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German Pages 307 [310] Year 2020
Andreas Schwab
Fremde Religion in Herodots „Historien“ Religiöse Mehrdimensionalität bei Persern und Ägyptern
HER MES Klassische Philologie
Franz Steiner Verlag
Hermes – Einzelschrift 118
H E R M ES Zeitschrift für klassische Philologie Herausgeber: Prof. Dr. Hans Beck Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Seminar für Alte Geschichte, Institut für Epigraphik, Domplatz 20–22, 48143 Münster (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp Universität zu Köln, Historisches Institut – Alte Geschichte, Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Martin Hose Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprachund Literaturwissenschaften, Griechische und Lateinische Philologie, Schellingstr. 3 (VG), 80799 München (verantwortlich für Gräzistik) Prof. Dr. Claudia Schindler Universität Hamburg, Institut für Griechische und Lateinische Philologie, Überseering 35, Postverteilerfach 1, D-22297 Hamburg (verantwortlich für Latinistik) Einzelschrift 118
Fremde Religion in Herodots „Historien“ Religiöse Mehrdimensionalität bei Persern und Ägyptern Andreas Schwab
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Umschlagbild: Statue des Hermes / röm. Kopie, Vatikan Quelle: akg-images / Tristan Lafranchis Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: mediaprint solutions, Paderborn Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12720-2 (Print) ISBN 978-3-515-12740-0 (E-Book)
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt die gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Heidelberger Habilitationsschrift dar, die im Wintersemester 2016/7 von der Philosophischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Habilitationsleistung angenommen wurde. Die Ausgangsfrage der Untersuchung, wie Herodot fremde Religion thematisiert und beschreibt, beschäftigt mich bereits seit meinem Studium in Paris und München. Unter dem Eindruck der Pariser religionsgeschichtlichen Sammlungen des Louvre und des Musée Guimet sowie als Tutor in der Religionswissenschaft entstand für mich die Frage, wie sich wohl die ethnographischen Partien in Herodots Historien zur modernen Religionswissenschaft und ihren spezialisierten Subdisziplinen, Methoden und Perspektiven verhalten. Während meiner Doktorarbeit intensivierte eine Exkursion mit der Trierer Ägyptologie diese Frage mit Blick auf Ägypten. Neben die grundsätzliche Frage, auf welche Weise sich Menschen fremder Kultur und Religion begegnen, trat aus gräzistischer Sicht die methodische Herausforderung, wie überhaupt mit dem Religionsbegriff bei der Erforschung der Antike und ihrer Texte operiert werden könnte. Aus diesen Fragen- und Problemkomplexen erwuchs der erste Rahmen meiner Untersuchung, die vor allem in Heidelberg und während mehrerer Forschungsaufenthalte in den USA reifte und Gestalt annahm. Auf diesem Weg haben mich viele Menschen begleitet, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Während des ersten Forschungsaufenthalts im Winter 2013/4 an der University of Chicago und dem Oriental Institute erhielt ich als Gast am Committee on Social Thought, dem Classics Department und der Divinity School wichtige Impulse in Gesprächen mit Prof. James Redfield, Prof. Clifford Ando und Prof. Glenn Most sowie besonders mit Prof. Bruce Lincoln. Die gemeinsame Bewunderung für Herodot führte zu regelmäßigen und anregenden Gesprächen, in denen mir Bruce mit seiner religionsgeschichtlichen Expertise einen neuartigen Zugang zur Welt der Achaimeniden aufzeigte. Die Expertise für die Welt der Achaimeniden und die Wertschätzung für den Erzähler Herodot konnte ich, wieder zurück in Heidelberg, bei Prof. Gregor Ahn entdecken. Ein gemeinsames interdisziplinäres Hauptseminar zu Herodot mit ihm und dem Althistoriker Prof. Hilmar Klinkott beflügelte meine Arbeit. Mit Freude und Dankbarkeit forschte ich ab September 2015 als Solmsen Fellow am Institute for Research in
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Vorwort
the Humanities an der University of Wisconsin-Madison, wo ich die Untersuchung in Ruhe zu einem ersten Abschluss brachte. Während dieser Zeit durfte ich an mehreren Orten Teile meiner Arbeit vorstellen und diskutieren: Für eine wunderbare Zeit und gute Gespräche in Chapel Hill, North Carolina, danke ich Prof. Emily Baragwanath und dem dortigen Institut, für eine geistreiche Woche und inspirierenden Austausch in New York an der Columbia University danke ich Prof. Elizabeth Irwin, für großes Interesse und ergiebige Diskussionen in Milwaukee danke ich Dr. Renée Calkins und Prof. Jennifer Finn, für die außergewöhnliche Gastfreundschaft, eine schöne Zeit und gute Fragen in Madison danke ich besonders Prof. Jeff Beneker, Prof. Laura McClure und Prof. Nandini Pandey. An die vielfältigen Präsentationen der Fellows und die Diskussionen am Institute for Research in the Humanities (IRH) der UW-Madison sowie besonders die Gespräche mit der Direktorin, Prof. Susan Stanford Friedman, denke ich ebenso gern wie dankbar zurück. Zu großem Dank verpflichtet bin ich meinem Heidelberger Mentor, Prof. Jonas Grethlein, der mich von Anfang an ermunterte, meine Forschungsidee zu verfolgen, und mich als Assistent am Lehrstuhl für Griechische Literaturwissenschaft anstellte. Seine intellektuelle Neugierde und Offenheit waren für das Entstehen der Arbeit sehr förderlich. Stellvertretend für die lebendige Gräzistik in Heidelberg danke ich für das lebhafte Interesse an meiner Arbeit und für philologischen und religionshistorischen Rat Prof. Herwig Görgemanns und Prof. Bill Furley. Besonderen Dank schulde ich den Gutachtern, Prof. Gregor Ahn (Institut für Religionswissenschaft, Heidelberg) und Prof. Reinhold Bichler (Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Innsbruck), für ihre wichtigen Rückmeldungen, sowie dem Heidelberger Ägyptologen Prof. Joachim Friedrich Quack, der immer ein offenes Ohr für meine Fragen hatte und mir mit großem Engagement Einblicke in die ägyptische Welt eröffnete. Für Ihre Aufmerksamkeit, Diskussionsfreude und Kommentare zu einzelnen Aspekten des Buches sowie damit verbundener Gespräche danke ich namentlich Prof. Michael Bergunder, Prof. Jan Bremmer, Dr. Anthony Ellis, Prof. Tom Harrison, Prof. Martin Hose, Prof. Roland Kany, Prof. Scarlett Kingsley, Prof. Christian Meier, Prof. Raimund Schulz, Prof. Kai Trampedach, Prof. Uwe Walter, Prof. Josef Wiesehöfer und Prof. Robert Yelle. Während meiner Zeit als Vertreter der Professur für Griechische Philologie und Religionswissenschaft der Antike an der LMU München durfte ich in lehrreichen Lehr-Forschungs-Kooperationen mit meinem Kollegen und Freund Dr. Alexander Schütze vom Institut für Ägyptologie viele, teils auch im Buch analysierte Passagen neu bedenken und vor dem zumeist komplexen ägyptischen Hintergrund gemeinsam mit Studierenden bearbeiten und beleuchten. Dankbar benutze ich die mir freundlicherweise früh zur Verfügung gestellte, neue deutsche Übersetzung von Prof. Heinz-Günther Nesselrath (2017), der die kritische Edition von Prof. Nigel Wilson (2015) zugrundeliegt.
Vorwort
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Den Münchner Studierenden Simone Oelke und Patrick König danke ich besonders für vielfältige Unterstützung bei der Erstellung der Indices und der Fertigstellung des Manuskripts. Dankbar bin ich zudem für die Resonanz bei Vorträgen, Tagungen und Workshops in Berlin, Bielefeld, Göttingen, Heidelberg, München, Regensburg, St. Andrews, Venedig, Warwick und zuletzt an der Fudan University in Shanghai. Den Herausgebern der Hermes-Einzelschriften, Prof. Jan-Wilhelm Beck, Prof. Martin Hose und Prof. Karl-Joachim Hölkeskamp, danke ich für die Aufnahme meines Buches in diese Reihe, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften bin ich für einen Druckkostenzuschuss zu Dank verpflichtet. Meiner Frau und ersten Leserin, Dr. Maren Elisabeth Schwab, danke ich von Herzen für ihr kreatives Mitdenken und ihre konstruktive Kritik beim Lesen meiner Texte sowie für Ermutigungen und Geduld zur rechten Zeit. München, im Januar 2020 A. S.
Inhaltsverzeichnis I.
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansätze und Tendenzen der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Versuch, Herodots religiöse Überzeugungen zu untersuchen . . . . . . . 2.2 Fremde Religion bei Herodot: Das Interesse an den Göttern . . . . . . . . . . . 2.3 Der Ansatz von Burkert: Chancen und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein mehrdimensionaler Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Einführung und Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Vorteile des mehrdimensionalen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gründe für den Fokus auf Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Herodot über Religion allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die religiöse Sonderstellung Ägyptens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Neue ägyptologische Forschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zur Art und Weise der Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Struktur und Erkenntnisziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 17 17 23 25 28 28 31 34 34 37 39 40 41
II.
Religion und Nomoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Text und Gliederung: Religiöse Felder und Dimensionen . . . . . . . . . . . . . 1.2 Analyse und Erläuterung der religiösen Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Philologisch-literaturwissenschaftliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung: Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter . . . . . . 2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Methodische Vorbemerkung zu den Perser-Nomoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Religion im Sozialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Religion im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Religion, Zeit und Sinne und Religion im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung: Religion innerhalb der Nomoi der Perser . . . . . . . . .
43 43 44 48 53 56 58 58 62 72 81 85
III. Religion im Sozialen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Religiosität und Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
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Inhaltsverzeichnis
2.1 Die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.2 Religiosität und Bräuche (Nomoi) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.3 Religiosität und Reinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3. Die Priester als Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.1 Autoritäten des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.2 Privilegien und Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.3 Aufgaben und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4. Eine Auswahl an faits sociaux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1 Feste als soziale Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.2 Soziale Handlungen in Bubastis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.3 Soziale Interaktion und Aggression in Papremis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.4 Faits sociaux um den Tod: Trauerklage und Bestattung . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 IV.
Religion im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Religiöse Zentren und die Gestaltung religiöser Gegenstände . . . . . . . . . 2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herodot ein „Umweltdeterminist“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Differenzierung durch Lokalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die geographische Vielfalt von Opferpraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die geographische Vielfalt bei der Verehrung heiliger Tiere . . . . . . . . . . . . 5. Ein religiöser Frevel gegenüber dem Nil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
124 125 129 136 138 138 142 148 150
V.
Religion in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die ägyptischen Priester und die zeitliche Priorität der Ägypter . . . . . . . 1.1 Die ägyptischen Priester als „Quellen“ für die Religionsgeschichte . . . . . . 1.2 Die zeitliche Priorität der Ägypter für die Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. An den Grenzen der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die ägyptischen Priester über die Zeit der Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Genealogie und ägyptische Zeit: Hekataios und die Priester . . . . . . . . . . 2.3 Von den Priesterbildern zur Zeit der Götterherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zeit und Alter der Götter bei Ägyptern und Griechen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitliche Perspektiven bei der Verehrung des Pan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Eine ägyptische Zeitdimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Eine Zeit des Rituals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Ein Zeichen in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Religiöser Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Rhampsinitos und die gute Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Cheops und das große Unglück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 155 158 159 161 161 165 167 169 171 172 174 174 175 176 186
Inhaltsverzeichnis
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4.3 Mykerinos und sein Einfluss auf Religion, Recht und Ritual . . . . . . . . . . . 190 4.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 VI.
Religion und Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Religion und äußere Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1.1 Religionsästhetische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1.2 Die Beschreibung des Heiligtums in Bubastis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1.3 Buto: Der Tempel des Heiligtums als „Wunder“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1.4 Die wundersame Insel Chemmis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1.5 Vom goldenen Fußbecken zum Götterbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Religion und Erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2.1 Vorüberlegung zum „Traumglauben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2.2 Der Traum des ägyptischen Königs Sabakos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2.3 Die Klage und der tröstende Traum des Sethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.4 Die Gebetserhörung der Ladike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
VII. Religion in Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2. Das religiöse Symbolsystem in Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2.1 Zur Exklusivität ägyptischer Kultur und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2.2 Zur Ausbreitung eines ägyptischen Brauchs: Die Beschneidung . . . . . . . . 231 3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3.1 Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3.2 Ein arabisches Ritual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3.3 Persische und ägyptische religiöse Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3.4 Befehl und religiöse Frevel: Phönizier und Ammonier . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3.5 Religiöse Frevel in Memphis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 4. Experimente zum Perspektivenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 VIII. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 1. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IX.
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
X.
Indices . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
I. Einleitung 1. Fragestellung und Gegenstand Die Begegnung und Auseinandersetzung mit fremden Kulturen und Religionen ist ein wichtiger Aspekt menschlichen Zusammenlebens in unserer globalisierten Welt. Bereits im Jahr 1988 beobachtete der Religionswissenschaftler Fritz Stolz in der ersten Ausgabe seiner „Grundzüge der Religionswissenschaft“: Die Begegnung mit fremden Religionen ist heute ein alltäglicher Vorgang: Der weltweite Austausch hat praktisch alle Menschen in eine wechselseitige Nachbarschaft gebracht, und Angehörige unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften wohnen nebeneinander, nachdem es keine religiös und kulturell geschlossenen Siedlungsgebiete mehr gibt. Die Befähigung, mit dem Andersgläubigen zusammen zu leben, ist also für den Menschen der Gegenwart notwendig […].1
Andere und fremde Kulturen, Traditionen und Religionen spielen im menschlichen Zusammenleben eine zentrale Rolle. Angesichts der vielfältigen und komplexen Herausforderungen in unserer Gegenwart stellt sich die Frage, wie in früheren Zeit- und Kulturräumen Phänomene fremder Kultur, Tradition und Religion thematisiert und behandelt wurden. Ein für diese Phänomenkomplexe besonders aufschlussreicher Text, der weit über die altgriechische Sprache und Kultur hinaus auch fremde Religion zum Gegenstand hat, ist die ἱστορίης ἀπόδεξις, die „Darlegung der (Nach-)Forschung“, des Herodot aus Halikarnass (heute Bodrum in der Türkei). Die zeitlose und transkulturelle Bedeutung Herodots kommt in den beiden Beobachtungen zum Ausdruck, dass Herodot als „Anthropologe“2 in seiner neun Bücher umfassenden Erzählung „in nuce ‚eine‘ Menschheit
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Stolz (1988) 238. Cf. die Überlegungen des Religionshistorikers Bruce Lincoln (2012) 271–288 in dem programmatischen Kapitel „Herodotus as Anthropologist“, in dem er Herodot nicht als Anthropologen „tout court ou avant la lettre“ (ebd. 273) darstellt, sondern vielmehr beobachtet: „[…] that within an endeavor that was virtually omnisciturient – i. e. wishing to know everything – one can recognize three interrelated levels or projects that anticipate a sequence of development within anthropology proper, as it took shape over the course of the 18th, 19th, and 20th centuries“ (ebd. 273–4).
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I. Einleitung
konstruiert, auch wenn er sie in der Terminologie Grieche-Barbar zu teilen scheint.“3 Sowohl die Bezeichnung des „Vaters der Geschichtsschreibung“4 als Anthropologe in vor-disziplinärer Zeit als auch die Beobachtung seiner Konstruktionsleistung einer Menschheit unterstreichen gleichermaßen die globalhistorische Bedeutung und Relevanz des herodoteischen Werkes über die Grenzen der Klassischen Philologie, der Antiken Religionsgeschichte und der Antiken Welt hinaus. Beide Gesichtspunkte laden zu weiterführenden grundlegenden Fragen ein: Wie begegnet Herodot überhaupt in seiner „Nachforschung“ – vor mehr als 2400 Jahren – den fremden Kulturen und Religionen seiner Zeit? Welche Fragen beschäftigen ihn bei der Begegnung und Auseinandersetzung mit der religiösen Welt in Ägypten? Auf welche Art und Weise thematisiert und beschreibt er religiöse Aspekte fremder Völker wie der Perser oder Ägypter? Diese Fragen stehen zu Beginn der folgenden Untersuchung, die als philologische Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion die Darstellung fremder Religion bei Herodot zum Gegenstand hat. Die Anwendung eines mehrdimensionalen Ansatzes von Religion soll bei der Untersuchung der Frage hilfreich sein, wie Herodot zu seiner Zeit nicht-griechischen Kulturen und Religionen begegnete. Doch dieses Thema erscheint nur auf den ersten Blick evident. So könnte man meinen, dass eine Untersuchung aller Textpassagen, in denen z. B. ausdrücklich von Persern oder Ägyptern die Rede ist, auch leicht einen Eindruck von der „Religion“ der Perser oder Ägypter in der Darstellung Herodots geben dürfte. Dieser vermeintlich so einfache Gegenstand und die gesamte Untersuchung zur Darstellung fremder Religion bei Herodot gewinnt an Komplexität, wenn man die folgenden beiden Tatsachen und Probleme bezüglich der altgriechischen Sprache und des Begriffs „Religion“ betrachtet: Zum einen ist festzustellen, dass es im Altgriechi-
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Hose (2014) 109–130, 124. Hose untersucht das Werk Herodots im Horizont der Globalisierung und argumentiert dafür, dass die neun Bücher „auf verschiedenen Ebenen als eine Globalisierungsgeschichtsschreibung“ (ebd. 113) gelesen werden können: nicht nur in „ereignishistorischer“ und „ethnologischer Sicht“, sondern auch „in einer geophysikalischen Sicht, weil der Text am Problem einer für die geschilderte Welt gemeinsamen Zeit arbeitet.“ Zur Dekonstruktion der Barbaren-Griechen Antithese bei Herodot Pelling (1997) 51–66 und Grethlein (2012) 135–47, zu Herodot bes. 143–6. Grethlein beobachtet, dass die Griechen-Barbaren Dichotomie bei Herodot nicht nur „komplex gestaltet“ ist, sondern auch „an vielen Stellen unterlaufen“ wird (ebd. 144). Er bemerkt abschließend (ebd. 146): „Im Horizont der conditio humana verliert die Alterität der Barbaren an Bedeutung – der ‚Andere‘, der dem gleichen Los unterworfen ist wie man selbst, wird zum Mitmenschen.“ Cf. Cicero, leg. I.5.
1. Fragestellung und Gegenstand
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schen kein Wort für „Religion“ gibt,5 das Herodot hätte verwenden können.6 Vielmehr gibt es einige Wörter und Ausdrücke, um „die Sphäre des Religiösen“7 zu bezeichnen oder „religiöse Felder“8 zu markieren und zu beschreiben. Zum anderen zeigt die ausgiebige Diskussion innerhalb der religionswissenschaftlichen Forschung der vergangenen hundert Jahre bis in die jüngste Gegenwart, dass kaum eine Frage so umstritten ist wie die, was letztlich unter „Religion“ zu verstehen sei. Ja, sogar die Verwendung des Begriffs „Religion“ in der heutigen wissenschaftlichen Diskussion wird in Frage gestellt.9 Sollte angesichts dieser beiden ernüchternden Beobachtungen und der dadurch entstandenen Aporie die Frage nach fremder Religion in den Historien Herodots folglich besser nicht gestellt werden? Dass die Einsicht in diese beiden Sachverhalte nicht dazu führen sollte, die ganze Untersuchung als sinnlos aufzugeben, unterstreichen bereits die vielen Studien, die sich in der langen und reichen Herodot-Forschung mit der „Religion“, der „Theologie“, sowie einzelnen religiösen Gegenständen wie Göttern, dem Handeln der Götter, den Orakeln oder sogar mit „der Religion Herodots“ an sich befasst haben.10 Außerdem gilt als unbestritten, dass vor allem in den ethnographischen Partien des Werkes viele und wichtige Informationen über fremde Religionen enthalten sind.11
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So ist in jeder Einführung in die griechische „Religion“ nachzulesen, cf. Rudhardt (1992b) 220: „Ils (sc. les Grecs) ne possèdent aucun mot équivalent à notre nom religion“, Bremmer (1994) 2: „Indeed, religion was such an integrated part of Greek life that the Greeks lacked a separate word for ‚religion‘“, Kindt (2009) 364: „The Greeks, however, had no word for religion as an abstract category“, und Larson (2016) 5: „Classicists who study the Greeks and their gods often observe that the English word ‚religion‘ has no equivalent in Greek.“ Larson betont jedoch zu Recht unmittelbar im Anschluss, ebd. 5: „That the Greeks lacked an equivalent word or concept does not mean that they lacked religion, but it does present us with a preliminary challenge: we need to identify which aspects of Greek culture are under study in this book, and just what it is what we are attempting to understand.“ Cf. zu diesem Problem bei Herodot Burkert (1990) 4. Burkert (1990) 4. So der in dieser Arbeit verwendete Ausdruck; cf. dazu unten (3) die Erläuterung meines Ansatzes. Cf. dazu Kehrer (1988b) 13, Kehrer (1998) 418–425, 418, Hock (2002), Bergunder (2011) 3–55, 4 und Stausberg (2012) 33–47. Letzterer gibt einen Überblick über verschiedene Problemfelder, wie z. B. den Eurozentrismus, ebd. 36–8, und das Problem von Realdefinitionen und Gebrauchsdefinitionen ebd. 40–41. Zu Problemen der Verwendung des Religionsbegriffs s. Ahn (1997) 513–522, bes. 513–516. Bergunder (2011) beschreibt „drei Hauptstrategien“ zur Lösung der „große(n) Kontradiktion der Religionswissenschaft“, ebd. 5–16. Cf. dazu Nongbri (2013) und Barton/Boyarin (2016). Cf. dazu Mora (1985), Burkert (1990), Gould (1994), Harrison (2000), Rollinger/Bichler (2011), Roettig (2010), Ellis (2015) und Krewet (2017) sowie den Untertitel der Untersuchung von Harrison (2000), der Einblicke in „The Religion of Herodotus“ verspricht. Zu einer Auswahl an Tendenzen und Ansätzen der Herodot-Forschung cf. den folgenden Forschungsüberblick. Cf. z. B. den grundlegenden Sammelband zu Ägypten von Coulon (2013), zu Persien Rollinger/ Truschegg/Bichler (2011) und zu den Historien „zwischen Assur und Athen“ Klinkott/Kramer (2017).
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I. Einleitung
Diese Befunde der Herodot-Forschung stehen damit in einer deutlichen Spannung, wenn nicht sogar in einem Widerspruch zu den beiden skizzierten lexikalischen und methodologischen Problemen. Angesichts dieser Spannung tritt klar hervor, dass die scheinbar so einfache Frage, wie Herodot „Religion“ in Ägypten oder „die Religion“ der Ägypter darstellt, an und für sich sowohl philologisch als auch methodologisch fragwürdig ist und zunächst nach Rechtfertigung verlangt. Das Ziel meiner Untersuchung besteht darin, im Anschluss an den folgenden Forschungsüberblick einen neuen Ansatz zu beschreiben und zu erproben, der vor allem diese grundlegende theoretische Problematik ernst nimmt: dass es kein Wort für „Religion“ bei Herodot gibt und es außerdem umstritten ist, was überhaupt unter „Religion“ zu verstehen ist. Angesicht dessen schlage ich vor, mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion zu arbeiten (s. die Einführung und Erklärung unter 3.). Mit diesem mehrdimensionalen Ansatz führe ich eine Untersuchung von Herodots Historien durch, die sich heuristischer Fragen, Methoden und Perspektiven der neueren religionswissenschaftlichen Diskussion bedient und dadurch neue Impulse für die klassisch-philologische Untersuchung Herodots gewinnt. Darüberhinaus hoffe ich, dass meine Untersuchung auf diese Art und Weise auch das Interesse von Forscherinnen und Forschern der Religionswissenschaft, Religionsphilosophie und Theologie findet und einen neuen Akzent bei der Erforschung von Religion in der Antike setzt. Der mehrdimensionale Ansatz wird im Anschluss an eine erste Vorstellung (3.1) und zwei Anwendungsbeispiele in Kapitel II durch textnahe, exemplarische Analysen und Interpretationen in den Kapiteln III–VII erprobt. Hierzu werden vor allem Textpassagen aus Herodots Erzählung über Ägypten (Buch 2)12 sowie als Vergleichsmöglichkeit exemplarisch die Nomoi der Perser (Buch 1) und die Erzählung über die Begegnungen des Perserkönigs Kambyses mit anderen Kulturen (Buch 3), insbesondere der ägyptischen, untersucht. Bevor ich meinen Ansatz beschreibe, soll zuerst ein kurzer Überblick über einige Forschungen zu Herodot und Religion illustrieren, welche Fragen sich aus bestimmten Forschungsansätzen in Anbetracht der theoretischen Probleme ergeben. Die Untersuchung von Walter Burkert zum Phänomen und Problem fremder Religion bei Herodot nimmt dabei eine zentrale Rolle ein und wird am Ende des Überblicks betrachtet.13
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Zur Erläuterung der Gründe für die Wahl des zweiten Buches s. u. I.4. Die Untersuchung von Burkert (1990) – aufmerksam rezipiert bei Gould (1994) – zählt neben der umsichtigen Untersuchung von Scullion (2006) 192–208, der sich jedoch auf Herodot und griechische Religion konzentriert, zu den instruktiven Forschungsbeiträgen zum Thema „Herodot und (fremde) Religion“.
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
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2. Ansätze und Tendenzen der Forschung Angesichts der großen Anzahl an Publikationen zum Thema Religion(en) bei Herodot soll im Folgenden ein konzentrierter Überblick einiger Ansätze und Tendenzen in der Herodot-Forschung gegeben werden, um sowohl verschiedene Zugänge als auch mit diesen verbundene Probleme bei der Untersuchung der engeren Frage nach fremder Religion bei Herodot aufzuzeigen.14 In einem ersten Schritt (2.1) geht es um den Versuch, Herodots religiöse Überzeugungen zu untersuchen. Auf die Analyse der Monographie „Divinity and History: The Religion of Herodotus“ von Thomas Harrison (2000) folgt die pointierte Besprechung der Untersuchung von Jon D. Mikalson (2003) zu „Herodotus and Religion in the Persian Wars“. In einem zweiten Schritt (2.2) werden zwei Beiträge beleuchtet, die besonders Aspekte fremder Religion bei Herodot behandeln: die Studie von Fabio Mora (1985) zu „Religione e Religioni nelle Storie di Erodoto“ und der Aufsatz „Wie man von fremden Göttern erzählt: Herodot und der allmächtige Gott in den anderen Religionen“ von Gian Franco Chiai (2013). Vor dem Hintergrund dieser Studien erfolgt in einem dritten Schritt (2.3) die konstruktive Auseinandersetzung mit dem wichtigen Aufsatz von Walter Burkert (1990) zu „Herodot als Historiker fremder Religionen“, die den Forschungsüberblick beschließt und zu meinem Ansatz überleitet. 2.1 Der Versuch, Herodots religiöse Überzeugungen zu untersuchen In seiner Monographie „Divinity and History: The Religion of Herodotus“ versucht Harrison, die religiösen Überzeugungen („religious beliefs“) Herodots als einen Bereich seiner Sicht auf die Welt („world view“) zu beschreiben.15 Die Studie von Harrison stellt mit ihrem umfassenden Anspruch einer Diskussion und eines Vergleichs aller für die Fragestellung relevanten Stellen sicherlich einen wichtigen Beitrag in der Herodot-Forschung dar.16 Anhand seiner Studie lassen sich jedoch beispielhaft die methodischen und terminologischen Schwierigkeiten einer Untersuchung von fremder Religion bei Herodot erkennen. Wie Harrison zu Beginn betont, richtet sich sein Interesse auf Herodots „religious beliefs“. Ein Ziel seines Buches besteht darin, „to demonstrate the many ways in which Herodotus’ religious beliefs do indeed affect his Histories“.17 Harrison wendet sich da14 15 16
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Einen Überblick zur früheren Erforschung von Religion(en) bei Herodot gibt Mora (1985) 18–20. Cf. Harrison (2000) 11. Cf. zu dem umfassenden Anspruch von Harrison (2000) 14: „In describing Herodotus’ religious beliefs then, we should not simply map out the areas of Herodotus’ scepticism and credulity case by case. Any single passage can only properly be understood in the context of all analogues sections of his work.“ Harrison (2000) 13.
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I. Einleitung
mit gegen die auf unterschiedliche Weise praktizierte Leugnung von „religious traces“ im Werk Herodots.18 Bei seiner bekundeten Absicht, „to expose Herodotus’ religious beliefs in all their complexity“19, unterscheidet Harrison […] more conscious beliefs, those which he (sc. Herodotus) was capable of expressing directly, and what we might term his theological speculations, side by side with his less conscious beliefs.20
Diese Unterscheidung wird jedoch kurz darauf wieder in Frage gestellt, da Harrison meint, es gebe bei der Beschreibung der „pattern of his beliefs […] a constant danger of improving upon it, of constructing a coherent theology where non exists.“21 Fragund diskussionswürdig an dem Fokus von Harrison sind jedoch noch weitere Aspekte. An dieser Stelle konzentriere ich mich zuerst auf die Terminologie seines Ansatzes, insbesondere seine Rede von Herodots „religious beliefs“. Während das qualifizierende Attribut „religiös“ und der im Buchuntertitel mit dem bestimmten Artikel („the“) bezeichnete, wichtige Begriff „Religion“ von Harrison nur indirekt problematisiert22 oder durch Behauptungen illustriert wird23, verwendet er als den zentralen Begriff seiner Untersuchung „belief “ – einen Begriff typisch christlich-theologischer und eurozentrischer Prägung.24 Harrison wählt diesen problematischen Begriff mit Absicht, wie er in polemischer Weise zu erkennen gibt, da er eine „orthodoxy“25 bei der Behandlung griechischer Religion herausfordern möchte, die besonders den ‚ritualistischen‘ Charakter griechischer Religion betone.26 Seine Untersuchung „der Religion Herodots“ 18 19 20 21 22 23 24
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Ebd. 11. Ebd. 15. Ebd. 15. Ebd. 16. Harrison (2000) 13, so z. B. in der Äußerung „[…] as if ‚religion‘ were seen as a distinct category apart from other ‚secular‘ concerns“. Harrison (2000) 16, z. B. „Herodotus’ religious beliefs – his beliefs concerning divine retribution, for example, or in divination“. Zur Problematik von der Auffassung von Religion als „belief “ Ahn (1995), Stausberg (2010) und Hock (2002) 14–5. Harrison ist der Meinung, dass „belief “ zur Analyse aller Gesellschaften angewendet werden könne („that can be applied to the analysis of all societies“, ebd. 22) und der eigentliche Unterschied nicht zwischen Christentum und antiker Religion, sondern zwischen heutigen und früheren Zeiten bestehe, ebd. 22: „The real difference arguably is not between Christianity and ancient religion, but between an age today (in Britain) where unbelief is envisaged as a normal, if not indeed as the normal position – and so consequently ‚religion‘ is envisaged as something apart – and earlier ages, Christian as well, in which complete unbelief was scarcely imaginable.“ Cf. dazu Harrison (2000) 18: „In particular, a number of ideas will be addressed that together have begun to form something of an orthodoxy in the treatment of Greek religion. The main tenets of this orthodoxy are often phrased in terms of a sharp contrast between Greek religion and modern preconceptions of the nature of religion.“ Ebd. 19: „Nevertheless there are a number of significant overstatements in this modern creed that need to be challenged.“ Cf. Harrison (2000) 18, der für diese Sichtweise exemplarisch ein Zitat aus „Religion in the Ancient Greek City“ von Bruit Zaidmann/Schmitt Pantel (1992) 27 anführt: „Greek religion may then fairly be said to be ritualistic in the sense that it was the opposite of dogmatic: it was not
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
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wird somit zu einem Nebenkriegsschauplatz für die teils berechtigte Kritik an der Erforschung griechischer Religion. Auf diesen Gesichtspunkt werde ich zuletzt nochmals eingehen, um den Erkenntniswert von Harrisons Studie für meine Untersuchung aufzuzeigen. Bei der Gesamtbetrachtung der zahlreichen Analysen und Interpretationen von Harrison ist Folgendes festzustellen: Abgesehen davon, dass es teils sehr problematisch ist, wie aus dem Vergleich vieler Textpassagen zu einem Thema die „religiösen Überzeugungen Herodots“ konstruiert werden – Harrison selbst meint, er „beschreibe“ sie nur –, wäre es wohl in den meisten Fällen angemessener, von Perspektiven auf religiöse Fragen, Themen und Sachverhalte, oder, wenn überhaupt, von „religious views“27 zu sprechen, die sich in Herodots Erzählung auffinden lassen. In seiner knappen, aber umsichtigen Untersuchung zu „Herodotus and Greek religion“ stellt Scullion (2007) nicht ohne Grund in kritischer Anspielung auf (dieses Phänomen bei) Harrison fest: We have been preoccupied with Herodotus’ religious views, but we must not lose sight of the fact – we must indeed, to interpret his theology aright, be conscious of the fact – that he is primarily a teller of tales. Many improving stories are also entertaining stories, and Herodotus the putative ‚evangelist‘28 is often merely Herodotus the narrator of tales.29
Dieser literarische Gesichtspunkt hat ein starkes Gewicht und wohl auch eine entkräftende Wirkung auf die Unternehmung von Harrison, wenn es um die Frage nach den „Ansichten“ oder „religiösen Überzeugungen“ Herodots gehen soll. Die Beobachtung von Scullion weist darauf hin, wie wichtig es ist, die jeweilige Erzählsituation und Erzählweise der untersuchten Textpassagen aufmerksam zu berücksichtigen (s. unten). Ein weiterer Blick auf Harrisons Auseinandersetzung mit der von ihm als „orthodoxy“ bezeichneten Richtung bei der Erforschung griechischer Religion ist gewinnbringend. Denn in diesem Zusammenhang findet sich eine wichtige Einschätzung zur Frage nach fremder Religion bei Herodot. Harrison vertritt bei der Erläuterung seines Verständnisses von „belief “ die These, dass „religious belief […] provides for the Greeks (as for Christians) a means for the explanation of events that is compatible with experience.“30 Dabei möchte er diese Überzeugungen im Allgemeinen nicht als „a subset of ritual“31 charakterisieren. Für die Frage nach fremder Religion bei Herodot erklärt er weiter:
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constructed around a unified corpus of doctrines, and it was above all the observance of rituals than fidelity to a dogma or belief that ensured the permanence of tradition and communal cohesiveness.“ Scullion (2007) 203. Anspielung auf Harrison (2000) 116 und 243, der bei Herodot einen „evangelizing tone“ (116) findet oder manche Passagen als „‚evangelizing‘“ (243) beschreiben möchte. Scullion (2007) 203–4. Harrison (2000) 19. Harrison (2000) 20.
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I. Einleitung
Though this study will concentrate on describing Herodotus’ beliefs rather than the religious practices he describes, Herodotus’ treatment of ‚foreign religions‘, for example, reveals a far more complex relationship between ritual and belief than is suggested by any such general formulation.32
Diese wichtige Einschätzung von Harrison zeigt, dass eine Untersuchung zu fremder Religion bei Herodot die genannten Extreme und eine zu einfache Dichotomie („ritual/belief “) vermeiden und nicht bereits im Vorfeld durch einen zu engen Rahmen bestimmte Phänomene und Sachverhalte ausgrenzen sollte. Angesichts des skizzierten Ansatzes von Harrison ist es nicht mehr besonders erstaunlich, dass bereits die Titel zu Kapitel 8 „Foreign Gods and Foreign Religion“ sowie Appendix 2 „The names of the gods“ erkennen lassen, dass der Fokus von Harrison bei diesen Untersuchungen auf den Göttern liegt. Harrison interessiert sich besonders für die Götter(namen) und deren Identifizierung.33 In seiner kurzen Betrachtung fremder Religion interessiert er sich hingegen vornehmlich für „Greek religion as it is reflected in Herodotus’ accounts of foreign peoples“.34 Im Kontext dieses vorletzten Kapitels zu „Foreign Gods and Foreign Religion“ kommt Harrison gewissermaßen beiläufig zum ersten Mal auf das folgende Problem zu sprechen: There is, of course, no Greek word for, no tidy conception of, anything approximating to our ‚religion‘.35
Seine anschließende Überlegung weist auf das damit verbundene grundsätzliche Problem der Terminologie und des Vergleichs hin: When we say then, on the basis of Herodotus’ description of foreign peoples, that Herodotus (by implicit comparison with a modern ‚Christian‘ definition of religion) identifies religion with ritual process, it is questionable whether we are comparing like with like.36
Durch diese Beobachtungen macht Harrison gegen Ende seiner Untersuchung indirekt auf das Desiderat einer Untersuchung aufmerksam, die sich diesen hermeneutischen und begrifflichen Problemen stellt. Zusammenfassend ist erstens festzuhalten, dass Harrison bereits durch den pointierten Untertitel seiner Studie („The Religion of Herodotus“) einen Essentialismus von Religion bei Herodot suggeriert, obgleich in der Untersuchung zumeist nur von einzelnen „religious beliefs“ die Rede ist. Zweitens ist festzustellen, dass er mit seinem Fokus auf „(religious) belief “ nicht nur eine klare terminologische Vorentscheidung trifft, sondern damit Topoi des christlich geprägten
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Harrison (2000) 20 (meine Hervorhebung). Harrison (2000) 212–220. Cf. dazu Parker (2017). Harrison (2000) 208. Harrison (2000) 221. Harrison (2000) 221.
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
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Religionsverständnisses übernimmt. Obgleich er den Begriff „belief “ in sehr allgemeiner Weise verstehen möchte, bestätigt er den religionswissenschaftlich begründeten Verdacht durch seine Fokussierung auf „die Götter“ insbesondere im Rahmen seiner Untersuchung zu fremder Religion. Wichtig ist dabei seine Beobachtung, dass die Dichotomie von Ritual und Glaube/ Überzeugung für den Zweck einer Untersuchung von Herodots Umgang mit fremder Religion unzureichend sei. Sie kann als ein Impuls verstanden werden, für die Analyse fremder Religion bei Herodot mit einem breiteren Ansatz zu arbeiten, der zwischen diesen beiden Extremen vermitteln kann. Darüber hinaus wurde durch die kritische Bemerkung von Scullion deutlich, dass die Erzählsituation und die literarische Komplexität bei der problematischen Zuschreibung von „religious views“ aufmerksam berücksichtigt werden sollte. In seiner Studie zu „Herodotus and Religion in the Persian Wars“ verfolgt Mikalson die Absicht: […] to collect and present the abundantly preserved religious aspects of these critical times and thereby set Greek religion into a historical context so as to understand better the role of Greek religion in the Persian invasions and in Greek life in general.37
Mikalson interessiert sich insgesamt für „the interplay of Greek religion and history“38 und sieht in Herodot die beste und reichste Quelle für griechische Religion „as it was practiced in the classical period.“39 Er macht darauf aufmerksam, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen von griechischen Göttern und „religious beliefs“ aus den unterschiedlichen Genres (wie epischer Dichtung, Tragödie, Komödie, Geschichte und Rhetorik) und ihren Konventionen „that shaped or limited its presentation of religious material“ hervorgehen.40 Demgegenüber vertritt er die Hypothese, dass Herodot außerhalb dieser Konventionen gestanden habe und sein „approach to Greek religion“ weniger „artificial“, sondern direkter, „less convention-bound, and more eclectic“ sei: „It may well be more an ordinary Greek thought about his religious world.“41 Während Mikalson an dieser und vielen weiteren Stellen das Adjektiv „religious“ in verschie-
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Mikalson (2003) 5. Seine Untersuchung besteht aus drei Kapiteln und einem Appendix. Während sich das erste und längste Kapitel „A religious account of the Persian Invasions“ mit vielen Zitaten aus den Historien ausführlich der Vielfalt griechischer Religion in der Erzählung über die Perserkriege widmet, handelt das zweite Kapitel von „Greek Gods, Heroes, and the Divine in the Persian Invasions“. Im dritten Kapitel, das Ähnlichkeiten mit der Untersuchung von Harrison aufweist, stehen „Some religious Beliefs and Attitudes of Herodotus“ im Zentrum. Der Appendix befasst sich schließlich mit dem Ursprung der griechischen Götter bei Herodot. Cf. Mikalson (2003) 5. Mikalson (2003) 6. Ebd. 7. Ebd. 7.
22
I. Einleitung
denen Kombinationen (z. B. experiences, practices) verwendet, ist er – ähnlich wie Harrison – auch an Herodots „religious beliefs“ interessiert: But even if one is reluctant to extrapolate from the Histories what most Greeks believed, we can at least claim to have illustrated some of what Herodotus himself apparently believed […].“42
Der Leser muss sich allerdings bis zur Mitte des letzten Kapitels gedulden, um zu erfahren, was eigentlich unter „religious“ (sc. elements of Herodotus’ outlook on life)43 zu verstehen sei. Mikalson erklärt, dass unser Verständnis von „religious“ insbesondere davon abhängig sei, was wir unter griechischer Religion verstehen und wie man diese definiere: Important elements of Herodotus’ outlook on life are commonly treated as „religious“ and have occasioned a great deal of scholarly discussion. Whether we think them properly „religious“ or not depends, of course, on how we conceive of and define Greek religion.44
Die Tatsache, dass eine solch entscheidende methodische Einsicht erst an dieser Stelle und nicht in der Einleitung erfolgt, ist bemerkenswert. Mikalson erläutert im Folgenden seine Position mit einem weit gefassten Fokus auf „Greek religion as it was practiced in cult“45 und einer exemplarischen Aufzählung religiöser Praktiken und Phänomene.46 An dieser Problematisierung des Adjektivs „religious“ wird jedoch deutlich, wie sehr jede Untersuchung zu Religion bei Herodot von einem gewissen Vorverständnis und bestimmten Definitionen abhängig ist und entsprechend geprägt wird. Wenn nun – wie Mikalson später ausführt – angenommen wird, dass sich Herodots „religious interests and experiences“ weit über das Griechische hinaus erstreckten,47 so wird erst recht die Schwierigkeit deutlich, die mit einer Analyse fremder Religion bei Herodot verbunden ist. 42 43 44 45
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Ebd. 7. Ebd. 147. Mikalson (2003) 147. Mikalson (2003) 147: „For the purposes of this book I concentrate on Greek religion as it was practiced in cult, that is, on the prayers, vows, sacrifices, dedications, and other religious acts that were intended to bring a favourable response from the gods and to express gratitude to them. I include as well omens, oracles, and even miracles, all of which were features of Greek cultic religion.“ Mikalson (2003) fügt jedoch ebd. 147–8 hinzu: „By this admittedly restricted definition of Greek religion, the following interrelated elements of Herodotean thought, including a fatalistic notion of „what must happen“, the idea of a cycle of the „reversal of human fortunes“, and finally the concept of divine phthonos, would not be „religious“ because they are unaffected by human prayer, sacrifice, dedications, and other forms of worship. They each, I argue, derive from a tradition of poetic speculations about the nature of the „divine“, not from the cultic tradition of Greek religion. But they have their place, an important place, in relation to Herodotus’ concepts of cultic religion because they offer him explanations for some of the evils that befall human beings.“ Mikalson (2003) 155.
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
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2.2 Fremde Religion bei Herodot: Das Interesse an den Göttern In seiner Untersuchung „Religione e Religioni nelle Storie di Erodoto“ geht Mora von der „fenomenologia della religione elaborata da Erodoto“48 aus. In einem ersten Teil widmet er sich zuerst den „religioni in Erodoto“, indem er die „descrizione erodotea degli usi religiosi degli altri popoli“49 untersucht. Anhand von Herodots Beschreibung von Religion in Ägypten beleuchtet er darauf mehrere „aspetti fenomenologici della religione in Erodoto“.50 Ein besonderes Interesse seiner Untersuchungen kommt der Gottheit (divinità) und der Frage nach der „identificazione di divinità“ zu.51 Während sich Mora im zweiten Teil mit der „teoria storico-religiosa erodotea“ und der Entwicklung griechischer Religion aus der ägyptischen Religion auseinandersetzt, skizziert er in einem dritten Schritt „die Methoden Herodots“ („I metodi erodotei)“, unter anderem seinen „diffusionismo“, die „ethnografia speculativa“ sowie das Verhältnis zu Hekataios.52 Die Untersuchung von Mora beeindruckt durch ihren klaren Aufbau und den systematischen Rahmen, der in einem nicht weiter reflektierten oder begründeten religionsphänomenologischen Ansatz gründet. Mora geht vielmehr sogar von einer „fenomenologia della religione elaborata da Erodoto“ aus und thematisiert nicht die brisanten Fragen, was er selbst in seiner Untersuchung oder was Herodot, dem kein griechischer Begriff von Religion zur Verfügung stand, unter „Religion(en)“ verstanden haben mag. Ob der nicht weiter begründete phänomenologische Ansatz von Mora als die richtige Antwort anzusehen ist, darf bezweifelt werden. Mora betont, Herodots Beschreibung von Religion in Ägypten komme insgesamt eine zentrale Rolle für die „herodoteische Phänomenologie“ („fenomenologia erodotea“)53 zu, so dass ihre Analyse einen wesentlichen Bestandteil seiner „Untersuchung zur Bestimmung der Elemente der herodoteischen Phänomenologie der Religion“ („della ricercha volta
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Cf. dazu Mora (1985) 10 und 23, ebd. 23: „Studieremo infine le relazione tra la fenomenologia della religione elaborata da Erodoto e la sua teoria circa l’origine egizia della religione greca […].“ Cf. Mora (1985) 5 und 22: 1. La religione persiana, 2. babilonese, 3. scitica, 4. Usi primitivi, 5. Usi religiosi di altri popoli. Zu diesen Aspekten zählt Mora (1985) die folgenden, ebd. 5 und 22–3: „6. L’identificazione di divinità, 7. Festo e clero, 8. Sacrificio e divinazione, 9. Silenzi, 10. Usi funebri e relativismo in Erodoto, 11. Credenze soteriologiche.“ Cf. Mora (1985) zur persischen Religion z. B. „1.1.1. La rappresentazione delle divinità“, 27–31, und „1.1.2 Le divinità“, 31–5, zur skythischen Religion „1.3.1 Le divinità“, 49–55. Bei den phänomenologischen Aspekten behandelt Mora bei „1.6 L’Identificazione di divinità“, 81–101, die Götter Zeus, Dionysos, Aphrodite, Herakles, Ares, Poseidon, Hermes, Athena, Artemis, Apollo, Naturgottheiten und „Corrispondenza fra divinità di due soli popoli“. Cf. Mora (1985) 5–6, 23–4. Zuletzt widmet er sich der Frage, ob Herodot als „storico delle religioni“ angesehen werden könne. Mora (1985) 22: „[…] dato il ruolo centrale che essa (sc. la descrizione della religione egiziana) ha nella fenomenologia erodotea […].“
24
I. Einleitung
ad individuare gli elementi della fenomenologia erodotea della religione“) darstelle.54 Diese Beobachtung Moras unterstreicht die wichtige Rolle von Religion in Ägypten für die Frage nach fremder Religion bei Herodot, die auch für die vorliegende Studie angenommen wird. Es ist festzuhalten, dass die Untersuchung von Mora – motiviert durch die Annahme von Herodots „Religionsphänomenologie“ – die Aufmerksamkeit auf die Vielfalt von „Religion“ bei Herodot lenkt, jedoch durch einen starken Fokus auf die Gottheit und die Götter ausgezeichnet ist. Der Aufsatz von Chiai „Wie man von fremden Göttern erzählt: Herodot und der allmächtige Gott in den anderen Religionen“ zeigt exemplarisch, wie neben „fremden Göttern“ und „dem allmächtigen Gott“ auch von „anderen Religionen“ im Titel einer Untersuchung die Rede sein kann, doch die eigentliche Untersuchung vor allem den Göttern, bestimmten Göttervorstellungen sowie Götternamen gewidmet ist.55 Chiai beabsichtigt, […] die Mechanismen und die analogen Schemata zu untersuchen, mit denen die Figuren der allmächtigen Götter Amun und Ahura-Mazda (der ägyptischen und der persischen Religion) bei Herodot wahrgenommen und betrachtet werden.56
In seiner Untersuchung versucht er zu zeigen, wie „die Idee des allmächtigen Gottes bei Herodot eine wichtige Denkkategorie bei der Wahrnehmung und Beschreibung“57 dieser beiden Götter darstelle. Neben althistorischen Beobachtungen zu den Griechen in Ägypten und zu den Kontakten zwischen Griechen, insbesondere den Ioniern, mit den Persern konzentriert sich Chiai vor allem auf die Untersuchung und den Vergleich bestimmter Attribute der oben genannten Götter mit Zeus, der „Figur des höchsten Gottes“, insbesondere bei Xenophanes und Aischylos.58 54
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Mora (1985) 22. Im Hinblick auf Herodots Beschreibung von Religion in Ägypten widerspricht Mora Sourdille (1910), der sich in seiner Untersuchung „Hérodote et la religion de l’Égypte“ vor allem den Namen der griechischen und ägyptischen Götter widmet. Herodot habe nicht die Religion der Griechen in Ägypten anstelle der ägyptischen Religion beschrieben, sondern vielmehr nach Mora „die ägyptische Wirklichkeit aus der eigenen Perspektive der Griechen in Ägypten beschrieben („Erodoto ha descritto la realtà egizia nella prospettiva propria dei Greci d’Egitto“, ebd. 19). Cf. in dieser Hinsicht die umfangreiche Untersuchung von Krewet (2017) zu „Vernunft und Religion bei Herodot“. Krewet geht davon aus, dass die Historien von mannigfachen Darstellungen göttlicher Eingriffe und Einflüsse geprägt seien und nimmt (teils ähnlich wie Harrison) an, dass „Herodots Darstellung selbst auf seinen eigenen Glauben an ein Göttliches mit ganz bestimmten Eigenschaften zurückschließen läßt“. Ebd. 2. Krewet signalisiert, dass sich seine Studie damit „nur einem Aspekt der Religion“ zuwende: „dem Glauben an eine Einflußnahme des Göttlichen auf das menschliche – mehr oder weniger vernunftbegründete – Handeln und auf einzelne Ereignisse.“ Ebd. 2. Seine Konzeption von „Religion“ bei Herodot ist sowohl terminologisch als auch theoretisch dem Feld philosophisch-theologischer Studien zu Herodot zuzurechen. Chiai (2013) 47–74, 50–1. Chiai (2013) 47. Cf. zu den Überlegungen von Chiai (2013) 62–4 über den höchsten Gott der Perser, Ahura-Mazda, mit Blick auf die achaimenidischen Königsinschriften und Hdt. 7.8–11 Schwab (2017).
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
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Wie der Forschungsüberblick zeigt, stellen sich neben den bereits skizzierten theoretischen Problemen, die zu einem Teil auch von Harrison und Mikalson berührt werden, weitere Herausforderungen für die Erforschung fremder Religion bei Herodot. Bevor ich die Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion zur Lösung einiger dieser Probleme vorstelle, soll zuletzt der Ansatz des prominenten griechischen Religionshistorikers und Philologen Walter Burkert betrachtet werden, der zu Beginn seines wichtigen Aufsatzes ein klares Bewusstsein für das begriffliche und methodische Problem zeigt. Burkerts Ansatz veranschaulicht sehr gut, welche ernst zu nehmenden Probleme bei der Untersuchung der Frage nach fremder Religion bei Herodot entstehen. 2.3 Der Ansatz von Burkert: Chancen und Probleme Walter Burkert thematisiert in seinem Aufsatz „Herodot als Historiker fremder Religionen“59 das philologische und hermeneutische Problem, indem er im Vorfeld folgende berechtigte Fragen stellt: Inwieweit dürfen wir überhaupt von ‚Religion‘ im Blick Herodots sprechen? Welchen Begriff von ‚Religion‘ hat Herodot, und welche Terminologie steht ihm zur Verfügung?60
Burkert stellt darauf fest: Dass ein anderes Volk eine ‚andere Religion‘ habe, dass es verschiedene ‚Religionen‘ gebe, kann Herodot in der Tat nicht mit diesen Worten sagen.61
Burkert bemerkt weiter, dass das im heutigen Griechisch für „Religion“ gebräuchliche Wort θρησκεία bei Herodot zwar vorkomme, aber dort den „engeren Sinn ‚religiöser Brauch‘, ‚Ritual‘“ habe. Bei dieser Überlegung und der Beobachtung zu θρησκεία ist Burkert zuzustimmen. Erst die nun folgende, recht pragmatische Argumentation ist problematisch. Denn Burkert vertritt nun ohne weitere Begründung die These, dass Herodot vor allem zwei Ausdrücke verwende, um „die Sphäre des Religiösen“ zu bezeichnen: θεοὺς σέβεσθαι und ἱρός.62 Dass es sich hierbei um zentrale Begriffe handelt, die das „religiöse Feld“ bei Herodot betreffen, wird wohl niemand bestreiten. Doch Burkert folgert nun, dass Herodot die Frage nach „anderen Religionen“ in dieser Form
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Burkert (1990) 1–32. Burkert (1990) 4. Burkert (1990) 4. Cf. Burkert (1990) 4: „Ihm (sc. Herodot) bleibt, um die Sphäre des Religiösen zu bezeichnen, vor allem θεοὺς σέβεσθαι und ἱρός […].“
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I. Einleitung
stelle: „Welche anderen Götter werden verehrt, und auf welche Weise?“63 Bei diesen Fragen handelt es sich um ein Konstrukt, das Herodot einen stark verengten Fokus unterstellt. Diese Fragen, die Burkert Herodot zuschreibt, weisen die Art und Weise der Verehrung von Göttern und – wie sich in der Fortsetzung seines Aufsatzes zeigt – insbesondere das Opfer/n als zentrales Merkmal von Religion bei Herodot aus.64 Burkerts Ansatz ist in dieser Hinsicht diskussions- und kritikwürdig. Denn er birgt nicht nur die Gefahr eines grundsätzlichen Missverständnisses, sondern ebenso die Versuchung, andere „religiöse“ Phänomene und Gegenstände im Werk Herodots außer Acht zu lassen.65 Schwierig ist erstens die nicht weiter begründete Konzentration auf die Formel θεοὺς σέβεσθαι bei Herodot, die einen großen Teil weiterer religiöser Phänomene und Aspekte gar nicht erst in den Blick kommen lässt. Zweitens erscheint mir die von Burkert in seiner Untersuchung vorgenommene Fokussierung auf das Opferritual, die er im Weiteren bei Herodot als zentrales Element zu sehen glaubt, nicht plausibel. Dabei handelt es sich zwar sicherlich um ein wichtiges Thema griechischer Religionsgeschichte, das auch bei Herodots Frage nach „anderen Religionen“ zur Sprache kommt. Doch vor allem handelt es sich um Burkerts eigenes großes Thema bei der Erforschung griechischer Religion.66 So überzeugend Burkerts Ansatz auf den ersten Blick erscheinen mag, insofern „Götter“ als religiöse Gegenstände und „das Opfer“ als spezifisch religiöse Handlung für wesentlich erachtet werden, so muss ihm bei genauerer Betrachtung in methodischer Hinsicht widersprochen werden. Indem er für Herodot ein „theozentrisches“ Religionsverständnis annimmt, wird automatisch eine Fülle offenkundig religiöser Phänomene und Gegenstände (wie z. B. vielfältige Festrituale, Begräbnisriten und -sitten) im Vorhinein aus der Analyse ausgeschlossen. Insbesondere in den Herodot zugeschriebenen Fragen kommt der eindimensionale Religionsbegriff zum Ausdruck. Über die grundsätzlichen Schwierigkeiten eindimensionaler „theozentrischer“ Definitionen sowie die in diesem Zusammenhang dramatische Verengung des Religionsbegriffs auf „die Verehrung von Göttern“ gibt es in der Religionswissenschaft seit Jahrzehnten eine bis heute andauernde, berechtigte methodologische Diskussion.67 Aus religionswissenschaftlicher Perspektive stellt sich das Problem folgendermaßen dar: Burkerts Vorentscheidung für ein substanzialistisches Verständnis von Religion bei 63 64 65 66 67
Burkert (1990) 4. Eine nicht weiter problematisierte Anwendung dieses Ansatzes findet sich bei De Jong (1997) in seiner Untersuchung der persischen Nomoi, insbes. 1.131–2. Cf. dazu auch Kapitel II.2 Religion innerhalb der Nomoi der Perser. Cf. dazu Burkert (1990) 14–21. Dies ist sowohl durch eine bewusste als auch unbewusste Begriffsverwendung möglich. Cf. dazu Burkert (1972) Homo necans sowie die Beiträge von Lincoln (2012) 13–31 zur Frage, „How animal sacrifice became a hot topic“ und Graf (2012) 32–51 zu den Theorien von Burkert, Girard und Vernant. Cf. dazu Ahn (1997) 515.
2. Ansätze und Tendenzen der Forschung
27
Herodot (mit dem Fokus auf die Verehrung von Göttern und dem im Zentrum postulierten Opfer) sagt insgesamt mehr über den Erforscher Herodots und dessen Verständnis antiker Religion aus als über Herodot und sein Verständnis von „Religion“. Dieser Hauptkritikpunkt ist also methodischer Natur: Die Behauptung und eigene Definition von „Religion“ kennzeichnet Burkert nicht als klare Konstruktion oder als eine hypothetische Annäherung an Herodot, sondern er geht davon aus, dass Herodot selbst die Frage nach „anderen Religionen“ in dieser theozentrischen und substanzialistischen Form stelle: „Welche anderen Götter werden verehrt, und auf welche Weise?“ Die Problemlage ist insgesamt sowohl in philologischer als auch methodischer Hinsicht komplexer. Dies lässt sich bereits daran erkennen, dass Burkert selbst vor der thematisierten „Vorfrage“ prägnant vier Prinzipien68 von Herodots „Umgang mit fremden Religionen“ voranstellt, darunter die folgende Beobachtung: […] Er (sc. Herodot) verfügt über einen Begriff, der das jeweils Fremde an seinem Ort in seinem Zusammenhang erfassbar macht und Andersartigem als gleichwertig an die Seite stellt: Nomos […].
Auf diese wichtige Beobachtung weist Burkert – allerdings mehr als fünfzehn Seiten nach seiner für Herodot postulierten Frage nach „anderen Religionen“ – nochmals hin, indem er zuerst feststellt und daraufhin erläutert: Der entscheidende Begriff für griechische Religion ist, längst vor Herodot, der ‚Brauch‘, Nomos (vgl. Hes. Fr. 322). […] Das wichtige und überraschende ist, dass sich der Begriff Nomos als durchaus geeignet erweist, die Schranke zum Fremden zu überschreiten, eben weil er zum Relativbegriff geworden ist: Die ‚Anderen‘ zeigen in ihrem so andersartigen religiösen Verhalten nicht etwa déviance oder ἀνομία, sondern eben ihren eigenen Nomos. Die Griechen hatten längst gelernt, die innergriechischen Verschiedenheiten zu respektieren […].69
Dieser wichtigen These zur zentralen Bedeutung des Nomos-Begriffs, die auch durch die Untersuchung von Rudhardt bekräftigt wird,70 ist grundsätzlich zuzustimmen. Auch Burkerts Erläuterung zum Nomos als eines Relativbegriffs ist sehr erhellend. Nach diesen Beobachtungen stellt sich jedoch die dringliche Frage, wie sich die zentra-
68
69 70
Cf. dazu Burkert (1990) 4: „(1) Herodot stellt den Wahrheitsanspruch der Religion, die ‚Theologie‘ zurück und hat damit den Blick frei für fremde Eigentümlichkeiten; (2) er konzentriert sich auf das direkt Beschreibbare, das Ritual; (…) (4) er lässt, bei aller Verwunderung über kuriose Praktiken, eine Haltung menschlicher Sympathie und menschlichen Einfühlens nie vermissen – was mit der Kunst des Erzählers intim zusammenhängt.“ Das dritte Prinzip betrifft den Begriff „Nomos“, s. oben. Burkert (1990) 22–23. Cf. dazu Rudhardt (1992b) 219–238, der in seinem Aufsatz über die „Attitude des Grecs à l’égard des religions étrangères“ ausgehend von Herodot feststellt: „Pour les Grecs, les croyances, les institutions, les usages qui constituent une religion à nos yeux sont des νόμοι ou des νόμαια, c’est-à-dire des règles coutumières, des façons traditionelles d’agir et de penser“, ebd. 221.
28
I. Einleitung
le Bedeutung des Nomos-Begriffs zu dem von Burkert für Herodot postulierten oder, wohl eher, „konstruierten“, eindimensionalen Religionsverständnis verhält. Ist Herodot – angesichts der guten Beobachtungen und Überlegungen zum Nomos-Begriff – bei der Frage nach „anderen Religionen“ wirklich nur an der Frage interessiert, welche anderen Götter verehrt werden und auf welche Weise? Die von Burkert selbst vorgenommenen, aber nicht weiter verfolgten Beobachtungen zum Nomos-Begriff und zum Ausdruck ἱρός weisen bereits darauf hin, dass die Annahme eines nur eindimensionalen Religionsverständnisses bei Herodot wohl unzureichend ist. Die weiteren im Forschungsüberblick bei den einzelnen Autoren und insbesondere bei dem Ansatz von Burkert skizzierten Probleme machen deutlich, wo eine Untersuchung zu Herodots Darstellung fremder Religion ansetzen sollte, wenn sie sich den fundamentalen Problemen stellen will. 3. Ein mehrdimensionaler Ansatz 3.1 Einführung und Anwendung Wie die Beispiele im Forschungsüberblick und die andauernde Debatte in der Religionswissenschaft zeigen, sollte eine Annäherung an das Phänomen Religion bzw. an das fremder Religion/en bei Herodot sich zuerst des unvermeidlich konstruierten Konzepts und der eigenen konstruierenden Unternehmung bewusst sein.71 Um den skizzierten Problemen der Forschung konstruktiv zu begegnen und die Vorteile (s. unten 3.2) eines mehrdimensionalen Konzepts von „Religion“ für die Erforschung von Herodots Historien fruchtbar machen zu können, werde ich keine substanzialistische Definition und kein essentialistisches Modell von „Religion“ voraussetzen, wie dies z. B. Burkert, Harrison oder Chiai getan haben, sondern vielmehr aus heuristischen Gründen mit einem mehrdimensionalen Konzept von „Religion“ arbeiten. Zur Überwindung eines eurozentrischen Religionskonzeptes zugunsten eines globalen Verständnisses72 verstehe ich unter „Religion“ ein offenes Konzept, das ich mit Fragen und Methoden der verschiedenen Subdisziplinen der Religionswissenschaft heuristisch zur Erfassung von „Religion“ bei Herodot einsetze. Bei diesem mehrdimensionalen Ansatz, der im folgenden Kapitel II anhand eines konkreten Textbeispiels erläutert 71 72
Cf. dazu Hock (2002) 19–20. Cf. dazu Bergunder (2011), der für eine Überwindung des Konzepts eines „europäischen Religionsbegriffs“ zugunsten eines globalen Verständnisses argumentiert und zeigt, dass in der bisherigen Diskussion und den expliziten Religionsdefinitionen der Religionswissenschaft ein konsensfähiges zeitgenössisches Alltagsverständnis von „Religion“ (Bergunder spricht von „Religion 2“) vorausgesetzt wird, das jedoch unerklärt und unreflektiert bleibt. Dieses Alltagsverständnis von „Religion“ werde ich zur Markierung der „religiösen Felder“ – bestimmter semantischer Felder, die ich als „religiöse“ bezeichne – verwenden.
3. Ein mehrdimensionaler Ansatz
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wird, sollen mehrere Perspektiven auf „religiöse Felder“ in Herodots Text betrachtet und analysiert werden. Bevor ich die methodische Anwendung des mehrdimensionalen Ansatzes zur Analyse Herodots genauer darlege, soll exemplarisch ein mehrdimensionaler Ansatz aus der „Einführung in die Religionswissenschaft“ von Klaus Hock vorgestellt werden.73 Hock geht bei der Frage, was unter Religion zu verstehen sei, zunächst von „Religion“ als einem „wissenschaftlichen Konstrukt“ aus, „das ein ganzes Bündel von Bestimmungen funktionaler und inhaltlicher Art umfasst, mit dem zusammengehörige Elemente und Ausdrucksformen in einem Raster als Gegenstandsbereich religionswissenschaftlicher (und anderer) Forschung – als „Religion“ – erfasst werden können.“74 Um „Religion“ nicht eindimensional (etwa Religion = die Verehrung von Göttern) zu bestimmen, schlägt Hock vor, zu heuristischen Zwecken mit einem mehrdimensionalen Religionsbegriff zu arbeiten. Der Religionsbegriff bezieht sich damit auf „eine Sammlung von verschiedenen Faktoren, Kriterien und Dimensionen […], die – zusammen genommen – einen Rahmen beschreiben, innerhalb dessen die Religionswissenschaft ihren Gegenstand einzeichnen kann.“75 Nach Hock könnte ein solcher Begriff die folgenden sechs Dimensionen umfassen: „Dimensionen der Ethik und des sozialen Handelns (Normen und Werte, Verhaltensmuster, Lebensformen), rituelle Dimensionen (kultische und andere symbolische Handlungen), kognitive und intellektuelle Dimensionen (Lehr- und Glaubenssysteme, Mythologien, Kosmologien etc., also das gesamte „religiöse“ Wissen), sozio-politische und institutionelle Dimensionen (Organisationsformen, Recht, religiöses Expertentum etc.), symbolisch-sinnliche Dimensionen (Zeichen und Symbole, religiöse Kunst, Musik etc.) und Dimensionen der Erfahrung (Berufungs- und Offenbarungserlebnisse, Gefühle mystischer Einheit, Heilungs- und Heilserlebnisse, Gemeinschafts- und Verschmelzungserfahrungen).“76 Der skizzierte mehrdimensionale Ansatz von Hock veranschaulicht, wie eine Vielzahl von religiösen Phänomenen und Dimensionen vereint werden kann, ohne dass eine Definition von „Religion“ vorliegt. Bei meiner mehrdimensionalen Annäherung an Herodots Historien orientiere ich mich zum einen an dem vorgestellten mehrdimensionalen Konzept von Hock; allerdings werde ich fünf der von Hock genannten Dimensionen (Dimensionen der Ethik und des sozialen Handelns, sozio-politische und institutionelle Dimension, rituelle, symbolisch-sinnliche sowie Dimensionen der Erfahrung) unter den allgemeinen Kategorien „Soziales“ und „Sinnliches“ gruppieren. Zum anderen werde ich die Untersu-
73 74 75 76
Cf. dazu insgesamt Hock (2002) 19–20. Hock (2002) 20. Hock (2002) unterstreicht ebd. 20, dass dieser Rahmen nicht „objektiv gegeben“ sei, sondern durch die Tätigkeit des Religionswissenschaftlers „konstruiert“ werde. Hock (2002) 20. Für weitere mehrdimensionale Ansätze, wie z. B. den des britischen Religionswissenschaftlers Ninian Smart, ebd. 19.
30
I. Einleitung
chung mit weiteren systematischen heuristischen Fragen, Perspektiven und Methoden einzelner Bereiche und Subdisziplinen der modernen Religionswissenschaft (wie der Religionssoziologie, -ökonomie, -geographie, -geschichte, -psychologie und -ästhetik sowie der vergleichenden Religionswissenschaft) bereichern und danach strukturieren. Aus diesem Grund werde ich neben den sozialen und sinnlichen Dimensionen auch räumliche, zeitliche und vergleichende Dimensionen von Religion bei Herodot markieren. Die Untersuchung dieser zuletzt genannten drei Bereiche und Perspektiven dient der differenzierteren Analyse und ist für eine mögliche Verortung Herodots als eines „Religionshistorikers“ und Komparatisten von Nutzen. Die konkrete Textanalyse erfolgt in zwei Schritten, die von entscheidender Bedeutung für die erste Annäherung an den Text sind: Ausgehend von Herodots Text bestimme ich zunächst jeweils ein ‚religiöses Feld‘ aus griechischen Wörtern, die religiöse Gegenstände bezeichnen oder im weitesten Sinne religiöse Phänomene und Praktiken beschreiben. Unter einem „religiösen Feld“ verstehe ich in dieser Untersuchung griechische Wörter, Prädikate wie z. B. „heilig“, die das Phänomen „Religion“ charakterisieren, und Ausdrücke, die aufgrund ihrer Sinnrichtung oder Bedeutung einen klaren Bezug zu „Religion“ erkennen lassen und einen bestimmten Textabschnitt von Herodots Erzählung markieren. Das Konzept des „religiösen Feldes“ verwende ich als einen metasprachlichen Ausdruck zu heuristischen Zwecken, also nicht in Anlehnung an die Soziologie des „champ religieux“ von Pierre Bourdieu.77 Dieser erste Schritt hat eine rein heuristische Funktion und dient der groben Markierung bestimmter „religiöser“ Felder. Dabei nehme ich eine erste Bestimmung dessen vor, was als „religiös“ oder als „religiöser“ Gegenstand in Herodots Text erscheint. Dabei gehe ich von einem nicht angefochtenen Konsens über einen bestimmten Sprachgebrauch aus, der nicht weiter erklärt wird und nur zur Bestimmung des religiösen Feldes dient.78 Durch die transparente Bestimmung der religiösen Felder als einen ersten Ausgangspunkt der Untersuchung begegne ich offen dem Problem, dass bereits immer ein bestimmtes Verständnis von „Religion“ vorausgesetzt wird, ohne deswegen eine Untersuchung von Religion bei Herodot als unmöglich auszuschließen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, welche Dimensionen, Perspektiven und Bereiche im Zusammenhang mit dem jeweiligen konstruierten religiösen Feld in Herodots Text artikuliert und ausgemacht werden können. Diese Perspektiven auf das religiöse Feld oder Dimensionen und Bereiche des religiösen Feldes bezeichne ich mit bewusst allgemein gehaltenen Kategorien. Diese stehen repräsentativ für die wichtigsten Subdisziplinen der modernen Religionswissenschaft, die jeweils zu Beginn der
77 78
Cf. dazu Bourdieu (1971) und eine deutsche Ausgabe mit Interview (2000). Cf. dazu Bergunder (2011).
3. Ein mehrdimensionaler Ansatz
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fünf systematisch angelegten Kapitel (III–VII) mit einigen Leitfragen und Methoden vorgestellt werden: (1) Soziales – Religionssoziologie und Religionsökonomie, (2) Raum – Religionsgeographie, (3) Zeit – Religionsgeschichte, (4) Innere und äußere Sinne – Religionspsychologie und Religionsästhetik, (5) Vergleich und Interaktion – Vergleichende Religionswissenschaft und Religionsethnographie. Mit beiden Schritten kann ein bestimmter Textabschnitt der Historien so untersucht werden, dass bei der Analyse sowohl die Sprache und Terminologie Herodots als auch bestimmte Perspektiven, die im Rahmen des religiösen Feldes durch die Erzählung eröffnet werden, in den Blick kommen. Somit verbinde ich eine textnahe Untersuchung mit heuristischen Fragen und Perspektiven der modernen Religionswissenschaft. Ein Vorteil dieser mehrdimensionalen Annäherung besteht insbesondere darin, dass nun ein Vergleich mit anderen Texten aus unterschiedlichen Zeiten sehr gut möglich ist. Weitere Vorteile werde ich im Folgenden ausführen. 3.2 Vorteile des mehrdimensionalen Ansatzes Die Beispiele im Forschungsüberblick legen nahe, dass wohl bereits aus heuristischen Gründen zu Beginn der Untersuchung keine eindimensionale Definition von Religion Anwendung finden sollte, die Herodot z. B. eine Bevorzugung von „belief “ oder „Ritual“ oder auch „Glaube an Götter“ unterstellt. Eine damit einhergehende Fokussierung würde „Religion“ auf einen bestimmten Aspekt reduzieren, indem aus der Vielfalt der Faktoren nur ein einzelner Bereich (wie z. B. „Glaube“, „Opfer“ oder „Götter“) ausgewählt und zur Grundlage der jeweiligen Religionsdefinition erhoben würde, während zugleich andere Bereiche ausgegrenzt werden.79 Gerade für heuristische Zwecke bietet ein mehrdimensionaler Ansatz die Möglichkeit, Herodots eigene Konzepte, Beschreibungen und Perspektiven auf (fremde) „Religion“ innerhalb eines möglichst weiten Rahmens zu beschreiben und zu erforschen. Die problematische Verwendung christlicher Kategorien und Topoi sollte aufgrund der damit verbundenen Missverständnisse und des globalen Anspruchs der Untersuchung vermieden werden. In Kapitel II werde ich exemplarisch anhand von zwei Textbeispielen über Religion außerhalb ägyptischer und innerhalb persischer Nomoi zeigen, wie solche Textstellen aufgrund eines verengten Fokus übersehen werden können. Darüber hinaus kann ein mehrdimensionales Religionskonzept der tatsächlichen zentralen Bedeutung von Religion in der antiken
79
Cf. zu diesem Problem Hock (2002) 19.
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I. Einleitung
Welt besser gerecht werden, in der – wie der Religionshistoriker Bruce Lincoln betont – „Religion nicht ein kulturelles System ist, das neben vielen anderen koexistiert, sondern die zentrale Stellung einnimmt und eine einzigartige Rolle spielt.“80 Jan Bremmer spricht in Anlehnung an Robert Parker81 für das alte Griechenland von „eingebetteter Religion“ („embedded religion“)82 und fasst pointiert zusammen: Geburt, Erwachsenwerden und Tod, Krieg und Frieden, Landwirtschaft, Handel und Politik – all diese Ereignisse und Aktivitäten wurden von religiösen Ritualen begleitet oder waren religiösen Regeln unterworfen; selbst der Liebesakt war nach einer Göttin, Aphrodite, benannt: aphrodisiazein. Heiligtümer beherrschten die Stadtsilhouetten, Götterstatuen standen an den Straßenecken; auch der Geruch von Opfern war nie weit entfernt. Ja, Religion war ein so integraler Bestandteil griechischen Lebens, dass die Griechen kein eigenes Wort für ‚Religion‘ brauchten.83
Die Untersuchung mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion kann der Vielfalt und Vielgestaltigkeit von Religion in der antiken Welt besser gerecht werden. Wie insbesondere die Untersuchung von Burkert zeigt, ist das Wort νόμoς von grundlegender Bedeutung für eine religionshistorische Untersuchung fremder Religion bei Herodot in seiner ganzen Bedeutungsvielfalt als (religiöser) „Brauch“, „Gewohnheit“ oder als „(traditionelle) Kultur“ – ein Wort, das Herodot mehr als sechzig Mal in dieser Bedeutung verwendet.84 Es gibt zahlreiche Nomoi-Passagen in den Historien, in denen eine Vielfalt fremder Bräuche des jeweiligen Volkes mitgeteilt wird – von Fragen der Ernährung, der Kleidung, sozialer Codes und Verhaltensweisen bis zu verschiedenen religiösen Bräuchen wie Bestattungsweisen, Ritualen und Festen.85 80
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Lincoln (2007) 241–51, 241: „[…] ‚the ancient‘ is that situation in which religion is not one system of culture coexisting among many others, but occupies the central position and plays a unique role – informing, inflecting, integrating, stabilizing, even at times controlling and determining all others […].“ Lincoln macht auch auf die Gefahr einer solch weiten Begriffsbestimmung aufmerksam, indem er ebd. 242 feststellt: „For were religion to be found everywhere, there would be no borders to delimit and define it. Indeed, its very ubiquity might render it unrecognizable, rather like ‚culture‘ or life itself.“ In Anlehnung an den Artikel „Griechische Religion“ von Parker (1986) 254–74, 265. Zur Kritik an der bisweilen unreflektierten Verwendung dieses Konzepts Nongbri (2008) 440– 460. Bremmer (1996) 3. Cf. Bremmer (1994) 2: „In Ancient Greece, too, religion was totally embedded in society – no sphere of life lacked a religious aspect. Birth, maturity, and death, war and peace, agriculture, commerce, and politics – all these events and activities were accompanied by religious rituals or subject to religious rules; even making love was named after the goddess of love aphrodisiazein. Sanctuaries dominated the skylines, statues of gods stood on the corners of the streets, and the smell of sacrifice was never far away. Indeed, religion was such an integrated part of Greek life that the Greeks lacked a separate word for ‚religion‘.“ Cf. dazu Powell (1938) s. v. νόμoς, 233, und Burkert (1990) 4: „er (sc. Herodot) verfügt über einen Begriff, der das jeweils Fremde an seinem Ort in seinem Zusammenhang erfassbar macht und Andersartigem als gleichwertig an die Seite stellt: Nomos […].“ Cf. dazu Dorati (2000) 53–90 und Bichler (2007) 143–60.
3. Ein mehrdimensionaler Ansatz
33
Diese ausgesprochene Vielfalt der Nomoi bei Herodot wird jedoch erst – wie die Betrachtung der Nomoi der Perser im zweiten Kapitel exemplarisch zeigt – durch ein breites mehrdimensionales Konzept von Religion sichtbar. Dasselbe gilt für ein angemessenes Verständnis des Nomos-Begriffs. Wie die Überlegung von Mikalson nahelegt, könnte das Verständnis von „griechischer Religion“ durchaus relevant für die Frage nach „fremder Religion“ bei Herodot sein. Die Kritik und der Ansatz von Harrison richteten sich gegen eine „Orthodoxie“ im Bereich der Erforschung griechischer Religion (und deren damalige Fixierung auf „Ritual“). In der jüngeren Forschung zur griechischen Religion ist nun eine Tendenz zu verzeichnen, das einstige Paradigma von einer vornehmlich auf das Opferritual oder die Polis fokussierenden Religion zu hinterfragen, zu kritisieren und in methodisch vielseitiger Weise die religiöse Vielfalt der griechischen Religion wiederzuentdecken.86 Vor diesem Hintergrund scheint es ebenso geboten, bei einer Annäherung an „fremde Religion“ bei Herodot zuerst mit einem möglichst offenen Konzept von „Religion“ zu operieren. Ein mehrdimensionaler Ansatz begünstigt die aufmerksame Untersuchung weiterer griechischer Ausdrücke und Herodots Sprache für „religiöse“ Gegenstände sowie zur Markierung „religiöser Felder“ im Text. Dazu zählen insbesondere Ausdrücke und „religiöses“ Vokabular, das Herodot – neben Göttern und Opfern – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Nomoi-Passagen gebraucht. Neben dem verwendeten Vokabular kann darüber hinaus die Aufmerksamkeit besonders auf Herodots Erzählweise „fremder Religion“ gerichtet werden, wie z. B. auf die Verwendung direkter oder indirekter Rede (s. dazu Kapitel II), sowie seine impliziten und expliziten Äußerungen über (fremde) „religiöse“ Sachverhalte. Anhand einer ausgewählten Textpassage aus dem „historischen“ Teil von Herodots Erzählung über Ägypten werde ich im folgenden Kapitel (II.1) den Ansatz exemplarisch veranschaulichen. Dabei wird sich zeigen, wie bereits eine einzige Textpassage auch außerhalb der ägyptischen Nomoi vielfältige Dimensionen von Religion aufweist, die mit einem nur eindimensionalen Konzept von Religion nicht in den Blick kommen. In einem zweiten Schritt (II.2) soll darauf anhand der Nomoi der Perser exemplarisch veranschaulicht werden, dass Religion auch innerhalb der Nomoi mehr ist als nur Opfer und Götter. Durch die Arbeit mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion wird die Untersuchung eine Neuerschließung von Herodots Werk ermöglichen und auf einer breiteren Basis feststellen können, wie Herodot fremde Religion darstellt und welche Schwerpunkte er in seiner Darstellung fremder Religion setzt.
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Cf. z. B. für griechische Religion Bremmer (2010), Parker (2011) 224–264 mit dem anspielungsreichen Titel „The varieties of Greek Religious Experience“, Kindt (2012) mit dem programmatischen „Rethinking Greek Religion“ sowie Kindt (2015a) 268–278 zu „religiöser Erfahrung“ und Kindt (2015b) 35–50 zu „personal religion“. Cf. auch den Sammelband zu „Animal Sacrifice“ von Faraone/ Naiden (2012) sowie exemplarisch für die römische Religionsgeschichte die zahlreichen und in methodischer Hinsicht äußerst vielfältigen Untersuchungen von Jörg Rüpke, z. B. Rüpke (2016).
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I. Einleitung
4. Gründe für den Fokus auf Ägypten Die Untersuchung von Herodots Darstellung fremder Religion erforscht im Besonderen die Dimensionen von Religion in Herodots Erzählung über Ägypten (Hdt. 2).87 Für diese Entscheidung sprechen in der Hauptsache vier Gründe, die ich im Folgenden aufzeige. Sie veranschaulichen, warum die vorliegende Arbeit überwiegend zu Ägypten einen Erkenntnisgewinn in der Herodot-Forschung verspricht. Zuerst werde ich erläutern, dass der ägyptische Logos grundsätzliche und explizite Überlegungen Herodots über Religion enthält, die von großer Bedeutung für die gesamte Unternehmung Herodots sind und eine genauere Untersuchung erfordern. Darauf führe ich zwei textimmanente Indizien an, die zeigen, dass es sich bei Ägypten in der Perspektive und Darstellung Herodots im Vergleich mit anderen Ländern und Kulturen – insbesondere im Hinblick auf religiöse Aspekte und Sachverhalte – um ein besonderes Land handelt, in dem der Religion eine wichtige Rolle zukommt. In einem dritten Schritt soll die Aufmerksamkeit auf die Relevanz der neuesten ägyptologischen und demotistischen Forschungen gerichtet werden. Neue Textfunde und Editionen sowie dadurch ermöglichte Entdeckungen und Forschungen seitens der Demotistik betonen die Komplexität der Quellenlage und plädieren für ein neues Verständnis von Herodots Buch über Ägypten. Diese offensichtliche Komplexität der Quellenlage entspricht der erzählerischen Komplexität von Herodots Historien, die ein Kernpunkt meiner Analysen ist. Um die Komplexität des Textes überhaupt bemerken und verstehen zu können, muss die literarische Gestaltung der Textpassagen, in denen religiöse Themen und Sachverhalte behandelt werden, näher untersucht werden: zum einen die Rolle und Funktion des Erzählers, zum anderen der Modus der Erzählung überhaupt. Die zwei wichtigen Ausgangsfragen, die ich in der folgenden Untersuchung zum zweiten Buch mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion immer wieder in den Vordergrund rücken werde, lauten: Wie erzählt Herodot vor diesem Hintergrund von fremder Religion – in diesem Fall der Religion in Ägypten –, und welche religiösen Dimensionen sind in seiner Erzählung miteinander verwoben. Die Untersuchung von Religion in Herodots Ägyptenlogos liefert dabei nicht nur neue Einsichten für das Verständnis des zweiten Buchs, sondern erweist sich als grundlegend für den Umgang Herodots mit fremder Religion überhaupt.
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Cf. zu Buch 2 jetzt die Beiträge von Dillery, Bowie, Bichler und Tuplin in Harrison/Irwin (2018).
4. Gründe für den Fokus auf Ägypten
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4.1 Herodot über Religion allgemein Im ägyptischen Logos finden sich allgemein einige explizite und teils implizite Überlegungen Herodots über Religion,88 so z. B. zur Genese, Entwicklung und Diffusion von Religion sowie zum Umgang mit religiösen Gegenständen. Der Ägyptenlogos lässt erkennen, dass Ägypten in Herodots Überlegungen zu Religion/en eine zentrale und prominente Rolle einnimmt. Eine in methodischer Hinsicht sehr wichtige Bemerkung Herodots findet sich zu Beginn des zweiten Buches (Hdt. 2.3.2), nachdem er zuvor (Hdt. 2.3.1) die Aufmerksamkeit auf seine priesterlichen Informanten in Memphis, Theben und Heliopolis gerichtet hat. Diese Äußerung kann nicht nur als methodische Vorbemerkung seiner Erzählung über religiöse Gegenstände (wörtlich: „göttliche Dinge“, τὰ θεῖα) bei den Ägyptern verstanden werden, sondern auch als eine zentrale Äußerung über sein Verständnis nicht nur ägyptischer, sondern möglicherweise fremder Religion überhaupt (Hdt. 2.3.2):89 Τὰ μέν νυν θεῖα τῶν ἀπηγημάτων οἷα ἤκουον, οὐκ εἰμὶ πρόθυμος ἐξηγέεσθαι,90 ἔξω ἢ τὰ οὐνόματα αὐτῶν μοῦνον, νομίζων πάντας ἀνθρώπους ἴσον περὶ αὐτῶν ἐπίστασθαι· τὰ δ’ ἂν ἐπιμνησθέω αὐτῶν, ὑπὸ τοῦ λόγου ἐξαναγκαζόμενος ἐπιμνησθήσομαι.91 Was nun von ihren Berichten die Götter betrifft, bin ich nicht willens darzulegen, was für Dinge ich hörte, außer allein ihre Namen; denn ich glaube, dass alle Menschen (mehr oder weniger) das Gleiche darüber wissen. Was ich aber davon erwähnen werde, werde ich erwähnen, weil ich von meiner Darstellung dazu gezwungen bin.92
Je nach Interpretation wurde diese Bemerkung nicht nur auf die ägyptischen, sondern auch grundsätzlich auf die Mitteilungen über religiöse Gegenstände in den Historien bezogen.93 Zunächst handelt es sich jedoch im Zusammenhang um eine methodische und erzähltechnische Ankündigung des Erzählers, die seine Ägyptenerzählung betrifft. In dieser Erzählung sei Herodot nicht bereit, die das Göttliche betreffenden Dinge (τὰ θεῖα) mitzuteilen oder auch genauer auszuführen, obgleich er von ihnen in den Erzählungen der ägyptischen Priester (Hdt. 2.3.1) gehört habe. Er beabsichtigt nur (ἔξω … μοῦνον) die Namen und Bezeichnungen für die göttlichen Gegenstän-
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Cf. dazu bereits Mora (1985) im Forschungsüberblick. Cf. dazu auch das erste Kapitel „La Discrétion d’Hérodote: son objet, ses limites“ von Sourdille (1910) 1–26. ἐξηγέεσθαι ist an dieser Stelle wohl in der Bedeutung: LSJ III. tell at length, relate in full, Hdt. 2.3, oder auch: set forth, explain, τὴν ἔλασιν the line of march, Hdt. 3.4, 7.6. zu verstehen. Cf. jedoch auch LSJ mit Blick auf Melampus in der Bedeutung „expound, interpret“ ἐ. τὸ οὔνομα καὶ τὴν θυσίην Hdt. 2.49. Der griechische Text wird nach der Edition von Wilson (2015) zitiert. Als Übersetzung verwende ich die neue deutsche Übersetzung von Nesselrath (2017). Für die Ambivalenz dieser Äußerung und die verschiedenen Interpretationsansätze dazu s. u.
36
I. Einleitung
de anzugeben, weil er davon überzeugt sei (νομίζων), dass alle Menschen gleich viel oder wenig (ἴσον) über diese Gegenstände wüssten (περὶ αὐτῶν ἐπίστασθαι).94 Es ist jedoch zu bemerken, dass diese interpretationsbedürftige These – vielleicht könnte man auch von einer „Regel“ der Erzählung sprechen – sogleich mit einer Ausnahme von der Regel formuliert wird („Was ich aber davon erwähnen werde, werde ich erwähnen, weil ich von meiner Darstellung dazu gezwungen bin.“). Die These und insbesondere die zugleich erwähnte Ausnahme werden in ähnlicher Form an späterer Stelle im Ägyptenlogos (Hdt. 2.65) bei der Frage nach dem Grund für die Verehrung von Tieren in Ägypten bekräftigend wiederholt.95 Es ist festzuhalten, dass der Erzähler eine Auswahl des religiösen Stoffes für nötig erachtet, diese Auswahl jedoch im Hinblick auf den Rahmen der Erzählung und nach erzählerischen Gesichtspunkten selbst ausdehnen und erweitern kann. Neben der Relevanz dieser methodischen Vorbemerkung für die Äußerungen über Ägypten bietet das zweite Buch auch einige Beispiele für bewusstes Verschweigen, so genannte „Aposiopesen“, insgesamt zwölf an der Zahl.96 Auch bewusste ‚Verstöße‘ gegen dieses zu Beginn des zweiten Buches ausgesprochene ‚Erzählverbot‘ sind erzähltechnisch und für den Umgang Herodots mit Religion und religiösen Gegenständen von besonderem Interesse.97 Wie bereits oben bemerkt, finden sich im zweiten Buch Überlegungen und Äußerungen Herodots über Religion, vor allem über die Bezüge griechischer religiöser Bräuche und Kulte zu denen der Ägypter, so dass z. B. anhand der Beschreibung ägyptischer Feste, Umzüge und Opferfeiern (Hdt. 2.58–63) auch die Praxis griechischer Festkultur reflektiert wird.98 Die Erfahrung und Reflexion der religiösen Praxis und Kultur der Ägypter führt Herodot zur Reflexion über die Grundlagen griechischer 94
95
96 97 98
Diese These und ihre epistemologische Begründung (mit der starken These, dass alle Menschen gleich viel bezgl. des Göttlichen wissen) muss meines Erachtens zuerst aus ihrem konkreten Kontext (starker Kontrast zwischen dem, was Herodot und andere z. B. über Ägypten hören und dem, was möglicherweise andere erzählen oder in Wirklichkeit der Fall ist) insbesondere aus dem vorausgehenden Zusammenhang mit den Mitteilungen der Priester aus Memphis, Theben und Heliopolis und den Meinungen der Griechen verstanden werden. Cf. Hdt. 2.65.2 Τῶν δὲ εἵνεκεν ἀνεῖται [τὰ] ἱρὰ εἰ λέγοιμι, καταβαίην ἂν τῷ λόγῳ ἐς τὰ θεῖα πρήγματα, τὰ ἐγὼ φεύγω μάλιστα ἀπηγέεσθαι. τὰ δὲ καὶ εἴρηκα αὐτῶν ἐπιψαύσας, ἀναγκαίῃ καταλαμβανόμενος εἶπον. („Wollte ich sagen, weshalb die Tiere als heilig gelten, so müsste ich mit meiner Darstellung auf die Dinge eingehen, die die Götter betreffen, welche darzulegen ich jedoch entschieden zu vermeiden suche; was ich jedoch davon kurz gestreift habe, habe ich nur durch eine Notwendigkeit veranlasst gesagt.“); Linforth (1924) 270, der die erste Äußerung als „preface“ bezeichnet, bemerkt zu Hdt. 2.65 treffend: „This repetition of the preface shows that it was not written thoughtlessly by Herodotus, but that he recognized it as a definite principle and was guided by it in the course of composition.“ Cf. Hdt. 2.45, 46, 47, 48, 51, 61, 62, 81, 86, 132, 170, 171; dazu Linforth (1924), Harrison (2000) 182– 190 und Gödde (2007). So z. B. die Erzählung von der zweifachen Genealogie des Herakles in Hdt. 2.43–45 und die grundlegenden Erörterungen zur Chronologie Ägyptens sowie dem Alter der Götter in Hdt. 2.142–146. Dieser Themenkomplex ist Gegenstand mehrerer Kapitel: III. Religion im Sozialen, V. Religion in der Zeit und VII. Religion in Interaktion.
4. Gründe für den Fokus auf Ägypten
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Religion und „Theologie“.99 Eine Analyse des zweiten Buches im Hinblick auf diese Aspekte verspricht einen grundsätzlichen Einblick in das herodoteische Denken über Religion. 4.2 Die religiöse Sonderstellung Ägyptens Bereits in rein quantitativer Hinsicht eignen sich die vielfältigen Äußerungen Herodots über Ägypten, seine Natur, Kultur, Religion und Geschichte im weitesten Sinn für eine Untersuchung.100 Das in seiner Erzählung gebotene Material zu Ägypten ist im Vergleich zu seiner Darstellung anderer Völker von besonders großem Umfang. Nachdem Herodot zu Beginn des zweiten Buches (Hdt. 2.4.3–2.34) bereits ausführlich auf geologische und geographische Charakteristika des Landes und dabei insbesondere auf die besondere Bedeutung des Nils, der Nilschwelle sowie der Quellen des Nils eingegangen ist, äußert er sich ausdrücklich in Hdt. 2.35 über den außerordentlichen Umfang seiner Darstellung Ägyptens, indem er erklärt: Ἔρχομαι δὲ περὶ Αἰγύπτου μηκυνέων τὸν λόγον, ὅτι πλεῖστα θωμάσια ἔχει ἢ ἡ ἄλλη πᾶσα γῆ καὶ ἔργα λόγου μέζω παρέχεται πρὸς πᾶσαν χώρην· τούτων εἵνεκα πλέω περὶ αὐτῆς εἰρήσεται. Ich gehe nun daran, ausführlicher über Ägypten zu sprechen, weil es sehr viele wundersame Dinge enthält im Vergleich zur ganzen übrigen Erde und im Vergleich mit jedem Land Bauwerke präsentiert, die eine Beschreibung übertreffen. Aus diesen Gründen soll mehr über dieses Land gesagt werden.
Mit deutlichem Bezug zur Terminologie (θωμάσια … ἔργα) seines Proömiums101 und dem darin formulierten Programm rechtfertigt Herodot in dieser Übergangspassage vor der Erzählung über die Gewohnheiten und Gebräuche der Ägypter (ἤθεά τε καὶ νόμους, Hdt. 2.35.2–98) die Länge und Ausführlichkeit seiner Erzählung über Ägypten. Zwei Gesichtspunkte, die im Proömium des ersten Buches angeführt werden und ein zentrales Interesse seiner Forschungen artikulieren, sind für die Ausführlichkeit (μηκυνέων τὸν λόγον) des ägyptischen Logos aus der Sicht des Erzählers entscheidend: die herausragende Anzahl sowohl an Staunenswertem und Merkwürdigem (θωμάσια) 99
Cf. dazu die Überlegungen Herodots zur religiösen Identität der Griechen in Hdt. 2.53 mit der These, dass Homer und Hesiod die eigentlichen Schöpfer und Systematiker des griechischen Götterpantheons gewesen seien. 100 Das zweite Buch (182 Kapitel) und das dritte mit der Eroberung Ägyptens durch Kambyses (38 Kapitel) umfassen insgesamt 220 Kapitel. 101 Cf. Proöm, Hdt. 1.1: Ἡροδότου Ἁλικαρνησσέος ἱστορίης ἀπόδεξις ἥδε, ὡς μήτε τὰ γενόμενα ἐξ ἀνθρώπων τῷ χρόνῳ ἐξίτηλα γένηται, μήτε ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά, τὰ μὲν Ἕλλησι, τὰ δὲ βαρβάροισι ἀποδεχθέντα, ἀκλεᾶ γένηται, τά τε ἄλλα καὶ δι’ ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι.
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I. Einleitung
als auch an Werken und vollbrachten Taten102 (ἔργα) der Nicht-Griechen, in diesem Fall der Ägypter.103 Herodots ausführliche Erzählung über Ägypten findet also eine Begründung in diesen beiden auf das Proömium bezogenen Gesichtspunkten. Diese Aspekte werden sowohl an der obigen Stelle in Bezug auf Ägypten als auch im grundlegenden Proömium des ersten Buches mit Begriffen ausgedrückt, die in ihrer ganzen Breite an Bedeutungen zu verstehen sind.104 Unter θωμάσια105 können also „bewunderns- und staunenswerte“ oder auch „merkwürdige“ Dinge, Gegenstände und Handlungen verstanden werden, unter den kaum beschreiblichen ἔργα neben Werken, Erzeugnissen und Bauten auch bestimmte Handlungen und Ereignisse. Neben diesem allgemeinen ersten Indiz für die besondere Relevanz Ägyptens für seine Erzählung führt Herodot kurz darauf (Hdt. 2.37) eine wichtige Behauptung an, die Ägypten im Hinblick auf Religion und Religiosität als einen Sonderfall erscheinen lässt.106 Die auch für meine Untersuchung wichtige These Herodots zu Ägypten betrifft das besondere Verhältnis der Ägypter zu ihrer Religion und Religiosität in der Wahrnehmung Herodots. Die Ägypter sind für eine Untersuchung zur Religion von besonderem Interesse, da sie nach der Äußerung Herodots als „sehr“ oder auch „über die Maßen“ (περισσῶς) „gottesfürchtige“ Menschen (Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες Hdt. 2.37) gelten.107 Mit anderen Worten: In der Wahrnehmung Herodots handelt es sich bei den Ägyptern um einen ausgezeichneten Fall. Wie diese These nicht zuletzt in ihrem Zusammenhang zu verstehen ist, wird später Gegenstand der Untersuchung sein (s. Kapitel III, Religion im Sozialen). Angesichts dieser zwar recht allgemeinen, aber auch vielsagenden Aussage zu Beginn von Herodots Erzählung von den ägyptischen Nomoi ist also die Darstellung der Ägypter und ihrer vielfältigen religiösen Bezüge von besonderem Interesse.108 Darüber hinaus lässt die These von der Besonder-
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Cf. Proöm, Hdt. 1.1 (…) ἔργα μεγάλα τε καὶ θωμαστά. Cf. Proöm, Hdt. 1.1 (…) τὰ μὲν Ἕλλησι, τὰ δὲ βαρβάροισι ἀποδεχθέντα. Cf. zum Proömium bes. Bakker (2002), 3–32. Cf. dazu die Beobachtungen zu „Thoma“ bei Munson (2001) 232–265, bes. 233: „Herodotus presents to his audience both ethnographic and historical items as wonders. In the history, appeals to wonder draw attention especially to exceptional actions or agents – onetime behaviors of individuals and animals or occurrences that appear to reveal the intervention of the divine. In the ethnographies, a θῶμα tends to be a tangible foreign artifact, a phenomenon of the landscape or a feature of the flora and fauna of distant lands. Metanarrative thoma is rarely used to describe either the activities of foreign peoples in the ethnographies or those of foreigners in the history.“ 106 Dieser Aspekt soll hier nur kurz genannt werden, da er in mehreren der folgenden Kapitel immer wieder zur Sprache kommen wird. 107 Hdt. 2.37 Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται. Zur typischen Ambivalenz dieser Partizipialkonstruktion cf. das Kapitel III. Religion im Sozialen. 108 Wichtig für die Komposition und Rahmung der Erzählung (Hdt. 2.37–65) ist das signifikante und nur an diesen zwei Stellen verwendete Adverb περισσῶς. Cf. die rahmende Bemerkung in Hdt. 2.65, dass die Ägypter „sehr“ oder „über die Maßen“ an ihren religiösen Bräuchen festhalten: Αἰγύπτιοι δὲ θρῃσκεύουσι περισσῶς τά τε ἄλλα περὶ τὰ ἱρὰ καὶ δὴ καὶ τάδε.
4. Gründe für den Fokus auf Ägypten
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heit und Andersartigkeit der ägyptischen Sitten und Bräuche (ἤθεά τε καὶ νόμους) in Hdt. 2.35, also die von Herodot betonte Hetero- und Allonomie der Ägypter, diese zu einem besonders interessanten Erkenntnis- und Vergleichsgegenstand werden.109 4.3 Neue ägyptologische Forschungen Neben diesen auf den Herodot-Text bezogenen Gründen, die eine Untersuchung zu Religion und religiösen Aspekten des zweiten Buchs als gewinnbringend erscheinen lassen, legen auch die jüngsten ägyptologischen und demotistischen Forschungen eine Neuuntersuchung des zweiten Buches nahe: Rezente Textfunde und Editionen sowie dadurch ermöglichte Entdeckungen und Forschungen seitens der Demotistik sprechen für ein neues und anderes Verständnis von Herodots Annäherung an die Kultur und Religion Ägyptens sowie von seinem Verstehen fremder Religion insgesamt. Nach dem immer noch größtenteils grundlegenden Kommentar von Lloyd110 ist es an der Zeit, dass diese neueren demotistischen Forschungen111 auch von gräzistischer Seite für die Interpretation des zweiten Buches fruchtbar gemacht werden. Der Demotist Quack konstatiert in seinem Beitrag zum Sammelband „Hérodote et l’Égypte“: […] l’étude de plus en plus approfondie des textes démotiques a, ces dernières années, apporté nombre d’éléments nouveaux qui ont contribué de façon substantielle à une meilleure évaluation du livre II d’Hérodote. En fait, ils ouvrent la voie à une compréhension tout à fait novatrice qui a des répercussions évidentes sur l’évaluation globale de l’œuvre du „père de l’histoire“. Malheureusement, ils restent encore peu connus en dehors d’un cercle restreint de spécialistes, et leur potentiel est rarement exploité.112
In der vorliegenden Untersuchung unternehme ich daher den Versuch, sowohl die neuen Erkenntnisse der Demotistik113 aufzunehmen, als auch durch die Analyse des griechischen Textes weitere Impulse für künftige Forschungen zu geben. Die Kenntnisse der demotistischen Forschungen führen nach Quack zu einem Gesamtbild („image globale“) Herodots, das in einer deutlichen Spannung zu der traditionellen Herodot-Forschung steht, „qui voit dans les rapports d’Hérodote avec les peuples
109 Cf. Hdt. 2.35 Αἰγύπτιοι ἅμα τῷ οὐρανῷ τῷ κατὰ σφέας ἐόντι ἑτεροίῳ καὶ τῷ ποταμῷ φύσιν ἀλλοίην παρεχομένῳ ἢ οἱ ἄλλοι ποταμοί, τὰ πολλὰ πάντα ἔμπαλιν τοῖσι ἄλλοισι ἀνθρώποισι ἐστήσαντο ἤθεά τε καὶ νόμους. 110 Lloyd (1975/1976/1988). 111 Cf. besonders den Beitrag von Quack (2013a) in dem Band von Coulon (2013). 112 Quack (2013a) 63. Cf. auch die Remarques finales, 80–1. 113 Hervorzuheben ist, dass die von Quack (2013a) aufgewiesenen Parallelen zwischen der Erzählung Herodots und der demotisch-ägyptischen Dokumentation beide Bereiche der Erzählung über Ägypten betreffen, sowohl den historischen Teil über Ägypten als auch „la section ‚ethnographique‘“, cf. ebd. 80–81.
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I. Einleitung
étrangers surtout un effet de miroir mettant en relief leur altérité vis-à-vis des Grecs, sans assez prendre en compte les réalités“.114 Im Lauf der vorliegenden Untersuchung zeigt sich, dass die von Quack herausgestellte Forschungslage in der Demotistik, welche die komplexe und traditionsreiche Quellenlage und deren Verarbeitung berücksichtigt und betont,115 auch die in dieser Arbeit erzielten Interpretationen bestärkt. Im Folgenden werde ich mehrmals die literarische Komplexität und Ambivalenz von Herodots Text bei der Darstellung fremder Religion herausarbeiten, die zum einen wohl dem Gegenstand fremder Religion, zum anderen dem umsichtigen Umgang Herodots mit der Quellenlage geschuldet ist.116 4.4 Zur Art und Weise der Erzählung Zuletzt möchte ich einen wesentlichen Gesichtspunkt für eine ertragreiche Untersuchung des zweiten Buches im Hinblick auf die Darstellung ägyptischer Religion anführen: die literarische Gestaltung des Textes. Zum einen werde ich besondere Aufmerksamkeit auf die Rolle und Funktion des Erzählers und der Erzählstimme („authorial voice“) richten.117 Zum anderen soll grundsätzlich der unterschiedlichen Erzählweise innerhalb des gesamten ägyptischen Logos Aufmerksamkeit geschenkt werden. Inwiefern ist beispielsweise die oftmals selbstverständlich vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „ethnographischen“ und einem „historischen“ Teil des ägyptischen Logos gerade im Hinblick auf die Darstellung ägyptischer Religion sinnvoll und plausibel? Was gerät durch eine solch strikte Dichotomie aus dem Blick? Welche Bedeutung 114 115
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Cf. Quack (2013a) 81. Diese Kritik richtet sich z. B. gegen den Ansatz von Hartog (1980). Quack (2013a) 81 betont gegenüber den Forschungsansätzen, die vor allem einen Spiegeleffekt fremder Kulturen bei Herodot behaupten, dass diese „sans assez prendre en compte les réalités“ sich als unangemessen erweisen, um die Komplexität („la complexité“) des herodoteischen Werkes zu behandeln. Ein weiterer Grund für die zentrale Stellung Ägyptens in meiner Untersuchung ist nicht zuletzt die große Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des zweiten Buches – allein wohl bereits ein hinreichender Grund für eine Untersuchung mit dem Schwerpunkt Religion: zum einen die Rezeption durch die späteren, griechisch und lateinisch schreibenden Autoren, die sich in der Nachfolge Herodots mit Ägypten befassen wie z. B. Manetho, Diodor, Plutarch, Iamblich; cf. dazu Assmann (2002) und Moyer (2012); zum anderen die seit der Wiederentdeckung Herodots in der Renaissance einsetzende Auseinandersetzung mit Ägypten und die jeweiligen Ägyptenbilder. Cf. dazu insgesamt die von der kretischen und griechischen Kultur ausgehende und über die Epochen des Hellenismus, der Kaiserzeit und des Mittelalters, von Goethe über Herder bis hin zu Thomas Mann reichende Untersuchung von Siegfried Morenz, Die Begegnung Europas mit Ägypten. Mit einem Beitrag von Martin Kaiser über Herodots Begegnung mit Ägypten (1969). Cf. dazu auch die jüngeren rezeptionsgeschichtlichen Forschungen zu Herodot in der Reformation, insbesondere bei Melanchthon, Ellis (2015), sowie mit einem speziellen Fokus auf den Ägyptenlogos in der Voyage dans la Basse et la Haute-Égypte des Vivant Denon durch Schwab (2016) mit weiterführender Literatur. Cf. Marincola (1987), Dewald (1987) 147–170 und Schepens (1980).
5. Struktur und Erkenntnisziele
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kommt insbesondere der hermeneutisch und epistemologisch wichtigen Übergangspassage Hdt. 2.99 für den Ägyptenlogos zu? Μέχρι μὲν τούτου ὄψις τε ἐμὴ καὶ γνώμη καὶ ἱστορίη ταῦτα λέγουσά ἐστι, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦδε Αἰγυπτίους ἔρχομαι λόγους ἐρέων κατὰ τὰ ἤκουον· προσέσται δέ τι αὐτοῖσι καὶ τῆς ἐμῆς ὄψιος. Bis hierher ist es meine eigene Anschauung, mein Urteil und meine Erkundigung, auf denen diese Darstellung beruht; von hier an aber werde ich ägyptische Geschichten mitteilen, entsprechend dem, was ich gehört habe; doch wird zu ihnen auch ein Anteil dessen hinzukommen, was ich gesehen habe.
Wenn Herodot also auf diese Art und Weise in seinem Erzählfluss innehält, welche Bedeutung kommt dann der im Folgenden (Hdt. 2.99–182) beinahe durchgehenden Verwendung der indirekten Rede für die Darstellung religiöser Phänomene und Gegenstände zu? Die oben angeführten Gründe sowie dieser letzte, gewichtige Gesichtspunkt der Erzählweise sollen genügen, um das besondere Interesse an Herodots Darstellung und Konstruktion von Religion in Ägypten in seinem zweiten Buch zu erläutern und mit der sechsteiligen Untersuchung beginnen zu können. Neben dem Fokus auf Religion in Ägypten werde ich – wie im unmittelbar anschließenden, zweiten Kapitel zur Veranschaulichung religiöser Dimensionen innerhalb der Nomoi der Perser II.2 – an einer weiteren Stelle zentrale Textpassagen über den persischen König Kambyses untersuchen. Die Untersuchung dieser Textpassagen dient dem Vergleich und insbesondere der konkreten Veranschaulichung der Frage, wie fremde Religion an entscheidenden Stellen in Herodots Erzählung thematisiert wird. 5. Struktur und Erkenntnisziele Die folgende Untersuchung besteht aus sechs weiteren Kapiteln und einer Schlussbetrachtung. Zuerst geht es im Anschluss an die Einleitung im zweiten Kapitel (Kap. II) um den Aufweis von Religion außerhalb ägyptischer Nomoi (II.1) sowie innerhalb der persischen Nomoi (II.2). Dieses Kapitel soll besonders die Anwendung der Theorieparameter auf Herodots Text veranschaulichen. In einem ersten Schritt (II.1) soll der mehrdimensionale Ansatz anhand einer Erzählung über den ägyptischen König Mykerinos (Hdt. 2.129–132) erprobt und erläutert werden. Die Anwendung zeigt, dass es auch außerhalb der Beschreibung ägyptischer Nomoi Textpassagen gibt, in denen Religion nicht nur thematisiert wird, sondern auch mehrere Dimensionen von Religion zum Vorschein kommen. In einem zweiten Schritt (II.2) werde ich verschiedene Dimensionen von Religion innerhalb der persischen Nomoi (Hdt. 1.131–140) analysieren und zeigen, dass bereits in diesen Nomoi ein mehrdimensionales Verständnis von Religion neben Göttern und Opfer sichtbar wird. Beide Untersuchungen veranschaulichen, dass mehrere Dimensionen von fremder Religion innerhalb und auch außer-
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I. Einleitung
halb der Nomoi-Passagen präsent sind und Herodot religiöse Gegenstände jenseits von Göttern und Opfern thematisiert. Die folgenden Kapitel (III–VII) bilden den systematischen Hauptteil der Untersuchung, in denen ein breites Spektrum von das Feld Religion betreffenden Aspekten thematisiert wird. Diese Kapitel sind so strukturiert, dass zuerst in einer prägnanten Einleitung heuristische Fragen, Gegenstände und Bereiche der entsprechenden religionswissenschaftlichen Disziplin(en) in Kürze beleuchtet werden, um die darauffolgenden textnahen Untersuchungen vorzubereiten. Kapitel III „Religion im Sozialen“ befasst sich vor allem mit sozialen und teils auch ökonomischen Aspekten von Religion. In Kapitel IV „Religion im Raum“ sollen in Anlehnung an Fragen der Religionsgeographie religiöse Phänomene und Gegenstände im Verhältnis zum Raum und zur natürlichen Umwelt betrachtet werden. In Kapitel V „Religion in der Zeit“ werden die vielfältigen Beziehungen von Religion und Zeit vor dem Hintergrund religionsgeschichtlicher Fragen thematisiert. In Kapitel VI „Religion und Sinne“ soll nach der Beziehung von Religion zu den Sinnen bzw. der Sinnlichkeit, sowohl des ästhetischen (äußeren) als auch des psychologischen (inneren) Sinns, gefragt werden. Hierbei kommen sowohl Fragen der Religionsästhetik als auch der Religionspsychologie zur Sprache. In Kapitel VII zu „Religion in Interaktion“ geht es nach einigen Beobachtungen zum religiösen Symbolsystem in Ägypten am Beispiel des Perserkönigs Kambyses um die Begegnung mit fremder Religion sowie dessen Interaktion mit (fremden) Religionen. Durch die Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion und durch die besondere Aufmerksamkeit für die literarische Gestaltung und Erzählweise Herodots soll die Darstellung von fremder Religion bei Herodot in neuer Weise erforscht werden. Die Erkenntnisse der Arbeit betreffen im Wesentlichen drei Bereiche. In methodischer und theoretischer Hinsicht leistet die Untersuchung durch die Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion einen Beitrag zum Verständnis von Religion in der Antike. Von methodischer und theoretischer Relevanz ist der Beitrag zur Klassischen Philologie und insbesondere zur Griechischen Literaturwissenschaft bei der Erschließung von Texten mit religiösen Themen oder Gegenständen. Durch die Kombination des mehrdimensionalen Ansatzes mit der philologischen, textnahen Untersuchung wird am konkreten Beispiel Herodots gezeigt, wie künftig auch andere Texte verschiedener Epochen und Genres untersucht und miteinander verglichen werden können. Nicht zuletzt verspricht die Untersuchung vor allem neue Perspektiven für die Herodot-Forschung zu erschließen und einen Beitrag auf dem Feld der Erforschung fremder Religion bei Herodot zu leisten.
II. Religion und Nomoi Die These, dass Herodot „Religion“ und religiöse Sachverhalte sowohl außerhalb als auch innerhalb der Nomoi-Passagen in den Historien behandelt, lässt sich exemplarisch an der Analyse folgender beider Textbeispiele verdeutlichen. In einem ersten Schritt (II.1) soll der in der Einleitung eingeführte mehrdimensionale Ansatz anhand einer Erzählung über den ägyptischen König Mykerinos (Hdt. 2.129–132) erprobt und erläutert werden. Angesichts der unbestritten zentralen Bedeutung der Nomoi-Passagen für fremde Religion in den Historien soll im Rahmen dieser Untersuchung gezeigt werden, dass es auch außerhalb der Beschreibung ägyptischer Nomoi Textpassagen gibt, in denen Herodot Religion nicht nur am Rande thematisiert, sondern sie sogar in ihrer ganzen Breite unter Berücksichtigung mehrerer Dimensionen in seiner Erzählung einbettet. Das Ziel des zweiten Teils dieses Kapitels (II.2) besteht darin, anhand der persischen Nomoi aus dem ersten Buch (Hdt. 1.131–140) zu veranschaulichen, dass Herodot auch innerhalb der typischen Nomoi-Passagen sowohl mehrere Dimensionen von Religion als auch religiöse Gegenstände und Phänomene jenseits von Göttern und Opfern thematisiert. Die Analyse in zwei Schritten soll zeigen, dass mehrere Dimensionen von Religion innerhalb und außerhalb typischer Nomoi-Passagen in den Historien präsent sind. Darüber hinaus wird gezeigt, dass ein eindimensional auf Götter und Opfer fokussierender Religionsbegriff für das Verständnis der herodoteischen Erzählung zu kurz greift. 1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter Anhand der Erzählung über die geheimnisvolle Kuh des ägyptischen Königs Mykerinos (Hdt. 2.129–132) werde ich zuerst exemplarisch zeigen, wie durch die heuristische Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion die Aufmerksamkeit auf mehrere Dimensionen von Religion in dieser Textpassage gelenkt wird. Dabei handelt es sich um eine Textpassage aus dem „historischen“ Teil des zweiten Buches, die in der Forschung aufgrund des bisherigen Vorverständnisses von fremder Religion sowohl bei einem Fokus auf die Nomoi-Passagen als auch auf Götter so nicht in den Blick kommen konnte. Aus der Untersuchung geht exemplarisch hervor, dass Herodot bei der Darstellung fremder Religion – in diesem Fall von Religion in Ägypten – nicht nur
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II. Religion und Nomoi
an der Verehrung von Göttern in Form von Opfern interessiert ist, sondern vielmehr mehrere Dimensionen in seiner Erzählung behandelt. Aufgrund der exemplarischen Behandlung soll zuerst die Textpassage mit einer Gliederung sowie den religiösen Feldern und Dimensionen vorgestellt werden (1.1). Das Ziel der sich daran anschließenden Analyse liegt darin, (1.2) die Dimensionen und Aspekte von Religion an einer Textpassage außerhalb ägyptischer Nomoi sichtbar zu machen und zu erläutern. Die Textanalyse wird zeigen, wie sehr die von Herodot in den Blick genommenen Dimensionen von Religion deutlich über einen eindimensionalen und „theo(i)zentrischen“ sowie auf das Opfer fokussierenden Religionsbegriff hinausgehen. In einem dritten Schritt (1.3) sollen einige signifikante Merkmale der herodoteischen Erzählweise und Textgestaltung hervorgehoben werden, die von großer Relevanz für seine Darstellung fremder Religion sind. 1.1 Text und Gliederung: Religiöse Felder und Dimensionen Herodots Erzählung von der geheimnisvollen Kuh des Königs Mykerinos steht im zweiten Teil (Hdt. 2.99–182) des zweiten Buches, das der „Geschichte“ und der Tradition der ägyptischen Könige gewidmet ist.1 Herodot konstatiert, dass er sich für die erste Hälfte des zweiten Buches auf seine eigene Anschauung, sein Urteil und seine Nachforschungen berufen könne (Hdt. 2.99.1 ὄψις τε ἐμὴ καὶ γνώμη καὶ ἱστορίη);2 von nun an werde er jedoch die ägyptischen Logoi – „Reden“, „Berichte“ oder „Erzählungen“ – mitteilen, die er gehört habe. Dazu kämen auch weiterhin Dinge, die er selbst gesehen habe (προσέσται δέ τι αὐτοῖσι καὶ τῆς ἐμῆς ὄψιος).3 Es folgt eine Geschichte der Abfolge ägyptischer Könige vom ersten König Min (Hdt. 2.99 ff.) bis zum griechenfreundlichen König Amasis aus der 26. Dynastie (570–526 v. Chr.).4 In diesem Zusammenhang findet sich die Textpassage über König Mykerinos (Hdt. 2.129–132),5 die ich zuerst der Markierung des religiösen Feldes im Original und in Übersetzung voranstelle. Die darauffolgende Gliederung zeigt die religiösen Dimensionen an, die anschließend erläutert werden.6
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Zur Komposition des zweiten Buches Kimmel-Clauzet (2013) 17–44. Hdt. 2.99.1 Μέχρι μὲν τούτου ὄψις τε ἐμὴ καὶ γνώμη καὶ ἱστορίη ταῦτα λέγουσά ἐστι, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦδε Αἰγυπτίους ἔρχομαι λόγους ἐρέων κατὰ τὰ ἤκουον∙ προσέσται δέ τι αὐτοῖσι καὶ τῆς ἐμῆς ὄψιος. Cf. dazu Schepens (1980) 71. Schepens (1980) 71 bemerkt, dass in dieser Formel „l’autopsie remplit, par rapport à cette source principale, un rôle complémentaire. Dans la formule citée, le verbe προσεῖναι indique qu’il existe une certaine relation entre l’ὄψις personelle et les αἰγυπτίους λόγους, la tradition historique, qui est reprise par la forme pronominale αὐτοῖσι.“ 527 v. Chr. nach den Ergebnissen von Quack (2011) 228–246. Cf. zur ägyptischen Königsgeschichte Kapitel V. Religion in der Zeit. Cf. zur Erzählung über Mykerinos Lloyd (1988) ad loc. und Konstantakos in Bowie (2018), 77–107.
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
(129.1) Μετὰ δὲ τοῦτον βασιλεῦσαι Αἰγύπτου Μυκερῖνον ἔλεγον Χέοπος παῖδα, τῷ τὰ μὲν τοῦ πατρὸς ἔργα ἀπαδεῖν, τὸν δὲ τά τε ἱρὰ ἀνοῖξαι καὶ τὸν λεὼ τετρυμένον ἐς τὸ ἔσχατον κακοῦ ἀνεῖναι πρὸς ἔργα τε καὶ θυσίας, δίκας δέ σφι πάντων βασιλέων δικαιοτάτας κρίνειν. (129.2) Κατὰ τοῦτο μέν νυν τὸ ἔργον ἁπάντων ὅσοι ἤδη βασιλέες ἐγένοντο Αἰγυπτίων αἰνέουσι μάλιστα τοῦτον· […] (129.3) Ἐόντι δὲ ἠπίῳ τῷ Μυκερίνῳ κατὰ τοὺς πολιήτας καὶ ταῦτα ἐπιτηδεύοντι πρῶτον κακῶν ἄρξαι τὴν θυγατέρα ἀποθανοῦσαν αὐτοῦ, τὴν μοῦνόν οἱ εἶναι ἐν τοῖσι οἰκίοισι τέκνον. Τὸν δὲ ὑπεραλγήσαντά τε τῷ περιεπεπτώκεε πρήγματι καὶ βουλόμενον περισσότερόν τι τῶν ἄλλων θάψαι τὴν θυγατέρα ποιήσασθαι βοῦν ξυλίνην κοίλην καὶ ἔπειτα καταχρυσώσαντά μιν [ταύτην] ἔσω ἐν αὐτῇ θάψαι ταύτην δὴ τὴν ἀποθανοῦσαν θυγατέρα. (130.1) Αὕτη ὦν ἡ βοῦς γῇ οὐκ ἐκρύφθη, ἀλλ’ ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ ἦν φανερή, ἐν Σάϊ μὲν πόλι ἐοῦσα, κειμένη δὲ ἐν τοῖσι βασιληίοισι ἐν οἰκήματι ἠσκημένῳ· θυμιήματα δὲ παρ’ αὐτῇ παντοῖα καταγίζουσι ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, νύκτα δὲ ἑκάστην πάννυχος λύχνος παρακαίεται. (130.2) Ἀγχοῦ δὲ τῆς βοὸς ταύτης ἐν ἄλλῳ οἰκήματι εἰκόνες τῶν παλλακέων τῶν Μυκερίνου ἑστᾶσι, ὡς ἔλεγον οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες· ἑστᾶσι μὲν γὰρ ξύλινοι κολοσσοί, ἐοῦσαι ἀριθμὸν ὡς εἴκοσι μάλιστά κῃ, γυμναὶ ἐργασμέναι· αἵτινες μέντοι εἰσί, οὐκ ἔχω εἰπεῖν πλὴν ἢ τὰ λεγόμενα. (131.1) Οἱ δέ τινες λέγουσι περὶ τῆς βοὸς ταύτης καὶ τῶν κολοσσῶν τόνδε τὸν λόγον, ὡς Μυκερῖνος ἠράσθη τῆς ἑωυτοῦ θυγατρὸς καὶ ἔπειτα ἐμίγη οἱ ἀεκούσῃ· (131.2) μετὰ δὲ λέγουσι ὡς ἡ παῖς ἀπήγξατο ὑπὸ ἄχεος, ὁ δέ μιν ἔθαψε ἐν τῇ βοῒ ταύτῃ, ἡ δὲ μήτηρ αὐτῆς τῶν ἀμφιπόλων τῶν προδουσέων τὴν θυγατέρα τῷ πατρὶ ἀπέταμε τὰς χεῖρας, καὶ νῦν τὰς εἰκόνας αὐτέων εἶναι πεπονθυίας τά περ αἱ ζωαὶ ἔπαθον. (131.3) Ταῦτα δὲ λέγουσι φλυηρέοντες, ὡς ἐγὼ δοκέω, τά τε ἄλλα καὶ δὴ καὶ τὰ περὶ τὰς χεῖρας τῶν κολοσσῶν· ταῦτα γὰρ ὦν καὶ ἡμεῖς ὡρῶμεν ὅτι ὑπὸ χρόνου τὰς χεῖρας ἀποβεβλήκασι, αἳ ἐν ποσὶ αὐτέων ἐφαίνοντο ἐοῦσαι ἔτι καὶ ἐς ἐμέ. (132.1) Ἡ δὲ βοῦς τὰ μὲν ἄλλα κατακέκρυπται φοινικέῳ εἵματι, τὸν αὐχένα δὲ καὶ τὴν κεφαλὴν φαίνει κεχρυσωμένα παχέϊ κάρτα χρυσῷ· μεταξὺ δὲ τῶν κερέων ὁ τοῦ ἡλίου κύκλος μεμιμημένος ἔπεστι χρύσεος. (132.2) Ἔστι δὲ ἡ βοῦς οὐκ ὀρθὴ ἀλλ’ ἐν γούνασι κειμένη, μέγαθος δὲ ὅση περ μεγάλη βοῦς ζωή. Ἐκφέρεται δὲ ἐκ τοῦ οἰκήματος ἀνὰ πάντα ἔτεα, ἐπεὰν τύπτωνται οἱ Αἰγύπτιοι τὸν οὐκ ὀνομαζόμενον θεὸν ὑπ’ ἐμεῦ ἐπὶ τοιούτῳ πρήγματι. (132.3) τότε ὦν καὶ τὴν βοῦν ἐκφέρουσι ἐς τὸ φῶς· φασὶ γὰρ δὴ αὐτὴν δεηθῆναι τοῦ πατρὸς Μυκερίνου ἀποθνῄσκουσαν ἐν τῷ ἐνιαυτῷ ἅπαξ μιν τὸν ἥλιον κατιδεῖν. (129.1) Nach diesem sei – sagten (die Priester) – Mykerinos, der Sohn des Cheops, König von Ägypten geworden. Diesem hätten die Taten seines Vaters missfallen; er habe die Tempel geöffnet und das bis zum Äußersten geschundene Volk zu den eigenen Arbeiten und zu den Opfern gehen lassen, und Rechtsstreitigkeiten habe er von allen Königen am gerechtesten entschieden. (129.2) Wegen dieser Leistung preisen die Ägypter von allen, die je über sie geherrscht haben, ihn am höchsten; […] (129.3) Während aber Mykerinos so mild gegen seine Untertanen gewesen sei und dies (für sie) getan habe, habe ihn als erstes Unglück der Tod seiner Tochter getroffen, die sein einziges Kind im Hause gewesen sei. Da er über dieses über ihn hereingebrochene Unglück tief bekümmert gewesen sei und seine Tochter aufwendiger als die anderen habe begraben wollen, habe er eine hohle
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II. Religion und Nomoi
Kuh aus Holz machen und dann vergolden und eben diese verstorbene Tochter in ihr bestatten lassen. (130.1) Doch wurde die Kuh nicht in der Erde begraben, sondern war noch bis zu meiner Zeit sichtbar, in Sais nämlich, wo sie sich im Königspalast in einem kunstvoll ausgestatteten Gemach befindet. Jeden Tag wird allerlei Räucherwerk vor ihr verbrannt, und jede Nacht brennt daneben die ganze Nacht hindurch eine Lampe. In einem anderen Raum in der Nähe dieser Kuh stehen Standbilder der Nebenfrauen des Mykerinos, wie die Priester in der Stadt Sais erzählten; es stehen dort nämlich große Figuren aus Holz, etwa zwanzig an der Zahl, als nackte Frauen gearbeitet; wer sie jedoch sind, dazu kann ich nichts sagen, außer was dazu erzählt wird. (131.1) Einige erzählen über diese Kuh und die großen Figuren folgende Geschichte: Mykerinos verliebte sich in seine eigene Tochter und hatte dann gegen ihren Willen mit ihr Geschlechtsverkehr. (131.2) Danach, erzählen sie, erhängte das Mädchen sich aus Kummer, und er bestattete sie in jener Kuh; ihre Mutter aber ließ den Dienerinnen, die die Tochter dem Vater ausgeliefert hatten, die Hände abschneiden, und jetzt hätten deren Standbilder dasselbe erlitten, was die Lebenden erleiden mussten. (131.3) Damit aber erzählen sie Unsinn, wie ich glaube, namentlich was die Hände der großen Figuren betrifft; denn ich selber habe gesehen, dass sie ihre Hände infolge der langen Zeit verloren haben; diese lagen noch bis zu meiner Zeit sichtbar zu ihren Füßen. (132.1) Die Kuh ist im Übrigen durch ein Purpurgewand verhüllt; nur den Hals und den Kopf lässt sie sehen, und zwar mit einer sehr dicken Lage Gold vergoldet; zwischen den Hörnern befindet sich aus Gold nachgebildet die Sonnenscheibe. (132.2) Die Kuh steht nicht, sondern ruht auf den Knien und hat die Größe einer großen lebendigen Kuh. Jedes Jahr einmal wird sie aus der Kammer herausgetragen, dann wenn die Ägypter sich um jenes Gottes willen Schläge zufügen, den ich aufgrund eines solchen Anlasses nicht nenne. (132.3) Dann also bringen sie auch die Kuh hinaus ins Freie; sie sagen nämlich, die sterbende Tochter habe ihren Vater Mykerinos gebeten, einmal im Jahr die Sonne sehen zu dürfen.
