufnahmeantrag. Ärzt. Fragebogen zum Aufnahmegesuch in doppelter Ausführung. d. d. Erlangen, 24.11.1941, 1 Personalbogen; 1 Geburtsurkunde d. d. Sosnowitz, den 26.11.41 Nr. Akt. 186/190! Originalschreiben der Betr. Kr. Kasse Schumann/Arzberg vom 5.11.41 an die Heilund Pflegeanstalt Kreuzberg/Oberschl; Schreiben der gleichen Kasse vom 18.11. und 01.12.1941 an die Psychiatrische Klinik Erlangen, je in Abschrift; Schreiben der Klinik vom 02.12.1941 an den Herrn Oberpräsidenten in Breslau; 1 Wanderpersonalkarte des Landrates Wunsiedel v. 17.10.1940; 1 Arbeitskarte mit Lichtbild; zweite Reichskleiderkarte des Landrats Wunsiedel XIII a 694261; roter Rückkehrschein der Porzellanfabrik Carl Schumann in Arzberg vom 02.10.1941 mit Bescheinigung des Arbeitsamts Marktredwitz vom 01.10.1941. Zustimmungserklärung zur Erteilung des Sichtvermerks zur einmaligen Ausreise und Genehmigung zur Benutzung der Dt. Reichsbahn von M. A. nach Sosnowitz und zum Überschreiten der Polizeigrenze. D. d. Wunsiedel den 02.10.1941 durch den Landrat Wunsiedl. Abschrift eines Briefes des Patientenvaters an die Klinik vom 02.03.1942. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 802 Ebd. 803 Ebd.

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„[n]ach dem Runderlass des RAM. v. 8.10.41 […] der Landesfürsorgeverband nicht verpflichtet [sei], irgendwelche Kosten für ausländische Arbeiter zu übernehmen. Für die ab 02.04.1942 etwa weiter entstehenden Kosten hat das zuständige Arbeitsamt aufzukommen. Es wäre jetzt schon im Benehmen mit dem Arbeitsamt die Heimschaffung der Kranken zu betreiben. Ich gebe anheim, sich in der Angelegenheit zunächst an den Bezirksfürsorgeverband ErlangenStadtkreis zu wenden“.804

Abb. 43: Schreiben der Betriebskrankenkasse an Psychiatrische Klinik805

Es folgte eine weitere ausgedehnte Korrespondenz unter anderem mit der Betriebskrankenkasse, dem Arbeitsamt Marktredwitz sowie dem Arbeitsamt Nürnberg, Nebenstelle Erlangen. Darin diskutiert wurde eine Rückführung der M. A. in eine Anstalt vs. der Rückführung zu ihren Eltern. Letztlich wurde Meggendorfer seitens der Betriebskrankenkasse der Firma Carl Schumann am 11.04.1942 mitgeteilt, dass diese für die Unterhaltungskosten „nur bis zum 28. April aufkomm[t]. Wer dann die Kosten aufbringt, ist uns egal, nachdem wir uns schon seit Monaten bemühen, dass die Polin zurückbefördert wird“.806 Am 16.04.1942 teilte Meggendorfer dem Arbeitsamt Marktredwitz auf die Anfrage vom 14.04.1942 mit, dass mit einer gesundheitlichen Wiederherstellung der Polin M. A. zur Arbeitsaufnahme nicht gerechnet werden könne. „Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder arbeitsfähig sein wird, doch kann bei Art der Erkrankung mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gerechnet werden“.807

804 805 806 807

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Einen Tag nach Rückbegleitung der M. A. durch zwei Pfleger zu ihren Eltern nach Sosnowitz stellte Meggendorfer am 27.04.1942 eine Anzeige808 im Rahmen des GzVeN wegen Schizophrenie.809 Am 27.10.1942 schrieb M. A. an die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen mit der Bitte um Übersendung einer Entlassungsbescheinigung sowie, soweit vorhanden, sämtlicher Papiere wie Arbeitskarte, Reichskleiderkarte, Geburtsurkunde, Arbeitsbuch: „Da ich diese Papiere zum Erhalt einer Arbeit und auch zwecks Vorlage vor dem hiesigen Wirtschaftsamt zwecks Erhalt der dritten Reichskleiderkarte dringend benötige, bitte ich höflichst um umwendige Erledigung“.810

Als Anlage seines Antwortschreibens an M. A. vom 29.10.1942 sandte Meggendorfer die gewünschte Entlassungsbescheinigung. „Was die übrigen von Ihnen benötigten Papiere anlangt [sic], so sind dieselben hier nicht mehr vorhanden. Sie wurden am 31.03.1942 an den Oberpräsidenten (Verwaltung des Schles. Provinzialverbandes-Landesfürsorgeverband in Breslau811 2. Landeshaus) abgeschickt. Nach den hier vorliegenden Aufzeichnungen scheint darunter ein Arbeitsbuch aber nicht gewesen zu sein, nur eine Arbeitskarte“.812

Die im folgenden wiedergegebene, umfangreiche Korrespondenz Meggendorfers mit dem Vater der am 03.10.1941 aufgenommenen, an Schizophrenie erkrankten polnischen Zwangsarbeiterin M. A., der Betriebskrankenkasse der Firma Schumann, dem Arbeitsamt Nürnberg, dem Bezirksfürsorgeverband ErlangenStadtkreis sowie dem Landrat-Bezirksfürsorgeverband Wunsiedel kann als Indiz für eine durchaus fürsorglich-bemühte Verlegungspraxis Meggendorfers gewertet werden. Am 14.10.1941 hatte sich der Patientenvater besorgt an die Leitung der Heil- und Pflegeanstalt gewandt.813 Diese Anfrage hatte Meggendorfer am 17.10.1941 folgendermaßen beantwortet: 808 Die Anträge auf Unfruchtbarmachung wurden u. a. gemäß „Bezirksärztliche[m] Formblatt Nr. 154. München: Verlag Carl Gerber, Anlage 4, Seite 15“ gestellt. Siehe hierzu u. a. die Akte der schizophren erkrankten Patientin S. E. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 255/160. 809 „Frl. M. A. war vom 03.10.1941 bis 26.4.42 in Behandlung der Klinik, wurde am letzten Tage ungeheilt zu ihrem Vater nach Sosnowitz gebracht. Fortpflanzungsgefahr besteht bei ihr zur Zeit nicht, da sie noch recht krank [ist] und […] unter elterlicher Obhut [steht]. Klinik-Direktor an Staatl. Gesundheitsamt“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 330/250. 810 Ebd. 811 Weiterführend zur Situation jüdischer Einwohner im Breslau der NS-Zeit empfohlen sei der Kinofilm „Wir sind Juden aus Breslau“ von Karin Kaper und Dirk Szuszies mit Deutschlandpremiere am 12.11.2016. Als einer der vierzehn Protagonisten tritt auch der in Breslau geborene und 1938 in die USA emigrierte Historiker Fritz Stern (1926–2016) auf. Siehe hierzu http://www.judenausbreslaufilm.de/Stand vom 12.12.2016. Empfehlenswert ferner Stern (1996), (1999) und (2008). 812 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 813 „Wie mir von der Carl Schumann Porzellanfabrik AG in Arzberg/Bayer. Ostmark mitgeteilt wurde, befindet sich meine Tochter M. A. in Ihrer Anstalt zur Heilung. Hiermit bitte ich höflichst mir mitzuteilen[,] ob der Anfall meiner Tochter schwer ist und ob eine Heilung[,] und wenn dem so ist[,] ungefähr[,] in welcher Zeit möglich ist. Da sie meine einzige Tochter ist, bange ich sehr um ihre Gesundheit und bitte deshalb höflichst um umwendige Nachricht“. Vgl. ebd.

Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit

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„Auf Ihre Anfrage vom 14.10.41 teile ich Ihnen mit, dass Ihre Tochter Frl. M. A. am 03.10.1941 hier aufgenommen wurde. Die Kranke war bei ihrer Aufnahme sehr erregt, sprach dauernd gestikulierend vor sich hin. Sie schien unter dem Einfluss von Sinnestäuschungen und Wahnideen zu stehen. Jetzt hat sich die Kranke schon etwas beruhigt, man hat aber den Eindruck, dass es sich um eine schwerere Krankheit, wahrscheinlich um eine Schizophrenie handelt. Eine Heilung ist zwar auch in diesem Falle möglich, doch sind die Aussichten unsicher; auch kann man eine Dauer der Erkrankung noch nicht angeben. Die Beurteilung ist auch deshalb erschwert, weil man sich fast nicht mit der Kranken, die nicht deutsch spricht, verständigen kann. Hochachtungsvoll! Der Direktor“.814

Am 01.11.1941 sandte der Patientenvater an die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen seinen Dank verbunden mit der Bitte um weitere regelmäßige Inkenntnissetzung bezüglich des psychischen Zustandes seiner Tochter.815 Bereits am 03.11.1941 ließ Meggendorfer dem Patientenvater Informationen zum aktuellen Gesundheitszustand seiner Tochter zukommen: „Auf Ihre Anfrage vom 01.11.1941 teile ich Ihnen mit, dass Ihre Tochter, Frl. M. A. immer noch zeitweise sehr unruhig und erregt ist; sie steht offenbar unter dem Einfluss von lebhaften Sinnestäuschungen. Sie unterhält sich dauernd mit Personen die nicht da sind, gestikuliert dabei sehr lebhaft. Anscheinend glaubt sie sich vergiftet. Am besten wäre es, sowohl für die Kranke als auch die Angehörigen, wenn sie bald in die zuständige Krankenanstalt in der Heimat gebracht werden könnte“.816

Am 10.11.1941 dankte der Patientenvater Meggendorfer und erbat seine Einschätzung zur Rückverlegungsoption,817 welche Meggendorfer mit Datum vom 24.11.1941 verfasste: „Da die Möglichkeit, Ihre Tochter nach Hause zu nehmen wegen ihres geistigen Zustandes nicht besteht, habe ich mich an die Heil- und Pflegeanstalt Tarnowitz bezüglich einer Verlegung Ihrer Tochter dorthin gewandt. Ich habe darauf von der Direktion der Landes- Heil- und Pflegeanstalt Loben die Mitteilung erhalten, dass Anträge auf Unterbringung von Geisteskranken in den schlesischen Heil- und Pflegeanstalten bei dem Herrn Oberpräsidenten (Verwaltung des schlesischen Provinzialverbandes) in Breslau, Landeshaus, Gartenstr. 74 zu stellen sind. 814 Ebd. 815 „Ich danke Ihnen höflichst für Ihre gefl. Antwort vom 17.10.41 auf meine Anfrage vom 14.10.41 und hätte noch folgende Bitte an Sie, die ich inständig bitte[,] zu erfüllen. Da ich um das [Wohl]ergehen meiner Tochter sehr besorgt bin, bitte ich höflichst mir jede 2 Wochen einen Bericht über Ihren [sic] Gesundheitszustand zugehen zu lassen. Für die damit verbundenen Umstände danke ich herzlichst und hoffe, dass Sie in Verstehung [sic] meiner Sorgen um die einzige Tochter, meine Bitte erfüllen mögen. Für die dadurch entstehenden Portospesen lege ich 6 Briefmarken à 12 Pfg. bei. Für eine zusagende Erledigung nochmals dankend verbleibend. Hochachtungsvoll“. Vgl. ebd. 816 Ebd. 817 „Für Ihre Nachricht vom 03.11.1941 [danke ich] bestens. Da Sie es als angebracht erachten, bitte ich meine Tochter M. A. in eine Oberschlesische Anstalt, entweder nach Tarnowitz oder Rybnik überweisen zu wollen. Wenn ich dazu meinerseits irgendwelche Schritte unternehmen müsste, bitte ich höflichst, mich davon zu benachrichtigen mit Angabe der Anschrift, an die ich mich wenden muss. Wenn sie dieses für zulässig erachten würden[,] könnte ich auch meine Tochter nach Hause nehmen, da dieses jedoch von ihrem Geisteszustand abhängt, bitte ich höflichst mich zu benachrichtigen, ob diese Möglichkeit besteht. In Erwartung einer baldigsten Antwort, für die ich im Voraus danke, verbleibe ich Hochachtungsvoll“. Vgl. ebd.

438

Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit Dabei sind die vorgeschriebenen Aufnahmepapiere – wie ein ärztlicher Fragebogen in doppelter Ausfertigung, Geburts- bzw. Heiratsurkunde und die Kleiderkarte – einzureichen“.818

In einem mit dem Vermerk „Nachschrift“ versehenen Dokument ohne Datumsangabe teilte Meggendorfer dem Patientenvater mit, „[d]er Gesundheitszustand [seiner] Tochter hat sich im Laufe der letzten Wochen etwas gebessert. Es trat zwar eine Eiterung am lk. Unterarm auf, doch ist diese nun fast völlig abgeheilt. In psychischer Hinsicht ist eine gewisse Beruhigung eingetreten. Ich glaube aber, dass es für die Kranke besser wäre, wenn sie in eine Anstalt in ihrer Heimat überführt werden könnte, weil dort die Möglichkeit einer Verständigung mit ihr besser wäre. Unter den von der Landes- Heilund Pflegeanstalt Loben (Lublinitz) der Klinik zugesandten Formularien zur Ausfüllung befand sich auch der anliegende Aufnahmeantrag, dessen Ausfüllung Sie veranlassen wollen, soweit er nicht ärztliche Sachen betrifft. Nach Ausfüllung wollen Sie denselben sodann mit der Geburtsurkunde und der Kleiderkarte an mich wieder zurücksenden, worauf dann das Weitere von hier aus veranlasst werden wird“.819

Am 28.11.1941 übersandte der Patientenvater Meggendorfer Geburtsurkunde, Kleiderkarte sowie Wanderpersonalkarte seiner Tochter M. A. „Den erhaltenen Fragebogen füllte ich aus, es fehlen in diesem die Antworten auf die Fragen über die Zugehörigkeit zur KK und Invalidenversicherung. Da Ihnen diese bekannt sein werden [;] bitte ich [um] Eintragung dieser Angaben. Gleichzeitig gestatte ich mir[,] Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihre Bemühungen um meine Tochter auszusprechen für die ich Ihnen bis zum Tode dankbar sein werde. Über den Zeitpunkt der Überweisung meiner Tochter nach Loben bitte ich höflichst mich zu benachrichtigen“.820

Am 18.12.1941 bat der Patientenvater Meggendorfer erneut „höflichst um eine Nachricht über das Befinden [s]einer Tochter […] und um Mitteilung[,] wie weit die Sache ihrer Überweisung in die Heilanstalt in Loben gediegen ist. Ich bitte meine Aufdringlichkeit entschuldigen zu wollen, aber ich möchte doch als Vater über den Zustand meiner einzigen Tochter ständig auf dem Laufenden sein. Für eine baldmöglichste Antwort dankend verbleibe ich Hochachtungsvoll“.821

Meggendorfer teilte dem Patientenvater daraufhin am 23.12.1941 „mit, dass sich der Zustand [seiner] Tochter, Frl. M. A.[,] in der letzten Zeit etwas gebessert ha[be]. Die Kranke hat sich wesentlich beruhigt; sie scheint aber immer noch unter dem Einfluss von Sinnestäuschungen zu stehen. Auch in körperlicher Hinsicht ist eine Erholung eingetreten. Was die Überweisung in die Heilanstalt Loben betrifft, so habe ich mich bereits vor längerer Zeit an diese Anstalt gewandt. Ich erhielt darauf eine Anzahl von Fragebögen und Formularen zugeschickt, die ich nach ihrer Ausfüllung an den Herrn Oberpräsidenten in Breslau gesandt habe, ich habe seither noch keine Nachricht erhalten, hoffe aber, dass eine solche bald eintreffen wird. Vielleicht könnte die Aufnahme in Loben beschleunigt werden, wenn Sie sich selbst einmal an diese Anstalt wenden würden“.822

818 819 820 821 822

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit

439

Am 27.01.1942 drängte der Patientenvater erneut bei Meggendorfer um eine Auskunft über den Geisteszustand seiner Tochter. Am 02.02.1942 „teil[te] [Meggendorfer] mit, dass in dem Befinden Ihrer Tochter M. A. seit diess. Schreiben vom 23.12.41 eine Aenderung nicht eingetreten ist. Bezüglich ihrer Unterbringung in die Heilanstalt Loben bekam ich im Januar vom Oberpräsidenten […] zu meinem nicht geringen Erstaunen ein Schreiben des Inhaltes, dass dort irgendwelche Aufnahmepapiere nicht eingegangen sind. In Wirklichkeit sind die in Betracht kommenden Aufnahmepapiere mit verschiedenen anderen Beilagen am 3.12.41 als eingeschriebene Sendung hier abgegangen. Da wohl nicht anzunehmen ist, dass sie als solche zu Verlust gegangen ist, habe ich mit Schreiben vom 23.1.42 den Landesfürsorgeverband in Breslau […] um seine Darstellung des Sachverhaltes und genauere Aufzählung der seinerzeit mitübersandten Beilagen gebeten, eingehende Nachforschungen nach der Sendung von 03.12.1941 zu pflegen und die Angelegenheit alsbald zu erledigen“.823

Vom 26.02.1942 findet sich ein Schreiben des Oberarztes in Vertretung für Meggendorfer an den Patientenvater: „Wie Sie aus der Beilage ersehen, sind die von hier seinerzeit an den Oberpräsidenten in Breslau 2, Landeshaus gesandten Aufnahmepapiere für Ihre Tochter […] dort richtig zugestellt worden, sie wurden dann von dieser Stelle an die Betriebskrankenkasse der Firma Schumann in Arzberg weitergeleitet, wo sie umständehalber liegen geblieben sind. Sie ersehen ferner aus dem Schreiben des Oberpräsidenten Breslau an die Kasse vom 9.12.41, dass der Oberpräsident die Aufnahme Ihrer Tochter in eine geschlossene Heil- und Pflegeanstalt Schlesiens ablehnen muss, da Ihre Tochter in Sosnowitz ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sosnowitz liegt im Generalgovernement und ist daher als Ausland anzusehen. Nach Auskunft der Verwaltung der hiesigen Heil- und Pflegeanstalt übernimmt die Betriebskrankenkasse der Firma Schumann in Arzberg die Kosten für den Klinikaufenthalt Ihrer Tochter noch bis 03.04.1942. Nach Ablauf dieser Frist würde wohl die Fürsorge in Anspruch genommen werden müssen. Vielleicht ist es Ihnen möglich, in der Zwischenzeit eine andere Anstalt ausfindig zu machen, in welche Ihre Tochter von hier aus verlegt werden könnte, denn es ist fraglich, ob die Fürsorge angesichts der Sachlage die Kosten nach dem 2. April 1942 für den hiesigen Klinikaufenthalt übernehmen wird. Hochachtungsvoll“.824

Vom 02.03.1942 ist folgende Rückantwort des Patientenvaters erhalten: „Ich danke Ihnen bestens für Ihre Nachricht vom 26.02.1942 und teile Ihnen mit, dass der Landesfürsorgeverband Schlesien sich im Irrtum befindet, denn Sosnowiz, der ständige Aufenthaltsort meiner Tochter […] liegt nicht im Generalgouvernement. sondern in den eingegliederten Ostgebieten und gehört zum Gau Oberschlesien, Gauhauptstadt Kattowitz O/S zu welchem Gaue auch die Heilstätten Loben/Lublinitz und Rybnik gehören. Vielleicht ist deshalb der Landesfürsorgeverband Oberschlesien zuständig, wenn ein solcher bereits bestehen sollte, denn der Gau wurde erst im vorigem Jahre gebildet. Ich bitte deshalb höflichst, die Papiere mit dieser Aufklärung nochmals an den Landesfürsorgeverband Schlesien beziehungswiese an den Landesfürsorgeverband Oberschlesien einzureichen. Gleichzeitig bitte ich höflichst[,] mich über den Gesundheitszustand meiner Tochter zu benachrichtigen, da dieser in Ihrem Schreiben vom 26.2. nicht berücksichtigt wurde. Bis zur Erledigung der Überführung meiner Tochter in eine

823 Ebd. 824 Ebd. Gegebenenfalls deligierte Meggendorfer die Mitteilung über diese, die stationäre Therapie limitierenden monetären Angelegenheiten bewusst.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit hiesige Heilanstalt, bitte ich die Kosten für den Klinikaufenthalt von dem Fürsorgeamt Sosnowitz O/S zu verlangen, der dazu [sic] zuständig ist. Für eine baldige Rückantwort dankend verbleibe ich Hochachtungsvoll“.825

Ein weiteres Schreiben des Patientenvaters an die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen vom 25.04.1942 lautete folgendermaßen: „Da ich seit Ihrem letzten Schreiben vom 05.03.1942[,] in dem Sie mich von der beabsichtigten Heimschaffung meiner Tochter M. A. benachrichtigten, keine weitere Nachricht erhielt und mich um das Befinden meiner einzigen Tochter sorge, bitte ich höflichst um gefl. Benachrichtigung über den Gesundheitszustand meiner Tochter […]. Für eine baldigtse Rückantwort herzlichst dankend verbleibe ich Hochachtungsvoll“.826

Zeitgleich, am 25.04.1942, also noch bevor das „Erinnerungsschreiben“ des Patientenvaters in Erlangen eintreffen konnte, hatte Meggendorfer diesen folgendermaßen informiert: „Nachdem die Überführung Ihrer Tochter in eine Heimatanstalt bisher praktisch nicht durchzuführen war, andererseits am 28.04. die Kostenübernahme seitens der Betriebskrankenkasse der Firma Schumann in Arzberg abläuft,827 bleibt kein anderer Ausweg, als Ihre Tochter zunächst Ihnen selbst zuzuführen, damit Sie bezüglich ihrer Anstaltsaufnahme das Weitere selbst veranlassen könnten. Ihrem Wunsche gemäß hatten wir uns seinerzeit nochmals mit dem Oberpräsidenten in Breslau ins Benehmen gesetzt, wir haben aber auf unser Schreiben vom 31. März und den darauffolgenden bis jetzt noch keine Nachricht erhalten. Ihre Tochter M. A. wird am kommenden Montag[,] den 27. April[,] in Begleitung von zwei Pflegerinnen zu Ihnen kommen. Die Papiere Ihrer Tochter, Personalbeschreibung, Geburtsurkunde, Wanderpersonalkarte, Arbeitskarte mit Lichtbild, zweite Reichskleiderkarte usw. wurden unserem Schreiben vom 31. März 1942 an den Oberpräsidenten in Breslau, Landeshaus mitbeigelegt“.828

In einem Schreiben vom 27.04.1942 teilte Meggendorfer dem Patientenvater „[a]uf [sein] Schreiben vom 25.4.42 […] mit […], dass [seine] Tochter, Frl. M. A., heute zu [ihm als Vater] entlassen wurde. Es war leider nicht möglich, sie, wie das wünschenswert gewesen wäre, in die zuständige Heil- und Pflegeanstalt zu verbringen, da die Aufnahme trotz Drängens vom Herrn Oberpräsidenten in Breslau noch nicht genehmigt wurde. Doch bestand die Betriebskrankenkasse der Firma Carl Schumann in Arzberg darauf, dass sie in die Heimat gebracht würde. Ihre Tochter war in den letzten Wochen und Monaten hier ruhig, aber sie war sehr mit sich beschäftigt, hatte offenbar dauernd Sinnestäuschungen und Wahnideen. Sie verhielt sich auch eigenartig, hielt immer die Augen halb geschlossen. Hochachtungsvoll!“829

Obwohl zahlreiche Behörden die Meggendorfersche Vorgehensweise in Bezug auf die psychisch kranke Zwangsarbeiterin M. A. überwachten und durch Kostenübernahmestopp zum Abbruch der Behandlung in seiner Klinik veranlassten, konnte Meggendorfer seine Patientin am 26.04.1941 unter Begleitung zweier Pflegekräfte sicher zu ihrem Vater nach Sosnowitz rückführen.

825 Ebd. 826 Ebd. 827 Offensichtlich war die ursprüngliche nur bis 03.04.1942 zugesicherte Kostenübernahme verlängert worden. Siehe hierzu S. 439. 828 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. 829 Ebd.

Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit

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Ab Ende 1942 kam es zu einer Involvierung des „Verwaltungsapparat[es] der ‚Euthanasie‘–Morde in das Rückführungsverfahren“.830 Somit kam es anstelle eines Rücktransportes unter miserablen Bedingungen zu einer Verlegung in „Sammelanstalten“, was im Allgemeinen ein Todesurteil für die Patienten darstellte.831 Die an „Psychopathie“832 erkrankte Ukrainierin S. S., geb. am 17.09.1904 in Charkow und aufgenommen in die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen am 03.11.1944, wurde „wegen Platzmangel[s]“,833 wie in der Klinikakte vermerkt, am 24.11.1944 von der Psychiatrischen und Nervenklinik in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen verlegt. Dort forcierte der stellvertretende Klinikdirektor Dr. Hermann Müller (1929–1945) nun eine Verlegung der S. S. in die Anstalt Kaufbeuren. In den Akten findet sich ein Schreiben des Arbeitsamtes Nürnberg an die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vom 14.12.1944 „Betr. Geisteskranke Ostarbeiter und Polen“834 mit der Bitte „um Mitteilung, ob die nachfolgend genannten Geisteskranken noch in Ihrer Pflege stehen oder[,] seit wann diese entlassen sind. Außerdem bitte ich um Angabe, ob einer der genannten Pfleglinge für dauernd arbeitsunfähig erklärt wird. Sollten sich weitere Ostarbeiter oder Polen in Ihrer Anstalt befinden, welche aus dem Arbeitsamtsbereich Nürnberg stammen, so wollen Sie mir bitte die Personalien bekanntgeben. P. R., geb. 18.10.1918; B. O., geb. 20.10.1920; B. T., geb. 29.08.1923; S. S., geb. 17.09.1904; L. T., geb. 20.06.1886; S. M., geb. 1884. Ich habe heute die Kasse des Gauamtes Franken angewiesen, Ihnen den Betrag von RM 3780 für Pflege der S. S. zu überweisen“.835 830 Hamann (1987), S. 135. 831 Vgl. Gottschalk et al. (2002), S. 573. Weiterführend empfehlenswert Frewer/Siedbürger (2004), Siedbürger/Frewer (2006) und Frewer et al. (2009). 832 Siehe hierzu auch Panse (1940a). Ferner siehe Voss (1973). Uwe Henrik Peters liefert in seinem Lexikon folgende Definition zu „Psychopathie“: „Angeborene bzw. auf der Grundlage einer abnormen Anlage lebensgeschichtlich entstandene Abnormalität der Persönlichkeit. Die Bez. bezieht sich hauptsächlich auf charakterologische Abweichungen (der Affektivität, der Willensbildung), die sich störend auf das soziale Leben auswirken. Die Abnormität beruht nicht auf einem Krankheitsvorgang, sondern bezieht sich auf ,Abweichungen von einer uns vorschwebenden Durchschnittsbreite von Persönlichkeiten‘ (K. Schneider). […]. Trotz der Erkenntnis, dass klare Grenzziehungen nicht möglich sind, hat das Bedürfnis nach übersichtlicher Ordnung vor allem in der dt. Psychiatrie zu einer Reihe von Einteilungsversuchen teils systematischer, teils unsystematischer Art geführt, so dass zahlreiche Einzelbez. in Gebrauch sind. Die gebräuchlichste Einteilung ist die von K. Schneider, der nach den am deutlichsten hervortretenden Zügen unsystematisch unterscheidet in: hyperthymische, depressive, selbstunsichere, fanatische, geltungsbedürftige, stimmungslabile, explosible, gemütslose, willenlose und asthenische Psychopathen. Daneben hat eine Einteilung von E. Kahn (1931) eine gewisse Gültigkeit behalten […]. In der frz. Psychiatrie besonders des 19. Jahrhunderts bezeichnet Psychopathie alle psychische Auffälligkeiten, die aufgeteilt werden in Neurosen, Psychosen und chronische Defektzustände aller Art. Erst in den letzten 30 Jahren setzt sich mehr der engere deutsche Begriff der Psychopathie durch […]. Seit 1980 ist Psychopathie keine diagnostische Einheit mehr. Die Tradition beginnt in England mit der Moral Insanity von Prichard (1835)“. Vgl. Peters (2011), S. 438–439. Zu Moral Insanity siehe ferner Kap 2.1.3. Zu Eugen Kahn (1887– 1973) siehe ferner Roelcke (2010a). Interessant auch Kahn (1925). 833 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 460/367. 834 Ebd. 835 Ebd.

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Abb. 44: Schreiben des Arbeitsamtes Nürnberg an die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vom 14.12.1944836

Das Antwortschreiben an das Arbeitsamt Nürnberg von Müller als stellvertretendem Leiter der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt vom 20.01.1945 lautete folgendermaßen: „Mit einem Schreiben vom 20.12.1944 haben wir mitgeteilt, dass die Ostarbeiterinnen B. O., geb 22.10.1922 und S. S., geb 17.09.1904 aufgrund eines Runderlasses des Reichsministers d. I. – AG 9255/44-5100 – in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren837 überführt werden müssen, wo nach einheitlichen Gesichtspunkten über ihre weitere Einsatzfähigkeit entschieden werden wird und unter Umständen die Rückverbringung in die Heimat erfolgt. Heute wurde nun auf Veranlassung von Herrn San. Rat Dr. Leich/Eschenau die Ostarbeiterin K. H., geb. 8.3.24 in Sare (Ukraine),838 Landarbeiterin, beschäftigt bei W. A. in Berbach […] wegen Geisteskrank-

836 Ebd. 837 „Hans-Christian Hauser inszeniert […] [das] Musiktheater [Kain und Abel. Musiktheater über Vorkommnisse in der Psychiatrischen Anstalt Kaufbeuren zur NS-Zeit] mit Studenten seiner Interpretationsklasse für slawische und jüdische Vokalmusik an der Hochschule für Musik und Theater. Die Thematik passt zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (NS) am 27. Januar: Grundlage der Inszenierung ist ein Dossier über die schrecklichen Vorkommnisse in der Psychiatrie Kaufbeuren zur NS-Zeit, das Hans-Christian Hauser zu einem szenisch-musikalischen Abend fügt, im feingliedrigen abwechslungsreichen Stil mit schönen Gesangslinien und berührender filigraner Musik vergleichbar mit seinen bisherigen Projekten“. Vgl. Anonymus. Bayerisches Ärzteblatt 2015 (12), S. 693. 838 „Die Mehrzahl scheint aus der Ukraine gestammt zu haben. In den letzten Kriegsjahren lag ihre Zahl stets bei etwa 1200. Das Durchschnittsalter betrug 22 Jahre, weit mehr als die Hälfte von ihnen waren junge Frauen. Eine freiwillige Verpflichtung zum Arbeitseinsatz im Reich, wie

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heit in die hiesige Psychiatrische Klinik geschickt und nachdem sie bereits zwei Selbstmordversuche gemacht hat wegen Dringlichkeit einstweilen aufgenommen. Wir teilen dies hierdurch somit mit [sic], und bitten[,] diese Kranke mit den beiden vorher genannten Kranken gemeinsam möglichst umgehend nach Kaufbeuren überführen zu lassen“.839

Zur Verlegung der S. S. nach Kaufbeuren kam es nicht. Am „10.3.45. WU4“840 wurde eingetragen: „In den letzten Tagen war die Pat. etwas verändert und unruhig und schlug auf einmal zu. Danach wieder das gleiche Bild“.841 Am „23.4.45. WU 4“842 wurde folgendes dokumentiert: „Die Pat. wird heute von ihrer Tochter zum Rücktransport aus der Anstalt geholt“.843

Abb. 45: Unterschriftliche Bestätigung der Abholung der Patientin S. S. aus der Heil- und Pflegeanstalt844

Warum S. S. initial überhaupt in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen aufgenommen wurde, lässt sich nach aktuellem Kenntnisstand nur spekulativ untersuchen. Ulrich Fleck, dessen Patientin S. S. ab 19.09.1943 bis zu ihrer Verlegung nach Erlangen gewesen war,845 hatte am 09.10.1944 die Unterbringung in einer

839 840 841 842 843 844 845

dies von deutscher Seite oft behauptet wurde, gab es – wenn überhaupt – nur bei den im Winter 1941/42 angereisten Ukrainerinnen und Ukrainern. Im Gegensatz zu den Zwangsarbeitern aus Nord- und Westeuropa wurden die Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter getrennt nach Geschlecht in geschlossenen Lagern möglichst an der Peripherie Erlangens untergebracht […]. In den Lagern lebten die Ostarbeiterinnen und Ostarbeiter unter erbärmlichen Bedingungen“. Vgl. Friederich (2007), S. 197–198. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 460/367. Ebd. „WU“ bezeichnet vermutlich die Station der Heil- und Pflegeanstalt, auf welcher die Patientin untergebracht war: „Wach-Unruhig“. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Die Signatur unter der Bestätigung wurde aus personenschutzrechtlichen Gründen nicht zur Abbildung gebracht. „Abschrift Allgemeines Krankenhaus der Stadt der Reichsparteitage. Krankengeschichte: Eintritt 19.09.1943 verlegt 03.11.1944 nach Erlangen, D: raptusartige Erregungszustände. 18.09. Pat. wird ohne anamnestische Grundlage nach Rücksprache mit dem GA [Gauamt?] als gemeingefährlich durch den Reichsbahnarzt Dr. Kriegel eingewiesen. Sie gibt zu, im Lager unruhig gewesen zu sein, erklärt sich aber nicht weiter, ist hier zunächst zutraulich-heiter. Sie ist

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Heil- und Pflegeanstalt als dringend in den Akten der S. S. vermerkt. Nach Rücksprache der Verwaltung mit dem Gesundheitsamt konnte am 03.11.1944 die Verlegung nach Erlangen stattfinden. Dieses Vorgehen wurde von Seiten der Leitung der Heil- und Pflegeanstalt mißbilligt. In einem Schreiben Müllers an die Psychiatrische und Nervenklinik des Allgemeinen-Städtischen Krankenhauses Nürnberg heißt es: „[g]elegentlich einer Sammelüberführung von Kranken aus dem dortigen Krankenhaus wurde am 3. ds. Mts. auch die Ostarbeiterin S. S. mitgebracht und hier aufgenommen. Aufgrund eines Erlasses des Reichsministers des Innern dürfen wir aber Geisteskranke [sic] Ostarbeiter und Polen überhaupt nicht mehr hier aufnehmen, sondern diese müssen alle in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren verbracht werden. Da der Erlass dort unbekannt zu sein scheint, haben wir Ihnen eine Abschrift fertigen lassen, die wir hiermit übersenden mit der Bitte in ähnlichen Fällen gleich die Überführung nach Kaufbeuren veranlassen zu wollen, da wir solche Aufnahmen abweisen müssen“.846

verheiratet. 2 Kinder hier in Nürnberg. 21.09.: Das Russisch der Pat. ist schwer verständlich. Aus ihrer Schilderung kommen nur Bagadelle [sic] heraus, sie habe irgendwo ein Stück Holz genommen, man habe sie geschlagen, beim Haar gepackt u. hier als verrückt hergebracht. Schildert eine Reihe solcher Belanglosigkeiten. Hier ist Pat. zugänglich, ruhig, unauffällig. 22.09.: von den spärlich durchgedrungenen Mitteilungen kann berichtet werden, dass Pat. im Lager als gemeingefährlich gefürchtet war, weil sie teils mit dem Beil, teils mit Fäusten auf Andere urplötzlich unmotiviert losgegangen sei, so dass alle fürchteten, mit ihr zu wohnen u. man einen Sonderposten vor ihrer Baracke aufstellen musste. Dies habe Formen angenommen, die ein weiteres Ver[b]leiben unmöglich gemacht hätten. Hier ist Pat. nach wie vor ruhig u. zurückhaltend. 23.09.: heute unvermittelt weinerlich u. depressiv-ratlos. 09.10.: Pat zeigt jetzt endlich Ansätze zu jenem Verhalten, das offenbar zu ihrer Internierung hier geführt hat. Sie bekommt plötzlich raptusartige blitzschnelle Wutreaktionen, in denen sie ganz unvermittelt die jeweilige Stationsschwester im Saal ungemein heftig u. gemeingefährlich angreift. Irgend eine nachträgliche Begründung gibt sie nicht, weicht vielmehr in unsachliche Darstellungen aus, sie sei schlecht behandelt worden. Dann ist sie wieder ganz ruhig. Da die Angriffe so unvermittelt u[.] gefährlich erfolgen (verletzte schon zwei Schwestern)[,] muss sie isoliert gehalten werden. Asthenische Person, schlaffer Tonus, bleiches Aussehen, Herz, Lunge oB. Neurologisch konnte nichts Organisches festgestellt werden. RR 130/90. Vermerk: S[.] leidet an raptusartigen Erregungszuständen mit gemeingefährlicher Angriffsneigung ohne erklärliche Motivation und bedarf dringend der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt. 9.10.44. Prof. Dr. Fleck“. Vgl. ebd. Zur russischen Sprache in der Ukraine weiterführend Hentschel (2014). 846 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 460/367. „Valentin Faltlhauser […] wurde 1903 Assistenzarzt in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen. Über den Direktor Gustav Kolb lernte er das reformerische Konzept der ,Offenen Fürsorge‘ kennen […]. Faltlhauser war begeistert von dem Ansatz. […]. Nach der Machtübernahme 1933 änderte der Psychiater seine Strategie. ,Ab dann ist eine schleichende Eugenisierung seiner Argumente zu beobachten‘, erklärte von Cranach. ,Faltlhauser entschied sich für die Teilnahme an den Euthanasieverbrechen und radikalisierte sich extrem‘. […]. Im Dezember 1941 eröffnete Faltlhauser eine Kinderfachabteilung. Das erste Kind tötete der Arzt zu Demonstrationszwecken mit der Spritze selbst. […]. Im September 1939 erstellte Faltlhauser eine Liste mit 421 ,noch zu tötenden Patienten‘, im November des gleichen Jahres weihte er ein Krematorium auf seinem Gelände ein. Ab März 1944 kam es laut von Cranach zu einer ,entfesselten Radikalisierung‘ von Faltlhauser und seinen Angestellten. Kaufbeuren wurde zu einer Sammelstelle für ,unheilbar Geisteskranke‘ aus dem Osten, die Tötungen gingen weiter“. Vgl. Harmsen (2013). Zur offenen Fürsorge siehe auch S. 345.

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Abb. 46: Schreiben des stv. Leiters der Heil- und Pflegeanstalt an die Psychiatrische und Nervenklinik847

Mit Datum vom 20.12.1944 existiert ein Schreiben Müllers an das Arbeitsamt Nürnberg: „nachdem nach einem Runderlass des Reichsministers des Innern – AG 9255/44-5100 – geisteskranke Polen und Ostarbeiter in Bayern848 lediglich in die Anstalt Kaufbeuren aufgenommen werden sollen, damit dort nach einheitlichen Gesichtspunkten ihre weitere Einsatzfähigkeit geprüft werden kann; und nachdem solche Kranke, die sich bereits in anderen Anstalten befinden und nicht bald entlassen werden können, nach Kaufbeuren überführt werden müssen, wird es sich empfehlen[,] die beiden genannten Personen umgehend dorthin verbringen zu lassen. Die Zentralverrechnungsstelle in Berlin wird dann von dort gegebenenfalls den Abtransport in das Heimatgebiet vornehmen. Mit Rücksicht auf den erwähnten Ministerialerlass bitten wir[,] keine Ostarbeiter und Polen mehr hierher zu schicken, sondern unmittelbar nach Kaufbeuren verbringen zu lassen, da wir solche Kranke gar nicht aufnehmen dürfen. Nach Rücksprache mit dem Nürnberger Krankenhaus erscheint es zweckmäßig[,] nach Möglichkeit auch dort keine solchen Kranken zur Aufnahme zu bringen, sondern gleich nach Kaufbeuren, da diese sonst vom Krankenhaus doch hierher gebracht und dann von hier aus nach Kaufbeuren verbracht werden müssen, was viel umständlicher wäre und sich vermeiden ließe. Wir bemerken ausdrücklich, dass wir kein Pflegepersonal haben[,] um die Überführung auszuführen, und dass diese lediglich durch das Arbeitsamt vollzogen werden muss“.849

Soweit zur Verlegungspraxis von psychiatrisierten Zwangsarbeiterinnen aus der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen in die heimatlichen Ostgebiete sowie in die Heil- und Pflegeanstalt. 847 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 460/367. 848 Zur „Ärzteschaft in Bayern und der Praxis der Medizin im Nationalsozialismus“ vgl. Eberle (2017). Ferner sei verwiesen auf Fleßner et al. (2014). 849 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 460/367.

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3.4.2 Gutachten zum Ausschluss der Simulation bei angedrohter Zwangsversetzung in den Osten Im Kontext der Verpflichtung von Zivilisten der besetzten Gebiete zur Zwangsarbeit in Deutschland zeigt die Krankengeschichte der P. E. eine Art „vice-versa“Situation, welche sich lediglich durch die erhaltene Nachkriegskorrespondenz zwischen P. E. und Meggendorfer nachskizzieren lässt. Die am 23.10.1896 geborene P. E. wurde am 09.05.1942 in die Psychiatrische und Nervenklinik zur Begutachtung aufgenommen. Das Gutachten Meggendorfers vom 10.06.1942 ging dahin, dass P. E. „schon seit vielen Jahren nervös und anfällig gegen verschiedene Erkrankungen [war]. Sie fiel den zahlreichen Ärzten, die sie behandelten, durch ihre Nervosität und ihr zerfahrenes Wesen auf. Anlässlich einer im Juli 1940 durchgeführten Untersuchung stellte ich bei ihr Neuropathie und basedowoide Erscheinungen fest. Im Herbst 1940 wurde Frl. P. E. wegen eines Uterusmyoms bestrahlt und es wurde dadurch ein vorzeitiges Klimakterium bei ihr herbeigeführt. Seither haben sich die nervösen Beschwerden noch erheblich gesteigert. Jetzt lassen sich Zeichen einer leichten Basedowerkrankung nachweisen (charakteristische Augenerscheinungen, Zittern, Erregung, Neigung zu Schwitzen, leichte Erhöhung des Grundumsatzes, ferner ein systolisches Geräusch über der großen zweizipfligen Herzklappe. Vor allem aber ist Frl. P. E. auffällig durch ihr erregtes, unstetes Wesen, durch die Zerfahrenheit ihres Gedankengangs und ihre Konzentrationsunfähigkeit. Bei P. E. handelt es sich um eine Basedowsche Krankheit, die sich auf eine Neuropathie aufgepflanzt hat. Durch ihr Leiden ist Frl. P. E. zur Zeit dienstunfähig in ihrem Beruf als Lehrerin. Sie würde schon durch ihr Verhalten in hohem Grade ungünstig auf die zu unterrichtenden Kinder einwirken. Schon deshalb muss Frl. P. E. von der Schule ferngehalten werden. Es ist aber auch Frl. P. E. zu glauben, dass sie sich dauernd ermüdet und erschöpft und unfähig zu länger dauernder pädagogischer Tätigkeit, wie auch zu geistiger Arbeit überhaupt fühlt. Mit einer Besserung ihrer Gesundheitsverhältnisse und mit einer Wiederherstellung ihrer vollen Dienstfähigkeit in absehbarer Zeit, etwa in 6 Monaten, kann nicht gerechnet werden. Es ist immerhin möglich, dass nach längerer Ruhe und Erholung etwa in 2–3 Jahren wieder eine gewisse und nicht nur vorübergehende Dienstfähigkeit eintritt, sicher ist das aber auch nicht“.850

Knapp sechs Wochen später stellte Meggendorfer folgendes „[ä]rztliches Zeugnis“ aus: „[d]ie Hauptlehrerin […] P. E. […] ist wegen verschiedener chronischer Erkrankungen, Stoffwechselleiden, Herz- und Nervenleiden und wegen eines Unterleibleidens dienstunfähig. Sie ist, soviel ich weiß, kürzlich in den Ruhestand versetzt worden“.851

Drei Tage später bescheinigte ihr Meggendorfer die Notwendigkeit zur „Badekur in einem geeigneten Badeorte“852 „wegen ihres Nervenleidens mit Stoffwechselund Herzstörung“.853 Am 06.02.1943 bestätigte Meggendorfer,

850 Ebd., Aufnahmenr.: 213/134. 851 Ebd. 852 Ebd. Ein Attest für eine Badekur habe er, gemäß Angaben vor der Spruchkammer, in den Kriegsjahren auch einer jüdischen Patientin ausgestellt. Vgl. Meggendorfer vor StBN: Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 853 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 213/134.

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„[d]ie Krankheiten (Neurasthenie,854 Stoffwechselerkrankung, Herz- und Unterleibskrankheit) sind während der Ausübung des Berufes entstanden und durch Einflüsse des Berufes zum Teil verschlechtert worden“.855

Nach dem Krieg zeigte es sich – den Beschriftungsalternativen der Empfängeradresse zufolge – für P. E. schwierig, mit Meggendorfer den Kontakt erneut herzustellen.

Abb. 47: Briefumschlag zum Schreiben von P. E. an Meggendorfer vom 19.01.1949856

854 Zu „Neurasthenie“ siehe S. 335, Fn. 341 und S. 343, Fn. 383. In der Vordokumentation benutzte Meggendorfer diesen Terminus nicht. Es finden sich stattdessen im Gutachten vom 10.06.1942 die Begriffe „Nervosität“, „Zerfahrenheit“ und „Neuropathie“, im ärztlichen Zeugnis von Ende Juli 1942 verwendete Meggendorfer den weitgefassten Begriff „Nervenleiden“. Vgl. hierzu S. 446. 855 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 213/134. 856 Ebd.

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Letztlich lässt sich in der Akte der P. E. die „[n]erven-fachärztliche Bescheinigung“857 des „Prof. Meggendorfer i. R.“858 in zwei Versionen finden. In einer Version erinnerte sich der dienstsuspendierte, zwangsberentete Meggendorfer an einen Bericht P. E. s, man habe ihr gedroht,859 sie zwangsweise nach Kattowitz860 zu versetzen. In einer zweiten Version erinnerte sich Meggendorfer möglicherweise exakter und berichtete, P. E. sei bereits einmalig zwangsweise nach Kattowitz861 versetzt worden.862

857 Ebd. 858 Ebd. 859 Erste Version der nervenfachärztlichen Bescheinigung; ohne Datum: „[…] P. E., geb. 23.10.1896 […], ist mir bereits seit 1940 ärztlich bekannt. Sie hat mich damals wegen zahlreicher Beschwerden konsultiert; ich stellte einen nervösen Erschöpfungszustand, wahrscheinlich auf konstitutionell-neuropathischer Grundlage, aber ausgelöst durch verschiedene von ihr durchgemachte Krankheiten und andere widrige äußere Umstände, fest. Insbesondere kamen Klagen von Berufskollegen und Vorgesetzten, Streitigkeiten über die Übernahme bestimmter Schulklassen usw. vor. Fr. P. sollte dann auch noch nach Polen bezw. [sic] Oberschlesien versetzt werden. Offenbar trat durch alle diese Umstände eine erhebliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes ein: jedenfalls war der Zustand im Jahre 1942, als ich P. E. im Auftrage des Regierungspräsidenten Ansbach untersuchte, erheblich schlechter, auch von Basedowerscheinungen begleitet, so dass ich P. E. jetzt als dienstunfähig bezeichnen musste“. Vgl. ebd. 860 „In Oberschlesien, nicht weit von Kattowitz, lag die Landes- und Pflegeanstalt Lubliniec. Diese stand unter der kommissarischen Leitung von Dr. Ernst Buchalik. Dessen wichtigste Mitarbeiterin war Frau Dr. Elisabeth Hecker. Im Rahmen der T4-Aktion wurden Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen dem ‚Reichsausschuss zu[r] wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden‘ gemeldet. Im Archiv der Bezirkskommission zur Erforschung der Hitler-Verbrechen in Polen in Kattowice finden sich 209 Krankenakten der Kinder aus Lubliniec“. Vgl. Rimpau (1990), S. 119. Siehe weiterführend auch Schulze (2010), S. 179. Ferner siehe S. 431, Fn. 792. 861 Im Jahr 2015, „76 Jahre nach der geplanten Gründung feiert Polen sein neues OberschlesienMuseum in Kattowitz […] auf dem Gelände eines Bergwerks, das Anfang des 19. Jahrhunderts als ,Zeche Ferdinand‘ eröffnet wurde. […]. Während im benachbarten deutschen Beuthen bereits ein Regionalmuseum existierte, entstand in Kattowitz nach Karol Schayers [1900–1971] Entwurf ein gigantischer modernistischer Museumsbau, der im Sommer 1939 kurz vor der Einweihung stand.[…]. Dann kamen die Besatzer. Sie ließen das neue Museum als ,Symbol des Polentums‘ abreißen; Auschwitz-Häftlinge mussten diese Arbeit verrichten. Die Bestände des Museums wurden teils nach Beuthen gebracht, teils gingen sie in den Kriegswirren verloren“. Vgl. Gnauck (2015). 862 Zweite Version vom 28.01.1949: „[…] P. E. war auch einmal nach Kattowitze versetzt worden, und zwar strafweise, wie sie angab, doch vermag ich darüber heute mangels Aufzeichnungnungen [sic] nichts Näheres mehr anzugeben. Jedenfalls fühlte sich P. E. sehr gekränkt und benachteiligt, ein Umstand, der sich auch gesundheitlich nachteilig auswirkte“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 213/134. Folgendes sei angegeben zu den erschlossenen Quellen zur Geschichte der Euthanasie-Verbrechen in polnischen Archiven: „Es sind 23 Anstalten (17 Krankenhäuser und 6 Pflegeheime) schriftlich befragt worden […]. Unerwartetes Ergebnis dieser Nachfrage war die Entdeckung archivalischer Unterlagen in den Archiven einiger Krankenhäuser. Es scheint, daß von größter Bedeutung die Sammlung der Akten des Krankenhauses in Warta in der Nähe von Łódź mit über 2200 AE ist“. Vgl. Grzelak (2001/02).

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Abb. 48: Bescheinigung Meggendorfers an P. E. vom 28.01.1949863

Die fehlende Dokumentation zur „straffweise[n]“864 Versetzung nach Kattowitz in den Begutachtungsunterlagen lässt sich als Eigenschutzmaßnahme865 Meggendorfers vor Vorwürfen zur Regimeuntreue werten. Die erhaltene Nachkriegskorrespondenz mit P. E. könnte den Verdacht nahelegen, dass zur „totalen Mobilisierung von Arbeit“ nicht nur Personen der von Deutschland besetzten Kriegsgebiete zur Zwangsarbeit nach Deutschland transportiert wurden, sondern dass möglicherweise von politischer Seite als Simulanten866 wahrgenommene psychisch kranke Deutsche in die besetzten Ostgebiete zwangsversetzt wurden. 863 Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 213/134. 864 Ebd. 865 Detlev Peukert (1950–1990), ehemals wissenschaftlicher Direktor der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg, konnte sich anlässlich seines Vortrages im Rahmen des Symposiums „Faszination und Gewalt – Zur Geschichte und Ästhetik des deutschen Faschismus“ in Nürnberg am 27.04.1985 „eine humane Bewätligung der gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Moderne, auch der gegenwärtigen Probleme, nur vorstellen […], wenn diese Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit als Pathologie, als Krankengeschichte der modernen Zivilisation, als ein Zeichen dafür, wohin es mit der Moderne kommen kann, was in unserer eigenen Gesellschaft möglich ist, intellektuell wie moralisch von uns bewältigt werden“. Vgl. Peukert (1992), S. 158. 866 „In den vergangenen Kriegsjahren wurde die Diagnose Aggravation oder Simulation im Verhältnis zu früheren Zeiten häufig gestellt, bei den Kranken unseres Faches in vielen Fällen zu Unrecht. Eine Psychose, eine leichte Depression ist öfter nicht erkannt und dann als Simulation bezeichnet worden. In der Psychiatrie ist die Dissimulation wohl häufiger als die Simulation, aber in außergewöhnlichen Zeiten entsteht bei einer seelischen Störung, die aus einer gefahrvollen Lage sich gebildet hat, doch gelegentlich der Verdacht, dass an dem Krankheitsbild eine Simulation zumindest mitbeteiligt ist“. Vgl. Lemke (1947), S. 33.

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3.4.3 Umgang mit dienstverpflichteten ärztlichen Kollegen Nach Gottschalk war im Jahr 2002 der direkte Einsatz von Zwangsarbeitern in Krankenhäusern noch wenig erforscht.867 Angesichts der allgemein fehlenden Arbeitskräfte und der „spezifischen Situation im Gesundheitswesen ist davon auszugehen, dass auch hier flächendeckend Zwangsarbeitende beschäftigt wurden“.868 Dieser „prekäre Mangel“869 an Klinikpersonal in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen lässt sich durch Meggendorfers Bittgesuche gut rekonstruieren und bereits in der Vorkriegszeit nachweisen: am 24.01.1936 schrieb Meggendorfer an den Dekan zum Betreff „Sanitäts-Offiziere des Beurlaubtenstandes“, er habe „[g]emäss Anordnung des Herrn Rektors vom 21.01.1936 Nr. 148 […] den Assistenzärzten die Mitteilung des Wehrmeldeamtes bekannt gegeben, dass diejenigen Ärzte, die Sanitätsoffiziere des Beurlaubtenstandes werden wollen, im Laufe diesen Jahres einen achtwöchigen Mannschaftslehrgang mitzumachen haben. Daraufhin haben sich die beiden Assistenzärzte der Klinik zur Teilnahme an diesen Lehrgängen gemeldet. Da die Assistenzärzte aber ausserdem Anspruch auf Urlaub haben, bedeutet das für die Klinik, dass ihr von den kommenden 11 Monaten des Jahres 1936 nur in 5 Monaten zwei Assistenzärzte zur Verfügung stehen, während sie in 6 Monaten nur einen Assistenzarzt hat. Es ist für einen Assistenten unmöglich, die durchschnittlich 180 Kranken der Klinik zu versehen, dabei die zahlreichen Neuaufnahmen zu erledigen, Nachtdienst zu machen, usw. Außerdem hat die Klinik ja auch sonst noch verschiedene Aufgaben, wie wissenschaftliche Arbeit usw., wozu die Assistenzärzte bei ihrer grossen Belastung zur Zeit ja ohnehin nicht kommen. Da der Betrieb der psychiatrischen Klinik aber doch wohl aufrecht erhalten werden soll, bitte ich mir für die Zeit der Beurlaubung der Assistenzärzte eine Ersatzkraft bewilligen zu wollen, bezw. eine solche an zuständiger Stelle erwirken zu wollen“.870

Am „13. im Hornung871 1936“ befürwortete Dozentenschaftsleiter Dr. Molitoris872 in einem Schreiben an das Rektorat 867 „Im Vergleich mit der Literatur zum Nationalsozialismus allgemein wie auch speziell zur NSZwangsarbeit sind Publikationen zum Zwangsarbeitereinsatz im Gesundheitswesen bisher selten“. Vgl. Gottschalk et al. (2002), S. 573. „Kaum erforscht ist bisher der direkte Einsatz von Zwangsarbeitern in Krankenhäusern“. Vgl. ebd., S. 574. Weiterführend empfohlen seien Frewer/Siedbürger (2004), Siedbürger/Frewer (2006) und Frewer et al. (2009). 868 Gottschalk et al. (2002), S. 574. In den Göttinger Universitätskliniken waren über 100 namentlich bekannte Personen, insbesondere junge osteuropäische Frauen, vor allem zur Reinigungsund Küchenhilfe zwangsverpflichtet. Vgl. ebd. 869 „Da Vati gleichzeitig Universitätslehrer, Klinikleiter und Forscher war, hat er in dieser Zeit viel gearbeitet und kam spät nach Hause. Besonders während des Krieges war seine Klinik äußerst spärlich mit passendem Personal besetzt. Dann mussten wir Kinder leise sein, um ihn nicht aus seinen Gedankengängen zu bringen“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, ca. April 2010 in FAM. 870 UAE: A6/3i; Bay HStA: MK 72098. 871 Hornung = alter deutscher Name des Monats Februar. 872 „Der 1905 geborene Dr. Hans Albrecht Molitoris, Sohn des Erlanger Gerichtsmediziners, nicht habilitierter Assistenzarzt an der Frauenklinik und Lehrer an der Hebammenschule, Mitglied der SA seit 01.12.1931, der NSDAP seit 01.09.1932, bekleidete das Amt des Dozentenschaftsleiters 1934–1943. Schon als Medizinstudent in Erlangen war er (hochschul)politisch in Erscheinung getreten […] Bei der Immatrikulationsfeier [13.05.1938] beschwor er, seit 1936 auch Gaudozentenführer, die enge Kameradschaft von Studenten und

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„[d]as Gesuch des Direktors der Psychiatrischen und Nervenklinik um eine Ersatzkraft […]. Zur Entlastung auf dem Stationsbetrieb könnten in dieser Zeit mehrere Medizinalpraktikanten eingestellt werden, außerdem wäre es nicht unmöglich, einen Volontär zu finden, der in Abwesenheit des a. o. Assistenten Wohnung und Verpflegung an der Psychiatrischen Klinik erhält. Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn die betreffende Hilfskraft noch eine kleine Entschädigung bekäme. Bei Gewährung dieser Vergünstigungen wäre ein Ersatz wahrscheinlich zu bekommen. Wir schlagen diesen Ausweg vor, da die Bewilligung von Sondermitteln für eine Hilfskraft nur mit großen Schwierigkeiten verbunden sein wird“.873

Abb. 49: Friedrich Meggendorfer, ca. 1940874

Dozenten. ‚Es gilt in Wissenschaft und Forschung die deutsche Weltmachtstellung zu erhalten‘“. Vgl. Lehmann (1993b), S. 343. Weiterführend zu „Hebammen im Nationalsozialismus“ siehe ferner Lisner (2006). Weiterführend zu Molitoris senior: „Während die Universalisten trotz aller Anfälligkeit für völkisch-rassistische Ideologeme die Grenzen christlich-religiöser Ethik nie völlig hinter sich gelassen hatten, konnte demnach auch die biologistische, in der Regel antisemitische Spielart des Nationalsozialismus bei den Experten in ihrer menschenverachtenden Dimension ungehemmter in den Vordergrund treten […]. Der Gerichtsmediziner Molitoris drückte 1919 seine Abscheu vor der ‚vom jüdischen Geiste durchseuchten parlamentarischen Mehrheit‘ aus“. Vgl. Willett (2001), S. 410. 873 UAE: A6/3i; BayHStA: MK 72098. 874 FAM.

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Abb. 50: Befürwortung der Personalaufstockung Meggendorfers durch Molitoris875

Am 06.11.1936 bat Meggendorfer das Rektorat erneut um die Bewilligung einer Aushilfsassistentenstelle: „Herr Professor Dr. Kihn scheidet heute aus der Klinik aus, um die Stelle eines Direktors der Thüringischen Landesheilanstalt Stadtroda zu übernehmen. Alsbald nach Bekanntwerden der Berufung von Herrn Prof. Kihn habe ich Schritte unternommen, um einen geeigneten Nachfolger zu gewinnen. Obwohl seither bereits drei Wochen verstrichen sind, habe ich noch kein einziges Angebot erhalten. Da jedoch zahlreiche Arbeit an der Klinik getan werden muss, die 875 UAE: A6/3i; BayHStA: MK 72098.

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von den beiden Assistenzärzten der Klinik kaum bewältigt werden kann, wird die einstweilige Einstellung einer geeigneten ärztlichen Hilfskraft notwendig werden. Da zudem in der letzten Nacht der Assistenzarzt […]876 einen Autounfall erlitten hat, dessen Auswirkung sich einstweilen noch nicht absehen lässt, ist die Einstellung dieser Hilfskraft sogar sehr dringend geworden. Als geeignete Hilfskraft erscheint mir Herr Dr. Oskar Sailer, geboren 12.07.1909 zu Wäldern, zur Zeit Volontärarzt an der hiesigen Universitäts-Hautklinik. Herr Dr. Sailer ist bereit, die Stelle eines Assistenzarztes solange zu vertreten, bis ein geeigneter Nachfolger für Herrn Prof. Dr. Kihn877 gefunden ist. Ich kenne Herrn Dr. Sailer, der früher als Medizinalpraktikant an der Heil- und Pflegeanstalt tätig gewesen ist und bei mir eine Doktorarbeit gemacht hat,878 als einen ordentlichen und zuverlässigen Mann“.879

Am 01.02.1938 sandte Meggendorfer an den Dekan folgendes Schreiben: „Die Anforderungen an die Ärzte der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen haben im letzten Jahre erheblich zugenommen. Die Klinik hatte im Jahr 1937 689 Aufnahmen, die Heilund Pflegeanstalt ohne Klinik dagegen nur 140. Dabei hatte die Heil- und Pflegeanstalt fast nochmal soviel Ärzte als die Klinik [sic], außerdem immer Medizinalpraktikanten, da sie diesen Verpflegung und Bezahlung gewährt, während dies bei der Psychiatrischen Klinik nicht der Fall ist“.880

Am 02.02.1938 leitete der Dekan Meggendorfers dringende Bitte um die Bewilligung einer zusätzlichen ärztlichen Arbeitskraft unter Befürwortung an den Rektor und das Kultusministerium weiter:

876 Es erfolgte Anonymisierung durch Entfernung des Namens. 877 Der Nachfolger fand sich in der Person Bingels ab März 1937. 878 Vgl. Sailer (1936). Karl-Heinz Leven verwies in seiner „Sparta-Weihnachtsvorlesung“ im Jahr 2016 auf die Dissertation Sailers zur „Epilepsie und Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Vgl. ebd. Fast in jeder Dissertation zu NS-Zeit aus der Psychiatrie und aus anderen medizinischen Fachgebieten – zumindest „wo es irgendwie passte“ – sei, so Leven, ein Bezug hergestellt worden zur mythisch-historischen Neugeborenen-Selektion durch die Spartaner. Vgl. Leven (2016c). „Der Rekurs auf Sparta war [bereits] ein Topos der eugenisch-rassenhygienischen Diskussion um 1900“. Vgl. Möhring (2006), S. 235. „Nach Platon unterscheidet Sokrates, der als Sohn einer Athener Hebamme aus erster Hand unterrichtet war, im vierten vorchristlichen Jahrhundert im Dialog ‚Theaitetos‘ sogenannte ‚echte‘ Kinder von ‚Trugbildern‘ oder Mißgeburten, derer sich die Mütter sogleich zu entledigen hätten. Einige Jahrzehnte später forderte der Systematiker Aristoteles in seiner ‚Politik‘ ein Gesetz, das die Aufziehung verkrüppelter Kinder verbieten sollte. In Sparta oblag die Selektion der Neugeborenen nach einem Bericht des griechischen Historikers Plutarch den Gemeindeältesten. Schwache und Übelgestaltete wurden in die ‚beiseite Gesetzte‘ (,Apothetai‘), eine tiefe Kluft am Berg Taygetos, geworfen“. Vgl. Traub (1997), S. 44. Nach Leven ist die seitens der NSMedizin oftmals zitierte Quelle von Plutarch (1. Jhd. n. Chr.) kaum unabhängig von der Überlieferung Platons (4. Jhd. v. Chr). Letzterer hatte in seinem „utopischen Staat“ eine radikalisierte Auffassung für einen Idealstaat skizziert. Bei der Hauptquelle zu Sparta aus der Hand Xenophons (ca. 430–354 v. Chr.) ist über eine Tötung von spartanischen, als untauglich befundenen Neugeborenen nichts überliefert. Der Wahrheitsgehalt der Überlieferung Plutarchs, die als Legitimationsquelle für die NS-Medizin diente, ist somit anzuzweifeln. Vgl. Leven (2016c). Siehe ferner Aristoteles (2012) und Platon (1994). 879 UAE: A6/3i; Bay HStA: MK 72098. 880 Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „[e]s wurde schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse in der Psychiatrischen Klinik – nicht nur in Hinblick auf die Zahl der Ärzte – 881 untragbar geworden sind und dringend einer Neuordnung bedürfen“.882

Am 17.01.1939 wandte sich Meggendorfer erneut an den Rektor mit dem Hinweis darauf, dass die Klinik „über zwei planmäßige und eine außerplanmäßige Assistentenstelle [verfüge]. [Da] [d]ie eine planmäßige Assistentenstelle Herr Dr. Bingel inne[habe], der die Funktion eines Oberarztes der Klinik hat[,] [bitte er] deshalb[,] der Klinik die Gewährung einer weiteren planmäßigen Assistentenstelle erwirken zu wollen“.883

Am 09.05.1939 bat Meggendorfer beim Rektor „neuerdings dringlich um Gewährung eines weiteren außerplanmäßigen Assistenzarztes“.884 Am 30.05.1939 benannte der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus als Voraussetzung für den Einsatz eines vierten wissenschaftlichen Assistenten an der Psychiatrischen und Nervenklinik die Genehmigung des Haushaltes durch den Reichsminister der Finanzen.885 In Anbetracht des kontinuierlichen Einsatzes Meggendorfers für eine bessere ärztlich-personelle Besetzung lohnt sich ein Blick auf die unter seiner Leitung tätigen ärztlichen Dienstverpflichteten. Am 10.04.1940 teilte Meggendorfer dem Rektor mit, die „Beordung aufgrund der Notdienstverordnung“886 sei an ihn selbst, an Haege und an die „Hilfsärztin“ E. Bauer ergangen.887 Nach der Einberufung Haeges waren für die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen ausländische Dienstverpflichtete in den beruflichen Erstlingsjahren oder mit nur rudimentären Deutschkenntnissen vorgesehen. Deren Einsatz wurde von Meggendorfer im Verlauf abgelehnt, wie folgende Schriftstücke zeigen: Am 26.01.1942 teilte Meggendorfer dem Rektor mit, infolge seiner Erkrankung888 vermöge er die Lage zur Zeit nicht völlig zu übersehen. Es seien, so Meggendorfer „[…] seitens der Fakultät Schritte eingeleitet, den OA der Klinik Dozent Dr. habil. Adolf Bingel wenigstens vorübergehend für die Klinik freizubekommen. Da Herr K. [geb. 03.04.1917 in

881 Zu den besonderen Verhältnissen der Psychiatrischen Klinik als Adnexe der HuPflA siehe Kap. 3.5.1. 882 UAE: A6/3i; Bay HStA: MK 72098. 883 Ebd. 884 Ebd. 885 Vgl. ebd. 886 Denn auch Ärzte wurden zwangsweise zur Arbeit im Deutschen Reich „gemäß der 1938 eingeführten ‚Notdienstverordnung‘ zur Versorgung der deutschen Zivilbevölkerung“ rekrutiert. Vgl. Gottschalk et al. (2002), S. 574. Siehe ferner Form (2001). Im weiterführenden Kontext der Dienstverpflichtung jüdisch versippter Deutscher könnte der Einsatz Werner Leibbrands an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen zu sehen sein. Siehe hierzu S. 578. 887 Vgl. UAE: F2/1 Nr. 3255. 888 Zur erwähnten Erkrankung Meggendorfers zu Beginn des Jahres 1942 ließen sich keine genaueren Angaben finden. Zu Meggendorfers Gesundheitzustand 1947 und 1951 siehe weiterführend S. 518 sowie S. 522, Fn. 143.

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Luxemburg,] noch völlig unerfahren ist, wird er zunächst keine selbstständige Station übernehmen können. Unter diesen Umständen glaube ich zunächst auf die Anstellung von Herrn K. besser zu verzichten und erst dann, wenn sich die Situation etwas geklärt hat, mir weitere Schritte vorzubehalten“.889

Am 07.05.1942 informierte Meggendorfer den Rektor darüber, die Klinik sei vor Kriegsbeginn mit drei Assistenten, nämlich Dr. Bingel, Dr. Sailer und Dr. Haege890 besetzt gewesen. Bei letzterem hatte Meggendorfer bereits im Rahmen des Staatsexamens das Teilgebiet Psychiatrie geprüft und Haeges Leistung mit der Bestnote beurteilt.891 Seit 15.04.1940, so berichtete Meggendorfer in seinem Schreiben von 07.05.1942, war Bingel dauernd einberufen und ortsabwesend. Am 17.06.1940 sei Frau Dr. Schmelzer892 vertretungsmäßig eingestellt worden. „Am 15.04.1940 wurde ich selbst einberufen, doch kann ich neben dem militärischen Dienst noch die Klinik mit versehen. Mit Rücksicht auf die besondere Arbeitsbelastung wurde mir mit Min[isterial]. Verf[ügung] vom 13.01.1942 für die Dauer meiner Einberufung Herr Dr. Forrai als Hilfsarzt genehmigt. Außerdem hat die Klinik eine bezahlte Volontärarztstelle mit Unterhaltsbeihilfe, die ab 06.10.1941 durch den bisher im Ruhestand lebenden, 78-jährigen Arzt Dr. Hans Fischer besetzt ist. Zuletzt wurde am 01.12.1941 Herr Dr. Haege einberufen.893 Für ihn 889 UAE: A6/3i; Bay HStA: MK 72098. 890 Suggeriert Meggendorfer in diesem Schreiben, die drei Assistenzarztstellen seien zeitgleich besetzt gewesen, so lässt sich aus der Personalakte Ernst Haeges, geb. 09.03.1911 in Ulm, entnehmen, dass dieser in der Nachfolge Sailers seine klinische Tätigkeit bei Meggendorfer aufnahm. Nachdem Haege die WS 32/33; SS 33; WS 33/34; SS 35; WS 35/36 und SS 36 in Erlangen studiert hatte, dort in der Abschlussprüfung mitunter von Meggendorfer benotet worden war und einen Teil seiner Medizinalassistentenzeit von 01.06.1937 bis 30.11.1937 an der HuPflA Erlangen verbracht hatte, bewarb er sich am 08.07.1939 aus der LHA Stralsund, wo er von 01.06.1938 bis 31.07.1939 arbeitete, bei Meggendorfer und übernahm ab 01.09.1939 die mit Ausscheiden Sailers frei gewordene apl. Assistenzarztstelle. Bemerkenswerterweise findet sich auf dem Deckblatt der PA die Angabe „[a]pl. Professor“ anstelle von „apl. Assistent“; ab 01.12.1939 wurde Haege wissenschaftlicher Assistent; am 01.08.1945 schied er aus. Er ließ sich später als Facharzt für Nerven- und Gemütskrankheiten in Ludwigsburg nieder. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 3255. 891 Vgl. ebd. 892 Zu der an Schizophrenie erkrankten, 1905 geborenen G. H. erstellte sie unter der Signatur „gez. Prof. Dr. Meggendorfer (Dr. Schmelzer)“ am 11.02.1941 ein 17 seitiges Gutachten: „Das jetzige Leiden hat sich nach dem Tode des Vaters 1937 plötzlich entwickelt […]. Obwohl die Patientin einmal in der Schule sitzen blieb, wird ein eigentlicher angeborener Schwachsinn kaum vorgelegen haben. Jetzt dagegen besteht eine hochgradige geistige Schwäche. Die G. ist im Willens- und Gefühlsleben, wie überhaupt in der ganzen Persönlichkeit verändert. Sie ist völlig gleichgültig und abgestumpft, uneinsichtig und autistisch, lebt ganz in ihrer Gedankenwelt und gibt fast nur beziehungslose Antworten. Ihre Sprechweise ist maniriert [sic]. Wenn auch bei dem jetzigen Klinikaufenthalt kein Stimmenhören nachgewiesen werden konnte, so geht doch aus den Nürnberger Krankengeschichten einwandfrei hervor, dass die G. in den Jahren 1938 und 39 an Sinnestäuschungen und Erregungszuständen litt und unsinnige Handlungen beging“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 83/3. 893 Am 07.09.1943 befürwortete Meggendorfer die Verlängerung der Beschäftigungsdauer Haeges. Haege war von 02.08.1939 bis zur Einberufung in die San.-Ersatz. Abt XIII Bad Kissingen am 01.12.1941 an der Klinik tätig gewesen als „sehr fleissiger, tüchtiger und rühriger Hilfsarzt, der sich auf allen Gebieten der Neurologie und Psychiatrie einschließlich Gutachtentätigkeit mit Erfolg und Zuverlässigkeit betätigt hat“. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 3255.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit hat die Klinik noch keinen Ersatz, obwohl die Klinik mit Arbeit überlastet ist. Nach den bestehenden Richtlinien des Reichsinnenministeriums müsste die Klinik, die 200 Betten und eine ziemlich lebhafte Ambulanz und gerichtliche Gutachtertätigkeit hat, sieben Hilfsärzte haben. Sie hat zur Zeit nur vier, von denen einer (Dr. Forrai) als Ausländer mit immerhin noch mangelhaften Sprachkenntnissen namentlich für Gutachten nicht in Betracht kommt, während der andere infolge seines hohen Alters kaum eine halbe Arbeitskraft darstellt“.894

Mit der von Meggendorfer erwähnten „lebhafte[n] Ambulanz“895 könnte die – der Angabe des im folgenden abgebildeten Briefkopfes entsprechend – im pharmakologisch poliklinischen Institut untergebrachte „Poliklinik für psychische u. nervöse Krankheiten“ gemeint sein.

Abb. 51: Briefkopf der Erlanger „Poliklinik für psychische und nervöse Krankheiten“896

894 Ebd.: A6/3i. Zusätzlich zu den klinischen, militärischen und gutachterlichen Verpflichtungen nötigte der Leiter der Ortskrankenkasse Kulmbach Meggendorfer zu einer zeitintensiven Korrespondenz. Die Akte der am 28.01.1941 in die Klinik aufgenommenen F. M. beinhaltet ein von Meggendorfer gezeichnetes Zeugnis, die Patientin bedürfe „wegen eines Depressionszustandes der Aufnahme in die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 104/24. Am 26.02.1941 bat der Leiter der Ortskrankenkasse Kulmbach Meggendorfer „um Mitteilung, warum F. die Gebühr von 5 RM- zu bezahlen hatte. Mir ist nicht bekannt, dass […] von Versicherten, die einen Kostenhaftschein der Kasse in Händen hatten, nochmals Beträge für Aufnahmezeugnisse abverlangt wurden. Sollte es aber ein Versehen des behandelnden Arztes gewesen sein, der vielleicht in solchen Fällen verpflichtet ist, ein Zeugnis mitzugeben, so hat es m. E. nicht der Versicherte, oder die Kasse zu vertreten die Gebühr für das Zeugnis zu entrichten. Der Kasse ist es vielmehr auch verboten, Mittel für ärztliche Zeugnisse auszugeben. Ich bitte deshalb der F. die bezahlten 5 RM- zurückzuerstatten“. Vgl. ebd. Am 28.02.1941 antwortete Meggendorfer wie folgt: „Auf Ihre Anfrage vom 26.2.41 teile ich Ihnen mit, dass die Psychiatrische und Nervenklinik der Universität Erlangen in administrativer Hinsicht angegliedert ist. Nach den Regierungsbestimmungen können Kranke hier nur aufgenommen werden, wenn sie bei der Aufnahme ein Aufnahmezeugnis vorlegen. Ein Kostenhaftschein ist kein Aufnahmezeugnis. Frau F. hatte bei ihrer Aufnahme kein ärztliches Zeugnis. Sie hätte deshalb nicht aufgenommen werden können und hätte wieder nach Hause zurückkehren müssen. Auf Verlangen habe ich dann das erforderliche Aufnahmezeugnis erstellt. Selbstverständlich habe ich dafür auch liquidiert. Ich kann aber, wenn Sie das wünschen Kranke, die von der dortigen Kasse ohne Aufnahmezeugnis eingewiesen werden, auch wieder unverrichteter Dinge nach Hause fahren lassen. Künftigen Anfragen bitte ich Porto beizulegen, da ich sie sonst nicht mehr beantworten werde“. Vgl. ebd. Zur administrativen Angliederung der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen an die HuPflA siehe Kap. 3.5.1. 895 UAE: A6/3i. 896 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 202/101. Der abgebildete Briefkopf-Aufdruck findet sich auf der Rückseite des Klinik-Anschreibens an Dr. med. Sölla vom 13.06.1938 zu der mit „Psychopathie, reaktive Depression“ diagnostizierten S. A. Vgl. ebd.

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Am 02.06.1944 schrieb Meggendorfer an den Syndikus der Universität Erlangen, Herrn Regierungsrat Zinner:897 „An der Klinik ist seit dem Ausscheiden von Dr. F. die 4. Assistentenstelle frei und ich habe mich deshalb wiederholt an die Ärztekammer gewandt; leider wurde mir bisher von dort kein geeigneter Arzt zugewiesen. Am 02.05.1944 erschien hier ein vom ‚Primator der Hauptstadt Prag‘ für die Klinik dienstverpflichteter Arzt Dr. V. M. Er meldete sich auftragsgemäß bei mir, bat jedoch, seinen Dienst hier nicht antreten zu müssen, da er chirurgisch und gynäkologisch vorgebildet sei und in der Psychiatrie weder Erfahrung noch Interesse habe. Er sprach außerdem nur sehr gebrochen deutsch. Da in der Psychiatrie begreiflicherweise die Sprache eine große Rolle spielt und ich auch mit Ausländern schlechte Erfahrungen gemacht habe,898 diese Ärzte auch nicht für Gutachten, mit denen die Klinik sehr belastet ist, eingesetzt werden können, verwies ich Dr. V. M. an die Ärztekammer, Ärztliche Bezirksvereinigung Fürth. Er wurde wahrscheinlich […] anderswo eingesetzt. Nun erhielt ich vor einigen Tagen eine Rechnung über 292,50 Kronen Reisekosten für Dr. V. M. Ich schickte diese Rechnung an die Ärztliche Bezirksvereinigung mit der Angabe, dass Dr. V. M. hier nicht eingesetzt sei, dass ich [ihn] auch nicht angefordert habe und dass meiner Meinung nach die Klinik nicht verpflichtet sei, die Reisekosten zu tragen. Nun erhalte ich heute von der Ärztekammer das beiliegende Schreiben, wonach die Klinik die Reisekosten zu tragen hat, da ja von der Klinik ein Arzt angefordert worden sei. Der Umstand, dass Dr. V. M. in der Klinik nicht eingesetzt worden sei, sei ein besonderes Entgegenkommen der Ärztekammer, könne aber nicht eine Weigerung der Zahlung der Reisekosten zur Folge haben. Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob die Klinik tatsächlich die Kosten zu tragen hat, wenn ja, unter welchem Titel diese Kosten zu verrechnen sind“.899

Der weitere Verlauf der Kostenverrechnung lässt sich nicht nachvollziehen. Welche unmittelbaren Folgen die „Rückschickung“ für den zwangsverpflichteten Prager Arzt V. M., der bei chirurgischer und gynäkologischer Vorerfahrung Meggendorfer darum gebeten hatte, nicht in der Psychiatrischen Klinik arbeiten zu müssen, nach sich zog, ist nicht evident. 3.5. DIE PSYCHIATRISCHE KLINIK ALS GAST DER HUPFLA 3.5.1 Der Adnexstatus zur HuPflA Der Vertrag vom 05./14.07.1921 zwischen der Kreisvertretung von Mittelfranken und der Universität Erlangen regelte ein Gastrecht für die Psychiatrische Klinik innerhalb der Anstaltsmauern.900 Nach § 3 des Vertrages oblag dem Direktor der Klinik ausschließlich die ärztliche Behandlung der in der Klinik untergebrachten Kranken. Er hatte keinerlei Mitspracherecht in Bezug auf die Anstaltspatienten. Nach §4 897 Syndikus Zinner war „überaus geschäftskundig[]“ und „hatte – als ‚Schreibtischtäter‘, gewiss – alle personellen und institutionellen Entscheidungen mitzuverantworten gehabt“. Vgl. Sandweg (1996), S. 382. 898 Gegebenenfalls machte Meggendorfer hierbei eine Andeutung zu seinen Erfahrungen mit Dr. Forrai. Vgl. UAE: A 6/3i; Schreiben von Meggendorfer an den Rektor vom 07.05.1942. Siehe auch S. 455–456. 899 UAE: A6/3i. Schreiben Meggendorfers an den Syndikus der Universität Erlangen, Herrn Regierungsrat Zinner vom 02.06.1944. 900 Vgl. Rössler (1985), S. 29, ebd., S. 31 und ebd., S. 32.

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des Vertrages konnte der Klinikdirektor eigenständig keine Kranken aufnehmen. Er oder seine universitären Mitarbeiter konnten lediglich diejenigen Patienten ärztlich versorgen, bei denen der Anstaltsdirektor zustimmte. Die poststationäre Nachbetreuung der aus der Psychiatrischen Klinik entlassenen oder beurlaubten Patienten „untersteht in allen Fällen der verantwortlichen Leitung des Direktors der Anstalt“.901 Der Direktor der Psychiatrischen Klinik konnte nur „tunlichst [zu] berücksichtigen[de]“902 Anregungen vorbringen. Diese für eine Hochschulpsychiatrie paradoxe Situation der Gastrolle an einer Heil- und Pflegeanstalt setzte sich während des Ordinariats von Meggendorfer fort. Die Patienten, das Pflegepersonal sowie das Mobiliar der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen waren der Anstalt zugehörig.903 Interessant zeigt sich in dieser Hinsicht die Tatsache, dass Meggendorfer auch bangte um das Abwerben seiner ärztlichen Mitarbeiter seitens der Heil- und Pflegeanstalt. Sein Schreiben an das Rektorat vom 13.04.1937 – betreffend der Antragswiederholung auf Übertragung der frei gewordenen planmässigen Assistentenstelle an Dr. Hans Stracke sowie konsekutives Vorrücken von Dr. Oskar Sailer vom Hilfsarzt zum außerplanmäßigen Assistenten – vermittelt einen Eindruck von Meggendorfers Besorgnis über eine antizipierte Mitarbeiter-„Abwanderung“ in die Heil- und Pflegeanstalt: „Die beiden Ärzte hatten den ganzen Winter hindurch einen außerordentlich angestrengten Dienst. In den Heil- und Pflegeanstalten könnten beide Ärzte sofort in erheblich besser bezahlten Stellen ankommen. Überhaupt besteht bei der derzeitigen großen Nachfrage nach psychiatrisch ganz oder teilweise ausgebildeten Ärzten die große Gefahr, dass die beiden Ärzte der Klinik verloren gehen. Es wäre dann außerordentlich schwierig, einen Ersatz für sie zu finden“.904

Meggendorfer sah die pflegerischen Anforderungen der Anstalt im Vergleich zur Universitätsklinik, „an der vielfach auch Nervenfälle behandelt werden und an der die Therapie besonders gepflegt wird […] naturgemäß [als] verschieden“905 an. Meggendorfer bedauerte den „dauernd[en] [Wechsel des Pflegepersonals] zwischen Heil- und Pflegeanstalt und Klinik“.906 Bitten der Klinik, besonders in der Klinik eingearbeitetes und bewährtes Pflegepersonal dort zu belassen, seien „stets abschlägig beschieden“907 worden. Gemäß den Richtlinien des Ministeriums „für den Einsatz des Pflege- und Wachtungspersonals an den Psychiatrischen und Nerven-Universitäts-Kliniken, WA 2557/30“908 war ein „Richtsatz von 1 Pflegeperson auf 3 Kranke vorgesehen. Der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik wird aber 1 Pflegeperson auf 7 Kranke zugewiesen“.909

901 902 903 904 905 906 907 908 909

Ebd., S. 29. Ebd. Vgl. BayHStA: MK 40022. UAE: A2/1 Nr. S 194. Ebd.: A6/3 i. Ebd. Ebd. BayHStA: MK 72096. Ebd.

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Der bestehende Personalmangel könnte mitverantwortlich gewesen sein für den Tod der manisch-depressiv erkrankten P. E. durch fremdaggressives Verhalten einer Mitpatientin. In ihrer Akte wurde abschließend dokumentiert: „27.3.43. Pat. ist sehr laut, spricht in einem fort, ist nicht fixierbar, ideenflüchtig, streckt die Zunge heraus, lacht schallend, duzt den Arzt, macht erotische Bemerkungen, ist zur Zeit die unruhigste Pat., muss vielfach isoliert werden. 8.4.43. Heute Morgen wird die Patientin tot in der Zelle aufgefunden. Anscheinend wurde sie von der anderen unruhigen Patientin, die sich ebenfalls in der Zelle befand, tätlich angegriffen“.910

Die zusätzliche Dokumentation des Vorkommnisses als „P.-Protokoll“ liefert folgende Angaben: „Frl. Rusch kam um 7 Uhr morgens zum Dienst und wollte die Nachtwache ablösen. Ging einige Minuten nach 7 Uhr in die Zelle, um die Läden zu öffnen. Sah Frau P. am Boden liegend, hatte den Eindruck, dass die Pat. nicht mehr lebe. Konnte keinen Puls mehr fühlen. Die Oberpflegerin Bauer kam dann zufällig in die Zelle, da sie mit Frl. R. etwas sprechen wollte. Auch diese konnte keinen Puls feststellen. Sie gibt an, dass sich die Leiche noch ganz warm angefühlt habe. Frl. Schütz wurde herbeigeholt, die die gleichen Feststellungen machte. Die Leiche habe sich heiß angefühlt, im Mund und in den Nasenlöchern habe Blut gestanden. Dann wurde Frl. Dr. Bauer sofort geholt“.911

Die Pathologische Untersuchung der Frau P. ergab als Todesursache eine traumatische Ruptur des rechten Vorhofes und schwere Frakturen am knöchernen Thorax. In der Akte findet sich die nichtunterzeichnete Abschrift der Todesmitteilung an den Ehemann der P. E. vom 12.4.1943: „Die traurige Nachricht von dem Tode Ihrer Gattin haben Sie ohne Zweifel erhalten. Die Kranke war bei ihrem jetzigen Aufenthalt etwas anders als bei ihrem Aufenthalt im vergangenen Jahr. Während sie damals ein rein depressives Bild bot, war sie jetzt eher heiter, aber ganz inkohärent, zerfahren in ihrem Gedankengang, dabei motorisch außerordentlich erregt. In diesem Erregungszustand erschöpfte sie sich völlig, sodass der Tod auch für uns überraschend kam. Ich spreche Ihnen zu dem Verlust meine wärmste Anteilnahme aus“.912

910 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 308/204, 136/67. 911 Ebd. Zu Frl. Schütz siehe ferner S. 525. 912 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 308/204, 136/67. War es zu einer tödlichen Komplikation im Rahmen des zweiten stationären Aufenthaltes der P. E. gekommen, so war bereits der Voraufenthalt komplikationsbehaftet. Am 15.01.1941 hatte Meggendorfer an „Nervenarzt Dr. Karl Urban. Karlsbad. ,Herzog von Edinburg‘“[sic] folgende Beschreibung des stationären Aufenthaltes der „Frau Regierungsrat P. E. von Karlsbad“ vom 10.10.1940 bis 14.01.1941 verfasst: „Wie haben Frau P. in der üblichen Weise behandelt, insbesondere haben wir Neurophillinpillen gegeben die ihr gut bekamen, Da wir jedoch nach einiger Zeit nicht mehr recht weiter kamen, wandten wir die jetzt bei uns geübte Elektrokrampfbehandlung an, mit der wir gerade bei Melancholien, die nicht recht weichen wollen, besonders gute Ergebnisse erzielt haben. Leider trat bei einem solchen Elektrokrampf eine Fraktur des linken Oberarms (intrakapsulär) ein. Nach dem Bericht der chirurgischen Klinik ist die Fraktur wieder gut geheilt; Frau P. bedarf nur noch der Übung. Die Krampfbehandlung hat an sich den gewünschten Erfolg gehabt; Frau P. wurde unmittelbar nachher etwas manisch, hat sich aber in den letzten Wochen auch wieder beruhigt“. Vgl. ebd. Warum der Nervenarzt Karl Urban mit „Herzog von Edinburg“ [sic] betitelt wurde, muss offenbleiben. Seit 1726 wurde der Titel „Herzog von Edinburgh“ viermal innerhalb der

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Obwohl der Klinikdirektor „keinerlei Disziplinarrecht über das unter seiner ärztlichen Leitung beschäftigte Pflegepersonal hat“913 „werden ihm ‚Verantwortlichkeiten‘ zugemutet, die er im Grunde gar nicht tragen kann, weil er auf den inneren Betrieb der Klinik (Verteilung des Pflegepersonals, Art der Verwendung desselben usw.) keinerlei Einfluss hat“.914

Am 29.07.1935 berichtete Meggendorfer dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus „über die Schwierigkeiten, die [er] bei der Psychiatrischen und Nervenklinik gefunden habe“.915 Meggendorfer erwähnte „1. die Unselbstständigkeit der Klinik, 2. die räumliche Unzulänglichkeit der Klinik“.916 Als dritten Punkt führte Meggendorfer die Tatsache an, dass die Klinik „wirklich nichts Anderes als nur eine Abteilung der Heil- und Pflegeanstalt“917sei. In Wirklichkeit komme sie schlechter weg als jede andere Abteilung der Heil- und Pflegeanstalt, da sie nicht „unter den Augen des Anstaltsdirektors“918 liege. „Auf Schritt und Tritt ist der Klinikdirektor in all seinen Maßnahmen und in all seinen Bestrebungen, die Klinik zu fördern, gehemmt. Es ist geradezu unwürdig für einen Klinikleiter, wenn er seine Patienten und sein Personal gewissermaßen nur leihweise hat und in keiner Weise darüber verfügen kann“.919

Vor diesem Hintergrund zeigte sich Meggendorfer bestrebt, die Kooperationsmöglichkeit an seiner Klinik auszudehnen. In einem Schreiben an den Dekan der Medizinischen Fakultät befürwortete er am 04.08.1936 die Aufnahme von Ulrich Fleck – seit 01.11.1935 Leiter der Psychiatrisch-Neurologischen Abteilung des Nürnberger Städtischen Krankenhauses – in den Lehrkörper der Friedrich-Alexander-Universität.

913 914 915 916

917 918 919

britischen Königsfamilie verliehen, ein Karl Urban war nicht Träger des Titels. Die unfallchirurgische EKT-Komplikation war bereits der Schwester der Patientin am 19.12.1940 mitgeteilt worden: „Bei der Elektrokrampfbehandlung […] ist, wie das leider zuweilen vorkommt, infolge der starken Muskelanspannung eine Knochenabsprengung am Oberarm erfolgt. Trotz aller Sorgfalt lassen sich eben derartige Zwischenfälle nicht ganz vermeiden. Die Art der Verletzung ist aber nicht so, dass ein dauernder Schaden zu befürchten wäre. Das Unangenehmste für die Kranke ist, dass sie einige Wochen einen geeigneten Verband tragen muss. Im übrigen ist die Kranke auf, fühlt sich wohl, hat keine Schmerzen“. Vgl. ebd. BayHStA: MK 72096. Ebd. UAE: A6/3i. Ebd. In seiner Antwort vom 05.10.1940 auf die persönliche Gutachtensanfrage der entmündigten, in der Privatanstalt Heidehaus, Zepernick b. Berlin wohnhaften K. H. schilderte Meggendorfer die Klinikverhältnisse folgendermaßen: „Die Unterkunftsverhältnisse in der Klinik sind, da die Klinik an die hiesige Heil- und Pflegeanstalt angeschlossen ist, ebenso wie die Verpflegung sehr einfach. Wir haben nur zweite und dritte Klasse. Die Unterbringung in einem Einzelzimmer ist nur dann möglich, wenn Sie keiner Pflege bedürfen, da uns zur Zeit für Einzelzimmer Pflegepersonal nicht zur Verfügung steht“. Vgl. APNK/FAU, Keine Aufnahmenr. UAE: A6/3i. Ebd. Ebd.

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„Bei der Eigenart der Erlanger Psychiatrischen Klinik halte ich es für vorteilhaft, Herrn Professor Fleck an der Erlanger Psychiatrischen Klinik zu interessieren und ihn der Klinik zu verpflichten.920 Die Erlanger Klinik erhält nämlich ihre Fälle zum größten Teil aus dritter Hand: Die für den Unterricht und die Forschung wichtigsten Fälle kommen vielfach zuerst ins Nürnberger Krankenhaus, dann werden von Zeit zu Zeit die von dort nicht mehr gewünschten Fälle in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen verlegt. Ein Teil von diesen wird, da die Klinik ja keine eigenen Kranken hat, der Klinik gewissermaßen leihweise zur Verfügung gestellt. So bekommt die Erlanger Psychiatrische Klinik entweder von vornherein uninteressante Fälle oder doch Fälle, die schon abgelaufen sind. Von manchen Krankheitskategorien, z. B. Giftsüchten und Infektionspsychosen kommen überhaupt fast keine Fälle bis in die Erlanger Psychiatrische Klinik“.921

Soweit der Einblick in die spezifischen Gegebenheiten der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen als HuPflA-Adnexe. 3.5.2 Gescheiterte Pläne für einen Klinikneubau Hatten Ausbruch, Verlauf und Konsequenz des Ersten Weltkrieges die Spechtschen Pläne zum Neubau einer Psychiatrischen Klinik untergraben, so beurteilte Friedrich Meggendorfer am 17.05.1935 das Bedürfnis einer eigenen Psychiatrischen Klinik im Vergleich zum Jahr 1911 als dringlicher:922

920 Knapp acht Jahre nach Meggendorfers Vorschlag lancierte der Rektor 1943/1944 das nach ihm benannte „Wintz-Projekt“ als eine enge Verbindung von FAU und Nürnberger Kliniken. Vgl. Sandweg (1996), S. 395. „In den Jahren 1943/44 hielt eine von Rektor Hermann Wintz vorangetriebene Idee die Erlanger Kliniker in Atem: Seit Mai 1943 trat Wintz für eine Fusion der Medizinischen Fakultät Erlangens mit den Nürnberger Krankenhäusern ein“. Vgl. Rauh (2016c), S. 238. Siehe ferner Rauh (2016d). 921 UAE: A6/3i. Gerade das Fehlen von Intoxikationspsychose-Patienten mag für Meggendorfer als Verfasser eines Standardwerkes zu den Intoxikationspsychosen im Jahr 1928 eine Einschränkung an klinischer Vielfalt bedeutet haben. Es kann davon ausgegangen werden, dass er für seine Kasuistiken zum schweren Alkoholismus in Gütts Handbuch der Erbrankheiten 1940 dazu gezwungen war, auch auf einstige Friedrichsberger Patienten zurückzugreifen. Vgl. Meggendorfer (1928a) und (1940b). 922 Zur Situation in Hamburg schreibt v. d. Bussche: „Die […] Modernisierung der Psychiatrie war an sich kein spezifisch nationalsozialistisches Konzept. Bereits Weygandt hatte 1928 für Hamburg eine kleinere forschungsorientierte Psychiatrische Klinik gefordert. Alle Psychiater, mit denen in den Jahren 1934 bis 1936 Berufungsverhandlungen geführt wurden (Schneider, Bostroem und Meggendorfer) verlangten eine entsprechende Reorganisation der Hamburger Universitätspsychiatrie. An der Pervertrierung dieses Konzeptes im ‚Dritten Reich‘ hat die Psychiatrie einen erheblichen Anteil. Die überwiegende Mehrzahl der Fachvertreter hat die Frage der Behandlungsfähigkeit weder als Problem des Therapeuten noch als Resultat gegenüber gesellschaftliche[n] Verhältnisse[n], sondern als unveränderbares Merkmal des Kranken begriffen. Den nationalsozialistischen Begriff der Behandlungsmöglichkeit hat diese Haltung, die der Theorie der vorgegebenen Erbbedingtheit nahezu aller psychiatrischer Krankheiten einschließlich der angeblichen Sozialgefährlichkeit der Kranken entsprang, wissenschaftlich untermauert und damit der Praxis der Ausmerze den Weg geebnet“. Vgl. Bussche (1989b), S. 157.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Die Bedeutung der Psychiatrie für das Volksganze hat gerade der neue Staat erkannt; seine rassenhygienischen Bestrebungen und Maßnahmen verlangen nachdrücklich eine gesteigerte psychiatrische Forschung, Lehre und Tätigkeit“.923

Am 12.06.1935 bezeichnete Meggendorfer in einem Schreiben an den Rektor einen Neubau als vorrangige Notwendigkeit. „[A]lle anderen Maßnahmen werden schließlich doch nur Halbwahrheiten sein“.924 Meggendorfer plante eine circa 120– 150 Betten umfassende Klinik am Puchtaplatz nach dessen Freigabe durch die Stadt Erlangen. Diese verwies auf den Vertrag vom 09.02.1921. Demgemäß fiel der Stadt ein Rechtsanspruch auf den Wiedererwerb des Grundstückes zu, sofern der Staat das Grundstück nicht für die Zwecke der Universität Erlangen auszugestalten vermochte. Am 10.07.1935 betonte der Rektor in einem Schreiben an das Ministerium die „z. Zt. des Vertragsabschlusses noch nicht vorhersehbaren Ursachen“925 hätten das bisherige Unvermögen des Staates zur Finanzierung eines Neubaus bedingt. Somit ergebe sich kein Wiederkaufsrecht für die Stadt. „Es wäre also geradezu eine Versündigung an der Universität, wenn dieses baureife Grundstück, das unmittelbar an das Studentenhaus anstößt und in nächster Nähe des chemischen Instituts liegt, also für die Universität schon wegen seiner Lage besonders wertvoll ist, jetzt wieder der Universität entfremdet werden sollte“.926

Am 09.03.1936927 forderte das Ministerium den Rektor dazu auf, „den Plan zur Errichtung einer selbstständigen Psychiatrischen und Nervenklinik nun ungesäumt zu 923 924 925 926 927

UAE: A6/3i. Ebd. Ebd. Mit den „nicht vorhersehbaren Ursachen“ gemeint ist a. e. die Inflation. Ebd. Sieben Tage im Vorfeld, am 02.03.1936, verfasste Meggendorfer folgendes Schreiben an Dekanat und Rektorat: „In der Anlage erlaube ich mir zwei Ausfertigungen der Denkschrift zu übersenden, die der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt, Herr Medizinalrat Dr. Einsle, vor kurzem der Regierung in Ansbach vorgelegt hat. Die Weitergabe erfolgt im Einverständnis mit Herrn Direktor Dr. Einsle“. Vgl. ebd. Die 39-seitige Denkschrift Einsles „Über das Verhältnis der Psychiatrischen und Nervenklinik und der Kreis- Heil- und Pflegeanstalt Erlangen“ vom 17.02.1936 weist folgende Gliederung auf I. Die Krankenaufnahmen II. Behandlung von Anstaltspatienten in der Klinik. III. Die Krankenentlassungen. IV. Das Pflegepersonal der Klinik. V. Der Anstaltshaushalt. VI. Die örtliche Lage der Klinik. VII. Überbelegung der Anstalt. Auf S. 27 der Denkschrift führte Einsle folgendes aus: „Das geradezu peinliche und unwürdige Abhängigkeitsverhältnis der Klinik von der Anstalt einerseits und die unfruchtbare und nicht im Interesse des Kreises gelegene Belastung der Anstalt durch die Klinik andererseits müssen eine endgültige Bereinigung und radikale Lösung finden.“ Vgl. ebd. Nach Einsle kann „[j]eder Versuch einer Lösung […] nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn er die Selbstständigkeit der Klinik in direktorialer und verwaltungstechnischer Hinsicht, also auch räumlich, administrativ und bezüglich des Klinikpersonals sicherstellt. Welche Lösungsmöglichkeiten lassen sich ins Auge fassen?“ Vgl. ebd. Einsle führte jeweils kurze Kapitel zu folgenden Überschriften aus: I. Personalunion zwischen Anstalts- und Klinikdirektor. II. Neubau einer eigenen von der Anstalt völlig, also auch technisch und wirtschaftlich unabhängigen Klinik. III. Verselbstständigung der Klinik innerhalb der Anstalt. IV. Verlegung der Klinik im Wege des Austausches nach dem vorderen Teil der Anstalt, also nach dem Maximiliansplatz hin. V. Bau einer selbstständigen Klinik in nächster Nähe der Anstalt: „Dies muss als die einzige befriedigende Lösung des Problems angesehen werden“. Vgl. ebd.

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betreiben“.928 Am 03.12.1936 stellte das Universitätsbauamt ein Modell fertig, auf welchem „die Lage des Neubaus auf einem das westliche Schwabachtal929 beherrschenden etwa 9m hohen gegen das Tal vorgeschobenen Plateau ersichtlich“930 war. Im Kontext der nationalsozialistischen „planwirtschaftlichen Änderungen“ im Bereich der psychiatrischen Anstalten kam es ab 20.10.1940 zur Zurückstellung der „dringende[n] Bereinigung“931 der Beziehungen zwischen Psychiatrischer Klinik und Anstalt. Vom 17.02.1941 findet sich folgendes Schreiben Meggendorfers an den Dekan und Rektor der Universität: „Im Zuge der sogen. planwirtschaftlichen Maßnahmen932 wurde die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen zum Teil geleert. Es geht das Gerücht, dass eine der beiden Heil- und Pflegeanstalten Erlangen oder Ansbach geleert werden soll.933 Ich habe als Vorstand der Psychiatrischen und 928 Ebd. 929 „Erlangen ist in Bewegung. Das hängt mit den Flüssen zusammen, die das Leben der Stadt prägen. Nördlich der Innenstadt mündet die Schwabach, südlich die Aurach in die Regnitz. Alles fließt um Erlangen. Erlangen ist im Fluss. Ein Grund für die Lebendigkeit der Stadt liegt auch in ihrer langen Geschichte: Oft wurde Erlangen belehnt, verpfändet, verkauft. Brände und Kriege haben es mehrfach zerstört. Jedes mal musste es zu einem neuen Selbstverständnis finden. Die Suche nach sich selbst macht es tolerant. Das Markgrafentheater ist ein Symbol dafür: Das heute älteste bespielte Barocktheater Deutschlands war nie eine Vergnügungsstätte allein des Adels, sondern stets ein Theater für alle. Ob Fürst oder Bürger – vor der Kunst sind wir alle gleich“. Vgl. Internationale Gluck Opern Festspiele 2014. ReFORM und ReVISION. Gluck/300, Programmheft. Zum Markgrafentheater als Veranstaltungsort der 200-Jahre-FAUJubiläumsfeier 1943 siehe Kap. 3.1.7, insbesondere S. 321, Fn. 272. 930 BayHStA: MK 72099. 931 UAE: A6/3i. 932 Weiterführend hierzu lässt sich im Stadtarchiv Erlangen ein Schreiben Rabichs vom Landesfürsorgeverband Oberfranken und Mittelfranken in Ansbach an den Bezirksfürsorgeverband finden. Die schriftliche Anordnung vom 25.03.1941 betraf die „Neuorganisation der HuPflA“: „Zur Behebung der Unterbelegung in den HuPflA des Bezirksverbandes Ober- u. Mittelfranken und zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit dieser Anstalten, ferner aus Ersparnisgründen sollen nach Art. 5 FürsG. in Anstalten zu versorgende Pfleglinge künftig nicht mehr in erster Linie in Privatanstalten, sondern tunlichst in den eigenen Anstalten des Bezirksverbands untergebracht werden. Ich ersuche also bei Unterbringung anstaltsversorgungsbedürftiger Personen Verhandlungen mit privaten Pflegeanstalten von dort nicht einzuleiten, sondern in jedem einzelnen Falle den Kranken entweder in die zuständige HuPflA verbringen zu lassen oder abzuwarten, in welcher Anstalt der Landesfürsorgeverband die Anstaltspflege übernimmt“. Vgl. Stadtarchiv Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt. Psychiatrische u. Nervenklinik. 1935–1964 340. Nr. 5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12). 933 Vom 23.01.1941 existiert ein Schriftstück an das Staatministerium des Innern, Abteilung für Gesundheitswesen zum Betreff: „Die Beziehungen der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen zur Heil- und Pflegeanstalt Erlangen“. Das Schriftstück wurde in München abgefasst und mit „zur gefl. Kenntnisnahme i. A. Jan“ unterzeichnet: „Der Rektor der Universität Erlangen hat mir fernmündlich mitgeteilt, dass heute im Staatsministerium des Innern mit dem Vorsitzenden des Bezirkstages, Oberbürgermeister Liebel von Nürnberg [1897– 1945], eine Besprechung über die Auflassung der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach oder der in Erlangen stattfinde. Oberbürgermeister Liebel habe erklärt, er wolle der Universität Erlangen einen Gefallen erweisen und für die Beibehaltung der Anstalt in Erlangen eintreten. Dem Rektor sei es leider nicht möglich gewesen, Oberbürgermeister Liebel davon zu verständigen, dass die Beibehaltung der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen nicht von der Universität gewünscht

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit Nervenklinik der Universität an sich kein unmittelbares Interesse an dem Bestehenbleiben oder dem Verschwinden der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen.934 Wohl aber habe ich ein Interesse daran, dass die Klinik von der für die Klinik sehr hemmenden Abhängigkeit von der Heil- und Pflegeanstalt befreit wird“.935

Im Folgenden schilderte Meggendorfer ausführlich die mit dem Gaststatus der Universitätspsychiatrie an der Heil- und Pflegeanstalt verbundenen Missstände. Abschließend resumierte Meggendorfer: „[s]ollte die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen aufgelassen werden, so würde ich bitten, dahin zu wirken, dass der Psychiatrischen und Nervenklinik das bisherige Verwaltungsgebäude der Heil- und Pflegeanstalt nebst einer anliegenden Abteilung als Klinik zur Verfügung gestellt wird, wie das früher unter Herrn Rektor Specht bereits einmal geplant war“.936 werde, sondern im Gegenteil deren Aufhebung. Dem Staatsministerium des Innern ist aus langjährigen Verhandlungen bekannt, dass sich aus der Einschachtelung der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen dauernd erhebliche Schwierigkeiten ergeben haben, die auch trotz des besten Willens der beiden Direktoren nicht behoben werden konnten. Wird nun die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen unter Aufhebung der Anstalt in Ansbach beibehalten, so werden sich diese Schwierigkeiten bei stärkerer Belastung der Anstalt in Erlangen nur noch mehren und schließlich eine Lösung des Vertragsverhältnisses erzwingen. Aber weder ist in absehbarer Zeit der Neubau einer Klinik in Erlangen möglich, noch kann die Professur aufgelassen werden: Jede Universität, die Mediziner ausbildet, benötigt eine Professur und eine Klinik für Psychiatrie. Alle Schwierigkeiten könnten nun mit einem Schlag behoben werden, wenn bei Fortbestand der Klinik in ihren bisherigen Räumen die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen aufgehoben würde. Bei der Kürze der Zeit war es mir natürlich nicht möglich mit dem Staatsministerium der Finanzen in Fühlung zu gehen. Aber ich rechne bestimmt, dass bei dem Wohlwollen, das der Herr Ministerpräsident und Finanzminister der Universität Erlangen gegenüber gezeigt hat, seine Zustimmung zum Erwerb des im Bereich der Universität liegenden Gebäudes geben wird. Ich bitte daher dringend[,] nicht die Heil- und Pflegeanstalt Ansbach, sondern die in Erlangen aufzulassen. Sollten die Beteiligten sich heute hiezu [sic] noch nicht entschließen können, so bitte ich die Entscheidung zurückzustellen und zunächst mit dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus und mit dem der Finanzen Verhandlungen über den Erwerb des Anstaltsgebäudes in Erlangen für die Zwecke der Universität anzubahnen“. Vgl. BayHStA: MK 72096. 934 Diese indifferent gehaltene Aussage Meggendorfers steht in Kontrast zur eindeutigen Befürwortung einer „Aufhebung“ der Anstalt Erlangen von Seiten des Rektors. Vgl. vorg. Fn. 933. 935 BayHStA: MK 40022, UAE: A6/3 i Nr.1. 936 Ebd. Mit „Herrn Rektor Specht” gemeint ist Meggendorfers Amtsvorgänger Gustav Specht, der 1913/1914 Prorektor der Friedrich-Alexander-Universität war. Der HNO-Arzt Fritz Specht hingegen bekleidete das Rektorenamt der Friedrich-Alexander-Universität von SS 1935 bis WS 1937/38. Zu Gustav Spechts baulichen Planungen aufschlussreich zeigt sich sein Schreiben an die Budget-Kommission der Universität, eingegangen am 22.08.1923, zum „Betreff: Anträge zum Staatshaushalt 1924, hier: Umbau und Einrichtungen in der psychiatrischen Klinik“: „Nachdem der Plan des mittelfränkischen Kreistags, die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen aufzulassen, nunmehr endgültig aufgegeben worden ist, muss sich das unter der Ungunst der Verhältnisse bereits 20 Jahre hinziehende Provisorium der psychiatrischen Klinik auf einen erträglichen Dauerzustand einrichten […]. Gleichzeitig drängen die aufs Äußerste beengten Räume, die dem wissenschaftlichen Betrieb und dem akademischen Unterricht dienen, nach Vermehrung und Erweiterung. Beiden Bedürfnissen kann durch die gleichen baulichen Maßnahmen in verhältnismäßig einfacher Weise abgeholfen werden. […]. So wie sich unter den fortwährenden Vertröstungen auf einen Neubau der Klinik diese Dinge allmählich entwickelt haben, kann

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Nach Rauhs Deutung legte Meggendorfer mit Erwähnen der sogenannten „planwirtschaftlichen Maßnahmen“ seine Kenntnis über die NS-„Euthanasie“ offen.937 Rauh sieht Meggendorfers „Idee, in den Gebäuden der – wie er hoffte938 – bald aufgelösten Erlanger Heil- und Pflegeanstalt seine Psychiatrische Klinik einzurichten [als] zynisch“939 an und stempelt Meggendorfer ab zu einem „der Profiteure des Krankenmordes“.940 Anhand der Fakten kann diese Auslegung Rauhs am ehesten als spekulativ gelten.941

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es wirklich nicht weitergehen. […]. Diesem Hauptmissstand kann gleicherweise auf der Männer- wie Frauenseite dadurch begegnet werden, dass jener Wachsaal für Unruhige vom Obergeschoss in das Erdgeschoss und zwar, in den großen Aufenthaltssaal der Dauerkranken verlegt wird, die ihrerseits ihre Unterkunft in der bis jetzt nebenan liegenden und ungenügend ausgenützten Abteilung finden können. […]. Die beiderseits von den unruhigen Kranken verlassenen Wachsäale [sic] werden dann für die Belegung mit ruhigen Kranken frei und damit ist gleichzeitig Platz geschaffen für die Einrichtung eines genügend großen Laboratoriums […]“. Vgl. BayHStA: MK 72099. Vertragsbedingt stand der Universitätsklinik bislang lediglich das Hochparterre, ausgenommen des Mittelbaus sowie das Obergeschoss des Hauptgebäudes zur Nutzung zur Verfügung. Vgl. Braun/Kornhuber (2013b), S. 166. Das angeführte Schreiben Gustav Spechts an die Budget-Kommission von 1923 weist darauf hin, dass auch er Anstaltsgebäude für klinikeigene Zwecke umfunktionieren wollte. Er schlug hierzu anstaltsinterne Abteilungszusammenlegung vor, zumal bislang die einzelne Abteilungskapazität der Anstalt ungenügend ausgenützt sei. Besonders bemerkenswert zeigen sich die von Gustav Specht angegebenen vorangegangenen Bestrebungen seitens des mittelfränkischen Kreistags, die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen „aufzulassen“. Zeitlich könnte sich dieser Plan seitens des Kreistages im Kontext des Ersten Weltkrieges sehen lassen. In Fortführung dieser Überlegung in Zusammenhang mit dem Hungersterben in den Anstalten während des Ersten Weltkrieges ließe sich eine Analogie diskutieren zur „Euthanasie“-assoziierten Debatte um die Anstaltsauflassung im Zweiten Weltkrieg. Weiterführend auch Faulstich (1998) und Foth (2014), S. 222–223. „Dass Meggendorfer über die NS-‚Euthanasie‘ im Bilde war, kann nicht überraschen, schließlich spielte sich der Abtransport der Erlanger Anstaltspatienten in die Gasmordanstalten vor seiner Kliniktüre ab. Bemerkenswert ist allerdings, dass er bei seinen Adressaten, Dekan Richard Greving und Universitätsrektor Hermann Wintz, das gleiche Wissen voraussetzen konnte. Dies deutet auf eine weitverbreitete Kenntnis der ‚Euthanasiemorde‘ innerhalb der Erlanger Universitätsmedizin hin“. Vgl. Rauh (2016b), S. 282–283. Weiterführend hierzu zeigt sich die Tatsache bemerkenswert, dass das Wissen um die „Euthanasie“ wohl auch in Kreisen der Medizinstudenten – zumindest in den Jahren von 1943 bis 1945 – seine Verbreitung fand. Gemäß der Aussage von Dr. Franz Kraus und Dr. Ella Kraus vom 24.01.1947 bewirkte Meggendorfers Vorlesungsinhalt im Zeitraum von 1943 bis 1945, dass sich „alle darüber [im] klar[en] [ge]w[es]en [sind], dies bedeute eine eindeutige Ablehnung der Euthanasie […]. Aufgrund aller dieser Beobachtungen wusste von uns Studenten jeder, dass Herr Prof. Meggendorfer ein Gegner des Nazismus sei und dieses Bewusstsein war uns eine Genugtuung und bestärkte auch“. Vgl. BayHStA: MK 44017. Siehe ferner S. 524–525. Entgegen dieser wertenden Ansicht Rauhs gibt das Quellenmaterial Aufschluss über „kein unmittelbares Interesse“ Meggendorfers, was eher auf eine indifferente Haltung rückschließen lässt. Vgl. BayHStA: MK 40022, UAE: A6/3 i Nr.1. Rauh (2016b), S. 283. Ebd. Siehe auch S. 464, Fn. 934.

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Hatte das Ministerium des Inneren am 08.11.1940 noch für eine „unverzüglich[e] in Angriff[nahme]“942 der Angelegenheit nach dem Kriege pädiert, so forderte es am 09.12.1941 eine „beschleunigt[e]“943 Klärung – zum Beispiel durch eine verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Klinik. Am 21.02.1942 reichte Meggendorfer beim Ministerium einen Vorschlag zur Trennung der Psychiatrischen Klinik von der Anstalt ein. Demgemäß sollte die Psychiatrische Klinik das bislang von ihr nur partiell genutzte Anstaltsgebäude komplett zur Verfügung gestellt werden, also unter Einbezug des Souterrains sowie des Hochparterres und des zweiten Stockwerkes des Mittelbaus.

Abb. 52: Grundriss der panoptischen Anstalt Erlangen944

In seinem Schreiben an das Bayerische Staatsministerium vom 21.02.1942 stellte Meggendorfer folgende Überlegung an: „Bei einer Trennung der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität von der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen käme als künftiges Klinikgebäude zunächst das Gebäude in Betracht, in dem sich die Klinik jetzt befindet. Es handelt sich um ein großes, stattliches Haus, das auf dem beigefügten Situationsplan der Anstalt rot bezeichnet [ist]“.945

942 BayHStA: MK 40022, UAE: A6/3 i Nr.1. 943 Ebd. 944 Anhang zum Schreiben von Friedrich Meggendorfer an das Bayerische Staatsministerium vom 21.02.1942. Vgl. Bay HStA: MK 72099. 945 Ebd.

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In Anlehnung an das Aufnahmeprozedere der Psychiatrischen Kliniken in München und in Würzburg946 empfahl Meggendorfer, „dass alle Aufnahmen des Aufnahmebezirkes grundsätzlich zunächst in die Psychiatrische und Nervenklinik kommen müssen und dass sie dann von hier in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt werden“.947

Meggendorfer sah hierin einen Vorteil für die Klinik durch eine Erhöhung der „wissenschaftlich wertvollen“948 sowie eine Entlastung der Heil- und Pflegeanstalt durch die Tatsache, klinisch bereits durchuntersuchte Patienten zu erhalten. Das Ministerium vertagte eine endgültige Entscheidung über die künftige Unterbringung der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen auf einen Zeitpunkt nach Kriegsende. Aktuell ginge es lediglich um die Schaffung „eines unter Berücksichtigung der Verhältnisse erträglichen Zustandes“.949 Unter dieser Prämisse tagten das Universitätsbauamt und Meggendorfer am 20.05.1942. Sie kamen zu dem Ergebnis, vorläufig weiterhin zumindest auf die Essens-,950 Wäsche-, und Wärmeversorgung durch die Anstalt zurückgreifen zu müssen. Am 20.06.1942 informierte der „Gebietsbeauftragte des Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft Nürnberg“951 das Universitätsbauamt Erlangen über das notwendige Vorgehen bei anliegenden Bauvorhaben: „Wenn das Bauvorhaben nach dem sachverständigen Gutachten unbedingt notwendig ist und auch im Krieg durchgeführt werden soll, so wäre ein entsprechender Antrag auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung vom Bauverbot beim zuständigen Arbeitsamt einzureichen. Ich würde dann den Antrag befürwortend dem Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft zur Genehmigung vorlegen“.952

946 Die – laut Meggendorfer – an den anderen bayerischen Universitätspsychiatrien etablierte Praxis der generellen Initialdiagnostik mit konsekutiver Entscheidung zur Weiterbehandlung an der Klinik oder zur Verlegung in die Anstalt gilt es bei einer umfassenden Analyse der Beteiligung von Hochschulpsychiatern – jenseits der bekannten „T4-Gutachter“– an der „T4-“ Selektion von Patienten – zumindest als indirekte Involvierung – mitzuberücksichtigen. 947 Ebd. 948 Ebd. 949 Ebd. 950 Im Kontext der sog. „Hungerkost“ in den Anstalten ab November 1942 ist anzuführen, „dass die Nationalsozialisten bis weit in den Krieg hinein aus Angst davor, es könne sich so etwas wie die Hungerrebellionen oder gar die Revolution im Ersten Weltkrieg wiederholen, alles daran gesetzt haben, den Lebensstandard der deutschen Bevölkerung so hoch wie möglich zu halten. […]. Dieser relativ hohe Standard der deutschen Lebensmittelrationen bis lange nach Stalingrad war nur möglich durch den Export des Hungers in die unterworfenen Regionen […]. Dies ist die andere Seite des nationalsozialistischen Konsensheischens gegenüber dem eigenen Volk: Die Peitsche für die Europäer, das Zuckerbrot für die Deutschen. […]. Um eine Illusion von Normalität herzustellen, […] war es nötig, den Hunger zu exportieren und Zwangsarbeiter zu importieren. […]. Die terroristische Radikalisierung des Volksgemeinschaftskonzepts zielte auch nach innen, durch die Radikalisierung der Abgrenzung gegenüber jenen, die den Normen dieser propagierten Volksgemeinschaft als Leistungsgemeinschaft nicht entsprachen. […].“. Vgl. Peukert (1992), S. 154–155. Zu Stalingrad siehe ferner Ebert (2009) und Pieken (2012). 951 Bay HStA: MK 72099. 952 Ebd.

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Bei baulichen Veränderungen bis zu einem Betrag von RM 25.000 bestünden – nach Ansicht des Universitätsbauamtes und des Gebietsbeauftragten vom 11.07.1942 – gute Genehmigungsaussichten. Am 04.03.1943 informierte das Bauamt den Rektor über die zunehmend schwieriger werdende Lage am Arbeitsmarkt, welche den Plänen für Bauabsichten entgegenstünde. „Die von der Klinik gestellten Wünsche lassen sich mit den in Aussicht stehenden Mitteln voraussichtlich nicht durchführen“.953

Abb. 53: „Platznot“954

Obige Fotografie (Abb. 53) legte Meggendorfer seinem Schreiben an den Rektor vom 22.09.1938 bei: „Viel schlechter als die Kranken der Anstalt sind die Kranken der unruhigen Abteilung der Männerseite untergebracht. Da für zahlreiche unruhige Wachsaalkranke nur ein Wachsaal da ist, liegen die Kranken hier z. T. auf Strohsäcken am Boden“.955

Selbst der Anstaltsleiter hatte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts den Gebäudekomplex „als unhygienisch, veraltet, rückständig und zum großen Teil abbruchreif“956 bezeichnet. Der Verlauf des Zweiten Weltkrieges ließ das Baukonzept Meggendorfers unausführbar werden. Somit sollte sich an der von Meggendorfer „[g]elegentlich einer Besprechung über Fragen des studentischen Reichsberufs-

953 954 955 956

UAE: A 6/3i. Bay HStA: MK 72099. Ebd. Braun/Kornhuber (2013b), S. 167. Die Aussage bezieht sich auf August Würschmidt (1853– 1919), Direktor der Anstalt Erlangen von 01.04.1887–30.09.1911. Vgl. Luscher (1996), S. 16 und Rössler (1985), S. 26. Ferner sei dies berichtigend angeführt zu Zeile 14 in Braun/Kornhuber (2013b), S. 168. Weiterführend auch Würschmidt (1904).

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wettkampfes und Fragen der Hochschule bezw. des wissenschaftlichen Nachwuchses“957 am 26.11.1938 gegenüber dem „Beauftragten für die Durchführung des Reichsberufswettkampfes“958 dargestellten „Lage der hiesigen Psychiatrischen Klinik“959 in absehbarer Zeit nichts ändern: „Für den Außenstehenden ist es eine kaum glaubliche Tatsache, dass es eine eigentliche Psychiatrische Universitätsklinik in Erlangen überhaupt nicht gibt. Pläne zur Errichtung einer derartigen Klinik gehen schon auf die Jahre vor dem Kriege zurück, sie haben bisher aber nie Verwirklichung gefunden. Der gegenwärtige Zustand ist lediglich der, dass die hiesige Heilund Pflegeanstalt dem ordentlichen Professor für Psychiatrie und Neurologie eine bestimmte Zahl von Kranken in einem Gebäudeteil der Anstalt zur selbstständigen Behandlung überlässt. Außerdem sind seitens der Universität Erlangen von der Kreisregierung einige Räume in der Heil- und Pflegeanstalt gemietet worden, die als Direktorzimmer, Ärztezimmer, Untersuchungszimmer, Bibliothek usw. dienen“.960

3.5.3 Zur Krampfdurchführung an der HuPflA In Kenntnis der Bingelschen Vortragsinhalte über die Gefahren der Cardiazolkrampftherapie im Vergleich zur Azomantherapie im Jahr 1939 gilt es folgende HuPflA-Dokumentation961 zu der 1940 bei G. B. durchgeführten Cardiazolkrampftherapie anzuführen. Am 29.07.1940 wurde, zumal sie hierfür als „geeigneter Fall“962 erschien, mit einer „Injektion von 2,5 ccm einer 1oproz. [sic] Lösung begonnen“.963 Es sei hierbei zu keinem epileptischen Anfall gekommen. Lediglich zu sehen gewesen seien „gewisse[] Vorstadien, wie hochgradige Ängstlichkeit, Zuckungen der Augenlider, Bewegungsunruhe und Tachykardie […] für einige Sekunden […]. Am Abend kein Fieberanstieg“.964 Am 30.07.1940 wurde mit „3,5 ccm Cardiazol der erste typisch epileptische Anfall ausgelöst, der nach einer Latenzzeit von etwa 3 Sekunden eintrat. (Sicherung gegen Zungenbiss durch Gummischlauch). Bemerkenswert war die Haltung des Kopfes nach der Injektionsstelle. Nach dem tonisch-klonischen Krampf, Apnoe und Cyanose, trat ziemlich rasch die Erholung ein. – Am Abend leichtes Erbrechen, beschleunigter Puls, kein Fieber“.965

Am 03.08.1940 zeigte sich die Patientin, so die Aktendokumentation, erstmalig ihrem Mann gegenüber für ein Gespräch zugänglich, an diesem Tage sei

957 958 959 960 961

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UAE: A 6/3i. Ebd. Ebd. Ebd. Die Dokumentation ist Bestand des APNK/FAU. Grund hierfür könnte sein, dass die Patientin 1942 Klinikpatientin war. Anders als bei F. E., mit der Aufnahmenr. 28017, wurde bei G. B. eine eigene Klinik-Signatur etabliert und nicht die einstige HuPflA-Signatur beibehalten. Weiterführend hierzu sei verwiesen auf S. 15, Fn. 32 und S. 334, Fn. 336. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 242/162. Ebd. Ebd. Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „der 2. epileptische Anfall durch 3,5ccm Cardiazol ausgelöst [worden]. Nach den klonischen Zuckungen traten auffälligerweise in beiden unteren Gliedmaßen stärkere Beugekontraktionen in Hüft- und Kniegelenk ein. Dabei versuchte Pat. Reibebewegungen mit den Händen am Genitale auszuführen. Das ganze geschah in einem Dämmerzustand“.966

Aufgrund seiner Pionierstellung in Bezug auf den klinischen Einsatz der EKT und der noch fehlenden Verfügbarkeit eines entsprechenden Gerätes an der Anstalt wurde Meggendorfer – zumindest innerhalb der ersten Monate nach Einführung der EKT an der Psychiatrischen Klinik – von Seiten der HuPflA zur EKT- Indikationsstellung mit konsekutiver „Übernahme“ –Planung zugezogen, wie die Aktendokumentation der am 22.06.1940 in der HuPflA aufgenommenen schizophren erkrankten F. E. zeigt: „4.8.40, WU 4967: Patientin ist heute wieder in den alten Stuporzustand zurückgefallen, nachdem sie gestern auffallend frisch war, bei der Visite sofort auf den Ref. zuging um ihm die Hand zu geben. Sie lachte über das ganze Gesicht, wollte wieder nach Hause, sah ein, dass sie krank war usw. Eine Verständigung war mit ihr gut möglich gewesen. – Jetzt soll eine Verlegung in die Klinik durchgeführt werden zur Durchführung einer weiteren Behandlung (InsulinElektrokrampf). Prof. Meggendorfer hat bereits die Einwilligung gegeben“.968

Die Dokumentation gibt darüber Aufschluss, dass der Ehemann „daraufhin verständigt“969 worden sei und man seine Einwilligung abwartete. Am 21.08.1940 wurde die Patientin in die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen „entlassen“.970 Im weiteren Verlauf sollte die HuPflA autonom EKTs durchführen, zumal sie „1943[…] selbst ein Elektro-Schockgerät [erhielt]“.971 In puncto Praxis der EKT-Durchführung an Einsles Anstalt weiterführend zeigt sich die Akte der schizophren erkrankten F. B.972 Die Tatsache, dass sich die HuPflA-Dokumentation im Archiv der Psychiatrischen und Nervenklinik befindet, könnte bedingt sein durch eine stattgehabte versehentliche Falschzuordnung. Die HuPflA- Dokumentation zu F. B. befindet sich nämlich integriert in der Akte einer Klinikpatientin gleichen Nachnamens.973 966 Ebd. 967 Zur Abkürzung der HuPflA- Stationsbezeichnung siehe S. 443, Fn. 840. 968 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 28017. Zur Signierung der Klinik- vs. Anstaltskrankenakten siehe S. 386, Fn. 579. 969 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 28017. 970 Ebd. 971 Siemen (1999), S. 162. „37 Patienten wurden damit behandelt, nach Aussagen der behandelnden Ärzte zeigte sich bei 24 ein guter bis sehr guter Erfolg“. Vgl. ebd. 1943 wurden 95 EKTGeräte an Heil- und Pflegeanstalten geliefert. Vgl. Reinke et al (2013), S. 10. 972 Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. Integriert in Akte der F. A. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 975; 252/161;158/58; 316/212. 973 Zur Patientin F. A. findet sich ein Schreiben Meggendorfers an den überweisenden Fürther praktischen Arzt und Geburtshelfer Dr. med. Gastreich vom 07.02.1941: „Für die Überweisung von F. A. danken wir Ihnen bestens. Die Pat. leidet an einer Schizophrenie und befand sich schon wiederholt wegen ihrer Erregungszustände in der Klinik. Auch diesmal benahm sie sich mehrere Wochen lang sehr läppisch, lachte derart, dass sie kaum ansprechbar war. Zeitweise war sie dann auch sehr erregt. Durch Elektrokrampfbehandlung trat dann bald eine Besserung ein. Bei der Entlassung war die Pat. ganz unauffällig. Vgl. ebd.

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Einsles Patientin F. B. kam am 04.10.1943 in Begleitung einer „San. Kol.“ aus dem städt. Krankenhaus Nürnberg und „g[ing] auf Abteilung WR 2 zu“.974 Am 11.11.1943 wurde die „Heilkur vermittels Elektroschock-Behandlung“975 begonnen. Am 17.11.1943 zeigte sich „[n]ach dem 2. Schock keine Zustandsänderung. Pat. zeigt immer noch das gleiche läppische und interesselose Verhalten. Sie lässt sich gehen, hat sehr wenig Antrieb und beantwortet Fragen schnippisch-ablehnend. […]. 22.11.43: Nach dem 3. Elektroschock lehnt sie weitere Schockbehandlung energisch ab. Versuche, sie umzustimmen, scheitern. Vernunftsgründen gegenüber ist sie unzugänglich. […].976

Am 23.11.1943 erfolgte eine Verlegung auf die Station „WU 4“ als unruhige Wachstation, da F. B. „heute äusserst erregt [ist], […] sinnlos hinaus [drängt], […] laut [schimpft], schreit und […] gewalttätig gegen Pflegerinnen [wird]“.977 Am 25.11.1943 wurde dokumentiert, die Kranke sei „auch auf der WU-Abteilung deutlich renitent und macht dem Referenten und Personal gegenüber Schwierigkeiten. Sie lehnt vorläufig jede Weiterbehandlung ab; trotzdem wird der Versuch gemacht, sie von der Notwendigkeit der Behandlung zu überzeugen. (Chok- [sic]Behandlung)“.978

Am 01.01.1944 zeigte sich die Patientin „bei weitem nicht mehr so renitent wie zuerst, ist aber gegen den Arzt immer noch recht schnippisch. In der letzten Woche ist sie freiwillig zur Chockbehandlung gekommen, während sie sich vorher mit Händen und Füßen gewehrt hat“.979

Diese Passage könnte den Verdacht nahe legen, dass die HuPflA-EKT-Behandlung im Vorfeld rezidivierend gegen den Patientenwillen durchgeführt worden war. Unter Verweis auf den Inhalt eines Briefes der F. B. an ihre Schwester wurde ihre Ablehnung der Behandlung von Seiten der Anstaltsärzte auf krankhaftes Erleben zurückgeführt.980 Am 01.01.1944 wurde zudem dokumentiert: „[h]eute ist der Ehemann auf Urlaub da und beantragt Verlegung in die Klinik, da er auf eine Insulinkur versessen ist“.981 974 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. Die HuPflA-Stationsbezeichnung mag sich auf die Ruhige Wachstation beziehen. Siehe ferner S. 443, Fn. 840. 975 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. 976 Ebd. 977 Ebd. 978 Ebd. 979 Ebd. 980 Vgl. ebd. Siehe ferner S. 503, Fn. 47. 981 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. Der auf die zitierte Dokumentation vom 01.01.1944 folgende Eintrag vom 13.01.1944, WU 4 gibt Auschluss über die Wiederaufnahme der Patientin im Zustand nach ihrem „Entweichen“ am 11.01.1944. Der auf den 13.01.1944 folgende Eintrag stammt vom 01.07.1944. Die Aktenlage erlaubt keinen Rückschluss darauf, ob eine, dem Wunsch des Ehemannes entsprechende, Verlegung der Patientin in die Klinik im fehlenden HuPflA-Dokumentationszeitraum von Mitte Januar bis Anfang Juli stattgefunden hat.

