Frühe Hilfen: Früh im Leben und früh im Handeln [1 ed.] 9783666404931, 9783525404935


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Frühe Hilfen: Früh im Leben und früh im Handeln [1 ed.]
 9783666404931, 9783525404935

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Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN

Andreas Eickhorst

Frühe Hilfen Früh im Leben und früh im Handeln

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Andreas Eickhorst

Frühe Hilfen Früh im Leben und früh im Handeln

Mit 2 Abbildungen und einer Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: knallgrün/photocase.de Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6088 ISBN 978-3-666-40493-1

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Arist von Schlippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I Der Kontext 1 Erste Fallgeschichte: Sabine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2 Was sind Frühe Hilfen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3 Entstehungsgeschichte der Frühen Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4 Kernthemen und -begriffe Früher Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4.1 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4.2 Belastungs- und Schutzfaktoren für Kindeswohlgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.3 Komm- und Gehstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5 Forschung zu Frühen Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II Die systemische Beratung 6 Relevante Berufsgruppen in den Frühen Hilfen . . . . . . . . . . . . 46 7 Haltung in den Frühen Hilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 8 Ein Frühe-Hilfen-Projekt mit integriertem Elternkurs: »Keiner fällt durchs Netz« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 8.1 Das Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 8.2 Die Bestandteile von »Keiner fällt durchs Netz« . . . . . . . . 54 9 Herausforderungen bei der Umsetzung der Frühen Hilfen . . . . 63 9.1 Das Präventionsdilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 9.2 Frühe Hilfen und Kinderschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 9.3 Lücken in der Berücksichtigung bestimmter Zielgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 10 Zweite Fallgeschichte: Zarif und Rachida . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

III Am Ende 11 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 12 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 13 Weiterführendes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 14 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 15 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewältigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwermachen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) betreffen unsere intimen Beziehungen, deren Anfang und deren Ende, Liebe und Hass, Fürsorge und Vernachlässigung, Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten. Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich geschrieben,

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allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick. Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der systemischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen Grundlagenwissen (1996/2012) und zum störungsspezifischen Wissen 8

(2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das kontextspezifische Wissen der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Herausforderungen bedeutsam sind. Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten. Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

»Wie geht’s eigentlich der Familie?« Die Frage, die dieses geflügelte Wort beinhaltet, lässt sich ganz unterschiedlich beantworten. Wenn man sie so hört, als sei die eigene Familie angesprochen, wird man vielleicht sagen: »gut!« oder »geht so!« – was immer passend erscheint. Wenn man sie aber übergreifender versteht, also als Frage nach der Familie als Lebensform, dann lässt sich eine Fülle ganz unterschiedlicher Antworten denken. Nach wie vor wünschen sich die meisten Menschen hierzulande, in einer Familie zu leben und verbinden diesen Wunsch mit der Vorstellung von Glück und Geborgenheit. So gesehen kann man sagen, dass es der Familie gutgeht, erfreut sie sich doch konstanter Beliebtheit. Gleichzeitig ist es unstrittig, dass Familienleben im Alltag oft genau aus dem Gegenteil dessen besteht, was man sich erträumt hat. Genau besehen, geht es der Familie nämlich häufig alles andere als »gut«, vielmehr können Belastung und Überforderung so weit führen, dass die Familie daran zerbricht oder dass die Spannungen sich in Vernachlässigung oder gar Misshandlung entladen. Diese Antwort nach dem Zustand der Familie legt es nahe, Unterstützungsangebote zu erarbeiten und zwar möglichst im Vorfeld, ehe die Kindeswohlgefährdung so weit fortgeschritten ist, dass massiv eingegriffen werden muss. »Frühe Hilfen«, um die es in diesem Buch geht, sind Unterstützungsformen, die Eltern bzw. jungen Familien angeboten werden, um ihnen bei den ersten Schritten in das neue, oft ungewohnte Zusam-

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menleben zu helfen. Erstaunlich ist, dass es den Begriff selbst erst seit vergleichsweise kurzer Zeit gibt und dass sich erst seit etwa gut zehn Jahren bundesweit verbindliche Strukturen entwickelt haben, wie bedrängten Familien entsprechend beizustehen ist. Das mag viele Gründe haben. Auch in früheren Zeiten wird es der Familie nicht immer gutgegangen sein, auch in früheren Zeiten sind Eltern mit ihren kleinen Kindern nicht immer gut zurechtgekommen. Doch offenbar ist heute die gesellschaftliche Sensibilität für familiäre Not10

lagen gewachsen. Gleichzeitig gibt es in unserer Gegenwart immer weniger Toleranz für körperliche (und andere) Strafen als Erziehungsmittel: Heute wird schon ein »Klaps« nicht mehr akzeptiert, von einer »Tracht Prügel«, die angeblich, wie man früher meinte, noch keinem geschadet habe, ganz abgesehen. Entsprechend groß ist das Erschrecken über in der Presse zu lesende Auswüchse an Gewalttätigkeit und Vernachlässigung innerhalb von Familien. Und da inzwischen auch über die Bedeutung einer sensiblen Erziehung gerade in frühen Lebensphasen des Kindes ein breiter Fundus an Erkenntnissen vorliegt, ist klar: hier muss etwas passieren, hier muss helfend eingegriffen werden, und zwar bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Inzwischen, und das ist rundweg zu begrüßen, liegen wissenschaftlich fundierte, ausdifferenzierte Konzepte vor, wie Frühe Hilfen auf eine Weise angeboten werden, dass sie angenommen werden (z. B. indem die Familien im Rahmen einer »Gehstruktur« zu Hause besucht werden) und wie sie so durchgeführt werden, dass die Ratsuchenden davon optimal profitieren, nämlich ausgerichtet an deren Stärken und Ressourcen. Ein wesentlicher Teil der Frühe-­Hilfen-Konzepte besteht in der Bereitstellung gut ausgebauter Strukturen. Die Helfenden sollen gerade nicht als Einzelkämpfer losgehen, sondern sie sollen auf professionelle Netzwerke zurückgreifen können.

Der vorliegende Band gibt einen breiten Überblick über die Aktivitäten der Frühen Hilfen der letzten Jahrzehnte, die der Autor verfolgen konnte und an deren Erarbeitung er selbst beteiligt war. Andreas Eickhorst umreißt das Spektrum der Hilfsmöglichkeiten, illustriert die Chancen der Intervention und skizziert knapp und prägnant die entstandenen Versorgungsstrukturen. Das Buch zeigt deutlich, dass die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, wie es der Familie geht, heute lauten kann: es geht ihr vielleicht nicht immer gut, aber auf jeden Fall besser! Ich wünsche diesem engagiert geschriebenen Text viele interessierte Leserinnen und Leser. Arist von Schlippe

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Der Kontext

1  Erste Fallgeschichte: Sabine1 Sabine, eine 30-jährige alleinerziehende Mutter, lebt von Sozialhilfe und arbeitet abends zeitweise nebenher als Kellnerin. Der Vater ihrer Kinder befindet sich derzeit für eine zweijährige Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt. Ob zu ihm aktuell Kontakt besteht (z. B. durch Besuche in der Haft), ist unklar; Sabine thematisiert es von sich aus auch nicht. Sie hat einen dreijährigen Sohn (Tom) sowie

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eine kleine Tochter (Pia) im Alter von zwei Monaten. Diese kam als Frühgeburt und mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt; außerdem besteht bei ihr der Verdacht auf eine Hörschädigung. Sabine ist dem Jugendamt bereits aus der Vergangenheit bekannt, da sie früher eine Mutter-Kind-Gruppe mit Tom besucht hat. Sabine hat diese Unterstützung für sich damals als sehr entlastend erlebt und hierdurch bereits Kontakt zu Institutionen der Jugendhilfe gehabt. Eine Kontaktaufnahme zur Familienhebamme kommt nun über die Kinderärztin zustande, die für das Frühgeborene weiter zuständig ist. Sie erlebt Sabine in der medizinischen Betreuung des Frühgeborenen als wenig strukturiert und sehr unsicher. Nachdem die Ärztin daher den für Frühe Hilfen zuständigen Koordinator in Sabines Kommune kontaktiert hat, vermittelt dieser einen ersten Kontakt zwischen Sabine und einer Familienhebamme aus dem kommunalen Fachkräfte-Pool für Frühe Hilfen. Sabine ist damit einverstanden und nimmt die angebotene Hilfe gerne an. So kommt die Familienhebamme zu weiteren, regelmäßigen Besuchen in Sabines Wohnung. Sie erfährt, dass Sabine den Rückhalt und das Gefühl des Aufgehobenseins durch die ehemalige Mutter-Kind-Gruppe stark vermisst und sich alleine und deutlich überfordert fühlt, was die medizinische Betreuung ihres Babys und 1 Die Fallbeispiele wurden durchweg anonymisiert.

die Anforderungen betrifft, die der Alltag als Alleinerziehende mit zwei Kindern mit sich bringt. Dies zeigt sich unter anderem auch daran, dass sie oftmals ihrer im Nachbarhaus lebenden 13-jährigen Nichte die alleinige Betreuung des Frühgeborenen überlässt, manchmal auch deren Mutter, die aber oft selber abends als Kellnerin arbeitet. Auch darin, die notwendigen Arzttermine wahrzunehmen, ist Sabine unzuverlässig und offenbar überlastet. 15

Sabine zu helfen, sich besser zu strukturieren und den Medikamen-

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Die Position und der Auftrag der Familienhebamme sind am Anfang noch unklar. Vordergründig scheint es zunächst geboten, tenplan des Neugeborenen einzuhalten. Die Familienhebamme sieht jedoch rasch, dass Sabine auch große Schwierigkeiten hat, sich sensitiv auf die Bedürfnisse und Kommunikationsangebote ihres Babys einzulassen. Besonders wird dies in Szenen deutlich, in denen Sabine Pia mit der Beatmungshilfe in ihrer noch unterentwickelten Atemfunktion unterstützen muss und hierbei teilweise sehr hilflos und grob vorgeht. Zu ihrer eigenen Sicherheit und Unterstützung hätte die Familienhebamme gerne mehr Kontakt und Austausch mit der behandelnden Kinderärztin, was sich jedoch zeitlich und organisatorisch schwierig gestaltet. Überdies versucht die Familienhebamme, das sich entwickelnde gute Vertrauensverhältnis zu Sabine auch dahingehend zu nutzen, ihr gegenüber nun vorsichtig die Rolle des Vaters der Kinder zu thematisieren. Sie wirft die Frage auf, ob Kontaktwünsche und -möglichkeiten bestehen, auch für die Zeit nach seiner Haftentlassung: Inwiefern kann er unter den gegebenen Umständen möglichst nicht nur seiner väterlichen Rolle gerecht werden, sondern – im Sinne einer Ressource für das Familiensystem – auch zur Entlastung von Sabine beitragen? Außerdem nimmt sich die Familienhebamme vor, bei passender Gelegenheit auch zu thematisieren, ob es möglicherweise im sozialen Umfeld von Sabine weitere Vertrauens- und Unterstützungspersonen gibt.

In Fällen, in denen eine Familienhebamme im Rahmen einer kommunalen Frühe-Hilfen-Struktur in eine Familie geschickt wird, sind bereits mehrere Instanzen und Dienste regelmäßig aktiv. Damit die verschiedenen Kolleginnen2 möglichst gut miteinander kooperieren und Reibungsverluste minimiert werden, finden im Rahmen dieser Struktur regelmäßig Organisationsbesprechungen zwischen Familienhebamme, zuständigem Jugendamtsmitarbeiter und Frühe-­ berufung einer Helferkonferenz zwischen allen im Helfersystem

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Hilfen-Koordinatorin statt. Schnell wird hier deutlich, dass die Ein16

involvierten bzw. noch einzubindenden Parteien (Jugendamt, Familienhebamme, Kinderärztin …) dringend angeraten ist. Als Ergebnis dieser Besprechung zum Fall Sabine wird zunächst verabredet, dass die übergreifende Koordinierung der verschiedenen Hilfen beim zuständigen Sachbearbeiter des Jugendamtes bzw. des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) liegen soll. Dieser stellt im Einvernehmen mit dem Koordinator der Frühen Hilfen folgende Hilfsangebote zusammen: Eine Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) kommt als zusätzliche Hilfe zur Strukturierung des Familienalltags in die Familie. Zu ihren Aufgaben wird gehören, Sabine in der medizinischen Versorgung ihres Babys anhand des durch die Kinderärztin vorgegebenen Planes zu unterstützen und sie regelmäßig zu den Arztterminen zu begleiten. Zugleich wird hierdurch die Familienhebamme entlastet, denn ihr Arbeitsauftrag besteht nun primär in der Vermittlung der Inhalte des Angebotes »Das Baby verstehen« (eines spezifisch auf Hausbesuche angepassten psychoedukativen Elternkurses; siehe weiter unten in diesem Text). Sie soll sich darauf konzentrieren können, Sabine für den Umgang mit ihrem Neugeborenen in verschiedenen Bereichen zu stärken und – als mittelfristiges

2 Die Formulierungen dieses Buches wechseln willkürlich zwischen weiblicher und männlicher Form. Gemeint sind immer beide Geschlechter.

Ziel – durch ein besseres Verstehen und Beantworten der Signale des Babys auch die Mutter-Kind-Bindung zu fördern. Zusätzlich wird eine Begleitung durch das Jugendamt vereinbart, da auch die Situation des dreijährigen Tom weiterhin ungeklärt ist. Schlussendlich wird noch ein Termin für einen Hörtest des Babys beschlossen; bei entsprechender Indikation soll eine weitere Begleitung durch eine Einrichtung der Frühförderung stattfinden. 17

denn zu ihr hat sie ein gutes Verhältnis entwickelt und ihr gegenüber

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Sabine ist mit diesen Schritten zunächst einmal glücklich und freut sich, dass die Besuche der Familienhebamme erhalten bleiben, öffnet sie sich zunehmend. Sie sieht nur der neu zu ihr kommenden

SPFH-Fachkraft mit ein wenig Skepsis entgegen, die auch der Unklarheit geschuldet ist, was diese genau machen wird. Ein wenig Unbehagen verbleibt bei Sabine, weil sie an der Helferkonferenz weder beteiligt war noch in irgendeiner Weise mittelbar einbezogen wurde.

2  Was sind Frühe Hilfen? Bereits das Fallbeispiel von Sabine führt uns das vielfältige und komplexe Feld der Frühen Hilfen gut vor Augen. Nach einer vorangestellten allgemeinen Definition der Frühen Hilfen sollen im Folgenden die im Beispiel angesprochenen Themen vertiefend vorgestellt werden. Bei den Frühen Hilfen handelt es sich um einen inzwischen bundesweit verbreiteten Ansatz früher Förderung und Unterstützung von belasteten oder von Belastung bedrohten Familien, die als freiwilliges Angebot an die Klienten zu verstehen sind. Dabei ist »früh« im doppelten Sinn des Wortes zu verstehen: Einmal bezieht es sich auf einen frühen Zeitpunkt im Leben des Kindes (spätestens ab der Geburt und dann in der Regel während des ersten, oft auch für die

gesamten ersten drei Lebensjahre) und zweitens ist ein früher Zeitpunkt in der Entstehung möglicher Problematiken gemeint. Ziel der Frühen Hilfen ist es, Kinder durch eine gute Zusammenarbeit von Angeboten, Akteurinnen und Know-how aus den Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe sowie des Gesundheitswesens früher und besser als in der Vergangenheit vor Gefährdungen zu schützen. Gefährdungen sind dabei nach dem Verständnis der Frühen Hilfen einerseits akute Bedrohungen des Kindes durch Misshandlungen

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und Vernachlässigungen verschiedenster Kategorien und Intensitäten, aber auch langfristige Nachteile (z. B. Entwicklungsverzögerungen) durch überforderte Eltern in Kontexten überbordender eigener Belastungen (vertiefend z. B. Sann, 2008). Der Beirat des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) beschreibt den Aufgabenbereich der Frühen Hilfen in seinem wegweisenden »Leitbild Frühe Hilfen« folgendermaßen: »Frühe Hilfen bilden lokale und regionale Unterstützungssyste­me mit koordinierten Hilfsangeboten für Eltern und Kinder ab Beginn der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren [… und] zielen darauf ab, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Neben alltagspraktischer Unterstützung wollen Frühe Hilfen insbesondere einen Beitrag zur Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenz von (werdenden) Müttern und Vätern leisten. Damit tragen sie maßgeblich zum gesunden Aufwachsen von Kindern bei und sichern deren Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe. […] Grundlegend sind Angebote, die sich an alle (werdenden) Eltern mit ihren Kindern im Sinne der Gesundheitsförderung richten […]. Darüber hinaus wenden sich Frühe Hilfen insbesondere an Familien in Pro­blemlagen […]. Frühe Hilfen tragen in der Arbeit mit den

Familien dazu bei, dass Risiken für das Wohl und die Entwicklung des Kindes frühzeitig wahrgenommen und reduziert werden.« (Nationales Zentrum Frühe Hilfen, 2016, S. 13) Das NZFH wurde im Jahr 2007 als eine bundesweit wirkende Einrichtung zur Begleitung der Frühen Hilfen gegründet. Träger ist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Koope19

jeweiligen Erfahrungen und Kompetenzen aus der Gesundheitsför-

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ration mit dem Deutschen Jugendinstitut e. V. (DJI). Seinen Sitz hat das NZFH in der BZgA in Köln. Die beiden Häuser bringen ihre derung und aus der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe ein. Sie sind in ihren Fachgebieten und Arbeitsfeldern gut verankert und haben Zugang zu relevanten Akteurinnen (weiterführende Informationen und viele kostenlose Materialien zum Bestellen und zum Download unter www.fruehehilfen.de). Die Frühen Hilfen können sich als ihr Verdienst anrechnen lassen, dass sie den Fokus sehr stark auf die aufsuchende Arbeit gerichtet haben, eine Hilfeform, die auch im systemischen Feld im aktuellen Jahrhundert stark an Popularität gewonnen hat (z. B. Müller u. Bräutigam, 2011). Hierbei müssen die Familien nicht selbst aktiv werden und entsprechende Hemmschwellen überwinden, sondern werden zu Hause von qualifizierten Kräften aufgesucht (beispielsweise von Familienhebammen oder Kinderkrankenschwestern; siehe unten). Diese sollen es in der relevanten sehr frühen Familienphase ermöglichen, dass Belastungen für die weitere Entwicklung des betroffenen Kindes rechtzeitig wahrgenommen und reduziert werden. Die bisher bundesweit erreichten Fallzahlen in den verschiedenen aufsuchenden Angeboten zeigen, dass es über diesen Weg möglich ist, einen Zugang zu Familien in sogenannten Problemlagen zu finden, auch wenn sich bei dieser Form der Unterstützung Herausforderungen ergeben, die bisher keinesfalls erfolgreich gelöst sind (siehe unten).