Religiöses Feld Das religiöse Feld wird von den folgenden Ausdrücken markiert: τὸν δὲ τά τε ἱρὰ ἀνοῖξαι καὶ τὸν λεὼ τετρυμένον ἐς τὸ ἔσχατον κακοῦ ἀνεῖναι πρὸς ἔργα τε καὶ θυσίας βουλόμενον περισσότερόν τι τῶν ἄλλων θάψαι τὴν θυγατέρα ποιήσασθαι βοῦν ξυλίνην κοίλην καὶ ἔπειτα καταχρυσώσαντά μιν [ταύτην] ἔσω ἐν αὐτῇ θάψαι ταύτην δὴ τὴν ἀποθανοῦσαν θυγατέρα (κειμένη δὲ ἐν τοῖσι βασιληίοισι ἐν οἰκήματι ἠσκημένῳ) θυμιήματα δὲ παρ’ αὐτῇ παντοῖα καταγίζουσι ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, νύκτα δὲ ἑκάστην πάννυχος λύχνος παρακαίεται.
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
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οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες· ὁ δέ μιν ἔθαψε ἐν τῇ βοῒ ταύτῃ Ἡ δὲ βοῦς τὰ μὲν ἄλλα κατακέκρυπται φοινικέῳ εἵματι, τὸν αὐχένα δὲ καὶ τὴν κεφαλὴν φαίνει κεχρυσωμένα παχέϊ κάρτα χρυσῷ· μεταξὺ δὲ τῶν κερέων ὁ τοῦ ἡλίου κύκλος μεμιμημένος ἔπεστι χρύσεος. Ἐκφέρεται δὲ ἐκ τοῦ οἰκήματος ἀνὰ πάντα ἔτεα, ἐπεὰν τύπτωνται οἱ Αἰγύπτιοι τὸν οὐκ ὀνομαζόμενον θεὸν τότε ὦν καὶ τὴν βοῦν ἐκφέρουσι ἐς τὸ φῶς· […] ἀποθνῄσκουσαν ἐν τῷ ἐνιαυτῷ ἅπαξ μιν τὸν ἥλιον κατιδεῖν.
Gliederung mit Angabe der religiösen Dimensionen7 2.129.1–3:
Herrschaftsqualitäten des Königs Mykerinos
– Mykerinos als König im Vergleich zu seinem Vater – Öffnung der Heiligtümer und Befreiung des Volkes – Auszeichnung als besonders gerechter Richter
Zeit Raum, sozial Sozial, politisch-institutionell
2.129.3–130.1: Das erste Unglück: Der Tod der Tochter und ihre prunkvolle Beisetzung in einer hölzernen Kuh – der Tod der Tochter und ihre prunkvolle Beisetzung – der große Schmerz des Vaters
2.130.1–2:
Die Kuh in Sais
– Standort in einem dekorierten Raum im königlichen Palast – Weihrauch am Tag, Lichterkult bei Nacht
2.130.2–131.1:
Raum Sinnlich: symbolisch-rituell
In der Nähe der Kuh: Die hölzernen Frauenbildnisse I
– 20 hölzerne Kolosse von Nebenfrauen des Königs (nach der Auskunft der Priester von Sais)
7
Sozial, sinnlich, rituell, Raum Sinnlich: psychologisch
Sinnlich-symbolisch Sozial, politisch-institutionell
Cf. die in der Einleitung genannten Dimensionen von Religion: Soziales, Raum, Zeit, Sinnliches und Vergleich.
48
II. Religion und Nomoi
Alternative Erzählung und Deutung der Frauenbildnisse II „Sex-and-crime“-Variante
2.131.1–3:
– Inzest – Suizid der Tochter – Maßnahmen der Mutter gegenüber den Hausdienerinnen
Sozial
Stellungnahme Herodots
2.131.3–132.1:
– Wertung als Unsinn; eigene Erklärung der abgefallenen Hände aufgrund der Zeit
Beschreibung der hölzernen Kuh
2.132.1–132.2:
– Aussehen, Größe und Lage der Kuh
Sinnlich-symbolisch, Raum
2.132.2–132.3: Jährliches Ritual und eine Deutung – Ausstellung der Kuh am Fest mit Trauergesten
– Verschweigen des Gottesnamens – Kultaitiologie
Sozial-rituell, Raum, Zeit, Sinnlich, symbolisch, psychologisch Sinnlich; kognitiv-intellektuell Zeit; kognitiv-intellektuell
1.2 Analyse und Erläuterung der religiösen Dimensionen Im Folgenden werde ich die in der Einleitung vorgestellten vier religiösen Dimensionen (Soziales, Raum, Zeit und Sinne), die auch als Perspektiven auf das religiöse Feld verstanden werden können, aufzeigen und erläutern. Bei den Erläuterungen entlang des Textverlaufs werde ich zudem auf einige griechische Ausdrücke hinweisen, welche das religiöse Feld markieren. 1. Abschnitt: Hdt. 2.129.1–130.1 2.129.1–3:
Herrschaftsqualitäten des Königs Mykerinos
– Mykerinos als König im Vergleich zu seinem Vater – Öffnung der Heiligtümer und Befreiung des Volkes – Auszeichnung als besonders gerechter Richter
Zeit Raum, sozial Sozial, politisch-institutionell
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
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2.129.3–130.1: Das erste Unglück: Der Tod der Tochter und ihre prunkvolle Beisetzung in einer hölzernen Kuh – der Tod der Tochter und ihre prunkvolle Beisetzung – der große Schmerz des Vaters
Sozial, sinnlich, rituell, Raum Sinnlich: psychologisch
An erster Stelle stehen auffällige Phänomene religiösen Wandels, die zu Beginn der Textpassage resümierend beschrieben werden (Hdt. 2.129.1–2).8 König Mykerinos unterscheidet sich zuerst von seinen Vorgängern durch religionspolitische und soziale Maßnahmen: dadurch, dass er nach der Schließung der Heiligtümer (τὰ ἱρὰ) durch Cheops und Chephren, die im vorausgehenden Abschnitt beschrieben wurde, diese wieder öffnet und das ägyptische Volk zu seinen Opfern (θυσίας) gehen lässt. Gegenüber den die Religion schädigenden Maßnahmen („Taten“) seines Vaters (τὰ μὲν τοῦ πατρὸς ἔργα) bzw. seiner beiden Vorgänger wird mit Mykerinos eine Wiederbelebung des religiösen Lebens in sozialer Hinsicht betont. Zweitens zeichnet sich Mykerinos durch seine besonders gerechte Rechtsprechung vor allen anderen ägyptischen Königen aus.9 Wir bemerken also nicht nur eine zeitliche und soziale (politisch-institutionelle) Dimension, sondern durch die Maßnahmen, die wesentlich den sakralen Raum betreffen, auch eine räumliche. Auf diese pointierte Charakterisierung des Königs folgt nun die Schilderung eines ersten Übels (πρῶτον κακῶν): der Tod seiner einzigen Tochter (τὴν θυγατέρα ἀποθανοῦσαν αὐτοῦ). Der Tod stellt bereits an und für sich einen typischen Übergang im menschlichen Leben dar und wird – wie beispielsweise Geburt oder Heirat – von sogenannten „Übergangsritualen“ (rites de passage) begleitet, die eine typische Struktur besitzen.10 Die „religiöse“ Antwort des Vaters und ihre symbolisch-rituelle Dimension sind in diesem speziellen Fall für ein griechisches Verständnis nicht gewöhnlich, sondern durchaus bemerkenswert. Die starke emotionale Reaktion des Vaters (τὸν δὲ ὑπεραλγήσαντά) auf den Tod seiner Tochter kann als eine Dimension der Erfahrung religionspsychologisch verstanden werden. Die darauf angeordnete außergewöhn8 9
10
Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit, in dem die Rolle und Funktion des Königs in Ägypten vor dem Hintergrund des Konzepts der „Ma`at“ betrachtet wird. Dies zeigen die moralischen und rechtlichen Ausdrücke sowohl in diesem (Hdt. 2.129.1–2) als auch im vorausgehenden Abschnitt (Hdt. 2.127.3–128.1) über die Regierungszeit von Cheops und Chephren. Hdt. 2.127.3–128.1: Βασιλεῦσαι δὲ ἔλεγον Χεφρῆνα ἓξ καὶ πεντήκοντα ἔτεα. Ταῦτα ἕξ τε καὶ ἑκατὸν λογίζονται ἔτεα, ἐν τοῖσι Αἰγυπτίοισί τε πᾶσαν εἶναι κακότητα καὶ τὰ ἱρὰ χρόνου τοσούτου κατακληισθέντα οὐκ ἀνοιχθῆναι. („Chephren habe, sagten sie, sechsundfünfzig Jahre regiert. Man rechnet damit hundertsechs Jahre, in denen die Ägypter jegliches Übel zu leiden gehabt hätten und die Tempel geschlossen gewesen und nicht geöffnet worden seien.“) Cf. Stolz (1988) 90. Assmann (2001) geht in seiner Studie „Tod und Jenseits im Alten Ägypten“ von der These aus, dass der Tod „Ursprung und Mitte der Kultur“ sei, und behauptet einen starken Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Kulturfähigkeit und der spezifisch menschlichen Beziehung zum Tod.
50
II. Religion und Nomoi
lich prunkvolle Beisetzung der Tochter (περισσότερόν τι τῶν ἄλλων θάψαι) illustriert mit den Begräbnisriten und dem Totenkult sozial-rituelle, symbolisch-sinnliche und räumliche Dimensionen.11 2. Abschnitt: Hdt. 2.130.1–131.1 2.130.1–2:
Die Kuh in Sais
– Standort in einem dekorierten Raum im königlichen Palast – Weihrauch am Tag, Lichterkult bei Nacht
2.130.2–131.1:
Raum Sinnlich: symbolisch-rituell
In der Nähe der Kuh: Die hölzernen Frauenbildnisse I
– 20 hölzerne Kolosse von Nebenfrauen des Königs (nach der Auskunft der Priester von Sais)
Sinnlich-symbolisch Sozial, politisch-institutionell
Die stark sinnlich-symbolische und ästhetische Dimension lässt sich sowohl anhand der Grabbeigaben (die kolossalen Holzbildnisse der 20 Frauen) als auch anhand der Beschreibung der Holzkuh12 (sowohl in Hdt. 2.130.1–2 und ausführlicher zum Schluss in der Ekphrasis in Hdt. 2.131.3–132.2.) erkennen. Mit der konkreten Verortung im königlichen Palast in Sais kommen im folgenden Abschnitt (Hdt. 2.130.1–131.1) wiederum räumliche, sozial-rituelle und symbolischsinnliche Dimensionen zur Sprache, insbesondere bei den kultischen Handlungen bezüglich der Kuh (Hdt. 2.130.1–2),13 ihrer beständigen Verehrung durch Weihrauch
11
12
13
Redfield (1984) 109 weist auf den markanten Gegensatz zwischen „weichen“ (soft) und „harten“ (hard) Völkern in den Historien hin und hebt die Komplexität der Nomoi bei den „weichen“ Völkern, insbesondere im Hinblick auf die Sphäre der Religion, hervor. Zu den Begräbnisriten bemerkt Redfield, ebd. 109: „Soft peoples tend to acculturate their dead, hard peoples to naturalize them […].“ Cf. Lloyd (1988) ad loc., der u. a. bemerkt, dass „the cow clearly represented Isis who was identified in the L(ate) P(eriod) with many cow-goddesses such as Hathor and Shentayet […], whereas the mummy was an embodiment of the dead Osiris. Cow goddesses frequently figure in Eg. Religion as mortuary deities, protecting the dead, nourishing them and restoring them to life; […] The presence of such an object at Sais is not at all surprising since the cult of Osiris was firmly rooted there and played a major part in the religious life of the city (n. II,170).“ Herodot bemerkt über die außergewöhnliche Bedeutung der Kuh für die ägyptische Religion bereits im ersten Teil des ägyptischen Logos (Hdt. 2.41.1), dass zwar alle Ägypter die reinen Stiere und die Kälber opferten (θύουσι), hingegen die Kühe zu opfern ihnen nicht erlaubt sei (τὰς δὲ θηλέας οὔ σφι ἔξεστι θύειν,); sie seien der Isis heilig (ἀλλ’ ἱραί εἰσι τῆς Ἴσιος). Denn das Weihebild der Isis stelle eine Frau mit Rindshörnern dar, ähnlich wie die Hellenen die Io darstellen, und alle Ägypter würden die Kühe von allem Vieh am höchsten verehren. Cf. Hdt. 2.41.1–2 Τοὺς μέν νυν καθαροὺς βοῦς τοὺς ἔρσενας καὶ τοὺς μόσχους οἱ πάντες Αἰγύπτιοι θύουσι, τὰς δὲ θηλέας οὔ σφι ἔξεστι θύειν, ἀλλ’ ἱραί εἰσι τῆς Ἴσιος. Τὸ γὰρ τῆς Ἴσιος ἄγαλμα ἐὸν γυναικήιον βούκερών ἐστι, κατά περ
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
51
und in Form eines Lichtrituals.14 Dass sich Herodot an einer Stelle auf „die Priester in der Stadt Sais“ beruft (ὡς ἔλεγον οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες) und damit in seiner Erzählung religiöse Experten zu Wort kommen lässt, macht auf die soziale und institutionelle Dimension der Textstelle aufmerksam.15 3. Abschnitt: Hdt. 2.131.1–132.1 2.131.1–3:
Alternative Erzählung und Deutung der Frauenbildnisse II „Sex-and-crime“-Variante
– Inzest – Suizid der Tochter – Maßnahmen der Mutter gegenüber den Hausdienerinnen
2.131.3–132.1:
Sozial
Stellungnahme Herodots
– Wertung als Unsinn; eigene Erklärung der abgefallenen Hände aufgrund der Zeit
Der dritte Abschnitt (Hdt. 2.131.1–132.1), der die „Sex-and-crime“-Variante enthält, betont wiederum vor allem die soziale und nun auch existenzielle Dimension dieser Erzählung. Herodot grenzt sich als Erzähler deutlich von denen ab, die diese alternative Version von Inzest, Suizid der Tochter und den grausamen Maßnahmen der Mutter gegenüber den Dienerinnen erzählen. Herodot artikuliert darauf deutlich seine Kritik an dieser Version und führt seine auf Autopsie gegründete Erklärung für die fehlenden Hände an. 4. Abschnitt: Hdt. 2.132.1–132.3 2.132.1–132.2:
Beschreibung der hölzernen Kuh
– Aussehen, Größe und Lage der Kuh
Sinnlich-symbolisch, Raum
2.132.2–132.3: Jährliches Ritual und eine Deutung – Ausstellung der Kuh am Fest mit Trauergesten
14 15
Sozial-rituell, Raum, Zeit, Sinnlich, symbolisch, psychologisch
Ἕλληνες τὴν Ἰοῦν γράφουσι, καὶ τὰς βοῦς τὰς θηλέας Αἰγύπτιοι πάντες ὁμοίως σέβονται προβάτων πάντων μάλιστα μακρῷ. Hdt. 2.130.1 θυμιήματα δὲ παρ’ αὐτῇ παντοῖα καταγίζουσι ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, νύκτα δὲ ἑκάστην πάννυχος λύχνος παρακαίεται. Cf. dazu Hdt. 2.3.
52
II. Religion und Nomoi
– Verschweigen des Gottesnamens – Kultaitiologie
Sinnlich; kognitiv-intellektuell Zeit; kognitiv-intellektuell
Im vierten Abschnitt (Hdt. 2.132.1–132.3) steht wiederum die Kuh, ihre äußere Erscheinung, Größe und Lokalisierung mit symbolisch-sinnlichen und räumlichen Dimensionen im Mittelpunkt. Die Anspielung auf das jährliche Ritual (Osirisfest), in dem die Kuh im Rahmen eines Festes mit Trauergesten (τύπτωνται) ausgestellt wird, unterstreicht neben der sozial-rituellen die räumliche und zeitliche Dimension. Bei dem erwähnten Fest für den Gott, der von Herodot nicht genannt wird, ist nun auch eine sinnliche und intellektuelle Dimension in der Form „religiösen Wissens“ festzustellen, das jedoch an dieser Stelle nicht kommuniziert werden soll. Eine weitere intellektuelle, besonders kosmisch-mythische Dimension folgt zuletzt in der pointierten Kultaitiologie, die Herodot so einführt: „Sie sagen nämlich,“ (φασὶ γὰρ δὴ Hdt. 2.132.3) „die sterbende Tochter habe ihren Vater Mykerinos gebeten, einmal im Jahr die Sonne sehen zu dürfen“ (αὐτὴν δεηθῆναι τοῦ πατρὸς Μυκερίνου ἀποθνῄσκουσαν ἐν τῷ ἐνιαυτῷ ἅπαξ μιν τὸν ἥλιον κατιδεῖν). Dadurch wird abschließend einer kosmisch-mythischen Dimension des Kultgeschehens Raum gegeben.16 Bei der Betrachtung der vier aufgezeigten Dimensionen (Sozial, Raum, Zeit, Sinne) und dem in der Einleitung vorgestellten mehrdimensionalen Ansatz von Hock wird deutlich, dass in diesem Fall sogar alle von Hock genannten Dimensionen17 – (a) Dimensionen der Ethik und des sozialen Handelns, (b) rituelle Dimensionen, (c) kognitive und intellektuelle Dimensionen, (d) sozio-politische und institutionelle Dimensionen, (e) symbolisch-sinnliche Dimensionen sowie (f) Dimensionen der Erfahrung – in Herodots Erzählung zur Sprache kommen. In quantitativer Hinsicht ist festzuhalten, dass zum einen die sozialen, rituellen und politisch-institutionellen, zum anderen die symbolisch-sinnlichen Dimensionen von Religion an dieser ausgewählten Stelle insgesamt überwiegen. Das bewusste Verschweigen des Gottes18 und die abschließende Kultaitiologie lassen kognitiv-intellektuelle Dimensionen erkennen. Diese erste Analyse zeigt weiter, dass unter den von mir verwendeten Kategorien des „Sozialen“ und „Sinnlichen“ mehrere Dimensionen von Hock (a, b, d und b, e, f) zusammengefasst werden, während ich zudem die Perspektiven von Raum und Zeit bei der Textanalyse verwende, um Herodots Perspektivierung von Religion in diesen Bereichen weiter differenzieren zu können. Im Anschluss an die
16
17 18
Cf. sowohl zur Ikonographie der Kuh als einer Darstellung der Göttin Isis oder eine der mit ihr verwandten Göttinnen Methyer, Hathor oder Shentayet sowie über das in seinen Ritualen komplexe Khoiak-Fest um den Gott Osiris Lloyd (1988) 78–81, und der Art. „Choiakfeste“, Lexikon der Ägyptologie, 958–60. Cf. Hock (2002) 20 und die Einleitung. Cf. dazu Bichler (2013a).
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
53
Analyse religiöser Dimensionen ist es nun weiter nötig, die Eigenarten der sprachlichliterarischen Gestaltung der Textpassage mit in Betracht zu ziehen. 1.3 Philologisch-literaturwissenschaftliche Analyse Aus der philologischen und literaturwissenschaftlichen Analyse möchte ich an dieser Stelle nur die folgenden drei Aspekte hervorheben, die auch im Folgenden immer wieder bei der Analyse von Herodots Erzählweise und seiner Erzählung über fremde Religion zu berücksichtigen sind. Besonders auffallend ist (a) der Wechsel von indirekter und direkter Rede, der zwar nicht in jeder Übersetzung zum Ausdruck kommt, jedoch für das Verständnis der Darstellung von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Denn damit einher geht ein Wechsel in der Erzählperspektive: der erste Abschnitt der Textpassage steht in Abhängigkeit von dem eingangs genannten ἔλεγον in der 3. Pers. Plural („sie sagten“ in Hdt. 2.129.1) in der indirekten Rede. Die Stimme des Erzählers tritt darauf mehrmals auffallend in den Vordergrund,19 sei es in Form von AutopsieBezeugungen oder mit einem kritischen Kommentar.20 Ich nenne nur die zwei Ausdrücke: ἀλλ’ ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ (ἦν φανερή, Hdt. 2.130.1) „doch auch noch bis zu mir bzw. bis zu meiner Zeit“ und ἔτι καὶ ἐς ἐμέ (Hdt. 2.131.3–132.1). Carolyn Dewald bemerkt zu dieser Besonderheit der herodoteischen Erzählweise sowie ihrer Wirkung auf den Leser: Hundreds of times he (sc. Herodotus) interrupts to supplement his own text with firstperson authorial opinions. […]. For each authorial interruption again reminds us that
19 20
Cf. allgemein Marincola (1987) 121–137. Cf. die Artikulation in dem Ausdruck ἀλλ’ ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ (ἦν φανερή, Hdt. 2.130.1) „doch auch noch bis zu mir bzw. bis zu meiner Zeit“ und ἔτι καὶ ἐς ἐμέ (Hdt. 2.131.3–132.1); deutlich greifbar in den Äußerungen: „wer sie jedoch sind, dazu kann ich nichts sagen, außer was dazu erzählt wird“ (αἵτινες μέντοι εἰσί, οὐκ ἔχω εἰπεῖν πλὴν ἢ τὰ λεγόμενα, Hdt. 2.131.1), „damit aber erzählen sie Unsinn, wie ich glaube“ (ταῦτα δὲ λέγουσι φλυηρέοντες, ὡς ἐγὼ δοκέω) und bei der wichtigen Autopsie bezüglich der abgefallenen Hände am Boden der Holzstatuen: „Denn ich selber habe gesehen …“ (ταῦτα γὰρ ὦν καὶ ἡμεῖς ὡρῶμεν); sowie zuletzt, wenn der Gott, zu dessen Ehren das Fest begangen wird, nicht genannt wird: „dann wenn die Ägypter sich um jenes Gottes willen Schläge zufügen, den ich aufgrund eines solchen Anlasses nicht nenne“ (ἐπεὰν τύπτωνται οἱ Αἰγύπτιοι τὸν οὐκ ὀνομαζόμενον θεὸν ὑπ’ ἐμεῦ ἐπὶ τοιούτῳ πρήγματι). Allgemein zur Rolle der Autopsie „dans le domaine historique“, Schepens (1980) 70–83, zu Mykerinos, 79, und die Zusammenfassung, 81–83. Zur Funktion der Autopsiebehauptungen mit dem Verweis auf frühere Literatur, Bichler (2013a) 135–151. Bichler unterscheidet vor allem zwei Bereiche, in denen Autopsie auffällig zum Einsatz kommt: „als Argument in Sachen Chronologie“, 137–143, und „als Argument in der Auseinandersetzung mit problematischen Vorstellungen über das Wesen der Götter“, 143–149; unter diesem letzten Gesichtspunkt betrachtet Bichler die Textpassage zur Tochter des Mykerinos, 145–146, und stellt fest, 145–146: „Eine Stufe weiter in der Auseinandersetzung mit peinlich wirkenden Vorstellungen vom Wesen der Götter führt die Kombination eines gegen die Norm verstoßenden Verhaltens mit der kultischen Verehrung theriomorpher Wesen. Mit seinem Bericht über König Mykerinos und die an ihn erinnernden Monumente führt Herodot dies recht deutlich vor Augen.“
54
II. Religion und Nomoi
Herodotus’ narrative is not an unmediated transcription of res gestae but a set of authorial choices.21
Dieses wichtige (b) Phänomen der Auswahl wird deutlich, wenn sich Herodot z. B. ausdrücklich von der alternativen „Sex-and-crime“-Erzählung „mancher oder einiger“ (Οἱ δέ τινες λέγουσι) über das angeblich inzestuöse Verhältnis des Mykerinos zu seiner Tochter sowie über die grausame Reaktion der Mutter durch die Äußerung distanziert: „Damit aber erzählen sie Unsinn, wie ich glaube“ (Ταῦτα δὲ λέγουσι φλυηρέοντες, ὡς ἐγὼ δοκέω). Vor diesem Hintergrund wird nun auch deutlich, dass mittels des Ausdrucks „wie die Priester in der Stadt Sais erzählten“ (ὡς ἔλεγον οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες) nicht nur ein bestimmter Sachverhalt bezeugt, sondern zugleich (c) eine Binnenperspektive auf die Bedeutung der zwanzig Holzstatuen eröffnet wird. In diesem Fall ist die Artikulation einer Binnenperspektive religiöser Experten umso bemerkenswerter, da sie erzähltechnisch zum einen eine andere Perspektive auf das beschriebene Phänomen ermöglicht, zum anderen es Herodot zugleich gestattet, sich davon zu distanzieren.22 Diese erzähltechnischen Aspekte haben für den Befund der Analyse der religiösen Dimensionen die folgende unmittelbare Bedeutung: Zuerst ist festzustellen, dass die Erzählung über die fremden religiösen Aspekte und Gegenstände von Beginn an aufgrund der indirekten Rede immer wieder von vermittelten Äußerungen ägyptischer Binnenperspektiven geprägt sind. Der erste Wechsel in der Erzählperspektive zeigt an, dass das zentrale Element und der wundersame religiöse Gegenstand der vorausgehenden Erzählung – die hölzerne und vergoldete Kuh, in der Mykerinos seine Tochter beigesetzt haben soll – auch noch bis zur Zeit Herodots vorhanden gewesen sein dürfte. Der konstatierte Sachverhalt, dass die Kuh nicht unter der Erde verschwindet, sondern bis zur Zeit Herodots sichtbar gewesen sein soll, erklärt zunächst dieses erste Auftreten des Erzählers, der nun den religiösen Gegenstand weiter lokalisiert und in seinem rituellen Kontext situiert. Durch die Beschreibung der Szenerie und der rituellen Handlungen um die Kuh mit zwei Verben im Präsens (θυμιήματα δὲ παρ’ αὐτῇ παντοῖα καταγίζουσι ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, νύκτα δὲ ἑκάστην πάννυχος λύχνος παρακαίεται) kann Herodot sowohl den durativen als auch den iterativen Charakter der Handlungen zum Ausdruck bringen. Der Wechsel in der Erzählperspektive bringt also in diesem Fall eine konkrete Fokussierung auf die rituellen Handlungen um die Kuh mit sich. 21 22
Dewald (1987) 150. Aus religionsethnographischer Perspektive ist noch hervorzuheben, dass Herodot explizit im Fall der „Priester in der Stadt Sais“ (ὡς ἔλεγον οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες), implizit in der Erzählung in der 3. Person Plural („sie sagten“/ἔλεγον) sowie dem erklärenden „sie sagen nämlich“ (φασὶ γὰρ) Selbstinterpretationen der Angehörigen oder gar Experten der fremden Religion anführen kann. Ob dies bei der „Sex-and-crime“-Erzählung, die von „einigen“ (οἱ δέ τινες λέγουσι) erzählt wird, ebenso der Fall ist, sei dahingestellt. Besonders auffallend ist jedoch die kompositorische Gestaltung des Textes.
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
55
Der nächste Wechsel in der Erzählperspektive, der „die Priester in der Stadt Sais“ (ὡς ἔλεγον οἱ ἐν Σάϊ πόλι ἱρέες) einführt, hat eine andere Funktion: Mit den „religiösen Experten“ wird eine Binnenperspektive auf die hölzernen Kolossalstatuen und deren angebliche Bedeutung gegeben. Unmittelbar im Anschluss erfolgt ein weiterer Wechsel in der Erzählperspektive. In diesem Zusammenhang klingt ein wichtiges Prinzip von Herodots Erzählung an. Herodot bemerkt im Hinblick auf die zwanzig Holzstatuen kurz und nüchtern: „Wer sie jedoch sind, dazu kann ich nichts sagen, außer was dazu erzählt wird“ (αἵτινες μέντοι εἰσί, οὐκ ἔχω εἰπεῖν πλὴν ἢ τὰ λεγόμενα Hdt. 2.130.2).23 Dass Herodot das, was ihm gesagt und erzählt wurde, explizit berücksichtigt und betont, ist bei seiner Erzählung über fremde Religionen zu bedenken.24 Im Laufe der Untersuchung wird sich immer wieder die Frage stellen, welche Themen und Aspekte gerade durch diese Mitteilungen und Binnenperspektiven im Zusammenhang mit Herodots Erzählung von fremder Religion in den Blick kommen. Berücksichtigt man die nächste Binnenperspektive der nicht weiter bestimmten Gruppe (Οἱ δέ τινες λέγουσι), der die „Sex-and-crime“-Erzählung mit dem Inzest des Vaters zugeschrieben wird, so kann bereits an dieser Stelle beobachtet werden, dass Religion und religiöse Sachverhalte mit Sexualität, Gewalt, Macht und Obszönität in Verbindung gebracht werden – an dieser Stelle nicht von Herodot selbst, sondern durch den Fokus der eingeblendeten Binnenperspektiven. Obgleich Herodot in diesem Fall die referierte Erzählung als „Unsinn“ abtut (Ταῦτα δὲ λέγουσι φλυηρέοντες, ὡς ἐγὼ δοκέω) und eine andere Erklärung anführt, so bleibt doch die assoziierte Verbindung der religiösen Welt zur Sexualität, Gewalt und Obszönität bestehen. Gegen Ende der Erzählung, im Anschluss an die Beschreibung der Kuh und des jährlichen Festrituals der Ägypter mit Trauergesten, gibt Herodot klar zu erkennen, dass er den Gott „aufgrund eines solchen Anlasses“ (ἐπὶ τοιούτῳ πρήγματι) nicht nennen werde.25 Der letzte Wechsel in der Erzählperspektive ist wiederum vielsagend: „Dann also bringen sie auch die Kuh hinaus ins Freie; sie sagen nämlich (φασὶ γὰρ), die sterbende Tochter habe ihren Vater Mykerinos gebeten, einmal im Jahr die Sonne sehen zu dürfen.“ Auch hier ist klar zu erkennen, wie sorgfältig Herodot die Äußerung einer allgemeinen, aber nicht weiter bestimmten Binnenperspektive (φασὶ γὰρ) zuschreibt und sich selbst nicht weiter mit der Bedeutung der aitiologischen Anspielung sowie der kosmischen Dimension befasst.
23 24
25
Cf. Hdt. 2.123 und Hdt. 2.99. Dieses Erzählprinzip formuliert er noch eindrücklicher kurz zuvor, indem er für seine Leser klar zu bedenken gibt (Hdt. 2.123.1): Τοῖσι μέν νυν ὑπ ’Αἰγυπτίων λεγομένοισι χράσθω ὅτεῳ τὰ τοιαῦτα πιθανά ἐστι· ἐμοὶ δὲ παρὰ πάντα τὸν λόγον ὑπόκειται ὅτι τὰ λεγόμενα ὑπ’ ἑκάστων ἀκοῇ γράφω. („Das, was die Ägypter erzählen, möge der annehmen, dem solche Dinge glaubhaft sind; mir liegt für meine gesamte Darstellung das Prinzip zugrunde, das niederzuschreiben, was von den jeweiligen Gewährsleuten mündlich mitgeteilt wird.“) Cf. dazu Bichler (2013b).
56
II. Religion und Nomoi
Wie diese Beobachtungen zeigen, haben Herodots Erzählweise und die teils auffälligen, teils dezenten Wechsel in der Erzählperspektive sicherlich eine nicht zu unterschätzende Funktion und Bedeutung für die Frage nach seiner Darstellung fremder Religion. Diese erzähltechnischen Aspekte müssen im jeweiligen Kontext bei der Analyse des religiösen Feldes mitberücksichtigt werden.26 1.4 Zusammenfassung: Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter Angesichts der Vielfalt der präsenten religiösen Dimensionen (Raum, Zeit, Sinne, Soziales) möchte ich zu bedenken geben, dass die Textpassage wohl dem ersten Eindruck nach zum einen nicht selbstverständlich mit dem Raster eines für Herodot postulierten eindimensionalen „theo(i)zentrischen“ Religionsbegriffs erfasst worden wäre; zum anderen, dass sie wohl ebenso wenig in einer Untersuchung des zweiten Buches zu finden wäre, die sich vornehmlich am Begriff des Nomos orientieren würde, um religiöse Sachverhalte zu registrieren. In diesen beiden Fällen kämen vielmehr v. a. Textpassagen aus der ersten Hälfte des zweiten Buches in Frage.27 Dieser Aspekt, der im Kern die Methode der Untersuchung und das heuristische Konzept von Religion betrifft, unterstreicht nachdrücklich, welche Folgen bestimmte Vorentscheidungen auf den möglichen Gegenstand einer Untersuchung haben können. Die Textanalyse macht deutlich, welcher Gewinn durch eine Untersuchung mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion bei Herodot auch jenseits einer typischen Nomoi-Passage zu erwarten ist. Es ist zu betonen, dass eine Vielfalt religiöser Phänomene und mehrere Dimensionen von Religion in Herodots Erzählung in den Blick kommen. Dabei kann beobachtet werden, dass Herodot insgesamt den sozialen und rituellen sowie sinnlichsymbolischen Dimensionen von Religion in rein quantitativer Hinsicht mehr Raum
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Hartog (1980) 328 hebt in seiner wichtigen Beobachtung zur Erzählweise Herodots vor allem die folgenden vier „marques d’énonciation“ oder „ces quatres opérations: j’ai vu, j’ai entendu, mais aussi je dis, j’écris“ hervor. Es ist meines Erachtens für die aufmerksame Lektüre und Interpretation Herodots insgesamt von entscheidender Bedeutung – insbesondere im Fall des zweiten Buches – auch Äußerungen wie „sie sagen“, „die Ägypter sagen“ oder „die ägyptischen Priester sagen“ die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Cf. zu diesen und ähnlichen Ausdrücken im zweiten Buch mit einem Fokus auf die Präsenz des Erzählers Marincola (1987) und Dewald (1987). Die Inhaltsangabe des ägyptischen Logos z. B. nach dem Kommentar von Asheri/Lloyd (2007) 240–241 lässt leicht erkennen, wie Herodots Text durch bestimmte Rubriken und Kategorisierungen zum Zweck einer besseren Orientierung verstanden wird: Auf die „geography and geology of Egypt“ §§ 5–34 folgen in den §§ 35–98 „Egyptian manners and customs“, darunter nochmals speziell §§ 37–76 „Religion including …“, während die §§ 99–182 als „The history of Egypt from Min to Amasis“ überschrieben sind. Die §§ 129–133 stehen unter der Überschrift „The reign of Mycerinus“.
1. Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter
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in seiner Erzählung gibt als den wenigen Äußerungen, die intellektuelle und kognitive Dimensionen artikulieren.28 Die Betrachtung der sozialen Dimensionen und die literaturwissenschaftliche Analyse machen weiter deutlich, dass Herodot in seinen Nachforschungen auch Selbstinterpretationen und Binnenperspektiven u. a. von religiösen Experten zu Wort kommen lässt. Dabei handelt es sich um einen Modus der Darstellung, der vielleicht in gewissen Zügen der postmodernen polyphonen Ethnographie vergleichbar ist, in der nach dem Ethnologen Karl-Heinz Kohl „an die Stelle des gesamtheitlichen und geschlossenen Bildes der untersuchten Kultur“ […] „ein Konglomerat von fragmentarischen Sichtweisen und Meinungen“ tritt.29 Die Analyse der spezifischen Erzählweise Herodots zeigt, dass nicht nur klare Differenzierungen, sondern auch Distanzierungen (Dewald spricht von „detachment“)30 und Perspektivierungen auf die Phänomenvielfalt fremder Religion und deren Deutung möglich sind. Eine wichtige Funktion kommt zum einen dem Verschwinden und bewussten Einblenden des „Ich“ in Form expliziter Autopsie und durch kritische Kommentierung zu, zum anderen der Artikulation von anderen Stimmen, wie z. B. denen der religiösen Experten. Die vielfältigen Wechsel in der Erzählperspektive haben mehrere Funktionen: Einige Wechsel sind wohl mit Herodots Behauptung von Autopsie zu erklären. Die meisten Wechsel in der Erzählperspektive generieren jedoch einen klaren Mehrwert an Bedeutung: Durch die bewusste Einblendung von Binnenperspektiven werden z. B. die religiösen Sachverhalte weiter gedeutet und mit bestimmten Themen wie Sexualität, Gewalt, Macht und Obszönität verknüpft. Mit den teils sehr dezent markierten Binnenperspektiven ist es Herodot ebenso möglich, religiöse Deutungsversuche bestimmter Phänomene zu geben, die er – wie z. B. die aitiologische und kosmische Deutung der Kuh – nicht selbst teilen muss, oder bei denen er offenlässt, ob er sie selbst vertritt. Durch diese Erzählweise kann Herodot insbesondere die menschliche Seite bei der Gestaltung und Perspektivierung der religiösen Welt hervortreten lassen. Vor dem skizzierten Hintergrund wird deutlich, dass er in seiner Erzählung um eine an Phänomenen und Dimensionen reiche Darstellung fremder Religion bemüht ist. Dabei ist er sich nicht nur des selektiven Charakters bewusst, sondern er gibt auch zu erkennen, dass er um die Mehrdeutigkeit und die ambivalenten menschlichen Deutungen von Religion weiß.
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Für die untersuchten Textpassagen ist abschließend immer zu fragen, ob eine signifikante Ordnung oder gar Hierarchie bestimmter religiöser Dimensionen zu erkennen ist. Kohl (2000) 127. Dewald (1987) 166 macht darauf aufmerksam: „(sc. Herodotus’) sense of strain in the process of composition is allied to a detachment toward the content of the logoi […]“.
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II. Religion und Nomoi
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser In der folgenden Untersuchung werde ich nun in einem zweiten Schritt exemplarisch die Aufmerksamkeit auf religiöse Dimensionen innerhalb einer typischen Nomoi-Passage (Hdt. 1.131–140) aus dem ersten Buch richten, in der Herodot in sehr verdichteter Form religiöse Gegenstände und Dimensionen persischer Religion pointiert anführt. Nur in seltenen Fällen gibt er eine kurze Beschreibung. Das Ziel der Untersuchung besteht darin, an diesem Beispiel zu zeigen, dass neben Göttern und Opfern auch innerhalb der Nomoi-Passagen weitere Dimensionen von Religion thematisiert werden. Anhand dieser Untersuchung kann sehr gut veranschaulicht werden, welche Aspekte bei einem eindimensionalen Religionsbegriff mit dem Fokus auf Götter und Opfer in den Blick kommen und wie diese Sicht durch einen mehrdimensionalen Ansatz von Religion verändert und erweitert wird. Im Anschluss an einen (2.1) Überblick zu den religionsgeschichtlichen Problemen und dem Verständnis von „Religion“ bei der bisherigen Erforschung der Perser-Nomoi folgt die ausführlichere Analyse der religiösen Dimensionen in den folgenden Bereichen: (2.2) Religion im Sozialen, (2.3) Religion im Raum sowie (2.4) Religion und Zeit, Sinne und Religion im Vergleich. So werden in diesem Eingangskapitel anhand der ausgewählten überschaubaren Passage (Hdt. 1.131–140) alle Dimensionen des mehrdimensionalen Konzeptes aufgezeigt, denen im Folgenden jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist. 2.1 Methodische Vorbemerkung zu den Perser-Nomoi Bei der folgenden Untersuchung wird es ausdrücklich nicht um die schon vielfach untersuchte Frage gehen, wie sich die Bestandteile von Herodots Erzählung zu den historischen Formen der persischen Religionsgeschichte,31 insbesondere des Zoroastrismus, verhalten.32 Wichtig für meine Untersuchung ist vielmehr, dass und wie Hero-
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Cf. zu einer Diskussion der historischen Sachverhalte Briant (1990) 69–104 und Briant (1996). Einen kurzen Überblick über die lückenhafte und komplizierte Überlieferungsgeschichte „persischer“ Religion gibt Burkert (2003) in seinem Kapitel über „Persien und die Magier“, 107–133, bes. 109–13. Zur Überlieferungsgeschichte der Texte über das frühe Persien insgesamt Wiesehöfer (1999) 12–22. Zu einer Analyse von Herodots „use of cognitive statements“ und anderen Phänomenen (wie „negative statements of rejection, native criticism of Greek customs, explicit (positive) evaluations, mentions of customs that elicit a ‚good‘ impression as well as implicit similarity between barbarian culture and the Greek“), Munson (2001) 148–156, ebd. 148. Cf. dazu Immerwahr (1966) 185 ff., Drexler (1972) 171 ff., Mora (1985) 27–40, De Jong (1997), Briant (1996), Asheri (2007) 166 und Lincoln (2012) mit weiterführender Literatur. Insbesondere die Untersuchungen von Bruce Lincoln (2012) weisen auf Elemente der persischen Religionsgeschichte hin, von denen Herodot wohl Kenntnis gehabt haben könnte.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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dot bestimmte Phänomene, Handlungen und Verhaltensweisen als „religiöse“ begreift und in der griechischen Sprache zum Ausdruck bringt. Die Hauptprobleme, die im Zentrum der modernen Forschung seit dem neunzehnten Jahrhundert gestanden haben, werden von Asheri in zwei Fragen skizziert: ob es sich bei der von Herodot beschriebenen Religion um den Zoroastrismus handelte, und ob dieser die Religion der Achaimeniden gewesen sei.33 Um die Komplexität der historischen Fragestellung zumindest anzudeuten, sind laut Asheri noch zwei weitere Aspekte zu bedenken: Yet Herodotus’ description is an amalgam of elements which can be attributed to earlier Iranian religion, of others which may be related to Mazdaic doctrines, and of foreign influences […]. This mixture of elements should not surprise us: after all, Mazdaic predominance never became exclusive, not even among the Magi: it was rather the old paganism which absorbed Zoroastrianism. It remains, however, the fact that in a Greek treatment of Persian religion it seemed right to omit the name of Zoroaster (already known to Xanthus of Lydia).34
Beide Problemkomplexe, der aus religionshistorischer Sicht zu betonende „Amalgam“Charakter der herodoteischen Erzählung über „persische Religion“ sowie die grundlegenden Probleme bezüglich der Rekonstruktion insbesondere der frühen persischen Religionsgeschichte,35 unterstreichen die Schwierigkeiten für jeden Versuch einer historischen Rekonstruktion. Diese Schwierigkeiten sind jedoch für meine Untersuchung von Religion nicht entscheidend,36 da ich mich vornehmlich für Herodots Darstellungsweise von Religion in den persischen Nomoi interessiere. Für diese Frage ist es dagegen durchaus von Bedeutung, mit welchem Vorverständnis von „Religion“ z. B. die Perser-Nomoi oder andere Nomoi untersucht werden. Dieser Sachverhalt soll kurz illustriert werden. Im Kommentar von Asheri zur Einleitung der Nomoi-Passage wird erklärt, dass es sich bei den „passages devoted to religion“ um nur zwei Textabschnitte 33 34 35
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Asheri (2007) 166: „Two main problems have been at the centre of modern criticism since the 19th cent.: whether the religion described by Herodotus is Zoroastrianism, and whether Zoroastrianism was the Religion of the Achaemenids […].“ Asheri (2007) 166 mit weiterführender Bibliographie. Cf. dazu auch Mora (1985) 28, der im Hinblick auf die Quellenlage kritisch feststellt: „Tutti questi elementi convergono nella difficoltà fondamentale della nostra ricerca: la centralità del testo erodoteo per la ricostruzione della religione persiana in quest’epoca comporta la mancanza di una documentazione o una ricostruzione del tutto indipendente su cui basare (come potremo fare parlando della religione egizia) l’esame della testimonianza erodotea.“ Hingewiesen sei besonders auf die Monographie von Albert De Jong, Traditions of the Magi. Zoroastrianism in Greek and Latin Literature mit seinem Kommentar zu Hdt. 1.131–2, De Jong (1997) 76–120. Cf. dazu auch die Einschätzung von De Jong (1997), der in seiner abschließenden „Evaluation“ (119–120) zusammenfassend darauf hinweist, dass die „immense gap“ (119) zwischen den beiden Hauptinterpretationen (sc. „a pure pan-Iranian polytheistic nature-worship untainted by the teachings of Zarathustra“ vs. „Zoroastrianism tout court“) den „general opinions“ über die Entwicklung des Zoroastrismus und nur zu einem geringen Ausmaß Herodot geschuldet sei.
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II. Religion und Nomoi
handelt: Hdt. 1.131–2 (die Aufzählung der von den Persern verehrten Götter und den Ablauf des Opfers) und Hdt. 1.140 (die Begräbnissitten und den besonderen Umgang der Mager mit bestimmten Tieren).37 In ähnlicher Weise beschränkt sich De Jong in seinem Kommentar zu Herodot im Rahmen seiner Studie „Traditions of the Magi“38 sogar nur auf den Abschnitt über die Götternamen und das Opfer (Hdt. 1.131–2). Er bezieht sich auf die Fragen von Burkert („what gods are worshipped and how are they worshipped?“) und meint, dass Herodot die Praktiken des Begräbnisses (Hdt. 1.140) nicht innerhalb eines religiösen Kontextes („not […] within a religious context“) darstelle.39 De Jong gibt zwar nicht weiter zu erkennen, was er unter einem „religious context“ versteht, doch durch seinen Fokus auf die Götter und das Opfer schließt er die religiösen Handlungen und Rituale, wie z. B. die Begräbnisriten, aus seiner HerodotKommentierung aus. De Jong widmet sich jedoch in dem thematisch angelegten vierten Kapitel seines Buches („Thematic inventory of the Greek and Latin Texts“)40 unter der Überschrift „Social and Ethical Codes“ den „Death and Funerary Traditions“.41 Bemerkenswert ist nun die Tatsache, dass sich unter derselben Rubrik „Social and Ethical Codes“ auch ein Unterkapitel zu „Religious Education“42 findet, in dem Herodot (Hdt. 1.136) den Anfang bildet.43 Bereits diese Inkonsequenzen in der thematisch angelegten Untersuchung von De Jong zeigen, dass Herodot wohl doch mehr über persische Religion zu sagen weiß, als De Jong zuvor mit seiner sehr engen Auffassung von Religion (in Anlehnung an Burkert) signalisiert. Eine Untersuchung der Perser-Nomoi sollte sich also nicht nur auf die zwei oben angegebenen Textpassagen konzentrieren.
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Cf. Asheri (2007) 166. De Jong (1997) bes. 92–120. De Jong (1997) 86. De Jong bemerkt ebd. 85–6 allgemein: „A people’s religion, that is its pantheon, sacred buildings and sacrificial rituals, is part and parcel of its nomoi. The sometimes elaborate descriptions Herodotus gives of foreign religions are therefore most often found within a larger excursus on the customs of the people Herodotus is about to introduce.“ Im vierten Kapitel, das thematisch angelegt ist, unterscheidet De Jong (1997) nun allerdings die folgenden Rubriken: 1. The Pantheon (251–311), 2. The Pandemonium (312–316), 3. Zoroaster (317– 323), 4. Theology and doctrine (324–342), 5. Temple and cult (343–352), 6. Ritual (353–386), 7. Priests (387–413), 8. Social and ethical codes (414–51). Abgesehen von der Reihenfolge der Themen und mit Ausnahme des 2. und 3. Unterkapitels (Pandemonium und Zoroaster) sind all diese thematischen Gesichtspunkte schon bei einer genauen Lektüre von Herodots Nomoi-Kapitel der Perser zu entdecken. Klare Bezüge zu den Perser-Nomoi sowie zu anderen signifikanten Textstellen zur Religion der Perser (wie z. B. Hdt. 3.79 zur „Magophonia“, dazu De Jong (1997) 377–379) finden sich in den Rubriken 1, 4, 5, 6, 7 und 8 (besonders interessant sind die Bezugnahmen auf das „Khrafstra-killing“ in 4.4.3 (338–340), 4.6.1 Libation Rituals (353), 4.6.2. Animal sacrifice und 4.7.1 Magi (387–393), 4.8.3. Death and Funerary Tradition (432–436 und 440–441), um nur einige Beispiele zu nennen. Merkwürdig ist jedoch, dass sich unter der Rubrik 4.3.d Exposure of the sick and elderly (444–6) bei De Jong kein Bezug zu und keine Diskussion von Hdt. 1.138.1 (Ausschluss von Menschen aus der Gemeinschaft, die an Aussatz oder weißen Flecken leiden) findet. Cf. De Jong (1997) 432–446, zu Herodot speziell auf zwei Seiten, 436 und 441. De Jong (1997) 446–451. Cf. De Jong (1997) 446.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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Einen deutlichen Kontrast zu De Jongs Auffassung von „persischer Religion“ bei Herodot bildet die thematisch sehr viel weiter gefasste Textsammlung von Vasunia zu „Zarathustra and the Religion of Ancient Iran. The Greek and Latin Sources in Translation“, die im ersten von insgesamt fünfzehn Kapiteln bereits den gesamten Text der Perser-Nomoi aus Herodots Historien 1.131–40 bietet und für „die Religion des antiken Irans“ als relevant ansieht.44 Nach dieser methodischen Vorbemerkung lautet die erste Leitfrage für die Analyse der gesamten Textpassage (Hdt. 1.131–140), ob sich in Herodots Erzählung über die persischen Nomoi – abgesehen von der Bemerkung über die Götter und der Beschreibung des Opfers zu Beginn (Hdt. 1.131–2) – weitere Dimensionen von Religion erkennen und unterscheiden lassen. Wenn dies der Fall sein sollte, so ist weiter zu fragen, welche Aspekte und Dimensionen im Einzelnen hinzukommen und wie viel Raum sie in der Darstellung einnehmen. Die bekannte Eingangspassage (Hdt. 1.131–132) der Perser-Nomoi, die aufgrund der traditionellen Sichtweise mit einem theozentrischen Religionsbegriff sowie dem Fokus auf das Opfer in den meisten Untersuchungen im Zentrum steht, wird im Folgenden nicht zentral behandelt. Die darin thematisierten Sachverhalte werden jedoch unter anderen Gesichtspunkten (z. B. sozialen, vergleichenden und zeitlichen) thematisiert. Dank des mehrdimensionalen Ansatzes und Herodots sprachlicher Markierungen der religiösen Felder (z. B. durch das Verb σέβονται und andere Termini) rücken neben der Eingangspassage auch die übrigen Nomoi (Hdt. 1.133–140) ins Zentrum des Interesses. Grundlegend für die gesamte Untersuchung ist die Markierung des recht weiten kulturellen und religiösen Feldes, mit dem Herodot die gesamte Passage einleitend und abschließend bezeichnet: die Nomoi der Perser.45 Auf die Analyse der Darstellung von „persischer“ (2.2) Religion im Sozialen schließen sich Beobachtungen zur (2.3) Religion im Raum an. Zusammenfassend werde ich zuletzt (2.4) das Verhältnis von Religion zur Zeit, zu den Sinnen und die Frage nach persischer Religion im Vergleich behandeln.
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Vasunia (2007). Vasunias Textsammlung enthält sehr viel mehr Quellentexte im Vergleich zu den bisher vorliegenden Sammlungen von Clemen, Fox und Pemberton, cf. ebd. 31. Cf. dazu die Sammlung von Rapp (1865–1866). Cf. die Häufung der Signalbegriffe zu Beginn der Passage, Hdt. 1.131.1 (Πέρσας δὲ οἶδα νόμοισι τοιοισίδε χρεωμένους […] ὅτι οὐκ ἀνθρωποφυέας ἐνόμισαν τοὺς θεοὺς κατά περ οἱ Ἕλληνες εἶναι. Οἱ δὲ νομίζουσι Διὶ μὲν …), sowie die korrespondierenden Ausdrücke im letzten Abschnitt, Hdt. 1.140.3 (καὶ ἀμφὶ μὲν τῷ νόμῳ τούτῳ ἐχέτω ὡς καὶ ἀρχὴν ἐνομίσθη, ἄνειμι δὲ ἐπὶ τὸν πρότερον λόγον).
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II. Religion und Nomoi
2.2 Religion im Sozialen Aufgrund der Zugehörigkeit der Nomoi zum sozialen Leben eines Volkes soll zuerst die soziale Dimension von Religion innerhalb der Beschreibung der Perser-Nomoi untersucht werden. Die zahlreichen sozialen Aspekte und Dimensionen von Religion sollen im Folgenden kurz angeführt und erläutert werden. Besonders relevant für die soziale Dimension von Religion sind zunächst Herodots Beschreibung des Opfers, die Ausrichtung der Opferbitte (Hdt. 1.132) und die dabei artikulierte wichtige Funktion der Mager. Die Mager erscheinen sowohl hier als auch durch ihren speziellen Umgang mit menschlichen Leichnamen und ihr sonderbares Verhalten gegenüber bestimmten Lebewesen (Hdt. 1.140) nicht nur als religiöse Experten, sondern auch als sozial auffällige Gruppe. Weitere soziale Dimensionen von Religion zeigen sich bei der Anführung einiger normativer Verbote und religiöser Tabus, insbesondere beim Umgang mit Lüge und Wahrheit. Soziale Aspekte des Opfers und die Rolle der Mager Herodots Ausführungen über das Opfer bei den Persern (Hdt. 1.132.1–3) stellen eine erste religiöse Handlung innerhalb der Nomoi dar, die einige signifikante soziale Dimensionen umfasst.46 Das religiöse Feld wird deutlich durch einige griechische Ausdrücke markiert.47 An Herodots Beschreibung des persischen Opfers möchte ich zuerst die Aspekte hervorheben, welche die soziale Dimension persischer Religion betreffen:48 die soziale Ausrichtung des Gebets, das zum Opfer gesprochen wird, die individuelle Nutzung des Opferfleisches und die Anwesenheit eines religiösen Experten, eines Magers. Die auffällige soziale und religiöse Rolle der Mager, die auch an weiteren Stellen in den Historien und innerhalb der Nomoi (Hdt. 1.140) präsent ist, soll in diesem Kontext eingehender beleuchtet werden. Die sinnlich-ästhetischen und rituellen Aspekte der Opferbeschreibung sind offenkundig und wurden bereits mehrfach behandelt.49 Nachdem Herodot zuerst ex negativo die Differenzen zum griechischen Opfer (kein Altar, kein Feuer, kein Weihguß, kein Flötenspiel etc.) betont hat, beschreibt er darauf 46 47
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Cf. dazu insgesamt De Jong (1997) 357–367. Die folgenden Ausdrücke stellen nur eine Auswahl zur Markierung und Illustration des religiösen Feldes dar: Hdt. 1.131.2 Οἱ δὲ νομίζουσι Διὶ μὲν ἐπὶ τὰ ὑψηλότατα τῶν ὀρέων ἀναβαίνοντες θυσίας ἔρδειν […]. Θύουσι δὲ ἡλίῳ τε καὶ σελήνῃ καὶ (…). Τούτοισι μὲν δὴ θύουσι μούνοισι ἀρχῆθεν […]. Hdt. 1.132.1: Θυσίη δὲ τοῖσι Πέρσῃσι περὶ τοὺς εἰρημένους θεοὺς ἥδε κατέστηκε. Οὔτε βωμοὺς ποιεῦνται οὔτε πῦρ ἀνακαίουσι μέλλοντες θύειν· οὐ σπονδῇ χρέωνται […]. Cf. dazu auch De Jong (1997) 359. Cf. dazu De Jong (1997) und Asheri (2007). Sie werden im späteren Zusammenhang bei der Frage nach Religion und den Sinnen nur kurz thematisiert.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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weitere Umstände des persischen Opferritus: man führe sein Tier an einen „reinen Ort“ (χῶρον καθαρὸν) und rufe mit bekränzter Tiara den Gott an (καλέει τὸν θεὸν).50 Bis zu diesem Punkt steht die individuelle Vorbereitung des Opfers im Vordergrund. Im Folgenden kommt Herodot nun auf die sozialen Aspekte und Bedingungen zu sprechen, indem er konstatiert (Hdt. 1.132.2): Ἑωυτῷ μὲν δὴ τῷ θύοντι ἰδίῃ μούνῳ οὔ οἱ ἐγγίνεται ἀρᾶσθαι ἀγαθά, ὁ δὲ τοῖσι πᾶσί τε Πέρσῃσι κατεύχεται εὖ γίνεσθαι καὶ τῷ βασιλέϊ· ἐν γὰρ δὴ τοῖσι ἅπασι Πέρσῃσι καὶ αὐτὸς γίνεται. Für sich selbst privat und allein ist es dem Opfernden dabei nicht erlaubt, um Gutes zu beten, sondern er betet darum, dass es sowohl allen Persern als auch ihrem König gut ergehen möge; denn zu allen diesen Persern gehört ja auch er.51
Es wird also klar betont, dass der Einzelne beim Opfer nicht allein für sich, sondern für das Wohl aller Perser und das des Königs beten müsse. Diese Bemerkung zeigt an, welche Bedeutung sowohl die Gemeinschaft der Perser als auch das Wohlergehen des Königs für den Einzelnen haben. Durch diese formulierte Bedingung der Gebetsausrichtung wird deutlich, dass jedes Opfer auf das Wohl der Gemeinschaft und das des Königs ausgerichtet ist. Damit wird indirekt die das soziale Leben stabilisierende Funktion des Opfers unterstrichen. Wie Herodot im Anschluss an das Zerlegen des Opfers, das Kochen des Fleisches und dessen Auslage weiter betont, kann das Opfer nicht als eine rein individuelle Handlung vollzogen werden, sondern es bedarf der Anwesenheit eines religiösen Experten, eines Magers (Hdt. 1.132.3):52 Διαθέντος δὲ αὐτοῦ μάγος ἀνὴρ παρεστεὼς ἐπαείδει οἷα δή· θεογονίην ἐκεῖνοι λέγουσι εἶναι τὴν ἐπαοιδήν· ἄνευ γὰρ δὴ μάγου οὔ σφι νόμος ἐστὶ θυσίας ποιέεσθαι. Nachdem er es so arrangiert hat, singt ein danebenstehender Mager eine Theogonie;53 solcher Art, sagen jene, sei dieser Gesang. Ohne einen Mager nämlich – so ist ihr Brauch54 – finden keine Opfer statt.
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Hdt. 1.132.1 Τῶν δὲ ὡς ἑκάστῳ θύειν θέλῃ, ἐς χῶρον καθαρὸν ἀγαγὼν τὸ κτῆνος καλέει τὸν θεὸν ἐστεφανωμένος τὸν τιάραν μυρσίνῃ μάλιστα. De Jong (1997) 115–116 bemerkt, ebd. 115, dass „the custom of praying for the well-being of the king and of the other Persians is amply attested in both the Avesta and the Pahlavi texts.“ Cf. De Jong (1997) 359: „The ritual was not a strictly individual lay affair, but a Magus had to be present […].“ Bei dem als „Theogonie“ bezeichneten Gesang handelt es sich wohl um ein Yašt, eine avestische Hymne oder eine Komposition mit starker Ähnlichkeit zu den Yašts. Cf. dazu De Jong (1997) 118. Übersetzung Nesselrath: „ihr Gesetz“.
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II. Religion und Nomoi
De Jong bemerkt, dass die Anwesenheit und Aufgabe des Magers bei einem Laienopfer unter den Anhängern des Zoroastrismus im Iran immer noch verlangt sei.55 Wie durch diese Äußerung Herodots deutlich wird, kommt den Magern eine entscheidende Rolle und Funktion beim persischen Opfer zu. Ohne sie und ihren Gesang soll es kein Opfer geben. Herodot weist ausdrücklich darauf hin, dass es nicht Brauch sei (οὔ σφι νόμος ἐστὶ), ein Opfer ohne einen Mager auszuführen. Dieser Aspekt ist von besonderem Interesse, denn er unterstreicht die äußerst wichtige soziale Rolle der Mager zum einen unmittelbar für die Opferpraxis, zum anderen auch indirekt – aufgrund der Ausrichtung des Gebets bei der Opferung – für das Wohl der persischen Gesellschaft und den König. Indem Herodot die Anwesenheit und den Beigesang der Mager als eine notwendige Bedingung für die Durchführung des persischen Opfers versteht, kennzeichnet er die Mager als wichtige religiöse Experten innerhalb der persischen Gesellschaft. Ein weiterer sozialer Gesichtspunkt, der kurz erwähnt werden soll, betrifft zuletzt die Verwendung des Opferfleisches (Hdt. 1.132.3–133.1): Ἐπισχὼν δὲ ὀλίγον χρόνον ἀποφέρεται ὁ θύσας τὰ κρέα καὶ χρᾶται ὅ τι μιν λόγος αἱρέει.56 Nachdem er noch eine kurze Zeit gewartet hat, trägt der Opfernde das Fleisch fort und macht damit, was er will.
Dieser Kommentar zur Verwendung des Opferfleisches unterstreicht abschließend wiederum einen individuellen Aspekt des Opfers. Das Tier wird nicht gänzlich der Gottheit geopfert, sondern dient nach Belieben demjenigen, der das Opfer durchgeführt hat. Es ist lohnend, die soziale Rolle der Mager noch weiter zu beleuchten. Wie die Betrachtung des Opfers zeigte, kommt den Magern57 eine Sonderstellung bei dessen Durchführung zu: ihre Anwesenheit und ihr Gesang58 sind Bedingungen für den Vollzug des Opfers. Als Opfervorsteher begegnen die Mager später mehrmals in der Erzählung, z. B. beim Opfer unter Xerxes in Pergamon zu Ehren der Athena von Ilion und bei einem Trankopfer für die Helden (Hdt. 7.43.2), bei der Schlachtung und Opferung
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De Jong (1997) 118. De Jong fügt hinzu, dass Priester die Hüter der heiligen Texte waren und immer noch sind. Insofern nun die Texte unerlässlich für die eigentliche Performanz des Rituals seien, sei auch ein Ritual ohne einen Priester unmöglich. Die Wendung λόγος αἱρέει bedeutet nach Benardete (1969) 72 Anm. 9 gewöhnlich „reason requires“. Zur Geschichte und den Bedeutungen des Wortes mágos (magush, altpers.) in den nicht-griechischen und griechischen Quellen Burkert (2003) 115–118, Asheri (2007) 171–172 und De Jong (1997) 387–413 mit weiterführender Literatur. Asheri konstatiert ebd. 172: „The Greeks had no clear views about the Magi, although they started writing Mαγικά already in the 5th cent.“ Cf. dazu De Jong (1997) 363 und 117–118.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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weißer Rosse am Strymon (Hdt. 7.113.2–114.1) sowie bei Totenopfern, Beschwörungen und Opfern für Thetis und die Nereiden (Hdt. 7.191.2).59 Wie aus weiteren Stellen hervorgeht, sind die Mager darüber hinaus als Traumdeuter am medischen Hof60 und als Deuter anderer Zeichen (wie einer Sonnenfinsternis, Hdt. 7.37.2–3) sowie als Ratgeber der persischen Könige tätig.61 Diese Textstellen weisen auf die Verbindung der religiösen, sozialen und machtpolitischen Funktionen der Mager innerhalb der weiteren Erzählung Herodots hin. Ein besonderer Höhepunkt stellt dabei ihre Herrschaft (Hdt. 3.67), die Entdeckung ihres Betrugs und schließlich ihre Entmachtung durch die sechs Perser und Dareios dar (Hdt. 3.76–79). Diese Gesichtspunkte machen deutlich, dass jedes Vorkommen der Mager und jede Auseinandersetzung mit ihnen, z. B. die grausame Kreuzigung einiger Mager unter Astyages (Hdt. 1.128) im Vorfeld der Nomoi-Passage oder der sogenannte „Magermord“ im dritten Buch (Hdt. 3.78–9), wohl immer auch im Zusammenhang mit der religiösen, sozialen und politischen Sphäre der Perser und des persischen Königs verbunden ist.62 Weitere Angaben über die Rolle der Mager als religiöse Experten persischer Religion63 finden sich in dem letzten Paragraphen der Perser-Nomoi (Hdt. 1.140), die ausführlicher unter der Rubrik „Religion im Raum“ (s. unten) behandelt werden.64 Im Mittelpunkt stehen dabei der besondere Umgang der Mager mit Leichnamen (Hdt. 1.140.1–2)65 sowie ihr Verhalten gegenüber bestimmten Lebewesen
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Bemerkenswert ist, wie sich die Adressaten der Opfer in der fortschreitenden Erzählung verändern. Cf. Hdt. 1.107–8, 1.120 und Hdt. 1.128.2. Cf. Hdt. 7.43.2; für die negative Propaganda gegen die Mager bes. unter Dareios und den „Magermord“, Hdt. 3.78–79; unmittelbar vor der Passage über die Perser-Nomoi ist in Hdt. 1.128 von der grausamen Kreuzigung der Mager unter Astyages die Rede. Zu den Magern: Verständnis des „ethnikon“ Hdt. 1.101, zur „magophonia“ Hdt. 3.66–7, 3.73, 3.79, zu den Magern in weiteren griechischen und lateinischen Texten, Vasunia (2007) 98–133. Zum Verhältnis der Mager zu den Herrschern Astyages und Kyros/Kambyses (Traum), Hdt. 1.107, 1.120, 1.128. Zu den Magern und ihrer Deutung einer Vision des Xerxes, Hdt. 7.19, zu ihrer Eklipsen-Deutung, Hdt. 7.37. De Jong (1997) 393 bemerkt zu den Magern bei Herodot: „The Magi in Herodotus’ Histories, however, are never introduced as partisans of Zoroaster, nor indeed is the prophet mentioned at all by Herodotus. A century after Herodotus, the Magi are found throughout Greek literature as Zoroastrian priests. The Magi in Herodotus are Zoroastrian priests as well, because they observe typically Zoroastrian practices, such as the exposure of dead bodies, the killing of xrafstras and the reverence for the dog. Herodotus never claims to have spoken with the Magi. This is remarkable in view of his stress on discussions with the Egyptian priests whom he trusts more than all other informants.“ Cf. insgesamt zum Begriff der „Mager“, De Jong (1997) 387–403. In Hdt. 1.101 führt Herodot die Mager als einen Stamm der Meder an. Cf. zur Aussetzung, Zerstörung und Verstümmelung des Leichnams durch Vögel und Hunde sowie den Begräbnissitten anderer Kulturen Munson (2001) 167–172, bes. 167. Speziell für Beispiele aus der griechischen Kultur und Literatur ebd. 167 Anm. 90, für die Begräbnissitten anderer Kulturen ebd. 167 Anm. 91.
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II. Religion und Nomoi
(Hdt. 1.140.2–3).66 Wiederum ist dabei ihre besondere soziale Rolle hervorzuheben, die Herodot sowohl allgemein im Kontrast zu den meisten anderen Menschen als auch im Besonderen zu den ägyptischen Priestern bestimmt (Hdt. 1.140.2): Μάγοι δὲ κεχωρίδαται πολλὸν τῶν τε ἄλλων ἀνθρώπων καὶ τῶν ἐν Αἰγύπτῳ ἱρέων. Die Mager aber unterscheiden sich erheblich von den übrigen Menschen und besonders von den ägyptischen Priestern.
Zum einen geht er auf den religiösen Brauch ein, den menschlichen Leichnam auszusetzen und mit Wachs zu überziehen, zum anderen betont er den merkwürdigen Brauch der Mager, bestimmte Lebewesen zu töten.67 Herodot macht darauf aufmerksam, dass die ägyptischen Priester im Gegensatz zu den Magern versuchten, sich von der Tötung alles Lebendigen, außer bei Opferhandlungen, reinzuhalten (Hdt. 1.140.3): Οἱ δὲ δὴ μάγοι αὐτοχειρίῃ πάντα πλὴν κυνὸς καὶ ἀνθρώπου κτείνουσι, καὶ ἀγώνισμα μέγα τοῦτο ποιεῦνται, κτείνοντες ὁμοίως μύρμηκάς τε καὶ ὄφις καὶ τἆλλα ἑρπετὰ καὶ πετεινά. Die Mager jedoch töten mit eigener Hand alles außer einem Hund und einem Menschen, und sie betrachten dies als ein großartiges Ziel und töten in gleicher Weise Ameisen und Schlangen und die übrigen kriechenden und fliegenden Tiere.
Die Mager zeichnen sich an dieser letzten Stelle der Perser-Nomoi (cf. dazu auch Religion im Raum, II.2.3) neben ihrer Nähe zum menschlichen Tod und Leichnam insbesondere durch das Töten bestimmter Lebewesen aus. Diese auffällige Affinität der persischen religiösen Experten zu Gewalt, Tod und zum Töten wird wohl nicht ohne Grund an dieser Stelle artikuliert. Das zuletzt angeführte Töten durch die Hand der Mager lässt sich textimmanent in einer Umkehrung des Motivs zum einen als Analepse zur Pfählung einiger Mager durch Astyages (Hdt. 1.128.2) unmittelbar im Vorfeld der Perser-Nomoi, zum anderen als eine Prolepse der noch ausstehenden Ermordung der Mager im Rahmen der sogenannten „Magophonia“ (Hdt. 3.79) verstehen. Soziale Normen und Verbote Im Anschluss an die Beschreibung des Opfers kommt Herodot auf verschiedene Bräuche, soziale Normen und Verbote zu sprechen, die das soziale Leben der Perser betref-
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Zu den Magern und dem Töten der Khrafstra s. unten und Vendida 14.5–6. Zarathustra bezieht sich in den Gathas (Yasna 34.9) auf sie. Cf. De Jong (1997) 338–342 und z. B. Yasna 34.9. Zur Nicht-Verbrennung der Körper, Vasunia (2007) Kap. 9, 189–205, bes. 191–194. Wichtig ist das Überziehen mit Wachs, damit von dem toten Körper (als schlechter, böser Materie) keine weitere Infizierung mehr ausgehen kann. Zum Phänomen des Begräbnisses, Hdt. 3.12, 8.24–5 und 7.117. Cf. dazu insgesamt Encyclopedia Iranica, s. v. „Burial“.
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fen.68 Es ist wichtig zu bemerken, dass er – wie z. B. bei den merkwürdigen Tötungspraktiken der Mager – in den meisten Fällen keine Begründung oder Erläuterung der jeweiligen sozialen Norm, der Verhaltensweise oder eines bestimmten religiös motivierten Verbotes gibt, sondern diese nur pointiert auflistet oder prägnant zusammenfasst.69 Im Folgenden werde ich einige dieser sozialen Normen und Verbote anführen, um zu zeigen, wie Herodot dabei soziale Dimensionen persischer Religion thematisiert. Im Anschluss an die Bedeutung und konkrete Gestaltung von Geburtstagen (Hdt. 1.133.1–2) kommt Herodot auf bestimmte Ess- und Trinkgewohnheiten im Kontrast zu den Griechen zu sprechen. In diesem Zusammenhang konstatiert er im Anschluss an die angebliche Affinität der Perser zum Wein zwei soziale Normen in Form von Verboten (Hdt. 1.133.3): Οἴνῳ δὲ κάρτα προσκέαται, καί σφι οὐκ ἐμέσαι ἔξεστι, οὐκὶ οὐρῆσαι ἀντίον ἄλλου. Ταῦτα μέν νυν οὕτω φυλάσσεται. Dem Wein sprechen sie reichlich zu, und es ist ihnen nicht erlaubt, sich in Gegenwart anderer zu erbrechen oder zu urinieren. Darauf also wird in dieser Weise geachtet.
Beide sozialen Verbote, die körperliche Bedürfnisse und ein bestimmtes Verhalten in der Öffentlichkeit betreffen, gehen wohl auf religiöse Reinlichkeitsvorstellungen zurück, die jedoch an dieser Stelle von Herodot nicht explizit genannt werden.70 Es ist anzunehmen, dass im Hintergrund dieser beiden Verbote religiöse Anschauungen über den ursprünglich vollkommenen menschlichen Leib und zwei Formen von Materie (toter und unreiner, sowie zugleich verunreinigender und für den menschlichen Leib gefährlicher Materie) stehen, die beide als unrein gelten und eine dämonische Präsenz im menschlichen Leib bezeugen.71 Der Kontakt mit unreiner Materie in Form körperlicher Absonderungen wie Erbrochenem, Urin, Exkrementen und Speichel, die von einem lebenden menschlichen Leib stammen, soll offenbar vermieden werden, da diese Elemente lebensbedrohlich und gefährlich für andere menschliche Körper sind. 68 69 70
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Dazu insgesamt De Jong (1997) 414–451. De Jong (1997) 414 bemerkt eingangs, dass die meisten dieser iranischen Bräuche auf irgendeine Weise mit der Reinheit der Elemente Erde, Wasser und Feuer in Verbindung stehen. Cf. De Jong (1997) 417–420. De Jong bemerkt, dass Griechen und Römer besonders über die Unterschiede der Perser beim Urinieren erstaunt gewesen seien und konstatiert ebd. 417: „Three things apparently were worthy of notice: Persian man did not urinate while standing, did not urinate in public and did not urinate in streams or rivers.“ Nach Auskunft von Bruce Lincoln, dem ich diese Information verdanke, wird unterschieden zwischen (1) toter Materie (Mittl. Avesta: nasu; gr. nekus) eines toten menschlichen Leibes insgesamt (cf. dazu die Einbalsamierung des toten Leichnams in Wachs, Hdt. 1.140) und (2) toter Materie (abject(ion) in Gestalt von körperlichen Absonderungen wie Erbrochenem, Urin, Exkrementen sowie Haare, Nägel und Speichel, die von einem lebenden menschlichen Leib stammen. Cf. dazu De Jong (1997) 417–419 Bodily Functions.
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II. Religion und Nomoi
An dieser Stelle wird sprachlich vor allem der normative Charakter des sozialen Verbotes (σφι οὐκ … ἔξεστι) betont, während der religiöse Hintergrund zunächst nur mit Hilfe weiterer religionsgeschichtlicher Literatur und Expertise erschlossen werden kann. Eine weitere Beobachtung und Beschreibung Herodots innerhalb der Perser-Nomoi lässt jedoch in sprachlicher Hinsicht erkennen, dass auch Herodot einen religiösen Hintergrund oder religiöse Motive für diese Verbote annimmt. Wenig später in den Nomoi (Hdt. 1.138.2) beobachtet er nämlich, dass die Perser nicht in Flüsse urinieren (s. dazu unten Religion im Raum, II.2.3) und auch darauf Acht geben, dass andere dies nicht tun. Diese Beobachtung formuliert Herodot jedoch nicht in einer Sprache, die das Verhalten mit einer normativen Forderung oder Vorschrift in Verbindung bringt, sondern vielmehr als eine feststellende Beobachtung, die pointiert begründet wird (Hdt. 1.138.2): Ἐς ποταμὸν δὲ οὔτε ἐνουρέουσι οὔτε ἐμπτύουσι, οὐ χεῖρας ἐναπονίζονται οὐδὲ ἄλλον οὐδένα περιορῶσι, ἀλλὰ σέβονται ποταμοὺς μάλιστα. In einen Fluss lassen sie weder ihr Wasser noch spucken sie hinein, sie waschen ihre Hände nicht darin und lassen das auch von keinem anderen tun, sondern sie erweisen Flüssen die tiefste Ehrfurcht.
An dieser Stelle wird das Nicht-Urinieren und Nicht-Spucken klar mit dem Motiv religiöser Verehrung verbunden, so dass ein Rückschluss auf ein religiöses Verständnis der oben behandelten Nomoi-Stelle angenommen werden kann. Bemerkenswert an dieser Stelle ist die Markierung des religiösen Feldes durch das griechische Verb σέβονται, das die besondere Wertschätzung und Verehrung der Flüsse durch die Perser ausdrückt.72 Durch diese religiöse Färbung des adversativen Nebensatzes (ἀλλὰ σέβονται ποταμοὺς μάλιστα) weist Herodot auf einen religiösen Grund für das Nicht-Urinieren und Spucken in den Fluss hin. Aufgrund dieser religiösen Formulierung sowie des zuvor erwähnten normativen Verbots kann wohl angenommen werden, dass Herodot durchaus ein religiöses Motiv und einen religiösen Hintergrund für dieses Verhalten annimmt. So bemerkt De Jong zum Nicht-Urinieren in Flüsse: The sanctity of sources of living water is well known and no Persian would even remotely consider urinating in a river. Urinating, a daily act producing hixr, ‚bodily fluids‘, was always accompanied by taking great care to avoid pollution of one’s body and surroundings.
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Für eine Übersicht der „offerings for/at rivers“ in der Studie zu den Persepolis-Täfelchen, Henkelman (2008) 479 Appendix 5: „Offerings listed in Inventories“, sowie die Ausführungen zu „river offerings“ ebd. 377–80 mit weiterführender Literatur. Henkelman erwähnt ausgehend von einer Stelle bei Strabon (XV.3.14) zwar auch Stellen bei Herodot (Hdt. 1.131: zur Verehrung des Wassers, Hdt. 4.91: Dareios am Fluss Tearos, der Heilkräfte besitzen soll, Hdt. 7.113: das Pferdeopfer des Mager am Strymon), jedoch nicht Hdt. 1.138.2.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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This care is exemplified by the fact that the act of urinating is preceded and followed by prayers and that the flow of urine may not go beyond the area from the heel to the toes.73
Die soziale Dimension sowohl des normativen Verbots – in Gegenwart anderer solle man sich nicht erbrechen und auch nicht urinieren (Hdt. 1.133.3) – als auch Herodots Beschreibung, die Perser würden weder in Flüsse urinieren noch spucken, noch ihre Hände darin waschen (Hdt. 138.2), liegt gerade darin, dass sich diese Verhaltensweisen auf alle Perser und konkret auf deren Verhaltensweisen im sozialen Raum richten (ἀντίον ἄλλου – in Gegenwart eines anderen / οὐδὲ ἄλλον οὐδένα περιορῶσι – und geben darauf Acht, dass es kein anderer tut). Sie sind wohl durch religiöse Gründe motiviert, die Herodot jedoch nicht weiter ausführt. Neben den bereits erwähnten sozialen Normen und Verboten74 finden sich weitere soziale Aspekte innerhalb der Nomoi, die zwar nicht explizit mit einem religiösen Hintergrund in Verbindung gebracht werden, jedoch das Zusammenleben der Perser fundamental prägen, wie beispielsweise soziale Codes und Hierarchien, insbesondere Formen des Respekts und der distinktiven Wertschätzung bei der Begegnung (z. B. Hdt. 1.134; dazu auch unten), die Aufgeschlossenheit gegenüber fremden Bräuchen und Sitten (Hdt. 1.135), das Zusammenleben von Mann, Frau/en und Kindern (Heirat, Polygamie und Inzest).75 Eine weitere soziale Norm und Handlung, die einen Einblick in das soziale Verhalten und bestimmte Wertvorstellungen der Perser gibt, ist von weittragender Bedeutung: die Lüge bzw. Wahres/Falsches-Sprechen (Hdt. 1.138.1). Das Lügen wird in einer normativen Formulierung in der folgenden These hervorgehoben (Hdt. 1.138): Ἅσσα δέ σφι ποιέειν οὐκ ἔξεστι, ταῦτα οὐδὲ λέγειν ἔξεστι. Αἴσχιστον δὲ αὐτοῖσι τὸ ψεύδεσθαι νενόμισται […]. Alles aber, was ihnen zu tun nicht erlaubt ist, das ist nicht einmal auszusprechen erlaubt. Am schändlichsten gilt ihnen das Lügen […].
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De Jong (1997) 418. Ein weiteres Tabu betrifft den Totschlag des eigenen Vaters, Hdt. 1.137.2. Cf. dazu auch Lincoln (2012) 271–288, bes. Kambyses und die Heirat seiner Tochter, 280–282. Zur Hochzeit, de Jong (1997) 426–427. Cf. dazu Hdt. 3.31 Kambyses, der seine eigene Schwester heiraten will und mit Hilfe der Mager einen neuen Nomos schafft. Cf. dazu Dissoi Logoi, DK 90 F 2.15. Dazu Vasunia (2007) 173–178. Wozu die Missachtung sozialer Codes, wie z. B. dem der standesgemäßen Begrüßung, führen kann, zeigt in eindrücklicher Weise das Buch Esther im Alten Testament anhand der Verweigerung der Ehrbezeugung des Juden Mordechai gegenüber dem hochrangigen persischen Beamten Haman. Im weiteren Verlauf der Nomoi werden von Herodot zwei Bräuche, das Aufziehen der Söhne getrennt von den Vätern bis zum fünften Lebensjahr sowie das Verbot königlicher Willkür, ausdrücklich gelobt: Hdt. 1.137 Αἰνέω μέν νυν τόνδε τὸν νόμον, αἰνέω δὲ καὶ τόνδε […].
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II. Religion und Nomoi
Die Handlung des Lügens (τὸ ψεύδεσθαι) erscheint auf der persischen Werteskala als „größte Schande“ (αἴσχιστον) und ist somit für die soziale Dimension persischer Religion und Gesellschaft nicht zu unterschätzen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass dem Themenkomplex von Lüge und Betrug (drauga)76 in der religiösen Ideologie der königlichen Inschriften und der persischen Religion eine große Bedeutung zukommt, von der auch Herodot wohl gewusst haben dürfte.77 Dass derartige religiös-moralische Überlegungen in den achaimenidischen Inschriften zu finden sind, ist insbesondere aus der Behistun-Inschrift bekannt.78 Literarisch ist das Motiv-Paar von „Wahrheit und Lüge“ insbesondere für das Verständnis des dritten Buchs der Historien von großer Bedeutung.79 In den Nomoi führt Herodot bei der Erziehung und Bildung der Jungen in positiver Weise das „Wahr(es)-Reden“ (ἀληθίζεσθαι) an. Die Jungen würden, angefangen vom fünften bis zum zwanzigsten Lebensjahr, nur in drei Bereichen (τρία μοῦνα) erzogen (Hdt. 1.136.2): […] ἱππεύειν καὶ τοξεύειν καὶ ἀληθίζεσθαι. […] Reiten, Bogenschießen und die Wahrheit sagen.
Unser Fokus richtet sich auf den zuletzt genannten Aspekt: die Wahrheit sagen.80 Der Religionshistoriker Lincoln weist darauf hin, dass die Bedeutung der Wahrheit in der iranischen Tradition besonders betont, die Lüge hingegen als große Gefahr und als
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Zum Konzept der drauga, Lincoln (2012) Index 541–2. Vgl. dazu die Rede des Dareios über den Nutzen der Lüge, Hdt. 3.72. Ahn (1992) bemerkt zu Herodots Erzählung über die Usurpation des Dareios und insbesondere dessen Äußerung über den Nutzen von Wahrheit und Lüge (Hdt. 3.72), dass sich Herodot „über den Stellenwert von Wahrheit und Lüge in der persischen Religion […] durchaus im klaren“ war. Cf. dazu auch Asheri (2007) 391–3 und die Rede des Xerxes (Hdt. 7.8–11) mit Anspielungen auf die achaimenidische Königsideologie, Schwab (2017) 163–195. Cf. dazu die Untersuchung zu den achaimenidischen Inschriften und Herodot von Jakobs/Trampedach (2013) 60–92, insbesondere Trampedach zum Motiv „Lug und Trug“, ebd. 73–76. Cf. dazu auch Lincoln (2012) 213–24 und 225–236. Asheri (2007) 391 bemerkt in seiner Einführung zum dritten Buch der Historien mit Verweis auf Benardete (1969) 69–98: „The leitmotif of Book III is, essentially, the metaphysical and moral conflict between falsehood and truth. This is the theme that unifies the various Persian logoi from beginning to end, characterizes personalities and situations, words and events, and reappears with notable frequency in a great part of the episodes, dialogues, and speeches.“ Cf. Lincoln (2012) 12–5, der damit die achaimenidischen Inschriften und das indo-iranische Konzept von Wahrheit vergleicht, das in den Gathas und im Jungen Avesta sowie in den Veden bezeugt werde. Cf. insgesamt auch Lincoln (2012) Kap. 12 „Representing the Lie in Achaemenian Persia“, 213–224, darin die Episode mit Otanes, seiner Tochter und dem (falschen) Smerdis zum Thema von Lüge und Wahrheit, 220–4, und Hdt. 3.61, 69, sowie Kap. 13 „Representing the Lie in Mazdaean Iran“, 225–236. Lincoln erklärt, dass der paradiesische Zustand der Welt durch drei Übel gefährdet werde, allen voran die Lüge, welche in einigen Inschriften als „necessary prerequisite for all disorder and conflict“ (ebd. 12) bezeichnet werde. Neben der Lüge (als Negation der eigenen Souveränität) zähle dazu das feindliche Heer und Hungersnot, ebd. 12–3.
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Übel angesehen werde.81 Herodot lenkt in den Nomoi zweimal die Aufmerksamkeit auf die Forderung, die Wahrheit zu sagen, oder, mit anderen Worten, auf die als moralisch fragwürdig angesehene Handlung und Gewohnheit zu lügen (τὸ ψεύδεσθαι). Unmittelbar folgend kommt er sogar ein drittes Mal (in Hdt. 1.138.1) darauf zu sprechen.82 Die dreifache Anführung der moralischen und normativen Forderung innerhalb der Nomoi unterstreicht die grundlegende Bedeutung dieses Nomos für das menschliche Zusammenleben vor dem Hintergrund einer religiös geprägten Weltsicht, in der die Lüge und das Lügen ein Übel darstellt. Im Anschluss an diese Nomoi äußert sich Herodot über den Umgang der persischen (Stadt-)Gesellschaft mit bestimmten Kranken. Er schildert, dass sich die Perser, die an einer Hautkrankheit (wie etwa einer Art Aussatz oder weißem Ausschlag)83 litten, nicht in die Stadt begäben und auch keinen Umgang mit anderen Persern pflegten (Hdt. 1.138.1).84 Diese Beschreibung verbindet Herodot nun mit einer Erklärung aus einer Binnenperspektive (φασὶ): φασὶ δέ μιν ἐς τὸν ἥλιον ἁμαρτόντα τι ταῦτα ἔχειν. Sie sagen, er habe ein Vergehen gegen die Sonne begangen und leide deshalb an diesen Krankheiten.
Durch diese dezente Markierung (φασὶ) kann Herodot nicht nur die Erklärung für die Krankheit einer Binnenperspektive zuschreiben, der wohl eine bestimmte religiöse Sichtweise zugrunde liegt, wie die Deutung als Fehlverhalten gegenüber der Sonne anzeigt (ἐς τὸν ἥλιον ἁμαρτόντα τι). Zugleich gelingt es ihm, sich von dieser Anschauung mit Hilfe der sprachlichen Darstellung zu distanzieren. Auf die nicht weiter vertiefte Erklärung folgt der Zusatz, dass auch jeder Fremde, der von dieser Krankheit befallen werde, von Vielen aus dem Land vertrieben werde (Hdt. 1.138.2).85 In der zuletzt erwähnten Vertreibung kommt wiederum eine soziale Reaktion zum Ausdruck. Wie die 81 82
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Cf. dazu Lincoln (2012) 12–15, 213–224, und 225–36. Basierend auf dieser zuerst genannten moralischen Norm und als eine logische Konsequenz hebt Herodot zweitens (δεύτερα δὲ) hervor, dass man bei den Persern auch keine Schulden machen solle (τὸ ὀφείλειν χρέος). Angeblich gebe es für dieses „Gebot“ viele Gründe (πολλῶν μὲν καὶ ἄλλων εἵνεκα), doch dieser Nomos gehe insbesondere auf die Ansicht zurück, dass derjenige, der Schulden mache, auch notwendig irgendwelche falschen Dinge sage (μάλιστα δὲ ἀναγκαίην φασὶ εἶναι τὸν ὀφείλοντα καί τι ψεῦδος λέγειν). Die Bedeutung dieses Nomos bezüglich des Schulden-Machens wird also mit einem Rekurs auf das ψεύδεσθαι begründet, womit das Thema von Wahrheit und Falschheit/Trug nochmals unterstrichen wird. Cf. dazu Asheri (2007) 170–171, der ebd. 170 bemerkt: „[…] it is almost impossible to diagnose these diseases.“ De Jong (1997) geht nicht auf diese Textstelle ein, auch nicht in seinem Unterkapitel „Exposure of the sick and elderly“, 444–446. Hdt. 138.1–2 Ὃς ἂν δὲ τῶν ἀστῶν λέπρην ἢ λεύκην ἔχῃ, ἐς πόλιν οὗτος οὐ κατέρχεται οὐδὲ συμμίσγεται τοῖσι ἄλλοισι Πέρσῃσι. Darüber hinaus vertrieben sie aus demselben Grund (τὴν αὐτὴν αἰτίην ἐπιφέροντες) die weißen Tauben, Hdt. 1.138.2.
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II. Religion und Nomoi
Erläuterung der angeführten Beispiele zeigt, gibt es einige soziale Dimensionen von Religion jenseits von Göttern und dem Opfer in den Perser-Nomoi zu entdecken, die zwar von Herodot in Kürze beschrieben, aber nicht mit ausführlichen Erklärungen versehen werden. 2.3 Religion im Raum Im Folgenden soll nun nach dem Zusammenhang von Raum, Klima, natürlicher Umwelt und Religion innerhalb der Nomoi der Perser gefragt werden. Bei der Betrachtung der Textpassage kommen folgende Themen in den Blick, die das Verhältnis von Religion und Raum sowie natürlicher Umwelt betreffen, jedoch nur kurz beleuchtet werden sollen: Herodots Beobachtung zur Abwesenheit bestimmter religiöser Gegenstände (Hdt. 1.131.1), die Verehrung des Zeus auf den Bergen und dessen Verständnis als „ganzer Himmelskreis“ (Hdt. 1.131.2–3), die Verehrung der Gestirne und der vier Elemente (Hdt. 1.131.2–3), die Bedeutung eines „reinen“ Ortes für das Opfer (Hdt. 1.132.1), die nach räumlicher Nähe und Entfernung differierende Wertschätzung anderer Menschen und Völker (Hdt. 1.134.2–3), der bereits thematisierte Ausschluss von Kranken aus dem öffentlichen Raum sowie der Hinweis auf die Erklärung der Krankheit mit einem religiösen Frevel gegenüber der Sonne (Hdt. 1.138.1–2). Bei der Frage nach dem Verhältnis von Religion und Umwelt sind die bereits erwähnte religiöse Bedeutung von Flüssen (Hdt. 1.138.2) sowie der Umgang mit menschlichen Leichnamen, deren Bestattung im Zusammenhang mit bestimmten Tieren und die Tötung einiger Tiere durch die Mager (Hdt. 1.140.1–3) hervorzuheben. Einige der zuerst behandelten Textbeispiele kommen wohl auch mit einem Fokus auf Götter und Opfer in den Blick. In diesen Fällen ist es interessant zu sehen, wie unterschiedlich das religiöse Feld mit einem Fokus auf den Raum und die Umwelt erscheint und vor diesem Hintergrund anders geordnet wird. Bei den weiteren Beispielen geht es vor allem darum zu zeigen, dass bestimmte Aspekte des Verhältnisses von Raum und Umwelt zur persischen Religion innerhalb der Nomoi thematisiert werden. Die religiöse Gestaltung der Umwelt Am Anfang ist es wichtig zu sehen, dass Herodot zuerst (Hdt. 1.131.1) mit einer Negation die Aufmerksamkeit auf einige materielle, religiöse Gegenstände lenkt, die aus griechischer Perspektive von Bedeutung sind, jedoch bei den Persern angeblich fehlen: Weihbilder, Tempel und Altäre (ἀγάλματα μὲν καὶ νηοὺς καὶ βωμοὺς οὐκ ἐν νόμῳ ποιευμένους ἱδρύεσθαι). Sein Blick richtet sich also zuerst auf die materielle und ästhe-
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tische Seite religiöser Gegenstände.86 Alle drei Gegenstände – die Kultbilder, Tempel und Altäre – sind Teil der von Menschen für religiöse Zwecke gestalteten und veränderten Umwelt. Diese erste Äußerung markiert eine Differenz im Hinblick auf mehrere konkrete religiöse Gegenstände, die aus griechischer Perspektive von eminenter Bedeutung sind und deren Abwesenheit zunächst als fragwürdig empfunden wird. Zuerst werden also Unterschiede zwischen persischer und griechischer religiöser Praxis markiert. Herodot stellt nun die Frage, inwiefern diese offensichtliche materielle Differenz in Verbindung mit der Vorstellungsweise der verehrten religiösen Gegenstände stehe. Er vergrößert die Differenz, indem er weiter ausführt, dass die Perser denen, die diese religiöse Praxis pflegten, sogar den Vorwurf der Dummheit machten (ἀλλὰ τοῖσι ποιεῦσι μωρίην ἐπιφέρουσι). Über die Ursache dieses Vorwurfs äußert Herodot die folgende Vermutung (Hdt. 1.131.1): […] ὡς μὲν ἐμοὶ δοκέειν, ὅτι οὐκ ἀνθρωποφυέας ἐνόμισαν τοὺς θεοὺς κατά περ οἱ Ἕλληνες εἶναι. […] wie es mir scheint, weil sie nicht wie die Griechen zu dem Glauben gelangt sind, dass die Götter von menschlicher Gestalt seien.
Herodot vermutet den Grund für diese Differenz zwischen Griechen und Persern in unterschiedlichen Vorstellungen über die Gestalt der Götter, speziell in Form der „menschenartigen“ Vorstellungsweise der Götter.87 Abgesehen davon, ob damit eine Kritik am griechischen Anthropomorphismus verbunden ist,88 sollte zuerst festgehalten werden, dass Herodot seine Ausführungen über die Bräuche der Perser nicht mit den Göttern beginnt. Vielmehr kommt er – ausgehend von der Abwesenheit bestimmter materieller religiöser Gegenstände – im Vergleich mit der Gestaltung religiöser Räume bei den Griechen auf Überlegungen zur Vorstellungsweise über das Aussehen der Götter zu sprechen. Die Frage, ob es überhaupt Götter in einer fremden Kultur gibt, stellt sich in diesem und auch in anderen Kontexten für Herodot nicht. Die genannten, in der persischen „Religion“ abwesenden, religiösen Gegenstände sind
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Cf. dazu mit Diskussion De Jong (1997) 92–94, Thomas (2011) 241–4, Burkert (1990) 20–21 und Lincoln (2012) 190 Anm. 5. Cf. zu Herodots „own interpretation“, De Jong (1997) 94–96, zu einer Verbindung mit den Überlegungen des Xenophanes, Burkert (1990) 19–22 und Thomas (2011) 242–3. De Jong bemerkt kritisch mit Verweis auf weiterführende Literatur, ebd. 95: „If Herodotus really assumed that the Persians did not consider their gods to be in the likeness of man, he was clearly mistaken. Both in the Avesta, and in the artistic representations in Achaemenian art, the divinities clearly are thought of as having a human form.“ Cf. dazu Burkert (1990) 20–21, Bichler (2000) 218–9 und Thomas (2011) 242–4.
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II. Religion und Nomoi
zentrale Elemente griechischer und auch ägyptischer89 Religion. De Jong bemerkt zusammenfassend zu dieser Eingangspassage: It has been argued by many that this passage – as well as the introductory clause of 1.132 – tells us more about the religion of the Greeks than about that of the Persians. The information can be read as a catalogue of the essential elements of Greek cults: these consist of temples with altars and statues.90
Diese Beobachtung mag wohl zutreffen, sie unterstreicht jedoch auch den Befund, dass Herodot bei den Persern zuerst diese Veränderung und Gestaltung der natürlichen Umwelt – durch eine ihm und seinen Lesern wohl bekannte materielle Seite von Religion im Raum – thematisiert, aber dort nicht vorfinden kann.91 Die religiöse Verehrung des Himmels Während also die erste Beziehung von Raum und Religion ex negativo zum Ausdruck kommt, finden sich im Fortlauf des Textes zwei klare Bezüge von Religion bei den Persern zur natürlichen Umwelt und zum geographischen Raum in der unmittelbar folgenden Äußerung (Hdt. 1.131.2): Οἱ δὲ νομίζουσι Διὶ μὲν ἐπὶ τὰ ὑψηλότατα τῶν ὀρέων ἀναβαίνοντες θυσίας ἔρδειν, τὸν κύκλον πάντα τοῦ οὐρανοῦ Δία καλέοντες. Sie pflegen die Sitte, auf die Gipfel der Berge zu steigen und dort dem Zeus Opfer darzubringen, wobei sie den ganzen Himmelskreis „Zeus“ nennen.
Herodot lenkt zum einen explizit und positiv die Aufmerksamkeit auf die höchsten Berge (ἐπὶ τὰ ὑψηλότατα τῶν ὀρέων), einen natürlichen Ort, für die Verehrung und das Opfer für Zeus.92 Neben der signifikanten Verehrung von Zeus, dem persischen „Ahura Mazdā“,93 dessen persischen Namen Herodot jedoch nicht anführt, schließt er zum anderen nun eine weitere Information an, die sowohl von theologischem als auch kos89 90
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Es ist darauf hinzuweisen, dass die Ägypter bei Herodot als Erfinder dieser religiösen Gegenstände angesehen werden, cf. Hdt. 2.4 und die Kapitel IV. Religion im Raum und V. Religion in der Zeit. De Jong (1997) 95–96. Cf. dazu auch das Vorkommen dieser drei religiösen Gegenstände bei den Ägyptern, Hdt. 2.4, den Skythen, Hdt. 4.59 (Ἀγάλματα δὲ καὶ βωμοὺς καὶ νηοὺς οὐ νομίζουσι ποιέειν πλὴν Ἄρεϊ· τούτῳ δὲ νομίζουσι.) und in der Beschreibung des Zeus-Marduk Tempels in Babylon, Hdt. 1.183. Cf. dazu auch die Äußerung im Zusammenhang mit der aus Holz gebauten Stadt Gelone bei dem skythischen Stamm der Budiner, Hdt. 4.108.2 Ἔστι γὰρ δὴ αὐτόθι Ἑλληνικῶν θεῶν ἱρὰ Ἑλληνικῶς κατεσκευασμένα ἀγάλμασί τε καὶ βωμοῖσι καὶ νηοῖσι ξυλίνοισι […]. Cf. zu diesen Elementen in der komplexen und vielfältigen religiösen Welt der Elamisch-Iranischen Tradition, Henkelman (2008). Cf. De Jong (1997) 96–97 und Thomas (2011) 243. Cf. De Jong (1997) 96.
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mologischem Interesse ist: mit „Zeus“ werde aus persischer Perspektive (καλέοντες) „der ganze Himmelskreis“ bezeichnet.94 Durch diese Aussagen wird ein zweifacher Bezug persischer Religion zur natürlichen Umwelt hergestellt, der zwar einen durchaus allgemeinen Charakter besitzt, aber im Folgenden noch weiter ausgeführt wird. Im nächsten Schritt legt Herodot nun einen weiteren Bezug persischer Religion zur natürlichen Umwelt dar: dass die Perser sowohl die beiden Gestirne Sonne und Mond als auch die „vier Elemente“ (Erde, Feuer, Wasser und „Winde“, Luft) kultisch verehrten (Hdt. 1.131.2–3):95 Θύουσι δὲ ἡλίῳ τε καὶ σελήνῃ καὶ γῇ καὶ πυρὶ καὶ ὕδατι καὶ ἀνέμοισι. Sie opfern (ferner) der Sonne, dem Mond, der Erde, dem Feuer, dem Wasser und den Winden.
Herodot erläutert, dass die Perser nur diese Elemente der natürlichen Umwelt von Anfang an (Τούτοισι μὲν δὴ θύουσι μούνοισι ἀρχῆθεν) verehrt und erst später von der Göttin „Urania“ aufgrund des Kontaktes mit Assyrern und Arabern erfahren hätten (cf. dazu II.2.4 Religion im Vergleich).96 De Jong, der die angeführten Elemente vor dem Hintergrund der religionsgeschichtlichen Quellen erläutert,97 bemerkt, dass das Besondere dieses Katalogs nicht so sehr in den einzelnen Bestandteilen und der Verehrung der einzelnen Gottheiten liege, sondern vielmehr in deren Kombination:98 The Yasna, the liturgy of the daily ritual, almost begins with a sentence closely resembling Herodotus’ list: ‚I dedicate, I perform (the ritual) for these places and districts and pastures and homes and water-places, and to the waters and the earth(s) and the plants and to this earth and that heaven and to the righteous wind, to the stars, the moon, the sun and the boundless endless lights and all the male and female righteous creatures of the Bounteous Spirit, the lords of Righteousness‘ (Y. 1.16).99
Bei den genannten Gottheiten handelt es sich nach De Jong um „the standard collection of nature divinities honoured throughout the Zoroastrian tradition“100. Es ist festzuhalten, dass Herodot mit diesen Elementen, die als Gottheiten verehrt werden,
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Cf. De Jong (1997) 96–98. Cf. mit weiterführender Literatur Asheri (2007) 167 und zur Diskussion und Erläuterung der Gottheiten De Jong (1997) 99–103. 96 Cf. für Aphrodite in Syrien Hdt. 1.105, Assyrien Hdt. 1.199, Ägypten Hdt. 2.41, bei den Tyriern Hdt. 2.112, in Kyrene Hdt. 2.181, Arabien Hdt. 3.8, Skythien Hdt. 4.59.1 und Hdt. 4.67. Cf. auch De Jong (1997) 103–110. 97 Cf. dazu De Jong (1997) 98–103. 98 Cf. De Jong (1997) 102. 99 De Jong (1997) 102. 100 De Jong (1997) 102.
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II. Religion und Nomoi
einen fundamentalen Bezug persischer Religion zum natürlichen Raum und zur Umwelt bemerkt. Im Zusammenhang mit der Beschreibung des Opfers101 wird in Hdt. 1.132.1 die Bedeutung eines „reinen Ortes“ (χῶρον καθαρόν) für die Durchführung des Opfers ausdrücklich angeführt.102 Was unter einem „reinen Ort“ verstanden werden soll, wird an dieser Stelle nicht explizit ausgeführt.103 Im Zusammenhang mit diesem Aspekt der Reinheit können wohl auch die sozialen Verbote gesehen werden (Hdt. 1.133.3), in Gegenwart anderer nicht zu urinieren oder auszuspucken.104 Nähe und Distanz: die Grenze zum Anderen Ein insbesondere als „sozial“ und „interkulturell“ anzusehender Aspekt bei den Bräuchen der Perser betrifft Herodots Schilderung ihrer differierenden Wertschätzung bestimmter Menschen im Hinblick auf deren räumliche Nähe und Distanz zu ihnen selbst (Hdt. 1.134.2): Τιμῶσι δὲ ἐκ πάντων τοὺς ἄγχιστα ἑωυτῶν οἰκέοντας μετά γε ἑωυτούς, δεύτερα δὲ τοὺς δευτέρους, μετὰ δὲ κατὰ λόγον προβαίνοντες τιμῶσι· ἥκιστα δὲ τοὺς ἑωυτῶν ἑκαστάτω οἰκημένους ἐν τιμῇ ἄγονται, νομίζοντες ἑωυτοὺς εἶναι ἀνθρώπων μακρῷ τὰ πάντα ἀρίστους, τοὺς δὲ ἄλλους κατὰ λόγον [τῷ λεγομένῳ] τῆς ἀρετῆς ἀντέχεσθαι, τοὺς δὲ ἑκαστάτω οἰκέοντας ἀπὸ ἑωυτῶν κακίστους εἶναι. Ehre erweisen sie von allen (am meisten) denjenigen, die ihnen am nächsten wohnen – nach sich selbst –, die zweithöchste Ehre denen, die am zweitnächsten wohnen, und danach ehren sie entsprechend (weniger) weiter fortschreitend; am wenigsten aber betrachten sie diejenigen, die am fernsten von ihnen wohnen, mit Respekt, da sie glauben, sie selbst seien von den Menschen bei Weitem in allem die besten, die übrigen aber hätten nach dem genannten Maßstab Anteil an der Vorzüglichkeit, und die am weitesten von ihnen selbst entfernt Wohnenden seien die Schlechtesten.
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Cf. dazu Religion, Zeit und Sinne sowie Religion im Vergleich, 2.4. Herodot scheint an dieser Stelle angesichts der religionsgeschichtlichen Quellen die Situation vor der Einführung des Tempelkultes zu beschreiben. Cf. dazu De Jong (1997) 113–114. 103 De Jong (1997) bemerkt 113–114: „The definition of purity varies considerably, but in an Iranian context it would at least require an absence of dead matter. In Vd. 8.14–15, Zarathustra asks Ahura Mazdā if it is permitted to carry the sacred fire and the sacred ritual sticks (barsom) along a way where there have been corpses of dogs and men, and Ahura Mazdā answers that this is not allowed. This may be an indication of the requirements of the ritual space for an Iranian open-air sacrifice.“ Cf. zur religiösen Bedeutung des Feuers bei den Persern, Hdt. 3.16.3. 104 Cf. Hdt. 1.133.3 und 1.138 sowie De Jong (1997) 417–419.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
77
Herodot artikuliert an dieser Stelle für die Perser ein stark „auto“- oder persozentrisches Modell105 der Wertschätzung und des Respektes gegenüber Menschen und Völkern, in dem der räumlichen Nähe und Distanz eine entscheidende Bedeutung zukommt.106 Die Untersuchungen von Lincoln107 deuten darauf hin, dass hinter dieser Überlegung auch ein religiös bedingtes Konzept einer religiös-moralischen Semantik des geographischen Raumes stecken dürfte. Lincoln beschreibt bei den Persern eine „Ideologie des Zentrums“ („Ideology of the center“), die einen zentralen Aspekt des religiösen Weltbilds der Perser ausmache.108 Herodot behauptet weiter, dass dieses Prinzip der Wertschätzung gemäß dem Abstand von der eigenen Volksgruppe bereits unter der Herrschaft der Meder (Hdt. 1.134.3) bestanden habe und von den Persern übernommen worden sei.109 Ein bereits erwähntes, soziales Phänomen (Hdt. 1.138.1), das in zweifacher Weise pointiert den Zusammenhang von Religion und Raum berührt, ist der Ausschluss von „Lepra oder Leukra-Kranken“ (Ὃς ἂν δὲ τῶν ἀστῶν λέπρην ἢ λεύκην ἔχῃ) aus dem öffentlichen Raum (ἐς πόλιν οὗτος οὐ κατέρχεται οὐδὲ συμμίσγεται τοῖσι ἄλλοισι Πέρσῃσι).110 Herodot erläutert – allerdings in indirekter Rede (φασὶ δέ) –, dass diese Kranken mit einem religiösen Frevel gegenüber der Sonne in Verbindung gebracht würden (μιν ἐς τὸν ἥλιον ἁμαρτόντα τι ταῦτα ἔχειν). Sowohl der Ausschluss aus dem öffentlichen Raum als auch die Verbindung der Krankheit mit einem Frevel gegen die Sonne sind relevante Gesichtspunkte für den Zusammenhang von Raum und Religion.
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Lincoln (2007) 22–25 kommt in seinem Kapitel „Center and Periphery“ durch die Analyse altpersischer Inschriften zu diesem „Persocentric model“ (ebd. 23), dessen Logik sich in der Textpassage Herodots wiederfinden lässt. Immerwahr (1966) 185 Anm. 108 bemerkt zur Argumentation dieser Textpassage: „Without going into detail, I believe the general meaning to be as follows: (1) The Persians honor their neighbors in inverse proportion to the distance they live from them, thus considering themselves in the center, and consequently the best of all nations […].“ Cf. dazu auch Hdt. 2.121 über Rhampsinitos, der gemeint haben soll, dass die Ägypter klüger als die anderen Völker seien. Cf. Lincoln (2007) 22–25. Cf. dazu Lincoln (2012) bes. Kap. 11 „The Geography of Creation“ und Kap. 3 „Space, Motion and Climate in the Achaemenidian Imaginary“. Lincoln betont, ebd. 285: „Persians associated spatial centrality with moral preeminence and understood distance from the center to index the lesser righteousness of outlying populations. A proper city, state, or empire is thus expected to have truth at its center, so that the leadership it exercises can generate positive developments at the periphery. Conversely a center filled with lies is the worst case one can imagine, from which corruption will radiate outward.“ Zur Frage nach dem geographischen Ort der Schöpfung, ebd. „The Geography of Creation“, 202–223. Cf. zum Verständnis dieser Stelle Immerwahr (1966) 185 Anm. 108 und die Beobachtungen von Thomas (2011) 246. Cf. dazu De Jong (1997) 241–242.
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II. Religion und Nomoi
Die Reinhaltung der Umwelt Ein weiterer wichtiger Aspekt, der den Zusammenhang von persischer Religion und natürlichem Raum betrifft, ist die bereits explizit erwähnte Verehrung von Flüssen durch die Perser (Hdt. 1.138.2):111 […] ἀλλὰ σέβονται ποταμοὺς μάλιστα. […], sondern sie erweisen Flüssen die tiefste Ehrfurcht.
Wie bereits die adversative Partikel ἀλλὰ erkennen lässt, ist die Aussage von der Verehrung der Flüsse vor dem Hintergrund der vorausgehenden Äußerung zu verstehen, dass die Perser weder selbst in die Flüsse urinierten, spuckten, und nicht einmal die Hände darin wüschen noch es irgendjemandem nachsähen, der sich die Hände mit Flusswasser zu waschen versuche.112 Dass diese mit dem Verb σέβονται (Ehrfurcht erweisen, verehren) pointiert beschriebene religiöse Beziehung der Perser zu den Flüssen besonders vor dem Hintergrund bestimmter Handlungen persischer Herrscher gegenüber Flüssen – wie z. B. das Verhalten des Kyros gegenüber dem Gyndes (Hdt. 1.189–190) – im Lauf der Erzählung weiter illustriert wird, soll an dieser Stelle nur angedeutet werden.113 Im letzten Abschnitt der Textpassage über die Nomoi der Perser (Hdt. 1.140.1) stellt Herodot zuerst fest, dass er die zuvor genannten Dinge aus genauer Kenntnis mitteilen könne, während er über das Folgende (τάδε), den Umgang mit den Toten (περὶ τοῦ ἀποθανόντος), nur das mitteile, was gleichsam im Verborgenen (ὡς κρυπτόμενα) und nicht recht deutlich (οὐ σαφηνέως) gesagt werde (λέγεται): der Leichnam eines Persers werde nicht eher bestattet (ὡς οὐ πρότερον θάπτεται ἀνδρὸς Πέρσεω ὁ νέκυς), als dass er von einem Vogel oder einem Hund umhergezogen worden sei (πρὶν ἂν ὑπ’ ὄρνιθος ἢ κυνὸς ἑλκυσθῇ, Hdt. 1.140.1). Herodot fügt hinzu, dass er genau wisse (ἀτρεκέως οἶδα), dass die Mager es genauso hielten, da sie es sogar in der Öffentlich-
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Das Verhalten gegenüber Flüssen in den Historien, insbesondere deren Überquerung oder Bestrafung, ist für das Verständnis einiger Episoden der persischen Könige von eminenter Bedeutung. Cf. dazu Sesostris und Dareios in Hdt. 2.112.2, für Xerxes’ Athos-Kanal oder die Überbrückung des Hellespont (Hdt. 7.22.1 und Hdt. 7.34–6) und dazu von Scheliha (1931). Hdt. 1.138.2 Ἐς ποταμὸν δὲ οὔτε ἐνουρέουσι οὔτε ἐμπτύουσι, οὐ χεῖρας ἐναπονίζονται οὐδὲ ἄλλον οὐδένα περιορῶσι, ἀλλὰ σέβονται ποταμοὺς μάλιστα. Cf. zur außergewöhnlichen Bedeutung des Flusses Choaspes für die persischen Herrscher, Hdt. 1.188; Kyros‘ Frevel am Gyndes unmittelbar vor seinem Angriff auf Babylon, Hdt. 1.189, dazu insgesamt Wesselmann (2011) 55 ff., Lateiner (1989) bes. 129–135 und 89. Zu den Gewässerfreveln der persischen Könige, Wesselmann (2011) 55–63, zu den mythischen Folien, ebd. 63–74; die Überquerung des Araxes Hdt. 1.205 und Hdt. 1.208 führt unmittelbar zu seinem Scheitern und Tod. Cf. dazu auch Hdt. 7.34–5 die Episode von Xerxes am Hellespont sowie die Behandlung des Hellesponts. Über die religiöse Bedeutung des Nils für die Ägypter, cf. Kapitel IV. Religion im Raum.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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keit täten (ἐμφανέως γὰρ δὴ ποιεῦσι).114 In diesem Abschnitt wird also ein nicht nur religionsgeographisch interessanter Zusammenhang zwischen dem menschlichen Leichnam und der natürlichen Umgebung, insbesondere bestimmten Tieren, pointiert beschrieben. Eine Erklärung für dieses Totenritual gibt Herodot jedoch nicht. Vasunia, der eine Textsammlung zu diesem Thema bietet, bemerkt zur Aussetzung des Leichnams gegenüber Tieren („exposure to animals“) sowie dem Zusammenhang mit einer Verunreinigung der Erde: From the Zoroastrian perspective, however, the practice of exposure prevents the contamination of the earth (from direct burial) and does not defile the purity of fire (from cremation). […] In general, the corpse was said to be extremely polluted, and the corpse demon was believed to have occupied and contaminated it; hence efficient and speedy disposal was necessary.115
Ein weiterer konkreter Bezug zur natürlichen Umwelt findet sich in der anschließenden Behauptung (Hdt. 1.140.2), dass die Perser den Leichnam mit Wachs überzögen (κατακηρώσαντες) und ihn dann in der Erde beisetzten (τὸν νέκυν Πέρσαι γῇ κρύπτουσι).116 Das Überziehen des Körpers mit Wachs hat seinen Grund vermutlich darin, dass von dem toten Körper als verunreinigter Materie keine weitere Infizierung mehr ausgehen kann.117 Während nun die Beisetzung von Leichnamen durch archäologische Funde erhärtet werden kann, weist De Jong darauf hin, dass das Überziehen mit Wachs ein Geheimnis bleibe („remains a mystery“)118. Zur Erdbestattung des Leichnams und der obengenannten Praxis der Aussetzung bemerkt er zusammenfassend:
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Cf. dazu De Jong (1997) 432–446 mit weiterführender Literatur, sowie Boyce (1993) „Corpse, Disposal of, in Zoroastrianism“, EIr 6 (Encyclopaedia Iranica), 279–286, und Vasunia (2007) 189–205. Vasunia (2007) 191. Cf. zur Nicht-Verbrennung der Körper, ebd. 189–205, bes. 191–194. Cf. dazu De Jong (1997) 436–444. De Jong bemerkt ebd. 426: „This passage has puzzled scholars working from the perspective that exposure is the only Zoroastrian funerary practice for a long time (sc. Anmerkung 75 bezugnehmend auf die Arbeiten von Widengren, Benveniste und Nyberg). If viewed in the light of more recent discussions, however, the passage allows of a better understanding. The Magi, the priests, strictly observed the Avestan prescriptions, but the introduction of Zoroastrian funerary rites was not universally followed. It remains unclear to some extent whether all Persians practiced inhumation or whether the rites of exposure could be found among common Persians as well.“ Cf. de Jong (1997) 426 und Vasunia (2007) 191–192. Cf. auch den Art. „Burial“, iii in Zoroastrianism, EIr., in dem konstatiert wird: „The Zoroastrian faith teaches that the earth, one of the seven holy creations, belongs to the aməša spənta Spəntā Ārmaitī ‚Bounteous Devotion‘. Death being regarded as an evil brought about by Aŋra Mainyu (Ahriman), the Destructive Spirit, the corpse of a holy creature, particularly man or dog, is considered to be greatly infested by the druj Nasu, the creature of the Lie called Corpse-matter. Burial of ‚corpse matter‘ (nasā-nigānīh) would defile the earth (in the Sad dar, chap. 33, it is said that Spandārmad shudders when a corpse is buried) and was therefore prohibited. Equally, to exhume buried corpses was regarded as meritorious (Vd. 3.12).“ De Jong (1997) 437.
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II. Religion und Nomoi
Herodotus thus shows that there were at least two different funerary traditions: inhumation and exposure. Of these two traditions, the rites of exposure were religiously sanctioned, as is evident from the fact that the Magi practise them. The rites of inhumation were not religiously sanctioned, but it is not certain whether religious sanction was felt to be required. Whether they were opposed by the priesthood, does not emerge from Herodotus’ text, as it does not emerge from any solid evidence (other than the Avesta) before the Sasanian period.119
Bevor Herodot seine Ausführungen über die Nomoi der Perser beendet und wieder zur Haupterzählung (Hdt. 1.141.1) zurückkehrt, thematisiert er abschließend nochmals das Verhältnis persischer Religion zur natürlichen Umwelt. Dabei fokussiert er, wie bereits bemerkt wurde, auf das Verhalten der religiösen Experten der Perser, der Mager, gegenüber Tieren allgemein und im Besonderen.120 Herodot behauptet, dass sich die Mager in vielem sowohl von anderen Menschen als auch insbesondere von den ägyptischen Priestern unterschieden. Diese nämlich hielten Lebendiges für heilig und töteten nichts (οἱ μὲν γὰρ ἁγνεύουσι ἔμψυχον μηδὲν κτείνειν) außer, dass sie zum Opfer geweihte Tiere darbrächten (εἰ μὴ ὅσα θύουσι). Im Gegensatz dazu hebt er nun das Verhalten der Mager hervor (Hdt. 1.140.3), die eigenhändig (αὐτοχειρίῃ) alles außer Hund und Mensch töteten (πάντα πλὴν κυνὸς καὶ ἀνθρώπου κτείνουσι), und dies in einem großen Wettbewerb (ἀγώνισμα μέγα), indem sie gleichermaßen sowohl Ameisen als auch Vögel und alle übrigen Kriech- und Flugtiere töteten (κτείνοντες ὁμοίως μύρμηκάς τε καὶ ὄφις καὶ τἆλλα ἑρπετὰ καὶ πετεινά). Hinter dieser merkwürdig anmutenden Verhaltensweise, die Herodot nicht weiter erläutert, verbirgt sich wohl die Auffassung von bestimmten Kreaturen, genannt khrafstra, die vom Bösen Geist für böse Zwecke geschaffen sind, und deshalb durch die „Gläubigen“, insbesondere die Mager, zerstört werden sollen.121 Herodot bemerkt abschließend zu dieser Praxis der Mager mit einer gewissen Indifferenz (Hdt. 1.140.3): Καὶ ἀμφὶ μὲν τῷ νόμῳ τούτῳ ἐχέτω ὡς καὶ ἀρχὴν ἐνομίσθη, ἄνειμι δὲ ἐπὶ τὸν πρότερον λόγον. Nun mag es sich mit dieser Sitte verhalten, wie es von Anfang an üblich war; ich kehre zu meiner bisherigen Erzählung zurück.
119 De Jong (1997) 436. 120 Cf. zur Rolle der Mager auch Religion im Sozialen, 2.2. Zu den Magern als „ethnikon“, Hdt. 1.101, zur Herrschaft des Mager, Hdt. 3.66–7 und 3.73, zum großen Fest, der „magophónia“, Hdt. 3.79 sowie insgesamt De Jong (1997) 387–413. Cf. auch Vasunia (2007) 98–133. 121 Cf. dazu De Jong (1997) 338–342 mit Verweis auf Vendida 14.5–6. Zarathustra bezieht sich in den Gathas (cf. Yasna 34.9) auf die khrafstra.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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Die angeführten Beispiele veranschaulichen durch ihre Vielfalt, wie religiös verstandene Phänomene und Gegenstände sowie religiös motivierte Handlungen mit Blick auf den natürlichen Raum und die Umwelt in den Nomoi der Perser präsent sind. 2.4 Religion, Zeit und Sinne und Religion im Vergleich Obgleich insbesondere die Eingangspassage der Perser-Nomoi für die Rekonstruktion persischer Religionsgeschichte oft herangezogen wurde,122 finden sich tatsächlich nur wenige spezifisch religionsgeschichtliche Aspekte in der Erzählung über die Nomoi der Perser.123 Der Kontrast mit den zahlreichen religionsgeschichtlichen Aspekten in der Erzählung über Ägypten ist in diesem Zusammenhang sehr auffällig. An zwei Stellen, die im Folgenden skizziert werden, sind Religion und Zeit explizit Thema der Erzählung: im Kontext der Verehrung persischer Götter (Hdt. 1.131.2–3) und bei der Beschreibung der ethnozentrischen Wertschätzung (Hdt. 1.134.2–3).124 Nachdem Herodot bereits einleitend (Hdt. 1.131.1–2) die sinnlich wahrnehmbare Welt der persischen Religion in einem Vergleich ex negativo mit der griechischen kontrastiert hat125 und auf die Verehrung von Zeus (Οἱ δὲ νομίζουσι Διὶ) sowie der Himmelskörper (Sonne und Mond) und der vier Naturelemente bzw. -gewalten (Erde, Feuer, Wasser und Winde/Luft) eingegangen ist, thematisiert er in der unmittelbar folgenden Äußerung (Hdt. 1.131.3) zum ersten Mal in dieser Nomoi-Passage einen Aspekt der Zeit ausgehend von den genannten Göttern: Τούτοισι μὲν δὴ θύουσι μούνοισι ἀρχῆθεν, ἐπιμεμαθήκασι δὲ καὶ τῇ Οὐρανίῃ θύειν, παρά τε Ἀσσυρίων μαθόντες καὶ Ἀραβίων· καλέουσι δὲ Ἀσσύριοι τὴν Ἀφροδίτην Μύλιττα, Ἀράβιοι δὲ Ἀλιλάτ, Πέρσαι δὲ Μίτραν.
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Cf. dazu Mora (1985) 27–40. Cf. die religionsgeschichtlichen Aspekte bezüglich der persischen Könige im Kontext der Erzählung über Babylon, Hdt. 1.178–184, bes. Hdt. 1.183 und Hdt. 1.187–88. Für die persische Religionsgeschichte bei Herodot, Mora (1985) 27–40. 124 Bei der konstatierten Offenheit der Perser für die Übernahme fremder Bräuche (Hdt. 1.135.1–136) spielen zeitliche Aspekte ebenfalls eine Rolle. 125 Hdt. 1.131.1–2 […] ἀγάλματα μὲν καὶ νηοὺς καὶ βωμοὺς οὐκ ἐν νόμῳ ποιευμένους ἱδρύεσθαι […] und οὐκ ἀνθρωποφυέας ἐνόμισαν τοὺς θεοὺς κατά περ οἱ Ἕλληνες εἶναι. s. dazu oben. Angesichts des religionsästhetischen Befundes, der für einen mit der griechischen Religion Vertrauten durchaus bemerkenswert erscheinen dürfte, stellt sich die Frage, warum die Perser ihre Götter nicht so wie die Griechen verehren. Herodot begegnet dieser Anfrage an die griechische Religion mit der These, dass die Perser sogar den Menschen, die eine solche (griechische) Verehrung (mit Bildern, Tempeln und Altären) pflegen, Dummheit unterstellen, weil – wie er vermutet – sie annähmen, dass die Götter menschengestaltig seien. In diesem Eingangspassus der persischen Nomoi wird exemplarisch deutlich, wie mit der Frage nach einer fremden Religion, deren Wahrnehmung und Beschreibung, auch Fragen an die eigene verbunden sein können.
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II. Religion und Nomoi
Dies sind ursprünglich die einzigen Wesen, denen sie opferten; sie haben aber hinzugelernt, auch der Urania zu opfern, was sie von den Assyrern und Arabern gelernt haben. Die Assyrer nennen die Aphrodite Mylitta, die Araber Alilat, die Perser Mitra.