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War im Jahr 1940 eine Klinikverlegung zur Durchführung der EKT indiziert, so sollte letztere im weiteren Verlauf auch an den Anstalten verfügbar werden und bei kriegsbedingter Insulinknappheit „die therapeutische Lücke schließen“.982 Insulinkuren hingegen waren „[a]b Anfang 1942 […] nur noch auf Antrag möglich“.983 Die Bitte des Ehemannes nach Verlegung seiner Ehefrau in die Klinik mag verschieden motiviert gewesen sein. Zwei Alternativen sollen im folgenden kurz beleuchtet werden. Zum ersten könnte es sich herumgesprochen habe, dass die von Seiten der Klinik gestellten Anträge auf Insulinbehandlung gute Aussicht auf Bewilligung versprachen. Diese Möglichkeit kann jedoch als unwahrscheinlich gelten, da davon auszugehen ist, dass sich entsprechende Antragsabschriften in den Krankenakten erhalten hätten. Zum zweiten könnte Meggendorfers Antrag auf Zuweisung von Insulin beim Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten in Berlin, den er in seinem Schreiben an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung über Rektorat und Dekanat vom 28.02.1942 ankündigte984 zur fortgesetzten Möglichkeit der Insulintherapie an der Klinik geführt haben ohne die Notwendigkeit zur individuellen Antragstellung.985 Die in der HuPflA EKT-ierte Patientin F. B. wurde am 01.07.1944 von „WU4“ auf „WU2“ verlegt, am 31.08.1944 schließlich zurück auf „WR 2“, „da die Besserung angehalten hat“.986 Am 08.09.1944 zeigte sie eine „drohende Haltung gegen Mitkranke“,987 weshalb die Patientin zurück nach „WU 4“ verlegt wurde. Am 09.07.1945 wurde Frau F. B. letztlich nach Hause entlassen. 3.5.4 Involvierung der HuPflA in die „Euthanasie“-Aktionen Meggendorfers Psychiatrische und Nervenklinik stellte ein „Anhängsel“ der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt dar. Von dort wurden unter der Anstaltsleitung Wilhelm Einsles im Zeitraum von 01.11.1940 bis 24.06.1941 insgesamt 908 Patienten im

982 Reinke et al. (2013), S. 10. „In Folge des Krieges wurde die Cardiazol- und Insulinschocktherapie [an der HuPflA] völlig eingestellt. 1942 wurden vereinzelte Patienten zum ElektroSchock an die Psychiatrische und Nervenklinik der Universität verwiesen“. Vgl. Siemen (1999), S. 162. 983 Ebd. 984 Vgl. UAE: A6/3i. 985 Zumindest die am 25.02.1942 bei K. K. begonnene Insulinbehandlung wurde – soweit die Aktenlage Rückschluss erlaubt – ohne Antragsstellung bis April 1942 fortgesetzt. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 121/42. Siehe S. 416, Fn. 710. 986 APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. Integriert in Akte der F. A. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 975; 252/161;158/58; 316/212. 987 Ebd.

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Rahmen der „Euthanasie“-Aktion „T4“988 abtransportiert.989 Einige Monate vor dem 1. September 1939 wurde seitens der NS- Regierung eine interministeriell zusammengesetzte und expertenbestückte Kommission einberufen zur Vorbereitung der „Euthanasie“-Durchführung.990 Neben Psychiatern und Pädiatern bestand die Kommission aus Mitarbeitern der Kanzlei des Führers, des Sicherheitsdienstes sowie der Medizinalabteilung des Innenministeriums. „Offiziell begann das Mordprogramm am 18. August 1939“,991 als den Gesundheitsämtern und Ärzten die neugeschaffene Institution „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“ durch das Reichsinnenministerium vorgestellt wurde. Der zunächst vertrauliche Erlass wurde im März 1940 paraphrasiert im Deutschen Ärzteblatt992 veröffentlicht:993 „Auf Grund des Runderlasses des Reichsministers des Innern vom 18. August 1939 – IV b 3088/39 – 1079 Mi – betr. Meldepflicht für mißgestaltete usw. Neugeborene und auf Grund des § 46 Abs. 2 Ziff. 3 und 4 der Reichsärzteordung w[urde] [deren Meldung] angeordnet“.994

Ab 21.09.1940 begann die Medizinalabteilung des Reichsinnenministeriums mit der Organisation der Tötung psychiatrischer Patienten. Ab 09.10.1940 wurden die Anstaltspatienten möglichst umfassend im Rahmen einer „planwirtschaftlichen Erfassung“ per Fragebogen „gescreent“ in Hinblick auf die Dauer des Aufenthaltes, die Diagnose, die Pflegebedürftigkeit, die Arbeitsfähigkeit,995 die Religionszuge-

988 Einen Überblick zu geben über den gegenwärtigen Stand der Forschung zur nationalsozialistischen „Euthanasie“ bezeichnet T. Foth als nahezu unmögliche Bemühung. Vgl. Foth (2014). S. 223. Als Synopsis empfohlen seien: Burleigh (1991), Beck (1992), Burleigh (1996), Hohendorf et al. (1996) und Faulstich (1998). Angeraten sei ferner Frewer/Eickhoff (2000), Hohendorf et al. (2002) und (2006), Czeguhn (2009),Vellguth (2014) sowie Diercks (2016). 989 Vgl. Siemen (1999), S. 162. 990 „Die ersten Patientenmorde wurden in den von der Wehrmacht besetzten polnischen Gebieten durchgeführt, noch vor Beginn der ‚Aktion T4‘ und in Eigenverantwortung der Gauleiter“. Vgl. Haack/Kumbier (2015), S. 356. 991 Aly (2012), S. 43. 992 Vgl. Blome (1940), S. 142. 993 Vgl. Aly (2012), S. 43. 994 Blome (1940), S. 142. 995 Interessant bezüglich des Kriteriums der Arbeitsfähigkeit zeigt sich mitunter Einsles Bitte von Mai 1935 um Beschäftigung seiner Patienten beim Stadtrat Erlangen: „Wenn ich heute im Interesse der in meiner Anstalt betreuten Patienten an Sie mit einer Bitte herantrete, so befürchten Sie nicht, dass ich von Ihnen ein großes Opfer fordere. Es handelt sich vielmehr darum für die unruhigen, erregteren oder geistig minderwertigen Patienten eine Beschäftigung zu finden, welche sie einerseits noch leisten können und durch welche sie andererseits einigermaßen von ihrem krankhaften Zustand abgelenkt werden. Hierzu sind die primitivsten Verrichtungen die geeignetsten. Wir haben deshalb auf den Abteilungen damit begonnen, diese Kranken mit dem Ablösen und Sortieren von gebrauchten Briefmarken zu beschäftigen. Bei der großen Zahl unserer Kranken reicht aber unser anfallender Vorrat an gebrauchten Briefumschlägen bei weitem nicht aus. Deshalb wende ich mich an Sie mit der dringenden Bitte, Sie wollen gestatten, dass wir in gewissen Zwischenräumen bei Ihnen den Inhalt Ihrer Papierkörbe, soweit es sich um gebrauchte mit Briefmarken frankierte Briefumschläge handelt, abholen dürfen. Wir wollen Sie selbst mit dem Transport nicht belästigen, wären Ihnen aber dankbar, wenn Sie uns dadurch

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hörigkeit sowie in Hinblick auf den Status von Sicherungsverwahrung als unzurechnungsfähige Kriminelle.996 Es gilt zu bemerken, dass der zeitliche Ablauf der „Euthanasie“-Aktionen umstritten ist. So habe Nitsche,997 einer der Obergutachter bei der Aktion „T4“ kurz vor seinem Tod 1948 angegeben, in verdeckter Weise hätten initial bereits 1933 „Euthanasie“-Maßnahmen in einzelnen Irrenanstalten stattgefunden. „Allerdings liegen dazu keine Dokumente vor“.998 Zusätzlich zum Abtransport von 531 Patienten aus der Erlanger Anstalt selbst fungierte die Heilund Pflegeanstalt zusätzlich als „Zwischenstation“ für Patienten aus Privatanstalten und kurativen Einrichtungen des Bezirkes. Am 09.02.1941 erhielt Einsle eine Anweisung des Regierungspräsidenten zur „Neuorganisation der Heil- und Pflegeanstalten“:999 „[d]ie Verlegungen1000 müssen beschleunigt erfolgen [...], die Festsetzung des Zeitpunktes und der Art der Überführung wird den Anstaltsdirektoren im Benehmen mit den Abgabeanstalten überlassen. Das Begleitpersonal für die Überführung stellen die übernehmenden Anstalten“.1001

entgegenkommen würden, dass Sie die genannten Briefumschläge getrennt vom übrigen Inhalt der Papierkörbe für uns aufbewahren wollten. Briefumschläge, welche mit Frankotypmaschine frankiert sind, sind für uns natürlich nicht verwendbar. Sollten Sie aber Ihre Kuverts nicht aufschlitzen, sondern ohne Beschädigung öffnen, so würden wir, wenn Sie es wünschen, Ihnen diese Briefumschläge durch unsere Kranken gerne wenden lassen und Ihnen zur Wiederverwendung zur Verfügung stellen. Sollten Sie außerdem über gebrauchtes und zerschnittenes Bindfadenmaterial verfügen, so wären wir gerne bereit, Ihnen dieses Material unentgeltlich durch unsere Kranken aufknüpfen, sortieren und zu Ihrem Wiedergebrauch neu knüpfen zu lassen“. Vgl. Stadtarchiv Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt und Psychiatrische und Nervenklinik 1935–1964 340. Nr. 5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12), Schreiben von Einsle an den Stadtrat, 16.05.1935. Wurde Wilhelm Einsle nach dem Krieg angeklagt, „in der Zeit von Herbst 1940 bis Mitte 1941 durch mehrere selbstständige Handlungen in 660 Fällen einem anderen durch Rat oder Tat wissentlich dazu Hilfe geleistet zu haben, einen Menschen vorsätzlich zu töten“, so hatte sich seine Position von 1935 noch erstaunlich orientiert an den reformpsychiatrischen Maßnahmen der 1920-er Jahre. Vgl. StBN. Staatsanwaltschaft b.d. LG Nbg.-Fürth II 2343 II. An dieser Stelle muss betont werden, dass sich ein Großteil der in die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ involvierten Anstalts- und Universitätspsychiater rekurrierte aus der „Avantgarde der Psychiatrie, die in den 1920er und 1930er das Anstaltswesen unter dem Primat therapeutischer Innovationen richtungsweisend umgestaltet hatte“. Vgl. Schmuhl (1987), S. 15. Diese Entwicklung Einsles hin vom Modernisieren zum Vernichten zeigt sich charakteristisch für viele Vertreter der NS-Psychiatrie. Nach Aly fühlten sich „[d]ie Täter […] als Reformer, als Träger des Fortschritts, als diejenigen, die dem dumpfen hospitalisierenden Anstaltsmilieu den Todesstoß geben würden“. Vgl. Aly (1987b), S. 153. 996 Vgl. Aly (2012), S. 43–44. 997 Weiterführend hierzu Mäckel (1992). 998 Schöne et al. (2014), S. 113. 999 Archiv Klinikum am Europakanal, zit. n. Siemen (1999), S. 167. 1000 Es sei verwiesen auf die aktuell angenommene Sonderrolle des Grenzgebiet-Landeskrankenhaus (LKH) Homburg/Saar im Rahmen der „Aktion T4“: „Die Räumung des LKH Homburg/Saar stellt eine Sondersituation im Vergleich zu anderen Kliniken dar. Die Verlegungen der mindestens 441 Homburger Patienten in andere Anstalten während des Zeitraumes der ‚Aktion T4‘ erfolgte wahrscheinlich primär aus militärischen Gründen“. Vgl. Keller et al. (2016), S. 200. 1001 Archiv Klinikum am Europakanal, zit. n. Siemen (1999), S. 167.

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Im Zeitraum von 18.02.1941 bis 26.02.19411002 wurden 457 Patienten aus Privatanstalten in Gremsdorf, Michelfeld, Absberg,1003 Neuendettelsau,1004 Engelthal und Himmelkron nach Erlangen transportiert. In diesem Zusammenhang wichtig ist ein – mit den Zusätzen „vertraulich, geheim“1005 versehener – Bericht des Nürnberger Gaustabsamtsleiters Sellmer vom 01.03.1941 an den Sicherheitsdienst SS-Sturmbannführer Friedrich in Nürnberg. Das Dokument illustriert exemplarisch den missglückten Versuch eines Vertuschungsmanövers: „In diesem Ottilienheim [in Absberg] waren einige Hundert Schwachsinnige untergebracht, die, soweit sie zu irgendwelchen Arbeiten herangezogen werden konnten, im landwirtschaftlichen Betrieb des Ottilienheimes eingesetzt wurden […]. Am vergangenen Freitag nun sind Insassen des Ottilienheimes, […], in zwei großen Autos abtransportiert worden. Der Abtransport erfolgte unter Leitung eines Professors der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen und durch das Personal dieser Anstalt. Das Wegschaffen der Leute erfolgte nun in der denkbar auffälligsten Weise […]. Die Gesamtbevölkerung von Absberg, die stark katholisch ist, war zusammengelaufen und hat laut weinend1006 dem Geschehen zugesehen“.1007

Es zeigt sich anhand dieses Schriftstückes, dass bereits zur Zeit des Nationalsozialismus die Zuständigkeiten des Leiters der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt einerseits und des Direktors der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik andererseits 1002 Genau in diesem Zeitraum, am 20.02.1941, wurde auch die 1881 geborene C. K. von der Rh. Prov. Heil- und Pflegeanstalt zu Grafenberg in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen verlegt: „Aus Räumungsgründen wegen Luftgefahr Verlegung in die Heilanstalt Erlangen, ruhige Wachabteilung. Diagnose: Depressionszustand (Suicidgefährdet), Beginn der Opiumkur am 9.4.43 und geplante Verabreichung einiger Schocks. 11.8.43: wird heute aus Platzgründen in die Klinik verlegt“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. In der Klinik wurde die Patientin mit Insulin und EKT behandelt. Am 18.05.1945 ist „Exitus letalis“ dokumentiert. Vgl. ebd. 1003 Zumindest eine Absberger Patientin wurde nicht in die HuPflA, sondern in die Klinik aufgenommen, wo sie den letzten Abtransport der Anstaltspatienten in die „Euthanasie“-Anstalten am 24.06.1941 überlebte, der „exitus letalis“ ist jedoch am 01.10.1941 verzeichnet: Die 1904 geborene, an „Kretinismus, Idiotie, epileptiforme[n] Anfälle[n]“ leidende R. M. kam am 21.02.1941 „mit [einem] Sammeltransport aus der Pflegeanstalt Absberg. […]. 15.9.41: Pat. hat monatlich ungefähr 5–6 epileptische Anfälle. Sie ist körperlich in der letzten Zeit zurück gegangen [sic]. Sie hat eine blass gelbliche Gesichtsfarbe. Sie liegt jetzt meistens im Bett. Körperlich lässt sich nichts Besonderes feststellen. 29.9.41:. Es geht der Pat. schlechter. Sie hat erhöhte Temperatur. Über den Lungen ist an verschiedenen Stellen Bronchialatmen zu hören. 1.10.41: exitus letalis“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 123/42. 1004 Zur Haltung der Diakonie zu Eugenik und „Euthanasie“ am Beispiel der Diakonissenanstalt Neuendettelsau empfehlenswert ferner Honold (2015). 1005 Klee (1985), S. 227. 1006 „Mag also auch einiger Widerstand vorgetragen worden sein und mag er auch zu einem wenigstens partiellen Erfolg in der Einstellung der Vergasungs-Aktionen bei Geisteskranken geführt haben, so müssen wir uns doch darüber im klaren sein, dass lange nicht genug geschehen war und dass, wenn die damals maßgebenden Instanzen und auch wir aus der jüngeren Generation wacher, hellhöriger, mutiger und konsequenter gewesen wären, doch mehr hätte aufgebracht werden können, um dieser furchtbaren Aktion früher in den Arm zu fallen oder sie gar zu verhindern. Mit welcher Dynamik man allerdings hätte rechnen müssen, geht aus der viel umfassenderen Judenvernichtungs-Aktion hervor, die erst mit der Kapitulation ihren Abschluss fand“. Vgl. Schulte (1965), S. 85. Zum 08.05.1945 sei verwiesen auf Klei et al. (2016). Zur „Kapitulation im Kino. Zur Kultur der Besatzung im Jahr 1945“ siehe Merkel (2016). 1007 Bericht des Gauamtsleiters Sellmer, zit. n. Klee (1985), S. 227–228.

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falsch rezipiert wurden. Gemäß obigen Berichtes war Wilhelm Einsle – unter Zuhilfenahme seiner Anstaltsmitarbeiter – mit der Leitung der Transporte beauftragt. Es handelte sich somit nicht um „eine[n] Professor[]“.1008 Nach Einstellung der sogenannten zentralen „Euthanasie“ kam es zunehmend zu einer II. Phase der „Euthanasie“ mittels Hungerkost und letaler Medikamentenapplikation. Infolge einer Konferenz der Bayerischen Anstaltsdirektoren in München am 17.11.1942 erließ das Bayerische Innenministerium am 30.11.1942 den sogenannten „Hungerkost-Erlass“.1009 Diese Kost war fett- und eiweißlos,1010 das Gemüse sollte lediglich mit Wasser zubereitet werden.1011 Am 11. Januar 19431012 1008 Ebd., S. 228. 1009 „Betr.: Verpflegung in den Heil- und Pflegeanstalten. […] Nebenabdrucke für die Heil- und Pflegeanstalten des Regierungsbezirks: Im Hinblick auf die kriegsbedingten Ernährungsverhältnisse und auf den Gesundheitszustand der arbeitenden Anstaltsinsassen lässt es sich nicht mehr länger verantworten, dass sämtliche Insassen der Heil- und Pflegeanstalten unterschiedslos die gleiche Verpflegung erhalten, ohne Rücksicht darauf, ob sie einerseits produktive Arbeit leisten oder in Therapie stehen oder sie andererseits lediglich zur Pflege in den Anstalten untergebracht sind, ohne eine nennenswerte nutzbringende Arbeit zu leisten. Es wird daher angeordnet, dass mit sofortiger Wirkung sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht diejenigen Insassen der Heil- und Pflegeanstalten, die nutzbringende Arbeit leisten oder in therapeutischer Behandlung stehen, ferner die noch bildungsfähigen Kinder, die Kriegsbeschädigten und die an Alterspsychose Leidenden zu Lasten der übrigen Insassen besser verpflegt werden. Auf die am 17.11.1942 im Staatsministerium des Innern stattgefundene Besprechung mit den Anstaltsdirektoren wird Bezug genommen. Die Anstaltsdirektoren haben unverzüglich die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen i. A. gez. Dr. Schultze/November 1942“. Vgl. LG München 1.1Kls 154/48., zit. n. Richarz (1987), S. 175. Zur Person Walter Schultzes (1894–1979), Ministerialdirektor im Bayerischen Ministerium des Innern siehe auch Schmuhl (2016), S. 213 und Grüttner (2004), S. 156. Siehe auch Babaryka (2001). Weiterführend zur Situation in Frankreich vgl. Bueltzingsloewen (2009), Rosenthal (2016) und Marazia (2016). 1010 Vgl. Richarz (1987), S. 175. 1011 Vgl. Cranach/Schneider (2010), S. 26. 1012 „Als sich der Luftkrieg dann 1943 zum Inferno steigerte und im gesamten Reichsgebiet die Städte mitsamt ihren Krankenhäusern in Schutt und Asche fielen, begannen nicht nur großangelegte Evakuierungsaktionen für die Zivilbevölkerung, sondern auch die Räumung von Heilund Pflegeanstalten in den besonders gefährdeten Gebieten, um darin Ausweichkrankenhäuser einrichten zu können. Mit Hilfe des Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten Herbert Linden, ab Sommer 1943 unter dem Oberbefehl des zum Reichskommissar für das Gesundheitswesen aufgestiegenen Karl Brandt, wurden aus dem Rheinland, Westfalen, Hamburg und Brandenburg insgesamt etwa 30.000 Patienten in ost-, mittel- und süddeutsche Anstalten verlegt. In der Zahl der aufgenommenen Evakuierten stehen genau jene Provinzen an der Spitze, die soeben als die neuen ‚Euthanasie‘- Regionen vorgestellt wurden, also die Provinzen Pommern, Hessen-Nassau und Sachsen, gefolgt von Bayern, das ab 1943 seine Hungerabteilungen betrieb und der ‚Ostmarkt‘, die ebenfalls viele Transporte aufnahm. Selektiert und abtransportiert wurden hauptsächlich arbeitsunfähige Kranke, die bereits unterernährt waren. In den Aufnahmeanstalten wurde das Aushungern mit entsprechenden Folgen fortgesetzt. Bis Kriegsende starben je nach Transport zwischen 50 und 90 Prozent der 1943 Deportierten. Da die Aufnahmeanstalten zunehmend überfüllt waren, was u. a. aus Lindens Erlassen vom Sommer 1943 zur Aufstellung von Baracken und Doppelbetten hervorgeht, stimmte Karl Brandt im Herbst des gleichen Jahres dem von Nitsche unterbreiteten Vorschlag zum Einsatz tödlicher Medikamente in injizierbarer Form zu. Im Sommer 1944, als akuter Mangel an Lazarettbetten

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wurde diese sogenannte Sonderkost1013 erstmalig in der oberbayerischen Anstalt Haar eingesetzt.1014 Nicht mehr arbeitsfähige Patienten erhielten „nur Gemüse und Kartoffeln, am Sonntagabend eine dicke Suppe ohne Fett und alle 14 Tage am Sonntagmittag ein Fleichhaschee […], wobei Brot zunächst überhaupt nicht vorgesehen“1015

war. In der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen führte Einsle zwei sogenannte „B-KostStationen“1016 für nicht mehr arbeitsfähige Patienten ein.

herrschte, bat er sogar um eine unauffällige ‚Aktivierung unserer spezifischen Therapie‘. Götz Aly gebührt das Verdienst, 1985 als Erster den Zusammenhang von ‚Katastrophenmedizin und Anstaltsmord‘ beschrieben zu haben, wobei er allerdings unter dem Eindruck der Katastrophe von Hamburg die These aufstellte, dass die geisteskranken Patienten nur noch als Platzhalter fungiert hätten und nicht mehr nach einem vorher festgelegten Plan, sondern dezentralisiert ‚nach örtlichem Bedarf‘ getötet worden seien. […] Auch das Konzept der ‚Aktion Brandt‘ kann ähnlich wie das der ‚wilden Euthanasie‘ in dieser Form nicht mehr aufrecht erhalten werden. Denn zum einen begannen die für die Betroffenen vielfach tödlichen Deportationen schon lange vor der Tragödie von Hamburg und zwar vorbeugend für den Katastrophenfall, zum anderen wurde, wie oben dargestellt, schon von Kriegsbeginn an, besonders intensiv ab Herbst 1942 in Hadamar und Meseritz-Obrawalde mit Medikamenten gemordet, im Zweifelsfall auch mit Injektionen“. Vgl. Faulstich (2011), S. 90–91. Mit „Katastophe von Hamburg“ vermutlich gemeint: Luftangriffe auf Hamburg im Juli 1943. Vgl. Berger (1998), S. 157. Zum Luftkrieg in Nürnberg empfohlen sei Seiderer (2004). Zur Archivalien-„Flüchtung“ des Staatsarchives Nürnberg im Rahmen der Luftschutzmaßnahmen siehe ferner Fleischmann (2016). 1013 „Entsprechend [der von Faulstich] bereits 1990 geäußerten Vermutung übertrifft die Zahl der über die normale Friedenssterblichkeit hinaus in den deutschen Anstalten Verstorbenen, der eigentlichen ‚NS-Opfer‘ also, mit rund 95.000 die der Opfer der ‚Aktion T4‘ bei weitem. Sie beinhaltet die Opfer des Hungersterbens und die der ‚Aktion Brandt‘ und der ‚wilden Euthanasie‘ in der alten Terminologie. Hinzu kommen noch rund 20.000 ‚zuviel‘ Verstorbene in konfessionellen und privaten Anstalten, sowie in halbstaatlichen oder kommunalen Pflegeheimen. Rechnet man noch die 70.000 Opfer der ‚Aktion T4‘ sowie die rund 30.000 Opfer von Sonderaktionen wie Kindereuthanasie, Abtransport jüdischer Patienten, Aktion 14 f 13 und anderen hinzu, dann kommt man auf eine Gesamtzahl von rund 216.000 ‚Euthanasie‘-Opfern. Dem ‚Krieg gegen die psychisch Kranken‘ fielen aber nicht nur deutsche Patienten zum Opfer, sondern in polnischen und sowjetrussischen Anstalten mindestens 20.000 Menschen. Letztlich sind auch die 40.000 Hungertoten in den französischen Anstalten Opfer des nationalsozialistischen Aggressionskrieges. Mit den für mehrere Anstalten nicht ermittelbaren Opferzahlen aus dem Jahre 1945 sowie denen aus anderen besetzten Ländern wird die Zahl von 300.000 ‚Euthanasie‘-Opfern im Herrschaftsbereich des NS-Systems zweifellos überschritten werden“. Vgl. Faulstich (2011), S. 93. Weiterführend in Bezug auf eugenische Maßnahmen unter der Vichy-Regierung in Frankreich siehe Reggiani (2002). 1014 Unter Verweis auf Dörner (2002) geht Foth von 70.000 durch Unterernährung bedingten Todesfällen bei Anstaltspatienten im Zweiten Weltkrieg aus. Vgl. Foth (2014), S 222–223. 1015 Seidel (1989), S. 38. 1016 Nahr (1994).

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3.5.5 Zur „T4“-Beteiligung deutscher Hochschulpsychiatrien mit Schwerpunkt Erlangen Während Rudolf Degkwitz (1920–1990)1017 noch 1987 davon ausging, dass die Psychiatrischen Universitätskliniken von der Aktion „T4“ „offensichtlich ausgenommen“1018 waren und ihnen „der erzwungene Abtransport von Kranken erspart geblieben“1019 ist, kamen bei von Bussche 1989 Zweifel an den rein aus Heil- und Pflegeanstalten rekonstruierten Zulieferungswegen der „Tötungsanstalten“ auf.1020 Es eröffnete sich die Fragestellung, inwieweit Patienten Psychiatrischer Universitätskliniken in Tötungsanstalten deportiert wurden: „Die bisherige Forschung über die ‚Euthanasie‘-Praktiken im Nationalsozialismus ging von speziellen Tötungsorten aus und rekonstruierte die Zulieferungswege aus den anderen Heilund Pflegeanstalten.1021 Nunmehr muss die Hypothese aufgestellt werden, dass auch von Universitätskliniken der Psychiatrie […] ‚Euthanasie‘-Maßnahmen praktiziert worden sind“.1022

Als einer der Nachfolger Kurt Beringers (1893–1949)1023 auf dem Ordinariat für Psychiatrie in Freiburg i. Br. schilderte Rudolf Degkwitz 1987 Relevantes zu potentiellen Verantwortlichkeiten der Hochschulpsychiatrien in Bezug auf mögliche 1017 Im Kontext der angeführten Position von Rudolf Degkwitz junior erscheint auch folgender Aspekt zu seinem Vater, dem Kinderarzt Rudolf Degkwitz senior (1889–1973), relevant: „Bürger-Prinz hat sich in Einzelfällen für Patienten eingesetzt, z. T. bis zum Berliner Innenministerium, auch bei dem Präsidenten des Volksgerichtshofs R. Freisler (1893–1945) und dem ‚Generalkommissar des Führers für das Sanitäts- und Gesundheitswesens‘ Prof. Karl Brandt (1904–1948), um den Ordinarius für Pädiatrie, Prof. R. Degkwitz (1889–1973), vor dem Volksgerichtshof (Anklage ‚Defaitismus‘ und ‚Wehrkraftzersetzung‘ zu bewahren. Er wurde schließlich als Sachverständiger vor dem Volksgerichtshof gehört und sprach von ‚einmaliger Entgleisung‘ als Folge eines Schocks durch die Bombenangriffe. Degkwitz erhielt statt der Todesstrafe eine siebenjährige Haftstrafe. […] [Bürger-Prinz] organisierte mit Ofterdinger die Selektion der Psychiatriepatienten in Hamburg in heilbare und unheilbare und unterstützte somit auch ohne Meldebogen die ‚Aktion T4‘ an seiner Klinik“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 47. Interessant ferner Degkwitz sen. (1946), (1947) und Degkwitz jun. (1985) sowie Bussche (1999). 1018 Degkwitz (1987), S. 246. 1019 Ebd. 1020 Vgl. http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_15716.php?id=-1-1-. Stand vom 12.12.2013. 1021 „Die Universitätskliniken, in denen sich keine ‚Dauerfälle‘ befanden und für die keine Meldepflicht bestand, lagen weit hinter der Frontlinie der Aktion“. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 43. 1022 http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index_15716.php?id=-1-1-. Stand vom 12.12.2013. 1023 Für das Werk „Rasse und Krankheit“, 1937 herausgegeben vom Erlanger rassenhygienischen Dozenten Schottky – in seiner Funktion als „Abteilungsleiter im Stabsamt des Reichsbauernführers Berlin“ – lieferte neben dem „T-4“-Gutachter Berthold Kihn auch der „T4-Gegner“ Kurt Beringer einen Beitrag. Vgl. Schmuhl (2016), S. 398. Siehe ferner Beringer (1937a), Kihn (1937). Beringer war 1941 in die NSDAP aufgenommen durch „Gnadenerweis des Führers“, zeitweise war er Beratender Psychiater bei der 4. Armee an der Ostfront. Vgl. Klee (2003), S. 42. In einer Ansprache bei seinem Dienstantritt soll Beringer gesagt haben, er „lege Wert darauf, dass jeder [s]einer Assistenten in der Partei oder einer ihrer Gliederungen ist“. Vgl. Becker (1990). Beringer galt unter seinen Ordinariatskollegen sowie unter seinen Mitprofessoren in Deutschland als „Euthanasie“-Gegner, er trat als Sachverständiger im Schwurgericht des

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„Euthanasie“-Verwicklungen. Infolge von Plausibilitätserwägungen sieht er den Zeitpunkt, an welchem die Leitung der Universitätspsychiatrien „über Zwangsverlegung psychiatrischer Patienten zur Tötung Gewißheit erhielt“1024 als circa identisch mit Eingang der Information bei den Anstaltsdirektoren, ungefähr zu Beginn des Jahres 1940. Nach Degkwitz gab es also „keinen sicheren Platz mehr […], wohin man psychisch Kranke hätte verlegen können, ohne ihre Tötung zu riskieren“.1025 Nach Degkwitz existiert ein gesicherter Fall, in welchem die Verlegung von der Universitätspsychiatrie Tübingen in die Landesheil- und Pflegeanstalt Emmendingen1026 auf Befehl der Gestapo stattfand.1027 Degkwitz hält es jedoch für großen Badischen „Euthanasieprozesses“ im November 1948 auf. Vgl. Degkwitz (1987), S. 246. „Beringers Erfahrungsberichte zeigen folgendes Bild: Er machte seine Arbeit gründlich, aber war sicher kein militärpsychiatrischer Vordenker. Es ist auch bekannt, dass unter Beringer das ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ (GzVeN) gewissenhaft umgesetzt und durchgeführt wurde. Andererseits galt Beringer als ‚Euthanasie‘-Gegner, und es sind Fälle von politisch Verfolgten bekannt, die in seine Klinik aufgenommen und so gerettet wurden“. Vgl. Berger (1998), S. 255–256. Zu Beringer siehe ferner Herme (1981). 1024 Degkwitz (1987), S. 246. 1025 Ebd. 1026 „Dass etwa das Schicksal des jüdischen Nervenarzt[es] und Schriftstellers Alfred Döblin [1878–1957] eng mit […] der Anstalt Emmendingen als Arzt und nach dem [Zweiten] Weltkrieg und [Rückkehr aus der] Emigration nach [Frankreich und] Amerika als Parkinsonkranker verwoben war, war nicht einmal in den Schulen ein Thema. Erst als dann etwa ,Berlin Alexanderplatz‘ im Fernsehen lief, wurde daran erinnert, dass Döblin 1957 in der Klinik gestorben war“. Vgl Möller (2014) in: http://www.badische-zeitung.de/emmendingen/ verhaeltnis-zuranstalt—81 503140.html. Stand vom 17.02.2018. Weiterführend siehe ferner Becker/Krause (2008). Döblin hatte nach Erhalt der Approbation am 09.08.1905 die Stelle des „4. Assistenzarztes“ an der oberpfälzischen Kreisirrenanstalt Karthaus-Prüll von 16.11.1905 bis 12.08.1906 inne. „Nicht uninteressant [in Bezug auf antisemitische Positionen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts] ist die an sich übliche Geheimbemerkung, die der Referent mit Bleistift [zwischen 04. und 07.11.1905 der Bewerbung Döblins vom 14.10.1905] beigefügt hat: ‚Döblin ist Israelit, doch dürfte seine Einberufung [sic] [in den Anstaltsdienst] nicht zu beanstanden sein, da eine anderweitige Meldung trotz wiederholter Ausschreibung seit Jahresfrist nicht eingekommen‘. Sein jüdisches Bekenntnis wäre also offensichtlich Anlass genug gewesen, jeden anderen Bewerber bei zureichender Qualifikation vorzuziehen“. Vgl. Akt über die Assistenzärzte in Karthaus-Prüll, Staatsarchiv Amberg, Regierung Abg.1949, Nr. 6152, zit. n. Fuchs (2016), S. 288. „[D]er in Karthaus-Prüll angefallene Personalakt Döblins ist verloren“. Vgl. ebd., S. 291. Zu Döblins Verhältnis zu A. E. Hoche als seinem Doktorvater siehe S. 584, Fn. 287. 1027 „Beringer war im klinischen Alltag des ,Dritten Reiches‘“ einerseits unbestritten ein Befürworter des Zwangssterilisationsgesetzes, andererseits ein Gegner der ,Euthanasie‘. Dennoch stoppte auch er nach Kriegsbeginn nicht die routinemäßigen Verlegungen nach Emmendingen, die zur Abholung und Ermordung der Patienten führen konnten. […]. Die psychiatrischen Universitätskliniken waren aus diesen Aktionen aus noch nicht geklärten Gründen ausgenommen, wahrscheinlich wegen ihres Status’ als ,Heilanstalten‘, die ja auch Kriegsversehrte behandelten. Es ist jedoch vermutlich nicht Beringer, sondern dem damaligen Leiter der Emmendinger ,Heil-und Pflegeanstalt‘ Viktor Mathes (1878–1964) zu verdanken, dass die nach wie vor von Freiburg nach Emmendingen verlegten Patienten, die dort zur Vernichtung erfasst werden sollten, von diesem nicht nach Berlin in die Tiergartenstraße 4 – ,Aktion T4‘– weitergemeldet wurden, wie es seine damalige Pflicht gewesen wäre. Allerdings konnte Mathes, aus

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„wahrscheinlich, dass Druck durch Behörden auch in anderen Einzelfällen ausgeübt wurde, etwa bei Ausländern“.1028 Beachtenswert zeigt sich die Rechtfertigung seitens Degkwitz’: „Verlegungen in Heil- und Pfleganstalten gänzlich einzustellen, wäre ohne Aufnahmestopp wohl nicht möglich gewesen.1029 Eine solche Maßnahme hätte sicherlich nach kurzer Zeit die Behörden auf den Platz gerufen. Man muss sich diese Umstände vergegenwärtigen, um das Ausmaß des Zwanges zu begreifen, dem die Klinikärzte in jener Zeit ausgesetzt waren“.1030

Ein Vierteljahrhundert nach dem Aufkommen von Zweifeln an der fehlenden Beteiligung der deutschen Hochschulpsychiatrien bei den NS-„Euthanasie“-Aktionen kommt Rauh in der Festschrift zum 200. Jubiläum des Universitätsklinikum Erlangen zur These, „[d]ie psychiatrische Universitätsklinik Erlangen war – so zumindest der aktuelle Forschungsstand – die einzige Universitätspsychiatrie,1031 deren Patienten per Meldebogen erfasst1032 und über eine Zwischenanstalt in die T4-Tötungsanstalten deportiert worden sind“.1033

dessen ,Anstalt‘ 1127 Patienten zur Ermordung abgeholt wurden, nicht verhindern, dass auch Freiburger Patienten im Rahmen der zweiten zentral durchgeführten ,Aktion Brandt‘ 1944 in die Tötungsanstalt Hadamar deportiert und dort vergast wurden. Irgendwelche Absprachen zwischen Beringer und Mathes sind nicht überliefert“. Vgl. Richter (2004), S. 349. 1028 Degkwitz (1987), S. 246. 1029 „Bumke untersagte für die Patienten seiner Klinik Verlegungen in die Anstalt Haar-Eglfing, weil bekannt wurde, dass von dort Verlegungen in ‚Tötungsanstalten‘ (Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein) vorgenommen wurden. Allerdings kam es ohne Verlegungsmöglichkeiten von Patienten sehr schnell zu einer Überfüllung der Klinik, so dass ein völliger Verzicht von Verlegungen nach Eglfing-Haar auf die Dauer wohl nicht möglich war“. Vgl. Hippius et al. (2005), S. 123. 1030 Degkwitz (1987), S. 246. 1031 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass im Kontext der aktuell seitens der DGN initiierten Aufarbeitung der Rolle von Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit im gleichen Jahr von Rauhs Hypothesenaufstellung folgende Verlegungspraxis der Creutzfeldtschen Psychiatrischen und Neurologischen Klinik in Kiel – wohlgemerkt nicht aufgrund „eigene[r] Archivstudien […], sondern [aufgrund] […] aktuelle[r] Forschungsliteratur“ aus den Jahren 2001, 2003, 2005 – angeführt wird: „Tatsächlich wurden von 605 aus seiner Klinik verlegten Patienten 135 deportiert, davon sind nachweislich 65, wahrscheinlich aber mehr als 100 Opfer der Krankenmorde geworden. […].“ Vgl. Fangerau (2016), S. 2. Siehe auch Martin et al. (2016d), S. 50. Weiterführend ferner Kreuter (1996), S. 97. Empfehlenswert auch GodauSchüttke (2001) und Wolf (2003). Zur Vergangenheitspolitik der Universität Kiel am Beispiel des Kinderarztes Werner Catell (1894–1981) siehe ferner Petersen/Zankel (2008). Zu den „Rechtslehrer[n] an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zu Kiel in der Zeit des Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung“ siehe Wiener (2013). 1032 Die Rauhsche Aussage muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Patienten aus Meggendorfers Klinik als Anhängsel der Heil- und Pflegeanstalt den Behörden formal gemeldet werden mussten, während die anderen Psychiatrischen Universitätskliniken in Deutschland eigenständig waren und insofern keiner Meldepflicht unterlagen. Vgl. hierzu z. B. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 104/24. Siehe auch S. 481. 1033 Rauh (2016b), S. 285. Rauhs Fußnote „228“ hat folgenden Inhalt: „Zur Rolle der psychiatrischen Universitätskliniken im Kontext der NS- ‚Euthanasie‘ siehe Roelcke: 2012. S. 306f“.

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Für Rauh ist die „Rolle Meggendorfer[s] bei der Meldebogenerfassung und bei den Verlegungen der ,T4‘-Opfer aus seiner Klinik“1034 noch nicht abschließend beurteilbar. Er sieht jedoch „eine zumindest schweigende Zustimmung durch die Klinikleitung“1035 naheliegend und stellt die Hypothese auf, Meggendorfer habe „die Verlegungen [von der Heil- und Pflegeanstalt in die Tötungsanstalten] […] sogar […] vorangetrieben“.1036 Da sämtliche Patienten der Erlanger Psychiatrischen Klinik unter der Leitung Friedrich Meggendorfers offiziell den Status von Anstaltspatienten hatten und insofern zum Beispiel auch den Behörden formal gemeldet werden mussten,1037 lässt

Vgl. Leven/Plöger (2016a), S. 545. In der Referenzliste werden vier Publikationsseiten Roelckes präzisiert. Vgl. dies. (2016b), S. 588. Hieraus lässt sich die genannte Schlussfolgerung Rauhs nicht ohne weiteres ziehen. Als im weiteren Sinne Aufschluss gebend über die Rolle der Universitätspsychiatrien im Rahmen der NS-„Euthanasie“ lassen sich in dem zitierten Werk Roelckes folgende Aussagen finden: „die ab 1939 sicher dokumentierten Tötungen [fanden] vorwiegend im Kontext von Anstalten, nicht aber in Universitätskliniken statt“. Vgl. Roelcke (2012), S. 306. „Vielmehr lassen sich – neben den ,T4‘-Mitarbeitern und Gutachtern – mindestens zwei weitere Gruppen von psychiatrischen ,Euthanasie-Tätern‘ benennen: 1. Diejenigen, die der Verlegung besonders betroffener Patientengruppen aus den Universitätskliniken in Anstalten sowie den Deportationen aus den Anstalten zustimmten und bei der Durchführung solcher Verlegungen beteiligt waren; und 2. Diejenigen, die – im Wissen um die tödlichen Folgen – den Prinzipien der Selektion wissenschaftliche Autorität verschafften. Vgl. ebd., S. 307. „Die Forschungen wurden an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg durchgeführt. [...]. Im Anschluss wurden [52 Kinder und Jugendliche] in die Anstalt Eichberg bei Wiesbaden gebracht, wo sie durch Überdosierung von Schlafmitteln getötet werden sollten“. Vgl. ebd., S. 310. Kurzbiographien der Gutachter liefert Harms (2010). 1034 Rauh (2016b), S. 285. 1035 Ebd. 1036 Ebd. „Es lassen sich keine signifikanten Veränderungen des Verlegungsverhaltens [der Bumkeschen Nervenklinik in München] insgesamt, weder bezüglich einer Zu- oder Abnahme von Verlegungen in die Heil- und Pfegeanstalt Eglfing-Haar […] feststellen, weder zum Kontrollzeitpunkt, noch zum Gesamtzeitraum der ,Aktion T4‘. Die sichtbar starke Abnahme der Verlegungszahl im September bis November 1940 wird durch die nachfolgenden Monate ausgeglichen“. Vgl. Jähnel el al. (2015), S. 290. „Die Wahrscheinlichkeit[,] die Diagnose ,nervenkrank ohne psychische Störung‘– eine damals ,ungefährliche‘ Diagnose, die nicht zu einer Involvierung in ,T4‘ führte – zu erhalten, war während des Zeitraumes der ,Aktion T4‘ signifikant erhöht. Insgesamt stellte sie die am häufigsten gestellte Diagnose dar. Beide Befunde sind vereinbar mit der Absicht, Patienten vor der ,Aktion T4‘ zu bewahren“. Vgl. ebd., S. 291. Die hypothetisierte Intenion des Schutzes der Patienten vor einem Abtransport von EglfingHaar in „Euthanasie“-Anstalten ließe sich konkretisieren, wenn in diesem kritischen Zeitpunkt gerade Patienten mit dieser „ungefährlichen“ Diagnose von der Nussbaumstraße nach EglfingHaar verlegt worden wären. 1037 So existiert z. B. folgendes mit einem Signaturstempel Einsles versehene und von Meggendorfer am 09.05.1939 unterschriebene Formular: „Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen. An die Oberstaatsanwaltschaft bei dem Landgerichte in Nürnberg-Fürth. Betreff: Aufnahme von Geisteskranken: Gemäß §22 der Anstaltssatzung zeigen wir hiermit an, dass U. B. […] wegen Geistesstörung in unsere Anstalt aufgenommen wurde. Die Kranke ist nicht in der Lage ihre Angelegenheiten zu besorgen. Aussicht auf Besserung/Heilung besteht. Gründe, welche die Entmündigung der Kranken angezeigt erscheinen lassen, sind vorerst nicht bekannt

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sich mit der von Rauh aufgestellten Theorie nicht wissenschaftlich fruchtbringend arbeiten. Rauh fährt in seinen Ausführungen fort: „Ob Einsle, Meggendorfer oder die im August in Erlangen tätige Meldebogenkommission – eine Kommission aus ,T4‘-Ärzten, welche die Meldebögen gleich vor Ort ausfüllten – darauf insistiert haben, muss offen bleiben. Einzelne Verlegungen1038 von der psychiatrischen Klinik in die Heil- und Pflegeanstalt in unmittelbarer Nähe zu den Deportationen, lassen jedoch nur einen Schluss zu: Auch die Patienten der psychiatrischen Klinik wurden per Meldebogen erfasst und wurden daraufhin Opfer der ‚Aktion T4‘“.1039

Als Beispiel für das Verlegungsverhalten zwischen „eigenständigen“ Hochschulpsychiatrien und Anstaltspsychiatrien scheint an dieser Stelle ein Vergleich mit der Situation in Hamburg angebracht. Nach passagerer Aufteilung der Stadt in zwei gleichgroße Aufnahmebezirke erging von Gesundheitssenator Friedrich Theodor Ofterdinger (1896–1946)1040 am 18. Mai 1936 ein Erlass, wonach die Psychiatrische und Nervenklinik Hamburg (PNK)1041 als alleinige Aufnahmeanstalt fungieren sollte. Somit wurde die Gesamtheit der Patienten initial in der PNK untersucht und diagnostiziert. Abhängig von der Prognose traf man die Entscheidung entweder zugunsten einer Klinikbehandlung oder aber zugunsten einer Verwahrung in der Heilund Pflegeanstalt Langenhorn.1042 „Dieses Konzept ging im Wesentlichen auf Ofterdinger und Bürger-Prinz zurück, wurde aber im Alltag nicht immer beachtet. Zwischen 1936 und 1941 wurden etwa 20% der Patienten der PNK in andere Anstalten verlegt“.1043

geworden“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 229/134. Am 04.09.1939 wurde auf einem standardisierten Bogen zur rechtlichen Absicherung folgendes dokumentiert: „Es erscheint Frau E. […] und beantragt die Beurlaubung/Entlassung [ihrer Schwester, ] der Patientin U. B. Antragstellerin verpflichtet sich unterschriftlich[,] die volle Verantwortung und die zivilrechtliche Haftung zu übernehmen und für entsprechende Unterkunft Sorge zu tragen. Daraufhin wird Patientin übergeben und als gebessert bis auf weiteres aus der Klinik entlassen“. Vgl. ebd. 1038 „Am 24. Juni 1941 erfolgte der siebte und letzte Abtransport Erlanger Patienten in die ,T4‘Tötungsanstalt Hartheim in Niederösterreich. Unter ihnen befanden sich mit Paul G. und Johann F. auch zwei Patienten die zuvor jahrelang in der psychiatrischen Universitätsklinik hospitalisiert waren“. Vgl. Rauh (2016b), S. 284. 1039 Ebd. Warum Rauh aus der zeitnahen Zwischenanstalts-Deportation zweier seitens der Psychiatrischen Klinik in die Heil- und Pflegeanstalt verlegten Patienten die Tatsache als evident ableitet, dass Meggendorfers Klinik die einzige Psychiatrische Universitätsklinik gewesen sei, deren Patienten per Meldebogen erfasst wurden, muss offen bleiben. 1040 „Ehrenmitgliedschaft der Universität für Dr. med. Friedrich Ofterdinger, Hauptverantwortlicher der [,]Euthanasie[‘] an Erwachsenen und Kindern in Hamburg“. Vgl. Bussche (2014), S. 491. 1041 Siehe ferner Holzbach/Briken (2003). 1042 Weiterführend auch Kuhlbrodt (1984) und Böhme/Lohalm (1993). 1043 Holzbach/Naber (2006), S. 45–46. „Ab 1936 kamen in Hamburg mit psychischen Erkrankungen neu Eingewiesene mit wenigen Ausnahmen zunächst in diese Klinik [PNK]. Innerhalb weniger Tage erfolgte eine Selektion. Als ‚behandlungswürdig‘ eingestufte Patientinnen und Patienten wurden stationär aufgenommen und therapeutisch versorgt […]. Viele Kranke galten

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Nichtsdestoweniger zieht Rauh – anhand von zwei T4-Opfern, die am 12.06.1941 von der „adnektierten“ Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen in die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen verlegt worden waren – seine Schlussfolgerung, die Psychiatrische Klinik unter Meggendorfer stelle „die einzige Universitätspsychiatrie [dar], deren Patienten per Meldebogen erfasst und über eine Zwischenanstalt in die T4-Tötungsanstalten deportiert worden“1044 seien. Obwohl Meggendorfer offiziell die Klinikpatienten nur von Einsle als „Leihgabe“ erhielt, hält Rauh eine aktive Beteiligung Meggendorfers an der Patientenselektion für die „T4“-Aktion für möglich.1045 Die Hypothese Rauhs zur möglichen aktiven Beteiligung Meggendorfers an der Aktion „T4“ zeigt sich nur unzureichend wissenschaftlich haltbar. Vor deren Publikation wären sorgfältige psychiatriehistorische Untersuchungen notwendig gewesen: nach der konkreten Definition eines suspekten zeitlichen Intervalls zwischen Verlegungen seitens universitärer- in Anstaltspsychiatrie und Abtransport in die „Euthanasiezentren“ hätten sämtliche vorhandenen Krankenakten der „T4“-Opfer nach diesem Kriterium untersucht werden müssen. Nur auf diese Weise ließe sich das Verlegungsverhalten der einzelnen deutschen Hochschulpsychiatrien in Korrelation setzten und vergleichen. 3.5.6 Zur Rolle deutscher Hochschulpsychiatrien bei der zweiten Phase der „Euthanasie“ psychisch Kranker: Untersuchung speziell zu Erlangen Der forensische Gutachter Friedemann Pfäfflin1046 (geb. 1945) schrieb 1993 in einem Brief an den Journalisten und Schriftsteller Ernst Klee (1942–2013) über seine

jedoch als unheilbar und als ‚behandlungsunwürdig‘, sie wurden umgehend in die Staatskrankenanstalt Langenhorn (ab 1938 Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn) verlegt“. Vgl. Diercks (2014), S. 16. Siehe ferner Wunder (1992). 1044 Rauh (2016b), S. 285. Auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ findet sich folgende Aussage: „Neueste Forschungserkenntnisse belegen, dass im Kontext der NS-‚Euthanasie‘ auch Patienten aus der ‚Psychiatrischen und Nervenklinik‘ der Universität in die Heil- und Pflegeanstalt verlegt wurden“. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. 1045 Rauh (2016b), S. 285. Familienarchivarischen Dokumenten entsprechend stellen sich die Aktivitäten Meggendorfers im Rahmen der „T4“-Selektion folgendermaßen dar: „Seine Frau Ina, meine Großmutter erzählte mir kurz vor ihrem Tod[,] er habe Psychiatriepatienten vor der Deportation gerettet[,] indem er angab, sie für Forschungen bzw. Vorlesungen zu benötigen. Er habe unter dieser Situation sehr gelitten, er habe das in seiner Macht stehende versucht[,] Deportationen zu verhindern“. Vgl. persönliche Korrespondenz mit Dr. Thomas Remold, 07.01.2016. 1046 2011 gab uns Pfäfflin einen Überblick über die historische Entwicklung der Widerstände bezüglich der Aufarbeitung der ärztlichen Rolle im nationalsozialistischen Deutschland: „Als Person und mit seinem Werk hat Walter Wuttke, dem dieses Buch gewidmet ist, in entscheidender Weise die Erforschung der nationalsozialistischen Medizin, ihrer Vorläufer sowie ihrer Nachwirkungen befördert. Wer sich dieser Aufgabe stellt, riskiert von vornherein, in eine Außenseiterposition zu geraten. Denn was er zur Sprache bringt, ist zum Teil so entsetzlich,

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dass es einem die Sprache verschlagen kann. Wenige wollen es hören, entweder weil die Inhalte tatsächlich schwer erträglich sind, oder aber, weil sie die Erkenntnisse nicht in Einklang bringen können mit den idealisierenden Vorstellungen vom Arztberuf oder der persönlichen Wertschätzung ihrer Eltern und Lehrmeister, denen sie immer geglaubt hatten, sie seien nicht in Verbrechen verstrickt gewesen oder hätten nicht einmal davon gewusst. […]. Die Generation der aktiv Beteiligten hat den 8. Mai 1945 als Tag des Zusammenbruchs ihrer Welt erlebt, nicht als Tag der Befreiung aus einer mehrheitlich vom Volk getragenen, gewählten Diktatur. […]. Von den Verbrechen, deren Zeitzeuge man zwischen 1933 und 1945 unausweichlich wurde, selbst wenn man daran nicht aktiv beteiligt gewesen war, hatte angeblich keiner etwas wahrgenommen. Wer den Krieg überlebt hatte, fühlte sich als Opfer, beklagte den Verlust von Angehörigen, von Heimat, Besitz, beruflicher Position und Identität. Nur wenige bekannten sich als Täter, und vergleichsweise gering war auch die Zahl derjenigen, die in den Nürnberger Prozessen oder in späteren Verfahren der Strafgerichtsbarkeit als solche überführt wurden. Viele Mediziner setzten ihre Karrieren ungebrochen fort und verbreiteten Legenden über ihre Unschuld, ja sogar über ihren aktiven Widerstand, die von ihren Schülern weiter tradiert wurden. Es waren anfangs nur wenige schmale Zugänge, die den Nachgeborenen einen Blick auf die Geschehnisse während der NS-Zeit eröffneten, doch waren sie so fokussiert, dass die wahren Hintergründe eher vernebelt als erhellt wurden. Der erste Zugang betraf die Rezeptionsgeschichte des von Mitscherlich und Mielke im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammer verfassten Berichts über die in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen verurteilten Ärzte‚ ‚Wissenschaft ohne Menschlichkeit‘. Über die dort geschilderten erschütternden Fakten half man sich schnell mit der Interpretation hinweg, es sei nur eine verschwindend geringe Zahl von Ärzten aktiv an Verbrechen beteiligt gewesen, während der Großteil im Interesse ihrer Patienten dem ärztlichen Ethos treu geblieben sei. Im Buchhandel war die erst sehr viel später unter dem Titel ‚Medizin ohne Menschlichkeit‘ als Taschenbuch neu aufgelegte Schrift, die nur an Ärzte verteilt worden war, zunächst nicht erhältlich. Der zweite Zugang bestand in ideengeschichtlichen Auseinandersetzungen, in denen Ärzte wie Viktor von Weizsäcker den naturwissenschaftlichen Geist der Medizin des 19. Jahrhunderts dafür verantwortlich machten, dass es zu einer Denaturierung menschlicher Beziehungen in der Arzt-Patient-Interaktion gekommen war, wodurch die Medizinverbrechen in der NS-Zeit erst möglich geworden seien. Diese Erklärung hatte etwas Beruhigendes, weil sie die Gründe für das Geschehen weit zurückverlagerte und damit in gewisser Weise individuelle Verantwortlichkeit spirituell verflüchtigte. Wer sich informieren wollte, blieb lange Zeit auf die wenigen Arbeiten angewiesen, die in den ersten zwanzig Jahren nach Kriegsende erschienen waren. Dazu gehörten zum Beispiel ‚Die Tötung Geisteskranker in Deutschland‘ verfasst von Platen-Hallermund, einer Mitarbeiterin Mitscherlichs und Mielkes, ‚Utopien der Menschenzüchtung. Der Sozialdarwinismus und seine Folgen‘ von Conrad-Martius, ‚Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ von Ehrhardt und das von dem zuletzt genannten Verfasser gemeinsam mit [Werner] Villinger [1887–1961] im dritten Band der ersten Auflage der ‚Psychiatrie der Gegenwart 1961‘ publizierte Kapitel ‚Forensische und administrative Psychiatrie‘, das auch auf Verbrechen an psychiatrischen Patienten während der NS-Zeit einging. Schmidts bereits 1946 verfasstes Buch ‚Selektion in der Heilanstalt‘ über die Hungerhäuser in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar bei München fand 1946, weil ‚zu früh‘ verfasst, keinen Verleger. ‚Nicht Öl ins Feuer gießen‘ mahnten honorige Professoren. Das Manuskript, am 14. März 1947 der Medizinischen Fakultät Hamburg vorgelegt, um die Dozentur nachzuholen, war im Gegensatz zu den eingereichten medizinischen Schriften nach über zwei Jahren des Zirkulierens, wie sich im Juni 1949 herausstellte, verschwunden. ‚Dann zu spät‘ erschien das Buch 1965 in der ursprünglichen, fast unveränderten Form im Evangelischen Verlagswerk Stuttgart. ‚So beredt die Rezensionen waren, bei der Unzahl aufgedeckter Schreckenstaten und der hier intensiv, da grimmig verdrängenden Haltung blieb noch 20 Jahre nach dem Krieg die

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Vermutung, Hochschulpsychiater seien neben ihrer Tätigkeit im Rahmen der „Aktion T4“ unter Umständen auch an Maßnahmen der II. Phase der „Euthanasie“1047 beteiligt gewesen: Nachfrage reserviert‘ schrieb Schmidt im Nachwort der erst 1983 neu aufgelegten Taschenbuchausgabe“. Vgl. Pfäfflin (2011), S. 9–10. Siehe ferner Platen-Hallermund (1948), Mitscherlich/Mielke (1948) und (1960), Conrad-Martius (1955), Ehrhardt/Villinger (1961) und Ehrhardt (1965). Zu Villinger siehe ferner Schäfer (1991). Aus Villingers Schrifttum sei verwiesen auf Villinger (1939) und (1941). Aus Wuttkes Veröffentlichungen sei unter anderem verwiesen auf Wuttke (1992). Zu den internationalen Reaktionen auf die Medizinverbrechen des Nationalsozialismus während des Nürnberger Ärzteprozesses in den Jahren 1946–1947 siehe Weindling (1996a). Zu den Folgen des Nürnberger Ärzteprozesses sei empfohlen Ebbinghaus/Dörner (2001). 1047 Am 24.08.1941 beschloss Hitler den Abbruch der innerhalb der „Aktion-T4“ vollzogenen Vergasungen. „Innerhalb dieses Ursachengeflechts dürfte die Beunruhigung der Bevölkerung […] von besonderem Gewicht gewesen sein“. Vgl. Schmuhl (1987), S. 211. „Die Nationalsozialisten ermordeten mindestens 200000 behinderte Menschen […] ,Kein einziger kirchlicher Funktionsträger ist öffentlich gegen den Massenmord aufgetreten. Einzelne Predigten in Kirchen oder Gemeindekreisen stellten keine Öffentlichkeit her‘, sagt der Marburger Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser. Wenige wagemütige Personen wie [Paul Gerhard] Braune [1887– 1954] oder der evangelische Württemberger Landesbischof Theophil Wurm [1868–1953] versuchten dennoch, das Schweigen zu durchbrechen. ‚Die Krankenmordaktionen in ihrer konkreten Durchführung blieben immer im Dunkel der offiziellen NS-Politik, wenngleich manches durchsickerte, aber nur ‚hinter vorgehaltener Hand‘ weitergegeben wurde‘, so Kaiser. […] Von diesen merkwürdigen Vorgängen erhielt Braune Kenntnis – und ging den Dingen seit März 1940 auf den Grund. Dabei nutzte er als Vizepräsident des Zentralausschusses der Evangelischen Inneren Mission, dem Vorgänger der heutigen Diakonie, seine reichsweiten Kontakte. Schnell fand er heraus, dass ein systemisches Tötungsprogramm angelaufen war. Seine Recherchen flossen in eine Denkschrift ein. Auf deren Übergabe folgten viele diskrete Gespräche mit Parteigrößen, geführt in der irrigen Annahme, ‚durch Appelle an Moral und Vernunft der Staatsdiener eine Beendigung der Euthanasie zu erwirken‘ schreibt Jan Cantow, Historiker und Archivar der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal. […]. Am 3. August 1941 hatte der streitbare katholische Bischof August Graf von Galen (1878–1946), in einer vielbachteten Predigt in der Lambertikirche, die hektographiert im Reich kursierte, das Mordprogramm attackiert […]. Ob wirklich die kirchlichen Proteste zum offiziellen Stopp der Tötungen am 24. August 1941 führten, ist in der Forschung umstritten“. Vgl. Baas (2016), S. 402. Nach dem Vergasungsstopp führte man die „Euthanasie“-Aktionen dezentralisiert fort. Faulstich bezeichnet „die Zeit nach der ‚Aktion T4‘ nicht mehr mit den unzureichenden Beschreibungen als ‚wilde Euthanasie‘ und ‚Aktion Brandt‘ […], sondern als ‚zweite Phase der Euthanasie‘“. Vgl. Faulstich (2011), S. 92. „In den ersten Monaten des Jahres 1940 entwickelte Nitsche in Leipzig-Dösen bei der Ermordung von 60 Patienten das nach ihm benannte Luminalschema, dessen Besonderheit darin lag, dass die vorgeschlagenen niedrigen Dosen – ‚dreimal 0,3 gr. auf drei Tage‘ nur dann tödlich wirken konnten, wenn die Betroffenen vorher ‚niedergeführt‘ worden waren. Ab Mai 1940 als Obergutachter und Stellvertreter des medizinischen Leiters der Aktion, Werner Heyde, an der ‚Euthanasie‘-Zentrale in Berlin tätig, wurde Nitsche kurz nach dem Abbruch der Aktion im November 1941 zu dessen Nachfolger ernannt. Aufgrund seiner speziellen Erfahrung mit Hungerkost und Medikamentenmord muss dieser Vorgang als gezielte Maßnahme zur Umstellung der ‚Euthanasie‘ auf neue und unauffälligere Methoden erscheinen […]. Auf Hungerkost wurden ausschließlich solche Patienten gesetzt, die keine ‚produktive Arbeit‘ mehr leisteten. Die bei ihnen eingesparten Lebensmittel sollten den arbeitenden Kranken zugute kommen“. Vgl. ebd., S. 87–88.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit „Nach meinem Eindruck ist bisher noch zu wenig ins allgemeine Bewusstsein gedrungen, dass Hochschullehrer nicht nur als Gutachter im Rahmen der ‚T4-Aktion‘1048 und nachfolgender entsprechender Aktivitäten tätig waren, sondern dass auch innerhalb der Universitätspsychiatrie Patienten umgebracht wurden […]. Zumindest haben wir den entsprechenden Nachweis für die Hamburger Klinik geführt“.1049

Auf der Homepage der Psychiatrischen Klinik Hamburg-Eppendorf mit Stand vom 12.12.2013 fand sich die Bemerkung, aktuell würden Hinweise zu Tötungsdelikten in der psychiatrischen Universitätsklinik geprüft: „zur Zeit werden die vorhandenen Unterlagen und Sterbeurkunden untersucht. Es besteht der Verdacht, dass Tötungen innerhalb der Klinik stattfanden“.1050 2006 plädierten Holzbach/Naber anhand der Untersuchungen von Pfäfflin et al., die „es sogar aufgrund ihrer Untersuchungen ‚gemessen an Kriterien einer historischen Beweisführung‘ als erwiesen an[sahen], dass in der Hamburger Universitätspsychiatrie Patienten getötet wurden […][,] [für] noch weitere Forschung[…], da Alternativhypothesen (z. B. veränderte Patientenstruktur im Sinne häufigerer somatischer Befunde) ebenso wenig berücksichtigt wurden wie der Umstand, dass es auch während des Ersten Weltkrieges erhöhte Sterberaten an psychiatrischen Kliniken gab“.1051

Bei im Vorfeld fehlenden Verdachtsmomenten wurden im Zeitraum 2011–2017 die historischen Bestände der Psychiatrischen und Nervenklinik im Archiv des Kopfklinikums der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (APNK/FAU) in Hinblick auf Tötungsdelikte untersucht.1052 Von den 1.537 vorhandenen historischen Akten betreffen 1.498 Patientinnen, die während der NS-Zeit an der Psychiatrischen und Nervenklinik behandelt wurden. In 561 der 1.498 Akten wurde eine dem Erbgesundheitsgesetz unterworfene Erkrankung dokumentiert. Sorgsames Prüfen der Akten ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Tötungsdelikte ausgeführt wurden. In seinem Kommentar zum kommenden deutschen Strafrecht hatte Meggendorfer 1936 den Abschnitt „Tötung“ folgendermaßen wiedergegeben: „[E]ine Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens komme nicht in Frage. Der Hauptsache nach handele es sich um Geisteskranke und Idioten. Der nationalsozialistische Staat suche dem Entstehen solcher Entartungen im Volkskörper durch umfassende Maßregeln vorzubeugen, so dass sie immer seltener werden müssten. Aber die Kraft der sittlichen Norm des Tötungsversuches dürfe nicht dadurch geschwächt werden, dass aus bloßen Zweckmäßigkeitsgründen Ausnahmen für die Opfer schwerer Erkrankungen oder Unfälle gemacht werden, mögen auch diese Unglücklichen nur durch ihre Vergangenheit oder äußere Erscheinung dem Volkskörper verbunden sein. Dieselben und verwandte Gedankengänge führten auch dazu, eine 1048 Zwischen den Eugenik-Anhängern auf der einen Seite und den „Euthanasie“-Befürwortern auf der anderen Seite sollte sorgfältig differenziert werden. In diesem Kontext mitunter bemerkenswert die Tatsache, dass der „T4“-Gutachter Kihn keine originär eugenische Ausrichtung hatte. Er habilitierte im Bereich der Neuroinfektiologie. Vgl. Kihn (1927). 1049 Bussche (1989d), S. 447. 1050 http://www.uke.de/kliniken/psychiatrie/index 15716.php?id=-1-1-. Stand vom 12.12.2013. 1051 Holzbach/Naber (2006), S. 46–47. Siehe ferner Pfäfflin et al. (1989). 1052 Zur Frage der Beteiligung der Universitätspsychiatrie an der NS-„Euthanasie“ am Beispiel der Heidelberger Klinik siehe Bienentreu (2007).

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besondere Vorschrift über die Tötung Todgeweihter nicht aufzustellen. Das Gesetz müsse sich davor hüten, das Vertrauen der Kranken zum Ärztestande zu erschüttern“.1053

Was eine mögliche Involvierung der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen innerhalb der zweiten Phase der „Euthanasie“ anbelangt, so gilt es, Quellen bezüglich der Lebensmittelversorgungslage in der Meggendorferschen Klinik zu untersuchen.1054 In der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen – untergebracht in den Anstaltsräumen der Heil- und Pflegeanstalt – hatte die Verpflegungssituation bereits ab 1938 Anlass zu Beschwerden1055 von Seiten der Patientenangehörigen gegeben. In einem Schriftstück Meggendorfers vom 26.11.1938 an den „Beauftragten für die Durchführung des Reichsberufswettkampfes“ beklagte Meggendorfer, „dass ein Kranker der 3. Verpflegungsklasse, der auf Grund unserer intensiven Schizophreniebehandlung sich auf dem Wege der körperlichen und seelischen Besserung befindet, am Morgen mit dem von der Anstalt gelieferten Frühstück, das aus ‚Kaffee‘ und trockenem Brot besteht, genügend ernährt wird. Der für die Kranken der 3. Klasse seitens der hiesigen Anstalt ausgegebene Verpflegungssatz beträgt für alle Mahlzeiten des Tages zusammen noch nicht 55 Pfg“.1056

Am 09.04.1941 rechtfertigte sich Meggendorfer gegenüber der „NSDAP-Gauleitung Bayerische Ostmarkt“,1057 wo Parteigenosse L. M. die Essenssituation in der Psychiatrischen und Nervenklinik beklagt hatte: „Was die Verpflegungsverhältnisse in der Klinik anlangt, so sind diese auch meiner Sicht nach als recht mässig [sic] zu bezeichnen. Ich habe darauf aber keinerlei Einfluss, da die Klinik in wirtschaftlicher Hinsicht an die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen angegliedert ist. Ich habe mich darüber sowohl bei den vorgesetzten Stellen […] wiederholt beklagt, als auch bei der Anstaltsverwaltung selbst reklamiert, habe aber von letzterer lediglich zur Antwort bekommen, dass für die Verpflegung eines Patienten täglich nur 55 Pfg. zur Verfügung stehen, und dass dafür eine bessere Verpflegung nicht gewährt werden kann. Auch meiner Meinung nach ist die Verpflegung durchaus ungenügend; ich wäre dankbar, wenn mein Bestreben, die Verhältnisse zu verbessern, von dortiger Seite aus unterstützt würde“.1058

1053 Meggendorfer (1936c), S. 498–499. 1054 Vor Klinikaufnahme der K. B. am 25.03.1943 hatte Meggendorfer dem Vater der Patientin in einem Schreiben vom 22.03.1943 auf seine Anfrage vom 19.03.1943 hin mitgeteilt, „dass Ihre Tochter K. B. Ihrem Wunsche gemäß sofort zur Aufnahme hierherkommen kann. Die Aufnahme selbst erfolgt durch die Verwaltung der Anstalt, Maximiliansplatz 2, bei welcher eine gemeindliche Abmeldebescheinigung wegen der Lebensmittel abzugeben wäre“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 167/98. 1055 Interessant hierzu ein Vergleich mit der Nahrungsmittelversorgungssituation in psychiatrischen Anstalten während des Ersten Weltkrieges: “It is an undisputed fact that during world war I, starvation prevailed within psychiatric hospitals. The controversial question remains, however, whether this starvation was intended or was simply a consequence of war and the general famine in Germany due to the continental blockade”. Vgl. Foth (2014), S 222–223. Unter Verweis auf Dörner (2002) schlussfolgert Foth unter anderem, dass die hohen Sterberaten in den Anstalten im Ersten Weltkrieg mitbedingt gewesen sein können durch bewusst provozierte Kürzung des Essens. Vgl. Foth (2014), S 222–223. 1056 UAE: A6/3i. 1057 BayHStA: MK 44017. Weiterführend auch Bald (2014). 1058 BayHStA: MK 44017.

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Nach Stopp der Aktion „T4“ im August 19411059 kam es im Rahmen der zweiten Phase der „Euthanasie“ auch zu einem systematischen Aufbau der „Kindereuthanasie“,1060 wobei im Reichsgebiet etwa 30 „Kinderfachabteilungen“ entstanden,1061 deren Leiter ermächtigt waren, „die Kinder zu töten […]. Die Aktion wurde intensiv an einigen Universitätskliniken wissenschaftlich gefördert und begleitet“.1062 Ohne relevantes Aufsehen in der Bevölkerung oder erwähnenswerten Widerstand innerhalb der “Scientific community” zu bewirken, wurden die Kinder und 1059 Weiterführend zur „jähe[n] Unterbrechung der Aktion T4“ sei empfohlen Aly (2012), S. 174– 192. 1060 Zur „Kindereuthanasie“ in Heidelberg siehe Hohendorf/Rotzoll (2004). Siehe ferner Benzenhöfer (2008). „In der Leipziger Universitätsklinik lag bei Professor Dr. Werner Catel ein Kind, das blind geboren war, idiotisch schien und dem außerdem ein Bein und ein Teil eines Armes fehlte. Hitlers Begleitarzt, Professor Karl Brandt, der sich das ‚Kind Knauer‘ ansah, sagte darüber im Nürnberger Ärzteprozess aus: ‚Die Ärzte standen auf dem Standpunkt, dass das AmLeben-Erhalten eines solchen Kindes eigentlich nicht zu rechtfertigen sei […]‘“. Vgl. Kleemann (1970), S. 13. Höchstalter der Kindereuthanasie-Betroffenen wurde im Laufe des Krieges sukzessive bis auf 17 Jahre heraufgesetzt. Vgl. Seiderer (1991), S. 27. 1061 Siehe ferner Benzenhöfer (2000b). „Zwischen 1941 und 1945 wurden in der ‚Kinderfachabteilung‘ der Landes- Heil-und Pflegeanstalt Lüneburg 300 bis 350 Kinder und Jugendliche ermordet. Eine Gedenkstätte auf dem Psychiatriegelände widmet sich ihren verdrängten Schicksalen“. Vgl. Meyer-Ueding (2016), S. B 978. Prof. Dr. Paul Cullen, Facharzt für Labormedizin und Innere Medizin schrieb zu diesem Artikel von Meyer-Ueding einen Leserbrief, worin er folgendermaßen Position bezieht: „Entweder ist uns klar, dass wir alle gleichwertig sind, oder es drängt sich eher früher als später die ‚Materialfrage‘ auf. Wer meint, wir hätten diese Denkfigur heutzutage überwunden, hat nicht zur Kenntnis genommen, dass genau solche utilitaristischen Überlegungen in der Debatte um die reinen Selektionskriterien Präimplantationsdiagnostik (PID), nichtinvasive Pränataldiagnostik und leider auch zuletzt in der Diskussion über ärztliche Beihilfe zum Suizid eine wichtige Rolle gespielt haben. Es gibt keine Abstufung in der Wertigkeit eines Menschen. Vielmehr ruft unser ärztliches Ethos uns dazu auf, uns gerade um die Schwachen und Kranken, die Verzweifelten und Verlorenen zu kümmern. Unser Berufsstand darf sich nicht dafür hergeben, den leider wieder weit verbreiteten neoeugenischen Vorstellungen in unserer Gesellschaft wie damals Vorschub zu leisten“. Vgl. Cullen (2016), S. A-1319/C-1091. „Die Fortpflanzungsmedizin und die Genetik tun ein Übriges, um den Bereich des Risikos auszudehnen. In den USA haben Versicherungsgesellschaften bereits damit begonnen, ihre Klientel nach genetischen Prognosen zu sortieren, und eine nachfrageorientierte Eugenik ist auf dem Vormarsch. Da wird noch Einiges auf uns zukommen. Von Gen-Banken werden patentierte Eigenschaften gekauft werden können. Der Standard eines wohlgeratenen Menschen wird neu definiert werden, und in Verbindung mit der pränatalen Diagnostik wird der Gesundheitsbegriff in bedrohliche Nachbarschaft zur Kategorie vom lebensunwerten Leben rücken, die die Nationalsozialisten benutzten. Es könnte eine neue Klassengesellschaft entstehen von Menschen, die eugenisch modelliert sind, und solchen, die noch naturbelassen und deshalb minder wertvoll zur Welt kommen. Wer in Zukunft seine Identität erfahren will, wird Kataloge studieren müssen, mit deren Hilfe seine Eigenschaften zusammengekauft wurden. Es wird zu Prozessen kommen, bei denen Kinder gegen ihre Eltern auf Schadensersatz klagen wegen zu billiger Machart oder, was sogar schon vorgekommen ist, Kinder, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen, verklagen die Eltern, weil sie es unterlassen haben, sie abzutreiben. So kann es geschehen, dass man selbst zum Risikofall wird für sich und für andere. Jedenfalls dringt in den Bereich der Hervorbringung des Menschen durch den Menschen eine neue Art der Vorsorge ein“. Vgl. Safranski (2017), S. 82–83. 1062 Cranach/Schneider (2010), S. 20.

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Jugendlichen bis Kriegsende in der Regel einzeln durch eine Medikamentengabe, meistens ein Barbiturat (z. B. Luminal) oder durch gezielte Unterversorgung getötet.1063 „Es ist […] vieles noch unklar, was die ‚Kinderfachabteilungen‘1064 angeht, vieles wird wohl auch unklar bleiben“.1065 Die vom Rektorat geforderte Stellungnahme1066 Meggendorfers vom 23.04. 1942 zum Thema „jugendpsychiatrische Beobachtungsabteilung“ lautete wie folgt: „Obwohl ich mit der Beobachtung und Begutachtung von jugendlichen Rechtsbrechern1067 wohl vertraut bin1068 und in Hamburg1069 jahrelang die dort bestehende Beobachtungsabteilung

1063 Zur Organisation und Unterscheidung von Kinder-„Euthanasie“ und „T4“-Aktion siehe Peiffer (2005). Weiterführend sei verwiesen auf Haack/Kumbier (2013). 1064 „Friedrich Zawrel wächst im Wien der 1930er-Jahre auf. Als Kind im faschistischen Österreich wird er in den ‚Spiegelgrund‘, die zweitgrößte ‚Kinderfachabteilung‘ des Deutschen Reiches gesperrt, in der kranke, behinderte und vermeintlich erblich belastete Kinder und Jugendliche ‚behandelt‘ und ermordet werden. Der Anstaltsarzt [Dr. Heinrich] Gross [1915– 2005] stuft Zawrel in einem Gutachten als ‚erbbiologisch und sozialminderwertig‘ ein, foltert und quält ihn mit zahlreichen ‚medizinischen‘ Versuchen. Doch Zawrel überlebt, ihm gelingt die Flucht. Jahre später begegnen sich der Folterer und sein Opfer noch einmal. Gross – mittlerweile einflussreicher Gerichtsgutachter – sorgt erneut dafür, dass Zawrel für Jahre eingesperrt wird. In zahlreichen sehr persönlichen Gesprächen hat er seine Erinnerungen mit Pupenspieler Nikolaus Habjan und Regisseur Simon Meusburger geteilt. Die beiden erzählen Zawrels Erlebnisse in ihrem preisgekrönten Bühnenstück nun dem Publikum weiter und stellen mit ihm gemeinsam unermüdlich die Frage nach dem Warum. Ein ergreifendes Stück Zeitgeschichte, das […] durch das eindringliche Spiel Nikolaus Habjans und seiner Klappmaulpuppen tief unter die Haut geht“. Vgl. Habjan, N./Meusburger, S. F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig. Basierend auf Erzählungen von Friedrich Zawrel, Redoutensaal Erlangen, 26.05.2017. In: Programmheft zu 20. Internationales Figurentheaterfestival. Erlangen. Nürnberg. Fürth. Schwabach, S. 89. Siehe ferner Lehmann/Schmidt (2001). Weiterführend zur Anstalt ,Spiegelgrund‘ siehe ferner Gross (2000). 1065 Benzenhöfer (2011), S. 67–75. Siehe ferner Benzenhöfer/Oelschläger (2002). 1066 „Rektoratsverfügung vom 14.4.42, Nr. 919“. Vgl. UAE: A6/3i. 1067 „Die forensische Erfahrung zeigt, dass der Richter bei Jugendlichen in der Hauptverhandlung vielfach kein ausreichendes Urteil über die moralische Konstitution des Angeklagten gewinnen kann. Es ist daher bei der Tragweite der hier in Frage kommenden Urteile eine Beobachtung durch einen kriminal-biologischen Sachverständigen in allen Fällen, bei denen es sich um Verwahrung handelt, angezeigt, soweit diese Frage nicht bereits durch vorliegende Gutachten ausreichend geklärt ist. Ebenso dringend erscheint aber auch die Begutachtung der Fälle, die unter die unbestimmte Verurteilung fallen oder wegen Gemeingefährlichkeit bzw. schwerer krimineller Anlage in Sonderanstalten unterzubringen sind“. Vgl. Gregor (1940), S. 386. 1068 Als Publikation zum Jugendstrafrecht siehe Meggendorfer (1943). 1069 Der Hamburger Klinikdirektor hatte 1911 ein „Handbuch der Erforschung und Fürsorge des jugendlichen Schwachsinns unter Berücksichtigung der psychischen Sonderzustände des Jugendalters [mitverfasst]. [Dieses Werk] […] ist bestrebt, einen wissenschaftlichen Querschnitt durch ein in lebhafter Vorwärtsentwicklung begriffenes Spezialfach zu geben. In theoretischer Hinsicht ist die Idiotenforschung ein Kind der Psychiatrie. Jedoch schließt die neue Disziplin sich der Psychiatrie keineswegs lediglich so eng an, wie etwa das Fach der Kinderheilkunde seiner mütterlichen Disziplin, der internen Medizin, denn die Schwachsinnigenfürsorge hat bisher vielfach ihren eigenen Entwicklungsgang genommen. Mannigfache caritative Bestrebungen nichtärztlicher Herkunft haben sich an den Schwachsinnigen betätigt, das Hilfsschulwesen hat in den letzten Jahrzehnten selbstständig aus kleinen Anfängen einen gewaltigen

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit geleitet habe,1070 muss ich berichten, dass an der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen die Möglichkeit stationärer Beobachtung von jugendlichen Beschuldigten nicht besteht“.1071

Die Möglichkeit zur Schaffung einer jugendpsychiatrischen Beobachtungsabteilung an der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen verneinte Meggendorfer klar. Interessant zeigt sich in diesem Kontext die Akten-Notiz von 17.12.1940 bezüglich der Aufnahmemodalitäten1072 des 1933 geborenen Kindes D. L.: „Psychopathie (Verdacht auf Schwachsinn). Lügenhaft, eigensinnig, beschmierte sich dauernd mit Kot, wenn es seinen Willen nicht durchsetzen konnte. [Aufgenommen,] [w]eil es von Dr. Kluth – Fürth der Klinik zur Beobachtung überwiesen wurde und nicht abgelehnt werden konnte“.1073

Die – gemäß Aktendokumentation – eigentlich vorhandene Intention, eine Klinikaufnahme der D. L. Ende 1940 abzulehnen,1074 könnte einerseits platzmangelbedingt gewesen sein. Als alternativen Motivationsgrund gilt es, eine vorhan-

Aufschwung genommen, die Anwendbarkeit pädagogischer Methoden bei den jugendlichen Minderwertigen ist hier und anderwärts weitreichend ausgebildet worden. Fürsorgewesen, Jugendgericht und Fürsorgeerziehung haben von ihrer Seite tiefere Einblicke in das große Gebiet der jugendlichen Abnormitäten eröffnet. Ein Handbuch, das sämtliche die abnormen Jugendlichen betreffenden Fragen behandelt, muss demnach auf breiter Grundlage aufgebaut sein und darf keineswegs einseitig den ärztlichen Standpunkt vertreten. […]. Möge sich in dem Werk die führende Stellung widerspiegeln, die Deutschland, wie trotz aller noch offenbleibender Wünsche im einzelnen doch unumwunden zugegeben werden muss, im Gebiet der Erforschung und Fürsorge des jugendlichen Schwachsinns errungen hat! Möge vor allem auch das so vielfach in fortschreitender Entwicklung begriffene allgemeine Interesse für jene wichtigen und tief einschneidenden Probleme dadurch fernerhin anwachsen, so dass den unglücklichen einstmals selig gepriesenen Schwachsinnigen immer wirksamere Hilfe gewidmet werde!“ Vgl. Vogt/Weygandt (1911), Vorwort. Siehe auch Weygandt (1936). Weiterführend ferner Hygiene Institut Hamburg (1999). 1070 Zur Geschichte der Kinder- und Jugendpsychiatrie seit 1933 am Beispiel Hamburgs siehe ferner Baumann et al. (1994). Zudem sei verwiesen auf Roelcke (2017b). 1071 UAE: A6/3i. Meggendorfer führte weiter aus „Bei der kümmerlichen Verfassung der hiesigen Klinik lässt sich eine solche Beobachtungsstation hier nicht einrichten. Es wird dabei gefordert, dass die Jugendlichen nicht zusammen mit Geisteskranken untergebracht werden, diese Bedingung lässt sich keineswegs erfüllen. Daneben bestehen noch eine Reihe von anderen Schwierigkeiten“. Vgl. ebd. 1072 Einblick in die Formalitäten der Anstalts- und Klinik- Aufnahmemodalitäten gewähren die in der Akte der U. B. erhaltenen Dokumente: Von der ersten stationären Aufnahme findet sich folgendes protokollartige Schreiben ohne Absender und Adressat vom 22.07.1939: „Von k[ur]z[er] Hand zurückgeleitet mit der Äußerung, dass Frl. U. B. an man. depressivem Irresein leidet. Sie ist geistesschwach im Sinne des §6 BGB. Sie wurde nicht eingeschafft sondern von dem Arzt Dr. Reichold in Lauf der Klinik zur Behandlung überwiesen. Es besteht bei ihr Aussicht auf Besserung oder Heilung“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. Anlässlich der Wiederaufnahme am 30.10.1939 finden sich folgende aufnahmeprotokollartige Stichpunkte: „Die Dienstmagd U. B. […] manisch-depressives Irresein (Melancholie), traurig verstimmt, von Angst erfüllt, stark gehemmt. Weil die offensichtlich Kranke von der Sanitätskolonne hierhergebracht, von der Anstalt aufgenommen und der Klinik zugewiesen wurde“. Vgl. ebd. 1073 Ebd., Aufnahmenr.: 349/245. 1074 Vgl. ebd.

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dene Kenntnis Meggendorfers bezüglich der Involvierung von Hochschulpsychiatrien bei geplanten „Kindereuthanasie“-Maßnahmen in Erwägung zu ziehen. Die ursprünglich angedachte Ablehnung der Aufnahme des Kindes könnte dafür sprechen, dass Meggendorfer – unter Verweis auf fehlendes kindliches Patientenklientel – potentiellen Anfragen der entsprechenden staatlichen Stellen zur wissenschaftlich-hochschulpsychiatrischen „Begleitung“ der „Kinder-Euthanasie“ von Vornherein möglichst aus dem Weg zu gehen versuchte. Die Aktendokumentation erlaubt Rückschluss, dass unter Meggendorfers Leitung kinderpsychiatrische Expertise bei der „Beobachtung“ der letztlich mit „Psychopathie, Debilität“ von pädagogisch günstiger Prognose diagnostizierten D. L. zum Einsatz kam: „steht geistig auf der Stufe eines 5 jähr. Kindes, lügt gerne, hat characterlich [sic] einige minderwertige Eigenschaften. Konnte zu Hause nicht mehr gehalten werden, da sie sehr boshaft war und absichtlich unrein. […] Die Pat, zeigt einen grossen Mangel an Gemütswerten. Sie hat ein schwach entwickeltes Gefühl für Recht und Unrecht, es ist sehr schwierig[,] ihr solche Begriffe überhaupt zu vermitteln“.1075

Eine rasche Auffassungsgabe habe die Patientin eigentlich nur gegenüber „Unschöne[m]“.1076 Zudem sei sie recht „flink und geschickt“ sofern es darum ginge, „eine gewisse Raffiniertheit zu zeigen“.1077 Bei Anderen bemerke sie Fehler und Schwächen sofort, betone sie und mache Dritte darauf aufmerksam. Wo es sich jedoch um Angelegenheiten handelte, die ihr selbst zum Vorwurf gereichen könnten, sei sie uneinsichtig und lege sogar eine „gewisse Überheblichkeit“ an den Tag, „die man ihr nicht abgewöhnen kann“:1078 „Scham oder Reue über begangenes Unrecht kann man ihr durchaus nicht beibringen. Sie bleibt ganz kühl. Auch die rührendsten Vorstellungen verfangen nicht [sic]. Der Tod der Katze z. B. (die sie in den Ofen steckte) löst bei ihr keinerlei Bedauern aus. Sie gibt ihre Handlung ohne weiteres zu, sagt: weil die Katze sie gekratzt habe. Vorstellungen, dass das Tier doch große Schmerzen gelitten hat, dass die Jungen ohne Mutter hilflos und verlassen sind, bleiben gänzlich wirkungslos. Auch den Gemütsbewegungen anderer gegenüber bleibt sie sehr gleichgültig. Mitgefühl mit Menschen kennt sie ebensowenig [sic] wie mit Tieren. Weinenden Menschen schaut sie mit einer gewissen Sensationslust zu, ohne wie Kinder oft tun, den Versuch zu machen, trösten zu wollen“.1079

Am 28.2.1941 wurde vermerkt, das Verhalten des Kindes auf Station sei gleichbleibend gewesen, pflegerisch habe es weiter keine Schwierigkeiten mit ihr gegeben, insbesondere sei sie bislang nicht unrein gewesen. D. L. habe gerne geschmeichelt, Zärtlichkeit habe dabei jedoch gefehlt. Sie habe eher unecht gewirkt im manipulativen Sinne zum Durchsetzen eigener Wünsche. „Alle Mängel der Pat. haben aber sicher nicht nur in einer ungünstigen Veranlagung ihren Grund, sondern haben sich auch verschlimmert durch eine unzweifelhaft unrichtige oder mangelhafte Erziehung. Es hat sich anscheinend niemand die Mühe genommen [sic][,] das gewiss schwierige Kind liebevoll und ausdauernd zu behandeln. Wirklicher Teilnahme gegenüber, die

1075 Ebd. 1076 Ebd. 1077 Ebd. 1078 Ebd. 1079 Ebd.

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Rolle als Hochschulpsychiater in der NS-Zeit anhält, nicht nur gelegentlich auftritt, gibt sie sich Mühe, zeigt sich aufgeschlossen und zugänglicher. Allzugrosse [sic] Strenge hat keinen Zweck bei ihr, da sie dann leicht verstockt wird. Auch ist sie ziemlich nervös empfindlich, erschrickt leicht und versagt dann erst recht. Unter normal begabten Geschwistern wird ihr wohl immer ihre eigene Unzulänglichkeit klar und ihre Unbotmässigkeit […]“.1080

Am 15.03.1941 wurde dokumentiert, der Zustand des Kindes habe sich erheblich gebessert. Gemessen an „ihren Gaben“1081 sei sie verhältnismäßig fleissig. Man dürfe freilich nicht allzu hohe Ansprüche stellen, sie bedürfe der beständigen Leitung und Anteilnahme. „Aus sich selbst heraus“1082 vermöge die Patientin sogar beim Spiel nur wenig. „Unter gehöriger Aufsicht und Leitung wird es wahrscheinlich möglich sein, ihre Fehler auszugleichen und ihre Fähigkeiten so auszubilden, dass sie einen Platz im Leben ausfüllt, ebenso auch ihren Charakter so zu beeinflussen, dass sie sich in die Lebensgemeinschaft einzufügen vermag. (mit 2 ½ Jahren hatte das Kind Masern, war sonst körperlich nie krank). 17.3.41. entlassen. (wird nach Neuendettelsau verlegt1083)“. 1084

Obwohl Meggendorfer im April 1942 die Möglichkeit zur Schaffung einer jugendpsychiatrischen Beobachtungsabteilung an der Psychiatrischen und Nervenklinik nicht als gegeben betrachtete, sprach er sich – zumindest vordergründig betrachtet – für die Einrichtung einer kinder- bzw. jugendspezifischen1085 „Fachabteilung“ an der Heil- und Pflegeanstalt aus, wie sein Schreiben an den Rektor von 14.09.1942 zeigt: 1080 Ebd. 1081 Ebd. 1082 Ebd. 1083 Zur Verlegungsvorgeschichte ist wichtig anzuführen, dass am 09.01.1941 folgende Anfrage des Landesfürsorgeverbandes zum Kind D. L. bei der Klinik gestellt worden war: „Ich ersuche um gefl. Mitteilung[,] ob es geisteskrank ist im Sinne des Fürs. Ges. und der Anstaltspflege bedarf“. Vgl. ebd. Am 14.01.1941 teilte Meggendorfer „mit, dass [s]. E. bei der Obengenannten sowohl Artikel 5 I Ziff.1 als auch Ziff. 2 vorliegt. Es handelt sich um ein so schwer psychopathisches Kind, dass die Erkrankung einer Geisteskrankheit bezw. Geistesschwäche gleichzusetzen ist. Andererseits handelt es sich um eine hilfebedürftige Minderwertige, die noch bildungsfähig ist und der Unterbringung in einer Anstalt bedarf. Am besten wäre die Unterbringung in einer Anstalt für psychopathische Kinder“. Vgl. ebd. Das Schreiben des Bezirksfürsorgeverbandes „[a]n den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen“ vom 14.03.1941 enthielt folgende Rückmeldung und Anweisung: „Auf Veranlassung des Landesfürsorgeverbandes Oberfranken und Mittelfranken in Ansbach habe ich bei der Direktion der Neuendettelsauer Pflegeanstalten in Neuendettelsau angefragt, ob das Kind D. L., welches sich seit 17.12.1940 in Ihrer Anstalt befindet, in die Neuendettelsauer Pflegeanstalt aufgenommen werden kann […]. Ich bitte, das erforderliche gefl. zu veranlassen“. Vgl. ebd. 1084 Ebd. Aufgrund der von Meggendorfer ausgestellten günstigen Entwicklungsprognose für D. L. könnte diese einem Abtransport von Neuendettelsau über „Zwischenanstalten“ in „Tötungsanstalten“ entgangen sein. Siehe hierzu auch S. 475. 1085 Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte Meggendorfer sein gerichtliches Referat über Neuerungen im Jugendstrafrecht. Darin führte er an, rassebiologische Auslese befreie die Fürsorgeerziehung von der ständigen „Ansteckungsgefahr“ durch das „rassisch Fremde oder Zersetzende“. Nach Meggendorfer sah „[d]as kommende Jugendstrafrecht […] nicht so sehr auf die Tat als vielmehr auf den jugendlichen Täter; es strebt weniger nach Sühne als nach gesundem Zukunftswachsen“. Vgl. Meggendorfer (1943), S. 54.

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„[d]a die Schwachsinnigenanstalten der verschiedenen karitativen Vereinigungen aufgelöst werden sollen, sollen, wie ich erfahre, Kinderabteilungen an verschiedenen Heil- und Pflegeanstalten, so in Eglfing und in Ansbach1086 eingerichtet werden. Mit Rücksicht darauf, dass eine solche Abteilung für den Klinischen Unterricht in Psychiatrie, Erbkrankheiten, unter Umständen auch Kinderheilkunde von erheblichen Nutzen wäre, bitte ich über das Unterrichtsministerium beim Innenministerium beantragen zu wollen, dass auch an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen eine solche Kinderstation eingerichtet wird. Die Direktion der hiesigen Heil- und Pflegeanstalt, die von der Sachlage unterrichtet ist, hätte gegen die Einrichtung einer Kinderstation in der Anstalt keine Bedenken“.1087

Bereits Gustav Kolb, der Begründer des fortschrittlichen „Erlanger Systems der offenen Fürsorge“,1088 hatte als Vorgänger Wilhelm Einsles am 09.01.1931 der Regierung von Mittelfranken/Kammer des Innern/Ansbach gegenüber die Notwendigkeit einer „Abteilung […] für psychopathische und geisteskranke Kinder“1089 betont, zumal „die einzige bayerische Kinderabteilung in Eglfing-Haar besonders für die nordbayerischen Bedürfnisse […] den zunehmenden Bedarf nach solchen Abteilungen nicht zu decken vermag“.1090 Das im Kriegsjahr 1942 von Meggendorfer vorgebrachte Argument des Nutzens einer Kinderabteilung für die Qualität der Hochschullehre mag auch er selbst nebensächlich und nichtig eingeschätzt – und vielleicht gerade deshalb angeführt – haben. Die „Fürbittstellung“ zugunsten der Heil- und Pflegeanstalt durch Sicherung ihres Fortbestandes bei Übernahme einer Regime-gewünschten „Vollstreckerrolle“

1086 Siehe weiterführend Weisenseel (1990). 1087 UAE: A6/3i. 1088 Siehe hierzu Braun/Kornhuber (2014a) und (2014b). 1930 betonte Meggendorfer die Notwendigkeit einer entsprechenden offenen Fürsorge, „wie sie von Kolb, Faltlhauser und anderen so verdienstvoll ausgebaut wurde“. Vgl. Meggendorfer (1930f), S. 295. Im darauffolgenden Jahr sah Meggendorfer die Wichtigkeit offener Fürsorgeeinrichtungen begründet in „den neueren psychiatrischen Anschauungen, die in den Geistesstörungen vielfach nur Reaktionen auf Erlebnisse sehen und auch bei Prozesspsychosen funktionellen Mechanismen eine erhebliche Bedeutung zuerkennen“. Vgl. Meggendorfer (1931a), S. 122. Mit diesen „neueren psychiatrischen Anschauungen“ mag sich Meggendorfer als Erbpsychiater wohl nicht gänzlich identifiziert haben. Die meisten rassenhygienisch orientierten Psychiater empfanden „eine großzügige Sozialfürsorge und Wohlfahrtspflege bei psychisch Kranken als widersinnig, wenn nicht gar bedrohlich“. Vgl. Weingart et al. (1992), S. 215. Meggendorfer betonte, „die Fürsorge [könnte sich] mit eugenialer Beratung sehr verdienstlich betätigen […] [und durch] Bestandsaufnahme[,] alle psychisch Anfälligen […] erfassen und so späteren eugenischen Maßnahmen vor[…]arbeiten“. Vgl. Meggendorfer (1931a), S. 122. Diese Aussage Meggendorfers mag Auffschluss darüber geben, dass er die systematische „Dekonzeptualisierung“ des „Erlanger Systems“ der offenen Fürsorge – wie sie von Valentin Faltlhauser (1876–1961) unter der Leitung Einsles betrieben wurde – durchaus befürwortete. Ab Ende 1934 wurde die offene „Geisteskrankenbetreuung“ durch Subventionskürzungen zunehmend reduziert. Vgl. Braun/Kornhuber (2014b), S. 409–410. Zu Valentin Faltlhauser siehe ferner Pötzl (1995). 1089 BayHStA: MK 72096. 1090 Ebd.

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könnte Meggendorfer auf Betreiben Einsles eingenommen haben.1091 Es kam letztlich nicht zur Einrichtung einer „Kinderfachabteilung“1092 an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen. Ob die befürwortende Position Meggendorfers in puncto Einrichtung einer Kinderstation an der HuPflA möglicherweise auf Einsles Druck hin entstand, kann nur spekuliert werden. Sie scheint jedoch die Hypothese Rauhs zu widerlegen, Meggendorfer hätte von einer krankenmord-assoziierten Räumung der Anstalt zu profitieren gehofft.1093 Andererseits erscheint das Eintreten Meggendorfers für eine Kinderabteilung an der HuPflA wenig moralisch wertvoll.1094 Es kann nämlich davon ausgegangen werden, dass Meggendorfer über die „Kindereuthanasie“-Aktionen1095 zumindest partiell informiert war, wurden diese doch „intensiv an einigen Universitätskliniken wissenschaftlich gefördert und begleitet“.1096 1091 „Die Klinikleitung sorgte vorrangig um den Erhalt der Anstalt, als die Belegzahlen 1940/1941 drastisch abnahmen“. Vgl. EN, 24.2.1950: Die der „Euthanasie“ angeklagten Ärzte der Heilund Pflegeanstalt Erlangen beim Prozess in Nürnberg, zit. n. Lehmann (1993b), S. 350. 1092 “Finally, it turned out that Rüdin himself had supported the deadly genetic research on children in Heidelberg from the budget of the German Research Institute, and had himself situated this research within the broader measures aimed at the killing of handicapped children”. Vgl. Roelcke (2014a), S. 14. 1093 Rauh (2016b), S. 283. Unter Verweis auf Rauh findet sich auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ folgende Auslegung: „Die als ‚planwirtschaftliche Maßnahmen‘ deklarierten Abtransporte setzten – bei SS und Wehrmacht hochwillkommene – Raum- und Bettenkapazitäten frei. Auch Meggendorfer nutzte die Gunst der Stunde. Da die Klinik seit ihrer Gründung im Jahr 1903 unter Direktor Gustav Specht (1860–1940) in unzureichenden Räumen der Heil- und Pflegeanstalt untergebracht war, bat Meggendorfer die Fakultäts- und Universitätsleitung darum, die freigewordenen Räumlichkeiten jetzt seiner Einrichtung zu überlassen. Sein Plan ging nicht auf: Die Erlanger Heil- und Pflegeanstalt wurde im Rahmen der NS-‚Euthanasie‘ zur ‚T4-Zwischenanstalt‘“. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. Weiterführend auch S. 464, Fn. 934. 1094 “Effectively, the denial of medical crimes under National Socialism represented an endorsement of a medical science bereft of a patient-oriented and consensual ethics. There was a legacy of the authoritarian pursuit of scientised medicine that could not be questioned from an ethical or evidential basis. The apology resolving this conflict comes late – but not too late in terms of those who were directly affected, who include a handful of expelled doctors, individuals who were sterilised, and close family of victims of ʻeuthanasiaʼ. Given that children became a target group of the human experiments as the war progressed, victims still survive”. Vgl. Kolb et al. (2012), S. 723. Gemäß seiner autobiographischen Reflexionen realisierte Roelcke, “that medicine during the Nazi period was a particularly radical manifestation of problematic potentials in modern medicine in general. Thus, […], we are not seeing something peculiar and specific to National Socialism. We are instead presented with an opportunity to study in microscopic detail the central features and dynamics of such problematic thinking, practices, and attitudes that are less visible but always present in medicine”. Vgl. Roelcke (2014a), S. 17. 1095 Zur Situation in der brandenburgischen Heil- und Pflegeanstalt Görden siehe Beddies (2002). Zur Situation in Berlin siehe Beddies/Schmiedebach (2004). Zur Relevanz der nationalsozialistischen Kinder-„Euthanasie“ für die Sterbehilfe-Debatte siehe ferner Dahl (2001). Zur „Bedeutung der nationalsozialistischen Kindereuthanasie für die gegenwärtige Debatte um Sterbehilfe bei behinderten Neugeborenen“ siehe Lorenz-Stromp (2010). 1096 Cranach/Schneider (2010), S. 20.

4 POSITIONEN IN DER NACHKRIEGSZEIT 4.1 DIENSTSUSPENSION UND ENTNAZIFIZIERUNG Nachdem die Amerikaner am 16.04.1945 Erlangen besetzt hatten,1 musste Meggendorfer am 22.04.1945 mit seiner Ehefrau auf US-amerikanischen Befehl sein Haus in der Schillerstraße räumen,2 um es für die Besatzungsmacht freizugeben.3 Nach einigen Nächten Notlager in der Anatomie4 bezog er mit seiner Ehefrau und

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„Im April 1945 rückten die Fronten näher, und in der Stadt Erlangen wurden die Dächer der Kliniken und Lazarette zum Schutz vor Luftangriffen mit einem Roten Kreuz versehen. Trotzdem befahl die oberste NS-Führung[,] die Stadt im Ernstfall um jeden Preis zu verteidigen und ältere Männer und junge Burschen wurden als letztes Aufgebot als ‚Volkssturm‘ zu den Waffen gerufen. Da […] Lorleberg die Stadt kampflos übergeben wollte, wurde er einen Tag vor dem Einmarsch der Amerikaner hingerichtet“. Vgl. Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM. Zu Werner Lorleberg (1894–1945), Oberstleutnant der Wehrmacht und Kampfkommandant Erlangens siehe ferner Popp (2002) sowie http://www.stadtlexikon.erlangen.de/rech.FAU?sid= DA5AE4697&dm=1&auft=0. Stand vom 26.05.2016. Zur „Übergabe Erlangens durch Lorleberg“ siehe ferner Stadtmuseum Erlangen (1983), S. 98. „Professor L. R. Müller, unser Nachbar entfernte deshalb einige Latten in seinem Zaun, damit einige unserer liebsten Möbel in seinen Garten und später in die Klinik gebracht werden konnten. Aller andere Hausrat musste im Haus zurückgelassen werden. Meine Eltern hatten schöne Möbel, darunter das Biedermeierzimmer mit wertvollen Bildern. In Windeseile hat Mutti deshalb auf alle Möbel, Bilder und andere Wertgegenstände unseren Namen geschrieben, denn die Amerikaner haben die Möblierung oft nicht in den jeweiligen Häusern gelassen, sondern neu verteilt. So konnten wir später einen großen Teil zurückerhalten“. Vgl. Dr. Irmingard DietrichMeggendorfer, ca. April 2010 in FAM. In diesem Kontext könnte folgende ärztliche Bescheinigung für M. G. vom 23.1.1946 gewertet werden: M. G. „war von 1941 bis 1945 wiederholt wegen eines depressiven Zustandes hier in Behandlung. Die Depressionszustände waren meistens durch äußere Schwierigkeiten ausgelöst. Jetzt klagt Frau G. über Angst, noch weiter in der Wohnung eingeengt zu werden, was für sie untragbar wäre. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 391/311; 177/84; 516/423. „In einer eiligen Nachtaktion konnten wir mit einer Schubkarre einigen Hausrat und die wichtigen Sachen aus unserem Haus holen und in Sicherheit bringen. Dann bezogen die Eltern für einige Nächte ein Notlager in der Anatomie“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM.

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drei Töchtern Zimmer in der Nervenklinik5 auf der geschlossenen Abteilung.6 Die Klinik war durch die Bombenangriffe teils beschädigt, aber kontinuierlich als Lazarett in Funktion. Am 27.04.1945 erschien – gemäß eines Aktenvermerkes durch Meggendorfer – „im Hörsaal der Klinik und in [s]einem Dienstzimmer ein amerikanischer Offizier und forderte [Meggendorfer] auf, den Schreibtisch zu öffnen. Nachdem er eine Weile die Akten durchgesehen hatte, suchte er auch die Seitenteile des Schreibtisches durch und fand dabei die seinerzeit vom Nürnberger Sonderfonds der Klinik überlassene Siemens-Schmalfilm-Camera. Nachdem er [Meggendorfer] Vorwürfe gemacht und behauptet hatte, auf den Besitz einer photographischen Camera stünde die Todesstrafe und [Meggendorfer] würde verhaftet, entfernte er sich mit der Camera“.7

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„Nachdem die Amerikaner unser Haus in der Schillerstraße beschlagnahmt hatten, wurden uns für einige Monate als Notunterkunft drei Zimmer einer Station in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik zugeteilt, die im ersten Stock des linken Teils des Nordflügels der ‚Alten Universitäts-Nervenklinik‘ lag und für die man einen großen Schlüssel brauchte. Im Patientenbereich waren bis zu 10 Personen (Schizophrene, manisch-depressive, Epileptiker) in einem Saal untergebracht. Das Krankenhausgelände war von einer Mauer umgeben, die an der Nordseite zum Fluss ein kleines Türchen hatte. Wir hatten einen Schlüssel, damit wir nicht den langen Weg durch den Südflügel zum Haupteingang am Maximiliansplatz machen mussten. Auf dem weitläufigen Anstaltsgelände[,] das durch Mauern und Tore unterteilt war[,] befand[en] sich eine Gärtnerei und landwirtschaftliche Flächen[,] wo Patienten arbeiten konnten. Das dort angebaute Gemüse, Salat und Kartoffeln diente zur Selbstversorgung der Anstaltsküche“. Vgl. Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in ebd. Eine weitere Tochter Meggendorfers erinnert sich an lediglich zwei zur Verfügung gestellte Klinikzimmer: „Im August 1945 klagte Mutti, dass Haus und Garten in der Schillerstraße auf unabsehbare Zeit von den Amerikanern besetzt bleiben würden, viele Möbel verschwunden oder beschädigt seien und vieles andere abhanden gekommen sei. Die Eltern und drei Töchter mussten sich in 2 Zimmern in der Klinik einrichten und fürchteten sich vor dem kalten Winter in den ungeheizten Gängen und dem Leben auf der geschlossenen Männerstation der Psychiatrie. Mutti war froh darüber, wenigstens eine eigene Kochplatte zu besitzen“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, ca. April 2010 in ebd. Vgl. Dies. (2000), S. 56. Hierzu ausführlicher: „Am Sonntag, den 22.04. mussten meine Eltern auf US-amerikanischen Befehl das Haus räumen, um es für die Besatzungsmacht freizugeben. Sie durften nur das Nötigste zum Leben mitnehmen, wie z. B. einiges Bettzeug. Unsere Familie bewohnte eine schöne Villa in einer sehr zentralen, vornehmen Wohnlage.[…]. Nach einigen Tagen Notlager in der Anatomie bezogen meine Eltern ein Zimmer in der Nervenklinik auf einer geschlossenen Abteilung. Die Lebensumstände ‚hinter Gittern‘ waren grauenhaft. Am 08.06. beschrieb meine Mutter die Schicksale der übrigen Kollegen der Universität. Schon damals, also lange Zeit vor den Nürnberger Prozessen, hatten sich einige Kollegen das Leben genommen. Suizid ganzer Familien war keine Seltenheit. Mein Vater war seines Amtes enthoben; da aber eine kompetente Leitung der Klinik erforderlich war, wurde er kommissarisch – ohne jegliche Rechte – wieder eingesetzt. […]. Auch ein Gruß meines Vaters lag diesem Brief bei. In einer sehr deprimierten Stimmung äußerte er sich über den Zusammenbruch und über seine Entlassung. Vgl. ebd, S. 56–57. Zu den Nürnberger Prozessen siehe ferner Grodin/Annas (1996), Katz (1996) und Seidelman (1996) . Der erwähnte beiliegende briefliche Gruß Meggendorfers ist leider nicht erhalten. Zum Thema „Kriegskinder und Kriegsenkel in der Psychotherapie: Folgen der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs erkennen und bearbeiten – eine Annäherung“ vgl. Reddemann (2016). UAE: A6/3i.

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Bis 20.05.1945 geriet Meggendorfer in Kriegsgefangenschaft.8 4.1.1 Zur Situation der FAU in der Zeit der US-Militärregierung Die Universität Erlangen nahm nach Kriegsende unter den bayerischen Hochschulen durchaus eine Sonderstellung ein: anders als die zu etwa 80% zerstörte Universität München und die zu über 90% dem „Erdboden gleichgemachte“ Universität Würzburg war es an der Hochschule Erlangen zu keinen Kriegsschäden gekommen. Doch allein „[d]iese äußerliche Unversehrtheit konnte 1945 […] nicht gleichbedeutend mit der Tatsache eines kontinuierlich aufrechterhaltenen Lehrbetriebs sein“.9 Infolge des US- amerikanischen Reeducation Programmes wurden im Rahmen der „Direktive JCS 1067“ vom April 1945 primär sämtliche Bildungseinrichtungen der US-amerikanischen Zone geschlossen.10 Die Erlanger Militärregierung unter Leitung des 31jährigen Majors Robert C. Adair11 enthob am 31.05.1945 den Philosophen Eugen Herrigel (1884–1955)12 von seinem Amt als Rektor, wobei er weiterhin das Prorektorat inne hatte. Anstelle des Rektorates wurde ein Zehnerausschuss gebildet, der sich – wie bei allen Universitäten in der US-Zone – zusammensetzte aus zwei Professoren pro Fakultät und verantwortlich war für die Entna-

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Zur Verhaftungssituation in Erlangen: „Hier in Erlangen sind der Leiter d. Ohrenklinik Prof. Specht u. Frau, SS-Offizier, Hülfsmann d. Gestapo-Spitzel, ferner Prof. Hauberisser (Zahnklinik), Dr. med. Molitoris, lange Dozentenschaftsführer, ohne je Dozent zu sein, ein weiterer Flegel, abgeführt worden u. fortgebracht. Niemand trauert ihnen nach. Anders bei d. Kinderarzt Prof. Viethen (Kinderklinik). Aber er war ebenfalls SS-Offizier u. Organ des Sicherheitsdienstes“; siehe Notiz von Guttenberg, zit. n. Lehmann (1996), S. 42. Erich Freiherr von Guttenberg (1888–1952) leitete von 1924–1935 das Bayer. Kriegsarchiv, wurde 1936 ohne Habilitation an den Erlanger Lehrstuhl für mittelalterliche und neuere Geschichte berufen. „Was Guttenberg für eine Tätigkeit in Erlangen prädestinierte, war die Verbindung einer breiten mediävistischen Kompetenz mit umfassenden landesgeschichtlichen Kenntnissen des fränkischen Raumes“. Vgl. Lenger (2000), S. 276. Zu Guttenberg siehe ferner S. 655. Zur Rolle Albert Viethens (1897–1978) bei den NS-Verbrechen an Kindern weiterführend mitunter folgendes Schreiben Viethens als Leiter der Universitäts-Kinderklinik und kinderärztlichen Poliklinik Erlangen an die Heil- und Pflegeanstalt Ansbach vom 01.02.1943: „Kind Christine R., geb. 11.9.41, Vater Andr. R, Buchhalter in Nürnberg, wurde in der Univ. Kinderklinik, Erlangen kinderärztlich untersucht. Es liegt ein Hydrocephalus internus, sowie eine völlige Idiotie mit Krampfneigung vor. Ich halte die Überweisung in die Heil- und Pflegeanstalt Ansbach für dringend erforderlich. Heil Hitler! Viethen“. Vgl. Krankenakte Christine R. der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach, zit. n. Hornegger J., Schirmherr. Im Gedenken der Kinder. Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit, 09 –22.07.2016, Ev.-ref. Hugenottenkirche Erlangen, Ausstellungsflyer. Weiterführend zu Viethen siehe auch Bussiek (2005). 9 Müller (1993), S. 127. 10 „[I]m Sommersemester 1945 ruhte der Universitätsbetrieb“. Vgl. https://www.fau.de/ universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. 11 Weiterführend hierzu auch Fouse (2005), S. 284. Siehe ferner Howell (2016). Weiterführend zur US-Politik in der amerikanischen Besatzungszone siehe auch Wheeler (1958), Dorn (1973), Latour/Vogelsang (1973) Hudson (2001), Schrenck-Notzing (2010) und Gerund (2015). 12 Siehe hierzu Klee (2003), S. 247.

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zifizierung von Lehrkörper und Personal sowie für die Wiedereröffnung der Universität.13 „Mit der Berufung des Juristen Süss14 als neuen Rektor ab 01.10.1945 war die Tätigkeit des ‚Zehnerausschusses‘ weitgehend beendet (am 12.12.1945 förmlich suspendiert)“.15 Nach Müller war ein derartiges „Spannungsfeld von Pragmatismus und Rigorismus“16 nicht Erlangen-typisch, sondern lässt sich vielmehr auch an anderen Hochschulen feststellen.17 Im Verlauf des Jahres 1946 wurde Kritik laut in Bezug auf die Entnazifizierungspraxis18 an den Universitäten in den US-Zonen. „Verein zur Rettung Schiffbrüchiger“19 wurde die Berufungskommission genannt, welche ab Januar 1946 dem Erlanger Rektor beigeordnet war. Nach Auflösen des Universitätsausschusses prüfte die Berufungskommission die Anträge auf Wiedereinstellung entlassener Mitglieder der Universität.20 Mehr als die übrigen Eliten der deutschen Nachkriegsgesellschaft21 – so Wolgast – hätten „[v]on ihrem traditionellen Selbstverständnis her […] die Hochschullehrer […] zu rationaler Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich befähigt sein

13 Vgl. Friederich (1996), S. 374. 14 „Neben Althaus geriet 1946 der erste – von der Militärregierung eingesetzte – Nachkriegsrektor der Universität Erlangen, Theodor Süss [1892–1965], in die politische Diskussion“. Vgl. Müller (1993), S. 132. Kritisiert wurden insbesondere dessen Ausführungen zur Schuldfrage im Rahmen der Universitätswiedereröffnung am 5. März 1946. Vgl. Wolgast (2001), S. 316. Am 31.05. 1946 wurde Süss als Ministerialdirektor in die Hochschulabteilung des Bayerischen Kultusministeriums berufen. Vgl. https://www.fau.de/universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. 15 Lehmann (1993b), S. 366. 16 Müller (1993), S. 131. 17 Vgl. ebd. 18 Zu den NS-Prozessen und der Reaktion der deutschen Öffentlichkeit während Besatzungszeit, früher Bundesrepublik und DDR siehe ferner Osterloh/Vollnhals (2011). 19 „35 Professoren und Assistenten [Psychiater, Anthropologen, Eugeniker], die maßgeblich an den Gesetzesentwürfen für die Aussonderung, Diskriminierung und Vernichtung mitgearbeitet hatten, oder seinerzeit als Experten und Gutachter in den Kommissionen saßen, besetzten im Jahre 1955 Lehrstühle an den bundesdeutschen Universitäten. Fünf weitere hatten hohe Posten im Gesundheitswesen verschiedener Länder inne“. Vgl. Segal (1991), S. 176. 20 Vgl. Müller (1993), S. 131. Zum „Ergebnis einer Untersuchung aller Angestellten der [Erlanger] Universität durch eine Sonderkommission der Militärregierung“ mit der „Entlassung von 76 Professoren, Assistenten und anderen wissenschaftlichen und administrativen Hilfskräften“ vgl. Lorent (2017), S. 216. 21 Weiterführend empfohlen sei Frei (2014). „Wie geht man mit Krieg und Kollaboration, Massenmord und Vertreibung, Zwangsarbeit und Raubwirtschaft um? Vor diese Frage sahen sich nahezu alle europäischen Gesellschaften am Ende des Zweiten Weltkrieges gestellt. Die Antworten fielen dabei keineswegs einheitlich aus und variieren innerhalb eines breiten Spektrums zwischen Vergeltung und Verarbeitung. Ihr gemeinsamer Nenner war der Rückgriff auf strafrechtliche Mittel. Vor ordentlichen Gerichten und außerordentlichen Tribunalen mussten sich europaweit Angeklagte verantworten, erklären, rechtfertigen. Dabei ging es ebenso um die Wiederherstellung des Rechts wie darum, Rufe nach Gerechtigkeit zu befriedigen und politische Legitimation herzustellen“. Vgl. Priemel (2017), Zusammenfassung.

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müssen“.22 Den Grund hierfür sieht Wolgast in der Tatsache, dass jegliche wissenschaftliche Arbeit sui generis der Objektivität, Nüchternheit und Wahrhaftigkeit verpflichtet ist. Da jedoch die Universitäten als staatliche Institute im Vergleich zu den Kirchen direkter in das Regime involviert waren, zeigte es sich für die Repräsentanten der Hochschule deutlich problematischer, den oben genannten Grundprinzipien wissenschaftlichen Vorgehens treu zu bleiben bei ihrem Rückblick auf die NS- Vergangenheit.23 „Wer von ihnen am Ende des Dritten Reiches im Amt war, musste sich mindestens Passivität vorwerfen bzw. vorwerfen lassen“.24 Sämtliche Reden zur Wiedereröffnung der deutschen Universitäten 1945/46 thematisierten ausschließlich die politische Katastrophe Deutschlands, „während die geistige Katastrophe nur sehr teilweise akzeptiert wurde“.25 Eine ernsthaft kritische Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie oder entsprechende Ursachenforschung lassen sich nach Hammerstein nicht verzeichnen: „Der Nationalsozialismus erschien fast überall nicht ‚als pervertierende historische Folge, sondern als fatale Abirrung‘ vom humanistischen Ideal, dessen Werte ‚Freiheit, Menschenwürde, Toleranz, soziale Verantwortung, Rechtlichkeit und Gerechtigkeit‘ waren“.26

Die Stellungnahme des Erlanger Rektors Süß im Rahmen seiner Eröffnungsrede am 05.03.1946 stand im Kontext der Niemöllerschen Ausführungen zur Schuldfrage27 von Februar 1946 und fokussierte auf juristische Aspekte. Demgemäß bildete die Schuldeinsicht eine unbedingte Voraussetzung für das Wiedererlangen einer Gleichberechtigung Deutschlands in der Völkergemeinschaft. Schuld konzeptualisierte Süss unter Einbezug der Generationenfrage; die Studentengeneration von 1945/46 konnte nach Süß keine Schuld treffen. Süss differenzierte zivilrechtliche, strafrechtliche, moralische und theologische Gesichtspunkte als vier Aspekte von Schuld und Verantwortung.28 Nach Wolgast sah Süß auch die rein nominellen Parteimitglieder „sowie alle, die sich passiv verhalten und durch Nichtstun Herrschaft 22 Wolgast (2001), S. 287. Empfohlen sei ferner die Abhandlung zu „Nationalsozialismus und Wissenschaft“ von Pernkopf (1938). Zudem sei verwiesen auf Kreutzberg (1990) und Leaning (1996). In Bezug zu den „Erlanger Historiker[n] in der nationalsozialistischen Diktatur“ sei verwiesen auf Lenger (2000). Zu „Wissenschaft im 20. Jahrhundert: Universitäten in der modernen Wissenschaftsgesellschaft“ vgl. Reulecke/Roelcke (2008). 23 Zur „Vergangenheitspolitik in der universitären Medizin nach 1945“ siehe ferner OehlerKlein/Roelcke (2007). 24 Wolgast (2001), S. 287. Siehe auch Benz (2012). 25 Wolgast (2001), S. 328. 26 Hammerstein (1989), S. 686, zit. n. ebd. 27 „Unter theologischer Schuld verstand Süß das Schuldbekenntnis [Wilhelm] Niemöllers [1898– 1983], der jeden unterschiedslos aufgefordert hatte, sich schuldig zu fühlen. Dieser Aspekt war für den Erlanger Rektor gänzlich von den anderen Schuldausprägungen zu trennen und als ‚interne Gewissensfrage‘ von jedem mit sich selbst abzumachen – irgendwelche äußeren, fremdbestimmten Konsequenzen konnte es hier nicht geben. Ausdrücklich lehnte Süß jedoch die Verquickung von theologischer Verantwortung mit der Ehre der Nation oder des Einzelnen ab“. Vgl. ebd., S. 317. Weiterführend empfohlen seien Süß (1947) und Niemöller (1954). Zu Niemöllers älterem Bruder Martin (1892–1984) sei verwiesen auf Heymel (2017). 28 „Zivilrechtlich eine Kollektivperson zur Haftung für Schäden verantwortlich zu machen, war von der Rechtslehre gedeckt – die auf diesen Titel gegründeten Reparationen konnten mithin

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und Verbrechen der Nationalsozialisten ermöglicht hatten“29 als Verantwortliche: „Jeden trifft Schuld,30 der die Atmosphäre, den Geist […] tatenlos geschehen ließ, aus dem das Unheil entstand“.31 4.1.2 Zur Nachkriegssituation an der HuPflA Auf Weisung der Amerikanischen Militärregierung kam es am 15.06.1945 zur Inspektion32 der Heil- und Pflegeanstalt. Über 100 Patientinnen und Patienten präsen-

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nicht bestritten werden. Auf der strafrechtlichen Verantwortung beruhten die gegenwärtigen ‚Kriegsprozesse‘; ob es in diesem Rahmen eine Kollektivverantwortung gab, wie sie in Nürnberg gegenüber den angeklagten Organisationen zu Grunde gelegt wurde, erklärte Süß als eine ‚rechtsphilosophisch subtile Frage‘, die strittig sei und auf die er nicht weiter einging. Stattdessen konzentrierte er sich auf die moralische Verantwortung. Ein Volk war moralisch für seine Regierung verantwortlich; gleichwohl musste zwischen Kollektivum und Individuum unterschieden werden. Kollektivschuld war etwas anderes als die Summe der Individualschulden; aus der moralischen Schuld des Kollektivums durfte nicht auch die moralische Schuld des Individuums abgeleitet werden, die Verantwortung des Ganzen war nicht deckungsgleich mit der Summe der Einzelverantwortungen. Allerdings durfte diese Unterscheidung nicht zur Exkulpation benutzt werden“. Vgl. Hammerstein (1989), S. 316. „Im Kriege erleben viele Menschen eine Umwertung sonst gültiger moralischer Werte und sozialer Gesetze. […]. Die Gesetze des Krieges widersprechen den Erfahrungen, Anpassungen und Erziehungsidealen der Friedenszeit […]. Gemeinsam ist der Sozialstruktur antisozialer wie kriegsführender Gruppen eine strenge Führung und Unterordung mit blindem Gehorsam. Der bis zum Zwang zu moralisch verwerflichen Handlungen reicht“. Vgl. Jung (1961), S. 568. Wolgast (2001), S. 317. “I once read a dissertation – from the University of California, I think – by a psychiatrist who maintains that the sense of morality was not impaired in these killers. They knew how to differentiate between good and evil. Their sense of reality was impaired. Human beings were not human beings in their eyes. They were abstractions. This is the legacy of the Nuremberg Tribunal and the Nuremberg Code. The respect for human rights in human experimentation demands that we see persons as unique, as ends in themselves”. Vgl. Wiesel (1992), S. IX. Siehe ferner Baader (1982) und Burleigh (1994), insbesondere S. 93–129. Empfehlenswert ferner Benzenhöfer (1998) und (2000a) sowie Burleigh (2000). Wolgast (2001), S. 317. „Auf Grund vorstehender Einladung nahm der Unterzeichnete zusammen mit den dort genannten Herr[e]n an der Besichtigung der Heil- und Pflegeanstalt teil. Zu Beginn der Führung, die sich nur auf eine kleine Abteilung erstreckte, führte Captain Dye aus, dass auf Grund einer Weisung des Staatsministeriums des Innern vom Dezember 1942 unheilbare Geisteskranke infolge des Entzuges jeglichen Fettes sowie Fleisches und auf Grund der absichtlich vitaminarm gehaltenen Ernährung in einer größeren Zahl langsam aber sicher verhungert seien. Jetzt sei zwar nach dem Einmarsch der Amerikaner von der Anstaltsleitung diese fettlose und vitaminarme Kost aufgegeben worden, aber noch immer sei eine Zahl von mehr als 100 Frauen und Männer so abgemagert und unterernährt, dass ein Teil von ihnen unrettbar dem Tode verfallen ist. Anschließend wurden die am meisten abgemagerten Frauen, die alle fest zu Bett liegen [sic], gezeigt. Auf Grund der Vorkommnisse wurden der Direktor der Anstalt Medizinalrat Dr. Einsle und sein Stellvertreter Dr. Müller, ebenso Inspektor Pöflinger verhaftet“. Vgl. Order der Amerikanischen Militärregierung, gez. Robert C. Adair und Bericht des Oberbürgermeisters,

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tierten sich in einem derart abgemagerten und unterernährten Zustand, dass unvermeidlich der Exitus zu resultieren schien. Infolge dieser Ereignisse wurden die Psychiater Wilhelm Einsle und Hermann O. J. Müller verhaftet. Einsle als Anstaltsdirektor wurde im Rahmen der Entnazifizierung seines Amtes enthoben. Seine Position erhielt Werner Leibbrand (1896–1974), der von den Besatzungsbehörden als „Anti-Nazi ernst genommen“33 wurde und sich „als [ihr] treuer Helfer […] bei der schwierigen Entnazifizierung des örtlichen Verwaltungsapparates sogleich aus[zeichnete]“.34 Ende Mai 1946 wurde der nichthabilitierte Leibbrand zum Honorarprofessor für Geschichte der Medizin berufen, „[d]amit hatte er einen akademischen Status in der Universität Erlangen, was offensichtlich im Interesse der Militärregierung lag, die ihn sehr schätzte und dann als Vertreter der Universität in den Vorprüfungsausschuss berufen konnte“.35

Der stellvertretende Anstaltsdirektor Müller beging am 14.06.1945 Suizid.36 4.1.3 Meggendorfer vor Hochschulausschuss und Spruchkammer Meggendorfer war zwar seines Amtes enthoben, wurde aber zur Gewährleistung der klinischen Versorgung kommissarisch – ohne jegliche Rechte – wieder eingesetzt.37 Im Juli 1945 war Meggendorfer für circa drei Wochen in Untersuchungs-

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gez. Dr. Ohly. Erlangen, 02.07.1945. Vgl. Stadtarchiv Erlangen, 94/790, zit. n. Lehmann (1993b), S. 350. Mildenberger (2007), S. 60. Siehe ferner auch Kudlien (1986) und Frank (2016). Mildenberger (2007), S. 60. Jasper (2013), S. 334. Vgl. StBN: Staatsanwaltschaft b.d. LG Nbg.-Fürth II 2343. II, zit. n. Siemen (1999), S. 172. „Zweifellos wussten Ärzte und Pfleger der Erlanger ‚Heil- und Pflegeanstalt‘ über den Zweck der Verlegung von vermutlich über 900 Psychiatriepatienten zwischen November 1940 und Juni 1941 Bescheid, die aus Erlangen und, zum Teil aus ländlichen Pflegeanstalten kommend, über Erlangen in sog. Zentralanstalten gebracht worden waren. Trotzdem widersetzten sie sich der von den Sonderkommandos getroffenen Auswahl von Kranken nicht, sondern bereiteten die Transporte befehlsgemäß vor. Die Klinikleitung sorgte vorrangig um den Erhalt der Anstalt, als die Belegzahlen 1940/1941 drastisch abnahmen. Schließlich mussten weitere ca. 300 Geisteskranke eines Hungertodes durch die Verabreichung von sog. B- Kost – einer fett- und fleischlosen, vitaminarmen Ernährung – sterben, als man auf den Protest der Kirchen hin seit 1942 zu dieser ‚unauffälligeren‘ Todesart überging. Mangels eindeutiger Beweise wurden die Erlanger Ärzte in zwei Prozessen jedoch freigesprochen. Die Anklage war mit 7 Transporten von ingesamt 899 Kranken in Vernichtungsanstalten und 660 Fällen Beihilfe zur Tötung von Geisteskranken begründet worden. Doch Zeugen hatten glaubhaft versichert, dass Patienten gegen Todkranke aus den Universitätskliniken ausgetauscht worden waren, um die erwartete Todesrate einzuhalten. Für Dr. Müller, der die Anordnung durch vorgetäuschte Befehlserfüllung sabotiert haben soll, kam der Freispruch durch die Nürnberger Hauptspruchkammer freilich zu spät“. Vgl. EN, 24.2.1950: Die der „Euthanasie“ angeklagten Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen beim Prozess in Nürnberg, zit. n. Lehmann (1993b), S. 350. „Im Mai 1945 verlor Vati seinen Lehrstuhl an der Universität und wurde von den Amerikanern auch als Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik abgesetzt. Die Leitung der Klinik

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haft, wurde aber anschließend vorläufig in seinem Amt bestätigt. In seiner Vernehmung vor dem Universitätsausschuss unter Professor Paul Althaus (1888–1966)38 als Präsidenten des Universitätsausschusses39 hatte Meggendorfer betont, er habe regelmäßig mit seiner Familie den sonntäglichen Gottesdienst besucht. Dies sei ihm von Parteistellen, wo ab 1937 die kirchenfeindliche Richtung40 deutlicher hervorgetreten sei, verübelt worden. Er habe sich zunehmend von den immer radikaler auftretenden Bestrebungen der Partei distanziert – wurde an den jüngsten Assistenten Dr. Hofmeister, der aber keine Erfahrung als Klinikchef hatte übergeben. Dann kam Vati für drei Wochen in Kriegsgefangenschaft, wurde aber am 20. Mai wieder entlassen. Da sich bald herausstellte, dass Dr. Hofmeister mit der Klinikleitung überfordert war, wurde Vati wieder als angestellter Leiter wiedereingesetzt. Unter dem Verlust des Lehrstuhls und der Anschuldigungen hat Vati sehr gelitten“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM. „Von der schweren Depression hat sich Vati nie mehr richtig erholt“. Vgl. ebd. Zur Rolle von Resilienz bei der Prophylaxe von Depression siehe Jeste et al. (2013) und Braun/Kornhuber (2013d). Die Personalakte Meggendorfers enthält ein von Althaus gezeichnetes Schreiben des Prorektors Herrigel vom 22.08.1945, wonach „[d]er Ausschuss [Meggendorfer] […] im Auftrag der Militärregierung mitteilen [muss], dass [er] gemäß [der] neuen Richtlinien vorläufig in [seiner] Stellung nicht belassen werden k[a]n[n]. Endgültige Regelung bleibt vorbehalten. Berufung kann bei Bayer. Landesregierung und bei der Militärregierung Erlangen über den Ausschuss eingelegt werden“. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M 46. 38 Ordinarius für Systemische und Neutestamentarische Theologie in Erlangen von 1925 bis 1956. „Ein persönliches Schuldbekenntnis von Althaus – etwa in Hinblick auf das mit Elert zusammen erstellte Gutachten zum ‚Arierparagraphen‘ vom 25.9.1933, das Judenchristen keine kirchlichen Ämter zugestehen wollte, oder auf seine Theologie der Schöpfungsordnung mit ihren Wertbegriffen von Blut, Volk und Rasse und deren prägenden Einfluss auf junge Thelogen – wird man hier und anderswo allerdings vergeblich suchen. In einem Aufsatz über das Thema ,Schuld‘ erklärte sich Althaus 1946 zwar einer ,Schuldgemeinschaft‘ zugehörig, von deren Tätern er sich distanzieren könne, aber nicht von deren innerer Verfassung, die in solchen Taten nur zum Vorschein gekommen sei; er betonte jedoch, dem ,Erkennen und der Justiz einer menschlichen Instanz‘ sie diese Schuldgemeinschaft entzogen“. Vgl. Haaß (1996), S. 624. Elert führte seine völkisch-nationale Theologie weiter aus: „Was der Kirche, die nicht Theokratie, sondern Bekenntniskirche sein will, gewährt wird, wird nicht einer volksfremden Macht gewährt. Sie ist nicht nur in gewissem Sinne, sondern vollkommen deutsches Volkstum, nämlich dasjenige, das den Ruf Gottes vernommen, aufgenommen hat, das Gott fürchtet, liebt und ehrt und das, weil es Gott fürchtet, sonst nichts in der Welt fürchtet noch zu fürchten hat“. Vgl. Elert (1934), Vorwort. 39 „Sechs Wochen nach der Besetzung Erlangens durch amerikanische Truppen verfügten diese zum 31.05.1945 die Schließung der Universität. Als Führungsgremium der Universität wurde ein Universitätsausschuss gebildet. Ihm gehörten zehn ‚unbelastete‘ Professoren – aus jeder Fakultät zwei Ordinarien – an […] Althaus wurde zugleich der Vorsitz des Ausschusses übertragen“. Vgl. Jasper (2013), S. 320. Zu den Aufgaben des Universitätsausschusses gehörte es, die Einstellung des Lehrbetriebes umzusetzen, die Anordnungen der Besatzungsmacht durchführen zu lassen und der Militärregierung Empfehlungen bei der Entnazifizierung des Universitätspersonals vorzulegen. Die empfehlenden Stellungnahmen betrafen neben Meggendorfer noch 22 weitere Professoren; 72 Professoren plante die Militärregierung nahtlos weiter zu beschäftigen, sofern der Universitätsausschuss kein Veto einlegte. Vgl. ebd. 40 „Humanistische oder christliche Überzeugungen sollten durch die Einsicht in die rassische Ungleichheit und das Recht des Stärkeren, sich durchzusetzen, abgelöst werden“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 21.