Ein weiteres Ziel der Frühen Hilfen ist es, vorhandene personelle Kräfte und materielle Ressourcen besonders effektiv zu nutzen, indem man diese Hilfen in bereits vor Ort bestehende Strukturen und Angebote einbindet (z. B. Schwangerschaftsberatung, Gesundheitswesen, Frühförderung, Kinder- und Jugendhilfe). Die wichtigste Voraussetzung der Frühen Hilfen ist, dass alle beteiligten Stellen und Personen möglichst gut vernetzt sind sowie dass eine kompetente Instanz et al., 2010). Das bedeutet auch, dass die Fachkräfte der Frühen Hilfen,

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geschaffen wird, die diese vernetzten Stellen koordiniert (Ziegenhain 20

etwa die Familienhebammen, nicht im luftleeren Raum agieren und auf sich selbst gestellt sind (was der Rolle der »klassischen« Nachsorgehebammen durchaus immanent ist), sondern optimalerweise immer in engem Kontakt mit verschiedenen Institutionen, Helfern und Ämtern stehen. Kurze Wege und schnelle Hilfsangebote sind erstrebenswert. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, ein bereits vorhandenes Netzwerk – wenn möglich – mitzunutzen. Das erspart die Zeit und den Aufwand, neue Strukturen zu schaffen. Außerdem sollen die Frühen Hilfen eine Ergänzung und keine Konkurrenz zu den bestehenden Hilfsangeboten darstellen. Hebammen beispielsweise (und damit auch die zu Familienhebammen weitergebildeten Kolleginnen) sind bereits in einem zumeist erfolgreichen und gesellschaftlich anerkannten Netzwerk organisiert, das sich deshalb für die Nutzung im Rahmen der neuen Konzepte besonders anbietet (Rettig, Schröder u. Zeller, 2017).

3  Entstehungsgeschichte der Frühen Hilfen Die Anfänge der Frühen Hilfen im eigentlichen Sinne liegen in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts, in denen – nach teils dramatischen Fällen von bekannt gewordener Kindesvernachlässigung bis hin zu Kindesmisshandlung – nach und nach ein öffentliches Bewusstsein

dafür entstanden ist, wie wichtig es ist, bedürftigen Familien so früh wie möglich bei der Versorgung ihrer Kinder zu helfen. Körperliche Gewalt gegen Kinder war und ist auch nach wie vor ein erschreckend aktuelles Thema und findet in zahlreichen Familien in Deutschland statt. Statistiken zeigen, dass auch im 21. Jahrhundert immer noch mindestens 10–15 Prozent der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder schwere Formen körperlicher Bestrafung anwenden (Engfer, 2005), tierenden Todesfälle sind als Spitze des Eisbergs aufgrund der hohen

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Medienresonanz allgemein bestens bekannt. Der größte Teil dieser

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von der Dunkelziffer natürlich ganz zu schweigen. Die daraus resul-

Familien befindet sich in prekären Lebenssituationen, aufgrund derer die Entwicklungsbedingungen des Kindes von Geburt an als in hohem Maße riskant bezeichnet werden müssen. Zu den am klarsten fassbaren Belastungen gehören dabei viele der bekannten psychosozialen Risikofaktoren in Familien (Näheres dazu siehe unten). Schutzfaktoren, die diese Risiken ausgleichen, fehlen zudem in den meisten Fällen. Dadurch ist es den Eltern oft unmöglich, ihre Kinder mit der nötigen Aufmerksamkeit und emotionalen Zugewandtheit in ihrer Entwicklung zu begleiten, was die Gefahr von Vernachlässigung oder sogar Missbrauch deutlich erhöht (Cierpka, 2009). Für hoch belastete Familien mit mehreren Risikofaktoren haben sich insbesondere Unterstützungsangebote als erfolgversprechend erwiesen, die die Familien in ihrer eigenen Lebenswelt aufsuchen, die also Teil einer »Gehstruktur« sind (siehe unten). Dies kommt gleichzeitig auch denjenigen Eltern entgegen, deren Mobilität eingeschränkt ist, was bei alleinerziehenden Eltern oder Familien mit nur einem aktiv erziehenden Elternteil nicht selten der Fall ist. Während allerdings etwa in den USA bereits in den 1960er Jahren positive Erfahrungen mit Programmen wie etwa dem »Nurse-Family Partnership Program« gesammelt werden konnten, bei dem speziell für Hausbesuche geschulte Krankenschwestern zwei Jahre lang intensiv

belastete Familien betreuten (später auch Grundlage des deutschen Projektes »Pro Kind«, s. Olds, 2007), fehlten in Deutschland lange Zeit entsprechende Konzepte. Dieser Mangel zeigt, wie wichtig und geradezu überfällig es war, bundesweit Maßnahmen im Rahmen der Frühen Hilfen zu beginnen. Mit der Einrichtung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen auf Bundesebene war dann im Jahr 2007 ein markanter Punkt als »Start« der Frühen Hilfen gesetzt, auch wenn es natürlich bereits in den Jahren davor unsystematisch über das Land

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verteilt immer wieder ähnliche Angebote gegeben hatte. So gab es bereits seit 1980 in Bremen eine respektable Anzahl von Familienhebammen, der Berufsgruppe, die für die Frühen Hilfen so zentral ist (Collatz, 1981). Auch gab und gibt es immer wieder Überschneidungen mit den Arbeitsfeldern der Frühförderung, zu deren Zuständigkeitsbereich die hier behandelten Themen – bei einem entsprechenden Ausbau der diesbezüglichen konkreten Angebote – prinzipiell ebenfalls gerechnet werden könnten (Sohns, 2010). Heute bestehen in nahezu jeder deutschen Kommune zumindest irgendwelche Angebote aus dem Bereich der Frühen Hilfen, in der Regel mindestens ein »Netzwerk Frühe Hilfen«, welches die in der jeweiligen Kommune bestehenden Angebote (aus dem Bereich der Frühen Hilfen im engeren Sinne oder aus der Regelversorgung für Familien generell) bündelt, bekannt macht und koordiniert. Mit dem Förderprogramm der Bundesstiftung Frühe Hilfen (bestehend in der Sache seit 2012, damals noch als Bundesinitiative Frühe Hilfen) werden aktuell jährlich 51 Millionen Euro über die Länder an Kommunen mit Angeboten im Bereich der Förderschwerpunkte ausgeschüttet. Die aktuellen Förderschwerpunkte (Stand 2018; weitere Details unter www.fruehehilfen.de) sind: ȤȤ Sicherstellung der Netzwerke Frühe Hilfen ȤȤ Längerfristige Unterstützung von Familien in den Frühen Hilfen durch Fachkräfte und Freiwillige

ȤȤ Angebote und Dienste an den Schnittstellen der unterschied­lichen Sozialleistungssysteme ȤȤ Erprobung innovativer Maßnahmen und Implementierung erfolgreicher Modelle

4  Kernthemen und -begriffe Früher Hilfen

Das wesentliche Ziel der Frühen Hilfen, ihr Kern, ist die Prävention. Der Begriff stammt aus dem Lateinischen (von praevenire = zuvorkommen, verhüten) und kann auch als Vorbeugung, Verhütung und Prophylaxe verstanden werden. Es geht darum, Krankheiten oder Schädigungen der Kinder durch vorbeugende Maßnahmen zu vermeiden und Risiko- bzw. Belastungsfaktoren zu reduzieren. Prävention bezeichnet also Handlungen, die vorausblickend körperliche oder psychische Störungen und ihre Folgen verhindern und minimieren. Man unterscheidet zwischen drei Arten der Prävention: der primären, sekundären und tertiären Prävention (vgl. Cierpka, 2005; manchmal werden auch die ähnlich konnotierten Begriffe universelle, selektive und indizierte Prävention verwendet). Diese sollen kurz nun erklärt werden (orientiert an Cierpka, 2005): ȤȤ Bei der primären Prävention soll das Auftreten einer Krankheit oder Störung von vornherein verhindert werden, entsprechend werden die Maßnahmen auch in der Regel allen Mitgliedern einer bestimmten Gruppe angeboten (etwa Kariesprophylaxe für alle Schulkinder oder eben Unterstützungsangebote für alle Familien mit kleinen Kindern). ȤȤ Die sekundäre Prävention zielt auf das möglichst frühe Erkennen und Bekämpfen potenziell vorliegender Schwierigkeiten ab (Kariesprophylaxe nur für Kinder mit hohem Süßwarenkonsum

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4.1 Prävention

bzw. Hilfsangebote nur für Familien mit bereits bekannten Belastungsfaktoren), während ȤȤ die tertiäre Prävention schließlich die Folgen eines bereits bekannten problematischen Vorfalls (bzw. einer Krankheit) minimiert und eine ganzheitliche Gesundheitsförderung anstrebt. Im Fall der Frühen Hilfen steht die primäre Prävention im Vorderden, noch bevor sie überhaupt entstehen. Hierzu wurden verschie-

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grund. Es geht darum, unerwünschte Entwicklungen zu vermei24

dene Maßnahmen entwickelt, etwa niedrigschwellige Elternkurse für potenziell alle Eltern mit Kindern eines bestimmten Altersbereiches (siehe unten). Die betroffenen Personen sollen mittels Aufklärung, Anleitung und Beratung in die Lage versetzt werden, ihr Verhalten selbst zu regulieren. Darüber hinaus sollen die Lebensbedingungen der Familien verbessert werden, um ungünstigen Entwicklungen vorzubeugen. Falls bereits Schwierigkeiten oder Belastungen festgestellt wurden, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu Schwierig­keiten führen könnten, kommt die sekundäre Prävention zum Tragen. Durch eine möglichst gute psychosoziale Diagnostik (etwa die »Heidelberger Belastungsskala«, siehe unten) wird das Verhalten genau erfasst und möglichst umfassend beschrieben. Anschließend werden Maßnahmen und Angebote (z. B. Beratung, Betreuung, Behandlung) vorgeschlagen oder in Absprache mit den (werdenden) Eltern eingeleitet, um gezielt Schwierigkeiten entgegenwirken zu können. Die tertiäre Prävention kümmert sich schließlich um die Änderung von problematischen Verhaltensweisen von Eltern, die bereits gegen verbindliche Verhaltensnormen verstoßen haben. Dies hat allerdings nur noch indirekt mit den Frühen Hilfen zu tun und fällt eher in den Aufgaben- und Kompetenzbereich des Kinderschutzes

und der Sozialdienste der Jugendämter (siehe unten zur Schwierigkeit, diese Bereiche gegeneinander abzugrenzen). Nach Ramey und Ramey (1993) ergeben sich acht Bereiche, in denen Präventionsmaßnahmen die Gesundheit fördern und jenen negativen Auswirkungen vorbeugen sollen, die durch schwierige Familienbedingungen entstehen können: ȤȤ Unterstützung in den für das Überleben wichtigen Bereichen möglichkeiten), ȤȤ Vermittlung von Werten und Zielen für die Familie, auch im Hinblick auf Schulbesuch und Arbeitsplatz, ȤȤ Schaffung eines Gefühls der physischen, sozial-emotionalen und finanziellen Sicherheit bei Eltern und Kindern, ȤȤ Sicherstellung physischer und seelischer Gesundheit, ȤȤ Verbesserung der sozialen Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern, den Peers und den Nachbarn, ȤȤ Steigerung des Selbstwertgefühls, ȤȤ Förderung sozialer Kompetenzen, Kommunikationsfertigkeiten und der Motivation für Schulerfolg, ȤȤ Training basaler intellektueller Fähigkeiten. Die Autoren fordern, dass dieses Spektrum im Rahmen entsprechender Angebote unbedingt abgedeckt werden sollte. Studien weisen allerdings darauf hin, dass insbesondere bei Kontexten starker Belastung (oft auch mit dem eher schwierigen Begriff »Hochrisikokonstellationen« bezeichnet) ein noch längerer Interventionszeitraum eingeplant werden muss, als es in den Frühen Hilfen umsetzbar erscheint, um eine dauerhafte Verbesserung dieser Bereiche zu erwirken (Cierpka, 2014). Wie aus dem Gesagten bereits ableitbar ist, geht dieser Ansatz von Prävention von der Annahme aus, dass

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(Unterkunft, Nahrung, Einkünfte, Sicherheit und Transport-

Veränderungen, die bei den Eltern beziehungsweise Familien einsetzen, entsprechend auch zu Veränderungen bzw. Entlastungen bei den Kindern führen. Frühe Hilfen zielen also auf eine frühzeitige und nachhaltige Verbesserung der Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern ab. Sie beinhalten allgemeine und spezifisch aufeinander abgestimmte Angebote und Maßnahmen im Sinne der Gesundheitsförderung für alle (werdenden) Eltern und ihre Kinder, sorgen, falls nötig, auch dafür, dass weitere Maßnahmen zum Schutz

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darüber hinaus insbesondere für Familien in Problemlagen. Und sie 26

des Kindes eingeleitet werden. Diese Unterscheidung der Präventionsarten – mit der damit verbundenen Notwendigkeit für die Frühen Hilfen, sich für eine oder mehrere von ihnen als Ansatzebenen der jeweiligen Angebote zu entscheiden – ist nicht problemfrei und gelingt oft nicht trennscharf (vgl. Eickhorst, Borchardt u. Cierpka, 2012). Beobachtbar ist, dass in der Praxis eine hohe Bedeutung insbesondere den sekundärpräventiven Maßnahmen beigemessen wird, welche in der Regel nicht auskommen, ohne mittelfristig das Thema Kinderschutz (im Sinne des KJHG) mitzudenken. Last but not least beziehen die Frühen Hilfen auch bürgerschaftliches Engagement wie ehrenamtliche Helfer sowie die Stärkung sozialer Netzwerke der Familien ein, also etwa Freunde, Nachbarschaft oder Verwandte. 4.2 B  elastungs- und Schutzfaktoren für Kindeswohlgefährdung

