Frauen im Technikmuseum: Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen 9783839434321

A plea for a technological museum that replaces institutionalized hegemonic masculinity with gender-equitable multipersp

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German Pages 222 Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Bestandsaufnahme der Geschlechterverhältnisse in (Technik-)Museen
Frauen im Deutschen Technikmuseum Berlin
Ergebnisse der Besucherforschung
Frauen in den Ausstellungen »Eisenbahn«, »Luftfahrt« und »Schifffahrt«
Frauen in weiteren Ausstellungen
Von Frauen bevorzugte Ausstellungen
Frauen in anderen Technikmuseen
Frauenmuseen
Frauen in Sonderausstellungen
Frauen in Dauerausstellungen
Hamburg
Marktbreit
Ursachen der Exklusion
Natur im Technikmuseum
Aufklärung im Technikmuseum
Aufklärung und Frauen
Technik und hegemoniale Männlichkeit
Gender, Race, Class
Gender im Technikmuseum
Ansatzpunkte der Inklusion
Erster Ansatzpunkt : Kompensatorische Vermittlungsarbeit
Zweiter Ansatzpunkt : Kurzfristig realisierbar
Sprache
Interventionen
Multiperspektivische Ausstellungen
Problematik der Nachbesserung
Dritter Ansatzpunkt : Langfristig realisierbar
Personalpolitik
Architektur und Gestaltung
Forschung
Forschungsthema »Gender« im Museum
Forschungsthema »Werkzeug- und Sozialentwicklung«
Forschungsthema »Erinnerung«
Sammlungspolitik
Sammeln und Geschlecht
Objekt und Geschlecht
Objektwahrnehmung
Eigensinn des Objekts
Objekt und Erzählung
Multiperspektivität von Objekten
Neusichtung der Sammlung
Fragen an ein Objekt
Thema »Arbeit«
Museum der Arbeit Hamburg
technisches museum wien
Science Museum London
Ruhr Museum Essen
Sichtbarmachen
Reproduktionsarbeit
Grundbedürfnisse
Globale Arbeitsteilung
Thema »Krieg«
Krieg im Deutschen Technikmuseum Berlin
Krieg und Museum
Krieg, Gender und Museum
Militärhistorisches Museum Dresden
Deutsch-Russisches Museum Karlshorst
Museum Hürtgenwald 1944 und im Frieden
Forschungsaufgaben zu Krieg und Gender im Museum
Kriegserinnerungen
Wunderkammer
Zusammenfassung
Literaturauswahl
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Frauen im Technikmuseum: Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen
 9783839434321

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Anna Döpfner Frauen im Technikmuseum

Edition Museum | Band 21

Anna Döpfner hat Germanistik, Politikwissenschaften und Ethnologie studiert und als Lehrerin und Kustodin gearbeitet. Von 1988 bis 2014 hat sie die Abteilung Textiltechnik und von 2004 bis 2012 zusätzlich die Abteilung Bildung im Deutschen Technikmuseum in Berlin geleitet. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind industrielle und globale Produktion, Frauenarbeit sowie Bildung im Museum.

Anna Döpfner

Frauen im Technikmuseum Ursachen und Lösungen für gendergerechtes Sammeln und Ausstellen

Herausgeber: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Deutsches Technikmuseum Berlin, Ausstellung Luftund Raumfahrt, Besucherin und Teil einer Junkers »Ju 88« © SDTB/Foto: C. Kirchner Korrektorat: Wolfgang Delseit Layout & Satz: punkt8-berlin.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3432-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3432-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Vorwort  | 7 Einleitung  | 15 Bestandsaufnahme der Geschlechter­v erhältnisse in (Technik-) Museen  | 19 Frauen im Deutschen Technikmuseum Berlin | 19 Ergebnisse der Besucherforschung | 21 Frauen in den Ausstellungen »Eisenbahn«, »Luftfahrt« und »Schifffahrt« | 22 Frauen in weiteren Ausstellungen | 32 Von Frauen bevorzugte Ausstellungen | 37 Frauen in anderen Technikmuseen | 41 Frauenmuseen | 43 Frauen in Sonderausstellungen | 46 Frauen in Dauerausstellungen | 48 Hamburg | 49 Marktbreit | 50

Ursachen der Exklusion  | 53 Natur im Technikmuseum | 53 Aufklärung im Technikmuseum | 59 Aufklärung und Frauen | 61 Technik und hegemoniale Männlichkeit | 65 Gender, Race, Class | 69 Gender im Technikmuseum | 72

Ansatzpunkte der Inklusion  | 77 Erster Ansatzpunkt : Kompensatorische Vermittlungsarbeit  | 79 Zweiter Ansatzpunkt : Kurzfristig realisierbar  | 87 Sprache | 87 Interventionen | 88 Multiperspektivische Ausstellungen | 97 Problematik der Nachbesserung | 101

Dritter Ansatzpunkt : Langfristig realisierbar  | 103 Personalpolitik | 103 Architektur und Gestaltung | 105 Forschung | 109 Forschungsthema »Gender« im Museum | 109 Forschungsthema »Werkzeug- und Sozialentwicklung« | 118 Forschungsthema »Erinnerung« | 122 Sammlungspolitik | 126 Sammeln und Geschlecht | 126 Objekt und Geschlecht | 128 Objektwahrnehmung | 130 Eigensinn des Objekts | 131 Objekt und Erzählung | 134 Multiperspektivität von Objekten | 135 Neusichtung der Sammlung | 136 Fragen an ein Objekt | 138 Thema »Arbeit« | 139 Museum der Arbeit Hamburg | 139 technisches museum wien | 141 Science Museum London | 143 Ruhr Museum Essen | 144 Sichtbarmachen | 146 Reproduktionsarbeit | 150 Grundbedürfnisse | 157 Globale Arbeitsteilung | 158 Thema »Krieg« | 161 Krieg im Deutschen Technikmuseum Berlin | 163 Krieg und Museum | 173 Krieg, Gender und Museum | 176 Militärhistorisches Museum Dresden | 178 Deutsch-Russisches Museum Karlshorst | 180 Museum Hürtgenwald 1944 und im Frieden | 182 Forschungsaufgaben zu Krieg und Gender im Museum | 185 Kriegserinnerungen | 190 Wunderkammer  | 193 Zusammenfassung  | 209 Literaturauswahl  | 213

Vorwort

Die vorliegende Arbeit reflektiert die Erfahrung einer langjährigen Innensicht auf das Deutsche Technikmuseum Berlin und setzt sich kritisch mit der Repräsentation von Frauen in (Technik-)Museen auseinander. Sowohl im Berliner Technikmuseum als auch in den meisten anderen Technikmuseen sind Frauen in den Ausstellungsinhalten und nach den Ergebnissen der Besucherstatistik unterrepräsentiert. Im Deutschen Museum in München beispielsweise haben sich die ›Geschlechterproportionen‹ über 25 Jahre hinweg fast nicht verändert: Es kamen immer doppelt soviele Männer wie Frauen in das Museum.1 Die Besucher_innenforschung im Deutschen Technikmuseum Berlin brachte nach regelmäßigen Befragungen zwischen 2006 und 2010 das gleiche Ergebnis.2 In dieser Arbeit soll den Gründen nachgegangen werden, warum Technikmuseen für Frauen so wenig attraktiv sind, wie es die Besucher_innenzahlen belegen. Die Analyse soll auch zeigen, warum in Bezug auf die Repräsentation von Frauen in Technikmuseen bisher kaum etwas passiert ist. Die vielen tiefgreifenden Veränderungen im Technikmuseum wie etwa der Paradigmenwechsel von der Darstellung einer auf technische Fakten, Reihungen und Jahreszahlen fokussierten Technikgeschichte zu einer Kulturgeschichte der Technik bezog Erkenntnisse der Geschlechterforschung nicht oder nur unwesentlich ein. Dabei hat die Geschlechterforschung in den letzten 40 Jahren immer differenziertere Ergebnisse hervorgebracht, die sichtbar in die Gesellschaft eingegangen 1 |  Klein, Hans Joachim u. a., go West. Die Besucher des Deutschen Museums und ihre Meinungen über das Neue Verkehrsmuseum, Karlsruhe 2000. 2 |  Schönert, Volker, VisitorChoice, Besucherbefragung und Evaluation, Deutsches Technikmuseum Berlin, Profilbefragung Haupthaus 2006–2009 und Profilbefragung Haupthaus 2006–2010.

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Frauen im Technikmuseum

sind. Heute ist die ehemalige »Frauenforschung« als Fachrichtung an vielen Hochschulen unter der Bezeichnung »gender studies« etabliert und unterwirft bereits ihre eigene Geschichte der kritischen Reflexion. In dieser Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema »Geschlecht« können vier Richtungen verortet werden, die auch in die vorliegende Arbeit eingegangen sind: die Theorien von Gleichheit und Differenz der Geschlechter und die Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht.3 Diese vier Bewegungen in der Geschlechterforschung sollen im Folgenden als Grundlage für die später ausgeführten Thesen zur Geschlechterfrage im Technikmuseum kurz vorgestellt werden. Leser_innen, die an der Einordnung der Arbeit in die Theorie der Geschlechterforschung weniger interessiert sind, können dies »Vorwort« auch überspringen und das Buch mit der »Einleitung« beginnen. Es könnte dann sinnvoll sein, das »Vorwort« zum Schluss zu lesen. Zu Beginn der »Frauenforschung« in den 1960er- und 70er-Jahren stand die Durchsetzung sozialer Gleichberechtigung von Mann und Frau im Mittelpunkt der akademischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Dabei wurde von einer als grundsätzlich angenommenen Gleichheit der Geschlechter ausgegangen. Ziel dieser Bewegung war Chancengleichheit und ein Ansatz zu ihrer Durchsetzung u. a. das volle Ausschöpfen des weiblichen Bildungspotenzials. Etwa zehn Jahre später verbreitete sich unter dem Begriff der Differenz zwischen den Geschlechtern eine von der Psychoanalyse beeinflusste Position in der Frauen- und Geschlechterforschung, die von unüberwindbaren und für die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung notwendigen biologischen (und sozialen) Unterschieden zwischen Frau und Mann ausging. Differenztheoretiker_innen sahen einen Weg zur Durchsetzung größerer Geschlechtergerechtigkeit darin, den Eigenschaften, die Frauen 3 |  Einen jeweils kurzen Überblick über die Geschichte der Frauenforschung bzw. -bewegung bieten z. B. Lenz, Ilse, Frauenbewegungen: Zu den Anliegen und Verlaufsformen von Frauenbewegungen als sozialen Bewegungen. In: Becker, Ruth, Kortendiek, Beate (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2010, S. 867–877, und Opitz, Claudia, Nach der Gender-Forschung ist vor der Gender-Forschung. Plädoyer für die historische Perspektive in der Geschlechterforschung. In: Casale, Rita, Rendtorff, Barbara (Hg.), Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung, Bielefeld 2008, S. 14–31.

Vor wor t

als wesenhaft zugeschrieben wurden, gesellschaftliche Wertschätzung zu verschaffen. Gleichberechtigung bedeutete für sie Gleichheit durch die Anerkennung der Differenz zwischen den Geschlechtern. Anfang der 1990er-Jahre setzte sich in der Geschlechterforschung die Gendertheorie durch u.  a. beflügelt durch den 1986 erschienenen Artikel »Gender: A Useful Category of Analysis« der Historikerin Joan Scott. 4 Genderforscher_innen unterscheiden zwischen Sexus, dem biologischen Geschlecht, und der Konstruktion von »Gender« als sozialem Geschlecht. Mit dem Wechsel von der »Frauen«- zur »Genderforschung« kam die soziale Emanzipation von Frauen und Männern gleichermaßen in den Blick. Sie bestimmt heute die öffentliche Diskussion. Zu deren Weiterentwicklung hat im Wesentlichen die Philosophin Judith Butler mit ihrem 1990 in New York veröffentlichten Buch »Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity« beigetragen.5 Sie geht davon aus, dass auch der Körper sozial konstruiert ist, und beschreibt damit eine Dekonstruktion des Genderbegriffs. Es gibt nach Butlers Auffassung keine vorgesellschaftliche, naturgegebene Geschlechtlichkeit. Die Körper werden in einem lebenslang sich vollziehenden Prozess durch auf sie einwirkende (Sprach-)Handlungen in die Zweigeschlechtlichkeit gedrängt, weil Heterosexualität die gesellschaftliche Norm und das anzustrebende Ideal ist.6 An der Aufrechterhaltung dieser Norm ist nach Butler die feministische Geschlechterforschung solange mitbeteiligt, wie sie am Begriff der Zweigeschlechtlichkeit festhält. Verzichtet die feministische Bewegung aber auf die Rede von »männlich« und »weiblich«, ist ihrem Kampf für eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses das Gegenüber entzogen. Butler schlägt als neue Formen des Widerstands die subversive Um-

4 |  Deutsch: Gender, eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. In: Schissler, Hanna (Hg.), Geschlechterverhältnisse im historischen Wandel, Frankfurt a. M. 1993, S. 37–58. 5 |  Deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt a. M. 1991. 6 |  Sprache ist in dieser Sicht ein Konstruktionsprinzip von Wirklichkeit; Worte haben die Macht, das, was sie bezeichnen, auch zu vollziehen. Die als performativ bezeichneten Sprechakte dienen dem Erhalt der patriarchalischen Machtstrukturen.

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Frauen im Technikmuseum

kehrung von Sprechakten, Geschlechterparodien und die Variierung der unausweichlichen, normierenden Wiederholungen vor.7 Die von Butler favorisierte politische Praxis ist ebenso wie ihre Analyse der Genderforschung mit der Begründung kritisiert worden, die von ihr entwickelte Theorie sei losgelöst vom historischen und sozialen Fundament. Butler sieht den einzelnen Menschen: Sie traut jedem Individuum zu, durch die Entwicklung seines und ihres Bewusstseins die normierenden Zwänge der Heterosexualität aufzubrechen und für sich selbst eine von vielen möglichen Identitäten herauszubilden. Es geht in Bezug auf die Genderfrage nicht mehr um Differenz, sondern um Differenzen. In der Einschätzung ihrer Kritiker_innen vernachlässigt Butler dabei die Nähe ihres Denkens zur neoliberalen Wirklichkeit, in der »die vorherrschende Form der Ideologie heute genau die der multiplen Identitäten [ist]. Wenn wir dieses Spiel spielen – nicht männlich, nicht weiblich, sondern vielmehr alle Möglichkeiten offen halten – dann spielen wir genau das spätkapitalistische Spiel.« 8

Diese Einordnung der Theorie von Judith Butler in ihren zeitlichen Kontext verweist darauf, dass alle vier hier skizzierten Theorien der Geschlechterforschung in einem bestimmten wirtschaftspolitischen Zusammenhang entstanden sind. Die Forderung nach Chancengleichheit der Geschlechter, verbunden mit dem Angebot kompensatorischer Bildungsangebote für Mädchen, wurde in der Bundesrepublik zu einem Zeitpunkt erhoben, als sich die Erkenntnis verbreitete, dass noch bestehende wirtschaftliche Modernisierungsrückstände mit der Förderung von brachlie7 |  Dazu Butler, Judith, Körper von Gewicht, Berlin 1995, S. 318: »Die Performativität beschreibt diese Beziehung des Verwickeltseins in das, dem man sich widersetzt, dieses Wenden der Macht gegen sie selbst, um alternative Modalitäten der Macht zu erzeugen und um eine Art der politischen Auseinandersetzung zu begründen, die nicht ›reine‹ Opposition ist, eine ›Transzendenz‹ derzeitiger Machtbeziehungen, sondern ein schwieriges Abmühen beim Schmieden einer Zukunft aus Ressourcen, die unweigerlich ›unrein‹ sind.« 8 |  Žižek, Slavoj, zit. n. Osborne, Peter (Hg.), Postscriptum. In: ders., A Critical Sense: Interviews with Intellectuals, London 1996, S. 42, zit. und übersetzt von Soiland, Tove, Jenseits von Sex und Gender. In: Fleig, Anne (Hg.), Die Zukunft von Gender. Begriff und Zeitdiagnose, Frankfurt a. M. 2014, S. 113.

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gendem »Humankapital« aufgeholt werden können. Die Differenzbewegung setzte ein, als die Wirtschaft prosperierte und sich die Gesellschaft nach der studentischen 1968er-Bewegung öffnete. Und das Konzept der Genderkonstruktion ebenso wie das seiner Dekonstruktion steht im Zusammenhang mit dem neoliberalen Wirtschaftssystem der westlichen Welt, das sich seit den 1990er-Jahren durchsetzt. »Die Gender-Theorie ist eine herrschaftskritische Theorie, aber sie ist in neoliberale Politik verwickelt.«9 Denn die Erkenntnis der Konstruiertheit des Geschlechts in der Genderforschung hat den Gegensatz zwischen Männern und Frauen soweit relativiert, dass auch der Gegensatz von Öffentlichkeit und Privatheit, Produktion und Reproduktion, Arbeit und Leben an Kontur verlor. Es war das Ziel der Frauenbewegung, flexible Übergänge zwischen den Bereichen zu schaffen, die traditionell Männern oder Frauen zugeschrieben wurden, beispielsweise zwischen Beruf und Familie. Heute verfolgt die neoliberale Wirtschaft das gleiche Ziel.10 Ihre Wirtschaftsstruktur befördert eine Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft, in der alle natürlichen Ressourcen, besonders die menschliche, in den Dienst der materiellen Entwicklung gestellt werden. Mit dem Fortschreiten dieser Entwicklung, die auch Frauen weitreichende Entfaltungsmöglichkeiten bietet, ist Stillstand in der feministischen Bewegung eingetreten: »[D]er Frauenbewegung korrespondiert kein gender movement.«11 Die Entwicklung der Frauenforschung über die Genderforschung bis zur Dekonstruktion von »Frauen« und »Gender« spiegelt sich in der vorliegenden Arbeit. Das Kapitel über die Bildung im Museum baut beispielsweise auf dem Gleichheitskonzept zwischen Mann und Frau auf, das in der Frühphase der Frauenbewegung im Vordergrund stand. Die in der Arbeit zentrale 9 |  Kontos, Silvia, Mit »Gender« in der Bewegung? Eine Antwort auf die Frage »Was kommt nach der Genderforschung?« aus der Perspektive von Frauenbewegung. In: Casale, Rita, Rendtorff, Barbara (Hg.), Was kommt nach der Genderforschung? Zur Zukunft der feministischen Theoriebildung, Bielefeld 2008, S. 67. 10 |  2014 wurde beispielsweise im Microsoft-Konzern die Trennung von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit aufgeben. Die Arbeitnehmer_innen können arbeiten, wo, wann und wie sie wollen. 11 |  Klinger, Cornelia, Gender in Troubled Times: Zur Koinzidenz von Feminismus und Neoliberalismus. In: Fleig, Anne (Hg.), Die Zukunft von Gender. Begriff und Zeitdiagnose, Frankfurt a. M. 2014, S. 127.

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Frauen im Technikmuseum

Forderung nach der Entwicklung von Multiperspektivität im Museum bezieht sich sowohl auf die Differenztheorie als auch auf den Identitätsbegriff in der dekonstruktivistischen Theorie. Die These der Konstruiertheit der Geschlechter, wie sie in der Gendertheorie entwickelt wurde, durchzieht das gesamte Buch. Sie besagt, dass alles auch anders konstruiert werden könnte, und legt damit den Grundstein für eine neue Sammlungs-, Forschungs- und Ausstellungsarbeit im Museum.12 Die am weitesten fortgeschrittene Position der feministischen Theorie der Philosophin Judith Butler13 ist am wenigsten mit der vorgefundenen Situation im (Technik-)Museum vereinbar. Ihre Vision einer Gesellschaft, in der das Geschlecht kein herrschaftslegitimierender Faktor mehr ist, kann als utopisches Moment die Arbeit im Museum vorantreiben. Die Vorstellung, gesellschaftliche Normalität wie die Zweigeschlechtlichkeit radikal in Frage zu stellen, ist mutig, herausfordernd und anspruchsvoll. Sie wirkt aber gleichzeitig lähmend, weil sich vom akademischen Standpunkt des Dekonstruktivismus im Museum mit jeder Benennung des Geschlechts und mit jedem Inklusionsangebot die bestehende patriarchalische Geschlechterordnung weiter verfestigt. Um Zuschreibungen zu vermeiden, dürften daher über »Frauen« keine Aussagen mehr gemacht werden (beispielsweise: »Frauen sind in den Ausstellungen 12 |  Die Erkenntnis der Konstruiertheit der Geschlechter fordert zum Nachdenken über den »Möglichkeitssinn« heraus, den der Schriftsteller Robert Musil 1930 und bis heute unübertroffen formuliert hat: »Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken, und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.« Musil, Robert, Der Mann ohne Eigenschaften, Reinbek 1981, Bd. 1, S. 16. 13 |  Wobei Feminismus als eine Emanzipationsbewegung zu verstehen ist, die Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse analysieren und verändern will. Siehe dazu Thiessen, Barbara, Feminismus: Differenzen und Kontroversen. In: Becker/Kortendiek 2010, S. 37–44.

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nicht repräsentiert« oder »Frauen möchten in den Ausstellungen Technikfolgen sehen«). Im Moment drängt sich aber während des »schwierigen Abmühen[s] beim Schmieden einer Zukunft aus Ressourcen, die unweigerlich ›unrein‹ sind«14 , vorrangig das genaue Hinsehen und eine grundlegende Analyse des Bestehenden auf. Dies ist nur über Sprache realisierbar. Insofern ist Butlers These, Sprache verfestige Wirklichkeit, nur die halbe Wahrheit. Reflektierte Sprache bricht Wirklichkeit auch auf. Die butlersche Theorie fordert zu einer Ausstellungspraxis heraus, die in multiperspektivischer Weise den verschiedenen Identitäten gerecht wird, die ein Individuum ausprägen kann. Das Genderkonzept kann dabei, wenn es verändern will, ohne zu reproduzieren, nur paradox verwandt werden in dem Sinn von »using gender to undo gender«, d.  h. als eine reflektierende Genderpraxis.15 Diese Methode dient dem Aufzeigen von geschlechterbezogenen Repräsentationsmustern und Leerstellen. Sie unterstützt die historische und aktuelle Analyse von Ausschlussmechanismen und die inhaltliche Arbeit am Aufbau eines Museums, in dem Menschen als unterschiedlich sozial geprägte, je einzigartige Individuen neue Erfahrungen machen und Erkenntnisse gewinnen können. Vor dem Hintergrund zum einen der täglichen Museumsarbeit und zum anderen einer fortgeschrittenen Gendertheorie verweist die vorliegende Arbeit auch auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissenschaft und Alltag, d. h. in diesem Fall auf das Missverhältnis zwischen der Ausdifferenzierung der »gender studies« und dem gleichzeitigen Stillstand in der gesellschaftspolitischen Entwicklung zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Insofern ist die Arbeit ein Spagat zwischen befreienden Erkenntnissen auf der einen Seite und der Begrenztheit des (Museums-)Alltags auf der anderen. Ziel der Untersuchung ist es deshalb, einen weiteren Anstoß zur Schaffung von emanzipatorischen Verhältnissen in (Technik-)Museen zu geben. Um in dieser Richtung weiterzuarbeiten, sind in Zukunft insbesondere solche Untersuchungen erforderlich, die einzelne Aspekte des Sammelns und Ausstellens speziell im Technikmuseum analysieren und zu neuen Strategien und neuen Vermittlungsformen führen. Allerdings sind auch die institutionellen 14 |  Butler 1995, S. 318. 15 |  Siehe dazu Gender-Manifest. Plädoyer für eine kritisch reflektierende Praxis in der genderorientierten Bildung und Beratung. Herausgegeben von Regina Frey u. a., Berlin 2006.

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Frauen im Technikmuseum

Bedingungen, beispielsweise eine geschlechtergerechte Personalpolitik, mit zu reflektieren, die für diese Veränderungen die Voraussetzungen darstellen.

Einleitung

Als das Deutsche Technikmuseum Berlin 1983 unter dem Namen Museum für Verkehr und Technik eröffnet wurde, gehörte zur ersten Ausstellung eine »Mechanische Werkstatt« als ›Keimzelle‹ des Museums. Dort sollte das Museumskonzept sichtbar werden: die Verbindung von Technik- und Kulturgeschichte. Eine Dampfmaschine aus England, dem ›Mutterland‹ der Industrialisierung, treibt in der »Mechanischen Werkstatt« Arbeitsmaschinen eines Metallbetriebs aus Berlin-Kreuzberg an, und ein von dem Künstler Manfred Blessmann geschaffenes Wandbild hinter der Dampfmaschine stellt den kulturgeschichtlichen Zusammenhang her. Manfred Blessmann, Wandbild »Fabrik« (1983). Ausstellung »Mechanische Werkstatt«, Deutsches Technikmuseum Berlin

Foto: © SDTB/C. Kirchner

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Frauen im Technikmuseum

Das Wandbild verlängert die Objektanordnung in der Ausstellung optisch in die Tiefe und zeigt eine Szene in einer Fabrikhalle des 19.  Jahrhunderts. In langen Reihen arbeiten Männer an transmissionsbetriebenen Werkzeugmaschinen. In der linken Bildhälfte stehen zwischen zwei Reihen von Arbeitsmaschinen drei Personen, die sich in Kleidung und Gestus deutlich von den Arbeitern abheben. Offenbar macht der Fabrikbesitzer für ein Besucherpaar, einen Mann und eine Frau, eine Werksführung. Der Fabrikbesitzer steht mit dem Rücken zu den Betrachtenden dieses Gemäldes und deutet mit seiner rechten Hand in den Fabrikraum. Dabei wendet er sich an den männlichen Besucher, der ihm interessiert zuhört. Die Frau des Besuchers hat sich bei ihrem Mann eingehängt und schaut vor sich hin oder in sich hinein. Sie scheint kein Interesse an dem zu haben, was sie umgibt. Manfred Blessmann, Wandbild »Fabrik« (1983), Details. Ausstellung »Mechanische Werkstatt«, Deutsches Technikmuseum Berlin

Fotos: A. Döpfner

In dieser Darstellung eines zentralen Moments der Technik- und Kulturgeschichte – dem Beginn der fabrikmäßigen Produktion – sind die männlichen Vertreter der sozialen Klassen repräsentiert durch ihre Arbeit, ihr Produkt, ihren Raum. Die einzige Frau auf dem Bild steht als Anhängsel eines Mannes da. Sie ist anwesend und abwesend zugleich. Ihr Beitrag zur Industriegeschichte erscheint hier jenseits von Sichtbarkeit und Aktivität. Der Künstler hat dem Fabrikdirektor, der die Besucher auf dem Gemälde durch sein Haus führt, die Gesichtszüge des Gründungsdirektors des Technikmuseums in Berlin verliehen. Seine Doppelrolle auf dem Gemälde könnte darauf verweisen, dass auch im Museum Frauen

Einleitung

nur am Rande sichtbar werden. Obwohl an dem, was im Technikmuseum gezeigt wird, Frauen direkt und indirekt beteiligt sind, wird ihre Perspektive im Allgemeinen ausgeklammert und den Besucher_innen eine Präsentation angeboten, die der Kommunikation unter Männern dient und deren gesellschaftliche Vormachtstellung bestätigt. So verweist das Gemälde programmatisch auf das, was im Museum passiert: Das Versprechen einer Kulturgeschichte der Technik wird nicht eingelöst. Dafür wäre ein erweiterter Blick auf die Objekte erforderlich, um zu einer Ausstellungspraxis zu kommen, die alle am Geschichtsprozess Beteiligten einschließt. Wer hat die Ressourcen gefördert und aufbereitet, aus denen die Objekte gemacht sind? Wer hat die Objekte hergestellt? Wer hat die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt, die die Objekte produziert haben? Wer hat die Objekte genutzt und konsumiert? Wer hat sich um den Abfall gekümmert, der von den Objekten übrig blieb? Wenn das Technikmuseum diesen Fragen nachgeht und für seine Besucher_innen in den Ausstellungen in Bilder umsetzt, dann wird Technikgeschichte zu einer Geschichte von Frauen, Männern, Unternehmer_innen, Arbeiter_innen und Museumsbesucher_innen. Mit der vorliegenden Arbeit wird nach einer Bestandsaufnahme der Repräsentation von Männern und Frauen vorrangig in Technikmuseen den Ursachen nachgegangen, die zu dem vorherrschenden Blick auf die Objekte im Technikmuseum geführt haben. Danach werden Ansatzpunkte herausgearbeitet, wie dieser Blick durch konstruktive Kritik erweitert werden kann. Auf diesem dritten Teil liegt der Schwerpunkt der Arbeit. Es soll damit eine praxisorientierte Anregung zur Beantwortung der Frage gegeben werden, die viele Museumsfachfrauen beschäftigt: »Wie die Kategorie Gender bewusst reflektiert werden kann, wie sie als analytische und emanzipative Kategorie in museale Praktiken Eingang finden soll.«16 Eine Öffnung von Technikmuseen in geschlechtsspezifischer Hinsicht würde die Institutionen bereichern und die gesellschaftlich erforderliche Auseinandersetzung möglichst vieler Menschen mit Technik stärker befördern, als es bisher geschehen ist. 16 |  Muttenthaler, Roswitha, Gender dingfest machen. Haushalt sammeln im Technischen Museum Wien. In: Landschaftsverband Rheinland (Hg.), »Männersache(n) – Frauensache(n)«: Sammeln und Geschlecht. Dokumentation einer Tagung des Landschaftsverbandes Rheinland, Dezernat für Kultur und Umwelt, Gleichstellungsamt, Köln 2007, S. 42.

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Frauen im Technikmuseum

Ausgegangen und immer wieder dorthin zurückgekehrt wird in dieser Arbeit vom Deutschen Technikmuseum Berlin, das zu den weltweit größten Technikmuseen gehört und jährlich von etwa einer halben Million Menschen besucht wird. Die prinzipielle Offenheit dieses Museums gegenüber gesellschaftlichen Fragestellungen hat in Bezug auf die Geschlechterfrage bisher in den Sammlungen und Ausstellungen kaum einen Niederschlag gefunden. Eine Rolle spielt dabei sicher das anfangs erwähnte unausgewogene Geschlechterverhältnis unter den Besucher_ innen. Aber alle Menschen leben von morgens bis abends intensiv mit Technik. Aufstehen, duschen, frühstücken, die Kinder auf ihren Weg schicken, zur Arbeit fahren – schon in dieser kurzen Zeitspanne am Tagesbeginn kommen wir mit einer Vielzahl technischer Produkte und Verfahren in Berührung und nutzen sie zur Erleichterung unseres Alltags. Was zu unserem Leben gehört, was uns hilft, über was wir uns freuen und ärgern – und dazu gehört Technik – zieht unser Interesse im Allgemeinen auf sich. Dass diese Regel im Technikmuseum nicht für alle gilt, liegt nicht am Thema, sondern am Museum. Frauen werden im Technikmuseum als Zielgruppe nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt. Ihre kulturelle Teilhabe, wie sie in Konventionen und Gesetzen, in Deutschland zuletzt durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006, formuliert ist, erfährt im Berliner Technikmuseum wie in vielen anderen Technikmuseen keine Umsetzung. Wie sich dieser Ausschluss von Teilhabe am kulturellen Angebot in den Ausstellungen konkret darstellt, soll im Folgenden zunächst in einer Bestandsaufnahme beschrieben werden.

Bestandsaufnahme der Geschlechter­ verhältnisse in (Technik-)Museen

F r auen

im

D eutschen Technikmuseum B erlin

Frauen – 51 % der Gesamtbevölkerung in Deutschland – sind im Technikmuseum stark unterrepräsentiert. Vertreter_innen dieses am stärksten männlich konnotierten Museumstyps sind durch dieses Missverhältnis herausgefordert und wünschen sich eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse im Museum.17 Als Grundlage der Diskussion über einen Wandel liegen die Ergebnisse der Geschlechterforschung bereit, die in den vergangenen 40 Jahren die geschlechtsspezifischen Verhältnisse in der Institution Museum unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten

17 |  Maschewski, Alexandra, Technikmuseum ist die Schatzkammer für Entdecker. In: Die Welt v. 14.12.2008. Der Beitrag handelt von einem Besuch der Journalistin im Deutschen Technikmuseum Berlin. Aus ihrem Gespräch mit dem Direktor Dirk Böndel: »Es gibt da etwas, eine Kleinigkeit nur, die Böndel ein wenig wurmt. Die Frauen sind es. Im Museum machen sie nur ein Drittel der Besucher aus. ›Und dann kommen sie meist mit ihren Männern oder Söhnen‹, sagt Böndel.«

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Frauen im Technikmuseum

freigelegt haben. Auf ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der geltenden Interpretationshoheit in (Technik-)Museen kann aufgebaut werden.18 In den letzten Jahren ist von Politiker_innen und Museumsleuten verstärkt auf eine zweite unterrepräsentierte Zielgruppe im Museum verwiesen worden. Migrant_innen sollen über kulturelle Teilhabe und außerschulisches Lernen im Museum stärker in die Einwanderungsgesellschaft integriert werden. Im Moment konzentriert sich der politische Integrationswille sogar fast ausschließlich auf die migrantische Bevölkerung. Über diese Schwerpunktsetzung ist die Zielgruppe Frauen ins Abseits geraten. Migrant_innen und Frauen erleben vergleichbare strukturelle Ungleichheiten, deren Gemeinsamkeit auch in der Museumsarbeit fruchtbar gemacht werden kann. Da die Forschungslage zur Exklusion von Frauen in Museen wesentlich besser ist als zur »Musealisierung der Migration«19 , können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auch für Migrant_innen aufschlussreich sein und nützliche Erkenntnisse für ihre Inklusion im Museum bringen. Die theoretische Analyse der Ursachen der Exklusion von Migrant_innen aus den Museen steht im Wesentlichen noch aus; dagegen wurden in den unterschiedlichen Museumssparten bereits weitgehende Vorschläge zur praktischen Teilhabe von Migrant_ innen ausgearbeitet und erprobt.20 In Bezug auf Geschlechterfragen im Museum verhält es sich mit Theorie und Praxis gerade umgekehrt.

18 |  Z.  B. durch Hilde Hein, Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch und Gaby Porter: Hein, Hilde, Looking at museums from a feminist perspective. In: Levin, Amy K. (Hg.), Gender, Sexuality and Museums. A Routledge Reader, London 2010, S.  53–64; Muttenthaler, Roswitha, Wonisch, Regina, Zum Schauen geben. Ausstellen von Frauen- und Geschlechtergeschichte in Museen, Wien 2002; Porter, Gaby, The Women’s History Approach. In: Fleming, David u.  a. (Hg.), Social History in Museums. A Handbook for Professionals, London 1993, S. 78–81. 19 |  Mit der gleichnamigen Dissertation von Joachim Baur erschien erst 2009 ein grundlegender Forschungsbeitrag zur Repräsentation von Migrant_innen in Museen. Siehe auch: Bluche, Lorraine u. a. (Hg.), NeuZugänge. Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung, Bielefeld 2013. 20 |  Z. B. im Museum Neukölln, im Kreuzberg Museum, beide in Berlin, im Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum, im Übersee-Museum in Bremen und vielen anderen mehr.

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

Ergebnisse der Besucherforschung im Deutschen Technikmuseum Berlin »Ich hab’s mir schlimmer vorgestellt.« Mündliche Mitteilung einer Besucherin während der Evaluation der Ausstellung »Schienenverkehr« im Deutschen Technikmuseum Berlin, 2009, zitiert im gleichnamigen Artikel von Iris Kühnberger, in: Deutsches Technikmuseum Berlin, Zeitschrift des DTMB und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 5/2010, S. 22–25.

Eine wertvolle Grundlage der Analyse von Zielgruppen ist die im Deutschen Technikmuseum kontinuierlich durchgeführte Besucherforschung. Zum Besuch von Männern und Frauen liegen dort folgende Daten vor:21 • Zwei Drittel der Besucher sind männlich, ein Drittel weiblich. • Männer und Frauen geben am häufigsten als Grund für ihren Museumsbesuch allgemeines Interesse an; ein speziell fachliches Interesse nennen Männer doppelt so oft wie Frauen. • Männer wurden dreimal so häufig allein und etwas öfter als Frauen mit Freunden in den Besucherbefragungen erfasst, während Frauen angeregt durch und zusammen mit Partnern, Kindern und Verwandten ins Museum gingen. • Männer und Frauen sehen sich am liebsten die drei großen Verkehrsausstellungen »Eisenbahn«, »Luftfahrt« und »Schifffahrt« an. • Männer haben ein professionelles bis großes Interesse an Technik, Frauen nennen überwiegend ein durchschnittliches bis geringes Interesse an Technik. • Die Erwartungshaltung bei Männern ist in Bezug auf technische Daten und geschichtliche Entwicklungen hoch; Frauen erwarten Informationen über Auswirkungen und Folgen von Technik. • Am Thema »Mensch und Technik« sind Männer und Frauen gleichermaßen interessiert.

21 |  Schönert, VisitorChoice.

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Frauen im Technikmuseum

Ein Besucher schaut sich ein technisches Objekt an. Eine Besucherin kommuniziert mit einem Kind über ein technisches Objekt. Ausstellungen »Luftfahrt« und »Infothek« im Deutschen Technikmuseum Berlin

Foto links: Ulf Büschleb; Foto rechts: © SDTB/C. Kirchner

Die Untersuchung zeigt, dass Männer aus technischem Interesse und häufig allein ins Technikmuseum gehen. Für Frauen ist der familiäre und weiter gefasste soziale Aspekt des Museumsbesuchs wichtig. Frauen stellen sich mit dem Museumsbesuch auf ihre Männer, Söhne und Enkel ein und informieren sich zusammen mit ihnen über Technik.22 Sie betonen außerdem ihr Interesse an Technikfolgen.

Frauen in den Ausstellungen »Eisenbahn«, »Luftfahrt« und »Schifffahrt« im Deutschen Technikmuseum Berlin Alle Besucher_innen im Technikmuseum Berlin sehen sich am liebsten die drei größten Dauerausstellungen zu den Themen »Eisenbahn«, »Luftfahrt« und »Schifffahrt« an. Frauen stellen hier einen Anteil von 25  % der Gesamtbesucherzahl. Weil diese Bereiche so prominent im Gedächtnis der Besucher_innen hängen bleiben, soll hier beispielhaft die Darstellung von Frauen in diesen Ausstellungen beschrieben werden.23 Jede der drei Ausstellungen umfasst eine Fläche von 5–6 000 m2. Die leitenden Fragen der Analyse dieser Aus22 |  6  % der Frauen und 24  % der Männer kommen allein in das Berliner Technikmuseum. 23 |  Siehe hierzu auch Döpfner, Anna, Zauberwort Inklusion. Frauen, Fremde und Behinderte als Zielgruppen im Technikmuseum? In: Museumskunde 77, 2012, H. 2, S. 72–77.

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stellungen sind: Wo sind Frauen in den Ausstellungen sichtbar? In welchen Zusammenhängen werden sie gezeigt? Wie werden sie dargestellt? Welche Bedeutung haben sie dort, wo sie sichtbar werden? Welche Bedeutung haben sie im Gesamtzusammenhang der jeweiligen Ausstellung? Sind sie in die Ausstellung integriert oder werden sie in ›Frauenecken‹24 dargestellt? In der Dauerausstellung »Züge, Loks und Leute. Eisenbahngeschichte in 33 Stationen« werden in zwei halbkreisförmigen Lokschuppen auf 21 Gleisen Lokomotiven, Wagons und Objekte zur Eisenbahngeschichte von 1800 bis 1980 präsentiert. Der Ausstellungsmacher erläutert sein Konzept gegenüber der Bildungsabteilung im Berliner Technikmuseum:25 Männer aller Altersstufen und mit unterschiedlicher Berufsqualifikation beim Lokomotivbau, Gemälde »Vollendungsarbeiten an einer Lokomotive« von Paul Meyerheim (1842–1915), Detail, Dauerausstellung »Eisenbahn«, Deutsches Technikmuseum Berlin

Foto: © SDTB/C. Kirchner 24 |  Mit dem Begriff »Frauenecken« wird eine Ausstellungspraxis im Museum bezeichnet, bei der Frauengeschichte abgesondert von der Allgemeingeschichte meist auf besonders gekennzeichneten Flächen ausgestellt wird. 25 |  Die Bildungsabteilung im Deutschen Technikmuseum Berlin ermittelt mit Hilfe eines Fragebogens von den Kurator_innen jeder Ausstellung die wichtigsten Ausstellungsdaten. Diese »Fragebögen« werden in der vorliegenden Arbeit für die Betrachtung der einzelnen Ausstellungen herangezogen, weil die Ausstellungsmacher_innen darin ihre Ziele prägnant formuliert haben.

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»Die Ausstellung zeigt die deutsche Eisenbahngeschichte von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Sie wird eingebettet in eine Betrachtung des Industriezeitalters unter politischen, wirtschaftlichen, aber auch kulturellen und alltagsgeschichtlichen Gesichtspunkten. Die Präsentation der Objekte und der gezeigte Erhaltungszustand sollen den Besucher auf die Problematik eines respektvollen Umgangs mit technischem Kulturgut aufmerksam machen.« 26

Wenn ein männlicher Besucher die Eisenbahnausstellung durch das Fürstenportal betritt – so betrat früher der Kaiser den benachbarten Anhalter Bahnhof –, fallen ihm schon im Eingangsbereich eine Fülle von Büsten und Abbildungen von Geschlechtsgenossen ins Auge: Erfinder, Unternehmer, Wirtschaftspolitiker, Reichskanzler, Minister, Volkswirtschaftler, Architekt, Künstler, Handwerker, Arbeiter. Sie alle sind während der Ausstellungsvorbereitung für wert erachtet worden, hier dargestellt zu werden, aber wer wurde dabei in den Blick genommen, diese Wertschätzung nachzuvollziehen? Welche Besucher_innen sollen durch sie angeregt und bereichert werden? Und wo findet sich eine Besucherin in dieser Darstellung wieder? Frauen sind im Eingangsbereich der Eisenbahnausstellung vereinzelt auf Fotos, als untergeordnete Figuren auf einem Gemälde, als Schaufensterpuppe und als Allegorie zu sehen. Hier am Anfang der gesamten Ausstellung steht aber auch die erste von sieben, in den beiden Lokschuppen verteilten kleinen Ausstellungsstationen zum Thema »Frauen bei der Eisenbahn«. Auf einer Grundfläche von 100 x 80 cm ist in hohen, nur an der Rückwand durch ein Großfoto geschlossenen und an den drei übrigen Seiten offenen Kuben jeweils ein Objekt zur Geschichte der »Frauen unterm Flügelrad« ausgestellt: im Eisenbahnbau, in Staatsdienst und Gewerkschaft, als Ersatz für die männlichen Kollegen während der beiden Weltkriege und im geteilten Deutschland. Eine Volontärin hatte dafür auf Anregung des Abteilungsleiters 1993 recherchiert, die Ausstellung mit einfachsten Mitteln realisiert und ein Begleitheft zum Thema veröffentlicht.27 Die für die Ausstellungsmodule über die »Frauen unterm Flügel26 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Schienenverkehr«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 27 |  Zennß-Reimann, Regine, Unterm Flügelrad. Frauen bei der Eisenbahn. Bausteine für das MVT, Berlin 1993.

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rad« beanspruchte Fläche beträgt 0,1 % der gesamten Ausstellungsfläche zum Schienenverkehr. Die Module befinden sich mehr als 20 Jahre nach ihrer Installation teilweise in einem verwahrlosten Zustand. Dauerausstellung »Eisenbahn«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Fürstenportal (VIP-Eingang) des ehemaligen Anhalter Personenbahnhofs, Büsten preußischer Minister und zwei von sieben Stationen der Ausstellung »Unterm Flügelrad. Frauen bei der Eisenbahn«: »Frauen beim Eisenbahnbau 1840–1870« und »Eisenbahnerinnen im ›Dritten Reich‹ 1933–1945«

Fotos: © SDTB/C. Kirchner; Foto unten links : A. Döpfner

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Dauerausstellung »Luftfahrt«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Ausstellungsbereich »Zweiter Weltkrieg« und Ausstellungsbereich »Frauen in der Luftfahrt«

Fotos oben: © SDTB/C. Kirchner; Foto unten: A. Döpfner

Die am zweithäufigsten besuchte Ausstellung »Luft- und Raumfahrt – vom Ballon zur Luftbrücke« ist in den beiden oberen Stockwerken eines viergeschossigen Museumsneubaus zu sehen und umfasst 6 000 m2. Im unteren Stockwerk werden schwerpunktmäßig die Luftfahrtpioniere und der Erste Weltkrieg behandelt; das obere Stockwerk ist fast ausschließlich dem Zweiten Weltkrieg gewidmet. Besonders in der Ausstellung im oberen Stockwerk dominieren militärische Großobjekte. Das Ausstellungsteam fasst das Konzept der Ausstellung so zusammen: »Die Ausstellung bietet einen Rundgang durch rund 170 Jahre Luftfahrtgeschichte in Deutschland (1783 bis etwa 1955/60). Die über 40  Flugzeuge und

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Großobjekte stehen dabei nicht nur für die technische Entwicklung in der Luftfahrt, sondern auch für die vielfältigen Einsatzbereiche und die Schicksale der Menschen, die mit ihnen arbeiteten oder auf andere Weise in Berührung kamen. Zentrale Aspekte sind die kultur- und sozialhistorische Bedeutung sowie die Funktion und Nutzung der Exponate.«28 Die Ausstellung ist in acht Bereiche gegliedert. Zum fünften Bereich »Die deutsche Luftfahrt 1919–1939 – Berlin, das Luftkreuz Europas« gehören eine Reihe von Unterbereichen. Einer dieser Unterbereiche – 0,09 % der Ausstellungsfläche »Luft- und Raumfahrt« – heißt »Die Fliegerinnen der 1920er und 1930er Jahre«. Hier wird an vergessene Pilo­tinnen der Zwischenkriegszeit erinnert und in einem Begleitheft zur Ausstellung die Notwendigkeit weiterer Forschung betont: »Zu unzäh­ligen Namen fehlen Gesichter und Daten, weil das Thema über Jahrzehnte von Historikern und Museen vernachlässigt wurde. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Leben dieser Frauen steht erst am Anfang. Es ist schwierig, ihre Geschichte zu recherchieren, da viele Pilotinnen später den Namen ihrer Ehemänner annahmen. Die wenigen existierenden Objekte zu diesem Thema befinden sich oft in Familienbesitz und werden – wenn überhaupt – in Sonderausstellungen gezeigt. Das Deutsche Technikmuseum Berlin wird sich auch in Zukunft diesem Randgebiet der Luftfahrtgeschichte widmen und versuchen, weitere Exponate und Archivalien zu diesem Thema einzuwerben.«29 Eine der Kuratorinnen im Team der Luftfahrtausstellung, die 2005 die ›Frauen­ecke‹ durchsetzen konnten, ist 2014 einen weiteren Schritt gegangen und hat im unteren Stockwerk der Luftfahrtausstellung eine Vitrine zu den drei ersten deutschen Motorfliegerinnen eingerichtet als Ergänzung zu den bereits im oberen Stockwerk ausgestellten Luftfahrtpionierinnen der Zwischenkriegsjahre. Weitere

28 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Luft- und Raumfahrt«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 29 |  Becker, Wibke, Hahn, Tomke, Frauen in der Luftfahrt. Von Melli Beese bis Beate Uhse. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Informationen der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 2/2005, S. 14–16.