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„z. B. hinsichtlich der sogenannten [,]Euthanasie[‘]. Diese Bestrebungen wurden von mir abgelehnt. Auch meine Ärzte ließ ich darüber nicht im Unklaren. Von mir wurden auch derartige Dinge nicht verlangt; ich hörte nur gerüchteweise davon; aber auch die Gerüchte belasteten mich schwer“.41

Um diese Bestrebungen zu stoppen, „sei [Meggendorfer] auch einmal in München vorstellig geworden“42 – so Althaus43 an die Militärregierung am 14.08.1945. Dieses Argument Meggendorfers lässt sich nicht validieren. Ein möglicher Grund hierfür könnte darin bestehen, dass – gemäß Gerhard Koch (1913–1999),44 Facharzt für Neurologie und Psychiatrie ab 1948 und späterem Leiter des neu etablierten Erlanger Instituts für Humangenetik45 und Anthropologie (1965–1978) –46 „viele […] Schritte – wegen der in der Diktatur des ‚Dritten Reiches‘ herrschenden Zustände (Nachrichtensperre, Briefzensur, polizeiliche und politische Überwachung der Anstalten) – nicht schriftlich fixiert werden konnten“.47

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StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Ebd. Siehe weiterführend auch Jasper (2015). Gerhard Koch war einstiges Mitglied der NSDAP, der Sturmabteilung (SA) und SS. Vgl. Klee (2003), S. 323. „Berufsziel 1939 in DFG-Personalbogen: ‚Rassenhygieniker‘“. Vgl. ebd. „1939/40 DFG-Stipendiat [für] Untersuchungen über die Erblichkeit der symptomatischen Epilepsie (aus der Psychiatrie in Rostock)“. Vgl. ebd. Ab 1942 externer Mitarbeiter am KWI für Anthropologie. Vgl. ebd. Dissertation 1940 in Breslau zur Erblichkeit der Sturge-Weberschen Krankheit, Habilitation 1955 über Krampfbereitschaft und ihre genetischen Grundlagen. Gemäß seinem „Personalbogen für Beamte“ wurde Koch am 20.05.1947 auf Entscheidung der Spruchkammer des Badischen Ministerium des Innern unter der „Nr. 32788“ als „Mitläufer“ eingestuft. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 1872 a. Aus Kochs Schrifttum sei verwiesen auf Koch (1940a), (1940b), (1941), (1942), (1955) und (1965). 45 In umgekehrter Richtung zeigt sich auch bei den Genetikern ein Interesse an psychiatrischen Fragestellungen. So lieferte z. B. der schwedische Genetiker Gunnar Dahlberg einen Vorschlag zur Therapie des manisch-depressiven Irreseins. Vgl. Dahlberg (1943). 46 Hierzu empfehlenswert Roelcke (2007a). 47 Koch (1990), Vorwort, S. 3. Eine Art „Briefzensur“ zum Zwecke einer psychopathologischen (Verlaufs)beurteilung gab es allen Anschein nach auch in der Klinik Meggendorfers: in der Akte der „Paraphrenie“-kranken G. A. finden sich drei unverschlossene Briefe an den Geschäftsleiter/Geschäftsstellenleiter/Geschäftsführer der Erlanger Neuesten Nachrichten sowie ein verschlossener Brief. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 353/249. Die in den Beständen der Psychiatrischen und Nervenklinik enthaltene Dokumentation zur Anstaltspatientin F. B. gewährt uns einen Einblick in die HuPflA-Praxis der „Briefzensur“: „In den Briefen vom 16.11. (Vgl. Anlage) äussert sie paranoide Ideen.[…]. Aus einem Brief an ihre Schwester, den sie heute abgab (vgl. Anlage) geht hervor, dass ihrer Ablehnung Wahnvorstellungen zugrunde liegen. Man will sie ,absichtlich krank machen‘, ihr ,solche Anfälle aufzwingen‘“. Vgl. APNK/HuPflA, Aufnahmenr.: 32060. Integriert in Akte der F. A. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 975; 252/161;158/58; 316/212. Zur Fortführung der EKT-Behandlung bei F. B. infolge der Bewertung ihrer Ablehnung als wahnbedingt siehe S. 471. Das Öffnen der Patientenkorrespondenz war – zumindest in Ausnahmefällen – auch an der Klinik im Zeitraum vor Meggendorfers Leitung üblich – nicht nur bei den von Patienten verfassten Dokumenten, sondern auch, sofern die Patienten Empfänger waren. Hierüber gibt ein Beschwerdeschreiben des S. G. an Gustav Specht Auskunft: Es finden sich in der Akte Hinweise darauf, dass es sich bei S. G. um den Verwandten einer Klinikpatientin handelte, welcher mit einer Mitpatientin seiner

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In Anbetracht der bislang unzureichend aufgearbeiteten Rolle Kochs während der NS-Zeit gilt es, seine oben angeführte Aussage kritisch zu hinterfragen.48 Zusätzlich muss betont werden, dass „der Ausschuss sicherlich – auch aufgrund kollegialer Kenntnisse und Kontakte – eher entlastendes Material gegenüber den oft nur formalen Entlassungsargumenten – Dauer der Parteimitgliedschaft, Leitungsfunktionen etc. – vorgetragen [hat]“.49

Meggendorfer betonte im Rahmen der Entnazifizierung,50 ein Austritt aus der Partei hätte die Vernichtung der eigenen Existenz und der seiner Familie bedeutet. Anfänglich habe er gehofft, die „Übergriffe usw. wären nur Übergangserscheinungen, lokaler Übereifer usw“.51 In den Kriegszeiten sei er aufgrund der beruflichen Inanspruchnahme ohnehin kaum zur Besinnung gekommen. Seine Stellung zum Nationalsozialismus und zur Partei beschrieb Meggendorfer folgendermaßen:

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Angehörigen brieflich zu korrespondieren versuchte: „Der am 15.5.34 an Frl. O. L. durch die Post übersandte Brief, ist geöffnet an meine Adresse zurückgesandt worden. Sollte die Öffnung durch eine andere Person als Adresat [sic] geschehen sein, was ich aus der Antwort entnehmen musste[,] liegt hier ein Verstoß gegen das Postgeheimnis vor. Die Stellungnahme zu diesem persönlichen Brief durch Herrn Prof. Dr. Specht stellt eine Beleidigung dar, die sich Herr Prof. Dr. Specht in keinem Fall zu erlauben hat; deren jur. Weiterung [sic] ich mit vorbehalte. Frl. O. L. hat mir beim Abschied in Nürnberg erklärt, dass sie sich auf drei Tage zur Untersuchung an die Nervenklinik begiebt [sic] (mein Schreiben v. 26.5.34). Es sind seitdem mehr als drei Wochen vergangen ohne dass ich irgend eine Nachricht ihrerseits erhalten konnte. Frl. O. L. erklärte mir[,] dass Sie nicht unter Vormundschaft steht, am hiesigen Gericht ist ebenfalls nichts bekannt. Ein längerer Verbleib in der Klinik ist also nur unter ausdrücklichem Einverständnis möglich. Im Fall [, dass] eine Vormundschaft vorliegen würde, wäre ein gerichtlicher Entscheid über ihren längeren Aufenthalt notwendig. Ich erwarte daher von Ihnen eine ausreichende Erklärung über den Verbleib von Frl. O. L.[,] da sonst für mich die Annahme nicht ausgeschlossen ist[,] dass eine akute Freiheitsberaubung vorliegt. Auf Grund von Erklärungen von Frl. O. L. […], Beobachtungen von meiner und anderer Seite, weiterhin Aussagen einer Verwandten des H. Schobert [] gegenüber mir bekannten Personen, sehe ich mich aus rein menschlichen Gründen gehalten, mich um Frl. O. L. anzunehmen. Ich bitte Sie daher nochmals ebenso höflich als dringend um ausreichende Erklärungen über den Verbleib v. Frl. O. L., da ich mich im anderen Falle veranlasst sehe[,] die Angelegenheit der Polizei zu übergeben, und juristische Weiterungen einzuleiten. Mit deutschen Gruß“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 151/55; 163/67. Frau O. L. wurde am 15.06.1934 gegen ärztlichen Rat von ihrer Mutter abgeholt und war erneut in der Klinik von 18.06.1934 –19.06.1934. Zur „Übergangszeit“ der „Ära der Klinikleitung“ durch Specht zur „Ära der Klinikleitung“ durch Meggendorfer im Zeitraum von Anfang April bis Ende September 1934 siehe S. 375. Als biographischer Hintergrund wichtig ist der Aspekt, dass ein Familienangehöriger Kochs 1941 aufgrund einer endogenen Psychose „in der Reichsanstalt Brandenburg/Havel ermordet“ worden sei und ein weiterer Familienangehöriger als „asozialer Psychopath“ 1943 im Konzentrationslager Sachsenhausen – Oranienburg verstorben sei – so Koch in seinem Vorwort zu „Euthanasie, Sterbehilfe. Eine dokumentierte Biographie“. Vgl. Koch (1990), S. 3. Jasper (2013), S. 321. Siehe fener Schuh (2013). Interessant auch Deissler (2004). StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII.

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„während ich anfangs glaubte,52 manches wäre recht und gut und der Nationalsozialismus würde uns aus der Tiefe herausführen[,] musste ich immer mehr erkennen, dass ich mich getäuscht hatte und wir betrogen worden waren“.53

In den ersten Besatzungswochen wurden nur die Personen verhaftet, welche bereits vor dem 01.04.1933 NSDAP-Mitglieder geworden waren. Am 07.07.1945 erließ das Hauptquartier der amerikanischen Truppen eine Direktive zur Vereinheitlichung der Entnazifizierung. Demgemäß sollten alle einstigen NSDAP-Parteigenossen entlassen werden, deren Parteieintritt bis zum 01.05.1937 stattgefunden hatte.54 Am 14.08.1945 schrieb der Präsident des Universitätsausschusses an die Militärregierung, der Ausschuss setze sich mit besonderer Wärme für Meggendorfers Belassung im Amt ein.55 Der Präsident hob Meggendorfers Verdienste um Forschung und Lehre hervor. Am 19.11.1945 wurde Meggendorfer kurz vor Erreichen der Altersgrenze „[a]uf Weisung der Militärregierung vom 31.10.1945 – AG 014.311–GNMCU–4– […] mit sofortiger Wirkung […] von [seinem] Dienst als ordentlicher Professor in der Medizinischen Fakultät der Universität Erlangen enthoben“.56

In dieser Verfügung war bemerkt, dass „die endgültige Regelung [seines] Dienstverhältnisses vorbehalten bleibe“.57 Am 15.05.1946 befürwortete der „Berufungsausschuss im Wiedereinstellungsverfahren“ – bestehend aus „Prof. Dr. Eduard Brenner,58 Prof. Dr. [Rudolf] Pummerer,59 Prof. Dr. [Werner] Leibbrand und Bauführer Hörner“60 – Meggendorfers Rehabilitierung. Begründend führte der Berufungsausschuss61 an, Meggendorfer 52 Der Parteieintritt war erfolgt zum 01.05.1933. Siehe hierzu ferner S. 93, Fn. 383. 53 StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII 54 Vgl. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel 46003#3. Stand vom 09.01.2015. 55 Im Zeitraum seiner vorläufigen Belassung im Amt erhielt Meggendorfer u. a. auch das „Einschreiben eines Beschwerdebriefes des Ehemannes [einer Patientin] wegen Verlausung der Leibwäsche seiner Frau S. A.“ vom 15.09.1945. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 486/393. 56 UAE: A2/1 Nr. M. 46. Die Angabe Klees zu der von „1934 bis 1947“ währenden Ordinariatszeit Meggendorfers lässt sich nicht nachvollziehen. Vgl. Klee (2001), S. 212. 57 BayHStA: MK 44017. 58 Eduard Brenner (1888–1970), Rektor der Universität Erlangen 01.08.1946–SS 1948, ab 1945 kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Anglistik in Erlangen. Ab 01.09.1946 leitete Brenner den neu geschaffenen Lehrsuhl für amerikanische Kulturgeschichte, er war nicht hablitiert, zeigte sich „ohne braune Flecken“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 221. Zu „Anglistik und Amerikanistik im ,Dritten Reich‘“ siehe ferner Hausmann (2003). 59 Rudolf Pummerer (1882–1973), Ordinarius für Chemie an der Universität Erlangen von 1925– 1952, Rektor der Universität Erlangen im Studienjahr 1931/32. Vgl. http://www.historischeslexikon-bayerns.de/artikel/artikel_46003#3. Stand vom 09.01.2015. 60 StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 61 „Brenner war von [dem durch die US-Militärregierung als Nachkriegsrektor eingesetzten, 53jährigen, nicht habilitierten Juristen Theodor] Süss als Vorsitzender des ‚Berufungsausschusses im Wiedereinstellungsverfahren der Universität Erlangen‘ eingesetzt worden. Dieser Ausschuss tagte ab Januar bis Mitte 1946. Beisitzer waren [der habilitierte Praktische Theologie und ehemalige Stadtpfarrer der Altstädter Kirche Wolfgang] Trillhaas, (dann Leibbrand) und

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habe sich auch in seinen Vorlesungen,62 „selbst in solchen über Eugenik“63 in den Grenzen der anerkannten Wissenschaften gehalten und habe sich niemals zu der politischen Anwendung der Rassenhygiene „herbei gelassen“.64 Zu Meggendorfers Gunsten wurde auch festgestellt, dass er, „obwohl er am Anfang an die guten Absichten der NSDAP glaubte, sich durch die späteren Verirrungen der nationalsozialistischen Ideen über Eugenik nicht verführen ließ“:65

Abb. 54a: Stellungnahme StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII 66

62

63 64 65 66

Dr. Bart“. Vgl. Sandweg (1996), S. 395. Die Person des „Dr. Bart“ lässt sich aktuell nicht näher zuordnen. „In den Vorlesungen, die Vati an der Psychiatrischen Universitätsklinik hielt, stellte er gerne Patienten seinen Studenten vor und fragte sie nach ihrer Einschätzung. Als ein Patient einmal zu ihm sagte ‚Ihr Kopf ist ein halber Schweinskopf und eine halbe Billardkugel‘ war er darüber keineswegs beleidigt, sondern konnte darauf nur amüsiert lachen. Ein schizophrener Patient der ‚Herr Baron‘ kam sogar ins Haus, um Besorgungen zu machen, im Garten zu arbeiten und Holz zu machen oder den Ofen zu schüren. Er war gutmütig, solange er mit ‚Herr Baron, Freiherr von Melchior, Heiliger Drei König‘ angesprochen wurde“. Vgl. Dr. Hilde Nusser-Overmeyer, ca. April 2010 in FAM. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Ebd. Ebd. Ebd. Scan wurde aufgehellt zur besseren Lesbarkeit.

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Die Wiedereinsetzung Meggendorfers in seine frühere Stellung wurde vom Berufungsausschuss jedoch nicht befürwortet, „[d]a Herr Prof. Meggendorfer bereits emeritiert ist, und da vor allem ein Ersatzmann unter politisch unbelasteten Professoren für sein Arbeitsgebiet leicht gefunden werden kann“.67

Abb. 54b: Stellungnahme des Berufungsausschusses im Wiedereinstellungsverfahren vom 15.05.194668

Als Mitglied des Berufungsausschusses mag Leibbrand eine besonders wichtige Rolle eingenommen haben hinsichtlich der Ablehnung des Wiedereinsetzens von Meggendorfer als Klinikdirektor in der Funktion „als Abteilungsarzt“69 der mittlerweile von Leibbrand geleiteten Anstalt. Relevant für Leibbrands Vorgehensweise in seiner Funktion als Mitglied des Berufungsausschusses im Wiedereinstellungsverfahren zeigt sich auch seine Sondererklärung vom 14.05.1947 bezüglich Paul Althaus als Lutherforscher.70

67 68 69 70

Ebd. Ebd. Scan wurde aufgehellt zur besseren Lesbarkeit. UAE: A6/3 i. „Der Autor des ,Cicero‘-Artikels [zum Titelthema „Judenfeind Luther“ im Jahr 2014] schlussfolgerte […]: ‚Im Grunde hatte Luther damit das gefordert, was knapp 400 Jahre später in der Reichspogromnacht realisiert wurde‘. Dieses Urteil greift eine im Zweiten Weltkrieg entwickelte Deutungslinie auf, die in Luther einen Wegbereiter des Nationalsozialismus und Kron-

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Leibbrand warf Althaus vor, mit seiner Aussage aus dem Jahr 1916 sowie seiner Kirchentagsrede von 1927 für kirchliches Interesse an der völkischen Idee71 zeugen des rassistischen Antisemitismus sah und in der Formel ‚von Luther zu Hitler‘ sinnfälligen Ausdruck fand. Zur Unterstützung dieses Arguments wird stets auch auf Julius Streicher, den Herausgeber der NS-Zeitung ,Der Strümer‘, Bezug genommen, der seine antisemitische Hetzartikel am 29. April 1946 vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal mit der Aussage verteidigte: ‚Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir zum Beispiel ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde‘ […]. Solche Interpretationen erklären sich aus der fatalen Rezeption des Reformators im ‚Dritten Reich‘. Denn nicht wenige Deutsche hatten im Nationalsozialismus die Vollendung der Reformation und in Hitler einen neuen Luther erblickt“. Vgl. Scheunemann (2016), S. 451. Siehe ferner Pfeiffer (2014), S. 18. Zu „Streicher und ‚Der Stürmer‘“ ferner siehe Froschauer (1992). Interessant auch: Hiemer (1938). Weiterführend interessant auch eine aktuelle Einschätzung zur einstigen Rezeption Luthers durch Nietzsche: „Das Luther-Bild Nietzsches wird also um einen zentralen Gedanken herum aufgebaut. Wir erinnern daran, dass dieser wieder sehr kohärent auf Nietzsches genereller Weltsicht aufbaut: Die moralische Wertung ist die Herrin der Welt. Luther hat die allgemeinste Wertung geändert, er hat die Weltgeschichte verändert. […]. Nietzsche fasst Luthers Tat […] gleichzeitig auch als Gründung der deutschen Kultur und Identität. Mehr noch, oft erscheint Luthers Entscheidung für Nietzsche nicht nur als Grundlage späterer deutscher Eigenschaften, sondern als Erweiterung in jene Richtung, dass die Eigenschaften der deutschen Kultur und der deutschen Entwicklung auch schon Motive von Luthers eigener Entscheidung gewesen wären“.Vgl. Kiss (2016), S. 60. Zur Historie der Pathographie Martin Luthers und ethischen Implikationen sei verwiesen auf Braun/Demling (2017) sowie auf Braun/Loew (2017). „Mit Luthers Leidenschaft für Wahrheit und Ordnung identifizieren wir uns. Mit seinem Hass auf Juden und Andersdenkende, seinem Glauben an die eigene göttliche Bestimmung und die paranoide Angst vor Teufelei jedoch wollen wir nichts zu tun haben. Das Hässliche an Luther, reden wir uns ein, könne man nur aus der Zeit verstehen. Das lässt uns 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation das Gute an unserem Reformator so vorbehaltlos und irrational lieben, wie wir Deutschen unsere Helden neuerdings wieder lieben wollen“. Vgl. Löbbert (2017), S. 1. Interessant zeigt sich hier die öffentlich-gesellschaftliche Zeitgeist-Interpretationsambivalenz. Besteht oftmals eine Geneigtheit, z. B. die antisemitische Positionen Luthers als dem damaligen Zeitgeist entsprechende Einstellungen hinzunehmen, so stehen einstige deutsche Eugeniker oftmals – ohne ausreichenden Einbezug der zeitimmanenten europa- und USA-weiten eugenischen Bewegung – im Verdacht, Repräsentanten einer ,NS-Eugenik‘ zu sein, welche der NS-‚Euthanasie‘ und somit dem Holocaust Vorschub geleistet haben. Vgl. Diskussion im Rahmen der Disputation von Braun B. zu Friedrich Meggendorfer. Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus. Seminarraum der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der FAU, 23.02.2017. 71 „Der Präsident der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, Friedrich Schmidt-Ott (1860–1956), hatte sich in die Idee der Volkskundler verliebt, den gesamten deutschsprachigen Raum auf seine Sitten, Gewohnheiten und religiösen Bräuche hin zu untersuchen. Es bestand die Sorge, dass mit der Industrialisierung die alten Traditionen verschwinden und sie also vielleicht zum letzten Mal erfasst werden könnten. […] Wie der Diercke-Atlas seit 1883 die Vorstellung der Deutschen von der Erde prägte, sollte dieser Atlas dem Leser zeigen, in welcher Kultur er lebte. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht eroberten, schalteten sie das ,Atlas‘Projekt nicht sofort gleich, sondern etwa ein Jahr später. Der Leiter der Zentrale wurde ausgetauscht und ebenso die meisten Mitarbeiter. Auch Schmidt-Ott, der kaisertreue Freund des ,Atlas‘, verlor seinen Posten als oberster Wissenschaftsförderer. Die Nazis fanden, dass bislang zu wenig in ihrem Sinne geforscht worden war. 1935 wurde ein weiterer Fragebogen verschickt.

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eingetreten zu sein. Obwohl deutschnational-bürgerlich, habe Althaus in antipazifistischer Tendenz im weiteren Verlauf Hitlers Siege befürwortet. Mittels „Ansbacher Ratschlages“ habe er „der bekennenden Kirche den Dolch in den Rücken gestoßen. Das Schlimmste aber sei die Unterschrift unter den Arier- Paragraphen“.72 Leibbrand bezeichnete Althaus als „typische[n] Repräsentant[en] der deutsch-nationalen militärfrommen Richtung der evangelischen Landeskirche73 [und] […] zugleich […] gefährlich[] […] dozierenden Literaten“.74 Für Leibbrand war „Althaus […] weder Mit- noch Nachläufer der Partei, er war deren typischer Vorläufer“.75

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Plötzlich wurde auch nach Nasenformen gefragt und was man mit ihnen verbinde. Rassenlehre statt Volkskunde war nun gefragt. Die Gründer des ,Atlas‘ hatten sich 1928 gegen solche rassistischen Fragen ausgesprochen. […]. Schon als die ersten Landkarten endlich fertig gezeichnet waren, in der Nazizeit, war von der Euphorie der Anfangszeit nicht mehr viel übrig. Die ersten Ergebnisse, 1937 und 1938 veröffentlicht, fanden viele enttäuschend. Die Volkskundler, die das Projekt angeschoben hatten, ebenso wie die neuen Machthaber, die sich von ihm Argumente dafür erhofft hatten, deutschsprachige Gebiete zurückzuerobern. Der deutschsprachige Raum auf den Karten sah eher aus wie ein Flickenteppich, ein heterogenes, nahezu chaotisches Gebilde, was so gar nicht zur neuen Ideologie passen wollte. Eine deutsche Volksseele war nicht zu entdecken“. Vgl. Stolz (2017), S. 18. Jasper (2013), S. 333. „Die Erlanger Theologische Fakultät weigerte sich vor und auch noch nach 1945, sich dem theologischen Trend der damals herrschenden Dialektischen Theologie anzupassen, was ihr den Ruf, sie sei während des ‚Dritten Reiches‘ eigentlich als ‚nazistisch‘ zu betrachten, eintrug, auch wenn kein einziger Angehöriger der sog. ‚engeren Fakultät‘ Mitglied der NSDAP oder der GDC gewesen war“. Vgl. Beyschlag (1990/91), zit. n. Dienst (2012), S. 142. „Dieser berühmteste Kommentar [Karl Barths] der neueren Zeit zum Römerbrief, mit dem eigentlich die dialektische Theologie beginnt, ist ein Schulbeispiel dafür, wie die jüdischen Grundlagen im Denken und Glauben des Paulus übertragen wurden. Das raubt dem Werk nicht seine Eigenständigkeit und Bedeutung, zeigt aber die Entfernung des Paulinismus von Paulus“. Vgl. BenChorin (1980), S. 201. Siehe ferner Barth (1922, in der Ausgabe von 1940). Die theologische Fakultät der Universität Erlangen blieb von der dialektischen Theologie Karl Barths (1886– 1968) „merkwürdig unberührt“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 229. „Die Politikverflochtenheit seiner Ethik und sein antilutherischer Affekt hatten in Erlangen zu einer inneren Sperre gegen ihn geführt, die weiter bestehen blieb“. Vgl. ebd. „[D]ie ,Erlanger Theologie‘ [] gehört inzwischen eindeutig der Vergangenheit an. Sie ist mit der Ära ihrer beiden letzten großen Repräsentanten, Werner Elert (gest. 1954) und Paul Althaus (gest. 1966) endgültig ins Grab gesunken“. Vgl. Beyschlag (1993), S. 205. Zur „Evangelische[n] Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ siehe ferner Röhm/Thierfelder (1981). Weiterführend auch Düringer/Schmidt (2004). Zur „Katholische[n] Theologie im Nationalsozialismus“ weiterführend Burkard/Weiß (2007) und (2011). Siehe ferner auch Kringels-Kemen/Lemhöfer (1981). Ferner bemerkenswert ist die Tatsache, dass in Nürnberg von 26.08.1931– 30.08.1931 die Generalversammlung der Katholiken Deutschlands stattgefunden hatte. Prof. Dr. med. et phil. Baron sprach zum Thema „Biologie und Politik“ und sah die Fortpflanzung von Trägern schwerer körperlicher oder seelischer Minderwertigkeiten für die Volksgemeinschaft als nicht erwünscht an. Vgl. http://www.naumburg-geschichte.de/geschichte/ kranke.htm. Stand vom 09.01.2015. Jasper (2013), S. 333. Ebd.

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Die „Althaus-Affäre“ lässt nach Jasper rückschliessen auf Leibbrands76 „besonderes Gewicht und seine Autorität im Vorprüfungsausschuss“.77 Am 04.06.1946 wurde von Meggendorfer der 131 Punkte umfassende Fragebogen des Military Governments zur Überprüfung der Betroffenen ausgefüllt. Bescheiden führte Meggendorfer zum Punkt Fremdsprachenkenntnisse an, er sei in Italienisch, Englisch und Französisch in der Lektüre gut, aber mündlich ohne Übung. Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus teilte Meggendorfer am 05.07.1946 mit, die Entfernungen aus seinem Amt sei endgültig und eine Entscheidung der Militärregierung.78

Abb. 55: Ehepaar Meggendorfer, Silberhochzeit, Arber, 09.08.194679

76 „Leibbrand[s] […] vom Linkssozialismus geprägte[r] Handschrift […] erschien der Nationalsozialismus als eine bloße Spielart des bürgerlichen Nationalismus. […]. Letzteren bei Althaus nachzuweisen, reichte darum in Leibbrands Augen aus, ihn als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu disqualifizieren“. Vgl. ebd., S. 334. 77 Ebd., S. 333. „Leibbrands schwere Vorwürfe blieben letztlich zwar ohne Folgen, aber sie hatten doch erheblich verzögernde Wirkung“. Vgl. ebd, S. 335. 78 Eine Aktennotiz in Meggendorfers Personalakte vom 05.10.1946 erwähnt, dass „I. Die Arbeitserlaubnis der Militärregierung für Professor Dr. Meggendorfer […] am 13.07.1946 abgelaufen [ist]. […,] II. Antrag an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, die Weiterbeschäftigung von Prof. Dr. Meggendorfer gemäß Art. 60 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus zu genehmigen, wurde mit Bericht vom 17.08.1946 Nr. 3662 gestellt. Eine sachliche Entscheidung ist darauf nicht ergangen (M. E. v. 29.8.1946 Nr. V43080)“. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M. 46. 79 FAM.

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Am 04.09.1946 wurde Meggendorfer der „Spruchkammer-Klageantrag“ zugestellt.80 14 Tage später wählte Meggendorfer die schriftliche anstelle der mündlichen Verfahrensform81 und wünschte sich eine Abkürzung des Zeitfensters zur Beibringung des Entlastungsmaterials,82 um baldmöglichst das Verfahren absolviert zu haben. 80 Rechtliche Beurteilung von Dr. Ferdinand Zilcher vom 06.09.1946: „Durch die vorgelegten Zeugnisse hat der Betroffene bewiesen, dass trotz Zugehörigkeit zur Partei seit 1933 er nur nominell dem Nationalsozialismus angehört hat[,] und er ihn überhaupt nicht unterstützt hat. Er hat darüber hinaus sogar bewiesen, dass er den Prinzipien und Anordnungen der Partei zuwider gehandelt hat und sich dabei selbst in Gefahr brachte. Die weiteren Mitgliedschaften sind sämtliche berufsgebunden und bei einem Arzt in der Lebensstellung und von der Bedeutung des Betroffenen in der damaligen Zeit selbstverständlich gewesen. Es rechtfertigt sich sonach mein Antrag im schriftlichen Verfahren, Prof. Meggendorfer als Mitläufer zu erklären. Hinsichtlich der Sühneausmaße überlasse ich dieselbe der Würdigung der Spruchkammer. Ich verbinde meine Rechtfertigungsschrift mit dem ergebensten Gesuch, den Fall besonders vordringlich behandeln zu wollen, da die ärztliche Versorgung und der Betrieb der Psychiatrischen und Nervenklinik unbedingt die Wiedereinschaltung des Betroffenen notwendig macht, da Fachkräfte nicht ausreichend zur Verfügung stehen und die Fortführung der segensreichen Tätigkeit des Betroffenen für die Volksgemeinschaft dringend notwendig ist. Ich gestatte mir, noch auf Artikel 39/III zu verweisen, wonach Prof. Dr. Meggendorfer an diese wichtige Stellung berufen wurde, seine Tätigkeit im Gesundheitswesen – mit Ausnahme dieser Parteimitgliedschaft – ausgeübt hat ohne irgendwelchen Rang, insbesondere ohne irgendwelche Vorteile durch diese Parteimitgliedschaft gehabt zu haben […]“. Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 81 Die Fälle der Belasteten der Gruppen I und II wurden mündlich und öffentlich, die der anderen fakultativ auch schriftlich verhandelt. 82 Auszüge aus Spruchkammer-Entlastungszeugnissen, welche Meggendorfer am 05.07.1946 an Rekor Liermann „auf Veranlassung des Herrn Dekans [zusammen mit] […] zwei Fragebögen mit Beilagen, wie eigene[n] Erklärungen [als] acht Entlastungszeugnisse zur Vorlage bei der Spruchkammer“ überreicht hatte. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M. 46. Prof. Dr. med. Leo Hauck, 19.09.1945: „Ich bescheinige hiermit, dass ich Herrn Professor Dr. Friedrich Meggendorfer seit Ende 1934 kenne. Dr. Meggendorfer war in dieser Zeit immer um seine Wissenschaft, seine Klinik und seine Kranken bemüht; er ist meines Wissens politisch niemals hervorgetreten. Er hat sich insbesondere weder in einseitig nationalistischem noch in imperialistischem Sinne betätigt und hat sich nicht an antisemitischer Propaganda oder ihren Auswirkungen beteiligt. Dr. Meggendorfer und seine Familie waren jederzeit christlich eingestellt und haben die religionsfeindlichen Bestrebungen des Nationalsozialismus tief beklagt“. Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Dieses Entlastungsschreiben für Meggendorfer verfasste Leo Hauck (1874–1945) knapp sechs Wochen vor seinem Tod am 01.11.1945. Der in Vach Geborene hatte seine akademische Laufbahn durchwegs in Erlangen vollbracht. 1898 promovierte er in Erlangen, war Assistent an der Medizinischen Klinik unter der Leitung Strümpells, habilitierte sich 1905 für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Erlangen, wo er 1910 a. o. Professor und 1924 Ordinarius wurde. Vgl. Kreuter (1996), S. 520. Eine Straße am Erlanger Burgberg wurde nach Leo Hauck benannt. Als weitere Entlastungsschreiben seien folgende angeführt: Dr. Walter Kreienberg, 15.03.1946: „[…] [ich] kenne M. seit 1935. Ich habe in den Jahren 1935 und 1936 bei ihm Vorlesungen gehört und bin als Famulus und Medizinalpraktikant bei ihm tätig gewesen. M. hatte gegen die Maßnahmen des Nationalsozialismus, insbesondere soweit sie in der Eugenik und Rassenpolitik sein engeres Fachgebiet berührten, stets eine offene Kritik, die er auch in seinen Vorlesungen zum Ausdruck brachte. Er verleugnete nie seine christlich- humanistische Weltanschauung und versuchte auch

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in diesem Sinne auf seine Schüler einzuwirken. Dafür spricht auch die Tatsache, dass er aktive Nazis als Mitarbeiter ablehnte. In Erlangen war er durch seine passive Resistenz und seine Kritik bekannt und den Propagandisten ein Dorn im Auge. Ich kann somit nur bestätigen, dass Prof. M. nicht aktiv im nat.-sozl. Sinne tätig war“. Vgl. ebd. An Meggendorfer persönlich richtete Kreienberg folgenden Zusatz: „Ich hoffe, dass mir der richtige Wortlaut gelungen ist und ich Ihnen helfen kann. Mir ist es unerklärlich, wie man ausgerechnet Sie in Erlangen für einen aktiven Nazi halten kann. Ihre Einstellung war doch bekannt“. Vgl. ebd., Auszug aus der Korrespondenz von Kreienberg mit Meggendorfer, 25.03.1946; Dr. med. et phil. Wolfgang Koehler, „z. Zt. Werkarzt u. Dolmetscher 5 th Air vehicle Rep. Sqd. US Army“, seit 1941 mit Meggendorfer bekannt, 25.03.1946: „Ich besuchte damals als Student der Medizin seine Vorlesungen in Psychiatrie und Rassenhygiene und kann bekennen, dass seine Ausführungen rein sachlicher Natur waren. Die vermittelten Kenntnisse enthielten keinerlei Ausfälle gegen andere Nationen oder Rassen. Auch war in den Vorträgen niemals ein noch so geringes Anzeichen von nationalsozialistischer Propaganda zu finden. Vielmehr ist mir Meggendorfer, aus eigener Erfahrung sowohl, als auch aus Mitteilungen von Studienkollegen, stets als ein aufrechter, anständig denkender Mann bekannt geworden, der mit der niedrigen Ideologie des Nationalsozialismus nichts gemein hatte. Von seiner Mitgliedschaft in der Partei, die mir und vielen anderen Studienkollegen zur Zeit des Naziregimes völlig unbekannt war, erfuhr ich erst nach der Besetzung durch die US-Army. Ich kann mir nur denken, dass Herr Prof. Dr. Meggendorfer unter dem Zwang gehandelt hat, der alle auf hervorragendem Posten stehenden Männer verpflichtete, Parteimitglied zu werden“. Vgl. ebd. Prof. Kurt Gross, „von Militärregierung im Amt bestätigt“, 29.03.1946: „[Meggendorfer ist mir] seit vielen Jahren als äußerst tüchtiger und gewissenhafter Psychiater bekannt. Gar manches Mal hat er mich zur Beurteilung des Herzens seiner Patienten zugezogen, um in kritischen Fällen gemeinsam mit mir im Rahmen des Möglichen helfen zu können. Dem gegenüber hat Kollege Meggendorfer[,] wie überhaupt im Leben so auch in der Politik[,] jene bescheidene Zurückhaltung geübt, die seinem ganzen Wesen entspricht, und sich niemals als Aktivist hervorgetan. Er hat vielmehr stets eine kirchliche Haltung bewahrt und seine religiöse Überzeugung niemals verleugnet“. Vgl. ebd. Dr. Bücking-Kopfermann, Allgemeinärztin, 11.04.1946: „Immer war seine Hilfsbereitschaft da, auch wo Andere, Nichtpsychiater, Jemanden für viel zu minderwertig erachtet hätten, um ihm eine wirklich angemessene Zeit zu widmen“. Vgl. ebd. 23.01.1947: „Ich habe seine Mitarbeit mehr und mehr in Anspruch genommen, weil er diese in ungewöhnlich schlichter, immer nur den Dienst am kranken Menschen in Frage ziehender Form gab […]. Er war keinesfalls aktiv nationalsozialistisch“. Vgl. ebd. Georg Spörlein, Vorsitzender des Betriebsrates der Heil- und Pflegeanstalt, 12.04.1946: „Ich persönlich wusste nicht einmal, dass er bei der Partei war“. Vgl. ebd. Hans Schmidt, Krankenpfleger von 1934–1939, 20.04.1946: „Meggendorfer wusste, dass ich von der NSDAP Ansbach 33 verhaftet und monatelang in Schutzhaft war und in seine Klinik strafversetzt wurde, weil ich Mitglied der SPD und Vorsitzender des Allg. Deutschen Beamtenbundes war […]“. Vgl. ebd. Dr. Buck, Pfarramtliches Gutachten des Stadtpfarrers des Katholischen Pfarramtes Herz Jesu, 02.07.1946: „Meggendorfer ist mir seit drei Jahren persönlich bekannt […]. Es ist mir bekannt, dass er schon seit Jahren nicht mehr mit dem Parteiprogramm der NSDAP einverstanden war, im Gegenteil viele Maßnahmen schärfstens verurteilt hat. Er hat sich auch niemals an der Beseitigung von Geisteskranken beteiligt und war unter den deutschen Psychiatern einer der wenigen, der sich gegen die Euthanasie der Geisteskranken entschieden ausgesprochen hat“. Vgl. ebd. Dr. Eugen Buck „hatte an der Berufsschule Bamberg Religionsunterricht erteilt, bis dieser im ‚Dritten Reich‘ 1940 untersagt wurde […]. Er führte die religiöse Unterweisung in kircheneigenen Räumen auch noch weiter, als der übrige Unterricht entfiel, weil die Schulen in Lazarette umgewandelt wurden“. Vgl. Anzeneder (1996), S. 698. Am 22.07.1946 hatte Liermann „in Sachen Prof. Dr. Meggendorfer“ beim öffentlichen Kläger der Spruchkammer Erlangen Stadt, Herrn Dr. Thiel, zwei weitere Erklärungen nachgereicht. Vgl.

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Meggendorfer betonte, „vom rassenpolitischen Amt der Partei [zu] Vortragstätigkeit befohlen“83 worden zu sein. Er habe „vier rein medizinische und keineswegs rassenpolitische84 Vorträge“85 gehalten. Ansonsten habe er sich in Zurückhaltung geübt, da er „nicht ins politische Fahrwasser kommen wollte“.86 Im Verlauf des Jahres 1937 habe er sich gegen eine zunehmend engere Partei-Mitarbeit ausgesprochen. Er sei in der Folge „nicht mehr zugezogen“87 worden. Tatsächlich gibt es

83 84

85 86 87

UAE: A2/1 Nr. M. 46. Im folgenden seien die entsprechenden Auszüge angeführt: Gustav Plamann, Oberoffiziant, Vorlesungsassistent auch nach seiner Pensionierung im Jahre 1944, 15.07.1946: „Er hat mich als Nichtparteigenossen und ehemaligen Freimaurer auch nie darauf angeredet oder schlechter behandelt oder gedrückt. Auch in den Vorlesungen hat sich Prof. Meggendorfer nie auf politische Fragen eingelassen […]“. Vgl. ebd. Dr. E. Sailer, ärztlich tätig an der Klinik Meggendorfers in den Jahren 1937–1938, 17.07.1946: „Auch ist mir niemals bekannt geworden, dass Herr Prof. Meggendorfer als Wissenschaftler und Dozent auf die Systemrasse zu sprechen gekommen wäre oder antisemitische Gedankengänge geäußert hätte. Die Einstellung zur Rassenfrage beweisen auch seine Beziehungen, die er noch während der Kriegsjahre nachweisbar zur israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg hatte, die ihm wiederholt Patienten zur Beratung und Behandlung überwiesen hat. Überhaupt haben bei der Behandlung von Patienten bei Prof. Meggendorfer rassische oder konfessionelle Momente niemals eine Rolle gespielt. Seine ernste, charaktervolle Haltung und seine religiöse Einstellung hätten dies nie zugelassen. So war auch die Klinik stets Ausdruck seiner grundanständigen Persönlichkeit. Prof. Meggendorfer war uns allen, die wir an der Klinik arbeiteten, ein absolut korrekter und sehr beliebter Vorgesetzter“. Vgl. ebd. StBN, Spruchkammer Erlangen-Stadt M. 76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I– VII. Nach Fakultätssitzung vom 01.02.1940, so berichtet Wittern, sei unter anderem Meggendorfer als Kommissionsmitglied beauftragt gewesen, „über die Frage der Errichtung eines Lehrstuhls für Rassenpolitik zu beraten und die wissenschaftliche Eignung von Dr. Hecht aus Berlin zu prüfen“. Vgl. Protokollbuch der engeren medizinischen Fakultät 1925–1943, S. 228 und S. 240, zit. n. Wittern (1993), S. 393. Im Universitätsarchiv der FAU existiert keine Akte zu Dr. Hecht. Die entsprechende Stelle im Protokollbuch der engeren medizinischen Fakultät sowie die Akten „Vorlesungen über Rassenkunde; Rassenhygiene (1933–1940)“ bzw. „Vorlesungen über Rassenkunde/Rassenhygiene aus den Jahren 1933–1940 sowie „Institut für ‚Rassenbiologie‘ (1937–1942)“ liefern keine Hinweise auf Aussagen Meggendorfers in seiner Funktion als Kommissionsmitglied. Vgl. persönliche Angabe von Dr. Clemens Wachter vom 16.02.2017 nach Einsicht von UAE: C3/1 Nr. 269, C3/1 Nr. 390, A6/3 Nr. 108. Während in München ein Institut für Rassenhyigene und in Würzburg ein Rassenbiologisches Institut etabliert wurde, kam es nicht zur Etablierung eines Lehrstuhles für Rassenpolitik in Erlangen. „[S]o gehörte Erlangen neben Bonn, Düsseldorf, Göttingen, Halle, Heidelberg, Marburg und Münster zu denjenigen Universitäten des Deutschen Reiches, an denen die Institutionalisierung der Rassenhygiene/-biologie/-politik trotz ihres hohen Stellenwertes innerhalb der nationalsozialistischen Ideologie nicht gelang“. Vgl. Wittern (1993), S. 393. StBN, Spruchkammer Erlangen-Stadt M. 76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I– VII. Ebd. Ebd.

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keinen Hinweis darauf, dass Meggendorfer als Richter oder Beisitzer für Erbgesundheitsgerichte angefragt worden war.88 Seine „Zurückhaltung“89 sei ihm „sehr verübelt“90 worden. War Meggendorfer in der 1940/1941-Ausgabe von Kürschners deutschem Gelehrtenkalender noch angeführt worden,91 so wurde ihm vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nach 14-monatiger Prüfungszeit durch die „Hauptabteilung Propaganda“92 am 25.01.1943 die akademische Ehre verwehrt, eine Veröffentlichung aus dem Jahr 192993 auch in fremdsprachlicher Version publizieren zu können.94 Die Spruchkammer des Stadtkreises Erlangen stufte Meggendorfer am 20.09.1946 als „Mitläufer“95 ein: 88 Unter der Zitation von Ley (2004), S. 115 führt Rauh an, Meggendorfer sei „[n]eben seinen Beratungs- bzw. Propagandatätigkeiten […] als psychiatrischer Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht Bamberg“ tätig gewesen. Vgl. Rauh (2016b), S. 271. Die Angabe Leys lässt sich anhand der angegebenen Quellen sowie anhand des übrigen untersuchten Quellenmaterials bislang nicht verifizieren. Siehe hierzu S. 562. 89 Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 90 Ebd. 91 Vgl. Lüdtke (1941). 92 Zur „[n]ationalsozialistische[n] Propaganda in ihrer Beziehung zu rassenhygienischen Maßnahmen des NS-Staates“ siehe Rost (1987). 93 Vgl. Meggendorfer (1929b). 94 Vgl. UAE: A2/1 Nr. M. 46. 95 Das Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 05.03.1946 setzte für die Einstufung der betroffenen Personen fünf Gruppen fest: I. Hauptschuldige, II. Belastete, III. Minderbelastete, IV. Mitläufer und V. Entlastete. Mögliche Konsequenzen für die Gruppen I bis III waren die Einweisung in ein Arbeitslager, die Einziehung des Vermögens, der Pensionsverlust, Gehaltskürzungen, Arbeitsbeschränkungen und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Mitläufer erhielten Geldbußen Vgl. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel46003#3. Stand vom 09.01.2015. Siehe ferner Horn (1992). Im folgenden soll ein kurzer Einblick in Mitläufer-Einstufungen bei prominenten Repräsentanten der „NSZahnmedizin“ bzw. der „NS-Philologie“ gegeben werden: „bereits im Oktober 1942 teilte das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt [Heinrich] Himmler [1900–1945] mit, dass [Hitlers Zahnarzt] [Hugo Johannes] Blaschke [1881–1960] über 50 kg Gold von toten Häftlingen zur Behandlung der SS-Männer verfügen würde. Dass Blaschke nicht wusste, woher das Gold stammte, ist unwahrscheinlich. Der SS-General blieb weiterhin Hitlers ‚Leibzahnarzt‘ und kam nun auch zu akademischen Würden: Der ‚Führer‘ ernannte den Dentisten im Juni 1943 zum Professor. Folgt man Blaschkes Nachkriegsaussagen, war ihm vorher auch der deutsche Doktorgrad Dr. med. dent. verliehen worden. […]. Blaschke entging nach dem Untergang des ‚Dritten Reiches‘ einer Anklage durch ein aliiertes Gericht, er wurde lediglich als Zeuge für die Nürnberger Prozesse vernommen. Im Dezember 1947 wurde er aus dem Nürnberger Gefängnis in das Internierungslager Nürnberg-Langwasser verlegt, dort zunächst als Hauptschuldiger von einer Spruchkammer zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. 1948 erfolgte ohne weiteres Nachverfahren eine Neueinstufung: Der ehemalige SS-General und ‚Oberste Zahnarzt‘ beim Reichsarzt-SS und Polizei‘ wurde in die Gruppe der Mitläufer eingereiht und entlastet. Schon wenig später eröffnete Blaschke in Nürnberg wieder eine eigene Praxis, wobei er den von Hitler verliehenen Doktor- und Professorentitel führte“. Vgl. Westemeier/Schmidt (2017), S. 61. Zur Kontinuität des zahn- und geschichtsmedizinischen Werdegangs von Walter Hoffmann-Axthelm (1908–2001) siehe Paprotka (2017a) sowie z. B. auch Hoffmann-Axthelm

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„Die unter Beachtung des Art 2. aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung der Kammer geht dahin, dass der Betroffene nicht mehr als nominell am NS teilgenommen hat, ihn nur unwesentlich unterstützt hat und sich auch nicht als Militarist erwiesen hat“.96

Meggendorfer wurde ein einmaliger Wiedergutmachungsfond-Beitrag von RM (= Reichsmark) 2.000 auferlegt. Als weitere Sühnemaßnahmen hatte er die Verfahrenskosten von RM 27.600 zu tilgen.97 Obwohl „Mitläufern“98 – anders als „Belasteten“99 – keine Arbeitsbeschränkung drohte, blieb Meggendorfers Dienstsuspension vom 19.11.1945 bestehen.

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(1968). „Der von den Nationalsozialisten als Rassepapst gefeierte [philologische] Forscher Professor Dr. Hans F. K. Günther [1891–1968], der nach dreijähriger Internierung und Einstufung als Minderbelasteter im Oktober zum Mitläufer befördert wurde, s[ah] [1952] ein neues Entnazifizierungsverfahren vor öffentlichen Foren heraufdämmern: […]. Seine Gegner haben es ihm nicht vergessen, dass er die Grundlagen zu Hitlers Rassentheorien geschaffen hat“. Vgl. Anonymus (1952b), S. 32. Zu Günther siehe ferner Schwandt (2008). UAE: A2/1 Nr. M. 46. Begründung des Spruchkammerbeschlusses: „Auf Grund widerlegbarer Vermutung beantragte der öffentliche Kläger die Einreihung des Betroffenen in die Gruppe der Belasteten. Der Betroffene war: 1. Mitglied der NSDAP vom 1.5.1935 bis 1945, 2. Mitglied der NSDoB von 1936 bis 1945, 3. Mitglied des RDB vom 1.07.1934 bis Juni 1935, 4. Mitglied der NSV von 1934 bis 1945, 5. Mitglied des NS-Ärztebundes von 15.07.33 bis 1945, 6. Mitglied des Reichsbundes Deutscher Familie bis 1945, 7. Mitglied des DRK von 1936–1945, 8. Mitglied des NS-Marinebundes von Juli 1937 bis 1945. Die unter Beachtung des Art 2. aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung der Kammer geht dahin, dass der Betroffene nicht mehr als nominell am NS teilgenommen hat, ihn nur unwesentlich unterstützt hat und sich auch nicht als Militarist erweisen hat“. Vgl.ebd. Zur generellen Situation der Entnazifizierung in Bayern weiterführend auch Niethammer (1972) und (1982). „Das Konstrukt einer in ihrem moralischen Kern unberührt gebliebenen Medizin verzögerte zudem die Erkenntnis, dass die medizinischen Täter durchaus auf der Grundlage bestimmter ethischer Wertvorstellungen handelten. Diese Moralkonzepte waren zwar spezifisch nationalsozialistisch geprägt, in der Rückschau jedoch sehr wirkungsmächtig und somit historisch nicht vernachlässigbar. Das medizinische Ethos der Nationalsozialisten erwies sich immerhin als tragfähig genug, aus Ärzten freiwillige und bereitwillige Mörder werden zu lassen“. Vgl. Bruns (2009), S. 14. „Nationalsozialistische Ideologen benutzten meist nicht den Ausdruck ‚nationalsozialistische Moral‘, sondern sprachen entweder allgemein von ‚Weltanschauung‘ oder, wenn sie den spezifisch normativen Aspekt herausheben wollten, von ‚nationalsozialistischer Sittlichkeit‘ oder auch ‚Ethik‘. Der Terminus ‚Moral‘ wird von ihnen nur sehr selten direkt verwendet. [Konitzer] […] vermute[t], das hängt damit zusammen, dass er in der Kantschen Tradition dazu gebraucht worden war, eine dem Recht gegenüberstehende und von ihm abgelöste Sphäre der Pflicht zu bezeichnen, und sich mit dem Ausdruck bald auch die Entgegensetzung von Glück und Pflicht verband, gegen die viele nationalsozialistische Ideologen schon recht früh Stellung bezogen. Bei Gegnern des Nationalsozialismus, die die nationalsozialistische Ideologie zu beschreiben versuchten, spielte der Ausdruck ‚Moral‘ schon eher eine Rolle. Aber dort, wo sie ihn gebrauchten, verstanden sie ihn entweder ideologiekritisch, oder sie zögerten – wenn auch natürlich aus anderen Motiven als die Nationalsozialisten selbst –, ihn auf die NS-Normativität anzuwenden“. Vgl. Konitzer (2016), S. 263.

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4.2 VERSUCH DER REINTEGRATION IN DEN LEHRKÖRPER Im Rahmen seines Besuches Anfang 1947 beim Bamberger Domkapitular Prälat Monsignore Georg Meixner (1887–1960) riet letzterer Meggendorfer dazu, zunächst alles zu versuchen, den Lehrstuhl in Erlangen wiederzuerhalten.100 Meixner selbst hatte wegen seines Einsatzes gegen das NS-Regime eine längere Haftstrafe gedroht, weshalb er zu seinem Schutz ab 01.03.1941 zum Domkapitular101 in Bamberg gewählt worden war. Am 01.02.1947102 teilte der Dekan der Erlanger Universität dem Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus mit, dass es der Fakultät zeitintensive – mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg führende – Bemühungen koste, eine Wiedereinstellung Meggendorfers in seiner ehemaligen Position zu betreiben. Die Zustände in der Psychiatrischen Klinik, bedingt durch das „monatelange Fehlen ihres Hauptes“103 sowie durch „schwere Einbuße an ihren Gliedern“104 lasse eine längere Wartezeit nicht mehr zu. Daher sehe sich die Fakultät zu ihrem „Leidwesen“105 „Herrn Prof. Dr. Meggendorfer gegenüber“106 gezwungen, dem Staatsministerium eine Liste möglicher Ordinariats-Nachfolger vorzulegen. In erster Linie kämen in Betracht „Prof. Dr. Hans Walther Gruhle/Bonn;107 Prof. Dr. Heinrich Scheller/St. Georg; Hamburg;108 Prof. Dr. Werner Wagner/109Leipzig“.110 Nach Kurt Kolle111 hatte das „Hitler-Regime“ die Umwandlung 100 Vgl. BayHStA: MK 44017. 101 Domkapitular = Priester mit Befugnis, in einer Kathedralkirche Gottesdienste zu halten. 102 Die Reintegrationsversuche Meggendorfers sind im zeitlichen Kontext folgender Entwicklung zu sehen: „Die Entlassungsverfügung von Ende Januar 1947 stützte sich […] auf die Erklärung der amerikanischen Militärregierung vom 14.06.1946, die von Kandidaten für Schlüsselpositionen verlangte, sie sollten ‚die politischen und moralischen Qualitäten, die sie zur Entwicklung genuin demokratischer Institutionen befähigen, mitbringen‘. Diese Forderung war entwickelt worden, um von der Spruchkammer zu ‚Mitläufern‘ abgestufte Führungsleute aus den Gruppen der Betroffenen doch noch von Spitzenpositionen ausschließen zu können, obwohl durch die Abstufung zu Mitläufern Beschäftigungsverbote generell aufgehoben waren“. Vgl. Jasper (2013), S. 329. 103 Bay HstA: MK 72018. 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd. 107 Gruhle und Kehrer waren die einzigen eingeladenen deutschen Referenten auf dem ersten Weltkongress für Psychiatrie in Paris. Kehrer gehörte „[n]ach dem Krieg […] zu den wenigen Fakultätsmitgliedern, die sogleich und völlig entnazifiziert wurden. Er wurde zum Dekan der Fakultät [in Münster] gewählt“. Vgl. Tölle (2006), S. 112. 108 Siehe ferner auch Zutt (1973). Empfehlenswert vor allem Ditfurth (1997), S. 310–323. 109 Interessant sind die Versuche zu einer geisteswissenschaftlich fundierten Psychiatrie von Werner Wagner (1904–1956). Vgl. Wagner (1957). 110 Bay HstA: MK 72018. 111 Kurt Kolle schätzte retrospektiv seine Position in der NS-Psychiatrie folgendermaßen ein: „Aber diese Zusammenhänge (Zweifel, Ambivalenz, zaghaftes Auftreten gegenüber einer Medizin, die sich derart funktionalisieren ließ) machen es ganz verständlich, warum ich den Nationalsozialisten nicht unbedingt unsympathisch war, warum sie mir bei meinem 50. Geburtstag im Jahre 1936 ein Anerkennungsschreiben für mein sozialmedizinisches Wirken schickten und warum sie auch später mich im großen und ganzen in Ruhe ließen. Diejenigen aber, welchen

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von Gruhles Kommisariat in Bonn in ein Ordinariat abgelehnt, obwohl die medizinische Fakultät der Universität Bonn dies befürwortet hatte.112 In ihren näheren Ausführungen zu den vorgeschlagenen Kandidaten betonte die Erlanger Fakultät „Gruhle ist im Sachlichen scharf und kritisch, was ihm manchmal, aber zu Unrecht, zum Vorwurf gemacht wurde; er ist persönlich in jeder Beziehung verlässlich. Er ist trotz seiner Jahre noch von einer außerordentlichen Frische und Vitalität, durchaus produktiv und fruchtbar, keineswegs praesenil enthemmt“.113

Letztlich wurde der zweitplazierte Heinrich Scheller berufen.114 Gruhle hingegen hatte nunmehr das Ordinariat für Psychiatrie in Bonn bis 1952 inne. Von 1955 bis zum 75. Lebensjahr sollte er erneut das dortige Kommisariat führen.115 Im Kontext der Neuberufungsbestrebungen von Februar 1947 nahm Meggendorfer noch im selben Monat erneut Kontakt mit dem Bamberger Prälaten auf, um seine dortige Niederlassung und den Erhalt eines Lehrauftrages an der Universität Bamberg116 zu forcieren. Kurz darauf fasste Meggendorfer wieder Zuversicht auf Rehabilitation mit Rückerhalt des Lehrstuhles, zumal die Vorschlagsliste mit Lehrstuhl-Nachfolgern dem Ministerium nicht entsprochen habe. Tatsächlich hatte das Ministerium „noch die Meinung der Fakultät zu einer etwaigen Verwendung des

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Menschen meiner Art nun fortwährend vorwerfen, warum wir nicht heftiger gegen den Nationalsozialismus gekämpft hätten, und die das nicht verstehen können, diese Ankläger mögen doch gerade diesen Abschnitt meiner Erinnerungen einmal genau durchdenken. Die Fortsetzung des deutschen Lebens, in den vor 1933 bestehenden Verhältnissen war jedenfalls nicht so einfach, dass eine lediglich negative Haltung, nachdem der Umbruch einmal vollzogen war, genügt hätte“. Vgl. Rimpau (1990), S. 128. Vgl. Kolle (1963b), S. 69. „Außerdem wurde […] [Gruhle] von den Nationalsozialisten angeblich nicht verziehen, dass ein Doktorand an der Wilmannsschen Klinik in Heidelberg eine Dissertation über Hitlers hysterische Blindheit geschrieben hatte, die von Gruhle betreut wurde“. Vgl. Weitbrecht (1968), S. 22. Siehe ferner Höpfner (1999). Anfragen beim Heidelberger Universitätsarchiv und bei der Heidelberger Universitätsbibliothek zu Titel und Autor der von Gruhle betreuten Promotionsschrift konnten bislang leider keine Ergebnisse erzielen.Vgl. Persönliche Korrespondenz mit Zinke, S. vom 27.06.2016 sowie mit Schall-Thiery, S. vom 04.07.2016. Die von Gruhle betreute Dissertation zum Thema „[d]ie Beziehung der BreuerFreudschen Hysterie-Theorie zu den Lehren von Charcot […]“ stellt keinen Bezug zu Hitlers Blindheit her. Vgl. Gerö (1932). David Lewis sieht die Allmachtsphantasien des Diktators in Zusammenhang mit dem autosuggestiven Therapieansatz von Edmund Forster in Bezug auf Hilters psychogene Blindheit. Siehe hierzu Lewis (2003). Vgl. auch S. 63, Fn. 237. BayHStA: MK 72018. Scheller nahm die Berufung mit einem Schreiben vom 16.07.1947 an. Am 18.04.1951 erhielt er die Berufung nach Würzburg. Vgl. UAE: F2/1 Nr. 3197. „Nach Vatis Tod kam Prof. Scheller, der später kurz sein Nachfolger war, und versprach mir eine großartige Stellung in seiner Klinik in Würzburg. Da ich jedes Zusatzwissen begrüßte, ging ich hin“. Vgl. Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, ca. April 2010 in FAM. Vgl. Kolle (1963b), S. 69. Es existiert dort keine Medizinische Fakultät. Laut familienarchivarischen Quellen bezog sich Meggendorfers dortige Lehrtätigkeit auf das Abhalten von Vorlesungen am Bamberger Seminar über forensische Psychiatrie. Vgl. S. 522, Fn. 143.

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früheren Würzburger Privatdozenten Dr. Ernst Grünthal, geb. 1894“117 erbeten, wie sich aus einem Schreiben des Dekans an das Bayerische Kultusministerium vom 08.05.1947 entnehmen lässt. Meggendorfer betonte am 07.03.1947 dem Prälaten gegenüber, gemäß der Richtlinien des Ministeriums sei es „nicht unbedingt nötig, den Kampf um den Lehrstuhl schon aufzugeben, besonders[,] wenn ich mich an Ihren oben erwähnten Rat erinnere. Ich bin meiner Ansicht nach doch nicht so belastet, dass ich untragbar wäre;118 auch sind alle, die mich längere Zeit kennen, dieser Meinung. Wichtig erscheint mir nur, etwas Zeit zu gewinnen. Wenn es verhindert werden könnte, dass Prof. Grünthal119 in nächster Zeit endgültig berufen wird, wäre schon viel gewonnen“.120

In dem Bemühen nach Wiedererhalt des Lehrstuhls richtete Meggendorfer am 31.03.1947 ein Schreiben an den „Education Officer beim Military Government Erlangen“. Hierin betonte er, seit September 1945 kein Gehalt mehr zu erhalten, eine große Familie zu besitzen, wobei drei seiner Töchter sich gegenwärtig noch in Ausbildung befänden. Er selbst werde demnächst 67 Jahre alt, könne keinen Alternativberuf mehr ergreifen. Er sehe sich von Armut bedroht, was er als hartes und unverdientes Schicksal erachte, zumal er nie ein Aktivist gewesen sei. Unter Einreichung von weiteren Zeugenaussagen fordere er eine erneute Prüfung der stattgehabten Dienstsuspension.121 Das Entnazifizierungsprogramm zehrte an Meggendorfers Gesundheit, ein amtsärztliches Gutachten vom 24.06.1947 stellte eine Erwerbsminderung von 55% fest: „Hauptleiden: gr. Bauchnarbenbruch, Leistenbruch re, Blutdruckerhöhung, reduz. AZ“.122 Da sich die Aussicht auf eine kleine Wohnung in der Loewenichstrasse im November 1945 zerschlagen hatte, wohnte Meggendorfer mit seiner Ehefrau weiterhin in der Nervenklinik. Im Sommer 1947 erhielt Meggendorfer von Werner Leibbrand eine Aufforderung zur Räumung der Wohnung:123 „Da die bisherigen Versuche, die von Ihnen bezogene Wohnung freizumachen, immer ergebnislos waren, ist die Heil- und Pflegeanstalt aus dienstlichen Gründen gehalten, Ihnen hiermit das Wohnungsverhältnis zum 30.06.47 zu kündigen […]. Sie werden gebeten, sich mit den 117 BayHStA: MK 72018, Schreiben Nr. V 4318 vom 12.02.1947. 118 Diese Formulierung Meggendorfers könnte rückschließen lassen auf seine zwischenzeitlich stattgehabte selbstkritische Reflexion. Am 17.02.1951 gab Meggendorfer in der Retrospektive an, er sei sich zum Zeitpunkt seiner Entnazifizierung „nicht belastet erschien[en]“. Vgl. ebd.: MK 44017. Siehe ferner S. 522, Fn. 144. 119 Ernst Grünthal (1894–1972): 1934 wegen seiner jüdischen Herkunft aus Würzburg entlassen und in die Schweiz emigriert. Siehe ferner Grünthal (1930). 120 BayHStA: MK 44017. 121 “I was dismissed in August 1945, but later-on I got the permission to work in the hospital which was always prolonged till 1 August 1946. On 20 September 1946 I was classified as a follower by the tribunal; the decision became valid by law. Since September 1945 I have got no salary. I have a large family. Three of my children are still in professional training. I soon shall be 67 Years [sic] old, and am unable to enter upon a new profession. Therefore I see myself exposed to minery in my old age. I consider this fate as unmerited hardship, for I never was an activist. […] I reproduce a number of attestations – all of non-pa[rt]y-members as far as I know – and apply for a re-examination of my dismissal in August 1945”. Vgl. UAE: A2/1 Nr. M. 46. 122 Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. 123 Empfehlenswert hierzu Hirschfelder (1996).

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zuständigen Stellen umgehend ins Benehmen zu setzen, damit die Wohnung spätestens zum 30.06.47 geräumt ist. Sollte die Räumung bis zu dem vorgesehenen Zeitpunkt nicht erfolgt sein, wird von der Regierung in Ansbach Räumungsklage erhoben werden“.124

Am 19.08.1947 bat Meggendorfer beim Rektorat der Universität Erlangen um seine Emeritierung. Fälschlicherweise hatte der Berufungsausschuss im Wiedereinstellungsverfahren unter der Mitwirkung Werner Leibbrands am 15.05.1946 den seit 19.11.1945 dienstsuspendierten Meggendorfer als „bereits emeritiert“125 bezeichnet. In einem Begleitschreiben zum weitergeleiteten Emeritierungsantrag Meggendorfers an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus betonte der Rektor am 20.08.1947, Meggendorfer besitze „die positiven politischen, liberalen und demokratischen Eigenschaften […] die erwarten lassen, dass er zur Entwicklung und Förderung der Demokratie in Deutschland beiträgt“.126 Am 10.09.1947 wurde Meggendorfers Antrag zur Bewilligung der sogenannten „Weihnachtsamnestie“ vom 03.07.1947 abgelehnt mit der Begründung, es fänden weder Versorgungs- noch Unfallversorgungsgesetze Anwendung, außerdem habe Meggendorfers steuerpflichtiges Einkommen in den Jahren 1943–1945 mehr als 3.600 RM betragen. Am 15.10.1947 wurde Meggendorfer wiederernannt zum ordentlichen Professor bei gleichzeitiger Versetzung in den Ruhestand. Meggendorfer wurde pensioniert (75% des Gehalts) und nicht – gemäß des geltenden Beamtengesetzes bei beamteten Hochschullehrern – emeritiert.127 Am 06.11.1947 positionierte sich Meggendorfer in einem Schreiben an den Dekan, den Rektor sowie das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus folgendermaßen hierzu „Da die VO Nr. 113 nur die Rechtsverhältnisse der vom Befreiungsgesetz betroffenen Beamten den Auswirkungen dieses Gesetzes anpassen, nicht aber das alte Hochschullehrerrecht für diese Beamten beseitigen will, so tritt auch in Fällen, wo sie wegen Erreichung der Altersgrenze die Versetzung dieser Beamten in den Ruhestand vorsieht, bei den beamteten Hochschullehrern die Emeritierung. Zu dieser Rechtsansicht wird mein juristischer Fachkollege Herr Professor Dr. May-Wenzel in den nächsten Tagen eine nähere Begründung einreichen. Ich beziehe mich auf diese und bitte das Ministerium, noch einmal seine Entschließung überprüfen zu wollen, ob in meinem Falle nicht die Emeritierung eingetreten ist“.128

Die Begründung des Rektors Eduard Brenner,129 der im Mai 1946 gemeinsam mit Werner Leibbrand dem Berufungsausschuss im Wiedereinstellungsverfahren angehört hatte, lautete am 01.12.1947: 124 125 126 127 128 129

UAE: A2/1 Nr. M. 46. BayHStA: MK 44017. UAE: C3/5 Nr. 160. Meggendorfer bezog nur eine Teilpension. Vgl. Wendehorst (1993), S. 234. UAE: C3/5 Nr. 160. Wendehorst zeichnet Brenner am ehesten als mild-gemäßigt im Kontext der Wiederberufungen, was die Rolle Leibbrands bei der Dienstsuspension Meggendorfers weiter unterstützt: „Aber auch Brenner, der wirklich dem NS-Regime gegenüber auf Distanz geblieben war und sich deshalb in seiner Existenz hatte bedroht fühlen können, hatte einen Schlussstrich unter die Vergangenheit gezogen. Er rechnete nicht ab und provozierte damit auch einige kritische Stellungnahmen“.Vgl. Wendehorst (1993), S. 222.

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Positionen in der Nachkriegszeit „Auf die juristische Argumentation130 der Herren möchte ich nicht eingehen. Ich möchte nur folgendes zum Ausdruck bringen: […]. Um [S]ie nicht völlig mittellos zu lassen, habe ich die Wiedereinstellung bei sofortiger Pensionierung oder Emeritierung empfohlen. Wenn die Voraussetzung nicht erfüllt worden wäre, hätte ich die Verantwortung für die Wiedereinstellung nicht übernehmen können. Wenn nun […] die Emeritierung mit allen Rechten verlangt wird, so ist das ganze Vorgehen des Rektorats und des Ministeriums hinfällig, denn dann würde es Tatsache werden, dass die Herren, die pensioniert worden sind, damit sie keine akademischen Institutionen mehr ausüben, wieder als Vorlesende und Lehrer in der Universität auftreten. Das halte ich für unmöglich. Es dürfte deshalb notwendig sein, entweder in solchen Fällen klar bei der Pensionierung zu bleiben, oder der Emeritierung eine Definition zu geben, die die Ausübung jeglicher akademischer Funktion ausschließt“.131

Bezüglich Meggendorfers Ruhestandversetzung positionierte sich das Staatsministerium für Unterricht und Kultus gegenüber dem Rektorat am 16.12.1947 folgendermaßen: „Wenn eine Ruhestandsversetzung […] erfolgt ist, so ist das als Entgegenkommen zu betrachten, demgegenüber eher eine Anerkennung als eine Kritik zu erwarten wäre. Das Vorgehen de[s] Mitläufer[s] Meggendorfer […] legt den Gedanken nahe, dass es […] vielleicht angebracht gewesen wäre, von einer Wiedereinstellung überhaupt abzusehen. Die vorgenannten Gründe schließen es selbstverständlich auch aus, dass der Wiedereingestellte einen Anspruch auf eine bestimmte Gehaltsfestsetzung geltend macht“.132

Nachdem Meggendorfer gemeinsam mit seiner Ehefrau zwischenzeitlich für kurze Zeit wieder in die Schillerstraße eingezogen war, zog das Ehepaar 1947 nach Bamberg um.133 Am 29.05.1948 drückte Meggendorfer gegenüber Monsignore Georg Meixner seine Enttäuschung aus. Das Spruchkammerurteil habe keinerlei Berufsbeschränkung ausgesprochen. Direkt nach dem Krieg sei ein strengerer Maßstab angelegt worden als zu späteren Zeitpunkten. „Erheblich schwerer belastete Kollegen“134 in der britischen Zone seien wieder komplett rehabilitiert.135 Die Nichtemeritierung 130 Zur Selbstentlastung der Justiz für die Teilnahme am Anstaltsmord siehe Kramer (1984). Weiterführend auch Rückerl (1984), Tuchel (1984), Steinbach (1987), Kramer (1992), Schaefer (1996), Benzenhöfer (2000a), Stolleis (2000) Wildt (2000) sowie Köckritz (2011). Zur juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen siehe Freudiger (2002), Schumann (2008), Raim (2013) und Burkhardt (2015). „Hans-Joachim Rehse [1902–1969] war der einzige NS-Jurist, der in der Bundesrepublik für seine Verbrechen verurteilt wurde – doch dann ging das Verfahren in Revision. Chronik eines Justizskandals“. Vgl. Pausch (2017), S. 23. Zur Rolle des Bundesministeriums der Justiz zu NS-Zeit weiterführend: Görtemaker/Safferling (2016). 131 UAE: C3/5 Nr. 160. 132 BayHStA: MK 44017. 133 „Nachdem die Eltern für kurze Zeit wieder in der Schillerstraße in Erlangen gewohnt hatten, zogen sie 1947 in eine zentral gelegene Wohnung in Bamberg in der Markusstraße 12/II und in der Hopferstrasse 1/II. Leider ist die von den Eltern bewohnte Doppelhaushälfte nicht erhalten“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton und Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. 134 BayHStA: MK 44017. 135 „Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre, als in anderen Fällen die Aktivitäten aus der NS-Zeit in einem so milden Licht gezeichnet wurden, dass sie beinahe widerständigen Charakter annahmen“. Vgl. Lenger (2000), S. 282. Zur „Hamburger Medienberichterstattung über Entnazifizierung und Internierung in der britischen Besatzungszone“ vgl. Erdelmann (2016).

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stelle für ihn eine „Sonder- und Dauerstrafe“136 dar. Neben den moralischen Konsequenzen nicht mehr Mitglied der Fakultät zu sein, stelle die Pensionierung eine erhebliche wirtschaftliche Einbuße dar. Da er zum Zeitpunkt der Entlassung bereits 65 Jahre alt war, hätte er den Anspruch auf Emeritierung „gewissermaßen schon verdient“.137 Meggendorfer vermutete, sein vorgerücktes Alter sei der Hinderungsgrund für seine aktive Wiedereinstellung. Er empfand die Vorenthaltung der Emeritierung „als außerordentliche Härte, ja als ein Unrecht“138 und bat den Prälaten, seinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass „diese schwere Sorge von ihm genommen werde“.139 Meixner gewährte Meggendorfer seine Unterstützung und sandte am 08.06.1948 ein für Meggendorfer Abbitte leistendes Schreiben an das Ministerium. Am 25.06.1948 gab das Ministerium zur Antwort, eine nochmalige eingehende Überprüfung des Falles erfordere – gemäß der derzeit geltenden Richtlinien – das Beibehalten der Entscheidung über die Ruhestandsversetzung. Meggendorfer ließ sich im Juli 1948 als Facharzt in Bamberg nieder.140 Er zeigte sich weiterhin wissenschaftlich aktiv und arbeitete als Gutachter an den Gerichten. In einer Sitzung des Concilium Decanale am 24.07.1949 wurde „beschlossen, Herrn Prof. M. anheim zu stellen, sein Gesuch [nach Wiedererlangung der Venia legendi]141 zurückzuziehen, da im Falle der Weitergabe des Gesuches mit einer Ablehnung des

136 137 138 139 140

BayHStA: MK 44017. Ebd. Ebd. Ebd. „In Briefen vom Mai, Juni und Juli 1948 berichtete Vati von großen Geldsorgen und davon, dass er sich um eine Zulassung für eine Privatpraxis in Bamberg bemühte, die er im Juli 1948 erhielt und dort einige seiner alten Patienten weiter behandeln konnte. Es sind die letzten Briefe[,] die ich von Vati erhielt“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, April 2010 in FAM. 141 Die Schärfe dieser Restriktion wird auch anhand des vergleichenden Blickes deutlich, den uns Bachof bietet: „Vor allem in der amerikanischen Zone wurden auch und sogar in besonderem Maße die Hochschulen von den anfänglichen Maßnahmen der Besatzungsmacht betroffen. Lag doch gerade den Amerikanern an einer “reeducation” der deutschen Bevölkerung. An einer Umerziehung zu demokratischen Denken. Es war nur konsequent, dass sie den Schulen und Hochschulen besonderes Augenmerk schenkten. Die Entlassungen von Hochschullehrern wurden zum Teil denkbar rigoros durchgeführt, freilich meist ohne tiefere Sachkunde und vorwiegend nach den schematischen Kategorien der Zugehörigkeit zu irgendeiner nazistischen oder naziverdächtigen Organisation. Mancherorts wurde nahezu der ganze Lehrkörper entlassen, in einigen Fakultäten hundertprozentig. […]. Kaum weniger schematisch als die Entlassungen erfolgten dann aber auch die Wiedereinstellungen, als die Aufnahme des Lehrbetriebes – an den meisten Hochschulen im Wintersemester 1945/46 – eine Revision der anfänglichen Maßnahmen unumgänglich machte. Das spätere deutsche Entnazifizierungsverfahren war den Hochschulen kaum angemessener. Das an schematischen Kategorien ausgerichtete Befreiungsgesetz, die Zusammensetzung der Spruchkammern, oft ohne ein einziges akademisch vorgebildetes Mitglied: sie bewirkten, dass auch jetzt im allgemeinen nur auf die Zugehörigkeit zu irgendwelchen Organisationen geschaut wurde, nicht aber auf die ungleich wichtigeren wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder auf die Lehrtätigkeit in der nationalsozialistischen Zeit. […], Verbote, als Hochschullehrer tätig zu sein, wurden nur in seltenen Fällen ausgesprochen“. Vgl. Bachof (1965), S. 207–208.

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Positionen in der Nachkriegszeit Ministeriums zu rechnen ist und sich dadurch möglicherweise eine Verschärfung der Lage für ihn ergibt“.142

Meggendorfer zog sein Gesuch nicht zurück.143 Am 25.01.1951 beschloss die Medizinische Fakultät einstimmig den Antrag auf Emeritierung Meggendorfers. Die Antragsstellung diesbezüglich beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus erfolgte am 30.01.1951. Am 17.02.1951 bat Meggendorfer selbst das Ministerium um seine Emeritierung. In seinem Schreiben an das Ministerium bezeichnete er die Entscheidung der Spruchkammer als„materiell unrichtig“.144 Eine 142 BayHStA: MK 44017. 143 „Am 26.01.1951 beklagte Mutti über [sic] zunehmende Altersbeschwerden Vatis und den ärztlichen Rat, Anstrengungen zu vermeiden. Vermutlich litt er an Bluthochdruck. Trotzdem hat er bis wenige Wochen vor seinem Tod am Bamberger Seminar über forensische Psychiatrie Vorlesungen gehalten“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton und Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. 144 BayHStA: MK 44017. „Ich nehme Bezug auf sämtliche mit dem Ministerium gehabten Verhandlungen und bitte erneut, meine Emeritierung vorzunehmen. Anscheinend steht meiner Rückkehr in den Lehrkörper der Universität Erlangen als Emeritus meine Einstufung als Mitläufer nach dem Befreiungsgesetz entgegen. Ich bitte deshalb folgende Tatsachen berücksichtigen zu wollen: Ich wurde als einer der ersten Mitglieder des Lehrkörpers der Universität Erlangen vom Entnazifizierungsprozess erfasst, und es widerfuhr mir nicht die Milde, die mir sicher zu späterer Zeit zuteil geworden wäre. Gegen die Entscheidung der Spruchkammer muss ich noch heute geltend machen, dass sie materiell unrichtig ist. Berufung und Wiederaufnahme des Verfahrens unterließ ich, da ich der Meinung war, als Mitläufer stünde meiner Rückkehr als Emeritus nichts im Wege. Nun muss ich feststellen, dass eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr möglich ist. Letzteres wäre durch die verspätete Möglichkeit der Erbringung wertvollen Beweismaterials zu meiner Entlastung möglich gewesen. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, dass ein Verweis durch den Rektor während des Krieges wegen des Zitierens eines jüdischen Autors (Magnus Hirschfeld) keine Würdigung fand – 1. Meine Unterstützung vieler Angehöriger der Nürnberger jüdischen Kultusgemeinde trotz Vorliegens einer entsprechenden Korrespondenz nicht berücksichtigt wurde. 2. Ein schiefes Licht über mein Verhalten fiel auf Grund einer oberflächlichen Betrachtung und Beweisführung auch dadurch auf mich, dass ich als Leiter der Psychiatrischen Klinik anscheinend verantwortlich betrachtet wurde für Vorfälle in der HuPflA, die sich nur zufällig unter demselben Dach befand, ohne mir irgendwie zu unterstehen. Ich vermag im Gegenteil nachzuweisen, dass ich nationalsozialistischen Auffassungen abgeneigt war und in den letzten Jahren mit Wort und Tat für diese meine Einstellung eintrat. Auch diese Tatsachen wurden in meinem Verfahren nicht erwähnt. 3. Im Verfahren war es mir zeitlich noch nicht möglich gewesen nachzuweisen, dass und in welcher Art ich in Vorlesungen offen gegen die [,]Euthanasie[‘] Stellung nahm und wie ich meinen Assistenten gegenüber die Gleichbehandlung aller Patienten, gleich welcher Rasse oder Religion, vertrat. 4. Es war mir möglich, durch Gutachten und Verschleppung die Zuendeführung von Sondergerichtsprozessen zu verhindern. All diese Tatsachen vermag ich heute zu belegen, was ich [19]46 noch nicht konnte. Teilweise hielt ich die erwähnten Handlungen für Selbstverständlichkeiten und wollte sie zu meiner Entlastung nicht anführen, da ich mir nicht belastet erschien, teilweise war es mir zeitlich nicht möglich, die Unterlagen zu besorgen. Die Betreibung der Wiederaufnahme war mir deshalb unmöglich, weil mir nach Verlust meines in Lebensversicherungen angelegten Vermögens durch die Währungsreform die Mittel fehlten, zumal ich eine große Familie habe. Aus den erwähnten Gründen ist m. E. der Entnazifizierungsbescheid materiell unrichtig. Die Wiederaufnahme ist nun nicht mehr möglich[,] und ich halte es für eine unbillige Härte, in der seinerzeitigen Entscheidung einen Hinderungsgrund zu sehen, meinem Gesuch zu

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Berufung und Wiederaufnahme des Verfahrens habe er unterlassen in der Meinung, die Einstufung als Mitläufer145 stünde seiner Reintegration in den Lehrkörper nicht im Wege.146 Zudem wäre ihm das Betreiben der Verfahrenswiederaufnahme rein entsprechen. Ich muss es als schwere Dauerstrafe empfinden, dass ich immer noch von der Universität entfernt bin, während andere erheblich mehr belastete Kollegen längst wieder ihre frühere Stellungen, z. T. sogar gehobenere, innehaben. Hätte ich [19]36 dem an mich gegangenen Rufe nach Hamburg Folge geleistet, so wäre mir überhaupt ein Schaden nicht erwachsen. Ich wollte aber damals meiner bayerischen Heimat treu bleiben. Umso mehr muss ich den jetzigen Zustand als unverdiente, vielleicht lebenslängliche Strafe empfinden. Ich bitte um Berücksichtigung dieser Umstände. Für mich wäre die Emeritierung die einzige Rehabilitierung, die ich nach meinem arbeitsreichen Leben meiner Meinung nach verdient hätte“. Vgl. ebd. Antwort des Ministeriums an Meggendorfer vom 22.11.1951: „Die Emeritierung kann nach wie vor nicht in Betracht gezogen werden, denn: Das Bayer. Ausführungsgesetz zum Bundesgesetz zu Art. 131 GG sieht vor, dass Maßnahmen, die auf Vorschriften beruhen, die auf Grund des Art.162 Abs.3 Satz 2 und des Art.165 Abs.2 Satz 2 des Bayer. Beamtengesetzes ergangen sind, ab 1.4.51 außer Kraft treten. Damit wird dann auch die Ungleichheit, die darin bestand, dass entfernte Hochschullehrer teilweise in den Ruhestand versetzt, teilweise emeritiert worden sind, beseitigt“. Vgl. ebd. und ebd.: MK 72018. Zu den Auswirkungen des Staatsformwechsels auf das Beamtenrecht und die personelle Zusammensetzung der deutschen Beamtenschaft vgl. Grotkopp (1992). Vergleichbar mit der Rezeption in den Erlanger Lokalnachrichten Ende der 1930er Jahre, betonte Meggendorfer in seinem Schreiben an das Ministerium, er habe den ergangenen Ruf nach Hamburg abgelehnt. Zur uneindeutigen Quellenlage hierzu siehe Kap. 2.3.6. Es könnte die Vermutung naheliegen, dass Meggendorfer durch seinen Rechtsanwalt Dr. Ferdinand Zilcher unzureichend gut beraten war. Letzterer hatte nämlich am 06.09.1946 beantragt „Prof. Meggendorfer als Mitläufer zu erklären“. Vgl. StBN. Spruchkammer ErlangenStadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Siehe auch S. 511, Fn. 80. Wenn Meggendorfer im vorliegenden Schreiben von 1951 betonte, es wäre ihm im Rahmen der Entnazifizierung 1946 erst „die verspätete […] Erbringung wertvollen Beweismaterials zu [s]einer Entlastung möglich gewesen“, so gilt es zu betonen, dass er selbst eine Abkürzung des Zeitfensters zur Beibringung des Entlastungsmaterials gewünscht hatte. Vgl. BayHStA: MK 44017, UAE: A2/1 Nr. M. 46. 145 Weiterführend auch Niethammer (1982). 146 Im folgenden werden Auszüge angeführt aus nicht in das Spruchkammerverfahren eingebrachten Entlastungszeugnissen, die sich im BayHStA befinden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Meggendorfer diese dort zeitgleich mit seinem Widerspruch vom 17.02.1951 einreichte: Dr. Dr. Franz Esser, Zahnarzt, 03.08.1946: „Hiermit erkläre ich freiwillig und an Eides statt, dass Herr Prof. Dr. Meggendorfer, Erlangen, mir unter Gefährdung seiner Stellung und Person geholfen hat, mich vom Einsatz beim Volksturm zu befreien. Trotz meiner Krankheit sollte ich vom ‚Kreisamtsleiter und Leitende[n] Arzt im deutschen Volkssturm‘ in Kunreuth unter Androhung des Entzuges meiner Praxis zum Volkssturm eingezogen werden. Unter dem Ärztegeheimnis war es mir möglich, offen mit Herrn Prof. Meggendorfer über diese Angelegenheit zu sprechen und konnte ich hierbei seine antinazistische Einstellung kennen lernen“. Vgl. BayHStA: MK 44017. Ellen Phillips, „Scheinwerferabteilung“, 03.08.1946: „Am 19.12.1944 wurde ich aufgefordert, mich zur Ausübung als Batterieführerin einer Scheinwerferfabrik nach Brüx im Sudetengau zu begeben. Als ich mich aus Krankheitsgründen und unter Hinweis auf die propagierte ‚Freiwilligkeit‘ weigerte diesem Ansuchen nachzukommen, wurde ich am 22.12.44 verhaftet und unter Polizeiaufsicht dem Landrat in Forchheim vorgeführt. Dort wurde ich unter Androhung des Verlustes meiner persönlichen Freiheit aufgefordert, mich am 28.12.44 in einem Schulungslager einzufinden. Sollte es nötig sein, bin ich bereit auf Ansuchen die Namen der an dieser Aktion Beteiligten zur Erhärtung meiner Angaben anzugeben. Hier

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setzte die Hilfsaktion des Herrn Prof. Meggendorfers [sic] ein, dem ich in seiner Klinik den ganzen Sachverhalt unterbreitet habe. Er nahm mich dann in seine Klinik auf und hat mich so unter Einsatz seiner Person vor weiteren Erpressungen seitens der Partei, die diese Aktion in Gang gesetzt hatte, gerettet“. Vgl. ebd. Dr. E. Schmelzer, Assistenzärztin bei Meggendorfer seit Juni 1940, 08.09.1946: „Während dieser ganzen Zeit habe ich nie bemerkt, dass Herr Prof. Meggendorfer jemals politisch hervorgetreten ist oder nationalsozialistische Ideen vertreten hat. Ich habe auch nie gesehen, dass er das Parteiabzeichen trug oder mit dem damals vorgeschriebenen Gruße ‚Heil Hitler‘ grüßte. Dieser Gruß war in unserer Klinik nicht üblich. Wurden bei der täglichen Ärztekonferenz gelegentlich von uns Ärzten abfällige Bemerkungen über die nationalsozialistische Regierung gemacht, so stimmte er uns zu und verbot uns das Reden nicht. Er lehnte die Gewaltmethoden und politischen Machtansprüche strikte ab. Juden wurden von ihm behandelt, solange es überhaupt nur möglich war. Sie kamen zu ihm in die Sprechstunde und wurden auch stationär von ihm behandelt. So befand sich noch 1942 eine Patientin auf der Abteilung. Die Mutter dieser Patientin ersuchte bei jedem Besuch Herrn Prof. Meggendorfer um eine Aussprache, die ihr auch freundlich gewährt wurde und ihn immer ziemlich lange in Anspruch nahm. Dankesschreiben und auch die Korrespondenz ihres jüdischen Beraters finden sich noch heute in der Krankengeschichte der Tochter. Befanden sich ausländische Patienten auf den Stationen, so wurden diese genauso wohlwollend und gut von ihm behandelt, wie unsere deutschen Kranken. Auch bezüglich der Religion machte Herr Prof. Meggendorfer nie einen Unterschied“. Vgl. ebd. Es gilt zu betonen, dass das jeweils angegebene Datum der Entlastungszeugnisabfassung der soeben angeführten drei Personen nicht in offensichtlicher Latenz zu Meggendorfers Entnazifizierungszeitraum steht. Zur Angabe bezüglich der stationären Behandlung einer jüdischen Patientin 1942 an der Meggendorferschen Klinik siehe S. 419– 424. Dr. Fritz Gerstner, „Kurrat a. D.“, 14.11.1946: „Herr Prof. Dr. Meggendorfer behandelt mich seit vier Jahren. In dieser langen Zeit führte ich öfters mit ihm Unterhaltungen, aus denen ich den Eindruck gewann, dass er gesinnungsmäßig der Partei nie nahestand. Dies geht wohl auch aus der Tatsache hervor, dass er sich gegen Geistliche besonders freundlich zeigte, was ich als sein Patient bezeugen kann. Dies hätte kaum ein echter Nationalsozialist getan“. Vgl. BayHStA: MK 44017. Dekan Neundörfer, Erzbischöfliches Dekanat Erlangen, Datum nicht lesbar, da eingerissen: „Meggendorfer wurde von der Militärregierung vorläufig seines Amtes enthoben auf Grund seiner Zugehörigkeit zur NSDAP (1.5.33). Diese Entlassung trifft einen Mann, der niemals einig gehen konnte mit den Zielen der Partei, insbesondere nicht mit ihren weltanschaulichen Bestrebungen, da er überzeugter Katholik war. Prof. M. hat seine religiösen Verpflichtungen treu und gewissenhaft erfüllt, er war ständiger Besucher des Sonntagsgottesdienstes in meiner Pfarrkirche. Ebenso sind seine Frau und seine Kinder treu kirchlich eingestellt. Es ist mir niemals bekannt geworden, dass Herr Prof. M. sich aktiv betätigt hat in der Partei. Seine[r] Gesamthaltung und inneren Gesinnung als Katholik […] [entsprechend] wird eine Entlassung aus dem Dienst als hart und ungerecht empfunden werden müssen. Es wäre dringend zu wünschen, dass H. Professor weiter zum Wohl seiner Kranken in seinen Dienst zurückkehren könnte“. Vgl. ebd. Artur Förtsch, Nürnberg, 03.01.1947: „Seit 11.01.1944 bin ich Patient bei Herrn Prof. Dr. Meggendorfer. Nichts als ärztliche Hilfsbereitschaft und menschliches Wohlwollen trat mir in der Person Prof. Dr. Meggendorfers entgegen. Ich, der ich selbst den Betrieb in den ehemaligen NS-Lazaretten erfahren musste, konnte in den Jahren des Hitlerregimes immer beobachten, wie Herr Prof. Dr. Meggendorfer alle Patienten gut und human behandelt hat. So glaube ich mit gutem Gewissen bejahen zu können, dass Herr Prof. Dr. M. sich nur in den Dienst der Menschlichkeit gestellt hat und immer stellen wird, als Mensch und als Arzt lebte er auch in den Jahren der Unmenschlichkeit immer der Wissenschaft und der Humanität“. Vgl. ebd. Dr. Franz Kraus und Dr. Ella Kraus, 24.01.1947: „In seinen Vorlesungen, die wir in den Jahren 43–45 hörten, hat er so konsequent und auffallend jedes Eingehen auf politische Fragen und erst recht jedes Werben für nazistische Ideen und Ziele vermieden, dass jeder erkennen musste, hier spreche ein Mann, der den Nazismus ablehne;

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denn gerade seine Fächer hätten dazu geradezu herausgefordert. Nie hat er Antisemitismus propagiert oder überhaupt Rassenhass, nie ist er für [,]Euthanasie[‘] eingetreten. Er hat im Gegenteil stets so eindringlich und breit betont, dass JEDER Patient (es handelte sich um Geisteskranke!) als hilfsbedürftiger Kranker zu betrachten und zu behandeln sei und dass alles versucht werden müsse, den Kranken zu heilen – so dass wir uns alle darüber klar waren, dies bedeute eine eindeutige Ablehnung der [,]Euthanasie[‘] […]. Aufgrund aller dieser Beobachtungen wusste von uns Studenten jeder, dass Herr Prof. Meggendorfer ein Gegner des Nazismus sei und dieses Bewusstsein war uns eine Genugtuung und bestärkte auch uns in unserer Ablehnung der nazistischen Verirrung“. Vgl. ebd. Margarete Schütz, Bezirksoberpflegerin, 25.01.1947: „Er rügte nicht, dass auf der Station nicht mit ‚Heil Hitler‘ gegrüßt wurde, sondern er grüßte dann auch nicht mit ‚Heil Hitler‘“. Vgl. ebd. August Freiherr. v. [Nachname unkenntlich], 28.01.1947: „[Ich] bestätige, dass ich[,] je länger die nationalsozialistische Ära dauerte, umso mehr zur Überzeugung kam, dass sich Prof. Meggendorfer persönlich von den Bestrebungen und Anschauungen der Partei distanzierte. Da ich im März 1943 in die Klinik eintrat und bis Kriegsende tagtäglich dienstlich und außerdienstlich mit Meggendorfer zu tun hatte, glaube ich zu dieser Meinungsäußerung berechtigt zu sein. Als Nichtanhänger des abgelaufenen Systems sattsam bekannt und entsprechend angefeindet, erwarb ich mir mit der Zeit einen gewissen Blick und ein gewisses Gefühl in der Beurteilung der wahren Einstellung vieler hiesiger Menschen zum Nationalsozialismus […]. Auch habe ich niemals bei ihm in diesen langen Jahren irgendwelche Propagandatätigkeit, sowie eine antiisraelitische Einstellung beobachten können“. Vgl. ebd. Schubert, Verwaltungsdirektor des Hospitals zum Hl. Geist, Hamburg. 05.02.1947: „Meggendorfer ist mir seit ca. 20 Jahren bekannt. Er war s. Zt. in Friedrichsberg als Abteilungsarzt tätig. Hier habe ich, besonders auf genealogischem Gebiet, sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Auch habe ich mit ihm zusammen die Forensisch-Psychologische Gesellschaft in Hamburg betreut. Während dieser langjährigen Zusammenarbeit habe ich Meggendorfer als einen Mann mit durchaus anständigem Charakter schätzen gelernt. Seine soziale Einstellung sicherte ihm Wertschätzung und Anerkennung des gesamten, bald tausendköpfigen Personals. Er war stets human und immer hilfsbereit, wenn es galt, sich der Bedrückten anzunehmen. In der Zeit der Machtbestrebungen der Nationalsozialisten vor 1933 habe ich nie beobachtet, dass Meggendorfer sich irgendwie positiv in der Bewegung beteiligte. Es war kaum bekannt, dass er Mitglied dieser Partei wurde und dass er überhaupt mit dieser Bewegung sympathisierte. Auch nach der Machtübernahme bis zu seinem Fortgang nach Erlangen, wo ich noch öfter Gelegenheit hatte, mit ihm zusammen in der Forensischen Gesellschaft zu arbeiten, habe ich einen Wechsel in seiner Gesinnung nicht beobachtet. So kann ich vorbehaltlos erklären, dass Meggendorfer m. E. wohl Mitglied der Partei, aber niemals ein ausgesprochener Nationalsozialist, geschweige denn gar Aktivist war. Er nahm seine wissenschaftliche Berufung viel zu ernst, als dass er sich mit den widerwärtigen Methoden der Partei belastete. Ich würde es ganz entschieden bedauern, wenn Meggendorfer infolge seiner formalen Parteizugehörigkeit irgendwelche Schwierigkeiten erwachsen würden. Zum besseren Verständnis wird angeführt, dass der Unterzeichnende im November 1933 wegen seiner sozialistischen Weltanschauung seines Postens als Verwaltungsdirektors enthoben wurde“. Vgl. ebd. Dr. Scheiffarth, OA der Medizinischen Universitätsklinik Erlangen, 15.02.1947: „Seit 1937 [mit Meggendorfer] persönlich bekannt durch gemeinsame berufliche Beziehungen und Interessen. Ich habe von Herrn Prof. Dr. Meggendorfer stets die Überzeugung gewinnen können, dass seiner großen Schlichtheit ein ebensolches Maß von ärztlichem und erzieherischem Verantwortungsbewusstsein und menschliche Güte entsprach. Gerade in seiner exponierten Stellung als Ordinarius für Psychiatrie kam dies in den kritischen Jahren zum Ausdruck. Mir ist nicht bekannt, dass Meggendorfer jemals aktivistisch durch rassenpolitische Propaganda oder ähnliche Bestrebungen für das NSRegime hervorgetreten wäre. Er galt daher bei den Repräsentanten des Nationalsozialismus hier in Erlangen als ‚auch so ein Schwarzer‘, über den man abfällig urteilte und bestenfalls mit einer wohlwollenden Geringschätzung sprach. Zu den [,]Euthanasiebestimmungen[‘] nahm er

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finanziell nicht möglich gewesen, da die Währungsreform zu einem Verlust seines in Lebensversicherungen angelegten Vermögens geführt habe. Nach Meggendorfer sogar bewusst und betont eine ablehnende Stellung ein, wie mir aus Erzählungen von Studierenden und persönlichen Äußerungen des Meggendorfers erinnerlich ist. Meggendorfer war ebenso wenig Militarist […]. Ich glaube daher guten Gewissens zu sagen, dass Meggendorfer nur nominell der NSDAP angehört hat“. Vgl. ebd. Curt Dahme, „Herstellung und Vertrieb Kunstgewerblicher Spielwaren u. Ähnliches, Mitglied des Berufsverbandes bildender Künstler München“, 15.02.1947: “Declaration of oath: In account of my English nationality I give underoath the following statement: Just when finished the great war, I came into the University hospital of nerve to Prof. Meggendorfer. By this occasion we were speaking together over politic affaires during the Nazi regime. From several entertainments I stated, that Prof. Dr. Meggendorfer let himself persuade by the compulsion of unemployment at that time in Hamburg to join the NSDAP. But I know Prof. Dr. Meggendorfer as a social and right man, who is only living for science. On that account I recommend heartly, that this prominent specialist could very soon serve with his knowledges for the common world. Being a convinced democratic man, I know, that Prof. Dr. Meggendorfer shall become available member of the future German democracy”. Vgl. ebd. Diese Aussage Dahmes bzgl. drohender Arbeitslosigkeit als Motivator für die NSDAP-Mitgliedschaft Meggendorfers zeigt sich nur unzureichend validierbar. Familienintern tradiert wird eine Affinität des intoxikationsgeschulten Meggendorfers für die parteiprogrammatisch lancierte Abstinenzkultur. Vgl. S. 93–94. Fritz Krettner, 18.03.1947: „Da ich in seinem Vorzimmer als Verwaltungsbeamter tätig war, war ich genau über seine ärztliche Tätigkeit informiert. Ich kann der Wahrheit entsprechend bescheinigen, dass Herr Prof. Dr. Meggendorfer alle Kranken, die seine Hilfe in Anspruch nahmen, bereitwillig und ohne Zweifel nach bestem Gewissen behandelt hat. Er hat insbesondere Juden nie abgewiesen – sie kamen nach einmaliger Behandlung wieder und drückten auch ihre Zufriedenheit mit der Behandlung aus. Es sind mir noch die Patienten U. W., D. I., K. L., K. M., W. W., M. T. in Erinnerung“. Vgl. BayHStA: MK 44017. Prof. Dr. G. Schaltenbrand, Würzburg, 24.03.1947: „Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass Herr Prof. Dr. Meggendorfer, Erlangen und ich während des Krieges wiederholt über die unhaltbaren Zustände unter der Nazidiktatur, insbesondere über die Judenverfolgung, gesprochen haben und die Möglichkeit einer Abhilfe erörtert haben. Anlässlich einer Wehrmachtsärztlichen Tagung haben wir ernstlich die Frage geprüft, ob es nicht möglich wäre, Hitler, den wir für nicht mehr ganz normal hielten, zu entmündigen“. Vgl. ebd. Dr. Helene Westhoff, geb. Stober, 17.05.1948: „Seit 43 kenne ich Meggendorfer. Durch einen Freund meines Mannes, Prof. Dr. Kuen, war mir Meggendorfers Einstellung gegen den nationalsozialistischen Staat schon vorher bekannt. Im Gegenteil opponierte Meggendorfer sehr den Anschauungen des damaligen Staates [sic] hinsichtlich der ‚Behandlungsmethoden‘ der Psychiatrie. Es mag kaum schwierigere Vorlesungsthemen gegeben haben damals, wie [sic] sie gerade die Psychiatrie und Rassenhygiene boten. Meggendorfer machte keinerlei Zugeständnisse, sondern dozierte seine eigenen Ansichten. Da ich im Sommer 1944 das Thema meiner Dissertation von Meggendorfer erhalten durfte, kam ich durchaus in eingehende Unterredungen mit ihm. Dabei war seine Haltung unmissverständlich und offen gegen das damalige Regime. Da ich mich sträubte[,] einen gerichtlichen Teil in meine Arbeit aufzunehmen, weil ich es mit meiner Ansicht nicht übereinbringen konnte, erließ mir Meggendorfer diesen Teil der Arbeit. Er stimmte völlig überein mit einer Ansicht, dass die Ansichten völlig gegen jede Menschlichkeit seien [sic]. Ich war damals überrascht, dass Meggendorfer mir so offen seine Meinung dartat, da er doch wusste, was ihm daraus für Folgen entstehen konnten. Meggendorfer war seiner klaren Einstellung wegen von uns Studenten geachtet und beliebt“. Vgl. ebd. Siehe ferner auch Westhoff (1947). Es ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit der Aussage Westhoffs. Allein der Titel ihrer „Betrachtungen zu Persönlichkeitsveränderungen bei Kriminalität nach Encephalitis epidemica“ impliziert forensische Aspekte.

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warf eine oberflächliche Betrachtung und Beweisführung ein schiefes Licht auf sein Verhalten, so dass er als Leiter der Psychiatrischen Klinik „anscheinend verantwortlich betrachtet wurde für Vorfälle in der Heil- und Pflegeanstalt, die sich nur zufällig unter demselben Dach befand, ohne [ihm] irgendwie zu unterstehen“.147 Meggendorfer betonte, er habe „durch Gutachten und Verschleppung die Zuendeführung von Sondergerichtsprozessen148 […] verhinder[t]“.149 Diese Aussage Meggendorfers zur Verhinderung des Abschlusses von Sondergerichtsprozessen lässt sich nicht nachprüfen.150 Am 07.03.1951 wurde Meggendorfer vom Ministerium mitgeteilt, seine Bitte um Emeritierung sei derzeit Gegenstand von Verhandlungen mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen. Am 06.06.1951 wurde Meggendorfer erneut vertröstet, zumal die erforderlichen Vollzugsschriften des inzwischen erschienenen Bundesgesetzes zu Art. 131 Grundgesetz abgewartet werden müssten. Am

147 BayHStA: MK 44017. 148 „Kurz nach Kriegsbeginn wurde Vati unter Beibehaltung seiner zivilen Position zum Militär eingezogen. Er war [B]eratender Psychiater des 13. Armeecorps und machte psychiatrische Fachgutachten in Zweifelsfällen, für die forensische Psychiatrie und für das Militär. Dazu musste er sehr weite Strecken mit der Eisenbahn zurücklegen und sogar manchmal nach Prag fahren. […]. Da ging es um sehr dramatische Fälle, um Selbstmorde, Wehrdienstverweigerung, Fahnenflucht, Regime-Gegner, die den Krieg verweigerten – und um wirklich traumatisierte, die durch ihre Kriegserlebnisse ‚verrückt‘ geworden sind […] Sehr oft war für ihn die Begutachtung zum Tode verurteilter Fahnenflüchtiger und anderer Angeklagter äußerst anstrengend. Die er erfolgreich beurteilte [sic], bis auf einen Fall, in dem der Verurteilte im Gericht nach seiner Freisprechung laut rief: ‚Der will mich ja nur retten, aber ich habe alles bewusst getan’ Er wurde dann hingerichtet“. Vgl. Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. 149 BayHStA: MK 44017. 150 Die Arbeit für das Sondergericht Nürnberg war für Meggendorfer zeitintensiv, wie sich in einer Fristverlängerung für ein Ehescheidungsgutachten zeigt: „Ich habe die Aufforderung zur Erstattung eines Obergutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 23.12.42 erhalten. Ich bin jedoch nicht in der Lage, das Gutachten binnen einer Frist von 4 Wochen zu erstatten. Ich bin als beratender Psychiater zur Wehrmacht einberufen und habe daneben die Klinik mit allem was dazu gehört zu versehen und zwar mit zum Teil unzureichenden ärztlichen Hilfskräften, da alle meine regulären Assistenten ebenfalls einberufen und ortsabwesend sind. Außerdem habe ich zur Zeit zwei äußerst schwierige und zeitraubende Gutachten bezw. Obergutachten für das Sondergericht Nürnberg zu erstatten. Vor Anfang oder Mitte Februar werde ich nicht zur Vorbereitung des Obergutachtens L. kommen. Ich bitte die Frist deshalb bis Anfang März zu verlängern oder einen anderen Sachverständigen zu beauftragen. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenummer. Kursivschrift durch Autorin. Zum Sondergericht Nürnberg siehe ferner Lutz (2012). Im Bayerischen Staatsarchiv Nürnberg befinden sich circa 200–400 Sondergerichtsakten pro Jahr im Zeitraum von 1933–1945. Die Findbuch-Einträge erlauben keinen eindeutigen Rückschluss auf das Vorhandensein eines psychiatrischen Gutachtens bzw. auf die Person des entsprechend begutachtenden Psychiaters. Eine selektive Akteneinsicht im Jahrgang 1942 bei Findbuchvermerk „Einweisung in die Heil- und Pflegeanstalt“ lieferte ein psychiatrisches Gutachten eines Regensburger Anstaltspsychiaters mit konsekutiver Einweisung nach Karthaus-Prüll. Vgl. persönliche Information von Herrn Gunther Friedrich/Staatsarchiv Nürnberg, 18.05.2017. Weiterführend zur Geschichte der Regensburger Heil- und Pflegeanstalt KarthausPrüll sei verwiesen auf Zierl (1932) und Großhauser (1973). Insbesondere zur Rolle von Karthaus-Prüll in der Zeit zwischen 1933 und 1945 siehe Cording (1999) und Babaryka (2001).

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22.11.1951 erhielt Meggendorfer vom Ministerium den Bescheid, seine Emeritierung könne nach wie vor nicht in Betracht gezogen werden. Neben seiner nervenärztlichen Praxis in Bamberg hatte Meggendorfer als „vormals Vorstand der Universitätsnervenklinik Erlangen“151 einen Lehrauftrag an der Phil.-Theol. Hochschule Bamberg.152 In dieser Funktion plante er in den Osterferien 1952 eine Reise nach Italien, um dort verschiedene neue Verfahren seines Faches kennen zu lernen.153 Aufgrund des Beschlusses in ihrer Sitzung vom 15.01.1953 beantragte die Medizinische Fakultät, „dem früheren Ordinarius für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Herrn Prof. Dr. F. M[eggendorfer] die akademischen Rechte eines entpflichteten Hochschullehrers zu verleihen“.154

Am 12.02.1953 verstarb Friedrich Meggendorfer 72-jährig unerwartet155 an einer entzündlichen Erkrankung156 in Bamberg. Die für die Fakultätssitzung am 13.02.1953 geplante Emeritierung „f[iel] wegen Ablebens des Prof. M. weg“.157 In einem Kondolenzschreiben an Jakobine Meggendorfer fand der Dekan Heinrich Kuen158 folgende Worte: „ich weiß auch, wie sehr sich die Universität nach dem Kriege immer wieder bemüht hat, den hochgeschätzten Kollegen Meggendorfer die vollen Rechte eines Mitgliedes unseres akademischen Senats wieder zu verschaffen. Es ist sehr schmerzlich, dass er gerade jetzt für immer von uns gegangen ist, wo dieses Ziel endlich erreicht werden konnte“.159

151 Meggendorfer (1950), Titelseite. 152 Zu den von Meggendorfer gehaltenen forensischen Seminaren siehe S. 517, Fn. 116 und S. 522, Fn. 143. 153 Zur Vorreiterrolle Italiens in der EKT siehe Kap. 2.4.3. 154 UAE: A2/1 Nr. M. 46. 155 „Die Hochzeiten von Wally und Fritz am 26.5.1951 und von Ida und Johannes am 31.10.1952 in Würzburg waren die letzten Familienfeste bei denen Vati dabei sein konnte. Er hat noch die Geburt von Thomas * 8.7.1952 miterlebt und seinen ersten Enkel auf dem Arm gehabt“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton und Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. 156 „Das Ende kam dann unerwartet für alle, die ihm nahe standen. Dass er eine akute infektiöse Erkrankung, die zunächst gar nicht allzu gefährlich erschien, schließlich nicht überwunden hat, lag wohl im tiefsten Grunde daran, dass der Lebenswille in ihm gebrochen war. Hieran vermochte auch die kurze Zeit vor seinem Ableben eingetroffene Nachricht von seiner endgültigen Rehabilitation nichts mehr ändern“. Vgl. Scheller (1954), S. 80. Familienintern zeigen sich hinsichtlich der Todesursache eher vage Überlieferungen: „[a]m 12. Februar 1953 starb Vati im Kreis der ganzen Familie, (im Krankenhaus Bamberg?) [sic] vermutlich an Nierenversagen und wurde anschließend nach Aibling überführt“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton und Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. 157 UAE: A2/1 Nr. M. 46. 158 Heinrich Kuen (1882–1989), Lehrstuhl für Romanistik an der Universität Erlangen (1937– 1969), Rektor der Universität Erlangen von 10.01.1953 bis zum Sommersemester 1954. Vgl. http://www.romanistik.phil. uni-erlangen.de/institut/ geschichte_des _instituts.shtml. Stand vom 03.01.2015. 159 UAE: A2/1 Nr. M. 46.

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4.3 MEGGENDORFER IM SPIEGEL ZEITGENÖSSISCHER MEINUNGEN Anlässlich des zehnjährigen Direktorat-Jubiläums von Friedrich Meggendorfer hielt die Stadtsekretärin F. A. im November 1944 folgende Festrede: „Das Nützliche sollen Sie dann von mir, einer einstmaligen Morphinistin, in Worten erhalten. […] 10 Jahre waren es, dass Herr Professor die mir so lieb gewordene Klinik, seinen Wirkungskreis, übernommen hatte. Zehn Jahre einer unermüdlichsten und sorgenvollsten Arbeit zum Wohle der Menschheit […]. Wie viel Freude, aber auch wie viel Leid, Bitterkeit und Enttäuschung werden an ihn herangetreten sein in dieser Spanne Zeit. Ich kenne dieses edle und gütige Menschenkind nun seit 8 Jahren. Zuerst fürchtete ich mich vor ihm […]. Aber gar bald musste ich erkennen, dass es nichts zu fürchten gab und ich durfte nur Gutes aus seiner Hand empfangen. Und für diese dauernde Güte und Sorge möchte ich ihm an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank entbieten. Nicht nur für mich, sondern auch für alle Jene, die damals unter seiner Sorge gestanden [haben] und noch stehen. Möge doch der Wunsch, dass Herr Professor uns noch recht lange erhalten bleibe, in Erfüllung gehen und so bitte ich auch Sie herzlich, ihm vollstes Vertrauen entgegenzubringen“.160

Im Kontext zu „Morphinismus“ mag ein Ausschnitt aus Meggendorfers Artikel zur gerichtlichen Psychiatrie von 1929 angeführt werden: „Ein selbst mehrmaliger Rückfall sollte freilich keineswegs als Zeichen der Aussichtslosigkeit einer Behandlung gelten dürfen […]. In Übereinstimmung mit den meisten ärztlichen Sachverständigen bin ich deshalb der Meinung, dass es Fälle von Morphinismus gibt, in denen auch der gewissenhafte Arzt das Morphium als Heilmittel verordnen kann“.161

Mit dieser Sichtweise könnte Meggendorfer die aktuell gut etablierte Option der Substitutionsbehandlung162 antizipiert haben. Meggendorfer wurde gewürdigt von seinem ehemaligen Friedrichsberger Kollegen Carl Riebeling163 als „ein feinsinniger, tiefveranlagter Mensch und hervorragender Wissenschaftler“164 mit umfassender Bildung. Die Treffsicherheit seines Urteils sowie die Weite seines geistigen Horizontes wurden herausgestellt. Man habe sich in fachlichen sowie menschlichen Nöten vertrauensvoll an ihn wenden können: „Er war ein vorbildlicher Arzt, der nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit ganzem Herzen seinen Beruf erfüllte, den er sich schon als junger Mann erwählt hatte und erkämpfen musste“.165

160 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 153/60; 290/197. 161 Meggendorfer (1929b), S. 161. 162 „In den Richtlinien der Bundesärztekammer zur Substitution Opiatabhängiger werden 4 Stufen der Behandlung der Drogenabhängigkeit definiert: 1. Sicherung des Überlebens 2. Gesundheitliche und soziale Stabilisierung 3. Berufliche Rehabilitation und soziale Reintegration 4. Opiatfreiheit“. Vgl. Holzbach (2011), S. 49. 163 Riebeling selbst publizierte unter anderem zum Wesen des Anfalls sowie zur Pathophysiologie der Psychosen. Vgl. Riebeling (1940b) und (1941). Interessant auch Gagel (1943). 164 Riebeling (1953a), S. 1. 165 Flügel (1953), S. 615.

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Er sei mit „ganzer Passion“166„Arzt und Helfer“167 gewesen – so Fritz Flügel. Flügel mag als Nachfolger Heinrich Schellers ab 1951 den dienstsuspendierten Amtsvorgänger Meggendorfer wohl nur geringfügig kennengelernt haben.168 Umso erstaunlicher ist es, dass Flügel in seinem Nekrolog folgende Aspekte betonte: „[s]tets mussten wir seine Aufgeschlossenheit für alle modernen Fragen bewundern und wir waren immer wieder gefangen von dem Charme seiner liebenswürdigen Persönlichkeit“.169 Aus der Perspektive seiner Töchter sollte Meggendorfer folgendermaßen rezipiert werden: „Unser Vati war ein sehr feiner und feinsinniger Mann und erweckte bei den meisten Menschen sofort Vertrauen. Meist war er ruhig, besonnen und sehr fleißig. Wenn er sich verstanden fühlte, konnte er sehr lustig und geistreich unterhalten. Im Lehrkörper der Uni hatte er viele Freunde und lebhaften geistigen Austausch (Prof. Althaus, Hauck, Fleischer,170 aber auch bei den Geisteswissenschaften.) […] Seine Führung erreichte er nie autoritär oder zynisch, er war durch sein unendliches Wissen und seine Überlegenheit von selbst eine Autorität [sic].171 Er schien alles zu wissen, weshalb er oft das ‚wandelnde Lexikon‘ genannt wurde. Er sprach viele Sprachen,172 besonders gut Latein, Italienisch (dabei sogar mehrere Dialekte), Französisch, aber auch gut Türkisch, Englisch und etwas Spanisch. Er lernte auch noch im hohen Alter. Von uns wollte er noch bis zuletzt alles Neue aus der Medizin erfahren“.173

Soweit die zeitgenössische Rezeption von Meggendorfer als ärztlicher Behandler, Wissenschaftler, Kollege und Vater. Seine posthum Rezeption wurde in ihrer aktuellsten Version entsprechend der Darstellung in der Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum der Universitätsklinik Erlangen bereits skizziert.174 Im folgenden Kapitel wird die posthum Rezeption genauer in ihrem Zeitverlauf betrachtet werden.

166 Ebd., S. 614. 167 Ebd. 168 „Flügel wurde 1941 zum Stabsarzt, 1942 zum Oberstabsarzt und 1944 zum Oberfeldarzt befördert. Er stellte in seinen Berichten fest, dass sich unter Soldaten, die sich suizidiert hatten, ‚viele gut beurteilte Leute‘ befänden. Einen Teil der Soldaten mit psychogenen Reaktionen hielt er für ‚ausgesprochen wehrunwillige Typen‘“. Vgl. Berger (1998), S. 267. Im Jahre 1947 referierte Flügel auf dem Tübinger Kongress für Neurologie und Psychiatrie „[z]ur Diagnostik der posttraumatischen Spätabszesse im Gehirn“. Vgl. Flügel (1947). Scholz sprach über „Krämpfe in der Entwicklung körperlicher und geistiger Defektzustände“. Vgl. Scholz (1947). 169 Flügel (1953), S. 614. 170 Bruno Fleischer war von WS 1929/30–SS 1930 Rektor der FAU. Vgl. https://www. fau.de/universitaet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. 171 In diesem Zusammenhang beachtenswert ist die „Autoritätstherapie: 1. (E. Stransky). Therapie, in welcher der Therapeut bewusst die Rolle einer väterlichen Autorität übernimmt. Obsol. 2. Formen der Therapie, in denen – unbemerkt – ein Subordinationsverhältnis unter eine Autorität wirksam ist“. Vgl. Peters (2011), S. 61. 172 Auch in diesem Punkte könnte es Meggendorfer – der gemäß familieninterner Tradierung gerne den deutschen Dichterfürsten zitierte – mit Goethe gehalten haben: „Der Deutsche soll alle Sprachen lernen, damit ihm zu Hause kein Fremder unbequem, er aber in der Fremde überall zu Hause sei“. Vgl. Goethekalender (1967), S. 46. 173 Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer, circa Juli 2010 in FAM. 174 Siehe hierzu S. 480–483, S. 494, S. 514, Fn. 88.

5 ZU PERSON UND MORAL VON FRIEDRICH MEGGENDORFER Ein Mitarbeiter des MPIP in München sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Quellen für seine Rüdin-Biographie elektiv im Sinne einer Verharmlosungsstrategie ausgewertet zu haben.1 Die Rezeption des Rüdin2-Schülers Friedrich Meggendorfer

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Interessant zeigt sich insbesondere die 10-Jahres-Dynamik in der kritischen Rezension des Werkes von Weber: „Die 1993 von M. Weber vorgelegte Studie zu Ernst Rüdin war zum damaligen Zeitpunkt eine wichtige Bilanz mit einer beeindruckenden Fülle an neu präsentiertem archivalischen Material. Heute muss Webers Darstellung in vielen, z. T. zentralen Punkten (z. B. Rüdins Verhältnis zur nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘) korrigiert und ergänzt werden“. Vgl. Roelcke (2002a), S. 1023. Zehn Jahre später nahm Roelcke eine weitaus anklagendere Position ein: „Weber ist in weiteren eigenen Publikationen der direkten Auseinandersetzung mit diesen Kritikpunkten ausgewichen. Er behauptete weiter ohne Verweis auf die problematische Quellenlage, eine aktive Beteiligung von Rüdin an der Aktion ‚T4‘ sei nicht nachweisbar (der Fragenach[sic]der NS-‚Euthanasie‘ generell ausweichend)“. Vgl. Roelcke (2012), S. 303. Die historische Wissenschaft lässt „konkurrierende Narrative bei komplexer Historie“ zu, legt also „keine ethischen Zügel an […] solange die Historiker unter sich“ sind. Vgl. Sachse (2015). Im Gebiet der Psychiatriehistorie hingegen sind „die Historiker [nicht] unter sich“; es handelt sich vielmehr um ein Überschneidungsgebiet der wissenschaftlichen Betätigung von „reinen“ Historikern, ärztlichen Medizinhistorikern und -ethikern sowie von (ggf. parallel klinisch tätigen) Psychiatern. „E. Rüdin bemühte sich nach Kriegsende um eine Wiederanerkennung der Schweizer Staatsbürgerschaft, wozu ihm wohlwollende Zeugnisse von R. Gaupp (1870–1953), zuletzt Psychiatrie-Ordinarius in Tübingen, G. Stertz (1878–1959), 1946 bis 1952 Leiter der Universitätsnervenklinik München, und K. Kolle (1898–1975), seinem Nachfolger an der Münchner Klinik, verhalfen. Er starb 1952 im Alter von 78 Jahren“. Vgl. Payk (2000), S. 114. Stertz war ab 1921 Ordinarius für Psychiatrie in Marburg und wurde 1926 nach Kiel berufen. Wegen seiner „deutsch-jüdischen Mischehe“ wurde Stertz aufgrund des Flaggenerlasses vom 19.04.1937 aufgefordert, einen Antrag auf Entpflichtung zu stellen. Er lehnte dies ab unter der Begründung, „dass seine Frau einen ‚arischen‘ Vater hat und demzufolge nicht als ‚Volljüdin‘ gelten kann (der Vater ist der bekannte Mediziner Alois Alzheimer). Dass der ‚Flaggenerlaß‘, der sich auf Ehen mit ‚Volljuden‘ bezieht, tatsächlich nicht auf den Psychiater angewendet werden kann, um seine Entlassung juristisch zu begründen, gesteht selbst der damalige Direktor der Medizinischen Kliniken ein. In seinem Schreiben an Rektor Ritterbusch erklärt er jedoch, dass Stertz ‚typische Meckerer‘ beschäftige – gemeint ist sein Assistent Kurt Kolle –, der in der ‚Systemzeit mit allen Juden […] sehr freundlich‘ gestanden habe und ‚keine Führereigenschaften im Sinne des nationalsozialistischen Staates‘ besitze. Die Zermürbungstaktik gegen den Psychiater ist zunächst erfolgreich. Im Mai 1937 stellt er einen Antrag auf Entpflichtung. Im Juli hingegen erhebt er Einspruch gegen seine Emeritierung und verweist noch einmal auf die Gesetzeslage, die nur auf Beamte zutrifft, die mit ‚Volljuden‘ verheiratet sind. Zwar bittet er darum, rehabilitiert zu werden, jedoch ohne sein Entpflichtungsgesuch zurückzunehmen. Trotz seines be-

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hingegen zeigte bislang eher tendenziell durchgehend Dämonisierungstendenzen. So wurde die Position Meggendorfers vom „Mitläufer“3 zum „Erfüllungsgehilfen“4 verschärft.5 5.1 ROLLE ALS MILITÄRPSYCHIATER Der Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Erlangen (24.10.1993–27.2.1994) anlässlich des 250-jährigen Bestehens der Friedrich-Alexander-Universität führte Meggendorfer unter der Rubrik „Der Arzt als Erfüllungsgehilfe“6 und zitierte einen

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rechtigten Einspruchs wird der 59-jährige Psychiater nicht wieder in den Lehrkörper aufgenommen“. Vgl. http://www.uni-kiel.de/ns-zeit/bios/stertz-georg. shtml. Stand vom 10.12.2015. Zur „politische[n] Intrige [, wodurch Stertz 1937] aus dem Amt gedrängt“ wurde, siehe ferner Schimmelpenning (2004), S. 194. „Auf dem ehemaligen Anwesen seines Schwiegervaters Alzheimer in Weßling in Oberbayern verbrachte Stertz die folgenden Jahre“. Vgl. Christiani (2006), S. 185. Ab 1946 erhielt Stertz den Lehrstuhl für Psychiatrie und Nervenheilkunde in München. Vgl. http://www.uni-kiel.de/ns-zeit/bios/stertz-georg.shtml. Stand vom 10.12.2015. Siehe ferner Uhlig (1991). „Unter Stertz haben sich in Kiel 1928 K. Kolle und E[rnst] Braun [1893–1963] habilitiert. Kolle ging 1933 nach Frankfurt; 1952 übernahm er als Nachfolger von Stertz die Leitung der Münchener Universitätsklinik, 1966 wurde er emeritiert. Braun wurde 1937 auf den Rostocker Lehrstuhl für Neurologie und Psychiatrie berufen, den er bis 1946 innehatte. Aus politischen Gründen aus der damaligen sowjetischen Besatzungszone geflohen, leitete er das niedersächsische Landeskrankenhaus Königslutter bis 1958“. Vgl. Christiani (2006), S. 184. Siehe ferner Miesch (1996). Als Veröffentlichung Brauns als „Privatdozent für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Kiel“ siehe zum Beispiel Braun (1933). Braun, 1937 zum ordentlichen Professor für Psychiatrie und Neurologie ernannt und Direktor der Anstalt, „beklagte sich beim Ministerium darüber, dass Rostock die einzige Universität sei, die nicht über eine Universitäts-Nervenklinik verfüge. Diesen Status erhielt die Klinik erst nach Wiedereröffnung der Universität 1946“. Vgl. Schläfke et al. (2004), S. 46. „Inwieweit sich Braun und die Klinik an der verbrecherischen T4-Aktion beteiligten, ist nicht bis in alle Einzelheiten geklärt worden. Viele Patienten mussten aufgrund der o. g. organisatorischen Bedingungen verlegt werden, können dann im Umweg über diese neuen Kliniken umgebracht worden sein. Als direkte Transporte belegt gab es sicher nur einen von 30 Patienten vor Oktober 1941. Das Schicksal von 21 Patienten, die nach § 42b RStGB sicherheitsverwahrt in der Klinik untergebracht waren (Meldung der Klinik im September 1942 an das Ministerium), ist ebenfalls ungeklärt“. Vgl. ebd., S. 47. Siehe ferner Braun (1940a) und (1940b). Zu den Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich weiterführend siehe Buddrus/Fritzlar (2007). StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Lehmann (1993a), S. 360. Die dämonisierende Rezeption Meggendorfers in der Lokalpresse der 1990er Jahre dürfte am ehesten als vergröbernd und wissenschaftlich nicht relevant einzustufen sein. Die diabolisierende Tendenz der lokalansässigen historiographischen Positionen mag am ehesten in dem noch nachwirkenden NS-Aufarbeitungsprozess der 1980er und 1990er Jahre anzusiedeln sein. Nach einer langanhaltenden tabuisierten Phase kam es nun zu einer reaktiv-überschießenden moralischen Bewertung, wobei der differenzierte komparative Ansatz und das vorsichtige Abwägen teils in den Hintergrund traten. Ebd.

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Auszug aus einem Erfahrungsbericht Meggendorfers in seiner Eigenschaft als „Beratender Psychiater7 beim Wehrkreisarzt XIII (Erlangen)8 ca. 1943/1945“:9 7

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In seinem Werk „Die beratenden Psychiater des Deutschen Heeres 1933 bis 1945“ schilderte Berger folgendes zu Meggendorfer: „Er war von Juni 1940 bis Kriegsende Beratender Psychiater im Wehrkreis XIII in Erlangen. […]. Er war zunächst als Oberstabsarzt Angehöriger der Marine, bis er im März 1944 ins Heer wechselte“. Vgl. Berger (1998), S. 277–278. Interessant ferner: „Die Namen der folgenden Psychiater wurden auf verschiedenen Listen verzeichnet, da jedoch weder Berichte noch Briefe von ihnen erhalten sind, ist es fraglich ob sie überhaupt eingesetzt wurden: Auf zwei Zusammenstellungen von 1938 finden sich: Stier, Lemke, Nitsche, Kehrer, Pick, Bonhoeffer, Berger, Hilpert, Fleck, Braun, Gaupp, Wetzel, Hoche, Rüdin, Luxenburger und Langelüddeke. Auf Listen von 1939 finden sich zusätzlich: Pötzl, von der Heydt, Kihn, Kranz, Boening [1895–1960] und Heyde“. Vgl. ebd., S. 299. Ob es sich bei dem erwähnten Kranz um den Rassenhygieniker Heinrich Wilhelm Kranz (1897–1945) oder um Heinrich Kranz (1901–1979), ab 1951 Ordinarius für Psychiatrie in Mainz, handelte, bleibt offen. Siehe ferner Kranz (1940). „In deutlichem Kontrast zu dieser Funktion als ‚Zwischenanstalt‘ im System der nationalsozialistischen Menschenvernichtung steht die weitere Entwicklungung der Mainzer Psychiatrie. Denn, kaum war der Krieg zu Ende, erhielt das schwer zerstörte Mainz 1946 mit der Erhebung zur Landeshaupt- und Universitätsstadt eine unerwartete Chance. In unserem Zusammenhang ist natürlich die Neugründung der Universität wichtig, zu der ab dem Wintersemester 1946/47 auch die Medizin gehörte; zugleich wurde das bisherige Stadtkrankenhaus Universitätsklinik und der ‚Nervenbau‘ deren Psychiatrische Abteilung. Damit gab es aus Mainz erstmals Impulse zur Psychiatrie als Wissenschaft“. Vgl. 2003), S. 213. Zur Militärpsychiatrie siehe ferner Schneider (1918), Heidenhain (1928), Wuth (1939), Kogerer (1949), Kolle (1961b), Leven (1990a) und Hofer (2000). Zur Einordnung der Psychiater in der ehemaligen deutschen Wehrmacht berichtete Kolle 1961: „Während des ersten Weltkrieges gab es bei jeder Armee und jedem Armeekorps eine Gruppe ‚Beratende Ärzte‘: einen Chirurgen, einen Internisten, einen Hygieniker, einen Pathologen. Psychiater, Neurologen und andere Fachärzte waren nur in den weit hinter der Front eingesetzten Kriegslazaretten tätig. Erst im späteren Verlauf des Krieges, als die Kriegsneurosen zunahmen, wurden in der Heimat besondere Nerven-Lazarette eingerichtet, in denen so hervorragende Männer wie Hans Berger, Kurt Schneider, Ernst Kretschmer wirkten. Auch bei den stellvertretenden Generalkommandos der Heimat wurden für Beratende Psychiater Stellen geschaffen, die zum Beispiel in Berlin von Bonhoeffer, in Rostock von Bumke, in Hamburg von Nonne wahrgenommen wurden. Die grosse Zahl der Kriegszitterer und andere Formen abnormer Erlebnisreaktionen wurde nicht vergessen. Als die Mobilmachungspläne für die neue deutsche Wehrmacht aufgestellt wurden, waren im aktiven Sanitätsdienst noch genügend Ärzte vorhanden, die über eigene kriegsärztliche Erfahrungen verfügten. Eingedenk der Erlebnisse mit den Kriegs-Neurotikern des ersten Weltkrieges sollte einer epidemischen Ausbreitung der Neurosen von vornherein begegnet werden. Die neue Gliederung des kriegsärztlichen Sanitätsdienstes bei dem Wehrmachtsteil ‚Heer‘ sah deswegen für den Ernstfall vor, dass jeder Heeresgruppe und Armee, jedem Wehrkreis in der Heimat auch ein Beratender Psychiater zugeteilt war. Ebenso war bei jeder Kriegslazarett-Abteilung, die sich in mehrere Kriegslazarette gliederte, eine Planstelle für einen Psychiater vorgesehen. Die Beratenden Psychiater, die unmittelbar den Heeresgruppen- und Armeeärzten unterstellt waren, mussten vierteljährlich einen Erfahrungsbericht an den Heeres-Sanitätsinspekteur erstatten, der wiederum einen Beratenden Psychiater zur Seite hatte. (Diese wertvollen Berichte sind, wie bereits erwähnt, leider verlorengegangen oder jedenfalls zur Zeit nicht verfügbar.) Diese Beratenden Psychiater waren – ein bemerkenswerter Umstand in der Diktatur! – in ihrer Tätigkeit als Ärzte an besondere Vorschriften nicht gebunden“. Vgl. Kolle (1961b), S. 619–620. Zu Militärärzten und Sanitätsdienst im Dritten Reich siehe weiterführend Guth (1991). „Der Gestaltwandel der Kriegsneurosen im 2. Weltkriege zeigte sich im Verschwinden der grob-hysterischen und demonstrativen Reaktionen, die

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer „Die Zahl der Psychopathen mit abartigen Reaktionen ist offenbar langsam aber sicher im Zunehmen. Manche von ihnen erweisen sich jeder Therapie, auch scharfem Zufassen gegenüber, unbeeinflussbar. Es wäre wünschenswert, wenn derartige Wehrpflichtige, die […] als wehruntauglich begutachtet werden müssen, nicht entlassen würden […]. Erfahrungsgemäß verstehen es solche Fälle, in weiten Kreisen Mitleid zu erzeugen; sie wirken aber auch leicht zersetzend. Eine größere Ansammlung derartiger Elemente in der Heimat ist direkt gefährlich. Sie sollten auf Kriegsdauer in einem Konzentrationslager untergebracht werden. Da aber die Überweisung in ein ziviles Konzentrationslager auch wieder mancherlei Schwierigkeiten machen und zu Unzuträglichkeiten führen würde, wäre die Schaffung von entsprechenden militärischen Einrichtungen10 wünschenswert. Sie hätten auch den Vorteil, dass die Betreffenden noch weiter unter militärischer Beobachtung stünden, was für die spätere Versorgungsbegutachtung nur vorteilhaft wäre“.11

Da „die Überweisung in ein ziviles Konzentrationslager“12 kaum praktikabel sei, plädierte Meggendorfer „für die Schaffung von entsprechenden militärischen Einrichtungen“13 – so der Ausstellungskatalog. Diese Ansicht Meggendorfers sollte vor dem Hintergrund beurteilt werden, dass rassenhygienische Verbände 1922 „zwar die Zeit für zwangmäßige Unfruchtbarmachungen für noch nicht gekommen (§ 27) [hielten], jedoch […] zur Verhütung der Fortpflanzung Minderwertiger […] die ‚Absonderung in Arbeitskolonien‘ vorschl[u]gen (§ 29)“.14

Wird Meggendorfers Position von Seiten des Ausstellungskataloges auf „ca. 1943/45“15 datiert, so ist es von Relevanz den Erfahrungsbericht über den Besuch der Wehrkreise 5, 6, 8, 9, 11 zum Thema „Psychopathische, neurasthenische Veranlagungen und psychogene Reaktionen“16 durch Stabsarzt Dr. Gutzeit von Anfang

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nicht mehr, wie im Beginn des 1. Weltkrieges [sic], ernst genommen wurden und im Hervortreten der funktionellen Organstörungen“. Vgl. Jung (1961), S. 570–571. Lehmann (1993a), S. 360. „Als der Winter 1941/42 im Russlandfeldzug die Wende einleitete, stieg nicht nur die Zahl von Selbsttötungen, Selbstbeschädigungen und Desertionen stark an, sondern auch die Fälle ‚therapierefraktärer Kriegsneurosen‘ häuften sich. Diesen versuchte man zunächst durch psychotherapeutische Maßnahmen und Absonderungen von der übrigen Truppe zu begegnen, um diese ‚Panikkeime‘ nicht zur Quelle einer ‚soziologischen Kriegsseuche‘ werden zu lassen. Bis zum Sommer 1943 hatte sich die militärische Lage der Wehrmacht in der Sowjetunion weiter drastisch verschlechtert, was sich in einem dramatischen Anstieg der ‚klassischen Fälle von Kriegsneurosen‘ niederschlug. […]. Den ‚Psychopathen‘ wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Sie werden, wie schon vor dem Krieg, in ‚Versager‘ und ‚Störer‘ eingeteilt: ‚Bei den als Versager gekennzeichneten Psychopathen ist eine ihren beschränkten Fähigkeiten entsprechende Verwendung anzustreben, während bei den Störern die im allgemeinen zur Aufrechterhaltung der Disziplin vorgesehenen Maßnahmen Anwendung finden müssen“. Vgl. Weiler (1940), zit. n. Valentin (1981), S. 127–129. Letzterer wiederum zit. n. Riedesser/Verderber (1985), S. 31–32. Siehe weiterführend auch Weiler (1933) und (1935). Lehmann (1993a), S. 360. BA-MA RH 12–23, Nr. 468,1, zit. n. ebd. Ebd. Weingart et al. (1992), S. 231. Lehmann (1993a), S. 360. Militärarchiv Freiburg. BA-MA-RH 12-23/v. 206-40-88.