Wie lassen sich Belastungen und ihre Folgen in Familien möglichst gut einschätzen? Diese Frage ist für die Hilfeplanung sehr relevant. Sie ist insofern schwer zu beantworten, als bereits gar nicht eindeutig geklärt werden kann, was überhaupt als gesellschaftlich erwartbar bzw. hinnehmbar oder im Gegensatz dazu als dysfunktional und hilfebedürftig gelten kann bzw. soll. Die Übergänge sind fließend und die Maßstäbe verändern sich im Laufe der Zeit. Was vor weni-

gen Jahrzehnten noch vollkommen üblich war oder zumindest toleriert wurde, kann heutzutage als schwer problematisch empfunden werden. Trotzdem lassen sich auf der Grundlage zahlreicher wissenschaftlicher Studien und Metaanalysen immerhin eine gewisse Anzahl empirisch bestätigter Risiko- bzw. Belastungsfaktoren identifizieren3, etwa für das Eintreten einer familiären Kindeswohlgefährdung 2009). Je mehr familiäre psychosoziale Belastungsfaktoren vorliegen

27

(im Sinne einer Kumulation von Belastungen), desto größer ist das

Kontext

(vgl. Sabates u. Dex, 2015; Sidebotham u. Heron, 2006; Stith et al.,

Risiko für eine Gefährdung des Kindeswohls, im schlimmsten Fall durch eine Vernachlässigung oder Misshandlung des Kindes. Zu den inhaltlichen Bereichen von Belastungsfaktoren gehören etwa persönliche Belastungen des Kindes wie beispielsweise eine Behinderung oder ein als »schwierig« konnotiertes Temperament, persönliche Belastungen der Eltern wie eine ungewollte Schwangerschaft oder permanente Überforderung, sonstige familiäre Belastungen durch dauerhafte Konflikte sowie soziale und materielle Belastungen. Es können aber auch sogenannte Schutzfaktoren identifiziert werden, deren Vorliegen die Familien oder auch die Kinder selber im Sinne einer Resilienz (»Widerstandsfähigkeit«, vgl. hierzu z. B. Cicchetti u. Garmezy, 1993) gegen die Belastungen wappnen und die unguten Folgen vorbeugen können. Auch hier potenziert das Vorliegen mehrerer Schutzfaktoren deren Wirkung – dies geschieht allerdings, wie auch bei den Belastungsfaktoren, nach nicht klar feststellbaren Prinzipien des Zusammenwirkens. Auch ist nicht voll3 An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass der Begriff »Risikofaktor« sich auf ein statistisches Risiko bezieht, also einen Faktor beschreibt, der die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer (hier ungünstigen) Folge im Vergleich zu seinem Nichtvorliegen statistisch überzufällig erhöht (bei Schutzfaktoren gilt das Gesagte entsprechend umgekehrt). Diese negative Folge tritt selbstredend nicht zwangsläufig oder gar bei jedem Einzelfall ein.

kommen geklärt, wie Belastungs- und Schutzfaktoren zusammenwirken. Das dürfte auch daran liegen, dass es zu Schutzfaktoren viel weniger Forschung gibt als zu Risiko- oder Belastungsfaktoren. Die Tabelle 1 listet eine Auswahl an empirisch bestätigten Belastungssowie Schutzfaktoren der frühen Kindheit auf (hier für Vulnerabilität im späteren Leben).

Kontext

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Tabelle 1: Auswahl empirisch bestätigter Belastungs- und Schutzfaktoren in der frühen Kindheit für Vulnerabilität im späteren Leben (nach Egle, Hoffmann u. Steffens, 1997; sowie Egle, Hardt, Nickel, Kappis u. Hoffmann, 2002) Belastungsfaktoren

Schutzfaktoren

–– Psychopathologie eines Elternteiles –– Psychopathologische Vorgeschichte eines Elternteils –– Schwere körperliche Erkrankung eines Elternteiles –– Kriminalität/Dissozialität eines Elternteiles –– Niedrige Schulbildung der Eltern –– Anhaltende Auseinandersetzungen der Eltern aufgrund von Trennung/ Scheidung –– Eigene Erfahrungen von Gewalt/ Missbrauch/Misshandlung –– Mutter alleinstehend –– Geringer Altersabstand zwischen Geschwistern –– Arbeitslosigkeit der Eltern –– Häufig wechselnde frühe Beziehungen des Kindes (z. B. in stationären Einrichtungen) –– Probleme der Eltern-Kind-Bindung –– Familiäre Konflikte –– Armut und Wohnungsenge

–– Dauerhaft gute Beziehungen des Kindes zu mindestens einer primären Bezugsperson –– Sicheres Bindungsverhalten des Kindes –– Entlastung der Mutter (­insbesondere, wenn alleinstehend) –– Gutes Ersatzmilieu nach früherem Mutterverlust –– Überdurchschnittliche Intelligenz des Kindes –– Robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament des Kindes –– Internale Kontrollüberzeugungen des Kindes –– Soziale Förderung des Kindes –– Lebenszeitlich spätere Familiengründung –– Geschlecht (Mädchen sind weniger vulnerabel)

Inzwischen liegen verschiedene Instrumente zur Messung von Belastungsfaktoren für die Praxis vor. Einige dieser Instrumente untersuchen dabei gezielt konkrete Kindeswohlgefährdungen, andere versuchen eher, allgemeine und auch schon niedrigschwellige Belastungen

zu identifizieren (Kindler, 2007). Hierzu gehört die am Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie des Universitätsklinikums Heidelberg im Rahmen des Projektes »Keiner fällt durchs Netz« (siehe unten) entwickelte »Heidelberger Belastungsskala« (HBS). Mit dieser Skala wurde ein Instrument geschaffen, das die Belastungsfaktoren in einer Familie im Sinne einer ersten Einschätzung zu erfassen hilft, um dann in einem zweiten Schritt die notdarauf geachtet, dass die Handhabung der Skala möglichst einfach

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und ökonomisch ist, damit die unterschiedlichsten Berufsgruppen –

Kontext

wendigen Hilfsangebote einleiten zu können. Außerdem wurde gezielt

wie Ärzte und Pflegepersonal, Hebammen, Psychologen und Sozialarbeiter – die HBS in ihrer alltäglichen Routine überhaupt realistisch einsetzen können. Sie muss von all diesen Gruppen gleichermaßen verstanden werden, auch wenn deren diagnostische Fenster noch so verschieden sein mögen. Hierzu ist in jedem Fall eine entsprechende Einführung nebst Training vonnöten (Eickhorst, Stasch u. Sidor, 2014). Die Risiko- und Belastungsfaktoren werden in der »Heidelberger Belastungsskala« aus Gründen der Ökonomie und der einfacheren Zuordnung im Klinikalltag auf vier Bereiche reduziert, die vor allem mittel- und längerfristig ausgerichtet sind. Diese lauten: ȤȤ Bereich 1: persönliche Belastungen des Kindes ȤȤ Bereich 2: persönliche Belastungen der Eltern/familiäre Belastungen ȤȤ Bereich 3: soziale Belastungen ȤȤ Bereich 4: materielle Belastungen Jeder Bereich (jede »Dimension«) wird durch eine Skala repräsentiert, welche aus einer kontinuierlichen Zahlenreihe mit Werten von 0 bis 100 unterteilt ist, wobei ansteigende Werte ansteigende Belastungsniveaus definieren. Folgende Zuordnungen der Skalierungsziffern werden bei der HBS (pro Bereich) getroffen:

ȤȤ Wertespanne 0–20: Das Beziehungssystem weist keine oder nur eine geringe Belastung auf. Möglicherweise existierende Schwierigkeiten werden gut kompensiert. ȤȤ Wertespanne 21–40: Es wurden Belastungsfaktoren erkannt, die mittelfristig nicht vollständig kompensiert werden können. ȤȤ Wertespanne 41–60: Die Belastungsfaktoren überwiegen deutlich im Vergleich zu den unbelasteten Bereichen. ȤȤ Wertespanne 61–80: Die Belastung ist hoch und unbelastetes

Kontext

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Funktionieren nur selten möglich. ȤȤ Wertespanne 81–100: Die Belastung ist derart schwer, dass selbst Aufgaben des Alltags nicht bewältigt werden können. Die grundlegende Versorgung mit Essen, Kleidung und ärzt­ liche Betreuung ist nicht sichergestellt. Es besteht absolut Handlungsbedarf. Diese nun quantitativ eingeschätzten Belastungen in den vier Bereichen bzw. Dimensionen werden abschließend noch in einer fünften Dimension als Gesamtbelastungswert zusammengefasst. Für das Rating einer Familie insgesamt werden also auf jeder der fünf Dimensionen die Punktwerte 0–100 vergeben. Der Gesamtbelastungswert soll sich dabei an den vier anderen Werten orientieren, es muss sich aber nicht um den daraus errechneten Mittelwert handeln. Hier kann auch ein gewisser intuitiver Anteil in die Einschätzung einfließen, zum Beispiel, um zu signalisieren, dass ein Skalenwert deutlich über der Schwelle liegt und daher insgesamt die Tendenz zu einer Entscheidung für das Hilfsangebot gehen sollte. Liegt eine Familie über dem vorgegebenen Schwellenwert von 40 Punkten, dann überwiegen gemäß der Skala die belasteten gegenüber den unbelasteten Bereichen. In diesem Fall wird empfohlen, der betroffenen Familie eine passende Hilfe zukommen zu lassen, wie etwa die Teilnahme an einer Maßnahme der Frühen Hilfen.

Ein Beispiel: Würde eine Fachkraft etwa die Mutter Sabine aus dem Fallbeispiel 1 einschätzen, so könnte ein erhöhter Wert auf unterschiedlichen Dimensionen angenommen werden. Während die Frühgeburtlichkeit sowie der Herzfehler und die potenzielle Hörschädigung zur Dimension der persönlichen Belastungen des Kindes (Pia) zählen würden, wäre die Überforderungssituation sowie die Unsicherheit von Sabine dem Bereich der familiären Belastungehende Fehlen eines sozialen Netzwerkes (die 13-jährige Nichte ist

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die Einzige, die mal auf Pia aufpassen kann) konstituieren soziale

Kontext

gen zuzuordnen. Der derzeit nicht anwesende Vater sowie das weit-

Belastungen der Familie, während wir über materielle Belastungen (finanzielle Situation, Wohnungsgröße) keine Details kennen, aber sicherlich Vermutungen anstellen können. Um sicherzugehen, dass die Anwenderinnen mit der HBS ausreichend vertraut sind, wird sie in speziellen Schulungen durch erfahrene Trainer vermittelt. Es hat sich dabei als vorteilhaft erwiesen, wenn jeweils ein weniger erfahrener Rater die Ankerpunkte gemeinsam mit einem erfahrenen Rater durchgeht. Danach sollen sich die Anwenderinnen klinisch mit dem Material vertraut machen, indem sie die von den Autorinnen bereitgestellten Fallvignetten durcharbeiten. Diese werden dann in das HBS-Schema eingeordnet und in der Gruppe diskutiert (vertiefend in Eickhorst, Stasch u. Sidor, 2014). 4.3 Komm- und Gehstrukturen

Betrachtet man die vielen heterogenen Angebote der Frühen Hilfen, ist eine Mischung aus der sogenannten Komm-Struktur und der sogenannten Geh-Struktur erkennbar. Im Rahmen einer Komm-Struktur müssen die Eltern zu mehr oder weniger zentral oder verteilt angebotenen Maßnahmen kommen. Hier werden etwa Kurse für die (werdenden) Eltern angeboten, auf freiwilliger Basis und unter der Leitung speziell ausgebildeter Expertinnen, etwa der

Elternkurs »Das Baby verstehen«. Die Eltern sollen durch Werbung, Aushänge, Broschüren und Mundpropaganda auf die Kurse aufmerksam gemacht werden und dann von sich aus zu dem Ort kommen, an dem sie angeboten werden. Arzt- und Hebammenpraxen sind beispielsweise ein geeigneter Ort, um für die Kurse zu werben. Natürlich müssen die Helfer vor Ort mit den Kursen vertraut sein, Fragen beantworten und den Eltern etwaige Hemmungen nehmen können. 32

alle potenziellen Teilnehmerinnen erreicht werden können. Trotz

Kontext

Obwohl sich die Kurse an alle richten, ist allerdings fraglich, ob auch vieler Bemühungen wissen nicht alle von der Existenz der Kurse oder stellen nicht die Verbindung her, dass sie für sie hilfreich und wichtig sein könnten. Letzten Endes wird in erster Linie eine Gruppe von Leuten erreicht, die ohnehin schon aufgeschlossen und interessiert ist, während eher zurückgezogen lebende Familien, sozial schwache Familien und Familien mit Migrationshintergrund mit möglicherweise nicht ausreichenden Deutschkenntnissen eher nicht von den Kursen angezogen werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, im Rahmen der Frühen Hilfen ebenfalls Hilfsangebote aus dem Bereich der Geh-Struktur zu schaffen, bei der die Fachkräfte zu den Familien gehen, also in der Regel Hausbesuche durchführen (wie ja auch die Hebamme im Rahmen der Regelversorgung). Zurückkommend auf das Fallbeispiel 1, ist sicherlich davon auszugehen, dass Sabine in ihrer derzeitigen (Überforderungs-)Situation von sich aus wohl eher nicht nach Elternkursen oder Ähnlichem Ausschau halten würde, hier also die Geh-Struktur notwendig wäre, bei der allerdings eine Stelle die Initiative zur Vermittlung übernehmen müsste (im Beispiel die Kinderärztin). Bei der Geh-Struktur spielen insbesondere die Familien­heb­ ammen eine entscheidende Rolle. Sie sollen dem Konzept folgend in den Wochen vor und in den Monaten nach der Geburt in die

Familien gehen und vor Ort helfen. Auch dieses Angebot ist für die Familien freiwillig, und die Familienhebamme kann jederzeit fortgeschickt werden. Allerdings ist das nur selten der Fall, da Hebammen gesellschaftlich allgemein hoch akzeptiert sind, unabhängig vom sozialen Milieu oder der jeweiligen Kultur. In den erwähnten Familien mit Migrationshintergrund sind Hebammen aus dem entsprechenden Kulturkreis mit den nötigen Sprachkenntnissen 33

werden müssen, sondern nur die bereits angebotene Hilfe anneh-

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erstrebenswert. Insbesondere aber wird bei der Geh-Struktur die Hemmschwelle gesenkt, da die Familien nicht von sich aus aktiv men müssen. Der anzustrebende Optimalfall ist natürlich der, dass die (werdenden) Eltern beide Modelle nutzen, also beispielsweise sowohl an einem Elternkurs teilnehmen als auch von den Familienhebammen besucht werden. Wichtig ist aber, dass alle Familien (zumindest potenziell) erreicht werden und bei Bedarf kompetente Hilfe erhalten.

5  Forschung zu Frühen Hilfen Zur Wirksamkeit bzw. zu spezifischen Wirkfaktoren der Frühen Hilfen liegen bislang nur wenige aussagekräftige Untersuchungen vor. Das Datenmaterial ist zu dünn, als dass man auf seiner Grundlage zu einem abschließenden Urteil gelangen könnte, da nur die wenigsten der durchgeführten Studien alle Kriterien erfüllen, um als thematisch relevant und qualitativ ausreichend eingestuft werden zu können. Die einzige einschlägige deutschsprachige Metaanalyse, die unterschiedliche (wenige und heterogene) Projekte der Frühen Hilfen zu veröffentlichten Ergebnissen ihrer Wirksamkeit vergleicht, kommt zu sehr ernüchternden Ergebnissen: Es gibt nur wenige kleinere Effekte diverser Wirksamkeiten in verschiedenen Bereichen; angestrebte

Veränderungen in Kernvariablen konnten oftmals nicht oder nicht in der erwünschten Stärke nachgewiesen werden (Taubner, Munder, Unger u. Wolter, 2013). Von zwei der Projekte, in denen zumindest überhaupt Effekte gefunden werden konnten – »STEEP« und »Keiner fällt durchs Netz« – wird noch berichtet werden. Zugleich ist festzustellen, dass es eine, wenn auch kleine, Reihe von empirischen Untersuchungen und Analysen gibt, die immerhin che unter die Lupe genommen haben. Drei davon aus ganz unter-

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relevante Teilbereiche und verwandte bzw. korrespondierende Berei34

schiedlichen Subkontexten sollen im Folgenden vorgestellt werden. Beispiel 1: Kinderärztliche Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung psychosozialer Probleme Der Kinder- und Jugendarzt ist oftmals die erste Anlaufstelle der Eltern, wenn es um die Gesundheit und Entwicklung ihrer Kinder geht. Durch Impfungen und Untersuchungen zur Früherkennung kommt der Arzt regelmäßig mit den Kindern in Kontakt, auch wenn keine konkreten Probleme und Krankheiten vorliegen. Gerade bei den Früherkennungsuntersuchungen bietet sich ihm die Chance, riskante Entwicklungen und Probleme in der Familie wahrzunehmen, mit den Eltern zu diskutieren und weitere Schritte in die Wege zu leiten. Hier muss allerdings bedacht werden, dass das Erkennen solcher Entwicklungen nur ein Teil der Aufgaben der Ärztin bei der Früherkennungsuntersuchung ist. Darüber hinaus geht es darum, die gesundheitliche Versorgung des Kindes zu gewährleisten und ein gesundes Aufwachsen zu fördern. Somit kann der Arzt nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit auf den für die Frühen Hilfen relevanten Bereich richten. Und wie die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, wird dieser zur Verfügung stehende Teil in den meisten Fällen nicht einmal annähernd ausgeschöpft, weil die gesundheitlichen Fragen einen ungleich größeren Raum einnehmen.