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Ausstellungsbausteine zum gleichen Thema sollen folgen.30 Durch die bisherige Präsentation der Pilotinnen auf Inseln – vergleichbar den ›Fraueninseln‹ in der Eisenbahnausstellung – ist das Thema »Frau« nicht in die Gesamtausstellung integriert, sondern wird separat behandelt. Jenseits der Inseln hat aber die während der Ausstellungsplanung für die Medien verantwortliche Volontärin Frauengeschichte(n) in die Ausstellung eingebracht. Sie hat Biografien und Erzählungen von Frauen und Männern in der Luft- und Raumfahrt in mehrere Hör- und Videostationen eingearbeitet und somit den großtechnischen Grundeindruck der Ausstellung um sozialgeschichtliche Aspekte erweitert, die andere als technische Perspektiven auf die Exponate ermöglichen.31 Die dritte große Verkehrsausstellung »Lebenswelt Schiff« steht unter der Kernaussage: »Das technische Objekt Schiff ist ein Teil der Kulturgeschichte: Die Entwicklung der Schifffahrt verändert das Leben der Menschen, anders herum beeinflussen die politisch-gesellschaftlich-ökonomischen Veränderungen die Entwicklung der Schifffahrt.« 32

Die Ausstellung behandelt die beiden großen Themen Binnen- und Hochseeschifffahrt und ist wie die Ausstellung »Luft- und Raumfahrt« im vierstöckigen Neubau des Museums auf zwei Stockwerken mit insgesamt 6  600  m2 Ausstellungsfläche untergebracht. Im Bereich Hochseeschifffahrt sind Frauen vereinzelt sichtbar: als Galionsfiguren, auf einem inszenierten Sklavenschiff und im Themenbereich »Auswanderung«; konzeptionell werden sie im Ausstellungsbereich »Binnenschifffahrt« integriert. 30 |  Venn, Astrid, Ein kurzer Traum vom Fliegen. Die Unternehmungen der ersten deutschen Motorfliegerinnen. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 3/2014, S. 26. 31 |  Hahn, Tomke, Menschen in der Ausstellung. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Informationen der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 2/2005, S. 4–7. Zwei Ergebnisse dieses biografischen Ansatzes werden in der vorliegenden Arbeit im Kapitel »Krieg im Deutschen Technikmuseum Berlin« vorgestellt. 32 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Lebenswelt Schiff«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J.

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Dauerausstellung »Schifffahrt«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Ausstellungsbereich »Binnenschifffahrt«, Großobjekte und deren Kontextualisierung (hier Familiengeschichte)

© SDTB und SDTB, Historisches Archiv/Fotos: C. Kirchner

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Dort hat eine freie Mitarbeiterin im Ausstellungsteam zum einen eine Einheit zum Frauenrudersport innerhalb der Ausstellungseinheit »Wassersport zwischen Havel und Spree« bearbeitet und zum anderen die Objekte des Bereichs »Binnenschifffahrt zwischen Elbe und Oder« kontextualisiert. Zusätzlich sind im gesamten Binnenschifffahrtsbereich ungewöhnliche historische Fotos von Frauenarbeit zu entdecken, zum Beispiel Frauen beim Transportieren von Fässern im Hafen und beim Kanalbau. Ausstellungseinheit »Frauenrudern« in der Dauerausstellung »Schifffahrt« im Deutschen Technikmuseum Berlin

© SDTB, Historisches Archiv/Foto: C. Kirchner

Der Frauenrudersport ist Bestandteil des übergeordneten Themas »Rudern«. Der Bereichstext sagt dazu: »Um 1900 war das Interesse am Rudersport so angewachsen, dass sich neben den zahlreichen Männer-Ruderclubs auch Frauen-Ruderclubs etablierten. Berlin war ein Zentrum des Frauenruderns, hier war der älteste Frauen-Ruderclub seit 1901 und hier ist noch der jüngste deutsche Frauen-Ruderclub beheimatet.« 33

33 |  Bereichsbeschriftung »Rudern«.

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Die Ausstellung zeigt durch Fotos zum Frauenrudern von 1910 bis 1990 und durch einige kleinere Exponate wie beispielsweise Kleidung der Ruderinnen Facetten des Frauenwassersports. Gleich angrenzend an die Einheit zum Frauenrudern ist das Ruderboot »Moderner Kinder-Einer Blauwal, 1980er Jahre« ausgestellt und ruft so die Assoziation zwischen Kindern und Frauen hervor. In dem von der gleichen Kuratorin aufgebauten Ausstellungsbereich zur Binnenschifffahrt werden Objekte überwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgestellt, die zum Teil von Männern und Frauen gemeinsam benutzt wurden. Menschen und Objekte sind durch Fotos und Hörstationen in Beziehung gebracht. Die ausführliche Dokumentation von zwei Familien trägt zu einem umfassenden Verständnis der Arbeit und des Lebens auf einem Binnenschiff bei. Diese Präsentation gibt die tatsächliche Lebenswelt von Mann und Frau auf einem Binnenschiff wieder, die durch den Familienbetrieb geprägt ist und an vorindustrielle Handwerksproduktion erinnert.34 Das Genderdilemma ist allerdings noch nicht gelöst, wenn die Realität wie in diesem Fall korrekt abgebildet ist. Im Gegenteil kann das Sichtbarmachen von Frauen die männlich dominierte Grundstruktur der Ausstellung bestätigen, solange die »weibliche« Ergänzung die übergeordnete »männliche« Perspektive nicht in Frage stellt. Von dieser Problematik soll im Kapitel über multiperspektivische Ausstellungen die Rede sein. In allen drei großen Ausstellungen – »Eisenbahn«, »Flugzeug« und »Schiff« – kamen die geschlechtersensiblen Innovationsansätze fast ausschließlich von jungen Wissenschaftlerinnen in temporären Anstellungsverhältnissen. In zwei Abteilungen – »Eisenbahn« und »Luftfahrt« – wird die Darstellung von Frauengeschichte in ›Frauenecken‹ abgehandelt. Sie ist die Abweichung von der Norm, nach der im Technikmuseum männliche Erfindungsgabe und Durchsetzungskraft im Vordergrund stehen. Gerade als Abweichung von dieser Norm wird deutlich, dass Frauengeschichte in der eigentlichen Erzählung nicht vorkommt. In der dritten Ausstellung – der »Schifffahrt« – sind Arbeit und Freizeit von Frauen dort, wo es sich anbot, in die Gesamtgeschichte integriert worden. 34 |  Büter, Tanja, Binnenschifffahrt zwischen Elbe und Oder. Ein Überblick vom 17. Jahrhundert bis heute. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Informationen der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 5/2005, S. 5–7.

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Frauen in weiteren Ausstellungen im Deutschen Technikmuseum Berlin Frauen sind im Deutschen Technikmuseum Berlin auch in den kleineren Ausstellungen zu entdecken, zum Beispiel in »Druck«-, »Papier«- und »Datentechnik«, in »Fototechnik« und »Pharmazie«. Deutlicher als in den großen Ausstellungen ist die Darstellung von Frauen in den kleinen Ausstellungen starker Zufälligkeit unterworfen, scheint nicht auf bewussten Entscheidungen zu beruhen und ist in der Ausprägung auch unabhängig vom Geschlecht der jeweiligen Ausstellungsmacherin oder des jeweiligen Ausstellungsmachers. So verweist die Vernachlässigung der Geschlechterfragen nicht auf ein absichtsvolles, sondern auf ein strukturelles Problem. Die Fragestellung der Untersuchung der folgenden, kleineren Ausstellungen kann deshalb zunächst nur sein, ob und wie Frauen in den Ausstellungen vorkommen, wo sie am Geschehen teilnehmen und wo nicht. Die Ausstellung »Drucktechnik« zielt darauf ab, dass »die technischen Details der Herstellung von Printprodukten auf Basis des Hochdrucks sichtbar gemacht und die wesentlichen Arbeitsschritte in den verschiedenen involvierten Gewerken nachvollzogen werden können«35 . Frauen sind in der Ausstellung an vier Stellen zu sehen: eine schwer zu erkennende Maria auf einer Kreuzigungsszene zur Erläuterung des Holztafeldrucks, eine »Arbeiterin beim Teilen der Schriftsätze« auf einem Foto, eine kleine Eva, wie sie von Gott aus Adams Rippe geholt wird, in einer Reproduktion der Wenzelsbibel von 1390 und die Abbildungen von weiblichen Pendants zu den Männern eines Stammbaums in dem Faksimile eines Buches von 1493. Insgesamt entsteht durch diese Auswahl der Repräsentation von Frauen in der Ausstellung »Drucktechnik« der Eindruck geringer Wertschätzung von Frauengeschichte. In der Ausstellung »Papiertechnik« geht es nach Auskunft des Ausstellungsteams u.  a. um »2000 Jahre Papiergeschichte mit asiatischem Ursprung, Gegenüberstellung von handwerklicher und industrieller Papierherstellung, Faserzerkleinerung und Aufbereitung, zentrale Bedeutung

35 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Bleisatz und Buchdruck«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J.

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von Papier in unserem Leben«36. In einem Zeitfries mit historischen Abbildungen, auf denen ausschließlich Männer zu sehen sind, wird der Bogen gespannt von der ersten Papierherstellung in China und der Weitergabe der Kenntnisse über Korea und Japan, Arabien und Persien nach Europa. In Europa kulminiert die Entwicklung in der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg. Zur traditionellen asiatischen und zur modernen europäischen Papierherstellung werden Filme gezeigt. In den Filmen über traditionelle handwerkliche Techniken in Asien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind Frauen an der Produktion beteiligt, im Film über die automatisch ablaufende Produktion in Europa nur noch wenige Männer. Im Bereich der Papierverwendung ist ein Ausschnitt aus dem Film »Die weiße Rose« (1982) über eine Flugblattaktion im Nationalsozialismus mit der Darstellerin der Widerstandskämpferin Sophie Scholl zu sehen, außerdem in einer Vitrine ein Musikschulbuch mit einem Jungen und einem Mädchen auf dem Titel. Die Ausstellung zur Datentechnik unter dem Leitbild »›Der Computer ist ein Berliner‹  – der erste Computer der Welt wurde vom Computer­ pionier Konrad Zuse in Kreuzberg gebaut«,37 knüpft mit dem Titel an den Ort der Erfindung dieses Computers in der Nähe des Museumsstandorts an. Der erste Blick der Besucher_innen beim Betreten der Ausstellung fällt entweder nach rechts oder nach links auf jeweils eine Großvitrine. In der rechten steht die »Z11«, der erste serienmäßig hergestellte ZuseComputer von 1956; auf dem Großfoto dahinter ist am gleichen Gerät eine geschäftige Männergruppe zu sehen, die gemeinsam eine Aufgabe am Computer zu lösen scheint. In der linken Vitrine steht die »Z64«, einer der ersten Plotter von 1961, dahinter hängt das Großfoto einer attraktiven Frau mit Perlenkette, die auf diesen Plottertyp schaut. Es ist aufgrund ihrer Haltung und Garderobe nicht auszumachen, ob sie die Maschine als Sekretärin oder in anderer Funktion bedient oder ob sie für den Plotter wirbt. Einige weitere in der Ausstellung auf historischen Fotos abgebildete Frauen sind bei der Bedienung von Computern zu sehen. 36 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Papiertechnik-Papiermanufaktur«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 37 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Der erste Computer – Konrad Zuse und der Beginn des Computerzeitalters«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J.

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Dauerausstellung »Datentechnik«, Deutsches Technikmuseum Berlin, fotografischer Blickfang im Eingangsbereich

© SDTB/Fotos: C. Kirchner

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Die Ausstellung »Fototechnik« »gibt einen Überblick über knapp 170 Jahre technikhistorische Entwicklung der Fotografie. Alle inhaltlichen Bezüge zwischen Aufnahmetechnik und ihrem Produkt, dem fotografischen Bild, werden – soweit möglich – am Porträt dargestellt. Die fototechnischen Objekte werden durch Inszenierungen in ihrem soziokulturellen Umfeld gezeigt.« 38

Ein Großfoto im Eingangsbereich der Ausstellung, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Porträts, verspricht einen geschlechtsspezifisch erweiterten Blick auf die Nutzer_innen der Fototechnik: Auf den Gesichtern der Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft sind Kameras fixiert, durch die diese Menschen die Besucher_ innen anschauen. In der Ausstellung hinter diesem Eingangsbereich werden Männer überwiegend aktiv handelnd, Frauen passiver und häufig als Motiv dargestellt; nur sehr vereinzelt sind Frauen als Fotografinnen oder als Arbeiterinnen in der optischen Industrie zu sehen. Auffallend ist eine vordergründige Darstellung von Geschlechtergerechtigkeit im Zusammenhang mit der Gerichtsfotografie, die nicht mit den Kriminalstatistiken korreliert. Dort sind auf »ausgewählten Blättern aus Verbrecher­ alben« um 1900 etwa gleich viele Frauen wie Männer zu sehen. Die Ausstellung »Pharmazie« steht unter der Kernaussage: »Die chemisch-pharmazeutische Industrie hat maßgeblich die moderne Gesellschaft geprägt. Gewinnstreben ist und war Motor dieser Industrie. Die Chemie-Industrie hat eine wenig bekannte Produktvielfalt. Die Wege von der Forschung zum Produkt in der Pharmazie sind kaum bekannt und haben eine hohe gesellschaftliche Relevanz.«39 Die Ausstellung ist aus einer Zusammenarbeit des Technikmuseums mit der Firma Schering entstanden, wobei das Pharmaunternehmen auch als Sponsor aufgetreten ist. Für die Geschlechterfrage ist es interessant, dass in den Labors der Firma die erste europäische Antibabypille entwi38 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Faszination des Augenblicks – Eine Technikgeschichte der Fotografie«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 39 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Pillen und Pipetten. Die chemisch-pharmazeutische Industrie am Beispiel Schering«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J.

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ckelt wurde. Dies wird in der Ausstellung dokumentiert. Zur Thematik der Antibabypille kommen Frauen und Männer zu Wort, und es sind Fotos von Produktionsarbeiterinnen bei Schering am Arbeitsplatz und in der Freizeit zu sehen. Ein historisches Foto zur Entwicklung der Antibabypille zeigt zwei Männer und zwei Frauen in Laborkitteln, die auf eine Tafel mit einer chemischen Formel schauen. Die Beschriftung lautet: »Tafel mit der Darstellung des ersten synthetischen Gestagens im Hauptlabor Schering, 1938«. Das Foto ist einer Firmenschrift entnommen und trägt dort die Beschriftung: »Das erste künstliche Gestagen: Walter Hohlweg (2. v. re.) und der Laborant Johannes Schultze (2. v. li.) im Schering Hauptlaboratorium vor der Formel des Ethinyltestosterons (re. unten)«. 40 Die Ausstellungsmacher haben die Beschriftung zwar entschärft, die Frauen – die eine steht an der Seite des Wissenschaftlers, die andere an der Seite des Laboranten – bleiben aber auch hier namenlos. Der Vergleich mit der Frau auf dem Gemälde der »Mechanischen Werkstatt« zeigt, dass die berufliche Teilhabe Frauen nicht davor bewahrt, aus der Geschichte ausgeblendet zu werden. Dauerausstellung »Pharmazie«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Ausstellungsbereich zur Antibabypille, Foto der Darstellung des ersten synthetischen Gestagens

© SDTB, Historisches Archiv/Foto: C. Kirchner 40 |  Frobenius, Wolfgang, Ein Siegeszug mit Hindernissen. Zur Geschichte der vor 50 Jahren bei Schering in Berlin entdeckten Keimdrüsenhormonderivate Ethinylestradiol und Ethinyltestosteron, Berlin 1989, S. 32.

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Von Frauen bevorzugte Ausstellungen im Deutschen Technikmuseum Berlin Nach den drei großen Verkehrsausstellungen weist die Besucherforschung für die Ausstellungen über Produktionstechniken die nächst höchsten Besuchsquoten auf. Über 50 % der Besucherinnen sehen sich die Ausstellung »Textiltechnik« und über 45 % die Ausstellung »Schmuckproduktion« an. Hier gehen die Vorlieben von Männern und Frauen stark auseinander. Erst danach liegen sie wieder näher beieinander, wobei Frauen die Kofferproduktion, Papier- und Drucktechnik und die Brauereitechnologie bevorzugen und Männer Werkzeugmaschinen, Nachrichtentechnik, die Konrad-Zuse-Ausstellung und die Energieausstellung. Ist in den von Frauen favorisierten Ausstellungen etwas anderes zu sehen als in den anderen Ausstellungen? Die Schmuckproduktion stellt sich so vor: »Serieller Schmuck wird seit über 100  Jahren im Rahmen der manufakturellen Schmuckproduktion, d.  h. in einer Kombination von Hand- und Maschinenarbeit, arbeitsteilig von Frauen und Männern hergestellt. 90 % aller Alltagsobjekte werden wie Schmuck nicht einfach automatisch-maschinell gefertigt, sondern neben der Maschinenarbeit immer noch mit hohem Aufwand von menschlicher Handarbeit.« 41 In der Ausstellung werden sieben Verfahrenstechniken der Schmuckherstellung an Maschinen vorgeführt, und in Vitrinen, die die Schauwerkstatt räumlich begrenzen, sind weitere Erläuterungen zu den Techniken sowie Zwischen- und Endprodukte zu sehen. In Medienstationen können Filme mit dem Schwerpunkt auf den Arbeiten in der Schmuckproduktion angeschaut werden. Die Ausstellung will ausdrücklich nicht die Frage »Wie funktioniert die Maschine?« in den Mittelpunkt stellen, sondern: »Wie fertigen Männer und Frauen heute Schmuck in Serie?« 42 Konzeptionell stand also der Mensch im Mittelpunkt. Tatsächlich dominiert der von den Vitrinen umgebene Maschinenpark, ergänzt durch die filmische 41 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Manufakturelle Schmuckproduktion«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 42 |  Wohlauf, Gabriele, Neueröffnung der Dauerausstellung Schmuckproduktion. Tradierung manufaktureller Verfahrenstechniken. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 1/2006, S. 4–8.

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Dokumentation, in der bis auf die Arbeit einer Emailliererin und einer ehemaligen Geschäftsführerin im väterlichen Betrieb überwiegend Männerarbeit gezeigt wird. Gegenüber der Ausstellung »Schmuckproduktion« ist mit der Ausstellung »Kofferproduktion« ein weiterer Bereich zu sehen, den Besucherinnen favorisieren. Beide Ausstellungen zusammen bilden innerhalb der sie umgebenden Eisenbahnausstellung eine Insel der Produktionstechnik. Das Konzept der Ausstellung zur Kofferproduktion weist Parallelen zur Schmuckproduktion auf: »Menschen fertigen früher wie heute arbeitsteilig in der Kombination von Hand- und Maschinenarbeit Koffer. D.  h.: Koffer waren weder früher noch sind sie es heute Gegenstände, die von Automaten produziert werden.« 43 Die Ausstellung präsentiert die Arbeitsschritte, die für die Herstellung eines historischen Alltagsgegenstands – den preiswerten Pappkoffer – notwendig sind. Dies geschieht durch die Vorführung von Maschinen und durch Objekte und Erläuterungen zu den einzelnen Arbeitsschritten in den vor den Maschinen aufgebauten Vitrinen. Texte und eine Tabelle verweisen auf den großen Anteil von angelernten Frauen in der Branche und auf die Existenz von Frauenlohngruppen bis zu ihrer Abschaffung in den 1950er-Jahren. Ausgeführt werden diese in der Kofferausstellung eher versteckten Anmerkungen in dem Artikel »Frauenarbeit« in der Museumszeitschrift, die in der Bibliothek einsehbar oder im Museumsshop zu erwerben ist: »Frauen wurden als billigere, ungelernte Arbeitskräfte bevorzugt und man schrieb ihnen unter anderem hohe Fingerfertigkeit und Genauigkeit zu. Außerdem galten sie in Familie und Gesellschaft lediglich als Zuverdienerinnen zu den männlichen ›Haupternährern‹.« 44 Ganz in der Nähe von Schmuck- und Kofferproduktion befindet sich die Brauereiausstellung, die ebenfalls zu den Lieblingsausstellungen der Besucherinnen gehört. Die »inszenierte Brauerei zeigt die Entwick-

43 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Museale Schauproduktion: Kofferproduktion«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 44 |  Borgmann, Maria, Wohlauf, Gabriele, Von der Hartpappe zum Museumskoffer in tradierter Technik. Kofferproduktion. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 1/2008, S. 9.

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lungsstufe vom handwerklichen zum industriellen Bierbrauen« 45 , wobei insbesondere beim Abfüllen des Biers in Flaschen Frauen als ungelernte Arbeitskräfte tätig waren. In der Ausstellung fällt auf, dass die Terminologie des Bierbrauens starken Bezug zum Kochen hat. Es gibt große Töpfe, ein Rezept, flüssige und feste Zutaten, Koch- und Kühlzeiten und das Reinheitsgebot als Qualitätsrichtlinie. 46 An die Nähe des Bierbrauens zur Hausfrauentätigkeit wird jedoch nicht angeknüpft. Die ebenfalls von Frauen häufig besuchten Ausstellungen zur Papierund Drucktechnik sind bereits daraufhin betrachtet worden, wie Frauen in ihnen (nicht) thematisiert werden. Trotzdem bevorzugen Besucherinnen auch diese Ausstellungen. Ein Grund mag darin liegen, dass Mädchen und Frauen im Allgemeinen mehr lesen und schreiben als Jungen und Männer und dass Jungen und Männer, insbesondere mit geringer Schulbildung, die Schriftkultur gerade wegen ihrer Vorliebe durch Frauen eher ablehnen. 47 Das klassische Interessengebiet von Frauen im Technikmuseum ist die Textiltechnik, was sich in der höchsten Besuchsquote von Frauen in dieser Ausstellung niederschlägt. Der Ausstellung liegt folgende Idee zugrunde: »Textile Techniken sind unabhängig vom Material, zur Maschine gehört ein Produkt, Männer und Frauen reagieren unterschiedlich auf Textiles, die Produktion findet in Billiglohnländern statt, in der Textilproduktion gab es die erste digitale Steuerung.« 48 45 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »(Historische) Brauerei«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J. 46 |  Gröger, Wolfgang, Produktionsverfahren der Lebensmitteltechnik. Historische Brauerei. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 1/2008, S. 12 f. 47 |  Böck, Margit, Eva liest gern. Adam weniger? Wie man auch Buben zum Lesen verlocken kann. Von den Unterschieden zwischen den Geschlechtern in Sachen Lesen, Wien 2007. 48 |  Döpfner, Anna, Industriell, digital, global. Textiltechnik. In: Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 1/2008, S. 6 f.

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Zu Beginn der Ausstellungsplanung waren die Ausstellungsthesen zum Zusammenhang von Struktur und Material im Textilen in einem Projekt mit Besucher_innen überprüft worden. Dabei begutachteten die Proband_innen unterschiedliche Materialien wie Stahl, Seide, Plastik, Glas, Holz, Stein u. a. Danach wurden sowohl ihre Wahrnehmung der Objekte in der Versuchsanordnung als auch ihre Erinnerungen an früher von ihnen verwendete Materialien protokolliert. Ein Ergebnis war, dass sich Männer stärker für die textile Verarbeitung von »hartem« Material wie zum Beispiel Draht interessierten und Frauen für Textiles aus »weichem« Material wie zum Beispiel Wolle. Die befragten Männer hatten Befürchtungen, als zu weich zu gelten, wenn sie sich für traditionelle Textilien interessieren. Frauen hatten dagegen keine Berührungsängste mit Textilien aus hartem Material. Männer waren auch stärker über technische Textilien anzusprechen, Frauen über Bekleidungstextilien. 49 Aus der Voruntersuchung wurde ein Ausstellungsangebot für Frauen und Männer entwickelt: Vermittlung textiler Techniken als »Strukturen«, Einsatz harter und weicher Materialien, Präsentation von Maschinen zusammen mit technischen und modischen Produkten, Anfänge der digitalen Steuerung innerhalb der Textiltechnik, Thematisierung von (Über-)Produktion und Ökonomie, Konsum und Mode. Die Ästhetik des Textilen wird verstärkt durch künstlerische Objekte zu allen dargestellten Techniken, sodass sich technische und künstlerische Sichtweisen auf das Thema ergänzen. Was verbindet die von Frauen bevorzugten Ausstellungen im Deutschen Technikmuseum Berlin miteinander: Textiltechnik, Schmuckproduktion, Kofferproduktion, Brauerei, Papier-, Schreib- und Drucktechnik? Es sind bis auf den Bereich Schreiben und Drucken die im Technikmuseum unter dem Oberbegriff »Produktion« zusammengefassten Abteilungen. Es sind keine Verkehrsausstellungen und keine Ausstellungen, in denen die technische Darstellung überwiegt. Es geht in diesen Ausstellungen um Arbeit zur Herstellung von überwiegend alltäglich zu nutzenden Objekten. In allen Ausstellungen – auch zur Schreib- und Drucktechnik – ist der handwerkliche Anteil, der in das Produkt eingeht, hoch 49 |  Döpfner, Anna, Manuskript der Ergebnisse einer Befragung zu Materialvorlieben von Männern und Frauen, 2001; eine Voruntersuchung als Bestandteil von Ausstellungsplanung erweist sich erfahrungsgemäß als Korrektiv eines Ausstellungskonzepts. Sie wirkt sich beispielsweise auf die Schwerpunktsetzung der Inhalte und auf die Verständlichkeit der Beschriftungen aus.

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

und die Produktionsschritte sind nachvollziehbar. Auch wenn die Ausstellungsmacher_innen nicht ausdrücklich auf die Interessen von Frauen eingehen, knüpfen die Besucherinnen in den Ausstellungen dort an, wo sie ihre eigenen Erfahrungen einbringen können.

F r auen

in anderen

Technikmuseen

Das Geschlechterverhältnis der Besucher_innen in Technikmuseen ist nicht überall so unausgewogen wie im Deutschen Technikmuseum Berlin. Etwa gleich viele Männer und Frauen besuchen die Technikmuseen in Wien (2011: 55,46  % männlich/44,54  % weiblich) und Hamburg (2012: 50,26  % männlich/49,74  % weiblich).50 Für zwei weitere große deutschsprachige Technikmuseen liegen ähnliche Zahlen vor wie in Berlin: Chemnitz (2005: 64,1  % männlich/35,9  % weiblich) und München (2000: 60 % männlich/40 % weiblich). Das Deutsche Museum in München hat 2000 in einer Vorabbefragung für das damals geplante Verkehrszentrum als Außenstelle des Museums umfangreiche Daten zum Museumsbesuch von Männern und Frauen erhoben.51 Auch in München gehen Männer lieber allein ins Technikmuseum, Frauen eher im Familienverband; auch dort geben Frauen weniger Interesse an Technik an als Männer. Die drei Mobilitätsausstellungen in München sind wie die drei großen Verkehrsausstellungen in Berlin die von allen am meisten besuchten Ausstellungen. In der Münchner Studie wurden Frauen zusätzlich nach Ausstellungsthemen befragt, die sie besonders interessieren könnten. Dann wurden die von ihnen angegebenen Themen mit den Themen verglichen, die sich Museumsbesucher_innen, die nie in ein Technikmuseum gehen, in einem Technikmuseum wünschen würden. Dabei stellten sich starke Parallelen zwischen beiden Gruppen heraus. 50 |  Für beide Museen liegen über das Geschlechterverhältnis von Besucher_ innen keine weiteren Evaluationsergebnisse vor. Erklärungsansätze für den hohen Frauenanteil können in Hamburg die von Beginn an verankerte Geschlechterperspektive sein (siehe Kapitel »Frauen in Dauerausstellungen«) und in Wien die Multiperspektivität von Ausstellungen (siehe Kapitel »Thema ›Arbeit‹«). 51 |  Klein, Hans Joachim u. a., go West. Die Besucher des Deutschen Museums und ihre Meinungen über das Neue Verkehrsmuseum, Karlsruhe 2000.

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Frauen im Technikmuseum

»Die Aussagen (der extern Befragten) ähneln denjenigen weiblicher Auskunftspersonen am Deutschen Museum: zukünftige Trends im Verkehrswesen, Forschungen zu Verkehr und Umwelt, Mobilität und Lebensstil sowie vor allem Fragen zu Tourismus und Reisekultur stoßen bei der Mehrheit auf starkes Interesse«. 52

Die Studie empfiehlt, diese Themen in neuen Ausstellungen aufzugreifen. Sie sieht aufgrund der Stagnation der Besuche von Frauen im Deutschen Museum Handlungsbedarf. »Ein Vergleich zu einer 25 Jahre zurückliegenden Erhebung am Deutschen Museum bei über 5 000 Befragten weist große Ähnlichkeiten zur letzten Befragung auf. Geschlechterproportion und Ausländeranteil waren damals fast identisch.«53 Die Ausweitung der Fragestellung in München vom Technikmuseum hin zu einem Vergleich mit anderen Museumstypen zeigt die ganze Dimension des Besucher_innenproblems von Technikmuseen: »Technikmuseen besitzen bei der Hälfte der Bevölkerung – nämlich bei Frauen – ein schlechtes, weil wenig anziehendes Image. Sie sind bei der Majorität der weiblichen Bevölkerung die von ihrer Sammlungsthematik her am wenigsten attraktive Art von Museen.«54 Technikmuseen stehen als öffentliche Institution aber prinzipiell allen Bürger_innen zur Verfügung und dürfen sich vor dem Hintergrund des Verfassungsauftrags niemandem mehr durch ein bewusst oder unbewusst eingeschränktes Angebot verschließen. Frauen sind nach den Ergebnissen der Besucher_innenforschung an der sozialen Dimension von Technik interessiert, deren Darstellung in immer stärkerem Umfang den Erfolg eines Technikmuseums ausmachen wird. Die Besucher_innen nutzen allein im privaten Raum täglich eine große Anzahl technischer Produkte: Die Haushalte sind (voll-)versorgt mit Elektrogeräten zum Kochen, Waschen, Kommunizieren und zur Unterhaltung, 77  % haben mindestens ein Auto, 80  % mehrere Fahrräder und 86  % mehr als ein Mobiltelefon.55 In Zukunft wird mit der Vernetzung aller technischen Funktionen im »intelligenten« Haus ökonomisch ein wichtiger Produktionsbereich der Bauindustrie im Privathaushalt selbst entstehen. 52 |  Ebd., S. 93. 53 |  Ebd., S. 19. 54 |  Ebd., S. 30. 55 |  Statistisches Bundesamt (Hg.), Datenreport 2011, Ein Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2011, Bd. 1, S. 142 ff.

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

Vor diesem Hintergrund besteht starkes Interesse an der digitalen Kompetenz von Frauen, damit sie in die Lage versetzt werden, den digitalen Haushalt steuern zu können. In größeren Dimensionen als im Haushalt beeinflusst Technik sowohl ökonomische wie politische Beziehungen bis hin zu sicherheitspolitischen Entscheidungen. Diese Interdependenzen gilt es in den Ausstellungen zu nutzen.

F r auenmuseen 56 Die mangelnde Repräsentation von Frauen in Museen, wie sie auch in der Bestandsaufnahme im Deutschen Technikmuseum Berlin zutage tritt, lässt unter Museumsfrauen häufig den Wunsch nach autonomen Museen, auch eines Technikmuseums, von und für Frauen entstehen. Dadurch würde es möglich, die Mühseligkeit abschütteln zu können, die darin besteht, sich im Museumsalltag immer aufs Neue für die Selbstverständlichkeit der kulturellen Berücksichtigung der Hälfte der Menschheit einzusetzen. Gegen den Alleingang spricht, dass er ins gesellschaftliche Abseits führen kann. In dieser Ambivalenz stehen bis heute die Frauenmuseen, die in den 1980er-Jahren im Rahmen der feministischen Bewegung als Alternative zum Gang durch die bestehenden Museumsinstitutionen gegründet wurden. In »Museen für alle« können Ausstellungen, in denen auch Frauen vorkommen, größere Breitenwirkung erzielen als in Frauenmuseen. Solche Ausstellungen können mit der »weiblichen« Zusatzerzählung als Beiwerk die »männliche« Gesamterzählung aber auch festigen. In Frauenmuseen sind dagegen autonome Positionen durchsetzbarer, aber in ihrer Wirkung begrenzt. Zum besseren Vergleich beider Ansätze sollen Frauenmuseen deshalb hier kurz umrissen werden. In den Frauenmuseen der 1980er-Jahre lag der Schwerpunkt auf dem Sichtbarmachen der künstlerischen Produktivität von Frauen. Diese Ausrichtung bot sich an, denn im Gegensatz zu Technikmuseen sind Frauen in Kunstmuseen im Übermaß mit ihrem eigenen Bild als passivem Sujet der Kunstproduktion konfrontiert, während sie als Künstlerinnen in der Institution fast unsichtbar bleiben. Da mehr Frauen als Männer Kunst 56 |  Einen Überblick über Frauenmuseen geben Hauer, Gerlinde, Muttenthaler, Roswitha, Schoberg, Anna, Wonisch, Regina, Das inszenierte Geschlecht. Feministische Strategien im Museum, Wien 1997

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und Kunstgeschichte studieren und Kunstmuseen besuchen, ist Frauen die Diskrepanz zwischen ihrer künstlerischen, wissenschaftlichen und alltäglichen Beschäftigung mit Kunst und der tatsächlichen Abwesenheit von Frauen in Kunstmuseen stark aufgefallen. Dieses Missverhältnis wollten die Begründerinnen von Frauenmuseen ändern. Sie stellten sich außerhalb der etablierten Kunstmuseen, weil sie dem Kunstbetrieb in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit keine Entwicklung zutrauten. Die Zeit hat ihnen bisher recht gegeben: Wie im Deutschen Museum ist auch in den Kunstmuseen in den letzten 30 Jahren der geschlechtergerechte Wandel ausgeblieben. 2013 sind in der Dauerausstellung des weltweit wichtigsten zeitgenössischen Kunstmuseums, dem Museum of Modern Art in New York, nur 8 % der Arbeiten von Künstlerinnen zu sehen. Dass die seit 2008 erste Chefkuratorin für Gemälde und Skulpturen Ann Temkin an diesem Missverhältnis bisher wenig ändern konnte, verweist auch hier auf den strukturellen Charakter von Geschlechterungerechtigkeit im Museum. In Deutschland entstanden in den 1980er-Jahren vier reine Frauenmuseen: 1981 in Bonn das erste Frauenmuseum überhaupt, das heute die Koordinierungsstelle eines weltweiten Netzwerks von Frauenmuseen ist, 1984 das frauen museum wiesbaden, 1986 das Verborgene Museum in Berlin und 1989 der Vorläufer des heutigen kulturvergleichenden Museums Frauenkultur Regional – International in Fürth. Alle Frauenmuseen in Deutschland werden von Vereinen getragen, sind auf private Unterstützung angewiesen und deshalb in ihrem Entwicklungspotenzial begrenzt. Das Museum Frauenkultur Regional – International, das als letztes der Frauenmuseen der ersten Stunde 2006 einen festen Standort bekam, profitiert mit seiner von Anfang an kulturvergleichenden Ausrichtung auf Frauenalltag von der aktuellen Aufmerksamkeit für Migrationsthemen im Museum. Im europäischen Rahmen gibt es nur zwei staatlich finanzierte Frauenmuseen. In Dänemark kam es 1984 zur Gründung eines Frauenmuseums in Aarhus, das fünf Jahre später zum Nationalmuseum erhoben wurde. Die durchgehenden Themen der »Basisausstellung« sind »Geburt, Arbeit, Wissen, Alltagsleben und Macht bzw. Machtlosigkeit«57 in verschiedenen Epochen aus der Perspektive von Frauen. Die ganzheitliche Sammlungs- und Ausstellungsstrategie des dänischen Frauenmuse57 |  Zit. n. der Museumshomepage.

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ums umfasst dreidimensionale Objekte, Interviews, Schrift- und Fotoarchiv sowie ein Bildarchiv zur Kunst von Frauen. Im österreichischen Hittisau ist 2000 ein Frauenmuseum entstanden, das Objekte und Wissen zu Kunst und Alltagskultur von Frauen im ländlichen Raum sammelt und ausstellt. Es konzentriert seine Tätigkeit also im Gegensatz zu den meisten anderen Frauenmuseen nicht auf ein städtisches, sondern auf ein ländliches Umfeld, ohne überregionale oder internationale Bezüge außer Acht zu lassen. Aus dem näheren Umfeld kommen persönliche Vermittlerinnen, die mit den Museumsbesucher_ innen über die Objekte und die damit verbundenen Erfahrungen in Beziehung treten.58 Das Vermittlungsprinzip und die Geschichtsdarstellung aus der Frauenperspektive im traditionellen ländlichen Raum sind eingebunden in ein Konzept, das die gesellschaftliche Bedingtheit und Veränderungsmöglichkeiten von Geschlechterrollen erforscht und ausstellt. Die Entscheidung für den Aufbau eines im Allgemeinen unterfinanzierten Frauenmuseums kann zu selbstgewählter Isolation führen. Frauenmuseen laufen Gefahr, zu großen ›Frauenecken‹ im Mainstream der Geschichtsschreibung zu werden. Sie bergen aber auch die Chance, dass sich Frauen freier als in geschlechtergemischten Institutionen ausprobieren und ihre Kompetenzen entwickeln können. Der Erfolg von jungen Frauen, die in den Naturwissenschaften in reinen Mädchenklassen gelernt haben, bestätigt auf anderem Gebiet die Effektivität einer zeitlich begrenzten freiwilligen Geschlechtertrennung. Für den Aufbau eines Technikmuseums für Frauen spricht die Möglichkeit eines Perspektivenwechsels aus der Sicht von Frauen, die Erweiterung des engen Technik- und Arbeitsbegriffs, das Reflektieren, Ausprobieren und Darstellen nutzungs- und zukunftsorientierter Inhalte, die Entwicklung innovativer Gestaltung und die Chance der Zusammenarbeit von Kuratorinnen und Vermittlerinnen als gleichberechtigte Partnerinnen.

58 |  Dieses Vermittlungsprinzip entspricht dem Konzept des ›wilden‹ Museums, das im Kapitel »Wunderkammer« vorgestellt wird.

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F r auen

in

S onder ausstellungen

Die heute in Deutschland bestehenden Frauenmuseen, die sich ganz der Geschichte von Frauen widmen, machen 0,1 % der Museen im Land aus. In allen anderen Museen müssen Frauen als Ausstellungsmacherinnen und Besucherinnen in vorgefundenen Museen dafür Sorge tragen, dass sie dort nicht nur »mit«gemeint sind, wenn Geschichte aus der Sicht der großen Männer bzw. des kleinen Mannes ausgestellt wird. Im Allgemeinen nutzen Museumsfrauen, die an einer Veränderung der Ausstellungspraxis hin zu einer Sichtbarmachung von Frauen interessiert sind, das Medium der Sonderausstellung, um zu frauenspezifischen Themen recherchieren und ausstellen zu können. In den großen Geschichts- und Kunstmuseen hat es in den letzten 25  Jahren aus diesem Grund und auch aus Gründen der Museumsprofilierung und Zielgruppenorientierung eine Reihe von Sonderausstellungen zu frauenspezifischen Themen gegeben, darunter so unterschiedliche wie »Unter anderen Umständen. Zur Geschichte der Abtreibung« 1993 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden, »Garten der Frauen. Wegbereiterinnen der Moderne in Deutschland, 1900–1914« 1996 im Sprengel Museum in Hannover, »Maria Sibylla Merian. Künstlerin und Naturforscherin« 1998 im Historischen Museum Frankfurt oder »Frauenwelten. Arbeit, Leben, Politik und Perspektiven auf dem Land« 1999 im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim. Alle diese Ausstellungen waren analog zu ›Frauenecken‹ isoliert von der Gesamtgeschichte in den Dauerausstellungen von Museen und zeitlich begrenzt. Sie haben auf die Abwesenheit von Frauen in Forschung und Ausstellungspraxis aufmerksam gemacht. Aber nur wenige der vielen (»Frauen«-)Sonderausstellungen konnten das experimentelle Potenzial einer Sonderausstellung so nutzen, dass geschlechterungerechte Ausstellungspraxis mit professionellen Methoden selbst zur Anschauung gebracht wurde. Dies ist 1996 der zweiteiligen Ausstellung im Karl Ernst Osthaus Museum Hagen »vis-à-vis 1: KünstlerPaare« und »vis-à-vis 2: kleine Unterschiede« gelungen. Diese Kunstausstellung war richtungweisend auch für Geschichts- und Technikausstellungen, denn sie hat einen neuen Inhalt vermittelt und gleichzeitig die Strukturen dafür offengelegt. In diesen beiden Ausstellungen hat die Kuratorin Birgit Schulte durch die kluge und gewitzte Positionierung der Objekte im Raum, also durch Schaffung von Beziehungen, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Geschlechter in Ausstellungen angestoßen. Ihre

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

Methode ist für alle weiteren Versuche auch in anderen Museen maßgeblich.59 Der Doppelausstellung »vis-à-vis« ging eine gezielte Sichtung des Museumsbestandes voraus, um die künstlerische Produktion und Repräsentation von Männern und Frauen in der Sammlung des Museums unter der Fragestellung zu erforschen: »Wie bildet sich das Verhältnis der Geschlechter im 20. Jahrhundert in einer Museumssammlung ab?« 60 Während der Durchsicht der Sammlung »trat Material zutage, das bislang der kuratorischen Aufmerksamkeit entgangen war« und »auf einmal mit anderen Augen gesehen« wurde.61 Wie im MoMA in New York waren auch hier 8 % der Kunstwerke Arbeiten von Frauen. Mit der Sichtung konkretisierte sich die Zielsetzung der Ausstellung, den »Umgang mit der Präsentation und der Rezeption der Kunst von Frauen einerseits sowie andererseits auch einen kritischen Umgang in der Wahrnehmung der bildlichen Darstellung der beiden Geschlechter herzustellen« 62 . Das vorgefundene Material strukturierte die Themengruppen, wobei sich das Visavis durch alle Themen zog, z. B. Künstler und Muse im Thema »Konstruktion der Bilder« oder Adam und Eva im Thema »Mythos«. Im Zentrum der Ausstellung waren Büsten von Männern auf ebenerdig ausgestellten Paletten vis-à-vis von erhöht präsentierten weiblichen Aktskulpturen zu sehen. Der Blick der oder des Dargestellten wie auch der oder des Betrachtenden wurde so verrückt und gab Raum für Erkenntnisse über die Darstellung und Verinnerlichung von Geschlechterverhältnissen. Diese Erkenntnisbilder entstanden aus der sinnlich erfahrbaren Inszenierung. Am Ende der Ausstellung wurde die Visualisierung der Machtbeziehungen in der Kunst fortgeführt in die Visualisierung bestehender Ungleichheiten in der gegenwärtigen Kunstszene, indem für einen bestimmten Zeitraum die vielen Einladungen zu Ausstellungen von Künstlern den wenigen von Künstlerinnen gegenüberhingen. Die Sonderausstellung »vis-à-vis« hat in mehrfacher Hinsicht Maßstäbe gesetzt: in Bezug auf die Bearbeitung des Museumsbestands, auf die 59 | Schulte, Birgit, Die Ausstellung vis-à-vis: kleine Unterschiede im Karl Ernst Osthaus Museum Hagen. Eine Revision zum Thema ›gender‹ im Museum (11/1998), online unter www.keom02.de/KEOM%202001/ausstellungen/visavis.html. 60 |  Ebd., S. 5. 61 |  Ebd. 62 |  Ebd., S. 4.

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Betonung der Veranschaulichung, die Lenkung des Blicks, die Visualisierung der Konstruktion vom Mann als Träger des Geistes und der Frau als Verkörperung der Natur, das räumliche »In-Beziehung-Setzen-zu-demAnderen« und die Aktualität des Ausstellungsthemas. Diese Grundsätze können auf Dauerausstellungen übertragen werden. Mit der Ausstellung »vis-à-vis« hat sich der Sinn von Sonderausstellungen erfüllt, dass nämlich viele innovative Sonderausstellungen zusammen den Weg zu neuen Museumskonzepten weisen können. Diese Ausstellung wirft aber auch die Frage auf, ob innovative Ausstellungen am besten gelingen, wenn sie ihr Fachgebiet verlassen. Die Ausstellung »vis-à-vis« hat Kunst nicht als Kunst ausgestellt, sondern mit einem interdisziplinären Konzept gearbeitet. Es wäre lohnenswert zu erforschen, welche Art von Ausstellungen im Technikmuseum entstehen, wenn Technik dort nicht als Technik ausgestellt würde.