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März 194017 anzuführen. „Bösartige Störer“18 sollten – unter der Androhung der Aufnahme in eine „Sonderabteilung“ – 19 zur Truppe zurückgeschickt werden. Es wurde weiterhin empfohlen, dieses „Urteil möglichst deutlich in Gegenwart anderer psychopathischer Soldaten“20 auszusprechen und den damit Belasteten außerdem darauf aufmerksam zu machen, dass ein nicht entsprechendes Verhalten in der Sonderabteilung schließlich zu seiner „Ausstoßung aus dem Heere und Unterbringung in einem K.Z.[sic]-lager [sic]“21 Veranlassung geben könnte. „Mit einiger Sicherheit darf erwartet werden, dass die Möglichkeit der Unterbringung in einer Sonderabteilung und eventuell sogar im K.Z.[sic]-Lager [sic] eine nicht geringe abschreckende Wirkung auf Soldaten ähnlicher Artung ausüben wird, womit allein schon die Neueinrichtung der Sonderabteilungen ihren Wert bewiesen hätte“.22

Meggendorfer als Beratender Psychiaters des Wehrkreises 13 hatte sich – anders als sein Kollege Gottfried Ewald (1888–1963) als Beratender Psychiater des Wehrkreises 11– bei dieser Stellungnahme von 1940 nicht beteiligt.23

17 Im gleichen Jahr schlug Meggendorfer vor, Soldaten mit „hysterischen Störungen […] durch einen Eintrag ins Soldbuch zu kennzeichnen, eine Idee, die zwar nie durchgesetzt, aber auch im weiteren Verlauf des Krieges regelmäßig in die Diskussion eingebracht wurde. Insbesondere die Arbeitstherapie und die Zusammenfassung in speziellen ,Neurotiker-Abteilungen‘ waren zu diesem Zeitpunkt die favorisierten Behandlungskonzepte. Zum Beispiel erkundete Wuth im November 1939 das Gelände in der Umgebung von Baumholder. Dort war geplant, das erste ,Neurotiker-Lager‘ einzurichten. Wuth lobte insbesondere die zahlreichen landwirtschaftlichen und industriellen Arbeitsmöglichkeiten in der Umgebung des nahegelegenen Reservelazaretts Kiedreich. Vgl. Meggendorfer in Erfahrungsbericht vom 16.08.1940 in BA-MA, RH 12-23, H 20/506 und Wuths Bericht über die Lage bei der 1. Armee vom 28.11.1939 in ebd., H 20/483b, zit. n. Berger (1998), S. 113. 18 Militärarchiv Freiburg. BA-MA-RH 12-23/v. 206-40-88. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Ebd. „[D]ie nationalsozialistische Rechtspolitik [lief] darauf zu[…], diese verschiedenen, im Laufe von 12 Jahren erfolgten Aussonderungs- und Ausmerzungsstrategien gegen verschiedene Gruppen, die dem Normalitätsstandard nicht entsprachen, konzeptionell zusammenzufassen. Gegen Ende des Krieges einigten sich die damals für Reichsgesetzgebung im Umlaufverfahren zuständigen Stellen auf einen Entwurf eines ,Gesetzes zur Behandlung der Gemeinschaftsfremden‘. Wir müssen zwar erwähnen, dass uns die Praktizierung des Gesetzes, das am 1. Januar 1945 in Kraft treten sollte, erspart geblieben ist […]. In § 1 dieses ,Gesetzes zur Behandlugn der Gemeinschaftsfremden‘ heisst es: ,§ 1 Gemeinschaftsfrend ist: 1. Wer sich nach Persönlichkeit und Lebensführung, insbesondere wegen außergewöhnlicher Mängel des Verstandes und des Charakters außerstande zeigt, aus eigener Kraft den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft zu genügen. 2. Wer a) aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit ein nichtsnutzes, unwirtschaftliches oder ungeordnetes Leben führt […] oder b) aus Unverträglichkeit oder Streitlust den Frieden der Allgemeinheit hartnäckig stört oder 3. Wer nach seiner Persönlichkeit und Lebensführung erkennen lässt, dass seine Sinnesart auf die Begehung von ernsten Straftaten gerichtet ist […]“. Vgl. Peukert (1992), S. 156. 22 Militärarchiv Freiburg. BA-MA-RH 12-23/v. 206-40-88. 23 Vgl. ebd.

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Abb. 56: Meggendorfer in Marineuniform24

Der Ausstellungskatalog des Stadtmuseums Erlangen suggeriert außerdem einen zweifelhaften Umgang Meggendorfers mit angefertigten Dissertationen. Unter der Rubrik „Geheimhaltung einer Erlanger Dissertation aus dem medizinisch-psychiatrischen Bereich“25 wird folgender Auszug Meggendorfers aus einer Stellungnahme für das Oberkommando der Wehrmacht vom 12.09.1944 angeführt: „Die Arbeit ist fleissig angelegt und bearbeitet und enthält auch manche beachtliche Gesichtspunkte […]. Die Arbeit wurde mit der Bewertung ‚gut‘ zur Promotion zugelassen“.26 Der Ausstellungskatalog ergänzt folgende Stellungnahme von Seiten des Oberkommandos der Wehrmacht vom 14.09.1944:

24 „Vati gehörte nach wie vor der Marine an und trug eine dunkelblaue Uniform. Deshalb wurde er auf dem Bahnhof öfters für einen Bahnbeamten gehalten und wurde von reisenden Zivilisten oder auch von Soldaten häufig nach der nächsten Zugverbindung gefragt“. Vgl. Dr. Hilde Nusser-Overmeyer, circa April 2010 in FAM. 25 Lehmann (1993a), S. 360. 26 Ebd.

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„Die von dem Feldunterarzt Joachim Görner angefertigte Dissertation […] ist den Vorschriften für Verschlusssachen entsprechend zu behandeln. Das Thema ist ebenfalls geheim zu halten und durch den offenen Titel ‚Zur Epilepsiefrage‘ zu ersetzen“.27

Der im Ausstellungskatalog anklingende Vorwurf an Meggendorfer, Dissertationsarbeiten im Dienste der nationalsozialistischen Wehrmacht28 vergeben zu haben, kann entkräftet werden. Durchaus nämlich war es eine gängige politische Praxis, die Inhalte von Dissertationen oder Habilitationen vor den Fakultäten als „geheim“29 zu bezeichnen, um hierdurch den Mechanismus „kompetenter Kritik“30 und „professioneller Anerkennung“31 zu vereiteln. Bei Görners Arbeit „Epilepsie und Selbstmord besonders unter militärischen Bedingungen“32 scheint eine Geheimhaltung und Titeländerung der Promotion auch plausibel unter dem Gesichtspunkt, Soldaten nicht zur Nachahmung durch präzise Vorgehensangaben zu verleiten.33 Görner nämlich verwies auf die detaillierte Anweisung zur Vortäuschung epileptischer Anfälle, die sich in einem Buch namens „Golem“34 finden ließ . Nachdem dieses Werk 1916 in einer Lazarettabteilung kursiert war, „‚erkrankte‘ schlagartig 27 Ebd. 28 Aufschluss über die vertragliche Situation der klinischen Versorgung Wehrmachtsangehöriger an Meggendorfers Klinik gibt sein Schreiben an das Rektorat vom 24.07.1936 zum „Betreff: Vertrag des Korpsarztes VII. A. K. mit der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen über Patienten der Psychiatrischen Klinik der Universität Erlangen“: „In der Anlage erlaube ich mir den Entwurf eines Vertrages vorzulegen, den der Korpsarzt des VII. Armeekorps mit der Direktion der Kreis- Heil- und Pflegeanstalt Erlangen abzuschließen im Begriffe ist. Wie aus dem Vertrag hervorgeht, handelt es sich ausschließlich um solche erkrankte Wehrmachtsangehörige, die der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen zugeführt werden sollen. Es ist bezeichnend für den derzeitigen unhaltbaren Zustand, dass ein solcher Vertrag nicht mit dem Direktor der Klinik oder dem Rektorat der Universität, sondern mit dem Direktor der Kreis- Heil- und Pflegeanstalt Erlangen abgeschlossen werden muss“. Vgl. UAE: A6/3 i Nr. 15. 29 Mehrtens/Richter (1980), S. 29. 30 Hermann (1984), S. 146, zit. n. Weingart et al. (1992), S. 397. 31 Ebd. 32 Görner (1944). Zum „Suizidversuch in der deutschen Bundeswehr“ siehe ferner Einsle (1971). 33 „Eine originelle Beobachtung von Alt während seiner Lazarett-Tätigkeit im letzten Weltkriege sei hierbei erwähnt. Im Kriegsjahre 1916 war in seiner Lazarettabteilung ein Buch mit dem Titel ‚Golem‘ in Umlauf. Es wurde darin eine genaue Anweisung zur Vortäuschung epileptischer Anfälle geschildert“. Vgl. Görner (1944), S. 32. Als Referenz zur Beobachtung Alts findet sich bei Görner die Angabe Bonhoeffer (1936). 34 Vgl. Meyrink (1916). „Dann wacht in mir heimlich die Sage von dem gespenstischen Golem, jenem künstlichen Menschen, wieder auf, den einst hier im Ghetto ein kabbalakundiger Rabbiner aus dem Elemente formte und ihn zu einem gedankenlosen automatischen Dasein berief, indem er ihm ein magisches Zahlenwort hinter die Zähne schob“. Vgl. ebd., S. 45. Bei kursorischem Durcharbeiten des 500-Seiten-Werkes von Meyrink in Hinblick auf „fallsuchtrelevante“ Hinweise ließ sich am ehesten folgende Stelle detektieren: „Meine Haut, meine Muskeln, mein Körper erinnerten sich plötzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht wünschte und nicht beabsichtigte. Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehörten! Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, wie ich ein paar Schritte im Zimmer machte. Das ist der Gang eines Menschen, der beständig im Begriffe ist, vornüber zu fallen, sagte ich mir“. Vgl. ebd. S. 37–38.

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eine größere Anzahl der Patienten, um sich weiteren Frontdiensten zu entziehen“.35 Eine Verbreitung dieses Textes hätte die Gefahr weiterer Nachahmungstendenz unter den Soldaten mit Hilfe der erwähnten „Golem“-Lektüre beinhaltet. Ab 1944 plädierte Meggendorfer zunehmend dafür, „die fälschlicherweise Zwangssterilisierten noch an die Kriegsfront zu schicken“.36 Nach Rauh zeigt Meggendorfer also „noch im letzten Kriegsjahr praktisch keinerlei Bedenken […], die Opfer der von ihm zu vertretenden Gesundheitspolitik als letzte Reserve der Wehrmacht zu verwenden“.37 Die wertende Interpretation Rauhs unterstellt Meggendorfer eine mangelnde Gewissensbildung. An dieser Stelle sei zitiert aus der „zornigen Skizze“38 zur Thematik „Krieg ist keine Krankheit. Medizin zwischen Hilfe und Beihilfe“:39 Im Hippokratischen Eid als Normenkatalog aller Wissenschaften findet sich die Forderung „Salus aegroti suprema lex“.40 In konsequenter Fortführung des hippokratischen Gesichtspunktes müsste, so Bastian in seiner zornigen Skizze „zuerst einmal alle Wehrmedizin und Militärmedizin abgeschafft werden! Kein Arzt dürfte im Dienste der kämpfenden Truppe Soldaten gegen deren Willen als ‚tauglich‘ beurteilen und wieder in den Schützengraben schicken‘“.41

Das Attribut der Bedenkenlosigkeit, das Rauh Meggendorfer zuspricht, lässt sich anhand der Quellen nicht validieren. Meggendorfers Reflexion42 im Zeitverlauf ließ sich anhand seiner Publikation zur kongenitalen Wortblindheit aufzeigen.43 Hin-

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Görner (1944), S. 32. Rauh (2016b), S. 271. Siehe hierzu auch Kapitel 3.2.7. Rauh (2016b), S. 271. Bastian (1983), S. 83, zit. n. Riedesser/Verderber (1985), S. 127. Ebd. Eigler (2003). Bastian (1983), S. 83, zit. n. Riedesser/Verderber (1985), S. 127. Die Aussage Bastians wäre auch unter dem Aspekt des Angriffs- vs. Verteidigungskrieges zu prüfen. „Im ‚Hippokratischen Eid‘ besitzt die Medizin den ältesten ethischen Normenkatalog aller Wissenschaften. Dessen zentraler Gedanke ist, dass für die Beziehung Arzt-Patient, über die selbstverständlichen Regeln menschlichen Zusammenlebens hinaus, aufgrund der besonderen Möglichkeiten der Einflussnahme des Arztes auf den Patienten (z. B. ‚legale Körperverletzung‘), besonders strenge Regeln gelten müssen: ‚Salus aegroti suprema lex‘ (das Wohl des Kranken ist das oberste Gebot). Führt man den hippokratischen Gesichtspunkt konsequent durch [sic] (und nimmt die Ärztefunktionäre beim Wort), so müsste nämlich zuerst einmal alle Wehrmedizin und Militärmedizin abgeschafft werden! Kein Arzt dürfte im Dienste der kämpfenden Truppe Soldaten gegen deren Willen als ‚tauglich‘ beurteilen und wieder in den Schützengraben schicken. Allgemeiner gesagt: kein Arzt dürfte jemals gegen den Willen des Kranken und gegen seine Interessen mit außermedizinischen Strebungen paktieren; im Gegenteil müsste er, mit solchen Situationen konfrontiert, sofort aus Gewissensgründen und unter Protest sein ärztliches Tun beenden, da es ärztlicher Ethik zuwiderläuft“. Vgl. ebd. Siehe ferner Külpe (1915), Shuster (1998a) und (1998b). 42 Sollte sich auch im Nachkriegsdeutschland fortsetzen. Hatte sich Meggendorfer 1946 als „nicht belastet“ gesehen, so räumte er in seiner Eigenbeurteilung von 1947 durchaus kritikwürdige Punkte ein. Vgl. BayHStA: MK 44017, Schreiben an Meixner, 1947; Schreiben an das Staatministerium, 1951. Siehe ferner S. 518. 43 Siehe hierzu Kap. 3.2.7.

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weise sprechen dafür, dass sich Meggendorfer – zumindest in den ersten Kriegsjahren, in welchen es um die „deutsche Wehrkraft“ noch „besser“ bestellt war – teils auch von der Abwägung der unmittelbaren Konsequenzen für die Betroffenen in seiner erbgesundheitlichen Entscheidung lenken ließ. Obwohl Meggendorfer die diagnostischen Kriterien der Diagnose „genuine Epilepsie“44 anzuwenden wusste, 44 Es sei an diesem Punkt verwiesen auf die ebenfalls im Jahre 1941 unter dem Referat von Friedrich Meggendorfer erschienene Dissertation von Johann Georg Hümmer: „Es wird die Differentialdiagnose zwischen genuiner und posttraumatischer Epilepsie, wie sie sich dem Gutachter beim Erbgesundheitsgericht bietet, erörtert. Besonderes Augenmerk wird auf die Fälle gerichtet, bei denen ein geringfügiges Trauma als Ursache für die bestehende Epilepsie angeschuldigt wird. Bei einer sehr großen Zahl der zur Begutachtung kommenden epileptischen Erkrankungen hat man sich mit einer solchen Angabe auseinanderzusetzen. Nur in ganz wenigen Fällen wird der Gutachter die Auffassung vertreten können, dass dem Trauma eine ursächliche Bedeutung zukommt. Diese an Zahl geringen Grenzfälle aber bieten differentialdiagnostische Schwierigkeiten, die nur mit dem ganzen Rüstzeug der modernen Untersuchungstechnik zu überwinden sind, und in manchen Fällen wird die Diagnose nur durch weitere Beobachtung zu stellen sein. Pohlisch fordert daher für solche Fälle eine Beobachtungszeit bis zu 3 Jahren“. Vgl. Hümmer (1941), S. 45. „Zynischerweise hatte Pohlisch wenige Jahre vorher die weitgehend fehlende familiengenetische Determination der Epilepsien beschrieben, um nun auch bei familiär nicht belasteten Betroffenen zugunsten der Zwangssterilisation zu votieren“. Vgl. Maier/Linz (2004), S. 77. Interessant auch der Suchtthematik-Schwerpunkt von Pohlisch. 1939 publizierte er zur „Prophylaxe des Rauschgiftmissbrauches“. Vgl. Pohlisch (1939). Zwölf Jahre im Vorfeld hatte er zur „Nachkommenschaft delirium-tremens-Kranker“ veröffentlicht. Vgl. Pohlisch (1927). „Beim Problem der erblichen Fallsucht genügt die Fragestellung ‚endogen oder exogen‘ nicht mehr den heutigen Anforderungen. Diese Fragestellung hat zu dem Standpunkt geführt, dass die Diagnose ,genuine Epilepsie‘ nur per exclusionem gestellt werden könne, ein Standpunkt, den Gruhle noch im Jahre 1924 vertreten hat. Heute ist die Fragestellung ‚Wieviel ist Anlage, wieviel umweltbedingte Schädigung?‘ Diese Frage lässt sich weitgehend beantworten, nachdem uns die Ergebnisse der Erb- und Konstitutionsforschung von Conrad, Kretschmer, [Karl Heinz] Stauder und Mauz zur Verfügung stehen“. Vgl. Hümmer (1941), S. 45. Siehe ferner Stauder (1938). „Diese Forschungen haben uns positive Hinweise auf die Wesenszüge der genuinen Epilepsie gegeben, so dass wir in der Lage sind, weitgehend zu entscheiden, inwieweit entweder die erbbedingte Anlage oder die exogene Schädigung überwiegt. Beide Wege der Diagnosestellung müssen beschritten werden, so dass sich im einzelnen folgende Punkte ergeben haben, die geklärt werden müssen, um die genuine von der posttraumatischen Epilepsie trennen zu können: I. Genaue Erhebungen über den Beginn und die Art der Anfälle, Beobachtung des Einzelfalls. II. Feststellung des Traumas und Klärung der Frage, inwieweit das angeschuldigte Trauma überhaupt als Ursache für die bestehende Epilepsie gelten kann. III. Klärung der zeitlichen Beziehungen zwischen dem angeschuldigten Trauma und dem Beginn der Epilepsie. IV. Neurologische Untersuchung. V. Feststellung von Knochenschädigung mit Hilfe der Röntgenübersichtsaufnahme. VI. Enzephalographie. VII. Feststellung der erblichen Belastung. VIII. Beziehungen zwischen Körperbau und Epilepsie. IX. Die Konstitutionstypen von Mauz. X. Die epileptische Wesensveränderung, die traumatische Wesensveränderung. XI. Krankheitsverlauf. Im zweiten Teil der Arbeit werden von 143 wegen Verdachtes auf genuine Epilepsie von Erbgesundheitsgerichten zur Begutachtung an die Psychiatrische und Nervenklinik Erlangen überwiesenen Fälle die Gutachten von 5 Fällen im Auszug wiedergegeben, bei denen ein Schädeltrauma als Ursache der Epilepsie angenommen werden konnte, bzw. auf Grund eingehender Erwägungen abgelehnt werden musste. Auch hier hat sich ergeben, dass der Gutachter beim Erbgesundheitsgericht nur mit geringfügigen Trauma zu rechnen hat, dass also die Differentialdiagnose hier besonders genau arbeiten muss. Es zeigte sich aber

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und sie z. B. bei der Patientin P. B. in Hinblick auf die Sterilisierungsfolge als nicht gegeben ansah,45 schrieb „Meggendorfer 1941 an Wuth, für die sichere Diagnose genüge ihm ein Anfall mit zuverlässigen Zeugen oder typische Wesensveränderungen“.46 Die primäre Konsequenz für den begutachteten Soldaten war somit die oftmals erstrebte Freistellung vom Wehrdienst, erst die sekundäre Folge eine Unfruchtbarmachung. Es liegen keine Quellen vor, die ausschließen, dass Meggendorfer in seinen Vorlesungen zu „Psychiatrische[r-] und Nervenklinik, inkl. Wehrpsychiatrie47 und

auch, dass diese Traumen in manchen Fällen so geringfügig sind, dass sie in keinem Verhältnis zu den objektiv feststellbaren Veränderungen im Gehirn stehen, wie wir im Fall 5 feststellen konnten. Es darf natürlich nicht übersehen werden, dass Fälle der letzten Art zu den Ausnahmen gehören. Nur auf solche seltenen Fälle aber kann die Feststellung Hauptmanns bezogen werden, die besagt: ‚Die Berechtigung von posttraumatischen Beschwerden darf nie allein wegen der Geringfügigkeit des Traumas und der anfänglichen Schädigungssymptome abgelehnt werden‘“. Vgl. Hümmer (1941), S. 45–46. Siehe ferner Hauptmann (1932), S. 517. Im folgenden sei aus den Kasuistiken Hümmers zitiert: 1. Fall, H. K., männlich: „der Nachweis der epileptischen Belastung durch die Mutter und schließlich das Auftreten der Anfälle vor dem angeschuldigten Trauma lassen jedoch an der Diagnose ,genuine Epilepsie‘ keinen Zweifel aufkommen“. Vgl. Hümmer (1941), S. 36. 2. Fall, K. M., männlich: „Die neurologischen Symptome weisen eindeutig auf eine exogene Schädigung hin, die man wohl in dem angegebenen Trauma suchen muss, besonders nachdem auch der ganze Verlauf der Krankheit mit drei Wochen nach dem Unfall auftretenden und immer seltener werdenden, gleichförmigen Anfällen für eine posttraumatische Epilepsie spricht“. Vgl. ebd., S. 39. 3. Fall, G. K., männlich: „Unter Berücksichtigung dieser Sachlage muss man also zu dem Schluss kommen: G. leidet mit großer Wahrscheinlichkeit an posttraumatischer Epilepsie“. Vgl. ebd., S. 41. 4. Fall, K. E., männlich: „Dieser Befund mit dem Nachweis, wenn auch nur geringgradiger neurologischer Störungen, der umschriebenen Verdünnung im Bereich des linken Parietalschuppens und dem für genuine Epilepsie ganz atypischen Krankheitsverlauf spricht eindeutig für posttraumatische Epilepsie“. Vgl. ebd., S. 42. 5. Fall, Sch. H., männlich: „Abschließend ist über diesen Fall zu sagen: Schl. leidet mit großen Wahrscheinlichkeit an posttraumatischer Epilepsie, jedoch ist genuine Epilepsie nicht mit Sicherheit auszuschließen. Daher ist eine weitere Beobachtung notwendig“. Vgl. ebd., S. 44. 45 Vgl. hierzu APNK/FAU, Aufnahmenr.: 105/14. Siehe ferner S. 371–372. 46 Berger (1998), S.153. 47 „Die seelischen Folgen des Massenschlachtens kamen in militärmedizinischen Fortbildungsprogrammen bis 1914 nicht zur Sprache. Entsprechend hilflos klingen die psychiatrischen Diagnosen der Kriegsjahre: Kriegszitterer, männliche Hysteriker, Kriegsneurotiker – so wurden die Menschen genannt, deren Symptome noch einigermaßen mit den Erfahrungswerten der zeitgenössischen Anstaltspsychiatrie in Einklang zu bringen waren. Weniger unmittelbare Reaktionen auf das Fronterlebnis oder gar Untersuchungen zu Spätfolgen gab es kaum. Suizide bei Heimkehrern wurden, wenn überhaupt statistisch erfasst, mit der ökonomischen Lage der Nachkriegszeit in Verbindung gebracht. Ein Trauma, das konnte nach der damaligen Diktion ausschließlich die Folge von physischer Gewalteinwirkung auf den eigenen Leib sein. Die brutale Behandlung der Kriegszitterer mit Elektroschocks, die nach dem Prinzip wirken sollte, den Aufenthalt im Lazarett unerträglicher zu machen als den an der Front, wurde zunehmend mit Skepsis und Abscheu betrachtet“. Vgl. Osten (2015), S. B 319.

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Wehrpsychologie48 und forensische[r] Psychiatrie“49 des Sommersemesters 1944 aktuelle Fragestellungen seiner Tätigkeit als Beratender Militärpsychiater50 miteinbezog. Zumindest zusätzlich mag Meggendorfer in seinen wehrpsychiatrischen Vorlesungen auch auf etablierte wehrpsychologische Lehrmeinungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgegriffen haben. In Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden hatte zum Beispiel Paul Plaut (1894–1960)51 zu Prinzipien und Methoden der Kriegspsychologie publiziert. Vor allem im deutschen Heer würden die Rekruten schwerpunktmäßig nur grob körperlich auf ihre Wehrtauglichkeit hin geprüft. Das Problem des Einbezuges psychischer Gegebenheiten sei nach Plaut „vielmehr kollektivpsychologisch zu fassen. Wenn die Vulgärsprache hier von den ‚starken Nerven‘ spricht, die abnorme Leistungen erträglich machen, so ist damit etwas richtig wiedergegeben“.52 Die konditionale Übernahme des „Berufs“ „Soldat“ bilde die grundlegende Voraussetzung zur individuellen Ausschaltung „‚diskollektiv belastende[r]‘ Momente, wie moral-ethische[r] Gesichtspunkte“.53 Mit zunehmend frustranem Kriegsverlauf nahm Meggendorfer in Kauf, – rassenhygienisch als „minderwertig“ geltenden – kongenital „Wortblinden“ Erbgesundheit und somit Wehrfähigkeit zu bescheinigen. Diesen Widerspruch gestand Meggendorfer selbst ein und ließ ihn transparent werden in seiner Veröffentlichung zur kongenitalen Wortblindheit.54

48 „Das Fehlen eines Lehrstuhls für Psychologie, die erst von Wilhelm Wundt (1832–1920) zu einer eigenständigen Wissenschaft entwickelt worden war, hatte die Fakultät in einer Eingabe vom 1. Dezenber 1937 als ihren ‚auffälligsten Mangel‘ bezeichnet. Das Fach, das in Erlangen mit dem 1919 aus der Philosophie ausgeschiedenen Fach Pädagogik verbunden war, ermöglichte eine Ergänzung und Zusammenfassung derjenigen Wissenschaften, ‚die auf das Thema Rassenseele hinweisen‘ und die Ausbildung zum Wehrmachtspsychologen. Am 19. Januar 1939 erhielt der Nürnberger Wehrmachtspsychologe und [Eduard] Spranger [1882–1963]Schüler Hans Wenke [1903–1971] zunächst eine Dozentur für das neue Fach“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 209–210. Zu Eduard Spranger siehe ferner Himmelstein (2013) und Ortmeyer (2010). Zu Hans Wenkes Bericht über „[d]ie pädagogische Lage in Deutschland“ siehe ferner ders. (2014). Zu Hans Wenke siehe auch Lorent (2017), S. 208–248. „Hans Wenke war so klug, sich fern seines alten Arbeitsplatzes, in Hamburg noch einmal entnazifizieren zu lassen“. Vgl. ebd., S. 212. „Wie trickreich Hans Wenke vorging, zeigt ein Schreiben, das im Universitätsarchiv Erlangen vorliegt“. Vgl. ebd. , S. 219. 49 Lehmann (1993a), S. 363. 50 „Zur Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie“ vgl. Riedesser/Verderber (1996). Zu militärmedizinethischen Fragestellungen siehe Proctor (2003). Zur Devianz-Problematik in der Wehrmacht siehe Steinkamp (2008). 51 Plaut emigrierte als Jude nach Großbritannien, wo initial an der “London Child Guidance Clinic“ und ab 1948 als niedergelassener Psychiater arbeitete. Vgl. http://www.spektrum.de/lexikon/ psychologie/plaut-paul/11607. Stand vom 25.08.2017. Siehe ferner Plaut (1920), (1928a) (1929), (1932) und (1933). 52 Ders. (1928b), S. 684. 53 Ebd., S, 684–685. 54 Siehe hierzu Kap. 3.2.7.

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Wenn Meggendorfer „[b]ei nur einmaligen Schüben eine ‚schizoide Reaktion‘ diagnostizierte, die durchaus Folge exogener Belastungen wie Infektionskrankheiten oder Hitze sein konnte“,55 so sieht die bisherige Rezeption darin den Versuch des Umgehens der Entlassung von Soldaten.56 Um diese Auslegung bestätigen zu können, wären die Krankengeschichten dieser von Meggendorfer als „reaktiv schizoid“ diagnostizierten Soldaten von fachpsychiatrischer Seite auf wissenschaftlicher Haltbarkeit hin zu prüfen. Es könnte sich nämlich durchaus bei den als „reaktiv schizoid“ Begutachteten um Patienten mit beispielsweise „polymorph psychotischer Störung“ gehandelt haben.57 In diesem Falle also wäre Meggendorfer – entgegen seiner Position bezüglich der kongenitalen Wortblindheit – sich selbst und seiner eugenischen Expertise treu geblieben. Hierfür spricht zum Beispiel auch die Tatsache, dass er sich „beschwerte […], die Gerichte erwarteten eine ambulante Begutachtung ohne Akteneinsicht, dies sei jedoch eine ‚unsaubere Arbeit‘, zu der man sich nicht hinreissen lassen sollte“.58 Zudem könnte sich die diagnostische Motivation Meggendorfers auch mit Blick auf versicherungsrechtliche Aspekte in Hinblick auf die Anerkennung von Wehrdienstbeschädigung59 erklären. Zur besseren thematischen Einordnung soll an dieser Stelle – gemäß der Rezension von Roemer – das von Jacob Klaesi (1883– 1980)/Waldau–Bern, Hans W. Maier (1882–1945)/Burghölzli–Zürich, Bruno

55 Meggendorfer, Erfahrungsbericht vom 06.10.1944 in BA-MA, RH 12-23, H 20/201 b, zit. n. Berger (1998), S. 161. 56 Vgl. ebd. Im Vergleich hierzu ging Bürger-Prinz „im Februar einen direkteren Weg, indem er bei de Crinis nachfragt, ob wirklich alle manisch-depressiven Soldaten zu entlassen seien, bei ihnen handele es sich teilweise ‚um sehr hochwertiges Menschenmaterial‘“. Vgl. Bürger-Prinz, Brief vom 01.02.1945 an de Crinis. BA-MA, RH 12-23, H 20/495, zit. n. ebd., S. 161. Nach Goltermann „schließt [Berger] bei Meggendorfer […] auf rein militärische Erwägungen. Aus den angeführten Quellenpassagen ergibt sich das allerdings nicht zwingend“. Vgl. Goltermann (2009), S. 494 und Berger (1998). Goltermann bescheinigt Meggendorfer „eine äußerst scharfe Position gegenüber den therapeutisch unzulänglichen ‚Psychopathen‘“. Vgl. Goltermann (2009), S. 497. 57 Dies gilt freilich unter dem limitierenden Gesichtspunkt, dass Meggendorfer die Ansicht vertrat, eine einmalig signifikant und diagnostisch klar in Erscheinung getretene psychotische Störung sei ausreichend für die Diagnose einer Schizophrenie. Vgl. Meggendorfer (1939 a), S. 210. Siehe hierzu auch S. 342. Meggendorfer könnte sich bzgl. seiner Beurteilung der schizoiden Reaktionspsychosen auch an den wehrmilitärischen Gegebenheiten in der Schweiz orientiert haben. Siehe hierzu S. 542–543. 58 Meggendorfer Erfahrungsbericht vom 08.01.1944 in BA-MA, RH 12-23, H 20/501, zit. n. Berger (1998), S. 161. 59 „Unter ,Kriegspsychosen‘ im engeren Sinne verstehen wir solche Fälle von Geisteskrankheit, die an der Front, oder im Feindeslande, jedenfalls aber in direkter räumlicher Berührung mit den Kriegsereignissen zum Ausbruch kommen. Über die innere ursächliche Abhängigkeit ist damit natürlich noch nichts gesagt. Es ist selbstverständlich, dass wir in unserem Millionenheer zunächst eine große Anzahl Individuen geistig erkranken sehen, die auch krank geworden wären, wenn sie ruhig zu Hause geblieben wären. Nach Gesetzmäßigkeiten, deren Wesen uns unbekannt ist, erkrankt in gleichen Zeiträumen aufeinanderfolgender Jahre – trotz des erwähnten langsamen Anstiegs im ganzen – ungefähr immer die gleiche Anzahl an Menschen an Psychosen“. Vgl. Hoche (1915), S. 11.

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Manzoni/Casvegno–Mendrisio, Hans Steck/Cery–Lausanne und John Eugen Stähelin/Friedmatt–Basel abgegebene versicherungsrechtliche Gutachten über die wehrpsychiatrische Beurteilung60 in der Schweiz zusammenfassend angeführt werden: Die Schizophrenie an sich sei als „eine vererbte, endogene und demnach kausal vom Militärdienst unabhängige Krankheit zu betrachten“.61 Als Ausnahme hierzu anerkannt werden die schizoiden Reaktionspsychosen, „die meist innerhalb kürzerer Zeit heilbar sind“62 sowie „seltene, atypische, schizophrenieartige unheilbare Geistesstörungen, welche nach schweren Hirnschädigungen gelegentlich bei vorher nicht latent Kranken auftreten und welche kausal auf das Unfallereignis oder die sonstige verursachende Krankheit zurückzuführen sind“.63

Die Versicherung habe beim Vorliegen einer schizoiden Reaktionspsychose für einige Monate volle Haftung zu tragen. „[W]enn innerhalb dieser Zeit bei geeigneter Behandlung keine Heilung eintritt, so ist eine neue Begutachtung anzuordnen, durch die in der Regel festgestellt werden wird, dass es sich um eine Schizophrenie im [eigentlichen] Sinne […] handelt“.64

60 Kriegs-, Renten- und Begehrungsneurosen hätten, so Friedrich Panse (1899–1973), „der später zusammen mit Baeyer, Brickenstein, Bürger-Prinz u. a. für eine Übernahme wesentlicher Konzepte der Wehrmachtspsychiatrie durch die Bundeswehr plädiert hat“, „nicht in irgendwelchen Wehrdienstbeschädigungen ihre Ursache […], sondern [würden] auf psychopathischem Boden erwachsen und durch mehr oder weniger unbewusste Sicherungswünsche geweckt und unterhalten werden […]“. Vgl. Riedesser/Verderber (1985), S. 32. Siehe ferner Panse (1940b), S. 533. Zu Panses Schriftum siehe auch ders. (1936). Weiterführend hierzu eine Position aus dem Jahr 1955: „Ein Kauasalzusammenhang im Sinne der Hervorrufung besteht natürlich auch für die sogenannten traumatischen Neurosen, für die abnormen Erlebnisreaktionen mit Fixierung von Beschwerden, die durch ein Trauma entstanden sind. Aber hier steckt schon ein erheblicher anlagebedingter Faktor mit drin, obwohl damit nicht gesagt sein soll, dass nicht viele oder vielleicht die meisten Menschen unter bestimmten Umständen auf besonders schwere Belastungen durch Schreck oder Angst ebenso mit funktionellen Störungen reagieren können. Andererseits ist es aber sicher so, dass die meisten Menschen solche Zustände nach kurzer Zeit wieder zu überwinden im Stande sind, sodass andauernde Störungen nicht bestehen bleiben. Zudem ist [es] seit dem bekannten Streitgespräch zwischen Oppenheim und Nonne auf dem NeurologenKongress in Hamburg 1916 nicht mehr üblich, solche Reaktionen im Sinne einer Entschädigungspflicht anzuerkennen, wenn auch am Kausalzusammenhang nicht gezweifelt werden kann“. Vgl. Becker (1955), S. 82. 61 Roemer (1940), S. 408. Ein aktueller Standpunkt hierzu lautet folgendermaßen: „Im sozialrechtlichen Bereich können floride psychotische Symptomatiken zu vorübergehenden sowie[,] bei ausgeprägter Negativsymptomatik[,] zu dauerhaften Verminderungen der beruflichen Leistungsfähigkeit führen. Hinsichtlich einer möglichen Kausalbeziehung schizophrener Psychosen zu Schädigungsfaktoren ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Während in der Unfallversicherung Schizophrenien grundsätzlich nicht als Unfallfolge aufgefasst werden, kann im sozialen Entschädigungsrecht in Ausnahmefällen eine Schizophrenie als Schädigungsfolge anerkannt werden (u. a. beim Nachweis mehrerer Jahre lang anhaltender schwerer psychischer Belastungen, die das Persönlichkeitsgefüge erheblich beeinträchtigt haben“. Vgl. Kalus/Gallinat (2010), S. 386–387. 62 Riedesser/Verderber (1985), S. 32. 63 Roemer (1940), S. 408. 64 Ebd.

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Diese Krankheit sei „als ererbt-endogen zu betrachten“,65 der Militärdienst sei zwar weder verursachend noch mitverursachend, aber durch „Antizipation eines Zustandes, der auch ohne Dazwischentreten des Dienstes nach Ablauf einer gewissen Zeit sicher oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre“,66 komme der Militäreinsatz als Beschleunigungsfaktor „des Ausbruches eines schizophrenen Schubes durch seelische Einflüsse oder körperliche Störungen“67 in Frage. Nach Ansicht der schweizer Gutachter kann der Militärdienst die Erstmanifestation der Schizophrenie um durchschnittlich vier bis sechs und um maximal zwölf Monate vorverlegen.68 In seinem Werk über „Verursachung, Auslösung und Verschlimmerung endogener Nerven- und Geisteskrankheiten durch Kriegseinflüsse“ zog Panse69 eine ansatzweise „Two-Hit-Hypothese“ in nähere Erwägung. So hätten neben den klinischen auch erbbiologische Untersuchungen „gerade bei der Schizophrenie für die Mitwirkung peristaltischer Umstände [ge]spr[o]chen“.70 Unter Verweis auf die damals aufgestellte Arbeitshypothese einer primären „(Stickstoff-) Stoffwechselstörung“71 als ätiopathogenetisches Schizophrenie-Modell betonte Panse, nur „empirisch und statistisch gesicherte[] klinische[] und erbbiologische[] Gegebenheiten“72 könnten der praktischen wehrmedizinischen Beurteilung zugrunde liegen.73 65 66 67 68 69

70 71 72 73

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd., S. 408–409. „Panse ist einer der wenigen Wissenschaftler, deren Name auch in Verbform berühmt und berüchtigt geworden ist. Im Reservelazarett Porz-Ensen entwickelte er während des Zweiten Weltkriegs eine Elektroschockmethode zur Behandlung traumatisierter Soldaten, die bald als ,Pansen‘ bekannt wurde. Panses zeitweiliger Mitarbeiter Günter Elsäßer (geboren 1907[– 1999]) beschrieb die Methode als Beseitigung psychogener Störungen durch den Einsatz von höherem galvanischem Strom unter Suggestivbeeinflussungen. […].Viele der Wehrmachtspsychiater übersahen die vorsichtige Zurückhaltung der Wehrmachtspitze. Kurt Pohlisch setzte sich für die Anwendung der Elektroschocks ein und bemerkte in einem Schreiben Ende Juli 1941 an Oberstarzt Otto Wuth, dem ranghöchsten Militärpsychiater: ,Heroische Zeiten erfordern m. E. heroische oder doch drastische Maßnahmen‘. Es bedurfte einer sich dramatisch verschlechternden Kriegslage, damit sich die Scharfmacher um Pohlisch und Panse durchsetzen konnten. Am 12 12.1942 wurde das ,Pansen‘ grundsätzlich erlaubt, nachdem es zuvor an die Zustimmung der Betroffenen gebunden gewesen war. […]. Trotz Widerständen in Teilen der Wehrmacht und auch in der NS-Spitze, die der Psychotherapie breiteren Raum gab, fand die Anwendung galvanischen Stroms nach Panses Konzept bald weite Verbreitung. Lediglich die Luftwaffenlazarette verzichteten darauf. Sogar ein Dokumentationsfilm wurde gedreht, um Zweifler, möglicherweise auch Hitler, zu überzeugen. Dass der Einsatz von Elektroschocks auch an der Bonner Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt nicht unüblich war, gab am 8.6.1945 deren zeitweiliger Leiter Josef Geller zu Protokoll: ,Bei kriminellen Psychopathen wenden wir wohl hin und wieder energische elektrische oder andere Behandlungsmethoden an, aber stets nach rein ärztlicher Indication‘. Vgl. http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/P/Seiten/FriedrichAlbertPanse.aspx. Stand vom 05.09.2017. Panse (1940b), S. 532. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

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Basierend auf der sogenannten „Kaufmann-Kur“ zur Reizung motorischer Nerven mittels faradayscher Ströme74 als wehrpsychiatrisches Verfahren75 bei „Kriegszitterern“76 konzipierte Panse im Zweiten Weltkrieg eine Methode, die „in der Wehrmacht mit dem Verb ‚pansen‘ bezeichnet wurde“.77 Hierbei applizierte man auf große Hautpartien schmerzhafte galvanische Reize von bis zu 300 Milliampère Stromstärke.78 Über die Pansen-Methode zur Therapie 74 Nach Michael Faraday (1791–1867). Es findet sich „eingedeutscht“ auch die Schreibweise „faradischer Strom“. 75 „Kaufmann-Kehrer-Methode: (F. Kaufmann, 1916; F. Kehrer, 1916). Obsol [ete] Form der Suggestivbehandlung hysterischer Lähmungen. Das gelähmte Glied wird mit starken, schmerzhaften faradischen Strömen bearbeitet, dem Patienten gleichzeitig deutlich gesagt, dass er für einen Simulanten gehalten wird, und ihm in scharfem Ton befohlen, das gelähmte Glied zu bewegen (Kaufmann). Oder der faradische Strom wird ,mit scharfem Exerzieren verbunden‘ (Kehrer). Die Methode wurde eine Zeit lang bei Kriegslähmungen im 1. Weltkrieg [sic] angewendet, stieß aber bald auf lebhafte Kritik“. Vgl. Peters (2011), S. 286. Weiterführend zu den militärpsychiatrischen Therapiemethoden im Ersten Weltkrieg siehe Rauh (2013) und (2014). Zu Fritz Kaufmann (1875–1941), der als Jude 1935 aus Deutschland floh, empfehlenswert auch „Stolpersteine zum Hören“ (4:16min) auf https://www.swr.de/swr2/stolpersteine/menschen/stolperstein-fritz-kaufmann/-/id=12117596/ did=15230856/nid=12117596/7b6cii/index.html. Stand vom 24.08.2017 sowie die „Video-Stolpersteine“ (3:37min) in https://www.swr.de/swr2/stolpersteine/videostolperstein-fritz-kaufmann-elektroschocks-gegen-kriegsangst/-/id=13846982/ did=15472646/nid=13846982/14uyht1/index.html. Stand vom 24.08.2017. 76 „Die ‚kriegsbedingten‘ seelischen Störungen nannte man im I. Weltkrieg [sic] ,Kriegsneurosen‘, ,traumatische Neurosen‘, ,Kriegshysterie‘, ,Schreckneurose‘, ,Granatschock‘ oder ,psychonévroses de guerre, émotions-choc oder ʻshell-shockʼ, ʻconcussion neurosisʼ, ʻexhaustion neurosisʼ, ʻeffort syndrome‘, ʻgas neurosisʼ […]. Im II. Weltkrieg [sic] haben die deutschsprachigen Psychiater von kriegsbedingten Reaktionen, von ,Überlastungsreaktionen‘ (250) und ,Versagenszuständen‘ (130) gesprochen. Es fehlt ein Fachausdruck für die Erschöpfungsreaktionen, das Abgekämpft- und Abgeflogensein der täglichen militärischen Erfahrung, was in der englisch-amerikanischen Literatur als ʻcombat exhaustionʼ, ʻbattle exhaustionʼ, ʻbattle reactionʼ, ʻoperational fatigueʼ bezeichnet wird [...]. Gegen Ende des I. Weltkrieges und in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hatte man in der Fliegerei vorübergehend Bezeichnungen wie ,Aero-Neurosis‘ oder ,Aero-Asthenie‘ (9) verwendet, bald aber zeigte sich, dass auch in der Luftfahrt nicht mit spezifischen psychischen Reaktionen zu rechnen war; man verwendet jetzt meist den Ausdruck ʻflying stressʼ“. Vgl. Meyer (1961), S. 575. Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich am ehesten auf die Anzahl an jeweiligen Referenzen. Zum Effort syndrom findet sich ferner folgende Definition: „Effort-Syndrom: […]. (M. Lewis, 1940). Besonders in der engl. Literatur öfter gebrauchtes Syn[onym] für Herzangstsyndrom“. Vgl. Peters (2011), S. 150. Zum „Konflikt der Psychotherapeuten und Schulpsychiater und die deutschen ‚Kriegsneurotiker‘ 1915–1919“ siehe Roth (1987). 77 Riedesser/Verderber (1985), S. 32–33. Siehe auch S. 544, Fn. 69. 78 Bemerkenswerterweise erwähnt Payk im Jahr 2003 „unangenehme elektrische Schläge“ im Kontext von Aversionstherapie als „Form der Verhaltensmodifikation, bei der unerwünschte, störende Handlungen oder Vorstellungen durch Sanktionen (,Bestrafung‘) gelöscht und gleichzeitig erwünschte Verhaltensweisen durch positive Verstärkung (,Belohnung‘) gefördert werden“. Vgl. Payk (2003), S. 401. Bei der Aversionstherapie kommt es zur „Anwendung von Aversivreizen bei oder unmittelbar nach Auftreten des unerwünschten Verhaltens (z. B. Verabreichung von Disulfiram bei Alkoholtrinken […]. Hierdurch kommt es zu Übelkeit, Brechreiz und anderen vegetativen Symptomen. Andere Aversivreize sind z. B. unangenehme elektrische

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psychisch schwacher Soldaten war Meggendorfer informiert,79 war er doch gemeinsam mit Scheller, Kolle und Heinichen nach Ensen kommandiert worden, um „dort die Behandlung zu lern[en]“.80

Schläge. Dauer: Bedarfsabhängig“. Vgl. ebd., S. 402. Bei der Kaufmann-Kehrer-Methode handelte es ich um die Applikation faradischer, anstelle von galvanischen Strömen. Vgl. Peters (2011), S. 286. „Eine besondere Anwendung des galvanischen Stromes ist die ‚Iontophorese‘. […]. Man kann auf diese Weise mit dem den Körper durchfließenden galvanischen Strome bestimmte Medikamente in den Körper einführen, und zwar […] wird [man] das Verfahren dann anwenden, wenn man ein Medikament in eine bestimmte Stelle oder in ein bestimmtes Gewebe bringen will“. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 53. „Der bekannte Neuropathologe Kleist hat das Verfahren an sich selbst ausprobiert, jedoch bei etwa 30 Milliampère aufgehört, da ihm das Verfahren zu schmerzhaft wurde. […]. Dies hielt [Kleist] jedoch nicht davon ab, eine Anwendung von Strömen bis zu 300 Milliampère zu befürworten, denn: ‚Es wird auf diese Weise dem Behandelten seine Störung im großen Stile verleidet. […]. Bedenken müssen zurücktreten, da dieses Verfahren den schnellsten und sichersten Erfolg unter den bisherigen Methoden gewährleistet‘“. Vgl. Kleist (ohne Datumsangabe), zit. n. Riedesser/Verderber (1985), S. 32–33. 79 „Es ist wissenschaftlich noch nicht ganz geklärt, wie weit die elektrischen Behandlungsformen einen unmittelbaren, direkten Heilwert haben, und wie weit sie indirekt, etwa als larvierte Suggestion oder im Sinne eines ‚Überrumpelungsverfahrens‘ oder einer anderen psychotherapeutischen Anwendungsform wirken. Von letzterer, namentlich der Überrumpelung, wurde im ersten Weltkrieg besonders bei den sogenannten Kriegszitterern und anderen Neurotikern im ‚Kaufmann-Verfahren‘ Gebrauch gemacht. So wirksam sich dieses Verfahren in manchen Fällen erwiesen hat, so lehnen wir es heute doch wegen der wenig humanen Art der Durchführung und auch schon deshalb ab, weil der dabei angewandte Sinusstrom u. U. gefährlich ist und aus der Therapie ganz ausgeschaltet werden sollte. Im zweiten Weltkrieg [sic] hat sich bei psychogenen Störungen das ‚Ensen-Verfahren‘ sehr bewährt, das mit stärkeren galvanischen Strömen in rein ärztlichen Formen durchgeführt wird. Es kommt hier auf vielerlei psychologische Momente an. Der Kranke wird von dem Therapeuten aufs Genaueste untersucht, auch wenn er vorher schon von anderer Seite untersucht war. Es wird ihm, falls er sich zur Behandlung eignet, gesagt, dass der Befund bei ihm günstig sei und dass er geheilt werde, doch müsse er selbst fleißig mitarbeiten. Jeder Ausdruck des Misstrauens und mehr noch jede offene oder versteckte Kränkung der Kranken werden, auch wenn die Grenzen zur Simulation nicht scharf gezogen sind, peinlich vermieden, weil sonst dadurch die therapeutischen Möglichkeiten versperrt würden. Die gelähmten oder zitternden Gliedmaßen oder überhaupt die Stellen, an denen sich die psychogene Störung auswirkt, werden unter entsprechender Gegensuggestion mit einem starken galvanischen Strom von etwa 80 mA mit der Rollenelektrode kurz, aber energisch behandelt. Unmittelbar darauf muss sich ein deutlicher, wenn auch nur geringer Erfolg bemerkbar machen, andernfalls wird das Verfahren wiederholt. Jede Besserung wird sofort geübt und muss durch Übungen außerhalb der Sprechstunde gefestigt werden. Nach 2–3 Tagen erfolgt eine weitere Sitzung; meist sind nur 2–3 Behandlungen nötig. Die Erfolge sind ausgezeichnet; die Heilungen belaufen sich bei richtiger Anwendung des Verfahrens auf fast 100%“. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 48–49. Noch 1950 zweifelte Meggendorfer – unter deutlicher Ablehnung der inhumanen „Kaufmann“-Methode – nicht am therapeutischen Wert der Applikation starker galvanischer Reize bei psychogenen Störungen. Eine Angabe der Stromstärke bei der Galvanisationsbehandlung von Neuritiden, Neuralgien, und Myalgien findet sich vergleichsweise nicht. Vgl. ebd., S. 49. Mag die Schmerzempfindung bei dem von der Applikation eines 80mAStromimpulses Betroffenen zwar individuell variieren, so erscheint Meggendorfers Heilansatz jedoch moralisch fragwürdig und kaum kompatibel mit seiner praktizierten christlichen Moral. 80 Berger (1998), S. 117.

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Nach Berger „setzte sich [Meggendorfer] als Beratender […] für die Einführung der Elektroschocktherapie in der Wehrmacht81 ein [und behandelte mit dieser Methode] [a]uch psychogene Reaktionen“.82 Dieses Indikationsgebiet zeigt sich im Einklang mit seinen Veröffentlichungen zur EKT-Wirksamkeit im Sinne einer „Überrumpelungspsychotherapie“ bei psychogenen Reaktionen.83 Hierbei, so Meggendorfer in seiner Veröffentlichung von 1944 müsse man „aber etwas anders als bei den Psychosen vorgehen. Es genügen hier meist unterschwellige Reize, durch die ein unvollkommener Anfall ausgelöst wird. Hier wirkt weniger der Krampf als der Schock, der eine leichte Trübung des Bewusstseins erzeugt. Bei geeigneter gleichzeitiger Suggestion84 kann man innerhalb weniger Minuten lange bestehende Lähmungen, Aphonien, Zittern usw. zum Verschwinden bringen“.85

Diese Ansichten Meggendorfers zeigen sich – nach aktuellem “state of the art” – nicht ausreichend wissenschaftlich begründbar.86 Doch auch schweizer Psychiater 81 Mit der Bezeichnung „Elektroschock“ könnte alternativ zur Elektrokonvulsion in diesem Kontext auch das „Pansen“ gemeint gewesen sein. Siehe hierzu S. 544, Fn. 69. Der französische Philosoph Roland Dalbiez (1893–1976) verglich 1974 die Vorgehensweise anglo-amerikanischer Psychiater bei Kriegsneurotikern mit dem Konditionierungsschema von Iwan Petrowitsch Pawlow (1849–1936): „Les psychiatres anglo-américains ont appliqué aux névroses de guerre le schémas pavloviens. Cela choque les spiritualists exclusifs qui objectent qu’ un homme n’ est pas un chien. C’ est certain, mais il est non moins certain qu’ ils sont, l’ un comme l’ autre, des mammifères“. Vgl. Dalbiez (1974), S. 30. 82 Berger (1998), S. 278. 83 Vgl. Meggendorfer (1940a) und (1940/41). Nonne hatte 1917 über die erfolgreiche Suggestivbehandlung der hysteriformen Störungen bei Kriegsneurosen publiziert. Vgl. Nonne (1917). 84 „Gleich ist beiden Zeitepochen, 1880 wie heute, der ungeklärte Wirkmechanismus [der elektrischen Stimuationsverfahren]. […] Dass ein operativer [VNS-] [=Vagusnervstimulation] und erst recht hirnoperativer [THS-] [=Tiefe Hirnstimulation] Eingriff eine suggestible Komponente ausstrahlt, wird allerdings niemand ernsthaft bestreiten. […]. Die EKT gehört in enger Indikation seit Jahrzehnten zu den nachweislich wirksamsten elektrischen Therapieoptionen der modernen Psychiatrie. Bei den nichtinvasiven Verfahren TMS [=Transkranielle Magnetstimulation] und besonders der tDCS [transkranielle Gleichstromtherapie] und der CES [kranialer Elektrostimulation], bei der wie bei der Hirngalvanisation um 1880 über zwei Elektroden über die Kopfhaut oder über die Ohrmuschel ein geringer elektrischer, bei der CES allerdings Wechselstrom zugeführt wird, kann derzeit eine Nähe zu Therapieformen, bei der Suggestibilität zumindest in einem bestimmten Maße mitwirken kann, vermutet werden“. Vgl. Steinberg (2014), S. 884. Zur nicht-operativen Methode der VNS weiterführend: „Das revolutionär Neue an der […] [mit dem Hochschul-Gründer-Preis 2006] ausgezeichneten Erlanger Idee bestand darin […], dass nun ein wesentlich einfacherer Zugangsweg zum Vagus gefunden wurde, und dieser Zugangsweg ist das menschliche Ohr. […]. Der Impulsgeber, einem Hörgerät nicht unähnlich, wird in den äußeren Gehörgang gesteckt, wo er durch die Haut hindurch den Vagus stimuliert und die segensreiche antidepressiogene Serotoninausschüttung im Gehirn veranlasst“. Vgl. Wilkes (2006), S. 248–249. Zu historischen und ethischen Aspekten der Neurostimulation nach 1945 siehe Stahnisch (2008). 85 Meggendorfer (1944a), S. 3. 86 Sechs Jahre nach Meggendorfers Aussage zur Anwendung unterschwelliger Reize bei psychogenen Reaktionen findet sich folgender Kommentar in seinem Lehrbuch von 1950: „Im allgemeinen ist es besser, gleich einen richtigen Krampf als wiederholte unterschwellige Reizungen und unvollständige Anfälle herbeizuführen“. Vgl. ders. (1950), S. 36–37.

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konnten bei „frische[n] Fälle aller Psychoseformen […] auf unterschwellige Reize“87 eine Remission erreichen. Ob diese unterschwellige Reizanwendung zum Beispiel auch von UK-Psychiatern praktiziert wurde, lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen. Auch diese erforschten nämlich empirisch das Indikationsgebiet der EKT nach der Devise „wer heilt, hat Recht“.88 Wenn Meggendorfer die Anwendung von „unterschwelligen Reizen“ bei psychogenen Reaktionen empfahl, so lässt dies an das wehrpsychiatrische Vorgehen Brockhausens denken, der im Jahr 1944 als Oberarzt Hans Heinzes (1895–1983)89 nicht die erforderlich hohen Dosen für eine Anfallsauslösung applizierte, sondern nur „die geringste anwendbare Dosis von 200 Milliampère 1/10 sec“:90 Somit „erlebt der Patient den elektrischen Schlag bei vollem Bewusstsein. Der Patient wird vielleicht schon bei einmaliger Anwendung seine Störung restlos verlieren, während ein anderer erst nach wiederholten Versuchen den Kampf aufgibt“.91

Der wehrpsychiatrische Einsatz der EKT bei „Kriegsneurotikern“ wurde von Friedrich Mauz (1900–1979) jedoch als nachteilig beurteilt, zumal „sie kein Engramm, also keine in diesem Fall unangenehme Erinnerung hinterlasse“.92 Als alternative Behandlungsstrategie für neurotische oder unter Simulationsverdacht stehende Soldaten verfügte die deutsche Wehrpsychiatrie neben dem „pansen“ auch über die Schottsche „Gesprächspsychotherapie mit diabolischem Ausgang“.93 87 Müller (1941), S. 224. 88 “It therefore seemed worthwhile to us to treat true borderline cases – i. e., patients who could not, strictly speaking, be considered psychotic, or who had only one leg over the frontier, as it were”. Vgl. Strauss/Macphail (1940), S. 779–780. 89 „Tötungsarzt des Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erforschung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden“. Vgl. Riedesser/Verderber (1985), S. 33. Zu Hans Heinze, Werner Villinger und Paul Schröder als Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik im Zeitraum von 1945 bis 1940 siehe ferner Schepker et al. (2017). 90 Riedesser/Verderber (1985), 32–33. 91 Ebd. 92 Berger (1998), S. 115. 93 Riedesser/Verderber (1985), S. 33. Bei dem Begründer der Schottschen Gesprächstherapie mag es sich um die Person des G. Schott handeln, zumal er in einem Artikel im Völkischen Beobachter „vom 26.10.1929 […] die Wehrkrafterhaltung [als] pervertiert [ansah]“. Vgl. Müller (2007), S. 87. „[N]ach einwandfreier diagnostischer Darstellung erfolgt zunächst in offener Aussprache eine sachverständige Aufklärung darüber, dass lediglich eine eigenartige nervliche Reaktion vorliege, die sich unter dem Einfluss der eingehenden psychotherapeutischen Aussprache in kürzester Zeit von selbst abbauen werde. Komme es wider Erwarten nicht dazu, müsse ein Irrtum in der Persönlichkeitsbeurteilung unterlaufen sein. Man habe dann einen bewusst schlechtwilligen oder aber einen nicht verantwortlichen Geisteskranken vor sich. Im ersten Fall bleibe nur eine strafrechtliche Erledigung mit den nach Kriegsstrafrechtsverordnung zu erwartenden überaus schweren Folgen übrig, nämlich die Hinrichtung. Im Falle etwaiger Geisteskrankheit mit Rücksicht auf ihre gemeinschädlichen Auswirkungen aber nur eine dauernde Irrenanstaltsverwahrung, also die Hinrichtung [d.h. beide Fälle ziehen die „Hinrichtung“ nach sich, sei es die physische oder die psychische; Anmerkung der Verfasserin]. Zugunsten des Untersuchten, sowie des ganzen mit ihm verbundenen Interessenskreises sei nun zu hoffen, dass bei ihm jene beiden dunklen Fälle oder Möglichkeiten nicht zuträfen, vielmehr die somit

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Vor diesem Hintergrund könnte Meggendorfers Einsatz für eine EKT im unterschwelligen Reizbereich eine den „Kriegsneurotikern“ womöglich „willkommene Alternative“94 geboten haben. Es findet sich kein Hinweis darauf, dass Meggendorfer im wehrpsychiatrischen Bereich eine andere Applikationsstärke bei Verdacht auf das Vorliegen einer psychogenen Störung anwendete oder motivierte als in der Klinik. Die Tatsache, dass Meggendorfer zusätzlich bei Fleckfieberpsychosen „[t]herapeutisch […] wie auch bei Malariapsychosen mit Erfolg die Anwendung der Elektrokrampftherapie“95 versuchte, kann als symptomatischer individueller Therapieversuch gewertet werden.96 Auch aktuell werden mittels “Off-label”-EKTEinsatz bei der limbischen Enzephalitis Erfolge erzielt.97 Zur Position Einsles98 als Stellvertreter Meggendorfers in der militärpsychiatrischen Beratung des Erlanger Wehrkreises finden sich keine Angaben. In Bezug auf versicherungsrechtliche Fragestellungen vertrat Einsle die Position, keine Wehrdienstbeschädigung (WDB) an die Angehörige von melancholischen Suizidenten auszuzahlen, zumal zur Auslösung einer Melancholie „bereits eine pathologische Anlage vorhanden sein“99 müsse. Gottfried Ewald sowie Karl Kleist (1879–1960)100 als Ordinarius für Psychiatrie in Frankfurt a. M. wurden am 30.11.1944 „vorzugsweise“101 zum „Oberstarzt der Reserve“102 befördert.

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einfach nervös bedingten Störungen auf die erwartete Weise zum Schwinden kämen. Somit werden bei dieser Überredungsmethode auf der einen Seite erschreckendere Abneigungsvorstellungen gesetzt als sie vorher vorhanden waren. Wenn notwendig und zur Belebung einfacher mitspielender Trotzwiderstände, kann der erschreckende Vorstellungsinhalt durch entsprechend schwärzere Ausmalung möglichst individuell angepasst und beliebig gesteigert werden“. Vgl. ebd. Für Carl Schneider stellte die „Kriegsneurose“ ein Delikt der „Wehrkraftszersetzung“ dar, so dass der Gültigkeitsbereich der Kriegssonderstraftrechtsordnung vom 17.08.1938 mit letztendlich folgender Todesstrafe vorlag. Vgl. ebd., S. 32. „[I]n erster Linie Meggendorfer, aber auch Bostroem und zeitweise Roggenbau, verwendeten Elektroschocks zur Therapie der psychogenen Reaktionen“. Vgl. Berger (1998), S. 115. Meggendorfer: Erfahrungsbericht vom 08.01.1944. Vgl. BA-MA, RH 12-23, H 20/501 b, zit. n. ebd., S. 164. „Nicht bewährt hat sich der Elektrokrampf nach unseren bisherigen Erfahrungen bei der Epilepsie, bei der Paralyse und deren Folgezuständen nach Malariakur, sowie bei der Zwangsneurose“. Vgl. Meggendorfer (1944a), S. 3. Vgl. Kanbayashi et al. (2014). Neben Meggendorfer, Albrecht, von Baeyer, Ewald, Flügel, Fuchs, Heinichen, Hoffmann, Klimke, Mauz, Max Mikorey (1899–1977), Kurt Pohlisch (1893–1955), Scheller, C. Schneider, K. Schneider, Staude, Thiele und Villinger hatte Einsle ab 1937 Kurse für Sanitätsoffiziere der Reserve besucht. Vgl. Berger (1998), S. 43. Ebd., S. 170. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass offensichtlich Meggendorfer diese Position „einige[r] Psychiater wie Einsle“ an Wuth übermittelte. Bei Berger findet sich nämlich folgende Referenz: „Vgl. Meggendorfer: Brief an Wuth vom 27.1.1944 in BA-MA, RH 12-23, H 20/505“. Vgl. ebd. Weiterführend empfohlen sei Bartsch et al. (2000), S. 703. Siehe ferner auch Neumärker/Bartsch (2003). BA-MA- RH 12-23; Karteikarte: Sanitätsoffiziere: RW 59/2090. Ebd.

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Abb. 57a: Meggendorfers Karteikarte als Sanitätsoffizier103

Meggendorfer hingegen war – wie „Dr. Scheiffarth, OA der Medizinischen Universitätsklinik“104 am 15.02.1947 angab – „als einziger Erlanger Ordinarius105 lange Zeit während der ersten Kriegsjahre in einem für seine Verhältnisse niedrigen Militärrang […] und [erreichte] selbst gegen Ende der Kriegsjahre eben das […], was der Durchschnitt aller Ärzte bei [sechs]jähriger Einziehung erreichen konnte,106 wohingegen die nationalsozialistischen Ärzte auch auf diesem Gebiet es bis zu beträchtlichen Rängen gebracht hatten“.107

103 Ebd. Scan wurde aufgehellt zur besseren Lesbarkeit. 104 StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 105 Einsle war als Stabsarzt und stv. Beratender Psychiater im Wehrkreis XIII in Erlangen eingesetzt. „Einsle wurde 1940 zum Oberarzt und 1942 zum Stabsarzt befördert“. Vgl. Berger (1998), S. 265. 106 Befördert am 30.01.1945 zum Oberfeldarzt der Reserve. Vgl. BA-MA- RH 12-23 /v. 206- 4088; Karteikarte Sanitätsoffiziere: RW 59/2090. „Diensteintrittsdatum: nicht verzeichnet, Erkennungsmarke: -62- St./I.Art.E.Abt.17, Truppenteil laut Meldung vom 22.10.1940: Stab, leichte Artillerie-Ersatz-Abteilung 17, Erlangen, (kein Beförderungsdatum) Dienstgrad: Stabsarzt, Kriegsgefangenschaft: keine Unterlagen, Personalpapiere (Wehrpass, Wehrstammbuch, Stammrolle) liegen nicht vor; diese sind vermutlich durch Kriegseinwirkung verloren gegangen“. Vgl. „Auskunft über Wehrmachtangehörige“ der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht/Berlin vom 03.02.2015 auf eine Anfrage vom 06.10.2013 zu Friedrich Meggendorfer. Interessant ist die Tatsache, dass der Deutschen Dienststelle offenbar die im BA-MA dokumentierte Beförderung Meggendorfers nicht bekannt ist. 107 Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII.

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Abb. 57b: Meggendorfers Karteikarte als Sanitätsoffizier108

In abwägender Zusammenschau der angeführten Befunde imponiert Meggendorfers Rolle als Beratender Psychiater des Wehrkreises XIII nicht eindeutig als bedeutend. 5.2 SPANNUNGSFELDER IN DER FORENSISCHEN PSYCHIATRIE Zu Beginn des forensisch relevanten Kapitels soll ein „Glaubhaftigkeits“- Gutachten Meggendorfers angeführt werden. Auf Ersuchen des Herrn Rechtsanwaltes Dr. Josef Schmid aus Nürnberg vom 01.06.1938 lieferte Meggendorfer am 11.06.1938 eine 25-seitige „Begutachtung der Glaubhaftigkeit“109 der Hauptbelastungszeugin W. M. in der „Sittlichkeitssache“ gegen den Kaplan A. F. und den Geistlichen S., obwohl „[e]ine persönliche Untersuchung von Frl. W. […] nicht möglich [war]“.110 108 BA-MA- RH 12-23 /v. 206- 40-88; Karteikarte Sanitätsoffiziere: RW 59/2090. 109 Zur „Begutachtung der Glaubhaftigkeit“ weiterführend siehe auch Volbert/Steller (2009). 110 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. An dieser Stelle soll vergleichend ein Beispiel aus der Kihnschen Gutachtenspraxis während seiner Zeit in Erlangen angeführt werden. Kihn erstellte zu der 1898 geborenen P. H. am 06.11.1936 für die Zivilkammer des Landgerichtes Hof ein Gutachten, obwohl er sie zuletzt im Rahmen ihres stationären Aufenthaltes vom 31.07.1933 – 04.08.1933 gesehen hatte: „Ich habe die Kranke neuerdings nicht mehr gesehen. Sie befand sich in Beobachtung der hiesigen Psychiatrischen Klinik lediglich 4 Tage lang […]. Sie wurde am letzteren Termine ungeheilt gegen ärztlichen Rat und unter Übernahme der vollen Verantwortung entlassen. Unsere damalige Diagnose lautete auf Psychopathie. Indessen ist gleich hier zu bemerken, dass diese diagnostische Auffassung des Falles eine vorläufige war und dass nach Lage der Dinge schon damals mit der Möglichkeit gerechnet werden musste, dass sich aus den unklaren und vieldeutigen Krankheitserscheinungen noch irgend ein ernsterer psychotischer Prozess werde anspinnen können. […] Von wann ab der Beginn der Geisteskrankheit sonach zu setzen ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Man wird aber den Dingen wohl keine Gewalt antun, wenn man annimmt, dass die ersten psychischen Störungen etwa ein Vierteljahr vor Beginn der Klinikaufnahme bemerkbar wurden. Ueber die Zeit nach der Entlassung der

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Daher betonte Meggendorfer eingangs „[i]mmerhin g[ing]en aus den Akten zahlreiche Gesichtspunkte hervor, die auch für die biologische, psychologische und psychiatrische Beurteilung der Zeugin von Belang sind“.111 Meggendorfer sah bezüglich der Vorgänge, die zu dem Strafverfahren führten, von „Belang, dass die Beziehungen der W. zu S. schon in das Jahr 1933 zurückgreifen. Die W. gehörte damals dem Jungmädchenverein ‚weisse Rose‘112 an. Sie machte mit diesem Verein einen Ausflug, an dem auch S. als Präses des Vereins teilnahm“.113

Beim Aktenstudium, so betonte Meggendorfer, imponierten die stark ausgebildete erotische Einstellung der W. sowie ihre besondere Neigung und Fähigkeit, sich durch geschickte Ausreden und Entschuldigungen in ein gutes Licht zu setzen. „Aus den verschiedenen über sie angestellten Erhebungen geht hervor, dass sie oft objektiv unrichtige Dinge vorbringt, möglicherweise sogar in gutem Glauben. Eine derartige Neigung bezeichnet man in der Psychopathologie als ,Pseudologia phantastica‘.114Die Pseudologia

Kranken aus der hiesigen Klinik vermögen wir angesichts der Tatsache, dass wir die Patientin sodann aus den Augen verloren haben, nichts auszusagen. Soviel wird man indessen betonen müssen: Wenn die Diagnose Schizophrenie tatsächlich feststeht und dies scheint nach den Feststellungen der Anstalt Bayreuth der Fall zu sein, dann wird man wohl auch annehmen müssen, dass die Geisteskrankheit mindestens drei Jahre bestand und dass durch sie die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben ist. Gewiss gibt es Fälle von Schizophrenie, die weitgehende Phasen der Besserung zeigen. Es gibt auch Fälle, bei denen die Kranken längere Zeit hindurch wieder in ihre gewöhnte [sic] Arbeit zurückkehren können. Es ist sogar verhältnismässig selten, dass eine Schizophrenie mit dem ersten Schub sogleich zu einem geistigen Defektzustand und zu Verblödung führt. Aber man muss doch auch betonen, dass diese sogen. Remissionen der Schizophrenie nur ausnahmsweise vollkommen und wirklich befriedigende sind. Die meisten Kranken pflegen auch nach Erholung vom ersten Krankheitsschube psychisch nicht vollwertig zu wirken, sie zeigen eine gewisse Kälte, Frostigkeit und Unausgeglichenheit. Sie lassen jene Wärme und Herzlichkeit vermissen, die nun einmal zur Führung eines geordneten Familienlebens notwendig sind und durch die allein eheliche Beziehungen auf die Dauer aufrecht erhalten werden können. Man wird daher auch im Falle einer nachgewiesenen längeren Besserung des Zustandes zwischen den Jahren 1933 und 1936 dennoch kaum davon sprechen können, dass die eheliche Gemeinschaft durch diese Besserung wieder hergestellt worden sei. Voraussetzung ist natürlich auch in diesem Falle, dass die Diagnose Schizophrenie verlässig erhärtet ist“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 184/97. 111 Ebd., keine Aufnahmenr. 112 „Ein Kapitel, das in der geschichtlichen Forschung bisher ausgespart blieb: Die ‚Weiße Rose‘ gab es in Bayern, lange bevor sich die Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl in München formierte. Die Weiße Rose gilt heute als Inbegriff des studentischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Doch unter dem Namen Weiße Rose wehrten sich Pfarrer der katholischen Kirche in Bayern bereits in den 30er Jahren gegen die Vereinnahmung ihrer Jugendlichen durch Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädchen. Nachdem die kirchlichen Vereine von den Nationalsozialisten offiziell verboten worden waren, konnte die Verbandszeitschrift ‚Blätter der weißen Rose‘ immerhin noch bis 1939 erscheinen“. Vgl. Mayer (2015). Zur Widerstandgruppe der Geschwister Scholl siehe Dumbach/Newborn (2002) mit dem Vorwort von Weizsäcker (2002). 113 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 114 Zur Rolle der Pseudologia phantastica bei forensischen Beurteilungen siehe ferner Pilcz (1908), S. 183–184.

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phantastica kann isoliert, ohne andere Auffälligkeiten und Störungen vorkommen, häufiger tritt sie aber in einem Komplex von anderen auffälligen Erscheinungen auf“.115

Bei W. M. sei ausser der Pseudologia phantastica noch ein ausgesprochenes Geltungsbedürfnis festzustellen. Neben der lebhaften Erotik sei die „Labilität ihrer Affektivität, die sich in lebhaften Sympathien und Antipathien und in extremen Schwankungen zwischen beiden äusserte“116 insbesondere bemerkenswert. „In ihrem äusseren Verhalten zeigt W. M. ein gewandtes, einschmeichelndes Wesen, eine grosse Anpassungs- und Verstellungsfähigkeit. Diesen Symptomenkomplex, der sehr wohl bekannt ist, bezeichnet man gewöhnlich als hysterischen Charakter; auf seiner Grundlage können sich u. U. die übrigen hysterischen Erscheinungen entwickeln“.117

Unter Verweis auf seine „zwanzigjährige Tätigkeit als Sachverständiger an Hamburger Gerichten, besonders am Jugendgericht“ resumierte Meggendorfer, „mit der Beurteilung der Glaubwürdigkeit besonders jüngerer weiblicher Zeugen in Sittlichkeitssachen gar nicht vorsichtig genug sein [zu können]“.118 Dies gelte womöglich in „noch stärkerem Masse, wenn diese Zeugin pseudologistisch oder hysterisch veranlagt ist. Diese Zeuginnen bringen mit der grössten Leichtigkeit und Sicherheit Konfabulationen als Aussagen über Erlebnisse vor, u. U. in gutem Glauben, da ihre rege Phantasietätigkeit sie Wahrheit und Dichtung verwechseln und nicht unterscheiden lässt“.119

Abschließend beurteilte Meggendorfer die Glaubwürdigkeit von Frl. W. M. als Hauptbelastungszeugin des Strafverfahrens „zum mindesten [sic] als sehr gering und recht fragwürdig“.120 In Bezug auf die Publikation Meggendorfers zu den medizinischen Gesichtspunkten zum neuen Ehegesetz121 existiert im Nachlass des Archivs des Verlages J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in der Staatsbibliothek Berlin eine Korrespondenz.122 115 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 116 Ebd. 117 Ebd. 118 Ebd. 119 Ebd. „In dem dem Gerichte vorgelegten Brief der W. an S. vom 3.6.35 führte die W. aus, sie wäre nur zweimal bei F. gewesen. In der Unterredung zwischen S., Frau F. und Frl. E. behauptete die W., F. habe ihr unter die Röcke hinauf zur Hüfte gelangt. Der Frau W. dagegen sagte sie, F. habe ihr einen Kuss geraubt; sie habe ihm darauf ins Gesicht geschlagen. Dem Herrn Staatsanwalt gab die W. an, F. habe sie am ersten Tag bei der Hand gefasst, habe ihr Schmeichelreden gesagt, habe sie an sich gezogen und sie auf den Mund geküsst, habe den Arm um ihre Taille gelegt und habe dabei ihre Brust gegriffen“. Vgl. ebd. 120 Ebd. 121 Zum Ehegesetz im Ausland siehe ferner Steinwallner (1940b). 122 „Mit gleicher Post (*) geht die Korrektur meiner Arbeit ‚Medizinische Gesichtspunkte zum neuen Ehegesetz‘ an Sie ab. Nach der beiliegenden Bestellung bitte ich um im ganzen 50 Separatabzüge. von denen 30 unentgeltlich geliefert werden. Wie mir Herr Dr. Baur mitteilte, werden in dem gleichen Heft noch andere Aufsätze über das neue Ehegesetz von juristischen Bearbeitern erscheinen. Ich bitte auch um Lieferung je eines Sonderabzuges dieser Arbeiten. Heil Hilter. Prof. Dr. Meggendorfer“. Vgl. StB Nachl. 488, A 0494, 3, Blatt 275, Schreiben von Meggendorfer an den Verlag J. C. B. Mohr vom 06.02.1939. (*) hiermit gemeint: die von Me-

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Der Verlag schlug vor, dass – unter Voraussetzung von Meggendorfers Einverständnis – „einige kurze, jedem Juristen ohne weiteres geläufige Sätze weggelassen werden, um den Gesamtumfang des Heftes etwas zu kürzen“.123 Fand diese Korrespondenz im Jahr 1939 statt, so gilt es zu betonen, dass Meggendorfer für die Sechste Auflage von Bleulers Lehrbuch der Psychiatrie im Jahr 1937 „die noch flüssigen neueren Bestimmungen und Auffassungen des Deutschen Straf- und bürgerlichen Rechts“124 dargelegt hatte. Im Anhang seines gerichtlichen Referats von 1943 relativierte Meggendorfer seine vorherige Ansicht zur Position Wilhelm Hallermanns (1901–1975). Bevor der Gerichtsmediziner Hallermann125 ab 1942 Beratender Psychiater beim Oberkommando des Heeres wurde, hatte er die These vertreten, auch ein Zurechnungsunfähiger könne eine strafbare Handlung begehen, was Meggendorfer 1940 in seinem Referat über das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher“126 als bislang nicht bekannte Ansicht rezipierte. In seiner Berichtigung von 1943127 verwies Meggendorfer auf nicht näher spezifizierte „kompetente[] juristische[] Seite“,128 welche ihm versichert habe, Hallermanns Formulierung sei missverständlich, da § 330a ein komplexer Tatbestand und der eigentliche Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit weiterhin umstritten sei.129 Nach Meggendorfer gibt man den Schuldgedan-

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ggendorfer am 05.02. ausgefüllte beigelegte Bestellungskarte. Meggendorfer bestellte im ganzen 50 Separatabzüge; „Von den Aufsätzen werden 30, von den Besprechungen 6 völlig unveränderte Separata auf Wunsch unentgeltlich angefertigt, weiter gegen Berechnung nach Massgabe der jeweiligen Herstellungskosten. Separata können nur in der auf diesem Zettel bestellten Anzahl geliefert werden. Alle Bestellungen müssen spätestens bei Rücksendung der Korrektur gemacht werden, da nachträglich weitere Separatabzüge nur hergestellt werden können, wenn der Verfasser die erheblichen Mehrkosten trägt. Es wird dringend gebeten, diesen Zettel beantwortet zurückzusenden“. Vgl. ebd. „im Auftrag von Herrn Dr. Baur, der an Grippe erkrankt ist, teile ich Ihnen höflichst mit, dass in Ihrem Aufsatz ‚Medizinische Gesichtspunkte zum neuen Ehegesetz‘ für das ‚Archiv für die civilistische Praxis‘ unter Voraussetzung Ihres Einverständnisses einige kurze, jedem Juristen ohne weiteres geläufige Sätze weggelassen werden, um den Gesamtumfang des Heftes etwas zu kürzen. Heil Hitler! Ihr ergebenster J. C. B. Mohr“. Vgl. ebd., Blatt 273, Schreiben des Verlages an Meggendorfer vom 20.02.1939. „[M]it bestem Dank für Ihre freundlichen Zeilen vom 6. de. Mts. bestätige ich Ihnen den Empfang der Korrektur Ihres Beitrages für das ‚Archiv für die civilistische Praxis‘. Die gewünschten 50 Sonderdrucke habe ich vorgemerkt. Einen Sonderdruck der weiteren Aufsätze über das neue Ehegesetz kann ich Ihnen aus grundsätzlichen Erwägungen leider nicht zur Verfügung stellen. Ich bin aber ausnahmsweise bereit, Ihnen das Heft nach Erscheinen zugehen zu lassen. Heil Hitler! Ihr ergebenster J. C. B. Mohr“. Vgl. ebd., Blatt 274. Ebd., Blatt 273, Schreiben des Verlages an Meggendorfer vom 20.02.1939. Bleuler (1937), S. VII. Siehe hierzu: Meggendorfer (1937a–c). Siehe hierzu auch Hallermann (1944). Meggendorfer (1940f). Vgl. ders. (1943), S. 56. Ebd. „In meinem Bericht über das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher, Fschr. Neur. [gemeint: Fortschritte Neurologie] 12, habe ich auf S. 146 ausgeführt, dass die Ansicht W. Hallermanns, an dem § 330a StGB wäre juristisch neu, dass auch ein Zurechnungsunfähiger

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ken auf zugunsten des Erfolgsstrafrechts, sofern man „den Grund der Verantwortlichkeit allein nur in der Rauschtat“130 sehe. Man müsse vielmehr bei der Auslegung des § 330a versuchen, beiden Elementen gerecht zu werden.131 Hatten sich möglicherweise Rechtfertigungszwänge für Meggendorfer im Anschluss an seine Rezeption der Position Hallermanns 1940 ergeben, so könnte dies mitunter verantwortlich sein für die Zurückhaltung Meggendorfers bei gewünschten Stellungnahmen mit direkter Vergleichsmöglichkeit zu gerichtsmedizinischer Ansicht.132 Am 05.10.1940 hatte Meggendorfer beispielsweise auf die Anfrage der K. H. vom 02.10.1940 mitgeteilt, er sei nach Einsicht der Akten des Entmündigungsverfahrens bereit zu ihrer Untersuchung und Begutachtung133 unter Vorbehalt der Weitergabe des Gutachtens lediglich an das Gericht, nicht an die Anfragende selbst. Am 06.11.1940 informierte Meggendorfer K. H., die stationäre Aufnahme könne jederzeit erfolgen, sobald das Vormundschaftsgericht die Klinikaufnahme genehmigt hätte. Am 15.11.1940 verfasste Meggendorfer folgendes Schreiben an K. H.: „Auf Ihren Brief vom 31. Oktober 1940 habe ich mich an das Amtsgericht, Vormundschaftsgericht Berlin-Lichterfelde gewandt. Ich erfahre nun, heute, dass Sie bereits von Herrn Professor Dr. [Viktor] Müller-Hess [sic][1883–1960]134 begutachtet wurden und dass Sie ausserdem

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eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen könnte, irrtümlich sei, denn die Zurechnungsunfähigkeit setzte erst mit Volltrunkenheit oder kurz zuvor ein, während das Sichbetrinken schon vorher geschehen sei. Diese meine Auffassung erfuhr Widerspruch. Wie mir jetzt von kompetenter juristischer Seite mitgeteilt wird, ist die Formulierung Hallermanns tatsächlich zu allgemein und gibt zu Mißverständnissen Anlass. Der § 330a ist ein komplexer Tatbestand; es ist immer noch umstritten, wo denn eigentlich der Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit liegt. Das Sich-berauschen allein kann nicht maßgebend sein, schon deshalb nicht, weil das Gesetz ja ausdrücklich als Bedingung der Strafbarkeit die Rauschtat, die ‚mit Strafe bedrohte Handlung‘ erwähnt. Aber auch die Rauschtat kommt aus Strafbarkeitsgrund nicht allein in Frage. Denn sieht man den Grund der Verantwortlichkeit allein nur in der Rauschtat, so gibt man den Schuldgedanken zugunsten des Erfolgsstrafrechts auf. Nur wenn man letztere Auffassung für richtig hält, kann man sagen, dass auch ein Zurechnungsunfähiger eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen könne. Man muss bei der Auslegung des § 330a versuchen, beiden Elementen gerecht zu werden. Man kann vielleicht sagen, die im § 330a mit Strafe bedrohte Tat sei die qualifizierte Volltrunkenheit. Diese ist aber nicht einfach plötzlich da, sondern sie ist das Ergebnis des vorsätzlichen oder fahrlässigen Sichbetrinkens. Während dieses Sichbetrinkens bestand aber noch keine Zurechnungsunfähigkeit“. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Zur „Gerichtsmedizin unterm Hakenkreuz“ sei verwiesen auf Herber (2002). „Für die Untersuchung und Begutachtung würde ich, sofern die Akten nicht das durchschnittliche Mass überschreiten RM 100- berechnen; hierzu kämen noch die Auslagen für Schreibgebühren, Porto etc“. Vgl. APNK/FAU, keine Aufnahmenr. „Heß hatte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Ausbildung zum Psychiater und Gerichtsmediziner erhalten und stand von 1922 bis 1954 drei gerichtsärztlichen Universitätsinstituten (Bonn, Berlin und Berlin (West)) als Institutsdirektor vor. Die gerichtliche oder wie man heute eher sagt Rechtsmedizin ist kurz definiert die Anwendung medizinischer und naturwissenschaftlicher Kenntnisse für die Gesetzgebung und Rechtspflege. Aus diesem Grund unterlag diese kleine, aber mit vielen anderen Fachrichtungen interagierende Disziplin seit ihrer Existenz schon immer einem besonderen staatlichen Interesse. Während der Berliner Amtszeit

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer bereits in der Heilanstalt Göttingen zur Erstattung eines Gutachtens waren. Es ist darnach kaum anzunehmen, dass sich durch eine erneute Begutachtung durch mich etwas Wesentliches ändern würde. Ich sehe darnach die Angelegenheit gerne als für mich erledigt an“.135

Offensichtlich sah Frau K. H. ihre Anfrage nicht als erledigt an, denn es ist folgender Brief Meggendorfers an sie vom 06.11.1941 erhalten: „Ich habe Ihren Brief vom 2.11.41 erhalten. Nach dem was ich bisher von Ihrer Erkrankung weiss, muss ich annehmen, dass ich Ihrem Wunsch nach Aufhebung der Entmündigung136 nicht nachkommen kann. Ich bin ausserdem zur Zeit mit Dienstgeschäften und militärischen Angelegenheiten sehr belastet, ich kann deshalb Ihrem Wunsche, Sie in meine Klinik aufzunehmen, zur Zeit nicht nachkommen“.137

Was die gutachterliche Position Meggendorfers in der Entschädigungssache der L. M. anbelangt,138 so wurde ihr vom Berufungsgericht nicht gefolgt. Meggendorfer hatte in einem 38-seitigen Gutachten zusammenfassend dargestellt, „[e]s muss sich nach dem Ergebnis der Untersuchung um eine funktionelle und zwar um eine psychogene Lähmung handeln. Kennzeichnend für derartige Lähmungen ist auch die bei Frau

von Victor Müller-Heß von 1930 bis 1954[,] zeitgeschichtlich ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum[,] wechselten die politischen Verhältnisse dreimal. Von daher war die Untersuchung, inwieweit es in der fachlichen Ausrichtung unter dem Einfluss der verschiedenen Systeme zu Brüchen oder zu Fortführungen kam, von besonderer Bedeutung. Bei den Recherchen fielen außerdem erhebliche Diskrepanzen in den Darstellungen und Wertungen von Leben und Werk vor allem in der NS- Zeit in den Publikationen in Ost- und Westdeutschland auf [– ] eine Widersprüchlichkeit, die sich aus den verfügbaren Primärquellen (Personalakten, Archivalien, Veröffentlichungen etc.) nicht in gleicher Weise dokumentieren ließ“. Vgl. Jeske (2008), Zusammenfassung In: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/receive/FUDISS_thesis_000000003751; jsessionid=6E73F7A58749C6EE17C84EA11D3624DB. Stand vom 21.5.2017. 135 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 136 Was die Einrichtung einer Pflegschaft anbelangt, so zeigen sich die möglicherweise hiermit verbundene Schwierigkeiten dokumentiert in der Akte der schizophren erkrankten, 1875 geborenen, am 16.03.1937 stationär aufgenommenen N. M., zu welcher am 17.03.1937 festgehalten wurde, sie „[r]edet sehr zerfahren, spricht u. a. davon, dass Adolf Hitlers Mutter ihr vor einigen Monaten nachts vor ihrem Bett erschienen sei, sie habe gesagt: ,Lassen Sie meinen Sohn ziehen…[sic]‘“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 166/78. In Hinblick auf die relevanten formalen Angaben bzgl. der Einrichtung einer Pflegschaft nannte Meggendorfer in seiner Antwort „[a]n das Amtsgericht Nürnberg“ vom 04.06.1937 folgende: „Frau N. gibt an, ihr Mann habe N. J. geheissen, geboren […]. Er sei Krankenpfleger gewesen, habe zuletzt in München gewohnt, sei am 29.8.1933 verstorben. Sie sei von ihm geschieden gewesen seit 2.2.1927. Frau N. gibt an, sie sei mit der Errichtung einer Pflegschaft einverstanden; doch ist eigentlich eine Verständigung mit ihr darüber nicht möglich“. Vgl.ebd. 137 Ebd., keine Aufnahmenr. 138 „Ich bin zur Zeit als beratender Psychiater und Neurologe des Wehrkreisarztes einberufen, führe aber daneben die Klinik weiter. Begreiflicherweise bin ich zur Zeit mit Arbeit überlastet; ich bin aber bereit, die Begutachtung der Frau L. zu übernehmen. Bei dem Umfang an Akten und der Schwierigkeit der Begutachtung erlaube ich mir um die Bewilligung eines Honorars von RM 200,-- für das Gutachten zu bitten. Hierin wären nicht einbegriffen die Verpflegenskosten [sic] für die Klinikaufnahme der Frau L., die Auslagen für Porto und Schreibgebühren“. Vgl. Schreiben Meggendorfers an „Oberlandesgericht, st. Vorsitzenden des 2. Zivilsenates Nürnberg“ vom 15.08.1941. In: Ebd., Aufnahmenr.: 283/203.

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L. bestehende Sensibilitätsstörung. Außer den funktionellen und psychogenen Lähmungserscheinungen besteht bei Frau L. in neurologischer Hinsicht Zittern im linken Arm, das wahrscheinlich auf einer anderen Grundlage beruht“.139

Zwar sei es „wohl richtig, dass bei Frau L. eine besondere Disposition zu nervösen Störungen vorgelegen hat: eine nervöse Disposition an sich, ferner die Nähe der Wechseljahre, die Nachwirkung der Periode usw.“140

Meggendorfer schränkte jedoch deren Bedeutung ein, da ja „hysterische und sogenannte rentenneurotische Reaktionen“ gleichermaßen „bei vollkommen gesunden und in nervöser Hinsicht rüstigen Menschen“ vorkämen.141 „Wenn schließlich verschiedentlich auf die Konsequenzen eines abweisenden Urteils hingewiesen wird, so erlaube ich mir zu bemerken, dass es für Frau L. das Allerbeste gewesen wäre, wenn sie sofort mit allen Ansprüchen gänzlich abgewiesen worden wäre. Man kann mit Sicherheit sagen, dass sie dann schon längst wieder gehen könnte und sich guter Gesundheit erfreuen würde. Je länger aber das Entschädigungsverfahren andauert, umso mehr fixieren sich die Vorstellungen, krank zu sein und umso schwerer wird es sein, diese irrtümlichen Vorstellungen bei Frau L. zu beseitigen“.142

139 Ebd. 140 Ebd. 141 Vgl. ebd. 142 Ebd. In puncto „Rentenbegehren“ scheint die Position Meggendorfers eine eindeutige gewesen zu sein. So betont ein Klinikgutachten unter dem Einverständnis von Meggendorfer ebenfalls den Verdacht auf Aggravation seitens der Patientin zur Erlangung einer Rente. Die als reaktiv depressiv diagnostizierte S. M. sei „im Januar [1935] […] die Stiege herabgefallen, es sei ein Stück Holz weggebrochen und dann sei sie ausgerutscht und die Treppe hinab gekollert. Der behandelnde Arzt habe ihr gesagt, dass die Wirbelsäule geprellt sei und das Rückgrad. Sie habe dann Schmerzen am Hinterkopf, einen angeschwollenen Hals und starke Kopfschmerzen bekommen. Erbrochen habe sie damals nicht […], auch bewusstlos sei sie nicht gewesen nur habe sie vor Schmerzen nicht gleich aufstehen können. Jetzt habe sie noch Kopfweh, allgemeines Übelsein, wenn sie einen Eimer Wasser trage, verspüre sie Schmerzen im Nacken, auch am Herz […]. Seit Januar 1935 sei sie ständig beim Arzt gewesen wegen ihrem Kopf und wegen des Rückens, der angeblich auch durch den Sturz beschädigt worden sei. Wenn sie ihren Arm bewege, verspüre sie einen Schmerz, besonders wenn sie den Arm nach rückwärts bewege. Auch ständig habe sie Schwindelgefühle und die Beine würden ihr auch recht weh tun. Sonst könnte sie nichts mehr klagen“. Vgl. ebd., Aufnahmenr.: 171/76. Das Gutachten vom 04.06.1935 lautete folgendermaßen: „auf Veranlassung der medizinischen Univ. Klinik Erlangen erstatten wir in der Invalidenrentensache der [...] S. M. auf Grund klinischer Beobachtung und Untersuchung vom 23./25.5.1935 für die Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken in Bayreuth folgendes Zusatzgutachten: […]. Frau S. war psychisch ziemlich frei und bot keinerlei Anzeichen eine gewissen Hemmung, wie sie doch meistens bei der endogenen Depression vorhanden ist. Auch die geäusserte Selbstmordabsicht entspringt nicht dem inneren Trieb, dem die wirklich Kranken unterliegen. Der Zustand, in dem sich Frau S. zur Zeit befindet, ist sicher als ein vorübergehender zu betrachten und er würde auch nach Wegfall der Ursache sicher auch behoben sein [sic]. Bei der Invalidisierung solcher Persönlichkeiten heisst es im allgemeinen recht vorsichtig zu verfahren, denn auf keinem anderen Boden entwickelt sich eine Rentenneurose leichter als auf dieser Art. Wir schätzen die zur Zeit bestehende Arbeitsunfähigkeit unter günstigster Berücksichtigung aller Umstände auf höchstens 15–20%.

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Frau L., so betonte Meggendorfer könne hierfür keine Schuld „beigemessen werden“.143 „Insofern erscheint auch dem Sachverständigen, der einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Luftschutzübung und dem jetzigen abwegigen Zustande der Frau L. nicht annimmt, ein vermittelnder Standpunkt und eine möglichst ausgleichende Beurteilung angezeigt“.144

Womöglich sah sich das Gericht durch Meggendorfers versteckten Vorwurf, die unzureichend kompetente gerichtliche Erstentscheidung habe zur Fixierung der psychogenen Lähmungserscheinungen der L. beigetragen, in seiner Autorität gekränkt. Das erhaltene Gerichtsurteil vom 13.07.1943 gibt Aufschluss darüber, dass die plausible sachkundige Einschätzung Meggendorfers, die im Einklang stand mit der von Prof. Dr. M. Reichardt, welcher am 05.03.1941 eine „[s]eelische Entschädigungsneurose“145 bei L. M. konstatiert hatte, nicht berücksichtigt wurde.146 1943, also im gleichen Jahr wie Meggendorfers „Erratum“-Notiz bzgl. eigener Angaben zu Straffähigkeit bei Unzurechnungsfähigkeit aus dem Jahre 1940147 führte Meggendorfer eine Auseinandersetzung in puncto gerichtliche Psychiatrie mit Staatsanwalt Dohmann unter Einbeziehung des Rektorats der Universität sowie der Staatsanwaltschaft Nürnberg/Fürth und des Reichserziehungsministeriums. An-

Die Untersuchte ist imstande ihre Rentenangelegenheit selbst zu besorgen. Der Verdacht einer gewissen Sucht der Übertreibung scheint gegeben zu sein“. Vgl. ebd. 143 Ebd., Aufnahmenr.: 283/203. 144 Ebd. 145 Ebd. 146 „Am 10. Juni 1935 wurde bei einer Luftschutzübung im Hof des Anwesens der Klägerin in Schwandorf infolge Abbrennens eines heulenden Kanonenschlages ein Brand verursacht[,] bei dem zunächst Holzwolle, sodann eine mit Brennholz gefüllte Holzlege [sic] und zwei Obstbäume in Brand gerieten. Im Anschluss an den Brand zeigten sich bei der während der Übung anwesenden Klägerin Lähmungserscheinungen […]. Die Revision ist der Ansicht, die bei der Klägerin vorhandenen nervösen Lähmungserscheinungen seien ,lediglich‘ die Folge verschiedener Fremd- und Autosuggestionen und anderer ungünstiger Einwirkungen, die eine neue Ursachenreihe ausgelöst hätten. Damit setzt sich die Revision jedoch in Widerspruch zu der von ihr hinzunehmenden tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts, dass die letzterwähnten Suggestionen und Einwirkungen zu einem Zeitpunkte aufgetreten seien, als die Auswirkungen des infolge des Brandes erlittenen Schreckens noch angedauert hatten, und dass letztere Auswirkungen dadurch verstärkt worden seien. Diese Feststellung bildet eine ausreichende Grundlage für die Annahme, dass der Schrecken im Rechtssinne ursächlich für die nervösen Erscheinungen gewesen sei. Auch darin kann der Revision nicht gefolgt werden, dass der Eintritt derartiger Folgen ganz ungewöhnlich sei und ausserhalb jeder menschlichen Erfahrung liege. Wenn die Revision endlich auf das Gutachten des Sachverständigen Meggendorfer verweist und meint, hiernach habe der Brand keine weiteren Folgen gehabt als den Schrecken mit seinen leichten und bald abklingenden Begleiterscheinungen, so kann sie auch damit nicht durchdringen. Das Berufungsgericht hat sich, wozu es auf Grund freier Beweiswürdigung befugt war, insoweit dem Gutachten Meggendorfer’s [sic] nicht angeschlossen, sondern ist offensichtlich den – den ursächlichen Zusammenhang bejahenden – Gutachten [des Hausarztes, praktischen Arztes, Bahnarztes und Chirurgen Dr. Hans] Reichard[] und [des Stadtmedizinalrates] Stemplinger[] gefolgt“. Vgl. ebd. 147 Vgl. Meggendorfer (1940f). Siehe ferner auch S. 554.

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gehörige eines im Sommer 1942 nach § 126a in der Heil- und Pflegeanstalt untergebrachten „Arzt[es] Dr. H., gegen den ein Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen das Opiumgesetz schwebt“148 hatten sich für dessen Verlegung in die Psychiatrische und Nervenklinik eingesetzt. Dohmann beantragte folgendermaßen die Ablehnung des Gesuches: „H. hat in Erlangen studiert und ist dort in der Klinik bekannt. Eine wirksame Unterbringung ist daher nur in der Heil- und Pflegeanstalt möglich, abgesehen davon, dass nach dem Gesetz die Kliniken nicht dazu berufen sind, zur vorläufigen Unterbringung Rauschgiftsüchtiger zu dienen. Die mit den Kliniken gemachten Erfahrungen lassen aus sachlichen Gründen eine Unterbringung in diesen nicht ratsam erscheinen“.149

Später berief sich Dohmann darauf, seine Erfahrungen seien das Resultat seiner mehrjährigen Erfahrung als Sachbearbeiter von Rauschgiftprozessen speziell in Berlin. Nach Dohmann sah das Unterbringungsgesetz die Heil- und Pflegeanstalt vor, zumal die Anstaltsleiter „allein genügend forensische Erfahrung aus ihrer täglichen Praxis heraus besäßen, um die wichtige Frage der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit der erforderlichen Autorität zu beantworten“.150 Die Klinikvorstände demgegenüber hätten kaum Erfahrung bei gerichtlichen Dingen „und würden daher persönliche Tatumstände, auf die es im Strafverfahren ankomme, nicht beachten oder unterschätzen“.151 Als Leiter der Universitäts-Nervenklinik Berlin und Referent beim Reichserziehungsministerium wurde Maximinian de Crinis152 im April 1943 durch Meggendorfer mit folgenden Worten über die Vorwürfe in Kenntnis gesetzt:153 „Es liegt mir besonders in der jetzigen Zeit fern, aus der Angelegenheit eine große Sache zu machen. Ich möchte aber nicht verfehlen, Ihnen wenigstens von der Sache Kenntnis zu geben“.154

De Crinis mag die Aussage Dohmanns zur forensischen Praxis in Berlin als latenten Vorwurf gewertet haben,155 zumal er beim Landgericht Nürnberg/Fürth betonte,

148 UAE: A6/3i. Die Formulierung für sich alleine betrachtet ist uneindeutig. Einerseits könnte Dr. H. selbst betäubungsmittelabhängig gewesen sein, andererseits könnte sich die Aussage auch auf irreguläre Betäubungsmittel (BtM)-Rezeptierungen beziehen. Der Sinnzusammenhang lässt eine eindeutige Interpretation zu. 149 BAB VBS 307/8200001963. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 „Am 01.10.1944 macht[e] de Crinis zum letzten Mal Karriere: Er wird Nachfolger von Otto Wuth, der krankheitshalber aus dem Heeresdienst ausscheidet“. Vgl. Jasper (1991), S. 110. 153 Zur Korrespondenz zwischen Meggendorfer und De Crinis von Oktober 1943 siehe S. 315– 318. 154 BAB VBS 307/8200001963. 155 Crinis publizierte selbst zu „Alkoholrausch und Zurechnungsfähigkeit“. Vgl. Crinis (1939). Weiterführend auch: „Maximinian de Crinis (1889–1945). Eine Studie zur Psychiatrie im Nationalsozialismus“. Vgl. Jasper (1991).

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„für [s]einen Vorgänger,156 Geheimrat Bonhoeffer,157 eintreten und – gegebenenfalls einer solchen Kritik entgegentreten“158 zu können. Im Mai 1943 übergab der Oberstaatsanwalt dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung folgende Rechtfertigung Dohmanns für die Ablehnung des Verlegungsgesuches: „Meine Stellungnahme dem Amtsgericht Fürth gegenüber geht vom Gesetz und so davon aus, dass die Unterbringung Süchtiger in einer Heil- und Pflegeanstalt, nicht aber in einer Klinik zu erfolgen hat. Sie bezieht sich dabei nicht ausdrücklich, aber dem gewollten Inhalt nach auf eine jüngste Entscheidung des Reichsgerichts, wonach die Aufnahme Süchtiger in Kliniken als Missbrauch und auf die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt als gesetzliche Notwendigkeit aufmerksam gemacht wird“.159

Der Oberstaatsanwalt führte beschwichtigend an, Dohmann habe gemäß der „in der Deutschen Justiz 1942, S. 433 veröffentlichten Entscheidungen des Reichsgerichts 4D 123/42 vom 24.4.1942 [entschieden], wonach sich ein im Sicherungsverfahren Beschuldigter nicht durch freiwilligen Eintritt in eine Heil- und Pflegeanstalt der Unterbringung gemäß § 42 R StGB entziehen könne“.160 156 „Am 05.04.1943 waren Hans von Dohnanyi [1902–1945], Sonderführer beim Stab des Admirals Walter-Wilhelm Canaris [1887–1945] im Oberkommando der Wehrmacht, und sein Schwager Dietrich Bonhoeffer, Theologe und Sohn des bereits erwähnten Vorgängers von de Crinis, Professor Dr. Karl Bonhoeffer, verhaftet worden. Sie waren an den Vorbereitungen des Attentates vom 20.07.1944 gegen Hitler beteiligt. Bei einem Bombenangriff am 23.11.1943 erleidet von Dohnanyi eine Hirnembolie mit Sprach- und Gesichtslähmungen und wird daraufhin in Ferdinand Sauerbruchs chirurgische Klinik der Charité verlegt. Unter dem Schutz von Sauerbruch kann von Dohnanyi für einige Zeit den Verhören entzogen werden, und er kann auch erneut Kontakt zu den Widerstandskreisen knüpfen. Es wird nun berichtet, dass Karl Bonhoeffer sich an de Crinis gewandt habe und ihn um ein Gutachten zugunsten seines Schwiegersohnes gebeten habe. Dieser Bitte sei de Crinis auch nachgekommen, das Gutachten von de Crinis habe aber nicht lange geholfen. Ein solches Gutachten ist nicht erhalten, bekannt ist dagegen, dass de Crinis am 10.02.1944 an das die Untersuchung führende Reichssicherheitshauptamt schreibt: ‚Auf Grund meines Untersuchungsbefundes wurde der Aufenthalt auf der Chirurgischen Klinik abgebrochen und von Dohnanyi in das Sonderlazarett in Buch überstellt. […]. Wie aus meinem Schreiben hervorgeht, habe ich Sonderführer von Dohnanyi als vernehmungsfähig erklärt, und die Prognose gestellt, dass er in 8–10 Tagen verhandlungsfähig sein werde‘“. Vgl. ebd., S. 129. Empfehlenswert hierzu ferner „Karl Bonhoeffers Familie: Größe und Schicksal“. Vgl. Neumärker (1990), S. 184–200. Zu Dietrich Bonhoeffer siehe ferner Bethge (2004). Als aktuelle Rezeption von Dietrich Bonhoeffers „Ethik“ sei verwiesen auf Honecker (2017). Zu Karl Bonhoeffer und Max de Crinis weiterführend auch Beddies (2010). 157 „Im März 1934 – das Gesetz zur Zwangssterilisierung war gerade zwei Monate in Kraft – fand in der Nervenklinik der Charité der erste Erbbiologische Kurs für Neurologen und Psychiater statt. Unter dem Titel ‚Die psychiatrischen Aufgaben bei der Ausführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ gab Bonheoffer die sieben Vorträge, inklusive eines Anhangs zur ‚Technik der Unfruchtbarmachung‘, in einer Broschüre gemeinsam mit anderen Autoren heraus“. Vgl. Grell (1988), S. 210. Bonhoeffer zeigt sich zudem als erfahrener Militärpsychiater. 1922 gab er sein Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914–1918 heraus. Vgl. Bonhoeffer (1922/1934). 158 BAB VBS 307/8200001963. 159 Ebd. 160 Ebd.

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Hieraus habe Dohmann – so der Oberstaatsanwalt – den irrtümlichen Schluss gezogen, nur bei einer behördlichen Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt sei die Gewähr für eine wirksame Sicherheit gegeben. Diese Auseinandersetzung mag für Meggendorfer nicht vorhersehbar gewesen sein. Es finden sich nämlich Hinweise darauf, dass ab 03.12.1941 – ein Jahr vor Ablehnung des Angehörigengesuches auf Verlegung des rauschmittelsüchtigen Dr. H. von der HuPflA in die Psychiatrische Klinik – der bereits 1933 von Gottfried Ewald behandelte, an „Morfinismus [sic], Psychopathie, Dicodidsucht“ erkrankte Facharzt Dr. P. C. als Klinikpatient aufgenommen wurde. Die Klinikbehandlung scheint trotz folgenden Beschlusses möglich gewesen zu sein: „Der Vorgeführte ist in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vorläufig unterzubringen. Er ist dringend verdächtig, fortgesetzt den Vorschriften des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmittel vom 10. Dezember 1929 zuwidergehandelt zu haben. Der Beschuldigte, der bereits einschlägig vorbestraft ist, hat auch im August und September 1941 wieder Opiate für sich bezogen. Nach dem Gutachten des Landgerichtsarztes ist anzunehmen, dass die Voraussetzungen des 51 Abs. 1 RStGB. vorliegen und dass in der Hauptverhandlung die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt angeordnet wird. Gemäss § 126 a […] wird die einstweilige Unterbringung des Beschuldigten in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen angeordnet. Bei der Art der strafbaren Handlung erfordert dies die öffentliche Sicherheit, insbesondere weil der Beschuldigte als Arzt eine besondere Gefahr für die öffentliche Sicherheit bildet“.161

Die Tatsache, dass sich Meggendorfer bereits ab 1934 den gesetzlichen Vorgaben zur erbgesundheitlichen Begutachtungspflicht durch den Klinikleiter selbst widersetzte, wurde begründet „als demonstrative Herabwürdigung der Entscheidungskompetenz der Erbgesundheitsgerichte“162 „vor dem Hintergrund der […] Verstimmung der Psychiater über das GzVeN“.163 Da Meggendorfer im GzVeN ein wesentliches rassenhygienisches Ziel erreicht sah, erscheint diese Argumentationsweise nicht gänzlich nachvollziehbar. Unter der Beteiligung Wilhelm Einsles, welcher – gebunden an die Vertragserneuerung zwischen Heilanstalt und Klinik vom 01.04.1921 – Meggendorfers Hochschulpsychiatrie ein Gastrecht einräumen musste, erfolgte seitens des Erbgesundheitsgerichtes Bamberg das konfrontative Ablehnen von Meggendorfers Begutachtungsergebnis zu S. K.164 Bei dieser offensiv-unkollegialen Vorgehensweise mag es sich um keinen Einzelfall gehandelt haben, zumal in der Retrospektive „das Gericht den Expertisen des Klinikchefs seltener folgte, als denen rangniedrigerer Ärzte [84% vs. > 90%]“.165 Insofern könnte man Meggendorfers Weitergabe der Gutachtensaufträge als Schutzmechanismus vor weiterer Kompetenz-Anfeindung werten.

161 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 150/62; 149/54; 364/294. 162 Ley (2004), S. 298. 163 Ebd. 164 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 243/148. Siehe ferner S. 342–347. 165 Ley (2004), S. 299.

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Unter Verweis auf Meggendorfers Personalakte im Universitätsarchiv Erlangen wird folgende Aussage angeführt: „Der Direktor der Erlanger Psychiatrischen Universitätsklinik, Friedrich Meggendorfer, […] gehörte dem EOG Bamberg an“.166 Um einem misslichen Rückschluss auf Meggendorfers Funktion bei den Gerichten vorzubeugen, ist es wichtig, die Stelle aus Meggendorfers Personalakte anzuführen, die Aufschluss über Meggendorfers gerichtliche Tätigkeit erlaubt. In einem Schreiben an den Dekan der Medizinischen Fakultät Professor Dr. Beck vom 14.06.1949 bittet Meggendorfer darum, „die Erteilung der Venia legendi an der hiesigen Universität erwirken zu wollen. Ich bin nur gering belastet;167 in meinem Spruchkammerurteil ist aufgeführt, dass ich nicht mehr als nur formal an Nationalsozialismus teilgenommen und mich auch nicht als Militarist erwiesen habe. Ich würde, wenn ich die Venia legendi erhielte, eine Nebenvorlesung über ein Gebiet, das mir besonders liegt, übernehmen, etwa über Therapie der Geisteskrankheiten. Zur Zeit wird, da Herr Prof. Dr. von Baeyer verreist ist, hier gerichtliche Psychiatrie nicht gelesen; auch auf diesem Gebiete verfüge ich über besonders große, auch von den Gerichten und anderen Instanzen anerkannte Erfahrung“.168

Mit Betonung seines Wissens bezüglich gerichtlicher Psychiatrie hoffte der dienstsuspendierte Meggendorfer auf Rückerhalt der Venia legendi. Auch außerhalb der Personalakte Friedrich Meggendorfers ließ sich – abgesehen von seiner gutachterlichen Tätigkeit auf Anforderung durch die Erbgesundheitsgerichte – kein klarer Hinweis auf eine Tätigkeit als Richter oder Beisitzer an Erbgesundheits(ober)gerichten finden.

166 Ebd., S. 115. Unter Bezugnahme auf diese Referenz schlussfolgert Rauh, Meggendorfer habe „als psychiatrischer Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht Bamberg noch ganz konkret in die Durchführung des GzVeN ein[gegriffen]“. Vgl. Rauh (2016b), S. 271. Siehe hierzu S. 514, Fn. 88. Der in der Akte der schizophren erkrankten, am 20.03.1938 in die Klinik aufgenommenen B.R. erhaltene Beschluss des EOG Bamberg vom 02.11.1938 dokumentiert folgende Mitglieder des EOG Bamberg: Oberlandesgerichtsrat Rauchalles, Bezirksarzt Dr. Gückel aus Nürnberg und Universitätsprofessor Dr. [Hans] Molitoris [1874–1972] aus Erlangen. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 241/140. Die Zusammensetzung des EOG Bamberg zeigt sich vor allem deshalb bemerkenswert, da kein Psychiater im engeren Sinne beteiligt war. Die Tätigkeit am EOG Bamberg ergänzt die Rolle des Gerichtsmediziners Molitoris zu NS-Zeit: „seit 1923 auch Vorstand des neuen [Erlanger] Gerichtsmedizinischen Institutes, schrieb zentrale Artikel für die ,Deutsche Zeitschrift für die Gesamte Gerichtliche Medizin‘[,] war Obergutachter am Oberlandesgericht Nürnberg, verfasste prozessrelevante Gutachten und forderte eine gesetzliche Regelung der Verwaltungssektionen bei unklarer Todesursache.“ Vgl. http://www.200.ukerlangen.de/en/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/molitiris/. Stand vom 22.05.2017. Zu Molitoris junior siehe S. 401, Fn. 645 und S. 450–452 sowie S. 497, Fn. 8. 167 Wenn sich Meggendorfer 1949 der Fakultät gegenüber als „gering belastet“ bezeichnete, so hatte er zwei Jahre zuvor Meixner gegenüber betont, er sei „nicht so belastet, dass [er] untragbar wäre“. 1952 bezeichnete Meggendorfer seine Einstufung als „Mitläufer“ als „materiell unrichtig“. Vgl. S. 518, S. 522 und S. 622, Fn. 532. Wenn Meggendorfer 1949 angab, „gering belastet“ zu sein, so entspräche dies, gemäß der Entnazifizierungsstufen, nicht dem Grad IV „Mitläufer“, sondern vielmehr einer Einordung auf Stufe III „Minderbelasteter“. Siehe S. 514, Fn. 95. 168 UAE: A2/1 Nr. M. 46.

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5.3 ABHÄNGIGKEITSVERHÄLTNIS ZU WILHELM EINSLE Meggendorfer gab am 17.02.1951 zu Protokoll, er sei als Leiter der Psychiatrischen Klinik durch „oberflächliche[] Betrachtung und Beweisführung“169 für „Vorfälle“170 in der Heil- und Pflegeanstalt „verantwortlich betrachtet“171 worden. Noch 43 Jahre später wurde Meggendorfer durch unsolide Argumentationsführung stellvertretend für die gesamte Erlanger Universitäts-Ärzteschaft sowie für die Verantwortlichen der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt pauschal als „Kollektiv-Sündenbock“ vorgeführt. Das Portrait Friedrich Meggendorfers unter der Rubrik „Die Unmenschlichkeit hat ein Gesicht“172 anzufügen, wie es ein Erlanger Lokalblatt vornahm, zeigt sich – in Anbetracht der historischen Fakten – kaum adäquat. Die Verantwortlichkeit an den Abtransporten von Anstaltspatienten im Rahmen der „T4“Aktion sowie an der Hungerkost in der HuPflA lag bei Wilhelm Einsle als Anstaltsdirektor. Die vertragsbedingt komplizierte dienstliche Abhängigkeit des Klinikdirektors vom Anstaltsdirektor mag eine jahrzehntelange „mésalliance-Tradition“173 zwischen Klinikvorstand und Anstaltsleiter entscheidend mitbedingt haben. Die Konflikte zwischen Gustav Specht und Gustav Kolb174 setzten sich zwischen Friedrich Meggendorfer und Wilhelm Einsle fort. Bei anfänglich betont bemühten Annäherungsversuchen kam es im Zeitverlauf zu einer krisenhaften175 Zuspitzung des „du-

169 170 171 172 173

BayHStA: MK 44017. Ebd. Ebd. Nahr (1994). „Die Fakultät weiß, dass dieser unglückliche Zustand, obwohl er nicht von heute auf morgen abgestellt werden kann, in der Vergangenheit vielfach zu Reibungen zwischen beiden Direktoren geführt hat; sie möchte aber auch diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und das Ministerium nachdrücklichst [sic] auf seine Unterlassungssünden in der Vergangenheit hinweisen. Denn für die Zustände an den Universitätsanstalten zeichnet sich nicht der Allgemeinheit gegenüber irgendein Direktor oder Professor, sondern allein das Staatsministerium verantwortlich“! Vgl. BayHStA: MK 72018. 174 Nach Ansicht des Klinikdirektors Gustav Specht aus dem Jahr 1933 konnte die Klinik ihre Entwicklungsmöglichkeiten bislang nicht „voll entfalten“. Dies habe der Anstaltsleiter Gustav Kolb „in seiner geradezu pathologischen Feindseligkeit gegen die Klinik verschuldet“. Vgl. UAE: A6/3 i. 175 Unter Verweis auf den Eröffnungsvortrag des 24. “International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry” zum Thema “Crisis in Psychiatry” stellt der Amsterdamer Philosoph und Psychiater Damiaan Denys seinem Vortrag “from Electricity to Ethics” die eigene Position zur gegenwärtigen „Krise in der Psychiatrie“ voran. Denys sieht in der gegenwärtigen Krise der Psychiatrie weit mehr als eine akademische Diskussion um klassifikatorische Klarheit, vielmehr beinhalte sie eine Art Identitätsproblem: “we lost the touch with neuroscience, we lost the connection to psychotherapy, we lost the expertise in psychopathology”.Vgl. Denys (2017), siehe ferner Berrios (2017b), Bentall (2017) und Wessely (2017). Interessant auch die Rektoratsrede zu „Gegenwartskrise und Psychiatrie“ des Baseler psychiatrischen Ordinarius John Eugen Staehelin (1891–1969) vom 26. November 1948. Vgl. Staehelin (1948).

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alen direktorialen Verhältnisses“. Meggendorfer betonte am 25.03.1935, die gegenseitige Benachteiligung „lässt sich auch durch das beste kollegiale Einvernehmen der beiden Direktoren […] nicht vermeiden“.176 Wilhelm Einsle als Nachfolger Kolbs sah es in seiner Denkschrift „Über das Verhältnis zwischen der Psychiatrischen und Nervenklinik und der Kreis-Heil- und Pflegeanstalt Erlangen“177 vom 17.02.1936 als „Tatsache an, dass der frühere Klinikdirektor und der frühere Anstaltsdirektor sich in den vielen Jahren ihres Zusammenarbeitens in einer für die Außenwelt oft nicht erfreulichen Weise bekämpften“.178

Einsle verzichtete darauf, „dem einen oder anderen Teil eine persönliche Schuld“179 beimessen zu wollen. Während seiner eineinhalbjährigen Tätigkeit in Erlangen habe er sich davon überzeugen können, „dass der wahre Grund in dem unerquicklichen und unhaltbaren, aber durch die Ungunst der Zeit gegebenen Abhängigkeitsverhältnis zwischen Klinik und Anstalt gelegen hat“.180 Einsle schilderte die „unhaltbaren und beide Teile niederdrückenden Verhältnisse […], welche sich aus dieser merkwürdigen Zusammenschachtelung von Klinik und Anstalt ergeben“.181 Gemeinsam mit Meggendorfer als Klinikvorstand sei er „mit Erfolg bemüht [...], ein stets kollegiales Verhältnis aufrecht zu erhalten, die gegenseitigen Belange in freundschaftlicher Weise zu besprechen und zu vertreten und gegenseitig […] erste Duldung zu üben“.182

Die anfängliche Bemühung um einvernehmende Zusammenarbeit wich einer Verstimmung in puncto Anerkennungsgebühr. Am 05.03.1936 beklagte Meggendorfer beim Rektor die Tatsache, dass Einsle, „der mit Klinikarbeiten nicht belastet ist, neuerdings wieder diese Vergütung gewährt werden soll, während sie [ihm] gegenüber, der […] täglich mehrere Stunden Verwaltungsarbeit für die Heil- und Pflegeanstalt leiste, weiter entzogen bleiben soll“.183

Meggendorfer hatte am 02.07.1934 die Stelle als Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen ab 01.10.1934 angenommen. Der Vertrag, welcher Meggendorfer anlässlich der Antrittsverhandlungen vorgelegt worden war, beinhaltete noch die Anerkennungsgebühr. Nach Ministerialentscheidung vom 12.07.1934 wurde auf die Nebenvergütungen „vom Wechsel in der Leitung beider Anstalten ab“184 verzichtet. Erst gut drei Monate nach Meggendorfers Beschwerde über die Ungleichheiten in der Gewährung der Anerkennungsgebühr erklärte das Kultusministerium am 23.06.1936, die Vergütung für den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen 176 177 178 179 180 181 182 183 184

UAE: A6/3 i. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. BayHStA: MK 72096.

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habe auf einem „Versehen“185 beruht. Infolge dieser Vergütungsunausgewogenheit labilisierte sich das anfänglich – zumindest nach außen propagierte – gute Einvernehmen von Klinik- und Anstaltsleiter. Unter der Fassade von höflicher Rücksichtnahme zeigte sich deutlich Einsles Angst vor eigenem Kompetenzverlust bei einem Zugewinn an Souveränität der Psychiatrischen Klinik. Anlässlich der Pläne zum Neubau einer Psychiatrischen Klinik sorgte sich Einsle am 16.06.1936 der Regierung in Ansbach gegenüber, eine eigenständige Klinik mit „allzugroßer Belegfähigkeit“186 könne die Selbstständigkeit der Anstalt schmälern. Geduldet werden könne eine Psychiatrische Klinik lediglich als „kleine Durchgangsstation“.187 Hatte der Rektor Fritz Specht (1890–1972)188 am 18.03.1936 noch betont, „dass ein reibungsloser Betrieb nur selten einmal und nur bei zwei Direktoren möglich ist, die so gut miteinander auskommen wie die jetzigen Leiter Dr. Einsle und Professor Meggendorfer“,189

so informierte er am 13.07.1937 das Ministerium über das zunehmend angespannte Verhältnis von Einsle und Meggendorfer. „Wenn augenblicklich […] ständig von Konfliktmöglichkeiten gesprochen werden muss und offene Konflikte nur durch ein Höchstmaß gegenseitiger Rücksichtnahme vermieden werden, so beweist das, dass die Verhältnisse unabhängig von den Persönlichkeiten, unerträglich sind und abgeändert werden müssen“.190

185 186 187 188

Ebd. UAE: A6/3 i. Ebd. Specht bekleidete das Rektorenamt SS 1935–WS 1937/38. Vgl. https://www.fau.de/universi taet/das-ist-die-fau/uniarchiv/. Stand vom 24.05.2016. 189 UAE: A2/1 Nr. M 46. Schreiben von Rektor Fritz Specht an den Reichdozentenführer Schultze/18. März 1936: „Lieber Pg. Schultze! Ich sehe mich gezwungen, Dich zu bitten, dafür einzutreten, dass unser Pg. Prof. Meggendorfer hier gehalten und wenigstens nicht gegen seinen Willen nach Hamburg versetzt wird. Obwohl ihm dort oben eine große neue Klinik, eine grosse Zahl von Hilfskräften und eine finanzielle Verbesserung gesichert ist, möchte er doch lieber hier bleiben und hier für sein Fach wirken. Er ist Mitte 50, endlich an ein Ziel gekommen, ist [sic] mit seiner ganzen Familie ein ausgesprochener Bayer und möchte seine 4 Kinder hier Wurzel schlagen lassen. Er ist ein ausgezeichneter, guter Mensch, auf den ersten Anschein zaghaft, aber ein unentwegter, kompromissfreier Nationalsozialist. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du in diesem Sinne Dich verwenden wolltest. Auch die, Dir ja unterstellte, [sic] Regierung legt großen Wert darauf, dass M. hier bleibt, da das Verhältnis der Heil- und Pflegeanstalt zu der in ihr eingegliederten psych. Universitätsklinik so schwierig ist, dass ein reibungsloser Betrieb nur selten einmal und nur bei zwei Direktoren möglich ist, die so gut miteinander auskommen wie die jetzigen Leiter Dr. Einsle und Professor Meggendorfer“. Vgl. ebd. Zur uneindeutigen Quellenlage in Bezug auf die Hintergründe für die Berufung von Bürger-Prinz in der Nachfolge Weygandts siehe S. 523, Fn. 144. 190 BayHStA: MK 72096.

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Nach Fritz Specht191 habe die gegenseitige Rücksichtnahme auf die Zuständigkeiten von Kultusministerium einerseits und Kreisregierung beziehungsweise Innenministerium andererseits die „Erörterung heikler Fragen“192 verboten. Infolgedessen sei es zu „Kompromißlösungen mit zwar wesentlichen Verbesserungen, aber nicht völligen Bereinigungen“193 gekommen. „[D]ie ideale Lösung [müsse] anders aussehen“.194 Für die Bedürfnisse Erlangens reiche – nach Ansicht Spechts – eine kleinere Anstalt aus. „Für diese kleinere Abteilung der Heil- und Pflegeanstalt vermöchte der Direktor der Universitätsanstalt ohne weiteres die Leitung übernehmen. Er würde es gewiss sehr gern tun, da er ja damit für Unterricht und Forschung wesentlich bessere Vorbedingungen erreichte“.195

Bezugnehmend auf diesen Bericht des Rektors an das Ministerium leitete Meggendorfer am 03.08.1937 die tags zuvor im Deutschen Ärzteblatt erschienene Ausschreibung für die ab 01.10.1937 neu zu besetzende Stelle des Direktors der KreisHeil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar196 an den Regierungsrat weiter.

191 Fritz Specht war als Rektor der Universität Erlangen anwesend bei der wissenschaftlichen Tagung des Verbandes der Reichsarbeitsgemeinschaft der Naturärzte, welche am Folgetag der Gründungsversammlung vom 24.05.1935 in Nürnberg stattfand. Im Rahmen des Festaktes am Sonntag, 26.05.1935, gab der Reichsärzteführer bekannt, „dass der Rektor der Universität Erlangen, Prof. Dr. med. Specht, den Entschluss gefasst habe, eine Naturheilklinik zu errichten“. Vgl. Väth (1935), S. 594. Siehe auch ebd., S. 591. Weiterführend hierzu siehe Dross (2016a), S. 244–245. 192 BayHStA: MK 72096. 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 „Am 18. Januar 1940 wurden 25 Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar in die Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb gebracht.[…]. Es war der erste Transport im Rahmen der ,Aktion T4‘, mit der die Insassen der Heil- und Pflegeanstalten im Reichsgebiet erfasst und zur Tötung ausgewählt wurden. […]. ,Nicht mehr arbeitsfähig‘ bedeutete ihr Todesurteil. […]. Drehscheibe der Transporte der „Aktion T4“ in Oberbayern war die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. […]. Ab Ende 1942 wurden – entsprechend einem Erlass des Bayerischen Innenministeriums – auch in Eglfing-Haar so genannte Hungerhäuser eingerichtet.[…]. Auch in Eglfing-Haar bestand seit Spätsommer 1940 eine Kinderfachabteilung. […]. Im Rahmen dieser Lesung können noch nicht alle Münchner ,Euthanasie‘-Opfer namentlich genannt werden. Die Feststellung ihrer Namen ist Gegenstand eines Forschungsprojektes, das die Arbeitsgruppe ,Psychiatrie und Fürsorge im Nationalsozialismus‘ in Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum München durchführt. Geplant ist ein gedrucktes und allgemein zugängliches Gedenkbuch für die Münchner „Euthanasie“-Opfer, in dem auch die vollen Namen der betroffenen Menschen genannt werden sollen. Der Namensnennung in einem gedruckten Gedenkbuch stehen zur Zeit noch archivrechtliche Bedenken entgegen. Die Namenslesung möchte auch dazu beitragen, die Frage der Nennung der vollständigen Namen der Münchner ,Euthanasie‘-Opfer in der Münchner Stadtgesellschaft und in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Vgl. http://www.uvm.edu/~lkaelber/children/eglfinghaar/Namenslesung_Euthanasie.pdf. Stand vom 05.09.2017. Zur Namensnennung siehe S. 16, Fn. 36.

