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German Pages [248] Year 2003
bohlauWien
Marie-Theres Arnbom
FRIEDMANN, GUTMANN, MANDL UND STRAKOSCH Fünf Familienporträts aus Wien vor 1938
bohlauWien Köln Weimar
Gedruckt mit der Unterstützung durch Bundesministerium fiir Bildung, Wissenschaft und Kultur Magistrat der Stadt Wien - MA 7 Amt der Steiermärkischen Landesregierung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 3-205-99373-x Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2002 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau.at Umschlagabbildung: Familie Gutmann Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier Druck: Plöchl Druck, 4240 Freistadt
Für Großmutti, ohne deren Wissen, Geschichten, Erinnerungen und geduldigen Erzählungen dieses Buch nie zustande gekommen wäre und die die Fertigstellung leider nicht mehr abwarten konnte.
INHALT
PROLOG
Kulturelle und soziale Wohltätigkeit Politisches Engagement Wissenschaft und Kultur als Beruf der zweiten und dritten Generation M E D I Z I N UND M U N I T I O N . FAMILIE M A N D L
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12 15 16 19
Leopold Mandl auf dem Weg von Triesch nach Wien
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Die Kaufleute Ludwig, Bernhard und Sigmund Der Filmproduzent Joe May vulgo Julius Mandl Der Aufdecker Ignaz Der blinde Arzt Ferdinand und seine Söhne
20 25 28 31
Die Anfänge in Hirtenberg Fritz Mandl und der Aufstieg der Hirtenberger Patronenfabrik Ekstase und Hedy Lamarr Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
33 36 42 46
KOHLENBARONE UND M Ä Z E N E . FAMILIE G U T M A N N
63
„Wolf aus Kolin" und sein Anfang in Leipnik Der Aufstieg von Wilhelm und David Vom Kohlenhandel zur Großindustrie Humanitäre Leistungen Sommerfrische in Bad Vöslau und Baden Davids Kinder Wilhelms Kinder
64 66 68 76 82 86 90
T E X T I L UND Z U C K E R . FAMILIE STRAKOSCH
105
Anfänge in Butschowitz Künstler Brünn Zucker - die neue Industrie
105 107 112 115
Felix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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Inhalt
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Letzte Übergabe und der Alptraum 1938 Z W E I UNTERSCHIEDLICHE BRÜDERPAARE. FAMILIE FRIEDMANN
Siegwart, der Schauspieler Alexander, der Erfinder Generationswechsel Max, Politiker und Fechter Louis, der Alpinismus und Künstlerfreundschaften 1938 - das Ende Kapitel
. .
137
137 143 153 160 167 174
5 : E I N E GROSSFAMILIE ZWISCHEN B A N K UND
NATURWISSENSCHAFT. FAMILIE LIEBEN
177
Ignaz und seine Familie Leopold und die Familie Todesco Robert, der Erfinder Adolf, der Chemiker Verbindung mit Familie Schey 1938 - Vogelfrei
178 185 190 193 196 205
Quellen- und Literaturverzeichnis Dank Stammbäume Anmerkungen Bildnachweis Personenregister
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131
209 216 219 237 241 243
Inhalt
PROLOG
„Eine teilweise Übersiedelung in die Großstadt erfolgt, das Geschlecht verzweigt sich weiter, verschwägert sich vielfach in oft vorteilhafter Weise; Bankiers, Offiziere, Gelehrte, Landwirte gehen aus ihm hervor; auch an Originalen fehlt es nicht, in den der Typus des jüdischen Patriarchen und des Aristokraten, des Agenten und des Kavaliers sich eigenartig vermischen. Manche der jüngeren und jüngsten Sprosse unterscheiden sich von den Abkömmlingen altadeliger Geschlechter höchstens durch ein Mehr an Witz und die rasseeigentümliche Neigung zur Selbstironie; auch unter den Frauen und Mädchen - neben solchen, die in Aussehen und Gehaben ihren Ursprung nicht verleugnen wollen oder können erscheint das Sportfräulein und die Modedame; und es versteht sich von selbst, daß in den Regionen, an denen ich hier, den Jahrzehnten vorauseilend, flüchtig vorüberstreife, der Snobismus, die Weltkrankheit unserer Epoche, ausnehmend günstige Entwicklungen finden mußte." Arthur Schnitzler
rthur Schnitzler hält die Fäden in der Hand. Mit jeder der in diesem Buch beschriebenen Familien steht er in Verbindung: verwandt mit den Mandls, durch die Poliklinik verbunden mit den Gutmanns, verschwägert mit den Strakoschs, befreundet mit den Friedmanns, bekannt mit den Liebens. Niemand schildert die Atmosphäre, das Leben, die Gespräche, die Gedanken so treffend, so pointiert, so anschaulich wie er. Kein Wunder, stammt er doch aus demselben Milieu, hat doch seine Familie dieselbe Entwicklung durchgemacht. Die Schicksale dieser Familien verlaufen in vielen Punkten parallel — nicht zuletzt bedingt durch äußere Umstände, vor allem eine Gesetzgebung, die der jüdischen Bevölkerung seit der Regierung Josephs II. immer größere Zugeständnisse gewährt und 1867 endlich zur vollen bürgerlichen Gleichstellung führt. Plötzlich stehen alle Studienrichtungen und die verschiedensten Berufe offen. Neben industriellen Pioniertaten und Erfindungen erfolgt eine intensive Hinwendung zu Kultur und Wissenschaft — in Zeiten des anProlog
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wachsenden Antisemitismus bieten gerade Literatur und Kunst Wirkungsbereiche, die zumindest auf den ersten Blick von der katholischen Tradition losgelöst sind. Die Symbiose zwischen Wirtschafts- und Bildungsbürgern wird geradezu perfekt. Die Kinder der Aufsteiger, die, aus Böhmen und Mähren nach Wien zugewandert, faktisch aus dem Nichts ungeheure Vermögen schufen und maßgeblich an der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts beteiligt waren, diese Kinder also verfugen einerseits über die nötigen finanziellen Mittel, sich ausgiebig mit Kultur und Wissenschaft zu befassen. Andererseits nutzen sie in vollen Zügen das breite Angebot an Bildungsmöglichkeiten, das die Haupt- und Residenzstadt Wien bietet. Dies beschränkt sich bei weitem nicht nur auf die herkömmliche Schul- und Universitätsbildung; vor allem das enorme Angebot an Musik, Theater, Literatur, Museen, die lebendige Diskussion über Kunst und Kultur, die wohlsortierten Bibliotheken der mit Kunstschätzen ausgestatteten Heime bilden ein Umfeld, das den Blick schärft, den Horizont erweitert und fur Kunst und Kultur sensibilisiert. „Einzig gegenüber der Kunst fühlten in Wien alle ein gleiches Recht, weil Liebe zur Kunst in Wien als gemeinsame Pflicht galt, und unermeßlich ist der Anteil, den die jüdische Bourgeoisie durch ihre mithelfende und fördernde Art an der Wiener Kultur genommen. Sie waren das eigentliche Publikum, sie füllten die Theater, die Konzerte, sie kauften die Bücher, die Bilder, sie besuchten die Ausstellungen und wurden mit ihrem beweglicheren, von Tradition weniger belasteten Verständnis überall die Förderer und Vorkämpfer alles Neuen. Fast alle großen Kunstsammlungen des neunzehnten Jahrhunderts waren von ihnen geformt, fast alle künstlerischen Versuche nur durch sie ermöglicht; ohne das unablässige stimulierende Interesse der jüdischen Bourgeoisie wäre Wien dank der Indolenz des Hofes, der Aristokratie und der Millionäre, die sich lieber Rennställe und Jagden hielten als die Kunst zu fördern, in gleichem Maße künstlerisch hinter Berlin zurückgeblieben wie Österreich politisch hinter dem Deutschen Reich. Wer in Wien etwas Neues durchsetzen wollte, wer als Gast von außen in Wien Verständnis suchte, war auf diese jüdische Bourgeoisie angewiesen." Soweit Stefan Zweig in Die Welt von Gestern, der hier ohne Zweifel genau den Punkt trifft. Dennoch zeigt seine Sicht der Dinge nicht alle Facetten, nicht alle Details, die wir 10
PROLOG
aus unserer zeitlich distanzierteren Position vielleicht besser zu erkennen und miteinander in Verbindung zu bringen vermögen. Der Begriff des „jüdischen Bürgertums" ist überaus diffizil. Worauf gründet sich diese Zuordnung? Auf die Religion? Ein Bruchteil der zweiten und dritten Generation war wirklich noch religiös. Auf die Abstammung? Dies wäre eine Übernahme der nationalsozialistischen Diktion, derer sich dieses Buch klarerweise nicht bedienen möchte. Auf die Selbsteinschätzung? Sie kann wohl nur von Familie zu Familie, von Generation zu Generation, ja von Person zu Person bestimmt werden und bietet ebenfalls keinen Anhaltspunkt zur Verallgemeinerung. Die Bezeichnung „jüdisches Bürgertum" wird daher in diesem Buch bewusst vermieden. Alle hier beschriebenen Familien kommen natürlich aus dem Judentum mit seinen Traditionen und Werten. Aber auch in assimilierten Familien wirken diese Werte, die über Generationen vermittelt und weitergegeben worden waren, weiter. Sie werden in gewissem Maße zum Allgemeingut der bürgerlichen Gesellschaft. Was verbindet also diese fünf Familien ? Zum einen das Streben nach Wien aus Mähren (Mandl, Gutmann, Strakosch), Ungarn (Friedmann) und Prag (Lieben) und, damit verbunden, steiler sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg. Humanitäres Engagement für Osterreich, das sich nicht nur in Wien, sondern auch in den ursprünglichen Heimatorten sowie in den Orten der Sommerfrische und des Landbesitzes entfaltet, zu denen eine ganz spezielle Zuneigung und Bindung entsteht. Z u m anderen der enorme Stellenwert von Bildung und Kultur und - parallel dazu - die Abnahme der Bedeutung von Religion. Es ist erstaunlich — oder auch wieder nicht
dass keine der hier näher beschriebenen Familien, die in
Wirtschaft und Gesellschaft eine so bedeutende Rolle spielten, in einem der großen Uberblickswerke der Ersten Republik erwähnt werden. Dies mag verschiedene Gründe haben: die Industriellenfamilien hielten sich im Hintergrund und agierten nicht in der Öffentlichkeit; die Bedeutung des Großbürgertums im 20. Jahrhundert wurde noch nicht gebührend gewürdigt; die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Zwischenkriegszeit steht noch immer im Schatten der prekären und unheilvollen politischen Entwicklung; der anschwellende Antisemitismus der 30er Jahre ignorierte die Leistungen jüdisch-assimilierter Familien ohnehin.
Prolog
II
KULTURELLE UND SOZIALE
WOHLTÄTIGKEIT
Wohltätigkeit ist für gläubige Juden eine der wichtigsten Pflichten Arme haben ein Recht auf Unterstützung. Diese Verantwortung wurde über Generationen tradiert und auch wahrgenommen. Viele der Nachkommen wussten wohl nicht mehr, woher das Engagement der Familie fur soziale, gemeinnützige und kulturelle Anliegen eigentlich stammte — es wurde einfach als selbstverständlich vorausgesetzt, angenommen und weitergefiihrt. Dabei galt die Unterstützung sozialen Einrichtungen und kulturellen Entwicklungen in gleichem - und umfangreichem - Maße. Z u Anfang des 20. Jahrhunderts, in der letzten Phase der Monarchie, ging die Hälfte aller wohltätigen und kulturellen Stiftungen auf 1000 jüdische Familien zurück - kaum ein Gebiet war davon nicht berührt. Einer der wesentlichen Schwerpunkte dieser Stiftungen betraf wohltätige Werke — und damit wurde gleichzeitig Gelegenheit zu gesellschaftlicher Begegnung geschaffen, die sich im Rahmen der Israelitischen Kultusgemeinde in W i e n in diesem Ausmaß sonst nicht ergab. Deren Führung gehörte zwar der jüdischen Oberschicht, dem Großbürgertum, an, beschränkte sich aber auf ihre Hauptaufgaben im wohltätigen und religiösen Engagement. Für gesellschaftliches Leben mussten also andere Foren gefunden werden: Humanitäre und karitative Organisationen, die in großer Zahl im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden, boten die Möglichkeit fur gesellschaftlichen Umgang. Diese Organisationen waren ursprünglich in erster Linie fur jüdische Bedürftige gegründet worden — so gab es Stiftungen für Blinde, Taube und Verwaiste, fur arme Bräute, bedürftige Schulkinder etc., doch bildeten sich bald überkonfessionelle Vereinigungen, die die Möglichkeit für gesellschaftliche Begegnung mit nichtjüdischen Familien und dem Hochadel boten. Ganz bewusst wurden auch Unterstützungen mit einer politischen Motivation gewährt: Nach dem Fallen der Berufsschranken bestand ein weiterer wichtiger Förderungszweck darin, jüdischen Jugendlichen eine Ausbildung zu handwerklichen Berufen zu ermöglichen. Immer stärker nahmen daneben auch Vereinigungen zu, die sich für Religion und religiöse Erziehung einsetzten, parallel dazu etablierten sich zahlreiche Wohltätigkeitsorganisationen, die jüdischen Frauen die Möglichkeit boten, arme und bedürftige Familien zu unterstützen. 12
PROLOG
Krankenhäuser, die für uns selbstverständlich zu Wien gehören, Einrichtungen, die wir nicht hinterfragen, Parks, die wir durchschlendern der Ausgangspunkt liegt oft in privaten Stiftungen des jüdischen Bürgertums. Das Rudolfinerhaus ist wohl jedem „gelernten" Wiener ein Begriff, nicht nur wegen der schönen Lage, sondern vor allem wegen der exzellenten Betreuung. Hätte Theodor Billroth jedoch nicht die Gutmanns und andere Familien fur seine zukunftsweisende Idee begeistern können, erstmals eine Ausbildungsstätte für Laienschwestern zu schaffen, wir müssten heute auf dieses erstklassige Ausbildungszentrum für Pflegepersonal, das sich nach wie vor zukunftsweisend um immer neue Aspekte der Pflege verdient macht, verzichten. Die Poliklinik, über Jahrzehnte eine der wichtigsten medizinischen Institutionen Wiens, wäre ohne das Engagement der Familie Gutmann und anderer Industriellenfamilien nicht entstanden. Eine Einrichtung, die, ohne nach Konfession und sozialer Herkunft zu fragen, alle Patienten gleich behandelte, war zu dieser Zeit etwas ganz Neues und damit wohl auch vielen suspekt. Nicht zuletzt deshalb waren gerade die Arzte der Poliklinik im Besonderen antisemitischen Angriffen ausgesetzt - Schnitzlers Professor Bernhardt legt davon das beste Zeugnis ab. Im Zusammenhang mit der Poliklinik lässt sich ein weiteres Detail feststellen, das in diesen Jahren noch als undenkbar galt, im Verlauf des 20. Jahrhunderts aber immer selbstverständlicher wurde: der Kontakt zwischen Vertretern des aufstrebenden jüdischen Großbürgertums und der Hocharistokratie. Dieser wurde nun immer öfter praktiziert, vorerst auf die Ebene gemeinsamer humanitärer Ziele beschränkt, entwickelte sich immer wieder auch gesellschaftlicher Verkehr, der sogar in Eheschließungen zwischen der so genannten „Ersten" und der „Zweiten" Gesellschaft mündete. Dies war aber schon ein Phänomen der Zwischenkriegszeit, in der die gesellschaftlichen Schranken immer mehr verschwammen und „eine Gesellschaft" entstand. Nicht vergessen werden dürfen auch die vielen sozialen Einrichtungen fiir die Arbeiter und Angestellten der eigenen Fabriken - ob es sich um eine Musterarbeiterstadt in Wittkowitz mit eigenem Werksspital, Unterstützungsvereine oder Krankenversicherungen handelte. Orte wie Kaiwang in der Steiermark und die niederösterreichischen Orte Hohenau, Hirtenberg und Gföhl erhielten Elektrizitätswerke, Schulen oder KinKulturelle und soziale Wohltätigkeit
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dergärten. All diese sozialen Leistungen gingen über das vorgeschriebene Maß weit hinaus und legten den Grundstein fiir eine gesetzlich reglementierte Sozialversicherung. Auch in der Ersten Republik wurden neue Stiftungen ins Leben gerufen, so 1936 die Bergrat Dr. Max Gutmann'sche Ausstattungsstifiungfiir Kinder der Beamten der Firmen Gebrüder Gutmann Wien und Budapest und Bankhaus Gebrüder Gutmann Wien. Der zweite Schwerpunkt des wohltätigen Engagements galt kulturellen Einrichtungen und Entwicklungen verschiedenster Art. Hier darf vor allen Dingen das indirekte Mäzenatentum nicht unterschätzt werden, die Auftraggeber bestimmten ja, welche Künstler zum Zuge kamen und damit das Bild dieser Epoche mitprägten - in architektonischer, künstlerischer und kunstgewerblicher Hinsicht. Darüber hinaus wird die enorme Bedeutung der privaten Kunstsammlungen des Großbürgertums bis heute vielfach unterbewertet. Sie alle waren Ausdruck umfassenden Mäzenatentums, da ja oftmals Werke zeitgenössischer Künstler erworben wurden und zahlreiche Kunstschätze als Schenkungen an verschiedenste Museen gingen. Daneben statteten die Stifter die Museen auch finanziell aus und unterstützten diese zusätzlich durch die Bereitstellung von Ausstellungsobjekten und nicht zuletzt durch ihr hohes Interesse. Als ein wichtiges Beispiel dafür mag die Secession dienen, zu deren Gründern und Gönnern zahlreiche Angehörige des Wiener Großbürgertums jüdischer Herkunft zählten. In diesem Zusammenhang darf die Musik nicht fehlen — hier eröffnete sich ein breites Feld mit den mannigfaltigsten Möglichkeiten, ganz nach dem individuellen Geschmack — und dem Ansehen in der Gesellschaft Unterstützung angedeihen zu lassen. Zum einen erfolgte eine großzügige Förderung der Wiener Musikinstitutionen - zahlreiche Familien finden sich etwa unter den Gründern, Stiftern und Förderern von Konzerthaus und Musikverein, so die Epstein, Königswarter, Todesco, Gomperz, Figdor, Wittgenstein etc. Ohne das Wiener Bürgertum würden diese beiden weltweit renommierten Institutionen in dieser Form wohl nicht existieren. Dies ist eine Facette. Eine andere ist die Unterstützung junger talentierter Musiker. Ausbildungsplätze, Stipendien wurden ermöglicht, Stiftungen ins Leben gerufen wäre Bronislaw Hubermann, einer der bedeutendsten Geiger der Zwischenkriegszeit, zu jener Größe aufgestiegen, wenn Max Gutmann nicht 14
PROLOG
an ihn geglaubt und ihm das Studium in Wien ermöglicht hätte? Intensive Freundschaften wurden mit Musikern und auch Schriftstellern gepflegt, der Kreis „Jung-Wien" mit seinen Mitgliedern Arthur Schnitzler, Felix Saiten und Hugo von Hofmannsthal ging bei vielen dieser Familien ein und aus. Auch in der Architektur begegnen uns die dargestellten Familien als bedeutende Mäzene. So wäre es ein lohnendes Projekt, einen Katalog der Schöpfer jüdisch-großbürgerlicher Villen bis 1938 zu erstellen - zu einem hohen Anteil fänden sich darin klingende Namen der Architekturgeschichte. Joseph Maria Olbrich zum Beispiel erhielt seine große Chance von Max Friedmann, für den er eine Villa in der Hinterbrühl entwarf. Max Fleischer wurde von David Gutmann mit dem Umbau seines Schlosses in Tobitschau beauftragt, Max Ferstel und Theophil Hansen bauten ebenfalls Villen für diese Familien. Nicht zuletzt wurden zahlreiche wissenschaftliche Stiftungen ins Leben gerufen, der Ignaz-Lieben-Preis, auch genannt der österreichische Nobelpreis, und weitere Preise der Familie Lieben wurden bis 1937 verliehen. Heute sind sie in Vergessenheit geraten.
POLITISCHES ENGAGEMENT
Einige Mitglieder dieser Familien waren auch politisch tätig, sowohl im Wiener Gemeinderat als auch als Landtags- oder Reichsratsabgeordnete. Alexander Friedmann zum Beispiel war einer der ersten Gemeinderäte, der ein Wasserleitungssystem für Wien entwickelte. Ignaz Mandl gilt als Mentor und Lehrer Karl Luegers, Max Friedmann war Reichsrats- und Nationalratsabgeordneter, Leopold Lieben Herrenhausmitglied, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Interessenvertretungen wie die Industriellenvereinigung oder der Verband der Zuckerindustriellen entstanden durch das Engagement dieser Familien und gewannen schnell an großem Einfluss. Mit der Abnahme des liberalen Einflusses wurde das politische Engagement tendenziell geringer, wenngleich vielen Sujets der Literaten, Essayisten und Journalisten, vielen Themen, die in Briefen und Artikeln verschiedenster Künstler angesprochen und oft heiß diskutiert wurden, Politisches Engagement
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politisches Denken, Interesse und Brisanz wohl kaum abgesprochen werden kann. D o c h das aktive politische Engagement war der Heimat beraubt - mit dem Entstehen und raschen Wachstum der Großparteien ging der Einfluss der liberalen Partei zurück und das jüdisch-assimilierte Bürgertum konnte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert mit den auch stark antisemitischen Strömungen der neuen Parteien aus verständlichen Gründen nicht identifizieren. Politisches Engagement musste sich anderer Ausdrucksformen bedienen, und so wird die oberflächlich als unpolitisch empfundene Kunst zu einem Instrument — der Künstler, der Mäzene, der Auftraggeber.
W I S S E N S C H A F T U N D KULTUR ALS BERUF DER ZWEITEN U N D DRITTEN GENERATION
Ein weiterer Grund, warum sich das aufgeklärte jüdische Bürgertum Kultur und Wissenschaft zuwandte, ist sicherlich in der Verunsicherung nach dem Niedergang des Liberalismus Ende der 1860er Jahre und im Speziellen nach dem Wirtschaftskrach 1873 zu finden. Bildung und Kultur wurden zum Ersatz für die verlorene politische Macht, aber auch laizistischer Religionsersatz und Quelle humanistischer Werte. Kultur und Bildung werden zur Ersatzreligion, das religiöse Bekenntnis hatte für die meisten Familien in der zweiten und dritten Generation jede Bedeutung verloren — nicht nur für sie selbst, sondern auch für Freunde und Bekannte - für die Gesellschaft. Nicht zuletzt damit ist zu erklären, dass das Wissen um die jüdischen Wurzeln der Familien häufig in Vergessenheit geriet, doch gab es auch manche, die aus religiöser Uberzeugung konvertierten; sie sahen das Sakrament der Taufe als unumstößlich an und betrachteten daher das Judentum als reine Religion, nicht aber als Volkszugehörigkeit. Auch dieser Punkt darf nun nicht aus der heutigen Sicht mit den Nazi-Definitionen vermischt werden - dies würde in die völlig falsche Richtung fuhren und den hier beschriebenen Familien in ihrer Eigenart, ihren Ansichten und Einschätzungen bis 1938 in keiner Weise gerecht werden. Kunst und Kultur schienen auch die Möglichkeit zu bieten, die Assimilation dauerhaft zu festigen — „Rechts und links hörte man, wo immer 16
PROLOG
man ging, bei den Erwachsenen Diskussionen über die Oper oder das Burgtheater", schreibt Stefan Zweig - dies hat wohl bis heute seine Gültigkeit nicht verloren. Bildung als Voraussetzung für Assimilation und als Grundlage für Wissenschaft und Kultur - eine der wichtigsten Prämissen für das liberale jüdische Bürgertum: Um 1900 betrug der Anteil der jüdischen Schüler in den Wiener Gymnasien 30 % , knapp ein Viertel der Jusstudenten, knapp die Hälfte der Medizinstudenten waren Juden, dies alles bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von knapp 9 %. Dank dieser hervorragenden Ausbildung stellte das Judentum die wichtigste Reserve für das kulturelle Schaffen, für die Wissenschaften, für die freien Berufe etc. dar. Dass sich Söhne und Töchter aus angesehenen jüdischen Familien zu künstlerischen Berufen hingezogen fühlten, war häufig und sicherlich auch durch den besonderen Stellenwert der Bildung und damit der musikalischen Erziehung begründet. Liebe zu Musik und Theater waren willkommen und erstrebenswert, dies jedoch zum Beruf zu machen, blieb trotzdem schwierig, zu groß waren die Widerstände der Eltern. Trotzdem setzten sich die Kinder oftmals durch - zum Glück: Viele Talente, große Künstler und bedeutende Lehrer und Wissenschafter wären der österreichischen Kulturgeschichte sonst verloren gegangen, so zum Beispiel der Filmproduzent Joe May, der Vortragsmeister Alexander Strakosch, der Schauspieler Siegwart Friedmann und der Erfinder Robert Lieben. Das assimilierte jüdische Bürgertum war sicherlich einer der wichtigsten Träger der deutschen Kultur - sie war das verbindende Element. Es konnte und wollte sich keiner nationalistischen Bewegung anschließen, fühlte es sich diesen doch überhaupt nicht verbunden. Den Zusammenhalt, die Klammer bot die Habsburgermonarchie, die von ihr vertretene Kultur und Politik. Es verwundert nicht, dass gerade dieses Bürgertum loyal zur Monarchie stand und somit auch die deutsche Kultur, nicht jedoch deutschen Nationalismus hochhielt. Nicht oft genug kann betont werden, wie sehr sich Nationalismus und Kultur letztendlich ausschließen, zu oft wird Kultur für die Anliegen der nationalen Bewegungen missbraucht. 100 Jahre lang haben diese Familien die Geschichte, Wirtschaft, Politik und Kultur Österreichs mitgeprägt. Nach 1918 dachte man, dass die Situation nun schwierig werden würde - doch war dies nichts im Vergleich Wissenschaft und Kultur als Beruf der zweiten und dritten Generation
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mit dem Grauen, der Verfolgung, die 1938 über diese Familien und Österreich hereinbrach. Dennoch überstanden sie - und mit ihnen ein Stück österreichischen Bürgertums - die Zeit. Mit Schäden an Leib und Seele, die irreparabel sind, und doch den Traditionen der Familie, der Geschichte und der österreichischen Kultur verbunden.
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PROLOG
M E D I Z I N UND
MUNITION.
FAMILIE
MANDL
Jüdischer Friedhof in Triesch/Tfest
LEOPOLD MANDL AUF DEM WEG VON TRIESCH NACH WIEN
Leopold Mandls Weg von Mähren über Ungarn nach Wien ist ein typisches Beispiel für das Streben der jüdischen Bevölkerung aus den Kronländern in die Reichs- und Residenzstadt. Geboren 1796 in Triesch in Mähren, studiert er Medizin und praktiziert als Arzt zuerst einige Jahre im ungarischen Veszprem, nördlich des Plattensees gelegen, und dann in Schlaining im heutigen Burgenland, das zu den bedeutenden jüdischen Orten dieser Region zählt. Dort wirkt er auch im Vorstand der Judengemeinde; aus einem Protokoll von i860 geht hervor, dass er an einer Sitzung nicht teilnehmen konnte mit der Entschuldigung, „dass er wegen Kranke[n] in Tazmansdorf nicht kommen kann", was belegt, dass er auch Leopold Mandl auf dem Weg von Triesch nach Wien
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in dem eine Stunde entfernten Kurort Bad Tatzmannsdorf Patienten betreut.' 1870 stirbt er in Wien und wird am Währinger Friedhof begraben, wo heute noch sein Grab zu finden ist. Drei Jahre, nachdem die Juden endlich volle und gleiche Bürgerrechte erhalten haben - der Höhepunkt des liberalen Zeitalters ist erreicht. Leopold hatte Julie Sterk (gestorben 1873) geheiratet, mit der er sechs Kinder hat. Zwei seiner Söhne studieren ebenfalls Medizin — ihre Lebenswege gestalten sich aber so unterschiedlich, dass man kaum glauben möchte, sie seien Brüder: Ferdinand und Ignaz. Drei weitere Söhne — Ludwig, Bernhard, Sigmund — sind Kaufleute, wobei diese Bezeichnung nicht nur ungenau ist, sondern auch nicht besonders viel über die Branche und die Art der Waren aussagt. Auch die einzige Tochter Regina heiratet mit Philipp Adler einen Kaufmann und bekommt zwölf Kinder. Im oben bereits erwähnten Schlaining findet sich eine Gedenktafel für Regina und Philipp Adler, die beide 1906 sterben und offenbar dem Geburtsort Reginas immer verbunden geblieben waren.2 Die Berufswahl der Söhne Leopolds ist signifikant fur die jüdische Assimilation in der österreichisch-ungarischen Monarchie. W i e sich noch zeigen wird, werden auch viele andere notwendige Voraussetzungen erfüllt werden: die Ubersiedlung aus der Provinz in die Haupt- und Residenzstadt Wien, die Ehe mit einer Jüdin aus vermögendem Hause, die Ausübung eines kaufmännischen oder freien Berufs und die Eingliederung in die Gesellschaft. W i e n gilt zur damaligen Zeit als Anziehungspunkt für Bürger aus Ungarn und den Kronländern, unter ihnen natürlich auch viele Juden. Besonders in den östlichen Kronländern ist für Juden eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation schwer zu erreichen. Sie streben in die Metropole und sind bald ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens. Leopolds Kinder sind dafür das beste Beispiel.
DIE KAUFLEUTE LUDWIG, B E R N H A R D U N D S I G M U N D
Die kaufmännisch tätigen Söhne halten zusammen. Ludwig und der fünf Jahre jüngere Bernhard gründen 1854 gemeinsam eine 20
Getreide-
FAMILIE
MANDL
großhandlung mit Sitz in der Leopoldstadt, dem zweiten Wiener Gemeindebezirk. In erster Linie wird mit Hafer und Mais gehandelt, doch auch Roggen und Weizen gehören zu ihren Produkten. In Matzleinsdorf, einem Wiener Vorort, wird eine Filiale gegründet — das Geschäft weitet sich aus, Ludwig wird Börsenrat der Wiener Getreidebörse. Noch heute findet sich sein Name auf einer Gedenktafel in diesem Gebäude, dem „Odeon" in Wien. Sowohl Ludwig als auch Bernhard werden ihren Familien ein Vermögen von jeweils über 2 Millionen Kronen hinterlassen ein Zeichen dafür, dass sie als Kaufleute sehr erfolgreich sind. 1864 heiratet Ludwig Mandl Irene Markbreiter, die aus einer angesehenen jüdischen großbürgerlichen Familie stammt. Ihr Vater Philipp ist Arzt, in seiner Jugend sehr angesehen, mit fortschreitendem Alter jedoch immer mehr der Spielleidenschaft verfallen. Irenes Mutter Amalia Schey entstammt ebenfalls einer angesehenen jüdischen, sehr wohlhabenden Familie. Mäzenatentum ist eine der herausragenden Eigenschaften, die mit dem Namen Schey verbunden werden. Arthur Schnitzlers Mutter Louise ist Irenes Schwester, daher schildert der Schriftsteller diesen Teil seiner Familie sehr oft und ausfuhrlich in seiner Autobiographie: „Irene, harmloser und gutmütiger von Natur, wurde die Frau eines Getreidehändlers namens Ludwig Mandl, der, auch im Börsengeschäft wohlerfahren, bald als der reichste Mann in der Familie dastand, ohne es eigentlich merken zu lassen. Er trug sich salopp, ja schäbig, fuhr auf der Eisenbahn in der dritten Klasse und freute sich, wenn er die Bahnverwaltung gelegentlich um eine Abonnementkarte beschummeln konnte ... Übrigens beschränkten sich seine Reisen fast nur auf Fahrten zwischen Wien und Vöslau, wo er später Besitzer der Villa Rademacher wurde, in der wir gelegentlich zur Miete wohnten." 3 Ludwig und Irene Mandl haben drei Kinder: Olga, Alfred und Margarete. Sie übersiedeln immer wieder, doch bleiben sie in der Leopoldstadt, der traditionellen Heimstatt der Juden in Wien. In der Nähe wohnen auch die Familien Markbreiter und Schnitzler und ebenfalls Bernhard Mandl mit seiner Frau Berta. „Die Leopoldstadt war zu jener Zeit noch ein vornehmes und angesehenes Viertel, und insbesondere ihre Hauptstraße, in der auch das Carltheater stand ... Die meisten anderen Verwandten wohnten ganz in der Nähe, im gleichen Bezirk; nur meine Eltern hatten die Wohnung in der Praterstraße bald verlassen und eine Die Kaufleute Ludwig, Bernhard und Sigmund
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neue auf der Schottenbastei bezogen." 4 So berichtet Arthur Schnitzler. Die Ubersiedlung in den ersten oder neunten Bezirk ist das typische Zeichen für wirtschaftlichen Aufstieg und wachsende Assimilation - man distanziert sich auch äußerlich von der eigenen Herkunft. Die Leopoldstadt, der zweite Bezirk, wird immer mehr zum Bezirk der armen Zuwanderer aus dem Osten und somit auch der Orthodoxie. Am Alsergrund, dem neunten Bezirk, sind die Universität und Spitäler nahe, er gilt als ein Bezirk der akademisch gebildeten Bevölkerung, in erster Linie der Arzte. Der erste Bezirk hingegen bietet die Nähe der angesehenen Kaufmannschaft. Ludwig folgt diesem Muster und übersiedelt mit über 50 Jahren in die Mariannengasse 20 im neunten Bezirk, Bernhard jedoch wagt diesen Schritt noch nicht — er wird bis zu seinem Tod in der Leopoldstadt wohnen. Seine Frau Berta wird aber nach seinem Tod ebenfalls in den neunten Bezirk in das Haus übersiedeln, in dem Ludwigs Witwe Irene wohnt. Gemeinsam erwerben die Brüder 1880 eine Villa in der Sommerfrische Bad Vöslau, wie Schnitzler oben beschrieben hat, in der sie bereits seit 1870 Quartier bezogen hatten. Bad Vöslau wird zu einem Fixpunkt für die Familie, jeder Sommer wird dort verbracht, man reist mit Personal, Hausrat und großem Gepäck. Bernhard Mandl und Berta Neumann heiraten sogar 1876 in Vöslau, jedoch ist ihr Sohn Louis bereits 1866 noch unter dem Namen Neumann zur Welt gekommen, 1868 ihre Tochter Irene. Für die damalige Zeit wohl etwas ungewöhnlich. 1889 erwirbt Ludwig Mandl für seine Frau Irene eine weitere Villa in Bad Vöslau, die neben der oben erwähnten liegt. Die Bedeutung der Sommerfrische als Zeichen für Assimilation und Etablierung ist groß. Man fährt entweder in die Kurorte südlich von Wien wie Baden und Bad Vöslau, ins Semmeringgebiet nach Reichenau oder Payerbach oder natürlich ins Salzkammergut. Vorerst mietet man sich ein, in Villen oder Wohnungen, bald werden diese Villen jedoch erworben, das gesellschaftliche Leben verlagert sich in den Sommermonaten in die Sommerfrischenorte. Die Familien verbringen dort oft Monate, die Männer pendeln von Wien aus dorthin, Geschäfte werden in entspannterer Atmosphäre angebahnt, man unternimmt Landpartien, musiziert viel, gibt Einladungen, und die Kinder spielen gemeinsam mit den Kindern des Dorfes und verbringen eine unbeschwerte Zeit. Die Städter 22
FAMILIE
MANDL
ziehen Tracht an, in Dirndl und Trachtenanzug verbringt man die Sommermonate. Heute wird das vielfach als Verkleidung der Städter belächelt, doch gerade das jüdische assimilierte Bürgertum trug die Tracht mit Stolz. Man muß nur die vielen Photos dieser Familien von Herzl bis Freud betrachten, um den Stellenwert dieser Kleidung als Zeichen der Integration zu erkennen. 1938 wird dann auch das Tragen von Trachten den Juden sofort verboten - keine lebensbedrohende Maßnahme, doch ein bedeutendes Zeichen der Ausgrenzung und der Wegnahme eines integrierenden und selbstverständlichen Bestandteils des Lebens. Ludwig Mandl ist ein typisches Kind seiner Zeit - eine Branche ist nicht genug, neue Herausforderungen werden gesucht und gefunden. In seinem Fall ist es das Munitionsgeschäft. Gemeinsam mit seinem jüngsten Bruder Sigmund tritt er als offener Gesellschafter in die Firma von Berthold Bass in Wien-Hernals ein - erzeugt werden Patronen. Diese Beteiligung im Jahre 1883 legt den Grundstein für den sagenhaften Aufstieg der Familie Mandl im Munitionsgeschäft bis weit ins 20. Jahrhundert. Die Firma Bass gehörte ursprünglich Michael Fröhlich, dessen Tochter Rosa Berthold Bass heiratete, der die Firma dann auch vom Schwiegervater übernimmt. Die zweite Tochter Charlotte heiratet Sigmund Mandl. Berthold Bass verbringt mit seiner Familie ebenfalls zwei Sommer, 1880 und 1883, in Bad Vöslau, er wohnt in der Nebenvilla der Mandls. Es liegt nahe anzunehmen, dass in dieser Zeit die Geschäftsverbindung der beiden Schwäger angebahnt und perfekt gemacht wird, und es verwundert nicht, dass sich die Brüder Mandl gerade an dieser Patronenfabrikation beteiligen. Der bereits sehr erfolgreiche 15 Jahre ältere Bruder Ludwig ist der ideale finanzkräftige Kompagnon für Sigmund. Bereits ein Jahr später, 1884, scheidet Berthold Bass aus, Ludwig ist nun mit 60 % , Sigmund mit 40 % an der „Wiener Jagdhülsen-Patronen und Zündhütchen Fabrik L. Mandl & Co." beteiligt. Die Firma entwickelt sich bald zur bedeutendsten auf dem inländischen Munitionsmarkt, exportiert auch nach Deutschland und auf den Balkan. Ludwig sucht nun Möglichkeiten, in großem Stile ins Munitionsgeschäft einzusteigen - 1887 ist es dann so weit. Seraphin jun. und Josef Keller, Mitbesitzer der Hirtenberger Patronenfabrik, verkaufen ihre Anteile an Ludwig Mandl. Ein Affront gegenüber ihren Brüdern Anton und Fridolin Keller, die vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Als „k.k. Hof-Metallwaren Die Kaufleute Ludwig, Bernhard und Sigmund
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Die Hirtenberger Patronenfabrik im Jahr ι8ρ6
und Pacronenfabrik" wurde diese bedeutende Fabrik 1861 in Hirtenberg von Seraphin Keller gegründet. Viele Jahre später, im Zuge der .Arisierung" der Hirtenberger Patronenfabrik, werden die Nachkommen der Kellers Ansprüche anmelden, die jedoch abgeschmettert werden. In einem etwas ungelenk formulierten Brief aus dem Jahr 1939 heißt es: „Im Arsenal Museum in Wien befindet sich die Sammlung der GeschossZünder Geschosse, die Seraphin Keller und sein Sohn Fridolin vom ersten Geschoss-Zünder, der aussah wie ein Champagnerkork, bis zu den neuzeitlichen Geschoss-Zündern der großen Geschossen aus dem Weltkriege, [entwickelt haben]. Alle diese Modelle sind dem Kopf dieser beiden Genien entsprungen, die nie einen anderen Techniker oder Ingenieur ... angestellt hatten. Und was geschah mit dem Lebenswerk dieses Arbeitergenies Fridolin Kellers, das von allen Behörden und Ämtern als musterhaft gefuhrt und gerühmt wurde? Die Juden rissen es dem alten, müden schiagierten Manne aus der Hand."' Unterzeichnet von Parteigenossen Fritz Keller und Seraphine Fischer, geb. Keller. 52 Jahre nach der Übernahme durch die Brüder Mandl. 1893 stirbt Ludwig Mandl, seine Anteile an der Hirtenberger Patronenfabrik erbt sein Bruder Sigmund. Fünf Jahre später, 1898, anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums, stiftet die Fabrik die Ortskirche von 2-4
FAMILIE
MANDL
Hirtenberg - Sigmund Mandl und Anton Keller werden Ehrenbürger. Sigmund Mandl stirbt 1911 - er ist in der Zwischenzeit in die Rathausstraße im ersten Bezirk übersiedelt, eines der elegantesten Viertel Wiens. Sein Sohn Oscar ist bereits 22-jährig gestorben, das Schicksal seiner Tochter Adele muss Sigmund nicht miterleben: sie wird 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt 67-jährig umkommen.
D E R F I L M P R O D U Z E N T J O E MAY V U L G O J U L I U S M A N D L
Ludwigs Bruder Bernhard, von dem bereits die Rede war, hat neben den erwähnten Kindern Louis und Irene noch einen Sohn Julius, geboren 1880. Er ist auf den ersten Blick betrachtet ein typisches Kind reicher Eltern, studiert dies und das, besitzt zuerst, wie das Lexikon des Films aus dem Jahr 1926 berichtet, ein Blusengeschäft, ist auch Automobil-Vertreter und Rennstallbesitzer, gilt als Playboy in der Wiener Gesellschaft und bringt das väterliche Vermögen durch. Daraufhin geht er nach Italien und ist dort Vertreter für Feuerzeuge. Mit 22 Jahren, 1902, nimmt sein Leben jedoch eine Wendung. Er heiratet die Operetten-Soubrette Hermine Pfleger, im selben Jahr wird ihre Tochter Eva geboren. Hermine Pfleger, ihr Künstlername ist Herma Angelot, nennt sich nun Mia May, auch ihr Mann nimmt einen Künstlernamen an, und so wird aus Julius Mandl Joe May. Die Mays gehen nach Hamburg, wo Mia in Revuen auftritt und Joe sich 1911 mit einem Film fiir den Zwischenakt der Operette Rundum die Alster erste Sporen als Filmregisseur verdient. Und als solcher wird er einer der bedeutendsten Filmemacher im Deutschland der Stummfilmzeit und später auch der Tonfilmzeit. Er kreiert die Detektivfigur des Stuart Webbs, die den Beginn einer unglaublich erfolgreichen Serie darstellt. Bereits 1915 gründet Joe in Berlin eine eigene Produktionsfirma - die Ufa gibt es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht! 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, wird Joe beim Filmen in einem Schützengraben verwundet. Die May-Film wird auch zu einer Schmiede für neue Talente: Thea von Harbou, Fritz Lang und Ewald Andre Dupont beginnen hier ihre Weltkarriere. Viele erfolgreiche Filme sind die logische Folge, vor allem auch Monumentalfilme wie Der Tiger von Eschnapur und Das indische Grabmal in der Regie von Fritz Lang gehen in die Der Filmproduzent Joe May vulgo Julius Mandl
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Mia May (}. v. I.) in Rund um die Alster
Filmgeschichte ein. Joes Neffe Leo ist ebenfalls im Filmgeschäft tätig — er ist Verwaltungsrat der Sascha-Film in Wien und leitet ab Dezember 1922 die May-Film, die unter ihm in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird. Private Schicksalsschläge treffen Joe und Mia - 1924 begeht ihre Tochter Eva, die ebenfalls Filmschauspielerin ist und in einigen Filmen ihres Vaters mitwirkt, im Alter von 22 Jahren Selbstmord, nachdem ihre dritte Ehe gescheitert ist. Eva May wird uns später im Zusammenhang mit ihrem Cousin Fritz Mandl nochmals begegnen. Der letzte Film, den Joe May in Europa produziert, ist Ein Liedfür Dich mit dem legendären Tenor Jan Kiepura. Nun ist es bereits 1933 und die Situation in Deutschland wird immer gefährlicher - Joe und Mia May emigrieren zuerst nach London und 1934 nach Amerika, doch lässt sich dort an den Erfolg in Deutschland nicht mehr anknüpfen. Joe ist wohl in Hollywood beschäftigt, wo er 1934 bei Erich Pommers Produktion Music in the Air Regie fuhrt und Billy Wilder fur das Drehbuch verantwortlich ist, doch an seine großen Erfolge reicht er nicht mehr heran. 26
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Joe May
1943 kann er gemeinsam mit Fritz Kortner einen Film machen — The strange death of AdolfHitler.
Nach den Ende des Krieges geraten Joe und
Mia in eine prekäre finanzielle Situation, der Versuch, ein Restaurant zu führen, scheitert, sie sind von der finanziellen Unterstützung wohlmeinender Freunde abhängig. 1954 stirbt Joe, der einstmalige Filmpionier, in Hollywood. 6 Der Filmproduzent Joe M a y vulgo Julius Mandl
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DER AUFDECKER
IGNAZ
Joes Onkel Ignaz, geboren 1833 in Veszprem, spielt fiir die Entwicklung der politischen Radikalität eine unrühmliche Rolle. Da er trotz abgeschlossenen Medizinstudiums den Arztberuf nicht ausüben will, nimmt er eine Stellung als Hofmeister bei Familie Todesco an - eine wichtige und einflussreiche Familie der jüdisch-großbürgerlichen Finanzaristokratie Wiens. 1863, vier Jahre nach seinem Eintritt bei Todescos, heiratet Ignaz Mandl die verwitwete Tochter des Hauses, Amalia Löwenstein, die zwölf Jahre älter ist als er - ein ziemlicher Skandal zur damaligen Zeit. Die Ehe hält nicht lange, der langjährige Bürgermeister von Wien, Cajetan Felder, schreibt in seinen Lebenserinnerungen: „In den ersten Jahren meiner Advokatenpraxis machte der Ehescheidungsprozeß eines Dr. Mandl und einer Tochter des Hauses Todesco in Gerichts- und Advokatenkreisen großes Aufsehen, insbesondere durch das vom klagenden Gatten beigebrachte Beweismaterial, unter welchem neben einem Notizbüchel eines Stubenmädchens auch ein bemakeltes Originalleintuch eine Rolle spielte. Dem Skandale soll durch eine Anzahl Nordbahnaktien ein Ende gemacht worden sein." 7 Ignaz Mandl gilt als ,Aufdecker", „Enthüller" und als Lehrer und Mentor Luegers. Er kann als Volksagitator großen Stils bezeichnet werden, der lange Zeit fiir Lueger einen der wichtigsten und einflussreichsten Mitstreiter darstellt. Cajetan Felder schätzt in einem Nachruf am 5. Mai 1907 in der Neuen Freien Presse die Bedeutung Mandls fiir die politische Entwicklung hoch ein: „Der Aufstieg Karl Luegers wäre unmöglich gewesen, hätte er nicht dem ältern Freunde und Lehrmeister das System entlehnt ... Mandl war Luegers Lehrer; Mandls Einfluß war es zuzuschreiben, daß sich Dr. Lueger von der Mittelpartei losgesagt hat und den Demokraten zuwandte; Mandl zeigte ihm den Weg zur Agitation im großen Stile; Mandl enthüllte ihm das innere Getriebe der Kommunalverwaltung; Mandl war der erste, der den Gegensatz zwischen der damaligen Majorität und dem .kleinen Mann' mit aller Schärfe hervorhob."8 Der Verein „Eintracht" wird von Ignaz gegründet - wobei der Name wohl nicht den dort vorherrschenden Ton symbolisieren dürfte. Im Gegenteil : Er ist berüchtigt dafür, mit seiner lautstarken Rhetorik gegen den doch noch gewahrten Salonton im politischen Leben der 1870er Jahre zu 28
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„Die Bombe". Ignaz Mandl
verstoßen. Bürgermeister Felder beschreibt Ignaz als „kleines, schmächtiges Männchen, mit nervös-bewegten Gesichtszügen, funkelnden Augen und heftiger Sprache und Gestikulation" 9 . Er wird für Felder zum Feindbild Nummer eins. Die Inkarnation des bösen Prinzips, ein unzurechnungsfähiger Manikus, ein habitueller Dämon sind nur einige der Ausdrücke, mit denen er Ignaz Mandl bezeichnet. Vielleicht in manchem überzeichnet, doch äußern sich auch andere Zeitgenossen in der selben Art und Weise. Ignaz wiederum widmet sein Leben dem Kampf gegen Felder. Im oben erwähnten Nachruf liest man weiter: „Keine politische oder soziale, ethische oder wirtschaftliche Anschauung war der Leitstern seines Tuns oder Lassens, sondern persönlicher Haß und Erbitterung ... Es war ein grausamer Guerillakrieg." Ignaz Mandl wird als Delegierter des dritten Wiener Gemeindebezirkes in den Gemeinderat gewählt, wo er von 1874 bis 1879 und von 1880 bis 1889, geprägt durch die Opposition gegen Cajetan Felder, aktiv ist. Karl Lueger und Ignaz Mandl gerieren sich als kommunale Detektive, als Der Aufdecker Ignaz
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„Korruptionsschnüffler" - Bürgermeister Felder bezeichnet das Jahr 1874 als Wendepunkt im Wiener Gemeindeleben". Am 6. September 1876 berichtet das Illustrierte Wiener Extrablatt unter der Überschrift „Bubenstreiche": „Zu dem exzesslustigen Mandl hat sich ein feuriger Jüngling gesellt, so dass eine Zweimänner-Partei entstand, deren Devise: Reklame! heißt. Kein Mittel ist ihnen zu elend ... Der Kompagnon des Dr. Mandl heißt Dr. Lueger. Der junge Anfänger will genannt werden; vielleicht bleibt an den Zeitungsnotizen ein fetter Klient hängen . . . " Er deckt also auf — und seine Informationsarbeit ist, wie man sich vorstellen kann, eher einseitig, es kommt zu Anschuldigungen und Denunziationen, die unhaltbar und unbeweisbar sind. In der von ihm gegründeten Zeitschrift „Fortschritt" bietet sich das Forum, diese Vorwürfe auszuwalzen. Letztendlich geht es um den Konflikt zwischen den gerade noch an der Macht befindlichen Liberalen, symbolisiert durch Cajetan Felder, und den aufkommenden Massenparteien und im Besonderen dem Populismus, den Lueger dann zu einer ersten Vollendung bringt. Doch ohne seinen „Lehrer" Mandl wäre Lueger wahrscheinlich in seiner Rhetorik nicht so weit gekommen. Aber Undank ist der Welten Lohn unter diesem Motto kann man das spätere Zerwürfnis zwischen Lueger und Mandl betrachten. Die Entscheidung zwischen dem alten Mitstreiter und der Möglichkeit, durch offenen Antisemitismus Stimmen zu gewinnen, ist wohl keine schwere. Arthur Schnitzler meint über Lueger, dass er im Herzen „auch auf der Höhe seiner Popularität, sowenig Antisemit [war] als zu der Zeit, da er im Hause des Dr. Ferdinand Mandl mit dessen Bruder Ignaz und anderen Juden Tarock spielte ... Mir galt gerade das immer als der stärkste Beweis seiner moralischen Fragwürdigkeit."' 0 Auch die alten Weggenossen Ignaz Mandls werden seiner überdrüssig, bei den Reichsrats- und Gemeinderatswahlen des Jahres 1889 erleidet er eine empfindliche Niederlage und scheidet aus der Politik aus, seine 15jährige politische Tätigkeit ist zu Ende. Auf Grund seiner guten materiellen Verhältnisse kann sich Ignaz Mandl nun zurückziehen, er verbringt viel Zeit in den Sommerfrischen Brühl, Bad Vöslau und Baden - wohin ihn früher Lueger oft begleitet hatte. Die letzten Jahre seines Lebens beschäftigt er sich mit nationalökonomischen Studien, bereitet auch ein Buch vor, das sich mit der sozialen Frage auseinander setzt. 1902, fünf Jahre vor seinem Tod, konvertiert er zum katholischen Glauben - lange 30
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nach dem Ende seiner politischen Tätigkeit, die ja wohl auch wegen seiner Konfession ein eher abruptes Ende nahm - und vollendet damit auch nach außen die Assimilation, die nicht so viele Jahre später seinen Kindern und Enkeln wieder genommen werden wird. 1871 hatte Ignaz zum zweiten Mal geheiratet, mit seiner Frau Antonie Richter bekommt er drei Kinder: Helene, Rudolf und Ottilie. Alle drei Kinder werden aus dem Judentum austreten. Die Nachwirkungen seiner Tätigkeit, seiner Rhetorik, seiner zum Teil nicht bewiesenen Vorwürfe sind wohl bis heute in der politischen Sprache und in der politischen Aktion zu verspüren.
DER B L I N D E A R Z T F E R D I N A N D U N D S E I N E S Ö H N E
Ignaz Bruder Ferdinand, geboren 1829 in Veszprem, ist einige Jahre lang als Arzt in Jassy tätig. Jassy, im Nordosten Rumäniens gelegen, ist eine traditionsreiche und bedeutende Stadt, in der im 19. Jahrhundert wichtige Kulturinstitutionen gegründet werden, so 1835 die erste rumänischsprachige Hochschule in der Geschichte des Landes und 1849 das bedeutende und lange Zeit tonangebende Nationaltheater. Ferdinand Mandl lebt gerade in dieser Zeit des kulturellen Aufbruchs in der Stadt und lernt wohl dort auch seine zukünftige Frau Friederike Schorr kennen — sie stammt nämlich aus dem angrenzenden Bessarabien. Mitte der 1860er Jahre übersiedelt Ferdinand mit seiner Familie nach Wien. Bei einer Untersuchung infiziert er sich mit einer eitrigen Bindehautentzündung und erblindet innerhalb weniger Tage. Der berühmte Augenarzt Ferdinand Arlt lässt, nachdem die Diagnose endgültig ist, ein Fläschchen mit Gift neben dem Patienten stehen. Doch der erblindete Arzt „entschied sich", wie Arthur Schnitzler berichtet, „nach schwerem inneren Kampf dafür, seiner Familie und seinem Beruf weiterzuleben. Sein Gebrechen aber, fern davon, ihm in der Praxis Abbruch zu tun, verschaffte ihm vielmehr allmählich, besonders unter seinen Landsleuten und Glaubensgenossen, den Ruf eines Wundermannes. Das an Anbetung grenzende Vertrauen, das ihm von den Hilfesuchenden, die zärtliche Liebe, die ihm von den Seinen, die Ehrfurcht, die ihm auch von Fernstehenden entgegengebracht wurde, half gewiß mit, ihn sein Schicksal mit Der blinde A m Ferdinand und seine Söhne
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Ergebung und Würde, ja vielleicht wie ein gottgesandtes tragen zu lassen, dazu bestimmt, im unergründlichen Zusammenhang der Dinge andern Leidenden
zum
Heile zu gereichen. Jedenfalls ging von seinem edlen Antlitz, über dessen einem Auge er stets eine schwarze Binde trug, mit dem wallenden grauen Haupthaar und dem Patriarchenbart ein so milder, gleichsam
priesterlicher
Schein
aus, dass auch Schwerkranke hoffen durften, in seiner Nähe, wenn auch nicht gerade Heilung ihrer Louis Mandl
Leiden, so doch ein nachahmungswürdig hohes Beispiel seelischer Gefasstheit zu finden.""
Sein ältester Sohn Alexander wird in der Folge noch eine bedeutende Rolle fur die Hirtenberger Patronenfabrik spielen und, von den Nazis vertrieben, 1943 in der Emigration in Argentinien sterben. Der zweite Sohn Ludwig wird wie der Vater Arzt. Die Spur eines weiteren Sohnes, Wilhelm, verliert sich 1939 — er ist zu diesem Zeitpunkt bereits über 70 Jahre alt. Doch noch kann man sich nicht in den ärgsten Träumen vorstellen, dass dieses bürgerliche, behütete und kultivierte Leben einmal in der Verfolgung des Naziterrors enden wird. Ludwig, genannt Louis, absolviert gemeinsam mit seinem Cousin Arthur Schnitzler das Medizinstudium. Und unternimmt wohl auch viel anderes mit ihm. Schnitzler schreibt, dass er „bei meinem Vetter Louis Mandl, wie übrigens auch auf öffentlichen und privaten Tanzunterhaltungen öfters mit seinen Cousinen zusammentraf, den hübschen halb- und ganzerwachsenen Töchtern des mit dreizehn oder vierzehn Kindern gesegneten Ehepaars Adler, die ... sämtlich in ihren hübschen, sanften, mit der Zunge leicht anstoßenden und platonisch paschahaften Cousin verliebt waren oder deren Sinnlichkeit sich auf ihn objektiviert hatte" 12 . 32
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MANDL
Ludwig Mandl ist trotz so mancher Eskapaden ein fleißiger Student, der 1885 mit 23 Jahren promoviert - gemeinsam mit seinem gleichaltrigen Cousin Arthur - und in weiterer Folge ein angesehener Gynäkologe wird. Fünf Jahre später heiratet er seine direkte Cousine Irene Mandl, die Tochter des bereits im Zusammenhang mit der Getreidehandlung erwähnten Bernhard. Ehen zwischen Cousins und Cousinen sind in traditionellen jüdischen Familien nicht selten - ein Zeichen dafür, dass Traditionen auch noch in Wien trotz der starken Assimilationstendenzen gewahrt werden. Er stirbt 1937, und so bleibt ihm das Schicksal seiner Geschwister erspart.
