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German Pages 255 Year 1987
RALPH CHRISTENSEN
Freiheiterechte und eoziale Emanzipation
Schriften
zur
Rechtstheorie
Heft 122
Freiheitsrechte und soziale Emanzipation Ernst Blochs Kritik der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie
Von D r . R a l p h Christensen
D T J N C K E R
&
H U M B L O T /
B E R L I N
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Christensen, Ralph: Freiheitsrechte u n d soziale Emanzipation: Ernst Blochs K r i t i k d. marxist.-leninist. Rechtstheorie / v o n Ralph Christensen. — Berlin: Duncker u n d Humbio t, 1987. (Schriften zur Rechtstheorie; H. 122) I S B N 3-428-06198-5 NE: G T
Alle Rechte vorbehalten © 1987 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3-428-06198-5
Vorwort Eine Auseinandersetzung m i t den Texten Blochs lädt zu assoziativen Weiterungen ein. Darin mag ein Teil der Anregungskraft Blochs liegen, ohne daß darüber jedoch der sachliche Kern seiner Position vernachlässigt werden darf. Besonders i n seinem rechtsphilosophischen Hauptwerk „Naturrecht und menschliche Würde" gewinnt Bloch diese Position dadurch, daß er Marxsche Motive entfaltet und gegen Verkürzungen des emanzipatorischen Anspruchs i n der marxistisch-leninistischen Lehre wendet. Dieser von Blochs Text nur angedeutete Zusammenhang soll i m folgenden dargestellt werden. I m Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Rolle die subjektiven Freiheitsrechte i m Prozeß sozialer Emanzipation spielen. Sollen sie als gesellschaftliche Pflichten eine vorgegebene Entwicklungslogik i n individuelle Verhaltensanforderungen umsetzen? Oder dienen sie dazu, den Individuen einen richtungsgebenden Einfluß auf den Verlauf sozialer Befreiung zu garantieren? Der Anknüpfungspunkt für diese Fragen ist das vom bürgerlichrevolutionären Naturrecht aufgeworfene Problem, welche Verfassung ein Gemeinwesen sich geben muß, damit die gesetzlichen Schranken der Freiheit als Selbstbeschränkungen der Staatsbürger verstanden werden können. Der junge Marx hat i n seiner Schrift „ Z u r Judenfrage" nachgewiesen, daß diese naturrechtliche Problemstellung von den Realbedingungen der Freiheit absieht und deswegen i n den „Menschenrechten" nur eine gegen die Gesellschaft gerichtete Freiheit des kapitalistischen Privateigentümers garantiert. Später hat Marx diese K r i t i k durch die Forderung einer Assoziation relativiert, worin die Freiheit eines jeden Bedingung für die Freiheit aller ist, ohne allerdings diese Frage noch einmal i n systematischer Weise aufzunehmen. Die Debatte zwischen Bloch und der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie setzt an der eigentümlichen Ambivalenz der Marxschen Menschenrechtskritik an. Der Marxismus-Leninismus hält an der Menschenrechtskritik des frühen Marx fest und gelangt i m Rahmen eines „Weltanschauungsmaterialismus" zu einem Modell sozialer Emanzipation, wonach allein die von der Partei erkannten objektiven gesellschaftlichen Gesetze die Entwicklungsrichtung bestimmen. Den subjektiven Rechten kommt danach die Aufgabe zu, die objektiven Erfordernisse i n individuelles Verhalten umzusetzen. Bloch knüpft dagegen an die m i t den „Feuerbachthesen" eingeleitete Marxsche Wendung zum praktischen
Vorwort
6
Materialismus an. Die soziale Emanzipation verwirklicht danach eine von den Subjekten mitdefinierte praktische Notwendigkeit der Befreiung, und den subjektiven Rechten kommt die Aufgabe zu, diese Definitionsmacht der Subjekte sicherzustellen. Allerdings w i r d auch gegenüber der Position von Bloch zu fragen sein, ob der Marxismus als konkrete Utopie nicht letzthin doch die subjektiven Rechte einer externen Zweckbindung unterwirft. Entlang der angedeuteten Fragerichtung handelt es sich primär darum, die Argumente Blochs für die Entfaltung einer Sachfrage zu nutzen und nur i n zweiter Linie darum, das Verhältnis von Blochs Naturrechtsbuch zu Marx und der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie zu rekonstruieren. Gerade die Differenzen i n Sachfragen machen allerdings deutlich, daß Bloch vom Marxismus-Leninismus nicht ohne weiteres vereinnahmt werden kann. Zwar sind die jüngsten Versuche die Diskussion über Bloch auch i n der DDR wiederaufzunehmen 1 , durchaus positiv zu werten. Aber sie führen dann nicht weiter, wenn an die Stelle einer von Sachfragen absehenden globalen Verdammung eine ebenso globale Vereinnahmung t r i t t , welche die sachlichen Differenzen auf bloße Fragen des Stils reduziert. 2 M i t der Heiligsprechung eines toten Ketzers ist niemand gedient. Erforderlich ist vielmehr eine Auseinandersetzung m i t der politischen Position Blochs, wie er sie vor allem i n seinem Naturrechtsbuch entfaltet. Danksagung Zu danken ist Herrn Prof. Joachim Pereis, der die vorliegende A r beit nicht nur angeregt hat, sondern auch ihren Fortgang mit großer Geduld verfolgt hat. Für wichtige Anregungen danke ich weiterhin Herrn Prof. Friedrich Müller, sowie dem Arbeitskreis Ernst Bloch bestehend aus Matthias Buhl, Monika Christensen, Ulrike Degler, Klaus Fischer, Bernd Frauhammer, Dr. Michael Kromer, Matthias Müller. Besonders hervorheben möchte ich noch die vielfältige Unterstützung, die ich durch das Ernst-Bloch-Archiv Ludwigshafen und seinen Leiter Herrn Dr. Karlheinz Weigand erfahren habe. I n jeder Hinsicht hat sich diese Institution als unentbehrlich für eine Beschäftigung mit Bloch erwiesen. Ralph 1
Christensen
Vgl. dazu G. Lehmann, Stramin u n d totale Form. Der Kunstphilosoph Georg Lukacs u n d sein Verhältnis zu Ernst Blochs Aesthetik der Hoffnung, in: Weimarer Beiträge Heft 4, 1985, S. 533 ff.; K. D. Eichler, Größe u n d Grenzen einer Philosophie. Z u m 100. Geburtstag Ernst Blochs, in: Leipziger Volkszeitung v o m 6. 7. 1985; G. Irrlitz, Ernst Bloch — der Philosophiehistoriker, in: Sinn u n d F o r m Heft 4, 1985, S. 838 ff. 2 Vgl. dazu G. Irrlitz, ebd., der durchgängig Sachfragen als solche des Stils behandelt.
Inhaltsverzeichnis
1.
Das Problem einer funktionalen Verbindung von Marxismus und Naturrecht
9
2.
Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie und das unerledigte Problem gleicher Freiheit
15
2.1
Die liberale Lösung: Eine gesellschaftlich unverfügbare Freiheitssphäre als Schranke der Volkssouveränität
18
2.2
Die Lösung Rousseaus: Unbeschränkte Volkssouveränität auf der Grundlage einer homogenen Wertgemeinschaft
28
2.3
Die statische Grundlage des Privateigentums beeinträchtigt die D y n a m i k gesellschaftlicher Selbstbestimmung
36
3.