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Abb. 58: Von Meggendorfer weitergeleitete Stellenausschreibung197

Meggendorfer sah darin eine „Gelegenheit mit Anlass zu einer Umgruppierung in dem von Herrn Rektor angedeuteten Sinne“.198 Die Stelle in Eglfing sollte letztlich nicht mit Einsle, sondern 1938 mit Hermann Pfannmüller (1886–1961)199 besetzt werden. Die Hintergründe für die Zurücksetzung Einsles sind vielschichtig. Es kann als eindeutig gelten, dass Einsle selbst gerne von Erlangen weg nach Eglfing tendiert hätte. Einen ersten Einblick in die komplexe Lage bezüglich der politischen Beurteilung Einsles können seine rechtfertigenden Bewerbungsunterlagen für die Direktorstelle in Eglfing Haar vom 12.11.1937 gewähren: Eine Verschleierung seiner „Schlaraffia“-Mitgliederschaft habe ihm fern gelegen; die aktuellste Version des reichsinnenministerialen „Schlaraffia“-Erlasses sei noch nicht bekannt gewesen.200

197 UAE: A2/1 Nr. M 46. 198 Ebd. 199 Weiterführend hierzu: Kaltenegger (2016). Isabella Kaltenegger, 1980 geborene Urenkeltochter Hermann Pfannmüllers, spricht vom „Spektrum krimineller Energie“ bzgl. der gepflegten Erb- und Rassenpflege sowie der „T4“-Gutachterschaft ihres Urgroßvaters. 200 „Bezugnehmend auf die mir am 4.11. gewährte Unterredung mit dem Herrn Personalreferenten, Medizinalrat Dr. Maier, am Ministerium des Innern in München, versichere ich zusammenfassend nochmals auf Dienstpflicht: Bei meiner Bewerbung um die nebengenannte Stelle hat mir jede Absicht der Verschleierung fern gelegen. Bei Ausschreibung der Stelle war mir

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der letzte Schlaraffia-Erlass des Herrn Reichs-Innenministers noch nicht bekannt. Ich hatte ursprünglich nicht die Absicht mich zu bewerben und habe meine Gründe hierzu Herrn Medizinalrat Dr. Maier schriftlich dargelegt. Wenn ich mich ganz kurz vor Abschluss des Bewerbungstermins doch noch gemeldet habe, so deshalb, weil von engeren Fachgenossen der Wunsch geäußert worden ist, ich solle mich wenigstens formell [sic] bewerben. In diesem Sinne fiel meine Bewerbung auch ganz kurz aus und ich beschränkte mich darauf – statt einen Lebenslauf und Zeugnisse beizufügen – auf meinen Personalakt bei der Regierung in Ansbach hinzuweisen. Denn ich konnte nicht annehmen, dass von der sonstigen Gepflogenheit, bei Stellenbewerbungen die Personalakten einzufordern, Abstand genommen würde. In diesem Sinne musste ich also auch, wie ich schon bei früherer Gelegenheit berichtet habe, voraussetzen, dass meine im Akt befindliche Schlaraffiaerklärung vom Jahre 1935 mit Angabe meiner ausgeübten Wahlämter samt meiner vierseitigen Erläuterung, sowie zwei für die Schlaraffia günstigen Entscheidungen des Obersten Parteigerichts in Abschrift, die meinem Personalakt anruhen, beim Kreistag und beim Ministerium – und also auch dem Oberinspektor Jakob Dürr – bekannt waren. Ich versichere ausdrücklich, dass ich wegen der Eglfinger Direktorstelle weder mit Oberinspektor Dürr noch mit irgend einer anderen Person in Verbindung gestanden bin. Als ich am 20. September zur Tagung der Deutschen Neurologen und Psychiater nach München kam, hatte ich noch keine Ahnung davon, dass ich für die Stelle in die engere Wahl kam. Erst anderntags vor Beginn der Vorträge s[agte] mir Obermedizinalrat Dr. Ast bei der Begegnung, dass ich für die Stelle ausersehen sei und vom Oberinspektor gesucht werde. Ich wehrte ab, worauf mir Dr. Ast energisch erklärte, müsse man bei der Stange bleiben [sic]. Eine Bemerkung von mir, ob meine frühere Tätigkeit bei der Schlaraffia keine Schwierigkeiten mache, beschwichtigte er mit der Antwort, das sei schon erledigt. So wenigstens habe ich ihn verstanden, muss aber die Möglichkeit eines Missverständnisses einräumen, da Herr Ast kurz vor dem Tagungsbeginn in großer Hetze war und nur wenige Minuten mit mir sprechen konnte. In einer Rednerpause am Vormittag suchte mich Oberinspektor Dürr, den ich bis dahin noch nicht gesehen hatte, auf, teilte mir das gleiche mit wie Herr Ast und forderte mich auf, zum Ministerium zu Herrn Rechnungsrat Gaum zu gehen. Ich habe höchstens fünf Minuten mit dem Oberinspektor Dürr reden können. Rechnungsrat Gaum stellte mir meine Beförderung zum Direktor in Eglfing eigentlich als fertige Tatsache hin. Zugleich sagte er mir, dass ich nach Ankunft des Oberinspektors Dürr zu Herrn Ministerialdirektor Dr. Schultze vorkommen werde. Nach Ankunft von Oberinspektor Dürr hörte ich aber plötzlich, dass ich einstweilen warten solle. Nachdem die beiden Herren von der Besprechung zurückkamen, wurde mir die Mitteilung [gemacht], dass meine Ernennung von Seiten des Ministeriums perfekt sei und man gratuliere mir dazu. Auf meine Frage, ob meine Vorsprache bei Herrn Ministerialdirektor nicht erwünscht sei, sagte mir Herr Rechnungsrat Gaum, dazu bekäme ich noch Gelegenheit, bevor ich meinen Posten anzutreten hätte. Ich wurde von der ganzen Angelegenheit derart überrascht und überrumpelt, dass ich wahrhaftig nicht [wusste,] wie und wo ich noch vorher hätte über meine früheren Schlaraffiaämter sprechen sollen. Zudem musste ich doch annehmen, dass dies aus meinem Personalakt belannt [sic] war. Ich fragte danach den Oberinspektor Dürr sogar noch, ob meine Schlaraffiasache keine Schwierigkeiten gemacht habe. Er antwortete, dass davon hier nicht gesprochen worden sei. Ich beruhigte mich dabei, weil ich – im Zusammenhalt [sic] mit der Äußerung von Dr. Ast – annahm, dass dies offenbar schon vorher geschehen sei. Wir sprachen dann noch im Direktorenkreis (OMRt v. Hoeßlin und Faltlhauser) darüber, dass offenbar in meinem Falle von der Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht worden ist. Auch ich glaubte, dass dies der Fall war, weil ich mich ja tatsächlich nie freimaurerisch betätigte hatte und weil ich bei den von mir innegehabten Wahlämtern, die also weder Ehrenämter noch ‚Grade‘ bedeuteten, sondern nur gewöhnliche Vereinsgeschäfte betrafen, nachweislich nicht an ‚führender‘ Stelle gestanden habe. Außerdem hatte ich schon am 1. März 33 meinem Ortsgruppenleiter meinen Austritt aus der Schlaraffia angeboten, was aber von diesem als unnötig erklärt worden ist. Im September 33 bin ich dann endgültig aus der Schlaraffia ausgeschieden. So bin ich das Opfer einer Reihe

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von Missverständnissen geworden und habe außerdem durch meine Enthebung von der Direktorstelle an dem kleinen Ort Erlangen schwer zu leiden, ohne mir einer persönlichen Schuld bewusst zu sein. In jedem Falle aber bitte ich, mir zu glauben, wenn ich versichere, dass ich zur Erlangung der Direktorstelle in Eglfing-Haar außer meinem Bewerbungsgesuch nichts unternommen habe und keineswegs versuchte[,] die Stelle durch irgendwelche Verschleierungsmanöver zu erschleichen […]. Ich bin der ‚Gesellschaft Schlaraffia‘ erstmalig in Ansbach im Jahre 1925 beigetreten und zwar auf Drängen eines Schlaraffen, der mir als Nationalsozialist aus den Jahren 1923/25 gut bekannt war. Weiter veranlasste mich zum Beitritt der Umstand, dass die Ansbacher Schlaraffia grundsätzlich keine Juden aufnahm und bei einer der alle 4 Jahre stattfindenden Vertreterversammlungen aller schlaraffischen Ortsgruppen (Konzile) zusammen mit anderen Ortsgruppenvertretern grundsätzlich die Einführung des Arierparagraphen in die Satzung gefordert hat. Es war Zufall, dass ich zur ‚Schlaraffia‘ in Ansbach kam, ich hätte ebensogut zur dortigen Ortsgruppe der ‚Niederländer‘ gehen können, welche die gleichen künstlerischen Ziele verfolgten. Die ‚Schlaraffia‘ bot mir in der Woche einen Abend, an welchem Kunst und Humor in Form von dichterischen und musikalischen Darbietungen gepflegt wurde. Parteipolitik und Gespräche über Religion waren grundsätzlich verboten (‚Spiegel‘ § 63, Seite 38), da die Abende lediglich der künstlerischen Betätigung dienen sollten und keinerlei politischen Charakter trugen. Deshalb fanden in der Regel auch nur solche Leute Aufnahme, welche auf irgend einem [sic] Gebiete, wenn auch nur dilettantisch, künstlerisch etwas leisten konnten und Sinn für Humor besaßen. Gerade der Umstand, dass ich dort keine ‚Kaste‘ vorfand (wie bei den ‚Niederländern‘), sondern Leute aus allen möglichen Ständen – Lehrer, Kaufleute, freie Berufe, Beamte, Offiziere u. s. w. –, hat mir sehr gefallen. Die Satzungen der ‚Schlaraffia‘ bestehen aus dem ‚Spiegel‘ und dem ‚Ceremoniale‘, welch ersterer [sic] den eigentlichen Satzungen entspricht, während letzterer in humoristischer Weise den Verlauf der Gesellschaftsabende regelt. § 1 des ‚Spiegel‘ lautet: ‚Schlaraffia‘ (Altschlaraffia) ist die innige Gemeinschaft von Männern, die in gleichgesinntem Streben die Pflege von Humor und Kunst unter gewissenhafter Beobachtung eines gebotenen Ceremoniales bezweckt und deren Grundprinzip die Hochhaltung der Freundschaft ist. […] Dass das Wesen des Schlaraffischen Betriebes humoristisch und parodistisch aufzufassen ist, beweist § 3 des ‚Spiegel‘ Abs. I: Jedes Schlaraffenreych steht unter dem Schutze des ‚UHU‘s, der bei Ergüssen der Freude als ‚AHA‘ und überall, wo ein den Zwecken der Schlaraffia widerstrebendes Element zutage tritt, als ‚OHO‘ sich offenbart. […]. Den Verlauf der einzelnen Sippungen (Versammlungsabende) regelt wie erwähnt das ‚Ceremoniale‘ in seinem § 1. Alle Teilnehmenden mussten nach Möglichkeit durch künstlerische und dichterische Vorträge einen Beitrag leisten, dazwischen ‚pflaumte‘ man sich nach Noten an [sic], wozu vor allem die ‚fungierende Herrlichkeit‘ und auch die ‚Allmutter Praga‘ herhalten musste. Über jede Sippung musste ein Teilnehmer ein ‚humoristisch‘ gehaltenes Protokoll bringen. Außerdem wurden humoristische ‚Duelle‘ in Form von Vorträgen ausgefochten. Das ‚Ceremoniale‘ besagt auf Seite 5 Abs. 24: Jeder Schlaraffe muss unablässig bemüht sein, nach seinen Kräften und Fähigkeiten für das Wohl seines Reyches ersprießlich zu wirken, sowie durch gute Laune und Vorträge die Sippungen zu möglichst heiteren zu gestalten. Auch die Verleihung von hochtrabenden Titeln und Orden sollte nur eine Ironisierung der bestehenden klassenbewussten Gesellschaftsordnung sein. Niemals und nirgends habe ich irgendwelche Wahrnehmungen gemacht, welche zu der Annahme berechtigen konnten, die ‚Schlaraffia‘ sei eine Art ‚Loge‘ oder Geheimgesellschaft. Zu allen Veranstaltungen konnten Gäste eingeführt werden, wovon auch reichlich Gebrauch gemacht worden ist. Niemals bin ich verpflichtet worden, die Satzungen oder die Vorgänge in der Schlaraffia geheim zu halten oder irgendwelchen ‚Obern‘ Gehorsam zu leisten, wie dies für die Logen charakteristisch ist. Niemals bin ich auch nur auf dem Wege über die Schlaraffia zu einer freimaurerischen Organisation geteilt [sic] worden. Ich hätte solches auch ganz strikt abgelehnt, weil ich die freimaurerischen Bestrebungen immer schon als Unglück für Deutschland angesehen habe. Beim ‚Ritterschlag‘, der die endgültige Aufnahme in die Schlaraffia bedeutete, war lediglich nachfolgend

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Im Rahmen der „Schlaraffia“- Verschleierungsaffaire kam es zu einer passageren Dienstentfernung Einsles. Am 29.01.1938 wurde der „Belassung des Dr. Einsle in seiner Stellung als Direktor der HuPflA in Erlangen“201 vom „Stellvertreter des Führers Stab“ – NSDAP München in einem Schreiben an das Staatsministerium des Innern/München zugestimmt. Am 09.02.1938 erhielt die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken ein Schreiben mit Verweis auf die Befürwortung durch den Stellvertreter des Führers, wonach Einsle in seiner Stellung als Anstaltsleiter in Erlangen zu belassen sei.202 Soweit die Quellenlage zu den Vorgängen um die nicht erfolgte Übertragung der Anstaltsleitung in Eglfing an Einsle sowie zu seiner passageren Dienstsuspension in Erlangen. angeführte Gelöbnisformel in Gebrauch, die dem Kantzler [sic] vorgelesen wurde und auf die der zu schlagende Ritter mit ‚Ich gelobe‘ antwortete. Die Formel lautet (Ceremoniale, S. 14/15): ‚Gelobet beim Uhu, Oho, Aha, Dem Schirmer der Schlaraffia, Bei Uhus zauberreichen Waffen, Der Freundschaft Banner hochzuhalten! Stets heiter hier und froh zu sein Mit allen Brüdern im Verein, Mit Geist und Witz bei uns zu glänzen Und nie die Sippungen zu schwänzen! Den Mammon pünktlich zu entrichten Und zu erfüllen alle Pflichten, Wie sie im ‚Spiegel‘ sind zu lesen Und wie es immer Brauch gewesen! Wo immer Ihr weilt auf dem Erdengrund, Getreulich zu diesen dem hehren Bund! Und ob die Welt in ihren Fugen wanke, Schlaraffia treu zu sein, sei Euer Gedanke! Dies gelobt beim Uhu, Oho und Aha, Dem Schirmer der Schlaraffia!‘ […] Eine weitere, als diese parodistisch übertreibende Verpflichtung ist von mir zu keiner Zeit gefordert worden. Als Knappe und Junker musste ich lediglich meinen ‚redlichen Willen, ein guter und treuer Schlaraffe zu werden, durch Handschlag bekräftigen‘ und wurde durch eine Ansprache der fungierenden Herrlichkeit ‚beglückt‘, wie es im ‚Ceremoniale‘, S. 6/7 u. 9 heisst. Das ‚Junker-und Knappenexamen‘ ist lediglich eine gegenseitige Verulkung gewesen. Ich habe diese Dinge etwas ausführlicher gebracht, weil gerade hier von Außenstehenden Dinge in die Schlaraffia hineingeheimnist [sic] worden sind (General Ludendorff), die nicht zutreffen und dem Ansehen der Schlaraffia sehr geschadet haben. Mir ist es immer unverständlich gewesen, warum man hier nach freimaurerischen Abgründen gesucht hat, während die ganz gleich gearteten ‚Niederländer‘, ‚Pankgrafen‘ u. s. w. ungerupft davongekommen sind. Ich kann den Grund nur darin erblicken, dass die Schlaraffia ihre Leitung in Prag hatte und dass in vielen Ortsgruppen Juden an führender Stelle saßen. Dazu ist in meinem Falle zu sagen, dass wir weder in Ansbach noch in Günzburg um Prag auch nur einen Deut uns gekümmert haben und dass wir auch keine Juden aufgenommen haben. Wir waren als ‚antisemitisch‘ innerhalb der Schlaraffia bekannt, [so] dass auch von auswärts zu uns keine Juden (oder doch nur ganz vereinzelt) als Gäste gekommen sind“. Vgl. BHStA. Minn M/PA E 006. Kursivschrift im Original. Am 10.02.1938 setzte sich der Regierungspräsident von Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach in einem Schreiben an das Staatsministerium des Innern für Einsle ein: „In Berichten vom 4. und 20.12.1937 Nr. 3542 E 126 habe ich im Einvernehmen mit der Gauleitung Franken die Erholung [sic] einer Ausnahmezustimmung des Stellvertreters des Führers zur weiteren Verwendung des Direktors Dr. Einsle als Direktor der KrHuPflA Erlangen befürwortet. Auf der beiliegenden, von Dr. Einsle mir übergebenen Abschrift einer Zuschrift des Stabes des Stellvertreters des Führers vom 4.1.38 ist jedoch zu ersehen, dass ein solcher Antrag auf Ausnahmezustimmung des Stellvertreters des Führers vom Staatsministerium des Innern dort noch nicht eingelaufen ist. Ich möchte daher mit Rücksicht auf die in meinem Bericht vom 4.12.37 dargelegten Gründe und den ausdrücklichen Wunsch des Gauleiters Franken nach Wiederverwendung des Dr. Einsle als Anstaltsdirektor neuerdings bitten, die Verhandlungen – soweit nicht schon vorgesehen – dem Stellvertreter des Führers befürwortend beizulegen“. Vgl. ebd. 201 Ebd. 202 Vgl. ebd.

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Am 07.05.1938 informierte Meggendorfer das Bayerische Staatministerium sowie das Rektorat unter Beilage eines Beschwerdeschreibens des Oberforstmeisters S. „in welcher Weise von der Anstaltsverwaltung [s]eine Privatpatienten“203 behandelt werden: „Herr Oberforstmeister S. war so ziemlich mein letzter Privatpatient; er hat mich wegen der ganz unglaublichen Umstände, die hier herrschen, nun auch verlassen, und wurde heute in die Privatanstalt Neufriedenheim überführt“.204

Die Tatsache, „als Abteilungsarzt der Heil- und Pflegeanstalt behandelt“205 zu werden war für Meggendorfer „höchst unwürdig“.206 In einem Schreiben an das Ministerium vom 18.10.1940 stellte der Regierungspräsident einen Vergleich des aktuellen „persönliche[n] und dienstliche[n] Verhältnis[ses]“207 von Anstalts- und Klinileiter mit dem ihrer Vorgänger an. Habe es einst unter Specht und Kolb „bis zur Unerträglichkeit gelitten“,208 so hätten sich auch aktuell „trotz allen guten Willens auf beiden Seiten Reibungen […] nicht ganz ausschließen lassen“.209 Einsle selbst positionierte sich gegenüber dem Kultusministerium folgendermaßen: „[d]ie beiden Direktoren müssen Engel sein, wenn sich daraus bei allem guten Willen nicht doch dann und wann Mißverständnisse und Verbitterungen ergeben sollten“.210 Neben finanziellen Auseinandersetzungen und beiderseitigem Streben nach Kompetenzsicherung wurde das kollegiale Verhältnis zwischen Meggendorfer und Einsle zudem besonders durch die medizinpolitische Situation während des Nationalsozialismus erschwert. Meggendorfer hatte sich bereits in jungen Jahren forschungsmäßig der Eugenik gewidmet – lange bevor die Rassenhygiene als erklärtes NS-Ziel propagiert werden sollte. Dass „sich, um nur ein Beispiel zu nennen, der Direktor der Anstalt verantwortlich [hält] für die Meldung der erbkranken Patienten der Klinik, weil sie letzten Endes doch seine Patienten seien“,211

203 „Ein Geschäftsmann war Vati wirklich nicht. Er hatte immer wieder Privatpatienten, die manchmal das Honorar für den Psychiater nicht bezahlten. Als ein psychisch Kranker einmal auf die Nachfrage: ‚Ich bin doch nicht so verrückt, dass ich die Rechnung bezahle‘ antwortete, ließ er es dabei bewenden“. Vgl. Dr. Hilde Nusser-Overmeyer, April 2010 in FAM. 204 BayHStA: MK 72096. 205 UAE: A6/3 i. 206 Ebd. 207 BayHStA: MK 72096. 208 Ebd. 209 Ebd. 210 Ebd. 211 Ebd. Folgender standardisierte Fragebogen „[z]u erbbiologischen Erhebungen (gem. Verfügung des Staatsministeriums des Innern vom 26.4.1939)“, welcher ausgefüllt „spätestens 8 Tage nach der Aufnahme der Anstaltsdirektion zuzuleiten“ war, ist rudimentär und inkomplett ausgefüllt in den Akten der Psychiatrischen und Nervenklinik enthalten: „Name? Vorname? Mädchenname? Geburtsort? Geburtszeit? Ehelich? Unehelich? Wann geheiratet? verwitwet? gesch.? Religion? Jude? Jüd. Mischling? Beruf? Wohnort? Schule? Wo und wann? Krankenhaus- und Anstaltsbehandlung? Fürsorgeerziehung? Vorstrafen? Entmündigung? Diagnose? Bemerkungen über die Sippe? Liegt Erbleiden vor? Anzeige erstattet am? Antrag gestellt

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wie Meggendorfer am 29.07.1935 in einem Schreiben an das Kultusministerium212 anführte, mag ihn in seinem Selbstverständnis als Eugenik-Experte in Frage gestellt haben. Meggendorfers Begutachtungsergebnis der S. K.213 wurde von Einsle in seiner Funktion als Beisitzer des Erbgesundheitsgerichtes Bamberg abgelehnt.214 Meggendorfers Untersuchungen hatten keinen Hinweis auf das Vorliegen einer Schizophrenie ergeben. Das Erbgesundheitsgericht Bamberg mit Einsle als Beisitzer sah die Diagnose Schizophrenie dennoch als erhärtet an. Nach GzVeN vom 14.07.1933 bedeutete dieses Ergebnis für S. K. eine Zwangssterilisierung. Hatte bereits Oberforstmeister S. im Jahre 1938 die schlechte Verpflegungssituation in der Psychiatrischen und Nervenklinik kritisiert,215 so musste sich Meggendorfer für die Lebensmittelversorgung seiner Patienten am 09.04.1941 bei der „Kreisleitung der NSDAP Gau bayer. Ostmarkt in Kulmbach“216 rechtfertigen.

212

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wann? Verfahren läuft bereits beim Erbgesundheitsgericht? Aktenzeichen? Unfruchtbarmachung bereits durchgeführt am?“ Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.:104/24. Eine Erklärung für das nur vereinzelte Vorhandensein der Bögen könnte sein, dass diese ausgefüllt abschriftslos an die HuPflA weitergeleitet worden sein. Die alternative Überlegung, Meggendorfer könnte sich über diese Vorschrift hinweggesetzt haben, da er sich als erbbiologischer Experte womöglich in diesem Punkte „keiner Rechenschaft“ dem Anstaltsleiter gegenüber schuldig fühlte, scheint eher unwahrscheinlich. Ein derartiger „Affront“ hätte vermutlich aktenkundige Konsequenzen nach sich gezogen. „Durch das Gesetz zum Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 waren die Hoheitsrechte der Länder an das Reich übergegangen, das Staatsministerium des Innern wurde zur Reichsmittelbehörde. Zuständigkeitsverluste gingen damit jedoch nicht einher. Staatsminister war seit dem 10./16. März 1933 der Gauleiter von München-Oberbayern, Adolf Wagner (1890–1944), der ab 1936 zugleich auch das Kultusministerium führte. Wagners Ressortführung kann als aggressiver Expansionismus bezeichnet werden; die Aufgabenbereiche des Innenministeriums wurden sukzessive ausgedehnt. Bereits im Zuge der ,Machtergreifung‘ gelang es Wagner, zu Lasten anderer Landesministerien die Kompetenzen der Gesundheitsverwaltung auszudehnen (Gewerbehygiene und Veterinärwesen). Leiter der neuen Gesundheitsabteilung wurde der Nationalsozialist Dr. Walter Schultze (1894–1979). 1936 wurden die Bereiche Kunst und Theater aus dem Kultusministerium herausgelöst und der neugeschaffenen ,Obersten Theaterbehörde‘ (Abteilung IX im Innenministerium) unterstellt“. Vgl. Forstner (2006). Meggendorfers Gutachten vom 31.10.1935. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 243/148. Im Erbgesundheitsverfahren gegen M. R. hingegen wurde die gutachterliche Einschätzung Meggendorfers infolge einer stationären Beobachtung von 21.06.1939 bis 13.08.1939 vom Erbgesundheitsobergericht Bamberg, „gebildet durch den Oberlandesgerichtsrat Buff, den Bezirksarzt Dr. Weiß in Nürnberg und den Anstaltsdirektor Dr. Einsle“ am 09.07.1940 entgegen dem Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes Bamberg vom 23.02.1940 anerkannt. Meggendorfer habe am 08.03.1940 gegen die Antragsablehnung von Seiten der Erbgesundheitsgerichtes Bamberg „in zulässiger Weise Beschwerde ein[gelegt]. Dem Antrag auf Unfruchtbarmachung muss daher entsprochen werden“. Vgl. ebd., keine Aufnahmenr. Zu den von Meggendorfer vorgebrachten Argumente in seinem Beschwerdeschreiben siehe S. 208–210. Siehe hierzu Meggendorfers Schreiben vom 07.05.1938. Vgl. BayHStA: MK 72096. Ebd.

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Abb. 59: „Betr.: Verpflegungsverhältnisse in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen“217

Dort hatte der Parteigenosse L. M. die Essenssituation in der Psychiatrischen und Nervenklinik beklagt. Für die Nahrungsmittelversorgung der Klinikpatienten war jedoch nicht Meggendorfer, sondern Einsle verantwortlich. Auf wiederholte Klage Meggendorfers über die unzureichende Lebensmittelzuteilung an die Klinikpatienten hatte Einsle lediglich rückgemeldet, „dass für die Verpflegung eines Patienten täglich nur 55 Pfg. zur Verfügung stehen, und dass dafür eine bessere Verpflegung nicht gewährt werden kann“.218

217 Ebd. 218 Ebd.

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Das angespannte Verhältnis zwischen Klinikdirektor und Anstaltsleiter setzte sich unter Heinrich Scheller als Nachfolger Meggendorfers und Werner Leibbrand (1896–1974) als Nachfolger Einsles fort. So sah sich Leibbrand zum Beispiel 1948 nicht zuständig für die Durchführung der von Scheller gewünschten Instandsetzungsarbeiten der Klinik. Leibbrand warf Scheller eine Unterbelegung der Psychiatrischen Klinik vor. Scheller entschärfte diesen Angriff durch einen Verweis auf die gestiegenen Aufnahme- und Durchgangszahlen.219 5.4 KONFLIKTREICHE BEZIEHUNG ZU WERNER LEIBBRAND Leibbrand, der sich als Mitglied des Universitätsausschusses im Wiederberufungsverfahren 1946 gegen die Wiederverwendung Meggendorfers ausgesprochen hatte, zeigte sich mit seiner Androhung einer Räumungsklage 1947 wenig kollegial. Im gleichen Jahr, 1947 veröffentlichte Leibbrand zum „Schock“ und dokumentierte somit seine – der Position Meggendorfers entgegenstehende – Einstellung zur Elektrokonvulsionsbehandlung. Anders als der Cardiazol- oder Insulinkrampf, welche im Kontext der Applikation chemischer Agentien „die Szenerie des behandelnden Arztes herbeiführt“220 sah Leibbrand die EKT-Technik in „bedenkliche[r] Nähe zum scharfrichterlichen Handeln. Gegeben ist nur ein Druckknopf-Apparat (Siemens-Convulsator); gegeben ist ein mehr oder minder bereiter Patient, dem ein Gummikeil in den Mund gesteckt wird“.221

Der EKT-anwendende Arzt riskiere den Verlust seiner Würde und ziehe dann, sofern „er nur einigermaßen zu Gedankenlosigkeit [neigt], […] tatsächlich [...] [als] Miniatur-Scharfrichter des Elektrischen Stuhls, […] mit seinem Apparat von Bett zu Bett“.222 Meggendorfer selbst hatte – wie in seinem Lehrbuch 1950 beschrieben –223 1943 erfolgreich ambulante Elektrokonvulsionsbehandlungen in der Klinik zur Rezidivprophylaxe psychotischer Episoden durchgeführt: Die am 26.03.1941 kataton-

219 Vgl. UAE: A6/3i Nr. 15. Korrespondenz zwischen Leibbrand und Scheller vom 11.10.1949 und vom 27.10.1949. 220 Leibbrand (1947), S. 153. 221 Ebd., S. 153–154. 222 Ebd. 223 M. R., „Bauerntochter“, geb. 12.5.1923: „2 Tanten erkrankten im Alter von etwa 20 Jahren in ganz ähnlicher Weise wie Pat. Kindheits- und Jugendentwicklung der Pat. o. p. B, mit 11 Jahren Leistenbruchoperation, war sonst immer gesund, lernte in der Schule gut, war zu Hause ordentlich und fleißig. November 1940 war Pat. plötzlich aufgeregt, redete wirr, wurde dann auf einmal ruhig, sprach gar nichts mehr, lag steif im Bett. Sie wurde in die Medizinische Klinik gebracht, dort wurde kein krankhafter interner Befund erhoben. Pat. kam in eine Privatheilanstalt, wo Katatonie festgestellt wurde. Am 26.3.41 wurde sie in die Psychiatrische Klinik verlegt. Sie befand sich bei der Aufnahme im katatonen Stupor, lag ruhig und steif mit lächelndem Gesichtsausdruck da, war unrein mit Urin und Stuhl, nahm keine Nahrung zu sich. Nach einigen Tagen wurde sie plötzlich unruhig, drängte aus dem Bett, hatte dann einen Erregungszu-

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stuporös eingelieferte 18jährige Bauerntochter M. R. hatte bereits initial auf die kombinierte Insulin-Elektrokrampfkur gut angesprochen.224 Mehrere Rezidive ließen in der Folge vier stationäre psychiatrische Aufenthalte notwendig werden. Im Anschluss an den vierten Aufenthalt wurde initial achttägig, im weiteren Verlauf zwei-, vier-, sechs- und achtwöchig eine ambulante „Erhaltungs-EKT“ in insgesamt 193 Sitzungen mit Erfolg durchgeführt.225 Entgegen dem erfolgreichen Einsatz der stand mit eigenartigen, manirierten [sic] Bewegungen. Auf kombinierte Insulin-Elektrokrampfkur gute Besserung, wurde am 2.7.41 in geordnetem Zustande nach Hause entlassen. Sie erzählte bei der Entlassung, sie hätte während ihrer Krankheit viele Stimmen gehört. Bereits am 15.7.41 musste Pat. wieder aufgenommen werden. Nach Angaben der Eltern war es zu Hause zunächst recht gut gegangen. Als am 14.7.41 eine Kuh verkauft werden sollte, habe sich Pat. aufgeführt, habe dann die ganze Nacht hindurch ununterbrochen geredet. In der Klinik psychomotorischer Erregungszustand mit manirierten [sic] Bewegungen. Nach einigen Elektrokrämpfen gute Besserung: Pat. blieb dann noch mehrere Monate in der Klinik, ohne auffallende Erscheinungen zu bieten, wurde am 23.12.41 nach Hause entlassen. Am 13.4.42 neuerdings Aufnahme, bot wieder das gleiche Bild psychomotorischer Unruhe. Wieder nach einigen Elektrokrämpfen geordnet und unauffällig, entlassen am 8.8.42. Am 4.9.42 dritte Aufnahme; nach einigen Schocks unauffällig, entlassen am 26.9.42. Vom 21. bis 25.5.43 vierte Aufnahme. Pat. wurde in der Folge zunächst in Abständen von 8 Tagen, dann in 14-tägigen Abständen in die Klinik zum Elektrokrampf gebracht, kam dann allein, per Rad in die Klinik und fuhr nach dem Elektrokrampf und nach Ruhe wieder nach Hause. Einmal schien sich ein Rückfall vorzubereiten, doch war Pat. nach dem Schock wieder ganz in Ordnung. Allmählich wurden die Intervalle auf drei, dann auf vier und sechs Wochen verlängert; dann kam Pat. etwa alle acht Wochen in die Klinik, später gar nicht mehr. Sie hat jetzt 193 Elektrokrämpfe hinter sich. Sie sieht blühend aus, arbeitet zu Hause im Haushalt und in der Landwirtschaft mit, ist geordnet, unauffällig, lässt auch bei eingehender Untersuchung kaum eine Minderung der Verstandestätigkeit, keine gemütliche Verflachung erkennen; sie macht vielmehr einen frischen, gesunden, natürlichen Eindruck. Hat vor kurzem geheiratet“. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 186. 224 Weniger Erfolg durch die kombinierte Insulin-Elektrokrampfkur war bei der von 10.06.1941 – 17.6.1942 in der Klinik behandelten schizophrenie-kranken G. B. zu verzeichnen: „26.7.41: heute wird mit der Elektrokrampfbehandlung begonnen, bei 327 mAmp. und 4/10 Sek. Stromdurchgang wird ein Anfall ausgelöst, bei 277 mAmp. kommt es noch nicht dazu. 31.7. 41: G. wurde heute zum 4. Mal mit Insulin behandelt, schon bei 50 Einh. gerät sie in einen tiefen Schock. Sie ist eine Spur ruhiger geworden, benimmt sich aber doch immer noch recht clownhaft, grimassiert stark u. steht unter dem Einfluss ihrer Stimmen. 11.8.41: G. hat seit Beginn der Insulinbehandlung um 6 ½ kg zugenommen, sie vermag unheimliche Mengen zu verschlingen u. wird sehr gereizt, wenn nach 3 Portionen nichts mehr für sie übrig ist. Sie ist in den letzten Tagen wieder etwas lebhafter geworden, tanzt den ganzen Tag auf der Abteilung umher, rennt von einem Zimmer ins andere, macht auch vor den Türen der Privatzimmer nicht halt u. entschuldigt sich gar nicht, wenn sie ohne anzuklopfen die Türe aufgerissen hat. Sie kommt immer schon nach 2–2 ½ Stunden in einen tiefen Schock. Die Elektrokrampfbehandlung geht parallel mit der Insulinbehandlung. 20.8.41: Heute Abend wurde G. derart unruhig, dass sie auf die untere Abteilung verlegt werden musste. Sie warf das Brot im Saal umher, nahm anderen Patienten das Essen weg u. verlangte einen großen Speisesaal für sich allein zu haben. Dass trotz 3 wöchentlicher Insulin- und Elektrokrampfbehandlung bis heute noch kein Erfolg erzielt werden konnte, ist wohl darauf zurückzuführen, dass G. [familiär] belastet ist“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 242/162. 225 Vgl. Meggendorfer (1950), S. 186. „Unter einer Erhaltungs-EKT (z. B. ‚Berliner Schema‘: 4x wöchentlich, dann 4x alle 2 Wochen, dann 4x alle 4 Wochen) sind Erhaltungsraten von etwa 63% […] beschrieben worden“. Vgl. Bajbouj (2010), S. 110.

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ambulanten Erhaltungs-EKT durch Meggendorfer meinte Leibbrand 1949 – in Anbetracht eines geschilderten forensischen Falles –, dass „die ambulante Schockbehandlung als Kunstfehler abgelehnt werden“226 müsse. Sieben Jahre im Vorfeld hatte Meggendorfer den Elektrokrampf als einen „im ganzen milden Eingriff“227 bezeichnet, der eine ambulante Durchführung unter folgenden Voraussetzungen zulasse: Die Patienten „bleiben nach dem Elektrokrampf noch 1–2 Stunden in der Klinik. Ruhen sich aus und werden ärztlich und durch das Pflegepersonal beobachtet“.228 Als Beispiel für die gute Verträglichkeit der ambulanten EKT erwähnte Meggendorfer einen Musiker, welcher „auch an den Tagen, an denen er nachmittags einen Elektrokrampf durchmacht, abends in dem Orchester eines größeren Theaters auftritt“.229 In Einklang mit der Ansicht Meggendorfers publizierte der bekannteste Kretschmer-Schüler230 Großbritanniens, Eric Benjamin Strauss, bereits 1940 im British Journal of Medicine über ein transportables EKT-Gerät231 zur ambulanten Durchführung von EKT-Sitzungen. Strauss sah hierin vor allem eine gute Möglichkeit, Patienten mit frühen Stadien der Schizophrenie erfolgreich zu behandeln, welche sich aufgrund ihres noch ausreichenden Funktionsniveaus nicht auf eine stationäre 226 Leibbrand (1949), S. 64. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die ambulante EKT unter der Einhaltung von vier bis sechs Stunden Nachbeobachtungszeit „rein technisch kein Problem“. Vgl. Lehnhardt (2016). Die stationäre Erhaltungs-EKT-Durchführung ist vielmehr begründet in ambulant nicht krankenkassenerstattungsfähig „abbildbarem“ kostentechnischen Aufwand. Vgl. ebd. Die Durchführung der EKT findet „In Deutschland i. d. R. stationär [statt], in einigen anderen Ländern auch ambulant“. Vgl. Grözinger et al. (2016), S. 227. 227 Meggendorfer (1942), S. 49. 228 Ebd., S. 50. 229 Ebd. 230 „Die Konstitutionslehre Kretschmers, die selbst für manche geisteswissenschaftliche Fragen ihre überaus einprägsamen – und vereinfachenden – Formeln als Lösung bereithielt, ist nach dem Erscheinen von ‚Körperbau und Charakter‘ (1921) weit über die Grenzen der Psychiatrie hinaus bekannt geworden. Mit Beziehungen zu den Typen der bis in die Epoche Galls zurückreichenden französischen Konstitutionsforschung (Hallé, Rostan, Sigaud u. a.) unterscheidet Kretschmer (neben dysplastischen Varianten) Pykniker, Leptosome und Athletiker. Die Körperbautypen – und hier liegt die besondere, in ihren weitreichenden Konsequenzen zunehmend auch kritisch aufgenommene Wendung – werden von Kretschmer, dem im schwäbischen Krankengut die körperbauliche und wesensmäßige Differenz zirkulärer und schizophrener Kranker plastisch entgegengetreten war, in Beziehung gebracht zu bestimmten, in den endogenen Psychosen vorgezeichneten Temperamenten. Zwischen pyknischem Körperbau und manisch-depressiver Psychose, leptosomem (athletischem, dysplatischem) Körperbau und schizophrener Psychose bestehe eine ‚biologische Affinität‘. Den Übergängen vom cyclothymen Durchschnittsmenschen auf dem von Kretschmer mit besonderer Liebe behandelten pyknischen Pol über den zwischen krank und gesund fluktuierenden Cycloiden zur zirkulären Psychose entsprechen auf dem leptosomen Flügel die Übergänge von schizothym über schizoid zu schizophren. Auch dem athletischen Habitus, dem ,type musculaire‘ der Franzosen, ist später ein eigenes Temperament, das viscöse, zugeordnet“. Vgl. Janzarik (1974), S. 36. Siehe ferner Kretschmer (1921). Die lange französische Tradition der Konstitutionsforschung mag die französische Publikation Kretschmers von 1942 mitbedingt haben. Vgl. Kretschmer (1942). 231 Die Abbildung des entsprechenden “Diagram showing the circuit used in the apparatus” findet sich bei Strauss/Macphail (1940), S. 780.

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Behandlung einlassen könnten.232 Strauss und Macphail schilderten die EKT-Sitzung im ambulanten Setting233 und berichteten, wie die ambulant EKT-ierten Patienten bereits nach einer Ruhephase von 30–60 min. unbeaufsichtigt ihren Nachhauseweg mit Standardtransportmitteln oder auch zu Fuß antreten konnten. Im Vergleich zu Strauss und Macphail praktizierte Meggendorfer an seiner Klinik eine Überwachungszeit von doppelter Länge.234 Walter Ritter von Baeyer (1904–1987)235 sah im Jahre 1954 – fünf Jahre nach Leibbrands kritischer Einschätzung – „[d]ie Berechtigung einer ambulanten EKT […] immer noch [als] umstritten [an]“.236 Von Baeyer positionierte sich folgendermaßen: „Ich habe keine Bedenken dagegen. Wenn sie in der Klinik bei Patienten geschieht, deren Reaktionsweise von früheren Behandlungen her bekannt ist, für deren mehrstündige Ruhe nach dem Schock gesorgt ist und die nachher von zuverlässigen Angehörigen heimgebracht und überwacht werden“.237

232 “All experienced workers are agreed that the success to be expected in the treatment of schizophrenia depends on treating the condition early enough. By ʻearlyʼ we do not wish to emphasize the time factor unduly, but rather to indicate the degree of schizophrenic disintegration”. Vgl. ebd., S. 779. 233 “Patients are instructed to cut out the meal preceding their treatment, although they are allowed to have a cup of tea and a piece of toast. The treatment is given with the patients lying on a couch or bed: patients are made to empty their bladders immediately beforehand. They are not required to undress and they may even retain their shoes. Naturally the collar is loosened in the case of men, and all hard articles which might dig into the patient are removed from the pockets; dentures must of course be removed. The next step is to scrub up the temporal region on both sides with either soap, thereby removing all traces of sweat, sebum and grease from the skin and hair. The soap is washed off with saline solution. There appears […] so little anxiety associated with electrical convulsant therapy that the patients almost invariably assist one goodhumouredly to adjust the electrodes. This is in striking contrast to what occurs in cardiazol treatment. We have abbandoned the use of all contact pastes, which we found to be both messy and unnecessary, although some form of contact paste is advocated by other workers. The patient then has his fit, the voltage used being determined (at least in part) by the skull A. C. resistance. On recovering full consciousness the patient is made to recline quietly on a couch fo a short while – Anything from half an hour to one hour. He is then perfectly able to return home by an ordinary means of conveyance or even on foot”. Vgl. ebd. 234 Meggendorfer gab eine Überwachungszeit von 1–2 Stunden an. Vgl. Meggendorfer (1942), S. 50. Siehe hierzu auch S. 576. 235 Walter Ritter von Baeyer leitete in der Nachfolge Ulrich Flecks als Vorstand der Psychiatrischen und Städtischen Krankenanstalten in Nürnberg (1945–1955) unmittelbar nach der Dienstenthebung Meggendorfers den Erlanger Lehrstuhl für Psychiatrie bis 1948 interimistisch. „Mit Walter von Baeyer (1904–1987) nahm die psychopathologische Tradition der Heidelberger Klinik eine Wendung zur anthropologischen Phänomenologie, für die bis in die 70er Jahre die Namen Karl Peter Kisker (1926–1997), später Lehrstuhlinhaber in Hannover, der frühe H. Häfner, H. Tellenbach (1914–1994) und W. Blankenburg (1928–2002), später Lehrstuhlinhaber in Marburg standen“. Vgl. Mundt (2004), S.11. Zu Wolfgang Blankenburg siehe ferner Schäfer (2004), S. 221. 236 Baeyer (1954), S. 42. 237 Ebd. Bereits drei Jahre im Vorfeld hatte Baeyer folgenden Standpunkt vertreten: „Vielfach erörtert wird die Frage der ambulanten EKT, zum Teil im ablehnenden Sinne (Leibbrand). Wir

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Die polarisierende Haltung Leibbrands zur Position des Erlanger Ordinarius238 für Psychiatrie setzte sich auch bei Meggendorfers Nachfolger fort. So zeigte das angespannte Verhältnis zwischen Klinikdirektor und Anstaltsleiter in Erlangen seine Kontinuität unter Heinrich Scheller als Nachfolger Meggendorfers und Werner Leibbrand als Nachfolger Einsles. Leibbrand beteiligte sich 1948 nicht mit Anstaltsbudget an den notwendigen Baumaßnahmen der Schellerschen Klinik.239 Leibbrand warf Scheller sogar eine Unterbelegung der Psychiatrischen Klinik vor. Scheller entschärfte diesen Angriff durch einen Verweis auf die gestiegenen Aufnahme- und Durchgangszahlen.240 Meggendorfer zeigte Leibbrand gegenüber vermutlich primär eine unvoreingenommene Haltung, wie der Verweis auf seinen Besuch der Leibbrandschen Vorlesungen ausdrücken könnte. Die Vorlesungen von Leibbrand seien zwar „schwere Kost“,241 würden aber die Studierenden zum kritischen Denken und zur wissenschaftlichen Forschung erziehen, so Dekan Schübel in seinem Schreiben an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 04.05.1946. Schübel schrieb weiter: „auch der anwesende Prof. Meggendorfer sei hiervon [gemeint: Vorlesungen von Leibbrand] begeistert gewesen“.242 Wenn es „[z]um Kontakt Leibbrand-Meggendorfer […] in den Archivalien nur wenige Dokumente für die Nachkriegszeit [gibt]“,243 so kommt dem erwähnten Schreiben Leibbrands an Meggendorfer mit der formellen Aufforderung zur Wohnungsräumung eine exponierte Stellung zu. Werner Leibbrand war seit 1932 mit der Jüdin Margarete Bergius (1885–1961) – der geschiedenen Ehefrau des Nobelpreisträgers Friedrich Bergius (1884–1949) – verheiratet. Zu nationalsozialistischer Zeit konnte Leibbrand als „jüdisch Versippter“ nicht als Bezirksarzt tätig sein und verlor die Kassenzulassung. Im August 1943 wurde Leibbrand an die Nürnberger Nervenklinik versetzt und war ab 1944 an der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt tätig, wo er durch Annemarie Wettley244 Hilfe für sich und seine Frau erhielt. „Mit dem Ende der nationalsozialistischen Terrorherrschaft rückte Annemarie Wettley [1913–1996] zur vertrauten Mitarbeiterin Leibbrands auf“.245 Als Amtsnachfolger

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haben keine Bedenken, sie in geeigneten Fällen und unter besonderen Kautelen anzuwenden“. Vgl. ders. (1951), S. 42. Auch nach Leibbrands Berufung auf den Lehrstuhl für Geschichte der Medizin nach München 1953 „inszenierte“ er sich als „Antipode“ zum Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen. So referierte Leibbrand im Rahmen des II. Sozialmedizinischen Kurses im Nervenkrankenhaus Haar/München am 18.05.1968 über „Psychiatrie als Geisteswissenschaft“, während HansHeinrich Wieck, ab 1967 letzter neuropsychiatrische Ordinarius in Erlangen, zu „Psychiatrie als Naturwissenschaft“ vortrug. Vgl. Leibbrand (1968) und Wieck (1968). Vgl. UAE: A6/3 i. Siehe ferner S. 574. Vgl. UAE: A6/3 i. Wiesinger/Frewer (2014), S. 51: Schreiben von Dekan Schübel an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 04.05.1946. Ebd. Ebd. Weiterführend hierzu auch Siemen (2016). Steger (2009a), S. 187. Ein Jahr nach dem Versterben von Margarete Leibbrand wurde Wettley Werner Leibbrands dritte Ehefrau.

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Einsles motivierte Werner Leibbrand die zu Kriegszeiten in der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt tätigen und im weiteren Verlauf vor Gericht angeklagten Ärzte Annemarie Wettley246 und Heinrich Tschakert für einen Beitrag in seinem 1946 erschienenem Werk „Um die Menschenrechte der Geisteskranken“.247 Obwohl Leibbrand in der frühen Nachkriegszeit als NS-Verfolgter seine neue Position als Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen unter der Prämisse der Aufklärung der dort jüngst stattgehabten Verbrechen antrat, „[kämpften] Leibbrand und Wettley […] auch [selbst] mit Schwierigkeiten bei der historischen Aufarbeitung“.248 Abgesehen von passageren Verhaftungen beider ließen – gemäß Wiesinger und Frewer – die „[p]ersönliche[n] Verstrickungen von Wettley bei der ‚Sonderkost‘249

246 Wettleys Werk „Zur Problemgeschichte der ‚dégénérescence‘“ von 1959 wird zitiert in einem Buchartikel von 1998, in dem das Phänomen der Rassenhygiene als prägend für das „geistige Bild dieser Epoche“ beschrieben wird. Vgl. Holdorff/Hoff (1998), S. 175. Die rassenhygienische Bewegung habe nicht nur einen entscheidenden Einfluss auf die Psychiatrie und die gesamten Naturwissenschaften sowie die Politik, sondern auch auf die Literatur ausgeübt. Vgl. ebd. 247 Leibbrand (1946a–d). Siehe ferner Tschakert (1946) und Wettley (1946). 248 Wiesinger/Frewer (2014), S. 61. 249 „Zu der Verhaftung von Ärzten der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt […] nahm der jetzige Leiter der Anstalt, Prof. Dr. Leibbrand, wie folgt Stellung: Die Verabreichung einer fett- und fleischlosen Aushungerungskost an unheilbar Geisteskranke erfolgte während des Krieges, als die Leitung der Anstalt in Händen des, jetzt ebenfalls verhafteten Dr. Wilhelm Einsle lag, und zwar aufgrund einer Anordnung des in diesem Zusammenhang kürzlich zu drei Jahren Gefängnis verurteilten ehemaligen Leiters der Gesundheitsabteilung des bayerischen Innenministeriums Prof. Dr. Walter Schultze. Inwieweit sich Dr. Einsle hierbei mitschuldig gemacht habe, könne er, Prof. Leibbrand, nicht sagen. Jedoch wisse er einwandfrei, dass die beiden anderen Verhafteten, die übrigens nach drei bzw. vier Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt worden seien, nämlich sein Stellvertreter[,] Medizinalrat Dr. Heinrich Tschakert, und die Ärztin Annemarie Wettley während der gesamten Tätigkeit in der Anstalt unter dem Naziregime, d. h. von 1942 bzw. 1944 bis Kriegsende, ohne Rücksicht auf ihre persönliche Sicherheit alles taten, um den Befehl Prof. Schultzes zu umgehen und den für die Euthanasie vorgesehenen Anstaltsinsassen heimlich Lebensmittel zu verschaffen. Beide seien ihm als Antifaschisten, Pazifisten und Menschenrechtler aus Überzeugung bekannt, und nur mit ihrer Hilfe sei es ihm 1945, als er von der Besatzungsbehörde mit der Leitung der Anstalt betraut wurde, möglich gewesen, die Anstalt von nazistischen Elementen zu säubern, sie zu reorganisieren und ihren Betrieb aufrechtzuerhalten. Prof. Leibbrand dementierte dann Pressemeldungen, wonach gegen seine beiden Mitarbeiter ein Verfahren eingeleitet oder sogar bereits Anklage erhoben worden sei. Ihre Verhaftung sei lediglich im Zuge von Ermittlungen erfolgt“. Vgl. Frankfurter Rundschau, 22.11.48, zit. n. Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt (Main), in: Staatsanwaltschaft b. d. LG Nbg.-Fürth II 2343 II.

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in der Erlanger Klinik und von Leibbrand bei Gutachten250 […] sie wohl auch von einer weiteren Auseinandersetzung [mit den NS-Verbrechen] absehen“.251 Ein gegen Leibbrand wegen „Unternehmens der Verleitung zum Meineid und Begünstigung“252 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde am 15.07.1949 eingestellt.253 Im Mitgliederverzeichnis der Erlanger Physikalisch-Medizinischen Sozietät ließ sich Wettley bemerkenswerterweise nicht als „Psychiater“, sondern als „praktische Ärztin“ anführen.254 Unter der Annahme einer Verstrickung in Maßnahmen der Phase II- „Euthanasie“ an der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt lässt sich Wettleys Verdecken ihrer professionalen Identität im Sinne eines Abwehrprozesses deuten. In ihrer aktuellen Publikation verweisen Wiesinger und Frewer auch auf die Verantwortlichkeit Leibbrands an der Überführung eines Kindes zur „Euthanasie“ auf eine Kinderstation.255

250 „Während er [gemeint: Leibbrand] bei Übernahme der Anstalt als Direktor die Zustände in der Heil- und Pflegeanstalt in der Zeit der letzten Kriegsjahre in Hinsicht auf das B-Kost-Programm scharf gebrandmarkt hatte, habe er nunmehr versucht, die damaligen Verhältnisse in jeder Weise zu bagatellisieren und darzutun, dass die Beschuldigten Wettley und Tschakert für die Durchführung der gegebenen Befehle nicht verantwortlich gemacht werden können. Er habe hierzu von sich aus Privatdozent Dr. Engelhardt mit der Fertigung eines Gutachtens darüber beauftragt, dass die seinerzeit befohlene B-Kost ‚doch nicht so schlecht gewesen sei‘, dass sie für das Ableben einer größeren Zahl Patienten ursächlich gewesen sei“. Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 61. Zu „[…] Lebensdauer und […] Ernährung“ siehe ferne Rubner (1908). 251 Wiesinger/Frewer (2014), S. 46. 252 BayHStA: MPA E006. 253 „Auf Grund einer vertraulichen Anzeige bestand gegen den Beschuldigten zunächst der Verdacht, auf den von ihm im Ermittlungsverfahren 3dJs 2454/48 gegen Dr. Einsle und andere privat beauftragten Sachverständigen Dr. Engelhardt in unzulässiger Weise zugunsten der Beschuldigten Dr. Tschalkert und Dr. Wettley eingewirkt zu haben. Die Ermittlungen in dem Verfahren gegen Dr. Tschakert und Dr. Wettley haben die Schuldlosigkeit beider Beschuldigten ergeben. Das Verfahren ist inzwischen eingestellt worden. Es kann dem Beschuldigten Prof. Dr. Leibbrand daher weder objektiv noch subjektiv der Vorwurf gemacht werden, dass er beabsichtigte, Dr. Engelhardt in einem den Beschuldigten Dr. Tschackert und Dr. Wettley günstigen Sinne zu beeinflussen“. Vgl. ebd. Zum juristischen Umgang mit der NS-„Euthanasie“ siehe ferner Benzler/Perels (1996). 254 Vgl. Stammer (1952), S. VII. „Nach der Befreiung 1945 durch die US-Armee stieg Annemarie Wettley sowohl in der psychiatrischen Klinik als auch bei den Entnazifizierungsbemühungen des Klinikapparates zur engsten Mitarbeiterin Leibbrands auf. 1946 erhielt sie den Facharzttitel für Psychiatrie und Neurologie, 1951 bestand sie die bayerische Physikatsprüfung und blieb bis 1953 im öffentlichen Gesundheitsdienst tätig“. Vgl. Mildenberger (2005), S. 123. 255 „Werner Leibbrand muss nach aktuellem Wissensstand jedoch auch in Verbindung gebracht werden mit dem Tod einer Patientin, der siebenjährigen Elfriede Hoffmann, die im August 1944 im Klinikum Nürnberg aufgenommen und von Leibbrand – der zu jener Zeit im Klinikum Nürnberg nervenärztlich tätig war – untersucht worden war“. Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 64. „Die psychiatrische Station am Nürnberger Klinikum erfüllte nie die Funktion einer Heilund Pflegeanstalt, sondern sie war immer vorrangig eine Station für Akutpsychiatrie, d. h. zur kurzzeitigen, intensiven Betreuung. […]. Patienten, die einer längeren Behandlung bedurften oder die in einer geschlossenen Station untergebracht werden sollten, wurden an Heil- und Pflegeanstalten überführt. […]. Psychiatriepatienten des Nürnberger Klinikums fielen nicht

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Vor diesem Hintergrund erwähnenswert zeigt sich das “Image” als „Euthanasie“- Gegner, welches Leibbrand für sich beanspruchte. Gemäß der Regionalpresse habe „Prof.256 Dr. Leibbrand“257„als Zeuge […] vor dem Schwurgericht“258 ausgesagt, gemeinsam mit dem befreundeten „Geheimrat Bonhöffer259 [sic] in Berlin“260 entsetzt „die ersten Abtransporte von Kranken aus den Heil- und Pflegeanstalten in Deutschland“261 rezipiert zu haben. Leibbrand stellte sich an die Seite des „Stuttgarter Anstaltsdirektor Römer“,262 der – so Leibbrand – „das Verbrechen, das den Kranken drohte, nicht auf sich nehmen [konnte][;] ,er ist unter irgendeinem Vorwand in Pension gegangen!‘“263 Eine Publikation Leibbrands zu „Eugenik und Sterilisation“ von 1963 bezeichnet die „Vorbelastung mit allen diesen Vorgängen in der Tat noch frisch genug, um in der öffentlichen Meinung auch bei sachlichsten Vorgehen Skotome zu erzeugen“.264 Leibbrand sah Nachtsheims „Schilderungen von Aktenvorgängen“265 aus dem Jahr 1962 nicht angemessen in Bezug auf die „psychologisch deprimierenden Folgen“266 der individuellen „Sterilisationsgestimmtheit“267 des entscheidenden Behandlers in Abhängigkeit von dessen „braune[r]

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hier Euthanasiemorden zum Opfer, sondern nur, wenn sie in eine Anstalt verlegt worden waren“. Vgl. Molketeller/Windsheimer (1992), S. 18. Ferner sei bezüglich der „dezentralen“ Tötungen verwiesen auf Black/Sade (2007). „Der Senat der Universität unterstützte den Antrag der Fakultät [, dem Honorarprofessor Leibbrand Amtsbezeichnung, akademische Rechte und Pflichten eines persönlichen Ordinarius zu verleihen] […] nicht. Als Begründung wurde genannt, dass die Abgrenzung zwischen hauptamtlichen Professoren und Honorarprofessoren aufrecht erhalten werden solle, damit nicht Senat und Fakultät vollberechtigte Mitglieder zugeführt werden, die den Mittelpunkt ihrer Berufsarbeit nicht an der Universität, sondern an einer universitätsfremden Stelle haben“. Vgl. Wiesinger/Frewer (2012), S. 54. Stadtarchiv Erlangen III.101.E.1. Erlanger Nachrichten/März 1950. Ebd. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem geschilderten Anlass um die öffentliche Sitzung des Schwurgerichtsverfahrens vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth in der Strafsache gegen Wilhelm Einsle und Stephan Murar wegen Beihilfe zum Verbrechen des Totschlages handelte, zu welcher Leibbrand am 23.02.1950 und/oder 27.02.1950 als Zeuge geladen war. Vgl. Staatsanwaltschaft b. d. LG Nbg.-Fürth II 2343 II. Weiterführend siehe ferner Bonhoeffer (1949). Stadtarchiv Erlangen III.101.E.1. Erlanger Nachrichten/März 1950. Ebd. Ebd. Der ehemalige Reformpsychiater Hans Roemer (1878–1947), der gemeinsam mit Gustav Kolb und Valentin Fatlhauser publiziert hatte – Vgl. Roemer et al. (1927) – , betrieb zur NSZeit „[z]usammen mit dem psychiatrischen Erbforscher und Rassenhygieniker Ernst Rüdin […] die forcierte ‚Gleichschaltung‘ der psychiatrischen, neurologischen und der rassenhygienischen Fachgesellschaften unter dem ‚Führer‘ Rüdin. Er gehörte bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung 1940/41 zum Vorstand der neu geschaffenen Fachgesellschaft, und er war ein vehementer Befürworter der Sterilisation von Erbkranken. Die systematische Tötung von Menschen, die zuvor von Ärzten als ‚lebensunwert‘ qualifiziert worden waren, lehnte er allerdings strikt ab“. Vgl. Roelcke (2013a), S. 1064. Stadtarchiv Erlangen III.101.E.1. Erlanger Nachrichten/März 1950. Leibbrand (1963), S. 718. Ebd. Ebd. Ebd.

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Färbung oder Ängstigung“.268 Leibbrand räumte „‚Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit‘ bei ‚manchen‘ Gesundheitsämtern“269 ein. Daneben habe sich „Bonhöffer270 […] am Anfang des Geschehens sogar ausdrücklich beim Erbgesundheitsobergericht eingeschaltet, um Schlimmeres zu verhüten“.271 Leibbrand resumierte letztlich: „Eugenik als Forschung, ja! Sterilisationsgesetz, vorerst nein!“272 Der Artikel zum „Rückblick auf die Auswirkung und die Handhabung des nationalsozialistischen Sterilisationsgesetzes“ des von Leibbrand erwähnten Karl Bonhoeffer sollte erst posthum 1949 veröffentlicht werden.273 Bonhoeffer274 sah darin im Vergleich zu anderen Staaten beinahe nur eugenische, keine sozialen, kriminal- oder rassenpolitischen Gesichtspunkte verwirklicht. „Das letztere ist wichtig zu betonen, weil die späteren brutalen Grausamkeiten der Rassenverfolgung vielfach dem Sterilisationsgesetz zur Last gelegt wurden“,275 so Bonhoeffer. Um die Bemerkungen Bonhoeffers in einen größeren Gesamtzusammenhang zu stellen, sollen zu seiner Rolle einige Details angeführt werden. Bonhoeffer selbst fungierte beim Erbgesundheitsobergericht „als psychiatrischer Sachverständige mit Richterfunktion“.276 Laut seinen Lebenserinnerungen277 habe er somit einen mäßigenden Einfluss auf die Diagnosestellung der Erbgesundheitsgerichte auszuüben intendiert.

268 Ebd. 269 Ebd. 270 Karl Bonhoeffer, Direktor der Klinik für Psychische- und Nervenkrankheiten der Charité/Berlin. Seine Söhne Klaus (1901–1945) und Dietrich (1906–1945) sowie seine Schwiegersöhne Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher (1895–1945) wurden von den „Nazis ermordet“. Vgl. hierzu DGPPN-Symposium zur „Rolle Karl Bonhoeffers im Nationalsozialismus“ am 27.11.2013 mit folgenden Einzelbeiträgen: Helmchen: „Bonhoeffers Position zur Sterilisation psychisch Kranker“; Gerrens: „Karl Bonhoeffer, der Deutsche Verein für Psychiatrie und die Zwangssterilisation“; Schmuhl: „Karl Bonhoeffer, Ernst Rüdin und die Umsetzung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Weiterführend siehe hierzu auch Helmchen (2015). Zum Widerstand von Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi empfehlenswert ferner Sifton/Stern (2013). Karl Bonhoeffers Sohn, „[d]er Theologe Dietrich Bonhoeffer ist einer der wenigen konsequenten Gegner Hitlers innerhalb der evangelischen Kirche. Er wird am 9. April 1945 im Arresthof des KZ Flossenbürg ermordet“. Vgl. Skriebeleit (2011), S. 128. 271 Leibbrand (1963), S. 718. 272 Ebd. 273 Vgl. Bonhoeffer (1949). 274 „Karl Bonhoeffer wusste um die Staatsstreichpläne seiner Söhne und Schwiegersöhne und unterstützte sie. Zum Anderen galt in der Forschung auch als gesichert, dass Bonhoeffer auf dem engen Feld seiner beruflichen Tätigkeit der nationalsozialistischen Erbgesundheitspolitik ablehnend gegenübergestanden und der Zwangssterilisierung von psychisch Kranken und geistig Behinderten entgegengewirkt habe“. Vgl. Roelcke (2008), S. 74. 275 Bonhoeffer (1949), S. 2. Ferner sei verwiesen auf weiteres Schrifttum Bonhoeffers: Ders. (1924), (1934), (1939) und (1947). 276 Grell (1988), S. 210. 277 Vgl. Bonhoeffer (1969).

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„Seine Darstellung, dass sich vielerort keine ausgebildeten Psychiater zur Mitarbeit an den Erbgesundheitsgerichten fanden, trifft allerdings nicht zu. […]. Es fehlte den Erbgesundheitsgerichten nicht an fachlich qualifizierten ärztlichen Beisitzern“.278

In der Zusammenschau kann Bonhoeffer zwar durchaus als NS-Eugenik-Vertreter gelten, seine „Euthanasie“-Gegnerschaft dürfte jedoch unbestritten bleiben. Als Herausgeber des „Centralblatt für Neurologie und Psychiatrie“ hatte er nämlich die durchaus kritische Ilbergsche279 Rezension280 der „Euthanasie“ –Aktion veröffentlicht. Leibbrand könnte eine Vertuschung seiner „Euthanasie“-Verstrickung bezweckt haben, wenn er öffentlichkeitswirksam die eigene – als mit den Ansichten des „Euthanasie“-Gegners Bonhoeffer konform gehende – Position propagierte. In Zusammenhang mit Leibbrands gewissem „doppelte[n], moralische[n] Gesicht“281 könnte seine Abhandlung zum „Dramatische[n] Wahnsinn“282 von 1935 durchaus als NS-ideologiesympathisierend erscheinen. In Bezug auf William Shakespeares (1564–1616) künstlerische Darstellung geistiger Ausnahmezustände bekräftigte Leibbrand die Position Hoches:283 „Gewiß hatte Hoche recht, wenn er die Symptomatik Opheliens als klinisch begründet ansah“.284 Wenn Leibbrand in Bezug auf die Diagnosestellung bei einer Shakespeare-Figur dem Freiburger Psychiater Alfred E. Hoche (1865–1943) beipflichtet,285 so könnte beim damaligen Rezipienten unbewusst eine Zustimmung Leibbrands zu dem von Hoche286 gemeinsam mit dem Leipziger Strafrechtler Karl Binding (1841–1920) 1920 herausgegebenen Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens – ihr Maß und ihre

278 Roelcke (2008), S. 82. 279 Bis 1922 Leiter der Anstalt Sonnenstein-Prina, spätere Tötungsanstalt. 280 „Man hatte die Meinung vertreten, der Psychiater stehe auf verlorenem Posten, Geisteskranke und Nervenkranke bedürften keiner oder nur eines Minimums von Betreuung, die Psychiatrie werde immer überflüssiger, man brauche für sie keine Pfleger, die von richtiger Krankenpflege etwas verständen, am besten man löse eine Anstalt nach der anderen auf. […] Wenn man heutzutage die Psychiatrie, die Lehre von der kranken Seele und was mit ihr zusammenhängt, keineswegs selten für minderwertig und entbehrlich ansieht, ja die Erbkranken und mit ihnen oft die Geisteskranken überhaupt herabwürdigt, ja für die Vernichtung schwerer Fälle eintritt – natürlich soweit es sich nicht um Erkrankungen in der eigenen Familie handelt! – so ist das ein großes Unrecht“. Vgl. Ilberg, zit. n. Gerrens (1996), S. 107–109. 281 Wiesinger/Frewer (2014), S. 63. 282 Leibbrand (1935). 283 Alfred Erich Hoches Name „wurde in der Literatur zumeist verbunden mit seinen bedeutenden Leistungen auf dem Gebiet der psychiatrischen Diagnostik und Nosologie, war er doch mit der von ihm entwickelten Syndromenlehre lange Zeit der einflussreichste Gegenspieler Kraepelins und seines Konzeptes der natürlichen Krankheitseinheiten“ in der Psychiatrie gewesen. Vgl. Holdorff/Hoff (1998), S. 181. “Whether Hoche helped to inspire a pessimistic approach to classification in particular and to biological psychiatric research in general […] is ripe for re-interpretation”. Vgl. Berrios/Dening (1991), S. 95. Siehe ferner auch Schimmelpenning (1998). 284 Leibbrand (1935), S. 214. Weiterführend auch Krug (2016). 285 Vgl. Leibbrand (1935), S. 214. 286 Weiterführend auch Hoche (1912).

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Form“287 assoziiert werden. In ihrem einschlägigen Werk definierten Binding und Hoche „das Leben unheilbar Geisteskranker als ‚absolut zwecklos‘“.288 Ihre „therapeutisch verstandene medizinische Vision der Tötung von ‚geistig Toten‘ und ‚leeren Menschenhülsen‘“289 befreie von „Ballastexistenzen“290 und stelle „einen ,erlaubten nützlichen Akt‘ dar“.291 Leibbrand rekurrierte in seinem „Dramatischen Wahnsinn“ von 1935 nicht nur auf Hoche, in seiner Schlusssentenz verwies er auch auf Friedrich Nietzsche (1844–1900),292 welcher von dem führenden

287 Binding/Hoche (1920). Zur Schrift von Binding und Hoche empfehlenswert auch Hafner/Winau (1974). „Die beiden haben die ‚Freigabe‘ der Tötung von Patienten vermutlich erst begründet, nachdem die Debatte zuvor vor allem auf die Sterilisation Geisteskranker gerichtet war. Binding hat eine der Lücken geschlossen, die zwischen Rechtstheorie und Staatsverbrechen bis dato bestanden hatte, und Hoche lieferte medizinische Scheinargumente hinzu. Der Gerechtigkeit halber muss man betonen, dass Hoche kein Nationalsozialist war und 1933 als einer der wenigen Professoren auf seinen Lehrstuhl verzichtete. Döblin hat zu dieser Propaganda seines Doktorvaters für die Tötung von Geisteskranken eisern geschwiegen. Aber nach dem zweiten Weltkrieg hat er der Kranken gedacht, die deportiert und ermordet worden sind. Den kleinen Text ‚Eine Fahrt ins Blaue‘ von 1946 kann man als eine späte Stellungnahme zum Fall Hoche lesen, auch wenn der Name nicht erwähnt wird“. Vgl. Schoeller (2011), S. 213. Siehe ferner Döblin (1946), S. 5. Zu Alfred Döblin als Doktorand Hoches siehe S. 479, Fn. 1026. 288 Freimüller (2001), S. 36. 289 Ebd. 290 Ebd. 291 Ebd 292 „Ein ungewöhnlich langes, einleitendes Stadium der progressiven Paralyse sehen wir auch bei Nietzsche, der in unsere Betrachtungen [zu Geisteskranken in der Dichtung] hineingehört, weil er mehr Dichter als Philosoph war. Der Beginn der ersten geistigen Veränderungen wird aus guten Gründen auf 8 Jahre vor dem ‚Ausbruch‘ seiner Geistesstörung datiert, eine Bezeichnung, die auch hier nur von bürgerlichen, nicht von ärztlichen Gesichtspunkten aus anwendbar ist. Der Abstieg erfolgte nicht in gleichmäßig sinkender Linie; aus Briefen und aus Beobachtungen der Freunde ergibt sich, ebenso wie aus den Schriften jener Epoche, eine Art von Wellenbewegung mit episodisch auftretender Erregung und rauschartig wirkenden Phasen rasender Schaffenslust. Geistvoll und funkelnd blieb sein Stil bis kurz vor der Verbringung in die Irrenanstalt (1889); es war eben ein ungewöhnliches Gehirn, das es zu vernichten galt; aber seit 1881 sind bestimmte, sich deutlich abzeichnende Eigentümlichkeiten bemerkbar: zunehmender Mangel an Disziplin des Denkens, Wegfallen ästhetischer und moralischer Hemmungen, Geschmacklosigkeiten, deren sich der gesunde Nietzsche nicht schuldig gemacht haben würde. Ein Teil des Zarathustra fällt schon in die kranke Zeit, auch ,Götzendämmerung‘, ,Wille zur Macht‘, der ,Fall Wagner‘, der ,Antichrist‘ und die Selbstdarstellung in ,Ecce homo‘. In dem zum Teil wüsten Schimpfen des Antichrist ist die aesthetische Abstumpfung ebenso erkennbar wie die zunehmenden Größenwahnideen in den Dionysos-Dithyramben und im Ecce homo mit seinen charakteristischen Kapitelüberschriften ‚Warum ich so weise bin‘ –‚warum ich so klug bin‘–‚warum ich ein Schicksal bin‘. Und über alle diese trüben Eindrücke hinweg wird der Leser immer wieder geblendet von aufblitzenden Funken von Witz und geistreichen Antithesen. Dass Literaturprofessoren und Biographen, die auch die Ursache seiner Krankheit nicht erörtern, dazu neigen, die Eigenart der letzten Produkte zu übersehen, kann neben der blinden Vergötterung darin seine Erklärung finden, dass gewisse für den Schriftsteller Nietzsche charakteristische Züge, die aphoristische Sprunghaftigkeit seines Denkens, die Unempfindlichkeit gegen eigene Widersprüche usw. sich auch schon beim geistesgesunden Nietzsche finden“.

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NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg (1892–1946) als Wegbereiter des Nationalsozialismus angeführt wurde.293 Leibbrand sah 1935 „gerade de[n] Psychiater […] als Forscher der reinen Menschlichkeit der Seele [als den] berufene[n] Lehrer im Sinne Nietzsches, unsere idealistische Jugend wieder zum Urquell dieser Menschlichkeit, dem Hellenentum fruchtbar hinzugeleiten“.294

Diese Formulierung Leibbrands spiegelt keine nüchtern-distanzierte Position in Hinblick auf die vielfach als verlockend rezipierten NS-Versprechungen wider. Vor seiner Berufung nach München 1953 widmete sich Leibbrand ab 1946 gemeinsam mit Wettley295dem institutionellen Aufbau des Erlanger Instituts für Geschichte der Medizin.296 Werner Leibbrand sollte zum einzigen deutschen Gutachter297 im Rahmen des Nürnberger Ärzteprozesses 1946/1947298 werden. Im Zentrum der Anklage standen die Humanexperimente in Konzentrationslagern,299 die Zwangssterilisationspraxis bildete keinen Schwerpunkt der Verhandlungen. Nach Roelcke ist

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Vgl. Hoche (1939), S. 40–41. Siehe ferner Nietzsche (1941), (1985), (1999), (2000a) und (2008). Vgl. Weingart et al. (1992), S. 373. Leibbrand (1935), S. 215. Im Rahmen eines Vortrages des Referates Philosophie, Geschichte und Ethik der Medizin zum DGPPN 2013-Symposium „Psychische Erkrankungen in Literatur, Film und Musik“ würdigte Florian Steger Wettley mit ihrem Werk „Vertauschbares Dasein“ als Pionierin der schriftstellerischen Tätigkeit von Ärztinnen. Er betonte, Wettleys literarischer Erfahrungsbericht über die alltägliche (Grenz)Erfahrung im ärztlichen Dienst als Frau sei aktuell neu ediert. Vgl. Steger (2013). Weiterführend hierzu auch ders. (2009a), Cover und (2009b), S. 2; vgl. auch Wettley (1947). Vgl. http://www.mpipsykl.mpg.de/research/themes/othertopics/weberm 02/. Stand vom 06.12. 2013. Siehe auch IFZ M-B, ED 383 in: http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0383.pdf. “Leibbrand who testified as the only German expert in the Nuremberg Doctors’ Trial”. Vgl. Frewer (2007), S. 261. „Januar 1947, Nürnberg, Ärzteprozess. Der sechsundzwanzigste Verhandlungstag. Werner Leibbrand tritt in den Zeugenstand. Fünf Stunden sagt er aus, beschreibt all das, was er in den Jahren des Terrors erleben musste. Schildert den Amerikanern die Geschichte und Struktur des deutschen Gesundheitswesens, der ärztlichen Ausbildung und der ärztlichen Standesorganisationen, widerspricht den Anwälten der Verteidigung, die die Rolle der Ärzte im Dritten Reich marginalisieren wollen“. Vgl. Wilkes (2006), S. 180. Siehe ferner Seidel (2001). “[I]t should be emphasized that the promise of the Nuremberg Code has not been realized, and the project to protect human rights in human experimentation is an ongoing one that even half century after the promulgation of the Nuremberg Code remains in its infancy”. Vgl. Annas/Grodin (1992), Preface XIII. „In Frankreich und Italien wurde die Säuberung in einem blutigen, aber kurzen Rachefeldzug durchgeführt, den Deutschen haben die Alliierten als rechtsstaatliche Mittel deklarierte prozessähnliche Verfahren vorgeschrieben. Doch entbehrten diese präziser Kriterien und verwendeten auch nicht die beim deutschen Strafprozess herkömmlichen Begriffe“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 225. Siehe ferner Taber (1907), Sass (1983), Rothmann (1987), Beecher (1996), Weindling (1996b), Moreno (2000) und Zeidmann (2011a). „Was hätte man […] [den KZ-Insassen] sagen sollen? Auch dann ergab sich, dass – im Bewusstsein jedes einzelnen – irgendwer da war, unsichtbar war, vielleicht sogar längst schon nicht mehr am Leben und doch anwesend und gegenwärtig, irgendwie ‚da‘ als das Du intimster Zwiesprache. Für viele war es das erste und letzte und ewige Du: Gott. Aber wer immer diese Stelle letzter Instanz einnahm: es galt, sich zu fragen:

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der Grund hierfür vor allem in der „internationalen Verflechtung von Eugenikern und Genetikern“300 zu sehen, die „eine moralische und juristische Verurteilung vermutlich sehr schwierig gemacht“301 hätte. Im Todesjahr Meggendorfers präsentierte Leibbrand – am ehesten in der Funktion eines Reformers der „NS-durchsetzten Psychiatrie“ – „in sachlicher Weise die verschiedenen Formen geistiger Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten“302 im Rahmen einer Funkreportage aus der Heil- und Pfleganstalt mit dem Titel „Menschen im Schatten“:303 „Es ist das erste Mal, dass derartige Aufnahmen in einer Anstalt gemacht werden dürfen. In der Sendung, die in objektiver Weise die verschiedenen Formen geistiger Erkrankung, das Problem der Verwahrung der Patienten in Anstalten und die möglichen Therapien aufzeigt, kommen Kranke und Ärzte aus der Heil- und Pflegeanstalt zu Wort“.304

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Was erwartet er von mir – will heißen, welche Haltung. So ging es letztlich um die Haltung, in der einer zu leiden verstand – zu sterben wusste: savoir mourir – comprendre mourir – bekanntlich die Quintessenz alles Philosophierens. Unseren Tod galt es für uns zu sterben im Sinne jener Rilkeschen Redewendung, die da meint, es gelte ‚seinen‘ Tod zu sterben. ‚Unseren Tod‘, den sinnvollen – wenn auch in verschiedenem Sinn sinnvollen: gilt doch auch vom Sinn des Sterbens – ganz genauso wie vom Sinn des Lebens –, dass es ein persönliches, allerpersönlichstes ist. Als solcher ist uns unser Tod aufgegeben, und dieser Aufgabe gegenüber tragen wir ebenso Verantwortung wie gegenüber der Aufgabe des Lebens. Verantwortung – wem gegenüber, vor welcher Instanz? Nun, wer dürfte diese Frage für den anderen beantworten? Hat diese letzte Frage nicht jeder letztlich für sich zu entscheiden? Was macht es da aus, wenn sich etwa der eine in der Baracke seinem Gewissen gegenüber in diesem Sinne verantwortlich fühlt und der andere seinem Gott gegenüber und ein dritter einem Menschen gegenüber, der nun fern war. Jeder von ihnen wusste jedenfalls darum, dass irgendwie, irgendwo, irgendwer da war, der unsichtbar auf ihn sah, der von ihm verlangte, dass er ‚seiner Qual würdig‘ sei – wie Dostojewski einmal gesagt hat –, und von ihm erwartete, dass er ‚seinen Tod sterbe‘. Im Lager war der Satz ‚primum vivere, deinde philosophari‘– als etwa: zuerst am Leben bleiben – dann werden wir sehen, dann können wir noch immer weiterreden – außer Kraft gesetzt. Was im Lager vielmehr in Geltung stand, war eher die genaue Umkehrung dieses Satzes: Primum philosophari – deinde mori; war eines: sich Rechenschaft ablegen in der Frage eines letzten Sinnes – Und dann aufrecht hingehen können und den abverlangten Märtyrertod sterben“. Vgl. Frankl (1961), S. 758. Roelcke (2002a), S. 1028. Ferner sei verwiesen auf die Abhandlung zur „Euthanasie“ im American Journal of Psychiatry im Jahr 1942. Vgl. Joseph (2005). Empfehlenswert ferner Klee (1992a). Roelcke (2002a), S. 1028. Stadtarchiv Erlangen III. 153.L.1. Erlanger Nachrichten vom 04.06.1952. Ebd. Ebd. Eine Anfrage der Verfasserin beim Bayerischen Rundfunk zur Existenz eines Mitschnittes der am 04.06.1952 von 21.15 Uhr bis 22.15 Uhr ausgestrahlten Sendung verlief leider erfolglos. Unter dem Titel „Menschen im Schatten“ ließ sich nur folgender, am 31.08.1963 erstgesendeter, Beitrag zur medizinischen Versorgung von Weltkriegsveteranen im SWR-Archiv detektieren: „Serien/Reihentitel: Abendschau, Sende/Haupttitel: Menschen im Schatten, Beitragslänge: 7'38"“. Vgl. Persönliche Korrespondenz vom 01.04.2014 mit „[email protected]“.

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Diese Form der Öffentlichkeitsarbeit Leibbrands kann als kompromittierender Affront gegen Meggendorfer als dienstsuspendierten Klinikdirektor und einstigen „Abteilungsarzt der Heil- und Pflegeanstalt“305 aufgefasst werden. 5.5 KLINISCHES UND WISSENSCHAFTLICHES EXPERTENTUM Die Hypothese, Meggendorfer habe sich ab 1933 als dem „Beginn einer verheißungsvollen Epoche“306 „im medikalisierten Klassenhass307 engagiert, um der unverblümte[n] Umsetzung der Gesellschaftsvorstellungen des professoralen Bürgertums“308 zu dienen, lässt sich anhand seiner Veröffentlichungen sowie der untersuchten klinischen Praxis nicht eindeutig bestätigen. Die Behauptung, Meggendorfer sei „zum unumstrittenen Experten für die Frage, welche Alkoholiker unter […] [das] GzVeN fallen“309 avanciert, sollte vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass „[b]ei den 3 Anträgen, in denen die Klinik die Diagnose ‚schwerer Alkoholismus‘ bestätigt[e], […] das Erbgesundheitsgericht die Sterilisierung ab[lehnte]“.310 Bei der Beurteilung des „schweren Alkoholismus“311 komme es nach Meggendorfer „nicht so sehr auf die Menge und die Art des einverleibten Alkohols an, auch nicht darauf, ob der Mißbrauch nur gelegentlich oder dauernd betrieben wird, ob Rückfälle vorgekommen sind, ob Entmündigung, Anstaltsunterbringung oder sonst irgendwelche Maßnahmen nötig wurden, sondern vor allem darauf, ob es sich um einen Alkoholismus auf vorwiegend erblich krankhafter Grundlage handelt“.312

305 UAE: A6/3 i. 306 Mai/Bussche (1989), S. 244. 307 “The so-called Neue deutsche Seelenheilkunde […] for the ʻsuperiorʼ members of the Volk complemented the mass sterilizations of the ʻinferiorʼ. The destruction of the latter created social guarantees for the former, and thus secured the standard of living of the productive community of a conformist petit bourgeoisie and the working class at the expense of excluded minorities”. Vgl. Pross (1992), S. 32. 308 Mai/Bussche (1989), S. 244. „Bestimmte soziale Lebensumstände haben veränderte Prävalenzen von Abhängigkeitserkrankungen zur Folge, ohne dass dies einem einfachen Gradienten des sozialen Status folgt. Chronischer Substanzkonsum führt häufig zu einem sozialen Abstieg“.Vgl. Vernaleken/Schneider (2016), S. 273–274. 309 Mai/Bussche (1989), S. 233. 310 Vollenbruck (1941), S. 18. 311 Bemerkenswerterweise motivieren die Ergebnisse einer aktuellen “Addiction”-Publikation von Boschloo et al. zu “[p]redictors of the 2-year recurrence and persistence of alcohol dependence” unter tertiärprophylaktischen Gesichtspunkten dazu, „zusätzlich zur dichotomen Diagnosestellung auch Schweregradindikatoren beim Umgang mit Alkoholkranken im klinischen Alltag einzusetzen. Dies könnte einen entscheidenden Schritt zur Entwicklung individuell angepasster Strategien der Tertiärprophylaxe darstellen“. Vgl. Boschloo (2012), zit. n. Braun (2013a), S. 23. 312 Meggendorfer (1936b), S. 12. „Der soziale Konflikstoff […] ist offenkundig, fanden sich doch auch in den ‚besseren Schichten‘, namentlich auch der akademischen, viele Fälle häufigen und exzessiven Alkoholkonsums. Nachdem Meggendorfer […] das neutrale toxikologische Kriterium (Menge und Dauer der Intoxikation) als Entscheidungskriterium vom Tisch gebracht

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Die These, Meggendorfer habe einerseits „[m]it diesem argumentativen Kunststück […] alle männlichen Trinker der gehobeneren Schichten aus der Gefahrenzone genommen“313 und andererseits „Alkoholexzess‚ bei sonst psychisch Auffälligen und Belasteten, bei ,Kriminellen und Asozialen und bei Frauen‘ zu einer Sterilisationsindikation hochstilisiert“314 könnte gedeutet werden als selektive Rezeption zur Unterstützung der Beurteilung Meggendorfers als Akteur im „medikalisierten Klassenhaß“.315 Diese kritische Einschätzung Meggendorfers als einen klassenselektiven Denker gilt es zu untersuchen.316 Um einer sozial ungerechten Diagnosestellung entgegenzuwirken, bekannte Meggendorfer 1939, „[d]as GzVeN ha[be] nicht die Aufgabe, soziale Schäden zu bekämpfen, sondern die Erzeugung erbkranken Nachwuchses zu verhüten“.317 Johann Wiesent schilderte in seiner Dissertation bei

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hatte, stellte er Alkoholismus als Symptom erblicher Minderwertigkeit dar“. Vgl. Bussche (2014), S. 221. Diesem Argumentationsstrang Bussches muss die Tatsache entgegen gebracht werden, dass auch heutzutage das von Bussche angeführte „toxikologische Kriterium“ im internationalen Klassifikationssystem innerhalb der F10-Rubrik „Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol“ nur bei der klassifikatorischen Subentität „akute Intoxikation“ (F10.0), nicht aber bei „schädlichem Gebrauch“ (F10.1) oder beim „Abhängigkeitssyndrom“ (F10.2) von Relevanz ist. Vgl. Dilling/Freyberger (2010), S. 76–78. Mai/Bussche (1989), S. 234–235. Zur Frage der Sterilisierung vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1933 unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Indikation siehe Grote (2012). Mai/Bussche (1989), S. 234–235. Ebd., S. 244. Die Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ stellt fest, Meggendorfer „war stets bemüht, seine Forschungsergebnisse, z. B. zu der vermeintlichen Vererbbarkeit von Alkoholismus und zum angeblichen Zusammenhang von ‚moralischer Minderwertigkeit, Verbrechen und Psychose‘ in die konkrete Gesundheitspolitik einfließen zu lassen“. Vgl. http://www.200.uk-erlangen.de/de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/ meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. Dieser Position bezüglich einer „vermeintlich vererblichen“ Alkoholkrankheit soll gegenübergestellt werden, dass Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien den erblichen Faktor bei Alkoholabhängigkeitserkrankung aktuell bei 40–60% ansiedeln. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 15. „Folgt man den Ergebnissen von Zwilings- und Adoptionsstudien, so besteht bei Alkoholabhängigkeit eine Erblichkeit von ca. 50–60%. Die entscheidenden Gene sind jedoch noch nicht bekannt. Sicher scheint aber zu sein, dass nicht eines oder ein paar wenige Gene, sondern eine Kombination aus einer größeren Anzahl notwendig ist, um die Entwicklung einer Abhängigkeit zu begünstigen. Zu den genetischen Faktoren müssen dann jedoch bestimmte Umgebungsvariablen hinzutreten, damit eine Alkoholabhängigkeit manifest wird. Beeinflussbare Faktoren, die zu erhöhtem Alkoholkonsum führen können, sind belohnende Effekte, die anxiolytische und die stimmungshebende Wirkung durch den Konsum“. Vgl. Kienast et al. (2010), S. 52. „Zur Entstehung der Alkoholabhängigkeit gibt es mehr Annahmen und Vermutungen als gesichertes Wissen. […]. Ein etwas höheres Risiko scheint bei ‚antisozialen Persönlichkeiten‘ mit impulsivem und agressivem Verhalten […] vorzuliegen“. Vgl. Mann et al. (2009), S. 356. „Viele Alkoholabhängige erleben einen sozialen Abstieg. Zunächst kommt es zu familiären Auseinandersetzungen. […]. Ehescheidungen sowie der Verlust von Freunden und Bekannten sind oftmals die Folge. Im Beruf kommt es […] schließlich zum Arbeitsplatzverlust. Die Verkehrstüchtigkeit nimmt ab […]. Parallel zum sozialen Abstieg kommt es häufig zu Straftaten, die im Rausch begangen werden“. Vgl. ebd., S. 355. Meggendorfer (1939h), S. 316.

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Meggendorfer über „[e]rbbiologische Untersuchungen von Alkoholsüchtigen“318 aus dem Jahr 1938 folgende berufliche Verteilung der an „schwerem Alkoholismus“ Erkrankten: Vierzehn aus dem Arbeiterstand, neun aus dem Handwerkerstand, vier aus dem Beamtenstand, sechs aus dem Brauerei- und Gaststättengewerbe, sieben aus freien Berufen.319 Gustav Rhomberg erfasste in seiner Dissertation bei Meggendorfer „[ü]ber 185 Sterilisierungen wegen schweren Alkoholismus“320 im Jahr 1939 insgesamt 167 sterilisierte Alkoholkranke hinsichtlich ihrer Berufe. 55 ungelernte Arbeiter, 67 gelernte Arbeiter, 16 Kaufleute, zehn Bauern, acht Wirte, Brauer, Keller u. s. w., fünf Angestellte und Beamte, drei „sonstige Berufe“, drei Frauen.321 Diese Zahlen verdeutlichen, dass sämtliche soziale Schichten vom GzVeN erfasst wurden. Zusätzlich könnte der biographische Hintergrund Friedrich Meggendorfers als Sohn eines Kaufmanns mit eigener langjähriger Erfahrung in diesem Beruf gegen die Position von Mai und Bussche322 sprechen, er habe hauptsächlich von professoral-bürgerlicher oder standesspezifischer Perspektive aus begutachtet.323 In Anbetracht der gesicherten politischen Unterstützung in Bezug auf das Sterilisierungsgesetz als entscheidendes Programmziel der Rassenhygieniker324 seien die kritischen Stimmen bezüglich der wissenschaftlichen Grundlagen der Indikationsstellung zunehmend in den Hintergrund getreten.325 Dieser Vorwurf ist für Meggendorfer nur bedingt gerechtfertigt. Während Meggendorfer 1929 anhand der Buchrezension zu Langes Werk „Verbrechen als Schicksal“326 auch die eigene rein genetisch determinierte Perspektive darlegte, sollte er innerhalb der kommenden fünf Jahre eine wissenschaftliche Weiterentwicklung weg von einer „Prädeterminations-“ hin zu einer „Prädispositions-“ Hypothese „durchlaufen“. 1929 hatte Meggendorfer beteuert: „die Anlage ist alles, die Umwelt, sei sie nun Erziehung, sie sie gute oder schhlechte Gesellschaft, Wohlstand oder Not, ist so gut wie nichts […]. So erkennen wir klar, dass das Wesen 318 Wiesent (1938). „Insgesamt lag ein Material von 40 Alkoholsüchtigen vor, die im Zeitraum von 1873–1937 in der Anstalt wegen ihrer Sucht behandelt wurden. Diejenigen Fälle, die wegen eines starken Alkoholrausches in die Anstalt aufgenommen wurden und schon in kürzester Zeit wieder entlassen werden konnten – es waren ungefähr 10 Fälle – habe ich nicht mitberücksichtigt“. Vgl. ebd., S. 7–8. Wiesents Promotion könnte darauf hinweisen, dass Einsle einer Nutzung des „Anstaltspatientengutes“ für eine wissenschaftliche Analyse unter der Doktorvaterschaft Meggendorfers zugänglich war. Interessant auch S. 88, Fn. 357. 319 Ebd., S. 29. 320 Rhomberg (1939). 321 Vgl. ebd., S. 6. 322 Vgl. Mai/Bussche (1989), S. 244. 323 Bei an Kokain-Abhängigkeit erkrankten Berufskollegen plädierte Meggendorfer für einen Approbationsentzug: „Da erfahrungsgemäß cocainsüchtige Ärzte, Zahnärzte und Apotheker usw. eine große Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen, wäre die gesetzliche Möglichkeit einer Entziehung der Approbation für die Zeit der Gefahr dringend zu wünschen“. Vgl. Meggendorfer (1928a), S. 352. 324 Vgl. Weingart et al. (1992), S. 390. 325 Vgl. ebd., S. 465. 326 Lange (1929). Siehe ferner Meggendorfer (1929c).

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer des Menschen […], offenbar zum weitaus größten Teile durch seine gegebenen und unabänderlichen Anlagen bestimmt w[ird], während all den tausendfältigen Einwirkungen von außen nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt. Wenn die heutigen Milieutheoretiker und -fanatiker sich überhaupt belehren ließen, wäre dies Buch dazu ausgezeichnet geeignet“,327

1934 hingegen beurteilte er den „pessimistischen und nihilistischen therapeutischen Standpunkt, der in der Psychiatrie gerade durch die Erkenntnis der erblichen Bedingtheit vieler Psychosen begründet zu sein scheint“,328 als überwunden, zumal „Dominanz und Rezessivität […] keineswegs irgendwelche absoluten, feststehenden Größen [sind], sie sind vielmehr etwas Relatives“.329 In seinen Ausführungen zum „kommende[n] deutsche[n] Strafrecht“,330 veröffentlicht 1936, bediente sich Meggendorfer des politisch angesagten „Blut- und Boden“-Jargons: „Erst der nationale Umbruch 1933 machte wieder Energien frei“:331 „Wir begegnen hier vielfach ganz neuen Gedanken, Formungen, in denen der Umbruch der Gesinnung, den wir in Deutschland erlebt haben, zum Ausdruck kommt. Das neue deutsche Strafrecht […] muss aber, um lebensfähig zu sein, sich bemühen, ein Spiegelbild des nationalsozialistischen Weltbildes zu sein […]. Das deutsche Strafrecht soll ein dauernder Selbstreinigungsapparat des Volkes sein. Da für den Nationalsozialismus das die Welt Bewegende der Wille ist, gibt es für ihn eine Frage der Willensfreiheit nicht […]. Insofern bezeichnet der Entwurf das künftige deutsche Strafrecht als ‚Willensstrafrecht‘ […] der Ruf nach Sühne ist für uns Deutsche so alt wie unser Volk; die Meintat heischte Sühne bei unseren Vätern. Aber nicht jede Tat erheischt Sühne, noch weniger der Erfolg der Tat, sondern nur die schuldhafte Tat. Die Schuld aber wird dem Willen zugerechnet, wie sie aus ihm entspringt. So ruft also auch das Sühnebedürfnis nach dem Willensstrafrecht“.332

Meggendorfer betonte, der vorläufige Gesetzesentwurf sehe keine mildere Beurteilung der sogenannten Psychopathen333 vor, zumal die Rechtsordnung „[v]on ihnen […] [einen] stärkeren Widerstand gegen die verbrecherische Neigung“334 verlange. Mit diesen Ausführungen passte sich Meggendorfer der allgemeinen Praxis führender Rassenhygieniker in den ersten Jahren nach der Machtübernahme Hitlers an, die „ihre Elogen auf den ‚neuen Staat‘ und seine Machthaber“335 formulierten. Die zitierte Publikation Meggendorfers zum „kommende[n] deutsche[n] Strafrecht“336 von 1936 stand in zeitlichem Zusammenhang mit seiner Bemühung um den Hamburger Lehrstuhl,337 so dass er sich womöglich politisch besonders ange-

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Ebd., S. 311–312. Ders. (1934c), S. 459. Ebd., S. 457. Ders. (1936c). Ebd., S. 487. Ebd., S. 488. Siehe auch Beringer/Mezger (1939). Meggendorfer (1936c), S. 491. Weiterführend zur „Spurensuche in der Seele von Verbrechern“ siehe Nedopil/Seul (2016). 335 Weingart et al. (1992), S. 390. “Psychiatrists became one of the leading disciplines because it put the theory of racial hygiene to practice”. Vgl. Sandner (2006), S. 117, Abstract. 336 Meggendorfer (1936c). 337 Siehe hierzu Kap. 2.3.6.

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passt zeigen wollte. Dazu wurde Meggendorfer ebensowenig wie alle anderen eugenisch orientierten Psychiater gezwungen. Vielmehr könnten auch „karrierestrategische[] Träume“338 hierzu verleitet haben. In seiner Stellungnahme zum „neuen Ehegesetz vom 6. Juli 1938“339 vertrat Meggendorfer einerseits Thesen, die mit seinen eigenen konfessionellen Überzeugungen in Widerstreit gestanden haben mögen.340 Andererseits betonte er – trotz des „ohne große Reibungsverluste vollzogene[n] Abfall[s] der Politik von den Grundsätzen der Humanität, der Menschenwürde und Mitmenschlichkeit“ – 341 bezüglich der medizinischen Gesichtspunkte zum neuen Ehegesetz jedoch auch folgendes: „Aber die bloße Tatsache der Belastung, und mag die Familiensituation auch noch so sehr dafür sprechen, dass der Betroffene krankhafte Erbanlagen mitbekommen hat, genügt nicht zur Anordnung der Unfruchtbarkeitsmachung“.342

Hiermit fokussierte Meggendorfer auf die Relevanz einer differenzierten individuellen erbpsychiatrischen Begutachtungspraxis ohne Voreingenommenheit bei positiver Familienanamnese. Im Folgenden soll aus einem Ehescheidungsobergutachten Meggendorfers zitiert werden, worin wissenschaftlich unzureichend haltbare Ansichten des HuPflAArztes Dr. Murar343 als Vorgutachter Meggendorfer als Obergutachter dazu zwangen, eine klare „Kontra-Position“ zu beziehen: „Gemäß Beschluss des 3. Zivilsenates des Oberlandesgerichts in München vom 28.8.1937 erstatte ich in der Ehescheidungssache der Frau Z. E. […] ein fachärztliches Obergutachten darüber, ob die Beklagte an Schizophrenie oder an einer sonstigen Erbkrankheit leidet, evtl. ob schon zur Zeit der Eheschliessung die begründete Besorgnis bestand, dass sich aus einer vorhandenen Anlage schon dem gewöhnlichen Verlaufe der Dinge und insbesondere auf Grund der aus dem Wesen der Ehe als einer vollkommenen Lebensgemeinschaft schon an sich entspringenden Anforderungen auch ohne Hinzutreten besonders widriger Verhältnisse eine Geisteskrankheit entwickeln werde“.344

Am 08.10.1936 und am 03.02.1937 hatte der „Assistenzarzt der Kreis-Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, Herr Dr. Murar“ Gutachten zu Frau Z. erstellt.345 338 Weingart et al. (1992), S. 390. 339 Meggendorfer (1939a). 340 Siehe hierzu S. 38, Fn. 83 sowie S. 162–163. 341 Blasius (1991a), S. 267 342 Meggendorfer (1939a), S. 211. 343 Zur Rolle Murars bei der „Euthanasie“ an der HuPflA Erlangen siehe S. 581, Fn. 258. 344 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 345 Vgl. ebd. Im Gutachten des Jahres 1937„führte er aus, die Schizophrenie sei eine Erbkrankheit, die einen recessiven Erbgang gehe. Es müssten deshalb von beiden Eltern die gleichen Erbfaktoren auf das Individuum übertragen werden. So sei es bei der sogenannten klassischen Schizophrenie, die im Bereich der ersten Lebensstufen beginne, ein charakteristisches Krankheitsbild zeige und einen ebensolchen Verlauf nehme. Für diese Fälle werde eine endogene Ursache angenommen, sie fielen auch alle unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Psychiatrisch bekannt seien jedoch auch Fälle, die, rein äusserlich betrachtet, das Erscheinungsbild der Schizophrenie zeigten, jedoch nichts mit der endogen bedingten Schizophrenie zu tun hätten. Es seien dies Fälle, die z. B. auf Vergiftung oder auf Infektion beruhen. Man bezeichne

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Meggendorfers obergutachterliche Formulierungen sind am ehesten abwägend, behutsam-optimierend, nicht scharf korrigierend: „Es ist nicht leicht, das Krankheitsbild, dass Frau Z. bietet, richtig zu deuten. Das auffallendste Krankheitszeichen ist bei ihr die Initiativelosigkeit, das nahezu völlige Fehlen von Willensregungen. Man kann dieses Syndrom gewiss, wie es in den Vorgutachten geschehen ist, als Stupor bezeichnen. Es ist aber keineswegs sicher, ob es sich hier tatsächlich um ein lediglich auf psychischer Grundlage beruhendes Versagen der Willensregungen handelt. Immerhin ist es möglich, man kann ev. den Zustand als einen katatonen, d. h. schizophrenen Stupor auffassen. Es ist möglich, dass bei Frau Z. tatsächlich eine Schizophrenie vorliegt. Allerdings wäre die Erkrankung im Alter von über 53 Jahren ausserordentlich spät. Immerhin kommt, wenn auch selten, eine Erkrankung an Spätschizophrenie in diesem Alter noch vor. Vielleicht könnte man auch die psychische Erkrankung im 21. Lebensjahr als einen ersten Schub der Schizophrenie auffassen, die Erkrankung im 54. Lebensjahr dagegen als 2. Schub, der zur Verblödung führte. Bei der geringen Kenntnis über die erste Erkrankung wie auch über die Zwischenzeit, auch bei der recht symptomarmen jetzigen Erkrankung erscheint mir jedoch diese Annahme als recht gewagt und nicht genug begründet. M. E. liegt die Annehme viel näher, dass bei Frau Z. eine sogenannte präsenile Erkrankung vorliegt. Für diese Annahme spricht vielmehr als für die Annahme einer Schizophrenie das Alter zur Zeit der Erkrankung, 2 Jahre nach der Menopause, das im Vordergrund des Krankheitsbildes stehende Versagen der Willensregungen, vor allem aber die ausgesprochenen körperlichen Zeichen des vorzeitigen Seniums“.346

Meggendorfer räumte ein, die in den Vorgutachten angenommene Diagnose „Schizophrenie“ nicht ganz ausschliessen zu können, er halte sie jedoch für unwahrscheinlich. „Dagegen kann ich mich den im letzten Vorgutachten [Dr. Murars] enthaltenen Ausführungen keineswegs anschließen. Man unterscheidet wissenschaftlich nicht zwischen einer klassischen Schizophrenie und einer Spätschizophrenie. Der erstere Ausdruck ist durchaus ungebräuchlich, der letztere bezeichnet lediglich eine Schizophrenie, die im späteren Le-

sie als sogenannte Spätschizophrenie oder als Involutionsschizophrenie. Ihr Beginn falle meist in die Zeit des Klimakteriums. Für die Entstehung dieser schizophren gefärbten Bilder werde nach dem heutigen Stand der Wissenschaft eine schizoide Anlage angenommen, die durch exogene Momente, sei es durch organische Erkrankungen oder durch Reaktion ausgelöst werden. Als organische Erkrankung komme hauptsächlich eine vorzeitige Arteriosklerose in Betracht, während bei der Reaktion langdauernde ungünstige Lebenssituationen eine Rolle spielen könnten. Unter letzteren Gesichtspunkten sei nun auch die ‚Schizophrenie‘ bei der Z. zu betrachten. Es sei mit Sicherheit anzunehmen, dass arteriosklerotische Veränderungen bei der Auslösung eine Rolle gespielt haben, vielleicht auch ungünstige Lebensverhältnisse, die durch das Verlassenwerden seitens des Ehemannes, durch schlechte Behandlung usw. bedingt gewesen seien. Bei der Z. müsse mit Sicherheit angenommen werden, dass zum Zeitpunkt der Eheschliessung bereits die schizoide Anlage vorhanden war, da nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nur auf Grund solcher Anlagen eine Schizophrenie oder schizophrenieähnliche Bilder auftreten könnten. Es handle sich bei Frau Z. um eine Erkrankung, die erscheinungsbildlich durch die schizoide Anlage zum Formenkreis der Schizophrenie gezählt werden müsse, aber im Gegensatz an exogene situationsbedingte Faktoren gebunden sei und die bei der Z. zur Zeit der Eheschließung rückschauend nicht als schicksalsmäßig zu erwartende Psychose zu bezeichnen sei“. Vgl. ebd. 346 Ebd.

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bensalter zum Ausbruch gekommen ist, was ungewöhnlich ist, aber doch gelegentlich vorkommt. Bezüglich der Erbverfassung besagt entgegen den Ausführungen des Vorgutachters der Ausdruck Spätschizophrenie nichts. Es mag sein, dass ein Autor eine Hypothese in dem von dem Vorgutachter dargelegten Sinne aufgestellt hat, eine Anerkennung im weiteren wissenschaftlichen Kreise hat diese Hypothese jedoch nicht gefunden. Wenn auf das Bumke’sche Handbuch hingewiesen wird, so kann hier auf die letzte Auflage des Lehrbuches der Geisteskrankheiten von Bumke von 1936 verwiesen werden, in dem weder der Ausdruck klassische Schizophrenie, noch der Ausdruck Spätschizophrenie enthalten ist.347 Wenn man bei Frau Z. eine Schizophrenie annehmen will, eine Annahme, die aber m. E. nicht genügend gesichert ist, so nimmt man eine Erbkrankheit an. In diesem Falle bestand schon zur Zeit der Eheschliessung die begründete Besorgnis, dass [sich] aufgrund einer vorhandenen Anlage schon nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und insbesondere auf Grund der aus dem Wesen der Ehe als vollkommenen Lebensgemeinschaft schon an sich entspringenden Anforderungen auch ohne Hinzutreten besonders widriger Verhältnisse eine Geisteskrankheit entwickeln werde“.348

Meggendorfer ging von dem Vorliegen einer präsenilen oder involutiven Erkrankung aus, „eine Erkrankung, die nach unseren derzeitigen Kenntnissen nicht als Erbkrankheit und insbesondere auch nicht als Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auszusehen ist. Trotzdem liegen, wie auch ich hier betonen möchte, die Voraussetzungen des § 1569 BGB.349 in allen Punkten vor“. 350

Als wesentlicher und grundlegender Bearbeiter der psychiatrischen Erbbiologie wurde Meggendorfer neben Hans Luxenburger, Bruno Schulz (1890–1958) und Klaus Conrad (1905–1961)351 von Kretschmer in der „[f]ür Deutschland bestimmte[n] Ausgabe der FIAT Review of German Science“352 des Bandes „Naturforschung und Medizin in Deutschland. 1939–1946“353 rezensiert: „In psychiatrischer Erbbiologie ist überhaupt sehr Wesentliches und Gründliches gearbeitet (Luxenburger, Bruno Schulz, Conrad, Meggendorfer u. a.) und von Luxenburger in seinen Handbuchbeiträgen ausgewertet worden“.354

347 Vgl. Bumke (1936). 348 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 349 „§ 1569 [1. Januar 1900 –1. August 1938]. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben, auch jede Aussicht auf Wiederherstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen ist“. Vgl. http://lexetius.com/BGB/1569,6. Stand vom 09.05.2017. Kursivschrift im Original. 350 APNK/FAU, keine Aufnahmenr. 351 Hierzu empfohlen sei Ploog (1998). Siehe ferner Conrad (1958). 352 „Herausgegeben von Ernst Kretschmer. Universitäts-Nervenklinik Tübingen. Unter Mitarbeit von A. Bingel, K. Conrad, W. Ederle, K. Ernst, J. Hirschmann, G. Mall, W. Winkler“. Vgl. Kretschmer (1948a). 353 Ebd. 354 Ebd., S. 6.

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Winkler handelte Meggendorfers im Justschen Handbuch der Erbbiologie erschienenen Arbeiten zu den exogenen Psychosen355 im “FIAT Review of German Science” dahingehend ab, dass Meggendorfer die Relevanz einer erblich bedingten Veranlagung für das Auftreten von Begleitpsychosen356 betonte. Der zyklothymen Veranlagung werde von Meggendorfer eine „konservierende“, der schizothymen Veranlagung eine „destruierende“ Tendenz zuerkannt. Bei symptomatischer Epilepsie sei die oftmals zusätzliche familiäre Belastung mit genuiner Epilepsie relevant.357 In puncto Alkoholismus und Blastophthorie-Theorie358 habe „[a]uch Meggendorfer […] eine eindeutige Verschiebung des Geschlechterverhältnisses zugunsten der männlichen Nachkommen nicht bestätigen [können]“.359 Neben Winkler verwies auch Wilhelm Ederle (1901–1966)360 in seinem FIATBeitrag auf die Meggendorfersche Position in Bezug auf die Blastophthorie: „Zur Frage der Keimschädigung durch Alkoholabusus nimmt Meggendorfer eingehend, wenn auch nicht eindeutig, Stellung. Die hauptsächliche Schädigung des Alkoholabusus sieht er jedoch in einer manifestationsfördernden Wirkung auf psychische Abwegigkeiten und Begünstigung ungeeigneter Partnerwahl“.361

An dieser Stelle bietet sich ein vergleichender Blick in die aktuelle Forschungslage zu Fetalen Alkohol-Spektrum-Störungen (FASD) an. Bemerkenswert zeigt sich bei diesem Forschungssujet unter anderem das “Revival” der Lehre von körperlichen „Stigmata“ in Form von kurzer Lidspalte, verstrichenem Philtrum, schmaler Oberlippe, Mikrocephalie und Minderwuchs.362 Die Entwicklung der Elektrokonvulsionstherapie beurteilte Meggendorfer retrospektiv derart, dass „mit dem ‚Elektrokrampf‘ oder ‚Elektroschock‘, gute Erfolge zu erzielen waren“.363 Entgegen der Formulierung Leibbrands hielt es Meggendorfer für „nicht gerechtfertigt, die Behandlung mit Zwangsmaßnahmen oder Ein-

355 Vgl. Meggendorfer (1939e). 356 Interessant hierzu auch die von Fleck beschriebene Meinungsverschiedenheit zwischen Meggendorfer und Riebeling. Vgl. S. 319. 357 Vgl. Winkler (1948), S. 126–127. Weiterführend auch S. 539, Fn. 44. 358 „Forelsche[] Theorie über eine Keimzellenschädigung durch Alkoholabusus“. Vgl. Winkler (1948), S. 127. 359 Ebd., S. 128. 360 „Nach Hoffmanns Tod führte Wilhelm Ederle (1901–1966) bis 1945 die [Tübinger] Klinik und die dort eingerichtete Lazarettabteilung. Werner Villinger (1887–1961) leitete die Klinik vorübergehend 1945 und 1946 und übergab die Leitung dann an Ernst Kretschmer (1988– 1964)“. Vgl. Buchkremer/Batra (2004), S. 360. 361 Ederle (1948a), S. 22. Ederle stützte sich vorrangig auf Meggendorfer (1939f), eventuell auch auf die unter Meggendorfer entstandene Dissertation von Bauer (1940). 362 „FASD wird von Erwachsenenpsychiatern aus verschiedenen Gründen selten diagnostiziert: Faziale Dysmorphien […] verlieren sich häufig im Erwachsenenalter. Eine Alkoholvorgeschichte der leiblichen Mutter ist oft nicht sicher in Erfahrung zu bringen, Konfundierende Variablen […] sind schwer zu erfassen. Leitlinien existieren nur für das Kindes- und Jugendalter“. Vgl. Walloch et al., Kongressposter DGPPN 2015. Siehe ferner Walloch et al. (2012). 363 Meggendorfer (1952a), S. 435–436.

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schüchterungskuren vergangener Zeiten zu vergleichen oder als ‚Druckknopfmethode‘ lächerlich zu machen“.364 Meggendorfer differenzierte unterschiedliche prozentuale Remissionsanteile dreier Schizophrenie-Subtypen anhand von 530 (227 Männer und 303 Frauen) Patienten, die in seiner Klinik mit EKT behandelt worden waren.365 eine sehr

eine gute bis

gute

mäßige

Keine Remission

Bei Katatonie366

44

36

20%

Hebephrenie367

19

51

30%

8

61

31%

D368. paranoides

Abb. 60: Tabelle zur EKT-Wirksamkeit bei Schizophrenie369 364 Ebd. Zu Leibbrands Ansicht siehe S. 574. 365 Vgl. Meggendorfer (1950), S. 183. 366 Siehe hierzu weiterführend Luchini et al. (2015). Wäre die EKT als Behandlungsoption bereits 1935 verfügbar gewesen, so wäre eventuell der Krankheitsverlauf der 33jährigen katatoniform schizophren-erkrankten Buchhalterin P. S. nicht letal gewesen: „10.12.35: Es kommt immer wieder zu Zusammenstössen mit Mitpat. Und kann deshalb nur isoliert gehalten werden. Auch dort versucht sie trotz ihres schlechten Kräftezustandes immer noch plötzlich zuzuschlagen. Ist sonst vollkommen autistisch. 17.12.35: Muss seit einigen Tagen mit der Sonte [sic] gefüttert werden. Schlug heute ganz plötzlich[,] als der Dir[ektor] an ihr Bett trat, zu. 21.12.35: Verfällt immer mehr, außerordentlich stark abgemagert, nimmt noch keine Nahrung von selbst zu sich. 24.12.35: Zustand sehr schlecht, hustet auch ziemlich viel, lässt sich jedoch nicht untersuchen. 25.12.35: Unterlappenpneumonie mit Versagen des Herzens“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 226/131. Der Befund des Pathologischen Institutes der Universität Erlangen unter der Leitung von Eugen Kirch (1888–1973) ist mit folgendem Hinweis versehen: „Die Verwertung dieses Sektions-Protokolls für wissenschaftliche Veröffentlichungen, Gutachten usw. ist nur mit jeweiliger Genehmigung des Direktors des Patholog. Instituts gestattet“. Vgl. ebd. Zu Eugen Kirchs Rolle in der NS-Zeit liest man auf der zuletzt am 28.08.2016 geänderten Homepage des Pathologischen Institutes der Universität Würzburg folgende Passage: „Nach dem 2. Weltkrieg wurde Kirch 1946 im Rahmen von pauschalen Umerziehungsmaßnahmen seines akademischen Amtes enthoben. Deswegen gründete er zwei Jahre später mit einem Kollegen ein privates pathologisches Institut in Regensburg. Auch entfaltete er noch im selben Jahr erneut verschiedene Initiativen in Aus- und Fortbildung. Mitten in diesen Aktivitäten ereilte ihn 1949 ein Ruf auf den Würzburger Lehrstuhl“. Vgl. http://www.pathologie.uni-wuerzburg.de/geschichte/historische_direktoren/eugen_kirch/. Stand vom 22.05.2017. 367 „Jugendliche Form der Schizophrenie. Meist schleichender Beginn im Pubertätsalter, in seltenen Fällen schon früher […]. Die Krankheit verläuft in einem Zuge oder in wenigen Schüben in Richtung auf einen ausgeprägten Defekt mit hochgradiger Persönlichksitszerstörung. Eine besonders symptomarme Form ist die Dementia simplex. – Das Krankheitsbild wurde erstmalig 1871 von [Ewald] Hecker [1843–1909] aufgrund des klinischen Materials von Kahlbaum beschrieben und von Kraepelin als Spielform der Dementia praecox herausgestellt. Die Hebephrenie gehört in der von [Leon] Daraszkiewicz [1866 – nach 1926] endgültig beschriebenen Form weiterhin zur Schizophrenie. Abweichend von der traditionellen Beschreibung warden teilweise alle im Jugendalter ausbrechenden schizophrenen Erkrankungen als Hebephrenie bez., auch wenn ihre Symptomatik andersartig ist (z. B. bei K. Schneider)“. Vgl. Peters (2011), S. 232. Siehe ferner Daraszkiewicz (1892), Feldmann (2005), Kraam/Phillips (2012). 368 Mit „D“ gemeint: Dementia. 369 Vgl. Meggendorfer (1950), S. 183, modifizierte Darstellung.

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Meggendorfer propagierte das Verfahren der Erhaltungs-EKT zur Prophylaxe psychotischer Episoden370 und betonte 1952, dass die EKT „nicht nur bei Schizophrenie,371 sondern auch bei anderen psychischen Erkrankungen angew[endet]“372 werde. Abgesehen von der antizipierten Wirksamkeit der EKT bei therapierefraktärer Schizophrenie sollte sich die besondere Wirksamkeit der EKT auch bei affektiven Erkrankungen detektieren lassen.373 Der von Meggendorfer antizipierte Einsatz der EKT in der Neurosentherapie374 durch Ausnutzung „leichte[r] Bewusstseinstrübung, […] mangelhafte[r] Orientierung, […] gemütliche[r] Erschütterung […] erhöhte[r] Suggestibilität […] [sowie] Durchbrechung der Automatisierung“375 bei „unvollständige[m] Krampf“376 etablierte sich nicht.377 Auch wenn Meggendorfer in den 1950er Jahren das mögliche Einsatzgebiet der EKT überschätzte,378 so zeigt sich – aus heutiger Perspektive betrachtet – seine EKT-Beurteilung aus dem Jahr 1942 valide:

370 Vgl. ebd., S. 186. Siehe hierzu auch S. 574–576. 371 „Im Vergleich zu den affektiven Erkrankungen wird die EKT bei Schizophrenie in den westlichen Industrienationen deutlich seltener eingesetzt. […]. Als klinische Einflussfaktoren für ein Ansprechen auf die EKT gelten neben Wahn und Halluzination auch affektive und katatone Begleitsymptome sowie eine kurze Episodendauer. In den gängigen Therapie-Algorithmen nationaler und internationaler Leitlinien psychiatrischer Fachgesellschaften kommt der EKT als Augmentationsstrategie in der Behandlung pharmakoresistenter Schizophrenien in der Akutphase die größte Bedeutung zu. In Anbetracht der Häufigkeit therapierefraktärer Verläufe schizophrener Psychosen besteht der Bedarf an weiteren sorgfältig kontrollierten und randomisierten Therapiestudien, um die vielversprechende Behandlungsoption EKT bei Schizophrenie auf ein fundiertes Evidenzniveau zu bringen“. Vgl. Lehnhardt et al. (2012), S. 501. 372 Meggendorfer (1952a), S. 436. Nach Payk ist bei Vorliegen einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie die „Elektrokrampftherapie […] [b]ei Therapieresistenz (nach Dosissteigerung oder Wechsel des Medikamentes[…]) in Erwägung ziehen“. Vgl. Payk (2003), S. 176. Seit Neuroleptika-Einführung mit ihrer Komplikation des malignen neuroleptischen Syndroms gilt die EKT als „ultima-ratio-Therapie“. Vgl. ebd., S. 332–333. 373 Weiterführend empfohlen seien Petrides et al. (2015) und Kellner et al. (2014). 374 „Kann man bei [den endogenen Psychosen] eine innere Umstimmung des Stoffwechsels oder physikalisch-chemische Vorgänge an den Gehirnzellen annehmen, so handelt es sich hier wohl um eine kaschierte Psychotherapie im Sinne der Überrumpelung, ähnlich wie bei der Überraschungs- oder Schreckhypnose oder wie bei der Kaufmannschen Behandlung der Kriegszitterer usw. So eröffnet sich unserem Verfahren, allerdings aus prinzipiell anderen Gesichtspunkten heraus, ein neues Indikationsgebiet. Es ist wichtig, dass man sich über den Unterschied klar ist, denn ein Allheilmittel soll der EK gewiss nicht sein“. Vgl. Meggendorfer (1940e), S. 6. Sigmund Freud erstellte ein „Gutachten über die elektrische Behandlung der Kriegsneurotiker“. Vgl. Freud (1972). Zu Sigmund Freud siehe Tögel (2012). Zu den militärpsychiatrischen Therapiemethoden im Ersten Weltkrieg siehe ferner Rauh (2013). 375 Meggendorfer (1950), S. 158. 376 Ebd. 377 Die ethischen Implikationen heutiger Hirnstimulationsmethoden vergleicht Steinberg mit der Elektrotherapie um 1880: „Die ET um 1880 und heutige Hirnstimulationsverfahren, so sehr sich letzte wiederum voneinander unterscheiden, weisen Parallelen und einige ähnliche offene Fragen auf, jedoch auch wesentliche ethische Aspekte wirken im Grunde kaum verändert fort“. Vgl. Steinberg (2014), S. 885. 378 Vgl. Meggendorfer (1950), S. 158.

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„Meiner Meinung nach ist der Elektrokrampf noch weit entfernt davon, eine ideale Behandlung […] zu sein; aber er ist […] zur Zeit das Verfahren, das die meisten Aussichten auf Erfolg bietet und dabei subjektiv und objektiv für den Kranken am schonendsten ist“.379

Zum Misskredit der Elektrokonvulsionsbehandlung380 mag die Tatsache beigetragen haben, dass 1943 seitens der „T4“381 die meisten öffentlichen Heil- und Pflegeanstalten mit neuentwickelten Elektrokonvulsionsgeräten ausgestattet wurden,382 „um durch gewalttätige Therapieversuche die Zahl derer, die möglichst schnell aus

379 Meggendorfer (1942), S. 53. 380 „Nachkriegslegenden bringen Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes manchmal mit der EKT in Verbindung. Unter anderem wird diese Assoziation hervorgerufen und gefördert durch die Vieldeutigkeit des Begriffs Elektroschock, der früher synonym für die EKT verwendet wurde. Eine Reihe anderer Anwendungen von elektrischem Strom werden ebenso bezeichnet, haben aber mit der EKT inhaltlich nichts zu tun. […]. Daneben wird berichtet, dass der Arzt Emil Gelny (1890–1961), zunächst im Landeskrankenhaus Maria Gugging/Klosterneuenburg/Österreich, später Landesanstalt Mauer-Öhling/Österreich psychisch kranke Patienten mit elektrischem Strom getötet hat. […]. Ob er dabei ein umgebautes EKT-Gerät verwendete oder ein anderes Elektroschockgerät, war nicht mit Sicherheit zu klären. Tatsächlich eignet sich die EKT selbst weder als Folter- noch als Vernichtungsmethode, und es gibt keinen Hinweis für einen solchen Einsatz während des Nationalsozialismus“. Vgl. Reinke et al. (2013), S. 10. „Die Anstalt in Gugging war eines der Zentren der NS Medizin Verbrechen [sic]. Zwischen November 1940 und Mai 1941 wurden insgesamt 675 Personen in 12 Transporten aus der Anstalt nach Schloss Hartheim bei Linz gebracht und dort vergast. 116 davon waren Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis 17 Jahren. Zwischen Mai 1941 und Kriegsende ereigneten sich in der Anstalt Gugging einige der grausamsten Medizinverbrechen auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Der Haupttäter Dr. Emil Gelny ermordete mit Gift und einem umgebauten Elektroschockapparat an die vierhundert Menschen. Viele weitere Patienten der Anstalt Gugging kamen durch Hunger und Infektionskrankheiten ums Leben oder wurden in Anstalten deportiert, wo sie kaum Überlebenschancen hatten“. Vgl. http://www.memorialgugging.at/verbrechen.html. Stand vom 22.05.2017. 381 Gemeint: systematische Tötung von ca. 70.000 Patienten. Diese Zahl entspricht etwa einem Fünftel aller Patienten. „Zur Durchführung wurden 6 Tötungsanstalten mit eigenen Gasanlagen und Krematorien eingerichtet: Brandenburg, Bernburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Pirna-Sonnenstein. Für die Tötungen war bis auf die Ostgebiete die ‚Kanzlei des Führers‘ unter der Leitung von Philipp Bouhler (1899–1945) verantwortlich. Bouhler übertrug jedoch die Leitung der „Aktion-T4“ weitgehend an Viktor Brack (1904–1948). Vgl. Steger et al. (2010), S. 300. „Ab Anfang Oktober 1939 wurden über das Reichsministerium des Innern oder die vorgesetzten Provinzialbehörden die sog. Meldebögen an die Heil- und Pflegeanstalten verschickt […]. Über die Konsequenzen dieser Erfassung wurden die Klinikleitungen und Ärzte nicht informiert; es wurde lediglich auf eine kriegsnotwendige Planung hingewiesen“. Vgl. ebd. 382 Interessesant in puncto EKT-Anschaffungskosten zeigt sich Pätzolds Aktennotiz vom 06.12.1939, wo er „[…] zu bedenken [gibt], dass der Apparat, so wertvoll und neuartig er auch für die Psychiatrie sein mag, mit sehr einfachen Mitteln und für einen niedrigen Listenpreis gebaut werden kann und deshalb keine hohen Lizenzgebühren verträgt. In der Zwischenzeit sind wir gezwungen, bei wichtigen Kunden die Apparate leihweise aufzustellen, auch dann, wenn die betreffende Stelle ihn kaufen will. Dieser Fall liegt bereits bei einer Heil- und Pflegeanstalt aus dem Geschäftsstellenbezirk München vor“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte.

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der psychischen Ausnahmesituation in die Arbeitsfähigkeit zurückgeschockt werden sollten, zu erhöhen“.383 Nach Götz Aly hinterließ die Aktivierung der Behandlungsformen unter Inkaufnahme von therapeutischer Gewalttätigkeit384 über 1945 hinausreichend tiefe Spuren in der deutschen Psychiatrie.385 Nach Gerrit Hohendorf lässt sich bei „knapp 3.000 der etwa 30.000 erhalten gebliebenen Krankenakten der insgesamt 70.000 Opfer der ‚Aktion T4‘“386 nachweisen, welch entscheidende Rolle „‚Schocktherapien‘387 auch ganz konkret bei der Selektion der Opfer der NS‚Euthanasie‘“388 zukam – um es mit Schmuhl und Roelcke zu formulieren. Ein – trotz Einsatz der neuen Heilverfahren – unzureichend gebesserter psychischer Gesundheitszustand schien den Gutachtern ein ausschlaggebender Grund zur „Euthanasie“ gewesen zu sein.389 Aktuell wird an ungefähr 50% der deutschen psychiatrischen Kliniken die Elektroschocktherapie „stark modifiziert – unter Narkose390 und mit schonender Stimulation – unter der Bezeichnung Elektrokonvulsionstherapie […] durchgeführt“.391 Obgleich erfolgversprechend bei Depressionen sowie schizophrenen Psychosen hat sie weiterhin „mit der Stigmatisierung aus den heroischen Anfangszeiten zu kämpfen“.392 Es mag an dieser Stelle auf die gemeinsame Stellungnahme der deutschen, italienischen, österreichischen und schweizerischen Psychiatrischen 383 Aly (1987b), S. 159. 384 „Durch die Verdrängung aber werden, wie uns die Träume weiterhin belehren, diese, durch die Shocktherapien auch im heutigen Psychiater noch immer intensiv aktivierten aggressiven Impulse für ihn selbst um so gefährlicher. Er läuft jetzt stets Gefahr, dass sich diese Tendenzen auf ihn selbst zurückwenden […]. Nichts hätte uns besser bestätigen können, scheint mir, als die große psychische Erleichterung, die diese plötzliche Einsicht in den Shocktraum [sic] dem Kollegen brachte […], dass gelegentliche Selbstbesinnung als Selbsttherapie der Shocktherapeuten [sic] tatsächlich von unverkennbarem Nutzen sein kann“. Vgl. Boss (1941), S. 782. 385 Vgl. Aly (1987b), S. 159. 386 Hohendorf (2013), S. 296. Siehe ferner Hohendorf et al. (2006) und Aas (2008). 387 Weiterführend auch Rzesnitzek (2014). 388 Schmuhl/Roelcke (2013b), S. 28. 389 Vgl. hierzu Hohendorf (2013). 390 Ein Schreiben Pätzolds an Meggendorfer vom 12.03.1941 gibt Hinweis auf eine Kooperation Meggendorfers mit den SRW in Bezug auf Elektronarkoseversuche: „Bezüglich Ihrer Fragestellung nach dem Tonfrequenzgerät für die weiteren Elektronarkoseversuche kann ich ihnen heute erfreulicherweise mitteilen, dass die Versuchsschaltung inzwischen nahezu fertig gestellt worden ist. Wie Sie sich selbst überzeugen werden, war im Gegensatz zu unserer ersten Vermutung doch ein ziemlicher Aufwand an Mitteln und Messungen notwendig, um zu einem Universalgerät für die weiteren Untersuchungen zu kommen. Wir hoffen das Gerät schon in der nächsten Woche bei Ihnen aufstellen und in Betrieb nehmen zu können“. Vgl. MedarchivSiemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. Weiterführend zur Elektronarkose: „Elektronarkose, Elektroanästhesie, electronarcosis, Allgemeinnarkose (Narkose) mit Hilfe von elektrischen Strömen, die über Schädelelektroden durch das Gehirn geleitet werden. Die Methode wird wegen erheblicher Nebenwirkungen (Krämpfe, Koma, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen) selten und nur in wenigen spezialisierten Zentren angewendet“. Vgl. http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/elektronarkose/3339. Stand vom 18.07.2017. 391 Jachertz (2012), S. A 1870. 392 Ebd.

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Fachgesellschaften vom 07.06.2012 hingewiesen sein, wonach „auf die wissenschaftliche Evidenz und die bestehenden Empfehlungen aufmerksam“393 gemacht wird. Die vier Fachgesellschaften plädieren für einen „rechtzeitigen und adäquaten Einsatz der EKT“.394 Nach Grözinger et al. habe die EKT in den vergangenen 25 Jahren erneut an Bedeutung gewonnen – trotz kontinuierlicher Anfeindung und relevanten Erfolgen von Psychotherapie und Pharmakotherapie, trotz begrenzten finanziellen Interessen der Industrie395 und trotz der aufwändigen Koordination mit der Anästhesie. Den alleinigen Grund hierfür sehen Grözinger et al. in ihrer herausragenden klinischen Wirksamkeit. In der Öffentlichkeit sei der Begriff Elektrokampftherapie noch unverrückbar assoziiert mit dem Film „Einer flog übers Kuckucknest“, der medienwirksam 1975 den krampfenden Jack Nicholson zeigte, obwohl „bereits 1953 die Zeitschrift ‚Der Nervenarzt‘ über mit dem Muskelrelaxans Suxamethonium modifizierte EKT berichtet“396 hatte. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Stellungnahme der europäischen psychiatrischen Fachgesellschaften zugunsten der Elektrokonvulsion397 sowie der guten Studienlage für deren indikationsgezielten Einsatz398 muss auch der aktuell ausgestrahlte Fernsehfilm „In der Haut des Anderen“399 als ethisch fragwürdig400 erscheinen. Der 40jährige erfolgreiche Pianist Philippe Kessler erkrankt im Kontext von familiären und beruflichen Stressoren an einer akuten psychotischen Störung mit Halluzinationen und Wahnerleben. Schließlich erhält Philippe Elektrokonvulsionstherapie durch Dr. Giraud. Während der Behandlung „stellen sich […] alar-

393 http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_medien/download/pdf/ stellungnahmen/ 2012 /stn-2012-06-07-elektrokonvulsionstherapie.pdf. Stand vom 02.05.2015. 394 Ebd. 395 „Bekanntlich nahm die psychopharmakotherapeutische Richtung in der allgemeinen psychiatrischen Forschung immer mehr Raum ein, und inzwischen hat die Pharmaindustrie unter Mitwirkung zahlreicher Fachkollegen (unter ihnen Hans-Hermann Meyer, [Hans] Hippius, [Dieter] Bente [1921–1983] und Heinrich) differenzierte Medikamente entwickelt, die in der Therapie der Psychosen unentbehrlich geworden sind. Darunter wurde vielfach vergessen, dass auch die Elektrokrampfbehandlung (EKT= Elektro-Krampf-Therapie) bei richtiger Indikationsstellung segensreich und gar nicht so selten schneller und wirksamer als eine wochenlange medikamentöse Behandlung sein konnte. Dieses ‚Sowohl- als auch‘ statt des ‚Entweder-oder‘ war der Nürnberger Klinik schon deswegen eine Selbstverständlichkeit, weil sie nach wie vor in der Tradition des Autors der Monographie über die EKT stand, eben Walther [sic] von Baeyers, meines Vorgängers“. Vgl. Bronisch (1987), S. 35. Siehe ferner Baeyer (1951). Weiterführend zur Pionierstellung der Hochschulpsychiatrie Erlangen in der Etablierung der Psychopharmakotherapie sei verwiesen auf Bleich et al. (2006). 396 Grözinger et al. (2013), Vorwort, S. V. 397 Vgl. http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/_ medien/download/pdf/stellung-nahmen/ 2012/stn-2012-06-07-elektrokonvu-lsionstherapie.pdf. Stand vom 02.05.2015. 398 Vgl. hierzu auch Petrides et al. (2015) und Kellner et al. (2014). 399 Erstausstrahlung 28.05.2015, 21.45 Uhr auf Arte. 400 Weiterführend siehe Maio (2005) und Stehling (2014).

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mierende Nebenwirkungen ein: [e]r hört auf zu essen, wird schwach und hat Visionen des Erlebten“.401 Dr. Giraud pausiert die EKT.402 Ein psychiatrischer Mitpatient verschafft sich Zugang zum EKT-Behandlungszimmer, zerrt Philippe mit sich, presst diesem die EKT-Elektroden ungezielt auf den Schädel und appliziert bei vollem Bewusstsein Philippes einen Stromstoß. Sah sich der Zuschauer bereits bei den regulären EKT-Sitzungen unter der Leitung von Dr. Giraud hineinversetzt in ein albtraumartig-suggestives Erleben Philippes,403 so wird er nun Zeuge einer Art „Horrortrip“. Eine solche filmische Darstellung zielt darauf ab, den Zuschauer in einem Antipsychiatrie-404 konformen Sinne zu prägen. Sie potenziert die ohnehin bestehenden Vorbehalte der Laienbevölkerung405 gegenüber der EKT. Dass sich ein Psychiatriepatient Zugang zu den Stimulationsräumen verschafft und dort einen Mitpatienten malträtiert, wie „[i]n der Haut des Anderen“ plastisch in Szene gesetzt, kann nicht mehr als künstlerische Freiheit des Filmproduzenten angesehen werden.

401 http://www.prisma.de/tv-programm/In-der-Haut-des-Anderen,4296835. Stand vom 21.06.2015. 402 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/medien/in-der-haut-der[sic]-anderen-auf-arte-des-teufels-pianist-1.2496729 und Vgl. http://www.fr-online.de/tv-kritik/-in-der-haut-des-anderen---arteein-pianist-spielt-falsch,1473344,30806004.htmlgl. Stand jeweils vom 21.06.2015. 403 „Was findet sich an unmittelbaren Aufwachphänomenen? Fragen wir die Kranken später, so wissen sie nur wenig zu berichten, weil das meiste vergessen wurde. Beobachten wir aber systematisch, so stoßen wir auf zahlreiche Erlebnisse, die nur durch unmittelbare Exploration der Patienten in den ersten Stunden nach dem Schock zu erfahren sind. In dieser Zeit befinden sich viele in einem Dämmerzustand. Sie können in mancher Hinsicht folgerichtig denken und handeln, aber ohne Einordnung ihres Erlebens in Erinnerung und Zusammenhänge. Ähnliche Beobachtungen machte Bersot (1943) bei einem Selbstversuch mit Elektroschock“. Vgl. Schildge (1947), S. 193. „Bei der Schilderung dieser Erlebnisinhalte fiel immer wieder die Ähnlichkeit der von den Kranken gebrauchten Begriffe mit manchen Termini der Heidegger’schen Existenzialphilosophie auf. Dieser Zusammenhang dürfte nicht ohne tiefere Bedeutung sein. Wie bereits Jung (1947) besprochen hat, fehlt unmittelbar nach dem Schock das ‚In-der-Welt-sein‘, das sonst für das menschliche Dasein philosophisch gefordert wird“. Vgl. ebd. S. 194. Als „Grundriss Heidegger“ sei empfohlen Vetter (2014). Siehe ferner Bersot (1943) und Jung (1947). 404 „1. Durch R. Laing und D. Cooper ca. 1960 begründete Bewegung, die sich in erster Linie gegen die biologische Ursachentheorie der Schizophrenie in der klassischen Psychiatrie wendet und daraus Folgerungen ableitet. Der Beginn ist mit Laings Buch ʻThe divided Selfʼ (1959, dt. ‚Das geteilte Selbst‘, 1972) anzusetzen. Zentrale Gedanken: Schizophrenie gebe es nicht. Was so heiße, sei eine Auswirkung von Gesellschaft und Familie (Doppelbindung) zur Beherrschung eines Individuums. Eine Behandlung sei somit nicht möglich oder nötig. Es genüge, Institutionen zu schaffen, in denen den ‚Kranken‘ Gelegenheit gegeben wird, ihre Reise durch den Wahnsinn zu tun. Die erste zu diesem Zweck gegründete Anstalt war Kingsley Hall. 2. Der sich ebenfalls gegen die vorhandenen psychiatrischen Krankenhäuser wendende Antiinstitutionalismus Basaglias, der in die demokratische Psychiatrie ausmündet“. Vgl. Peters (2011), S. 42. Siehe ferner Bopp (1980) und Laing (1983). Zu Basaglia siehe S. 607. 405 „Bei sachgerechter Durchführung wird die Sicherheit der Behandlungsmethode als hoch angesehen. Dennoch gilt die EKT heute häufig lediglich als Ultima ratio bei schweren Depressionen mit Therapieresistenz. Dies beruht insbesondere auf der negativen Reputation dieser Behandlungsform in der Bevölkerung und der Laienvorstellung, dass durch die EKT schwere irreversible Schäden ausgelöst würden“. Vgl. Berger et al. (2009), S. 556.