DIE A N F Ä N G E IN
HIRTENBERG
Alexander, 1861 geboren und somit ein Jahr älter als sein Bruder Ludwig, studiert Physik und Chemie. 1910 konvertiert er zum Katholizismus — „ledig", wie in den Akten vermerkt ist. Sein Sohn Fritz war jedoch bereits 1900 zur Welt gekommen, die Mutter ist Maria Mohr, die nicht jüdisch, sondern katholisch
ist
und
aus
Graz
stammt. Offenbar ringt Alexander zehn Jahre mit sich, ob er konvertieren soll, um heiraten zu können -
interkonfessionelle Eheschlie-
ßungen sind ja zur damaligen Zeit unmöglich. Ob dafür religiöse, tra-
Alexander Mandl
ditionelle Gründe eine Rolle spielen, ist schwer zu sagen. Tatsache ist jedenfalls, dass kaum ein Mitglied der Familie konvertiert und so die Brücken zur eigenen Herkunft völlig abbricht: Von den sechs Kindern Leopold und Julie Mandls konvertiert nur Ignaz, von den ungefähr 30 Enkeln konvertieren nur sechs — also ein Fünftel. Daraus kann man wohl Die Anfänge in Hirtenberg
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Ansichtskarte der Patronenfabrik, ipio
schließen, dass die Traditionen auch in der zweiten Generation gepflegt werden und dass die A b w e n d u n g von Religion und Identität der Vorfahren nicht das oberste anzustrebende Ziel ist. Konvertieren ist w o h l eher notwendige Voraussetzung f ü r eine Heirat und nicht eine bewusst gesetzte H a n d l u n g . Es ist jedenfalls offensichtlich, dass die Familie in Bezug auf Eheschließungen sehr unkonventionell ist und in diesem Punkt weder jüdische noch gesellschaftliche Gegebenheiten allzu wichtig nimmt. Ungewöhnlich f ü r die damalige Zeit. Nach dem Tod seines Onkels Ludwig 1893 tritt Alexander M a n d l in die Hirtenberger Patronenfabrik ein. Er ist nun gemeinsam mit seinem Onkel Sigmund federführend an deren weiteren Entwicklung beteiligt. 1897 wird die Patronenfabrik in eine Aktiengesellschaft mit dem N a m e n „Hirtenberger Patronen-Zündhütchen-Metallwarenfabrik A G . , vormals Keller & C o " umgewandelt, wobei ein Teil der Aktien von der Creditanstalt, die sich bereits einige Jahre vorher an der Gesellschaft beteiligt hatte, behalten wird. 1904 scheidet der noch beteiligte A n t o n Keller wegen Meinungsverschiedenheiten aus der Firmenleitung aus und gründet 1905 im nahe gelegenen Enzesfeld das „Anton Keller Metallwerk und Munitionsfabrik an der
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MANDL
Besuch einer
Triesting", angeblich um dem nun unter der alleinigen Führung von Mandl stehenden Betrieb in Hirtenberg Konkurrenz zu machen. Der Mitarbeiterstand der Hirtenberger Patronenfabrik pendelt in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts der Rüstungskonjunktur entsprechend zwischen 500 und 2000 Arbeitnehmern im Jahre 1913 und nimmt natürlich im Laufe des Ersten Weltkrieges noch zu: Der Höchststand von 4188 Beschäftigten wird im Jahre 1916 erreicht. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges kommt es zu Auftragseinbrüchen und in der Folge zu Massenentlassungen. Die Lage wird noch zusätzlich dadurch verschärft, dass die Alliierten Osterreich nur eine einzige als „Staatsfabrik" deklarierte Rüstungsfertigung erlauben. Die Munitionsfabriken werden somit gezwungen, sich sehr schnell auf zivile Produktion umzustellen und die Rüstungsfertigung ins Ausland zu verlegen. Das gelingt der Hirtenberger Patronenfabrik durch die Konzentration auf Jagdmunition - im Gegensatz zu den Betrieben der Pulverwerke Roth und den staatlichen Betrieben in Wollersdorf und Blumau. A m 18. April 1920 bricht in der Hirtenberger Patronenfabrik ein verheerender Brand aus, der große Teile des Betriebes vernichtet. BrandstifDie Anfänge in Hirtenberg
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tung dürfte wohl die Ursache gewesen sein. Der Personalstand wird dadurch von 1474 davor auf 663 nach dem Brand reduziert - ein schwerer Schlag für eine Region, die ohnehin schon stark von der Arbeitslosigkeit betroffen ist. Der Wiederaufbau wird unter der Leitung von Generaldirektor Alexander Mandl in aufgelockerter Bauweise veranlasst, um fur die Zukunft das Ubergreifen der Flammen im Brandfall verhindern zu können.
FRITZ MANDL U N D DER AUFSTIEG DER HIRTENBERGER
PATRONENFABRIK
Alexander Mandls Sohn Fritz, geboren 1900 in Wien, absolviert das Piaristen-Konvent in Krems, rückt 1918 als Einjährig-Freiwilliger ein, studiert Chemie und tritt 1920 in die Hirtenberger Patronenfabrik unter der Generaldirektion seines Vaters ein. Er ist wohl eine der vielschichtigsten, interessantesten und auch widersprüchlichsten Persönlichkeiten dieser Jahre. Politisch sehr stark exponiert, geschäftlich unglaublich erfolgreich, „österreichischer Munitionskönig"' 3 , fünf Ehen, geschicktes Taktieren mit den Nazis — dies sind nur einige der Schlagworte, die auf ihn zutreffen. 1921 expandiert das Unternehmen durch Gründung einer Munitionsfabrik in Polen, 1926 erwirbt es Beteiligungen in den Niederlanden (Dorderecht), der Schweiz (Solothurn) und in Deutschland. Letztere werden ebenso wie eine Niederlassung in Ungarn Ende der 1920er Jahre wieder verkauft. Diese ausländischen Beteiligungen und Gründungen sind die einzige Möglichkeit, den Friedensvertrag von St. Germain zu umgehen und somit im internationalen Munitions- und Waffengeschäft konkurrenzfähig zu bleiben. Die Rechnung geht auf — seine spätere Frau Hedy Kiesler-Lamarr wird den Einfluss und die Macht Fritz Mandls wohl etwas überspitzt, aber sicherlich im Prinzip den Tatsachen entsprechend beschreiben: „Ich glaube, ich sehe ihn noch immer als Riesen. Er war Besitzer der Hirtenberger Patronenfabrik, eines der ,vier großen' Unternehmen für Munitionsherstellung. Er war bekannt und gefürchtet in jeder Hauptstadt der Welt. Es wurde ihm nachgesagt, daß er Kriege begann und beendete. Er war völlig erbarmungslos in der Liebe wie im Geschäft. Er war gutaussehend, anziehend."' 4 Fritz Mandl wird zu einem der be36
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deutendsten und erfolgreichsten Munitions- und Waffenfabrikanten. In dieser Zeit der bewaffneten Auseinandersetzungen ist es nicht weiter schwierig, Aufträge zu erhalten - manchmal sogar von zwei gegeneinander kämpfenden Seiten. Moral und Ideologie spielen in diesem Geschäft keine Rolle. 1928 erfolgt der Kauf der Roth'schen Patronenfabrik in Lichtenwörth, die zusammen mit der Pulverfabrik Blumau und den Enzesfelder Metallwerken zur Belieferung des österreichischen Bundesheeres zugelassen ist. Über diesen Umweg können nun auch bedeutende Aufträge des österreichischen Bundesheeres übernommen werden. Die Hirtenberger Patronenfabrik selbst jedoch bekommt keine derartigen Aufträge direkt erteilt, „Hirtenberg war die einzige Großindustrie, die 11 Jahre lang, von 1922-1933 keinen Staatsauftrag erhalten habe"'5. Es ist nicht verwunderlich, dass ca. 80 bis 90 % der Produktion ins Ausland gehen, wie Fritz Mandl in einem Brief an Arthur Seyß-Inquart vom 27. März 1938 erklärt: „Trotz Friedensverträgen, die uns die Patronenerzeugung verboten, ist es mir gelungen, immer den Betrieb aufrechtzuerhalten. Wir waren eines der wenigen Werke, die fast ausschließlich fxir den Export arbeiteten. Wir konnten kaum 10 % unserer Produktion im Inland absetzen. Wir haben trotz der Größe unserer Werke auch in den schwersten Jahren nie Staatshilfe oder Bankkredite in Anspruch genommen, uns immer aus eigener Kraft erhalten und tausenden Menschen Arbeit gegeben. Über meine sociale Einstellung können am besten meine Arbeiter und Angestellten Auskunft geben."' 6 1930 übernimmt Fritz Mandl von seinem Vater Alexander die Generaldirektion und setzt die begonnene Expansion fort. Darüber hinaus werden nun in Hirtenberg auch Flugzeuge erzeugt. In den 30er Jahren einsetzende Rüstungsaufträge aus dem Ausland ermöglichen einen neuen Aufschwung. Er selbst erwirbt im Laufe der Jahre die Aktienmehrheit der Hirtenberger und bringt sie in eine Schweizer Holding ein — dies wird sich in der Folge noch als glücklicher und weit vorausblickender Schachzug erweisen. Wie so viele andere Unternehmer seiner Zeit hat er mit den Arbeitern und Angestellten seiner Fabrik ein gutes Einverständnis, dies entspricht dem sozialen Denken der damaligen Zeit. Noch heute erzählt man in Hirtenberg, dass Fritz Mandl wesentlich bessere Löhne zahlte als allgeFritz Mandl und der Aufstieg der Hirtenberger Patronenfabrik
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mein üblich. Doch gegenüber den Arbeitern „im Allgemeinen" stellt Mandl die Personifizierung des Faschismus dar, er gilt als Großkapitalist, der die Heimwehr finanziert, um die Arbeiter niederzuhalten. Auf Grund seiner Freundschaft mit Ernst Rüdiger Starhemberg ist Fritz Mandl ein großer Gönner der Heimwehr - 1929 tritt er auch selbst bei. Diese Freundschaft zeigt ein Phänomen, das typisch ist: Starhemberg hält mit antisemitischen Bemerkungen nicht hinter dem Berg - „Köpfe mit krummen Nasen müßten rollen", zitiert der Jurist Max Löwenthal einen Ausspruch Starhembergs in seinen Erinnerungen' 7 . Fritz Mandl wiederum ist bemüht, seine jüdische Herkunft nicht allzu publik werden zu lassen. Dies zeigt das angesprochene Phänomen: Konvertierte Juden fühlen sich offenbar nicht betroffen, wenn sich enge Freunde antisemitisch äußern, im Gegenteil, sie selbst bedienen sich derselben Diktion. Doch steht dann ein sozialer Antisemitismus im Vordergrund - Snobismus gegenüber den armen jüdischen Flüchtlingen, die einer völlig anderen sozialen Schicht angehören und damit auch einer völlig fremden Welt. Soziale Überheblichkeit steht über (rassisch-)antisemitischen Gefühlen. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass Starhemberg in seinen Memoiren den Namen Mandl nie erwähnt - die Verbindung sollte nicht publik werden, auch wenn ja genug Leute davon wussten und diese Tatsache, wie sich weiter unten zeigen wird, auch in den Zeitungen besprochen wird. Und somit befinden wir uns bereits mitten in den politischen Wirrnissen der 1930er Jahre, in die Fritz Mandl nicht unwesentlich verstrickt ist. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 stellt letztendlich den Auslöser ftir die Ausschaltung der Demokratie in Osterreich dar. Ais 1930 die österreichische Heimwehr und faschistische Organisationen in Ungarn nach mehr Waffen verlangen, kommt es zu einem Gespräch zwischen Starhemberg und dem ungarischen Kriegsminister Julius Gömbös. Es geht um Waffen, die in italienischen Depots lagern und aus dem Ersten Weltkrieg stammen. Laut Starhemberg soll Gömbös gesagt haben: „Die Schwierigkeit besteht darin, das so genannte Altmaterial nach Österreich bzw. Ungarn zu bringen, denn bei uns sind die Agenten der kleinen Entente hinter allem her, und bei Euch kommen die sozialistischen Eisenbahner darauf, Du kannst Dir denken, was das für einen Skandal gibt."'8 Ungarn war es ja im Vertrag von Trianon 1920 verboten worden, Waffen 38
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einzuführen - daher kann ein Transport nur im Geheimen durchgeführt werden. Das Projekt wird dennoch durchgezogen, doch die warnenden Worte des ungarischen Kriegsministers sollen sich bewahrheiten. Am 8. Jänner 1933, in einer politisch mittlerweile immer prekärer werdenden Situation, wird dieser Waffenschmuggel großen Stils von sozialdemokratischen Eisenbahnern aufgedeckt: Fritz Mandl stellt seine Fabrik in Hirtenberg als Drehscheibe zur Verfügung, sozialdemokratische Eisenbahner entdecken in Villach 40 Waggons mit Waffen, die unter dem Vorwand, es handle sich um altösterreichisches Kriegsmaterial aus Beutebeständen, vom faschistischen Italien über die Mandl'sche Fabrik, offiziell zur Reparatur, zum Teil der Heimwehr, zum Teil der Horthy-Regierung in Ungarn zugute kommen sollen. Das Material soll in Hirtenberg auf Lastwagen umgeladen und nach Ungarn weitertransportiert werden. Bereits im Dezember 1932 hat es solche Transporte gegeben, doch kann zu diesem Zeitpunkt noch nichts Illegales nachgewiesen werden. Nach dem Anschluss wird sich dann auch der neue „Besitzer" der Hirtenberger Patronenfabrik, die Wilhelm-Gustloff-Stiftung, fur die Vorgänge interessieren - und der stellvertretende Generaldirektor der Hirtenberger Patronenfabrik Pflug dementiert auch noch in einem Brief vom 28. April 1938 an Staatsrat Eberhardt, dem Vertreter der Gustloff-Werke, dass es sich um Waffenschmuggel in großem Stile gehandelt haben soll: „Von uns wurden keine Gewehrgeschäfte gemacht. Italien hatte Ende 1932 der ungarischen Regierung ca. 100.000 Gewehre und 1.000 M G geschenkt, und zwar alte Mannlicher (meistens die Gewehre zu Stutzen abgeschnitten). Da ein direkter Transport von Italien nach Ungarn nicht möglich war, ist Ungarn an Hirtenberg, welches um diese Zeit Munitionstransporte nach Ungarn hatte, herangetreten, auch diese Transporte durchzuführen. Am 3 1 . 1 2 . 1 9 3 2 sind dann die ersten Transporte in Hirtenberg eingetroffen, und zwar war Absender Cav. Cortese, Brescia. Hirtenberg hat einen Teil der Waffen mittels Auto nach Ungarn gebracht, der Großteil der Waffen wurde vom Heer übernommen und angeblich gelegentlich einer Gefechtsübung an der Grenze den Ungarn übergeben."'9 Die Arbeiter-Zeitung nimmt sich als einziges Medium der Sache an und berichtet bereits in der Ausgabe vom 8. Jänner 1933 am Titelblatt unter der Überschrift „Italienische Waffen für Ungarn gehen über Osterreich ! Eine große Waffenschiebung in der Fabrik des Starhemberg-FreunFritz Mandl und der Aufstieg der Hirtenberger Patronenfabrik
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des Mandl": „Die Hirtenberger Patronenfabrik, die bekanndich dem Herrn Mandl, dem Freund Starhembergs und Förderer der Heimwehr gehört, ist gegenwärtig der Schauplatz eines dunklen und gefährlichen Geschäftes : In den letzten zwei, drei Tagen sind, als Eisenwaren deklariert, vierzig Wagons Gewehre und Maschinengewehre aus Italien in Hirtenberg eingetroffen ... Dazu erfahren wir noch, daß dieser Transport bereits der zweite ist, der in der letzten Zeit denselben Weg genommen hat." Die Regierung versucht zu vertuschen, dass sie auch nur davon gewusst haben könnte. Doch erzählt der Generaldirektor der Bundesbahn einem sozialdemokratischen Abgeordneten im Februar, dass die Waggons nun gleichsam fehlgeleitet nicht nach Italien zurückfuhren, sondern in Odenburg entladen werden sollen. Der Bundesbahnchef muss daraufhin seinen Hut nehmen, die Waffen werden offiziell nach Italien zurückgeführt. Zumindest wird dies dem Völkerbund gegenüber behauptet. Tatsächlich verschwindet ein guter Teil des Materials in dunklen österreichischen Kanälen. Die Arbeiter-Zeitung stellt aber schon am 8. Jänner die Frage, wie es „möglich ist, daß sich so große Waffentransporte über österreichisches Gebiet abspielen können, ohne daß auch die Behörden davon erfahren ... Man darf wohl auch vermuten, daß bei dieser dunklen Sache die guten Beziehungen des Herrn Mandl zu der Heimwehr und den Heimwehrministern eine Rolle spielten." Die Regierung hat selbstverständlich davon gewusst und versucht nun ziemlich ungeschickt, die Angelegenheit nicht zu einer Affäre werden zu lassen. Umsonst - es folgen eine große Medienkampagne und diplomatische Schritte der Staaten der Großen und Kleinen Entente. Alle anderen Medien berichten nur sehr vorsichtig über diese Affäre, die abschwächend und letztendlich verharmlosend als „angebliche Waffenlieferungen", „Waffentransporte", „Waffenreparaturen"10 bezeichnet werden. Das Neue Wiener Journal versucht in der Ausgabe vom 10. Jänner 1933, den Spieß umzudrehen, und beschuldigt die Sozialisten, „alles [zu] sabotieren, was Arbeit schaffen könnte ... Auch gegen den Auftrag an die Hirtenberger Fabrik, der so und so viele Arbeiter beschäftigen wird, haben die Austromarxisten nun eine Hetz- und Verleumdungskampagne unternommen." Doch bleibt es ein klarer Bruch der Verträge von Saint Germain; das Ausland protestiert lautstark und die innenpolitische Situation wird noch fragiler. Die weitreichende Folge dieser Affäre ist der entscheidende Bruch 40
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zwischen der Regierung Dollfuß und der sozialistischen Opposition. Dollfuß beschuldigt die Sozialisten, die Angelegenheit aufgebauscht zu haben - tatsächlich liegt die Schuld aber wohl doch bei seiner eigenen Koalition mit der Rechten und so manchen undurchsichtigen Heimwehrverbündeten. Die Hirtenberger Waffenaffäre rückt jedoch bald auf Grund der politischen Entwicklungen in Deutschland in den Hintergrund - am 30. Jänner 1933 wird Hitler zum Reichskanzler ernannt, nun stehen andere Probleme, Ängste und Unsicherheiten im Mittelpunkt der Berichterstattung. Doch ist sie letztendlich der Auslöser für die am 4. März 1933 erfolgte „Selbstausschaltung des Parlaments". Später, im Zuge der „Arisierung" der Hirtenberger Patronenfabrik, wird Fritz Mandl seine politische Tätigkeit Revue passieren lassen und seine Haltung verteidigen: „Ich war immer und zwar zu einer Zeit, in der es wenig Industrielle wagten, ein scharfer Gegner der Sozialisten. Gegen unser geschäftliches Interesse habe ich offen den Kampf gegen sie aufgenommen. Unsere Belegschaft war eine der ersten wirklich vom Sozialismus bekehrten. Seit der Niederringung der Sozialisten habe ich die rein christlich-sozialen Partei-Tendenzen bekämpft ... Ich war immer wegen meiner Tätigkeit im Heimatschutz in christlich-sozialen Parteikreisen sehr unbeliebt, weil ich auch immer allen offen die Wahrheit sagte. Schaden konnte man mir wenig, weil ich vollkommen unabhängig war, fast nur Exportgeschäfte hatte und von niemandem je etwas gewollt habe. Das will ich vor allem eindeutig feststellen. Ich habe nie jemanden gebeten, für mich irgendwo zu intervenieren, ich habe nie versucht, Politik und Geschäft zu verquicken. Ich habe nie meine Linie verlassen. Dieses offene Auftreten vor allem gegen die unfähigen christlich-sozialen Gewerkschaften ... führte dazu, daß mich der Kanzler über ein Jahr nicht empfing und alle sich bemühten, mir das Leben und meine Arbeit so schwer als nur möglich zu machen. Das steigerte sich so, daß ich mich im vergangenen Jahr [1937] entschloß, nach Argentinien auszuwandern. Erst als der Kanzler dies erfuhr, versprach er mir, alles zu machen, um mir dies zu ermöglichen. So fuhr ich damals hinüber und verpflichtete mich nach Argentinien."21 1935 wird Fritz Mandl Mitglied des niederösterreichischen Landtages und des niederösterreichischen Industriellenverbandes. Gemeinsam mit Starhemberg versucht er 1936, eine Annäherung zwischen Osterreich und Fritz Mandl und der Aufstieg der Hirtenberger Patronenfabrik
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Deutschland herbeizuführen, indem eine Unterredung zwischen Göring und Starhemberg arrangiert werden soll. Göring sollte von Gömbös zur Jagd nach Ungarn eingeladen werden, wo er dann „zufällig" mit Starhemberg zusammentreffen könne. Fritz Mandl erinnert sich in einem Brief vom 27. März 1938: „Als ich, leider vergeblich, zweimal durch den mir befreundeten ungarischen Ministerpräsidenten Gömbös eine Zusammenkunft zwischen Ministerpräsidenten Goering und Fürst Starhemberg vermittelte, und zuletzt dieses Zusammentreffen fest vereinbart war, kam diese Absicht dem damaligen Kanzler Schuschnigg zu Ohren, Starhemberg mußte aus der Regierung und der Heimatschutz wurde aufgelöst. Seit damals wurde ich von Schuschnigg gehaßt." 21
„EKSTASE" UND HEDY LAMARR
Doch nicht nur politisch sorgt Fritz Mandl für Schlagzeilen: Am 10. August 1933 heiratet er die Schauspielerin und Schönheitskönigin - in der damaligen Zeit tatsächlich noch etwas Besonderes und Erwähnenswertes — Hedy Kiesler, die im selben Jahr durch eine Nacktszene im Film Ekstase weltweite Berühmtheit erlangt hatte. In Hollywood wurde sie unter dem Namen Hedy Lamarr zum Weltstar. Geboren 1914 in Wien als behütete Tochter einer jüdischen Familie, will sie um jeden Preis Schauspielerin werden - was ihr auch gelingt. Max Reinhardt entdeckt sie Ende der 1920er Jahre und holt sie nach Berlin. Fritz Mandl weiß offenbar in jeglicher Beziehung, was er will - auf jeden Fall schöne Frauen. Ein Grundsatz, den er bis zu seinem Lebensende beherzigt. Hedys Erinnerungen schildern das Kennenlernen mit Fritz Mandl folgendermaßen: „Ich sah Mandl das erste Mal in Wien hinter der Bühne. Damals spielte ich in einem Stück ,Sissy', das auf dem Leben der Kaiserin Elisabeth von Osterreich basierte. Seit einiger Zeit war ich mit Blumen überschüttet worden ... Wie immer stand auf allen Karten lediglich ,Fritz Mandl'. Mandl verlor keine Zeit. Gleich am nächsten Tag stattete er meinen Eltern einen Besuch ab und erbat die Erlaubnis, mir den Hof machen zu dürfen ... In den nächsten acht Wochen beherrschte er mein Leben. Z u allererst musste ich meine Karriere aufgeben. Mandl trug eine massive goldene Stopuhr bei sich und jede Minute war fest ein42
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Hedy Kiesler-Lamarr
geteilt. In einer schwarzen Limousine, gelenkt von einem Chauffeur, fuhren wir überall hin ... Und schließlich fragte — nein, verlangte er, dass ich ihn heirate ... Am 10. August 1933 legten wir in der St. Karls Kirche in Wien unser Gelübde ab ... Von diesem Augenblick an wurde mir klar, dass Mandl von Besitzgier besessen war. Er hatte mich nicht geheiratet, er hatte mich gesammelt, genau wie einen Geschäftserfolg." Für Fritz Mandl ist es schon die zweite Ehe, er war bereits mit Hella Strauß, einer Wiener Schönheit, verheiratet gewesen, der er bis März 1938 monatliche Alimente zahlt. „In ihrem zweijährigen wilden Zusammensein war auch er in zahlreiche Affären verwickelt; eine davon mit Eva May [Fritz' Cousine!], der berühmten deutschen Schauspielerin, die Selbstmord beging, als Mandl sie nicht heiraten wollte." So erinnert sich jedenfalls Hedy Lamarr. Der Wahrheitsgehalt ihrer Memoiren ist zweifelhaft, trotzdem sind die Beschreibungen des Beginnes der Weltkarriere Ekstase und Hedy Lamarr
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amüsant. Fritz ist im Aufsichtsrat der Sascha-Film in Wien, das Filmmetier scheint ihn immer schon angezogen zu haben. Die Entwicklungen und Ereignisse rund um Ekstase sind auch in seriöseren Quellen dokumentiert, daher kann man getrost die kurzweiligen Beschreibungen der Schauspielerin selbst zitieren: „Nun, es gab ftir mich keinen Grund, Bedenken gegen diesen Film zu haben. Ich hatte weder eine Ahnung von der Demütigung, die er mir bringen würde, noch dass er mich aus meinem mitteleuropäischen Kreis zum Weltruhm hinauskatapultieren würde. Noch von der Rolle, die er in meiner Ehe mit einem der reichsten Männer der Welt, Fritz Mandl, spielen würde." Dass dieser Film auch fiir ihre Ehe eine große Belastung darstellen sollte, wird ebenfalls bald klar und ist auch nicht weiters verwunderlich. Einige Zeit nach der Hochzeit beginnt der Wirbel um Ekstase immer heftiger zu werden. Fritz beauftragt seine Mitarbeiter, alle Kopien aufzukaufen - Geld spielt keine Rolle. „In seinem prunkvollen Konferenzzimmer war er ein wahrer König. Er dirigierte die zukünftigen Herrscher von Europa. Jeder wusste, dass der Krieg ihn bald zehnmal reicher machen würde, als er es war. Und doch: Bei all seiner Macht und all seinem Reichtum endete doch sein Bemühen,,Ekstase' auszulöschen, in einem Misserfolg." Als publik wird, dass Fritz Mandl alle Kopien um jeden Preis aufkauft, werden plötzlich immer mehr Kopien in Umlauf gebracht - mit einem eifersüchtigen Ehemann sind eben gute Geschäfte zu machen. Genaueres erfährt man über das gesellschaftliche Leben der Mandls zwischen 1933 und 1937 — also genau in der Zeit der Hirtenberger Waffenaffäre, des intensiven politischen Engagements und des enormen Aufschwungs der Patronenfabrik, denn „Gesellschaften zu geben, war Mandls Art, Geschäfte zu machen. Als Madame Mandl führte ich bei Gesellschaften zu Ehren von allen möglichen Persönlichkeiten, von Bühnen- und Filmstars bis zu Staatsoberhäuptern, den Vorsitz ... Wir hatten zwanzig Bedienstete. Unser Service war aus massivem Gold, und ich kann mich nicht entsinnen, dass einmal bei solchen Gelegenheiten weniger als dreißig Leute bei Tisch waren." Z u den Gästen im Hause Mandl zählen neben Mitgliedern der Hocharistokratie vor allem Künstler wie Odon von Horväth, Franz Werfel und Alma Mahler, aber auch Politiker wie Benito Mussolini. Der Luxus ist kaum vorstellbar, noch dazu wenn man an die Zeit der 44
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wirtschaftlichen Krise in Österreich denkt. „Ich hatte mein eigenes ZehnZimmer-Appartement in Wien und einen Palast in Salzburg. Ich hatte alles, was ich wollte - Kleider, Schmuck, sieben Autos. Jeden Luxus, außer Freiheit. Denn er hielt mich tatsächlich wie eine Gefangene! Ich wollte fliehen. Obwohl ich eine Berühmtheit war, war ich doch wieder nicht tapfer genug, Mandl um meine Freiheit zu bitten ... Eines Tages machte ich ein Experiment. Ich schlich mich einfach fort, ohne Plan. Mandl hatte eine geschäftliche Besprechung, mein Leibwächter machte Mittag, meine zwei persönlichen Dienstmädchen waren in der Waschküche und mein Chauffeur bastelte am Auto herum. Ich wollte nur einmal sehen, wie lange ich mit improvisierten Entschuldigungen wegbleiben könnte. Und so mischte ich mich unter die einkaufenden Menschen. Es dauerte nicht lange, bis ich Mandl auf einer Rolltreppe hinter mir entdeckte. Mandl verfolgte mich eindeutig." Fritz und Hedy lassen sich 1937 scheiden — ein Jahr später weiß Fritz Mandl, dass es, um seine eigenen Pensionsansprüche bei der Hirtenberger Patronenfabrik geltend zu machen, notwendig ist, die Ehe annullieren zu lassen - aus „rassischen Gründen", Hedy ist nach der Diktion der Nürnberger Gesetze jüdisch. Fritz schreibt am 26. März 1938 aus Villefranche an seinen Anwalt: „Die rasche Durchführung derselben ist für mich mit Rücksicht auf die deutschen Rassengesetze sehr wichtig ... Da ich nur zwei Großeltem habe, die rein arisch sind, ist diese Frage fur mich von großer Bedeutung. Vielleicht kann mir der Kardinal [Innitzer] auch sonst behilflich sein, er war mir immer sehr gewogen und eine Fürsprache von ihm bei den maßgebenden Stellen wird sicher einflußreich sein. Ich meine hier nicht nur das Kirchengericht." 13 Den Forderungen nach Pensionsansprüchen wird damit nichts mehr im Wege stehen: „Nachdem die Ehe des Herrn Mandl inzwischen in erster Instanz annulliert worden ist, ist ihm der besprochene Pensionsvertrag unter Ansetzung einer monatlichen Pension von R M 2.000,- (Inlandsreichsmark) im Entwurf zuzustellen, mit der Zusicherung, daß dieser Entwurf zum Vertrag erhoben werde, sofern und sobald die Annullierung rechtskräftig werde." 24 Doch noch ist es nicht soweit: Geschäftlich ist das Jahr 1937 sehr erfolgreich für Hirtenberg, durchschnittlich werden 3100 Arbeiter beschäftigt, die Auftragslage aus dem Ausland ist zufriedenstellend, wie in der Verwaltungsratssitzung vom 29. August 1938 festgehalten wird: Ekstase und Hedy Lamarr
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„Das Geschäftsjahr 1937 hat eine weitere Besserung gegenüber den Vorjahren ergeben. Der Umsatz ist auf 49 Millionen Schilling gestiegen (S 30 1/2 Mill. 1936) und entfielen hiervon rund 17 % auf das Inland und 83 % auf das Ausland. Die Ausfuhr verteilt sich wie folgt: Czarnecki, Polen
510.000
Mexico (Louis Dieu)
279.000
Griechenland Veitjens, Berlin
138.000 290.000
Bulgarien
110.000
China
124.000
Irak
62.000 = 40.100.000
Behörden im Inland
7.500.000
Kommerzmunition
1.100.000
1937 war das günstigste Geschäftsjahr nach dem Kriege und wurde ganzjährig in zwei Schichten, teilweise in drei Schichten gearbeitet."25
E N T E I G N U N G DER HIRTENBERGER PATRONENFABRIK 1938
Für die Nationalsozialisten ist die Fabrik natürlich von vorrangiger Bedeutung, die .Arisierung" einer Patronenfabrik kann nicht warten. Doch stoßen die Nazis sehr schnell auf große Probleme: Sie haben Fritz Mandl, seine politische Vorausschau und sein taktisches Können maßlos unterschätzt. Am 13. März 1938 befindet sich Fritz Mandl gerade im Ausland und bleibt daher wenigstens persönlich von den Ubergriffen verschont. Sofort wird begonnen, „Ubernahmeverhandlungen" mit den Wilhelm Gustloff-Werken in Weimar zu fuhren. Die „Gustloff-Werke, Nationalsozialistische Industriestiftung" sind bereits ,Arisierungsspezialisten"; die Firma Simson & C o in Suhl war das erste Objekt der Begierde: „Dass in den Simson-Werken in sozialer Hinsicht geradezu trostlose Zustände herrschten, war bei dieser Gesinnung der jüdischen Inhaber nur eine Selbstverständlichkeit. Nach der Machtübernahme musste daher die Gleichschaltung der für die deutsche Wehrmacht so wichtigen Werke in Suhl eine meiner vordringlichsten Aufgaben sein. Dies wurde von mei46
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nem Mitarbeiter und mir nach einem zähen Kampf, der von unserer Seite auf rein rechtlichem Wege geführt wurde, erreicht."26 Auf rein rechtlichem Wege also. Genauso wird dann bei der Hirtenberger vorgegangen werden. Gauleiter Sauckel kommt selbst nach Hirtenberg, um der Belegschaft die erfolgte „Überführung in die Wilhelm-Gustloff-Stiftung" mitzuteilen, worüber die Thüringische Gauzeitung am 8. April 1938 begeistert berichtet: „Der Bericht kann nicht schließen, ohne über jene Kundgebung auf dem Fabrikhof in der Hirtenberger Patronenfabrik bei Wien zu berichten, in der Gauleiter [Sauckel] vor über 2000 Männern und Frauen sprach und die Uberführung in die ,Wilhelm-Gustloff-Stiftung' verkündete. Diese Munitionsfabrik mit mehreren tausend Arbeitern und Arbeiterinnen lieferte - mit Empörung und lauten Pfuirufen wurde diese Mitteilung in der Rede des Gauleiters aufgenommen - große Mengen an Munition an Rotspanien. Der Jude Mandl, der die Fabrik leitete, war noch rechtzeitig ins Ausland geflüchtet. Selbstverständlich sind die Lieferungen mit dem 12. März 1938 sofort abgestoppt worden. Der Gauleiter nahm diese Vorgänge zum Ausgangspunkt seiner Rede, die den österreichischen Arbeitern und Arbeiterinnen dieser Fabrik zum ersten Male in ihrem Leben die Wahrheit über das verbrecherische Judentum offenbarte." 27 Am 2. Jänner 1938 hatte Fritz Mandl einen Vertrag mit der Hirtenberger Patronenfabrik abgeschlossen, der beweist, dass er die kommenden politischen Geschehnisse bereits erahnt — oder mehr noch, erwartet. Er sichert sich ab, offenbar wissend, dass er nach einer Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Osterreich nicht mehr sicher ist, nicht mehr arbeiten kann. Seine Pläne, in Argentinien eine Fabrik zu gründen, werden konkreter - dies ist nun der Anlass, eine Beteiligung der Hirtenberger daran festzulegen: „Sie haben uns zur Kenntnis gebracht, dass Sie in den kommenden Jahren den größten Teil des Jahres in Argentinien zu verbringen beabsichtigen, Sie haben uns Ihre industriellen Pläne, die Sie in Argentinien zu verwirklichen beabsichtigen, auseinandergesetzt. Wir haben uns einverstanden erklärt, dass sich unsere Gesellschaft mit 250.000 englischen Pfund an Ihren Gründungen in Argentinien beteiligt. Sie bleiben auch während Ihrer Abwesenheit von Europa der leitende Generaldirektor unserer Gesellschaft, Sie werden aber Sorge tragen, dass während Ihrer Abwesenheit ein Stellvertreter die Geschäfte fuhrt. Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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Sie erhalten monatlich und zwar 13 Mal 10.000 österreichische Schillinge in Osterreich ausbezahlt. Weiteres erhalten Sie 13 Mal 1.000 englische Pfund jährlich dort zur Auszahlung gebracht, wo Sie es jeweils wünschen. Dieses Abkommen ist auf die Dauer von 10 Jahren geschlossen. Falls es aus irgendeinem Grunde früher aufgelöst würde, haben Sie fur jedes Jahr der vorzeitigen Auflösung den Anspruch auf sofortige Auszahlung von 130.000 österreichischen Schillingen und 19.500 englischen Pfunden. Sollte bis zum 31. März eine Preisgabe nicht erfolgt sein, sind Sie berechtigt, dieses Abkommen zu lösen und scheiden, wenn Sie es wünschen, aus unseren Diensten. In diesem Falle, wenn also die Auflösung des Dienstverhältnisses über Ihren ausdrücklichen Wunsch erfolgt, erhalten Sie als Abfertigung nachfolgende Beträge: 400.000 österreichische Schillinge und 200.000 englische Pfund. Wir vereinbaren, dass für dieses Abkommen Schweizerrecht maßgebend ist. Steuern aus obigen Bezügen gehen zu unseren Lasten, sodass die früher genannten Bezüge die Nettobezüge darstellen, die Ihnen frei von allen österreichischen Steuern verbleiben. Dieser Vertrag ist streng vertraulich zu behandeln."28 Die Nationalsozialisten werden diesen Vertrag und im Speziellen die Vertragspartner natürlich anders einschätzen, Staatsrat Eberhardt schreibt am 12. Mai 1938: „Inzwischen habe ich von dem famosen Vertrage Kenntnis erhalten, den Herr Mandl mit sich selbst unter Beihilfe des Rechtsanwaltes Dr. W. von Arx angeblich am 2. Jänner 1938 in Zürich abgeschlossen hat."29 Im Zuge der .Avisierung" der Hirtenberger Patronenfabrik verfasst Fritz Mandl eine Geschichte der Fabrik: „Das Werk ist eine der ältesten Patronenfabriken der Welt. Der Reichtum des Werkes liegt in dem ausgezeichneten Werkspersonal, das im Werk jahrzehntelang beschäftigt, sein Wissen förmlich von Generation zu Generation vererbte. Der Name des Unternehmens ist auf der ganzen Welt bestens bekannt und vorzüglich eingeführt ... Wir sind vielleicht das einzige Werk in Europa, das mit Jagd- und Pistolen-Munition angefangen bis zur 2 cm Munition neben der normalen auch alle Spezialpatronen erzeugen kann. 48
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Was meine Leistung betrifft, so glaube ich, dass mir alle meine Konkurrenten und alle Industriellen, die mit mir zu tun hatten, jederzeit das Zeugnis ausstellen werden, dass das Werk ausgezeichnet geführt war. Ich habe das Werk nach dem Weltkrieg zusammengebrochen übernommen, im Jahre 1920 ist es mir, durch Kommunisten angezündet, abgebrannt. Friedensverträge verboten mir die Erzeugung und heute steht ohne jede Staatshilfe wie in anderen Ländern eine der größten und besten Munitionsfabriken Europas da ... Als ich im Januar aus Argentinien zu kurzem Aufenthalt nach Wien kam, so geschah es nur, um alles zu liquidieren, um möglichst bald wieder nach der Durchführung meiner Verhandlungen in Brüssel und in Paris und in der Schweiz, die meine argentinischen Projekte betrafen, nach Buenos Aires zu reisen. Darum habe ich in Wien meinen Wohnsitz aufgegeben. Ich habe Wien mit einem großen Teil meines Gepäcks verlassen, als überhaupt von einem Eingreifen Deutschlands noch gar keine Rede war."30 Am 27. März 1938 tritt Fritz Mandl als Generaldirektor der Hirtenberger Patronenfabrik zurück - mit folgender Begründung: „Ich habe das Empfinden, dass die deutsche Regierung mir nicht das Vertrauen schenkt, das notwendig ist, um an der Spitze der Betriebe zu stehen, denen ich bis heute vorstand. Da mir das Wohl meiner Belegschaft immer vor allem gegangen ist, habe ich mich entschlossen, alle meine Stellungen zurückzulegen." 31 Er nützt diesen Brief zu einem Rückblick auf seine Tätigkeit und politische Einstellung: „Ich habe in dritter Generation meine Betriebe wie eine große Familie geführt, erleichtert dadurch, dass ich förmlich im Betrieb aufgewachsen bin. Seit meinem 19. Lebensjahre also durch fast zwei Jahrzehnte habe ich in Hirtenberg gearbeitet. Politisch habe ich mich nur im alten Heimatschutz betätigt, weil ich im Heimatschutzgedanken die Möglichkeit sah, wirkungsvoll dem Socialismus entgegenzutreten. Nach den Julitagen habe ich mich immer bemüht, den Weg zu einer Verständigung mit dem deutschen Reich zu finden. Darf ich noch erwähnen, dass ich zur Zeit der Entente-Kontrolle als einziger es wagte, Deutschland zu beliefern, und dabei eigentlich die Einstellung meines Werkes riskierte. Als es das deutsche Reichswehr-Ministerium wünschte, habe ich unsere polnischen Fabriken verkauft. Ich Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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habe nie etwas gegen Deutschland unternommen, gerade im Gegenteil. Der Wunsch, zu einer Verständigung mit Deutschland zu kommen, hat mir das Leben in Osterreich unerträglich gemacht. Darum habe ich im Mai 1937 beschlossen, nach Argentinien auszuwandern. Ich bin mit ganz kurzen Unterbrechungen seit damals nicht mehr in Osterreich gewesen. Ich wollte in Zukunft in Argentinien arbeiten und meinen Urlaub in meiner Heimat, an der ich furchtbar hänge, verbrinLIII
gen.
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In einem Aufruf an die Belegschaft verabschiedet sich Fritz Mandl als Generaldirektor: „An alle meine Arbeiter und Angestellten! Fast zwei Jahrzehnte habe ich mit Euch gearbeitet. Ihr wisst, dass ich in all den Jahren getreu dem Beispiel meiner Vorfahren nur ein Ziel immer im Auge hatte: das Wohl des Werkes und damit Euer Wohlergehen. Es war mir mit Gottes Hilfe vergönnt, unser Werk durch all die schweren Jahre so zu leiten, dass ich Euch immer Arbeit schaffen konnte. Wenn ich zustande gebracht habe, trotz Friedensverträge und Entente-Kommissionen den Betrieb aufrecht zu erhalten, keine Maschinen zerstören zu müssen und nach dem furchtbaren Brandunglück den Betrieb weiterführen konnte, so war das nur deshalb möglich, weil ich immer in all diesen schweren Stunden Euch hinter mir, Euch mit mir wusste. Ich habe dies auch immer dankbar anerkannt und ich glaube, Ihr habt es gewusst und ich habe es Euch bewiesen. Ich habe nur einen Wunsch, dass das Werk, das vor drei Generationen aufgebaut wurde, blühe und gedeihe. Alles, was dies fördern kann, soll von mir aus geschehen. Ihr wisst, dass ich immer von glühender Vaterlandsliebe erfasst war und alles leidenschaftlich gehasst habe, was gegen unser deutsches Österreich gerichtet war. Ich war immer ein Feind aller Kompromisse und bin meinen Weg immer offen und gerade gegangen, darum auch heute dieses offene Wort an Euch, zu dem ich mich verpflichtet fühle. Ich bin in den letzten Jahren zum Unterschied zu früher nicht mehr öffentlich unter Euch erschienen, weil ich mit dem Weg, den unsere damalige Staatsfuhrung ging, nicht einverstanden war. Man hat der Arbeiterschaft nur leere Versprechungen gemacht und auf das einzige Wichtige vergessen: Euch Arbeit zu beschaffen. Vielleicht habt Ihr, die Ihr zumeist beschäftigt wart, dies nicht so sehr empfunden wie andere Gegenden, die arbeitslos geblieben sind, arbeitslos seit Monaten waren."33 50
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Er empfiehlt der Belegschaft, im Sinne der Nationalsozialisten bei der geplanten Volksabstimmung für den Anschluss zu stimmen - ob aus eigener Uberzeugung oder aus politischer Raison bleibe dahingestellt: „Da ich überzeugt bin, dass dies jetzt anders wird, dass jetzt Arbeit geschaffen wird, dass man Euch nichts versprechen wird, was nicht restlos eingelöst werden wird, fordere ich Euch auf, bei der kommenden Wahl Eure Pflicht zu erfüllen und fur das große deutsche Vaterland zu stimmen. Ihr wisst, dass ich Euch nie schlecht beraten habe, und auch heute tue ich es aus vollster Uberzeugung, Euch gut zu beraten. Wenn ich mich gleichzeitig von Euch verabschiede, so geschieht es, weil ich damit dem Betriebe nützen will. Ich glaube, Grund zur Annahme zu haben, dass unsere heutige Regierung nicht das Vertrauen in mich hat, das notwendig ist, um einen Betrieb wie unseren zu leiten. Ihr könnt mir glauben, dass mir der Abschied nicht leicht fällt. Doch ich halte es für meine Pflicht Euch gegenüber. Mein Nachfolger Direktor Pflug besitzt mein uneingeschränktes Vertrauen, er wird Euch ein guter Führer sein und ich fordere Euch auf, ihm restlos Gefolgschaft zu leisten. Glück auf! Fritz Mandl" 34 Fritz Mandl schafft es noch vor dem ,Anschluss", bedeutende Aktienpakete, die einem schweizerisch-französischen Konsortium gehören, dessen Sprecher er ist, in die Schweiz zu transferieren. Und zwingt dadurch die Nationalsozialisten, mit ihm zu verhandeln - nicht nur zum Schein, sondern real. Dies dürfte wohl nicht vielen Unternehmern gelungen sein und bereitet den Nazis Kopfzerbrechen. Die Verhandlungen gehen nur zäh voran — Fritz Mandl hat die besseren Karten und zwingt daher die Nationalsozialisten zu Zugeständnissen. Langwierige Gespräche werden geführt, einerseits zwischen dem von den Nazis beauftragten Bankier Wehrli in Zürich und Fritz Mandl, andererseits zwischen dem eigens in die Schweiz gereisten Staatsrat Eberhardt als Vertreter der GustlofF-Werke und Fritz Mandl — ein Proponent der Nationalsozialisten, der extra in die Schweiz fahren muss, um mit einem in der Nazidiktion jüdischen Industriellen über die Übernahme eines Betriebes zu verhandeln! „Nachdem mehrwöchige Bemühungen des Herrn Wehrli-Thielen uns nicht vorwärts brachten, entschloss sich der Verwaltungsratsvorsitzende der Wilhelm-Gustloff-Stiftung, Staatsrat Eberhardt, die Besprechungen mit Mandl persönlich aufzunehmen." 35 Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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Staatsrat Eberhardt schreibt am 12. Mai an seinen Vertrauten, Bankier Wehrli, in Zürich einige Gedanken, die sich als Argumente in den Verhandlungen verwenden lassen; so müsse man davon ausgehen, „dass die erheblichen Beträge, die durch die Manipulation des Herrn Mandl in den letzten Jahren einer Versteuerung entzogen wurden, auch noch hohe Steuerstrafen zur Folge haben"' 6 . Auch versucht Eberhardt in demselben Brief, den Wert des Werkes in Hirtenberg zu drücken: „Wie ich Ihnen bereits schon einmal auseinandersetzen konnte, wird zwangsläufig die zukünftige Rendite des Werkes eine wesentlich niedrigere sein als bisher, da einerseits der zukünftige Hauptauftraggeber infolge schärfster Preisstellung und Preiskontrolle derart phantastische Preise, wie sie Hirtenberg von dem österreichischen Staat erhielt, nicht mehr zulassen wird und andererseits die bisherige Zügellosigkeit im Hereinnehmen jedweden Auslandsauftrages entfällt. Der Maschinenpark ist stark veraltet ... Darüber hinaus müssen große Beträge angelegt werden, um die Baulichkeiten in einen vernünftigen Zustand zu versetzen. Umbauten sowie Neubauten sind unumgänglich notwendig ... Hinzu kommt weiter die an sich primitive Forderung auf Erstellung einer einwandfreien Wasserversorgung und einer Kanalisation, sowie eines notwendigen Ausbaus der Straßen und Wege. Schließlich möchte ich noch der Vollständigkeit halber erwähnen, dass für soziale und hygienische Einrichtungen im Betrieb größere Beträge investiert werden müssen, da sich in dieser Richtung bezüglich Umkleideräume, Waschanlagen, Toiletten usw. das Werk in einem Zustand befindet, der jeder Beschreibung spottet. Wenn auch zugegeben werden kann, dass in Osterreich bisher nicht so hohe Anforderungen sozialer Natur gestellt wurden wie in Deutschland, so muß ich doch feststellen, dass in dieser Beziehung von der früheren Werksfuhrung geradezu unverantwortlich verfahren worden ist, und dies umso mehr, als es sich ja um einen Betrieb handelt, der vorwiegend Frauen beschäftigt." 37 Die geschäftlichen und privaten Angelegenheiten werden getrennt behandelt und haben, bezeichnet als „grundsätzliche Bereinigungsaktionen", „zur bedingungslosen Voraussetzung, dass Zug um Zug Herr Mandl nicht nur die Konten von Hirtenberg in Zürich und Paris vorbehaltlos freigibt, sondern auch in entsprechend formulierten Erklärungen aus allen Amtern und Stellungen bei Hirtenberg und den Beteiligungen 52
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unter ausdrücklicher Feststellung, keinerlei Ansprüche mehr zu haben, auch formell ausscheidet."'8 Fritz Mandl hatte am 12. März 1938 die Einrichtung seiner Privatwohnung am Schwarzenbergplatz 15 in Wien an die Hirtenberger Patronenfabrik um den geringen Betrag von S 5.000,— verkauft, um sein Privatvermögen zu verringern. Im Zuge der Verhandlungen wird dieser Verkauf jedoch wieder rückgängig gemacht — „Die Wohnungseinrichtung ist demnach wieder Eigentum des Herrn Fritz Mandl. Der als Kaufpreis erhobene Betrag wird als von Herrn Mandl verauslagte Spesen verrechnet."39 So heißt es am 3. Juni 1938 in einem Vorvertrag. Auch regelt Fritz Mandl „die in seinem Wiener Haus verbleibenden Effekten, Geschirre, Bestecke, Service, Silber, sämtliche Gemälde, zwei eingelegte Tische, ein altdeutscher Schrank und eine eben gekaufte Louis X V Garnitur" und den Besitz in Schwarzau, der entgegen anders lautender Zusagen am 5. August 1938 „für das Land Osterreich eingezogen" wird. Fritz Mandls Anwalt Dr. Ernst Bausek, der sich in Osterreich um die Belange kümmert, schreibt in einem Brief an Staatsrat Eberhardt am 19. August 1938, er nehme an, dass „mit Rücksicht auf den Vertrag vom 3. Juni 1938 in Zürich diese Maßnahmen auf einem Mißverständnis beruhen und von einer Stelle veranlaßt wurde, die von den Züricher Vereinbarungen keine Kenntnis hat" 40 . Klarerweise wird die Beschlagnahmung nicht rückgängig gemacht, die Begründung ist, dass „der Eigentümer des Gutes, Fritz Mandl, auf Grund des erlassenen Gesetzes sich staatsfeindlich betätigt hat" 4 '. Die Gestapo beeindruckt der Vertrag zwischen Fritz und den Gustloff-Werken nicht, sie lässt sich diesen Besitz nicht entgehen. Ganz unverblümt wird am 1. Juli 1938 nach erfolgter „Übernahme" über die ursprünglich geplante Vorgehensweise berichtet: „Nicht so schnell war die Übertragung des Aktienbesitzes auf die Wilhelm-Gustloff-Stiftung möglich! Die Majorität befand sich im Besitz eines schweizerisch-französischen Konsortiums ... Unsere ursprüngliche Absicht war, Mandl bzw. die Aktionäre zu enteignen bzw. durch die Einleitung des Konkurses Hirtenberg wertlos zu machen. Leider war dieser Weg nicht gangbar. Wir mußten dabei besondere Rücksicht auf die Tatsache nehmen, daß insgesamt 640.000 englische Pfunde, die der Gesellschaft gehörten, bei Züricher und Pariser Banken deponiert waren und von diesen fur die Gesellschaft nicht freigegeben wurden, da der frühere GeneEnteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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raldirektor Fritz Mandl, der der Alleinzeichnungsberechtigte fur die Gesellschaft war, diese Gelder festgelegt hatte."42 Den Nationalsozialisten ist also bewusst, dass vorsichtig vorgegangen werden muss, „weil außenpolitisch eine solche Verständigung in einer international bekannten und genauestens beobachteten Affaire wie die Angelegenheit Mandl schlagend und überzeugend die ausländischen Gerüchte und Behauptungen einer Willkürherrschaft, Enteignungsperiode und Rechtlosigkeit in Österreich zu widerlegen vermag"43. Da es also keine andere Rechtfertigung gibt und die Nationalsozialisten schwer zugeben können, dass sie tatsächlich in diesem Falle nicht in der bewährten Art und Weise „arisieren" können, wird der Spieß schnell umgedreht, die Verhandlungen werden als außenpolitisch taktischer Schachzug deklariert, um das Gesicht zu wahren. Und man verhandelt unter größter Geheimhaltung weiter. Die Nationalsozialisten sind sehr daran interessiert, sich auch noch die Dividende für 1937 einverleiben zu können und bemühen sich um eine Stellungnahme der zuständigen Bank. Der Vorstand der Länderbank schätzt die Situation in einem Brief vom 17. September 1938 folgendermaßen ein: Es sei „die Frage zu prüfen, ob nicht die Übernahme der Hirtenberger Aktien aus dem Liga-Besitz auf die Wilhelm-GustlofF-Stiftung schon jetzt durchgeführt werden könnte, um die fälligen Dividenden fur 1937 und das laufende Geschäftsjahr 1938 bereits der Wilhelm-GustlofFStiftung zugute kommen zu lassen. Es wäre dies immerhin ein Betrag von nahezu 1 Million Reichsmark, der auf diese Weise der Wilhelm-GustlofFStiftung zugute käme. (Dividende 1936: 588.000,—, Dividende 1937: schätzungsweise 75 % davon 440.000,-, zusammen also 1.028.000 R M , davon 86 % rund 900.000,- R M Dividende fiir den Großaktionär.)"44 1 Million Reichsmark also - eine nicht unerhebliche Summe. In der Schweiz kommt es im Mai 1938 zu einer Verhandlung vor einem Audienzrichter - der Vertreter der GustlofF-Werke, Dr. Schweizer, berichtet am 6. Mai: „Es bot sich damit also die Gelegenheit, die Einwendungen des Mandl kennenzulernen und zu widerlegen." Mandl und seine Anwälte hätten eingewendet, „es handle sich bei den Maßnahmen in Osterreich um eine Wegnahme von Eigentum. Laut einer Notiz in der Frankfurter Zeitung vom 24. April 1938 sei die Hirtenberger Patronenfa54
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brik in die GustlofF-Stiftung eingebracht worden. Das zeige, daß die Fabrik den Aktionären weggenommen sei. Auch wenn keine formelle entschädigungslose Enteignung stattgefunden habe, so dürften die der Gustloff-Stiftung angegliederten Fabriken keinen Privatgewinn mehr machen und damit würden den Aktionären doch ihre Rechte genommen, weil der Aktionär weder Gewinn in Zukunft erwarten könne noch eine Rückzahlung des Kapitals; weiter seien die Maßnahmen nur deshalb gegen Mandl gerichtet worden, weil er Halbjude sei. Die Nürnberger Gesetze hätten in Österreich schon Geltung." 45 Was ist nun eigentlich konkret Gegenstand der Verhandlungen? „Heute gehört Hirtenberg nur 38.000 Aktionären und auf sie verteilt sich das Vermögen. Unsere Gruppe verfügt über 29.000 Aktien, außenstehende Aktionäre über ca. 9.000 Stück. Das hier errechnete Vermögen ergibt auf die 38.000 Aktien einen Wert von 920 Schillingen pro Aktie. Hiebei entfallen ca. 600 Schillinge in liquide Werte und ca. 320 Schillinge in illiquide ... Das Aktienpaket von 29.000 Aktien hätte somit einen Wert von ca. 26 Millionen." 46 So erklärt Fritz Mandl die Besitzverhältnisse. Dieser Betrag erlaubt ihm, Forderungen zu stellen, die von der Gegenseite erfüllt werden müssen. An erster Stelle stehen die Pensionsansprüche des Vaters - „Mandl hält es fur selbstverständlich, daß in dieser Beziehung nichts geändert wird", so in einem Gespräch mit Bankier Wehrli am 19. April 1938 in Zürich. Die Nationalsozialisten nützen aus, dass sie Alexander Mandl in ihrem Machtbereich haben - er ist das einzige Druckmittel, das sie gegen Fritz Mandl einsetzen können, alle anderen Trümpfe sind in der Hand des „Gegners". Am 13. April 1938 heißt es in einer Aktennotiz, es „wäre zu klären, ob irgendetwas gegen Mandl sen. vorliegt. Uns ist diesbezüglich nichts bekannt und wenn wir dem Mann den Paß abnehmen ließen, so nur deswegen, um auf seinen zurzeit in Villefranche lebenden Sohn Druck auszuüben. Da wir aber ein Interesse haben, Mandl jun. via seinen Vater ,in die Hand zu bekommen', ist die Gestapo zu ersuchen, vorderhand d. h. bis wir nicht ausdrücklich unsere Zustimmung dazu geben, den Paß bei sich zurückzubehalten."47 Im Zusammenhang mit der Verhaftung des Vaters werden natürlich auch Maßnahmen gegen den Sohn ergriffen — die Intention, kommunistisches Material zu finden, mutet bei der Persönlichkeit Fritz Mandls jedoch Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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merkwürdig an. Es wird verfügt, dass „erneut Hausdurchsuchungen in der Wohnung des Mandl jun. stattfinden sollen, um weiteres belastenden Material gegen ihn - vielleicht auch kommunistischen Inhalts (siehe Patronenlieferungen nach Rotspanien) zu finden. Meisener gab bekannt, dass die beschlagnahmten 650.000 Pfund bereits zugunsten der Gestapo verfallen erklärt wurden. Nachdem er aber hörte, dass dieser Betrag auch für den Arisierungsfonds gedacht war, meinte er, dass dieserhalb noch nicht das letzte Wort gesprochen wäre."48 Man sieht, dass sich auch die nationalsozialistischen Stellen nicht ganz einig sind, wer vom Raubgut profitieren darf. Für die Beraubten ist es jedenfalls egal. Und auch den Anweisungen der Gestapo wird offenbar nicht immer in der notwendigen Konsequenz Folge geleistet, wie Staatsrat Eberhardt am 21. April befremdet feststellen muss: „Bei meinem kürzlichen Besuch gaben Sie Anweisung, den Vater des geflüchteten Mandl, Mandl sen., der im Grand Hotel in Wien wohnte, zu verhaften. Zufällig erfuhr ich heute, dass sich derselbe noch immer im Grand Hotel befindet und nicht überwacht werden soll. Haben Sie bitte die Freundlichkeit, mich kurz auch über diesen Punkt zu informieren." 49 Eberhardt vermerkt auf diesem Brief, „Mandl sen. wird heute freigelassen". Im Juli hat Alexander Mandl offenbar noch immer keinen Pass nach einer Intervention von Fritz Mandls Anwalt in Zürich, Dr. Wespi, schreibt Karl Beckurts, Vorstandsvorsitzender der Wilhelm-GustloffWerke, am 21. Juli an Mandls Anwalt in Osterreich, Dr. Bausek: „Zu der Frage der Beschaffung des Passes fur Herrn Dr. Alexander Mandl möchte ich erklären, dass unverzüglich nach Vorlage der Nachricht der Erfüllung der Züricher Vereinbarung von Seiten des Herrn Staatsrat Eberhardt Anweisung erteilt wurde, die in Aussicht gestellte Unterstützung bezüglich Rückgabe des Passes in die Tat umzusetzen. Herr SS Stand. Jakober wurde durch ein Telegramm des Herrn Staatsrat Eberhardt beauftragt, die notwendigen Schritte einzuleiten. Dies ist dann unverzüglich am 18. Vormittag bei der Geheimen Staatspolizei in Wien geschehen."50 Die Abwicklung der Pensionsansprüche Alexander Mandls, die in einem bestehenden Pensionsvertrag mit der Fabrik in Dorderecht in Holland festgelegt sind und für die Hirtenberg die Garantie übernommen hatte, stellt ein weiteres Problem für die Nationalsozialisten dar. Holland ist ja — noch — nicht von den Deutschen überfallen und somit 56
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ein souveräner Staat. Der Pensionsvertrag kann also nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Man glaubt es nicht, doch halten sich die Nationalsozialisten an übernommene Verpflichtungen, auch wenn es schwierig wird, Zahlungen so zu vertuschen, dass nicht nachvollzogen werden kann, dass die Gustloff-Werke an den - in der Nazidiktion - Volljuden Alexander Mandl eine monatliche Pension auszahlen. Die Überlegungen der Gustloff-Werke, wie sie ohne Gesichtsverlust diesen Vertrag einhalten können, werden in einem Brief vom Vorstandsvorsitzender der Gustloff-Werke Karl Beckurts an den Vorsitzenden des Verwaltungsrates Staatsrat Dr. Walter Schieber am 23. Juni 1939 festgehalten: „Da Dr. Alexander Mandl am 31. März 1938 bei der Hirtenberger Patronenfabrik mit S. 82.646,86 in Schuld stand, sind bisher diese Pensionsansprüche gegen diese Schuld aufgerechnet worden. Per 1. Juli 1939 besteht noch eine Schuld von RM 804,68, so daß Dr. Mandl per 1. Juli 1939 ein hierum gekürzter Betrag, nämlich RM 2.538,65, zusteht und ab 1. August 1939 dann monatlich der S 5.000,- entsprechende Betrag von RM 3-333-33Ich habe mir überlegt, auf welche Weise man vermeiden kann, daß von den Gustloff-Werken unmittelbar Beträge an Dr. Mandl aufgrund der seinerzeit übernommenen Verpflichtungen gezahlt werden. Ich habe hierbei zunächst an den Abschluss eines Vertrages mit einer Versicherungsgesellschaft gedacht, bin hiervon aber deswegen wieder abgekommen, da in dem Versicherungsvertrag diese Verbindung zwischen den Gustloff-Werken und Dr. Mandl ja auch erscheinen müßte, und weil außerdem auch die Zustimmung von Dr. Mandl zu dem Versicherungsvertrag notwendig wäre. Ich halte demgemäß einen anderen Weg für besser, und zwar schlage ich vor, der Länderbank in Wien oder einer anderen geeigneten Bank auf ein Sonderkonto jeweils die für die Pensionsverpflichtungen benötigten Beträge zuzuweisen, wobei dann die Auszahlungen an Dr. Mandl von der Länderbank vorgenommen würde mit der Maßgabe, daß die Zahlungen als im Auftrag der , Hirtenberger Patronen-, Zündhütchen- und Metallwarenfabrik in Hirtenberg' erfolgenden dargestellt würden. Bei dieser Lösung fällt also die Verbindung der Zahlungen mit den Gustloff-Werken fort." s ' Immer betont Fritz Mandl auch, dass er Wert darauf lege, „als AusEnteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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landsösterreicher in Argentinien ruhig- zu leben und, wenn er in seinem Urlaub nach Europa kommt, auch nach Österreich reisen zu können." 52 Die „Erfolgsmeldung" über den Abschluss der Verhandlungen „wegen der Ubergabe der Aktien, die sich im Besitz eines schweizerisch-französischen Konsortiums befinden", übermittelt Staatsrat Eberhardt am 19. Juli 1938 Gauleiter Sauckel: „Mein Gauleiter! ... Die Stiftung besitzt nunmehr 88 % der Aktien und wird in den nächsten Monaten die zum Teil in jüdischem Besitz befindlichen restlichen Aktien aufkaufen oder durch besondere Maßnahmen in ihr Eigentum überfuhren." 53 Weiter argumentiert er: „Es erscheint erforderlich festzulegen, aus welchen Gründen die Verhandlungen mit Herrn Fritz Mandl ... mit einer gewissen Vorsicht und Langmut geführt werden mußten. 1. 85 % der Aktien von Hirtenberg lagen im Ausland zur freien Verfügung von Herrn Fritz Mandl, der durch ein Aktionär-Schutz-Komitee, in dem französische Minister als Aktien-Besitzer saßen (... der frühere Unterrichtsminister De Monzie, der rund 6.000 Aktien von Hirtenberg besaß) bevollmächtigt war. 2. Lag ein wesentlicher Teil des Barvermögens der Hirtenberger Patronenfabrik im Auslande und zwar ca. 700.000 engl. Pfunde in verschiedenen Währungen beim Schweizer Bankverein in Zürich und bei dem Bankhaus Seligmann in Paris ... Es war nur möglich, auf dem Prozeßwege dieses Geld eventuell zu erhalten. Maßgebende Schweizer und auch reichsdeutsche Juristen erklärten übereinstimmend, daß ein mehrjähriger Prozeß unbedingt erforderlich wäre, um die Freigabe herbeizufuhren, wobei allerdings mit 50 % Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen wäre, daß der Prozeß zu Ungunsten von Hirtenberg ausfallen würde. Damit wäre ein Verlust von ca. 9 Millionen Reichsmark entstanden ... Die schlechte Prozeßlage ist damit zu erklären, daß das Gläubiger-Schutz-Komitee erklärt, daß die Hirtenberger Patronenfabrik unter Vernachlässigung der Rechte der Aktionäre vom deutschen Reich beschlagnahmt worden wäre. Es galt also für uns zu wählen zwischen: einem unsicheren Prozeß, der uns vielleicht im Laufe mehrerer Jahre in den Besitz der Bankguthaben gebracht hätte, ohne daß damit die Frage 58
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der Übertragung der Aktien auf die Wilhelm-Gustloff-Stiftung entschieden gewesen wäre, d. h. Hirtenberg als deutscher Waffen- und Munitionsbetrieb wäre im französischen Besitz geblieben. Wie das Heereswaffenamt mir bereits mitteilte, wäre jedoch unter diesen Umständen an eine Auftragserteilung nicht zu denken gewesen, so daß eine außerordentlich starke Betriebseinschränkung in Hirtenberg hätte durchgeführt werden müssen ... oder einem Vergleich zwischen Herrn Mandl als Vertreter der Aktienmehrheit und dem Unterzeichneten unter Hilfe des Schweizer Bankier Wehrli ... ein Vergleich, der gewisse persönliche Zugeständnisse an Herrn Mandl in sich trägt, die finanziell belanglos sind, aber vielleicht politisch nicht ohne weiteres anerkannt werden können. Als besondere Zugeständnisse, die wir jedoch machen mußten, um überhaupt zu dem Vertragsabschluß zu kommen, möchte ich folgende aufzählen: Wir erklärten uns bereit, dem Vater Mandls die ihm allerdings bereits früher von Hirtenberg gezahlte Pension weiterzuzahlen. Mandl sen. ist über 50 Jahre in Hirtenberg tätig gewesen, war 1914 etwa 3ofacher Millionär. Dieses Vermögen verlor er durch Zeichnung von Kriegsanleihe, so daß er 1919 vermögenslos war und der Besitz von Hirtenberg in die Hände von Banken überwechselte. Mandl sen. ist Schweizer Staatsbürger. Es wurde von Mandl jun. gewünscht, daß ich, für den Fall, daß gegen seinen Vater nichts besonderes vorliegt, dafür Sorge trage, daß ihm von der Gestapo sein Paß zurückgegeben wird. Ich erklärte mich bereit, ohne daß dieser Punkt Bestandteil des Vorvertrages wurde, mich nach endgültiger Überführung sämtlicher Aktien- und Vermögenswerte in den Besitz der Wilhelm-Gustloff-Stiftung bzw. von Hirtenberg dafür einzusetzen, daß Mandl sen. seinen Paß erhält und seine Ausreise gestattet wird." 54 Der Reichsführer-SS schreibt am 6. August 1938 an Staatsrat Otto Eberhardt als „Geheime Reichssache": ,Wie mir mitgeteilt wird, werden dort [im Zuge der .Übernahmeverhandlungen'] in vorbezeichneter Angelegenheit Verhandlungen mit dem ungarischen Juden Fritz Mandl geführt. Der Staatssekretär für die öffentliche Sicherheit in Wien hat mir hierzu unaufgefordert berichtet, daß Mandl in weiten Kreisen der deutEnteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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sehen Bevölkerung im Lande Österreich zu Recht den denkbar schlechtesten Ruf genießt. Er ist der Auffassung, dass, wenn diese Verhandlungen der Öffentlichkeit bekannt würden, die Gefahr bestünde, dass die Bevölkerung die Notwendigkeit dieses Vorgehens nicht einsieht und stark beunruhigt wird. Er bitte daher, dafür Sorge zu tragen, dass die Verhandlungen mit Mandl mit der äußersten Vertraulichkeit geführt und abgeschlossen werden."55 Bereits vier Tage später beschwichtigt Eberhardt: „Geheim! Die Verhandlungen mit dem österreichischen Halbjuden Fritz Mandl ... mussten geführt werden, um das Unternehmen [Hirtenberg] endgültig in deutschen Besitz zu überfuhren ... Zweimalige persönliche Verhandlungen mit Mandl führten dann zum Erfolg. Am 3. Juni 1938 wurde in Zürich ein Vorvertrag unterzeichnet, der am 15. Juli 1938 von beiden Seiten erfüllt wurde. Seit dem 3. Juni 1938 haben Verhandlungen mit Mandl nicht mehr stattgefunden."56 Die Hirtenberger Patronenfabrik ist nun also für sieben Jahre Teil der Wilhelm-Gustloff-Stiftung - das Jahr 1938 „musste fur die H.P. ein Jahr tiefgreifender wirtschaftlicher und betrieblicher Änderungen sein, galt es doch, dieses bisher jüdischen Interessen dienende Unternehmen unter der Führung und tatkräftigen Hilfe der Wilhelm-Gustloff-Stiftung schnell und fruchtbringend seinem neuen, gänzlich veränderten Aufgabenkreis und den Grundsätzen nationalsozialistischer Wirtschaftsführung entsprechend von Grund auf umzugestalten."57 Fritz Mandl lebt nun in Argentinien, doch wird er in Europa nicht so schnell vergessen. Der,Weltdienst" schreibt am 1. Juli 1939: „Der jüdische Waffenschieber Mandl,entdeckt' Argentinien. Der jüdische Finanzier Fritz Mandl, eine der einstigen Größen des Schuschnigg-Systems und berüchtigt durch seine Waffenschiebungen nach Rotspanien, hat sich nunmehr Argentinien als neues Wirkungsfeld ausersehen. Nach einem kürzlichen Aufenthalt in Buenos Aires, wo er anscheinend Morgenluft gewittert hat, kehrte er nach London zurück und erklärte, daß er seine industriellen Pläne sehr bald verwirklichen werde und bereits dabei sei, die notwendigen Maschinen in London einzukau60
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Fritz Mandl mit seiner dritten Frau Hertha Schneider von Werthai
fen. In nationalen Kreisen Argentiniens haben diese Erklärungen berechtigtes Aufsehen hervorgerufen, da man befürchtet, daß durch das skrupellose Wirken des jüdischen Schiebers sehr bald die Wehrwirtschaft des Landes unter international jüdische Finanzkontrolle geraten könne. Die national eingestellte Zeitung ,Crisol' wirft die Frage auf, wer Mandl zu seinen Plänen autorisiert habe und ob die zivilen und militärischen Stellen sich der damit verbundenen Konsequenzen und großen Gefahren bewußt seien."'8 Enteignung der Hirtenberger Patronenfabrik 1938
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Fritz und Hertha auf der Überfahrt nach Argentinien
Fritz Mandl ist auch in Argentinien ein einflussreicher Industrieller und wird zu einem wichtigen Berater der argentinischen Regierung. Ernst Rüdiger Starhemberg, der ebenfalls nach Südamerika gelangen konnte, wird von Fritz Mandl unterstützt, der in diesen Jahren zwei weitere Male heiratet. 1955 kommt er wieder nach Osterreich, zwei Jahre später erhält er die Fabrik zurück und lenkt 20 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahr 1977, wieder die Geschicke der Hirtenberger Patronenfabrik.