Läßt sich im Rahmen der Marxschen Theorie eine emanzipatorische Dimension des Rechts denken?
39
3.1
Die Ambivalenz i n der Position v o n M a r x als Grundlage gegensätzlicher Einschätzungen
39
3.2
Die systematische Reichweite der Menschenrechtskritik des frühen Marx
44
3.3
Der Stellenwert des Rechts i m Emanzipationskonzept des reifen Marx
77
3.3.1 Läßt der Rechtsbegriff v o n M a r x Raum für eine emanzipatorische Dimension?
88
3.3.2 Die emanzipatorische Dimension des Rechts bei M a r x u n d die naturrechtliche Problematik
95
3.3.3 Die Notwendigkeit eines kritischen Erbes an der Sachproblematik des bürgerlich-revolutionären Naturrechts
99
4.
Ernst Blochs Kritik der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie . . . 111
4.1
Marxismus u n d Naturrecht
4.2
Das Recht als Instrument zur Lenkung des subjektiven Faktors aufgrund der marxistisch-leninistischen Widerspiegelungstheorie 126
4.3
Das Recht als Garantie für die Selbsttätigkeit der Subjekte i n Blochs Fortbildungslehre 144
112
8 4.4
Inhaltsverzeichnis Die Rolle des subjektiven Rechts im Sozialismus
166
4.4.1 Ist das subjektive Recht staatliches Erziehungsinstrument oder Ermöglichungsbedingung für eine autonome Moral? 167 4.4.2 Die objektiven gesellschaftlichen Erfordernisse als materielle Schranken subjektiver Rechtsmacht 182 4.4.3 Die Solidarität als formelle Schranke subjektiver Rechtsmacht 197 4.5
Sind die subjektiven Rechte bei Bloch einer inhaltlichen Zweckbindung unterworfen? 211
4.6
Stirbt die emanzipatorische Dimension des Rechts in der klassenlosen Gesellschaft ab? 219
5.
Schluß
229
Literaturverzeichnis
231
Namenregister
251
1. Das Problem einer funktionalen Verbindung von Marxismus und Naturrecht Wie kommt Bloch zu der Forderung, Marxismus und Naturrecht funktional zu verbinden? Eine solche Verbindung kann funktional nur bezogen sein auf ein gemeinsames Problem. Bloch geht also offensichtlich davon aus, daß es zwischen der Marxschen Theorie und den Theorien des Naturrechts einen gemeinsamen Fragebereich oder Schnittpunkt gibt. Schon der u r sprüngliche Arbeitstitel „Sozialismus und Naturrecht" 1 zeigt, daß es i h m dabei u m ein kritisches Erbe des Marxismus am Naturrecht geht. Aus der Sicht von Bloch ist die Marxsche Theorie auf das Problem bezogen, wie die Geschichte als blinde Schicksalsmacht aufgehoben werden kann. 2 So lange die Subjekte noch nicht die selbstbestimmten Täter ihrer Taten sind, leben sie noch i n der „Vorgeschichte", welche erst m i t der sozialistischen Gesellschaftsordnung schrittweise überwunden werden kann. Der Marxsche Begriff „Vorgeschichte" bezieht sich dabei k r i tisch auf ein bestimmtes Verhältnis von individueller Handlungsfreiheit und historischer Bewegung des sozialen Ganzen: Die gesellschaftliche Synthese der Einzelhandlungen vollzieht sich unabhängig vom bewußten Willen der Individuen über die anonymen Gesetze des Marktes. Statt die soziale Ordnung hervorzubringen, w i r d die Handlungsfreiheit der Subjekte damit zum fremdbestimmten Teil objektiver Gesetze des Warenaustauschs. Die Zukunft muß unter solchen Bedingungen zu einem ebenso von den Individuen unbeeinflußbaren und allein aufgrund i n der Vergangenheit liegender objektiver Zusammenhänge bestimmten, „naturgeschichtlichen" Produkt werden. Wenn Marx also davon spricht, daß i n der kapitalistischen Gesellschaft die Vergangenheit über die Zukunft herrscht 3 , so beschreibt er damit nicht nur das Verhältnis von toter und lebendiger Arbeit, sondern auch eine Zeitstruktur, i n der die gegenwärtigen Wertentscheidungen und Zielsetzungen der Individuen keinen Einfluß auf die Gestaltung der 1 Vgl. zum Nachweis dieses Arbeitstitels v o n Blochs Natur rechtsbuch: J. Pereis, Sozialistisches Erbe an bürgerlichen Menschenrechten, in: J. Perels, J. Peters (Hrsg.), Es muß nicht immer M a r m o r sein, 1975, S. 82 ff., 82. 2 Vgl. zu den Nachweisen dieser Sicht Blochs u n d ihrer Diskussion weiter unten i m Text T e i l 3. s K. Marx, F. Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: M E W 4 , S. 459 ff., 476.
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1. Funktionale Verbindung von M arxiismus und Naturrecht
Zukunft haben. Bloch bezeichnet, dieses Problem aufnehmend, eine allein aufgrund objektiver Faktoren der Vergangenheit in ihrer Bestimmtheit schon feststehende Zukunft als unechte Zukunft, weil sich i n ihr nichts bei Kenntnis dieser Faktoren unvorhersehbar Neues ereignen kann und die Individuen keinen gestaltenden Einfluß haben 4 . Von daher läßt sich auch näher bestimmen, was Befreiung von der Vorgeschichte heißen kann. I m Gegensatz zur Zeitstruktur unechter oder schicksalhaft vorherbestimmter Zukunft müßte es sich dabei u m die Ermöglichung echter, von den Individuen beeinflußbarer und für das Neue offener Zukunft handeln. Indem der Gesellschaftsprozeß zu einem von den Individuen her planbaren und beherrschbaren Prozeß wird, können die gegenwärtigen Hoffnungen, Wünsche und Zielvorstellungen der Individuen Einfluß gewinnen auf die Gestaltung der Zukunft. Indiz für den Beginn oder das Verfehlen der Befreiung von der Vorgeschichte ist demnach also A r t und Ausmaß der bewußten und subjektiv gesteuerten Teilhabe der Individuen an der Gestaltung der Zukunft. Bloch hebt diese ursprüngliche Problemstellung von Marx als Maßstab hervor, u m den „real-existierenden" Sozialismus daran zu messen5. Für die Ergebnisse dieses Versuchs zu einer sozialen Befreiung, findet er dann folgende Charakterisierung: „Das Gegenteil von dem, was Marx intendierte. Das Gegenteil von dem, was selbst die russische Parteibürokratie intendiert. Hier geht etwas über die Köpfe hinweg vor sich, eine dauernde Abschaffung oder Behinderung von Freiheit i m Namen von Freiheit. Nicht i m Sinn von Betrug. Es hat sich also gezeigt, daß die Prämissen zum aufrechten Gang i m Marxismus nicht genügend ausgedacht sind, der eben nicht nur an die Französische Revolution anschloß, sondern auch an die Hegeische Philosophie, an deren autoritären, objektiven Geist. Die staatskritischen Prämissen (...) — dieses: Wie rette ich den einzelnen Menschen vor dem Staat? — sind nicht zu Ende gedacht worden. Das Absterben des Staates kommt nicht, und die individuelle Freiheit, ein besonderes Ziel i m Marxismus, ist schlimmer dran als irgendwo." 6 Wenn Bloch hier die individuelle Freiheit als be4 Bloch unterscheidet die unechte oder vollständig vorherbestimmte Zuk u n f t v o n der echten, durch die I n d i v i d u e n beeinflußbaren Zukunft, i n der sich Neues ereignen kann. Vgl. dazu E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, G A 5 , S. 6, 83; ders., Experimentum Mundi, G A 15, S. 90. 5 Vgl. zum Zusammenhang v o n Blochs Frage nach einem kritischen Erbe am Naturrecht u n d der historischen Realsituation, insbes. die Erfahrungen m i t dem versuchten Aufbau des Sozialismus i n der DDR, noch unten i m Text T e i l 4 u n d J .Perels, Sozialistisches Erbe an bürgerlichen Menschenrechten?, in: J. Perels, J. Peters (Hrsg.), Es muß nicht immer M a r m o r sein, S. 82 ff., 82 f.; B. Lehr, „ . . . u n d der Z u k u n f t zugewandt." — Ernst Bloch i n der DDR, in: Sozialistische Zeitschrift für Kunst und Gesellschaft, Heft 3 - 4 , 1977, S. 109 ff. β E. Bloch, Uber ungelöste Aufgaben der sozialistischen Theorie, in: ders., Tendenz — Latenz — Utopie, Ergänzungsband zur Gesamtausgabe, 1978, S. 194 ff., 201.