F r auen

in

D auer ausstellungen

Es gibt im deutschsprachigen Raum keine geschlechtergerechte Dauerausstellung in einem überregionalen Technik- oder Kunstmuseum. Es gibt Frauenmuseen, die sich ausschließlich um die Frauenperspektive kümmern, es gibt Sonderausstellungen in großen Museen, deren Ergebnisse keinen Eingang in die Dauerausstellungen finden, und es gibt ›Frauenecken‹ in Dauerausstellungen. Alle diese Ansätze belegen die strukturelle Abwesenheit von Frauen in der hegemonialen Museumslandschaft.63 Es sollen hier dennoch zwei Beispiele angeführt werden, die als Ansätze für die Verankerung von frauenspezifischen Themen in Dauerausstellungen stehen können. Die erste Dauerausstellung »Frauen und Männer: Arbeits- und Bilderwelten« war von 1997 bis 2011 im Museum der Arbeit in Hamburg zu sehen. Die zweite »Frauen-Zimmer. Lebensstationen in einer fränkischen Kleinstadt« kann im Malerwinkelhaus in Marktbreit besichtigt werden. Die überhaupt erste Dauerausstellung zur Geschlechterfrage in Deutschland »Frauenalltag und Frauenbewegung

63 |  Zum Begriff der Hegemonie siehe im Kapitel »Technik und hegemoniale Männlichkeit«.

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

1890 – 1980« 64 im Historischen Museum Frankfurt bestand nur von 1981 bis 1984. Sie wurde nach einem Direktorenwechsel abgebaut, weil sie dem Konzept des neuen Leiters nicht entsprach. Aus Protest gegen die Räumung der Ausstellung kam es zu massenhaften Schenkungen von Gegenständen aus dem Besitz von Frauen an das Museum. Daraus entstand eine Sammlung »Haushaltstechnik« – ebenso wie zur gleichen Zeit im Deutschen Technikmuseum Berlin.65 Beide Sammlungen befinden sich heute in den Depots der Museen.

Hamburg Im 1990 eröffneten Museum der Arbeit in Hamburg war von 1997 bis 2011 die einzige Dauerausstellung zur geschlechtsspezifischen Arbeit in einem Technikmuseum zu sehen.66 Die Ausstellung »Frauen und Männer: Arbeits- und Bilderwelten« wurde vom Museum der Arbeit zu Recht angekündigt als »ein Novum in der bundesdeutschen Museumslandschaft: Arbeit von Frauen und Männern in Beruf und Familie sowie die sich wandelnden Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit werden hier unter der Geschlechterperspektive betrachtet«.67 Im Zentrum der Ausstellung standen als typisch für Hamburger Erwerbsarbeitsplätze eine Heringsfiletiermaschine und ein Räucherofen, an denen Frauen und Männer mit unterschiedlicher Bezahlung, Belastung und Wertschätzung gearbeitet haben. Um die Maschinen wurden Ausstellungsinseln zur Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf für Männer und Frauen aufgebaut. Sie handelten von Beziehungs- und Kinderbetreuungsformen, Familien mit unterschiedlicher Herkunft, alleiner64 |  Schmidt-Linsenhoff, Viktoria u.  a., Frauenalltag und Frauenbewegung 1890–1980. Katalog zur Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt a.  M., Frankfurt a. M. 1981. 65 |  Gesammelt von Gabriele Wohlauf, damalige Leiterin der Abteilung Produktionstechnik. 66 |  Ein Rückblick auf diese Ausstellung und das Umfeld, in dem sie entstanden ist, in: Dücker, Elisabeth von, im Gespräch mit Elke Krasny, Wo sind eigentlich die Frauen im Museum? In: Krasny, Elke+Frauenmuseum Meran (Hg.), Frauen:Museum. Politiken des Kuratorischen in Feminismus, Bildung, Geschichte und Kunst, 2013, S. 269–274. 67 |  Nicht mehr auf der Website des Museums.

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ziehenden Müttern, Zeitmanagement und Wertvorstellungen. Umrahmt wurde die gesamte Installation von Bildern und Fotos aus verschiedenen Epochen, die den Wandel der Vorstellungen über Geschlechterrollen anschaulich machten. Viele der Fotos und der Objekte in der Ausstellung waren mit persönlichen Informationen ihrer früheren Besitzer_innen verbunden, ein Prinzip, das das Museum der Arbeit stärker zu seiner Arbeitsleitlinie gemacht hatte als andere Technikmuseen. Auch das bereits vor der Eröffnung des Museums 1989 entstandene Wandbild zur Frauenarbeit im Hamburger Hafen beruhte auf den Geschichten der Informantinnen zur Frauenarbeit im Hafen, in der Nahrungsmittelindustrie, auf den Schiffen, in Dienstleistungsbetrieben, im Prostitutionsgewerbe und in Familie und Haus.68 All diese Themen fanden 1997 Eingang in die »Arbeits- und Bilderwelten« von Männern und Frauen im Museum der Arbeit. Dadurch wurde im Museum der Arbeit eine Tradition der Repräsentation von Frauen im Technikmuseum begründet, die bis heute nachwirkt und mitverantwortlich ist für das ausgeglichene Geschlechterverhältnis unter der Besucherschaft im Hamburger Museum. Die Ausstellung »Frauen und Männer: Arbeits- und Bilderwelten« wurde 2012 ersetzt durch die Ausstellung »ABC der Arbeit. Vielfalt-Leben-Innovation«. Von ihr soll später die Rede sein.

Marktbreit In der fränkischen Kleinstadt Marktbreit ist 2003 das Museum im Malerwinkelhaus mit der Dauerausstellung »Frauen-Zimmer. Lebensstationen in einer fränkischen Kleinstadt« eröffnet worden.69 Es ist das einzige Heimat- bzw. Stadtmuseum, in dem die Stadtgeschichte aus der Perspektive der Frauen in der Stadt gezeigt wird. Ziel der Ausstellung war es, »das Leben und die Leistung früherer Frauengenerationen im Rahmen der Sozial-, Kultur-, Stadt- und Zeitgeschichte darzustellen«70. Der Schwerpunkt liegt auf den Frauen, die zwischen 1875 und 1925 geboren sind. 68 |  Aus dem Faltblatt mit dem Aufruf des Frauenarbeitskreises »WandbildFrauenarbeit im Hamburger Hafen« (1988). 69 |  Breunig, Angelika, Wirths, Gudrun (Hg.), Frauen-Zimmer. Lebensstationen in einer fränkischen Kleinstadt. Dokumentation zur Dauerausstellung im Museum Malerwinkelhaus, Marktbreit 2004. 70 |  Ebd., S. 7.

Bestandsaufnahme der Geschlechter ­v erhältnisse in (Technik-) Museen

Das 1990 offiziell gegründete Museum wurde von zwei Frauen als ehrenamtlichen Museumsbeauftragten aufgebaut. Sie entwickelten das Museumskonzept in einem Team mit weiteren Frauen, die alle familiär oder beruflich mit der Kleinstadt verbunden waren. Für die inhaltliche Arbeit holte sich die Planungsgruppe Unterstützung im Institut für Europäische Ethnologie/Volkskunde im nahen Würzburg über eine dort wissenschaftlich tätige Marktbreiterin. Studierende führten für das Museum Oral-History-Projekte durch und recherchierten weibliche Biografien. Schließlich nahmen die Museumsfrauen als Professionalisierungshilfe die fachliche und gestalterische Titel der Dokumentation zur Unterstützung der Münchner Dauerausstellung »Frauen-Zimmer« Landesstelle für die nichtstaat­ im Museum Malerwinkelhaus, lichen Museen in Bayern in Anhrsg. von Angelika Breunig und spruch. Gudrun Wirths, Marktbreit 2004 Der Titel der Dauerausstellung »Frauen-Zimmer« spielt mit der Doppelbedeutung des Wortes als Bezeichnung sowohl für die Räume im Museum als auch für »eine einzelne weibliche Person von Stand und Bildung«71. Neben der Reproduktionstätigkeit der Frauen sind die Berufstätigkeiten ausgestellt, mit denen sie sich ihren Lebensunterhalt verdient haben: als Handelsfrauen und Lehrerinnen, Handwerkerinnen, Angestellte und Hebammen, Dienstboten, Diakonissen und Nonnen. Alle Inszenierungen wurden untermauert mit persönlichen Fotos und Interviews zum jeweiligen Thema, viele Situationen z. B. am Weihnachtsfest sind aus der Sicht sowohl von Jungen wie von Mädchen ausgestellt. Die Bedeutung des katholischen, evangelischen und jüdischen Glaubens für die Frauen

71 |  Ebd., S. 11.

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ist in den Festen und Ritualen dargestellt, die Bedeutung der Ehe durch Häuslichkeit und Geburt. Das Museum im Malerwinkelhaus braucht den Vergleich mit größeren, aufwendiger und innovativer gestalteten Museen in den Metropolen nicht zu scheuen. Sein Erfolg lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Der Wesentlichste scheint die soziale Verwurzelung der Museumsmacherinnen in der eigenen Kommune zu sein. Dies betrifft sowohl ihre Beziehung zu den Mitbürger_innen als auch zur Stadtregierung. Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über das Museumskonzept bestand der Stadtrat in Marktbreit zu 95 % aus Männern. Die einzige Frau im Stadtrat arbeitete im Museumsteam mit. Das Museumsteam band die politisch Verantwortlichen durch Gespräche über die Geschichte von Frauen in deren eigenen Familien in das Projekt mit ein. Das Gleiche geschah durch die Interviewarbeit mit den Marktbreiter Mitbürger_innen. Die Museumsfrauen bezogen die auszustellenden Themen auf die eigene Stadt und erarbeiteten später auch die meisten Sonderausstellungen zu stadtbezogenen Themen eher selbst, anstatt Fremdausstellungen aus anderen Museen zu übernehmen. Bei den Sonderausstellungsthemen entschieden sie sich für geschlechterübergreifende Themen oder solche Themen, die das Interesse der männlichen Mitbürger besonders hervorriefen wie die Geschichte des Römerlagers Marktbreit oder der Zweite Weltkrieg in der Stadt. Schließlich gab der Erfolg den Pionierinnen nachträglich auch bei den Menschen Recht, die ihrem Konzept kritisch gegenüber gestanden hatten. Allerdings kam es u.  a. über Ausstellungen zur NSGeschichte und zur jüdischen Bevölkerung in Marktbreit zu Konflikten mit dem Bürgermeister, was letztlich zum Rückzug der ersten Generation der Museumsfrauen aus der Museumsarbeit in Marktbreit beigetragen hat. Dennoch bleibt es die richtungweisende, mutige und professionelle Leistung der ehrenamtlichen Museumsmacherinnen in Marktbreit, die Geschichte ihrer Frauen im kulturellen Gedächtnis dieser Stadt verankert zu haben.

Ursachen der Exklusion

Eine Bestandsaufnahme der Situation von Geschlechterdarstellungen im Museum, wie sie im vorangegangenen Abschnitt dieser Arbeit für das Technikmuseum Berlin beschrieben wurde, ist nur der erste Schritt einer Auseinandersetzung mit dem Thema. Nach dem erweiterten Blick auf die Repräsentation von Frauen in Technikmuseen, Frauenmuseen und in einigen bemerkenswerten Sonder- und Dauerausstellungen in unterschiedlichen Museen ist nun gezielt nach den Ursachen für die geschlechterbezogenen Leerstellen und die nur punktuellen Veränderungen im Technikmuseum zu fragen. Der Zusammenhang von Naturwissenschaft und Technik als Grundlage der Arbeit im Technikmuseum macht es erforderlich, die Geschichte des Ausschlusses von Frauen aus dem Technikmuseum bis zum Beginn der neuzeitlichen Naturwissenschaften zurückzuverfolgen und den Naturbegriff als Material der Naturwissenschaften, die Aufklärung als Antrieb der Naturwissenschaften und die Ausdifferenzierung von Subjekt und Objekt in den Naturwissenschaften zu betrachten. Dadurch werden die Auswirkungen des neuzeitlichen Denkens auf Technikentwicklung und Geschlechterverhältnis nachvollziehbar.

N atur

im

Technikmuseum

Natur, wie sie im Technikmuseum Berlin an einigen wenigen Stellen noch sichtbar wird, ist das Material für Naturwissenschaft und Technik. Die Verwendung der natürlichen Rohstoffe und das Studium der Naturgesetze dienen der Herstellung von technischen Produkten. Es gibt im Technikmuseum keine Objekte, die nicht in Beziehung stehen zur Aneignung und Überwältigung von Natur durch Erfinder, Unternehmer, In-

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Frauen im Technikmuseum

genieure und Arbeiter. Natur wird im Technikmuseum als dem mensch­ lichen Willen unterworfene, objektivierte dargestellt. Im Technikmuseum Berlin wird den Besucher_innen ein Rundgang zum Thema »Technik und Natur« vorgeschlagen, den sie mit Hilfe eines Faltblatts allein oder im Rahmen einer Museumsführung gehen können.72 Der Rundgang bietet den Teilnehmer_innen an, den Unterwerfungsprozess von Natur durch Technik an einigen Beispielen nachzuvollziehen. Die Objekte dieses Rundgangs sind nicht chronologisch aufgereiht, sondern liegen am Weg durch das Museum: eine Pferdetreppe, Schöpfsiebe in der Ausstellung »Papiertechnik«, Walfangharpunen in der Ausstellung »Schifffahrt«, die Flugapparate des Technikpioniers Otto Lilienthal in der Ausstellung »Luftfahrt«, eine Mühle im Museums­park und der Museums­park selbst. Die Stationen in der Ausstellung »Papiertechnik« und an der Mühle zeigen zum einen die frühe Verarbeitung von natürlichen Rohstoffen und zum anderen die kulturelle Bedeutung von Technik. In der Walfangstation in der Schifffahrtsausstellung liegt der Vermittlungsschwerpunkt des Rundgangs auf der Zerstörung der natürlichen Ressourcen durch Techniken, die den Rohstoff Tier erschöpfen. In Dioramen sind dort die naturerhaltende Walfischjagd der Eskimos für den Eigenbedarf und der kommerzielle Walfang westlicher Fischereischiffe nebeneinander gestellt. Eine mit Sprengstoff bestückte Harpunenmaschine lässt die Gewalt erahnen, die zur Tötung eines Wals für kommerzielle Zwecke angewandt wurde. Vitrinen mit vielfältigen Produkten aus Walzähnen deuten den Zusammenhang von Naturbeherrschung, Technikentwicklung und Ökonomie an. Das ›Objekt‹ Pferdetreppe zeigt eine weitere historische Form des Umgangs mit Tieren. Im 1908 errichteten Eingangsgebäude des Museums befindet sich eine der wenigen in Berlin noch erhaltenen Pferdetreppen zu den Ställen in den oberen Stockwerken, wo Zugpferde untergebracht waren. Da in der Großstadt Grund und Boden teuer ist, mussten sich nicht nur Menschen an das Wohnen in mehrstöckigen Häusern gewöhnen, sondern auch Pferde. Die Pferdetreppe mit ihren flachen Stufen diente dabei der Anpassung der Natur der Pferde an die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines innerstädtischen Fuhrbetriebs.

72 |  Rundgang »Technik und Natur« im Faltblatt »Wie kann ich die Ausstellungen erkunden?« Vorschläge für drei Rundgänge im Deutschen Technikmuseum Berlin, 2009.

Ursachen der E xklusion

»Natur und Technik« im Eingangsgebäude des Deutschen Technikmuseums in Berlin: Pferdetreppe zu den Ställen der Arbeitstiere im 1. und 2. Stockwerk

© SDTB/Foto: C. Kirchner

In einer anderen Station auf dem Rundgang »Natur und Technik« wird sichtbar, wie der Flugpionier Otto Lilienthal aus der Naturbeobachtung heraus Flugapparate nach dem Vorbild von Vögeln baute und mit ihnen den Vogelflug experimentell nachahmte. Lilienthal legte als fantasievoller Erfinder einen der Grundsteine der modernen Luftfahrt und bezahlte seine Begeisterung für die Flugtechnik mit seinem Leben. Die letzte Station auf dem Rundgang führt in den Museumspark. Das Gelände des Anhalter Güterbahnhofs im Westen Berlins, auf dem sich das Museum seit 1982 befindet, war nach 1945 als Eigentum der Ostberliner Reichsbahn für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dadurch hatte sich in 40 Nachkriegsjahren »Natur« auf dem »Kultur«-Gelände eines großen Vorkriegs- und Kriegsbahnhofs ausgebreitet. Die Technikentwicklung auf dem Bahngelände kam zum Stillstand, denn »Technik ist Umgang mit der Natur, genauer: ist individuelle oder gesellschaftlich organisierte Anwendung eines Verfügungswissens, das es ermöglicht, in der Natur Prozesse auszulösen und in Bahnen zu lenken, die eine sich selbst überlassene Natur nicht eingeschlagen hätte.«73 73 |  Zweckbronner, Gerhard, Technikhistorisches Museum und Wissenschaft. In: Museumskunde 54, 1989, H. 3, S. 143 f.

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Was sich im Technikmuseum Berlin als letzter Rest von Natur in den Ausstellungen darstellt – das treppensteigende Pferd, der flügelschwingende Mensch, die bedrohten Wale – erinnert daran, dass alle im Technikmuseum ausgestellten Artefakte den neuzeitlichen Prozess der Trennung des Menschen von der Natur voraussetzen. Mit diesem zu Anfang des 19.  Jahrhunderts mit Beginn der Industrialisierung noch einmal intensivierten Prozess näherte sich ein Naturverständnis seinem Ende, in dem sich der Mensch als Teil der wachsenden und vergehenden Natur verstanden hatte, der er sich an- und einpasste und ihren Gesetzen entsprechend zu leben versuchte. Heute ist die Distanz des Menschen zur Natur so groß, dass er fast nirgendwo mehr Natur gegenübersteht, sondern überall nur sich selbst, weil der Mensch immer auf die von ihm geschaffenen Strukturen stößt, in die sich Natur einpasst. Der Blick auf die Natur ist so eigentlich ein Blick auf unsere Beziehung zur Natur. Die Grundlagen des heute geltenden Naturverständnisses formulierte René Descartes in der ersten Hälfte des 17.  Jahrhunderts. Als »Aufklärung« setzte sich dieser Denkansatz während des 18. Jahrhunderts durch. Descartes unterscheidet Natur vom Menschen, Materie von Geist, das zu untersuchende Objekt vom erkennenden Subjekt. Er legt damit den Grundstein für die wissenschaftlich-technische Forschungsmethode, für die Differenzierung der Methode hin zur Analyse von Teilproblemen, für Induktion und Deduktion, die Synthese aller Ergebnisse zu einer Lösung und die fortwährende Überprüfung der Lösung. Durch diese Vorgehensweise treibt sich Forschung immer weiter selbst an und reflektiert gleichzeitig ihre eigenen Bedingungen.74 Natur wird in diesem Konzept durch Vermessung in Zahlen gefasst und mathematisiert. Der Mensch entschließt sich bewusst, die Natur in das Maß zu zwingen und für sich berechenbar und beherrschbar zu machen.75 Er erforscht, erkennt, beherrscht und formt seine Lebensbedingungen, wie sie sich ihm mit der ihn umgebenden Natur stellen. Dies Naturverständnis liegt auch dem naturwissenschaftlichen Fundament zugrunde, auf dem die Darstellung der technischen Errungenschaften im Museum ruht. Aber sowohl die Trennung von Mensch und Natur, von 74 |  Descartes, René, Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie, Paris 1641, online unter www.gutenberg.org. 75 |  Beuttler, Ulrich, Das neuzeitliche Naturverständnis und seine Folgen. In: GDJ 15, 2002, S. 11–24.

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Subjekt und Objekt, als Voraussetzung von Naturwissenschaft und Technik als auch die Unterwerfung der Natur mit dem Ziel ihrer Verwertung bleiben im Technikmuseum unsichtbar bzw. sind nur indirekt ableitbar, zum Beispiel aus der Präsentation von Forschungsergebnissen oder dem Einsatz von Energie und Rohstoffen für eine bestimmte Technik. Mit beiden Aspekten des neuzeitlichen Mensch-Natur-Verhältnisses, der Objektivierung und Verwertung der Natur, hat sich feministische Forschung auseinandergesetzt.76 Der erste Aspekt wird im Bereich der Wissenschaftskritik behandelt. Forscherinnen befragen die von ihnen als »Männermonokultur«77 bezeichnete Naturwissenschaft dahingehend, wie der Ausschluss von Frauen aus den Naturwissenschaften erfolgt und welche Folgen der Ausschluss für das naturwissenschaftliche Wissen hat. »Naturwissenschaftliche Erkenntnis basiert auf dem Objektivitätspostulat, das auf der klaren Trennung von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt beruht. Methodische Grundlagen objektiver Naturerkenntnis sind u. a. Distanzierung, Zerlegung in kleinste Einheiten, Messbarkeit.« 78 Der Objektivitätsanspruch und die naturwissenschaftlichen Methoden werden als androzentrisch kritisiert, »erstens weil sie aufgrund des Ausschlusses von Frauen aus den wissenschaftlichen Institutionen allein von Männern entwickelt wurden, zweitens weil das Objektivitätspostulat in den Forschungsprozess einfließende soziale Vorannahmen, zum Beispiel die Geschlechterhierarchie, und gesellschaftliche Werturteile, zum Beispiel die Minderbewertung von Frauen und sozialer Weiblichkeit, nicht berücksichtigt und drittens weil die objektivierende Distanzierung von der Natur die Einbettung des Menschen in natürliche Prozesse verkennt […].« 79 76 |  Ein Überblick zum Thema bei Bauhardt, Christine, Ökologiekritik: Das Mensch-Natur-Verhältnis aus der Geschlechterperspektive. In: Becker/Kortendiek 2010, S. 322–327. 77 |  Der Begriff wurde von Rosemarie Rübsamen 1981 eingeführt in ihrem Text »Patriarchat – der (un)heimliche Inhalt der Naturwissenschaft und Technik«. In: Wechselwirkung 8, 1981. Hier zit. n. Heinsohn, Dorit, Feministische Naturwissenschaftskritik: Eine Einführung. In: Petersen, Barbara (Hg.), Feministische Naturwissenschaftskritik, Mössingen 1998, S. 17. 78 |  Bauhardt, Christine, Ökologiekritik: Das Mensch-Natur-Verhältnis aus der Geschlechterperspektive. In: Becker/Kortendiek 2010, S. 323. 79 |  Ebd.

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Der zweite Aspekt des neuzeitlichen Mensch-Natur-Verhältnisses, die Ausbeutung der Natur mit dem Ziel ihrer Verwertung, wird von feministischer Seite der Herrschaftskritik unterzogen: »Das Erforschen der Naturgesetze war die Grundlage für die Ausbeutung der Natur als Ressource kapitalistischer Akkumulation. Ausgangspunkt dafür, dass Natur zur Ressource des Industriekapitalismus werden konnte, ist die dichotome Gegenüberstellung von Natur und Kultur. Anhand dieser Dichotomie wurden auch Menschen und Gesellschaftsordnungen klassifiziert. Als Repräsentanten der Kultur galten weiße männliche Europäer, Frauen und BewohnerInnen der Kolonien wurden hingegen der Natur zugeordnet. Mit der Kultur-Natur-Dichotomie werden Dominanzverhältnisse legitimiert: die Höherbewertung von Kultur gegenüber Natur, die Herrschaft von weißen Männern über Frauen und kolonisierte Völker, die Ausbeutung von Natur und Menschen im Industriekapitalismus.« 80

Im Technikmuseum Berlin ist Wissenschaftskritik als Infragestellung des Objektivitätsanspruchs der Naturwissenschaften bisher nicht als stukturelles Element in die Ausstellungen eingegangen. Die Forschenden als Bestandteil ihrer Forschung und die Konstruiertheit des Experiments als naturwissenschaftliche Methode werden bei der Umsetzung von Forschungsarbeit durch die Ausstellungsmacher_innen keiner kritischen Bewertung unterzogen. Wie viele Technikmuseen hat das Berliner Museum jedoch flexibel auf zwei Aspekte der Wissenschafts- und Herrschaftskritik reagiert: Zum einen präsentiert es zunehmend in Sonderausstellungen Alternativen zur Umweltzerstörung als Folge der naturwissenschaftlich beförderten Ausbeutung der Natur, zum Beispiel zu den Themen Mobilität und Energie. Dabei greifen die Ausstellungsmacher_innen Aspekte der Ökologiebewegung auf mit dem Ziel, durch Popularisierung von ›besserer‹ Technik die Folgen der bisherigen Technikentwicklung aufzufangen. Zum anderen sind in den Ausstellungen nicht nur weiße bürgerliche Männer kulturell repräsentiert, sondern auch andere weiße Männer wie Industriearbeiter, Handwerker, Eisenbahner, Soldaten, Matrosen usw. Der Bürger sah sich in den letzten 200 Jahren durch vielfältige politische Kämpfe gezwungen, die Herrschaft mit weißen Männern aus anderen Schichten zu teilen. Und durch die Folgen der globalen Migrationsbe80 |  Ebd.

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wegungen stehen die neokolonialen Herrschaftsverhältnisse wieder zur Debatte. Im Zuge dieser aktuellen Entwicklung ist eine politische Bewegung zur Repräsentation von Migration auch in Technikmuseen angestoßen worden, die durch Forschung und Engagement vieler Museumsleute vorangetrieben wird. 81

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im

Technikmuseum

Die Kritik am neuzeitlichen, ›aufgeklärten‹ Denken, das die Trennung von handelndem Subjekt und behandeltem Objekt und die kommerzielle Verwertung der Natur hervorgebracht hat, darf nicht verdecken, dass Aufklärung auch eine andere Seite besitzt. Sie hat die Menschen vor allem ermutigt, ihr Ausgeliefertsein an die übermächtige Natur abzubauen und den Versuch zu unternehmen, auf der Grundlage von Vernunft zusammenzuleben. Beides – Selbstbefreiung und Vernunft – befördern die Herausbildung von Mündigkeit. An diesen Werten festzuhalten, sie im Technikmuseum zum Ausdruck zu bringen und die Gründe zu reflektieren, wenn sie in ihr Gegenteil umschlagen, liegt der folgenden Argumentation zur Aufklärung im Technikmuseum zugrunde. Das aufklärerische Forschen, der Austausch unter den Forschenden und die Urteilsbildung aufgrund der Forschungsergebnisse, die ein zielgerichtetes Handeln erlauben, sind Schritte zu Freiheit und Selbstbestimmung. Die Befreiung kam jedoch bis ins 20. Jahrhundert im Konzept der Aufklärer nur für die Menschen infrage, denen von den Protagonisten ein Aufklärungspotenzial zugestanden wird. Zu ihnen gehörten Frauen nicht. Aber sogar die Aufklärer selbst konnten sich nicht durch die von ihnen vertretene Aufklärung befreien, denn der Aufklärungsprozess verlangt ja die Trennung von Geist und Materie. Um diese Trennung tatsächlich vollziehen zu können, müssten die Aufklärer aus sich selbst heraustreten. Weil es aber unmöglich ist, diese Voraussetzung zur Erkenntnis 81 |  Siehe dazu (der Pionier) Clifford, James, Museums as Contact Zones. In: ders., Routes. Travel and Translation in the Late Twentieth Century, Cambridge (MA)/London 1997; Baur, Joachim, Die Musealisierung der Migration. Einwanderungsmuseen und die Inszenierung der multikulturellen Nation, Bielefeld 2009; Wonisch, Regina, Hübel, Thomas (Hg.), Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld 2012.

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zu erfüllen, entfernen sie sich im Zuge des Aufklärungsprozesses immer mehr von sich selbst. Insofern kann das rein wissenschaftliche Denken für niemanden Freiheit bedeuten, noch nicht einmal für seine Protagonisten. Vertreter der Kritischen Theorie haben diese »Dialektik der Aufklärung« beschrieben und zudem darauf hingewiesen, dass auch in vorwissenschaftlichen Kulturen Aufklärung stattgefunden habe. Auch der Mythos wollte »berichten, nennen, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären« 82 . Auch er hat die Menschen gestärkt, sich gegenüber der Natur zu behaupten. Im Gegensatz dazu sollte aufgeklärte Wissenschaft dem Menschen Souveränität über sein gesamtes Dasein verleihen. Aber obwohl Aufklärung den Mythos »entzaubern« wollte, blieb er in der Aufklärung erhalten, weil Aufklärung nicht nur die Möglichkeiten der Befriedigung und Befreiung des Menschen eröffnet, sondern sich im Namen der Vernunft auch als Herrschaft etabliert hat. Die Herrschaft des Faktischen, wie sie in Technik und Ökonomie zum Ausdruck kommt, wird selbst zum Mythos, der notwendig und unveränderbar erscheint. Was den Menschen befreien sollte, hat ihn in Distanz zur Natur, zu sich und zum anderen gebracht. Im Technikmuseum wird Aufklärung mit ihren beiden Seiten von Befreiung und Herrschaft, konkret von Fortschritt und immanenter (Selbst-)Zerstörung, nur selten als andauernde, nie abgeschlossene Aufgabe verstanden, die aufgeklärte Alternativen zur bisherigen Technikentwicklung sucht. Hier wird daran festgehalten, dass der Mensch als Beherrscher und Nutzer der Natur im Zentrum von Naturwissenschaft und Technik steht. Die Subjekte der technischen Erfolgsgeschichte sind Entdecker, Erfinder, Unternehmer, Kampfflieger in Zeiten von Kolonisierung, Industrialisierung, Weltkriegen und der Verbreitung der Informationstechnologie. Die im Museum punktuell auch dargestellten Leistungen anderer Menschen wie etwa von Arbeiter_innen – die im Übrigen an Ausbeutung und Beherrschung der Natur ebenfalls beteiligt sind – kommen gegen die Verdienste der großen Männer nicht an. Ebenso wenig fallen die Opfer des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts ins Gewicht, im Technikmuseum Berlin beispielsweise die auf den Überseeschiffen transportierten afrikanischen Sklaven und Sklavinnen, die mit 82 |  Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1971, S. 11.

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der Bahn deportierten Holocaust-Opfer, die Zwangsarbeiter_innen in der Luftfahrtindustrie. Ihr Leiden erinnert an die Kehrseite des Siegeszugs von Wissenschaft und Technik, bewirkt aber keine grundsätzlichen Zweifel am Verlauf des Projekts Aufklärung. »To what extent is this self-destructive rationality an inherent feature of Enlightenment rationality, at least as it is enacted today? Who benefits and who bears the costs of such ideals as value neutrality, instrumental rationality, and restricted notions of what can count as real science, good scientific method, and the accountability of scientific research and its social institutions? Should the sciences transform their ›political unconscious‹? What could this mean?« 83

Zumindest das könnte ein Kurswechsel bedeuten: Eine Bewusstwerdung darüber anzustreben, dass Aufklärung, die auf der Verfügung über Natur und Menschen aufbaut, kein Weg zur Beförderung von Mündigkeit und Freiheit sein kann. Zum Aufbau einer aufgeklärten Gesellschaft bedarf es eines gleichberechtigten Austauschs unter Menschen mit Subjektstatus, auch im Technikmuseum.

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Die männliche, aufgeklärte Wissenschaft hat vorgegeben, die Natur unter Ausschluss von Subjektivität und Körperlichkeit mit genauen Instrumenten und Methoden zuverlässig erforschen zu können. Dabei wurde auch das Geschlechterverhältnis als ein natürliches hierarchisches Verhältnis wissenschaftlich begründet und langfristig als Herrschaftsverhältnis definiert. An der wissenschaftlichen Konstruktion des Geschlechterverhältnisses lässt sich gut erkennen, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse im sozialen Kontext entstehen, die in diesem Fall die Trennung der Geschlechter in das männliche Subjekt und weibliche Objekt hervorbrachte, das männliche Allgemeine und das weibliche Besondere. Durch diese Konstruktion wurde der Wissenschaftler zum Aufklärer und die Frau zum Gegenstand der Aufklärung. Diese Geschlechterordnung war ganz konkret in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft wirksam: 83 |  Harding, Sandra, Science and Social Inequality. Feminist and Postcolonial Issues, Urbana/Chicago 2006, S. 106.

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»Die Dichotomie männlich-weiblich ist direkt gekoppelt an die Teilung zwischen Arbeit und Haus [wobei Hausarbeit als Nichtarbeit definiert wird], ökonomisches Handeln und Häuslichkeit, Produktion und Konsumption und – die breiteste und tiefste Kluft von allen – Öffentlichkeit und Privatheit. Alle diese Trennungen werden als natürlich angesehen und sind bis heute Teil der Sprache und der öffentlichen Politik.« 84

Die heute im Wesentlichen noch gültigen Geschlechterrollen entstanden mit der Herausbildung der Kleinfamilie zu Beginn des Zeitabschnitts, aus dem auch die ersten Objekte in Technikmuseen stammen. Die Kleinfamilie entsprach den Bedürfnissen der aufkommenden bürgerlichen Klasse, auf deren berufliche und ökonomische Orientierung die Trennung von Arbeitsplatz und privatem Haushalt ausgerichtet war. Ehepartner ergänzten und suchten sich in gegenseitiger Zuneigung für eine komplementäre Arbeitsteilung zwischen dem »vernünftigen« Handeln des Mannes und dem »leidenschaftlichen« oder »natürlichen« Handeln der Frau. In dieser Gegenseitigkeit ist Gleichberechtigung angelegt zwischen männlicher Vernunft und weiblicher Natur als Träger und Trägerin bürgerlicher Kultur in notwendiger Ergänzung von Arbeit und Haushalt, Öffentlichkeit und Privatheit. Gegen den inneren Widerspruch dieser Konstruktion – Frauen sind notwendiger Teil der bürgerlichen Gesellschaft und gleichzeitig aus ihr ausgeschlossen – begehrten die ersten Feministinnen während der Französischen Revolution auf und beriefen sich »auf die Universalität der menschlichen Vernunft als eine von körperlichen Eigenschaften unabhängige Gabe und auf die Unentbehrlichkeit des Gefühls« 85 . Diese 200 Jahre alte Forderung nach Einlösung der bürgerlichen Versprechen von Freiheit und Gleichheit für alle Menschen, auch für die Angehörigen der Klassen, die sich erst nach der Französischen Revolution entwickelt haben, liegt letztlich dem Abbau von Geschlechter­ ungerechtigkeit auch im Technikmuseum zugrunde. Ein weiterer Aspekt der Widersprüchlichkeit des Geschlechterverhältnisses innerhalb der neuzeitlichen Gesellschaft verweist auf eine tiefere Ebene von Subjektivität und Entfremdung. Der frühe politische Bürger ist 84 |  Rosenhaft, Eve, Aufklärung und Geschlecht: Bürgerlichkeit, Weiblichkeit, Subjektivität. In: Reese, Dagmar u. a. (Hg.), Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozeß, Frankfurt a. M. 1993, S. 24. 85 |  Ebd., S. 27 (Hervorh. d. Verf.).

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der Eigentum besitzende Mann. Er ist als Subjekt im Besitz seiner selbst und als Familienvorstand im Besitz seines Haushalts mit Frau und Kindern. Die Folgen dieser Vorstellung sind weitreichend: »Die Idee eines ›Eigentums an sich selbst‹ führt einen Zustand der Entfremdung, im Sinne eines geteilten Selbst, herbei, der wiederum nach der kompensierenden, psychologischen Konstruktion eines Menschentyps verlangt, der nicht entfremdet ist, nämlich der Frau.« 86 An den hier als nicht entfremdet angenommenen, natürlichen Zustand der Frau knüpfen im 20. Jahrhundert Vertreter der Kritischen Theorie mit der These an, dass Frauen an die Zugehörigkeit der Menschen zur Natur erinnern, an Leben und Lebendigkeit und dadurch an das Versprechen einer nicht entfremdeten Welt. Denken sei in der Männergesellschaft zu einem Ausdruck der Naturbeherrschung geworden. Zum Erkennen gehörten aber Körper ebenso wie Geist, Erkenntnis sei auf Empfindung angewiesen.87 Die feministische Rezeption der Kritischen Theorie führte diesen Ansatz weiter: Wenn Frauen über materielle, körperliche Erfahrungen Erkenntnisse gewinnen, verfügen sie über eine Subjektivität, die stärker vermittelt ist als über den Geist, denn das Physische ist im Subjekt ein begrifflich nicht auflösbares Moment.88 Zur Anwendung dieser These hat die Naturwissenschaftshistorikerin Donna Haraway mit dem Konzept der »situated knowledges« 89 eine Definition von Objektivität als in Körpern produziertes partikulares Wissen vorgeschlagen. »Wo traditionelle Konzepte von Objektivität die Spaltung von Subjekt und Objekt und von Körper und Geist fordern, um Transzendenz zu produzieren, geht es mit ›situated knowledges‹ gerade darum, zu verstehen, wie Körper und Subjekte

86 |  Ebd., S. 29, Rosenhaft folgt hier der Argumentation von John Locke. 87 |  Horkheimer, Max, Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1971, S. 100 f. 88 |  Becker-Schmidt, Regina. Adorno kritisieren – und dabei von ihm lernen. Von der Bedeutung seiner Theorie für die Geschlechterforschung. Vortrag auf der Tagung vom 4.–6.7.2003 zum 100. Geburtstag von Th. W. Adorno, Veröffentlichung der Vorträge von A. Gruschka und U. Oevermann, online unter http:// publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/5278. 89 |  Haraway, Donna, Situated Knowledges: The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspective. In: dies., Simians, Cyborgs, and Women: The Reinvention of Nature. New York 1991, S. 183–201.

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eingebunden sind in die Produktion von Wissen. Haraways feministische Objektivität produziert kein universales Wissen, sondern Differenz und Partikularität.« 90

Für die Museumsarbeit, wo Erkenntnisgewinn über Objekte körperlich erfahrbar gemacht wird, bedeutet dies, dass die soziale Konstruiertheit von Objektivität transparent gemacht werden muss. Dem steht das vom männlichen Subjekt geprägte, hierarchische Geschlechterverhältnis im Museum entgegen. Diese Hierarchie folgt der Rangordnung von Männern und Frauen in der gesamten Gesellschaft. Um sie zu verändern, müsste die »natürliche« Sphäre mit der »geistigen« verknüpft werden. Und einer der Orte, wo diese getrennten Bereiche wieder verknüpft werden können, ist das Technikmuseum.91

90 |  Heinsohn, Dorit, Feministische Naturwissenschaftskritik. Eine Einführung. In: Petersen, Barbara (Hg.), Feministische Naturwissenschaftsforschung, Mössingen 1998, S. 28 f. 91 |  Ein wichtiges Feld der (Wieder-)Zusammenführung von körperlichen und intellektuellen Erfahrungen bietet im Technikmuseum die Neukonzeptionierung von Hands-on-Modellen. Ein geniales Beispiel für die Ermöglichung körperlichen Lernens entwickelte beispielsweise die Mathematikerin Daina Taimina, als es ihr gelang, mithilfe der Häkeltechnik physische Modelle des hyperbolischen Raums als Feld der nichteuklidischen Geometrie darzustellen. Die schwer vorstellbare hyperbolische Geometrie wird so mit Händen fassbar. Taiminas Modelle wurden aufgenommen in die Modellsammlung der Smithonian Institution. Ihre Arbeit wird auch verbreitet vom Institute for Figuring in Los Angeles. Das Institut, 2003 gegründet von Margaret und Christine Wertheim, befördert Methoden für das nichtintellektuelle Verständnis von wissenschaftlichen und mathematischen Themen. Es organisiert u. a. das weltweite Projekt »Hyperbolic Crochet Coral Reef«, das die Bereiche Mathematik, Wissenschaft, Handarbeit und Umweltschutz für die Museumsarbeit miteinander verknüpft. Siehe dazu Wertheim, Margaret, Wegweiser durch den hyperbolischen Raum, Alkersum 2012 (engl.: A field guide to hyperbolic space, Los Angeles 2006).

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Technik

und hegemoniale

M ännlichkeit

Seit mehreren Jahrhunderten hat der naturwissenschaftlich-technische Fortschritt so weit zur Befreiung der Menschen von Einschränkungen durch die Natur beigetragen, dass heute die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigt werden könnten. Das ist aber nicht der Fall. Zum einen ist der technische Reichtum ungleich verteilt, zum anderen verlangt der technische Fortschritt immer größere Arbeitsanstrengungen. Denn trotz der immer schneller verlaufenden technischen Entwicklung arbeiten die Menschen nicht weniger, sondern vielfach sogar mehr. Für eine Debatte über diese mit der technischen Entwicklung verbundenen Widersprüche wäre das Technikmuseum ein geeignetes Forum. Technik ist in der westlichen Gesellschaft ein Wachstumsmotor. Die treibende Kraft des Wachstums ist der schnelle und wachsende Warenumschlag; er bestimmt Produktion, Energie und Mobilität, die klassischen Themen im Technikmuseum. Das Tempo der technischen Neuerungen beschleunigt den Kreislauf von Produktion und Konsumption. Gewinne aus diesem Kreislauf werden in die technische Weiterentwicklung investiert, um gegenüber anderen Produktanbietern konkurrenzfähig zu sein. Der schnelle Konsum gilt als Garant für die Zufriedenheit der einzelnen Menschen und für das Funktionieren der Gesellschaft. Die Beschäftigung mit der Familie, mit Kindern und alten Menschen fügt sich dagegen nicht in die Ökonomisierung der Gesellschaft, wie sie durch Technik vorangetrieben wird. Dabei führt die Ökonomisierung nicht zu mehr Fortschritt im Sinne von mehr gesellschaftlicher und globaler Gerechtigkeit, sondern verstärkt die soziale Ungleichheit und zerstört die Umwelt. Zum besseren Verständnis dieser gesellschaftlichen Entwicklungen und der Funktion von Technik innerhalb des westlichen Gesellschaftssystems bieten sich die Erkenntnisse feministischer Technikkritik an. Diese beschreibt Technik als sozial konstruiert, kulturell männlich dominiert und analysiert die Mechanismen der Aufrechterhaltung der Dominanz, die ein Eingreifen in diesen Selbstläufer erschweren. »Die feministische Technikkritik richtet sich auf eine gesellschaftstheoretische Kritik wissenschaftlicher und technischer Rationalität. Sie hat zum Ziel, den Zusammenhang zwischen patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen, einem ausbeuterischen, herrschaftlichen Naturverhältnis und der damit verbundenen ›vergeschlechtlichten‹ Technik aufzudecken. Der Grundkonsens der bisherigen

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Untersuchungen lässt sich dahingehend formulieren, dass ein sogenannter vergeschlechtlichter Charakter der Technik als gegeben angenommen wird. Diese Analyse der Vergeschlechtlichung kennzeichnet die Technik als ›vergegenständlichte männliche Kultur‹. Das heißt, auch wenn die geschlechtsspezifischen Konnotationen zur Technik diese nicht immer als eindeutig männlich auswiesen, so sei doch eine herrschende kulturelle Dominanz des Männlichen feststellbar, die Technik immer wieder als patriarchalische Institution zu rekonstruieren versuche.« 92

Auf der Suche nach Alternativen zu Technik als patriarchalischer Institution hat sich feministische Technikkritik in den letzten 30 Jahren in mehrere Richtungen ausdifferenziert.93 Erstens gibt es eine radikale feministische Technikkritik, eingebettet in eine Kapitalismus- und Patriarchatskritik, die davon ausgeht, dass die »männliche« Struktur der Gesellschaft die Struktur der Technik bestimmt. Zweitens schätzt eine liberale feministische Technikkritik Technik als neutral ein, wobei Männer und Frauen – im Prinzip gleich – unterschiedlichen Zugang zu ihr haben und Frauen aufgefordert sind, ihre durch die Geschlechterrolle bedingte Benachteiligung aktiv zu überwinden. In einem dritten Ansatz wird Technik als vergegenständlichte männliche Kultur gesehen. »Männlichkeit und Technik werden als symbolisch verflochten gedacht, in der Weise, daß technische Kompetenz zu einem integralen Bestandteil der männlichen Identität geworden ist, und umgekehrt, die besondere Idee von Männlichkeit für unsere vorherrschende Definition von Technik zentral geworden ist.« 94

In Fortführung dieses Gedankens können »der Ausschluß von Frauen aus der Technik und ihre Ablehnung derselben durch eine Analyse ge92 |  Saupe, Angelika, Vergeschlechtlichte Technik – über Geschichte und Struktur der feministischen Technikkritik. In: Bulletin Texte 25, Humboldt-Universität zu Berlin, Januar 2013, S. 3. 93 |  Ebd., S. 6 ff. 94 |  Gill, Rosalind, Grint, Keith, The Gender-Technology-Relation: Contemporary Theory and Research (Introduction). In: dies. (Hg.), The Gender-TechnologyRelation: Contemporary Theory and Research, Bristol 1995, S. 8, zit. n. Saupe 2013, S. 11.

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klärt werden, die Technik als eine Kultur versteht, in der die Beziehungen von Männern untereinander ausgedrückt und verfestigt werden«95 . Um die Art der Beziehungen unter Männern und gegenüber Frauen mit Bezug auf Naturwissenschaft und Technik besser analysieren zu können, ist der Begriff der »hegemonialen Männlichkeit«96 hilfreich. Er beschreibt die geschlechtsbezogene Praxis, welche »die Dominanz der Männer sowie die Unterordnung der Frauen gewährleistet (oder gewährleisten soll)«97. Dabei wird hegemoniale Männlichkeit nicht von allen Männern gelebt, sondern nur von solchen, die als Kollektiv Zugang zu gesellschaftlicher und ökonomischer Macht haben. Dennoch profitieren auch andere Männer tendenziell von der Vormachtstellung der privilegierten Gruppe, sei es als »Komplizen« in weniger einflussreichen Positionen, sei es als gleichfalls einflussreiche, aber durch Herkunft oder Hautfarbe marginalisierte Männer. Der Begriff der hegemonialen Männlichkeit ermöglicht also eine differenzierte Betrachtungsweise von Machtverhältnissen innerhalb und zwischen den Geschlechtern und ist für das Verständnis von Möglichkeiten der gesellschaftlichen Veränderung von großer Bedeutung. Der Hegemoniebegriff als Bezeichnung dieser bestimmten Ausübung von Macht geht zurück auf den marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er analysierte, dass andere als ökonomische Faktoren dafür verantwortlich sein müssen, wenn revolutionärer Widerstand gegen die bürgerlich-kapitalistische Herrschaft in Westeuropa ausbleibt.98 Die führende Klasse müsse neben ökonomischem Einfluss, noch bevor sie die Führungsposition einnehmen kann, »den aktiven Konsens der Regierten« herbeigeführt haben, d. h. »die Zustimmung aller Individuen/Gruppen/Klassen innerhalb der Gesellschaft, selbst wenn diese ihr eigentlich widersprechen, weil ihre Interessen sich von 95 |  Wajcman, Judy, Technik und Geschlecht. Die feministische Technikdebatte, Frankfurt/New York 1994, S. 40, zit. n. Saupe 2013, S. 13. 96 |  Der Begriff wurde 1995 von der Soziologin Raewyn Connell in ihrem Buch »Masculinities« eingeführt, dt.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Heidelberg 1999. 97 |  Ebd., S. 38. 98 |  Siehe Gramsci, Antonio, Gefängnishefte, 8. Heft (1931–1932). In: Bochmann, Klaus, Haug, Wolfgang Fritz (Hg.), Antonio Gramsci, Gefängnishefte, Bd.  5, Hamburg 1999, und als Einführung: Opratko, Benjamin, Hegemonie, Münster 2014.