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In grober Verkennung standardisierter klinikinterner Sicherheitsvorkehrungen provoziert diese „Mini-Serie, die […] Elemente des Psycho- und Fantasy-Thrillers mischt“,406 in der Allgemeinbevölkerung massive Ängste vor psychiatrischen Einrichtungen. Dies kann dazu führen, dass sich eine adäquate Therapie der psychischen Erkrankung unverhältnismäßig lange verzögert. Eine aktuelle interdisziplinäre Fachtagung407 zum Thema Suizid im Spielfilm schlussfolgert kritisch: „[m]edizinische Hilfe in Form von klinisch-psychiatrischen Therapieangeboten […] [werde in den untersuchten Filmen] [als] erfolglos oder sogar hinderlich“408 dargestellt. Dieses bedenkliche Résumé gilt in ähnlicher Weise für das Thema Psychose im Spielfilm, wie anhand von „In der Haut des Anderen“ dargestellt. Aus psychiatrieethischer Sicht sollte der Film409 „In der Haut des Anderen“ vor einer weiteren Ausstrahlung mit Untertiteln versehen werden, welche bei den entsprechenden martialischen EKT-Szenen auf die aktuelle gute Studienlage zur EKT verweisen.410 Diese negative Reputation der EKT zeigt sich mitunter verschuldet durch eine polemisierende, pseudowissenschaftliche Darstellung in der Laienpresse. Ein aktuelles Informationsmagazin des Fördervereins „Gesundheitszentrum Kelkheim“ präsentiert falsche Indikationsgebiete der EKT im Kontext der Suggestion fragwürdiger Analogien.411 In einem Beitrag zum Thema EKT wird in dem erwähnten Informationsmagazin zur Illustration der „Bergonische Stuhl“412 angeführt. Nach Aussage der laienwirksamen Gesundheitsbroschüre sei auf dem abgebildeten Bergonischen Stuhl „in

406 http://presse.arte.tv/apios/press_release/1469.pdf. Stand vom 21.06.2015. 407 Unter der Beteiligung der AG „Medizinethik im Film“ der Akademie für Ethik in der Medizin (AEM)/Göttingen bei einem Treffen an der Universität Frankfurt a. M. 408 Klinkhammer (2015), S. B 785. 409 Weiterführend auch Wulff (1985). 410 Vgl. hierzu Petrides et al. (2015) und Kellner et al. (2014). „Die immer wieder gezielt in die Öffentlichkeit getragene Darstellung der Elektrokrampftherapie als veraltete, überholte oder gar inhumane und grausame Behandlungsmethode ist falsch und beruht weitgehend auf einer mangelhaften Information. Ein Verzicht auf die EKT würde eine ethisch nicht vertretbare Einschränkung des Rechtes von häufig suizidal gefährdeten, schwerstkranken Patienten auf bestmögliche Behandlung bedeuten, zumal die EKT von den Patienten retrospektiv gut bis sehr gut beurteilt wird“. Vgl. Hoppe/Scriba (2003), S. 141. 411 „In Deutschland erfolgte die erste Behandlung Ende 1939 durch Friedrich Meggendorfer in Erlangen. Die Anwendung von Strom am menschlichen Körper fand ihren spektakulären Einzug in die Fantasie der Menschen durch den Horrorfilmklassiker ‚Frankenstein‘ im Jahr 1931. Hier wurde nach Motiven des Romans von Mary Shelley die Erschaffung eines Monsters aus Leichenteilen des experimentierfreudigen jungen Mediziner[s] Dr. Frankenstein dargestellt. Zum Leben erweckt wurde das Monster – unvergesslich dargestellt von Boris Karloff – durch einen Blitzschlag, also einen massiven Stromstoß“. Vgl. „Von Dr. Frankenstein zur modernen Medizin und zurück“_ Informationsmagazin des Fördervereins Gesundheitszentrum Kelkheim e.V. In: http://www.gz-kelkheim.de/dl/ gizs.file/Z1gHkYV52r.pdf. Stand vom 11.10.2015. Siehe ferner Shelley (1818). 412 http://commons. Wikipedia.org/wiki/File: Bergonic_chair.jpg. zit. n. http://www.gz-kelkheim.de/dl/gizs.file/Z1gHkYV52r.pdf. Stand vom 11.10.2015. „Der Bergoniéstuhl ist ein Lehnstuhl mit 2 Metallelektroden für die beiden Rücken- und Gesäßseiten. Die Elektroden sind

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den 1930er und 1940er Jahren [die] Elektroschocktherapie zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen durchgeführt“413 worden. Das Informationsmagazin führt weiter aus, die EKT „könnte auch genützt [sic] werden, um gezielt Erinnerungen auszulöschen oder abzuschwächen – damit bietet sie ggf. eine Möglichkeit, Patienten mit schweren posttraumatischen Belastungsstörungen zu helfen“.414

Weder der Einsatz des Bergonischen Stuhls im Rahmen der EKT noch die EKTAnwendung bei der Posttraumatischen Belastungsstörung sind validierbar.415 Es lässt sich diesbezüglich kein Schrifttum finden, auch in der “Scientific community” wird eine EKT-Anwendung bei der PTBS – soweit der Verfasserin bekannt – nicht diskutiert. Als unerwünschte Nebenwirkung der EKT können – bei misslich gewählten Stimulationsparametern – persistierende retrograde Gedächtnisstörungen416 sowie unpersönliche und autobiographische Gedächtnisdefizite auftreten.417

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mit feuchtem Stoff bedeckt. Durch eine besondere Vorrichtung werden kurzdauernde rhythmische Ströme in verschiedene Richtungen durch den Körper geschickt. Man kann den galvanischen und den faradischen Strom kombinieren. Diese Anwendung empfiehlt sich beispielsweise bei Nervenlähmungen, wenn neben Muskelteilen, die nur galvanisch erregbar sind, solche vorhanden sind, die auch auf faradischen Strom ansprechen. Vor allem wird man den Strom in regelmäßiger Folge an- und abschwellen lassen. Nach einer Ruhepause läuft die nächste derartige Welle an. Diese Schwellstrombehandlung erlaubt elektrotherapeutische Übungen, die in mancher Hinsicht der einfachen Galvanisation und Faradisation überlegen sind, da die Reizverhältnisse den natürlichen Bedingungen im Organismus ähnlicher sind. Es gibt verschiedene Apparatetypen auf dieser Grundlage: Gymnostat (Siemens-Reiniger), Neurostat (Scillo), Myomotor, Undulator, Tonisator usw“. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 52. „Von Dr. Frankenstein zur modernen Medizin und zurück“_ Informationsmagazin des Fördervereins Gesundheitszentrum Kelkheim e.V. In: http://www.gz-kelkheim.de/ dl/gizs.file/ Z1gHkYV52r.pdf. Stand vom 11.10.2015. Ebd. Gegebenenfalls handelt es sich hierbei um eine Verwechslung/Falschschreibung von EKT anstelle von EMDR: „gut belegt [bei der PTBS] ist die […] EMDR-Methode (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)“. Vgl. Scheel et al. (2010), S. 163. „Electroconvulsive therapy (ECT) is effective in the treatment of treatment-resistent major depression. The fear of cognitive impairment after ECT often deters patients from choosing this treatment option. […]. We found that cognitive performance measures exhibited good reproducibility in individual patients and that ECT did not significantly alter cognitive performance up to 2 hours after this therapy was applied. Our results can help patients and physicians make decisions regarding the administration of ECT. Digital measurements are recommended, especially when screening for the most common side effects on cognitive performance and short-term memory“. Vgl. Müller et al. (2017), Abstract. “It is inaccurate and inadvisable to continue to deny that ECT can exert long-term, adverse affects in this domain”. Vgl. Sackeim (2014), Abstract. „Die Wirksamkeit der EKT kann jedoch als hoch eingestuft werden […]. Bei Depressiven mit psychotischen Symptomen erwies sich die EKT gegenüber medikamentöser Therapie als überlegen, sodass in diesen Fällen ein früher Einsatz der EKT erwogen werden sollte […] Schwere Suizidalität etwa bei psychotischen Patienten und stuporöse Zustände können den Einsatz der Elektrokonvulsionstherapie zwingend machen. […]. Die Elektrokonvulsionstherapie wird in einer Kurzzeit-Vollnarkose mit Muskelrelaxation durchgeführt […]. Bezüglich der Stimulationsparameter der EKT liegt eine erhebliche Variationsbreite vor: Je nach Kombination der Stimulationsparameter wird zum

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Diese Komplikationen können jedoch nicht als PTBS-heilsame positive Begleiterscheinung418 therapeutisch genutzt werden. Die als EKT-Komplikation entstandenen Gedächtnisdefizite419 umfassen schließlich nicht ausgestanzt die belastenden PTBS-relevanten Inhalte. Die Bebilderung des zitierten laienpublikumswirksamen Beitrags des Kelkheimer Gesundheitsmagazins steht in irritierendem Kontrast zur im Vorfeld angeführten Stellungnahme der Bundesärztekammer. Das Wirkpotenzial des elektrischen Stuhles macht es dem Leser nahezu unmöglich, eine unvoreingenommene neutrale Position hinsichtlich der EKT420 zu entwickeln oder zu behalten. Zu einem inadäquaten, von Angst und Grauen geprägtem Laienbild421 zur Elektrokonvulsionstherapie trägt auch die 2013 an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln eingereichte und 2014 veröffentlichte Dissertation des dramaturgisch tätigen Nichtmediziners Markus Hedrich bei. Seine Arbeit mit dem Titel

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einen die Wirksamkeit, zum anderen die Verträglichkeit beeinflusst. […]. In der Regel werden 9–12 Elektrokonvulsionstherapien in Abständen von 2–3 Tagen durchgeführt […] Die Zusammenschau der Studienergebnisse legt insgesamt nahe, dass retrograde Gedächtnisstörungen – insb. unpersönliche und autobiographische Gedächtnisdefizite – als die entscheidenden, möglicherweise persistierenden kognitiven Nebenwirkungen der EKT anzusehen sind, die allerdings bei Anwendung optimaler Stimulationsparameter kontrollierbar erscheinen. Als weitere Nebenwirkungen können Kopfschmerzen, Muskelschmerzen oder Übelkeit auftreten, was mit entsprechenden Medikamenten behoben werden kann. Entgegen der weit verbreiteten Befürchtung kommt es nicht zu strukturellen Hirnveränderungen. […]. Das Risiko eines Rückfalls nach erfolgreichem Abschluss einer EKT-Serie ist insbesondere in den ersten Monaten nach ihrer Beendigung hoch, weshalb zunehmend die EKT auch als Erhaltungstherapie eingesetzt wird“. Vgl. Berger et al. (2009), S. 556–557. Die Position von Baeyers zeigt sich bemerkenswert: „Gerade beim Elektrokrampf ist man sich wohl weitgehend darüber einig, dass der heilsame Schock gerade kein seelischer Schock, keine seelisch-reaktive Erschütterung ist, sondern in die körperlichen Grundvorgänge des seelischen Geschehens irgendwie somatisch eingreift. Psychiatrische Heilverfahren können einen Anstoss für die psychiatrische Forschung liefern und dem vielbeackerten diagnostisch-deskriptiven Feld unserer Disziplin ein fruchtbares Arbeitsfeld hinzufügen“. Vgl. Baeyer (1947), S. 181. Einschränkend muss angeführt werden, dass aktuell biologische Konzepte zur PTBS-Genese den psychodynamischen Ansatz zurückdrängen. Siehe hierzu fortführend Nunhöfer (1947). Die Bezeichnung Elektroschock „sollte wegen ihres angstsuggerierenden Klanges gemieden werden und durch ,elektrische Durchflutung‘ ersetzt werden“, Vgl. Peters (2011), S. 157. Unter „mitigierter“ EKT versteht man die „[d]urch Verabreichung von muskelerschlaffenden Mitteln in der Heftigkeit der Muskelbewegungen abgemilderte Elektrokonvulsionsbehandlung. Auf diese Weise lassen sich zum großen Teil die beim unabgeschwächten Heilkrampf möglicherweise auftretenden Muskelzerrungen oder Knochenbrüche vermeiden“. Vgl. ebd. Mit „regressiver“ EKT bezeichnet man eine „Form der Elektrokrampfbehandlung, bei der nach Auslösung eines therapeutischen Krampfes durch eine geringere Stromstärke ein schlafänhlicher Zustand aufrechterhalten wird“. Vgl. ebd., S. 156. „Eine moderne Elektrokrampftherapie in ihrer heute angewandten Form d. h. unter Anästhesie und Muskelrelaxation ist nicht nur sehr wirksam (akute Ansprechrate 80%), sondern auch risikoarm und hat relativ wenige unerwünschte Wirkungen. Ihr Einsatz ist vornehmlich durch angsteinflößende Vorurteile limitiert“. Vgl. Schläpfer et al. (2011), S. 68.

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„Medizinische Gewalt. Elektrotherapie,422 elektrischer Stuhl423 und psychiatrische ‚Elektroschocktherapie‘424 in den USA, 1890–1950“425 zielt darauf ab, „tiefe Einblicke in die Dialektik von staatlicher Gewalt und Individuum – und damit in die 422 Während Meggendorfer bei der Pansen-Methode sowie bei der EKT eine larvierte Suggestion als Heilmethode nicht ausschloss, – Meggendorfer behandelt in seinem Lehrbuch „[d]ie Elektrokrampfbehandlung [nicht bei den elektrotherapeutischen Verfahren, sondern] […] bei der Umstimmungstherapie“. Vgl. Meggendorfer (1950), S. 58. – ging er bei „den im folgenden besprochenen Behandlungsformen […] davon aus[…], dass der Elektrizität selbst ein unmittelbarer, wirklicher Heilwert zukommt. Die Anwendung setzt aber die genaue Kenntnis der Wirkung der einzelnen Behandlungsformen, wie des jeweils einzuschlagenden Verfahrens, der Indikation und der Grenzen ihrer Wirksamkeit voraus. Zunächst wird die Elektrotherapie mit dem galvanischen Strome durchgeführt. Die Anode hat eine beruhigende, schmerzstillende, die Kathode dagegen eine vorwiegend anregende und reizende Wirkung. Man wird deshalb die Galvanisation mit der Anode vorwiegend bei Erscheinungen vonseiten der sensiblen Nerven anwenden, also bei Neuritiden und Neuralgien, ferner bei Myalgien. Man führt vor allem eine stabile Galvanisation durch […]. Zur Behandlung von peripheren motorischen Lähmungen verwendet man ebenfalls den galvanischen Strom“. Vgl. ebd., S. 49. „Man setzt […] [die Elektrode] an verschiedenen Stellen des gelähmten Muskels auf und schließt und öffnet in rhythmischer Folge den Strom, wendet dabei so starke Ströme an, dass deutliche, wenn auch langsame, wurmartige Zuckungen auftreten. Man beginnt mit dieser Behandlung so früh als möglich, damit der Muskel seine Kontraktionsfähigkeit und Elastizität behält, gehörig durchblutet wird und möglichst wenig Substanz verliert. Die Behandlung muss sehr lange fortgeführt werden, auch nach der Nervennaht. In gleicher Weise wird die Muskulatur bei schlaffen spinalen Lähmungen, also vor allem nach Poliomyelitis anterior, behandelt. […]. Der faradische Strom kann bei leichteren oder in Rückbildung befindlichen Nervenlähmungen, […] angewendet werden, ferner zur Bekämpfung der oft lästigen Paraesthesien, zur Ableitung von Schmerzen und bei Schwächezuständen der Vasomotoren. In den letzteren Fällen sucht man durch stärkere Ströme und Verwendung einer Metallpinsel- oder Bürstenelektrode einen kräftigenden Hautreiz zu setzen. Eine solche Faradisation wirkt tonisierend und anregend und ist deshalb angezeigt bei schlaffen Neuropathen und Reconvaleszenten“. Vgl. ebd., S. 50. „Bei frischen zentralen Lähmungen, etwa bei Apoplexie, Embolie und Thrombose der Hirnarterien und akuten Hirnentzündungen ist eine Elektrobehandlung kontraindiziert. Erst nach Abklingen der akuten Erscheinungen kann man eine milde Galvanisation oder Faradisation zur Bekämpfung der Inaktivitätsatrophie durchführen“. Vgl. ebd., S. 51. Unter Franklinisation versteht man, so Meggendorfer, „die therapeutische Einwirkung von Elektrizität, die durch die Influenzmaschine geliefert wird. Der Kranke steht vor dem Apparat unter einer etwa 5–8 cm entfernten schalenförmigen Elektrode, von der aus bei Inbetriebsetzung des Apparates der ‚elektrische Wind‘ auf den Kopf ausstrahlt. Man kann so auch andere Körperteile bestrahlen. Diese Anwendung ist angezeigt bei nervösen Kopfschmerzen, Neuralgien, Paraesthesien und lässt sich auch gut mit therapeutischer Suggestion verbinden“. Vgl. ebd., S. 53. Unter den elektrotherapeutischen Methoden führte Meggendorfer auch „[d]ie hochfrequenten Wechselströme, sog. Teslaströme [an, welche] […] von dem französischen Physiologen [Jacques-Arsène] d’ Arsonval [1851–1940] in die Therapie eingeführt [wurden]. […]. Die allgemeine Arsonvalisation wirkt beruhigend und blutdrucksenkend; sie ist besonders bei essentieller Hypertonie, bei beginnender Arteriosklerose und organischer Schlaflosigkeit angezeigt“. Vgl. ebd. Als Indikationen der Kurzwellenbehandlung auf neurologischem Gebiete erwähnte Meggendorfer „zunächst […] [die] angiospastischen Zustände[] wie intermittierende[s] Hinken, Raynaudsche[] Krankheit, funktionelle[] Angina pectoris. Ein grosses Anwendungsgebiet sind sodann die rheumatischen und neuralgischen Zustände verschiedener Art. […]. Die periphere Facialislähmung reagiert meist gut auf die Kurzwellentherapie. Weiterhin wird über gute Erfolge der Kurwellenbehandlung bei Chorea minor,

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,conditio humana‘“426 zu geben. Hedrichs Interpretation einer Wortwahl Max Müllers muss als willkürlich gelten und zeigt sich unzureichend bedacht auf psychiatrieethische Implikationen: „Folglich bedienten sich die Psychiater diverser ausgefeilter Euphemismen, um die disziplinierende Wirkung der [Elektroshocktherapie [sic] (EST)] zu umschreiben. Wohl am geschicktesten hat sich hier Max Müller aus Münsingen427 ausgedrückt. Der bezüglich der Schocktherapien von den ‚psychodynamischen Aspekte[n] der körperlichen Behandlung‘ sprach; eine meisterhafte Chiffre, die ohne jeden Hinweis auf die produzierten ‚Missempfindungen‘ (v. Braun-

bei Poliomyelitis im subakuten und ersten chronischen Stadium, auch bei Tabes und bei chronischer Encephalitis epidemica berichtet. Bei Multipler Sklerose empfiehlt es sich, nur ganz leichte Temperaturen von ½ bis 1-stündiger Dauer anzuwenden, dagegen werden bei der Paralyse kräftige Temperatursteigerungen bis 41° durch acht Stunden hindurch angewendet“. Vgl. ebd., S. 55–56. Neben der Wärmeerzeugung beim Ultraschall vermutete Meggendorfer „wahrscheinlich auch noch um andere Vorgänge, wie feine Zerreißungen von Gewebe, Entzug von Lösungen, chemische Prozesse. Man kann sich vorstellen, dass bei geeigneter Dosierung eine Art Mikromassage in der Tiefe, eine Anregung der Stoffwechselvorgänge unter Wärmeentwicklung und Auflockerung der Gewebe stattfindet. […]. Die Siemens-Reinigerwerke haben einen transportablen Ultaschallwellenerzeuger hergestellt. Es lassen sich damit ausgezeichnete Erfolge bei Neuralgien, besonders bei Ischias, erzielen“. Vgl. ebd., S. 57. Es sei zudem verwiesen auf folgende Geräte-Abbildungen: „Pantostat“ (Siemens-Reiniger). Vgl. ebd., S. 50, „Vierzellenbad“ (Siemens-Reiniger). Vgl. ebd., S. 51, „Gymnostat“ (Siemens-Reiniger) Vgl. ebd., S. 52, Kurzwellenapparat „Ultratherm“ (Siemens-Reiniger). Vgl. ebd. Kurzwellenbehandlung mit „Schliephake-Elektroden“. Vgl. ebd., S. 56. Ultraschallgerät (Siemens-Reiniger). Vgl. ebd., S. 57. 423 „So eine Erschießung sei zwar eine fiese Sache, zitiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung einen Richter. ‚Aber wenn wir mit Hinrichtungen fortfahren wollen, sollten wir uns nicht von der Realität abschirmen, dass wir menschliches Blut vergießen‘. Gemessen an der Zahl der Hinrichtungen liegen die USA auf Platz fünf hinter China, Iran, Saudi-Arabien und Irak, schreibt Amnesty International“. Vgl. Korzilius (2015), S. B 553. 424 „Die moderne Elektrotherapie [ET] wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts nach der Entdeckung des Elektromagnetismus (Farady) möglich. […]. In der Psychiatrie spielte jedoch die Elektrizität erst sehr viel später und dann in anderer Form eine Rolle, nämlich als Elektrokrampfbehandlung. Faradisieren wurde lediglich eine Zeit lang in begrenztem Umfang angewendet, etwa bei den Kriegsneurosen“. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 432–433. „In ihrer Absolutheit bedarf indes auch Schotts und Tölles Einschätzung, dass die Elektrizität erst als EKT in der Psychiatrie eine Rolle spielte, vorher hinter den Anstaltsmauern praktisch nicht elektrisiert worden sei, einer Korrektur. Denn durchaus auch an mehreren ‚Versorgungsanstalten‘ und nicht nur an akademischen Krankenhäusern, wie ja schon Roelcke feststellte, fand die ET Eingang ins Therapierepertoire“. Vgl. Steinberg (2014), S. 874. 425 Hedrich (2014). 426 Ebd., Klappentext. Siehe ferner: http://www.markus-hedrich.de/vita/. Stand vom 4.11.2016. 427 „Münsingen wurde auch insofern zur Drehscheibe dieser somatischen Behandlungen, insbesondere der Schizophrenien, als M. Müller immer wieder Psychiater, die aus politischen Gründen oder als Juden Deutschland verlassen mussten, in seinen Arbeitskreis aufnahm, bevor sie in andere Länder emigrierten und dort die Insulinbehandlung und die Elektrokrampftherapie bekannt machten“. Vgl. Schott/Tölle (2006), S. 474.

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer mühl) auskam und doch jedem, der genau zu lesen vermochte, die aus den Elektroschocks resultierende Unterwerfung als einen aus einer Körperstrafe resultierenden ‚psychodynamischen‘ Effekt erklärte“.428

Die EKT-Entwicklung in den USA deutet Hedrich in antipsychiatrie-affiner Manier: „Naturgemäß war auch die Psychiatrie in diese beispiellose Mobilisierung des US-amerikanischen Wirtschaftspotentials eingebunden, da es schon in Friedenszeiten zu ihren – neben der Verwahrung unbotmäßiger Individuen – wichtigsten Aufgaben gehörte, deviante PatientInnen zu re-normalisieren, damit sie in die Gesellschaft zurückkehren konnten, um ihre gesellschaftliche Aufgaben wieder zu erfüllen. Diese wichtige Teilaufgabe der Psychiatrie gewann in Kriegszeiten, in denen die ‚Arbeit‘ zu einem überlebenswichtigen Faktor avancierte, deutlich an Relevanz, wobei die Einführung der EST in NY [New York] State (1940 bis 1943) genau in jene Zeit fällt, in der die Psychiatrie gehalten war, möglichst viele deviante Individuen zu kurieren, um sie in die ʻwork forceʼ der Heimatfront zu re-integrieren“.429

Das Kelkheimer Gesundheitsmagazin illustriert „[s]chlussendlich […] jedoch auch noch die gesetzlich sanktionierte Anwendungsmethode von Strom in Rahmen der Ausführung von Hinrichtungen“.430 Die im Kelkheimer Gesundheitsmagazin hergestellte bildliche Assoziation der EKT mit dem elektrischen Stuhl431 verbalisiert Hedrich – zumindest was die aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Perspektive auf die EKT anbelangt – unzureichend reflektiert: Nach Hedrich erlebt „[d]ie ‚Elektroschocktherapie‘ (EST) […] aktuell auch in Deutschland ein – wenn auch hoch umstrittenes – Comeback –. Markus Hedrich spürt den hiermit verbundenen diskursiven Verflechtungen von Körper, Elektrizität432 und staatlicher Gewalt nach. Er zeigt, dass der elektrische Stuhl 1890 eine Folgeentwicklung aus der psychiatrischen Elektrotherapie war – und wiederum ab 1940 die Einführung der EST in den USA befördert hat“.433 428 429 430 431

Hedrich (2014), S. 238–239. Ebd., S. 237. http://www.gz-kelkheim.de/dl/gizs.file/Z1gHkYV52r.pdf. Stand vom 11.10.2015. Vgl. http://commons.Wikipedia.org/wiki/File:amn_in_ electric_chair.jpg. zit. n. ebd. „Erstmalig 1889 im Staat New York genutzt, bis zum heutigen Tag in sieben Staaten der USA im Einsatz befindlich“. Vgl. http://www.gz-kelkheim.de/dl/ gizs.file/Z1gHkYV52r.pdf. Stand vom 11.10.2015. 432 Zur Elektronarkose siehe auch S. 598, Fn. 390. Peters liefert folgende Bemerkungen hierzu: „der Elektrokonsulsionsbehandlung verwandtes Verfahren zur Behandlung akuter Psychosen […]. Technik: Mit bitemporal angelegten Elektroden wird Strom (200–250mA) durch den Schädel geleitet. Folge ist ein sofortiger Bewusstseinsverlust (Atemstillstand) und tonischer Krampf der Körpermuskulatur. Wird 30–60 Sek. Aufrechterhalten, wodurch klonische Krämpfe vermieden werden. Dann wird die Stromstärke auf ca. 100mA verringert, worauf die Atmung wieder einsetzt. Bei weiterer Verringerung treten normale Atmung und ruhiger narkotischer Schlaf ein. Nach 5–15 Min. wird der Strom abgeschaltet. Nach einer anderen Modifikation des Verfahrens wird nach dem tonischen Krampf der Strom zunächst abgeschaltet, dann aber nach Wiedereinsetzen der Atmung mit langsam steigender Stärke wieder durchgeleitet, bis sich der narkotische Schlaf einstellt. Prämedikation von 0,5mg Atropin erforderlich. Die therapeutischen Folgen sind umstritten. In Deutschland nur wenig angewandt“. Vgl. Peters (2011), S. 156. 433 Hedrich (2014), Klappentext.

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Der Wirkmacht des elektrischen Stuhls bedient sich auch der italienische Kunstkritiker und Kulturhistoriker Vittorio Sgarbi (geb. 1952).434 Im „Heimatland der EKT“ fügt er in seiner aktuellen Ausstellung „il museo della Folia“ einen elektrischen Stuhl in das Ensemble seiner Anstaltspsychiatrie-435 Museumslandschaft ein.436 Stellt er sich somit womöglich in die Tradition von Franco Basaglia (1924–1980), dem Vater der italienischen Antipsychiatriebewegung?437

434 Siehe ferner Sgarbi (2004). 435 Im Magazin der DGPPN 2016 bekennt Heinz Häfner anlässlich des 150-jährigen Jubiläums des Psychiatrischen Lehrstuhls und der Klinik für Psychiatrie in Göttingen: „Was es für mich nach 67 Jahren psychiatrischer Tätigkeit bedeutet, dass die Änderung der grauenhaften Verhältnisse in den Anstalten gelungen ist, werden Sie wahrscheinlich verstehen. Ich verkenne dabei nicht, dass es auch nach der Enquete noch eine Serie alter Baustellen und etliche neu aufgebrochene Gräben gibt“.Vgl. Häfner (2016), S. 37. Zu Quellen der westfälischen Anstaltspsychiatrie-Historie siehe Kersting/Schmuhl (2004). 436 Vgl. Photographie in Privatbesitz der Verfasserin erstellt im „Museo della Follia. A cura di Vittorio Sgarbi“ am 02.09.2015 in Mantua. Siehe ferner http://www.comune.mantova.gov.it /index.php/home/in-primo-piano/item/1769-ecco-il-museo-della-follia-il-padiglione-expo-amantova. Stand vom 30.11.2015. 437 Italienischer Psychiater; Leiter der Anstalt Gorizia (1961–1968), dann in Colorna (Parma). Ab 1971 Berater der Region Lazio. Begründer des antiinstitutionellen Zweiges der Antipsychiatrie. Die von ihm begründete Basaglia-Reform führte zum Erlass des Gesetzes 180: „Vom italienischen Parlament am 13.5.1978 beschlossenes Gesetz: Abschaffung der psychiatrischen Anstalten und Streichung des Wortes ‚geisteskrank‘ im Strafgesetzbuch. Damit wurde das Zwangseinweisungsgesetz von 1904, das zu Missbrauch und Missständen geführt hatte, aufgehoben […]. Ferner Artikel 7: ‚Es ist in jedem Fall verboten, neue psychiatrische Krankenhäuser zu bauen. Es ist ebenfalls verboten, die vorhandenen psychiatrischen Häuser als Fachabteilungen von Allgemeinkrankenhäusern zu benutzen. Es ist auch verboten, in Allgemeinkrankenhäusern Fachabteilungen zu gründen und die vorhandenen neurologischen Abteilungen für solche Zwecke zu verwenden‘“. Vgl. Peters (2011), S. 215 sowie ebd., S. 64. „Der Name des Psychiaters Franco Basaglia ist untrennbar mit der umfangreichen italienischen Psychiatriereform Ende der 1970er-Jahre verbunden, die von Triest aus ihren Ausgang nahm. Bevor Basaglia im Jahr 1972 die Leitung der psychiatrischen Klinik San Giovanni in Triest übernahm, war er bereits in Görz und Colorno tätig gewesen. Unter dem Eindruck und als scharfer Kritiker der damals gängigen Behandlung psychisch kranker Menschen – geschlossene Anstalten, Gitterbetten, Zwangsjacken, Elektroschocks und die Lobotomie waren gängig – wurde er zu einem der wichtigsten Befürworter einer umfassenden Veränderung seines medizinischen Fachgebietes. […]. Die Anstalten sollten durch begleitete Betreuung in der Familie, Wohngruppen und Zentren für mentale Gesundheit ersetzt werden. Die Erfolge, die Basaglia in Triest mit diesem Ansatz erreichen konnte und die konsequente Kampagne des Psychiaters und seiner Mitstreiter überzeugten schließlich auch die Politik. 1978 wurde vom italienischen Parlament das legendäre Gesetz Nr. 180 verabschiedet, mit dem unter anderem die Auflösung der geschlossenen Anstalten verfügt wurde. Auf dem Gelände der ehemaligen Klinik San Giovanni befindet sich heute der öffentlich zugängliche Park San Giovanni […]. Die Triestiner nennen das Areal ‚ExOPP‘ als Abkürzung für Ex Ospedale psichiatrica provinciale – ehemaliges psychiatrisches Krankenhaus der Provinz“. Vgl. Kofler/Bettschart (2017). S. 34. Weiterführend auch Goddemeier (2014), S. 503. Zur Lobotomie bzw. Leukotomie und ihren ethischen Implikationen siehe ferner Fortner (2004). Die vom portugiesischen Neurologen Egas Moniz (1874–1955) 1935 begründte, 1949 (gemeinsam mit der Detektion der funktionalen Organisation des Zwischenhirns für die Koordination der Tätigkeit der inneren Organe durch den schweizer Physiologen

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Nicht nur von künstlerischer wie von dramaturgisch-wissenschaftlicher Seite, sondern auch von psychiatriehistorisch-wissenschaftlicher Seite lässt man die Macht des Bildes bewusst oder unbewusst auf den Rezipienten wirken. Wenn Jachertz 2012 die heilbringenden Effekte der EKT hervorhebt und gleichzeitig anmerkt, die Behandlungsmethode habe „aber mit der Stigmatisierung aus den heroischen Anfangszeiten zu kämpfen“438 so trägt zumindest Titel und Coverwahl439 des im Folgejahr von Schmuhl und Roelcke herausgegebenen Werkes „Heroische Therapien. Die deutsche Psychiatrie im internationalen Vergleich 1918–1945“440 kaum bei zu der von psychiatrischer Seite – zum Wohle der Patienten – angestrebten Entstigmatisierung der EKT. Die Angaben zum Titelbild auf der Innenseite des Bandes lauten folgendermaßen: Titelfoto: „Vorbereitung zur Elektrokrampftherapie. Quelle: Siemens AG, Unternehmensgeschichte für Medizintechnik, MedArchiv, Erlangen. Das Foto gelangte zum Abdruck in: Friedrich Meggendorfer, Allgemeine und spezielle Therapie der Geistes- und Nervenkrankheiten, Stuttgart 1950, S. 37“.441

In Meggendorfers Lehrbuch von 1950 ist die Abbildung erklärt als „Vorbereitung zum Elektrokrampf mit freien Elektroden442 und Mundgummi“.443 Die Originalbeschriftung der Photographie im MedArchiv, Erlangen dokumentiert, dass sich die abgebildete EKT-Sitzung im Jahr 1947 vollzog:

Walter Rudolf Hess [1881–1973]) nobelpreisprämierte „[o]perative Durchtrennung der Verbindungen zwischen Thalamus und Stirnhirn in der Nähe des Marklagers“. Vgl. Peters (2011), S. 321. „Die Operation führt zu einer Wesensänderung mit Entdifferenzierung der Persönlichkeit, seltsamer Gleichgültigkeit und Enthemmung. Indikationen sind schwere Zwangskrankheiten, unheilbare Schmerzzustände und schwere Schizophrenie. Nach anfänglich großer Verbreitung (vor allem in den USA) wird die Methode, jedenfalls in Deutschland, kaum noch angewandt, wobei neben der Zweifelhaftigkeit der Erfolge – es kann keine Heilung, nur eine Resozialisierung erreicht werden – auch ethisch-moralische Bedenken eine Rolle spielen“. Vgl. ebd. 438 Jachertz (2012), S. A 1870. 439 Siehe http://www.wallstein-verlag.de/9783835312999-heroische-therapien.html. Stand vom 19.07.2016. 440 Schmuhl/Roelcke (2013a). 441 Ebd., Deckblattinnenseite. 442 In einem Schreiben Bingels an Pätzold vom 11.09.1941 sah er „die Kritik der Italiener an den Elektroden […] nicht gegen unser Modell [gerichtet], sondern gegen die von Herrn v. Braunmühl. Ich bin, offen gestanden, selbst davon überzeugt, dass diese Elektroden mit den Handgriffen manchmal keinen genügenden Kontakt geben können, zumal wenn der Kranke etwas unruhig ist“. Vgl. Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 443 Meggendorfer (1950), S. 37.

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Abb. 61:444 „Patient im Elektrokrampf, tonisches Stadium“445

Anders als es der Buchtitel „Heroische Therapien […] 1918–1945“ impliziert, handelt es sich also um eine Therapiesitzung im Nachkriegsdeutschland unter US-amerikanischer Besatzung. Bei dem abgebildeten EKTeur handelt es – aller Wahrscheinlichkeit nach – um Walter Ritter von Baeyer.446 In seiner Autobiographie schreibt von Baeyer,447 er habe parallel zum Wiederaufbau der großteils zerstörten Nürnberger Klinik erneut auch wieder wissenschaftlich zu arbeiten begonnen. Er habe den passager unbesetzten Erlanger Lehrstuhl in Vorlesungen und Prüfungen vertreten: „Nun kam auch meine Habilitation in Erlangen zustande, dank der Großherzigkeit des von der Besatzungsmacht entlassenen Fachvertreter Friedrich Meggendorfer, der sich bereit erklärte, noch nach seiner Entlassung mich in der Fakultät durch das Habilitationsverfahren durchzuschleusen. Als Habilitationsschrift konnte ich eine bereits im Kriege publizierte Arbeit über Fleckfieberkonfabulosen448 vorlegen“.449 444 Medarchiv-Siemens. Abgedruckt wurde die Photograpie mit geschwärzter Tafelanschrift in Meggendorfer (1950), S. 38. 445 Ebd. 446 Ein vergleichendes Portraitbild von Walter Ritter von Baeyer, ca. 1948, ist zum Beispiel abgebildet bei Häfner (1963), S. 19. Zu „Porträtfotographien aus der deutschen Psychiatrie: 1880 bis 1933“ siehe Bömelburg (2007). 447 „Baeyer (zit. n. Hohendorf): ‚Es ist absurd, die Ausführungen der Sterilisation unter dem Titel Medizin und Verbrechen anzuführen‘“. Vgl. Klee (2003), S. 25. 448 Vgl. Baeyer (1942). „Die bedeutendste Infektionskrankheit war für die Beratenden Psychiater das Fleckfieber, das häufig zu Psychosen führte und der wichtigste Auslöser für Enzephalitiden war. Die Psychose trat dabei typischerweise nach der Entfieberung auf und war von Größenideen und Wunscherfüllungsphantasien geprägt, die sich in der Regel auf die Erlebnisse während des Krieges bezogen“. Vgl. Berger (1998), S. 241. Weiterführend auch Leven (1990b). 449 Baeyer (1977), S. 21. Ferner siehe auch http://www.psychiatrie-und-ethik.de/wpgepde. Stand vom 21.05.2016.

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Von Baeyers Großvater hatte den Chemie-Nobelpreis für die Indigosynthese erhalten. Der Urgroßvater hatte die Tochter eines jüdischen Bankiers geheiratet. Aufgrund dieser jüdischen „Versippung“ wurde von Baeyers Vater 1933 aus seinem Amt entfernt und suizidierte sich. Von Baeyers Zeit am Rüdischen Erb- und Familienbiologischen Institut der DFA für Psychiatrie in München, wo er ein Stipendium für sein Forschungsprojekt „Die Genealogie pathologischer Schwindler und Lügner“ erhalten hatte, endete „nach der Ermordung von Dollfuß [1892–1934]450 im Juli 1934 und der Anstellung ‚einiger österreichischer Nazis‘“.451 Als Beratender Psychiater der Wehrmacht452 widmete er sich dem Studium der Fleckfieberepidemie des Winters 1941–1942 in Russland. Eine Monographie mit dem Internisten Reinhard Aschenbrenner453 beinhaltet auch eine Analyse der zentralen Symptome des 5-Tage-Fiebers. „So konnte er seine wissenschaftliche Identität selbst in den

450 Weiterführend hierzu: Neuhäuser (2004). 451 Häfner (1963), S. 20–21. Siehe ferner auch Weber (1993), S. 246–247. 452 Von Baeyer publizierte in seiner Funktion als Beratender Psychiater zu den psychopathischen Reaktionen sowie zu den resultierenden Entfernungsdelikten. Vgl. Baeyer (1938) und (1939). Auch nach dem Krieg veröffentlichte er zur Bedeutung der Psychiatrie im Sanitätswesen der Streitkräfte. Siehe hierzu ders. (1968). 453 Vgl. Aschenbrenner/Baeyer (1944). Von Baeyers Kooperationspartner Aschenbrenner R. ist nicht zu verwechseln mit Dr. Alfred Aschenbrenner, der die Abteilung für zwangsinternierte Tuberkulosekranke in Stadtroda leitete. Vgl. Aly (2012). S. 233. Siehe weiterführend hierzu auch Aschenbrenner (1940), (1942a) und (1942b). Ein Dr. Alfred Aschenbrenner wird auch unter der Rubrik „Belastete Ärzte in Nürnberg“ geführt. Vgl. StNB, Bayerisches Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung, Außenstelle Nürnberg, Nr. 4463. Zit. n. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/ZATH7WAZ3SYFS5 5OYL6JK66ND 3AUK YJJ. Stand vom 06.03.2017. Nach Rauh promovierte der medizinische Fachschaftsleiter Dr. Alfred Aschenbrenner 1936 in Erlangen zur „Inzucht als bevölkerungspolitisches Problem. Dargelegt an der Bevölkerung des fränkischen Dorfes Hartenstein“. Vgl. Aschenbrenner (1936). Siehe ferner Rauh (2016b), S. 265. Es muss betont werden, dass diese 44-seitige, 13 Referenzen einbeziehende Promotion, anders als von Rauh suggeriert, nicht an der medizinischen Fakultät erfolgte, sondern vielmehr als „Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexanders-Universität [sic] zu Erlangen vorgelegt“ wurde. Vgl. Aschenbrenner (1936), Deckblatt. Als medizinische Qualifikation Aschenbrenners ist lediglich die „ärztliche Vorprüfung“ in seinem Lebenslauf erwähnt. Vgl. Aschenbrenner (1936), S. 44. Zum Referenten Horst Wagenführ als Betreuer der Promotion Aschenbrenners liest man bei Helmut Winterstein folgendes: „Vor allem zur Ausweitung des Statistiklehrangebots konnte Horst Wagenführ, a.o. Professor für Volkswirtschaftslehre, Finanzwissenschaft und Statistik, gewonnen werden, der ab 1934 regelmäßig Lehrveranstaltungen anbot, nach dem Zweiten Weltkrieg aber im Vorlesungsverzeichnis in Erlangen nicht mehr in Erscheinung trat. Später wurde er Direktor der Statistischen Abteilung der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Luxemburg“. Vgl. Winterstein (1993), S. 468. Baeyers Kooperationspartner R. Aschenbrenner habilitierte sich 1938 und wurde 1944 von der Universität Hamburg zum außerplanmäßigen Professor für Innere Medizin berufen. Anlässlich seines 100. Geburtstages findet sich in einem Artikel des Deutschen Ärzteblattes der Hinweis, ihm sei von der Universität Heidelberg die Ehrendoktorwürde verliehen worden, „[i]n Anerkennung seines Einsatzes und in Würdigung seines Lebenswerks wurde er mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft ausgezeichnet“. Vgl. Hibbeler (2006), S. A 1701.

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Notzeiten des Krieges durchhalten“.454 Die Betrachtungen von Baeyers bezüglich der Fleckfieber-Klinik konnten nicht beitragen zu der unter Hochdruck an nationalsozialistischen Eliteinstituten in Kooperation mit I.G. Farben/Marburg455 betriebenen Forschung zur Herstellung eines Fleckfieberimpfstoffes mit Wirksamkeitsprüfungen in Konzentrationslagern, Kriegsgefangenenlagern sowie polnischen Kliniken. Sorgfältige Entlausung sollte weiterhin bis Kriegsende die einzige prophylaktische Maßnahme bei Aufenthalt in von Rickettsien-besiedelten Gebieten bleiben – trotz Unterstützung des Reichsforschungsrats, der Luftwaffe und des „Ahnenerbes“ in der Durchführung von Impfstoffgewinnungsversuchen aus lebenden Kulturen.456 Auf dem Kongress für Neurologie und Psychiatrie in Tübingen 1947457 referierte von Baeyer zur „Elektrokrampfbehandlung und hirnorganische[m] Syndrom“:458 „Die pathophysiologische Voraussetzung der hier vorgetragenen Auffassung, dass Heilung durch den Krampf Heilung durch passagere Hirnschädigung bedeutet, ist nach allen Kenntnissen über paroxysmale Hirndurchblutungsstörungen gegeben“.459

Karl Leonhard460 relativierte in der Podiumsdiskussion die Ansicht von Baeyers sowie des vorhergehenden Diskutanden Schaltenbrands.461 Als Abschluss des Kapitels zu Meggendorfers klinischem und wissenschaftlichem Expertentum sei dem bildgewaltigen Cover des Bandes „Heroische Therapien“462 ein Auszug aus dem Vorwort zu „Elektrokonvulsionstherapie kompakt. Für Zuweiser und Anwender“463 zur Seite gestellt: „Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein modernes und unentbehrliches Therapieverfahren bei schweren psychischen Erkrankungen geblieben. 454 455 456 457 458 459 460

Häfner (1963), S. 22. Zu „Hoechst. Ein I.G.-Farben-Werk im Dritten Reich“ siehe Lindner (2005). Vgl. Werther (2001), S. 172–173. Siehe hierzu Kretschmer (1947). Baeyer (1947). Ebd., S. 192. Weiterführendes zur Pathophysiologie der EKT siehe S. 241–242. 1947 wurde nach Schellers Annahme des Rufes von Erlangen nach Würzburg auf der Vorschlagsliste zur „Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Psychiatrie und Nervenheilkunde bei der Medizinischen Fakultät Erlangen“ Walter von Baeyer neben Karl Leonhard an dritter Stelle genannt. Vgl. BayHStA: MK 72018. 461 „v. Baeyer fasst wohl manches als organische Folge der Krampfbehandlung auf, was tatsächlich nur Ausdruck dafür ist, dass die Psychose in ein anderes Stadium ihres Verlaufs eingetreten ist. Wenn akinetische Katatonien unter dem Einfluss der Krampfbehandlung hyperkinetisch werden und bei Fortführung der Krampfbehandlung eventl. wieder akinetisch, so handelt es sich dabei um keine organischen Folgezustände, sondern den Ausdruck dafür, dass die Katatonien an sich dazu neigen, zwischen Akinese und Hyperkinese zu schwanken. Schaltenbrand überschätzt die organischen Folgen der Krampfbehandlung sicher erheblich. Neurologische Veränderungen können nach der Behandlung in geringer Stärke bestehen, bilden sich aber später zurück. Das gleiche [sic] gilt für die Schockdemenz. Auch eine Persönlichkeitsveränderung hinterlässt die Behandlung nicht“. Vgl. Leonhard, zit. n. Kretschmer (1947), S. 192. 462 Vgl. Schmuhl/Roelcke (2013a). Zur Online-Abbildung des Covers siehe z. B. http://www.wallstein-verlag.de/9783835312999-heroische-therapien.html. Stand vom 19.07.2016. 463 Grözinger et al. (2013).

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer […]. Die Elektroschocktherapie von 1938 und die Elektrokrampftherapie der 1950er Jahre464 gibt es nicht mehr. Die Muskelrelaxation in Kurznarkose, die Kurzpulstechnik, das EEG-Monitoring,465 die Ausdifferenzierung der Elektrodenlage, die Einführung von Erhaltungsbehandlungen,466 die Kombination mit Pharmako- und Psychotherapie, die bessere Abgrenzung des Indikationsgebietes und ein klares Prozedere zur Aufklärung und Einwilligung haben eine neue Therapie entstehen lassen, die sich im Terminus Elektrokonvulsionstherapie zusammenfassen lässt“.467

Nach Shorter würdigte eine kleine Gruppe emigrierter italienischer, deutscher und österreichischer Juden die EKT-Erfolge und setzte ihren Einsatz trotz professionsinterner, öffentlicher und staatlicher Widerstände fort. In diesen Repräsentanten der fortgeführten, deutschlandweit erstmalig an der Meggendorferschen Klinik angewandten Elektrokrampftherapie sieht Shorter die “unacknowledeged heroes”468 der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts.469 464 Es sei hierbei betont, dass Meggendorfer bereits ab 1940 – nicht erst ab den 1950er- Jahren – den Terminus „Elektrokrampftherapie“ und nicht „Elektroschocktherapie“ verwendete. Vgl. Meggendorfer (1940e), Bingel und Meggendorfer (1940). 465 Zum Stellenwert des Elektroenzephalogramms in der Psychiatrie siehe Gallinat et al. (2016). Eine Kulturgeschichte der Elektroenzephalographie findet sich bei Borck (2005). „Hans Berger (1873–1941), der nach seinem Studium 1892 an der Jenaer Klinik seine Tätigkeit aufnahm, folgte 1919 Binswanger im Amt. In stiller, genauer Arbeit entwickelte er nach verschiedenen originellen experimentellen Ansätzen in den 20er Jahren die Grundlagen der Elektroenzephalographie des Menschen. Zweimal sollte er für diese Entdeckung den Nobelpreis erhalten. 1936 durfte er ihn nicht annehmen. 1949 war der Kommission in den Wirren der Nachkriegszeit entgangen, dass Hans Berger nicht mehr lebte“. Vgl. Lemke/Zimmermann (2003), S. 50. Eine anekdotenartige Skizzierung des Ursprunges der Bergerschen Suche nach einer „psychischen Energie“ liefert Klein (2016), S. 51–55. Gemäß Stefan Klein, Physiker, analytischer Philosoph und freier Schriftsteller, „schenkte Hans Berger [mit dem EEG] der Schlafforschung ihr bis heute wichtigstes Instrument. [Ca.]1940 wurde dieser wissenschaftliche Außenseiter sogar für den Nobelpreis nominiert, der aber wegen des Krieges nicht verliehen wurde. Vermutlich war der Gutachterkommission unbekannt, dass der Kandidat aus Jena als förderndes Mitglied die SS unterstützte und als Beisitzer am sogenannten Erbgesundheitsobergericht Zwangssterilisationen zu verantworten hatte. Seine Verwicklungen in die Verbrechen der Nazis lassen Hans Berger in schlechtem Licht erscheinen, schmälern aber nicht den Wert seiner Entdeckungen. Eine seiner wichtigsten Einsichten war, dass das Gehirn während des Schlafs mitnichten ausgeknipst wird wie eine Lampe“. Vgl. ebd., S. 56. Zur Rezeption der Rolle Hans Bergers im Nationalsozialismus weiterführend sei verwiesen auf Zeidman et al. (2014). 466 Zur Durchführung der Erhaltungs-EKT durch Meggendorfer siehe S. 574–576. 467 Grözinger et al. (2013), Vorwort, S. V –VI. 468 Shorter/Healy (2007), Widmung. 469 “a small band of European émigrés – Italians, Germans and Austrians, and Jews for the most part – who saw the merits in electroconvulsive therapy and sustained its use despite professional antipathy and obstracism, and public and government attacks. They are unacknowledged heroes in the twentieth-century of psychiatry”. Vgl. ebd. Zum emigrierten „Berliner Nervenarzt und spätere[n] New Yorker Professor[] für Psychiatrie“ Lothar B. Kalinowsky als „‚Pate[n]‘ der amerikanischen Elektrokrampftherapie“ vgl. Rzesnitzek (2013). „Als Vorsitzender des Komitees für Internationale Beziehungen der American Psychiatric Association (APA) hat […] [Kalinowsky] nach dem Krieg sehr viel dafür getan, deutschen Psychiatern den Weg zurück in die internationale Psychiatrie zu öffnen“. Vgl. Helmchen (2003), S. 79.

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5.6 KONTINUITÄT IN DER NACHKRIEGSZEIT? Meggendorfer betonte 1952, die Psychotherapie der Schizophrenie470 müsse umso höher gewertet werden, da sie gerade in einer Zeit ausgebaut wurde, in welcher die Fortschritte der Erblichkeitsforschung drohten, die Therapie der großen Psychosen in einen lähmenden Nihilismus verfallen zu lassen.471 „Freilich, zu Nihilismus wäre trotz der Erkenntnisse der Erblichkeitsforschung kein Anlass gewesen, im Gegenteil, sie hätten eher eine Grundlage und Handhabe zu einer radikalen kausalen Therapie sein können. Aber die Zeit scheint hierfür noch nicht reif gewesen zu sein“.472

In dieser Textpassage spiegelt sich die Enttäuschung eines von den ersten akademischen Schritten an erbbiologisch orientierten Hochschulpsychiaters wider. Diese Enttäuschung zeigt sich auch in der wissenschaftlichen Erkenntnis zur untergeordneten Rolle der Erbgänge bei psychiatrischen Erkrankungen, die Meggendorfer 1952 betonte.473 Abgesehen von der Huntingtonschen Chorea, die einem einfachdominanten Erbgang folge, würden Schizophrenie und Epilepsie „wahrscheinlich rezessiv“474 vererbt, das Manisch-Depressive Irresein weise einen „sehr komplizierten Erbgang“475 auf. Unter Betonung des manifestationsfördernden Beitrages unterschiedlicher Umwelteinflüsse betrachtete Meggendorfer die den psychiatrischen 470 Kihn hatte in seiner Festschrift für Meggendorfer angegeben, von letzterem gerade in puncto Psychotherapie gelernt zu haben. Vgl. Kihn (1940). Vgl. auch S. 309. Ferner siehe Meggendorfers Meinungsverschiedenheit zu Johannes Lange bezüglich der Wirksamkeit der Psychotherapie bei Homosexualtität, vgl. S. 132. Zur Psychotherapie der Psychosen und ihren Grenzen weiterführend auch Roggenbau (1954). Zur Psychotherapie bei Schizophrenen in der deutschen Nachkriegszeit siehe Schimmelpenning (1987). Die aktuelle Befundlage zu Metakognitivem Training (MKT) bei Schizophrenie findet sich bei Fieker/Schneider (2015). 471 „Psychotherapie galt als eine Sache von Außenseitern wie Viktor v. Weizsäcker oder Jores in der Inneren Medizin und Kretschmer in der Psychiatrie. Man muss auch daran erinnern, dass Psychotherapie damals noch keine anerkannte Heilmethode im Sinne der Reichsversicherungsordnung war. Psychotherapie bei endogenen Psychosen schließlich galt vielen als Häresie“. Vgl. ebd., S. 376. „Beringer in Freiburg, Creutzfeldt in Kiel, Bürger-Prinz in Hamburg, Ewald in Göttingen oder Kehrer in Münster sind hochgeachtete Namen in der Geschichte der Psychiatrie, und einige von ihnen waren auch aufgeschlossen für psychologische Fragestellungen. Aber eine Psychotherapie von endogenen Psychosen hätte keiner von ihnen akzeptiert“. Vgl. ebd., S. 377. 472 Meggendorfer (1952a), S. 433. 473 Auf der Jubiläumshomepage „200 Jahre Universitätsklinik Erlangen“ wird Meggendorfer als „Verfechter der erbbiologisch orientierten Psychiatrie“ bezeichnet. Vgl. http://www.200.ukerlangen.de/de/geschichte/20-koepfe-der-erlanger-universitaetsmedizin/meggendorfer/Stand vom 04.06.2016. Meggendorfers Nachkriegsschrifttum zeugt jedoch nicht mehr von „Kampfesgeist“ für die einst propagierte herausragende Bedeutung der Erbpsychiatrie. Interessant im Sinne einer Auseinandersetzung mit dem GzVeN zeigt sich vergleichsweise Bonhoeffer (1949). Siehe auch S. 582. 474 Meggendorfer (1952b), S. 76. 475 Ebd. 1935 hatte Meggendorfer eine deutlich positivere erbpsychiatrisch-optimistische Ansicht vertreten: „Wir wissen bereits von einer ganzen Anzahl von psychisch-nervösen Krankheiten, Mängeln und Schwächen, dass sie sich vererben und welchen Erbgang sie gehen. Die wichtigen, vorwiegend erblich bedingten Geisteskrankheiten sind: die Schizophrenie: wahrscheinlich

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Erkrankungen zugrundeliegende Genetik als „außerordentlich kompliziert und unübersichtlich“.476 Eine Erbprognose auf Grund des Erbganges zu stellen sei ausgeschlossen. „Man wird übrigens sicher den Tatsachen nicht ganz gerecht, wenn man die Krankheiten und namentlich die psychisch-nervösen Erkrankungen nur in erbliche und erworbene unterteilt“.477 Vielmehr unterliege die Vorstellung „dass für die einen ausschließlich krankhafte Erbanlagen, für die anderen ausschließlich schädliche Umwelteinflüsse verantwortlich zu machen seien“,478 einem Irrtum. Mit Publikation von 1952 blieb Meggendorfer seiner auch zu NS-Zeiten mehrfach betonten Wichtigkeit der Beurteilung der Gen-Umwelt-Wechselwirkung treu; die Formulierung von 1952 könnte jedoch eine möglicherweise zugrundeliegende Resignation über die – trotz höchster Bemühungen auf erbpsychiatrischem Gebiet – unzureichende Erkenntnismöglichkeit zum Ausdruck bringen. Die herausragende Bedeutung der Chorea Huntington für erbpsychiatrische Betrachtungen hatte Meggendorfer bereits 1923 hervorgehoben im Sinne eines „durch klinische, erbbiologische und anatomische Gesichtspunkte von äußerlich ähnlichen Bildern gut abgrenzbaren einheitlichen Krankheitsprozess […], wie [man] ihm sonst nur selten in der Psychiatrie begegne[t]“.479

Wenn Meggendorfer 1952 die Unmöglichkeit der psychiatrisch-erbprognostischen Ableitung aus dem Erbgang konstatierte,480 so spiegelt dies eine Relativierung des Wertes der erbpsychiatrischen Errungenschaften wider. Im Rahmen seiner Entnazifizierung betonte Meggendorfer unter anderem den Zeitverlauf seiner erbpsychiatrisch-akademischen Prägung: „Ich hatte mich 1921 mit einer Arbeit über Heredität bei Geisteskrankheiten habilitiert und hatte in den folgenden Jahren Vorlesungen über Erblehre und Rassenhygiene gehalten und Untersuchungen über die Rolle der Erblichkeit bei verschiedenen Erkrankungen gemacht. Niemand beanstandete damals, unter dem nichtnationalsozialistischen, im wesentlichen sozialdemokratischen Regime meine Tätigkeit.481 Ich hatte im Gegenteil einen guten Ruf als Erbforscher“.482

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dimer-rezessiv; Teilanlagen äußern sich als ‚schizoide Psychopathie‘; das manisch-depressive Irresein: wahrscheinlich mehrere Erbanlagen, die teils einen dominanten, vielleicht geschlechtsgebundenen, teils einen rezessiven Errbgang gehen; die Epilepsie: wahrscheinlich dimer-rezessiv; die Myoklonusepilepsie geht einen einfach-rezessiven Erbgang; der erbliche Schwachsinn; es gibt sehr wesensverschiedene Formen, die amaurotische Idiotie geht einen rezessiven Erbgang; der Altersschwachsinn und die Hirnarteriosklerose; die Huntingtonsche Chorea: dominant“. Vgl. ders. (1935a), S. 6. Ders. (1952b), S. 76. Ebd. Ebd., S. 77. Ders. (1923), S. 1. Ders. (1952b), S. 76–77. „Die ‚verlorene Unschuld‘ der Eugenik wurde dem politischen Missbrauch während der NSHerrschaft angelastet. Die Eugenik galt es von dieser Kompromittierung reinzuwaschen, um sie für die, dringend einer Lösung harrendem Probleme der Nachkriegszeit einzusetzen“. Vgl. Wolf (2008), S. 514–515. Zu den Nachkriegsjahren in Deutschland siehe auch Brenner (2016). StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII.

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Was Meggendorfers Nachkriegsposition zu seinem Hauptforschungsgebiet „Erblichkeitsforschung“ anbelangt, so sah er letztere „zum Teil“483 mitverantwortlich für die „trotz aller verheißungsvolle[r] Anläufe immer noch herrsch[ende] [Resignation]“:484 „Man erkannte in den letzten Jahrzehnten, dass viele Geistes- und Nervenkrankheiten sich vererben und wie sie sich vererben. Man schloss aus dieser Erkenntnis, dass die Erbanlagen vielleicht durch eugenische Maßnahmen aus dem Volkskörper zu eliminieren, aber nicht aus dem Individuum zu beseitigen wären“.485

Diese Ansicht steht in klarem Kontrast zu Meggendorfers Hoffnung in die eugenische Gesetzgebung von 1931. Damals sah Meggendorfer durchaus die Chance einer kausalen Therapie gegeben: „[…] die Gesetzgebung, die eugenischen Maßnahmen gewidmet ist […] dürfte […] doch gerade für den Nerven- und Irrenarzt von besonderem Interesse sein. Handelt es sich doch hier letzten Endes um den weitausholenden Versuch einer kausalen Therapie, die dem Neurologen und Psychiater in so vielen Fällen verschlossen bleibt“.486

Auch in der achten Auflage des – nach Versterben Eugen Bleulers von dessen Sohn Manfred (1903–1994) redigierten – Bleulerschen Lehrbuches übernahm Meggendorfer weiterhin den forensischen Teil.487 Die Ausführungen Meggendorfers zu ätiologischen Gesichtspunkten von 1950 stehen in Einklang mit der im Jahr 1934 betonten Relevanz von differenzierter individueller Erbprognose im Wissen um die Gen-Umwelt-Interaktion.488 Da Meggendorfer zu den gleichen Themen in den Jahren 1935 wie 1952 in Weygants Lehrbuch der Nerven- und Geisteskrankheiten publizierte,489 sollen die beiden Veröffentlichungen in Hinblick auf vollzogene Revisionen vorgestellt werden: Meggendorfers Beitrag zur Erstauflage von Weygants Lehrbuch der Nervenund Geisteskrankheiten von 1935 führt Payk im Kontext an, dass „[p]sychiatrisches

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Meggendorfer (1950), Einleitung, S. V. Ebd. Ebd. Ders. (1931a), S. 117. Vgl. ders. (1949a), (1949b) und (1949c). Auch posthum wurden 1960 die entsprechenden Kapitel in der zehnten Auflage des Bleulerschen Lehrbuches veröffentlicht, bearbeitet von Werner Villinger (1887–1961). Vgl. ders. (1960a), (1960b) und (1960c). 488 „Zahlreiche andere Beispiele könnten angeführt werden; sie zeigen, dass nicht die Erbanlage allein, sondern das Wechselspiel mit den Umwelteinflüssen das Merkmal bewirkt. Es kommt hier also nicht nur auf die Erbanlage, sondern ganz wesentlich auch auf die Umwelt an, ob ein Merkmal oder eine Krankheit entsteht oder nicht“. Vgl. ders. (1950), Einleitung. Zu Meggendorfers Arbeiten zum Dominanzwechsel vgl. ders. (1934b) und (1934c). Siehe auch S. 142– 147. 489 Vgl. Meggendorfer (1935a), (1935b), (1952b) und (1952d); in der Ausgabe von 1952 übernahm Meggendorfer zusätzlich das Kapitel zur Allgemeinen Behandlung der Nerven- und Geisteskrankheiten, hatte er doch 1950 ein Lehrbuch zur „Allgemeine[n] und spezielle[n] Therapie der Geistes- und Nervenkrankheiten“ herausgegeben. Vgl. ders. (1950) und (1952c).

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Denken […] nunmehr offen von außermedizinischen Interessen gelenkt und bestimmt“490 wurde. Meggendorfer schrieb 1935 der Auslese eine „ganz ungeheuere Wirksamkeit“491 zu. Rassenmischungen nicht zusammenpassender Art hätten physische und psychische Disharmonien, Unausgeglichenheiten und Spannungen zur Folge. Die teils betonte Begabungsvielseitigkeit der Mischlinge beurteilte Meggendorfer als zweifelhaften Gewinn. Unter Bezugnahme auf die oftmals beschriebene Manifestationsförderung krankhafter Anlagen durch Rassenmischung sah Meggendorfer „die vielfach beobachteten neuropathischen und psychopathischen Erscheinungen bei deutsch-jüdischen, deutsch-hottentotischen und nordisch-mongolischen Mischlingen unserem Verständnis nähergerückt“.492 Während Meggendorfer in seinem Beitrag von 1952 zwar gleichbleibende Formulierungen für die Definition der „Entartung“ verwendete493 sollte der Untergliederungspunkt „B: Rasse im anthropologischen Sinne“494 von 1935 wegfallen. Meggendorfer schloss direkt an den Unterpunkt „Vererbung“495 die Punkte „Geschlecht“496 und „Alter“497 an, bevor er sich den exogenen Ursachen widmete. In dem Werk von 1935 wurde der Begriff „Rasse“ von Meggendorfer überdurchschnittlich häufig eingesetzt: „Zu den endogenen Ursachen gehören vor allem auch diejenigen, die mit der Rasse im anthropologischen Sinne zusammenhängen. Die Rassenmerkmale498 […] sind erblich bedingt. Manche Beobachtungen sprechen dafür, dass die mit der Rasse zusammenhängende Verfassung eine bestimmte Disposition zu gewissen nervösen und psychischen Erscheinungen darstellt […]. Recht selten sind die Krankheiten, die nur bei einer bestimmten Rasse vorkommen. Der ‚Latah‘ und der ‚Amok‘ der Malayen sind nach unserer jetzigen Ansicht wahrscheinlich keine nur diesen eigene Krankheitsformen.499 Dagegen wird die amaurotische Idiotie, die einen rezessiven Erbgang geht, fast nur bei Ostjuden beobachtet. Im übrigen sollen bei den Juden in Deutschland besonders das manisch-depressive Irresein, die Schizophrenie, bestimmte, besonders ‚degenerativ‘ anmutende Formen der Hysterie und Neuropathie, Zwangsneurosen und Diabetes häufiger als bei der deutschen Bevölkerung vorkommen. […] Auch von Negern in den vereinigten Staaten von Nordamerika wird berichtet, dass sie häufiger und in etwas anderer Weise als die weiße Bevölkerung, in der sie leben, an Geistesstörungen erkranken“.500

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Payk (2000), S. 85. Meggendorfer (1935a), S. 9–10. Ebd. und ebd., S. 12 sowie Payk (2000), S. 85. Vgl. Meggendorfer (1952b), S. 81 beziehungsweise ders. (1935a), S. 9. Ebd., S. 12–13. Ebd., S. 1–11 beziehungsweise ders. (1952b), S. 72–82. Ders. (1935a), S. 13–14 beziehungsweise ders. (1952b), S. 82–83. Ders. (1935a), S. 14–15 beziehungsweise ders. (1952b), S. 83–84. Weiterführend hierzu Grosse (2015). Weiterführend hierzu auch Jaster, S. Emil Kraepelin als Begründer der transkulturellen Psychiatrie. 25. Jahrestagung DGGN. Würzburg, 04.10.2015, veröffentlicht als Jaster (2016). 500 Meggendorfer (1935a), S. 11–12.

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Anders als 1935 kommt der Terminus „Rassenhygiene“ im Weygandtschen Lehrbuch der Nerven-und Geisteskrankheiten von 1952501 nicht mehr vor. Der Begriff „Rasse“ findet seitens des Herausgebers Gruhle502folgende Verwendung: „Ob das schizophrene Leiden unter dem nordischen Typus in anderer Häufigkeit vorkommt, als unter den alpinen Menschen, oder gar ob die verschiedenen Rassen des Erdballes an der Krankheit verschieden teilnehmen, ist noch völlig unbekannt“.503

Die Erblichkeitsforschung lehre, so Meggendorfer 1935, zwar die erbliche Bedingtheit zahlreicher psychischer und nervöser Erkrankungen. „Darüber [aber], wie die den verschiedenen erblich – oder vorwiegend erblich-bedingten Krankheiten zugrundeliegenden krankhaften Anlagen letzten Endes zustande kommen, wissen wir […], wie über das Zustandekommen von neuen Erbanlagen überhaupt, doch recht wenig“.504

Den 1935 – mit Hilfe der NS-politischen Förderung eugenischer Bestrebungen – erhofften erbpsychiatrischen Erkenntnisgewinn „zementierte“ Meggendorfer 1952 als unbegründet, indem er in „Scio-Nescio“-Manier schlussfolgerte, „[e]s ist noch nicht sicher, ob die Schizophrenie eine erbbiologische Einheit ist“.505 Hatte Meggendorfer in der zweiten Ausgabe des Weygandtschen Lehrbuches von 1952 den Terminus „Rasse“ nicht mehr verwendet, so stellte der schwedische Genetiker Gunnar Dahlberg in seinem 1940 veröffentlichten und 1947 in deutscher Sprache erschienenem Werk „Rasse und Vererbung“ als Methode zur Bestimmung der Rassen „eine Analyse von nur drei Eigenschaften [vor] […], nämlich […] [von] Körpergröße, Kopfindex (die Breite des Kopfes in Prozent der Länge des Kopfes) und Gesichtsindex (die Breite des Gesichts in Prozent der Länge des Gesichts)“.506

501 In seinem Vorwort zur zweiten Auflage nahm Gruhle Bezug zu der bereits von Wegandt herausgestellten Vereinigung von „Neurologie und Psychiatrie in einem Bande […]. Diese Vereinigung beider Fächer möge ein Symbol dafür sein, dass sie sich auch in der Praxis des Lebens nicht voneinander trennen sollten“. Vgl. Gruhle (1952). Vorwort zur zweiten Auflage. Zu Rüdins Geleitwort im Vorwort der ersten Auflage des Weygandtschen Werkes siehe S. 274. 502 „Gruhle bekundete noch in dem 1935 erschienenen Weygandtschen Lehrbuch eine ablehnende Meinung zur Sterilisation manisch-depressiver Kranker, für den Fachmann unmißverständlich, in der damals in Deutschland einzig noch möglichen Form: ‚Über die Notwendigkeit, das m.d.I. durch die Unfruchtbarmachung zu bekämpfen, wären verschiedene Meinungen dikutabel‘“. Vgl. Gruhle (1939), zit. n. Weitbrecht (1968), S. 19–20. In der zweiten Auflage von 1952 bezeichnete Gruhle als Herausgeber die Vereinigung von Neurologie und Psychiatrie in einem Lehrbuch als lebenspraktisch relevant. Interessant ferner Gruhles Position in Bezug zu Psychopathologie und Kunst: „Eine defensive Haltung zeigte bereits 1932 der Heidelberger Professor Gruhle, der eine Wanderausstellung der Sammlung durch deutsche Vereine betreute. Er erteilte der Presse ein Bildverbot, weil es mit vergleichbaren Bildern aus der Sammlung Weygandt ‚Missverständnisse‘ und ‚unerfreuliche Presseerörterungen‘ gegeben habe“. Vgl. Rotzoll et al. (2002), S. 52. Zu Psychopathologie und Kunst siehe Kap. 2.4.6. und 2.4.7. 503 Gruhle (1952), S. 641. 504 Meggendorfer (1935a), S. 8. 505 Ders. (1952b), S.76–77. 506 Dahlberg (1947), S. 147–148.

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Derartige anthropometrisch geprägte507 und rassenhygienisch508 „verbrämte“ Körpermerkmale509 sind auch Bestandteil der aktuellen NOAH510-Studie zur Alkoholkrankheit, konzipiert und durchgeführt von der Erlanger Hochschulpsychiatrie in Kooperation mit dem Bezirkskrankenhaus am Europakanal. Um rückschließen zu können auf die pränatale Testosteron- und Östrogen-Exposition wurden „[n]eben dem Zeige-/Ringlängenverhältnis […] zusätzlich Äugigkeit, Händigkeit, Größe der Unterkiefereckzähne, spezielle Gehörfunktionen (otoakustische Emissionen) […] untersucht […]. Bei den gesunden Probanden […] zudem Fingerspitzenmmuster analysiert […]“.511

Was Meggendorfers Suchtexpertise anbelangte, so war er selbst ein Repräsentant der Biologistischen Schule,512 welche nach Snelders et al. medikalisierende und moralisierende Elemente gleichermaßen vereinte.513 Im Sinne der von Snelders et 507 Siehe ferner Buschan (1941). 508 „Stereotype bestimmen bis heute die populäre Vorstellung vom jüdischen Körper, dessen Stigmatisierung keineswegs erst durch die nationalsozialistische Juden-Karikatur in Stürmer-Manier betrieben wurde. Jüdische Krummnase und Hypersexualität sind dabei vielleicht noch die trivialsten unter den bösartigen Zuschreibungen. Das vermeintlich Fremde, das unterstellte Anderssein des jüdischen Körpers, hat viel ältere Traditionen, wie wir bereits bei Shakespeare in dessen ‚Kaufmann von Venedig‘ (III: Aufzug, 1. Szene) lernen […]“. Vgl. Eckart (2017a), S. B 598 als Rezension zu Jütte (2016). Siehe ferner Shakespeare (1995). 509 Erhebung von „Kopfumfang“, „Gesichtshöhe“, „Unterkieferbogen (Strecke Anguli mandibulae über Kinnspitze)“, „Distanz Unterlippenrotgrenze bis Kinnspitze“, „Das Kinn scheint im Verhältnis zum Gesamtgesicht prominent: ja, nein; Das Kinn scheint im Verhältnis zum Gesamtgesicht auffällig lang: ja, nein; Das Kinn scheint im Verhältnis zum Gesamtgesicht auffällig breit: ja, nein“. Vgl. NOAH. Patientenerhebungsbogen, Erlangen, 2013. 510 Neurobiology Of AlcoHolism. Zwischen Januar 2013 und Oktober 2014 konnten 200 Patienten und 285 gesunde Kontrollpersonen rekrutiert werden. Weiterführend Lenz et al. (2017) und Weinland et al. (2017). 511 NOAH. Unterlagen zur Studienaufklärung, Erlangen, 2013. Siehe ferner Lenz et al., Kongressposter DGPPN 2015; Weinland et al., Kongressposter DGPPN 2015. 512 In dieser Tradition steht die preisgekrönte Erlanger universitäre Suchtforschung weiterhin: „Interdisziplinäre Arbeitsgruppe des Universitätsklinikums erhielt Wilhelm-Feuerlein [1920– 2015]-Forschungspreis für Alkoholstudie. Welche Einflussfaktoren bedingen schon im Mutterleib eine spätere Alkoholabhängigkeit? […]. Für ihre grundlagenorientierten Studienprojekte mit dem Titel ʻPrenatal and adult androgen activities predict alcohol dependenceʼ wurden die Erlanger Wissenschaftler jetzt mit dem renommierten Wilhelm-Feuerlein-Forschungspreis der Oberberg Stiftung Matthias Gottschaldt, der Deutschen Suchtstiftung und der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie ausgezeichnet. Zwei- bis viermal mehr Männer als Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Alkoholabhängigkeit sowie an deren assoziierten Folgeerkrankungen – ein deutlicher Geschlechterunterschied. Die wissenschaftliche Hypothese lautete: Androgene, also die Sexualhormone, die die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale steuern, spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung und dem Verlauf einer Alkoholsucht. Dies konnten die Forscher des Uni-Klinikums Erlangen jetzt belegen“. Vgl. http://www.uk-erlangen.de/presse-und-oeffentlichkeit/newsroom/pressemitteilungen/ansicht/detail/suchtforschung-ausgezeichnet/Stand vom 14.10.2016. Pressemitteilung vom 14.09.2016. Interessant ferner Feuerlein (1989). Siehe ferner Lenz et al. (2017). 513 “ʻbiologizationʼ of substance abuse, a school of thought that included medicalizing and moralizing elements alike. This biologization had to compete, especially from the 1940s onward, with a ʻpsychologizationʼ that discounted the role of biological mechanisms but incorporated

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al. erwähnten gegenwärtigen “neo-biologization”,514 die man weitgefasst auch als “neo-genetization”515 bezeichnen könnte, zeigt sich die aktuelle Veranstaltung “Psychiatric Epidemiology meets Genetics: the Public Health Consequences”.516 In Anbetracht der Meggendorferschen Auslegung der Kriterien für die Diagnosestellung „schwerer Alkoholismus“ erscheint die “Addiction”-Studie von Boschloo et al. bezüglich der “Predictors of the 2-year recurrence and persistence of alcohol dependence”517 als relevant. Ihre Ergebnisse motivieren dazu, „zusätzlich zur

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both medicalizing and moralizing elements as well. At present, psychologization itself has a powerful competitor in the ʻneo-biologizationʼ of addiction. This does not mean that biological elements have been completely absent in psychologization. The influential work of Elvin Morton Jellinek provides a good example of this. As a director of the Section of Studies of Alcohol at Yale University in the 1940s, and as a consultant to the World Health Organization in Geneva in the 1950s, Jellinek’s conceptualizations of alcoholism played a critical role in research, prevention, and treatment around the world. He claimed to have formulated a ʻnewʼ ʻdisease conceptʼ of alcoholism (the title of one of his most important publications in 1960), a concept that was supposedly free of the old, stigmatizing moralism of the past. Jellinek formulated a rather complex and arbitrary classification of forms of alcoholism. Individual psychological pathologies and socio-cultury influences took central place rather than biological and genetic characteristics. To be sure, even Jellinek accorded a role to hereditary predispositions: ʻI am inclined to think that heredity may play a role in the time necessary for alcohol to exert serious stresses on the system to which the anomaly attachesʼ. Nevertheless, though biology was not completely absent in his work, Jellinek was pivotal in the shift to psychological approaches to alcoholism. Significantly, though, the ʻneo-genetizationʼ of the 1990s and beyond has once again claimed to have left moralizing and stigmatizing ideas behind, but now it is the psychosocial approaches that are seen as stigmatizing”. Vgl. Snelders et al. (2008), S. 132–133. Siehe ferner Jellinek (1979). Weiterführend auch Meerloo (1934). Bezüglich der unmittelbaren Nachkriegs-“reappointments of racial hygiene” siehe Weindling (1989), S. 567. Weiterführend sei verwiesen Maria A. Wolfs Kapitel „Die neue Sachlichkeit einer eugenisierten Reproduktionsmedizin, die Normalisierung der prophylaktischen Gesellschaft und der individualisierte Mensch. Wie die alte Eugenik als Erziehungsprogramm die Geburt von Menschen pränatal oder auf Zellstufe präventiv verhindert, deren Leben ‚nicht als mit dem Leben zu vereinbaren‘ gilt oder die als ‚sozial untragbar‘ betrachtet werden: 1945–2000“. Vgl. Wolf (2008), S. 497–707. Interessant ist es, an dieser Stelle eine Position aus dem Jahr 1970 anzuführen, welche kaum die aktuellen Entwicklungen im Bereich der „Neo-Eugenik“ erwarten ließ : „Der Mißbrauch der Vererbungslehre im ‚Dritten Reich‘ hat eine ganze Wissenschaft in Verruf gebracht. Heute erst wird wieder offen über Erbkrankheiten, ihre Ursachen und ihre Verhütung diskutiert. […]. Vor wenigen Jahren noch glaubte man, durch eugenische Maßnahmen der Erbkrankheiten Herr werden zu können. Jetzt müssen wir eingestehen, dass uns und unseren Nachkommen nur eine Möglichkeit bleibt: Mit Erbkrankheiten leben“. Vgl. Kleemann (1970), Klappentext. Vgl. “International Congress – LMU Munich, WPA Section on Epidemiology and Public Health in collaboration with the WPA Section on genetics and Psychiatry”, stattfindend im Institut für Psychiatrische Phänomik und Genomik (IPPG) Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München. In: Bayerisches Ärzteblatt 2016 (1–2). Fortbildungen, Kongresse & Seminare, S. 50. Boschloo et al. (2012).

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dichotomen Diagnosestellung auch Schweregradindikatoren beim Umgang mit Alkoholkranken im klinischen Alltag einzusetzen“,518 womit sich am ehesten individuell angepasste tertiärprophylaktische Strategien entwickeln ließen. Meggendorfers positive Einstellung in Bezug auf die berufliche Rehabilitation von psychisch kranken Menschen zeigt sich, wenn er gegenüber den Mitarbeitern des Siemens-E-Labs angab, „[d]ie Erfahrung habe gezeigt, dass volle Berufsleistung nicht nur bei körperlich arbeitenden, sondern auch bei Geistesarbeitern wieder erlangt werden könne“.519 Diese Bemerkung Meggendorfers gewinnt an Eindrücklichkeit vor dem Hintergrund, dass dem Kriterium der „Arbeitsfähigkeit“ bei psychiatrischen Patienten zu nationalsozialistischer Zeit eine besondere, schlimmstenfalls überlebensrelevante Bedeutung zukam. Meggendorfer, der 1936 auf Paracelsus520 zurückgegriffen hatte, um eine erbliche Komponente der syphilitischen Erkrankung nahe zu legen, rekurrierte in der Nachkriegszeit in einem gänzlich anderen Kontext auf Paracelsus. Ende 1949 betonte Meggendorfer im Vorwort seines im darauffolgenden Jahr erschienenen Lehrbuches das beste der nach derzeitigem Wissen verfügbaren Heilmittel, nämlich etwas, „das wir – und nicht nur wir Deutschen – in diesen letzten Jahren beinahe vergessen hätten, ohne das aber alle anderen nichts sind. Kein Geringerer als der alte Paracelsus hat es gefunden und gelehrt: ‚Der höchste Grad Artzney ist die Liebe. Die Liebe ist es, die Kunst lehrt und außerhalb derselbigen wird kein Arzt geboren‘“.521

Stützte sich Meggendorfer auf Paracelsus, um die Liebe zum „höchste[n] Grad Artzney“522 zu stilisieren, so ähnelt sein Vorwort-Inhalt von 1950 den Schlussworten in von Braunmühls Werk „Insulinshock [sic] und Heilkrampf in der Psychiatrie“ aus dem Jahr 1947.523 Meggendorfers Euphemisieren der NS-Verbrechen zu einem „Vergessen von Liebe“ kann einerseits mangelndes kritisches Bewusstsein widerspiegeln. Andererseits könnte ein direkter, expliziter Rekurs auf die – als Hochschullehrer zumindest mitgetragene – Atrozität der NS-Medizin ein Tabu gewesen sein zum Erhalt des eigenen Selbstwertes. Literatur und Quellenmaterial aus der Nachkriegszeit geben 518 Braun (2013a). 519 Medarchiv-Siemens. „Elektroschock 1940 bis Februar 1941“: Aktennotizen und Reiseberichte. 520 Paracelsus kann mit seinen Schriften zu Astrologie, Alchimie, Naturphilosophie und Theologie gelten als „Vertreter der Magische[n] Medizin, der Iatromagie zwischen religiöser Heilkunde einerseits und rationaler Medizin andererseits“. Vgl. Schott (2017). 521 Meggendorfer (1950), Vorwort. 522 Ebd. 523 Vgl. Braunmühl (1947). „In diesem Sinne ist […] Heilen und Helfen in der Psychiatrie eine der großen humanitären Aufgaben aller Zeiten. Wie es freilich um diese humanitäre Aufgabe, ja um den vielgepriesenen Humanismus bestellt ist […], das haben nicht nur die vergangenen Jahre, sondern bald ein ganzes Jahrhundert mit furchtbarer Deutlichkeit gezeigt. […] – Mein Buch soll jedoch nicht ohne freundlicheres Gedenken in die Welt hinausgehen“. Vgl. ebd., S. 226–227. Sieben Jahre später publizierte Braunmühl zur Frage „War Hitler krank“. Vgl. ders. (1954). Hallervorden verfasste einen Nekrolog auf Braunmühl. Vgl. Hallervorden (1957). Zu Braunmühl siehe auch S. 229.

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nur begrenzten Aufschluss über Meggendorfers Positionierung zu den stattgehabten NS-Medizin-Verbrechen.524 Diese Dokumentenlücke könnte einen Rückschluss dahingehend zulassen, dass Meggendorfer nicht umfassend genug zur eigenen525 wie zur gesellschaftlichen Verantwortung am Nationalsozialismus reflektierte. Aktuell findet sich zum Beispiel keine Position Meggendorfers zu dem im benachbarten Nürnberg stattgehabten Ärzteprozess.526 Mittels Ex-Negativo-Beweisführung ließe dies ein „Ausblenden“ im Sinne eines „Nicht-Wahr-Haben-Wollens“ Meggendorfers aufdecken. Wenn sich aus Meggendorfers Veröffentlichung zur kongenitalen Wortblindheit527 dessen Gewissensbildung528 zur pervertierten erbgesundheitlichen Situation im Kriegsdeutschland ablesen lässt, so mag Sotelos Aussage zur minimalisierten, wenn nicht sogar ausgeschalteten individuellen Gewissensbefragung im Nachkriegsdeutschland für Meggendorfer partiell zutreffen.529 524 Eine nicht zu unterschätzende Rolle mag hierbei auch dem zunehmenden Ersatz schriftlicher Korrespondenz durch mündliche Telefonate zukommen: „1928: Erstes Telefonat von Deutschland nach USA über Funk. 1930: Siemens entwickelt den ersten Motor-Dreh-Wähler. In Berlin wird die erste Zeitansage über Telefon eingeführt. Es gibt hier 400.000 Telefonanschlüsse. 1936: zwischen Berlin und Leipzig wird ein ,Fernseh-Sprechdienst‘ eingerichtet.[…]. 1939: Der Ausbruch des 2. Weltkrieges unterbricht in Deutschland die Umstellung von handvermitteltem zum Selbstwählferndienst. 1947: im zerstörten Nachkriegsdeutschland soll das neue Fernmeldenetz mit dem Ziel der vollen Automatisierung wiederaufgebaut werden“. Vgl. http://articlesarchive.net/www__sammlung-schmidt__de--files--Zeitleiste_Telefon_-Die_historische_Entwicklung__pdf.html. Stand vom 26.07.2016. „1948: In Deutschland wird das erste Nachkriegstelefon W 48 ausgeliefert, es entwickelt sich später zum Klassiker (Farbe schwarz oder elfenbein)“. Vgl. Schumacher in http://www.sammlung-schmidt.de/files/Zeitleiste_Telefon_-_Die_historische_Entwicklung.pdf. Stand vom 20.07. 2016. 525 Es imponiert vielmehr eine Beschäftigung mit dem eigenen Schicksal im Sinne der Bestrebung nach einer Restitution des professionellen Status. 526 „Die Geschichte des Nürnberger Ärzteprozesses und seiner Rezeption zeigt, warum medizinethische Probleme stets eng verschwistert mit historischen, politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen sind. Durch die zunehmende Vergesellschaftung von Medizin erhalten eine Vielzahl von Institutionen, gesellschaftlichen Gruppierungen und Lobby-Interessen einen Einfluss auf die heikle Machtbalance von Arzt und Patient. Das individuelle Arzt-Patient-Verhältnis kann dadurch in vielerlei Hinsicht beeinflusst und gestört werden. In dieser Hinsicht steht die Medizin von heute noch in derselben Tradition wie vor 1945. Wir müssen – ob wir wollen oder nicht – das Erbe dieser Geschichte antreten“. Vgl. Wiesemann/Frewer (1996), S. 11. 527 Siehe hierzu Kap. 3.2.7. 528 Eigene moralische Grundsätze sahen sich zeitgeist-modifizierten Normen ärztlichen Handelns gegenüber: „[N]icht mehr von medizinischen Rationalitätskriterien geleitet […], sondern in erster Linie […] den Vorgaben des nationalsozialistischen Staates [unterzuordnen waren die eigenen Handlungsweisen], [zumal] [d]er ‚Gesundheitsoffizier‘, der ‚Priesterarzt der Neuen Deutschen Heilkunde‘ der ‚Erbheger im Gesundheitsamt‘ und der ‚Volksarzt‘ [… ] an die Stelle des Individualarztes treten sollte“. Vgl. Süß (2003), S. 371–372. Interessant hierzu auch die Perspektive des deutschen Medizinhistorikers Georg Lilienthal: „In ethischen Fragen waren die Ärzte im Dritten Reich auf sich selbst zurückgeworfen. Ärzteverein, Standesvertretungen und Ärztekammern gaben ihnen nicht mehr den gewohnten Rückhalt“. Vgl. Frewer/Bruns (2003), S. 315. 529 „Das Überleben in einem völlig zerstörten Deutschland war nicht einfach; und die vielen Schwierigkeiten, die den Neubeginn behinderten, zu bewältigen, wurde zur einzigen Aufgabe.

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Meggendorfers persönliche Äußerungen lassen darauf schließen, dass er sich – trotz gravierender persönlicher Probleme in der Nachkriegszeit – 530 selbstkritisch531 mit seinem Handeln zu NS-Zeit auseinandersetzte.532 Jedoch zeigt sich Meggendorfers Schuldbewusstsein nur diffus. Die Selbsteinordnung im Sinne eines partiellen Belastet-Seins in der rückblickenden Perspektive der Jahre 1947/1949533 könnte als deutlich positiv gefärbt wahrzunehmen sein. 5.7 EXKURS: NEURODETERMINISMUS UND SEINE FOLGEN FÜR DIE PRAXIS Die Fragestellung, warum es letztlich konkrete Ausführende für die NS-Psychiatrie-Verbrechen gab, wurde oftmals im Kontext der „totalitäre[n] Welt des Nationalsozialismus“534 analysiert. Eine Art „Meta-Erzählung“,535 die es kritisch zu hinterfragen gilt, sieht Christian Dries in der These vom „ideologischen Kosmos, der Denk- und Urteilsfähigkeit ausgesetzt, und […] den Tätern somit einen Fluchtweg aus der Verantwortung in die Mär vom Befehlsempfänger wider Willen“536 geboten habe.

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Eine so bedrückende Lage brachte den Vorteil mit sich, dass kein Raum blieb, um Fragen nach der individuellen oder kollektiven Schuld zu stellen. In einer Atmosphäre höchster Beklemmung und Not fand die schrecklichste aller Fragen, die nach der Vernichtung von Millionen Menschen, nicht den Weg in das Bewusstsein der Menschen“. Vgl. Sotelo (2009), S. 38. Zu den politischen Determinanten und Spielräumen des Neubeginns in Europa im Zeitraum von 1945–1949 siehe Franz (2010). „Nur grob lassen sich die schwierigen Lebensbedingungen der Nachkriegszeit umreißen, in der die Sorge der Eltern um das tägliche Überleben, die Probleme mit der Entnazifizierung Vatis und von der Sorge um die Ausbildung und Berufsfindung der Töchter geprägt war“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton und Dr. Walburga Remold, April 2010 in FAM. „Die Einfühlung in sich selbst und die allmähliche Ablösung von dem, was man in sich an großen und destruktiven Wünschen findet, würde auch die Einfühlung in andere ermöglichen. Dass der Einfühlung in andere die Fähigkeit zur Empathie mit seinen eigenen dunklen Seiten vorangehen muss, entspricht der therapeutischen Alltagserfahrung. Diese Rangfolge wird auch bestätigt durch Erinnerungen von NS-Zeitzeugen oder autobiographische Berichte über die schmerzhafte Ablösung von der Bindung an die NS-Ideologie und an den idealisierten Führer“. Vgl. Brockhaus (2012), S. 105. „Ich bin meiner Ansicht nach doch nicht so belastet, dass ich untragbar wäre; auch sind alle, die mich längere Zeit kennen, dieser Meinung“. Vgl. BayHStA: MK 44017, Schreiben Meggendorfers an Meixner vom 07.03.1947. Empfehlenswert ferner Blass (1993). Siehe ferner S. 518 und S. 562, Fn. 167. Vgl. vorg. Fn. 532. Insbesondere zur Perspektive von 1949 siehe S. 562, Fn. 167. Dries (2016), S.177. Zu „Profile[n] einer totalitären Herrschaft“ als „Gesicht des Dritten Reiches“ siehe ferner Fest (1997). Dries (2016), S.177. Ebd. Zur „Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft“ vgl. Ullrich (2011).

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Vor diesem Hintergrund sollen exkursorisch mögliche Folgen537 von Neurodeterminismus für die Praxis skizziert werden.538 Gerhard Roth sieht in der subjektiven Empfindung frei zu sein eine reine Illusion,539 eine selbstbestimmte Person handle determiniert durch Genetik, Prägung und situative Einflüsse.540 Das neurophysiologische Erklärungsmodell Wolf Singers betrachtet den Entscheidungsprozess als Resultat eines dynamisch neuronalen Wettbewerbsprozesses und zufälliger Signalübertragungsschwankungen.541 Der von Singer dargestellte dynamisch-kompetitive neuronale Entscheidungstrigger erlaubt assoziativ einen Rückgriff auf Hans-Helmut Kornhuber (1928–2009), den Entdecker des Bereitschaftspotentiales im Jahr 1964.542 Auch für Kornhuber ist Entscheidungsfreiheit keine statische Gegebenheit, sondern vielmehr ein dynamischer Prozess. Kornhuber versteht jedoch hierunter weit mehr als die Singerschen automatisiert ablaufenden neuronalen Verschaltungskreise. Für ihn resultiert sie vielmehr aus Kultur und (Selbst)Erziehung. Somit sollte das Freierwerden als komplexe, positive Fähigkeit lebenslang gefördert und gefordert werden. Es gilt, unsere Freiheitsgrade stetig auszudehnen, sei es beispielsweise zu Lebensbeginn mit Kretinismus-543Prophylaxe, später mit pädagogischer Optimierung oder mit Depressionsbehandlung. Neurodeterminismus provoziere Unverantwortlichkeit mit dem Risiko konsekutiver hedonistischer Depression. Stattdessen fordert Kornhuber das aufklärerische „sapere aude“.544 Fokussiert Kornhuber auf möglicherweise negative Folgen der neurodeterministischen Position auf die psychische Gesundheit, so zeigen die Mehrzahl an Studienergebnissen, dass Neurodeterministen weniger sozial agieren als Probanden, die an den freien Willen glauben.545 Es gibt jedoch auch Schrifttum mit gegenteiligen Ergebnissen, nämlich im Sinne der prosocialen Effekte von Determinismus.546

537 Zur Objektivierbarkeit des Strafrechts vor dem Hintergrund neurowissenschaftlicher Forschung siehe ferner Heydt (2015). 538 Siehe ferner Braun (2012b). 539 Weiterführend empfehlenswert Thimm/Traufetter (2004). 540 Vgl. Roth (2005). 541 Vgl. Singer (2004). 542 Vgl. Kornhuber/Deecke (1965). 543 Das nicht unterschriebene Gutachten vom 07.07.1937 zu der an Kretinismus leidenden K. E. lautet folgendermaßen: „Der Kretinismus wird nach unserer derzeitigen Kenntnis nicht durch Erbanlagen bedingt, sondern durch noch nicht näher bekannte äußere Einflüsse. Auch [Fritz] de Quervain [1868–1940] und [Carl] Wegelin [1879–1968] sprechen sich gegen die erbliche Bedingtheit des Kretinismus und gegen die Sterilisation bei Kretinismus aus. Ich gebe deshalb das von mir geforderte Gutachten dahin ab, dass bei Frau K. E. eine Erbkrankheit im Sinne des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses nicht vorliegt“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 203/112. 544 Vgl. Kornhuber (2006). 545 Siehe hierzu: Wegner (2002), Vohs/Schooler (2008), Baumeister et al. (2009), Leotti et al. (2010) und Stillman et al. (2010). 546 Siehe hierzu Krueger et al. (2014), Shariff et al. (2014).

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In Übereinstimmung hierzu stehen die aktuellen Ergebnisse von Caspar et al. Die Autoren untersuchten die Häufigkeit des freiwilligen und erzwungenen Zufügens schmerzhafter elektrischer Reize im Paradigma-Kontext von Neurodeterminismus einerseits und Willensfreiheit andererseits. Die Resultate von Caspar et al. zeigen, dass die deterministische Gruppe weniger Reize setzte, wobei sich die Anzahl in Abhängigkeit der Zwangsbedingung nur bei weiblichen Teilnehmern signifikant unterschied. Interessanterweise ließen sich diejenigen Teilnehmer eher unter Zwang nehmen, welche in hohem Maße überzeugt waren, das Leben verlaufe zum großen Teil unvorhersehbar. Nach Caspar et al. ist eine positive moralische Beeinflussung sowohl durch den Glauben an Willensfreiheit einerseits als auch durch Neurodeterminismus andererseits möglich. Wenn die Autoren appellieren, diesen Befund als denkerische Herausforderung anzunehmen,547 so bietet es sich an, erneut auf Christian Dries zu verweisen. Für ihn kann freies Urteilen auch unter totalitären Herrschafts- und Lebensbedingungen möglich sein, sofern man die subjektivierenden Effekte der jeweiligen historisch-sozialen Situation mitberücksichtigt,548 womit die Wichtigkeit des dimensionalen Ansatzes in der NS-Biographik549 betont wird. 5.8 ZUR REZEPTION AUSGEWÄHLTER FACHKOLLEGEN MEGGENDORFERS Georg Schaltenbrand (1897–1979), der ab 1937 Ordinarius für Nervenheilkunde und Innere Medizin an der Universität Würzburg war, betonte in einem als Entlastungsschreiben fungierendem Schriftstück vom 24.03.1947, er habe gemeinsam mit Meggendorfer „[a]nlässlich einer Wehrmachtsärztlichen Tagung […] ernstlich die Frage geprüft, ob es nicht möglich wäre, Hitler, den wir für nicht mehr ganz normal hielten, zu entmündigen“.550 Georg Schaltenbrand wurde nach Dienstsuspension 1945 trotz seiner Menschenversuche551 von 1940 im Jahre 1950 wiedereingesetzt und wurde „[i]m bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland […] einer der führenden Neurologen“.552 1947 nahm er als Redner teil am Kongress für Neurologie und Psychiatrie 547 “The road toward progress in our understanding of how such beliefs influence human behavior remains long and ardous, but it clearly apears that both beliefs in free will and determinism can have positive impacts on moral-decision makings – a finding that challenges current thinking”. Vgl. Caspar et al. (2017), S. 8. 548 „Nicht zuletzt schreibt man auf diese Weise die Meta-Erzählung von der Verunmöglichung des freien Urteilens unter totalitären Herrschafts- und Lebensbedingungen fort, ohne nach den produktiven, subjektivierenden Effekten jener historisch-sozialen Situation zu fragen“. Vgl. Dries (2016), S. 177. 549 Siehe hierzu auch S. 670. 550 StNB. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. 551 „Leibbrand vertrat die Meinung, dass jeder Menschenversuch unter allen Umständen als Verstoß gegen die im hippokratischen Eid festgelegte Ethik abzulehnen sei“. Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 57. Siehe ferner Weizsäcker (1947). 552 Holdorff/Hoff (1998), S. 179. Zu Schaltenbrand siehe ferner Hopf (1980) sowie insbesondere Colmann (2008).

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in Tübingen.553 Ab 1953 war Schaltenbrand Vorsitzender des Ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple Sklerose554 Gesellschaft. Als Herausgeber eines Bandes mit den auf dem Südwestdeutschen Neurologenkongress in Baden-Baden an Pfingsten 1960 gehaltenen Vorträgen fragt er in seinem Vorwort „Was ist Zeit? Wie wird sie erlebt? Wie wird sie gemessen und welche Störungen der zeitlichen Ordnung und des Zeiterlebens gibt es?“555 Die „Zeit in nervenärztlicher Sicht“ umfasse thematisch psychologische, philosophische, physikalische, neurophysiologische, klinisch neurologische sowie psychiatrische Aspekte und es sei „im Interesse der Einheit der Wissenschaften von Bedeutung, jene Gesichtspunkte zu diskutieren, die ein einheitliches Weltbild gestalten“.556 In seinem Vortrag über „[d]ie Krisis des Zeitbegriffes“557 erwähnte Schaltenbrand die Schwierigkeit der gedanklichen Annahme einer negativen Zeit. „Positive Zeit“ assoziierte Schaltenbrand mit „Kräften des Zerfalls, des Sterbens, des Vergessens, der Zerstörung“.558 Es mutet befremdlich an, wenn Schaltenbrand destruktive Elemente „positiv“ konnotiert sah. Derartige Pseudointellektualisierung höhnt dem unmittelbar im Vorfeld erlebten nationalsozialistischen Vernichtungskrieg.559 Als Lehrstuhlinhaber wurde Schaltenbrand zudem Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Er wurde 1969 emeritiert.560 Als „wohl beispielhaft für die Trägheit historischer und ethischer Erkenntnisse und Konzepte“561 führen Holdorff und Hoff die Tatsache an, dass Schaltenbrands562 „Menschenversuche erst posthum einer breiten neurologischen und psychiatrischen Leserschaft bekannt gemacht wurden und dies bezeichnenderweise von ausländischer Seite“.563 Obwohl Schaltenbrands Experimente von 1940 in publizierter Form vorlagen564 haben sie erst durch Shevell und Evans „in ihrer Tragweite die nötige Aufmerksamkeit“565 erfahren:

553 554 555 556 557 558

Vgl. Schaltenbrand/Töbel (1947). Siehe ferner Schaltenbrand (1957). Weiterführend hierzu auch Braun (2016a). Schaltenbrand (1963a), Vorwort. Ebd. Ebd., S. 7. Ebd. „Im Gegensatz zu den Kräften des Zerfalls, des Sterbens, des Vergessens, der Zerstörung, welche mit dem Begriff der positiven Zeit verbunden sind, setzen die Kräfte der negativen Zeit Bewusstsein und Wille voraus […]. Die Denkschwierigkeiten bei der Annahme einer negativen Zeit lassen sich vielleicht überwinden, wenn wir die Idee einer zeitlichen Erstreckung aufgeben und die zeitliche Ordnung der Welt als einen Zählvorgang betrachten“. Vgl. ebd. 559 „Von der NS-Weltanschauung zum Vernichtungskrieg“ siehe Chapoutot (2016). 560 Vgl. Klee (2003), S. 338. 561 Holdorff/Hoff (1998), S. 179. 562 Siehe ferner Steger/Schaltenbrand (1940). 563 Shevell/Evans (1994). 564 Vgl. Schaltenbrand (1940) und (1943). „Mit dem Nürnberger Ärzteprozess betraten die Richter juristisches Neuland, denn die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die man den angeklagten Ärzten vorwarf, waren unten dem Deckmantel von medizinischen Experimenten erfolgt“. Vgl. Jütte (2017), S. B 1294. 565 Holdorff/Hoff (1998), S. 179.

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer „Versuchspersonen waren neurologisch und psychiatrisch Schwerkranke, zum Teil ‚verblödete Menschen‘, die in der Zeit der voll im Gange befindlichen Euthanasieaktion und im Würzburger Umkreis eines Werner Heyde566 leicht ein Objekt solcher Experimente werden konnten“.567

566 „Seit 1935 Arzt im ,Amt für rassisch-politische Fragen‘ in Würzburg und seit 1938 Leiter der San.-Abteilung im SS-Hauptamt war Heyde als sog. ,Obergutachter‘ und ab Sommer 1940 als Leiter der Tarnorganisation ,T4‘ […] einer der Hauptverantwortlichen für die Tötungsaktionen von psychisch Kranken und geistig Behinderten gewessen. Wegen zu Last gelegter homosexueller Neigungen wurde er Ende 1941 von der NS-Führung für die Weiterführung dieser grauenvollen Aktion als nicht mehr ,würdig‘ befunden, blieb aber bis zu seiner Amtsenthebung am 26.7.1945 Lehrstuhlinhaber“. Vgl. Böning (2004), S. 168. Werner Heyde floh in Würzburg am 25.07.1947 nach seinem Rücktransport vom Nürnberger Ärzteprozess. Er tauchte in Norddeutschland unter und war ab 1950 unter dem Pseudonym Dr. Fritz Sawade als Sportarzt tätig, ab Dezember unter anderem als Gutachter bei der Landesversicherungsanstalt. Im November 1959 wurde er erneut verhaftet. Er begann Suizid im Zuchthaus Butzbach. Vgl. Klee (2003), S. 252. Als frühe „Gedanken zum Nürnberger Ärzteprozess“ siehe Hantel (1947). Ferner empfohlen sei Peter (1998). Als Beispiel für einen primär „erfolgreicheren“ Identitätswechsel eines NS-Wissenschaftlers im Nachkriegsdeutschland sei auf die Entwicklung des Germanisten und Rassetheoretikers Ernst Schneider verwiesen: „Ein neuer Anfang wird nicht gelingen, wenn man vor sich flieht. Oder doch? […]. Am 2. Mai 1945 meldete sich bei den Behörden in Lübeck ein gewisser Hans Schwerte und behauptete, seine Papiere im Osten verloren zu haben. In Wahrheit handelte es sich um den 1900 geborenen Germanisten und SS-Offizier Dr. Ernst Schneider. Er war Leiter des ‚Germanischen Wissenschaftseinsatzes‘ in Himmlers ‚Amt Ahnenerbe‘ gewesen, einer Einrichtung, die u. a. den medizinischen Menschenversuchen im Konzentrationslager Dachau zuarbeitete. Von 1940 bis 1942 war er in den besetzten Niederlanden als Herausgeber von Propagandaschriften und bei der Kontrolle des Hochschulwesens tätig. Dieser Dr. Schneider fing als Hans Schwerte ein neues Leben an, heiratetet seine Frau zum zweiten Mal, studierte und promovierte nochmals, diesmal über den ‚Zeitbegriff bei Rainer Maria Rilke‘, habilitierte sich über ‚Faust und das Faustische. Ein Kapitel Deutscher Ideologie‘, ein Klassiker der liberalen, ideologiekritischen Germanistik. Er machte Karriere, wurde 1965 auf einen Lehrstuhl an der RWTH Aachen berufen, war dort von 1970 bis 1973 Rektor, wurde Beauftragter für die Pflege der Beziehungen zu den Hochschulen der Niederlande, wobei er dann teilweise für dieselben niederländischen Universitäten zuständig war wie dreißig Jahre zuvor als SS-Mann.[…]. Mit einem Bundesverdienstkreuz ging Schwerte in den Ruhestand, aus dem er 1994 aufgeschreckt wurde, als er davon Kunde erhielt, dass niederländische Fernsehjournalisten seine Enttarnung vorbereiteten. Ihr kam er im selben Jahr mit einer Selbstanzeige zuvor. Die Habilitation und die Professur samt Ruhegehalt wurden ihm aberkannt, obwohl sie doch fachlich gesehen durchaus redlich erworben waren. […]. Schwerte hatte fast übergangslos den Dr. Schneider abgelegt und sich den Schwerte ‚angezogen‘, um hier einmal den schönen paulinischen Ausdruck für die plötzliche Bekehrung zu verwenden. Aus dem Rassetheoretiker wurde fast über Nacht ein Kritiker der völkischen Literatur. […]. Es gibt in Schwertes Schriften erstaunlich viele Passagen, die sich mit der Problematik des Rollenspiels und des Maskentragens beschäftigen. […]. Die eine Biografie wurde über die andere gestülpt, ein Beweis dafür, dass in einer Biografie Raum für mehrere Biografien ist. […]. Schwerte/Schneider lebte nach dem Grundsatz, den Arthur Rimbaud [1854–1891] 1871 als Programmatik der poetischen Avantgarde verkündet hatte: ‚Ich ist ein Anderer‘. Schwerte/Schneider hat bewiesen: es geht, man kann ein Anderer werden. Das aber heißt: Aufs Ganze gesehen ist eine Person dadurch definiert, dass sie sich nicht definieren lässt. Es müssen nicht, wie bei Schwerte/Schneider, verschiedene wirkliche Leben sein, es genügt, dass man fortwährend ins Imaginäre entweichen kann.“. Vgl. Safranski (2017), S. 44–47. Siehe ferner Schwerte (1948) und (1962) sowie Leggewie (1998).

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Parallel zur Wehrmacht begann die SS ab 1936 mit der Etablierung eines eigenen Lazarettsystems, wozu ihr hauptsächlich die teilweise bereits von der SS genutzten und unterhalten Abteilungen bereits bestehender Kliniken dienten: „Die Adresse der [im August 1941 eingerichteten] SS-Lazarettabteilung für Nervenkranke an der Universitätsklinik Würzburg lautete Füchsleinstr. 15, jene Anschrift, die im Haftstättenverzeichnis des Internationalen Suchdienstes als die des Würzburger Außenlagers des KZ-Flossenbürg genannt wird“.568

Werner Heyde (1902–1964), Würzburger psychiatrischer Ordinariatskollege des Neurologie-Lehrstuhlinhabers Schaltenbrand, wurde betraut mit der neurologischpsychiatrischen Beobachtungsstation der Waffen-SS in Würzburg. Nachdem am 09.04.1943 die Abteilung „SS-Sanitätswesen“ der Amtsgruppe des SS-Führungshauptamtes angeordnet hatte, alle SS-Lazarettabteilungen zu erweitern, wurden ab 17.04.1943 die ersten KZ-Häftlinge als Baukommando nach Würzburg überstellt.569 Wenn Ernährung sowie hygienische Bedingungen in Würzburg in Gegenüberstellung mit anderen Außenlagern oder dem Stammlager Flossenbürg vergleichsweise von den überlebenden Häftlingen als besser beurteilt wurden, so sieht Skriebeleit dies begründet im „[p]ersönliche[n] Ehrgeiz und ganz pragmatische[n] Nützlichkeitserwägungen“570 Heydes. Schließlich war er für die Umsetzung seiner Bauvorhaben auf Arbeitskräfte angewiesen.571 In Anbetracht der Menschenversuche Schaltenbrands572 an potenziellen „NS‚Euthanasie‘-Kandidaten“ irritierend ist die Argumentationslinie von Holdorff und Hoff, „man [könne Schaltenbrand] sicher nicht der Beteiligung oder Billigung der 567 Holdorff/Hoff (1998), S. 179. 568 Skriebeleit (2007), S. 270. Zur Medizin im KZ Flossenbürg siehe Tannenbaum (2017). 569 Würzburger Gefangene mit Stand vom 28.02.1945; 50 nicht-jüdische KZ-Häftlinge: 2 Deutsche, 1 Jugoslawe, 1 Grieche, 1 Franzose, 4 Tschechen, 15 Russen, 26 Polen. Sie wurden teilweise im Außenbereich des Klinikums an der Erweiterung einer Mauer und bei Ausschachtungsarbeiten eingesetzt. Vgl. Skriebeleit (2007), S. 270–271. 570 Ebd., S. 270. 571 Vgl. ebd., S. 270–271. 572 „1947 kam es […] zu einem Ermittlungsverfahren [gegen Schaltenbrand] am Würzburger Landgericht. Zum Obergutachter wurde Victor von Weizsäcker bestellt, der zu einem für Schaltenbrand positiven Urteil kam: Die Versuchspersonen seien durch das Experiment nicht an MS erkrankt, und das geringe Risiko des Versuchs sei durch den Nutzen für die Allgemeinheit weit aufgewogen gewesen“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 27. „Sowohl vor 1945 als auch in der Nachkriegszeit, […], entwickelten einige der historischen Akteure eigene Argumentationen, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Damit formulierten sie normative Regeln für ärztliches und wissenschaftliches Handeln, die für die Zeit des Nationalsozialismus plausibel waren und dort verbreitete Gültigkeit hatten. Diese Form einer moralischen Rechtfertigung – pointiert gesagt, einer NS-Medizinethik – ist nicht völlig absurd […]. Ein zentraler Baustein dieser Ethik war der hohe Wert, welcher der Produktion von neuem wissenschaftlichem Wissen zugeordnet wurde […]. Ein anderer sehr hoher Wert war das Wohlergehen der Gemeinschaft, oder des ,Volkskörpers, das dem Wohlergehen des Individuums eindeutig übergeordnet war. […]. Die Motivationen, Werthaltungen und das tatsächliche Handeln von Ärzten und biomedizinischen Wissenschaftlern während der Zeit des Nationalsozialismus legen auch einige weiterführende Überlegungen zu Fragen der medizinischen Ethik und ärztlicher Professionalität nahe […].“ Vgl. Roelcke (2010c), S. 1322.

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verdächtigen, im Gegenteil“.573 Im Gegensatz zu Heinrich Pette, dem „Führer der deutschen Neurologen“,575 der Parteimitglied geworden sei, um die Nachfolge Nonnes in Hamburg anzutreten, hätten „Schaltenbrand und von Weizsäcker576 als Mitbewerber ‚keine nationalsozialistische Zuverlässigkeit erkennen‘ l[assen]“.577 Holdorff und Hoff sehen den Zeitgeist mit konsekutiv politischideologischen Verstrickungen der Medizin als Ursache an, dass Pette und Schaltenbrand sich – in unserer Wahrnehmung – zu NS-Zeiten kompromittierten. Ewald wurde nach seiner Habilitation (1920) und Oberarzttätigkeit an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen (1922–1933) und nach einer am ehesten als „Interimszeit“ zu wertenden Phase in Greifswald578 1934 Leiter der Landes- Heil- und Pflegeanstalt Göttingen und Ordinarius für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Göttingen.579 Wenn Müller-Hill anführt, Ewald habe gegen das Gesetz vom 14.07.1933 zur Verhütung erbkranken Nachwuchses die ‚Euthanasieaktion‘ 574

573 Holdorff/Hoff (1998), S. 179. „[A]ufgrund der Schwierigkeiten, die er dem psychiatrischen Ordinarius in Würzburg, Werner Heyde, einem der Hauptverantwortlichen der T4-Aktion, bereitete, versuchte man aus der Kanzlei des Führers mit der Erstplatzierung Schaltenbrands in Breslau auf die Nachfolge Foersters Einfluss zu nehmen, was aber nichts an der Berufung Viktor von Weizsäckers änderte“. Vgl. ebd. Weiterführend siehe auch Weizsäcker (1941). 574 Heinrich Pette unterzeichnete am 11.11.1933 das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. Vgl. Klee (2003), S. 457. Aus Pettes Antrittsvorlesung von 1935 sei angeführt: „[z]u den vordringlichsten Aufgaben einer neurologischen Klinik gehört die weitere Ausgestaltung einer auf Auslese gerichteten sozialen Hygiene“. Vgl. ebd. 575 Ebd. 576 „‚Mein Leben ist also zum großen Teil an der Universität erfolglos verlaufen‘. Mit diesen Worten, aus denen leise Verbitterung spricht, beginnt ein 1955 verfasster Text Viktor von Weizsäckers mit dem Titel ‚Meines Lebens hauptsächliches Bemühen‘. Als er dies schreibt, hat Weizsäcker seine beiden Söhne im Krieg und seine ältere Tochter verloren. Er selbst leidet an der Parkinsonschen Erkrankung. Sein leidenschaftlicher Wunsch, die Medizin durch eine anthropologische Medizin der menschlichen Natur gemäßer zu gestalten, hat rückblickend bei seinen Kollegen wenig Anklang gefunden“. Vgl. Sack (1998), S. 164. Siehe ferner Weizsäcker (1955a) und (1955b). Weiterführend hierzu auch Henkelmann (1986); Wein (1991); Benzenhöfer (1994), S. 442. „26 Professoren aus Heidelberg, u. a. Weizsäcker, protestierten 1931 gegen die ‚braune Hetze‘, die verhindert, dass der Theologe, Sozialist und Pazifist [Günther Carl] Dehn [1882–1970] nach Heidelberg berufen wird. 1933 gibt es der nationalsozialistischen Terminologie angepasste Äußerungen. Weizsäcker wird jedoch nie Mitglied der NSDAP. Er hoffte auf einen Umbruch der Schulmedizin, sieht Ganzheitskonzepte realisierbar, erwartete eine Lösung der sozialen Frage und ‚die Einführung der Seele‘ in die Medizin“. Vgl. Rimpau (1990), S. 117. 1934 begrüßte Weizsäcker das Zwangssterilisationsgesetz. Vgl. ebd. 577 Holdorff/Hoff (1998), S. 182. 578 „Nach der Selbsttötung Edmund Forsters wurde dessen Stelle am 19. September 1933 zunächst vertretungsweise mit Gottfried Ewald besetzt […]. Die Fakultät nominierte ihn auf der Berufungsliste auf Platz 1., gleichberechtigt mit dem Münchner Oberarzt Kurt Beringer für den Lehrstuhl. Auf Platz 2 setzte sie den Chefarzt der Psychiatrie in Magdeburg Walter Jacobi. Da Ewald bereits 1934 einen Ruf nach Göttingen erhielt und annahm, wurde Jacobi ohne neue Liste zunächst vertretungsweise zum Klinikdirektor in Greifswald bestellt“. Vgl. UAG PA 2486 Ewald, UAG PA 623 Jacobi, zit. n. Eberle (2015), S. 113. 579 Siehe ferner Koller (2003) und Rüther (2003).

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Stimme erhoben,580 so mag hierbei eine Verwechslung mit seiner ablehnenden Haltung zum „Euthanasie“-Gesetz vorliegen. Die Sterilisation wurde von Ewald befürwortet. In ähnlicher Weise wie Meggendorfer kann auch Ewald der rassenhygienischen Bewegung zuzuordnen sein. Seine positive Haltung zur Zwangssterilisation581 begründete er 1933 folgendermaßen: „Will man verhüten, dass ein krankes Geschlecht entsteht, so bleibt nichts anderes übrig, als bereits die Entstehung solcher erblicher Keime zu verhindern, zu verhindern dass sich solche Keimträger überhaupt fortpflanzen, um so allmählich die schlechten Anlagen einzuschränken oder auszumerzen“.582

Würde man die ernsthaften ärztlichen Absichten bei der Sterilisation als Maßnahme zur Verhütung psychotischer Leiden abstreiten, so verkennt man, nach Schott und Tölle, „den medizinischen und sozialen Kontext dieser Zeit“.583 Ähnlich wie Meggendorfer sympathisierte auch Ewald mit dem Nationalsozialismus, was sich in seiner Mitgliedschaft in mehreren NS-Organisationen ausdrückte. In Bezug auf seine Tätigkeit als Beratender Psychiater bei der Wehrmacht wird Ewald als „überaus hart“ 584 beschrieben. So sprach er sich schon im Jahre 1939 gegen Vergnügungen und für strenge Disziplin in den Lazaretten aus, „später berichtete Wundt sogar an den Heeressanitätsinspekteur über Ewald, weil die Wehrdienstbeschädigungs-Gutachten in dessen Wehrkreis zu hart und ungerecht seien“.585 Anders als Meggendorfer, der in den Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Erlangen (24.10.1993–27.2.1994) anlässlich des 250-jährigen Bestehens der Friedrich-Alexander-Universität als „Erfüllungsgehilfe“586 einging,587 gilt Ewald trotz ähnlich eugenischen Gedankenguts als „Gegner der Euthanasie“.588 Am 15.08.1940 wurde Ewald vom Leiter der „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ nach Berlin in die Tiergartenstraße 4 zu einer Konferenz geladen, wo er als Gutachter für die Aktion „T4“ gewonnen werden sollte. Ewald erhob Widerspruch gegen die geplanten „Euthanasiemorde“. 580 „Gegen das Gesetz erhoben einzelne Psychiater, wie Prof Ewald, und die katholische Kirche ihre Stimme“. Vgl. Müller-Hill (1985), S. 33. „Prof. Ewald wird als einziger ‚einseitiger Anwalt der Erbkranken‘ genannt“. Vgl. Z. A. Potsdam, REM 4901-108, zit. n. Eberle (2015), S. 105. 581 Ferner interessant ist die zahn-, mund-, kieferchirurgische Position: „Unter den deutschen Chirurgen entbrannte ein heftiger Streit über den Umgang mit ihren Patienten. Wolfgang Rosenthal [1882–1971], Franz Ernst [1887–1947] und Georg Axhausen [1877–1960] setzten sich für ein humanes, rehabilitatives Therapieziel ein. Martin Waßmund [1892–1956] vertrat kompromisslos das rassenhygienische Ziel der ‚Ausmerze‘“. Vgl. Thieme (2012), Zusammenfassung. Zur „‚rassenhygienische[n] Ausmerze‘ der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten im Dritten Reich“ und zur Situation der Betroffenen empfohlen sei ebd. Zu „Zwangssterilisationen bei Spaltpatienten im Dritten Reich“ siehe ferner Paprotka (2017b). 582 Ewald (1933), S. 1687. 583 Schott/Tölle (2006), S. 184. 584 Berger (1998), S. 266. 585 Ebd. 586 Lehmann (1993a), S. 360. 587 Siehe hierzu S. 532. 588 Plezko (2011), S. 8. Siehe ferner Rüther/Stobäus (1998) sowie Stobäus (2000), S. 177.

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Es findet sich kein Hinweis, dass von politischer Seite her Versuche unternommen wurden, Meggendorfer als „T4-Gutachter“ anzuwerben. Meggendorfer war – ähnlich den meisten589 der deutschen Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie (und Neurologie) – in die Organisation der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater eingebunden. Schmuhl führt Meggendorfer einerseits unter denjenigen Repräsentanten der Fachgesellschaft an, welche dazu beitrugen, dass „abweichende Meinungen, wie etwa [die von] Karl Kleist (Frankfurt/Main) oder Hans-Gerhard Creutzfeld[t] (Kiel)“590 ins Abseits gerieten. Andererseits wird Meggendorfer von Schmuhl nicht unter denjenigen aufgeführt, die „ein folgenschweres Gegengewicht zu den expliziten Gegnern591 der Euthanasie“592 bildeten. Schumuhl ordnet Meggendorfer weder ein als „Euthanasie“-Gegner noch als „Euthanasie“-Befürworter. Obwohl Ewald das Verdienst zugeschrieben wird, die Diagnosen seiner „T4“gefährdeten Patienten abgeändert, sie vorzeitig entlassen, in Familienpflege übergeben oder zu wichtigen Demonstrationsfällen für die Psychiatrische Klinik erklärt zu haben, konnte er dennoch „nicht die Euthanasie von Patienten seiner Anstalt verhindern“.593 Wenn Meggendorfer 1947 angab, „[e]rheblich schwerer belastete Kollegen“594 in der britischen Zone seien wieder vollständig rehabilitiert, so zeigt sich ein Verweis auf den Hamburger Ordinarius für Psychiatrie Hans Bürger-Prinz relevant. Bürger-Prinz wurde zum 01.05.1933 Mitglied der NSDAP und der SA, er gehörte ab 01.10.1933 dem NSDÄB und ab 25.11.1934 dem NSLB sowie dem NSDDozB

589 Schmuhl führt hierzu aus: Maximinian de Crinis (Berlin), Kurt Pohlisch (Bonn), Friedrich Meggendorfer (Erlangen), Rudolf Thiele [1888–1960] (Greifswald), Hans Bürger-Prinz (Hamburg), Carl Schneider (Heidelberg), Berthold Kihn (Jena), Ernst Fünfgeld (Köln), Friedrich Mauz (Königsberg), Ernst Kretschmer (Marburg), Ferdinand Kehrer (Münster), Hermann F. Hoffmann (Tübingen) und Werner Heyde (Würzburg). Vgl. Schmuhl (2016), S. 398. 590 Ebd. Wenn sich bei Schmuhl (2016) die Schreibweise „Creutzfeld“ [sic] findet, so ist darauf hinzuweisen, dass sie sich auch in Meggendorfers Intoxikationspsychose-Werk detektieren lässt: „In dieser Form ist der Ergotismus eine ausgesprochene Armeleutekrankheit. Vereinzelte Ergotinvergiftungen wurden nach länger Ergotin- und Gynergenmedikation (Creutzfeld) [sic] beobachtet. Vgl. Meggendorfer (1928 a), S. 383. „Creutzfeld [sic]. Fall v. Ergotinismus [sic] […]“. Vgl. ebd., S. 398. Siehe ferner Creutzfeldt (1928). Ob der Verwendung des Begriffes „Ergotinismus“ für den von Creutzfeldt beschriebenen Fall einer akuten Gangrän bei „Angiospasmen infolge einer Gynergen- (Ergotamintartrat-)vergiftung“ – anstelle der geläufigen Bezeichnung „Ergotismus“ – eine Bedeutung zukommt, ist unklar. Vgl. ebd., S. 731. Die Schreibweise von Creutzfeldt mit fehlendem „t“ am Wort-Ende findet sich auch bei Gerlach/Bickel (2009), S. 205 sowie bei Krüger (2010), S. 123. Bei Laux und Möller finden sich folgende variable Schreibweisen: „Creutzfeld-Jacobsche Krankheit“. Vgl. Laux/Möller (2011), S. 27; „Creutzfeldt-Jakob“. Vgl. ebd., S. 70–71 und ebd., S. 77; „Creutzfeldt-Jacob-Krankheit“. Vgl. ebd., S. 27. Kursivschrift als Hervorhebung durch Verfasserin. 591 „Kurt Beringer (Freiburg), August Bostroem (Leipzig), Ernst Braun (Rostock), Oswald Bumke (München), Gottfried Ewald (Göttingen)“. Vgl. Schmuhl (2016), S. 398. 592 Ebd. 593 Schott/Tölle (2006), S. 185. 594 BayHStA: MK 44017.

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an. Bürger-Prinz595setzte sich mit einem „Übereifer im Sinne der Machthaber […] [ein] etwa bei der Beurteilung der ‚Kriegsneurotiker‘, denen Exekutionen durch Kriegsgerichte drohten“.596 „Die Rolle von Bürger-Prinz während des Dritten Reiches ist umstritten: Trotz seiner frühen Mitgliedschaft in der Partei gehörte er einem ‚engeren Kreis von regimekritischen Hamburger Wissenschaftlern an, die regelmäßig Treffen abhielten‘, in denen auch über die ,politische Situation‘ und die ,Lage der Universität‘ gesprochen wurde“.597

Obwohl Bürger-Prinz sowohl dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss als auch den Lesern seiner Autobiographie598 suggerierte, die „Euthanasie“ habe für Hamburg keine Relevanz entfaltet,599 so waren dennoch „[g]erade aus Hamburg […] Anstaltsbewohner in Massen nach Hadamar, Wien, Meseritz, Tiegenhof usw. zur Ermordung abtransportiert worden“.600 Hatte Meggendorfer seine forensische Kompetenz seitens Dohmann sowie seitens des Verlages J. C. B. Mohr angefochten gesehen, so wurde Bürger-Prinz die juristische Ehrendoktorwürde verliehen.601 Eine weitere Facette602 zu Bürger-Prinz zeigt sich in seiner differenzierten Position 595 „Hans Bürger-Prinz gehörte […] zu denjenigen, die Hitlers Leibarzt Karl Brandt (1904–1948) unterstützten“. Vgl. Schmidt (2007). S. 374–375. 596 Holdorff/Hoff (1998), S. 182. 597 Komo (1992), S. 17., zit. n. Berger (1998), S. 258. 598 Vgl. Bürger-Prinz (1976), S. 102. 599 „Wie andernorts wurde auch in Hamburg dies zunächst von der Schülergeneration nicht hinterfragt und wie z. B. von K. Dörner zunächst auch weiter getragen: ‚Dank der Weigerung durch Prof. Bürger-Prinz ist Hamburg das einzige Land Deutschlands, aus dem keine erwachsenen Geisteskranken verlegt und getötet wurden‘. (Dörner 1967, Nachdruch 1980). Erst durch die Anfang der 80er Jahre allgemein einsetzende Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wurde deutlich, dass es auch in Hamburg Zwangssterilisationen und Deportationen in Vernichtungsanstalten gab […] Zwischen 1934 und 1945 wurden in Hamburg etwa 22000 Sterilisationen durchgeführt; an der Klinik wurden auch entsprechende Gutachten erstellt“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 46. Siehe ferner Dörner (1967), (1983) und (1989). „Ob der relative Anstieg von Todesfällen im Vergleich zu den Aufnahmen Folge von Komplikationen der [Schock-] Behandlungen war, wie Ebbinghaus (1985) vermutet, ist unklar. Sicher ist, dass die Sterberate mit 14% aller Aufnahmen ihren Höhepunkt 1941/42 erreichte und damit doppelt so hoch lag wie in den Jahren vor Kriegsbeginn“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 46. 600 Schmidt (2007), S. 374–375. 601 „Prof. Dr. med. Dr. jur. hc“. Vgl. Holzbach/Naber (2006), S. 41. 602 „Ich habe mit vielen Männern zu tun gehabt, die während der NS-Zeit […] Verbrechen begangen haben […]. Aber nur ein einziger ist mir in Erinnerung, dem man hinterher etwas angemerkt hat. Der hatte einen Knacks weg“. Bürger-Prinz in: „Wir könnten alle Mörder sein“. Stern, 09.02.1964, S. 57–58, zit. n. Goltermann (2009), S. 403. Im Kontext dieser Aussage sei Peters Definition der psychiatrischen Ethik angeführt: „Teilbereich der algemeinen und ärztlichen Ethik. Ärztlich-psychische Beurteilung einer jeglichen für dieses Fach typischen Situation, um daraus das ethisch (sittlich) richtige Handeln abzuleiten. Nahm in der Aufklärung den Ausgang von Kants kategorischem Imperativ. Danach geschieht die Entscheidung durch eine innere moralische Instanz und soll von der Art sein, dass sie allgemeingültig sein könnte. Die klassische Psychiatrie kennt die freie auch ärztliche Entscheidung durch ,inneres Handeln‘ (Jaspers). Die Psychoanalyse relativiert dieses: ,Die Ethik ist als ein therapeutischer Versuch aufzufassen, als Bemühung, durch das Gebot des Über-Ichs zu erreichen, was bisher durch sonstige Kulturarbeit nicht zu erreichen war. […]‘“.Vgl. Peters (2011), S. 183–184.

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zur Diagnosestellung der Schizophrenie. Hierfür favorisierte er – zumindest in seiner Pathographie zu August Julius Langbehn (1851–1907) – 603 eine Längsschnittdiagnostik.604 Die Verschrobenheiten und Merkwürdigkeiten in der Lebensführung,605 die wahnhaften Gedankengänge sowie die wahnunterbauten Ansichten zur Umwelt, zu Frauen mit zunehmender Isolierung seiner Persönlichkeit sowie die eigenartige Denkstruktur ordnete Bürger-Prinz bei Langbehn im Rahmen einer Schizophrenie ein, womit ein die Persönlichkeit606 verändernder biologisch bedingter Krankheitsvorgang zugrunde gelegt wurde. Im weiteren Verlauf bezweifelte Bürger-Prinz diese diagnostische Einschätzung, denn „weitere Beschäftigung mit Langbehn und auch eine Wandlung der klinischen Anschauungen machen heute 603 Weiterführend zu Langbehn als Nationalisten und Mitbegründer des kulturpessimistischen Antisemitismus empfohlen sei Ingrid Oberndorfers Abhandlung zu „Antisemitismus im 19. Jhdt. – August Julius Langbehn“ als „Auszüge bzw. kurze Zusammenfassung der noch nicht vollendeten Dissertation ,August Julius Langbehn – Antisemitismus im 19. Jhdt.‘“ Vgl. http://www.david.juden.at/kulturzeitschrift/57-60/58-Oberndorfer-0.htm. Stand vom 13.08.2017. Siehe ferner Langbehn (1942). 604 Vgl. Bürger-Prinz/Weigel (1940), S. 179. „Entgegen der in der früheren Analyse Langbehns geübten Verfahrensweise, die im wesentlichen eine querschnittliche und symptomanalytische Betrachtung war, wollen wir jetzt den Versuch in den Vordergrund rücken, bestimmte Züge und Verhaltensweisen Langbehns in ihrer Ausfaltung im Längsschnitt des Lebens zu entwickeln“. Vgl. ebd. 605 Weiterführend zur Schizoidie: „Kretschmer ist von vornherein nicht ohne Widerspruch geblieben. Ich nenne hier Bostroem, Lange, Schroeder und Beringer. Auf der anderen Seite erhielt aber das Lehrgebäude Kretschmer’s [sic] eine wesentliche Stütze durch die weitgehende Zustimmung Bleuler’s [sic], der die Gedanken weiterführte. Schizoid ist bei ihm ein Typus psychischen Seins und psychischer Reaktion, der bei jedem Menschen mehr oder weniger vorhanden, in seinen krankhaften Steigerungen als Schizophrenie in Erscheinung tritt, in seiner mittleren Ausbildung aber bei den als ‚schizoid‘ bezeichneten Psychopathen auffällt. Auch die verschiedenen Psychopathieformen sieht Bleuler unter diesen Gesichtspunkten an. Er sieht bei ihnen vielfältige erbliche Beziehungen zur Schizophrenie, allenfalls mit besonderer Streuung oder Entwicklungsstufe im weiten Rahmen des Schizophreniebegriffs. So ist beispielsweise auch die Hysterie bei Bleuler eine schizoide Reaktion bei gehobenem Selbstgefühl und manieähnlicher Beweglichkeit der Affektivität, wobei die letzte Komponente erblich auf einen synton-submanischen Typus zurückzuführen sei. Die Neurasthenie sei vielleicht eine schizoide Reaktion bei depressiver Syntonie, meint Bleuler. Bei ihm löst sich der Begriff ‚Schizoid‘ trotz der Annahme ihm zugrundeliegender, doch wohl abnormer chemischer Hirnvorgänge ganz von der Vorstellung des Krankhaften, da ja schließlich jeder ohne Ausnahme eine gewisse Dosis Schizoidie mit auf den Lebensweg bekommt“. Vgl. Panse (1940a), S. 6. Zum Stand der Schizophreniefrage von 1939 siehe ferner Angyal (1939). Zur Schizoidie bei Alkoholismus siehe Binswanger (1920). 606 „Bei Momme-Nissen findet sich der Bericht über die Meinung eines Psychiaters, der annahm, dass es sich bei Langbehn um zyklothyme, das heißt biologisch-anlagemäßig bedingte depressive und hypomanische Verstimmungen bei einem schizioden Menschen gehandelt habe […]. Es besteht aber gar keine Veranlassung, endogene, das heißt biologisch bedingte, Verstimmungen anzunehmen. Dass die Verwendung des Schizoidbegriffes nichts Wesentliches besagen kann, haben wir schon eingangs auseinandergesetzt. Der Rückgriff auf die charakterliche Struktur von Vater und Mutter vermag zur Klärung des Menschen Langbehn nichts beitragen. Er muss in sich und aus sich selbst verstanden werden“. Vgl. Bürger-Prinz/Weigel (1940), S. 195.