Der Frage, wieso das so ist, widmet sich eine Analyse von Barth (2016). Er konstatiert, dass Früherkennungsuntersuchungen durchschnittlich etwa 20 Minuten dauern – da bleibt neben der rein körperlichen Untersuchung nur wenig Zeit für pädagogische und organisatorische Aufgaben. Der schmale Zeitrahmen verlangt, dass zielgerichtet und geschickt die psychosoziale Situation in der Familie erfragt und exploriert werden muss. Nun ist es so, dass in der klassi35

stets im Zentrum. Was für die Untersuchung angemessen und sinn-

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schen »Dramaturgie« der Untersuchungen die Triade aus Arzt, Kind und Eltern um die Babyliege herum gruppiert ist, das Kind ist also voll scheint, wird zum Problem, wenn sich Arzt und Eltern gedanklich nicht von dem Kind lösen können. Es hat sich herausgestellt, dass Fragen des Arztes in dieser Situation primär auf das Kind bezogen sind und wenig Raum für darüber hinausgehende Erörterungen bleibt. Klagt etwa eine Mutter auf Nachfrage, dass das Kind schlecht schläft, wird die Lösung üblicherweise beim Kind gesucht, z. B. bei seiner Ernährung. Dass vielleicht auch Konflikte in der Familie an sich dahinterstecken können, spielt in diesem Augenblick keine Rolle. Natürlich kann ein Untersuchungsgespräch trotzdem zielführend sein, wenn die notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Ist der Gesprächsstil des Arztes interessiert und konzentriert, verhalten sich die Eltern ihm gegenüber möglicherweise offen und mitteilsam, und ist der Stressor in der familiären Situation tatsächlich eher im Zusammenhang mit dem Kind zu finden, dann bestehen gute Chancen, dass die Früherkennungsuntersuchungen von Erfolg gekrönt sind und das Problem erkannt und diskutiert wird. Sobald aber eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben ist, beeinflusst dieser Punkt die anderen Aspekte ganz entscheidend zum Negativen hin. Agiert etwa der Arzt allzu vorsichtig und zurückhaltend, sind die Eltern ihm gegenüber reserviert und distanziert oder ist der Stressor eher im Zusammenhang mit den Eltern zu finden, so ist nach den bishe-

rigen Erfahrungen zu befürchten, dass die relevante Situation eben doch durchs Netz fällt. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass in den Untersuchungen bisher keine systematische Erhebung von entwicklungsgefährdenden Umweltbedingungen vorgesehen ist. Man scheint vielmehr davon auszugehen, dass durch die bereits erwähnte Regelmäßigkeit der Untersuchungen jedwede kindliche Gefährdung sowieso früher oder später ans Licht käme. Dieser Glaube muss allerdings als naiv und praxisfern

Kontext

36

eingestuft werden. Neben den schon erwähnten Problemen, die sich aus der allgemeinen Fixierung auf Fragen der körper­lichen Unversehrtheit ergeben, sieht sich der Kinder- und Jugendarzt in diesem Zusammenhang mit drei großen Unsicherheiten konfrontiert: 1. Er kann nicht beurteilen, wie repräsentativ und zuverlässig seine Beobachtungen sind. 2. Es stellt sich die Frage, wie transparent und glaubwürdig er seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen den Eltern gegenüber kommunizieren kann. Er schreckt davor zurück, die Eltern zu stigmatisieren, und will vermeiden, selbst dafür verantwortlich gemacht zu werden, Probleme nicht früher erkannt und angesprochen zu haben. 3. Er weiß nicht, an wen er die Familie für eine weitere Betreuung verweisen kann. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Früherkennungsuntersuchungen der Kinder- und Jugendärzte einem Ablaufschema folgen, das zwar hoch routiniert und erprobt ist, das aber im Wesentlichen den gesundheitlichen Aspekten gerecht wird und andere Bereiche eher vernachlässigt. Hier müsste also grundsätzlich das Schema im Hinblick auf die Frühen Hilfen optimiert werden, oder die Ärzte müssten ermuntert werden, von dem bisherigen Schema abzuweichen (Details in Barth, 2016).

Beispiel 2: Effekte des Einsatzes von Gesundheitsfachkräften Ein Schwerpunkt der Bundesinitiative Frühe Hilfen war der Einsatz von Gesundheitsfachkräften in den Frühen Hilfen (neben den Familienhebammen auch spezifisch weitergebildetes Pflegepersonal mit der etwas eigenwilligen Bezeichnung »Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger«; FGKiKP). Um herauszufinden, inwieweit insbesondere Familien in belastenden Lebenslagen zwischen 2013 und 2015 eine Online-Umfrage unter Familien­

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hebammen durch. Grundlage war die vom NZFH selbst erstellte

Kontext

auch wirklich von diesem Angebot profitieren, führte das NZFH

»Dokumentationsvorlage für Gesundheitsberufe in den Frühen Hilfen«. Die Umfrage erhob, wie die Familienhebammen die Lebensund Erziehungskompetenzen der von ihnen betreuten Familien einschätzten (Renner u. Scharmanski, 2016). Generell lässt sich sagen, dass die Gesundheitsfachkräfte bei ihrer Arbeit zwei unterschiedliche Aufgaben zu erledigen haben: Auf der einen Seite sollen sie die elterlichen Kompetenzen stärken und entwickeln, auf der anderen Seite sollen sie als Lotsen im kommunalen Netzwerk Früher Hilfen fungieren. Damit die Familien von der Unterstützung profitieren können, müssen nach Renner und Scharmanski insgesamt vier Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Die Kommunen bieten diese Unterstützung auch tatsächlich an. 2. Familien, insbesondere solche mit akutem Hilfebedarf, kennen und nutzen dieses Angebot. 3. Die Fachkraft wird von der Familie akzeptiert und wertgeschätzt. 4. Ein Kompetenzzuwachs oder eine gelungene Vermittlung kann anhand von klar definierten Indikatoren festgestellt werden. In einem Großteil der Kommunen mangelt es mittlerweile zum Glück weder an Angeboten noch daran, diese ausreichend bekannt

zu machen. Somit können die Punkte 1 und 2 in den meisten Kommunen als gegeben angesehen werden. Auch ist es um die Akzeptanz der Hebammen (Punkt 3) nach wie vor gut bestellt, wie verschiedene Studien, etwa im Rahmen eines Bundesmodellprojekts zur Familienhebammenhilfe im Landkreis Osnabrück, zeigen konnten (Makowsky u. Schücking, 2013). Weit weniger eindeutig lässt sich allerdings Punkt 4 beurteilen; zum Kompetenzzuwachs liegen bistelten Effekte nur bedingt aussagekräftig und wurden meistens mit

Kontext

lang nur wenige signifikante Ergebnisse vor. Auch waren die ermit38

Faktoren vermischt, die nichts oder nur wenig mit der spezifischen Fragestellung zu tun hatten. Eine Depression der Hauptbezugsperson des Kindes spielt z. B. eine wichtige Rolle für den Umgang mit dem Kind, fällt aber nicht in den eigentlichen Einfluss- und Behandlungsbereich der Hebamme. Diese Faktoren müssten deutlicher getrennt werden, um relevante Ergebnisse aufweisen zu können. Die besagte Onlineerhebung griff nun direkt auf den Erfahrungsschatz der Hebammen zurück und konzentrierte sich auf ihre Einschätzungen und Beobachtungen. Dadurch ist sie wesentlich aussagekräftiger als frühere, allgemeinere Untersuchungen. Die Fachkräfte gaben zu insgesamt drei Zeitpunkten (Betreuungsbeginn, nach vier Monaten, Betreuungsende bzw. erster Geburtstag des Kindes) ihre Einschätzungen ab bezogen auf das im Erhebungsbogen enthaltene »Systematische Explorations- und Verlaufsinventar für Gesundheitsfachkräfte in den Frühen Hilfen« (SEVG). Es besteht aus fünf Skalen: ȤȤ Interaktion zwischen Hauptbezugsperson und Kind ȤȤ Fürsorge für das Kind ȤȤ Annahme von Unterstützung bei weiterem, speziellem Hilfebedarf ȤȤ Aktivitäten im Zusammenhang mit Haushalt und Lebensführung ȤȤ Soziale Unterstützung

Es wurden dabei zwei Gruppen miteinander verglichen. Gruppe A bestand aus Familien, für welche die Unterstützungsleistungen zu allen drei Zeitpunkten ausreichend waren. Gruppe B bestand aus Familien, die zu mindestens einem Zeitpunkt so stark belastet waren, dass zusätzliche Unterstützung notwendig war. In Gruppe A fielen gut 75 Prozent der untersuchten Familien, in Gruppe B knapp 25 Prozent. 39

sehr positiv einschätzten. Im weiteren Verlauf konnten dann für alle

Kontext

Es fällt auf, dass die Gesundheitsfachkräfte die Kompetenzen der Familien der Gruppe A bereits zu Beginn der Betreuung als zumeist Kompetenzbereiche im Durchschnitt Zuwächse beobachtet werden. Anders sah es bei den Familien der Gruppe B aus. Hier wurden die Kompetenzen der Familien von vornherein deutlich weniger positiv eingeschätzt und der Kompetenzzuwachs war im Vergleich zu Gruppe A gering und lediglich für die Skalen »Interaktion« und »Lebensführung« signifikant. Was die oben erwähnte Lotsinnenfunktion angeht, lässt sich festhalten, dass die Fachkräfte in etwa vier von fünf Fällen weitere Hilfen vermittelten. Dieses Verhältnis gilt nahezu unabhängig davon, ob es sich um Familien aus Gruppe A (in 78,01 % der Fälle wurden weitere Hilfen vermittelt) oder Gruppe B (in 83,19 % der Fälle) handelte. Hier ist allerdings auch die Art der Hilfen bedeutsam, denn während die Fachkräfte praktisch gleich viele intensive und weniger intensive Maßnahmen vermittelten, wurden den Familien der Gruppe B zu einem großen Teil (über 80 %) intensive Maßnahmen vermittelt. Gerade letzterer Punkt kann als Erfolg gewertet werden, da die Gesundheitsfachkräfte hier ihrer Funktion als Lotsin nachgekommen sind. Allem Anschein nach profitieren also insbesondere Familien, die nach Einschätzung der Fachkräfte keine zusätzliche Hilfe zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung benötigten, von der direkten

Betreuung durch die Fachkräfte. Sie konnten ihre Kompetenzen in allen fünf untersuchten Bereichen verbessern. Anders sieht es bei den stark belasteten Familien aus, deren Kompetenzen nur in zwei der fünf Bereiche verbessert werden konnten. Hier scheint das Spektrum der Hilfeleistungen der Familienhebammen nicht spezifisch genug auf den Bedarf der Familien zugeschnitten zu sein. Allerdings scheinen auch sie durch die Betreuung zu profitieren, da sie so leichter Zugang zu weiterführenden Angeboten bekommen und möglicherweise ein

Kontext

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Bedarf ermittelt wird, der sonst übersehen würde. Diese Angebote sind allerdings kein Teil der Frühen Hilfen, sondern gehören in den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Selbstredend muss bei der Betrachtung der Ergebnisse klar sein, dass es sich nicht um die Einschätzungen der Familien oder gar objektivierte Werte einer Kompetenzverbesserung handelt, sondern um die Einschätzung der Gesundheitsfachkräfte, die die Hilfe durchführen (Details in Renner u. Scharmanski, 2016). Beispiel 3: Bindungsförderung durch das Programm STEEP Neben der Verhinderung von Risiken ist ein wesentliches Ziel der Frühen Hilfen, Schutzsysteme für die Entwicklung von Kindern zu fördern. Hier steht – in westlichen Kulturen wie der deutschen – besonders das psychologische Bindungssystem der Mutter-Kindund Vater-Kind-Bindung im Mittelpunkt. Von entscheidender Bedeutung ist neben der elterlichen Feinfühligkeit die Fähigkeit, eigene Bindungserfahrungen und ihre Auswirkungen auf den Umgang mit dem Kind kritisch zu reflektieren. Ein präventives Interventionsprogramm, das diese Erkenntnisse genutzt hat, ist das STEEP-Programm (Egeland u. Erickson, 2004). Sein Hauptziel ist es, die Entwicklung sicherer Eltern-Kind-Bindungen zu fördern. Seine Kernelemente sind die beraterische Erziehung und die videogestützte Anleitung zum feinfühligen Umgang mit dem Kind. Eltern werden im Umgang mit ihrem Kind auf Video aufge-

nommen. Beim gemeinsamen Ansehen des Videos wird anschließend durch offene Fragen ihre Aufmerksamkeit gegenüber den kindlichen Signalen sowie ihre Empathie gegenüber kindlichen Bedürfnissen gefördert. STEEP richtet sich an hoch belastete junge Eltern. Das Programm umfasst Hausbesuche und Gruppenangebote im wöchentlichen Wechsel; es beginnt im letzten Drittel der Schwangerschaft und endet mit dem zweiten Geburtstag des Kinu. Frumentia Maier, 2010), hat zum Vergleich neben einer am Pro-

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gramm teilnehmenden Gruppe von Müttern auch eine Kontroll-

Kontext

des. Die Studie, die hier vorgestellt werden soll (Suess, Bohlen, Mali

gruppe ohne STEEP-Intervention und gezielte Bindungsförderung beobachtet. Die Studie fand in Kooperation mit anerkannten Trägern der Jugendhilfe statt und alle betreuten Fälle hatten die Gemeinsamkeit, dass nach Einschätzung des Jugendamtes eine dem Kindeswohl förderliche Erziehung nicht gewährleistet war. Der Bildungsgrad und der Anteil an alleinerziehenden Müttern waren in beiden Gruppen ungefähr gleich hoch, allerdings waren die Mütter in der STEEPGruppe geringfügig häufiger durch Risikofaktoren belastet (Tod der eigenen Eltern, finanzielle Probleme etc.) als in der Kontrollgruppe. Folgende Erhebungen fanden zu den gleichen Zeitpunkten (vor und nach einem Jahr mit bzw. ohne STEEP-Intervention) bei beiden Gruppen statt: 1. Bindungsklassifikation anhand der sogenannten Fremden Situation: Die Videoaufnahmen wurden von einer Expertin ohne Kenntnis der Gruppenzugehörigkeit hinsichtlich der drei organisierten Bindungsmuster (A: unsicher-vermeidend, B: sicher, C: unsicher-ambivalent) und des desorganisierten Bindungsmusters D ausgewertet. 2. Edinburgh Postnatal Depression Scale: Ein zehn Fragen umfassender Bogen zum selbst Ausfüllen, mit dem sich eine Depression feststellen lässt.

3. Parental Stress Index: Ein Bogen zum selbst Ausfüllen, der 36 Fra­ gen umfasst und die Bestimmung der allgemeinen Stressbelastung in der Elternrolle ermöglicht. 4. Adult-Adolescent Parenting Inventory: Ein Fragebogen zur Erziehungseinstellung mit 40 Items, der zu den am häufigsten verwendeten Instrumenten zur Einschätzung des Misshandlungs-

42

Die Ergebnisse der Studie zeigten bei 59 Prozent der Mutter-Kind-

Kontext

risikos zählt.