In diesem Zusammenhang möchte ich die Aufmerksamkeit nur auf den zeitlichen Aspekt richten, der im Zeitadverb ἀρχῆθεν (ursprünglich, von Anfang an) und dem Verb im Perfekt ἐπιμεμαθήκασι (sie hatten hinzugelernt) zum Ausdruck kommt. Damit weist Herodot auf eine Entwicklung innerhalb der persischen „Theologie“- und Religionsgeschichte hin. Auf eine erste Phase, in der nur die zuvor genannten Götter verehrt wurden, soll eine zweite Phase gefolgt sein, in der die Perser dazu auch die Göttin „Urania“ (Aphrodite) verehrt haben sollen.126 Die Verehrung dieser Göttin wird von Herodot auf den Kontakt mit Assyrern und Arabern zurückgeführt, bei denen diese Göttin als Mylitta und Alilat bekannt gewesen sei, während sie von den Persern „Mitra“127 genannt werde.128 Festzuhalten ist, dass Herodot an dieser Stelle für die persische Religion in wenigen Zügen eine Entwicklung bei der Verehrung der Götter skizziert. Auf die differierende Wertschätzung der Perser gegenüber bestimmten Menschen und Völkern im Hinblick auf deren räumliche Nähe und Distanz zu ihnen selbst (Hdt. 1.134.2) wurde bereits als ein Indiz für die Bedeutung des Raumes für die Nomoi der Perser hingewiesen (s. oben). In diesem Zusammenhang ist nun auf Herodots Behauptung mit einem Fokus auf die Zeit hervorzuheben, dass dieses „Prinzip der Wertschätzung“ bereits unter der Herrschaft der Meder (Hdt. 1.134.3) bestanden habe und von den Persern übernommen worden sei:129 Unter der Herrschaft der Meder hätten die Völker in verschiedenen Machtverhältnissen zueinander gestanden. Über alle zusammen hätten zwar die Meder geherrscht, insbesondere über diejenigen, die ihnen am nächsten wohnten.130 Diese aber herrschten wiederum über ihre Nachbarn, und so ging es fort. Nach demselben Prinzip würden auch jetzt die Perser mit ihrer Wertschätzung verfahren.131 In ähnlicher Weise, jedoch noch nicht so explizit wie in den vorausgegangenen zwei Beispielen, ist ein zeitlicher Aspekt auch bei der Vorstellung
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Zum sprach- und religionsgeschichtlichen Befund De Jong (1997) 103–110 und Hämeen-Anttila/ Rollinger (2002) 84–99. Zu verschiedenen Erklärungen des persischen Namens der Himmelsgöttin „Mitra“ ebd. 107–110. Zu Mithra in der Bedeutung „Compact, Contract, Treaty“ Lincoln (2012) 286 und 286 Anm. 56. Cf. zum religionsgeschichtlichen Befund De Jong (1997) 103, zu Aphrodite (Urania), Mora (1985) 86–90, zu Hdt. 1.131 und zur Verehrung der Aphrodite (in Syrien), Hdt. 1.105 bes. 86–88. Zur „analisi erodotea della diffusione del culto di Afrodite Urani“, ebd. 231–33. Cf. zum Verständnis dieser Stelle Immerwahr (1966) 185 Anm. 108. Cf. Hdt. 1.134.3. Cf. Asheri (2007) 169, der bemerkt, dass das an dieser Stelle beschriebene medische hierarchische System „imaginary“ sei: „It may be based on the distinction between Median ‚protectorates‘ with vassal-kings, and direct Persian rule through satraps.“
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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der in Hdt. 1.135–136 genannten „Sitten“ (z. B. dem Tragen medischer Kleidung, der Übernahme des ägyptischen Brustpanzers etc.) präsent, die Herodots These, dass „Perser von (allen) Menschen am meisten fremde Sitten annehmen“, illustrieren soll. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass Herodot in den Nomoi der Perser nur an wenigen Stellen zeitliche Aspekte von Religion thematisiert. Allerdings ließe sich wohl anhand der Erzählung über das Auftreten der persischen Könige in Babylon eine „kleine Religionsgeschichte“ der persischen Könige entdecken.132 Ästhetische Aspekte persischer Religion sind in den Nomoi der Perser ebenfalls nur spärlich zu finden. Eindrücklich ist Herodots ausführliche sinnliche Opferbeschreibung (Hdt. 1.132), in der neben der ex-negativo-Beschreibung insbesondere rituelle und symbolisch-ästhetische Aspekte in den Blick kommen und ebenso deutlich ein Fokus auf die soziale Dimension des Opfers zu erkennen ist (s. dazu oben).133 Religionsästhetische und religionspsychologische Aspekte finden sich in den Historien vor allem in den späteren Erzählungen über die Perserkönige. Ein eindrucksvolles Beispiel stellen die Handlungen und Verhaltensweisen des Königs Kambyses in Ägypten dar (Hdt. 3.1–38; dazu Kapitel VII. Religion in Interaktion).134 Die „Religion“ der Perser wird jedoch auch in den Perser-Nomoi an mehreren Stellen in pointierten Vergleich mit der griechischen Religion und weiteren Religionen gesetzt. Auf diesen Aspekt des Vergleichs möchte ich abschließend eingehen. Wie bereits bemerkt, wird zu Beginn der Nomoi zuerst ex negativo (Hdt. 1.131.1) auf bekannte Elemente und Bestandteile griechischer Religion verwiesen, indem Herodot die Abwesenheit von Weihbildern, Tempeln und Altären feststellt und explizit mit den religiösen Anschauungen der Griechen kontrastiert (… οὐκ ἀνθρωποφυέας ἐνόμισαν τοὺς θεοὺς κατά περ οἱ Ἕλληνες εἶναι). Bei der anschließenden Darstellung des persischen Pantheons und einer Skizze von dessen Entwicklung (Hdt. 1.131.2–3) behauptet Herodot, dass die Perser das Opfer für Urania von den Assyrern und Arabern „gelernt“ hätten, und diese (sc. himmlische „Aphrodite“) als Mylitta bzw. Alilat bezeichneten.135 In diesem Zusammenhang wird also ein kultureller und religiöser Einfluss konstatiert. In ähnlicher Weise wie bereits bei den abwesenden Elementen persischer Religion scheint in der ex-negativo-Beschreibung des persischen Opfers die Form des griechischen Opfers hindurch,136 so dass bei dieser Textpassage von einem echten „catalogue
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Cf. dazu Hdt. 1.178–184, bes. 183 und Hdt. 1.187–88. Zu einem Vergleich der Beschreibung Herodots mit dem Befund der elamischen Persepolistäfelchen Koch (1977) 141–153. Cf. auch den Art. „Sacrifice“ EIr. Cf. dazu Wesselmann (2011) 79–143, die zeigt, wie die Wahnsinns-Episoden bei Herodot mit der Kategorie des Frevels verbunden sind. Cf. z. B. Hdt. 3.64–66 der Traum und damit einhergehende Emotionen des Kambyses; die Klage um Smerdis; Weinen, Klagen; Hdt. 3.66 Weinen als Reaktion auf den Tod des Kambyses. Zur Diskussion um Alilat Hämeen-Anttila/Rollinger (2002) 84–99. Cf. dazu De Jong (1997) 110–119.
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II. Religion und Nomoi
of the Greek sacrificial essentialia“ die Rede sein kann.137 Verhaltensweisen der Griechen werden von Herodot auch an einer weiteren Stelle aus persischer Perspektive (bei den Essgewohnheiten, Hdt. 1.133.2) angeführt. Drei weitere Stellen138 sind für das Verhältnis der persischen Nomoi zu anderen Völkern aufschlussreich. Der skizzierte „Ethnozentrismus“ der Perser (Hdt. 1.134.2–3) erscheint als ein zentrales Element in der Wertschätzung und im Umgang der Perser mit anderen Völkern.139 Herodot fügt hinzu, dass sie mit dieser Anschauung bereits einer Tradition der Meder (Hdt. 1.134.3) folgen.140 Unmittelbar im Anschluss an die Ausführungen über den persischen Ethnozentrismus vertritt Herodot eine prägnante These, die für die Einstellung der Perser gegenüber den Bräuchen (νόμαια) fremder Völker besonders aussagekräftig ist (Hdt. 1.135.1): Ξεινικὰ δὲ νόμαια Πέρσαι προσίενται ἀνδρῶν μάλιστα. Fremde Sitten nehmen Perser von (allen) Menschen am meisten an.
Die im Folgenden angeführten Beispiele betreffen das Tragen sowohl eines bestimmten Gewandes der Meder, das die Perser für schöner hielten als ihre eigenen (τὴν Μηδικὴν ἐσθῆτα νομίσαντες τῆς ἑωυτῶν εἶναι καλλίω φορέουσι), als auch von ägyptischen Brustpanzern im Krieg (ἐς τοὺς πολέμους τοὺς Αἰγυπτίους θώρηκας). Darüber hinaus, behauptet Herodot, eigneten sich die Perser alle möglichen Annehmlichkeiten an, von denen sie erführen (Καὶ εὐπαθείας τε παντοδαπὰς πυνθανόμενοι ἐπιτηδεύουσι); als Beispiel führt er die Übernahme der griechischen Päderastie an (καὶ δὴ καὶ ἀπ’ Ἑλλήνων μαθόντες παισὶ μίσγονται). Auch wenn die genannten Beispiele nicht in einem engeren Sinn religiöse Gegenstände betreffen, so charakterisieren sie doch exemplarisch die von Herodot bei den Persern betonte Fähigkeit zur Auf- und Übernahme fremder Kulturpraktiken. Diese hier skizzierte Offenheit der Perser steht bei Herodot den scheinbar „geschlossenen Systemen“ sowohl der Ägypter (Hdt. 2.91.1) als auch der Skythen (Hdt. 4.76.1) gegenüber. Ein Bezug auf Repräsentanten und insbesondere religiöse Experten anderer Religion ist im letzten Abschnitt (Hdt. 1.140.2–3) bei der Charakterisierung der Mager und deren Tötung von bestimmten Tieren, den khrafstra, zu bemerken (s. oben). Durch einen anschaulichen Vergleich mit der kontrastierenden Haltung der ägyptischen 137 138 139
De Jong (1997) 110. Diese Stellen wurden bereits oben unter anderen Gesichtspunkten analysiert. Munson (2001) 151 beobachtet den Zusammenhang zwischen der „literally geometric notion of ethnocentrism“ der Perser, der durch die Ringstruktur des Diskurses des Ethnographen wiedergegeben werde, indem „die Perser selbst“ (ἑωυτούς) in das Zentrum und die „decreasingly inferior ‚others‘“ an die Peripherie auf jeder Seite gestellt werden. Weiter ist zu bemerken, dass durch die auffällige fünfmalige Wiederholung des Reflexivpronomens eine Bewegung des „Um-sich-selbstKreisens“ evoziert wird. 140 Cf. Lincoln (2012), „The Geography of Creation“, 202–12 und 283–288.
2. Religion innerhalb der Nomoi der Perser
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Priester gegenüber allem Lebendigen – „diese nämlich halten es für ein Gebot der Reinheit, kein beseeltes Wesen zu töten (οἱ μὲν γὰρ ἁγνεύουσι ἔμψυχον μηδὲν κτείνειν), außer denen, die sie als Opfer darbringen“ (εἰ μὴ ὅσα θύουσι) – hebt Herodot das Handeln der Mager hervor (Hdt. 1.140.3), die eigenhändig (αὐτοχειρίῃ) alles außer Hund und Mensch töteten (πάντα πλὴν κυνὸς καὶ ἀνθρώπου κτείνουσι). Dies täten sie in einem großen Wettbewerb (ἀγώνισμα μέγα), indem sie gleichermaßen sowohl Ameisen als auch Vögel und alle übrigen Kriech- und Flugtiere töteten (κτείνοντες ὁμοίως μύρμηκάς τε καὶ ὄφις καὶ τἆλλα ἑρπετὰ καὶ πετεινά). In dieser prägnanten Gegenüberstellung der ägyptischen Priester und der persischen Mager sowie dem Fokus auf ihre unterschiedliche Einstellung zum Leben der genannten Tiere deutet sich bereits der kulturelle und religiöse Konflikt um Kambyses in Ägypten an. Für die Frage nach der Begegnung persischer Religion mit anderen ist im Hinblick auf die gesamten Historien zu bemerken, dass später – z. B. im dritten Buch – anhand einzelner persischer Könige das Verhältnis und der Umgang der Perser zu und mit anderen Religionen veranschaulicht wird. Ein exponiertes Beispiel sind das Verhalten und die Handlungen des Kambyses in Ägypten, die als Gegenstand von Kapitel VII. „Religion in Interaktion“ genauer betrachtet werden. 2.5 Zusammenfassung: Religion innerhalb der Nomoi der Perser Abgesehen von der kurzen Eingangspassage über die Verehrung der Götter und das Opfer (Hdt. 1.131–2), die auch mit Burkerts Religionsbegriff erfasst würde, konnte gezeigt werden, dass sich in den persischen Nomoi weitere religiöse Dimensionen beobachten lassen. Ihre Berücksichtigung führt zu einem anderen und tieferen Verständnis darüber, wie Herodot religiöse sowie religiös motivierte Bräuche, Praktiken und Überzeugungen der Perser zum Ausdruck bringt. Die Analyse der Perser-Nomoi (Hdt. 1.131–140) veranschaulicht, wie in den Nomoi der Perser sozialen Dimensionen sowie dem Verhältnis von Religion zu natürlicher Umwelt und Raum eine besondere Bedeutung zukommt. Dieser Befund wird durch die pointiert beschriebenen Handlungen der wohl wichtigsten sozialen und religiösen Gruppe in den Nomoi – den Magern – unterstrichen. Die anderen Dimensionen sind in Herodots Erzählung zwar ebenfalls nachweisbar, spielen jedoch zumindest an dieser Stelle eine untergeordnete Rolle. So kommt die Zeit lediglich in Herodots Entwicklungsverständnis des persischen Pantheons und religiöser Bräuche zum Ausdruck. Die Sinne werden zum einen ex-negativo angesprochen, indem Herodot das Fehlen ästhetisch gestalteter Kultgegenstände bemerkt; zum anderen erzählt er in besonders anschaulicher und sinnlicher Weise von der Opferweise bei den Persern. Wie der Vergleich mit den Nomoi der Ägypter zeigt, ergeben sich teils starke und interessante Kontraste: So fehlen etwa bestimmte religiöse Gegenstände bei den Persern, während die Ägypter als deren Erfinder fungieren; der extremen Verehrung von
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II. Religion und Nomoi
Tieren in Ägypten tritt die Tötung von bestimmten Tieren durch die Mager gegenüber. Neben diesen Differenzen gibt es jedoch auch Ähnlichkeiten, z. B. bei der Hochschätzung oder gar Verehrung der Flüsse bzw. des Nils, die Herodot sowohl bei den Persern als auch bei den Ägyptern beobachtet und die von einem mehrdimensionalen Konzept von Religion erfasst werden.
III. Religion im Sozialen 1. Einleitung Vom „Eingebettetsein“ („embeddedness“) griechischer Religion in die Gesellschaft war bereits in der Einleitung die Rede.1 In einem Beitrag zur ägyptischen Religion bestimmt Jan Assmann diese in einer ersten Charakterisierung in ganz ähnlicher Weise als „weitgehend gleichbedeutend mit dem, was ‚Kultur‘ genannt werden könnte im Sinne fundamentaler Welt- und Wertorientierung.“2 Diese Einschätzungen zur griechischen und ägyptischen Religion lassen unabhängig von Herodots Darstellung eine Gemeinsamkeit beider Kulturen mit Blick auf die zentrale Bedeutung und Funktion von Religion in der jeweiligen Gesellschaft erkennen. Wenn ich nun im Folgenden die Aufmerksamkeit grundsätzlich auf die soziale Dimension von Religion in Herodots Erzählung über Ägypten richte, wird es vor dem skizzierten Hintergrund zu beiden Kulturen zunächst nicht verwundern, dass die meisten Äußerungen Herodots über Religion in Ägypten eine soziale Dimension aufweisen oder auf irgendeine Art und Weise in einen sozialen Kontext eingebettet sind. Es ist jedoch – sowohl aus Herodots als auch aus heutiger Sicht – durchaus nicht selbstverständlich, auf welche Weise Herodot religiös verstandene Phänomene, Ereignisse und Gegenstände in seiner Wahrnehmung Ägyptens und innerhalb der sozialen Welt Ägyptens beschreibt. Dazu gehören die Akteure und Gruppen, die er im sozialen
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Cf. dazu Bremmer (1994) 2–4, 2: „Whereas most Western countries have gradually separated church and state, the example of other societies, such as Iran and Saudi-Arabia, shows that this is not so everywhere. In ancient Greece, too, religion was totally embedded in society – no sphere of life lacked a religious aspect.“ Bremmer verweist für den Terminus auf den Artikel „Greek Religion“ von Parker (Parker (1986) 254–74, 265), in dem sich Parker auf die Einsicht von Wirtschaftshistorikern und deren Anwendung des Begriffs „‚embedded‘ economy“ beruft, um die antiken Bedingungen angemessener zu beschreiben: „Economic historians have found that the modern notion of an autonomous economy is inapplicable to ancient societies, where economic activity was influenced by innumerable social constraints. To describe ancient conditions, they have developed the concept of ‚embedded‘ economy. We need for the Greeks a similar concept of embedded religion. It was a social, practical, everyday thing.“ Cf. dazu die Kritik und die weiterführenden Überlegungen von Eidinow (2015) 54–79. Assmann (2003) 104–117, 104. Assmann nimmt jedoch unmittelbar darauf innerhalb dieses weiten Religions- und Kulturbegriffs weitere Differenzierungen vor.
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III. Religion im Sozialen
und religiösen Raum ausmacht, und die Frage, welche Bedeutung religiöse Gegenstände in Zusammenhang mit sozialen Handlungen in seiner Erzählung einnehmen. Die moderne Religionssoziologie3 beabsichtigt als empirische Wissenschaft – pointiert gesprochen – „Religiöses durch Rekurs auf Soziales zu erklären“.4 In Analogie zur Soziologie, die soziales Handeln oder die Gesellschaft zum Gegenstand ihrer Forschungen erhebt, untersucht die Religionssoziologie religiöses Handeln bzw. die Religion als Teilbereich des sozialen Handelns bzw. der Gesellschaft.5 Dabei steht die Religion als soziale Tatsache („fait social“) und als eine gesellschaftliche Realität im Fokus.6 Angesichts dieses modernen Horizonts der Religionssoziologie sowie des oben skizzierten Befundes zur Religion in Ägypten und Griechenland werde ich bei Herodots Erzählung über Ägypten in vier Schritten verschiedene Aspekte von Religion im Sozialen untersuchen und analysieren.7 Ein zentraler Aspekt der Verflechtung von Religion und Sozialem in Herodots Darstellung von Religion in Ägypten betrifft (2.) die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter, den Zusammenhang von Religiosität und bestimmten Bräuchen und Ritualen (innerhalb der Nomoi) sowie die innige Verbindung von Religiosität und Reinheit. Die Konzentration auf den wichtigen Aspekt der Reinheit als einer religiös-sozialen 3
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Das besondere Interesse der modernen Religionssoziologie an Religion gründet sich nach Hock (2002) 79 darauf, dass diese in soziologischer Perspektive „wie andere Äußerungen menschlicher Erfahrungen und Kultur – als Produkt menschlicher Interaktion, als eine spezifische Form der sozialen Konstruktion“ erscheint. Cf. zur Religionssoziologie und ihrer Geschichte Kehrer (1988a) 59–86. Kehrer (1988a) 59. Die folgenden Themenkomplexe sind nach Kehrer, ebd. 72, Gegenstände moderner religionssoziologischer Forschung: (1) Religion und die Stabilität der Gesellschaft, (2) Religion und Krisenbewältigung, (3) Religion und der Einfluss religiöser Ideen auf soziale Institutionen sowie (4) die Typologie religiöser Organisationen. Cf. dazu Hock (2002) 79. Cf. dazu Hock (2002) 81. Einer der Begründer der französischen Religionssoziologie, Émile Durkheim, bestimmte den Gegenstand der Religionssoziologie mit dem Schlüsselbegriff der sozialen Tatsache (fait social): Als „faits sociaux“ werden alle jene Handlungen beschrieben, „die nicht in das Belieben des Einzelnen gestellt, sondern gewissermaßen durch die Erwartung der Gesellschaft vorgeprägt sind.“ Ebd. 81. Zur Soziologie und ihrem Verhältnis zur Religion insbesondere bei Durkheim, Joas (2017) 111–163. Joas sieht die epochale Bedeutung von Durkheims Werk nicht nur „in der Konzentration auf kollektive körperliche Praktiken“, sondern auch „im Aufweis, dass aus diesen Praktiken die Zuschreibung einer Erfahrungsqualität hervorgeht, die sich von aller alltäglichen Erfahrung unterscheidet.“ Ebd. 113. Eine wichtige Beobachtung von Kehrer zur Begrenzung des Religionsbegriffs könnte auch für das Verständnis und den Umgang Herodots mit den ägyptischen Priestern (cf. Hdt. 2.3) von Interesse sein: „Die Begrenzung des Religionsbegriffs auf Systeme, die in theologischer Weise Vorstellungen über ‚spiritual beings‘ formulierten und variierten, droht in eine Sackgasse zu führen, die nur so lange sich nicht bemerkbar macht, wie der historische Reichtum dieser Systeme noch nicht völlig erforscht ist. Dabei wird übersehen, dass man sich den Forschungsgegenstand von den religionsausübenden Spezialisten vorgeben lässt. Die theoretisch anspruchsvollere Fragestellung der funktionalistischen Religionssoziologie hat fast wider Erwarten die Enge des traditionellen Religionsbegriffs gesprengt und die Aufmerksamkeit gelenkt auf Phänomene, die zuvor bestenfalls als religiöse Surrogate in den Blick gekommen waren.“ Kehrer ebd. 77.
2. Religiosität und Reinheit
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Kategorie leitet über (3.) zu einer Untersuchung der Priester, die sowohl eine Gruppe religiöser Experten als auch Autoritäten religiösen Wissens für Herodot darstellen.8 Die Untersuchung wird zeigen, wie Herodot die Gruppe der Priester innerhalb der ägyptischen Gesellschaft in ihrer Organisation, mit ihren Aufgaben, Funktionen und mit ihren Privilegien beschreibt.9 Im Anschluss daran werde ich eine Auswahl (4.) religiöser faits sociaux genauer untersuchen. In der Analyse zweier Erzählungen über ägyptische Feste werden zum einen soziale Handlungen in Bubastis (Hdt. 2.60) veranschaulicht, zum anderen die soziale Interaktion und Aggression in Papremis (Hdt. 2.63). Anhand der Beschreibung über Totenklage und Begräbnisriten, insbesondere der Praxis der Mumifizierung, sollen zuletzt neben religionssoziologischen auch religionsökonomische Perspektiven zur Sprache kommen.10 2. Religiosität und Reinheit Im Anschluss an die geographisch-geologische Annäherung an das Land Ägypten (Hdt. 2.6–34) behandelt Herodot die Andersartigkeit der Sitten und Lebensgewohnheiten der Ägypter an einigen ausgewählten Beispielen (Hdt. 2.35.2–36.4). Dabei spielt er in dieser stark rhetorisch gestalteten Eingangspassage zuerst mit typischen Vorurteilen und stereotypem Wissen über die andersartigen Ägypter.11 Zu Beginn (Hdt. 2.35.1–2) vergleicht er die Sitten und Lebensgewohnheiten analog zur Verschiedenheit des ägyptischen Himmels und der Natur des Flusses im Vergleich zu anderen Flüssen. Nachdem er den Blick auf einige Auffälligkeiten des ägyptischen sozialen Lebens gerichtet hat, kommt er auf die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter zu sprechen (Hdt. 2.37.1). Ein erster, wichtiger Ausgangspunkt für die Analyse ist die bemerkenswerte Charakterisierung der Ägypter als „außergewöhnlich“ oder „höchst gottesfürchtig“ (θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες Hdt. 2.37.1). Damit wird deutlich ein religiöses Feld markiert. Die Erläuterung der These, dass die Ägypter „höchst gottesfürchtig“ seien, wird von Herodot im Folgenden damit veranschaulicht (2.1), dass ihre außergewöhnliche Religiosität in ihren Lebensgewohnheiten zum Ausdruck komme. In einem zweiten Schritt ist zu beobachten (2.2), dass Herodot eine enge Verbindung zwischen der Religiosität der Ägypter und deren Reinheit und bestimmten Reinheitspraktiken und -vorschrif8
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Cf. dazu Hock (2002) 97: „Eine im engeren Sinne religionssoziologische Typologie konzentriert sich […] auf die konkreten religiösen und sozialen Rollen von Personen, denen innerhalb der Gemeinschaft besondere Autorität zukommt, auf ihre in Ritus, Kultus, religiöser Traditionspflege und Wissensvermittlung wahrgenommenen Funktionen.“ Zu den Priestern in der alten Welt allgemein Beard/North (1990). Cf. zur Religionsökonomie Koch (2014). Religionsökonomische Überlegungen behandle ich in dieser Untersuchung als Teil der Religionssoziologie. Cf. dazu Bichler (2000) 151–3.
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III. Religion im Sozialen
ten annimmt. Bei diesen Beobachtungen zeigt sich (2.3), dass Reinheit nicht nur für die ägyptische Gesellschaft insgesamt, sondern insbesondere und in noch höherem Maße für die religiösen Experten der Ägypter, die Priester, von außerordentlicher Bedeutung ist. In dieser ersten Untersuchung zu Herodots Annäherung an das religiös-soziale Leben in Ägypten wird zunächst deutlich, dass die außergewöhnliche Religiosität für Herodot ein signifikantes Merkmal der ägyptischen Gesellschaft und in einem engen Zusammenhang mit den Reinheitspraktiken der Ägypter zu verstehen ist. Außerdem wird durch die Beobachtungen zu diesen Zusammenhängen klar, dass es sich bei der Reinheit um eine, wenn nicht gar um die Schlüsselkategorie zum Verständnis des ägyptischen sozialen und religiösen Lebens handelt. 2.1 Die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter Die außergewöhnliche Religiosität scheint für Herodot ein signifikantes Merkmal der ägyptischen Gesellschaft und ein fait social zu sein (Hdt. 2.37.1): Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται. Sie sind höchst gottesfürchtig, am meisten von allen Menschen, und befolgen Gebräuche folgender Art.12
Bevor die Bedeutung dieser These weiter erläutert wird, sollen zuerst drei sprachlich auffällige Aspekte an dieser Äußerung bemerkt werden, die zum einen das verwendete Adjektiv (θεοσεβής), zum anderen das Adverb (περισσῶς) betreffen. (1) Das an dieser Stelle für die Qualifikation der Ägypter verwendete Adjektiv θεοσεβέες13 (nach LSJ: „gottesfürchtig, religiös“) wird an nur einer weiteren Stelle in den Historien nochmals gebraucht, nämlich in der Erzählung über den Lyderkönig Kroisos auf dem Scheiterhaufen nach der Einnahme von Sardes durch die Perser (Hdt. 1.86).14 Dabei erwägt Herodot alternative Gründe (εἴτε, εἴτε, εἴτε), warum der Perserkönig Kyros den Scheiterhaufen für Kroisos errichtet haben könnte. An dritter Stelle gibt er der Vermutung Ausdruck, Kyros habe vielleicht gehört, dass Kroi12 13 14
Alternative Übersetzung: „Weil sie am meisten von allen Menschen außergewöhnlich gottesfürchtig sind, pflegen sie derartige Bräuche.“ Das religiöse Feld wird deutlich durch zwei Begriffe markiert: Θεοσεβέες und νόμοισι. LSJ: fearing God, religious, Hdt. 1.86, 2.37, S. OC 260 (Sup.), Pl. Cra. 394d, al. Hdt. 1.86.2 Ὁ δὲ συννήσας πυρὴν μεγάλην ἀνεβίβασε ἐπ’ αὐτὴν τὸν Κροῖσόν τε ἐν πέδῃσι δεδεμένον καὶ δὶς ἑπτὰ Λυδῶν παρ’ αὐτὸν παῖδας, ἐν νόῳ ἔχων εἴτε δὴ ἀκροθίνια ταῦτα καταγιεῖν θεῶν ὅτεῳ δή, εἴτε καὶ εὐχὴν ἐπιτελέσαι θέλων, εἴτε καὶ πυθόμενος τὸν Κροῖσον εἶναι θεοσεβέα τοῦδε εἵνεκεν ἀνεβίβασε ἐπὶ τὴν πυρήν, βουλόμενος εἰδέναι εἴ τίς μιν δαιμόνων ῥύσεται τοῦ μὴ ζῶντα κατακαυθῆναι. Τὸν μὲν δὴ ποιέειν ταῦτα.
2. Religiosität und Reinheit
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sos θεοσεβής – ein „gottesfürchtiger“ Mann – sein solle (πυθόμενος τὸν Κροῖσον εἶναι θεοσεβέα), und er habe nun wissen wollen, ob einer der Götter ihn davor bewahren würde, lebendig verbrannt zu werden. (2) Bemerkenswert ist nun zweitens, dass die „Gottesfurcht“ als Teil der Religiosität der Ägypter durch das auffällige Adverb περισσῶς qualifiziert, möglicherweise auch quantifiziert wird, und dieses Wort ebenfalls nur ein weiteres Mal in den Historien in einem wichtigen religiösen Kontext des zweiten Buches vorkommt (Hdt. 2.65.1): In diesem Zusammenhang15 wird mit dem Adverb die besondere Praxis und Einhaltung religiöser Riten durch die Ägypter (θρῃσκεύουσι περισσῶς) bei der Heilighaltung von Tieren bezeichnet.16 (3) Ausgehend von diesen beiden Beobachtungen kann nun drittens bemerkt werden, dass die Verwendung von περισσῶς17 in Hdt. 2.37.1 und nochmals in Hdt. 2.65.1 signifikant genau den Teil der Erzählung im zweiten Buch umrahmt, in dem ausdrücklich und konzentriert von einem großen Teil ägyptischer religiöser Bräuche, Feste und Rituale die Rede ist.18 Diese sprachlichen Vorbemerkungen sollen den Blick auf die Bedeutung der oben genannten Aussage schärfen. Die von Herodot so explizit angeführte außergewöhnliche Religiosität der Ägypter ist meines Erachtens für Herodot eine Schlüsselkategorie für das Verständnis der sozialen und religiösen Ordnung der ägyptischen Gesellschaft sowie der dortigen Lebensgewohnheiten und Bräuche. 2.2 Religiosität und Bräuche (Nomoi) Wie sich die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter zu ihren Lebensgewohnheiten und Bräuchen (Nomoi) verhält, ist nun weiter zu untersuchen. Herodots zentrale
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Hdt. 2.65.1–3 Αἰγύπτιοι δὲ θρῃσκεύουσι περισσῶς τά τε ἄλλα περὶ τὰ ἱρὰ καὶ δὴ καὶ τάδε. Ἐοῦσα δὲ Αἴγυπτος ὅμουρος τῇ Λιβύῃ οὐ μάλα θηριώδης ἐστί. τὰ δὲ ἐόντα σφι πάντα ἱρὰ νενόμισται, οὐ τὰ μὲν σύντροφα [αὐτοῖσι] τοῖσι ἀνθρώποισι, τὰ δὲ οὔ. τῶν δὲ εἵνεκεν ἀνεῖται [τὰ] ἱρὰ εἰ λέγοιμι, καταβαίην ἂν τῷ λόγῳ ἐς τὰ θεῖα πρήγματα, τὰ ἐγὼ φεύγω μάλιστα ἀπηγέεσθαι. τὰ δὲ καὶ εἴρηκα αὐτῶν ἐπιψαύσας, ἀναγκαίῃ καταλαμβανόμενος εἶπον. νόμος δὲ ἔστι περὶ τῶν θηρίων ὧδε ἔχων. Powell (1938): Adv. περισσῶς (3) -ότερον excessively: θεοσεβέες 2.37.1; θρῃσκεύουσι 2.65.1; extravagantly: π. θάψαι τὴν θυγατέρα 2.129.3. Die komparative Form des Adverbs erscheint nur einmal im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Bestattung der Tochter des Königs Mykerinos (Hdt. 2.129.3). Cf. dazu Kapitel II.1 Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter. Während nun das Adjektiv (cf. LSJ: περισσός, Att. περιττός, ή, όν, […] beyond the regular number or size, prodigious; II. more than sufficient, superfluous; 2. in bad sense, superfluous, useless; 3. excessive, extravagant, μηχανᾶσθαι περισσά commit extravagances, Hdt. 2.32; 4. of persons, over-wise, over-curious) teils negativ oder auch abwertend gebraucht wird, scheint dies beim Adverb nicht der Fall zu sein. Cf. dazu LSJ: B. Adv. περισσῶς extraordinarily, exceedingly, θεοσεβέες π. ἐόντες Hdt. 2.37; […] 2. remarkably, περισσότερον τῶν ἄλλων θάψαι τινά more sumptuously, Hdt. 2.129. Cf. zum Adverb im Komparativ (περισσότερόν) die vorige Anmerkung. Die Wiederholung des Adverbs leitet in Verbindung mit dem Verb θρῃσκεύουσι in Hdt. 2.65.1–3 über zur Tierverehrung der Ägypter. Cf. dazu Kapitel IV. Religion im Raum.
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III. Religion im Sozialen
These in Hdt. 2.37.1 soll dafür nochmals genauer betrachtet werden, da sie auch unmittelbar das Verhältnis von Religion und Religiosität zu den νόμοι der Ägypter betrifft. Aufgrund der Partizipialkonstruktion (Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες, Hdt. 2.37.1) und der unterschiedlichen Färbung, die diese haben kann, enthält der Satz im Griechischen einen deutlichen Mehrwert an Bedeutung, der nur schwer in einer Übersetzung ausgedrückt werden kann. Um das Bedeutungsspektrum und verschiedene Sinnrichtungen anzudeuten, sollen vier Varianten (kausal, modal, konzessiv und adversativ) angeführt werden: – weil sie am meisten von allen Menschen höchst gottesfürchtig/religiös sind (kausale Färbung), pflegen sie derartige Lebensgewohnheiten und Rituale, – indem sie … (modale Färbung), – obwohl sie … (konzessive Färbung), – während sie … (adversative Färbung). Je nach Färbung der Partizipialkonstruktion verschiebt sich die Sinnrichtung der Aussage. Obwohl die meisten Übersetzer eine konzessive oder adversative Färbung an dieser Stelle ausschließen und eine kausale oder modale Färbung annehmen, sollte der Bedeutungsreichtum und Mehrwert des griechischen partizipialen Ausdrucks, den Herodot an dieser Stelle wählt, bemerkt werden.19 Ein konzessives Verständnis der Partizipialkonstruktion würde eine mögliche Diskrepanz und Spannung zwischen der behaupteten besonderen Religiosität der Ägypter und ihren Lebensgewohnheiten zum Ausdruck bringen. Sie könnte darüber hinaus auf eine subjektive Distanzierung des Erzählers hinweisen, der durch die Wahl einer solchen Partizipialkonstruktion im Griechischen Verständnis und Beurteilung der Religiosität der ägyptischen Religiosität dem Hörer und Leser überlässt. Denn das Verständnis der griechischen Aussage ist und bleibt mehrdeutig. Dieser höchst interessante Aspekt der mehrdeutigen Konstruktion liegt nun darin, dass der Leser, Hörer und damit jeder Interpret, nicht jedoch Herodot, die Entscheidung für sein Verständnis dieser zentralen These treffen muss. Herodots These besagt nun in der kausalen Färbung Folgendes: Weil die Ägypter am meisten von allen Menschen außergewöhnlich gottesfürchtig/religiös sind (Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων), pflegen sie die im Folgenden genannten Bräuche (νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται). Nach diesem Verständnis ist da19
Cf. z. B. die Übersetzung von Waterfield (1998) 109: „Because they are exceedingly religious, more so than any other people in the world, they have the following customs.“ oder Barguet (1964) 177: „Comme ils sont de beaucoup les plus religieux des hommes, ils observent certaines coutumes que je vais dire.“, ähnlich Legrand (1936) 91: „Les plus scrupuleusement religieux de tous les hommes, voici quel genre de règles ils observent.“ Die Übersetzung von Horneffer (1971) 115 „Sie sind höchst gottesfürchtig, mehr als alle anderen Völker. Folgende Gebräuche beobachten sie noch.“ wird der Partizipialkonstruktion des griechischen Textes nicht gerecht. Eine Auflösung des Partizips durch eine sinnvolle Beiordnung bietet Nesselrath (2017) 133: „Sie sind höchst gottesfürchtig, am meisten von allen Menschen, und befolgen Gebräuche folgender Art.“
2. Religiosität und Reinheit
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von ausgehen, dass sich die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter in der unmittelbar folgenden Schilderung der Bräuche zeigt und vielleicht sogar daran abgelesen werden kann.20 2.3 Religiosität und Reinheit Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Herodot eine enge Verbindung zwischen der außergewöhnlichen Religiosität der Ägypter und bestimmten Reinheitspraktiken annimmt, die bedeutsame Aspekte für Herodots Verständnis von Religion und Gesellschaft in Ägypten sind.21 Der allgemeine Zusammenhang von Religion, Reinheit und Gesellschaft wird treffend erhellt durch eine Überlegung der Anthropologin Mary Douglas über Schmutz und Reinheit, Unordnung und Ordnung: Reflection on dirt involves reflection on the relation of order to disorder, being to nonbeing, form to formlessness, life to death. Wherever ideas of dirt are highly structured their analysis discloses a play upon such profound themes. This is why an understanding of rules of purity is a sound entry to comparative religion.22
Um, von Herodots Text ausgehend, Klarheit über den Zusammenhang von Religion, Reinheit und den Lebensgewohnheiten der Ägypter zu gewinnen, ist es sinnvoll, die im Anschluss beschriebenen Lebensgewohnheiten und Bräuche (νόμοισι τοιοισίδε) genauer zu betrachten und zu fragen, in welcher Beziehung diese νόμοι zur behaupteten Religiosität der Ägypter stehen. Zuerst führt Herodot drei Beispiele aus dem alltäglichen Leben (Hdt. 2.37.1–2) an: Ἐκ χαλκέων ποτηρίων πίνουσι, διασμῶντες ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, οὐκ ὁ μέν, ὁ δ’ οὔ, ἀλλὰ πάντες. Εἵματα δὲ λίνεα φορέουσι αἰεὶ νεόπλυτα, ἐπιτηδεύοντες τοῦτο μάλιστα. Τά τε αἰδοῖα περιτάμνονται καθαρειότητος εἵνεκεν, προτιμῶντες καθαροὶ εἶναι ἢ εὐπρεπέστεροι.
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Cf. dazu den Kommentar und das Verständnis von Legrand (1936) 91: „Les détails qui suivent mettent en relief surtout la propreté des Égyptiens; la propreté a ici la valeur d’une manifestation religieuse.“ Quack (2013b) 115–58, 115 bemerkt in einem Beitrag zu Reinheitsbegriffen in der ägyptischen Religion: „To say that purity played a major role in Ancient Egyptian culture is hardly more than a triviality. Nevertheless it must be added that detailed research on what precisely purity in Ancient Egypt means has not yet reached the levels already seen for other cultures […]. The problem is by no means a lack of sources, but evidently the opposite. It almost seems that one is threatened with drowning in the vast sea of relevant texts and images.“ Quacks Beitrag liefert zahlreiche interessante Beispiele, insbesondere für die Reinheit der Priester, ebd. 122–28. Zu Hdt. 2.37 und Hdt. 2.41, ebd. 141–2. Cf. zu Religion und Reinheit in der griechischen Religion, Parker (1996) und Petrovic/ Petrovic (2016). Douglas (1966) 5–6 = Douglas (1988) 17.
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III. Religion im Sozialen
Sie trinken aus Bronzebechern und spülen sie jeden Tag aus, und zwar ohne Ausnahme alle. Sie tragen Kleider aus Leinen, die stets frisch gewaschen sind; darauf achten sie genau. Die Geschlechtsteile beschneiden sie aus Reinlichkeitsgründen; sie wollen lieber rein als anständig aussehend sein.
Die drei Beispiele veranschaulichen, wie in unterschiedlichen Phänomen- und Lebensbereichen der ägyptischen Gesellschaft, bei den Trinkgewohnheiten, der Bekleidung und im Hinblick auf die Genitalien (dem Beschneidungsritual) Sauberkeit bzw. Reinheit eine große Bedeutung zugeschrieben wird. Im ersten Fall wird die tägliche (ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην) allgemeinübliche Praxis (οὐκ ὁ μέν, ὁ δ’ οὔ, ἀλλὰ πάντες) der Reinheit und Sauberkeit im Hinblick auf die Trinkgewohnheiten und Trinkgefäße hervorgehoben, im zweiten Fall die regelmäßige (αἰεί) besondere Sorgfalt (ἐπιτηδεύοντες τοῦτο μάλιστα) bezüglich der Kleidungspraxis. Drittens wird bei der Beschneidung explizit das „Rein-Sein“ (καθαρειότητος εἵνεκεν / καθαροὶ εἶναι) betont als Vorzug vor dem schöneren äußerlichen Aussehen bzw. der „anständigeren“ Erscheinung (προτιμῶντες καθαροὶ εἶναι ἢ εὐπρεπέστεροι). Auffällig ist in allen drei Fällen die Verwendung des Präsens sowohl bei den Verben (πίνουσι, φορέουσι, περιτάμνονται) als auch bei den Partizipien (διασμῶντες, ἐπιτηδεύοντες, προτιμῶντες), was den „zeitlosen“ und gewohnheitsmäßigen Charakter der Handlungen unterstreicht.23 Wenn nun die angeführten Lebensgewohnheiten und Rituale als Belege oder Manifestationen24 für die Religiosität der Ägypter gelesen und verstanden werden können, so ist besonders auf die Gemeinsamkeit der drei Beispiele zu achten, die in der zuletzt angeführten Bemerkung über die Reinheit auch ausdrücklich hervorgehoben wird: Das, was die drei Phänomenbereiche verbindet, ist die Reinheit oder Reinlichkeitspraxis.25 Das Verhältnis zur „Reinheit“ bzw. zum „Rein-Sein“ scheint in der Wahrnehmung Herodots ein wichtiges Indiz für die besondere Religiosität der Ägypter zu sein. Dass es bei dieser Aufzählung besonders um die Hervorhebung der Eigenschaft der Reinheit als einer zentralen sozial-religiösen Kategorie26 zum Verständnis der ägypti-
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Cf. zur Verwendung des Präsens und insbesondere des Imperfekts im Zusammenhang mit dem adverbialen Ausdruck ἐς ἐμέ bei Herodot, Naiden (1999) 135–147, mit Appendices, 147–9 sowie Rösler (2002) 91–3 und Grethlein (2013) 221–2. Zur häufigen Beschreibung von Bräuchen im Präsens bemerkt Naiden, ebd. 137: „For Herodotus, customs are likely to be permanent.“ Cf. dazu die Bemerkung von Grethlein (2013) 221: „Herodotus tends to use the present tense when he reports on customs, places and material objects […].“ Cf. Legrand (1936) 91 n. 4. Cf. zum Phänomen der Reinheit und Reinigung in der griechischen Religion Burkert (1977) 129– 139, Parker (1996), Hoessly (2001) und Petrovic/Petrovic (2016). Zur Konzeption von Reinheit mit ihren räumlichen, zeitlichen und sozialen Dimensionen und einer Konzentration auf den religiösen Aspekt die Einleitung von Frevel/Nihan (2013) 1–22, bes. 18, in der die beiden Herausgeber beobachten, dass Reinheit (ebd. 17) nicht nur einen Begriff der Objektsprache darstellt, sondern auch als Begriff zweiter Ordnung („second order term“) in der metasprachlichen Beschreibung kultureller und religiöser Systeme verwendet wird. Darüber hin-
2. Religiosität und Reinheit
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schen Gesellschaft geht, wird durch eine weitere Beobachtung gestützt. Während das Ritual der Beschneidung bereits erwähnt wurde (Hdt. 2.36.3), wird es an dieser Stelle zum zweiten Mal angeführt, jedoch mit der wichtigen zusätzlichen Bemerkung, dass die Reinheit das bestimmende Motiv für die Praxis der Beschneidung (καθαρειότητος εἵνεκεν) sei.27 Wie auch weitere Äußerungen über Reinheit und Unreinheit bei den Priestern28 und insbesondere bezüglich der Opferpraxis29 zeigen, ist diese Eigenschaft eine wichtige Kategorie für Herodots Verständnis der sozial-religiösen Ordnung der ägyptischen Gesellschaft. Die Ordnung des Textes und die soziale Ordnung Eine weitere Beobachtung zur literarisch-syntaktischen Gestaltung der oben zitierten Textpassage lädt zu einer Deutung ein, welche die formale Struktur des Textes analog zur Struktur des behandelten Gegenstandes von einer anthropologischen und religionswissenschaftlichen Perspektive aus beleuchtet. Zu beachten ist die auffallend parallele und gleichförmige syntaktische Struktur der drei Sätze: (a) Ἐκ χαλκέων ποτηρίων ‖ (b) πίνουσι ‖ (c) διασμῶντες ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην, οὐκ ὁ μέν, ὁ δ’ οὔ, ἀλλὰ πάντες. (a) Εἵματα δὲ λίνεα ‖ (b) φορέουσι ‖ αἰεὶ νεόπλυτα, (c) ἐπιτηδεύοντες τοῦτο μάλιστα. (a) Τά τε αἰδοῖα ‖ (b) περιτάμνονται ‖ καθαρειότητος εἵνεκεν, (c) προτιμῶντες καθαροὶ εἶναι ἢ εὐπρεπέστεροι.
Auf den (a) präpositionalen Ausdruck im ersten Satz oder den Objektbereich zu Beginn des zweiten und dritten Satzes folgen jeweils (b) das Prädikat (πίνουσι, φορέουσι, περιτάμνονται) und ein (c) Partizip. Abgesehen von dem abweichenden präpositionalen Ausdruck im ersten Satz (Ἐκ χαλκέων ποτηρίων) ist in syntaktisch-formaler Hinsicht eine klare und feste Ordnung zu erkennen. An dieser Stelle konvergiert sie besonders auffällig mit dem beschriebenen Inhalt. Von dem Befund der syntaktischformalen Ordnung ausgehend kann nun der Gehalt des Textes mit Erkenntnissen anthropologisch-religionswissenschaftlicher Untersuchungen zum Phänomen und Be-
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aus stellen sie fest (ebd. 18): „By concentrating on the religious aspect (sc. of purity), the present volume assumes that the dichotomy pure/impure is part of the specific terminology of religions. Without assuming unified and totally coherent systems of religious thought, purity – especially in the ancient Western Mediterranean – is considered to be religiously related to, or at least part of, the intrinsic logic (‚Eigenlogik‘) of religions.“ Cf. speziell zur Beschneidung im Alten Ägypten Quack (2012) 561–651. Hdt. 2.37.2–3 und Hdt. 2.37.5. Hdt. 2.38.1–3, 2.40.3, 2.41.1, 2.41.3 und 2.45.2.
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III. Religion im Sozialen
griff der Reinheit verbunden werden.30 Die „Kategorien Rein und Unrein“ sind aus anthropologischer und religionswissenschaftlicher Perspektive „Elemente der Kommunikation über die hygienischen, psychologischen und kulturellen Aspekte menschlichen Handelns“ und insbesondere Reinheitsvorschriften können (nach Mary Douglas) als „symbolische Klassifikationssysteme“ verstanden werden, „mit deren Hilfe eine Gesellschaft Wirklichkeit strukturiert“.31 „Rein“ und „Unrein“ erscheinen vor diesem Hintergrund als „symbolische Kategorien von Ordnung und Anomalie“, die – „in Form hygienischer Vorschriften, physischer und psychischer Vorgänge – soziale Wirklichkeit“ konstituieren.32 Die syntaktisch-formale Ordnung der Textpassage konvergiert auffällig mit der durch die Reinigungsvorschriften konstituierten sozialen Ordnung der ägyptischen Gesellschaft, die Herodot beschreibt. Herodots Fokus auf das Phänomen der Reinheit und insbesondere die Reinheitsgebote innerhalb bestimmter religiöser Kreise der ägyptischen Gesellschaft wird noch weiter veranschaulicht, wenn sich unmittelbar im Anschluss die Aufmerksamkeit auf die Gruppe der Priester richtet, eine Gruppe „religiöser Experten“, denen sowohl eine bestimmte religiöse Autorität als auch ein besonders starker Bezug zu bestimmten Reinheitsritualen zukommt.33 Die Reinheit der Priester Im Folgenden ist zu sehen, wie Reinheit nicht nur für die ägyptische Gesellschaft insgesamt, sondern in noch höherem Maße für die religiösen Experten der Ägypter, die Priester, von außerordentlicher Bedeutung ist.34 Es ist an dieser Stelle zu bemerken,
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Cf. dazu Bendlin (1998) 412–416. Ebd. 412. Ebd. 413. Zur Funktion und zu Methoden von Reinigung in der griechischen Religion Burkert (1977) 129–29, bes. 129–132. Cf. zur Reinheit bei den Priestern in Ägypten mit eindrucksvollen Textbeispielen Quack (2013b) 122–8. Cf. zu den Priestern in der griechischen Religion Burkert (1977) 157–163 und seine Bemerkung, ebd. 157: „Man könnte die griechische Religion geradezu eine Religion ohne Priester nennen: Es gibt keinen Priesterstand als geschlossene Gruppe mit fester Tradition, Ausbildung, Weihe und Hierarchie […].“ Zur Reinheit bei den griechischen Priestern bemerkt Burkert, ebd. 163: „Als gemeinsamer Nenner dessen, was vom Priester gefordert wird, bleibt die dem ‚Heiligen‘ entsprechende ‚Reinheit‘, hagneía. Dazu gehört die Vermeidung von Kontakt mit Toten und Wöchnerinnen, die polare Beziehung zur Sexualität. Lebenslangen Coelibat gibt es kaum. Speisetabus und Fasten sind von Fall zu Fall zu beachten.“ Eine Untersuchung zu griechischen Priestern mit Fallbeispielen von Homer zu Heliodor bietet der Sammelband von Dignas/Trampedach (2008), zur Problematisierung des Begriffs die Einführung von Henrichs, ebd. 1–14, zu den Priestern als „Ritual Experts“ in der griechischen Welt Chaniotis, ebd. 17–34. Cf. zu den Priestern in Ägypten die folgenden Artikel: Art. „Laienpriester“ in Bonnet (1952) 413–6, Art. „Priester“, ebd. 596–606, und Art. „Priesterin“, ebd. 607–8.
2. Religiosität und Reinheit
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dass sich der gewöhnliche Name für die ägyptischen Priester von der Wurzel „rein sein“ ableitet.35 In diesem Zusammenhang wird nun deutlich, dass Reinheit als ein Merkmal für soziale Differenzierung in Ägypten anzusehen ist. Bei der Beschreibung der Gruppe der Priester kommt dem Aspekt der Reinheit eine zentrale und signifikante Bedeutung zu (Hdt. 2.37.2–4): Οἱ δὲ ἱρέες ξυρῶνται πᾶν τὸ σῶμα διὰ τρίτης ἡμέρης, ἵνα μήτε φθεὶρ μήτε ἄλλο μυσαρὸν μηδὲν ἐγγίνηταί σφι θεραπεύουσι τοὺς θεούς. Ἐσθῆτα δὲ φορέουσι οἱ ἱρέες λινέην μούνην καὶ ὑποδήματα βύβλινα, ἄλλην δέ σφι ἐσθῆτα οὐκ ἔξεστι λαβεῖν οὐδὲ ὑποδήματα ἄλλα. Λοῦνται δὲ δίς τε τῆς ἡμέρης ἑκάστης ψυχρῷ καὶ δὶς ἑκάστης νυκτός, ἄλλας τε θρησκείας ἐπιτελέουσι μυρίας ὡς εἰπεῖν λόγῳ. Die Priester rasieren sich alle zwei Tage am ganzen Körper, damit sich weder eine Laus noch anderes Ungeziefer bei ihnen als Dienern der Götter festsetzen kann. Als Kleidung tragen die Priester nur ein leinenes Gewand und aus der Byblosstaude gefertigte Schuhe; andere Kleidung oder anderes Schuhwerk dürfen sie nicht tragen. Sie baden zweimal an jedem Tag in kaltem Wasser und auch zweimal jede Nacht, und sie befolgen noch andere, geradezu unzählig viele Riten.36
Zuerst wird die Körperpflege der Priester, darauf die Kleiderordnung in Form eines Kleidergebotes und drittens nochmals die außerordentliche Körperpflege bei den Priestern thematisiert.37 Damit werden sehr deutlich den Körper betreffende religionsästhetische Aspekte in den Vordergrund gestellt. Rein sprachlich ist zu bemerken, dass in Herodots Beschreibung wiederum alle Verben in der Präsensform gebraucht werden (ξυρῶνται, φορέουσι, λοῦνται, ἐπιτελέουσι). Dadurch wird auf den „zeitlosen“, iterativen und gewohnheitsmäßig-rituellen Charakter dieser Handlungen hingewiesen.38 Die Beschreibung der Priester und die bei ihnen üblichen Reinheitsgebote beschließt Herodot nun mit der pointierten These, dass die Priester auch noch unzählige andere
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Cf. Quack (2013b) 122 und die Erklärung im Art. „Laienpriester“ in Bonnet (1952) 413: „Die Anschauung, dass für die Ausübung kultischer Funktionen die Ausstattung mit besonderen Kräften erforderlich sei, ist dem Äg. fremd. Der Dienst an der Gottheit ist darum nicht einem eng umgrenzten Kreis charismatisch begabter Priester vorbehalten, vielmehr ist jeder zu ihm zugelassen, sofern er ein Web, d. h. ein Reiner, ist.“ Der Art. „Priester“ in Bonnet (1952) 596 macht darauf aufmerksam, dass „die Zulassung zum Priesterdienst […] seit alters auf eine privilegierte Schicht, die „Reinen“, beschränkt“ sei und „der Eintritt in den Priesterstand […] notwendig den Nachweis der Zugehörigkeit zu jener Schicht zur Voraussetzung“ habe. LSJ: θρησκ-εία, Ion. θρησκ-είη, ἡ, (θρησκεύω) religious worship, cult, ritual, ἡ περὶ τὰ ἱρὰ θ. Hdt. 2.18; pl., rites Hdt. 2.37 D. H. 2.63. Cf. dazu Lloyd (1976) 165–7 mit weiterführender Literatur. Wenn man das Rasieren des Körpers mit der Beschneidung vergleicht, wiederholt Herodot dieselben Kategorien wie zuvor: Waschen, Kleidung, Körper(pflege). Cf. dazu auch oben die Beispiele in Hdt. 2.37.1–2.
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III. Religion im Sozialen
Riten und Rituale (θρησκείας) ausrichteten. Durch diese Aussage gibt er klar zu erkennen, dass er noch über weitere Rituale bei den Priestern Auskunft geben könnte, dies jedoch nicht tut. Diese Beobachtung zeigt, dass für Herodot bereits hinreichend Indizien für die These sprechen, dass sich die ägyptischen Priester durch einen besonderen Reinheitsanspruch auszeichnen, der sie als Repräsentanten des religiösen Symbolsystems auch sichtbar macht. Es ist wichtig zu bemerken, dass der Aspekt der Reinheit in der gesamten folgenden Darstellung (Hdt. 2.38–65) über die ägyptischen religiösen Fest- und Opferbräuche weiterhin präsent bleibt und an einigen Stellen wieder besonders hervorgehoben wird.39 Im Folgenden richtet sich jedoch Herodots Aufmerksamkeit (Hdt. 2.37.4–5) auf die Tätigkeiten und die Privilegien, die der Gruppe der Priester aus ihrer religiösen Sonderstellung erwachsen. Die soziale Stellung der Priester rückt nun in den Vordergrund. 3. Die Priester als Gruppe 3.1 Autoritäten des Wissens Nachdem die ägyptischen Priester bereits einmal im ersten Buch (Hdt. 1.140) im Kontrast zur Tötungsbereitschaft der persischen Mager erwähnt werden, kommt ihnen vom Beginn des zweiten Buches an (Hdt. 2.2.5–3.1) eine erzähltechnisch wichtige Funktion zu.40 Sie werden von Herodot als wichtige Zeugen bei verschiedenen Fragen und Aussagen über Ägypten und die ägyptische Kultur (cf. Hdt. 2.3–5), z. B. zur Entstehung des Landes (cf. Hdt. 2.10, 13), eingeführt.41 Abgesehen von König Psammetichos, den beiden Kindern und den Hirten des Psammetichos-Experiments, werden die Priester als erste konkrete Gruppe der ägyptischen Gesellschaft mit einer besonderen Autorität angeführt und lokal unterschieden: die Priester des Hephaistos in Memphis, die Priester in Theben und die in Heliopolis. Von diesen werden die zuletzt genannten heliopolitischen Priester als besonders gelehrt (λογιώτατοι) bezeichnet.42 Die Priester sind im zweiten Buch also zuerst unter diesem Wissens- und Informationsaspekt 39
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Zu vergleichen sind die folgenden Äußerungen: Hdt. 2.40.3 (reines Brot als Rinderfüllung beim Opfer), Hdt. 2.41.1 (reine männliche Rinder opfern alle Ägypter), Hdt. 2.41.3 (Fleisch eines reinen Rinds), Hdt. 2.45 (Schweine, Stiere und Kälber als Opfer, sofern sie rein sind). Von besonderer Bedeutung ist die markant in Hdt. 2.64 angeführte Gemeinsamkeit zwischen Ägyptern und Griechen bezüglich der Vorstellung von Unreinheit durch Geschlechtsverkehr. Cf. zu Unreinheit und Reinheit in der griechischen Religion Petrovic/Petrovic (2016). Cf. zu den ägyptischen Priestern innerhalb der ägyptischen Gesellschaft Haziza (2009) 169–74, insbesondere zur Begegnung des Hekataios mit den Priestern in Theben Moyer (2002) 70–90 und ders. ähnlich (2012) 42–83. Cf. auch Kapitel V. Religion in der Zeit mit weiterer Literatur. Für Erklärungsmodelle mit Bezug auf die priesterlichen Informanten zur Frage der Glaubwürdigkeit des Ägyptenlogos Froschauer (1991) 45–95. Cf. Hdt. 2.3.1 und dazu Kapitel V. Religion in der Zeit sowie Kapitel IV. Religion im Raum.
3. Die Priester als Gruppe
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für Herodot und die Erzählung von Bedeutung, dies nicht zuletzt gegenüber griechischen Vorstellungen und Erzählungen über Ägypten. Auf ihre soziale Stellung geht er im Folgenden nur kurz ein. Allerdings kommt er in einem späteren Zusammenhang (Hdt. 2.163–168) nochmals auf die Priester und deren soziale Stellung neben weiteren Gruppen bzw. Klassen der ägyptischen Gesellschaft zu sprechen (s. unten). 3.2 Privilegien und Organisation Neben den religionsästhetisch anschaulichen Reinheitspraktiken und als Kontrast zu den unzähligen Ritualen sowie den damit verbundenen Pflichten, die von den Priestern wahrgenommen werden, macht Herodot nun deutlich (Hdt. 2.37.4), dass sie auch viele Privilegien genießen (Πάσχουσι δὲ καὶ ἀγαθὰ οὐκ ὀλίγα·). Zu diesen Privilegien gehört es, dass sich die Priester nicht aus ihrem eigenen Privatvermögen ernähren müssen, sondern dass ihnen jeden Tag heiliges Brot (σιτία ἱρά) gebacken und eine Menge an Fleisch von Rindern und Gänsen geliefert wird. Auch Traubenwein werde ihnen gegeben (Hdt. 2.37.4).43 Betont wird an dieser Stelle also die soziale und ökonomische Sonderstellung der Priester, die von den Abgaben und Erzeugnissen anderer Menschen leben können. Abgesehen von dieser ökonomischen Sonderstellung sollen sich die Priester durch Enthaltsamkeit in den folgenden Bereichen auszeichnen: Sie essen keinen Fisch und enthalten sich der Bohnen, die sie nicht einmal anblickten, weil sie annähmen, dass Hülsenfrüchte nicht rein (οὐ καθαρόν) seien.44 Herodot äußert sich auch über die innere Organisation der ägyptischen Priester (Hdt. 2.37.5): Ἱρᾶται δὲ οὐκ εἷς ἑκάστου τῶν θεῶν ἀλλὰ πολλοί, τῶν εἷς ἐστι ἀρχιερεύς· ἐπεὰν δέ τις ἀποθάνῃ, τούτου ὁ παῖς ἀντικατίσταται. Priester gibt es für jeden der Götter nicht nur einen, sondern viele, von denen einer der Oberpriester ist. Stirbt ein Priester, so tritt sein Sohn an seine Stelle.45
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Hdt. 2.37.4 οὔτε τι γὰρ τῶν οἰκηίων τρίβουσι οὔτε δαπανῶνται, ἀλλὰ καὶ σιτία σφί ἐστι ἱρὰ πεσσόμενα, καὶ κρεῶν βοέων καὶ χηνέων πλῆθός τι ἑκάστῳ γίνεται πολλὸν ἡμέρης ἑκάστης, δίδοται δέ σφι καὶ οἶνος ἀμπέλινος. Hdt. 2.37.4–5 ἰχθύων δὲ οὔ σφι ἔξεστι πάσασθαι. Κυάμους δὲ οὔτε τι μάλα σπείρουσι Αἰγύπτιοι ἐν τῇ χώρῃ, τούς τε γενομένους οὔτε τρώγουσι οὔτε ἕψοντες πατέονται· οἱ δὲ δὴ ἱρέες οὐδὲ ὁρέοντες ἀνέχονται, νομίζοντες οὐ καθαρὸν εἶναί μιν ὄσπριον. Cf. zum Bohnen- und Fischverbot Lloyd (1976) 168–9 sowie (ad Hdt. 2.72) ebd. 314–6 und Bichler (2000) 153 Anm. 31, der darauf hinweist, dass „das strikte Bohnentabu – ein Signal für Pythagoreische Anschauungen –“ als „indirekter Vorausverweis auf die These“ verstanden werden kann, „dass der Pythagoreismus als ägyptischer Import angesehen wird“. Cf. dazu Lloyd (1976) 169–170.
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III. Religion im Sozialen
Wie aus diesen Angaben hervorgeht, sind jeweils mehrere Priester für einen Gott zuständig und unter diesen soll sich auch ein Oberpriester (ἀρχιερεύς) befinden.46 Es gibt also Anzeichen für eine weitere Differenzierung innerhalb der Priesterschaft und eine zweistufige Hierarchie unter den Priestern (zur Arbeitsteilung s. unten). Des Weiteren wird bemerkt, dass die Nachfolgeregelung der Priester durch ein Erbschaftsprinzip geregelt werde.47 Obgleich diese Angaben sicherlich von einem gewissen Grad an Allgemeinheit geprägt sind und keine Details beleuchten, richten sie doch die Aufmerksamkeit auf die soziale, innere Organisation des religiösen Symbolsystems in Ägypten und insbesondere auf die Organisation der Priester. Die privilegierte soziale Stellung der Priester innerhalb der ägyptischen Gesellschaft wird nochmals in einem späteren Zusammenhang des zweiten Buches (Hdt. 2.163–4, 168) thematisiert, wenn von Apries und seinem Heer aus karischen und ionischen Söldnern die Rede ist. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass Religion auch bei der sozialen Differenzierung eine Rolle spielt. Denn Herodot gibt einen Abriss der sozialen Ordnung der ägyptischen Gesellschaft, in dem die Priester als erste vor der Gruppe der Krieger (μάχιμοι) aufgeführt werden (Hdt. 2.164.1): Ἔστι δὲ Αἰγυπτίων ἑπτὰ γένεα, καὶ τούτων οἱ μὲν ἱρέες, οἱ δὲ μάχιμοι κεκλέαται, οἱ δὲ βουκόλοι, οἱ δὲ συβῶται, οἱ δὲ κάπηλοι, οἱ δὲ ἑρμηνέες, οἱ δὲ κυβερνῆται. Γένεα μὲν Αἰγυπτίων τοσαῦτά ἐστι, οὐνόματα δέ σφι κεῖται ἀπὸ τῶν τεχνέων. Die Ägypter haben sieben Stände.48 Von ihnen heißt einer „die Priester“ der zweite „die Krieger“; ferner gibt es „die Rinderhirten“, „die Schweinehirten“, „die Händler“, „die Dolmetscher“, „die Steuerleute“. So viele Stände gibt es in Ägypten, und ihre Namen haben sie nach ihren Berufen.49
Im darauffolgenden Kontext (Hdt. 2.168) bemerkt Herodot, dass die ägyptischen Krieger neben den Priestern die einzigen seien, die den Vorzug hätten, dass jeder zwölf auserlesene Ackerlose zinsfrei erhalte.50 Die soziale und ökonomisch herausragende Stellung der Priester als Landbesitzer innerhalb der ägyptischen Gesellschaft wird an 46 47 48 49
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Cf. zum ἀρχιερεύς Hdt. 2.142.1 und Hdt. 2.143.2–3, Lloyd (1976) 169–70 zum „Higher“ und „Lower Clergy“ sowie Kapitel V. Religion in der Zeit. Cf. dazu Lloyd (1976) 169–171. Cf. zu γένος bei Herodot und γένεα an dieser Stelle Jones (1996) 315–320, bes. 317. Cf. dazu Lloyd (1976) 182–186. Zu dieser Reihe von „sieben Berufsständen, die in einer Art MiniPoliteia aufgezählt werden“ Bichler (2000) 155–57 und Haziza (2009) 169–195, 183, die eine Rekonstuktion bzw. eine „Rekomposition“ der ägyptischen Gesellschaft und der genannten Berufe bei Herodot unternimmt: „Ainsi, afin d’essayer de brosser un rapide tableau de cette société, observée par l’historien, il nous faut „casser“ le classement d’Hérodote et en recomposer un, à partir des ses différentes remarques, disséminées dans son ex-cursus sur l’Égypte.“ Nach dieser Aussage würde die „Fertigkeit“ der Priester (der im Ägyptischen „Reinen“) im Einhalten der Reinheit(sgebote) bestehen. Cf. dazu Lloyd (1976) 199.
3. Die Priester als Gruppe
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dieser Stelle im Vergleich zu anderen Gruppen der ägyptischen Gesellschaft deutlich markiert. Zu einigen Aufgaben und Funktionen der Priester äußert sich Herodot unmittelbar im Anschluss an ihre erste nähere Charakterisierung (in Hdt. 2.38). 3.3 Aufgaben und Funktionen Neben den Reinheitsritualen und der bereits erwähnten Hierarchie innerhalb der Priesterschaft berichtet Herodot auch von einer Aufgaben- und Arbeitsteilung bei den Priestern (Hdt. 2.38.2). Bei der beschriebenen Untersuchung der Stiere (Hdt. 2.38.1–3), die im Vorfeld eines Stieropfers durchgeführt werden muss, ist von einem Priester die Rede, der dafür festgesetzt wurde (Δίζηται δὲ ταῦτα ἐπὶ τούτῳ τεταγμένος τῶν τις ἱρέων Hdt. 2.38.2). Dabei ist zu prüfen, ob der betreffende Stier nicht etwa die Zeichen eines Apisstieres aufweist,51 um zu verhindern, dass ein zukünftiger Apisstier aus Versehen geopfert würde.52 Weitere konkrete Hinweise auf eine von Herodot beschriebene Arbeitsteilung unter den Priestern, die mit der Wahrnehmung unterschiedlicher Aufgaben und Funktionen verbunden ist, finden sich z. B. in der Beschreibung des Festes von Papremis (Hdt. 2.63; s. unten), bei dem sich eine kleine Gruppe von Priestern als Begleiter des Kultbildes in der Nähe desselben aufhält, während eine größere Anzahl von ihnen mit Holzknüppeln bewaffnet am Eingang zum Heiligtum steht und versucht, den Einzug des Kultbildes in einem rituellen Kampf zu verhindern. Diese Bezugnahmen auf die Priester und insbesondere die Begegnung der handelnden thebanischen Priester mit Hekataios (Hdt. 2.142–3)53 unterstreichen ihre zentrale Rolle innerhalb der ägyptischen Gesellschaft und Religion. Angesichts der starken und vielschichtigen Präsenz der ägyptischen Priester im zweiten Buch der Historien liegt es nahe, dass der Eindruck und das Verständnis von Religion in Ägypten bei Herodot wohl nicht wenig durch die Begegnung und den Austausch mit diesen Priestern als religiösen Spezialisten und ihrer Binnenperspektive geprägt wurde. Das in diesem
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Cf. zu den Kennzeichen des Apisstieres Hdt. 3.28: Der Apisstier (oder Epaphos) muss von einer Kuh stammen, die nie wieder trächtig werden kann, nachdem sie ihn zur Welt gebracht hat. Diese Kuh, so sagen die Ägypter, werde, ehe sie den Apis zur Welt bringe, durch einen Strahl vom Himmel befruchtet. Der Stier trägt folgende Zeichen (σημήια τοιάδε): Er ist schwarz, hat auf der Stirn ein weißes Viereck, auf dem Rücken das Bild eines Adlers, im Schweif doppelte Haare und unter der Zunge das Bild eines Käfers. Für die Bedeutung des Apis und die zentrale „Begegnung“ mit Kambyses im dritten Buch Kapitel VII. Religion in Interaktion; zum Apis-Kult und seiner Theologie Otto (1938) 11–34 und Kessler (1989) 57–88. Cf. insbesondere zu den Farben Vos (1998) 709–718. Wenn aufgrund der Untersuchung festgestellt wurde (Hdt. 2.38.1–3), dass der betreffende Stier „rein“ ist, kennzeichnet der Priester das Tier mit seinem Siegelring. Danach kann es zur Opferung geführt werden. Dies ist durch ägyptische Quellen gut dokumentiert; cf. Pestman (1977) I, 111–115; II, 117–125; III, pl. XVI; von Känel (1984) 255–277. Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit und die Untersuchung von Moyer (2002).
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III. Religion im Sozialen
Zusammenhang skizzierte Bild der ägyptischen Priester als einer Gruppe religiöser Experten bei Herodot könnte wohl noch um einige Facetten bereichert werden,54 es ist jedoch ausreichend, um die hervorragende und zentrale Stellung der Priester als Repräsentanten der Religion in Ägypten zu markieren. Das grundlegende Verständnis ihrer religiös prominenten Stellung im zweiten Buch ist auch für die Erzählung des dritten Buches von eminenter Bedeutung: Durch die Charakterisierung der Priester als Repräsentanten ägyptischer Religion wird die Erzählung von der Begegnung und Auseinandersetzung der ägyptischen Priester mit dem persischen König Kambyses im ersten Teil des dritten Buchs vorbereitet. Dieser kulturell-religiöse Konflikt ist ein wichtiges Thema von Kapitel VII. Religion in Interaktion, in dem die ägyptischen Priester nochmals eine bedeutende Rolle auf dem religiösen Feld einnehmen. 4. Eine Auswahl an faits sociaux Dass bei der Darstellung Ägyptens der Religion als sozialer Tatsache (fait social) und als gesellschaftlicher Realität eine zentrale Rolle zukommt, wird jedem Leser der Textabschnitte Hdt. 2.37–65 unmittelbar einleuchten.55 Obgleich auch Herodots Darstellung sicherlich nur eine Auswahl ihm bekannter ägyptischer religiöser faits sociaux bieten kann, ist diese so umfangreich, dass sich die folgende Analyse auf einige ausgewählte Beispiele konzentrieren muss. Herodots Aufmerksamkeit für den sozialen Charakter des ägyptischen Symbolsystems zeigt sich in diesem Abschnitt (Hdt. 2.38–65) insbesondere durch die Schilderung zahlreicher religiöser Gegenstände und Handlungen, wie z. B. der Beschreibung von Opferritualen und Opfertieren, der Verehrung bestimmter Götter (wie Isis und Dionysos), Orakelstätten sowie großer heiliger Feste,
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Zum Gender-Aspekt betont Herodot (Hdt. 2.35.4 Ἱρᾶται γυνὴ μὲν οὐδεμία οὔτε ἔρσενος θεοῦ οὔτε θηλέης, ἄνδρες δὲ πάντων τε καὶ πασέων.), dass keine Frau den Priesterdienst ausübe, weder bei einem Gott noch einer Göttin, die männlichen Priester hingegen bei allen Göttern und Göttinnen. Cf. dazu die ausgewogene Sichtweise bei Lloyd (1976) 151, der die Äußerung Herodots so versteht und erklärt, „that no woman in Egypt performs the divine cult of any deity or occupied the pre-eminent role in worship which would make her equivalent to what he (sc. Herodotus) would call a ἱρείη in Greece“ und weiter festhält: „There is, however, no evidence whatsoever that in H.’s time they would participate in rites and functions analogous to those which could be performed by Gk. priestesses and regarded as inseparable from that office: (1) Sacrifice. (2) Care for the fabric of the temple. (3) Ensuring that visitors behaved in a decent and orderly fashion. (4) In smaller temples concern for financial administration.“ Zum Kontrast der ägyptischen Priester als Antipoden zu den persischen Magoi (Hdt. 1.140), cf. Mora (1985) 111–118, der Herodot unterstellt, er würde einen griechischen „Sekten“-Typus auf die ägyptischen Priester anwenden und ihnen die persischen Magoi gegenüberstellen. Cf. zur thematisierten Genealogie der Götter und ihrer Verehrung sowie der Entwicklungsgeschichte der griechischen Religion Bichler (2000) 160–78, Haziza (2009) 243–316 mit Annäherungen an „la vie quotidienne et des croyances égyptiennes“, für die ägyptischen Feste, Priester, Opfer und die Divination Mora (1985) 101–30.
4. Eine Auswahl an faits sociaux
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Umzüge und Opferfeiern.56 Da sich der Gegenstand des Festes eindrücklich als ein soziales Phänomen und fait social für eine Untersuchung eignet, sollen vor allem zwei Festbeschreibungen genauer betrachtet und analysiert werden.57 Wie wir sehen werden, steht das Opfer bei Herodots Festbeschreibung keineswegs im Vordergrund. 4.1 Feste als soziale Handlung Unmittelbar im Anschluss an die Erzählung über die Orakelstätten des Zeus in Ägypten, Libyen und Griechenland58 vertritt Herodot die grundlegende These, dass die Ägypter als erste große und überregionale heilige Feste, feierliche Umzüge, Prozessionen und Opferfeiern/Opferprozessionen59 zu Ehren der Götter abgehalten hätten. Die Griechen hätten diesen Brauch erst von ihnen übernommen (Hdt. 2.58):60 Πανηγύριας δὲ ἄρα καὶ πομπὰς καὶ προσαγωγὰς πρῶτοι ἀνθρώπων Αἰγύπτιοί εἰσι οἱ ποιησάμενοι, καὶ παρὰ τούτων Ἕλληνες μεμαθήκασι.
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Im Anschluss an die Beschreibung der Priester (Hdt. 2.37) und ihre Untersuchung eines Stiers (Hdt. 2.38) sowie des darauffolgenden Opfers (Hdt. 2.39) geht Herodot auf „das größte Fest“ (Hdt. 2.40.1) derjenigen Göttin ein, die von den Ägyptern für die größte Göttin (Hdt. 2.40.1) gehalten wird (Isis). Nachdem er weitere Opferrituale beschrieben hat, bemerkt er, dass zwar alle Ägypter Stiere opferten, sofern diese rein seien (Hdt. 2.41.1), es hingegen nicht erlaubt sei, weibliche Rinder zu opfern, da diese der Isis heilig seien. Darauf thematisiert er lokale Unterschiede bei den Opfertieren und -praktiken (Hdt. 2.42). Davon ausgehend erörtert Herodot das Verhältnis des griechischen zum ägyptischen Herakles (Hdt. 2.43–45) und widmet sich darauf zuerst dem ägyptischen Kult des Pan bzw. Mendes (Hdt. 2.46). In religionssoziologischer Hinsicht ist die Beobachtung Herodots hervorzuheben, dass in manchen ägyptischen Regionen, wie z. B. in Mendes, keine Ziegen und Böcke geopfert, sondern gerade alle Ziegen vielmehr verehrt würden und deren Hirten in großem gesellschaftlichen Ansehen stünden. Darauf behandelt er die Verehrung des Schweins und die Stellung der Schweinehirten (Hdt. 2.47) und schildert die Verehrung des Dionysos und den Ablauf des Dionysosfestes in Ägypten (Hdt. 2.48–49). Aufgrund der Übereinstimmung der Riten des Dionysosfestes in Ägypten mit dem griechischen Kult vertritt er in Hdt. 2.49.2–3 die These, dass diese nicht zufällig sei und die Riten des Kultes (durch die Mittlerfigur des Melampus) wahrscheinlich aus Ägypten stammten. Im Anschluss erläutert er seine zentrale These, dass die meisten griechischen Götter ägyptischen Ursprungs seien und der Stammbaum der einzelnen griechischen Götter besonders durch Homer und Hesiod geschaffen worden sei (Hdt. 2.50–53). Die Ähnlichkeit der Orakelstätten in Siwa (Libyen) und in Dodona (Hdt. 2.54–57) wird nun genauer betrachtet, bevor Herodot behauptet, dass auch das Weissagen aus den Opfertieren, d. h. die Mantik, aus Ägypten stamme. Cf. zum Fest in interdisziplinärer Perspektive den ersten Band der Studien zum Verstehen fremder Religionen von Assmann/Sundermeier (1991) „Das Fest und das Heilige. Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt“, darin insbesondere den Beitrag von Assmann zum ägyptischen Prozessionsfest, ebd. 105–122. Cf. dazu Lloyd (1976) 251–64, Fehling (1971) 50–4, Nesselrath (1999) 1–14, Munson (2005) 67–9. Cf. zu den drei griechischen Begriffen sowie Beispielen aus der griechischen Kultur Lloyd (1976) 264–6 und Asheri/Lloyd (2007) 276–7. Cf. zu den einzelnen Festen Mora (1985) 101–5.
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III. Religion im Sozialen
Was religiöse Feste, Prozessionen und feierliche Aufzüge betrifft, sind die Ägypter die Ersten unter den Menschen, die sie veranstaltet haben, und von ihnen haben es die Griechen gelernt.
Für diese These führt Herodot die folgende Behauptung als Beweis an (Hdt. 2.58): τεκμήριον δέ μοι τούτου τόδε· αἱ μὲν γὰρ φαίνονται ἐκ πολλοῦ τευ χρόνου ποιεύμεναι, αἱ δὲ Ἑλληνικαὶ νεωστὶ ἐποιήθησαν. Als Indiz dafür sehe ich Folgendes an: Die Feste in Ägypten werden ja offensichtlich schon seit langer Zeit veranstaltet, die griechischen dagegen wurden erst vor Kurzem eingeführt.
Des Weiteren äußert sich Herodot allgemein über die Häufigkeit der Feste: Die Ägypter feierten ihre Volksfeste nicht nur einmal im Jahr (wie in Griechenland), sondern hätten viele große Volksfeste. Im Folgenden führt er zuerst sechs Feste ihrer Größe und Bedeutsamkeit gemäß mitsamt den dort jeweils verehrten Göttern an, um darauf (Hdt. 2.60–63) in unterschiedlicher Länge auf die einzelnen Feste einzugehen: (1) in Bubastis für Artemis (cf. Hdt. 2.60), (2) in Busiris für Isis/Demeter (cf. Hdt. 2.61 und Verweis auf Hdt. 2.40), (3) in Sais für Athena (cf. Hdt. 2.62),61 (4) in Heliopolis für Helios (cf. Hdt. 2.63), (5) in Buto für Leto (cf. Hdt. 2.63) und (6) in Papremis für Ares (cf. Hdt. 2.63).62 Bemerkenswert ist zuerst, dass Herodot im Folgenden von den Festen in Heliopolis und Buto (Hdt. 2.63.1) zusammenfassend festhält, dass dort nur Opfer (θυσίας μούνας) dargebracht würden,63 während er auf die anderen vier Feste ausführlicher eingeht. Wie bereits diese Bemerkung zum Opfer in Heliopolis und Buto (Hdt. 2.63.1) erkennen lässt, konzentriert sich Herodot bei den Beschreibungen der weiteren vier Feste besonders auf die Aspekte, die nicht Opferhandlungen, sondern andere Besonderheiten der jeweiligen Feste betreffen. Den Gottheiten, die anlässlich der Feste nur kurz genannt werden, kommt in den Beschreibungen nur eine sehr untergeordnete oder sogar keine Rolle mehr zu. Während Herodot in Bubastis lediglich „große Opfer“ (μεγάλας θυσίας Hdt. 2.60.3) ohne weitere Beschreibung erwähnt und sowohl für Busiris als auch für Sais die
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Cf. zu diesem Fest der Lampen und Lichter Herodots Beschreibung der Riten am Heiligen See am Tempel in Sais, Hdt. 2.170–1. Für dieses Fest könnte das Umherschweifen und Wachsein des Mykerinos (in Hdt. 2.133) von aitiologischer Bedeutung sein. Cf. zu einer Einteilung der ägyptischen Feste sowie den einzelnen Festen Lloyd (1976) 267–286. Cf. auch die Studien von Grimm (1994) und El-Sabban (2000). Hdt. 2.63.1 Ἐς δὲ Ἡλίου τε πόλιν καὶ Βουτοῦν θυσίας μούνας ἐπιτελέουσι φοιτέοντες.
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Handlungen nach dem Opfer (μετὰ τὴν θυσίην Hdt. 2.61.1) oder im Anschluss an die Versammlung zum Opfer (ἐπεὰν συλλεχθέωσι τῇσι θυσίησι Hdt. 2.62.1) beschreibt, bemerkt er im Hinblick auf das Fest in Papremis nur kurz, dass dort die Opfer und heiligen Riten wie andernorts durchgeführt würden (θυσίας μὲν καὶ ἱρὰ κατά περ καὶ τῇ ἄλλῃ ποιεῦσι Hdt. 2.63.1), um dann auf das besondere Ritual weiter einzugehen.64 Auf die in Hdt. 2.39–40 vorangestellte Beschreibung der ägyptischen Opferweise weist Herodot in Hdt. 2.61.1 bei der Beschreibung des Isis-Festes in Busiris ausdrücklich hin.65 Er kann also die Art und Weise des ägyptischen Opfers voraussetzen und sich so, wie im Fall von Bubastis (Hdt. 2.60.1–3) und Papremis (Hdt. 2.63.1–4), auf die besonderen Aspekte dieser Feste konzentrieren. An dieser Stelle soll nun besonders die Darstellung von zwei Festen analysiert werden: zum einen die Beschreibung der Festprozession nach Bubastis zu Ehren der Göttin Artemis (Hdt. 2.60), zum anderen die des Festes in Papremis zu Ehren des Ares (Hdt. 2.63). 4.2 Soziale Handlungen in Bubastis Anhand der Beschreibung der Festprozession nach Bubastis werde ich zeigen, wie sehr Herodot bei seiner Beschreibung auf die sozialen Aspekte und rituellen Dimensionen dieses religiösen Festes eingeht. Es ist vorab zu bemerken, dass das religiöse Feld durch die Äußerungen über die religiösen Feste im vorausgehenden Kontext klar markiert wird. Die folgende Festbeschreibung enthält – abgesehen von wenigen Ausdrücken am Ende der Beschreibung (ὁρτάζουσι μεγάλας ἀνάγοντες θυσίας) – kaum weitere eindeutig religiöse Termini. Bei dem Fest handelt es sich um eine Art von (Schiffs-)Prozession mit anschließender großer Opferfeier in Bubastis (Hdt. 2.60.1–3):66 Ἐς μέν νυν Βούβαστιν πόλιν ἐπεὰν κομίζωνται, ποιεῦσι τοιάδε. Πλέουσί τε γὰρ δὴ ἅμα ἄνδρες γυναιξὶ καὶ πολλόν τι πλῆθος ἑκατέρων ἐν ἑκάστῃ βάρι· αἱ μέν τινες τῶν γυναικῶν κρόταλα ἔχουσαι κροταλίζουσι, αἱ δὲ αὐλέουσι κατὰ πάντα τὸν πλόον, αἱ δὲ λοιπαὶ γυναῖκες καὶ ἄνδρες ἀείδουσι καὶ τὰς χεῖρας κροτέουσι. Ἐπεὰν δὲ πλέοντες κατά τινα πόλιν ἄλλην γένωνται, ἐγχρίμψαντες τὴν βᾶριν τῇ γῇ ποιεῦσι τοιάδε· αἱ μέν τινες τῶν γυναικῶν ποιεῦσι τά περ εἴρηκα, αἱ δὲ τωθάζουσι βοῶσαι τὰς ἐν τῇ πόλι ταύτῃ γυναῖκας, αἱ δὲ ὀρχέονται, αἱ
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Lloyd (1976) 268 nennt (mit Verweis auf die Untersuchung von Drioton zu den ägyptischen Festen) zwei Gründe, warum Herodots Erzählung von den ägyptischen Festen wichtig ist: „(a) It gives a detailed description of the most important festivals of L. E., whereas our Eg. evidence is largely concerned with U. E. (b) His interests were different from those of the Egs. Liturgy and processions did not concern him but the behaviour of the ordinary worshippers at the festivals did. He is thus an invaluable corrective to the one-sided Eg. tradition.“ Hdt. 2.61.1 ἐν δὲ Βουσίρι πόλι ὡς ἀνάγουσι τῇ Ἴσι τὴν ὁρτήν, εἴρηται πρότερόν μοι. Τύπτονται μὲν γὰρ δὴ μετὰ τὴν θυσίην πάντες καὶ πᾶσαι […]. Cf. zum Fest in Bubastis insgesamt mit weiterer Literatur Lloyd (1976) 272–276, Sourdille (1910) 121, Rutherford (2005) 131–159 und Quack (2013a) 76–9.
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δὲ ἀνασύρονται ἀνιστάμεναι· ταῦτα παρὰ πᾶσαν πόλιν παραποταμίην ποιεῦσι. Ἐπεὰν δὲ ἀπίκωνται ἐς τὴν Βούβαστιν, ὁρτάζουσι μεγάλας ἀνάγοντες θυσίας, καὶ οἶνος ἀμπέλινος ἀναισιμοῦται πλέων ἐν τῇ ὁρτῇ ταύτῃ ἢ ἐν τῷ ἅπαντι ἐνιαυτῷ τῷ ἐπιλοίπῳ. Συμφοιτῶσι δέ, ὅ τι ἀνὴρ καὶ γυνή ἐστι πλὴν παιδίων, καὶ ἐς ἑβδομήκοντα μυριάδας, ὡς οἱ ἐπιχώριοι λέγουσι. Ταῦτα μὲν δὴ ταύτῃ ποιέεται. Wenn sie nun in die Stadt Bubastis kommen, tun sie Folgendes – es fahren nämlich in einer jeden Baris zusammen Männer mit Frauen, und zwar eine große Menge beiderlei Geschlechts –: Manche Frauen haben Klappern, mit denen sie rasseln, manche spielen während der ganzen Fahrt den Aulos, und die übrigen Frauen und Männer singen und klatschen dazu in die Hände. Kommen sie auf ihrer Fahrt jeweils zu einer Stadt, so lenken sie die Baris ans Ufer und tun Folgendes: Einige Frauen tun, was ich gesagt habe, andere verspotten mit lautem Rufen die Frauen in dieser Stadt, wieder andere tanzen, wieder andere stehen auf und heben ihr Gewand hoch. Dies tun sie bei jeder am Fluss liegenden Stadt. Sobald sie aber in Bubastis angekommen sind, feiern sie und bringen dabei große Opfer dar, und es wird mehr Wein vom Weinstock an diesem Fest verbraucht als im ganzen übrigen Jahr. Es kommen dabei zusammen, was Mann und Frau ist – die Kinder nicht eingerechnet –, an die siebenhunderttausend Menschen, wie die Einheimischen sagen. Dies also tut man dort […].
Die religionswissenschaftliche und philologische Analyse der Textpassage wird zeigen, dass Herodot das Fest in Bubastis als ein „komplexes Ritual“67 versteht, das in seiner Beschreibung insbesondere Dimensionen sozialen Handelns, sowohl rituelle als auch symbolisch-sinnliche, sowie räumliche und zeitliche Dimensionen umfasst. Wie die genaue Betrachtung zeigt, konzentriert er sich zum einen auf die „zentripetale Prozession“68, d. h. eine Prozession auf ein religiöses Zentrum hin, zum anderen auf die Handelnden. Religiöse Gegenstände werden nicht explizit benannt und auch das im Anschluss veranstaltete Opfer wird nur kurz erwähnt (μεγάλας ἀνάγοντες θυσίας Hdt. 2.60.3). In markanter Weise werden dagegen zeitliche Dimensionen akzentuiert, während sich – abgesehen von den sinnlichen Eindrücken – weitere Dimensionen der Erfahrung nur indirekt aus der Erzählung erschließen lassen. Es ist zu beobachten, dass Herodot weder auf kognitive und intellektuelle noch auf sozio-politische und institutionelle Dimensionen im Speziellen eingeht. Im Folgenden möchte ich einige der angeführten Aspekte weiter erläutern.
67 68
Zur Interpretation des Festes als „typischer Fall eines komplexen Rituals“ Gladigow (1998) 458– 60, der darauf aufmerksam macht, dass sich darin unterschiedliche rituelle, religiöse oder ideologische Elemente verbinden; cf. dazu auch Lieven (2003) 47–55. Cf. Bremmer (2007) 32–44, 40, zur Dichotomie von „zentripetalen“ und „zentrifugalen“ Prozessionen, Graf (1996) 55–65, ebd. 57–9 und 60–1, und zu verschiedenen Prozessionstypen in Ägypten den Art. „Prozession“ bei Bonnet (1952) 610–14.
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Die Dimension des sozialen Handelns ist vom ersten Satz an präsent und durchzieht die ganze Textpassage. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen. Das gleich zu Beginn stehende (i) ποιεῦσι τοιάδε („sie machen das so“, „sie tun das so“) kündigt in einem zunächst unbestimmten Plural die im Folgenden beschriebenen Handlungen und Verhaltensweisen der vielen Männer und Frauen an, wenn sich diese auf den Weg nach Bubastis begeben (ἐπεὰν κομίζωνται). Das Verb ποιέω wird an dieser Stelle signifikant oft – insgesamt in den 16 Zeilen fünfmal – verwendet. Abgesehen von dem erwähnten Vorkommen (ποιεῦσι τοιάδε) wird das Verb in derselben Form (ποιεῦσι) noch dreimal innerhalb der gesamten Beschreibung wiederholt: (ii) zum einen, um zu weiteren konkreten Handlungen und Verhaltensweisen der männlichen und weiblichen Bootsfahrer überzuleiten (ποιεῦσι τοιάδε), wenn diese bei einer am Fluss gelegenen Stadt die Baris nahe an das Ufer schiffen, (iii) zum anderen, um auf die von Herodot bereits erwähnten Handlungen einiger Frauen zurückzuverweisen (αἱ μέν τινες τῶν γυναικῶν ποιεῦσι τά περ εἴρηκα), und (iv) schließlich, um in einer langen Alliteration (ταῦτα παρὰ πᾶσαν πόλιν παραποταμίην ποιεῦσι) festzuhalten, dass die Männer und Frauen die beschriebenen Handlungen (des Verspottens, Tanzens, Aufstehens und Sich-Entblößens) bei jeder am Fluss gelegenen Stadt so ausführen (ταῦτα … ποιεῦσι). Eine ringkompositorische Rahmung bekommt die Beschreibung des Festes durch (v) ein letztes ποιέεται („Dies also tut man dort …“). Diese Indizien beschreiben die soziale Handlung als Rahmen sowie durchgängiges Muster dieser Textpassage. Ein weiterer Aspekt, auf den Herodot von Anfang an die Aufmerksamkeit lenkt, ist die große Menge an Männern und Frauen, die sich auf den Booten und an Land befinden und sich z. B. durch Rasseln, Flöten, Singen oder Klatschen in aktiver Weise am Fest beteiligen.69 Diese akustischen Merkmale der Festmusik klingen möglicherweise in der auffälligen, bereits bemerkten lautmalerischen Gestaltung von Herodots Text zum Ausdruck. Von Priestern oder anderen religiösen Experten ist im gesamten Abschnitt nicht die Rede. Sehr anschaulich werden hingegen die verschiedenen Handlungen und Verhaltensmuster der gewöhnlichen Festteilnehmer – Männer und Frauen – beschrieben. Herodot konzentriert sich offensichtlich auf die sozialen und sichtbaren Ausschnitte des Festes, die zuletzt auch noch durch eine Information der Einheimischen (ὡς οἱ ἐπιχώριοι λέγουσι) über die sehr große Anzahl an Festteilnehmern (700 000 Männer und Frauen) in quantitativer Hinsicht abgerundet wird. Die relative Aussage über den außergewöhnlich hohen Weinkonsum im Rahmen des Festes im Vergleich zum übrigen Jahr (οἶνος ἀμπέλινος ἀναισιμοῦται πλέων ἐν τῇ ὁρτῇ ταύτῃ ἢ ἐν τῷ ἅπαντι ἐνιαυτῷ τῷ ἐπιλοίπῳ) ist nicht nur in religionsökonomischer Hinsicht aussagekräftig; sie lässt zudem indirekt auf die Intensität und Fülle des Festes schließen70
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Cf. dazu die häufigen aktiven, indikativischen Verbformen. Auf den Aspekt der „Fülle“ als ein Merkmal des sakralen Festes in Ägypten verweist Assmann in Assmann/Sundermeier (1991) 108–9.
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und ist ein klares Indiz für die den Alltag übersteigende, außergewöhnliche Stellung dieses Festes.71 Die rituelle Dimension des Festes lässt sich besonders anhand einiger Aspekte der sprachlichen Komposition aufzeigen. Zu den auffälligsten sprachlichen Merkmalen, die sehr viel zur Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Beschreibung beitragen, gehören die häufig verwendeten aktiven, indikativischen Verbformen und Partizipien im Präsens. Sie heben in diesem Kontext nicht nur den durativen und synchronen Aspekt der verschiedenen Handlungen hervor, sondern signalisieren ebenso deren gewohnheitsmäßigen Brauch.72 Der dreimal in Abständen wiederholte, signifikant verwendete Ausdruck ἐπεάν + Verb im Konjunktiv73 („immer wenn sie …“) gibt den beschriebenen Handlungsabläufen einen gleichsam „zeitlosen“, iterativen Charakter.74 Die rituelle Dimension des beschriebenen Geschehens wird also insbesondere durch die Betonung der zeitlichen Dimension unterstrichen. Zugleich wird dadurch in formaler und in räumlicher Hinsicht das Voranschreiten der Schiffsprozession veranschaulicht. Besonders eindrücklich und bemerkenswert nach stilistischen Gesichtspunkten ist dabei die Alliteration (ταῦτα) παρὰ πᾶσαν πόλιν παραποταμίην ποιεῦσι, die sehr schön die Bewegung des Voranschreitens von Stadt zu Stadt – also den Weg der Prozession selbst – zum Ausdruck bringt. Neben den sozialen und rituellen Dimensionen sind ebenso Aspekte der symbolisch-sinnlichen Dimensionen bei der Beschreibung zu bemerken. An erster Stelle sind die sinnlichen Aspekte zu nennen, die vor allem die akustische und visuelle Wahrnehmung betreffen: ein Zusammenspiel aus Rhythmus, Gesang, Flötenmusik sowie spottendem Schreien75 und Tanzen. Für die visuelle Wahrnehmung sowie die psychisch-emotionale Atmosphäre unter den Festteilnehmern ist insbesondere auch das Entblößen der Frauen und das Zur-Schau-Stellen des weiblichen Körpers von besonderer Bedeutung.76 Inwiefern die von Herodot beschriebenen sinnlichen Handlungen und Verhaltensweisen z. B. mit Freude oder sexueller Lust einhergehen, lässt er an dieser Stelle offen.77 Dass bestimmte Gegenstände, wie z. B. die Barke, Handlungen und Verhaltensweisen auch von symbolischer Bedeutung sind, wird von Herodot weder besonders markiert noch kommentiert.78 71 72 73 74 75 76 77 78
Cf. zum Fest als einer Art „Moratorium des Alltags“ die „Kleine Philosophie des Festes“ von Marquard (1988) 413–20, 414. Cf. dazu Bornemann/Risch (1973) § 213 und § 220.3.a. ἐπεὰν κομίζωνται / ἐπεὰν δὲ πλέοντες κατά τινα πόλιν ἄλλην γένωνται / ἐπεὰν δὲ ἀπίκωνται. Cf. dazu Bornemann/Risch (1973) § 279. Cf. zu der antagonistischen Situation Quack (2013a) 77. Cf. dazu Lloyd (1976) 275–276, 275: αἱ δὲ ἀνασύρονται ἀνιστάμεναι: i. e. they raise up their skirts and display their pudenda. Cf. dazu den Beitrag von Quack (2013a) 76–77, der die Festbeschreibung Herodots mit einem „chant pour une fête de l’ivresse en l’honneur de Bastet“ vergleicht. Cf. zur Barke im Kontext des sakralen Festes und insbesondere des Prozessionsfestes als „Fahrzeug“ und als „spezielle(s) Prozessionsbild des Gottes“ Assmann (1991b) 106–108.
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Während Herodot sinnliche Aspekte der Erzählung betont, sind weitere Dimensionen von (religiöser) Erfahrung nur indirekt aus der Beschreibung zu erschließen. Sie werden nicht eigens thematisiert. Mögliche Erfahrungen der Prozessionsteilnehmer könnten aus religionswissenschaftlicher Sicht wohl starke Gemeinschafts- und Verschmelzungs-Erfahrungen oder auch Ekstase-Erfahrungen sein, die bereits räumlich durch die besondere Nähe von mehreren Männern und Frauen in einem Boot bei derartigen Handlungen gegeben sind.79 Zusammenfassung Betrachtet man Herodots Beschreibung des Festes in Bubastis als ganze, so ist festzustellen, dass von der Baris-Prozession nach Bubastis und von den Handlungen und Verhaltensweisen während dieser Prozession anschaulich und relativ ausführlich berichtet wird. Dagegen werden die festlichen Handlungen in Bubastis (ὁρτάζουσι) zum einen auf die drei Worte μεγάλας ἀνάγοντες θυσίας konzentriert, also auf die Darbringung großer Opfer, zum anderen auf die nüchterne Mitteilung über den relativ hohen Weinkonsum während des Festes. Weiter ist festzuhalten, dass Herodot bei der Beschreibung der Festprozession nach Bubastis insbesondere Dimensionen sozialen Handelns, rituelle und symbolisch-sinnliche Dimensionen, in den Blick nimmt. Die rituelle Dimension der Prozession wird sowohl durch die zeitliche als auch die räumliche Dimension veranschaulicht. Die soziale Dimension des Festes kommt besonders im gemeinsamen Musizieren und rhythmischen Tanzen zum Ausdruck. Es ist zwar möglich, aus der Beschreibung auch auf Dimensionen religiöser Erfahrung zu schließen, doch werden diese ebenso wenig thematisiert wie kognitive und intellektuelle Dimensionen, die jedoch in der Festbeschreibung von Papremis von Bedeutung sind. 4.3 Soziale Interaktion und Aggression in Papremis Die Beschreibung des Festes in Papremis80 beginnt mit einem für die gesamte Erzählung wichtigen Eingangssatz, der einen Unterschied zwischen dem Fest in Papremis und den Festen in Heliopolis und Buto markiert (Hdt. 2.63.1): Ἐς δὲ Ἡλίου τε πόλιν καὶ Βουτοῦν θυσίας μούνας ἐπιτελέουσι φοιτέοντες. Ἐν δὲ Παπρήμι θυσίας μὲν καὶ ἱρὰ κατά περ καὶ τῇ ἄλλῃ ποιεῦσι· 79
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Die Bootsgemeinschaft, so kann man wohl annehmen, wird durch die Schiffsprozession und die Abgrenzung zu den am Ufer stehenden Frauen in ihrer Identität als Gruppe und Gemeinschaft gestärkt. Durch die mehrmalige Abgrenzung von den anderen Frauengruppen am Ufer kann wiederum das Gemeinschaftsgefühl intensiviert werden. Cf. zu Papremis Lloyd (1976) 270–2 und Bonnet (1952) 582.
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Nach Heliopolis und Buto gehen sie nur, um dort Opfer darzubringen. In Papremis begeht man Opfer und heilige Riten wie auch anderswo.
Herodot weist zuerst auf die Gemeinsamkeit an den drei Orten hin, die in der Verrichtung von Opfern (θυσίας μούνας/θυσίας μέν) bestehe,81 um dann auf die „heiligen Riten“ (ἱρά) in Papremis einzugehen, die auch an anderen Orten vollzogen werden. Die folgende Erzählung konzentriert sich nun darauf, den besonderen Teil des Festes, der einen rituellen Kampf82 bei Sonnenuntergang darstellt, zu beschreiben (Hdt. 2.63.1–3): εὖτ’ ἂν δὲ γίνηται καταφερὴς ὁ ἥλιος, ὀλίγοι μέν τινες τῶν ἱρέων περὶ τὤγαλμα πεπονέαται, οἱ δὲ πολλοὶ αὐτῶν ξύλων κορύνας ἔχοντες ἑστᾶσι τοῦ ἱροῦ ἐν τῇ ἐσόδῳ· ἄλλοι δὲ εὐχωλὰς ἐπιτελέοντες, πλεῦνες χιλίων ἀνδρῶν, ἕκαστοι ἔχοντες ξύλα καὶ οὗτοι, ἐπὶ τὰ ἕτερα ἁλέες ἑστᾶσι. Τὸ δὲ ἄγαλμα ἐὸν ἐν νηῷ μικρῷ ξυλίνῳ κατακεχρυσωμένῳ προεκκομίζουσι τῇ προτεραίῃ ἐς ἄλλο οἴκημα ἱρόν. Οἱ μὲν δὴ ὀλίγοι οἱ περὶ τὤγαλμα λελειμμένοι ἕλκουσι τετράκυκλον ἅμαξαν ἄγουσαν τὸν νηόν τε καὶ τὸ ἐν τῷ νηῷ ἐνεὸν ἄγαλμα, οἱ δὲ οὐκ ἐῶσι ἐν τοῖσι προπυλαίοισι ἑστεῶτες ἐσιέναι, οἱ δὲ εὐχωλιμαῖοι τιμωρέοντες τῷ θεῷ παίουσι αὐτοὺς ἀλεξομένους. Ἐνθαῦτα μάχη ξύλοισι καρτερὴ γίνεται, κεφαλάς τε συναράσσονται καί, ὡς ἐγὼ δοκέω, πολλοὶ καὶ ἀποθνῄσκουσι ἐκ τῶν τρωμάτων· οὐ μέντοι οἵ γε Αἰγύπτιοι ἔφασαν ἀποθνῄσκειν οὐδένα. Wenn sich aber die Sonne zum Untergang neigt, sind einige wenige Priester um das Götterbild beschäftigt, die große Mehrzahl von ihnen (sc. den Priestern) dagegen steht mit hölzernen Knütteln bewaffnet am Eingang des Heiligtums, und andere, die ein Gelübde erfüllen wollen, mehr als tausend Menschen und ebenfalls mit Knütteln, stehen dicht gedrängt auf der anderen Seite. Das Kultbild, das sich in einem kleinen, vergoldeten Tempelhaus aus Holz befindet, bringen sie am Vorabend des Festes in ein anderes heiliges Gebäude. Die wenigen noch um das Bild verbliebenen Priester ziehen nun einen vierrädrigen Wagen, der das kleine Tempelhaus und das in ihm befindliche Kultbild trägt; die anderen im Eingangsbereich stehenden Priester jedoch verwehren ihnen den Eintritt, aber jene dem Gelübde Verpflichteten kommen dem Gott zu Hilfe und schlagen auf sie los, während sie sich wehren. Dabei kommt es zu einem heftigen Kampf mit den Knütteln; sie zerschlagen sich die Köpfe, und viele, wie ich glaube, sterben sogar an ihren Wunden. Doch sagten jedenfalls die Ägypter, es komme niemand zu Tode.
Die Erzählung über die Vorbereitung und die Durchführung dieses rituellen Kampfes im Rahmen der Festhandlungen in Papremis enthält offenkundig Dimensionen des sozialen Handelns sowie rituelle und symbolisch-sinnliche Dimensionen. Die Analyse des ersten Satzes zeigt deutlich, dass sowohl zeitliche als auch räumliche Perspektiven 81 82
Cf. dazu jedoch Lloyd (1976) 284–5. Cf. zur Schilderung eines Ritualkampfes – allerdings von Jungfrauen anlässlich des Festes der Athene – bei den Anwohnern des Triton-Sees in Libyen Hdt. 4.180.
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präsent sind und im Unterschied zu der Beschreibung des Festes in Bubastis mehrere religiöse Gegenstände (wie z. B. die Priester und das Kultbild)83 das religiöse Feld markieren.84 Bevor auf die genannten Dimensionen und Perspektiven näher eingegangen wird, möchte ich zuerst auf zwei bedeutsame Unterschiede und eine Gemeinsamkeit zwischen dem Fest von Papremis und der Festprozession von Bubastis hinweisen. Abgesehen davon, dass beide Feste auch deutliche Unterschiede in den sozialen und rituellen Handlungen (Prozession / ritueller Kampf) erkennen lassen, verdienen zwei weitere Aspekte Aufmerksamkeit, welche sowohl die religiösen Dimensionen der beiden Feste als auch die Erzählweise Herodots betreffen. Wie zuerst ein Blick auf das religiöse Feld leicht zu erkennen gibt, werden bei der Festbeschreibung von Papremis mehrere religiöse Gegenstände und Akteure angeführt, die in verschiedener Form in das Geschehen involviert sind, so z. B. verschiedene Gruppen von Priestern als Handelnde, religiöse Gegenstände wie das Kultbild, ein Heiligtum und ein anderes sakrales Gebäude. Während das Fest in Bubastis nur im vorausgehenden Kontext als zu Ehren der Artemis gekennzeichnet wird, bietet die Beschreibung des Rituals in Papremis eine Fülle religiöser Gegenstände. In sozialer Hinsicht ist es bemerkenswert, dass z. B. den Priestern in Papremis eine wichtige Rolle im Ritual zukommt, während sie bei der Festbeschreibung in Bubastis nicht einmal erwähnt werden. Ein weiterer Unterschied zur Beschreibung des Festes in Bubastis ist darin zu sehen, dass die Festbeschreibung von Papremis auch eine kognitive und intellektuelle Dimension des Festes und der Riten erkennen lässt. Sie ist in der unmittelbar folgenden kultaitiologischen Erzählung (Τὴν δὲ πανήγυριν ταύτην ἐκ τοῦδε νομίσαι φασὶ οἱ ἐπιχώριοι· […] Ἀπὸ τούτου τῷ Ἄρεϊ […] Hdt. 2.63.4–64.1) zu finden, auf die ich weiter unten eingehe. Im Anschluss an die Beschreibung des rituellen Kampfes äußert sich Herodot auch über die Entstehung dieses Rituals. Allerdings markiert er diese Kultaitiologie explizit als eine Erzählung von Einheimischen (οἱ ἐπιχώριοι), die er in indirekter Rede wiedergibt. Eine wichtige Gemeinsamkeit der beiden Beschreibungen besteht nun darin, dass sowohl bei Bubastis als auch bei Papremis nur kurz und zusammenfassend von Opfern die Rede ist, während andere Handlungen und Rituale, wie z. B. die Barken-Prozession und der rituelle Kampf, deutlich im Fokus der Erzählung stehen und mehr Raum ein-
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Einige Termini zur Markierung des religiösen Feldes: ὀλίγοι μέν τινες τῶν ἱρέων περὶ τὤγαλμα πεπονέαται, οἱ δὲ πολλοὶ αὐτῶν ξύλων κορύνας ἔχοντες ἑστᾶσι τοῦ ἱροῦ ἐν τῇ ἐσόδῳ, ἄλλοι δὲ εὐχωλὰς ἐπιτελέοντες; Τὸ δὲ ἄγαλμα ἐὸν ἐν νηῷ μικρῷ ξυλίνῳ κατακεχρυσωμένῳ προεκκομίζουσι τῇ προτεραίῃ ἐς ἄλλο οἴκημα ἱρόν; οἱ περὶ τὤγαλμα λελειμμένοι ἕλκουσι τετράκυκλον ἅμαξαν ἄγουσαν τὸν νηόν τε καὶ τὸ ἐν τῷ νηῷ ἐνεὸν ἄγαλμα; οἱ δὲ εὐχωλιμαῖοι τιμωρέοντες τῷ θεῷ. Altenmüller (1964) 271–279 bezieht einige Aspekte von Herodots Beschreibung auf Festbräuche in Letopolis und vergleicht (ebd. 273–6) einige rituelle Handlungen mit den „Regieregeln“ des sog. „Dramatischen Ramesseumsspapyrus“. Cf. dazu auch Lloyd (1976) 285–6.
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nehmen. Wichtig ist diese Beobachtung insbesondere deswegen, weil sie zeigt, dass die postulierte Zentralität des Opfers für Herodots Erzählung über Ägypten nicht zutrifft.85 Im Folgenden sollen einige auffallende Phänomene zu den jeweiligen Dimensionen des Festes in Papremis aufgeführt werden: Dimensionen des sozialen Handelns, rituelle, symbolisch-sinnliche, räumliche und zeitliche Dimensionen. Dimensionen sozialen Handelns Herodot unterscheidet zuerst in seiner Beschreibung dieses komplexen Rituals ausdrücklich bestimmte Handlungen und Verhaltensmuster dreier Gruppen von Akteuren: zum einen zwei Gruppen von Priestern, eine kleine und eine große Gruppe von religiösen Spezialisten, zum anderen eine große Volksmenge von mehr als tausend anderen Männern. Neben den qualitativen (Priester/andere) und quantitativen Angaben („einige wenige der Priester“, „die große Mehrzahl von ihnen“, „andere, die ein Gelübde erfüllen wollen“) zur Unterscheidung dieser Gruppen werden sie darüber hinaus durch ihre Handlungs- und Verhaltensweisen innerhalb des Rituals näher bestimmt. Die Handlungsweisen werden auch mit Rücksicht auf die genaue räumliche Lokalisierung der Gruppen gegeben: (i) die Bemühungen einiger weniger Priester um das Kultbild, (ii) die mit Holzknüppeln bewaffneten Priester am Eingang des Heiligtums sowie (iii) die große Anzahl von Männern, die ein Gelübde sprechen und ebenfalls mit Hölzern gerüstet den bewaffneten Priestern gegenüberstehen. Nachdem die Akteure in Stellung gebracht sind, folgen präzisierende Angaben zur genaueren Lokalisierung des Kultbildes auf einem Wagen und der kleinen Gruppe von Priestern, die seit dem Vortag bei dem Kultbild in einem anderen Gebäude verblieben ist. Beim Versuch dieser kleinen Gruppe, gemeinsam mit dem Kultbild in das Heiligtum / den Tempel einzuziehen, treffen die drei Gruppen am Eingang des Heiligtums aufeinander. Da die anderen Priester den Einzug in das Heiligtum zu verhindern versuchen, kommt es zu einem rituellen Kampf um den Einlass ins Heiligtum. Die große Anzahl von Männern, die einen Schwur geleistet haben, kämpft gegen die Priester und für den Einlass des Kultbilds und die es begleitenden Priester. Es ist festzuhalten, dass bestimmte soziale Handlungen verschiedener Gruppen von Herodot in einem ritualisierten Zusammenhang anschaulich beschrieben werden. Erst danach kommt Herodot auf die spezifische Motivation und die möglichen Hintergründe für das Handeln der drei beschriebenen Gruppen zu sprechen (s. unten).
85
Burkert (1990) 14–21, 14 spricht bei dem von ihm geführten Opfervergleich zwischen Persern, Ägyptern und Skythen bei Herodot z. B. davon, dass „aus den Haupttexten drei zentrale Passagen vorgestellt (seien): Das Opfer der Perser (Hdt. 1.131); das Opfer der Ägypter (Hdt. 2.39–40); das Opfer der Skythen (Hdt. 4.60).“
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Rituelle, symbolisch-sinnliche, räumliche und zeitliche Dimensionen Die rituelle und symbolisch-sinnliche Dimension des Geschehens in Papremis ist an mehreren Aspekten abzulesen. Die rituelle und zeitliche Dimension zeigt sich bereits eingangs in dem Ausdruck εὖτ’ ἂν δὲ γίνηται καταφερὴς ὁ ἥλιος („sobald/wenn sich die Sonne zum Untergang neigt“), einem Temporalsatz im prospektiven Konjunktiv, der anzeigt, dass sich das im Folgenden beschriebene Geschehen in einer allgemein gültigen Weise vollzieht. Das nun beschriebene Ritual ist durch eine klare Handlungsabfolge gegliedert und durch räumliche Bestimmungen markiert, die in der Erzählung Herodots durchsichtig zum Ausdruck kommen: Schritt für Schritt werden die drei Gruppen als Akteure eingeführt und vorgestellt. Sie werden um den heiligen Gegenstand, das Kultbild, das sich im Zentrum befindet, lokalisiert (siehe die Hervorhebungen im Text). Symbolisch und sinnlich augenfällig sind die Äußerungen über das Kultbild. Nachdem zu Beginn kurz auf das Kultbild (περὶ τὤγαλμα) als Gegenstand der Sorge (πεπονέαται) einiger weniger Priester hingewiesen wurde, rückt dieses im Anschluss an die Schilderung der drei Personengruppen in den Mittelpunkt der Erzählung. Das Kultbild befindet sich in einem kleinen hölzernen, vergoldeten Schrein (Τὸ δὲ ἄγαλμα ἐὸν ἐν νηῷ μικρῷ ξυλίνῳ κατακεχρυσωμένῳ), der bereits am Vortag (τῇ προτεραίῃ) in einen anderen heiligen Raum (ἐς ἄλλο οἴκημα ἱρόν) geschafft wurde. Im folgenden Satz wird das Kultbild noch zweimal (noch einmal mit der Präposition περί) erwähnt: zum einen nochmals umringt von den zurückgebliebenen Priestern, die den Wagen ziehen, zum anderen unmittelbar von dem Schrein, der das Kultbild umgibt (τὸ ἐν τῷ νηῷ ἐνεὸν ἄγαλμα) und sich auf dem Wagen befindet.86 Abschließend möchte ich auf einen der oben angesprochenen Unterschiede des Festes in Papremis zur Beschreibung des Festes in Bubastis eingehen. Die Festbeschreibung von Papremis zeichnet sich neben den bereits genannten Dimensionen sowohl durch eine kognitive und intellektuelle Dimension des Festes und der Riten als auch durch eine soziale Dimension aus. Während die soziale Dimension bereits angesichts der zahlreichen Priester mit ihren unterschiedlichen Funktionen im Kontrast zu den vielen Laien, die ein Gelübde geleistet haben, deutlich hervortritt, lässt sich die kognitive und intellektuelle Dimension des Festrituals anhand der sich anschließenden Kultaitiologie (Hdt. 2.63.4) erkennen, die den Abschnitt beschließt: Τὴν δὲ πανήγυριν ταύτην ἐκ τοῦδε νομίσαι φασὶ οἱ ἐπιχώριοι· οἰκέειν ἐν τῷ ἱρῷ τούτῳ τοῦ Ἄρεος τὴν μητέρα, καὶ τὸν Ἄρεα ἀπότροφον γενόμενον ἐλθεῖν ἐξανδρωμένον ἐθέλοντα τῇ μητρὶ συμμεῖξαι, καὶ τοὺς προπόλους τῆς μητρός, οἷα οὐκ ὀπωπότας αὐτὸν πρότερον, οὐ περιορᾶν παριέναι ἀλλὰ ἀπερύκειν, τὸν δὲ ἐξ ἄλλης πόλιος ἀγαγόμενον ἀνθρώπους τούς τε
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Jan Assmann weist in Assmann/Sundermeier (1991) 105–22, bes. 106–7 darauf hin, dass der Gegensatz von Alltag und sakralem Fest in Ägypten markiert werde durch die Kultgestalt der Gottheit in „Ruhe“ (im sakralen Alltag) und „Bewegung“ (beim sakralen Fest).
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προπόλους τρηχέως περισπεῖν καὶ ἐσελθεῖν παρὰ τὴν μητέρα. Ἀπὸ τούτου τῷ Ἄρεϊ ταύτην τὴν πληγὴν ἐν τῇ ὁρτῇ νενομικέναι φασί. Dieses Fest, so sagen die Einheimischen, hätten sie aus folgendem Grund zu ihrem Brauch gemacht: In diesem Heiligtum habe die Mutter des Ares gewohnt, Ares aber sei, nachdem er fern von der Mutter aufgewachsen und zum Mann geworden sei, gekommen, weil er mit seiner Mutter habe schlafen wollen, und die Diener der Mutter hätten ihn nicht hineingehen lassen, da sie ihn voher noch nicht gesehen hätten, sondern zurückhalten wollen; er aber habe Männer aus einer anderen Stadt geholt, die Diener übel zugerichtet und sei dann zu seiner Mutter hineingegangen. Aufgrund dessen, sagen sie, hätten sie dem Ares zu Ehren diese Schlägerei zu ihrem Brauch gemacht.
Zentral für das Verständnis der ganzen Textpassage ist die Verwendung der indirekten Rede. Die beiden Ausdrücke mit leichter Variation ἐκ τοῦδε νομίσαι φασί und ἀπὸ τούτου (…) νενομικέναι φασί rahmen die aitiologische Erzählung, die in der indirekten Rede steht. Herodot weist also zu Beginn ausdrücklich auf die Binnenperspektive der Einheimischen (φασὶ οἱ ἐπιχώριοι) hin und markiert diese nochmals dezent (φασί) zum Schluss. Die kognitive und intellektuelle Dimension ist in diesem letzten Abschnitt neben der zeitlichen Dimension klar artikuliert. Im Mittelpunkt der mythischen Erzählung stehen zum einen der Wunsch des Sohns nach Vereinigung (συμμεῖξαι) mit der Mutter, zum anderen der gewaltsam verschaffte Zugang zum Heiligtum. Bei diesen beiden Aspekten zeigt sich zum einen eine deutlich sexuelle Konnotation, die Herodot mit dem zweideutigen συμμεῖξαι87 zum Ausdruck bringt, zum anderen die Betonung der rohen Gewalt, die sich auch im zuvor geschilderten Ritual zeigt. Herodots Anspielung auf den mythologischen Hintergrund lässt also insgesamt eine weitere soziale Dimension in der Inszenierung eines göttlichen Inzestverhaltens erkennen.88 Im Zusammenhang mit der betonten Gewalt sowie der zuvor von Herodot geäußerten Vermutung, dass bei dem rituellen Kampf viele aufgrund der Wunden zu Tode kämen, soll eine letzte Überlegung mit Blick auf die nochmalige Erwähnung von Papremis im dritten Buch (Hdt. 3.12.4)89 die Betrachtung des Festes in Papremis beschließen. Herodot führt Papremis im dritten Buch (Hdt. 3.12.4) im Zusammenhang
87
88 89
Lloyd (1976) 285–6, 285 bemerkt, „the violation of the mother by her son is exemplified several times in Eg. mythology, e. g. Geb violates his mother Tefnut […], Ḥorus violates Isis.“ Zu den zwei möglichen Bedeutungen von συμμεῖξαι cf. insgesamt Powell (1938) 342–3, Griffiths (1960) 86 und Lloyd (1976) 287: (a) „have intercourse with“ und (b) „commune with“. Cf. dazu insbesondere die thematische Weiterführung mit dem „taboo on intercourse“ im unmittelbar anschließenden Paragraphen, Hdt. 2.64 (καὶ τὸ μὴ μίσγεσθαι γυναιξὶ ἐν ἱροῖσι μηδὲ ἀλούτους ἀπὸ γυναικῶν ἐς ἱρὰ ἐσιέναι οὗτοί εἰσι οἱ πρῶτοι θρῃσκεύσαντες.). Es ist möglich, in Herodots distanzierender Darstellung auch eine indirekte Kritik an griechischen Gottesvorstellungen zu sehen, cf. dazu die Überlegungen ausgehend von der Funktion der Autopsiebehauptungen von Bichler (2013) 135–151. Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 410.
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mit den kriegerischen Auseinandersetzungen beim Zug des Kambyses gegen Ägypten (526/5 v. Chr.) an und weist dabei voraus auf den späteren gewalttätigen Aufstand des Libyers Inaros (462/1 v. Chr.) mit Unterstützung der Athener gegen die Perser und insbesondere gegen Achaimenes.90 Es ist zumindest signifikant, dass Papremis nicht nur bekannt ist für die religiös-rituellen Kämpfe, sondern darüber hinaus durch ebenso reale Auseinandersetzungen und Opfer auch für die Athener erinnerungswürdig ist. Ein Vergleich der Festbeschreibungen Die Betrachtung der beiden ausgewählten Feste91 veranschaulicht zuerst, dass Herodot nicht nur an Opfern interessiert ist. Eine wichtige Gemeinsamkeit der beiden Festbeschreibungen besteht darin, dass sowohl bei Bubastis als auch bei Papremis nur kurz und zusammenfassend von Opfern die Rede ist, während andere Handlungen und Rituale wie die Barken-Prozession und der rituelle Kampf deutlich im Fokus der Erzählung stehen und viel mehr Raum einnehmen. Wichtig ist diese Beobachtung insbesondere deswegen, weil sie deutlich zeigt, dass die von Burkert postulierte Zentralität des Opfers für Herodots Erzählung über Ägypten nicht zutrifft. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt besteht darin, dass in beiden Erzählungen Binnenperspektiven zum Einsatz kommen. Bemerkenswert ist im Fall von Papremis die Einbettung einer aitiologischen Erzählung durch die Einblendung einer Binnenperspektive, welche die Verbindung von Gewalt und (inzestuöser) Sexualität betont. Diese Erzähltechnik ermöglicht Herodot die Distanzierung von dem mythisch-theologischen Prätext für den rituellen Kampf ohne ihn zu übergehen. Die phänomenale Ähnlichkeit einiger ägyptischer Feste mit den griechischen führt Herodot zu der These (Hdt. 2.58.1), dass die Ägypter als erste diese Feste feierten und die Griechen ihnen darin folgten. 4.4 Faits sociaux um den Tod: Trauerklage und Bestattung Zentrale religiöse faits sociaux, die den Umgang der Ägypter mit dem Tod illustrieren, behandelt Herodot in Hdt. 2.85–90.92 An diesen Beispielen lässt sich erkennen, wie 90
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Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 410. An diesem Aufstand sollen auch 200 athenische Schiffe teilgenommen haben. Der Aufstand wurde schließlich durch Megabyzos niedergeschlagen. Inaros soll um das Jahr 450 v. Chr. zusammen mit fünfzig griechischen Gefangenen nach Persien deportiert und aufgespießt worden sein. Cf. zum Aufstand des Inaros auch Kahn (2008) 424–440. Herodot beschränkt sich in seiner Auswahl der Feste auf die besonderen und eindrücklichen. Seine Auswahl betrifft rein geographisch das Nildelta. Zu den Zusammenkünften von Wohlhabenden, bei denen ein Mann nach dem Essen eine aus Holz geformte Leichnam-Atrappe in einem Sarg herumträgt und die Trinkgenossen anspricht, cf. Lloyd (1976) 335–7, Assmann (1991) 223 und zur Rezeption des Motivs, Wöhrle (1990) 292–301.
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Herodot die Aufmerksamkeit auf die Wirkung sozialer Faktoren in religiösen Ritualen richtet. Auf die Schilderung der sozialen Reaktionen unmittelbar auf den Tod eines Angehörigen, die mit dem Stichwort der Totenklage (Hdt. 2.85 θρῆνοι) eingeführt werden, folgen seine Ausführungen über die „Bestattungen“ oder „Begräbnisse“ und die damit verbundenen Rituale (ταφαί)93 – Herodots berühmte Darstellung der Mumifizierung. Zuerst gib er eine komprimierte Schilderung der Totenklage (Hdt. 2.85): Τοῖσι ἂν ἀπογένηται ἐκ τῶν οἰκίων ἄνθρωπος τοῦ τις καὶ λόγος ᾖ, τὸ θῆλυ γένος πᾶν τὸ ἐκ τῶν οἰκίων τούτων κατ’ ὦν ἐπλάσατο τὴν κεφαλὴν πηλῷ ἢ καὶ τὸ πρόσωπον, κἄπειτα ἐν τοῖσι οἰκίοισι λιποῦσαι τὸν νεκρὸν αὐταὶ ἀνὰ τὴν πόλιν στρωφώμεναι τύπτονται ὑπεζωμέναι καὶ φαίνουσαι τοὺς μαζούς, σὺν δέ σφι αἱ προσήκουσαι πᾶσαι· ἑτέρωθεν δὲ οἱ ἄνδρες τύπτονται, ὑπεζωμένοι καὶ οὗτοι. Ἐπεὰν δὲ ταῦτα ποιήσωσι, οὕτω ἐς τὴν ταρίχευσιν κομίζουσι. Bei denen, wo im Haus ein Mensch stirbt, der Ansehen genießt, bestreicht sich das ganze weibliche Geschlecht aus diesem Haus den Kopf oder auch das Gesicht mit Schlamm, und dann lassen sie die Leiche im Haus und laufen selbst durch die Stadt mit hochgeschürzten Gewändern und mit entblößter Brust und fügen sich Schläge zu, und zusammen mit ihnen alle weiblichen Verwandten; und auf der anderen Seite tun dies auch die Männer, auch sie mit hochgeschürzten Gewändern. Wenn sie das getan haben, bringen sie (die Leiche) zur Einbalsamierung.
Diese kurze Beschreibung des ägyptischen Klagegestus,94 die kleine Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen trauernden Frauen und Männern festhält, dient als Überleitung zu der ausführlicheren Schilderung der Einbalsamierung, die darauf angeführt wird (ἐς τὴν ταρίχευσιν). Die Ausführlichkeit und Genauigkeit bei der Beschreibung der Anwendungen, in deren Mittelpunkt der menschliche Leichnam steht, lassen an eine Ästhetik des Grauens oder Ekels denken. Herodots anschauliche Beschreibung der Mumifizierung ist meines Erachtens grundlegend von sozialen und ökonomischen Überlegungen geprägt. Die Analyse dieser Textpassage mit einem Fokus auf die sozialen und insbesondere ökonomischen Gesichtspunkte soll zeigen, wie sich soziale und ökonomische Faktoren in religiösen Ritualen bemerkbar machen. Wichtig ist gleich zu Beginn die Beobachtung, dass Herodot das an und für sich religiös konnotierte Totenritual in einer Weise schildert, die zeigt, dass er zwar insgesamt um die religiöse Bedeutung des Rituals weiß, seine Darstellung jedoch auf soziale und ökonomische Faktoren fokussiert. Dieser Gesichtspunkt lässt sich bereits an der Eingangspassage feststellen, weil Herodot darin insbesondere den geschäftlichprofessionellen und ökonomischen Charakter der Mumifizierungspraxis hervorhebt (Hdt. 2.86.1):
93 94
LSJ: in pl., mode of burial. Cf. dazu Lloyd (1976) 351–3.
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Εἰσὶ δὲ οἳ ἐπ’ αὐτῷ τούτῳ κατέαται καὶ τέχνην ἔχουσι ταύτην. Οὗτοι, ἐπεάν σφι κομισθῇ νεκρός, δεικνύουσι τοῖσι κομίσασι παραδείγματα νεκρῶν ξύλινα, τῇ γραφῇ μεμιμημένα, καὶ τὴν μὲν σπουδαιοτάτην αὐτέων φασὶ εἶναι τοῦ οὐκ ὅσιον ποιεῦμαι τὸ οὔνομα ἐπὶ τοιούτῳ πρήγματι ὀνομάζειν, τὴν δὲ δευτέρην δεικνύουσι ὑποδεεστέρην τε ταύτης καὶ εὐτελεστέρην, τὴν δὲ τρίτην εὐτελεστάτην. Es gibt Leute, die genau dafür zuständig sind und dies als ihren Beruf ausüben. Diese zeigen, sobald die Leiche zu ihnen gebracht wird, denen, die sie gebracht haben, hölzerne, mit Bemalung nachgestaltete Musterstücke von Leichnamen; (1) Die aufwendigste der Einbalsamierungsarten sei, sagen sie, mit demjenigen verbunden, dessen Namen in einem solchen Zusammenhang zu nennen ich nicht für fromm halte, weiter zeigen sie eine (2) zweite Art, die schlechter als die erste und mit weniger Kosten verbunden ist, und eine (3) dritte die mit den wenigsten Kosten verbunden ist.