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diesen Schluss unsicher“.607 Ob Bürger-Prinz aus diesen Betrachtungen bezüglich der im Längsschnitt veränderten diagnostischen Einschätzung der Langbehnschen Psychopathologie seine Konsequenzen in der GzVeN-Begutachtungspraxis gezogen haben mag, wäre in weiteren Untersuchungen zu prüfen. Soweit die Betrachtungen zu Rezeptionsmustern bei Schaltenbrand, Ewald, und Bürger-Prinz. 5.9 ZEITGENÖSSISCHER UMGANG DER PROFESSION MIT IHRER NS-VERGANGENHEIT „Prof. Dr. Dr. h.c. Ernst Kretschmer“,608 der am 11. November 1933 das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Hochschulen zu Adolf Hilter und dem nationalsozialistischen Staat“ unterzeichnet hatte und 1943/44 zum Dekan der Medizinischen Fakultät und zum Direktor der Nervenklinik der Universität Marburg ernannt wurde609 hielt 1947 die Ansprache zur Eröffnung des Tübinger Kongresses für Psychiatrie und Neurologie. Er legte darin offen, welch’ exponierte und 607 Ebd., S. 177–178. 608 Klee (2003), S. 339. „geb.1888, ab 1926 Professor und Direktor der Universitätsnervenklinik Marburg. Nicht NSDAP. 1933 Förderndes Mitglied SS, NSV. […]. Richter am Erbgesundheitsgericht Marburg und am Erbgesundheitsobergericht Kassel. 1934 in dem von Rüdin herausgegebenen Buch Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat zur Sterilisierung ‚Schwachsinniger‘: ‚Fragt man, welches Rechtsgut durch Ausschaltung dieser speziellen Defekt- und Kummerform aus der Fortpflanzung verletzt werden könnte, so ist eine Antwort schwer zu finden […] Die Nachkommen selbst sind nur zum Unglück geboren und die Volksgemeinschaft wird von ihnen mit moralischer Zersetzung, unerträglichen Lasten und zuletzt mit dem Untergang bedroht‘. Im Beirat der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater. Laut Heyde Frühsommer 1941 Teilnehmer einer Sitzung des Beirats bei T4. Laut Elisabeth Enkde 1940 Besuch der Anstalt Bernburg (ein Teil der Einrichtung Vergasungsanstalt). 1941 im Vorwort zu Geniale Menschen: ‚Was im wesentlichen entartet ist, das werden wir ruhig aus der Vererbung auschalten können‘. Im Vorstand der November 1942 gegründeten deutschen Gesellschaft für Konstitutionsforschung. Mitherausgeber der Zeitschrift für menschliche Vererbungs- und Konstitutionslehre, Oberfeldarzt, Beratender Militärpsychiater Wehrkreis IX in Marburg, 1943/44 Dekan. 1946 (bis 1959) Ordinariat in Tübingen. Vorsitzender der Gesellschaft für Konstitutionsforschung, der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater und der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (C. G. Jung). Persilscheinschreiber für NS-belastete Kollegen, so für den Euthanasie-Gutachter Pohlisch. November 1954 auf Tagung des Bundeskriminalamts über Jugendkriminalität Vorschlag, in schweren Fällen ‚Drüsentransplantation‘ und Elektroschocks einzusetzen (Wandlungsprozesse, S. 358). 1955 Grundsatzgutachten in Wiedergutmachungsverfahren über einen schwer depressiven NS-Verfolgten, ohne ihn gesehen zu haben: ‚verfolgungsbedingte Neurosen gibt es nicht‘“. Vgl. ebd. Zu C. G. Jung (1875–1961) weiterführend Stevens (2015). Kapitelrelevant auch: Kretschmer (1948b), Heimann (1998), Hennig (1999), Roelcke (2014b), (2015a), (2016a) und (2017c). 609 Vgl. Mettauer (2010), S. 13. „Friedrich Mauz war sein Assistent. Zudem war Kretschmer als Richter für die Erbgesundheitsgerichte Marburg und Kassel sowie als beratender Psychiater im Rang eines Oberfeldarztes im Wehrkreis Marburg tätig“. Vgl. ebd. „In dem 1934 von Ernst Rüdin herausgegebenen Sammelband ‚Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat‘ forderte Kretschmer in seinem Beitrag ein ‚energisches Vorgehen‘ gegen die ‚Erbkranken‘ und

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bedrohte Position die psychiatrische Fachgesellschaft unter dem NS-Regime eingenommen habe. In einer Zeit großer Bedrohung von Wahrheit in der Wissenschaft und Infragestellung ärztlicher Ethik610 sei der psychiatrische internationale Fachaustausch lahm gelegt worden. „Weshalb haben wir nun jetzt und weshalb hier nach Tübingen den Kongress einberufen? Es war auch im Dienste der Menschheit, der wir verpflichtet sind, die höchste Zeit, dass die deutsche Wissenschaft aus ihrer Erstarrung wieder erwachte […]. Dahinter und darüber stehen hohe Ziele, die sich aus der eigenartigen Stellung der Psychiatrie im Rahmen des Systems der Wissenschaften ergeben: ihre Stellung genau an dem Kontaktpunkt, wo Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sich berühren“.611

Kretschmer sah in der Psychiatrie „eine der universalen Wissenschaften“,612 sie bilde „in der Landschaft des menschlichen Geistes ein[en] Punkt mit weite[n] Horizonten, wohin von überall Wirkungen einströmen und wieder von ihr ausstrahlen. Nichts Menschliches, nihil humani, kann ihr fremd sein“.613

Daher, so Kretschmer, werde sich der „Geist der Humanitas“ als „edle Menschlichkeit“614 in Verbindung mit dem Humanismus als Bekenntnis zu Geist und Durchbildung der Persönlichkeit gerade in der Psychiatrie „besonders schön entwickeln“.615 Eric Benjamin Strauss, der einst bei Kretschmer in Marburg 1929 bis 1930 Volontärarzt gewesen war,616 begrüßte anlässlich des ersten deutschsprachigen Nachkriegskongresses 1947 in Tübingen die ausländischen Gäste in deutscher deren ‚konsequente Ausmerzung vor allem mit Hilfe des Sterilisierungsgesetzes‘. […] Kretschmer soll während seiner Ordinariatszeit in Marburg beteiligt gewesen sein an einer Sitzung zum Beirat der T4-Aktion“. Vgl. ebd., S.13–14. 610 „Die Konzepte waren mitgetragen von Zeiteinflüssen. Entwicklungslinien aus der Kaiserzeit und der Weimarer Republik bildeten die Matrix für während der NS-Zeit vertretene kollektivethische Maximen. Hierbei war die NS-Zeit keine ‚Zeit ohne Ethik‘. Vielmehr versuchte die Medizin ihre zentrale Rolle im nationalsozialistischen Staat durch eine ethische Fundierung zu erlangen […]. Zudem instrumentalisierte die Medizinethik auch bewusst die Tradition hippokratischer Werte. Während des Zweiten Weltkrieges ließ sich eine ‚Totalisisierung‘ der Medizinethik erkennen, die in den besonderen Umständen eines ‚totalen Krieges‘ zu sehen ist“. Vgl. Mattulat (2007), Epilog. 611 Kretschmer (1948a), S. 1–3. 612 Ebd. 613 Ebd. 614 Ebd. 615 Ebd. 616 Strauss übersetzte Kretschmers Werk zur Medizinischen Psychologie 1934 und gilt als bekanntester Schüler Kretschmers in Großbritannien. “A philosopher with an interest in theology, he could quickly decide when the basic trouble was spiritual, but that he never forgot the physical methods of treatment is shown in his advocacy of electrical convulsion therapy for patients with depression. He opened the first out-patient clinic for electroplexy in 1940”. Vgl. http://munksroll.rcplondon.ac.uk/Biography/Details/4277. Stand vom 07.12.2015. Siehe ferner Kretschmer (1926). Weiterführend zu Konstitutionsbiologie des Schwachsinns: Strauss (1930). “Electroplexy” ist synonym gebraucht für “Electroconvulsive Therapy”. Interessant auch die Publikation von Strauss zu einem transportablen EKT-Gerät. Vgl. Strauss/Macphail (1940), S. 780. Siehe hierzu auch S. 576.

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Sprache.617 Kretschmer fungierte auch als Herausgeber des “FIAT Review of German Science”.618 Kretschmer ließ den erbneurologischen Teil nicht in dem von Schaltenbrand redigierten Neurologie-Band, sondern im Psychiatrie-Band referieren, dessen Herausgeber er selbst war. Dies könnte als Indiz herangezogen werden, dass Kretschmer die gesamte Erbnervenheilkunde von psychiatrischer Hand betreut wissen wollte.619 Einer auch nur annähernd selbstkritischen professionspolitischen Auseinandersetzung ging Kretschmer aus dem Wege, wenn er betonte, die Untersuchung psychiatrischer und charakterologischer Fragestellungen hätte neben einem „mehr oder weniger deutlich von den Tendenzen der Tagesmeinung gefärbt[en]“620 Schrifttum „eine Menge gründlicher solider Forschungsarbeit geleis-

617 „Ich glaube, Sie geben mir das Recht, dass immer noch Hoffnung besteht, für den homo sapiens, wenn ein Kongress dieser Art, inmitten des zerfallenen Europa, überhaupt stattfinden kann. Es ist ein wichtiger und fesselnder Augenblick in der Geschichte menschlicher Beziehungen, da ein Kreis deutscher Wissenschaftler sich ihrer ausländischen Kollegen erinnert und sie zur Teilnahme an ihren Beratungen einladen kann; […]. Daher sind wir in den nächsten drei Tagen jedenfalls weniger Deutsche, Österreicher, Schweizer, Franzosen oder Briten, als vielmehr Humanisten und Wissenschaftler, die sich mit der Untersuchung gemeinsamer Fragen von weltweiter Bedeutung abgeben. Es dürfte keine Übertreibung sein, zu behaupten, dass, wenn wir keine Lösungen […] der menschlichen Fragen [finden], die in der Neuro-Psychiatrie gründen, so wird der Menschheit keine weitere Möglichkeit gegeben sein“. Vgl. Kretschmer (1948a), S. X–XI, „Ansprache zur Eröffnung des Tübinger Kongresses für Psychiatrie und Neurologie 1947. Von Dr. E. B. Strauß, London. Übersetzt von Wolfgang E. Kretschmer (Die Ansprache wurde in dieser Form deutsch gehalten)“. Vgl. ebd., S. 1–3. 618 Siehe hierzu S. 593. 619 „Die Durchtrennung des psychiatrisch-neurologischen Gesamtgebietes in je ein selbstständiges psychiatrisches und neurologisches Referat ergab sich aus praktischen Gründen. Bei der weitgehenden Überschneidung der Forschungsgebiete ist diese Durchteilung eine künstliche, und der Leser wird zweckmäßig beide Referate zu seiner Orientierung heranziehen; die Redaktion des neurologischen Teils ist durch Prof. G. Schaltenbrand erfolgt. Nach Vereinbarung zwischen den Herausgebern wurde die – vielfach von psychiatrischen Forschern und Instituten betriebene – Hirnanatomie im neurologischen Referat besprochen, ebenso natürlich die neurologische Hälfte der von den psychiatrischen Kliniken und Instituten geleisteten Arbeit. Die beiderseits interessierende Liquordiagnostik wurde dorthin übernommen. Dagegen erschien es zweckmäßig, die Erbneurologie mit der Erbpsychiatrie zusammen im psychiatrischen Teil zu besprechen. Von der Hirnphysiologie erscheinen die Seiten des Gebietes, die psychologische Bedeutung haben, auch im psychiatrischen Referat. Hierher ist auch die Konstitutionsforschung übernommen. Die physiologisch-chemischen Gebiete sind so durchteilt, dass die näher mit der Konstitutionsforschung zusammenhängenden Probleme hier im psychiatrischen Teil erscheinen; dazu gehört u. a. auch die Weiterentwicklung der Abwehrfermentforschung. Was die sprachliche Abgrenzung betrifft, so durften deutschsprachige Arbeiten von Ausländern [gemeint hiermit: Dozent Dr. Dr. Gerhart/d Mall (1909–1983), geb. in Codacal (Brit. Indien) – Dr. Walter Winkler, geb. 16.12.1914[, gest. 1984] in Pearadja auf Sumatra (Niederländ. Indien) nicht übergangen werden. Soweit sie in der deutschen Forschung innerlich zusammenhängen und ineinandergreifen, wurden sie mitreferiert. Da der Gesamtumfang des Referates limitiert war, so musste vieles gekürzt und übergangen werden, um das wesentlich Neue einigermaßen darzustellen“. Vgl. Kretschmer (1948a), Vorwort. 620 Ebd., S. 1–2.

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tet, wie sie vor allem in den großen Handbuchzusammenfassungen von Luxenburger und von Just sich findet“.621 1955 begutachtete Kretschmer einen Wiedergutmachungsantrag seitens eines depressiv Erkrankten, einst NS-Verfolgten. Ohne den Betroffenen persönlich untersucht zu haben, konstatierte Kretschmer die Nichtexistenz verfolgungsbedingter Neurosen, zumal „die ‚Ausgleichsfähigkeit des Organismus bei schweren psychischen Traumen‘ unbegrenzt sei“.622 Kretschmers Stellungnahme wurde zwar gerichtlich zurückgewiesen, „das Entschädigungsamt verschickte jedoch sein Gutachten als Muster an alle relevanten Behörden und [es] fand Eingang in juristische Kommentare. 1956 wurde ihm die Kraepelin-Medaille verliehen“.623 In Hinblick auf die Kretschmersche Nachkriegskarriere trotz seines komplexen NS-Psychiatrie-Verstrickungsmusters könnte mit Grell anzumerken sein, dass es „1957 […] in Deutschland kaum einen Psychiater gab, der, wenn auch in Amt und Würden, nicht doch durch die gerade erst 12 Jahre zurückliegenden systematischen medizinischen Verbrechen kompromittiert gewesen wäre, schon gar nicht unter den Ordinarien“.624

13 Jahre nach dem Kretschmerschen Totschweigen von Verantwortlichkeiten der psychiatrischen Profession versuchte der Bonner Ordinarius für Psychiatrie HansJörg Weitbrecht in seinem Werk zur „Psychiatrie in der Zeit des Nationalsozialismus“ von 1968 Beteiligungsmuster psychiatrischer Fachkollegen an der NS- Gesundheitsführung zu skizzieren. Anhand des psychiatrischen Schrifttums mit erbbiologischen und „erbpflegerischen“ Themen seit 1933 detektierte Weitbrecht „die üblichen Spielarten […] die auch sonst auf wissenschaftlichen Gebieten mit weltanschaulicher Relevanz zu bemerken waren: überzeugte Reformer, Jasager, Mitläufer, Autoren, die einen formalen floskelhaften Kotau absolvierten, um im übrigen ungeschoren zu bleiben, solche, die ausdrücklich auf neue Veröffentlichungen in der Psychiatrie verzichteten, um nicht in Gewissensdruck zu kommen, oder Themen wählten, die möglichst keine Beziehungen zu heiklen Bereichen aufwiesen, und einige ganz wenige, die anfänglich noch verklausuliert, aber für die Interessierten verständlich, zur Vorsicht rieten“.625

Letzteres, so Weitbrecht, bedeutete ein Risiko und wurde „von Spitzeln, die sich reichlich auch unter den Studenten fanden und die manchen ihrer ‚reaktionären‘ Lehrer das Genick Gebrochen haben, registriert“.626 Sich offen auszusprechen gegen das rechtsgültige Ehegesetz, die Nürnberger Gesetze627 oder das Heimtückege-

621 Ebd. 622 Mettauer (2010), S. 15. 623 Ebd. 624 Grell (1988), S. 207. 625 Weitbrecht (1968), S. 15. 626 Ebd. Zum impliziten Inhalt Meggendorfers Vorlesungen zu NS-Zeit siehe S. 465, Fn. 937. 627 „Die sogenannten Nürnberger Gesetze, mit denen die Nazis die Diskriminierung der Juden auf eine scheinbare legale Grundlage stellen wollten, haben wesentlich zum ‚braunen‘ Image der Stadt beigetragen. Das Haus des Kulturvereins, ein damals beliebter und repräsentativer Veranstaltungsort für diverse Zwecke, in dem 1935 die berüchtigten Rassegesetze verkündet wurden, steht heute nicht mehr“. Vgl. Radlmaier/Zelnhefer (2014), S. 101. Zur „Last [für die Stadt Nürnberg], als Symbol des Nationalsozialismus zu gelten“ siehe Glaser (1992).

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setz sei nicht möglich gewesen. „Über die sogenannte ‚Euthanasie‘, die diesen Namen zu Unrecht trug, findet sich in der psychiatrischen Fachliteratur des Dritten Reich praktisch nichts“.628 Nach Weitbrecht wurde das Werk von Binding und Hoche fälschlicherweise einer nationalsozialistischen Ideologisierung anheim gestellt, eigentlich sei Hoche ein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus gewesen; Hoche habe „außerdem erklärt […], in der Praxis könne er sich eine Realisierung dieser Idee nicht vorstellen“.629 Weitbrecht zitierte Karl Jaspers (1883– 1969),630 welcher „in seinem Vorwort zu dem jüngst erschienenen Bericht [des] Lübecker [psychiatrischen] Fachkollegen Gerhard Schmidt ‚Selektion in der Heilanstalt 1939–1945‘ in Bezug auf die Schrift Binding-Hoche davon [sprach], dass zwanzig Jahre später das freilich auf ganz andere Weise verwirklicht wurde, was diese damals ‚hochangesehenen, intelligenten und seelendummen‘ Professoren getragen von dem nationalen und professoralen Hochmut jener Zeiten, ahnungslos in den Prinzipien aufgestellt hatten“. 631

War Weitbrecht 13 Jahre nach der Kretschmerschen „Totschweige“-Strategie von einer partiellen Skotomisierung betroffen, so ging im gut 20-jährigen Abstand hierzu Becker „den Aspekten einer möglichen Kontinuität632 im Bereich der bundesrepublikanischen Medizin aus der Zeit des Nationalsozialismus nach[…]“.633 Nach Becker wurde bewusst ausgeblendet, „dass wir Deutschen im Erbe und in der Kontinuität des industrialisierten NS-Massenmordes stehen und das, soweit es dies gibt, aktuelle Wissenschaftsverständnis in Deutschland auf tradierte Denkstrukturen trifft“. 634

Die Geschichte werde nicht dämonisiert, vielmehr handle es sich „bei den Vorgängern von damals und bei der Kontinuität von heute nicht um eine ausgrenzbare Pathologie, sondern eher um eine Normopathie“.635 628 629 630 631

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Weitbrecht (1968), S. 15. Ebd., S. 16. Weiterführend empfohlen sei Bormuth (2016). Weitbrecht (1968), S. 17. Zur Vollständigkeit sei das Original von Jaspers angeführt: „Zum anderen bringt der Autor eine Klärung der Begriffe, die zur Rechtfertigung dieser Morde benutzt wurden (Gnadentod, Euthansie usw.). Sie gehen zurück auf den Psychiater Hoche und den Juristen Binding, beide getragen von dem professoralen und nationalen Hochmut jener Zeiten. 1920 erhoben sie in einer Broschüre die Forderung, ‚lebensunwertes Leben‘ zu vernichten. Was sie dachten, wurde zwanzig Jahre später verwirklicht, zwar auf ganz andere Weise als sie es gemeint hatten, aber begründet in den Prinzipien, die jene damals hochangesehenen, intelligenten und seelendummen Professoren ahnungslos aufgestellt hatten, die den Fluch der Nachwelt auf ihren Namen zogen“. Vgl. Jaspers (1983), S. 10. Siehe ferner Schmidt (1965) und (1983). „Es wäre naiver Realismus, zu meinen, die Kontinuität läge simpel in den Dingen. Kontinuität ist eine Kategorie des historischen Bewusstseins, unter der wir das Material der historischen Überlieferung auswählen und organisieren. Die Wirklichkeit kann sich einem solchen Organisationsversuch widersetzen, aber die Kontinuität bleibt eine Kategorie des nachgeborenen Beobachters“. Vgl. Nipperdey (2013), S. 268. Becker (1990), S. 6. Ebd. Ebd.

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Werner Leibbrand, dem im Kontext der „Euthanasie“ die Verantwortlichkeit am Tod der siebenjährigen Patienten Elfriede Hoffmann zu Lasten gelegt wird636 sprach am 01.08.1946 als Anstaltsdirektor vor geladenem Publikum, welches „mit Freude an der schlichten Feierstunde“637 zum hundertjährigen Bestehen der Heilund Pflegeanstalt teilnahm.638 Nach Überwindung von „Ketten, Zwangsbetten639 und Gummizellen“,640 „so streifte Professor Dr. Leibbrand kurz, brach [auch] in der jüngst vergangenen Zeit für diese armen Geistesgestörten eine martervolle Epoche an. Die Liebe zu diesen Kranken schwand und sie wurden als Last empfunden, nach deren Sinn man nicht mehr fragte. Im Dritten Reich erreichte diese Katastrophe ihren schauerlichen Höhepunkt“.641

636 Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 64. Siehe ferner S. 580, Fn. 255. 637 Stadtarchiv Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt. Psychiatrische und Nervenklinik 1935–1964 340. Nr.5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12), Ausschnitt aus Nürnberger Nachrichten – Teil Erlangen vom 03.08.1946, Nr. 62. 638 „Er führte in einem längeren Referat aus, wie es letztlich überhaupt zur Gründung der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt gekommen sei und rollte die historische Szenerie aus der Zeit vor hundert Jahren auf. Damals wurde der Versuch unternommen, das alte ‚Tollhaus‘ in eine moderne Klinik zu verwandeln und äußerlich und innerlich mit den unmenschlich grausamen Methoden, die derzeit üblich waren, zu brechen. Die Dämonie der Geisteskrankheiten, die wie ein alter Aberglaube im Volke steckte, musste erst ausgerottet werden. Hilfsbereitschaft und Menschenliebe meisterten diese schwere, aber auch schöne Aufgabe und eine Klinik, in der auch die Kranken, je nach Neigung und Veranlagung zur Arbeit eingesetzt waren, entstand. Die Zeit der Ketten, der Zwangsbetten und der Gummizellen war vorbei. Aber nochmals, so streifte Professor Dr. Leibbrand kurz, brach in der jüngst vergangenen Zeit für diese armen Geistesgestörten eine martervolle Epoche an. Die Liebe zu diesen Kranken schwand und sie wurden als Last empfunden, nach deren Sinn man nicht mehr fragte. Im Dritten Reich erreichte diese Katastrophe ihren schauerlichen Höhepunkt. Prof. Dr. Leibbrand gab dann einen chronologischen Rückblick auf die vergangenen hundert Jahre und gedachte der Männer, die seit der Gründung der Anstalt wertvolle Arbeit geleistet haben. Besonderer Erwähnung fand der Gründer und einstige Leiter der Anstalt, K. A. Solbrig [1809–1872], sowie sein Assistent und Direktor Fr. W. Hagen [1814–1888]. Damit kamen Aerzte an die Spitze dieser Klinik, die sich nicht einseitig an die Materie verloren, sondern immer die Beziehung zum Menschlichen aufrechterhielten. Im Jahre 1888 folgte in der Leitung der Klinik Anton Bumm, der sich als Hirnanatom einen Namen machte und bekannt wurde. Die Erlanger Heil- und Pfleganstalt wurde durch den Einsatz dieser verdienten Männer führend und bahnbrechend in ganz Deutschland. Der Fürsorgegedanke, der bisher immer nur in der Theorie vorhanden war, konnte nun in der Praxis bewiesen werden. Die Geistesgestörten kamen wieder in den Besitz einer ihnen entgegengebrachten Menschlichkeit, die bislang in der Ordnungsdämonie untergegangen war. Jedoch, so betonte Professor Leibbrand zum Schluss, alle Fortschritte in der Psychiatrie sind immer nur scheinbar. Im Grunde wurde der Mensch zu einem naturwissenschaftlichen Objekt herabgewürdigt oder er wurde organisiert im technischen Sinn. Die heutigen Bemühungen aber gehen weitestgehend dahin, den helfenden Kontakt zu den Kranken zu finden“. Vgl. ebd. Zur 150-jährigen Geschichte der HuPflA Erlangen sei verwiesen auf Luscher (1996). 639 Zum Thema Zwangsbehandlung in der DDR siehe Steger/Schochow (2016). 640 In modifizierter Form konzeptionell erneut präsent als sogenannter „Weichraum“. 641 Stadtarchiv Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt. Psychiatrische und Nervenklinik 1935–1964 340. Nr.5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12), Ausschnitt aus Nürnberger Nachrichten– Teil Erlangen vom 03.08.1946, Nr. 62. Zur 150-jährigen Geschichte der HuPflA Erlangen sei verwiesen auf Luscher (1996).

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Der „musische[]642 wie sprachbegabte[] und frankophile[]“643 Leibbrand versuchte den helfenden Kontakt zu den Kranken auch durch ihren Einbezug in das Kulturleben herzustellen.644 Durch das Abhalten kultureller Veranstaltungen645 in der Heilund Pflegeanstalt knüpfte Leibbrand an eine Haustradition an. So existierten zum Beispiel unter der Anstaltsleitung des Anton Bumm (1849–1903)646 anstaltsinterne Konzert- und Tanzveranstaltungen. 642 „Die[] bei Richard Wagner vorgeprägte Sicht kehrte [während der NS-Zeit] in vielen Abrechnungen mit dem Musikleben der Weimarer Republik wieder, so auch bei Herbert Gerigk [1905–1996], der ab 1935 die Hauptstelle Musik beim ,Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP‘, bei Alfred Rosenberg also, leitete und außerdem Hauptschriftleiter der Zeitschrift ,Die Musik‘ und Mitherausgeber des berüchtigten ,Lexikons der Juden in der Musik‘ war. In einem Rückblick auf ,10 Jahre nationalsozialistisches Musikleben‘ beschrieb Gerigk die Situation vor 1933 so: ,Das Deutsche war nahe daran, im eigenen Vaterland heimatlos zu werden. Die Schlüsselstellungen vor allem waren mit Juden besetzt, Darüber hinaus wirkten auch in de Musik Freimaurer und Exponenten anderer überstaatlicher Mächte […]‘. […]. Gerigk unterstellte den Juden […] eine planmäßige Zerstörung der ,Rasseninstinkte‘ in ganz Europa. […]. Als 1938 in Düsseldorf die Ausstellung ,Entartete Musik‘ eröffnet wurde, konnte ihr Initiator, der Weimarer Generalintendant Hans-Severus Ziegler [1893–1978], schon Bilanz ziehen über die massenhafte Vertreibung jüdischer Komponisten und Interpereten. Noch allerdings könne nicht von spontaner Abwehr des jüdischen Wesens die Rede sein, denn immer noch sei der deutsche Rasseninstikt geschwächt. […]. Da sich für ihn das Volk als eine geschlossene Einheit mit einer Seele darstellte, begriff er auch den Politiker als Seelenarzt. In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung hatte Ziegler formuliert: ,Kultupolitik treiben heisst: Betreuung der Seele des Volkes, Pflege seiner schöpferischen Kräfte und aller völkischen Charakter- und Gesinnungswerte, die wir in dem Generalbegriff Volkstum zusammenfassen‘“. Vgl. Dümling (1992), S. 171–172. Siehe ferner Stengel (1940), Weissweiler (1999) und DuClosel (2010). 643 Wiesinger/Frewer (2014), S. 47. 644 „Ausgehend von der Tatsache, dass dem Frohsinn als Heilfaktor eine wesentliche Bedeutung zukomme, dass er das Dunkel erhellen und Vertrauen schenken könne, agierten sie [gemeint: Mitglieder der Studiobühne als ‚Entertainer‘ und ‚Stimmungsmacher‘ in bunten Kostümen] zusammen mit Patienten, Ärzten und Pflegern unter der Regie von Margarete Leibbrand, der Frau des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt, in dem Stück ‚Häuptling Abendwind oder Das greuliche Festmahl‘ von Johann Nestroy [ca. Sommer 1949]; die Vorstellungen fanden vor Ärzten, Pflegern und Patienten und deren Angehörigen im selben Theatersaal des Krankenhauses am Maximiliansplatz statt, in dem 1946 Anouilhs ‚Antigone‘ Premiere gehabt hatte“. Vgl. Grosch (1996), S. 839–840. 645 Mit Datum vom 05.01.1946 findet sich im Stadtarchiv Erlangen ein Informationshinweis des Oberbürgermeisters zu Leibbrands Weihnachtsspieleinladung: „Der Direktor der HuPflA hat das städtische Personal mit Angehörigen zur Vorführung eines Weihnachtsspieles am Sonntag, den 6. Januar 1946 um 15 Uhr in die HuPflA eingeladen. Die Gäste müssen sich pünktlich um 14/45 Uhr am Eingang der Anstalt einfinden, da sie geschlossen zum Saal geführt werden. Die Vorstellung dauert etwa eine Stunde. An sämtliche Dezernate und Abteilungen zur Kenntnisnahme“. Vgl. Stadtarchiv Erlangen: Heil- und Pflegeanstalt Psychiatrische u. Nervenklinik 1935–1964 340. Nr. 5105.A.9 (alt: Fachnr. 156/12). 646 Seine „[e]xperimentelle[n] Untersuchungen über das Corpus Trapezoides und den Hörnerven der Katze“ widmete Anton Bumm, ab 1888 außerordentlicher Professor und Direktor der Heilund Pflegeanstalt Erlangen, als Festschrift der Hundertfünfzigjährigen Stiftungsfeier der Universität Erlangen. Vgl. Bumm (1893). Ende des Jahres 1896 wurde er zum ordentlichen Professor für Psychiatrie in München ernannt.

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Abb. 62: „Conzert- und Tanzprogramm“647 der Kreis-Irrenanstalt Erlangen vom 25.11.1899648

647 „Für die Tanztherapie lässt sich sagen, dass das Indikationsspektrum sehr breit ist, weil die Methode direkt an verschiedensten Zielgruppen entwickelt wurde und erst später zu einem Ganzen zusammen gefügt wurde. […]. Daher ergeben sich Kontraindikationen für ein künstlerisches Verfahren im Einzelsetting weniger aus dem Krankheitsbild, als aus den Persönlichkeitsmerkmalen des Patienten, die seine Ansprechbarkeit mittels dieses Verfahren erschweren. […]. Gemeinsam mit anderen künstlerischen Therapien hat die Tanztherapie die Kunst als Basis ihrer Theoriebildung und Methodik. […]. Dieses Konzept [James Hillmans (1926–2011)] impliziert eine spezifische Definition von Ästhetik oder Schönheit: Es ist das, was in Bewegtheit gestaltet wurde und im Betrachter eine Resonanz, in Form einer eigener Bewegtheit, zu erzeugen vermag. Im Licht dieser Definition muss Virtuosität kritisch reflektiert werden. Nicht zufällig waren Reform und Rebellionsbewegungen in der Kunstgeschichte die Brutstätten für therapeutisch nutzbare Kunstbegriffe und Gestaltungsmethoden. […]. Allen künstlerischen Therapien gemeinsam ist die Wirkung des künstlerischen Prozesses als Erkenntnisprozess, in der alle drei Formen der Erkenntnisgewinnung, Poiesis, Praxis und Theoria, zum tragen kommen“. Vgl. Eberhard-Kaechele (2001). “The results concerning DMT [Dance Movement Therapy] for depression were not significant. While there is some evidence of an effect for adults, this is based on a subgroup analysis of two small studies of moderate to low methodological quality. […]. Future research requires studies of high methodological quality that address the shortcomings of those studies reviewed here, including clear strategies for allocation concealment, blinding of assessors and statistical measures for dealing with drop-outs. Further trials of high methodological quality are required that evaluate the effects of DMT in both adult and child/adolescent populations to enable us to examine the size of effect of DMT in these subgroups reliably. This should include economic analysis, and acceptability measures”. Vgl. Meekums et al. (2015), S. 28.

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Wenn sich Leibbrand in der Nachkriegszeit zu einer „[m]arkante[n] Erscheinung im Kulturleben Erlangens“649 stilisierte, so könnte sich in puncto Sublimierung650 möglicherweise eine Analogie zu Berthold Kihn herstellen lassen. An Kihns „exponierter Stelle“651 im Rahmen der „Erwachsenen-Euthanasie“652 und seiner „Mittäterschaft […] bei der Ermordung vieler Tausender Kranker [...]“653 besteht nach heutigen Erkenntnissen kein Zweifel mehr.654 Die von Schaltenbrand655 in Werneck durchgeführten und publizierten „Affe-Mensch“- MSÜbertragungsversuche können zusätzlichen Hintergrund liefern für den Vorwurf der Kreuzungsversuche von Menschen und Affen,656 den der ebenfalls belastete

648 Stadtarchiv Erlangen XIV. 29.P. 649 Erlanger Tagblatt vom 23.01.1956 in ebd. III. 153.L.1. „Professor Dr. Leibbrand. 60 Jahre. Markante Erscheinung im Kulturleben Erlangens: Heute kann Professor Dr. Werner Leibbrand seinen 60. Geburtstag feiern. Der Gelehrte, der jetzt als Ordinarius für Geschichte der Medizin an der Universität München wirkt, kam nach dem zweiten Weltkrieg als Direktor der Heil- und Pflegeanstalt nach Erlangen. Er gehörte während der Zeit seines Wirkens in Erlangen zu den markanten Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens in unserer Stadt. Als Anstaltsdirektor verstand er es, der Heil- und Pflegeanstalt bald zu einem weit im Lande verbreiteten ausgezeichneten Ruf zu verhelfen. Als Lehrer für Geschichte der Medizin versammelte er viele Hörer – nicht nur der medizinischen Fakultät – um sich, die seinen Vorlesungen ein gutes Andenken bewahren. Seine Liebe zu den Künsten konzentrierte sich vor allem auf das Theater, wo er besonders der Erlanger Studiobühne viel verständnisvolle Förderung zuteil werden ließ. Bekanntlich ermöglichte er im Jahre 1946 die erste Aufführung von Anouilhs ‚Antigone‘, indem er die Bühne im Festsaal der Heil- und Pflegeanstalt zur Verfügung stellte. Seine vielen Erlanger Freunde begleiten den Schritt in ein neues Jahrzehnt mit den besten Wünschen“. Vgl. ebd. 650 „Im Gegensatz zu einem reinen Abwehrvorgang wird im unbewussten Vorgang der Sublimierung nicht das Es vom Ich gehemmt, sondern das Ich verhilft im Gegenteil zu äußerer Aktion und Triebabfuhr. Die Verwandlung bezieht sich hauptsächlich auf kreative künstlerische oder wissenschaftliche Leistungen oder soziale Aktivitäten“. Vgl. Peters (2011), S. 536. 651 Zimmermann (2000), S. 168. 652 Am 24.08.1941 beschloss Hitler den Abbruch der im Rahmen der „Aktion-T4“ durchgeführten Vergasungen. Neben der folgenden II. Phase der „Euthanasie“ durch Verhungernlassen und letale Medikamentenapplikation kam es zu einem systematischen Aufbau der „Kindereuthanasie“. „Insgesamt wird heute mit etwa 300000 ‚Euthanasie-Opfern‘ gerechnet“. Vgl. Jachertz (2014), S. A 1550. Siehe ferner Zeidman/Kondziella (2012). 653 Zimmermann (2000), S. 174. 654 Vgl. ebd. 655 Siehe ferner Gerabek (2005). 656 Katzenellenbogen warf Kihn „Massentötungen und Kreuzungsversuche von Menschen und Affen“ vor. Kihns Jenaer Kollegen, der Lehrstuhlinhaber für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Johannes Zange (1880–1969) und der ordentliche Professor der Medizinischen Klinik Felix Lommel (1875–1968) traten gegen Katzenellenbogen und für Kihn ein. Ihre Aussagen beinhalten keine sachlichen Argumente. Gleiches gilt für die Stellungnahme Kihns selbst: „Dass ich Kreuzungsversuche zwischen Menschen und Affen durchgeführt haben soll, könnte mich lachen machen, wenn ich es selbst nicht schwarz auf weiß gelesen hätte. Selbstredend ist diese Behauptung barer Unsinn. Ich arbeitete an einem großen Lehrbuch der neurologischen Diagnostik, deren

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Edwin Maria Katzenellenbogen657 (1882–1950) an Berthold Kihn richtete. In Anbetracht einer aktuellen Publikation658 besonders herauszuheben ist das von Annemarie Wettley659 für Kihn ausgestellte Spruchkammer Entlastungszeugnis. Nach Steger ließ sich Wettley – von der Medizinischen Fakultät in Jena mit ihrer Arbeit zur „Eklampsie und Präeklampsie unter besonderer Berücksichtigung der chronisch verlaufenden Fälle“660 promoviert – nicht vom zeitimmanenten Ideengift des Nationalsozialismus „einnehmen. Sie wählte dann die Fachrichtung Psychiatrie für ihre ärztliche Weiterbildung“.661 Steger berücksichtigt möglicherweise unzureichend die Tatsache, dass der Entschluss zur Absolvierung einer psychiatrischen Facharztausbildung im Deutschland der ausgehenden 1930er Jahre an sich kaum als Indiz für eine Gegenposition zum nationalsozialistischen „Ideengift“ gewertet werden

Material mir größtenteils vernichtet wurde. Zu dieser Arbeit benötigt man, wie wohl verständlich ist, keine Versuche an Menschen und Tieren und vollends nicht solche unsinnigen“. Vgl. StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt K-61, TS 3683: 2590, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I-VII. Zu Zange liest man auf der Homepage der HNO-Klinik der Universität Jena folgendes: „Dann galt sein Bemühen der Verbesserung der Liquordiagnostik im Zusammenhang mit der Meningitisbehandlung. […]. Schon 1939 arbeitet in Jena eine phoniatrische Abteilung, auch die Audiologie wurde zu dieser Zeit mit dem frühen Audiometer, dem ,Otaudion‘ gefördert. Zange, der die musterhaft arbeitende Klinik gewissenhaft und ideenreich leitete[,] wurde hoch geehrt und hat das HNO-Fach entscheidend mitgeprägt“. Vgl. GuntinasLichius (2008). Weiterführend auch Zöllner (1969) und Pfeiffer (2006). Siehe ferner Lommel (1933). 657 Katzenellenbogen hatte 1912 als “Dr. Edwin Katzen-Ellenbogen (Director Psychopathological Laboratory at Skillman)” zur “mental efficience in epileptics” als “Psychopathologist at State Village for Epileptics, clinical assistant Postgraduate Medical School New York. […] From the Psychopathological Laboratory of the New Jersey State Village for Epileptics at Skillmann” publiziert. Vgl. Katzenellenbogen (1912), S. 504 bzw. ders. (1913), S. 130. Katzenellenbogen war am 15.12.1924 vor der Strafkammer des Schöffengerichts in Lichterfelde/Berlin wegen Betruges, Heiratsschwindels und Diebstahls in 27 Fällen angeklagt worden. Im September 1943 war Katzenellenbogen aufgrund einer Verfügung aus Berlin in das Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen worden, wo er zunächst als leitender Häftlingsarzt mit „Haftnummer 20.103“ im „Kleinen Lager“ tätig war. Im Oktober 1944 wurde Katzenellenbogen in das Hauptlager des KZ Buchenwald überstellt. Dort arbeitete er als privilegierter Funktionshäftling im Häftlingskrankenbau bis zur Befreiung des Lagers im April 1945. Er wurde am 05.08.1947 vor dem US-Militärgericht im Rahmen des Buchenwald-Hauptprozesses angeklagt, alliierte Gefangene misshandelt zu haben. Eine Tötung von Häftlingen wurde ihm nicht nachgewiesen. Herzkrank wurde Katzenellenbogen verfrüht aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen, er starb kurze Zeit später. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Edwin_ Katzenellenbogen. Stand vom 14.01.2014. 658 Wiesinger und Frewer betonen die persönlichen Verstrickungen Wettleys bei der „Sonderkost“ in der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt unter Wilhelm Einsle. Vgl. Wiesinger/Frewer (2014), S. 046. Die entsprechenden Quellen finden sich im StBN. Spruchkammer Erlangen-Stadt M.76, Staatsanwaltschaft Nürnberg Fürth II, 2343/I–VII. Siehe ferner S. 579, Fn. 249. 659 Annemarie Leibbrand-Wettley stellte sich als Zeitzeugin zum Gespräch für das Kapitel von Sandweg, J. „ʻMy way to academic democracyʼ. Von Blumen-, Frucht- und Dornenstücken auf dem Weg des Rekors Brenner“ zur Verfügung. Vgl. Sandweg (1996), S. 394. 660 Vgl. Wettley (1937). 661 Steger (2009b), S. 2.

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kann.662 Bereits Wettleys Dissertationsarbeit von 1937663 könnte als Indiz für ihre Offenheit gelten, das „Minderwertigkeits-Paradigma“ der NS-Medizin zu stärken: „So scheidet bei [Wilhelm Karl] Zangenmeister [1871–1930] eine Minderwertigkeit des Organismus in irgendeiner Form als Ursache der Eklampsie vollständig aus. Ich habe mich, soweit es die Theorie der Eklampsie betrifft, auf [Hans] Hinselmann [1884–1959] gestützt, dessen These von der konstitutionellen Minderwertigkeit664 des an Eklampsie erkrankten Organismus durch die Ergebnisse meiner Untersuchung bestätigt wird“.665

In ihrem Entlastung sschreiben für Berthold Kihn vom 25.07.1945 betonte Wettley, die vor ihrer Tätigkeit an der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen als Assistenzärztin unter Berthold Kihn gearbeitet hatte, es hätten in Jena „keinerlei wissenschaftliche Versuche an Kranken oder Ausmerzungen Unheilbarer stattgefunden“.666 Dieses Entlastungsschreiben Wettleys mag dazu beigetragen haben, dass der „Sowjetzonenflüchtling“ Kihn von der Spruchkammer Erlangen667 als „Mitläufer“ eingestuft 662 Mildenbergers Ansicht hierzu lautet folgendermaßen: „Obwohl Annemarie Wettley mit ihrer Dissertation ein gynäkologisch interessantes Gebiet untersucht hatte, wählte sie die Facharztausbildung in der Psychiatrie. Möglicherweise wollte sie die aufgrund ihrer Konzentration auf reine Volksvermehrung besonders ideologiebelastete und frauenfeindliche Gynäkologie hinter sich lassen. Außerdem konnte sie in der Psychiatrie auf bessere Karrieremöglichkeiten hoffen“. Vgl. Mildenberger (2005), S. 122–123. 663 „Ihre Dissertation […] wurde mit ‚sehr gut‘ bewertet. Wettleys erster Referent, der Gynäkologe Walter Max Haupt (1888–1944), lobte die umfängliche und kritische Bearbeitung der lange vernachlässigten Epilepsiefrage, der Korreferent Wolfgang Heinrich Veil (1884–1946) betonte, die Arbeit sei ‚für den Internisten eine Fundgrube von bemerkenswerten Tatsachen‘. Sowohl Haupt als auch Veil hatten sich als Nationalsozialisten hervorgetan. Während Veil sich in antisemitischer Hetze erging, positionierte sich Haupt als Protagonist der Zwangssterilisierung und Gegner der katholischen Ordensschwestern an seiner Klinik“. Vgl. ebd., S. 122. 664 Dieser Theorie Hinselmanns scheint sich auch Gustav Bingel angeschlossen zu haben, wie sein insgesamt 14 seitiges Gutachten vom 06.06.1937 zu der 1909 geborenen N. E. zeigt: „Zusammenfassend komme ich also zu folgendem Urteil: Bei Frau N. liegen sicher organisch bedingte epileptische Krampfanfälle vor, für die eine exogene Ursache nicht gefunden werden konnte. Diese Anfälle sind durch eine Schwangerschaft bezw. Geburt ausgelöst worden. Die Familie der Frau N. ist durch schwere Psychopathie mit Suizid, Schwachsinn und häufige Lebensschwäche der Kinder stark belastet. Wegen des Fehlens einer anderen Erklärungsmöglichkeit sind die bei Frau N. vorliegenden Krampfanfälle als Ausdruck einer genuinen Epilepsie anzusehen. Die Frage, ob eine Erbkrankheit vorliegt, ist also zu bejahen. Oberarzt. Einverstanden der Direktor“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 187/96. Fremdanamnestisch durch den Ehemann hatte Bingel folgende Information eingeholt: „Seine Frau habe seit der Entbindung im September 1928 Anfälle – es sei eine schwere Entbindung gewesen, gleich nach der Entbindung sei der erste Anfall aufgetreten. In den ersten beiden Jahren seien mehr Anfälle aufgetreten, als jetzt“. Vgl. ebd. 665 Wettley (1937), S. 6. 666 StBN. Spruchkammer Erlangen- Stadt K-61, TS 3683: 2590, K.61. Vor diesem Hintergrund erscheinen Wettleys Abschlussworte in ihrem Beitrag zu Leibbrands „Um die Menschenrechte der Geisteskranken“ besonders ambivalent: „Die einzelne Persönlichkeit jedoch […] wird immer nur individuell und dann bis zu einem gewissen Grade abgelöst vom Allgemeinen der Zeit, erfasst werden. Und da ersteht […] in seiner tiefen Auffassung vom Ethos des Arztes, das zu allen Zeiten der tragende Grund jeglichen Arztseins ist“. Vgl. Wettley (1946), S. 90. 667 Siehe ferner Schuh (2013).

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wurde und sich ab 1951 in den akademischen Lehrkörper der Friedrich- AlexanderUniversität Erlangen- Nürnberg reintegrieren konnte. Eine Leserzuschrift zum Spiegel-Artikel „Ärzte, Euthanasie. Die Kreuzelschreiber“668 von 03.05.1961 belastete Kihn. Das im Verlauf eingeleitete Strafverfahren wurde am 21.01.1963 von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth eingestellt, da „mangels Nachweises einer strafrechtlichen Schuld die Erhebung der öffentlichen Klage gegen Kihn keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete[]“.669 Kihn trat regelmäßig als Referent der Lindauer Psychotherapiewochen670 auf und zeigte sich maßgeblich beteiligt an der „Ersten Deutschen Photo-Graphik-Ausstellung“671 in der Orangerie des Erlanger Schlossgartens. Kihn stilisierte sich durch propagierte Kunst- und Literaturkenntnis zum „Gelehrten“. Eine aktuelle Ausstellung des Kunstmuseums Erlangen präsentierte die Büste Kihns672 unter dem Titel „Kopf eines Gelehrten“673 als repräsentativ für das Erlanger Gelehrtentum im Löwenichschen Palais der Stadt Erlangen, was den Appell an eine adäquate Erinnerungskultur674 notwendig werden lässt. Die teils 668 669 670 671

Der Spiegel, Nr. 19/1961: 35–47. Siehe ferner Honolka (1961). UAE: F2/1 Nr. 2323. Siehe hierzu z. B. Kihn (1953). „Die Ausstellung war von der Städtischen Volkshochschule gemeinsam mit dem Kunstverein Erlangen veranstaltet und [stellte] in der Orangerie die Werkes des Innsbruckers Heinrich Kühn und die Werke seines Schülers, Prof. Dr. med. Bert. Kihn der Öffentlichkeit vor […]. In der Ausstellung werde deutlich, dass auch heute noch künstlerische Möglichkeiten, in der – im weiteren Sinne – fotographischen Technik gegeben sind. Möglichkeiten, die durch die jüngsten Erfindungen Professor Kihns wiederum ausgenützt werden. Jede Phase in der modernen Entwicklung der Fotografie habe er miterlebt, so berichtete Prof. Dr. Kihn selbst in seinen die Ausstellung einleitenden Worten[,] und mit steigendem Bedauern habe er feststellen müssen, dass sie sich immer mehr durch ihre vereinfachte Technik der Minderbegabung preisgegeben habe. Er selbst habe sich schließlich wieder der komplizierteren Technik der früheren Epochen zugewandt und die schon durch Poitevan erfundene und von Watzek und Kühn wieder aufgegriffene Technik des Gummidrucks teils systematisch, teils durch Zufallsresultate weiterentwickelt. Auch der erste Vorsitzende des Kunstvereins, Christian Kazner, hob den hohen künstlerischen Wert der Ausstellung hervor, da das von Kihn entwickelte Verfahren die Fotografie wieder in die Nähe der Kunst zu rücken vermochte und der künstlerischen Einfühlung und der individuellen Gestaltung gleichermaßen Spielraum gibt. Bewundernd sprach sich anschließend auch Stadtrat Prof. Dr. Dr. Franke aus […]. Kihn habe den Mut gehabt, neue Wege zu beschreiten, sowohl er als auch die Stadt Erlangen seien, angesichts der Ergebnisse und der Tatsache, dass hier eine neue zukunftsträchtige Entwicklung ihren Anfang nehme, zu beglückwünschen“. Vgl. Erlanger Tagblatt 18.01.1951, Stadtarchiv Erlangen III. 188 K1. 672 Stadtmuseum Erlangen, Bronze, 34,5 cm hoch. Vgl. auch hierzu: Otto Grau & seine Kollegen 1965–1975. Ausstellungskatalog. Kunstmuseum Erlangen 2013. 673 Ebd. 674 „Das kollektive Gedächtnis unterliegt stetigen Wandlungsprozessen. Dies gilt auch in Bezug auf die sozialen Einheiten, innerhalb derer das Gedächtnis konstruiert wird. Während das kollektive Gedächtnis vor allem seit dem 19. Jahrhundert innerhalb der ‚Nation‘ als wichtiger Erinnerungsgemeinschaft verortet war, ist es im Zeichen der Globalisierung sicherlich in zunehmenden Maße (auch) als transnational und transkulturell zu denken. […]. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des kollektiven Gedächtnisses (in seinen unterschiedlichen Ausprägungen) ist eine hochgradig interdisziplinäre Aufgabe, bei der die Psychologie und die Soziologie ebenso gefordert sind wie die Geschichtswissenschaft, die Politikwissenschaft oder auch die Kunstgeschichte und die Literatur- und Medienwissenschaften. Eine Beschäftigung mit

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inadäquat euphemistische lokale Erinnerungskultur an Kihn steht in frappierendem Widerspruch zu der bislang auch regional deutlichen Dämonisierung Meggendorfers.675 Die vermutlich seitens Leibbrand und auch seitens Kihn angewendete Abwehrstrategie der kreativ künstlerischen Betätigung bot wahrscheinlich auch für Einsle, dessen Anstalt als Zwischenstation für Patienten auf dem Weg in die Tötungsanstalten diente, einen willkommenen Kompensationsmechanismus. Eine Internetseite der Universität Göttingen würdigt ihn mit folgender Passage: „der Chamberlain676–Verehrer und ehemalige Direktor des Erlanger Nervensanatoriums Dr. Wilhelm Einsle [begann 1950], die Richard-Wagner-Bibliothek zu ordnen“.677 Anerkannt wird die Leistung, in sechsjähriger Arbeit eine sachgemäße Katalogisierung und Aufstellung durchgeführt zu haben. Im Kontext dieser Rezeptionsentwicklung Einsles sei angeführt, dass der führende NSDAP- Ideologe Alfred Rosenberg einst dem kollektiven Gedächtnis erfolgt aber nicht allein in der Wissenschaft, sondern spielt auch im öffentlichen Diskurs immer wieder eine wichtige Rolle. Besonders deutlich wird dies an Kontroversen wie jener, die über das 2005 in Berlin eröffnete Denkmal für die ermordeten Juden Europas geführt wurde“. Vgl. Gymnich (2017), S. 184–185. „Zur Soziologie im Nationalsozialismus, der Geschichte, ihrer Aufarbeitung und der Rolle der DGS“ vgl. Dyk/Schauer (2010). 675 Vgl. Nahr (1994). Zur Kanonisierung, Willkür und Fälschung in der ärztlichen Biographik siehe Voswinckel (2004). 676 Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) 677 http://fabian.sub.uni-goettingen.de/?Richard-Wagner-Museum. Stand vom 06.02.2013. „Hitler […] zeigte sich von Wagners Musikdramen und anderen Ritualen immer wieder neu ergriffen. […]. Man sprach von den deutschen als dem auserwählten Musikvolk und von der Musik als dem besonderen Ausdruck ihrer Gefühlswelt, der Seele. Führende Nazi-Politiker demonstrierten ihr Deutschtum nicht zuletzt dadurch, dass sie sich als ergriffene Musikhörer in der Öffentlichkeit zeigten“. Vgl. Dümling (1992), S. 170. „Hitlers Musikverständnis galt als vorbildlich, Was ihn begeisterte, vor allem Musikdramen von Richard Wagner und Symphonien von Anton Bruckner [1824–1896], sollte das ganze deutsche Volk begeistern. […]. Der NS-Boykott gegen Hindemith [1895–1963] ging bekanntlich auf die Prüderie des Führers zurück, der für sich beanspruchte, auch ein Opern- und Konzertführer zu sein. Man wusste von seiner Askese, von seinem Verzicht auf Alkohol, Zigaretten und alle fleischlichen Genüsse; er war Vegetarier und Junggeselle. Es war etwas Mönchisches um ihn, eine Verwandtschaft zu den Wagnerfiguren Lohengrin und Parsifal. Die Realität begriff Hitler als einen Wagnerschen Mythos, in dem der positiven Welt des starken Germanentums die dunkle Welt des Bösen, des Bolschewismus und der Juden gegenüberstand. […]. Nichts war den Nazis gefährlicher und peinlicher als Unsicherheit, als Meinungsstreit und das Aufeinandertreffen gegensätzlicher Argumente. Unsicherheit schwächte, machte verletzlich. Schrecklich die Vorstellung, man könne einem Phänomen mit ambivalenten Gefühlen gegenüberstehen. Da es für die Nazis nur Eindeutigkeit geben konnte und auch nur eine einzige Führung, wurden alle politische Parteien verboten, wurde alle Kunst unter die Führung des Propagandaministers gestellt und Kunstkritik verbannt. Dass kritische Kunst nicht akzeptiert wurde, verstand sich von selbst. Damit waren Voraussetzungen geschaffen für die Reinigung der Gefühle, für Ordnung und Neuprägung“. Vgl. ebd., S. 172. „Auch in der Stadt der Reichparteitage musste das Musikleben das Rasseprinzip verdeutlichen. […]. Mit Musik von Mozart [1756–1791] und Beethoven [1770–1827] feierte die NSDAP [in Nürnberg] 1941 den Rassentheoretiker Paul de Lagarde, dessen Leitidee eines deutschen Herrenvolks großen Einfluss auf Houston Steward Chamberlain, Alfred Rosenberg und Hitler ausgeübt hatte“. Vgl. ebd., S. 173. Zu Paul de Lagarde (1827–1891) siehe Lagarde (1918) und Klamroth (1928).

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Zu Person und Moral von Friedrich Meggendorfer

die Ahnengalerie des Nationalsozialismus678 begrenzte auf Richard Wagner,679 Nietzsche,680 Lagarde und Chamberlain.681 678 „Luthers Bild war für Nietzsche zu dieser Zeit eine Art Projektionsfläche, diejenigen als Angehörige einer außerodentlichen Ahnenreihe zu installieren, die er für sich als die herausragenden Unzeitgemäßen ansehen wollte, die er in gewissem Sinne sich ‚erfand‘, d. h. sie ausstattete mit den Merkmalen und Insignien einer Größe, die er für sich selbst als ideal formulieren wollte. Da schien es selbstverständlich, dass der kritische Pastorensohn und Philosophenfreund Nietzsche die Alleinstellungsmerkmale des Außerordentlichen profitabel wechselweise den jeweiligen intellektuellen und kulturellen wie künstlerischen Favoriten zuzuschreiben bereit war und dies methodisch feinsinnig durchgespielt hat. Schopenhauer, Wagner, Luther, mit denen sich zu vergleichen es lohnte, sie aufzubauen als quasi historische Wegmarken auf der Leiter zur eigenen Größe. Die Interferenzen ihrer Lebensbilder boten sich geradezu als Ideal(isierungs)fälle an. Sie waren fundamentale Eckpfeiler in einem geistigen Raumgefüge, die für eine gewisse Zeit nicht nur eine ungebrochene Identifizierung erlaubten, sondern ebenso eine prägende Sicht auf Geschichte und Gegenwart der Kultur(en)“. Vgl. Reschke (2016), S. 41–42. 679 Zu den Wagners als „Hüter des Hügels“ siehe Tomenendal (2012). „Richard Wagners ‚Meistersinger‘ waren ein fester Bestandteil der in Nürnberg stattfindenden Reichsparteitage. Seit 1933 begannen die Propagandaspektakel der Nationalsozialisten jeweils mit einer Aufführung der ‚Meistersinger‘ im Nürnberger Stadttheater, dem heutigen Staatstheater – mit Adolf Hitler in der Ehrenloge. Doch war das nicht einfach ein Zugeständnis des Theaters an den glühenden Wagnerianer Hitler. Diese Oper […] wurde von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke vereinnahmt“. Vgl. Kruse (2017). „In ihrem 1944 in New York und 1945 in der Schweiz auf deutsch erschienenen Buch beschreibt die Tochter Siegfried [1869–1930] und Winifred [1897– 1980] Wagners ihr Leben bis zu ihrer Emigration 1940 und ihre Begegnungen mit Adolf Hitler in Bayreuth, München und Berlin. Friedelind Wagner war die einzige aus der Wagner Familie, die sich gegen die Nationalsozialisten stellte und gleich nach ihrer Volljährigkeit mit Hilfe Toscaninis [1867–1957] über die Schweiz, England und Argentinien in die USA emigrierte. Mehrere Helfer Hitlers und ihre Mutter Winifred versuchten, dies bis zum Schluss zu verhindern. 1954 kehrte Friedelind Wagner [1818–1991] nach Deutschland zurück. Eine aktive Rolle bei der Neugestaltung der Bayreuther Festspiele, wie sie es sich erhofft hatte, konnte sie nach dem Krieg aber nicht spielen“. Vgl. Wagner (1997), Zusammenfassung. „Anfang der Zwanziger Jahre lernte meine Mutter einen unbekannten, jungen Fanatiker kennen und wurde, da sie glaubte, er sei tatsächlich der ,Retter der Welt‘, seine begeisterte Anhängerin. Hitler wurde ein häufiger Besucher unseres Hauses, so dass ich ihn kennenlernen konnte, zwanglos, ohne ,Bühnenaufmachung‘, so, wie er wirklich war und wie ihn nur wenige Menschen erlebt haben. Nachdem ich voll Entsetzen mitansehen musste, wie Menschen unter dem Druck der Diktatur zu jämmerlichen Kreaturen wurden, wurde mein ganzes Dasein eine ständige Rebellion gegen alles, was mit dieser Diktatur zusammenhing, und gegen alle, die sich ihr verschrieben hatten“. Vgl. ebd. „Siegfried Wagner war ein Anhänger Hitlers, aber auch mit Juden befreundet. Er gilt als einer der bekanntesten Homosexuellen in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Schwule Museum in Berlin widmet dem einzigen Sohn Richard Wagners eine umfangreiche Ausstellung, die mit Tabus bricht und Pionierarbeit leistet“. Vgl. Scholz (1993). 680 „Die ethische Wertung muss in Nietzsches Augen selbstverständlich den Menschen nicht unmittelbar glücklich machen. Sie muss aber auf die konstruktiven Kräfte des Menschen bauen, sie darf sich nicht ‚gegen‘ die menschliche Natur und die natürlichen Glücksaspirationen des Menschen richten. Die ethische Wertung leitet in Nietzsches Augen das menschliche Verhalten. Sie hat deshalb Konsequenzen, die auf Leben und Tod gehen. Somit hat ethische Wertung auch eine unvergleichliche Verantwortung“. Vgl. Kiss (2016), S. 54. Zur Auseinandersetzung über die Grundlagen von Erkenntnis und Ethik anhand der Nietzsche-Aufsätze des jungen Alfred Döblin siehe ferner Kuttnig (1995). 681 Vgl. Rosenberg (1936), S. 18.

6. SCHLUSSBETRACHTUNGEN 6.1 POSITIONIERUNG DER PSYCHIATRIE ALS FACHGESELLSCHAFT Wenn seitens der Medizinhistoriker ab Ende der 1980er Jahre zunehmend die Verantwortung ganzer Wissenschaftsdisziplinen1 untersucht wurde, so steht nach Schierbaum die Psychiatrie seit der Wende zum 20. Jahrhundert „heute begründet im Verdacht, Wegbereiter späterer Vernichtungspraktiken gewesen zu sein“.2 Die Problematik der NS-Psychiatrie3 lässt sich nach Schierbaum nicht auf einen eingrenzbaren Täterkreis reduzieren. Ausreichend bekannt sei das Faktum einer ärztlichen Ethik, die „den Grundsatz der steten Achtung vor dem individuellen Dasein schon längst überschr[itt]“.4 Bereits vor der nationalsozialistischen Ära zeigte sich keine ausreichende moralische Fundierung des enormen wissenschaftlichen Fortschritts. Letzterer führte vielmehr zu einer „Anfälligkeit gegenüber irrationalen Wertmustern“.5 Solche Befunde erklären nach Schierbaum das Phänomen der NSMedizin6 nur „zum Teil“, könnten aber bestimmten Abwehrmechanismen der Zeitzeugen-Psychiater Vorschub geleistet haben. Nach Dörner hat sich die Psychiatrie 1

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„Die bisherigen Forschungsbefunde weisen darauf hin, dass kaum eine Berufsgruppe die nationalsozialistische Genozidpolitik so tief geprägt hat wie die Mediziner“. Vgl. Schmuhl (1990), S. 411. Ferner sei verwiesen auf ders. (2002b). Interessant ferner auch Böhm/Haase (2008). Schierbaum (1987), S. 224. Siehe ferner hierzu Hieronimi (1981), Meyer/Seidel (1989), Blasius (1991b), Breggin (1993) und Seeman (2005). Schierbaum (1987), S. 224. Zur Ärzteschaft im Nationalsozialismus siehe ferner Kudlien (1985), Cohen (1988), Gallaher (1995), Ernst (1996), Klee (1997), Baron (1999), Ernst (2001) und Kopke (2011). Schierbaum (1987), S. 224. Als aktuelle archivarische NS-Forschungskooperation sei diejenige zwischen Bayerischen Staatlichen Archiven und “United States Holocaust Memorial Museum” erwähnt: „Archive bilden das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft. Gerade im Bereich der Holocaust-Forschung ist die internationale Vernetzung von Dokumentationsstätten besonders wichtig. Deshalb arbeiten die Staatlichen Archive Bayerns nun mit dem United States Holocaust Memorial Museum zusammen. […]. Wissenschaftsminister Dr. Ludwig Spaenle betonte: ,Die NS-Herrschaft hat unendlich viel Leid verursacht und trägt die Schuld am Tod vieler Millionen Menschen. Ich sehe darin eine wichtige Aufgabe, dass der Freistaat Bayern mit seinen Archiven einen Beitrag leistet, das Unrecht des NS-Regimes im Gedächtnis zu behalten und der Opfer des Holocaust zu gedenken. Es ist ein symbolträchtiger Akt, dass die Staatlichen Archive Bayerns und das United States Holocaust Memorial Museum einen Vertrag zu einer intensiven Zusammenarbeit dazu unterzeichnen‘.[…]. Die Staatlichen Archive Bayerns, die Dokumente von herausragender Bedeutung für die Erforschung des NS-Unrechtsregimes und der Shoah verwahren, wollen den amerikanischen Kooperationsparter beim Aufbau einer Dokumentation des Holocausts unterstützen. Sie wollen dem United States Holocaust Memorial Museum dazu

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Schlussbetrachtungen

als Berufsstand, der „es gewohnt ist, die Vergangenheit der Patienten zu erforschen, um Hinweise auf aktuelle Konflikte zu gewinnen“7 an ihrer eigenen „Vergangenheit vorbeigemogelt“.8 Gerade mit Fokus auf die von Dörner angesprochenen professionsinternen Verdrängungsmechanismen stellte der Jahreskongress 2010 der DGPPN in Berlin einen Wendepunkt dar. Er „war der Erinnerung an die Opfer und dieser Verantwortung der psychiatrischen Fachgesellschaft gewidmet“9 und sollte nach Schneider „dazu beitragen, dass wir […] uns unserer Verantwortung und einer humanen, am einzelnen Menschen orientierten Psychiatrie immer bewusst bleiben und sie in unserem Reden und in unserem Handeln nie vergessen“.10

Die DGPPN11 empfiehlt einen neuen, systematischen Blick auf die Biographien, Motivationen, Beteiligungen und Verteidigungsmuster bedeutender Fachvertreter zur Zeit des Nationalsozialismus.12 2016 rekapituliert die psychiatrische Fachgesellschaft ihre NS-Vergangenheit sowie deren Rezeptionsgeschichte: Im Nachkriegsdeutschland leugnete sie lange Zeit hindurch eine Verantwortung für die Verbrechen an psychisch Kranken und geistig Behinderten während des NS-Regimes, wodurch es zu einer erneuten Demütigung der Opfer kam. In den 1960er13 und

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entsprechende Reproduktionen von relevantem Archivgut zur Verfügung stellen“. Vgl. https://www.km.bayern.de/kunst-und-kultur/meldung/4831/staatliche-archive-kooperierenmit-dem-united-states-holocaust-memorial-museum.html. Stand vom 20.12.2016. Dörner (1983), zit. n. Klee (1986), S. 145. Ebd. Ferner weiterführend auch Eitz/Stötzel (2007) und (2009) sowie Fischer (2015). Schneider (2011), Vorwort. Ebd. „Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) […] ist eine der ältesten wissenschaftlichen Fachgesellschaften, ihre Mitgliederanzahl im Jahr 2016 beträgt circa 8.000. Vgl. Schneider/Hauth (2016), S. V. Vgl. Roelcke/Schneider (2012), S. 291. „Der Prozess gegen Adolf Eichmann [1906–1962] 1961 in Jerusalem wird gemeinhin als Initialmoment der öffentlichen Wahrnehmung des Holocaust verstanden. Das acht Monate andauernde Verfahren, das mit dem Todesurteil für Eichmann endete, wurde zum Ausgangspunkt wachsender Aufmerksamkeit für die deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus und insbesondere für die Vernichtungsabsicht gegenüber den europäischen Juden. Erstmalig konfrontierte sich eine weltweite Öffentlichkeit mit den jüdischen Opfern und Zeugen des Holocaust und ihren traumatischen Erfahrungen. Im Zentrum der Verhandlung in Jerusalem standen nämlich nicht vorrangig die Person Eichmann und seine Taten, sondern die Geschichte der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft selbst“. Vgl. Gallas (2011). In: http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/hannah-arendt-und-der-eichmann-prozess. Stand vom 05.02. 2017. „Gleichermaßen gab […] [Hanna Arendts (1906–1975)] Buch insbesondere wegen seiner diskussionswürdigen Positionen den Anlass für eine Reihe von Studien, Kolloquien und Konferenzen und beförderte somit indirekt die historiographische Erforschung des Themas. Auf zwei Ebenen haben diese beiden miteinander verknüpften Ereignisse – zum einen der Prozess selbst, zum anderen Arendts Buch, das ebenfalls den Charakter eines ‚Ereignisses‘ annahm – zu einer Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung geführt. Diese betraf zum einen die Entwicklung eines historischen Bewusstseins für die Verbrechen des Holocaust und zum anderen die der Rezeption von Hannah Arendts Schriften. Beide Ereignisse überlagerten

Schlussbetrachtungen

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1970er Jahren kam es zu den ersten Versuchen einer Darstellung der Vorkommnisse. Die Publikationen ließen der Psychiatrie jedoch hauptsächlich eine Opferrolle zukommen. Zum Anlass des 130-jährigen Bestehens der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde veröffentlichte der damalige Schriftführer Helmut Ehrhardt (1914–1997) 1972 ein Buch, „in welchem noch zu lesen steht, dass die damalige Vertretung der Psychiater, trotz ihrer scheinbar weitreichenden Befugnisse, ex officio niemals Aktionen wie die ‚Euthanasie‘ gedeckt, befürwortet oder gefördert habe“.14

Eine gründliche Aufklärung der fachpsychiatrischen NS-Historie nahm erst in den 1980er Jahren ihren Anfang. Für diesen Ansatz wurde Gerhard Schmidt im Jahr 1986 von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenheilkunde mit der Wilhelm-Griesinger (1817–1868) - Medaille geehrt. 1992 verabschiedete die psychiatrische Fachgesellschaft unter Uwe Henrik Peters auf ihrem Jubiläumskongress eine Resolution zur Bekräftigung „ihre[r] Abscheu und ihre[r] Trauer im Rückblick auf den Holocaust an Geisteskranken, Juden und anderen verfolgten Menschen“.15 Im Kontext des Weltkongresses für Psychiatrie, der 1999 in Hamburg stattfand, wurde erstmalig Michael von Cranachs Ausstellung „In Memoriam“ einem breiten internationalen Publikum vorgeführt. Auf einer Mitgliederversammlung von 2009 ergänzte die DGPPN den ersten Paragraphen ihrer Satzung um folgende Passage: „Die DGPPN ist sich ihrer besonderen Verantwortung um die Würde und Rechte der psychisch Kranken bewusst, die ihr aus der Beteiligung ihrer Vorläuferorganisationen an den Verbrechen

frühere Initiativen, Auseinandersetzungen und Denkfiguren und führten zu der bis heute gültigen Einschätzung, dass erst der Prozess dem Holocaust Wahrnehmung und Geltung verschafft und dass Arendts Überlegungen zu Nationalsozialismus und Holocaust hier ihren ultimativen Ausdruck gefunden hätten. Dieser Befund stimmt nur teilweise. Weder entstanden Arendts Einschätzungen und Positionen ad hoc, denn sie bildeten nur ein Element ihrer langjährigen Beschäftigung mit dem Thema […], noch zeichnete sich die gesamte Nachkriegszeit vor 1961 durch Stillschweigen, Verdrängung und Tatenlosigkeit gegenüber der Realität und den Folgen des Holocaust aus“. Vgl. ebd. Siehe ferner Arendt (1963). „Ihre früher formulierten Positionen finden sich transformiert im Eichmann-Bericht, sind aber selten als solche entschlüsselt worden. Arendts eindeutige Wahrnehmung der Singularität und Gegenrationalität der kollektiven Tötung der europäischen Juden, wie sie in den 1940er Jahren von ihr herausgestellt wurde, ist hier nur noch als Spur erkennbar, muss aber bei einer Neubewertung ihres Textes hinzugedacht werden. Genauso wie sich das historische Bewusstsein für die Ereignisse des Holocaust schon weit vor 1961 entwickelte und in das Prozessgeschehen, seine Einordnung und seine Berichterstattung einfloss, so ist Hannah Arendts Bericht in den Zusammenhang mit ihren früheren Schriften zum Holocaust einzuordnen, um so ihren zentralen Beitrag zum modernen Denken und seinen Verwerfungen durch den Traditionsbruch richtig zu verstehen“. Vgl. Gallas (2011). In: http://www.zeitgeschichte-online.de/kommentar/hannah-arendt-und-der-eichmann-prozess. Stand vom 05.02.2017. „Die Ersetzung der Wirklichkeit einschließlich aller ‚Tatsachenwahrheiten‘ durch Fiktionen ist für Arendt […] das entscheidende Kennzeichen der totalen Herrschaft“. Vgl. Bruns (2016), S. 177. 14 Schneider/Hauth (2016), S. V. Siehe ferner Degkwitz (1960). 15 Ebd.

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Schlussbetrachtungen des Nationalsozialismus, an massenhaften Krankenmorden und Zwangssterilisationen erwachsen“.16

Die Ergebnisse der Historischen Aufarbeitung zur Rolle der Psychiatrischen und Neurologischen Fachgesellschaft im Dritten Reich liegen seit 2016 in Buchform vor17 und zeigen, so Roelcke, „in welch großem Umfang und mit welcher Zielstrebigkeit fast alle Repräsentanten der Fachgesellschaft […] beteiligt waren – und dass dies keineswegs einfach aus äußerem Zwang geschah“.18 Im Anschluss an die Vorstellung der Ergebnisse der Historischen Kommission19 im Rahmen des DGPPN-Kongresses 201520 durch Hans-Walter Schmuhl wurden Referenten und Zuhörerschaft zu einem Sektempfang geladen. Diese Geste trägt Symbolkraft in sich und markiert einen Wendepunkt in der Erinnerungskultur21 deutscher Psychiater zur eigenen Professionshistorie. Es geht nicht mehr darum, zu leugnen, zu euphemisieren oder zu sublimieren.22 Ein souveräner Umgang 16 17 18 19

Ebd., S. VI. Schmuhl (2016). Siehe ferner auch Schmuhl (2011). Roelcke (2016c), S. VIII. Siehe ferner auch Roelcke (2007b). „Geschichtsschreibung ist etwas anderes als persönliches Erinnern. Geschichte ist konstruierte Erinnerung, die auf Daten und Fakten beruht; Erinnern ist subjektiv und emotional. Die Gesellschaft und vor allem die Wissenschaft brauchen beide Formen des kulturellen Gedächtnisses, um etwas über sich selbst zu erfahren“. Vgl. Karenberg (2016), S. 53. 20 Auch die „[d]eutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) ist mit der bisherigen Aufarbeitung der für sie relevanten Geschehnisse während der Zeit des Nationalsozialismus (NS) nie vollkommen zufrieden gewesen. Über 70 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes sind viele Fragen zur Rolle der Neurologie und deren Protagonisten in dieser Zeit nicht ausreichend beantwortet. Daher hat die DGN Ende 2014 einen Forschungsauftrag mit dem Ziel einer wissenschaftshistorischen Analyse zu eben diesem Thema vergeben.[…]. [K]lar herausgearbeitet[] [wurde die] Erkenntnis, dass oft Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte aller Couleur nicht wehrlose Opfer des NS-Regimes waren, sondern dass sich Regime und Mediziner durchaus gegenseitig (in einer klassischen Win-win-Situation) von Nutzen waren. […]. Dies bedeutet implizit, dass die Akteure wissen mussten, in welchem Kontext sie sich beruflich bewegten, woraus wiederum folgt, dass sie eine Wahl hatten, Dinge zu tun oder – unter Inkaufnahme gewichtiger Nachteile und sogar Gefahren – zu lassen. Auch diese wichtige Erkenntnis wurde erst durch eine zunehmende zeitliche Distanz zum damaligen Geschehen sowie dessen aktiver Aufarbeitung auf verschiedenen Ebenen möglich und schlägt sich in den Folgegenerationen in einer grundsätzlich veränderten Einstellung zum Geschehen nieder“. Vgl. Grond/Thiekötter (2016), S. 1. „[G]erade die ‚NS-Neurologie‘ verdeutlichte ferner, dass es nicht gute vs. schlechte Forschung gibt, sondern dass medizinische Forschung mit Menschen im Konflikt mit ethischen Werten stehen kann, die sich aus einer therapeutischen Beziehung, der Würde des Menschen oder dem allgemeinen Respekt zwischen Menschen ergeben“. Vgl. Karenberg (2016), S. 53. Eine „Argumentationslinie[…], die im Kern wohl suggerieren will, Neurologen seien weniger ‚anfällig‘ für die NS-Ideologie gewesen als Psychiater, ist in dieser strikten Form vermutlich nicht haltbar. Auch unter den Neurologen kam es […] zu einer Selbstmobilisierung im Sinne der neuen Machthaber. Zudem lässt sich nicht scharf zwischen beiden Disziplinen trennen, insbesondere nicht nach 1933“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 27–28. 21 Ferdinand Kramer vom Institut für Bayerische Geschichte/München stellt die Frage, ob das Narrativ, dass NS-Erinnerung die Grundlage für Demokratie bietet, auch für die junge Generation wirksam ist. Vgl. Kramer (2016). Interessant ferner Reichel (2009). 22 Zu den Phasen der Rezeptionsgeschichte der NS-Vergangenheit sei verwiesen auf Peiffer (2006). Siehe ferner Kreutzberg (1993).

Schlussbetrachtungen

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mit den „Schatten“ der eigenen Profession impliziert ein Lernen aus den Erfahrungen unserer fachkollegialen Vorfahren.23 Wurde die in Deutschland 2006 ausgetragene Fussball-Weltmeisterschaft in den Medien rezipiert als Anlass zum Tragen von Nationalfarben im Sinne eines Ausdruckes des wiedergefundenen kollektiven Identitätsgefühls, so scheint – unter Perspektivwechsel bezüglich der Vergleichsebene – nun auch für die „Milleniumspsychiater“24 die Zeit gekommen, in der sie erneut stolz auf ihre Fachgesellschaft sein können. Mit ihrem Positionspapier gegen den ärztlich assistierten Suizid25 nämlich hat sie einen konstruktiven Umgang mit der eigenen verhängnisvollen Vergangenheit und den daraus gewonnenen Einsichten unter Beweis gestellt.26 6.2 DIFFERENZIERUNGEN PSYCHIATRIEETHISCHER BIOGRAPHIK Die historischen Tatsachen stehen in wenig ausgewogener Relation zur Diabolisierungstendenz in der Rezeption Meggendorfers. “It once again demonstrates the dangers inherent in painting the characters on the stage of nazi medical academy either black or white”.27 Diese Ansicht von Michael H. Kater in Bezug auf Gottfried Ewald kann auch für Meggendorfers “personal history”28 gelten. Gegen Ende der vorliegenden psychiatriehistorisch und -ethischen Annäherung an Friedrich Meggendorfer als den zweiten Ordinarius für Psychiatrie in Erlangen soll dessen Amtsvorgänger Gustav Specht zu Wort kommen. Dieser warnte – in einem klinisch-wissenschaftlichen Kontext – davor, „schwarz und weiss zu grau mische[n]“29 zu wollen. Doch gerade hinsichtlich des „dunkelsten Kapitels der Geschichte unseres Fachgebietes“ spiegelt dieser – von Seiten des Klinikers Specht nicht erstrebte – Mix aus Graunuancen ein gegenwärtiges Desiderat historischer Forschung zur individuellen NS-Vergangenheit wider. Nach Hans-Walther Schmuhl

23 Weiterführend hierzu siehe ferner Frei (2009). 24 Braun et al. (2015), S. 639. 25 http://www.dgppn.de/fileadmin/user_upload/medien/download/pdf/stellungnahmen/2015 /2015 -09-16_ DGPPN_Stellungnahme_Suizidbeihilfe_FINAL-pdf Stand: 28.11.2015. Siehe ferner Hauth et al. (2017). 26 Weiterführend hierzu: Braun et al. (2015). 27 Kater (1989), S. 147. Siehe ferner ders. (1983), (1987), (2006) und (2011). 28 Ders. (1989), S. 147. 29 Specht (1906), S. 546.

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Schlussbetrachtungen „gilt [es], über die bislang betriebene Schwarz-Weiß-Malerei hinwegzukommen und zu einem Gesamtbild zu gelangen, das von den vielfältigen Grautönen geprägt ist, die Geschichte gemeinhin30 ausmachen“.31

Die Benutzung von Metaphern in der Historiographie schafft – abgesehen von literarischen Qualitäten – unterschiedliche Zugänge zur Geschichte und kompensiert gewissermaßen auch das Dilemma der begrifflichen Uneindeutigkeit.32 Eine mythen-, statt farbassoziierte Metaphorik setzt Gradmann ein, wenn er weder Helden als „große Männer noch Antihelden und -innen“33 zum Gegenstand historischer Biographien werden lässt. In Fortführung dieser mythologischen Assoziation Gradmanns könnte ein – zumindest partielles – „Heldentum“ Meggendorfer nur dann zugesprochen werden, wenn er seine Eugenik-Expertise zum Stoppen der „Euthanasie“-Aktionen eingesetzt hätte. Hierzu lassen sich derzeit jedoch keine Dokumente finden. In Replikation von Schmuhls Differenzierung zwischen „objektivem“ und „subjektivem Handlungsspielraum“ eines Psychiaters zu NS-Zeit34 lässt sich jedoch einschränkend erwähnen, dass Meggendorfer – anders als Gottfried Ewald (1888–1963) – nicht als potenzieller „Euthanasie“-Befürworter angesehen und daher, nach aktuellem Quellenstand, von vornherein zu keiner „Euthanasie“-Planungsaktion eingeladen wurde. Diesen historisch eindrucksvollen „objektiven Handlungsspielraum“ der demonstrativen Verweigerung seiner T4-Gutachterschaft konnte Meggendorfer nicht für sich geltend machen, denn er gehörte nicht zum geladenen „Pro-Euthanasie-Kreis“. Vor diesem Hintergrund lässt sich Meggendorfer also – obwohl privat vertrauter Schüler Rüdins – nicht gänzlich zum „Rüdin-Kreis“ zählen,35 in dessen Denken sich

30 Schmuhl mag hierbei zurückgreifen auf die Schlussworte der Trilogie zur deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert von Thomas Nipperdey (1927–1992): „Die Menschen unterscheiden sich nicht in gut und böse, das Kaiserreich war nicht gut und nicht böse oder nach Gutem und Bösem deutlich unterscheidbar: Die Grundfarben der Geschichte sind nicht Schwarz und Weiß, ihr Grundmuster nicht der Kontrast eines Schachbretts; die Grundfarbe der Geschichte ist grau, in unendlichen Schattierungen“. Vgl. Nipperdey (1992), S. 985. 31 Schmuhl (2013), S.1069. Holdorff und Hoff hatten bereits 15 Jahre vor Schmuhl die Tendenz der Schwarzweiß-Malerei in der NS-psychiatrischen Historiographie als reformbedürftig aufgezeigt: „Schwarzweiß-Malerei trifft also in keinem Fall die Situation und die handelnden Figuren, weder während der Zeit des Nationalsozialismus selbst, noch in den Jahrzehnten zuvor und danach. Auch unter den Nervenärzten gab es wenige Helden, viele unfreiwillige Opfer, sehr viele Opportunisten und einige aktive Verbrecher“. Vgl. Holdorff/Hoff (1998), S. 182. 32 Vielleicht würde Meggendorfer selbst in diesem begrifflichen Dilemma auf einen Ausspruch von Goethe rekurrieren: „Begriff ist Summe, Idee Resultat der Erfahrung; jene zu ziehen, wird Verstand, dieses zu erfassen, Vernunft erfordert [sic]“. Vgl. Goethekalender (1968), S. 84. 33 Gradmann (1998), S. 252. 34 Vgl. Schmuhl (2016), S. 393–394. 35 „ihm [fehlten] [weitgehend] Rüdins Charisma, Machtinstinkt und auch dessen Fähigkeit, (professions)politische Netzwerke zu knüpfen […]“. Vgl. Rauh (2016b), S. 270.

Schlussbetrachtungen

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„die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten – die Arbeitstherapie, die offene Fürsorge, die neuen Somatotherapien und auch die Psychotherapien –, die Maßnahmen der psychischen Hygiene und Rassenhygiene und die ‚Euthanasie‘ zu einem umfassenden Konzept [ergänzten]“. 36

Meggendorfer nutzte seine, den damaligen internationalen wissenschaftlichen Standards entsprechenden Eugenik-Kenntnisse nicht, um aktiv Einspruch zu erheben gegen die sogenannten „planwirtschaftlichen Maßnahmen“. Dieses Versäumnis darf „ex-post“ nicht zu hoch gewichtet werden. Vielmehr gilt es, den von Schmuhl angeführten „subjektiven Handlungsspielraum“ Meggendorfers empathisch zu ergründen. Meggendorfer konnte weder mit Rückhalt seitens des Anstaltsleiters vor Ort noch seitens der Fachgesellschaft oder seitens politischer Kreise rechnen. Die Konsequenz des Verlustes des Psychiatrischen Lehrstuhls mit seinen beruflichen und familiären Auswirkungen musste Meggendorfer bei einem öffentlichen Eintreten gegen die „Euthanasie“-Aktionen in Erwägung ziehen. Eine ethisch umfassende Perspektive muss jedoch individualethisch nachvollziehbare Handlungen im Sinne von „Eigenwohl vor Kollektivwohl“ abwägen unter Beachtung möglicher kollektivethischer Unverantwortlichkeit.37 In Rückgriff auf die mythologische Metaphorik Gradmanns zeigt sich Meggendorfer von Lokalpresse38 und (lokal ansässigen) Historikern39als „Antiheld“ rezipiert. In der Tat spiegelt sein Schrifttum zur Legitimation der NS-Gesetzgebung40 eine dunkle Facette in Person und Ethik wider, doch – in Anlehnung an das „Grauton-Konzept“41 Schmuhls – lässt sich Meggendorfers Schrifttum zur Eugenik und deren praktische Umsetzung abbilden als Collage aus changierenden Nuancen eines „camaïeu des gris“.42 Entgegen der Dichotomisierung von „Helden vs. Antihelden“ im Sinne einer „Schwarz-Weiss43-Malerei“ kommen in der Beurteilung von Person und Ethik Meggendorfers Grauton-Abstufungen in den unterschiedlichsten HellDunkel-Ausprägungen zur Darstellung. Diese Grautöne mögen wohl in Meggendorfers Psyche mit Fortschreiten der nationalsozialistischen Regierungszeit ihren – um die bildhafte Metaphorik zu ergänzen durch Klangassoziationen – „Widerhall“

36 Schmuhl (2016), S. 394. 37 Dank an Frau Dr. phil. Caroline Hack, Professur für Ethik in der Medizin/Erlangen, für die anregenden Gesprächsbeiträge im Kontext des Vortrages von Braun (2016b). 38 „Die Unmenschlichkeit hat ein Gesicht“. Vgl. Nahr (1994). Erlanger Nachrichten vom 25.01.1994. 39 „Der Arzt als Erfüllungsgehilfe“. Vgl. Lehmann (1993a), S. 360. „Euthanasie“-Zustimmung, „Euthanasie-Profiteur“, „Aktion T4-Verstrickung“. Vgl. Rauh (2016b), S. 282 und ebd., S. 285. Siehe ferner auch Wulf (2016). 40 Vgl. Meggendorfer (1939f). Sonderdruck, S. 22. Siehe ferner S. 187–188. 41 Schmuhl (2013), S.1069. 42 Es sei unter anderem verwiesen auf Meggendorfer (1934 b) und (1934c). 43 Interessant hierzu die Bezeichnung Alexander Mitscherlichs als „weissen Ritter der Deutschen Nation“. Vgl. Leven (2016a). Siehe ferner Freimüller (2007).

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Schlussbetrachtungen

gefunden haben44 bis zum „traurigen Abgesang“ nach Dienstsuspension und beruflichem Identitätsverlust.45 Selbst eine sehr nuancenreiche Graupalette alleine zeigt sich im vorliegenden Falle jedoch nicht ausreichend. Die Verdienste Meggendorfers um die EKT nämlich tragen entscheidend dazu bei, dass uns Psychiatern die Möglichkeit gegeben ist, das hoffnungslose „gris-en-gris“-Erleben bestimmter Patienten wieder mit Farbe und Zuversicht anzureichern. Abgesehen von diesem – wohl hervorstechendsten – „Leuchteffekt“ kommen im psychiatrieethischen Portrait Meggendorfers am ehesten auch schillernde BuntTöne zur Darstellung. Zu erwähnen hierzu sind beispielsweise sein Gutachten zur Zulässigkeit des Wiederfruchtbarmachungseingriffes bei der als schizophren diagnostizierten K. A.,46 seine patientenwohlzentrierte Korrespondenz bei der polnischen Zwangsarbeiterin M. A.47, die bis vergleichsweise spät fortgeführte Therapie jüdischer Patienten an seiner Klinik48 oder sein Einsatz für die fortgeführte Option zur Insulinkrampftherapie.49 Die Integration des „Bunt-Spektrums“50 bei Zugangswegen zur Beurteilung von Akteuren im Rahmen der Psychiatrie zur Zeit des Nationalsozialismus kann psychiatriehistorische Betrachtungsweisen bereichern und fruchtbar machen gerade in Bezug auf ihre Implikationen für aktuelle psychiatrieethische Fragestellungen.51

44 Seine Resignation bezüglich der unzureichend möglichen praktischen Umsetzung eugenischer Grundsätze ließ er in seiner Publikation zur kongenitalen Wortblindheit transparent werden. Siehe hierzu Kap. 3.2.7. 45 „Von der schweren Depression hat sich Vati nie mehr richtig erholt“. Vgl. Prof. Dr. Ida Valeton, Dr. Walburga Remold, ca. April 2010 in FAM. Den berechtigterweise schmerzlich empfundenen Identitätsverlust auf Ebene des Hochschulpsychiaters sollte ein „wohlwollendes“ Schicksal ausgleichend für Meggendorfer regeln. Da die vier direkten Nachkommen Friedrich Meggendorfers weiblich sind, blieb ihnen der Fronteinsatz und Meggendorfer somit das hohe Risiko des Verlustes eines Kindes im Kriegsdienst erspart. Alle Töchter Meggendorfers konnten sich ihrerseits beruflich entfalten, Familien gründen und erreich(t)en ein hohes Lebensalter. Frau Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer verstarb am 06.01.2016 im 91. Lebensjahr in Bad Aibling. Vgl. Persönliche Information von Dr. Johannes W. Dietrich, 09.01.2016. Frau Prof. Dr. Ida Valeton, geb. Meggendorfer verstarb im 94. Lebensjahr in Brauschweig. Vgl. Die Zeit, Nr. 17 vom 14.04.2016, S. 46. 46 Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 431/361. Siehe hierzu S. 367–368. 47 APNK/FAU, Aufnahmenr.: 330/250. Siehe hierzu S. 427–440. 48 Siehe hierzu Kap. 3.3.5. 49 Vgl. hierzu S. 415–417. 50 „Aber Geschichte ist nicht grau: sie ist bunt. Um ihr gerecht zu werden, muß der Historiker seine ganze Farbpalette benutzen. Nipperdey hat uns eine einfarbige deutsche Geschichte gegeben: er hat nicht versucht, sie in all ihrer farblichen Vielfalt zum Leben zu bringen, sondern hat sie durch seine unablässige Bewertung auf eine Übung in Helldunkel reduziert“. Vgl. Evans (1994), S. 137. 51 Ferner sei verwiesen auf Braun et al. (2017). Siehe ferner Roelcke et al. (1997) sowie Roelcke (2007d), (2016b) und (2017a).

Schlussbetrachtungen

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6.3 VERSUCH EINER ANNÄHERUNG ZU DIFFERENZIERUNGEN BEI GESCHICHTSWISSENSCHAFTSHISTORISCHER UND -ETHISCHER BIOGRAPHIK Als charakteristisch für die Psychiatrie als Fachdiziplin wird eine Art „Doppelköpfigkeit“ in Richtung Geisteswissenschaften einerseits und Naturwissenschaften andererseits gesehen.52 In Hinblick auf die Janusköpfigkeit der psychiatrischen Fachdisziplin soll exkursorisch eine Annäherung zu Differenzierungen bei geschichtswissenschaftlich historisch-ethischer Biographik erfolgen. Die Geschichtswissenschaft in Deutschland trägt nämlich, ähnlich der psychiatrischen Fachdisziplin, ein zweifaches Antlitz: sie ist „öffentlichkeitswirksame, synthetische und gegenwartsdeutende Leitdisziplin im Kanon der Geistes- und Kulturwissenschaften und zugleich auch experimentierende Schwammwissenschaft, die begierig Anregungen aus anderen Disziplinen aufsaugt“.53

Als Hauptprotagonisten der Erlanger Geschichtswissenschaften zu NS-Zeit zu erwähnen sind im Bereich „Alte Geschichte“ Adolf Schulten (1870–1960) sowie Wilhelm Enßlin (1885–1965), im Bereich „Mediävistik“ Bernhard F. Schmeidler (1879–1959), im Bereich „Neue Geschichte“ Otto Brandt (1892–1935), Helmut Weigel (1891–1974) und Ludwig Zimmermann, im Bereich „Landesgeschichte“ Erich Freiherr von Guttenberg (1888–1952).54 Wenn es nach Axel Gotthard für die Historiker vor 1933 „subjektiv zu ihrem ‚Amt‘ gehörte, politische Handreichungen zu geben“,55 so unterscheidet Friedrich Lenger drei Gruppen unter den Hochschulhistorikern zu NS-Zeit: 1. die aktiven Republikaner 2. Die rückwärtsgewandten Vergangenheitssucher 3. Die Rechten Neuerer.56 In die Gruppe 1 ordnet Lenger Bernhard Schmeidler ein, ab 1928 Ordinarius für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der FAU. Schmeidlers Beurteilung von Hilters Erlanger Rede vom 13.11.1930 als „Demagogie und Irrsinn“57 war bereits aktenkundig, als er von zwei Studenten denunziert wurde, Hitlers Vorgehensweisen auf einen Seminarabend am 27.06.1935 als „hetzerisch“ bezeichnet zu haben.58 Explizit zur Gruppe 2, dem sogenannten Typus der Vergangenheitssucher mit verklärtem Bild des Wilhelminischen Zeitalters, zählt Lenger Adolf Schulten als lebenslangen Erforscher des antiken Spaniens. Wenn Schulten 1928 zum Thema „Held und Volk“ referierte und Antike mit Zeitgeschichte parallelisierte, so habe er keinen Hitler als Held, vielmehr einen neuen 52 Vgl. Möller (2011), S. 430. 53 Nolte (2015), S. 166. 54 Abgesehen von Ludwig Zimmermann finden sich jeweils Portraitbilder der einzelnen Protagonisten, entsprechend ihrer Abfolge im Text bei Urban (2000), S. 57 und ebd., S. 58; Herbers (2000), S. 79; Gotthard (2000), S. 120 und ebd., S. 122; Blessing (2000), S. 163. Zu Guttenberg siehe auch S. 497, Fn. 8. 55 Gotthard (2000), S. 110. 56 Vgl. Lenger (2000), S. 272. 57 Wendehorst (1993), S. 168. 58 Vgl. Herbers (2000), S. 92.

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Bismarck prophezeit.59 Zur Gruppe 2 rechnet Lenger am ehesten auch Wilhelm Enßlin, der ab 1936 bei weitem stärker als sein Vorgänger Schulten mit den Erwartungen einer nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik konfrontiert war. Trotz zeitpolitischer Relevanz der Enßlinschen Analyse des Verhältnisses von Römern und Germanen, habe er weiterhin nüchtern und vorsichtig Quellen interpretiert. Auch nach Rolf Urban hatte Enßlin bei seinen Erlanger Arbeiten zum Kaisertum „sicherlich nicht den ‚Führer‘ im Hinterkopf [gehabt und keine] [] Kniefälle vor dem Zeitgeist“60 geübt. Auch Erich Freiherr von Guttenberg, Leiter des 1933 eingerichteten Institutes für Fränkische Landesforschung rechnet Lenger implizit der Gruppe 2 zu. Ende 1944 leitete er anhand der Führer des staufischen Kaiserreichs und der großen deutschen Vergangenheit die Verpflichtung ab, sich der Idee einer universalen Gemeinschaft zu opfern.61 Zwischen dem Typus des nationalkonservativen Vergangenheitssuchers und dem Typus des NS-Neuerers sieht Lenger eine Übergangszone, in der sich die Neuhistoriker Brandt und Ludwig Zimmermann positionieren lassen.62 Der 1916 promovierte und 1919 zum jüngsten Privatdozent Deutschlands ernannte Otto Brandt wurde 1928/29 nach Erlangen berufen. Als NSDAP-Mitglied lieferte Brandt Beiträge zu rassisch-völkischen Problemen für das Handbuch der Deutschen Geschichte 1933.63 Ludwig Zimmermann interpretierte als Nachfolger Brandts ab 1938 die Geschichte als „Ferment der Volkswerdung“64 und verhalf den NS-propagandistischen Bestrebungen zu philosophisch-geisteswissenschaftlicher Note. So versuchte er, anhand der Geschichtsschreibung zu romanischen und germanischen Völkern von Leopold von Ranke (1795–1886), „‚das Rasseprinzip‘ als ‚eine neue Synthese zwischen Natur- und Geisteswissenschaften‘ [zu] adeln“.65 Während Lenger insbesondere Helmut Weigel als den prototypischen Repräsentanten des „rechten Neuerers“66 sieht, beurteilt ihn Wendehorst vielmehr als einen, der „in keine der vorgesehenen Kategorien hineinpasst[]“.67 Die kategorielle Einordnung Lengers im Kontext mit Wendehorsts Skepsis motiviert zu einer versuchsweisen Differenzierung bei geschichtswissenschaftlich historisch-ethischer Biographik. In der Person Weigels lässt sich das – in Bezug auf die psychiatrische Methodik eingeführte – Doppelköpfigkeits-Motiv in Form des Janusgesichtes wiederaufnehmen. Einerseits betrieb Weigel NS-Politisierung – unter offenem Zugestehen karrierestrategischer Motivation. Andererseits gab der Karrierist sein akademisches Fortkommen zugunsten der Treue zu seiner (halb)jüdischen Ehefrau auf. Unter dem Blickwinkel der Dualität betrachtete auch Ursula

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Vgl. Lenger (2000), S. 275. Urban (2000), S. 61. Vgl. Lenger (2000), S. 277. Vgl. ebd., S. 277 und ebd., S. 284. Vgl. ebd., S. 278. Ebd., S. 284. Ebd. Vgl. ebd., S. 280. Wendehorst (1993), S. 228.

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Wolf die Rolle der Historiker zu NS-Zeit in ihrem Werk „das Janusgesicht der Historie“, in dem sie eine „objektive“ einer „kämpfender Wissenschaft“ gegenüberstellt.68 Wenn Hans Rothfels 1965 „Wissenschaftliches und humanes Gewissen“69 bei den Vertretern der Geschichtswissenschaften forderte, so kann man Weigel unzureichendes wissenschaftliches Gewissen vorwerfen. Seinen Tätigkeitsbericht des nationalsozialistischen Lehrerbundes gestaltete Weigel antisemitisch- antimarxistisch und antipazifistisch.70 Er beteiligte sich aktiv an der Vernichtung „jüdischmarxistischen Schrifttums“ im Rahmen der Bücherverbrennung im Mai 1933. Von Lenger wird Weigel der Gruppe 3 zugeordnet. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme war er als einziger Erlanger Privatdozent bereits NSDAP-Parteigenosse. Doch das humane Gewissen Weigels zeigt sich in seiner Treue zu seiner halbjüdischen Frau. In die Gruppe 1 hingegen ordnet Lenger Bernhard Schmeidler ein. Mit Klaus Herbers jedoch lässt sich auch Schmeidlers Heroentum relativieren: „Wie vielfach lässt sich auch seine Persönlichkeit nicht in Schubladen einordnen. So bleibt auch Schmeidler – sieht man genauer hin – teilweise widersprüchlich und unerklärbar“.71 Unter anderem versuchte Schmeidler nämlich, in Gesprächen mit dem Rektor seine regimekritischen Bemerkungen zu relativieren. Schmeidler, der im bürgerlichen kaiserlichen Milieu akademisch groß geworden war, hatte möglicherweise sozialisationsbedingt ausreichend Freiheitsgrade für den Gebrauch der Blessingschen Trio von „nüchterne[m] Sinn, Augenmaß, humane[r] Moral“.72 Im Vergleich hierzu war Weigel, Jahrgang 1891, vor allem verunsichert durch Krieg und geprägt durch Umsturz und die Schwäche der Republik. Dies könnte eine vermehrte Anfälligkeit für Versprechungen des Nationalsozialismus zumindest mitbedingt haben. Hatte Karl Heinz Roth 1997 das Handeln der Historiker zu NS-Zeit in einem spezifischen Spannungsdreieck vom ausuferndem Rechtfertigungsdruck, vorausgreifenden Handlungsmaximen und entsprechenden Strukturen der Informationsbeschaffung verortet,73 so forderte Jan Eike Dunkhase 2010 einen multiperspekti-

68 Vgl. Wolf (1996). Vier Jahre vor Wolfs Metapherwahl zur Charakterisierung der Rolle der Historiker zu NS-Zeit wurde das Bild des Januskopfes verwendet zur Veranschaulichung des „Gesamtbildes des Faschismus in Deutschland“: „Faszination und Gewalt liegen im Nationalsozialismus eng beieinander. Das eine war die Kehrseite des anderen. Beides zusammen erst vermittelt das janusköpfige Gesamtbild des Faschismus in Deutschland. Was den ‚Volksgenossen‘ vordergründig beeindruckend erschienen sein mag, war in der Regel gleichzeitig ein Akt des Terrors und der Gewalt gegen die ‚Gemeinschaftsfremden‘“. Vgl. Ogan/Weiß (1992), Zusammenfassung. Siehe weiterführend auch Ogan (1992). Zu Theodor Schieder (1908–1984) als „bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert“ siehe Nonn (2013). Zur Rolle des Historikers Karl Alexander von Müller (1882–1964) zu NS-Zeit sei verwiesen auf Berg (2014). 69 Rothfels (1965), S. 106. 70 Vgl. Lenger (2000), S. 281. 71 Herbers (2000), S. 94 72 Blessing (2000), S. 143. 73 Vgl. Roth (1997), S. 263.

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vistischen Zugang, der vergleichbar einer mehrdimensionalen Fotocollage mit vertikal tieferer und horizontal weiterer Aufschließung des historischen Raums ein hexagonales Panorama eröffne.74 Als einer der dimensionalen Zugangswege bei Weigel könnte sich zum Beispiel sein „fehlendes hochschulkollegiales Netzwerk“ anbieten. Die Tatsache, dass Weigel keine Solidarität von Seiten der Erlanger Historikerschaft erfuhr, könnte in Zusammenhang stehen mit seinem wissenschaftlich nachrangigem Ruf. Nach Gotthard lässt sich über die Hintergründe hierfür „allenfalls spekulieren“.75 Gotthard beurteilt die Habilitationsschrift Weigels zum Thema „Franken, Kurpfalz und der Böhmische Aufstand 1618–1620“ als „so wertlos nicht“.76 Ein, soweit der Autorin bekannt, bislang in der Analyse Weigels nicht beachtetes, wichtiges Puzzleteil könnte seine – vom Erlanger Kaufmann Carl Scholl gegenüber dem Kampfbund für deutsche Kultur angegebene – Mitgliedschaft bei der Schlaraffia darstellen.77 Insbesondere die von Scholl suggerierte „SchlaraffiaNSDAP“-Doppelzugehörigkeit Weigels könnte weiterführend Anlass geben für einen Vergleich mit dem Anstaltsdirektor Wilhelm Einsle, dessen Schlaraffia-Verschleierungsaffäre eine passagere Dienstentfernung zur Folge hatte.78 Ferner interessant könnte es auch sein, Helmut Weigel als Mitglied des Kampfbundes für Deutsche Kultur gegenüberzustellen mit dem Ortsgruppenleiter des Kampfbundes, Medizinalrat Dr. Hermann Müller (1885–1945), Oberarzt und späterem stellvertretenden Direktor der HuPflA Erlangen.79 74 75 76 77

Vgl. Dunkhase (2010), S. 10. Gotthard (2000), S. 107. Ebd. „Auch der Erlanger Kaufmann Carl Scholl sowie Univ.professor Geissler – übrigens auch Privatdozent Dr. Weigel – sind Schlaraffen und können als solche nicht Mitglieder des Kampfbundes [für Deutsche Kultur] sein. […] Übrigens sei mir gestattet, zu bemerken, dass die Gesellschaft ‚Schlaraffia‘ wieder einmal völlig falsch eingeschätzt wird. Diese Gesellschaft umfasst nur Deutsche, hat sich von ihrer zentrale Prag gelöst und wird heute von Leipzig aus regiert, Juden sind – soweit mir bekannt – nicht mehr Mitglieder. Die Schlaraffia hat grosse Verdienste um die Aufrechterhaltung deutscher Art in fremden Ländern, die lange nicht genügend gewürdigt werden. Und zuletzt sei noch erwähnt, dass eine grosse Anzahl ihrer Mitglieder langjährige Mitglieder der NSDAP sind. Dies nur zur Aufklärung“. Vgl. Schreiben von Carl Scholl an den Kampfbund für deutsche Kultur, Landesleitung Nordbayern, Nürnberg. Stadtarchiv Erlangen: Dokument 6, Bestand 32, Nr. 32 T.2, zit. n. Kootz (1996), Anhang, Dokument 6. „Auch Privatdozent Dr. Weigel, der seit langer Zeit Parteimitglied ist und ausserdem den nationalsozialistischen Lehrerbund hier leitet, müsste als Schlaraffe aus dem Kampfbund austreten“. Vgl. Schreiben des Kampfbundes für deutsche Kultur, Ortsgruppe Erlangen an die Landesleitung Nordbayern, Nürnberg vom 10.06.1933, keine Unterschrift des Anschreibenden vorhanden. Vgl. ebd., Dokument 7. 78 Siehe hierzu S. 567–570. 79 „In der 57. Mitgliederversammlung des GVE [Gemeinnützigen Vereins] vom 5. Juli 1933 wurde die Vereinssatzung vom 11. Mai 1910 geändert und ‚den neuen Verhältnissen‘ angepasst. Der Verein führte von diesem Zeitpunkt an den Namen ‚Deutsche Bühne e.V., Erlangen, Ortsgruppe Erlangen (Gemeinnütziger Verein für Bücher, Tonkunst und Volksbildung)‘. […]. Beisitzer wurden u. a. Oberbürgermeister Dr. Hans Fierli und der Ortsgruppenleiter der ‚KfdK‘ [Kampfbund für Deutsche Kultur], Medizinalrat Dr. Hermann Müller [(1885–1945), ab 1930

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Für eine eine historisch-ethische Kontrasterfahrung aus der Geschichtswissenschaft bietet es sich an, die Nachkriegs-Biographie Weigels in Vergleich zu setzten mit der von Ludwig Zimmermann. „Helmut Weigel hat seine Schandtaten teuer bezahlt – Internierungslager Mosburg und Stigmatisierung als ,Minderbelasteter‘“.80 Die Loyalität gegenüber seiner Frau jüdischer Abstammung wurde bei der Bewertung seiner Rolle zu NS-Zeit im Nachkriegsdeutschland eher verhalten berücksichtigt.81 Trotz der bekannten frühzeitigen Orientierung Weigels in das rechte politische Spektrum könnte man die These aufstellen, Weigel habe sich besonders regimetreu präsentiert, um seine „nicht-arische“ Ehefrau zu schützen. An dieser Stelle bietet sich ein vergleichender Blick auf den Marburger Historiker und späteren Ordinarius für Neuere Geschichte in Köln Karl-Dietrich Erdmann (1910–1990) an. Auch er wurde aufgrund des fehlenden Ariernachweises für seine Ehefrau 1938 vom Staatsdienst suspendiert. Infolge publikatorisch „nationalsozialistischer Geschichtsklitterung“82 konnte Erdmann den entsprechenden Sippennachweis für seine Ehefrau jedoch im Verlauf nachweisen. Obwohl Weigel von der Spruchkammer im Jahr 1949 zum „Entlasteten“ reklassifiziert wurde, konnte er seine universitäre Laufbahn nicht wiederaufnehmen. Im Gegensatz zum „schon 1936 gestrauchelte[n] Helmut Weigel [, der] auch nach 1945 nicht recht auf die Beine [kam], war Pg. Zimmermann bald wieder obenauf“.83 Zimmermann konnte, als Mitläufer eingestuft und im Kontext der Weihnachtsamnestie rehabilitiert, nach kurzer Zeit wieder in Forschung und Lehre tätig werden, obwohl er 1933 in die NSDAP eingetreten war und zudem Mitglied der SS, der SA und weiterer anderer NS-Organisationen war. Bei geschichtswissenschaftlich historisch-ethischer Betrachtung sollte – metaphorisch gesprochen – die Untersuchung ergänzend wie durch eine „Lupenbrille mit Prisma-Effekt“ erfolgen. Dies garantiert nämlich die ausreichende Dezentrierung von professionsidentifikatorischen Befangenheiten durch eine sphärische-, zylindrische- und Gleitsichtwirkung. Wenn Weigel im Rahmen seiner NS-Profilierung von Rektor Reinmöller als Senator berufen war, so sollten wir uns geschichtsbewusst bildhaft die „Statue eines [römischen] Senators, der zu einer Prozession die Büsten seiner Vorgänger mitbringt“84 vor Augen führen. Auch wir Mediziner, Medizinethiker, Psychiater und Historiker im beginnenden 21. Jahrhundert sollten uns im übertragenen Sinne, mit den „Köpfen“ unserer beruflichen Ahnen der 1930er- und 1940er-Jahre beschäftigen. Derzeit schätzen wir als Wissenschaftler und Ärzte die Freiheiten unseres demokratischen Staates. Dennoch kann es von Nutzen sein, sich der immanenten Vulnerabilitäten und Manipulationspotentiale der eigenen Profession bewusst zu sein. Wenn Dr. Johannes Eberle als Ministerialdirigent vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft

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2. Vorstand des Kunstvereins, 1. Vorsitzender 1935 bis April 1944]“. Vgl. Kootz (1996), S. 60 und ebd., S. 72–73. Gotthard (2000), S. 126. Vgl. Lenger (2000), S. 282. Wehler (1999), S. 325. Gotthard (2000), S. 126. Brierley (1991), S. 87.

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und Kunst, beim diesjährigen Neujahrsempfang 2017 des „Elitenetzwerk Bayern“ in Schloss Nymphenburg am 14. Januar den Slogan „Elite aus Strategie“ propagierte,85 so zeigt sich auch aktuell eine zumindest indirekte staatliche Einflussnahme auf wissenschaftliche Leistungsförderung. Nur ein fundiertes Geschichtsbewusstsein in professionsinterner Perspektive sorgt für ausreichende Achtsamkeit in Hinblick auf aktuelle und zukünftige Entwicklungen im Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Nach Gotthardt Jasper gilt es, sich „[d]er gegenseitigen Abhängigkeit und dem aufeinander angewiesen sein von Wissenschaft und Politik […] kritisch bewusst zu bleiben, [was zugleich] eine angemessene Form der heutigen Universität [sein kann], sich ihre schwierige Vergangenheit anzueignen, sich mit ihr zu identifizieren“.86

6.4 MEGGENDORFERS MORAL ALS MOTIVATOR FÜR MEHR ETHIK IN DER PSYCHIATRIE Entsprechend unseren Differenzierungen psychiatrieethischer Biographik am Beispiel Friedrich Meggendorfers rekurrieren wir erneut auf die eingangs skizzierte komplexe Situation der Synthese von philosophischen und medizinethischen Perspektiven in Bezug auf aktuelle ethische Fragestellungen: „Was der Philosoph, der gewohnt und gefordert ist, sich dem Generellen zuzuwenden, vom Arzt und Psychiater, der dem Individuellen, den einzelnen Patienten zugewandt ist, lernen kann, ist die Differenziertheit der Problematik, auch das Wissen um die Grenzen rationaler Analyse und Interaktion“.87

Nach Sass geht es „[b]ei der Diskussion um die Ethik in der Psychiatrie“88 nicht um „moralische Aufrüstung oder Nachrüstung89 für ein anderweitig vom Experten beherrschtes Gebiet, sondern es geht um […] Differentialethik, die ähnlich hohe Differenzierungsleistungen in Analyse, Bewertung, Interventions- und Prognosevorbereitung erbringt, wie wir das von der modernen Differentialdiagnose erwarten“.90

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Eberle (2017). Jasper (1993), S. 838. Sass (1996), S. 3. Ders. (1991), S. 95. Weiterführend zu “Character Ethics in psychiatric practice” siehe Radden/Sadler (2010). Zu normativen Fragen im Umgang mit psychischer Abweichung siehe Feuerstein/Schramme (2015). Zu ethischen Entscheidungssituationen in Psychiatrie und Psychotherapie ferner empfohlen sie Juckel/Hoffmann (2016). 89 Die dem militärischen Bereich entlehnte Wortwahl von Sass impliziert eine Assoziation zur kollektiven moralischen „Aufrüstung“ der NS-Gesundheitsführung im Sinne einer „Pseudoethik“. Siehe hierzu Süß (2003), S. 371–372 sowie Frewer/Bruns (2003), S. 330. 90 Sass (1991), S. 95.

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Gerade die differenzierte psychiatrieethische Biographik zu Friedrich Meggendorfer motiviert uns „Nachfolge-Psychiater“ dazu, die eigene Moral differenziert zu schulen.91 Aus heutiger Sicht92 könnte Meggendorfer die unzureichende Reflexion der Folgen seiner rassenhygienischen Orientierung als – möglicherweise schuldhaftes – Versäumnis vorzuwerfen sein.93 Die dezidierte Fragestellung, inwieweit Meggendorfers rassenhygienische Orientierung – trotz eigener Abgrenzung zur NS-„Euthanasie“ – in quasi genetischem Zusammenhang mit den NS-medizinischen Verwirklichungen ab 1933 steht, erbringt auch am Ende der vorliegenden Studie nur eine Art “black box”, wobei sich weder eindeutig Exculpierendes noch bewiesenes Belastendes anführen lässt. Auch wenn der eugenische Diskurs ein breites europäisches und US-amerikanisches Phänomen darstellte, gehörte Meggendorfer mit seiner rassenhygienischen Orientierung als Spielart der Eugenik in den 1920-er Jahren gewissermaßen doch zu einer Art Vorgeschichte der NS-Politik. Seine klinische und wissenschaftliche Identität94 erlaubte jedenfalls eine kontinuierliche, bruchlose Fortsetzung seiner Tätigkeit unter grundlegend veränderten politischen Rahmenbedingungen. Meggendorfers institutionelle Unzuständigkeiten müssen einerseits den Vorwurf einer Involvierung in NS-„Euthanasie“-Maßnahmen formal gesehen entkräftigen. Unter Voraussetzung einer kritischen moralisch-ethischen Grundhaltung jedoch könnte andererseits – unter Abwägung potentieller Inkaufnahme individueller Nachteile – ein energischeres Auftreten des Ordinarius für eine Verbesserung der Essensversorgung95 auch bei den Anstaltspatienten zu fordern sein – mit einem Verlassen der eigenen „Komfortzone“. Im Einzelfall freilich mag Meggendorfer individualethisch differenziert vorgegangen sein und dem moraltheoretischen Standpunkt der Würde des Einzelnen gerecht geworden sein.96 Diese punktuellen

91 Die im Medizinstudium vermittelten Inhalte zu Ethik in der Medizin bilden hierfür eine Basis. Interessant ist an dieser Stelle ein vergleichender Blick ins ausgehende Mittelalter: „[D]ie spätmittelalterliche Moralphilosophie […] [mit] den drei Dimensionen der Individualethik, der Hausstandsethik sowie der politischen Ethik“ gehörte einst zum festen Bestandteil des philosophischen Grundstudiums als Voraussetzung für den Besuch einer der höheren Fakultäten, wie z. B. der juristischen oder medizinischen. Vgl. Schwarz (2015), S. 222. 92 „Moralische Normen bieten eine Hilfestellung bei der Auswahl unter konkurrierenden Gütern. Sie sind in dieser notwendigen Funktion auch dann, wenn sie wie die zehn Gebote in apodiktischer Formulierung auftreten, das Ergebnis einer Abwägung unter begrenzten Gütern. Das macht sittliche Normen nach Ansicht der teleologischen Ethik keineswegs beliebig. Aber es verdeutlicht, dass sie ihre Entstehung und Geltung einem komplexen geschichtlichen Einsichtsvorgang verdanken, so dass immer auch mit der Möglichkeit ihres geschichtlichen Wandels und ihrer adäquateren Erkenntnis zu rechnen ist“. Vgl. Schockenhoff (2007), S. 386. 93 „Es ist noch klarer als zuvor geworden, dass es keine ‚unproblematische‘ bzw. hermetische Wissenschaft gibt, die im Elfenbeinturm nach der reinen Wahrheit sucht. Wissenschaftler – ebenso wie Ärzte in Klinik und Praxis – tragen eine moralische Verantwortung für Folgen und Fehlentwicklungen“. Vgl. Karenberg (2016), S. 53. 94 Weiterführend zu “human identity and bioethics” siehe DeGrazia (2005). 95 Siehe hierzu S. 572–573. 96 „Moral als gelebte Sittlichkeit besitzt […] viele Facetten […] [und muss] dabei in ihrer historischen Entwicklung wie auch kulturellen Verankerungen gesehen werden. Das Verständnis

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„Glanzlichter“97 gilt es einzureihen in die professionelle Herangehensweise eines Psychiaters.98 Diese lässt sich in ihrem Repertoire an ethischen Bezugsrahmen abgrenzen vom Prozedere somatischer Kollegen. Letztere können sich vorrangig an klar objektivierbaren “cut-off”-Werten orientieren, der Psychiater hingegen ist es gewohnt, fließende Übergänge zwischen „gesund“ vs. „krank“ auszudifferenzieren, wobei dem „Leidensdruck“ des Patienten eine relevante Rolle eingeräumt wird. Beim Psychiater variieren somit die „internen Faktoren der jeweiligen [wertebegründenden] Orientierungssysteme“99 – zumindest geringfügig – von einem Patientenkontakt zum nächsten. Blasius sieht in der „Frage, warum Psychiater sich in den Dienst zutiefst inhumaner Herrschaftsziele stellten […] oder […] der Wahrnehmung von Inhumanität verweigerten auch eine Frage der Profession“.100 Somit impliziert er die besondere Bedeutung der spezifisch psychiatrischen beruflichen

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der Legitimität moralischer Handlungen […] ist dabei deutlichen geschichtlichen Wandlungen und sozialen Wertungen unterworfen“. Vgl. Frewer (1997), S. 65. In diesem Kontext ist es wichtig, mit Fridolf Kudlien (1928–2008) darauf hinzuweisen, dass auch die punktuell geübte Kritik von Ärzten zur NS-Zeit einer differenzierten Beurteilung bedarf, zumal „der Münchener Ordinarius für Psychiatrie, O. Bumke, der auch zu den Kritikern der Zwangssterilisation von Geisteskranken gehörte, seine kritische Reaktion darauf offenbar selber nicht als Widerstand auffasste“. Vgl. Kudlien (1985), S. 218. Bumke erinnerte sich 1952: „Wer Widerstand leistete, kam ins Konzentrationslager. Gewiß, man hätte hingehen können, wenn – ja, wenn damit irgendetwas genützt worden wäre. Davon aber war gar keine Rede. Wäre ich zum Beispiel, so oder so, durch die Verabschiedung, durch die Verbringung ins Lager oder durch einen ‚Unglücksfall‘ in der Versenkung verschwunden, so wäre eben ein anderer gekommen; die Schwestern hätte man in die Wüste geschickt, die Kranken vergast und die Studenten nicht mehr in meinem Sinne zu Ärzten erzogen. Für Don Quichoterien aber habe ich – außer im Roman – niemals etwas übriggehabt“. Vgl. Bumke (1952), S. 149. Ferner verwiesen sei auf Bierich (1992) und Zeidman (2011b). Meggendorfers Gewissensbildung fand statt im Spannungsfeld zwischen christlicher Grundüberzeugung und einer professionsinternen Überzeugung von ungefähr folgender Prägung: „Die biologische Gründung der Ethik sollte rassenindifferente Mitmenschlichkeit und Gegenseitigkeit als unmoralisch, d. i. unvereinbar mit der neuen Rassenmoral ausschließen. Das Naturgesetz des Kampfes ums Dasein kenne keine Einschränkungen durch moralische Erwägungen. Es sei ein Gesetz, das immer zum Vorteil der Starken wirke. Ihnen verhelfe es zu der ihnen zustehenden Führungsposition in der Gesellschaft. Christliche Moralvorstellungen der Nächstenliebe und bürgerliche Menschenrechte gehörten einem durch den Nationalsozialismus überwundenen Zeitalter an. Bedürftigkeit und Schwäche seien kein Zeichen moralischer Auserwähltheit, sondern zunächst einmal ein Indiz für die Unfähigkeit, sich im Daseinskampf zu behaupten. Übertriebene Fürsorge für die Schwachen und Bedürftigen verfälsche den durch Natur- und Lebensgesetze bestimmten Daseinskampf“. Vgl. Bialas (2014), S. 231. Sass (1991), S. 95. Vergleiche hierzu Kolle (1959). Blasius (1991a), S. 267. Ferner hierzu sei verwiesen auf Finzen (1979). “[…] [T]he governments have abused psychiatry by using a psychiatric diagnosis as the justification for sterilization without consent. This ʻeugenicʼ measure has been introduced 100 years ago and has still been used in several European countries (and elsewhere) until relatively recently – abandoning the practice of sterilizing people with a mental disorder, intellectual disability and other problems (sometimes leaving the law in power) in the 1960s and 1970s. Experts from countries in which this measure at the time has been legal did not hesitate to criticize other countries in which the measure had been or still was in use”. Vgl Sartorius/Helmchen (2010), S. 488. „Sartorius […] hat während seiner beispiellosen Karriere gegen Stigmatisierungen und Vorurteile

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Handlungsschritte. Das Weiterverfolgen dieser Hypothese kann nicht nur „Haltungen ab[]klären, die unfassbare Handlungen möglich werden ließen“,101 sondern vielmehr auch präventiven Charakter entfalten. Die psychiatrische Praxis hat zu tun mit „Grenzgebiete[n] auf dem Gebiet zwischen Irrsinn und Genialität, zwischen Gesundheit und Krankheit, neurologischer Normalität und Abnormalität […].102 Von der Schizophrenie bis zum Liebeskummer, von der Depression und der Fremdgefährdung bis zur Autoaggression“.103

Im Berufsalltag eines Psychiaters zeigen sich somit „die Szenarien […], in denen wertbezogenes Handeln gefordert wird“104 nicht stabil, so dass er sich um so mehr bemühen sollte um „Wertanwendung und Wertintegration in das Szenarium von kulturellen und historischen Veränderungen und von Wertbegründungsstreitereien“.105 „Die Psychiatrie ist für die Psychiater viel zu schwer, hat Kornhuber zu recht gesagt“.106 Die Aussage von Hans-Helmut Kornhuber (1928–2009) mag sich bezogen haben auf die Forderung zur Wahrung psychiatrischer Kompetenzen im Fachgebiet der Neurologie.107 In abgewandelter Form impliziert Kornhubers Aussage – im Kontext der vorangegangenen Darstellung der Ethik von Friedrich Meggendorfer als Psychiater zu NS-Zeit – die Notwendigkeit, gerade für Psychiater, „sich über Denkstile [zu] informieren, über die Wirkung von Ideologien, Zeit- und Modeströmungen und Religionen“.108 Der vermehrte Einbezug ethischer Reflexionen in die

von Menschen mit psychischen Erkrankungen gekämpft und sich ‚leidenschaftlich‘ für ihre Rechte eingesetzt, sagen seine Mitstreiter. Prof. Dr. med. Dr. phil. Dr. h. c. mult. Norman Sartorius ist einer der herausragendsten und einflussreichsten Psychiater unserer Zeit. […] Für seine besonderen Verdienste auf dem Gebiet der Epidemiologie psychischer Erkrankungen und seine Beiträge in der Versorgungsforschung und Sozialpsychiatrie hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) ihm nun die WilhelmGriesinger-Medaille für sein Lebenswerk verliehen“. Vgl. Bühring (2016), S. B 1873. 101 Blasius (1991a), S. 267. 102 Zu „Abweichung und Normalität“ als Problem der Psychiatrie im 20. Jahrhundert siehe Wolters et al. (2013). Interessant auch Roelcke (1999b). 103 Sass (1996), S. 3. Zur „Debatte über die ,Natur‘der Schizophrenie“ siehe Roelcke (2000b). 104 Sass (1991), S. 95. 105 Ebd. 106 Reimer (1996), S. 62. 107 Die Aussage Kornhubers stand im Kontext eines Vortrags vor Psychiatern im Zeitraum der Antipsychiatrie-Bewegung. Ein Großteil der Psychiater war damals psychoanalytisch orientiert und wenig offen für eine biologisch ausgerichtete Psychiatrie. „Die Psychiater wie auch die Psychiatrie als Fach haben sich gewandelt. Heute ist die Psychiatrie für die Psychiater nicht zu schwer“. Vgl. Kornhuber, J., persönliche Auskunft vom 25.07.2016. 108 Reimer (1996), S. 62.

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psychiatrische Facharztausbildung109 sowie das individuell fortgesetzte Nachdenken des Psychiaters über die eigenen moralischen „Koordinatensysteme“110 in ihrer 109 Die gegenwärtige „Psychiatrisch. Praktisch. Gut“- Kampagne der DGPPN zur Nachwuchsförderung bezieht sich nicht nur auf den Titel der „Logbuch“-Internetseite zum Praktischen Jahr (PJ). Auch wurden Tragebeutel mit dieser, der „Ritter Sport“- Werbung „Quadratisch. Praktisch. Gut“ entnommenen, aufgedruckten Trias anlässlich des DGPPN-Hauptstadtkongresses 2016 an Studierende ausgehändigt. Es dürften wohl kaum Zweifel bestehen, dass gerade diese plakative adjektivische Zuordnung keinesfalls für die Psychiatrie zutrifft. Der Werbeslogan kann dem Fachgebiet Psychiatrie in seiner Komplexität kaum gerecht werden und läuft Gefahr, potentiell geeigneten Nachwuchs „abzuschrecken“. Vgl. http://www.generation-psy.de/psychiatrisch-praktisch-gut/Stand vom 02.12.2016. Ob die DGPPN-Initiative „Unsere Gesellschaft braucht junge Psychiater. Wir brauchen dich“ mit dem Anliegen, eine „Generation-Psy“ heranzuziehen, psychiatrisch-talentierte Candidates medicinae erreichen kann, ist fraglich. Vgl. http://www.generation-psy.de/Stand vom 02.12.2016. Zur „Wirksamkeit postgradualer Weiterbildung im Sinne reflexiver professioneller Entwicklung“ siehe Ulbricht (2016). 110 Nur die eigene Gewissensschulung auf Basis von Natur- und Menschenrecht kann vor dem staatspolitischen „Überstülpen“ einer (Pseudo-)Ethik schützen. „Mit einer Volkskörper-Ethik und legitimierenden Hinweisen auf Hippokrates ließ sich im ‚tausendjährigen Reich‘ selbst die Medizin in Auschwitz und ärztliches Ethos im Krieg ,begründen‘ oder eben historisch verbrämen“. Vgl. Frewer/Bruns (2003), S. 330. Während Galens medizinisches Gebäude beginnend mit der Renaissance „untergraben“ wurde, zeigte sich die hippokratische Krankheitslehre „eher als Zeltlager denn als feste Mauer“. Vgl. Leven (2016b). „Eine Fülle von Eigenschaften und Verhaltensweisen des Arztes nennt Hippokrates, die nicht nur seine Fähigkeiten und Würde erkennen lassen sollen, sondern auch die für den Heilungsprozess günstigen Wirkfaktoren anstreben und vor allem den Respekt vor dem Patienten berücksichtigen. Das gelingt dem Arzt, wenn er sich um seine eigene seelische Beschaffenheit bemüht, eine geordnete Lebensweise anstrebt. Mäßigkeit, Offenheit, Ehrlichkeit sich zu eigen macht. Dass Hippokrates ‚über den Dingen‘ steht, sich nicht von Stimmungen und Leidenschaften hinreißen lassen will, macht – wie er meint – das ‚Philosophische‘ in seinem Denken aus. So sollte nach seiner Ansicht die ‚Philosophie auch die Medizin bereichern‘. Durch seine dezidierten Überlegungen über die Ethik in der Medizin ist Hippokrates sicher auch Philosoph. Und wenn viele medizinische Theorien des Hippokrates falsch oder überholt sind, so hat er uns doch im Bereich der ethischen Haltung dem Patienten gegenüber Grundsätzliches zu sagen“. Vgl. Holzbach (2017), S. 25. Siehe ferner Kapferer/Sticker (1995), S. 34. Zur Rolle des deutsch-schwedischen Literaten Peter Weiss (1916–1982) bei der Publikmachung der „Schuld von Ärzten in Auschwitz“. Vgl. Krämer (2016), S. B 1758. „Am Jahrestag der Befreiung des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz [am 27.01.] ged[achte] der Deutsche Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. In diesem Jahr steht die Gedenkstunde im Parlament im Zeichen der Erinnerung an die Opfer der sogenannten Euthanasie-Morde“. Vgl. http://www.bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2017/pm-170120-euthanasie/489350. Stand vom 30.01.2017. Mit der „Hintergrundfolie“ des Jahrestages der Auschwitz-Befreiung eröffnete der evangelische Theologe Frank Kittelberger am 27.01.2017 die Tagung „WahnSinn. Ekstase, Besessenheit, Psychose – passen seelische Gesundheit und spirituelle Extreme zusammen?“ Evangelische Akademie Tutzing, 27.01.2017. „Anlässlich des Holocaust-Gedenktags am 27. Januar widmet sich der Bundestag 2017 in einer Gedenkstunde erstmals den mehr als 200.000 Opfern der NS-,Euthanasie‘. Deren Angehörige haben sich nach dem Krieg häufig nicht getraut nachzufragen, wurden bei ihren Recherchen nicht unterstützt oder von den Kliniken angelogen. So sind die ermordeten Verwandten häufig aus dem Familiengedächtnis verschwunden oder verdrängt worden. Auch in der Gesellschaft setzte ein Gedenken zögerlich ein. Es ist aber nicht zu spät, die Opfer zurück in die Familie und in die Gesellschaft zu holen und ihr Schicksal zu klären“. Vgl. Vorschau zur Gedenkveranstaltung „Meine Mutter, meine Großmutter, mein

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patientenbezogenen Anwendung kann den Psychiater vor Instrumentalisierbarkeit schützen. 6.5. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Der Werdegang Friedrich Meggendorfers verdient eine aktuelle Darstellung – vor allem unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rezeptionsgeschichte. Eine jetzige Auswertung bislang unberücksichtigter Quellen ermöglichte es, die Rolle Friedrich Meggendorfers als NS-Hochschulpsychiater kritisch-historisch einzuordnen. Bereits von seinen ersten akademischen Schritten an wurde Meggendorfer unter Emil Kraepelin an der „Königlich Psychiatrischen Klinik“ in München vertraut mit dem Gebiet der „psychische[n] Volkshygiene“111 als Bestandteil der psychiatrischen Eugenik. Während seiner Tätigkeit als Psychiater an der Hamburger Staatskrankenanstalt Friedrichsberg unter Wilhelm Weygandt erwarb sich Meggendorfer einen guten Ruf als Erbforscher. Nach seiner Habilitationsarbeit über “moral insanity”112 an der deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München unter Ernst Rüdin wurde Meggendorfer zum Leiter der Genealogischen Abteilung in Hamburg/Friedrichsberg. Meggendorfers wissenschaftliche Arbeit in Friedrichsberg zeigte sich geprägt von der Kooperation mit dem Friedrichsberger Pathologisch-Anatomischen Laboratorium unter Alfons Maria Jakob sowie dem Psychologischen Laboratorium unter Ernst Rittershaus. Meggendorfer konnte als erster die Erblichkeit der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung anhand einer komplexen Familienuntersuchung demonstrieren und veröffentlichte ausführliche Studien zu Chorea Huntington. Das Wissen um diese terminal verlaufende autosomal-dominanten Erkrankung und die direkte ärztliche Erfahrung einer unzureichenden Möglichkeit zur therapeutisch-symptomatischen Einflussnahme auf die Chorea Huntington prägten Meggendorfer im weiteren Verlauf. Meggendorfer etablierte sich zunehmend als Suchtforscher. In diesem Kontext mag das – zumindest nach außen hin – abstinenzorientierte nationalsozialistische

Cousin, meine Tante ...“ – Die Opfer der NS-„Euthanasie“ am 05.02.2017 im NS-Dokumentationszentrum München, Auditorium als Veranstaltung des NS-Dokumentationszentrum München in Kooperation mit der Gedenkinitiative für die „Euthanasie“-Opfer In: http://www.nsdokuzentrum-muenchen.de/veranstaltungen/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=95&cHash= 39bb867 a26d06bdf04a879ac3ff3fe38. Stand vom 30.01.2017. „Es war überfällig, im Rahmen der Gedenkstunde für die NS-Opfer die Euthanasiemorde in den Mittelpunkt zu stellen. Diese sind mit nichts zu vergleichen. Dennoch muss der Gesellschaft bewusst sein, dass das Denkspiel um lebenswertes oder unwertes Leben nicht überwunden ist. Es taucht immer wieder in den Diskussionen um die Sterbehilfe und Pränataldiagnostik auf. Aber die Entwicklungen in der (Welt)-Politik machen erschreckend deutlich, dass man nicht oft genug darauf hingewiesen werden kann, dass es verschiedene Stufen der Wertigkeit eines Menschen nicht gibt, und es diese nie wieder geben darf“. Vgl. Schmedt (2017), S. B 175. 111 Weber et al. (2006), S. A 2690. 112 Meggendorfer (1921b).