Paare nach einem Jahr STEEP-Intervention eine sichere Bindungsqualität, während diese in der Kontrollgruppe nur bei 33 Prozent der Paare zu beobachten war. Hier scheint also das primäre Ziel der Intervention – die Förderung einer sicheren Eltern-Kind-Bindung – erreicht zu sein. Trotz einiger methodischer Kritikpunkte (z. B. geringe Größe der Kontrollgruppe) gibt die Studie deutliche Hinweise auf die Wirksamkeit der Maßnahme. Eine erfreuliche Nebenerkenntnis war, dass der Anteil der durch Depression hoch belasteten Mütter zum ersten Geburtstag des Kindes hin von über 40 auf etwa 25 Prozent sank. Ebenfalls ließ sich feststellen, dass die Mütter der Kontrollgruppe mehr als die der STEEP-Gruppe dazu neigten, das Streben ihres Kindes nach Unab-

hängigkeit zu unterdrücken und es in seinen Autonomiebestrebungen einzuschränken. Die Unterschiede zwischen beiden Gruppen sind zu gering, um sie als statistisch signifikant anzusehen, zeigen aber einen Trend in eine Richtung, die für das Konzept spricht. Alle genannten Entwicklungen beziehen sich auf die Halbzeit der STEEP-Intervention, also den ersten Geburtstag des Kindes. Hier

konnte bei 59 Prozent der Mutter-Kind-Paare das primäre Ziel des Programms erreicht werden: die erfolgreiche Förderung eines sicheren Bindungsaufbaus. Dieser Anteil ist für hoch belastete Klientinnen ungewöhnlich hoch und liegt deutlich über den Werten, die

ohne gezielte Förderung zu erwarten sind (Details in Suess et al., 2010). Aus dem bis hierher Geschilderten ist ersichtlich, dass die Frühen Hilfen inzwischen eine recht gute Struktur erreicht haben und damit eine angemessene und niedrigschwellige Versorgung der angedachten Zielgruppe erreichen können. Neben unterschiedlichen Nach43

Absicherung in weiteren Bereichen liefern sollte. Insgesamt erscheint

Kontext

besserungen und Ergänzungen (siehe unten) bedarf es allerdings ebenso weiterer Forschung, welche konkretere Erkenntnisse und die Situation aber ermutigend – Eltern wie Sabine (und ihre Familien) werden mit ihren Sorgen und Belastungen gesehen und man kann sie mit passenden Hilfen erreichen, sodass eine Stabilisierung ihrer Situation in der so wichtigen frühen Säuglingszeit der Tochter Pia gelingen kann.

Die systemische Beratung

6  Relevante Berufsgruppen in den Frühen Hilfen In den Frühen Hilfen lassen sich generell eine ganze Reihe unterschiedlichster Berufsgruppen verorten, wobei die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen nicht immer ganz einfach ist. Ein häufiges Beispiel ist etwa das Miteinander von Familienhebammen und Kinderkrankenschwestern – beide Berufsgruppen sind potenziell zen, die sich sehr ähnelt und nicht immer leicht zu differenzieren ist.

Beratung

für eine jeweils aufsuchende Arbeit bei den Familien vor Ort einzuset46

Aber es lässt sich auch allgemeiner feststellen, dass immer dort Missverständnisse und Kommunikationsprobleme einzukalkulieren und zu bearbeiten sind, wo verschiedene Berufsgruppen mit ihren jeweils eigenen Interessen aufeinandertreffen, um beispielsweise die konkrete Ausrichtung der Frühen Hilfen in lokalen Arbeitskreisen, den Informationsaustausch untereinander oder auch die gemeinsame »Sprache« (etwa, was genau unter »Wohlbefinden« eines Kindes und seiner Gefährdung zu verstehen ist) zu klären. Diese Situation verschärft sich, wenn Fachkräfte unterschiedlicher Disziplinen in denselben Familien beschäftigt sind, etwa eine Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) und eine Familienhebamme. Selbst wenn nicht beide Personen originär für die Frühen Hilfen dort tätig sind (denkbar wären ja sowohl unterschiedliche Auftraggeber als auch unterschiedliche konkrete Aufträge und unterschiedliche zu betreuende Personen der beiden), können divergierende fachliche Auffassungen über das richtige Vorgehen hier ein potenzielles Spannungsfeld darstellen. Ein Beispiel für eine Fachkraft der Frühen Hilfen: Die Familienhebamme Je populärer die aufsuchenden Hilfen werden, umso mehr rückt auch die Berufsgruppe der Familienhebammen in den Fokus der Betrachtung, ebenso wie die zunehmend populär werdenden verwandten

Berufsgruppen (etwa Kinderkrankenschwestern, Sozialmedizinische Assistenten oder Familien-Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen). Zur Definition des Begriffs der Familienhebamme lässt sich am besten auf deren Selbstbeschreibung unter www.familienhebamme.de zurückgreifen: »Die Tätigkeiten der Familienhebamme gehen über den in der Heb47

Setting, Betreuungszeitraum und -dauer sowie Inhalte der Arbeit.

Beratung

ammen-Vergütungsvereinbarung festgelegten Rahmen hinaus und unterscheiden sich signifikant im Hinblick auf Auftrag, Frequenz, Die Arbeit der Familienhebamme kann somit als ein zeitlich und fachlich erweitertes Tätigkeitsspektrum der originären Hebammentätigkeit betrachtet werden, für die es einer zusätzlichen Qualifizierung bedarf. Schwerpunkte der Arbeit sind: ȤȤ Förderung und Beobachtung der Entwicklung der Mutter-­KindBeziehung ȤȤ Beobachtung der körperlichen und emotionalen Entwicklung des Kindes ȤȤ Anleitung zu altersentsprechender Ernährung, Pflege und Förderung ȤȤ Beratung zu altersentsprechender und kindgerechter Ernährung nach der Stillzeit ȤȤ Beratung in allen Lebenslagen rund um die Geburt bis zum ersten Geburtstag eines Kindes ȤȤ Motivation von Mutter, Vater und Kind in schwierigen Lebensumständen durch Hilfe zur Selbsthilfe ȤȤ Unterstützung, Beratung und Begleitung von Eltern mit eingeschränkter Fähigkeit zur Alltagsbewältigung ȤȤ Begleitung zu Ärzten und Behörden ȤȤ Netzwerk- und Kooperationsarbeit zur Schließung von Versorgungslücken

ȤȤ Integration der Familie in bestehende Gruppenangebote ȤȤ Überleitung in weitere Hilfen ȤȤ Interkulturelle Kompetenz ȤȤ Diversity, kultursensible Begleitung« 

(Jaque-Rodney, 2018).

Ohne ins Auge fallende Lücken des aufgezogenen Tätigkeitsradius sichtigung der Vater-Kind-Beziehung oder die Nicht-Erwähnung

Beratung

an dieser Stelle verschweigen zu wollen (etwa die fehlende Berück48

des sozialen und institutionellen Umfeldes), werden hier sofort der breite Anspruch und das im Vergleich zur Hebamme in der Regelversorgung deutlich umfassendere Betätigungsfeld deutlich. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, existieren diverse Weiterbildungscurricula für (regulär) ausgebildete Hebammen. So entwickelte etwa Klink im Jahr 2000 auf Initiative des Deutschen Hebammenverbandes (BDH) ein systemisches Curriculum für Hebammen und Familienhebammen, das mit dem zertifizierten Abschluss »Systemische Beraterin (im familiären Kontext)« endet. Es folgten zusätzliche Curricula, bei denen als wichtigste Inhalte (unter weiteren) behandelt wurden (Klink u. Eickhorst, 2011): ȤȤ Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunftsfamilie ȤȤ Umgang mit Hilfesystemen/vernetztes Arbeiten mit anderen Fachdiensten ȤȤ Die systemische Haltung: Ressourcen- und Anliegenorientierung, Prozess- und Ergebnisneutralität, Achtsamkeit und Wertschätzung ȤȤ Rollenfindung: Von der Hebamme zur Familienberaterin ȤȤ Einsatz systemischer Werkzeuge: Genogrammarbeit, Fragetechniken, Strukturaufstellungen Was die tatsächliche Arbeit der Familienhebammen anbelangt, besteht nur noch etwa ein Viertel davon aus der genuinen Tätigkeit

einer Hebamme. Diese könnte man als »medizinische Versorgung« zusammenfassen. Die übrigen drei Viertel widmen sich im Schwerpunkt der Selbstfürsorge der Eltern, der Partnerschaft, der Erziehung und Bindungsentwicklung des Kindes sowie dem Umgang mit potenziellen oder bereits bestehenden Belastungsfaktoren im Leben der konkreten Familie. Die Förderung der Selbstfürsorge der Eltern beispielsweise rung von Ressourcen im sozialen Nahfeld – oder gerade im Gegen-

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teil in der Entwicklung von Strategien der Abgrenzung gegenüber

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besteht zumeist im Aufbau positiver Aktivitäten und in der Aktivie-

belastenden Interaktionspartnern. So kann es zum Beispiel problematisch sein, wenn enge Familienmitglieder wie Großmütter sich zu sehr in die Betreuung der Kinder einmischen. Durch übergriffiges Verhalten kann nämlich bei den Eltern der Eindruck entstehen, »in allem kritisiert« zu werden. Hier kann eine Familienhebamme das Gespräch mit Eltern und Großmüttern suchen und vermittelnd eingreifen. Noch wichtiger sind solche Abgrenzungsbemühungen, wenn im Umfeld des Säuglings Gewalt, krankhafter Alkoholkonsum oder Drogenmissbrauch zu erkennen sind, etwa bei der Kindsmutter, dem Kindsvater oder dem aktuellen Partner der Kindsmutter. Doch auch abseits solcher drastischen Themen wird die Partnerschaft im Rahmen der Betreuung durch Familienhebammen reflektiert. Die Hebammen können dabei Anpassungsprozesse in der Übergangsphase und am Anfang der Elternschaft begleiten und fördern (vertiefend in Schneider, 2006). Anhand dieser beispielhaften Beschreibung dürfte bereits deutlich werden, dass das Rollen- und Selbstverständnis von Hebammen (in der Regelversorgung) anders akzentuiert ist als bei Familienhebammen. Das Expertentum für Geburtshilfe sowie Vor- und Nachsorge wird sicher unangetastet bleiben, anders sieht es bei der beruflichen Teilautonomie aus. Hier besteht durchaus eine Abhän-

gigkeit von einem – oft als parteiisch geschilderten – Auftraggeber. Zudem ist zu befürchten, dass die Familienhebammen durch ihre neuen Tätigkeitsfelder auf lange Sicht Einbußen im sozialen Ansehen zu befürchten haben. Indem sie in Kauf nehmen, möglicherweise als verlängerter Arm des Jugendamtes wahrgenommen zu werden, strapazieren sie den Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung, den Hebammen aktuell überwiegend genießen. Dazu kommen rechtExamen. Die Qualifikation der Familienhebammen ist hingegen

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liche Unsicherheiten. Hebammen haben ein staatlich anerkanntes 50

weder ausreichend standardisiert und reguliert noch kann sie bei allen Familienhebammen vorausgesetzt werden. Hier wären einheitliche, belegbare und obligatorische Ausbildungsverfahren ebenso wie vergleichbare Honorarsätze mehr als wünschenswert. Beides ist allerdings bisher nicht umgesetzt. Es ist sicher auch der föderalistischen Struktur geschuldet, der Leistungserbringer wie kommunale Behörden unterliegen (Schneider, 2009). Die Veränderungen im Berufsalltag haben auch Folgen auf der persönlichen Ebene. Erfahrungen aus der Supervision mit Familienhebammen zeigen, dass besagte Veränderungen ein Anlass für berufliche und private Neuorientierung sein können. Dies hat zum Beispiel damit zu tun, dass die Arbeit in belasteten Familien als Überforderung erlebt wird. Dazu kommen Unverständnis gegenüber dem Verhalten der Ämter, Unsicherheiten durch das Eintauschen einer vertrauten, sicheren gegen eine unbekannte, unsichere Rolle und dadurch entstehende eigene biografische Erfahrungen (Schneider, 2009). Hebammen sind es beispielsweise gewohnt, bei ihrer Arbeit »anzupacken, zu helfen, ja zu ›retten‹«(Wirbals, 1993, S. 112) und bekommen es nun mit Gefühlen der Ohnmacht und Ambivalenzen in der Arbeit mit vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu tun. So gibt es immer wieder Familienhebammen, die aus ihrer Tätigkeit wieder aussteigen oder Bedingungen stellen, ohne deren Erfüllung sie nicht bereit sind, ihre Arbeit zu tun.

7  Haltung in den Frühen Hilfen An der dargestellten Berufsgruppe der Familienhebammen lassen sich die spezifischen Anforderungen an die eigene Haltung in den Frühen Hilfen gut festmachen. Das im Folgenden Gesagte gilt so oder ähnlich aber selbstredend auch für weitere Berufsgruppen. Die Arbeit der Fachkräfte in den Frühen Hilfen unterscheidet sich Hebammen darin, dass Erstere es mit Zielgruppen mit besonderen

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Belastungen zu tun haben. Daraus können dann unter anderem fol-

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am deutlichsten von der anderer Fachkräfte wie etwa freiberuflicher

gende Konsequenzen resultieren: ȤȤ In einer vorbelasteten Familie bedeutet eine Geburt nicht – wie im Idealfall – ein freudiges Ereignis, sondern womöglich eine Krise. ȤȤ Die Familien melden sich meistens nicht von sich aus, sondern werden vermittelt. Sie sind oft wenig motiviert, Hilfen anzunehmen, und reagieren nicht selten mit Ablehnung, Misstrauen und Widerstand auf die Fachkräfte. ȤȤ Es handelt sich oft um komplexe Problemlagen und das Wohl des Kindes kann gefährdet sein. Die Fachkraft muss die daraus resultierenden Ängste, Unsicherheiten und moralischen Dilemmata aushalten und wird wahrscheinlich auch mit rechtlichen Fragen konfrontiert werden. ȤȤ Die Arbeit mit den Familien ist emotional sehr belastend. Nähe und Distanz müssen genau austariert werden, es muss gleichzeitig Vertrauen aufgebaut, aber auch die nötige Kontrolle behalten werden. Hinsichtlich dieser zentralen Herausforderung der passenden Balance zwischen Nähe und Distanz besteht immer die Gefahr, sich übermäßig mit einer Familie oder auch einer Mutter zu identifizieren. Die Fachkraft erhält Einblick in den Alltag einer potenziell besonders

bedürftigen Klientel, empfindet vielleicht Betroffenheit und Sorge und entwickelt ein Verantwortungsgefühl, besonders gegenüber dem Kind. Die Folgen davon können Gefühle der Überforderung und Überlastung oder sogar Erschöpfung und Resignation sein. Daher sind Maßnahmen der Psychohygiene wie Super- oder Intervision für alle in den Frühen Hilfen tätige Fachkräfte (auch z. B. Koordinatoren, Medizinerinnen etc.) unbedingt empfehlenswert. Und die gegebene Option, andere Unterstützungssysteme hinzuzuziehen, wie etwa in

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besonders schweren Fällen den Sozialdienst des Jugendamtes, sollte, wo immer sinnvoll, genutzt werden. Um die professionelle Distanz zu wahren, gilt es weiterhin zu bedenken, dass der Einsatz in den Frühen Hilfen (anders als etwa im intervenierenden Kinderschutz) letztendlich auf dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe beruhen muss: Generell tragen immer die Eltern die Verantwortung für sich und ihre Kinder, nicht die Fachkraft. Die Basis der Arbeitsbeziehung zu den Eltern ist eine Vertrauensbeziehung, bei der die Expertin echtes Interesse und Wertschätzung entwickelt. Es sind aber immer die Eltern, die selbst die Aufträge erarbeiten und die die Verantwortung für sich und ihr Kind tragen müssen. Dabei wissen die Familien im besten Fall die wertschätzende Annahme durch die Fachkräfte zu schätzen. Sie fühlen sich mit ihrer Lebenswirklichkeit und als Personen an sich akzeptiert, und sie bewerten die angebotenen Lösungsmöglichkeiten positiv, weil diese nicht als Abwertung oder Kontrolle wahrgenommen werden, sondern individuelle Ziele in den Mittelpunkt stellen. Sogar in einem Zwangskontext kann es so möglich sein, in systemischer Manier, das »Spiel mit dem Ziel« zu initiieren, Optionen aufzuzeigen und mög­liche Folgen und Szenarien zu beschreiben. Hierbei ist es auch wichtig, über Mutter und Kind hinauszudenken und das gesamte System in den Fokus zu nehmen; das heißt, Wechselwirkungen in

den Beziehungen zu vermitteln4, Konstrukte von Verantwortung anzubieten und Paarkonflikte aushalten zu üben. So können auch die Väter deutlich besser einbezogen werden (vgl. Klink u. Eickhorst, 2011; zur Rolle der Väter siehe unten).