1. Funktionale Verbindung von Marxismus und Naturrecht sonderes Ziel i m Marxismus betont, dann wendet er sich damit gegen ein Verständnis des Sozialismus als objektiv gesetzmäßige Ordnung, welche die eigenständige Definitionsmacht der Individuen ausschließt. Die Problematik, welche den marxistischen Philosophen Bloch zu der Frage nach einem kritischen Erbe am Naturrecht führt, läßt sich damit so formulieren: Wie kann verhindert werden, daß der Versuch, die Geschichte als blinde Schicksalsmacht aufzuheben, wiederum die Herrschaftsverhältnisse der Vorgeschichte reproduziert? Ein erster Schritt zur Lösung liegt für Bloch darin, i m Rahmen der auf die Gesellschaft bezogenen menschlichen Träume von einer besseren Welt zwei Arten von „gutmachenwollenden Projektionen" zu unterscheiden: Die Sozialutopien und die Rechtsutopien des Naturrechts. Der Unterschied zwischen beiden liegt darin: „Die Sozialutopie ging auf menschliches Glück, das Naturrecht auf menschliche Würde. Die Sozialutopie malte Verhältnisse voraus, i n denen die Mühseligen und Beladenen aufhören, das Naturrecht konstruierte Verhältnisse, i n denen die Erniedrigten und Beleidigten aufhören 7 ." M i t dieser Unterscheidung kann man den von Marx eröffneten Problemhorizont präzisieren. „Und folgende Weisung bei Marx ist nicht nur ökonomisch, wenn er lehrt, alle Verhältnisse umzuwerfen, i n denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist 8 ." Für Bloch ist also m i t dem Ziel, die Ausbeutung aufzuheben, nur die eine, die ökonomische Seite des von Marx eröffneten Problemhorizonts erfaßt. Hinzutreten muß die zweite Seite einer Aufhebung des klassengesellschaftlichen Herr-Knecht-Verhältnisses, nämlich die Aufhebung politischer Unterdrückung: „Marx weist eben von dieser vernichteten Würde her (noch mehr als vom Elend) auf die ,Klasse m i t radikalen Ketten', auf eine Sphäre, welche ,kein besonderes Recht i n Anspruch nimmt, weil kein besonderes Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird*. Ein Unrecht schlechthin kann als solches aber weder bezeichnet noch gemessen noch gutgemacht werden, wenn kein Recht schlechthin, keine Rechtsutopie gesehen wird. Die sozialintendierte »Emanzipation zum Menschen' nimmt weit weniger sogar den philanthropischen Affekt der Sozialutopien auf als den stolzen des Naturrechts." 9 Bloch geht m i t dieser auf die Theorie sozialer Emanzipation bezogenen Problemsicht über die herkömmliche marxistische Theorie i n den Ländern des ,real-existierenden' Sozialismus hinaus. Danach ist nämlich „prinzipielle Grundlage des Marxismus die Bestrebung nach der ? E. Bloch, Naturrecht, S. 13. β Ebd., S. 12. β Ebd., S. 237.
12
1. Funktionale Verbindung von Marxismus und Naturrecht
Beendigung der Ausbeutung" 1 0 . Und i n polemischer Wendung gegen die Position Blochs w i r d gesagt, daß die menschliche Würde nicht durch das Naturrecht verwirklicht werde, sondern gemäß der „letzten Endes ökonomischen Richtung" des Marxismus allein durch die Befreiung von der Ausbeutung. 11 Damit w i r d die Aufhebung politischer Unterdrückung zum bloßen Epiphänomen der ökonomischen Neuordnung, während umgekehrt für Bloch die ökonomische Ausbeutung nicht beseitigt werden kann, ohne gleichzeitige politische Befreiung: „Ausbeutung verschwindet nicht bei sonstiger machtloser Freiheit (...); Administriertheit w i r d nicht verhindert bloß durch Teilnahme an gesellschaftlich werdendem Eigentum allein. Stolz des aufrechten Gangs, Naturrecht, bewußt oder unbewußt, ist das Resistierende, Insurgentenhafte i n jeder Revolution." 1 2 Es ist also diese Differenzierung i n der Ausgangsproblematik von Marx, die hier zu der Forderung führt, daß die sozialistische Theorie die Intentionsfelder von Sozialutopie und Naturrecht funktionell zu verbinden habe. Es geht mit dem Postulat funktioneller Verbindung u m das Gemeinsame oder den Schnittpunkt beider Theoriekomplexe. Das Sachproblem des Marxismus ist die Befreiung von der Geschichte als blindem Schicksal und undurchschauter Notwendigkeit 1 3 . Das Sachproblem des Naturrechts ist die juristische Orthopädie des aufrechten Gangs. Beide Theorien sind zur Lösung ihrer Probleme wechselseitig aufeinander angewiesen. Denn die rechtliche Garantie der Selbstbestimmung ohne Aufhebung der Geschichte als Schicksalsmacht bleibt abstrakt, wie umgekehrt die Aufhebung der Geschichte als Schicksalsmacht die rechtliche Garantie einer aktiven Teilhabe der Indviduen an der Gestaltung der Zukunft voraussetzt. Der Schnittpunkt oder die Verbindung der beiden Theoriekomplexe ist die „sokratische Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Ordnung" 1 4 . Ausgehend von der ideal typischen Gegenüberstellung einer liberal-föderativen Sozialutopie des Thomas Morus und einer zentralistischen Sozialutopie von Campanella w i r d i m „Prinzip Hoffnung" das Problem einer konkreten Vermittlung der Pole von Freiheit und io I . Szabo, Marxismus u n d Naturrecht, in: ARSP 1979, S. 503 ff., S. 507.
u Ebd. 12 E. Bloch, Naturrecht, S. 309. 13 Vgl. dazu E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, G A 5, S. 728: „Marxismus (...) setzt Befreiung v o m blinden Schicksal, v o n der undurchschauten Notwendigkeit." 1 4 Vgl. dazu u n d zum folgenden ebd., Kapitel 36: „Freiheit u n d Ordnung A b r i ß der Sozialutopien." Insbes. die Unterabschnitte „Sokratische Frage nach Freiheit u n d Ordnung unter Berücksichtigung v o n ,Utopia' u n d ,Civitas solis'", S. 607 ff., „Fortgang: Sozialutopien u n d klassisches Naturrecht", S. 621 ff., „Aufgeklärtes Naturrecht an Stelle v o n Sozialutopien", S. 629 ff.