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KOHLENBARONE UND FAMILIE
Die Kohlen-Gutmanns -
MÄZENE
GUTMANN
unter
dieser Bezeichnung geht die Familie in die Geschichte ein. Die Familie Gutmann stammt so wie auch die Familien Mandl und Strakosch aus Mähren, aus dem Städtchen Leipnik. Bereits im Jahr 1454 sind hier Juden erwähnt, 100 Jahre später wird eine Synagoge erbaut - sie ist die älteste Synagoge Mährens. Eine bedeutende Stadt also, ein wichtiges wirtschaftliches trum. Wilhelm
Gutmann
Zenbe-
schreibt die Stadt, die Familie und das Leben in seiner Autobiogra-
Die Synagoge in Leipnik!Lipnik nad Becvou
phie, aus der die folgenden Zitate stammen: „Ferner durchzieht die Stadt Leipnik die Kaiserstraße, welche vor der Eisenbahnzeit eine sehr wichtige, belebte und Leben schaffende Verbindung herstellte. Die Straße war fast ununterbrochen befahren von zumeist vier-, sechs- und achtspännigen Wagen, die den Verkehr besorgten. Leipnik war eine sehr beliebte Raststation ftir diese Fuhrwerke, wodurch eine große Anzahl von Gastwirthen, Fleischern, Bäckern, Schmieden, Wagnern etc. guten Erwerb fand. Die israelitische Bevölkerung konnte sich an diesen Geschäften nicht betheiligen, weil sie nicht außerhalb der Judengasse wohnen durfte." Erst 1848 kommt es zu gewissen Erleichterungen und Lockerungen für die jüdische Bevölkerung, die in diesem Jahr ein Drittel der GesamtbeKohlenbarone und Mäzene
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völkerung von Leipnik ausmacht. Bis dahin war das Leben stark eingeschränkt und reglementiert, „sie durften nur in einer bestimmten Straße - Judengasse genannt - wohnen, und im Erwerb waren sie fast ausschließlich auf den Handel beschränkt. Es muß ferner bemerkt werden, dass bis zur josephinischen Epoche es den Juden verwehrt wurde, öffentliche Lehranstalten zu besuchen ... Daß in der Folge dessen ihr sociales Leben von dem der christlichen Bevölkerung nicht nur nach dem Räume, sondern auch nach der Sitte und Anschauung geschieden, war die nothwendige Folge dieser traurigen Verhältnisse. Aber dessen ungeachtet waren Juden und Christen geschäftlich miteinander in stetem, oft sehr angenehmen Verkehr."
„ W O L F AUS K O L I N " U N D S E I N A N F A N G IN L E I P N I K
Isaak Gutmann, der „Stammvater", ungefähr 1733 in Kolin in Böhmen geboren, gehört einer guten Familie an, aus deren Mitte mehrere Rabbiner stammten. In Kolin existierte bereits seit dem 14. Jahrhundert die nach Prag größte jüdische Gemeinde Böhmens. Heute noch erhalten ist die frühbarocke Synagoge von 1642. „Er heiratete in eine reiche Familie nach Leipnik; dem Einflüsse seines angesehenen Schwiegervaters war es gelungen, ihm dort eine sogenannte Familienstelle zu verschaffen, und damit die Möglichkeit, sich zu verheiraten. Er führte ein sehr glückliches Familienleben und wurde nahezu 90 Jahre alt; sein Erwerb war die Erzeugung von kleinen Schafwollwaaren." Isaak Gutmann, laut dem Grabstein in Leipnik auch „Wolf aus Kolin" genannt*9, wird auf Grund seiner guten Familie und seiner Bildung schnell zu einem anerkannten Mitglied der jüdischen Gemeinde in Leipnik. 1773 steht er an der Spitze eines angesehenen humanitären Vereins in Leipnik - er, der nicht aus der Gemeinde stammt und eher in bescheidenen Verhältnissen lebt. Dies zeigt wohl deutlich, wie hoch sein Ansehen ist.60 „Bezeichnend fiir die damaligen Verhältnisse ist es, daß in jeder Gemeinde ein sogenanntes Beth Din bestand, dem drei angesehene Schriftgelehrte nebst dem Rabbiner des Ortes vorstanden, und dessen Aufgabe es war, Differenzen socialer und materieller Natur nach den mosaischen Gesetzen friedlich zu schlichten. Ein sehr geachtetes Mitglied und Vorsitzender eines solchen Gremiums war mein Großvater Isaak Gut64
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GUTMANN
mann in Leipnik." Isaak hat mit seiner Frau Elise Wolf zwei Söhne, Tobias, sein Nachfolger als Rabbinatsassessor, und Meir Leb, genannt Marcus Leopold, der ungefähr 1772 in Leipnik geboren wird. Dieser „hat sich, wie alle jungen Leute in meiner Familie, den theologischen Studien gewidmet, ohne hievon einen praktischen Gebrauch zu machen, nachdem er bald nach seiner Verheiratung unter der Anleitung seiner Verwandten Wolle aus Ungarn herbeiführte und dagegen fertige Waare zum Vertriebe nach Ungarn entnahm". Leipnik hat einen wichtigen Stellenwert für die Wollwarenproduktion und damit auch für den Handel. „Sie [Die Juden] lieferten den Flanellfabrikanten die Schafwolle, die sie in der Regel aus Ungarn zuführten, und kauften dagegen die fertige Waare, um sie nach weiten Entfernungen, bis tief in Ungarn, zu verwerthen. Außerdem hatte Leipnik im Wollgeschäfte auch fur die Nachbarschaft eine ansehnliche Bedeutung. In Folge dessen, da das Wollgeschäft in großem Umfang betrieben werden konnte, war fast die gesammte jüdische Bevölkerung wohlhabend und war Leipnik als die hervorragendste Gemeinde in Mähren nicht nur durch Wohlstand, sondern auch durch wissenschaftliches und humanitäres Streben bekannt und angesehen." Marcus Leopold hat aus seiner ersten Ehe vier Töchter. Nach dem Tod seiner Frau Lea Levi heiratet er die um 30 Jahre jüngere Babette Frankl. „Der Wunsch, eine Lebensgefährtin zu haben und damit gleichzeitig den Töchtern eine Mutter zu geben, veranlaßte ihn, in zweiter Ehe meine gottselige Mutter, die einer ihm befreundeten geachteten Familie entstammte, zu heiraten. Es ist nicht uninteressant zu erwähnen, daß seine Verwandten gegen die Wiederverheiratung sich aussprachen." Die Grundlage fur das spätere humanitäre Engagement der Gutmanns liegt bereits in den Persönlichkeiten von Isaak und Marcus und natürlich in der religiösen Tradition. Wohltätigkeit, auf Hebräisch Zedeka, bedeutet im ursprünglichen Sinne eigentlich Gerechtigkeit und drückt damit die Verpflichtung aus, dem Bedürftigen Unterstützung zukommen zu lassen. Dies führt dazu, dass die Armenunterstützung der jüdischen Gemeinden vorbildlich ist. Doch weitet sich die Unterstützung auch auf andere Bereiche aus: Religion und Ritus, aber auch Kunst und humanitäre Einrichtungen wie Spitäler werden in großem Ausmaß gefördert. „Mein Vater war weniger durch sein ansehnliches Vermögen, als vielmehr durch seinen hochherzigen Charakter weit über die Grenzen seines Heimator„Wolf aus Kolin" und sein Anfang in Leipnik
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tes hinaus beliebt und geschätzt. Mein Vater war mit 51 Jahren sehr rüstig, groß gewachsen, hatte eine gefällige Art in seinem Wesen, und war daher sehr beliebt." Marcus und Babette bekommen fünf Kinder - ihre Söhne Wilhelm und David werden Leipnik verlassen und den Erfolg der Gutmanns in W i e n und der ganzen Monarchie begründen. Doch werden sie nie ihre Heimatstadt vergessen und ihr durch humanitäre Zuwendungen treu bleiben. „Meine Eltern zeichneten sich besonders durch ein nachahmenswerthes Gottvertrauen aus. Ich möchte im Interesse meiner Kinder erwähnen, daß mein gottseliger Vater, nachdem er nahezu 40 Jahre als angesehener, wohlhabender industrieller Kaufmann gelebt, durch plötzliche Mißerfolge sein Vermögen verlor. Er erkrankte unmittelbar darauf und nach ungefähr dreivierteljährigem Krankenlager wurde er, im Bewußtsein, das Bett nicht mehr lebend zu verlassen, von seinem Lieblingsneffen, dem Rabbiner Schrötter aus Lundenburg, der selbst sehr kränklich war, in Gemeinschaft mit anderen Freunden besucht." Es handelt sich wohl um Israel C h a j i m Schrötter, Rabbiner in Lundenburg, der 1839, im selben Jahr wie Marcus Leopold, stirbt. Sein Bruder David ben Hirsch Schrötter, geboren in Leipnik, ist Rabbiner in Prerau, wirkt 1831 in Strassnitz und i860 in Zabokreki. A u f Veranlassung seines Schwagers Wilhelm Gutmann kehrt er nach Leipnik zurück, wird Rabbinatsassessor und stirbt dort 1882 in hohem Alter. M i t der Familie Schrötter besteht eine weitere Verbindung: A u c h die Schwiegermutter von Wilhelm stammt aus dieser angesehenen Familie. 1839 stirbt der Vater. Wilhelm ist zwölf, David vier Jahre alt. Wohlhabende Verwandte erklären sich bereit, einige Kinder zur Erleichterung der Mutter zu sich zu nehmen, doch lehnt sie dies ab und erklärt, selbst für sie sorgen zu wollen. So jedenfalls stellt es Wilhelm später dar.
DER AUFSTIEG V O N W I L H E L M U N D DAVID
Wilhelm schlägt eine theologische Laufbahn ein, kehrt jedoch wieder zu seiner Familie zurück, um die Versorgung und vor allem die Erziehung von David zu übernehmen. Im Getreidehandel, in den er einsteigt, erfährt er nur Misserfolge, so wendet er sich nach weiteren Fehlschlägen ei-
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GUTMANN
ner neuen Sparte zu - der Kohle, die den Grundstein für sein weiteres Leben und Wirken legt. Die Zusammenhänge zwischen dem rasanten Ausbau des Eisenbahnnetzes in der Monarchie ab den 1830er Jahren, der zunehmenden Bedeutung der Kohle als Energiequelle und der enormen Industrialisierungswelle, die in der Monarchie einsetzt, dürfen nicht übersehen werden. Gestützt auf die Bahnverbindungen entstehen in Mähren die ersten Zuckerfabri-
Wilhelm Gutmann
ken. Auch in anderen Industriezweigen
wird
immer
häufiger
die Kohlenfeuerung angewandt. Trotzdem dauert es relativ lange, bis sich andere Berufsgruppen, die für den Handel und die kaufmännische Weiterentwicklung wichtig sind, den Produzenten anschließen. Obwohl die Eisenbahn bis Mährisch-Ostrau bereits eröffnet ist, sind die dortigen Kohlewerke dennoch nicht in der Lage, den Bedarf zu decken, die Kohlepreise sind folglich sehr hoch. Die Rothschilds, ebenfalls im Kohlengeschäft tätig, sind sehr am Ausbau der Nordbahn interessiert — ein Umstand, der auch den Gutmanns helfen wird, sie jedoch in ein starkes Konkurrenzverhältnis zu den Rothschilds setzt. Diese Entwicklung macht verständlich, dass sich Familien der Großindustrie in verschiedensten Branchen betätigen — Branchen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, doch durch die Entwicklung und das Zusammenspiel eng zusammengehören: Wer die Kohle per Bahn transportieren kann, ist auch im Stande, die neu entstehenden Industrien billig mit Energie zu versorgen und so in großen Mengen zu produzieren. Man ist Produzent, Händler und teilweise auch Verwerter — umfassender kann ein Wirtschaftsimperium nicht konzipiert sein. Dies gilt im Besonderen für die Zuckerindustrie, die für fast alle der hier vorgestellten Familien von großer Bedeutung war und ist. Der Aufstieg von Wilhelm und David
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Wilhelm heiratet in erster Ehe Leonore Laczko, mit der er drei Kinder hat: Berthold, Max und Rosa. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er Ida Wodianer, die Tochter von Philipp Wodianer. M i t ihr hat er vier weitere Kinder: Marianne, Moritz, Elsa und Rudolf. Ida wird ihren M a n n um mehr als 25 Jahre überleben - fast genauso viele Jahre ist sie auch jünger. Die Männer der Familie Gutmann werden auch in den nächsten Generationen oft Frauen heiraten, die wesentlich jünger sind. David ist mit Sophie Laczko verheiratet, der Nichte von Leonore. Sie haben gemeinsam fünf Kinder: Ludwig, Bertha, Hermine, Irma und Helene. Wilhelm übersiedelt Mitte der 1850er Jahre - er ist 30 Jahre alt nach W i e n und nimmt seinen Wohnsitz in der Leopoldstadt, w o die meisten jüdischen Zuwanderer zuerst wohnen. David folgt ihm wenige Jahre später nach.
VOM KOHLENHANDEL ZUR
GROSSINDUSTRIE
N u n beginnt der Aufstieg der Firma Gebrüder Gutmann, der den sagenhaften Ruf im Kohlenhandel begründet. „Denn kein Artikel erfordert ein solches Vertrauen zum Lieferanten wie Kohle, weil es dem Abnehmer nicht möglich ist, die Kohle vor der Übernahme zu prüfen; ... dann ist insbesondere bei Gasfabriken, Zuckerfabriken und Eisenbahnen etc. die pünktliche Lieferung sowohl als auch die Qualität von so weittragender Bedeutung, daß eben auf die Vertrauenswürdigkeit des Lieferanten der größte Werth gelegt werden muß." Wilhelm schafft es schnell, sich einen guten Ruf als Geschäftsmann zu erwerben, vor allem die gute Qualität seiner Produkte und seine Zuverlässigkeit sprechen sich herum. „Es dauerte nicht lange und ich bekam als Kunden die größten Institute und Fabrikanten der Monarchie, als: die Kaiser Ferdinands-Nordbahn, die D o nau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft, die Staats-Eisenbahn-Gesellschaft, die englische Gasanstalt und zahlreiche Zuckerfabriken." Der Erfolg bietet nun endlich die Möglichkeit, mehr für die Familie zu tun: „Der große Aufschwung, den mein Kohlengeschäft nahm [ca. 1856], bestimmte mich um diese Zeit, meinen Bruder, der bis dahin dem von meinen seligen Eltern zurückgebliebenen Geschäfte in Leipnik vorstand, nach W i e n in mein Geschäft zu nehmen, welches nun unter der
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Firma Gebrüder Gutmann weitergeführt wurde. Das Leipniker Geschäft übertrug ich meinem Schwager. Mein Bruder David aber trat nunmehr an meine Seite und hat von da ab durch unermüdlichen Fleiß, durch richtiges Urtheil und treffliches Administrationstalent viel zur Entwicklung und Blüthe unseres Hauses beigetragen." Dies ist die willkommene Grundlage, Kohle auch als Heizmittel für Privathaushalte an Stelle des bisher verwendeten Holzes zu propagieren. Nicht nur in Wien, sondern ebenfalls in Brünn und Budapest kann der Umsatz enorm vergrößert werden. Der Zuwachs des Kohleverbrauchs in Wien ist spektakulär: In jedem Jahrzehnt zwischen 1850 und 1890 verdoppelt er sich - nun verwundert der sagenhafte Aufstieg der Familie Gutmann nicht mehr sosehr, hat sie doch zur rechten Zeit auf das richtige Produkt gesetzt und damit Weitblick bewiesen. „Speciell in Wien, Pest, Brünn bemühten wir uns, die Kohlenfeuerung in den Haushaltungen einzuführen. Gegen Kohle bestand ein großes Vorurtheil, namentlich bei den Hausfrauen und Köchinnen. Wir engagirten Pyrotechniker, die es übernahmen, für unsere Kosten die Heizungen auf Kohle einzurichten, die Hausfrauen und Köchinnen zu überzeugen, daß sie, ohne die Hände zu verunreinigen, der Kohle sich bedienen könnten und sie auf alle Vortheile der Kohlenheizung aufmerksam zu machen." Dass dadurch die Konkurrenz auf den Plan gerufen wird, beweisen folgende Inserate, die in den Tageszeitungen geschaltet werden: „Auch durch häufiges Annoncieren in den gelesensten Blättern wurde das Publikum über die Kohlenfeuerung belehrt. Es wurde auch annonciert, daß, nachdem es keine Kohle gibt, in welcher nicht schieferige Theile vorkommen, jede Partei berechtigt sei, uns die Schieferstücke gegen vollen Ersatz zurückzugeben, welches Recht unseren Kunden auch jetzt noch zusteht. Zur weiteren Bequemlichkeit des Publicums errichteten wir Filialen und insbesondere Bestellungs-Bureaux in allen Theilen der Stadt, der Vorstädte und Umgebung Wiens. Jede bestellte Kohlenmenge wird heute noch innerhalb 24 Stunden in plombirten Säcken, welche, um die Controle zu erleichtern, je 50 Kilogramm enthalten, in Keller- oder Bodenräume, je nach Verlangen der Partei, von unseren Leuten abgetragen. In ganz Europa ist keine einzige Stadt, wo für die Deckung des Kohlenbedarfes für Haushaltungen in so ausgiebiger, rationeller und solider Weise gesorgt ist, wie in den drei erwähnten Städten Vom Kohlenhandel zur Großindustrie
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lieber bne Sorgten ber girme Gebrttriei* Ctatmaim gegen meine g-irma J. (»iitmanii enthalte irf) ιιιΐφ jeber $e= inerlnng unb bitte bau geehrte % X. publicum, bnribcr fclbft (ein llrlbeil bil= btu $u wollen. Die jüoljlenngcntic
J. Gutmann,
WARNUNG. Ci in bttcil« ;n tDicbt&oItnmaltn Borgtronitnui, bc| tin J. Gnlnann, Kohlenagentle, BallgaMe 4, burdj btt Hrtn> Iidlttil mit unjmt girma bae fublicnm bei Stjng ΒΟΠ Soljltn ju täuföra Mrmodtjfflit ηο ιφτπ be&^ab l be« Ϊ. publicum auf unfert Ritminjtinnng aujmtilfam nnb erindjtn, bei ttrooigfit SfttQnngtn genau jid) btrjtlfrn btbitntn jn moiltn. ' ia> Sitn, btn 23. 9ioBtmbtr 1874.
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Neue Freie Presse, 28. 11.
1874
Wien, Pest und Brünn, in welchen es den kleinsten Consumenten möglich ist, vom Gewerken direkt die Kohle zu beziehen, während anderwärts vom Kleinhändler gekauft werden muß; dadurch erlangt der Consument volle Sicherheit bezüglich der Qualität, pünktlichen Lieferung und des richtigen Gewichts. Aber auch hinsichtlich des Preises ist das Publicum in diesen Städten gesicherter, daß plötzlich die Preise um 30 Percent und darüber steigen. Dieser Fall ist in Wien, Pest und Brünn ausgeschlossen, weil wir stets ein sehr reiches Lager an Kohle halten ... Was die Kohlenpreise anbelangt, so hat Wien im Vergleiche zu anderen Großstädten die billigste Kohle." Mit dem anfänglichen Konkurrenten, der Familie Rothschild, kommt es ab 1865 zur Zusammenarbeit. „Die nähere commerzielle Verbindung mit dem gottseligen Baron Anselm v. Rothschild erhöhte dessen Vertrauen zu uns und bestimmte ihn, uns seine Orlauer und Dombrauer Kohlenwerke pachtweise auf 25 Jahre zu übergeben. Die Gruben waren bis dahin mit keiner Eisenbahn verbunden und unsere erste Aufgabe war es, Baron Rothschild zu veranlassen, die Montanbahn mit Anschluß an die Nordbahn zu bauen." Die Brüder Gutmann kaufen im Laufe der folgenden 70
FAMILIE GUTMANN
Jahre mehrere Kohlengruben auf, unter anderem auch von den Rothschilds, und beginnen, ein wahres Firmenimperium einzurichten - von Schamotte über Zucker, Waggons, Weberei bis zum eigenen Schiffspark gehen die Aktivitäten, es gibt kaum eine Branche, in der die Gutmanns nicht präsent sind. Um alle Geschäfte auch selbst abwickeln zu können, wird das Großhandelshaus Gebrüder Gutmann gegründet, das später auch die hauseigene Bank inkludiert. 1871 schließen sich die Gutmanns mit den Rothschilds und zwei weiteren Partnern zur Österreichisch-ungarischen Hochofen-Gesellschaft zusammen — der Grundstein fur eine weitere Zusammenarbeit. In engem Zusammenhang mit der Kohle steht die Eisenverarbeitung. Bereits 1826 hatte Franz Xaver Riepl die Familie Rothschild angeregt, in Wittkowitz den ersten Kokshochofen der Habsburgermonarchie zu errichten. Zehn Jahre sollte es dann noch dauern, bis Salomon Rothschild das Privilegium für die Errichtung der Bahnstrecke Wien—Bochnia/Galizien mit Seitenlinien nach Brünn, Olmütz und Troppau erhält. Somit ist die direkte Verbindung zwischen Wien und den mährisch-schlesischen Kohlefeldern hergestellt, die eine der wichtigsten Voraussetzungen für den industriellen Aufschwung dieser Jahrzehnte darstellt. Der Ausbau des berühmten Eisenwerkes in Wittkowitz gemeinsam mit der Familie Rothschild ist daher die logische Folge. Wie auch andere Unternehmer dieser Zeit erkennen die Gutmanns die Bedeutung gut ausgebildeter und ordentlich untergebrachter Arbeiter nicht nur aus sozialen Beweggründen, sondern natürlich auch als Kapital für das Werk. „Dieselben waren damals schlecht untergebracht, minder gelohnt, undiscipliniert und dem Brandweintrunke ergeben. Es war unsere erste Sorge, gute, gesunde Wohnungen zu schaffen und den Lohn so zu normieren, daß dem fleißigen Arbeiter Gelegenheit geboten sei, mehr zu verdienen. Die Arbeiter wurden geschult und ihre Leistungsfähigkeit derart gehoben, daß, wenn wir die Steigerung der Förderquantitäten seit unserer Übernahme der Gruben mit der Erhöhung des Arbeiterstandes vergleichen, sich eine Mehrleistung der Arbeiter von nahezu 200 Percent ergibt, d. h. ihre Leistungsfähigkeit hat sich verdreifacht." Gemeinsam mit Anselm Rothschild wird bei der Wittkowitzer Fabrik eine regelrechte Stadt errichtet: „Um alle diese Leistungen vollbringen zu können, war ein tüchtiges Arbeiterpersonale nothwendig. Der große Vom Kohlenhandel zur Großindustrie
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Mangel an Wohnungen für dasselbe führte zur Errichtung einer kleinen Arbeiterstadt, welche heute schmuck und rein, sich um eine Kirche und Pfarrhaus gruppierend, nach vielen Richtungen eine Mustercolonie genannt werden kann. Eine Wasserleitung versorgt die Colonie mit gutem Trink- und Nutzwasser und eine gut angelegte Canalisirung hat die sanitären Verhältnisse wesentlich gebessert. An unseren Schulen wirken elf Lehrer und dreizehn Lehrerinnen mit bestem Erfolge für die Heranbildung eines besser geschulten und besser erzogenen Nachwuchses. Die Mädchenschule und den Kindergarten leiten Klosterfrauen in vortrefflicher Weise. Eine Fortbildungsschule für den gewerblichen Unterricht, unter der Leitung von Werksingenieuren . . . bildet eine Pflanzstätte für künftige Meister und Vorarbeiter. Den religiösen Bedürfnissen der Arbeiterschaft wurde durch den Bau einer Kirche und Installierung einer Pfarre in Witkowitz Rechnung getragen." Auch eine Art Unfall- und Pensionsversicherung wird eingeführt — so wie bei anderen Unternehmen dieser Zeit. „Es wurden im Laufe der Zeit für sie mancherlei Einrichtungen geschaffen, die ihnen die Erziehung ihrer Kinder, die geregelte Führung ihres Haushaltes, sowie eine nützliche Verwendung ihrer freien Zeit ermöglichen sollten. Es wurden Werksbibliotheken ins Leben gerufen ... Grundstücke gepachtet und den Bergarbeitern zu billigen Bedingungen überlassen ... Lebensmittelmagazine wurden an den Schächten errichtet." Für Besucher von außerhalb wird genauso gesorgt wie fur die Arbeiter und Beamten des Werkes. „Ein schönes, vom Werk geführtes Hotel gewährt einen behaglichen Aufenthalt fur die vielen Personen, welche in ihrer Stellung in persönlichen Verkehr mit dem Werke treten müssen." Durch gemeinsame Veranstaltungen von Arbeitern und Beamten wird versucht, die Arbeiter zu „erziehen", ihnen durch beispielhaftes Verhalten Vorbild zu sein - eine typische Einstellung der damaligen Zeit, die für unser heutiges Empfinden wohl etwas überheblich klingt, von ihrer Grundtendenz aber positiv gemeint ist. Allein auf Grund der fehlenden Bildungsmöglichkeiten ftir die Arbeiterkinder ist diese Einstellung als Teil eines Bildungsauftrages zu sehen. Trotzdem muss noch einmal betont werden, dass all diese sozialen Maßnahmen ja auch der Kapazität des Werkes zugute kommen - besser motivierte und gebildete Arbeiter können auch mehr leisten und fühlen sich dem Werk und dem noch sehr pa72
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GUTMANN
Arbeiterwohnhäuser Josefinenkolonie
Beamtenhäuser, Straße des 6. Juli
Beamtenhäuser Choclskd
Vom Kohlenhandel zur Großindustrie
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triarchalisch agierenden Fabriksherrn persönlich verbunden - ein Umstand, der sich oft über mehrere Generationen hinzieht. Dies ist aber natürlich auch dadurch bedingt, dass Fabriken wie diese in Wittkowitz oftmals der einzige Arbeitgeber der Region sind und es gar keine andere Möglichkeit gibt, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. „Der an das Hotel anschließende Saal gestattet den Beamten und Arbeitern des Werkes ihre Feste zu begehen, Concerte oder Vorlesungen zu besuchen und sich zeitweise an Theatervorstellungen zu belustigen. Ein den Arbeitern völlig zugängliches Wäldchen, ausgerüstet mit mehr als 200 Sitzplätzen, Musik-Pavillon und Kegelbahnen, versammelt Sommers an den Sonntagsnachmittagen die Arbeiterschaft, um bei den Klängen einer guten Werkscapelle Erholung von den Strapazen der Woche zu suchen." Die Arbeiter und Beamten „werden unentgeltlich von drei Werksärzten behandelt und mit Medicamenten versorgt. Eine vom Werke erhaltene Dampf- und Wannen-Badeanstalt dient dem Reinlichkeitsbedürfnisse der Arbeiterschaft." Letztendlich handelt es sich um eine aus dem Boden gestampfte Stadt für 7.000 Bewohner. Die Wittkowitzer Eisenwerke spielen im Nationalitätenstreit der späten Habsburgermonarchie eine gewisse Rolle. Diese Fabrikstadt hatte das ethnische Gleichgewicht in der Region empfindlich verändert, viel mehr Arbeiter, als die Region bieten konnte, waren benötigt worden, und so gibt es neben tschechischen auch viele polnische Arbeiter. Ethnische Konflikte über die Frage, welche Umgangssprache diese Arbeiter in den Volkszählungen angeben dürfen, sind vorprogrammiert. Daher wird 1912/13 auf Betriebsebene ein nationaler Ausgleich zwischen Deutschen, Tschechen und Polen geschaffen, um eine weitere Verschärfung der Situation zu verhindern.6' David Gutmann wirkt im Verborgenen. Wilhelm ist es, der das Imperium und die Familie nach außen hin repräsentiert, der in der Öffentlichkeit steht, Amter innehat, Interessenvertretungen gründet und humanitäre Anliegen unterstützt. Und vielleicht in unseren Augen heute den Prototyp des „neureichen" Aufsteigers symbolisiert. David ist anders, er nutzt den großen Reichtum, um Gutes zu tun, anderen Menschen zu helfen, aber natürlich auch, um weiteren Besitz zu erwerben. Er wird unter anderem zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in Mittelmähren durch den Erwerb des Schlosses Tobitschau in der Nähe seiner Heimat Leipnik. 74
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Zeremonienhaile des Friedhofe in Tobitschau/ Tovacov David Gutmann
Marcel Prawy verbrachte dort seine Kindheitssommer - die Schwester seines Vaters war die erste Frau von Davids Enkel Wilhelm. Schloss ist fast zu bescheiden ausgedrückt, Herrschaft wäre wohl die Bezeichnung, die der Wahrheit näher kommt. Allein das Portal des Schlosses ist imposant, es ist eines der ersten Renaissancebauwerke in Mähren überhaupt. Der Besitz umfasst das Schloss, 12 Meiereihöfe, eine Zuckerfabrik in Annadorf bei Tobitschau, ein Bräuhaus, eine Malzfabrik und diverse forstwirtschaftliche Besitzungen. Die Fabriken wurden von David gegründet. Im Verlassenschaftsakt von David aus dem Jahr 1912 wird der Wert dieses Besitzes mit 1,5 Millionen Kronen angegeben. David lässt für den jüdischen Friedhof in Tobitschau eine Zeremonienhalle errichten — sie hat die Zeiten wie durch ein Wunder überstanden und ist als Symbol für das Ansehen Davids erhalten. Der Architekt dieser Halle ist Max Fleischer, der auch das Grabmal von Wilhelm auf dem Wiener Zentralfriedhof entworfen hat. Er stammt aus derselben Gegend: 1841 wird er in Proßnitz unweit von Leipnik geboren, studiert an der Technischen Universität Wien und ab 1863 an der Akademie der bildenden Künste bei August von Siccardsburg und Eduard van der Nüll, den Architekten der Hofoper. Später ist er im ArVom Kohlenhandel zur Großindustrie
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chitektenbüro des Rathauserbauers Friedrich von Schmidt tätig. 1887 machte er sich selbständig, sein erster Auftrag ist der Umbau des Schlosses Tobitschau - David Gutmann gibt ihm also die Chance, sein Können zu beweisen. Auch dies ist wohl als eine Form des Mäzenatentums anzusehen. Der gesamte Umbau kostet 640.000 Gulden - ein sehr hoher Betrag. Max Fleischer wird immer bekannter und erhält Aufträge, Synagogen in Wien zu bauen — seine Vorliebe fur die Neugotik ist sicherlich von Friedrich von Schmidt beeinflusst. Er wählt gotische Stilelemente, um die Einordnung des Judentums in die bürgerliche Kulturgesellschaft zu betonen. Auch auf dem Areal des Allgemeinen Krankenhauses in Wien errichtet er 1903 eine Synagoge fur die jüdischen Patienten. Man muss sich immer vor Augen halten, welch rasanten Aufstieg Wilhelm und David bereits genommen haben. Aus den Söhnen eines Kaufmannes in der mährischen Provinz werden bedeutende und einflussreiche Industrielle der Monarchie. Dies gipfelt darin, dass die Brüder im Jahre 1878 in den österreichischen Ritterstand erhoben werden - den Wahlspruch „Alles zur Zeit" kann man noch heute am Eingang des Schlosses in Tobitschau lesen. Im Ersten Weltkrieg ist Wittkowitz das bedeutendste Rüstungsunternehmen der österreichisch-ungarischen Monarchie - eine Parallele zur Familie Mandl und deren Munitionsfabrik in Hirtenberg. Nach dem Ersten Weltkrieg wird das Wittkowitzer Eisenwerk, das das Herz des Gutmannsehen Imperium darstellt, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die bis 1938 besteht — und in der Folge in die Hermann-Göring-Werke eingegliedert wird.
HUMANITÄRE
LEISTUNGEN
Der Grundstein fiir das große humanitäre Engagement der Familie Gutmann war, wie schon gesagt, durch die Erziehung gelegt geworden. David und Wilhelm vergessen nie ihre Verpflichtungen gegenüber Armen und Bedürftigen, sie engagieren sich für wohltätige Werke unterschiedlichster Art. Wilhelm ruft verschiedenste Stiftungen ins Leben, die auch nach 1918 große Bedeutung für die Wiener Bevölkerung haben. „Im Jahre 1858 habe ich auf Anrathen des Predigers der israelitischen Cultusge76
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GUTMANN
meinde in Wien, Herrn Dr. Jellinek, vereint mit Herrn Bernhard Pollak jun. das Beth ha Midrasch gegründet." Das Beth ha-Midrasch soll der Pflege jüdischer Wissenschaft dienen. 1888 wird die Baron-Hirsch-Stiftung ins Leben gerufen, ihr erster Präsident ist David Gutmann. Zweck dieser Organisation ist es, in Galizien und der Bukowina Bildungsarbeit zu leisten und die Lebensbedingungen zu verbessern. Kindergärten und Schulen werden gegründet, Darlehen an jüdische Handwerker und Landwirte gewährt, jüdische Schüler unterstützt. Dies ist nur einer von vielen Versuchen, die Juden für Bereiche, die ihnen bis jetzt verschlossen waren wie Landwirtschaft und Handwerk, auszubilden in der Hoffnung, den Stereotypen der antisemitischen Agitation entgegenzuwirken. Die große karitative Tätigkeit der Gutmanns steht aber besonders im Mittelpunkt des Interesses. Unterstützung erfährt unter anderem das Mädchenwaisenhaus in der Ruthgasse in Wien-Döbling, das um 300.000 fl. ausgestattet wird und bis 1936/37 besteht. Dieses Gebäude wird 1891 ebenfalls nach Plänen des Architekten Max Fleischer errichtet. Die wesentlichste Leistung gilt aber der Wiener Poliklinik. Das Konzept der - privat geführten - Polikliniken bestand ursprünglich darin, Asyl fur verarmte Kranke ohne Unterschied ihrer Nationalität und Konfession zu bieten - ein Gedanke, der den Brüdern Gutmann wohl besonders am Herzen liegt, wenn man ihre Stiftertätigkeit näher betrachtet. Vorerst ist ein Ambulanzbetrieb vorgesehen, der jedoch in die Errichtung eines Krankenhauses münden soll. Die Behandlung erfolgt gratis, die Gegenleistung ist, dass sich die Patienten den behandelnden Dozenten für Unterrichtszwecke zur Verfügung stellen. 1872 in einem Haus in der Wipplingerstraße (Wien-Innere Stadt) untergebracht, wird das Haus rasch zu klein, und die Poliklinik ist gezwungen, in den folgenden Jahren einige Male zu übersiedeln, bis dank einer Schenkung der Brüder Gutmann in Höhe von 150.000 Gulden 1890 mit dem Bau ihres endgültiges Domizils in Wien-Alsergrund, Mariannengasse 12—14 begonnen werden kann. Dieser Platz wird auch auf Grund der Nähe zu den Universitätskliniken gewählt, da ja enger Kontakt zwischen den medizinischen Einrichtungen Wiens gehalten werden soll. Durch Ankäufe der umliegenden Häuser und Grundstücke wird das Spital permanent erweitert, auch ein eigenes Kinderspital wird angeschlossen. Um 1900 entspricht die Klinik den modernsten hygienischen, diagnostischen und therapeutischen Vorstellungen und genießt großes internationales AnHumanitäre Leistungen
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Dr. Julius Mannaberg
Dr. Lajos Jehle
sehen, das sich auch darin zeigt, dass in verschiedenen Städten Europas, Amerikas und sogar in Kairo ähnliche Institute nach Wiener Vorbild errichtet werden. Die dort wirkenden Arzte sind ausgezeichnete Professoren und Dozenten der Wiener Universitätsklinik, die in der Poliklinik kostenlos Patienten behandeln. So ist auch der Neffe von David und Wilhelm, Dr. Julius Mannaberg, in der Poliklinik von 1898 bis 1931 als Internist tätig. Während des Ersten Weltkrieges leitet er das Kriegsspital, 1919, in einer wirtschaftlich äußerst prekären Situation, wird er zum Direktor bestellt. Ein weiterer Neffe, Dr. Lajos Jehle, leitet von 1910 bis 1938 die erste Kinderabteilung, das so genannte „Gutmann-Kinderspital". Dieses ist einer weiteren Stiftung der Brüder Gutmann zu verdanken — 1938 wird es geschlossen. Lajos Jehle ist auch der Kinderarzt fast aller in diesem Buch beschriebenen Familien und deren Umfeld. Das geht so weit, dass ihm die Patienten in seine Sommerfrische St. Gilgen nachreisen und somit das dortige gesellschaftliche Leben in der Zwischenkriegszeit mitprägen. Die Errichtung und Unterstützung der Poliklinik ist ein weiterer Beweis für das starke soziale Empfinden des jüdischen Großbürgertums. Noch gibt es ja keine Krankenversicherung und die sozialen Bestrebungen der Politik beginnen sich erst langsam zu entfalten. Doch gerade dieser soziale Aspekt ist ein großes Problem fur die Poliklinik: Die antisemi78
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tischen Strömungen Ende des 19. Jahrhunderts konzentrieren sich auch auf diese Klinik, in der in erster Linie jüdische Arzte arbeiten. Der Erfolg, der sich durch großzügige
Spenden
einstellt,
erregt
natürlich sofort Neid und Missgunst. Da spielt es keine Rolle, dass ja Armen ohne Unterschied ihrer Konfession geholfen wird. Solche Argumente haben in der politischen Effekthascherei keinen Platz. Diese Situation schildert Arthur Schnitzler in Professor Bernhardt im Detail - sein Vater Johann war der erste Direktor der Poliklinik, auch Arthur selbst ist hier einige Zeit als Arzt beschäftigt
Lilly Jehle (l.) alsfreiwilligeKrankenschwester im Ersten Weltkrieg
und kann daher die Stimmungen und Animositäten wiedergeben. Doch nicht nur die Poliklinik erfreut sich der Unterstützung der Gutmanns - ein weiteres bedeutendes Spital in Wien wird ebenfalls mit Gutmann'schen Zuwendungen immerhin in der Höhe von mehr als 100.000 Kronen bedacht: das Rudolfinerhaus in Wien-Döbling. Dieses Haus war ursprünglich für Kriegsverwundete vorgesehen, Theodor Billroth übernimmt dann die Leitung des von ihm initiierten Rudolfinervereines mit der Intention, eine Krankenpflegeschule zu errichten, um Laienschwestern auszubilden. Bis dahin war die Krankenpflege ausschließlich geistlichen Schwestern vorbehalten. Dieses moderne und zukunftsweisende Projekt, das bis heute von großer Bedeutung ist, wird also von den Gutmanns unterstützt und am 30. Mai 1882 eröffnet. Die liberale Wiener Gesellschaft hilft mit — während des Ersten Weltkrieges erfahren „Damen der Gesellschaft" einen Schnellsiedekurs in Krankenpflege im Rudolfinerhaus und leisten dadurch einen - sinnvollen Beitrag, das Elend zu verringern.
Humanitäre Leistungen
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Die Familie vergisst auch ihre Wurzeln in Leipnik nicht - genauso wenig wie neue Heimatorte am Land in der Nähe von Wien. In Krems wird 1889 ein Siechenhaus für 60 Gebrechliche eingerichtet, für Leipnik eine Doppelstiftung ins Leben gerufen: die eine für die christliche Gemeinde zu Gunsten bedürftiger Schüler der Mittel- und Hochschule, die andere für die jüdische Gemeinde zur Unterstützung von Handwerkern. In Leipnik werden noch andere Initiativen gestartet: Sowohl ein Stadttempel als auch ein Armenhaus werden gegründet und 1903 von Wilhelms Sohn Max eröffnet. Es handelt sich um das Haus, in dem die Familie vor der Übersiedelung nach Wien gewohnt hat. Im Erdgeschoss dieses Hauses wird ein Wintertempel, im ersten Stock ein Armenhaus eingerichtet. 19.500 Kronen stellt die Familie Gutmann zur Verfügung, fünf Jahre später, 1908 zum 60-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs, kommen noch einmal 4.000 Kronen hinzu. 61 Die verschiedenen Regierungsjubiläen des Kaisers bieten immer wieder Anlass, Gutes zu tun, Stiftungen zu errichten, Parks und öffentliche Gebäude zu eröffnen. Dieser Tradition entziehen sich auch die Gutmanns nicht. Das Gutmann'sche Stiftungshaus, wie es genannt wird, liegt an einem prominenten Platz, vis-ä-vis der alten Synagoge und neben dem Haus, in dem Wilhelm und David geboren wurden. Noch heute ist die Familie in Leipnik nicht vergessen, an dem gut erhaltenen Stiftungshaus ist eine Tafel eingelassen, die an die Gutmanns erinnert. Ein weiteres humanitäres Projekt liegt den Gutmanns am Herzen: der Philanthropische Verein. Sein — unrealistisch klingender - Zweck soll die endgültige Lösung der Armenfrage sein. Also wird „der philantropische Verein gegründet, dessen Haupttendenz war, einen Vereinigungspunkt zu finden, in welchem man 1. sich auch in Zukunft fortdauernd mit der Regulirung der Armenfrage beschäftigen konnte, 2. ein entsprechender Recherchenapparat geschaffen werden sollte, der durch Cooperation mit dem Armendepartement der Commune und Beihilfe des Polizei-Präsidiums in die Lage versetzt ist, mündliche oder schriftliche Petita mit möglichster Beschleunigung und Verläßlichkeit auf ihre Richtigkeit zu prüfen und dadurch eventuelle Mißbräuche thunlichst hintanzuhalten. Der Verein sollte im Centrum der Stadt, im Rathause, amtiren, wo er jeden Tag und zu jeder Tageszeit ein williges Ohr und bei Würdigung eine sofortige Hilfe finden könne." Eine Schnittstelle also für alle karitativen Vereini80
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Gutmann'sches Stifiungshaus in Leipnik/Lipnik nad Becvou
gungen, die sich auf dem Gebiet der Armenfürsorge engagieren. Mit Hilfe von Albert Rothschild, der Familien Dräsche, Springer und Gutmann kann dieser Verein sofort ins Leben gerufen werden. Diese Familien tragen dazu bei, dass der Fonds des Vereines ein Jahresbudget von 30.000 fl. zur Verfügung hat. Doch nicht nur auf humanitärem Gebiet sind die Gutmanns aktiv. Wilhelm Gutmann gründet, gemeinsam mit einem Personenkomitee, 1875 den Industriellen Club, die Vorläuferorganisation der heutigen Industriellenvereinigung, und den Verein der Montan-Eisen- und Maschinen-Industriellen in Osterreich. Heute ist es für uns ganz selbstverständlich, dass sich jede Interessengruppierung in einem Verein zusammenfindet, doch hatten diese Vereine am Anfang des 19. Jahrhunderts im Zeitalter Metternichs zu wachsen und zu gedeihen begonnen und sind nun 1875 eine absolute Notwendigkeit, um Interessen wahrzunehmen, eine gemeinsame Stimme erheben zu können und der Konkurrenz entgegenzutreten. Insofern leisten die Gutmanns als Pars pro Toto für das liberale Industrie-Bürgertum wahre Pioniertaten auf dem Gebiet der berufsständischen Vertretungen. Humanitäre Leistungen
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Die Gründer verstehen ihren Club als „Notwehr" gegenüber der staatlichen Handelspolitik, die „von einem strengen Prohibitivsystem jäh zum Freihandel übergegangen" ist und „somit der ausländischen Industrie T ü r und Tor geöffnet hatte" 6 '. Ein besonderes Anliegen ist dem Industriellen Club, ein einheitliches Zollgebiet in Osterreich zu installieren. ,yeranlaßt durch die hereinbrechende Krisis des Jahres 1874 habe ich vereint mit Berufsgenossen den Club der Großindustriellen und den Montanverein gegründet. Die erste Anregung zu beiden Vereinen ging von mir aus. Den Vorsitz im Montanverein übernahm Baron Mayrau, im IndustriellenClub Herr Alfred Skene. Beide Vereine traten im rechten Zeitpunkt ins Leben und erwiesen sich als nützliche Vereinsstellen für Zusammenfiihrung und Verständigung oft gegenseitig verstimmter und doch so vielfach auf einander angewiesener Collegen. Von Letzteren veranlaßt trat ich auch in die Handelskammer und von dieser gewählt in den niederösterreichischen Landtag ein." Hier wird Wilhelms Sohn Max seinem Vater nachfolgen, er wird zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
S O M M E R F R I S C H E IN B A D V Ö S L A U U N D B A D E N
Die Sommerfrische ist ein wichtiger Punkt im Leben des Bürgertums. Zuerst reiste man mit Sack und Pack in die nähere Umgebung Wiens, zum Beispiel nach Neuwaldegg und Pötzleinsdorf. Durch die Entwicklung der Eisenbahn, die also nicht nur für wirtschaftliche Zwecke genutzt wird, beginnt das Bürgertum den Kreis zu erweitern - man reist Richtung Semmering oder ins Salzkammergut. Jedenfalls dorthin, wo der H o f ist. In vielen Lebenserinnerungen nimmt die Sommerfrische mit ihren Wochen und Monaten unbeschwerten Landlebens eine bedeutende Stellung ein. Dies geht bis zu den Erinnerungen von Emigranten, deren Sehnsucht sich fast nie nach Wien, sondern immer nach dem O r t der Sommerfrische als Erinnerung an sonnige und fröhliche Jugendtage richtet. Die Familie übersiedelt richtiggehend, mit Wäsche, Mobiliar und Personal fährt man in die Sommervilla, die entweder gemietet, erworben oder selbst gebaut ist. Diese Villen sind natürlich auch ein Symbol - fur 82
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Ida Gutmann, geb. Wodianer
Wohlstand, für die Zugehörigkeit zum Großbürgertum, für die Verbundenheit mit dem Land. Sie dienen der sommerlichen Muße, sonst haben sie keinen Zweck und stehen daher auch die meiste Zeit leer. Darum verwundert es nicht, dass die Landbevölkerung selbst Villen erbaut, die sie als Ganzes oder in einzelne Wohnungen unterteilt vermietet und so ein gutes Einkommen hat. Die Familie Gutmann hat eine besondere Affinität zu Bad Vöslau und dem nahe gelegenen kleinen Städtchen Baden bei Wien. Nicht nur die Anwesenheit der kaiserlichen Familie, sondern auch die Eröffnung der Sommerfrische in Bad Vöslau und Baden
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Die Gutmann-Villa in Baden, Helenenstraße 72
Südbahn im Jahre 1841 machen die Attraktionen der alten Kurstadt aus. Das Stadtbild ist ganz auf die „Sommerfrischler" und Kurgäste zugeschnitten : Der Kurpark lädt zum Promenieren, zum Sehen und Gesehenwerden ein, Spazierwege ins Helenental bieten die Möglichkeit, auch die wildere Natur bequem zu erobern, Kaffeehäuser, Theater und Kasino bieten genügend Möglichkeiten zur Zerstreuung. Im Großen und Ganzen eine ziemlich urbane Sommerfrische im Gegensatz zu den Salzkammergutseen oder dem Semmeringgebiet. Auch die Villenarchitektur passt sich diesem Leben an - repräsentative Bauten zeigen die Bedeutung und den Reichtum der Erbauer, bevorzugt an den Straßen gelegen, die die Kurgäste unweigerlich passieren müssen. Ida und Wilhelm Gutmann sind ein geradezu klassisches Beispiel dafür: 1882 lassen sie eine prachtvolle Villa in der Helenenstraße errichten - nicht zu übersehen in einem riesigen Park gelegen. Der Architekt Alexander von Wielemans hat fur diese Villa ein Vorbild: die Privatvilla Heinrich von Ferstels in der Himmelstraße (Wien-Grinzing), ebenfalls 84
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ein Backsteinbau. Es ist nicht allein die Villa, die die Güte dieses Besitzes ausmacht. Dazu gehören noch zwei Wirtschaftsgebäude, ein Glashaus, eine Kegelbahn, Salettl, Gartenhaus, ein Wasserbecken und ein Wasserschloss mit Grotte. Von all diesen Nebengebäuden ist heute nur noch die Grotte erhalten. Kegelbahnen sind in der damaligen Zeit sehr beliebt, was wohl für den Stellenwert dieser Beschäftigung im privaten Rahmen spricht. Doch nicht nur Wilhelm und Ida haben eine Villa in Baden, sondern auch ihr Neffe Ludwig, Davids Sohn, ist in Baden ansässig. Seine Villa entspricht jedoch einem völlig anderen Typ: bereits 1846 gebaut, ist diese Villa wesentlich bescheidener, hat auch nicht all die vielen Nebengebäude. Doch ist auch sie deswegen nicht weniger repräsentativ. In Wien erwerben Wilhelm und David eine Parzelle der neuen Ringstraße : Ecke Fichtegasse/Beethovenplatz errichtet der Architekt Carl Tietz ein Palais, in dem Wilhelm mit seiner Familie wohnt. Direkt vor dem Palais steht das Beethovendenkmal von Caspar von Zumbusch. Wilhelms Sommerfrische in Bad Vöslau und Baden
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Ludwig Gutmanns Villa in Baden, Weilburgstraße 16A (Zeichnung aus dem Jahr ι8$γ)
Sohn Max zieht es jedoch aus der Stadt hinaus ins Währinger Cottage, wiederum ein typischer Wohnortwechsel des aufstrebenden assimilierten Judentums. Auch die Gutmanns können sich diesem Weg von der Leopoldstadt über die Ringstraße ins Cottageviertel nicht entziehen.