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denen der Herrschenden unterscheiden. Konsens bedeutet also eine freiwillige Unterwerfung bzw. die Annahme oder Höherbewertung der Interessen der dominanten Kultur.« 99

Die führende Gruppe muss die Fähigkeit besitzen, die eigenen Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen zu definieren und durchzusetzen.100 Die allgemeine Zustimmung erfolgt dann nicht durch Zwang, sondern als alltägliche Praxis in Beruf und Familie, in der Schule und anderen Institutionen.101 In der von Gramsci so bezeichneten »società civile« kämpfen die herrschenden und beherrschten Gruppen um Ideen, Normen und Werte, d. h. um kulturelle Hegemonie, weshalb seine »Politik des Kulturellen« auch dort ansetzt. »Die Frage der Befreiung, konkret gestellt, führt nach Gramsci unweigerlich zunächst auf Kultur und Lebensweise, wo die Aufrichtung der Subalternen beginnt. Und dies beginnt keineswegs als kritiklose Aneignung der Kultur der Herrschenden, sondern als Zurückdrängung von deren kultureller Hegemonie, indem die Hegemoniefrage im Kulturellen vom Standpunkt der Niedergehaltenen gestellt wird.«102

Hier knüpft die Kritik an der hegemonialen Machtausübung in Wissenschaft und Technik an. Die Gesellschaft deutet die Nichtzugehörigkeit von Frauen zu den hegemonialen Männerbünden in Wissenschaft und Technik als Defizit und kehrt sie sogar in ein Merkmal weiblicher Identität um. Die Infragestellung dieser Identitätsbildung ist ein Ansatz zur Überwindung von Geschlechterrollen, auch im Technikmuseum. Das hegemonial definierte Verhältnis von Mann – Frau – Natur – Technik, das von der Aufklärung bis heute bestimmt ist vom Glauben an Fortschritt und wissenschaftlich-technische »Objektivität«, bedarf der Neubewertung. 99 |  Knapp, Valerie, Über den (gramscianischen) Hegemoniebegriff, online unter http://userwikis.fu-berlin.de. 100 |  Dies geschieht beispielsweise auch bis hinunter in das »Mitmeinen« der weiblichen Form in der Sprache, wenn nur die männliche Form benutzt wird. 101 |  Siehe: Was ist eigentlich Hegemonie? Lexikon der Globalisierung, online unter www.taz.de. 102 |  Haug, Wolfgang Fritz, Gramsci und die Politik des Kulturellen (1988), S. 15, online unter www.wolfgangfritzhaug.inkrit.de/online-Texte/5.Gramsci-Studien.

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G ender , R ace , C l ass Wie ist es zu verstehen, dass die meisten Frauen ihren Ausschluss aus den Männergemeinschaften in Naturwissenschaft und Technik akzeptieren, umkehren und zu einem Merkmal ihrer weiblichen Identität machen? Es scheint das Verhaltensmuster zu wirken, dass sich Menschen selbst als die ›Anderen‹ zu definieren beginnen, wenn sie zuvor dazu gemacht worden sind. Diese Zuschreibung wird seit den 1980er-Jahren in den Sozialwissenschaften als »Othering« beschrieben. Es bezeichnet den Vorgang, eine Gruppe als anders und fremd zu definieren, um sich von den so Klassifizierten abgrenzen zu können. Georg Friedrich Hegel betrachtete das heute mit »Othering« Bezeichnete als Voraussetzung der Entwicklung einer eigenen Identität. Er erläutert dies am Beispiel von Herr und Knecht: Der Herr bezieht seine Identität aus der Annahme, für sich da zu sein, der Knecht bezieht seine Identität daraus, für den anderen da zu sein. Der Knecht hat sich zwar nicht freiwillig untergeordnet, aber der Herr braucht die Anerkennung des Knechts zur Ausübung seiner Herrschaft über ihn.103 In diesem Beispiel dient das »Othering« der Aufrichtung eines Klassenverhältnisses.104 Simone de Beauvoir hat in der Mitte des 20. Jahrhunderts das dialektische Verhältnis zwischen Herrn und Knecht bei Hegel aufgegriffen, auf das Geschlechterverhältnis übertragen und 1949 bereits im Titel ihres Standardwerks »Das andere Geschlecht« auf den Prozess des »Othering« hingewiesen.105 Und noch in einem dritten großen Bereich findet »Othering« statt: Die koloniale Eroberung geht einher mit der Abwertung aller Kulturen außer der westlichen.106 »Othering« dient in allen drei angesprochenen Bereichen als Mittel, um die Unterwerfung einer Gruppe unter eine andere zu erleichtern. Im Allgemeinen verfügt der Bestimmende über mehr Wissen als der Abhängige und sichert sich auf diese Weise mehr Einfluss auf das »Oth­ 103 |  Es handelt sich hierbei also um ein Beispiel hegemonialer Männlichkeit. 104 |  Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Werke 3. Phänomenologie des Geistes. B. IV. A. Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft, Frankfurt a. M. 1970. 105 |  Beauvoir, Simone, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 1992. 106 |  Z. B. bei Memmi, Albert, Der Kolonisator und der Kolonisierte. Zwei Porträts, Hamburg 1994.

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ering«. Um dem »Othering« entgegenzuwirken, bedürfte es also eines annähernd gleichen Wissensstandes beider Gruppen. Außerdem müsste zur Aufhebung der Fremdzuschreibung eine sprachliche Kommunikation zwischen den Teilnehmer_innen zustandekommen, die weniger mit festen Begriffen übereinander operierte, sondern in Be- und Umschreibungen, in personalisierter und stärker im Kontext verorteter Sprache.107 Eine solche Sprache wäre eine andere als die objektivierte Sprache, die sich in Wissenschaft und Technik herausgebildet hat. Sollen die historisch entstandenen und weiterbestehenden Ungleichheiten zwischen Vertrauten und Fremden, zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen Männern und Frauen im Technikmuseum reflektiert und abgebaut werden, kann mit Hilfe der Analysekategorien Gender, Race und Class untersucht werden, wo Ausstellungen bestehende Machtverhältnisse abbilden und auf welche Weise sie zum Erhalt oder zur Veränderung von dauerhaft sozialer Ungleichheit beitragen. Weil Technik als männliches Territorium gilt und stereotyp mit männlichen Kompetenzen verbunden wird, ist das Technikmuseum ein starker Ort der Auseinandersetzung um Genderfragen, wie sie in der vorliegenden Arbeit beschrieben werden. Das kommt in den Ausstellungsthemen und auch in der Ausstellungsgestaltung zum Ausdruck, denn »feministische Technologieforschung hat nicht nur betont, wie Gender Technologie formt, sondern auch wie Design und Verwendung von Technologien Geschlechtsidentitäten und Beziehungen konstituieren«108 . Die zweite Analysekategorie Race oder Rasse wird in der Diskussion in Deutschland oft ersetzt durch Ethnizität und bezieht sich im Museumszusammenhang am häufigsten auf Migrant_innen. Im Technikmuseum verweist die Kategorie Ethnizität aber zuerst auf die Anfänge der Sammlungen, als Eroberung und Kolonisierung die Grundlage für die industrielle Entwicklung schufen. Dies geschah parallel zur Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft unter den Leitgedanken von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

107 |  Boreus, Kristina, Discursive Discrimination: A Typology. In: European Journal of Social Theory 9, 2006, H. 3, S. 405–424. 108 |  Lohan, Maria, Faulkner, Wendy, Masculinities and Technologies. In: Men and Masculinities 6, 2004, Nr. 4 (April), S. 321 (Übers. d. Verf.).

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»Daraus ergibt sich der zentrale Widerspruch der westlichen Moderne, nämlich auf der einen Seite die Gleichheit aller Menschen zu behaupten, und sie auf der anderen Seite zu negieren, denn die Zeit der bürgerlichen Revolutionen war zugleich die Zeit von Kolonialismus und Sklaverei. Die Aufklärung ging Hand in Hand mit der Entwicklung von Rassentheorien, und das Selbstverständnis des Westens, die ›Zivilisation‹ in die ganze Welt zu tragen, ging einher mit mörderischen Eroberungen, die Millionen von Menschen das Leben kostete.«109

Die Propagierung universeller Rechte brachte »nur ihren Protagonisten, nämlich den weißen, christlichen, männlichen Bürgern die Rechte und die Freiheit, die sie im Namen der gesamten Menschheit zu erkämpfen vorgegeben hatten«110. Vor diesem Hintergrund verhindert es das westliche Selbstverständnis als Fortschrittsträger, wie es sich auch im Technikmuseum darstellt, dass sich migrantische Besucher_innen mit den Museumsinhalten identifizieren. Ihre Geschichte kommt gar nicht oder nur defizitär als handwerkliche oder manufakturelle Vorstufe der höher bewerteten industriellen und postindustriellen Entwicklung vor. Gegenüber den Untersuchungskategorien Ethnizität und Gender ist die dritte Analysekategorie der Klasse oder Schicht in den letzten Jahren gesellschaftlich in den Hintergrund geraten. Während in den Technik- und Industriemuseen seit den 1970er-Jahre die Klasse der Industriearbeiter noch repräsentiert war, hat seitdem im Technikmuseum ein Umschwenken auf Themen der digitalen Revolution stattgefunden. Die Produktion findet überwiegend nicht mehr im Westen statt und verschwindet daher auch aus dem musealen Gesichtskreis. Zwei Möglichkeiten, das zentrale Thema der Herstellung von Produkten in das Technikmuseum zurückzuholen, sind zum einen die globale Erweiterung der Museumsthemen und zum anderen die Suche nach Überschneidungen von Klasse und Ethnizität in der westlichen Gesellschaft selbst, d. h. wo produktive Arbeit von Migrant_innen getan wird.111 Am letzten Beispiel 109 |  Rommelspacher, Birgit, Interdependenzen – Geschlecht, Klasse und Ethnizität. In: Walgenbach, Katharina, Grohs, Telse S., Essers, Maureen Maisha (Hg.), Öffentliches virtuelles Seminar: Interdependenzen – Geschlecht, Ethni­ zität, Klasse, 2006, o. S. 110 |  Ebd. 111 |  Eine noch wenig bearbeitete ›Überschneidung‹ von Gender, Race und Class ist ihr gemeinsames Charakteristikum als »Arbeitsverhältnis«.

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wird deutlich, dass keine der drei Kategorien für sich allein stehen kann. »Je nach Raum, Zeit und Situation [haben] Klassifizierungssysteme wie Geschlecht, Rasse, Ethnie, Sexualität, Klasse, Stand, Sprache, Alter, Religion, Bildungsgrad etc. mehr oder weniger Gewicht«112 und »Sex und Gender [sind] nur zwei von vielen miteinander verflochtenen und aufeinander bezogenen Wissenssystemen, die Individuen subjektivieren«.113 Im Technikmuseum drängen sich Gender, Race und Class als zentrale Kategorien auf, werden aber bei Objektauswahl und Konzeptarbeit strukturell nicht angewandt. So kommt in den Ausstellungen eine begrenzte Sicht zum Tragen, »geprägt von der Zentralperspektive weißhäutiger Männer aus der Mittelschicht, ›als ein Produkt und ein Medium der Selbstverständigung über kulturelle Hegemonie‹«.114 Um diese Perpetuierung von Herrschaftsgeschichte aufzubrechen und zu beenden, bedarf jedes Sammlungsobjekt und jedes Ausstellungsthema einer Betrachtung unter den Aspekten von Geschlecht, Ethnizität und Klasse.

G ender

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Technikmuseum

Im Fokus der Betrachtung sollen nun die Gründe für die andauernde Vernachlässigung von Geschlechteraspekten im Technikmuseum stehen. In der Diskussion um das distanzierte Verhältnis von Frauen und Technik wurden eher die Frauen infrage gestellt als die Technik. Die Grundlage der Entfremdung zwischen Frauen und Technik ist aber hauptsächlich zurückzuführen auf den »aggressiven Dualismus«, mit dem die Welt auch im Museum repräsentiert wird, ein Dualismus »der alle Dinge in Beziehung zur Bewertung durch ein eng gefasstes menschliches Subjekt repräsentiert 112 |  Griesebner, Andrea, Geschlecht als soziale und als analytische Kategorie. Debatten der letzten drei Jahrzehnte. In: Gehmacher, Johanna, Mesner, Maria (Hg.), Frauen- und Geschlechtergeschichte. Positionen/Perspektiven, Innsbruck 2003, S. 47. 113 |  Ebd., S. 49. 114 |  Richter, Isabel, Schraut, Sylvia, Geschichte: Geschlecht und Geschichte. In: Becker/Kortendiek 2010, mit Zitat von Karin Hausen, Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. In: Medick, Hans, Trepp, Anne-Charlott (Hg.), Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte, Göttingen 1998, S. 36.

Ursachen der E xklusion

und einschätzt«115 . Dieser Dualismus trennt – wie beschrieben – Rationalität und Geist des Mannes von Emotionalität und Körper der Frau. Mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie hat sich der Geist die Materie unterworfen, und die Ergebnisse dieser Anstrengung sind im Technikmuseum ausgestellt. Da die Frau mit dem Körper, der Materie, der Natur usw. stärker identifiziert ist als mit dem Geist, gehört sie im Technikmuseum eher zur Objektkategorie als zu den handelnden, erfindenden, starken, aktiven Subjekten. Die Folgen wiegen schwer: »Since subject agency is realized in practice in the form of power and authority, those denied it suffer material disadvantage, and their ideas receive limited attention.«116 Die Objektivierung des Weiblichen spiegelt sich im Technikmuseum häufig in den Objektbeschriftungen, was die Museumswissenschaftlerin Gaynor Kavanagh am Beispiel der Dampfmaschine »Eunice« im Newcastle Museum of Science and Industry erläutert. Die Beschriftung lautet: »Eunice, a horizontal steam engine 1899 was used at a steam laundry in Rochdale. The museum purchased her in 1977. Our workshops rebuilt and restarted her. She can be seen in the motive power gallery.« Dazu schreibt Kavanagh: »The object as female is no surprise in science museums. ›She‹ can be used, purchased, rebuilt, restarted and seen. ›She‹ is acted upon, not the actor.«117 Parallel zur Objektivierung des Weiblichen beschreibt Kavanagh die Dominanz des Männlichen in den Beschriftungen: »Reading labels in science museums is a thoroughly depressing process: ›man harnessing power‹, ›man the toolmaker, ›man and iron‹, ›the evolution of man‹. If the use of the term ›man‹ really does mean ›humankind‹ or ›people‹ then such expressions as ›man the breast feeder‹, ›man the child-rearer‹, ›man the berry picker‹, ›man the homemaker‹, ›man the operative‹, ›man the organiser‹ would not sound so strange to the ear.«118 115 |  Hein, Hilde, Looking at museums from a feminist perspective. In: Levin 2010, S. 62 (Übers. d. Verf.). 116 |  Hein, Hilde, The responsibility of representation. A feminist perspective. In: Marstine, Janet (Hg.), The Routledge Companion to Museum Ethics. Redifining Ethics for the Twenty-First-Century Museum, London 2011, S. 113. 117 |  Kavanagh, Gaynor, Dreams and nightmares: science museum provision in Britain. In: Durant, John (Hg.), Museums and the public understanding of science, London 1994, S. 84 f. 118 |  Ebd., S. 84.

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Das Ausblenden der weiblichen Perspektive diskreditiert den Erfahrungshorizont von Frauen als »gefühlsbetont«, den es aus Wissenschaft und Technik auszuklammern gilt. Diese Vorstellung vernachlässigt die Komplexität des Zusammenhangs von Ratio und Gefühl. »Feminist theory approaches emotion as a complex phenomenon infused with cognitive history and understanding, which, in turn, pulses with feeling. Recent psychobiological research appears to support that conclusion, and the diametric opposition between intellect and emotion is eroding; but the struggle of mind to control matter remains strong.«119

Im Museum gilt weiterhin als wissenschaftlich korrekte Methode die systematische Erfassung der Objekte nach Chronologie, Material, Herkunft usw., die sich als normierte Beschriftung in den Ausstellungen niederschlägt und dem Erfahrungswissen der Besucher_innen meist entgegensetzt. Informationen über den Kontext des Objekts sind auf der Karteikarte oder dem Datenblatt und deshalb auch auf der Beschriftungstafel seltener zu finden. Zur Erweiterung des Spektrums der Kontextualisierung von Objekten müssten alle ausgestellten Objekte einer Revision unterzogen und bisher vernachlässigte Objekte aus den Depots geholt und präsentiert werden: »the reversal of foreground and background, which draws attention to the overlooked and suppressed, and, having exposed it, asks why it has been neglected«.120 Dieser Herstellungsprozess von Vielfalt würde der Institution sowohl Perspektiven eröffnen als auch Konfliktstoff erzeugen: »Diversity often leads to clashes of values and skepticism toward truth. These circumstances are unacceptable to those who venerate a single standard of correctness and cannot abide a less than universal order. Generally, these individuals also assume that their own perspective on the world satisfies these conditions, while alternative views can (and should) be molded to conform to theirs.«121

119 |  Hein, Hilde, Looking at museums from a feminist perspective. In: Levin 2010, S. 55. 120 |  Ebd., S. 57. 121 |  Ebd., S. 61.

Ursachen der E xklusion

Wie Ansätze zur Vielfältigkeit wieder in Eindeutigkeit zurückgeführt werden, beschreibt Wera Grahn an einem Beispiel aus dem Nordiska museet in Stockholm.122 Im Rahmen eines Forschungsprojekts über »Die dunkle Seite der Gesellschaft« wurde Mitte der 1990er-Jahre von einem Museumsfotografen eine Fotodokumentation des Haushalts einer obdachlosen, in Stockholm in einem Zelt lebenden Frau gemacht und später das gesamte Inventar der Frau vom Museum erworben. Da die Objekte schmutzig waren und eine vermeintliche gesundheitliche Gefahr von ihnen ausging, wurden sie vor der Aufnahme in die Museumsräume bestrahlt. Ein Interview mit der obdachlosen Frau kam nicht zustande; die Gegenstände wurden inventarisiert, gereinigt und ein Teil davon als Installation in der Reihe »Objekt des Monats« im Dezember 2000 und Januar 2001 in museumsgerechter, gesäuberter und geordneter Form ausgestellt. Wera Grahn analysiert, wie die Transformation der Alltagsobjekte der obdachlosen Frau in Museumsobjekte dazu führt, dass die Frau zur ›Anderen‹ wird. Die Obdachlose hat ihre Geschichte nicht erzählt, aber während der Aufnahme ihrer Objekte in das Museum erfinden alle an der Museumsarbeit Beteiligten (in den Bereichen Inventarisierung, Konservierung, Ausstellung usw.) gemeinsam die Geschichte der obdachlosen Frau neu und weisen ihr dabei die klassischen Frauenrollen als Opfer und Hausfrau zu. Als Obdachlose ist die Frau Opfer, und indem in der Inszenierung ihres Haushalts alles Unordentliche, Schmutzige, Eklige aus ihrem Besitz nicht ausgestellt ist, wird sie zur Hausfrau. Grahn untersucht im Weiteren alle früheren »Objekte des Monats« und kommt zu dem Ergebnis, dass das Bild der obdachlosen Frau mit dem Bild aller früher im »Objekt des Monats« vorgestellten Frauen übereinstimmt und sich in stereotyper Weise von den dargestellten Männern unterscheidet. »In short men are represented as active, autonomous subjects conquering the big world outside, while women are represented as passive objects in the little world at home or as victims lacking a home.«123 Die Mehrzahl der Objekte des Monats bezogen sich auf Männer, obwohl die meisten Exponate im Nordiska museet als einem volkskundlichen Museum aus weiblichen Lebenszusammenhängen stammen.

122 |  Grahn, Wera, From everyday artefacts to museal facts, 2003, online unter www.accademia.edu. 123 |  Ebd., S. 16.

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Grahn fügt ihre Kritik ein in eine grundsätzliche Infragestellung von »objektiver« Wissensproduktion in Museen, wenn die Museumsobjekte vom sozialen Kontext getrennt werden. Die im Museum erzählte Geschichte sei dann nur eine von vielen möglichen Geschichten ohne Wahrheitsanspruch. »What happens when the homeless woman’s belongings are added to the grande metanarrative is that the illusion of the museum as part of the modern project is being reinforced. And it is constantly reproducing and legitimating asymmetrical relations between men and women. This is what makes the modern narrative profoundly problematic.«124

124 |  Ebd., S.  17; Grahn verwendet den Begriff der Moderne synonym zum Begriff der Aufklärung.

Ansatzpunkte der Inklusion

Aus der im ersten Abschnitt dieser Arbeit dargelegten Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Repräsentation von Frauen im Museum, speziell im Technikmuseum in Berlin, und aus den Überlegungen zu den Ursachen der vorgefundenen Unsichtbarkeit von Frauen in Technikmuseen ergibt sich die Frage nach möglichen Ansatzpunkten für eine Veränderung der aktuellen Situation. Die hier gemachten Vorschläge für Strategien eines geschlechterspezifischen Wandels in Technikmuseen beziehen sich nicht nur auf das Technikmuseum Berlin. Sie richten sich nach dem Maß, den Möglichkeiten und dem zeitlichen Rahmen einer angestrebten Veränderung auch in anderen Museen. Die zunächst vorgeschlagenen kurzfristig realisierbaren Ansatzpunkte zielen auf die Vermittlungsarbeit, die Verwendung von Sprache, die Entwicklung von Interventionen und die multiperspektivische Veränderung von bestehenden Ausstellungen. Langfristig zu realisierende Ansatzpunkte sind Personalpolitik, Architektur und Gestaltung, Forschung zu Gender, Werkzeugentwicklung und Erinnerung und die Auseinandersetzung mit den zentralen Themen Sammlung, Arbeit und Krieg. Inhaltlich drängen neue Fragen schon seit der Jahrtausendwende auch ins Museum: »Welche Technik wollen wir? Wo wollen wir sie wie einsetzen? Welchen Stellenwert soll Technik in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen einnehmen? Inwiefern sind die Konsequenzen heutiger technischer Entwicklungen für die Zukunft überhaupt noch absehbar?«125 125 |  Wenk, Barbara, Technikmuseen als »Orte der Orientierung« für Veränderungsprozesse ihrer Zeit. In: Habsburg-Lothringen, Bettina (Hg.), Dauerausstellungen. Schlaglichter auf ein Format, Bielefeld 2012, S. 92.

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In Technikmuseen, die eine Kulturgeschichte der Technik erzählen wollen, können Antworten auf diese Fragen schon aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Konzepte von Natur- und Geisteswissenschaften nicht mehr nur eine Perspektive wiedergeben.126 Das naturwissenschaftliche Wissen als Fortschritts- und Weltbemächtigungswissen und die Geisteswissenschaften mit ihrem Fokus auf der Bedeutung kultureller Zusammenhänge treffen im Technikmuseum aufeinander, wenn dort wie im Technikmuseum Berlin eine Kulturgeschichte von Technik und Naturwissenschaft erzählt werden soll. Dabei befinden sich die Geisteswissenschaften seit einiger Zeit gegenüber den Naturwissenschaften aufgrund der zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft auf dem Rückzug, denn »an die Stelle der Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaft ist die nach ihrem ökonomischen Ertrag getreten. Was kein Geld einbringt, wird nicht mehr weiter gefördert.«127 Auf der anderen Seite wächst in den Naturwissenschaften selbst ein kritisches Potenzial, das im Technikmuseum entfaltet werden kann, denn die hochtechnisierte Gesellschaft muss Fragen der Energie, Biotechnologie, Ökologie und Informationstechnologie neu diskutieren. Das Technikmuseum kann dafür ein demokratischer Ort des Austauschs aller beteiligten Gruppen sein.

126 |  Die folgende Argumentation entwickelte Aleida Assmann in ihrem Vortrag auf der Tagung am 22./23. November 2012 im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden »Wozu Museen? Eine Lagebesprechung unter Freunden«. 127 |  Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich im Artikel »Die Chance des Verschwindens« in der »taz« vom 21. September 2007.

Erster Ansatzpunkt : Kompensatorische Vermittlungsarbeit

Einige Ansätze der Inklusion von Frauen im Technikmuseum sind kompensatorischer Art. Auf den Faltblättern und Plakaten des Berliner Museums sind heute mehr Frauen und Mädchen zu sehen als Männer und Jungen, ohne dass das Museum Frauen mehr bietet oder tatsächlich mehr Frauen als Besucherinnen kommen als vor 30 Jahren. Auch wenn die visuelle Anwesenheit von Frauen im Zusammenhang mit Technikmuseen ein Anfang zu mehr Geschlechtergerechtigkeit sein kann, erinnert das formale Vorgehen eher daran, dass das Versprechen mit Inhalten gefüllt werden muss. In der Marketingstrategie spiegelt sich die für jedes Museum wachsende Betonung der Form gegenüber dem Inhalt, der Gestaltung gegenüber dem Konzept, des Events gegenüber der Dauerausstellung. Sich vom kurzfristigen Erfolg dieser Strategie mitreißen zu lassen, birgt die Gefahr, das inhaltliche Konzept des Museums aus den Augen zu verlieren und ihm dadurch langfristig seine Legitimation zu entziehen. Dass aber auch über die Form der Öffentlichkeitsarbeit geschlechtergerechter Einfluss auf den Inhalt genommen werden kann, zeigt der Vergleich der Motive für die Plakate einer Sonderausstellung des Deutschen Technikmuseums in Berlin und im Schwestermuseum in Wien. Für die in Berlin konzipierte Ausstellung wurde auf dem Plakat mit zwei farblich finsteren, statisch nebeneinander aufgestellten ›männlichen‹ Robotern geworben. Nachdem die gleiche Ausstellung in das technische museum wien gewandert war, wurde sie dort mit einem bunten Pärchen aus Robotermann und -frau angekündigt, die den Eindruck erweckten, sie würden sich eingehängt auf den Weg (ins Museum?) machen.

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Frauen im Technikmuseum

Motive für zwei Plakate der Sonderausstellung »spiel mit technik« des Technikmuseums in Berlin und Wien

Fotos: A. Döpfner

Ebenso wie gendersensible Öffentlichkeitsarbeit im Technikmuseum kann Museumspädagogik, die Mädchen und Frauen gezielt anspricht, oft nicht halten, was sie verspricht. Technikmuseen mit Extraangeboten für Frauen, wie etwa das Deutsche Museum in München oder das technische museum wien, gehen im Allgemeinen mit Besucherinnengruppen auf ›Spurensuche‹. Die Spuren sind über das gesamte Haus verstreut, und es ist für die Suchenden, z. B. im Deutschen Museum, mitunter schwer, zu den einzelnen Stationen überhaupt Informationen zu bekommen.128 Oder die Frauen, um die es geht, werden wie im technischen museum wien häufig »im Schatten ihrer berühmten Brüder, Väter oder Ehemänner« gesucht.129 Die Spurensuche, die Frauen sichtbar machen soll, reproduziert nur die Ungleichheit. Sie zeigt nicht die Ursachen der Ungleichheiten im Museum. Ein Angebot speziell für Männer, Spuren ihrer 128 |  Holzmeier, Stephanie, Männer müssen draußen bleiben. Für Frauen gibt es im Deutschen Museum seit 1990 spezielle Führungen. In: merkur-online.de v. 05.05.2005. 129 |  Führungsangebote »Patente Frauen« und »Gender goes Technik«.

Erster Ansat zpunkt: Kompensatorische Vermittlungsarbeit

selbst in einem Museum zu suchen, ist schwer vorstellbar, was erneut den strukturellen Ausschluss von Frauen im Museum vor Augen führt. Die Bemühungen von Technikmuseen um Frauen sind vergleichbar den bildungspolitischen Anstrengungen, Frauen für naturwissenschaftlichtechnische Berufe zu gewinnen. In beiden Bereichen – Museum und Ausbildung – sind nachhaltige Erfolge auf diesem Weg bisher ausgeblieben. Geschlechtsspezifische Unterschiede in einer museumspädagogischen Aktion im Bereich »Straßenverkehr« und bei einer Vorführung in der Ausstellung »Textiltechnik« im Deutschen Technikmuseum Berlin

© SDTB/Fotos: C. Kirchner

Trotz vermehrter Initiativen, geschlechtsspezifische Verfestigungen in Schule und Ausbildung aufzulösen, sind die Traumberufe von Kindern weiterhin geschlechtsspezifisch bestimmt. Mädchen wünschen sich eine Stelle im Mode-, Konsum- oder Medienbereich, Jungen bei Auto- oder Elektronikfirmen.130 Unter den zehn häufigsten Ausbildungsberufen von Mädchen ist kein einziger technischer Beruf; alle Berufe haben mit Verkauf und Pflege zu tun. Bei den Jungen sind zwei Drittel der zehn am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe technisch-gewerblich, an zweiter Stelle steht das Verkaufen.131 In den Metall-, Elektro-, Bau- und 130 |  Die Lieblingsberufe der Kinder in Deutschland. In: Die Welt v. 17.08.2013. 131 |  Neu abgeschlossene Ausbildungsverträge 2010 in den zehn am stärksten besetzten Ausbildungsberufen bei Frauen bzw. Männern, Statistisches Bundesamt 2011.

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Verkehrsberufen sind über 90 % der Auszubildenden Jungen. Bei den beliebtesten Studienfächern sah es im Wintersemester 2012/13 ähnlich aus: Männer wählen bevorzugt technische Studiengänge, Frauen studieren sprachliche, sozialwissenschaftliche oder auf einen Pflegeberuf vorbereitende Fächer.132 Als Antwort auf die Ökonomisierung der Gesellschaft studieren heute allerdings sowohl Frauen als auch Männer am häufigsten Betriebswirtschaftslehre. In den naturwissenschaftlichen Studiengängen trägt zum Ungleichgewicht zwischen Student_innen wesentlich der unterschiedliche Lehr- und Lernstil bei: Die in den naturwissenschaftlichen Fächern mit niedrigem Frauenanteil vorherrschende frontal und rezeptiv gestaltete Lehre führt dazu, dass sich Frauen in dieser Studienumgebung fremd fühlen, was sich hemmend auf ihren Studienerfolg auswirkt. »Dabei scheinen Männer eher eine Übereinstimmung ihres Lernstils mit traditionellen Methoden der Wissensvermittlung zu finden als Frauen.«133 Methodenmix, paritätisch besetzte Seminare und weniger dozierende als Fragen stellende Dozent_innen fördern das Lernen von Frauen – und nicht nur von ihnen – besonders in naturwissenschaftlichen Fächern.134 All diese Forschungsergebnisse lassen sich in die Vermittlungsarbeit des Technikmuseums übertragen. Es ist für die Entwicklung von Bildungsarbeit im Museum aber erforderlich, wesentlich weiter zurückzugehen als bis zur Ausbildung seiner Besucher_innen. Kleine Mädchen werden von ihren Eltern gelobt, wenn sie etwas Schönes machen oder jemandem helfen, kleine Jungen für ihre Baukünste und wenn sie sich durchsetzen. In der Grundschule zeigen sich bereits sehr unterschiedliche inhaltliche Interessen bei Jungen und Mädchen, die sich bei einem Besuch im Technikmuseum schon in dieser Altersstufe auswirken. In einer Studie zum Sachkundeunterricht in der Grundschule, in dem es um die Erkundung 132 |  Die am stärksten besetzten Studienfächer WS 2011/2012, Statistisches Bundesamt 2012. 133 |  Gleichstellungsbüro der Georg-August-Universität Göttingen (Hg.), Antje Bahnik, Gender in die Lehre. Leitfaden der Universität Göttingen, Göttingen 2010, S. 6. 134 |  Eine integrative Unterrichtsdidaktik, mehr Praxisbezug und größere Interdisziplinarität scheinen für den Studienerfolg von Frauen (und Männern) in naturwissenschaftlich-technischen Fächern erfolgversprechender zu sein als eine Quotierung. Siehe dazu: Männer nicht erwünscht. Frauen sollen mehr weibliche Fachkräfte in die Technik bringen. In: Neue Zürcher Zeitung v. 15.07.2014, S. 35.

Erster Ansat zpunkt: Kompensatorische Vermittlungsarbeit

der Welt geht, wird zusammengefasst: »Die auffälligste [geschlechtsspezifische] Differenz war bei den technischen Themen zu erkennen, für welche sich überwiegend Jungen interessierten«.135 In der Untersuchung einer Sachkunde-Unterrichtseinheit zum Thema »Fabrikarbeit« »zeigten die Mädchen Interesse sowohl für das Produkt und die arbeitenden Menschen, als auch für deren soziale Probleme. Vor allem die gerechten Arbeitsbeziehungen scheinen für die Mädchen von großer Bedeutung zu sein. Die Jungen hingegen lassen das Persönliche gänzlich außen vor und interessieren sich vorwiegend für die Produktabläufe.«136

Auch im mathematischen Bereich entwickeln sich Jungen und Mädchen im Grundschulalter auseinander: »Betreten Jungen und Mädchen die Grundschule [im Durchschnitt] mit gleichen numerischen Voraussetzungen für den Mathematikunterricht, bestehen zum Ende der Grundschule hin jedoch Geschlechterdifferenzen zugunsten von Jungen.«137 In der Grundschule wird angelegt, dass in der Sekundarstufe »Jungen im Bereich Mathematik ein besseres Selbstkonzept, höhere Motivation und größeres Interesse als Mädchen [haben] und [ihnen] von Eltern wie Lehrkräften eine höhere Kompetenz als Mädchen zugesprochen«138 wird. Im Physikunterricht der Sekundarstufe sind die Geschlechterdifferenzen geringer; hier zeigen Mädchen stärkere Leistungen im Erkennen naturwissenschaftlicher Fragestellungen, während Jungen die naturwissenschaftlichen Phänomene besser erklären können. Jungen interessieren sich stärker für formelle Physik, Mädchen dagegen für anwendungsbezogene Physik. Ein mädchengerechter naturwissenschaftlicher Unterricht 135 |  Groenwald, Eweline, Empirische Untersuchung der Interessen von Mädchen und Jungen im Grundschulalter zu Inhalten des naturwissenschaftlichen Sachunterrichts durch altersangemessene Fragebögen und qualitative Interviews, Masterarbeit im Studiengang Master of Education, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Oldenburg 2012, S. 22. 136 |  Ebd., S. 23. 137 |  Rieske, Thomas Viola, Bildung von Geschlecht. Zur Diskussion von Jungenbenachteiligung und Feminisierung in deutschen Bildungsinstitutionen, Frankfurt a. M. 2011, S. 18. 138 |  Ebd., S. 27 f.

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(und eine mädchengerechte Ausstellung im Technikmuseum) müsste deshalb berücksichtigen, »dass zu starke Orientierung an der Systematik des Faches und die damit einhergehende geringe Orientierung an den Lebenswelten der Kinder, sowie eine laborähnliche Einrichtung des Unterrichtsraumes das Lernen von Mädchen behindert«.139 Das endgültige Auseinanderdriften der technischen Interessen von Jungen und Mädchen setzt mit der Pubertät ein. Ab der siebten Klasse »schätzen Mädchen in den Naturwissenschaften und Mathematik ihre eigenen Leistungen viel niedriger ein als Jungen, selbst wenn die getesteten Leistungen gleich gut oder besser waren«.140 Das mangelnde Selbstvertrauen von Mädchen in Bezug auf ihre mathematisch-naturwissenschaftlichen Fähigkeiten, das durch die Beurteilung von Eltern und Lehrer_innen verstärkt wird,141 zeigt während der Geschlechtsrollenfindung in der Pubertät seine Wirkung: »Schließlich wird diese ›Minderwertigkeit‹ dann in eine positive Besetzung von Weiblichkeit umgedeutet, da diese das einzige zu sein scheint, was Mädchen bzw. Frauen ihren ›Defiziten‹ entgegenzusetzen haben.«142 Feministische Forscherinnen betrachten aus diesem Grund die Identitätsentwicklung »als einen wichtigen Mechanismus, durch den die scheinbar natürliche Verbindung zwischen Männlichkeit und Technik immer wieder reproduziert wird. Frauen verweigern offensichtlich aktiv die Aneignung von technischen Kompetenzen wegen der implizit negativen Auswirkungen auf ihre Identität.«143 Am Ende ihrer geschlechtsspezifisch geprägten Schul- und Ausbildungswege stehen Mädchen und Jungen anders da als zu Beginn der Grundschule. Jungen haben sich mehr und besser auf einen möglichen technischen Beruf vorbereitet. Der Weg dorthin ist nicht durch einen Girls’- oder Boys’-Day in eine andere Richtung zu lenken; auch »die Angebote an Schulen, Mädchen männliche 139 |  Ebd., S. 31. 140 |  Heinzel, Friederike, Henze, Rabea, Klomfaß, Sabine, Eine Schule für Mädchen und Jungen. Praxishilfe mit Unterrichtsentwürfen für eine geschlechtergerechte Bildung, Frankfurt a. M. 2007, S. 13. 141 |  »In einer Studie äußerten Mädchen bspw. Ängste darüber, die Lehrkräfte könnten ihnen in Mathematik weniger zutrauen; in anderen Studien zeigten zwischen 31  % und 61  % der befragten Eltern die Annahme, Jungen seien in Mathematik begabter als Mädchen.« Rieske 2011, S. 18. 142 |  Saupe 2013, S. 15. 143 |  Ebd.

Erster Ansat zpunkt: Kompensatorische Vermittlungsarbeit

Berufe näherzubringen, haben keinen nachweisbaren Einfluss auf die Berufswünsche«144 . Vielmehr ist die Berufswahl hauptsächlich abhängig vom Zuspruch des Vaters. Jungen orientieren sich berufsmäßig ohnehin am Vater, Mädchen tun dies, wenn er sie ermutigt. Zudem steigt das Interesse eines Mädchens an einem »Männerberuf«, wenn im ökonomisch gut gestellten Elternhaus geschlechtergerechte Beziehungen vorgelebt werden. Mädchen, die typische Frauenberufe wählen, trauen sich dagegen weniger zu. Sie gehen davon aus, dass in Frauenberufen weniger verlangt, allerdings auch weniger bezahlt wird. Jungen sind freier in ihrer Berufswahl: »Mit besseren Deutschnoten streben sie eher einen Frauenberuf an, mit guten Mathematiknoten häufiger einen Männerberuf.«145 Unter diesen geschlechtsspezifisch ungleichen Voraussetzungen in Elternhaus, Schule und Ausbildung gibt es keinen einfachen Weg, durch pädagogische Konzepte Frauen für die Inhalte von Technikmuseen zu interessieren. Aber Pädagogik im Museum verfügt heute über mehr Möglichkeiten als je zuvor. Wurde sie früher vorrangig als Ergänzung zum Schulunterricht verstanden, entwickeln Bildungsabteilungen im Museum heute umfassende Vermittlungsangebote für lebenslanges Lernen. Die Erkenntnis der Dringlichkeit verstärkter Bildungsanstrengungen für alle führte zur Forderung nach größerer Öffnung außerschulischer Lernorte, wie es Museen vorbildlich sein können. Die Wirtschaft verlagerte aus diesem Grund ihr Kultursponsoring auf den Bildungsbereich.146 In den Museen selbst gehen Bildungsarbeiter_innen neue Wege der Vermittlung. Sie haben durch ihren intensiven Umgang mit den Besucher_innen erkannt, dass in den Ausstellungen Bedeutung nicht allein durch die Absichten der Kurator_innen hergestellt wird, sondern auch durch die Besucher_innen selbst. »Critical pedagogy is concerned with the way that students actually construct meaning, what the categories of meaning are, and what beliefs and values 144 |  Pressemitteilung des Wissenschaftszentrums Berlin vom 24. April 2012: »Schlechte Schülerinnen neigen zu Frauenberufen« über die Studie von Kathrin Leuze und Marcel Helbig, Ich will Feuerwehrmann werden. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, H. 1/2012. 145 |  Ebd. 146 |  Die Mehrheit der 2006 in einer Studie zum Sponsoring befragten Firmen sagt dem Bildungssponsoring das größte Wachstum voraus. Siehe Schmidt-Carré, André, Spende mit Hintergedanken. In: www.faz.net v. 01.03.2007.

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students bring to their encounters. Critical pedagogy recognizes, that people ›write‹ meaning rather than just encounter or receive it.«147

Um Lernen in einer Kultureinrichtung wie dem Museum zu ermöglichen, reicht es deshalb nicht aus, das Lernpotenzial des oder der Einzelnen mit den Exponaten zu verknüpfen, sondern das Museum selbst und seine Besucher_innen müssen innerhalb der Kultur wahrgenommen werden, in der diese Begegnung stattfindet. In diesem Umfeld konstruiert sich die einzelne Besucherin oder der Besucher ihr/sein individuelles Wissen und das Museum erschließt ihr/ihm dabei neue Horizonte. »To perceive the educational role of the museum entails understanding the museum within a context of cultural politics; it means acknowledging the constructivist approach to knowledge and to learning; and it means recognizing the fact that museums have the potential to negotiate cultural borderlands, and to create new contact zones where identities and collections, people and objects can discover new possibilities for personal and social life and, through this, for democracy.«148

Anstelle von Objektivität und Rationalität kann sich für die einzelnen Besucher_innen im Museum eine Vielfalt von Bedeutungen entwickeln; der traditionelle Kanon der Erzählungen wird infrage gestellt. »Knowledge is seen as situated or positioned, and as part of culture. Knowledge is seen as provisional, which enables the acknowledgement of the unstable character of meaning.«149 Andere ›Geschichten‹ haben so die Chance, auch erzählt zu werden. Mit dieser Art von Museumspädagogik kann sich innovative Bildungsarbeit gegenüber einer musealen Vermittlungsarbeit positionieren, die sich als Teil des kulturellen Sektors der neoliberalen Marktwirtschaft versteht und sich damit aus der Verantwortung staatlicher Kultur­politik partiell herauslösen lässt. Dagegen könnte Bildungsarbeit der Vorstellungskraft Raum geben, was sein könnte, wenn Besucher_innen ermutigt werden, in den Ausstellungen eigene Bedeutungen für sich herzustellen. 147 |  Hooper-Greenhill, Eilean, The Educational Role of the Museum, London 2004, S. 22. 148 |  Ebd., S 24. 149 |  Hooper-Greenhill, Eilean, Museums and the Interpretation of Visual Culture, London 2004, S. 141.

Zweiter Ansatzpunkt: Kurzfristig realisierbar

S pr ache Deutsches Technikmuseum Berlin: Museum für »Entdecker«

Foto links: © SDTB/Foto: C. Kirchner; Foto rechts: A. Döpfner

An der Fassade des Technikmuseums in Berlin hängt ein Banner mit der Aufschrift »Museum für Entdecker«; auch auf Plakaten, Flyern, Broschüren werden die Entdecker angesprochen. Die Entdeckerinnen sind »mit«-gemeint, obwohl im Technikmuseum die Gemeinsame Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung von 2001 gilt, in der es in § 2 Absatz 2 heißt: »Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist zu beachten.« Im dazugehörigen Leitfaden von 2006 wird erläutert: »In wissenschaftlichen Studien wurde nachgewiesen, dass die Verwendung der männlichen Form symbolisch wie faktisch zur Benachteiligung von Frauen führt.« Das Bundesverwaltungsamt schreibt in der zweiten Auf­

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lage zu seinem Merkblatt »M 19« von 2002 zur sprachlichen Gleichbehandlung von Frauen und Männern, dass fast alle Bundesländer Richtlinien und Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache erlassen haben, in Berlin in Rundschreiben von 1987 und 1989, bis schließlich die Festlegung in der Geschäftsordnung erfolgte. In jedem Erlass sind Hinweise, Anwendungsmöglichkeiten, Hilfen und Beispiele nachzulesen, die die Anwendung geschlechtergerechter Sprache erleichtern. Dennoch wird die Einforderung sprachlicher Gleichbehandlung von Frauen und Männern im Alltag als lästig empfunden und »anstelle der konsequenten Anwendung beider Formen oft mit einem Hinweis oder einer Fußnote erwähnt, dass sich der Text sowohl auf Frauen als auch auf Männer bezieht. Diese sogenannte Legaldefinition ist eine Scheinlösung«.150 Die Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch nimmt zum Einwand Stellung, was daran so schlimm sei, sich unter einem Menschen nur einen Mann vorzustellen: »Diese häufig gestellte Frage zeugt von ungeheurer Naivität oder eben davon, wie tief die Metapher des Genus bereits auf unser Bewußtsein eingewirkt hat. Die Metapher vermittelt immer wieder die eine Botschaft: Frauen sind nicht der Rede wert.«151 Um diesen Zustand zu beenden, kann im Museum sofort mit der Anwendung der geschlechtergerechten Sprache begonnen werden – in allen Papieren, Medien, Objektbeschriftungen und Sitzungen, so wie es in der Geschäftsordnung der Berliner Verwaltung seit fast 30 Jahren vorgeschrieben ist und seitdem mit vielen praktischen Hilfestellungen erläutert wurde.152

I nterventionen Eine weitere kurzfristige Möglichkeit für Veränderungen im Museum liegt in der Entwicklung von Interventionen. Interventionen sind mehr oder weniger spontane Eingriffe in etwas Vorhandenes, im Museum Eingriffe in bestehende Ausstellungen, um auf ungerechte Repräsentations150 |  Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH), Equal. Die 12 Sprachregeln. Verwenden Sie die geschlechtergerechte Sprache stilsicher, online unter: http://www.equal.ethz.ch/rules, Regel 1. 151 |  Pusch, Luise, F., Alle Menschen werden Schwestern, Frankfurt a.  M. 1990, S. 86 (Hervorh. im Orig.). 152 |  Z. B. vom Bundesverwaltungsamt: BBB Merkblatt M 19; von der ETH, Equal.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

strategien aufmerksam zu machen. Eine Intervention kommentiert eine Ausstellungspraxis, indem »neue Akzentuierungen und Verschiebungen des Blicks durch veränderte Kontexte [erfolgen], die mittels vielfältiger Eingriffe wie (Dia-)Projektionen, Installationen, Objektbeschriftungen, Lichtführung erzeugt werden«.153 Eine Intervention ist also eine Ausstellung in der Ausstellung. Sie will an die Norm heranführen, die der Ausstellung zugrunde liegt, und die Norm gleichzeitig brechen. Mit diesem Ziel entwickelt die Intervention einen Dialog zwischen dem Vorhandenen und dem Hinzugefügten. Es muss etwas hinzugefügt werden, weil etwas fehlt. Die Intervention kritisiert den Ausschluss und fordert den Einschluss. Damit wird das vorgefundene Bedeutungssystem der Ausstellung in Frage gestellt. »Ziel ist es, mit Hilfe der Intervention die Konstruktionen der Erzählungen als solche sichtbar zu machen. Eingeführt als System ›zweiter Ordnung‹, wo BetrachterInnen zu BeobachterInnen werden können, wo also nicht nur ein wieder erkennendes Sehen, sondern ein strukturelles Sehen ermöglicht bzw. eingefordert wird.«154

Interventionen können in allen Museumstypen durchgeführt werden. Jede Intervention baut dabei auf einer vorangegangenen Ausstellungsanalyse auf, in der Ausstellungsthemen und Ausstellungsstruktur untersucht werden, vor allem aber die Beziehung des einzelnen Objekts zu dem in der Ausstellung hergestellten Kontext.155 Durch die Analyse kommt Klarheit in die Rezeption der Ausstellung: ­»AusstellungsmacherInnen wie BesucherInnen gehen vielfach davon aus, dass Ausstellungen neutrale und objektive Standpunkte präsentieren, wodurch das Artifizielle des musealen Kontextes, der fragmentarische und konstruierte Charakter der Präsentationen ausgeblendet bleibt.«156 Besucher_innen und Ausstellungsmacher_innen beschäftigen sich in der Regel nicht damit, dass in der Ausstellung unbewusste Absichten und unbewusst wirkende Ergeb153 |  Muttenthaler, Roswitha, Wonisch, Regina, Museum & Intervention, Schreib- und Denk-Werkstatt Museologie Drosendorf, 9.–15. Juni 2003, S. 8. 154 |  Ebd., S. 7. 155 |  Siehe dazu Muttenthaler, Roswitha, Wonisch, Regina, Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006, Kapitel »Methoden der Ausstellungsanalyse«, S. 46 ff. 156 |  Ebd., S. 56 f.