1. Funktionale Verbindung von Marxismus und Naturrecht Ordnung herausgearbeitet, w o r i n der intensive Freiheitsfaktor zur Logik einer Ordnung findet, welche ihrerseits keinen anderen Inhalt als die Freiheit hat. Einen Lösungsansatz für dieses Problem bietet die bürgerlich-revolutionäre Naturrechtstheorie, indem sie die subjektiven Rechte als Garantien der die soziale Ordnung hervorbringenden menschlichen Handlungsfreiheit begreift. Das von Marx' Menschenrechtskritik akzentuierte Problem ist dabei die Vernachlässigung von ökonomischen Bedingungen als Voraussetzung für die ordnungskonstitutive Leistung der rechtlichen Freiheit. Insoweit bedarf die rechtliche Selbstbestimmung der sozialen Neuordnung, u m wirksam zu werden. Doch muß auch umgekehrt die Gefahr vermieden werden, daß die neue Ordnung zur Lösung der sozialen Probleme sich die individuelle Freiheit unterordnet, statt aus ihr zu entspringen. 15 Wenn der Marxismus sein Ziel der Befreiung von der schicksalhaften Vorgeschichte erreichen w i l l , muß er an die Problemstellung des Naturrechts anknüpfen und kann nicht die juristische Garantie der Handlungsfreiheit als bloßen Reflex der sozialen Neuordnung begreifen. Unter Berücksichtigung des eben geschilderten Gesamtrahmens läßt sich jetzt das Interesse Blochs am Naturrecht näher bestimmen: Das klassische Naturrecht interessiert i h n wegen der Anmeldung subjektiver Rechte, welche als Aktionsgarantien 1 6 für die Handlungsfreiheit die Möglichkeit bieten, die individuelle Freiheit als Ausgangspunkt für die Gestaltung der Sozialordnung zu begreifen. Wenn das Naturrechtsbuch sich also m i t diesen Theorien auseinandersetzt, dann nicht i m Blick auf eine bestimmte Moral oder eine dem positiven Recht vorgegebene Normativordnung, sondern mit Blick gerade auf diese Anmeldung rechtlich garantierter Selbstbestimmung i n den subjektiven Rechten: „Das Naturrecht (...) hat trotz seines bürgerlichen Unterbaues, trotz der statischen Geschlossenheit seiner Abstrakt-Ideale eben jenen Überschuß, der alle Revolutionen miteinander verwandt erscheinen läßt. Derart zeigte die naturrechtlich geschehene Anmeldung der subjektiven öffentlichen Rechte in Totalität den ökonomischen Individualismus zuweilen weniger als Unterbau denn als Hilfskonstruktion. Die Anmeldung der subjektiv-öffentlichen Rechte setzte diese als einen Kader, i n den auch Rechte gegen den Unternehmer eingesetzt werden konnten, nicht nur gegen die Obrigkeit. Eben der Bezug konkreter Ordnung auf den W i l is Ebd., S. 637. ιβ Vgl. zum Verständnis subjektiver Freiheitsrechte als Schutzgarantien für bestimmte Aktionsformen u n d entsprechende Sach- u n d Organisationszusammenhänge am Beispiel der Grundrechte der bundesdeutschen Verfassung: F. Müller, Thesen zur Grundrechtsdogmatik, in: ders., Rechtsstaatliche F o r m — Demokratische P o l i t i k , 1977, S. 48 ff.
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1. Funktionale Verbindung von Marxismus und Naturrecht
lensinhalt konkreter Freiheit hält das Erbe Naturrecht gegen jedes nur abstrakt und isoliert gefaßte Kollektiv, das den Individuen entgegengesetzt wird, statt daß es aus ihnen, aus klassenlosen, entspringt." 1 7 Das kritisch zu beerbende Sachproblem des bürgerlich-revolutionären Naturrechts ist danach also die Frage, wie die Freiheit i m Recht zu denken ist, als abgeleiteter Reflex einer vorgegebenen Ordnung oder als konstitutiv für das Schaffen dieser Ordnung 1 8 . Dabei stellt Bloch zur Hervorhebung der Möglichkeiten eines kritischen Erbes am Naturrecht zwei Auffassungen idealtypisch gegenüber: Der einen Auffassung zufolge besteht nur der Staat aus eigenem Recht, das Individuum dagegen aus abgeleitetem Recht. Danach ist Beherrschtwerden die Regel und sind subjektive Rechte nur erlaubte Ausnahmen. Die Gegenposition begreift demgegenüber den Staat als bloßes Mittel einer Verwaltung der Gesellschaft aus abgeleitetem Recht von den Individuen her und dementsprechend auch die subjektiven Rechte als primär gegenüber einer objektiven Rechtsordnung, welcher die Beweislast für sich selbst auferlegt w i r d 1 9 . Während die erste Position kennzeichnend ist für jede herrschaftstechnische Instrumentalisierung des Rechts 20 , ist die zweite sachlicher Kern und Substrat dessen, was Bloch als mögliches Erbe am klassischen Naturrecht hervorhebt. M i t dieser Fragestellung w i r f t Bloch i m Anschluß an das klassische Naturrecht das Problem eines Erbes an der personalen Funktionsbestimmung des subjektiven Rechts auch i m Rahmen der sozialen Emanzipation auf, und zwar gegenüber einer sich auf Marx berufenden Rechtstheorie, die als „fetischisiertes Staatsrecht" von der rechtlichen Anmeldung der Freiheit „überhaupt nichts mehr als Pflichten" übrigläßt. 2 1
17 E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, G A 5, S. 636 f. (Hervorhebung i m O r i ginal). is Die ordnungskonstitutive F u n k t i o n der Freiheitsrechte u n d i h r Gegensatz zur Herrschaftslogik w i r d am Beispiel der Meinungsfreiheit herausgearbeitet von J. Perels, Meinungsfreiheit als Element des Sozialismus, in: Frankfurter Hefte, 34, Jg., Heft 7/1979, S. 20 ff. 10 Vgl. E. Bloch, Naturrecht, S. 228; ders., Das Prinzip Hoffnung, G A 5, S. 627 f. u n d 631 f. 20 So ist es zu verstehen, w e n n Bloch i m „Museum der Rechtsaltertümer" (Naturrecht, S. 207 ff.) einem unter Abzug der auf die menschliche Freiheit bezogenen subjektiven Rechtspostulaten betrachteten positiven Recht v o r w i r f t , es sei „Herrschafts-Technik, eine besonders dünn aufliegende H e r r schaftsideologie", ebd., S. 208. si Vgl. ebd., S. 257. Die expliziten Äußerungen Blochs zur marxistischleninistischen Rechtstheorie i m Naturrechtsbuch, v o r allem i m K a p i t e l 21, machen gut deutlich, daß Bloch seine Problematik u n d Theorie i n konfliktueller Differenz zu dieser Auffassung entwickelt.