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Parteiprogramm113 seinen Eintritt in die NSDAP am 01.05.1933 mitmotiviert haben. Meggendorfers Expertentum in Erbpsychiatrie und forensischer Eugenik könnte der ausschlaggebende Grund gewesen sein für seine Berufung als zweiter Ordinarius für Psychiatrie nach Erlangen, an die „erste nationalsozialistische Hochschule des deutschen Reiches“114 im Jahr 1934. Dort nämlich suchte man explizit einen „Verkünder und Förderer erb- und rassengesundheitlicher Lehren“115 für den Psychiatrischen Lehrstuhl in der Nachfolge Gustav Spechts. Die erbhygienischen Forschungsmöglichkeiten in Erlangen beklagte Meggendorfer im Vergleich zu Hamburg als reduziert; eine Rückberufung Meggendorfers nach Hamburg auf den vakanten Weygandtschen Lehrstuhl im Jahre 1936 scheiterte. Gerade Meggendorfers Studien zu Chorea-Huntington begründeten sein Modell der Gen-Umwelt-Interaktion, welches er in seinen Publikationen über den „Dominanzwechsel“116 präzisierte. Der unmittelbare ärztliche und wissenschaftliche Kontakt zu Chorea Huntington-Erkrankten führten Meggendorfer umso mehr hin zu einem therapeutischen Optimismus, sofern Erkrankungen vorlagen, bei welchen die neuen somatischen Therapieverfahren Besserung in Aussicht stellten.117 113 „Der Nationalsozialismus wurde als ‚politisch angewandte Biologie‘ propagiert“. Vgl. Martin et al. (2016b), S. 18. 114 UAE: A1–3 a Nr. 1118 b. 115 Ebd: A2/1 Nr. S. 53. 116 Vgl. Meggendorfer (1934b) und (1934c). 117 Trotz der Kombination unterschiedlicher somatischer Verfahren zeigte sich z. B. der Krankheitsverlauf bei der an „manisch-depressive[m] Irresein, Melancholie“ erkrankten 1900 geborenen E. G. therapierefraktär. Nach Poliklinik-Vorstellung vom 13.11.1939 mit der „Empfehlung zur Durchführung eines Kur“ wurde sie am 14.11.1939 stationär aufgenommen, am 28.11.1939 wurde mit der „Insulinkur“ begonnen: „Pat. wird sehr schläfrig, spricht wirr, schreit auch zeitweise. Nachmittags bleibt sie im Bett, isst wenig, schimpft, dass ihre Angehörigen sie nicht besser mit Esswaren versorgen. In Wirklichkeit brachten ihre Angehörigen beim letzten Besuch sehr viele Esswaren mit, die sie aber alle wieder heim schickte. 4.12.39: vorgestern wurde im Halbschock Cardiazol gespritzt. Bei der Menge von 0,4 gr. Cardiazol trat kein Anfall auf. Sie ist im Halbschock immer sehr unruhig, schlägt mit Händen und Füssen, deckt sich auf, ist sehr ausfällig, schreit und heult laut. Ihre Wahnideen bringt sie immer noch vor, heute behauptete sie wieder, dass die seit 1 ½ Tagen keinen Urin mehr hätte lassen können und dauernd heftige Leibschmerzen hätte. Es wurde versucht die Blase mit dem Katheter zu entleeren, was aber nicht gelang, da die Blase bereits völlig entleert war. 9.12.39. Heute wieder Cardiazol (0,5gr) im Halbschock, wieder kein Anfall, nur einige Zuckungen u. Strabismus convergens für einige Minuten“. Vgl. APNK/FAU, Aufnahmenr.: 303/199. Am 12.12.1939 wurde die Patientin auf ihr Drängen hin wird „gegen ausdrücklichen Rat ungeheilt aus der Klinik entlassen“. Vgl. ebd. Bei einem Folgeaufenthalt ab 05.10.1940 musste die Insulinkrampftherapie beim Auftreten von Komplikationen am 20.10.1940 abgebrochen werden, am 27.10.1940 fühlte sich die Patientin „immer noch recht elend, liegt ziemlich apathisch im Bett“. Vgl. ebd. „4.11.40. Pat. hat sich körperlich vollkommen erholt. Psychisch immer noch der gleiche Zustand, sehr depressiv, weint häufig, zeigt grosse Angst, glaubt Rückenmarksvertrocknung zu haben. Dann wieder meint sie, der Hals sei ihr wie zugeschnürt, sie werde ersticken und den morgigen Tag nicht mehr erleben. Heute erste Elektrokrampfbehandlung, wird von der Pat. gut vertragen. 12.11.40. Psychisch unverändert. Glaubt immerfort sterben zu müssen […] 23.11.40: Elektrokrampfbehandlung wird wöchentlich 2 mal durchgeführt, bisher konnte keine Besserung erzielt werden. 28.11.40. Letzte Elektrokrampfbehandlung. Die Behandlung zeigte

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Am 01.12.1939 fand an der Psychiatrischen Klinik Erlangen unter Meggendorfer die erste klinische Elektrokrampfbehandlung in Deutschland statt, wobei dem Oberarzt Adolf Bingel (1901–1982) eine entscheidende Bedeutung zukam. In den Krankenakten der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik ergibt sich kein Hinweis auf einen missbräuchlichen Einsatz der EKT.118 Während sich Meggendorfer noch 1939 dazu hinreissen ließ, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Legitimation der NS-Gesetzgebung einzusetzen,119 publizierte er 1944 zur Diskrepanz zwischen wissenschaftlichem Stand der Eugenik und hiervon abweichender praktischer Umsetzung im Rahmen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GzVeN).120 In seiner Tätigkeit als Militärpsychiater121 wurde Meggendorfer erst am 30.01.1945 aus einem vergleichsweise niedrigen Rang zum „Oberfeldarzt der Reserve“ befördert. Entsprechend gering ist die nationalsozialistische Gewichtung seiner Bedeutung als Beratender Psychiater des Wehrkreises XIII zu beurteilen. Auch Meggendorfers Einfluss in der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater als Fachorgan stellt sich – der aktuellen Quellenlage gemäß – begrenzt dar.122 Eine US-amerikanische Direktive zur Vereinheitlichung der Entnazifizierung vom 07.07.1945 beinhaltete die Entlassung sämtlicher Staatsbediensteter, welche vor dem 01.05.1937 NSDAP-Mitglied geworden waren.123 Deshalb wurde Meggendorfer am 19.11.1945 von der Militärregierung seines Amtes enthoben. Obwohl Meggendorfer von Seiten der Spruchkammer am 20.09.1946 als „Mitläufer“ eingestuft wurde, gelang ihm keine Reintegration in den Lehrkörper der Friedrich-Alexander-Universität. Diese im Vergleich zu anderen Ordinariatskollegen strikte Restriktion mag – bei allen vorhandenen Zufällen – vorrangig auf Werner Leibbrand (1896–1974) und seiner Reorganisierung der psychiatrischen Kliniken zurückzuführen sein. Zudem sorgt die Gastrolle der Erlanger Psychiatrischen und Nervenklinik an der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt bis heute für eine undifferenzierte Zuordnung der Verantwortlichkeit der jeweiligen Leiter. Es lassen sich keine Quellen finden, die ein Einschreiten Meggendorfers gegen den als „planwirtschaftliche Maßnahme“ getarnten

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bisher keinen Erfolg, sie wird daher eingestellt. Pat. ist in ihrem Verhalten ganz unverändert […]. Sie selbst meint der Aufenthalt in der Klinik habe keinen Zweck für sie, es sei besser sie zu entlassen. 5.12.40: Auf Wunsch der Angehörigen entlassen“. Vgl. ebd. Vgl. Braun/Kornhuber (2013c), S. 590. Vgl. Meggendorfer (1939f). Vgl. ders. (1944a). Interessant hierzu ferner die Rolle der Militärpsychiatrie im 19. Jahrhundert: „[d]ie Entwicklung der Militärpsychiatrie im ausgehenden 19. Jahrhundert steht beispielhaft für einen Professionalisierungsprozess, der aus der Anstaltspsychiatrie des 19. Jahrhunderts eine medizinische Sozialtechnologie machte, die im 20. Jahrhundert dafür verantwortlich war, in verschiedenen Gesellschaftsbereichen die Grenze zwischen Normalität und Anormalität zu definieren“.Vgl. Lengwiler (2003), S. 262. Die zur Verfügung stehenden Quellen gaben keinen Aufschluss über Meggendorfers Haltung bezüglich der Entwicklungen in der Fachgesellschaft nach 1935. Vgl. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel 46003#3. Stand vom 09.01. 2015.

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Abtransport von Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen unter Wilhelm Einsle dokumentieren. Diese ex negativo-Beweisführung lässt sich bei Meggendorfers Position zur „Hungerkost“ der Anstalt nur bedingt einsetzen. Zumindest für seine Klinikpatienten versuchte Meggendorfer 1941 über die NSDAP-Gauleitung eine Erhöhung der Essensrationen zu erzielen.124 Die erbhygienische Affinität von Meggendorfer mag vermutlich auf einer Trias von eigenem wissenschaftlichen Interesse, positiver Verstärkung durch KarriereOptionen sowie früher akademischer Prägung beruht haben. Neben früher erbpsychiatrischer Forschungsbegeisterung an sich mag der unter nationalsozialistischem Regime zunehmend einhergehende Karriere-Aspekt Meggendorfer in seinen wissenschaftlichen Bestrebungen bestärkt haben.125 Höchste Relevanz bei der Festlegung der akademischen Zielgerade mag jedoch dem rassenhygienisch versierten Wilhelm Weygandt zukommen. Er war – neben Ernst Rüdin – für Meggendorfer wohl eine Art akademisches Idol im Sinne der Verkörperung von Vorbildcharakter. Meggendorfer legte seinen eugenischen Studien den Maßstab von Idealvorstellungen zugrunde, wobei er vielleicht nicht das antizipierte, was Ferdinand Adalbert Kehrer126 und Ernst Kretschmer bereits 1924 reflektiert hatten: „Wenn also die Aufgabe der ‚klinischen‘ Psychiatrie darin besteht, die Stammesgeschichte eines kranken Individuums durch die Erblichkeitsforschung […] [zu] erfassen“,127 so bleibe es fraglich, ob „die Erblichkeitsforschung in der Psychiatrie der Eigenart der Materie, mit der sie es zu tun hat, gerecht“128 werden kann. Walter Jacobi von den Thüringischen Landesheilanstalten Stadtroda eignete seine „Arbeiten zur Ideengeschichte der Psychiatrie“129 1930 Weygandt zu im

124 Vgl. BayHStA: MK 44017. 125 Zur Entwicklung von Psychiatrie und Neurowissenschaften in Deutschland 1849 bis 1974 und dem Einfluss des politischen Umfeldes auf Wissenschaftler siehe Peiffer (2004). Zu den Neurowissenschaften im Dritten Reich siehe ferner Karenberg (2006). 126 „Kehrer führte die Klinik besonnen durch die Zeit des Nationalsozialismus. Da er sich mit den erblichen Krankheiten des Nervensystems beschäftigt hatte, war er auch mit dem ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ konfrontiert. Sein Fachwissen ermöglichte es ihm ,gerade in dieser Zeit häufig auf die Unsicherheit des genetischen Wissens hinzuweisen, was er im Sinne der ihm anvertrauten Kranken auszunutzen wusste. Nach dem Krieg wurde Kehrer zum Dekan der Universität bestimmt, da er als einziges Mitglied der Medizinischen Fakultät nicht Mitglied der NSDAP war und auch der damaligen Besatzungsmacht vertrauenswürdig erschien. In dieser Zeit scheint sich auch der Einfluss des Bischofs von Münster günstig ausgewirkt zu haben“. Vgl. Michael/Arolt (2004), S. 118. 127 Kehrer/Kretschmer (1924), S. 19. 128 Ebd. 129 Jacobi (1930).

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„[W]issen, dass das Interesse des Gefeierten130 wissenschaftsgeschichtlichen Fragen [gegenüber] aufgeschlossen ist“.131 In Assoziation zur Vorbildfunktion Weygandts, dem Meggendorfer nacheiferte, zeigt sich eine Textpassage Jacobis132 weiterführend, wonach unter Verweis auf Friedrich Nietzsches133 „Unzeitgemäße Betrachtungen“134 der Historizismus „Vorbilder von antreibender Kraft“ gewähren, „Verständnis des Vergangenen“ schaffen sowie „den Menschen dem Vorhandenen gegenüber frei“ werden lassen kann: „In dieser Freiheit ist jedes selbstständige geistige Schaffen gegründet“.135 Dieser Freiheit für selbstständiges geistiges Schaffen als Kern des akademischen Selbstverständnisses ließ sich Meggendorfer zumindest partiell berauben. Durch die Erläuterungen zum GzVeN ließ er sich und sein Forschungswissen nämlich zu erbpsychiatrischen Fragestellungen für NS-Regimezwecke instrumentalisieren. Die Tragweite der eugenischen Konzepte reflektierte er nicht ausreichend. Für ein angemessenes psychiatrieethisches Portrait Friedrich Meggendorfers sind jedoch den Grauschattierungen auch bunte Farbtöne beizumischen. Exemplarisch sei verwiesen auf seine Verdienste um die EKT, dank derer sich die depressionsbedingt schwarze Weltsicht vieler Patienten aufhellen lässt. Wenn die vorliegende Untersuchung erstmals kaleidoskopartig Leben und wissenschaftliches Werk Meggendorfers auf breiter Quellengrundlage darlegt, so gilt es, die institutionelle Nähe der Autorin als möglichen limitierenden Faktor vorwegzunehmen. Nur eine fundierte weitergeführte differenzierte interdisziplinäre Diskussion wird beitragen zu einer vorläufig abschließenden psychiatriehistorischethischen Einschätzung Meggendorfers. Anhand der vorliegenden Monographie mit seinem umfangreichen Quellenund Literaturmaterial wird der Leser befähigt und dazu eingeladen, die Rolle Friedrich Meggendorfers als Repräsentant der Erlanger NS-Hochschulpsychiatrie eigenständig zu reflektieren und den individuellen moralischen Ansprüchen entsprechend auf der Waagschale auszubalancieren. Somit kann die eigene Gewissensbildung geschult und eine für Individuum und Gesellschaft so entscheidende differenzierte ethische Position eingenommen werden. Der Versuch einer „Subspezifizierung“ des weiten und facettenreichen Spektrums der „Rassenhygieniker“ in Kategorien wie z. B. „radikale“, „moderate“, „selbstkritisch-reflektierende“ kann eine weiterführende vergleichende Einordnungsdimension eröffnen.

130 Festtagswidmung zum 60. Geburtstag Weygandts. 131 Ebd., S.129. 132 Zum „jähen Sturz Jacobis aus rassenpolitischen Gründen“ von der Spitze der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte siehe Schmuhl (2016), S. 397. 133 „Das umgreifende ‚philosophische‘ Moment in der Nietzsche-Luther-Relation ist, dass der moderne Denker in der ‚ethischen Wertung‘ (Wertschätzung), d. h. in der öffentlich angekündigten und akzeptierten Auffassung vom Guten und Bösen das allerwichtigste Movens der Geschichte und jedes menschlichen Lebens erblickt“. Vgl. Kiss (2016), S. 54. 134 Nietzsche (2000b). 135 Jacobi (1930), S. 129.

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Dimensionale Zugangswege136 unterliegen der individuellen Betrachtungsweise des Analysierenden, denn nur so kann der subjektive Handlungsspielraum des jeweiligen Protagonisten in der nachfühlenden Erfahrbarmachung mitberücksichtigt werden. Eine umfassende Perspektive auf Person und Ethik eines Psychiaters zu NSZeiten beinhaltet neben dem dimensionalen Ansatz immer auch einen kategoriellen,137 wie z. B. „Täter-Psychiater“, „Opportunist“ „Mitläufer“, „aktiver oder passiver Widerständler“. Um diese Kategorien bestmöglich standardisierbar zu machen, gilt es zeitgeschichtsrelevante Biographie-Gesichtspunkte zu konkretisieren und in direkten Vergleich zu setzen mit Individuen von annähernd identischem objektiven Handlungsspielraum. Die Kontrasterfahrung nämlich bildet die Voraussetzung für eine angemessene Kriteriologie der ethisch-historischen Einordnung. Diese Kontrasterfahrung der psychiatrieethischen Biographik geht über den von Nipperdey kritisierten „Kontrast eines Schachbretts“138 hinaus. Die gewonnenen Einzelanalysedaten sollen vielmehr mittels „abwechselndem Schachbrettmuster“139 – um eine Analogie aus dem nervenärztlichen Repertoire zu verwenden – „visuell140 gereizt“ werden. So wie der elektrophysiologisch geschulte Neurologe die mittels Electroencephalogramm abgeleiteten Hirnströme auf Leitungszeit und Amplitudengröße prüft und entsprechend den Verdacht auf Multiple Sklerose,141 Optikusneuritis, raumfordernde Prozesse im Bereich des N. opticus oder des Chiasma opticum stellt,142 so weitet der Psychiatriehistoriograph aus der Kontrasterfahrung das Sichtfeld für ethische Implikationen im „Hier und Jetzt“. Dieses Forschungsdesiderat der NS-psychiatrie-ethischen Biographik gilt es bei der Beurteilung von Person und Ethik143 eines Psychiaters zu NS-Zeit weiter zu verfolgen.

136 Zum dimensionalen vs. kategorial-typologischen Ansatz bei der diagnostischen Einteilung von Persönlichkeitsstörungen siehe ferner Laux/Möller (2011), S. 178. Exemplarisch zu den dimensionalen Persönlichkeitsmodellen sei verwiesen auf das Fünffaktorenmodell nach Costa und McCrae (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verlässlichkeit, Verträglichkeit) sowie auf das Siebenfaktorenmodell nach Cloninger (Neugierverhalten, Schadensvermeidung, Belohnungsabhängigkeit, Beharrungsvermögen, Selbstlenkungsfähigkeit, Kooperativität, Selbsttranszendenz). Vgl. Dreßing (2009), S. 324. 137 Ein interessantes weiterführendes Beispiel für einen Analysegegenstand mit einerseits dimensionalem und andererseits kategoriellem Zugangsweg ist die ärztliche Schweigepflicht: “since early in history, the confidentiality of doctor-patient-relationship has been caught between a dimensional and a categorical model”. Vgl. Berrios (2017a). Zur Bedeutung von dimensionalen Forschungsansätzen für die forensische Psychiatrie siehe Dreßing (2009), S. 323–325. 138 Nipperdey (1992), S. 985. 139 Gleixner et al. (2007/08), S. 32. 140 Zur „visuellen Psychiatriehistorie“ weiterführend: Kersting/Kumbier (2016). Siehe ferner Paul (2006) und (2016). 141 Es zeigen sich bei der Multiplen Sklerose (= Encephalomyelitis disseminata: ED) im Visuell Evozierten Potential (VEP): „Latenzverzögerungen, Amplitudenreduktion, Potentialdispersion“. Vgl. Payk (2003), S. 164. 142 Vgl. Gleixner et al. (2007/08), S. 33. 143 Zu „Person und Ethik“ in ihrer Bedeutung für die Moraltheologie siehe ferner Rotter (1993).

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6.6 EPILOG Mit seiner Stellungnahme an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus vom 29.07.1935144 könnte Friedrich Meggendorfer die Eingliederung der Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in die Erlanger Universität ab 01.01.1961 antizipiert haben,145 womit die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen die Ortbezeichnung Erlangen-Nürnberg erhielt: „Was die Universität als Ganzes anbelangt, so wäre es vielleicht für die Universität wie auch für die einzelnen Institute am besten, wenn die möglichst baldige Eingemeindung von Erlangen in Nürnberg angestrebt würde; denn sonst stehen wir dauernd abseits“.146

144 Ähnliche Intentionen von Rektoratsseite aus acht Jahre später werden in Zusammenhang mit Bestrebungen seitens des Gauleiters gesehen: „Spätestens im Jubiläumsjahr 1943 kam es zur Entwicklung weitgehender Umgestaltungspläne der Universität und zu ihrem Scheitern. Der Rektor, Prof. Hermann Wintz, überraschte die Medizinische Fakultät am 19.05.1943 mit dem Vorschlag, sämtliche Krankenhausleiter der Stadt Nürnberg zu ordentlichen Mitgliedern der Fakultät zu machen und den Namen der auf diese Weise erweiterten Hochschule in FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg umzubenennen. Die Fakultät lehnte ab. Auch in anderen Fakultäten konnte Wintz keine Bundesgenossen gewinnen. Man war sich offenbar darüber klar, dass der Rektor mit diesem Plan auf einen Wunsch des amtierenden Gauleiters Karl Holz (1895–1945) einging, befürchtete offenbar in mehrfacher Hinsicht ein Übergewicht Nürnbergs und ein Auseinanderfallen der Universität“. Vgl. Wendehorst (1993), S. 215. 145 „1961 wurde die Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als sechste Fakultät der Erlanger Alma mater eingefügt, die sich seitdem Universität Erlangen-Nürnberg nennt. Das große wirtschaftliche und politische Gewicht der nordbayerischen Metropole mit ihrer alten reichstädtischen Tradition kommt nun voll der Universität zugute“.Vgl. Kipphoff et al. (1965), S. 56. 146 UAE: A2/1 Nr. M. 46.

7. REFERENZEN 7.1 QUELLENVERZEICHNIS UNGEDRUCKT: Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Archiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena Archiv der Goethe-Universität-Frankfurt a. M. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bayerisches Staatsarchiv Nürnberg Bundesarchiv Berlin Familienarchiv Meggendorfer Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Historische Bestände der Psychiatrischen und Nervenklinik, ungeordnet Historisches Archiv der HuPflA Erlangen, integriert in APNK Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M. MedArchiv-Siemens. Unternehmensarchiv für Medizintechnik, Erlangen Militärarchiv Freiburg Staatsarchiv Berlin Stadtarchiv Erlangen Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar

GEDRUCKT: Archiv der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach Archiv der Königlich Psychiatrischen Klinik in München Archiv der Universität Greifswald Archiv der Universitätsbibliothek Heidelberg Archiv des Baylor College of Medicine, Houston Archiv des Klinikums am Europakanal Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen in Kassel Archiv des Städtischen Krankenhauses links der Isar in München Bundesarchiv Koblenz Historisches Archiv des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie Historische Bestände der Landesanstalt Hartheim Historisches Krankenblatt-Archiv des Hamburger Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Institut für Zeitgeschichte Landesarchiv Berlin Landgericht Hamburg Landgericht München

Referenzen

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Menninger Archives Collection, Lucio Bini papers, Kalinowsky correspondence National Archives Washington Staatsarchiv Amberg Staatsarchiv der Hansestadt Hamburg Stadtarchiv Frankfurt a. M. Stadtarchiv Nürnberg Zentralarchiv Potsdam

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7.3. ZEITSCHRIFTEN OHNE AUTORENANGABE, KATALOGE, FLYER UND KALENDER PRIMÄR: Anonymus. Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 der Betriebsverordnung M. B. V 22.3.1924. (M. A. Bl. S. 33). Anonymus. Formbl. Nr. U 11. Walter König, Verlagsanstalt: München, Fraunhoferstr. 19. Anonymus. Rassen- und bevölkerungspolitische Vorträge in Rom. Kurzmitteilungen. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete 1940a, 114 (1/2): 223. Anonymus. Kurze Mitteilungen. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete 1940b, 115 (3): 202–204. Anonymus. Kurze Mitteilungen. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete 1940c, 114 (3/4): 439. Anonymus. Sammelreferat. Münchner Medizinische Wochenschrift 1952a (94): 1146–1147. Anonymus. Rasse-Günther. Das Wort „nordisch“. Der SPIEGEL, 02.01.1952b: 32–33. Vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-21048459.html. Stand vom 23.12.2016. Anonymus. Varia. Hauser H.-C. Kain und Abel. Musiktheater über Vorkommnisse in der Psychiatrischen Anstalt Kaufbeuren zur NS-Zeit. Gespielt 04.02.2016, Gasteig München, Carl-OrffSaal. Bayerisches Ärzteblatt 2015; 12: 693. Anonymus. Formen als Ideen. In: Zeit für Kunst. Highlights. Internationale Kunstmesse München 26.–30. 10. 2016, Residenz München. Anonymus. Historikertagung Aachen. „Die Ärzte der Nazi-Führer“. Zahnärztliche Mitteilungen 2017, 107 (1): 61. Anonymus. Paragraf 175: Verurteilte Homosexuelle sollen Entschädigung erhalten. ZEIT online, 21.10.2016. In: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/paragraf-175-bundesjustizministerium-homosexuelle-entschaedigung. Stand vom 29.03.2017. Hildebrandt, S. Anatomie im Nationalsozialismus. Stufen einer ethischen Entgrenzung. SchwarzWeiss Saal des Instituts für Anatomie, Erlangen, 05.02.2014, Flyer mit Vortragszusammenfassung. Bayerisches Ärzteblatt 2016 (1–2). Fortbildungen, Kongresse & Seminare. S. 50. Der Spiegel, Nazi-Verschwörung. Nau-Nau von 04/1953.

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Erlanger Nachrichten. Die der Euthanasie angeklagten Ärzte der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen beim Prozess in Nürnberg, 24.02.1950. Erlanger Tagblatt vom 18.01.1951. Festschrift zur feierlichen Eröffnung des Ludwig-Kanals und Enthüllung des Kanal-Monuments am Burgberge bei Erlangen: den 15. Juli 1846. Nürnberg: Stein, 1846. In: http://daten.digitalesammlungen.de/~db/0007/ bsb 00073538/images/index.html ?id=00073538&groesser=&fip= eayasdaseayafsdrxsfsdreayaxsxdsyd&no=15&seite=5. Stand vom 23.05.2017. Freidl, W. NS-Euthanasie in der Steiermark. Wiedergefundene Lebensgeschichten von Grazer Opfern der Rassenhygiene. Plakat zu Ausstellung vom 09.10.2004–28.01.2005. Zeitgeschichtelabor/Universität Graz. Goethekalender. Mit Goethe durch das Jahr. Ein Kalender für das Jahr 1968. Stuttgart u. a.: Artemis, 1967. Habjan, N./Meusburger, S. F. Zawrel – Erbbiologisch und sozial minderwertig. Basierend auf Erzählungen von Friedrich Zawrel, Redoutensaal Erlangen, 26.05.2017. In: Programmheft zu 20. Internationales Figurentheaterfestival. Erlangen. Nürnberg. Fürth. Schwabach, S. 89. Hornegger, J; Schirmherr. Im Gedenken der Kinder. Die Kinderärzte und die Verbrechen an Kindern in der NS-Zeit, 09.07.–22.07.2016, Ev.-ref. Hugenottenkirche Erlangen, Ausstellungsflyer. Internationale Gluck Opern Festspiele 2014. ReFORM und ReVISION. Gluck/300, Programmheft. „Irre Filme“, Betreuungsdienst Psychiatrie Erlangen in Kooperation mit Lamm-Lichtspielen Erlangen, 08.11., 18 Uhr, Flyer. Lenz, B. et al. NOAH-Studie. Unterlagen der Patientenaufklärung sowie Patientenerhebungsbogen, Erlangen; 2013. Archiv des Kopfklinikums der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg bzw. Formblatt-Unterlagen bei Verfasserin. Montero, G. Im Wechselspiel zwischen Wahn und Wirklichkeit. In: Staatstheater Nürnberg, Hrsg. Programmheft zur Premiere von „Don Quijote“ am 22. 04. 2017. Nürnberg: Offsetdruck Buckl, 2017. Otto Grau & seine Kollegen 1965–1975. Ausstellungskatalog. Kunstmuseum Erlangen 2013. Runderlass des Reichs- und Preussischen Minister des Innern vom 1. Juli 1936 – IV A8969/1079. Deutsches Ärzteblatt 1936, 34: 856–860. Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung 1940 Nr. 51. Reports of Societies. Electrically Induced Convulsions. British Medical Journal 1940; 4124: 104– 106. Sonderausstellung 27.10.2016–29.01.2017. Die Verfolgung der Sinti und Roma in München und Bayern 1933–1945. NS-Dokumentationszentrum München. Lern- und Erinnerungsort zur Geschichte des Nationalsozialismus. Briennerstr. 34, 80333 München. Völkischer Beobachter vom 23.03.1933. Zeit Feuilleton vom 14.04.2016.

SEKUNDÄR: Ärztliche Fragen. Vorlesungen über allgemeine Therapie; Die soziale Krankheit VIII, GS 8. Brüsseler Zeitung vom 5.11.1943. Der Spiegel 1961, Nr. 19: 35–47. Deutsche Allgemeinen Zeitung vom 13.6.1934: Kongressbericht zur Jahresversammlung Deutscher Psychiater in Münster im Jahr 1934. Deutsche Justiz 1942, S. 433. Erlanger Neueste Nachrichten vom 06.05.1936, Nr. 105. Frankfurter Rundschau vom 22.11.48. Fränkische Kurier vom 06.05.1936, Nr. 126. Kieler Nachrichten vom 12.02.2001: Der unbekannte Creutzfeldt. Entdecker der Krankheit half als Rektor beim Wiederaufbau der Kieler Universität mit. Völkische Beobachter vom 23.03.1933 und vom 06.05.1936.

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7.4 VORTRÄGE; UNVERÖFFENTLICHT Auffermann, V. im Gespräch mit Schoeller, W. F. Das tragische Portrait eines jungen Europäers. 36. Erlanger Poetenfest. Palais Stutterheim. Erlangen; 27.08.2016 Bader, H. Nationalsozialismus im Familiengedächtnis. Angehörige von „Euthanasie“-Opfern, Abschlusskolloquium zu „Erinnern heißt gedenken und informieren“ – DFG-ErkenntnistransferProjekt zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bonn, 07.04.2016. Bentall, R. Yes, the psychiatric model is on the edge. In: Bulbena, A., Vorsitz. Is psychiatry currently undergoing a crisis? International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry. Barcelona, 22.04.2017. Berrios, G. E. Con: Above all we deal with individuals. In: Hanon, C., Vorsitz. Is a PsychiatristPatient Confidentiality Relationship subservient to a greater good? EPA-Kongress 2017a. Florenz, 04.04.2017. Berrios, G. E. The Concept of Crisis: history and epistemiology. International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry 2017b. Barcelona, 20.04.2017. Brechtken, M. Geschichtswissenschaften im Nationalsozialismus – Einflüsse, Personen, Folgen, Die Staatlichen Archive Bayerns in der Zeit des Nationalsozialismus. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München, 27.10.2016. Baer, R. 100 Jahre Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen: Wissenschaftliche Schwerpunkte ihrer Leiter. Festakt zum Klinikjubiläum, Erlangen-Atzelsberg, 01.10.2003b. Baer, R. 100 Jahre Psychiatrische Universitätsklinik Erlangen: Biographien ihrer Leiter und Schwerpunkte der Forschung. Collegium Alexandrinum. Erlangen, 20.11.2003c. Braun, B. Neurodeterminismus und seine Folgen für die Praxis. AG „Freiheit und Willensentscheidung: Theologische und philosophische Geschichte eines Begriffs“ unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Wriedt, Sommerakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes, Salem 2012b. Braun, B. Carl Wernicke (1848–1905) – Beziehungen zur „Erlanger Schule“ der Psychiatrie. Seminar der Arbeitsgruppe Molekulare Neurobiologie unter der Leitung von Kornhuber, J., Kopfklinikum Erlangen, 12.12.2014b. Braun, B. Reif für eine Revision? Zur Rezeptionsgeschichte von Friedrich Meggendorfer. Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus. Ausgewählte Ergebnisse, Doktorandenkolloquium Ethik in der Medizin. Erlangen, 17.06.2015. Braun, B. Multiple Sklerose – Psychopathologische Aspekte und Ethische Fragen. Literaturkonferenz der Neurologischen Klinik, Kopfklinikum Erlangen, 11.02.2016a. Braun, B. Friedrich Meggendorfer: Differenzierungen bei psychiatrieethischer Biographik, Doktorandenkolloquium Ethik in der Medizin, Erlangen, 19.07.2016b. Braun, B. Disputation zu Friedrich Meggendorfer. Person und Ethik eines Psychiaters im Nationalsozialismus. Seminarraum der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der FAU. Erlangen, 23.02.2017. Bruns, F. Der kranke Kaiser Wilhelm II – ein psychiatrischer Patient? Medizinhistorische Vortragsreihe. Kollegienhaus Erlangen, 07.11.2016. Bulbena, A. Pro: The stand for societal good. In: Hanon, C., Vorsitz. Is a Psychiatrist-Patient Confidentiality Relationship subservient to a greater good? EPA-Kongress 2017. Florenz, 04.04.2017. Cranach, M. v.: Namensnennung der „Euthanasie“-Opfer. Abschlusskolloquium zu „Erinnern heißt gedenken und informieren“ – DFG-Erkenntnistransfer-Projekt zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bonn, 07.04.2016. Denys, D. From Electricity to Ethics. International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry. Barcelona, 22.04.2017.

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Dross, F. „Prüfstein einwandfreien Standesbewusstseins und klarer ärztlicher Ethik“. Das Thema Sterilisation und die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie nach dem Zweiten Weltkrieg. Jenseits des Tellerrands. Öffentliche Mittagsvorträge zur Geschichte und Ethik der Medizin. Kollegienhaus Erlangen, 30.11.2016b. Eberhard-Kaechele, M. Tanztherapie: Indikationsstellung, Wirkfaktoren, Ziele, Vortrag im Rahmen des Symposiums des Landschaftsverbandes Rheinland "Mit allen Sinnen: künstlerische Therapien im Rheinland" vom 15.–16.11.2001 im Horion-Haus des Landschaftsverbandes Rheinland, Köln. Online: https://web.archive.org/web/20101126163311/http://www.praeha.de/veroeffentlichungen/langen-institut-vortrag3.html. Eberle, J. „Grüße zum neuen Jahr“, Neujahrsempfang des Elitenetzwerk Bayerns. Schloss Nymphenburg, 14.01.2017. Felber, W. Schostakowitschs Musik und Stalins Wahn. In: Karenberg, A./Wagner, C.,Vorsitz: Psyche – Komposition – Politik: Musiker und Musikbetrieb im Spiegel der Zeit. DGPPN-Kongress. Berlin, 25.11.2016. Fleischmann, P. „…von der drohenden Vernichtung errettet“. Dr. Fridolin Solleder – 1940 bis 1952 Leiter des Staatsarchivs Nürnberg. Die Staatlichen Archive Bayerns in der Zeit des Nationalsozialismus. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München, 27.10.2016. Fuchs, T. The crisis of psychiatric diagnostics and the role of phenomenological psychopathology. International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry. Barcelona, 21.04.2017. Grosse, P. „Paradoxien in der Rasse(n)Forschung seit dem 18. Jahrhundert“ im Rahmen von „Rasse. Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts“ als Tagung des Deutschen Hygienemuseums. Dresden, 08.10.2015. Hildebrandt, S. Anatomie im Nationalsozialismus. „Stufen einer ethischen Entgrenzung“, SchwarzWeiss Saal des Instituts für Anatomie. Erlangen, 05.02.2014. Hoff, P. Die Bedeutung des Wahnbegriffs für die Psychiatrie des 21. Jahrhunderts. In: Habermeyer, E., Vorsitz. Wahn, wahnhafte Entwicklung und überwertige Idee: Ein Kontinuum? DGPPNKongress. Berlin, 25.11.2016. Jessen, R. Reiz und Risiko der Selbsthistorisierung – die Geschichte der DGPPN nach 1945 im Kontext zeithistorischer Aufarbeitung und Auftragsforschung. In: Schneider, F./Fangerau, H., Vorsitz. Neue historische Kommission der DGPPN – Psychiatrie in Deutschland nach 1945. DGPPN-Kongress. Berlin, 25.11.2016. Kaltenegger, I. Nationalsozialismus im Familiengedächtnis. Angehörige von Tätern. Abschlusskolloquium zu „Erinnern heißt gedenken und informieren“ – DFG-Erkenntnistransfer-Projekt zum Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in der Berliner Tiergartenstraße 4. Bonn, 07.04.2016. Kersting, F.-W./Kumbier, E., Vorsitz. Dokumentarfilmsymposium: Visual History: Psychiatriegeschichte in unbekannten Filmdokumenten. DGPPN-Kongress. Berlin, 24.11.2016. Kittelberger, F. Begrüßung und Einführung. Tagung WahnSinn. Ekstase, Besessenheit, Psychose – passen seelische Gesundheit und spirituelle Extreme zusammen? Evangelische Akademie Tutzing, 27.01.2017. Kramer, F. Bayern und die NS-Zeit. Die Staatlichen Archive Bayerns in der Zeit des Nationalsozialismus. 26.–28.10.2016. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München, 26.10.2016. Krämer, G. Otto Löwenstein (1889–1965) – ein vergessener Pionier des epileptologischen VideoMonitorings. 25. Jahrestagung der DGGN. Würzburg, 03.10.2015. Krug, C. Shakespeares Helden. Zum 400. Todestag von William Shakespeare. Collegium Alexandrinum der FAU – Wissenschaft für die Öffentlichkeit, Vorträge der Anglistik. Erlangen, 16.06.2016. Lehnhardt, F. G. „EKT bei therapierefraktärer Schizophrenie“. Psychiatrische Fortbildungsveranstaltung. Kopfklinikum Erlangen, 20.04.2016.

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Schott, H. Religion und Psychiatrie – gestern, heute, morgen. Tagung WahnSinn. Ekstase, Besessenheit, Psychose – passen seelische Gesundheit und spirituelle Extreme zusammen? Evangelische Akademie Tutzing, 27.01.2017. Steger, F. PPN: Nicht nur Ärzte und Therapeuten, sondern auch Literaten! In: Steger, F./Brunner, J. Vorsitz. PPN in Literatur und Künsten II. DGPPN-Kongress. Berlin, 29.11.2013. Steiner, J./Falkai, P., Vorsitz. Potential role of autoimmune encephalitis and NMDA-receptor antibodies in schizophrenia. DGPPN-Kongress. Berlin, 24.11.2016. Straube, A. Begrüßung. Neurologisch-Psychiatrischen Kolloquium/LMU. München, 09.05.2015. Thum, A. „Hoffentlich werden nicht allzu viele Nicht-Arier zu Vorträgen sich melden“. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie im Nationalsozialismus. Jenseits des Tellerrands. Öffentliche Mittagsvorträge zur Geschichte und Ethik der Medizin. Kollegienhaus Erlangen, 01.06.2016. Wessely, S. No, psychiatry is in good health. In: Bulbena, A., Vorsitz. Is psychiatry currently undergoing a crisis? International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry. Barcelona, 22.04.2017.

7.5 INTERNET, VERZEICHNET CHRONOLOGISCH NACH VORKOMMEN IM TEXT Homepage des NS-Dokumentationszentrum München: https:// www. Ns-dokumentationszentrummuenchen.de. Stand vom 29.10.2016. sowie http://www.ns-dokuzentrum-muenchen.de/ veranstaltungen/details/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=95&cHash=39bb867a26d06bdf04a879ac3ff 3 fe38. Stand vom 30.01.2017. Online-Datenbank des Staatsarchivs Hamburg: https://recherche.staatsarchiv.hamburg.de/ ScopeQuery5.1/parametersuche.aspx?DeskriptorId=489986. Stand vom 20.02.2017. Homepage der Universität Kiel: http://www.uni-kiel.de/ns-zeit/bios/stertz-georg. shtml. Stand vom 10.12.2015. Homepage des “Basque Center for Neuroscience”: http://www.achucarro.org /es/people. Stand vom 08.12.2015. Wikipedia-Liste der Kulturdenkmäler: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kulturdenkm%C3 %A4ler._ im_HamburgerBezirk_Eimsb%C3%BCttel Stand vom 04.04.2016. Online-Archiv der Zeitschrift „Das Ärzteblatt“: http://www.aerzteblatt.de/archiv/163493/ Antipsychiatrie-Bewegung-Eine-Institution-steht-am-Pranger. Stand vom 30.11.2015. Online-Archiv des Spiegels: http://www.spiegel.de/panorama/hitlers-vorgesetzter-im-1-weltkriegwarnte-briten-und-amerikaner-a-850712.html. Stand vom 30.10.2016 Aktion T4 Blog-Beitrag von Hojan A. Unfaithful to the oath. Dem Schwur untreu: http://blog.gedenkort-t4.eu/2013/01/15/artur-hojan-unfaithful-to-the-oathdem-schwur-untreu/. Stand vom 15.07.2016. Online-Archiv der Kieler-Hochschulseiten: https://web.archive.org/web/20070927024138/; http:// www.kn-online.de/htm/dauer/lok/hochschulen/hochschulseiten/010112/c-Creutzfeldt_ART. htm. Stand vom 12.12.2015. Homepage des Creutzfeldt-Institutes: http://creutzfeldt-institut.com/arzt.php. Stand vom 12.12. 2015. Eponym-Homepage: http://www.whonamedit.com/synd.cfm/287.html. Stand vom 15.07.2016. Homepgage der Huntington-Hilfe: http://www.huntington-hilfe.de/?newwpID=29667&MttgSession= 4215ea26bf128d63cf1d90ede050729d Stand vom 04.05.2016. Wikipedia-Artikel zur Deutschen Volkspartei: http://de.wikipedia.org/wiki/ Deutsche_Volkspartei. Stand vom 09.01.2015.

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7.6 KONGRESSPOSTER; UNPUBLIZIERT Braun, B./Kornhuber, J. Gustav Nikolaus Specht (25.12.1860–24.10.1940). DGPPN-Kongress, Berlin, 2014e Braun, B./Kornhuber, J. Karl Leonhard und seine akademische Prägung an der Erlanger Hochschulpsychiatrie. DGPPN-Kongress, Berlin, 2015c. Braun, B./Kornhuber, J. Carl Wernicke: zum 110.Todestag. DGPPN-Kongress, Berlin, 2015d. Braun, B./Kornhuber, J./Frewer, A. Person and Ethics of a Psychiatrist in National Socialism: Friedrich Meggendorfer (1880–1953) – Ethical Differentiations in NS-Psychiatry-Biographics. International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry, Barcelona, 2017. Lenz, B./Mühle, C./Braun, B./Muschler, M. R./Weinland, C./Hoppe, U./Müller ,C.P./Kornhuber, J. Organisierende und aktivierende Sexualhormoneffekte bei Alkoholabhängigkeit: Ergebnisse der NOAH-Studie. DGPPN-Kongress, Berlin, 2015. Walloch, J./Braun, B./Hamer, A./Lenz, B./Richter-Schmidinger, T./Kornhuber, J. Fetale AlkoholSpektrum-Störungen (FASD) in der Erwachsenenpsychiatrie –„Versorgung neu denken“. DGPPN-Kongress, Berlin, 2015. Weinland, C./Sibach, M./Braun, B./Mühle, C./Müller, P. C./Kornhuber, J./Lenz, B. Impulsivität, Sensation Seeking, Novelty Seeking and Harm Avoidance – Verhaltensmerkmale bei Alkoholabhängigkeit. DGPPN-Kongress, Berlin, 2015.

8. ÜBERSICHT DER ABBILDUNGEN

Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8:

Inserat im Reiseführer Bad Aibling, Wilhelm Mayer 1908................................ 22 Friedrich Meggendorfer als Kind ....................................................................... 23 Schreiben von Fritz an seinen Vater, undatiert................................................... 24 Fritz Meggendorfer, 1902................................................................................... 26 Fritz Meggendorfer als Marinekadett, ca. 1903 ................................................. 27 Inserat. Wilhelm Mayer: Reiseführer Bad Aibling, 1926................................... 27 Visitenkarte Friedrich Meggendorfers, circa. 1904 ............................................ 28 Visitenkarte Friedrich Meggendorfers, circa 1905/1906 oder 1907 .................................................................................................................... 28 Abb. 9: Meggendorfer bei der „Mittelmeerdivision“, 1917 ............................................ 37 Abb.10: Zeichnungen eines unbekannten Künstlers: Kranker mit Katatonie .................. 52 Abb. 11: Glückwunschschreiben des Vetters vom 10.05.1921 ......................................... 59 Abb. 12: Bad Aibling, Hochzeit von Ina und Fritz, 09.08.1921........................................ 60 Abb. 13: „Familienquartett“, ca.1924/1925 ...................................................................... 61 Abb. 14: Zahlkarte der Abschrift einer Krankengschichte ............................................... 67 Abb. 15: „Frau Backers Muskelanspannung bei passiver Bewegung der Extremitäten“ ..................................................................................................... 80 Abb. 16: Von einem Morphinisten in die Anstalt mitgebrachte Ausrüstung .................. 104 Abb. 17: Portrait Friedrich Meggendorfers, ca. 1934...................................................... 136 Abb. 18: Akten zur Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Erlangen von 1923 bis 1947 ............................................................................. 158 Abb. 19: Wohnzimmer der Familie Meggendorfer mit „Herrgottswinkel“ .................... 163 Abb. 20: Hochvogel, 1940 .............................................................................................. 164 Abb. 21: In Erlangen verwendeter erbbiologischer Erhebungsbogen ............................. 175 Abb. 22: Hilfsvorrichtung für die Krankenuntersuchung mittels elektrischer Ströme ... 217 Abb. 23: EDG „Die notwendige Apparatur wurde mir von Herrn Prof. Regelsberger bzw. den Siemens-Reiniger-Werken Erlangen freundlichst zur Verfügung gestellt“ ........................................................................................................... 218 Abb. 24: „Herrn Direktor Dr. von Buol zur gefl. Kenntnisnahme“ ............................... 225 Abb. 25: Aufklärungsbogen zur Krampfbehandlung ..................................................... 234 Abb. 26: „357 a Elektroschockgerät 1940“ ................................................................... 239 Abb. 27: Postkarte Friedrich Meggendorfers aus Köln an seine Familie vom 24.09.1938 .............................................................................................. 278 Abb. 28: Krankenblatt der N.R. ..................................................................................... 300 Abb. 29: Schreiben an Oberarzt Dr. Bingel „[v]on der Staatsanwaltschaft bei dem Landgerichte Nürnberg-Fürth“ ........................................................................ 314 Abb. 30: „Stempel mit „Reichsadler- und Hakenkreuz-Siegel der „Psychiatrische[n] und Nervenklinik der Universität Erlangen“ ................................................... 324

Übersicht der Abbildungen Abb. 31: Beschluss des Erbgesundheitsgerichtes im Wiederaufnahmeverfahren der S.K............................................................................................................. 346 Abb. 32: Ehepaar Meggendorfer, Erlangen 1943 .......................................................... 384 Abb. 33: Anfrage der NS-Frauenschaft zum Schweregrad der psychischen Erkrankung eines Mitglieds zwecks Entlassung ............................................ 388 Abb. 34: Eingangsbestätigung über Suchtmittelverordnung bei der „Zentralmeldestellte für Suchtgiftbekämpfung (Suchtgiftmeldestelle) bei der Ärztekammer Bayern .............................................................................................. 395 Abb. 35: Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg an Meggendorfer .... 402 Abb. 36: Kurvenblatt bei Patientin mit Insulinkur ......................................................... 405 Abb. 37: Beobachtungsbogen ........................................................................................ 406 Abb. 38: Schreiben der Chirurgischen Klinik an die Psychiatrische Klinik betr. Entlassung jüdischer Patienten ....................................................................... 418 Abb. 39: Schreiben des Dr. Carl Israel Beer an Meggendorfer .................................... 422 Abb. 40: Schreiben der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an Meggendorfer ................................................................................................. 423 Abb. 41: Antwortschreiben des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Loben an Meggendorfer ................................................................................................. 432 Abb. 42: Nachforschungsauftrag der Psychiatrischen Klinik bei der Post ................... 434 Abb. 43: Schreiben der Betriebskrankenkasse an Psychiatrische Klinik ...................... 435 Abb. 44: Schreiben des Arbeitsamtes Nürnberg an die Heil- und Pflegeanstalt Erlangen vom 14.12.1944 ............................................................................. 442 Abb. 45: Unterschriftliche Bestätigung der Abholung der Patientin S. S. aus der Heil- und Pflegeanstalt ................................................................................... 443 Abb. 46: Schreiben des stv. Leiters der Heil- und Pflegeanstalt an die Psychiatrische und Nervenklinik ............................................................................................ 445 Abb. 47: Briefumschlag zum Schreiben von P. E. an Meggendorfer vom 19.01.1949 ...................................................................................................... 447 Abb. 48: Bescheinigung Meggendorfers an P. E. vom 28.01.1949............................... 449 Abb. 49: Friedrich Meggendorfer, ca. 1940 ................................................................... 451 Abb. 50: Befürwortung der Personalaufstockung Meggendorfers durch Molitoris ...... 452 Abb. 51: Briefkopf der Erlanger „Poliklinik für psychische und nervöse Krankheiten“ .................................................................................................. 456 Abb. 52: Grundriss der panoptischen Anstalt Erlangen ................................................ 466 Abb. 53: „Platznot“ ........................................................................................................ 468 Abb. 54a: Stellungnahme des Berufungsausschusses im Wiedereinstellungsverfahren vom 15.05.1946 ............................................................................................ 506 Abb. 54b: Stellungnahme des Berufungsausschusses im Wiedereinstellungsverfahren vom 15.05.1946 ............................................................................................. 507 Abb. 55: Ehepaar Meggendorfer, Silberhochzeit, Arber, 09.08.1946 .......................... 510 Abb. 56: Meggendorfer in Marineuniform ................................................................... 536 Abb. 57a: Meggendorfers Karteikarte als Sanitätsoffizier ............................................. 550 Abb. 57b: Meggendorfers Karteikarte als Sanitätsoffizier ............................................. 551 Abb. 58: Von Meggendorfer weitergeleitete Stellenausschreibung ............................. 567

781

782

Übersicht der Abbildungen

Abb. 59: „Betr.: Verpflegungsverhältnisse in der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen“........................................................................................................ Abb. 60: Tabelle zur EKT-Wirksamkeit bei Schizophrenie .......................................... Abb. 61: „Patient im Elektrokrampf, tonisches Stadium“ ............................................. Abb. 62: „Conzert- und Tanzprogramm“ der Kreis-Irrenanstalt Erlangen vom 25.11.1899 ......................................................................................................

573 595 609 640

9 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abg. Abtl. Ach AD(H)S AE AEM Anti-NMDA-R A. o. APA Apl. APNK/FAU AT AZ BAB BayHStA BA-MA BBF BCM BDM Bearb. Bez. BGB BMI Bpm BRD BSE BStB BtM Btr. BZD Bzw. Ca. CJD CAU CES CFS cMRT DAF DAV DD DDR

Amberg Abteilung Acetylcholin Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts)-Syndrom Archiveinheiten Akademie für Ethik in der Medizin Göttingen Anti-N-methyl-D-aspartate-Receptor Außerordentlich American Psychiatric Association Außerplanmäßig Archiv des Kopfklinikums der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg: Historische Bestände der Psychiatrischen und Nervenklinik Autogenes Training Allgemeinzustand/Aktenzeichen Bundesarchiv Berlin Bayerisches Hauptstaatarchiv München Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg i. Br. Archivdatenbank der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Archiv des Baylor College of Medicine Bund Deutscher Mädel Bearbeitet Bezeichnung Bürgerliches Gesetzbuch Body Mass Index Beats per minute Bundesrepublik Deutschland Bovine spongiforme Enzephalopathie(n) Berliner Staatsbibliothek Betäubungsmittel Betreffend Benzodiazepin Beziehungsweise Circa Creutzfeldt-Jakob-Krankheit Christian-Albrechts-Universität Kiel Kraniale Elektrostimulation Chronic Fatigue Syndrome Cerebrale Magnetresonanz-Tomographie Deutsche Arbeitsfront Deutscher Alpenverein Differenzialdiagnose Deutsche Demokratische Republik

784 De De dato/d.d. DEK Ders. Dess. DFA DFAP DFG DGCH DGG DGGN DGIM DGS DGN DGPPN D. I. Dies. DMT Dort DRK DSM Dt. DVP DyA ED EEG EDG EGG EGOG EheG EKT EMDR EN EST ET E. t. c. Ev. FASD FAU FAM FDP FfM./Frankfurt a. M. FIAT Fn. Folg. Frl. Frs. Frz. FSU Fürs. Ges. GDA

Abkürzungsverzeichnis

Dieses Vom Tag des Datums an Deutsche Evangelische Kirche Derselbe Desselben Deutsche Forschungsanstalt Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutsche Gesellschaft für Chirurgie Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie Deutsche Gesellschaft für Geschichte der Nervenheilkunde Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin Deutsche Gesellschaft für Soziologie Deutsche Gesellschaft für Neurologie Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde Das ist Dieselbe/Dieselben Dance Movement Therapy Dortigen Deutsches Rotes Kreuz Diagnostic and Statistical Manual Deutsch Deutscher Verein für Psychiatrie/Deutsche Volkspartei Dysregulation des Affektes Encephalomyelitis disseminata Electroencephalogramm Elektrodermatogramm Erbgesundheitsgericht Erbgesundheitsobergericht Ehegesetz Elektrokonvulsionstherapie Eye Movement Desensitization and Reprocessing Erlanger Nachrichten Elektroshocktherapie Elektrotherapie Et cetera Eventuell Fetale Alkoholspektrumstörung Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Familienarchiv Meggendorfer Freie Demokratische Partei Frankfurt am Main Field Information Agency Fußnote Folgende Fräulein Francs Französisch Friedrich-Schiller-Universität Jena Fürsorgegesetz Genealogisch-Demographische Abteilung

Abkürzungsverzeichnis

GDC GDNP Geb. Gefl. GeKraT Gesch. Gestapo Gest. Gez. GzVeN HD HHStA HNO HuPflA I. ICD I. d. R. I. e. IfZ M-B IMG IMPP IMT IPPG Isr. K. d. R. KfdK Kgl. KK Kr. KrHuPflA KPD KWI KZ Lb. L. d. I. LG LHA Lk. LKH LKS LMU LRS LZP M. d. I. M. E. MKT MPIP MRI MPIP MS MZ

785

Glaubensbewegung Deutscher Christen Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater Geboren Geflissentlich Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft Geschieden Geheime Staatspolizei Gestorben Gezeichnet Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses Huntington’s Disease Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Hals-Nasen-Ohren Heil- und Pflegeanstalt Infantilismus International Classification of Diseases In der Regel Id est: Das heisst/In example Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Internationaler Militärgerichtshof Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen International Military Tribunal Institut für Psychiatrische Phänomik und Genomik Israelitisch Kanzler des Reiches/Kommissar des Reiches Kampfbund für deutsche Kultur Königlich Krankenkasse Kreis Kreis-Heil- und Pflegeanstalt Kommunistische Partei Deutschlands Kaiser-Wilhelm-Institut Konzentrationslager Liebe(n) Links der Isar Landgericht Landesheilanstalt Links Landeskrankenhaus Lippen-Kieferspalte/Leichte kognitive Störung Ludwig-Maximilian-Universität München Lese- und/oder Rechtschreibstörung Leonhardsche Zykloide Psychosen Manisch-depressives Irresein Meines Erachtens/Ministerialentschließung Metakognitives Training Max-Planck-Institut für Psychiatrie Magnetresonanz-Imaging Max-Planck-Institut für Psychiatrie Multiple Sklerose Mittelbayerische Zeitung

786 NAW NB Nbg. N. n. b NNO NOAH NS NSDAP NSDÄB NSDDozB NSLB NSV NY OA/OÄ O. ä. O. B. O. g. OMRt OP. PA PD Pg. PID PJ PNK PPN PRION PSP Psp. PTBS Publiz. RAM RDB RMBliV RMDI RMWEV Röm.-kath. RR R/S RStGB RV RVO RWTH SA San. Kol. SCOT SD S. d. S. E. SPD SRW

Abkürzungsverzeichnis

National Archives Washington Nicht bekennend Nürnberg Nicht näher bezeichnet Neuritis nervi optici Neurobiology of alcoholism Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Ärztebund Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistische Vereinigung New York Oberarzt/Oberärztin Oder ähnlich(es) Ohne (auffälligen) Befund Oben genannt Oberministerialrat Ordentlicher Professor Personalakte Privatdozent Parteigenosse Präimplantationsdiagnostik Praktisches Jahr Psychiatrische und Nervenklinik Psychiater, Psychotherapeuten, Neurologen Proteinaceous infectious particle Psychopathie Psychopathisch Posttraumatische Belastungsstörung Publiziert Reichsaußenministerium/Reichsarbeitsministerium Reichsbund der Deutschen Beamten Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung Reichsministerium des Inneren Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Römisch-katholisch Blutdruck nach Riva-Rocci Religiosität/Spiritualität Reichsstrafgesetzbuch Reichsvereinigung der Juden in Deutschland Reichsversicherungsordung Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen Sturmabteilung Sanitätskolonne Social Construction of Technology Sicherheitsdienst Siehe dort Seines Erachtens Sozialdemokratische Partei Deutschlands Siemens-Reiniger-Werke

Abkürzungsverzeichnis

SS StadtA Nbg. StA HH Städt. Kr. H. StBN Stellv./Stv. SVM SWR Syn. S. Zt. tDCS THS ThHStAW TMS UAE UAF UAJ U. a. m. U. Ä. U. dgl. UdSSR UHDRS UK Univ. Urspr. U. s. w. U. U. vCJD VEP Verw. Vh. V. H. VNS VO Vorg. Vs. VV WDB WhK WHO WKL WPA WR WS WU Z. A. ZNS ZVM Z. Zt.

787

Schutzstaffel/Sommersemester Stadtarchiv Nürnberg Staatsarchiv der Hansestadt Hamburg Städtisches Krankenhaus Bayerisches Staatsarchiv Nürnberg Stellvertretend Spannungsvariationsmethode Südwestdeutscher Rundfunk Synonym Seiner Zeit transkranielle Gleichstromtherapie Tiefe Hirnstimulation Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Transkranielle Magnetstimulation Universitätsarchiv der Friedrich-Alexander-Universität-Nürnberg Erlangen Archiv der Goethe-Universität-Frankfurt a. M. Universitätsarchiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena Und anderes mehr Und Ähnliches Und dergleichen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unified Huntington’s Disease Rating Scale United Kingdom Universität Ursprünglich Und so weiter Unter Umständen Neue Variante der Creutzfeldt-Jakob Krankheit Visuell evoziertes Potenzial Verwitwete Verheiratete Von Hundert Vagusnervstimulation Verordnung Vorangegangene Versus Vorlesungsverzeichnis Wehrdienstbeschädigung Wissenschaftlich-humanitäres Komitee World Health Organization Wernicke-Kleist-Leonhard-Gesellschaft World Psychiatric Association Ruhige Wachstation Wintersemester Unruhige Wachstation Zentralarchiv Zentralnervensystem Zeitvariationsmethode Zur Zeit

10 DANKSAGUNG Für die freundliche Unterstützung bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Rolf Baer (†), Herrn Dr. Frank Boblenz, Herrn Prof. Dr. Rolf Buslei, Herrn Prof. Dr. Joachim Demling, Frau Dr. Irmingard Dietrich-Meggendorfer (†), Herrn Dr. Johannes W. Dietrich, Frau Cornelia Döbereiner, Herrn Cristof P. A. Eberstadt, Frau Andrea Frank, Herrn Gunther Friedrich, Frau Cornelia Geisler, B. A., Frau Annette Hanrich, Frau Margit Hartleb, Frau Christiane Kleemann, Frau Anja Koberg, M. A., Frau Dr. Angelika Kretschmer, Frau Gertraud Lehmann, Herrn Dr. Michael Maaser, Herrn Marcel Michels, Herrn Joann Pospisil, Herrn Dr. Thomas Remold, Frau Dr. Walburga Remold, Frau Ute Riedel, Frau Dr. Martina Schmidhuber, Herrn Herbert Schott, Herrn Dr. Albrecht Schottky, Herrn Dr. Dirk Schulz-Müllensiefen, Herrn Manuel Schusser, Frau Gerlinde Seeger, Herrn Stefan Seidl, Herrn Dr. Claudius Stein, Herrn Dipl.-Ing. Bernard Valeton, Frau Prof Dr. Ida Valeton (†), Herrn Dr. Clemens Wachter und Frau Renate Wünschmann. Kontexte des vorliegenden Beitrags konnten im Rahmen des 23rd European Congress of Psychiatry (28.–31.03.2015/Wien), des 24th International Symposium about Current Issues and Controversies in Psychiatry (20.–22.04.2017/Barcelona) vorgestellt1 und am 17.06.2015 sowie am 19.07.2016 einem Erlanger Fachkreis präsentiert werden. Vielen Dank für die anschließenden Diskussionsbeiträge. Mein Dank gilt Herrn Prof. Dr. Volker Roelcke, M. Phil. für die Durchsicht der Arbeit und seine wichtigen Hinweise. Besonders bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. Georg Seiderer für seine Unterstützung und Betreuung als Zweitgutachter. Insbesondere sage ich Herrn Prof. Dr. Johannes Kornhuber Dank für seine Anregung zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Erlanger Psychiatriegeschichte im Allgemeinen und mit der Person Friedrich Meggendorfers im Speziellen. Ebenso sei gedankt für die Überlassung der Historischen Bestände der Psychiatrischen und Nervenklinik Erlangen. Ich danke für die Archivkostenübernahme sowie für den Druckkostenzuschuss. Zusätzlich danke ich für die Ermöglichung meiner Teilnahme an Fachkongressen mit anregendem kollegialen Austausch. Bei psychiatrischen Fragestellungen unterstützte er mit seiner Expertise in Klinik, Lehre und Forschung. Neben der Hinführung zum Thema begleitete Herr Prof. Dr. Kornhuber den Prozess der Monographie-Entstehung, der im wesentlichen in den Jahren 2011 bis 2016 stattfand. Herzlich bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Andreas Frewer, M. A. als meinem „Doktorvater“ für die Betreuung des Themas und der Dissertation. Seine vielfältigen medizinhistorischen und -ethischen Anregungen trugen entscheidend bei zum Entstehen der vorliegenden Monographie.

1

Siehe hierzu Braun/Kornhuber (2015a) sowie Braun et al. (2017).

11 PERSONENREGISTER

Abderhalden, Emil ......... 35, 47, 368, 400, 541 Abel .................................................... 442 Abel, Wolfgang .................................. 425 Achúcarro, José M. ............................... 34 Adair, Robert C. ......................... 497, 500 Adenauer, Konrad ............................... 402 Adler, Alfred ....................................... 281 Albrecht, K. ........................................ 549 Alexander, Franz ................................ 281 Alexander, Leo ........................... 222, 223 Alkan, Leopold ................................... 281 Allers, Rudolf ..................................... 281 Alt ..................................................... 537 Altenstein v., Karl Sigmund Franz ................................... 243, 250 Althaus, Paul .............. 243, 498, 502, 503, 507–510, 530 Aly, Götz ............................ 297, 477, 598 Alzheimer, Alois ...................... 31–33, 74, 168, 531 Amon .................................................. 369 Anderlohr, Franz Maximilian ............. 225 Andersch, Norbert .............................. 280 Angerer, Karl v. ................................. 111 Anouilh, Jean ..................................... 639 Antigone ............................................. 639 Anton, Gabriel .................................... 108 Appelt ................................................. 248 Aquino, Thomas v. ............................... 71 Arendt, Hannah ........................... 648, 649 Aretaeus von Cappadocia ..................... 39 Aristoteles ........................................... 453 d’Arsonval, Jacques-Arsène ............... 604 Aschaffenburg, Gustav ................ 74, 279, 280, 376 Aschenbrenner, Alfred ....................... 610 Aschenbrenner, Reinhardt .................. 610 Asperger, Hans ................................... 353 Ast, Fritz ............................................. 568 Astel, Karl ........................... 318, 326, 381 Auer, R. N. ......................................... 415 Auerbach, Charlotte .............................. 34 Auffermann, Verena ........................... 266 Axhausen, Georg ................................ 629

Babinski, Joseph François Félix………….76

Bach, Christian ................................... 270 Bach, Johann Sebastian ....................... 325 Bacher ................................................. 182 Bachof ................................................ 521 Backer ............................... 76–78, 80, 299 Bader, Helmut ..................................... 305 Bader, Martin ................................ 16, 305 Baer, Rolf ................... 53, 93, 96, 98, 788 Baeyer, Walter Ritter v. ..... 237, 275, 408, 543, 549, 562, 577, 599, 603, 609– 611 Bailey, J. M. ........................................ 124 Balinski, I. M. ..................................... 198 Balint, Michael .................................... 281 Bally, Gustav ....................................... 281 Barinbaum, Moses ............................... 281 Baron .................................................. 509 Bart ............................................. 506, 509 Barth, Karl ........................................... 509 Basaglia, Franco .................................. 600 Bastian ................................................. 538 Bauer, Elisabeth ........... 67, 201, 203, 286, 454, 594 Bauer, Julius ........................................ 281 Bauerschmidt ....................................... 208 Bäumer, A. .......................................... 140 Baur ............................................ 553, 554 Baur, Erwin.................................. 112, 160 Beck .................................................... 562 Beck, Desiderius .............................. 22, 23 Becker, Peter Emil ............................... 263 Becker, H. ........................................... 637 Beer, Carl .................................... 422, 424 Beethoven, Ludwig v. ......................... 645 Ben-Chorin, Shalom ............................. 12 Benda, Clemens Ernst ......................... 281 Benedek, Therese ............................... 281 Benedek, L. ......................................... 407 Benn, Gottfried .................................... 271 Bente, Dieter ....................................... 599 Berger, G. ................................... 542, 547 Berger, Hans .................. 63, 404, 533, 612 Bergius, Friedrich ............................... 578

790

Personenregister

Bergius, Margarete ............................. 578 Bergler, Edmund ................................. 281 Bergmann, Gustav v. .......................... 281 Beringer, Kurt ............. 303, 478–480, 613, 628, 630, 632 Bernd, Emil ......................................... 101 Berner, Wolfgang ............................... 132 Berrios, German E. ............................... 18 Bersot, Henri........................................ 600 Berthoz ................................................. 50 Berüff, Carl v. ........................................ 22 Berze, Josef ......................................... 144 Besold, Fritz ....................................... 281 Bessel, Friedrich Wilhelm .................... 71 Beyle, Marie-Henri alias Stendhal ........ 36 Bier, August......................................... 298 Billroth, Theodor .................................. 71 Bilz, Rudolf ........................................ 281 Binding, Karl ...................... 583, 584, 637 Binet, Alfred ................................. 65, 389 Bingel, Adolf Abraham Gustav ......... 179, 210–223, 225–233, 236, 238–242, 276, 286, 309–316, 318, 327, 332, 333, 373, 379, 381, 407–411, 415, 453–455, 469, 593, 608, 643, 667 Bini, Lucio .......... 218, 219, 226, 229–231, 235, 239, 241 Binswanger, Ludwig.............................. 34 Binswanger, Otto ....................... 281, 612 Birnbaum, Karl ................... 122, 125, 280 Bismarck, Otto v.......... 380, 387, 419, 656 Blankenburg, Wolfgang ..................... 577 Blaschke, Hugo Johannes ................... 514 Blasius, Dirk ....................... 126, 169, 662 Blessing, Werner ................................ 657 Bleuler, Eugen ................. 42, 55, 87, 135, 136, 144, 214, 241, 279, 349, 352, 404, 430, 554, 615, 632 Bleuler, Manfred.......................... 404, 615 Bluhm, Agnes ..................... 204, 205, 288 Boblenz, Frank .................................... 788 Bochnik, Hans-Joachim ...................... 295 Bock, Gisela ........................................ 185 Böcklin, Arnold ............................ 36, 298 Boeckh ……………………………….360 Boening, Heinrich ............................... 533 Böhm, H. ............................................ 123 Bonfiglio, Francesco ............................. 34 Bonhoeffer, Dietrich .................... 560, 582 Bonhoeffer, Karl ......... 126, 150, 151, 173, 184, 190, 211, 212, 264, 278, 370, 376, 533, 560, 582, 583

Bonhoeffer, Klaus................................ 582 Bork, Wilhelm .................................... 336 Bormann, Martin ........................ 367, 368 Boschloo, L. ................................ 587, 619 Bosch ........................................... 152, 171 Bosinski, Hartmut. A. G. ..................... 123 Bostroem, August ....... 180, 286, 365–367, 382, 461, 549, 630, 632 Bötel, Erich ......................................... 308 Bouhler, Philipp .................................. 597 Bovet, Lucien ..................................... 149 Brack, Viktor ....................................... 597 Brandt, Karl ........................ 320, 367, 368, 476–478, 480, 485, 488, 631 Brandt, Otto ................................. 655, 656 Brauer, Ludolph .................................. 141 Braun, Ernst ................. 150, 532, 533, 630 Braun, Ludwig ..................................... 281 Braune, Paul Gerhard ......................... 485 Braunmühl, Anton v. ................. 222, 223, 226, 227, 229, 236, 241, 291, 405, 608, 620 Brechtken, Magnus ................................ 14 Brede, Ida ............................................ 269 Brenner, Eduard ................... 320, 505, 519 Brickenstein ......................................... 543 Brissaud, Édouard ............................... 304 Brockhausen ........................................ 548 Brogni .................................................. 396 Bromet, E. J. ....................................... 356 Bruckner, Anton .................................. 645 Brugsch, Theodor ................................ 281 Buchalik, Ernst .................................... 448 Buchholz ............................................... 70 Buchwald, Lieselotte ........................... 285 Buck, Eugen ....................................... 512 Bücking-Kopfermann .................. 324, 512 Buff ............................................. 210, 369 Bühler, Engelhardt .............................. 425 Bühler, P. ............................................ 281 Bulbena, Antonio .................................. 18 Bumke, Oswald ..... 49, 96, 165, 166, 183, 272, 275, 301, 349, 358, 394, 395, 417, 480, 481, 533, 593, 630, 662 Bumm, Anton ...................... 180, 638, 639 Bunejeff ............................................... 343 Bunnemann, Otto ................................ 281 Buol, Heinrich Emanuel v. .................. 225 Burkhardt, Hans .................................. 393 Bürger-Prinz, Hans .............. 39, 122, 147, 180–182, 240, 265, 414, 417, 478, 482, 542, 543, 565, 613, 630–633

Personenregister

Buslei, Rolf.......................................... 788 Bussche, Hendrik v. d. ......... 89, 173, 181, 461, 478, 588, 589 Busche, K. H. ...................................... 339 Bussinger, Lisa ................................... 268 Buttmann, Rudolf ............................... 153 Buttersack, Felix .................................. 281 Bychowski, Gustav .............................. 281 Bynum, William F. .......................... 35, 41 Cammermeyer, Jan ............................. 408 Canaris, Walter-Wilhelm ..................... 560 Canduzzi, Franz Caspar, Edler v. Heldenfeld ..................................... 254 Cantow, Jan ........................................ 485 Carlos, Don .......................................... 267 Carp, E. A. D. E. ................................. 412 Caselmann .......................................... 336 Caspar, Emilie A. .............................. 624 Cassirer, Richard .................................. 33 Catell, Werner...................................... 480 Cerletti, Ugo .........34, 218, 219, 222, 226, 229, 236, 239–241 Cervantes, Miguel de ........................... 267 Chamberlain, Houston Steward .......... 140, 645, 646 Charcot, Jean-Martin .................... 80, 517 Chirico, Giorgio de ............................. 270 Christian, Paul .................................... 281 Christoffel, Hans ................................. 281 Cicero ................................................. 507 Cimbal, Walter .................................... 281 Claudel, Camille ................................. 266 Claus, Arthur .............................. 147, 148 Clausen ....................................... 178–181 Cleckley, Hervey M. ............................. 47 Cloëtta, Max ....................................... 214 Cloninger, Claude Robert ........... 195, 670 Collin, C. ............................................ 159 Conrad, Klaus ............. 187, 370, 539, 593 Conrad-Martius ................................... 484 Conti, Leonardo .......................... 199, 219 Cooper, D. .......................................... 600 Corsten, Hermann ............................... 153 Costa, N. ............................................. 281 Costa, Paul T. .................................... 670 Cowles, James ...................................... 51 Cramer, H. .......................................... 281 Cranach, Michael v. .............. 16, 444, 649 Creutzfeldt, Hans Gerhard ....... 33, 73, 74, 397, 480, 613, 630, 665

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Crinis, Maximinian de ....... 108, 150, 152, 154–156, 272, 302, 315, 318, 368, 542, 559, 560, 630 Cullen, Paul ......................................... 488 Curschmann, Hans ......................... 36, 281 Curtius, Friedrich ................................. 273 Dahlberg, Gunnar ....... 137, 290, 395, 396, 503, 617 Dahme, Curt ....................................... 526 Dalbiez, Roland .................................. 547 Daraszkiewicz, Leon .......................... 595 Darwin, Charles ............................ 42, 159 Dattner, Bernhard ................................ 281 Daudet, Alphonse ................................ 266 Daun, Heribert ..................................... 409 Degel .................................................. 320 Degkwitz, Rudolf jun. ................ 478–480 Degkwitz, Rudolf sen. ......................... 478 Dehn, Günther Carl ............................. 628 Déjerine, Jules Joseph ..................... 33, 34 Demel, Richard ................................... 262 Démètre .............................................. 301 Demetz ................................................ 214 Demling, Joachim ....................... 409, 788 Demme, Hans .............. 272, 273, 275, 277 Demnig, Gunter ..................................... 45 Denys, Damiaan …………….............. 563 Deppe, Hans-Ulrich ............................ 295 Descartes, René .................................... 76 Destunis, G. ........................................ 302 Deussen, Julius .................................... 265 Deutsch, Felix ..................................... 281 Deutsch, Helene .................................. 281 Dieguez, Sebastian ..................... 266, 270 Diepgen, Paul ............................. 111, 115 Dietrich, Johannes W. .......... 94, 278, 654, 788 Döbereiner, Cornelia ........................... 788 Döblin, Alfred ............. 285, 479, 584, 646 Doepke ................................................ 208 Dohmann ............................ 558–561, 631 Dohnanyi, Hans v. ....................... 560, 582 Doinikow, Boris ................................... 34 Dollfuß, Engelbert ....................... 155, 610 Dollinger, Hans ................................... 270 Dörner, Klaus ..... 477, 487, 631, 647, 648 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch .................... 271, 586 Dreyfuss, Karl ..................................... 281 Dubitscher, Alfred .......................... 88, 89 Dück ..................................................... 29

792

Personenregister

Dunkhase, Jan Eike ............................ 657 Dürr, Jakob .......................................... 568 Dye ..................................................... 500 Ebbinghaus, Hermann .......................... 65 Eberle, Johannes .................................. 659 Eberstadt, Christof P. A. ............ 392, 788 Ebner v. .............................................. 106 Economo, Constantin v. ............. 303, 296 Ederle, Wilhelm........................... 593, 594 Edinburg[h], Herzog v. ........................ 459 Ehrhardt, Helmut E...................... 484, 649 Eichelberg, Fritz ................................. 278 Eichmann, Adolf ......................... 648, 649 Eidelberg, Ludwig .............................. 281 Einsle, Wilhelm Max Maria .............. 169, 210, 345, 426, 462, 470–474, 476, 477, 481–483, 493, 494, 500, 501, 549, 550, 561, 563–565, 567, 570– 574, 578–581, 589, 642, 645, 658, 668 Einstein, Albert ............................ 141, 284 Éléazar ................................................ 396 Elert, Werner .............. 243, 249, 502, 509 Elsässer/Elsäßer, Günter .............. 281, 544 Emmerich, N. ...................................... 127 Engel ........................................... 411, 412 Engelen, P. .......................................... 281 Engelhardt ........................................... 580 Enkde, Elisabeth ................................. 633 Enßlin, Wilhelm .......................... 655, 656 Entres, Josef Lothar ........... 141, 177, 187, 286, 366, 367, 382 Epp, Franz Ritter v. ............. 140, 144, 323 Epping, E. E........................................... 85 Erb, Wilhelm ........................................ 36 Erdmann, Karl-Dietrich ...................... 659 Erdmann, Rhoda ................................. 205 Ernst, Franz ……............. ……………629 Ernst, K. .............................................. 593 Esquirol, Jean Etienne Dominique ....... 41 Esser, Franz ........................................ 523 Eulenburg, Albert ............................... 399 Eurydike ............................................. 322 Evans, B. K. ......................................... 625 Ewald, Gottfried .................. 35, 150, 154, 156, 157, 240, 286, 318, 323, 325, 358, 359, 370, 535, 549, 561, 613, 628–630, 633, 651, 652 Fahrenkamp, Karl ............................... 281 Faltlhauser, Valentin.... 173, 444, 493, 568

Faraday, Michael .......................... 36, 545 Feigenbaum, Dorian ........................... 281 Fendel, Hans ....................................... 281 Fenichel, Otto ..................................... 281 Fensterer ............................................. 381 Ferenczi, Sandor ................................. 281 Feuerlein, Wilhelm ............................. 618 Fierli, Hans .......................................... 658 Fischer, Eugen ..................... 112, 160, 425 Fischer, Gertraud ................................ 112 Fischer, Hans ....................................... 455 Fleck, Ulrich .......................... 33, 67, 286, 318–320, 362, 363, 419, 420, 443, 444, 460, 461, 533, 577, 594 Fleischer, Bruno ......................... 111, 530 Fleming, G. .......................... 226, 237, 241 Flourens, Marie-Jean-Pierre ................ 230 Flügel, Fritz Eugen ............... 18, 168, 320, 530, 549 Foerster/Förster, Otfrid ....... 58, 156, 272, 409, 628 Forel, Auguste ............... 43–44, 186–187, 204, 279, 594 Forel, Oscar ........................................ 241 Forrai .......................................... 455–457 Forster, Edmund .................... 63, 517, 628 Förtsch, Artur ..................................... 524 Foth, T. ............................... 473, 477, 487 Foucault, Michel ................................... 72 Fraenkel, Justin ........................... 392, 393 Frank, Andrea ...................................... 788 Frank, Hans ......................................... 433 Franke .................................................. 644 Frankenstein ........................................ 601 Freidl, Wolfgang.................................... 48 Freimüller, T. .............................. 288, 290 Freisler, R. ........................................... 478 Frets ............................................. 204, 394 Freud, Sigmund ..... 42, 132, 281, 517, 596 Freudenberg, M. ................................... 17 Frewer, Andreas .................. 16, 358, 579, 580, 788 Friedjung, Josef K. ............................ 281 Friedlander, Henry............................... 418 Friedreich, Nikolaus .............................. 81 Friedrich ............................................. 475 Friedrich, Gunther ...................... 527, 788 Friedrich II., genannt der Große bzw. „Alte Fritz“............................. 31, 387 Friedrich, Markgraf ............................ 322 Friedrich Wilhelm IV. ........................... 38 Fritsch, G. ........................................... 229

Personenregister

Fritsche, Chr. F. .................................... 81 Frommlet, Anna .......................... 327, 328 Fromm-Reichmann, Frieda ................. 281 Frühling, Johanna .................................. 87 Fuchs .................................................. 549 Fulcri, F. ............................................... 34 Fünfgeld, Ernst .................. 151, 155, 210, 276, 630 Galen ................................................... 664 Galen, Clemens August Graf v. .......................................... 485 Galton, Francis ..................... 41, 159, 369 Gastreich, Eugen ................................. 481 Gauger, Kurt ....................................... 281 Gaum .................................................. 568 Gaupp, Robert ........ 47, 92, 383, 531, 533 Gawicka, Izabella ................................. 65 Gawin, Magdalena................................. 65 Gebhard, Max ..................................... 321 Geisler ................................................ 321 Geisler, Cornelia .................................. 788 Geissler ................................................ 658 Gelb, Adhémar ................................... 280 Geller, Josef ........................................ 544 Gelny, Emil ......................................... 597 Georget, Jean Etienne ........................... 41 Georgi, Felix ........................ 216, 281, 330 Gerber, Carl ........................................ 342 Gerigk, Herbert .................................... 639 Gerrens, U ........................................... 582 Gerstner, Fritz ...................................... 524 Giegerich ............................................ 321 Giraud ......................................... 599, 600 Gjessing, R. ........................................ 408 Glass, J. M. ......................................... 140 Gluck, Christoph Willibald ......... 321, 322 Goering, Matthias Heinrich ........ 281, 282 Goethe, Johann Wolfgang v. ............. 298, 530, 652 Goetze, Otto ................................ 111, 418 Gogh, Vincent v........................... 264, 266 Goldenberg, Georg ............................. 108 Goldflam, Samuel ................................. 29 Goldschmidt, Richard .................. 122–124 Goldstein, Kurt ................... 272, 280, 281 Golem ......................................... 537, 538 Golla, F. .............................................. 237 Göllner, Herbert .................................. 425 Goltermann, Svenja ............................ 542 Görner, Joachim ................................. 537 Gotthard, Axel ............................ 655, 658

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Gottschaldt, Matthias ........................... 618 Gottwald, Werner ....................... 408, 409 Gowers, William Richard ..................... 80 Graber, Gustav H. ................................ 281 Gradmann, Christoph ...... 12, 13, 652, 653 Grant, Ulysses ....................................... 71 Grau, Otto ........................................... 644 Grell, U. .............................................. 636 Greving, Richard ................ 111, 423, 465 Grèzes, J. .............................................. 50 Griesinger, Wilhelm ................... 649, 663 Grimm, E. ........................................... 337 Grimm, Hans ...................................... 412 Groddeck, Georg ................................ 281 Grohmann, J. C. A. ............................... 51 Grosch .................................................. 19 Groß ...................................................... 30 Groß, A. .............................................. 321 Groß, Dominik ...................................... 17 Gross, Heinrich .................................... 489 Gross, Kurt ......................................... 512 Groß, W. .............................................. 219 Grözinger ............................................ 599 Gruber, Max Ritter v. ............. 40, 44, 140 Gruhle, Hans Walther ........ 33, 50, 53, 56, 178, 274, 408, 516, 517, 539, 617 Grünthal, Ernst ................................... 518 Gschwändler, Michael .......................... 22 Gsell, C. .............................................. 193 Gsell, H. .............................................. 193 Gückel, Hans .............. 193, 362–364, 562 Guderian, Heinz .................................... 49 Günter, A. ............................................. 60 Günther, Maria ................................... 112 Günther, Hans F. K. ............................ 515 Gurion, Ben ........................................ 402 Gutheil, Emil ...................................... 281 Guthmann, Heinrich ........... 292, 293, 299 Gütt, Arthur ................... 88, 89, 126, 127, 187, 188, 191, 192, 338, 390, 391, 461 Guttenberg, Erich Freiherr v. ............. 497, 655, 656 Guttmann, Erich ........................... 33, 281 Gutzeit ................................................ 534 Habjan, N. ........................................... 489 Hack, Caroline .................................... 653 Haddenbrock, Siegfried ...................... 240 Haeberlin, Carl ................................... 281 Haeckel, Ernst ..................................... 113 Haecker, Valentin .................................. 81

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Personenregister

Haege, Ernst .............. 286, 302–306, 454, 455 Häfner, Heinz ..................................... 607 Hagen, Friedrich Wilhelm .......... 180, 638 Haggard, H. ........................................ 394 Hahn, Benno ........................................ 281 Hahnemann, Samuel ........................... 307 Haidt, Jonathan ...................................... 50 Haldane, John Burdon Sanderson ......... 82 Halévy, Élie ......................................... 396 Halévy, Jaques Fromental ................... 396 Hallauer, Benno .......................... 284, 285 Hallé .................................................... 576 Hallermann, Wilhelm ................. 554, 555 Hallervorden, Julius ............. 284, 289, 620 Hamann-Roth, Matthias ...................... 207 Hammerstein, Notker .......................... 499 Hanhart, Ernst ..................................... 273 Hanrich, Annette.................................. 788 Hanse, A. ............................................ 281 Hansen, Karl ....................................... 281 Harel, Y. .............................................. 295 Hartleb, Margit .................................... 788 Hartmann, Hans .................................. 316 Hartstein, Margarete ................... 423, 426 Haselmayer, Heinrich ......................... 116 Haßelwander/Hasselwander, Albert ........................................... 228 Hattingberg, Hans v. ............................ 281 Hauberisser ......................................... 497 Hauck, Leo .................................. 511, 530 Haupt, Walter Max ............................. 643 Hauptmann, Alfred ...................... 282, 540 Hauptmann, Gerhart/d .......................... 71 Hauser, Hans-Christian........................ 442 Hecht ................................................... 513 Hecker, Elisabeth......................... 431, 448 Hecker, Ewald ..................................... 595 Hedrich, Markus ................. 603, 605, 606 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich .............. 243, 249 Hegel, Karl ......................................... 250 Heidegger, Martin ............................... 600 Heilmeyer, Ludwig ...................... 144, 145 Heine, Heinrich...................................... 45 Heines, Edmund .................................. 152 Heinichen..................................... 546, 549 Heinrich, E........................................... 599 Heinze, Hans ....................................... 548 Heisenberg, Werner ............................ 141 Helmchen, Hanfried ........................... 582 Hemingway, Ernest ............................. 266

Hempel, Johanna ................................. 413 Hempke.................................................. 49 Henneberg.............................................. 65 Herbers, Klaus .................................... 657 Hermann, Imre .................................... 281 Herold, Carl M..................................... 281 Herrigel, Eugen............ 167, 423, 497, 502 Herrmann, Martin ................................. 88 Hermanns, L. M. .................................. 281 Hertwig, Paula ...................................... 35 Herzing, Luitpold ................................ 308 Herzog, Werner .................................. 266 Heß, Rudolf .................................. 49, 145 Hess, Walter Rudolf .................... 281, 608 Heß, s. auch Müller-Hess ..................... 49 Heubeck ....................................... 210, 275 Heun, Eugen ........................................ 281 Heyde, Werner alias Fritz Sawade ................. 74, 485, 533, 626–628, 630, 633 Heydt v. d. .......................................... 533 Heyer, Gustav Richard ....................... 281 Heyse, Paul ............................................ 71 Hillman, James .................................... 640 Hilpert ................................................. 533 Himmler, Heinrich ...................... 514, 626 Hindemith, Paul .................................. 645 Hindenburg, Paul v. ..................... 243, 389 Hinselmann, Hans ............................... 643 Hippius, Hanns .................................... 599 Hippke, Erich ...................................... 316 Hippokrates ........................... 39, 115, 664 Hirsch, Rahel ...................................... 205 Hirschfeld, Magnus ..... 43, 131, 133, 392, 398, 400, 401, 522 Hirschmann, J. ..................................... 593 Hitler, Adolf ..................... 49, 63, 64, 92, 139, 140, 145, 152, 160, 178, 268, 271, 277, 323, 326, 327, 332, 336, 341, 419–421, 448, 485, 497, 508, 509, 514–517, 524–526, 544, 552, 554, 556, 560, 582, 590, 620, 624, 628, 631, 641, 645, 646, 655 Hitzig, Eduard ............................. 229, 230 Hoche, Alfred Erich ......... 35, 36, 74, 136, 479, 533, 583, 584, 637 Hoeßlin v. ............................................ 568 Hoff, Hans .................................. 281, 285 Hoff, Peter .................. 625, 627, 628, 652 Hoffert, A. .......................................... 297 Hoffmann-Axthelm, Walter .......................................... 514

Personenregister

Hoffmann, Carl Philipp ......................... 47 Hoffmann, Elfriede ..................... 580, 638 Hoffmann, F. A. .................................... 19 Hoffmann, Heinrich .............................. 47 Hoffmann, Hermann F. ............ 40, 47–49, 142, 157, 549, 630 Hofmeister ........................................... 502 Hohendorf, Gerrit ................................ 598 Holdorff ....................... 625, 627, 628, 652 Hollmann, Werner ............................... 281 Holz, Karl ............................................ 321 Holzer, Wolfgang ................................ 238 Holzmann, Wilhelm ................... 113, 273 Honigmann ........................................ 298 Honigmann, Ernst ................................ 298 Horn, Jürgen ........................................ 132 Horney, Karen ..................................... 281 Hörner.................................................. 505 Huber, K. ............................................ 183 Hübner, Arthur .................................... 178 Hufeland, Christoph Wilhelm v........... 195 Hugo, Otto ............................................ 93 Hühn, M............................................... 424 Hülfsmann .......................................... 497 Hümmer, Johann Georg....................... 539 Huntington, George .............................. 80 Huss, Magnus ..................................... 184 Huygens, Christiaan ............................. 36 Ilberg, Georg........................ 193, 278, 583 Jackson, Michael ................................ 266 Jacob, Hans .................... 74, 147, 413, 414 Jacobi, Maximilian ................................ 69 Jacobi, Walter .............. 63, 210, 274, 298, 628, 668, 669 Jacoby ................................................. 425 Jaensch, Walter .................................... 281 Jaffé, Ludwig ...................................... 281 Jakob, Alfons Maria .......... 33, 70, 73–80, 84, 86, 147, 241, 299, 310, 397, 414, 665 James, William ................................... 159 Jamin, Friedrich .......................... 111, 152 Jan ..................................................... 463 Jansen ................................................. 181 Jasper, Gotthard .................. 153, 510, 660 Jaspers, Karl ............................... 631, 637 Jaspersen, Karsten .............................. 365 Jellinek, Elvin Morton ........ 195, 394, 619 Johannes XXIII. .................................... 45 Jordan, Wilhelm .................................... 71

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Jores, Arthur Theodor .................. 281, 613 Josephy, Hermann .............................. 101 Jung, Carl Gustav ............... 281, 600, 633 Just, Günther ............... 111, 293, 594, 636 Kaes, Theodor ............................... 63, 397 Kafka, Franz ....................................... 266 Kafka, Viktor ........... 73, 80, 84, 398, 399 Kahlbaum, Ludwig Karl ....... 53, 430, 595 Kahlo, Frida ........................................ 266 Kahn, Eugen ....................................... 441 Kain .................................................... 442 Kaiser, Jochen-Christoph .................... 485 Kalinowsky, Lothar B. ............... 207, 235, 280, 612 Kalliope .............................................. 322 Kallmann, Franz Josef ........................ 124 Kaltenbach, Herbert ............................ 101 Kaltenegger, Isabella ........................... 567 Kaminsky, Uwe ................................... 169 Kamps, H. ........................................... 280 Kanbayashi .......................................... 302 Kandinski, W. Ch. ............................... 198 Kant, Immanuel ..................... 36, 37, 249, 393, 394 Kaper, Karin ........................................ 436 Karloff, Boris ...................................... 601 Kastein, Gerrit Willem ....... 191, 192, 412 Kater, Michael H. ................................ 651 Katsch, Gerhardt ................................. 281 Katzenellenbogen, Edwin Maria ......... 642 Kazner, Christian ................................ 644 Kauder, Otto ........................................ 212 Kaufmann, Fritz .......... 280, 545, 546, 596 Kehrer, Ferdinand Adalbert ............... 187, 273, 274, 280, 319, 516, 533, 545, 546, 613, 630, 668 Keller, Gottfried ................................... 36 Kemper, Werner .................................. 281 Kempf ................................................ 321 Kessler, Philippe .................................. 599 Kielholz, Arthur........................... 281, 282 Kielholz, Paul ...................................... 282 Kienast,T. ........................................... 184 Kihn, Berthold ............. 84, 149, 151, 152, 155–157, 210, 274, 275, 286, 308– 310, 317, 318, 323, 325, 329, 336, 372, 374, 379, 386, 452, 453, 478, 486, 533, 551, 613, 630, 641–645 Kink, M. ................................................ 22 Kinsey, A. C. ...................... 121, 122, 134 Kinski, Klaus ....................................... 266

796

Personenregister

Kirch, Eugen ................................ 216, 595 Kirsch, H. ........................................... 281 Kirschbaum, W. R. ................. 74–77, 263 Kisker, Karl Peter ................................ 577 Kittelberger, Frank .............................. 664 Klaesi, Jakob ............................... 214, 542 Klebs, Theodor Albrecht Edwin ............ 81 Klee, Ernst .................... 88, 133, 483, 505 Kleemann, Christiane .................. 108, 788 Klein, Stefan ........................................ 612 Kleist, Karl .......... 87, 108, 110, 140, 142, 293–295, 323, 325, 331, 338, 362– 364, 367, 378, 546, 549, 630 Klemperer, Georg .............................. 281 Klimke ................................................ 549 Klinger, Max ....................................... 262 Klinke ................................................. 301 Kloos, Gerhard ................................... 379 Kluge, Walter ..................................... 281 Kluth ................................................... 490 Knauer ................................................ 488 Knoblauch zu Hatzbach, Gottfried v. ................................... 17 Koberg, Anja ....................................... 788 Koch, Gerhard ............................ 503, 504 Koch, Julius Ludwig August ................ 54 Koch, Richard ...................................... 279 Koehler, Wolfgang ............................. 512 Koesche .............................................. 226 Kögler, F. ............................................. 182 Kohnheim ............................................. 29 Kolb, Gustav .............. 320, 345, 444, 493, 563, 564, 571, 581 Kolle, Kurt .................. 55, 185, 292, 516, 531–533, 546 Koller, A. ............................................ 348 König, Walter ..................................... 345 Konrad ................................................ 301 Kopernikus, Nikolaus ........................... 36 Kornhuber, Hans-Helmut ........... 623, 663 Kornhuber, Johannes ............ 16, 663, 788 Korsakow/Korsakoff, Sergej Sergejewitsch .......... 183, 184, 198, 200 Kraepelin, Emil ............ 30–33, 36, 39, 40, 46, 53–55, 65, 73, 87, 97, 108, 156, 164, 168, 262, 264, 278, 279, 293, 341–342, 349, 397, 400, 412, 430, 583, 595, 616, 626, 665 Krafft-Ebing, Richard v. .............. 132, 398 Kramer, Ferdinand ............................. 650 Kramer, Max ......................................... 86

Kranz, Heinrich .................................. 533 Kranz, Heinrich Wilhelm ................... 533 Kraus, Ella .................................. 465, 524 Kraus, Franz ............................... 465, 524 Kraus, Friedrich .................................. 281 Krause, Werner F. J. ........................... 132 Krauß, H. .................................... 267, 268 Krauß, Paul ......................................... 281 Krebs, Nikodemus .......................... 23, 38 Krebs, (Jakob)Ina/(e), vh. Meggendorfer ................... 38, 39, 59, 60 Krehl, Ludolf v. .................................. 281 Kreienberg, Walter .... 187, 291, 292, 358, 511, 512 Kretschmer, Angelika .......................... 788 Kretschmer, Ernst ........ 54, 113, 133, 178, 312, 316, 343, 349, 404, 533, 539, 576, 593, 594, 613, 630, 632–637, 668 Krettner, Fritz ...................................... 526 Kretz, Helmut ...................................... 370 Kretzschmar, Hans A. ........................... 77 Kriegel ................................................. 443 Krieger ................................................. 208 Kroll .................................................... 433 Kronfeld, Arthur ......................... 280, 281 Kudlien, Fridolf ................................... 662 Kuen, Heinrich ................................... 528 Kühn, Heinrich ................................... 644 Küppers, Egon ............. 151, 155, 211, 213 Küppers, Karl ..................................... 151 Kürschner ........................................... 514 Kurth, W. .............................................. 36 Lagarde, Paul Anton de, urspr. Bötticher, Paul Anton .......................... 643, 646 Laing, Ronald D ................................ 600 Landauer, Karl .................................... 281 Landolt, Heinrich ................................ 409 Lang, Theobald ........................... 122–124 Lang, S. ....................................... 219, 225 Langbehn, August Julius ............. 632, 633 Lange, Johannes .................. 33, 130, 131, 613, 632 Langelüddeke, Albrecht ....... 64, 100, 113, 128, 286, 533 Lange-Eichbaum, W. ............................ 36 Laplace, Pierre-Simon ........................ 141 Laux ................................. 41, 74, 195, 630 Lehmann, Gertraud .............................. 788 Lehmann, Julius Friedrich .................. 140

Personenregister

Lehmann-Facius, Hermann ................ 331 Leibbrand, Margarethe, verw. Bergius .................................. 578 Leibbrand, Werner ............ 454, 501, 505, 507– 510, 518, 519, 574, 576–587, 594, 595, 624, 638, 639, 641, 643, 645, 667 Leich-Galland, Karl ............................ 396 Lemke, Rudolf ........... 133, 144, 317, 318, 379, 404 Lenger, Friedrich ........................ 655–657 Lennart ................................................ 296 Lenz, Fritz .................. 111, 112, 131, 160, 186, 188, 205, 365, 371 Lenz, Widukind .......... 160, 365, 370, 371 Leonhard, Karl ................... 110, 293–296, 299–303, 412, 611 Léopold ............................................... 396 Lerner, P. ............................................ 160 Leschmann........................................... 310 Lessing, Gottfried Ephraim ................. 396 Leube, Wilhelm Olivier v. .................. 166 Leupoldt, Johann Michael ................... 180 Leuthold, Georg Heinrich .................... 276 Leven, Karl-Heinz ...................... 115, 453 Levy-Lenz, Ludwig ............................ 131 Lewis, David ....................................... 517 Lewy, Friedrich Heinrich ....... 33, 86, 282 Ley, Astrid ................... 19, 330, 331, 357, 358, 362, 364, 514 Leyden, Ernst Victor ........................... 184 Liebel, Willy ........................................ 463 Liebig, Justus v. ..................................... 71 Liegner, B. .......................................... 281 Lienau ................................................. 343 Liermann ............................. 321, 511, 512 Lilienthal, Georg.................................. 621 Lindemann, Erich ............................... 281 Linden, Herbert .................. 209, 364, 365, 425, 476 Linné, Carl v. .................................. 36, 71 Locher, Eugen ............................. 268, 321 Locke, John ........................................ 159 Loewenfeld, Irene ............................... 283 Lohkamp, Christiane ............................. 84 Lombroso, Cesare .......................... 54, 135 Lommel, Felix .................................... 641 Lorleberg, Werner .............................. 495 Lossa, Ernst ........................................ 260 Lotmar, Fritz ................................... 33, 34 Löwenstein, Otto ............ 67–69, 282–285 Ludendorff, Erich ............................... 570

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Ludwig II. ............................................. 23 Ludwig IX. ........................................... 24 Luft, Ulrich Cameron ......................... 316 Luitpold .............................................. 166 Lungershausen, Eberhard ................... 269 Lustig, Walter ............................. 423, 426 Luther, Martin............. 326, 380, 507, 508, 646, 669 Luxenburger, Hans ........ 52, 90, 128, 138, 143, 144, 157, 206, 533, 593, 636 Lyssenko, Trofim Denissowitsch ....... 289 Maaser, Michael .................................. 788 Maclay ................................................ 415 MacLeod, Roy ....................................... 41 Macphail, A. ........................................ 577 Maehle, Andreas-Holger ...................... 14 Magnan, Valentin ..................... 42, 43, 51 Mai, Christoph. .............................. 89, 589 Maier, Hans W............. 102, 104, 214, 542 Maier .......................................... 567, 568 Mall, G. ....................................... 593, 635 Mallarmé, Stéphane ............................ 262 Mangold, Otto ....................................... 34 Mann, Thomas ....................................... 71 Mannheim ........................................... 301 Manzoni, Bruno ........................... 542, 543 Marc, Franz ......................................... 266 Marcinowski, Johannes J. ................... 281 Marie, Pierre ......................................... 81 Markwart ............................................ 269 Marshall, Penny ................................... 296 Martin, M. ........................................... 296 Marx, Hellmut .................................... 281 Mathes, Viktor ............................ 479, 480 Mattiat, Eugen .................................... 326 Maupassant, Guy de ........................... 266 Mauthner, O. ....................................... 281 Mauz, Friedrich ................ 370, 539, 548, 549, 630, 633 May-Wenzel ........................................ 519 Mayer, August ............................. 281, 383 Mayer, Wilhelm .................................... 27 McCrae, Robert R. .............................. 670 Meckendorfer, Wolfgang Johannes ...... 21 Meduna, Ladislas J. v. ................. 214, 216 Meggendorfer, Auguste ................... 21, 22 Meggendorfer, Bruno ...................... 21, 22 Meggendorfer, Emanuel Felix-Heinrich ......................... 59, 60 Meggendorfer, Franz v. Paula [sic] ...... 21

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Personenregister

Meggendorfer, Friedrich Georg Josef ................................................ passim Meggendorfer, Heinrich ........................ 21 Meggendorfer, Heinrich Kajetan .......... 21 Meggendorfer, Hildegard vh. Nusser-Overmeyer ......... 61, 103, 506, 536, 571 Meggendorfer, Ida vh. Valeton ................ 25, 60, 61, 38, 162, 399, 450, 495, 496, 502, 520– 522, 528, 622, 654, 788 Meggendorfer, Irmingard vh. Dietrich-Meggendorfer .......... 23, 25, 38, 61, 268, 278, 298, 399, 495, 517, 530, 654, 788 Meggendorfer, Josef ............................. 21 Meggendorfer, (Jakob)Ine/Ina, geb. Krebs ............ 21, 39, 59, 60, 528 Meggendorfer, Karl B. ............. 21, 22, 27 Meggendorfer, Laurentius jun. ............. 21 Meggendorfer, Laurentius sen. ............. 21 Meggendorfer, Leo ......................... 21, 22 Meggendorfer, Lothar ........................... 21 Meggendorfer, Ludwig .................... 21, 22 Meggendorfer, Nepomuk ...................... 21 Meggendorfer, Oskar....................... 21, 22 Meggendorfer, Pauline ................... 21, 22 Meggendorfer, Walburga vh. Remold ................. 23, 25, 26, 31, 38, 60, 61, 163–165, 247, 267, 495, 496,502, 520, 522, 527, 528, 622, 654, 788 Meinicke ..................................... 330, 332 Meitner, Lise ....................................... 205 Meixner, Georg .......... 516, 520, 521, 538, 562, 622 Mendel, Gregor ....... 43, 81, 117, 137, 159 Mengele, Josef ...................... 65, 295, 368 Mennecke, Friedrich ............................ 150 Mentzos, Stavros .................................. 39 Merleau-Ponty, Maurice ...................... 280 Mershejewski, I. P. ............................. 198 Merzbacher, Ludwig ..................... 33, 310 Meusburger, S. .................................... 489 Meyer................................................... 242 Meyer-Gottlieb ................................... 301 Meyer, Hans-Hermann ....................... 599 Meyer, Ludwig ..................................... 62 Meyer-Lindenberg, Andreas ............... 147 Meynert, Thoedor ............................... 278 Meyrink, G. ........................................ 537 Michels, Marcel ................................... 788

Mielke, Fred ........................................ 484 Mikorey, Max ..................................... 549 Mikulski, Karol ..................................... 65 Milch, Erhard ......................................... 49 Mildenberger, Florian .......................... 643 Misch, Käthe........................................ 281 Mitchell, Silas Weir ............................... 80 Mitscherlich, Alexander ............. 484, 653 Mitsuda, Hisatoshi ............................... 302 Moebius/Möbius, Paul Julius ............................... 36, 51 Möbius, August Ferdinand ................... 36 Moeli, Karl ......................................... 184 Mohr, Fritz .......................................... 281 Mohr, J. C. B. ............... 19, 553, 554, 631 Molitoris, Hans Albrecht ................. 401, 450, 452, 497, 562 Molitoris, Hans .................... 369, 451, 562 Moll, Albert ......................................... 398 Möller, Hans-Jürgen ...... 41, 74, 168, 195, 630 Momme-Nissen .................................. 632 Monakow, Constantin v. ............. 281, 282 Monge, Gaspard ................................... 36 Moniz, Egas ........................................ 607 Montgomery, Frank Ulrich ................... 18 Moos, Erwin ........................................ 281 Morel, Bénédict Augustin ......... 41, 42, 54 Moretti, Tobias .................................... 270 Morgenthaler, Walter .......................... 241 Mozart, Wolfgang Amadeus ............... 645 Muckermann, Hermann ...................... 112 Müller .................................................. 179 Müller, Friedrich v. ............................... 36 Müller, G. ........................................... 128 Müller, Hermann O. J. ............... 268, 381, 441, 442, 444, 445, 500, 501, 658 Müller, Herta ...................................... 148 Müller, Joachim .................................. 369 Müller, Karl Alexander v. ................... 657 Müller, Ludwig Robert ....... 166, 281, 495 Müller, Max ............... 214, 229, 239, 241, 242, 411, 605 Müller-Hess/Müller-Heß, Viktor................................... 555, 556 Müller-Hill, Benno ............... 40, 112, 160, 628 Muller, Hermann Joseph ..................... 137 Munch, Edvard .................................... 269 Muralt, L.v. ......................................... 281 Murar, Stephan .................... 581, 591, 592 Musil, Robert ...................................... 343

Personenregister

Mussolini ..................................... 219, 353 Nabokov, Vladimir .............................. 271 Nachtsheim, Hans ............... 288–291, 581 Napoleon, Bonaparte ..................... 71, 387 Narodlavsky, Klementine …………….305

Nestroy, Johann ................................... 639 Nettleship, Edward .............................. 141 Neumärker, K. .................................... 150 Neundörfer, Ambros ................... 162, 524 Newton, Isaac ........................................ 71 Nicholson, Jack ................................... 599 Niemöller, Martin ............................... 499 Niemöller, Wilhelm ............................ 499 Nietzsche, Friedrich ............ 248, 249, 266, 508, 584, 585, 646, 669 Nipperdey, Thomas ....... 12, 652, 654, 670 Niro, Robert de .................................. 296 Nissl, Franz .................................. 264, 413 Nitsche, Hermann Paul .............. 274–276, 474, 476, 485, 533 Nonne, Max ........... 36, 38, 156, 179, 211, 248, 272, 273, 275, 533, 543, 547, 628 Nordau, Max ........................................ 262 Nöther, Emmy .................................... 205 Novak, J. .............................................. 281 Nützel, H. ........................................... 329 Oberholtzer, W. .................................. 407 Oberholzer, Emil ................................ 281 Oberndorfer, Ingrid.............................. 632 Obermaier ........................................... 345 Odenwald, Johann Karl Theodor ......... 326 Ofterdinger ........................... 36, 478, 482 Ohly .................................................... 501 Ohm, Georg Simon ............................. 217 Ophelien ............................................. 583 Oppenheim, Hermann..................... 33, 79, 382, 543 Orpheus .............................................. 322 Osler, William ...................................... 80 Ostwald, Friedrich Wilhelm ................. 71 Oswald, A. .......................................... 281 Pacelli/Pius XII. .................................... 45 Paganini, Niccolò ............................... 251 Pandy .................................................. 248 Panse, Friedrich Albert .................. 90, 95, 248, 368, 543–545, 547, 548, 604 Panza, Sancho ...................................... 267 Pappenheim, Martin ........................... 281

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Paracelsus, Theophrastus Bombastus v. Hohenheim .......... 115, 116, 610, 620 Pasteur, Louis ....................................... 71 Pätzold, Johannes ...................... 220, 223, 226–232, 237–239, 291, 597, 598, 608 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob ................................. 243, 250 Pawlow, Iwan Petrowitsch ................. 547 Payk, Theo Rudolf .............. 129, 340, 409, 545, 596 Pearson, Karl ...................................... 159 Pelizaeus, Friedrich Cristoph .............. 310 Penrose, Lionel Sharples ..................... 369 Perls, Fritz ........................................... 281 Perusini, Gaetano .................................. 34 Peters, Uwe Henrik ............ 184, 341, 441, 606, 631, 649 Pette, Heinrich .................. 210, 211, 273, 274, 277, 628 Peukert, Detlev .................................... 449 Pfäfflin, Friedemann ................... 483, 486 Pfannmüller, Hermann ........................ 567 Pfeiffer, Johann ................................... 321 Phillips, Ellen ..................................... 523 Piccolovrazi, Guido ............................... 25 Pick .................................................... 533 Pick, Arnold ................................ 284, 304 Pick, Ludwig ....................................... 284 Pinel, Philippe ................................. 41, 54 Plamann, Gustav ................................. 513 Platen-Hallermund, August v. ............. 133 Platen-Hallermund, Alice .................... 484 Plaut, Felix ...................... 31, 34, 35, 282, 287, 400 Plaut, Paul ................................... 280, 541 Ploetz/Plötz, Alfred ................. 43, 44, 71, 72, 205 Plutarch ............................................... 453 Pöflinger .............................................. 500 Pohlisch, Kurt ............... 40, 187, 539, 544, 549, 630, 633 Poitevan .............................................. 644 Pönitz, Karl ................................. 180, 276 Popenoes, Paul .................................... 159 Pospisil, Joann ............................. 379, 788 Pötzl, Otto ................. 212, 238, 343, 533 Pratje, Andreas ................................... 111 Pregl, Fritz .......................................... 154 Preysing, Max v. ................................... 21 Prichard, J. C. ................... 51, 53, 54, 441 Prießmann, H. ............................... 88, 337

800

Personenregister

Prime-Stevenson, Edward Irenaeus alias Mayne, Xavier ............................. 133 Pringsheim, Alfred ............................. 399 Prinzhorn, Hans ........................... 264, 266 Proctor, Robert ..................................... 44 Propping, Peter .................................... 147 Proust, Marcel ............................. 270, 271 Pummerer, Rudolf .............................. 505 Quadfasel, Fredy ................................. 280 Quervain, Fritz de ............................... 623 Quichote/Quixote Don ................ 267, 662 Rabbi von Bacha[/e]rach ...................... 45 Rabich.................................................. 463 Rachel ................................................. 396 Rado, Sandor ...................................... 281 Ranke, Leopold v. ............................... 656 Rauchalles .......................................... 562 Rauh, Philipp ............. 123, 157, 164, 357, 358, 465, 480–483, 494, 514, 538, 562 Ravel, Maurice ................................... 266 Recklinghausen, Friedrich Daniel v. .... 81 Regelsberger, Hermann .............. 217, 218 Regensburger ...................................... 402 Rehse, Hans-Joachim .......................... 520 Reich, Wilhelm .................................... 281 Reichard, Hans .................................... 558 Reichardt, M. ...................................... 558 Reichold............................................... 490 Reinhardstoettner................................. 170 Reinhardt ..................................... 208, 345 Reinmöller, Johannes ........ 152, 155, 160, 268, 659 Reisch, Otto ........................................ 246 Rembrandt van Rijn ............................. 264 Remold, Fritz ................................. 31, 528 Remold, Thomas .... 22, 30, 172, 483, 528, 788 Renner, Konrad ........................... 337–339 Reuter, Fritz ........................................ 195 Revitch, E. .......................................... 415 Reye, Wilhelm ................................ 62, 63 Rhomberg, Gustav .............................. 589 Rice, G. ............................................... 124 Riebeling, Carl.......... 147, 240, 286, 319, 370, 529 Riedel, Ute ........................................... 788 Riedl, H. .............................................. 376 Riese, Walter ...................................... 281 Rilke, Rainer Maria v. ........ 296, 586, 626

Rimbaud, Arthur ................................. 626 Rimpau, Wilhelm ......................... 11, 272 Ritter, Robert ...................................... 260 Ritterbusch.......................................... 531 Rittershaus, Ernst ............... 64, 66, 70, 73, 80, 83, 84, 113, 142–145, 147, 181, 274, 286–288, 665 Rivers................................................... 414 Roelcke, Volker ........... 11, 113, 159, 481, 494, 531, 585, 598, 605, 608, 650, 788 Roemer, Hans .............. 183, 348, 542, 581 Roemer, G. A. ..................................... 281 Roggenbau, Christel Heinrich .... 150, 549 Röhm, Ernst ................................. 144, 152 Romberg, Moritz Heinrich .................... 36 Rome .................................................. 414 Römer, Carl ........................................ 281 Roosevelt ............................................. 420 Rosenberg, Alfred ....... 140, 585, 639, 645 Rosenfeld, M. ..................................... 274 Rosenthal, Isidor ....................... 34, 44–46 Rosenthal, Stefan .................................. 34 Rosenthal, Wolfgang .......................... 629 Rostan, A. ........................................... 576 Roth, Gerhard ..................................... 623 Roth, Karl Heinz ................................ 657 Rothfels, Hans .................................... 657 Rothschild, Friedrich S. ...................... 281 Rothschuh, Eduard ............................. 279 Rotzoll, Maike ..................................... 263 Rüdin, Ernst ........... 31, 32, 38–40, 43, 44, 46, 47, 52, 58, 65, 67, 69, 70, 82, 93, 114, 117, 123, 124, 126, 127, 129, 140, 145, 156, 157, 160, 163, 164, 179, 187, 188, 190, 192, 205, 219, 265, 272–278, 286, 287, 338, 369, 390, 391, 400, 494, 531, 533, 581, 582, 617, 633, 652, 665, 668 Rüdin, Edith vh. Zerbin-Rüdin .......................... 40 Rudnick, Carola S. ................................ 16 Ruff, Siegfried ..................................... 316 Ruffin, H. ............................................ 210 Runge, W. ............................................ 180 Rusch ................................................... 459 Rush, Benjamin .................................. 201 Ruttke, Falk ................ 126, 127, 338, 390 Rzesnitzek, Lara .................................... 69 Sachs ................................................... 330 Sack, Th. .............................................. 281

Personenregister

Sacks, Oliver ....................................... 280 Sailer, E. ............................................. 513 Sailer, Oskar ................ 210, 453, 455, 458 Sakel, Manfred .................. 212, 216, 404, 407, 408 Sammet, Kai .............................. 66, 72, 85 Samuel ................................................. 396 Sandner, P. .......................................... 139 Sartorius, Norman................................ 663 Sass, Hans Martin ............................... 660 Saucerotte, Nicolas ................................ 81 Sauckel, Fritz ...................................... 426 Sauerbruch, Ferdinand ........ 367, 368, 560 Sawade, Fritz Deckname für Heyde, Werner ..... 74, 626 Schacherl, Max ................................... 285 Schall-Thiery, S. ................................. 517 Schallmayer, Wilhelm .......................... 44 Schaltenbrand, Georg .......... 33, 301, 526, 611, 624, 625, 627, 628, 633, 635, 641 Schauss ............................................... 339 Schayer, Karol .................................... 448 Scheiffarth .......................................... 525 Scheller, Heinrich ........ 39, 137, 141, 516, 517, 530, 546, 549, 574, 578, 611 Schellig ............................................... 245 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph ......................... 250 Scheminsky/Scheminzky, Ferdinand .................................... 238 Schieber, M. ........................................ 152 Schieder, Theodor ............................... 657 Schierbaum, C. J. ................................. 647 Schilder, Paul....................................... 281 Schiller, Friedrich .......... 19, 61, 161, 267, 268, 326, 380, 495, 496, 520 Schindler, Rudolf ................................ 281 Schipperges, Heinrich.......................... 116 Schleicher, Rüdiger ............................. 582 Schmeidler, Bernhard F. ............. 655, 657 Schmelzer, E. ................ 362, 372,455, 524 Schmid, Josef....................................... 551 Schmidhuber, Martina ......................... 788 Schmidt ................................................ 216 Schmidt, Georg .................................... 186 Schmidt, Gerhard ........................ 637, 649 Schmidt, Hans...................................... 512 Schmidt, Mathias ................................... 17 Schmidt-Ott, Friedrich ......................... 508 Schmiedeberg, Melitta ......................... 281

801

Schmuhl, Hans-Walter......... 92, 114, 193, 207, 272, 278, 582, 598, 608, 630, 650–653 Schneider, A. ........................................ 87 Schneider, Carl ............ 65, 207, 265, 275, 549, 630 Schneider, Ernst alias Schwerte, Hans ............................................. 626 Schneider, Frank .............. 17, 18, 25, 102, 648 Schneider, Holger K. ............................ 15 Schneider, Kurt ................. 54, 65, 87, 109, 178, 180, 275, 359–361, 366, 430, 441, 461, 533, 549, 595 Schneller ..................................... 336, 381 Schoeller, Wilfried F. ................. 148, 266 Scholl, Carl ......................................... 658 Scholl, Hans......................................... 552 Scholl, Sophie ...................................... 552 Scholz, Willibald ........ 274, 412, 414, 530 Schopenhauer, Arthur ................. 249, 646 Schorsch, Eberhard ............................. 132 Schostakowitsch, Dmitri Dmitrijewitsch .............................. 270 Schott, G. ............................................ 648 Schott, Heinz ...................................... 605 Schott, Herbert..................................... 788 Schottky, Albrecht ....................... 321, 788 Schottky, Johannes ...... 320, 321, 325, 478 Schrenck-Notzing ........................ 398, 399 Schreiner, K. E. .................................. 408 Schroeder/Schröder, Paul ........... 187, 275, 548, 632 Schubert .............................................. 525 Schubert, Anselm ............................... 396 Schübel ................................................ 578 Schulten, Adolf ........................... 655, 656 Schultze, Walter ........ 182, 476, 565, 568, 572, 579 Schultz, Johannes Heinrich ......... 206, 281 Schultz-Hencke, Harald ....................... 281 Schultz-Venrath, Ulrich ...................... 281 Schulz, Bruno ...................................... 593 Schulz-Müllensiefen, Dirk................... 788 Schumacher ........................................ 339 Schumann, Carl ................ 429, 430, 432, 434–436, 439, 440 Schusser, Manuel................................. 788 Schuster .............................................. 207 Schütz, Margarete ........................ 459, 525 Schütz, R. ............................................ 211 Schwarz, Oswald ................................. 281

802

Personenregister

Schwarzkopf, Konrad ................. 334, 337, 347–356 Schwemmle, Julius .............................. 111 Schwerte, Hans, s. Schneider, Ernst ....................... 626 Scott, Walter .......................................... 71 Scribe, Eugène ..................................... 396 Seeger, Gerlinde .................................. 788 Sehling, Emil ....................................... 321 Seidel, Heinrich ..................................... 71 Seiderer, Georg .................................... 788 Seidl, Stefan......................................... 788 Seitz, Ludwig .............................. 137, 293 Sellal, François .................................... 266 Sellmer ................................................ 475 Sendtner, M. ......................................... 30 Sgarbi, Vittorio .................................... 607 Shakespeare, William .......................... 583 Shelley, Mary ..................................... 601 Sheridan ................................................ 71 Shevell ................................................. 625 Shorter, Edward .................................. 612 Siebeck, Paul ...................................... 553 Siebeck, Richard ......................... 281, 282 Siebert ................................................. 375 Siebold, Lutz ....................................... 270 Sigaud ................................................. 576 Sigerist, Henry E. .............................. 279 Simchowicz, Teofil ............................... 34 Simmel, Ernst ..................................... 281 Simon, Hermann .................................. 207 Simon, Théodore .......................... 65, 389 Singer, Wolf ....................................... 623 Slotopolsky ......................................... 131 Snelders, S. ......................... 191, 192, 618 Sogliani, Giorgio ............... 219, 220, 226, 229, 231, 236, 241 Sokrates .............................................. 453 Solbrig, Karl August v. ............... 180, 638 Sölla ..................................................... 456 Sommer, Robert ........................ 32, 65, 92 Sotelo ................................................... 621 Spaenle, Ludwig ................................. 647 Spatz, Hugo ........................ 272, 274, 284 Specht, Gustav ................... 49, 50, 51, 57, 64–66, 88, 89, 96, 149, 152, 153, 156, 157, 165–167, 193, 214, 233, 275, 295, 308, 358, 359, 375, 461, 464, 465, 494, 503, 504, 563, 571, 651, 666 Specht, Fritz ............... 111, 182, 464, 497, 565, 566

Speer, Albert ....................................... 160 Speer, Ernst ......................................... 281 Spielmeyer, Walther ..... 74, 155, 400, 414 Sponsel, Rudolf .................................. 281 Spörlein, Georg ................................... 512 Spranger, Eduard ................................ 541 Springer, Julius ................................... 144 Stähelin/Staehelin, John Eugen ................................. 543, 563 Stalin, Josef ......................................... 421 Staude .................................................. 549 Stauder, Karl Heinz ............................ 539 Steck, Hans ......................................... 543 Steger, Florian ............................ 585, 642 Stein, Claudius............................... 29, 788 Steinberg, Holger........................... 31, 596 Steiner, Maxim ................................... 281 Steinhagen, Harald ............................. 271 Stein-Kecks, Heidrun .......................... 268 Steinkopff ........................................... 210 Stekel, Wilhelm .................................. 281 Stemplinger, Felix ...................... 276, 558 Stender, Arist ...................................... 101 Stendhal, alias S. Beyle ........................ 36 Stengel, Erwin .................................... 281 Stengg, Johann Georg ......................... 254 Stephenson ............................................ 71 Stern, Erich .......................................... 281 Stern, Fritz ........................................... 436 Stern, W. ............................................... 65 Stertz, Georg ................ 33, 274, 531, 532 Stricht, Omer v. d. .............................. 148 Stier, Ewald ................................ 108, 533 Stollreither, Eugen ...................... 133, 152 Storm, Theodor ..................................... 71 Stracke ................................ 210, 332, 458 Stransky, Erwin ............................ 96, 530 Straube, Andreas ................................. 168 Strauss/Strauß/Strous, Eric Benjamin .................... 133, 134, 576, 634, 635 Streicher, Julius .................................. 307 Strughold, Hubertus ............................ 316 Strümpell, Adolf ........................... 36, 166 Stumpfl, Friedrich ................................. 55 Struve, W. ............................................. 91 Sudler .................................................. 301 Süss/Süß, Theodor ...................... 498, 499 Swift, Jonathan ...................................... 71 Sydenham, Thomas ............................ 141 Szasz, Thomas ..................................... 237 Szondi, Leopold .......................... 281, 282

Personenregister

Szuszies, Dirk ..................................... 436 Tabori, George .................................... 396 Tacitus .................................................. 14 Teare ................................................... 242 Tellenbach, Hubertus .......................... 240 Thiel ................................................... 512 Thiele, Rudolf ............................. 549, 630 Thoma, S. ............................................. 32 Thum, A. ............................................. 284 Tölle, Rainer ........................................ 605 Tolstoi, Leo/Tolstoj Lew Nikolajewitsch ....................... 71, 264 Tomovici ............................................ 301 Toorop, Jan ......................................... 262 Toscanini, Arturo ................................ 646 Trillhaas, Wolfgang ............................ 505 Truman, Harry S. ................................ 316 Tschakert, Heinrich .................... 579, 580 Twain, Mark .......................................... 11 Uebelein, C. ........................................ 427 Uexküll, Thure v. ................................ 281 Ullrich, Margret .................................. 144 Ulrichs, Karl Heinrich ......................... 124 Unna, Paul Gerson .............................. 397 Urban, Karl ................................. 459, 460 Urban, Rolf ......................................... 656 Utermohlen, William .......................... 266 Valeton, Bernard.................................. 788 Valeton, Johannes ................................ 528 Valverde, Marianna .............................. 41 Veil, Heinrich ..................................... 643 Veinberg ............................................. 149 Veraguth, Otto .................................... 274 Vergil .................................................. 322 Verschuer, Helmut v. ........................... 112 Verschuer, Otmar Freiherr v. .............. 65, 111, 112, 141, 219, 295, 289, 368 Vervaeck, Louis ................................... 376 Veselinović, T. .................................... 102 Viethen, Albert .................................... 497 Villinger, Werner................ 276, 484, 485, 548, 549, 594, 615 Vogt, Cécile .......................................... 86 Vogt, Oskar ................................... 86, 155 Vollenbruck, Ingeborg................. 326, 334 Volmat, R. .......................................... 262 Vorster, Bernhard ........................... 84–87 Vries, Hugo de ..................................... 159

803

Wachter, Clemens ............... 327, 513, 788 Wagenführ, Horst ............................... 610 Wagner, Adolf .................................... 572 Wagner, Friedelind ............................. 646 Wagner, Gerhard ................................ 318 Wagner, Josef ..................................... 137 Wagner, Richard .................. 298, 639, 645 Wagner, Siegfried ................................ 646 Wagner, Werner .................................. 516 Wagner, Winifred ............................... 646 Wagner-Jauregg, Julius .............. 207, 238 Wahl, Jean .......................................... 280 Walburga, Heilige ............................... 163 Walker, K. .......................................... 134 Wallenstein ......................................... 268 Walter, Fr. K. ............................... 180, 274 Walthard, Karl Max ............................ 281 Walther ............................................... 237 Wanger, J. ........................................... 392 Warstadt .............................................. 376 Wassermann ......................... 97, 330, 332 Waßmund, Martin .. ………………….629 Waters, Charles Oscar .. ………………80 Watson, John B. .................................. 159 Watzek ................................................ 644 Weber .................................................. 336 Weber, Matthias M. ............................ 531 Wecker, R. ......................................... 138 Wegelin, Carl ......... ………………….623 Weichbrodt, Dorrit ............................. 248 Weichbrodt, Raphael ................... 248, 280 Weichbrodt/Josel, Ruth ...................... 248 Weigel, Helmut ........................... 655–659 Weigert, Carl ........................................ 29 Weiler .................................................... 30 Weiler, Karl .................................... 30, 33 Weindling, Paul ................................... 296 Weinfeld, A. A. .................................. 289 Weingart, P. .......................................... 91 Weismann, August .............................. 41 Weiß ........................................... 210, 572 Weiss, Edoardo ................................... 281 Weiss, Peter ........................................ 664 Weitbrecht, Hans Jörg ................... 55, 71, 636, 637 Weizsäcker, Carl Friedrich v. .............. 272 Weizsäcker, Carl Heinrich v. .............. 272 Weizsäcker, Karl Hugo v. .................. 272 Weizsäcker, Viktor/Victor v. ............... 11, 272, 281, 613, 627, 628 Wellington ........................................... 71 Wendehorst, Alfred .................... 519, 656

804

Personenregister

Wengraf, Fritz ..................................... 281 Wenke, Hans ....................................... 541 Werner ................................................ 263 Werner, „der Knabe“ ............................. 45 Wernicke, Carl ............ 97, 108, 184, 200, 278, 293, 294, 363, 367 Wessel, Horst ...................................... 420 Westhoff, Helene ................................ 526 Westphal, Alexander ......................... 282 Westphal, Carl/Karl .................... 281, 282 Westphal, Otto .................................... 282 Wettley, Annemarie, vh. Wettley-Leibbrand ................ 275, 578–580, 585, 642, 643 Wetzel ................................................. 533 Wexberg, Erwin .................................. 281 Weygandt, Wilhelm ................ 36, 39, 40, 46, 58, 62–65, 69–72, 74, 91–93, 113, 114, 116, 118, 129, 140, 141, 156–157, 179, 181, 262, 263, 265, 274, 278, 286, 298, 392, 393, 397, 461, 565, 615, 617, 665, 666, 668, 669 Wieck, Hans-Heinrich ........ 269, 409, 578 Wiedemann, Fritz ................................. 63 Wiesent, Johann .................................. 589 Wiesing, Urban ..................................... 14 Wiesinger, Christine ................... 579, 580 Wildenskov, Hans Otto ...................... 377 Wilfersdorf, Freiherr v. ....................... 254 Wilhelm II. ..................................... 26, 38 Wilhelmine ......................................... 321 Wilmanns, Karl ................... 264, 265, 517 Winkler, Walter Theodor ......... 204, 205, 593, 594, 635 Winterstein, Helmut ........................... 610 Wintz, Hermann ................ 111, 139, 152, 321–323, 392, 401, 461, 465, 671 Wirz, Franz Gerhard Maria ................ 157

Wittern, Renate vh. Wittern-Sterzel ...................... 513 Wittkower, Erich ................................ 281 Witzleben, Heinz-Detlef, späterer Henry v. ......................... 281 Wohlwill, Friedrich .................... 296, 413 Wolf, Immanuel, ab 1822 Wohlwill, Immanuel ................... 307 Wolf, Maria, A. .................................. 619 Wolf, Ursula ....................................... 657 Wolgast, E. ......................................... 498 Wormser, Isaak ........................... 402, 403 Wulf, S. ................................ 99–104, 106, 107 Wulff, Moshe ...................................... 281 Wundt, Wilhelm ......................... 541, 629 Wünschmann, Renate .......................... 788 Wuth, Otto ................. 281, 535, 540, 544, 549, 559 Wuttke, Walter ........................... 483, 485 Wurm, Theophil ................................. 485 Würschmidt, August ........................... 468 Wyss, Walter Heinrich v. ................... 281 Xenophon ........................................... 453 Zange, Johannes ......................... 641, 642 Zangenmeister, Wilhelm Karl ............ 643 Zawrel, Friedrich ................................ 489 Zerbin-Rüdin, Edith ............................... 40 Ziegler, Hans-Severus ........................ 639 Ziehen, Georg Theodor ................. 65, 281 Zilcher, Ferdinand ...................... 314, 511 Zimmermann, Ludwig ............... 655, 656, 659 Zinke, S. .............................................. 517 Zinner ................................ 321, 323, 457 Zirbs, Christina ..................................... 92 Zocher, Rudolf .................................... 167

Friedrich Meggendorfers erbhygienische Verwicklung beruhte auf einer Trias von eigenem wissenschaftlichen Interesse, positiver Verstärkung durch Karriereoptionen sowie früher akademischer Prägung. Sein Einsatz wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Stützung und Auslegung der NSGesetzgebung spiegelt eine dunkle Facette in der Vita Meggendorfers wider. Unter den Zwängen der NS-Politik setzte er seine Eugenik-Expertise nicht zum Stoppen der „Euthanasie“ ein. In seinem breiten, auch fachübergreifenden medizinischen Inter-

History and Philosophy of Medicine

esse machte er sich um die Etablierung der Elektrokonvulsionstherapie in Deutschland verdient. Diese gilt auch heutzutage als die wirksamste antidepressive Behandlungsoption. Bei Meggendorfer zeigt sich eine Ambivalenz zwischen gesetzlichen Vorgaben, damaligen professionsethischen Standards und dem Streben nach persönlich christlich-moralischem Verhalten gegenüber dem einzelnen Patienten. Birgit Braun betrachtet aus kritisch-historischer Perspektive die damit verbundenen wissenschaftsethischen Herausforderungen.

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ISBN 978-3-515-11964-1

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7835 1 5 1 1 964 1