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nisse zum Ausdruck kommen. Durch Interventionen fällt Licht auf die sonst unbewusst bleibenden Leerstellen. Beispielsweise hat die Biologin Rebecca Malchin in der Naturkundeabteilung des Manchester Museums nach einer Ausstellungsanalyse mit einfachen Mitteln interveniert, um im Vergleich der Darstellung von weiblichen und männlichen Tieren in den Ausstellungen Genderrepräsentation bewusst zu machen.157 Die Analyse hatte ergeben, dass in den Ausstellungen über Säugetiere und Vögel mehr als zwei Drittel der Tiere männlich waren. Als Grund für die Bevorzugung der männlichen Art recherchierte Malchin sowohl die Höherbewertung des männlichen Tieres aus der Sicht des Jägers als auch die Tatsache, dass das männliche Tier die Bezugsgröße ist, von der sich das weibliche Tier ableitet. Das weibliche Säugetier ist – bezogen auf das männliche – im Allgemeinen sowohl weniger auffällig gefärbt als auch kleiner und deshalb zum Ausstellen weniger interessant. Bei den Vögeln in der Ausstellung waren 80 % der in aufrechter Haltung dargestellten Tiere männlich. Wurden beide Geschlechter ausgestellt, stand der männliche Vogel höher in der Vitrine. Eine Durchsicht der Objektbeschriftungen ergab häufig eine geschlechtsspezifische Übertragung von menschlichen Bezeichnungen auf Tiere, z. B. wurden weibliche Tiere als Mütter bezeichnet. »If it is acceptable to use the word ›mother‹ in relation to nonhuman animals, why is the word ›father‹ omitted?«158 Die Autorin folgert aus ihrer Gesamtbetrachtung der Ausstellungen: »The imbalance in the number of male and female specimens in the natural history galleries misrepresents the diversity of life. As museum exhibits, these messages are spoken with the authoritative voice of Science and so visitors to the museum are likely to accept them without challenge.«159 157 |  An einer grundlegenden Untersuchung zu heteronormativen Strukturen in Naturpräsentationen in Heimatmuseen arbeitet Smilla Ebeling an der Universität Oldenburg. Siehe dazu Ebeling, Smilla, Tierisch bürgerlich. Musealisierung von Natur und Geschlecht in Regionalmuseen. In: Döring, Daniela, John, Jennifer (Hg.), Re-Visionen des Museums? Praktiken der Sichtbarmachung im Feld des Politischen. FKW//Zeitschrift für Geschlechterforschung und Visuelle Kultur, Nr. 58//April 2015, S. 75–86. 158 |  Machin, Rebecca, Gender Representation in the Natural History Galleries at the Manchester Museum. In: Levin 2010, S. 194. 159 |  Ebd., S. 196 f.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

Die Wirkung der Präsentation auf die Einzelbesucherinnen wird ebenso angesprochen wie die Wirkung auf die vielen Schüler_innen im Manchester Museum: »The museum displays are replete with patriarchal imagery mixed with biological determinism, a heady mix for impressionable young museum visitors.«160 Der Analyse folgte die Intervention. Sie bestand im Zuhängen aller männlichen Arten in den Vitrinen mit den Säugetieren, was die weiblichen Tiere in eindrücklicher Unterrepräsentation vor Augen führte, außerdem im Hinweis auf die unterschiedliche Höhe von männlichen und weiblichen Vögeln in den Vitrinen, in kritischen Objektbeschriftungen zu herausragenden Objekten und in Besucher_innenbefragungen. Für die Autorin sind Interventionen effektive und kostengünstige Möglichkeiten, die Erwartungen von Besucher_innen an ein Naturkundemuseum aufzubrechen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. »Natural history galleries can be revealed to show androcentric biases through their patriarchal stories masquerading as biological truths.«161 Dennoch sind Interventionen Grenzen gesetzt dadurch, dass sie meist nur temporär zu sehen sind und konzeptionell eher (häufig auf humorvolle Weise) am Museum rütteln als es in Frage zu stellen. »Interventionen haben zwar die Kraft, Repräsentationsstrategien, Deutungshoheit und Selbstverständnis der Institution zu reflektieren, sie verbleiben aber auch in der Dichotomie des dauerhaft Sichtbaren und temporär ergänzten Unsichtbaren.«162 Im Technikmuseum Berlin hat das Projektseminar »Gender-Narrative im Technikmuseum« des Instituts für Künste und Medien an der Universität Potsdam unter der Leitung der Dozentin Daniela Döring im Sommersemester 2013 in einigen, von den Studierenden ausgesuchten Bereichen Interventionen eingebracht. Im ersten Schritt waren für diese Bereiche Rezensionen mit der genauen Beschreibung des Vorgefundenen verfasst und dabei der Schwerpunkt auf die Repräsentation von Männ160 |  Ebd., S. 197. 161 |  Ebd., S. 198. 162 |  Döring, Daniela, John, Jennifer, Museale Re-Visionen: Ansätze eines reflexiven Museums. In: dies. 2015, S.  017. Döring und John verweisen in ihrer Einschätzung von Interventionen auf die grundlegenden Arbeiten zum Ausstellen von Frauen und Geschlechtergeschichte von Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, z. B. dies. 2002.

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lichkeit und Weiblichkeit im Kontext gelegt worden. Danach entwickelten die Studierenden Interventionen in den Ausstellungen »Computertechnik« und »Eisenbahn« und zum »Objekt des Monats«. Sie entwarfen außerdem ein alternatives Faltblatt zur Fahrradausstellung.163 Im abschließenden Workshop »Weichenstellung. Interventionen im Technikmuseum Berlin« stellten die Studierenden u. a. drei Interventionen in der Ausstellung »Computertechnik« vor. Ein Hands-on-Modell164 vermittelte Menschen ohne informationstechnologische Vorbildung den Übergang von der mechanischen zur elektronischen Computersteuerung. Modell der mechanischen und elektronischen Steuerung eines Computers. Intervention im Projektseminar »Gender-Narrative im Technikmuseum«

© SDTB/Foto: C. Kirchner

163 |  Die von den Studierenden vorgeschlagenen Interventionen zeigten das Potenzial und die Grenzen von Interventionen auf. Wenn der Schwerpunkt der Intervention auf dem Hinzufügen einer anderen Perspektive liegt, fügt sich die Intervention häufig in die vorgegebene Struktur der Ausstellung ein. Wenn mit der Intervention ein Aufbrechen der Ausstellungsstruktur gelingt, wird auch die Norm aufgebrochen, von der die Ausstellung bestimmt ist. 164 |  Von Laura Liegener.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

Ein kritischer Audio-Guide165 machte auf die geschlechtsbezogenen Leerstellen in der Ausstellung zur Computergeschichte aufmerksam: von der Nichtnennung der Mathematikerin Ada Lovelace beim Zustandekommen des ersten Computerprogramms über die vergessenen Programmiererinnen des ersten elektronischen Universalrechners ENIAC (»Electronic Numerical Integrator and Computer«) zum Wandel des Programmierens von einem Frauen- zu einem Männerberuf. Den Beitrag von Ada Lovelace zur Technikgeschichte vertieften zwei Studentinnen166 mit der Anfertigung einer Tafel, die sie in den vorgefundenen »Zeitstrahl« einfügten. Eine weitere Intervention aus diesem Projekt 167 bezog sich auf das »Objekt des Monats«, das seit 2011 im Technikmuseum Berlin in einer goldenen Vitrine im Eingangsbereich des Museums präsentiert wird. Das Objekt kann auf eine runde Platte gestellt werden, die vorn aus der Vitrine herausragt, sodass Besucher_innen die Platte drehen und das Objekt von allen Seiten betrachten können. An der Vitrinenrückwand und in einem rechts in die Vitrine integrierten Feld können Fotos und Beschriftungen eingebracht werden. Die Studierenden nutzten für die von ihnen vorgestellte Intervention den Drehmechanismus in der Vitrine, indem sie die runde Platte, auf der das Objekt steht, mit einer Acrylglasscheibe in der Mitte trennten, um zwei Perspektiven auf ein Objekt zu ermöglichen. Drei Themen wurden so vorgestellt. Zum einen sollte ein Alltagsgegenstand, eine Kaffeemaschine, auf der einen Seite der Drehscheibe stehen, und, sobald die Scheibe gedreht würde, auf die Erfinderin des Kaffeefilters, Melitta Benz, hinweisen.

165 |  Von Robert Schurig. Die Arbeit des Studenten wurde in dem Workshop kommentiert von Susanne Lewerenz, einer der Autorinnen des kritischen AudioGuide zur Darstellung von Kolonialismus im Ausstellungsbereich zum Deutschen Kaiserreich im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Der Audio-Guide zum DHM greift in der Ausstellung dort ein, wo koloniale Aspekte der deutschen Geschichte verzerrt oder gar nicht dargestellt sind. Da diese Form der Intervention von jedem Handy abgerufen werden kann, eröffnen sich über das technische Mittel vielfältige und günstige Möglichkeiten der Intervention in Ausstellungen mit Leerstellen in Bezug auf Gender, Race und Class. 166 |  Von Myriam Raboldt und Milena Rauhaus. 167 |  Von Marie Lau, Matthias Möller und Anna Rittinghausen.

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Studierende des Projektseminars »Gender-Narrative im Technikmuseum« des Instituts für Künste und Medien an der Universität Potsdam stellen Interventionen am Objekt des Monats vor; rechts Probevitrine

© SDTB/Fotos: C. Kirchner

Als zweites Thema schlug die Gruppe vor, die Verschiebung der Arbeit im Friseurhandwerk von einem Männer- zu einem Frauenarbeitsplatz zu zeigen. Der dritte Vorschlag bezog sich auf Frauenarbeit in Kriegszeiten, z. B. in der Rüstungsindustrie und im Transportwesen. Die Studierenden entschieden sich für den Rüstungsbereich und stellten zwei Granatenaufschlagzünder der Firma Zündapp aus dem Ersten Weltkrieg in den vorderen Bereich der Vitrine und Fotos von ­Fabrikarbeiterinnen bei der Zünderproduktion in den hinteren. Die Texte zu den Objekten und Fotos thematisierten die Veränderbarkeit von Haltungen zur Frauenarbeit. Was während des Krieges gefördert worden war, galt danach als gesundheits- und sittlichkeitsschädigend. Die Studierenden schlugen vor, die Vitrine ein Jahr lang mit solchen »Objekten des Monats« zu bestücken, die Gendergeschichten erzählen, und damit »die Ausstellungspraxis auf ironische Weise [zu] brechen«, wie es auf der Internetseite des Berliner Technikmuseums, auf der alle bisherigen »Objekte des Monats« dokumentiert sind, als eines der Ziele des Museumsprojekts »Objekt des Monats« beschrieben wird. Aus dem Vorschlag der Studierenden entwickelte sich die Frage, ob die bis Juni 2014 gezeigten 38 »Objekte des Monats« im Technikmuseum Berlin ihr Versprechen einer zumindest teilweise ironisierenden Durchbrechung der Ausstellungspraxis gehalten haben und möglicherweise auch die Kategorie Gender ironisch aufgreifen konnten. Tatsächlich ist ein Objekt unter den 38  untersuchten

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

Objekten des Monats, das nur von Frauen benutzt wurde und gleichzeitig als komisch betrachtet werden kann. Es handelt sich um eine 1965 vom Modemacher Emilio Pucci entwickelte Frisurenschutzhaube für Flugbegleiterinnen der US-amerikanischen Fluggesellschaft Braniff International. Die Plastikhaube sollte die Frisuren der Stewardessen auf dem windigen Rollfeld schützen, fand aber keine Verwendung, weil sie unpraktisch war. Die »an ein Goldfischglas erinnernde Schutzhaube« wird durch eine Beschriftung in einen zeitlichen Kontext gestellt, als »das Erscheinungsbild und der Sex-Appeal der Flugbegleiterinnen […] in den Vordergrund [rückten] und […] von den Fluggesellschaften gezielt als Marketingstrategie eingesetzt« wurden.168 Die Plastikhaube ist eines von acht der 38 »Objekte des Monats«, die einen Bezug zu Frauen haben. So ist im August 2013 ein indirekter Verweis auf Frauenerwerbsarbeit gegeben. Es werden zwei außergewöhnliche Bücher aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezeigt: ein Buch über Schaufensterkunst, verfasst von der Leiterin der Schaufensterdekoration in einem Kaufhaus,169 und ein Buch über Innenarchitektur, herausgegeben von einem Kunsthistoriker und Museumsdirektor zusammen mit einem Architekten und Hochschullehrer.170 Ebenfalls indirekt wird eine Frau als »leidenschaftliche Sammlerin H.G.« durch das »Objekt des Monats« vom April 2012 vorgestellt, einer provisorischen Antenne von 1990 aus einer russischen Kaserne in Brandenburg. Vier weitere Frauen sind in Familienbeziehungen genannt: zwei Ehefrauen und eine Tochter, die dem Museum Schenkungen übergeben haben, und eine Großmutter, bei der ein wertvolles Objekt gefunden wurde. Die »Objekte des Monats« im September 2012 beziehen sich auf ein pädagogisches Angebot, das den »kleinen Ingenieurinnen und Ingenieuren viel Raum für ihre originellen Ideen rund um das Thema Mobilität bietet«.171 Hier bei den Jüngsten hat geschlechtergerechte 168 |  Vgl. www.sdtb.de, Deutsches Technikmuseum, Ausstellungen, Objekt des Monats, Objekt des Monats Juli 2011: Frisurenschutzhaube für Flugbegleiterinnen, USA 1965. 169 |  Elisabeth von Stephani-Hahn, Schaufensterkunst: Lehrsätze und Erläuterungen, Berlin 1926. 170 |  Erich Haenel, Heinrich Tscharmann (Hg.), Die Wohnung der Neuzeit, Leipzig 1908. 171 |  Vgl. www.sdtb.de, Deutsches Technikmuseum, Ausstellungen, Objekt des Monats, Objekt des Monats September 2012: Fantastische Fahrzeuge, Bj. 2012.

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Sprache Eingang in den Text gefunden. Auf dem Foto zum »Objekt des Monats« im September 2013 wird ein Fernschreiber als Großvater und ein Mobiltelefon als sein Enkel bezeichnet, und ein Fernglas als Objekt im Monat April 2013 ist »ein echter Berliner«. Tatsächlich befindet sich nur ein Objekt unter den 38 untersuchten »Objekten des Monats«, das Besucher_innen stärker ansprechen könnte als die meisten anderen Objektdarbietungen, die häufig stereotyp nach einer Beschreibung der Technik den Erfinder und den Hersteller nennen, dazu noch Politiker, Künstler, Handwerker, Arbeiter und Angestellte, die etwas mit dem Objekt zu tun hatten. Auch das einzige »andere« »Objekt des Monats« vom April 2014, eine Sichel zum Zuckerrübenköpfen von 1926, beschreibt Material, Funktion und Einsatz des Werkzeugs, bindet diese Informationen aber in den lebensgeschichtlichen Zusammenhang der Frau ein, die damit gearbeitet hat. Der Frau wurde die Sichel von ihrem Mann zur Hochzeit geschenkt und ihr Sohn hat sie dem Museum geschenkt. Ein Foto einer Frau bei der Rübenernte in Anwesenheit ihrer Kinder verweist auf den Zusammenhang von Produktions- und Reproduktionsarbeit. Diese Frau ist die einzige aktiv dargestellte Frau im großen Reigen der Erfinder und Unternehmer. Außerdem sind die Mädchen und Jungen beim Autobauen dokumentiert, und es wird auf Museumsmitarbeiter_innen als ›Mannschaften‹ in einem Teamstaffellauf verwiesen. Die Staffelstäbe waren die »Objekte des Monats« im November 2011. Von den 38 »Objekten des Monats« beziehen sich also lediglich zwei Objekte explizit auf Lebenszusammenhänge von Frauen: die gläserne Frisurhaube und die Sichel zum Rübenernten. In der Beschriftung der beiden einzigen sich auf Frauen beziehenden Objekte werden Männer genannt: der berühmte Gestalter der Glashaube und der Ehemann und der Sohn der Frau, der die Sichel gehörte. In der Mehrzahl der Objekte des Monats aus männlicher Sicht findet keine Frau Erwähnung, obwohl sich der Kontext dafür angeboten hätte. Die Darstellung der »Objekte des Monats« im Technikmuseum Berlin erinnert an die Geschichte der »Objekte des Monats« im Nordiska museet in Stockholm, von der im Kapitel »Gender im Technikmuseum« die Rede war. Hier wie dort: Die Mehrzahl der Objekte bezieht sich auf Männer.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

»That is where the main focus is. A relation to a man seems to be the predominant norm for the chosen items. At a first glance and if the artefacts are seen one by one this rigid matrix might not be noticed. But at a close look it all becomes manifest. A genderscript exists that rules the discourse of the museum. In a striking manner the great narrative of modernity is articulated over and over again.«172

M ultiperspek tivische A usstellungen Der folgende Vorschlag für eine weitere kurzfristige Strategie zur Verwirklichung gendergerechter Ausstellungen im Berliner Technikmuseum zielt auf grundsätzliche Veränderung bestehender Ausstellungen durch das Einbringen einer oder mehrerer bisher vernachlässigter Per­ spektiven. Die Forderung nach Multiperspektivität ist innerhalb der kritischen Geschichtswissenschaft als praktische Konsequenz aus der Erkenntnis entstanden, dass Geschichte nicht objektiv wiedergegeben werden kann.173 Multiperspektivität im Museum ist deshalb immer auch Kritik an dessen Objektivitätsanspruch. Der gleiche Sachverhalt wird von jedem Menschen aus seiner oder ihrer Perspektive anders wahrgenommen und kann geprägt sein vom Geschlecht, von sozialer und politischer Herkunft, von Religion und ökonomischen Voraussetzungen. Als Bestandteil von Ausstellungsplanung bedeutet dieser Ansatz, dass sowohl die Sach-, Foto- und Textquellen selbst als auch ihre Auswahl für die Präsentation in der Ausstellung grundsätzlich perspektivisch verstanden werden. Diese Perspektivität als Bestandteil kritischer Ausstellungsarbeit begegnet in den Ausstellungen wiederum den jeweils individuellen Perspektiven der Besucher_innen. Multiperspektivität herzustellen verlangt von Kurator_innen, in ihren Ausstellungen mehrere relevante Perspektiven zu einem Objekt anzubieten (ohne in einen pluralen Relativismus zu verfallen), und es verlangt von den Besucher_innen dieser Ausstellungen die Bereitschaft, sich auf 172 |  Grahn, Wera, From everyday artefacts to museal facts, 2003, online unter www.accademia.edu, S. 17. 173 |  Bergmann, Klaus, Multiperspektivität: Geschichte selber denken, Schwalbach/Ts. 2008.

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verschiedene Perspektiven einzulassen. Dazu sind mehr Zeit und Anstrengung erforderlich, als nur eine Sicht auszustellen bzw. kennenzulernen. In der Realisierung des multiperspektivischen Ansatzes im Museum haben bisher solche Museen die meisten Erfahrungen gesammelt, die sich auf die kulturelle Vielfalt der heutigen Gesellschaft ausrichten.174 Für die Verwirklichung einer multiperspektivischen Ausstellung muss eine bis dahin bestehende Erzählung wesentlich gekürzt und eine ausreichende Fläche für andere Perspektiven in der Ausstellung bereitgestellt werden. In der für eine Einbringung von Gender Perspektiven entstandenen Freifläche sollte keine weitere ›Frauenecke‹ entstehen. Es kann aber auch keine Geschichte der Repräsentation von Frauen nach dem Muster der Repräsentation des Mannes entstehen, weil im Technikmuseum die Aneignung der Natur mit Hilfe von Werkzeugen und Maschinen grundsätzlich über die produktive Arbeit des Mannes läuft und in dieser Sicht »praktisch die Hälfte der Menschheit in der üblichen Teilung der Arbeit gar nicht erst in die Nähe dieser Aneignung kommt. […] Selbst wenn wir in der Geschichte auch erfinderische Frauen finden, war es eben zum Verschwinden weit weg von der Hälfte.«175 Die »fehlende« Perspektive muss eine andere sein als die vordergründig technische. Eine perspektivisch erweiterte Ausstellung kann beispielsweise das vergeschlechtlichte Wesen der Technik mit ihrer Nutzung und ihren Folgen verbinden, also mit technologischen Prozessen und technologischem Wandel. Auch im Technikmuseum Berlin könnten sich über den Aspekt der Nutzung von Technik neue Perspektiven ergeben, beispielsweise in der Ausstellung zur Papiertechnik und in der Schmuckausstellung. Dass die Entwicklung der Papier- und Drucktechnik als globale Leistung von erfinderischen Männern dargestellt wird, nicht aber, dass Frauen und 174 |  Dazu erschien 2015 der Leitfaden »Museen, Migration und kulturelle Vielfalt«, herausgegeben vom Deutschen Museumsbund. Dietmar Osses, der für das Thema »Ausstellen« zuständige Fachmann im Redaktionsteam des Leitfadens, sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk am 23. Februar 2015: »Fragen von Zuwanderungsgeschichte und kultureller Vielfalt kann man im Prinzip in jeder Ausstellung betrachten. Da können wir eine neue Perspektive einpflegen.« Der Leitfaden zur kulturellen Vielfalt ist der elfte Leitfaden des Deutschen Museumsbundes. Es gibt noch keinen Leitfaden zur Geschlechtervielfalt. 175 |  Haug, Frigga, Menschsein können oder: Welche Aneignung für das weibliche Geschlecht? In: Das Argument 55, 2013, H. 4, S. 503 f.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

Mädchen signifikant mehr Printmedien lesen als Männer und Jungen, vernachlässigt den geschlechtsspezifischen Zusammenhang von Produktion und Nutzung, von Technik und ihrer Bedeutung. Wie in der Ausstellung »Papiertechnik« liegt auch in der Schmuckausstellung im Technikmuseum der Schwerpunkt der Darstellung auf männlichen Spezialisten, in diesem Fall in der Produktion. Er könnte erweitert werden durch die Vermittlung der ästhetischen und sozialen Bedeutung von Schmuck für Frauen, historisch ihre meist einzigen persönlichen Wertgegenstände. In anderen Ausstellungen im Technikmuseum Berlin ist es möglich, produktive Frauenarbeit einzubringen. Das Sichtbarmachen dieser Arbeit wird seit den Anfängen der Industriemuseen diskutiert: »The craft workshop and work-place displays might be extended to include the work which women did – preparation and packing, cleaning and cooking, recordkeeping and marketing – as well as the main, core function in which they often stood in for partners or worked in their own right. The industries where women worked – such as food and drink, clothing, services – may be considered as well as those of the Industrial Revolution.«176

Aktuell wäre der produktive Beitrag von Frauen in der Datentechnik ein wichtiges Ausstellungsthema: von Mathematikerinnen wie Ada Lovelace und Grace Hopper, den (vielen) ersten Programmiererinnen in den USA 177 bis zu den Programmiererinnen im heutigen Indien,178 den Arbeiterinnen in der Elektronikbranche,179 z.  B. in der Industriezone von Shenzhen, und den weltweiten Anwenderinnen. Von der Verbreitung des Computers und dem damit zusammenhängenden Rückzug der Muskel­ 176 |  Porter, Gaby, Putting your house in order: Representations of Women and Domestic Life. In: Lumley, Robert (Hg.), The Museum Time Machine. Putting Cultures on Display, London 1988, S. 121 f. 177 |  Hoffmann, Ute, Computerfrauen. Welchen Anteil haben Frauen an Computergeschichte und -arbeit?, München 1987. 178 |  Wajcman, Judith, The Feminization of Work in the Information Age. In: Fox, Mary Frank u. a. (Hg.), Women, Gender and Technology, Urbana 2006, S. 93. 179 |  Rana, Shruti, Fulfilling Technology’s Promise. Enforcing the Rights of Women Caught in the Global High-Tech Underclass. In: Wyer, Mary u. a. (Hg.), Women, Science and Technology. A Reader in Feminist Science Studies, New York/London 2009, S. 322–342.

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kraft haben Frauen prinzipiell profitiert. In dieser Situation hat eine Ausstellung zur Datentechnik viele Möglichkeiten, multiperspektivisch zu arbeiten: auf der produktiven und konsumptiven Ebene, im Bereich von Wissenschaft und ihrer Verwertung, in der Sphäre von Erwerbsarbeit und Haushalt, der und des Einzelnen und der Gemeinschaft. Gleichzeitig kann eine solche Ausstellung das Konfliktpotenzial im ungleichen Geschlechterverhältnis thematisieren, das in Technologiekonzernen (»eine Welt von gestern. Veraltet und verstaubt«.180) das Gleiche ist wie bei den Besucher_innen im Deutschen Technikmuseum Berlin. Im Arbeitsmilieu der IT-Branche steigert sich die alte Ingenieursleistung als Quelle von sowohl Vergnügen als auch Mächtigkeit zu einer Kultur von »mastery, individualism, nonsensuality«, wo die Liebe zur Maschine um ihrer selbst willen soziale Beziehungen ersetzt oder verunmöglicht.181 In einer zeitgemäßen Ausstellung zur Datentechnik könnten auch die Erfahrungen der Besucher_innen mit den Forschungsergebnissen zur geschlechtsspezifischen Aneignung des Internet verglichen werden, die ein widersprüchliches und sich selbst ausschließendes Verhalten von Frauen bei der Internetnutzung als Reaktion auf die männliche Dominanz im Netz aufzeigen.182 Ein letztes Beispiel für eine erweiterte Perspektive in einer bestehenden Ausstellung im Technikmuseum Berlin bezieht sich auf die als Dauerausstellung eingerichtete Pharmazieausstellung. Auch dort wären neue Blickrichtungen etwa auf erfolgreiche Chemikerinnen und Laborantinnen vielversprechend.183 Chemie spannt einen weiten Bogen vom Kochen von Analysen über das Produzieren von Waffen bis zu Anwendungen in der Umweltforschung. Chemie ist wegen dieses breiten inhaltlichen und konfliktreichen Spektrums ebenso wie die Datentechnik ein besonders lohnendes Thema für eine genderperspektivische Technikausstellung. 180 |  Kuhn, Johannes, Tal der weißen Männer. Samstagsessay. In: Süddeutsche Zeitung v. 02./03.08.2014. 181 |  Siehe dazu Wajcman 2006, S. 87. 182 |  Dorer, Johanna, Geschlechterkonstruktionen in der Aneignung und Anwendung des Internet. Ergebnisse einer qualitativen Studie. In: Medien&Zeit 2, 2000, S. 40–51. 183 |  Bauer, Robin, Chemie: Das Geschlecht des Labors – Geschlechterverhältnisse und -vorstellungen in chemischen Verbindungen und Reaktionen. In: Becker/Kortendiek 2010, S. 861.

Zweiter Ansat zpunkt: Kurzfristig realisierbar

P roblematik

der

N achbesserung

Bei der ›Nachbesserung‹ von Ausstellungen durch großflächiges Einbrin­ gen neuer Perspektiven besteht die Gefahr, dass aus den Ergänzungen ›Frauenecken‹ werden. Darauf haben zwei Wissenschaftlerinnen im Maritime Museum of Finland hingewiesen: Wenn eine Ausstellung nicht aus einem Guss ist und das Konzept der Geschlechtergerechtigkeit nicht übergreifend, dann verfestigt die Ergänzung der Ausstellung die Norm. In ihrem Beispiel bedeutete das: »Women’s agency within seafaring appears as a special case within otherwise seemingly unified sea folk. In ad­ dition, as it only portrays gender in connection with women, it marginali­ ses women as sole exemplars of ›gender‹ and men as the apparently neutral form.«184 Bei jeder Form von Flächenkontingentierung in Bezug auf die gesamte Ausstellungsfläche bleibt die Grundproblematik bestehen, die die finnischen Wissenschaftlerinnen beispielhaft beschreiben: »The problem with the content regarding seafarers is their portrayal as white, male and heterosexual as a norm. Women are the only minority mentioned, and the masculinity of seafarers is hardly questioned.«185 Diese Norm wird auch nicht aufgebrochen, wenn – wie im Merseyside Maritime Museum in England seit 2009 – die Dauerausstellung »Hello Sailor! Gay life on the ocean wave« in einem Bereich des Museums weltweit einmalig die Geschichte schwuler Seemänner sichtbar macht. Die Ergänzung einer Ausstellung durch Füllen einer Leerstelle setzt das Überdenken der übergeordneten, meist hegemonialen Perspektive in der Ausstellung voraus, um die Wahrnehmung der Ergänzung als Insel auszuschließen.

184 |  Mauranen, Katariina, Mäenpää, Sari, Ships have no gender? The challenge of displaying gender issues in a maritime museum. Skript für t2m-Tagung im Deutschen Technikmuseum Berlin am 9.10.2011, S. 2. 185 |  Ebd.

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Dritter Ansatzpunkt: Langfristig realisierbar

P ersonalpolitik Im Technikmuseum Berlin waren Anfang 2014 etwa 180 Menschen beschäftigt, davon 40 % Frauen. In den technischen Werkstätten arbeiten die meisten Männer, in Aufsichts- und Reinigungsbereichen überwiegend Frauen. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist das gleiche wie zwischen Besucherinnen und Besuchern: ein Drittel gegenüber zwei Dritteln. Gaby Porter vom Museum of Science and Industry in Manchester hat bereits in den 1980erJahren auf den Zusammenhang zwischen Frauen, die im Museum arbeiten, und ihren geringen Einflussmöglichkeiten hingewiesen. »Women form 34 per cent of the museum staff, according to a 1983 survey of 609 museums. They are concentrated in particular areas: costume, arts, within the curatorial field; education; clerical, cleaning and support grades. The directors, departmental heads, technical, and attendant staff of museums are overwhelmingly male. Women at the professional level outnumber men only in the under-25 age group.«186

Rebecca Machin, deren Intervention in den Natural History Galleries im Manchester Museum – das Zuhängen der in Überzahl präsentierten männlichen Spezies im Naturkundemuseum  – bereits beschrieben wurde, hat die Darstellung der Geschlechter in den Ausstellungen, die die männliche Spezies bevorzugt, in Beziehung gesetzt zur geschlechts186 |  Porter, Gaby, Putting your house in order: Representations of Women and Domestic Life. In: Lumley, Robert (Hg.), The Museum Time Machine. Putting Cultures on Display, London 1988, S. 105.

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Frauen im Technikmuseum

spezifisch unausgewogenen Personalstruktur im selben Museum und dies zum Gegenstand einer weiteren Intervention im Bereich der Modelle weiblicher Reproduktionsorgane von Säugetieren gemacht. Sie stellte eine kleine Beschriftungstafel mit dem nach Geschlecht strukturierten Organigramm des Museums in die Vitrine mit den Modellen. »It seems reasonable to suggest that there might be a link between the understanding of the androcentrism found in the natural history galleries of the Manchester Museum and the gendered hierarchy of the museum’s staff. It has been suggested that the gender balance of scientists in different fields can be linked to the kinds of stories they tell. It seems from other research that museum displays are not immune to such bias.«187

Ein inklusives Museum kann nur durch eine grundsätzlich andere Personalstruktur gelingen, wenn nicht länger junge, gut ausgebildete und engagierte Frauen auf der unteren Wissenschaftler_innen-Ebene innovative, besucher_innenbezogene Ausstellungen konzipieren und Ausstellungserfolge, sofern sie sich einstellen, weiter oben in der Museumshierarchie älteren männlichen Vorgesetzten angerechnet werden. Wenn die Qualifikation von Frauen strukturell zur Verbesserung von Museen genutzt werden soll, erscheint es sinnvoll, die Positionen im Museum auf allen Personalebenen auf die Geschlechter aufzuteilen, Stellen so auszuschreiben, dass Frauen mit ihren Arbeitsschwerpunkten berücksichtigt werden, Bewerbungskommissionen im ausgeglichenen Geschlechterverhältnis und mit Genderkompetenzen zu besetzen, die fachliche Leistung von Bewerber_innen danach einzuschätzen, unter welchen Bedingungen sie erbracht wurde, z. B. während Elternzeiten, und für Bewerber_innen mit Kindern familiengerechte Arbeitsangebote zu entwickeln.188

187 |  Machin, Rebecca, Gender Representation in the Natural History Galleries at the Manchester Museum. In: Levin 2010, S. 196. 188 |  Siehe dazu Bahnik 2010.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

A rchitek tur

und

G estaltung

Für eine langfristig genderbezogene Veränderung im Technikmuseum ist eine Veränderung der Museumsarchitektur erforderlich, denn »das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis ist in die räumlichen Strukturen eingeschrieben, Räume sind vergeschlechtlicht.«189 Raum ist eine Ressource, die »extrem ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt ist«.190 Männer ergreifen mehr Raum – von den platzgreifenderen Spielen von Jungen im Kindesalter über die unterschiedliche Inanspruchnahme von Flächen durch weibliche und männliche Jugendliche und Erwachsene (der Vergleich von Fussballfeld und Gymnastikraum wurde zum Ausgangspunkt der Forderung nach räumlichem »gender budgeting«191) bis zum Raumgreifen des männlichen Erwachsenen durch breitbeiniges Besetzen von Sitzflächen. Diese Erkenntnis ist für die Arbeit im Museum, in dem um die größtmögliche Fläche für eine Ausstellung und um höchstmögliche finanzielle Ausstattung pro m2 gerungen wird, von grundlegender Bedeutung. Im Technikmuseum Berlin beanspruchen die Ausstellungen, die von Frauen bevorzugt werden (Textiltechnik, Schmuck- und Kofferproduktion, Papier-, Schreib- und Drucktechnik und Brauerei), zusammen 5,5 % der Gesamtausstellungsfläche des Museums. Wenn Frauen Räume beurteilen, legen sie besonderen Wert auf Sichtbeziehungen und gute Orientierungs- und Ruhemöglichkeiten.192 Um dies herzustellen, gibt es keine vorgegebenen »weiblichen« oder »männlichen« Prinzipien, denn »die Formensprache an sich ist nicht herrschaftlich, sie wird es erst durch Zuschreibungen«193 , zum Beispiel des Runden für Frauen und des Eckigen für Männer. Diese Zuschreibungen

189 |  Becker, Ruth, Raum: Feministische Kritik an Stadt und Raum. In: Becker/ Kortendiek 2010, S. 806. 190 |  Ebd., S. 809. 191 |  Z. B. bei: Spitthöver, Maria, Frauen in städtischen Freiräumen, Köln 1989. 192 |  Rösner, Christian, Frauen bauen anders. Interview mit der Architektin Silja Tillner, In: Wiener Zeitung Online v. 13.12.2013. 193 |  Becker, Ruth, Raum: Feministische Kritik an Stadt und Raum. In: Becker/ Kortendiek 2010, S. 811.

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sind nicht hilfreich für die Entwicklung passenderer Formen für ein geschlechtergerechtes Museum. Weiterhelfen können dagegen Beispiele für ganzheitliche Museumsarchitektur, wie sie etwa im Militärhistorischen Museum in Dresden angestrebt worden ist. Dort wurde von 2001 bis zur Eröffnung des Museums 2011 auf der Grundlage des Konzepts für das zukünftige Museum an Entwurf und Bau eines Raums als Hülle für die inhaltliche Neuausrichtung gearbeitet. Der Architekt hat in das vorgefundene historische Arsenalgebäude einen keilförmigen Neubau integriert und dadurch den Altbau in Frage gestellt, denn »seine archaisch anmutende Bauidee vermittelt ein traditionelles und in mancherlei Hinsicht autoritäres Denken«194 . Das Arsenalgebäude beherbergte seit 1897 eine Technikund Waffensammlung, die Grundlage des heutigen Militärhistorischen Museums. In jedem traditionellen Technikmuseen ist es die Sammlung, aus der sich ein zeitgemäßes Technikmuseum entwickeln kann, vorausgesetzt, ein räumlicher »Keil« oder ein vergleichbares architektonisches Element würde das Alte so zerteilen, dass sich neue Perspektiven auf die (Geschlechter-)Geschichte eröffnen. Dafür sollte sich wie in Dresden das äußere Signal im Inneren fortsetzen: »Einschnitte und neue Sichtachsen laden zur Veränderung des Standorts, zum Perspektivwechsel und buchstäblich zu ›neuen Sichtweisen‹ ein.«195 Die Architektur des Militärhistorischen Museums in Dresden stellt überkommene Ordnungen infrage, ermöglicht die Darstellung von Multiperspektivität und verweigert sich der einen Wahrheit. »Es gibt keine klare, keine verbindliche und erst recht keine vorgeschriebene Linie historischer Erkenntnis oder Deutung. Vielmehr sind wir aufgerufen, unseren eigenen Standort als Ausgangspunkt für die Bewertung historischer Zusammenhänge zu begreifen. Damit wird deutlich, dass es immer mehrere Perspektiven und damit unterschiedliche Wirklichkeiten in der Bewertung historischer Fragen gibt.«196

194 |  Rogg, Matthias, Die Architektur. In: Pieken, Gorch, Rogg, Matthias (Hg.), Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr. Ausstellungsführer, Dresden 2011, S. 16. 195 |  Ebd., S. 18. 196 |  Ebd.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Übertragen auf ein Technikmuseum wäre hier die Aufgabe, eine Architektur zu entwickeln, die die Brüche in den Geschlechterbeziehungen visualisiert, etwa einen großen ›Keil‹ für die Reproduktionsarbeit oder verschiedene Stränge und Perspektiven der Technikgeschichte, die sich im Raum manifestieren und wodurch sich eine andere Sicht auf die Geschlechtergeschichte der Technik körperlich so einprägen kann wie durch den Neubau im Militärhistorischen Museum Dresden eine andere Sicht auf die Militärgeschichte.197 Eine weitere Ebene räumlicher Veränderungsmöglichkeiten in Technikmuseen liegt in der Ausstellungsgestaltung. Das Design nimmt Einfluss auf die Rezeption der Ausstellung durch Frauen und Männer. Durch das Design »werden sichtbare Grenzen zum anderen Geschlecht gezogen. Diese Grenzen markieren gleichzeitig eine subtile Hierarchie.«198 Verschiedene Farben, Formen und Materialien reflektieren Hierarchien und unterschiedliche Informations- und Interessensebenen. Designer_ innen »machen Gender«. Ein Aufbrechen dieser Praxis stellt hohe Anforderungen an die Gestaltung: »Das Ausblenden von Gender ist eine große Herausforderung. Da kulturell kein Zeichenvorrat für Androgynität verankert ist, kann eine geschlechtsneutrale Anmutung nur dann erreicht werden, wenn ›weibliche‹ und ›männliche‹ Codes zu einer Einheit verschmelzen oder wenn sie ausgewogen nebeneinander auftreten.«199 Im Technikmuseum Berlin wurde der Ansatz des Nebeneinander von weiblichen und männlichen Codes für die Dauerausstellung »Textiltechnik« 2000 geplant, konnte aber aus Platzgründen nicht realisiert werden. Auf der Grundlage einer Voruntersuchung zu Materialvorlieben von Frauen und Männern wurden zwei parallele Wege durch die Ausstellung entworfen, der »harte« und der »weiche« Weg. Die Technik der Garnherstellung sollte zum Beispiel sowohl auf einer Spinnmaschine zu sehen sein als auch an einem Drahtzug, auf dem durch hintereinander angeordnete Diamanten Drähte zu Fäden gezogen werden. An einigen Stellen in der geplanten Ausstellung gab es Überschneidungen der beiden Ansätze, zum Beispiel bei den Funktionsmodellen und in der Darstellung der Muster197 |  Ich danke Roswitha Muttenthaler, Wien, für unser Gespräch über Museumsarchitektur und Gender. 198 |  Haslinger, Susanne, Gender und Design. Leitfragen, herausgegeben vom Zentrum Frau in Beruf und Technik, Castrop-Rauxel 2006, S. 10. 199 |  Ebd., S. 12.

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steuerung durch Lochkarten. In der gesamten geplanten Ausstellung wurde der Genderaspekt nicht ausdrücklich angesprochen, sondern sollte in der Gestaltung selbst zum Ausdruck kommen, um eine klischeehafte und stereotype Darstellung von Männern und Frauen und dadurch die weitere symbolische Verfestigung von sozialer Ungleichheit zu vermeiden. Im gleichen Sinn wie in der geplanten Ausstellung Textiltechnik wäre es denkbar, im Technikmuseum keine Damen- und Herrenfahrräder mehr zu beschriften, sondern die Fahrräder nach menschlichen Bedürfnissen und Funktionen zu klassifizieren und auszustellen (Fahrräder für Geländefahrten, Stadtfahrten, für unterschiedliche Körpergrößen). Sinnvoll wären auch genderbezogene Fragen an ein Objekt: »Handelt es sich um ein Produkt, das zunächst eher für Frauen oder eher für Männer konzipiert war? Welche Vorstellungen von ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ sind mit dem Produkt verbunden? Ist die vergeschlechtlichte Aura noch zeitgemäß?«200 Auch der Gesamteindruck der Ausstellung, den das Design schafft, ist darauf zu befragen, ob die angestrebte Anmutung vergeschlechtlicht ist oder Männer und Frauen gleichermaßen anspricht. Für die Bewältigung der komplexen Aufgabe einer geschlechtergerechten Ausstellungsgestaltung sind gemischte Teams geeignet. »Designteams können ein höheres kreatives Potenzial entwickeln, wenn unterschiedliche soziale Erfahrungen und Lösungsstrategien ausgeschöpft werden. Dieser Vorteil kann beispielsweise durch die gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung eines Teams erreicht werden. Das gemeinsame Arbeiten verschiedener Talente unterstützt zudem den wechselseitigen Lernprozess. Männer lernen von Frauen und umgekehrt: das bedeutet auch: mehr Kreativität und Innovationskraft.«201 Dieser Vorschlag und seine Effekte gelten auch für alle anderen Arbeitsbereiche im Museum. Wird er vernachlässigt, schöpft das Museum sein Potenzial nicht aus.

200 |  Ebd., S. 20. 201 |  Ebd., S. 15.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

F orschung Forschungsthema »Gender« im Museum Eine wichtige Voraussetzung für den »gender turn« im ­Technikmuseum ist die Beförderung von Forschungsaufgaben zu neuen Themen und zu solchen Themen und Objekten im Museum, die bisher nur aus ­einer Perspektive untersucht worden sind. Ausgangspunkt der ­Entwicklung von Forschungsaufgaben ist eine Museumsanalyse. Das »neue Forschungs­ feld«202 der Museumsanalyse tastet sich mit einem Analyseinstrumentarium aus den Geschichts- und Kulturwissenschaften, der Ethnologie und der Linguistik sowohl an das Objekt als auch an das Publikum im Museum heran, um die Institution Museum kritisch zu erfassen und zu verstehen. Als besonders lohnend hat sich dabei die ethnografische Methode der »dichten Beschreibung«203 erwiesen, mit der der Anthropologe Clifford Geertz vorschlug, »aus einzelnen, aber sehr dichten Tatsachen weit reichende Schlussfolgerungen zu ziehen und vermöge einer präzisen Charakterisierung dieser Tatsachen in ihrem jeweiligen Kontext zu generellen Einschätzungen der Rolle von Kultur im Gefüge des kollektiven Lebens zu gelangen. Nicht nur die Interpretation, sondern auch die Theorie, von der diese Interpretation begrifflich abhängt, reicht also hinunter bis auf die Ebene der unmittelbarsten Beobachtung.« 204

Die »unmittelbarste Beobachtung« in den Ausstellungen, die als Forschungsaufgabe ansteht, muss in Einzelfallstudien das Dargestellte erfassen und genau beschreiben, z. B. welche Objekte werden mit welchen Aussagen ausgestellt, in welcher Beziehung stehen Objekt, Schrift und Bild zueinander, wer spricht und auf welche Weise, welche Zusammenhänge werden gezeigt oder nicht, wie ist die Ausstellung geordnet, welche

202 |  Siehe dazu Baur, Joachim (Hg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010. 203 |  Geertz, Clifford, Dichte Beschreibung. Bemerkungen zu einer deutenden Theorie von Kultur. In: ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1991, S. 7–43. 204 |  Ebd., S. 40.