2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie und das unerledigte Problem gleicher Freiheit W e n n B l o c h e i n k r i t i s c h e s E r b e des M a r x i s m u s a m N a t u r r e c h t f o r d e r t , geht er d a v o n aus, daß die N a t u r r e c h t s t h e o r i e n ü b e r i h r e historische R o l l e als V o r b e r e i t u n g der b ü r g e r l i c h e n R e v o l u t i o n h i n a u s eine P r o b l e m s t e l l u n g e n t h a l t e n , die m i t d e r K r i t i k a n d e n S c h r a n k e n der p o l i t i s c h e n E m a n z i p a t i o n des B ü r g e r t u m s n i c h t e r l e d i g t i s t 1 . F ü r B l o c h ist dies die Frage, w i e die soziale O r d n u n g aus d e r i n d i v d u e l l e n F r e i h e i t h e r v o r g e h e n k a n n . D i e These eines „ ü b e r s c h i e ß e n d e n " 2 P r o b l e m g e h a l t s b e z i e h t sich d a b e i v o r a l l e m a u f das b ü r g e r l i c h - r e v o l u t i o n ä r e N a t u r r e c h t 3 . H i e r t r i t t n e b e n die r e c h t f e r t i g e n d e n F u n k t i o n e n v o n N a t u r r e c h t 4 , eine w e i t e r e , diesen E n t w i c k l u n g s a b s c h n i t t des N a t u r r e c h t s k e n n zeichnende L e i s t u n g : Es ist dies eine p o l i t i s c h e W e n d e i m V e r h ä l t n i s v o n U n t e r t a n e n u n d O b r i g k e i t . Das N a t u r r e c h t d i e n t n i c h t m e h r d e r 1
Vgl. zur Unterscheidung v o n politischer u n d menschlicher Emanzipation K. Marx, Z u r Judenfrage, in: M E W 1, S. 347 ff. 2 Bloch spricht insoweit v o n einem historisch zu erklärenden Hinausschießen über das Klassenziel. E. Bloch, Naturrecht, S. 202. 3 Die Überprüfung dieser These k a n n i m gegebenen Rahmen natürlich n u r eine summarische sein, die sich darauf beschränkt, die Blochsche Perspektive anhand des heutigen Diskussionsstands auf ihre Plausibilität zu befragen. A n dieser Stelle ist auch schon auf eine Beschränkung der zugrunde gelegten Fragestellungen hinzuweisen. Nicht überprüft oder auch n u r dargestellt w i r d Blochs Verständnis einzelner naturrechtlicher Theorien. Vgl. zur K r i t i k der Auffassungsweise Blochs am Beispiel der Naturrechtstheorie v o n Hobbes: Κ. H. Tjaden, Z u r Naturrechts-Interpretation Ernst Blochs, in: Ernst Blochs W i r k u n g , 1975, S. 89 ff.; allgemein zum Verhältnis Blochs zur Philosophiegeschichte H. H. Holz, Logos spermaticos. Ernst Blochs Philosophie der u n fertigen Welt, 1975, S. 175 ff.; zum methodischen Vorgehen Blochs: G. Raulet, Hermeneutik i m Prinzip der D i a l e k t i k , in: Ernst Blochs W i r k u n g , S. 284 ff.; ders., Subversive Hermeneutik des „Atheismus i m Christentum", in: B. Schmidt (Hrsg.), Z u r Philosophie Ernst Blochs, 1983, S. 50 ff. Vgl. allgemein zum Naturrecht: H. Welzel, Natur recht u n d materiale Gerechtigkeit, 1962 (Vorstufen des Naturrechts schon bei den Vorsokratikern, S. 9 ff.); F. Flückiger, Geschichte des Naturrechts, Bd. I : A l t e r t u m u n d Frühmittelalter, 1954; eine kurze Darstellung gibt P. J. Winters, A r t i k e l Naturrecht, in: A . Görlitz (Hrsg.), Handlexikon zur Rechtswissenschaft, Bd. 2, 1974. Ebenso setzt der historische Teil i n E. Bloch, Naturrecht, m i t den Sophisten ein (S. 20 ff.). 4 Vgl. H. H. Holz, ebd. Vgl. auch M . Weher, Wirtschaft u n d Gesellschaft, 1922, S. 496 u n d H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1976, S. 435, wobei allerdings jeweils einseitig die revolutionäre bzw. konservative F u n k t i o n der N a t u r rechtslehren hervorgehoben w i r d . Vgl. zur Spezifik des bürgerlich-revolutionären Naturrechts auch H. Klenner, V o m Recht der N a t u r zur Natur des Rechts, 1984, S. 45.
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2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie
Rechtfertigung einer bestehenden staatlichen Ordnung, sondern w i r d ein Kampfinstrument gegen die Omnipotenz der feudalen Staatsmacht 5 . I n den Naturrechtstheorien des revolutionären Bürgertums w i r d die Bestimmungsgewalt des feudalen Staates über alle gesellschaftlichen Lebensbereiche i n Frage gestellt und es werden rechtliche Formen für die Garantie und Entwicklung menschlicher Handlungsfreiheit gesucht. Aber m i t der rechtlichen Anmeldung der Freiheit ist die Sachproblematik des bürgerlich-revolutionären Naturrechts noch nicht vollständig bezeichnet. Die Naturrechtler wenden sich vielmehr gegen feudale Privilegien m i t der Forderung nach einer gleichen Freiheit für alle Staatsbürger 6 . Das damalige Naturrecht w i l l eine Gesellschaft konstruieren, worin jedem unabhängig von Stand und Herkommen die gleiche Teilhabe an der politischen Gestaltung der Zukunft gewährleistet wird. Es geht, einer klassischen Formulierung Rousseaus zufolge darum, „eine Form der Vergesellschaftung zu finden, die m i t der gesamten gemeinsamen Kraft die Person und die Habe jedes Teilhabers verteidigt und beschützt. I n ihr soll sich jeder mit allen vereinigen und dennoch nur sich selbst gehorchen und ebenso frei bleiben wie zuvor." 7 M i t dieser Frage nach einer Vereinigung von Menschen, w o r i n jeder nur sich selbst gehorcht, w i r d von Rousseau das Problem der Reziprozität oder demokratischen Gegenseitigkeit individueller Freiheit gestellt. Auch Kant nimmt dieses Problem auf, wenn er nach einem Prinzip der politischen Freiheit sucht, welches i n folgendem Zusammenhang bestehen soll: „Niemand kann mich zwingen, auf seine A r t glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher i h m selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die m i t der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, nicht Abbruch t u t . " 8 5 Vgl. dazu J. Habermas, Naurrecht u n d Revolution, in: ders., Theorie u n d Praxis, 1978, S. 89 ff.; 17. Cerroni, Gleichheit u n d Freiheit, in: ders., M a r x u n d das moderne Recht, 1974, S. 175 ff. insbes. S. 214 ff.; G. della Volpe , Rousseau u n d Marx, 1975, S. 58. Auch Positionen, die einen revolutionären Charakter des Naturrechts grundsätzlich ablehnen, müssen für die Periode der A u f k l ä r u n g ihre Einschätzungen zumindest relativieren. Vgl. dazu H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre u n d des Rechtspositivismus, 1928, S. 39 ff. • Z u r F o r m s t r u k t u r der naturrechtlich begründeten Rechtsforderungen des revolutionären Bürgertums: J. Perels, Uber eine emanzipatorische Dimension des Rechts, in: Freiheit + Gleichheit, Heft 4, Januar 1983, S. 55 ff.; G. della Volpe , Rousseau u n d M a r x , S. 55. 7 J. J. Rousseau, Der Gesellschaf tsvertrag, 1946,16. » I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: ders., Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, P o l i t i k u n d Pädagogik, 1, Werke X I , hrsg. v o n W. Weinschedel, 1978, S. 125 ff., 145.