Bereits im ersten Satz lenkt Herodot die Aufmerksamkeit auf die Professionalisierung und den Geschäftscharakter bei denjenigen, die dafür zuständig sind und dies als ihren Beruf ausüben. Im Folgenden betont er weiter den professionellen und nun auch deutlich ökonomischen Aspekt, wenn von den gezeigten hölzernen Mustern der Toten (παραδείγματα νεκρῶν ξύλινα) für Anschauungszwecke der verschiedenen Arten der Mumifizierung die Rede ist. Bevor sich Herodot jedoch auf die dreifache Klassifizierung des Mumifizierungsverfahren einlässt, die er zuerst mit τὴν μέν und einem einfach distanzierenden φασί („sagt man“, „sagen/behaupten sie“) einleitet, markiert er in auffälliger Weise, dass er „den Namen“ (τὸ οὔνομα) desjenigen, nach dem dieses Verfahren benannt sei, „einer solchen Sache“ (ἐπὶ τοιούτῳ πρήγματι) nicht hinzufügen wolle. Seine Begründung besteht in einem οὐκ ὅσιον („es ist nicht heilig/erlaubt“ oder „es ziemt sich nicht“).95 Gemeint ist natürlich der Name des Gottes Osiris, dessen symbolisch-religiöse Bedeutung für die Mumifizierung zentral ist.96 Herodot gibt also deutlich zu erkennen, dass ihm die religiöse Bedeutung des ägyptischen Rituals bekannt ist, doch er konzentriert sich auf andere Aspekte, die er im Folgenden präsentiert. Dass es ihm dabei sowohl um die praktischen und ästhetischen Seiten der Prozedur als auch um die sozialen und ökonomischen Aspekte geht, wird die folgende Analyse weiter zeigen. Herodot führt zuerst die vorgestellten Mumifizierungsweisen an, indem er im Superlativ „die sorgfältigste“ (τὴν μὲν σπουδαιοτάτην αὐτέων) von einer „zweiten weniger vollkommenen und billigeren“ (τὴν δὲ δευτέρην […] ὑποδεεστέρην τε ταύτης καὶ εὐτελεστέρην) und einer „dritten, die am billigsten“ (τὴν δὲ τρίτην εὐτελεστάτην) sei, unterscheidet. Die Adjektive zur Bezeichnung der zweiten und dritten Art (εὐτελεστέρην, εὐτελεστάτην, „billiger“ und „am billigsten“ oder „mit weniger 95 96
Cf. dazu Gödde (2007) 56–73. Zur Gleichsetzung des Toten mit Osiris Art. „Mumifizierung“ in Bonnet (1952) 482–7, bes. 484–6, der ebd. 486 bemerkt, dass „das Ritual, nach dem die M. vollzogen wurde,“ vollends „unter dem Osirisgedanken stand“. Cf. zum Balsamierungsritual die Untersuchung von Töpfer (2015).
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Kosten“ und „mit den wenigsten Kosten“) lassen bereits die ökonomische Perspektive erkennen, die im Folgenden noch expliziter hervortreten wird. Denn im Anschluss an die Präsentation der Behandlungsweisen und die Auskünfte der Angehörigen, welche Prozedur sie für den Leichnam wünschen (κατὰ ἥντινα βούλονταί σφι σκευασθῆναι τὸν νεκρόν),97 stellt Herodot fest (Hdt. 2.86.3) Οἱ μὲν δὴ ἐκποδὼν μισθῷ ὁμολογήσαντες ἀπαλλάσσονται, οἱ δὲ ὑπολειπόμενοι ἐν οἰκήμασι (…). Die Auftraggeber verschwinden nun, nachdem sie sich auf einen Preis geeinigt haben; die aber, die in den Gebäuden zurückbleiben […].
Diese abschließende Betonung des Preises, der zwischen den beiden Parteien bei einem solch sensiblen Thema vereinbart wird, ist signifikant. Denn Herodots prägnante Bemerkung verdeutlicht, dass die darauffolgenden Prozeduren vor allem eine Frage des vereinbarten Preises darstellen und nicht so sehr der religiösen Überzeugung. Diese religionsökonomische Dimension bei der Darstellung der Mumifizierungsprozeduren lässt sich auch in den unmittelbar anschließenden Beschreibungen der drei Arten festmachen. Vergleicht man bereits die Länge der Beschreibungen der drei Mumifizierungsarten, so ist festzustellen, dass die erste, die kostspieligste Art, sehr aufwändig in einem Umfang von 19–20 Textzeilen, die zweite kürzer, in nur elf, und die dritte in nur knapp drei Zeilen beschrieben wird. Ebenso deutlich ruft Herodot zu Beginn einer jeden Beschreibung deren Status nochmals in Erinnerung: (1) die anspruchsvollste Art der Einbalsamierung, (τὰ σπουδαιότατα ταριχεύουσι, Hdt. 2.86.3), die gegen Ende nochmals als die kostspieligste Art (τὰ πολυτελέστατα, Hdt. 2.87.1) bezeichnet wird, (2) die mittlere, (τὰ μέσα), welche diejenigen wählen, welche die Kosten oder „Extravaganz“ scheuen (τὴν δὲ πολυτελείην φεύγοντας Hdt. 2.87.1) sowie zuletzt (3) die dritte Art der Einbalsamierung, „die bei den Ärmeren angewandt wird“ (Ἡ δὲ τρίτη ταρίχευσίς ἐστι ἥδε, ἣ τοὺς χρήμασι ἀσθενεστέρους σκευάζει Hdt. 2.88.1). Eine Betrachtung der drei Beschreibungen vermittelt den Eindruck, dass zum einen die Prozeduren mit sehr unterschiedlichem Aufwand und Arbeitseinsatz der Mumifizierer verbunden sind und zum anderen der differenzierte Umgang mit dem Leichnam graduell abnimmt. Insbesondere die kostspieligste Art der Mumifizierung zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl exotische Instrumente als auch Stoffe, wie z. B. scharfer äthiopischer Stein zum Schneiden, Palmwein zur Reinigung und Auswaschung, Myrrhe, Kasia und andere Spezereien als Füllung oder feine Byssosleinen (Hdt. 2.86.4–6), zum Einsatz kommen.98 Weitere graduelle Unterschiede, wiederum in der Form einer Antiklimax, lassen sich bei der 97 98
Hdt. 2.86: Φράσαντες δὲ πυνθάνονται παρ’ αὐτῶν κατὰ ἥντινα βούλονταί σφι σκευασθῆναι τὸν νεκρόν. Cf. dazu Lloyd (1976) 357–60.
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Rückgabe des Leichnams an die Angehörigen feststellen: (1) Im ersten Fall wird die Leiche nach siebzig Tagen gewaschen, der ganze Leib mit feinen Byssosleinen eingewickelt und mit Gummi bestrichen, bevor er den Angehörigen zurückgegeben wird. Diese lassen nun eine hölzerne Form in Menschengestalt (ξύλινον τύπον ἀνθρωποειδέα, Hdt. 2.86.7) anfertigen und dort die Leiche hineinlegen, um sie darauf im Grabgemach (ἐν οἰκήματι θηκαίῳ,) aufrecht gegen die Wand zu stellen. Während im zweiten Fall (2) nach den siebzig Tagen der Zedernsaft, der in den Leichnam eingeführt wurde, wieder herausgelassen wird und die Leiche, die nur noch aus Haut und Knochen besteht, den Angehörigen ohne weiteres zurückgegeben wird, wird die Leiche im dritten Fall (3) nach der Bauchspülung mit einem scharfen Purgiersaft nach derselben Zeit einfach zurückgegeben. Herodots Erzählung lässt sehr klar erkennen, wie die an und für sich religiös motivierte Handlung bzw. das Ritual der Einbalsamierung in der Realität wohl durch soziale und insbesondere ökonomische Faktoren bedingt wird. Der Tod macht bei den Ägyptern nicht alle gleich, sondern der Reichtum der Familie wirkt sich noch ersichtlich auf die Erhaltung und Gestaltung des Leichnams aus. Die soziale und vor allem ökonomische Hierarchie spiegelt sich auch nach dem Tod in der Behandlung der Toten wider. An Herodots religionsökonomische Beobachtungen zur Praxis der Mumifizierung schließen sich zwei wichtige Erläuterungen an, die beide nochmals die Aufmerksamkeit auf die soziale, religiöse Praxis in Ägypten lenken: (a) zum einen der Sonderfall einer Mumifizierung von Frauen angesehener Männer oder solcher, die sehr schön und von großer Bedeutung sind (Hdt. 2.89), (b) zum anderen der Umgang mit Toten, die entweder von einem Krokodil gerissen oder durch den Fluss umgekommen sind (Hdt. 2.90).99 Während im ersten Fall sowohl soziale Aspekte als auch Gender-Phänomene und Probleme zur Sprache kommen, wird im zweiten Fall ein religiöser Sonderfall beschrieben. Die Mumifizierung bestimmter Frauen Warum die Mumifizierung von Frauen angesehener Männer (τὰς δὲ γυναῖκας τῶν ἐπιφανέων ἀνδρῶν) und von Frauen, die sehr schön und von größerer Bedeutung sind (ὅσαι ἂν ἔωσι εὐειδέες κάρτα καὶ λόγου πλεῦνος γυναῖκες) nicht sofort, sondern erst nach drei oder vier Tagen nach dem Tod (τριταῖαι ἢ τεταρταῖαι) den Balsamierern übergeben werden (παραδιδοῦσι τοῖσι ταριχεύουσι), erläutert Herodot im Anschluss an die üblichen Prozeduren. Die folgende Begründung für diese Praxis wirft wiederum einen Schatten auf die religiös intendierte Prozedur (Hdt. 2.89.2):
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Cf. dazu Kapitel IV. Religion im Raum.
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III. Religion im Sozialen
Τοῦτο δὲ ποιεῦσι οὕτω τοῦδε εἵνεκεν, ἵνα μή σφι οἱ ταριχευταὶ μίσγωνται τῇσι γυναιξί· λαμφθῆναι γάρ τινά φασι μισγόμενον νεκρῷ προσφάτῳ γυναικός, κατεῖπαι δὲ τὸν ὁμότεχνον. Dies tun sie so deswegen, damit sich die Balsamierer nicht an den Frauen vergehen; es sei einmal einer ertappt worden, als er sich an einer frischen Frauenleiche vergangen habe; ein Berufsgenosse habe ihn angezeigt.
Diese angeführte Begründung, die angeblich auf die Anzeige eines Einzelfalls der Nekrophilie zurückgehe, ist bemerkenswert, denn sie veranschaulicht auf drastische Weise die Verbindung des religiösen Rituals mit dessen Missbrauch und Pervertierung durch die Mumifizierer. Der große Vertrauensbonus, den diese gegenüber der Intimität und natürlichen Abhängigkeit der Toten genießen, wird durch die sexuelle Gewalt und den Missbrauch markant in Frage gestellt. Wie so oft, ist jedoch auch hier wiederum Herodots Erzählweise zu beachten. Die religiöse Prozedur der Mumifizierung wird zwar durch die prägnante Erzählung mit sexueller Gewalt und Missbrauch kontrastiert. In einer narrativen Brechung erfolgt jedoch der deutlich markierte Übergang in die indirekte Rede durch die Wendung „es sei / man sagt“ oder „man behauptet“ (φασι). Durch die erwähnte Anzeige des Mitarbeiters (κατεῖπαι δὲ τὸν ὁμότεχνον) folgt ein weiterer, ambivalenter Akt der Vermittlung, den Herodot ebenfalls nur andeutet. Nil und Krokodil: Besondere Tote Von diesem zweiten Sonderfall wird auch im Zusammenhang mit der religiösen Bedeutung des Nils die Rede sein.100 Es geht nun um Leichen von Ägyptern (αὐτῶν Αἰγυπτίων) oder auch Nichtägyptern (ἢ ξείνων), die von einem Krokodil gerissen oder vom Strom selbst erfasst wurden.101 Interessant ist bereits diese erste Äußerung, die zeigt, dass bei Opfern des Flusses oder von Krokodilen kein Unterschied zwischen Ägyptern und Fremden besteht. Die Stadt, in welcher der Leichnam angetrieben werde, sei nun auf alle Art und Weise verpflichtet (πᾶσα ἀνάγκη ἐστί), die Leiche einzubalsamieren und so schön wie möglich einzuwickeln und in geweihten Särgen beizusetzen (ταριχεύσαντας αὐτὸν καὶ περιστείλαντας ὡς κάλλιστα θάψαι ἐν ἱρῇσι θήκῃσι). Für die religionssoziale Perspektive ist die folgende Formulierung eines strikten Verbots von besonderer Bedeutung (Hdt. 2.90.2): Οὐδὲ ψαῦσαι ἔξεστι αὐτοῦ ἄλλον οὐδένα οὔτε τῶν προσηκόντων οὔτε τῶν φίλων, ἀλλά μιν οἱ ἱρέες αὐτοὶ οἱ τοῦ Νείλου, ἅτε πλέον τι ἢ ἀνθρώπου νεκρόν, χειραπτάζοντες θάπτουσι. 100 Cf. Kapitel IV. Religion im Raum. 101 Cf. dazu Lloyd (1976) 366–7, der ebd. 367 bemerkt: „Apotheosis by drowning was an Eg. idea. Since the drowned person became a god, his body would be treated with all the reverence accorded to the ritual body of a god, i. e. the divine statue. No profane hand would be allowed to touch him.“ Cf. auch Lloyd in Asheri/Lloyd (2007) 302.
5. Fazit und Ausblick
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Und nicht einmal berühren darf ihn (sc. den Leichnam) irgendein anderer, weder von seinen Angehörigen noch von seinen Freunden, sondern die Priester des Gottes Nil selber versorgen ihn mit ihren eignen Händen und bestatten ihn wie einen, der mehr ist als der Leichnam eines Menschen.
Dieses Verbot, welches das soziale Umfeld des Toten im Kern betrifft, betont nicht nur den hervorragenden Status(wechsel) des Toten durch die tödliche Begegnung mit dem „heiligen“ Wasser, sondern auch die spezifische Rolle der „Priester des Gottes Nil“ (οἱ ἱρέες αὐτοὶ οἱ τοῦ Νείλου)102, die allein mit ihren Händen (χειραπτάζοντες) für eine angemessene Bestattung in Frage kommen, „weil der Leichnam irgendwie/etwas mehr als der eines Menschen“ (ἅτε πλέον τι ἢ ἀνθρώπου νεκρόν) sei.103 Diese Beobachtungen und Äußerungen Herodots über die Praxis von Totenklage und Begräbnisriten in Ägypten weisen deutlich auf die dichte Verknüpfung von religiösen und sozialen Sachverhalten in Ägypten hin. Dass der religionsökonomische Fokus104 auf die Mumifizierungspraxis kein Einzelfall in Herodots Werk darstellt, zeigen nicht zuletzt die vielen ausdrücklichen Angaben über Weihgaben und Stiftungen bedeutender Personen wie z. B. des Kroisos oder der ägyptischen Könige.105 5. Fazit und Ausblick Wie die Untersuchung zeigt, könnten sicherlich weitere zahlreiche Beispiele zur Verflechtung von Religion und Sozialem in Herodots Erzählung über Ägypten angeführt werden. Die ausgewählten und diskutierten Beispiele zeigen, dass und wie Herodot 102
Zum Nilgott allgemein und in ägyptischen Darstellungen Wiedemann (1890) 364–5 und Art. „Nil“ in Bonnet (1952) 525–8. Zum „l’eau sainte“ in der „Magie et la crue du Nil“ Bonneau (1964) 275–314, bes. 275–8. Bonneau bemerkt zum Nilwasser und dieser Stelle aus den Historien, ebd. 275: „Par une sort de fiction, parce que le Nil n’existait pour les Égyptiens que par son renouvellement annuel, l’eau du fleuve était considérée comme sacrée en toute saison, mais ce n’était que par une extension de la piété manifestée à l’égard de l’eau nouvelle de l’inondation. C’est pourquoi les gens noyés dans le Nil, en quelque saison que ce fût, apparaissaient de ce fait comme divinisés: le texte le plus explicite sur ce sujet est celui d’Hérodote; le cadavre de ceux qui s’étaient noyés dans le fleuve ou de ceux que le crocodile avait fait périr, était sacré […].“ 103 Cf. zu Hdt. 2.90.2 auch Kapitel IV. Religion im Raum. 104 Eine bemerkenswerte Verbindung beim Umgang mit Toten im Hinblick auf ökonomische Gesichtspunkte ist in der Gesetzgebung des Asychis (Hdt. 2.136) zu sehen. Cf. dazu Lieven (2013) 311–20, bes. 315. 105 Cf. z. B. Herodots Erzählung über die bedeutenden Stiftungen und Weihgeschenke des Amasis für die Orakelstätten und mehrere Heiligtümer sowohl in Ägypten als auch in Griechenland Hdt. 2.174–6, Hdt. 2.180 und Hdt. 2.182; nicht zu vergessen ist das Standbild, das seine Frau Ladike nach ihrer Gebetserhörung durch Aphrodite nach Kyrene sendet, cf. Hdt. 2.181 sowie dazu Kapitel VI. Religion und Sinne. Eine perspektivenreiche Untersuchung zu Herodot und der „Macht des Geldes“ bietet Bichler (2007) 11–26, zur Verbindung religiöser und ökonomischer Gesichtspunkte in kleineren Episoden ebd. 15, sowie Kurke (1999).
122
III. Religion im Sozialen
zuerst in einer durchaus mehrdeutigen These (Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται Hdt. 2.37) die außergewöhnliche Religiosität der Ägypter thematisiert. Diese Religiosität wird daraufhin exemplarisch anhand zahlreicher Bräuche und Rituale veranschaulicht. Die von Herodot gewählten Beispiele lenken dabei die Aufmerksamkeit insbesondere auf den Zusammenhang von religiöser Praxis und Reinheit. Das Konzept der Reinheit wird zu einer entscheidenden religiös-sozialen Kategorie, die in der Perspektive Herodots ein sehr wichtiges Merkmal der Religion und Gesellschaft in Ägypten darstellt.106 Die Eigenschaft der Reinheit dient daraufhin als Übergang zur Untersuchung einer religiösen Gruppe, die sich besonders durch den Anspruch auf Reinheit auszeichnet: die ägyptischen Priester. Sie erscheinen deutlich als eine von Herodot besonders markierte Gruppe zunächst in ihrer zentralen Funktion als Informanten und Wissensträger der Religion in Ägypten, indem Herodot seine Erzählung an vielen Stellen durch ihre Binnenperspektive bereichert. Sie treten jedoch darüber hinaus auch als Akteure und religiöse Experten innerhalb des ägyptischen Symbolsystems in Erscheinung. Zuletzt wurde gezeigt, dass Herodot eine durchaus differenzierte Betrachtung der Priester in ihrer Organisationsform als einer Gruppe mit ihren Aufgaben innerhalb der ägyptischen Gesellschaft vornimmt, dabei jedoch auch deutlich auf die lebensweltlichen Vorteile und den ökonomischen Nutzen der Priesterschaft hinweist. Diese ausdrücklichen Indizien einer religionsökonomischen Betrachtung wurden zuletzt anhand der Mumifizierung und der Stiftung von Weihgaben eigens thematisiert. In einem dritten Schritt diente eine Auswahl religiöser faits sociaux als Gegenstand der Untersuchung. Die Analyse der beiden ägyptischen Feste in Bubastis (Hdt. 2.60) und Papremis (Hdt. 2.63) brachte sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten hervor. Während bei der Prozessionsbeschreibung von Bubastis Herodots Aufmerksamkeit wesentlich auf die sozialen und rituellen Handlungen sowie eine Reihe von sinnlichen Aspekten konzentriert ist, kommt in seiner Beschreibung der rituellen Kämpfe in Papremis (Hdt. 2.63) nicht nur den Priestern als Akteuren eine wichtige Rolle zu. Im Mittelpunkt des Rituals in Papremis stehen, umgeben von den Priestern, religiöse Gegenstände, die eine sinnlich-ästhetische und symbolische Funktion haben. Darüber hinaus wird eine intellektuelle Dimension des symbolisch-rituellen Kampfes in Form einer Kultaitiologie angedeutet. Für beide Festbeschreibungen ist festzuhalten, dass sie sich nicht mit Opfern befassen. Zuletzt wurden ausgehend von Herodots Beschreibung der Totenklage und Begräbnisriten in Ägypten, nämlich der Praxis der Mumifizierung sowie der Stiftung von Weihgeschenken, neben sozialen Unterschieden auch sozioökonomische Aspekte im Zusammenhang mit religiösen Sachverhalten in Ägypten thematisiert. Es konnte 106 Markant ist die Betonung der zwei rituellen Verbote bzw. Tabus bei Ägyptern und Griechen (Hdt. 2.64): (a) das Verbot des Geschlechtsverkehrs im Heiligtum und die Waschung (nach Frauenbesuch) vor dem Besuch des Heiligtums.
5. Fazit und Ausblick
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gezeigt werden, wie religiöse Praxis, soziales Leben und sozioökonomische Gesichtspunkte für die ägyptische Gesellschaft in Herodots Darstellung selbst nach dem Tod noch auf das engste miteinander verwoben sind. Es ist wichtig festzuhalten, dass Herodot, indem er insbesondere auf die Reinheit und Reinheitsrituale der ägyptischen Priester (der „Reinen“) fokussiert, wohl einen zentralen Aspekt des ägyptischen religiösen Symbolsystems erfasst.107 Die diskutierten Beispiele für Reinheit, zumeist bezogen auf den menschlichen Körper, weisen darüber hinaus auch auf den Zusammenhang der „embededdness“ von Religion in Ägypten und „embodiment“ hin.108 Methodisch ist vor dem skizzierten Hintergrund zu bemerken, dass mit Herodots Aufmerksamkeit für das Phänomen der Reinheit in Ägypten nicht nur eine etische (metasprachliche, Außen-) Perspektive für die Beschreibung des ägyptischen Symbolsystems zur Sprache kommt, sondern in Ansätzen wohl sogar eine emische (Innen-) Perspektive in Herodots Text zu entdecken ist.109 Im Anschluss an den Aufweis, wie Herodot Religion im Sozialen verwurzelt sieht, soll im folgenden Kapitel untersucht werden, wie Herodot das Verhältnis von Religion zum Raum, zur Geographie und zur natürlichen Umwelt in Ägypten thematisiert.
107 Reinheit stellt nicht nur ein zentrales Merkmal ägyptischer, sondern auch griechischer Religion dar. Cf. zur Reinheit in der griechischen Religion Petrovic (2016). 108 Cf. Eidinow (2015). 109 Zur Erläuterung dieser Unterscheidung in der Kulturanthropologie Harris (1989) 26–27 sowie 64.
IV. Religion im Raum Während im vorausgehenden Kapitel nach Religion im sozialen Raum gefragt wurde, soll nun die wechselseitige Beziehung von Religion zum natürlichen Raum und zur Umwelt in Herodots Erzählung über Ägypten untersucht werden. Lassen sich in Herodots Darstellung von Religion in Ägypten überhaupt Überlegungen zur wechselseitigen Beziehung von Religion und Raum finden?1 Welche Rolle spielen Raum und natürliche Umwelt im Verhältnis zu Religion? Wie wird der Zusammenhang von Raum und Religion thematisiert? Welche Bedeutung kommt der Topographie, Geologie und Geographie bei der Beschreibung von Religion in Ägypten zu? Werden klimatische Verhältnisse oder geographische Gegebenheiten mit Blick auf die dortige Religion thematisiert? Gibt es ausgewiesene, als religiös markierte Orte? Gibt es vielleicht sogar Anzeichen für die These einer Umweltabhängigkeit von Religion(en) bei Herodot?2
1
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Eine Einführung und einen Überblick zu Fragen und Forschungsfeldern der Religionsgeographie bieten Hock (2002) 146–52, Hoheisel (1988) 108–120, Rinschede (1999) sowie die interdisziplinäre Schriftenreihe zur Religionsgeographie „Geographia Religionum“, insbes. Bd. 1, Büttner (1985), der Grundfragen der Religionsgeographie gewidmet ist. Hoheisel (1988) nennt und beschreibt die folgenden drei Hauptaufgaben der Religionsgeographie, ebd. 112–7: 1. Verbreitung der Religionen, 2. Umweltgestaltung, 3. Umweltabhängigkeit. Zur Frage, wie Religion die Umwelt prägt und gestaltet (Umweltprägungslehre), cf. Rinschede (1999) bes. 103–234; zur Frage, wie Religionen von der Umwelt geprägt werden (Religionsprägungslehre), cf. ebd. 81–91. Eine anschauliche Religionsgeographie mit einem Atlas der Kirchen und der anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland bietet Henkel (2001), der auch zuständig ist für eine beständig aktualisierte Internetseite zu geographischer Literatur über Religion(en) sowie ausgewählte für die Religionsgeographie interessante Literatur (seit 2014) im Arbeitskreis der Religionsgeographie in der Deutschen Gesellschaft für Geographie: http://www.religionsgeographie.de/literatur.htm. Zu jüngsten religionswissenschaftlichen Debatten zu Raum Koch (2017) 6–18. Cf. zur geographischen Beschaffenheit eines gegebenen Raums und der Kulturgeschichte seiner Einwohner mit Blick auf Herodot Müller (1972) 118–9, zur Problematisierung eines „environmental determinism“ bei Herodot Thomas (2000) 103–114, bes. 103–5, zum Verhältnis Herodots zum Corpus Hippocraticum ebd. Kap. 3 und 4. Thomas stellt ebd. 104–5 fest: „We should thus draw a far sharper distinction between the type of environmental determinism of the kind visible in Airs and other Hippocratic works, where physiological effects are expected, and the hints of it visible in Herodotus. Herodotus clearly thinks climate is an explanatory element, but most of the places where he mentions climate, and usually cited in this connection, seem to be doing either more or less than claiming that climate is crucial to ethnic character.“
1. Religiöse Zentren und die Gestaltung religiöser Gegenstände
125
Die im Folgenden behandelten Beispiele sprechen für die These, dass der Beziehung von Religion zum Raum und zur Umwelt in Herodots Darstellung von Religion in Ägypten eine große Bedeutung zukommt. Zuerst behandele ich Textpassagen aus den Anfangsabschnitten des zweiten Buches, um zu zeigen, wie bereits die Einleitung von Herodots Erzählung über Ägypten in grundlegender Weise von geologisch-geographischen Beobachtungen und religiösen Gesichtspunkten geprägt ist. In Herodots Erkundung des geographischen Raums soll zuerst (1) die Aufmerksamkeit auf sein Interesse an zentralen religiösen Orten in Ägypten gerichtet werden. Unmittelbar in diesem Zusammenhang referiert Herodot die These von der Erfindung und Gestaltung religiöser Gegenstände durch die Ägypter, welche eindrücklich die Umweltgestaltung durch Religion illustriert. In einem zweiten Schritt (2) soll der Zusammenhang zwischen religiöser Identität und natürlicher Umwelt veranschaulicht werden, der seinen Ausdruck in der wichtigen religiösen Bedeutung des Nils und der Nilschwelle für Ägypten findet. Anhand des berühmten Passus über die Andersartigkeit des Himmels und des Flusses sowie der ägyptischen Sitten (Hdt. 2.35) stellt sich die Frage, inwiefern (3) bei Herodot überhaupt von einer „Umweltabhängigkeit“ die Rede sein kann. Im Anschluss (4) soll anhand von zwei Bereichen gezeigt werden, wie Herodot durch den Fokus auf lokale religiöse Praktiken Differenzierungen im religiösen ägyptischen Symbolsystem beschreibt: zum einen behandelt er geographische und lokalspezifische Unterschiede bei religiösen Praktiken, insbesondere Opfern, zum anderen kann ein ähnliches leitendes Interesse auch bei der Verehrung von (heiligen) Tieren ausgemacht werden, die in Herodots Darstellung einen großen Raum einnimmt. Zuletzt soll (5) anhand eines „Vergehens“ des ägyptischen Königs Pheros gegenüber dem Nil exemplarisch gezeigt werden, wie die Verletzung dieses zentralen Elements der ägyptischen Umwelt durch die Verquickung mit einem Orakelspruch in Herodots Erzählung religiös aufgeladen wird. 1. Religiöse Zentren und die Gestaltung religiöser Gegenstände Zentrale religiöse Orte: Memphis, Theben und Heliopolis Herodot führt zu Beginn seiner Erzählung über Ägypten unmittelbar im Anschluss an das Experiment des Psammetichos (Hdt. 2.2–3)3 einige seiner Informanten – ägyptische Priester – an und kommt damit zum ersten Mal auf die religiösen Zentren Ägyptens zu sprechen (Hdt. 2.2.5 und Hdt. 2.3.1): Ὧδε μὲν γενέσθαι τῶν ἱρέων τοῦ Ἡφαίστου τοῦ ἐν Μέμφι ἤκουον. […] Ἤκουσα δὲ καὶ ἄλλα ἐν Μέμφι, ἐλθὼν ἐς λόγους τοῖσι ἱρεῦσι τοῦ Ἡφαίστου·καὶ δὴ καὶ ἐς Θήβας τε καὶ ἐς 3
Cf. dazu Kapitel III. Religion im Sozialen.
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IV. Religion im Raum
Ἡλίου πόλιν αὐτῶν τούτων εἵνεκεν ἐτραπόμην, ἐθέλων εἰδέναι εἰ συμβήσονται τοῖσι λογίοισι τοῖσι ἐν Μέμφι· οἱ γὰρ Ἡλιοπολῖται λέγονται Αἰγυπτίων εἶναι λογιώτατοι. Dass es so geschehen sei, hörte ich von den Priestern des Hephaistos in Memphis; […] ich hörte aber auch noch anderes in Memphis, nachdem ich mit den Priestern des Hephaistos ins Gespräch gekommen war. Und ich wandte mich auch nach Theben und nach Heliopolis, eben deswegen, weil ich wissen wollte, ob sie mit den Berichten aus Memphis übereinstimmen würden. Die Einwohner von Heliopolis nämlich sollen die kundigsten unter den Ägyptern sein.
An erster Stelle nennt er die Priester des Hephaistos in Memphis, dem religiösen Zentrum Unterägyptens.4 Diese Metropole Unterägyptens5 mit dem großen Heiligtum des Hephaistos, das nach Herodot von König Min gegründet worden sein soll (Hdt. 2.99),6 ist die erste Stadt in Ägypten, die Herodot zu Beginn des zweiten Buches namentlich nennt. Das dortige Heiligtum des Hephaistos (= Ptah) dient in der zweiten Hälfte des zweiten Buchs (Hdt. 2.99 ff.) als wichtiger Referenzpunkt für die Gestaltung des Raums durch religiöse Architektur, d. h. durch die konkrete Bautätigkeit und Erweiterung des Ptah-Tempels im Auftrag bestimmter Könige.7 Neben den „religiösen Experten“ aus dieser wichtigen Metropole Unterägyptens will Herodot auch von Priestern aus zwei weiteren prominenten Orten in Ägypten gehört haben: zum einen aus dem südlichen, oberägyptischen Theben,8 zum anderen von den für ihre Gelehrsamkeit bekannten Priestern aus Heliopolis.9 Durch die Anführung dieser drei für die ägyptische Religion und ihre Geschichte so bedeutsamen Orte setzt Herodot für den ägyptischen Raum bereits zu Beginn seiner Erzählung drei signifikante religiöse und geographische Wegmarken: vom unterägyptischen Memphis ausgehend führt er zum oberägyptischen Theben10 und wieder zurück zur Spitze des Deltas in das wohl bedeutungsvollste Kultzentrum Ägyptens, Heliopolis. Insbesondere Memphis nimmt mit dem dort verehrten Apisstier in Herodots Erzählung über die Eroberung Ägyptens durch den persischen König Kambyses eine zentrale Stellung zu Beginn des dritten Buchs ein.11 4 5 6 7 8 9 10 11
Cf. dazu Art. „Memphis“ in Bonnet (1952) 446–450. Zur Aufmerksamkeit Herodots bezüglich Unter- und Oberägypten, Oertel (1970) bes. 5–8. Cf. zu Memphis, dem Heiligtum des Hephaistos und Min, Lloyd (1976) ad Hdt. 2.4 und Hdt. 2.99. Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit. Cf. dazu Lloyd (1976) 12–4 und Bonnet (1952) 791–800. Cf. dazu Art. „On“ (= „Heliopolis“) in Bonnet (1952) 543–5. Cf. dazu die Erzählung über die Begegnung mit den dortigen Priestern (Hdt. 2.143.1–4) in Kapitel V. Religion in der Zeit. Cf. dazu Kapitel VII. Religion in Interaktion. Neben diesen drei religiösen Zentren, die Herodot an dieser Stelle wegen ihrer Priester anführt, kommt er im Verlauf des zweiten Buches auch mehrfach auf die wichtige Stadt Sais, die Königs- und Grabmetropole der Saitenkönige, zu sprechen, so z. B. bei der Erzählung über Mykerinos (Hdt. 2.130) und der Erzählung über die Saitenkönige (z. B. Hdt. 2.163.1 und 169 ff.).
1. Religiöse Zentren und die Gestaltung religiöser Gegenstände
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Im Anschluss an die nun folgende Aufzählung einiger besonderer kultureller und religiöser Errungenschaften der Ägypter (wie z. B. der Erfindung des kalendarischen Jahres sowie der erstmaligen Einrichtung bestimmter religiöser Gegenstände, Hdt. 2.3–4)12 widmet sich Herodot im Folgenden mit großer Aufmerksamkeit der Beschreibung des natürlichen ägyptischen Raums (Hdt. 2.5–34).13 Diese Beobachtungen und die umfangreiche Erörterung der geographischen und geologischen Beschaffenheit Ägyptens sowie seiner Grenzen geht der ersten längeren Erzählung über die Nomoi der Ägypter (Hdt. 2.35 ff.) voraus. Die Erkundung des ägyptischen Raums und seiner natürlichen Beschaffenheit (Αἰγύπτου γὰρ φύσις ἐστὶ τῆς χώρης τοιήδε, Hdt. 2.5.2) ist also nicht nur ein wichtiges Indiz für das geographische Interesse Herodots,14 sondern die Raum- und Landeserkundung15 dient als ein erster Rahmen und als Fundament für seine weiteren Ausführungen über die Kultur, die Religion und die sonstigen Lebensweisen und Bräuche der Ägypter. Die Erfindung und Gestaltung sakraler Gegenstände Bereits vor der ausführlichen Beschreibung des Landes (Hdt. 2.5 ff.) kommt Herodot in prägnanter Weise auf die „Erfindung“ religiöser Gegenstände durch die Ägypter und damit auf die Gestaltung der Umwelt durch Religion zu sprechen.16 Die folgende Äußerung, die explizit durch die indirekte Rede (ἔλεγον) markiert wird (Hdt. 2.4.2) und auf die ägyptischen Priester zurückgehen soll, veranschaulicht diesen Aspekt: Δυώδεκά τε θεῶν ἐπωνυμίας ἔλεγον πρώτους Αἰγυπτίους νομίσαι καὶ Ἕλληνας παρὰ σφέων ἀναλαβεῖν, βωμούς τε καὶ ἀγάλματα καὶ νηοὺς θεοῖσι ἀπονεῖμαι σφέας πρώτους καὶ ζῷα ἐν λίθοισι ἐγγλύψαι. τούτων μέν νυν τὰ πλέω ἔργῳ ἐδήλουν οὕτω γενόμενα […].
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16
Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit. Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc., Bichler (2001) 15 ff. und insbesondere zu Ägypten, ebd. 145–9, Vasunia (2001) 87–91 sowie Haziza (2009) 49–104. Bichler lenkt ebd. die Aufmerksamkeit auch auf die wichtige Dimension der Zeit bei Herodots Beschreibung der Genese des Landes. Cf. zur Geographie und Topographie bei Herodot die Beiträge in Geuss/Irwin et al. (2013), darin bes. der Beitrag von Bichler, sowie Bichler (2016). Im Rahmen dieser Landeserkundung ist zu beobachten, wie Herodot an einigen Stellen zwischen der Rekonstruktion der früheren und der Beschreibung der gegenwärtigen Gestalt Ägyptens changiert und ebenso Hypothesen und Prognosen über den zukünftigen Zustand Ägyptens auch im Vergleich zu Griechenland äußert. Cf. z. B. das zweimalige νῦν in Hdt. 2.14.1–2. Das in Hdt. 1.5.4 insbesondere im Hinblick auf Städte formulierte Prinzip des „einst groß, dann klein“ lässt sich auch in seiner geographischen Beschreibung Ägyptens fassen. Cf. Hdt. 1.5.3–4 (…) προβήσομαι ἐς τὸ πρόσω τοῦ λόγου, ὁμοίως σμικρὰ καὶ μεγάλα ἄστεα ἀνθρώπων ἐπεξιών. τὰ γὰρ τὸ πάλαι μεγάλα ἦν, τὰ πολλὰ αὐτῶν σμικρὰ γέγονε· τὰ δὲ ἐπ’ ἐμεῦ ἦν μεγάλα, πρότερον ἦν σμικρά. τὴν ἀνθρωπηίην ὦν ἐπιστάμενος εὐδαιμονίην οὐδαμὰ ἐν τὠυτῷ μένουσαν, ἐπιμνήσομαι ἀμφοτέρων ὁμοίως. Cf. dazu insgesamt Lloyd (1976) ad loc.
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IV. Religion im Raum
Auch die Bezeichnungen von zwölf Göttern, erzählten sie (sc. die Priester), hätten als Erste die Ägypter als Brauch eingeführt und die Griechen von ihnen übernommen; und auch Altäre und Kultbilder und Tempel hätten sie als Erste den Göttern zuerkannt und Figuren in Stein gemeißelt. Dass der größere Teil dieser Dinge wirklich so war, machten sie durch tatsächliche Beweise klar.
Während das religiöse Feld durch mehrere Termini deutlich artikuliert wird, lassen sich räumliche, zeitliche und ästhetische Perspektiven auf das religiöse Feld unterscheiden. Dieser Textausschnitt zu Beginn von Herodots Erzählung über Ägypten referiert explizit aus der Perspektive der Ägypter fundamentale Aussagen nicht nur über die Religion der Ägypter, sondern auch über die der Griechen sowie deren Beziehung zueinander.17 In diesem Zusammenhang soll sich die Aufmerksamkeit besonders auf die vier religiösen Gegenstände und deren erste Einrichtung und Gestaltung (ἀπονεῖμαι, ἐγγλύψαι) durch die Ägypter richten.18 Denn indem Herodot die von den Ägyptern für sich beanspruchte Leistung referiert, dass diese als Pioniere zuerst19 sakrale Räume, Gebäude und Gegenstände geschaffen und gestaltet hätten, weist er in grundlegender Weise auf die fundamentale Gestaltung und Prägung des (Lebens)Raums und der Umwelt durch die ägyptische Religion hin.20 Bei allen vier Aspekten – der Errichtung von Altären, Weihe/Kultbildern, Tempeln sowie figürlicher Darstellungen in Stein – geht es grundlegend um die von Menschen für religiöse Zwecke gestaltete und veränderte Umwelt. Herodot thematisiert damit gleich zu Beginn der Erzählung über Ägypten durch die Worte der Priester die Prägung und Gestaltung der Umwelt durch die Religion („Umweltprägung“) in einer sehr allgemeinen und grundlegenden Weise. Die abschließende Bemerkung Herodots (Hdt. 2.4.2), dass die Priester „nun bei den meisten“ oder „dem größeren Teil dieser Dinge“ (τούτων μέν νυν τὰ πλέω) „tatsächlich zeigen konnten“ (ἔργῳ ἐδήλουν), dass „es wirklich so war“ (οὕτω γενόμενα), ist durch die gewählte Aktionsart des Imperfekts21 mehrdeutig und weist auf feine Nuancierungen in der Färbung der griechischen Aussage hin: je nachdem, ob das Imperfekt als durativ, konativ oder iterativ verstanden wird, erscheint die damit umschriebene Handlung der Priester in einem anderen Licht: ob die Priester nun tatsächlich „zeigten“ und „zeigen konnten“ (durativ), „zu zeigen versuchten“ (konativ), oder „immer wieder
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Cf. zu diesem vergleichenden Aspekt Kapitel VII. Religion in Interaktion. Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc. Zum Topos des protos heuretes in den Historien und in der klassischen Literatur, Kleingünther (1933). Cf. zur religionsgeschichtlichen und komparativen Dimension dieser Textpassage auch Kapitel V. Religion in der Zeit und VII. Religion in Interaktion. Zu bemerken ist, dass die Verbform ἐδήλουν (von δηλόω) grammatisch doppeldeutig ist: Es handelt sich nicht nur um das Imperfekt (Indikativ akt.) der 3. Person im Plural („sie“), sondern auch um das Imperfekt (Indikativ akt.) der 1. Person im Singular („ich“). Aufgrund des vorausgehenden und des folgenden Zusammenhangs ist wohl logisch anzunehmen, dass die Priester und nicht das Ich des Erzählers als Subjekt in Frage kommt. Die Sinnrichtung des Satzes ändert sich dadurch natürlich.
2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum
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zeigten“ oder „immer zu zeigen versuchten“ (iterativ), ergeben sich Sinnverschiebungen, die insgesamt das Verhältnis Herodots zu den Priestern und ihren Aussagen an dieser Stelle in unterschiedlichem Licht erscheinen lassen. Bemerkenswert und am stärksten ist wohl das Verständnis von ἐδήλουν im konativen Imperfekt: es würde nur darauf hinweisen, dass die Priester „bei den meisten von diesen Dingen tatsächlich versuchten zu zeigen, dass es wirklich so war“. Der Erzähler würde also lediglich andeuten, dass die Priester ernsthafte Versuche unternommen hätten, ihre Behauptungen zu beweisen.22 Wichtig ist weiter die gewählte Einschränkung „bei den meisten von diesen Dingen“ – also nicht allen. Diese behutsamen Äußerungen unterstreichen zu Beginn des zweiten Buches die sehr bewusste und nuancierte Erzählweise Herodots. Sie lädt den griechischen Leser und Zuhörer dazu ein, nicht nur grundsätzlich über das Alter und die Genese der eigenen religiösen Kultur und Gegenstände nachzudenken, sondern insbesondere auch über den Gehalt und Charakter der von Herodot referierten Äußerungen. Nach diesen einführenden Bezugnahmen auf zentrale religiöse Orte und die Gestaltung sakraler Gegenstände soll im Folgenden die wichtige Beziehung von religiöser Identität und Zugehörigkeit mit Blick auf den geographischen Raum und die Umwelt näher betrachtet und analysiert werden. 2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum Das folgende Textbeispiel zeigt erstens, wie die Zugehörigkeit zu einem bestimmten geographischen Raum mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnisch-religiösen Gruppe korreliert. Zweitens wird deutlich, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe mit gewissen Lebensregeln und Lebensformen, Gewohnheiten und Tabus, die durch die religiöse Praxis bedingt sind, verbunden ist.23 Im Kern geht es um das von Herodot thematisierte Phänomen und die Frage nach einer bestimmten religiösen Identität, die in diesem Kontext vor dem Hintergrund geographischer Zugehörigkeit erörtert wird. Herodots Erzählung und Argumentation bezüglich der Geographie und Genese Ägyptens (Hdt. 2.5–17) lässt insgesamt eine Bewegung von der jüngeren Zeit (das Delta als Sumpfgebiet) bis in die tiefe Vergangenheit (das alte, πάλαι Theben) erkennen, die sich geographisch als ein Aufstieg von dem jungen Delta zum alten Theben hin beschreiben lässt.24 Nachdem sich Herodot (Hdt. 2.15–17) mit den Anschauungen seiner
22 23 24
Cf. dazu die Erzählung über die Begegnung von Hekataios und Herodot mit den ägyptischen Priestern im Heiligtum von Theben, die in Kapitel V. Religion in der Zeit besprochen wird. Cf. dazu auch Kapitel III. Religion im Sozialen. Zum sachlichen Hintergrund – den Aspekten der Erdteillehre, der Wassergrenze und der Hydrographie – sowie der Diskussion mit den Ioniern, cf. Lloyd (1976) bes. 82–5, Bichler (2000) 145–7, sowie Bichler (2013b) und (2016).
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IV. Religion im Raum
Vorgänger, der Ionier, wohl insbesondere Hekataios, über Ägypten, dessen geographische Ausdehnung, die Genese des Landes sowie seine Bewohner auseinandergesetzt hat,25 kommt er zu dem Schluss, dass es die Ägypter gegeben habe, seit es Menschen gebe (Hdt. 2.15.3) und dass das Delta, nachdem es zuerst Sumpfgebiet gewesen sei, erst in späterer Zeit vom Binnenland aus besiedelt worden sei.26 Unter „Ägypten“ möchte Herodot (Hdt. 2.17.1) „das ganze Land, das von Ägyptern bewohnt wird,“ (Αἴγυπτον μὲν πᾶσαν εἶναι ταύτην τὴν ὑπ’ Αἰγυπτίων οἰκεομένην) verstehen, wie z. B. unter „Kilikien“ analog „das von den Kilikern bewohnte Land“ und unter „Assyrien“ „das von den Assyrern bewohnte Land“. Nachdem er zu erkennen gibt, dass ihm keine wirkliche Grenze (οὔρισμα) zwischen (den Erdteilen) Asien und Libyen bekannt sei – es sei denn das ägyptische Land selbst – kommt er auf die bei den Griechen übliche Vorstellung von Ägypten (τῷ ὑπ’ Ἑλλήνων νενομισμένῳ, Hdt. 2.17.2) zu sprechen: Danach sei Ägypten von Katadupa (dem ersten Katarakt) und der Stadt Elephantine durch den Nil (bis Kerkasoros) zweigeteilt bis zur Küste. Ägypten habe beide (Bei)Namen, weil der eine Teil des Landes zu Libyen, der andere zu Asien gehöre. Für seine Auffassung (τῇ γνώμῃ) der geographischen Ausmaße Ägyptens führt Herodot zuletzt ein weiteres Zeugnis (μαρτυρέει) an: ein Orakel des Ammon.27 μαρτυρέει δέ μοι τῇ γνώμῃ, ὅτι τοσαύτη ἐστὶ Αἴγυπτος ὅσην τινὰ ἐγὼ ἀποδείκνυμι τῷ λόγῳ, καὶ τὸ Ἄμμωνος χρηστήριον γενόμενον […]. Ein Zeugnis für meine Auffassung, dass Ägypten so groß ist, wie ich es in meinen Ausführungen darstelle, bietet auch ein Orakelspruch, der von Ammon erging.
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Während die Ionier (Hdt. 2.15–17) unter Ägypten angeblich nur das Delta verstanden haben sollen, geht Herodot davon aus, dass in alter Zeit nur das Gebiet von Theben den Namen Ägypten getragen habe (Hdt. 2.15) und dass das Delta – auch nach Auskunft der ägyptischen Priester (cf. Hdt. 2.5) – zuerst Sumpfgebiet war und dann als angeschwemmtes Land („als ein Geschenk des Flusses“, cf. Hdt. 2.5) erst später besiedelt wurde (Hdt. 2.15). Cf. dazu Quack (2012) 333–381. Hdt. 2.15.3 „Nein: Ich glaube nicht, dass die Ägypter erst zusammen mit dem Delta, das von den Ioniern ‚Ägypten‘ genannt wird, entstanden sind, sondern dass es sie immer schon gab, seit das Menschengeschlecht entstanden ist […]. In alten Zeiten nun wurde (nur) das Gebiet von Theben Ägypten genannt […].“ Ἀλλ’ οὔτε Αἰγυπτίους δοκέω ἅμα τῷ Δέλτα τῷ ὑπὸ Ἰώνων καλεομένῳ γενέσθαι αἰεί τε εἶναι ἐξ οὗ ἀνθρώπων γένος ἐγένετο […] Τὸ δ’ ὦν πάλαι αἱ Θῆβαι Αἴγυπτος ἐκαλέετο […]. Cf. zum Orakel des Zeus Ammon von Theben auch Hdt. 2.42, Lloyd (1976) ad loc. und Parke (1967) 214–5, der ebd. 214 bemerkt: „Here […] we have a plausible enough picture of a ritual enquiry which would both fall within the sphere of Ammon’s interest and also is answered in a way not inconsistent with Egyptian divination. I presume the enquiry was in the form ‚is it lawful for us to eat cow’s flesh?‘, and the oracular indication was negative. The further explanation then was presumably added verbally by the priests. […] Herodotus’ story. Whatever its precise context, is at least historically plausible.“ Zur Befragung des Orakels in der Mitte des fünften Jahrhunderts und später durch Griechen, insbesondere Alexander den Großen, ebd. 215–229.
2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum
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Mit dieser und den folgenden Äußerungen (s. u.) markiert Herodot ein religiöses Feld (Hdt. 2.18.1–3), das als Ausgangspunkt der folgenden Analyse dient und nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche und soziale Perspektiven erkennen lässt. Herodot gibt sogleich zu verstehen, dass er von diesem Orakel erfahren habe, nachdem er bereits seine eigene Auffassung über Ägypten gebildet hatte.28 Die folgende Erzählung29 ist für die religionsgeographische Fragestellung aus drei Gründen näher zu betrachten: zum einen wird in bemerkenswerter Weise die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang von Religion und Raum/Umwelt in Ägypten gelenkt; zum anderen geht es um einen Orakelspruch, also die Äußerung einer religiösen Autorität; drittens handelt es sich um eine Aussage, welche deutlich Fragen religiöser und ethnischer Identität betrifft. In der Erzählung geht es um die Bewohner von zwei Städten, Marea und Apis, die sich im Küsten- und Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen befinden, sich jedoch selbst nicht als Ägypter, sondern als Libyer verstehen (Hdt. 2.18.2–3):30 Οἱ γὰρ δὴ ἐκ Μαρέης τε πόλιος καὶ Ἄπιος οἰκέοντες Αἰγύπτου τὰ πρόσουρα Λιβύῃ, αὐτοί τε δοκέοντες εἶναι Λίβυες καὶ οὐκ Αἰγύπτιοι καὶ ἀχθόμενοι τῇ περὶ τὰ ἱρὰ θρησκείῃ, βουλόμενοι θηλέων βοῶν μὴ ἔργεσθαι, ἔπεμψαν ἐς Ἄμμωνα φάμενοι οὐδὲν σφίσι τε καὶ Αἰγυπτίοισι κοινὸν εἶναι· οἰκέειν τε γὰρ ἔξω τοῦ Δέλτα καὶ οὐδὲν ὁμολογέειν αὐτοῖσι, βούλεσθαί τε πάντων σφίσι ἐξεῖναι γεύεσθαι. Die Leute aus den Städten Marea und Apis nämlich, die die Teile Ägyptens bewohnen, die an der Grenze zu Libyen liegen, glaubten selber, sie seien Libyer, nicht Ägypter, und waren mit ihren religiösen Pflichten und Gebräuchen nicht zufrieden, denn sie wollten auf (das Schlachten von) Kühen nicht verzichten. Deshalb schickten sie zu Ammon und sagten, sie hätten mit den Ägyptern nichts gemein; sie wohnten nämlich außerhalb des Deltas, stimmten in nichts mit ihnen überein und wollten, dass es ihnen erlaubt sei, von allen (Tieren) zu essen.
Vor der Mitteilung und Diskussion der Antwort des Orakels möchte ich zuerst drei Signalbegriffe aus diesem Abschnitt hervorheben, die deutlich das religiöse Feld markieren. Dazu gehören nicht nur religiöse Gegenstände wie das eingangs erwähnte Orakel (2.18.1) des Ammon (τὸ Ἄμμωνος χρηστήριον),31 die Unzufriedenheit der Bewohner mit den rituellen Vorschriften bezüglich der Opfer/Heiligtümer (τῇ περὶ τὰ ἱρὰ θρησκείῃ)32 der Ägypter, sondern auch der im darauffolgenden Zusammenhang genannte Gott, der sich zu der Anfrage der Städte äußert (Ὁ δὲ θεός σφεας οὐκ ἔα ποιέειν ταῦτα, φὰς).
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Hdt. 2.18.1 καὶ τὸ Ἄμμωνος χρηστήριον γενόμενον, τὸ ἐγὼ τῆς ἐμεωυτοῦ γνώμης ὕστερον περὶ Αἴγυπτον ἐπυθόμην. Cf dazu auch Haziza (2009) 54–6 mit weiterführender Literatur. Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc. und Colin (2000) 3–7, sowie Hölscher (1937). Cf. zum Orakel Parke (1967) 214 ff. Nesselrath (2017) übersetzt „mit ihren religiösen Pflichten und Gebräuchen“.
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IV. Religion im Raum
Im Mittelpunkt der knappen Erzählung steht ein Problem, das ausdrücklich mehrere Bereiche betrifft: sowohl religiöse und ethnische als auch geographische Gesichtspunkte spielen dabei eine Rolle. Die Anwohner der Städte, die sich im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen befinden und sich selbst als Libyer verstehen, sind unzufrieden mit den rituellen Vorschriften bezüglich der Heiligtümer, insbesondere dem Verzicht auf weibliches Rindfleisch.33 Über das Opfer- bzw. Speiseverbot weiblicher Kühe aufgrund religiöser Hochschätzung, die mit der Göttin Isis assoziiert wird, äußert sich Herodot an späterer Stelle (Hdt. 2.41.1–2 τὰς δὲ θηλέας οὔ σφι ἔξεστι θύειν, ἀλλ’ ἱραί εἰσι τῆς Ἴσιος).34 An dieser Stelle wird dieser Zusammenhang mit der Göttin Isis nicht eigens erläutert.35 Im Folgenden möchte ich die Aufmerksamkeit auf die Zusammenhänge von Religion und geographischem Raum in dieser Passage lenken: diese zeigen sich zum einen darin, dass die Anwohner der beiden Städte die Unterschiede zu den Ägyptern dadurch betonen, indem sie ihr Selbstverständnis im Unterschied zu diesen erläutern und sich folgendermaßen abgrenzen: sie weisen auf ihre geographische Lage außerhalb des Deltas (ἔξω τοῦ Δέλτα) hin und behaupten, dass es keine Übereinstimmung der Ägypter mit ihnen gebe (οὐδὲν ὁμολογέειν αὐτοῖσι); darüber hinaus äußern sie den expliziten Wunsch, „von allem essen zu dürfen“ (βούλεσθαί τε πάντων σφίσι ἐξεῖναι γεύεσθαι). Da sich ihr Wunsch gegen ein religiös fundiertes Speisetabu richtet, geht es im Kern um eine Frage der religiösen Identität, die stark von der ethnischen und geographischen Zugehörigkeit bedingt zu sein scheint. Dass die religiöse Identität und Zugehörigkeit der beiden Städte in diesem Zusammenhang primär im Hinblick auf deren Lebensraum verstanden wird, zeigt sich nun insbesondere an der Antwort des Orakels. Im Kontext seiner Zeit und für seine Zuhörer wohl selbstverständlich wenden sich die beiden Städte an das Orakel des Zeus Ammon, also an eine religiöse Institution und Autorität, um ihren Wunsch vorzutragen und eine Ausnahme zu erfragen. Die Antwort des Orakels ist dem ersten Anschein nach rein geo- und ethnographisch (Hdt. 2.18.3): Ὁ δὲ θεός σφεας οὐκ ἔα ποιέειν ταῦτα, φὰς Αἴγυπτον εἶναι ταύτην τὴν ὁ Νεῖλος ἐπιὼν ἄρδει, καὶ Αἰγυπτίους εἶναι τούτους οἳ ἔνερθε Ἐλεφαντίνης πόλιος οἰκέοντες ἀπὸ τοῦ ποταμοῦ τούτου πίνουσι. Οὕτω σφι ταῦτα ἐχρήσθη.
33 34
35
Zur ökonomischen, sozialen und emotionalen Bedeutung von Rindern sowie insbesondere ihrer fundamentalen Bedeutung in bestimmten, v. a. ostafrikanischen und Indo-Iranischen, religiösen Systemen, cf. die Untersuchung von Lincoln (1981) bes. 7–8. Cf. zum Kontext, Hdt. 2.41.1–2 Τοὺς μέν νυν καθαροὺς βοῦς τοὺς ἔρσενας καὶ τοὺς μόσχους οἱ πάντες Αἰγύπτιοι θύουσι, τὰς δὲ θηλέας οὔ σφι ἔξεστι θύειν, ἀλλ’ ἱραί εἰσι τῆς Ἴσιος. Τὸ γὰρ τῆς Ἴσιος ἄγαλμα ἐὸν γυναικήιον βούκερών ἐστι, κατά περ Ἕλληνες τὴν Ἰοῦν γράφουσι, καὶ τὰς βοῦς τὰς θηλέας Αἰγύπτιοι πάντες ὁμοίως σέβονται προβάτων πάντων μάλιστα μακρῷ. Cf. dazu auch Hdt. 4.186.1.
2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum
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Der Gott aber erlaubte ihnen nicht, dies zu tun; er sagte, Ägypten sei dasjenige Land, das der Nil überschwemme und bewässere, und Ägypter seien diejenigen, die von Elephantine an abwärts wohnten und aus diesem Fluss tränken. So lautete der Orakelspruch für sie.
Im Zentrum der prägnanten, zweiteiligen Antwort des Orakels stehen der Nil, sein Wasser und das durch dieses Wasser überschwemmte Land: (i) all das Land, das der Nil überflutet, sei Ägypten, und (ii) jeder, der unterhalb von Elephantine lebe und vom Wasser des Nils trinke, sei ein Ägypter. Vor diesem Hintergrund bezeichnet Colin den Orakelspruch des Ammon treffend als „l’ethnographie aquatique“.36 Es ist offenkundig, dass durch das Orakel ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der ethnisch-religiösen Zugehörigkeit und der geographischen Lage (insbesondere im Hinblick auf den Nil und sein Wasser) behauptet wird.37 Die Frage nach der ethnisch-religiösen Identität bestimmt sich gemäß der Antwort des Orakels also nach der geographischen Lage der Städte mit Blick auf den Nil. Bereits diese Beobachtung ist für die Frage religionsgeographischer Indizien bei Herodot sehr bemerkenswert. Für das Verhältnis des natürlichen Raums/Umwelt zur Religion ist nun jedoch besonders hervorzuheben, dass durch die Angabe des Nilflusses und das von seinem Wasser überschwemmte Gebiet in der Antwort des Orakels nicht nur eine, sondern wahrscheinlich die wichtigste und auffälligste Natur- und Umwelterscheinung Ägyptens als das Kriterium vorgestellt wird, das über die religiöse Identität und ethnische Zugehörigkeit der beiden Städte ausschlaggebend sein soll. Dieser im weitesten Sinne den natürlichen Lebensraum betreffende Aspekt, der durch die Erzählung Herodots prägnant hervorgehoben, jedoch zunächst nicht weiter kommentiert wird, gibt eine sehr klare Antwort auf die Frage nach dem religiösen Speisetabu, das für die Ägypter gelten soll. Herodots Erzählung weist nicht nur auf den fundamentalen Zusammenhang zwischen dem Fluss, dem von ihm überschwemmten Land und dem Selbstverständnis ägyptischer Religion und insbesondere einer religiösen Institution hin. Das Textbeispiel lässt darüber hinaus erkennen, dass Herodot wohl mit der tief religiösen und theologischen Bedeutung des Nils für die Ägypter vertraut gewesen sein dürfte.38 In den folgenden Überlegungen zum Nil und zur Nilschwelle sollen nun ausgehend von der Erzählung über die Befragung des Orakels und die Frage nach der religiösen Identität der beiden Städte (Hdt. 2.18) drei weitere Aspekte betrachtet werden: die religionspolitische und ideologische Relevanz der Textpassage, die mögliche Unschärfe der Antwort des Orakels aufgrund des folgenden Kommentars zur Nilschwelle (Hdt. 2.19), sowie zuletzt das Wissen Herodots um die religiöse Bedeutung des Nils für die Ägypter.
36 37 38
Colin (1996) 4. Zur zeitlichen Struktur von Orakeln bei Herodot, Grethlein (2013) 203–5 und 208–212. Cf. dazu unten die Ausführungen von Coulon (2013).
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IV. Religion im Raum
Der prägnante Kommentar von Coulon zur Äußerung des Orakels „Ce glissement du religieux au géographique n’en est pas réellement un“39 ist erläuterungsbedürftig, insofern er die Aufmerksamkeit auf einen religionsgeschichtlichen und religionspolitischen Hintergrund lenkt. Coulon, der sich besonders für das Vorkommen des Gottes Osiris bei Herodot interessiert, sieht in der Aussage des Orakels (Hdt. 2.18) im Zusammenhang mit der Äußerung Herodots über die Verehrung von Isis und Osiris (in Hdt. 2.42.2: Isis und Osiris würden überall in Ägypten verehrt) untergründig („sous-jacent“) „le fondement du mythe théologico-politique déjà largement attesté à l’époque saïte qui veut que le Nil et Osiris s’identifient pour fédérer l’ensemble du territoire égyptien.“40 Diesen „theologisch-politischen Mythos“ erläutert Coulon folgendermaßen: La reconstitution d’Osiris par l’entremise des reliques locales est assimilée à un processus politique, chaque province participant, par-delà sa spécificité religieuse, à l’unité du pays. Le corps d’Osiris est ainsi identifié à l’Égypte tout entière. Mais Osiris est aussi identifié à la crue du Nil qui prendrait naissance dans les humeurs qui émanent de son corps pour fertiliser le territoire de l’Égypte. La théologie osirienne sous-tend en cela une véritable définition géopolitique de l’Égypte.41
Diese Ausführungen von Coulon zur religiös-politischen Bedeutung des Nils (in saitischer Zeit) machen deutlich, dass die Antwort des Orakels also wohl nicht nur eine religionsgeographische, sondern auch eine religionspolitisch-ideologische Relevanz haben dürfte. Den unmittelbaren Übergang von der Antwort des Orakels zur Erörterung der Nilschwelle möchte ich nun betrachten, da er die auf dem Nil basierende „ÄgypterDefinition“ des Orakels nochmals in einem anderen Licht erscheinen lässt. Auf die Mitteilung des Orakels („So lautete der Orakelspruch für sie“) folgt eine Erläuterung bezüglich der Ausdehnung der Nilschwelle (Hdt. 2.19): Ἐπέρχεται δὲ ὁ Νεῖλος, ἐπεὰν πληθύῃ, οὐ μοῦνον τὸ Δέλτα ἀλλὰ καὶ τοῦ Λιβυκοῦ τε λεγομένου χωρίου εἶναι καὶ τοῦ Ἀραβίου ἐνιαχῇ καὶ ἐπὶ δύο ἡμερέων ἑκατέρωθι ὁδόν, καὶ πλεῦν ἔτι τούτου καὶ ἔλασσον. Es überflutet aber der Nil, wenn er anschwillt, nicht nur das Delta, sondern auch sowohl von dem Gebiet, das als libysches bezeichnet wird, als auch von dem arabischen so manches Mal ein Strecke von bis zu zwei Tagesreisen auf beiden Seiten, und sogar noch mehr als das, aber auch weniger.
39 40 41
Coulon (2013) 169. Coulon (2013) 169. Coulon (2013) 169.
2. Religiöse Zugehörigkeit im Raum
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Diese Erläuterung Herodots macht auf die mögliche Unschärfe bei der Ausdehnung der Nilschwelle aufmerksam. Angesichts der Antwort des Orakels zur religiösen Identität der Ägypter einerseits und dieser wohl beobachtbaren, natürlichen Varianz der Nilschwelle andererseits, weist Herodot dezent auf die Problematik der Definition hin. Die so verstandenen natürlichen Grenzen Ägyptens und die damit korrelierende religiöse Identität erweisen sich bei genauerer Betrachtung als natürlich-dynamisch und als quasi prozesshaft. Abschließend soll noch eine weitere Textpassage angeführt werden, die auf prägnante Weise die religiöse Bedeutung des Nils vor Augen führt. Herodot erzählt an einer späteren Stelle (Hdt. 2.90), was mit den Leichen von Ägyptern oder auch Nichtägyptern passiere, die von einem Krokodil oder vom Strom selbst erfasst worden seien.42 Die Stadt, in welcher der Leichnam angetrieben werde, sei auf alle Art und Weise verpflichtet, die Leiche einzubalsamieren und so schön wie möglich einzuwickeln und in geweihten Särgen beizusetzen (ταριχεύσαντας αὐτὸν καὶ περιστείλαντας ὡς κάλλιστα θάψαι ἐν ἱρῇσι θήκῃσι).43 Wichtig ist die nun folgende Bemerkung: der Leichnam dürfe von keinem, weder von Verwandten noch von Freunden, angerührt werden, sondern nur „die Priester des Gottes Nil selber“ (οἱ ἱρέες αὐτοὶ οἱ τοῦ Νείλου)44 setzten ihn bei mit ihren eigenen Händen (χειραπτάζοντες θάπτουσι), „weil der Leichnam irgendwie/ etwas mehr als der Leichnam eines Menschen“ (ἅτε πλέον τι ἢ ἀνθρώπου νεκρόν) sei.45 Sowohl der Ausdruck „die Priester des Nils selber“ oder – in der Übersetzung von Horneffer/Nesselrath – „die Priester des Gottes Nil selber“ als auch der Status des Leichnams sind von besonderem Interesse.46 Festzuhalten ist zum einen, dass Herodot selbst explizit an dieser Stelle von den Priestern des Nils spricht, was auf einen religiösen Charakter des Flusses hinweist;47 zweitens wird die religiöse Bedeutung des Flusses auch durch die auffällige Beschreibung des Status der Leiche weiter markiert. Die Leiche, die nur von den Priestern mit eigener Hand berührt werden darf, weil sie „etwas/irgendwie mehr als ein Mensch“ sei, deutet auf eine veränderte Wahrnehmung
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43 44 45 46 47
Cf. dazu Lloyd (1976) 366–7, der ebd. 367 bemerkt: „Apotheosis by drowning was an Eg. idea. Since the drowned person became a god, his body would be treated with all the reverence accorded to the ritual body of a god i. e. the divine statue. No profane hand would be allowed to touch him.“ Cf. auch Lloyd in Asheri (2007) 302. Zu Toten im Wasser und zu Zweifeln an diesem Konzept Quack (2016) 405–16, zu Herodot 413. Cf. Hdt. 2.90.1–2 Ὃς δ’ ἂν ἢ αὐτῶν Αἰγυπτίων ἢ ξείνων ὁμοίως ὑπὸ κροκοδείλου ἁρπαχθεὶς ἢ ὑπ’ αὐτοῦ τοῦ ποταμοῦ φαίνηται τεθνεώς, κατ’ ἣν ἂν πόλιν ἐξενειχθῇ, τούτους πᾶσα ἀνάγκη ἐστὶ ταριχεύσαντας αὐτὸν καὶ περιστείλαντας ὡς κάλλιστα θάψαι ἐν ἱρῇσι θήκῃσι. Zum Nilgott allgemein und in ägyptischen Darstellungen cf. Wiedemann (1890) 364–5 und Art. „Nil“ in Bonnet (1952) 525–8. Cf. Hdt. 2.90.2 Οὐδὲ ψαῦσαι ἔξεστι αὐτοῦ ἄλλον οὐδένα οὔτε τῶν προσηκόντων οὔτε τῶν φίλων, ἀλλά μιν οἱ ἱρέες αὐτοὶ οἱ τοῦ Νείλου, ἅτε πλέον τι ἢ ἀνθρώπου νεκρόν, χειραπτάζοντες θάπτουσι. Cf. dazu Bonneau (1964) III. La Magie et la crue du Nil, L’eau sainte, 275 mit Verweis auf Bataille (1952) Les Memnonia, 229, zu den Priestern des Nils Bonneau (1964) 382 ff. Cf. dazu Kapitel III. Religion im Sozialen.
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IV. Religion im Raum
des Leichnams hin.48 Herodot spricht jedoch nicht ausdrücklich von einer „Vergöttlichung“49, sondern belässt es bei dieser Andeutung. Die anschließenden, vielzitierten Erörterungen über die natürliche Beschaffenheit der Nilschwelle (Hdt. 2.19–27) dürften vor diesem Hintergrund wohl in einem anderen Licht erscheinen.50 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass diese kurze Episode mit dem Orakel des Ammon (Hdt. 2.18) auf mehrere Aspekte der Beziehung von Religion zum natürlichen Raum und zur Umwelt in Ägypten aufmerksam macht: Erstens konstatiert Herodot ausgehend von der Frage nach der Beachtung eines religiösen Speisetabus eine Beziehung zwischen der Zughörigkeit zur ägyptischen Religion und einem bestimmten geographischen Raum, der besonders durch das Nilwasser und die Nilschwelle markiert wird. Durch die Erzählung über den Spruch des Orakels wird die zentrale Bedeutung des Nils und seiner Überschwemmung für die religiöse Identität der Ägypter deutlich.51 Damit zeigt sich auf anschauliche Weise, wie wichtig die natürliche Umwelt in Form des Nilflusses und seines Wassers für die Religion in Ägypten in den Augen Herodots ist.52 3. Herodot ein ‚Umweltdeterminist‘? Im Anschluss an die ausführliche Beschreibung der Geographie und Geologie Ägyptens (Hdt. 2.4.3–34)53 begründet Herodot den außerordentlichen Umfang seiner Darstellung Ägyptens (Hdt. 2.35.1): Ἔρχομαι δὲ περὶ Αἰγύπτου μηκυνέων τὸν λόγον, ὅτι πλεῖστα θωμάσια ἔχει ἢ ἡ ἄλλη πᾶσα γῆ καὶ ἔργα λόγου μέζω παρέχεται πρὸς πᾶσαν χώρην· τούτων εἵνεκα πλέω περὶ αὐτῆς εἰρήσεται. Ich gehe nun daran, ausführlicher über Ägypten zu sprechen, weil es sehr viele wundersame Dinge enthält im Vergleich zur ganzen übrigen Erde und im Vergleich mit jedem Land Bauwerke präsentiert, die eine Beschreibung übertreffen. Aus diesen Gründen soll mehr über dieses Land gesagt werden.
Diese Begründung erklärt zu einem gewissen Grad den besonderen Status Ägyptens für die Gesamterzählung Herodots. Ihr folgt einleitend zu den gleich im Anschluss 48 49 50 51 52 53
Cf. dazu Anm. 41. Cf. Anm. 41. Cf. dazu Lloyd (1976) 91 ff. und Bonneau (1964). Die religiöse und zentrale Bedeutung des Nils kommt auch in Herodots Erzählung über König Pheros und dessen Misshandlung des Nils (Hdt. 2.111) zum Ausdruck, cf. dazu unten. Der besondere Status weiblicher Rinder innerhalb des ägyptischen Symbolsystems, der erst im weiteren Verlauf der Erzählung über Ägypten mit einem religiösen Bezug erklärt wird (cf. Hdt. 2.41), tritt bereits an dieser Stelle hervor. Cf. dazu Lloyd (1976) 33–146, Froidefond (1971) und Haziza (2009).
3. Herodot ein ‚Umweltdeterminist‘?
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referierten Nomoi der Ägypter (Hdt. 2.35 ff.) Herodots prägnante These von der Besonderheit und Andersartigkeit ägyptischer Sitten und religiöser Bräuche (ἤθεά τε καὶ νόμους), die auch eine prägnante Aussage über das Verhältnis von (auch religiösen) Bräuchen und natürlichem Raum/Umwelt enthält:54 Αἰγύπτιοι ἅμα τῷ οὐρανῷ τῷ κατὰ σφέας ἐόντι ἑτεροίῳ καὶ τῷ ποταμῷ φύσιν ἀλλοίην παρεχομένῳ ἢ οἱ ἄλλοι ποταμοί, τὰ πολλὰ πάντα ἔμπαλιν τοῖσι ἄλλοισι ἀνθρώποισι ἐστήσαντο ἤθεά τε καὶ νόμους. Zusammen mit dem Himmel, der bei ihnen anders ist, und dem Fluss, der eine andere Natur darbietet als die anderen Flüsse, haben die Ägypter die meisten Sitten und Gebräuche ganz entgegengesetzt zu denen der anderen Menschen eingerichtet.
Herodot betont an dieser Stelle sprachlich markant die „Hetero“- und „Allonomie“ der Ägypter, die er im Folgenden durch die anschließenden Beispiele (Hdt. 2.35–37) veranschaulicht.55 Für die Frage nach der Beziehung von Raum zu Religion sind die beiden akzentuierten Vergleichsaspekte zur Andersartigkeit der Sitten und Bräuche der Ägypter besonders hervorzuheben, da sie den ägyptischen (Lebens-)Raum sowohl in vertikaler als auch horizontaler Rücksicht prägnant benennen: zum einen den für die klimatischen Verhältnisse wichtigen „astronomischen Raum“ des Himmels, zum anderen den in geologisch-geographischer Hinsicht für das ägyptische Land prägenden Nilstrom. Insofern ein Großteil der Sitten und Bräuche (ἤθεά τε καὶ νόμους) mit dem Bereich der Religion der Ägypter identisch ist, so kann diese Stelle auch als eine Aussage über die religiösen Verhaltensweisen, Praktiken und Bräuche sowie deren Verhältnis zum natürlichen (geographischen und astronomischen) Lebensraum Ägyptens verstanden werden. Müller führt z. B. in seiner Untersuchung zur Geschichte der antiken Ethnographie und ethnologischen Theoriebildung diese Textpassage an, um darauf hinzuweisen, dass auch Herodot (wie bereits Hekataios) „der kausale Zusammenhang zwischen der geographischen Beschaffenheit eines gegebenen Raumes und der Kulturgeschichte seiner Einwohner durchaus bewusst war“.56 Wie ein „kausaler 54
55 56
Cf. dazu Munson (2001) 87 ff., „Does climate determine culture?“, 87–88, und „The texture of Nomos“ 88 ff. Zur Frage im zeitgenössischen Kontext und in der Diskussion mit den Physiologen, Hippokratikern und Vorsokratikern Thomas (2000) Kap. 4, Enviroment, poverty, nomos and courage, 102–114. Thomas stellt ebd. 102 die folgende Überlegung an: „If Herodotus rejects the idea of Europe and Asia as great dividing lines in explaining the characters of their European and Asian inhabitants (ch. 3), we may wonder whether geography and climate actually have much role in the historical explanations of the achievements of the numerous peoples who appear in the Histories. Or is it customs, habits and laws, written and unwritten – all covered by the Greek term nomoi – which ultimately have the crucial part?“ Thomas fragt mit Zurückhaltung nach „environmental determinism“ bei Herodot, problematisiert die Unschärfe des Begriffs, ebd. 103, und unterscheidet mehrere Arten von „environmental influence“, ebd. 104. Cf. zu Hdt. 2.37 Kapitel III. Religion im Sozialen. Müller (1972) 118.
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IV. Religion im Raum
Zusammenhang“ genau zu verstehen wäre, und ob dieser bei Herodot angelegt ist, oder ob dies nicht schon ein Schritt über den Text hinaus ist, soll an dieser Stelle offen bleiben.57 Zunächst ist es wichtig zu sehen, dass Herodot die typischen Verhaltensweisen und Bräuche (ἤθεά τε καὶ νόμους) der Ägypter zwar in Beziehung zum andersartigen Himmel und Fluss in Ägypten setzt, mit dieser Relation jedoch zunächst nur eine analoge Beziehung ausgedrückt wird und nicht notwendig ein kausaler Zusammenhang. Es ist also nicht grundsätzlich davon auszugehen, dass die Beschaffenheit des Himmels und der Erde als Bedingungen und Argumente für die Andersartigkeit der Sitten und Bräuche der Ägypter angesehen werden müssen, obgleich, so viel legt der Text nahe, ein gewisser Zusammenhang zu bestehen scheint.58 4. Differenzierung durch Lokalisierung 4.1 Die geographische Vielfalt von Opferpraktiken Dass Herodot für bestimmte ägyptische Lebensräume und Orte Unterschiede in der religiösen Praxis beobachtet und registriert, zeigen in besonders anschaulicher Weise seine Ausführungen in den ägyptischen Nomoi sowohl über Opfer und Opferpraktiken als auch über verschiedene Feste.59 Die folgende Analyse soll zuerst an einigen Beispielen zu Opferpraktiken in Ägypten veranschaulichen, wie und in welchem Rahmen es zu religionsgeographischen Lokalisierungen in den Historien kommt. Darauf soll gefragt werden, welche mögliche Funktion den religionsgeographischen Angaben bei der Darstellung fremder Religion zukommt. Ein besonderes Interesse dieser Untersuchung liegt gerade darin, am Beispiel der Opferpraktiken die Bedeutung und Funktion der Geographie und Topographie für die Darstellung fremder Religion bei Herodot zu erhellen. Nachdem Herodot zuerst allgemein bestimmte Merkmale der ägyptischen Opferpraxis sowie deren Abläufe dargelegt hat,60 kommt er auf lokale Unterschiede61 zu 57 58 59
60 61
Cf. dazu Thomas (2000) 102–114, bes. 112 und 130–1, die ebd. 130–1 zu Recht den stark rhetorischen Charakter der Textpassage betont. Cf. auch Munson (2001) 82 ff. Munson (2001) 81, Anm. 109 beobachtet dazu treffend: „The differentiation of nomoi within a single Unitarian people (e. g., not all the Egyptians venerate the same gods in the same way; see Hdt. 2.42.1) or within a system (e. g., there are different Egyptian practices concerning extraction of entrails depending on the festival; see Hdt. 2.40.1) gauge the internal complexity of the system.“ Cf. zu den Festen Kapitel III. Religion im Sozialen. Hdt. 2.38 Untersuchung des Apisstiers, Hdt. 2.39 Ablauf eines Opfers, Hdt. 2.40 Beschreibung des Opfers für Isis, Hdt. 2.41 Sonderstellung des weiblichen Rindes und Maßnahmen bei dessen Tod. Zum Phänomen des Vergleichs und zur Bedeutung der Markierung von Unterschieden in den ethnographischen Passagen, cf. Munson (2001), „Comparison in Space,“ 73–9, und „Differentiating from Within,“ 79–82. Munson stellt ebd. 79 fest: „When glosses express dissimilarities between
4. Differenzierung durch Lokalisierung
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sprechen, die in diesem Rahmen von besonderem Interesse sind.62 Wie die folgenden Beispiele zeigen, geht es Herodot nicht so sehr um die Tatsache, dass auch die Ägypter – ähnlich wie die Griechen – Opfer darbringen, sondern welche Unterschiede beim Opfern an verschiedenen Orten bestehen. Eine signifikante Beobachtung und Feststellung Herodots findet prägnant in der These Ausdruck, dass nicht alle Ägypter auf ähnliche Art und Weise dieselben Götter verehrten, außer Isis und Osiris (Hdt. 2.42 θεοὺς γὰρ δὴ οὐ τοὺς αὐτοὺς ἅπαντες ὁμοίως Αἰγύπτιοι σέβονται, πλὴν Ἴσιός τε καὶ Ὀσίριος, τὸν δὴ Διόνυσον εἶναι λέγουσι· τούτους δὲ ὁμοίως ἅπαντες σέβονται).63 Im Kontext seiner Ausführungen über das Opfer finden sich zuerst Aussagen, die einen stark generalisierenden Charakter haben (z. B. gemäß der Form „Alle Ägypter / Αἰγύπτιοι πάντες tun x“ oder „Kein Ägypter / Αἰγυπτίων οὐδείς tut y“; s. u.). Daneben finden sich Aussagen, in denen die Besonderheiten bestimmter Opferbräuche und Opfertiere an unterschiedlichen Gebieten oder Orten betont werden. Herodot hebt zum einen hervor (Hdt. 2.39.4), dass zwei Bräuche, sowohl die Verfluchung des Opfertierkopfes als auch die Weinausgießung, bei allen Opfern auf ähnliche Weise (ὁμοίως) erfolge, und dass ausgehend von diesem Brauch kein Ägypter vom Kopf irgendeines Lebewesens essen werde.64 Ebenso bemerkt er, dass das Ausnehmen und Verbrennen der Opfertiere bei jedem Heiligtum auf andere Weise geregelt sei (Hdt. 2.40.1 Ἡ δὲ δὴ ἐξαίρεσις τῶν ἱρῶν καὶ ἡ καῦσις ἄλλη περὶ ἄλλο ἱρόν σφι κατέστηκε.). Bei diesen Aussagen ist zunächst auf einer sehr allgemeinen Ebene ein Wechsel vom Allgemeinen zum Besonderen zu verzeichnen. Darauf kommt Herodot auf „das größte Fest“ (Hdt. 2.40.1) derjenigen Göttin zu sprechen, die von den Ägyptern für die größte Göttin gehalten werde (Isis), sowie auf bestimmte Opferrituale. Pointiert hält er fest (Hdt. 2.41.1), dass zwar alle Ägypter
62
63 64
two foreign peoples, rather than uniqueness in an absolute sense, they emphasize what a complicated and irregular place the world is. When they mark differences between ethnea that live in the same general area or tribes belonging to the same ethnic group, they seem especially designed to discourage schematization. Based on the ethnographer’s knowledge of people and places, the narrative reveals to the audience that difference manifests itself in ways they might not expect.“ Die von Herodot angezeigte Differenzierung von bestimmten Opferpraktiken in Ägypten dürfte wohl sehr gut vor dem Hintergrund ausdifferenzierter und unterschiedlicher Nomoi griechischer Poleis verständlich sein. Bereits in Hdt. 2.39.4–40.1 weist Herodot darauf hin, dass das Verhalten gegenüber dem Kopf des Opfertieres und die Weinspende von allen Ägyptern bei allen Opfern in ähnlicher Weise (ὁμοίως ἐς πάντα τὰ ἱρά) gepflegt werde, hingegen das Ausweiden und Verbrennen bei den einzelnen Opfern verschieden sei. Cf. dazu Munson (2001) 81, Anm. 109. Je nach dem, worauf die Negation οὐ genau bezogen wird, ergeben sich unterschiedliche Sinnrichtungen der Aussage: (1) Alle Ägypter verehren nicht dieselben Götter auf ähnliche Art und Weise […] oder (2) Alle Ägypter verehren nicht auf ähnliche Art und Weise dieselben Götter. Hdt. 2.39.4 Κατὰ μέν νυν τὰς κεφαλὰς τῶν θυομένων κτηνέων καὶ τὴν ἐπίσπεισιν τοῦ οἴνου πάντες Αἰγύπτιοι νόμοισι τοῖσι αὐτοῖσι χρέωνται ὁμοίως ἐς πάντα τὰ ἱρά, καὶ ἀπὸ τούτου τοῦ νόμου οὐδὲ ἄλλου οὐδενὸς ἐμψύχου κεφαλῆς γεύσεται Αἰγυπτίων οὐδείς. Ἡ δὲ δὴ ἐξαίρεσις τῶν ἱρῶν καὶ ἡ καῦσις ἄλλη περὶ ἄλλο ἱρόν σφι κατέστηκε.
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IV. Religion im Raum
männliche junge Rinder opferten, sofern diese rein seien, es hingegen nicht erlaubt sei, weibliche Rinder zu opfern, da diese der Isis heilig seien (Hdt. 2.41.1):65 Τοὺς μέν νυν καθαροὺς βοῦς τοὺς ἔρσενας καὶ τοὺς μόσχους οἱ πάντες Αἰγύπτιοι θύουσι, τὰς δὲ θηλέας οὔ σφι ἔξεστι θύειν, ἀλλ’ ἱραί εἰσι τῆς Ἴσιος. Reine Stiere also und Kälber bringen alle Ägypter als Opfer dar; Kühe zu opfern ist ihnen dagegen nicht erlaubt, sondern sie sind der Isis heilig.66
An dieser Stelle dient die Angabe des Geschlechts als Markierung einer Differenzierung des ägyptischen Symbolsystems. Mit einer weiteren allgemeinen Aussage (Hdt. 2.41.2–3) erklärt Herodot nun, dass alle Ägypter die weiblichen Rinder auf ähnliche Weise am meisten von allen Haustieren verehrten (καὶ τὰς βοῦς τὰς θηλέας Αἰγύπτιοι πάντες ὁμοίως σέβονται προβάτων πάντων μάλιστα μακρῷ).67 Im Folgenden kommt Herodot nun auf lokale Unterschiede zu sprechen und weist durch diese Lokalisierungen explizit auf weitere Differenzierungen bei den Opfertieren und Opferpraktiken hin: Er konstatiert, dass an einigen Orten gerade die Tiere geopfert werden, derer man sich an anderen Orten enthalte (Hdt. 2.42).68 Durch den Parallelismus (Ὅσοι μὲν – ὅσοι δὲ) und Chiasmus wird stilistisch auffällig betont, dass sich alle Bewohner, die im Tempelbezirk des Zeus Thebaios bzw. im Gau der Stadt Theben (in Oberägypten) siedeln, der Schafe enthielten und stattdessen Ziegen opferten (Hdt. 2.42.1): Ὅσοι μὲν δὴ Διὸς Θηβαιέος ἵδρυνται ἱρὸν ἢ νομοῦ τοῦ Θηβαίου εἰσί, οὗτοι μὲν πάντες ὀΐων ἀπεχόμενοι αἶγας θύουσι. Alle, die ein Heiligtum des Zeus Thebaieus errichtet haben oder zum Gau der Stadt Theben gehören, alle diese enthalten sich der Schafe und opfern Ziegen.
Ganz im Gegensatz dazu verhält sich die Opferpraxis im Heiligtum und Gau von Mendes, das im nordöstlichen Delta liegt (Hdt. 2.42.2–3):
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68
Hier findet sich also die Erklärung für den Unmut der Libyer (Hdt. 2.18). Hdt. 2.41.1 Das Kultbild der Isis, das eine Frau darstellt, trägt ja Kuhhörner (Τὸ γὰρ τῆς Ἴσιος ἄγαλμα ἐὸν γυναικήιον βούκερών ἐστι). Im Anschluss an diese mehr allgemeinen, das Opfer betreffenden Praktiken, widmet er sich nun den Bräuchen der Bestattung von gestorbenen, weiblichen und männlichen Rindern (Hdt. 2.41.4– 6). Zu beachten ist der diesen Abschnitt (Hdt. 2.41.4–6) einrahmende und in leichter Abwandlung wiederkehrende Ausdruck Θάπτουσι δὲ τοὺς ἀποθνῄσκοντας βοῦς τρόπον τόνδε (Hdt. 2.41.4) und Κατὰ ταὐτὰ δὲ τοῖσι βουσὶ καὶ τἆλλα κτήνεα θάπτουσι ἀποθνῄσκοντα. (Hdt. 2.41.6). Im Folgenden (Hdt. 2.43–45) erörtert Herodot das Verhältnis des griechischen zum ägyptischen Herakles und widmet sich darauf zuerst dem ägyptischen Kult des Pan bzw. Mendes (Hdt. 2.46). Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit.
4. Differenzierung durch Lokalisierung
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ὅσοι δὲ τοῦ Μένδητος ἔκτηνται ἱρὸν ἢ νομοῦ τοῦ Μενδησίου εἰσί, οὗτοι δὲ αἰγῶν ἀπεχόμενοι ὄϊς θύουσι. Alle, die ein Heiligtum des Mendes besitzen oder zum Gau von Mendes gehören, diese enthalten sich der Ziegen und opfern Schafe.
Zwischen diesen beiden Aussagen, die eine unterschiedliche und sogar genau entgegengesetzte Opferpraxis für diese zwei Gebiete in Ober- und Unterägypten konstatieren, führt Herodot die bereits erwähnte Begründung an (Hdt. 2.42.2): θεοὺς γὰρ δὴ οὐ τοὺς αὐτοὺς ἅπαντες ὁμοίως Αἰγύπτιοι σέβονται, πλὴν Ἴσιός τε καὶ Ὀσίριος, τὸν δὴ Διόνυσον εἶναι λέγουσι∙ τούτους δὲ ὁμοίως ἅπαντες σέβονται. Denn nicht alle Ägypter verehren die gleichen Götter in gleicher Weise, außer Isis und Osiris –von dem sie sagen, er sei (unser) Dionysos –; diese verehren alle in gleicher Weise.
Wie diese Begründung zu erkennen gibt, sieht Herodot einen für ihn wohl selbstverständlichen Zusammenhang zwischen den an einem Ort verehrten Gottheiten (im Fall von Theben nennt er ausdrücklich Zeus Thebaios) und den Opfertieren. Im Folgenden geht er auf den möglichen Hintergrund in Form einer ätiologischen Erzählung des thebanischen Brauchs ein und erklärt, warum man sich gewöhnlich in Theben der männlichen Schafe enthalte.69 Im Anschluss an die ätiologische Erzählung lenkt er jedoch sogleich wieder die Aufmerksamkeit auf eine Ausnahme: an einem einzigen Tag im Jahr werde das Fest des Zeus gefeiert und ein männliches Schaf geopfert.70 Nach der Erklärung des Brauches in Theben und einer Erörterung um die Figur des Herakles in Ägypten und Griechenland kommt Herodot (Hdt. 2.46) abschließend auf den Brauch in Mendes zu sprechen, keine Ziegen (und Böcke) zu opfern, da die Bewohner von Mendes alle Ziegen verehrten, und insbesondere die männlichen mehr als die weiblichen. Es ist festzustellen, dass Herodot nach einigen Verallgemeinerungen bezüglich der Opfer in Ägypten die Aufmerksamkeit mitunter auf lokale Unterschiede bei der Opferung von Tieren lenkt. Durch diese Lokalisierungen ist es ihm möglich, ein differenzierteres Bild der ägyptischen Bräuche zu zeichnen und insgesamt auf Differenzierungen innerhalb des religiösen Symbolsystems in Ägypten hinzuweisen. Munson beobachtet und bemerkt zu Recht,71 dass die Differenzierung von Nomoi innerhalb eines Volkes oder eines Systems die interne Komplexität des Systems abschätzt und vermisst. Die Ausführungen über die lokale und geographische Diversität sind auch kein Einzelfall, wie die folgenden Ausführungen zu den ägyptischen Festen und Um69 70 71
Hdt. 2.42.3 Θηβαῖοι μέν νυν καὶ ὅσοι διὰ τούτους ὀίων ἀπέχονται, διὰ τάδε λέγουσι τὸν νόμον τόνδε σφίσι τεθῆναι∙ Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc. Hdt. 2.42.6. Munson (2001) 81, Anm. 109.
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IV. Religion im Raum
zügen sowie die ausführliche Erörterung über die Verehrung von Tieren zeigen wird. In allen diesen Fällen ist zu beobachten, dass durch die referierten geographischen Angaben die Differenzierung und Komplexität des religiösen Symbolsystems in Ägypten betont wird. Betrachtet man die betonten Unterschiede, so erscheint es plausibel, dass die Vertrautheit mit der religiösen Pluralität der griechischen Polis-Kultur Herodot besonders für die lokalen Differenzen in Ägypten sensibilisiert haben dürfte.72 Indem die geographischen Unterschiede sowohl die Pluralität als auch die spezifischen Kontexte ägyptischer Religion betonen, weisen sie damit implizit auch auf Ähnlichkeiten des ägyptischen mit dem griechischen Symbolsystem hin. Darüber hinaus lenken die Bemerkungen über genau entgegengesetzte Opferpraktiken indirekt die Aufmerksamkeit auf die geographisch feststellbare Relativität religiöser Praktiken. Dieser letzte Gesichtspunkt der Relativierung bestimmter religiöser Praktiken spielt auch bei der nun folgenden „Differenzierung durch Lokalisierung II“ eine entscheidende Rolle: der Verehrung heiliger Tiere. 4.2 Die geographische Vielfalt bei der Verehrung heiliger Tiere Bei der Besprechung ägyptischer Feste, Umzüge und Opferfeiern (Hdt. 2.58) geht Herodot ebenfalls auf verschiedene lokale Traditionen und die dort verehrten Götter ein (Hdt. 2.59–64). So nennt er die Orte Bubastis, Busiris, Sais, Heliopolis, Buto und Papremis mit den dort besonders verehrten Göttern (z. B. in Bubastis die Verehrung der Artemis oder in Busiris die Verehrung der Isis = Demeter).73 Wie bereits in der einleitenden Passage zu den ägyptischen Nomoi (in Hdt. 2.37.1) wird an dieser Stelle zum zweiten Mal dasselbe Adverb περισσῶς74 (außerordentlich, über die Maßen, überaus penibel) zur Charakterisierung der religiösen Praxis der Ägypter verwendet. Herodot bemerkt dies sowohl abschließend zu seiner Betrachtung der ägyptischen Feste sowie insbesondere zum Umgang der Ägypter mit ihren Heiligtümern als auch zum folgenden Abschnitt über die „heiligen Tiere“75 (Hdt. 2.65): Αἰγύπτιοι δὲ θρῃσκεύουσι περισσῶς τά τε ἄλλα περὶ τὰ ἱρὰ καὶ δὴ καὶ τάδε. Die Ägypter dagegen befolgen überaus penibel religiöse Bräuche in den übrigen Bereichen bei den Heiligtümern und nicht zuletzt in Folgendem.76 72 73 74 75 76
Cf. zur Diversität in der griechischen Religion Bremmer (1994) 4, der ebd. den Reichtum von Heiligtümern in Athen mit den wenigen in Priene entdeckten Anlagen vergleicht. Zu einer Analyse der Feste in Bubastis und Papremis cf. Kapitel III. Religion im Sozialen. Cf. Hdt. 2.37.1 Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται. Cf. dazu auch Kapitel III. Religion im Sozialen. Cf. dazu den Abschluss dieses Abschnitts: Hdt. 2.76.3 Τοσαῦτα μὲν θηρίων πέρι ἱρῶν εἰρήσθω. Übersetzung von Nesselrath (2017), leicht modifiziert.
4. Differenzierung durch Lokalisierung
143
Das, was nun folgt (δὴ καὶ τάδε), ist Herodots Erzählung (Hdt. 2.65–76) über den religiösen Brauch und die Gewohnheit (νόμος) der Ägypter gegenüber Tieren (περὶ τῶν θηρίων; Hdt. 2.65–76). Aus diesem reichhaltigen und sehr interessanten Material möchte ich besonders diejenigen Aspekte hervorheben, welche die Beziehung von Raum zu Religion betreffen. Darüber hinaus lässt sich wiederum zeigen, wie die Lokalisierung bei der Tierverehrung zur Differenzierung der Darstellung religiöser Sachverhalte und Praktiken in Ägypten beiträgt.77 Bereits der einleitende Passus (Hdt. 2.65) veranschaulicht, dass viele Gegenstände dieses Abschnitts aus der Sicht Herodots in hervorragender Weise die ägyptische Religion und die Religiosität der Ägypter betreffen. Zuerst stellt Herodot fest, dass Ägypten, obgleich es an Libyen angrenzt, nicht sehr tierreich (οὐ μάλα θηριώδης) sei.78 Die Tiere jedoch, die es in Ägypten gebe, würden alle von den Ägyptern für „heilig“ gehalten (πάντα ἱρὰ νενόμισται): nicht nur die Tiere, die mit den Menschen zusammen lebten (τὰ μὲν σύντροφα [αὐτοῖσι] τοῖσι ἀνθρώποισι), sondern auch diejenigen, die nicht mit den Menschen lebten.79 In methodischer Hinsicht ist die nun folgende These von grundlegender Bedeutung für Herodots Darstellung ägyptischer Religion und insbesondere der dortigen Verehrung von Tieren (Hdt. 2.65.2): Τῶν δὲ εἵνεκεν ἀνεῖται [τὰ] ἱρὰ εἰ λέγοιμι, καταβαίην ἂν τῷ λόγῳ ἐς τὰ θεῖα πρήγματα, τὰ ἐγὼ φεύγω μάλιστα ἀπηγέεσθαι· τὰ δὲ καὶ εἴρηκα αὐτῶν ἐπιψαύσας, ἀναγκαίῃ καταλαμβανόμενος εἶπον. Νόμος δέ ἐστι περὶ τῶν θηρίων ὧδε ἔχων. Wollte ich sagen, weshalb die Tiere als heilig gelten, so müsste ich mit meiner Darstellung auf die Dinge eingehen, die die Götter betreffen, welche darzulegen ich jedoch entschieden zu vermeiden suche; was ich jedoch davon kurz gestreift habe, habe ich nur durch eine Notwendigkeit veranlasst gesagt. Der Brauch hinsichtlich der Tiere ist Folgender.
Der erste Satz spielt wörtlich und inhaltlich auf die Religions-Erzählungs-These zu Beginn des zweiten Buches an.80 Aufgrund dieser expliziten methodischen Äußerung ist also wieder nicht zu erwarten, dass Herodot bei der Behandlung dieser dem religiösen Bereich zugehörigen Praktiken mythische oder theologische Hintergründe referieren
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Zu Beispielen der Verehrung heiliger Tiere im Rahmen der Einwirkung der Umwelt auf die Religion cf. Rinschede (1999) 88–9. Zu Tierkulten im pharaonischen Ägypten aus einer ägyptologischen und religionswissenschaftlichen Perspektive Fitzenreiter (2013), zur Praxis der Tierkulte in der Spätzeit und der griechisch-römischen Zeit ebd. 103–156. Zum Tierreichtum Libyens cf. Hdt. 4.191–2. Cf. Hdt. 2.65.2 Cf. zu Hdt. 2.3.2 auch die Einleitung.
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IV. Religion im Raum
wird. Gerade über den Grund (das „weswegen“ oder „warum“, τῶν δὲ εἵνεκεν) der Heilighaltung der Tiere möchte sich Herodot nicht auslassen.81 Im Folgenden (Hdt. 2.65.3 ff.) äußert sich Herodot zuerst über allgemeine Bräuche, Riten und Regeln der Ägypter im Umgang mit den für heilig erachteten Tieren (Ernährung und Aufzucht, Hdt. 2.65.3–5) sowie bestimmte Maßnahmen bei Regelverstößen (Hdt. 2.65.5 Tötungsverbot; Strafen bei beabsichtigter und unbeabsichtigter Tötung). Im Vordergrund stehen also zuerst soziale Aspekte, welche die Wertschätzung von Tieren (z. B. anlässlich der Trauer um gestorbene Katzen, deren Begräbnisriten und Beisetzung) in eindrücklicher und teils erstaunlicher Weise (z. B. Hdt. 2.66.3) illustrieren und exemplifizieren. Anhand von fünf Beispielen soll im Folgenden besonders die Relevanz religionsgeographischer Gesichtspunkte und Angaben hervorgehoben werden, die sehr auffallend neben den sozialen Aspekten hervortreten. Dabei wird deutlich werden, wie die religiösen Sachverhalte und Gegenstände, insbesondere die Verehrung der Tiere, in einer vertikalen Ordnung – Tiere an Land, Land und Wasser, im Wasser und in der Luft – angeführt werden. In ähnlicher Weise wie zuvor bei den Opferpraktiken konstatiert Herodot auch für die Verehrung von Tieren eine lokale Diversität, die er an mehreren Beispielen illustriert. Zuerst geht es um heilige Tiere an Land, deren Bestattung und Begräbnisorte. Nach seinen Ausführungen über die Wertschätzung der Katzen (Hdt. 2.66) und den möglichen Trauerreaktionen auf den Tod einer Katze oder den eines Hundes kommt Herodot (Hdt. 2.67.1) auf deren Einbalsamierung (ταριχευθέντες) und Beisetzung (θάπτονται) in „heiligen Grabkammern“ (ἐς ἱρὰς στέγας) zu sprechen.82 An dieser Stelle nennt er nun verschiedene Beisetzungsorte: als Beisetzungsort für die Katzen namentlich die Stadt Bubastis,83 während Hunde, ebenso die Ichneumone, jeweils in ihrer eigenen Stadt „in geweihten Särgen“ (ἐν ἱρῇσι θήκῃσι) beigesetzt würden. Feld81
82 83
Cf. im Gegensatz zu Herodots geäußerter Zurückhaltung bezüglich des „Warum“ die programmatische Ankündigung des Ägyptologen Wiedemann, der in seiner Darstellung der „Religion der alten Ägypter“ (1890) zur Tierverehrung (Kap. 7, 90–109, 90) bemerkt: „Niemandem wird es wohl mehr in den Sinn kommen, die Berechtigung des Tierkultes erweisen zu wollen und in ihm einen besonders großartigen Zug des ägyptischen Seelenlebens zu erkennen, andererseits aber wird wohl die folgende Darstellung zeigen, wie die Ägypter zu dieser Verehrung kamen und wie sich dieselbe als eine logische Schlussfolgerung aus ihrem ganzen religiösen Denken entwickelt hat.“ Im Folgenden weist Wiedemann darauf hin, dass streng zu unterscheiden sei zwischen „der Anbetung von Tierindividuen und der Hochachtung vor Tierarten“ (ebd. 90). Diese Unterscheidung findet sich bereits bei Strabon (17.803), wie Wiedemann in seinem Kommentar zum zweiten Buch (1890) 272 bemerkt. Hdt. 2.67 Ἀπάγονται δὲ οἱ αἰέλουροι ἀποθανόντες ἐς ἱρὰς στέγας, ἔνθα θάπτονται ταριχευθέντες, ἐν Βουβάστι πόλι. Für weitere Beisetzungsorte cf. Lloyd (1976) ad loc., der bemerkt, dass die Nekropole von Bubastis wohl der größte Katzenfriedhof des Deltas gewesen und den Griechen wohl am bekanntesten gewesen sei. Zu umfangreichen Listen heiliger Tiere Kessler (1989). Für eine Liste der in Saqqara beigesetzten Tiere ebd. 56.
4. Differenzierung durch Lokalisierung
145
mäuse und Habichte würden in die Stadt Buto und Ibisse nach Hermopolis gebracht, während man Bären und Wölfe an der Stelle beisetze, wo sie gefunden würden. Die Aufzählung der unterschiedlichen Beisetzungsorte lässt den Eindruck entstehen, dass auch dieser Bereich der ägyptischen Religion von einer klaren Ordnung bestimmt ist. Zugleich wird dadurch die Differenzierung des ägyptischen Symbolsystems betont. Anhand der Beschreibung des nächsten Tieres, eines Krokodils (Hdt. 2.68–70), lässt sich gut veranschaulichen, wie Herodot die unterschiedliche Wertschätzung für ein bestimmtes Tier an unterschiedlichen Orten und Räumen in Ägypten markiert und illustriert. Nach einer Beschreibung des Aussehens, der Verfassung (φύσις) und der Lebensbedingungen des Krokodils (Hdt. 2.68) vertritt Herodot (Hdt. 2.69.1) die These, dass die Krokodile in manchen ägyptischen Gauen „heilig sind“ (ἱροί εἰσι), in anderen hingegen nicht, sondern dort vielmehr sogar als Feinde behandelt würden.84 Diese These wird sogleich weiter in geographischer Rücksicht konkretisiert, indem zuerst die Bewohner in und um Theben (in Oberägypten) und den Moirissee (also nahe des Deltas in Unterägypten)85 für die erste Position angeführt werden. Herodot konstatiert, dass an diesen zwei geographisch sehr unterschiedlichen Orten sowohl in Oberägypten (Theben) als auch in Unterägypten das Krokodil für „sehr/besonders heilig“ gehalten werde (κάρτα ἥγηνται αὐτοὺς εἶναι ἱρούς).86 Es ist nun wichtig zu sehen, dass Herodot im Blick auf diese beiden Orte weiter feststellt, dass jeder der beiden Orte aus allen Krokodilen ein87 Krokodil aufziehe und unterweise (δεδιδαγμένον) bis es zahm und leicht zu handhaben (χειροήθεα) sei. Dieses Krokodil werde an den Ohren und den Vorderfüßen geschmückt und erhalte „vorgeschriebene Speisen und Opfertiere“ (σιτία ἀποτακτὰ […] καὶ ἱρήια). Das Krokodil würde so behandelt, dass es „aufs Beste“ lebe (ὡς κάλλιστα ζῶντας) und wenn es gestorben sei, würden sie es einbalsamieren und in geweihten Särgen beisetzen (ἀποθανόντας δὲ ταριχεύσαντες θάπτουσι ἐν ἱρῇσι θήκῃσι).88 Während diese Schilderung die außergewöhnliche menschliche Sorge um das Krokodil in sowohl ethischer als auch ästhetischer Hinsicht unterstreicht, könnte der nun
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Cf. Hdt. 2.69.1 Τοῖσι μὲν δὴ τῶν Αἰγυπτίων ἱροί εἰσι οἱ κροκόδειλοι, τοῖσι δὲ οὔ, ἀλλ’ ἅτε πολεμίους περιέπουσι. Zu dieser sogenannten „Stadt der Krokodile“ (Κροκοδείλων καλεομένην πόλιν) in der Nähe des Moirisses cf. Hdt. 2.148.1 und besonders 2.148.5, wo Herodot auch von den Särgen einiger Könige und der heiligen Krokodile (θήκας αὐτόθι εἶναι τῶν τε ἀρχὴν τὸν λαβύρινθον τοῦτον οἰκοδομησαμένων βασιλέων καὶ τῶν ἱρῶν κροκοδείλων) spricht. Cf. Hdt. 2.69.1–2 Οἱ δὲ περί τε Θήβας καὶ τὴν Μοίριος λίμνην οἰκέοντες καὶ κάρτα ἥγηνται αὐτοὺς εἶναι ἱρούς. Lloyd bemerkt dazu in Asheri (2007) 285: „[…] it was the practice in many animal cults to choose one animal to function as the incarnation of the deity, the most famous example being the Apis bull.“ Cf. dazu Fitzenreiter (2013). Hdt. 2.69.2. In Hdt. 2.148.5 führt Herodot die Särge einiger Könige und die der heiligen Krokodile (θήκας αὐτόθι εἶναι τῶν τε ἀρχὴν τὸν λαβύρινθον τοῦτον οἰκοδομησαμένων βασιλέων καὶ τῶν ἱρῶν κροκοδείλων) an.
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IV. Religion im Raum
folgende pointierte Kontrast mit der Behandlung der Tiere durch die Bevölkerung um Elephantine (οἱ δὲ περὶ Ἐλεφαντίνην πόλιν οἰκέοντες) – ebenfalls in Oberägypten – kaum größer sein. Denn die dortige Bevölkerung (Hdt. 2.69.3) esse die Tiere (καὶ ἐσθίουσι αὐτούς) und halte sie nicht für heilig (οὐκ ἡγεόμενοι ἱροὺς εἶναι). Man bezeichne die Tiere dort auch nicht als „Krokodile“, sondern mit einem anderen Namen („Champsa“).89 Herodots Ausführungen über das Krokodil lassen erkennen, dass er durch die konkreten geographischen Bezugspunkte und Beispiele nicht nur differenziert auf den religiösen Status des Krokodils in Ägypten hinweist, sondern damit implizit auch die jeweilige religiöse Praxis relativiert. In Übereinstimmung mit seiner methodischen Ankündigung in Hdt. 2.65 gibt er keine explizite Begründung für die lokale Diversität und keinen Grund für die Verehrung überhaupt an. In ähnlicher Weise verhält es sich mit der knappen Beschreibung der „Flusspferde“ (Hdt. 2.71). Vor der Beschreibung ihrer Gestalt (φύσιν) stellt Herodot zuerst fest: Οἱ δὲ ἵπποι οἱ ποτάμιοι νομῷ μὲν τῷ Παπρημίτῃ ἱροί εἰσι, τοῖσι δὲ ἄλλοισι Αἰγυπτίοισι οὐκ ἱροί. Was die Flusspferde betrifft, so sind sie im Gau von Papremis heilig, bei den anderen Ägyptern dagegen nicht.90
Bereits diese prägnante Antithese betont wiederum die lokal bedingte Differenzierung mit Blick auf den heiligen Status der Flusspferde, die damit zugleich relativiert wird. In diesem Zusammenhang zählt Herodot nun weitere Tiere auf, die sich im Wasser aufhalten und für heilig gehalten würden: so werde von den Fischen der sogenannte λεπιδωτός (Schuppenfisch)91 und der Aal für heilig erachtet (ἱρὸν εἶναι). Von besonderer Bedeutung ist die darauf folgende Aussage, in der Herodot umsichtig in indirekter Rede (Hdt. 2.72) mitteilt, „dass diese Tiere – so sagen sie (φασὶ) – dem Nil heilig seien“ (ἱροὺς δὲ τούτους τοῦ Νείλου φασὶ εἶναι),92 ebenso unter den Vögeln die Fuchsgans. Diese Befunde werden von Herodot – abgesehen von seiner dezenten Distanzierung – nicht weiter kommentiert.
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Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc. und ders. in Asheri (2007) 285–6. Darauf bemerkt Herodot, dass es vielerlei Arten und Weisen des Fangens von Krokodilen gebe, und im Folgenden schildert er die spektakulärste Weise mit einem Schweinsrücken an einer Angel und einem lebendigen Schwein (Hdt. 2.70). Cf. dazu Lloyd (1976) ad loc. LSJ λεπῐδωτός, ὁ, a fish of the Nile with large scales, Hdt. 2.72. Lloyd bemerkt dazu in Asheri (2007) 287: „fish cults were more numerous than Herodotus implies; […] He is probably correct to emphasize the role of the Nile in their divinization; for these fish were normally connected with female deities and that irresistibly suggests that a conceptual link had been established with the fertility of the river.“
4. Differenzierung durch Lokalisierung
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Es folgen weitere fliegende Tiere. Der nächste heilige Vogel, der Phoinix (φοῖνιξ), den Herodot nicht persönlich, sondern nur aufgrund einer Abbildung gesehen habe, stellt ein besonderes und oft erläutertes Beispiel dar.93 An dieser Stelle möchte ich nur einige für meine Analyse relevante Aspekte festhalten: Für die kritische Betrachtung von Herodots methodischem Vorgehen ist hervorzuheben, dass er eine Erzählung und Erklärung (u. a. zum Aussehen und insbesondere des Tuns) dieses heiligen sonderbaren Vogels gibt, die mythologische und theologische Elemente enthält. Dieser Sachverhalt ist insofern bemerkenswert, da Herodot in Hdt. 2.65 noch mit Nachdruck darauf hingewiesen hatte, dass er sich nicht auf „die göttlichen Dinge“ einlassen wolle. Weiter ist zu bemerken, dass sich Herodot an dieser Stelle mehrmals, teils auch sehr explizit, vom Inhalt dieser Erzählung über den Vogel distanziert (z. B. ὡς Ἡλιοπολῖται λέγουσι / φασὶ / Τοῦτον δὲ λέγουσι μηχανᾶσθαι τάδε, ἐμοὶ μὲν οὐ πιστὰ λέγοντες). Geographisch bedeutsame Elemente der mythologischen Erzählung über den Phönix sind insbesondere seine Herkunft und sein Flug aus Arabien nach Ägypten in den Tempel des Helios. Im Anschluss an den Phönix berichtet Herodot nun zuerst von heiligen Schlangen um Theben (περὶ Θήβας ἱροὶ ὄφιες), die klein seien und angeblich niemandem etwas zu Leide täten.94 Wenn diese stürben, setzte man sie im Heiligtum des Zeus bei (τοὺς θάπτουσι ἀποθανόντας ἐν τῷ ἱρῷ τοῦ Διός). Herodot referiert darauf – wiederum abhängig von φασι – die folgende Begründung: „Denn diesem Gott, erzählen sie, seien sie heilig“ (τούτου γάρ σφεας τοῦ θεοῦ φασι εἶναι ἱρούς). Von den „heiligen Schlangen“ geht Herodot darauf über zu einer Erzählung „über die geflügelten Schlangen“, nach denen er sich an einem Ort in Arabien nahe der Stadt Buto erkundigt habe.95 Bei dieser an Material reichen und vieldiskutierten Stelle96 werde ich nur auf wenige Aspekte hinweisen, die zum einen für die Frage nach der Darstellung ägyptischer Religion allgemein, zum anderen für den Zusammenhang von Raum und Religion relevant sind: erstens die explizite geographische Verortung von Herodots Autopsie für einen Ort in Arabien in der Nähe von Buto, einem engen Pass, der aus den arabischen Bergen in eine weite Ebene führt, die an die ägyptische Ebene anstößt; zweitens die Wiedergabe einer Erzählung (λόγος δὲ ἔστι), die den Flug der geflügelten Schlangen im Frühling von Arabien nach Ägypten sowie die tödliche Begegnung mit den Ibissen schildert; schließlich die nachfolgende Erklärung, dass der Ibis aufgrund dieser Tat (διὰ τοῦτο τὸ 93
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Zum ägyptischen und griechischen Mythos cf. Lloyd (1976) ad loc. sowie die Untersuchung von Labrique (2012) mit weiterführender Literatur und Abbildungen, 134–40. Labrique konstatiert ebd. 134, Herodot beschreibe für sein griechisches Publikum nicht das, was er konkret sehe, sondern das, was er verstehe: „Pour les yeux de l’esprit, le phénix du logos II,73 transpose assez fidèlement le référent culturel des locuteurs héliopolitains d’Hérodote.“ Cf. dazu Lloyd in Asheri (2007) 289–90. Cf. dazu den Beitrag von Rollinger (2004), der in seinem Rekonstruktionsversuch verschiedenen Anhaltspunkten für die Plausibilität von Herodots Erzählung kritisch nachgeht. Cf. dazu Rollinger (2004) mit weiterführender Literatur.
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IV. Religion im Raum
ἔργον) nach Meinung der Araber (λέγουσι Ἀράβιοι) bei den Ägyptern hoch geschätzt werde (τετιμῆσθαι λέγουσι Ἀράβιοι μεγάλως πρὸς Αἰγυπτίων). Diese Erklärung zur Hochschätzung der Ibisse (Hdt. 2.75.4–76.1) würde, so Herodot, auch von den Ägyptern geteilt (ὁμολογέουσι δὲ καὶ Αἰγύπτιοι διὰ ταῦτα τιμᾶν τὰς ὄρνιθας ταύτας.). Nachdem Herodot im Anschluss auf das Aussehen des Ibisses und der geflügelten Schlangen zu sprechen kommt und dabei einen schwarzen Ibis, der mit den Schlangen kämpfe, von einer anderen Ibisart, die sich in Scharen unter den Menschen aufhalte, unterscheidet, beschließt er seine Ausführungen wie folgt: „So viel also sei über die heiligen Tiere gesagt“ (Τοσαῦτα μὲν θηρίων πέρι ἱρῶν εἰρήσθω). Der ganze Abschnitt über die Heilighaltung der Tiere (Hdt. 2.65–76) zeichnet sich durch den auffälligen „Reportagestil“ auf, der teils katalogartig und nüchtern religiöse Bräuche und Praktiken bezüglich der in einer vertikalen Ordnung genannten heiligen Tiere aufzählt und differenzierend kommentiert. Die mehrmals betonte geographische Diversität bezüglich des religiösen Status bestimmter Tiere weist auf die Differenzierung und Relativierung religiöser Bräuche in Ägypten hin. Insgesamt ist eine klare Distanzierung Herodots durch die mehrmals erfolgende Bezugnahme auf einheimische Informanten und deren Perspektiven (λέγουσι, φασι) gegeben. Dass sich Herodot überhaupt so ausführlich mit der Heilighaltung der Tiere bei den Ägyptern befasst, ist sicherlich Teil seines lebhaften Interesses und seiner Faszination für die Nomoi der Ägypter.97 Durch die ausführliche und sorgfältige Beschreibung der ägyptischen Tierverehrung und die Fokussierung auf das, was bei den Ägyptern als heilige und etablierte Ordnung (Nomos) gilt, wird auch eine starke Kontrastfolie für den Umgang des Kambyses mit den ägyptischen Nomoi im dritten Buch geschaffen. Insbesondere die Begegnung des persischen Königs mit dem Apisstier und sein frevelhaftes Verhalten gegenüber diesem98 können kaum stärker und wirkungsvoller sowohl mit dem Verhalten und der Wertschätzung der Ägypter als auch mit dem interessierten und geographische Unterschiede wahrnehmenden Erzähler der Historien selbst kontrastiert werden. 5. Ein religiöser Frevel gegenüber dem Nil Abschließend soll eine Episode aus der ägyptischen „Königsgeschichte“ betrachtet werden, die nochmals – an dieser Stelle in Form einer Erzählung – die wichtige religiöse Bedeutung des Nils unterstreicht: die Erzählung über den König Pheros, den Sohn des Sesostris (Hdt. 2.111).99 Das Textbeispiel zeigt, welche Folgen und soziale 97 98 99
Cf. dazu auch Munson (2001). Cf. dazu Kapitel VII. Religion in Interaktion. Cf. dazu Lloyd (1988) ad loc. und Quack (2013a) 66–9, der die Erzählung über Pheros mit einem fragmentarischen Text aus der demotischen Tradition vergleicht und ebd. 69 feststellt: „On peut
5. Ein religiöser Frevel gegenüber dem Nil
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Auswirkungen eine „Verletzung“ dieses zentralen Elements der Umwelt in Ägypten haben kann. Neben der entscheidenden, zu Beginn angeführten geographischen Perspektive auf das religiöse Feld zeichnen sich im Folgenden weitere Perspektiven deutlich ab. Sie zeigen, wie der religiöse Frevel gegenüber dem Nil in der Erzählung soziale Auswirkungen nach sich zieht. Während das religiöse Feld durch mehrere Ausdrücke deutlich markiert wird,100 können räumliche, soziale sowie sozial-ökonomische Perspektiven unterschieden werden. Herodot erzählt – in indirekter Rede der ägyptischen Priester (ἔλεγον) – von der Erblindung des Pheros durch den folgenden Vorfall. Als der Nil so hoch gestiegen war, dass er die Felder überflutete, und auch noch ein Wind zu Wellen des Flusses führt, soll nach der Auskunft der Ägypter (λέγουσι) dieser König „in frevelhaftem Übermut“ (ἀτασθαλίῃ) seine Lanze ergriffen und sie in den Strudel des Stroms geworfen haben.101 Darauf sei er sofort (αὐτίκα) an den Augen erkrankt und erblindet. Das in religiöser Sprache markierte Vergehen dieses Königs gegenüber der natürlichen Umwelt hat also – aus der Perspektive der Ägypter – eine deutlich physische Auswirkung, die sich in der Erblindung des Königs zeigt und als Strafe (τῆς ζημίης, s. u.) verstanden wird. Pheros soll zehn Jahre lang blind gewesen sein, bevor ihm im elften Jahr ein Orakelspruch (μαντήιον) aus der Stadt Buto zuteil wird. Mit diesem Orakel, das die mögliche Befreiung von der Freveltat beim Erfüllen bestimmter Bedingungen verspricht, wird nun auch das soziale Leben der Ägypter berührt. Denn das Orakel verheißt ihm, dass die Zeit der Strafe (ὁ χρόνος τῆς ζημίης) vorüber sei und er wieder sehend werde (ἀναβλέψει). Allerdings soll die Heilung nur unter der Bedingung eintreten, dass sich Pheros die Augen mit dem Urin einer Frau wasche (γυναικὸς οὔρῳ νιψάμενος), die nur mit ihrem eigenen Mann sexuellen Umgang gepflegt habe und keinen anderen Mann kenne. Zwei Gesichtspunkte der Prophezeiung des Orakels sind bemerkenswert: sowohl das feuchte, natürliche Element – der Urin einer Frau – als auch die Betonung der sozialen Komponente im Hinblick auf die Frau. Während der Urin in Korrespondenz zum ägyptischen Strom erscheint, unterstreicht die Charakterisierung der treuen Ehefrau die soziale Komponente des Orakels. Der Versuch, eine dem Orakel entsprechende Frau zu finden, misslingt mehrmals, u. a. bei seiner eigenen Ehefrau. Doch schließlich findet er eine Frau, welche die Bedingungen erfüllt, und er wird wieder sehend. Diese Frau heiratet er daraufhin, während er sich an den anderen Frauen auf grausame Weise vergeht, indem er in einer Stadt eine Massenverbrennung aller Frauen anordnet, mit denen er vergeblich die Probe donc constater que l’épisode hérodotéen a des racines indéniables dans la tradition égyptienne mais qu’il a été remanié de façon à mieux l’intégrer dans le monde grec.“ 100 Ausdrücke, die das religiöse Feld markieren: ἀτασθαλίῃ χρησάμενον / μαντήιον ἐκ Βουτοῦς / ἀναθήματα / τὰ ἱρὰ πάντα τὰ λόγιμα ἀνέθηκε / ἐς τοῦ Ἡλίου τὸ ἱρὸν ἀξιοθέητα ἀνέθηκε ἔργα. 101 Vergleichbar ist die frevlerische Handlung des Pheros mit dem Auspeitschen des Hellesponts durch Xerxes in Hdt. 7.34–35. Zu beachten ist neben dem Wasser in beiden Fällen die Bedeutung des Winds.
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IV. Religion im Raum
durchgeführt hatte. Nach seiner Genesung – so Herodot nun in direkter Rede – soll Pheros an alle angesehenen Heiligtümer Weihgeschenke gestiftet haben, darunter zwei steinerne Obelisken für das Heiligtum des Helios. Diese kurze Erzählung über den religiösen Frevel des Pheros weist eine Vielfalt religiöser Dimensionen auf. Zu Beginn der Erzählung steht der religiöse Frevel des Königs gegenüber dem Nil als einer zentralen sowie religiös verstandenen Naturgewalt der ägyptischen Umwelt. Der Frevel wird aus einer Binnenperspektive erzählt (ἔλεγον, λέγουσι) und mit der Erblindung des Königs in Verbindung gebracht. Für den Zusammenhang von Religion und Umwelt ist es bedeutsam, dass die durch das Orakel prophezeite Heilung des Königs in Analogie zum heiligen Nil-Wasser den Urin einer nach bestimmten moralischen Grundsätzen lebenden Frau als Heilmittel fordert. Soziale Dimensionen zeigen sich weiter bei der Prophezeiung des Orakels und der nur unter bestimmten Bedingungen erfolgenden Heilung des Königs, die sowohl sinnlich-ästhetische als auch moralische Aspekte betrifft. Insbesondere die Beschaffung des weiblichen Urins für die Heilung unterstreicht, wie die religiöse Prophezeiung eine äußerst alltägliche Verrichtung mit einer bestimmten Moralprüfung verbindet. Die grausame Verbrennung der Frauen im Anschluss an die Heilung des Königs dokumentiert dessen eigenwillige Logik, willkürliche Gewalt und Misogynie, für die er in der Folge nicht bestraft wird. Der unmittelbar darauf erwähnte religionsökonomische Aspekt, der sich in der Stiftung der Weihgeschenke zeigt, unterstreicht nicht nur die angemessene religiöse Praxis nach einer Heilung, sondern zuletzt auch das ganze ambivalente Verhalten des Königs in der Erzählung. 6. Fazit und Ausblick Selbstverständlich handelt es sich an dieser Stelle nur um eine exemplarische Auswahl von Textpassagen, in denen das Verhältnis von Raum, Umwelt und Religion in besonderer Weise präsent ist. Herodots Erzählung enthält viele weitere Beispiele, die das Zusammenspiel von Religion und Raum eindrücklich illustrieren. So könnte die Erzählung über den Bau der Pyramiden (Hdt. 2.124.2–128) als ein berühmtes und ästhetisch eindrucksvolles Beispiel dafür angeführt werden, wie Religion und sakrale Architektur konkret den ägyptischen Raum und die dortige Umwelt geprägt haben.102 Ein anschauliches Beispiel dafür, wie sich die Umgebung eines Heiligtums durch zahlreiche Dammaufschüttungen im Lauf der Zeit verändert und damit auch die ganze Wahrnehmung und Ästhetik des Heiligtums eine Veränderung erfährt, zeigt Herodots Beschreibung des außergewöhnlichen Heiligtums in der Stadt Bubastis (Hdt. 2.138), das im Folgenden bei der Frage nach Religion und Sinne(n) Gegenstand der Unter-
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Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit.
6. Fazit und Ausblick
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suchung sein wird.103 Eine wichtige Rolle kommt der Geographie und religiös bedeutsamen Orten in Herodots Erzählung über die Orakelstätten des Zeus in Dodona, in Griechenland, und des Zeus Ammon in Libyen zu (Hdt. 2.54–57).104 Die Thematisierung von sakralem Raum spielt auch im Zusammenhang mit der Reinheit der Heiligtümer (Hdt. 2.64) in Griechenland und Ägypten eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang weist Herodot auf klare Parallelen zwischen den beiden religiösen Kulturen hin. Dass Religion und natürlicher Raum in Herodots Darstellung ägyptischer Religion einen großen Stellenwert einnehmen, haben die soeben behandelten Beispiele illustriert. Wie jedoch nicht zuletzt die Erzählung über den ägyptischen König Pheros und dessen Vergehen gegenüber dem Nil eindrücklich zeigt, sind Herodots Perspektiven auf religiöse Phänomene mit Rücksicht auf den geographischen Raum und die ägyptische Umwelt zumeist nicht isoliert zu verstehen, sondern verbunden mit sozialen, geschichtlichen oder ästhetischen Perspektiven. Abschließend sollen die wichtigsten Aspekte der Untersuchung zusammengefasst werden. Schon von Beginn des zweiten Buches an zeigt sich Herodots Aufmerksamkeit für zentrale religiöse Orte in Ägypten (Memphis, Theben und Heliopolis), die für seine Erzählung über Religion in Ägypten eine wichtige Funktion haben.105 Die geographische und geologische Beschreibung Ägyptens ist der Beschreibung ägyptischer Kultur und Religion vorangestellt. Damit werden sowohl räumlich-geographische als auch zeitliche Rahmenbedingungen für die Kultur und Religion in Ägypten skizziert. Die Umweltgestaltung durch Religion wird zwar nur an wenigen Stellen explizit angesprochen (z. B. bei der Beschreibung bestimmter Heiligtümer wie in Bubastis oder beim Bau der Pyramiden), doch unter diesem Aspekt erscheinen die Ägypter von Beginn an als erste religionsproduktive und -kreative Menschen (Hdt. 2.3–4). Anhand der knappen Erzählung über den Orakelspruch (in Hdt. 2.18) für die Bewohner von Marea und Apis im Küsten- und Grenzgebiet zwischen Ägypten und Libyen wurde deutlich, welche zentrale Bedeutung dem geographischen Raum und insbesondere dem Nil und der Nilschwelle für die Frage nach der Zugehörigkeit zur ägyptischen Religion zukommt. Herodot bemerkt die zentrale religiöse Bedeutung des Nils sowie seine Funktion für die ägyptische religiöse Kultur und die Identität der Ägypter. Trotz der prägnanten und allgemeinen Aussage über das Verhältnis von Bräuchen und Gewohnheiten zur Umwelt und den klimatischen Verhältnissen (in Hdt. 2.35) ist es wohl problematisch, allein aufgrund dieser Aussage von einem „Umweltdeterminismus“ bei Herodot zu sprechen. Es ist zu berücksichtigen, dass Herodots
103 Cf. das anschließende Kapitel VI. Religion und Sinne. 104 Cf. dazu Nesselrath (1999). 105 Cf. zur Bedeutung von Theben und Memphis Kapitel V. Religion in der Zeit und VII. Religion in Interaktion.