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Hierarchien sind sichtbar, wie werden die Kategorien Gender, Race und Class ausgestellt oder ausgelassen, wie ist die Ausstellung gestaltet? Im nächsten Schritt der Museumsanalyse wird das Beschriebene interpretiert unter der Leitfrage, worum es in der Ausstellung eigentlich geht und warum sie gerade jetzt von wem in welchen Räumen auf diese bestimmte Weise aufgebaut wurde. Die Ausstellung selbst wird also in einen Zusammenhang gestellt, kontextualisiert. Und zuletzt ist zu überlegen, was diese Ausstellung im Vergleich zu weiteren analysierten Ausstellungen zu übergeordneten Themen beiträgt, im Technikmuseum zum Beispiel zu Technikentwicklung, Machtverhältnissen oder Technik und Gesellschaft. Ein Forschungsansatz zur Ergänzung der umfassenden Museums­ analyse kann die Untersuchung von jeweils nur einem Element im Museum sei. So würde sich beispielsweise die Betrachtung allegorischer Darstellungen im Technikmuseum lohnen, insbesondere weil bereits Vorarbeit zum Thema geleistet wurde.205 Allegorie der Telegraphie, Dauerausstellung »Nachrichtentechnik«, Deutsches Technikmuseum Berlin

© SDTB/Foto: C. Kirchner

Allegorien sind in Technikmuseen häufig zu sehen: »Mit Fackel als ›Ratio‹, mit Telegraphenstange als ›Elektrizität‹, mit Krupp-Kanone als ›Kriegswissenschaft‹ oder ›Krieg‹, mit Erlenmeyer-Kolben als ›Chemie‹, mit geflügeltem Rad und dem Fuß auf der langsamen Schildkröte als siegreich205 |  Rentmeister, Cäcilia, Berufsverbot für die Musen. In: Ästhetik und Kommunikation 25, 1976, S. 92–112.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

geschwinder ›Fortschritt‹, mit Zahnrad, Schlot und Pendelregulator als ›Industrie‹, und endlich mit dem in Gegenrichtung zum Fackelrauch wehenden Haar als das ›Weib‹ schlechthin.« 206

Allegorie der Elektrizität, Dauerausstellung »Eisenbahn«, Deutsches Technikmuseum Berlin

Foto: A. Döpfner

Die Verwendung der Frau als Allegorie bietet sich an, weil die weibliche Gestalt passiv und formbar erscheint. Die Frau symbolisiert als Allegorie das, woraus sie ausgeschlossen ist. »Die Allegorie ist ein Verfahren der Bedeutungserzeugung, das ausdrücklich auf seine Beliebigkeit verweist. Allegorische Dinge haben keine eigene Bedeutung, sondern bekommen ihren Sinn zugewiesen.«207 Als Sinnbilder des Fleißes verkörpern Frauen im Technikmuseum häufig die aufblühende Industrie im 19.  Jahrhundert, niemals jedoch die dafür zu leistende Arbeit: »Weil auch die niedrigste körperliche Arbeit noch immer symbolisch die Werte von Stärke, Aktivität und Potenz impliziert, diese Eigenschaften aber das herrschende männliche Geschlecht für sich reklamiert, KANN Arbeit nicht anders als männlich personifiziert werden.« 208 206 |  Ebd., S. 100. 207 |  Thiemeyer, Thomas, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum, Paderborn 2010, S. 119. 208 |  Rentmeister 1976, S. 104 f.

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In der Sammlung des Technikmuseums Berlin belegen zwei Bronze­ figuren, die Arbeit allegorisch und tatsächlich zeigen, diese These. Im Katalog wird dazu erläutert: Die weibliche Figur »Industrie« »steht als Symbol für das metallverarbeitende Gewerbe. Ursprünglich bedeutete ›Industrie‹ soviel wie Fleiß und Betriebsamkeit.«209 Die männliche Figur ist der Schmied, »der kraft­voll mit dem Hammer das glühende Eisen auf dem Amboss bearbeitet«210. Weibliche »Industrie« (Peter Breuer, 1897) und männlicher »Schmied« (Signatur: Hofmann, um 1900) in der Dauerausstellung »Eisenbahn« im Deutschen Technikmuseum Berlin

© SDTB/Fotos: C. Kirchner

Zwar gibt es auch männliche Allegorien, aber sie stellen »nur eine Facette männlich konnotierter Erinnerung dar, während Frauen nahezu ausschließlich auf den überzeitlichen Wertekanon verwiesen werden«211. 209 |  Gottwaldt, Alfred, Züge, Loks und Leute. Eisenbahngeschichte in 33 Stationen. Ein Katalog, Berlin 2009, S. 64. 210 |  Ebd. 211 |  Schraut, Sylvia, Paletschek, Sylvia, Erinnerung und Geschlecht – Auf der Suche nach einer transnationalen Erinnerungskultur in Europa. In: Historische Mitteilungen 19, 2006, S. 20.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Eine weitere lohnende Analyse eines einzelnen Elements in den Ausstellungen im Technikmuseum könnte die Untersuchung der Komplementärdarstellung von weiblichem Körper und Metall sein, also von weicher verwundbarer und harter schützender Materie etwa in der Kunst, in der Fahrzeugwerbung oder im Science-Fiction-Film, wie überhaupt eine Untersuchung der Beziehung von Geschlecht und Material noch aussteht. Nicht nur für die genannten Forschungsvorschläge, sondern für alle Forschungsvorhaben zu konkreten Museumsthemen sollte gelten, die Inhalte der Geschlechterforschung zu integrieren, Gender-Expert_innen zum Thema einzuladen und Forschungsergebnisse im Museum zu verbreiten. Langfristiges Ziel wäre die Festlegung eines Anteils von Genderthemen in den Ausstellungen. Voraussetzung der konkreten Partizipation in den Ausstellungen ist eine transparente Planung von der Themenformulierung über die Diskussionsmöglichkeiten bis zur Ausstellungsrealisierung. Anders als die Untersuchung von Vorhandenem im Museum, sei es ganzer Ausstellungen oder nur Teilen davon, kann Forschung auch von Leerstellen ausgehen wie etwa den »vergessenen« Frauen: Nobelpreisträgerinnen, Naturwissenschaftlerinnen und Erfinderinnen. Wie bereits im Kapitel über multiperspektivische Ausstellungen angemerkt, kann die Erforschung dieser Minderheit aber nicht nach dem gleichen Muster erfolgen wie die der männlichen Mehrheit. Die gewählte Perspektive muss bei allen Forscher_innen über deren konkreten Beitrag zu Naturwissenschaft und Technik hinausgehen. Im Technikmuseum Berlin ist beispielsweise eine Nobelpreisträgerin in der Ausstellung »Chemie- und Pharmaindustrie« so präsentiert, dass sie zu weiterer Forschung Anlass geben kann, etwa über die Repräsentation von Naturwissenschaftler_innen im Museum, über die Perspektive von Besucher_innen auf Wissenschaftler_innen, über den Einfluss von Geschlecht und Konkurrenz auf Forschungen oder über Entscheidungswege, die zu wissenschaftlichen Auszeichnungen führen. An zentraler Stelle ist in der Ausstellung eine Liste von 45 Nobelpreisträgern und einer Nobelpreisträgerin in einem Lichtkasten unter der Überschrift »Nobelpreisträger und ihre Verbindung zu Berlin« zu sehen. In der Aufzählung ist die Nobelpreisträgerin Ada E. Yonath an jüngster Stelle genannt (Preisverleihung 2009, Fachgebiet Chemieforschung). Die im Titel der Ausstellungseinheit hergestellte Verbindung aller genannten Personen zu Berlin wird nicht vertieft. Was kann mit der Präsentation

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dieser Liste beabsichtigt sein? Sollen die Besucher_innen zur Kenntnis nehmen: So viele Nobelpreisträger haben in Berlin gelebt? Sollen die Besucher_innen und speziell die Berliner_innen über so viel Gelehrsamkeit staunen, und wenn ja, sollen die Frauen unter ihnen über so viel Gelehrsamkeit von Männern staunen? Die in der Aufzählung genannte Ada E. Yonath gehört zu den vier Frauen unter 166 Preisträger_innen, die seit Beginn der Nobelpreisverleihung 1901 einen Preis für Chemie erhalten haben. Ada E. Yonath forschte fünf Jahre am Max-Planck-Institut in Berlin über Erbinformationen. Sie betont die Konkurrenz unter Wissenschaftlern: »I don’t think that I did something that is specially for women, or the opposite. During my time I had some very difficult years and I had very pronounced competition, all by men. But I don’t think that this is because I was a woman. I am pretty sure that if I was a man too they would compete, if the men would get to where I was at that time.« 212

Yonath hat den Preis in einem Alter erhalten, als sie für die Scientific Community keine Konkurrenz mehr darstellte, was für die meisten Nobelpreisträgerinnen gilt und von feministischen Wissenschaftlerinnen einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde: »For today’s Nobel committees it seems that women have to be at least 70, the age of the wise woman, the symbolic grandmother, to achieve recognition. Is there an unstated anxiety that, by recognizing women at the height of their creativity and with the social and political commitments of their generation, the committee might begin to disturb the networks of power?« 213

Die Vergabe des Nobelpreises erfolgt nach einem wenig transparenten Entscheidungsfindungsprozess. Aber neben der traditionellen Nobelpreisträgergemeinschaft gibt es auch offene Diskussionen zwischen Nobelpreisträger_innen und geschlechtergerecht ausgewählten Nachwuchswissenschaftler_innen etwa auf der jährlichen Lindauer Nobel212 |  Smith, Adam, Editor-in-Chief at Nobelprize.org, Telefoninterview mit Ada E. Yonath am 07.10.2009: »This is what gave me courage, the north pole bears.« 213 |  Rose, Hilary, Nine Decades, Nine Women, Ten Nobel Prizes. Gender Politics at the Apex of Science, In: Wyer u. a. 2009, S. 69.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

preisträgertagung. Eingebettet in solche Kontexte bekäme die Liste der Preisträger an der Wand der Ausstellung »Chemie- und Pharmaindust­ rie« eine klare, aktuelle Aussage und würde auch etwas über Wissenschaftlerinnen mitteilen, die im aktuellen Geschehen von Wissenschaft und Forschung stehen. Dies könnte Besucher_innen stärker interessieren als die ausgestellte Auflistung. Näher an den Erfahrungen der Besucher_innen wäre auch die Darstellung von Frauen in Forschungsteams, die bei der Vergabe von Nobelpreisen an Kollegen oder Ehemänner nicht berücksichtigt wurden, wie zum Beispiel Lise Meitner oder Rosalind Franklin. Mit der Verbindung von Forschungsarbeit und Lebenswelt beider Geschlechter wird es möglich, naturwissenschaftliche Kreativität auf dem Boden der Wirklichkeit darzustellen, ohne bei den Besucher_innen auf unkritisches Staunen zu setzen. Schließlich soll noch als naheliegendste Forschungsarbeit darauf verwiesen werden, dass in jedem Sammlungsbereich eines Museums ganz konkret zur Geschichte der Frauen geforscht werden kann. Die Ansätze dafür sind vielfältig. Während der Entstehung der vorliegenden Arbeit wurde in der seit 50 Jahren bestehenden Zeitschrift des Fördervereins des Deutschen Technikmuseums Berlin ein erstes Heft den »Frauen in der Technik« gewidmet.214 Es werden darin neben der Darstellung des Forschungsstands in Luftfahrt und Eisenbahn erste wertvolle Recherche­ arbeiten von Museumsmitarbeiter_innen zu vergessenen Frauen in der Papiertechnik 215, in der Geschichte des Rundfunks216, Informationstechnologie217, Chemie218 und in der Schmuckproduktion219 vorgestellt. Für

214 |  Deutsches Technikmuseum Berlin. Zeitschrift der Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin und der Freunde und Förderer des DTMB e. V. 3/2014. 215 |  Wallbach, Kerstin, Verborgene Kompetenzen. Auf der Suche nach Papiermacherinnen. In: Ebd., S. 24–27. 216 |  Lackner, Nora, Pionierin der Rundfunkgeschichte. Nora Stanton Blatch Barney. In: Ebd., S. 12 f. 217 |  Dorsch, Hadwig, Deutschlands erste Programmiererin. Ursula Walk und Konrad Zuse. In: Ebd., S. 14 f. 218 |  Keruth, Christine, Spierling, René, Chemikerinnen in der Zuckerindustrie. Neue Berufschancen für Frauen. In: Ebd., S. 16–19. 219 |  Grimm, Andrea, Das Goldschmiedehandwerk. Ein Wandel vom Männerzum Frauenberuf? In: Ebd., S. 28 f.

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die Fototechnik 220, Informationstechnik 221 und Textiltechnik 222 liegen bereits allgemeine Untersuchungen vor, die durch Einzelstudien im Museum konkretisiert werden könnten. Die stereotype Darstellung von Frauen in der Film-223 , Fernseh- und Fotoindustrie bedarf der weiteren kritischen Untersuchung. In den großen Verkehrsbereichen wären die familiäre Arbeitsorganisation und die Mobilität zwischen Männern und Frauen zu erforschen, wenn beide arbeitsplatzbedingt nicht immer am gleichen Ort wohnen, etwa bei Lokomotivführern, Kapitänen und Piloten. Überhaupt wäre in jeder Abteilung zu fragen, was Männer und Frauen als Erwerbstätige und darüber hinaus im Reproduktionsbereich gearbeitet haben. Für einige Bereiche im Technikmuseum liegen bereits Untersuchungen als Grundlage für neue Ausstellungskonzepte vor. So können sich Ausstellungen zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Studien zum unterschiedlichen Mobilitätsverhalten von Männern und Frauen zunutze machen, die darlegen, »dass für Frauen sog. ›Wegeketten‹, auf denen sie mehrere Dinge hintereinander erledigen (von der Wohnung über den Kindergarten zur Erwerbsarbeit und danach über einige Läden zurück zur Wohnung) typisch sind, während der männliche Durchschnittserwerbstätige im Vergleich dazu einfache Wegestrukturen aufweist: Von der Wohnung zur Arbeit und zurück […].« 224 220 |  Matzer, Ulrike, Unsichtbare Frauen. Fotografie/Geschlecht/Geschichte. In: Fotogeschichte, 32, 2012. H. 124, S. 29–36. 221 |  Hoffmann, Ute, Computerfrauen. Welchen Anteil haben Frauen an Computergeschichte und -arbeit?, München 1987. 222 |  Barber, Elizabeth W., Women’s Work, The first 20000 Years. Women, Cloth, and Society in Early Times, New York 1994. Zu vielen textiltechnischen Themen liegen Monografien vor, z.  B. Parker, Roszika, The Subversive Stitch. Embroidery and the Making of the Feminine, London 1984. 223 |  Die 120 weltweit erfolgreichsten Kinofilme 2011 bis 2013 verbreiten die Klischees: Frauen sind jung, sexuell attraktiv, schlank und dürfen keine technisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zeigen. Sie spielen keine Hauptrollen und verkörpern keine Chefs. Vgl. Geena Davies Institute (Hg.), Gender Bias without Borders, 2013. Referiert von Lenssen, Claudia, Das große Bild der Populärkultur. In: taz v. 20.10.2014, S. 16. 224 |  Becker, Ruth, Raum: Feministische Kritik an Stadt und Raum. In: Becker/ Kortendiek 2010, S. 808.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Obwohl der ÖPNV von der Peripherie auf das Zentrum ausgerichtet und dadurch für die Verkehrswege von Männern gut geeignet ist, nutzen Männer häufiger den PKW als Frauen. Eine Untersuchung zur Nutzung des ÖPNV durch Frauen in Stockholm zeigte, dass vier Aspekte – Angst, Zeitempfinden, Bewegungsfreiheit und Bewegungsstruktur – die unterschiedliche Haltung der Geschlechter zum Öffentlichen Personennahverkehr prägen.225 Frauen haben erstens besonders abends Angst, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, weil sie Angst vor männlicher Aggression haben. Zweitens erleben Frauen ihre Arbeitsbelastung kreisförmig, sodass sie auch im ÖPNV nicht zum Durchatmen kommen, während Männer ihre Zeit als linear vorwärtstreibend erleben, abgehoben von klar definierten Pausen. Drittens fühlen Frauen sich in öffentlichen Verkehrsmitteln eingeschränkt, wenn sie Kinder dabei haben, was Männer weniger betrifft, weil sie z. B. seltener mit einem Kinderwagen unterwegs sind, und wenn doch, so können sie den Wagen auch ohne fremde Hilfe über Treppen oder andere Hindernisse heben. Viertens ist die Struktur des ÖPNV zwischen Peripherie und Zentrum für Frauen wegen ihrer ›Wegeketten‹ problematisch. Frauen bevorzugen deshalb einen Arbeitsplatz in der Nähe der Wohnung und arbeiten eher Teilzeit, um im Laufe des gesamten Arbeitstages alle erforderlichen Wege koordinieren zu können. Diese und weitere Studien von Verkehrsexpert_innen machen Ausstellungen möglich, die die Interessen von Männern und Frauen am ÖPNV sichtbar machen und zudem Diskussionen über aktuelle Fragen der Mobilitätsentwicklung anregen. Frauen wären für solche Ausstellungen, die an ihre Lebenswirklichkeit anknüpfen, auch deshalb zu gewinnen, weil sie trotz des Aufholens von Männern als Fahrgästen die öffentlichen Verkehrsmittel weiterhin stärker nutzen werden als Männer.226 Gaby Porter, Museum of Science and Industry in Manchester, hat zusammengefasst, wo die Schwerpunkte der Erforschung von Frauen­ geschichte für ein Technikmuseum liegen könnten 227: Feminisierte 225 |  Grahn, Wera, The Terms of Travelling. Gender and Public Transport, 1999, online unter www.academia.edu/606514/The_Terms_of_Travelling, S. 1–12. 226 |  Siehe dazu Scheiner, Joachim, Sozialer Wandel, Raum und Mobilität: Empirische Untersuchungen zur Subjektivierung der Verkehrsnachfrage, Wiesbaden 2009. 227 |  Porter, Gaby, The Women’s History Approach. In: Fleming, David u.  a. (Hg.), Social History in Museums. A Handbook for Professionals, London 1993, S. 78–81.

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Arbei­ten wie Haus- und Handarbeit, Arbeiten herausragender Frauen, Arbeiten von Männern und Frauen im Erwerbsleben – ihre Werkzeuge, ihre Tätigkeiten, die »shifting patterns« zwischen männlich und weiblich konnotierten Berufen und Industrien. Und schließlich sollten einzelne Objekte dahingehend untersucht werden, welchen Einfluss sie auf Frauen gehabt haben und welchen anderen Interpretationen sie zugänglich sind. Hinter diesem Ansatz steht immer die Vielfalt der möglichen Blicke auf ein Objekt und die erweiterte Perspektive für ein Museum, wenn es diese Vielfalt zulässt.

Forschungsthema »Werkzeug- und Sozialentwicklung« Ein noch wenig entwickelter Forschungszweig zur Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, zwischen Werkzeugentwicklung und Sozialentwicklung, liefert Erkenntnisse, die den Fokus im Technikmuseum gleichermaßen auf Techniken des Technischen und »Techniken« des Sozialen richten. In der menschlichen Fortschrittsgeschichte stellt sich der männlich verankerte Beitrag zur Arbeitsteilung so dar, dass der Mensch, um die Natur zu bearbeiten, im Laufe seiner Geschichte immer ausgefeiltere Werkzeuge und Maschinen erfunden hat. »Menschen schaffen Werkzeuge, mit denen sie wiederum Werkzeuge machen können und Gebrauchswerte, Werke eben. Bei Marx etwa heißt es: ›Um sich Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen, setzt das arbeitende Individuum die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte in Bewegung‹, schiebt immer entwickeltere Arbeitsmittel als ›Machtmittel‹ zwischen sich und den Arbeitsgegenstand, dabei ›seine eigenen körperlichen und geistigen Kräfte‹ entwickelnd und so zugleich ›seine eigene Natur‹ verändernd (MEW 23, S. 192 ff.). Der Mensch wird, indem er arbeitet.« 228

In den Gegenständen, die er schafft, auch in den Exponaten im Museum, vergegenständlicht sich menschliche Tätigkeit mit all ihren körperlichen und mentalen Anstrengungen. Aufgrund der gesellschaftlichen Bedingungen konnten Frauen nicht im gleichen Umfang zur Werkzeugentwicklung beitragen wie Männer  – mit der Folge, dass »ein Geschlecht, 228 |  Haug, Frigga, Menschsein können oder: Welche Aneignung für das weibliche Geschlecht? In: Das Argument 303, 55, 2013, H. 4, S. 502 f.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

das männliche, sich im wesentlichen auf der Seite des gesellschaftlichen Fortschritts in der Werkzeugherstellung entwickelte und verwirklichte (wie immer auch entfremdet und verkümmert das vorzustellen ist), während das weibliche an dieser Entwicklung wenig teilhatte, ihr menschliches Wesen also nicht in dieser Richtung sich aneignete«.229 Dennoch muss gesellschaftlicher Fortschritt eine Gemeinschaftsarbeit von Männern und Frauen gewesen sein. »Dass die Menschheit überlebte und sich über die gesamte Erde verbreitete, konnte geschehen, weil die Menschen die Reproduktion der Art, also wie sie Fortpflanzung und Kinderaufzucht regelten, als kooperatives Unternehmen betrieben.«230 Zur Entwicklung der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau gehört demnach ein noch zu erforschender »Trennungszusammenhang«231 der wechselseitigen Abhängigkeit von Werkzeug- und Sozialentwicklung. Einige wenige Forschungsansätze zur Bedeutung des fürsorglichen weiblichen Anteils an der Menschheitsentwicklung fordern zur Weiterarbeit und zum Zusammenführen der beiden Stränge von technischem und sozialem Fortschritt heraus. Zum Beispiel hat Kristen Hawkes, Anthropologin an der Universität von Utah, 2012 gemeinsam mit jüngeren Kollegen ihre »Großmutter-Hypothese«232 mithilfe von Computer-Simulationen bestätigen können, wonach die Existenz von Großmüttern in der frühen Menschheitsentwicklung die Lebenszeitspanne einer Menschengruppe gegenüber Menschenaffengruppen erhöht, wenn die Großmutter ihre Tochter zeitweilig von der Betreuung eines Kleinkindes entlastet. Während weibliche Menschenaffen nach der Fortpflanzungsphase im Allgemeinen nur noch wenige Jahre leben, ist die Anzahl der Jahre, in denen Frauen Großmütter sein können, seit der Frühgeschichte kontinuierlich angestiegen. In dieser Zeit können sich die Großmütter um die Nahrungsbeschaffung für die Enkel kümmern und ermöglichen dadurch ihren Töchtern, mehr Kinder zu bekommen. Die Enkel brauchen sich erst zu einem späteren Zeitpunkt als früher selbst versorgen und werden später erwachsen. Das durch das »grandmothering« veränderte Sozialverhalten der Kinder ge229 |  Ebd., S. 504. 230 |  Ebd. 231 |  Ebd., S. 505. 232 |  Grandmas Made Humans Live Longer. Computer Simulation: Chimp Lifespan Evolves into Human Longevity. In: Newsletter University of Utah v. 24.10.2012.

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genüber ihren Müttern fördert weitere soziale Verhaltensweisen wie beispielsweise Lernfähigkeit und Kooperationswillen. Diese bereits seit den 1980er-Jahren bekannte These wurde 2012 von Hawkes durch eine Computersimulation untermauert. Die Simulation geht von der Lebensspanne von Menschenaffen aus und beginnt damit, dass 1 % der Großmütter so lange lebt, dass sie sich um Enkel kümmern können. Nach 60 000 simulierten Jahren erreichen 43 % der Großmütter dieses Alter. Das entspricht dem Prozentsatz der Großmütter in heutigen Gesellschaften von Sammlerinnen und Jägern. Eine andere Evolutionstheoretikerin, Sarah Blaffer Hrdy, arbeitet seit 30 Jahren zur Bedeutung von »Mothers and Others«, d. h. der gesellschaftlichen Mutterschaft als Voraussetzung für die emotionale Entwicklung der Menschheit.233 Hrdy geht davon aus, dass unsere Vorfahren sich nur deshalb weiterentwickeln konnten, weil sie die Kinder kooperativ aufzogen. Die Wissenschaftlerin entwirft diese Gesellschaft von »alloparents« auf der Grundlage von Wanderbewegungen, dem Kalorienbedarf einer Mutter und ihres Kindes und der Länge kindlicher Abhängigkeit von der menschlichen Gruppe. Hrdy stellt mit ihrer Theorie sowohl die Annahme des nur auf Männern lastenden darwinistischen Auslesedrucks in Frage als auch das im ursprünglich patrilokalen Setting beheimatete stereotype Bild der hingebungsvollen Mutter. Neben diesen Forschungsergebnissen zur Sozialentwicklung als komplementärem Bestandteil der Werkzeugentwicklung gibt es in vorgeschichtlichen und ethnologischen Untersuchungen auch Denkansätze zur Werkzeugentwicklung in der Frühzeit des Menschen, die das Bild der Jäger- und Sammlergesellschaft als das unserer frühen Vorfahren in Frage stellen.234 Auch heute wird noch meist der Faustkeil des Jägers als erstes Werkzeug angesehen. »Diese Annahme beruht auf der alten englischen Vorstellung vom Menschen als dem tool making animal. Diese anthropologische Konstruktion entstammt den Zeiten der Industrialisierung des Menschen, der Verwandlung des menschlichen 233 |  Johnson, Eric Michael, Raising Darwin’s Consciousness. Sarah Blaffer Hrdy on the Evolutionary Lessons of Motherhood. In: Scientific American v. 16.03.2012. 234 |  Dahlberg, Frances (Hg.), Woman the gatherer, New Haven 1981; Tanner, Nancy, Der Anteil der Frau an der Entstehung des Menschen, München 1997.

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Körpers in Werkzeugbestand. Sie passte auch gut zur patriarchalischen Vorstellung, der Mann ernähre mit seiner Hände Arbeit die Familie. Diese Annahme ist aber mit Sicherheit falsch. Vielmehr bezeugen Textilien, genauer: textile Behälter, die Heraufkunft der menschlichen Art. Textile Behälter sind Werkzeuge sozialer Natur: sie dienen nicht dem Schlagen oder Schneiden, sondern dem Sammeln und vorsorglichen Aufteilen.« 235

Die frühen Menschen haben sich ebenso wie die letzten Wildbeuter_innen unserer Zeit hauptsächlich durch Sammeln, nicht Jagen ernährt. Das Sammeln war Aufgabe der Frauen. Sie benutzten dafür Grabstöcke als Verlängerung der Arme zum Ausgraben von Wurzeln sowie kleinen Tieren, und sie verwendeten Behälter zum Transport der gesammelten Nahrung. Die gefüllten Behälter wurden in den Stützpunkt der Gruppe zurückgetragen und die Nahrung wurde dort innerhalb der Gemeinschaft geteilt. Hier fügen sich die Forschungen zur Bedeutung der Großmütter und anderer Ersatzeltern, der alloparents, ein: Sie sammeln für die ihnen anvertrauten Kinder und Enkel, ernähren so die Kinder der nächsten Generation besser und entlasten dazu die Mütter bei ihren Sammelstreifzügen durch die Umgebung. Die »weibliche« Werkzeugverwendung besonders des Behälters ist produktiv im Hinblick auf die Nahrungsmittelversorgung und sie ist sozial, weil sie den Anfang der Nahrungsteilung darstellt. An diesem frühen Punkt der Menschheitsentwicklung gehen Werkzeug- und Sozialentwicklung noch zusammen. Die kleinen Erkenntnisgewinne, die sich aus diesem Ausflug in scheinbar entlegene Gebiete der Technikentwicklung in ihrem Zusammenhang mit der Sozialentwicklung ergeben, zeigen den Forschungsbedarf auf, um weitere technikgeschichtliche Themen auf den in ihnen aufzudeckenden Trennungszusammenhang von Werkzeug- und Sozialgeschichte zu untersuchen und den Anteil von Frauen und Männern an dieser als Einheit vorzustellenden Geschichte herauszufinden und im Technikmuseum zu verbreiten.

235 |  Petruschat, Jörg, Einleitung zum Aufsatz »Anfänge« von Anna Döpfner. In: form + zweck 30, 1998, H. 15: Text, Textil, Textur, S. 6.

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Forschungsthema »Erinnerung« Die 2003 in London gezeigte große Jubiläumsausstellung »The Museum of the Mind« (›das Museum des Geistes‹) zum 250-jährigen Bestehen des Britischen Museums basierte auf einem »autobiografischen« Konzept des Museums als Ort oder Theater der Erinnerung.236 Es ging in der Ausstellung darum, was Menschen weltweit erinnern, wie die geistige Erinnerungsaufgabe des Museums in Bilder und Anschauung umgesetzt wird und zur individuellen, sozialen und kulturellen Identität der Betrachter_ innen beiträgt. Ausgehend von der These, dass Erinnerung in den Museumsobjekten weiterlebt, die für eine längere oder kürzere Zeit Momente materiellen und geistigen Lebens in sich tragen, wurde in der Londoner Jubiläumsausstellung der Bogen gespannt vom (inneren) Auge des Betrachters und der Betrachterin über erinnerungsträchtige Objekte zur Frage, wie Menschen erinnert werden (wollen) und wie die Erinnerung an Tod und Transzendenz lebendig gehalten (oder verschwiegen) wird. Dabei stand trotz des immateriellen Themas der Ausstellung immer das konkrete Objekt im Mittelpunkt. Ebenfalls um die Jahrtausendwende erschienen im deutschsprachigen Raum neue Forschungsarbeiten zum Zusammenhang von Erinnerung und Identität 237 und Arbeiten zur Unterschiedlichkeit des Erinnerns von Männern und Frauen.238 Erinnerungsforschung kann für eine ge236 |  Mack, John, The Museum of the Mind. Art and Memory in World Cultures, London 2003. 237 |  Assmann, Jan, Was ist das »kulturelle Gedächtnis«? In: ders., Religion und kulturelles Gedächtnis. Zehn Studien, München 2007 (EA 2000); Assmann, Aleida, Soziales und kollektives Gedächtnis. Zusammengefasst online unter www.bpb.de/system/files/pdf/OWF1JZ.pdf (2012); dies., Kollektives Gedächtnis. Zusammengefasst online unter www.bpb.de/Geschichte/Dossier Geschichte und Erinnerung (2008). 238 |  Paletschek, Sylvia, Schraut, Sylvia (Hg.), The Gender of Memory. Cultures of Remembrance in Nineteenth- and Twentieth-Century Europe, Frankfurt/New York 2008; dies., Erinnerung und Geschlecht – Auf der Suche nach einer transnationalen Erinnerungskultur in Europa. In: Historische Mitteilungen 19, 2006, S. 15–28; Penkwitt, Meike, Moos, Jennifer, Erinnern und Geschlecht. In: Erinnern und Geschlecht, Bd. II, Freiburger FrauenStudien 20, 2007, Zeitschrift für Interdisziplinäre Frauenforschung, S. 1–24.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

schlechtergerechte Ausstellungspraxis im Technikmuseum wertvolle Anregungen geben. Alle Erinnerungsforscher_innen gehen von einer sozialen Basis des Gedächtnisses aus, wie es Maurice Halbwachs vor fast 100  Jahren beschrieben hat. »Halbwachs zufolge ist das Gedächtnis ein soziales Phänomen. Es wächst von außen in uns hinein.«239 Diese Grundannahme haben insbesondere Jan und Aleida Assmann weiter differenziert; sie unterscheiden zwischen dem individuellen, sozialen, kollektiven und kulturellen Gedächtnis. Das individuelle Gedächtnis entsteht im Kontext: »In dem Maße, wie wir sprechen lernen, lernen wir auch die Interaktionsform bzw. den Sprachakt des ›memory talk‹ oder ›conversational remembering‹; es sind ganz wesentlich diese Bezüge und Bindungen, die die Voraussetzung dafür sind, dass wir überhaupt ein Gedächtnis aufbauen können.«240 Das soziale Gedächtnis als nächste Gedächtnisstufe ist standortgebunden, es erinnert das, was mit der materiellen Dingwelt, den Alltagsgegenständen, der Architektur verbunden ist und was Museumsmenschen in Oral-History-Projekten aufzeichnen. Das soziale Gedächtnis ist kommunikativ und kann verschiedene Perspektiven auf ein Ereignis oder ein Ding eröffnen; es ist kurzfristig und vergänglich und endet mit dem Tod des oder der sich Erinnernden. Im sozialen als einem kommunikativen Gedächtnis sind Affekte entscheidend. »Liebe, Interesse, Anteilnahme, Gefühle der Verbundenheit, der Wunsch, dazuzugehören, aber auch Hass, Feindschaft, Misstrauen, Schmerz, Schuld und Scham geben unseren Erinnerungen Prägnanz und Horizont.«241 Das kommunikative Gedächtnis ist eine weiblich konnotierte Erinnerungsform, eine männliche Erinnerungsform ist dagegen das kollektive Gedächtnis. »Es ist ein Gedächtnis des Willens und der kalkulierten Auswahl.«242 Es ist »viel stärker geformt als das soziale Gedächtnis« 243 , es vereinfacht, lässt keine Mehrdeutigkeit zu und ist zeitenthoben. »In dieses Gedächtnis schreibt sich die Gesellschaft ein mit ihren Normen und Werten«244 . Die kollektiven Erinnerungen enden nicht mit dem Tod, 239 |  240 |  241 |  242 |  243 |  244 | 

J. Assmann 2007, S. 11. A. Assmann, Soziales und kollektives Gedächtnis (2012), S. 3. Ebd., S. 13. A. Assmann, Kollektives Gedächtnis (2008), S. 1. A. Assmann, Soziales und kollektives Gedächtnis (2012), S. 2. J. Assmann 2007, S. 17.

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sondern wenn sie nicht mehr gebraucht und durch neue ersetzt werden müssen, weil sich die Gesellschaft nicht mehr in ihnen wiedererkennt. Die für die Museumsarbeit wichtigste Erinnerungsform sehen Jan und Aleida Assmann aber im kulturellen Gedächtnis, das langfristig in Institutionen wie Bibliotheken, Museen und Archiven durch die Deutung der dort gesammelten materiellen Bestände hergestellt und konserviert wird. Der Beruf der Kurator_innen ist für sie »deshalb im weitesten Sinne die Erinnerung«245 . Das kulturelle Gedächtnis ist institutionell gefestigtes kollektives Gedächtnis. Es will weniger stark überzeugen und instrumentalisieren als das kollektive Gedächtnis, dafür wird es weniger schnell entsorgt. Aber auch die Institutionen des kulturellen Erinnerns schaffen willentlich und in kalkulierter Auswahl das Gedächtnis, das zu ihnen passt. Wie das kollektive Gedächtnis ist auch das kulturelle Gedächtnis männlich geprägt; zusammen mit dem stärker weiblich konnotierten kommunikativen Gedächtnis beeinflussen beide auf unterschiedliche Weise die Identitätsbildung der Menschen als einzelne und als Mitglieder einer Gesellschaft. Aleida Assmann differenziert das kulturelle Gedächtnis noch einmal in ein Funktions- und ein Speichergedächtnis. Neben dem für die Gesellschaft aktuell notwendigen kulturellen Gedächtnis sieht sie einen ruhenden kulturellen Gedächtnisspeicher, den sie als eine kulturelle Form des Unbewussten begreift. Im Individuellen wie im Gesellschaftlichen ist dieser unbewusste Speicher, sobald Teile daraus ins Bewusstsein gehoben werden, ein Anstoß zur Veränderung. Dieser Gedanke ist für die Einbringung geschlechterspezifischer Erinnerung in das Museum von Bedeutung, weil auch im »Geschlechtergedächtnis« Verdrängtes und Unbewusstes gehoben werden muss, damit es zu einer Erneuerung und Befreiung aus überkommenen und einengenden Strukturen kommt. Aleida Assmann hat dazu angeregt, ihre und die Forschungsergebnisse ihres Mannes auf das unterschiedliche Erinnern von Frauen und Männern zu beziehen. Frauen und ihre Leistungen sind »zwar systematisch aus dem kulturellen Gedächtnis ausgeschlossen«, aber »Frauen [seien] in der Regel diejenigen, die erinnerten«. Daraus entwickelt Aleida Assmann die These: »Frauen seien Subjekte, aber nicht Objekte des Erinnerns; Männer Subjekte – und nicht Objekte – des Vergessens.«246

245 |  A. Assmann, Soziales und kollektives Gedächtnis (2012), S. 3. 246 | Penkwitt/Moos 2007, S. 3.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Aufbauend auf der von Aleida Assmann getroffenen Unterscheidung von kommunikativem Gedächtnis der sich erinnernden Frauen und kulturellem, männlich geprägten Gedächtnis haben die Historikerinnen Schraut und Paletschek weitergefragt : »An welche Erinnerungen knüpfen Frauen eigentlich ihre Identität und mit welchen Erinnerungen schrei­ben sie sich in das politische Gemeinwesen ein, dem sie angehören?« 247 Ihre Forschungsergebnisse machen deutlich, dass für die spezifisch weibliche Erinnerungskultur kein Platz im kulturellen Gedächtnis und damit auch im Museum vorgesehen ist. Ein Grund dafür ist, dass Frauen ihre Erinnerungen eher individualisieren als Männer. »Frauen sagen ›ich‹, wenn Männer sich auf ›man‹ zurückziehen.«248 Das ist deshalb ein Ausschlusskriterium für die öffentliche Erinnerungskultur, weil dort Erinnerungen von subjektivem Erleben getrennt werden. In der Erinnerung von Frauen ist zudem die Familiengeschichte wichtiger als in männlichen Erinnerungen. Auch das verhindert ihren Einschluss in die entpersonalisierte kulturelle Erinnerung. Die weiblichen »Gegenüberlieferungslinien« verlaufen also anders als die öffentliche Erinnerungsspur. Würde das kommunikative Gedächtnis in das kulturelle Gedächtnis Eingang finden können, wäre die öffentliche Erinnerungskultur »gegendert«.249 Ebenfalls wichtig für den Einschluss weiblicher Erinnerung in die öffentliche Diskussion wäre die Öffnung des räumlichen Bezugssystems von Erinnerung: von einer Ausschließlichkeit und Dominanz der kulturellen Erinnerung im übergeordneten Raum hin zu Ebenen des kommunikativen Erinnerungssystems im regionalen und lokalen Raum. Für den regionalen Raum gilt: »Wer Frauen, weibliche Perspektiven und Aktionsräume in der Geschichte sucht, der findet überraschend viel Material.«250 Im Museum stellt sich damit die Aufgabe, durch eine Verbindung der verschiedenen »Erinnerungsräume« von Männern und Frauen die hegemoniale Präsentation von Geschichte zu unterlaufen: »Playing with different spatial scales, interconnecting the local, regional, national and trans-national perspective, allows for multi-perspectivity and thus makes it easier to include the category of gender.«251 247 |  248 |  249 |  250 |  251 | 

Schraut/Paletschek 2006, S. 17. Ebd., 21. Ebd., S. 22 f. Ebd., S. 24. Paletschek/Schraut 2008, S. 282.

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S ammlungspolitik Der wichtigste Ansatzpunkt für ein geschlechtergerechtes Technikmuseum zielt auf die Objekte in der Sammlung. Die Sammlung ist das ›Rohmaterial‹ eines Museums, die Ressource, aus der alle anderen Museumsbereiche schöpfen: Forschung, Ausstellung und Vermittlung.252 Die Objektbezogenheit bleibt die besondere Qualität des Museums gegenüber allen anderen Medien. Sie begründet auch und gerade im Zeitalter der Virtualisierung seine Legitimation. Es ist deshalb entscheidend, ob in der Sammlungsressource Objekte vorhanden sind, die mit ihrem Eigenleben, ihrer Materialität, ihrer Anmutung und ihrer Bedeutung etwas zu den Besucher_innen transportieren, was für sie persönlich den Museumsbesuch lohnt. Für eine Einschätzung der Objekte im Museum hat Krzysztof Pomian auf die unterschiedliche Wertigkeit von Gegenständen aufmerksam gemacht, je nachdem, ob sie nützlich oder bedeutend sind. Im Museum überwiege die Bedeutung der Sammlungsstücke gegenüber ihrem Nutzen. Das Gleiche träfe auf menschliche Aktivitäten zu: »Sie werden ebenfalls auf einer Achse klassifiziert, die von unten nach oben geht, von den nützlichen Aktivitäten bis zu denen, die nur Bedeutungen produzieren.«253 Bezogen auf das Objekt im Technikmuseum eröffnet diese These zwei Problemfelder. Zum einen wird im Technikmuseum – anders als in Kunstmuseen – versucht, nützliche Objekte in bedeutungsvolle zu überführen, zum anderen wird diese kuratorische Absicht unterwandert, wenn Frauen im Technikmuseum etwas über den Nutzen von Objekten erfahren möchten. Frauen stellen mit diesem Erkenntnisinteresse die Hierarchieproduktion infrage.

Sammeln und Geschlecht Wenn Museen auf Genderaspekte in ihren Sammlungen und beim Sammeln selbst eingehen, müssen sie berücksichtigen, dass Männer und Frauen ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur materiellen Kultur und zum Sammeln haben. Susan Pearce von der School of Museum Studies 252 |  Kavanagh, Gaynor, Dream Spaces. Memory and the Museum, London/ New York 2000, S. 98. 253 |  Pomian, Krzysztof, Nützlichkeit und Bedeutung. In: ders., Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1988, S. 52.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

der Universität von Leicester hat dies bei ihren Untersuchungen in Großbritannien herausgefunden.254 Sammeln ist demnach ein gesellschaftsumfassendes Phänomen, aber am prägendsten für das Sammelverhalten ist das Geschlecht. »The big distinction in collecting practice is not by class, but by gender.«255 Frauen sammeln mehr als Männer, aber die Sammlungen von Männern sind größer; Frauen und Männer sammeln innerhalb von Geschlechtsstereotypen, d. h. Frauen sammeln Gegenstände für den Haushalt, Reisesouvenirs, Schmuck, Textilien, Popkultur und Geschenke aus dem familiären Netzwerk. Sie erinnern mit den ausgestellten Gegenständen an Familienfeste und familiären Zusammenhalt, also an gelungene menschliche Beziehungen. Männer sammeln Sportmaterial, Technik, Musikinstrumente und Schallplatten, Militaria und Gemälde. Sie nutzen ihre Sammlungen als Demonstrationsobjekte; viele Sammlungsgegenstände funktionieren und können wie häufig auch im Technikmuseum vorgeführt werden, vorzugsweise in Räumen abseits vom familiären Zusammenhang. »Male collections do seem often to be physically and mentally apart from the family heart.«256 Während Frauen ihre Sammlungsgegenstände im Haus verteilen, dadurch auch zerteilen und die Objekte einem dekorativen Zweck unterordnen, schätzen Männer die Qualität des einzelnen Objekts. Diese Haltung begünstigt, die Objekte zu klassifizieren und damit zu kontrollieren. Die Museumswissenschaftlerin Roswitha Muttenthaler referiert dazu Forschungsergebnisse: »Die männliche Art (der Sammlungsweise) erfolge überwiegend nach dem ›seriellen‹ oder ›taxonomischen‹ Prinzip, die weibliche nach dem ›milieubezogenen‹ oder ›ästhetischen‹ Prinzip. Erstere konnte sich als wissenschaftlich anerkannte etablieren, wogegen als weiblich konnotiertes Sammeln lange Zeit nicht als Sammlung definiert wurde.« 257

Einige Jahre vor der museumsbezogenen Studie über das Sammeln von Susan Pearce hat Mihalyi Csikszentmihalyi von der Universität Chicago 254 |  Pearce, Susan, Collecting in Contemporary Practice, London/New Delhi, 1998. 255 |  Ebd., S. 176. 256 |  Ebd., S. 179. 257 |  Muttenthaler 2007, S. 41; Muttenthaler bezieht sich hier auf die Arbeiten des Ethnologen Bjarne Rogan über Sammeln und Gender.

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über die allgemeine Bedeutung der Dinge für Männer und Frauen geforscht.258 Auch er stellt eine stärkere Beziehung der Geschlechter zu solchen Gegenständen fest, die der jeweiligen Geschlechtsstereotype entsprechen: bei Frauen neben Textilien, Schmuck und Fotografien hauptsächlich Haushaltsgegenstände als Ausdruck ihrer Familienbeziehungen und ihrer eigenen starken Position innerhalb eines sozialen Netzwerks, bei Männern elektronisches Gerät, Elektrowerkzeug und Autos als Zeichen ihrer individuellen Stärken und Fähigkeiten. Haushaltsgegenstände waren aber nicht nur für Mädchen und Frauen, sondern auch für Jungen und Männer aller Generationen von herausragender Bedeutung: »Next to giving permanence to the self, the most frequent symbolic use of household objects is to give permanence to the relationships that define the individual in the social network. Of the youngest respondents 71 % mentioned objects that were special because they reminded the owner of his or her family; in the parental generation the proportion was 85  %; and in the grandparentsʼ generation, 86 %.« 259

Objekt und Geschlecht Die Ergebnisse der Untersuchungen zum Thema »Sammeln und Geschlecht« weisen auf die frühe Prägung der Beziehung zu Objekten und damit auch auf die frühe Entwicklung späterer Objektvorlieben im Museum. »Schon in den ersten Wochen nach der Geburt wird das Kind mit Dingen in Berührung gebracht, die die Nähe der Mutter kompensieren sollen. Die Psychoanalyse spricht vom Übergangsobjekt, das die erste Form der Objektbildung des Kindes ausdrückt, ein Gegenstand, das dem Kind helfen soll, die Trennung von der Mutter zu überbrücken.« 260 258 |  Csikszentmihalyi, Mihalyi, Why we need Things. In: Lubar, Steven, Kingery, David (Hg.), History from Things: Essays on Material Culture, Washington 1993, S. 20–28. 259 |  Ebd., S. 27. 260 |  Gößwald, Udo, Die Erbschaft der Dinge. In: Tietmeyer, Elisabeth u.  a. (Hg.), Die Sprache der Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur, Münster 2010, S. 34.