2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie A l s gemeinsames S a c h p r o b l e m des b ü r g e r l i c h - r e v o l u t i o n ä r e n N a t u r rechts l ä ß t sich d a m i t die F r a g e angeben, w i e u n t e r d e r V o r a u s s e t z u n g d e r „ u n g e s e l l i g e n G e s e l l i g k e i t " des Menschen e i n M i t e i n a n d e r i n d i v i d u e l l e r F r e i h e i t i n d e r Gesellschaft m ö g l i c h ist, ohne daß d i e F r e i h e i t a n d e r e n als aus i h r selbst g e n o m m e n e n S c h r a n k e n u n t e r w o r f e n w i r d 9 . E n t g e g e n d e m f e u d a l e n N a t u r r e c h t , das die menschliche F r e i h e i t , sof e r n es sie ü b e r h a u p t a n e r k a n n t e , sofort i n eine o b j e k t i v vorgegebene S e i n s o r d n u n g als m a t e r i a l e S c h r a n k e e i n f ü g t 1 0 , s o l l e n i m b ü r g e r l i c h r e v o l u t i o n ä r e n N a t u r r e c h t n u r solche S c h r a n k e n i n d i v i d u e l l e r F r e i h e i t a n e r k a n n t w e r d e n , d i e sich aus d e n B e d i n g u n g e n i h r e r gesellschaftl i c h e n V e r t r ä g l i c h k e i t ergeben. D e r Z u s a m m e n h a n g d e r i n d i v i d u e l l e n F r e i h e i t s o l l h i e r also als s e l b s t d e f i n i e r t e r u n d - e n t w o r f e n e r gedacht w e r d e n , u n d n i c h t als vorgegebenes Schicksal. A n diesem S a c h p r o b l e m s i n d die Lösungsvorschläge des klassischen N a t u r r e c h t s 1 1 z u messen. B e i d e n i m R a h m e n des klassischen N a t u r r e c h t s e r a r b e i t e t e n L ö s u n g s v o r s c h l ä g e n f ü r dieses P r o b l e m lassen sich g r o b z w e i verschiedene G r u p p e n u n t e r s c h e i d e n 1 2 : E i n m a l T h e o r i e n , w e l c h e die U n v e r ä u ß e r l i c h β Vgl. als Formulierung dieser Zentralfrage der politischen Philosophie auch B. Willms, Wege des Leviathan, Der Staat, Beiheft 3, 1979, S. 52 f., insbes. S. 53: „Wie k a n n m a n die bestehenden Verhältnisse so verändern oder so neu legitimieren, daß i h r Organisationsprinzip die Freiheit des einzelnen wird?". Vgl. auch w e i t e r h i n zur K o n t u r i e r u n g des naturrechtlichen Sachproblems u n d auch zum folgenden: J. Perels, Sind Grundrechte u n d Demokratie unvereinbar? Z u r K r i t i k einer konservativen Grundthese, in: Vorgänge, Heft 1, 1984, S. 1 ff. 10 Vgl. zur Darstellung des feudalen Naturrechts aus der Sicht Blochs: E. Bloch, Naturrecht, S. 50 ff. 11 Unter „klassischem Naturrecht" w i r d manchmal auch die aristotelischthomistische F o r m des Naturrechts verstanden (vgl. H. Ryffel, Rechts- u n d Staatsphilosophie, 1969, S.239). Hier w i r d i m Anschluß an die Terminologie Blochs unter klassischem Naturrecht die bürgerlich-revolutionäre E n t w i c k lungsetappe der naturrechtlichen Theorien verstanden. Vgl. zu dieser Unterscheidung grundsätzlich J. Habermas, Naturrecht u n d Revolution, in: ders., Theorie u n d Praxis, S. 89 ff. Für Habermas liegt der entscheidende Unterschied der beiden Naturrechtskonstruktionen i n der V e r hältnisbestimmung v o n Staat u n d Gesellschaft. Während die der französischen Traditionslinie zuordenbare Richtung eine Staat u n d Gesellschaft u m fassende Organisation anstrebe, gehe es für die liberale T r a d i t i o n u m den Schutz eines schon vorstaatlich ausgebildeten Verkehrs. Vgl. insbes. S. 107 ff., 117. Habermas begründet diese Unterscheidung auch m i t unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der bürgerlichen Revolution einerseits i m anglo-amerikanischen Rechtskreis, wo schon ausgebildete kapitalistische Verhältnisse gegen staatliche Eingriffe zu verteidigen w a r e n u n d andererseits auf dem europäischen Kontinent, w o diese Verhältnisse erst noch zu schaffen waren. Auch Bloch sieht diesen Unterschied i m anglo-amerikanischen u n d französischen Verständnis der bürgerlichen Revolution: „ Z u m Unterschied v o n der französischen, die eine bisher nicht dagewesene F o r m v o n bürgerlicher Gesellschaft gegen die feudaltheokratische herstellte, ist die amerikanische Rev o l u t i o n eine Herstellung v o n etwas, was eigentlich immer da w a r u n d n u r durch die Tee-Akte v o n K i n g George gebrochen worden ist, u n d deshalb wurde rebelliert." E. Bloch, Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der P h i l o 2 Christensen
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2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie
keit der subjektiven Freiheitsrechte auch gegenüber der demokratischen Herrschaftsform betonen und somit der Volkssouveränität eine Sphäre ,.natürlicher Freiheit" als vorgesellschaftlichen Wert überordnen. Zum anderen Theorien, welche die uneingeschränkte Volkssouveränität als Garantie der individuellen Freiheit für ausreichend halten und den subjektiven Freiheitsrechten demgegenüber keine selbständige Bedeutung zumessen. 2.1 Die liberale Lösung: Eine gesellschaftlich unverfügbare Freiheitssphäre als Schranke der Volkssouveränität Der genuin liberale Traditionsstrang des klassischen Naturrechts zieht als Mittel die Reziprozität der individuellen Freiheit zu garantieren nicht allein die Volkssouveränität i n Betracht, sondern vor allem die Garantie einer auch der Volkssouveränität selbst vorgeordneten Sphäre privater Freiheit. Deutlich w i r d dies schon bei John Locke als „Ahnherr des politischen Liberalismus". 1 Bei dem englischen Philosophen dient vorrangig die Garantie der Freiheitsrechte dazu, die bewußte Gestaltung der Gesellschaft durch den Menschen zu sichern. Gerichtet gegen die Annahme einer den Menschen vorgegebenen göttlichen Ordnung postuliert er eine der Vergesellschaftung vorausgehende natürliche Freiheit. Die natürliche Freiheit folgt bei Locke aus der Setzung von Arbeit als Grundkategorie seiner Anthropologie 2 . I n der Schrift „Zwei Abhandlungen über die Regierung" heißt es dazu: „Gott gab also durch das Gebot, sich die Erde zu unterwerfen, die Vollmacht, sie sich anzueignen. Und die Bedingung des menschlichen Lebens, das Arbeit und Stoff, der bearbeitet werden kann, erfordert, führt notwendigerweise zum Privatbesitz." 3 Die menschliche Arbeit ist damit a priori als von ihren gesellschaftlichen Eigenschaften entkleidete Privatarbeit gefaßt, und das Privatsophie, Typoskript Ernst-Bloch-Archiv Ludwigshafen, S. 1782. Ä h n l i c h auch die Gegenüberstellung Rousseaus zur liberalen Traditionslinie bei L. Colletti , Rousseau, K r i t i k e r der „bürgerlichen Gesellschaft", i n : ders., Marxismus u n d D i a l e k t i k , 1977, S. 78 ff. ι R. Rotermundt, Das Denken John Lockes, 1976, S. 7. Kritisch zu der Sicht als Erzvater des Liberalismus, w e n n damit die Vorstellung eines harmonischen laissez-faire Liberalismus bei Locke gemeint ist: H. Medick, N a t u r zustand u n d Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, 1973, S. 131. 2 Vgl. zum Stellenwert des Begriffs A r b e i t i m Rahmen der Theorie John Lockes u n d auch für die E n t w i c k l u n g der klassischen politischen Ökonomie die eben genannte Untersuchung von Rotermundt sowie E. Braun, Die n a t u r rechtlichen Fundamente der klassischen politischen Ökonomie, in: Ernst Blochs W i r k u n g , S. 381 ff. 3 J. Locke, Z w e i Abhandlungen über die Regierung hrsgg. u n d eingeleitet v o n W. Euchner, 1967, S. 220 f.