8 Ein Frühe-Hilfen-Projekt mit integriertem Elternkurs: »Keiner fällt durchs Netz«

Das Projekt »Keiner fällt durchs Netz« (KfdN) soll hier als Beispiel eines umfassenden Ansatzes der Versorgung von kompletten Gebietskörperschaften mit Angeboten und Strukturen von Frühen Hilfen dienen. Es entstand im Jahr 2007 im Rahmen der damaligen Initiative »Frühe Hilfen und Soziale Frühwarnsysteme« der Bundesregierung, innerhalb derer in allen Bundesländern modellartige Projekte eingerichtet bzw. ausgebaut und mit Bundesmitteln im Hinblick auf ihre Wirksamkeit evaluiert wurden. Dabei fungierte KfdN als Modellprojekt für Hessen und das Saarland, später kamen noch (außerhalb des Modellstatus) Kommunen in Baden-Württemberg hinzu, so etwa die Stadt Heidelberg. Entwickelt wurde das Projekt mit seinen Bestandteilen am (damaligen) Institut für Psychosomatische Kooperationsforschung und Familientherapie des Universitätsklinikums Heidelberg durch seinen ärztlichen Leiter Prof. Manfred Cierpka. KfdN wurde gefördert vom Bundesland Saarland, der Hessenstiftung, der Stadt Heidelberg sowie (die Evaluation betreffend) durch das Nationale Zentrum Frühe Hilfen.

4 Z. B. dass eine Fachkraft sich als Reaktion aversiv verhält, wenn eine Mutter von vorherein so agiert, als hätte sich die Fachkraft bereits so verhalten.

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8.1 Das Projekt

Insgesamt besteht das Projekt im Kern aus drei zentralen Bausteinen und einer Koordinierungsstelle für alle zugehörigen Prozesse: der aufsuchenden Hilfe, dem Elternkurs »Das Baby verstehen« sowie dem Arbeitskreis »Netzwerk für Eltern« (Details in Cierpka, 2009). Unten werden diese Komponenten einzeln vorgestellt; dem Elternkurs ist aufgrund seiner Bedeutung auch über »Keiner fällt durchs Netz« hinaus ein längeres Kapitel zu seinen zwei Varianten und Einsatzmöglichkeiten gewidmet.

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Das Projekt »Keiner fällt durchs Netz« lief als Projekt in den teilnehmenden Gebietskörperschaften (bis zu elf Kommunen bzw. Landkreise) bis etwa 2013, ab dann (und bis heute) ging es zumindest in den ehemaligen acht Gebieten aus der Modellprojektezeit (alle sechs Kreise des Saarlandes sowie die Kreise Bergstraße und Offenbach in Hessen) sowie der Stadt Heidelberg in die Regelversorgung über (zum Teil unter anderen Namen). Dies kann als großer Erfolg angesehen werden, da es von Anfang an ein erklärtes Ziel war, dass KfdN den Projektstatus überwinden und dauerhafter Bestandteil der lokalen Angebotsstrukturen werden sollte (weitere Informationen zum Projekt »Keiner fällt durchs Netz« inklusive ausführ­licher Abschlussberichte zum Download sind zu finden unter www.keinerfaelltdurchsnetz.de). 8.2 Die Bestandteile von »Keiner fällt durchs Netz«

a) Die Koordinierungsstelle Der Dreh- und Angelpunkt des Projektes ist die pro Gebietskörperschaft eingerichtete Koordinierungsstelle, in der alle Prozesse der lokalen Frühen-Hilfen-Arbeit koordiniert, vernetzt und in ein gutes Miteinander gebracht werden. Die Mitarbeiter der Koordinierungsstelle müssen natürlich die Arbeitsbereiche und Zuständigkeiten der einzelnen Kooperationspartner vor Ort sehr gut kennen. Sieht eine der am Projekt beteiligten Institutionen oder Fachkräfte im Rahmen

der Kontaktaufnahme Unterstützungsbedarf bei einer Familie, wird diese zunächst an die Koordinierungsstelle vermittelt. Diese wählt dann ein geeignetes Angebot aus und stellt den Kontakt von sich aus her, damit nicht die Familie den Aufwand dafür auf sich nehmen muss und möglicherweise dadurch abgeschreckt wird und sich wieder zurückzieht. Im KfdN-Projektgebiet Saarland gibt es hinsichtlich der Koordinierungsstelle eine Besonderheit; hier wurde in jedem Fachkräften gemeinsam besetzt wurde, nämlich einerseits einer Kin-

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der- und Jugendärztin des Gesundheitsamtes und andererseits einem

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Landkreis eine Koordinierungsstelle geschaffen, die jeweils mit zwei

Sozialarbeiter des Jugendamtes. Die dadurch mögliche, im Alltag der Hilfezuordnungen nun auch nicht zu vermeidende enge – und nicht von allen immer gewünschte – Kooperation der Systeme war als strukturelle Maßnahme beabsichtigt und hat sich – trotz unvermeidbarer Anfangsschwierigkeiten in manchen Koordinierungsstellen – in der Einzelfallbeurteilung und Organisation der unterschiedlichen Hilfeangebote letztendlich sehr bewährt (Cierpka et al., 2011). b) Die aufsuchende Hilfe Die Konzeption von KfdN sah von Anfang an vor, insbesondere die Zugangswege zu den Familien zu nutzen, die in den Kommunen bereits bestehen. Entsprechend spielten die Hebammen eine entscheidende Rolle. Nicht nur war diese Berufsgruppe in der Öffentlichkeit schon immer hoch angesehen, die Hebammen begleiten die Mütter und Väter ohnehin bereits vor, während und direkt nach der Geburt. Im besten Fall nehmen sie in dieser Zeit die Rolle einer Stütze und eines vertrauenswürdigen Ratgebers ein. Damit sind sie geradezu prädestiniert, um den Zugang zu den Familien herzustellen. Daher war es ein Ziel von KfdN, für jede Familie die Anbindung an eine Hebamme im Rahmen der Regelversorgung zu ermöglichen bzw. zu forcieren. Für eine weiter gehende Betreuung auch über die

Aufgaben einer Hebamme der Regelversorgung hinaus setzte das Projekt dann insbesondere auf die Ausbildung und den Einsatz der Familienhebammen (siehe oben). Dazu wurde in jedem Projektgebiet eine zugeordnete Anzahl von Familienhebammen nach einem eigens (in Kooperation mit dem Deutschen Hebammenverband) entwickelten Curriculum weitergebildet. Die Anzahl der auszubildenden Familienhebammen war unterschiedlich: Während in kleineren Gebietskörperschaften bei-

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spielsweise nur drei oder vier dieser Fachkräfte als Bedarf festgelegt wurden, waren es in der Stadt Saarbrücken etwa zehn. Das Curriculum (Saarland) umfasste 172 Stunden an Weiterbildung sowie einen Supervisionstag, an welchem die Familienhebammen Fallbeispiele aus von ihnen bereits betreuten Familien einbringen sollten. Die Inhalte des Curriculums sollten die Teilnehmerinnen befähigen, über die Versorgung von Mutter und Säugling, die üblicherweise im Fokus der Hebammentätigkeit steht, hinauszugehen und das gesamte System Familie in den Blick zu nehmen – mit besonderer Beachtung der vorhandenen Personen und weiteren Ressourcen (Cierpka, 2011). So waren die dort vertretenen Inhalte unter anderem: ȤȤ Einführung in die systemische Betrachtung von Familien, ȤȤ psychosoziale Belastungen und deren Einschätzung, ȤȤ Gesprächsführung, ȤȤ die Rolle der Väter, ȤȤ Aspekte des kulturellen Hintergrundes, ȤȤ ausgewählte Grundlagen der Entwicklungspsychologie, ȤȤ rechtliche Aspekte, ȤȤ Falldokumentation und Evaluation. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass mehrere Durchgänge von Ausbildungen (auch im Rahmen der größer werdenden Fallzahlen von KfdN) stattfanden und dort auch zunehmend andere

Berufsgruppen, insbesondere Kinderkrankenschwestern, zugelassen und ebenfalls ausgebildet wurden. Durch diesen Umstand war das Projekt glücklicherweise in der Lage, auf den zunehmenden Rückgang der verfügbaren Familienhebammen einigermaßen flexibel reagieren zu können. c) Das »Netzwerk für Eltern« war die Einrichtung eines Arbeitskreises »Netzwerk für Eltern« auf

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lokaler Ebene, also jeweils in allen teilnehmenden Landkreisen oder

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Ein wichtiger und zentraler Baustein in der Konzeption von KfdN

einzelnen Kommunen. Dort werden alle Institutionen und Personengruppen einbezogen, die potenziell mit Eltern und Säuglingen rund um die Geburt in Kontakt kommen und Familien somit den Zugang ins Projekt ermöglichen können (siehe Abbildung 1). Dies waren insbesondere die sozialen Dienste der Jugendämter, die freien Träger der Jugendhilfe, Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege, des Gesundheitsbereichs, Ärzte, Geburtskliniken oder auch Schwangerenkonflikt- und sonstige relevante Beratungsstellen. Im »Netzwerk für Eltern« sollen nun die Zugangswege zu Hilfsangeboten optimiert, die Kooperationsstrukturen verbessert und das Angebot für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern erweitert werden. Überschneidungen und Doppelungen sollen vermieden werden. Diese Institutionen, deren Miteinander ja zentral koordiniert, also in Gang gebracht und strukturell verbessert wurde, wurden für das Erkennen psychosozialer Problemlagen sensibilisiert, mindestens durch eine Information über das Projekt und seine Strukturen und Angebote und im besten Fall durch eine Intensivschulung für die Anwendung der Heidelberger Belastungsskala (siehe oben). Dieses Instrument wurde im Rahmen von KfdN erstmals entwickelt und seitdem vielen weiteren Projekten und Forschungsprogrammen der Frühen Hilfen zur Verfügung gestellt.

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Abbildung 1: Netzwerk für Eltern (mit freundlicher Genehmigung der Landeskoordinierungsstelle Frühe Hilfen, Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Saarland)

Auch im »Netzwerk für Eltern« ist eine koordinierende Person als Dreh- und Angelpunkt notwendig. Diese muss nicht mit der lokalen Koordinatorin identisch sein, ist es allerdings in einigen Kommunen. Sie soll unmittelbare Ansprechpartnerin sein, Informationen bündeln, Treffen einberufen und nicht zuletzt aufkommende Konflikte im Netzwerk moderieren und bearbeiten. d) Der präventive Elternkurs »Das Baby verstehen« Der Kurs »Das Baby verstehen« (Cierpka, 2004) ist das Ergebnis aus verschiedensten Untersuchungen der Säuglingsforschung, der Familien- und der Bindungsforschung. Auch klinische Erfahrungen aus der »Eltern-Säuglings-Sprechstunde« des Universitätsklinikums Heidelberg sowie wissenschaftlich fundierte Frühinterventionsprogramme wurden in die Entwicklung einbezogen. Im Mittelpunkt standen die Kompetenzen des Säuglings sowie die Idee, dass jeder

Mensch unweigerlich in Beziehungen lebt, wobei die frühen Beziehungserfahrungen die Gestaltung aller späteren Beziehungen entscheidend prägen. Eltern sollen bei diesem Angebot in ihren basalen Kompetenzen der Interaktion mit dem Säugling unterstützt und gefördert werden. Somit kann der Kurs zunächst einmal als ein niedrigschwelliges primärpräventives Angebot (auch) im Rahmen der Frühen Hilfen verstanden werden. Durch seine »Komm-Struktur« satz in manchen Bereichen und bei manchen Zielgruppen allerdings

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Grenzen gesetzt. Deshalb gibt es seit einiger Zeit auch eine Erwei-

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(die Eltern müssen zum Ort des Kurses kommen) sind seinem Ein-

terung von »Das Baby verstehen« für die aufsuchende Arbeit (siehe unten). Zur Frage, warum es überhaupt einen Elternkurs »Das Baby verstehen« geben sollte, ist festzustellen, dass viele neue (werdende) Eltern mit ihrer neuen Situation überfordert sind. Es gibt kaum noch Großfamilien, in denen erste Erfahrungen im Umgang mit einem Säugling von Generation zu Generation weitergegeben werden könnten. Und oft fehlt ein soziales Netzwerk, das die Eltern unterstützt. Gleichzeitig ist es für die Eltern schwer, unter den vielen Stimmen, die sie über vermeintlich richtige Erziehungsmethoden und den besten Umgang mit dem Säugling informieren, die »richtige« Stimme auszuwählen und zu begreifen, was für das Kind und seine Entwicklung gut ist und was gute Eltern auszeichnet. Dass der Begriff »gut« in diesem Fall nicht festgelegt ist und flexibel begriffen werden muss, versteht sich von selbst. Die vielen Stimmen verunsichern die Eltern und überlagern die intuitiven elterlichen Fähigkeiten, die jeder Mensch im Umgang mit einem Säugling besitzt. Eltern verfügen über bestimmte Kompetenzen, insbesondere über die angeborene, universell gültige Bereitschaft, Bedürfnislagen eines Säuglings zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren (Papoušek u. Papoušek, 1987). Diese gilt es zu nutzen.

Der Kurs setzt folgendermaßen an: Allen interessierten Eltern (beiderlei Geschlechts, als Paare oder als Einzelpersonen; es gibt auch Gruppen für Alleinerziehende) wird »Das Baby verstehen« an passenden Orten (Geburtskliniken, Hebammenpraxen, Familienbildungsstellen etc.) angeboten. Das geschieht entweder vor oder direkt nach der Geburt oder sogar sowohl vorher als auch nachher. In fünf Einheiten von etwa 90 Minuten Dauer im Abstand von jeweils 14 Tagen sollen die Teilnehmerinnen unter anderem anhand

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von Eltern-Kind-Videos ein feinfühliges Verstehen der kindlichen Signale erlernen und für potenzielle Schwierigkeiten im Umgang mit dem Kind und der veränderten Lebenssituation sensibilisiert werden. Der Kurs wird von Hebammen oder Experten anderer Berufsgruppen aus dem frühkindlichen Bereich geleitet. Die Kursstunden sind alle ähnlich aufgebaut: Vorgeführt werden Videosequenzen mit Alltagssituationen von Mutter-Kind- und Vater-Kind-Interaktionen, die jeweils verschiedene kindliche Signale in den Mittelpunkt stellen (Interaktionsbereitschaft, Müdigkeit, Unwohlsein etc.). Anschließend werden diese gemeinsam ausführlich besprochen. Außerdem wird entwicklungspsychologisches Wissen vermittelt. Die Titel der fünf Lektionen (»Module«) lauten: 1. Ich sorge (auch) für mich selbst 2. Wie können Partner zusammenarbeiten?/Herausforderungen in der Partnerschaft 3. Das Baby sendet Signale aus 4. Warum weint das Baby? Was geht dem Weinen voraus? 5. Vertrauen in die eigenen Kompetenzen Um den Kurs anbieten zu können, muss der Leiter ein Expertentraining absolviert haben, das mit einem Zertifikat abschließt und zur Leitung des Kurses berechtigt. Es scheint sinnvoll, spezifisch indizierte Gruppen zu bilden, etwa mit sogenannten Teenie-­Müttern.

Außerdem sollten verschiedene Kurse für Paare und Alleinerziehende angeboten werden. Einige Kursleiter berichten, dass sie oftmals nach einer Kinderbetreuung für die Zeit des Kurses gefragt werden. Das sollte ebenfalls berücksichtigt werden. Sehr erfolgreich scheint »Das Baby verstehen« insbesondere in Praxen von Hebammen zu sein, die den Kurs den von ihnen betreuten Müttern anbieten. Gemäß der Kurskonzeption mit ihrem explizit primärpräventiven die Anbindung an eine Hebamme im Rahmen der Regelversorgung.

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Darüber hinaus ist »Das Baby verstehen« für alle geeignet, die in

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Anspruch sollte der Kurs allen Eltern empfohlen werden, ebenso wie

ihrem Alltag mit Säuglingen zu tun haben. Er ist ein niedrigschwelliger Einstieg, der die herkömmliche Geburtsvorbereitung ergänzt (Cierpka, 2004). Bekanntermaßen verhindert aber bei vielen Eltern – insbesondere den eher belasteten und hoch belasteten Familien aus den Frühen Hilfen – die »Komm-Struktur« (siehe oben) des Kurses, dass sie teilnehmen (weil sie z. B. keinen Zugang zu Kursen und vergleichbaren Angeboten haben und auch keine entsprechenden Hinweise oder Programme lesen). Deswegen gibt es inzwischen auch eine weitere Form des Kurses, nämlich eine Form für die aufsuchende Arbeit. Diese ist entsprechend in einer »Geh-Struktur« wie etwa der aufsuchenden Arbeit in »Keiner fällt durchs Netz« einsetzbar (Cierpka, Scholtes u. Wölfer, 2009). Diese umfasst vergleichbare Themen wie die Kurs-Version, es gibt aber keine einzelnen Module, sondern eine Sammlung von Inhalten, welche flexibel in die Hausbesuche eingebaut werden können. Die Eltern-Kind-Videos können dann z. B. auf mitgebrachten Laptops der aufsuchenden Fachkräfte oder auch auf den eigenen Geräten der Familie gezeigt werden. Aber auch Signal-Beobachtungen am anwesenden Kind (statt der Filme) oder ein kompletter Verzicht auf diesen Teil des Manuals sind vorstellbar.