DAVIDS K I N D E R
David und Sophie Gutmann haben einen Sohn, Ludwig, und vier Töchter - Bertha, Hermine, Irma, Helene. Sie alle sind gläubige Juden, die die Feiertage streng einhalten. Die Kinder der christlichen Nachbarn am Schwarzenbergplatz in Wien kommen gerne am Sabbat zu Besuch, gibt es doch Gänseleber und andere Spezialitäten, die in ihren Elternhäusern unüblich sind. Irma heiratet Siegwart Mayer-Ketschendorf. Er stammt aus Coburg und ist, wie David in seinem Testament festhält, „zu meiner Freude mit seiner Familie hierher übersiedelt". Hier in Wien wird er Gesellschafter 86
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GUTMANN
des Bankhauses Gutmann und für seinen Schwiegervater David eine wichtige Stütze. Das zeigt sich darin, dass David Gutmann in seinem Testament bestimmt, „dass nach meinem Tode zu Mitvormündern meiner noch minderjährigen Enkel und Enkelinnen, die Kinder meines unvergeßlichen Sohnes Dr. Ludwig Ritter von Gutmann, mein Schwiegersohn Herr Siegwart Mayer Freiherr von Ketschendorf und Herr Moritz Edler von Kuffner bestellt werden" 64 . Diese erwähnten Enkelinnen sind ein gutes Beispiel dafür, dass reiche Töchter gerade für Offiziere eine gute Partie darstellen. Schon Schnitzler stellt den Typus des Salonoffiziers immer wieder in den Mittelpunkt seiner Erzählungen und Theaterstücke. Für Offiziere ist es eine Notwendigkeit, reich zu heiraten, da sie eine Heiratskaution hinterlegen müssen, die sie meist selbst nicht aufbringen können. Wobei gesagt werden muss, dass sich der Umstand, reiche Frauen geheiratet zu haben, für diese Männer vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, als die Situation für Angehörige der ehemaligen k.u.k. Armee existenzbedrohlich wird, als besonders glücklich erweisen sollte. Die Ehen werden aber in den folgenden Jahren fast alle geschieden. Davids Sohn Ludwig heiratet Mathilde Baronin Günzburg und stirbt bereits mit 40 Jahren im Jahr 1900 vor seinem Vater David. Sein ältester Sohn Wilhelm ist zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt, seine jüngste Tochter Ludovica kommt 2V2 Monate nach dem Tod ihres Vaters zur Welt. Man kann sich die Situation der Mutter vorstellen: sie ist 34 Jahre alt und hat acht kleine Kinder. David setzt seinen ältesten Enkel Wilhelm als Universalerben ein und kümmert sich selbstverständlich um die Kinder seines Sohnes. Wilhelm, sechsmal verheiratet, in erster Ehe mit Hedwig Frydmann von Prawy, ist vorausblickend und ahnt, was in Österreich passieren wird. 1937 geht er in die Schweiz, kommt jedoch nach dem Krieg wieder nach Österreich und erhält einen Teil seines Vermögens zurück. Die älteste Tochter Nanny, geboren 1890, heiratet den Wiener Hutfabrikanten Peter Habig. Nanny ist die einzige der Geschwister, die den Nazis nicht entkommen kann. Nach Frankreich geflüchtet, wird sie im Lager Drancy interniert, von dort nach Auschwitz transportiert und ermordet. Ihre Schwester Grete, „sehr reich, sehr mediterran im Aussehen und strenggläubig" 6 ', heiratet 1912 mit 19 Jahren den ungarischen Offizier Davids Kinder
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Otto Krause, der sich Bankier nennt und in erster Linie mit der Verwaltung des Vermögens seiner Frau beschäftigt ist. Sie bekommen vier Kinder: Ludwig, Manon, Otto Hans und Peter. Doch das Interessanteste an dieser Beziehung ist Ottos Opernleidenschaft. Seine Lieblingssängerin ist Lotte Lehmann, nach deren Gestaltung der Manon von Jules Massenet, die eine ihrer ersten Rollen in Wien gewesen ist, auch die Tochter der Krauses benannt wird. Aus diesem Grunde will Grete Krause ihrem Mann zu seinem Geburtstag am 29. Jänner 1922 ein ganz besonderes Geschenk machen. Sie gibt ein großes Fest und engagiert als Überraschung Lotte Lehmann. Doch erweist sich dieses wunderbar ausgedachte Geschenk als Danaer-Gabe: Lotte Lehmann und Otto Krause verlieben sich ineinander, Otto verlässt seine Familie.66 Grete erleidet nicht lange darauf einen Schlaganfall — sie ist zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt — und stirbt 1936. Nach anderen Aussagen litt Grete an Multipler Sklerose und weiß ganz genau, welche Zukunftsperspektive sie erwartet. Daher bringt sie Otto und Lotte absichtlich zusammen. Welche der beiden Varianten stimmt, weiß man natürlich nicht - die Wahrheit wird wohl nicht ans Licht kommen.67 1926 heiraten Otto Krause und Lotte Lehmann, nach dem Tod von Grete nehmen sie sich der vier Kinder Ludwig, Manon, Hans und Peter an. Deren Kindheit ist durch die Krankheit der Mutter überschattet. Peter, der jüngste, geboren 1919, erinnert sich an seine Mutter nur als eine schwer kranke Frau. Grete ist nicht ansprechbar, völlig gelähmt und wird von zwei Klosterschwestern rund um die Uhr in der Familienvilla in Hietzing betreut. Einmal am Tag werden die Kinder zu ihr geführt, doch wissen sie nicht, ob Grete ihre Anwesenheit überhaupt bemerkt. Otto Krause besucht seine Kinder zwei- oder dreimal pro Jahr - die Haushälterin ist ihre wichtigste Bezugsperson. Die Sommer werden in Aussee in einer gemieteten Villa verbracht, doch auch dort sind es fremde Aufsichtspersonen, die sich um das Wohl der Kinder bemühen. Einige Sommer verbringen sie auch in Tobitschau, das ja mittlerweile ihrem Onkel Wilhelm gehört. Dort erhalten die Kinder Englischunterricht, was sich in der Zukunft als Segen entpuppen wird.68 Im März 1938 ist Lotte Lehmann gerade in Amerika engagiert, Otto und Manon begleiten sie. Manon kehrt noch einmal nach Österreich zurück. Durch ihre Verbindungen in den USA ermöglicht Lotte den vier 88
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Hochzeit Otto Krause und Lotte Lehmann, mit Lottes Mutter
Davids Kinder
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mittlerweile erwachsenen Kindern die Flucht außer Landes. „Manon und C o . konnten entkommen und waren sicher in Paris eingetroffen. Ich weiß noch nicht alle Details, außer daß die wundervolle Manon dem Rechtsanwalt erklärte, daß sie nicht vorhätten, den Rest ihres Lebens in W i e n zu verbringen und daß das Lösegeld in der Höhe von ι Million Schilling bezahlt werden würde. Daraufhin packten sie ihre Koffer und machten sich fort mit den Pässen und Visa. Das einzige, was sie nicht hatten, war die Erlaubnis, das Land zu verlassen, doch der Grenzbeamte ließ sie trotzdem durch. Ich glaube, er dachte, daß sie jung und unschuldig aussahen." 6 ' Bereits im August 1938 sind Lotte, O t t o und die Kinder in N e w York vereint - das Glück über die Rettung wird jedoch von der großen Sorge um Ottos Gesundheitszustand überschattet. Im Februar 1939 stirbt er an Tuberkulose. Lotte Lehmann hilft den Kindern, Ausbildung und Arbeit in Amerika zu bekommen - und rettet so die G u t mann-Kinder. Helene, eine weitere Schwester, heiratet, wie ihre Schwester Grete ebenfalls mit 19 Jahren, den Arzt August Reyer, der ein Institut fur schwedische Heilgymnastik und Massage in der Wiener Lothringerstraße betreibt. Schwedische Gymnastik ist zu dieser Zeit der neueste Schrei - es handelt sich um Gymnastik ohne Geräte, etwas, das bis dahin in Österreich noch nicht sehr verbreitet ist. Ciarisse heiratet einen Offizier, Ferry Hieffer - einen der bekanntesten Herrenreiter Österreichs, der nach 1918 ein Reitinstitut in W i e n betreibt. 1938 können Ciarisse und Ferry mit ihren Töchtern Elisabeth und Mathilde nach Ägypten entkommen. Die jüngste Schwester Ludovica, genannt Luci, heiratet den Bankier Kurt Ippen, sie flüchten mit ihrer Tochter Ruth vor den Nazis nach Paris. Ruth wird von ihrer Tante Ciarisse Hieffer gebeten, nach dem Tod ihrer C o u sine Mathilde nach Ägypten zu kommen, um sich um deren Kinder zu kümmern. Doch kümmert sie sich nicht nur um die Kinder, sondern heiratet auch deren Vater - der Plan ihrer Tante ist hiermit aufgegangen. 70
WILHELMS
KINDER
Wilhelms Sohn Max, geboren 1857 in Wien, ist sein Erbe. In mehrfacher Hinsicht, nicht nur, was den materiellen Besitz betrifft, sondern auch den 90
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Max und Emilie Gutmann
ideellen: Er übernimmt Präsidentschaften, den Vorsitz aller humanitären Vereinigungen, die seinem Vater am Herzen gelegen waren. Max erweitert die Aktivitäten noch und wird einer der bedeutenden Mäzene seiner Zeit. Bereits mit 25 Jahren, nach Absolvierung der Montanistischen Hochschule in Leoben, tritt er wohl vorbereitet und ausgebildet in die Firma Gebrüder Gutmann ein, sein Hauptgebiet ist nun die Führung des Werkes in Wittkowitz, doch kümmert er sich natürlich auch um alle anderen industriellen Unternehmungen. Sein großes soziales Engagement Wilhelms Kinder
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zeigt Max Gutmann nicht nur in der Führung seiner eigenen Betriebe, auch auf politischer Ebene setzt er sich fur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Im Jahr 1908 fährt Max nach Rom zu einem Internationalen Sozialversicherungskongress, wo er Vorschläge zu einer internationalen Verständigung über die Alters- und Invaliditätsversicherung macht, die in fachmännischen Kreisen des Auslandes besondere Anerkennung finden.7' Max heiratet fast 40-jährig die um 20 Jahre jüngere Emilie Hartmann. Ihre Eltern sind berühmte Schauspieler des Hoftheaters — Ernst Hartmann und Helene Schneeberger. Der große Schriftsteller Felix Saiten meint über Hartmann: „Er ist der Schauspieler der großen Eleganz gewesen." Emilies Schwester Amelie heiratet Carl Ferstel, den Sohn des Architekten Heinrich von Ferstel, der Direktor in der Maschinenfabrik Andritz ist - diese gehört wiederum den Gutmanns. Max und Emilie haben drei Töchter und zwei Söhne: Eleonore heiratet Enrico Salem, er ist der Bürgermeister von Triest - sie werden von Bischof Vilmos Fraknoi, einem entfernten Verwandten, nach katholischem Ritus getraut. Elsa bleibt unverheiratet, sie ist fur die damalige Zeit ungewöhnlich emanzipiert, sehr sportlich, chauffiert selbst und ist passionierte Jägerin. Helene will Schauspielerin werden, Max Reinhardt ist sehr daran interessiert, sie zu engagieren, doch sträubt sie sich und verlobt sich letztendlich mit Leopold Haupt-Stummer. Der Besitz dessen Familie in Ungarn und der Slowakei ist 17.000 ha groß und umfasst auch einige Zuckerfabriken. Ein Umstand, der die beiden Familien wohl auch geschäftlich miteinander verbindet. Leopold, der Bildhauer und Maler ist, lässt im Mitteltrakt seines Schlosses in einem barocken Saal eine Bühne einbauen, dort wird, so wie am Besitz seines Schwiegervaters in Gföhl, Sommertheater gespielt. Helenes Bruder Ernst stirbt bereits mit 27 Jahren, diesen Schicksalsschlag wird der Vater bis an sein Lebensende nicht überwinden können. Wolfgang schließlich tritt in das Familienunternehmen ein und kümmert sich in erster Linie um die Beteiligungen an den verschiedenen Eisen verarbeitenden Betrieben. 1909 klagt die zionistische Jüdische Zeitschrift, dass die großen jüdischen Häuser wie Rothschild und Gutmann auf Grund der politischen Situation und des Erstarkens antisemitischer Strömungen zu wenig jüdische Angestellte hätten und damit all jene Väter enttäuschten, die ihren 92
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Söhnen unter größten finanziellen Schwierigkeiten ein S t u d i u m der Technik ermöglicht hatten u n d nun vielleicht darauf hoffen, sie bei dieser jüdischen Weltfirma unterzubringen. Die fachliche Qualifikation steht also über der konfessionellen Zugehörigkeit - ein im Prinzip selbstverständliches Faktum, doch wird dies in der damaligen Zeit des aufkeimenden u n d immer stärker und lauter werdenden Antisemitismus als mangelnde Solidarität angesehen. Die GratDas Wunderkind Bronislaw Hubermann wanderung zwischen der Verpflichtung gegenüber den „Glaubensbrüdern" und der Verantwortung für ein Wirtschaftsunternehmen wird immer schwieriger, niemandem kann man es letztendlich recht machen. Max ist ein großer Unterstützer und Förderer junger Künstler, wie das Beispiel des Geigers Bronislaw Hubermann zeigt. Dieser, aus einem galizischen Stettl stammend, kommt mit seiner Mutter nach W i e n , u m dem großen Max Gutmann, dessen Mäzenatentätigkeit bis ins äußerste Galizien bekannt ist, seine A u f w a r t u n g zu machen. Gemeinsam mit seiner Mutter kommt er zur Villa Gutmann in der Colloredogasse im eleganten Cottageviertel von W i e n . Zuerst hinauskomplimentiert, gelingt es den beiden doch, zu Gutmann vorgelassen zu werden, der den jungen Bronislaw auffordert, ihm etwas vorzuspielen. Dieser wickelt seine Geige aus einem schmutzigen Fetzen, der als Schutz u n d Transportmittel gedient hatte, und spielt. U n d spielt so wunderbar u n d musikalisch, dass M a x Gutmann beschließt, diesen angehenden Künstler zu fördern. Im Hause Gutmann geht er ein und aus und wird der Lehrer von Gutmanns Tochter Elsa, die er auch heiraten möchte, doch wird nichts aus diesem Plan. Hubermann wird in der Folge Schüler des berühmten Josef Joachim und zu einem der bedeutendsten Geiger seiner Zeit, er ist auch politisch aktiv und setzt sich intensiv fur die Paneuropaidee ein, fur die er zahlreiche Wilhelms Kinder
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Artikel schreibt. Er verfasst zwei Bücher zu diesem Thema - Mein Weg zu Paneuropa 1925 und Vaterland Europa 1932 - und eine Autobiographie. 1938 kann er in die Schweiz flüchten und entkommt so der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Doch nicht nur dieser zum Teil anekdotische Bericht über Hubermann legt Zeugnis vom Mäzenatentum Max Gutmanns ab. So besteht eine enge Freundschaft zum Bildhauer Caspar von Zumbusch, dem Schöpfer des Maria-Theresien-Denkmals in Wien, der nicht nur das monumentale Grabmal der Familie Hartmann am Döblinger Friedhof entworfen hatte, sondern mehrere kleine Figuren für den Jaidhof schuf. Auch die Büste des Kronprinzen Rudolf im Rudolfinerhaus stammt von ihm. Er schenkt die Entwürfe der vier Figuren, die um das BeethovenDenkmal gruppiert sind, Max Gutmann als Dank fur die vielen Aufträge. Im Freundeskreis von Max und Emilie Gutmann finden sich auch viele andere Künstler — von Johannes Brahms über den Geiger Josef Joachim bis zu Hugo Thimig und seinen Kindern. Mit ihnen wird oft Theater gespielt, in aufwendigen Kostümen werden selbst komponierte Opern und Einakter aufgeführt, auch finden Gastspiele des Burgtheaters in Jaidhof statt. Ein wichtiges Symbol für den feudalen Adel war Landbesitz - nun strebt auch das Großbürgertum danach, Grund und Boden zu erwerben, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Wilhelm Gutmann hatte 1884 den Jaidhof in Gföhl/Niederösterreich erworben. Die Herrschaft Jaidhof mit dem Schloss Droß hat eine Größe von 10.000 ha, dazu gehören 24 ha Wein. Schloss Droß ist schöner und größer als der Jaidhof, doch liegt es mitten im Ort und hat keinen Park. Max Gutmann, der den Besitz nach dem Tod seines Vaters übernimmt, wählt daher den Jaidhof zu seinem Wohnsitz, er gestaltet den umliegenden Park und beauftragt Zumbusch mit der Schaffung einer Reihe von Skulpturen. Die Infrastruktur des Ortes Gföhl wird verbessert, ein Elektrizitätswerk, eine Schule und vieles andere werden von den Gutmanns gebaut, sie sind einer der größten Arbeitgeber dieser Region. Wie schon in Wittkowitz werden auch hier Wohnhäuser für Arbeiter und Angestellte errichtet. Das Vorbild, das der Vater in Wittkowitz gegeben hatte, wirkt also auch in der nächsten Generation weiter. Max erwirbt zusätzlich in den Jahren 1892 bis 1916 einen 12.000 ha großen Besitz in der Steiermark 94
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Jaidhof, Südportal
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„In der Strechen", der zwei Jagdhäuser umfasst. Das größere erhält den Namen „Mimsch" nach dem Namen von Max' Frau. Die Einweihungsfeierlichkeiten des zweiten, kleineren, werden mit Kostümierungen ganz im Stile Maximilians I. begangen, der Name des Hauses „Theuerdank" stammt aus einem Versepos, in dem die Brautfahrt Maximilians I. besungen wird. Der Besitz wird zu einem landwirtschaftlichen Musterbetrieb ausgebaut, aber auch als bevorzugtes Jagdgebiet der Familie, ihrer Freunde und Geschäftpartner genutzt. 1917 wird Max ins Herrenhaus berufen - eine Auszeichnung, die zeigt, welch großes Ansehen er genießt. Oft wird er in Fragen der Eisenindustrie von fuhrenden Politikern um Rat gefragt und bleibt auch nach dem Ende der Monarchie eine wichtige Persönlichkeit nicht nur in Osterreich, sondern auch in den so genannten Nachfolgestaaten, also der Tschechoslowakei und Ungarn, wo er auf Grund seiner Beteiligungen ebenfalls zu den einflussreichsten Industriellen zählt. Er schafft das, was nicht vielen Industriellen in dieser Zeit des Umbruchs gelingt: die nun in verschiedenen Ländern liegenden Fabriken zu halten. Dieser Umstand wird auch im Vermögensbekenntnis, das nach dem Tod von Max 1930 erstellt wird, extra betont: „Der Verstorbene war österreichischer Staatsbürger, dies festzuhalten ist notwendig, da sowohl österreichisches, als auch ungarisches, als auch tschechoslowakisches Vermögen vorliegt." So kompliziert werden nun also die Besitzverhältnisse, die zum Zeitpunkt der Gründung und des Aufstieges alle dem österreichisch-ungarischen Recht unterlagen. Noch 1936 wird trotz der immer prekärer werdenden politischen Situation von der Familie die Bergrat Dr. Max Gutmannsche Ausstattung-
stiftungfür Kinder der Beamten der Firmen Gebrüder Gutmann Wien und Budapest und Bankhaus Gebrüder Gutmann Wien eingerichtet.72 Ein Zeichen, dass die Gutmanns nach wie vor an Österreich glauben. Nicht nur sie können sich nicht vorstellen, was passieren wird — noch glaubt das assimilierte österreichische Bürgertum an den Rechtsstaat, an zivilisierten Umgang miteinander, an Kultur und Tradition. In den Nachrufen auf Max Gutmann vom 3. April 1930 in der Neuen Freien Presse wird deutlich, welches Ansehen er zeit seines Lebens hatte: „Bergrat Dr. Max Gutmann war ein Mensch von ungewöhnlicher Güte. Er hat im größten Stil Wohltätigkeit geübt, mit reichen Mitteln die Poliklinik, das Rudolfinerhaus und eine stattliche Anzahl anderer gemein96
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In der Strecken
nütziger Institutionen unterstützt. In der Stadt Gföhl bei Krems, wo er ein Ertragsgut besaß, hat er ein Spital und einen Kindergarten einrichten lassen. Er hat an dem Schicksal nicht nur seiner Verwandten und Freunde, sondern aller Personen, die sich an ihn um Rat und Beistand wandten, regsten Anteil genommen und auch im Stillen viele Schicksalsschläge gemildert und Wunden geheilt. Ihm selbst freilich blieb ein schwerer Schicksalsschlag nicht erspart, der ihn psychisch tief niederdrückte. Es war der Verlust eines 30jährigen Sohnes, der nach zweijähriger Ehe einer Leukämie zum Opfer fiel. In letzter Zeit war Bergrat Gutmann ein regelmäßiger Besucher von Bad Gastein. Ein Mann von vielfältigen Interessen war er jahrelang und ständig in der von ihm abonnierten Loge im Burg- und im Operntheater zu sehen. In seinem schönen Heim im Währinger Cottage gab er häufig Gesellschaften, in denen bedeutende Vertreter der Musik dominierten. Denn er selbst war sehr musikalisch und dasselbe gilt von seinen Kindern. Seine besondere Leidenschaft galt der Jagd. Er war ein vortrefflicher Schütze und auch ein ausdauernder Bergsteiger und verbrachte viel Zeit auf seinem Jagdgut bei Rottenmann Wilhelms Kinder
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Max Gutmann im Kreise seiner Jäger
in der Steiermark, wo er von seinem Jagdpersonal mit hingebungsvoller Anhängigkeit umgeben wurde." Sein Freund, der große Schauspieler Hugo Thimig, erinnert sich ebenfalls an Max: „Das Ableben meines lieben Freundes Max Gutmann trifft mich auf das Schwerste. Habe ich doch wie ein Kind des Hauses in der Familie des unvergeßlichen Ernst Hartmann verkehrt und dessen Töchter von klein auf gekannt und mit lebhafter Teilnahme aufwachsen gesehen. Ja sogar gewohnt habe ich jahrelang bei Hartmann. Durch die Ehe mit der jüngeren Tochter meines verstorbenen Kollegen ist mir Bergrat Gutmann ungewöhnlich nahe gekommen. Er war ein feiner, lieber und edler Mensch und ich und die Meinen haben mit ihm einen wahren Kult getrieben. Doch jegliche Hingabe hat er in reichstem Maße verdient. Seinen Heimgang empfinden wir als einen tiefen, nachhaltigen Schmerz." In seinem Testament verfugt Max, dass Leipnik, die Geburtsstadt seines Vaters, ein Legat für die Armen ohne Unterschied ihrer Konfession bekommen soll. Dies zeigt die starke Verbundenheit, die auch diese Generation, die ja bereits in Wien geboren wurde, mit der ursprünglichen 98
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Heimat empfindet. Nach dem Tod von Max Gutmann wird der steirische Besitz unter seinen Kindern aufgeteilt, acht Jahre später wird er „arisiert" — ab 4. Juni 1938 heißt der neue Besitzer Friedrich Flick. Nach dem Krieg erhalten die Gutmanns ihr Eigentum nicht zurück, sondern müssen auch noch die getätigten Investitionen bezahlen! Doch fehlen ihnen die Mittel, und so wird der Besitz um einen geringen Betrag verkauft. Heute steht das große Jagdhaus nicht mehr, an seiner Stelle wurde ein neues Haus errichtet. Den Gföhler Besitz erbt Wolfgang, der beim Tod seines Vaters 24 Jahre alt ist. Wolfgang Gutmann heiratet am 12. Februar 1938 Rosa Selhofer, sie befinden sich gerade in der Schweiz auf Hochzeitsreise, als die Deutschen in Osterreich einmarschieren — es gibt kein Zurück. Der Besitz wird „arisiert" - der Jaidhof ist eine Gauschulungsburg. Wolfgang und Rosa Gutmanns Hochzeitsreise führt direkt in die Emigration nach Brasilien. Doch hatte Wilhelm nicht nur seinen Sohn Max, sondern insgesamt sieben Kinder aus zwei Ehen - also genug „Potential", um nach dem bewährten Motto „tu, felix Austria, nube!" Verknüpfungen mit der Gesellschaft herzustellen - in der typischen Mischung von Kunst bis Hocharistokratie. Wilhelms Töchter Rosa und Marianne stellen die Verbindung zu den Familien Fitzjames und Montefiore her, die interessanteste Verbindung geht jedoch zweifellos Elisabeth - Elsa genannt - ein. In erster Ehe ist sie mit Geza Erös de Bethlenfalva verheiratet, der jedoch bereits 1908 stirbt. Elsa ist zu diesem Zeitpunkt erst 33 Jahre alt. Mehr als 20 Jahre später, 1929, heiratet sie den regierenden Fürsten von Liechtenstein, Franz I. Elsas erste Schwiegermutter, die aus der Familie Todesco stammt, heiratet übrigens in zweiter Ehe ebenfalls einen Liechtenstein - wer nun wen zuerst kennen gelernt hat, bleibt offen. Dass ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ehen besteht, ist aber wohl anzunehmen. Dies ist nun wirklich an der Grenze des Möglichen: die Tochter eines jüdischen Kohlenhändlers als Fürstin. 1938 muss das Fürstenpaar unter dem Druck der Nazis und der auch Liechtenstein nicht verschonenden Parolen abdanken. Wie steht es mit der Bedeutung des religiösen Bekenntnisses? Die Bemühungen zur Assimilation werden durch den aufkeimenden und politisch eingesetzten Antisemitismus zunichte gemacht. „Wir Juden müssen möglichst ruhig sein und still sitzen. Bleiben wir ruhig und bescheiden."73 Wilhelms Kinder
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Aus dieser Aussage David Gutmanns in der Generalversammlung der „Allianz" am 13. Mai 1909 ist zu erkennen, dass trotz des wirtschaftlichen Erfolges das Bewusstsein, ein gleichberechtigter und akzeptierter Staatsbürger zu sein, nur zum Teil ausgeprägt ist. David, der sehr religiös ist und keinerlei Veranlassung sieht, sich von seinem Glauben abzuwenden, erkennt die Grenzen der Assimilationsmöglichkeiten. Diese Erkenntnis wird den kommenden Generationen fehlen und sie daher in der trügerischen Annahme wiegen, akzeptiert und integriert zu sein. Elsas Generation fühlt sich der Religion der Väter nicht mehr in dem Maß verbunden, wie das noch bei den Eltern selbstverständlich war. Das Konvertieren scheint oft die beste Möglichkeit der völligen Assimilierung und der gesellschaftlichen Akzeptanz zu bieten. Viele Angehörige der dritten und vierten Generation haben keine Ahnung von der ursprünglich jüdischen Abstammung ihrer Familie. Dies zeigt eine weiteres Phänomen der Zeit bis 1938: Das religiöse Bekenntnis hat keinerlei Relevanz. In der so genannten Gesellschaft ist es kein Thema, interessiert sich niemand dafür, ob der andere Katholik, Protestant, Jude etc. ist - das liberale Bürgertum, zum großen Teil aus assimilierten jüdischen Familien entstanden, ist wahrlich tolerant, man besucht dieselben Schulen, so das Schottengymnasium und das Akademische Gymnasium in Wien, natürlich nicht zu vergessen die Schwarzwaldschule, hat gesellschaftlichen und familiären Umgang mit verschiedensten Menschen und dadurch die Möglichkeit, Toleranz zu leben - ein Umstand, der heute oft verloren zu sein scheint. In Lebenserinnerungen finden sich oft Snobismus und Überheblichkeit — gegenüber anderen sozialen Schichten, nicht gegenüber Angehörigen anderer religiöser Zugehörigkeit. So ist das Gerede von den „Kaftanjuden" gleichzusetzen mit Bemerkungen über die „Proleten" oder das „Köchinnenvolk" - unsympathische Züge, die jedoch weit entfernt sind von Antisemitismus, sondern eher in der sozialen Überlegenheit zu suchen sind. Noch zwei Söhne Wilhelm Gutmanns sollen nicht unerwähnt bleiben : Rudolf und Moritz, die ihre Liebe zur Kunst zum Lebensinhalt machen. Sie stammen aus der zweiten Ehe Wilhelms mit Ida Wodianer, die bei ihrem Tod 1924 ein Vermögen von ungefähr 5 Millionen Kronen hinterlässt. Rudolf, Wilhelms jüngster Sohn, beschäftigt sich mit der Kunst. Beim Tode seines Vaters im Jahr 1895 erst 15 Jahre alt, ist vorerst sein ältester 100
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Franz und Elsa Liechtenstein
Bruder Max als Vormund eingesetzt, da Wilhelms Grundbesitz nur zwischen diesen beiden Söhnen aufgeteilt wird. Rudolf bekommt jedoch zusätzlich den Besitz an der Ringstraße alleine, er schafft eine bedeutende Kunstsammlung, die seine Wiener Wohnung und sein 1920 erworbenes Schloss Perlhof in Gießhübl zu Privatmuseen werden lässt. 1904, knapp nach der Erreichung der Volljährigkeit, kann Rudolf endlich selbst über sein Vermögen verfugen. Er erwirbt einen großen Landbesitz in Kalwang in der Steiermark. Die Brüder Max und Rudolf besitzen gemeinsam an die 50.000 ha Grund und Boden! Rudolf baut ein Jagdschloss und ein Gästehaus, das heute noch erhalten ist. Er ist ein Pferdenarr, begründet eines der ältesten Haflingergestüte der Steiermark und veranlasst den Bau einer riesigen Reithalle im Park des Besitzes. Auch eine Gärtnerei mit einem Palmenhaus, das exotische Pflanzen beheimatet, wird errichtet, alles noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Ebenfalls in diese Zeit der Blüte des Ortes Kalwang fällt der Bau einer Schule und eines Spitals, welches in guter Tradition der Familie für die Arbeiter und Angestellten errichtet wird. Im Ersten Weltkrieg wird die Versorgung der Menschen immer schwieriger, Rudolf hilft durch großzügige Spenden und UnterWilhelms Kinder
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Stützungen, die Not zu lindern. Für den erwähnten Perlhof steht der Ausbau von Gföhl als Vorbild: Das 35 ha große Gut wird mit Glashäusern, in denen exotische Pflanzen gezüchtet werden, ausgestattet. Auch eine Reitschule für die Pferde aus Kaiwang wird errichtet. Zeitweise sind über 40 Gärtner damit beschäftigt, die Parkanlagen und Gärtnereien zu betreuen. 1930 heiratet Rudolf 50-jährig die Enkelin des Architekten Heinrich von Ferstel, Marianne, die fast 20 Jahre jünger ist. Sie ist die Tochter von Erwin Ferstel, der Diplomat ist, und Marie Thorsch, die aus einer bedeutenden Bankiersfamilie stammt. Aus einer früheren Beziehung mit der Schauspielschülerin Eleonore Weymann hat Rudolf bereits zwei Töchter. Eine der beiden, Trude, heiratet einen Cousin ihrer Stiefmutter Marianne, Wolfgang Ferstel. Sie ist im Übrigen nur fünf Jahre jünger als ihre Stiefmutter Marianne. Wie auch bei der Familie Mandl verblüfft der unkomplizierte Umgang mit außerehelichen Kindern - das Vorurteil, diese Generation sei restriktiv und intolerant gewesen, wird dadurch wohl teilweise in Frage gestellt. Die neue Zeit nach 1918 hinterlässt ihre Spuren. Der Besitz in Kaiwang wird sukzessive verkleinert, bis ihn Rudolf Gutmann 1932 letztendlich an seinen Schwager Franz von Liechtenstein verkauft. In der Nacht vor dem 13. März 1938 flüchten Rudolf und Marianne in die Tschechoslowakei, von dort über die Schweiz nach Victoria in Kanada, wo auch Mariannes Onkel Alphons Thorsch Zuflucht findet. Rudolfs Kunstsammlung wird enteignet, vom Denkmalamt in Wien katalogisiert, verpackt und in verschiedenen Teilen des Landes gelagert. Auf die graphische Sammlung hat es Hitler selbst abgesehen - er hat von ihrer außerordentlichen Qualität gehört und will sie in das geplante Museum in Linz integrieren. Bis zur Fertigstellung des Museums soll die Sammlung in Dresden zwischengelagert werden — doch wissen wir heute, dass es zum Bau des Museums nie gekommen ist. Die Graphik-Sammlung wird dann nach dem Krieg nicht an Rudolf restituiert, einen Teil seiner Kunstsammlung erhält er jedoch zurück, bevor er 1966 in Kanada stirbt. 1986 stirbt seine Frau Marianne, ein Jahr später wird ein Teil der Sammlung versteigert - der Auktionskatalog gibt einen kleinen Eindruck von der Güte dieser Sammeltätigkeit.74 Moritz Gutmann lebt als Schriftsteller das typische Leben der zweiten Generation, die bereits im Wohlstand aufgewachsen ist, die besten Schu102
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Perlhof
Das Spital in Kaiwang
Rudolf Gutmann
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len besuchen konnte, eine gute Ausbildung erhielt. Moritz kann sich aus diesen Gründen, ohne finanzielle Sorgen zu haben, der Kunst widmen. Seine besondere Liebe gilt einem der beiden Sommerfrischeorte der Familie Gutmann: Bad Vöslau, südlich von Wien nahe Baden gelegen. Seit 1871 sind die Gutmann dort gern gesehene Sommergäste, sie reisen mit einer riesigen Entourage an - 1872 wird in der Sommerfrische Wilhelm und Ida Gutmanns Sohn Moritz geboren — vielleicht rührt auch von diesem Umstand eine besondere Beziehung her. 1901 jedenfalls erwirbt Moritz das Vöslauer Schloss und lässt sich dort nieder, nicht ohne der Gemeinde für den Spitalsfonds 2.000 Kronen und für die Kleinkinderbewahranstalt 400 Kronen als Einstand zu spenden. 1896, mit 24 Jahren, wird Moritz unter Vormundschaft gestellt - wegen „ungenügender Festigkeit des Charakters und physischer Schwäche", wie im Akt des zuständigen Gerichts zu lesen ist. Die Folgen dieses Umstandes beeinträchtigen sein Leben offenbar kaum: Ein Jahr später heiratet er Marie von Schulheim, mit der er bereits zwei Jahre zuvor eine Tochter Wilhelmine und einen Sohn Wilhelm bekommen hat. Zwei weitere Kinder, Etelka und Rudolf, folgen. Rudolf und Wilhelm überleben die Nazizeit, was aus den beiden Töchtern geworden ist, bleibt ungewiss. Seine zweite Frau Katharina „Käthe" Frankl ist 20 Jahre jünger als Moritz und hat einen guten Namen als Rezitatorin. Aus einer Sammlung von Kritiken geht hervor, dass sie in den 1920er Jahren nicht nur in Osterreich, sondern auch in Ungarn, ja sogar in Holland auftritt: „Den Abend eröffnete Käthe von Gutmann mit einem wirkungsvollen Prolog ihres Gatten, Moritz von Gutmann", schreibt am 3. Mai 1925 die ungarische Zeitung Külföldy Magyarsäg, und zwei Jahre später heißt es im Neuen Wiener Abendblatt: „ . . . ein von Moritz Gutmann verfaßter Prolog und ein Petöfi-Gedicht, beide sehr stimmungsvoll und mit meisterhafter Sprechkunst von Käthe Gutmann vorgetragen." Moritz stirbt 1934 und es bleibt ihm erspart, 1938 die Deportation seiner Frau Käthe und die Enteignung seines Besitzes miterleben zu müssen. Am 12. Juli 1940 kauft die Gemeinde Bad Vöslau das Schloss, der Kaufpreis von R M 130.000,- wird auf ein Reichskonto überwiesen, die Familie Gutmann bekommt den Betrag aber nicht ausbezahlt. 1951 wird das Schloss an Moritz' ältesten Sohn Wilhelm zurückgegeben, der es im selben Jahr wiederum der Gemeinde Bad Vöslau um damalige 140.000,- Schilling (€ 10.174,-) verkauft. 104
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ZUCKER.
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A N F Ä N G E IN B U T S C H O W I T Z
Siegfried Strakosch ist ein typisches Kind seiner Zeit. 1867, im Jahr des österreichisch-ungarischen Ausgleichs, wird er in Brünn in eine Familie geboren, die bereits seit Generationen in der Tuchindustrie tätig ist. Sein Vater Isidor ist Gesellschafter der Tuchfabrik Gebrüder Strakosch und „flößte ihm Ehrfurcht ein, seine Mutter Pauline muß sowohl sehr liebenswürdig als auch schön gewesen sein. Beide starben vor meiner Geburt", erinnert sich Siegfrieds Tochter Christi in ihren Lebenserinnerungen.75 So ist es nur selbstverständlich, dass Siegfried, als Nachfolger ausersehen, 1881 mit 14 Jahren das Gymnasium verlässt, um nach Absolvierung des Einjährig-Freiwilligen-Jahres in das väterliche Geschäft einzutreten. „Mit 14 Jahren schon, durch volle zwei Dezennien hindurch, war ich in der Tuchfabrik meiner Familie in Brünn beschäftigt. Dort genoß ich das mir damals stolz dünkende Vorrecht, die vierte Generation eines alten Industriehauses zu bilden. Ehrwürdige Traditionen in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung wurden eifrig aufrechterhalten. Waren die Traditionen vielleicht ein bißchen altmodisch, so besaßen sie doch eine gewisse ethische Haltung und lehrten den Wert der Arbeit schätzen und den Zusammenhang zwischen den kleinen Ereignissen der heimischen Werkstatt und den größeren in der weiten Welt nicht außer acht zu lassen." So schreibt Siegfried im Vorwort seiner Werkausgabe von 1933. Sein Vater Isidor war der Sohn von Salomon Strakosch - Tuchmachermeister und in der Zeugmacher- und Weberzunft von Butschowitz, des mährischen Heimatortes, aufgenommen. Butschowitz ist ein kleiner Ort östlich von Brünn und gehörte gemeinsam mit Trebitsch und Pohrlitz zu den ältesten jüdischen Gemeinden des Landes. Heute spürt man von der einstmaligen Bedeutung nicht mehr viel. Den Juden wurde eine bestimmte Gasse zugewiesen, diese damalige „Judengasse" ist heute verAnfänge in Butschowitz
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wahrlost, wohl niemand weiß überhaupt, wer dort früher gewohnt und gewirkt hat. Der jüdische Friedhof in Butschowitz liegt wie so viele jüdische Friedhöfe in Mähren an einem Ort, der für die Landwirtschaft nicht verwendbar war. Das Gelände ist abschüssig, fast wie ein Krater, der heute über und über zugewuchert ist. Die Grabsteine sind zum Teil umgefallen, zum Teil verwittert; gepflegt wird dieser Friedhof schon lange nicht mehr, es gibt ja auch keine Nachkommen der Familien in diesem Ort. Salomons Bruder Markus wird 1822 als Schönfärbermeister in die Zunft aufgenommen — ein wichtiger Moment, denn lange hatten die Juden darum gekämpft, in Zünfte Einlass zu finden. Nun beginnen endlich die Gesetze, die unter Kaiser Joseph II. erlassen wurden und die den Juden gewisse Erleichterungen gewährten, zu wirken. Salomon beengen die Vorschriften der Zunft und er sucht um eine einfache Fabrikbefugnis zur Wollwarenerzeugung in Butschowitz an, die er 1845 auch erhält. Der große Vorteil fur Salomon ist, dass er nun nicht mehr an die engen Vorschriften der Tuchmacherzunft gebunden ist, sondern Arbeiter beliebiger Zahl aufnehmen und fur einen großen Markt produzieren kann. Um dieses wachsende Unternehmen führen zu können, nimmt Salomon seine Söhne Jonas, geboren 1820, und den fünf Jahre jüngeren Isidor in die Firma. Diese waren bereits in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und hatten das Tuchmachergewerbe erlernt. Jeden Montag bringen die jüdischen Fabrikanten aus Butschowitz ihre Waren nach Brünn, um sie dort zu verkaufen. 76 Der Grundsatz, nur hochwertige Stoffe zu produzieren, macht sich bezahlt: Noch im Gründungsjahr wird der Firma durch Kaiser Ferdinand I. eine Medaille mit der Inschrift „Dem vaterländischen Gewerbefleiß" verliehen. Siegfried erinnert sich an diese Pionierzeit der Industrialisierung: „Ökonomisierung und Mechanisierung, diese Grundpfeiler erfolgreicher Produktion, wurden einem, beinahe spielerisch, in unbeabsichtigtem Anschauungsunterricht eingeprägt. So etwa, wenn der Vater erzählte, wie er als kleiner Junge um 1827 auf den blinden Pferden im Kreise geritten war, die, an den Goppel gespannt, geduldig die Appreturmaschine der Stammfabrik in Gang hielten. Welch ungeheurer Fortschritt von da zu der maschinellen Einrichtung einer Tuchfabrik der achtziger Jahre, von dem altertümlichen Reisewagen, den wir Kinder noch in einem Winkel der Brünner Tuchfabrik vorfanden, zu den Verkehrsmöglichkeiten der Brünn seit 1839 berührenden Eisenbahn." 77 106
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KÜNSTLER
Salomon und Markus haben noch mehrere Brüder, einer davon ist Hermann. Wohl auf Grund des Familiantengesetzes, das die Anzahl der jüdischen Familien in Mähren streng reglementierte, war er nach Ungarn gegangen, wo er in Sebes als Kaufmann arbeitete. Sein Sohn Alexander schlägt eine völlig andere Laufbahn ein: „Rezitator und Lehrer der Schauspielkunst", wie in verschiedenen Lexika zu lesen ist. Alexander wurde ganz in der jüdischen Tradition erzogen und zum Prediger bestimmt. Angeblich zog er als Bub mit einem Leierkastenmann herum und deklamierte Schillers Glocke, „während sein musikalischer Begleiter Tanzweisen aufspielte, umstanden von Landsleuten, welche dem kleinen Interpreten Schillers aufmerksamer zuhörten als Sonntags ihrem Herrn Pfarrer". So schreibt jedenfalls Kohuts Lexikon Berühmte israelitische Männer. 1856 wird er nach Wien geschickt, um das Akademische Gymnasium zu besuchen. Noch ist das Haus am Beethovenplatz, in dem die Brüder Friedmann einige Jahre später zur Schule gehen werden, nicht gebaut. Alexander beendet die Schule jedoch nicht, muss sich seinen Lebensunterhalt als Buchhalter verdienen, wird dann aber Schüler des großen Burgtheaterschauspielers Adolph von Sonnenthal und durchläuft bald die typische Karriere eines Schauspielers der damaligen Zeit: Uber Troppau kommt er nach Budapest, Hannover und schließlich Paris, wo er in französischer Sprache Rezitationsabende gestaltet. „Er begriff an dieser Welt nur, daß sie Theater spielen wollte. Das genügte ihm. Denn er war berauscht vom Theater, er war hingerissen und fanatisiert vom Theater. Er war so glühend in seiner Theaterleidenschaft, als sei er erst gestern zur Bühne gelaufen und sähe noch alle Himmel offen, und vor sich den Weg, der gradKünstler
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aus zu den Sternen fuhrt." So schreibt Felix Saiten.78 In Paris wird Heinrich Laube auf Alexander aufmerksam, der 1867 nach Wien zurückkehrt und zu einem der engsten Mitarbeiter Laubes wird. „Er hat das Theater nur mit Laubes Augen angeschaut; er hat nur mit Laubes Worten geurteilt." Seine besondere Stärke liegt im Entdecken junger Talente - und so macht Alexander Strakosch Laube auch auf Siegwart Friedmann aufmerksam, über den im nächsten Kapitel berichtet wird. Alexander wird Professor am Wiener Konservatorium, an der Akademie für Tonkunst in München und auch Mitglied des Wiener Hofburgtheaters — ein etablierter Schauspieler und Lehrer, dessen Begeisterung sich bis zuletzt auf die Schüler überträgt, „er stampfte, knirschte, tobte, rang die Hände, fiel auf die Knie, raufte sich die Haare. Dazwischen schrie er auf, wenn ein Wort unrein oder dialektmäßig klang, schrie auf, als habe man mit einem Messer nach ihm gestochen. Lehrer und Schüler waren nach solch einer Stunde fiebernd vor Erregung und Müdigkeit, dampften vor Arbeitsglut und Leidenschaft des Kampfes." Als Vortragsmeister bereist er Osterreich, Deutschland und Nordamerika, wo er großen Erfolg hat. „In Chicago hielt er nach einem Deklamations-Abend eine große Rede, in welcher er den Bau eines großen Theaters anregte, der längst zur That geworden ist. So war er denn auch im Westen im Interesse der deutschen Kunst in rühmenswerther Weise thätig." Dies ist wiederum bei Kohut zu lesen. Ansichtskarten aus allen Teilen der Welt, die kürzlich von der Wiener Stadtund Landesbibliothek angekauft wurden, legen noch heute Zeugnis für seine rege Reisetätigkeit ab. Doch ist Alexander nicht der einzige Strakosch, der sich einer künstlerischen Laufbahn widmet. Ein ganzer Familienzweig spielt in der Welt der Impresari, also der Künstleragenten, und Operndirektoren Amerikas und Europas eine bedeutende Rolle: Moritz, Max, Ferdinand, Robert, Karl und Edgar Strakosch. Eine Geschichte dieser Familie darf an ihnen nicht vorbeigehen, zu groß war ihr Einfluss, zu wichtig war ihre Stellung im Musiklebens Amerikas. Moritz Strakosch, geboren 1825 in Butschowitz und somit genauso alt wie Isidor, erhält schon in jungen Jahren Klavierunterricht und tritt bereits mit elf Jahren als Wunderkind auf - eine Parallele zu Siegfried, wie sich noch zeigen wird. In Wien wird er Kompositionsschüler des großen 108
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und berühmten Simon Sechter und unternimmt einige Jahre lang erfolgreiche Konzertreisen in die größeren
Städte
Deutschlands,
Frankreichs, Englands und Spaniens. Doch seine pianistische Karriere ist ihm zu wenig: Moritz nimmt
Gesangsunterricht
und
wird Tenor. 1848 geht der 23Jährige nach Amerika und legt den Grundstein für seine steile Karriere in der Neuen Welt. Er übernimmt in New York die Truppe des Direktors Salvatore Patti und arrangiert erfolgreich Tourneen durch
Moritz Strakosch, der große Impresario
das Land. 1850 heiratet er Amalia Patti, deren Schwester Adelina später eine der Lieblingssängerinnen Verdis und ein Star der Opernbühne werden wird. Adelina ist zu diesem Zeitpunkt erst acht Jahre alt, doch singt sie in den Konzerten ihres Schwagers bereits mit, und Moritz widmet sich von Anfang an der Ausbildung ihrer Stimme. Er komponiert auch zwei Opern, Sardanapalus und Giovanna prima di Napoli, die 1851 am Astor Place Opera House in New York uraufgeführt wird. 1855 versucht Moritz, gemeinsam mit Max Maretzek, eine Opernstagione an der Academy of Music in New York aufzuziehen, doch bricht die Partnerschaft innerhalb weniger Wochen auseinander. In den beiden folgenden Jahren betreibt er seine eigene Opernkompanie; gemeinsam mit dem Impresario Bernard Ullman gründet er 1859 die „Ullman-Strakosch Opera Company" und bespielt die amerikanische Ostküste. Gemeinsam übernehmen sie die Direktion der italienischen Oper in New York. An diesem Haus debütiert Adelina Patti am 24. November 1859 mit derartig großem Erfolg, dass Moritz ihr eine Beteiligung an der Oper zusagt. Adelina macht nun Karriere auf der ganzen Welt — dies verdankt sie nicht nur ihrem außerordentlichen Talent, sondern auch dem Geschick ihres Impresarios Moritz Strakosch, der schon zur damaligen Zeit die Wirkung der Werbung erkennt und sie für seine Starsänger einsetzt. Moritz ist einer der einflussreichsten SängerKünstler
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agenten seiner Zeit. Interessanterweise spielt beim Abschiedskonzert Adelina Pattis in Wien im Jahr 1895 ein neunjähriges Wunderkind auf der Geige - und stiehlt der großen Sängerin die Show. Es ist Bronislaw Hubermann, der Schützling Max Gutmanns, dessen erstes Auftreten in Wien den Beginn seiner großen Karriere darstellt. In den darauffolgenden Tagen ist in Wien weniger der Abschied Pattis als vielmehr das Debüt des kleinen Bronislaw Stadtgespräch.79 Die von Strakosch betreute Patti übergibt gewissermaßen die Stafette des Erfolges an den von Gutmann geförderten Hubermann. 1869 führt Moritz die Petite messe solennelle von Gioacchino Rossini, mit dem er eng befreundet ist, auf und erzielt damit enorme Einnahmen. Schon 1861 hat Moritz seine Tätigkeit wieder auf den europäischen Kontinent verlegt, gemeinsam mit seinem Bruder Max übernimmt er in der Saison 1873/74 die italienische Oper in der Salle Ventadour in Paris und erwirtschaftet beträchtlichen Gewinn. 1884/85 ist er gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand am Teatro Apollo in Rom tätig - ein kosmopolitischer Mann. Selbst meint Moritz, „ein Impresario geht nur auf die Entdeckung von Künstlern aus, daß er die materielle Seite auch im Auge behält, ist dabei ganz selbstverständlich. Aber der künstlerische Standpunkt hat den Vorrang vor dem materiellen."80 Und nach diesem Motto hat Moritz auch zeit seines Lebens gehandelt. Doch ist er nicht der Einzige dieses Familienzweiges, den es in die Neue Welt zieht. Wie schon erwähnt, ist auch sein Bruder Max, geboren 1835 in Brünn, als Impresario tätig, wobei anzunehmen ist, dass Moritz das Terrain bereitet und der Bruder ihm nachfolgt, so wie er es i860 an der Academy of Music in New York tut. Auch Max hat eine Nahebeziehung zur Familie Patti: Er ist kurze Zeit mit Adelina verlobt. Die Zusammenarbeit mit Moritz bleibt wichtig, doch trennen sich ihre Wege auch hin und wieder: Max jedenfalls leitet von 1877 bis 1880 die Max Strakosch English Opera Company. Noch ein Land also, das durch die Tätigkeit der Brüder abgedeckt ist. Mit dieser Company reist Max jedoch wieder über den Atlantik, um im Jahre 1879 an der Musikakademie von Montreal Verdis Aida erstmals in Kanada zu präsentieren. Er stirbt 1892 in New York, zurückgekehrt in die Neue Welt. Der dritte Bruder, Ferdinand, ist, wenig überraschend, ebenfalls Impresario, jedoch in anderen Städten als seine Brüder. Seine Tätigkeit be110
FAMILIE
STRAKOSCH
schränkt sich auf Europa, in Stockholm leitet er 1869 das Opernhaus. Seine beiden Töchter Phoebe und Lina werden Sängerinnen, deren Auftreten sowohl für die Stockholmer Oper als auch für Covent Garden in London und Bologna gesichert ist. Uber das Teatro alia Pergola in Florenz, das Liceu in Barcelona, das Triester Teatro Comunale und das Theatre Italien in Paris gelangt er nach Rom, wo er am Teatro Apollo gemeinsam mit Moritz die Spielzeit 1884/85 organisiert. 1902 stirbt er in Paris. Die drei Brüder haben offenbar die richtige Mischung aus Kooperation und eigenständiger Tätigkeit gefunden, das Netzwerk, das sie in Europa und Amerika aufgezogen haben, ist jedenfalls beachtlich und sicherlich auch fur alle Beteiligten sehr hilfreich. Dies geht in der nächsten Generation weiter: Karl - wahrscheinlich der Sohn von Ferdinand, doch ist das nicht genau nachzuweisen — ist Manager und heiratet 1887 eine seiner Sängerinnen: Clara Louise Kellogg aus der später berühmten amerikanischen Industriellendynastie. 1861 singt sie an der Academy of Music in New York, später jedoch genauso in London. Karls Cousin Robert, der Sohn von Moritz und Amalia, ist ebenfalls Impresario. Edgar Strakosch, geboren in Australien und aufgewachsen in Wien, zieht es ebenfalls in die Neue Welt — oder er wird von einem seiner erfolgreichen Verwandten gezogen. Er ist ebenfalls der Impresario von Clara Louise Kellogg, aber auch von Sarah Bernhardt, und graue Eminenz und Ratgeber der Lillian Russell Opera Company. Doch macht er sich in erster Linie als Leiter des neu erbauten Lyric Theatre in Baltimore einen Namen, das 1893 unter seiner Ägide mit einem großen Festival eröffnet wird. Nicht nur Arthur Rubinstein ist in diesem Theater zu Gast, sondern im Rahmen eines Gastspieles auch der gefeierte Tenor Enrico Caruso. Dass die Strakosch Opera Company ebenfalls auftritt, verwundert wohl kaum. 1896 fuhrt Edgar Strakosch Promenadenkonzerte ein eine Einrichtung, die auch heute noch in London als Proms weiterhin gepflegt wird. Das soziale und gesellschaftliche Leben Baltimores bekommt neue Impulse und die Stadt wird zu einem interessanten Ort in Maryland. Uber den weiteren Lebensweg Edgar Strakoschs ist nichts mehr bekannt. Sechs Mitglieder dieser Familie sind also bekannte und erfolgreiche Impresari - ein Umstand, der völlig in Vergessenheit geraten ist. Edgar, geboren in Australien, aufgewachsen in Wien und beruflich in Amerika Künstler
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tätig, durchquert bereits drei Kontinente - das ist sogar für diese Familie eine enorme Leistung. Europa und Amerika rücken nah zusammen, die Theater und Opernhäuser in beiden Kontinenten sind das Betätigungsfeld der Impresari Strakosch - von New York über Baltimore bis Stockholm und Florenz reicht die eindrucksvolle Liste.