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Die erste Erfahrung des Kindes mit dem Objekt ist ganz körperlich 261 und tief wirksam. Im Übergangsobjekt, das für Jungen und Mädchen häufig schon in dieser frühen Lebensphase ein anderes ist, sammeln sich Gefühle der Freude und des Schmerzes. Mit dem Gegenstand werden Rituale ausgeführt, die sich in die sehr persönliche Erinnerung des und der Einzelnen eingraben. »Das Übergangsobjekt ist eine Schöpfung des Kindes, ein Zwischending zwischen Illusion und realem Objekt, mit dessen Hilfe die Auseinandersetzung mit der Realität vorbereitet werden kann.«262 Es hilft ihm oder ihr bei den ersten winzigen Schritten, sich von der Bezugsperson unabhängig zu machen. Bei dieser schwierigen Aufgabe kann das Objekt als Projektionsfläche dienen. Es lässt »sich ebenso liebevoll knautschen wie hasserfüllt in die Ecke werfen«263 . In dieser frühen Phase der Kindheit bilden sich also vor dem Spracherwerb »die emotionalen Objektbeziehungen, die dann lebenslänglich erhalten bleiben« 264 . Es entsteht auf diese Weise von Anfang an ein unbewusster Austausch zwischen Mensch und Ding. Für das weitere Leben gilt: »Dinge werden (im ersten Moment) nicht gedacht, sondern empfunden, was natürlich eine darauffolgende, sprachliche, dem ›formalen Denken‹ entsprechende Reflexion nicht ausschließt.«265 Das Verhältnis des Menschen zum Ding ist wechselseitig und formt auch die Identität des erwachsenen Mannes und der erwachsenen Frau: »Objects affect what a person can do, either by expanding or restricting the scope of that person’s actions and thoughts. And because what a person does is largely what he or she is, objects have

261 |  Ein Kind erwirbt Materialsensibilität »nicht durch oberflächliches Tasten und Berühren oder das Registrieren von Eigenschaften, sondern durch ganzheitlich-leibliche Erfahrung. Weichheit oder Härte, Trockenheit, Kälte, Wärme, Sprödigkeit oder Glätte: beim Spüren unterschiedlicher Materialeigenschaften spürt der Mensch zugleich sich selbst.« Kathke, Petra, Sinn und Eigensinn des Materials. Bd. 2, Neuwied 2001, S. 223. 262 |  Burkhardt-Mußmann, Claudia, Märchenhafte Dinge. Objekte und ihre Bedeutung in der kindlichen Entwicklung. In: Suhrbier, Mona, Raabe, Eva (Hg.), Menschen und ihre Gegenstände. Amazonien – Ozeanien. Museum der Weltkulturen. Frankfurt a. M. 2001, S. 251. 263 |  Ebd., S. 260. 264 |  Hahn, Hans Peter, Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005, S. 28. 265 |  Ebd., S. 30.

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a determining effect on the development of the self.«266 Im Laufe des Lebens kommen verschiedene Gründe zusammen, die ein Objekt für den einzelnen Menschen wichtig machen. »Dabei spielen bestimmte Ereignisse in der Biographie des Betrachters eine Rolle, oder besondere Formen des Objekterwerbs, aber auch Neigungen zu oder Verweise auf andere Personen, zu denen durch das Objekt eine besondere Beziehung ausgedrückt wird. Nicht die Objekte als solche sind es, die diese Bindung hervorrufen, sondern die Geschichten, durch die Objekt und Subjekt miteinander verbunden sind.« 267

Vor diesem Hintergrund macht erst die Wechselbeziehung zwischen Menschen und Dingen Objekte für die Museumsarbeit interessant, und durch die Kontextualisierung können die Objekte die Besucher_innen zu eigenen Erinnerungen und Gedanken anregen. Die Wahrnehmung der Dinge geschieht also auf sehr subjektive Art und die physikalischen, materiellen Eigenschaften des Objekts gehören untrennbar mit der individuellen Erfahrung zusammen.

Objektwahrnehmung Für die Arbeit im Museum bedeuten diese Forschungsergebnisse, dass alle Besucher_innen die Dinge im Museum anders und je nach Situation auch immer wieder anders wahrnehmen. Es gilt für alle Museumsbesucher_innen, was für das Kunstmuseum beschrieben wurde: »Beim Betrachten von Kunst ist die Intuition uns immer voraus, denn während wir uns darüber nachdenkend, Schritt für Schritt versuchen, einen Weg zu bahnen, ein Urteil zu bilden, eilt sie mit Lichtgeschwindigkeit davon und entscheidet in Bruchteilen von Sekunden darüber, ob uns etwas weiter beschäftigen sollte oder nicht. Die Intuition lehrt uns unmittelbar, ob ein Kunstwerk Teil von uns sein könnte, ob sich die Aneignung überhaupt lohnt, unabhängig davon, ob es uns

266 |  Czikszentmihalyi, Mihaly, Rochberg-Halton, Eugène, The Meaning of Things: Domestic Symbols and the Self, Cambridge 1981, zit. n. Hahn 2005, S. 31. 267 |  Hahn 2005, S. 32.

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gefällt oder nicht, und ob wir mit Kunst am Ende mehr im Werk finden als nur das faktische Material, auf das wir schauen.« 268

Wenn das Objekt so geartet und so präsentiert ist, dass es nur wenig von diesem in den Besucher_innen schlummernden Schatz an Intuition anspricht, wurden seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpft. Aber den ganz persönlichen »flow of images and meanings« der Museumsbesucher_innen in Gang zu setzen, der sie fühlen lässt: »›I like this‹, ›I don’t like this‹, ›I don’t care about that‹, ›I know this‹ etc.«269, ist im Technikmuseum nicht einfach. »Not many visitors can look upon Parsons Combine Reaction Turbine (1884) coupled to his high-speed dynamo and murmur ›I really like that‹ or ›this has meaning for me‹. The personal affective links and cognitive associations, found more readily in social history museums and sometimes art galleries, are there in science museums, but require the visitor to make a commitment to engage, to work with the museum in the interpretive processes. This stretches the communicative role of the museum to its limits.« 270

Der hier geforderten notwendigen Vermittlerrolle werden Museen im Allgemeinen nicht gerecht. Im Technikmuseum stößt insbesondere Kontextualisierung als Vermittlungsprinzip durch die Größe der meisten Objekte an ihre Grenzen. Neben einem Flugzeug oder einer Produktionsmaschine ist das Leben des Menschen, der mit dem Großobjekt zu tun hatte, immer klein.

Eigensinn des Objekts Die meisten Technikmuseen blieben aufgrund der strukturellen Schwierigkeit, die Intuition der Besucher_innen beim Betrachten der ausgestellten Objekte zu wecken, hinter der museologischen Entwicklung der 268 |  Kraus, Stefan, Der ästhetische Augenblick – Versuch über die Sprachlosigkeit. In: Kolumba. Ein deutsches Sonderheft der tschechischen Fachzeitschrift Salve, Prag 2011, S. 152. 269 |  Kavanagh, Gaynor, Dreams and nightmares: science museum provision in Britain. In: Durant, John (Hg.), Museums and the public understanding of science, London 1994, S. 82. 270 |  Ebd.

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Kontextualisierung in den letzten 30 Jahren zurück. Dadurch ist aber die Chance entstanden, sich intensiv an der seit einigen Jahren diskutierten Gegenbewegung zu beteiligen, dass nämlich die Dinge selbst Leben in sich tragen, das auf die Menschen einwirkt. Nach dieser Vorstellung prägen die Erfahrungen mit den Dingen die Menschen genauso wie ihre eigenen Körper. »Objects and our bodies, which are closely bound up with them, constitute our material world of tangible experience. They are our other selves, in the sense that none of us can exist without them. They are, in a sense, paralleled by our families.«271 Im Museum kann es besonders gut zu einer Begegnung von Mensch und Ding kommen über »die Affinität, Attraktion oder auch Sympathie zwischen Objekt und Betrachter/ in, die sich als Korrespondenz zwischen seiner Bedeutung und der inneren Welt des Individuums darstellt. […] Die Formen der Präsentation könnten ein Ding in einer Weise zum Leben erwecken, dass eine Brücke zum eigenen – oft verborgenen – Selbst der/des Betrachterin/Betrachters entsteht.« 272

Aus dieser zunächst individualpsychologischen Sicht erweitert sich das Museum zu einem Ort, der uns »konfrontiert mit Dingen, die im doppelten Sinn individuelle und kollektive Erfahrungen repräsentieren und uns damit zugleich verschiedene Dimensionen des Gedächtnisses als individuelle, soziale, und kulturell vermittelte Erinnerungen«273 erschließt. Für andere Museumstheoretiker ist diese »Erschließung« im weiteren Sinn unerlässlich als dauerhafter Stabilisator unseres Selbst und unserer Beziehungen und das umso stärker, je instabiler die uns umgebende Welt ist. »Things play an important role in reminding us of who we are with respect to whom we belong.«274 Noch stärker fokussiert auf die Eigenständigkeit des Objekts sind Kritiker_innen der aufgeklärten Vorstellung, dass der Mensch sich die Dinge zu eigen macht und über sie verfügt. Es beste271 |  Pearce 1998, S. 48. 272 |  Gößwald, Udo, Die Erbschaft der Dinge. In: Tietmeyer, Elisabeth u.  a. (Hg.), Die Sprache der Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur, Münster 2010, S. 38. 273 |  Ebd., S. 39. 274 |  Csikszentmihalyi, Mihalyi, Why we need things. In: Lubar/Kingery 1993, S. 27.

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he stattdessen ein »Paradigma der gegenseitigen Information« zwischen Mensch und Ding, und »es sind in den Dingen stets auch Informationen enthalten, die dem Menschen nicht (oder wenigstens nicht unmittelbar) zugänglich sind«.275 Besonders der Philosoph Bruno Latour »fragt nach der Möglichkeit einer symmetrischen Anthropologie, die nicht nur das Wissen über die Dinge (das ist das Moderne), sondern auch die in den Objekten verborgenen Informationen über den Menschen berücksichtigen müsste«.276 Dass in den Dingen mehr verborgen ist, als der Mensch ahnt, wird als »Eigensinn der Dinge« bezeichnet. Dieser Eigensinn ist Menschen im Technikmuseum vertraut, wenn Maschinen nicht so funktionieren wie erwartet. Das Ergebnis einer Studie über Servicetechniker von Kopiergeräten offenbarte sogar, dass »die Techniker in jeder Maschine einen eigenen Charakter [vermuten], den zu erkennen zu einem heimlichen Ziel ihrer Arbeit wird«.277 Der Hinweis auf eine eigenständige Wirkung, die Objekten innewohnt, bestätigt besonders auch die Fragwürdigkeit der Trennung von Subjekt und Objekt, wenn es sich bei den Objekten um Menschen handelt. Vom Subjektdasein ausgeschlossene Objekte – in der Philosophie der Aufklärung auch Frauen – sind theoretisch betrachtet Sklaven, während sie in Wirklichkeit genauso auf Menschen einwirken, die sich als Subjekte empfinden, wie umgekehrt die Subjekte auf die sogenannten Objekte. Die Konzentration auf das Subjekt ist einseitig. »Nur die Beachtung beider Informationsrichtungen würde eine Objektivität ermöglichen, die dem Selbstanspruch der Moderne gerecht wird.«278 Im Museum wird die Trennung von Subjekt und Objekt besonders betont durch die Präsentation des Objekts in der Vitrine zum Betrachten durch das menschliche Subjekt, durch das Verbot der Berührung, das Gebot des Abstands, die Distanz schaffende Beschriftung, die Ausleuchtung. Während sich die Besucher_innen im täglichen Leben eng mit den Dingen austauschen, dürfen sie im Museum trotz der verlockenden Präsentation nicht 275 |  Hahn 2005, S. 46. 276 |  Ebd., siehe dazu Latour, Bruno, Das Parlament der Dinge. Eine politische Ökologie, Frankfurt a. M. 2001 (EA Paris 1999); Baudrillard, Paul, Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen, Frankfurt a. M. 1991 (EA Paris 1968). 277 |  Orr, Julian E., Talking about Machines. An Ethnography of a Modern Job, Ithaca 1996, zit. n. Hahn 2005, S. 47. 278 |  Hahn 2005, S. 46, über Bruno Latours Kritik an der Moderne.

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mit ihnen in Berührung kommen. Der Erkenntnisgewinn beim Betrachten eines Objekts durch weiblich konnotierte Emotionalität und Körperlichkeit wird als subjektiv abgewertet im Gegensatz zu einer als objektiv verstandenen Distanz. Diese Abwertung verhindert die Interaktion zwischen Betrachter_in und Gegenstand und ein Engagement des und der Betrachtenden.

Objekt und Erzählung Die Priorität des Objekts im Museum ist in der Museumsarbeit nicht unangefochten, sondern ihr steht eine Philosophie der Erzählungen über Dinge als zentrale Idee im Museum gegenüber. In diesem Konzept sind die Dinge Teil der Erzählung. Mit dieser anderen Sichtweise relativieren Museumswissenschaftler_innen die Objektwelt und regen stattdessen wie Gaynor Kavanagh in ihrem Buch »Dream Spaces. Memory and the Museum« eine Konzentration auf die Bedeutung von Geschichten für die Besucher_innen an: »Perhaps a more articulate and thoughtful dialogue about ourselves and an awareness of how we project this on to objects, would be more useful. This means starting with people and how memories and associations are built.«279 Es geht für Kavanagh und andere Forscher_innen wie z. B. Czikszentmihalyi um eine Bewegung vom Objekt hin zur Bedeutung: »Meaning, not material possessions, is the ultimate goal in [people’s] lives. People still need to know that their actions matter, that their existence forms a pattern with that of others, that they are remembered and loved. The battle for the value of life is fought in the arena of meaning.« 280

Czikszentmihalyi hat diese These weiter zugespitzt: Wenn wir nach seiner Meinung ein stärkeres Bewusstsein der Prozesse im Innern des Menschen entwickeln, könnten die Objekte ihre Projektionsfunktion verlieren und vorrangig nur Instrumente sein; sie würden wieder zu Gebrauchsgegenständen werden.281 279 |  Kavanagh 1994, S. 104. 280 | Czikszentmihalyi, Mihaly, Rochberg-Halton, Eugène, The Meaning of Things: Domestic Symbols and the Self, Cambridge 1981, zit. n. Pearce 1998, S. 184. 281 |  Csikszentmihalyi, Mihalyi, Why we need things. In: Lubar/Kingery 1993, S. 27.

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Multiperspektivität von Objekten Was bedeuten die Ergebnisse der Objektforschung für das Museum? Wie können Ausstellungsmacher_innen nicht vor der extrem individuellen Wahrnehmung des einzelnen Besuchers und der einzelnen Besucherin kapitulieren? Wie kann die Infragestellung der Hierarchie von Subjekt und Objekt in der Museumsarbeit wirksam werden? Und wie kann das reziproke Verhältnis von Bewusstsein und Materie in Objektarbeit Eingang finden? Die je eigene Wahrnehmung des einzelnen Menschen hat zunächst zur Folge, dass sie auch für Museumsmitarbeiter_innen gilt. Sie müssen sich der Subjektivität ihrer Objektbeziehung bewusst werden und die Anonymität der Autorschaft von Ausstellungen aufheben, um nicht weiter vorzugeben, dass es in Ausstellungen um objektive Wahrheiten geht. Auf der anderen Seite muss der individuellen Wahrnehmung der Besucher_innen Rechnung getragen werden durch eine Objektauswahl, die mehrere Zugänge zum Verständnis erlaubt, und diese Objekte müssen zueinander in Beziehung gesetzt werden, um auch dadurch Multiperspektivität zu befördern. Das Sammeln von Ausstellungsobjekten wird unter dieser Zielsetzung schwerer, denn es wird sorgfältiger erfolgen und stärker die Rezeptionsvoraussetzungen der zukünftigen Betrachter_innen berücksichtigen müssen. Diese sind bei Frau und Mann unterschiedlich, und die Unterschiedlichkeit muss in der Sammlung bedacht werden. Auch die Berücksichtigung des angenommenen »Eigensinns der Dinge« erweitert den Fokus auf Multiperspektivität. Sie erschüttert den Glauben an die Überlegenheit des modernen Menschen gegenüber der Natur und gegenüber den Dingen. Der Optimismus des naturwissenschaftlichtechnisch begründeten Willens zur Beherrschung der Materie wird mit dem Hinweis auf die Komplexität der Subjekt-Objekt-Beziehung korrigiert. Im Technikmuseum kommt es darauf an, die Objekte nicht mehr nur nach dem Schema zu behandeln, wer sie erdacht und gebaut, wer damit Geld gemacht (und sie genutzt) hat, sondern es ist herauszufinden, welche Wirkung umgekehrt die Objekte auf die Menschen ausüben, welche Abhängigkeiten sie erzeugen und wie sie das Leben verändern. Alle Objekte, besonders aber die Großobjekte, sind unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf den Menschen zu betrachten; als Teil der Technikfolgeabschätzung würde das Resultat auch Frauen mehr interessieren als Informationen über Funktion und Geschichte von Technik. Frauen sind sensibilisiert für die Frage: Was geschieht mit uns unter diesen techni-

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schen Bedingungen und wie wirkt Technik – auch über die Gegenstände selbst – zurück auf unser Leben? Schließlich muss im Technikmuseum der geistige Reichtum nicht beschränkt bleiben auf die technische Leistung und damit auf die Bedeutungssteigerung der Objektwelt. Mit der Expansion der Informationstechnologie deutet sich die Dynamik einer immateriellen Welt an, in der die materielle Welt aufgehoben ist. Die sowohl in hochtechnisierten Gesellschaften weiterhin gestellte Frage nach dem, was über die Objekte hinausgeht, als auch der vorhandene geistige Reichtum in Kulturen mit sehr viel weniger verfügbaren Dingen erinnern daran, dass das Objekt immer in einem Spannungsverhältnis steht zu einem Mehr, das durch mehr Objekte nicht zu haben ist: zu einem in allen Kulturen vorhandenen Wunsch nach Grenzüberschreitung vom Materiellen in einen geistigen Raum. Diese Frage im Technikmuseum mitauszustellen, würde seine Aussagekraft in einem umfassenden Sinn steigern, denn sie spannt den Bogen vom Großobjekt bis zur Objektlosigkeit als seinem Gegenpol.

Neusichtung der Sammlung Die konkrete Aufgabe in Bezug auf die Objekte im Museum ist ein Neuanfang im Depot.282 Was als Erstes ansteht, ist die Durchsicht der vorhandenen Sammlungen, um die Vielschichtigkeit der Objekte zu entdecken, 282 |  Einen vergleichbaren Neuanfang gibt es in der Ethnologie, einer Wissenschaft, die viel dazu beigetragen hat, »die Fragwürdigkeit des Projekts Moderne selbst« offenzulegen: »Feministische Ethnologie ist die Aufforderung zu sogenannten restudies, Rückkehr ins Feld und Überprüfung der vorliegenden Daten unter neuem Blickwinkel, diesmal ohne male bias, dem ja offensichtlich auch viele weibliche Ethnographen erlegen zu sein scheinen.« Streck, Bernhard, Fröhliche Wissenschaft Ethnologie, Wuppertal 1997, S. 207; auch die Museologie, die sich mit kultureller Vielfalt befasst, fordert zum Neuanfang auf. Dietmar Osses, Mitautor des 2015 vom Deutschen Museumsbund herausgegebenen Leitfadens »Museen, Migration und kulturelle Vielfalt« sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk am 23. Februar 2015: »Da müssen wir einerseits neu sammeln mit Aspekten der Migrationsgeschichte in der kulturellen Vielfalt, aber wir müssen auch die bestehenden Sammlungen neu befragen. In vielen Objekten steckt Migrationsgeschichte drin, steckt vielleicht ein anderer kultureller Blick drin, den wir noch gar nicht so sehr gefasst haben, weil das Thema noch gar nicht in unserer Perspektive stand.«

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

die bis dahin eindimensional gesammelt und ausgestellt wurden. Darauf hat schon in den 1980er-Jahren die Museumspionierin Viktoria SchmidtLinsenhoff im Historischen Museum Frankfurt hingewiesen: »Sie argumentierte, dass bei entsprechenden Fragen und Wissenszugängen die vorhandenen Sammlungen nicht nur historische Zeugen für ein jeweils dominierendes Geschlecht sind, sondern Aussagen zu beiden bzw. zum Geschlechterverhältnis erlauben.«283 Roswitha Muttenthaler vom technischen museum wien führt den Gedanken weiter: »Mit der Kategorie Geschlecht können dabei nicht allein Agierende spezifiziert, sondern ebenso Handlungsfelder erschlossen werden: Wie manifestiert sich das Geschlechterverhältnis in der Wahrnehmung der Dinge, in den wechselseitigen Beziehungen zwischen AkteurInnen und Dingwelten, in den Ordnungssystemen von Wissenschaft und Museum?« 284

Auch Gaby Porter hat in den 1980er-Jahren während ihrer Tätigkeit im Museum of Science and Industry in Manchester vorgeschlagen, vorhandene Sammlungen einer neuen Interpretation zuzuführen. »Women’s history may directly challenge the museum itself, and its version of history, by re-defining and re-interpreting objects already in the collections in relation to women. Such projects recognise that meaning is not singular or essential. Rather, each object, each piece of the culture, can be understood in a number of ways. In re-presenting it, a single meaning is selected and then this ›preferred‹ meaning is anchored by context, caption, illustration and positioning. ›Preferred‹ meanings are usually conventional, shared with other museums, other media, and public expectations of history. To choose different meanings may be to raise questions about the museum and its arrangement.« 285

283 |  Muttenthaler 2007, S. 44. 284 |  Ebd. 285 |  Porter, Gaby, The Women’s History Approach. In: Fleming, David u.  a. (Hg.), Social History in Museums. A Handbook for Professionals, London 1993, S. 80.

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Fragen an ein Objekt Im Technikmuseum Berlin ist ein Instrumentarium entwickelt worden, mit dem es möglich wäre, Objekte auf die in der Katalogisierung nicht erfassten Informationen abzuklopfen. Es sind dies die vier Kernfragen an ein Objekt:286 »Funktion: Um was für ein Objekt handelt es sich? Wie funktioniert es? Herstellung: Unter welchen Bedingungen wurde es produziert? Zweck: Wozu diente es? Wofür wurde es eingesetzt? Wie ist sein symbolischer und mythologischer Stellenwert? Folgen: Was folgte aus seinem Einsatz? Wie hat sich unsere Welt dadurch verändert? Durch diese Fragestellungen tritt die Kontextualität des Exponats deutlich hervor, wobei bestimmte Kontexte – wie z. B. die Bezüge zur Natur, zur Herrschaft, zur Geschlechterfrage und zum Fortschrittsbegriff – in allen Arbeitsfeldern auftauchen, sich wie rote Fäden durch diese ziehen und damit als einheitsstiftende Momente der Museumsarbeit fungieren.« 287

Ausgestattet mit diesem Rüstzeug, können die Objekte sowohl in der vorhandenen Sammlung als auch beim Erwerb und bei ihrer Verwendung in Ausstellungen auf ihre Multiperspektivität hin untersucht werden. Zur Berücksichtigung der Geschlechterfrage wurde im Leitbild des Technikmuseums Berlin explizit aufgefordert. Sowohl das Instrumentarium der Objektbefragung als auch die Inhalte des Leitbildes sind jedoch strukturell zu wenig im Museum verankert, um sie angemessen umzusetzen.

286 |  Für das Leitbild des Deutschen Technikmuseums Berlin 2001 und für die Vision des Deutschen Technikmuseums Berlin 2003 eingebracht von Dirk Böndel. 287 |  Vision für das Deutsche Technikmuseum, Forum Kulturgeschichte der Technik und Wissenschaft, Entwurf Juni 2003, S. 5.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Thema »A rbeit« Das Thema »Arbeit« ist für das Konzept eines Technikmuseums zentral. In den Namen der drei in den 1980er-Jahren gegründeten Technikmuseen in Deutschland, Museum für Verkehr und Technik in Berlin (heute Deutsches Technikmuseum), Museum für Technik und Arbeit in Mannheim (heute Technoseum) und Museum der Arbeit in Hamburg, kommt die jeweilige inhaltliche Ausrichtung des Museums zum Ausdruck, und es wird deutlich, warum die Bereitschaft, in einem Technikmuseum eine Dauerausstellung zum Thema »Frauenarbeit« aufzubauen, im Museum der Arbeit in Hamburg am größten war. Frauenarbeit ist eine Selbstverständlichkeit, Frauentechnik nicht. Die Thematisierung von Arbeit ist ein Schlüssel zu geschlechtergerechter Museumsarbeit. Arbeit wurde in den beiden zuletzt genannten Museen wiederholt behandelt, beispielsweise in der 2012 eröffneten Dauerausstellung »Das ABC der Arbeit – Vielfalt. Leben. Innovation« in Hamburg und in der Mannheimer Sonderausstellung »Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013«. In der Mannheimer Ausstellung wurde die Beteiligung von Frauen an der Arbeiterbewegung eher zufällig sichtbar, beispielsweise in ihrer überraschend häufigen Anwesenheit auf Gemälden und Fotografien von Aufständen, Demonstrationen und Streiks. In Hamburg knüpft die aktuelle Ausstellung zum Thema »Arbeit« an die erste große Ausstellung zu Frauen- und Männerarbeit von 1997 im gleichen Museum an.

Museum der Arbeit Hamburg Im Museum der Arbeit in Hamburg ist Frauenarbeit in die Dauerausstellung »Das ABC der Arbeit – Vielfalt. Leben. Innovation« durch die Thematisierung von Berufen strukturell integriert. Das »ABC der Arbeit« ist auf der Fläche der ersten Frauen-Dauerausstellung in einem Technikmuseum überhaupt entstanden (»Frauen- und Männer: Arbeits- und Bilderwelten«, von 1997 bis 2011 gezeigt im Museum der Arbeit in Hamburg: siehe das Kapitel »Frauen in Dauerausstellungen«). In der neuen Ausstellung in Hamburg sind bisher weniger beachtete Aspekte von Arbeit und Berufstätigkeit von Frauen thematisiert, beispielsweise werden Berufssparten wie Pflege und Verkauf dargestellt. Arbeitsbiografien von Männern und Frauen vermitteln persönliche, auch geschlechterspezifi-

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sche Einstellungen zur Arbeit. Im Thema »Gesundheit« wird die Körperlichkeit der Arbeitenden ausführlich behandelt. Nicht zuletzt wird mit Arbeitskleidung als Leitobjekten der textile Aspekt präsentiert, der dem weiblichen Interessenbereich zugeordnet ist. Zusammenfassend ist festzustellen, dass in der Hamburger Ausstellung »Das ABC der Arbeit – Vielfalt. Leben. Innovation« als Fortsetzung der Ausstellung »Frauenund Männer: Arbeits- und Bilderwelten« Frauenarbeit als eine selbstverständliche Facette der Geschichte des Kampfes um soziale Gerechtigkeit sichtbar wird. Produktionsmittel von Frauen in der Dauerausstellung »ABC der Arbeit – Vielfalt. Leben. Innovation« im Museum der Arbeit, Hamburg

© Museum der Arbeit/Fotos: Karin Plessing

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

technisches museum wien Ein breit angelegter Ansatz der Darstellung von Arbeit wurde 2011 im technischen museum wien mit der »halbpermanenten«, auf sechs Jahre angelegten Dauerausstellung »in arbeit« verwirklicht.288 Die Ausstellung ist in sechs Bereiche gegliedert: »hand.zeug« (das Werkzeug und sein Bezug zum Körper), »werk.raum« (Arbeitsräume und geografische Räume), »menschen.maß« (z.  B. Arbeitsteilung und Rationalisierung), »rang.ordnung« (Arbeitshierarchien), »schweiß.perle« (unbezahlte und bezahlte Arbeit, Arbeit und Freizeit) und »not.verband« (Arbeitssicherheit und -krankheit). Die Ausstellung ist nicht genderspezifisch konzipiert, sondern alle Kategorien – Gender, Race und Class – werden nicht mehr aus männlich hegemonialer Sicht verwendet. Im Bereich »werk.raum« beispielsweise sind neben den »Werk«-Räumen Haus, Manufaktur, Fabrik und Büro auch entferntere »Werk«-Räume ausgestellt, aus denen Migrant_innen zu den Arbeitsräumen in der westlichen Welt aufbrechen. Im »Werk«-Raum Haus gibt es die Küche, den Wohnraum usw. mit den dort ausgeführten Arbeiten wie Essensvorbereitung, Handwerks- und Putzarbeiten, Pflege von Alten, Kinderbetreuung. Im Bereich »schweiß. perle« ist die körperliche Anstrengung beim Arbeiten in der Glas(perlen) industrie ausgestellt, aber auch beim Wäschewaschen und in der Landwirtschaft. Die zu den Objekten und in den Medienstationen ausgewählten Fotos zeigen Männer und Frauen. Von 2012 bis 2013 waren parallel zur Ausstellung »in arbeit« künstlerische Arbeiten zum gleichen Thema an verschiedenen Stationen im gesamten technischen museum wien unter dem Titel »At Your Service – Kunst und Arbeitswelt« zu sehen. Auch hier haben sowohl das Thema als auch die unterschiedlichen Schwerpunkte der Künstler_innen eine Vielfalt von Sichtweisen erzeugt, die im Technikmuseum im Allgemeinen ausgeschlossen bleiben. So wurde in einem Video nicht Technik und Arbeit, sondern die Arbeitslosigkeit von albanischen Männern in Beziehung zur Energietechnik »ins Licht gerückt«289; in der Eisenbahnausstellung kam das Pendeln von migrantischen Frauen mit der Eisenbahn zu 288 |  Siehe dazu den Ausstellungskatalog Decristoforo, Bernadette u. a. (Hg.), in arbeit. Die Ausstellung zur Dynamik des Arbeitslebens. technisches museum wien, Wien 2011. 289 |  Von Adrian Paci.

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Pflegearbeitsplätzen in Österreich in das Blickfeld,290 und im Produktionsbereich wurde Frauenarbeit in der Ziegelherstellung in Asien, Afrika und Europa291 mit der Darstellung von österreichischen Arbeiterinnen im Bergbau des 19. Jahrhunderts verbunden. Beide Ausstellungen zum Thema »Arbeit« im technischen museum wien bereichern die technikhistorische Ausstellungslandschaft durch ihre grundsätzliche Bezogenheit auf die Analysekategorien Gender, Race und Class und lassen durch ihre Multiperspektivität das Modell ›Frauenecke‹ weit hinter sich zurück. Dauerausstellung »in arbeit«, technisches museum wien, Hausarbeit, Werkzeuge und Pflegearbeit

Fotos: A. Döpfner 290 |  Von Anna Jermolaewa. 291 |  Von Harun Farocki.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Science Museum London Einen vergleichbaren Beitrag zur Neustrukturierung nicht nur einer Ausstellung, sondern ihres gesamten Museums haben die Mitarbeiter_innen des Science Museums in London bereits in den späten 1980er-Jahren geleistet. Drei Arbeitsgruppen entwickelten eine Vision für das Londoner Technikmuseum, und es setzte sich die Arbeitsgruppe durch, die die traditionelle Ordnung des Museums nach Fachbereichen durch die Einrichtung der übergeordneten Themenbereiche »Knowing«, »Making« und »Using« »in industrial, commercial and domestic settings«292 ersetzen wollte. Arbeit wurde in diesem Konzept für ein ›neues‹ Technikmuseum nicht mehr nur im ›Machen‹ gesehen, sondern auch im Wissenserwerb und in der Verwendung von Wissen und von Gegenständen. Zusätzlich sollte die Ausweitung des ›Arbeitens‹ in diesem Sinn von der Industrie- und Handelsarbeit auf die Hausarbeit zur Öffnung neuer Perspektiven im Technikmuseum beitragen. Dadurch wurde der klassische Blick auf die männlichen Wissenschaftler, Techniker und Industriearbeiter als Hauptakteure im Technikmuseum überwunden und Raum geschaffen für die Perspektiven auch von Frauen und jungen Menschen. Die erste Anwendung des neuen Konzepts erfolgte 1989 mit einer Ausstellung über Ernährung: »Food for Thought«. Im Gegensatz zu reinen Männer- oder gemischten Ausstellungsteams, in denen überwiegend ältere, spezialisierte Kurator_innen Ausstellungen konzipierten, war die »Food for Thought«-Gruppe ein vergleichsweise junges, reines Frauenteam von Generalistinnen. Die Frauen waren hohen Erwartungen ausgesetzt bei gleichfalls hohem Risiko zu scheitern. Sie wollten und sollten in gemeinsamer Autorinnenschaft den Durchbruch zu besucherorientierten, inhaltlich neuen Perspektiven im Technikmuseum schaffen. Die Gruppe verstand sich selbstironisch als »Versuchskaninchen«293, aber der Versuch brachte keinen prinzipiellen Neuanfang im Science Museum. Verantwortlich dafür waren nach dem Ergebnis der Museumsfeldforschung durch Sharon Macdonald strukturelle Barrieren im Museum selbst (z. B. »institutional regression«294, d.  h. in kritischen Phasen der Konzeptfindung auf den sicheren und konventionellen Aspekt »Technik« zu bauen), 292 |  Macdonald, Sharon, Behind the Scenes at the Science Museum, Oxforn 2002, S. 76. 293 |  Ebd., S. 1. 294 |  Ebd., S. 148.

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intransparente Machtverhältnisse, undefinierte Autorschaft, Abhängigkeit vom Geldgeber, Unkenntnis des Teams über das Rezeptionsverhalten des Publikums und zu starke Orientierung an dessen Konsumverhalten. Die gute Absicht der Multiperspektivität verkehrte sich aufgrund des Mangels an einem übergeordneten durchsetzbaren Konzept in Orientierungslosigkeit. Was anstelle des geplanten Neuanfangs entstanden war, charakte­ risierte Macdonald so: »[M]aximised variety offering maximum choice for operating in a tough market-place where, in the case of museums, sponsorship and visitor numbers were likely to be at a premium.«295

Ruhr Museum Essen Eine anderer Versuch, den Arbeitsbegriff auszuweiten und Multiperspektivität im technischen Museumsumfeld zu verwirklichen, wurde 2013 im Ruhr Museum in Essen gezeigt. Fotowand in der Ausstellung »Kohle.Global – Eine Reise in die Reviere der Anderen« 2013 im Ruhr Museum

Foto: A. Döpfner 295 |  Ebd., S. 86.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Der konzeptionelle Ansatz bestand darin, die gezeigten Museumsobjekte prozesshaft aufzufassen als etwas, für das Rohstoffe verarbeitet und für deren Herstellung Energie produziert werden muss. Arbeit wurde auf allen drei Stufen des Herstellungsprozesses eines Produkts gezeigt: in der Rohstoffgewinnung, der Produktion selbst und in der für die Rohstoffgewinnung und Produktion erforderlichen Energieherstellung. Diese Einheit drängt sich in Bezug auf das Thema »Kohle« zwar besonders auf, ist aber in allen Ausstellungen zu Produktionstechniken sinnvoll. In Ausstellungen über Informationstechnologien beispielsweise bleiben häufig – auch im Technikmuseum Berlin – Geschichte und Gegenwart der Rohstoffgewinnung in Afrika, Asien und Südamerika ausgespart, obwohl es ohne die Metalle und Seltenen Erden von dort keine Elektronikindustrie gäbe. Nur unter Berücksichtigung der kritischen Abbaubedingungen dieser Rohstoffe kann eine kulturgeschichtliche Technikausstellung Zusammenhänge zwischen Kultur und Technik aufzeigen. Dass die Gesamtschau von Rohstoffgewinnung, Produktion und Verbrauch weite technik- und kulturgeschichtliche Perspektiven inklusive der Genderperspektive eröffnet, hat die einjährige Ausstellung »Kohle.Global – Eine Reise in die Reviere der Anderen« 2013 bewiesen.296 Bergbau ist ein traditionelles Männerthema. Wenn das Thema im Museum aber aus verschiedenen Richtungen beleuchtet wird, erweitern es die Ausstellungsmacher_innen für ein ganzes Spektrum von Besucher_innen. In der Ausstellung »Kohle.Global« geschah dies durch den Blick auf Natur und Technik, Arbeiten und Leben, Produktion und Nutzen, Gewinn und Verlust, Politik und Ökonomie, Krankheit und Gesundheit und durch die Präsentation der unterschiedlichen Interessen von Individuen, Gruppen und Nationen in den Auseinandersetzungen um den Rohstoff Kohle. Frauen sind häufig beteiligt an Kämpfen gegen Arbeitsplätzeabbau und Naturzerstörung; auch ihr Leid um den Verlust ihrer Partner bei Grubenunfällen ist Teil der Geschichte des Bergbaus. Durch einen erweiterten Ansatz wie diesen können Frauen aus aller Welt wie selbstverständlich und nicht wie kontingentierte Exotinnen in einer technikhistorischen Ausstellung vorkommen. In der Ausstellung in Essen wurde auch deutlich, dass die konzeptionelle Einheit von Produktion, Reproduktion und 296 |  Stottrop, Ulrike (Hg.), Kohle. Gobal – Eine Reise in die Reviere der anderen. Katalog zur Ausstellung im Ruhr Museum vom 15.4.–30.3.2014, Essen 2013.

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Konsumption durch das Thema »Destruktion« ergänzt werden muss, d. h. um den ökologischen Aspekt von Technik, der Frauen nach den Ergebnissen der Besucherforschung im Technikmuseum Berlin besonders anspricht. Dieser Aspekt wäre ein weiterer Baustein für die »Umwertung des bisher positivistisch-deterministischen Technikbegriffs, sodass die sozialen, psychologischen und ökologischen Kosten in den Blick genommen werden könnten, die das Defizitäre des herrschenden Technikverständnisses ausmachen«297. Die drei zuletzt betrachteten, technisch ausgerichteten Museen in Wien, London und Essen haben die besprochenen Ausstellungen nicht genderspezifisch konzipiert, sondern alle drei Kategorien – Gender, Race und Class – in ihre Konzepte einfließen lassen. Unter dieser Voraussetzung wird es unmöglich, »Arbeit« in den Ausstellungen nur aus einer Perspektive darzustellen.

Sichtbarmachen Das Thema »Arbeit« in einer Technikausstellung ist so anregend, dass Ausstellungsmacher_innen in jedem Depot und Archiv fündig werden können. Im Technikmuseum Berlin beispielsweise bietet die sehr umfangreiche AEG-Sammlung aus Objekten und Fotos ein unerschöpfliches Reservoir für eine Ausstellung über Frauen- und Männerarbeit in einem Elektrokonzern im 20. Jahrhundert. Dabei ist Frauenarbeit im Allgemeinen wesentlich umfassender und facettenreicher als Männerarbeit: In der AEG-Fotosammlung sind besonders aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, als Frauen auch klassische Männerarbeitsplätze übernommen haben, aber auch aus anderen Zeiten Fotos von Frauen zu sehen als Fabrikarbeiterinnen, Handwerkerinnen, Transportarbeiterinnen, Büroangestellte, Kantinenpersonal, Arbeiterinnen in der Lebensmittelabteilung des Betriebs bis hin zum betrieblich organisierten Päckchenpacken für die Soldaten. Produktions- und Dienstleistungsarbeiterinnen sind – sogar im Betrieb selbst – immer auch Reproduktionsarbeiterinnen, deshalb ist der Ausstellungsansatz für die Arbeit von Frauen so groß und vielfältig.

297 |  Osietzki, Maria, Männertechnik und Frauenwelt. Technikgeschichte aus der Perspektive der Geschlechtergeschichte. In: Technikgeschichte, Bd. 59 (1992), H. 1, S. 63, Inhalt wiedergegeben von Saupe Januar 2013, S. 21.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Frauenarbeit AEG Berlin 1911–1921: Drehstromgehäuse – Isolieren der Spulenenden und Schichten der Bleche, Frühstückspause, Schweißerin, Plattformwagen, Stielhandgranaten verladen

© SDTB/Historisches Archiv, AEG Fotosammlung

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Frauenarbeit AEG Berlin 1911–1921: Telefonzentrale, Briefexpedition Ausgang, Speiseanstalt – Ausgabe der Speisen und Teil eines Speiseraumes, Äpfellager, Verpackung der Weihnachtsgaben 1917

© SDTB/Historisches Archiv, AEG Fotosammlung

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Die Fülle der Möglichkeiten, Frauenarbeit im Museum zu zeigen, verführt dazu, Sichtbarmachen um seiner selbst willen zu betreiben. Das »Zeigen« ist aber ambivalent: »Repräsentation ist immer in Macht- und Herrschaftsprozesse involviert und an der Produktion und Reproduktion von Gesellschaft beteiligt.«298 Das Sichtbarmachen läuft Gefahr, die herrschende Ordnung zu bestätigen. Im »Zeigen« bleiben die Kämpfe und die Konstruktion dieser Ordnung unsichtbar. Um das zu vermeiden, ist es wichtig, »sich nicht nur damit, ob, sondern auch damit, wie etwas dargestellt wird, auseinander zu setzen«299. Denn Sichtbarkeit produziert nicht automatisch Erkenntnis oder Transparenz, sondern das Dargestellte muss eingebunden sein in den Kontext der Ausstellung. Es muss ein kritisches Darstellen im Sinne von Infragestellen sein. Johanna Schaffer hat in ihrer Arbeit zur Ambivalenz von Sichtbarkeit deshalb den Begriff der »anerkennenden Sichtbarkeit« geprägt: »Anerkennende Sichtbarkeit markiert eine Position, die davon ausgeht, dass es immer auch der Analysen der Darstellungsbedingungen bedarf – als von Normen durchzogene Bedingungen der Sichtbarkeit und der Intelligibilität; die aber darauf besteht, dass die Belehnung mit Wert als schiere Affirmation der eigenen Existenz eine Bedingung des menschlichen Lebens ist und daher als gesellschaftliche Ressource nicht ein Privileg sein darf, auf das manche mehr, manche weniger und andere gar keinen Zugriff haben.«300 Um diese »anerkennende Sichtbarkeit« von einer affirmativen Sichtbarkeit zu unterscheiden, ist die Repräsentation der Geschlechter im Museum dahingehend zu betrachten, welche Funktion sie dort in welchen Zusammenhängen hat. Ebenso wie das Sichtbarmachen bedarf aber auch die Wahrnehmung des Gezeigten der kritischen Betrachtung. Wenn Ausstellungsmacher_ innen Besucher_innen Identifikationsangebote machen, sollte immer auch die Möglichkeit der Distanzierung erhalten bleiben.301 So wird parallel zur Ambivalenz des Sichtbarmachens auf die Ambivalenz des Sehens verwiesen. Geschlechtergeschichte-Zeigen und GeschlechtergeschichteSehen reproduzieren Klischees, wenn sie nicht Machtverhältnisse reflektieren und Möglichkeitsräume eröffnen. 298 |  Schaffer, Johanna, Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung, Bielefeld 2008, S. 17. 299 |  Ebd., S. 14. 300 |  Ebd., S. 19. 301 |  Siehe dazu Schober, Anna, Von der Identitätspolitik zur Dekonstruktion hegemonialer Kultur. In: Hauer/Muttenthaler/Schober/Wonisch 1997, S. 242–259.

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Reproduktionsarbeit Ein bisher noch nicht verwirklichter Ansatz zur Darstellung von Arbeit im Technikmuseum ist eine Dauerausstellung zum Thema »Reproduktionstechnik« im direkten Bezug zu den Ausstellungen über Produktionstechniken in den übrigen Bereichen des Museums. Die Leerstelle legt offen, dass der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen nicht zum Grundverständnis von Technikmuseen gehört.302 Die Reproduktionsarbeit »für die Erschaffung und den Erhalt der Gesellschaft«303 ist für jede Gesellschaft zentral. Zwei Drittel aller Tätigkeiten weltweit sind Sorge-, Pflege-, Haushalts- und Subsistenzarbeiten. In Deutschland ist unbezahlte Arbeit der größte Wirtschaftsfaktor. Erst dann kommen Finanz-, Unternehmensdienstleistungen und produzierendes Gewerbe. Um 40 % würde das Bruttosozialprodukt steigen, wenn Hausarbeit bezahlt würde.304 Reproduktionsarbeit erzeugt »Humankapital«. Alltägliche Techniken der Reproduktion des Lebens z. B. Essenszubereitung und Kindererziehung scheinen zunächst als Thema für eine Ausstellung weniger attraktiv zu sein als die Darstellung von Produktionstechniken, denn sie verändern sich am langsamsten von allen Techniken. Zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten liegen Produktions- und Reproduktionsarbeit zugrunde: produktive Tätigkeit dient der möglichst schnellen Herstellung von Produkten, reproduktive Arbeit dem langfristigen Erhalt der Arbeitskraft. Das wirkt sich auf die Themenauswahl im Technikmuseum aus: »Where museums look at ›real life‹ they concentrate on those parts which have changed, and which thus offer contrast and fascination. Much of women’s historical experience lies in areas where

302 |  Hannah Fitsch schlägt gegen das »Ausblenden von Reproduktionstechnologien in Technikmuseen« eine Shirt Intervention durch Tragen von T-Shirts mit dem Aufdruck »Wo gehts denn hier zu den Reproduktionstechnologien?« vor. Siehe dazu Döring, Daniela, Das hysterische Museum: Zu den ›Shirt Interventions‹ von Hannah Fitsch. In: Döring/John 2015, S. 107–112. 303 |  Notz, Gisela, Unbezahlte Arbeit. In: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier: Frauen in Deutschland v. 19.10.2010, online unter www.bpb.de/ gesellschaft/gender/frauen-in-deutschland/49411/unbezahlte-arbeit. 304 |  Vgl. taz v. 05./06.09.2015, S. 03.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

›change‹ measured by objects and technologies is slow.«305 Auch der Lohn für produktive und reproduktive Arbeit ist unterschiedlich: produktive Arbeit wird bezahlt, reproduktive Arbeit kann bezahlt oder unbezahlt sein. Unbezahlte Reproduktionsarbeit ist überwiegend Frauenarbeit. »In den Hausarbeitsverhältnissen, die meist privat, isoliert und unbezahlt geleistet werden und der eigenen Reproduktion, sowie der des (Ehe-)Partners, der Erziehung und Sorge der Kinder sowie der Pflege und Betreuung kranker, behinderter und alter Familienangehöriger dienen, arbeiten aufgrund der traditionellen geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung innerhalb der kapitalistischpatriarchalischen Gesellschaft überwiegend Frauen.« 306

Auch bezahlte Reproduktionsarbeit – besonders in den Arbeitsbereichen Erziehung und Pflege – wird mehrheitlich von Frauen geleistet. Eine zentrale Ausstellung zum Thema »Reproduktionstechnik« wäre das Pendant zu einer im Technikmuseum meist zentral eingerichteten Ausstellung »Energietechnik«. Im Fall der Energietechnik wird im Technikmuseum häufig erwogen, die Ausstellung dezentral aufzubauen, beispielsweise Antriebsaggregate jeweils am entsprechenden Objekt zu zeigen. Das Gleiche wäre auch für eine Reproduktionsausstellung möglich. Für eine zentrale Ausstellung über Reproduktionsarbeit spricht die stärkere Fokussierung auf das Thema; dies ist im Technikmuseum auch der Grund, Ausstellungen zur Energietechnik zentral einzurichten. Ebenso wie eine Ausstellung »Energietechnik« die Antriebsformen der industriellen Produktion dokumentiert, so handelt eine zentrale Ausstellung »Reproduktionstechnik« von den »für die kapitalistische Industriegesellschaft moralische[n] Ressourcen, für die ein traditioneller weiblicher Lebenszusammenhang den Rohstoff, den ›fossilen Brennstoff‹ liefern sollte«307. Denn allein »von Erfindungen und Werkzeugmaschinen kann

305 |  Porter, Gaby, Putting your house in order: Representations of Women and Domestic Life. In: Lumley, Robert (Hg.), The Museum Time Machine. Putting Cultures on Display, London 1988, S. 121. 306 |  Notz 2010. 307 |  Eckart, Christel, Frauen zwischen der Moral der Fürsorge und dem individualisierenden Leistungsprinzip. In: Reese, Dagmar u. a. (Hg.), Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozeß, Frankfurt a. M. 1993, S. 172.