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IV. Religion im Raum
pointierte Aussage in einem stark rhetorisch geprägten Kontext steht und durchaus als Analogie (und nicht kausal mit Notwendigkeit) verstanden werden kann.106 Beim Speise- und Opferverzicht bestimmter Tiere konnte beobachtet werden, dass Herodot nach einigen Verallgemeinerungen bezüglich der Opfer die Aufmerksamkeit auf lokale Unterschiede in Ägypten lenkt. Durch diese Lokalisierungen entwirft er eine differenzierte Topographie der ägyptischen religiösen Bräuche. Mit Hilfe weiterer Differenzierungen ist es zugleich möglich, bestimmte Praktiken und Bräuche innerhalb des religiösen Symbolsystems in Ägypten zu relativieren. Von grundlegender Bedeutung für das religiöse Leben in Ägypten ist die ausführlich beschriebene Verehrung der Tiere (Hdt. 2.65–76) sowie die damit verbundene Prägung des gesamten sozialen Lebens der Ägypter. Bei einigen Tieren wird wiederum auf lokale Unterschiede bezüglich ihres heiligen Status hingewiesen. Durch eine bestimmte religiöse Praxis, die an einem Ort aus nicht weiter erläuterten Gründen etabliert wurde, werden weitere Maßnahmen, die wiederum den natürlichen Raum und die Umwelt prägen und gestalten, eingeführt. Ein Beispiel dafür sind die Grabkammern für die heiligen Krokodile im Labyrinth (in Hdt. 2.148). Es kann festgehalten werden, dass Religion und natürlicher Raum in Herodots Erzählung über Ägypten in einer Wechselwirkung stehen: Während einerseits von Menschen erbaute Altäre oder Tempel den natürlichen Raum prägen und verändern, ist andererseits auch der Einfluss der Umwelt und des natürlichen Raums, sei es in Form des Nils oder auch der Tiere, nicht ohne Einfluss auf die Religion und die religiöse Praxis. An weiteren Beispielen in den folgenden Kapiteln wird immer wieder die Relevanz und Bedeutung des natürlichen Raums und der Umwelt für Herodots Darstellung von Religion in Ägypten in Erscheinung treten.
106 In diesem Punkt schließe ich mich der Argumentation von Thomas (2000) 102–5 an.
V. Religion in der Zeit Im Anschluss an die Betrachtung von Religion im Raum soll nun untersucht werden, wie Herodot das Verhältnis von Religion und Zeit in seiner Erzählung über Ägypten thematisiert. Neben seiner Aufmerksamkeit für geschichtliche Zusammenhänge in den Historien bekundet er ein deutliches Interesse an religionsgeschichtlichen Sachverhalten und Zusammenhängen, sodass er auch als „Historiker fremder Religionen“1 bezeichnet wurde. Die Frage nach religionsgeschichtlichen Aspekten2 in Herodots Erzählung über Ägypten ist sowohl für das Verständnis seiner Erzählung über Ägypten als auch für die gesamten Historien aufschlussreich. Herodots Beobachtungen religiöser ägyptischer Bräuche sowie seine Äußerungen zum Alter ägyptischer Religion lassen auch ein differenzierteres Bild griechischer Religion entstehen, das wichtige Aspekte umfasst. An mehreren Stellen kommt es zu einem Vergleich zwischen ägyptischer und griechischer Religion. Dies soll jedoch nicht Hauptgegenstand dieses Kapitels über Religion und Zeit in Ägypten sein.3 Bei der Vielzahl möglicher Textpassagen, in denen religionsgeschichtliche Fragen und Aspekte zur Sprache kommen, möchte ich mich vor allem der Frage widmen, wie Herodot überhaupt in seiner Ägyptenerzählung religionsgeschichtliche Perspektiven und Aspekte artikuliert und wie die zeitlichen Perspektiven und Perspektivierungen der religiösen Felder (innerhalb und außerhalb der Nomoi-Passagen) in der Gesamterzählung zu verstehen sind.4 In der folgenden Untersuchung gehe ich zuerst auf einen wichtigen Gesichtspunkt religionsgeschichtlicher Forschung ein: die Frage nach Herodots religionsgeschicht-
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Cf. den Titel der Untersuchung von Burkert (1990) und den Forschungsüberblick bei Mora (1985) 18–22. Cf. zur Religionsgeschichte als Fremdbeschreibung und Teilgebiet der Religionswissenschaft mit ihren verschiedenen Aspekten und Methoden Hock (2002) 22–53. Cf. dazu grundlegend Rüpke (2007a), der das Ziel verfolgt, „in unterschiedlichen Bereichen den religionswissenschaftlichen Zugriff auf geschichtliche Befunde anschaulich zu machen.“ Ebd. 32. Cf. dazu Kapitel VII. Religion in Interaktion und III. Religion im Sozialen. Die Ergebnisse dieser Falluntersuchung zum Verhältnis von Religion und Zeit in Ägypten lassen deutliche Unterschiede zu anderen Kulturen und Religionen (persische, skythische, libysche) erkennen.
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V. Religion in der Zeit
lichen Informanten und Quellen.5 Im zweiten Buch Herodots ist diese Frage von Beginn an präsent und wird nicht nur thematisiert, sondern auch problematisiert. Meine Aufmerksamkeit richtet sich dabei zum einen exemplarisch auf den Umgang mit den ägyptischen Priestern,6 zum anderen auf die ausdrücklich genannte vorherodoteische Perspektive des Hekataios von Milet auf Ägypten.7 In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich zu betonen, dass ich die Frage nach Herodots Umgang mit den ägyptischen Priestern und Hekataios nicht mit einem Interesse an historischer Quellenkritik verbinde, die Herodots Erzählweise und der Komplexität der ägyptologischen Befunde nicht gerecht zu werden vermag.8 Vielmehr werde ich exemplarisch an zwei Textpassagen zeigen, wie Herodot diese beiden „Quellen“ zur Religionsgeschichte in Ägypten literarisch thematisiert und wie sich in der Auseinandersetzung mit den Priestern und Hekataios zeitliche Perspektiven auf bestimmte religiöse Felder aufzeigen lassen, die für die Gesamterzählung relevant sind. Während anhand des ersten Beispiels über (1) Herodots Austausch mit den ägyptischen Priestern (Hdt. 2.2–4) ein Leitmotiv der herodoteischen Erzählung über Ägypten – die zeitliche Priorität der Ägypter – artikuliert wird, illustriert das zweite Beispiel über (2) Hekataios und die ägyptischen Priester in Theben den Unterschied zwischen ägyptischer und griechischer Chronologie (Hdt. 2.142–144), was für das Verständnis des zweiten Buches von unschätzbarem Wert ist. Diese ersten beiden Beispiele thematisieren in grundlegender Weise das für Herodot zentrale Verhältnis von Religion und Zeit in Ägypten. Nach der Erzählung über die Begegnung des Hekataios und Herodot mit den thebanischen Priestern und der von ihnen vorgetragenen Chronologie (von mehr als 11000 Jahren ohne einen menschengestaltigen Gott) ergeben sich zwei weitere wichtige Fragenkomplexe für das Verhältnis von Religion und Zeit: Wie steht es zum einen nach
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Cf. zu Herodots Quellen bezüglich des zweiten Buches insgesamt die ausführliche Diskussion mit Übersichten bei Lloyd (1975) 77–140, zu den ägyptischen Priestern sowie der „Popular“ und „Literary Tradition“ 89–116. Zur sogenannten „Glaubwürdigkeitsdisskussion“ im Anschluss an Fehling (1971 und 1989) und mit Fokus auf das zweite Buch Armayor (1978 und bes. 1985), insbesondere zu den ägyptischen Priestern Froschauer (1991) 45–87. Eine Kritik der „Liar School of Herodotos“ bietet Pritchett (1993) mit einer Einschätzung vor dem demotischen Forschungshintergund Quack (2013a) 80–1. Allgemein zu „Herodots Quellen – Die Quellen Herodots“ die Beiträge im gleichnamigen Band von Dunsch/Ruffing (2013). Cf. dazu Lloyd (1975) 89–116 und Froschauer (1991) 45–87. Cf. zu Hekataios die Synthese mit früherer Literatur bei Lloyd (1975) 127–39, bes. die umsichtige Zusammenfassung 138–9, sowie Dillery in Harrison/Irwin (2018) 17–52. Jede Untersuchung mit einem quellenkritischen Anspruch zum zweiten Buch muss meines Erachtens in interdisziplinären Einzelfalluntersuchungen nicht nur der literarischen, narrativen und argumentativen Struktur des griechischen Textes Herodots Rechnung tragen, sondern vor allem umsichtig und in Kenntnis der ägyptisch-griechischen kulturellen Interaktionen sowie der komplexen ägyptischen, insbesondere demotischen Quellenlage Hypothesenbildung betreiben. Cf. dazu den Beitrag mit einigen Fallbeispielen sowie den „remarques finales“ von Quack (2013a) 63–88, bes. 80–1.
1. Die ägyptischen Priester und die zeitliche Priorität der Ägypter
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der Auseinandersetzung mit ägyptischer Chronologie um die (griechischen) Vorstellungen vom Alter der (griechischen) Götter? Diese Frage untersuche ich (3) exemplarisch anhand der Erzählung über die Verehrung des Pan in Ägypten (Hdt. 2.46). Bei dieser Textpassage innerhalb der ägyptischen Nomoi wird zudem deutlich, dass auch innerhalb der Nomoi mehrere zeitliche Perspektiven auf das religiöse Feld zu entdecken und zu unterscheiden sind. Aufgrund der Präsentation ägyptischer Chronologie und angesichts der von den Priestern von Theben behaupteten Unveränderlichkeit Ägyptens während der Herrschaft der Könige9 stellt sich zum anderen (4) die Frage nach der Möglichkeit religiösen Wandels in Ägypten. Dieses für jede religionsgeschichtliche Forschung zentrale Phänomen soll daraufhin näher betrachtet werden. Ausgangspunkt der Untersuchung ist hierzu Herodots Erzählung über die ägyptischen Könige (Hdt. 2.99 ff.). Anhand von drei typischen Fallbeispielen zu den ägyptischen Königen – Rhampsinitos, Cheops/Chephren und Mykerinos – zeige ich, dass Herodots „Königsgeschichte/n“ als eine Geschichte religiösen Wandels in nuce gelesen werden kann. 1. Die ägyptischen Priester und die zeitliche Priorität der Ägypter Herodots Erzählung über Ägypten beginnt mit dem sogenannten Experiment des Psammetichos, in dem es um die Klärung der zentralen Frage geht, „welches die ersten Menschen gewesen seien“ (οἵτινες γενοίατο πρῶτοι Hdt. 2.2).10 Um die Frage zu erforschen, wer die ältesten Menschen seien, übergibt Psammetichos zwei neugeborene Kinder einem Hirten, der sie alleine in einer Hütte aufziehen soll, ohne in ihrer Gegenwart ein Wort zu sprechen. Psammetichos ist an dem ersten Wort interessiert, das die Kinder nach dem undeutlichen Lallen von sich geben werden. Nach zwei Jahren ist es soweit, und das erste entscheidende Wort, das die Jungen artikulieren, ist „Bekos“. Nach Erkundigungen stößt Psammetichos darauf, dass die Phryger das Brot so nennen. So hätten die Ägypter zugestanden, dass die Phryger älter seien als sie selbst. Wichtig für die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Zeit ist in diesem Zusammenhang weder das Experiment selbst noch dessen Durchführung oder mögliche Historizität,11 sondern vielmehr, warum Herodot gerade damit seine Erzählung über Ägypten beginnen lässt. Mehrere Motive sind denkbar und ich möchte nur vier Aspekte anführen, die zugleich erkennen lassen, warum die Erzählung über das „Experiment“ von zentraler Bedeutung für das Gesamtverständnis des zweiten Buches und unsere Frage nach dem Verhältnis von Religion und Zeit in Ägypten ist. Die Motive betreffen (1) den ägyptischen König und sein grundsätzliches Interesse an der Frage, (2) das Selbstbild 9 10 11
Hdt. 2.142.1–4, bes. Hdt. 2.142.4. Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 242–3 und Lloyd (1976) 5–12 mit weiterführender Literatur. Cf. dazu Lloyd (1976) 8–12.
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V. Religion in der Zeit
und Selbstbewusstsein der Ägypter, das durch das Experiment aufgeklärt, in Frage gestellt und leicht modifiziert wird, (3) die Berufung Herodots auf die ägyptischen Priester aus Memphis als mögliche Informanten über Ägypten und (4) die abschließende Kritik Herodots an unsinnigen und übertriebenen Vorstellungen der Griechen von Ägypten und den Ägyptern, die er an dieser Stelle deutlich artikuliert. Die einzelnen Aspekte lassen sich folgendermaßen erläutern: (1) Herodot hebt zuerst das grundsätzliche Interesse an der Klärung der Frage durch den ägyptischen König Psammetichos (664–610 v. Chr.) hervor, eines Herrschers aus der Zeit der saitischen Könige.12 Es geht also zuerst um die Artikulation einer sehr wichtigen ägyptischen Binnenperspektive. Neben dieser ägyptischen Binnenperspektive auf den König ist weiter von Bedeutung, dass nach dessen „Experiment“ und seinen Erkundigungen über die Phryger letztlich auch die Ägypter zugeben müssen (Hdt. 2.2.5 συνεχώρησαν Αἰγύπτιοι), dass die Phryger älter als sie selbst seien. Diese Rahmenbedingungen des Experiments markieren bereits zu Beginn des zweiten Buches die zentrale Rolle des Königs in Ägypten. (2) Sehr auffällig und markant ist zweitens die einleitende Äußerung Herodots über das Selbstbild und das Selbstbewusstsein der Ägypter vor der Herrschaft des Psammetichos (Hdt. 2.2.1): Οἱ δὲ Αἰγύπτιοι, πρὶν μὲν Ψαμμήτιχόν σφεων βασιλεῦσαι, ἐνόμιζον ἑωυτοὺς πρώτους γενέσθαι πάντων ἀνθρώπων. Was die Ägypter betrifft, so glaubten sie, bevor Psammetichos König über sie wurde, sie selber seien die Ersten von allen Menschen.
Durch diese Äußerung lenkt Herodot die Aufmerksamkeit auf die Ägypter, ihr Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, das wesentlich mit ihrer Vorstellung von Zeit und insbesondere ihrer eigenen Stellung als Ägypter in der Zeit verknüpft zu sein scheint. Aufgrund des Experiments soll eine Klärung ihres Anspruchs auf absolute zeitliche Priorität („die Ersten von allen Menschen“; πρώτους […] πάντων ἀνθρώπων) erreicht werden. Herodot nimmt vorweg (Hdt. 2.2.1–2), das Experiment habe bei den Ägyptern dazu geführt, dass sie seit dieser Zeit (ἀπὸ τούτου) glaubten (νομίζουσι), die Phryger seien älteren Ursprungs als sie (Φρύγας προτέρους γενέσθαι ἑωυτῶν), sie selbst aber seien früher als alle anderen (τῶν δὲ ἄλλων ἑωυτούς). Herodots Äußerungen unterstreichen die zentrale Bedeutung dieser Überzeugungen bezüglich der zeitlichen Priorität für das Selbstverständnis der Ägypter, die durch das Experiment in Frage gestellt, falsifiziert und darauf sogleich – wieder gemäß den Überzeugungen (νομίζουσι) der Ägypter – relativiert werden. Ein zentrales Leitmotiv des zweiten Buches klingt bereits 12
Lloyd (1976) 4 bemerkt, dass bei Herodot mit Psammetichos als König immer Psammetichos I (664–610 v. Chr.) gemeint sei. Zu den weiteren beiden Königen der 26. Dynastie mit diesem Namen cf. Hdt. 2.159–61: Psammis = Psammetichos II (595–589 v. Chr.) und Hdt. 3.10, 14–5: Psammenitos = Psammetichos III (526–525 v. Chr.).
1. Die ägyptischen Priester und die zeitliche Priorität der Ägypter
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in dieser Eingangspassage an. Es besteht in der Aussage, dass sie die Ersten (πρῶτοι) bei/in etwas seien. Die Ägypter werden mit diesem Anspruch zu Beginn des zweiten Buches charakterisiert, allerdings wird dieser sogleich in Frage gestellt und interessanterweise durch einen ihrer Könige relativiert.13 Zwei weitere wichtige Aspekte finden sich im Anschluss an die Erzählung des Experiments: Dies ist zuerst (3) Herodots abschließende Berufung auf die ägyptischen Priester des Hephaistos aus Memphis als seine Gewährsmänner (Hdt. 2.2.5): Ὧδε μὲν γενέσθαι τῶν ἱρέων τοῦ Ἡφαίστου τοῦ ἐν Μέμφι ἤκουον· Dass es so geschehen sei, hörte ich von den Priestern des Hephaistos in Memphis.
Die Berufung auf die ägyptischen Priester,14 und damit wiederum auf eine ägyptische Binnenperspektive, steht im konkreten Zusammenhang und Kontrast zur folgenden (4) direkten Kritik Herodots an griechischen Erzählungen und Vorstellungen über Ägypten und die Ägypter. Er betont unmittelbar im Anschluss (Hdt. 2.2.5): Ἕλληνες δὲ λέγουσι ἄλλα τε μάταια πολλὰ καὶ ὡς γυναικῶν τὰς γλώσσας ὁ Ψαμμήτιχος ἐκταμὼν τὴν δίαιταν οὕτως ἐποιήσατο τῶν παιδίων παρὰ ταύτῃσι τῇσι γυναιξί. Die Griechen aber erzählen neben vielen anderen Torheiten auch, dass Psammetichos Frauen die Zunge herausgeschnitten und dann die Aufzucht der Kinder bei diesen Frauen veranlasst habe.
Abgesehen davon, dass es sich bei dieser Kritik an den Griechen möglicherweise um eine pointierte Kritik an seinem Vorgänger Hekataios mit einer trefflichen Anspielung auf dessen Proömium handelt,15 ist grundsätzlich hervorzuheben, dass Herodot die alternative Version der Griechen explizit kritisiert und als „dummes Geschwätz“ zu-
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Cf. dazu auch Kapitel IV. Religion im Raum. Fragen nach der zeitlichen Priorität, so z. B. die nach der zeitlichen Vorrangigkeit von Erfindungen, Personen, Dingen, Handlungen oder Ereignissen sind für Herodot von großem Interesse. Cf. zu diesem Topos allgemein Kleingünther (1933), Thraede, s. v. Erfinder, RAC 5, 1179–1278, die Untersuchung von Pilhofer (1990) und allgemein zum zweiten Buch die Einführung von Lloyd (1975) 147–149, der die Frage nach der Priorität als ein Charakteristikum von Herodots „attitudes and intellectual affinities“ unter dem weiteren Gesichtspunkt des „post hoc ergo propter hoc“ behandelt (ebd. 147): „His (sc. Herodotus’) mind is markedly subject to the post hoc ergo propter hoc fallacy i. e. the assumption that if a comes before b then b is a result of a.“ Weitere Beispiele bezüglich der Ägypter und des πρῶτοι-Gedankens folgen in Hdt. 2.4. Cf. zu den ägyptischen Priestern auch Kapitel III. Religion im Sozialen, sowie aus althistorischer Perspektive den Forschungsüberblick und „die Glaubwürdigkeitsdiskussion in kritischer Sicht“ bei Froschauer (1991) 45–82. Cf. dazu die Erläuterung von Lloyd (1976) 8–12, der neben der möglichen Anspielung auf Hekataios (ebd. 9) auch mehrere Indizien für den ionischen Charakter der Erzählung analysiert.
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V. Religion in der Zeit
rückweist. Sie zeichnet sich gegenüber der Erzählung der ägyptischen Priester insbesondere durch Übertreibung und die Fokussierung auf Gewalt aus. Die genannten vier Gesichtspunkte – (1) die betonte Binnenperspektive der Ägypter und die wichtige Rolle des Königs, (2) das besondere Selbstverständnis der Ägypter im Hinblick auf die Zeit, ihre Stellung in der Zeit und ihr einstiger Anspruch auf zeitliche Priorität, der in Frage gestellt wird, (3) die Autorität und Auskunft der ägyptischen Priester des Hephaistos in Memphis sowie (4) Herodots abschließende Kritik an abwegigen Vorstellungen der Griechen über Ägypten und die Ägypter – genügen, um anzudeuten, warum diese Erzählung über das Experiment von zentraler Bedeutung für das Gesamtverständnis des zweiten Buches und unsere Frage nach dem Verhältnis von Religion und Zeit in Ägypten ist. Denn wie sich im Verlauf des zweiten Buches immer wieder zeigen wird, sind die Zeitvorstellungen der Ägypter, insbesondere die der ägyptischen Priester, die mit religiösen Gegenständen und Phänomenen verbunden sind, von zentraler Bedeutung für Herodot und seine Darstellung des ägyptischen Symbolsystems sowie seine Überlegungen zum Verhältnis der ägyptischen zur griechischen religiösen Kultur. Die Thematik der Zeit wird also gleich zu Beginn von Herodots Erzählung nicht nur in Verbindung mit dem König und einigen religiösen Experten, den ägyptischen Priestern aus Memphis, sondern auch im Zusammenhang und Kontrast mit gewissen griechischen Anschauungen präsentiert. Dass es sich dabei nicht um einen Zufall, sondern um einen Kerngedanken des zweiten Buches handelt, illustriert weiter die folgende thesenartige Auflistung bestimmter Auszeichnungen und Leistungen der Ägypter aufgrund ihrer zeitlichen Priorität. Herodot kommt kurz darauf (in Hdt. 2.4) auf diese zu sprechen.16 Bevor ich auf die Auszeichnungen und Leistungen der Ägypter eingehe, möchte ich einen letzten die ägyptischen Priester betreffenden Aspekt beleuchten, der für die religionsgeschichtliche Forschung von zentraler Bedeutung ist. 1.1 Die ägyptischen Priester als „Quellen“ für die Religionsgeschichte Herodot betont (Hdt. 2.3.1), dass er auch anderes (καὶ ἄλλα) bei den Priestern in Memphis gehört habe, als er mit diesen Priestern des Hephaistos ins Gespräch gekommen sei (ἐλθὼν ἐς λόγους τοῖσι ἱρεῦσι τοῦ Ἡφαίστου). Er weist nun weiter darauf hin, dass er sich wegen dieser Dinge auch an die Priester aus Theben und Heliopolis gewendet habe, weil er wissen wollte, ob diese mit den Erzählungen in Memphis übereinstimmten.17 Begründend hebt er hervor, dass die Heliopoliten als die „Erfahrensten“ oder
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Cf. dazu Kapitel IV. Religion im Raum. Cf. Hdt. 2.3.1 καὶ δὴ καὶ ἐς Θήβας τε καὶ ἐς Ἡλίου πόλιν αὐτῶν τούτων εἵνεκεν ἐτραπόμην, ἐθέλων εἰδέναι εἰ συμβήσονται τοῖσι λογίοισι τοῖσι ἐν Μέμφι.
1. Die ägyptischen Priester und die zeitliche Priorität der Ägypter
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„Gelehrtesten“ (λογιώτατοι) unter den Ägyptern gelten.18 Für Herodots Darstellung religiöser und religionsgeschichtlicher Sachverhalte ist nun zweierlei im Hinblick auf die Priester festzuhalten: zum einen, dass er wohl einen guten Teil seiner Kenntnisse über Religion in Ägypten im Austausch mit diesen religiösen Experten erwerben konnte. Zum anderen ist jedoch zugleich die Aufmerksamkeit auf seine viel diskutierte Äußerung zu lenken, dass er einen Teil ihrer Mitteilungen und Erzählungen für sich behalten und sogar bewusst nicht mitteilen werde (Hdt. 2.3.2):19 nämlich „das, was nun von ihren Berichten die Götter betrifft, […] was für Dinge ich hörte“ (τὰ μέν νυν θεῖα τῶν ἀπηγημάτων οἷα ἤκουον). Im Gegensatz zu diesem bewussten „Filter“ für Göttliches gibt Herodot unmittelbar im Anschluss zu erkennen, dass er jedoch von den Erzählungen der Priester „das, was auf menschliche Dinge geht“ (Ὅσα δὲ ἀνθρωπήια πρήγματα) durchaus mitteilen werde. Ein Blick auf einige dieser ἀνθρωπήια πρήγματα, die zentrale Aspekte der Religion und der Religionsgeschichte in Ägypten berühren, wird abschließend zeigen, welche wichtige Rolle die zeitliche Priorität der Ägypter in Herodots Darstellung von Religion in Ägypten spielt. 1.2 Die zeitliche Priorität der Ägypter für die Religion Während im Experiment des Psammetichos (Hdt. 2.2.) eine zentrale Frage der Anthropologie und Anthropogenese („Welches waren die ersten Menschen?“) den selbstbewussten und ideologischen Anspruch der Ägypter im Hinblick auf Zeit und ihre Stellung in der Zeit exemplarisch veranschaulicht, kommen nun bei der thesenartigen Auflistung bestimmter Auszeichnungen und Leistungen der Ägypter (Hdt. 2.4) ausdrücklich einige Gegenstände der religiösen Kultur zur Sprache, die wesentlich mit der zeitlichen Priorität der Ägypter verbunden sind. Durch die auffällige viermalige Wiederholung von ἔλεγον (sie sagten, erzählten, behaupteten)20 markiert Herodot deutlich, dass er die folgenden Thesen auf die unmittelbar zuvor21 explizit als Informanten genannten ägyptischen Priester (aus Memphis, Theben und Heliopolis) zurückführt.22 Diese sollen in Übereinstimmung miteinander die nachfolgenden Thesen bezüglich der „menschlichen Dinge“ (ἀνθρωπήια πρήγματα) vertreten ha-
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Hdt. 2.3.1 οἱ γὰρ Ἡλιοπολῖται λέγονται Αἰγυπτίων εἶναι λογιώτατοι. Cf. dazu die Bemerkung über die persischen Logioi in Hdt. 1.1. Hdt. 2.3.2 Τὰ μέν νυν θεῖα τῶν ἀπηγημάτων οἷα ἤκουον, οὐκ εἰμὶ πρόθυμος ἐξηγέεσθαι, ἔξω ἢ τὰ οὐνόματα αὐτῶν μοῦνον, νομίζων πάντας ἀνθρώπους ἴσον περὶ αὐτῶν ἐπίστασθαι· τὰ δ’ ἂν ἐπιμνησθέω αὐτῶν, ὑπὸ τοῦ λόγου ἐξαναγκαζόμενος ἐπιμνησθήσομαι. Cf. dazu Lloyd (1976) 17–9, Asheri/Lloyd (2007) 243–4 und die Einleitung. Impf. Ind. 3. Pers. Pl. („sie sagten“, „sie behaupteten“), zugleich jedoch auch Impf. Ind. 1. Pers. Sing. („ich sagte“, „ich behauptete“). Cf. Hdt. 2.3. Cf. zu den Priestern auch Kapitel III. Religion im Sozialen.
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V. Religion in der Zeit
ben.23 Dabei handelt es sich um die Entdeckung (ἐξευρεῖν) und Aufteilung des Kalenderjahres in zwölf Zeitabschnitte durch die Ägypter,24 den Brauch der Beinamen der zwölf Götter25, die erstmalige Einrichtung und Zuteilung von Altären, Weihgeschenken und Tempeln für die Götter sowie das Einmeißeln von Figuren in Stein.26 Für die Frage nach den religionsgeschichtlichen Gesichtspunkten sind besonders die letzten drei Aspekte relevant, die offenkundig zentrale Bereiche der Religion betreffen. Wichtig ist die sich unmittelbar anschließende Bemerkung Herodots, dass die Priester bei den meisten von diesen Dingen (τὰ πλέω) in der Tat (ἔργῳ) zeigen/darlegen konnten (ἐδήλουν), dass diese so gewesen seien (οὕτω γενόμενα).27 Für die behauptete Priorität der Ägypter ist festzuhalten, dass zuerst wiederum von einer absoluten Priorität die Rede ist (πρώτους Αἰγυπτίους ἀνθρώπων ἁπάντων / als Erste die Ägypter von allen Menschen, Hdt. 2.4.1). Darauf folgt ein von Herodot geführter, wertender Vergleich mit der Konstitution des griechischen Kalenders (Ἄγουσι (sc. Αἰγύπτιοι) δὲ τοσῷδε σοφώτερον Ἑλλήνων, ἐμοὶ δοκέειν, ὅσῳ Ἕλληνες […] Hdt. 2.4.1).28 Unmittelbar im Anschluss an die konstatierte Priorität der Götternamen (Hdt. 2.4.2) stellt er wiederum einen Bezug zu den Griechen her. Demnach sollen die Priester die Überzeugung vertreten haben, dass die Griechen die ἐπωνυμίας (die „Beinamen“ bzw. Bezeichnungen) von den Ägyptern übernommen hätten. Diese These macht deutlich, wie der Anspruch auf Priorität sowohl das Moment des Vergleichs, insbesondere mit den Griechen, als auch die Verortung der eigenen Stellung in der Zeit betrifft. Weitere Beispiele zur Priorität der Ägypter begegnen im Verlauf des zweiten Buches. So führt Herodot hierfür bei Gegenständen der Religion die Durchführung religiöser Feste, feierlicher Versammlungen sowie festlicher Umzüge/Prozessionen an.29 Bezüglich dieser Ereignisse vertritt Herodot in Hdt. 2.58 zwei Thesen: zum einen, (1) dass die Ägypter als erste Menschen heilige Feste, Prozessionen und Umzüge ausgerichtet hätten, zum anderen, (2) dass die Griechen von ihnen gelernt hätten.30 23 24
25 26 27 28 29 30
Hdt. 2.4 Ὅσα δὲ ἀνθρωπήια πρήγματα, ὧδε ἔλεγον ὁμολογέοντες σφίσι, πρώτους Αἰγυπτίους ἀνθρώπων ἁπάντων […]. Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 245 und Lloyd (1976) 20–28. Die in Hdt. 2.4.1–2 den Ägyptern zugeschriebene Einteilung des Jahres in zwölf Abschnitte, die mit den Jahreszeiten korrespondieren, sollen diese „aufgrund der Sterne“ entdeckt haben. Cf. insgesamt zur ägyptischen Zeitrechnung und Jahreszählung mit einigen Abbildungen Quack (2002) 27–67. Cf. Hdt. 2.4.2 Δυώδεκά τε θεῶν ἐπωνυμίας ἔλεγον πρώτους Αἰγυπτίους νομίσαι καὶ Ἕλληνας παρὰ σφέων ἀναλαβεῖν, βωμούς τε καὶ ἀγάλματα καὶ νηοὺς θεοῖσι ἀπονεῖμαι σφέας πρώτους καὶ ζῷα ἐν λίθοισι ἐγγλύψαι. τούτων μέν νυν τὰ πλέω ἔργῳ ἐδήλουν οὕτω γενόμενα. Cf. dazu Hdt. 2.50.1 und 2.53.2. Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 245 mit weiterführender Literatur und Lloyd (1976) 28–33. Cf. dazu Kapitel IV. Religion im Raum. Cf. dazu Quack (2002) 27. Cf. dazu Kapitel III. Religion im Sozialen, und für weitere Beispiele Hdt. 2.43 ff., Hdt. 2.57–58 und Hdt. 2.82–3. Cf. Hdt. 2.58 Πανηγύριας δὲ ἄρα καὶ πομπὰς καὶ προσαγωγὰς πρῶτοι ἀνθρώπων Αἰγύπτιοί εἰσι οἱ ποιησάμενοι, καὶ παρὰ τούτων Ἕλληνες μεμαθήκασι. Auch hier zeigt sich wieder die Verbindung von Vergleich (mit den Griechen) und Verortung in der Zeit.
2. An den Grenzen der Zeit
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Die Begründung der zweiten These erblickt Herodot in dem sichtbaren Zeichen (τεκμήριον), dass die ägyptischen Feste offenbar seit langer Zeit ausgerichtet, während die griechischen erst seit kurzem (νεωστὶ) gefeiert würden.31 Hinter dieser Begründung ist deutlich das kulturrelative kausale Schema des post hoc ergo propter hoc zu erkennen.32 Es ist festzuhalten, dass die Priorität der Ägypter insbesondere durch den Anspruch und das Selbstbewusstsein der ägyptischen Priester von Beginn des zweiten Buches im Fokus Herodots steht, obgleich anhand des Experiments des Psammetichos dieser Anspruch zugleich in Frage gestellt wird. Das Motiv der zeitlichen Priorität und der von den Priestern vertretene Anspruch des Alters ägyptischer Tradition und Religion tritt an mehreren Stellen von Herodots Erzählung über Ägypten deutlich hervor. Dass es sich bei diesem „Archaismus“33 der ägyptischen Priester wohl nicht nur um eine Konstruktion Herodots handelt, das veranschaulichen eindrücklich die Ergebnisse ägyptologischer Forschung der letzten Jahrzehnte zu den Priestern der Spätzeit.34 Die Episode über Hekataios, Herodot und die ägyptischen Priester in Theben, die durch die Forschungen von Moyer in ihrer Plausibilität als ein eindrückliches Zeugnis der ägyptischen Spätzeit gelesen werden kann, soll im Folgenden genauer betrachtet werden.35 2. An den Grenzen der Zeit 2.1 Die ägyptischen Priester über die Zeit der Könige Die folgende Textpassage über Hekataios, Herodot und die ägyptischen Priester in Theben gehört zu den wohl bekanntesten Textpassagen des zweiten Buches.36 Im Zentrum steht dabei die zum Verständnis nicht nur des zweiten Buches unschätzbar wichtige Präsentation ägyptischer Chronologie, die in verschiedener Weise mit griechi31 32 33 34
35 36
Hdt. 2.58 Τεκμήριον δέ μοι τούτου τόδε· αἱ μὲν γὰρ φαίνονται ἐκ πολλοῦ τευ χρόνου ποιεύμεναι, αἱ δὲ Ἑλληνικαὶ νεωστὶ ἐποιήθησαν. Cf. Lloyd (1976) 266–7, der ebd. 266 bemerkt: „The post hoc ergo propter hoc principle, one of the commonest fallacies in cultural history and the basis of all diffusionist theories of civilization.“ Assmann (1996) 382 mit Bezug auf die ägyptische Spätzeit. Bereits Assmann (1996), der die „Findung und Erfindung der Vergangenheit“ (ebd. 375) thematisiert, spricht bei den ungewöhnlichen Rückgriffen auf die Vergangenheit in der 25. und 26. Dynastie in Ägypten von einer „Renaissance“ (ebd. 377) und sogar (ebd. 378) von einer „ersten Welle von ‚Ägyptomanie‘, deren Träger die Ägypter selbst sind. Wenn man unter Ägyptomanie eine Begeisterung für die äußere Formensprache der ägyptischen Kultur versteht, die sich eine spätere Epoche wie ein Kostüm überzieht, dann hat die Saitenzeit bereits Züge einer solchen kulturellen Maskerade.“ Moyer (2002) 70–90. Cf. Darbo-Peschanski (1987) 23–35, Fehling (1971) 54–66 und die Untersuchung von Moyer (2002) 70–90, der ebd. 71–5 einen Überblick zu den wichtigsten Forschungspositionen (von Bury über Jacoby, Heidel, Fehling zu West) gibt. Cf. dazu Dillery in Harrison/Irwin (2018) 44–49.
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schen Vorstellungen kontrastiert wird. Bei meiner Untersuchung dieser Textpassage (Hdt. 2.142–6) interessiere ich mich besonders für die Frage, wie Herodot die Priester und Hekataios an dieser Stelle als „Quellen“ zur Religionsgeschichte in Ägypten thematisiert und wie sich in der Auseinandersetzung mit den Priestern und Hekataios zeitliche Perspektiven auf bestimmte religiöse Felder aufzeigen lassen. Bevor wir uns der Begegnung des Hekataios mit den Priestern in Theben zuwenden, soll der vorausgehende Abschnitt (Hdt. 2.142.1–4) mit seinen wichtigen Überlegungen zur ägyptischen Chronologie betrachtet werden. Wie das folgende Zitat veranschaulicht, wird das religiöse Feld zunächst vor allem durch die ägyptischen Priester (οἱ ἱρέες) und ihren Diskurs (ἔλεγον) über die Zeit von dem ersten König Min (ἀπὸ τοῦ πρώτου βασιλέος)37 bis zu Sethos,38 dem zuletzt regierenden Priester des Hephaistos (ἐς τοῦ Ἡφαίστου τὸν ἱρέα), konstituiert: Ἐς μὲν τοσόνδε τοῦ λόγου Αἰγύπτιοί τε καὶ οἱ ἱρέες ἔλεγον, ἀποδεικνύντες ἀπὸ τοῦ πρώτου βασιλέος ἐς τοῦ Ἡφαίστου τὸν ἱρέα τοῦτον τὸν τελευταῖον βασιλεύσαντα μίαν τε καὶ τεσσεράκοντα καὶ τριηκοσίας ἀνθρώπων γενεὰς γενομένας καὶ ἐν ταύτῃσι ἀρχιερέας καὶ βασιλέας ἑκατέρους τοσούτους γενομένους. Bis zu diesem Punkt meiner Darstellung haben die Ägypter und ihre Priester erzählt und nachgewiesen, dass von dem ersten König bis zu diesem Priester des Hephaistos als letztem König dreihunderteinundvierzig Menschenalter vergangen sind und es in ihnen jeweils ebenso viele Oberpriester wie Könige gegeben hat.
Zu beobachten ist erstens die klare und explizite Vernetzung von Herodots Erzählung mit der Binnenperspektive der Ägypter und deren Priester,39 die seit der Erzählung über den ersten König Min (in Hdt. 2.99.2)40 Herodots Erzählweise bestimmt. Allein das für diesen Erzählstil in der zweiten Hälfte des zweiten Buches typische ἔλεγον („sie erzählten“, „sagten“) kommt in der folgenden, nur kurzen Textpassage (Hdt. 2.142) noch dreimal vor.41 Daran lässt sich wiederum die wichtige Rolle und Funktion der Priester für Herodots Erzählung und insbesondere für diesen Textabschnitt erkennen. Zweitens ist die Aufmerksamkeit auf die chronologische Perspektive der Priester zu richten, welche für die vergangene Zeit zwischen den beiden Königen 341 Generatio-
37 38 39 40 41
Cf. Hdt. 2.4.2–3 und Hdt. 2.99.2. Cf. zum Traum des Sethos Kapitel VI. Religion und Sinne. Cf. dazu z. B. Hdt. 2.99.1–2, 100.1,2,4, 101.1, 102.3, 107.1, 109.1, 111.1, 112.1, 113.1, 116.1, 118.1, 120.1, 121.1, 122.1,2, 123.1, 124.1, 126.1,2, 127.1,3, 129.1, 130.2 (die Priester in S.), 136.1,2, 139.1. Cf. dazu auch die Aufzählungen und Beobachtungen von Fehling (1971) 56–7. Hdt. 2.99.1–2 Μέχρι μὲν τούτου ὄψις τε ἐμὴ καὶ γνώμη καὶ ἱστορίη ταῦτα λέγουσά ἐστι, τὸ δὲ ἀπὸ τοῦδε Αἰγυπτίους ἔρχομαι λόγους ἐρέων κατὰ τὰ ἤκουον· προσέσται δέ τι αὐτοῖσι καὶ τῆς ἐμῆς ὄψιος. Τὸν Μῖνα πρῶτον βασιλεύσαντα Αἰγύπτου οἱ ἱρέες ἔλεγον τοῦτο μὲν ἀπογεφυρῶσαι τὴν Μέμφιν· Hdt. 2.142.3 und zweimal in Hdt. 2.142.4.
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nen von Oberpriestern und Königen ansetzen.42 Die Oberpriester dienen in dieser Perspektive gemeinsam mit den Königen als Indikatoren für die Länge der vergangenen Zeit. Herodot bietet im nächsten Schritt eine grob überschlagende Berechnung dieser 341 Generationen mit 11340 Jahren, indem er zuerst für die 300 Generationen von Menschen 10000 Jahre ansetzt, und dazu – bei der Gleichsetzung von drei Generationen mit 100 Jahren (γενεαὶ γὰρ τρεῖς ἀνδρῶν ἑκατὸν ἔτεά ἐστι) – die 41 übrigen Generationen mit 1340 Jahren hinzurechnet.43 Auf diese Berechnung folgt nun die religionsgeschichtlich zentrale These, die Herodot wiederum explizit den Priestern zuschreibt (Hdt. 2.142.3): Οὕτως ἐν μυρίοισί τε ἔτεσι καὶ χιλίοισι καὶ πρὸς τριηκοσίοισί τε καὶ τεσσεράκοντα ἔλεγον θεὸν ἀνθρωποειδέα οὐδένα γενέσθαι. Οὐ μέντοι οὐδὲ πρότερον οὐδὲ ὕστερον ἐν τοῖσι ὑπολοίποισι Αἰγύπτου βασιλεῦσι γενομένοισι ἔλεγον οὐδὲν τοιοῦτον. In dieser Weise, sagten sie, habe es in einem Zeitraum von elftausenddreihundertvierzig Jahren keinen Gott in Menschengestalt (als Herrscher von Ägypten) gegeben. Ja, auch nicht vorher und auch nicht später, sagten sie, sei bei den übrigen Königen etwas Derartiges vorgekommen.
Diese den Priestern zugeschriebene These ist in ihrer Prägnanz und provokativen Schärfe für die Vorstellung griechischer mythischer Tradition und Chronologie kaum zu überbieten.44 Hervorzuheben ist an dieser Stelle die Kürze und Klarheit der These, mit der die Priester behaupten, dass es in der angegebene Zeitspanne keinen menschengestaltigen Gott gegeben habe (θεὸν ἀνθρωποειδέα οὐδένα γενέσθαι). Diese These ist ein starkes Signal für die nun folgende Erzählung über die Begegnung des Hekataios (und Herodot) mit den Priestern in Theben. Die priesterlichen Ausführungen unmittelbar im Anschluss an die These bezüglich des Auf- und Untergangs der Sonne charakterisieren weiter die angegebene Zeitspanne, sind jedoch nicht leicht zu deuten (Hdt. 2.142.4):45
42 43
44 45
Cf. zu der Zahl Asheri/Lloyd (2007) 344–5, zu den Quellen der ägyptischen Geschichte Kaiser (1967) 93–116, Lloyd (1988a) 22–53, zum Vergleich der ägyptischen mit der griechischen Chonologie bei Herodot Vannicelli (2001) 211–40. Cf. zu Herodots Chronologie allgemein Strasburger in Marg (1965) 688–736 und Lloyd (1975) 171–94, zu Herodots Schema der Generationenberechnung ebd. 174, bes. 176–7, zur ägyptischen Königsliste 175–8, zu Herodots ägyptischer Chronologie 185–194. Zur ägyptischen Annalistik, wie z. B. dem Palermo-Stein, Quack (2002) 42–44, zu den Königslisten, wie z. B. dem Turiner Königspapyrus, ebd. 44–5 sowie insgesamt die Untersuchung von Redford (1986). Lloyd (1988) 106 bemerkt dazu: „This is, in a nutshell, the thesis of the excursus and reflects a dominant concern of H. and his contemporaries, i. e. the problem of reconciling the chronology of Gk. myth and tradition with the temporal perspective opened up by e. g. historical tradition.“ Cf. Lloyd (1988) 106–7 und Asheri/Lloyd (2007) 344–5, der ebd. 345 annimmt, dass es sich um „recurrent cosmic cycles“ handle „which featured in the systems of several Greek thinkers“. Lloyd (2007) 344 verweist auch auf ägyptische mythische Bezüge von „disruption of the movements of
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Ἐν τοίνυν τούτῳ τῷ χρόνῳ τετράκις ἔλεγον ἐξ ἠθέων τὸν ἥλιον ἀναστῆναι· ἔνθα τε νῦν καταδύεται, ἐνθεῦτεν δὶς ἐπανατεῖλαι, καὶ ἔνθεν νῦν ἀνατέλλει, ἐνθαῦτα δὶς καταδῦναι· καὶ οὐδὲν τῶν κατ’ Αἴγυπτον ὑπὸ ταῦτα ἑτεροιωθῆναι, οὔτε τὰ ἀπὸ τῆς γῆς οὔτε τὰ ἀπὸ τοῦ ποταμοῦ σφι γινόμενα, οὔτε τὰ ἀμφὶ νούσους οὔτε τὰ κατὰ τοὺς θανάτους. Während dieser Zeit habe die Sonne viermal ihre gewohnten Gegenden verlassen; wo sie jetzt untergeht, dort sei sie zweimal aufgegangen, und wo sie jetzt aufgeht, sei sie zweimal untergegangen. In Ägypten habe sich dadurch nichts verändert, weder in Bezug auf das, was aus der Erde, oder auf das, was aus dem Fluss ihnen zuteilwerde, weder in Bezug auf die Krankheiten noch in Bezug auf den Tod der Menschen.
In dieser Beschreibung der Zeitspanne durch die Priester wird zuerst die sich verändernde Ordnung der Auf- und Untergänge der Sonne konstatiert. Es wird weiter behauptet, dass diese Veränderung der kosmischen Ordnung keinerlei Veränderung in Ägypten bewirkt habe (οὐδὲν τῶν κατ’ Αἴγυπτον ὑπὸ ταῦτα ἑτεροιωθῆναι). Die letzten Äußerungen, die diese Behauptung veranschaulichen (οὔτε τὰ ἀπὸ τῆς γῆς … γινόμενα), spiegeln nach Lloyd „common Egyptian expressions“ folgender Art wider: „that which heaven gives, earth creates, and the Nile brings forth“.46 Für die Gesamtbetrachtung der Textpassage sollte festgehalten werden, dass Herodot bereits im Vorfeld der Begegnung des Hekataios mit den Priestern in Theben sehr deutlich ägyptische Zeitvorstellungen und Perspektiven auf die dortige Königszeit und -geschichte präsentiert. Gemäß der für die Religion und ihre Geschichte zentralen Hauptthese soll es über den Zeitraum der ägyptischen Königsherrschaft – eine lange Zeitspanne von 11340 Jahren – keinen menschengestaltigen Gott gegeben haben. Darüber hinaus wird dieser Zeitraum abschließend wiederum aus der Perspektive der ägyptischen Priester als eine Zeit vorgestellt, in der es im Bereich der Erde zu keiner wesentlichen Veränderung gekommen sei (οὐδὲν τῶν κατ’ Αἴγυπτον ὑπὸ ταῦτα ἑτεροιωθῆναι). An diese durch die ägyptischen Priester artikulierten Zeitkonzepte schließt sich Herodots Erzählung über die Begegnung des Hekataios mit den Priestern an.
46
heavenly bodies“ bei Texten der sogenannten „Metternichstele“. Ob es sich vielleicht um mythische Anspielungen auf den Sonnengott Re in seinem zentralen Wirken im Kosmos sowie seiner Bedeutung für die königliche Herrschaft handelt, muss an dieser Stelle offenbleiben. Zu Re den Art. „Re“ in Bonnet (1952) 626–30. Asheri/Lloyd (2007) 344–5 mit Verweis auf das Wörterbuch der ägyptischen Sprache von Erman/Grapow (1926–63), Bd. V, S. 35, 7–8. Lloyd bemerkt ebd. 344–5 dazu, dass „this situation confirms the involvement of Egyptian sources in creating this tradition“.
2. An den Grenzen der Zeit
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2.2 Genealogie und ägyptische Zeit: Hekataios und die Priester Nachdem bereits in der vorausgehenden Textpassage insbesondere die Zeitvorstellungen der ägyptischen Priester bezüglich der Regierungszeit der Könige illustriert wurden, richtet sich durch die Begegnung von Hekataios und Herodot mit den Priestern in Theben zunächst die Aufmerksamkeit auf das griechische Verständnis von Genealogie, Chronologie und den Umgang mit der Vergangenheit sowie die Konfrontation mit den Zeitvorstellungen der ägyptischen Priester.47 Das religiöse Feld wird auch in dieser Episode wiederum durch Priester, jedoch konkreter die ägyptischen Priester des Zeus (οἱ ἱρέες τοῦ Διὸς) in Theben bestimmt, die an einem ihrer religiösen Orte (ἐς τὸ μέγαρον ἔσω) sowohl Hekataios als auch Herodot „begegnen“. Dort führen sie anhand von bestimmten Gegenständen einen Diskurs über die zeitliche Dimension und die Genealogie von Menschen und Göttern. Ausgangspunkt für Herodots sowohl humorvolle als auch tiefsinnige Erzählung ist die genealogische Tätigkeit des Hekataios von Milet im ägyptischen Theben (Hdt. 2.143.1–2): Πρότερον δὲ Ἑκαταίῳ τῷ λογοποιῷ ἐν Θήβῃσι γενεηλογήσαντί ἑωυτὸν καὶ ἀναδήσαντί τε τὴν πατριὴν ἐς ἑκκαιδέκατον θεὸν ἐποίησαν οἱ ἱρέες τοῦ Διὸς οἷόν τι καὶ ἐμοὶ οὐ γενεηλογήσαντι ἐμεωυτόν. Als nun vormals Hekataios, der Verfasser von Prosawerken, in Theben seine eigene Genealogie vortrug und seine Herkunft väterlicherseits im sechzehnten Glied an einem Gott festmachte, taten die Priester des Zeus dasselbe, was sie mit mir getan haben, der ich meine Genealogie nicht vortrug.
Bemerkenswert an diesem die Erzählung einleitenden Satz ist die syntaktische Rahmung der Priester des Zeus im Nominativ (οἱ ἱρέες τοῦ Διὸς) durch Hekataios auf der einen und Herodot auf der anderen Seite. Außerdem fällt der damit einhergehende Kontrast zwischen den dativischen Partizipialkonstruktionen einerseits (Ἑκαταίῳ – γενεηλογήσαντι – ἀναδήσαντι / ἐμοὶ οὐ γενεηλογήσαντι) und dem aktiven und finiten ἐποίησαν („sie taten“/„handelten“) der Priester andererseits ins Auge. Besondere Beachtung verdienen also die Handlungen der Priester.48 Nach dem Hineinführen (Ἐσαγαγόντες) in die große Halle werden leicht variierend und wiederholend die beiden Haupthandlungen der Priester betont: das Aufzählen und Zeigen (ἐξηρίθμεον δεικνύντες)49 der vielen großen Bilder aus Holz, die
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Cf. den hervorragenden Beitrag von Moyer (2002) 70–90, der anhand spätägyptischer Belege wie priesterlicher Genealogien und Statuen mit genealogischen Inschriften auf die archaisierenden Tendenzen der Priesterschaft hinweist. Moyer (2002) 78 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Priester als „the agents in this encounter“. Hdt. 2.143.2 ἐξηρίθμεον δεικνύντες und Hdt. 2.143.3 ἀριθμέοντες ὦν καὶ δεικνύντες οἱ ἱρέες ἐμοὶ ἀπεδείκνυσαν (…).
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Herodot zuvor in Hdt. 2.142.1 erwähnt hatte. Die Anzahl und den Ursprung dieser hölzernen Bilder erklärt Herodot so, dass dort (αὐτόθι) jeder Oberpriester (ἀρχιερεὺς γὰρ ἕκαστος) zu seinen Lebzeiten ein Bild von sich (εἰκόνα ἑωυτοῦ) aufstelle. Herodot stellt in der Erzählung zuerst seine eigene Begegnung und Erfahrung mit den Priestern voran, bevor er auf die Reaktion der Priester auf Hekataios zu sprechen kommt (Hdt. 2.143.3–4): ἀριθμέοντες ὦν καὶ δεικνύντες οἱ ἱρέες ἐμοὶ ἀπεδείκνυσαν παῖδα πατρὸς ἑωυτῶν ἕκαστον ἐόντα, ἐκ τοῦ ἄγχιστα ἀποθανόντος τῆς εἰκόνος διεξιόντες διὰ πασέων, ἐς οὗ ἀπέδεξαν ἁπάσας αὐτάς. Ἑκαταίῳ δὲ γενεηλογήσαντι ἑωυτὸν καὶ ἀναδήσαντι ἐς ἑκκαιδέκατον θεὸν ἀντεγενεηλόγησαν ἐπὶ τῇ ἀριθμήσι, οὐ δεκόμενοι παρ’ αὐτοῦ ἀπὸ θεοῦ γενέσθαι ἄνθρωπον. Indem sie sie mir aufzählten und zeigten, wiesen die Priester nach, dass ein jeder von ihnen der Sohn seines Vaters war,50 wobei sie von dem Bild des zuletzt Verstorbenen alle der Reihe nach durchgingen, bis sie sie alle gezeigt hattten. Dem Hekataios aber, der seine eigene Genealogie vortrug und seine Herkunft im sechzehnten Glied an einem Gott festmachte, stellten sie ihre genealogischen Betrachtungen gegenüber und nahmen von ihm nicht die Meinung an, dass von einem Gott ein Mensch abstammen könne.
Während die erste Schilderung bereits einen Eindruck vom Selbstverständnis und der Praxis der Priester gibt, tritt bei der Begegnung des Hekataios mit den Priestern deutlich ihre Distanzierung und ihr Widerspruch gegenüber dessen Behauptung hervor. Zugleich wird von Herodot durch die Verwendung des finiten Verbs ἀντεγενεηλόγησαν (von ἀντιγενεηλογέω) für die Reaktion der Priester die Ähnlichkeit und Kompetition mit Hekataios bei dieser „Gegenrechnung“ der Ahnen betont. Die „Gegenrechnung“ der Priester erfolgt nun in einer leicht variierenden und nuancierten Version, die Herodot zu Beginn mit der indirekten Rede als eine Behauptung (φάμενοι) der Priester einleitet. Durch diese Erzählweise tritt zum einen der repetitive Charakter der Handlung klar hervor, zum anderen kann sich Herodot so als Erzähler besser distanzieren (Hdt. 2.143.4): […] φάμενοι ἕκαστον τῶν κολοσσῶν πίρωμιν ἐκ πιρώμιος γεγονέναι, ἐς ὃ τοὺς πέντε καὶ τεσσεράκοντα καὶ τριηκοσίους ἀπέδεξαν κολοσσοὺς [πίρωμιν ἐκ πιρώμιος γενόμενον], καὶ οὔτε ἐς θεὸν οὔτε ἐς ἥρωα ἀνέδησαν αὐτούς. Πίρωμις δέ ἐστι κατ’ Ἑλλάδα γλῶσσαν καλὸς κἀγαθός. Ἤδη ὦν τῶν αἱ εἰκόνες ἦσαν, τοιούτους ἀπεδείκνυσάν σφεας πάντας ἐόντας, θεῶν δὲ πολλὸν ἀπαλλαγμένους.
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Cf. dazu die ägyptischen Wendungen, die Moyer (2002) 77–8 mit weiterführender Literatur anführt. Moyer stellt ebd. 78 fest: „This statue, then, not only, exemplifies a written representation of the past, but also provides evidence of an oral tradition of genealogies which covered the full extent of human time“.
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Jede einzelne von den großen Statuen, sagten sie, sei „ein Piromis von einem Piromis“ gewesen, bis sie die dreihundertfünfundvierzig Standbilder nachgewiesen hatten, und sie machten sie weder an einem Gott noch an einem Heros fest. „Piromis“ aber heißt auf Griechisch „edel und vortrefflich“. Solcher Art, wiesen sie nach, seien alle gewesen, deren Bilder es hier gebe, aber von Göttern weit entfernt.
Durch diese Erzählweise präsentiert Herodot die ägyptische Perspektive der Priester, in diesem Fall sogar mit einem ägyptischen Konzept (πίρωμις)51, das er mit einem griechischen Ausdruck (καλὸς κἀγαθός) zu erhellen und zu übersetzen versucht.52 Wichtig ist die zweifache Wendung gegen Hekataios: zum einen durch den deiktischen Aufweis der Priester, indem sie die von ihnen gegebene Genealogie weder mit einem Gott noch mit einem Heros verknüpfen, zum anderen durch die variierende Erklärung, dass alle Menschen, deren Bilder sie anführten, von den Göttern völlig verschieden seien (θεῶν δὲ πολλὸν ἀπαλλαγμένους). Diese letzte Äußerung bietet Herodot jedoch einen geeigneten Übergang, um einen noch tieferen Einblick in die ägyptische Frühzeit – die Zeit der Herrschaft der Götter (Hdt. 2.144.2) – geben zu können. Wiederum bedient er sich dabei der indirekten Rede. 2.3 Von den Priesterbildern zur Zeit der Götterherrschaft Wie die Analyse des religiösen Feldes53 leicht zu erkennen gibt, geht es in dieser Textpassage (2.144.1–2) um einen Diskurs über die ägyptischen Götter zu einer bestimmten Zeit. Einige von diesen werden mit ihren ägyptischen und griechischen Namen
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Cf. den Kommentar zur ägyptischen und koptischen Form von Lloyd (1988) 110: „the man“. The translation καλὸς κἀγαθός given later is based on the use of rmt, „man“, in the sense of „a man of importance“, mit Verweis auf das Wörterbuch der ägyptischen Sprache von Erman/Grapow (1926–63), Bd. II, S. 422, 10. Sicherlich kann man in Herodots Erzählweise an dieser Stelle auch eine sehr schöne erzählerische Strategie zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit sehen. Es ist zu bemerken, dass bei der Reaktion und „Erklärung“ der Priester auch Fragen offenbleiben: Wo und wann entstehen nun die Menschen? In welcher Verbindung stehen diese letztlich zu den Göttern? Cf. dazu auch Darbo-Peschanski (1987) 26–7, die ebd. 27 feststellt: „(…) mais à aucun moment les prêtres ne consentent à expliquer d’où viennent les hommes, encore moins à dire qu’ils naissent des dieux. Or quelle est la position de l’enquêteur dans le débat qui lui est soumis? Certes, il n’approuve pas explicitement les prêtres égyptiens mais, avec beaucoup d’ironie, il prend ses distances vis-à-vis d’Hécatée et manifeste en tout cas le peu d’intérêt qu’il porte à une recherche généalogique qui aurait pour but de se donner des ancêtres divins […].“ Ausdrücke, die das religiöse Feld (Hdt. 2.144.1–2) markieren: πάντας ἐόντας, θεῶν δὲ πολλὸν ἀπαλλαγμένους / Τὸ δὲ πρότερον τῶν ἀνδρῶν τούτων θεοὺς εἶναι τοὺς ἐν Αἰγύπτῳ ἄρχοντας / Ὕστατον δὲ αὐτῆς βασιλεῦσαι Ὦρον τὸν Ὀσίριος παῖδα, τὸν Ἀπόλλωνα Ἕλληνες ὀνομάζουσι / τοῦτον καταπαύσαντα Τυφῶνα βασιλεῦσαι ὕστατον Αἰγύπτου / Ὄσιρις δέ ἐστι Διόνυσος κατὰ Ἑλλάδα γλῶσσαν.
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angeführt. Herodot gibt diese Ausführungen in der indirekten Rede als Äußerungen der Priester wieder. Nachdem die Priester zuletzt anhand der Bilder deutlich den Unterschied zwischen Menschen und Göttern betont hatten, kommen sie nun auf die Zeit vor (τὸ δὲ πρότερον) den zuletzt genannten menschlichen Königen Ägyptens zu sprechen (Hdt. 2.144.2). Τὸ δὲ πρότερον τῶν ἀνδρῶν τούτων θεοὺς εἶναι τοὺς ἐν Αἰγύπτῳ ἄρχοντας οἰκέοντας ἅμα τοῖσι ἀνθρώποισι, καὶ τούτων αἰεὶ ἕνα τὸν κρατέοντα εἶναι. Ὕστατον δὲ αὐτῆς βασιλεῦσαι Ὧρον τὸν Ὀσίριος παῖδα, τὸν Ἀπόλλωνα Ἕλληνες ὀνομάζουσι· τοῦτον καταπαύσαντα Τυφῶνα βασιλεῦσαι ὕστατον Αἰγύπτου. Ὄσιρις δέ ἐστι Διόνυσος κατὰ Ἑλλάδα γλῶσσαν. Vor diesen Menschen freilich seien Götter die Herrscher in Ägypten gewesen, die zusammen mit den Menschen gelebt hätten; und einer von ihnen sei immer der Gebieter gewesen. Als letzter habe über Ägypten Horus regiert, der Sohn des Osiris, der bei den Griechen Apollon heißt. Dieser habe die Herrschaft des Typhon beendet54 und sei als letzter (Gott) König von Ägypten gewesen. Osiris ist Dionysos auf Griechisch.
Mit dieser Äußerung über die Existenz der Götter zu einer Zeit, als diese in Ägypten regierten und mit den Menschen zusammenlebten, wird von den ägyptischen Priestern eine noch tiefere Zeitdimension angeführt.55 In dieser Vorzeit, die der eigentlichen Königszeit der Menschen vorangegangen sei, soll jeweils einer von den Göttern geherrscht haben. Die Bestandteile dieser Erzählung, wie die „Herrschaft“ und vorgeschichtliche „Zeit der Götter“ sowie die drei angeführten Götternamen Osiris (= Dionysos), Typhon (= Seth)56 und zuletzt Horus (= Apollon) sind vor dem ägyptischen religionsgeschichtlichen Hintergrund sehr sinnvolle und prägnante Ausführungen.57 Insbesondere die Stellung des Gottes Horus als letzten (ὕστατον) König vor den menschlichen Königen ist treffend, da sich das Königtum im Wesentlichen von ihm herleitete.58 Von erzähltechnischem und religionsgeschichtlichem Interesse ist nun, dass durch diese Bezugnahme auf die Vorzeit der ägyptischen Götter eine noch frühere Zeit in 54 55 56 57 58
Cf. zum Konflikt zwischen Horus und Seth Griffiths (1960), bes. „Horus and Seth as Divine Kings“, 96–8. Cf. zu den Angaben der Herrschaft der Götter vor der historischen Zeit Quack (2002) 44 ff. Cf. zur Identifikation Typhons mit Seth Kolta (1968) 161–8 und Lloyd (1988) 111. Cf. die Erläuterung und Übersicht bei Lloyd (1988) 110–12 sowie den informativen Art. „Götterdynastien“ von Kees in Bonnet (1952) 228–30. Lloyd (1988) 111 kommentiert: „However much the theologians might manipulate the list elsewhere, they could not alter the cardinal fact that Horus was the last of the Divine Kings. This was the basis of the whole theory of Eg. Kingship. The King ruled as the incarnation of Horus on earth.“ Kees bemerkt zu „Horus“ ebd. in Bonnet (1952) 230: „Als wesentlicher Bestandteil zeigt sich überall die Herleitung des Königtums von Horus, weil sie unlösbar an die geschichtliche Reichseinigung durch das oberäg. Königtum von Hierakonpolis gebunden war. Deshalb erscheint Horus trotz aller Konstruktionen und Einschübe stets am Schluß der Götterdynastien.“
2. An den Grenzen der Zeit
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den Blick kommt, die nach Herodots Erörterungen im ersten Teil des zweiten Buches (Hdt. 2.42–53) nun nochmals die komparative Frage nach dem Alter der ägyptischen Götter im Vergleich zu den griechischen als Problem artikuliert. 2.4 Zeit und Alter der Götter bei Ägyptern und Griechen Herodot widmet sich im Folgenden vor allem einem „Altersvergleich“ der „jüngsten Götter“ bei den Griechen und bei den Ägyptern: Herakles, Dionysos und Pan. Während Pan bei den Ägyptern als uralt und einer der ersten „Acht-Götter“ und Herakles der zweiten Generation zugerechnet als einer der „zwölf Götter“ angesehen werde, zähle man Dionysos zur dritten Generation, die aus den zwölf Göttern hervorgegangen seien. Bereits die Betrachtung des einleitenden Satzes zeigt, dass es vornehmlich um den Vergleich der genannten Götter und deren Alter bei Griechen und Ägyptern geht (Hdt. 2.145.1): Ἐν Ἕλλησι μέν νυν νεώτατοι τῶν θεῶν νομίζονται εἶναι Ἡρακλέης τε καὶ Διόνυσος καὶ Πάν, παρ’ Αἰγυπτίοισι δὲ Πὰν μὲν ἀρχαιότατος καὶ τῶν ὀκτὼ τῶν πρώτων λεγομένων θεῶν, Ἡρακλέης δὲ τῶν δευτέρων τῶν δυώδεκα λεγομένων εἶναι, Διόνυσος δὲ τῶν τρίτων, οἳ ἐκ τῶν δυώδεκα θεῶν ἐγένοντο. Bei den Griechen nun gelten als die jüngsten Götter Herakles, Dionysos und Pan; bei den Ägyptern dagegen ist Pan der älteste Gott und gehört zu den acht, die die ersten Götter genannt werden. Herakles dagegen gehört zu dem zweiten Götterkreis, die die zwölf genannt werden, und Dionysos zu dem dritten, der aus den zwölf Göttern entstand.
Diese Gegenüberstellung dessen, was unter Griechen (Ἐν Ἕλλησι μέν) und was bei Ägyptern (παρ’ Αἰγυπτίοισι δὲ) über die drei Götter angenommen oder geglaubt werde (νομίζονται), verdeutlicht von Anfang an den Vergleich, den Herodot im Folgenden durchführt. Nachdem er sich zuerst über das Alter jedes der drei Götter aus der Perspektive der Ägypter äußert (Ἡρακλέϊ μὲν δὴ ὅσα αὐτοὶ Αἰγύπτιοί φασι εἶναι ἔτεα ἐς Ἄμασιν βασιλέα (…) Πανὶ δὲ ἔτι τούτων πλέονα λέγεται εἶναι, Διονύσῳ δ’ ἐλάχιστα τούτων Hdt. 2.145.2) stellt er bei dem „jüngsten“ dieser Götter, Dionysos, fest, dass die Ägypter für ihn 15000 Jahre bis zu König Amasis ausrechneten (πεντακισχίλια καὶ μύρια λογίζονται εἶναι ἐς Ἄμασιν βασιλέα). Nach dieser eindrucksvollen Präsentation lenkt Herodot nun die Aufmerksamkeit auf den Wissensanspruch, der dabei von den Ägyptern erhoben wird, indem er wiederum in indirekter Rede mit zwei Partizipialkonstruktionen betont (Hdt. 2.145.3): Καὶ ταῦτα Αἰγύπτιοι ἀτρεκέως φασὶ ἐπίστασθαι, αἰεί τε λογιζόμενοι καὶ αἰεὶ ἀπογραφόμενοι τὰ ἔτεα.
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V. Religion in der Zeit
Und dies, behaupten die Ägypter, wüssten sie genau, da sie beständig die Jahre berechnen und beständig aufschreiben.
Durch die indirekte Rede kann sich Herodot von der Kalkulation distanzieren. Die parallel konstruierten Partizipialkonstruktionen im Präsens (αἰεί τε λογιζόμενοι καὶ αἰεὶ ἀπογραφόμενοι) begründen den Wissensanspruch der Ägypter. Kontinuierlich erfolgtes Zählen (λογιζόμενοι) und kontinuierliche schriftliche Dokumentation der Jahre (ἀπογραφόμενοι τὰ ἔτεα) werden für den Wissensanspruch der Ägypter angeführt. Die behauptete Kontinuität der schriftlichen Tradition wird durch die Wiederholung von αἰεὶ unterstrichen. Durch die Mehrdeutigkeit der Partizipialkonstruktionen im Griechischen wird zugleich dezent auf die mögliche Ambivalenz der Begründung dieses Wissensanspruchs hingewiesen. Im Folgenden stellt Herodot prägnant und notizenartig diesen ägyptischen Zahlen und Zeiträumen die teils vagen Vorstellungen der Griechen gegenüber (Hdt. 2.145.4).59 Auch in diesem Fall referiert er distanziert (Διονύσῳ μέν (…) λεγομένῳ γενέσθαι, λέγεται γενέσθαι) die angesetzten Zeiträume für das Alter der drei „Götter“ bis zu seiner Gegenwart (ἐς ἐμέ), die ihm als Bezugspunkt dient: – Dionysos, geboren von Semele, des Kadmos Tochter, ca. 1000 Jahre vor Herodot; – Herakles, Sohn von Alkmene, ca. 900 Jahre vor Herodot; – Pan, Penelopes und Hermes’ Sohn, jünger als der trojanische Krieg, ca. 800 Jahre vor Herodot.60 Diese wenigen Angaben genügen, um ermessen zu können, wie Herodot an dieser Stelle die gravierenden Unterschiede zwischen den ägyptischen und griechischen Vorstellungen bezüglich des Alters dieser Götter offenlegt. Bemerkenswert ist der anschließende Kommentar Herodots, in dem er – sich an den Zuhörer oder Leser wendend – betont (Hdt. 2.146.1): Τούτων ὦν ἀμφοτέρων πάρεστι χρᾶσθαι τοῖσί τις πείσεται λεγομένοισι μᾶλλον· ἐμοὶ δ’ ὦν ἡ περὶ αὐτῶν γνώμη ἀποδέδεκται. Was nun diese beiden Versionen betrifft, so mag man derjenigen folgen, deren Darstellung man lieber Glauben schenken möchte; meine eigene Meinung darüber habe ich bereits dargelegt.
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Hdt. 2.145.4 Διονύσῳ μέν νυν τῷ ἐκ Σεμέλης τῆς Κάδμου λεγομένῳ γενέσθαι κατὰ χίλια [ἑξακόσια] ἔτεα [καὶ] μάλιστα ἔστι ἐς ἐμέ, Ἡρακλέϊ δὲ τῷ Ἀλκμήνης κατὰ εἰνακόσια ἔτεα, Πανὶ δὲ τῷ Πηνελόπης (ἐκ ταύτης γὰρ καὶ Ἑρμέω λέγεται γενέσθαι ὑπὸ Ἑλλήνων ὁ Πάν) ἐλάσσω ἔτεα ἔστι τῶν Τρωικῶν, κατὰ ὀκτακόσια μάλιστα ἐς ἐμέ. Cf. zu diesen Datierungen und Synchronien Lloyd (1975) 177–181 und Lloyd (1988) 112.
3. Zeitliche Perspektiven bei der Verehrung des Pan
171
Es schließt sich noch eine weitere hypothetische Argumentation Herodots an (Hdt. 2.146.1–2)61, die jedoch nichts mehr an seiner grundsätzlichen Einschätzung ändert. Zuletzt schließt er mit einer ringkompositorischen Anspielung auf die genealogische Tätigkeit des Hekataios und einer wichtigen Bezugnahme auf eine bestimmte Zeit bei den Griechen (Hdt. 2.146.2): δῆλα ὦν μοι γέγονε ὅτι ὕστερον ἐπύθοντο οἱ Ἕλληνες τούτων τὰ οὐνόματα ἢ τὰ τῶν ἄλλων θεῶν· ἀπ’ οὗ δὲ ἐπύθοντο χρόνου, ἀπὸ τούτου γενεηλογέουσι αὐτῶν τὴν γένεσιν. So ist für mich klar, dass die Griechen die Namen dieser beiden noch später erfahren haben als die der anderen Götter: Die Zeit, in der sie von ihnen erfahren haben, nehmen sie als Zeit ihrer Geburt an.
Mit dieser auffälligen ringkompositorischen Anspielung auf die zu Beginn dieses Abschnitts geschilderte Tätigkeit des Hekataios beendet Herodot diesen Exkurs über die unterschiedlichen Zeitvorstellungen von Griechen und Ägyptern über das Alter der Götter. In dieser letzten Äußerung wird nochmals die Annahme Herodots deutlich, dass die Griechen den Zeitraum, in dem sie von den Namen der Götter erfahren hätten, mit ihrer Entstehung gleichsetzen. Die in der vorausgehenden Argumentation markant artikulierten Unterschiede zwischen Ägyptern und Griechen bezüglich des Alters und der Zeit nicht nur dieser drei Götter sprechen für sich. Sie veranschaulichen die zeitliche Asymmetrie zwischen der uralten religiösen Welt Ägyptens und dem im Vergleich dazu jungen Alter der Götter in Griechenland. 3. Zeitliche Perspektiven bei der Verehrung des Pan Dass Herodot nicht nur in den mehr „historischen“ Passagen der Historien zeitliche Perspektiven thematisiert, soll am nun folgenden Textbeispiel aus dem ersten Teil des zweiten Buches veranschaulicht werden. Anhand einer kurzen Episode (Hdt. 2.46), die Herodot im Rahmen der Nomoi der Ägypter schildert, soll nun die Aufmerksamkeit auf einen der oben genannten drei Götter gerichtet werden: Pan. Dabei werden drei zeitliche Perspektiven des religiösen Feldes zum Vorschein kommen. Wie bereits
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Darin geht es in Kürze um die Entstehungsgeschichten des Dionysos und Pan, die er mit den Erzählungen über das bekannte öffentliche Leben und Altern des Herakles in Griechenland vergleicht. Lloyd (1988) 146 bemerkt: „Here H. indicates that he is concerned to defend the position defined earlier in Book II on the relationship between the two groups of mythological beings discussed in Hdt. 2.145, viz. that Herakles, Dionysus and Pan are e. g. gods who have been imported into Greece and that the dates for their births current in Greece (Hdt. 2.145.4) are simply a reflection of the dates at which they were introduced there (cf. n. Hdt. 2.50.1).“ Cf. Hdt. 2.146.1–2, und zu dieser Argumentation Lloyd (1988) 113–4 sowie Asheri/Lloyd (2007) 346–7.
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V. Religion in der Zeit
die Textpassage innerhalb der ägyptischen Nomoi nahelegt, finden sich die zeitlichen Perspektiven insbesondere neben sozialen, rituellen und ästhetischen Aspekten des religiösen Feldes, das durch mehrere Ausdrücke konstituiert wird.62 Im Rahmen seiner Ausführungen zu den Opferpraktiken und Opfertabus kommt Herodot im Anschluss an seine Erörterung ägyptischer und griechischer Vorstellungen über Herakles63 nun auf die Verehrung des Pan zu sprechen.64 Ausgangspunkt ist der zuvor (Hdt. 2.42.2–3) erwähnte Brauch einiger Ägypter, namentlich „aller, die ein Heiligtum des Mendes besitzen“ oder im mendesischen Gau wohnen, keine Ziegen und Böcke zu opfern (Τὰς δὲ δὴ αἶγας καὶ τοὺς τράγους τῶνδε εἵνεκα οὐ θύουσι).65 An dieser Passage (Hdt. 2.46) lassen sich exemplarisch drei zeitliche Perspektiven auf das religiöse Feld hervorheben. 3.1 Eine ägyptische Zeitdimension Im Rahmen seiner nun folgenden Erklärung (Hdt. 2.46) geht Herodot auf die erste zeitliche Dimension ein: Er führt zuerst aus, dass die Mendesier Pan zu den acht Göttern zählen (λογίζονται).66 Umsichtig und in indirekter Rede (φασι) gibt er daraufhin die Behauptung der Ägypter wieder, dass diese acht Götter „früher als die zwölf Götter“ (προτέρους τῶν δυώδεκα θεῶν) gewesen seien. Diese erste zeitliche Perspektive auf das religiöse Feld, die an dieser Stelle einen theologischen Bezug hat, wird deutlich als eine ägyptische Vorstellung gekennzeichnet, die dem Leser aus dem vorausgehenden Abschnitt über Herakles bekannt ist. Herodot bemerkt zuvor über Herakles (Hdt. 2.43.4), dass dieser bei den Ägyptern ein sehr alter Gott sei (ἀλλά τις ἀρχαῖός ἐστι θεὸς Αἰγυπτίοισι Ἡρακλέης), indem er die folgende Behauptung und Berechnung der Ägypter wiedergibt (Hdt. 2.43.4): ὡς δὲ αὐτοὶ λέγουσι, ἔτεά ἐστι ἑπτακισχίλια καὶ μύρια ἐς Ἄμασιν βασιλεύσαντα, ἐπείτε ἐκ τῶν ὀκτὼ θεῶν οἱ δυώδεκα θεοὶ ἐγένοντο τῶν Ἡρακλέα ἕνα νομίζουσι.
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Zu diesen Ausdrücken zählen die folgenden: οὐ θύουσι / Τὸν Πᾶνα τῶν ὀκτὼ θεῶν λογίζονται εἶναι οἱ Μενδήσιοι / τοὺς δὲ ὀκτὼ θεοὺς τούτους προτέρους τῶν δυώδεκα θεῶν φασι γενέσθαι / οἱ ἀγαλματοποιοὶ τοῦ Πανὸς τὤγαλμα / οὔτι τοιοῦτον νομίζοντες εἶναί μιν ἀλλ’ ὁμοῖον τοῖσι ἄλλοισι θεοῖσι / Σέβονται δὲ πάντας τοὺς αἶγας οἱ Μενδήσιοι / τὸ τέρας. Cf. Gödde (2007) 75–6. Cf. zu Pan Borgeaud (1979 frz., engl. 1988). Während in Hdt. 2.42.2 nur von Ziegen die Rede ist (ὅσοι δὲ τοῦ Μένδητος ἔκτηνται ἱρὸν ἢ νομοῦ τοῦ Μενδησίου εἰσί, οὗτοι δὲ αἰγῶν ἀπεχόμενοι ὄϊς θύουσι.), nennt Herodot in Hdt. 2.46.1 Ziegen und Böcke (Τὰς δὲ δὴ αἶγας καὶ τοὺς τράγους τῶνδε εἵνεκα οὐ θύουσι Αἰγυπτίων οἱ εἰρημένοι.). Cf. zu dem Widder von Mendes insgesamt Bonnet (1952) 869–71.
3. Zeitliche Perspektiven bei der Verehrung des Pan
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Wie sie selber sagen, sind es bis zur Regierungszeit des Amasis siebzehntausend Jahre, seitdem aus den acht Göttern die zwölf Götter hervorgingen, als einen von welchen sie Herakles ansehen.
Auf diese als ägyptisch markierte, theologische Vorstellung der Genese der Zwölfgötter aus den vorausgehenden Achtgöttern kann sich Herodot nun auch bei seiner Bemerkung über Pan beziehen. Er zeigt an, dass Pan in der ägyptischen theologischen Tradition zum Stadium der Acht-Götter gerechnet wird, die früher als die Zwölfgötter angesetzt werden.67 In der zweiten Hälfte des zweiten Buches wird Herodot ausführlich auf diese ägyptische Chronologie der frühesten und späteren Götter eingehen.68 Wichtig ist an dieser Stelle, dass diese erste zeitliche Perspektive den Ägyptern zugeschrieben wird und auf eine frühgeschichtliche Zeit verweist. Im folgenden Satz kommt Herodot nun auf die ästhetische Dimension und damit die ikonographische Erscheinung des Pan in Weihbildern (τοῦ Πανὸς τὤγαλμα) zu sprechen. Sowohl Maler als auch diejenigen, die das Weihbildnis des Pan in Stein meißeln, würden diesen genauso wie die Griechen (κατά περ Ἕλληνες) ziegenköpfig und bocksbeinig darstellen. Herodots folgender Kommentar dazu enthält zwei Einschränkungen, die einerseits die Ägypter, andererseits seine eigene Mitteilungsfreude – seine erste sogenannte „Aposiopese“69 – betrifft (Hdt. 2.46.2): […] οὔτι τοιοῦτον νομίζοντες εἶναί μιν ἀλλ’ ὁμοῖον τοῖσι ἄλλοισι θεοῖσι· ὅτευ δὲ εἵνεκα τοιοῦτον γράφουσι αὐτόν, οὔ μοι ἥδιόν ἐστι λέγειν. […] dabei glauben sie freilich nicht, dass er so aussieht, sondern dass er den übrigen Göttern ähnlich ist. Weswegen sie ihn aber so darstellen, möchte ich lieber nicht sagen.
Herodot erklärt zuerst, dass die Ägypter trotz der tierhaften Darstellungsweise des Pan nicht glaubten, dass dieser Gott so beschaffen sei. Bei der Frage nach dem „Warum“ der Darstellung, die wohl theologische und mythische Erzählungen verlangen würde, äußert er sich zum ersten Mal im zweiten Buch mit markierter Zurückhaltung, einer so genannten „Aposiopese“. Auf diese Bemerkung folgt ein regelrechter Sprung sowohl in zeitlicher als auch thematischer Hinsicht.
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Cf. zu dieser Chronologie Bichler (2018) 79–83, der die Aufmerksamkeit auf die Verknüpfung der ägyptischen mit der griechischen Chronologie lenkt. Zum Problem, ob und wie Mendes Teil der Achtgötter gewesen sein könnte cf. Lloyd (1976) 214–5 und Bonnet (1952) 869–71. Cf. dazu Hdt. 2.145.2 und die vorausgehende Analyse. Cf. zur rhetorischen Funktion von Aposiopesen Lexikon der Rhetorik, Ueding. Zu den zwölf Aposiopesen des zweiten Buches cf. Linforth (1924) 269–292, Harrison (2000) 184–6, Gödde (2007) 57–61 und Bichler (2013).
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V. Religion in der Zeit
3.2 Eine Zeit des Rituals Nach seiner artikulierten Zurückhaltung führt Herodot mit Blick auf die sozialen und rituellen Aspekte weiter aus, dass die Mendesier alle Ziegen verehrten (σέβονται), und insbesondere die Böcke mehr als die weiblichen Ziegen. Als Indikator für die hohe Wertschätzung gegenüber den Ziegen konstatiert er, dass sie auch die Ziegenhirten in Ehren hielten. An diese soziale Betrachtung schließt sich nun die zweite zeitliche Perspektive in der folgenden Formulierung an (Hdt. 2.46.3) ἐκ δὲ τούτων ἕνα μάλιστα, ὅστις ἐπεὰν ἀποθάνῃ, πένθος μέγα παντὶ τῷ Μενδησίῳ νομῷ τίθεται. Von diesen (Ziegenböcken) ehren sie einen am meisten, und wenn er stirbt, gibt dies dem ganzen Gau von Mendes Anlass zu großer Trauer.
Herodots Äußerung ist mit Blick auf die zeitliche Artikulation von besonderem Interesse, da er durch die Verwendung der Konjunktion ἐπεὰν mit dem Aorist-Konjunktiv auf die iterative und rituelle Dimension des Geschehens – die festgesetzte Trauer – hinweisen kann, die regelhaft im Mendesischen Gau beim Tod des ausgewählten Bockes eintrete. Mit dieser zeitlichen Perspektive in direkter Rede leitet er über von der durch die Ägypter vermittelten Perspektive auf die Frühzeit der Götter zur Gegenwart, in der wohl klare Regeln und Rituale für den Todesfall des Mendesischen Bockes auszumachen sind. 3.3 Ein Zeichen in der Gegenwart Nachdem Herodot nun weiter erläutert, dass die Bezeichnung für „Bock“ und für „Pan“ in ägyptischer Sprache „Mendes“ sei,70 beschließt er seine Erzählung mit einer letzten Bezugnahme auf seine eigene Zeit und das folgende „Wunder“(zeichen) (τοῦτο τὸ τέρας), das sich „zu seiner Zeit“ (ἐπ’ ἐμεῦ) in diesem Gau ereignet habe: der Bock habe sich mit einer Frau in der Öffentlichkeit vereinigt (γυναικὶ τράγος ἐμίσγετο ἀναφανδόν) und jeder habe davon mitbekommen. Wichtig an dieser vorletzten Bemerkung Herodots scheint mir zum einen ihr Gegenwartsbezug (ἐπ’ ἐμεῦ), durch den Herodot eine zeitliche Rahmung der ganzen Episode bildet: Ausgehend von der frühzeitlichen Verortung des Pan im ägyptischen Pantheon mehr als 15000 Jahre zuvor, über das rituelle und immer wiederkehrende Geschehen der angesetzten Trauer nach dem Tod eines bestimmten verehrten Gottes, gelingt es Herodot zuletzt mit der kurzen Erzählung über das sich ereignende „Wun-
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Cf. Bonnet (1952) 869–71.
4. Religiöser Wandel
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derzeichen“ zum Schluss den Bezug zu seiner Gegenwart und Präsenz in Ägypten zu schaffen. Durch seine Bemerkung bezüglich der sexuellen Handlung zwischen dem Bock und der Frau kann er zum anderen zugleich die Ambivalenz des religiösen Gegenstandes hervorheben.71 4. Religiöser Wandel Religiöser Wandel und insbesondere die Betrachtung und Analyse von Faktoren religiösen Wandels sind ein wichtiger Bestandteil jedes religionsgeschichtlichen Interesses und damit auch ein Teil religionsgeschichtlicher Darstellungen.72 Die jeweiligen Faktoren, die religiösen Wandel bedingen, lassen sich unterschiedlich klassifizieren.73 Eine mögliche Unterscheidung ist z. B. die zwischen endogenen/internen und exogenen/externen Faktoren. Unter endogenen Faktoren sind solche Ursachen des Religionswandels zu verstehen, „die innerhalb des jeweiligen kulturellen Kontextes wirken, in dem eine Religion beheimatet ist“; exogene Faktoren hingegen „wirken von außen her“ darauf ein.74 Im Hinblick auf die Praxis ist jedoch zu betonen, dass „sich die Ursachen des Religionswandels in mannigfacher Form“ bedingen und „vielfach ineinander verwoben“ sind.75 Anhand ausgewählter Textbeispiele werde ich zeigen, dass und wie Herodot von Faktoren religiösen Wandels in Ägypten erzählt. Angesichts der Behauptung der Priester (in Hdt. 2.142.4) von der scheinbaren Unveränderlichkeit des Lebens in Ägypten während der 11340 Jahre dauernden Herrschaft der Könige, ist die Aufmerksamkeit Herodots für den religiösen Wandel, der mit der Königsherrschaft einhergeht, von besonderem Interesse. Die folgende Untersuchung veranschaulicht, wie Herodot die Aufmerksamkeit auf bestimmte Faktoren religiösen Wandels lenkt und wie er ihn beschreibt. Bei den Fallbeispielen konzentriere ich mich auf Beispiele für religiösen
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Cf. zu Mendes und den Frauen Lloyd (1976) 216, Derchain (1999) 20–23 sowie zur vielfältigen Rezeptionsgeschichte des Mendesischen Bockes Volokhine (2011) 627–647. Cf. zum religiösen Wandel Hock (2002) 38–53, zu den Faktoren religiösen Wandels ebd. bes. 44–9. Hock (2002) 44: „Die religionsgeschichtliche Forschung im engeren Sinne ist insbesondere am Wandel der Religionen interessiert. Um ihn angemessen zu beschreiben, muss sie zunächst danach fragen, welche Faktoren dafür verantwortlich sind.“ Cf. Hock (2002) 45. Hock (2002) 45. Wie Hock verwende ich diese Begriffe in einer weiten Bedeutung, so dass auch das Umfeld der Religionen mitberücksichtigt ist. Hock macht ebd. 45 darauf aufmerksam, dass innerhalb dieser beiden Gruppen nochmals unterschieden werden kann „zwischen ‚religiösen‘ Faktoren im engeren Sinne und ‚kontextuellen‘ Faktoren, also solchen, die Auswirkungen nichtreligiöser Bedingungen auf die Religion bzw. die Religionen beschreiben.“ Diese weiteren Unterscheidungen sind sinnvoll, jedoch für das Anliegen unserer Untersuchung nicht von entscheidender Bedeutung. Hock (2002) 45.
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V. Religion in der Zeit
Wandel, der durch interne, also besonders ägyptische Faktoren, bedingt ist.76 Ein wichtiger Faktor religiösen Wandels allgemein, nach Hock „vielleicht der wichtigste“, sind Personen: sowohl „individuelle Gestalten“ als auch „kollektive Trägergruppen als Agenten des Religionswandels“.77 Könige als Agenten mit religiöser Wirksamkeit Im Folgenden soll exemplarisch gezeigt werden, dass und wie bestimmte ägyptische Könige in der Darstellung Herodots Einfluss auf das religiöse Leben Ägyptens ausgeübt haben. Von besonderem Interesse sind diejenigen Fälle, in denen diese Könige durch ihr Wirken für Umbrüche oder Veränderungen in der Religion und der Religionsgeschichte selbst verantwortlich gemacht werden. Da ich mich auf „endogene Faktoren“ konzentriere, stehen besonders die ägyptischen Könige im Vordergrund der Untersuchung. Aus Herodots Erzählung von der Abfolge der ägyptischen Könige, ausgehend von Min (Hdt. 2.99) bis zu Amasis (Hdt. 2.182),78 wähle ich an dieser Stelle drei signifikante Beispiele aus, an denen das religiöse Wirken der ägyptischen Könige deutlich wird: Rhampsinitos, Cheops und Mykerinos.79 Das Wirken dieser Könige auf das religiöse Leben in Ägypten lässt sich insbesondere an drei Bereichen ablesen: (a) der Gestaltung religiöser Architektur, (b) dem Einfluss auf das religiöse und kultische Leben sowie (c) der Gestaltung der rechtlich-sozialen Welt. 4.1 Rhampsinitos und die gute Ordnung a) Gestaltung religiöser Architektur Im Folgenden möchte ich zum einen zeigen, dass und wie Herodot in seiner Erzählung von Rhampsinitos und dem Übergang dieses Königs zu Cheops einen merklichen
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Ein Beispiel für externe/exogene Faktoren stellt die Fremdherrschaft des Äthiopiers Sabakos oder die Eroberung Ägyptens durch Kambyses dar. Cf. dazu Kapitel VII. Religion in Interaktion. Hock (2002) 45. Cf. zu den Problemen von Herodots Erzählung dieser Herrscherabfolge den Kommentar zu Hdt. 2.99 von Lloyd (1988) 1–4 sowie ders. (1988a). Die Übersetzung von αἰγυπτίους λόγους (Hdt. 2.99) mit der „Geschichte Ägyptens“ (Horneffer) ist problematisch, treffender „ägyptische Geschichten“ (Marg und Nesselrath). Für weiterführende Literatur zur Chronologie und den Synchronismen mit der griechischen Chronologie Kaiser (1967) 93–113 und Vannicelli (2001) 211–240. Das Wirken äthiopischer oder persischer (Fremd-)Herrscher über Ägypten, das Herodot ausdrücklich anzeigt, wäre ein Fall für „exogene Faktoren“ religiösen Wandels. Für die Eroberung Ägyptens unter Kambyses und dessen Aufenthalt in Ägypten cf. Kapitel VII. Religion in Interaktion.
4. Religiöser Wandel
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Wandel in der ägyptischen Religionsgeschichte beschreibt.80 Zum anderen werde ich an einigen Elementen exemplarisch veranschaulichen, wie das die Religion betreffende Wirken des Rhampsinitos in Herodots Erzählung zum Vorschein kommt. Im Anschluss an die Erzählung über Proteus kommt Herodot auf die Herrschaft des Königs Rhampsinitos zu sprechen (Hdt. 2.121.1): Πρωτέος δὲ ἐκδέξασθαι τὴν βασιληίην Ῥαμψίνιτον ἔλεγον, ὃς μνημόσυνα ἐλίπετο τὰ προπύλαια τὰ πρὸς ἑσπέρην τετραμμένα τοῦ Ἡφαιστείου, ἀντίους δὲ τῶν προπυλαίων ἔστησε ἀνδριάντας δύο, ἐόντας τὸ μέγαθος πέντε καὶ εἴκοσι πήχεων […]. Von Proteus habe, sagten (die Priester), die Königsherrschaft Rhampsinitos übernommen, der als Denkmal die nach Westen gerichtete Vorhalle des Hephaistosheiligtums hinterließ und gegenüber der Vorhalle zwei Standbilder mit einer Höhe von fünfundzwanzig Ellen aufstellte.
Herodot leitet seine Erzählung über Rhampsinitos zuerst mit den sakral-architektonischen Leistungen dieses Königs am Heiligtum des Hephaistos in Memphis ein. Die Tatsache, dass an dieser Stelle ohne die ausdrückliche Nennung von Memphis nur vom „Hephaistosheiligtum“ die Rede ist, zeigt, dass Herodot diesen Aspekt aufgrund seiner vorausgehenden Bemerkungen zu den ägyptischen Königen (Min, Moiris, Sesostris und Proteus)81 voraussetzen kann. Min (Hdt. 2.99.4), dem ersten König Ägyptens, der Memphis gegründet (κτίσαι) haben soll,82 wird zuerst die Gründung und der Bau des Heiligtums des Hephaistos (τοῦ Ἡφαίστου τὸ ἱρὸν) in Memphis (ἱδρύσασθαι ἐν αὐτῇ) zugeschrieben.83 In diesem Zusammenhang bemerkt Herodot, dass es ein großes und äußerst sehenswertes (ἐὸν μέγα τε καὶ ἀξιαπηγητότατον) Heiligtum (bzw. Tempel) sei.84 In der anschließenden Erzählung von den Königen werden nun fortlaufend verschiedene Erweiterungen dieses Heiligtums erwähnt, sodass insgesamt treffend von einem Leitmotiv oder einem Topos85 gesprochen werden kann: Nachdem z. B. unter König Moiris (Hdt. 2.101.1–2) die nördliche Vorhalle des Heiligtums (μνημόσυνα τοῦ Ἡφαίστου τὰ πρὸς βορέην ἄνεμον τετραμμένα προπύλαια) entstanden sei,86 habe Sesostris sehr große Steine zum 80
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Cf. zum Problem der Chronologie zwischen Rhampsinitos, vermutlich aus der RhamessidenDynastie (XIX. oder XX. Dynastie, Neues Reich, 1320–1069 v. Chr.) gegenüber den Pyramidenbauern Cheops, Chephren und Mykerinos aus der III.–VI. Dynastie (Altes Reich, 2686–2181 v. Chr.) Lloyd (1988) 52 und 60 und allgemein zu Herodots ägyptischer Chronologie ders. (1975) 185–94. Min, Hdt. 2.99.4, Moiris, Hdt. 2.101.2, Sesostris, Hdt. 2.108.2 und 2.110.1–3 sowie Proteus, Hdt. 2.112.1–2. Hdt. 2.99.4 (…) τοῦτο μὲν ἐν αὐτῷ πόλιν κτίσαι ταύτην ἥτις νῦν Μέμφις καλέεται (…). Cf. dazu Lloyd (1988) 10–13. Hdt. 2.99.4 (…) τοῦτο δὲ τοῦ Ἡφαίστου τὸ ἱρὸν ἱδρύσασθαι ἐν αὐτῇ, ἐὸν μέγα τε καὶ ἀξιαπηγητότατον. Cf. dazu Lloyd (1988) 16. Dazu die Anlage eines Sees und von Pyramiden.
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V. Religion in der Zeit
Heiligtum schaffen lassen (Hdt. 2.108.2) und an Denkmälern (μνημόσυνα) steinerne Standbilder (ἀνδριάντας λιθίνους, von sich und seiner Frau sowie seinen vier Söhnen) vor dem Heiligtum des Hephaistos aufstellen lassen (Hdt. 2.110.1–3).87 Bereits diese vorausgehenden Anspielungen auf das Heiligtum in Memphis – vor der Erzählung über die architektonische Leistung des Rhampsinitos – illustrieren die wichtige Funktion dieses Heiligtums als Referenzpunkt für Herodots Königsgeschichte. An der sakralen Bautätigkeit im Heiligtum von Memphis lässt sich ausgezeichnet ein erster wichtiger Aspekt des religiösen Wirkens des ägyptischen Königs ablesen. Bevor wir zum Eingangspassus über Rhampsinitos zurückkehren, sei auf die einzigartige Bedeutung der sakralen Architektur in Ägypten und insbesondere auf den Stein „als das Medium ägyptischer Erinnerung und Selbstverewigung“ hingewiesen.88 Jan Assmann, der „nach der Kulturbedeutung des Steinernen in Ägypten“ fragt, stellt fest, dass die Antworten in zwei Richtungen weisen: „in die Richtung des Staates und seiner Repräsentation, und in die Richtung der Ewigkeit, der zeitüberwindenden Dauer.“89 Seine grundlegenden Überlegungen zum Steinbau in Ägypten scheinen mir für ein besseres Verständnis von Herodots Erzählung über die ägyptischen Könige und ihre sakrale steinerne Bautätigkeit hilfreich. Denn der Steinbau stellt in Ägypten nicht nur ein Medium des kulturellen Gedächtnisses dar, „d. h. einer Überlieferung, auf die sich das Bewusstsein der Ägypter von ihrer kulturellen Einheit und Eigenart stützte“90, sondern er dient „der Realisierung einer Architektur, die sich in drei Richtungen der Formensprache des lebensweltlichen Nutzbaus in einer sehr scharf betonten Weise entgegenstellt: (a) durch ihre alles menschliche Maß übersteigende Größe, (b) durch ihren allem menschlichen Nutzen entzogenen Symbolcharakter und (c) durch ihre aller menschlichen Vergänglichkeit entzogene Dauerhaftigkeit.“91 Für Herodots Erzählung von der Königsgeschichte ist festzuhalten, dass insbesondere die Könige mit der Schaffung und „Hinterlassung“92 von steinernen Denkmälern in Erscheinung treten. Kehren wir nun wieder zurück zum Eingangspassus über Rhampsinitos: Dieser König soll am Heiligtum oder am Tempel des Hephaistos (Ptah) in Memphis als Denk-
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Hdt. 2.110.1 Μνημόσυνα δὲ ἐλίπετο πρὸ τοῦ Ἡφαιστείου ἀνδριάντας λιθίνους δύο μὲν τριήκοντα πήχεων, ἑωυτόν τε καὶ τὴν γυναῖκα, τοὺς δὲ παῖδας ἐόντας τέσσερας, εἴκοσι πήχεων ἕκαστον. Cf. die perspektivenreiche Untersuchung von Assmann (1991) 11 mit dem treffenden Titel „Stein und Zeit“, in der Assmann insbesondere (ebd.) „zwei Brennpunkte der ägyptischen Kultur“ untersucht: „den Stein als das Medium ägyptischer Erinnerung und Selbstverewigung, und die Zeit als die Dimension, in der und gegen die diese Kultur des Steinernen aufgestellt ist.“ Assmann (1991) 13. Assmann (1991) 13. Zur damit verbundenen zeitlichen Dimension bemerkt Assmann, ebd. 14: „Aus der Deutung des Steins als eines Heilswegs, der der Sehnsucht nach Unsterblichkeit entspringt, ergibt sich die Frage nach den ägyptischen Vorstellungen von Zeit und Ewigkeit“. Cf. dazu, 32–58. Assmann (1991) 22. Herodot verwendet dazu mehrmals und so auch im Fall des Sesostris den Ausdruck Μνημόσυνα δὲ ἐλίπετο, Hdt. 2.110.1.
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mäler (μνημόσυνα) zum einen die gegen Westen gerichteten Propyläen zurückgelassen haben; zum anderen ließ er gegenüber dieser Vorhalle auch zwei große Statuen (ἀνδριάντας δύο) aufstellen. Bei beiden architektonischen Schöpfungen des Rhampsinitos handelt es sich, wie sowohl die Terminologie als auch der Kontext des Heiligtums nahelegen, offensichtlich um im weitesten Sinne sakrale und „religiöse“ Architektur. Herodot betont im Anschluss (Hdt. 2.121) ausdrücklich die Verehrung einer der beiden Statuen (προσκυνέουσί τε καὶ εὖ ποιέουσι).93 Rhampsinitos wird also gleich zu Beginn – in ähnlicher Weise wie bereits die Könige Min, Moiris, Sesostris und Proteus94 – als ein kreativer Faktor für die Entwicklung und den Ausbau der ägyptischen sakralen Architektur in Memphis vorgestellt. b) Einfluss auf das religiöse und kultische Leben Darauf spricht Herodot über den großen Reichtum des Rhampsinitos und die damit verbundene Schatzhaus-Erzählung (Hdt. 2.121), in der Rhampsinitos zuletzt als ein gerechter und vertrauenswürdiger Herrscher dargestellt wird. Es folgt eine weitere Erzählung, die für unsere Leitfrage nach dem Wirken des Königs auf die Religion und die ägyptische religiöse Kultur von besonderem Interesse ist. Wie sich zeigen wird, ist die Erzählung über die so genannte „Katabasis“ des Rhampsinitos vor allem aufgrund ihrer Folgen von großem religionsgeschichtlichen Interesse (Hdt. 2.122.1): Μετὰ δὲ ταῦτα ἔλεγον τοῦτον τὸν βασιλέα ζωὸν καταβῆναι κάτω ἐς τὸν οἱ Ἕλληνες Ἀίδην νομίζουσι εἶναι, κἀκεῖθι συγκυβεύειν τῇ Δήμητρι, καὶ τὰ μὲν νικᾶν αὐτήν, τὰ δὲ ἑσσοῦσθαι ὑπ’ αὐτῆς, καί μιν πάλιν ἄνω ἀπικέσθαι δῶρον ἔχοντα παρ’ αὐτῆς χειρόμακτρον χρύσεον. Später sei dieser König – erzählten (die Priester) – lebendig hinabgestiegen in den Ort, von dem die Griechen glauben, dass er der Hades ist. Dort habe er mit Demeter gewürfelt und bald gewonnen, bald gegen sie verloren; dann sei er wieder zurückgekehrt mit einem goldenen Handtuch von ihr als Geschenk.
Von Anfang an betont Herodot, dass die Erzählung aus der Perspektive der Ägypter oder der ägyptischen Priester erfolgt. Der lebende Rhampsinitos soll in die Unterwelt hinabgestiegen und mit Demeter zum Würfelspiel zusammengetroffen sein. Interessant an Herodots Formulierung ist die bewusste Einblendung der griechischen Perspektive („[der] Ort, von dem die Griechen glauben, dass er der Hades ist“).95 Darauf
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Cf. zu den beiden Standbildern und ihrer möglichen Verehrung Lloyd (1988) 53. Cf. zu Proteus Hdt. 2.112.1 Τούτου δὲ ἐκδέξασθαι τὴν βασιληίην ἔλεγον ἄνδρα Μεμφίτην, τῷ κατὰ τὴν Ἑλλήνων γλῶσσαν οὔνομα Πρωτέα εἶναι· Τοῦ νῦν τέμενός ἐστι ἐν Μέμφι κάρτα καλόν τε καὶ εὖ ἐσκευασμένον, τοῦ Ἡφαιστείου πρὸς νότον ἄνεμον κείμενον. Cf. dazu Lloyd (1988) 43 ff. Die an dieser Stelle artikulierte griechische Perspektive ist vielleicht bereits vor der später folgenden These (Hdt. 2.123) zu sehen, dass die Griechen die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele von den Ägyptern übernommen hätten.
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sei der König wieder zurückgekehrt und habe von Demeter ein goldenes Handtuch,96 einen wohl symbolisch bedeutsamen Gegenstand, als Geschenk erhalten.97 Für die Frage nach dem König als einem wichtigen Faktor für religiösen Wandel ist der nun folgende Aspekt von besonderer Bedeutung (Hdt. 2.122.1–2): Ἀπὸ δὲ τῆς Ῥαμψινίτου καταβάσιος, ὡς πάλιν ἀπίκετο, ὁρτὴν δὴ ἀνάγειν Αἰγυπτίους ἔφασαν, τὴν καὶ ἐγὼ οἶδα ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ ἐπιτελέοντας αὐτούς· οὐ μέντοι εἴ γε διὰ ταῦτα ὁρτάζουσι ἔχω λέγειν. Aufgrund von Rhampsinitos´ Abstieg in die Unterwelt, (und) da er wieder zurückgekehrt sei, hätten die Ägypter – so sagen (die Priester) – der Demeter ein Fest gefeiert; noch heute, so weiß ich, feiern sie dieses Fest, jedoch kann ich nicht sagen, ob sie es aus diesem Grund feiern.
Abgesehen von den Fragen, die diese Erzählung wegen der möglichen ägyptischen Bezüge und auch wegen des Festes aufwirft,98 ist für die gegenwärtige Leitfrage nach dem religiösen Wirken des Herrschers zunächst festzuhalten, dass ein noch zur Zeit Herodots (ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ) veranstaltetes Fest99 mit der Katabasis des Rhampsinitos in Verbindung gebracht wird. Wiederum markiert Herodot die Erzählung über die Katabasis des Rhampsinitos deutlich als Mitteilung seiner ägyptischen Gewährsmänner. Er selbst bezeugt zwar die Existenz des Festes bis in seine Zeit (καὶ ἐγὼ οἶδα ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ), gibt jedoch ebenso klar zu erkennen, dass er selbst nicht sagen könne (οὐ μέντοι (…) ἔχω λέγειν), ob die Ägypter das Fest deswegen (εἴ γε διὰ ταῦτα) feierten. Die naheliegende Frage, ob die Katabasis-Erzählung nun als eine kultaitiologische Erzählung verstanden werden sollte, lässt Herodot offen. Interessant und wichtig für den religionsgeschichtlichen Gehalt seiner Erzählung ist jedoch, dass er sie erzählt und damit nicht weniger als eine Binnenperspektive der Ägypter auf das Fest und dessen möglichen Hintergrund mit dem ägyptischen König 96
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Es ist vielleicht kein Zufall, dass dieses Wort (χειρόμακτρον) nur an einer weiteren Stelle in den Historien, in der Erzählung von den skythischen Kriegsbräuchen nochmals vorkommt. Herodot konstatiert im Zusammenhang mit diesen Kriegsbräuchen (Hdt. 4.64), dass ein Skythe nach dem Sieg im Kampf die Köpfe seiner Besiegten, deren Haut er zuvor abziehe, zum König bringe. Nach dem Abziehen der Haut vom Schädel, dem Gerben und Kneten der Haut mit den Händen, habe er ein „Handtuch“ (χειρόμακτρον) erworben, das er an die Zügel seines Pferdes binde und groß damit tue: „Denn wer die meisten „Handtücher“ hat, der gilt als der vorzüglichste Mann.“ (Ὃς γὰρ ἂν πλεῖστα [δέρματα] χειρόμακτρα ἔχῃ, ἀνὴρ ἄριστος οὗτος κέκριται.) Lloyd in Asheri/Lloyd (2007) 328 vermutet, dass es sich bei dem „goldenen Handtuch“ um den gelben Kopfschmuck mit blauen Streifen handele, der von den ägyptischen Königen getragen worden sei. Er fügt ebd. hinzu: „Here its acquisition probably symbolizes the acquisition of the kingly office.“ Cf. dazu Lloyd (1988) 55–60 und die kritische Diskussion bei Quack (2013a) 69–74 mit weiterführender Literatur. Gemäß Lloyd (1988) 58 sind klare Parallelen zum Osiris-Fest in Khoiak gegeben. Cf. auch Lloyd zu Hdt. 2.61.1.
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mitteilt. Herodot kann also mittels dieser Erzählung veranschaulichen, dass die Einheimischen einen Zusammenhang zwischen der Katabasis des Herrschers Rhampsinitos und dem Entstehen eines (Toten-)Kultes herstellen können, obgleich er sich selbst bezüglich der kultaitiologischen Bedeutung der Erzählung skeptisch zurückhält. Diese interessante und etwas rätselhafte Eingangserzählung bildet den Hintergrund für das nun näher beschriebene Fest mit einem Ritual. Im Folgenden geht Herodot zuerst auf das Ritual des Festes (Hdt. 2.122) und darauf auf den Gehalt (Hdt. 2.123) der hinter dem Fest stehenden Lehre von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele ein.100 Zuerst schildert Herodot ein Ritual im Rahmen des Festes (Hdt. 2.122.3), bei dem einem Priester von den anderen Priestern (οἱ ἱρέες) die Augen mit einer Binde verbunden werden und er mit einem von den Priestern gefertigten Gewand auf einen Weg geführt wird, der zum Heiligtum der Demeter (ἐς ἱρὸν Δήμητρος) führt. Die anderen Priester entfernen sich nun von ihm. Darauf soll dieser Priester von zwei Wölfen zum Heiligtum der Demeter hin- und wieder weggeführt werden. Eine nähere Betrachtung der anschaulichen Beschreibung Herodots, die aus nur zwei Sätzen besteht, ist für ein besseres Verständnis lohnend (Hdt. 2.122.3): Φᾶρος δὲ αὐτημερὸν ἐξυφήναντες οἱ ἱρέες κατ’ ὦν ἔδησαν ἑνὸς ἑωυτῶν μίτρῃ τοὺς ὀφθαλμούς, ἀγαγόντες δέ μιν ἔχοντα τὸ φᾶρος ἐς ὁδὸν φέρουσαν ἐς ἱρὸν Δήμητρος αὐτοὶ ἀπαλλάσσονται ὀπίσω. Τὸν δὲ ἱρέα τοῦτον καταδεδεμένον τοὺς ὀφθαλμοὺς λέγουσι ὑπὸ δύο λύκων ἄγεσθαι ἐς τὸ ἱρὸν τῆς Δήμητρος ἀπέχον τῆς πόλιος εἴκοσι σταδίους, καὶ αὖτις ὀπίσω ἐκ τοῦ ἱροῦ ἀπάγειν μιν τοὺς λύκους ἐς τὠυτὸ χωρίον. Am Festtag selbst weben die Priester ein Gewand und verbinden einem Priester mit einer Binde die Augen und bringen ihn mit dem Gewand auf einen Weg, der zum Demeterheiligtum führt. Dann kehren sie selber um; dieser Priester aber mit den verbundenen Augen, behaupten sie, werde von zwei Wölfen zu dem Demeterheiligtum geleitet, das zwanzig Stadien von der Stadt entfernt ist, und die Wölfe brächten ihn aus dem Heiligtum auch wieder an die gleiche Ausgangsstelle zurück.
Der erste Satz mit der anschaulichen Beschreibung steht in direkter Rede, während der zweite Satz, der über die Führung des Priesters durch die Wölfe unterrichtet, durch das Verb λέγουσι („behaupten sie“) klar markiert in indirekter Rede steht. Während die anschauliche Beschreibung des Rituals eine mögliche Autopsie nicht ausschließt, lässt sich jedoch insbesondere der zweite Satz als eine Wiedergabe aus einer ägyptischen Binnenperspektive verstehen. Der syntaktische Befund (ein deutlicher Wechsel
100 Es wäre weiter zu untersuchen, wie sich dieser Passus mit den Äußerungen Herodots (insbesondere in Hdt. 2.3 und Hdt. 2.65.2) verträgt, dass er eigentlich nicht von den „theia“ berichten möchte. Denn an dieser Stelle vollzieht er in seiner Erzählung wörtlich einen „Abgang“ – den Abgang (Katabasis) des Rhampsinitos, der eine religiöse und auch doktrinär-theologische Erklärung für die Verehrung und Heilighaltung der Tiere anführt.
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von der oratio recta in die oratio obliqua) kann so verstanden werden, dass sich Herodot sprachlich bewusst vom zweiten Teil der Ritualbeschreibung distanziert. Im Anschluss an die Schilderung des Rituals gibt er einen aufschlussreichen Kommentar (Hdt. 2.123.1): Τοῖσι μέν νυν ὑπ’ Αἰγυπτίων λεγομένοισι χράσθω ὅτεῳ τὰ τοιαῦτα πιθανά ἐστι· ἐμοὶ δὲ παρὰ πάντα τὸν λόγον ὑπόκειται ὅτι τὰ λεγόμενα ὑπ’ ἑκάστων ἀκοῇ γράφω. Das, was die Ägypter erzählen, möge der annehmen, dem solche Dinge glaubhaft sind; mir liegt für meine gesamte Darstellung das Prinzip zugrunde, das niederzuschreiben, was von den jeweiligen Gewährsleuten mündlich mitgeteilt wird.101
Mit diesem Kommentar macht Herodot deutlich, dass er sich auch explizit, in einem reflektierenden weiteren Schritt, von der Erzählung distanziert und diese als eine Erzählung aus der Binnenperspektive der Ägypter charakterisiert. Er äußert sich nicht weiter über das Ritual oder zur Frage nach dem Status dieses Rituals, sondern er kommt auf das zu sprechen, was als ein charakteristisches Prinzip seiner Erzählweise bezeichnet werden kann (τὰ λεγόμενα ὑπ’ ἑκάστων ἀκοῇ γράφω): Bei seiner Erzählung lege er das zugrunde, was von jedem einzelnen gesagt wurde und er schreibe das auf, was von ihm selbst in Erfahrung gebracht wurde.102 Festzuhalten ist, dass durch die Beschreibung des Rituals im Rahmen des Festes ein Zusammenhang mit der Katabasis des Rhampsinitos nahegelegt wird. Der entscheidende Passus für die Kreativität des Königs auf dem religiösen Feld liegt gerade in der Behauptung der Priester, dass aufgrund seines Abstieges in die Unterwelt und seiner Rückkehr die Ägypter nunmehr ein Fest feiern, das sie noch bis zur Zeit Herodots ausrichten. Die Verbindung des Rituals mit dem König Rhampsinitos und dessen religiöser Wirksamkeit (qua seiner Katabasis) erscheinen aus einer ägyptischen Binnenperspektive plausibel.103 Die Priester selbst fungieren in dieser Erzählung gleichsam als „Erfinder einer Tradition“ („inventors of tradition“).
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Dieser Kommentar kann mit der Aussage in Hdt. 2.146.1 zu den ägyptischen und griechischen Vorstellungen vom Alter der Götter verglichen werden. Cf. dazu Nesselrath (2017) XXIX–XXXI. Auf diese methodische Reflexion führt Herodot nun die These an (Hdt. 2.123.2), dass die Ägypter als erste die Lehre von einer Unsterblichkeit der Seele und einer damit verbundenen Seelenwanderung vertreten hätten. Diese Lehre sei darauf von einigen Griechen, den einen früher, den anderen später, benutzt und als ihre eigene ausgegeben worden. Cf. das Argument der zeitlichen Priorität. Dieser Aspekt, den ich in diesem Zusammenhang nicht weiterverfolge, könnte mit Blick auf die griechische Religionsgeschichte als ein „externer“ Einflussfaktor beschrieben werden. Auch die unmittelbar folgende Äußerung Herodots, dass er zwar ihre Namen kenne, aber nicht anführe, hat reichlich Anlass zur Diskussion gegeben, soll jedoch in diesem Zusammenhang nicht weiter problematisiert werden. Cf. Lloyd (1988) 59–60.
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c) Gestaltung der rechtlich-sozialen Welt Nach der beschriebenen (a) Gestaltung religiöser Architektur und (b) dem Einfluss auf das religiöse Leben ist nun (c) für die Frage nach dem Wirken des Rhampsinitos die folgende Äußerung Herodots (Hdt. 2.124.1) wichtig. Sie ist als abschließende und zusammenfassende Aussage über Rhampsinitos und dessen Herrschaft sowie als Überleitung zur Herrschaft des Cheops zu verstehen. Sie bringt pointiert einen starken Gegensatz zwischen diesen beiden Königen im Hinblick auf ihr Wirken zum Ausdruck (Hdt. 2.124.1): Μέχρι μέν νυν Ῥαμψινίτου βασιλέος εἶναι ἐν Αἰγύπτῳ πᾶσαν εὐνομίην ἔλεγον καὶ εὐθενέειν Αἴγυπτον μεγάλως, μετὰ δὲ τοῦτον βασιλεύσαντά σφεων Χέοπα ἐς πᾶσαν κακότητα ἐλάσαι. Bis zu König Rhampsinitos habe in Ägypten, so erzählten (die Priester), vollkommene Ordnung geherrscht, und Ägypten sei in großem Wohlstand gewesen; nach ihm aber sei Cheops König geworden und habe das Land ins tiefste Unglück gestürzt.
Der Übergang zwischen Rhampsinitos und Cheops ist somit äußert pointiert und kontrastiv gestaltet. Bis zur Herrschaft des Rhampsinitos soll Ägypten von einer umfassenden, guten Rechtsordnung und großem Wohlstand geprägt gewesen sein. Demgegenüber soll durch die Herrschaft des Cheops das Land in ein umfassendes Unglück gestürzt worden sein. Zusammenfassend wird also die Herrschaft des Rhampsinitos in rechtlicher und sozialer Hinsicht als eine gute Herrschaft gekennzeichnet, die sich sowohl durch Rechtssicherheit als auch durch Wohlstand ausgezeichnet haben soll. Diese beiden Aspekte beschließen das kurze Porträt dieses Königs, das jedoch durch den weiter explizierten Kontrast zu Cheops noch farbenprächtiger ausgestaltet wird. Bei diesem rechtlich-sozialen Wirkungsaspekt des ägyptischen Königs in Herodots Text stellt sich – zumindest wohl für den Nicht-Ägyptologen – die Frage, ob in diesem Bereich ebenfalls von einem „religiösen“ Wirken des ägyptischen Königs gesprochen werden kann. Um die umfassend religiöse Bedeutung der Handlungen des Königs verstehen zu können, ist es nötig, die von Herodot verwendete Terminologie nochmals zu betrachten und darauf in einem zweiten Schritt mit ägyptologischer Hilfe die damit übersetzten ägyptischen Konzepte zu skizzieren. 1. Herodot lässt die ägyptischen Priester davon sprechen (ἔλεγον), dass es bis zur Herrschaft des Rhampsinitos in Ägypten eine umfassende gute gesetzliche (Rechts-) Ordnung (ἐν Αἰγύπτῳ πᾶσαν εὐνομίην) gegeben habe und es Ägypten sehr gut gegangen sei (καὶ εὐθενέειν Αἴγυπτον μεγάλως). Sehr deutlich ist erstens der zweimalige, umfassende Bezug auf Ägypten, zweitens der durchweg als „positiv“ und „gut“ (εὐνομίην, εὐθενέειν) konnotierte Zustand, der sowohl im weitesten Sinne mit Recht und Gerechtigkeit (εὐνομίην) als auch mit Wohlstand in Verbindung gebracht wird und der darauf mit der Veränderung zur Schlechtigkeit, dem Schlimmen und der Bösartigkeit (ἐς πᾶσαν κακότητα) des Chephren kontrastiert wird. Wie ich weiter unten am Beispiel
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des Mykerinos zeigen werde, spielt dort die Rechtsprechung des ägyptischen Königs eine wichtige Rolle. Es ist nun sinnvoll, diese hier von den Priestern mit nur wenigen Worten skizzierte Zustandsbeschreibung von Ägypten mit Hilfe einiger ägyptischer Vorstellungen vom Staat, der Rolle des Königs als eines Mittlers zwischen Göttern und Menschen sowie dem Konzept der Ma`at zu verstehen. 2. Um die kurzen Äußerungen der Priester bei Herodot vor einem ägyptischen Hintergrund zu skizzieren und zu verstehen, ist nicht nur die ägyptische Vorstellung des Königs als eines Mittlers zwischen Menschen und Göttern,104 sondern auch das für das Funktionieren des ägyptischen Staates so zentrale und umfassende Konzept der Ma`at mit zu berücksichtigen. Ich konzentriere mich auf wenige und ausgewählte Aspekte zu diesem vielschichtigen Konzept, die mir für den obigen Zusammenhang wichtig erscheinen.105 Zuerst ist festzuhalten, dass das Konzept Ma`at „eine im höchsten Maße staatstragende Idee“ ist.106 Assmann erläutert, dass sowohl „Soziale Ordnung“ als auch „Kosmische Ordnung“ „nur Aspekte der übergreifenden Konzeption einer „Reichsordnung“ sind, „deren Garant der König ist“.107 Es ist nun wichtig zu verstehen, dass Ma`at und Staat sich gegenseitig bedingen und nach ägyptischer Auffassung der Staat dazu da ist, „dass auf Erden Ma`at, und nicht Isfet, herrscht.“108 Isfet stellt die natürliche, gegebene Verfassung der Welt dar109 und „bezeichnet das Gegenteil von menschenweltlicher Gerechtigkeit und götterweltlicher Harmonie, dem durch Rechtsprechung und Kult abgeholfen werden muss. Isfet bedeutet daher nicht einfach den Mangel an Gerechtigkeit und Harmonie, sondern deren Gegensatz, d. h. Unrecht und Gewalt.“110 Sie bezeichnet „eine gegenstrebige Kraft des Bösen, gegen die das Gute – die Ma`at – durchgesetzt und immer wieder aufrechterhalten werden muss“.111 Assmann erläutert, dass der ägyptische Mensch weder ohne Ma`at noch ohne Staat leben könne, weil er einer übergeordneten Instanz bedürfe, die die Ma`at realisiere und garantiere.112
104 Cf. dazu Assmann (1995) 201–12. 105 Cf. dazu die grundlegende Monographie von Assmann (1995), sowie zum Begriff und der Göttin Maat, den Art. „Maat“ in Bonnet (1952) 430–434. Bonnet bemerkt ebd. 430, dass die herkömmlichen Übersetzungen wie „Recht, Gerechtigkeit, Wahrheit“ zwar wesentliche Aspekte des Begriffes treffen, jedoch nicht das Ganze umgreifen, das eher mit der „allgemeineren Wiedergabe ‚Richtigkeit‘ im Sinn einer immanenten Gesetzmäßigkeit getroffen“ wird. 106 Assmann (1995) 200. 107 Assmann (1995) 200. 108 Assmann (1995) 200. 109 Cf. Assmann (1995) 200. 110 Assmann (1995) 213. 111 Assmann (1995) 214. 112 Cf. Assmann (1995) 201.
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Um aber die Ma`atsphäre im Großen zu verbreiten, innerhalb derer kommunikatives, d. h. auf Vertrauen und Verständigung basierendes Handeln überhaupt erst möglich ist, bedarf es einer übergeordneten Instanz. Diese Instanz ist das Königtum.113
Für unsere Textpassage ist die folgende pointierte Zusammenfassung wichtig: 1. Die Aufgabe des Königs auf Erden besteht darin, hier die Ma`at zu verwirklichen und Isfet zu vertreiben. 2. Konkret bedeutet das, den Menschen Recht zu sprechen und die Götter zufriedenzustellen. Der Begriff der Ma`at lässt sich also spezifizieren als: a) Gerechtigkeit bzw. Rechtsordnung unter den Menschen, herzustellen durch Rechtsprechung. b) Zufriedenheit bzw. Harmonie […] unter den Göttern, herzustellen durch Kult (Verehrung und Opfer).114
Dieser kleine Exkurs zum Begriff der Ma`at soll an dieser Stelle genügen, um einen Bezug der Aussagen über Rhampsinitos zu bestimmten ägyptischen Vorstellungen über den König und dessen Funktion als Mittler sowie der ihm zukommenden zentralen Aufgabe herzustellen, Gerechtigkeit bzw. die Rechtsordnung unter den Menschen durch seine Rechtsprechung zu gewährleisten. Es ist festzuhalten, dass die Priester an dieser Stelle einen fundamentalen Gegensatz zwischen Rhampsinitos und Cheops konstatieren. Zusammenfassung In der gesamten Erzählung über Rhampsinitos kommt eine ägyptische Binnenperspektive auf die ägyptische Religions- und Königsgeschichte zum Ausdruck, welche durch Herodots Fokussierung auf die ägyptischen Priester entsteht. Die Aspekte des religiösen Wirkens des Rhampsinitos betreffen (a) die Neuschöpfung und Gestaltung sakraler Architektur, (b) das religiöse Kultleben und (c) die soziale und rechtliche Kultur Ägyptens. Während Rhampsinitos als sakrale Denkmäler die gegen Westen gerichteten Propyläen am Heiligtum des Hephaistos in Memphis sowie mehrere menschliche Kolossalstatuen errichtet haben soll, werden mit der Erzählung von der Katabasis des Rhampsinitos und seinem Wiederaufstieg ein noch zur Zeit Herodots veranstaltetes Fest sowie die dazugehörigen Rituale in Verbindung gebracht. Drittens zeichnet
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Assmann (1995) 201. Assmann (1995) 211.
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sich dieser ägyptische König insbesondere durch sein gerechtes Verhalten aus, womit er insgesamt sowohl zu einer guten Rechtsordnung als auch zum Wohlstand in Ägypten beigetragen haben soll. Auch am folgenden Beispiel des Königs Cheops lassen sich, jedoch mit unterschiedlicher Betonung, diese drei Aspekte für das Wirken des ägyptischen Königs gegenüber der Religion aufweisen. 4.2 Cheops und das große Unglück a) Einfluss auf das Kultleben und die soziale Welt Nachdem die Priester behaupten (Hdt. 2.124.1), dass durch die Herrschaft des Cheops das Land in ein umfassendes Unglück gestürzt worden sei, folgt sogleich ihre Begründung (γάρ). Sie ist von besonderem Interesse, da sie klar erkennen lässt, dass Cheops an erster Stelle für einen Wandel des religiösen Feldes verantwortlich gemacht wird (Hdt. 2.124.1–2): Κατακληίσαντα γάρ μιν πάντα τὰ ἱρὰ πρῶτα μέν σφεας θυσιέων τουτέων ἀπέρξαι· μετὰ δὲ ἐργάζεσθαι ἑωυτῷ κελεύειν πάντας Αἰγυπτίους. Zunächst habe er alle Heiligtümer schließen lassen und ihnen die entsprechenden Opfer verboten; danach habe er allen Ägyptern befohlen, für ihn zu arbeiten.
Die dem Cheops zugeschriebenen Handlungen zeigen, dass er eine deutlich negative Wirkung auf die Kult- und Opferpraxis der ägyptischen Priester ausgeübt haben soll. Durch die Schließung der Heiligtümer und die damit einhergehende Verhinderung der Opfer wird zuerst das Bild eines Königs entworfen, welcher der traditionellen religiösen Praxis feindlich gesinnt zu sein scheint. Dieses Bild wird dahingehend erweitert (Hdt. 2.124.1–2), dass seine Herrschaft als eine Zwangsherrschaft (κελεύειν/ ἔταξε) charakterisiert wird, da er allen Ägyptern befohlen haben soll, für ihn selbst zu arbeiten (ἐργάζεσθαι ἑωυτῷ κελεύειν). b) Schöpfung und Gestaltung der religiösen Architektur Die von Cheops verordnete (Zwangs-)Arbeit hat die Erbauung der berühmten Cheops-Pyramide zum Ziel (Hdt. 2.124.2–125), die neben anderem als Grabkammer des Herrschers diente.115 Herodot schildert neben den Anstrengungen, die zum Bau der
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Assmann (1991) 21 erläutert, dass die Pyramide bis zur Mitte des 2. Jahrtausend eine „exklusiv königliche Form“ bleibe, das Königtum symbolisiere und als solche „den Abstand zwischen dem gottgleichen König und den Menschen“ markiere. „Ihr ausschlaggebendes unterscheidendes Merkmal ist die Höhe: sie überragt alle anderen Bauten und Monumente“.