BRÜNN
Nach diesem Exkurs in die Neue Welt nun wieder zurück nach Butschowitz. Da es bis dahin nur wenigen tolerierten Juden gestattet war, in Brünn zu wohnen, entwickelten sich die Orte in der näheren Umgebung der mährischen Hauptstadt zu Zentren jüdischen Lebens, Arbeitens und Lehrens. Diese Blütezeit endete rasch durch die veränderte Gesetzeslage ab 1849. Nun war es möglich, in Brünn zu wohnen und zu arbeiten. Im selben Jahr wurde es den jüdischen Gemeinden per Gesetz gestattet, auch politische Gemeinden zu begründen. Nur zwei jüdische Gemeinden, darunter Butschowitz, gingen eine freiwillige Vereinigung mit der christlichen Gemeinde ein, obwohl keinerlei Notwendigkeit dafür bestand. Die Jungen zogen jedoch aus den kleinen Orten weg, und mit der Zeit reduzierte sich die jüdische Bevölkerung so sehr, dass Synagogen und Lehrhäuser geschlossen werden mussten. Auf der anderen Seite erlebte Brünn - das „mährische Manchester" - einen unglaublichen Aufschwung, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Nicht umsonst wird Brünn als weiterer Vorort Wiens bezeichnet: 1835 war die mährische Hauptstadt durch die Kaiser-Ferdinand-Nordbahn direkt mit Wien verbunden worden und die neuesten Modeartikel finden nun schnell ihren Weg nach Norden. Der Handel funktioniert aber auch in die umgekehrte Richtung, vor allem Stoffe aus Brünn erfreuen sich auf Grund ihrer guten Qualität großer Beliebtheit. Um das Jahr 1840 beschäftigt die Brünner Wollindustrie nicht weniger als 18.000 Personen, der Wert der Jahresproduktion beläuft sich auf 13 Millionen Gulden !8' Salomon macht den nächsten Schritt nach Brünn und erhält, da er sich im Revolutionsjahr 1848 nicht politisch betätigt hat, endlich die Erlaubnis, eine Fabrik in der mährischen Hauptstadt zu errichten. Die Bedenken der in Brünn ansässigen Unternehmer sind einerseits von der 112
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Angst vor Konkurrenz, andererseits von der Angst vor zu vielen Arbeitern an einem Ort geprägt - die Erfahrungen des Jahres 1848 machen die Fabrikanten vorsichtig und misstrauisch. Immerhin gestehen sie Salomon in einer Stellungnahme zu, dass er ein Mann ist, „dessen Fabrikate sich eines besonders günstigen Rufes und günstigen Absatzes erfreuen." In den Jahren 1850 und 1854 werden seine Stoffe bereits bei Messen mit Goldmedaillen ausgezeichnet - wohl das beste Zeichen, dass Salomon die richtige Entscheidung getroffen hat. Sein Geschäft floriert derart, dass er bereits 1855 weiter expandiert und eine Spinnfabrik erwirbt. Von den Spinnereien sind die Tuchmacher unweigerlich abhängig, ohne Garn gibt es keine Stoffe. Daher ist es verständlich, dass die Unternehmer versuchen, von Lieferanten unabhängig zu werden und eigene Zulieferbetriebe ins Leben zu rufen. Die jüdischen Familien siedeln sich zuerst in der Vorstadt Kröna an, durch die Gewährung der Zollfreiheit fur die Einfuhr mechanischer Spindeln und Webstühle in den Jahren 1855 bis 1861 werden sie zu den wichtigsten Investoren dieser Zeit. Ihre Familien werden auf Grund dieser Entwicklung von den umliegenden Orten ebenfalls nach Brünn gezogen, gute und verlässliche Mitarbeiter sind nun gefragt, die sich nach und nach zum Teil selbständig machen. Der Zusammenhalt der jüdischen Familien ist zu diesen wie zu anderen Zeiten besonders stark. Zahlreiche Fabriken werden gegründet, sie liegen alle nahe der Bahnstrecke, expandieren rasch und schaffen viele Arbeitsplätze. Vor allem Schafwolle wird in dieser Region schon lange Zeit verarbeitet, nicht nur der gesamte österreichische Markt wird mit hochwertigen Kleiderstoffen versorgt, sondern es besteht auch ein ausgedehnter Handel mit dem Orient und selbst mit Amerika. Siegfried Strakosch „hatte in der seit Generationen in Brünn bestandenen Tuchfabrik seiner Familie Wollwaren herzustellen gelernt und dann dieselben Artikel im deutschen Aachen und im belgischen Verviers fabrizieren geholfen. Es waren ganz die gleichen Waren, hochfeine Damentuche in leuchtenden Farben und mit seidenglatter Appretur, die man in der alten mährischen Tuchmacherstadt und in den beiden ausländischen Tuchzentren erzeugte." Also wirklich allererste Qualität. Salomon hat aus der ersten seiner beiden Ehen mit Anna Strakosch, einer Verwandten, sechs Söhne —Jonas, Moritz, Isidor, Siegmund, Bernhard, Eduard, aus der zweiten mit Rosalia Wolf sieben - Simon, DomiBrünn
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Die Brüdtr Strakosch
nik, Nathan, Matthias, Jakob, Julius und Leopold. Und auch einige Töchter. Auf Grund dieser besonders reichen Kinderschar konzentriert sich dieses Kapitel nur auf einige Söhne aus der ersten Ehe - sie sind es auch, die den Schritt nach Hohenau und Wien machen. Die Söhne aus der zweiten Ehe übernehmen die Fabrik in Brünn. Salomon besitzt also wahrlich ein großes „Kapital", um ein Familienunternehmen größeren Stils zu begründen. Seinen ältesten Sohn Jonas packt der Drang nach Selbständigkeit - in langen, zähen Verhandlungen mit der mährischen Statthalterei gelingt es dem 34-Jährigen, 1854 eine eigene Fabrik für die Erzeugung von Schafwollwaren ins Leben zu rufen. Doch das Kapital kommt von seinen Brüdern: Er selbst, Moritz, Isidor, Siegmund, Bernhard und Eduard schließen 1855 einen Gesellschaftsvertrag. Nun können in der Brünner Vorstadt Kröna ein geeignetes Haus und die notwendigen Gerätschaften erworben werden. Bereits 1856 nimmt die Fabrik den Betrieb auf und Isidor berichtet in einer Eingabe an die Statthalterei, „dass die Fabriksunternehmung der Brüder Strakosch bezüglich ihres Umfanges, ihrer Solidität und der Vorzüglichkeit
ihrer Fabrikate, welche auch
auf
ausländischen Märkten Anklang und Absatz gefunden haben, zu den ausgezeichneteren des Kronlandes Mähren, ja selbst des großen Österreichs gehört und des Schutzes der höchsten Staatsverwaltung würdig ist."82 Par114
FAMILIE STRAKOSCH
allel zu dieser Fabrik besteht auch noch die Tuchfabrik weiter — diese wird nun von Salomon Strakosch zusammen mit den Söhnen aus zweiter Ehe geleitet. Und damit sind alle Söhne in den eigenen Betrieben beschäftigt. Die jüdische Bevölkerung Brünns ist mittlerweile auf über 2.000 Personen angewachsen und entspricht ungefähr 3 % der Gesamtbevölkerung. 8 ' 1873 werden die beiden Fabriken durch die Folgen des Wiener Börsenkrachs in Mitleidenschaft gezogen, doch gelingt es Jonas Strakosch, diese Wirtschaftskrise unbeschadet zu bestehen.
ZUCKER -
DIE NEUE INDUSTRIE
Das Interesse an neuen Entwicklungen, Rohstoffen und Möglichkeiten ist in diesen Jahren groß, die Industriellen beobachten den Markt und sind an Veränderungen und Expansion auch in völlig andere Branchen immer interessiert. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Versuche zur fabriksmäßigen Erzeugung von Rübenzucker unternommen worden, doch dominiert bis 1848 der raffinierte Rohrzucker. Im Revolutionsjahr, dem Ausgangspunkt fur große politische Veränderungen, beginnen die Großgrundbesitzer, nicht unerhebliche Summen, die sie durch die Grundentlastung erhalten hatten, in ihre Güter und insbesondere in den Anbau von Zuckerrüben zu investieren. Die industrielle Verarbeitung liegt jedoch in der Hand bürgerlicher Unternehmer. In den 1860er Jahren expandiert diese neue Industrie so stark, dass 1863 die letzte Kolonialzuckerraffinerie in der Monarchie zusperren muss - der Siegeszug der Zuckerrübe setzt ein. Im Jahre 1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, steht die Monarchie hinter Deutschland und Russland bereits an dritter Stelle der Rübenzuckerweltproduktion !84 Auch die Söhne aus Salomons erster Ehe sind ganz im Geiste ihrer Zeit offen fur Novitäten und Veränderungen und beginnen, sich fur die Zuckerindustrie zu interessieren. Die Umgebung von Brünn ist bereits ziemlich erschlossen, daher wird das angrenzende Niederösterreich ausersehen, um einen geeigneten Standort zu finden. Dieser liegt in Hohenau, unweit der Grenze zwischen den beiden Kronländern. Wiederum schließen die sechs Brüder einen Gesellschaftsvertrag, jeder beteiligt sich mit einer Kapitaleinlage von 20.000 Gulden. 1868 ist der Fabriksbau bereits beendet, ein Schlepp-
Brünn
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bahngleis als Verbindung zwischen der Fabrik und der Nordbahn gewährleistet lückenlose Transportmöglichkeiten. Der Standort Hohenau wurde gewählt, da die Pachtung der Fürst-Liechtenstein'schen Güter Hohenau, Niederabsdorf, Hauskirchen, Rabensburg, Bernhardsthal und Altlichtenwarth der neuen Fabrik einen gediegenen Grundstock an Zuckerrüben sichert. In der näheren Umgebung gibt es aber noch nicht genügend qualifizierte Facharbeiter, um die Fabrik in Schwung zu bringen. Da in Mähren bereits mehr Erfahrungen mit der Zuckerrübenproduktion gemacht worden waren, holen die Brüder Strakosch die Arbeiter aus mährischen Betrieben nach Hohenau. Die Saisonarbeiter kommen in erster Linie aus der Slowakei, doch viele von ihnen werden nun ebenfalls hier sesshaft und arbeiten das ganze Jahr über fix in der Zuckerfabrik. Im Zusammenhang mit der Zuckerindustrie stehen aber auch andere Bereiche der Landwirtschaft. Gemeinsam mit der Rübe werden Weizen, Gerste und Klee angebaut. Dazu kommen Meiereihöfe und Ställe für Mastochsen und Kühe - Rübenschnitzel und Melasse sind hochwertiges Futter für die Tiere. Man kann sich also vorstellen, wie die gesamte landwirtschaftliche Umgebung der Zuckerfabriken von der neuen Industrie profitiert. „Es ist sattsam bekannt, welchen ganz außerordentlichen Aufschwung die Landwirtschaft in Osterreich in jenen Gegenden gewonnen hat, in welchen die Zuckerfabrication zu Hause ist. Wer sich der Getreideerträge um das Jahr 1850 erinnert, ermißt die culturelle, die landwirtschaftliche Tragweite der Zuckerfabrication." 8 ' So beurteilt ein Zeitgenosse die Situation, die für Siegfried Strakosch noch von großer Bedeutung werden wird. Die Fabrik in Brünn ist inzwischen enorm vergrößert worden, sie vereinigt „eine Wollwäscherei, Carbonisirung, Spinnerei, Färberei, Weberei und Appretur, somit den ganzen Produktionsprocess der Schafwollwaare. Die Einrichtungen entsprechen in jeder Beziehung den technischen Anforderungen und zeichneten sich seit jeher in fabrikshygienischer Beziehung durch ihre vollkommene Zweckmäßigkeit aus. Die Fabrik erzeugt nach wie vor hochfeine Modewaare und pflegt als Spezialität seit Alters her und fast concurrenzlos die Erzeugung von Velour-Hosenstoffen. Fernere Spezialitäten sind weiche Rockstoffe und feine Strickwaare; seit einiger Zeit wurde mit vollem Erfolge die Erzeugung hochfeiner Damenstoffe aufgenommen." So schreibt im Jahr 1898 das große und reprä116
FAMILIE STRAKOSCH
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Brüder Strakosch Feintuch- und Schafwollwaaren-Fabrik, Brünn
sentative Werk Die Habsburger Monarchie in Wort und Bild, das aus Anlass des 50. Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph herausgegeben wird. Der Umfang der Brünner Fabrik benötigt den Einsatz und die volle Arbeitskraft der Brüder Strakosch, Hohenau ist am Anfang nur eine kleine Zweitfabrik. In den nächsten Jahren verschieben sich jedoch die Gewichtung und Bedeutung der beiden Fabriken, Hohenau expandiert immer mehr und wird letztendlich Brünn an Bedeutung überholen. In Brünn übersiedelt die Familie mehr und mehr von der Vorstadt Kröna in die repräsentativere Innenstadt - eine Parallele zu Wien und dem Streben von der Leopoldstadt in andere Bezirke. Nun beginnt der Aufstieg der Brüder Strakosch in bedeutende Funktionen der Monarchie und das Heranwachsen der nächsten Generation, die sukzessive in die Geschäftsführung einsteigt. Siegmund, der mit Antonie Bäsch verheiratet ist, stirbt 1878. Sein jüngster Bruder Eduard wird 1868 zum ersten Geschäftsführer der Fabrik in Hohenau ernannt. Er verlegt seinen Wohnsitz nun von Brünn in den neuen Heimatort, um sich ganz der Zuckerfabrikation zu widmen. Die anderen Brüder sind zwar finanziell beteiligt, bleiben jedoch in Brünn und beschäftigen sich mehr mit der traditionellen Tuchindustrie. Eduard ist im Centraiverein für Zuckerrübenindustrie in der österreichisch-ungarischen Monarchie tätig, Zucker - die neue Industrie
hält jedoch seine Kinder aus der Ehe mit Mathilde Winterberg von der Familienfabrik fern - seine Söhne werden Bankiers. Dem Zweitältesten Sohn Heinrich, geboren 1871 in Hohenau, wird der österreichische Markt bald zu eng. Mit 24 Jahren nimmt er eine Stellung beim Südafrikanischen Goldminenverband an, der nach zweimaliger Übernahme in der „Union Corporation Ltd." aufgeht. Heinrich Strakosch arbeitet sich in dieser Gesellschaft vom kleinen Angestellten bis zum Präsidenten hinauf. Offenbar versteht er sein Geschäft und erwirbt enormes Vermögen. 1907 erhält er die englische Staatsbürgerschaft und macht sich bald einen Namen als bedeutender Währungspolitiker Englands. 1921 wird er für seine Verdienste geadelt — aus Heinrich Strakosch wird Sir Henry. Er vertritt Südafrika auf allen internationalen Wirtschaftskonferenzen, ist Mitglied des Wirtschafts- und Finanzkomitees des Völkerbundes und hat in dieser Position die Aufgabe, Sanierungsvorschläge für die Währungen Österreichs, Ungarns, Bulgariens, Griechenlands und Portugals auszuarbeiten. Ebenfalls ist er maßgeblich an der Sanierung der indischen Währung beteiligt. Dies fuhrt 1927 zu einer neuerlichen hohen Auszeichnung, die wiederum mit einem Adelstitel verbunden ist. Diese wird von den Regierungen Südafrikas, Englands und Indiens zugleich beantragt, was nur bei wenigen englischen Staatsbürgern der Fall ist. Z u Sir Henrys engsten Freunden zählen sowohl Winston Churchill als auch der südafrikanische General Smuts, die er beide in seinem Testament mit großzügigen Legaten bedenkt. Immer wieder heißt es, dass Churchill öfters finanzielle Hilfe von Sir Henry erhalten hätte. Dieser Umstand fuhrt dazu, dass Churchill von rechten Kreisen unterstellt wird, von der „jüdischen Lobby" abhängig zu sein. Sir Henry stirbt 1943 während des Zweiten Weltkrieges mit 72 Jahren in London. Er muss noch miterleben, wie seine Verwandten aus Österreich vertrieben werden und sich in der ganzen Welt zerstreuen. Hilfreich steht er ihnen zur Seite und ermöglicht einem Teil der Familie die Flucht nach England. Jonas, der älteste Bruder von Henrys Vater Eduard, ist mit Jeanette Bauer verheiratet und hat zwei Söhne: Julius und Ludwig. Julius unterstützt seinen Vater, der als innovativer und großer Industrieller der Monarchie gilt, löst 1889 seinen Onkel Eduard als Geschäftsführer der Hohenauer Zuckerfabrik ab und modernisiert den Betrieb: 1891 wird statt der Gasbeleuchtung elektrisches Licht eingeführt. Neue Produkte erwei118
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tern das Sortiment: Julius beginnt mit der Produktion des billigeren Sandzuckers, der im Inland nur zu einem geringen Anteil verkauft werden darf. Daraufhin exportiert er diese Zuckersorte in den Fernen Osten, nach Indien und sogar Japan. Noch eine weitere Neuerung wird unter Julius' Ägide eingeführt : die Herstellung von Würfelzucker, die 1896 in Betrieb geht. 15 Jahre lang, von 1886 bis 1901, ist Julius Bürgermeister von Hohenau - ein Beweis für das Engagement der Industriellenfamilie in ihrer neuen Heimat. Bereits im Jahr 1884 wird in Hohenau ein Kinder-
Sir Henry Strakosch
garten eröffnet, für dessen Erhaltung er testamentarisch 10.000 Kronen hinterlässt. Er stirbt 1901 und stiftet einen Betrag von 60.000 Kronen fur den Bau eines Gebäudes, in dem sowohl das Gemeindeamt als auch die Bürgerschule Platz finden. 1911 wird der Bau vollendet. Ludwig schlägt eine völlig andere Richtung ein: Er wird Bariton. „Meine Stimme hatte schon vielfach Aufsehen erregt in meiner Vaterstadt Brünn, wo ich bei wohltätigen Veranstaltungen mitwirkte, und meinen Eltern bereitete es viel Vergnügen, mich loben zu hören. Welcher Schreck aber war es für meinen Vater, als ich eines Tages vor ihn, den strengen Fabriksherrn, trat, der meinte, seinen Sohn in seinen eigenen Prinzipien aufgezogen zu haben, und ihm erklärte: ich wolle Sänger werden und zum Theater gehen !"86 So berichtet Ludwig, beharrt auf seinem Entschluss und „machte alle Phasen väterlichen Zorns durch". Diese Beharrlichkeit scheint dem Vater zu imponieren, und er stellt dem Sohn die Mittel für eine ordentliche und fundierte Ausbildung zur Verfügung. Die Familie steht dem Wunsch Ludwigs trotzdem skeptisch gegenüber, obwohl er ja nicht das erste Familienmitglied ist, das eine Laufbahn als Künstler einschlägt. „Trotzdem nämlich Maurice Strakosch, der berühmte Zucker - die neue Industrie
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Impresario, ein leiblicher Vetter meines Vaters war, der viel in unserem Haus verkehrte, waren unserem Zweige der Familie nur solide Fabriksherren, bei Leibe keine Künstler entsprossen." Schon nach
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zwei Jahren erhält Ludwig sein erstes Engagement in Linz in der Ti-
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Brünn und Hohenau die Familiι ..r r-.i 11 · L- · 1 engeschärte rühren, wohl nicht viel
Kontakt. Doch war es ursprünglich das Familienunternehmen, das es ihm ermöglichte, eine gute Ausbildung zu erhalten und keine finanziellen Sorgen zu haben. Dies ist Ludwig auch bewusst, wenngleich er meint: „Ich war und bin immer ein stolzer, ehrlicher, aber auch sehr heißblütiger Mensch. Die Noth, die große Lehrmeisterin, hätte mich's vielleicht gelehrt, anders zu werden. Gott Lob, oder soll ich sagen ,leider', blieb sie mir fern."
FELIX U N D SIEGFRIED VON BRÜNN NACH H O H E N A U UND W I E N
1894 treten gleich drei Mitglieder der nächsten Generation in das Familienunternehmen ein, das nach wie vor aus der Tuchfabrik in Brünn und der Zuckerfabrik in Hohenau besteht: Moritz' Sohn Emil, Isidors Sohn Siegfried und Bernhards Sohn Felix. Ein Jahr später übergeben Isidor und Bernhard ihren Söhnen Siegfried und Felix ihre Anteile des Familienunternehmens. Siegfried meint dazu, dass nun die Zeit gekommen war, „wo ich den Webstuhl mit der Zuckerindustrie vertauschte, die meine Vorel120
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Eingang zur Hohenauer Zuckerfabrik
tern neben der Tucherzeugung seit den sechziger Jahren betrieben, und mit der der Zuckerindustrie verbundenen Landwirtschaft" 87 . Zehn Jahre später, 1905, ergibt sich wieder eine Änderung: Emil verlässt die Familienfabrik, Felix lässt sich ganz in Hohenau nieder, um die Leitung der Zuckerfabrik zu übernehmen, und Siegfried widmet sich, wie er bereits selbst oben erwähnt, der Verwaltung der Pachtökonomien, was für ihn zukunftsweisend sein wird. Die Arbeitskraft der beiden Cousins gehört nun ganz der Hohenauer Fabrik, daher entschließen sie sich, das ursprüngliche Standbein der Familie, die Schafwollfabrik in Brünn, zu verkaufen - der Zucker ist nun ihr Lebensinhalt. Felix, geboren 1865 in Brünn, durchläuft die übliche Ausbildung deutsches Gymnasium, danach Handelsakademie und Eintritt ins Familienunternehmen, also der Tuchfabrik in Brünn. Doch engagiert er sich bereits ab 1894 auch in der Hohenauer Zuckerfabrik. Wie sein Cousin Felix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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Siegfried und so viele andere Mitglieder der Familie hat Felix eine tiefe Neigung zur Musik, er spielt Klavier und hatte sich einige Zeit mit dem Gedanken getragen, eine Laufbahn als Dirigent einzuschlagen. Dieser Wunsch erfüllt sich aber nicht. Mit 32 Jahren, 1897, heiratet er die 19jährige Elise Grünfeld. 1901, nach dem Tod von Julius Strakosch, wird Felix gemeinsam mit seinem Cousin Siegfried Geschäftsführer, 1905 lässt er sich mit seiner Familie ganz in Hohenau nieder, von 1913 bis 1919, also in den schweren Jahren des Ersten Weltkrieges, ist Felix Bürgermeister. In diesen Jahren muss er sein Leben zwischen der Fabrik und der Gemeinde aufteilen. Da Siegfried die Leitung des k.k. Ernährungsamtes innehat, lastet die gesamte Verantwortung fur die Zuckerfabrik auf Felix' Schultern. Der Aufschwung der Zuckerfabrik wird durch den Ausbruch des Krieges jäh unterbrochen, die Arbeiter müssen einrücken, die Düngemittel werden knapp. Die Folge ist, dass der Anbau der Zuckerrüben fast vollständig eingestellt werden muss — eine Fabrik ohne Rohstoffe kann nicht existieren. Am 5. November 1918, knapp nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, meint Felix in einer Rede, die er als Bürgermeister hält: „Dieser Friede ist nun gekommen, freilich ein ganz anderer, als wir erwartet haben. Ob nun der Friede günstig oder traurig wird - die Hauptsache ist der Neuaufbau. Daß dieser Neuaufbau sich nach ganz anderen Prinzipien vollziehen wird, mit anderen Worten, eine andere Weltordnung hereinbricht, ist uns allen klar."88 Die ersten Nachkriegsjahre sind schwer fur die Zuckerfabrik, die großen Rübenanbaugebiete liegen nun plötzlich im Ausland, in der Tschechoslowakei, und sind als Betriebskapital fiir die Fabrik verloren. Doch setzen Felix und Siegfried alles daran, neue Gebiete in Osterreich fiir den Rübenanbau zu erschließen und die Maschinen zu modernisieren. Die Verarbeitung der Zuckerrüben steigt im Vergleich zum Jahr 1901 im Jahr 1927 auf mehr als das Doppelte - die Mühe hat sich also gelohnt. Wie bei vielen vergleichbaren Familien steht auch bei den Strakoschs die Sorge für die Angestellten und Arbeiter an oberster Stelle, das soziale Engagement ist wichtig, das Verantwortungsbewusstsein groß. „Selbst sozialpolitische Ideen kamen bei solchem Anschauungsunterricht nicht zu kurz. Denn, gab es auch noch keinen staatlichen Krankenversicherungszwang und keine Fürsorgeabgabe, war von staatlicher Alters- und Invaliditätsversicherung nicht die Rede, so hatten die alten Brünner Tuchfabri122
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kanten manche soziale Einrichtung aus eigener Initiative geschaffen und bei den damaligen patriarchalischen Verhältnissen war es selbstverständlich, daß der Unternehmer darüber hinaus fur seine alten, kranken oder sonst erwerbsunfähig gewordenen Arbeiter sorgte, so gut er's vermochte."89 So berichtet Siegfried im Vorwort zu seiner Werkausgabe. Die sozialen Leistungen in Hohenau sind auch in der Ersten Republik umfassend: 1921 gründen Arbeiter im Einvernehmen mit der Fabrik einen Arbeiterunterstützungsfonds für erkrankte und hilfebedürftige Arbeiter, die Altersversorgung ist durch eine Stiftung gewährleistet. 1932 ruft die Firma einen Fonds zu Versorgungszwecken der Beamten und Angestellten der
Hohenauer Zuckerfabrik und der zugehörigen landwirtschaftlichen Betriebe ins Leben. Um den Wohnungsstandard der Belegschaft zu heben, wird 1925 eine Aktion eingeleitet, die den Mitarbeitern die Schaffung von Eigenheimen ermöglichen soll. Neben geeigneten Baugründen stellt die Firma ein unverzinsliches Kapital von ungefähr 7 0 . 0 0 0 , - Schilling (€ 5.087,-) bei. Die Fabrik errichtet außerdem Ein- und Mehrfamilienhäuser fur Arbeiter und Angestellte. Weiters steht seit 1920 eine Sportbetriebsanlage zur Verfügung, 1936 werden eine Werkskapelle gegründet und ein Schwimmbad für die Belegschaft der Fabrik errichtet. Felix erhält sowohl in der Monarchie als auch in der Republik hohe Auszeichnungen: 1908 den Eisernen-Kronen-Orden III. Klasse von Kaiser Franz Joseph, von der Republik den Titel Kommerzialrat. 1931 stirbt Felix mit nur 67 Jahren. Hohenau war seine Heimat — den Drang nach Wien scheint er nie verspürt zu haben. Seine Nichte Christi erinnert sich an diese Jahre: „Wir fühlten uns immer als Außenseiter, wenn wir Hohenau besuchten, weil es wirklich ihr Haus war, in dem wir wohnen durften. Wir besaßen gemeinsam den großen Gemüsegarten, die Blumen und Pferde, aber sie hatten den Nutzen, da sie dort lebten." Felix und Elise haben drei Kinder - Stephanie, Marianne und Oskar. Ganz im Gegensatz zu Felix ist sein Cousin Siegfried ein Teil der Wiener Gesellschaft. Geboren 1867 in Brünn, wird er mit 34 Jahren im Jahr 1901, gemeinsam mit seinem Cousin Felix, nach dem Tod von Julius Strakosch Geschäftsführer der Hohenauer Zuckerfabrik. „Er erkannte, daß er weder Talent noch Interesse hatte, weiterhin in der Textilbranche zu arbeiten. Oft erzählte er lachend, daß sein Mangel an Verständnis für das Geschäft und sein schlechter Farbgeschmack wohl sehr rasch die Firma Felix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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Gebrüder Strakosch ruiniert hätten." So berichtet seine Tochter Christi. 1903 übersiedelt Siegfried nach Wien — der Schritt von Brünn in die Reichs- und Residenzstadt ist also vollzogen. Vorerst wohnt er mit seiner Familie am eleganten Stubenring 22,1906 übersiedelt er in das auch heute im Familienbesitz befindliche Haus in der Sternwartestraße im Cottage und legt somit den Grundstein für seine und seiner Familie Verwurzelung in Wien. Wie schon erwähnt, ist die Verwaltung der landwirtschaftlichen Besitzungen der Zuckerfabrik sein Metier. Seine Tochter erinnert sich: „Das erste Mal, als mich Vater nach Hohenau mitnahm, wurde mir erlaubt, ohne Lilly und Hans mitzukommen, weil ich die älteste war. Ich glaube, ich war sieben und sehr stolz, daß ich auserwählt wurde. Als wir nach Hause zurückkehrten und das große Abenteuer zu Ende war, war ich in entsetzlich schlechter Laune. Ich überlegte, Landwirtschaft zu studieren, aber Vater versicherte mir, daß er niemals eine Frau einstellen würde. Dies war nicht üblich in diesen Tagen. Frauen arbeiteten nicht auf dem Gebiet der Landwirtschaft, wenn sie nicht Bäuerinnen waren." Mit der Landwirtschaft verbunden ist ein starkes theoretisches Interesse, das darin gipfelt, dass Siegfried nicht nur Vorlesungen für Landwirtschaftslehre an der Wiener Technischen Universität hört, sondern auch am Pflanzenphysiologischen Institut der Universität Wien bei Julius Wiesner arbeitet. 1904 unternehmen sie gemeinsam eine Studienreise nach Amerika. „Dann begleitet der junge Strakosch, obgleich ihm alle akademischen Grade fehlen, die er jedoch alle durch sein großes Talent ersetzt, den Botaniker Wiesner auf einer Forschungsreise als dessen Assistent durch Nordamerika", berichtet der Schriftsteller Felix Saiten. Die Ergebnisse werden bereits ein Jahr später publiziert. Dort widmet sich Siegfried lichtklimatischen und lichtphysiologischen Messungen - das klingt für einen Laien zwar etwas theoretisch, doch ist das Wissen um die Intensität der Sonneneinstrahlung für die Landwirtschaft von großer Bedeutung, um am richtigen Ort die richtigen Pflanzen anbauen zu können. 1907 tritt Siegfried die nächste Reise an - diesmal in den Sudan und nach Ägypten. Auch hier widmet er sich den Lichtmessungen: „Messungen der Lichtintensität im Verhältnis zur Sonnenhöhe von Wien bis ins Innere des Sudans brachten nicht nur den ersten experimentellen Nachweis über die Form, in der die atmosphärische Hülle die Erde umgibt, 124
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sondern zugleich die Erklärung, wieso die Bodenproduktion um den Äquator herum ohne Schädigung durch die vorauszusetzende allzu starke
Sonnenbestrahlung
möglich ist." So beschreibt Siegfried das Ergebnis dieser Reise, deren Erfahrungen in seinem Buch Erwachende Agrarländer nachzulesen sind. Es findet nicht nur in Wiener Regierungskreisen, sondern
in ganz Osterreich
und
Deutschland Anklang, wohl auch deswegen, weil beide Länder mit Ägypten in regem Handelsverkehr stehen und dort bedeutende wirtschaftliche Interessen vertreten. Siegfried Strakoschs Interessen
Siegfried Strakosch
weiten sich aus — über die Beschäftigung mit landwirtschaftlichen Problemen gelangt er immer mehr zur Volkswirtschaft und zu den Verknüpfungen zwischen diesen beiden Gebieten. Kurz, er wird zu einem anerkannten Agrarpolitiker, ist führend in der beruflichen Organisation der Landwirtschaft tätig, einflussreicher Berater der mit agrarischen Problemen befassten Regierungsstellen in Monarchie und Republik. 1913 wird Siegfried in den Adelsstand erhoben und erhält das Prädikat „von Feldringen". Im selben Jahr, flir ihn als Wissenschafter wohl wesentlich bedeutender, erhält er das Ehrendoktorat der Hochschule für Bodenkultur in Wien - „in Anerkennung seiner wissenschaftlichen und praktischen Leistungen auf dem Gebiet der Landwirtschaft". Seine Tochter erinnert sich: „Wir waren unermeßlich stolz auf ihn, wenn er zu offiziellen Anlässen Frack und alle seine Dekorationen trug." Von 1910 bis 1919 leitet Siegfried die österreichische Agrarzeitung. Diese wurde auf Anregung des späteren Ministerpräsidenten Seidler mit dem Hauptzweck ins Leben gerufen, in handelspolitischen Fragen sowohl innerhalb als auch außerhalb der landwirtschaftlichen Kreise zu inforFelix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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Die Villa in der Stern wartestraße
mieren und aufklärend zu wirken. Während des Krieges leitet Siegfried Strakosch das Amt fur Volksnährung, Vorläufer des Ernährungsministeriums. Zur selben Zeit wird er nach Konstantinopel entsandt, um Verhandlungen über österreichische Interessen in Kleinasien zu leiten. 1922 beschäftigt sich Siegfried Strakosch mit den wirtschaftlichen Entwicklungen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Dieser war erst vier Jahre zuvor zu Ende gegangen und die Entbehrungen, Veränderungen und Probleme für die ganze Bevölkerung sind noch lange nicht vorbei. Der Selbstmord eines Volkes heißt sein Buch, das für eine grundlegende Änderung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ganz im Sinne von Bundeskanzler Seipel plädiert. „Er pflegte am Vormittag ins Büro zu gehen, am Nachmittag blieb er zu Hause, um zu schreiben oder auch manchmal Geige zu üben. Mutter saß auf einem Sofa vor dem Schreibtisch und er las ihr vor, was er gerade geschrieben hatte. Sie kritisierte und machte Vorschläge für notwendige Änderungen. Oft folgte er ihrem Rat." Seine führende Rolle in Interessenvertretungen als Landwirt und Industrieller ermöglicht Siegfried, seine Gedanken immer wieder den einflussreichsten 126
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Männern in Monarchie und Republik vorzutragen, für Bundespräsident Michael Hainisch und Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ist Siegfried ein Ratgeber in Fragen, die die Landwirtschaft: betrefDas Privatleben kommt aber auch nicht zu kurz. Noch in Brünn heiratet Siegfried, der im Haus der Familie in der Vorstadt Kröna wohnt und nicht in der Innenstadt, Rosa Schwarz, 1898 wird ihr Sohn Georg geboren. Die Ehe ist unglücklich und endet bald mit dem Tod Rosas — „kurz vor ihrem Tod hatte sie eine Liebesaffäre mit einem anderen Mann, und Vater,
Wally Smkosch
um ihren baldigen Tod wissend, ermöglichte ihr, ihren Liebhaber zu treffen. Meine Mutter war immer außerordentlich eifersüchtig auf Rosa, obwohl sie genau wußte, wie unglücklich diese Ehe gewesen war." Das meint jedenfalls Siegfrieds Tochter Christi. 1909 heiratet er abermals - die 28-jährige Wally Duschnitz. Sie ist die Tochter des Großindustriellen und Börsensensals Fritz Duschnitz und seiner Frau Adele. Wally ist 15 Jahre jünger als Siegfried „Warum meine Mutter, die extrem schön war, nicht früher geheiratet hatte, weiß ich nicht. Meine einzige Erklärung ist, daß sie vorher niemanden getroffen hatte, der an ihren Vater heranreichen konnte, den sie anbetete ... Alle Mitglieder der Familie Duschnitz sahen sehr gut aus. Für uns kleine Kinder war es ein spezielles Erlebnis, am Sonntag bei den Großeltern in ihrer Wohnung in der Rathausstraße zum Nachtmahl zu sein. Manchmal, wenn wir zu früh kamen, wurden Großvater gerade die Nägel manikürt von einer Maniküre, die ins Haus kam." Wally kommt in ein Haus, in dem noch der Geist der erst vor kurzem verstorbenen ersten Frau spürbar ist. „Als meine Eltern heirateten, zog meine Mutter in ein vollständig eingerichtetes Haus. Es gab nicht nur Felix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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Wally Strakosch mit Georg, Hans, Christi, Lilly
einen kompletten Haushalt, auch Georg, Vaters 14-jähriger Sohn, seine englische Gouvernante Biddy und Carl, der Butler, wohnten d o r t . . . Auf Grund ihrer eigenen Unsicherheit glaubte sie, dass Biddy und Carl jeden ihrer Schritte kritisierten. Sie wollten den status quo erhalten, während Mutter so viel wie möglich ändern wollte. Dies alles machte den Beginn ihrer Ehe sehr kompliziert." 1910 kommt Christi zur Welt, auf den Tag genau ein Jahr später Lilly, 1913 Hans. Die Villa, in der die Kinder aufwachsen, ist sehr groß, im Biedermeiersalon steht ein Beethoven-Klavier, das auf eher kuriose Weise in Siegfrieds Besitz gekommen war. Siegfried hatte eine Stradivari-Geige, die er eines Tages zur Reparatur geben musste. Als er sie abholen wollte, musste er feststellen, dass der Händler die Geige verkauft hatte. Als Gegengeschäft bot er Siegfried ein Klavier an, eines der ersten, das überhaupt gebaut worden und ein Geschenk der Gräfin Lichnovsky an Beethoven gewesen war. Siegfried akzeptierte dieses ungeplante Tauschgeschäft und so befand sich dieses wunderbare In128
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Christi Lilly und Hans
strument bis 1982 im Besitz der Familie: Die Nazis hatten 1939 den Wert des Instruments nicht erkannt und der Familie die Erlaubnis erteilt, es nach Amerika mitzunehmen. Die Musik war immer schon ein wesentlicher Bestandteil von Siegfrieds Leben. Felix Saiten schreibt 1933 in einem Nachruf: „Strakosch' Temperament war von Musik beschwingt, darin liegt das Geheimnis seines Erfolges wie seines bestrickenden Umganges, das Geheimnis der innigen Freundschaftsbande, die ihn mit vielen wirtschaftlichen Führern, mit vielen Führern der Wissenschaft in allen Ländern der Welt verknüpfFelix und Siegfried von Brünn nach Hohenau und Wien
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ten. Er hat den langen, steilen Weg, den er zum Gipfel schritt, zuerst lange gesucht. Sproß einer alten Industriellenfamilie, wurde er am Beginn seiner Karriere Geigenvirtuose und ging auf Konzertreisen. Dann zog ihn Pflicht in die Fabrik. Doch er hatte den Mut, die Tuchweberei, seinen Erwerb also, aufzugeben, einen Mut, den nur derjenige hat, der gezwungen ist, wahrer Berufung zu folgen." Siegfried ist erfolgreicher Geschäftsmann, interessiert an künstlerischen und geistigen Strömungen, ein Freund des gesellschaftlichen Lebens in Wien - zu einem großen Teil spielt es sich im Kreise von Musikern, Schriftstellern und Künstlern ab. Eine enge und intensive Freundschaft verbindet Siegfried mit dem Schriftsteller Felix Saiten, der seinen Nachruf auf Siegfried in der Neuen Freien Presse mit „Ein Gedenkblatt" übertitelt. Doch nicht nur mit diesem Schriftsteller ist Siegfried befreundet, auch andere Schriftsteller und Künstler gehören zu seinem engeren Kreis. Siegfried und Wally Strakosch fuhren ein großes Haus und haben ein reges Gesellschaftsleben, in der großen Halle finden oft Kammermusikabende, aber auch Hausbälle für die Kinder statt. Das musikalische Leben wird sehr aktiv betrieben, die Familie fuhrt selbst geschriebene Stücke auf, auch Kabarett wird gespielt, wie in den Lokalen der Innenstadt stehen kleine Tische für die Zuschauer rund um die Bühne. Selbstverständlich geben die Strakoschs große Abendessen und immer am Sonntagnachmittag einen Jour fixe. Das Haus steht dann offen und Gäste kommen unangemeldet vorbei. Diese Sitte ist sehr verbreitet in Wien, viele Familien haben ihren Jour fixe, an dem Gäste unkompliziert empfangen werden. Natürlich gibt es Personal, um dieses große Haus zu führen: eine Köchin, den erwähnten Butler Carl, Stubenmädchen, Kindermädchen und später eine Gouvernante und einen Chauffeur. Das Auto hat zwei verschiedene Karosserien: im Winter dunkelblau mit beigen Uberzügen, im Sommer silbergrau mit roten Ledersitzen. Siegfried „war warmherzig und liebevoll, jedoch schwierig zu lieben und zu verstehen, da er ein hitziges Temperament hatte, das sehr erschreckend sein konnte. Vater war sehr stolz, er wollte verehrt und gelobt werden für sein beträchtliches Werk, mit dem er sich rühmte. Solche Bewunderung ist schwer zu geben, wenn sie erwartet wird. Vaters Sparsamkeit war, hinsichtlich seines Reichtums, ebenfalls schwer zu akzeptieren. Ich realisierte niemals, wie reich 130
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wir waren. D a n k meines Vaters betrachtete ich Schwierigkeiten immer mehr als Veränderung denn als Härte. Viel Wert wurde von beiden Eltern auf Musik gelegt. Mutters Charakter war genau das Gegenteil von Vater. Sie war sehr, sehr schüchtern, extrem bescheiden, nicht imstande, Anerkennung für ihre Bemühungen entgegen zu nehmen." Dies ist jedenfalls die Wahrnehmung seiner ältesten Tochter. W i e bei allen Familien ihres Umfelds hat auch für die Strakoschs die Sommerfrische einen besonderen Stellenwert. Die Sommermonate verbringt man am Attersee oder Wolfgangsee, auch werden Reisen nach Italien oder in die Schweiz unternommen, um Siegfrieds Schwester Clothilde Brettauer zu besuchen. Andere Mitglieder der Familie wie Siegfrieds Onkel Bernhard und Eduard verbringen ihre Sommer in Bad Vöslau - und sind damit in Gesellschaft der Mandls und Gutmanns. Die Bedeutung dieses Ortes als Sommerfrische der guten
bürgerlichen
Gesellschaft bestätigt sich nun zum wiederholten Male. Den letzten unbeschwerten Sommer vor dem Hereinbrechen des Nationalsozialismus verbringt Siegfrieds Tochter Christi mit ihrer Familie 1937 in St. Gilgen am Wolfgangsee. Die Strakoschs besitzen keine eigene Sommervilla, sondern mieten sich immer ein und wechseln dadurch auch öfters die Aufenthaltsorte.
L E T Z T E Ü B E R G A B E U N D DER A L P T R A U M 1938
1933, im Todesjahr Siegfrieds und zwei Jahre nach dem Tod von Felix Strakosch, kommt die nächste Generation in das Familienunternehmen: Siegfrieds Sohn Georg und Felix' Sohn Oskar als öffentliche, Siegfrieds W i t w e Wally und ihre Töchter Christi und Lilly, ihr Sohn Hans, Felix' Witwe Elise, deren Töchter Stephanie Habig und Marianne von Werther als stille Gesellschafter. A b 1934 erfolgen in der Fabrik umfangreiche Investitionen und Modernisierungen, die veralteten Werkstätten werden abgerissen und neu aufgebaut, verschiedene Geräte werden ebenfalls durch moderne Maschinen ersetzt. Siegfrieds ältester Sohn, Georg, wurde, wie schon erwähnt, 1898 noch in Brünn geboren. Nach dem Gymnasium studiert er Landwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur in W i e n und betreibt daneben volksLetzte Übergabe und der Alptraum 1938
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wirtschaftliche Studien. Wie sein Vater betätigt sich auch Georg publizistisch - sowohl zu volks- als auch landwirtschaftlichen Themen. Erfahrungen sammelt er mehrere Jahre lang in ausländischen Betrieben, so auch in Amerika. Dieses Land fasziniert ihn, nach seiner Rückkehr spricht er mit amerikanischem Akzent und schwärmt von all den technischen Neuerungen, die er kennen gelernt hat. Die größte Sensation aber ist, dass er ein Radio mitbringt - das erste, das die Familie sieht. Und so ist auch eine logische Folge, dass er die Amerikanerin Renee Bullard heiratet. Christi Strakosch heiratet Otto Patzau, der zu dieser Zeit gerade der Direktor der städtischen Molkereibetriebe ist. 1931 gehen Otto und Christi nach Rumänien, wo ihm eine Stellung angeboten worden war. In der Zwischenzeit kauft Siegfried die Firma A. Egger's Sohn in Wien, die Süßwaren herstellt — eine folgerichtige Erwerbung eines Zuckerfabrikanten. Er bittet Otto, die Leitung zu übernehmen, was er auch gerne tut. Er erweitert das Sortiment um pharmazeutische Produkte, die in der neu gegründeten Firma Eggochemia vertrieben werden, und ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Lilly Strakosch heiratet den Regisseur Heinrich Schnitzler, Sohn Arthur Schnitzlers. Sie können das Land 1938 gerade noch verlassen und gelangen über die Schweiz nach New York. Hans Strakosch heiratet noch vor dem Krieg Ini Wessely, mit der er in Los Angeles lebt. Die Familie glaubt nicht, dass ihr Gefahr durch den Nationalsozialismus drohen könnte. Sie waren ja konvertiert und sahen dies auch als äußeres Zeichen ihrer endgültigen Assimilation an. Mit der Religion der Vorfahren fühlen sie keine Verbindung mehr, sie sind wie fast alle jüdischassimilierten Familien Verteidiger und Vertreter der deutschen Kultur, die über allem anderen steht und die Identität dieser Familien in hohem Maße bestimmt. Doch nun wird ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen, die Identität genommen, das Leben bedroht. Beim Einmarsch der Deutschen befinden sich Georg und Renee gerade in Indien. Georg fühlt sich als Direktor der Hohenauer Fabrik jedoch verpflichtet, nach Osterreich zurückzukehren. Renee scheint zu wissen, dass das große Leben, das sie in Wien gefuhrt hatten, nun vorbei ist, verlässt Georg und geht stattdessen nach England. Kein Einzelfall in der damaligen Zeit. Und auch die so genannten Freunde lassen Georg nun, 132
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Firma Α. Eggers Sohn
da er nicht mehr der reiche Industrielle ist, im Stich. Geld und Ansehen sind plötzlich weg, die Familie schwebt in permanenter Gefahr, verhaftet zu werden. Georg und Oskar werden sofort verhaftet und aus ihren Amtern vertrieben, die Fabrik in Hohenau bekommt einen kommissarischen Leiter. Am 15. April 1938 heißt es in einem Bericht eines NSDAP-Kommissars: „Jede der Neuschöpfungen auf dem Wohnungsgebiete entspricht vollends dem Begriffe moderner Bauart, ausgestattet mit elektrischen Beheizungs-, Beleuchtungs- und Badeanlagen, Wasserleitungen und dergleichen, ebenso wie durch Nutz- und Ziergartenanlagen den privaten Lebensbedürfnissen der Belegschaft Rechung getragen wird." Man muss dies zweimal lesen, um sicherzugehen, dass es sich nicht um einen Rechenschaftsbericht der Familie Strakosch, sondern um ein Dokument der Nationalsozialisten handelt. Die Nationalsozialisten plündern die Villa der Strakoschs in der Sternwartestraße, Silber und Autos werden zuerst gestohlen. Eines Nachts will die Gestapo Wally Strakosch, zu diesem Zeitpunkt 57 Jahre alt, zum Straßenwaschen aus dem Haus holen. Doch der alte treue Butler der Familie behauptet, dass sie Herzbeschwerden hätte, und wie durch ein Wunder zieht die Gestapo wieder ab. Georg erträgt diese Situation nicht und begeht am 7. Juli 1938 Selbstmord. Letzte Übergabe und der Alptraum 1938
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Auch in Listen der Nationalsozialisten, die sie über Schriftsteller und Musiker anlegen, wird die Familie Strakosch nicht vergessen: Im Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnisjüdischer Werke werden auch all diejenigen erwähnt, die schon lange tot sind: Alexander und Ludwig, beide gestorben 1909, und auch Moritz, der bereits 1887 starb. Die Nachforschungen der Nationalsozialisten waren gründlich und von langer Hand vorbereitet, wie immer wieder bewiesen wird. Otto Patzau wird verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald gebracht, wohl auch aus dem Grund, die Familie Strakosch zur Emigration zu zwingen und daher die Reichsfluchtsteuer zu bezahlen - bei einer so wohlhabenden Familie ein enormer Betrag. Die Fabrik Egger wird natürlich ebenfalls sofort enteignet. Ein Jahr müssen Christi und Wally noch in Osterreich verbringen, bis Otto endlich freigelassen wird. In diesem Jahr sucht die SA die Villa oft heim, „sie durchsuchten das Haus, ich weiß nicht warum. Wenn sie das Haus wieder verließen, mußten wir jedesmal eine Erklärung unterschreiben, daß sie alles unberührt gelassen hätten. Natürlich fehlte jedesmal etwas Wertvolles, doch waren wir machtlos, irgendetwas dagegen zu tun. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte Mutter den Schmuck, den sie immer trug, am Nachtkastl liegen lassen. Sie dachte, daß die Gestapo vergessen hätte, ihn zu stehlen, und wollte, daß ich dort anriefe um mitzuteilen, daß sie noch einige Wertgegenstände vergessen hätten." Christi ruft die Gestapo natürlich nicht an. Ein großes Problem ist, dass die Familie den gesamten Schmuck offiziell versichert hat, auf der Polizze sind natürlich alle Gegenstände im Detail vermerkt. Die Polizze befindet sich im Büro der Hohenauer Fabrik, und die Familie weiß nicht, ob sie in die Hände der Nationalsozialisten gefallen ist. So ist das Risiko, das eine oder andere von Freunden außer Landes schmuggeln zu lassen, viel zu groß. Christi greift aber zu einem Trick. Sie kauft unechte Schmuckstücke, die den Originalen ähneln, und kann somit wenigstens einige wenige Erinnerungsstücke retten. Anfang 1939 wird Otto entlassen und die Familie hat zwei Wochen Zeit, das Land zu verlassen. Am letzten Tag erhält Otto endlich seinen Pass und fährt von der Gestapo, wo er ihn abholen muss, direkt zum Westbahnhof, um in die Schweiz zu gelangen. Dies ist die richtige Entscheidung — am selben Tag steht die Gestapo schon wieder vor der Tür, doch Otto befindet sich bereits in Sicherheit. Wally, Christi und die Kin134
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der Marietta, Lorle und Tommy folgen per Flugzeug nach. Vorher aber hatte sich die Gestapo genauestens vergewissert, dass die Familie nichts mehr besaß und alle „Steuern" die Hohenauer Fabrik betreffend beglichen waren. Von der Schweiz gehen sie nach England, Sir Henry hilft, die nötigen Papiere zu erhalten. Ihr Weg fuhrt sie nach Amerika, wo sie letztendlich in Philadelphia ein neues Zuhause und eine neue Existenz finden. Otto und Christi vergessen ihre Freunde in Osterreich aber nicht, sie gehören zu den Ersten, die nach dem Ende des Krieges Care-Pakete nach Österreich schicken und somit helfen, die erste Not ein bisschen zu lindern. Otto Patzau erhält die Egger Zuckerfabrik bald nach dem Krieg zurück, i960 verkauft er sie jedoch: an die Firma Friedmann! Ein weiterer Kreis hat sich nun geschlossen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehren Heinrich und Lilly Schnitzler nach Österreich zurück, auch Wally Strakosch kommt wieder nach Wien und lebt hier bis zu ihrem Tod. Oskar Strakosch kehrt ebenfalls aus der Emigration in London zurück und übernimmt 1949 die Hohenauer Zuckerfabrik, er stirbt 1974. Seine Mutter Elise, die 1940 in die Schweiz flüchten konnte, fiihlt sich trotz der Geschehnisse 1938 der Gemeinde Hohenau verbunden: 1958 lässt sie anlässlich ihres 80. Geburtstages ein Kasino errichten und widmet es der Belegschaft der Zuckerfabrik. Das Gebäude umfasst einen Festsaal, Bibliothek und Musikzimmer, Kino- und Fernsehraum, Küche, Fremdenzimmer und Dienstwohnungen. Eine großzügige Tat nach all dem, was der Familie 1938 widerfahren ist.
Letzte Übergabe und der Alptraum 1938
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ZWEI UNTERSCHIEDLICHE
BRÜDERPAARE
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FRIEDMANN
SIEGWART, D E R S C H A U S P I E L E R
Siegwart und Alexander Friedmann - der Schauspieler und der Erfinder - sind die Söhne des Kaufmanns Heinrich Friedmann und dessen Frau Johanna und wachsen in sehr bescheidenen Verhältnissen in Budapest auf. Doch beide Brüder erreichen viel in ihrem Leben: Siegwart als Schauspieler und Mitbegründer des Deutschen Theaters in Berlin, Alexander als Erfinder einer Einspritzpumpe fiir Lokomotiven, mit der er den Weltmarkt beherrscht. Siegwart, geboren 1842 noch unter dem Namen Samuel, „wird vom Vater ebenfalls fiir den kaufmännischen Beruf bestimmt". Diesen Satz aus einem zeitgenössischen Lexikon nimmt der Leser heute als selbstverständlich hin — zu oft hat er Ahnliches bereits gelesen. Doch muss man sich vorstellen, was das heißt: Ein junger Mann, dessen einziges Interesse, dessen einzige Liebe das Theater ist, muss sich dem schnöden Mammon widmen, da eine Laufbahn als Schauspieler nicht in Frage kommt - aus finanziellen, vor allem aber aus prinzipiellen Gründen. Künstler haben für diese Generation einen zweifelhaften Ruf, noch dazu für einen sehr gläubigen und religiösen jüdischen Kaufmann. „Meine geliebten Eltern erzogen mich zu einer minder poetisch angehauchten Laufbahn und wollten meist anders als ich", schreibt Siegwart später lakonisch in seinen Memoiren Vertrauliche Theaterbriefe. 1856 kommt er mit 14 Jahren als Lehrling nach Wien — sechs lange Jahre entspricht er dem Wunsch des Vaters: „Mein strenger Papa ließ nicht mit sich spaßen." Doch nie mit ganzem Herzen. Er selbst schreibt: „Wien! Haben Sie eine Vorstellung davon, wie einem von künstlerischen Träumen erfüllten Knaben zumute war, der plötzlich aus der damaligen Provinzhauptstadt Budapest nach Wien, der alten reichen Kultur- und Kaiserstadt, verpflanzt wurde? Mein Herz jubelte auf!"