Bei der konkreten Arbeit mit der aufsuchenden Variante ist es wichtig, zunächst in einem ersten Schritt zu klären, was genau der Auftrag der Fachkraft im Miteinander mit der Familie sein soll. Durch direkte Fragen und das Ansprechen und Reflektieren der aktuellen Situation (»Was beschäftigt Sie gerade am meisten?«) werden Anliegen der Eltern herausgearbeitet. Auch können Anliegen auf Grundlage systembezogener Hypothesen formuliert werden. Wenn die Fachkraft den Eindruck hat, dass bestimmte Dinge die Beziehung

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zum Baby erschweren, kann sie diese Themen behutsam, aber offen zur Sprache bringen. Schon ein verständliches Formulieren kann einzelne Fragen klären helfen. Im Mittelpunkt steht dabei immer die konkrete Eltern-Kind-Kommunikation. Die Eltern sollten dann möglichst konkrete, positiv definierte Ziele formulieren. Also »Was soll erreicht werden?« statt »Was soll nicht mehr da sein?«. Danach werden gemeinsam Ideen gesammelt, was getan werden kann, um dieses Ziel zu erreichen. Hierbei sollen die Eltern genug Raum erhalten, um eigene Ideen zu entwickeln. Unterschiedliche Ansätze werden diskutiert. Ist eine Entscheidung gefallen, wird – wiederum gemeinsam – die Umsetzung geplant. Auch hier gilt, dass die Ideen der Eltern im Vordergrund stehen. Alle Beteiligten sollen einbezogen werden, und auch die Expertin soll einen klaren Auftrag erhalten. Beim nächsten Mal wird das Thema wieder aufgegriffen und nachgefragt, ob die Umsetzung gelungen ist. Initiativen der Eltern und das (bisher) Erreichte sollten nachdrücklich gewürdigt werden. Auch muss geklärt werden, welche Schwierigkeiten es möglicherweise gegeben hat und was noch bedacht werden muss. Diese und weitere Punkte werden im Manual zu dieser Variante des Konzeptes ausführlich behandelt (Cierpka, Scholtes u. Wölfer, 2009).

9 Herausforderungen bei der Umsetzung der Frühen Hilfen Natürlich sind die Frühen Hilfen weit davon entfernt, perfekt zu funktionieren oder in allen Elementen schon ausgereift zu sein, und es lassen sich eine Reihe von Ambivalenzen und Problemen formulieren. Eine kleine Auswahl davon soll im Folgenden kurz angesprochen und ausgeführt werden.

Zunächst einmal ist das sogenannte Präventionsdilemma zu nennen. Jede Präventionsmaßnahme hat mit dem Widerspruch zu kämpfen, dass von ihren Empfängern erwartet wird, in Bezug auf ein Pro­blem aktiv zu werden, das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht vorhanden ist (Hildenbrand, 2009). In diesem Fall könnte man also den Frühen Hilfen vorwerfen, dass diese den (werdenden) Eltern bereits sehr früh unterstellen, nicht angemessen für ihr Kind sorgen zu können, gegebenenfalls viel früher als diese selber einen Hilfebedarf bei sich feststellen. Das frühe Eingreifen, das aus Sicht der Frühen Hilfen natürlich sehr wünschenswert ist, kann aus Sicht der Familien dann als Bevormundung und somit als alles andere als unterstützend angesehen werden. Auch kann es passieren, dass etwaige Schwierigkeiten der Eltern (z. B. anhand der Heidelberger Belastungsskala, siehe oben) als deren persönliche Merkmale, wenn nicht gar Defizite gewertet werden, obwohl sie vielleicht ganz andere, soziale Ursachen haben. Dadurch werden im schlimmsten Fall bereits vorher gesellschaftlich ausgegrenzte Familien doppelt »bestraft«. In diesem Zusammenhang beklagt etwa Hildenbrand, dass durch den Blick der Frühen Hilfen alle Familien unter Generalverdacht gestellt werden. Diesem Verdacht können die Eltern sich nur entzie-

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9.1 Das Präventionsdilemma

hen, wenn sie sozusagen nachweisen, dass bestimmte Risikofaktoren bei ihnen nicht vorhanden sind. Zwar werden in der Regel auch Schutzfaktoren angeführt und beachtet (so auch ein wenig in der HBS), diese werden aber oft nicht näher ausgeführt und bleiben so

schwammig und unklar (Hildenbrand, 2009). Projekte wie »Keiner fällt durchs Netz« tragen dem Rechnung, indem sie einer »Reparaturlogik« folgen, bei der die Prävention vom Einzelfall abgekoppelt wird, 64

eigentlich bei jedem Einzelfall, jeder Familie genau prüfen müsste,

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d. h. es wird ein standardisierter Ansatz angewendet, obwohl man was an Diagnostik, Interventionen, Fachkräften, beteiligten Personen etc. am besten ist – was in der Praxis kaum durchführbar ist. Dadurch wird – aus Sicht der Kritik – der Kern professionellen Handelns, die Unterstützung von Einzelnen, Paaren oder Familien in Krisensituationen aufgrund eines Arbeitsbündnisses, verfehlt (Helming, 2002). Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit hier nicht auch jenseits aller gut gemeinten Hilfen eine Kontrolle der Familien durch die Fachkräfte stattfindet oder ob nicht im Gegensatz dazu andere Formen tatsächlicher Selbstbestimmung erreicht werden können. Eine Kontrolle von außen kann (auch) aus systemischer Perspektive keine optimale Lösung sein, Selbstbestimmung ist immer vorzuziehen. Zudem besteht die Gefahr, dass Familien von vornherein mit dem Stigma des (unschönen und wenig wertschätzenden, aber leider in der Praxis oft benutzten) Begriffs »Hochrisikofamilie« leben müssen, weil sie bestimmte Kriterien (Belastungsfaktoren) erfüllen. Eine Familienhebamme etwa könnte unter dieser Perspektive als aufoktroyierte Kontrollinstanz erscheinen, nicht als gleichberechtigte Partnerin. 9.2 Frühe Hilfen und Kinderschutz

Eine weitere Herausforderung in der aktuellen Praxis der Frühen Hilfen besteht darin, sie vom bereits bestehenden und weiterhin

wichtigen Kinderschutz (als Zuständigkeit der Sozialen Dienste der Jugendämter) abzugrenzen. Hier drohen die Grenzen zu verschwimmen. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Frühen Hilfen auf einem frühzeitigen Konzept der Freiwilligkeit basieren: Den Familien wird ein Angebot gemacht, das sie nicht annehmen müssen; sie können jederzeit aus den Hilfen wieder aussteigen (auch wenn das natürlich theoretisch immer leichter gesagt als in der konkreten 65

Keim erstickt werden, bevor sie überhaupt entstehen. Der klassische

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Hilfesituation umsetzbar ist). Auch steht immer die Prävention im Mittelpunkt. Mögliche Probleme sollen verhindert und schon im Kinderschutz hingegen interveniert erst – und dann massiv –, wenn bereits etwas geschehen ist. Er kann nicht vorbeugend tätig werden, wenn aber etwas vorgefallen ist, muss er tätig werden. Den Familien bleibt dann keine Wahl, sie können die Hilfe nicht ablehnen und in der Regel auch nicht aktiv mitbestimmen.5 Diese Unterscheidung wird in der Praxis nicht immer deutlich, weil es natürlich fließende Übergänge gibt, insbesondere, wenn die Freiwilligkeit nicht klar vermittelt wird (vgl. Thyen, 2010). Selbstverständlich kommt es auch zu Überschneidungen und Fällen, bei denen aus einer Freiwilligkeit ein zwingend erforderliches Eingreifen des Jugendamtes wird. Die Zusammenarbeit der Institutionen ist generell wichtig und erwünscht. Ein günstiger Fall – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Fachkräfte der Frühen Hilfen eine spezifische Expertise für die frühe Kindheit haben, welche die Mitarbeiterinnen des Jugendamtes in der Regel nicht haben (können) – liegt etwa vor, wenn eine belastete Familie mit Säugling 5 Es gibt allerdings Konzepte, wie etwa die aus Neuseeland stammende Methode des »Familienrats«, die inzwischen auch in einigen Kommunen in Deutschland recht erfolgreich angewandt wird. Sie setzt auf eine aktive Mitbestimmung der Familie und eines von ihr selbst zusammengestellten Netzwerkes aus Verbündeten (vgl. Marsh u. Crow, 1998).

dem Jugendamt bereits von früheren Kindern her bekannt ist. Hier könnte dann auch über das Jugendamt (genauer: den ASD) beispielsweise eine Familienhebamme aus den Frühen Hilfen organisiert und finanziert werden, um bei diesem Kind frühzeitig und präventiv tätig werden zu können. Entscheidend ist, den Familien gegenüber klarzumachen, dass die Frühen Hilfen ein Angebot sind, welches primär auf die Optimierung einer bereits antizipierten (und gegebenenfalls als kritisch

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erlebten) zukünftigen Situation abzielt und keine akute Reaktion auf bereits bestehende Probleme ist. Erst recht sind Frühe Hilfen kein Mittel des Kinderschutzes, einen Zugang zu bestimmten Familien und Einblick in die häusliche Situation zu bekommen (vertiefend in Gerber u. Lillig, 2018). 9.3 Lücken in der Berücksichtigung bestimmter Zielgruppen

Schließlich stellt sich noch die Problematik, dass die Frühen Hilfen in der Regel einem sehr unvollständigen Familien- und Gesellschaftsbild verhaftet sind. Zwar wird immer eine große Vielfalt von Gruppen explizit genannt, die es möglichst zu erreichen gilt. Tatsächliche spezifische Zugangswege oder Angebote für die Belange eben dieser Gruppen gibt es aber nur in seltenen Fällen. Zu diesen Zielgruppen gehören beispielsweise Väter, Eltern mit Migrationshintergrund, alleinerziehende und minderjährige Eltern, Eltern mit Behinderungen oder Eltern mit psychischen Erkrankungen. Die Gründe für die häufige Nichtberücksichtigung sind komplex und oft schwer zu fassen. Natürlich spielen begrenzte Ressourcen hier eine wesentliche Rolle, nicht selten auch, weil generell in der Hilfelandschaft kaum entsprechende Angebote entwickelt wurden und somit gemacht werden können (z. B. im Fall der Eltern mit psychischen Erkrankungen; vgl. Lenz, 2017). Im Falle etwa der Väter andererseits (siehe unten) kann aber auch davon ausgegangen wer-

den, dass hier auch die jahrzehntelange nahezu ausschließliche Konzentration auf die Mutter als relevante und zu unterstützende Erziehungs- und Bindungsperson stark ausschlaggebend war.6 Gerade die Gruppe der Väter, die hier exemplarisch herausgegriffen werden soll (Hinweise auf weitere Gruppen finden sich im zweiten Fallbeispiel), spielt in den Frühen Hilfen nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Auch das kann man allerdings schon als Forthaupt keine Rolle gespielt. So oder so gelten die Väter nach wie vor

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als vernachlässigte Zielgruppe der Frühen Hilfen. Ein Grund hier-

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schritt sehen, denn noch vor nicht allzu langer Zeit haben sie über-

für ist sicherlich der, dass die Väter häufig als nur schwer erreichbar und zurückgezogen gelten und oft auch als wesentlich weniger aufgeschlossen gegenüber den aufsuchenden Helfern wahrgenommen werden als ihre Partnerinnen. Auch zielt die Mehrheit der Präventionsprogramme darauf ab, primär oder ausschließlich die Mutter-Kind-Beziehung, die Mutter-Kind-Bindung oder die mütterliche Feinfühligkeit im Umgang mit den Säuglingen zu stärken bzw. zu verbessern. Der Vater wird dabei nur am Rande oder gar nicht beachtet (Eickhorst u. Peykarjou, 2012). Wenn man die große Bedeutung bedenkt, die der Vater nach neueren Erkenntnissen für die kindliche Entwicklung hat (z. B. Lamb, 2010), ist es schon fast absurd, dass er in der Forschung überhaupt erst seit den 1970er Jahren wirklich beachtet wird. Mittlerweile wird allerdings fachlich nicht mehr bestritten, dass auch Väter intuitive elterliche Fähigkeiten besitzen und genau wie die Mütter in der Lage sind, den Säugling zu pflegen und sich in jeder Hinsicht (das Stillen 6 Beachtenswert erscheint hier der Kategorienwechsel innerhalb der regelmäßig genannten wenig beachteten Zielgruppen: Während etwa minderjährige Eltern oder Eltern mit psychischen Erkrankungen aufgrund ihrer potenziell erhöhten Belastungen als »Risikogruppe« in den Fokus geraten, dürften die Väter wohl eher als integraler Bestandteil der regulären Zielgruppe Familie erscheinen.

ausgenommen) um ihn zu kümmern. Trotz aller Entwicklungen in der Vaterforschung wird der Vater aber auch in Untersuchungen zu Präventionsprogrammen weiterhin eher vernachlässigt und diejenigen, die an Studien teilnehmen, sind fast ausschließlich mittelständische westliche Väter, was es zusätzlich problematisch macht, die Ergebnisse auf Projekte wie »Keiner fällt durchs Netz« zu übertragen – denn hier gibt es einen durchaus respektablen Anteil an Familien mit Migrationshintergrund, wie es in den Frühen Hilfen

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nicht unüblich ist. Es ist somit notwendig, die Forschung und auch Hilfelandschaft auf Väter in risikobelasteten Gruppen auszuweiten. Das heißt jedoch nicht, dem bestehenden Angebot einfach zusätzliche Angebote für Väter hinzuzufügen. Stattdessen muss sich die generelle Haltung und Einstellung der Helferinnen grundsätzlich entsprechend ausrichten. Das bedeutet auch, dass die Väter von Anfang an in die Arbeit einbezogen werden müssen. Auch erscheint es sinnvoll, ein Manual für die Arbeit mit hochbelasteten Vätern zu entwickeln und direkt in die Ausbildung der Helfer zu integrieren. Leider hat sich gezeigt, dass auch die Einstellung der Fachkräfte selbst gegenüber Vätern eher negativ oder ablehnend sein kann. So geben etwa Familienhebammen an, dass sie manchmal das Gefühl haben, dass die Väter ihnen misstrauen oder sie ignorieren, woraufhin dann die Hebammen ihrerseits den Vater als Störfaktor erleben. Einige Familienhebammen beschreiben allerdings auch, dass sich ein negatives Verhältnis zu den Vätern im Verlauf der Betreuung teilweise deutlich positiv entwickeln konnte. Dies spricht umso mehr dafür, an der eigenen Einstellung zu arbeiten und vor allem die Väter so früh wie möglich in die Arbeit einzubeziehen (Frey, Nakhla, Eickhorst u. Cierpka, 2012).

10 Zweite Fallgeschichte: Zarif und Rachida Zarif ist 34 Jahre alt, hat syrische Wurzeln und lebt mit seiner Frau Rachida seit nunmehr fünf Jahren in einer deutschen Kleinstadt. Seit einem halben Jahr ist mit der kleinen Lela die Familie zu dritt. Zu dieser Zeit meldet sich Zarif, der im Gegensatz zu Rachida passabel deutsch spricht, nun bei der betreuenden Kinderärztin Frau O., da gezogen und scheine auch längst nicht mehr das gleiche Interesse

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an der kleinen Lela zu zeigen wie direkt nach der Geburt. Frau O.