2.1. Die liberale Lösung
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eigentum kann von Locke als Natureigenschaft des Menschen 4 bestimmt werden: „Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind, so können w i r sagen, i m eigentlichen Sinne sein Eigentum. Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und i n dem sie es belassen hat, hat er m i t seiner Arbeit gemischt und i h m etwas eigenes hinzugefügt. Da er es dem gemeinsamen Zustand, i n den es die Natur gesetzt hat, entzogen hat, ist i h m durch seine Arbeit etwas hinzugefügt worden, was das gemeinsame Recht der anderen Menschen ausschließt." 5 Wenn damit der natürliche Mensch m i t dem isoliert arbeitenden Privateigentümer gleichgesetzt wird, folgt daraus, daß das von i h m produzierte Arbeitsergebnis eine Ware ist. Die Beziehung zwischen diesen isolierten Warenproduzenten, die gesellschaftliche Synthese also, kann damit nur als Austausch ihrer Produkte, als Warenzirkulation, gefaßt werden. Hier liegt die Wurzel der natürlichen Freiheit und Gleichheit. Denn das Funktionieren der Zirkulation setzt i n ihrer Verfügungsmacht unbeschränkte Warenbesitzer voraus, welche unter der Bedingung rechtlicher Gleichheit sich i m Austausch gegenseitig als Privateigentümer anerkennen.® Der Zweck eines die isolierten Privateigentümer zusammenführenden Gesellschaftsvertrags 7 kann dann nur die Bewahrung dieser vorausgesetzten natürlichen Rechte der Warenbesitzer sein: „Das große Ziel, das Menschen, die i n eine Gesellschaft eintreten, vor Augen haben, liegt i m friedlichen und sicheren Genuß ihres Eigentums (.. .)." 8 Der Staatsmacht ist damit von vornherein die Grenze gesetzt, das natürliche Eigentum zu respektieren, und über die Garantie der natürlichen Ordnung hinaus kann sie keine Befugnisse besitzen, i n diese Ordnung einzugreifen. 4 Z u r Arbeitslegitimation des Eigentums bei Locke vgl. H. Medick, N a t u r zustand u n d Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 87 ff. 5 J. Locke, Z w e i Abhandlungen über die Regierung, S. 218. 6 Vgl. dazu E. Braun, Die naturrechtlichen Fundamente der klassischen politischen Ökonomie, in: Ernst Blochs W i r k u n g , S. 381 ff.,insbes. S. 402 ff., 410. 7 Ob u n d i n welcher Weise Locke v o r den Gesellschaftsvertrag einen realen Naturzustand setzt, ist umstritten. Nach F. Pollock, Essays i n the law, 1922, handelt es sich dabei u m eine bloß theoretische Abstraktion, während S. P. Lamprecht, The M o r a l and Political Philosophy of John Locke, 1962, S. 131 u n d R. H. Cox, Locke on War and Peace, 1960, S. 99 ff. den Naturzustand als historisch real setzen. Fraglich ist auch, ob es sich dabei u m einen Friedensoder Kriegszustand handelt. Vgl. etwa G. H . Sabine, A History of Political Theory 1950 u n d L. Strauss, Naturrecht u n d Geschichte, 1956, S. 230. Vgl. zum Ganzen auch C. B. Macpherson, Political Theory of Possessive I n d i v i d u alism, 1962; vgl. zum Naturzustand bei Locke w e i t e r h i n H. Aarsleff, The state of nature and the nature of m a n i n Locke, in: J. W. Y o l t o n (Hrsg.), John Locke — Problems and Perspectives, 1969, S. 99 ff. E i n Uberblick auch bei H. Medick, Naturzustand u n d Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, S. 98 ff., der den Naturzustand bei Locke als normativ-analytisches Theorem versteht. β J. Locke, Z w e i Abhandlungen über die Regierung, S. 289. Vgl. dazu auch R. Rotermundt, Das Denken John Lockes, S. 109 ff. u n d 119 ff.
2·
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2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie
D i e V o r s t e l l u n g e i n e r b ü r g e r l i c h e n P r o d u k t i o n s w e i s e als n a t u r g e g e b e n ist also d i e B e d i n g u n g f ü r das Pathos, m i t d e m d e r L i b e r a l i s m u s gegen die Staatsmacht e i n F o r t g e l t e n d e r n a t ü r l i c h e n F r e i h e i t s r e c h t e e i n f o r d e r t . Dieses Pathos t r ä g t die e r s t e n A k t e e i n e r P o s i t i v i e r u n g d e r bürgerlich-revolutionären Naturrechtsgrundsätze in Amerika und F r a n k r e i c h als D e k l a r a t i o n v o n G r u n d r e c h t e n d e r I n d i v i d u e n gegen die Staatsmacht.® D i e s u b j e k t i v e n Rechte w e r d e n d a b e i v e r s t a n d e n als A u s d r u c k e i n e r u n v e r ä u ß e r l i c h e n n a t ü r l i c h e n F r e i h e i t des Menschen, w e l c h e auch i m Z u s t a n d d e r V e r g e s e l l s c h a f t u n g n i c h t v e r l o r e n gehen darf. I n dieser B e s t i m m u n g des V e r h ä l t n i s s e s v o n G r u n d r e c h t e n u n d dem o k r a t i s c h e r H e r r s c h a f t s f o r m d u r c h die g e n u i n l i b e r a l e N a t u r r e c h t s t h e o r i e 1 0 k o m m t eine b e s t i m m t e Sichtweise d e r F r e i h e i t z u m A u s d r u c k 1 1 . D i e menschliche F r e i h e i t w i r d n i c h t v o r r a n g i g als F r e i h e i t in d e r Gesellschaft m i t d e m Z i e l e i n e r I d e n t i t ä t v o n R e g i e r e n d e n u n d R e g i e r t e n b e s t i m m t 1 2 , s o n d e r n v o r a l l e m als F r e i h e i t von d e r Gesellschaft, » Z u nennen sind hier die „ B i l l of Rights" v o n V i r g i n i a (1766), u n d die „Déclaration des droits de l'homme et du citoyen" (1789). Vgl. grundsätzlich zur historischen E n t w i c k l u n g der Menschen- u n d Bürgerrechte: F. Ermacora, Menschenrechte i n der sich wandelnden Zeit, Bd. I : Historische Entwicklung der Menschenrechte u n d Grundfreiheiten, 1975; für die amerikanische E n t w i c k l u n g A . C. McLaughlin , A Constitutional History of the United States, 1975. Die zentrale Stellung dieser Freiheitsrechte als Legitimation u n d Begründung der bürgerlichen Revolution betont auch J. Habermas, Naturrecht u n d Revolution, in: ders., Theorie u n d Praxis, S. 89 ff., 92. 