Siegwart, der Schauspieler
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Gerade das Wiener Burgtheater bietet dem theaterbegeisterten Siegwart die Möglichkeit, all die Größen der damaligen Zeit bewundern zu können. Schließlich nimmt er seinen ganzen Mut zusammen und begibt sich zu Adolph von Sonnenthal, dem großen Schauspieler, der ebenfalls aus Budapest stammt. Dieser erkennt das Talent und ermutigt Siegwart, seine kaufmännische Karriere an den Nagel zu hängen. Mit dieser Botschaft fährt Siegwart nach Budapest zu den Eltern. „Erst wollte ich das Herz der guten, sanften Mutter rühren und durch ihren Einfluß auf den schwer zu behandelnden Vater wirken. Auf der ganzen Reise redete ich mir Mut zu, hoffte und träumte. Ach, ich war eigentlich recht verzagt, denn mein Vater, von aufbrausendem, jähem Temperament, war unberechenbar." Die Reise zu diesem Zeitpunkt soll sich als glückliche Fügung erweisen, gastiert doch gerade der große Bogumil Dawison als Richard III. in seiner Heimatstadt. Dieser Schauspieler, der heute völlig in Vergessenheit geraten ist, gilt in der damaligen Zeit jedoch als einer der Größten seines Faches. 1818 als Sohn armer jüdischer Eltern in Warschau geboren, erwirbt er sich ohne höhere Schule Wissen in verschiedensten Sparten - und bald wird ihm seine Neigung furs Theater bewusst. Wirklich erstaunlich und interessant ist, dass Bogumil Dawison die Sprache wechselt — aus einem polnischen wird ein deutscher Schauspieler! 1849 bis 1853 ist Dawison am Wiener Burgtheater engagiert - er ist in gewissem Maße eine Entdeckung des Direktors Heinrich Laube. In späteren Jahren lässt er sich in Dresden nieder — doch überall, wo er hinkommt, eckt er an, akzeptiert keine Autorität und ist als schwieriger und jähzorniger Charakter verschrien. Das Publikum bewundert ihn jedoch wegen seiner leidenschaftlichen Darstellungen. Siegwart besucht gleich die erste Vorstellung in Budapest: „Seine äußere Erscheinung und sein sehr nasales hohes Tenororgan befremdeten fiir den ersten Augenblick. Dann aber entströmte seinen Lippen die eindringlichste Rede, leuchtende Wahrheit, eine bis zum Sturm sich steigernde Leidenschaft, die alles mit sich fortriß!" Siegwarts Vater kann sich nun nicht mehr dem Wunsch des Sohnes entgegenstellen: Siegwart sucht Dawison auf und wird dessen erster und auch letzter Schüler. Man ist versucht, diese Geschichte in den Bereich der Mythen und Märchen zu verweisen — ein junger Mann aus bescheidenen Verhältnissen überzeugt den großen, als Despoten bekannten Schauspieler so sehr, dass ihn dieser zu 138
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seinem einzigen Schüler macht. Ja mehr noch, ihn in seinem Hause aufnimmt und zeit seines Lebens fördert. Und doch entspricht dies der Realität. 1862 stirbt der Vater und es bleibt ihm verwehrt, die Karriere und Erfolge seines Sohnes mitzuerleben. Bereits 1863, mit 21 Jahren, tritt Siegwart sein erstes Engagement in Breslau an. Dort wird ihm seine Überheblichkeit, die er aus der Tatsache schöpft, der Schüler Dawisons zu sein, schnell ausge. ,
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Bommil Dawison als Richard III.
trieben: „Zuerst wurde ich kaltgestellt', d. h. man ließ mich nicht gleich zum Auftreten kommen, dann endlich, nach 14 Tagen, wurde mir der kleine Ferdinand in ,Egmont' als Antrittsrolle bestimmt und die zuvor verabredete Rolle des Melchthal in ,Tell' wurde abgesetzt. Das war sehr konsternirend für mich ... Wider mein Erwarten stellte sich am Abend vor meiner Auftrittszene Kanonenfieber ein und zwar so stark, daß ich sekundenlang nichts sah und hörte. Ich stand auf meinem Platze, mein Stichwort erwartend, und als es fiel, eilte ich mit pochenden Schläfen, mit buntem Flimmern vor den Augen an die Tür. Meine erste Handlung war - ein ungeschicktes Stolpern über die Schwelle, welches mit Gelächter von Seiten des Publikums belohnt wurde. Den folgenden Tag über wagte ich mich nicht auf die Straße, weil ich mir einbildete, daß jeder Mensch, der mir begegnete, mich nun auslachen müsse ... Diese desolate Verfassung dauerte drei Tage und Nächte. In dieser Zeit ging eine gewaltige Veränderung in meiner eitlen Seele vor. Ich sah ein, daß mein hohes Selbstbewußtsein eine thörichte Einbildung gewesen und eilte zerknirscht zu meinem Direktor, um meine Entlassung zu bitten, da ich mich für eine so große Bühne noch nicht reif und berechtigt fühle." 90 So wird Siegwart in Kohuts Lexikon Berühmte israelitische Männer und Frauen zitiert. Ein Jahr später folgt schon der Sprung nach Berlin. Dort bleibt er sieben Jahre und heiratet 1868 die Schauspielerin Helene von Dönniges, die Siegwart, der Schauspieler
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über Siegwart in ihren Erinnerungen meint, „seine schöne Äußerlichkeit ebenso wie sein fein pointiertes, geistreiches Gesicht nahmen mich schnell gefangen" 9 '. Siegwart selbst bildet sie zur Schauspielerin aus. „Sie war eine geistvolle, interessante, wirklich vornehme Dame in Erscheinung, Bewegungen und Lebensäußerungen, hatte angenehmes, lebhaftes Temperament und graziöse Phantasie. Nur war die Stimme ohne Wohlklang und nach der Seite des Gemütes, die Ausdrucksmittel nicht seelenreich genug, um sie zu einer vollwertigen Künstlerin zu machen." So ur-
teilt 1903 Ludwig Eisenbergs Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert. Helene, geboren 1843 in Berlin als Tochter des bayerischen Gesandten, hat bereits eine aufregende und tragische Jugendbeziehung hinter sich. In der Schweiz lernt sie im Jahr 1864 - also mit 21 Jahren - den sozialdemokratischen Politiker und Schriftsteller Ferdinand Lassalle kennen und lieben. Doch ist sie bereits mit Yanko von Rakovitza verlobt. Sowohl Helenes Vater als auch aus verständlichen Gründen ihr Verlobter goutieren die Affäre mit Ferdinand Lassalle nicht. Die tragische Folge ist ein Duell zwischen Verlobtem und Liebhaber - Lassalle stirbt drei Tage danach, auch der zu Hilfe gerufene Theodor Billroth konnte nichts tun. Helene heiratet Yanko von Rakovitza trotzdem, der jedoch bald darauf stirbt. Dies erklärt vielleicht die etwas schwierige Persönlichkeit Helenes. Sie wird nach Siegwart in dritter Ehe den russischen Schauspieler Ivan von Schewitsch heiraten, mit ihm nach Amerika gehen, sich dort als Okkultistin bezeichnen und 1911 durch Selbstmord enden. Doch ist es noch nicht so weit. Die Ehe zwischen Siegwart und Helene geht nicht lange gut, 1873 lassen sie sich nach fünf Jahren scheiden - „Wir feierten unseren Freiheitsbund, der sich sofort in eine herzliche Freundschaft verwandelte", meint Helene. Siegwart resigniert in Berlin auf Grund von Intrigen und eingefahrenen Traditionen und wechselt nach Schwerin, wo er 1871 das Theaterstück Die Marquise von Pontalet schreibt. Ein erfolgreiches Jahr auch fiir seinen Bruder Alexander, wie sich später noch zeigen wird. 1872 engagiert ihn Heinrich Laube auf Empfehlung von Alexander Strakosch ans neu gegründete Wiener Stadttheater. ,Wien und Heinrich Laube!! Meine alte Mutter, mein Bruder, alle meine Anverwandten und Jugendfreunde nahmen die Neuigkeit mit hellem Jubel auf und ich war wieder z'Haus'." Bald zählt er zu den allerersten Schauspielern dieses Theaters, auch Hein140
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rich L a u b e würdigt sein Talent. „ E r häufte maßlose Arbeit auf die Schultern des jungen Künstlers, ließ ihn Bonvivants, Charakterrollen, peres nobles und Liebhaber spielen, u n d konstatierte selbst in seinem ,Wiener Stadttheater', daß Friedmann in vielen Sätteln gerecht, dem T h e a t e r v o n großem Nutzen sei, u n d daß er, beweglichen Geistes, mit moderner Bildung vertrauter und durch Gestalt wie durch gesellige Form geeigneter sei f ü r feinere A u f g a b e n und daß interessantere Rollen verschiedenartigster
Gattung
ihn
Siegwart Friedmann
dem
Publikum immer näher und näher brächten." 9 2 Heinrich Laube ist sicherlich einer der wichtigsten Direktoren des Hoftheaters in Wien, 1850 dorthin berufen, bleibt er 17 Jahre. Seine Frau Iduna, eine Frauenrechtlerin - in der damaligen Zeit noch etwas sehr Seltenes —, gründet in Wien einen Literatursalon. 1870 bis 1880 leitet Heinrich Laube das neu gegründete Stadttheater, sein Spielplan umfasst Werke von Shakespeare bis zu zeitgenössischen Autoren, sein besonderer Einsatz gilt Grillparzer. A m Stadttheater fuhrt Laube auch Nachmittagsvorstellungen zu ermäßigten Preisen ein - etwas, das fur uns heute selbstverständlich, doch in der damaligen Z e i t ein absolutes N o v u m ist. In der allerersten Nachmittagsvorstellung am 3. Oktober 1875 tritt Siegwart Friedmann als Hamlet auf. Dieser erste Versuch glückt und bald sind Nachmittagsvorstellungen in vielen Theatern der ganzen Monarchie üblich. A u s dieser Z e i t gibt es den einzigen Beleg f ü r ein Z u s a m m e n t r e f f e n der Brüder Siegwart und Alexander - „Siegwart, der heute Mittag bei mir speiste, kam vor einigen Tagen hier a n " , schreibt Alexander a m 9. April 1876 an die Mutter nach Budapest. Bis zu diesem Jahr bleibt Siegwart am Stadttheater, dann k o m m t es zu einem Z e r w ü r f n i s mit Laube. Siegwart geht nach H a m b u r g , im S o m m e r 1878 erhält er ein verlockendes A n g e bot v o n Franz Dingelstedt ans W i e n e r Burgtheater. A u f G r u n d einiger Siegwart, der Schauspieler
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Missverständnisse beschuldigt Dingelstedt ihn jedoch des Wortbruches, damit ist Siegwarts Weg zurück ans Wiener Stadttheater frei, wo er seine Tätigkeit 1880 endgültig beendet. Im selben Jahr beginnt eine neue Idee in Siegwart zu reifen: der Aufbau eines Deutschen Theaters in Berlin. Gemeinsam mit Ernst Possart, Adolph L'Arronge, Ludwig Barnay, Friedrich Haase und August Förster verwirklicht er dieses Projekt und bereits am 29. September 1883 findet mit Kabale und Liebe die Eröffnungsvorstellung des Deutschen Theaters statt, in der Siegwart selbstverständlich mitspielt. In dieser Zeit besucht auch Arthur Schnitzler eine Aufführung: „Beinahe jeden Abend besuchte ich irgendein Theater; die stärksten Eindrücke nahm ich von einigen Vorstellungen des Deutschen Theaters, von Kainz, Siegwart Friedmann ... mit nach Hause."93 Siegwart gehört dieser Bühne bis 1891 an, dann beginnen gesundheitliche Probleme aufzutreten, die ihm bald die Ausübung seines Berufs unmöglich machen werden. In dieser schwierigen Phase seines beruflichen Lebens wird Siegwart 1893 mit 51 Jahren Vater - in zweiter Ehe verheiratet mit Maria Theresia Piatrik von Lanzenberg kommt nun ihr gemeinsames Kind Kurt zur Welt. Auch wenn er nicht mehr als Schauspieler tätig sein kann, zieht er sich doch nicht ganz aus der Öffentlichkeit zurück. Als 70-Jähriger liest er im Jänner 1911 auf Einladung des Presseclubs Concordia im kleinen Musikvereinssaal, dem heutigen Brahmssaal, in Wien aus seinen Memoiren Vertrauliche Theaterbriefe. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit berichtet die Neue Freie Presse am 30. Jänner 1911: „Dem nun fast Siebzigjährigen, der so heiter und temperamentvoll von einer großen Vergangenheit zu plaudern verstand, sieht man übrigens das ansehnliche Alter keineswegs an. Das geistreiche Gesicht, die Lebendigkeit der Geste und Empfindung ließen kaum auf einen Fünfzigjährigen schließen." Siegwart Friedmann hat ein umfassendes Repertoire: Vom klassischen Bösewicht bis zum modernen Salonliebhaber reicht seine Rollengestaltung, die von allen Zeitgenossen als wohl durchdacht, geistreich und künstlerisch abgerundet bezeichnet wird. Auch wenn Siegwart Friedmann in Wien nicht mehr so präsent ist, sind die Zeitungen anlässlich seines Todes im Jahr 1916 doch voll. Und wieder kommt es zur Bezugnahme auf Heinrich Laube: Er sei „einer der letzten, deren Wesen und Kunst durch Laubes meisterlich formende Hand dauernde Prägung gewann. Uberall waren 142
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Laube und Dawison vernehmbar, mit denen ihn seine Lebenswege frühzeitig auf eine Art verknüpft hatten, die man nach einem Wort Goethes eine .dämonische' nennen möchte", schreibt die Neue Freie Presse.
ALEXANDER, DER ERFINDER
Sein Bruder Alexander schlägt einen völlig anderen Weg ein. A u f den ersten Blick unterwirft er sich mehr den Wünschen des Vaters — jedenfalls beruflich. Doch privat bleibt ein Konflikt nicht aus. 1838 geboren und somit vier Jahre älter als sein Bruder, wird auch er relativ früh von Budapest nach Wien geschickt, um hier die Realschule in Wien-Landstraße und die Technische Hochschule zu besuchen. Er geht dann ans Polytechnikum in Karlsruhe und tritt 1859 mit 21 Jahren als Ingenieur in den Dienst der Staatsbahn — die Eisenbahn wird für den Rest seines Lebens ein bestimmendes und dominierendes Element bleiben. i860 geht Alexander nach Paris - von dort schreibt er regelmäßig seinen Eltern. Hier ändern sich nun auch seine privaten Lebensumstände. Er heiratet Sidonie Juracek - offenbar gegen den Willen seines Vaters: „Unser gottseeliger Vater schenkte mir sein Vertrauen selbst dann noch, als er leider durch meine Handlungsweise sich gekränkt fühlte." Alexander hatte Sidonie „entfuhrt" und nach Paris mitgenommen - wohl wirklich eine große Liebe. In Paris wird auch ihr erster Sohn Louis Philippe 1861 geboren - sogar dessen Name wird der Geburtsstadt angepasst. Die schwierige Persönlichkeit des Vaters wird auch in der Darstellung Alexanders bewusst — sehr umschrieben bemerkt man doch sofort, wie stark und offenbar auch unbeugsam der Vater ist — keine leichte Situation für die Kinder, die jedes auf seine Art und Weise versuchen, dem Vater zu beweisen, dass sie es zu etwas bringen können. „Nachdem der gottseelige Vater mir Dein Wohl anvertraut, meine gute Mutterleben, nachdem also unser guter Vater, der doch nur selten seine heiligen Wünsche anderen mittheilte und der doch stets das volle Bewußtsein seiner hohen väterlichen Würde hatte, nachdem also mein guter Vater, der mit Recht seinen edlen Geist und seine erhabene Seele weit über uns seine Kinder stellte, mir die hohe Ehre erwies, mich seines vollen Vertrauens zu würdigen und mit mir mit der ausfuhrlichsten Vertrautheit zu sprechen." Alexander, der Erfinder
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Alexander versucht, dem Vater verständlich zu machen, welch unterschiedliche Ansprüche verschiedenste Berufe erheben - er ist nun 24 Jahre alt: „Wenn man nur einfach irgendwo Beamter ist und nur bestimmte regelmäßig wiederkehrende Pflichten zu erfüllen hat, so glättet sich freilich die Stirn leichter, als wenn man selbsteigener Herr ist, aber auch selbst alle Folgen einer vollständigen Verantwortlichkeit zu tragen hat." Die Familie ist sehr gläubig und lebt in den Traditionen des Judentums. Doch zeigt sich auch hier, dass die Generation, die das Haus verlässt und in die Welt hinausstrebt, mit der Zeit eine lockerere Bindung zur Religion bekommt. Sie sind nicht weniger gläubig, doch die Riten und Vorschriften sind einerseits in der Geschäftswelt schwieriger einzuhalten, zum anderen ist das Streben nach Anerkennung, nach Assimilation groß und scheinbar auch die einzige Möglichkeit, beruflich weiterzukommen. So lässt Alexander trotz seiner offensichtlich starken Bindung an die jüdische Religion sich und seine Söhne 1867 taufen. Beruflich geht es voran - der Vater bleibt skeptisch und scheint nicht das rechte Vertrauen in seinen ältesten Sohn zu haben. Doch laufen in Paris bereits Versuche mit den von Alexander entwickelten Maschinen: „Die Versuche mit meiner ersten Maschine sind sehr befriedigend. Meine Maschine läuft schon fast beinahe 3 Wochen, ich habe aber nicht eher geschrieben, bis die Zeit mir bestätigte, was der erste Versuch mir sagte. Da nun die Maschine so lange sehr erfolgreich den regelmäßigen Dienst zwischen St. Ghislain und Gent macht, halte ich es an der Zeit Euch die erfreuliche Mittheilung zu machen. Ich gehe auch wirklich sehr vorsichtig zu Werke, ich lobe nicht zu viel meinem edlen und gütigen Protector gegenüber, und er läßt mir auch alle Zeit, um die practischen Studien zu machen. Ihr begreift, meine guten geliebten Eltern, daß im Anfange alles complicierter gemacht wird und daß man immer erst nach und nach zu den Vereinfachungen gelangt. Ich habe den Grundsatz, lieber zu viel Vorsicht als zu wenig. Ich mache jetzt eine 2te Maschine, die ich aufs einfachste und billigste herstelle, nicht weil ich glaube, daß ich sie immer werde so einfach machen können, sondern um eine Vergleichungsstufe zu meiner ersten Maschine zu haben und sodann feste Regeln für die Construction zu bilden, die sich später bieten werden." Sehr schnell spricht sich Alexanders Erfindung herum - „Am i5ten erwarte ich großartigen Besuch von großen Männern, die meine Erfindung
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besichtigen und funktionieren sehen werden." - Und auch außerhalb Frankreichs wird man auf Alexander aufmerksam. „Seit einiger Zeit werden an einer Wiener Eisenbahn, die ich zur Vorsicht nicht nennen will, Versuche mit meiner Erfindung gemacht und wir sind übereingekommen, daß wenn die Versuche nicht gut gehen sollten, ich nach Wien käme, um persönlich die Versuche zu leiten; da man mich also nicht ruft so ist mir das so ziemlich ein Beweis, daß es gut geht, und das ist immerhin einiger Ersatz fur den Zeitaufschub, den unser Wiedersehen erleidet. In 3 oder vier Tagen werde ich an einigen hiesigen Bahnen die ersten Versuchsfahrten leiten; ich bin auf die Resultate sehr gespannt. Ihr seht meine lieben Eltern, daß so ein Erfindungsgeschäft langsam von Statten geht; jetzt beschäftige ich mich schon 16 Monate ausschließlich mit meiner Erfindung, und es werden noch Monate vergehen ehe sich mir herausstellen wird, welcher Ertrag wird mit der Zeit erlangt werden können." Die Angst des Vaters, seine Kinder könnten in denselben bescheidenen Verhältnissen leben müssen wie er, ist spürbar und verständlich. Offenbar war der Vater in seinen Plänen und Hoffnungen gescheitert, erreichte nicht das, was er sich erhofft hatte. „Deine Kinder sind ja am Ende doch keines im Elend, wir sind ja alle noch jung und da die Freuden der Eltern in denen der Kinder wieder neu entstehen, so sind ja noch so viele Lebenshoffnungen da, um Eurem Alter die Zufriedenheit zu gewähren. Wenn das Mißrathen im Schicksal Eurer Kinder Euer Hauptkummer war, warum sollt Ihr nicht zu dem Glauben berechtigt sein, daß das Gerathen ihrer Bestrebungen Eure Freude werde." Umso mehr ist es die logische Folge, dass der Vater seine eigenen Ambitionen in den Kindern verwirklicht sehen möchte - ein Wunsch, der in verschiedenster Hinsicht auch in Erfüllung gehen wird. Doch wird der Vater das nicht mehr erleben, er stirbt ja bereits 1862 — Alexander ist gerade 24 Jahre alt. Dies veranlasst Alexander, seine Rückkehr nach Osterreich zu beschleunigen — er möchte näher bei seiner Mutter sein. „Ich habe von einem oesterr. Eisenbahn-Director das Versprechen, daß er mich bei erster Gelegenheit an seiner Bahn anstellt, und da ich ihm gut empfohlen bin und er mir sehr wohlwollend gesinnt ist, so habe ich allen Grund zu hoffen, daß ich binnen kurzer Zeit wenigstens innerhalb zwei Jahren in Deiner Nähe werden leben können." Auch in Paris wird der Alexander, der Erfinder
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Tod des Vaters gebührend begangen - noch sind Alexander und seine Familie nicht konvertiert. „Was Deinen Wunsch anbelangt, daß ich das Andenken des geliebten seeligen Vaters nach unserer jüdischen Weise feiere, hätte ich das jedenfalls gethan, und unterlasse ich das gewiß nicht und versichere ich Dich, daß Du deshalb vollständig beruhigt sein darfst." Es geht nicht so schnell vorwärts, wie Alexander es sich erwünscht. Er hat nun eine Familie, und auch die Sorgen um seine Geschwister beschäftigen ihn. Die Geschwister in Budapest bemühen sich nicht sehr intensiv, eine Anstellung zu finden — vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass sie sich auf Alexander verlassen. So schreibt Alexander im Februar 1863 an seinen Bruder Dubi, der bei der Mutter in Budapest lebt und sich um sie kümmert, „ich suche seit 4 Monaten selber eine Stelle und sehe wohl wie schwierig das ist, denn in aller Welt stockt Handel und Industrie, aber da ich nun einmal die Natur habe, in solchen Fällen 10 Mal an alle Thüren anzuklopfen und trotz häufigen Abgeschütteltwerden und Mißlingens nicht den Muth sinken zu lassen, sondern immer alle erdenklichen Mühen und Wege zu versuchen, so sage ich halt auch den Anderen: Suchet, ohne deßhalb jemanden weh thun zu wollen, oder den Herrn spielen zu wollen." Nicht nur Dubi bereitet Alexander Kopfzerbrechen, auch sein Bruder Albert scheint einen in Alexanders Augen leichtsinnigen Lebenswandel zu fuhren. „Lieber Albert, was machst denn Du jetzt? Schone Dich, lebe mäßig lieber Bruder und wähle einmal die Laufbahn eines einfachen nüchternen Menschen. Du mußt heirathen und zwar ein ruhiges Weib das gescheidter ist wie Du, sonst bringst Du es kaum zu etwas; denn Du bist einmal grenzenlos leichtsinnig. Laß doch einmal ausfuhrlicher von Dir hören, mit tausend Küssen Dein Sändor" Und noch 1870 wird Alexander über seinen Bruder schreiben: „Grüße an Albert! Der Mann soll doch einmal ein Handwerk lernen! Jetzt bummelt er schon ein volles Jahr. Vorher drängte es ihn während voller 3 Jahre nicht irgend ein Gewerbe zu erlernen mit dem er sich doch sein täglich Brot gesichert hätte. Ja, vor strenger Arbeit erschrecken meine Herren Brüder und das endet immer schlecht." 1864 wird der dritte Sohn, Max, in Beschitza im Banat, unweit von Temesvar gelegen, geboren — der zweite Sohn, Emil, war 1863 zur Welt gekommen. Alexander hat in der Zwischenzeit Paris verlassen und eine Stel146
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lung in Majdanpek im heutigen Jugoslawien angetreten. „Bedenke aber auch meine liebe gute Mutter, daß ich hier einen sehr bedeutenden Dienst habe, freilich einen wunderschönen höchst angenehmen Dienst, aber einen Dienst, der weniger den Körper als den Geist in Anspruch nimmt und der große Muße und Überlegung erfordert." So schreibt Alexander im Mai 1864 aus Majdanpek an seine Mutter. Z u dieser Zeit hat Alexander ein Projekt zur Luftreinigung großer Städte entwickelt, das die Stadt Brüssel durchführt. Ausgehend davon, dass die Bewohner großer Städte „von den aus den Kanälen ausströmenden schädlichen Gasen unberechenbare Nachteile an Leben und Gesundheit erfahren", versucht Alexander, diese Gase mit Hilfe von Umluft und Verbrennungsöfen über die Atmungssphäre hinaus zu leiten. Und dies funktioniert auch: Im Wiener k. k. Gebärhaus sinkt die Sterblichkeit nach der Einführung einer funktionierenden Ventilation enorm. Alexanders Bestreben ist es, „das Gebiet der Technik auch in sanitärer Beziehung zum Frommen der Menschen zu verwerten"94. Ende des Jahres 1864 kehren Alexander und seine Familie endgültig nach Wien zurück. Noch im Juli berichtet er der Mutter: „Nun, jetzt heißt es was mich betrifft nur noch 8 bis 9 harte Monate durchzumachen, dann ist mein Erwerb gegründet und gesichert in dem Grade, wie ich es wünsche und in dem Maße wie ich es brauche." Diese Prognose erweist sich als realistisch, Alexander richtet ein technisches Büro in der Praterstraße ein. Wiederum der Beweis, dass sich jüdische Zuwanderer zuerst in der Leopoldstadt niederlassen, bevor sie in repräsentativere Bezirke übersiedeln. Alexander jedoch wird bis zu seinem frühen Tod der Leopoldstadt die Treue halten. Das erwähnte Luftreinigungsprojekt bringt Alexander ein Dankesdekret des Wiener Gemeinderates ein und ist Gegenstand lebhafter Diskussionen in verschiedenen wissenschaftlichen Vereinen. So wird sein Name im In- und Ausland immer bekannter, was sich fur zukünftige Erfindungen nur positiv auswirken wird. Alexander reist nach wie vor kreuz und quer durch Europa, um seine Erfindungen anzupreisen und weitere Auftraggeber zu gewinnen. Im September seines ersten Geschäftsjahres in Wien ist er schon wieder auf dem Weg nach Paris und England, in seinen Briefen beruhigt er die Mutter, die sich wegen seiner angeschlagenen Gesundheit und all der vergangenen Schicksalsschläge Sorgen um ihren Sohn macht: „Von England aus fahre ich nach Alexander, der Erfinder
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Ostende, ruhe da wieder 3 Tage und dann gehts wieder weiter: Brüssel, Köln, Mainz, Hamburg, Berlin, Dresden, Nürnberg, München, Wien und wahrscheinlich ein Besuch zu Dir. Deshalb schone ich mich wo ich irgend kann, ich fahre nur iter Klasse, lebe sehr gut, scheue kein Geld um mich nur gut zu nähren. Gott sei Dank, die Aussichten sind glänzend, ich werde überall sehr gut aufgenommen und die Aufträge und Geschäfte sind an mehreren Punkten eingeleitet." Der Geist ist rege, bereits ein Jahr darauf macht Alexander eine weitere Erfindung, die auch gleich zur Anwendung kommt: „Geliebte, gute Mutterleben, die andere Erfindung ist eine ganz neue Maschine, ein Viertel so theuer wie die Dampfmaschinen und halb so viel Kohle brauchend als die besten Dampfmaschinen. Diese letzte Erfindung, wenn sie nur den Vierten Theil von dem leistet, was die Rechnung ergibt, wird eine der großartigsten Erfindungen unseres Jahrhunderts sein und wäre Millionen werth. Auch habe ich jemanden gefunden, der diese Maschine ausführen will und mir, wenn diese Maschine reüssiert, die Mittel bieten will, dieselbe zu verwerthen. Da auch anderwaitig mein Geschäft von mir betrieben wird, kannst Du Dir denken, wie angestrengt ich bin, ich kann, wenn ich in der Frühe aufwache, nicht wieder einschlafen, so ist mein Geist immer in Thätigkeit begriffen!" 1867 schafft der 29-jährige Alexander den Durchbruch - die Dampfstrahlpumpe wird von leitenden Ingenieuren der Eisenbahn und Schiffsverkehrsanstalten fast aller Länder Europas wohlwollend aufgenommen und ermöglicht Alexander innerhalb weniger Monate die Etablierung eines bedeutenden Geschäftes. „Meine Pumpen bewähren sich ganz ausgezeichnet, Bestellungen sind in Menge da, so daß ich alle Kraft und Arbeit anwenden muß um nur diesen genügen zu können; mit jedem Tag gestaltet sich die Aussicht, daß ich zehnmal so viel werde zu fabrizieren haben, immer fester, und Anträge laufen mehrfach ein, mir alle Geldmittel zu vermehrter Fabrication zur Verfugung zu stellen — was will man mehr, wenn man bedenkt, daß es kaum 2 Monate her sind, seitdem die erste Versuchsprobe angestellt wurde!" Alexander hat seiner Mutter versprochen, „nur 4 Stunden des Tags zu arbeiten". In der heutigen Zeit klingt das wahrlich unglaublich, auch Alexander kann sich an diese Vorgabe nicht halten, „da mir das Geschäft innerhalb der ersten Woche der Absendung meiner Circularien sozusa148
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gen über den Kopf wuchs und ich innerhalb 5 Tage fünf kleine Werkstätten engagieren mußte, um nur rasch die vielen Gußmodelle anfertigen, Pumpen gießen, dann drehen und bearbeiten zu lassen, all die vielen Arbeitswerkzeuge vorzurichten - denke Dir, daß ich jeden Tag all die Werkstätten besuchen muß, da sonst garnichts geschähe; all die massenhaften Zeichnungen ausführen mußte; die Concepte fiir die Patentbeschreibungen machen, Versuchsstudien durchführen mußte. Nun noch fünf oder sechs Wochen so fortgearbeitet, und es wird eine große Fabrik auf die Fabrication meiner Pumpen speziell eingerichtet sein und alles regelmäßig wie am Schnürl gehen." 1868 empfängt Alexander ein kaiserliches Privileg, das die „Erfindung von eigenthümlichen Dampfpumpen und Kesselspeisungen" bestätigt. Dies ist nun also der erste Injektor mit verstärkter Kondensation und stufenweiser Beschleunigung des Speisewassers. 1869 geht es weiter bergauf - „An vierzigtausend Gulden Bestellungen sind in Verhandlung, an andere dreißigtausend Gulden Bestellungen in der Effectivierung begriffen." Alexanders Bruder Dubi kommt nach Wien und arbeitet in der Firma mit, auch seine Schwester Lina ist mittlerweile in Wien als „Correspondentin" in der Firma beschäftigt. Lina, geboren 1842, hat i860 Carl Bauer, der ebenfalls aus Ungarn stammt, geheiratet. Er arbeitet als Prokurist in Alexanders Unternehmen. Sie wohnen in der Leopoldstadt und bekommen drei Kinder - Sara, Heinrich, Elisabeth. 1871 gründet Alexander als logische Folge seines großen Erfolges die Firma Alex. Friedmann, Am Tabor 6 — also auch in der Leopoldstadt. Alexander beschäftigt sich natürlich immer weiter mit der wissenschaftlichen Seite des Ingenieurwesens, er veröffentlicht verschiedene Arbeiten, unter anderem einen offiziellen Bericht über das Marinewesen für die Weltausstellung 1873. Er kritisiert einerseits die Unterbewertung des Seewesens durch viele Kaufleute, andererseits die Ahnungslosigkeit der Bevölkerung über die Marine — „In unseren Mittelschulen wird nicht ein Jota über's Marinewesen vorgetragen, selbst an unseren technischen Hochschulen wird so gut wie nichts darüber gelehrt." Die Aufgabe des Seewesens ist es ja, den Seeverkehr sicher, rasch und billig zu gestalten. Die technischen Voraussetzungen wurden in den letzten Jahren enorm verbessert, nicht zuletzt auch durch die Erfindungen von Alexander Friedmann. Eine Fahrt von Europa nach Amerika dauert nur noch 9 bis Alexander, der Erfinder
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Am Tabor 6
ίο Tage — dieses Potential muss fur die Wirtschaft genützt werden. Alexander denkt weiter und in größeren Dimensionen, um ein Gesamtkonzept für den Seeverkehr zu entwickeln: Von genauen Seekarten und Instrumenten über Leuchttürme und geräumige Häfen gehen seine Überlegungen bis zur Zusammenarbeit mit verwandten Gewerben und der Einrichtung von Konsulaten und Versicherungen. All diese Themen handelt er ausführlich und systematisch in seinem Buch
Marinewesen aus
dem Jahr 1874 ab — und es verwundert nicht, dass dieser Bericht solch großes Aufsehen erregt, dass die Regierungen von England, Frankreich, sogar der Vereinigten Staaten und Russlands Hunderte Exemplare bestellen - und Alexander in der üblichen Weise ihre Referenz erweisen: durch Orden und Auszeichnungen. Mitte der 1870er Jahre unterhält die Firma Friedmann bereits Verkaufsvertretungen in London, New York, Paris, St. Petersburg, Glasgow und Manchester - neben den meisten österreichischen sind auch zahlreiche belgische, französische, deutsche und russische Lokomotiven mit Friedmann'schen Injektoren ausgerüstet. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass Alexander noch nicht einmal 40 Jahre alt ist. Vielleicht spürt er ja auch, dass ihm nicht mehr so viel Zeit bleibt — mit 44 Jahren wird er 1882 bereits sterben. 150
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1875 zieht Alexander als Abgeordneter des 2. Bezirkes in den Wiener Gemeinderat ein, er wird zu einem Gegner von Bürgermeister
Cajetan
Felder.
Alexander
Friedmann scheint keine sehr einfache Persönlichkeit gewesen zu sein, jedenfalls schildert Cajetan Felder in seinen Lebenserinnerungen :,Alexander Friedmann hatte ein großartiges Projekt entworfen und der Gemeinderat hatte dasselbe angenommen
(Wasserlei-
tung). Aus sachlichen Gründen mußte Dr. Felder dasselbe einer
Alexander Friedmann ab Abgeordneter
neuerlichen Prüfung unterziehen lassen; zahlreiche Mängel und Gebrechen traten zutage. Dr. Felder hatte einen heftigen Gegner mehr."95 1879 erlangt Alexander das Mandat des Hernalser Landgemeindenbezirkes und zieht in den Reichsrat ein. Hier setzt er sich vor allem fur den Ausbau der Wasserstraßen ein, im Speziellen für den Bau des DonauOder-Kanals. Er ist Mitglied der Vereinigten Linken - gehört also dem progressiveren Flügel des Reichsrates an. Doch wird sich zeigen, dass er, genauso wie sein früherer Gemeinderatskollege Ignaz Mandl, keine Scheu hat, die Seite zu wechseln — die persönliche Meinung steht jedenfalls über Partei-Loyalität oder von außen aufgezwungenen Entscheidungen. Es wird so entschieden, wie man es für richtig hält — auch wenn dies den Wechsel zu einer anderen Partei mit sich bringt. In einem Nachruf im Neuen Wiener Tagblatt vom 23. Februar 1882 wird er als zwiespältige Persönlichkeit dargestellt: „Eine eigenthümliche, nach manchen Richtungen hin interessante und unruhig-begabte Persönlichkeit ist fast plötzlich aus unserer Mitte weggerafft worden. Alexander Friedmann war ein Mann von entschiedenem Talente, von beträchtlichem Fachwissen, von einer gewissen Beredtsamkeit und von großem Temperament. Allein es fehlte ihm das Gleichgewicht zwischen seiner Begabung und den Ansprüchen auf den Erfolg, die er erheben zu können glaubte." Alexander, der Erfinder
Alexander wollte sehr vieles verändern, erneuern und besser machen; doch offenbar mangelte es ihm an Ausdauer und Umsicht - er war zu stürmisch, ging zu direkt an die Dinge heran und hatte wohl zu wenig diplomatisches Fingerspitzengefühl. „Friedmann wäre berufen gewesen, im Reichsrathe eine bedeutende Rolle zu spielen, wo es an Persönlichkeiten fehlt, welche in den Fragen der großen Technik gediegene Kenntnisse mit einem weiten Blick verbinden und deren Konzeptionen von einer lebendigen Phantasie befruchtet werden. Ohne Zweifel hätte Friedmann im Abgeordnetenhause in allen diesen Fragen einen bedeutenden Einfluß erringen können, und unter manchen kranken und sonderbaren Einfallen und Projekten, die seinem rastlos arbeitenden Hirne entsprangen, befanden sich auch tüchtige, zukunftsvolle, nützliche, praktische, und bedeutende Ideen." Wenn etwas nicht sofort nach seinen Wünschen geht, sind Alexanders Forderungen radikal und grundlegend. Man kann verstehen, dass nicht nur die Presse, sondern auch Kollegen und Geschäftspartner, die diese radikale Diktion ablehnen, Schwierigkeiten damit haben. „Da einige seiner Anträge nicht sofort die nöthige Unterstützung fanden, verlangte er eine Reform der Geschäftsordnung. Da die Verfassungspartei, in die er als Abgeordneter von Hernais, also eigentlich eines Theiles von Wien, hatte eintreten müssen, ihm nicht immer zu Willen war, so zog er sich von der Vereinigten Linken zurück; und da die Journale seine Reden nicht im Wortlaute veröffentlichten und sich nicht ausführlich und auch nicht stets zustimmend und lobend mit ihnen beschäftigen konnten, so eröffnete er einen Feldzug gegen die Journale und Journalisten, der eigentlich ein Feldzug gegen die Pressfreiheit selbst war und ihn in die Reihen der reaktionären und nationalen Parteien hinüber drängte." Nach dem plötzlichen und frühen Tod des Vaters müssen Louis und Max eine große Fabrik mit der Verantwortung fur viele Arbeiter und Angestellten leiten. Louis ist 21 Jahre alt, Max noch minderjährig, als sich ihnen diese große Aufgabe stellt. Die Mutter Sidonie unterstützt Louis in der Leitung der Firma, bis auch Max volljährig ist und seinen Teil der Verantwortung übernehmen kann. Sidonie heiratet bald nach Alexanders Tod Josef Kareis - 1890 bis 1894 ist er Gemeinderat, ebenfalls entsandt von der Leopoldstadt. Er hat eine ähnliche Ausbildung wie Alexander und ist Spezialist fiir Elektrotechnik. Von 1897 bis 1901 ist auch er Reichs152
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ratsabgeordneter. Sidonie und Josef Kareis wohnen weiterhin im Friedmann'schen Haus Am Tabor 6, die ganze Familie ist also zusammen. „Louis und Max aber führten am Tabor im eigenen, der Fabrik benachbarten Hause eine Art von Junggesellenwirtschaft; ich erinnere mich wenigstens kaum, bei ihnen je ihrer Mutter begegnet zu sein, die ein anderes Stockwerk bewohnte und sich bald wieder verheiratete oder vielleicht schon damals wieder verheiratet hatte."96 So schildert Arthur Schnitzler das Familienleben. Alexander und Siegwart haben beide auf ihre Art und Weise in kultureller, wirtschaftlicher, technischer und politischer Hinsicht einen wichtigen Beitrag zur Geschichte Österreichs geleistet. Wenn auch Siegwart viele Jahre in Deutschland verbracht hat, hinterließ er doch beim Wiener Theaterpublikum genauso wie bei der Presse und den Theaterdirektoren bleibenden und nachhaltigen Eindruck. Dies ist jedoch das Schicksal der Schauspieler einer Zeit, in der es fast keine Möglichkeiten gab, die Stimme auf Tonträger zu bannen und so fur die Nachwelt zu erhalten. Ohnehin würde dies aber nur eine Facette der Persönlichkeit darstellen einen Schauspieler muss man auf der Bühne erlebt haben, um den Eindruck in sich zu tragen und zu behalten. Ein ähnliches Schicksal erfuhr auch Alexander. Seine Erfindungen haben überlebt und gehören mittlerweile zu den Selbstverständlichkeiten der technischen Ausrüstung von Lokomotiven. Doch wie so viele andere Erfinder auch ist der Schöpfer vergessen - vielleicht auf Grund seines frühen Todes.
GENERATIONSWECHSEL
Alexanders Söhne Louis und Max wirken auf den ersten Blick ähnlicher als die Brüder Siegwart und Alexander. Sie wachsen bereits in Wien auf, in dieser Stadt des Aufbruchs, der ungeahnten Möglichkeiten. Schon die Wahl des Gymnasiums zeigt die besseren Grundvoraussetzungen dieser Generation im Vergleich zu ihrem Vater. Louis, Emil und Max besuchen das Akademische Gymnasium in Wien - die Schule der assimilierten jüdischen und liberalen Gesellschaft schlechthin. 1866 wird das Gebäude am Beethovenplatz eröffnet — die Brüder sind also bereits Schüler in diesem berühmten Haus, erbaut von Generationswechsel
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Max, Louis und Emil Friedmann
Friedrich von Schmidt, der einige Jahre später auch das Wiener Rathaus planen wird. Dort lernen sie Arthur Schnitzler kennen, dieser ist ein Jahr älter als Louis. Er gibt sicherlich die beste und pointierteste Beschreibung der Brüder Friedmann: „Mit Richard Tausenau [Freund Schnitzlers] hatte ich mich neuerdings [1885/86] intimer an einen unseren einstigen Gymnasialkollegen angeschlossen, Louis Friedmann, der zusammen mit seinem jüngeren Bruder Max die Maschinenfabrik seines verstorbenen 154
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Arthur Schnitzten Louis Friedmann und Richard Tausenau, 1885
Vaters, des liberalen Abgeordneten Alexander Friedmann, leitete, w ä h rend der jüngste Bruder E m i l , sonderlingshaft und großstadtscheu, von Arbeit und Geschäft abgewandt, in Baden bei W i e n lebte und seine Tage mit Philosophiestudien und Schachspiel hinbrachte." E m i l ist tatsächlich ein Sonderling, der viel Zeit auch in Salzburg verbringt, w o er 1937 plötzlich stirbt, ein J a h r nach seinem B r u d e r M a x . Geza Satzger, der M a n n von Louis' Tochter Maria, erinnert sich an E m i l Generationswechsel
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in einem Brief: ,jWir trauern mit Dir um den guten Menschen, mit Wehmut denken wir alle an die Zeiten zurück, die er in Lugano in unserem Kreise verbrachte - auch sein Zimmer am Tabor, wo ich ihn so oft gesehen habe und seine Lieblingskompositionen alter Meister vorgespielt habe, ist nun verwaist." Arthur Schnitzler schildert das Alltagsleben dieses Kreises in der ihm eigenen anschaulichen Art - er und auch die Brüder Friedmann sind nun Anfang 20, Arthur studiert Medizin, Louis und Max befinden sich als Fabriksbesitzer in einer ganz anderen Lebenssituation als ihre Freunde. Was aber kein Hindernis fur gemeinsame Unternehmungen und Erlebnisse darstellt. „Im Winter 85/86 fugte es sich nun, daß Richard und ich beinahe allsonntäglich in den späten Nachmittagsstunden bei Friedmanns zusammentrafen, um nachher ein Vergnügungslokal zu besuchen, wo eine Billardpartie den Beschluß des Abends zu machen pflegte. Vom Hazardspiel hielten sich beide Brüder möglichst fern; nicht nur aus Gleichgültigkeit, sondern auch aus Klugheit, da sie als einzige Besitzenden in unserem Kreise gegenüber ihren Partnern in offenbarem Nachteil gewesen wären." Der Kreis der Freunde ist groß und wird ständig erweitert — die Interessengebiete sind vielfältig und umfassen Kunst, Wirtschaft und Sport gleichermaßen. „Zuweilen gesellten sich noch andere junge Leute zu uns, Kameraden aus Louis Friedmanns Freiwilligenjahr oder Sportgenossen, wie der junge Diamantidi, der Sohn des berühmten Bergsteigers; aber wie und wo immer sich die Gesellschaft zusammenfand, ihre Zusammenkünfte ermangelten bei allem gelegentlichen Ubermut jedes lebemännischen oder gar aufhauerischen Charakters; wie auch die Weiblichkeit nur manchmal und dann ausschließlich durch Louis' Geliebte, das schlanke, sanfte, schöne Fräulein Valeska vertreten war. Aber Louis, der, ohne eigentliche Leidenschaft und durchaus egoistisch, die Liebe damals bestenfalls als einen hübschen Zeitvertreib behandelte, um erst später als verheirateter Mann sich zum Frauensammler und Berufseroberer, kurz, auch auf erotischem Gebiet sich zum Sportsmann heranzubilden, war seiner Freundin bereits etwas müde geworden und versuchte vorerst, sie durch Kühle und Vernachlässigung, ohne jede Anwendung von Brutalität, loszuwerden." Arthur Schnitzler findet in seiner Umgebung, seinen Freunden und gemeinsamen Erlebnissen die Inspiration für seine Werke. Situationen, 156
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die er analytisch betrachtend verarbeitet. Folgende Beschreibung der Entstehung eines Werkes - in diesem Fall handelt es sich um Das weite Land — klingt schon wie ein Stück von Schnitzler — doch dient es nur als Vorlage: „Durch Louis Friedmann waren Richard und kurz darauf ich bei einem jungen Paar eingeführt worden, das damals in einer glücklichen, bereits mit zwei Kindern gesegneten Ehe lebte. Sie sahen gerne Gäste bei sich, vorzugsweise aus industriellen Kreisen mit besonderer Bevorzugung des christlichen Elements ... Mit den Brüdern Friedmann und ihrem Anhang war in das bis dahin immer noch bürgerlich stille Familienleben ein lebemännisch-freieres Junggesellentum eingezogen, ja eingebrochen, das bald genug seine zersetzende Wirkung auszuüben begann." Richard Tausenau beginnt ein Verhältnis mit der Ehefrau. „Diese Geschichte mag einen Begriff geben von der außerordentlichen Leichtigkeit, mit der in diesem Kreise dergleichen Abenteuer behandelt und beurteilt wurden ... so mag man ermessen, was fur unwiderstehliche Macht die eigentümliche Atmosphäre eines Kreises, ganz unabhängig von den Eigenschaften seiner Mitglieder, vorzustellen und auszuüben vermag. Diese Atmosphäre, mag man sie nun als unmoralisch, unbeschwert oder einfach nur wahr empfinden, ist es, in der sich die Vorgänge meiner Tragikomödie ,Das weite Land' abspielen. Mit Beziehung auf sie sagte mir Louis Friedmann, der ihr zweiter Liebhaber wurde: ,Ich halte es überhaupt fur sehr einseitig, die Frauen nur aufs Erotische hin zu beurteilen. Wir vergessen immer wieder, daß es im Leben jeder Frau, auch wenn sie Liebhaber hat, eine Menge Stunden gibt, in denen sie an ganz andere Dinge zu denken hat als an die Liebe. Sie liest Bücher, musiziert, veranstaltet Wohltätigkeitsakademien, sie kocht, erzieht ihre Kinder, sie kann sogar eine sehr gute Mutter sein, ja manchmal auch eine vortreffliche Gattin und hundertmal wertvoller als eine so genannte anständige Frau.' Es sind die Worte, die Friedrich Hofreiter im vierten Akt des ,Weiten Lands' ausspricht."97 Arthur Schnitzler notiert in seinem Tagebuch am 7. Juli 1911, dass er zum Nachtmahl bei Hugo und Gerty von Hofmannsthal war, wo auch über Louis Friedmann gesprochen wurde. Dieser äußerte sich, offenbar etwas geschmeichelt, nach dem 1. Akt von Das weite Land: „Da bin ich Modell gestanden." In diesem Jahr wird Das weite Land gleichzeitig in Wien und an weiteren acht deutschen Bühnen uraufgeführt. Generationswechsel
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Louis und Max haben verschiedene Talente und ergänzen sich daher perfekt, „Louis vorwiegend nach der technisch-erfinderischen, Max nach der administrativ-praktischen Seite hin veranlagt; dieser von etwas vorsichtigerer, jener von unternehmenderer Natur, beide ebenso klug wie korrekt, so daß trotz gelegentlicher Differenzen zwischen ihnen die Fabrik unter ihrer gemeinsamen Führung bald einen beträchtlichen Aufschwung nahm und sich in ihrem Spezialgebiet, der Erzeugung von Lokomotivinjektoren, zu einer der bedeutendsten in Österreich-Ungarn entwickelte." Diese Wahrnehmung Arthur Schnitzlers ist sicherlich nicht falsch. Die Brüder erweitern geschickt ihr Produktionsprogramm und sorgen für eine permanente Qualitätssteigerung aller Produkte - sowohl in der wirtschaftlichen Verwertung als auch in der technischen Weiterentwicklung. Durch den persönlichen Kontakt mit den Konstrukteuren in den Lokomotivfabriken können sie rasch auf etwaige Probleme reagieren. Louis und Max entwickeln ein neues und für die Firma Friedmann äußerst wichtiges Produkt: Der gesteigerte Dampfdruck der Heißdampfloks verlangt nach besseren Schmierapparaten fur die Zylinderkolben. Daraus entwickelt sich eine neue Abteilung fur Schmiertechnik, die umso bedeutender wird, je präziser die in der Industrie verwendeten Maschinenteile werden. Eine ganz neue Dimension tut sich damit auf und bleibt für die weitere Entwicklung der Firma bestimmend. 1891 wird die Fabrik um eine „Betriebsanlage nebst einem Kessel- und Maschinenhaus" erweitert, 1896 übernimmt die Firma Friedmann die Vertretung amerikanischer Foster Reducir-Ventile, die sofort großen Erfolg haben und in verschiedensten Branchen eingesetzt werden. Dinge, die fur uns heute selbstverständlich sind und nicht einmal als Luxus angesehen werden, verdanken wir zum Teil dem innovativen Denken der Brüder Friedmann: zum Beispiel Waggonheizungen für die Eisenbahn! Die Kundenliste aus dem Jahre 1910 kann sich sehen lassen - die vielen anstrengenden Reisen des Firmengründers haben sich auch in dieser Hinsicht bezahlt gemacht: Filialwerkstätten und Verkaufsvertretungen überziehen den ganzen europäischen Kontinent - von Florenz bis Stockholm, von Paris bis St. Petersburg. Lizenznehmer schicken ihre Mitarbeiter zu Schulungen nach Wien - dieses heute gängige System ist also gar nicht so modern und ein Zug der heutigen Zeit! 158
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Knapp vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigt die Firma Friedmann mehr als 500 Mitarbeiter. Doch dann ist der Aufstieg vorerst beendet - der Weltkrieg bringt nicht nur menschliche und politische, sondern auch wirtschaftliche Umbrüche mit sich: Die Niederlassungen in den so genannten Nachfolgestaaten werden enteignet, Absatzmärkte gehen verloren — Probleme, mit denen alle Industriellen kämpfen und an denen nicht wenige scheitern und zugrunde gehen. Die Firma Friedmann schafft es aber, sich langsam wieder die alte Position ZU erkämpfen - im Laufe der Jahre werden 870 Patente auf das Unternehmen angemeldet!
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1922 wird die Firma in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt und die dem Unternehmen so wichtigen Bereiche der Forschung und Produktion streben einem neuen Höhepunkt zu - 637 Arbeiter können beschäftigt werden. Ein neuer Apparat wird entwickelt, der die im Abdampf vorhandene Wärme verwendbar macht. Und im Zuge der technischen Weiterentwicklung nimmt auch die Bedeutung von Betriebsanlagen in allen Branchen zu - diese müssen geschmiert werden, und wer, wenn nicht die Firma Friedmann, wäre auf Grund der jahrlangen Erfahrungen für diese Aufgabe prädestiniert. Dieses Jahr 1922 bringt noch eine weitere Neuerung mit sich. Um weiter Aufträge der tschechoslowakischen Staatsbahnen ausführen zu können, muss eine neue Niederlassung gegründet werden. Auf Dauer wäre es nicht möglich gewesen, als österreichisches Unternehmen diese Aufträge durchzufuhren, daher wird in der Nähe von Brünn eine Fabrik gegründet, die wächst und gedeiht - und 1945 enteignet wird. Diese günstige wirtschaftliche Entwicklung bringt auch mit sich, dass Louis und Max ihren Lebensstandard dementsprechend anpassen. Und Generationswechsel
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dies wird in erster Linie mit einer passenden Villa nach außen hin dokumentiert. A u c h eine geeignete Sommerfrische wird gesucht und in der Hinterbrühl südlich von W i e n gefunden. Dort bauen beide Brüder auf nebeneinander liegenden Grundstücken. Sowohl Max als auch Louis verkaufen ihre Villen in der Hinterbrühl jedoch bereits im Jahr 1919, das große wirtschaftliche Schwierigkeiten mit sich bringt. U m die Löhne der Mitarbeiter auszahlen zu können, trennen sie sich von ihren vor noch nicht so langer Zeit erbauten Villen. Dies ist wohl eines von vielen Beispielen für die soziale Einstellung vieler Industrieller. In Wien wählt Louis das Währinger Cottage als Wohnort — dort war bereits im Jahr 1872 unter der Führung des Architekten Heinrich von Ferstel der Cottageverein ins Leben gerufen worden, um die immer akuter werdende Wohnungsnot in W i e n zu bekämpfen. Die Häuser sollten frei stehen, höchstens zweistöckig sein, um sich nicht gegenseitig Licht und Sonne zu nehmen. Vorgärten werden angelegt, die frische Luft ist eines der Hauptkriterien dieses Konzeptes. Max hingegen bleibt mit seiner Familie in der Innenstadt, am Getreidemarkt 2, unweit der Oper, lebt die Familie in einer großen Wohnung. D o c h gibt es nicht nur Verbindendes - Louis und Max machen sich auf unterschiedlichen sportlichen Gebieten einen Namen: „Beide waren auch körperlich sehr wohlgebildet, insbesondere Louis war ein auffallend hübscher Junge, eben mittelgroß, schlank, von anmutsvoller Lässigkeit der Bewegungen, immer gut angezogen und sportlich ungewöhnlich begabt. Als Alpinist erfreute er sich eines Rufs weit über die Grenzen seines Vaterlandes, war vielfach preisgekrönter Eisläufer und auch ein Fechter von Rang, wenn er freilich in diesem Fach seinen jüngeren Bruder nicht erreichte, der hier als Meister galt."
MAX, POLITIKER UND
FECHTER
Max ist ein M a n n des öffentlichen Lebens, verheiratet mit Johanna Mihanovic, der Tochter eines Offiziers, die in eher militärischer als liebevoller Art und Weise aufgezogen wurde. Unter dem Künstlernamen Johanna Minov war sie Schauspielerin in Frankfurt, w o sie offenbar nur eine einzige Freundin gehabt hatte, die immer zu ihr gehalten hat. In 160
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FRIEDMANN
ihrem Testament wird Johanna verfügen: „Meine Freundin Amalie Wollersen soll eine monatliche Rente von 200 Mark bekommen, dies bin ich ihr schuldig, indem sie mich in früheren Jahren, als ich eine arme Schauspielerin gewesen, unterstützt hatte." Ihrer Schwiegermutter in spe ist eine Schauspielerin offenbar nicht gut genug: Acht Jahre müssen Max und Johanna warten, bis Sidonie die Einwilligung zur Heirat gibt - 1894 ist es endlich so weit. Sie bekommen zwei Töchter — Alexandrine und Johanna.
Friedmann
Auch wenn Arthur Schnitzler meint, dass Max eher administrativ begabt sei, zeigt sich doch auch bei ihm das technische Wissen und Können: Max konstruiert 1904 ein Auto, das mit Dampf betrieben und sogar bei der Weltausstellung in Amerika ausgestellt wird. Heute ist es im Technischen Museum in Wien zu sehen. Die Entwicklung der Dampfkraft als Antriebsenergie reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. In England wurden Dampfautobusse im Linienbetrieb eingesetzt, doch war dies nicht von langer Dauer. Erst nach der erfolgreichen Anwendung von Dampf bei den Eisenbahnen wurde Ende des 19. Jahrhunderts erneut versucht, Dampfstraßenwagen zu bauen. Die Firma Friedmann ist als Zulieferer der Eisenbahnindustrie natürlich sehr an diesen Entwicklungen interessiert und fördert auch den Bau neuer Verkehrsmittel in der Hoffnung, den Markt für eigene Produkte zu erweitern. Max lässt sich, wie schon erwähnt, in der Hinterbrühl eine Villa bauen, die besondere Betrachtung verdient. Durch die Eröffnung der Südbahn werden auch Nebentäler entlang der Bahntrasse immer öfter von den Wiener Sommerfrischlern entdeckt. Und wie auch sonst überall unterstützen die Einheimischen diese Entwicklung, da sie sich aus dem Fremdenverkehr neue Verdienstmöglichkeiten erhoffen. 1883 geht sogar Max, Politiker und Fechter
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Johanna Friedmann befüllt das Dampfauto ihres Vaters Max mit Wasser
eine elektrische Eisenbahn als Zubringer der Südbahn von Mödling in die Hinterbrühl in Betrieb! 1898 reicht Johanna Friedmann Pläne des deutschen Architekten Ludwig Schöne zur Errichtung eines Landhauses ein, doch gefällt Max und Johanna die Umsetzung nicht und sie beauftragen den jungen Architekten Joseph Maria Olbrich, das Haus im Sinne der „neuen, jungen Kunst um- und fertigzustellen. Begeistert ergriff Olbrich die Gelegenheit, einem kunstsinnigen (und finanzkräftigen) Bauherrn ein Sommerhaus auf den Leib zu schreiben, in dem er seiner ganzen überschwänglichen bunten, nie versiegten Phantasie freien Lauf lassen konnte."9" Und die Bilder der Inneneinrichtung bestätigen diese Beschreibung auch heute noch. Olbrich stammt aus Troppau, 1898 wird er beauftragt, das Ausstellungsgebäude der Secession zu bauen und schafft damit nicht nur ihr, sondern auch sich selbst ein Denkmal. Im selben Jahr beginnt er auch mit den Arbeiten für die Villa Friedmann. Er kümmert sich um jedes De162
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FRIEDMANN
HINTERBROHL
H0UPT5TaMSE27,
Ansichtskarte der Villa Friedmann in der Hinterbrühl tail, von den Türschnallen über Besteck, Tischtücher, Servietten und Geschirrtücher bis zur Hundehütte bleibt nichts dem Zufall oder dem Geschmack anderer Menschen, und seien es die Eigentümer und Auftraggeber, überlassen. Trotz der Schilderung dieser Details kann man sich die bunte, überladene und florale Ausstattung des Hauses kaum vorstellen: Der „violett Max, Politiker und Fechter
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Das Schlafzimmer mit dem Birkenhain
glühende Ton des polierten Holzes" hebt sich von den weißen Wänden des Schlafzimmers ab - diese sind jedoch mit einem Birkenhain bemalt, dichter beim Kopfende, zur Terrasse hin dünner werdend. Und damit man nicht vergisst, dass der Blick ins Freie gelenkt wird, ist das Geländer der Terrasse an der Innenseite mit bunten Wiesenblumen bemalt. „Das Doppelfenster des Schlafzimmers aber ist von dem Engel des Schlafes behütet" — und der Vorhang ist gleichsam sein Gewand. Jugendstil in seiner extremsten Ausformung. Karl Kraus, scharfzüngiger Kritiker seiner Zeit, bezeichnet Olbrichs Werk als „gout juif'. Neben seinen Verpflichtungen als Fabrikant wird Max 1910, sozusagen in der Nachfolge seines Vaters, in den österreichischen Reichsrat entsandt und bleibt auch nach 1918 Nationalratsabgeordneter. 1911 geht er in einer Kandidatenrede fur den „3. Wahlbezirk der Inneren Stadt" auf verschie164
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FRIEDMANN
.Der Engeides Schlafes'
dene Themen ein, unter anderem auf „Deutschtum und Freiheit: Als Sohn eines Mannes geboren, der zu Ende der Siebziger- und anfangs der Achtzigerjahre im Reichsrate die Landgemeinden Hernais, Lerchenfeld, Klosterneuburg und Ottakring vertreten hat, bin ich in deutschfreiheitlichen Ideen aufgewachsen und denselben immer treu geblieben. Für mich sind Deutschtum und Freiheit zwei miteinander untrennbar verbundene Begriffe." Max' große Passion gilt dem Fechtsport. Dieser ist ursprünglich nur in Adels- und Militärkreisen verbreitet, doch Ende des 18. Jahrhunderts beginnen öffentliche Fechtturniere in Wien diese Sportart auch anderen Kreisen zu öffnen. Man muss sich vor Augen halten, dass Fechten vor 1918 der Sport der Elite ist - die Turniere sind gesellschaftliche Veranstaltungen und erfreuen sich regen Publikumsinteresses von Seiten des Max, Politiker und Fechter
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Hochadels, des Großbürgertums, hoher Beamter und Offiziere. Mitglied eines Fechtclubs zu sein bietet gleichzeitig auch großes Ansehen und die scheinbare Akzeptanz durch die Gesellschaft. Immer mehr Fechtverbände werden ins Leben gerufen — auch begründet durch die mehr ideologisch als technische Unterscheidung der deutschen und italienischen Fechtschule. 1907 gründen Max Friedmann und andere .Anhänger der Fechtkunst" den „Wiener Fecht-Club", der den Fechtsport in der alten österreichisch-französischen Tradition pflegen will. Dass auch schwere Unfälle passieren können, liegt in der Natur eines Kampfsportes — Max Friedmann verursacht ohne Schuld 1889 einen tragischen Todesfall. In der Wiener Gesellschaft und den Fechtclubs bleibt dieser Vorfall bis in die 1930er Jahre nicht vergessen. Doch spricht man nicht darüber. Arthur Schnitzler als Chronist berichtet: „Am 13. März war dem Meisterfechter unter meinen Freunden, Max Friedmann, das Unglück begegnet, einen guten Freund bei einer Fechtübung mittelst eines Degenstichs, der durch das Drahtgitter der Maske ins Auge drang, auf der Stelle zu töten ... tatsächlich wurde die Untersuchung mangels jeden strafbaren Tatbestandes schon nach wenigen Tagen eingestellt; und früher, als wir es fur möglich gehalten, fand sich unser Freund Max wieder auf dem Fechtboden ein, um seine Übungen fortzusetzen." Max ist antisemitischen Tendenzen und Anfeindungen ausgesetzt - genauso wie sein Bruder Louis im Kreise der Alpinisten. Fechten hat gerade in den deutsch-nationalen Kreisen große Bedeutung — und so wundert es nicht, dass Antisemitismus immer mehr um sich greift. In diesem Zusammenhang stehen auch die Auseinandersetzungen zwischen deutscher und italienischer Fechtschule — letztere wird als „artfremd und heimtückisch" bezeichnet. Schon 1896 wird beim Ersten Wiener Fechtclub der Arierparagraph eingeführt! Wieso engagieren sich die Brüder Friedmann gerade für Sportarten, die besonders stark von der Deutschtümelei und deren Protagonisten fiir sich beansprucht werden ? Wieso setzen sie sich den zu erwartenden Anfeindungen und Problemen überhaupt aus ? Die Antwort ist auf den ersten Blick leicht zu finden: Die starke, fast schon fanatische Verehrung der deutschen Kultur als identitätsstiftende Ideologie und wohl auch Ersatzreligion. Die Religion hat mittlerweile an Bedeutung verloren, das, was fiir den Vater noch selbstverständlich und von zu Hause mitgegeben war, 166
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ist nur mehr ein Hindernis für die vollkommene Akzeptanz durch die Gesellschaft. M a n ist überzeugt, dass durch die Taufe das Judentum ein für alle Mal abgelegt sei und der Vergangenheit angehöre. Nicht zuletzt deshalb stehen 1938 die Kinder und Enkel derer, die konvertierten, fassungslos da - so manche haben keine Ahnung, dass ihre Eltern und Großeltern jüdisch waren — weil es, oberflächlich betrachtet, auch keinerlei Relevanz mehr hat. Erst die Nürnberger Gesetze machen Prozesse rückgängig, die den Betroffenen nicht mehr präsent sind. Die angestrebte Assimilation ist eben nur sehr an der Oberfläche gelungen. Die Massen vergessen nicht - und vor allem deren Anfuhrer und Anstachler nicht. Sie wissen ganz genau, wo mit welcher Argumentation Stimmen zu fangen sind - sowohl durch Angriffe auf die sehr Reichen als auf die sehr Armen. Feindbilder auf beiden Seiten des Spektrums. Das Engagement, die Liebe für das Land kann an dieser Tatsache auch nichts ändern. Max Friedmann bleibt es erspart, diese Zeit mitzuerleben - 1 9 3 6 stirbt er mit 73 Jahren in Bad Ischl. Seine Frau überlebt ihn um vier Jahre.