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er sich Sorgen um seine Frau macht. Sie wirke lustlos und zurück-

erinnert sich an eine Infoveranstaltung ihrer Gemeinde, in der das neue System »Frühe Hilfen« angekündigt wurde, und ist der Meinung, dass dies nun endlich eine passende Möglichkeit für Fälle wie den vorliegenden sein könnte. Leider hat Frau O. keinen Flyer über vorhandene Angebote, und eine Koordinierungsstelle der Frühen Hilfen, die die Angebote kennt und vermitteln kann, gibt es auch nicht. Nach mühsamer Recherche findet die Ärztin das Familienhebammenprojekt eines Trägers der Freien Wohlfahrtspflege, der sich zum Glück auch bereit erklärt, den Vater (der damit nicht nur einverstanden, sondern überglücklich ist) über die Möglichkeiten des regelmäßigen Besuchs einer Familienhebamme zu informieren. Trotz der hohen Auslastung der (wenigen) Familienhebammen und FGKiKP des Projektes lässt sich sogar relativ kurzfristig eine entsprechende Fachkraft finden, die ebenfalls aus dem arabischen Kulturkreis stammt. Sie nimmt sich Rachidas an und äußert die klare Absicht, mit ihr »von Frau zu Frau« alles Notwendige zu regeln. Zarif ist ein wenig enttäuscht, da er sich gern mehr eingebracht hätte (insbesondere hätte er jetzt gern viel mit Lela unternommen). Er akzeptiert aber klaglos seine Rolle als eher unsichtbarer Dritter bei den Hausbesuchen, obwohl er eigentlich von seinen deutschen Freunden gehört hatte, dass hierzulande heute von jungen Vätern

eine andere Form von Engagement erwartet wird. Als Frau O. nach zwei Wochen bei Zarif einmal nachfragt, wie es mit der Hilfe läuft (eine Rückmeldung des Frühe-Hilfen-Trägers ist aus Gründen des Datenschutzes ohne Weiteres nicht möglich), ist sie sehr überrascht zu hören, dass Rachida die Unterstützung und den Kontakt zum Träger abrupt abgebrochen habe und somit aktuell keine Unterstützung mehr bekomme. Durch längeres Nachfragen bei Zarif stellt sich her70

die Unterstützung – mit »ihrer« Familienhebamme gar nicht mehr

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aus, dass sich Rachida – nach anfänglicher zögerlicher Offenheit für verstanden habe. Ursache ist offensichtlich das sehr religiöse und traditionelle Familienbild, das diese transportiert habe, welches aber nicht der Haltung von Rachida (und auch Zarif) entspricht. Beide sind nicht nur deutlich jünger als die Fachkraft, sondern sind in Syrien auch in säkularisierten Familien aufgewachsen. Da weitere Familienhebammen aktuell leider keine Kapazitäten frei haben, macht sich Frau O. wieder auf die Suche nach Unterstützungsangeboten für Rachida und Zarif. Dass eine Koordinierungsstelle der Frühen Hilfen fehlt, macht sich hier sehr negativ bemerkbar. Über Umwege stößt Frau O. auf ein Ehrenamtsprojekt in ihrer Gemeinde, welches im Rahmen der Frühen Hilfen ehrenamtlich fortgebildete Menschen für unterstützende Hausbesuche vermittelt. Über dieses Projekt findet sich die christlich motivierte Psychologie-Studentin Anna, die von nun an je nach ihren zeitlichen Möglichkeiten neben dem Studium ein bis zwei Mal die Woche zu Rachida und Zarif kommt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten Rachidas, sich wieder an eine neue Person zu gewöhnen, die zu ihr nach Hause kommt, gelingt der Kontakt immer besser und tatsächlich kann Rachida viel von der ruhigen Art Annas profitieren. Anna, die in treffender Weise etwas über die Bedürfnisse Lelas sagen kann, ist etwas unsicher im Kontakt mit Zarif, da sie in ihrer bisherigen Tätigkeit im Ehrenamtsprojekt kaum Kontakte zu Vätern hatte. Umgekehrt

ist auch Zarif unsicher im Umgang mit Anna, möchte dieses Mal aber die Chance, sich als Vater mehr einzubringen, nicht verstreichen lassen. Tatsächlich läuft der Kontakt zwischen beiden von Woche zu Woche besser, so dass nach einiger Zeit sehr gewinnbringende Treffen zu viert stattfinden können. Es stellt sich allerdings heraus, dass Anna allein Rachida in ihrer offensichtlich immer mal wieder depressiv wirkenden Stimmungs71

schen Angebote es gibt – im lokalen Netzwerk der Frühen Hilfen

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lage nicht gut helfen kann. Deswegen soll nun gemeinsam mit Frau O. überlegt werden, welche medizinischen oder psychologioder auch darüber hinaus als dringend notwendige Ergänzung der ehrenamtlichen Hilfe.

Am Ende

11 Ausblick Die zweite Fallgeschichte zeigt neben einer letztendlich erst einmal zufriedenstellenden Lösung für die junge Familie auch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten und Herausforderungen auf, die durchaus exemplarischen Charakter für die Frühen Hilfen haben. Zu nennen wären hier etwa der nicht überall optimale Bekanntheitsgrad der 74

Koordinierung (und damit Kontakt- und Ansprechmöglichkeit) der

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einzelnen Angebote und Möglichkeiten, die mancherorts mangelnde Hilfen, der aktuelle Fachkräftemangel oder auch eine erschwerte Rückmeldepraxis aufgrund der datenschutzrechtlichen Erfordernisse. Aber auch die bereits weiter oben thematisierte ungenügende Berücksichtigung der Väter in den Familien wird deutlich. Außerdem zeigen sich spezifische Herausforderungen, die nicht zwingend auf ein Defizit hinweisen, sondern Herausforderungen und Grenzen widerspiegeln, die in einer vergleichbaren Form in vielen Kontexten psychosozialer Arbeit auftreten können. Zu denken wäre hier etwa an die Schwierigkeiten, die sich im Umgang mit kulturellen Besonderheiten zeigen (hier die gut gemeinte Vereinfachung auf »den« arabischen Hintergrund der eingesetzten Familienhebamme), die Grenzen ehrenamtlicher Arbeit sowie last but not least der Umgang mit Problemlagen, welche den Zuständigkeitsbereich niedrigschwelliger und präventiver Angebote sprengen, im Beispiel das Vorkommen potenziell depressiver Episoden. Diese genannten Problembereiche betreffen natürlich unterschiedliche Ebenen: so beispielsweise die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die meines Erachtens Standard sein sollte, oder etwa die Auseinandersetzung mit den Chancen und Grenzen ehrenamtlicher Arbeit. Beides sind Aufgaben, die lokale Netzwerke Früher Hilfen möglichst kurzfristig lösen sollten. Der aktuelle Fachkräftemangel hingegen, insbesondere bei Hebammen und somit auch

Familienhebammen, ist ein gesellschaftliches Problem, das weit über die Frühen Hilfen hinausreicht und mit den finanziellen und versicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen dieser Berufsgruppe zu tun hat. Und der Umgang mit bisher nicht oder nicht ausreichend berücksichtigten Zielgruppen der Frühen Hilfen (Väter, Eltern mit psychischen Schwierigkeiten, …) stellt eine der großen zukünftigen Aufgaben der Frühen Hilfen dar, die dringend in Angriff zu nehmen sind (auf die unterschiedlichen Kategorien dieser Zielgruppen wurde Positiv in die Zukunft blickend lässt sich sagen, dass nach etwa zehn Jahren Früher Hilfen in Deutschland (gerechnet ab 2007) nach der Pflicht nun die Kür folgen sollte und sicherlich auch wird – auch wenn manche der jetzt in Angriff zu nehmenden Aufgaben wohl eigentlich eher der Pflicht zugerechnet werden sollten … Immerhin können wir uns über einen sehr hohen Ausbaugrad an Netzwerken Früher Hilfen freuen (in 97,5 Prozent aller deutschen Jugendamtsbezirke existiert mindestens ein Netzwerk der Frühen Hilfen; Küster, Mengel, Pabst u. Sann, 2015), ebenso über das Vorhandensein der Bundesstiftung Frühe Hilfen, die weitgehend eingeführte und etablierte Berufsgruppe der Familienhebammen und auch einen inzwischen doch recht hohen Bekanntheitsgrad der Frühen Hilfen an sich. Abschließend soll nun noch zumindest kurz die Frage aufgegriffen werden, wie systemisch der Ansatz der Frühen Hilfen eigentlich ist. Oder, anders ausgedrückt, inwieweit das übliche Handeln, wie es im Rahmen der Frühen Hilfen stattfindet bzw. nach derzeitigem Verständnis nur stattfinden kann, einer als systemisch konnotierten Haltung entspricht. Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund interessant, dass sich dieses Arbeitsfeld nach meiner Wahrnehmung bei systemisch ausgebildeten Fachkräften einer durchaus großen Beliebtheit erfreut (so wie auch die Soziale Arbeit insgesamt). Aus systemischer Sicht sympathisch und anschlussfähig dürfte dabei

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ja bereits weiter oben hingewiesen).

zuallererst einmal der Ansatz sein, nicht eine Einzelperson einer einzigen spezifischen Hilfeform zuzuführen, sondern eine Familie und ihre Mitglieder (nach einer prinzipiell sehr weit gefassten Definition) im Rahmen ihrer Lebenswelt bzw. ihres sozialen Kontextes als Ganzes in den Blick zu nehmen und aus einer Reihe von Möglichkeiten ein möglichst passendes Angebot auszuwählen, welches dann auch noch im Lebens- und Wohnkontext der Familie stattfinden kann. 76

Zielzustand definiert werden kann, sondern das Ziel der jewei­ligen

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Zudem gibt es Weniges, das a priori als »richtiger« oder »falscher« (Frühen) Hilfen kann den Familien relativ individuell zugeordnet werden (Grenzen setzt dabei allerdings etwa der Kinderschutz). Andererseits haben wir weiter oben im Rahmen des sogenannten Präventionsdilemmas bereits die Einschränkungen des zugrunde liegenden Menschenbildes charakterisiert. Dies hat zu tun mit der Logik der sekundären Prävention, die ja (wissenschaftlich nachvollziehbar und korrekt) mit »Risikofaktoren« arbeiten muss und Familien bei Vorliegen einer gewissen Anzahl ebendieser Faktoren zunächst einmal einen potenziellen Hilfebedarf unterstellt. Hildenbrand spricht hier wie erwähnt von einem »Generalverdacht« (Hildenbrand, 2009). Pragmatischer ausgedrückt könnte man sagen: lieber pauschal allen und damit zu vielen Familien mit entsprechenden Merkmalen eine Hilfe offensiv anbieten (bzw. diese Notwendigkeit individuell prüfen durch z. B. Hausbesuche) als die entsprechenden Familien, in denen eventuell tatsächlich Kinderschutzfälle auftreten könnten, nicht zu bemerken. Wissenschaftlich gesagt: lieber »falsch positive« Fälle in Kauf nehmen als »falsch negative« Fälle zu produzieren. Nun können wir uns natürlich fragen, ob diese Haltung mit jener des systemischen Ansatzes immer in Einklang zu bringen ist: alle Klientinnen zunächst einmal ohne große Vorannahmen zu wertschätzen und das Positive und die Ressourcen in ihnen zu betonen;

individuelle Menschen in den Blick zu nehmen und weniger Pro­ blemlagen oder Risikofaktoren; und schließlich den Raum der Möglichkeiten zu vergrößern, auch in der Wahrnehmung von familiären Handlungsweisen (v. Schlippe u. Schweitzer, 2016). Sicherlich ließe sich auch im erprobten Routine-Procedere der Frühen Hilfen dafür Raum finden – der Versuch ist aber zeit- und personalaufwendiger, als dies in der Realität oft möglich ist. 77

diesem prinzipiell sehr sensiblen Grenzgebiet zwischen Elternstär-

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Ohne dieses Buch auf diese Weise nun zu skeptisch beenden zu wollen, sollen diese Zeilen als Plädoyer verstanden werden, auch in kung und Kinderschutz sowie Freiwilligkeit und staatlichem Wächteramt gut die Balance zwischen den einzelnen Aspekten zu wahren und zu versuchen, den Unterschied deutlich werden zu lassen, den eine systemische Haltung hier ausmachen kann.

12 Literatur

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Nationales Zentrum Frühe Hilfen (mit vielen kostenlosen Materialien zum Bestellen oder Downloaden) •• www.fruehehilfen.de NZFH-Studie »Kinder in Deutschland 0–3« zu Prävalenzen von

Belastungen und Inanspruchnahme von Hilfsangeboten

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•• https://www.fruehehilfen.de/forschung-im-nzfh/praevalenz-­ und-versorgungsforschung/ Österreichisches Nationales Zentrum Frühe Hilfen •• https://www.fruehehilfen.at/ Projekt »Keiner fällt durchs Netz« (mit u. a. Abschlussberichten zum Downloaden) •• http://www.keinerfaelltdurchsnetz.de/ Internetpräsenz zu Familienhebammen •• https://www.familienhebamme.de/ Weitere (z. T. ehemalige) ehemalige Modellprojekte der Frühen Hilfen »Pro Kind«: http://www.stiftung-pro-kind.de/ »Guter Start ins Kinderleben«: https://www.uniklinik-ulm.de/kinder-und-jugendpsychiatriepsychotherapie/forschung-und-arbeitsgruppen/sektion-paedagogik-jugendhilfe-­bindungsforschung-undentwicklungspsychopathologie/guter-start.html »STEEP«: https://www.steep-weiterbildung.de/ »Eine Chance für Kinder«: http://www.eine-chance-fuer-kinder.de/ Bücher

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Früher Hilfen aus der »Pro Kind«-Praxis und -Forschung. Weinheim: Beltz. Cierpka, M. (Hrsg.) (2014). Frühe Kindheit 0–3 Jahre. Beratung und Psychotherapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Kißgen, R., Heinen, N. (2010). Frühe Risiken und Frühe Hilfen: Grundlagen, Diagnostik, Prävention. Stuttgart: Klett-Cotta. Ludwig-Körner, C. (2013). Frühe Hilfen und Frühförderung. Eine Nakhla, D., Eickhorst, A., Cierpka, M. (Hrsg.) (2018). Praxishandbuch für Familienhebammen: Arbeit mit belasteten Familien. (3. Aufl.). Frankfurt a. M.: Mabuse.

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Einführung aus psychoanalytischer Sicht. Stuttgart: Kohlhammer.

14 Danksagung Ich danke den Herausgebern sowie dem Verlag recht herzlich für die Aufnahme dieses Themas und die Möglichkeit für mich, es in diese schöne Buchreihe einzubringen. Außerdem möchte ich insbesondere Arist von Schlippe, Günter Presting und Imke Heuer für ihre Geduld mit mir in vielbeschäftigten Zeiten danken. Darüber hinaus gebührt meinem Bruder Michael Eickhorst ein

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besonderer Dank für seine sehr kompetente und hilfreiche Unterstützung bei der Texterstellung. Ein großer Dank geht weiterhin – leider posthum – an meinen früheren Institutsleiter Manfred Cierpka für die sehr weitgehenden Möglichkeiten, die er mir in seinem Institut und dem Projekt »Keiner fällt durchs Netz« zur Verfügung gestellt hat und die meinen darauffolgenden beruflichen Werdegang stark beeinflusst haben. Last but not least gebührt mein herzlicher Dank auch meiner Familie und meinen Kollegen und Kolleginnen, die in der letzten Zeit nicht zuletzt wegen dieses Büchleins immer mal wieder etwas weniger Zeit von mir bekamen als wünschenswert gewesen wäre.

15 Der Autor Dr. rer. nat. Andreas Eickhorst (Jahrgang 1974), Dipl.-Psychologe mit Schwerpunkt Entwicklungspsychologie, ist seit 2018 Professor für Psychologische Grundlagen Sozialer Von 2013 bis 2017 war er wissen-

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schaftlicher Referent am Deutschen

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Arbeit an der Hochschule Hannover.

Jugendinstitut in München, ab 2016 Leiter der Fachgruppe Nationales Zentrum Frühe Hilfen. Dort war er auch Koordinator der Prävalenz- und Belastungsstudie »KiD 0–3«. Bis 2012 war er Koordinator des Frühe-Hilfen-Projektes »Keiner fällt durchs Netz« am Universitätsklinikum Heidelberg. Studiert und promoviert hat er an der Universität Osnabrück (Promotion über Väter und Integrative Kompetenzen). Seine Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Praxis sind Biologie und Kultur, frühe Kindheit, Frühe Hilfen, Belastungen und Ressourcen, Eltern-Säuglings­ beratung, ­systemische Familienpsychologie, Rolle der Väter. Er war Mitarbeiter der »Heidelberger Interdisziplinären Sprechstunde für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern« sowie der Osnabrücker »Babysprechstunde«, deren Gründungsmitglied er ist. Andreas Eickhorst ist Mitglied und Sprecher (2019) der Fachgruppe Väter des Bundesforums Männer e. V., Mitglied des Väter-Experten-Netzes Deutschland (VEND e. V.) sowie 2. Vorsitzender des Augsburger Vätervereins Papagen e. V. Außerdem ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift »Familiendynamik«.