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Pyramide nötig gewesen seien (Hdt. 2.124.2–5), auch deren Bauweise (Hdt. 2.125).116 Insofern es sich bei diesen Bauwerken um große, religiöse Grabarchitektur handelt, ist Herodot im Begriff einen wichtigen Aspekt von Cheops’ Wirksamkeit für die religiöse und funerale Architektur Ägyptens zu beschreiben (Hdt. 2.124.4): […] ταύτης τε δὴ τὰ δέκα ἔτεα γενέσθαι καὶ τῶν ἐπὶ τοῦ λόφου ἐπ’ οὗ ἑστᾶσι αἱ πυραμίδες, τῶν ὑπὸ γῆν οἰκημάτων, τὰς ἐποιέετο θήκας ἑωυτῷ ἐν νήσῳ, διώρυχα τοῦ Νείλου ἐσαγαγών. Τῇ δὲ πυραμίδι αὐτῇ χρόνον γενέσθαι εἴκοσι ἔτεα ποιευμένῃ […]. Für diese also seien die genannten zehn Jahre vergangen und für die unterirdischen Kammern auf der Höhe, auf der die Pyramiden stehen; die Kammern ließ er als Grabkammern für sich auf einer Insel bauen,117 indem er einen Kanal vom Nil hineinleitete. Der Bau der Pyramide selber habe zwanzig Jahre gedauert […].
Bemerkenswert ist, wie die fast nebenbei erwähnte Funktion der Grabkammern (θήκας) unter der Erde für „sich selbst“ (ἑωυτῷ) auffällig zwischen der zweimaligen Betonung der menschlichen Mühe und Arbeitszeit erscheint. Im Anschluss an die Beschreibung des Pyramidenbaus kommt Herodot in einer abschließenden Erzählung (Hdt. 2.126) nochmals auf den „verkommenen Charakter“ oder die Bösartigkeit (κακότητος) des Cheops sowie weitere, indirekt angeregte architektonische Leistungen zu sprechen. Angeblich soll Cheops aufgrund seiner Geldnot selbst seine eigene Tochter zur Prostitution veranlasst haben. Im Rahmen dieser Tätigkeit soll sich seine Tochter darüber hinaus die Mittel zum Errichten ihres eigenen Denkmals (eigentlich griech. Diminutiv: „Denkmälchen“) ebenfalls in Form einer Pyramide (der mittleren der dreien) erwirtschaftet haben. Für eine Verbindung der „kleinen Pyramide“118 mit der Tätigkeit der Prostitution gibt es seit jüngster Zeit auch eine sprachwissenschaftlich fundierte Erklärung.119 c) Einfluss auf die soziale und rechtliche Welt Das gesamten Wirken des Cheops wird bei Herodot durch zwei weitere Perspektiven charakterisiert: zum einen durch die Kontinuität zu seinem Nachfolger (und Bruder)
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Cf. dazu Lloyd (1988) 64–71 mit weiterführender Literatur. Cf. dazu Lloyd (1988) 65 und den Kommentar in Asheri/Lloyd (2007) 330: „There is no island and no canal, but the notion does reflect the highly apposite Egyptian mortuary concept of the Osiris-grave, which consisted of an island surrounded by water on which the god himself was buried (Helck, RE XXIII 2, 2202).“ Cf. auch die Erzählung einiger Griechen über die kleinere Pyramide des Mykerinos, die sie der aus Thrakien stammenden Hetäre Rhodopis zuschreiben (Hdt. 2.134–5). Cf. Quack (2013a) 74–5, der plausibel erklären kann, dass wohl eine Sinnverschiebung im Spätägyptischen des ursprünglichen Ausdrucks für „kleine Pyramide“ zur „Pyramide der Prostituierten“ geführt haben könnte.
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Chephren und dessen Herrschaft120, zum anderen durch den Kontrast zu Mykerinos, Chephrens Nachfolger und Cheops eigenem Sohn. Herodot konstatiert aufgrund der Mitteilungen der Ägypter zuerst eine weitgehende Kontinuität zwischen der Herrschaft des Cheops und der des Chephren (Hdt. 2.127.1 und Hdt. 2.127.3–128.1): Βασιλεῦσαι δὲ τὸν Χέοπα τοῦτον Αἰγύπτιοι ἔλεγον πεντήκοντα ἔτεα, τελευτήσαντος δὲ τούτου ἐκδέξασθαι τὴν βασιληίην τὸν ἀδελφεὸν αὐτοῦ Χεφρῆνα· καὶ τοῦτον δὲ τῷ αὐτῷ τρόπῳ διαχρᾶσθαι τῷ ἑτέρῳ τά τε ἄλλα καὶ πυραμίδα ποιῆσαι, ἐς μὲν τὰ ἐκείνου μέτρα οὐκ ἀνήκουσαν […]. Βασιλεῦσαι δὲ ἔλεγον Χεφρῆνα ἓξ καὶ πεντήκοντα ἔτεα. Ταῦτα ἕξ τε καὶ ἑκατὸν λογίζονται ἔτεα, ἐν τοῖσι Αἰγυπτίοισί τε πᾶσαν εἶναι κακότητα καὶ τὰ ἱρὰ χρόνου τοσούτου κατακληισθέντα οὐκ ἀνοιχθῆναι. Dieser Cheops, sagten die Ägypter, sei fünfzig Jahre lang König gewesen, und als er gestorben sei, habe sein Bruder Chephren die Königsherrschaft übernommen. Dieser sei jenem in allen Stücken gleich gewesen und habe auch eine Pyramide gebaut, die freilich an die Maße der Vorgängerpyramide nicht herankommt […]. Chephren habe, sagten sie, sechsundfünfzig Jahre regiert. Man rechnet damit hundertsechs Jahre, in denen die Ägypter jegliches Übel zu leiden gehabt hätten und die Tempel geschlossen gewesen und nicht geöffnet worden seien.
Die hundertundsechs Jahre andauernde Herrschaft von Cheops und Chephren wird deutlich als ein Unglück für das ägyptische Volk markiert. Dieses Unglück erscheint in der Darstellung Herodots verbunden mit der Schließung der Heiligtümer, d. h. einer durch diese beiden Herrscher bewirkten Veränderung des religiösen kultischen Lebens.121 Die einleitende Passage zur folgenden Herrschaft des Mykerinos, dem Sohn des Cheops (Hdt. 2.129.1–2 s. u.), kann als weitere Kontrastfolie zu Cheops’ Herrschaft verstanden werden. Die Unterschiede zwischen Cheops’ Herrschaft und der seines eigenen Sohnes Mykerinos treten in dieser Überleitung zu Mykerinos gerade im Hinblick auf den damit beschriebenen religiösen Wandel nochmals sehr markant hervor: Mykerinos zeichnet sich gegenüber Cheops gerade durch die Öffnung der Heiligtümer, das Entlassen des Volkes zu eigenen Arbeiten und Opfern sowie die Eigenschaft
120 Cf. zu Chephren Lloyd (1988) 73–4. 121 Weiter bemerkt Herodot (Hdt. 2.128.1), dass die Ägypter aufgrund ihres Hasses gegenüber diesen beiden Herrschern selbst ihre Namen nicht gern aussprächen, sondern angeblich sogar die Pyramiden nach einem Hirten Philitos benannt hätten, der zu dieser Zeit seine Herden in dieser Gegend geweidet hätte. Cf. dazu Lloyd (1988) 76, der davon ausgeht, dass es sich um eine Erzählung folgenden Typs handele: „derived from the humblest stratum of Eg. folklore, probably a rags-toriches story of a common wish-fulfilment type“. Dazu kritisch und für die Frage des Hirten Quack (2011) 38–69.
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aus, in gerechter Weise Recht zu sprechen. Ex negativo bedeutet dies für Cheops, dass er durch die Schließung der Heiligtümer und die Zwangsarbeit des Volkes für seine Pyramide das religiöse, kultische und soziale Leben auf schlechte Weise verändert hat. Zusammenfassung Cheops’ Wirksamkeit im Hinblick auf die sakrale funeräre Architektur lässt sich am besten an der Pyramide ablesen, die er unter seiner Herrschaft errichten ließ. Insofern es sich dabei um große sakrale Grabarchitektur handelt, ist damit ein wichtiger Aspekt von Cheops’ religiöser Wirksamkeit beschrieben. Um die sowohl religiöse als auch zeitliche Komponente der Bauwerke der ägyptischen Könige besser verstehen zu können, möchte ich eine Überlegung von Jan Assmann122 aus seiner Untersuchung zu „Zeit und Ewigkeit im Alten Ägypten“ in Erinnerung rufen. Ausgehend von den Königsinschriften weist er darauf hin, dass „der Inbegriff königlichen Handelns sub specie aeternitatis (…) das Bauen“ sei. Assmann erläutert, dass „die Bauwerke der Könige (…) die Ewigkeit im Diesseits und den Himmel auf Erden verwirklichen“ wollen.123 Mit seiner Schließung von Heiligtümern ist Cheops zugleich in negativer Hinsicht auf dem Feld der religiösen Architektur und Kultur wirksam. Durch die Schließung der Heiligtümer und die Verhinderung der Opfer wird Cheops eine kritische und negative Haltung gegenüber der traditionellen Ausübung und Praxis ägyptischer Religion zugeschrieben. Inwiefern Cheops durch die Erbauung seiner Pyramide auch Anregungen für einen neuen bzw. anderen Grab- und Totenkult gab, wird von Herodot nicht eigens erwähnt. Cheops wird zuerst mit der Schließung der Heiligtümer und der Verhinderung der Opfer in Verbindung gebracht, zeichnet sich also durch eine kritische und negative Haltung gegenüber der traditionellen Praxis ägyptischer Religion aus. Dazu wird ausdrücklich und mehrmals das Übel beschrieben, das er und sein Nachfolger Chephren über die Ägypter gebracht haben sollen. Gerade auch der Vergleich mit seinem Sohn Mykerinos lässt das moralische Defizit seiner Herrschaft nochmals klar hervortreten. Zuletzt soll ein kleiner Ausschnitt aus Herodots Schilderung des Übergangs zu König Mykerinos genügen, um noch einmal zu zeigen, wie anhand der Abfolge und aufgrund des Wirkens der ägyptischen Könige Phänomene religiösen Wandels in Ägypten thematisiert und anschaulich illustriert werden.
122 123
Assmann (1975) 13. Assmann (1975) 13.
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V. Religion in der Zeit
4.3 Mykerinos und sein Einfluss auf Religion, Recht und Ritual Von den unverkennbaren Indizien des religiösen Wandels zwischen der Herrschaft des Cheops und der seines Sohnes Mykerinos war bereits die Rede.124 Mykerinos wird in Abgrenzung zu seinen beiden Vorgängern (Cheops und Chephren) auf folgende Weise eingeführt (Hdt. 2.129.1–2): Μετὰ δὲ τοῦτον βασιλεῦσαι Αἰγύπτου Μυκερῖνον ἔλεγον Χέοπος παῖδα, τῷ τὰ μὲν τοῦ πατρὸς ἔργα ἀπαδεῖν, τὸν δὲ τά τε ἱρὰ ἀνοῖξαι καὶ τὸν λεὼ τετρυμένον ἐς τὸ ἔσχατον κακοῦ ἀνεῖναι πρὸς ἔργα τε καὶ θυσίας, δίκας δέ σφι πάντων βασιλέων δικαιοτάτας κρίνειν. Κατὰ τοῦτο μέν νυν τὸ ἔργον ἁπάντων ὅσοι ἤδη βασιλέες ἐγένοντο Αἰγυπτίων αἰνέουσι μάλιστα τοῦτον· Nach diesem sei – sagten (die Priester) – Mykerinos, der Sohn des Cheops, König von Ägypten geworden. Diesem hätten die Taten seines Vaters missfallen; er habe die Tempel geöffnet und das bis zum Äußersten geschundene Volk zu den eigenen Arbeiten und zu den Opfern gehen lassen, und Rechtsstreitigkeiten habe er von allen Königen am gerechtesten entschieden. Wegen dieser Leistung preisen die Ägypter von allen, die je über sie geherrscht haben, ihn am höchsten.
Zuerst wird Mykerinos also dadurch charakterisiert, dass er sich von den „Taten seines Vaters“ distanziert (τὰ μὲν τοῦ πατρὸς ἔργα ἀπαδεῖν) und sowohl die Heiligtümer wieder zugänglich macht als auch die Menschen wieder zu den Opfern sowie zu ihren eigenen Arbeiten entlässt. Darauf wird er als besonders gerecht und unter allen ägyptischen Königen hervorragend in der Rechtsprechung beschrieben. Bereits diese erste Charakterisierung − gerade auch die Abgrenzung zu seinen beiden Vorgängern − verzeichnet deutlich den religiösen Wandel und in allgemeiner Weise den positiven Einfluss dieses Königs auf das kultisch-religiöse und sozial-rechtliche Leben in Ägypten. Insbesondere sein hervorragendes Wirken im Bereich der Rechtsprechung – erinnert sei an das Konzept der Ma`at – ist bei Mykerinos offenkundig. Im Anschluss an diese erste Charakterisierung des Mykerinos lenkt Herodot nun den Blick auf zwei Ereignisse, die das Leben dieses Königs stark geprägt haben sollen: zum einen der Tod seiner einzigen Tochter (Hdt. 2.129.3–132.3)125, zum anderen ein an ihn gerichtetes Orakel in Buto (Hdt. 2.133). Insbesondere anhand der ersten Erzählung über den Tod seiner Tochter (Hdt. 2.129–132.3) und dessen Folgen lässt sich zeigen, wie dieser König als religionsproduktiver Faktor in seiner Zeit und darüber hinaus tätig ist. Entscheidend sind dazu zwei Elemente der Erzählung, die mit der konkreten Reaktion des Mykerinos auf den Tod seiner Tochter (Hdt. 2.129.3) verbunden sind: Indem der König zum einen seine Tochter auf außergewöhnliche Art und Weise
124 Cf. dazu die Analyse in Kapitel II.1 Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter. 125 Cf. dazu die Analyse in Kapitel II.1 Religion außerhalb der Nomoi der Ägypter.
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in einer vergoldeten, hölzernen Kuh bestatten lässt, kommt die religionsästhetischschöpferische Rolle des Mykerinos im Hinblick auf den Totenkult in den Blick; zum anderen illustriert die darauf folgende Erzählung über die symbolische Bedeutung der Kuh bei bestimmten Ritualen im Rahmen eines religiösen Festes in Sais wiederum die religionsproduktive Bedeutung dieses Königs. Der Einfluss des Mykerinos auf das religiöse und soziale Leben sowie sein Wirken im rechtlichen Bereich ist aufgrund der Abgrenzung gegenüber seinen beiden Vorgängern offenkundig und wird zu Beginn ausführlich gewürdigt. Wie die Erzählung von Mykerinos und der außergewöhnlichen Beisetzung seiner Tochter anschaulich zeigt, wird dem König die Schaffung eines neuen Kultobjektes im Zusammenhang mit einem religiösen Ritual zugeschrieben.126 An späterer Stelle erwähnt Herodot, dass Mykerinos auch im Bereich der sakralen Architektur durch den Bau einer Pyramide, jedoch einer kleineren (Hdt. 2.134) als die seiner beiden Vorgänger, Spuren hinterlässt. 4.4 Zusammenfassung Alle drei Fallbeispiele zeigen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Wirken des jeweiligen Königs und seinem Einfluss auf die religiöse Kultur seiner Zeit. Ausgehend hiervon lassen sich zunächst drei Bereiche unterscheiden, in denen sich religiöser Wandel zeigt, der auf den Einfluss des jeweiligen Herrschers zurückzuführen ist: (a) im Bereich der Sakral-, teils auch Grab-Architektur, (b) im Bereich der religiösen Kulte und Rituale, sowie (c) im sozialen und rechtlichen Bereich, der in einem weiteren Sinne – erinnert sei an das Konzept der Ma`at – als Ausprägung der Religion in Ägypten verstanden werden kann. Der zuletzt genannte Aspekt weist auf die unmittelbare Verschränkung des politischrechtlichen und sozialen Bereichs mit dem religiösen hin. Diese Vernetzung wurzelt insbesondere in der staatlich-politischen und religiös-bedeutsamen Stellung des ägyptischen Königs, die von Herodot durch seine Erzählungen über die ägyptischen Könige sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht wird. Ein weiterer Gesichtspunkt, der bei der vergleichenden Gesamtbetrachtung der drei Könige in den Blick gerät, ist abschließend hervorzuheben. Bei allen drei Königen ist ein auf unterschiedliche Weise artikulierter Bezug zur Totenwelt und zum Totenkult wahrzunehmen: Während Rhampsinitos durch seine Katabasis in den Hades und das
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Auch die Alternativerzählung von der Kuh und den Kolossalstatuen lässt Mykerinos als Schöpfer von Kultobjekten erscheinen.
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V. Religion in der Zeit
Würfelspiel mit der Göttin Demeter sowie durch seine Rückkehr von dort als privilegiert erscheint, zeichnen sich Cheops und Mykerinos durch ihr Wirken bezüglich der funeralen Kultur aus; Cheops lässt sich sein Grab in einer Pyramide bauen und Mykerinos soll durch die außerordentliche Beisetzung seiner Tochter in einer hölzernen Kuh einen besonderen Totenkult mit einem jährlichen Festritual begründet haben. Eine weitere auffällige Eigenschaft von Herodots Beschreibung der genannten Könige sind die Wertungen, die sich sowohl beim Übergang der Herrschaft des Rhampsinitos zu Cheops (Hdt. 2.124.1) als auch bei dem von Cheops und Chephren zu Mykerinos (Hdt. 2.128 und 2.129.1–2) feststellen lassen. Betrachtet man jedoch diese Äußerungen in ihrem Kontext, so wird deutlich, dass Herodot dabei ausdrücklich die Binnenperspektive seiner ägyptischen Gewährsmänner artikuliert (ἔλεγον) und seine Erzählung durch diese Perspektive bereichert. In einigen Fällen handelt es sich dabei um „inventions of tradition“. Ein auffälliges Merkmal der analysierten Erzählungen über Rhampsinitos, Cheops und Mykerinos sind die teils dezenten (λέγουσι), teils expliziter (Οἱ δέ τινες λέγουσι) eingeblendeten Binnenperspektiven der Ägypter, die durch Verben des Sprechens (z. B. λέγουσι, ἔλεγον) und die Form der indirekten Rede angezeigt werden. Sie dienen Herodot nicht nur zur Artikulation von ägyptischen Binnenperspektiven, sondern ebenso zur Distanzierung von bestimmten Bestandteilen seiner Erzählung. Diese Distanzierung kann sowohl zur Differenzierung als auch zur Perspektivierung des von ihm Erzählten beitragen. Insgesamt ist festzuhalten, dass religiöser Wandel durchaus auf mehreren Ebenen von Herodot in seiner Erzählung über die Könige und ihre Geschichte/n illustriert wird. 5. Fazit und Ausblick Ausgangspunkt der Untersuchung dieses Kapitels war die exemplarische Betrachtung des Verhältnisses von Religion und Zeit im zweiten Buch. Alle vier Untersuchungen unterstreichen das große Interesse Herodots an diesem Verhältnis und damit einhergehend die Aufmerksamkeit für religionsgeschichtliche Aspekte, Zusammenhänge und Fragen. Zuerst ist festzustellen, dass bei allen Beispielen, in denen Zeit und zeitliche Perspektiven im Zusammenhang mit religiösen Phänomenen und Gegenständen thematisiert werden – wie im Zusammenhang mit dem „Experiment“ des Psammetichos oder der Erzählung über Hekataios in Theben – ägyptische Priester oder andere ägyptische Binnenperspektiven zentral für die Erzählung sind. Zweitens ist zu bemerken, dass bei den ersten drei Beispielen sowie teils bei der Erzählung über die Könige immer auch griechische Vorstellungen, sei es über Zeit oder über das Alter, z. B. von bestimmten Göttern, präsent sind und mit den divergierenden ägyptischen Vorstellungen konfrontiert werden. In einer prägnanten These könnte dieser Befund als ein „clash of time, age and chronology“, also ein Zusammenprall
5. Fazit und Ausblick
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von unterschiedlichen Vorstellungen über die Zeit, das Alter und die Chronologie bestimmter kultureller und religiöser Phänomene und Traditionen bezeichnet werden.127 Grundsätzlich ist festzustellen, dass wohl (1) die Begegnung und Auseinandersetzung mit den ägyptischen Priestern und ihren Vorstellungen über das Alter der ägyptischen Religion und die Priorität der Ägypter bei Herodot eine tiefe und kritische Reflexion über griechische und ägyptische Erinnerungskultur, Chronologie, religiöse Tradition und Ideologie bewirkt haben dürfte. Wie unmittelbar zu Beginn des zweiten Buches anhand des Experiments des Psammetichos und der darauffolgenden Thesen der ägyptischen Priester deutlich wird, figurieren diese in Herodots Erzählung von Anfang an nicht nur als Informanten und Garanten eines bestimmten Wissensanspruchs, sondern auch als Repräsentanten und Ideologen einer bestimmten Sichtweise auf die ägyptische Vergangenheit und ihre religiöse Tradition sowie auf ihre eigene Stellung in und gegenüber dieser Vergangenheit. Der Kontrast zwischen griechischer und ägyptischer Zeitvorstellung wird an (2) der Begegnung des Hekataios mit den ägyptischen Priestern aus Theben im dortigen Heiligtum veranschaulicht. Konkret wird darin an einem heiligen und für die ägyptische Religionsgeschichte zentralen Ort die Erfahrung und Auseinandersetzung mit einer anderen Sichtweise von Zeit, einer lang etablierten Tradition mit schriftlichen Aufzeichnungen und offiziellen Chronologien inszeniert. Dabei wird „die griechische“ Sichtweise sowohl durch das Auftreten des Hekataios als auch die erzählerische Präsenz Herodots differenziert dargestellt. Insbesondere die mehrmals in diesem Zusammenhang betonte Konzeptionalisierung von bestimmten Zeitstufen ohne menschengestaltige Götter ist von Interesse für ein griechisches Publikum: Die Vorstellung der ägyptischen Priester, dass es einen Zeitraum gibt, in dem die Götter und Menschen gemeinsam lebten, und je ein Gott regierte, also „eine Zeit der Götter“ mit einem sehr großen zeitlichen Abstand von über 17000 Jahren, gefolgt von einem sehr langen Zeitraum menschlicher Könige, dokumentiert bis zu Herodots eigener Zeit. Es ist jedoch wichtig zu sehen, dass Herodot trotz des klar konstatierten Unterschieds zwischen den beiden chronologischen Ansätzen, auch das gemeinsame Anliegen des Hekataios und der Priester, das „Generationen-Zählen“, hervorhebt und damit insgesamt die Begegnung zwischen diesen beiden Exponenten griechischer und ägyptischer Kultur auch dazu benutzt, ein Portrait der Priester, ihres Auftretens und Selbstverständnisses zu zeichnen. Zwar stützen sich die Priester im Unterschied zu Hekataios auf schriftliche Aufzeichnungen, lange Tradition und Überlieferung, doch erscheinen sie in ihrem stolzen Altersanspruch als traditionsgläubig. Die Analyse der 127
Hose (2014) 109–130, 128 sieht in der Konfrontation des Hekataios mit der ägyptischen Chronologie die Beschreibung eines „genealogisch-chronologische(n) clash of cultures“ und bemerkt, dass Herodot an dieser Stelle „die Untauglichkeit eines personalen Zeitkonzepts“ inszeniere, „wenn ein kulturübergreifender Zusammenhang – also ein Verstehen in den Dimensionen der Globalisierung – erfasst werden soll.“
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V. Religion in der Zeit
Textpassage über (3) die Verehrung des Pan in Mendes unterstreicht, wie auch innerhalb der ägyptischen Nomoi unterschiedliche zeitliche Perspektiven auf religiöse Felder artikuliert werden: von einer Urzeit der Götter zur Zeitlosigkeit von praktizierten Ritualen bis zur Gegenwart Herodots. Schließlich zeigen (4) die drei Fallbeispiele zum religiösen Wandel bei den Königen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Wirken des jeweiligen Königs und seinem Einfluss auf die religiöse Kultur seiner Zeit. Religiöser Wandel, aber auch Kontinuität, lässt sich dabei in den folgenden drei Bereichen ablesen: im Bereich der Sakral- und Grab-Architektur, der religiösen Kulte und Rituale sowie im sozialen und rechtlichen Bereich, der in einem weiteren Sinne als Teil der religiösen Kultur in Ägypten verstanden werden kann. Der bei allen drei Königen auf unterschiedliche Weise artikulierte Bezug zur Totenwelt – von der Katabasis des Rhampsinitos über das kreative Wirken des Cheops und Mykerinos auf dem Feld der funeralen Kultur – unterstreicht die Sonder- und Grenzstellung der ägyptischen Könige im Hinblick auf die religiöse Ordnung und Zeit. Alle vier Untersuchungen illustrieren die zentrale Bedeutung des komplexen Verhältnisses von Religion und Zeit in Herodots Erzählung über Ägypten.
VI. Religion und Sinne Im Anschluss an die Frage nach der Beziehung von Religion zum natürlichen Raum und zur Zeit soll nun in zweifacher Hinsicht die „sinnliche“ Seite von Religion im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Dabei werde ich zum einen fragen, ob und wie Herodot Religion in Verbindung mit den äußeren Sinnen und der menschlichen Sinneswahrnehmung thematisiert, zum anderen, auf welche Weise in den Historien religionspsychologische Sachverhalte, wie z. B. Gefühle, Stimmungen und menschliches Erleben, im Zusammenhang mit Religion zur Sprache kommen. Die modernen Disziplinen der Religionsästhetik und der Religionspsychologie sollen dabei heuristisch zur Untersuchung von Herodots Text befragt werden. 1. Religion und äußere Sinne Zuerst soll untersucht werden, ob und wie in Herodots Erzählung über Ägypten auch „religionsästhetische“ Aspekte in den Blick und zur Sprache kommen.1 Unter „Religionsästhetik“ kann man in sehr allgemeiner Weise das verstehen, „was an Religionen sinnlich wahrnehmbar ist“.2 Als religionswissenschaftliche Disziplin widmet sich die Religionsästhetik der Untersuchung und Beschreibung der sinnlichen Seite der Religion: „wie Religion den Körper und die verschiedenen Sinnesorgane des Menschen aktiviert, leitet und restringiert“.3 Weil „religiöses Handeln immer symbolisches Handeln in einem durch Zeichen (über)determinierten Felde ist“, betrachtet die Religionsästhetik (nach Cancik und Mohr) an Religion besonders die folgenden drei Bereiche:4 „(a) Die Zeichen, Gegenstände und Handlungen, insofern sie in religiöser Kommunikation wahrgenommen werden; hierzu gehören ‚Kunstwerke‘, die ‚in‘ oder ‚anstelle von‘ Religion fungieren; (b) die Arbeit der Sinne und den Prozess der Wahrnehmung der visu-
1 2 3 4
Zu den Gegenständen und zur Zielsetzung religionsästhetischer Forschungen s. die Seite des Arbeitskreises „Religionsästhetik“ der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft http:// www.religionsaesthetik.de/der-arbeitskreis/. Cancik/Mohr (1988) 121–156, 121. Ebd. 121. Ebd. 122.
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VI. Religion und Sinne
ellen Zeichen, der Farben und Gerüche und Töne, bzw. das Fehlen der Zeichen und/oder ihrer Wahrnehmung; besonders sind Wahrnehmungsweisen, die durch Gebetspraxis, die Beobachtung der Gestirne (Vögel, Blitze, Tiere, Innereien; Geräusche) und sakrale Innenoder Außenräume entwickelt, bzw. nicht entwickelt werden; (c) die Empfindungen und Reaktionen der Wahrnehmenden, also die (inneren) Emotionen und ihren Ausdruck in Gesten, Gebärden, in der Produktion (Setzung) von Zeichen, symbolische Handlungen, Erzählungen (Mythen), Kunstwerken.“
Bereits diese kurze Skizze des möglichen Gegenstandsbereichs religionsästhetischer Fragestellungen zeigt, dass bei Herodot wohl am ehesten bei Textpassagen, in denen religiöse Rituale und Praktiken beschrieben werden, mit religionsästhetischen Beobachtungen zu religiösen Gegenständen zu rechnen ist. Hierzu sollen an dieser Stelle einige Textpassagen exemplarisch angeführt werden. 1.1 Religionsästhetische Beispiele Bei der Thematisierung der Reinheit im Rahmen der Nomoi der Ägypter (Hdt. 2.37) wurde deutlich, wie der menschliche Körper, insbesondere der Priester, im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.5 Man denke z. B. an die beschriebenen Praktiken der Beschneidung, die Haarentfernung oder das Tragen besonderer Kleidung. Im Rahmen der ägyptischen Nomoi sind die Vorbereitungen zum Opfer (Hdt. 2.38) sowie die eigentlichen Opferbeschreibungen (Hdt. 2.39–41) zu erwähnen, in denen sowohl in sehr anschaulicher Weise der Umgang mit dem Körper des Tieres als auch z. B. die erwähnte Reizreduktion bei den Opfernden durch Fasten (Hdt. 2.40) thematisiert wird. Der menschliche Körper und dessen Äußerungen durch Gestik, Musik und Gewalt stehen insbesondere im Zentrum der Beschreibung der festlichen Rituale in Bubastis und Papremis (Hdt. 2.60 und 2.63) oder auch bei Herodots Beschreibung der ägyptischen Totenklage (Hdt. 2.85).6 Bemerkenswert ist, dass vor allem dem toten menschlichen Körper in der detaillierten Beschreibung der Maßnahmen zur Einbalsamierung (Hdt. 2.86–89) eine zentrale Rolle zukommt. Die Ausführlichkeit und Genauigkeit bei der Beschreibung der Anwendungen, in deren Mittelpunkt der menschliche Leichnam steht, könnten an eine Ästhetik des Grauens oder Ekels denken lassen.7 Einzelne Beobachtungen zu religionsästhetischen Gesichtspunkten, wie z. B. das Fehlen bestimmter Zeichen und Wahrnehmungen, finden sich an vielen weiteren Stellen. So lenkt Herodot bei seinem 5 6 7
Cf. dazu Kapitel III. Religion im Sozialen. Cf. Kapitel III. Religion im Sozialen. Da diese sehr anschauliche Beschreibung der Mumifizierung grundlegend von ökonomischen Überlegungen geprägt ist, wurde sie bereits in Kapitel III. Religion im Sozialen behandelt.
1. Religion und äußere Sinne
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Vergleich des Dionysosfestes in Ägypten mit dem griechischen Ritual (Hdt. 2.48) die Aufmerksamkeit auf eine wohl akustische und visuelle Differenz: die Ägypter feierten das Dionysosfest fast genauso wie die Hellenen, „nur ohne Chöre“ oder „abgesehen von Chören“ (πλὴν χορῶν, Hdt. 2.48.2). Abgesehen von diesen und vielen weiteren vereinzelt anzutreffenden religionsästhetischen Beobachtungen Herodots, kann mit Blick auf die Erzählung über Ägypten insgesamt gesehen aber keine intensiv ausgeprägte religionsästhetische Perspektive bei Herodot festgemacht werden. Richtet man jedoch grundsätzlich die Aufmerksamkeit nicht nur auf die Wahrnehmung durch menschliche Körper und Sinne, sondern auch auf die Präsenz religiöser (Kunst-)Werke oder die Beschreibung und Bedeutung sakraler Innen- oder Außenräume in der Wahrnehmung und Erzählung Herodots, so bietet seine Ägyptenerzählung eine Fülle von Material. Wenn nun die Empfindungen und Reaktionen von Wahrnehmenden im Zusammenhang mit sakralen Innen- und Außenräumen bei Herodot zwar nicht eigens beschrieben werden, so ist es zugleich sehr signifikant und zeigt Herodots ästhetisches Interesse, dass er insbesondere im zweiten Teil des zweiten Buches viele sakrale Räume und Gebäude näher beschreibt. Ausgehend von dieser Tatsache soll im Folgenden an einigen ausgewählten sakralen architektonischen Kunstwerken untersucht werden, wie Herodot bei ihrer Beschreibung vorgeht, auf welche Aspekte er sein Augenmerk richtet und welche Interessen ihn dabei leiten.8 Die Erkenntnisse dieser Untersuchung dürften nicht nur in terminologischer Hinsicht aufschlussreich sein, sondern insbesondere elementare Bausteine für die Rekonstruktion von Herodots Ästhetik sakraler Architektur liefern.9 Religiöse Architektur und Bauwerke mit religiöser Funktion spielen in Herodots Erzählung über Ägypten eine große Rolle. Anhand der folgenden Beispiele soll nun gefragt werden, wie Herodot bei den jeweiligen Beschreibungen vorgeht und ob sich ein bestimmtes Schema bei seinen Beschreibungen feststellen lässt. Exemplarisch werde ich im Folgenden zwei wichtige religiöse und prominente Stätten, nämlich die Beschreibung der Heiligtümer (1.2) in Bubastis und (1.3) in Buto (mit seinem mehrmals genannten Orakel, dem Tempel der Leto) sowie die (1.4) Insel Chemmis näher betrachten. Zentrale Bezugspunkte sind dabei die Wahrnehmung und Beschreibung des
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Lloyd (1975) konstatiert unter der Überschrift „VI. Herodotus’ aesthetic judgement“ ebd. 155 „very little aesthetic judgement in Herodotus, either in Book II or elsewhere“. Stolz (1988) unterscheidet in seiner Untersuchung zur „Konstruktion des Symbolsystems“ und bei der „Zeigefunktion des Symbols“ (ebd. 101–14) die Ebene der Handlung, des Visuellen und der Sprache. Zur Ebene des Visuellen bemerkt Stolz, dass „auch die sakrale Architektur und sogar die sakrale Geographie mit in den Bereich der visuellen Elemente der Religion gehören. Die ägyptischen Tempel beispielsweise verkörpern die Erde und den darüber gespannten, von göttlichen Mächten getragenen Himmel. Die Elemente des Heiligtums machen visuell den Raum in seiner sakralen Ordnung deutlich. Genau so sind die Elemente der Geographie – Berge, Flüsse usw. – häufig Wesen, die eine Rolle im Symbolsystem spielen“ (ebd. 110).
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VI. Religion und Sinne
sakralen Raumes insgesamt, die religiöse Architektur und die verschiedenen Aspekte bei der Beschreibung der Heiligtümer. Zuletzt werde ich (1.5) die Transformation des goldenen Fußbeckens des Amasis zu einem Götterbild betrachten. 1.2 Die Beschreibung des Heiligtums in Bubastis Zuerst ist zu fragen, warum und in welchem Kontext Herodot auf das Heiligtum der Bubastis in der gleichnamigen Stadt (Hdt. 2.138) zu sprechen kommt.10 Diese Frage ist sowohl für den Anlass der Beschreibung des Heiligtums als auch für die Funktion und Bedeutung derselben nicht zu unterschätzen, weil festzustellen ist, dass die gesamte Erzählung über König Sabakos und seine Strafmaßnahme im Modus der indirekten Rede steht, während die daran anschließende Folgerung (Καὶ οὕτω …) bezüglich der Höhe der Städte, der Übergang zur Beschreibung des Heiligtums und die Beschreibung selbst in direkter Rede erfolgt. Im unmittelbar vorausgehenden Zusammenhang der Beschreibung des Heiligtums (Hdt. 2.137) ist zuerst im Rahmen der Königsabfolge von dem Ägypter Anysis und dem äthiopischen König Sabakos die Rede.11 Während Anysis aufgrund der Bedrohung durch die heranziehenden Äthiopier unter Sabakos in die Sümpfe geflohen sei, habe Sabakos selbst fünfzig Jahre in Ägypten geherrscht (Hdt. 2.137.1–2)12 und die folgende besondere Tat vollbracht (αὐτὸν τάδε ἀποδέξασθαι): Durch die Einführung einer Strafmaßnahme gegenüber kriminellen Ägyptern soll er für die Aufschüttung des Bodens gesorgt haben, welche die Städte immer höher wachsen ließ (ὑψηλότεραι, Hdt. 2.137.3–4).13 Herodot präsentiert die Strafmaßnahme in der indirekten Rede folgendermaßen (Hdt. 2.137.3): Ὅκως τῶν τις Αἰγυπτίων ἁμάρτοι τι, κτείνειν μὲν αὐτῶν οὐδένα ἐθέλειν, τὸν δὲ κατὰ μέγαθος τοῦ ἀδικήματος ἑκάστῳ δικάζειν, ἐπιτάσσοντα χώματα χοῦν πρὸς τῇ ἑωυτῶν πόλι, ὅθεν ἕκαστος ἦν τῶν ἀδικεόντων. Καὶ οὕτω ἔτι αἱ πόλιες ἐγένοντο ὑψηλότεραι· Habe einer von den Ägyptern ein Verbrechen begangen, so habe er niemanden von ihnen töten wollen, sondern jeden seinem Vergehen entsprechend zu Erdarbeiten für die Stadt verurteilt, aus der der Verbrecher jeweils stammte; so seien die Städte noch höher über dem Boden emporgewachsen.
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Eine kritische Auseinandersetzung mit den archäologischen Befunden sowie den Kommentaren bietet Froschauer (1991) 328–46. Cf. dazu Lloyd (1988) 92–4. Cf. zu der „nubischen“ Invasion Ägyptens Lloyd (1988) 92. Cf. Hdt. 2.137 Καὶ οὕτω ἔτι αἱ πόλιες ἐγένοντο ὑψηλότεραι.
1. Religion und äußere Sinne
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Diese Erzählung in indirekter Rede, die der Beschreibung des Heiligtums von Bubastis vorausgeht, ist für das Gesamtverständnis der Textpassage zentral. Sie liefert – pointiert gesprochen – überhaupt erst den Grund dafür, dass Herodot in der Lage ist, das Heiligtum so zu beschreiben, wie er es tun wird, indem er von oben auf es herabblickt (Hdt. 2.138.2: κατορᾶται), da es von allen Seiten her sichtbar ist (ἔσοπτόν ἐστι).14 Die implizite Erklärung und Pointe dürfte wohl anzeigen, dass es in Bubastis offenbar besonders viele Straftäter gegeben habe. Die Erzählung ist darüber hinaus so wichtig, da sie als und im Hintergrund der folgenden Beschreibung des Heiligtums die Ambivalenz des Ortes beleuchtet und steigert, weil durch die wunderbare Aussicht auf das Heiligtum zugleich die zuvor erwähnten Schandtaten der dortigen Bewohner in noch stärkerem Kontrast erscheinen und präsent werden. Doch nun zurück zum Ende der Erzählung über die Strafmaßnahme des Sabakos und zum Anfang der Beschreibung des Heiligtums der Bubastis. Die Strafmaßnahme des äthiopischen Königs, welche zur geologischen Transformation des Ortes geführt haben soll, wird von Herodot nun neben die unter Sesostris15 erfolgte Maßnahme gestellt: zur Aufschüttung des Grundes nach dem Ausheben von Gräben16, so dass die Städte in Ägypten dadurch erheblich erhöht wurden (κάρτα ὑψηλαὶ ἐγένοντο).17 Von diesen erhöhten Städten in Ägypten sei die Stadt Bubastis am meisten aufgeschüttet, wodurch Bubastis über die anderen Städte erhoben scheint.18 An dieser Stelle folgt der Übergang zur Beschreibung des Heiligtums der „Bubastis“19, das besonders erwähnenswert sei (ἐν τῇ καὶ ἱρὸν ἔστι Βουβάστιος ἀξιαπηγητότατον).20 Von dieser Hinführung zur Beschreibung ist diese erste Auszeichnung des Heiligtums festzuhalten, die nun weiter qualifiziert wird (Hdt. 2.137.5): Zwar gebe es noch größere und aufwändigere Heiligtümer (μέζω μὲν γὰρ ἄλλα καὶ πολυδαπανώτερα ἔστι ἱρά), räumt Herodot ein, doch dieses Heiligtum sei die größte Augenweide oder (wörtlich) „eine Lust anzuschauen ohne gleichen“ (ἡδονὴ δὲ ἰδέσθαι οὐδὲν τούτου μᾶλλον). Es handelt sich also um ein Heiligtum, das Herodot zu einem Superlativ in ästhetischer Hinsicht inspiriert. Herodots Beschreibung mag zwar nun einige Elemente des Heiligtums in den Blick nehmen,21 doch die Pointe der Beschreibung und ihr tieferer Sinn liegt meines Erachtens wohl in den folgenden zwei Gesichtspunkten: (a) Zum einen
14 15 16 17 18 19 20 21
Hdt. 2.138.2 Ἐὸν δ’ ἐν μέσῃ τῇ πόλι τὸ ἱρὸν κατορᾶται πάντοθεν περιιόντι· ἅτε γὰρ τῆς πόλιος μὲν ἐκκεχωσμένης ὑψοῦ, τοῦ δ’ ἱροῦ οὐ κεκινημένου ὡς ἀρχῆθεν ἐποιήθη, ἔσοπτόν ἐστι. Cf. zu den geologischen Maßnahmen des Sesostris Hdt. 2.108. Cf. dazu Hdt. 2.108. Cf. dazu auch How/Wells (1912) ad loc. Cf. Hdt. 2.137.5 Ὑψηλέων δὲ καὶ ἑτέρων γενομένων ἐν τῇ Αἰγύπτῳ πολίων, ὡς ἐμοὶ δοκέει, μάλιστα ἡ ἐν Βουβάστι πόλις ἐξεχώσθη (…). Zu der im Folgenden vorgenommenen Gleichsetzung der „Bubastis“ (bzw. Bastet) mit „Artemis“ Kolta (1968) 24–30 und von Lieven (2016). LSJ: ἀξι-αφήγητος, Ion. ἀξι-απήγητος, ον, worth telling, Hdt. 1.16, 177 (Sup.). Cf. dazu How/Wells (1912) und Lloyd (1988) ad loc.
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lässt Herodots Beschreibung sprachlich eine solche Ordnung erkennen, dass seine eigene Beschreibung als ein sprachliches Kunstwerk in zentralen Strukturen und Gesichtspunkten das Heiligtum in seiner Anlage, Struktur und Ordnung für den Leser und Hörer des Textes veranschaulicht und teils spiegelt; diesen Gesichtspunkt könnte man als ikonographischen Aspekt seiner Beschreibung bezeichnen; zum anderen (b) liegt eine weitere Pointe der Beschreibung in dem steigenden Kontrast, der zwischen dem wunderbar imaginierten alten religiösen Heiligtum und der buchstäblich ringsherum aufragenden Schandtaten der jüngeren Vergangenheit entsteht, welche die gute Aussicht auf das Heiligtum der Stadt ermöglichen. Im Folgenden werde ich insbesondere auf den ersten Aspekt eingehen. Während es sich also einerseits um die Schöpfung eines sprachlichen Kunstwerkes handelt, die durch die griechische Beschreibung Herodots bewirkt wird, geht es andererseits um einen durch die vorausgehende Erzählung wahrnehmbaren ästhetisch-moralischen Kontrast, der als ironischer Beigeschmack oder als Ober- und Unterton die Gesamtwahrnehmung des religiösen Heiligtums einfärbt. Sind die religiösen Anlagen auch noch so bewundernswert, so werden sie von den Schandtaten der Ägypter doch überragt. Zur Anlage, Struktur und Ordnung des Heiligtums Wichtig ist Herodots Auszeichnung des Heiligtums (ἱρὸν) in Bubastis als ein äußerst besonderes (ἀξιαπηγητότατον). Damit wird zuerst das religiöse Feld markiert. Bevor er sich der Beschreibung zuwendet, identifiziert er „Bubastis“ (die ägyptische Göttin „Bastet“) mit der in griechischer Sprache als „Artemis“ bekannten Göttin.22 Herodots Beschreibung lässt sich aufgrund der ringkompositorischen Funktion des Eingangs(weges), der Zentralität des Heiligtums in der Mitte der Stadt und der Beschreibung sowie aufgrund des signifikanten dreifachen Vorkommens von Bäumen in drei Abschnitte untergliedern. Zuerst sollen die Textabschnitte jeweils in griechischer und deutscher Sprache, darauf die Analyse und Kommentierung des Textabschnittes folgen. 1. Abschnitt: Hdt. 2.138.1 Τὸ δ’ ἱρὸν αὐτῆς ὧδε ἔχει. (1) Πλὴν τῆς ἐσόδου τὸ ἄλλο νῆσός ἐστι· ἐκ γὰρ τοῦ Νείλου διώρυχες ἐσέχουσι οὐ συμμίσγουσαι ἀλλήλῃσι, ἀλλ’ ἄχρι τῆς ἐσόδου τοῦ ἱροῦ ἑκατέρη ἐσέχει, ἡ μὲν τῇ περιρρέουσα, ἡ δὲ τῇ, εὖρος ἐοῦσα ἑκατέρη ἑκατὸν ποδῶν, δένδρεσι κατάσκιος.
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Cf. dazu Sourdille (1910) 116–123 und Art. „Bastet“ in Bonnet (1952) 80–82.
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Ihr Heiligtum ist so gelegen: (1) Mit Ausnahme des Eingangs ist das übrige eine Insel. Vom Nil her laufen Kanäle heran, die nicht miteinander verbunden sind, sondern bis zum Eingang des Heiligtums läuft jeder von beiden für sich heran; der eine fließt auf der einen Seite herum, der andere auf der anderen, und jeder ist hundert Fuß breit und von Bäumen beschattet.
Zuerst wird, abgesehen von dem Eingangsweg (πλὴν τῆς ἐσόδου), der auf dem Festland zu liegen scheint, der Gesamtcharakter des Heiligtums als einer Insel (νῆσος) betont. Die Insel sei mit dem Nil (ἐκ γὰρ τοῦ Νείλου) durch zwei bis zum Eingang des Heiligtums auf beiden Seiten umgebende Kanäle (διώρυχες) verbunden. Diese beiden Kanäle, die symmetrisch und parallel zueinander die Insel und damit das Heiligtum umgeben, sind von Schatten spendenden Bäumen umgeben und je hundert Fuß breit. Festzuhalten ist, dass in diesem ersten Abschnitt das Heiligtum (τὸ δ’ ἱρὸν) als Insel, der davon unterschiedene Eingangsweg, die symmetrisch das Heiligtum umgebenden Kanäle, sowie deren schattige Bepflanzung durch Bäume hervorgehoben werden.23 Bemerkenswert ist die betonte Symmetrie der beiden Kanäle sowie der Fokus auf den Eingangsweg. 2. Abschnitt: Hdt. 2.138.2–3 (2) Τὰ δὲ προπύλαια ὕψος μὲν δέκα ὀργυιέων ἐστί, τύποισι δὲ ἑξαπήχεσι ἐσκευάδαται ἀξίοισι λόγου. Ἐὸν δ’ ἐν μέσῃ τῇ πόλι τὸ ἱρὸν κατορᾶται πάντοθεν περιιόντι· ἅτε γὰρ τῆς πόλιος μὲν ἐκκεχωσμένης ὑψοῦ, τοῦ δ’ ἱροῦ οὐ κεκινημένου ὡς ἀρχῆθεν ἐποιήθη, ἔσοπτόν ἐστι. Περιθέει δὲ αὐτὸ αἱμασιὴ ἐγγεγλυμμένη τύποισι· ἔστι δὲ ἔσωθεν ἄλσος δενδρέων μεγίστων πεφυτευμένον περὶ νηὸν μέγαν, ἐν τῷ δὴ τὤγαλμα ἔνι. (2) Das Eingangsgebäude ist zehn Klafter hoch und mit bemerkenswerten Reliefs von sechs Ellen Höhe ausgestattet. Das Heiligtum liegt mitten in der Stadt und ist deshalb von allen Seiten zu erblicken. Die Stadt ist nämlich durch Dammaufschüttungen erhöht worden, das Heiligtum aber ist gegenüber seiner ursprünglichen Anlage nicht verändert worden, so dass man hineinsehen kann. Um es herum läuft eine Mauer, in die Reliefs eingemeißelt sind, und innen ist ein Hain mit mächtigen Bäumen, der um einen hohen Tempel herumgepflanzt ist, in dem das Kultbild steht.
Im Verlauf des zweiten Abschnitts erfolgt die Annäherung an das Innerste des Heiligtums, in dessen Zentrum sich ein großer Tempel mit einem Bild der Gottheit befindet. Zuerst werden die Eingangstore (προπύλαια) in ihrer Höhe und Breite geschildert, die
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Cf. zur Ausprägung und Bedeutung des Baumkultes in Ägypten, Art. „Baumkult“ in Bonnet (1952) 82–87.
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mit wertvollen Abdrücken oder Reliefs (τύποισι (…) ἀξίοισι λόγου) verziert sind. Darauf äußert sich Herodot zu seiner Perspektive auf das Heiligtum: Weil dieses in der Mitte der Stadt liege, könne man von allen Seiten darauf herabschauen und es umschreiten. Diese besondere Lage im Zentrum der Stadt wird nun noch weiter erläutert durch den Kontrast zwischen der im Laufe der Zeit in die Höhe wachsenden Stadt (πόλιος μὲν ἐκκεχωσμένης ὑψοῦ) einerseits und andererseits dem seit seiner Gründung (ὡς ἀρχῆθεν ἐποιήθη) unbewegten (οὐ κεκινημένου) Heiligtum, das einsehbar (ἔσοπτον) ist. Hier wird das Alter der religiösen Kultur von außen sichtbar und damit ein zeitlicher Aspekt thematisiert. Umgeben ist das Heiligtum von einer wiederum mit Reliefs versehenen Mauer (αἱμασιὴ ἐγγεγλυμμένη τύποισι). Darauf kommt Herodot auf das Innere des Heiligtums zu sprechen: Darin befinde sich ein Hain von äußerst großen Bäumen, die um einen großen Tempel gepflanzt seien. In diesem Tempel befinde sich das Götterbild. Festzuhalten ist, dass sich die Beschreibung ausgehend von den eindrucksvollen Eingangstoren für eine Gesamtansicht des Heiligtums weitet: In dieser Perspektive werden die Zentralität des Heiligtums in der Stadt und zugleich die Antithese zwischen der höher liegenden, aufgeschütteten Stadt und dem tiefer liegenden Heiligtum unterstrichen. 3. Abschnitt: Hdt. 2.138.3–4 (3) εὖρος δὲ καὶ μῆκος τοῦ ἱροῦ πάντῃ σταδίου ἐστί. Κατὰ μὲν δὴ τὴν ἔσοδον ἐστρωμένη ἔστι ὁδὸς λίθου ἐπὶ σταδίους τρεῖς μάλιστά κῃ, διὰ τῆς ἀγορῆς φέρουσα ἐς τὸ πρὸς ἠῶ, εὖρος δὲ ὡς τεσσέρων πλέθρων· τῇ δὲ καὶ τῇ τῆς ὁδοῦ δένδρεα οὐρανομήκεα πέφυκε· φέρει δ’ ἐς Ἑρμέω ἱρόν. Τὸ μὲν δὴ ἱρὸν τοῦτο οὕτως ἔχει. (3) Die Länge und die Breite des Heiligtums misst je ein Stadion. Vor dem Eingang ist eine Straße auf einer Länge von etwa drei Stadien mit Steinen gepflastert, die über den Marktplatz der Stadt nach Osten führt und etwa vier Plethren breit ist. Zu beiden Seiten der Straße stehen himmelhohe Bäume, und sie führt zum Heiligtum des Hermes. Dieses Heiligtum sieht also so aus.
Im letzten Abschnitt der Beschreibung äußert sich Herodot über die Ausmaße des Heiligtums. Aufgrund desselben Maßes an Breite und Länge (ein Stadion) wird eine quadratische Form des Heiligtums entworfen. In einer ringkompositorischen Wendung richtet sich die Beschreibung nun wieder auf den Eingang(sweg), der sowohl in seinem Ausmaß (etwa drei Stadien lang) als auch in seiner Materialität (aus Stein) geschildert wird. Der steinerne Weg führt über den als „Agora“ bezeichneten Platz nach Osten. Auch dieser Weg soll auf beiden Seiten (τῇ δὲ καὶ τῇ τῆς ὁδοῦ) von Bäumen umgeben sein, die hoch in den Himmel ragen (δένδρεα οὐρανομήκεα). Er führe zu einem Heiligtum des Hermes, das jedoch nicht weiter beschrieben wird. Herodots Beschreibung des Heiligtums in Bubastis, in der drei Abschnitte unterschieden werden können, ist nicht nur horizontal und vertikal, sondern auch in einen
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geographischen und geologischen Kontext eingebettet. Für die Beschreibung in drei Schritten können die folgende Aspekte angeführt werden: zuerst die signifikante, dreimalige Erwähnung von Bäumen, die in Herodots Beschreibung zunehmend größer werden (δένδρεσι κατάσκιος / ἄλσος δενδρέων μεγίστων πεφυτευμένον / δένδρεα οὐρανομήκεα πέφυκε). Außerdem die Ringkomposition, die vom Eingang des Heiligtums ausgeht, in die Mitte des Heiligtums führt, und darauf wieder zum Eingang zurückführt. Die Beschreibung ist stilistisch insgesamt stark von Parallelismen und Symmetrien sowohl im Hinblick auf bestimmte Maße als auch Strukturen wie z. B. die beiden Gräben geprägt. Eine Spiegelung der Architektur des beschriebenen Heiligtums in der Gestaltung des Textes ist erkennbar: Im Zentrum der Beschreibung, das mit dem zweiten Abschnitt zusammenfällt, befindet sich das auch in der Mitte der Stadt liegende Heiligtum, das von allen Seiten einsehbar und umgehbar ist. Zudem steht im Zentrum der Beschreibung auch der vertikale Kontrast zwischen der Stadt, die das Heiligtum umgibt und einsehbar macht, und dem von Beginn an unveränderten Heiligtum. Bei einer mikroskopischen Betrachtungsweise des Textes im zweiten Abschnitt, welche die Wortstellung mitberücksichtigt (s. unten), kann beobachtet werden, dass das Heiligtum (τὸ ἱρὸν) auch auf der syntaktischen Ebene sowohl (i) von der Stadt (ἐν μέσῃ τῇ πόλι) und demjenigen, der das Heiligtum umschreitet, und (ii) ein zweites Mal von der Stadt (τῆς πόλιος μὲν) wie auch der Mauer (περιθέει δὲ αὐτὸ αἱμασιὴ) umgeben erscheint: (i) Ἐὸν δ’ ἐν μέσῃ τῇ πόλι τὸ ἱρὸν κατορᾶται πάντοθεν περιιόντι· (ii) ἅτε γὰρ τῆς πόλιος μὲν ἐκκεχωσμένης ὑψοῦ, τοῦ δ’ ἱροῦ οὐ κεκινημένου ὡς ἀρχῆθεν ἐποιήθη, ἔσοπτόν ἐστι. Περιθέει δὲ αὐτὸ αἱμασιὴ ἐγγεγλυμμένη τύποισι·
Die Beschreibung kann sicherlich auch, wie Lloyd bemerkt, als ein archäologisches tekmerion gelesen werden, doch erschöpft sich ihr Sinn nicht darin.24 Bei einer Betrachtung der Terminologie ist festzustellen, dass Herodot den Ort mit Hilfe der ihm zur Verfügung stehenden griechischen Begriffe deutlich als einen sakralen beschreibt, obgleich er weder auf die Funktionalität noch auf den symbolischen Gehalt der verschiedenen Elemente (Zufluss des Wassers vom Nil, die Bäume und ihr Schatten, die Reliefs etc.) weiter eingeht. Zur Beschreibung im Kontext der Erzählung Die Beschreibung des Heiligtums mit dieser Anschaulichkeit (enárgeia) ist eine wichtige Funktion der Beschreibung. Herodot lädt ausdrücklich zu einer solchen Betrach-
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Lloyd (1988) 94 bemerkt: „H’s classic description is an excellent example of an archeological tekmerion used to substantiate historical tradition […].“
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tung ein, die er durch seine fokussierte Erzählung und den Übergang zur Beschreibung markiert. Die Lust der Anschauung und der geistigen Betrachtung (ἡδονὴ δὲ ἰδέσθαι) kann darin bestehen, das von Menschen so wunderbar erbaute Heiligtum in seinem über die Jahre wachsenden Kontrast zu den Schandtaten der Menschen der Stadt zu sehen. Der knappe Hinweis auf das Heiligtum des Hermes könnte darauf hindeuten, dass es hier jenseits des Textes und der Anschauung des religiösen und textuellen Kunstwerkes eine tiefere und nüchterne Botschaft zu entschlüsseln und zu übersetzen gilt. Die Beschreibung im Anschluss an die Erzählung schafft neben dem sprachlichen Kunstwerk, die sie darstellt, auch Raum für die Reflexion über das sakrale Gebäude, seine Bedeutung und über die Menschen, die in seiner Nähe leben. Für den Leser und Zuhörer dürfte auch der Kontrast zwischen dieser Betrachtung des Heiligtums durch Herodot und der lebhaften Festbeschreibung und der Bootsprozession nach Bubastis (Hdt. 2.60) innerhalb der Nomoi augenfällig sein.25 1.3 Buto: Der Tempel des Heiligtums als „Wunder“ Nachdem Herodot im Zusammenhang mit der Befragung des Orakels durch Psammetichos (Hdt. 2.152) Buto als die „untrüglichste Orakelstätte Ägyptens“ (ἔνθα δὴ Αἰγυπτίοισί ἐστι μαντήιον ἀψευδέστατον)26 bezeichnet hatte, kommt er nun nach der Erzählung von der Machtergreifung des Psammetichos mit Hilfe griechischer Söldner nochmals auf das Orakel zurück (Hdt. 2.155). Obgleich er schon mehrmals27 das Orakel erwähnt habe, betont Herodot, müsse er nun nochmals über das Orakel sprechen, da dieses der Rede wert/würdig (ὡς ἀξίου ἐόντος) sei.28 Diese explizite Vorbemerkung über den Wert und die Würde des Orakels ist eine wichtige Voraussetzung für die folgende Beschreibung des Heiligtums, die im weiteren Verlauf mit einer mythischen Erzählung verknüpft wird.29 Herodots Vorgehensweise bei der Beschreibung des Heiligtums lässt sich folgendermaßen analysieren (Hdt. 2.155): Τὸ γὰρ χρηστήριον τοῦτό [τὸ ἐν Αἰγύπτῳ] ἐστι μὲν Λητοῦς ἱρόν, ἐν πόλι δὲ μεγάλῃ ἱδρυμένον κατὰ τὸ Σεβεννυτικὸν καλεόμενον στόμα τοῦ Νείλου, ἀναπλέοντι ἀπὸ
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Cf. dazu die Analyse in Kapitel III. Religion im Sozialen. Hdt. 2.152.3 Πέμψαντι δέ οἱ ἐς Βουτοῦν πόλιν [ἐς τὸ χρηστήριον τῆς Λητοῦς], ἔνθα δὴ Αἰγυπτίοισί ἐστι μαντήιον ἀψευδέστατον, ἦλθε χρησμὸς ὡς τίσις ἥξει ἀπὸ θαλάσσης χαλκέων ἀνδρῶν ἐπιφανέντων. Hdt. 2.155.1 Τοῦ δὲ χρηστηρίου τοῦ ἐν Αἰγύπτῳ πολλὰ ἐπεμνήσθην ἤδη […]. Cf. Hdt. 2.83 (im Verbund mit weiteren Orakeln als das Orakel, das allerhöchstes Ansehen genießt), Hdt. 2.111 (Befragung durch Sethos), Hdt. 2.133 (Befragung durch Mykerinos), Hdt. 2.152 (Befragung des Orakels durch Psammetichos). Das Orakel spielt auch bei Kambyses in Hdt. 3.64 eine Rolle. Hdt. 2.155.1 Τοῦ δὲ χρηστηρίου τοῦ ἐν Αἰγύπτῳ πολλὰ ἐπεμνήσθην ἤδη, καὶ δὴ λόγον περὶ αὐτοῦ ὡς ἀξίου ἐόντος ποιήσομαι. Cf. zu der Beschreibung Munson (2001) 238–239.
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θαλάσσης ἄνω. Οὔνομα δὲ τῇ πόλι ταύτῃ ὅκου τὸ χρηστήριόν ἐστι Βουτώ, ὡς καὶ πρότερον ὠνόμασταί μοι· ἱρὸν δὲ ἔστι ἐν τῇ Βουτοῖ ταύτῃ Ἀπόλλωνος καὶ Ἀρτέμιδος. Καὶ ὅ γε νηὸς τῆς Λητοῦς, ἐν τῷ δὴ τὸ χρηστήριον ἔνι, αὐτός τε τυγχάνει ἐὼν μέγας καὶ τὰ προπύλαια ἔχει ἐς ὕψος δέκα ὀργυιέων. Τὸ δέ μοι τῶν φανερῶν ἦν θῶμα μέγιστον παρεχόμενον φράσω. Ἔστι ἐν τῷ τεμένεϊ τούτῳ Λητοῦς νηὸς ἐξ ἑνὸς λίθου πεποιημένος ἔς τε ὕψος καὶ ἐς μῆκος, καὶ τοῖχος ἕκαστος τούτοισι ἴσος· τεσσεράκοντα πήχεων τούτων ἕκαστόν ἐστι. Τὸ δὲ καταστέγασμα τῆς ὀροφῆς ἄλλος ἐπίκειται λίθος ἔχων τὴν παρωροφίδα τετράπηχυν. (156.1) Οὗτος μέν νυν ὁ νηὸς τῶν φανερῶν μοι τῶν περὶ τοῦτο τὸ ἱρόν ἐστι θωμαστότατον· Dieses Orakel in Ägypten ist ein Heiligtum der Leto, errichtet bei einer großen Stadt an dem sogenannten sebennytischen Mündungsarm des Nil, wenn man landeinwärts fährt. Der Name dieser Stadt, wo sich die Orakelstätte befindet, ist Buto, wie ich auch schon früher sagte. Es gibt in diesem Buto (auch) ein Heiligtum des Apollon und der Artemis, und der Tempel der Leto, in dem sich das Orakel befindet, hat selbst eine bedeutende Größe, und seine Vorhalle ragt zehn Klafter in die Höhe. Was mich von den Dingen, die dort zu sehen sind, am meisten in Erstaunen versetzt hat, will ich nennen: In diesem heiligen Bezirk der Leto steht ein aus einem einzigen Stein gehauener Tempel, der an Höhe und Länge ist, und jede Wand ist in diesen Dimensionen gleich: Eine jede von ihnen beträgt vierzig Ellen. Als Bedachung liegt ebenfalls eine weitere Steinplatte darauf, die ein vier Ellen vorstehendes Gesims hat. (156.1) Auf diese Weise ist für mich der Tempel das Wunderbarste, was man in diesem Heiligtum sehen kann […].
Wie bei der unmittelbar vorausgehenden Erzählung über Psammetichos steht die Beschreibung in direkter Rede des Erzählers. Zuerst geht es um die Identifikation der sakralen Stätte mit einer bestimmten Gottheit.30 Herodot erklärt, dass das Orakel (τὸ γὰρ χρηστήριον τοῦτο) ein Heiligtum der Leto (= Wadjet; Λητοῦς ἱρόν) sei. Darauf bestimmt er die geographische Lage des Heiligtums, das in einer großen Stadt (ἐν πόλι δὲ μεγάλῃ ἱδρυμένον) am sogenannten Sebennytischen Mund des Nils liege.31 Den Namen der Stadt „Buto“32 führt er zuletzt an und verweist darauf, dass die Stadt auch schon früher von ihm angeführt worden sei. Im nächsten Schritt kommt die religiöse Umgebung bzw. der weitere religiöse Kontext des Heiligtums in den Blick. Herodot erläutert, dass es in Buto auch ein Heiligtum des Apollon (= Horus) und der Artemis (= Bastet) gebe (ἱρὸν δὲ ἔστι ἐν τῇ Βουτοῖ ταύτῃ Ἀπόλλωνος καὶ Ἀρτέμιδος). Diese Angaben, die an dieser Stelle nicht weiter kommentiert werden, sind für die weitere Erzählung (Hdt. 2.156) von Relevanz. Nun konzentriert sich Herodot auf den Tempel der Leto (καὶ ὅ γε νηὸς τῆς Λητοῦς), in dem sich das Orakel befinde (ἐν τῷ δὴ τὸ χρηστήριον ἔνι). Bei der nun folgenden Beschreibung des Tempels kommen zu30 31 32
Cf. zu den einzelnen Elementen und den archäologischen Befunden Lloyd (1988) ad loc. Der Ausdruck „wenn man vom Meer aus stromaufwärts fährt“ (Hdt. 2.155.1) klingt nach einer periplousartigen Angabe. Cf. zu Buto Bonnet (1952) 129–130 sowie zur ägyptischen Göttin Uto ebd. 853–854.
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nächst zwei Aspekte in den Blick: seine Größe, jedoch zunächst ohne weitere Quantifizierung (αὐτός τε τυγχάνει ἐὼν μέγας) und die quantifizierte Höhe seiner Vorhalle (καὶ τὰ προπύλαια ἔχει ἐς ὕψος δέκα ὀργυιέων). Mit der folgenden Bemerkung lenkt Herodot nun die Aufmerksamkeit auf das, was ihn „von den Dingen, die dort zu sehen sind, am meisten in Erstaunen versetzt hat“ (το δέ μοι τῶν φανερῶν ἦν θῶμα μέγιστον παρεχόμενον): Im heiligen Bezirk (ἐν τῷ τεμένεϊ τούτῳ) stehe der aus einem monolithischen Stein sowohl im Hinblick auf die Höhe als auch die Breite erbaute Tempel der Leto, dessen Wände das gleiche Maß hätten.33 Der Ausdruck zur Bezeichnung des größten Wunders von den sichtbaren Dingen (Hdt. 2.155.3 Τὸ δέ μοι τῶν φανερῶν ἦν θῶμα μέγιστον), der auf die einzigartige Erscheinung des Tempels der Leto fokussiert, beschließt nach weiteren Angaben zu den Ausmaßen der Tempelwände sowie des Daches mit einem vorstehenden Sims mit einer ähnlichen Wendung (Hdt. 2.156.1 ὁ νηὸς τῶν φανερῶν μοι τῶν περὶ τοῦτο τὸ ἱρόν ἐστι θωμαστότατον) diesen Abschnitt in einer Art Ringkomposition. Der in diesem abschließenden Ausdruck gewählte Superlativ wird mit dem Hinweis auf ein weiteres erstaunliches Phänomen verbunden, auf das Herodot unmittelbar im Anschluss (Hdt. 2.156.1) näher eingeht: die sogenannte „Insel Chemmis“. Während in Herodots Sprache der Beschreibung des Heiligtums der Leto und insbesondere ihres Tempels deutlich die Konturen eines eindrucksvollen sakralen Gebäudes zu erkennen sind, ist das Besondere und Staunenswerte an der sogenannten Insel Chemmis (Hdt. 2.156.1), die bei dem Heiligtum in Buto liegt, anderer Art. 1.4 Die wundersame Insel Chemmis Die Beschreibung dieser Insel (Hdt. 2.156), die als zweites wundersames Phänomen erscheint, soll im Folgenden genauer betrachtet werden. Auch bei dieser Insel handelt es sich um einen sakralen Ort, dessen Besonderheit in einer merkwürdigen Eigenschaft begründet liegt: angeblich schwimme sie (πλωτή). Die Beschreibung der Insel geht in eine mythisch-theologische Erzählung der Ägypter über, mit der Herodot die Besonderheit der Insel erläutert. Zuerst äußert sich Herodot über die geographische Lage der Insel, die in einem tiefen und breiten See neben dem Heiligtum in Buto liegen soll. In einem zweiten Schritt lenkt er nun die Aufmerksamkeit auf die Eigenschaft, welche die Ägypter der Insel zuschrieben: Von den Ägyptern werde gesagt (λέγεται δὲ
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Cf. dazu die Diskussion bei Lloyd (1988) 140–142. Lloyd bemerkt resümierend, ebd. 142: „Our conclusion is that the received text should stand, that H.s claim on the monolithic character of the building and its roof are probably the result of the inadequacy of his examination (in the case of the roof are its sheer impossibility), and that neither measurements nor proportions should be taken too literally. What deity was worshipped in this shrine cannot be established but it would not be surprising if it were Horus or Isis (cf. nn. II, 156).“
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ὑπ’ Αἰγυπτίων), dass diese Insel eine „schwimmende“34 (αὕτη ἡ νῆσος πλωτή) sei.35 Unmittelbar im Anschluss erklärt Herodot jedoch ausdrücklich durch die Hervorhebung seiner Autopsie, dass er selbst (αὐτὸς μὲν ἔγωγε […] εἶδον) sie weder als schwimmende noch bewegte (οὔτε πλέουσαν οὔτε κινηθεῖσαν) gesehen habe. Vielmehr sei er erstaunt zu hören (τέθηπα δὲ ἀκούων), dass eine Insel wirklich eine schwimmende sein könne.36 Die skeptische Zurückhaltung, die Herodot bezüglich der schwimmenden Insel äußert, könnte aufgrund der vorausgehenden Beobachtung und deren Wortlaut, dass er sie „nicht schwimmen oder sich bewegen“ (οὔτε πλέουσαν οὔτε κινηθεῖσαν) gesehen habe, auch eine kritische Antwort auf eine Äußerung des Hekataios über diese Insel sein.37 Nach dieser Hinführung beschreibt Herodot im Folgenden, was sich auf der Insel befinde: Zum einen seien ein großer Tempel des Apollon (νηός τε Ἀπόλλωνος μέγας ἔνι) und drei Altäre auf ihr errichtet (καὶ βωμοὶ τριφάσιοι ἐνιδρύαται)38, zum anderen würden zahlreiche Palmen und andere Bäume auf ihr wachsen, fruchttragende und solche ohne Frucht. Soweit die Beschreibung, die nur in Kürze die Größe des Tempels, die drei Altäre und deren Umgebung erwähnt. Herodot weist nun darauf hin, dass die Ägypter behaupteten, die Insel sei eine schwimmende (οἱ Αἰγύπτιοί φασι εἶναι αὐτὴν πλωτήν, ὡς) indem sie die folgende Geschichte dazu erzählten (λόγον δὲ τόνδε ἐπιλέγοντες).39 Diese Erzählung ist grundsätzlich aufgrund der genannten mythologischen Inhalte von großem Interesse, da sie damit eine Ausnahme von Herodots selbst auferlegten Erzählprinzip bzw. seinem Erzählverbot von theia40 bedeutet.
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LSJ: epith. of the island of Aeolus, Od.10.3, i. e. (as expld. by Aristarch. ap. Eust.) floating; νῆσος π. floating island, Hdt. 2.156; cf. Homer, Od. 10.3 Αἰολίην δ’ ἐς νῆσον ἀφικόμεθ’∙ ἔνθα δ’ ἔναιεν (1) / Αἴολος Ἱπποτάδης, φίλος ἀθανάτοισι θεοῖσι (2) / πλωτῇ ἐνὶ νήσῳ∙ πᾶσαν δέ τέ μιν πέρι τεῖχος (3) / χάλκεον ἄρρηκτον, λισσὴ δ’ ἀναδέδρομε πέτρη (4). Lloyd in Asheri (2007) 357 kommentiert zu der schwimmenden Insel: „Probably the notion was injected into Butic tradition by Greeks who had identified Chemmis with their own floating island of Ortygias/Delos on which Leto was believed to have given birth to Artemis and Apollo (cf. Griffiths, The Conflict, p. 93).“ Man kann den Ausdruck τέθηπα δὲ ἀκούων auch so verstehen, dass Herodot erstaunt sei, wenn er höre, dass eine Insel wirklich schwimmend sein soll. Cf. dazu Hekataios (FgrHist I F 305) bei Stephanus von Byzanz (Billerbeck, 2017, Bd. 5, Phi – Omega, S. 98–9): – s. Χέμμις· πόλις Αἰγύπτου […] ἔστι καὶ Χέμβις νῆσος διὰ τοῦ β ἐν Βουτοῖ, ὡς Ἑκαταῖος ἐν Περιηγήσει Αἰγύπτου·«ἐν Βουτοῖ περὶ τὸ ἱερὸν τῆς Λητοῦς ἔστι νῆσος Χέμβις ὄνομα, ἱρὴ τοῦ Ἀπόλλωνος∙ ἔστι δὲ ἡ νῆσος μεταρσίη καὶ περιπλεῖ ἐπὶ τοῦ ὕδατος καὶ κινεῖται.» Cf. auch Stein (1901) ad loc. Lloyd in Asheri (2007) 357 bemerkt zu den drei Altären, dass diese wohl angesichts der folgenden mythischen Erzählung wahrscheinlich zu Ehren von Isis, Wadjet und Horus errichtet seien. Lloyd in Asheri (2007) 357 erklärt diesen Mythos als „the only consecutive account […] in any language, but elements of it occur in a variety of Egyptian texts.“ Cf. dazu auch Griffiths (1960) 93–96. Griffiths ebd. 94 erkennt in der Erzählung „a somewhat confused echo of the mythological associations of Khemmis“. Cf. Hdt. 2.3.
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Herodot teilt die folgende mythisch-theologische Erzählung mit, die interessant und komplex sowohl Elemente aus der ägyptischen Tradition (dem Mythos um Isis, Osiris und der Geburt ihres Sohnes Horus auf der Insel Chemmis, dem Seth nach dem Leben trachtet) als auch der griechischen Tradition (das Motiv der schwimmenden Insel, Delos bzw. Ortygia, Leto als Beschützerin des Apollon, Typhon) enthält (Hdt. 2.156.4–6): (1) […] ἐν τῇ νήσῳ ταύτῃ οὐκ ἐούσῃ πρότερον πλωτῇ Λητὼ ἐοῦσα τῶν ὀκτὼ θεῶν τῶν πρώτων γενομένων, οἰκέουσα δὲ ἐν Βουτοῖ πόλι, ἵνα δή οἱ τὸ χρηστήριον τοῦτό ἐστι, Ἀπόλλωνα παρὰ Ἴσιος παρακαταθήκην δεξαμένη διέσωσε κατακρύψασα ἐν τῇ νῦν πλωτῇ λεγομένῃ νήσῳ, ὅτε τὸ πᾶν διζήμενος ὁ Τυφῶν ἐπῆλθε, θέλων ἐξευρεῖν τοῦ Ὀσίριος τὸν παῖδα. (1) Auf dieser Insel, die früher nicht schwimmend war, bekam Leto, die zu dem ältesten Acht-Götter-Kreis gehört und in Buto – wo eben dieses Orakel ist – wohnt, von Isis den Apollon anvertraut und barg ihn auf der jetzt als schwimmend bezeichneten Insel, als der alles durchsuchende Typhon herkam und den Sohn des Osiris ausfindig machen wollte. (2) **Ἀπόλλωνα δὲ καὶ Ἄρτεμιν Διονύσου καὶ καὶ Δήμητρος λέγουσι εἶναι παῖδας, Λητοῦν δὲ τροφὸν αὐτοῖσι καὶ σώτειραν γενέσθαι. Αἰγυπτιστὶ δὲ Ἀπόλλων μὲν Ὧρος, Δημήτηρ δὲ Ἶσις, Ἄρτεμις δὲ Βούβαστις. […] τὴν δὲ νῆσον διὰ τοῦτο γενέσθαι πλωτήν. Ταῦτα μὲν οὕτω λέγουσι. (2) Apollon und Artemis, sagen sie, seien Kinder des Dionysos und der Demeter41, und Leto habe sie aufgezogen und gerettet. Auf Ägyptisch heißt Apollon Horus, Demeter Isis, Artemis Bubastis. […] Die Insel sei deswegen zur schwimmenden geworden; dies also berichten sie in dieser Form.42
Die komplexe Erzählung (1), die mit einer Erläuterung (2) bezüglich der Götter, ihrer Namen und Beziehungen zueinander versehen wird, ist von besonderem Interesse, da sie in diesem Zusammenhang wohl verschiedene Funktionen erfüllt. Auf den ersten Blick kann sie im Rahmen von Herodots Erzählung als eine ätiologische Erzählung verstanden werden, welche die besondere Eigenschaft der Insel als einer „schwimmenden“ aus einer ägyptischen Perspektive zu erklären scheint. Betrachtet man die Erzählung und einige Formulierungen jedoch genauer, so wird deutlich, dass in der Erzählung in auffälliger Weise griechische und ägyptische Namen im Wechsel mitein-
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„Demeter“: Übersetzung nach dem griechischen Text von Wilson. Cf. dazu Hdt. 2.144: Als letzter habe über Ägypten Horus regiert, der Sohn des Osiris, der bei den Griechen Apollon heißt. Dieser habe die Herrschaft des Typhon beendet und sei als letzter (Gott) König von Ägypten gewesen. Osiris ist Dionysos auf Griechisch.
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ander in Verbindung treten (zuerst Leto und Apollon, dann Isis, darauf Typhon, und zuletzt Osiris). Im Zusammenhang mit der unmittelbar anschließenden Erläuterung (2) zu den Namen der Götter („sagen sie“, „auf Ägyptisch heißt“) sowie dem wichtigen vorausgehenden Kontext (Hdt. 2.152–4), in dem Herodot eindrücklich die Präsenz ionischer und karischer Söldner sowie die ersten Übersetzer seit der Zeit des Psammetichos hervorhebt, kann die Erzählung als eine erkennbare Symbiose ägyptischer und griechischer mythischer Vorstellungen verstanden werden. Betrachtet man darüber hinaus neben der ägyptischen und griechischen Namensmischung in der Erzählung insbesondere die folgenden beiden Ausdrücke, dass die Insel „früher/zuvor nicht schwimmend“ (οὐκ ἐούσῃ πρότερον πλωτῇ) gewesen sei, und den Ausdruck „auf der jetzt als schwimmend bezeichneten Insel“, so entsteht der Eindruck, dass Herodot durch die klare Unterscheidung der zwei Zeitebenen die Ägypter seiner Zeit mit einer mythischen Erzählung über eine angeblich schwimmende Insel präsentiert, die wohl insgesamt auf eine Symbiose griechischer und ägyptischer mythischer Vorstellungen in diesem Gebiet zurückgehen. Die Hervorhebung der zeitlichen Differenz zwischen dem „früher“ und „jetzt“ innerhalb der Erzählung dient dem Zweck, dass Herodot anschaulich zeigen kann, wie Menschen aus einer eindrucksvollen natürlichen Gegebenheit (einer Insel) durch eine mythische Erzählung ein Wunder schaffen können.43 Für die Frage nach Herodots ästhetischem Interesse ist mit Blick auf die angeblich schwimmende Insel bei dem Heiligtum in Buto und die darauffolgende mythische Erzählung festzustellen, dass in diesem Fall die wenigen Angaben zum Äußeren der Insel und der sakralen Gegenstände zugunsten der mythischen Erzählung zurücktreten, die das eigentlich Wunderbare darstellt. Obgleich nun die ästhetische Beschreibung an dieser Stelle nur eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint, verbindet sie sich mit der wunderbaren mythischen Erzählung, die wohl durch die ästhetischen Eindrücke angeregt oder sogar hervorgebracht wurde.
43
Neben den bereits genannten Gründen wird die Erzählung zuletzt von Herodot mit einem Kommentar über Aischylos versehen (Hdt. 2.156.6): Ἐκ τούτου δὲ τοῦ λόγου καὶ οὐδενὸς ἄλλου Αἰσχύλος ὁ Εὐφορίωνος ἥρπασε τὸ ἐγὼ φράσω, μοῦνος δὴ ποιητέων τῶν προγενομένων· ἐποίησε γὰρ Ἄρτεμιν εἶναι θυγατέρα Δήμητρος. / „Aus dieser Geschichte und aus keiner anderen hat Aischylos, Sohn des Euphorion, entlehnt, was ich gleich sagen werde, und zwar als Einziger im Vergleich zu früheren Dichtern: Er dichtete nämlich, Artemis sei die Tochter der Demeter.“ Bemerkenswert an diesem Kommentar über den griechischen Dichter ist zum einen die Stärke des Verbs ἥρπασε („hat gestohlen“), zum anderen kann Herodot damit plausibel machen, dass einige Elemente dieser mythischen Erzählung der Ägypter bereits literarisch rezipiert wurden.
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VI. Religion und Sinne
1.5 Vom goldenen Fußbecken zum Götterbild Die Erzählung über Amasis und sein goldenes Fußbecken (Hdt. 2. 172) soll zeigen, wie ein gewöhnlicher und alltäglicher, sinnlich-wahrnehmbarer Gegenstand durch eine bloße Veränderung seiner Form und die Positionierung in einem anderen Kontext zu einem Gegenstand religiöser Verehrung wird. Obgleich auch diese Erzählung vielfältig interpretiert werden kann,44 soll sie hier mit einem Fokus auf das goldene Fußbecken des Amasis und die religionsästhetische Aussage betrachtet werden. Ob die Erzählung aus griechischer oder ägyptischer Tradition stammt, Elemente beider kultureller Traditionen enthält und von Herodot für griechische Hörer adaptiert wurde, spielt für die Betrachtung der Erzählung in religionsästhetischer Hinsicht keine Rolle.45 Die verschiedenen Motive,46 die in Herodots Erzählungen über Amasis zum Vorschein kommen und ihn als „weisen Herrscher“ sowie zugleich als „Schwindler“ oder „Betrüger“ charakterisieren, sind ein Bestandteil der Erzählung. Für die religionsästhetische Dimension der Erzählung ist zuerst von Bedeutung, wie Amasis und insbesondere das Verhältnis der Ägypter zu ihm in diesem Kontext (Hdt. 2.172) beschrieben wird. Amasis, der aus einer Stadt (Siuph) im saitischen Gau stamme, wird nach Apries König. Herodot betont in direkter Rede, dass ihn die Ägypter zuerst verachtet und ihm keinerlei Wertschätzung entgegengebracht hätten.47 Als Grund für ihre Respektlosigkeit führt Herodot an, dass Amasis „zuvor ein einfacher Mann aus dem Volk gewesen“ (δημότην τὸ πρὶν ἐόντα) und „aus keinem erlauchten Haus“ (οἰκίης οὐκ ἐπιφανέος) sei. Durch den Einsatz seiner Klugheit oder Schlauheit (σοφίῃ) und ohne Arroganz habe er die Ägypter jedoch mit der Zeit für sich gewinnen können (προσηγάγετο).48 An dieser Stelle wird ein goldenes Fußbecken (ποδανιπτὴρ χρύσεος) aus dem Besitz des Amasis zum entscheidenden Objekt der Handlung (Hdt. 2.172.3). Amasis habe das goldene Fußbecken, in dem er selbst und alle seine Gäste jedes Mal ihre Füße wuschen, zerschlagen und daraus ein Kultbild einer Gottheit (ἄγαλμα δαίμονος) herstellen lassen.49 Dieses Kultbild habe er darauf in der Stadt an einem Ort aufgestellt, „wo es vorzüglich passte“ (ὅκου ἦν ἐπιτηδεότατον).
44 45 46 47 48 49
Cf. z. B. Kurke (1999) 92–100, die ebd. 97 „Amasis’s parable of the footbath-turned-icon“ als „the climactic representation of tyrannic rule by common consent“ liest. Cf. zu diesem Problemkomplex Lloyd (1988) 211–213. Cf. „the Reversal-of-Fortune“, „the Wise Ruler“, „the Trick“ und „the Obscenity“, dazu Lloyd (1988) 212–213. Cf. Hdt. 2.172.1–2 Ἀπρίεω δὲ ὧδε καταραιρημένου ἐβασίλευσε Ἄμασις, νομοῦ μὲν Σαΐτεω ἐών, ἐκ τῆς δὲ ἦν πόλιος, οὔνομά οἵ ἐστι Σιούφ. Τὰ μὲν δὴ πρῶτα κατώνοντο τὸν Ἄμασιν Αἰγύπτιοι καὶ ἐν οὐδεμιῇ μοίρῃ μεγάλῃ ἦγον, ἅτε δὴ δημότην τὸ πρὶν ἐόντα καὶ οἰκίης οὐκ ἐπιφανέος· Hdt. 2.172.2 μετὰ δὲ σοφίῃ αὐτοὺς ὁ Ἄμασις καὶ εὐγνωμοσύνη, προσηγάγετο. Hdt. 2.172.3 τοῦτον κατ’ ὦν κόψας ἄγαλμα δαίμονος ἐξ αὐτοῦ ἐποιήσατο καὶ ἵδρυσε τῆς πόλιος ὅκου ἦν ἐπιτηδεότατον.
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Interessant ist nun die beschriebene Reaktion der Ägypter gegenüber diesem Kultbild (Hdt. 2.172.3): Wenn sie zu dem Bildnis gekommen seien, hätten sie es großartig verehrt (Οἱ δὲ Αἰγύπτιοι φοιτέοντες πρὸς τὤγαλμα ἐσέβοντο μεγάλως). Amasis soll nun in Kenntnis dieser Reaktion die Ägypter zusammengerufen und sie aufgeklärt haben, indem er behauptet habe (ἐξέφηνε φὰς), dass das Kultbild aus dem Fußbecken hervorgegangen sei (ἐκ τοῦ ποδανιπτῆρος τὤγαλμα γεγονέναι), in das die Ägypter zuvor (πρότερον μὲν) sich übergeben und Wasser gelassen und in dem sie ihre Füße gewaschen hätten, es dann aber „großartig verehrten“ (τότε δὲ μεγάλως σέβεσθαι).50 In indirekter Rede führt Herodot nun weiter die Analogie zwischen seiner Person und dem Fußbecken aus: Er sei ähnlich wie das Fußbecken behandelt worden. Denn wenn er auch zuvor (πρότερον) ein gewöhnlicher Bürger (δημότης) gewesen sei, so sei er doch jetzt (ἐν τῷ παρεόντι) ihr König. Darauf habe er ihnen befohlen, ihn zu ehren und ihm mit Respekt zu begegnen (καὶ τιμᾶν τε καὶ προμηθέεσθαι ἑωυτὸν ἐκέλευε). Diese Erzählung über Amasis beschließt Herodot mit der Feststellung, dass er auf diese Weise die Ägypter dazu gebracht habe, dass sie es für recht hielten, ihm zu dienen (ὥστε δικαιοῦν δουλεύειν).51 Der religionsästhetische Aspekt dieser Erzählung52 ist in der Transformation des goldenen Fußbades in einen sakralen Gegenstand zu sehen. Dabei spielen besonders vier Aspekte eine Rolle: (1) die Transformation des (aufgrund des Materials) wohl kostbaren goldenen Alltagsgegenstands in ein Götterbild, das Verehrung findet; (2) die Transposition des modifizierten Gegenstandes vom privaten Raum des Symposium in den öffentlichen Raum der Stadt;53 (3) die Reaktion der Ägypter, die den modifizierten Gegenstand als einen sakralen anerkennen und ihm mit Verehrung begegnen; (4) die Anbringung des Götterbildes durch den König an passender Stelle verweist auf die Autorität des Königs im Bereich des öffentlichen religiösen Lebens. Es ist festzuhalten, dass bei allen diesen Gesichtspunkten der Transformation und Transposition des alltäglichen und gewöhnlichen Gegenstandes in einen sakralen sowohl eine gewisse Willkür als auch ein stark menschlicher manipulativer Einfluss zum Ausdruck kommt. Durch den obszön anmutenden Umgang mit dem zuvor alltäglichen und gebrauchten, später jedoch verehrten Gegenstand, wird der Kontrast im menschlichen Handeln und Verhalten gegenüber einem einfachen, sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand deutlich, der in verschiedener, neuer Form und je nach Kontext eine sehr unterschiedliche Sinnzuschreibung erfahren kann. Für die von Amasis beanspruchte Analogie des Fußbeckens mit seiner Person ist zu bedenken, dass er nicht nur Respekt, 50 51 52 53
Cf. Hdt. 2.172.4 Μαθὼν δὲ ὁ Ἄμασις τὸ ἐκ τῶν ἀστῶν ποιεύμενον, συγκαλέσας Αἰγυπτίους ἐξέφηνε φὰς ἐκ τοῦ ποδανιπτῆρος τὤγαλμα γεγονέναι, ἐς τὸν πρότερον μὲν τοὺς Αἰγυπτίους ἐνεμέειν τε καὶ ἐνουρέειν καὶ πόδας ἐναπονίζεσθαι, τότε δὲ μεγάλως σέβεσθαι. Cf. Hdt. 2.172.5 Τοιούτῳ μὲν τρόπῳ προσηγάγετο τοὺς Αἰγυπτίους ὥστε δικαιοῦν δουλεύειν. Herodot beginnt die Erzählung (ähnlich einem Märchen: Ἦν οἱ ἄλλα τε ἀγαθὰ μυρία) in direkter Rede und geht erst bei der Ansprache des Königs in die indirekte Rede (ἐξέφηνε φὰς, ἔφη) über. Cf. dazu Kurke (1999) 93.
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VI. Religion und Sinne
sondern auch Verehrung seitens des Volkes erwartet. Die Parabel vom goldenen Fußbecken, das zum Götterbild wird, zeigt auf anschauliche und humorvolle Weise, welch große Bedeutung der Form und dem Kontext von wahrnehmbaren Gegenständen für ein religiöses Symbolsystem zukommt. 2. Religion und Erleben Nach der Betrachtung einiger Beispiele zu religionsästhetischen Aspekten in Herodots Historien soll nun die Aufmerksamkeit auf religionspsychologische Gesichtspunkte – also den „inneren“ Sinn gerichtet werden. In der Weise, wie sich die Religionssoziologie mit Fragen der Beziehung zwischen menschlichen Gemeinschaftsformen und Religionen befasst, erforscht die Religionspsychologie Fragen der religiösen Erfahrung und des individuellen Erlebens der Menschen.54 Insgesamt kann die Religionspsychologie auf eine lange Geschichte und Tradition in der abendländischen Geistesgeschichte zurückblicken, die der Bedeutung von Introspektion, d. h. der Betrachtung des seelischen Innenlebens, besondere Bedeutung zumisst.55 Wenn man von religionspsychologischen Aspekten in den Historien oder einem religionspsychologischen Interesse bei Herodot sprechen möchte, wäre wohl insbesondere der Zusammenhang zwischen der psychischen Disposition bestimmter handlungstragender Figuren und Charaktere, wie z. B. einigen ägyptischen und persischen Königen, und deren Verhältnis zu religiösen Gegenständen und Ereignissen von Bedeutung. Der Fokus Herodots richtet sich auf eine (Religions)psychologie individueller Herrscher und Könige, insbesondere solcher, die sich durch bestimmte Handlungen, wie z. B. Frevel und Gewalt gegenüber religiösen Bräuchen, auszeichnen. Das Beispiel par excellence ist das Handeln und Verhalten des persischen Königs Kambyses gegenüber Ägypten, aber auch gegenüber seiner eigenen Familie. Es wird unter einem religionsvergleichenden Gesichtspunkt in Kapitel VII. Religion in Interaktion behandelt. Im Folgenden werde ich mich besonders mit der Erzählung zweier Träume und einer Gebetserhörung im zweiten Buch befassen.56 54 55
56
Cf. dazu Hock (2002) 128. Zur Religionspsychologie allgemein, ihrer Forschungsgeschichte sowie Gegenstand, Aufgaben und Methoden ebd. 128–45, Henning/Murken (2003) und Sundén (1982). Cf. Hock (2002) 129. Cf. zu neueren Tendenzen der Erforschung einer persönlichen oder privaten Religion („Personal Religion“) in der (griechischen) Antike Kindt (2015) 35–50 und die kommentierte Textsammlung von Instone (2009) Greek Personal Religion. A Reader, die zwei Textbeispiele aus Herodots Historien enthält: Hdt. 6.105–106: A Divine Epiphany (Pheidippides and Pan) und Hdt. 4.78.3–4.80.5: Scyles and Olbia. Als Kontrast und Vergleich zu den ägyptischen Beispielen würde sich eine Fallstudie zu den Träumen des persischen Königs Xerxes zu Beginn des siebten Buches anbieten. Durch die Untersuchung dieser Traumepisode und der in diesem Zusammenhang erfolgenden Traumdiskussion zwischen Xerxes und Artabanos wird das große Potential religionspsychologischer Aspekte im Rahmen einer zentralen Erzählung aus Herodots Historien deutlich.
2. Religion und Erleben
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Im Anschluss an eine (2.1) Vorüberlegung zum Phänomen und Problem des „Traumglaubens“ bei Herodot sollen zuerst die Träume zweier Herrscher über Ägypten untersucht werden: (2.2) der Traum des ägyptischen Königs und Äthiopiers Sabakos (Hdt. 2.139) sowie der (2.3) des ägyptischen Priesters und Herrschers Sethos (Hdt. 2.141). Im Anschluss an diese Traumbeispiele folgt die Analyse einer (2.4) Gebetserhörung der Ladike, der Frau des Amasis (Hdt. 2.181–2).57 2.1 Vorüberlegung zum „Traumglauben“ Die folgende resümierende Äußerung über „Herodots Traumglauben“ entstammt der Untersuchung von Frisch über „die Träume bei Herodot“. Sie enthält einige Aspekte, die so grundsätzlich und allgemein geäußert, höchst problematisch sind: Herodots Traumglauben ist streng religiös; er erhebt sich im Ganzen um eine Stufe über Homer, indem die Träume als psychologisches Erlebnis gewertet sind. Er ist noch frei von allem kasuistischen Beiwerk späterer Zeiten, steht aber auch im Gegensatz zu einer beginnenden wissenschaftlichen Betrachtungsweise. Man kommt nicht umhin, in den Träumen Originalberichte von Herodots Informanten zu sehen; ihre Einarbeitung in den Gesamtzusammenhang vermittelt ein in seiner Geschlossenheit imposantes Bild einer ganz und gar von Gottheit und Schicksal regierten Welt.58
Vor meiner Untersuchung ist es methodisch von Nutzen, den Blick auf einige grundlegende Probleme im Umgang mit Herodots Erzählung über religiöse Gegenstände und Phänomene zu lenken. Die betreffenden Formulierungen sollen kurz hervorgehoben werden, um darauf die damit verbundenen Probleme und Fragen zu skizzieren. (a) „Herodots Traumglauben ist streng religiös;“ Diese Aussage ist in dreifacher Hinsicht problematisch. Erstens wird eine allgemeine Behauptung über den „Traumglauben“ des Autors der Historien vertreten, wobei keine Unterscheidung zwischen dem Autor Herodot, dem Erzähler und insbesondere den Figuren oder den Charakteren der Erzählung gemacht wird (literaturwissenschaftlich-narratologischer Gesichtspunkt). Zweitens wird ein unreflektierter und vager „Glaubens“-Begriff59 verwendet und basierend auf den Untersuchungen von Herodots Text eine problematische Zuschreibung des „Traumglaubens“ an den Autor 57 58 59
Zu Herodots Portrait des frevlerischen Königs Pheros (Hdt. 2.111), das neben einer religionspsychologischen Dimension weitere religiöse Dimensionen erkennen lässt, cf. Kapitel IV. Religion im Raum. Frisch (1968) 71. Die Hervorhebungen im Fettdruck sind von mir. Was ist genau unter „Traumglauben“ zu verstehen? Der „Glaube“ an die grundsätzliche Existenz von Träumen, die wohl schwer zu bestreiten ist, oder etwa der Glaube an bestimmte Träume, die (von anderen Menschen) erzählt werden?
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VI. Religion und Sinne
vorgenommen. Drittens ist die Klassifizierung des „Traumglaubens“ als „streng religiös“ unklar und problematisch: Was versteht Frisch unter „(streng) religiös“? Was sind seine Kriterien, um zum einen die Religiosität und zum anderen die Intensität der Religiosität des Traumglaubens zu bestimmen? Aus dem Zusammenhang kann erschlossen werden, dass für Frisch die Kategorie „(streng) religiös“ im Vergleich zu Homer zu verstehen ist, der dann wohl als sehr oder ganz streng religiös zu gelten hätte. (b) „er (sc. Herodot bzw. Herodots Traumglauben) erhebt sich im Ganzen um eine Stufe über Homer, indem die Träume als psychologisches Erlebnis gewertet sind.“ Bemerkenswert und problematisch an dieser Formulierung ist die darin behauptete Entwicklungs- oder Fortschrittsthese: Frisch geht selbstverständlich von einer religionsgeschichtlich und religionspsychologisch klassifizierbaren Entwicklung oder einem Fortschritt von Homer (also der archaischen Zeit) zu Herodot aus, da sich dieser „im Ganzen um eine Stufe über Homer“ erhebe. Der Unterschied Herodots zu Homer (im Hinblick auf den Traumglauben) wird von Frisch an der Wertung der Träume als einem „psychologischen Erlebnis“ festgemacht. (c) „Er (sc. Herodot) ist noch frei von allem kasuistischen Beiwerk späterer Zeiten, steht aber auch im Gegensatz zu einer beginnenden wissenschaftlichen Betrachtungsweise.“ Mit dieser Äußerung wird „Herodots Traumglauben“ nun unter Annahme des nicht weiter hinterfragten Entwicklungsschemas in zweifacher Hinsicht bestimmt, wobei das (Entwickungs-)Schema noch deutlicher hervortritt: Herodot sei „noch frei von allem kasuistischen Beiwerk späterer Zeiten“, stehe „aber auch im Gegensatz zu einer beginnenden wissenschaftlichen Betrachtungsweise“. Diese Einschätzung von Frisch, der bei Herodot oder, genauer in dessen Werk weder „kasuistisches Beiwerk späterer Zeiten“ noch eine „wissenschaftliche Betrachtungsweise“ beobachten kann, lässt sich insbesondere mit Blick auf die Träume des Xerxes und deren Erörterung durch Artabanos (Hdt. 7.16β) wohl nicht aufrechthalten. (d) „Man kommt nicht umhin, in den Träumen Originalberichte von Herodots Informanten zu sehen;“ Die Behauptung, dass es sich bei den Träumen in Herodots Historien angeblich zwingend um „Originalberichte von Herodots Informanten“ handle, ist wohl in dieser verallgemeinerten Form problematisch. Wie wir sehen werden, markiert Herodot zwar im Ägyptenlogos sehr deutlich, woher die Informationen über die Träume stammen, doch die Aussage von Frisch veranschaulicht in sehr eindrücklicher Weise, welche Einschätzung von Herodots erzählerischer Gestaltungskraft bei Frisch (nicht) zugrunde liegt.
2. Religion und Erleben
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(e) „[…] ihre (sc. der Originalberichte) Einarbeitung in den Gesamtzusammenhang vermittelt ein in seiner Geschlossenheit imposantes Bild einer ganz und gar von Gottheit und Schicksal regierten Welt.“ Diese letzte Aussage über die „Einarbeitung“ der Träume „in den Gesamtzusammenhang“ und das dadurch vermittelte Weltbild ist wiederum sehr allgemein gehalten und wäre wohl zumindest mit Blick auf die handelnden oder sich äußernden Charaktere (der erzählten Welt) in den Historien weiter zu differenzieren. Die zugespitzte Problematisierung der aufgeführten fünf Punkte soll an dieser Stelle nur einige Schwierigkeiten und Probleme skizzieren, die bei einer Betrachtung der Träume in Herodots Historien hervorgerufen werden können.60 Das Vorkommen von Träumen in Herodots Erzählung ist für die Frage nach religionspsychologischen Aspekten in seiner Darstellung fremder Religion von großem Interesse.61 Die grundsätzliche Bedeutung des Träumens und des Traums für die Religion und deren religionspsychologische Erforschung unterstreicht die folgende These von Drewermann62, die zwar religionswissenschaftlich nicht unumstritten und für die heutige vornehmlich empirisch arbeitende Religionspsychologie63 veraltet ist, aber dennoch durch ihre Prägnanz besticht: Der Wert des Traums für die Religion ist so groß, dass man durchaus behaupten kann, an der Einstellung zum Traum entscheide sich die Möglichkeit des Religiösen insgesamt.64
Ausgehend von der Beobachtung, dass Träume in den Historien besonders bei solchen Figuren auftreten, die für die Handlung und den Verlauf der Erzählung von besonderer Bedeutung sind, sollen im Folgenden die zwei Träume der ägyptischen Herrscher Sabakos und Sethos genauer betrachtet werden. Im Vorfeld ist zu bemerken, dass die
60 61 62
63 64
Vgl. zu der Kritik an Frisch auch die Rezension von Marg (1970) 515–517 und Pelling (1996) 68–77, 75 (Anm. 34). Zu Herodots Interesse an der Mantik/Sehergabe in Ägypten, cf. Hdt. 2.83. Cf. zur Mantik Trampedach (2015) und Flower (2008), der ebd. 2 Divination als ein „major system of knowledge and belief “ bei den Griechen beschreibt, das bei jeder Art von wichtigen Fragen praktiziert wurde. Zur Bedeutung des Träumens und des Traums für die Religion und deren Erforschung durch die Traumpsychologie, Drewermann (2001) 255–262. Seine Einschätzung ist religionswissenschaftlich zwar nicht unumstritten, aber prägnant: „Erst von der überragenden psychologischen Bedeutung der Träume her versteht man das große Gewicht, das in den Religionen der Antike ebenso wie in den ‚primitiven‘ Stammesreligionen dem Erleben des Traumes zuerkannt wird, und die Traumpsychologie selber zeigt, mit welchem Recht die Alten in den Träumen eine Offenbarung göttlicher Mächte erkannten und die Kenntnis der Traumbilder zu praktischen Heilverfahren wie zu Orakel und Magie benutzten.“ Ebd. 259. Zur gegenwärtigen Religionspsychologie Murken (2008) und (2009) sowie die Einführung in die Religionspsychologie von Henning/Murken (2003). Drewermann (2001) 262.
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VI. Religion und Sinne
Relevanz des Traums für die ägyptische Kultur und Religion unumstritten ist.65 Rat gebende und warnende Träume sind Teil der folkloristischen Tradition und sowohl in ägyptischen als auch griechischen Quellen zu finden.66 Lloyd bemerkt, dass die Ägypter von ihrem göttlichen Ursprung überzeugt waren, und Bonnet erklärt, dass der Traum bei den Ägyptern als ein „Mittel göttlicher Willenskundgebung“ angesehen wurde.67 2.2 Der Traum des ägyptischen Königs Sabakos Von der fünfzigjährigen Herrschaft des äthiopischen Königs Sabakos über Ägypten war bereits im Zusammenhang mit Herodots Beschreibung des Heiligtums in Bubastis (Hdt. 2.138) die Rede.68 Im Anschluss an diese Beschreibung kommt er (Hdt. 2.139) auf die Befreiung von der Fremdherrschaft durch den Äthiopier (τέλος δὲ τὴν ἀπαλλαγὴν τοῦ Αἰθίοπος) zu sprechen. Zuerst ist festzustellen, dass der Übergang von der direkten Rede der Beschreibung (τὸ μὲν δὴ ἱρὸν τοῦτο οὕτως ἔχει) zur folgenden indirekten Rede klar durch ein ἔλεγον („sie sagten“/„erzählten“) markiert ist: Damit wird das Geschehen (γενέσθαι) der folgenden Erzählung wieder durch die Ägypter oder die ägyptischen Priester69 perspektiviert. In dieser Episode70 spielen sowohl die Erfahrung eines Traums und dessen Deutung durch den König Sabakos (Hdt. 2.139.1–2) als auch die Prophezeiung eines äthiopischen Orakels (Hdt. 2.139.3) eine entscheidende Rolle. Beide Phänomene sind terminologisch und im konkreten Zusammenhang bei Herodot deutlich dem Feld des Religiösen zuzurechnen.71 Sie sollen in diesem Zusammenhang besonders im Hinblick auf die subjektive Erfahrung, das Erleben und die Entscheidung des Sabakos
65
66 67 68 69 70 71
Cf. dazu Art. „Traum“ in Bonnet (1952) 835–838. Lloyd bemerkt in Asheri (2007) 340–341: „The Egyptians believed that dreams were one of the means by which gods could communicate with men, and even developed handbooks to assist in their interpretation […]. This notion was certainly shared by the Nubians/Ehiopians, and Herodotus is quite correct in claiming that they could treat dreams as the basis for major political and military decisions (e. g. the Dream Stele of Tanutamun (664–c. 655 BC), BAR IV, 922).“ Cf. Lloyd (1988) 97. Zum Traum als einem religiösen Phänomen in der griechischen Welt Burkert (2011) 182 und 186, und Bremmer (1994). Zur Funktion von Orakeln und Divination in der griechischen Antike Trampedach (2015). Cf. dazu Lloyd (1988) 97 mit weiterführender Literatur und der Art. „Traum“ in Bonnet (1952) 835–838. Cf. dazu Beschreibung des Heiligtums in Kapitel VI. Religion und Sinne, S. 198 ff. Die letzte explizite Bezugnahme auf „die Priester“ (ἔλεγον οἱ ἱρέες) vor dieser Textpassage erfolgt in Hdt. 2.136.1: Μετὰ δὲ Μυκερῖνον γενέσθαι Αἰγύπτου βασιλέα ἔλεγον οἱ ἱρέες Ἄσυχιν […]. Cf. dazu West (1987) 262–271, bes. 262–267, und Frisch (1968) 23–24, der den Traum kurz im Rahmen der Schicksalsträume behandelt. Zur Rolle des Traums und seiner religiösen Funktion und Bedeutung bei Herodot Harrison (2000) 122–124.
2. Religion und Erleben
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hin betrachtet werden. Die eigentliche Traumerzählung steht also in indirekter Rede (Hdt. 2.139.1–2): Ὄψιν ἐν τῷ ὕπνῳ τοιήνδε ἰδόντα αὐτὸν οἴχεσθαι φεύγοντα. ἐδόκεέ οἱ ἄνδρα ἐπιστάντα συμβουλεύειν τοὺς ἱρέας τοὺς ἐν Αἰγύπτῳ συλλέξαντα πάντας μέσους διαταμεῖν· Ἰδόντα δὲ τὴν ὄψιν ταύτην λέγειν αὐτὸν ὡς πρόφασίν οἱ δοκέοι ταύτην τοὺς θεοὺς προδεικνύναι, ἵνα ἀσεβήσας περὶ τὰ ἱρὰ κακόν τι πρὸς θεῶν ἢ πρὸς ἀνθρώπων λάβοι· Er (sc. Sabakos) habe sich davongemacht und sei geflohen, nachdem er im Schlaf folgendes Traumgesicht gehabt habe: Es habe ihm geschienen, als ob ein Mann auf ihn zutrete und ihm rate, alle ägyptischen Priester zusammenkommen zu lassen und dann mitten durchzuschneiden.72 Nach diesem Traumgesicht habe er gesagt, ihm scheine, die Götter schickten ihm dies als scheinbare Anweisung, damit er sich an der Religion vergehe und sich dadurch ein Übel von Götter- oder Menschenseite zuziehe.
Das religiöse Feld wird an dieser Stelle terminologisch durch den Traum, die ägyptischen Priester (τοὺς ἱρέας), die explizite Erwähnung der Götter (τοὺς θεοὺς) und die Aussicht auf einen religiösen Frevel bezüglich heiliger Gegenstände (ἀσεβήσας περὶ τὰ ἱρὰ) sowie die spätere Erwähnung der äthiopischen Orakel (τὰ μαντήια τοῖσι χρέωνται Αἰθίοπες ἀνεῖλε) abgesteckt. Diese kurze Episode ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.73 Im ersten Satz wird in Kürze die entscheidende Bedeutung des Traums aus der Sicht der Priester zusammengefasst: Der Traum führt (mit der Erinnerung an ein Orakel, s. u.) zum Ende der Herrschaft des Äthiopiers über Ägypten. In wenigen Worten folgt nun der Inhalt des Traums, der in komprimierter Form einen grausamen „Ratschlag“ (συμβουλεύειν) bezüglich der ägyptischen Priester (τοὺς ἱρέας τοὺς ἐν Αἰγύπτῳ) beinhaltet. Darauf wird die unmittelbare Reaktion des Königs auf den Traum (ἰδόντα δὲ τὴν ὄψιν ταύτην) thematisiert, indem dessen Wahrnehmung des Traums (οἱ δοκέοι ταύτην) sowie dessen Deutung in der Form einer Überlegung (λέγειν αὐτὸν / οἱ δοκέοι) ausgemalt wird. Die Deutung des Traums ist in moralischer und religiöser Sprache formuliert (ἀσεβήσας περὶ τὰ ἱρὰ κακόν τι πρὸς θεῶν ἢ πρὸς ἀνθρώπων λάβοι). Nach Auskunft der Ägypter soll Sabakos den Traum als eine πρόφασις – einen Vorwand oder einen Scheingrund – der Götter für seine eigene Zukunft verstanden haben (προδεικνύναι): Wenn er sich in frevelhafter Weise an Heiligem vergehen sollte 72
73
Cf. dazu die Reaktion und grausame Anordnung des Xerxes auf die Bitte des Lyders Pythios, seinen ältesten Sohn zu verschonen, Hdt. 7.39.3–40.1: αὐτίκα ἐκέλευε τοῖσι προσετέτακτο ταῦτα πρήσσειν τῶν Πυθίου παίδων ἐξευρόντας τὸν πρεσβύτατον μέσον διαταμεῖν, διαταμόντας δὲ τὰ ἡμίτομα διαθεῖναι τὸ μὲν ἐπὶ δεξιὰ τῆς ὁδοῦ, τὸ δ’ ἐπ’ ἀριστερά, καὶ ταύτῃ διεξιέναι τὸν στρατόν. (40.1) Ποιησάντων δὲ τούτων τοῦτο, μετὰ ταῦτα διεξήιε ὁ στρατός. Sprachlich bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Abgang des „blinden“ Anysis in ähnlichen Worten (Hdt. 2.137.2 Τὸν μὲν δὴ τυφλὸν τοῦτον οἴχεσθαι φεύγοντα) beschrieben wird wie nun der Abgang des „sehenden“ äthiopischen Königs Sabakos (2.139.1 ὄψιν ἐν τῷ ὕπνῳ τοιήνδε ἰδόντα αὐτὸν οἴχεσθαι φεύγοντα).
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VI. Religion und Sinne
(ἀσεβήσας περὶ τὰ ἱρὰ), könnte ihm wohl ein Unglück oder Übel (κακόν τι) seitens der Götter oder Menschen widerfahren (πρὸς θεῶν ἢ πρὸς ἀνθρώπων λάβοι). Eine klassifizierende Betrachtung des Traums lässt erkennen, dass es sich bei der Traumschilderung und dem Inhalt des Traums um einen Boten- bzw. Botschaftstraum („message-dream“)74 handelt, der eine klare Botschaft und Handlungsanweisung an den König enthält. Die Reaktion des Sabakos ist überraschend und scheint erklärungsbedürftig: Der König wird den ihm offenbarten Ratschlag von den Göttern („dieses“, ταῦτα – ein als frevelhaft gedeutetes Handeln gegenüber „Heiligem“) nicht ausführen (οὐκ ὦν ποιήσειν ταῦτα). Im Folgenden liefern die Priester sogleich eine weitere Erklärung (ἀλλὰ γάρ) für das Verhalten des Sabakos: Die Zeit seiner Herrschaft über Ägypten sei abgelaufen und er werde sich zurückziehen (ἐκχωρήσειν).75 Diese ebenfalls erklärungsbedürftige Aussage wird nun in Form einer Begründung (γὰρ) durch die Mitteilung eines Orakels, das einst in Äthiopien an Sabakos ergangen sein soll, ergänzt (Hdt. 2.139.3): Ἐν γὰρ τῇ Αἰθιοπίῃ ἐόντι αὐτῷ τὰ μαντήια τοῖσι χρέωνται Αἰθίοπες ἀνεῖλε ὡς δέοι αὐτὸν Αἰγύπτου βασιλεῦσαι ἔτεα πεντήκοντα. Noch in Äthiopien nämlich hatten ihm die Orakel, die die Äthioper zu befragen pflegten, vorausgesagt, er solle fünfzig Jahre lang König von Ägypten sein.
Demnach sei Sabakos also vor seiner Eroberung Ägyptens eine fünfzigjährige (ἔτεα πεντήκοντα) Herrschaft über Ägypten prophezeit worden. In einer Art Zusammenfassung hält Herodot fest: Ὡς ὦν ὁ χρόνος οὗτος ἐξήιε καὶ αὐτὸν ἡ ὄψις τοῦ ἐνυπνίου ἐπετάρασσε, ἑκὼν ἀπαλλάσσετο ἐκ τῆς Αἰγύπτου ὁ Σαβακῶς. Als nun diese Zeit abgelaufen war und ihn das Traumgesicht beunruhigte, zog Sabakos aus freien Stücken aus Ägypten ab.
Erst in diesem letzten Satz wird der religionspsychologische Gehalt dieser Episode prägnant und explizit greifbar: Das Traumgesicht soll eine quälende und beunruhigende Wirkung auf den König ausgeübt haben (καὶ αὐτὸν ἡ ὄψις τοῦ ἐνυπνίου ἐπετάρασσε). Sabakos soll darauf aus freier Entscheidung (ἑκὼν) Ägypten verlassen haben. Der grausame Inhalt des Traums und dessen unmittelbare psychologische Wirkung werden nur in äußerster Kürze beschrieben, obgleich dem Traum sowie der Traumdeutung in Verbindung mit dem Orakel eine große politische und historische Bedeu74 75
Cf. dazu Oppenheim (1956) 186–206. Dieser Traum ist bei Oppenheim (1956), der auf den Traum des Sethos (Hdt. 2.141 und s. u.) eingeht, nicht verzeichnet. Cf. dazu 2.139.2 […] ἀλλὰ γάρ οἱ ἐξεληλυθέναι τὸν χρόνον ὁκόσον κεχρῆσθαι ἄρξαντα Αἰγύπτου ἐκχωρήσειν.
2. Religion und Erleben
219
tung zukommt. Für die Frage nach dem religionspsychologischen Aspekt der Episode ist festzuhalten, dass nur sehr knapp in einem Verb (ἐπετάρασσε) und nicht differenziert von dem Traumerlebnis und der subjektiven (Traum-)Erfahrung des Sabakos erzählt wird. Wichtig ist also die Erzählung. Die komprimierte subjektive Erfahrung des Erschreckens, auf die Herodot zuletzt zusammenfassend eingeht, ist wohl nicht das Entscheidende an der Erzählung über den Traum. Von Interesse ist vielmehr, wie die Erzählung der ägyptischen Priester über den Trauminhalt und die Deutung des Traums durch den König von selbst verschiedene Perspektiven auf die ägyptischen Priester eröffnet: auf ihr Selbstverständnis, mögliche Erwartungen und Ängste gegenüber einem Fremdherrscher und insbesondere ihre Erklärung und Deutung der politisch-religiösen Geschichte Ägyptens.76 Die Episode über den Traum und das Orakel als religiöse Phänomene im Rahmen der Erzählung Herodots betrifft vier Dimensionen von Religion: zeitliche, soziale, politische und psychologische. Zuerst geht es allgemein um den grundlegenden Zusammenhang von Religion und Zeit, indem die Planung und Gestaltung der Zukunft (in diesem Fall der Fremdherrschaft des Sabakos über Ägypten) sowohl mit einem Traum als auch einem Orakel thematisiert und erklärt wird. Die Verbindung von Religion und Gewalt ist präsent, indem ein religiöser Grund – der von den Göttern gesandte Traum − für eine mögliche Gewaltausübung gegenüber den Priestern als religiöser und sozialer Instanz angeführt werden könnte. Durch die unmittelbare Verflechtung von Religion und Politik – die Entscheidungsfindung mit Hilfe religiöser Medien (Traum und Orakel) – wird das politische Handeln des Sabakos mittels religiöser Medien und Motive erklärt. Es wird deutlich, wie religiöse Faktoren und Motive als kausale Erklärungen historischer Umstände (Herrschaftswechsel) im Rahmen der ägyptischen Geschichtserklärung angeführt werden.77 Die Gesamtbetrachtung der von Herodot eingebetteten Traum- und Orakelerzählung wirft weitere Fragen auf: Offenbart die Erzählung nicht mehr über die religiöse und ideologische Geschichts- und Weltdeutung der ägyptischen Priester als über die Motive des äthiopischen Königs? Lenkt der so erzählte Traum des Sabakos nicht ins76
77
Während die Priester in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich bedroht oder verletzt werden, kann der Traum zum einen als eine Prolepse verstanden werden zum frevelhaften Verhalten des Kambyses gegenüber dem Apis-Stier (Hdt. 3.27–9), den ägyptischen Vorstehern in Memphis (Hdt. 3.27), die er als Lügner mit dem Tod bestrafen lässt, den ägyptischen Priestern, die er auspeitschen lässt (Hdt. 3.29), sowie dem ägyptischen feiernden Volk während des Apis-Festes (Hdt. 3.29), zum anderen im Hinblick auf die persische Religion auf den Magermord (Hdt. 3.79). Darüber hinaus ist zu betonen, dass die Bezugnahme auf das äthiopische Orakel und dessen Befolgung im Einklang mit einer früheren ethnographischen Passage des zweiten Buchs (Hdt. 2.29.7) übereinstimmt, dass die Äthiopier immer dann (ἐπεάν) und dorthin (ἐκεῖσε) zögen, wo es ihnen ihr Orakel befiehlt. Cf. Hdt. 2.29.6–7 Λέγεται δὲ αὕτη ἡ πόλις (sc. Μερόη) εἶναι μητρόπολις τῶν ἄλλων Αἰθιόπων. οἱ δ’ ἐν ταύτῃ Δία θεῶν καὶ Διόνυσον μούνους σέβονται, τούτους τε μεγάλως τιμῶσι, καί σφι μαντήιον Διὸς κατέστηκε. στρατεύονται δέ, ἐπεάν σφεας ὁ θεὸς οὗτος κελεύῃ διὰ θεσπισμάτων, καὶ τῇ ἂν κελεύῃ, ἐκεῖσε.
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VI. Religion und Sinne
besondere die Aufmerksamkeit auf den ägyptischen Umgang mit dem Fremden, in diesem Fall der äthiopischen (Fremd-)Herrschaft? Ist Herodots Erzählweise – sein bewusster Wechsel von der direkten zur indirekten Rede – ein Versuch, dem Fremden und einer Logik des Fremden einen würdigen Platz innerhalb seiner Erzählung zuzuweisen? Sabakos empfindet die starke Autorität der Priester, und er schreckt davor zurück, sie zu töten. Die Priester retten somit indirekt die Ägypter vor andauernder Fremdherrschaft. Wie auch immer die Episode letztlich zu deuten ist: Herodot räumt der Traum-Erzählung und Erklärung der Priester Raum in seiner Erzählung ein und kann sich – wie an vielen Stellen – dezent distanzieren. 2.3 Die Klage und der tröstende Traum des Sethos Im folgenden Beispiel geht es wiederum um einen Traum, insbesondere jedoch um zwei Phänomene, die dem Bereich des Psychischen zuzurechnen sind: zuerst die Klage und das Trauern des Priesters und Königs Sethos bei einem Kultbild, zweitens der darauf beschriebene tröstende und ermutigende Traum. Auf die Regierung des blinden Anysis folgt ein Priester des Hephaistos mit dem Namen Sethos als König (Hdt. 2.141.1).78 Die daran anschließende Erzählung über diesen König ist aufgrund der Schilderung eines Traumes und einer religionspsychologisch bemerkenswerten Trauminkubation von großem Interesse. Die ganze Erzählung (Hdt. 2.141.1–5) steht wiederum, abgesehen von dem letzten Satz79, in der indirekten Rede. In der Vorgeschichte wird betont, dass Sethos die ägyptischen Krieger, die Machimoi, geringgeschätzt habe und ihnen neben anderen Schikanen ihre von den früheren Königen zugeteilten Äcker genommen habe. Darauf sieht sich Sethos mit einer Offensive des Sanacharibos, des Königs der Araber und Assyrer, konfrontiert, der mit einem großen Heer gegen Ägypten zieht. Die Krieger der Ägypter weigern sich zu kämpfen (Hdt. 2.141.2–3), wodurch Sethos vor einem großen Problem steht. In seiner Verzweiflung soll er sich folgendermaßen verhalten haben: Τὸν δὲ ἱρέα ἐς ἀπορίην ἀπειλημένον ἐσελθόντα ἐς τὸ μέγαρον πρὸς τὤγαλμα ἀποδύρεσθαι οἷα κινδυνεύει παθεῖν. Ὀλοφυρόμενον δ’ ἄρα μιν ἐπελθεῖν ὕπνον καί οἱ δόξαι ἐν τῇ ὄψι ἐπιστάντα τὸν θεὸν θαρσύνειν ὡς οὐδὲν πείσεται ἄχαρι ἀντιάζων τὸν Ἀραβίων στρατόν· αὐτὸς γάρ οἱ πέμψειν τιμωρούς. In seiner Not sei der Priester in den Tempel gegangen und habe vor dem Kultbild80 geklagt, was zu erleiden ihm drohe. Bei dem Klagen aber habe ihn der Schlaf überkommen,
78 79 80
Cf. zum Namen „Sethos“ und zur Chronologie Lloyd (1988) 99–100, Spiegelberg (1906) 92 sowie Griffith (1900) 9. Hdt. 2.141.6 Καὶ νῦν οὗτος ὁ βασιλεὺς ἕστηκε. Lloyd (1988) zu πρὸς τὤγαλμα: „i. e. the cult statue in the holy-of-holies (n. II,4,2)“.
2. Religion und Erleben
221
und es habe ihm im Traum geschienen, als trete der Gott zu ihm und tröste ihn, er werde nichts Schlimmes erleiden, wenn er dem Heer der Araber entgegenziehe; er selber werde ihm Helfer senden.
Das religiöse Feld wird markiert durch den Priester (τὸν δὲ ἱρέα), das Heiligtum (τὸ μέγαρον), die Klage vor dem Götterbild (πρὸς τὤγαλμα) und den im Traum hinzutretenden Gott (ἐν τῇ ὄψι ἐπιστάντα τὸν θεὸν). Die Schilderung lässt deutlich die emotionale Stimmung, eine bedrückende Ausweglosigkeit (ἐς ἀπορίην ἀπειλημένον), erkennen, in der sich Sethos vor dem Gang in das Heiligtum (ἐς τὸ μέγαρον) befindet. Seine emotionale Situation zeigt sich weiter in der verzweifelten Klage (ὀλοφυρόμενον) vor dem Götterbild. In der folgenden Situation wird eine Art von Trauminkubation geschildert:81 Der Schlaf soll über ihn gekommen sein (μιν ἐπελθεῖν ὕπνον) und als Traumgesicht (ἐν τῇ ὄψι) sei ihm der Gott erschienen. Bei dem Traum handelt es sich wieder um einen Botschaftstraum, der insbesondere in seiner ermutigenden Funktion (θαρσύνειν) charakterisiert wird: Im Unterschied zum Traum des Sabakos soll hier der Gott selbst erschienen sein und dem Priester zugesprochen haben, dass er dem arabischen Heer entgegentreten solle und ihm dabei nichts Schlimmes widerfahren werde, denn er selbst werde ihm Helfer senden. Im Anschluss an diesen Traum und die ermutigende Prophezeiung wird die unmittelbare Wirkung des Traums auf Sethos geschildert: Dieser habe auf „die Traumgesichter“ vertraut (τούτοισι δή μιν πίσυνον τοῖσι ἐνυπνίοισι) und diejenigen Ägypter mit sich genommen, die ihm ins Feld folgen wollten. Keine Krieger also, sondern Handelsleute, Handwerker und Leute aus der Stadt seien ihm nach Pelusion gefolgt, wo er sein Lager aufgeschlagen habe. Die positive Traumzusage erweist sich nun als zutreffend, denn in der Nacht werden die Feinde von einer großen Anzahl von Feldmäusen (μῦς ἀρουραίους) heimgesucht, die sämtliches Kriegsgerät der Gegner zerstören (Köcher, Bogen, Schildhalterungen), so dass diese am nächsten Tag ohne Schilde flüchten müssen und viele von ihnen umkommen. An diesem Punkt endet die Erzählung in der indirekten Rede. Herodot beendet die Erzählung mit einer direkten, auf die Gegenwart (νῦν) fokussierten Aussage über eine Statue dieses Königs im Heiligtum des Hephaistos (Hdt. 2.141.6): Καὶ νῦν οὗτος ὁ βασιλεὺς ἕστηκε ἐν τῷ ἱρῷ τοῦ Ἡφαίστου λίθινος, ἔχων ἐπὶ τῆς χειρὸς μῦν, λέγων διὰ γραμμάτων τάδε· „Ἐς ἐμέ τις ὁρέων εὐσεβὴς ἔστω“.
81
Zum Phänomen der Trauminkubation in der ägyptischen Religion bemerkt Bonnet (1952) Art. „Traum“, 835–8, ebd. 837: „Wer an heiliger Stätte schlief, konnte wohl hoffen, dass die Gottheit, wenn nicht mit eigenem Mund, so doch in T.-bildern auf Fragen Antwort gebe, die man in Gebeten, vielleicht auch in schriftlicher Formulierung (…) vor sie brachte.“ Zur Inkubation die umfassende Studie von Renberg (2017) bes. 89 Anm. 137.