LOUIS, DER ALPINISMUS UND
KÜNSTLERFREUNDSCHAFTEN
Louis geht ganz in seiner Passion für den Alpinismus auf. Er gilt als einer der bedeutendsten Bergsteiger, der viele Steige auf Gipfel zum ersten Mal erklimmt. So begeht er unter anderem 1880 gemeinsam mit Friedrich Eckstein einen Steig im Raxgebiet, dem sie den Namen „Narrensteig" geben — dieser eher ungewöhnliche Name ist wohl jugendlichem Uberschwang zu verdanken. 1886 heiratet er Rose von Rosthorn, die aus Kärnten stammt, und sie bekommen eine Tochter Maria Alexandrine. Roses Cousin Arthur von Rosthorn war während des Boxeraufstandes Diplomat in China, zurück in Osterreich ist er Honorarprofessor fur chinesische Sprache und Philosophie. Im Jahr 1938 weigert er sich als einziger Nichtjude seiner Fakultät, einen Ariernachweis zu erbringen. Das einzige für ihn gültige Kriterium für ein akademisches Lehramt ist die wissenschaftliche Qualifikation. Natürlich wird er von den Nationalsozialisten sofort entlassen." Rose ist die perfekte Kameradin ihres Mannes. Sie gilt als eine der berühmtesten und erfolgreichen österreichischen Hochalpinistinnen. Es Louis, der Alpinismus und Künstlerfreundschaften
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ist die Zeit, in der Frauen der Zugang zum Alpinismus noch fast gänzlich verschlossen ist - Bergsteigen gilt als unweiblich, Frauen seien
körperlich
zu
schwach.
Lange Diskussionen und Abhandlungen gibt es zu diesem Thema, erst in der Zwischenkriegszeit, die Rose aber nicht mehr erlebt, wird sportliche Betätigung auch für Frauen möglich und von der Gesellschaft Doch Louis Friedmann
langsam
gerade
das
akzeptiert. Bergsteigen
bleibt immer ein strittiger Punkt, auch durch das Schlagwort „Bergkameradschaft" wollen die Män-
ner verhindern, dass Frauen andere Eigenschaften als Anmut und Mütterlichkeit entwickeln. Rose jedoch ist eine Vorkämpferin und erringt Respekt für ihre großartigen Leistungen. Auf einer der Bergtouren war sie Louis Friedmann begegnet — die Liebe zu den Bergen verbindet sie. Gemeinsam unternehmen sie große Eistouren in den Otztaler und Ortler-Gletschergebieten genauso wie in den Schweizer Hochalpen und auch die Überschreitung des Matterhorns. Der Alpinismus und die Gründung des Alpenvereins lösen zwiespältige Gefühle aus: Einerseits steht die Liebe zur Natur, zu den Bergen im Vordergrund, andererseits ist von Anfang an die Verbreitung der deutschen Kultur ein Hauptanliegen. Im 19. Jahrhundert auch vom assimilierten jüdischen Großbürgertum als eine der tragenden Gruppen der deutschen Kultur forciert, entwickelt sich aber gerade dieser Ansatz in eine nationalistische und antisemitische Richtung. Das will man nicht wahrhaben. Und doch wird bereits 1921 in der Sektion „Austria" der Arierparagraph eingeführt. Gerade diese Sektion ist aber die Heimat des Großbürgertums. Fast alle bedeutenden Bergsteiger der 1880er und 1890er Jahre gehören der .Austria" an, so auch Louis Friedmann. Dies zeigt die schwierige Situation des assimilierten jüdischen Bürgertums, ebenso wie die Begrenztheit der Anpassungs- und Akzeptanzmög168
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lichkeiten. Die Taufe allein ist nur beschränkt dazu geeignet, die Abstammung hinter sich zu lassen. Vor allem für ein berufliches Fortkommen im Staatsdienst ist sie fast unabdinglich, wesentlich differenzierter ist jedoch die Einschätzung der „Gesellschaft" - wobei hier natürlich große Unterschiede bestehen. Bleibt man unter sich, spielt die Religion in einer assimilierten und liberalen Umgebung keine Rolle - alle befinden sich ja mehr oder weniger in derselben Situation. Doch im geschäftlichen Umfeld oder auch in Vereinen kommt man mit Menschen zusammen, die eine völlig andere Einstellung haben, die durch die Agitation der Massenparteien aufgewiegelt werden. In dieser Atmosphäre verwundert auch der Antisemitismus des assimilierten Großbürgertums nicht weiter - die Sorge, dass die vor allem nach dem Ersten Weltkrieg vor Pogromen nach Wien geflüchteten Juden aus dem Osten die mühsam aufgebaute Stellung, das noch immer nicht sehr stabile Gleichgewicht wieder zu Sturz bringen könnten, bewirkt, dass gerade dieses Bürgertum stark antisemitische Tendenzen entwickelt. Weniger aus „rassischen" als aus sozialen Gründen. In diese Richtung geht auch Louis, über den Arthur Schnitzler in den 1890er Jahren meint: „Louis war zu jener Zeit, ungeachtet seiner Abstammung, überzeugter Antisemit, so zwar, daß er beschlossen hatte, ledig oder doch kinderlos zu bleiben, um das verhaßte jüdische Blut nicht fortzupflanzen, das vom Vater her durch seine Adern flöß. Es bereitete mir, der sich über dieses Thema häufig mit ihm auseinandergesetzt hatte, eine gewisse Genugtuung, als ich einmal in einem Eisenbahncoupe, scheinbar schlafend, das Gespräch einiger Alpinisten belauschte, die sich über ihren nicht anwesenden Klubkollegen unterhielten und von denen einer, bei aller Anerkennung der Friedmannischen Leistungen auf touristisch-sportlichem Gebiet, seiner Antipathie gegen ihn mit der prinzipiellen Bemerkung Ausdruck verlieh, daß er die Juden nun einmal nicht leiden könne." Am 20. März 1938 wird Louis einen Brief vom Österreichischen Alpenclub erhalten — „Ich nehme Ihren den geänderten Verhältnissen entsprechenden Austritt aus dem Oe.A.K. tief bewegt zur Kenntnis." Die Liebe zu den Bergen verbindet Louis auch mit Feldmarschall Conrad von Hötzendorf. Während des Ersten Weltkrieges korrespondieren sie regelmäßig, sowohl private als auch berufliche Belange werden besprochen. Am 24. Oktober 1915 schreibt Conrad von Hötzendorf an Louis, der Alpinismus und Künstlerfreundschaften
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Louis: „Wann dieser Krieg zu Ende sein wird, ist allerdings noch nicht abzusehen ; — ob der Balkan-Feldzug ein Finale bedeutet oder eine neue Complikation, ist jetzt kaum zu ermessen; und so heißt es die Sorgen weitertragen, die schon seit 15 Monaten auf mir lasten." Im Februar 1918 heißt es: „Es ist bitter, Alles um sich her versinken zu sehen, was man im Leben aufzubauen gedachte - man muß sich in die Erkenntnis der Unerbitterlichkeit des großen Werdens und Vergehens versenken, wenn man über all dies hinwegkommen soll." 1919 stirbt Louis' Frau Rose mit 55 Jahren - am Anfang des Ersten Weltkrieges hatte sie sich als freiwillige Krankenschwester in einem Kriegslazarett mit Typhus infiziert, von dieser Krankheit kann sie sich nicht mehr erholen und stirbt nach Jahren des Leidens und des Kampfes. In diesem Jahr verkauft Louis sein Haus in der Jaquingasse 41 im 3. Bezirk, im Jahr 1925 erbaut er, wie schon erwähnt, eine Villa in der Blaasstraße 12 im Währinger Cottage - ein Haus, das ganz auf die Bedürfnisse eines allein stehenden Mannes eingerichtet ist: Der Hauptraum ist eine Bibliothek, die über zwei Stockwerke reicht, die Nebenräume sind vergleichsweise klein und unwichtig. Auch in die Gestaltung des Gartens investiert Louis viel Geld und Mühe, wie es sich für ein repräsentatives Heim gehört; 1930 lässt er eine Grottenanlage errichten, die mit verschiedensten Blumen ausgepflanzt wird. In diesem schönen Haus lebt Louis, umgeben von drei Angestellten. Er besitzt außerdem ein Landgut in Türnitz in Niederösterreich, wo auch die Freunde seines Enkels Imre oft und gern zu Gast sind. Louis pflegt mit vielen Künstlern Kontakte und Freundschaften — auch mit Hugo von Hofmannsthal, der 1919 nach dem Tod von Rose deren Schönheit, Intelligenz und Wärme in einem Brief an Louis hervorhebt. 1927 beginnt Hofmannsthal gerade am Libretto zu Arabella zu arbeiten und schreibt aus Bad Aussee an Louis mit der Bitte, ihm zu ermöglichen, ungestört zu arbeiten, bis er wieder in seinem Domizil in Rodaun installiert ist: „Es würde sich aber darum handeln auch während dieser 8 Tage eine absolute Isolierung für die Vormittage zu sichern: für meine eigentlichen Arbeitsstunden ioh - 1 i/2h. Ich bin auf den Gedanken gekommen ob Du mir erlauben würdest zu diesen Stunden eines der Fremdenzimmer Deines Hauses zu benützen. Ein nicht zu grosses, möglichst einfach eingerichtetes neutrales Zimmer (Typus Hotelzimmer) ist 170
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das Ideal f ü r die Arbeit. In einem Arbeitszimmer
soll
nichts
drin
sein, keine Erinnerungen, keine Bücher, keine Briefe, nur ein leerer Tisch mit einem Tintenfass drauf. Dies habe ich hier. Ich arbeite etwa i o o o Schritt v o n m e i n e m W o h n haus in einem D a c h z i m m e r eines ganz leeren Hauses, das ich mir selbst heize. Wenn D u mir meinen Wunsch ohne Unbequemlichkeit erfüllen kannst, so bitte ich u m ein kurzes Aviso. Ich würde dann vorher meinen ersten Besuch telegraphisch melden u n d etwa 3 0 / X I oder i / X I I u m 1 0 U h r vormittags mit meiner M a p p e
erscheinen.
Wenn D u mir erlaubst, hie und da nach der Arbeit mit D i r zu essen ist es mir ein grosses Vergnügen,
Gustav Klimt: Rose Friedmann-Rosthorn
doch bitte ich es fallweise besprechen zu dürfen." A u c h mit d e m Pianisten W i l h e l m Backhaus verbindet Louis eine Freundschaft - er bietet dem Pianisten und seiner Frau großzügig seine Gastfreundschaft an. Backhaus konzertiert auf der ganzen Welt, 1926/27 ist er gerade in Australien: „Ihre freundliche Einladung, in Ihrem neuen H e i m zu w o h n e n ist sehr verlockend u n d wir können uns sicher nichts angenehmeres wünschen, trotzdem sind wir etwas besorgt, da wir fürchten, schon mit unserem G e p ä c k , welches in der Anzahl der Stücke veränderlich ist, aber in der letzten Zeit nie mehr unter 20 heruntergekommen ist, die H a r m o n i e Ihres Heimes zu stören." Berühmte Maler schaffen Porträts der Familie - J o h n Q u i n c y Adams, der Porträtist der Wiener Gesellschaft, malt M a x und seine Töchter, G u s tav Klimt fertigt ein Bild von Rose Friedmann an. A u c h dies ist ein Ausdruck der gesellschaftlichen Stellung - nicht M a l e r des Historismus werden beauftragt, Porträts zu malen, sondern moderne Künstler. MäzeLouis, der Alpinismus und Künstlerfreundschaften
natentum äußert sich nicht nur darin, Geld zu spenden — Aufträge zu erteilen ist direkter, die Friedmanns beziehen dadurch Stellung für eine bestimmte Richtung der Kunst, der Malerei, der Architektur und helfen dadurch den Künstlern wesentlich mehr, Anerkennung und damit Folgeaufträge zu bekommen.
John Quincy Adams: Max Friedmann
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John Quincy Adams: Johanna und Alexandrine Friedmann
Louis, der Alpinismus und Künstlerfreundschaften
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1938
-
DAS
E N D E
Von den drei Brüdern erlebt nur Louis das Jahr 1938; ab 13. März ist er plötzlich nicht mehr persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma Alex. Friedmann. Nach langwierigen Verhandlungen mit der Vermögensverkehrsstelle wird ermöglicht, dass Louis' Anteile nicht „arisiert", sondern auf seinen Enkel Imre Satzger übertragen werden unter der Bedingung, dass sich Louis jeglicher Ausübung seiner Rechte enthalte. Dies wird nochmals in einem Testament, das Louis am 1. September 1938 verfasst, bestätigt: Imre Satzger bekommt die Kommanditeinlage mit der Verpflichtung, sowohl seiner Mutter als auch seinen Schwestern den ihnen zustehenden Anteil auszubezahlen. Louis vermerkt weiters, „daß diese den betroffenen Verfügungen anläßlich der Neuordnung der Firma entsprechen und insbesondere auch im Sinne der mit der Vermögensverkehrsstelle getroffenen Abmachungen gelegen sind". Imre Satzger gilt im Sinne der nationalsozialistischen Klassifizierung bereits als „Vollarier", demnach ist es ihm möglich, nach dem Tod von Louis am 1. April 1939 die Firma zu behalten. Die Villa in der Blaasstraße ie „verkauft" Louis per 15. Dezember 1938 - um 89.000 R M plus 1.000 R M für das Inventar. Man kann sich unschwer vorstellen, woraus dieses besteht: Möbel, vor allem die holzvertäfelte Bibliothek, Bücher, Bilder, Silber, Geschirr etc. etc. Und das alles um 1.000 RM! Louis Friedmann schreibt seinem Anwalt am 3. November 1938, „so möchte ich bemerken, daß das Haus beiläufig doppelt so viel gekostet hat als ich dafür bekomme". 1926 hatte die Errichtung des Hauses S 323.000,- betragen - dieser Betrag wurde auch in der Einkommenssteuererklärung angegeben. „Am Tage der Okkupation drangen SA-Leute in das Haus ein, beschimpften und bedrohten meinen Vater als Juden und versuchten, ihn gewaltsam aus seinem Haus zu vertreiben." Nach 1945 muss Louis' Tochter Maria beweisen, dass ihr Vater tatsächlich „Mischling 1. Grades" war, um überhaupt einen Anspruch auf die Villa erheben können - so ändern sich die Zeiten und damit die „erforderlichen Abstammungsnachweise". Wie ging dieser „Verkauf' nun vor sich ? Aus den Akten des Rückstellungsverfahrens wird so manches klar. Die Frau des Käufers behauptet, ihr Mann wollte „schon vor 1938 von einem Juden nichts kaufen, ... je174
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doch nach dem Umbruch 1938 von einem Juden noch weniger ein Haus kaufen. Es war weder mir noch meinem Gatten bekannt, daß Friedmann Jude sein soll." Louis hätte also den Käufer im Unklaren gelassen und irregeführt, der Verkauf sei demnach vollkommen legal und ohne Zwang über die Bühne gegangen. Der Käufer selbst behauptet bei einer Befragung im Jahr 1948: „Es zeigt sich daraus, daß der Vater der Antragstellerin seine rassische Abstammung so geschickt getarnt hat, daß ich auch seine angebliche politische Verfolgung nicht ahnen konnte." Der unangemessen niedrige Kaufpreis wird kaum ins Treffen gefuhrt, jedoch: „Das jüdische Aussehen des Friedmann ist mir bei den Verhandlungen nicht aufgefallen." Nach 1945 wird die Villa an die polnische Gesandtschaft vermietet, was die Räumung des Hauses auch nicht erleichtert, da es sich ja um exterritoriales Gebiet handelt. Doch gelingt es letztendlich doch - 1 9 5 0 gelangt die Villa wieder in den Besitz der Familie.
1938 - Das Ende
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EINE GROSSFAMILIE ZWISCHEN BANK UND NATURWISSENSCHAFT. FAMILIE LIEBEN
An drei Bereichen orientieren sich die Mitglieder der Familie Lieben: Bankwesen, Naturwissenschaften und Kultur. Wobei die Bezeichnung „Familie Lieben" zu ungenau ist, handelt es sich doch um einen ganzen Familienclan, zu dem so bedeutende Familien wie Auspitz, Gomperz, Todesco und Schey, um nur einige wenige zu nennen, gehören. Um das Kapital zusammenzuhalten, waren die großen und vermögenden jüdischen Familien Wiens darauf bedacht, untereinander zu heiraten. Was letztendlich dazu führt, dass man nicht mehr von einzelnen Familien sprechen kann, sondern von einer großen, deren Mitglieder nicht immer denselben Namen tragen, sich jedoch trotzdem nah verwandt fühlen. Und es auch sind. Vom Historiker Theodor Gomperz bis zu Gustav Pick, dem Vater des Fiakerliedes, bestehen also verwandtschaftliche Beziehungen. Gustavs Sohn Anton, Richter in der Leopoldstadt und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, ist ein Original, wie es heute nicht mehr existiert - Arthur Schnitzler hat die Familie Pick als Vorbild fur sein Stück Der Weg ins Freie gewählt und ihnen dadurch ein Denkmal gesetzt. Ein Denkmal anderer Art besteht im Anton-Pick-Fonds der Stadt Wien, gegründet, um in den 1980er Jahren die 1938 vertriebenen Juden zu einem Besuch nach Wien einzuladen. Dieser große und breite Familienbegriff ist heute oft unverständlich, in einer Zeit, in der als Familie nur mehr der kleinste Kern angesehen wird, wo oft Onkel und Tanten unbekannt bleiben und die Nachkommen der Geschwister der Großeltern gar nicht mehr zur Familie gerechnet werden. Von diesem engen Familienbegriff muss man absehen, er wäre auf die Liebens nicht anwendbar und würde ihren Leistungen nicht gerecht werden. Der Name Lieben wird in erster Linie mit Bank und Geld verbunden, doch sind einige Mitglieder der Familie aus der Geschichte der Naturwissenschaften, der Erfindungen, der Technik nicht Eine Großfamilie zwischen Bank und Naturwissenschaft
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wegzudenken. Das Schlagwort „Lieben-Röhre" ist nicht unbekannt. Doch was ist das eigentlich ? Worin besteht das Einzigartige dieser Erfindung? Auch die anorganische Chemie hat der Familie Lieben einiges zu verdanken, nicht nur in den Bereichen Forschung und Wissenschaft, sondern auch auf administrativem Gebiet.
IGNAZ UND SEINE FAMILIE
Ignaz Lieben, geboren 1804, ist ein wohlhabender Großhändler in Prag die Heirat mit der Tochter eines anderen Großhändlers liegt fiir ihn nahe, die 1833 eingegangene Verbindung mit Elise Lewinger begründet auch die enge Beziehung zu den Familien Auspitz und Gomperz. Elises Schwester Therese heiratet Samuel Auspitz, dessen Schwester Henriette wird die Frau von Philipp Gomperz. Der Grundstein für die Großfamilie ist damit gelegt und wird, wie sich zeigen wird, komplizierte Verwandtschaftsverhältnisse schaffen. Ignaz übersiedelt nach Wien, in die Heimatstadt seiner Frau. Sie ist eine so genannte gute Partie, war doch ihr Vater bereits im Jahre 1797 ein „auf immer" tolerierter Jude in Wien. Ignaz steigt selbstverständlich in die Großhandlung seines Schwiegervaters ein, doch begründet er bereits das rege Interesse seiner Nachkommen, insbesondere seines Sohnes Adolf und vor allem seiner Enkelsöhne Robert und Fritz, für naturwissenschaftliche Studien und Erfindungen. Ignaz, gestorben 1862, verfugt testamentarisch, dass ein Teil seines Vermögens „Für das allgemein Beste" gestiftet wird. Sein Sohn Adolf, Chemiker und zu dieser Zeit wegen seiner Konfession noch ohne Professur in Osterreich, veranlasst, dass der größere Teil der Stiftung, 6000 Gulden, „immerwährend der Förderung wissenschaftlicher Forschungen im Gebiete der Chemie und Physik gewidmet" wird. Mit den Zinsen der Stiftung sollen alle drei Jahre alternierend österreichische Wissenschafter auf den Gebieten der Chemie und der Physik ausgezeichnet werden. „Sie war die erste der vielen hochherzigen Vermächtnisse und Schenkungen, welche unserer Akademie der Wissenschaften im Laufe des letzten halben Jahrhunderts zugekommen sind und welche wissenschaftliche Unternehmungen von einem Umfang ermöglicht haben, der in früheren Zeiten märchenhaft erschienen wäre."' 00 178
FAMILIE
LIEBEN
Ab 1901 wird der Preis dann jährlich vergeben - die „Brüder Lieben-Jubiläumsstiftung" verdoppelt das Kapital und ermöglicht dadurch diese Ausweitung. Bis zum Jahr 1937 erhält der Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften jährlich den Brief, der besagt, dass „auch für dieses Jahr S 1.000,- für den Ignaz L. Lieben-Preis zur Verfügung stehen". Gezeichnet von Adolfs Sohn Heinrich. Dieser Betrag entspricht heute einer Summe von ungefähr 7267,— Euro (100.000 Schilling). Also ein schöner Betrag für einen Preis, der in erster Linie jüngeren Wissenschaftern zugute kommt. Die Verleihung dieses Preises bedeutet nicht nur finanziellen Gewinn, auch das Ansehen steigt. Nicht umsonst wird er auch als österreichischer Nobelpreis bezeichnet. Und daher verwundert es nicht, dass es manchem Wissenschafter vergönnt ist, beide Preise zu erhalten, so wie zum Beispiel Karl von Frisch, der fur die Entdeckung der Sprache der Bienen beide Preise, den österreichischen wie den Nobelpreis, zugesprochen bekommt. Marietta Blau, eine Wissenschafterin des Radiuminstitutes, ist 1937 die letzte Empfängerin des Ignaz-Lieben-Preises. Es ist die Elite der österreichischen Naturwissenschafter, die zu den Preisträgern gehört. 1938 verschwindet diese „immerwährende" Stiftung und wird nach dem Krieg auch nicht erneuert. Wohin das Kapital nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten geflossen ist, kann nicht genau nachvollzogen werden. Tatsache ist jedoch, dass es nach 1945 keinen Fürsprecher an der Akademie der Wissenschaften, den Universitäten oder anderen staatlichen Institution gab, der sich dafür einsetzte, dieses Verdienst einer großen österreichischen jüdischen Familie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. 1908 wird anlässlich des 60. Regierungsjubiläums Kaiser Franz Josephs zusätzlich noch der Richard-Lieben-Preis gestiftet, ab 1912 wird er alle drei Jahre - fünfmal bis 1928 - an aufstrebende junge Wissenschafter verliehen. Ein Zeichen für die enge Verbundenheit des liberalen Bürgertums mit der Monarchie und den Habsburgem als verbindendes Element. Ein Enkel von Ignaz, Fritz, schreibt in seiner Autobiographie, „daß in meiner Familie und dem engen Kreis, in dem ich aufwuchs, der Patriotismus in hohem Maße mit dem Bestehen des Kaiserhauses verbunden war". Das Kaiserhaus steht über allen nationalistischen Bestrebungen und ist neben der Bürokratie und der Armee die Klammer, die die Monarchie - noch Ignaz und seine Familie
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- zusammenhält. Das jüdisch-assimilierte Bürgertum identifiziert sich mit Osterreich, verehrt die deutsche Kultur und entwickelt sich, jedenfalls zum Teil, zu einem konservativen Patriziat. Ignaz und Elise haben sechs Kinder: Rosa, Leopold, Adolf, Helene, Richard und Ida. Sie wohnen im Gegensatz zu den meisten anderen jüdischen Familien nicht in der Leopoldstadt, sondern als alteingesessene und tolerierte Familie in der Domgasse im innersten Kern der Stadt Wien. Die Kinder wachsen in diesem Milieu auf, sie werden zu Hause von hervorragenden Lehrern unterrichtet; hier sticht Moritz Hartmann hervor, der spätere Abgeordnete des Frankfurter Parlamentes - „Noch schwebt mir lebhaft das Bild der züngelnden Spiritusflamme seiner Kaffeemaschine vor, wenn er des Nachts dichtete, während ich als kleiner Junge im Bett lag", erinnert sich Adolf später. Mit Moritz' Sohn Ludo wird eine intensive Freundschaft weiter gepflegt. Der Stellenwert der Bildung ist wie bei allen jüdischen Familien hoch - die Tradition wird aus dem religiösen in ein weltliches Lernen transferiert und erweitert. Nicht umsonst ist der Anteil jüdischer Studierender und auch Berufsausübender in den so genannten freien Berufen wie Ärzte, Rechtsanwälte und Kaufleute besonders hoch. Die Kinder erweitern ihre Ausbildung auch durch Auslandsaufenthalte - ein Rat, den Moritz Hartmann der Mutter Elise Lieben bereits 1845 erteilt. Eine Zeit der trügerischen Ruhe, in Wien bestimmt durch Metternichs Polizeiapparat und sein Spitzelwesen. Vereine sind verboten, da sie als gefährliche konspirative Zirkel aufgefasst werden. Und so gibt es kaum eine andere Möglichkeit, als im privaten Kreis Bildung, Kunst und Kultur zu betreiben, politische Ideen zu diskutieren und auch selbst dabei aktiv zu werden. Ein enger Freund des Hauses ist Franz Grillparzer, der sich auch sehr mit den Kindern Lieben beschäftigt, sie ernst nimmt und sich für sie interessiert. Adolf wird später oft von diesen Gesprächen erzählen und es dem Dichter immer hoch anrechnen, dass dieser seinen Einfluss fur Adolfs Verbleib in Osterreich geltend gemacht hatte, wenngleich auch ohne Erfolg. Jeder Schwester widmet Grillparzer ein eigenes Gedicht. Lauter Beweise für seine innige Bindung an das Haus Lieben. Bildung und Wissenschaft werden zur Ersatzreligion - ein Phänomen, das in seiner oft extremen und übertrieben wirkenden Ausformung letztendlich die Grundlage für die besondere Atmosphäre, für die Ballung 180
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LIEBEN
hervorragender Leistungen auf den verschiedensten Gebieten von Medizin bis Malerei, von Technik bis Wirtschaft bildet. Kurz gesagt: fiir das heute als Synonym verstandene Fin de Siecle. Kunst und Kultur sind ein bestimmender Faktor im Leben der Familie, auch wenn sie sich anderen Berufen widmet. Noch ist es schwierig und gesellschaftlich nicht anerkannt, die Kunst zum Beruf zu machen - Schauspieler, Maler, Musiker, Schriftsteller haben es vorerst schwer, vor allem ihren Familien klar zu machen, dass sie nicht in die familieneigenen Betriebe einsteigen wollen, sondern ihr Leben in anderer Art und Weise verbringen möchten. Und so hoch der Stellenwert von Bildung ist: auch eine Karriere als Wissenschafter passt nicht in das Schema der Elterngeneration. So verlangt Ignaz von seinem Sohn Adolf nach dessen Chemiestudium, dass er ein Jahr in einer Fabrik arbeitet. Adolf setzt sich danach aber durch und beweist seinem Vater, dass er trotz der Hindernisse, die ihm wegen seiner Konfession in den Weg gelegt werden, Karriere machen kann, nicht zuletzt auf Grund seiner großartigen Leistungen auf dem Gebiet der organischen Chemie. Ignaz übernimmt die Großhandlung seines Schwiegervaters und baut sie aus. 1862 wird das Großhandelshaus Lieben & Co. ins Leben gerufen, das in der Folge von Ignaz' Söhnen Leopold und Richard geführt und 1862 durch ein Bankhaus erweitert wird, das sich bald nur mehr der Verwaltung des eigenen Vermögens widmet. Richard fühlt sich stark zur Wissenschaft hingezogen. Neben einer Arbeit, die er gemeinsam mit seinem Schwager Rudolf Auspitz verfasst, widmet er sich aber auch literarischen Werken, so schreibt er eine nationalökonomische Phantasie oder Utopie mit dem Titel König Delles. Auf einer Insel bestehen drei von einander abgeschlossene Reiche: ein streng sozialistisches unter dem Herzog Work, das des Kapitals und das des Elends unter König Delles. Die Conclusio ist, dass die Absperrungen zwischen den Reichen gelockert werden sollen, um durch eine Verschmelzung der drei Reiche eine Besserung für alle zu erreichen. Ein interessanter Zugang zu volkswirtschaftlichen Theorien, die man von einem Bankier vielleicht nicht erwarten würde. Helene ist Malerin — sie heiratet ihren Cousin Rudolf Auspitz, der gemeinsam mit Richard Lieben das 1842 gegründete Bankhaus Auspitz, Lieben & Comp, betreibt und 1889 die umfassende Arbeit Uber die Theorie des Preises publiziert — sie wird lange zu den Standardwerken der NatioIgnaz und seine Familie
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nalökonomie zählen. Helene geht jedoch noch in völlig anderer Art und Weise in die Geschichte ein: Auf Grund ihrer labilen psychischen Verfassung wird sie von dem damals noch jungen und am Anfang seiner Karriere stehenden Sigmund Freud behandelt. Unter dem Namen Cäcilie M. ist Helene eine der ersten Studien seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Im Salon Helenes und Rudolfs verkehren die Spitzen der Gesellschaft:: Politiker, Wirtschaftstreibende, Ärzte, Künstler und Schriftsteller - mit vielen verbindet sie innige Freundschaft. Rudolf Auspitz hat großes Interesse an den Naturwissenschaften, er widmet sich mathematischen und physikalischen Studien und fuhrt einen intensiven Briefwechsel mit seinem Cousin Adolf Lieben. Trotzdem schlägt Rudolf eine Fabrikantenlaufbahn ein — Interessen und berufliche Tätigkeit lassen sich auch in seinem Fall nicht verbinden. Er gründet 1863 eine der ersten österreichischen Zuckerfabriken in Rohatetz bei Straßnitz in Mähren, wo die Zuckerindustrie großen Aufschwung nimmt, und widmet sich der Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Güter, die an die Zuckerfabrik angeschlossen sind. Auch politisch betätigt er sich - schon sein Großvater Lazar Auspitz war Bürgermeister von Brünn gewesen — und wird 1871 in den Mährischen Landtag gewählt, dem er 30 Jahre als Vertreter der liberalen Partei angehört. Rudolf und Helene besitzen eine große und berühmte Kunstsammlung und sind begeisterte Besucher des neu erbauten Burgtheaters direkt neben ihrem Haus, das 1888 eröffnet wird. Rudolf erwirbt einen Sommersitz in Altaussee, wo seine Kinder, Neffen, Nichten und viele Freunde zusammentreffen und so das gesellschaftliche Leben von der Stadt aufs Land verlegt wird, wo es viel unbeschwerter und unkomplizierter zugeht. Nach der Schleifung der Stadtmauern beginnt der Ausbau der Ringstraße - wohl das Symbol der Geisteshaltung des österreichischen Liberalismus. Adel und Großbürgertum kommen einander näher, wenngleich auch die Ringstraße unter diesen aufgeteilt wird: Bleibt das Viertel um den Schwarzenbergplatz eher der Aristokratie vorbehalten, beginnt sich um die neue Hofoper die so genannte „Zweite Gesellschaft", also das Großbürgertum, anzusiedeln — so auch die Familien Todesco und Schey. Um Rathaus und Universität wohnen großteils hohe Beamte und Universitätsprofessoren. 1874 erwerben die Geschwister Leopold, Adolf, Richard, Ida und Helene Lieben gemeinsam mit ihrem Cousin Rudolf Aus182
FAMILIE
LIEBEN
In der
Sommerfrische
Ignaz u n d seine Familie
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Mölkerbastei
Familie Lieben und Auspitz, die Bewohner des Hauses
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FAMILIE
LIEBEN
pitz das 1872 von der Wiener Baugesellschaft errichtete Objekt Dr.-KarlLueger-Ring 4 - Löwelbastei 22 - Oppolzergasse 6. Dieses Haus ist die Klammer, die Verbindung, das Stammhaus der Liebens. Jedes Stockwerk wird von einem anderen Teil der Familie bewohnt. Josefine, die Tochter von Rudolf und Helene, verheiratet mit Josef Winter, stellt die Geschichte dieses Hauses in den Mittelpunkt ihrer Familienchronik jo Jahre eines Wiener Hauses, in der vieles über die Familie, über das Umfeld, Gewohnheiten und das Leben geschildert wird.
LEOPOLD U N D DIE FAMILIE TODESCO
1871 heiratet Leopold Anna Todesco, die Tochter von Eduard Todesco und Sophie Gomperz - wieder eine Querverbindung zwischen den Familien : Leopolds Mutter und Annas Großmutter sind Schwestern! Annas Großvater Hermann Todesco war aus Pressburg nach Wien gekommen und hatte verschiedene Spinnereien erworben, unter anderem in Marienthal, das später durch Marie Jahodas Studie Die Arbeitslosen von Marienthal Berühmtheit erlangen wird. In erster Linie ist er jedoch für seine großartigen humanitären Leistungen bekannt: Für seine Heimatstadt Pressburg und auch für Marienthal erwirbt er jeweils ein Haus für die Primär- und Kinderbewahrschule; er stiftet 20.000 fl. für den Bau eines israelitischen Spitals in Baden bei Wien. Täglich speist er 50 bis 80 Arme ohne Unterschied der Konfession, seine Erben verpflichtet er, diesen Brauch auch nach seinem Tod fortzufuhren - er stirbt bereits mit 53 Jahren im Jahre 1844. Sein Sohn Eduard, Annas Vater, kann also bereits auf großem Vermögen aufbauen - er wird 1868 in den Freiherrnstand erhoben. Er ist Bankier und Chef des Hauses „Hermann Todescos Söhne", außerdem Direktor der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn. Sein Haus gilt als eines der gastfreundlichsten der Ringstraße, die Atmosphäre ist, wohl in erster Linie durch seine Frau Sophie Gomperz, schöngeistig, Sophie ist eine bekannt gute und rege Gastgeberin, „toute Vienne" geht in ihrem Salon ein und aus. Sophies Schwester ist die berühmte Josephine Wertheimstein, die Salons beider Schwestern sind bekannt und ziehen die interessantesten Persönlichkeiten an. Gerade diese Salonkultur ist von gebildeten, kultivierten, weltoffenen und interessierten Frauen bestimmt. Leopold und die Familie Todesco
185
Pakts Todesco
„Man hat wohl nicht bloß in Wien die Wahrnehmung gemacht, daß in den Familien der großen Bankiers die Frauen und Töchter feingebildet, von anmutigem Benehmen und für alles Schöne empfänglich sind, während die Herren ihren Geist meistens nur fur die Börse geschult haben und ausschließlich dort verwenden. Dies galt auch für die Familien, deren Salons zu den umworbensten Wiens gehörten. Die Herren des Hauses störten nicht; genug, wenn sie freundlich gelaunt waren und sich nicht viel einmischten." So schreibt der gefurchtete Musikkritiker Eduard Hanslick in seinen Lebenserinnerungen. Etwas weniger elegant drückt der Dichter Eduard Bauernfeld seine Meinung über Eduard Todesco aus: „Jedes Licht hat seinen Schatten, jede Frau hat ihren Gatten." Daraus sieht man schon, dass die Meinung über Eduard Todescos Bildung nicht unbedingt die beste war, er gilt als Verkörperung des Klischees des ungebildeten Neureichen. Dies geht aber noch weiter: Das Witzblatt „Floh" richtete eine eigene Glosse „Todesciana" ein, in der laufend über seine 186
FAMILIE
LIEBEN
sprachlichen Entgleisungen
be-
richtet wird. Und Josef Unger, der verschwägert
ist,
meint:
„Der
Mann hat den Verstand eines Indianers. Er legt sich mit dem Ohr auf die Erde und hört schon von weitem
die
Kurse
traben." 101
Eduards Schwester Amalia, deren dritter Ehemann Ignaz Mandl ist, heiratet in erster Ehe Max Springer - das Palais dieses Bankiers liegt neben den Todescos. Eigentlich eine in vielen Beziehungen praktische Verbindung, doch hält sie trotzdem nicht lange. Wiederum nebenan haben sich die Brüder
Anna Lieben
Max und Julius Gomperz angesiedelt, die Familie wohnt nun also ganz nah voneinander. Z u Beginn wohnen Leopold und Anna vis-ä-vis der neu erbauten Hofoper im Palais der Familie Todesco, das 1864 von den Architekten Ludwig Förster und Theophil Hansen für Annas Vater erbaut wurde - den Plafond der Repräsentationsräume hatte der Maler Karl Rahl gestaltet. 1888 übersiedeln sie mit ihren Kindern ebenfalls in das Lieben'sche Familienhaus. Anna kann man getrost als exaltiert und exzentrisch bezeichnen sie wächst im Luxus des Palais Todesco auf, widmet sich der Kunst, malt, schreibt Gedichte und beschäftigt sich mit Musik. Das Leben einer höheren Tochter, wie man es heute als typisch erachtet. Oft ist sie krank, die Symptome sind vielfältig, es kommt auch zu hysterischen Anfällen. Nach der Geburt der fünf Kinder Ilse, Valerie, Ernst, Robert und Henriette wird Anna immer exaltierter: Sie lebt nur in der Nacht auf, schläft nicht, vor ihrer Tür wartet immer ein professioneller Schachspieler, sie lässt ihre Kinder um Mitternacht wecken, wenn sie gerade das Bedürfnis hat, diese zu sehen und sich mit ihnen zu beschäftigen. 1882 verfällt sie auch noch dem Morphium, die Ärzte sind ratlos, doch der zukünftige Mann von Leopolds Schwester Ida, Franz Brentano, steht in enger Verbindung mit einem seiner ehemaligen Studenten: Sigmund Leopold und die Familie Todesco
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Freud. Anna, aufgeschlossen fur alles, lässt sich von Freud 1888 erstmals hypnotisieren, diese Methode wird später erweitert und ausgebaut. Die heute allgemein anerkannte Gesprächstherapie ist geboren. Anna wird von Freud abwechselnd seine Lehrmeisterin und seine Primadonna genannt. 102 Sicher ist jedenfalls, dass Freud durch ihre Behandlung seine Methoden erproben und weiterentwickeln kann. So zählen also zwei Mitglieder der Familie zu Freuds ersten Patientinnen. Anna stirbt im Jahre 1900 - wie stark ihre Krankheit in ihre Familie eingegriffen hat, beweisen zwei Ehen der sie ebenfalls behandelnden Arzte: Johann Karplus, ein Kollege des Lieben'schen Hausarztes Breuer, heiratet Annas Tochter Valerie, Josef Winter, ebenfalls durch Breuer mit der Familie bekannt gemacht, Leopolds Nichte Josefine Auspitz. Leopold Liebens Karriere war steil nach oben gegangen und bleibt in verschiedensten Funktionen eng mit der Wiener Börse verbunden. Daher ist er auch stark am Bau des neuen Börsegebäudes am Schottenring beteiligt, doch beschäftigt Leopold in gleicher Weise „die Ausgestaltung unserer Institution auf Basis der neugeschaffenen Autonomie. Die Grundpfeiler des heutigen Börsenverkehrs sind unter seiner sachkundigen Mitarbeiterschaft und vielfach auf seine eigene Initiative hin entstanden. Er war durch seine vornehme Denkungsart, seine überlegene Einsicht, seine maßvolle Ruhe und sein persönliches Wohlwollen ein Vorbild für alle Mitglieder unserer Korporation und hat in hohem Maße dazu beigetragen, bei der Wiener Börsekammer eine Tradition zu schaffen, auf die wir alle mit Stolz hinweisen." So schreibt die Neue Freie Presse am 11. März 1915 in einem Nachruf. Wie schwierig die Aufgabe war, den Bau des neuen Gebäudes zu beaufsichtigen, lässt sich aus der Baugeschichte erahnen. Und damit auch die Leistung Leopold Liebens bei der Koordination der Bauarbeiten. Theophil Hansen, der dänische Architekt, der das Aussehen der Ringstraße prägte, ist auch der Erbauer der Börse. Ursprünglich stand Heinrich von Ferstel als architektonischer Berater der Wiener Börsekammer zur Seite, doch wurde dann Theophil Hansen um einen Entwurf ersucht. Im März 1870 stellt Kaiser Franz Joseph den Bauplatz am Schottenring zur Verfugung. Schwierigkeiten begleiten den Bau von Anfang an, nur Hansens Beharrlichkeit ist es zu verdanken, dass er seine Pläne realisieren kann. Am 12. März 1877 nimmt die Börse endlich den Betrieb auf. Zwei Tage später besucht der Kaiser das Haus. 188
FAMILIE
LIEBEN
1891 wird Leopold nobilitiert - nun scheint die Assimilation völlig vollzogen zu sein, eine größere Anerkennung für erbrachte Leistungen gibt es nicht. Gemeinsam mit seinem Cousin und Schwager Rudolf Auspitz gehört er auch zu den Gründern des Wiener Musikvereins, wo die Familien regelmäßig Konzerte besuchen. Leopold stirbt 1915 während des Ersten Weltkrieges. Sein Gesamtvermögen beträgt über 5 Millionen Kronen - vor allem die enorme Kunstsammlung, die Bilder, Möbel, Gobelins, Silber, Schmuck, Geschirr etc. umfasst, ist beeindruckend: Bilder von Alt, Pettenkofen, Tintoretto, Lenbach, Schindler, Makart und Böcklin schmücken die Wohnung. Darunter einige Porträts seiner Kinder und von Leopold selbst, gemalt von Lenbach, Kaulbach und Pochwalsky. Leopolds Nichte Josefine schreibt: „Der große Salon war in lichtem Rokoko gehalten. Die volle Breite des Herrenzimmers deckte ein flandrischer Gobelin, vor dem Türchen zum Gang erhob sich ein italienisches Renaissanceportal." Auch japanische Kostbarkeiten in Jade und Elfenbein sind in der Wohnung zu finden. Im Gegensatz zu anderen Familien, die die modernen Richtungen der Kunst wie die Secession unterstützen, ist die Familie Lieben dem Stil des Historismus, geprägt von Hans Makart, verbunden auch dies ist ein Zeichen fiir den alteingesessenen Reichtum, der eher konservativ ausgerichtet ist. Man ist befreundet mit den zeitgenössischen Künstlern, doch bleibt die Familie traditionsbewusst und beurteilt den Einfluss der Secessionisten kritisch und nicht so euphorisch wie so mancher andere dieser Zeit. Jedenfalls bewirkt diese neue Richtung, dass in den Salons heftig diskutiert wird, die Ausstellungen werden selbstverständlich besucht und die Veränderungen gerade in der Präsentation der Bilder und Kunstwerke positiv beurteilt. „Nichts hat sich so schnell überlebt wie die Wellenlinie des .sezessionistischen' Stils." So schreibt Josefine Winter und spricht damit sicherlich für viele Mitglieder ihrer großen Familie, wenngleich die Zukunft anderes zeigt. Leopold veranlasst in seinem Testament, dass ein nicht unbeträchtlicher Betrag den verschiedensten wohltätigen Einrichtungen zugute kommt — „den Armen Wiens ohne Unterschied der Confession", einer Stiftung zur Unterstützung hilfsbedürftiger Börsenmitglieder, der Freiwilligen Rettungsgesellschaft, dem Israelitischen Blindeninstitut und auch den Armen in der Gemeinde Hinterbrühl.
Leopold und die Familie Todesco
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ROBERT, DER ERFINDER
Der jüngste Sohn von Leopold und Anna ist auch der berühmteste: Robert, geboren 1878, der Erfinder der Verstärkerröhre. Robert bricht das Gymnasium vor der Matura ab und inskribiert als außerordentlicher Hörer an der Wiener Universität. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die nicht ganz alltägliche Atmosphäre zu Hause mit einer Mutter, die nicht gerade der Norm entspricht, und einem Vater, der einflussreicher Bankier ist und nur wenig Zeit mit den Kindern verbringen kann, wesentlichen Einfluss auf die Kinder ausübt. Robert weiß von Kindheit an, was er will - „Noch fast ein Knabe, behandelte er die Welt mit Gleichgültigkeit", wird Hugo von Hofmannsthal in einem Nachruf schreiben. Roberts Interesse an naturwissenschaftlichen Themen ist groß, schon als Gymnasiast macht er technische Versuche, die jedoch weit über das normale M a ß hinausgehen. Roberts Mutter Anna besitzt die Villa Todesco in der Hinterbrühl heute existiert diese nicht mehr. So wie alle Villen dieser Zeit umfasst der Besitz einige Nebengebäude: ein Schweizerhaus, Stallung, Gärtnerhaus und ein Treibhaus; die Villa selbst hat 20 Zimmer. Robert richtet dort eine elektrische Beleuchtung ein, indem er eine nahe gelegene Mühle als Generator verwendet und so diesen Wunsch seiner Mutter erfüllen kann. Eine große Herausforderung und eine großartige Leistung! Bereits als 11Jähriger hat er gemeinsam mit seinem Cousin Leopold Auspitz ein Haustelefon in der Mölkerbastei konstruiert - das Interesse an diesem Medium ist also schon früh in ihm geweckt worden. Schon mit 18 Jahren gelingt Robert die Konstruktion eines Apparates zur photographischen Aufnahme des Auges, eines Drehstrommotors fur die Starkstromtechnik und vieles andere. Als 20-Jähriger arbeitet er in Nürnberg bei der Firma Siemens-Schuckert im Bereich der Elektrotechnik. Daraufhin widmet er sich wissenschaftlichen Studien an der Universität Göttingen, wo er Schüler von Walter Nernst wird, einer der fuhrenden Persönlichkeiten auf dem Gebiet der physikalischen Chemie und später auch Nobelpreisträger. Er erkennt das Talent Roberts und spornt seinen Erfindergeist an. 1903 veröffentlicht Robert eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Zur Polarisation der Röntgenstrahlen, richtet sich in Wien ein eigenes Laboratorium ein und erwirbt ein Jahr später eine Te190
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lefonfabrik. Dieser Satz ist in fast allen Biographien Roberts kommentarlos zu finden, so als ob er ein kleines Haus, ein Auto oder ein Paar Schuhe gekauft hätte. Doch handelt es sich um eine Fabrik, gelegen im
mährischen
Olmütz. Dies und auch die Feststellung, er hätte sich ein Laboratorium eingerichtet, müssen hervorgehoben werden, ist es Robert doch im Gegensatz zu so vielen Erfindern und Forschern möglich, sich die technische Grundlage für die Entwicklung und Erprobung &
..
„ ,
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Robert Lieben
neuer Ideen auf Grund des Familienvermögens zu schaffen. Er ist nicht darauf angewiesen, Geld zu verdienen, sondern kann sich ganz der Forschung widmen. In diesem Laboratorium verbringt er seine Zeit, oft bis in die frühen Morgenstunden arbeitet er an seinen Forschungen - ohne diesen Fanatismus wäre Robert Lieben wohl nie so weit gekommen. „Menschen dieser Art sind einsam, aber es kommt ihnen kaum zu Bewußtsein: der sich einsam fühlt, ist auf einer Ebene mit den Menschen; sie sind auf einer anderen. Er baute sich seine Wirklichkeit auf, die in seinen kühnsten Stunden wie ein Turm emporwuchs und die Sterne berührte." So schreibt Hugo von Hofmannsthal. Die Telefonfabrik behält Robert nicht lange - sein Interesse gilt ja der technischen Forschung und nicht der kaufmännischen Leitung eines Unternehmens. Doch zeigt dieser Kauf, dass Robert die Bedeutung der Sprachübertragung erkannt hat. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte das Telefon nur im Nahverkehr verwendet werden, da die Ubertragungsqualität der Sprache unzulänglich war. Es fehlte ein so genanntes „Relais", das in der Telegraphie bereits seit längerer Zeit zur Anwendung gekommen war. Dieses Relais ist eine Vorrichtung, die die geschwächt ankommenden Telefonströme mit all ihren Feinheiten verstärkt und so die Robert, der Erfinder
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Sprachübertragung auf beliebig große Entfernungen ermöglicht. Robert Liebens Verdienst ist es nicht nur, dieses Problem begriffen zu haben, sondern dass er von vornherein von einer Lösung auf mechanischem Weg absieht und erkennt, dass nur ein magnetisch oder elektronisch gesteuerter Elektronenstrom erfolgreich ist. Diese Elektronenröhre, genannt „Lieben-Röhre", wird 1906, eine verbesserte Form 1910 zum Patent angemeldet. Sie ist auf den verschiedensten Gebieten als Verstärker zu verwenden, dadurch wurde Die Lieben-Röhre
der Rundfunk zu einem nicht mehr aus dem Alltag wegzudenkenden Bestandteil. Dies ist die berühmteste, jedoch
nicht die einzige Erfindung Roberts. Als begeisterter Automobilist, wie es damals hieß, beschäftigt ihn auch das Problem einer elektromagnetischen Kupplung. Und noch ein modernes Fortbewegungsmittel hat es ihm angetan : Die ersten erfolgreichen Flugversuche der Gebrüder Wright wecken seine Begeisterung. In Paris erwirbt er eines dieser Flugzeuge, bringt Verbesserungen an und überlässt es dann der österreichischen Armee. Auch dies wäre unmöglich ohne die finanziellen Ressourcen seiner Familie. 1911, Robert ist nun 33 Jahre alt, heiratet er die Schauspielerin Anny Schindler. Trotz der großen Begeisterung der Familie für das Burgtheater ist dies wohl keine standesgemäße Verbindung. Die Ehe dauert nicht lange: Robert erkrankt bald darauf und stirbt bereits 1913 mit nur 35 Jahren. Hugo von Hofmannsthal schreibt in einem Nachruf in der Neuen Freien Presse vom 9. März 1913: „Er war einer der ganz seltenen Menschen auf Erden, denen ihr Beruf ein völlig Glück verleiht. Er war ein Träumer und für ihn bedurfte es keiner Beglaubigung, daß er eine jenseitige Küste betreten hatte. Aber eine Fügung wollte es, daß er von einem 192
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seiner Ausflüge das ,Relais fur ondulierende Ströme' mitbrachte und der die Sinnenwelt unterwerfende Technik etwas Bleibendes zu schenken hatte."
A D O L F , DER C H E M I K E R
Adolf, der dritte Sohn von Ignaz und Elise, strebt eine wissenschaftliche Karriere als Chemiker an. Nach dem Abschluss seines Studiums in Wien setzt er seine Ausbildung zunächst in Heidelberg im Laboratorium
des
berühmten
Chemikers Robert Wilhelm Bunsen fort und promoviert 1856.1861 habilitiert er sich zum Privatdozenten der Universität Wien, doch hat er auf Grund seiner Konfession keine Chance, an einer österreichi-
AdolfLieben
sehen Hochschule angestellt zu werden - noch ist das Jahr 1868 nicht da, das die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bürger mit sich bringt. Sieben Jahre dauert es noch bis dahin und zu diesem Zeitpunkt ist nicht abzusehen, wie sich die Lage entwickeln wird. Daher geht A d o l f nach Paris, um am Laboratorium des berühmten Chemikers Wurtz zu arbeiten. Auch dies ist nur auf Grund seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit möglich, eine bezahlte Anstellung ist in der chemischen Forschung fast nicht zu erreichen. In diesen beiden Jahren ist auch sein Cousin Rudolf Auspitz in Paris, sie wohnen zusammen und legen dadurch den Grundstein für eine Freundschaft, die ihr ganzes Leben hindurch andauern wird. Sein Vater Ignaz verlangt von Adolf, auch in der Privatwirtschaft tätig zu sein. Nach einem einjährigen Zwischenspiel in einer chemischen Fabrik in Lille geht Adolf zurück nach Paris. Hier lernt er einen italienischen Chemiker kennen, der seine weitere Karriere entscheidend beeinflusst: D e m 28-jährigen A d o l f Lieben wird eine Professur an der Universität von Palermo angeboten. Sizilien Adolf, der Chemiker
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der südlichste Punkt Europas, weit weg von Wien und doch die Chance, auf die Adolf bis dahin vergeblich gewartet hat. Sein Cousin Rudolf Auspitz schreibt ihm: „Kann man sich entgegengesetztere Richtungen denken als die unseren, bisher ziemlich parallelen Wege jetzt für immer einzuschlagen scheinen, Zuckerfabrikant in Rohatetz und Professor in Palermo? Und doch werden wir hoffentlich diese Probe bestehen und uns immer mehr verstehen." Drei Jahre verbringt Adolf in Sizilien — eine Zeit, die er der Forschung genauso wie dem Unterricht widmet und in der er interessante Persönlichkeiten kennen lernt, mit denen er sein ganzes Leben verbunden bleibt. Von Juli bis Oktober kommt Adolf nach Osterreich, um im Salzkammergut oder in der Schweiz mit seiner Familie zusammenzutreffen.'03 In diese Zeit fällt auch die immer engere Freundschaft mit Franziska von Wertheimstein - zwischen den Familien besteht bereits eine enge freundschaftliche und familiäre Beziehung. Adolf hatte Franziskas Mutter Josephine schon in Paris kennen gelernt, wo diese einen Salon führte, in dem Adolf viele interessante Persönlichkeiten traf. Im September 1865 wird Adolfs Interesse an Franziska immer deutlicher, schon wird von einer bevorstehenden Verlobung gesprochen. Franziskas Mutter Josephine schreibt in dieser Angelegenheit an ihren Bruder Julius, „sein Verstand, sowie seine Bildung und seine Lebensrichtung flößt mir Achtung ein. Ob dieses genügt, um Franzy glücklich zu machen, weiß ich nicht, auch wenn er ihr gefällt." Trotzdem: Franziskas Mutter ist dieser Verbindung nicht ganz abgeneigt; völlig anders urteilt Adolfs Mutter Elise in einem Brief an Moritz Hartmann, den früheren Hauslehrer ihrer Kinder, über Franziska: „Kurz sie hat alles von der Mutter; nur nicht den Geist." In der Zwischenzeit rückt Adolf von Sizilien wieder näher an Wien heran: 1867 erhält er eine Berufung an die Universität von Turin. Seine Position dort ist anfangs nicht einfach, gilt er doch als Vertreter der verhassten Österreicher. Dass Adolf selbst bis zu diesem Augenblick in Österreich keine Chance gehabt hat, gehört zur Ironie der Geschichte. Die Animositäten legen sich jedoch bald und auch die Jahre in Turin sind der Forschung gewidmet. 1868 kommt es tatsächlich zur Verlobung mit Franziska. Eduard Wessel, ein Freund der Familie, schreibt darüber: „Der Bräutigam, Adolph Lieben, ein alter Bekannter, ist ein sehr einnehmender junger Mann von cirka dreißig Jahren, ein überhaupt sehr begabter 194
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Mensch und tüchtiger Fachgelehrter. Es ist eine alte Liebe." Franziska soll nach der geplanten Hochzeit mit Adolf in Turin wohnen, „doch ist er auf Wunsch des Vaters ganz damit einverstanden, bald wieder nach Wien zu übersiedeln; bei den gegenwärtigen Verhältnissen wird es ihm voraussichtlich leicht werden, hier trotz seiner Eigenschaft als Jude, die bis jetzt seine Anstellung hier hinderte, eine angemessene Stellung zu finden"104. Doch Franziska beginnt zu zweifeln, ob dies die richtige Entscheidung ist - und letztendlich kommt diese Ehe nicht zustande. 1870 wird Adolf die erste Anerkennung Österreichs zuteil: er wird zum korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften gewählt. Ein Jahr später ist es dann endlich so weit: Adolf erhält eine Professur in Osterreich. Zwar nicht in Wien, aber immerhin in Prag an der alten und angesehenen Deutschen Universität. Adolf nimmt diese Berufung mit gemischten Gefühlen an - er befürchtet, als Deutscher in die Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Tschechen mit hineingezogen zu werden. Außerdem hat er in Turin ein ausgesprochen gut und modern ausgestattetes Laboratorium zur Verfügung und wird besser bezahlt. Trotzdem fühlt sich Adolf als Österreicher verpflichtet, diese Stelle in Prag anzunehmen — trotz all der Hindernisse, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt in Österreich in den Weg gelegt worden waren. Eine beachtliche Einstellung. Er wird mit dem Neubau eines Institutes beauftragt und muss das veraltete Laboratorium modernisieren. In Prag lehrt zur selben Zeit der Physiker und Philosoph Ernst Mach, mit dem bald freundschaftlicher Umgang gepflegt wird. 1875 wird Adolf Lieben Vorstand des 2. Chemischen Universitätslaboratoriums an der Universität Wien und hat das Glück, das gerade vom Architekten Heinrich von Ferstel fertig gestellte moderne Institut in der Währinger Straße 10 zu beziehen - 31 Jahre wird er diese Funktion an diesem Ort nahe der Universität innehaben. Eine ganze Generation österreichischer Chemiker, die später in Industrie und Wissenschaft tätig sind, wird hier ausgebildet, der berühmteste Schüler ist Carl Auer von Welsbach. Nun wird Lieben auch von Österreich geehrt und mit Auszeichnungen bedacht: Unter anderem wird er auf Grund seiner Verdienste um „Staat, Kirche, Wissenschaft oder Kunst" 105 Mitglied auf Lebensdauer im österreichischen Herrenhaus. In einem Nachruf der Neuen Freien Presse vom 8. Juni 1914 ist zu lesen: „Im Herrenhaus bewährte er sich als entschiedener Anhänger der liberalen Partei, Adolf, der Chemiker
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der gleichzeitig mit ihm seine beiden Schwäger Josef Unger und Professor Baron [Josef] Schey und seine Anverwandten Julius und Theodor Gomperz angehörten."