10 Gemeint ist hier die an John Locke anknüpfende T r a d i t i o n des klassischen Naturrechts. Vgl. zur Hervorhebung dieser liberalen T r a d i t i o n des klassischen Naturrechts. Vgl. zur Hervorhebung dieser liberalen Traditionslinie J. Habermas, ebd. Allerdings ist dieser liberale Traditionsstrang entgegen der Auffassung v o n Habermas nicht so k l a r v o n der französischen Traditionslinie zu scheiden. Dies zeigt schon die an die liberale Auffassung anschließende Position des französischen Verfassungstheoretikers Sièyes. Vgl. dazu E. J. Sièyes, Politische Schriften 1788 - 1790, hrsgg. v o n E. Schmitt u n d R. Reichhardt, 1981. Vgl. allgemein zum Einfluß der genuin liberalen Theorie auf die französische Revolution: I . M . Wilson, 1The Influence of Hobbes and Locke i n the shaping of the concept of sovereignty i n eighteenth century France, 1973. Auch Bloch unterscheidet die verschiedenen Ausgangsbedingungen u n d Zielstellungen der amerikanischen u n d der französischen Revolution des Bürgertums, aber er folgert daraus keineswegs eine vollständige Trennbarkeit beider theoretischer Traditionsstränge des Naturrechts entlang der jeweiligen p o l i tischen Landesgrenzen. Vgl. E. Bloch, Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Typoskript, S. 1771 ff. " Vgl. zur Abgrenzung gegen die Auffassung Rousseaus: L. Colletti, Rousseau, K r i t i k e r der „bürgerlichen Gesellschaft", in: ders., Marxismus u n d Dial e k t i k , S. 78 ff., 103 ff. !2 Vgl. wiederum zur Abgrenzung gegen Rousseau: U. Cerroni, Gleichheit u n d Freiheit, i n : ders., M a r x u n d das moderne Recht, S. 175 ff., 240 ff., 241. Ceroni sagt dort v o n Rousseau, er vertiefe die politischen Wurzeln der Volkssouveränität, „ i n d e m sie nicht etwa die K o n s t r u k t i o n eines Staates als Wächter über die individuellen Rechte betreibt, sondern die K o n s t r u k t i o n eines Staates, der die Gemeinschaft des Volkes v e r w i r k l i c h t , eines m o i commun."
2.1. Die liberale Lösung
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d.h. als Schutz einer vom Staat unabhängigen und von selbst funktionierenden Verkehrsform 1 3 . Bloch hebt diese Auffassung der Freiheit als von Staat und Gesellschaft unabhängige autonom funktionierende Größe, die nur des Schutzes gegen störende Außeneingriffe bedarf, i n seiner Darstellung der Staatsvertragslehre Lockes hervor: „Das Gesetz ist auch naturrechtlich beschlossen worden durch einen Vertrag, der beide bindet, den Unterworfenen und den Unterwerfer, der aber kein Unterwerfer ist i m Sinne von Hobbes, sondern ein Einiger i m Sinne von Grotius. Infolgedessen kann der Monarch abgesetzt werden, wenn er das Gesetz verletzt. Das ist genau die Formel, nicht etwa — was noch zu ergänzen —, weil ein neues Gesetz, eine neue Verfassung, eine neue Ordnung der Produktionsverhältnisse geschaffen werden soll, nein, weil die urgegebene Ordnung der Produktionsverhältnisse, die von Natur aus immer kapitalistisch war und es jetzt endlich geworden ist, verhindert w i r d . " 1 4 Unter dieser Voraussetzung einer von selbst funktionierenden gesellschaftlichen Verkehrsform ist Demokratie als Herrschaft des Volkes nicht schon i n sich selbst Endzweck, sondern Minimallösung, u m i m Interesse der Freiheit egoistisch wirtschaftender Individuen Herrschaft gering zu halten und zu kontrollieren. 1 5 Das unbedingte Vertrauen i n die über den Markt vermittelten Selbstregulationskräfte der Gesellschaft ist hier also verbunden m i t einem prinzipiellen Mißtrauen gegenüber jedweden obrigkeitlichen Eingriffen i n diese Selbstregulationsmechanismen. Aber gerade von Bloch w i r d daneben noch eine zweite Wurzel dieses prinzipiellen Mißtrauens gegen die Obrigkeit hervorgehoben. Es ist dies der schon bei Locke deutlich hervortretende Aspekt der Erkenntniskritik: „Gegen den beschränkten Untertanenverstand, eine Kategorie, die Anfang des 19. Jahrhunderts i n Preußen geprägt worden ist als konziser Ausdruck der neufeudalen Verachtung des Bürgertums, steht hier der Satz: ,Der Untertan und der Monarch sind sich gleich i m Vernunftgebrauch! 4 " 1 β Wie Bloch schon i n der Systematik seiner Darstellung von Locke deutlich macht 1 7 , besteht eine enge Beziehung zwischen dem prinzipiellen Mißtrauen des englischen Philosophen 13 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt von i m Liberalismus schon vorausgesetzten selbstregulierenden gesellschaftlichen Verhältnissen: E. Bloch, Leipziger V o r lesungen zur Geschichte der Philosophie, Typoskript, S. 1782, 1784; W. Rosenbaum, Naturrecht u n d positives Recht, 1972, S. 278 ff. 14 E. Bloch, ebd., S. 1782. 15 Die starke Orientierung der genuin liberalen Naturrechtstheorie an dem Modell einer antagonistischen Marktgesellschaft m i t egoistisch wirtschaftenden I n d i v i d u e n w i r d besonders stark betont bei C. P. Macpherson, Political Theory of Possessive Individualism, 1962. le e . Bloch, Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Typoskript, S.1781. 17
Vgl. ebd., S. 1771 ff.
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2. Ausgangsproblem: Das Scheitern der Naturrechtsutopie
gegen jede Form der Herrschaft, sei sie auch demokratisch, und der von i h m vorangetriebenen Entwicklung der Erkenntniskritik. 1 8 Lockes rechtsphilosophisches Hauptwerk „Two treaties of government" muß deswegen immer i m Zusammenhang m i t seinem erkenntnistheoretischen Werk „Essay concerning human understanding" gesehen werden. Die Lockesche Skepsis gegenüber einer homogenen Wertgemeinschaft als tragende Voraussetzung für eine unbeschränkte Volkssouveränität beruht darauf, daß seiner Auffassung nach die Vernunft der Selbstbestimmung sich nicht an apriorischen Gesetzen oder eine Einsicht i n die Wesensverhältnisse der Dinge orientieren kann. 1 9 Trotz aller Schwächen 20 erweist sich damit die m i t einem mechanischen Materialismus verbundene sensualistische Erkenntnistheorie Lockes als „großartige Brechstange gegen Adel und Geistlichkeit". 2 1 Neben das „düster-progressive Wesen" des beginnenden Kapitalismus t r i t t also der erkenntniskritische Aspekt als weiteres Motiv für ein prinzipielles Mißtrauen gegenüber jeglicher Obrigkeit. I m Vordergrund steht für die genuin liberale Tradition des Naturrechts nicht ausschließlich die Frage nach dem ,Wer' der Herrschaft, sondern mehr die praktische Frage nach deren ,Wie