222
VI. Religion und Sinne
Noch jetzt steht ein steinernes Standbild dieses Königs im Tempel des Hephaistos; er hält in der Hand eine Maus und sagt durch eine Inschrift: „Auf mich schaue man und sei gottesfürchtig!“
Die verschiedenen Elemente der Erzählung über den Priester und König Sethos, dessen Vertreibung des Sanacharibos sowie Herodots abschließende Bemerkung zu der steinernen Darstellung des ägyptischen Königs mit der Maus und der merkwürdigen Inschrift82 haben zu kritischen und interessanten Untersuchungen dieser komplexen Textpassage geführt, die Lloyd zusammengestellt hat.83 In religionspsychologischer Hinsicht bietet die Passage Aspekte, die bisher so nicht gesehen wurden: Im Vergleich zu der Traumerzählung des Sabakos, in der abschließend allein mit dem Verb ἐπετάρασσε die emotionale Situation des Königs nach dem Traum charakterisiert wird, enthält die Erzählung über Sethos einige Verben und Ausdrücke, die auf dessen verzweifelte Bedrängnis (ἐς ἀπορίην ἀπειλημένον), Klage und Trauer (ἀποδύρεσθαι, ὀλοφυρόμενον) vor dem Traum hinweisen. Darüber hinaus wird der ausdrücklich tröstende und ermutigende Zuspruch des Gottes (θαρσύνειν) hervorgehoben, auf den der König letztlich vertraut (πίσυνον).84 Festzuhalten ist, dass der in der Erzählung religiös gedeutete Traum eine entscheidende Erklärung des Geschehens darstellt. Neben der aitiologischen Funktion der Erzählung, die zuletzt durch Herodots Bezugnahme auf die steinerne Abbildung des Königs mit einer Maus erfolgt, wird darüber hinaus durch das Anführen der Inschrift („Auf mich schaue man und sei gottesfürchtig!“) ein ethisch-religiöser sowie religionsästhetischer Aspekt der Erzählung deutlich. Im Zentrum steht dabei das an nur einer weiteren Stelle zur Selbstbezeichnung des Mykerinos (Hdt. 2.133.2 αὐτὸς δ’ εὐσεβὴς ἐὼν)85 in den Historien verwendete Adjektiv εὐσεβὴς („gottesfürchtig“), das als zentraler Begriff griechischer Religion bei Herodot jedoch auffällig selten, nur an diesen beiden Stellen, vorkommt.
82 83 84 85
Lloyd (1988) bemerkt ebd. 105 zum „Text“ der Inschrift: „although the formulation of the moral may be Gk., it is perfectly feasible that the moral itself formed an integral part of the tale as told by the Eg. source“. Cf. zu den Problemen und möglichen Lösungsansätzen Lloyd (1988) 99–105, und z. B. die Überlegungen von Spiegelberg (1906) 91–94, ders. (1926) 26–27 sowie Griffith (1900) 5 ff. und 58 ff. Auffällig ist, wie sehr anschaulich von den Handlungen und dem Verhalten des Sethos im Inneren des Heiligtums vor dem Götterbild (πρὸς τὤγαλμα) erzählt wird, jedoch ausdrücklich nicht, dass er z. B. gebetet habe. Hdt. 2.133.2 αὐτὸς δ’ εὐσεβὴς ἐὼν. Zu dieser Leseweise Powell (1938) 153, gegenüber der Ausgabe von Hude.
2. Religion und Erleben
223
2.4 Die Gebetserhörung der Ladike Zuletzt soll Herodots Erzählung über eine dramatische, aber geglückte Gebetserhörung das religionspsychologische Interesse Herodots veranschaulichen. Im Zentrum der in direkter Rede vorgetragenen Erzählung steht eine Frau aus Kyrene mit dem Namen Ladike, die Amasis zur Frau nimmt (Hdt. 2.181.1–2). Zu den Motiven dieser Heirat und über die genaue Herkunft von Ladike präsentiert Herodot verschiedene Ansichten. Entscheidend für die Erzählung ist, dass Ladike zum einen aus Kyrene stammt, und dass zum anderen der mehrmals versuchte Geschlechtsverkehr zwischen ihr und dem König mit Schwierigkeiten behaftet ist, obgleich Amasis bei seinen anderen Frauen keine Probleme in dieser Hinsicht habe (Hdt. 2.181.2). Daraufhin wirft Amasis Ladike vor, dass sie ihn mit einem Zaubertrank verhext habe (κατά με ἐφάρμαξας) und droht ihr mit einem schlimmen Tod.86 Ladike bestreitet den Vorwurf und wendet sich, weil Amasis nicht zu besänftigen ist, mit ihrem Anliegen an Aphrodite (Hdt. 2.181.4): Ἡ δὲ Λαδίκη […] εὔχεται ἐν τῷ νόῳ τῇ Ἀφροδίτῃ, ἤν οἱ ὑπ ’ἐκείνην τὴν νύκτα μιχθῇ ὁ Ἄμασις, τοῦτο γάρ οἱ κακοῦ εἶναι μῆχος, ἄγαλμά οἱ ἀποπέμψειν ἐς Κυρήνην. Und Ladike […] gelobte bei sich der Aphrodite, sie werde ihr nach Kyrene ein Kultbild senden, wenn Amasis die nächste Nacht mit ihr Geschlechtsverkehr habe, denn dies (allein) sei ihre Rettung aus dem Übel.
Die beiden Bestandteile dieses Gebets sind die konkrete Bitte um Hilfe sowie das Versprechen für die Zukunft oder das Gelübde nach Erfüllung der Bitte.87 Unmittelbar im Anschluss an das Gebet (μετὰ δὲ τὴν εὐχὴν αὐτίκα) gelingt der Geschlechtsverkehr und Amasis gewinnt seine Frau lieb. Ladike löst schließlich ihr Versprechen gegenüber der Göttin ein (ἀπέδωκε τὴν εὐχὴν τῇ θεῷ·): Sie lässt ein Bild fertigen und sendet dieses nach Kyrene (ποιησαμένη γὰρ ἄγαλμα ἀπέπεμψε ἐς Κυρήνην). An dieser Stelle folgt nun Herodots Perspektivwechsel von der Erzählung, die sich in der Vergangenheit des 6. Jahrhunderts bewegt, auf seine Gegenwart, indem er bemerkt, dass das Bildnis noch bis zu seiner Zeit (ἔτι καὶ ἐς ἐμὲ) außerhalb der Stadt Kyrene vorhanden gewesen sei. Lloyd stellt fest, dass diese Erzählung eine Kombination aus historisch belegten Beziehungen des Amasis mit Kyrene, einer Monumentnovelle, Folklore (Sex-Motiv) und möglicherweise auch Tendenzen von Anti-Amasis-Propaganda vereine.88 Für die religionspsychologische Betrachtung ist von besonderem Interesse, dass Herodot gegen Ende seiner Erzählung über Ägypten sehr anschaulich zum einen den Vollzug des Ge-
86 87 88
Hdt. 2.181.3 „Ὦ γύναι, κατά με ἐφάρμαξας, καὶ ἔστι τοι οὐδεμία μηχανὴ μὴ οὐκ ἀπολωλέναι κάκιστα γυναικῶν πασέων.“ Cf. zum Gebet allgemein in der griechischen Religion und dessen Aufbau Burkert (1977) 126–129. Cf. Lloyd (1988) 233–234 und Lloyd in Asheri (2007) 377, wo er von einer „pseudo-historical tale“ spricht.
224
VI. Religion und Sinne
bets und Gelübdes einer griechischen Frau, zum anderen die unmittelbar einsetzende Gebetserhörung und die Einlösung des Versprechens durch die versprochende Weihgabe für mitteilenswert hält. Wiederum weist diese Erzählung auf einen Zusammenhang von – in diesem Fall – angedrohter Gewalt und Religion hin. Es ist festzustellen, dass sich der jeweilige religionspsychologische Sachverhalt (Traum, Gebet) bei Sethos und Ladike durch die Schaffung der Statue und der Weihgabe als religionsästhetisch produktiv erweist. Vor diesem Hintergrund lassen sich die beiden letzten Beispiele so verstehen, dass in beiden Fällen ein religionsästhetischer Gegenstand zur Sichtbarmachung der religiös gedeuteten Erfahrung dient. Damit lenkt Herodot in seinen religionspsychologisch relevanten Erzählungen die Aufmerksamkeit auf die materiell-sinnliche und religionsästhetische sowie insgesamt religionsproduktive menschliche Seite religiös gedeuteter Erfahrung. 3. Fazit und Ausblick Zuerst wurde an einigen Beispielen beobachtet, welche religionsästhetischen Aspekte Herodot in seinen Nomoi-Beschreibungen, z. B. bei der Beschreibung von Reinheitsritualen, Opfern oder Festen thematisiert. Dabei zeigte sich, dass in diesen Zusammenhängen dem menschlichen Körper und seinen Sinnen eine große Rolle zukommt. Darauf stand Herodots eigene Wahrnehmung und Beschreibung sakraler Räume und architektonischer Kunstwerke im Zentrum der Untersuchung. Anhand der Beschreibungen dreier wichtiger religiöser Stätten, den Heiligtümern in Bubastis, Buto sowie der Insel Chemmis, konnte Herodots Wahrnehmung und Beschreibung des sakralen Raumes und der religiösen Architektur analysiert werden. Dabei war zu erkennen, dass sich Herodots Beschreibung von Bubastis durch zwei Gesichtspunkte auszeichnet: zum einen durch eine bewusst gestaltete Ikonographie – die Schöpfung eines sprachlichen Kunstwerkes, das in zentralen Strukturen und Gesichtspunkten das Heiligtum in seiner Anlage, Struktur und Ordnung für den Leser und Hörer veranschaulicht und teils spiegelt; zum anderen wurde bemerkt, wie durch die Verschränkung mit der vorausgehenden Erzählung ein wahrnehmbarer ästhetischmoralischer Kontrast als Ober- und Unterton die Gesamtwahrnehmung des religiösen Heiligtums einfärbt. Während nun die Beschreibung des Heiligtums in Buto wiederum stark ikonographische Merkmale aufweist, ist die Beschreibung der wundersamen Insel Chemmis von besonderer Bedeutung: Sie wird von Herodot mit einer mythischtheologischen Erzählung verwoben, die Elemente aus der ägyptischen und griechischen Tradition enthält. Es stellte sich die Frage, ob die mythische Erzählung durch die ästhetischen Eindrücke angeregt oder sogar hervorgebracht wurde. Zuletzt konnte als eindrückliches Beispiel die Transformation eines goldenen Fußbeckens des Amasis zu einem Götterbild betrachtet werden. Dieses letzte Beispiel stellte humorvoll vor
3. Fazit und Ausblick
225
Augen, wie ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand durch menschliche Manipulation in einer neuen Form und je nach Kontext eine sehr unterschiedliche Sinnzuschreibung erfahren und zu einem sakralen Gegenstand werden kann. In einem zweiten Schritt richtete sich die Aufmerksamkeit auf das „religionspsychologische“ Interesse Herodots, insbesondere den Zusammenhang zwischen der religionspsychologischen Disposition bestimmter handlungstragender Figuren, sowie deren Verhältnis zu religiösen Gegenständen und Ereignissen. Nach einer kritischen Vorüberlegung zum „Traumglauben“ bei Herodot wurden zwei Träume und eine Gebetserhörung untersucht. Die erste Analyse der Erzählung über den Traum und das Orakel des äthiopischen Königs Sabakos zeigte zum einen, dass die ummittelbare psychologische Wirkung nur in äußerster Kürze beschrieben wird. Die genauere Betrachtung der in indirekter Rede erfolgten Erzählung lenkte zum anderen die Aufmerksamkeit auf die ägyptischen Priester, ihre Erwartungen und Ängste gegenüber einem Fremdherrscher und ihre Erklärung und Deutung der poltisch-religiösen Geschichte. Bei der Klage und dem Traum des Sethos hingegen wurde deutlich auf die emotionale Situation und Stimmung hingewiesen, die der Trauminkubation vorausgeht. Bei dem wiederum in indirekter Rede erzählten Traum, der insgesamt eine entscheidende Erklärung des folgenden Geschehens darstellt, wurde nicht zuletzt der tröstende Zuspruch des Gottes hervorgehoben. Die zuletzt untersuchte dramatische Gebetserhörung der Ladike wies wiederum auf den Zusammenhang von – in diesem Fall – angedrohter Gewalt und religiöser Handlung hin. Ähnlich wie bei Sethos ist zu bemerken, dass sich der religionspsychologische Sachverhalt (Traum, Gebet) durch die Schaffung der Statue bzw. der Weihgabe als religionsästhetisch produktiv erweist. Die bei Sabakos und Sethos bemerkte Erzählweise in indirekter Rede ermöglicht es Herodot, sich vom referierten Trauminhalt und der Deutung insgesamt dezent zu distanzieren.
VII. Religion in Interaktion 1. Einleitung Dieses Kapitel ist der in der Einleitung thematisierten Frage gewidmet, wie Herodot die Interaktion von Religionen darstellt.1 Diese Interaktionen zeigen sich in verschiedenen Arten von Begegnungen, wie z. B. Bündnissen oder auch Konfrontationen, die zu Kränkungen oder Verletzungen führen können. Die Frage nach der Interaktion von Religionen soll exemplarisch zum einen anhand der Erzählung über Ägypten, zum anderen ausgehend von Herodots Erzählung über den persischen König Kambyses und seine Eroberung Ägyptens behandelt werden. Zuerst soll anhand von Herodots Darstellung und Einschätzung des religiösen Symbolsystems in Ägypten untersucht werden, wie dieses Kultur- und Symbolsystem in den Historien allgemein in seiner Interaktion mit anderen Symbolsystemen charakterisiert wird und wie es sich – anhand eines konkreten religiösen Brauchs – zu anderen Kulturen und Symbolsystemen verhält. Durch die Schilderung von Begegnung und Interaktion zweier unterschiedlicher religiöser Kulturen und Parteien (z. B. Perser und Ägypter) werden implizit Fragen des Vergleichs der Religion in Ägypten mit anderen religiösen Symbolsystemen angestoßen. Wird die Frage nach einem Vergleich von Religion(en) bei Herodot gestellt, so wird dies in den meisten Untersuchungen entweder in theozentrischer oder in auf das Opfer fokussierender Weise vorgenommen. Der Vergleich besteht dann in einer Gegenüberstellung von Göttern und Götternamen, insbesondere von griechischen und
1
Zu dem in der Soziologie gebräuchlichen Begriff der Interaktion, den ich hier in einer sehr weiten Bedeutung verwende, Nassehi (2011) 67–81.
2. Das religiöse Symbolsystem in Ägypten
227
ägyptischen,2 oder, eher seltener, in einem Vergleich bestimmter Rituale, insbesondere der Opfer.3 Demgegenüber richtet sich mein Interesse im ersten Teil dieses Kapitels zuerst (2.1) auf die von Herodot betonte Exklusivität der Religion und bestimmter Bräuche in Ägypten. Darauf soll (2.2) anhand eines religiösen Brauchs, der Beschneidung, illustriert werden, wie sich Herodot die Ausbreitung eines solchen Brauchs durch Interaktion mit anderen Kulturen vorstellt. Darauf werde ich mich im zweiten Teil (3–4) der Erzählung von der Begegnung und Auseinandersetzung des persischen Königs Kambyses u. a. mit fremder Religion in Ägypten im dritten Buch der Historien widmen. Die Untersuchung wird sich konzentriert mit der Darstellung des Kambyses und einigen ausgewählten Interaktionen dieses persischen Königs mit fremden religiösen Bräuchen, Praktiken und Vorstellungen befassen. Die Analyse der dichten Erzählung über den persischen König in Ägypten wird in neuer Weise nicht nur die Vielfalt und Komplexität von Herodots Darstellung fremder Religion zum Vorschein bringen, sondern insbesondere viele im Text vorhandene Aspekte der Interaktion von Religionen freilegen. 2. Das religiöse Symbolsystem in Ägypten In Herodots Erzählung über Ägypten hat sich an manchen der ausgewählten Passagen gezeigt, wie in der Beschreibung von ägyptischen religiösen Bräuchen und Praktiken auch Aspekte griechischer Religion thematisiert und teils explizit verglichen wurden. Munson, die sich ausführlich mit der Ethnographie4 Herodots auseinandergesetzt 2
3 4
Cf. z. B. zur Gleichsetzung und zu den Namen der Götter Kolta (1968), Burkert (1985) 121–132, das Kapitel „Foreign Gods and Foreign Religion“ bei Harrison (2000) 208–222 und den zweiten Appendix zu den Namen der Götter, ebd. 251–64, Chiai (2013) 47–74 und Calame (2011) 263–274. Eine Ausnahme stellt der teils mehr allgemein gehaltene Ansatz von Rudhardt (1992b) 219–238 dar, der zuerst vom griechischen Nomos-Verständnis insbesondere bei Herodot ausgeht, sich dann auf die Götter und ihre Namen konzentriert und zuletzt auf der Basis anderer griechischer Autoren die Erfahrung und Einstellung der „Grecs à l’egard des religions étrangères“ zu rekonstruieren versucht. Cf. zum Vergleich von Herodots Opferdarstellungen bei Persern, Ägyptern und Skythen Burkert (1990) 14–21. Munson (2001) 45–7. Zur Ethnographie Herodots cf. auch Payen (1997) 95 ff., Dorati (2000), Bichler (2000) und die umsichtige Erörterung von Herodots Ethnographie in Bichler (2004) 91– 112 = Bichler (2007) 143–60 mit Verweis auf frühere Literatur, ebd. 143, sowie Landfester (2000) 3–35 und im Rahmen seiner Studien zur Geschichte der antiken Ethnographie und ethnologischen Theoriebildung Müller (1972) 101–31. Landfester unterscheidet in seinem Beitrag „Der Blick auf das Andere. Herodot und die Anfänge der antiken Berichte über Außergriechische Völker und Länder“ die Frage (1) nach der Haltung des Erzählers zum Erzählten, (2) der narrativen Darstellungsformen des Wissens und (3) der Intention des Erzählten. Bichler (2007) 143 präsentiert in umsichtiger und differenzierter Weise einige Prinzipien von Herodots Ethnographie, die auch als „basic elements for an early theory of civilisation“ angesehen werden können.
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VII. Religion in Interaktion
hat, unterscheidet in den Historien bei Vergleichen im Hinblick auf die Zeit und den Raum zum einen das Vorkommen eines diachronen Vergleichs in der historischen Erzählung,5 zum anderen die Durchführung eines synchronen Vergleichs, der durch Beschreibung(en) geschaffen wird.6 Für die Frage nach Herodots Gegenüberstellung von Religionen ist von Interesse, wie z. B. die religiöse Kultur in Ägypten als solche charakterisiert wird. Wo wird, abgesehen von den bisherigen Beobachtungen, Fremdes und typisch Ägyptisches thematisiert? Wie wird die Beziehung einer fremden Religion zu anderen, insbesondere zur „eigenen“ griechischen, artikuliert? Die an mehreren Stellen erwähnte Priorität, die Herodot in vielen Bereichen der ägyptischen Kultur und Religion zuschreibt,7 ist ein markantes Merkmal des ägyptischen Symbolsystems in Herodots Beschreibung. Dieses „Merkmal“ ist jedoch nur im Vergleich mit anderen Völkern und Kulturen (z. B. mit den Griechen oder Skythen) denkbar und sinnvoll. Im Folgenden werde ich auf weitere Merkmale eingehen, die Herodot den Ägyptern und dem ägyptischen Symbolsystem als solchem im expliziten Vergleich mit oder auch in Abgrenzung zu anderen Kulturen und Völkern zuschreibt. Von besonderem Interesse sind schließlich die Fälle, in denen er bestimmte religiöse Rituale in Beziehung zu anderen Kulturen thematisiert und beschreibt. Dies soll an folgenden zwei Phänomenkomplexen untersucht werden: erstens der Exklusivität und Eigenständigkeit ägyptischer Religion und Kultur, zweitens dem Brauch der Beschneidung und seiner Ausbreitung. 2.1 Zur Exklusivität ägyptischer Kultur und Religion An mehreren Stellen seiner Erzählung über Ägypten äußert sich Herodot ausdrücklich über einige Merkmale der ägyptischen Kultur, die auch für das Verständnis von Religion in Ägypten wichtige Wegmarken darstellen. Herodot betont mehrmals, besonders jedoch an zwei Stellen (Hdt. 2.79 und Hdt. 2.91), die starke Eigenständigkeit der ägyptischen Kultur. Im vorausgehenden Kontext der ersten Äußerung (Hdt. 2.79) vertritt Herodot im Anschluss an die katalogartige Aufzählung der heiligen Tiere einige Thesen (Hdt. 2.77), mit denen er die Ägypter als solche kennzeichnet: Diejenigen Ägypter, die im Ackerland Ägyptens (wohl südlich des Deltas)8 leben, seien, indem sie am meisten von allen Menschen die Erinnerung (μνήμην) pflegten, die bei wei-
5 6 7 8
Cf. dazu Munson (2001) 47–73. Cf. dazu Munson (2001) 73–132. In ihrer Untersuchung kann sie mehrere Formen des Vergleichs feststellen: Ähnlichkeit, Analogie sowie implizite und explizite Unterschiede. Cf. dazu Kapitel V. Religion in der Zeit und IV. Religion im Raum sowie Lloyd (1975) 147–9. Lloyd bemerkt dazu in Asheri (2007) 291: i. e. the part of Egypt south of the marshes of the northern Delta, mit Verweis auf Hdt. 2.92.1.
2. Das religiöse Symbolsystem in Ägypten
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tem gelehrtesten Menschen (λογιώτατοί), denen er begegnet sei.9 Bezüglich der Lebensweise der Ägypter hebt Herodot hervor (Hdt. 2.77.3), dass sie nach den Libyern die „gesündesten von allen Menschen“ (ὑγιηρέστατοι πάντων ἀνθρώπων) seien – eine Eigenschaft, die er auf das konstante Klima in Ägypten zurückführt. Nach weiteren Äußerungen über ihre Nahrungsmittel sowie deren Zubereitung (Hdt. 2.77.4–5) schildert er einen eindrucksvollen Brauch beim Gastmahl (Hdt. 2.78), der einen religiösen Charakter hat.10 Im Anschluss an ein reiches Gastmahl gehe ein Mann mit einem aus Holz gefertigten Leichnam in einem Sarg umher, zeige diesen jedem der Teilnehmer und sage: „Den schau an und trink und sei fröhlich! Denn nach dem Tod wirst du ein solcher sein.“ Daraufhin vertritt Herodot die folgende These (Hdt. 2.79.1): Πατρίοισι δὲ χρεώμενοι νόμοισι ἄλλον οὐδένα ἐπικτῶνται. Sie (sc. die Ägypter) bleiben bei ihren einheimischen Sitten und nehmen keine fremden Bräuche an.
Diese These, die ich als Exklusivitätsthese bezeichnen möchte, unterstreicht den von Herodot betonten eigenständigen und auf die eigene Tradition und Bräuche bedachten Charakter der ägyptischen Kultur. Sie verbindet zwei Aspekte: zum einen die Pflege der Bräuche der eigenen Vorfahren (Πατρίοισι δὲ χρεώμενοι νόμοισι), die dann zum anderen als Begründung dafür angeführt wird, keine anderen anzunehmen (ἄλλον οὐδένα ἐπικτῶνται). Im Kontrast zu dieser Exklusivitätsthese lenkt Herodot jedoch im folgenden Abschnitt (Hdt. 2.79.1–3 und Hdt. 2.80) sogleich die Aufmerksamkeit auf zwei kulturelle Phänomene, die ganz im Gegenteil Ähnlichkeiten11 mit denen anderer Völker aufweisen: zum einen ein Lied (ἄεισμα), „Linos“, das sowohl in Phönizien als auch auf Zypern und anderswo gesungen werde, jedoch bei jedem Volk seinen eigenen Namen erhalte,12 zum anderen eine Art und Weise der Begrüßung, die bei den Ägyptern eine 9 10 11 12
Hdt. 2.77.1 Αὐτῶν δὲ δὴ Αἰγυπτίων οἳ μὲν περὶ τὴν σπειρομένην Αἴγυπτον οἰκέουσι, μνήμην ἀνθρώπων πάντων ἐπασκέοντες μάλιστα λογιώτατοί εἰσι μακρῷ τῶν ἐγὼ ἐς διάπειραν ἀπικόμην. Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 293 und Kapitel III. Religion im Sozialen. Cf. Hdt. 2.79.2 συμφέρεται und Hdt. 2.80.1 συμφέρονται. Cf. dazu Hdt. 2.79.1–2. Unter dem Eindruck seiner Verwunderung weist Herodot darauf hin, dass eben dieser Gesang dem ähnlich sei (συμφέρεται), der von Griechen gesungen und „Linos“ genannt werde. Seiner Verwunderung über diese Ähnlichkeit folgt die Frage, woher sie diesen Gesang wohl hätten. Er erklärt (Hdt. 2.79.2), dass die Ägypter diesen Gesang offenbar schon immer singen würden (Φαίνονται δὲ αἰεί κοτε τοῦτον ἀείδοντες) und führt, ausgehend von dem ägyptischen Namen („Manerôs“) für „Linos“ die folgende genetische Erklärung als Behauptung der Ägypter an (Hdt. 2.79.3): Ἔφασαν δέ μιν Αἰγύπτιοι τοῦ πρώτου βασιλεύσαντος Αἰγύπτου παῖδα μουνογενέα γενέσθαι, ἀποθανόντα δὲ αὐτὸν ἄωρον θρήνοισι τούτοισι ὑπὸ Αἰγυπτίων τιμηθῆναι, καὶ ἀοιδὴν τότε ταύτην πρώτην καὶ μούνην σφίσι γενέσθαι. („Von ihm erzählten die Ägypter, er (sc. Manerôs) sei der einzige Sohn dessen gewesen, der als erster ägyptische König über Ägypten geherrscht habe, und nachdem er früh gestorben sei, sei er von den Ägyptern durch diese Klagelieder geehrt worden, und das sei ihr erster und einziger Gesang geworden.“) Es ist umstritten, wie die
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VII. Religion in Interaktion
starke Wertschätzung des Alters ausdrückt (Hdt. 2.80) und von Herodot mit dem Verhalten in Sparta verglichen wird. Im Anschluss an die Feststellung dieser Ähnlichkeiten macht Herodot aber auf eine weitere Grußpraxis bei den Ägyptern aufmerksam (Hdt. 2.80.2), die wiederum bei keinem Stamm der Griechen auf ähnliche Weise existiere (τόδε μέντοι ἄλλο Ἑλλήνων οὐδαμοῖσι συμφέρονται).13 Es ist zwar insgesamt festzustellen, dass Herodot in fast allen Bereichen, insbesondere dem religiösen, Ägypten als ersten und ursprünglichen Ort annimmt. Es ließen sich leicht weitere Beispiele (z. B. heilige Feste, Umzüge und Opferfeiern)14 anführen. Es ist jedoch ebenso zu bemerken, dass er bei der Betrachtung ägyptischer Bräuche auch versucht, Ähnlichkeiten herauszustellen: zum einen mit der griechischen Religion und Kultur, zum anderen mit der Kultur anderer Völker (wie z. B. der der Phönizier oder Kolcher, s. u.). Er kann mitunter Übereinstimmungen (ὁμολογέουσι) feststellen und versucht, diese zu erklären. Dabei zeigt sich, dass er in den meisten Fällen eine Übernahme, ein Lernen, Kennenlernen und „Benutzen“ oder „Gebrauchen“ seitens der Griechen annimmt, jedoch nicht umgekehrt.15 Eine Ausnahme zu der Regel, gemäß welcher die Ägypter es vermieden, griechische Bräuche (Ἑλληνικοῖσι δὲ νομαίοισι) und auch insgesamt Bräuche von irgendwelchen anderen Völkern zu pflegen (χρᾶσθαι), führt Herodot in Hdt. 2.91 an: Während die übrigen Ägypter diese Regel so beachteten (οὕτω τοῦτο φυλάσσουσι), gäbe es jedoch eine große Stadt Chemmis im Gau von Theben, nahe der Stadt Neapolis, in der es ein viereckiges Heiligtum für Perseus, den Sohn der Danae, gebe, das von Palmen umwachsen sei. Im Anschluss an eine Beschreibung der Umgebung des Heiligtums gibt Herodot zuerst das wieder, was die Einheimischen über das häufige (πολλάκις) Erscheinen des Perseus und die damit verbundene, positive Wirkung auf Ägypten erzählen (οὗτοι οἱ Χεμμῖται λέγουσι […]. Ταῦτα μὲν λέγουσι). Im Anschluss an diese Schilderung des mythischen Hintergrunds kommt Herodot auf das Ritual zu sprechen, das die Bewohner
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von Herodot angeführte Erklärung, insbesondere der letzte Absatz (καὶ ἀοιδὴν τότε ταύτην πρώτην καὶ μούνην σφίσι γενέσθαι), genau zu verstehen ist. Cf. dazu Lloyd in Asheri (2007) 294. Die Pointe liegt nach meiner Interpretation darin, dass Herodot nur die Meinung der Ägypter in den Vordergrund rückt (Ἔφασαν δέ μιν Αἰγύπτιοι), die von sich und dem Alter ihrer Kultur so überzeugt sind, dass sie behaupten, das Lied sei nicht nur als erstes (πρώτην), sondern auch „einzig/allein“ oder „nur“ bei ihnen (μούνην σφίσι) entstanden. Herodot gibt also nur eine Einschätzung der Ägypter wieder, kommentiert diese jedoch nicht selbst. Für ein Tabu bezüglich der religiösen Ästhetik und Praxis cf. Hdt. 2.81.1: „Jedoch werden Wollkleider nicht beim Gang in die Heiligtümer getragen, und die Ägypter lassen sich nicht mit ihnen bestatten; es ist von der Religion nicht erlaubt.“ (Οὐ μέντοι ἔς γε τὰ ἱρὰ ἐσφέρεται εἰρίνεα οὐδὲ συγκαταθάπτεταί σφι· οὐ γὰρ ὅσιον. Hdt. 2.81.1) Ein weiteres Beispiel (Hdt. 2.82) für die Priorität der Ägypter findet Herodot im Bereich der Hemerologie und Astrologie. Im Hinblick auf diese beiden Aspekte vertritt Herodot die These, dass diejenigen Griechen, die es in der Dichtung gegeben habe, auch diese Dinge benutzt hätten. Cf. dazu Hdt. 2.58 und Kapitel III. Religion im Sozialen. Cf. dazu besonders Froidefond (1971) 138–169 und zu den „emprunts faits par les Grecs à la religion égyptienne“ Zographou (1995) 187–203.
2. Das religiöse Symbolsystem in Ägypten
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für Perseus verrichten – und zwar „in griechischer Weise“ (ποιεῦσι δὲ τάδε Ἑλληνικὰ τῷ Περσέϊ). Die vorgestellten Beispiele lassen also in der Darstellung Herodots sowohl die Exklusivität der ägyptischen religiösen Kultur als auch deren Ähnlichkeit zu anderen Kulturen erkennen. 2.2 Zur Ausbreitung eines ägyptischen Brauchs: Die Beschneidung Ein Beispiel für die Ausbreitung eines ägyptischen religiösen Brauchs bzw. Rituals besteht im Ritual der Beschneidung16, das bereits bei der Behandlung der ägyptischen Nomoi von Herodot zweimal angeführt (Hdt. 2.36.3 und 2.37.2)17 und dabei ausdrücklich in Verbindung mit ihrer außergewöhnlichen Religiosität und den befolgten Reinheitsritualen vorgestellt wurde. An einer späteren Stelle (Hdt. 2.103.4) spielt es als ein Kennzeichen nicht nur der Ägypter, sondern auch der Kolcher eine wichtige Rolle. Im Rahmen der Erzählung von den Kriegszügen des ägyptischen Königs Sesostris (Hdt. 2.102–103)18 kommt Herodot auf die Kolcher zu sprechen, die am Ufer des Flusses Phasis (Hdt. 2.103.2) am Schwarzen Meer leben. Er könne nicht mehr genau sagen (οὐκ ἔχω τὸ ἐνθεῦτεν ἀτρεκέως εἰπεῖν), ob (εἴτε) der König selbst von seinem Heer einen Teil absonderte, den er dann an diesem Ort als Siedler zurückließ, oder (εἴτε) ob einige der Soldaten durch das Wandern verärgert waren und aus eigenem Entschluss am Fluss Phasis zurückblieben. Wichtig für die Argumentation des folgenden Abschnitts ist allein, dass Herodot zwei plausible Szenarien entwirft, die es vorstellbar machen, dass gebürtige Ägypter an diesem Ort siedelten. In der sich nun anschließenden Hypothese behauptet Herodot die Identität der (am Phasis wohnenden) Kolcher mit den Ägyptern (Hdt. 2.104.1): Φαίνονται μὲν γὰρ ἐόντες οἱ Κόλχοι Αἰγύπτιοι. Die Bewohner von Kolchis sind nämlich offensichtlich Ägypter.
Diese Behauptung derselben Identität von Kolchern und Ägyptern wird von Herodot sogleich im Hinblick auf ihren epistemischen Status präzisiert: Er habe dies selbst schon früher erkannt, bevor er es von anderen gehört habe (νοήσας δὲ πρότερον αὐτὸς ἢ ἀκούσας ἄλλων λέγω). Herodot beschreibt nun, wie er, als er zu dieser Überlegung ge-
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Cf. dazu die ausführliche Untersuchung von Quack (2012a) 561–651 mit weiterführender Literatur. Zu Herodot ebd. 599–600. Quack bemerkt ebd. 561, dass die Beschneidung in Ägypten „an sich eine durchaus bekannte und unstrittige Sitte“ sei, allerdings „in den Details […] noch etliche Probleme“ bestünden. Cf. zu den ersten beiden Stellen die Textanalyse in Kapitel III. Religion im Sozialen, 2.3 Religiosität und Reinheit. Cf. zu den historischen Problemen Asheri/Lloyd (2007) 313–4.
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VII. Religion in Interaktion
kommen sei, sowohl in Kolchis als auch in Ägypten nachgefragt und festgestellt habe, dass sich die Kolcher mehr an die Ägypter erinnerten als die Ägypter an die Kolcher. In der indirekten Rede referiert er nun die Aussage der Ägypter, die glaubten, dass die Kolcher aus dem Heer des Ägypters Sesostris stammten. Herodot schließt sich dieser These zunächst an, indem er bemerkt, dass die Kolcher „dunkelfarbig und wollhaarig“, also äußerlich den Ägyptern ähnlich seien. Doch diese phänotypischen Indizien relativiert er sogleich, da diese Eigenschaften auch auf andere Völker zuträfen, die nicht mit den Ägyptern verwandt seien (Hdt. 2.104.2). Vielmehr sei das folgende Argument zu beachten: Von allen Menschen würden allein Kolcher, Ägypter und Äthiopier seit alters her die Geschlechtsteile beschneiden (μοῦνοι πάντων ἀνθρώπων Κόλχοι καὶ Αἰγύπτιοι καὶ Αἰθίοπες περιτάμνονται ἀπ’ ἀρχῆς τὰ αἰδοῖα). Herodot argumentiert nun, dass alle ihm bekannten Völker, welche die Beschneidung praktizierten (Phönizier, Syrer und Makronen), entweder direkt von den Ägyptern oder indirekt auf diese zurückgehend (vermittelt durch die Kolcher) diesen Brauch erlernt hätten.19 Herodot muss jedoch einräumen (Hdt. 2.104.4), dass er bei den Ägyptern und Äthiopiern selbst nicht sagen könne, wer diesen Brauch von wem erlernt habe. Denn der Brauch sei offenkundig bei beiden Völkern sehr alt (ἀρχαῖον γὰρ δή τι φαίνεται ἐόν). Bezüglich der anderen Völker, die diesen Brauch durch Austausch mit Ägypten (ἐπιμισγόμενοι Αἰγύπτῳ) erlernt hätten, führt Herodot dagegen noch einen weiteren Beweis (μέγα μοι καὶ τόδε τεκμήριον) an: Diejenigen der Phönizier, die immer mit Griechenland im Austausch stünden, würden nicht länger die Ägypter nachahmen, sondern die Geschlechtsteile der Nachgeborenen nicht beschneiden. Diese Bemerkung zu den Phöniziern, die mit den Griechen in Kontakt gekommen seien, zeigt, dass und wie Herodot auch der griechischen Kultur und Lebensweise einen indirekten Einfluss zuschreiben kann. Die ausgewählten Aspekte aus der Erzählung über die Kolcher zeigen, wie Herodot für die „Verpflanzung“ eines ägyptischen religiösen Brauchs in eine weit entfernte Region argumentiert, die zunächst nicht mit den Ägyptern in Verbindung gebracht wird. Der Brauch der Beschneidung soll die Ähnlichkeit und Verwandtschaft der Ägypter mit den Kolchern untermauern. Die Beschneidung als solche wird aufgrund ihres Alters als ein typischer Brauch der Ägypter oder Äthiopier verstanden.
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Hdt. 2.104.3–4 Οὗτοι γάρ εἰσι οἱ περιταμνόμενοι ἀνθρώπων μοῦνοι, καὶ οὗτοι Αἰγυπτίοισι φαίνονται ποιεῦντες κατὰ ταὐτά. Die Phönizier und die in Palästina wohnenden Syrer geben auch selber zu (αὐτοὶ ὁμολογέουσι), dass sie diese Sitte von den Ägyptern übernommen hätten (παρ’ Αἰγυπτίων μεμαθηκέναι), und die Syrer, die an den Flüssen Thermodon und Parthenios wohnen, und ihre Nachbarn, die Makronen, sagen (φασὶ), dass sie den Brauch erst neuerdings (νεωστὶ) von den Kolchern entlehnt hätten (ἀπὸ Κόλχων […] μεμαθηκέναι).
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion „Wohl die religiöseste von allen persischen Königsgeschichten Herodots ist die vom Tode des Kambyses (3,64 ff.). Dieser Tod ist bis in jede Einzelheit eine Vergeltung für ein Sakrileg.“20 Karl Reinhardt Πανταχῇ ὦν μοι δῆλά ἐστι ὅτι ἐμάνη μεγάλως ὁ Καμβύσης· οὐ γὰρ ἂν ἱροῖσί τε καὶ νομαίοισι ἐπεχείρησε καταγελᾶν. (Hdt. 3.38.1) So ist mir vollkommen klar, dass Kambyses von schwerem Wahnsinn befallen war; sonst nämlich hätte er nicht damit begonnen, heilige Dinge und Gebräuche zu verhöhnen.
Herodots Erzählung über den Perserkönig Kambyses und dessen Eroberung und Besetzung Ägyptens (Hdt. 3.1–38 und Hdt. 3.61–66)21 bildet den rahmenden Abschluss meiner Untersuchung, die sich zuerst mit den persischen (Kap. II) und darauf mit einigen ägyptischen Nomoi (Kap. III–VI) befasst hat. Der sogenannte Kambyses-Logos ist für Fragen nach dem Verhältnis dieses persischen Königs sowohl zur ägyptischen Kultur und Religion als auch zu weiteren fremden Religionen, wie z. B. der arabischen und phönizischen, von grundlegender Bedeutung. Herodots Kommentar und das emphatische Diktum Karl Reinhardts, „von allen persischen Königsgeschichten Herodots“ sei „die vom Tode des Kambyses […] wohl die religiöseste“,22 weisen darauf hin, dass die Erzählung offensichtlich eine Menge religiöser Aspekte und Dimensionen enthält. Die Erzählung über Kambyses ist in manchen Teilen so dicht und komplex, dass ich mich auf ausgewählte Passagen konzentriere, in denen Kambyses bestimmten Gegenständen, Aspekten und Vertretern fremder Religion begegnet und sich mit ihnen auseinandersetzt. Im Anschluss an eine (3.1) Einführung zur erzählerischen und inhaltlichen Komplexität der Erzählung über Kambyses folgt eine Skizze der drei alternativen Versionen, die Herodot (Hdt. 3.1–3) zu Beginn des dritten Buches zu der Frage vorträgt, warum Kambyses gegen Ägypten gezogen sei. Diese Einführung ist grundlegend und methodisch bedeutsam, um die von Anfang an in der Erzählung präsenten unterschiedlichen
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Reinhardt (1965) 320–369, 347. Zu den elementaren Problemen der historischen Forschung und der Quellen zur Zeit der Perserherrschaft in Ägypten Vittmann (2011) 373–429, grundlegend und instruktiv zu Datierungsproblemen und der ägyptischen Vorstellung von Weltordnung und Königtum sowie zur problematischen Beurteilung der „Kollaborateure“ ebd. 373–376, zu Kambyses ebd. 377–382. Cf. zu Ägypten und den Persern allgemein die Monographie von Vittmann (2003) 120–154, zu Kambyses 120–130. Zur Diskussion um Herodots Erzählung über Kambyses mit weiterführender Literatur Lloyd (1988) 55–66, Dillery (2005) 387–406, Irwin (2017) 95–141 und die Beiträge in Schütze/Schwab (2021). Reinhardt (1965) 320–369, 347.
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VII. Religion in Interaktion
Sichtweisen auf Kambyses und sein Verhältnis zu den Ägyptern und Persern im Blick zu haben.23 Es folgt die erste Analyse einer Interaktion, die (3.2) Kambyses und ein arabisches Ritual (Hdt. 3.7.2–8.3) behandelt. Darauf soll die Misshandlung des Leichnams des Königs Amasis in Sais im Vordergrund stehen, bei der es im Kern (3.3) um die Verletzung sowohl persischer als auch ägyptischer religiöser Bräuche und Vorstellungen (Hdt. 3.16.1–7) geht. Unter der Überschrift „Religion auf Expedition“ (3.4) stehen zum einen die Interaktion des Kambyses mit den religiösen Überzeugungen der Phönizier, zum anderen die geplante Verbrennung des ägyptischen Zeus-Ammon-Orakels (Hdt. 3.25.3) im Vordergrund. Die Betrachtung der Tötung des Allerheiligsten, des Apis-Stiers, in Memphis (Hdt. 3.27–29) sowie die Verwüstung von ägyptischen Gräbern und Tempeln (Hdt. 3.37) bereiten auf (3.4) das religionsvergleichende Experiment des Dareios vor, in der die ganze bindende Kraft religiöser Identität und Tradition (Hdt. 3.38) zum Ausdruck kommt. Im abschließenden (5) Fazit und Ausblick sollen die unterschiedlichen Interaktionen des Kambyses mit den fremden Religionen herausgestellt und die Frage nach der komparativen Dimension in Herodots Darstellung fremder Religion beleuchtet werden. 3.1 Perspektivenwechsel Als ein markantes Beispiel der erzählerischen und inhaltlichen Komplexität der gesamten Erzählung über Kambyses ist bereits die Einleitung des dritten Buches (Hdt. 3.1–5) zu verstehen, in der ähnlich wie zu Beginn des ersten Buches verschiedene Versionen über die Gründe zur Eroberung Ägyptens vorgestellt werden.24 Mein Interesse in dieser Untersuchung gilt in erster Linie der Erzählung und den darin präsenten Dimensionen von Religion.25 23 24 25
Die Verfehlung persischer Nomoi durch Kambyses wie z. B. in Hdt. 3.16.2–3 und Hdt. 3.30–35 wäre wohl eine eigene Untersuchung wert. Eine Untersuchung zahlreicher Aspekte der Kambyses-Erzählung aus ägyptologischer, archäologischer, althistorischer und gräzistischer Perspektive bietet der neue interdisziplinäre Sammelband von Schütze/Schwab (2021). Für die Frage nach dem „historischen“ Kambyses in Ägypten cf. z. B. die Fallstudie zu Elephantine von Burkard (1994) 93–106 und Asheri (2007) 397–399 mit weiterführender Literatur. Asheri bemerkt zusammenfassend ebd. 398, dass die orientalischen Quellen – epigraphische, archäologische und papyrologische Zeugnisse – Verifikationen, Verbesserungen und Zusätze erlauben, jedoch nicht „an independent reconstruction of his reign“. Dillery (2005) 387–406, der in seiner quellenkritischen Untersuchung für eine Vertrautheit Herodots mit der ägyptischen Chaosbeschreibungstraditon argumentiert, kommt zu dem folgenden Schluss, ebd. 403: „If Cambyses did not the things that Herodotus says he did, a view supported by the evidence collected by Posener
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Die folgende Auswahl veranschaulicht, welche Aspekte sowohl ägyptischer als auch persischer, arabischer und phönizischer Religion präsent und für das Verständnis der gesamten Erzählung mitentscheidend sind. Ein wichtiger Aspekt der ganzen Erzählung besteht meines Erachtens darin, dass sie insgesamt als eine „paradigmatische“ und zeitlose Reflexion über die condition humaine und den möglichen Umgang mit fremder Religion betrachtet und gelesen werden kann.26 Für eine solch paradigmatische und didaktische Bedeutung des Textes sprechen sowohl Signale der Erzählung als auch Herodots abschließende Reflexion in Anspielung auf Pindar über den „Brauch als König von allen“ (Hdt. 3.38.4 νόμον πάντων βασιλέα). Bei der ersten Annäherung und Analyse der Erzählung stand die Frage im Fokus, wie Herodot die Begegnung des Perserkönigs Kambyses mit der Religion der Ägypter gestaltet. Die genaue Betrachtung und das Interesse an dem Umgang mit fremder Religion zeigen jedoch, dass die Interaktion und Auseinandersetzung mit ägyptischer Religion nur einen zentralen Aspekt der Erzählung ausmacht. Darüberhinaus können wir weitere Bezüge zu arabischer, phönizischer, äthiopischer, persischer und indischer Religion von Herodot thematisiert finden.27 Hervorzuheben ist der alles betreffende religionspolitische Aspekt der gesamten Erzählung, da Kambyses nicht irgendein Perser ist, sondern die politische Autorität verkörpert und als höchster Repräsentant der Perser agiert. Im skizzierten Rahmen frage ich zwar auch, ob und wie in der Erzählung weitere Dimensionen von Religion – geographische, zeitliche, ästhetisch-sinnliche, psychologische sowie soziale Aspekte – zur Sprache kommen, der Hauptfokus liegt jedoch für mich auf der religionsvergleichenden Dimension. Dieses Interesse drückt sich in der Frage aus, wie sich Kambyses gegenüber der Religion, den religiösen Bräuchen und Vorstellungen der Ägypter und anderer Völker verhält und mit ihnen interagiert. Bereits die einleitende Passage des dritten Buches (Hdt. 3.1–4) weist in eindrücklicher Weise darauf hin, dass es sich bei der Erzählung von der Eroberung Ägyptens
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and others, then we must ask the question: where then do these episodes come from? Inasmuch as the crimes committed by Cambyses seem to correspond to the evils envisioned in the Chaosbeschreibung tradition of Egypt, it seems reasonable to conclude that Herodotus’ narrative of Cambyses’ invasion and rule of Egypt derives ultimately from priestly texts that were in turn shaped within this tradition, in all likelihood in the form of prophetic Königsnovellen.“ Wichtig ist auch die folgende Einschätzung von Dillery (2005) 402: „The crucial point in all of this is that, while scholars have known for some time that Herodotus must have followed a native account for much of his narrative on Cambyses, I do not think that sufficient attention has been paid to the fact that this testimony was not at all uniform and simple. Egyptian nationalism figured prominently in both the positive and negative traditions, and the difference between them points to the enormously complex standing of the native priestly élite in Egypt during the Persian period. Indeed, it was the priests of Egypt who produced these stories and so articulated a nationalist perspective.“ Cf. dazu in Auseinandersetzung mit Hdt. 3.38 Munson (1991) 43–63, Demont (2009) und (2013) und Lincoln (2012) 278–83. Für die Auseinandersetzung des Kambyses mit den Äthiopiern Irwin (2014) 25–75 sowie die Monographie zu Nubien von Török (2014).
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VII. Religion in Interaktion
durch den Perserkönig Kambyses um eine vielschichtige und komplexe Erzählung mit mehreren „clashes of civilization“ handelt.28 Zuerst möchte ich anhand der Einleitung des dritten Buches auf die Vielschichtigkeit der Erzählung, die darin zur Sprache kommenden Perspektiven sowie das religiöse und ideologische Potenzial hinweisen. Ausgangspunkt ist die von Herodot gestellte Frage, warum Kambyses nach Ägypten gezogen ist (Hdt. 3.1). Ausgehend von dieser Frage nach der αἰτίη (δι’ αἰτίην τοιήνδε, Hdt. 3.1.1),29 dem Grund für den Zug des Kambyses gegen den ägyptischen König Amasis, trägt Herodot zunächst in ähnlicher Weise wie zu Beginn des ersten Buches (Hdt. 1.1–5)30 verschiedene Versionen für die Gründe zur Eroberung Ägyptens vor, die jeweils schlaglichtartig das Verhältnis des Kambyses zu den Ägyptern beleuchten. Eine persische Perspektive An der zuerst vorgetragenen Version (Hdt. 3.1.1–5) der Perser (οὕτω μέν νυν λέγουσι Πέρσαι, Hdt. 3.1.5) ist zu beobachten, wie Herodot durch Signalbegriffe zu erkennen gibt, wodurch der Zug gegen Amasis motiviert gewesen sein soll. Diese finden sich insbesondere in der Antwort der (fälschlich als Amasis’ Tochter gesandten) Nitetis an Kambyses.31 Dabei spielt das im dritten Buch besonders prominente Motiv der bewussten Täuschung und der Lüge32 eine zentrale Rolle, in diesem Fall die bewusste zweifache Täuschung des persischen Königs: (a) Zuerst soll Kambyses durch den Rat eines ägyptischen Arztes (ἐκ συμβουλῆς ἀνδρὸς Αἰγυπτίου), der eine persönliche Feindschaft gegenüber Amasis hegte (ὃς μεμφόμενος Ἀμάσι), getäuscht worden sein. Kambyses folgt dessen Rat und wirbt um die Tochter des Amasis. (b) Die zweite Täuschung ist deutlicher ausgearbeitet: Gemäß der Antwort der Nitetis sei Kambyses von
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Cf. dazu in quellengeschichtlicher Hinsicht Dillery (2005) 387–389 und für eine philologisch-literarische Analyse der ersten drei Kapitel Irwin (2017) 97–109 mit weiterführender Literatur. Hdt. 3.1.1 Ἐπὶ τοῦτον δὴ τὸν Ἄμασιν Καμβύσης ὁ Κύρου ἐστρατεύετο, ἄγων ἄλλους τε τῶν ἦρχε καὶ Ἑλλήνων Ἴωνάς τε καὶ Αἰολέας, δι’ αἰτίην τοιήνδε. Zu den drei Versionen Irwin (2017) 97–109. Cf. zu dieser deutlichen Anspielung auf das Proömium Hdt. 1.1.1 (δι’ ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι), sowie die Ähnlichkeit zu den persischen und phönizischen logoi (Hdt. 1.1–5) Dillery (2005) 387, der ebd. bemerkt: „Like the initial review of Phoenician and Persian logoi at the beginning of Book 1, the reasons Herodotus gives for Cambyses’ invasion of Egypt seem all so very personal, the stuff precisely of a personal grudge (another meaning for αἰτίη) that will account for an international conflict of enormous proportions: in each case – that is the origin of East-West conflict and the Persian invasion of Egypt – the transfer of women is central.“ Briant (2002) 49 bemerkt zu dieser Textpassage Herodots: „To all appearances, this tradition seems to reflect later Persian propaganda, and the historian would do well not to take it into consideration.“ Abgesehen von der interessanten Beobachtung Briants zeigt dessen Beurteilung des „Historikers“, mit welchen Erwartungen moderne Historiker Herodots Werk lesen. Cf. Asheri (2007) 391–393 bezeichnet „den metaphysischen und moralischen Konflikt zwischen Lüge und Wahrheit“ ebd. 391 als „Leitmotiv“ des dritten Buchs. Cf. dazu auch die Beobachtungen von Benardete (1969) 69–98.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Amasis getäuscht worden (διαβεβλημένος ὑπὸ Ἀμάσιος), weil Amasis, als ob er seine eigene Tochter geben würde (ὡς ἑωυτοῦ θυγατέρα διδούς), in Wahrheit die des Apries (ἐοῦσαν τῇ ἀληθείῃ Ἀπρίεω) dem Kambyses übergab. In dieser Formulierung kommt Amasis’ Vergehen gegen die Wahrheit eine entscheidende Rolle zu. Kambyses wird also zweifach getäuscht. Hinzu kommt der Aufstand des Amasis gegen Apries, seinen Herrscher (τὸν ἐκεῖνος ἐόντα ἑωυτοῦ δεσπότεα μετ’ Αἰγυπτίων ἐπαναστὰς), und nicht zuletzt dessen Ermordung (ἐφόνευσε), von der Nitetis Kambyses berichtet. Herodot beschließt mit einer ausdrucksstarken und dichten Formulierung diese erste Erzählung aus der Perspektive der Perser, indem er „diese Worte und diese darin enthaltene Beschuldigung“ (τοῦτο δὴ τὸ ἔπος καὶ αὕτη ἡ αἰτίη) zum treibenden Motiv des persischen Königs werden lässt (Hdt. 3.1.5): Τοῦτο δὴ τὸ ἔπος καὶ αὕτη ἡ αἰτίη ἐγγενομένη ἤγαγε Καμβύσεα τὸν Κύρου μεγάλως θυμωθέντα ἐπ’ Αἴγυπτον. Οὕτω μέν νυν λέγουσι Πέρσαι. Diese Worte und diese darin enthaltene Beschuldigung waren es, die Kambyses, den Sohn des Kyros, mächtig ergrimmen ließen und zum Krieg gegen Ägypten führten. So also erzählen die Perser.
Stilistisch auffällig sind das einleitende markante Hendiadyoin (τὸ ἔπος καὶ αὕτη ἡ αἰτίη) als eigentliches Subjekt des Satzes sowie der insgesamt ringkompositorische Charakter der Aussage mit Bezug auf den Beginn von Buch 3 (Hdt. 3.1.1).33 Für die Frage nach dem Verhältnis des Kambyses zu den Ägyptern ist zweierlei festzuhalten: (1) der persische König wird zweifach getäuscht und kann aus seiner Perspektive allem Anschein nach mit einer moralisch und religiös plausiblen Rechtfertigung gegen den ägyptischen König ziehen, um die (Ausbreitung der) Lüge zu bekämpfen;34 (2) sowohl der ägyptische Arzt als auch der ägyptische König Amasis werden in dieser Version diskreditiert und erscheinen als Betrüger und Lügner, die nur ihren eigenen Interessen folgen. Dass es sich dabei, wie Briant bemerkt, wohl um „spätere persische Propaganda“35 handelt, spielt für die Analyse der Erzählung keine Rolle. Für die gesamte Erzählung ist es jedoch von Bedeutung, dass Herodot diese persische Version
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Durch die Wiederaufnahme von (αὕτη ἡ) αἰτίη (= δι’ αἰτίην τοιήνδε, 3.1.1), Καμβύσεα τὸν Κύρου (= Καμβύσης ὁ Κύρου, Hdt. 3.1.1) sowie dem im Hinblick auf das Subjekt bzw. Objekt signifikant anders verwendeten Verb ἄγω (in Hdt. 3.1.1 als Partizip im Aktiv ἄγων mit Kambyses als Subjekt), nun im Aorist Indikativ Aktiv ἤγαγε mit Kambyses als Objekt, der von dieser Rede der Tochter des Apries und dem damit verbundenen Geschehen emotional bewegt wird. Zum Thema der Bekämpfung der Lüge durch den persischen König Lincoln (2007), insbes. zu Dareios 8–9, und Lincoln (2012) für die Bedeutung der Lüge im Achaimenidischen Persien, ebd. 213–224, für weitere Stellen Index, 541–542. Briant (2002) 49.
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VII. Religion in Interaktion
als erste anführt und damit eine Perspektive der Perser explizit artikuliert und nun im Folgenden mit einer Version der Ägypter (Αἰγύπτιοι δὲ) kontrastiert. Die ägyptische Perspektive Nach der ägyptischen Version, die Herodot in Hdt. 3.2 ausführt, eigneten sich die Ägypter Kambyses als einen der ihren an (Αἰγύπτιοι δὲ οἰκηιοῦνται Καμβύσεα), indem sie behaupteten (φάμενοί), dass dieser von eben dieser Tochter des Apries abstamme (μιν ἐκ ταύτης δὴ τῆς Ἀπρίεω θυγατρὸς γενέσθαι). Denn Kyros und nicht Kambyses habe sich an Amasis gewendet wegen der Tochter.36 Demgegenüber bemerkt Herodot ausdrücklich, dass diejenigen, die dies erzählen, es nicht auf rechte Weise erzählten (λέγοντες δὲ ταῦτα οὐκ ὀρθῶς λέγουσι), und bringt zwei Argumente gegen diese These vor: Zum einen wüssten (ἐπιστέαται) die Ägypter um die persischen Bräuche (τὰ Περσέων νόμιμα) bei der Nachkommenschaft/Dynastienachfolge (es sei nicht möglich, dass ein Bastard König werde, wenn ein „Echtbürger“ da sei)37 und zum anderen sei Kambyses der Sohn der Kassandane, der Tochter des Pharnaspes, eines Achaimeniden, und nicht von einer Ägypterin.38 Mit dieser Erzählung lässt Herodot erkennen, dass er wohl um eine Tradition weiß, in der seitens der Ägypter versucht wurde, Kambyses zu vereinnahmen und für ihn eine legitime Königsnachfolge als Sohn der Nitetis zu konstruieren,39 betont jedoch andererseits die Verortung des Kambyses in der Dynastie der Achaimeniden. Gegenüber der vorgebrachten ägyptischen Tendenz zur Vereinnahmung des persischen Königs konstatiert Herodot nüchtern (Hdt. 3.2.2): Ἀλλὰ παρατρέπουσι τὸν λόγον προσποιεύμενοι τῇ Κύρου οἰκίῃ συγγενέες εἶναι. Καὶ ταῦτα μὲν ὧδε ἔχει. Aber sie verkehren die Geschichte und geben sich als Verwandte des Hauses des Kyros aus. Und dies verhält sich also in dieser Weise.
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Cf. dazu Asheri (2007) 400–401 und der erläuternde Kommentar von Vittmann (2003) 123: „Hinter dieser von Herodots Gewährsleuten kolportierten Behauptung steht natürlich nichts anderes als das Bemühen, das Regime des fremden Usurpators zu legitimieren, indem man ihn zum Enkel des Apries machte.“ Hdt. 3.2.2 οὐ μὲν οὐδὲ λέληθε αὐτοὺς (εἰ γάρ τινες καὶ ἄλλοι, τὰ Περσέων νόμιμα ἐπιστέαται καὶ Αἰγύπτιοι) ὅτι πρῶτα μὲν νόθον οὔ σφι νόμος ἐστὶ βασιλεῦσαι γνησίου παρεόντος […]. Hdt. 3.2.2 αὖτις δὲ ὅτι Κασσανδάνης τῆς Φαρνάσπεω θυγατρὸς ἦν παῖς Καμβύσης, ἀνδρὸς Ἀχαιμενίδεω, ἀλλ’ οὐκ ἐκ τῆς Αἰγυπτίης. Cf. zur ägyptischen Propaganda Lloyd (1982) 170 ff. und Lloyd (1988) 62, der ebd. bemerkt: „This has the effect of turning the Persian king into an Egyptian and thereby converts him into a distinctly more palatable ruler.“
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Festzuhalten ist an dieser ägyptischen Version im Hinblick auf Kambyses, dass Herodot auf das ägyptische Interesse einer Vereinnahmung des Kambyses hinweist, dieses kritisiert und argumentativ entkräftet. Damit zeichnet er die Ägypter an dieser Stelle – nun in anderer Weise als in der ersten persischen Version – als Erfinder alternativer Erzählungen oder gar als Lügner und Geschichtsfälscher.40 Eine dritte Version Herodot führt nun eine weitere Version in Form einer aitiologischen Erzählung an (Hdt. 3.3), die sowohl Elemente der ersten als auch der zweiten Version aufnimmt und Nitetis zwar als eine Frau des Kyros, Kambyses jedoch nicht als ihren Sohn, sondern als den der Kassandane vorstellt.41 Man erzähle auch diese Geschichte (λέγεται δὲ καὶ ὅδε λόγος), doch er selbst halte sie nicht für überzeugend (ἐμοὶ μὲν οὐ πιθανός). Mit dieser angedeuteten Skepsis erzählt Herodot diese Version von Kambyses, der angeblich als ältester Sohn seiner Mutter Kassandane Zeuge eines Gespräches wurde. Nachdem eine persische Frau Kassandane ob ihrer schönen und großen Kinder lobt, antwortete diese, sie fühle sich von Kyros zu wenig geehrt im Vergleich zu der von ihm höher geschätzten ägyptischen Nitetis. Als Zeuge dieses Gesprächs soll sich Kambyses mit den folgenden Worten geäußert haben (Hdt. 3.3): „Τοιγάρ τοι, ὦ μῆτερ, ἐπεὰν ἐγὼ γένωμαι ἀνήρ, Αἰγύπτου τὰ μὲν ἄνω κάτω θήσω, τὰ δὲ κάτω ἄνω.“ „Deshalb, Mutter, will ich, wenn ich ein Mann geworden bin, in Ägypten das Oberste zuunterst und das Unterste zuoberst kehren.“
Die durchaus gewichtige und von einer starken Überzeugung strotzende Eingangsformel τοιγάρ τοι, die nur an dieser Stelle bei Herodot vorkommt, bildet im Mund des Kindes einen reizvollen Kontrast zu dem großen anvisierten Zukunftsprojekt.42 Herodot lässt den anekdotenhaften Zug dieser Kindheitserzählung deutlich erkennen, indem er weiter erläutert, dass Kambyses dies gesagt habe, als er wohl ungefähr zehn
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Dieser Befund steht in einem Spannungsverhältnis zu der Aussage des zweiten Buches (Hdt. 2.77.1), die Ägypter in den bestellten Gebieten Ägyptens pflegten die Erinnerung mehr als alle anderen Menschen und wüssten weitaus am meisten von allen, die Herodot erproben konnte, zu berichten. Cf. Hdt. 2.77.1 Αὐτῶν δὲ δὴ Αἰγυπτίων οἳ μὲν περὶ τὴν σπειρομένην Αἴγυπτον οἰκέουσι, μνήμην ἀνθρώπων πάντων ἐπασκέοντες μάλιστα λογιώτατοί εἰσι μακρῷ τῶν ἐγὼ ἐς διάπειραν ἀπικόμην. Asheri (2007) 401 bemerkt, dass „this harem tale presupposes a third version which, if it shared with the Egyptian version the marriage between Cyrus and Nitetis, nevertheless denied that Nitetis could be the mother of Cambyses (and therefore was unable to confer on Cambyses the status of a legitimate heir of Apries).“ Cf. dazu Heni (1977) 112–113, 113.
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VII. Religion in Interaktion
Jahre alt gewesen sei (ταῦτα εἰπεῖν αὐτὸν ἔτεα ὡς δέκα κου γεγονότα) und die Frauen sich dabei gewundert hätten. Strukturell vergleichbar damit ist die Erzählung über den sonderbaren zehnjährigen Kyros, der sich beim Königsspiel mit seinen Altersgenossen (Hdt. 1.114–6) als selbstbewusster und strenger König erweist. Herodot beschließt diese Erzählung über Kambyses mit der Bemerkung, dass dieser nun beständig auf diese Art und Weise daran gedacht habe (τὸν δὲ διαμνημονεύοντα οὕτω δή) und als er dann ein Mann wurde (ἐπείτε ἀνδρώθη) und die Königsherrschaft erlangt hatte (καὶ ἔσχε τὴν βασιληίην), den Feldzug gegen Ägypten unternommen habe (ποιήσασθαι τὴν ἐπ’ Αἴγυπτον στρατηίην). Bei dieser Erzählung, die man als eine Art von Kompromiss-Variante43 aus den ersten beiden verstehen kann, ist besonders die Perspektive auf den jungen Kambyses und späteren König bemerkenswert. Dabei handelt es sich um eine sehr stark autobiographisch gefärbte Version, die ein Versprechen und eine Drohung bezüglich Ägypten enthält, die in der weiteren Erzählung eingelöst werden. Zusammenfassung Die Präsentation der drei Versionen veranschaulicht, dass die Erklärungen über die Motive des Kambyses für seinen Zug gegen Ägypten und somit insgesamt die Deutung des gesamten Erzählgeschehens, sei es aus persischer und ägyptischer Perspektive oder auch für den skeptischen Leser, sehr unterschiedlich ausfallen können. Für die Analyse der folgenden Interaktionen ist nun zuerst bemerkenswert, dass Herodot drei unterschiedliche Versionen anführt, die mit spezifischen Erklärungen, bestimmten Werten und religiösen Mustern operieren. (1) Lüge und Täuschung des Königs: In der persischen Perspektive wird der Lüge und Täuschung des Amasis gegenüber dem persischen König eine zentrale Rolle beigemessen, die das Handeln des persischen Königs gegen die Ausbreitung der Lüge vollkommen zu rechtfertigen scheint. Das Motiv der Lüge kehrt an entscheidenden Stellen der Erzählung, wie z. B. Kambyses’ Vorwurf gegenüber den Vorstehern der Stadt Memphis (Hdt. 3.27.3), wieder und hat dabei deren Tötung zur Folge. (2) Ideologie und Wissen um fremde Bräuche: In Herodots Präsentation der ägyptischen Version, die er ausdrücklich anzweifelt, werden die Ägypter diskreditiert und als ideologisch verdächtig dargestellt. Herodot schreibt ihnen jedoch besseres Wissen um die persischen Bräuche der Königsnachfolge zu.
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Cf. dazu Asheri (1997) 401: „The story looks like a learned compromise by a Greek who, perhaps for chronological reasons, accepted the view that it was Cyrus, not Cambyses, who had married Nitetis, while knowing that Cambyses’ mother was a Persian noblewoman.“
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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(3) Kindheitstrauma und Charisma des Königs: Die dritte Variante über den jungen, ambitionierten Kambyses lässt zum einen eine große Wertschätzung der eigenen Mutter als mögliches Motiv zur Besetzung Ägyptens erkennen; zum anderen scheint durch die Anekdote über den wohl Zehnjährigen dessen Besonderheit als persischer König durch. Die dritte Version bietet darüber hinaus durch die pointierte Äußerung des jungen Kambyses (τὰ μὲν ἄνω κάτω θήσω, τὰ δὲ κάτω ἄνω) eine Erklärung und ein Motiv für das Verhalten des Kambyses gegenüber der Religion und Kultur der Ägypter. Durch diesen „mehrstimmigen“ Auftakt der Erzählung wird die Aufmerksamkeit gleich zu Beginn der Erzählung auf den problematischen Sachverhalt gelenkt, dass es wohl kaum eine neutrale und unverzerrte Perspektive auf fremde Religion, Kultur und Politik geben kann, da jeder Standpunkt und jede Perspektive von bestimmten Interessen, Erfahrungen, Wertmustern oder auf andere Weise zumindest gefärbt oder (mit)bestimmt wird. Sowohl für den letztlich erfolgten Einfall des persischen Heeres unter Kambyses in Ägypten als auch für das Verhältnis des Kambyses zu Personen fremder Völker sind zwei weitere Beziehungen, die im Anschluss (Hdt. 3.4.1–3 und Hdt. 3.7.2–9.1) an die drei Versionen erwähnt werden, weiter aufschlussreich: zum einen das Vertrauen in den einstigen (griechischen) Söldner Phanes aus Harlikarnass, der zuvor im Dienst des Amasis gestanden haben soll (Hdt. 3.4.1–3 und Hdt. 3.7) und dessen Rat, mit der Hilfe des arabischen Königs nach Ägypten zu gelangen, Kambyses folgt; zum anderen das auf den Rat des Phanes hin erfolgende Sicherheitsbündnis mit dem arabischen König (Hdt. 3.4.3 und Hist. 3.7–9.1) aufgrund eines religiösen Bündnisrituals, das Herodot ausführlich beschreibt (s. u.). Diese vermittelte Begegnung des persischen Königs mit dem arabischen König und einem Bündnisritual soll nun als erste Interaktion des Kambyses mit fremder Religion – der arabischen – untersucht werden. 3.2 Ein arabisches Ritual Die erste Interaktion des persischen Königs Kambyses mit einer fremden Religion in Herodots Erzählung wird durch den König der Araber vermittelt.44 Diese eindrucks-
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Cf. zu Arabien und den Arabern bei Herodot Dihle (1990) 41–61, bes. 41–50, Bichler (2000) 63–64 und Asheri (2007) 405–408; zur Geschichte der Araber von den Assyriern bis zu den Umayyaden Retsö (2003), zu den Arabern zur Zeit der Achaimeniden ebd. 235–262. Bichler bemerkt, ebd. 63, zu Recht, dass „das Bild Arabiens“ bei Herodot „ein komplexes Gebilde“ sei: „Eine begriffliche Trennung in Nord- und Südarabien hat Herodot selbst nicht vollzogen. Aber seine Nachrichten über die Araber am südlichen Rande Palästinas und als direkte Nachbarn der Ägypter (bes. III 4–9) gelten offensichtlich einer anderen Region als die phantastische Erzählung über Arabien als Land im äußersten Süden (III 107–113). Letzteres lässt sich in etwa mit der späteren Arabia Felix
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VII. Religion in Interaktion
voll geschilderte Begegnung wird leicht übersehen, da sie sozusagen en passant auf dem Weg des Kambyses nach Ägypten liegt. Sie stellt jedoch in der Erzählung Herodots eine wesentliche Voraussetzung für die Invasion des Kambyses in Ägypten dar.45 Die Begegnung verdankt sich dem Rat des Harlikarnassiers Phanes,46 der sich vor der Verfolgung des Amasis aus Ägypten zu Kambyses flüchtet und diesem in einem entscheidenden Moment mit seinem Rat zur Hilfe kommt (Hdt. 3.4.3): Ὁρμημένῳ δὲ στρατεύεσθαι Καμβύσῃ ἐπ’ Αἴγυπτον καὶ ἀπορέοντι τὴν ἔλασιν, ὅκως τὴν ἄνυδρον διεκπερᾷ, ἐπελθὼν φράζει μὲν καὶ τἆλλα τὰ Ἀμάσιος πρήγματα, ἐξηγέεται δὲ καὶ τὴν ἔλασιν, ὧδε παραινέων, πέμψαντα παρὰ τὸν Ἀραβίων βασιλέα δέεσθαι τὴν διέξοδόν οἱ ἀσφαλέα παρασχεῖν. Kambyses hatte sich gerade entschlossen, gegen Ägypten zu ziehen, war jedoch hinsichtlich seines Marsches in Verlegenheit, wie er das wasserlose Gebiet durchqueren solle; da kam Phanes und sagte ihm alles, was er von Amasis wusste, und erklärte ihm auch die Marschroute. Er riet ihm so: Er solle zum König der Araber schicken und ihn bitten, ihm sicheren Durchzug zu gewähren.
Kambyses folgt dem Rat des Phanes, indem er Boten zu „dem Araber“ (Hdt. 3.7.2) schickt und ihn um sicheren Durchzug bittet (καὶ δεηθεὶς τῆς ἀσφαλείης ἔτυχε). Herodot bemerkt, dass Kambyses sein Treuwort gegeben habe und er es auch von jenem bekommen habe (πίστις δούς τε καὶ δεξάμενος παρ’ αὐτοῦ). Bereits diese in nur einem prägnanten Satz bemerkte vertrauliche Übereinkunft zwischen dem persischen und dem arabischen König ist bemerkenswert, da sie die Bereitschaft des persischen Königs zu dem im Folgenden beschriebenen Bündnisritual anzeigt. Das strategische Bündnis zwischen den beiden Königen wird darauf vor dem religiösen Hintergrund der Araber weiter erläutert. Die Ausgangsthese für Herodots Erläuterung ist von besonderem Interesse, da sie eine gewichtige Aussage über die Wertschätzung und Verehrung der Araber macht und terminologisch ein religiöses Feld skizziert (Hdt. 3.8.1):
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gleichsetzen. (…) Wenn die Araber dennoch eine historische Bedeutung bekommen, so gilt das nur für die nördlicher gedachten Anrainer Palästinas und Nachbarn der Ägypter.“ Über die frühen Araber und ihre Beziehung zu den Ägyptern Vittmann (2003) 180–193, bes. 180–182. Cf. dazu Bichler (2000) 63 und Anm. 12. Cf. dazu Asheri (2007) 401. Die Einführung und Charakterisierung des Phanes (cf. Hdt. 3.4.1–3) sowie seine Begegnung mit Kambyses in dieser Situation der „Ratlosigkeit“ (Καμβύσῃ ἐπ’ Αἴγυπτον καὶ ἀπορέοντι τὴν ἔλασιν, ὅκως τὴν ἄνυδρον διεκπερᾷ) haben sprachliche und motivische Ähnlichkeiten mit der Einführung und dem Rat des Thales an den ratlosen Kroisos vor der Überquerung des Halys; cf. Hdt. 1.75.3–6: Ὡς δὲ ἀπίκετο ἐπὶ τὸν Ἅλυν ποταμὸν ὁ Κροῖσος, τὸ ἐνθεῦτεν, ὡς μὲν ἐγὼ λέγω, κατὰ τὰς ἐούσας γεφύρας διεβίβασε τὸν στρατόν, ὡς δὲ ὁ πολλὸς λόγος Ἑλλήνων, Θαλῆς οἱ ὁ Μιλήσιος διεβίβασε. Ἀπορέοντος γὰρ Κροίσου ὅκως οἱ διαβήσεται τὸν ποταμὸν ὁ στρατός (οὐ γὰρ δὴ εἶναί κω τοῦτον τὸν χρόνον τὰς γεφύρας ταύτας) λέγεται παρεόντα τὸν Θαλῆν ἐν τῷ στρατοπέδῳ ποιῆσαι αὐτῷ τὸν ποταμὸν […].
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Σέβονται δὲ Ἀράβιοι πίστις ἀνθρώπων ὁμοῖα τοῖσι μάλιστα. Die Araber ehren solche Verpflichtungen in höchster Weise unter den Menschen.
Herodots Aufmerksamkeit richtet sich also zuerst auf das, was die Araber für heilig halten oder in besonderem Maße verehren (σέβονται): eine Art Versprechen und Treueschwur (πίστις).47 Wie es konkret zum Vollzug eines derartigen Treueschwures kommt, wird nun in der Beschreibung des Rituals entfaltet.48 In der äußerst sinnlichen und wohl komponierten Beschreibung betont Herodot von Beginn an mit sprachlichen Mitteln die Handlung und den Vollzug (Performanz) des Rituals (Hdt. 3.8.1): Ποιεῦνται δὲ αὐτὰς τρόπῳ τοιῷδε· τῶν βουλομένων τὰ πιστὰ ποιέεσθαι ἄλλος ἀνὴρ ἀμφοτέρων αὐτῶν ἐν μέσῳ ἑστεὼς λίθῳ ὀξέϊ τὸ ἔσω τῶν χειρῶν παρὰ τοὺς δακτύλους τοὺς μεγάλους ἐπιτάμνει τῶν ποιευμένων τὰς πίστις, καὶ ἔπειτα λαβὼν ἐκ τοῦ ἱματίου ἑκατέρου κροκύδα ἀλείφει τῷ αἵματι ἐν μέσῳ κειμένους λίθους ἑπτά, τοῦτο δὲ ποιέων ἐπικαλέει τόν τε Διόνυσον καὶ τὴν Οὐρανίην. Sie schließen sie (sc. die Verpflichtungen) auf folgende Weise ab: Wollen zwei Männer sich gegenseitig verpflichten, so tritt ein dritter zwischen sie und macht mit einem scharfen Stein einen Schnitt in die Handflächen der sich Verpflichtenden in der Nähe des Daumens; dann nimmt er vom Obergewand eines jeden der beiden ein Stückchen Wolle und streicht damit das Blut auf sieben in der Mitte liegende Steine, und während er das tut, ruft er den Dionysos und die Urania an.
Zu beachten ist zum einen die markante und mehrmalige Hervorhebung derer, die das Treuebündis „vollziehen“ („machen“, „ausführen“)49, während der eigentlich Handelnde und das Ritual Vollziehende ein anderer (ἄλλος ἀνὴρ) in ihrer Mitte (ἐν μέσῳ) ist. Dieser ruft während des Ritualvollzugs „Dionysos und Urania“ an. Die Beschreibung des Rituals zeichnet sich durch sozial-rituelle und räumliche sowie einige sinnlich-symbolische Dimensionen aus. Von zentraler Bedeutung ist die soziale, moralisch-ethische Wirkung und Konsequenz, die sich an die rituelle Handlung anschließt (Hdt. 3.8.2): Ἐπιτελέσαντος δὲ τούτου ταῦτα ὁ τὰς πίστις ποιησάμενος τοῖσι φίλοισι παρεγγυᾷ τὸν ξεῖνον ἢ καὶ τὸν ἀστόν, ἢν πρὸς ἀστὸν ποιῆται, οἱ δὲ φίλοι καὶ αὐτοὶ τὰς πίστις δικαιεῦσι σέβεσθαι.
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Cf. zum Terminus πίστις an dieser Stelle Powell (1938): πίστις, ἡ (15) 1. (13) pledge. Rudhardt (1992a) 12 bezeichnet πίστις „au sens religieux“ als „respect du serment“ ohne weitere Erläuterung. Cf. zu ähnlichen Ritualen bei Skythen und Griechen mit dem Fokus auf das Blutvergießen und die Nähe zum Eid Hartog (1988, engl.) 113–117 sowie im Rahmen blutiger Opfer, die mit den Wörtern der Wurzel τεμ- bezeichnet werden, Rudhardt (1992a) 281–284. Ποιεῦνται δὲ αὐτὰς τρόπῳ τοιῷδε. Τῶν βουλομένων τὰ πιστὰ ποιέεσθαι / ἐπιτάμνει τῶν ποιευμένων τὰς πίστις / τοῦτο δὲ ποιέων ἐπικαλέει […].
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VII. Religion in Interaktion
Hat er dies vollzogen, so empfiehlt der, der die Verpflichtung eingegangen ist, seinen Freunden den Fremden oder auch den Stammesgenossen – wenn er dies gegenüber einem Stammesgenossen durchgeführt hat –, und diese halten es nun ebenfalls für richtig, diesen Bund zu ehren.
Durch das Anvertrauen und Empfehlen (παρεγγυᾷ) des Bündnispartners an die eigenen Freunde entfaltet das Ritual seine weitere soziale Wirkung, da auch diese (καὶ αὐτοὶ) es wiederum für richtig erachten, das Vertrauensbündis in Ehren zu halten (τὰς πίστις δικαιεῦσι σέβεσθαι). Bei einem Bundesschluss von zwei Königen sind also deutlich die moralischen und außenpolitischen Konsequenzen abzusehen. Das Fundament und die entscheidenden Faktoren, durch die das Bündnis- und Treueritual ermöglicht wird, sind an Herodots sorgfältiger sprachlicher Gestaltung – der auffälligen ringkompositorischen Stellung des zentralen Verbs σέβεσθαι mit dem Akkusativobjekt πίστις – zu erkennen: 1. Σέβονται (δὲ Ἀράβιοι) πίστις […]. 2. (… οἱ δὲ φίλοι καὶ αὐτοὶ) τὰς πίστις (δικαιεῦσι) σέβεσθαι.
Mit diesen beiden Ausdrücken werden die entscheidenden – religiösen – Faktoren für die Transformation des jeweiligen näheren sozialen Umfelds benannt. Darüber hinaus wird durch die Epiklese des Dionysos und der Urania deutlich, dass im Hintergrund des arabischen Zusammenlebens ein kleiner und konzentrierter „Pantheon“ steht, der zuletzt – erst im Anschluss an die Beschreibung des Rituals und dessen soziale Folgen – weiter erläutert wird (Hdt. 3.8.3): Διόνυσον δὲ θεῶν μοῦνον καὶ τὴν Οὐρανίην ἡγέονται εἶναι καὶ τῶν τριχῶν τὴν κουρὴν κείρεσθαί φασι κατά περ αὐτὸν τὸν Διόνυσον κεκάρθαι· κείρονται δὲ περιτρόχαλα, ὑποξυρῶντες τοὺς κροτάφους. Ὀνομάζουσι δὲ τὸν μὲν Διόνυσον Ὀροτάλτ, τὴν δὲ Οὐρανίην Ἀλιλάτ. Sie halten Dionysos und Urania für die einzigen Götter und behaupten, dass sie sich die Haare in der gleichen Weise scheren ließen, wie dies Dionysos getan habe: Sie scheren die Haare rings um den Kopf ab und rasieren sich die Schläfen. Den Dionysos nennen sie Orotalt und Urania Alilat.
Wie diese abschließenden Bemerkungen sehr deutlich erkennen lassen, stehen alle drei Aussagen in der 3. Person Plural: (1) der „Glaube“ (ἡγέονται) an die Existenz nur dieser beiden Götter, (2) die Bezeichnung für diese Götter und (3) die Behauptung (φασι) in indirekter Rede bezüglich der Haarimitation des Dionysos. Der Erzähler Herodot kann sich somit von der Beschreibung dem Referat der Binnenperspektiven zuwenden und sich zugleich von diesen Inhalten distanzieren. Die Äußerung über
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Urania (nur als Epitheton), die von den Arabern als „Alilat“50 bezeichnet werde, ist für das persische Pantheon, das bereits in den Perser-Nomoi (Hdt. 1.131.3) von Herodot skizziert wurde, relevant.51 Denn durch die Erzählung vom Bündnis der Perser mit den Arabern und die Erwähnung dieser Göttin kann Herodot textimmanent plausibel die Aufnahme dieser Göttin in das persische Pantheon erklären. Herodots Beschreibung mit einem Fokus auf das Soziale hat in diesem Zusammenhang große Ähnlichkeiten mit einem funktionalistischen Religionsverständnis: den Göttern käme demnach die Funktion zu, die im vollzogenen Ritual zum Ausdruck gebrachte Treue und das versprochene Vertrauen für das Zusammenleben zu gewährleisten. Für die Ausgangsfrage nach dem Verhältnis des Kambyses zur Religion der Araber in der konkreten Form eines Vertrauensbündnisses ist festzuhalten, dass die Gesandten des Kambyses sich auf den arabischen Brauch einlassen, das Ritual vollziehen und für die strategische Situation – die geplante Invasion nach Ägypten – nutzbar machen. Kambyses zeigt also qua seiner Boten (τοῖσι ἀγγέλοισι τοῖσι παρὰ Καμβύσεω) nicht nur Respekt gegenüber den Arabern, sondern er geht mit dem Vollzug des Treueschwurs ein Bündnis ein, das ihm die Unterstützung des arabischen Königs bei der Invasion Ägyptens zusichert (Hdt. 3.9.1).52 3.3 Persische und ägyptische religiöse Vorstellungen Ein weiteres signifikantes Zusammentreffen des Kambyses mit ägyptischen und persischen religiösen Vorstellungen schildert Herodot in der Erzählung von der Schändung und Verbrennung des Leichnams des einstigen ägyptischen Königs Amasis durch Kambyses in Sais (Hdt. 3.16.1–7).53 Um die anschaulich erzählte Episode in Sais besser verstehen zu können, ist an zwei unmittelbar vorausgehende Ereigniskomplexe zu erinnern. Herodot schildert zuvor zum einen die gewalttätigen und blutigen Kämpfe der Ägypter unter Psammenitos, dem Sohn und Nachfolger des Amasis54, mit Hilfe karischer und griechischer Söldner gegen die Perser bei der pelusischen Mün50 51 52
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Cf. dazu mit weiterer Literatur Asheri (2007) 407–409, Hämeen-Anttila/Rollinger (2002) 84–99 und Retsö (2003) 602–605. Cf. dazu auch Kapitel II.2 Religion innerhalb der persischen Nomoi. Für die Perser wurden solche Bündnisse wohl mit dem indo-iranischen Namen und Gott „Mithra“ (wörtlich: „Vertrag“ oder „Pakt“) in Verbindung gebracht. Bruce Lincoln, dem ich diesen Hinweis verdanke, bemerkt in Lincoln (2012) 286 Anm. 56 mit weiterführender Literatur, dass der Name „means ‚Compact, Contract, Treaty‘ and that the deity incarnates power of certain solemn speechacts to establish and maintain binding relations among individuals and groups at various levels of social integration (Families, clans, nations […]).“ Cf. dazu Munson (1991) 45–47, Dillery (2005) 392–393 und Asheri (2007) 413–415 mit weiterführender Literatur. Für den berühmten Vatikanischen naophoros des Udjahorresne Posener (1936) No. 1 Statuettes naophores, 1–26, zur Inschrift auch Lloyd (1982) 166–180 und Vittmann (2003) 122–125. Amasis ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben und in Sais beigesetzt (cf. Hdt. 3.10).
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dung des Nils sowie darauf bei der Belagerung von Memphis.55 Unmittelbar vor dem Ortswechsel des Kambyses von Memphis nach Sais bemerkt Herodot zum anderen, dass Psammenitos, der von Kambyses begnadigt worden sein soll, beim Versuch eines ägyptischen Aufstandes überführt wird und darauf den Tod findet.56 Vor diesem Hintergrund ist der danach geschilderte Einzug des Kambyses in Memphis (Hdt. 3.16.1–6) zu verstehen. Bei der rein sprachlichen Betrachtung der Erzählung über den ersten Aufenthalt des Kambyses in Sais (Hdt. 3.16.1–7) lassen sich drei Textabschnitte unterscheiden, in denen entscheidende Aspekte für den Umgang des Kambyses mit der fremden Kultur und Religion der Ägypter sowie der persischen Religion thematisiert werden. Ausgehend von der Erzählung über die Misshandlung und Verbrennung des Leichnams des Amasis (1. Teil), folgt die Erläuterung von Kambyses’ Verstoß durch seinen „unheiligen Befehl“ (ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια) gegen ägyptische und persische Nomoi (2. Teil). Darauf folgt eine alternative Erzählversion der Ägypter, die Herodot mitteilt, aber insgesamt für eine Ausschmückung und Übertreibung hält (Teil 3). Den Schlüssel zum Verständnis der Textpassage bietet ihre klare Struktur. Auf die Eingangserzählung (Teil 1: Hdt. 3.16.1–2), die besonders durch die drei Befehle des Kambyses – auffällig ist das dreimalige ἐκέλευ(σ)έ – strukturiert werden, folgt eine mit γάρ eingeleitete Begründung (Teil 2: Hdt. 3.16.3–4), die den „unheiligen Charakter“ des letzten Befehls (ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια), den Leichnam zu verbrennen (ἐκέλευσέ μιν ὁ Καμβύσης κατακαῦσαι) erläutert. Diese Begründung endet, signalisiert durch die Korrespondenz von ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια (Hdt. 3.16.2) und dem schlussfolgernden Οὕτω δὴ οὐδετέροισι νομιζόμενα ἐνετέλλετο ποιέειν ὁ Καμβύσης (Hdt. 3.16.4) mit der Feststellung, dass Kambyses auf diese Weise etwas zu tun anordnete, was weder für Ägypter noch für Perser Nomos war. Darauf folgt (Teil 3: Hdt. 3.16.5–7) die alternative Version der Ägypter (ὡς μέντοι Αἰγύπτιοι λέγουσι … Λέγουσι γὰρ), nach der sich die zuvor erzählten Handlungen mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied zugetragen haben sollen: Bei dem Leichnam soll es sich nach Meinung der Ägypter nicht um den des ägyptischen Königs Amasis (οὐκ Ἄμασις ἦν ὁ ταῦτα παθών), sondern um den eines anderen Ägypters gleicher Gestalt (ἀλλὰ ἄλλος τις τῶν Αἰγυπτίων ἔχων τὴν αὐτὴν ἡλικίην Ἀμάσι) gehandelt haben.
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Cf. dazu Hdt. 3.10–13. Cf. Hdt. 3.15.
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Die Schändung und das Verbrennen eines Leichnams Im ersten Abschnitt der Erzählung betont Herodot zuerst den Plan und die Absicht des Kambyses, der nach der Tötung des Psammenitos von Memphis in die Königsmetropole Sais57 gekommen ist, darauf die Umsetzung seiner Befehle (Hdt. 3.16.1–2): Καμβύσης δὲ ἐκ Μέμφιος ἀπίκετο ἐς Σάϊν πόλιν, βουλόμενος ποιῆσαι τὰ δὴ καὶ ἐποίησε. Ἐπείτε γὰρ ἐσῆλθε ἐς τὰ τοῦ Ἀμάσιος οἰκία, αὐτίκα ἐκέλευε ἐκ τῆς ταφῆς τὸν Ἀμάσιος νέκυν ἐκφέρειν ἔξω· ὡς δὲ ταῦτά οἱ ἐπιτελέα ἐγένετο, μαστιγοῦν τὸν νέκυν ἐκέλευε καὶ τὰς τρίχας ἀποτίλλειν καὶ κεντροῦν τε καὶ τἆλλα πάντα λυμαίνεσθαι. Ἐπείτε δὲ καὶ ταῦτα ἔκαμον ποιεῦντες (ὁ γὰρ δὴ νεκρὸς ἅτε τεταριχευμένος ἀντεῖχέ τε καὶ οὐδὲν διεχέετο), ἐκέλευσέ μιν ὁ Καμβύσης κατακαῦσαι, ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια. Von Memphis zog Kambyses nach Sais, wo er etwas tun wollte, was er dann auch tat: Sobald er nämlich den Palast des Amasis betreten hatte, ließ er sogleich die Leiche des Amasis aus der Gruft holen und, als das ausgeführt war, den Leichnam geißeln, ihm die Haare ausraufen, ihn durchbohren und auf jede weitere Art misshandeln. Als man dies bis zur Ermüdung betrieben hatte – denn der Leichnam hielt, weil einbalsamiert, stand und zerfiel auf keine Weise –, befahl Kambyses, ihn zu verbrennen, womit er einen gottlosen Befehl gab.
Die Aufmerksamkeit wird zu Beginn auf den Willen und die Absicht des Kambyses gelenkt (βουλόμενος ποιῆσαι τὰ δὴ καὶ ἐποίησε). Sogleich (αὐτίκα) nach Betreten des Palastes von Amasis äußert sich sein Wille in einem Befehl (ἐκέλευε), dem zwei weitere folgen: (i) den Leichnam des Amasis aus dessen Grab58 herauszuholen und diesen (ii) darauf zu malträtieren und zu zerstören.59 Diese Handlungen führen bei den Ausführenden zu Ermüdungserscheinungen und sind vergeblich (καὶ ταῦτα ἔκαμον ποιεῦντες), da der einbalsamierte Leichnam widersteht und nicht auseinandergeht.60 Es ist auffällig, dass bei den ersten zwei Befehlen unmittelbar im Anschluss die Ausführung des Befehls ausdrücklich konstatiert wird (ad i: ὡς δὲ ταῦτά οἱ ἐπιτελέα ἐγένετο / ad ii: Ἐπείτε δὲ καὶ ταῦτα ἔκαμον ποιεῦντες). Der dritte Befehl unterscheidet sich in dieser Hinsicht: Als Kambyses den Befehl erteilt, (iii) den Leichnam zu verbrennen (ἐκέλευσέ μιν ὁ Καμβύσης κατακαῦσαι), wird unmittelbar im Anschluss nicht die Ausführung konstatiert, sondern vielmehr kommentierend festgestellt, dass dieser
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Zu Sais: Hdt. 2.28.1; 130; 163.1; 169.3–5; 170; 175; 176.2. Cf. zum Grabmal und der Bestattung des Amasis Hdt. 2.169.5 und Hdt. 3.10.2. Die Ausführung dieses Befehls wird mit vier Verben beschrieben, die sowohl das Spektrum als auch die Intensität und Dauer der Peinigungen veranschaulichen (μαστιγοῦν τὸν νέκυν ἐκέλευε καὶ τὰς τρίχας ἀποτίλλειν καὶ κεντροῦν τε καὶ τἆλλα πάντα λυμαίνεσθαι). Cf. dazu Hdt. 7.238 und 9.78–9.
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VII. Religion in Interaktion
Auftrag (ἐντελλόμενος) nicht heilig/fromm (οὐκ ὅσια) gewesen sei.61 Im Folgenden erläutert Herodot (Teil 2), warum Kambyses mit der Verbrennung des Leichnams ein klares Vergehen gegen die Nomoi sowohl der Perser als auch der Ägypter anordnet. Es ist also festzuhalten, dass die Ausführung des Befehls im Unterschied zu den beiden vorausgehenden Befehlen nicht so ausdrücklich festgestellt, sondern vielmehr eine Reflexion über diesen Befehl angestellt wird. Während Herodot bei den ersten beiden Befehlen des Kambyses unmittelbar und explizit von deren Ausführung und Ergebnis spricht, ist bei der dritten Anordnung des Kambyses (zur Verbrennung des Leichnams) nicht mehr von deren unmittelbarer Umsetzung die Rede.62 Bezüglich der Schilderung ist weiter festzuhalten, dass sich die Gewaltanwendung auf einen wehrlosen und toten ägyptischen Gegner bezieht, die Schädigung und Schändung des Leichnams von Herodot jedoch nicht explizit als ein Vergehen gegen einen Nomos bezeichnet wird.63 Auffällig ist, dass Herodot nur die Mühen von Kambyses’ Untergebenen bei der Misshandlung des Leichnams erwähnt, nicht jedoch irgendeine Reaktion der Ägypter, und erst im zweiten Textabschnitt (2. Teil) allgemein auf die Perspektiven der Perser und Ägypter eingeht und dadurch auf paradigmatische Weise den Nomos-Verstoß des Kambyses in das Zentrum rückt. Als eine unmittelbare Reaktion seitens der Ägypter (s. u.) auf das Vergehen des Kambyses in Sais lässt sich wohl die alternative Version des Geschehens (3. Teil), welche angeblich die Ägypter erzählen, verstehen. Gegen persische und ägyptische religiöse Vorstellungen Kambyses‘ Vergehen durch den Befehl einer frevelhaften Tat (ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια) – der Verbrennung des mumifizierten Leichnams – wird von Herodot nun sowohl aus persischer als auch aus ägyptischer Perspektive beleuchtet. Eine Betrachtung der markierten Ausdrücke des griechischen Textes lässt zum einen erkennen, wie präsent und zentral an dieser Stelle sowohl das Substantiv νόμος im Sinne einer festen Gewohnheit, eines religiösen Brauchs und einer Tradition mit absoluter Geltung als auch das korrespondierende Verb νομίζειν ist; die Analyse des Textes sowie die Rahmung (durch
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Cf. zu dieser religiösen und moralischen „Impiety“ (Asheri (2007) 415) auch Menelaos, ἀνὴρ ἄδικος, der sich als πρῆγμα οὐκ ὅσιον ein Blutopfer von zwei Knaben ausdenkt, Hdt. 2.119.2. Auch bei der nochmaligen schlussfolgernden Zusammenfassung (Hdt. 3.16.4) hebt Herodot nur hervor, dass auf diese Weise das, was Kambyses angeordnet hatte, „bei keinem der beiden Völker Sitte war“. Asheri (2007) 414–415 bemerkt, ebd. 414: „To outreach the corpse of a defeated enemy was not considered a sacrilegious act in Homeric epic“. Cf. dazu die Schändung von Hektors Leiche durch Achill, Ilias, 22.395–404 und Ilias, 24.24 ff. Cf. dagegen bei Herodot die Leichenschändung des Leonidas durch Xerxes, Hdt. 7.238, sowie die empörte Reaktion des Pausanias auf den Rat des Lampon, die Leiche des Mardonios zu schänden, Hdt. 9.78–9.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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ἐντελλόμενος – ἐνετέλλετο) veranschaulichen zum anderen, wie der als οὐκ ὅσια qualifizierte Befehl des Kambyses durch den Bezug auf das, was Bräuche und Tradition (νόμος)64 betrifft, erklärt wird (Hdt. 3.16.2–4): […] ἐκέλευσέ μιν ὁ Καμβύσης κατακαῦσαι, ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια· Πέρσαι γὰρ θεὸν νομίζουσι εἶναι τὸ πῦρ. Τὸ ὦν κατακαίειν γε τοὺς νεκροὺς οὐδαμῶς ἐν νόμῳ οὐδετέροισί ἐστι, Πέρσῃσι μὲν δι’ ὅ περ εἴρηται, θεῷ οὐ δίκαιον εἶναι λέγοντες νέμειν νεκρὸν ἀνθρώπου· Αἰγυπτίοισι δὲ νενόμισται πῦρ θηρίον εἶναι ἔμψυχον, πάντα δὲ αὐτὸ κατεσθίειν τά περ ἂν λάβῃ, πλησθὲν δὲ [αὐτὸ] τῆς βορῆς συναποθνῄσκειν τῷ κατεσθιομένῳ· οὐκ ὦν θηρίοισι νόμος οὐδαμῶς σφί ἐστι τὸν νέκυν διδόναι· καὶ διὰ ταῦτα ταριχεύουσι, ἵνα μὴ κείμενος ὑπὸ εὐλέων καταβρωθῇ. Οὕτω δὴ οὐδετέροισι νομιζόμενα ἐνετέλλετο ποιέειν ὁ Καμβύσης. […] befahl Kambyses, ihn zu verbrennen, womit er einen gottlosen Befehl gab. Die Perser halten nämlich das Feuer für einen Gott. Das Verbrennen der Leichen ist bei beiden Völkern keineswegs Sitte, bei den Persern aus dem angegebenen Grund – sie sagen, einem Gott einen menschlichen Leichnam zu übergeben, sei ein Frevel –, bei den Ägyptern dagegen gilt das Feuer als ein lebendes Tier; es zehre alles, was es erreichen könne, auf und sterbe dann, wenn es mit seinem Fraß gesättigt sei, zusammen mit dem, was es aufzehre. Es ist in keiner Weise bei ihnen Sitte, Tieren den Leichnam zu geben; und deswegen balsamieren sie ihn ein, damit er auch, wenn er in der Erde liegt, nicht von den Würmern verzehrt wird. So befahl Kambyses etwas, was bei keinem der beiden Völker Sitte war.
Für Herodots Erklärung des οὐκ ὅσια ist grundlegend festzuhalten, dass dieses Unheilige und Unfromme von Kambyses’ Befehl, der die religiösen Praktiken und Anschauungen der Perser und Ägypter betrifft, weiter bestimmt wird. Das οὐκ ὅσια wird durch die folgenden Bemerkungen, in denen allein fünfmal der Nomos-Begriff vorkommt, erläutert.65 Herodots These ist, dass das Verbrennen von Leichen (τὸ ὦν κατακαίειν γε τοὺς νεκροὺς) bei beiden Völkern absolut nicht Brauch sei (οὐδαμῶς ἐν νόμῳ οὐδετέροισί ἐστι). Die angeführte Begründung für die Perser ist kurz: Diese würden das Feuer für einen Gott halten (cf. Hdt. 1.131.2)66 und deswegen die Anschauung vertreten, dass es nicht recht sei (οὐ δίκαιον), den Leichnam eines Menschen einem Gott zuzuteilen (θεῷ οὐ δίκαιον εἶναι λέγοντες νέμειν νεκρὸν ἀνθρώπου). Die Erklärung, die Herodot für die ägyptische Perspektive gibt, ist auf den ersten Blick schwieriger zu verstehen: In einem ersten Argumentationsgang weist er darauf hin, dass das Feuer bei den Ägyptern für ein lebendiges Tier gehalten werde
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Zu den Konstruktionen von νομίζειν bei Herodot und anderen Autoren Fahr (1969) 36–46, bes. 40–2. Umschreibungen für den Sachverhalt des οὐκ ὅσια sind in diesem Zusammenhang auch οὐ δίκαιον / οὐκ ὦν […] νόμος οὐδαμῶς / οὐδετέροισι νομιζόμενα. Cf. die Erläuterung zu Hdt. 1.131.2 in Kapitel II.2 Religion innerhalb der Nomoi der Perser und De Jonge (1997) 100–101.
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VII. Religion in Interaktion
(Αἰγυπτίοισι δὲ νενόμισται τὸ πῦρ θηρίον εἶναι ἔμψυχον), das alles fresse, was man ihm gebe. Wenn es aber dann vollgefressen sei, sterbe es gemeinsam mit dem, was es gefressen habe. Aus diesem Argumentationsgang wird der Schluss gezogen, dass es bei den Ägyptern keinen religiösen Brauch gebe, den Leichnam Tieren zu übergeben. In einem zweiten Schritt behauptet Herodot nun, dass die Ägypter deswegen (διὰ ταῦτα) Leichen mumifizierten (ταριχεύουσι),67 damit sie in der Erde nicht von den Würmern gefressen würden. Was auch immer im Einzelnen von diesen Erklärungen zu halten ist,68 zentral sind für Herodot die These und die wiederholte Schlussfolgerung (Hdt. 3.16.4), dass Kambyses vor dem skizzierten religiösen Hintergrund seiner eigenen persischen und der fremden ägyptischen Nomoi einen Befehl erteilte, der sich gegen die religiösen Bräuche beider Völker richtete (οὕτω δὴ οὐδετέροισι νομιζόμενα ἐνετέλλετο ποιέειν ὁ Καμβύσης).69 Die gesamte Episode unterstreicht mit Blick auf die ägyptische Kultur das Problem der „interreligiösen Inkompetenz“ des Kambyses sowie sein Missverhältnis und seine Entfremdung zur eigenen persischen Religion. Darüberhinaus besteht eine Pointe für den griechischen Leser gerade darin, dass der bei den Griechen teils übliche Brauch der Leichenverbrennung in diesem „multikulturellen“ Kontext als „abnorm“ und sogar als οὐκ ὅσια angesehen wird. Die ägyptische Version Die unmittelbar anschließend referierte Version der Ägypter (Hdt. 3.16.5–7) wirft ein anderes Licht auf das ganze Geschehen, weil nach Meinung der Ägypter nicht Amasis’ Leiche die zuvor geschilderten Qualen erlitten habe (οὐκ Ἄμασις ἦν ὁ ταῦτα παθών), sondern ein anderer Ägypter mit derselben Gestalt (ἀλλὰ ἄλλος τις τῶν Αἰγυπτίων ἔχων τὴν αὐτὴν ἡλικίην Ἀμάσι). Diese Erzählvariante operiert im Kern mit einer Erklärung, die ein wichtiges religiöses Element enthält: ein Orakel, das den ägyptischen König angeblich zu seinen Lebzeiten über die Geschehnisse nach seinem Tode informiert habe (Hdt. 3.16.5–7): Ὡς μέντοι Αἰγύπτιοι λέγουσι, οὐκ Ἄμασις ἦν ὁ ταῦτα παθών, ἀλλὰ ἄλλος τις τῶν Αἰγυπτίων ἔχων τὴν αὐτὴν ἡλικίην Ἀμάσι, τῷ λυμαινόμενοι Πέρσαι ἐδόκεον Ἀμάσι λυμαίνεσθαι. Λέγουσι γὰρ ὡς πυθόμενος ἐκ μαντηίου ὁ Ἄμασις τὰ περὶ ἑωυτὸν ἀποθανόντα μέλλοι γίνεσθαι, οὕτω δὴ ἀκεόμενος τὰ ἐπιφερόμενα τὸν μὲν ἄνθρωπον τοῦτον τὸν μαστιγωθέντα ἀποθανόντα ἔθαψε ἐπὶ τῇσι θύρῃσι ἐντὸς τῆς ἑωυτοῦ θήκης, ἑωυτὸν δὲ ἐνετείλατο τῷ παιδὶ ἐν μυχῷ τῆς
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Cf. dazu Hdt. 2.86–88, Kapitel III. Religion im Sozialen, und Lloyd (1976) 353 ff. Cf. dazu Asheri (2007) 415. Munson (1991) 46–47 unterscheidet in diesem Zusammenhang einen „theologischen“ (persischen) von einem „soziokulturellen“ (ägyptischen) Code.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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θήκης ὡς μάλιστα θεῖναι. Αἱ μέν νυν ἐκ τοῦ Ἀμάσιος ἐντολαὶ αὗται αἱ ἐς τὴν ταφήν τε καὶ τὸν ἄνθρωπον ἔχουσαι οὔ μοι δοκέουσι ἀρχὴν γενέσθαι, ἄλλως δ’ αὐτὰ Αἰγύπτιοι σεμνοῦν. Wie freilich die Ägypter erzählen, war nicht Amasis der, der dies erlitt, sondern ein anderer Ägypter von gleichem Wuchs; während die Perser den misshandelten, glaubten sie, Amasis zu misshandeln. Sie erzählen nämlich, Amasis habe durch einen Orakelspruch erfahren, was mit ihm nach seinem Tod geschehen solle; um folglich das, was auf ihn zukam, von sich abzuwenden, habe er jenen Menschen, der nach seinem Tod misshandelt worden sei, vorn an der Tür seiner Grabkammer beisetzen lassen, seinem Sohn aber aufgetragen, ihn selber so weit wie möglich im Innern der Grabkammer zu platzieren. Diese von Amasis ausgehenden Befehle bezüglich seiner Bestattung und jenes Mannes sind (aber), wie mir scheint, nie erfolgt, sondern die Ägypter haben das einfach als schöne Geschichte erfunden.
Aufgrund der Zukunftsprognose des Orakels trifft der König zum einen die Vorsorge, einen anderen Mann innerhalb seines eigenen Grabes beizusetzen.70 Zum anderen soll er seinem Sohn aufgetragen haben, ihn selbst in einem Winkel des Grabes beizusetzen, um nicht, wie geweissagt, nach seinem Tod geschändet zu werden.71 Diese ägyptische Erzählvariante, die eine Verwechslung inszeniert und damit wohl die Größe des Frevels abzuschwächen versucht, wird von Herodot selbst bezweifelt. Er gibt zu erkennen, dass er die Befehle des Amasis als nicht für „ursprünglich geschehen“ (οὔ μοι δοκέουσι ἀρχὴν γενέσθαι) einschätzt. Während Amasis in dieser Version als klug, listig und überlegen erscheint, würde Kambyses zumindest von der frevlerischen Tat gegenüber dem einstigen ägyptischen König entlastet; der persische König erscheint – wie bereits zu Beginn des dritten Buches – als getäuscht, jedoch mit dem Unterschied, dass er in diesem Fall keine ausdrückliche Kenntnis von seiner Täuschung besitzt. Zusammenfassung Im Zentrum der Erzählung über den Aufenthalt des Kambyses in Sais steht die bewusste Schändung des Leichnams des ägyptischen Königs Amasis, die gemäß der dreifachen Befehlsstruktur mit einer Klimax im Verbrennen des Leichnams gipfelt.72 Der 70 71
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Cf. dazu Dillery (2005) 393: „It is important to remember that the prophetic Königsnovelle has as prominent component an admonitory dream, such as Amasis receives regarding the future violation of his tomb.“ Cf. dazu Dillery (2005) 393: „Furthermore, the instructions he leaves behind for Psammenitus can perhaps be linked to the royal instructions left by pharaohs to their sons, the most famous of these being the Instruction or testament of Amenemhet I to his son Senwosret I (Pritchard, ANET 418–9).“ Dillery (2005) 393 bemerkt, dass es bei der Erzählung von der Verstümmelung der Leiche des Amasis nicht nur um „offending religious beliefs“, sondern auch um „kingship“ gehe.
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VII. Religion in Interaktion
letzte Befehl des Kambyses zur Verbrennung des Leichnams wird als οὐκ ὅσια („nicht heilig“/„gottlos“) qualifiziert und von Herodot in zweifacher Richtung perspektiviert: Sowohl persische als auch ägyptische religiöse Vorstellungen und Bräuche würden dadurch verletzt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang wohl nicht so sehr die gegebene Begründung, sondern die konstatierte Tatsache, dass der persische König in seiner Interaktion mit den ägyptischen Fremden sowohl gegen die Nomoi seiner Gegner als auch gegen die religiösen Vorstellungen seiner eigenen Kultur verstößt. Herodot veranschaulicht mit dieser Erzählung, wie diese gezielte Ausübung von Gewalt nicht nur die Verletzung religiöser Bräuche einer fremden Kultur, sondern auch die der eigenen betreffen kann. Die Pointe für die griechischen Zuhörer oder Leser Herodots besteht nicht zuletzt darin, dass die in Griechenland durchaus übliche Form der Bestattung in diesem „multikulturellen“ Kontext als „abnorm“ oder frevelhaft erscheint. Die Motive des Kambyses werden nicht explizit thematisiert. Der Leser könnte sich die Gewalt des persischen Königs an Amasis zum einen durch die Erinnerung an die zweite Version der Ägypter (für die Invasion) zu Beginn des dritten Buches (cf. Hdt. 3.2) so erklären, dass nun der Sohn von Kyros und Nitetis an dem Mann Rache nimmt, der seinen ägyptischen Großvater Apries gestürzt und getötet hat.73 Nach dieser Version würde also das Handeln des persischen Königs einer gewissen Logik folgen. Zum anderen erwähnt Herodot, nachdem er die Verletzung beider Nomoi begründet hat, eine ägyptische Version (Hdt. 3.16.5–7), die zwar nicht die Ausführung der Tat bestreitet, jedoch erklärt, dass die Perser nicht den Leichnam des Königs, sondern einen anderen geschändet hätten.74 Nach dieser ägyptischen Version, die Herodot zu „prahlerisch“ (σεμνοῦν) erscheint, würde also eine Täuschung des persischen Königs vorliegen. Festzuhalten ist, dass Herodot in seiner Erzählung auch diese Version zur Sprache bringt und somit eine weitere – ideologisch gefärbte – Perspektive auf die Handlung ermöglicht, die so scheinbar eindeutig verschiedene Nomoi verletzt habe. 3.4 Befehl und religiöse Frevel: Phönizier und Ammonier Die Gemeinsamkeit der folgenden beiden Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion liegt zunächst darin, dass sich diese nur dadurch ergeben, dass Kambyses nach den Ereignissen von Memphis drei Feldzüge plant (Hdt. 3.17.1): gegen die Karthager, die Ammonier und die Äthiopen.75 Kambyses soll geplant haben, gegen die Karthager die Flotte zu senden, gegen die Ammonier einen Teil seines Fußvolkes und 73 74 75
Dillery (2005) 393 bemerkt dazu: „Could we have a coherent narrative emerging here that has Cambyses mutilating the body of the man who overthrew his Egyptian grandfather?“ Cf. dazu Dillery (2005) 399. Cf. dazu Lloyd (1988) 63–64.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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zu den Äthiopen zuerst nur einige Späher aus Elephantine – die sogenannten Ichthyophagen.76 Im Folgenden konzentriere ich mich zuerst auf die Erzählung über die Auseinandersetzung des Kambyses mit den Phöniziern, die ihren Ursprung in dem geplanten Feldzug gegen die Karthager hat; in einem zweiten Schritt wende ich mich den Plänen des Perserkönigs gegenüber den Ammoniern und dem dort befindlichen Zeus-Ammon-Orakel zu. Während auf der einen Seite Respekt gegenüber den religiösen Überzeugungen der Phönizier zu beobachten ist, steht auf der anderen Seite die Entscheidung zu einer frevelhaften Tat gegenüber dem Zeus-Ammon-Heiligtum. Respekt vor den religiösen Überzeugungen der Phönizier Die kleine Episode über die Interaktion mit den Phöniziern verblasst leicht gegenüber der darauffolgenden Erzählung über die Äthiopen. Sie ist jedoch sowohl in motivischer als auch terminologischer Hinsicht für die Kambyseserzählung und die Frage nach der Interaktion mit fremder Religion besonders eindrücklich. Während Kambyses die Späher aus Elephantine kommen lässt (Hdt. 3.19.1), erteilt er den Befehl (ἐκέλευε), die Flotte gegen Karthago auslaufen zu lassen (ἐπὶ τὴν Καρχηδόνα πλέειν τὸν ναυτικὸν στρατόν). Die folgende Textpassage enthält die unmittelbare Reaktion der Phönizier auf den Befehl des Kambyses sowie seine Reaktion auf das Verhalten der Phönizier (Hdt. 3.19.2–3): Φοίνικες δὲ οὐκ ἔφασαν ποιήσειν ταῦτα· ὁρκίοισί τε γὰρ μεγάλοισι ἐνδεδέσθαι καὶ οὐκ ἂν ποιέειν ὅσια ἐπὶ τοὺς παῖδας τοὺς ἑωυτῶν στρατευόμενοι. Φοινίκων δὲ οὐ βουλομένων οἱ λοιποὶ οὐκ ἀξιόμαχοι ἐγίνοντο. Καρχηδόνιοι μέν νυν οὕτω δουλοσύνην διέφυγον πρὸς Περσέων· Καμβύσης γὰρ βίην οὐκ ἐδικαίου προσφέρειν Φοίνιξι, ὅτι σφέας τε αὐτοὺς ἐδεδώκεσαν Πέρσῃσι καὶ πᾶς ἐκ Φοινίκων ἤρτητο ὁ ναυτικὸς στρατός. Die Phönizier aber sagten, sie würden dies (d. h. gegen Karthago ziehen) nicht tun. Sie seien nämlich durch starke Eide gebunden, und sie würden frevelhaft handeln, wenn sie gegen ihre eigenen Kinder zu Felde zögen. Ohne die Bereitschaft der Phönizier jedoch waren die übrigen nicht stark genug für den Kampf. Auf diese Weise also entgingen die Karthager dem Joch der Perser; denn Kambyses wollte die Phönizier nicht zwingen, weil sie sich den Persern freiwillig unterworfen hatten und die persische Flotte ganz von den Phöniziern abhängig war.
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Cf. Hdt. 3.17.1–2 Μετὰ δὲ ταῦτα ὁ Καμβύσης ἐβουλεύσατο τριφασίας στρατηίας, ἐπί τε Καρχηδονίους καὶ ἐπὶ Ἀμμωνίους καὶ ἐπὶ τοὺς μακροβίους Αἰθίοπας, οἰκημένους δὲ Λιβύης ἐπὶ τῇ νοτίῃ θαλάσσῃ. Βουλευομένῳ δέ οἱ ἔδοξε ἐπὶ μὲν Καρχηδονίους τὸν ναυτικὸν στρατὸν ἀποστέλλειν, ἐπὶ δὲ Ἀμμωνίους τοῦ πεζοῦ ἀποκρίναντα, ἐπὶ δὲ τοὺς Αἰθίοπας κατόπτας πρῶτον (…). Zu der vermittelten und vielschichtigen Begegnung mit den Äthiopen cf. Irwin (2014) und die Monographie von Török (2014).
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VII. Religion in Interaktion
Bemerkenswert ist zuerst die Binnenperspektive der Phönizier (οὐκ ἔφασαν), die den Befehl des Königs verweigern, indem sie sich auf ihre „starken Eide“ (ὁρκίοισί τε γὰρ μεγάλοισι) gegenüber ihren eigenen Kindern77 berufen und feststellen, dass ein solches Handeln „frevelhaft“ sei (οὐκ ὅσια). Auf diese klare Reaktion seitens der Phönizier, die einen entscheidenden Machtfaktor in der persischen Flotte darstellen, begegnet Kambyses mit einer strategischen Abwägung: Er hält es nicht für richtig, die Phönizier mit Gewalt zu zwingen (βίην οὐκ ἐδικαίου προσφέρειν), da sich diese aus freien Stücken den Persern ergeben hätten und er sich im Klaren darüber ist, dass sich die Flotte vor allem durch die Phönizier auszeichnet. Die Reaktion des Kambyses kann zwar rein strategisch und machttaktisch verstanden werden, sie veranschaulicht dennoch den wohl möglichen Respekt des persischen Königs gegenüber denjenigen, die sich ihm freiwillig unterworfen haben. Ein weiterer Frevel, der an dieser Stelle deutlich zur Sprache kommt (οὐκ ὅσια), wird nun – anders als zuvor beim Befehl zur Verbrennung des Leichnams des Amasis – vermieden. Die Ähnlichkeit, aber auch der Kontrast zur vorausgehenden Episode über die Verbrennung des Leichnams des Amasis zeigt sich sprachlich markant: Wieder gibt es einen klaren Befehl des Königs (ἐκέλευε), der jedoch dieses Mal aufgrund eines drohenden Frevels nicht ausgeführt wird (οὐκ ἂν ποιέειν ὅσια). Der Befehl zur Verbrennung des ägyptischen Ammon-Orakels Bei der folgenden, nur indirekten Begegnung des Kambyses mit den Ammoniern und dem dortigen Zeus-Orakel (Hdt. 3.25.3) handelt es sich wiederum um einen Befehl, der letztlich nicht zur Ausführung kommt. Nach der Rückkehr der Botschafter aus Äthiopien, beschließt Kambyses, aufgrund ihrer Berichte wutentbrannt (ὀργὴν ποιησάμενος), gegen die Äthiopen zu ziehen. In diesem Zusammenhang äußert Herodot zum ersten Mal die Hypothese, dass sich Kambyses „wie ein Wahnsinniger“ und „als ob er seine Sinne nicht beisammen hätte“ (οἷα δὲ ἐμμανής τε ἐὼν καὶ οὐ φρενήρης) verhalten habe, da er sich weder um die Bereitstellung von Proviant gesorgt noch bedacht habe, dass er einen Feldzug bis „ans Ende der Erde“ (ἐς τὰ ἔσχατα γῆς) führen würde.78 Der persische König soll nun mit dem Fußheer bis nach Theben gelangt sein. An dieser Stelle äußert Herodot die für uns entscheidende These in Form eines Be-
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Cf. dazu Asheri (2007) 419, der bemerkt, dass Herodot „interprets the Phoenician refusal in terms of Greek relations between mother city and colony, possibly with an implicit reference to relations previously not respected, such as e. g. between Corinth and Corcyra […]. This does not exclude, however, that the Phoenician world also could have had similar conceptions: on Hellenistic coins Tyre is ’em Sidonim, ‚mother of the Sidonians‘.“ Cf. Hdt. 3.25.1–2.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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fehls. Der persische König sondert in Theben fünfzigtausend Mann seines Heeres ab (τοῦ στρατοῦ ὡς πέντε μυριάδας), denen er den folgenden Befehl erteilt (Hdt. 3.25.3):79 […] καὶ τούτοισι μὲν ἐνετέλλετο Ἀμμωνίους ἐξανδραποδισαμένους τὸ χρηστήριον τὸ τοῦ Διὸς ἐμπρῆσαι, […]. […] und gab diesen den Auftrag, die Ammonier zu versklaven und ihr Zeus-Orakel anzuzünden […].
Entscheidend an dieser Stelle ist die geschilderte Absicht des persischen Königs, die sich in dem ausdrücklichen Befehl manifestiert, nicht nur die dortigen Bewohner zu versklaven, sondern auch das religiöse Heiligtum – das berühmte Orakel des Zeus Ammon – zu verbrennen.80 Beide Befehle kommen zwar in Herodots Erzählung nicht zur Ausführung, sie können jedoch bei der Charakterisierung des Kambyses als Indizien für eine Radikalisierung des persischen Königs sowohl gegenüber den Ägyptern bzw. Ammoniern als auch gegenüber einem zentralen religiösen Heiligtum angesehen werden. Es sei an dieser Stelle nur in Kürze bemerkt, warum es nach Herodots Erzählung nicht zur Ausführung des Befehls gekommen sein soll.81 Zu beachten sind in diesem Kontext die sehr sorgfältig gesetzten erzählerischen Marker (λέγεται – λέγεται δὲ καὶ τάδε ὑπ’ αὐτῶν Ἀμμωνίων – Ἀμμώνιοι μὲν οὕτω λέγουσι). Die Erklärung steht also in indirekter Rede (Hdt. 3.26.1): Zwar sei das Heer bis zum Ort Oasis, sieben Tagesreisen von Theben entfernt, gekommen, von da an (τὸ ἐνθεῦτεν δέ) gebe es jedoch nur noch die Erzählung der Ammonier und derjenigen, die sie von ihnen gehört hätten.82 Demnach sei das Heer wohl auf dem Weg von Oasis zu den Ammoniern einem Sandsturm zum Opfer gefallen und spurlos verschwunden. Die Perser seien weder bei den Ammoniern angekommen noch wieder zurückgekehrt. Herodot betont abschließend nochmals ausdrücklich, dass dies die Version der Ammonier sei (Ἀμμώνιοι μὲν οὕτω λέγουσι γενέσθαι περὶ τῆς στρατιῆς ταύτης).83 Was er mit dieser Erzählung andeuten
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Kambyses selbst (Hdt. 3.25.3) zieht mit dem restlichen Heer gegen die Äthiopen (αὐτὸς δὲ τὸν λοιπὸν ἄγων στρατὸν ἤιε ἐπὶ τοὺς Αἰθίοπας). Cf. zum Ammon-Orakel insgesamt und zur Expedition des Kambyses unter finanziellen und ökonomischen Gesichtspunkten Kuhlmann (1988) 93–96. Cf. dazu Hdt. 3.26.1–3. Cf. Hdt. 3.26.2 Ἐς μὲν δὴ τοῦτον τὸν χῶρον λέγεται ἀπικέσθαι τὸν στρατόν, τὸ ἐνθεῦτεν δέ, ὅτι μὴ αὐτοὶ Ἀμμώνιοι καὶ οἱ τούτων ἀκούσαντες, ἄλλοι οὐδένες οὐδὲν ἔχουσι εἰπεῖν περὶ αὐτῶν· οὔτε γὰρ ἐς τοὺς Ἀμμωνίους ἀπίκοντο οὔτε ὀπίσω ἐνόστησαν. Λέγεται δὲ καὶ τάδε ὑπ’ αὐτῶν Ἀμμωνίων. Auf der Basis rezenter archäologischer Forschungen und Inschriftenfunde in Amheida in der Dakhla Oase argumentiert der Ägyptologe Kaper (Kaper (2015) 125–149) für eine Präsenz des Königs Petubastis IV in der Dakhla Oase und für eine Rebellion unter Petubastis IV gegen die Perser. Die von ihm skizzierten politisch-historischen Hintergründe könnten Herodots wohlkomponierte Version der Ammonier erhellen. Cf. dazu Kaper (2015) 125–149, zu Petubastis in Amheida 127–137, bes. 137, zu den historischen Überlegungen im Zusammenhang mit Hdt. 3.25.3 sowie 3.26
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VII. Religion in Interaktion
möchte, bleibt letztlich dunkel, doch es zeigt sich abermals, wie genau er bei diesen sensiblen Erzählungen darauf achtet, wer darüber berichtet und aus welcher Perspektive erzählt wird. 3.5 Religiöse Frevel in Memphis Nach seinem gescheiterten Zug gegen Äthiopien, den außergewöhnlichen Erfahrungen (Kannibalismus) mit seinem Heer in der nubischen Wüste, sowie dem verschollenen Heer, das zu den Ammoniern geschickt worden sein soll, kehrt Kambyses von Theben zurück nach Memphis. An diesem für die ägyptische Religion und die Religionsgeschichte so bedeutsamen Ort84 spielt die Erzählung von der berühmten Tötung des Apisstieres85 durch Kambyses. Die Tötung des Allerheiligsten in Memphis Wie die folgende Analyse der Erzählung (Hdt. 3.27–29) zeigt, geht es um den außergewöhnlichen Fall, dass der persische Fremdherrscher in Ägypten einen schwer zu übertreffenden Religionsfrevel begeht, indem er den in Memphis als Gott verehrten Apisstier mit seinem Dolch verletzt und dieser an den Folgen der Wunde stirbt.86 Es handelt sich bei dieser Erzählung um ein extremes Beispiel für das Verhalten des Kambyses gegenüber einem zentralen Element ägyptischer Religion. Vor der näheren Betrachtung des Textes weise ich darauf hin, dass in dieser Erzählung wiederum mehrere Dimensionen von Religion miteinander verbunden sind und als wichtige Kompositionselemente der Erzählung fungieren. Das Auftreten der örtlichen Priester und deren Misshandlung durch Kambyses während eines religiösen Festes veranschaulicht
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ebd. 137–142. Kaper bemerkt ebd. 137 zu Petubastis: „The new material indicates that the area governed by king Petubastis IV was considerably larger than was previously suspected. It was known that this Egyptian rebellion against Persian rule managed to occupy the capital Memphis, but other wise its extent is unknown. Now it is clear that Dakhla Oasis was also involved, which means that the entire Southern Oasis (Kharga and Dakhla) must have been with the rebellion. The rebel king even built a temple there, which calls attention to a number of issues.“ Kaper nimmt (ebd. 138) an, Petubastis habe mehrere Kämpfe mit der persischen Armee geführt und die Hauptstadt Memphis besetzt. Er bezieht Herodots Erzählung von der „Oasenstadt“ auf die Dakhla Oase, die für Petubastis „could very well have been a power base […] from where he organized his rebellion.“ Cf. Art. „Memphis“ in Bonnet (1952) 446–450 und z. B. Hdt. 2.153, 176. Cf. zur religiösen Bedeutung, Funktion und Symbolik des Apis, Art. „Apis“ in Bonnet (1952) 46– 51, und zum Apieion Hdt. 2.153. Einige Abbildungen bietet Winter (1978). Cf. dazu mit älterer und weiterführender Literatur Otto (1938), Depuydt (1995) 119–126, Vittmann (2003) 125–127, Dillery (2005) 394–396, Asheri (2007) 427–429 und Quack (2011) 231–232. Zu den vier Hauptereignissen („birth, installation, death, and burial“) „in the career of the Sacred Apis“ und den drei Regeln „regarding the relationships between these events“ Depuydt (1995) 122–123.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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die religionssoziale Dimension als Rahmen. Die ausführliche Beschreibung des Apisstiers bringt zahlreiche sinnlich-ästhetische und symbolische Aspekte zum Ausdruck, die insgesamt die in diesem Kontext entscheidende Körperlichkeit des Stiers unterstreichen. Im Zentrum der folgenden Textanalyse steht jedoch wieder die Frage nach der Interaktion des Kambyses mit der Religion in Ägypten. Zu Beginn der Erzählung (Hdt. 3.27.1) wird der Protagonist des Geschehens, Kambyses, gemeinsam mit seinem Gegenüber, dem sogenannten „Apis“, eingeführt.87 Nachdem der persische König wieder zurück in die Stadt Memphis gekommen ist (Ἀπιγμένου δὲ Καμβύσεω ἐς Μέμφιν), erscheint den Ägyptern der Apis-Stier (ἐφάνη Αἰγυπτίοισι ὁ Ἆπις). Dieser werde von den Griechen „Epaphos“88 genannt (τὸν Ἕλληνες Ἔπαφον καλέουσι). Herodot schildert zuerst die Reaktion der Ägypter auf die Epiphanie des Apisstieres: Als dieser sichtbar geworden sei (ἐπιφανέος δὲ τούτου γενομένου),89 hätten die Ägypter sogleich ihre schönsten Kleider angezogen (αὐτίκα οἱ Αἰγύπτιοι εἵματά τε ἐφόρεον τὰ κάλλιστα) und ein Freudenfest gefeiert (καὶ ἦσαν ἐν θαλίῃσι). Nach dieser kurzen Beschreibung der Situation in Memphis lenkt Herodot die Aufmerksamkeit nun auf die Wahrnehmung und Interpretation dieses für die Ägypter freudigen Geschehens durch Kambyses sowie dessen Reaktion (Hdt. 3.27.2): Ἰδὼν δὲ ταῦτα τότε τοὺς Αἰγυπτίους ποιεῦντας ὁ Καμβύσης, πάγχύ σφεας καταδόξας ἑωυτοῦ κακῶς πρήξαντος χαρμόσυνα ταῦτα ποιέειν, ἐκάλεσε τοὺς ἐπιτρόπους τῆς Μέμφιος· Als Kambyses die Ägypter dies tun sah, hegte er den starken Verdacht, sie begingen diese Festlichkeit, weil es ihm schlecht ergangen war, und rief die Stadthäupter von Memphis zu sich.