V E R B I N D U N G MIT FAMILIE SCHEY
Bald ändern sich auch seine privaten Lebensumstände. 1887 heiratet er, 51-jährig, Mathilde von Schey, die 25 Jahre jünger ist. „Ich habe zwar spät geheiratet, aber das Experiment ist überaus glücklich ausgefallen und zwei heranwachsende Söhne beleben unser Haus." So schreibt A d o l f Lieben in einer autobiographischen Skizze im Jahre 1906. Mathilde ist die Tochter eines der bedeutendsten Bankiers dieser Zeit: Friedrich Schey, der 1859 zwei Jahre vor Mathildes Geburt in den Adelsstand erhoben wurde. Vorerst Praktikant im Bankhaus Wertheimstein, wird er mit 24 Jahren Teilhaber am Geschäft seines Schwiegervaters Joseph Landauer — eine Parallele zu Ignaz Lieben. Friedrich Schey heiratet hintereinander drei Schwestern Landauer! In jüdischen Familien ein nicht so ungewöhnlicher Vorgang. Mathilde stammt aus der dritten dieser Ehen und ist das vorletzte von acht Kindern. Friedrich Schey gründet nach dem Tod des Schwiegervaters 1855 ein eigenes Geschäft und erwirbt durch glückliche Spekulationen ein beträchtliches Vermögen, das in erster Linie im Eisenbahngeschäft und am Industriesektor angelegt ist. 1854 wird er Direktor der Vöslauer Kammgarnfabrik, 1859 Verwaltungsrat der Theißbahn und der Alföld-Fiumaner Eisenbahn, 1862 Verwaltungsrat der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn. In diesem Hause und Wohlstand wächst Mathilde auf und erhält eine umfassende Bildung, unter anderem hat sie Musikstunden bei dem Komponisten H u g o Wolf. Dieser ist eng mit der Familie von Mathildes Bruder Josef befreundet, denn die Familie von Josefs Frau lässt Hugo W o l f jahrelang finanzielle Unterstützung zuteil werden. Friedrich Schey ist wohl das, was man einen typischen H o m o novus der Wiener Geldaristokratie nennt. W i e viele andere jüdische Persönlichkeiten setzt auch er seinen Ehrgeiz daran, den Reichtum nicht nur für sich und seine Familie zu verwenden, sondern sich als Förderer, Gönner, Mäzen im sozialen und kulturellen Bereich zu betätigen.106 Folglich wird auch er zu einem bedeutenden Kunstsammler. 196
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Palais Schey
Sein Palais an der Wiener Ringstraße Ecke Opernring/Goethegasse direkt neben dem Burggarten ist ein bedeutender Treffpunkt der Wiener Theaterkreise, er ist Mitstifter des Künstlerhauses und Sponsor des Wiener Stadttheaters, dem heutigen Ronacher in der Wiener Seilerstätte. Um seinem Freund Heinrich Laube zu ermöglichen, nach dessen Abgang vom Burgtheater weiter in Wien tätig zu sein, engagiert sich Friedrich Schey für die Einrichtung des Stadttheaters - und ist auch in seinem Bemühen erfolgreich, Laube an diesem Theater in Wien zu halten — von 1870 bis 1880 ist er der Leiter. Eine der Stützen des Hauses ist Siegwart Friedmann. Friedrich Schey ist aber auch Präsident der Wiener Börsekammer damit besteht eine Verbindung zu Leopold Lieben - und der Wiener Handelsakademie. Dieser gilt sein besonders Interesse, sie ist das erste öffentliche Gebäude, das an der neuen Ringstraße errichtet wird. Auch unterstützt er Polarexpeditionen, zu dieser Zeit etwas ganz Neues. In einer Lebensskizze aus der Zeit der Wiener Weltausstellung 1873 heißt es dazu: Der „durch eigene Spannkraft des Fleißes und der Combination" zum Verbindung mit Familie Schey
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Alexander Strakosch, Katharina Schratt, Heinrich Laube und der Geldgeber Friedrich Schey vor dem Wiener Stadttheater
Millionär gewordene komme „de facto einem noble man" gleich, sein „Reichtum machte ihn zum Aequivalenten des Adels". 107 Und das ist es ja auch, was angestrebt wird. Attribute des Adels und dessen feudaler Traditionen machen sich diese reichen und nobilitierten Familien zu Eigen, sie streben Grundbesitz an, etablieren sich als Förderer der Künste und der Wissenschaft und übernehmen so die Funktionen, die der Adel ein198
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mal hatte und nun auf Grund der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr im selben Ausmaße wahrnehmen kann. Mathildes Bruder Josef Schey, geboren 1853, ist einer der bedeutendsten Juristen Österreichs, wiederum ein Zeichen für den hohen Wert der Bildung in den jüdischen Industriellenfamilien - wissenschaftliche Tätigkeit gilt für die zweite Generation als anstrebenswertes Ziel. Die Söhne der Industriellen wenden sich, wie hier anhand mehrerer Beispiele deutlich wird, oft Kultur und Wissenschaft zu, auch wenn die Väter vorerst dagegen sind und eine berufliche Laufbahn in der Wirtschaft vorziehen würden. Nach seiner Promotion als 22-Jähriger habilitiert sich Josef bereits zwei Jahre später zum Privatdozenten und steigt die Karriereleiter bis zur Professur 1894 hinauf. Seine Hauptbeschäftigung gilt dem bürgerlichen Recht. 1907 wird er zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses berufen. Auch in dieser Familie sind starke künstlerische Talente vorhanden - Josef ist ein glänzender Pianist. Er stirbt am 18. Jänner 1938 - es bleibt ihm erspart, den Untergang Österreichs und die Verfolgung seiner Familie, seiner Freunde, seiner Kollegen miterleben zu müssen. Karl Przibram, ein Neffe Josefs, der stellvertretende Vorstand des Instituts für Radiumforschung an der Universität Wien, der 1938 des Dienstes enthoben wird und nach Belgien emigriert, beschreibt seine Jugendzeit: „Der in meinem Elternhaus herrschende Geist war der des gebildeten jüdischen Bürgertums der liberalen Ära, mit seinem unbedingten Glauben an den Fortschritt und seiner Aufgeschlossenheit für alle Errungenschaften der Kunst und Wissenschaft. Z u meinen Onkeln gehörten die Juristen Josef Unger und Josef Schey sowie der Chemiker Adolf Lieben. Mein Vater selbst interessierte sich sehr für die technischen Anwendungen der Naturwissenschaften. Er war an der Erfindung einer galvanischen Batterie beteiligt, mittels welcher er Anfang der achtziger Jahre unsere Wohnung beleuchtete."108 Nach Friedrich Scheys Tod im Jahre 1881 fuhrt seine Witwe Hermine weiterhin ein großes Haus - ihr Enkel Fritz erinnert sich: „Im Hause Schey herrschte auch nach dem Tod meines Großvaters rege Geselligkeit. Meine Großmutter war eine schöne, hochgewachsene Frau, energisch und rüstig für ihr Alter."'09 1906 feiert Adolf seinen 70. Geburtstag. Z u diesem Anlass wird eine Festschrift verfasst, in dem ihm Kollegen und Schüler ihre Reverenz erVerbindung mit Familie Schey
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Der Dachgarten
weisen. Zuvor hatte man zu Spenden aufgerufen, um eine Adolf-LiebenStiftung ins Leben zu rufen, deren Zinsen zur fachlichen Ausbildung junger Chemiker verwendet werden. Uber 10.000 Kronen gehen ein, immerhin 500 davon spendet Max Gutmann, doch auch andere wichtige Familien des Wiener Bürgertums, die nichts oder nur wenig mit Chemie zu tun haben, spenden für diesen guten Zweck. Adolf und Mathilde übersiedeln nach Adolfs Emeritierung ebenfalls ins Haus der Familie Lieben in der Mölkerbastei 5 — jedoch wohnen sie nicht in der repräsentativen Beletage, sondern ziehen unters Dach. Heute sicherlich eine der begehrtesten Wohnungen, damals jedoch als nicht ganz standesgemäß angesehen. Sie aber richten sich, eine Novität in Wien, einen Dachgarten mit Blick Richtung Währingerstraße ein. Hier ist nun genügend Platz, um große Gesellschaften zu veranstalten. Mathilde „machte ihr Haus zu einem Mittelpunkt der vornehmen Wiener Geselligkeit. Es gab in Wien wenige Häuser, in denen namentlich die Welt der Gelehrten sich so behaglich fühlte, wie in dem Liebenschen Hause." Vielfältig sind die Freunde und Bekannten, darunter natürlich 200
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Interieur der Wohnung von Adolf und Mathilde Liehen
Fritz und Heinrich Liehen Verbindung mit Familie Schey
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Fritz Lieben mit seiner Mutter Mathilde
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viele Naturwissenschafter: Carl Auer von Welsbach, der Erfinder der Glühlampe, Ludwig Boltzmann, der Physiologe Sigmund Exner, Josef Breuer als Hausarzt der Familie, viele Mitglieder der Familie Gomperz, der Historiker Ludo Hartmann und viele Staatsmänner und Künstler zählen zum großen Kreis von Adolf und Mathilde. Unterstützungen und wohltätige Spenden kommen auch in dieser Familie nicht zu kurz. In seinem Testament verfugt Adolf, dass 30.000 Kronen ftir wohltätige Zwecke gespendet werden sollen, bedacht werden studentische Vereinigungen ohne Rücksicht auf Konfession genauso wie das Israelitische Taubstummeninstitut, die Poliklinik und Unterstützungsvereine für bedürftige Kinder. In dieser Atmosphäre wachsen die beiden Söhne Fritz und Heinrich heran. Fritz, geboren 1890, besucht das Schottengymnasium, fur die liberale bürgerliche Gesellschaft das Pendant zum Akademischen Gymnasium, und entscheidet sich nach einigen Überlegungen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und ebenfalls Chemie zu studieren. Die Voraussetzungen sind für ihn wesentlich günstiger - jedenfalls vorerst. Keine rechtlichen Beschränkungen existieren mehr fur jüdische Studenten und Absolventen, doch sind sie trotzdem antisemitischen Angriffen ausgesetzt, und oft werden Posten aus fadenscheinigen Gründen an nichtjüdische Bewerber vergeben. 27 Jahre dauert Mathildes Ehe mit Adolf Lieben, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges stirbt er und muss den Zusammenbruch der Alten Welt nicht mehr erleben. Seine Söhne müssen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges einrücken, die Mutter bleibt allein in Wien zurück: „Das Herausgerissen-Werden aus Familie, Heim und Studium bedeutete fur mich, wie fur so viele andere, natürlich einen nicht geringen Schock und die 14 heißen Augusttage, die mir noch in Wien beschieden waren, waren für die Uberwindung dieses Schocks und die notwendige seelische ,Umstellung' von wichtiger und wohltätiger Bedeutung." Zuerst an der russischen Front und 1917 an den italienischen Kriegsschauplatz verlegt, lernt Fritz den Alltag während eines Krieges in all seinen Facetten kennen. „Während meiner Felddienstzeit hatte ich eine Funktion zu erlernen und auszuüben, nämlich mich zu adaptieren; ich sollte diese Fähigkeit im späteren Leben noch bitter nötig haben!" Verbindung mit Familie Schey
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Fritz Lieben
Heinrich und Margit Lieben
Nach dem Ende des Krieges ist die Lage völlig verändert. Das Ende der Monarchie hat nicht nur wirtschaftliche Folgen für die Familie, Fritz und Heinrich, mittlerweile 28 und 24 Jahre alt, müssen den Anschluss an Studium, Beruf und Arbeit wieder finden, sich an den Alltag und ein geregeltes Zivilleben gewöhnen. Fritz tritt in die chemische Abteilung des Physiologischen Universitätsinstitutes ein, sein Lehrer ist Otto Fürth, der die Leitung dieser Abteilung bis 1938 innehat und bereits im Juni 1938 stirbt, nachdem man ihn wenige Wochen zuvor hinausgeworfen hatte. Fritz selbst wird 1925 Privatdozent für physiologische Chemie, bis 1938 veröffentlicht er 62 Abhandlungen und ein Buch zur Geschichte der physiologischen Chemie, das zu einem Standardwerk wird. 1936 erhält er die außerordentliche Professur in diesem Fach - nur zwei Jahre soll er diese Position innehaben, dann wird er von einem Tag auf den anderen „beurlaubt". In den 1920er Jahren ist die Situation für Naturwissenschafter bedrückend, Geldmangel und geringes Interesse des Staates, aber auch die 204
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immer aggressivere und öffentlich akzeptierte Diskriminierung von Juden bei Bewerbungen veranlassen schon vor 1938 viele Wissenschafter, das Land zu verlassen - noch nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch wegen der wesentlich besseren Arbeitsbedingungen in anderen Ländern. Die wirtschaftliche Situation verschlechtert sich immer weiter, die Creditanstalt und im Zuge dessen auch viele kleinere Bankinstitute brechen zusammen. 1931 ereilt dieses Schicksal auch das Bankhaus Auspitz & Lieben, in das mittlerweile Heinrich Lieben eingetreten ist. Max Löwenthal, bedeutender österreichischer Jurist, erinnert sich daran: „Die Weltwirtschaftskrise warf die angesehensten Gesellschaften um. Als der alte Herr von Auspitz, der C h e f des altangesehenen Bankhauses AuspitzLieben, mit zitternder Hand das Ausgleichsedikt unterschrieben hatte, sagte mir der Richter: ,Herr Doktor, Sie haben eine Tragödie miterlebt, von deren Ausmaß Sie noch keine Vorstellung haben können.'"" 0
1938 -
VOGELFREI
Mathilde muss den Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien noch miterleben, sie stirbt im Februar 1940, einen Monat, bevor ihr Sohn Fritz emigriert. „In diesem terrorisierten, gewaltsam besetzten und totalitär regierten Land habe ich zwei Jahre leben müssen. Das Laboratorium mußte ich nach wenigen Tagen verlassen, die Arbeit mit mindestens fünf Mitarbeitern in meinem Zimmer mußte abgebrochen werden." Sehr schnell „säubern" die Nationalsozialisten die Universitäten, am 31. Mai 1938 werden durch eine Verordnung all die „Entlassungen" und „Beurlaubungen", die bereits ausgesprochen wurden, im Nachhinein legitimiert. Denn bereits am 22. April leitet das Unterrichtsministerium eine Liste der zu entlassenden bzw. zu beurlaubenden Angehörigen an die philosophische Fakultät weiter. Wiederum ein Fall von vorauseilendem Gehorsam. Die Hälfte der Professoren und Dozenten für Chemie, ein Drittel für Physik und auch für Mathematik werden entlassen. Der Verlust für die österreichischen Naturwissenschaften durch die Vertreibung so vieler hervorragender Wissenschafter ist in der Forschung sicherlich bis heute spürbar, ihr Wissen wird vor allem in die U S A , aber auch nach Großbritannien transferiert, w o an bestehenden naturwissenschaftlichen Instituten die 1938 - vogelfrei
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vertriebenen Wissenschafter die Chance und Möglichkeit bekommen, Forschungen zu betreiben und bereits erlangte Ergebnisse weiterzuvermitteln. Zurückgekommen ist nach 1945 kaum einer von ihnen."' Plötzlich ist alles anders, die Familie, die so viel fur Osterreich geleistet hat, dem Land in großer Liebe verbunden und bis zu diesem Tag geachtet war, ist plötzlich vogelfrei, wird verfolgt, ermordet, aus dem Land getrieben. „So überlebte ich denn, wie meine Blutsverwandten sich in alle Erdteile zerstreuten, wie viele von ihnen und von meinen Freunden gleich oder später Selbstmord begingen oder in Konzentrationslagern gewaltsam oder allmählich zugrunde gingen, wie andere ehemalige Freunde mit fliegenden Fahnen zu den Nazis übergingen; wie ich in meiner Vaterstadt über Nacht zum rechtlosen Pariah herabsank, wie meine teure Mutter durch Krankheit von einem Leben der Verzweiflung erlöst wurde." So schreibt Fritz Lieben in seiner Autobiographie. Er versucht, das Land zu verlassen - wie man weiß, ein schwieriges, fast unlösbares Unterfangen. Das Haus in der Mölkerbastei können und wollen sich die Nationalsozialisten nicht entgehen lassen — und alles soll ja einen legalen Anstrich haben. Komplizierte Transaktionen, Formulare, Erniedrigungen stehen auf der Tagesordnung, „dazu kamen die Reichsfluchtsteuer und die sogenannte Judenabgabe". Dies ist übrigens die einzige Stelle in Fritz Liebens Autobiographie, an der auf irgendeine Beziehung zum Judentum verwiesen wird. Dies sagt wohl viel über sein Verhältnis zum Judentum aus - er, so wie viele seiner Generation, haben die Verbindung und Beziehung verloren, konvertieren, um heiraten zu können, und fühlen sich „den Juden" nicht verbunden. Sie leben nun in einer anderen Welt, in der die Herkunft, wie sie glauben wollten, keinerlei Bedeutung hat. Und nun werden sie mit großer Wucht und Gewalt wieder darauf gestoßen. Endlich gelangt Fritz im April 1940 nach Belgien, wo er mit seinem Cousin Karl Przibram zusammentrifft. Dessen Bruder Hans Przibram, ein anerkannter Zoologe, kann das Land nicht mehr verlassen, er stirbt auf dem Transport nach Theresienstadt. Fritz gelangt weiter nach Frankreich, wird unter schrecklichen Bedingungen interniert und schafft es, im April 1941 über Lissabon, wo sein Cousin Ernst Lieben lebt, in die U S A zu kommen. In New York nimmt ihn Herbert Schey, ein anderer Cousin, in Empfang, weitere Verwandte wiederum leben in der Schweiz. 12 Jahre wird Fritz in den USA bleiben und arbeiten, dann kehrt er nach Oster206
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Familie Winter in
reich zurück. „Ich bereue meinen Entschluß, heimgekehrt zu sein, nicht. Ich habe im Institut dasselbe Zimmer inne wie vor dem Krieg." Heinrich Lieben bleibt in Wien, er „verwendete viel Zeit und Energie fiir diese Sisyphus-Arbeit. Auch in der Nazi-Zeit gab es übrigens Hintertüren und ,Richter', d. h. Agenten, die es einem richteten'. Trotz allem, was ich später mitmachte, waren die zwei Jahre in Wien, wo bei jedem Ton der Hausglocke man der Verhaftung durch die Nazihäscher gewärtig sein mußte, das Ärgste gewesen." Heinrich ist völlig konträr zu seinem Bruder und man ist versucht zu sagen, dass er es darauf anlegt, die Nationalsozialisten herauszufordern. „Mein Bruder war ein hochgewachsener, eleganter Mann. Er hatte in Wien noch immer einigen Verkehr und 1938 — vogelfrei
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war in dieser - von Spitzeln wimmelnden - Stadt in seiner ganzen Lebensweise äußerst unvorsichtig." Heinrich wird eingesperrt, kommt aber wieder frei. Das Land zu verlassen, wird immer schwieriger, so entschließt er sich, mit Hilfe eines „Schleppers" nach Ungarn zu gelangen. Seine Lebensweise ändert er auch dort nicht - den Nationalsozialisten kann er somit letztendlich nicht entkommen, wird deportiert und im März 1945 mit 51 Jahren ermordet. Das Schicksal seiner Cousine Josefine, Tochter von Rudolf Auspitz und Helene Lieben, zeigt die Hilflosigkeit, Verständnislosigkeit und das Unvermögen zu begreifen, was in Wien, der Heimat, der Stadt der Kultur und der Wissenschaft, für die man alles gemacht und gegeben hat, passiert. 1904 waren Josefine und Josef Winter von der Mölkerbastei in eine Villa im Währinger Cottage übersiedelt. Der ursprüngliche Erbauer der Villa hatte im Park exotische Bäume und Sträucher pflanzen und verschiedene Tiere aussetzen lassen, sogar Affen, für die künstliche Felsen errichtet werden mussten! Die über 70jährige Josefine wird nun gezwungen, aus ihrer Villa in ein Zwangsquartier in den 2. Bezirk zu übersiedeln, zusammengepfercht mit vielen anderen Menschen unter schrecklichen Bedingungen. Bis zum Schluss kann sie nicht glauben, dass auch ihr Leben in Gefahr ist. In Gefahr durch die eigenen Landsleute, denen sie nie etwas Böses getan hat. Sie erstellt eine Liste all der Wohltätigkeiten, die die Familie geleistet hat. Ihr Glaube an den Rechtsstaat ist so tief in ihr verwurzelt, dass sie einen Brief an Adolf Hitler schreibt, dem sie die Liste beilegt! Ein Brief, in dem sie ihn auffordert, ihr die willkürlich aberkannten Bürgerrechte wieder zurückzugeben. Als Antwort wird sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie nach drei Wochen zugrunde geht.
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QUELLEN- UND
LITERATURVERZEICHNIS
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MANDL
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ANHANG
GUTMANN
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FRIEDMANN
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214
ANHANG
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LIEBEN
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215
DANK
Vielen Menschen sei fur ihre Hilfe, Unterstützung und Geduld gedankt. Zuerst den Angehörigen der Familien selbst, die mir vertrauensvoll Unterlagen zur Verfügung gestellt haben, die noch nicht publiziert oder auch nur der Öffentlichkeit bekannt waren. Sie haben mir ermöglicht, völlig neue und unbekannte Aspekte ans Tageslicht zu bringen. Auf Grund dieser Unterlagen, die je nach Familie unterschiedlich sind und von Briefen bis zu Autobiographien und Erzählungen reichen, sind die Schwerpunkte auch völlig anderes. Ich konnte und wollte mich nur auf schriftliche Quellen verlassen - und die ergaben bei jeder Familie völlig unterschiedliche Gewichtungen. Daher ist es mir gelungen, Aktenmaterial und Unterlagen zu verarbeiten, die der Öffentlichkeit bis jetzt noch nicht zugänglich waren. So der Aktenbestand der „Arisierung" der Hirtenberger Patronenfabrik, der im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar liegt, Briefe und Autobiographien von Alexander Friedmann, Christi Patzau-Strakosch, Fritz Lieben. Aber ich habe auch versucht, bereits gedruckte, jedoch in Vergessenheit geratene Bücher aufzutreiben, so die Autobiographie von Siegwart Friedmann, Gedichte von Anna Lieben und Moritz Gutmann, Rezensionen über Käthe Gutmann, Bücher von Siegfried Strakosch und Alexander Friedmann, die zu ihrer Zeit weite Verbreitung gefunden hatten, heute aber kaum mehr jemandem bekannt sind. Dasselbe gilt fiir das Bildmaterial, das mir alle Familien bereitwillig zur Verfügung gestellt haben — so darf ich zum ersten Mal ein Porträt von John Quincy Adams, das die Schwestern Alexandrine und Johanna Friedmann darstellt, abbilden. Aber auch Photos der Inneneinrichtung verschiedenster Häuser und Villen erleichtern es, sich das Leben dieser Familien besser vorstellen zu können. So danke ich, in der Reihenfolge der Familienkapitel: Fritz Mandl, Erich Strobl; Lorle Grant, Ernst Haupt-Stummer, Bettina Gutmann, Gary Hickling, Karl Krause, Peter Krause und Marcel ANHANG
Prawy; Christi Patzau in Erinnerung und Lilly Schnitzler, Christopher Strakosch, Christian Springer; Imre und Mirli Satzger in Erinnerung, Pupizi und Richard Eisinger, Mauki Laurence-Satzger und Pipa LehovichSatzger; Wolfgang und Christoph Lieben-Seutter. Dank auch an meine Mutter und meine Schwester, an Peter und Veronika, die dafür gesorgt haben, dass ich nicht verhungert, im Chaos versunken und der Realität völlig abhanden gekommen bin. Dank an meine Korrektur lesenden Freunde Hanna Ecker, Monika Kiegler-Griensteidl, Georg Male, Michael Schwanda. Die Reise nach Weimar, die ich gemeinsam mit Fritz Mandl unternommen habe, um die Arisierungsakten der Hirtenberger Patronenfabrik zu sichten, war nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch der Grundstein einer guten Freundschaft, die durch viele Buchdiskussionen erfolgreich erprobt wurde. Die Gastfreundschaft, die ich im Haus der Familie Elsinger-Friedmann in Mondsee genießen durfte, hat das Kapitel über diese Familie im Angesicht der Urahnen an den Wänden lebendig werden lassen. Ein spezieller Dank an Silke Ebster, die durch ihre Dissertation über Bad Vöslau viele wertvolle Vorarbeit geleistet hat. Und vor allem Dank an Georg Gaugusch, dessen unermüdlichem Einsatz es zu verdanken ist, dass alle Daten überprüft und verifiziert sind. Spekulationen hat er nicht gestattet - und das hat zur Qualität und Seriosität der Forschungen beigetragen. Danke auch an den Verlag, der mich ermutigt hat, ein Buch zu schreiben, und der sich sowohl bei der Entstehung als auch bei der Herstellung besonders eingesetzt hat: im Besonderen Eva Reinhold-Weisz, Elisabeth Dechant, Michael Rauscher, Andreas Burghardt und Roland Tomrle.
Dank
217
STAMMBÄUME
Ferdinand Mandl
220
ANHANG
Bernhard Mandl
Bernhard _ 1833 - 1901 ~
Louis 1866-
_ ~
Albertine Neumann 1848 · 1919
Ludwig Mandl 1862 - 1937
Elvira Müller
Leo
Paul 1892 -
_ ~
Margarete Lubinka 1910-
Friederike 1900-
Julius Otto "Joe May* 1880- 1954
_ ~
Fritz Feuer 1896 -
Richard
Hermine "Mia May" 1884 - 1980
Eva 1902 - 1924
Ignaz Mandl
Stammbäume
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Sigmund Mandl
222
ANHANG
Stammbäume
223
Wilhelm Gutmann
224
ANHANG
Stammbäume
225
David Gutmann
226
ANHANG
Stammbäume
227
Familie Strakosch
228
ANHANG
XXX
Stammbäume
229
Die Impresari Strakosch
230
ANHANG
tu
Stammbäume
231
Familie Lieben
Leopold - 1818
Rosa 1834- 1861
Leopold 1835 - 1915
Anna Todesco 1847 - 1900
Wilhelm Leembruggen 1871 -
Johann Karplus 1866- 1936
=
Ilse 1873 -
Valerie 1874 - 1938
Marie Thumb 1895 -
Ernst 1875 - 1970
Anna Schindler
Robert 1878 - 1913
Edmund Motesiczky 1866- 1909
Henriette 1882- 1978
232
Adolf 1836- 1914
Mathilde Schey 1861 - 1940
Fritz 1890- 1966
Gerda Seutter 1897- 1955
Heinrich 1894- 1945
Margit Döry 1895 -
ANHANG
Stammbäume
2-33
ANMERKUNGEN
ι
L. Moses, Urkunden und Inschriften aus dem südlichen Burgenland, in: Jüdisches Archiv, 2. Jahrgang, X-XII/1928, S. 45
2 L. Moses, Urkunden und Inschriften aus dem südlichen Burgenland, in: Jüdisches Archiv, 2. Jahrgang, X-XII/1928, S. 44f. 3 Arthur Schnitzler, Jugend in Wien (Wien 1968) S. 52; Näheres über die Sommerfrische Bad Vöslau siehe Silke Ebster, „... ein treuer und dankbarer Freund Vöslaus ...". Mietvillen, ihre Besitzer und Gäste im Kur- und Sommerfrischeort Bad Vöslau während der franzisko-josephinischen Epoche (1852-1914). Dissertation (Wien 1996) 4 Arthur Schnitzler S. 2of. 5 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand NS-Industriestiftung Weimar, 16 6 Näheres über Joe May und dessen Bedeutung für den Film siehe Hans-Michael Bock/Claudia Lenssen (Red.), Joe May - Regisseur und Produzent (München 1991) 7 Cajetan Felder, Erinnerungen eines Wiener Bürgermeisters (Wien 1964) S. 293f. 8 Neue Freie Presse, 5.5.1907, S. 11 9 Felder, Erinnerungen S. 216 10 Arthur Schnitzler S. 146 11 Arthur Schnitzler S. 145 12 Arthur Schnitzler S. 176 13 G . E. R. Gedye, Die Bastionen fielen (Wien o.J.) S. 67 14 Hedy Lamarr, Ekstase und ich (Flensburg 1966) S. 24 ff. 15 11.4.1938. Aktennotiz des Bankiers Wehrli über eine Besprechung mit Fritz Mandl am 8. und 9. April 1938. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar 75 16 27.3.1938. Brief von Fritz Mandl an den Reichsstatthalter Seiss-Inquart. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar, 75 17 Max Löwenthal, Doppeladler und Hakenkreuz (Innsbruck 1985) S. 62 18 Ernst Rüdiger Starhemberg, Memoiren (Wien 1971) S. 83 19 28.4.1938 Brief von Staatsrat Eberhart. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar 74 20 Neue Freie Presse, Neues Wiener Extrablatt, Neues Wiener Tagblatt, Wiener Zeitung, Neues Wiener Journal, alle vom io.und 11.1.1933 21 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar 75 22 27.3.1938. Brief von Fritz Mandl an den Reichsstatthalter Seiss-Inquart. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar 75 23 26.3.1938. Brief von Fritz Mandl aus Villefranche an seinen Anwalt Dr. Bausek. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand GustlofF-Werke Weimar 75
Anmerkungen
2-35
24 Ι4·7· ι 938· Antwort des Anwalts Dr. Wespi auf vorstehenden Plan. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 25 29.8.1938. Niederschrift der Verwaltungsratssitzung. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke NS-Industriestiftung Weimar 17 26 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand NS-Industriestiftung Weimar, 130 27 Thüringer Gauzeitung, 8.4.1938 28 2.1.1938. Vereinbarung zwischen der G D Hirtenberg und Fritz Mandl. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff- Werke Weimar 74 29 12.5.1938. Brief Eberhardt an Wehrli. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 30 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 31 27.3.1938. Brief von Fritz Mandl an den Reichsstatthalter Seiss-Inquart. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 32 27.3.1938. Brief von Fritz Mandl an den Reichsstatthalter Seiss-Inquart. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 33 27.3.1938. Brief an Direktor Pflug mit einem Aufruf an die Belegschaft. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 34 27.3.1938. Brief an Direktor Pflug mit einem Aufruf an die Belegschaft. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 35 1.7.1938. Bericht über die Übernahme von Hirtenberg von Staatsrat Eberhardt. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 70 36 12.5.1938. Brief Eberhardt an Wehrli. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 37 12.5.1938. Brief Eberhardt an Wehrli. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 38 12.5.1938. Brief Eberhardt an Wehrli. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 39 3.6.1938. Vorvertrag. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 70 40 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 41 22.9.1938. Brief der Hirtenberger an Eberhardt. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 42 1.7.1938. Bericht über die Übernahme von Hirtenberg von Staatsrat Eberhardt. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 70 43 1.7.1938. Bericht über die Übernahme von Hirtenberg von Staatsrat Eberhardt. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 70 44 17.9.1938. Brief Länderbank/Vorstand Leonhard Wolzt an Staatsrat Eberhardt. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gusdoff-Werke NS- Industriestiftung Weimar 135 45 6.5.1938. Dr. Schweizer an Beckurts. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 46 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75
236
ANHANG
47 Ι3·4· ι 938. Aktennotiz, Besprechung für die Gestapo. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 48 13.4.1938,
Aktennotiz. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-
Werke Weimar 75 49 21.4.1938. Brief von Staatsrat Eberhardt an die Gestapo Wien, z. Hd. Herrn Kriminalrat Meisener. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 50 21.7.1938.
Brief Karl Beckurts an Dr. Bausek. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar,
Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 51
23.6.1939.
Vorstandsvorsitzender der Gustloff-Werke Karl Beckurts an den Vorsitzen-
den des Verwaltungsrates Staatsrat Dr. Walter Schieber. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 Aktennotiz über Gespräche zwischen Wehrli und Mandl am
52 22.4.1938. 20.4.1938
19.
und
in Zürich. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gusdoff-Werke
Weimar 75 53
19.7.1938.
Staatsrat Eberhardt an Gauleiter Sauckel. Thüringisches Hauptstaatsarchiv
Weimar, Bestand Gustloff-Werke NS-Industriestiftung Weimar 131 54 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 55 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 56 10.8.1938.
Brief Staatrat Eberhardt an den Reichsführer SS. Thüringisches Haupt-
staatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 74 57 Jahresbericht 1938. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke NS-Industriestiftung Weimar 57 58 Aus: „Weltdienst" 1.7.1939. Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Gustloff-Werke Weimar 75 59 Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Sammelwerk (Brünn 1929) S. 92 60 Feivel Hillel, Die Rabbiner und die verdienstvollen Familien der Leipniker Gemeinde im 17., 18. und 19. Jahrhundert (Mährisch-Ostrau 1928) Bd. 1, S. 135 61 Deutschnationale Korrespondenz, 29. August 1912, S. 1 62 Hugo Gold, Juden Mährens S. 306 63 60 Jahre Industrieller Club 64 Testament vom 27. Juli 1904: Moritz Edler von Kuffner ist nicht nur der Erbauer der Kuffner-Sternwarte, sondern auch der Besitzer der Ottakringer Brauerei. 65
Berndt W. Wessling, Lotte Lehmann (Köln
1995)
S.
I2iff
66 Für diesen Hinweis danke ich sehr herzlich Prof. Marcel Prawy. 67 Ich danke Evy Seemann für diese Informationen. 68 Für diese Erzählungen danke ich sehr herzlich Peter Krause, Pennsylvania. 69 Brief von Miss Parish, zit. Bei Beaumont Glass, Lotte Lehmann. A life in opera and song (Santa Barbara 1988) S. 176 f 70 Für diesen Hinweis danke ich sehr herzlich Bettina Gutmann. 71
Neues Wiener Tagblatt,
3.4.1930
72 Siehe Felicitas Heimann-Jelinek, Sommerakademie Wien-Prag-Budapest. Jüdische Stifter und Mäzene, in: Illustrierte Neue Welt, August/September 1993, S. 32f
Anmerkungen
237
7 3 Adolf Gaisbauer, Davidstern und Doppeladler (Wien 1 9 8 8 ) S. 2 0 7 4 Sotheby's, Sammlung Rudolf von Gutmann (London 1 9 8 7 ) 75
Christi Patzau, A Viennese Family (Haversford 1 9 8 7 ) im Eigenverlag, S. 2 9
7 6 Sigmund Mayer, Die Wiener Juden (Wien 1 9 1 8 ) S. 4 3 5 7 7 Siegfried von Strakosch, Werkausgabe (Wien 1 9 3 3 ) S. 4 78
Felix Saiten, Gestalten und Erscheinungen (Berlin 1 9 1 3 ) S. 2 3 8 f r .
7 9 Albert Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben (Wien 1 9 1 4 ) S. 7 7 8 0 Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen in der Kulturgeschichte der Menschheit. (Leipzig-Reudnitz, Payne o.J.) Band 1 S. 2 5 6 81 82
Hugo Gold, Juden Mährens S. 1 5 2 Eingabe an die k.k. Statthalterei vom 2 7 . September 1 8 5 6 , zit. bei Jakob Baxa, 1 8 6 7 - 1 9 6 7 1 0 0 Jahre Hohenauer Zuckerfabrik der Brüder Strakosch S. 2 5
83
Hugo Gold, Juden Mährens S. 1 5 8
8 4 Die Habsburgermonarchie, Band 1 (Wien 1 9 7 3 ) S. 205f 85
Emanuel von Proskowetz jun., Die Rübenzuckerfabrikation und die Zuckerrübencultur, in: Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft III (Wien 1 8 9 9 ) S. 6 1 3 , zit. In: Die Habsburgermonarchie, Band 1 (Wien 1 9 7 3 ) S. 4 1 1
8 6 Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen Band 1, S. 1 8 4 8 7 Siegfried von Strakosch, Werkausgabe (Wien 1 9 3 3 ) S. 4 88 Zitiert bei Anton Schuhes, Heimatbuch der Marktgemeinde Hohenau a. d. March (Hohenau 1 9 5 7 ) S. 2 0 8 8 9 Siegfried von Strakosch, Werkausgabe (Wien 1 9 3 3 ) S. 4 9 0 Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen Band 1, S. 2 0 9 91
Helene von Racowitza, Von anderen und mir. Erinnerungen aller Art (Berlin 1 9 0 9 ) S. 1 6 9
9 2 Ludwig Eisenbergs Großes Biographisches Lexikon der Deutschen Bühne im XIX. Jahrhundert (Leipzig 1 9 0 3 ) S. 2 8 7 9 3 Arthur Schnitzler S. 2 8 9 9 4 Alexander Friedmann, Die Luftreinigung großer Städte durch Ventilation und Miasmenverbrennung (Wien 1 8 6 6 ) 95
Cajetan Felder, Erinnerungen S. 2 6 1
9 6 Arthur Schnitzler S. 2 0 5 f r . 9 7 Arthur Schnitzler S. 2 7 i f f . 9 8 Zitiert bei Christine Hasitzka, Die Villa Friedmann in der Hinterbrühl bei Wien (Wien o.J.) 9 9 Stadler Friedrich (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien 1 9 8 8 ) S. 4 8 1 1 0 0 Adolf Lieben-Feier 2 0 . Dezember 1 9 0 6 101
Fred Hennings, Ringstraßensymphonie (Wien 1 9 6 3 ) S. 3 2
1 0 2 Appiganesi Lisa, Forrester John, Freuds Women (London 1 9 9 2 ) 1 0 3 Adolf Lieben, Erinnerungen an meine Jugend- und Wanderjahre (Wien 1 9 0 6 ) S. 2 0 1 0 4 Alle Zitate aus Gudrun Haindl, Die Familie von Lieben (Wien 1 9 9 6 ) Diplomarbeit 1 0 5 Gerald Stourzh, Die Mitgliedschaft auf Lebensdauer im österreichischen Herrenhause, 238
ANHANG
1861-1918, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 73. Band (Graz-Köln 1965) S. 63fr 106 Norbert Leser, Jüdische Juristen, in: Österreichisch-)üdisches Geistes- und Kulturleben Band 2 (Wien 1988) S. 23 107 Zit. bei Franz Baltzarek, Alfred Hoffmann, Hannes Stekl, Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Stadterweiterung (Wiesbaden 1975) S. 285 108 Berta Karlik, Karl Przibram. Nachruf in: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 12. Jg 1974 (Wien 1975). Zitiert bei Wolfgang L. Reiter, Wissenschaftsemigration am Beispiel des Instituts fur Radiumforschung, in: Friedrich Stadler, Vertriebene Vernunft II S. 716 109 Fritz Lieben, Aus der Zeit meines Lebens (Wien i960) ungedrucktes Manuskript im Besitz der Familie 110 Max Lowenthal, Doppeladler und Hakenkreuz (Innsbruck 1985) S. 75 hi
Wolfgang L. Reiter, Wissenschaftsemigration am Beispiel des Instituts fur Radiumforschung, in: Stadler Friedrich (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien 1988) S. 665
Anmerkungen
239
BILDNACHWEIS
Patzau, A Viennese Family (125,126,127, 128,129) Architektonische Rundschau, 1886 (85) Archiv Heinrich Schnitzler, Marbach (155) Baxa, ioo Jahre Hohenauer Zuckerfabrik (114)
Latham, Joseph Maria Olbrich (164,165) Lotte Lehmann Archiv, Santa Barbara (89) Osterreichische Nationalbibliothek Bildarchiv (29, 32, 67, 75,101,119,139, 151,161,191,193,198, 204)
Brandl, Kaiwang (103)
Privat Arnbom (19, 75, 79, 81)
Deimer, Chronik der Allgemeinen Polikli-
Privat Eisinger (154,162,163,172,173)
nik (78) Pollack, Des Lebens Lauf (184,187, 207) 100 Jahre Alexander Friedmann K G (150, 168)
Privat Gutmann (73) Privat Haupt-Stummer (91, 95, 97, 98, 103) Privat Klenovsky (63)
Firma Egger (133)
Privat Lieben (183, 200, 201, 202, 204)
Historisches Museum der Stadt Wien
Privat Mandl (61, 62)
(186,197) Jüdisches Museum der Stadt Wien (184)
Privat Martinek (121) Privat Strobl (24, 33, 34, 35)
Klimt und die Frauen Katalog (171)
Rollettmuseum, Baden (83, 84, 86)
Körte, Hedy Lamarr (43)
Stadtarchiv Brünn (117)
Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen (93,107,109,120,141)
Bildnachweis
Stiftung Deutsche Kinemathek (26, 27) Technisches Museum, Wien (192)
241
PERSONENREGISTER
Adams, John Quincy 171
Caruso, Enrico Iii
Adler, Philipp 20
Churchill, Winston 118
Adler, Regina, geb. Mandl 20 Arlt, Ferdinand 31
Dawison, Bogumil 138 f., 143
Arx, Werner von 48
Dingelstedt, Franz 141 f.
Auer von Welsbach, Carl 195, 203
Dollfuß, Engelbert 41,127
Auspitz, Helene, geb. Lieben 180 ff., 185,
Dreyfus, Hermine, geb. Gutmann 68, 86
207
Dupont, Ewald Andre 25
Auspitz, Lazar 182
Duschnitz, Adele 127
Auspit,z Leopold 190
Duschnitz, Fritz 127
Auspitz, Rudolf 181 f., 185,189,193 f., 207 Auspitz, Samuel 178
Eberhardt, Otto 39, 48, 51 ff., 56, 58 f.
Auspitz, Therese, geb. Lewinger 178
Eckstein, Friedrich 167 Erös, de Bethlenfalva, Geza 99
Backhaus, Wilhelm 171
Exner, Sigmund 203
Barnay, Ludwig 142 Bass, Berthold 23
Felder, Cajetan 28 ff, 151
Bass, Rosa, geb. Fröhlich 23
Ferstel, Amelie, geb. Hartmann 92
Bauer, Carl 149
Ferstel, Carl 92
Bauer, Elisabeth 149
Ferstel, Erwin 102
Bauer, Heinrich
Ferstel, Heinrich 84, 92,102,160,188,195
149
Bauer, Lina, geb. Friedmann 149
Ferstel, Marie, geb. Thorsch 102
Bauer, Sara 149
Ferstel, Max 15
Bauerfeld, Eduard 186
Ferstel, Trude, geb. Weymann (Gutmann)
Bausek, Ernst 53
102
Beckurts, Karl 56 f.
Ferstel, Wolfgang 102
Bernhardt, Sarah m
Fischer, Serafine, geb. Keller 24
Billroth, Theodor 13, 79,140
Fitz-James, Rosa, geb. Gutmann 68, 99
Blau, Marietta 179
Fleischer, Max 15, 75 ff.
Boltzmann, Ludwig 203
Flick, Friedrich 99
Brahms Johannes 94
Förster, August 142
Brentano, Franz 187
Förster, Ludwig 187
Brentano, Ida, geb., Lieben 180,182,187
Fraknoi, Vilmos 92
Brettauer, Clothilde, geb. Strakosch 131
Freud, Sigmund 182,188
Breuer, Josef 188, 203
Friedmann, Albert 146
Bunsen, Robert Wilhelm 193
Friedmann, Alexander 15,137,140 f., 143 ff.
Personenregister
Friedmann, Alexandrine 161
Gutmann, Etelka 104
Friedmann, Dubi 146,149
Gutmann, Hedwig, geb. Frydmann von
Friedmann, Emil 146,153,155
Prawy 87
Friedmann, Heinrich 137
Gutmann, Ida, geb. Wodianer 68, 84,100
Friedmann, Helene, geb. von, Dönniges
Gutmann, Isaak 64 f. Gutmann, Katharina, geb. Frankl 104
139 Friedmann, Johanna 161
Gutmann, Lea, geb. Levi 65
Friedmann, Johanna, geb. Bichler 137
Gutmann, Leonore, geb. Laczko 68
Friedmann, Johanna, geb. Mihanovic 160,
Gutmann, Ludwig 68, 85 ff. Gutmann, Marcus Leopold 65 f.
162 Friedmann, Kurt 142 Friedmann, Louis, Philippe 143,152 ff., 166
ff,174
Friedmann, Maria Theresia, geb. Piatrik 142
Gutmann, Marianne, geb. Ferstel 102 Gutmann, Marie, geb. Schulheim 104 Gutmann, Mathilde, geb. Günzburg 87 Gutmann, Max 14, 68, 80, 82, 86, 90 ff, 96, 98 f., 101,110, 200
Friedmann, Max 15,146,152 ff., 164 ff, 171
Gutmann, Moritz 6 8 , 1 0 0 , 1 0 2 , 1 0 4
Friedmann, Rose, geb. von, Rosthorn 167,
Gutmann, Rosa, geb. Selhofer 99
170 f. Friedmann, Sidonie, geb. Juracek 143,152, 161 Friedmann, Siegwart 17, 108, 137 ff., 153, 197 Frisch, Karl von 179
Gutmann, Rudolf (Moritz' Sohn) 104 Gutmann, Rudolf 68,100 ff. Gutmann, Sophie, geb. Laczko 68, 86 Gutmann, Tobias 65 Gutmann, Wilhelm 63, 66, 68, 74, 76, 78, 81 f., 84 f., 90, 94,100
Fröhlich, Michael 23
Gutmann, Wilhelm (Willi) 75, 87 f.
Fürth, Otto 204
Gutmann, Wilhelm (Moritz' Sohn) 104 Gutmann, Wilhelmine 104
Gömbös, Julius 38, 42
Gutmann, Wolfgang 92, 99
Gomperz, Henriette, geb. Auspitz 178 Gomperz, Julius 187,194,196
Haase, Friedrich 142
Gomperz, Max 187
Habig, Nanny, geb. Gutmann 87
Gomperz, Philipp 178
Habig, Peter 87
Gomperz, Theodor 177,196
Habig, Stephanie, geb. Strakosch 123,131
Göring, Hermann 42
Hainisch, Michael 127
Grillparzer, Franz 180
Hansen, Theophil 15,187 f.
Gutmann, Babette, geb. Frankl 65 f.
Hanslick, Eduard 186
Gutmann, Bertha 68, 86
Harbou, Thea von 25
Gutmann, Berthold 68
Hartmann, Ernst 92
Gutmann, David 15, 66, 68, 74 ff., 85 ff,
Hartmann, Ludo 180, 203
100 Gutmann, Elise, geb. Wolf 65 Gutmann, Elsa 92 f.
Hartmann, Moritz 180,194 Haupt-Stummer, Helene, geb. Gutmann 92
Gutmann, Emilie, geb. Hartmann 92, 94
Haupt-Stummer, Leopold 92
Gutmann, Ernst 92
Hieffer, Ciarisse 90
244
ANHANG
Hieffer, Elisabeth 90
Landauer, Joseph 196
Hieffer, Ferry 90
Lang, Fritz 25
Hieffer, Mathilde 90
Lassalle, Ferdinand 140
Hofmannsthal, Gerty von 157
Laube, Heinrich 108,138,140 f., 142 f., 197
Hofmannsthal, Hugo von 15,157,170,
Laube, Iduna 141
190 ff.
Leembruggen, Ilse, geb. Lieben 187
Horvath, Ödon von 44
Lehmann, Lotte 88, 90
Hötzendorf, Conrad von 169
Lieben, Adolf 178 ff., 182,193 ff., 196,
Hubermann, Bronislaw 14, 93, n o
199 f., 203 Lieben, Anna, geb. Todesco 185,187 f., 190
Ippen, Kurt 90
Lieben, Anny, geb. Schindler 192
Ippen, Ludovica, geb. Gutmann 87, 90
Lieben, Elise, geb. Lewinger 178,180,
Ippen, Ruth 90
193 f. Lieben, Ernst 187, 206
Jahoda, Marie 185
Lieben, Fritz 178 f., 199, 203 ff.
Jehle, Lajos 78
Lieben, Heinrich 179, 203 ff., 207,
Jellinek, Adolf 77
Lieben, Ignaz 178 ff., 193,196
Joachim, Josef 93 f.
Lieben, Leopold 15,180 ff., 185,187 ff, 197 Lieben, Mathilde, geb. Schey 196, 200,
Kainz, Josef 142
203, 205
Kareis, Josef 152
Lieben, Richard 180 ff.
Karplus, Johann 188
Lieben, Robert 1 7 , 1 7 8 , 1 8 7 , 1 9 0 ff.
Karplus, Valerie, geb. Lieben 187
Lieben, Rosa 180
Keller, Anton 23, 25, 34
Liechtenstein, Elsa, Fürstin, geb. Gut-
Keller, Fridolin 23 f.
mann 68, 99 f.
Keller, Fritz 24
Liechtenstein, Franz I. Fürst 99,102
Keller, Josef 23
Löwenthal, Max 38, 205
Keller, Serafin, jun. 23
Lueger, Karl 15, 28 ff.
Keller, Serafin, sen. 24 Kiepura, Jan 26
Mach, Ernst 195
Klimt, Gustav 171
Mahler-Werfel, Alma 44
Kortner, Fritz 27
Makart, Hans 189
Kraus, Karl 164
Mandl, Adele 25
Krause, Grete, geb. Gutmann 87 f.
Mandl, Alexander 32 ff, 37, 55 ff., 59
Krause, Ludwig 88
Mandl, Alfred 21
Krause, Manon 88, 90
Mandl, Amalia, geb. Todesco 28,187
Krause, Otto, Hans 88
Mandl, Antonie, geb. Richter 31
Krause, Otto 88, 90
Mandl, Bernhard 20 ff, 25, 33
Krause, Peter 88
Mandl, Bertha, geb. Neumann 21 f.
Kuffner, Moritz 87
Mandl, Charlotte, geb. Fröhlich 23 Mandl, Ferdinand 20, 30 f.
L'Arronge, Adolph 142
Mandl, Friederike, geb. Schorr 31
Lamarr, Hedy, siehe Mandl, Hedy
Mandl, Fritz 26, 33, 36 ff, 62
Personenregister
245
Mandl, Hedy, geb. Kiesler 36, 42 f., 45
Patti, Adelina 109
Mandl, Helene 31
Patti, Salvatore 109
Mandl, Hella, geb. Strauß 43
Patzau, Christi, geb. Strakosch von
Mandl, Ignaz 15, 20, 28 ff., 151
Feldringen 105,123 f., 127 f., 131 f., 134 f.
Mandl, Irene, geb. Mandl 22, 25, 33
Patzau, Lorle 135
Mandl, Irene, geb. Markbreiter 21 f.
Patzau, Marietta 135
Mandl, Julie, geb. Sterk 20, 22
Patzau, Otto 132,134 f.
Mandl, Julius, siehe, May, Joe
Patzau, Tommy 135
Mandl, Leo 26
Pflug, Hermann 39,51
Mandl, Leopold 19 f., 22
Pick, Anton 177
Mandl, Ludwig 20 ff., 24 f., 34
Pick, Gustav 177
Mandl, Ludwig (Louis) 32 f.
Pollak, Bernhard 77
Mandl, Louis (Neumann) 22, 25
Pommer, Erich 26
Mandl, Margarete 21
Possart, Ernst 142
Mandl, Maria, geb. Mohr 33
Prawy, Marcel 75
Mandl, Olga 21
Przibram, Hans 206
Mandl, Oscar 25
Przibram, Karl 199, 206
Mandl, Ottilie 31 Mandl, Rudolf 31 Mandl, Sigmund 20, 23 ff., 34 Mandl, Wilhelm 32 Mannaberg, Julius 78 Maretzek, Max 109 Markbreiter, Amalia, geb. Schey 21 Markbreiter, Philipp 21 May, Eva 25 f., 43 May, Joe (Mandl, Julius) 17, 25 ff. May, Mia, geb. Hermine, Pfleger 25 ff. Mayer-Ketschendorf, Irma, geb. Gutmann 68, 86 Mayer-Ketschendorf, Siegwart 86 f. Mayrau 82 Meisener, Kriminalrat 56 Montefiore, Marianne, geb. Gutmann 68, 99 Motesiczky, Henriette, geb. Lieben 187 Mussolini, Benito 44 Nernst, Walter 190 Nüll, Eduard, van, der 75
Rahl, Karl 187 Rakovitza, Yanko von 140 Reinhardt, Max 42, 92 Reyer, August 90 Reyer, Helene, geb. Gutmann 90 Riepl, Franz, Xaver 71 Rosthorn, Arthur von 167 Rothschild, Albert 81 Rothschild, Anselm 70 f. Rothschild, Salomon 71 Rubinstein, Arthur III Sacerdote, di, Carrobio, Helene, geb. Gutmann 68, 86 Salem, Eleonore, geb. Gutmann 92 Salem, Enrico 92 Saiten, Felix 15, 92,108,124,129 f . Satzger, Geza 155 Satzger, Imre 170,174 Satzger, Maria, Alexandrine, geb. Friedmann 155,167,174 Sauckel, Fritz 47, 58 Schewitsch, Ivan 140
Olbrich, Joseph, Maria 15,162,164
Schey, Friedrich 196 f., 199 Schey, Herbert 206
246
ANHANG
Schey, Hermine 199
Strakosch, Jakob 114
Schey, Josef 196,199
Strakosch, Jeanette, geb. Bauer 118
Schmidt, Friedrich 76,154
Strakosch, Jonas 106,113 ff., 118
Schneeberger, Helene 92
Strakosch, Julius 114
Schnitzler, Arthur 9,13,15, 21 f., 30 ff., 79,
Strakosch, Julius (Jonas', Sohn) 118 f.,
87,132,142,153 ff., 1 6 1 , 1 6 6 , 1 6 9 , 1 7 7
122 f.
Schnitzler, Heinrich 132,135
Strakosch, Karl 108,111
Schnitzler, Johann 79
Strakosch, Leopold 114
Schnitzler, Lilly, geb. Strakosch von
Strakosch, Lina i n
Feldringen 124,128,131 f., 135
Strakosch, Ludwig 118 ff, 134
Schnitzler, Louise, geb. Markbreiter 21
Strakosch, Marcus 106 f.,
Schöne, Ludwig 162
Strakosch, Mathilde, geb. Winterberg 118
Schrötter, David ben Hirsch 66
Strakosch, Matthias 114
Schrötter, Israel, Chajim 66
Strakosch, Max 108,110
Schuschnigg, Kurt 42
Strakosch, Moritz (Maurice) 108 ff, Ii9f,
Schweizer, A. 54
134
Sechter, Simon 109
Strakosch, Moritz 113 f., 120
Seidler, Ernst 125
Strakosch, Nathan 114
Seipel, Ignaz 126
Strakosch, Oskar 123,131,133,135
Seyß-Inquart, Arthur 37
Strakosch, Phöbe i n
Siccardsburg, August 75
Strakosch, Renee, geb. Bullard 132
Skene, Alfred 82
Strakosch, Robert 108, in
Sonnen thal, Adolf von 107,138
Strakosch, Rosa, geb. Schwarz 127
Springer, Max 187
Strakosch, Rosalia, geb. Wolf 113
Starhemberg, Ernst Rüdiger 38, 40 ff., 62
Strakosch, Salomon 105 ff, 112 ff.
Strakosch, Alexander 17,107 f., 134,140
Strakosch, Siegmund 113 f., 117
Strakosch, Amalia, geb. Patti 109, in
Strakosch, Simon 113
Strakosch, Anna, geb. Strakosch 113
Strakosch von, Feldringen, Georg 127 f.,
Strakosch, Antonie, geb. Bäsch 117 Strakosch, Bernhard 113 f., 120,131 Strakosch, Clara Louise, geb. Kellogg i n Strakosch, Dominik 113 Strakosch, Edgar 108, i n Strakosch, Eduard 113 f., 117 f., 131 Strakosch, Elise, geb. Grünfeld 122 f., 131,
131 ff. Strakosch von, Feldringen, Hans 124,128, 131 f. Strakosch von, Feldringen, Siegfried 105 f., 108,113, ii6, 120 ff, 123 ff. Strakosch von, Feldringen, Wally, geb. Duschnitz 127,130 f., 133 ff.
135 Strakosch, Emil 120 f.
Tausenau, Richard 154,156
Strakosch, Felix 120 ff., 131
Thimig, Hugo 94, 98
Strakosch, Ferdinand 108,110 f.
Thorsch, Alphons 102
Strakosch, Heinrich (Sir, Henry) 118
Tietz, Carl 85
Strakosch, Hermann 107
Todesco, Eduard 185 f.
Strakosch, Ini, geb. Wessely 132
Todesco, Hermann 185
Strakosch, Isidor 105 f., 108,113 f., 120
Todesco, Sophie, geb. Gomperz 185
Personenregister
M7
Ulman, Bernard 109 Unger, Josef 187,196,199
Wiesner, Julius 124 Wilder, Billy 26 Winter, Josef 185,188, 208
Wehrli, Carl 51 f., 55,59 Werfel, Franz 44
Winter, Josefine, geb. Auspitz 185,188 f., 208
Wertheimstein, Franziska 194 f.
Wodianer, Philipp 68
Wertheimstein, Josephine, geb. Gomperz
Wolf, Hugo 196
185,194 Werther, Marianne, geb. Strakosch 123,131
Wollersen, Amalie 161 Wurtz, Charles, Adolphe 193
Wespi, C. 56 Wessel, Eduard 194
Zumbusch, Caspar 85, 94
Weymann, Eleonore 102
Zweig, Stefan 10,17
Wielemans, Alexander 85
248
ANHANG