Nach der Wahrnehmung und Interpretation des Geschehens durch Kambyses sowie dessen Reaktion kommt es zu drei signifikanten Interaktionen: (a) zuerst zur Begegnung mit den politischen Vorstehern von Memphis,90 darauf (b) mit den Priestern und schließlich als Höhepunkt (c) die folgenreiche Begegnung mit dem Apisstier selbst. Den Schilderungen dieser Interaktionen ist gemeinsam, dass sie jeweils die physische Nähe zu Kambyses betonen: Während zweimal von ἐς ὄψιν („vor sein Angesicht“ oder „zu sich“) die Rede ist, wird beim Apisstier die physische Nähe letztlich durch den Dolchstoß des Kambyses markiert.
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Dass Herodot bereits mit dem ersten Wort des einführenden Satzes (Ἀπιγμένου …) sowohl auf die Begegnung des Apis als auch dessen „Macht, Kraft“ (μένος) anspielt, ist bei Herodot nicht ausgeschlossen. Cf. zur etymologischen Erklärung des Namens als göttliche „Berührung“ (durch Zeus) bei Aischylos, Prom. 850–1, und Suppl. 313–5, zu den ambivalenten Bildern und der Symbolik von „touch and seizure“ Murray (1958) 32–37 sowie Asheri (2007) 428. Depuydt (1995) 124 bezieht die Beschreibung Herodots auf die „installation“. Cf. LSJ 3. governor, viceroy, οἱ ἐ. τῆς Μέμφιος, Μιλήτου ἐ.
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VII. Religion in Interaktion
(a) Bei der Begegnung mit den Vorstehern der Stadt beschäftigt Kambyses die Frage, warum die Ägypter, als er das vorige Mal in Memphis war, kein solches Freudenfest gefeiert hätten, jetzt aber, da er wieder zurück sei und eine Menge seines Heeres verloren habe, sich so verhielten.91 Von den Vorstehern erhält Kambyses die folgende Auskunft, die sprachlich auffällig dreimal die Erscheinung des Gottes anklingen lässt (Hdt. 3.27.3):92 Οἱ δὲ ἔφραζον ὥς σφι θεὸς εἴη φανεὶς διὰ χρόνου πολλοῦ ἐωθὼς ἐπιφαίνεσθαι, καὶ ὡς ἐπεὰν φανῇ, τότε πάντες Αἰγύπτιοι κεχαρηκότες ὁρτάζοιεν. Sie erwiderten, dass ein Gott ihnen erschienen sei, der nur in langen Zeiträumen zu erscheinen pflege, und dass, sobald er sich zeige, dann alle Ägypter in Freude seien und ein Fest feierten.
Die kompromisslose Reaktion des Kambyses auf diese Erklärung der politisch Verantwortlichen ist äußerst prägnant und ebenso sprachlich auffällig geschildert (Hdt. 3.27.3): Ταῦτα ἀκούσας ὁ Καμβύσης ἔφη ψεύδεσθαί σφεας καὶ ὡς ψευδομένους θανάτῳ ἐζημίου. Als Kambyses dies hörte, sagte er, sie seien Lügner, und bestrafte sie als Lügner mit dem Tod.
Für diese erste Interaktion des persischen Königs mit den Vorstehern93 der Stadt Memphis ist festzuhalten, dass er ihre Erklärung von der Epiphanie des Gottes als eine Lüge auffasst und ihnen eine bewusste Täuschung unterstellt. Für den Herodot-Leser wird implizit klar, dass die Ägypter demnach gegen den wichtigsten Nomos der Perser verstoßen (cf. Hdt. 1.138 und in Kap. II. 2 Religion im Sozialen). Ihre Bestrafung mit dem Tod durch den persischen König unterstreicht die Radikalität seiner Reaktion.94 (b) Von der anschließenden Begegnung mit den Priestern, die Kambyses zu sich rufen lässt (τοὺς ἱρέας ἐκάλεε ἐς ὄψιν), erzählt Herodot nur, dass sie vor Kambyses „dasselbe“ sagten (λεγόντων δὲ κατὰ ταὐτὰ τῶν ἱρέων), und fokussiert auf die Reaktion und pointierte Äußerung des Kambyses. Dieser behauptet (ἔφη), dass es ihm nicht entgehen werde, wenn ein Gott, der „handzahm“ sei, zu den Ägyptern gekommen sei
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Cf. Hdt. 3.27.2 Ἀπικομένους δὲ ἐς ὄψιν εἴρετο ὅ τι πρότερον μὲν ἐόντος αὐτοῦ ἐν Μέμφι ἐποίευν τοιοῦτον οὐδὲν οἱ Αἰγύπτιοι, τότε δὲ ἐπεὶ αὖτις παρείη τῆς στρατιῆς πλῆθός τι ἀποβαλών. Cf. dazu Depuydt (1995) 124, der das Verb φαίνεσθαι („erscheinen“) als wahrscheinliche Entsprechung zum ägyptischen Verb für „erscheinen“, „denoting the Pharao’s installation“, versteht. Dillery (2005) 396 bemerkt zu den ἐπιτρόπους τῆς Μέμφιος: „indeed, if epitropoi can be understood as referring to officials with connections to the important temples of Memphis, it could be argued that some officers of cult are even killed.“ Zum Thema der Lüge, insbesondere im dritten Buch der Historien, Asheri (2007) 391–393, Benardete (1969) 69–98, Lincoln (2012) Index, 541–542 und Schwab (2017) 22–26.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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(οὐ λήσειν ἔφη αὐτὸν εἰ θεός τις χειροήθης ἀπιγμένος εἴη Αἰγυπτίοισι).95 Darauf befiehlt er den Priestern, den Apis herbeizuführen (ἄγειν ἐκέλευε τὸν Ἆπιν τοὺς ἱρέας). Diese machen sich auf den Weg, um ihn herbeizuführen. An dieser Stelle der Erzählung skizziert Herodot zuerst die Entstehung des Apisstiers und gibt darauf eine detaillierte Beschreibung desselben (Hdt. 3.28.2–3), die sowohl eine Verzögerung der Handlung als auch eine Spannungssteigerung zur Folge hat.96 In beiden Teilen kommen mehrere symbolisch-sinnliche Aspekte zu Sprache, die jedoch von Herodot nicht weiter erklärt werden.97 Zuerst kennzeichnet er den Apis als das Kalb einer Kuh, die nicht mehr in der Lage sei, eine andere Frucht in sich aufzunehmen.98 Darauf markiert er explizit die Perspektive der Ägypter, um eine kosmisch-mythische Dimension anzudeuten: Diese erzählten (Αἰγύπτιοι δὲ λέγουσι), dass ein Strahl vom Himmel auf diese Kuh herabkomme99 (σέλας ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἐπὶ τὴν βοῦν κατίσχειν), und sie ausgehend von diesem den Apis zur Welt bringe (καί μιν ἐκ τούτου τίκτειν τὸν Ἆπιν). Im Anschluss folgt eine Beschreibung des Aussehens des Apis (Hdt. 3.28.3), in der besonders dessen sinnlich-symbolische Zeichen (σημήια τοιάδε) hervorgehoben werden.100 Es ist bemerkenswert, dass Herodot also gerade den sinnlich-symbolischen Aspekten des religiösen Gegenstandes seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Die sinnliche Erscheinung des Stiers ist schließlich für die folgende Handlung entscheidend. Die Erzählung der Handlung wird fortgeführt, indem die Priester den Apis herbeiführen (Ὡς δὲ ἤγαγον τὸν Ἆπιν οἱ ἱρέες) und nun die unmittelbare Reaktion des Kambyses im Vordergrund steht (Hdt. 3.29.1): Dieser soll, „da er schon ziemlich verrückt war“ (οἷα ἐὼν ὑπομαργότερος), seinen Dolch gezogen und den Apis am Schenkel101 verletzt haben, obwohl er dessen Bauch habe treffen wollen (θέλων τύψαι τὴν γαστέρα τοῦ Ἄπιος παίει τὸν μηρόν). Mit diesem physischen Angriff auf den Apisstier geht eine emotionale Reaktion und Äußerung des Kambyses einher (Hdt. 3.29.1–2): γελάσας δὲ εἶπε πρὸς τοὺς ἱρέας∙ Ὦ κακαὶ κεφαλαί, τοιοῦτοι θεοὶ γίνονται, ἔναιμοί τε καὶ σαρκώδεες καὶ ἐπαΐοντες σιδηρίων; ἄξιος μέν γε Αἰγυπτίων οὗτός γε ὁ θεός∙ ἀτάρ τοι ὑμεῖς γε οὐ χαίροντες γέλωτα ἐμὲ θήσεσθε.
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Cf. LSJ: χειρο-ήθης, ες, accustomed to the hand, manageable, commonly of animals, tame, κροκόδειλος Hdt.2.69; θεός τις χ., as Cambyses sneeringly calls Apis, Id.3.28. 96 Zur Interpretation der detaillierten Beschreibung s. u. die Zusammenfassung. 97 Cf. zur Beschreibung des Apisstiers Wiedemann (1890) 547–553, den Art. „Apis“ in Bonnet (1952) 46–51 und insgesamt Hopfner (1913) 76–86. 98 Hdt. 3.28.2 Ὁ δὲ Ἆπις οὗτος ὁ Ἔπαφος γίνεται μόσχος ἐκ βοὸς ἥτις οὐκέτι οἵη τε γίνεται ἐς γαστέρα ἄλλον βάλλεσθαι γόνον. 99 LSJ: IV. intr., σέλας κατίσχει ἐξ οὐρανοῦ ἐπὶ τὴν βοῦν the light comes down from heaven, Hdt. 3.28. 100 Hdt. 3.28.3 Ἔχει δὲ ὁ μόσχος οὗτος ὁ Ἆπις καλεόμενος σημήια τοιάδε, ἐὼν μέλας ἐπὶ μὲν τῷ μετώπῳ λευκόν τι τρίγωνον, ἐπὶ δὲ τοῦ νώτου αἰετὸν εἰκασμένον, ἐν δὲ τῇ οὐρῇ τὰς τρίχας διπλᾱς, ὑπὸ δὲ τῇ γλώσσῃ κάνθαρον. 101 Für die Verwundung des Schenkels des Kambyses cf. Hdt. 3.64.3 und Hdt. 3.66.2.
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VII. Religion in Interaktion
Lachend102 sagte er dann zu den Priestern: „Oh ihr schlechten Kerle! Solcher Art sind Götter, aus Blut und Fleisch, und sie spüren eiserne Geräte? Ägypter freilich verdienen diesen Gott; ihr aber werdet mich nicht ungestraft zum Gespött machen!“
Im Anschluss an diese respektlose Äußerung und Drohung befiehlt (ἐνετείλατο) Kambyses, die Priester auszupeitschen (τοὺς μὲν ἱρέας ἀπομαστιγῶσαι) und von den anderen Ägyptern jeden, der feiere, zu töten. Zusammenfassend hält Herodot fest (Hdt. 3.29.3), dass das Fest so aufgelöst worden sei (ὁρτὴ μὲν δὴ διελέλυτο Αἰγυπτίοισι): Die Priester erlitten ihre Strafe (οἱ δὲ ἱρέες ἐδικαιοῦντο), und der Apis, der am Schenkel getroffen war (πεπληγμένος τὸν μηρὸν), sei im Heiligtum, in dem er gelegen habe, zugrunde gegangen (ἔφθινε ἐν τῷ ἱρῷ κατακείμενος). Als er dann aufgrund seiner Wunde gestorben sei, hätten ihn die Priester ohne Wissen des Kambyses bestattet.103 Das Verhalten des Kambyses in Interaktion mit der ägyptischen Kultur und Religion lässt sich aufgrund dieser Episode mit dem Apisstier mehrfach bestimmen: Zum einen ist eine kritische und mit Täuschung rechnende Haltung des Kambyses gegenüber den Vertretern ägyptischer Politik und Religion festzustellen. Beiden Personengruppen, die versuchen, ihm das ägyptische Symbolsystem mit der außergewöhnlichen Epiphanie des Gottes und der dadurch bedingten Freude der Menschen zu erklären, begegnet er mit Skepsis, Unverständnis, kompromissloser Schärfe und tödlicher Gewalt. In ähnlicher Weise lässt sich zum anderen die Einstellung des Kambyses gegenüber dem Allerheiligsten der Ägypter beschreiben. Im Kontrast zu Herodots Beschreibung des Apisstiers, die eindrücklich der Ästhetik und Symbolik des heiligen Tiers in Ägypten Ausdruck verleiht und auch die Ägypter selbst zu Wort kommen lässt, zeigt sich sowohl im Verlachen als auch in der Schändung des fremden religiösen Gegenstands durch den persischen König, worin sich dessen Ignoranz gegenüber der fremden Kultur und Religion offenbart. Wichtig ist vor diesem Hintergrund die sich unmittelbar anschließende Bewertung des Verhaltens des Kambyses durch die Ägypter, die von Herodot noch kommentiert wird (Hdt. 3.30.1): Καμβύσης δέ, ὡς λέγουσι Αἰγύπτιοι, αὐτίκα διὰ τοῦτο τὸ ἀδίκημα ἐμάνη, ἐὼν οὐδὲ πρότερον φρενήρης. Kambyses aber verfiel, wie die Ägypter erzählen, sogleich wegen dieses Frevels in Wahnsinn, nachdem er auch vorher nicht geistig gesund gewesen war.104
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Das Lachen des Kambyses bildet einen Kontrast zum fröhlichen Lachen beim Fest. Lateiner (1977) 177–178, 177 bemerkt: „no one in Herodotus laughs more (six times), or with less reason.“ 103 Zu der heimlichen Bestattung bemerkt Depuydt (1995) 124: „Consequently, one might expect not to find a trace of this bull in the Serapeum, which is indeed the case. Herodotus and the silence of the archeological evidence are therefore not at variance, and Klasens is justified in postulating an Apis x.“ Cf. dazu auch Quack (2011) 231. 104 Zur Diskussion der „Madness“ des Kambyses in einer Reihe metanarrativer Äußerungen Munson (1991) 47–56, zur Tradition des Wahnsinns außerhalb der Historien Wesselmann (2011) 92–118.
3. Die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion
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Erklärungen für das Verhalten des Kambyses Bevor die letzten Beispiele zum Verhalten des Kambyses gegenüber der ägyptischen Religion (Hdt. 3.37) betrachtet werden, soll skizziert werden, was sich zwischen der Ermordung des Apisstiers und den letzten Freveltaten des Kambyses in Ägypten weiter zuträgt (Hdt. 3.30–36). Diese Ereignisse sind nicht zuletzt relevant für psychologische Betrachtungsweisen und Interpretationen.105 Zuerst schildert Herodot die Vergehen des Perserkönigs an seiner eigenen Familie (seinen beiden Geschwistern, Hdt. 3.30– 32), darauf die gegenüber Persern in seiner Umgebung (Hdt. 3.34–36, v. a. Prexaspes). Zwischen diesen Erzählungen hält er inne (Hdt. 3.33), um zwei unterschiedliche Erklärungen für das wahnhafte Verhalten des Kambyses anzuführen.106 Es handelt sich zum einen um eine religiöse Erklärung (Hdt. 3.33 εἴ τε δὴ διὰ τὸν Ἆπιν sowie bereits Hdt. 3.30.1),107 zum anderen um eine mehr allgemein menschliche bzw. medizinische Erklärung (Hdt. 3.33 εἴτε καὶ ἄλλως, οἷα πολλὰ ἔωθε ἀνθρώπους κακὰ καταλαμβάνειν).108 Während Herodot die religiöse Erklärung explizit als eine Erklärung der Ägypter (ὡς λέγουσι Αἰγύπτιοι) kennzeichnet, bleibt die Zuschreibung der zweiten unbestimmt (λέγεται …).109 Die erste Erklärung sieht das blinde Wüten des Kambyses als eine Folge seines religiösen Frevels gegenüber dem Apisstier an (Hdt. 3.30.1 αὐτίκα διὰ τοῦτο τὸ ἀδίκημα; Hdt. 3.33 διὰ τὸν Ἆπιν). Die zweite Erklärung hingegen geht davon aus, dass es „auf andere Weise“ oder aus einem „anderen Grund“ (ἄλλως) zu seinem Wahn gekommen sei. Herodot führt diese Erklärung mit der Bemerkung ein, „wie denn die Menschen von vielerlei Übeln heimgesucht werden“ (οἷα πολλὰ ἔωθε ἀνθρώπους κακὰ καταλαμβάνειν), so sage man, soll Kambyses „seit seiner Geburt an einer schweren Krankheit gelitten haben, die manche Leute die heilige Krankheit nennen“ (ἐκ γενεῆς νοῦσον μεγάλην λέγεται ἔχειν ὁ Καμβύσης, τὴν ἱρὴν ὀνομάζουσί τινες).110 Herodot bemerkt weiter: „So war es gewiss keineswegs seltsam, dass er, wenn sein
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Eine religionspsychologische Leseweise verfolge ich in diesem Kontext nicht; cf. dazu die Überlegungen bei Munson (1991) 47–56. Hdt. 3.33 Ταῦτα μὲν ἐς τοὺς οἰκηιοτάτους ὁ Καμβύσης ἐξεμάνη, εἴ τε δὴ διὰ τὸν Ἆπιν εἴτε καὶ ἄλλως, οἷα πολλὰ ἔωθε ἀνθρώπους κακὰ καταλαμβάνειν. Hdt. 3.30.1 Καμβύσης δέ, ὡς λέγουσι Αἰγύπτιοι, αὐτίκα διὰ τοῦτο τὸ ἀδίκημα ἐμάνη, ἐὼν οὐδὲ πρότερον φρενήρης. Cf. dazu die natürliche Erklärung des Artabanos zur Entstehung von Träumen (Hdt. 7.16) und Kapitel VI. Religion und Sinne. Hdt. 3.33 Καὶ γάρ τινα καὶ ἐκ γενεῆς νοῦσον μεγάλην λέγεται ἔχειν ὁ Καμβύσης, τὴν ἱρὴν ὀνομάζουσί τινες· οὔ νύν τοι ἀεικὲς οὐδὲν ἦν τοῦ σώματος νοῦσον μεγάλην νοσέοντος μηδὲ τὰς φρένας ὑγιαίνειν. Cf. Thomas (2000) 34–35, die ebd. 34 bemerkt, dass „in his careful use of the expression, ‚the disease which some call sacred‘ (νοῦσον … τὴν ἱρὴν ὀνομάζουσί τινες), Herodotus is surely making a clear allusion to perhaps the most famous thesis of the Hippocratic school, the theory that diseases have natural causes, and that the ‚Sacred Disease‘ is no more sacred than others. […] What he does linger over (with explanatory γάρ) is the interpretation we know to be Hippocratic, for he notes the hereditary nature of epilepsy.“ Cf. auch van der Eijk (1990) und (1991).
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VII. Religion in Interaktion
Körper an einer schweren Krankheit litt, auch geistig nicht gesund war.“111 Mit anderen Worten: Die schwere körperliche Krankheit macht den wahnhaften geistigen Zustand des persischen Königs durchaus wahrscheinlich. Beide Erklärungsansätze werden in einem Zwischenteil (Hdt. 3.33) angeführt. Im Anschluss an die Erzählung über die wahnhafte Tat des Kambyses an dem Perser Prexaspes und seinem Sohn finden sich die letzten Beispiele zum Verhalten des Kambyses gegenüber der ägyptischen Religion (Hdt. 3.37). Die Verwüstung von Gräbern und Heiligtümern In diesem Zusammenhang (Hdt. 3.37) geht es um eine rückblickende Aufzählung dessen, wie sich Kambyses bei seinem fortdauernden Aufenthalt in Memphis (μένων ἐν Μέμφι) in dreifacher Hinsicht frevelhaft gegenüber der ägyptischen Religion verhalten haben soll: Zuerst geht es um die Öffnung alter Gräber und die Beschauung von Leichen (καὶ θήκας τε παλαιὰς ἀνοίγων καὶ σκεπτόμενος τοὺς νεκρούς), also um die Verachtung der religiösen sepulkralen Kultur und Geschichte Ägyptens, zweitens um das Betreten des Heiligtums des Hephaistos112 und das Verlachen der dortigen Weihebilder (καὶ ἐς τοῦ Ἡφαίστου τὸ ἱρὸν ἦλθε καὶ πολλὰ τῷ ἀγάλματι κατεγέλασε), drittens um das – eigentlich nur dem Priester vorbehaltene (ἐς τὸ οὐ θεμιτόν ἐστι ἐσιέναι ἄλλον γε ἢ τὸν ἱρέα) – Betreten des Heiligtums der Kabiren, die Verspottung der dortigen Weihebilder und darüber hinaus sogar deren Verbrennung (ἐσῆλθε δὲ καὶ ἐς τῶν Καβείρων τὸ ἱρόν … ταῦτα δὲ τὰ ἀγάλματα καὶ ἐνέπρησε πολλὰ κατασκώψας). Bemerkenswert an diesem Katalog religiöser Vergehen ist, dass die Handlungen des Kambyses zum einen – ähnlich wie bei der Misshandlung der Leiche des Amasis – bereits tote Menschen betreffen, zum anderen religiöse Gegenstände zweier Heiligtümer (das Hephaistos-Heiligtum und das Heiligtum der Kabiren). Bei diesen Vergehen handelt es sich um Grenzüberschreitungen gegenüber verschiedenen Bereichen einer fremden Religion und teils auch ihrer Geschichte. Während Kambyses also erstens die Grenze zum Bereich der Toten überschreitet, betritt er zweitens geschützte, heilige Räume, die sonst nur für bestimmtes sakrales Personal zugänglich sind (ἐς τὸ οὐ θεμιτόν ἐστι ἐσιέναι ἄλλον γε ἢ τὸν ἱρέα); drittens begegnet er den religiösen Gegenständen dieser heiligen Räume, vornehmlich symbolisch-sinnlichen Bildern, durch ein pervertiertes Verhalten, indem an die Stelle von Wertschätzung, Verehrung und Scheu das Verlachen, die Verspottung und sogar die Zerstörung der Bilder durch Verbrennung treten. Insbesondere der letzte Akt der Verbrennung religiöser Bilder kommt einer damnatio memoriae gleich. Wie die genauere Betrachtung zeigt, kommen
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Cf. dazu Thomas (2000) 35. Cf. hingegen das Erscheinen des Dareios im Heiligtum des Hephaistos, Hdt. 2.110.2–3.
4. Experimente zum Perspektivenwechsel
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in Herodots Auflistung dieser Vergehen sowohl räumliche als auch soziale und ästhetische Dimensionen von Religion zum Vorschein. Herodot beschließt diese Aufzählung religiöser Vergehen mit einem prägnanten Kommentar, in dem die Grenzüberschreitungen nochmals pointiert benannt werden (Hdt. 3.38.1): Πανταχῇ ὦν μοι δῆλά ἐστι ὅτι ἐμάνη μεγάλως ὁ Καμβύσης∙ οὐ γὰρ ἂν ἱροῖσί τε καὶ νομαίοισι ἐπεχείρησε καταγελᾶν. So ist mir vollkommen klar, dass Kambyses von schwerem Wahnsinn befallen war; sonst nämlich hätte er nicht damit begonnen, heilige Dinge und Gebräuche zu verhöhnen.
Aus dieser Äußerung geht nochmals klar der Gegenstandsbereich hervor, gegen den sich das wahnhafte Verhalten des Kambyses gerichtet hat: Heiliges, Heiligtümer und religiöse Bräuche (ἱροῖσί τε καὶ νομαίοισι).113 Diese These über das wahnhafte Verhalten des Kambyses wird im Folgenden (Hdt. 3.38.1–2) mit einem Gedankenexperiment (εἰ γάρ τις) veranschaulicht und anhand des berühmten „Nomoi-Experiments“ des Dareios (Hdt. 3.38.3–4) illustriert. 4. Experimente zum Perspektivenwechsel Herodots Gedankenexperiment (Hdt. 3.38.1–2 Εἰ γάρ τις) und das berühmte „NomoiExperiment“ des Dareios (3.38.3–4) exemplifizieren an einem konkreten Fallbeispiel den paradigmatischen Gehalt der gesamten Erzählung über Kambyses. Während die Unbestimmtheit (τις) und Allgemeinheit (πᾶσι ἀνθρώποισι) des Gedankenexperiments jeden Leser und Hörer anspricht und seine Zeitlosigkeit unterstreicht, liefert das ethnologische Experiment des Dareios einen eindrücklichen, empirischen Beleg und betont die zentrale und globale Bedeutung des Nomos für das Bestehen und Verstehen menschlichen Zusammenlebens aus der Perspektive Herodots. Das Gedankenexperiment lautet folgendermaßen (Hdt. 3.38.1–2): Εἰ γάρ τις προθείη πᾶσι ἀνθρώποισι ἐκλέξασθαι κελεύων νόμους τοὺς καλλίστους ἐκ τῶν πάντων νόμων, διασκεψάμενοι ἂν ἑλοίατο ἕκαστοι τοὺς ἑωυτῶν· οὕτω νομίζουσι πολλόν τι καλλίστους τοὺς ἑωυτῶν νόμους ἕκαστοι εἶναι. Οὐκ ὦν οἰκός ἐστι ἄλλον γε ἢ μαινόμενον ἄνδρα γέλωτα τὰ τοιαῦτα τίθεσθαι.
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Asheri (2007) 436 bemerkt zum Gebrauch von νόμαια: „Herodotus’ νόμαια include divinities, rituals, and customs, in a broad sense. Νόμαια can be Greek, foreign, ancestral, of one’s own and of others; see e. g. 3.80.5; 99.1. However, in this chapter, we immediately move on to νόμος, a legal rather than ethnological term, maybe in a philological ‚nod‘ to the Pindaric quote in para. 4.“ Dillery (2005) 405 Anm. 63, beobachtet, dass νόμαιον bei Herodot „seems always to be found in contexts where one culture borrows (or does not) from another culture’s customs.“
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VII. Religion in Interaktion
Wenn nämlich jemand allen Menschen Gebräuche vorlegte und ihnen dann auftrüge, die besten unter allen Gebräuchen zu wählen, dürfte jedes Volk, nachdem es alle geprüft hat, die eigenen wählen; so sehr ist jedes Volk der Meinung, dass seine Gebräuche bei Weitem die besten sind. Daher ist es auch nicht wahrscheinlich, dass ein anderer als ein Verrückter solche Dinge zum Gegenstand seines Gelächters macht.
Herodot folgert, dass es vor dem Hintergrund dieser Überlegung über das Verhalten der Menschen gegenüber ihren eigenen Nomoi wahrscheinlich sei, dass nur ein Rasender (μαινόμενον ἄνδρα) derartige Dinge lächerlich hätte machen können. Im Folgenden wird das Gedankenexperiment noch weiter plausibilisiert, indem ein anschauliches Beispiel angeführt wird. Herodot vertritt die These (Hdt. 3.38.2), dass es viele Zeugnisse gebe, aus denen man schließen könne, dass sich alle Menschen so an ihre eigenen Nomoi gehalten haben.114 Als eines dieser Zeugnisse wird nun ein Experiment (Hdt. 3.38.3–4) angeführt, das der Perserkönig Dareios in der Zeit seiner Herrschaft mit zwei Völkern durchgeführt habe, die aus persischer Sicht jenseits der westlichen Grenze und jenseits der östlichen Grenze des persischen Reiches lebten: Griechen und ein Volk der Inder, die Kallatier.115 Bei der in unterschiedlicher Weise an diese Völker gestellten Frage geht es um den Umgang mit ihren verstorbenen Vätern bzw. Eltern (Hdt. 3.38.3–4): Einige Griechen in seiner Umgebung habe er zuerst zu sich gerufen und gefragt, um welchen Preis sie ihre verstorbenen Väter verspeisen würden. Diese behaupteten (οἱ δὲ […] ἔφασαν), dass sie dies auf keinen Fall (ἐπ’ οὐδενὶ) täten. Darauf habe er die Kallatier zu sich gerufen, die ihre Väter verspeisen, und habe sie in Gegenwart der Griechen gefragt, für wieviel Geld sie bereit wären, ihre verstorbenen Väter im Feuer zu verbrennen. Diese sollen darauf laut aufgeschrien und befohlen haben, dass er nicht so gottlos reden solle.116 Das Experiment schließt mit dem Befund, dass man auf diese Art und Weise die Nomoi gepflegt habe (νενόμισται). Mit einer expliziten Bezugnahme auf Pindar wird der Gedankengang pointiert abgerundet (Hdt. 3.38.4): „und Pindar hat, wie mir scheint, richtig gedichtet, wenn er sagt, „der Brauch“ sei „der König von allen“ (καὶ ὀρθῶς μοι δοκέει Πίνδαρος ποιῆσαι, ‚νόμον πάντων βασιλέα‘ φήσας εἶναι).117 Die Bedeutung und Funktion dieses Experiments im Rahmen der herodoteischen Erzählung ist vielfältig.118 Abgesehen von einer Gesamtinterpretation des Experi-
114 115 116 117 118
Cf. Hdt. 3.38.2. Cf. zu dieser zweifachen Relativierung Demont (2013) 41. Cf. Hdt. 3.38.4 οἱ δὲ ἀμβώσαντες μέγα εὐφημέειν μιν ἐκέλευον. Cf. dazu Munson (1991) 57–63, Asheri (2007) 435–437 und Lincoln (2012) 277–283 mit weiterer Literatur sowie Kingsley in Bowie (2018) 37–58. Cf. dazu die Beobachtungen von Munson (1991) 57–63, 60, die Kambyses u. a. als histor betrachtet und feststellt, „[…] that the issue of Cambyses not only affects the representation of royal power in the Histories as it manifests itself through other characters from Candaules to Xerxes, but, at a
4. Experimente zum Perspektivenwechsel
265
ments119 (s. dazu das folgende Fazit) ist es bemerkenswert, dass Herodot es dem Perserkönig Dareios zuschreibt.120 Durch die Bezugnahme auf den Nachfolger des Kambyses wird der nächste persische König angekündigt und angedeutet, dass sich dieser wohl in anderer Weise als Kambyses gegenüber der Religion und den Bräuchen nicht nur der Ägypter verhalten wird. Dass gerade ein Nicht-Grieche und Perser das „ethnologische“ Experiment unternimmt und darin griechische Nomoi mit nicht-griechischen konfrontiert, schafft eine besondere Ausgangsbasis für die Reflexion der vorgestellten Nomoi.121 Ein Vergleich und ein starker Kontrast zwischen Kambyses und Dareios in ihrem Verhältnis zur Religion der Ägypter wird durch die Betrachtung einer weiteren Textpassage aus dem zweiten Buch (Hdt. 2.110) bezüglich Memphis ermöglicht. Es geht um die Erzählung über das Handeln und Verhalten des Dareios gegenüber dem Heiligtum des Hephaistos in Memphis. Angesichts der besprochenen Vergehen des Kambyses ist die signifikante Bezugnahme auf Dareios (Hdt. 2.110) im Rahmen der Erzählung über Sesostris und das Heiligtum des Hephaistos in Memphis aufschlussreich.122 Sesostris soll als einziger ägyptischer König über Äthiopien geherrscht und vor dem Heiligtum des Hephaistos steinerne Standbilder von sich, seiner Frau und seinen Kindern hinterlassen haben (Hdt. 2.110). Herodot erzählt, wie der Priester des Hephaistos Dareios nicht zugestehen wollte, sein Bild vor die Werke dieses ägyptischen Königs zu stellen. Als Begründung führt der Priester an, Sesostris habe allerlei Völker, darunter auch die Skythen unterworfen, Dareios sei jedoch nicht imstande gewesen, auch diese zu bezwingen: Es sei daher nicht angemessen, dass er sein Bild vor dessen Weihgeschenke hinstelle, da er ihn nicht an Taten übertroffen habe. Angeblich, so erzählen die Ägypter, habe Dareios das eingesehen und sich gefallen lassen (Hdt. 2.110).123 Diese Episode
different narrative level, it also begs the question of the theoretical assumptions which underlie the ethnographical-historical work of the narrator. Herodotus’ apodexis here speaks about itself.“ 119 Cf. dazu Humphreys (1987) 211–220, Christ (1994) 187–189, Asheri (2007) 435–7, Demont (2013) und Lincoln (2012) 277–283. 120 Cf. dazu Lincoln (2012) 278–283, bes. 278–9, der die Anordnung des Experiments aus einer persischen Perspektive betrachtet und feststellt: „If Persians told this story, it is hard to imagine they drew from it the bland point: ‚Chacun à son goût.‘ Rather, they considered two peoples located at peripheral extremities of the empire – Greeks to the northwest, Kallatiai to the southeast – only to conclude that however different their nomoi might be, both were equally inferior to Persian funerary customs. […] The point of the story was thus to equate Greeks and Kallatiai as scandalous peoples of diametrically different type, but both equally savage in comparison to the Persians. Moral, cultural, and spatial relations thus mirror those of politics in this Persocentric optic.“ 121 Eine Pointe liegt darin, wie in dieser Passage der Kannibalismus als ein Nomos fungiert und damit als ein Element der Kultur und Zivilisation (cf. auch Hdt. 3.99.1 und Hdt. 4.26.1), während er an anderer Stelle, wie auch kurz zuvor (Hdt. 3.25), als ein Zeichen für Unmenschlichkeit, Primitivität und das Fehlen von Zivilisation steht (cf. dazu Hdt. 4.106 und moderater Hdt. 4.26.2). Cf. dazu Asheri (2007) 436 und Demont (2013) 41 Anm. 13. 122 Cf. dazu auch das Kapitel V. Religion in der Zeit. 123 Cf. dazu Asheri/Lloyd (2007) 320.
266
VII. Religion in Interaktion
und Herodots Skizze unterschiedlichen Verhaltens des Kambyses und des Dareios im Heiligtum von Memphis zeigen,124 wie verschieden diese beiden Könige der Perser in Herodots Darstellung in ihrer Einstellung gegenüber der Religion der Ägypter vorgestellt werden. Bemerkenswert ist, dass durch das Experiment des Dareios zum einen klar griechische Nomoi relativiert werden, zum anderen die universale und kulturübergreifende Kraft der Nomoi durch diejenigen, die ihnen treu sind, veranschaulicht wird.125 5. Fazit und Ausblick In diesem Kapitel wurde exemplarisch illustriert, wie Herodot Interaktionen von Kulturen und Religionen thematisiert. Dabei wurde weder ein theozentrischer noch ein auf Opfer fokussierender Ansatz zu Grunde gelegt. In einem ersten Schritt (Teil 1) wurde die Exklusivität von Religion und Bräuchen in Ägypten betont und die Ausbreitung der Beschneidung als eines bestimmten religiösen Brauchs näher betrachtet. Es zeigte sich zum einen die von Herodot und den Ägyptern selbst mehrmals im Vergleich betonte Sonderstellung ägyptischer Religion und Kultur; zum anderen konnte am Beispiel der Beschneidung veranschaulicht werden, wie Herodot die Ausbreitung eines bestimmten ägyptischen Brauchs nachzeichnet. Beide Phänomenkomplexe unterstreichen nicht nur den exklusiven Charakter und die Sonderstellung des religiösen Symbolsystems in Ägypten, sondern auch die Ausbreitung bestimmter religiöser und kultureller Bräuche und Traditionen. Anhand der Erzählung über Kambyses in Ägypten (Teil 2) wurde die Aufmerksamkeit auf die Interaktion dieses persischen Königs mit fremden Religionen jenseits der griechischen in den Historien gelenkt. Eine Auswahl der in der Erzählung über Kambyses geschilderten Begegnungen des persischen Königs mit Vertretern und Gegenständen fremder Religionen diente dazu, den Fokus auf religionsvergleichende Aspekte zu richten und den Umgang des Kambyses mit fremden religiösen Bräuchen, Praktiken und Vorstellungen in Herodots Darstellung zu analysieren. Die eingangs skizzierten (3.1) drei Versionen zu der Frage, warum Kambyses gegen die Ägypter gezogen sei, illustrierten die von Anfang an in der Erzählung präsenten und miteinander konkurrierenden Sichtweisen auf Kambyses und sein Verhältnis zu den Ägyptern. Durch die Analyse der drei Versionen wurde gezeigt, dass Herodot bereits zu Beginn des dritten
124 Ähnlich wie bereits anhand der Statue im Heiligtum von Babylon, Hdt. 1.183.2–3. 125 Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch die Beobachtung von Lincoln (2012) 283, dass aufgrund der Verwendung der Pindar-Sentenz nicht notwendig folgt, dass Herodot selbstverständlich Bräuche und Kultur „as a good thing“ ansieht. Lincoln betont ebd. 283: „Rather, it appears that nomoi – like Cambyses, and like kings in general – can themselves be mad, enslaving, ridiculous, and/or tyrannical, as witness the nomos of kingship.“
5. Fazit und Ausblick
267
Buches auf die Komplexität seiner Darstellung durch den Einbezug verschiedener Perspektiven hinweist und zum Vergleich(en) anregt. Mehrere konkrete Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion wurden darauf untersucht. Die (3.2) Schilderung des Bündnisses mit dem arabischen König, in deren Fokus die mehrdimensionale Beschreibung des arabischen Treueschwurs sowie dessen Folgen stehen, veranschaulichen ein gleichsam transkulturell vollzogenes religiöses Ritual zwischen Persern und Arabern. Die persische Gesandtschaft lässt sich auf das Ritual ein, respektiert und vollzieht es, auch wenn dafür wohl besonders strategische und politische Gründe ausschlaggebend sind. Weiter ist festzustellen, dass sich der Fokus stark auf den Vollzug des Rituals und dessen soziale Auswirkung richtet und die von den Arabern verehrten Götter nur kurz genannt werden. Die (3.3) Schilderung der bewussten Misshandlung des Leichnams des Königs Amasis in Sais betont in einer Beschreibung der dreifachen Befehls- und Handlungssequenz ausdrücklich die Verletzung persischer und ägyptischer religiöser Bräuche und Vorstellungen. Der letzte Befehl des Kambyses wird ausdrücklich als οὐκ ὅσια („frevelhaft, gottlos“) bezeichnet. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es Herodot wohl weniger um die genaue Erklärung des jeweiligen religiösen Hintergrunds geht, den er sowohl für Perser als auch Ägypter skizziert. Im Fokus steht vielmehr die Tatsache des Verstoßes gegen fremde und in diesem Fall auch eigene persische Nomoi.126 Die Konfrontation mit dem Fremden führt zu einem frevelhaften Verhalten. Obgleich das Motiv des Kambyses nicht explizit benannt wird, ergeben sich mögliche Erklärungen für das Verhalten des Kambyses sowohl aufgrund der ägyptischen Eingangsversion als auch aufgrund der zuvor geschilderten Aufstände gegen die Ägypter. Eine unmittelbar im Zusammenhang referierte Version der Ägypter bezieht die frevlerische Handlung nicht auf den ägyptischen König, sondern auf einen anderen Leichnam. Die Prophezeiung eines Orakels habe den ägyptischen König zu einer ungewöhnlichen Vorsichtsmaßnahme (eine zweite Leiche im Grab) greifen lassen. Diese Version wird zwar insgesamt von Herodot als ideologisch gekennzeichnet und als übertrieben angezweifelt, doch sie verweist als Erzählung aus einer referierten Binnenperspektive auf die mögliche Wirkung der Verletzung religiöser und nationaler Gefühle. Die anschließende (3.4) Begegnung mit den Phöniziern veranschaulicht auf den ersten Blick den Respekt des Kambyses gegenüber deren religiösen Überzeugungen, die sich durch Eide gebunden fühlen (ὁρκίοισί τε γὰρ μεγάλοισι ἐνδεδέσθαι) und, anders als Kambyses, keinen religiösen Frevel begehen wollen (οὐκ ἂν ποιέειν ὅσια). Das Zugeständnis des Kambyses gegenüber den Phöniziern mag sowohl strategisch als auch machtpolitisch bedingt sein. Doch die Episode mit den Phöniziern stellt einen direkten Kontrast zur frevlerischen Tat des Kambyses in Sais dar. Während jedoch in 126
Die Vergehen des Kambyses gegen seine eigene Familie und sein Umgang mit persischen Nomoi (Hdt. 3.30–35.5) in der Darstellung Herodots sind nicht zu unterschätzen. Cf. dazu Lincoln (2012) 280–3.
268
VII. Religion in Interaktion
Sais ein Frevel – für Perser und Ägypter – befohlen wird, dient der mögliche religiöse Frevel bei den Phöniziern als Begründung für ihre Befehlsverweigerung. Man könnte diese Interaktion mit den Phöniziern auch so verstehen, dass Kambyses’ Gottlosigkeit noch stärker betont wird, indem sie mit der Treue und Frömmigkeit der Phönizier kontrastiert wird. Die religiösen Sachverhalte sind auf jeden Fall relevant für den Handlungsverlauf, der in den Historien geschildert wird. Die Absicht des Kambyses zur Verbrennung des Zeus-Ammon-Orakels stellt einen weiteren potentiellen Frevel dar. Es kommt zwar nicht zur Verwirklichung des Plans, doch lässt dieser Auftrag die Haltung des Kambyses gegenüber den Ägyptern erkennen, die sich zunehmend radikalisiert. Ein Höhepunkt in der Begegnung des Kambyses mit der Religion in Ägypten besteht im (3.5) Verlachen und in der Tötung des Apisstiers in Memphis. Dabei geht es um die Missachtung fremder Religion in verschiedener Hinsicht: nicht nur die Respektlosigkeit gegenüber den religiösen festlichen Bräuchen, Institutionen und ihren Vertretern, sondern auch der religiösen Vorstellungen und ihrer Symbolik. Während der Anschlag auf den Apisstier die gegenwärtige Religion in Ägypten trifft, wendet sich das frevlerische Verhalten des persischen Königs gegenüber den Gräbern und Heiligtümern an diesem für die ägyptische Religion und ihre Geschichte so prominenten Ort auch gegen die memphitische Religionsgeschichte. Das außergewöhnliche Verhalten des Kambyses gerade in Memphis lässt sich dreifach kontrastieren: Erstens kann vor dem Hintergrund des zweiten Buches der Unterschied zur religionsproduktiven und schöpferischen Rolle der ägyptischen Könige in Memphis127 kaum stärker betont werden; zweitens ist ein sehr großer Kontrast zum Erzähler der Historien festzustellen, der den Apisstier in seiner äußeren, sinnlichen Erscheinung ausführlich beschreibt und mit seiner Symbolik würdigt; drittens wird von Herodot bereits mit dem Gedankenexperiment des persischen Königs Dareios auf dessen Einstellung gegenüber fremder Religion hingewiesen. Im folgenden (4) Gedankenexperiment Herodots sowie dem „ethnologisch“ komparativen Experiment des Dareios werden die vorausgehenden Handlungen und die Verhaltensweise des Kambyses mit der Frage nach dem Umgang und dem Verständnis fremder Nomoi reflektiert. Demont beobachtet an dieser Stelle zu Recht:128 Ce qui intéresse Hérodote, ce qu’il veut mettre en scène, ce ne sont pas les coutumes des Callaties, mais, – et c’est assez exceptionnel –, le phénomène de l’incompréhension réciproque entre peuples étrangers.
Die angestellten Vergleiche, die Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion und zuletzt das Experiment des Dareios führen zu der nüchternen Einsicht in das gegen-
127 128
Cf. dazu Hdt. 2.99 ff. und Kapitel V. Religion in der Zeit. Demont (2009) 432.
5. Fazit und Ausblick
269
seitige Miss- und Nicht-Verstehen sowie zur pointierten Feststellung im Zitat Pindars, dass der eigentliche „König von allen (Völkern)“ ihr Nomos sei.129 Die fundamentale Bedeutung und identitätsstiftende Funktion von Nomoi für die Menschen und das menschliche Zusammenleben wird an dieser Stelle betont. Das Experiment veranschaulicht darüber hinaus die grundsätzliche Schwierigkeit des Verstehens fremder Nomoi. Diese hermeneutische Schwierigkeit könnte mitunter ein Grund dafür sein, wieso Herodot an zahlreichen Stellen in seiner Erzählung über fremde Völker, religiöse Bräuche und Kulturen Binnenperspektiven der jeweiligen Völker und anderer präsentiert sowie zu Wort kommen lässt. Dieser Sachverhalt, der in diesem Kapitel wiederum an mehreren Beispielen illustriert wurde, ist wohl auch für Herodots Darstellung anderer fremder Kulturen und Religionen, wie z. B. die der Skythen, von zentraler Bedeutung.
129
Es folgt daraus jedoch nicht notwendig, dass Herodot eine nur positive Sichtweise auf traditionelle Bräuche, Religion und Kultur hat. Cf. dazu die Beobachtung von Bruce Lincoln (2012) 283, der zu Recht bemerkt: „he (sc. Herodotus) considered those who scoff at other people’s nomoi to be mad, but that does not necessarily mean he regarded custom or culture as a good thing.“
VIII. Schlussbetrachtung Um die Frage nach der Darstellung fremder Religion bei Herodot sinnvoll stellen und beantworten zu können, wurde bewusst ein mehrdimensionales Konzept von Religion eingeführt. Dieses richtet sich gegen ein nur eindimensionales Verständnis von Religion, welches Herodot einen einseitigen Fokus auf Opfer und die Verehrung von Göttern unterstellt. Aufgrund des neuen Ansatzes kommen neue Gegenstände und bisher unberücksichtigte Textpassagen für die Erforschung von Religion sowohl innerhalb als auch besonders außerhalb der traditionell untersuchten Nomoi-Passagen in den Blick, an denen sich sogar mehrere Dimensionen von Religion aufweisen ließen. Bereits für religiöse Sachverhalte bekannte Passagen konnten unter einer anderen Perspektive mit neuem Gewinn untersucht und so weitere Dimensionen des religiösen Feldes bei Herodot aufgezeigt werden. Durch die methodische Neuerschließung und die Entdeckung weiterer religiöser Felder in Herodots Historien leistet die Arbeit einen grundlegenden Beitrag zur Herodot-Forschung und zu einem neuen Verständnis seiner Erzählung von fremder Religion. Zu betonen sind demnach nicht nur die Komplexität seiner Darstellung, z. B. durch die Anreicherung der Erzählung mit Binnenperspektiven, sondern auch die Vielgestaltigkeit fremder Religion und deren wichtige Funktion innerhalb der herodoteischen Historien. Im Folgenden stelle ich zuerst die wichtigsten Ergebnisse der Einzeluntersuchungen aus den sechs Hauptkapiteln für Herodots Darstellung fremder Religion vor. Darauf sollen in einem Ausblick die Möglichkeiten des mehrdimensionalen Ansatzes für die Erforschung von antiker Religion und für die Griechische Philologie und Literaturwissenschaft skizziert werden. 1. Fazit Im methodisch grundlegenden Kapitel II über „Religion und Nomoi“ wurde für die These argumentiert, dass Religion sowohl außerhalb als auch innerhalb typischer Nomoi-Passagen von Herodot thematisiert wird und es darüber hinaus in beiden Fällen mehrere Dimensionen zu entdecken gibt. In einem ersten Schritt wurde der mehrdimensionale Ansatz exemplarisch anhand einer Erzählung über den ägyptischen König Mykerinos erprobt und erläutert. Bei der Analyse wurde deutlich, dass es – ent-
1. Fazit
271
gegen der üblichen Annahme – auch außerhalb der Beschreibung ägyptischer Nomoi Textpassagen gibt, in denen Religion nicht nur zum Gegenstand wird, sondern sogar mehrere Dimensionen von Religion zum Vorschein kommen. In einem zweiten Schritt konnte anhand der persischen Nomoi gezeigt werden, dass mehrere Dimensionen von Religion sowie religiöse Gegenstände und Phänomene neben Göttern und Opfern innerhalb einer typischen Nomoi-Passage vorkommen. Die Analyse der Perser-Nomoi veranschaulichte, wie dem Sozialen sowie dem Raum und der natürlichen Umwelt in Herodots Darstellung der Religion der Perser eine besondere Bedeutung zukommt. Andere Dimensionen ließen sich zwar ebenfalls nachweisen, spielen jedoch in Herodots Darstellung eine untergeordnete Rolle. Die Erzählung über die geheimnisvolle Kuh des ägyptischen Königs Mykerinos aus dem „historischen“ Teil des zweiten Buches ist ein gutes Beispiel dafür, dass die untersuchte Textpassage wohl dem ersten Eindruck nach zum einen nicht selbstverständlich mit dem Raster eines für Herodot postulierten eindimensionalen „theozentrischen“ Religionsbegriffs erfasst worden wäre; zum anderen, dass sie wohl ebenso wenig in einer Untersuchung des zweiten Buches zu finden wäre, die sich vornehmlich am Begriff des Nomos orientieren würde, um religiöse Sachverhalte zu registrieren. Die Analyse zeigt, dass Herodot bei der Darstellung fremder Religion nicht nur an der Verehrung von Göttern in Form von Opfern interessiert ist, sondern vielmehr mehrere Dimensionen in seiner Erzählung zur Sprache kommen. Durch die Untersuchung wurde deutlich, wie sehr die von Herodot in den Blick genommenen Dimensionen von Religion über einen eindimensionalen, d. h. „theozentrischen“ oder auf das Opfer fokussierenden Religionsbegriff hinausgehen. Im Vergleich mit dem mehrdimensionalen Ansatz von Hock konnte beobachtet werden, dass Herodot insgesamt den sozialen und rituellen sowie sinnlich-symbolischen Dimensionen von Religion in rein quantitativer Hinsicht mehr Raum in seiner Erzählung gibt als den wenigen Äußerungen intellektueller und kognitiver Dimensionen. Eine zentrale Rolle bei der Analyse kommt der Erzählweise zu, die darüber hinaus zeigt, dass Herodot in den Historien an vielen Stellen Binnenperspektiven u. a. von religiösen Experten zu Wort kommen lässt. Durch die spezifische Erzählweise Herodots werden nicht nur klare Differenzierungen, sondern auch Distanzierungen und Perspektivierungen auf die Phänomenvielfalt fremder Religion und deren teils ambivalente Deutungen möglich. Eine wichtige Funktion kommt dem Verschwinden und bewussten Einblenden des „Ich“ zu, etwa in der Form expliziter Autopsie, des kritischen Kommentars sowie der Artikulation von anderen Stimmen, wie z. B. denen der religiösen Experten. Mit seiner Erzählung versucht Herodot dem vielschichtigen Problem gerecht zu werden, die komplexen Phänomene und Gegenstände fremder Religion seinen Lesern und Hörern in ihrer Mehrstimmig- und Mehrdeutigkeit näher zu bringen. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr er mittels seiner Erzähl- und Kompositionsweise die menschliche Seite bei der Gestaltung der religiösen Welt hervortreten lässt, ohne diese absolut zu beurteilen oder zu verurteilen. Vor dem skizzierten Hinter-
272
VIII. Schlussbetrachtung
grund wird deutlich, dass Herodot in seiner Erzählung um eine an Phänomenen und Dimensionen reiche Darstellung fremder Religion bemüht ist. Dabei ist er sich sowohl des selektiven Charakters bewusst als auch der Mehrdeutigkeit und der menschlichen „Gestaltung“ von Religion(en). Während in Kapitel II anhand einer Passage alle fünf Dimensionen herausgearbeitet wurden, sind die anschließenden fünf Kapitel je einer religiösen Dimension als Leitperspektive gewidmet. In Kapitel III zur „Religion im Sozialen“ machten die einleitenden Einschätzungen zur griechischen und ägyptischen Religion deutlich, dass wohl bereits unabhängig von Herodots Darstellung die zentrale Bedeutung und Funktion von Religion für beide Gesellschaften angenommen werden kann. Vor diesem Hintergrund war festzustellen, dass die meisten Äußerungen Herodots über Religion in Ägypten eine soziale Dimension aufweisen oder auf irgendeine Art und Weise in einen sozialen Kontext eingebettet sind. Es ist jedoch sowohl aus Herodots als auch aus heutiger Sicht durchaus nicht selbstverständlich, auf welche Weise Herodot religiös verstandene Phänomene, Ereignisse und Gegenstände in seiner Wahrnehmung Ägyptens und innerhalb der sozialen Welt Ägyptens beschreibt. Hierzu gehören die Akteure und Gruppen, die er im sozialen und religiösen Raum ausmacht, sowie die religiösen Gegenstände, denen Herodot im Zusammenhang mit sozialen Handlungen in seiner Erzählung Bedeutung beimisst. Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass und wie Herodot zuerst die mehrdeutige These aufstellt (Θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων νόμοισι τοιοισίδε χρέωνται Hdt. 2.37), die Ägypter seien außergewöhnlich religiös. Diese Religiosität wird daraufhin exemplarisch anhand zahlreicher Lebensgewohnheiten und Rituale veranschaulicht. Die von Herodot gewählten Beispiele lenken dabei die Aufmerksamkeit insbesondere auf den Zusammenhang von religiöser Praxis und Reinheit. Das Konzept der Reinheit wird zu einer entscheidenden religiös-sozialen Kategorie, die in der Perspektive Herodots ein sehr wichtiges Merkmal der Religion und Gesellschaft in Ägypten darstellt. Der Fokus auf Reinheit und Reinheitsrituale diente als Übergang zur Untersuchung einer religiösen Gruppe, die sich durch den betonten Anspruch auf Reinheit auszeichnet: die ägyptischen Priester. Sie erscheinen als eine von Herodot deutlich hervorgehobene Gruppe zunächst in ihrer zentralen Funktion als Informanten und Wissensträger der Religion in Ägypten, indem Herodot seine Erzählung an vielen Stellen durch ihre Binnenperspektive bereichert. Sie erscheinen jedoch darüber hinaus auch als Akteure und religiöse Experten innerhalb des ägyptischen Symbolsystems. Die starke Präsenz der ägyptischen Priester in Herodots Text könnte auf ihre beanspruchte Deutungshoheit in religiösen Dingen hinweisen. Die Analyse der beiden ägyptischen Feste in Bubastis und Papremis als religiöser faits sociaux brachte sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten hervor. Während bei der Beschreibung der Prozession nach Bubastis Herodots Aufmerksamkeit wesentlich auf die sozialen und rituellen Handlungen sowie eine Reihe von sinnlichen Aspekten konzentriert ist, kommt in seiner Beschreibung der rituellen Kämpfe in Papremis wiederum den Priestern als Akteuren eine wichtige Rolle zu. Für beide Festbeschreibun-
1. Fazit
273
gen ist festzuhalten, dass sie sich nicht mit Opfern befassen und diese nur am Rande erwähnen. Weitere religiöse Praktiken jenseits des Opfers wurden zuletzt bei der Beschreibung der Totenklage und den Begräbnisriten in Ägypten untersucht. Sowohl bei der Praxis der Mumifizierung als auch in seinen Erzählungen über die Stiftung von Weihgeschenken hebt Herodot soziale Unterschiede und sozioökonomische Aspekte im Zusammenhang mit diesen religiösen Sachverhalten hervor. Dabei wurde deutlich, wie religiöse Praxis, soziales Leben und sozioökonomische Gesichtspunkte für die ägyptische Gesellschaft in Herodots Darstellung selbst nach dem Tod noch auf das engste miteinander verwoben sind. Im Fokus von Kapitel IV „Religion im Raum“ stand die wechselseitige Beziehung von natürlichem Raum und Umwelt zu Religion. Dabei wurde deutlich, dass Herodot gleich zu Beginn des zweiten Buches die Aufmerksamkeit auf bestimmte zentrale religiöse Orte Ägyptens und deren Priester richtet. Bei der Frage nach der Prägung der Religion durch die Umwelt und die natürliche Umgebung konnte die zentrale religiöse Bedeutung des Nils sowie dessen fundamentale Funktion für das ägyptische Leben und die Zugehörigkeit zur ägyptischen Religion festgestellt werden. Von grundlegender Bedeutung für das religiöse Leben in Ägypten ist die ausführlich beschriebene Verehrung der Tiere sowie die damit verbundene Prägung des gesamten Lebens der Ägypter. Bei Herodots Beschreibung des Speise- und Opferverzichts bestimmter Tiere war zu beobachten, dass er durch seine Darstellung die Aufmerksamkeit auf lokal variierende oder genau entgegengesetzte religiöse Praktiken lenkt. Damit treten stark lokal bedingte Unterschiede religiöser Praktiken und Differenzierungen innerhalb des ägyptischen Symbolsystems hervor. Wie die Erzählung über den ägyptischen König Pheros und dessen religiösen Frevel gegenüber dem Nil zeigte, sind Herodots Perspektiven auf religiöse Phänomene mit Rücksicht auf den geographischen Raum und die ägyptische Umwelt nicht isoliert zu verstehen, sondern stehen zumeist in Verbindung mit sozialen, zeitlichen oder auch ästhetischen Perspektiven. Alle vier Untersuchungen von Kapitel V zu „Religion in der Zeit“ in Ägypten unterstreichen das große Interesse Herodots an diesem Verhältnis und damit einhergehend die Aufmerksamkeit für religionsgeschichtliche Aspekte, Zusammenhänge und Fragen. Zuerst ist festzustellen, dass bei allen Beispielen, in denen Zeit und zeitliche Perspektiven im Zusammenhang mit religiösen Phänomenen und Gegenständen thematisiert werden, ägyptische Priester oder andere ägyptische Binnenperspektiven zentral für die Erzählung sind. Zweitens ist zu bemerken, dass zumeist auch griechische Vorstellungen, sei es über die Zeit oder über das Alter, mit den divergierenden ägyptischen Vorstellungen konfrontiert werden, so dass dieser Befund geradezu als ein Zusammenprall von unterschiedlichen Vorstellungen über die Zeit, das Alter und die Chronologie bestimmter kultureller und religiöser Phänomene bezeichnet werden kann. Grundsätzlich ist festzustellen, dass wohl die Begegnung und Auseinandersetzung mit den ägyptischen Priestern und ihren Vorstellungen über das Alter der ägyptischen Religion und die Priorität der Ägypter bei Herodot eine tiefe und kritische Re-
274
VIII. Schlussbetrachtung
flexion über griechische und ägyptische Erinnerungskultur, Tradition, Chronologie, Religion und Ideologie bewirkt haben dürfte. Die Untersuchung mit dem Fokus auf Zeit und Religion ermöglichte auch eine neue Perspektive auf die ägyptischen Priester in Herodots Erzählung. Von Anfang an figurieren sie nicht nur als Informanten und Garanten eines bestimmten Wissensanspruchs, sondern auch als Repräsentanten und Ideologen einer gewissen Sichtweise auf die ägyptische Vergangenheit und ihre Religion sowie ihre eigene Stellung in und gegenüber dieser Vergangenheit. Der Kontrast zwischen griechischer und ägyptischer Zeitvorstellung wurde eindrücklich an der Begegnung des Hekataios mit den ägyptischen Priestern aus Theben im dortigen Heiligtum veranschaulicht. Konkret wird darin an einem heiligen und für die ägyptische Religionsgeschichte zentralen Ort die Erfahrung und Auseinandersetzung mit einer anderen Auffassung von Zeit, einer lang etablierten Tradition mit schriftlichen Aufzeichnungen und offizieller Chronologie inszeniert. Dabei wird „die griechische“ Sichtweise sowohl durch das Auftreten des Hekataios als auch die erzählerische Präsenz Herodots differenziert dargestellt. Durch die Analyse dieser Episode wurde deutlich, wie Herodot durch die Wahl einer solchen dramatischen Szenerie die gewissermaßen „heilige“ und ideologische Bedeutung der Zeit und insbesondere des Alters aus der Binnenperspektive der Ägypter für die ägyptische Religion betont. Die Analyse der Textpassage über die Verehrung des Pan in Mendes zeigte, wie innerhalb der ägyptischen Nomoi unterschiedliche zeitliche Perspektiven auf religiöse Felder artikuliert werden können. Schließlich illustrierten die Fallbeispiele zum religiösen Wandel in Herodots Konstruktion der ägyptischen Königsgeschichte einen klaren Zusammenhang zwischen dem Wirken des jeweiligen Königs und seinem Einfluss auf die religiöse Kultur seiner Zeit. Diese Texte, die sonst nur unter quellengeschichtlichen Aspekten betrachtet und kaum von Literaturwissenschaftlern in den Blick genommen werden, zeugen von einer Beschreibung religiösen Wandels, die sich in den folgenden drei Bereichen ablesen lässt: im Bereich der Sakral-, teils auch Grab-Architektur, der religiösen Kulte und Rituale sowie im sozialen und rechtlichen Bereich, der in einem weiteren Sinn als Ausprägung der Religion in Ägypten verstanden werden kann. Durch diese Untersuchung konnte die herausragende Sonderstellung der ägyptischen Könige im Hinblick auf die religiöse Ordnung und Zeit beobachtet werden. In Kapitel VI „Religion und Sinne“ wurden zunächst die Beschreibungen dreier wichtiger religiöser Stätten, den Heiligtümern in Bubastis, Buto sowie der Insel Chemmis, im Hinblick auf die Wahrnehmung des sakralen Raumes in der religiösen Architektur analysiert. Dabei konnte gezeigt werden, dass sich Herodots „Beschreibungen“ sowohl durch eine bewusst gestaltete Ikonographie auszeichnen als auch mit Inhalten ästhetisch-moralischer und mythisch-theologischer Erzählungen verwoben und angereichert werden. Es stellte sich die Frage, ob wohl die mythische Erzählung durch die ästhetischen Eindrücke angeregt oder sogar hervorgebracht sein könnte. Zuletzt wurde als eindrückliches Beispiel die Transformation eines goldenen Fußbeckens des Amasis zu einem Götterbild betrachtet. Dieses letzte Beispiel stellte humorvoll vor
1. Fazit
275
Augen, wie ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand durch menschliche Manipulation in einer neuen Form und einem anderen Kontext eine sehr unterschiedliche Sinnzuschreibung erfahren und zu einem sakralen Gegenstand werden kann. In einem zweiten Schritt richtete sich die Aufmerksamkeit auf das „religionspsychologische“ Interesse Herodots. Nach einer kritischen Vorüberlegung zum „Traumglauben“ bei Herodot wurden zwei Träume und eine Gebetserhörung untersucht. Dabei wurde deutlich, dass zwar die ummittelbar psychologische Wirkung insgesamt nur wenig Raum einnimmt, während die in indirekter Rede erfolgte Erzählung die Aufmerksamkeit auf die ägyptischen Priester, ihre Erwartungen und Ängste gegenüber einem Fremdherrscher und ihre Erklärung und Deutung der poltisch-religiösen Geschichte richtet. Die dramatische Gebetserhörung der Ladike wies wiederum auf den Zusammenhang von – in diesem Fall – angedrohter Gewalt und religiöser Handlung hin. Ähnlich wie beim Traum des Sethos war zu bemerken, dass sich der religionspsychologische Sachverhalt (Traum, Gebet) durch die Schaffung der Statue bzw. der Weihgabe als religionsästhetisch produktiv erweist. Die bei den Träumen des Sabakos und Sethos beobachtete Erzählweise in indirekter Rede ermöglicht es Herodot, sich vom referierten Trauminhalt und der Deutung insgesamt zu distanzieren. Kapitel VII über „Religion in Interaktion“ beschäftigte sich mit der Frage, wie Herodot die Interaktion von Religionen beschreibt. In einem ersten Schritt wurde die Exklusivität von Religion und Bräuchen in Ägypten betont und exemplarisch die Ausbreitung des Brauchs der Beschneidung näher betrachtet. Es zeigte sich zum einen die von Herodot und den Ägyptern selbst mehrmals in Vergleichen betonte Sonderstellung ägyptischer Religion und Kultur; zum anderen konnte an diesem Beispiel veranschaulicht werden, wie Herodot die Ausbreitung eines bestimmten ägyptischen Brauchs nachzeichnet. Beide Phänomenkomplexe unterstreichen Herodots Interesse an religiösen und kulturellen Bräuchen und Traditionen Ägyptens. Anhand der Erzählung über Kambyses in Ägypten wurde die Aufmerksamkeit auf die Interaktion fremder Religionen in den Historien jenseits der griechischen gelenkt. Eine Auswahl an Begegnungen des persischen Königs mit Vertretern und Gegenständen fremder Religionen diente dazu, die Interaktionen des Kambyses mit fremden religiösen Bräuchen, Praktiken und Vorstellungen in Herodots Darstellung zu analysieren. Die eingangs skizzierten alternativen Versionen zu der Frage, warum Kambyses gegen die Ägypter gezogen sein soll, illustrierten die von Anfang an in der Erzählung präsenten und miteinander konkurrierenden Sichtweisen auf Kambyses und sein Verhältnis zu den Ägyptern. Durch die Analyse der drei Versionen wurde gezeigt, dass Herodot bereits zu Beginn des dritten Buches auf die Komplexität seiner Darstellung durch den Einbezug verschiedener Perspektiven hinweist und zum Vergleich der Deutungen anregt. Mehrere Interaktionen des Kambyses mit fremder Religion wurden daraufhin untersucht. Die eindrückliche Schilderung des Bündnisses mit dem arabischen König, in deren Mittelpunkt die mehrdimensionale Beschreibung des arabischen Treueschwurs sowie dessen Folgen steht, veranschaulicht ein gleichsam transkulturell vollzogenes
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VIII. Schlussbetrachtung
religiöses Ritual zwischen Persern und Arabern. Weitere Interaktionen zeigen, wie der Respekt des Kambyses gegenüber den Phöniziern aufgrund der Gefahr eines religiösen Frevels mit der Verletzung persischer und ägyptischer religiöser Bräuche und Vorstellungen in Sais und Memphis kontrastiert wird. Im Fokus stehen Verstöße gegen fremde und in Sais auch eigene persische Nomoi. Ein Höhepunkt in der Interaktion des Kambyses mit der Religion in Ägypten besteht im Verlachen und in der Tötung des Apisstiers in Memphis. Dabei geht es um die Missachtung fremder Religion in verschiedener Hinsicht: es wird nicht nur die Respektlosigkeit gegenüber den religiösen festlichen Bräuchen, Institutionen und ihren Vertretern konstatiert, sondern auch gegenüber den religiösen Vorstellungen und ihrer Symbolik des Allerheiligsten. Das außergewöhnliche Verhalten des Kambyses in Memphis lässt sich bei Herodot dreifach kontrastieren: zum einen mit der Betonung der religionsproduktiven und schöpferischen Rolle der ägyptischen Könige in Memphis; zum anderen mit dem Erzähler der Historien, der den Apisstier in seiner äußeren, sinnlichen Erscheinung ausführlich beschreibt und mit seiner Symbolik würdigt; drittens mit dem Experiment des persischen Königs Dareios, das eine grundlegend andere Haltung gegenüber fremder Religion erkennen lässt. Im Gedankenexperiment Herodots sowie dem ethnologisch komparativen Experiment des Dareios werden die vorausgehenden Ereignisse bezüglich der Frage nach dem Umgang und dem Verständnis fremder Nomoi reflektiert. Herodots Einsicht in die fundamentale Bedeutung und die identitätsstiftende Funktion von Nomoi für die Menschen und das menschliche Zusammenleben wird an dieser Stelle betont. Das Experiment veranschaulicht die grundsätzliche Schwierigkeit des Verstehens fremder Nomoi. Diese hermeneutische und universale Schwierigkeit dürfte wohl als ein Grund dafür angenommen werden, weshalb Herodot in seiner Erzählung über fremde Religion an so vielen Stellen Binnenperspektiven der jeweiligen Völker präsentiert sowie „die anderen“ zu Wort kommen lässt. 2. Ausblick Die neu gewonnenen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit beziehen sich im Wesentlichen auf drei Bereiche. Zum einen leistet die Arbeit durch die Untersuchung mit einem mehrdimensionalen Ansatz von Religion theoretisch und methodisch einen innovativen Zugang zur Erschließung von Texten mit religiösen Themen. Zweitens trägt sie durch ihre Methodologie und perspektivenreiche Betrachtung von manchen bisher nur wenig erforschten Passagen aus den Historien grundlegend zur HerodotForschung bei, insbesondere bezüglich seiner Erzählung über Ägypter und Perser. Ein methodischer Gewinn der Untersuchung besteht weiter darin, dass aufgrund der Heuristik des mehrdimensionalen Ansatzes die erzielten Ergebnisse umsichtig auch in einen Vergleich mit Forschungen zu Texten anderer Epochen, Kulturen und selbst der Gegenwart gebracht werden können.
2. Ausblick
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Die vorliegende Untersuchung hat bei der Erforschung Herodots mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion im fünften Jahrhundert vor Christus Neuland betreten. Religionsgeschichtliche Forschungen der letzten Jahre im Umfeld des Religionshistorikers Rüpke zeigen jedoch bereits jetzt, wie auch Texte und Quellen der Kaiserzeit von der multidisziplinären Erforschung mit einem mehrdimensionalen Konzept von Religion profitieren. Die Anführung einiger Titel zeigt die thematische Nähe dieser Neuerschließung von Religion insbesondere der Kaiserzeit zu den Kernthemen meiner Untersuchung, so z. B. zu sozialen Aspekten die Publikationen „Religion and Law in Classical and Christian Rome“ (2006) und „Festrituale in der römischen Kaiserzeit“ (2008), sowohl zu räumlichen als auch zeitlichen Aspekten von Religion die Untersuchungen „Antike Religionen in räumlicher Perspektive“ (2007b) und „History and Religion: narrating a religious past“ (2015). Darüber hinaus bezeugen rezente Forschungen nicht nur ein Interesse an der „gelebten Religion“ in der Antike („Lived Ancient Religion“), sondern insbesondere an Fragen der „religiösen Individualisierung“.1 Während sich die zuerst genannten Untersuchungen zumeist nur auf eine oder zwei Dimensionen konzentrieren, unternimmt meine heuristische Arbeit mit einem mehrdimensionalen Ansatz und der Konzentration auf Herodots Historien den Versuch, die ethnographische Darstellung antiker fremder Religion in der griechischen Literatur der Klassischen Zeit mit einem übergreifenden Konzept von Religion zu erfassen und besser zu beschreiben. Es ist bemerkenswert, dass wir bei der Untersuchung der Historien beobachten konnten, dass und wie sich bereits Herodot selbst sowohl durch das Konzept des Nomos als auch durch weitere Termini und Perspektiven des religiösen Feldes sowie erzähltechnisch durch den Einbezug von Binnenperspektiven und -erzählungen und in vielen Fällen im Modus der indirekten Rede der Vielgestaltigkeit fremder Religion nähert. Mit Hilfe kulturanthropologischer Terminologie könnten diese Beobachtungen und Befunde vielleicht so pointiert beschrieben werden: Herodot versucht in seiner komplexen Religionsethnographie Ägyptens zwischen etischen (outsider) und emischen (insider) Sichtweisen zu vermitteln.2 Meines Erachtens ist sich Herodot durch1 2
Cf. dazu z. B. die Publikationen „Reflections on Religious Individuality: Greco-Roman and Judaeo-Christian Texts and Practices“ (2012) und „Religious dimensions of the self in the second century CE“ (2013). Cf. zu der Unterscheidung zwischen „emisch“ und etisch“ Harris (1989) 26–27, der die Unterscheidung folgendermaßen erläutert: „Das Problem, was eine adäquate Beschreibung einer Kultur als Ganzes ausmacht, wird nicht durch die Unterscheidung von Verhaltensregeln und tatsächlichem Verhalten gelöst. Das Problem besteht vielmehr darin, dass sowohl die Vorstellungen als auch das Verhalten von Menschen aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können: aus der Perspektive der Betroffenen selbst und aus der Perspektive des Beobachters. In beiden Fällen sind wissenschaftliche und objektive Darstellungen des Ordnungs- wie des Verhaltenssystems möglich. Im ersten Fall bedienen sich die Beobachter der Konzepte und Unterscheidungen, die für den Beobachteten sinnvoll und angemessen sind; im zweiten Falle verwenden sie Konzepte und Unter-
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VIII. Schlussbetrachtung
aus darüber im Klaren, dass er nicht einen emischen (insider-) Standpunkt einnehmen kann, sondern mit seinen Zuhörern und Lesern zunächst außerhalb des ägyptischen Kultur- und Symbolsystems steht und die andere fremde Kultur nur in griechischer Sprache und vertrauten griechischen Kategorien abtasten und darstellen kann. Dennoch versucht er an vielen Stellen seiner outsider-Erzählung diesen empfundenen Mangel durch insider- bzw. emische Perspektiven und Erzählungen in Form von Äußerungen und Erzählungen der ägyptischen Priester oder anderer einheimischer Ägypter anzureichern. Die durch diese Erzähltechnik erzeugte Spannung und Komplexität seiner vielschichtigen Erzählung versucht damit auch dem Phänomen fremder Religion näher zu kommen. Wollen wir Herodot als antiken „Religionswissenschaftler“ avant la lettre bezeichnen, so pflegt er einen teils nüchtern-distanzierten, teils humorvollen Umgang mit religiösen Themen und Gegenständen, indem er durch bestimmte Perspektivierungen in seiner Erzählung Religion auch in ihren ambivalenten Bezügen zu Sexualität, Gewalt, Macht, Ideologie und Obszönität sowie weiteren menschlichen Antrieben verbindet. Ausgehend von meinen Untersuchungen zur „Religion in der Zeit“ und zur „Religion im Sozialen“ ist leicht zu sehen, wie diese Perspektiven auch für weiterführende Untersuchungen fruchtbar gemacht werden können: sowohl wiederum zu Herodot, z. B. mit einem Fokus auf die Skythen und Libyer, als auch für den Vergleich mit anderen Texten der griechischen Literatur, z. B. mit den historiographischen Darstellungen des Thukydides oder des Xenophon, den Dialogen Platons oder auch Texten anderer Literaturen und Kulturen. Auch die an vielen Stellen markierte Komplexität von Herodots Erzählung über Religion in Ägypten dürfte wohl in der Zukunft durch einen noch intensiveren Dialog mit der Ägyptologie und insbesondere der Demotistik das Verständnis des zweiten Buches weiter vertiefen.3 Durch diese Untersuchung zur Darstellung fremder Religion bei Herodot wird deutlich, dass er in der Erzählung seiner „Nachforschung“ um eine an Phänomenen und Perspektiven reiche Darstellung fremder Religion bemüht ist. Dabei ist sich Herodot des selektiven Charakters bewusst und artikuliert an vielen Stellen durch seine Erzählweise die Mehrdeutigkeit und menschliche Seite fremder Religion.
3
scheidungen, die für sie selbst, die Beobachter, sinnvoll und angemessen erscheinen. Die erste Art und Weise, Kultur zu erforschen, nennt man den emischen, die zweite den etischen Ansatz.“ Zur Herleitung des Begriffspaares von Phonemik und Phonetik, ebd. 64. Cf. dazu den multidisziplinären Band zum Kambyses-Logos von Schütze/Schwab (2021).
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X. Indices X.1 Stellen in Herodots Historien 1.1 1.1.1 1.1–5 1.5.3–4 1.5.4 1.16 1.75.3–6 1.86 1.86.2 1.101 1.105 1.107 1.107–8 1.114–6 1.120 1.128 1.128.2 1.131 1.131.1 1.131.1–2 1.131.2 1.131.2–3 1.131.3 1.131–132 1.131–140 1.132 1.132.1 1.132.1–3 1.132.2 1.132.3 1.132.3–133.1 1.133–140 1.133.1–2 1.133.2 1.133.3
37–8 236 236 127 127 199 242 90 90 65, 80 75, 82 65 65 240 65 65 65–6 68, 82, 112 61, 72–3, 83 62, 74, 81, 85 249 72, 75, 81, 83 81, 245 26, 59–61 41, 43, 58, 61, 85 62, 74, 83 63, 72, 76 62 63 63 64 61 67 84 67, 69, 76
1.134 1.134.2 1.134.2–3 1.134.3 1.135 1.135.1 1.135.1–136 1.135–136 1.136 1.136.2 1.137 1.137.2 1.138 1.138.1 1.138.1–2 1.138.2 1.140 1.140.1 1.140.1–2 1.140.1–3 1.140.2 1.140.2–3 1.140.3 1.141.1 1.177 1.178–184 1.183 1.183.2–3 1.187–188 1.188 1.189 1.189–190 1.199 1.205
69 76, 82 72, 81, 84 77, 82, 84 69 84 81 83 60 70 69 69 76, 69, 258 60, 69, 71, 77 72 68, 71–2, 78 60–2, 65–7, 72, 78–80, 84–5, 98, 102 78 65 72 66, 79 66, 84 61, 66, 80, 85 80 199 81, 83 74, 81 266 81, 83 78 78 78 75 78
X.1 Stellen in Herodots Historien
1.208 2.2 2.2.1 2.2.1–2 2.2.5 2.2.5–3.1 2.2–3 2.2–4 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3–4 2.3–5 2.4 2.4.1 2.4.1–2 2.4.2 2.4.2–3 2.4.3–2.34 2.5 2.5.2 2.5–17 2.5–34 2.5 ff. 2.6–34 2.10 2.13 2.14.1–2 2.15 2.15.3 2.15–17 2.17.1 2.17.2 2.18 2.18.1 2.18.1–3 2.18.2–3 2.18.3 2.19 2.19–27 2.28.1 2.29.6–7 2.29.7 2.32 2.35
78 155, 159 156 156 125, 156–7 98 125 154 35, 51, 88, 158–9, 181, 207 35, 98, 125, 158–9 35, 143, 159 127, 151 98 37, 74, 126–8, 136, 157–160, 162 160 160 127–8, 160 162 37, 136 127, 129–130 127 129 127 127 89 98 98 127 130 130 129–130 130 130 97, 133–4, 136, 140, 151 131 131 131 132 133–4, 136 136 247 219 219 91 37, 39, 89, 102, 125, 127, 136–7, 151
2.35.1 2.35.1–2 2.35.2–36.4 2.35.2–98 2.35.4 2.35–37 2.35 ff. 2.36.3 2.37 2.37.1 2.37.1–2 2.37.2 2.37.2–3 2.37.2–4 2.37.4 2.37.4–5 2.37.5 2.37–65 2.38 2.38.1–3 2.38.2 2.38–65 2.39 2.39.4 2.39.4–40.1 2.39–40 2.39–41 2.40 2.40.1 2.40.3 2.41 2.41.1 2.41.1–2 2.41.2–3 2.41.3 2.41.4 2.41.4–6 2.41.6 2.42 2.42.1 2.42.2 2.42.2–3 2.42.3 2.42.6 2.42–53
293 136 89 89 37 102 137 127, 137 95, 231 38, 89–93, 97, 103, 122, 137, 196, 272 89–92, 142 93, 97 231 95 97 99 98–9 95, 99 38, 102 95, 98, 101–3, 138, 196 95, 101 101 98, 102 103, 105, 112, 138–9, 196 139 139 105, 112 196 95, 98, 103–4, 138–9, 196 103, 138–9 95, 98 50, 75, 93, 95, 98, 103, 132, 136, 138–40 50, 95, 98, 103, 139–40 50, 132 140 95, 98 140 140 140 103, 130, 138–41, 169, 172 138, 140 134, 141, 172 140, 172 141 141 169
294 2.43.4 2.43–45 2.43 ff. 2.45 2.45.2 2.46 2.46.1 2.46.2 2.46.3 2.47 2.48 2.48.2 2.48–49 2.49 2.49.2–3 2.50.1 2.50–53 2.51 2.53 2.53.2 2.54–57 2.57–58 2.58 2.58.1 2.58–63 2.59–64 2.60 2.60.1–3 2.60.3 2.60–63 2.61 2.61.1 2.62 2.62.1 2.63 2.63.1 2.63.1–3 2.63.1–4 2.63.4 2.63.4–64.1 2.64 2.65 2.65.1 2.65.1–3 2.65.2 2.65.3–5
X. Indices
172 36, 103, 140 160 36, 95, 98 95 36, 103 172 173 174 36, 103 36, 197 197 103 35 103 160, 171 103 36 37 160 103, 151 160 103–4, 115, 142, 160–1, 230 115 36 142 89, 104–6, 122, 196, 204 105 104, 106 104 36, 104–5, 180 105, 180 36, 104–5 105 104–5, 109–11, 113, 196 104–5, 109 110 105 113 111 98, 114, 122, 151 36, 38, 91, 142–4, 146–8, 152, 181 91 91 36, 143, 181 144
2.65.3 ff. 2.65.5 2.65–76 2.66 2.66.3 2.67 2.67.1 2.68 2.68–70 2.69 2.69.1 2.69.1–2 2.69.2 2.69.3 2.70 2.71 2.72 2.75.4–76.1 2.76.3 2.77 2.77.1 2.77.3 2.77.4–5 2.78 2.79 2.79.1 2.79.1–2 2.79.1–3 2.79.2 2.79.3 2.80 2.80.1 2.80.2 2.81 2.81.1 2.82 2.82–83 2.83 2.85 2.85–90 2.86 2.86.1 2.86.3 2.86.4–6 2.86.7 2.86–88 2.86–89
144 144 143, 148, 152 144 144 144 144 145 145 145–6, 259 145 145 145 146 146 146 99, 146 148 142 228 229, 239 229 229 229 228–9 229 229 229 229 229 229 229 230 36, 230 230 160, 230 160 204, 215 116, 196 115 36, 116, 118–9, 196, 250 116 118 118 119 250 196
X.1 Stellen in Herodots Historien
2.87.1 2.88.1 2.89 2.89.2 2.90 2.90.1–2 2.90.2 2.91 2.91.1 2.92.1 2.99 2.99.1 2.99.1–2 2.99.2 2.99.4 2.99 ff. 2.99–182 2.100.1 2.100.2 2.100.4 2.101.1 2.101.1–2 2.101.2 2.102.3 2.102–103 2.103.2 2.103.4 2.104.1 2.104.2 2.104.3–4 2.104.4 2.107.1 2.108 2.108.2 2.109.1 2.110 2.110.1 2.110.1–3 2.110.2–3 2.111 2.111.1 2.112 2.112.1 2.112.1–2 2.112.2 2.113.1
118 118 119–120 119–120 119–121, 135 135 120–1, 135 228, 230 84 228 41, 44, 55, 126, 155, 162, 176, 268 44 162 162 177 44, 126, 155, 268 41, 44 162 162 162 162 177 177 162 231 231 231 231 232 232 232 162 199 177–8 162 265 178 177–8, 262 136, 148, 162, 204, 213 162 75, 78, 162, 177, 179 162, 179 177 78 162
2.116.1 2.118.1 2.119.2 2.120.1 2.121 2.121.1 2.122 2.122.1 2.122.1–2 2.122.2 2.122.3 2.123 2.123.1 2.123.2 2.124.1 2.124.1–2 2.124.2–5 2.124.2–125 2.124.2–128 2.124.4 2.125 2.126 2.126.1 2.126.2 2.127.1 2.127.3 2.127.3–128.1 2.128 2.128.1 2.129 2.129.1 2.129.1–2 2.129.1–130.1 2.129.3 2.129.3–132.3 2.129–132 2.129–132.3 2.130 2.130.1 2.130.1–2 2.130.1–131.1 2.131.1–3 2.131.1–132.1 2.130.2 2.131.3–132.1 2.131.3–132.2
295 162 162 248 162 77, 162, 177, 179 162, 177 162, 179–181 162, 179 180 162 181 55, 162, 179–182 55, 162, 182 182 150, 162, 183, 186–7, 192 186 186 186–7 150 187 187 162, 187 162 162 49, 162, 188 162, 188 49 188, 192 188 41, 43–44, 47–9, 53, 91, 162, 188, 190, 192 53, 162, 192 47–9, 188, 190, 192 47–9 48, 91, 190 190 41, 43–53, 190 190 126, 247 51, 53 47, 50 47, 50 48, 51 48, 51 47, 50, 55, 162 50, 53 50
296 2.132 2.132.1–3 2.132.3 2.133 2.133.2 2.134 2.134–135 2.136 2.136.1 2.136.2 2.137 2.137.1–2 2.137.2 2.137.3 2.137.3–4 2.137.5 2.138 2.138.1 2.138.2 2.138.2–3 2.138.3–4 2.139 2.139.1 2.139.1–2 2.139.3 2.141 2.141.1 2.141.1–5 2.141.2–3 2.141.6 2.142 2.142.1 2.142.1–4 2.142.3 2.142.4 2.142–143 2.142–144 2.142–146 2.143.1–2 2.143.1–4 2.143.2 2.143.2–3 2.143.3 2.143.3–4 2.143.4 2.144
X. Indices
36, 48 48, 51–2 51–2 104, 190, 204, 222 222 191 187 121 162, 216 162 198 198 217 198 198 199 150, 198–202, 216 200 199 201 202 213, 216, 218 162, 217 216–8 216, 218 213, 218, 220–1 220 220 220 220–1 36, 100–1, 162, 154–5, 162–3, 166, 175 100, 166 155, 162 162–3 155, 162–3, 175 101 154 36, 162 165 126 165 100 165 166 166 208
2.144.1–2 2.144.2 2.145 2.145.1 2.145.2 2.145.3 2.145.4 2.146.1 2.146.1–2 2.146.2 2.148 2.148.1 2.148.5 2.152 2.152.3 2.152–154 2.153 2.155 2.155.1 2.155.3 2.156 2.156.1 2.156.4–6 2.156.6 2.159–161 2.163.1 2.163–164 2.164.1 2.163–168 2.168 2.169.3–5 2.169.5 2.169 ff. 2.170 2.170–171 2.171 2.172 2.172.1–2 2.172.2 2.172.3 2.172.4 2.172.5 2.174–176 2.175 2.176 2.176.2 2.180
167 167–8 169–71, 173 169 169, 173 169 170–171 170, 182 171 171 145, 182 145 145 204 204 209 256 204 204–5 206 205–7 206 208 209 156 126, 247 100 100 99 99–100 247 247 126 36, 247 104 36 210 210 210 210 211 211 121 247 256 247 121
297
X.1 Stellen in Herodots Historien
2.181 2.181.1–2 2.181.2 2.181.3 2.181.4 2.181–182 2.182 3.1 3.1.1 3.1.1–5 3.1.5 3.1–3 3.1–4 3.1–5 3.1–38 3.2 3.2.2 3.3 3.4 3.4.1–3 3.4.3 3.7 3.7.2 3.7.2–8.3 3.7.2–9.1 3.7–9.1 3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.9.1 3.10 3.10.2 3.10–13 3.12 3.12.4 3.14–15 3.15 3.16.1–2 3.16.1–6 3.16.1–7 3.16.2 3.16.2–3 3.16.2–4 3.16.3 3.16.3–4 3.16.4
75, 121, 213, 223 213, 223 223 223 223 213 121 235–6 236 236 236 233 235 236 83, 233 238 238 239 35 241–2 241–2 241 242 234 241 241 75, 242–4 242–3 243 244 245 156, 245–7 247 246 66 114 156 246 246–7 246 234, 245–6 246 234 249 76 246 246
3.16.5–7 3.17.1 3.17.1–2 3.19.1 3.19.2–3 3.25 3.25.1–2 3.25.3 3.26 3.26.1 3.26.1–3 3.26.2 3.27 3.27.1 3.27.2 3.27.3 3.27–29 3.28 3.28.2–3 3.28.2 3.28.3 3.29 3.29.1 3.29.1–2 3.29.3 3.30.1 3.30–32 3.30–35.5 3.30–35 3.30–36 3.31 3.33 3.34–36 3.37 3.38 3.38.1 3.38.1–2 3.38.2 3.38.3–4 3.38.4 3.61 3.61–66 3.64 3.64.3 3.64–66 3.66 3.66.2
246, 250, 252 252 253 253 253 234, 254–5, 265 254 234, 254–5 255 255 255 255 219, 234, 256–8 257 257–8 240, 258 219, 234, 256 101, 259 259 259 259 219 259 259 260 260–1 261 267 234 261 69 261–2 261 234, 261–2 234–5 233, 263 263–4 264 263–4 235, 264 70, 233 233 204, 259 259 83 83 259
298 3.66–67 3.67 3.69 3.72 3.73 3.76–79 3.78–79 3.79 3.99.1 4.26.1 4.26.2 4.59 4.59.1 4.60 4.64 4.67 4.76.1 4.78.3–4.80.5 4.91 4.106 4.108.2 4.180
X. Indices
4.186.1 4.191–2 6.105–6 7.6 7.8–11 7.16β 7.19 7.22.1 7.34–35 7.34–36 7.37 7.37.2–3 7.39.3–40.1 7.43.2 7.113 7.113.2–114.1 7.117 7.191.2 7.238 8.24–25 9.78–79
65, 80 65 70 70 65, 80 65 65 60, 65–6, 80, 219 263, 265 265 265 74 75 112 180 75 84 212 68 265 74 110
132 143 212 35 24, 70 214 65 78 78, 149 78 65 65 217 64–5 68 65 66 65 247–8 66 247–8
X.2 Namen und Sachen A Aal 146 Achaimeniden, achaimenidisch 24, 59, 70, 237–8, 241 Aggression 89, 109 Ägypten 34–41, 43–57, 87 passim, 129–136 passim – Oberägypten, oberägyptisch 126, 140, 145–6, 168 – Unterägypten, unterägyptisch 126, 141, 145 Ägypter 43–57, 90–1, 155–71 Ägyptologie, ägyptologisch 34, 39, 52, 143, 154, 161, 183, 234, 278 Ahura-Mazda 24, 74, 76 Aischylos 24, 209, 257 Alilat 82–3, 244–5 Alkmene 170 Altar, Altäre 62, 72–4, 81, 83, 128, 152, 160, 207 Alter 36, 129, 153, 155, 169–71, 182, 192–3, 202, 230, 273
alt, älter 130, 155–6, 172, 262 Amasis 44, 56, 121, 169, 173, 176, 198, 210–1, 213, 223–4, 234, 236–8, 240–2, 245–7, 250–2, 254, 262, 267, 274 Ammon 130–33, 136, 151, 234, 253–5, 268 Ammonier 252–6 Amun 24 Ambivalenz/ambivalent 35, 38, 40, 57, 120, 150, 170, 175, 199, 257, 271, 278 Anthropologie, Anthropologe/in, anthropologisch 13–4, 93, 95–6, 159 Aphrodite 23, 32, 75, 82–3, 121, 223 Apis (Ort) 131, 151 Apis(stier) 101, 126, 138, 145, 148, 219, 234, 256–7, 259–61, 268, 276 Apollon 168, 205, 207–209 Aposiopese/n 36, 173 Araber 75, 82–3, 148, 220–1, 241–43, 245, 267, 276 Arabien 75, 147, 241
X.2 Namen und Sachen
Arabisch 134, 147, 221, 233–5, 241–2, 244–5, 267, 275 Arbeitsteilung 100–1 Architektur 126, 150, 176, 178–9, 183, 185–7, 189, 191, 194, 197–8, 203, 224, 274 Ares 23, 104–5, 114 Artemis 23, 104–5, 111, 142, 199–200, 205, 207–9 Asychis 121 Assyrer 75, 82–3, 130, 220 Astrologie 230 Astronomisch 137 Athen, Athener 15, 115, 142 Athena 23, 64, 104, 110 Athos-Kanal 78 Autopsie 44, 51, 53, 57, 147, 181, 207, 271 Autopsiebehauptungen 53, 114 Autorität/en 89, 96, 98, 131–2, 158, 211, 220, 235 B Barbar/en 14 Bastet 108, 199–200, 205 Befreiung 47–8, 149, 216 Begegnung 13–4, 40, 42, 69, 85, 98, 101–2, 121, 126, 129, 147–8, 154, 162–6, 193, 226–7, 235, 241–2, 253–4, 257–8, 267–8, 273–4 Begräbnis 60, 66, 116 – orte 144 – riten 26, 50, 60, 89, 121–22, 144, 273 – sitten 60, 65 Begründung 25, 36, 38, 67, 117, 119–20, 136, 141, 146–7, 161, 170, 186, 218, 229, 246, 249, 252, 265, 268 Belief/s (s. auch Glaube / religiöse Überzeugung/en) 17–22, 31, 215, 251 Beschneidung 94–5, 97, 196, 227–8, 231–2, 266, 275 Bestattung/en 72, 91, 115–6, 121, 140, 144, 247, 251–2, 260 Binnenperspektive/n 54–55, 57, 71, 101, 114–5, 122, 150, 156–8, 162, 180–2, 185, 192, 244, 254, 267, 269–74, 276, 277 Blut 243, 260 – Blutig 243, 245 – Blutopfer 248 – Blutvergießen 243 Bock, Böcke 103, 141, 172, 174–5 Bohnen 99
299
Brauch (s. Nomos/Nomoi) 25, 27, 32, 63–4, 66, 103, 108, 114, 128, 139, 141, 143, 160, 172, 226–9, 231–2, 235, 245, 248–50, 264, 266, 275 Bubastis 89, 104–109, 111, 113, 115, 122, 142, 144, 150–1, 196–204, 208, 216, 224, 272, 274 Buto 104, 109–10, 142, 145, 147, 149, 190, 197, 204–6, 208–9, 224, 274 C Cheops 45, 49, 155, 176–7, 183, 185–90, 192, 194 Chephren 49, 155, 177, 183, 188–90, 192 Chemmis 197, 206–8, 224, 230, 274 Chronologie/n, chronologisch 36, 53, 154–5, 161–3, 165, 173, 176–7, 192–3, 220, 240, 273–4 Code/s 32, 60, 69, 250 D Dakhla (Oase) 255–6 Dareios 65, 68, 70, 78, 234, 237, 262–6, 268, 276 Demeter 104, 142, 179–81, 192, 208–9 Demotisch, demotistisch 34, 39, 148, 154 Demotistik 34, 39–40, 278 Denkmal, Denkmäler, Denkmälchen 177–8, 185, 187 Differenzierung/en 57, 87, 97, 100, 125, 138–43, 145–6, 148, 152, 192, 271, 273 Dionysos 23, 102–3, 141, 168–71, 208, 243–44 Dionysosfest 103, 197 Distanzierung/en 57, 92, 115, 146, 148, 166, 192, 271 Dodona 103, 151 E Einbalsamierung 67, 116–9, 144, 196 Eindimensional 26, 28–9, 31, 33, 43–4, 56, 58, 270–1 Embedded (s. Religion), Embeddedness 32, 87, 123 Embodiment 50, 123 Emisch 123, 277–8 Emotion/emotional 49, 83, 108, 132, 196, 221–2, 225, 237, 259 Erde 37, 46, 54, 67, 75, 79, 81, 136, 138, 164, 187, 197, 249–50, 254 Erfahrung/en 29, 33, 36, 49, 52, 88, 106, 109, 166, 182, 193, 212, 216, 219, 224, 227, 241, 256, 274
300
X. Indices
Eroberung 37, 126, 176, 218, 226, 233–6 Erleben, Erlebnis (s. Sinne, innerer) 195, 212, 213–4, 215–6 Erzähl – perspektive 53–7 – situation 19, 21 – weise 19, 33, 40–2, 44, 53, 56–7, 111, 120, 129, 154, 162, 166–7, 182, 220, 225, 271, 275, 278 Essentialistisch, Essentialismus 20, 28, 70, 74, 84 Ethik 29, 52 Ethnographie, ethnographisch 15, 38, 40, 57, 132, 137–8, 219, 227, 277 Ethnologie/ethnologisch 14, 137, 227, 263, 265, 268, 276 Etisch 123, 277–8 Eurozentrisch/Eurozentrismus 15, 18, 28 Ewig, Ewigkeit 178, 189 Experiment/e 98, 125, 155–9, 161, 192–3, 234, 263–6, 268–9, 276 F Fait social 88, 90, 102–3 Feld/er, religiöse/s 15, 25, 28–31, 33, 42, 44, 46, 48, 56, 61–2, 68, 72, 89–90, 102, 105, 111, 128, 131, 149, 153–5, 162, 165, 167, 171–2, 182, 186, 189, 194, 200, 216–7, 221, 242, 270, 274, 277 Fest/e 36, 48, 51–3, 80, 89, 91, 98, 101–15, 122, 138–9, 141–2, 160–1, 180–2, 185, 191, 219, 230, 256, 258, 260, 272 Feuer 62, 67, 75–6, 81, 249, 264 Fisch/e 99, 146 Fischverbot 99 Fleisch 62–4, 98–9, 132, 260 Fluss/Flüsse 68–9, 72, 78, 86, 89, 106–7, 119.20, 125, 130, 133, 135–8, 149, 164, 197, 231–32 Flusspferde 146 Forschung/Nachforschung 13–29, 33–4, 37, 39–40, 42–4, 57, 59, 88, 153, 155, 158, 161, 175, 195, 233, 255, 270, 276–8 Frau/en 46, 50, 69, 102, 106–9, 116, 119–21, 140, 149–50, 157, 174–5, 178, 213, 223–4, 239–40, 265 – bildnisse 47–8, 50–1 – besuch 122 – gruppe 109 – leiche 120
Frevel, Freveltat 72, 77–8, 83, 94, 148–50, 212, 217, 249, 251–2, 254, 256, 260–1, 267–8, 273, 276 Frevelhaft 148–9, 217–9, 248, 252–4, 262, 267 Funktion/en 30, 34, 40, 49, 53, 55–7, 62–5, 87, 89, 96–8, 101–2, 113–4, 122, 138, 151, 162, 173, 178, 185, 187, 197–8, 200, 203, 208, 216, 221–2, 245, 256, 264, 269–73, 276 G Gau/e 140–1, 145–6, 172, 174, 210, 230 Gebet 62–4, 196, 221, 223–5 Gebetserhörung 121, 212–3, 223–5 Geburt 32, 49, 171, 208, 261 Geburtstag 67 Gegenwart/Gegenwärtig 13, 15, 67, 69, 76, 127, 155, 170, 174–5, 180, 194, 215, 221, 223, 264, 268, 276 Genealogie 36, 102, 165–7 Geographie/geographisch 30, 37, 74, 77, 79, 89, 115, 123–7, 129–34, 136–49, 151, 197, 203, 205–6, 235, 273 Geologie, geologisch 37, 56, 89, 124–5, 127, 136–7, 151, 199, 203 Gesang 63–4, 108, 229 Geschichte (s. auch Religionsgeschichte) 21, 30, 37, 44, 46, 64, 88, 126, 137, 155, 163–4, 176, 192, 207, 209, 212, 219, 225, 227, 238–9, 241, 251, 262, 268, 275 Geschichten 41, 176 Geschichtsschreibung 14 Gewalt 55, 57, 66, 114–5, 120, 150, 158, 184, 196, 212, 219, 224–5, 245, 248, 252, 254, 260, 275, 278 Gewohnheit/en 32, 37, 71, 129, 143, 151, 248 Glaube/n (s. belief) (Substantiv) 21, 24, 31, 73, 170, 213, 244 (Verb) 35, 46, 53–4, 76, 110, 130, 173, 179 Global 28, 31, 39, 263 – globalisiert 13 – globalhistorisch 14 – Globalisierung 14, 193 – Globalisierungsgeschichtsschreibung 14 Gott/Götter 15 passim Gottheit/en 23–4, 64, 75, 97, 104, 113, 141, 201, 205, 210, 213, 215, 221 Götterbild 110, 198, 202, 210–2, 221–2, 224, 274
X.2 Namen und Sachen
Götterdynastien 168 Götterherrschaft 167 Götternamen 24, 60, 160, 168, 226 Großvater 252 H Heilig/e/s, heilige/r 30, 36, 50, 64, 80, 96, 103–5, 110, 113, 117, 121, 125, 140, 142–8, 150, 152, 193, 205–6, 228, 243, 248, 252, 260, 262, 274 Allerheiligstes 234, 256, 260, 276 Heiligtum, Heiligtümer 32, 47–9, 101, 110–12, 114, 121–2, 126, 129, 131–2, 139–142, 147, 150–1, 172, 177–181, 185, 186 passim, 198 passim, 253 passim Heilung 29, 149–50 Heirat/en 49, 69, 149, 223 Hekataios 23, 98, 101, 129–30, 137, 154, 157, 161–7, 171, 192–3, 207, 274 Heliopolis 35–6, 98, 104, 109–10, 125–6, 142, 151, 158–9 Helios 104, 147, 150 Hellespont 78, 149 Hephaistos (s. Ptah) 98, 126, 157–8, 162, 177–8, 185, 220–2, 262, 265 Herakles 23, 36, 103, 140–1, 169–73 Hermes 23, 170, 202, 204 Hermeneutisch 20, 25, 41, 269, 276 Hermopolis 145 Heuristik, heuristisch 16, 28–31, 42–3, 56, 195, 276–7 Hierarchie, hierarchisch 57, 69, 82, 96, 100–1, 119 Himmel/s 74, 89, 101, 125, 137–8, 189, 197, 202, 259 – kreis 72, 74–5 – körper 81 – göttin 82 – himmelhoch 202 Horus 114, 168, 205–8 I Ibis, Ibisse 145, 147–8 Ideologie, ideologisch 70, 77, 106, 133–4, 159, 193, 219, 236, 240, 252, 267, 274, 278 Inaros 115 Insider 277–8
301
Intellektuell 29, 48, 52, 57, 106, 109, 111, 113–4, 122, 271 Interaktion/en 31, 36, 42, 83, 85, 88–9, 101–2, 109–115, 226 passim Inzest, inzestuös 48, 51, 54–5, 69, 114–5 Isfet 184–5 Isis 50, 52, 102–5, 114, 132, 134, 138–42, 206–9 K Kadmos 170 Kambyses 16, 37, 41–2, 65, 69, 83, 85, 101–2, 115, 126, 148, 176, 204, 212, 219, 226–7, 233 passim Kampf 180, 245, 253, 256 – kämpfen 148, 220, 237 – Kampf (rituell) bzw. Ritualkampf 101, 110–2, 114–5, 122, 272 Kassandane 238–9 Katabasis 179–82, 185, 191, 194 Kategorie/n (auch Schlüsselkategorie), Kategorisierung 24, 29–31, 52, 56, 83, 89–91, 94–7, 122, 214, 272, 278 Kind/er 45, 69, 98, 106, 155, 157, 208, 239, 253–4, 265 – Kindheitserzählung 239 – Kindheitstrauma 241 Kharga (Oase) 256 Klage/n 83, 220–2, 225 – Klagegestus 116 – Klagelieder 229 – Totenklage 89, 116, 121–2, 196, 273 – Trauerklage 115 Kognitiv/e 29, 48, 52, 57, 106, 109, 111, 113–4, 271 Kolcher 230–2 Komplexität /complexity 14, 18, 21, 34, 40, 50, 59, 138, 141–2, 154, 227, 233–4, 267, 270, 275, 278 Königslisten 163 Königtum 168, 185–6, 233 Kosmologien 29 Kosmos 164 Krankheit/en 71–2, 77, 164, 261–2 Krokodil/e 119–20, 135, 145–6, 152 Kuh, Kühe 43–4, 46–52, 54–5, 57, 101, 131–2, 140, 191–2, 259, 271 Kultaitiologie, kultaitiologisch 48, 52, 111, 113, 122, 180–1
302
X. Indices
Kultbild/er 73, 101, 110–3, 128, 140, 201, 210–1, 220, 223 Kunst 27, 29 – werk/e 195–7, 200, 204, 224 Kyros 65, 78, 90, 237–40, 252 L Leiche/n 116–7, 119–20, 135, 247–51, 262, 267 – Frauenleiche 120 (s.o.) – Leichenschändung 248 Leichnam/e 62, 65–7, 72, 78–9, 115–21, 135–6, 154, 196, 198, 229, 234, 245–52, 254, 267 Leto 104, 197, 205–9 Letopolis 111 Libyen, Libyer 103, 110, 115, 130–2, 134, 140, 143, 151, 153, 229, 278 Luft 75, 81, 144 Lüge/n 62, 69–71, 236–7, 240, 258 Lügner 219, 237, 239, 258 M Ma`at 49, 184–5, 190–1 Macht 55, 57, 121, 257, 278 – ergreifung 204 – faktor 254 Mager 60, 62–9, 72, 78, 80, 84–6, 98 – mord 65, 219 Mann/Männer 69, 91, 106–7, 109, 112, 114–6, 119, 149, 180, 210, 217, 229, 239–40, 243, 251–2, 255 Mantik 103, 215 Mardonios 248 Marea 131, 151 Mehrdeutigkeit/mehrdeutig 57, 92, 122, 128, 170, 271–2, 278 Mehrdimensional 14, 16, 25, 28–9, 31–4, 41–3, 52, 56, 58, 61, 86, 267, 270–1, 275–7 Memphis, memphitisch 35–6, 98, 125–6, 151, 156–9, 177–9, 185, 219, 234, 240, 246–7, 252, 256–8, 262, 265–6, 268, 276 Mendes 103, 140–1, 172–5, 194, 274 – Mendesier 172, 174 – Mendesisch 174–5, 172 metasprachlich 30, 94, 123 Methode/n 16, 23, 28, 30–1, 56, 96, 153, 212 Methodisch 17, 22, 25–7, 29, 33, 35–6, 42, 58–61, 123, 143, 146–7, 182, 213, 233, 270, 276
Min 44, 56, 126, 162, 176–7, 179 Mitra 82 Moiris 145, 177, 179 Moral/moralisch 49, 70–1, 77, 150, 189, 200, 217, 222, 224, 236–7, 243–4, 248, 265, 274 Mumifizierung, Mumifizierter 89, 116–22, 196, 248, 250, 273 Musik 29, 196 Mutter 46, 48, 51, 54, 114, 239, 241 Mykerinos 41, 43–9, 52–5, 91, 104, 126, 155, 176–7, 184, 187–92, 194, 204, 222, 270–1 Mylitta 82–3 Mythos, mythisch, Mythologie, mythologisch, 29, 52, 78, 114–5, 134, 143, 147, 163–4, 171, 173, 196, 204, 206–9, 224, 230, 259, 274 N Natur/natürlich 42, 59, 72, 74–6, 78–81, 85, 89, 120, 123–5, 127, 133, 135–7, 149, 151–2, 184, 195, 209, 271, 273 – Naturgewalt/en 81, 150 – Naturgottheit/en 23, 75 Nicht-griechisch/e 38, 265 Nil 37, 78, 86, 120–1, 125, 130, 133–7, 146, 148–52, 164, 187, 201, 203, 205, 246, 273 – schwelle 37, 125, 133–6, 151 – delta 115 – gott 121, 135 – wasser 121, 136, 150 Nitetis 236–40, 252 Nomos, Nomoi 27–8, 32–3, 43–86, 91–93, 137, 148, 227, 246, 248–250, 263 passim – passage/n 32–3, 42–3, 56, 58–86, 153, 270–1 O Obelisk 150 Oberpriester 99–100, 162–3, 166 Obszönität/obszön 55, 57, 211, 278 Opfer – Blut- 248 – Laien- 64 – Mager 62–66 – beschreibung 62, 83, 196 – bitte 62 – bräuche 98, 139 – darstellung/en 227 – feier/n 36, 103, 105, 142, 230
X.2 Namen und Sachen
– fleisch 62, 64 – handlungen 66, 104 – praktiken 138–42, 144, 172 – praxis 64, 95, 140–1, 186 – prozession/en 103 – tabu/s 172 – tiere 103, 139, 145 – tierkopf 139 – verbot 132 – vergleich 112 – verzicht 152, 273 – vorsteher 64 – weise 85, 105 – Pferde- 68 – Soziale Aspekte 62–66 – Stier- 101 – Toten- 65 – Trank- 64 Opferritual/e, Opferritus/riten 26, 33, 63, 102–3, 139 Orakel 15, 130–6, 149–50, 190, 197, 204–5, 208, 215–9, 225, 234, 250–1, 253–5, 267–8 – Orakelspruch 125, 130–1, 133–4, 149, 151, 251 – Orakelstätten 102–3, 121, 151 Ordnung 176, 183, 185–6 – d. Heiligtums 200 – Kleider- 97 – Kosmische bzw. Welt- 184, 233 – Reichs- 184 – Religiöse bzw. sakrale 57, 91, 93–4, 96, 144–5, 148, 164, 194, 197, 274 – Soziale 95–6, 100, 184 – Sozial-religiöse 95 – Textbezogene 95–6, 200, 224 Orthodoxie 18–9, 33 Osiris 50, 52, 117, 134, 139, 141, 168, 180, 187, 208–9 Osiris-Fest 52 outsider 277–8 P Pan 103, 140, 155, 169–74, 194, 212, 274 Pantheon 60, 174, 244–5 Papremis 89, 101, 104–5, 109–15, 122, 142, 146, 196, 272 Pausanias 248 Penelope 170
303
Perser 14, 16, 24, 26, 33, 41, 58–86, 90, 112, 115, 233 passim Persisch/e 23–4, 41, 43, 58 passim, 233 passim Petubastis (IV) 255–6 Pharnaspes 238 Pheros 125, 136, 148–51, 213, 273 Philologie, philologisch 14, 16, 25, 27, 42, 53, 106, 236, 263, 270 Phönix, Phoinix 147 Phönizien, Phönizier, phönizisch 229–30, 232–6, 252–4, 267–8, 276 Phryger 155–6 Platon 278 Polyphon 57 Postmodern 57 Praktiken – Begräbnis- 60 – Körperliche 88 – Opfer- 103, 140 – Religionsästhetische 196 – Religiöse 22, 27, 30, 85, 125, 137, 142–3, 148, 152, 196, 227, 249, 266, 273, 275 Praxis – Beschneidung 95 – Bestattung 79 – griechischer Festkultur 36 – Mager 80 – Mumifizierung 89, 119, 122, 273 – Religiöse 36, 73, 91, 119, 122–3, 129, 138, 142, 146, 150, 152, 166, 175, 186, 189, 230, 272–3 – Soziale 94 – Tierkulte 143 – Totenklage 121 Priester 35–5, 45–56, 64–6, 80, 85, 88–98 passim, 153 passim Priorität (zeitliche) 154–61, 182, 193, 228, 230, 273 Prophezeiung, prophezeien 149–50, 216, 218, 221, 267 Proömium 37–8, 157, 236 Proteus 177, 179 Prozession/en 103–6, 108–9, 111, 115, 160, 272 – beschreibung 122 – bild 108 – fest 103 – teilnehmer 109 Psammenitos 156, 245–7, 251
304
X. Indices
Psammetichos 98, 155–7, 204–5, 209 – Experiment 98, 125, 155, 159, 161, 192–3 Psammis 156 Psychologie/psychologisch – Kambyses 261 – Religions- 30–1, 42, 47–9, 51, 83, 195, 212–5, 218–20, 222–5, 235, 261, 275 – Religiös-sozial 96, 108 – Traumglaube, Traumpsychologie 213–5, 218, 220, 222, 224–5 Ptah (s. Hephaistos) 126, 178 Pyramide/n 177, 186–9 – bau 150–1, 187, 189, 191 – Cheops (Grab) 186, 189, 192 Q Quelle/n – Nil- 37 – Priester als „Quellen“ 158–9 – geschichtliche Aspekte 236, 274, 277 – kritik 154, 234 – lage 21, 34, 40, 59, 64, 101, 154, 163, 216, 233–4 – texte 61 – Religionsgeschichtlich 75–6, 154, 162 R Re (Sonnengott) 164 Rede, direkt 33, 53, 150, 174, 181, 198, 205, 210–1, 216, 220, 223 Rede, indirekt 33, 41, 53–4, 77, 111, 114, 120, 127, 146, 149, 166–70, 172, 181, 192, 198–9, 211, 216–7, 220–1, 225, 232, 244, 255, 275, 277 Rein 94, 96–9, 101, 103, 140 Reinheit/s 67, 76, 88–98, 100, 122–3, 151, 196, 231, 272 – anspruch 98 – gebote 96–7 – praktiken 89–90, 93, 99 – rituale 96, 101, 123–4, 231, 272 Religion – fremde 13–7, 19–25, 27–8, 32–5, 39–44, 53–7, 81, 103, 138, 153, 215, 227–8, 233–63, 266–68, 270–2, 275–8 – griechische 16, 18–9, 21–3, 26–7, 32–3, 81, 83, 87, 93–4, 96, 98, 102, 123, 142, 153, 222–3, 227, 230
– ägyptische 23–4, 40, 50, 87, 93, 102, 126, 128, 133, 136, 142–3, 145, 147, 151, 153, 189, 193, 221, 228, 235, 256, 261–2, 266, 268, 272–5 Religions – ästethik 31, 42, 195, 230 – ästhetisch 81, 83, 97, 99, 191, 195–8, 210–2, 222, 224–5, 275 – ethnographie (ethnographisch) 31, 54, 277 – geographie/-geographisch 31, 42, 79, 124, 131, 133–4, 138, 144 – geschichte 14, 26, 31, 33, 58–9, 81–3, 153–4, 158–9, 162, 176–7, 182, 193, 256, 268, 274 – geschichtlich 58, 68, 75–6, 81–2, 128, 134, 153, 155, 158–60, 163, 168, 175, 179–80, 192, 214, 273, 277 – historiker 13, 25, 30, 32, 70, 277 – ökonomie, religionsökonomisch 31, 89, 107, 118–9, 121–2, 150 – phänomenologie, religionsphänomenologisch 23–4 – philosophie 16 – politisch 49, 133–4, 235 – psychologie, religionspsychologisch 31, 42, 49, 83, 195, 212–5, 218–20, 222–5, 261, 275 – wissenschaft 13, 15–6, 26, 28–31, 153, 195 – wissenschaftlich 15–6, 21, 26, 29, 42, 95–6, 106, 109, 124, 143, 153, 195, 215 Religiosität 38, 88–98, 122, 143, 214, 231, 272 Religiös/e – Aspekt/e 14, 34, 39, 54, 94, 230, 233 – Gegenstände 26, 30, 33, 35, 42–3, 54, 58, 72–3, 84–5, 88, 102, 106, 111, 122, 125–9, 131, 213, 262, 271 – Feld/er 15, 25, 29–30, 33, 44–8, 62, 72, 89–90, 105, 111, 128, 131, 149, 154–5, 162, 165, 167, 172, 194, 200, 217, 221, 242, 270, 274 – Phänomen/e 26, 30, 41–2, 56, 151, 193, 219, 273 – Praktiken 22, 125, 142, 273 – Praxis 73, 119, 122–3, 129, 146, 150, 152, 272–3 – Sichtweise 71 – Überzeugung/en 17–22, 118, 234, 251, 253–4, 267 – religious belief 17–22, 251 – Wandel (s. Religionsgeschichte) 49, 155, 175–192, 194, 274 – Welt 14, 55, 57, 74, 171, 271
X.2 Namen und Sachen
– Weltbild 77 – Zentrum/Zentren 106, 125–129 Respekt, respektieren 27, 76–7, 211, 245, 253–4, 267, 276 Respektlosigkeit 210, 268, 276 Rhampsinitos 77, 155, 176–186, 191–2, 194 Rhodopis 187 Ringkomposition, ringkompositorisch 107, 171, 200, 202–3, 206, 237, 244 Ritual/e 19–21, 25, 27, 31–3, 52, 60, 63–4, 75–6, 88, 91–2, 94–9, 105–6, 111–7, 120, 122, 130, 135, 174, 181–2, 185, 190–1, 194, 196–7, 227–8, 230–1, 234, 241–5, 263, 267, 272, 274, 276 – Balsamierungs- 117, 119 (120) – Beschneidungs- 94 – Bündnis- 241–2 – Fest- bzw. festliches 26, 55, 113, 192, 196, 277 – jährliches 48, 51–2 – komplexes 106 – Licht- 51 – Opfer- 26, 33, 102–3, 139 – Reihheits- 96, 101, 123, 224, 231 – beschreibung 182 – kampf 110 – Toten- 79, 116 – Treue- 244 – Übergangs- 49 S Sabakos 176, 198–9, 213, 215–22, 225, 275 Sais 46–7, 50–1, 54–5, 104, 126, 142, 191, 234, 245–8, 251, 267–8, 276 Saitisch 134, 156, 210 sakral/e/s – Architektur 150, 177–9, 185, 189, 191, 194, 197, 274 – Denkmäler 185 – Fest 107–8, 113 – Gebäude 111, 197, 204, 206 – Gegenstände 127–129, 209, 211, 225, 275 – Geographie 197 – Grabarchitektur 189 – Ordnung 197 – Ort 206 – Personal 262 – Raum/Räume 49, 128, 151, 196–8, 224, 274 – Stätte 205
305
Schaf/e 140–1 Schändung 245, 247–8, 251, 260 Schlange/n 66, 147–8 See 104, 206 Seele/n, seelisch 179, 181–2, 212 – leben 144 – wanderung 182 Sesostris 78, 148, 177–9, 199, 231–2, 265 Seth 168, 208 Sethos 162, 204, 213, 215, 218, 220–2, 224–5, 275 Sexualität/sexuell 55, 57, 96, 108, 114–5, 120, 149, 175, 278 Sinn/e (s. äußere/r, innere/r) 31, 42, 195–212 Sinnlich – Opferbeschreibung 83, 85 – ästhetisch 62, 122, 150, 224, 235, 257 – symbolisch/Sinnlichkeit bzw. Religion 29, 42, 47–52, 56, 81, 106, 108–10, 112, 195, 210–1, 224, 243, 259, 262, 268, 271–2, 276 – Kategorie bzw. Dimension 29–30, 52, 113–115 Sitte/n 39, 69, 74, 80, 83–4, 89, 125, 137–8, 229, 231–2, 248–9 – Begräbnis- 26, 60, 65 Siuph 210 Siwa 103 Skepsis/skeptisch 181, 207, 239–40, 260 Sohn 69, 99, 114, 166, 178 – Lyder Pythios 217 – Aischylos 209 – Herakles 170 – Horus 168, 208 – Kambyses 237–9, 252 – Maneros/Linos 229 – Mykerinos 45, 188–90 – Pan 170 – Perseus 230 – Pheros 148 – Psammenitos 245, 251 – Prexaspes 262 Sonne/n 46, 52, 55, 71–2, 75, 77, 81, 110, 113, 163–4 – gott 164 – finsternis 65 – scheibe 46 – untergang 110
306
X. Indices
Stein/steinern 118, 128, 150, 160, 173, 177–8, 202, 205–6, 222, 243, 265 Strafe/n, Bestrafung/en, bestrafen 78, 144, 149–50, 198–9, 219, 258, 260 Stimme/n 40, 53, 57 Substanzialistisch 26–8 Symbolisch/Symbolik 29, 48, 51, 108, 113, 122, 180, 186, 191, 195–6, 203, 256–7, 260, 268, 276 – symbolisch-ästhetisch 83 – symbolisch-religiös 117 – symbolisch-rituell 47, 49–50 – symbolisch-sinnlich s. sinnlich – Kategorien 96 – Klassifikationssysteme 96 – Symbolik des Allerheiligsten 276 Symbolsystem 42, 125, 142, 197, 212, 226–33, 260 T Tabu/s 62, 69, 122, 129, 230 – Bohnen- 99 – Opfer- 172 – Speise- 96, 132–3, 136 Tanz/en 106–9 Tempel 45, 49, 72–3, 81, 83, 112, 128, 152, 160, 177, 188, 190, 197, 201–2, 220, 234 – Apollon 207 – Buto 204–6 – haus 110 – Helios 147 – Hephaistos 178, 222 – kult 76 – Leto 197 – Ptah 126 – Sais 104 – Zeus-Marduk/Theben 74 – Zeus Thebaios/Theben 140 Terminologie/terminologisch 14, 17–8, 20, 24–5, 31, 37, 95, 179, 183, 197, 203, 216–7, 242, 253, 277 Theben 35–6, 98, 125–30, 140–1, 145, 147, 151, 154–5, 158–9, 161–5, 192–3, 230, 254–6, 274 Theologie, theologisch 15–6, 18–9, 24, 27, 37, 60, 74, 82, 88, 101, 115, 133–4, 143, 147, 168, 172–3, 181, 206, 208, 224, 250, 274 Theozentrisch 26–7, 61, 226, 266, 271
Thukydides 278 Tier/e 60, 85, 196, 249–250 – Bestattung 72 – heilige bzw. Verehrung 36, 142–8, 152, 181, 228, 273 – Mager 60, 66, 80 – opfer 63–4, 72, 80, 101, 140, 152, 273 Tochter – Amasis 236–7 – Apries 237–8 – Artemis 209 – Cheops 187 – Kadmos 170 – Kambyses 69 – Mykerinos 45–55, 91, 190–2 – Otanes 70 Tod 32, 49, 115–21, 123, 164, 174, 229, 273 – Amasis 250–1, 223 – Araxes (Überquerung) 78 – Kambyses 83, 219, 233, 246, 258 – Ladike 223 – Mager 66 – Mykerinos 45, 47, 49, 190 – Papremis 110, 114 – Tier/e 138, 144, 174 Tot/e 120–1 – klage 89, 116, 121–2, 196, 273 – kult 50, 189, 191–2 – ritual 79, 116 – welt 191, 194 Tötung/s 66, 72, 84, 86, 144, 234, 240, 247, 256, 268, 276 – bereitschaft (Mager) 98 – praktiken (Mager) 67 – verbot 144 Traditionell 32, 39, 61, 88, 186, 189, 269–70 Transkulturell 13, 267, 275 Trauer 144, 174, 220, 222 – geste/n 48, 51–2, 55 – klage 115–21 Traum 65, 83, 162, 212–24 – Boten/Botschafts- 218, 221 – Sabakos 216–20 – Schicksals- 216 – Sethos 220–2 – bild/er 215 – deutung 65, 218
X.2 Namen und Sachen
– – – – – – – – – – –
diskussion 212 entstehung 261 erfahrung 219 erlebnis 219 erzählung/-schilderung 217–9, 222 gesicht 217–8, 221 glaube 213–5, 225, 275 inhalt 219, 225, 275 inkubation 220–1, 225 psychologie 215 zusage 221
U Udjahorresnet 245 Umwelt, natürliche 42, 72, 74–6, 78–81, 85, 123–5, 127, 133, 136–7, 149, 151–2, 195, 209, 271, 273 Umweltabhängigkeit 124–5 Umzug/Umzüge 36, 103, 142, 160, 230 Unglück 45, 47, 49, 183, 186–9, 218 Unrein, Unreinheit 67, 79, 95–6, 98 Unsterblichkeit 178–9, 181–2 Urin, urinieren 67–9, 76, 78, 149–150 V Vater, Väter, väterlich 45–9, 52, 55, 69, 165–6, 190, 264 Verbrennung/en 139, 150, 234, 245–52, 254–6, 262, 264, 268 Verehrung/en 26–9, 36, 44, 50, 53, 60, 68, 72–3, 82, 85–6, 102–4, 114, 126, 134, 139, 141, 174, 179, 181, 185, 210–2, 256, 262, 270–1 – Araber 242–3, 267 – Flüsse 68, 78–81, 86 – Himmel 74–76 – Pan 155, 171–3, 194, 273 – Tier/e 91, 103, 125–6, 140–8, 152, 174, 273 Vergleich – Ägypter und Griechen 153, 160, 163, 169, 171, 197, 266, 275
307
– – – – – – –
Alters- 169, 171 Experiment des Dareios 234, 265, 268 Festbeschreibung 115 Herodot 226–8 Kambyses 265, 268 Kyros 239–40 Länder und Kulturen 34, 37, 39, 57, 89, 97, 137 – Mumifizierung 118 – Mykerinos 47–8, 189, 191 – Opfer- 112 – Religion 41, 58, 61, 73, 75–6, 98, 101, 111, 142, 212, 226–8, 234–5, 266–7, 271, 278 – Traumglaube 212, 214, 222 Vogel, Vögel 65, 78, 80, 85, 146–7, 196 W Wadjet 205, 207 Wahn/sinn, wahnhaft 83, 233, 254, 260–3 Wasser 67–8, 97, 121, 129, 133, 135–6, 144, 146, 149–50, 203, 211, 242 Weihbildnis, Weihbilder 72, 83, 173 Weihgabe/n 224–5, 275 Weihgeschenk 121–2, 150, 160, 265, 273 Weihguß 62 Wein 67, 99, 106–7, 109, 118, 139 X Xenophanes 24, 73 Xenophon 278 Xerxes 64–5, 70, 78, 149, 212, 214, 217, 248, 264 Z Zeus 23–4, 72, 74–5, 81, 103, 141, 147, 165, 254–5 – Ammon 130, 132, 151, 234, 253 – Dodona 151 – Marduk 74 – Thebaios 140–1 Ziege/n 103, 140–1, 172, 174 Zoroastrismus, zoroastrisch 58–9, 64–5, 75, 79
Wie begegnet der griechische Historiker Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. fremder Religion? Wie stellt er persische und ägyptische Religion in seinen Historien dar? Herodots Erzählung über Ägypten, die Beschreibung persischer Sitten und die Eroberung Ägyptens durch den persischen König Kambyses stehen im Zentrum der Studie. Andreas Schwab entwickelt ausgehend von neueren religionswissenschaftlichen Ansätzen ein mehrdimensionales Konzept von Religion, um Aspekte antiker Religion zu erfassen, die über Götter und Opfer hinausgehen: die religiöse Dimension des Sozialen, des
ISBN 978-3-515-12720-2
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7835 1 5 1 2 7 202
Raums, der Zeit, der Ästhetik und der Interaktion. So zeigt er erstmals, dass Herodots Auseinandersetzung mit fremder Religion erheblich breiter, tiefer und differenzierter ist als bisher angenommen. Herodot lässt konkurrierende Stimmen und Deutungen von Priestern und Einheimischen zu religiösen Sachverhalten zur Sprache kommen. Er ist somit nicht nur als ein Religionshistoriker, sondern auch als ‚Religionswissenschaftler‘ avant la lettre anzusehen. Diese neue Erschließung ist für die Klassische Philologie, Alte Geschichte, Ägyptologie, Religionswissenschaft, Theologie- und Religionsgeschichte von besonderem Interesse.
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