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keiner leben«308, dem Erfinden und Produzieren von Gegenständen ist das Produzieren und Reproduzieren des Menschen vorgeschaltet, damit eine technische Welt überhaupt entstehen, erhalten und im Technikmuseum ausgestellt werden kann. Die besondere Beziehung zwischen Produktion und Reproduktion als einem Merkmal der (heute globalisierten) kapitalistischen Produktionsweise wurde von Karl Marx als dem grundlegenden Analytiker und Kritiker der kapitalistischen Wirtschaftsform zwar eingeführt, aber weder von ihm noch von späteren Theoretikern der Volkswirtschaftslehre in Bezug auf das Geschlechterverhältnis präzisiert. Marx beschreibt, wie innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise der produktiv arbeitende abhängige Mensch über die Erwirtschaftung seiner eigenen Lebensgrundlage hinaus einen »Mehr«-Wert schafft, der dem Unternehmen, in dem er arbeitet, Reinvestitionen und Gewinne ermöglicht und dadurch Produktion und Konsum weitertreibt. Um sich in diesen Vorgang einklinken zu können, ist es für den Arbeiter erforderlich, dass »er sich Lebensmittel zu(setzt), um seine Arbeitskraft in Gang zu halten, wie der Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad Öl zugesetzt wird«309 . »Reproduktion« ist bei Marx also nicht begrenzt auf den Menschen, sondern es gehört alles dazu, was die Produktion erneuert, die Maschinenwartung mit Öl ebenso wie die Menschenwartung mit Lebensmitteln. Warenproduktion und Produktion der Arbeiter_innenschaft »entstehen sozusagen auf demselben Fließband. Daher wird der Wert der Arbeitskraft auch über den Wert der Waren ermittelt, also über die für die Produktion dieser Waren gesellschaftlich nötigen Arbeitszeit«310 (und nicht über den Wert der Reproduktionsarbeit). Die Reproduktionsarbeit hat Marx deshalb nicht im Blick, weil er sich in seiner Analyse auf die mehrwertschaffende Lohnarbeit konzentriert. Er kritisiert das ungerechte Klassenverhältnis zwischen Kapitalbesitzern und Lohnarbeitern in der Marktökonomie, nicht aber das ungerechte Geschlechterverhältnis. Er übernimmt damit die Theorie von Adam Smith, bei dem 308 |  Haug, Frigga, Menschsein können oder: Welche Aneignung für das weibliche Geschlecht? In: Das Argument 303, 55, 2013, H. 4, S. 505. 309 |  Marx, Karl, Kapital I, MEW 23, S. 596. 310 |  Federici, Silvia, Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Münster 2012, S. 27.

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»die Ökonomie zur Marktökonomie mit der Lohnarbeit als ausschließlich produktiver Arbeit [wird]. Die Tätigkeiten von Frauen in der Familie werden in dieser Sicht als Nicht-Arbeit abgespalten, sie werden aber zugleich für das Funktionieren der Marktökonomie vorausgesetzt – zur Herstellung der Arbeitskraft und der Moral. Diese Kräfte werden gleichzeitig ausgegrenzt und angeeignet – sie sind abgespalten Einbezogene. Hier wirkt Externalisierung als Prinzip.« 311

Die Philosophin Silvia Federici erklärt sich die Marx’sche Blindheit gegenüber Hausarbeit damit, dass »er einem technizistischen Revolutionskonzept verhaftet blieb, das menschliche Befreiung an die Errungenschaften großmaßstäblicher Industrialisierung und Automatisierung knüpft312«. Außerdem hätten Frauen im frühen Industrieproletariat so gut wie keine Zeit gehabt, sich um den Haushalt zu kümmern und die Haushaltspflege deshalb an jüngere und ältere Familienmitglieder delegiert bzw. häusliche Arbeiten wie Nähen und Flicken anderen Frauen übergeben. Aber auch als mit der Verkürzung der Arbeitszeit, der Steigerung des Lohns des männlichen Arbeiters und der Ausgliederung der Frauen aus den Fabriken (einem »gender deal«313) vor allem Frauen mehr Zeit für die Reproduktionsarbeit in den Familien hatten, blieben Ökonomen ihrem verkürzten Blick auf den Zusammenhang von Produktions- und Reproduktionsarbeit verhaftet. Die Blindheit für diesen Zusammenhang führte zu Fehlinterpretationen historischer Ereignisse, z. B. von Streiks, denn »wenn sich die Hälfte der Bevölkerung zuhause in der Küche aufhält, während die andere Hälfte streikt, dann handelt es sich nicht um einen Generalstreik. Wir haben noch nie einen Generalstreik erlebt. Wir haben lediglich erlebt wie Männer, in der Regel Männer aus den großen Fabriken, auf die Straße gehen, während ihre Frauen, Töchter, Schwestern und Mütter in den Küchen weiterkochen.« 314

311 |  Biesecker, Adelheid, Hofmeister, Sabine, Winterfeld, Uta von, Draußen? Zur Dialektik von Enteignung und Aneignung und zu ihren aktuellen Erscheinungsformen. In: Das Argument 303, 55, 2013, H. 4, S. 525 f. 312 |  Federici 2012, S. 32. 313 |  Ebd., S. 31. 314 |  Dalla Costa, Mariarosa, A General Strike, New York 2007, zit. n. Federici 2012, S. 40 f.

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Für die Arbeit im Technikmuseum ist relevant, dass die in der Geschichte der Arbeit zum Ausdruck kommende Ausgrenzung und gleichzeitige Aneignung der Reproduktionsarbeit zum einen andauert und dass es zum anderen nicht »bei der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie bleibt. Sie wird zum Modell für engendering-Prozesse im Ausbildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt, im Erwerbsystem und in politischen Foren.«315 Wie lässt sich nun eine Ausstellung im Technikmuseum realisieren, die die Wertschöpfung durch Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit thematisiert? Bisher wurden in Technikmuseen sowohl die Arbeiterküche als häusliches Pendant zur Industrialisierung316 als auch die Frankfurter Küche als häusliches Pendant zur taylorisierten Fließbandproduktion317 wie Ikonen ausgestellt. Es kommt nun darauf an, diese verkürzte Sicht auf der Basis der aktuellen Diskussion über produktives und reproduktives Arbeiten kritisch zu überwinden. Weil die reproduktive Arbeit als Voraussetzung und Bestandteil der Produktion im Wesentlichen unbemerkt verläuft und dadurch unerkannt bleibt, muss sie im Museum vor allem durch Anknüpfen an das Alltagsleben der Besucher_innen visualisiert werden, z. B. mit der Frage, welche Arbeiten anfallen, z. B. am Wochenende oder bevor Erwachsene und Kinder morgens aus dem Haus gehen und nachdem sie wieder zurückgekommen sind. Oder die Bezüge werden zu den umliegenden Ausstellungen im Museum hergestellt, z. B. wo essen die Eisenbahner, zuhause oder in der Kantine? Wenn in der Kantine: Wer kocht da? Wer wäscht dem Flugzeugmechaniker den weißen Overall? Wer kümmert sich um die Kinder des Kapitäns? Auch Zeitbudgetierungsfragen sind ein guter Anfang für eine Reproduktionsausstellung, denn es wird doppelt so viel unbezahlte Arbeit geleistet wie bezahlte. Im geschlechtsspezifischen Vergleich von bezahlter und unbezahlter Arbeit wird deutlich, dass Frauen zwei Drittel der Hausarbeit übernehmen und im Erwerbsbereich halb so viel bezahlte Arbeit leisten 315 |  Becker-Schmidt, Regina, Politisch-psychologische Anmerkungen zu asymmetrischen Tauschverhältnissen aus feministischer Sicht. Vortrag in der Universität Hannover am 15.11.2011 auf der Tagung Politische Psychologie – Feministische Kritik, S. 3. 316 |  z. B. Beil, Felicitas u. a., Ruhrlandmuseum Essen, Braunschweig 1988. 317 |  Werkbundarchiv – Museum der Dinge Berlin und Renate Flagmeier, Die Frankfurter Küche. Eine museale Gebrauchsanweisung, Berlin 2013.

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wie Männer. Alle Untersuchungen zu Arbeit(szeit) und Bezahlung318 bestätigen: Frauen arbeiten im Ganzen mehr, speziell in der unbezahlten Sphäre der Hausarbeit, der Kindererziehung und der Pflege kranker und alter Familienangehöriger. Männer leisten mehr bezahlte Erwerbsarbeit, beteiligen sich weniger an Hausarbeit und Kinderbetreuung und verfügen über mehr Freizeit. Diese Unterschiede setzen sich auch in der Gegenwart fort.319 Die Zeit der klaren Arbeitsteilung zwischen dem »Mann in der harten, ökonomisch bestimmten Welt draußen« und der »Frau in der privaten, emotional geprägten Familienwelt«320 ist zwar vorbei, aber die neue Zeit hat die alte Arbeitsteilung zum größten Teil in die Frau selbst hineinverlegt. Die »Syntheseleistung«321, die Frauen erbringen, um Arbeits- und Familienwelt miteinander zu vereinbaren, nimmt viel Zeit in Anspruch, belastet Frauen gesundheitlich und erschwert es ihnen, im Beruf mit Männern Schritt zu halten, die diese Zusatzleistung nicht erbringen müssen. Die Konzentration auf den Beruf kann langfristig nicht im gleichen Maß erfolgen wie bei den männlichen Kollegen, sodass Frauen schrittweise den Anschluss im Beruf verlieren. Mit zunehmendem Alter steigt der Verdienstunterschied zu Männern von 7,8 % bei den bis zu 24-jährigen Frauen auf 26,7 % bei den über 55-jährigen Frauen.322 Verantwortlich dafür sind

318 |  Z. B. Cornelißen, Waltraud (Hg.) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gender Datenreport. 1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland, München 2005; Zeiher, Helga, Zeitbalancen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament v. 26.07.2004; Statistisches Bundesamt, Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt, Deutschland und Europa, Wiesbaden 2012; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern, Berlin 2010. 319 |  Pinl, Claudia, Wo bleibt die Zeit? Die Zeitbudgeterhebung 2001/02 des Statistischen Bundesamtes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament v. 26.07.2004, S. 25. 320 |  Zeiher 2004, S. 3. 321 |  Eckart, Christel, Zeit für Privatheit. Bedingungen einer demokratischen Zeitpolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament v. 26.07.2004, S. 13. 322 |  Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern, Berlin 2010, S. 10.

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berufliche Unterbrechungen und Teilzeittätigkeiten insbesondere wegen der Kinder- und Altenpflege und die damit einhergehende Dequalifikation. Auf der anderen Seite erwarten heute junge Männer aufgrund des eigenen beruflichen Drucks zu Beginn einer Paarbeziehung von ihrer Partnerin eigene Erwerbsarbeit. Sie tragen allerdings nicht in ausreichendem Maß ihren Anteil zur Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit im privaten Raum bei. »Auch Männer haben eine ›familiale Orientierung‹. Sie prägt aber nicht in gleicher Weise ihr soziales Selbstbild wie bei Frauen. Das liegt vor allem am unterschiedlichen Inhalt, den diese Orientierung für beide hat. Die Vorstellung von der familialen Orientierung der Frauen umfasst die aktive Gestaltung des Familienlebens. Die des Mannes umfasst eher seine passive Teilnahme am Familienleben, das Versorgtwerden, die kompensatorische Funktion der Familie gegenüber dem Berufsleben.« 323

Diese für Männer und Frauen gleichermaßen unbefriedigende Grundsituation, sich der Dominanz der Erwerbsarbeit zu stellen und mit allen anderen Lebensbereichen in Einklang zu bringen, wäre gerade heute ein guter Ausgangspunkt für eine geschlechtergerechte Ausstellung über das Interdependenzverhältnis von Produktion und Reproduktion, weil die wie selbstverständlich in den Verwertungsprozess eingegangene häusliche Instandsetzungsarbeit der Frauen brüchig geworden ist. »Die sog. Reproduktionssphäre verliert nach und nach gerade jene produktiven Eigenschaften, die sie als Voraussetzung des Wirtschaftens und der Wertschöpfung qualifiziert.«324 Die Krise äußert sich in zweierlei Hinsicht. Die höhere Erwerbstätigkeit der Frauen und die Steigerung der Arbeitsund Leistungsanforderungen an Männer, Frauen und Kinder in der individualisierten und konkurrenzbetonten neoliberalen Gesellschaft führen dazu, dass Familien immer häufiger die früher unbezahlte Reprodukti323 |  Eckart, Christel, Frauen zwischen der Moral der Fürsorge und dem individualisierenden Leistungsprinzip. In: Reese, Dagmar u.  a. (Hg.), Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozeß, Frankfurt a. M. 1993, S. 177. 324 |  Biesecker, Adelheid, Hofmeister, Sabine, Winterfeld, Uta von, Draußen? Zur Dialektik von Enteignung und Aneignung und zu ihren aktuellen Erscheinungsformen. In: Das Argument 303, 55, 2013, H. 4, S. 526.

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onsarbeit dazukaufen müssen (Kinderbetreuung, Ernährung mit Convenience Food, Beschäftigung einer Putzfrau, Pflegekräfte für alte Familienangehörige). Es bleibt aber trotzdem zu wenig Zeit für die emotionale Arbeit, die das Funktionieren aller Beteiligten an ihren jeweiligen Orten außerhalb der Familie gewährleistet. Was in der Familie hier nicht mehr geleistet werden kann, wird outgesourced an physiotherapeutische und/ oder psychotherapeutische Spezialist_innen. In einer Ausstellung über Reproduktionstechniken können die Techniken der Hausarbeit, Erziehungsarbeit, Pflegearbeit, Kinderbetreuung und die emotionalen Techniken in unbezahlten und bezahlten Varianten dargestellt werden. Welche Tätigkeiten werden eher unbezahlt geleistet und wie wirkt sich Bezahlung auf eine Tätigkeit aus (Selbständigkeit, Krankenversicherung, Rente, Armutsrisiko usw.)? Kinder und Jugendliche können in der Ausstellung ihre eigene Erfahrungswelt mit der anderer vergleichen: Wer bringt mir etwas bei? Wer tröstet mich? Ist das Arbeit? Hat das einen Wert? Wer arbeitet zuhause mit welchen Werkzeugen? Werde ich später für meine Eltern sorgen müssen? Und wovon hängt das ab? Alle möglichen Antworten auf diese Fragen können in aktuelle und historische Kontexte gestellt werden. Eine Herausforderung für die Ausstellungsplanung wäre die Entwicklung von Hands-on-Objekten, die nicht Funktionsabläufe verdeutlichen wie sonst im Technikmuseum, sondern Arbeits- und ­Beziehungsabläufe, in die die Besucher_innen ihre eigenen Erfahrungen einbringen über ihre Arbeitsbiografien, ihr Zeitmanagement, ihre materiellen und immateriellen Ziele und Entlohnungen.

Grundbedürfnisse Eine anderer Ansatz zur Thematisierung des Zusammenhangs von Reproduktion und Produktion wäre eine Ausstellung über menschliche Grundbedürfnisse und ihre Befriedigung durch Technik. Grundbedürfnisse sind die für alle Menschen auf der Welt geltenden Existenzbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, Kleidung, Wohnen und Zuneigung und im Weiteren solche Bedürfnisse, die sich auf den Erhalt körperlicher und seelischer Gesundheit beziehen, also eine saubere Umgebung, Bewegungsmöglichkeiten, Pflege im Krankheitsfall sowie Anregung, Geborgenheit und Unterstützung als Voraussetzung für innere Stabilität. Ein großer Teil der Grundbedürfnisse wird durch teils bezahlte, teils unbezahlte Ar-

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beit befriedigt. Wenn es aber um die Schaffung und lebenslange Stabilisierung der seelischen Reproduktion geht, überwiegt bis heute die unbezahlte Arbeit von Müttern und Partnerinnen, wenngleich mit steigenden beruflichen Anforderungen an Frauen auch deren Partner als stabilisierende und aufbauende Gesprächspartner gefordert sind. Im Technikmuseum können die immateriellen, aber lebensnotwendigen Grundbedürfnisse in Beziehung gesetzt werden zu den Grundbedürfnissen, deren Befriedigung nach technischen Lösungen verlangen wie der Wunsch nach Mobilität und nach Erleichterung der Arbeit durch Maschinen und technische Verfahren. In vielen dieser technisch zu befriedigenden Grundbedürfnisse sind gleichzeitig immaterielle Bedürfnisse enthalten, sei es der Wunsch nach Anerkennung und Ruhm oder der Wunsch nach Schöpfer- bzw. Zerstörerkraft. Die Ausstellung kann zum einen die Materialität und notwendigen Techniken der Bedürfnisbefriedigung im Rahmen der Reproduktionsarbeit aufzeigen (Küchentechnik, Haushaltstechnik, Textiltechnik, Architektur und Innenarchitektur, Sanitärtechnik, Medizintechnik usw.) und zum anderen die Immaterialität der Reproduktionsarbeit in Objekten zur Anschauung bringen: beispielsweise Spiele, durch die die Eltern das Kind angeregt haben, aufgehobene Zeichnungen, durch die der Selbstwert des Kindes wuchs, Gegenstände, die das Kind mit dem Trost der Eltern verbindet, Exponate von Festen, auf denen Gemeinschaft praktiziert wurde, Musik und Bilder, die das ästhetische Empfinden geprägt haben, Geschenke zwischen Männern und Frauen als Zeichen von Zuneigung und Unterstützung usw. Auch hier steht im Zentrum der Ausstellung, technische und soziale Produktivität zusammenzudenken und männliche und weibliche Aspekte von Kreativität miteinander zu verbinden.

Globale Arbeitsteilung Heute kann eine Ausstellung über die Arbeit von Frauen und Männern nicht auf die globale Sicht verzichten, weil sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ebenso globalisiert hat wie die Arbeitsteilung zwischen Dienstleistung und Produktion, zwischen Nord und Süd. In Folge der Auslagerung der Produktionsarbeit aus den alten Industrieländern in Länder mit niedrigeren Arbeitslöhnen und der parallel dazu erfolgten Ausweitung der Informationstechnologie ist es in der westlichen Welt

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zu einer »Feminization of Work«325 gekommen. Das bedeutet zum einen, dass durch den Abbau der Industriearbeit die Relevanz der traditionell mit Frauenarbeit assoziierten Servicebereiche Büro, Gesundheits- und Erziehungswesen, Gastronomie und Einzelhandel zugenommen hat. Es bedeutet zum anderen eine grundsätzlich höhere Erwerbstätigenquote von Ehefrauen und Müttern, denn für Frauen eröffnen sich durch den Wandel der Erwerbsarbeit mehr Erwerbsmöglichkeiten und bei guter Ausbildung auch mehr Aufstiegsmöglichkeiten. Die erwerbstätige Frau ist aber durch familienfeindliche Strukturen des Arbeitsmarkts starken Belastungen ausgesetzt, denn »die Unternehmen profitieren von unbezahlter Hausarbeit und care work und muten Frauen im gleichen Atemzug Arbeitsbedingungen zu, die von ihren häuslichen Belastungen abstrahieren«326. Die Arbeitssituation für Frauen verschärft sich zusätzlich durch die wachsende zeitliche und räumliche Flexibilisierung des Erwerbslebens und deren Auswirkungen auf die Familienarbeit. »Je mehr ein marktorientiertes Arbeitsverständnis in die Privatsphäre vordringt, das auf Effektivität, kalkulierbaren Aufwand, Leistung und reibungslose Abläufe geeicht ist, desto gefährdeter sind jene Subjektpotentiale, die Kapazitäten wie Empathie, Zuwendungsbereitschaft und Anteilnahme beinhalten. Dieses menschliche Vermögen bleibt nur lebendig, wenn es keiner Instrumentalisierung unterliegt.« 327

Die Reproduktionsarbeit kann nicht im gleichen Ausmaß wie die Warenproduktion technologisiert werden. Deshalb suchen Frauen nach anderen Lösungen für die Bewältigung ihrer Arbeit, z. B. durch Reduktion (etwa indem sie weniger Kinder bekommen und weniger für ihre Partner tun) oder Arbeitsumverteilung. Für die Arbeitsumverteilung schaffen sie sich kleine Netzwerke von Frauen aus ihren Familien (Großmütter, Schwiegermütter, Schwestern), von denen sie unentgeltlich unterstützt werden, und je nach ihren finanziellen Möglichkeiten auch größere Netzwerke von 325 |  Wajcman 2006, S. 80–97. 326 |  Becker-Schmidt, Regina, Geschlechts- und klassenspezifische Benachteiligungsstrukturen in den Arbeitsverhältnissen von Frauen. In: Brogi, Susanna u. a. (Hg.), Repräsentation von Arbeit. Transdisziplinäre Analysen und künstlerische Produktionen, Bielefeld 2013, S. 183. 327 |  Ebd., S. 184.

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Frauen, die ihnen gegen Bezahlung einen Teil ihrer Erziehungs- und Pflegearbeiten abnehmen. Diese Frauen sind häufig Migrantinnen. Zu Beginn der Migrationsbewegung kamen überwiegend Männer zur Arbeit in die Fabriken der Industrieländer, heute arbeiten migrantische Frauen in den Haushalten der Länder mit Dienstleistungsökonomien. Die Migrantinnen lassen oft ihre eigenen Kinder und Eltern in ihrem Ursprungsland zurück, um sich gegen Bezahlung um die Kinder und Eltern der gut ausgebildeten und berufsmotivierten Frauen in westlichen Ländern zu kümmern. »Die Versorgungsarbeit im Privaten wird auf der Stufenleiter der Nationen, Hautfarben, Ethnien von oben nach unten weitergegeben. Dabei schwinden von Stufe zu Stufe die Chancen für angemessene Versorgung und menschenwürdige Pflege.«328 Von der Arbeitsteilung unter den Frauen »profitieren durchaus nicht nur die Frauen der Ersten Welt mit ihren Berufswünschen, sondern mindestens ebenso die dazugehörigen Männer. Sie erst recht können beruflichen Ambitionen nachgehen, unbelastet von störenden Fragen, von der Forderung nach Beteiligung am Waschen-Putzen-Pflegen.« 329

Für die Pflegearbeiten, die heute von Migrantinnen geleistet werden, waren in bürgerlichen Haushalten bis ins 20. Jahrhundert Dienst- und Kindermädchen angestellt. Deren Arbeit ist bereits vereinzelt in den Sammlungen zur Haushaltstechnik in Technikmuseen dokumentiert. In einer aktuellen Ausstellung zum Thema »Pflegetechnik« könnten der historische und der gegenwärtige globale Strang zusammengeführt werden. Neben der heutigen globalen hierarchischen Aufteilung von Haus- und Pflegearbeit unter Frauen gibt es im Frauenerwerbsarbeitsbereich aber auch Gemeinsamkeiten zwischen weltweit im Dienstleistungsbereich tätigen Frauen. Hunderttausende Frauen arbeiten in »freien Produktionszonen« der nicht-westlichen Welt zu niedrigen Löhnen für global handelnde Firmen. Auf den karibischen Inseln beispielsweise sind Frauen in der Informationsbranche als Dateneingeberinnen für internationale Versicherungen oder Fluggesellschaften beschäftigt und sehen in ihrer Arbeit trotz 328 |  Beck-Gernsheim, Elisabeth, »Und für Opa sorgt ’ne Frau aus Osteuropa.« Die stille Globalisierung der Familienarbeit. In: König, Helmut u.  a. (Hg.), Die Zukunft der Arbeit in Europa. Chancen und Risiken neuer Beschäftigungsverhältnisse, Bielefeld 2009, S. 98. 329 |  Ebd., S. 95.

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der harten Arbeitsbedingungen in den »elektronischen Sweatshops« ihre Chance, sich von traditionellen Autoritäten zu befreien.330 Sie emanzipieren sich einerseits durch ihre Erwerbsarbeit, aber ebenso durch ihre Rolle als Konsumentinnen. Konsum ist elementar für die meisten Frauen in den feminisierten Dienstleistungswelten. Die Vorstellung, dass westliche Frauen konsumieren und nicht-westliche Frauen produzieren, trifft nicht (mehr) zu. Alle erwerbstätigen Frauen in den Dienstleistungsbranchen produzieren und konsumieren gleichermaßen, denn ihr modisches Äußeres ist Bestandteil ihres beruflichen Erscheinungsbildes. »The feminization of service work has specific implications for women because their physical appearance and ›personality‹ become an implicit part of the employment contract«.331 Weil die Formung von »weiblichen Identitäten« bei vielen Frauen über den Konsum geschieht, gibt die Nachfrage der erwerbstätigen Frauen im weltweiten Dienstleistungsgewerbe etwa nach modischer Kleidung wiederum Frauen in Billiglohnländern Arbeit. Sie nähen in textilen Sweatshops die modische Arbeitsbekleidung der Frauen in der Dienstleistungsbranche zusammen.332 Der globale Blick auf die Arbeit von Frauen öffnet vielfältige Bezüge und Differenzierungen, wenn Produktion, Dienstleistung, Reproduktion und Konsum zusammen gedacht werden. In Sammlung und Ausstellung erfordert diese Ausgangslage einen vielschichtigen konzeptionellen Ansatz. Eine facettenreiche Umsetzung bietet Besucher_innen aber auch verschiedene Möglichkeiten einer individuellen Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit.

Thema »K rieg « Das Ausstellungsthema »Krieg« ist im Technikmuseum immer präsent; naturwissenschaftlich-technische Forschung für kriegerische und zivile Anwendungen sind eng miteinander verbunden. Wegen der großen Bedeutung des Themas in einem Technikmuseum und wegen der ganz un330 |  Freeman, Carla, Femininity and Flexible Labor: Fashioning Class Through Gender on the Global Assembly Line. In: Mollona, Massimiliano u. a. (Hg.), Industrial Work and Life. An Anthropological Reader, London 2009, S. 257–269. 331 |  Wajcman 2006, S. 85. 332 |  Ausbeutung »Made in Bangladesh«. Sendung der Deutschen Welle v. 11. 11. 2010.

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terschiedlichen Perspektiven von Männern und Frauen auf den Krieg ist das Thema unter genderspezifischen Gesichtspunkten besonders geeignet, neue Ausstellungsmöglichkeiten zu eröffnen. Aus anthropologischer Sicht wurde argumentiert, dass Frauen aufgrund ihres Körpers zur Reproduktion des Lebens bestimmt seien, während Männer ihre Kreativität »künstlich« technologisch und symbolisch zum Ausdruck bringen (müssten).333 Diese Voraussetzung habe weitreichende Folgen für die Entwicklung und Wertung von kriege­­rischen Techniken: »This formulation speaks to the great puzzle of why male activities involving the destruction of life (hunting and warfare) are often given more prestige than the female activity to give birth, to create life.«334 Nicht das Töten selbst werde dabei höher bewertet als das Gebären, sondern weil Töten »transzendenter« sei als das »natürliche« Gebären: »For it is not in giving birth but in risking life that man is raised above the animal.«335 Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich nicht ableiten, dass Frauen friedliebender und Männer kriegerischer wären, sondern beide sehen die Anwendung von Gewalt aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Perspektiven ist für die Entwicklung von genderspezifischen Ausstellungen zum Krieg grundlegend, etwa wenn es um die Wahrnehmung und Behandlung von Gefangenen geht, denn »Gefangenschaft ist mit der Lage von Frauen im Krieg auf vielfache Weisen verbunden. Gefangenschaft weist auf die Frauen in der antiken Tragödie zurück, die das Schicksal der schutzlos ausgelieferten Gefangenen erleben und beklagen.«336 Bevor im Folgenden der weiblichen Perspektive im Krieg nachgegangen wird, soll zunächst die Darstellung des Kriegs im Deutschen Technikmuseum Berlin betrachtet und daran anschließend sowohl über Krieg im Museum nachgedacht werden als auch über den Zusammenhang von Krieg, Museum und Gender. Zum Schluss werden einige Museen vorge-

333 |  Z.  B. Ortner, Sherry B., Is Female to Male as Nature is to Culture? In: Rosaldo, M.Z., Lamphere, L. (Hg.), Woman, culture, and society, Stanford 1974, S. 68–87. 334 |  Ebd., S. 75. 335 |  Ebd. 336 |  Hüppauf, Bernd, Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs, Bielefeld 2013, S. 399.

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stellt, die sich der Kriegsthematik widmen, und es werden Forschungsaufgaben zum Thema aufgezeigt.

Krieg im Deutschen Technikmuseum Berlin Krieg kommt im Deutschen Technikmuseum in nahezu allen Ausstellungen vor, sei es in der Entwicklung von Waffen und anderen Produkten durch Wissenschaftler und Ingenieure für Rüstungskonzerne, sei es in Bezug auf Kriegsfahrzeuge, in der Nachrichtenübermittlung, in kriegswichtigen Arbeiten und Produkten, in der Kriegsfotografie oder in der Notproduktion. Besondere Ausstellungsschwerpunkte bildet Kriegstechnik in den drei großen Verkehrsausstellungen Eisenbahn, Schifffahrt und Luftfahrt. Um einige herausragende Exponate zu diesem Thema in den drei großen Ausstellungen miteinander zu verbinden, wurde der Rundgang »Technik und Krieg« entwickelt. Die Besucher_innen können den vorgeschlagenen Themenweg mit Hilfe eines Faltblatts selbst gehen oder an einer Museumsführung zum gleichen Thema teilnehmen. Der Rundgang führt zu sechs ausgewählten Großobjekten: Kriegslokomotive, U-Boot, Aufklärungsflugzeug und Sturzkampfflugzeug, »V2«-Rakete und Trümmerlok. In der Handreichung für Museumsführer_innen und Lehrer_innen zum Rundgang werden Fragen angesprochen, die auch Perspektiven von Frauen zum Ausdruck bringen: »Welche Folgen hatten der Bau und der Einsatz der Kriegstechnologien für die Menschen? War eine spätere zivile Nutzung der Kriegstechnik möglich? Welches Selbstbild hatten die militärischen Auftraggeber, die Ingenieure und Konstrukteure, die Soldaten, Eisenbahner und Piloten, und wer waren die Opfer der Kriegsmaschinerie?«337 In allen drei großen Ausstellungen gibt es punktuelle Antworten auf diese Fragen, nicht jedoch eine strukturelle Herangehensweise an die Ambivalenz der Entwicklung und Nutzung von Kriegstechnologie. In der 1987 und 1988 eröffneten Eisenbahnausstellung sind mehrere Loks und Wagen zu den beiden Weltkriegen ausgestellt: eine Lok und ein schlecht zu identifizierender Sanitätswagen mit Bezug zum Ersten Weltkrieg (»Mit dem Zug in den Krieg«), eine Kriegslokomotive der Baureihe 337 |  Weis, Friederike, Technik und Krieg. Eine Handreichung für Rundgänge im Deutschen Technikmuseum Berlin, Berlin 2008, S. 3.

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Faltblatt zum Rundgang »Technik und Krieg« im Deutschen Technikmuseum Berlin, 2009

52 für den Zweiten Weltkrieg (»Rüstung, Krieg und Eisenbahn«) und eine Baulokomotive als Beispiel für eine Trümmerbahn in der Nachkriegszeit (»Trümmerbahn und Trümmerfrauen«). Zwischen den beiden zuletzt genannten Großobjekten ist ein Güterwagen der Reichsbahn zu sehen, der für die Rolle der Reichsbahn im Holocaust steht (»Mit der Reichsbahn in den Tod«). Alle durch die Großobjekte angesprochenen Themen werden in ihrem geschichtlichen Zusammenhang durch kleinere Objekte, Fotos und Texte erläutert. Biografien deportierter Frauen und Männer sind nachzulesen. Die Arbeit einer Trümmerfrau ist durch eine Eintragung in ihrem Arbeitsbuch dokumentiert – nicht im Arbeitszusammenhang selbst, aber in einer Vitrine zum Thema »Care-Pakete und Notproduktion«. Das ist insofern stimmig, da nicht Trümmerfrauen im Zentrum

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der Ausstellungseinheit stehen, sondern die Baulokomotive. Allerdings wird weder die tatsächliche Begrenztheit des Trümmerfrau-Mythos auf die Stadt Berlin und das Gebiet der späteren DDR noch das Unschuldsund Leistungsmotiv angesprochen, das die Trümmerfrauen verkörperten und das trotz ihrer faktisch geringen Bedeutung am Wiederaufbau in das kollektive Gedächtnis der Nation eingegangen ist.338 Die Darstellung der beiden Weltkriege gehört auch zum Konzept der beiden anderen Großausstellungen Schifffahrt und Luftfahrt. Im Vorfeld der Eröffnung dieser Ausstellungen hatten vier Volontärinnen339 im Technikmuseum Berlin 2001 in Folge einer Volontariatsreise nach Peenemünde mit Unterstützung der damaligen Museumsdirektorin ein Kolloquium zum Thema »Umgang mit Kriegstechnik im Museum« organisiert.340 Ziel der Veranstaltung war eine Positionsfindung des Berliner Technikmuseums in dieser Frage, die dem gerade entwickelten Leitbild entsprechen sollte. In dem Leitbild war die Notwendigkeit betont worden, im Technikmuseum Bezüge von Technik zu Natur, Herrschaft, Fortschritt, Geschlecht und Kunst zu schaffen.341 Krieg wurde nicht explizit genannt, sollte aber im Herrschaftsthema enthalten sein. Im Einleitungsvortrag des Kolloquiums342 machte die eingeladene Referentin Christine Beil die fortschrittsorientierte Ausrichtung von Technikmuseen auf Technik selbst dafür verantwortlich, dass Krieg in Technikmuseen wenig thematisiert wird: »Weil in fast allen Technikmuseen Kriegstechnik als technische Errungenschaft im Mittelpunkt des Interesses steht, wird das Thema Krieg an sich oft ausgeblendet.«343

338 |  Zuletzt ausführlich bei Treber, Leonie, Mythos Trümmerfrauen: Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes, Essen 2014. 339 |  Andres, Ulrike, Hahn, Tomke, Hattig, Susanne, Stüve, Birte. 340 |  Dies., Colloquium »Umgang mit Kriegstechnik im Museum«. In: Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Jahresbericht 2001, S. 128–135. 341 |  Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin, Jahresbericht 2001, S. 12–17. 342 |  Beil, Christine, Darstellung von Krieg im Museum – ein Überblick. Die Referentin arbeitete an einer Veröffentlichung, die 2004 herauskam: Der ausgestellte Krieg. Präsentationen des Ersten Weltkriegs 1914–1939. 343 |  Zusammenfassung des Vortrags von Beil bei: Andres/Hahn/Hattig/Stüve 2001, S. 130.

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In Vorträgen und Diskussionen des Kolloquiums wurden Empfehlungen für Ausstellungen von Kriegstechnik formuliert. Sie nahmen nicht direkt auf das Geschlechterverhältnis Bezug,344 erweiterten aber das Ausstellungsspektrum: Themen statt Chronologien, Zeitzeugeninterviews, Beschäftigung mit Täter_innen und Mitläufer_innen, Verhältnis von Mensch und Waffe, Zusammenhang von Technik und Körper, Erforschung der Wirkung von Kriegstechnik auf die Besucher_innen in der Ausstellung. In der internen Diskussion kam indirekt die geschlechtsbezogene Grundkontroverse zum Ausdruck, »ob es vorrangig um die Intention der Entwicklung eines bestimmten Technikobjekts geht oder um seine Nutzung«345 . Die Ausstellungen »Schifffahrt« und »Luftfahrt« wurden 2003 und 2005 eröffnet. Während in der Schifffahrtsausstellung die beiden Weltkriege einen begrenzten Raum einnehmen, ist das Thema in der Luftfahrt dominant. In der Schifffahrtsausstellung wird in einer zentralen Ausstellungsachse 10000 Jahre Schifffahrtsgeschichte in Modellen gezeigt, wo an mehreren Stationen kriegerische Aspekte der Seefahrt angesprochen werden: Seeschlachten, Kriegsschiffe, Flugzeugträger. Ausdrücklich wird das Thema jedoch in den Ausstellungseinheiten über die Kaiserliche Marine im Ersten Weltkrieg und den U-Boot Krieg im Zweiten Weltkrieg bearbeitet. Die Objekte zum Ersten Weltkrieg – Schiffsmodelle, Schiffsteile, Messinstrumente, Textilien, Waffenteile, Erinnerungsstücke – belegen sowohl die von Begeisterung getragene Aufrüstung der Wilhelminischen Flotte als auch ihren Untergang. Die Flotte selbst ist in kleinen sandgefüllten Vitrinen in Spielzeugformat ausgestellt. Die Miniaturisierung der Kriegsflotte könnte bei den Betrachtenden die Frage auslösen, ob der Kaiser Krieg als Sandkastenspiel verstand; dieser mögliche Gedanke bleibt aber sowohl in Bezug auf den Kaiser als auch das Ausstellungskonzept unklar. Noch im Ausstellungsbereich des Ersten Weltkriegs steht ein Exemplar des Einmann-Kleinst-U-Boots Biber mit Torpedo aus dem Zweiten Weltkrieg, das in seiner technischen Unvollkommenheit die Aussichtslosigkeit des gesamten deutschen U-Boot-Kampfes von 1939 bis 1945 sinnbildlich vor Augen führt. Aspekte dieses U-Boot-Kriegs – Kriegsverlauf, 344 |  Eine Ausnahme bildete die Aufforderung, dass »für die Darstellung bisher wenig beachteter Themen (beispielsweise das Thema Massenvergewaltigungen) Objekte noch zu suchen sind«, ebd., S. 134. 345 |  Ebd.

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technische Entwicklungen auf deutscher und alliierter Seite, Verluste – werden in einem angrenzenden Filmraum und durch vier den Film ergänzende Exponate gezeigt. Sowohl in der Darstellung des Ersten wie des Zweiten Weltkriegs gibt es keine Objekte, die explizit auf Frauen verweisen. Nur die Mutter Kaiser Wilhelms II wird im Bereichstext zum Ersten Weltkrieg als so seefahrtbegeistert beschrieben, dass sie ihre Söhne in Matrosenanzüge kleidete.346 Gleich anschließend an diese Anekdote heißt es: »Bei seinem Amtsantritt ließ sich Wilhelm II als erster Hohenzoller auf das Heer und die Marine vereidigen.«347 In einer Befragung vier Jahre nach Eröffnung der Ausstellung wurden von den Besucher_innen aus der Schifffahrtsausstellung am meisten erinnert: die chronologische Darstellung der Schifffahrtsgeschichte in Modellen, das Kleinst-U-Boot Biber und – im Bereich Binnenschifffahrt – zwei Originalschiffe. Zwei Jahre nach der Schifffahrtsausstellung eröffnete die Luftfahrtausstellung im Technikmuseum Berlin. Sie wurde 2011 ebenfalls evaluiert. Hier blieb bei den Besucher_innen von allen Objekten am meisten der Sturzkampfbomber »Ju 87« im Gedächtnis; gleichzeitig kritisierten Besucher_innen aber die »Militärlastigkeit« der Ausstellung. Die Ausstellung ist auf zwei Stockwerken zu sehen: Im ersten nimmt der Erste Weltkrieg viel Raum ein, das zweite ist bestimmt vom Zweiten Weltkrieg. Eine konzeptionelle Erläuterung der Ausstellungsmacher_innen, dass Militärluftfahrt »in einer Dauerausstellung über die Geschichte der deutschen Luftfahrt nicht ausgeblendet werden kann«348, irritiert angesichts der tatsächlichen Übermacht der Militärluftfahrt in der Ausstellung. So346 |  Nicht nur Königin Viktoria sympathisierte mit der Marine, sondern auch ihre Untertaninnen. So könnte es in Zukunft in der Schifffahrtsausstellung auch ein Exponat zum Ersten Weltkrieg aus dem Alltag von Frauen geben. Im Juli 2015 entdeckte eine Museumsmitarbeiterin ein um 1900 weit verbreitetes Küchenhandtuch im Nachlass ihrer Mutter. Die Mutter hatte das Handtuch von einer verstorbenen Freundin bekommen. Das eingewebte Motiv erkannte die Museumsmitarbeiterin erst beim Bügeln des Handtuchs: Neben dem Satz »Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser« zeigt eine »Germania« auf ein Schlachtschiff. 347 |  Bereichsbeschriftung »Wilhelminische Schifffahrt«, Ausstellung »Schifffahrt«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Neubau, 2. OG. 348 |  Fragebogen zur Ermittlung der wichtigsten Ausstellungsdaten »Luft- und Raumfahrt«, Abteilung Bildung und Besucherservice, Deutsches Technikmuseum Berlin, o. J.

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Kleinst-U-Boot Biber und Sturzkampf bomber »Ju 87« (»Stuka«) sind zwei der von den Besucher_innen der Ausstellungen »Schifffahrt« und »Luftfahrt« im Deutschen Technikmuseum Berlin am häufigsten erinnerten Exponate.

© SDTB/Fotos: C. Kirchner

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wohl die Besucher_innenforschung als auch die Ausstellungsanalyse der Luftfahrtausstellung bestätigen die Einschätzung einer Historikerin, die über Fliegerliteratur in den Zwischenkriegsjahren geforscht hat: »Fliegen war eindeutig männlich und militärisch konnotiert.«349 In den Inszenierungen im Berliner Technikmuseum zur Luftfahrt vor und während des Ersten Weltkriegs kommt besonders die Gemeinschaft der Flieger zum Ausdruck, beispielsweise in der Fliegerkneipe in Johannisthal und in der Darstellung eines Kasinos der »Ritter der Lüfte«. Der großen Ausstellungseinheit über die Jagdflieger im Ersten Weltkrieg ist ein in Gedichtform präsentierter Prosatext350 über »den durch den Ersten Weltkrieg hervorgebrachten neuen Heldentypus« des Kampffliegers vorangestellt. Der Text oszilliert zwischen Faszination und Kritik. Die hinter dem Vers teilweise wanddeckenden, ohne Beschriftung präsentierten Fotos aus dem Leben der Kampfflieger verdeutlichen Besucher_innen mit entsprechendem Vorwissen den auch im »Gedicht« angesprochenen Mythos der Verknüpfung ritterlicher Werte mit neuer Technik und den Widerspruch zwischen dem Interesse des Einzelkämpfers an individuell sichtbaren Erfolgen und seiner gleichzeitigen Teilnahme am Massenkrieg. Das »unritterliche« Sammeln von Abschüssen, d. h. von Toten und der dafür verliehenen Orden setzt sich in der Ausstellung fort in einer 349 |  Schüler-Springorum, Stefanie, Vom Fliegen und Töten. Militärische Männlichkeit in der deutschen Fliegerliteratur, 1914–1939. In: Karen Hagemann, Stefanie Schüler-Springorum (Hg.), Heimat-Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a. M. 2002, S. 226. 350 |  Der Erste Weltkrieg hat einen Heldentypus hervorgebracht. den es vorher nicht gab, den Kampfflieger. Sein Ruhm übertraf schon bald seine Bedeutung. Er wurde zur Lieblingsfigur der Heeresberichte, und von dort flog er den Schriftstellern und Filmregisseuren zu. Klassisch an diesem Helden war die Verachtung des Todes, der ihn dann auch früh ereilte … Neu und unheimlich modern war die Waffe des Helden. Das Flugzeug erhob ihn über die schmutzigen Schützengräben und machte ihn zum einzigen Individualisten im Prozeß des Massensterbens. Er starb allein und spektakulär. Sein brennendes Flugzeug fiel als Fanal vom Himmel. Dieter Vogt

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Sammlung von Orden und weiteren Erinnerungsstücken und Fotos von Fliegern im Ersten Weltkrieg.351 Im zweiten Ausstellungsbereich der Luftfahrt im obersten Stockwerk des Museums ist die Entwicklung der Luftfahrttechnik im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Es werden dort auch besondere Menschen der Luftund Raumfahrt dieser Zeit gewürdigt, außerdem in der Vorkriegszeit die Pilotinnen in der ›Frauenecke‹ und nach dem Krieg die amerikanischen Piloten der Luftbrücke. Als Beispiel für zivile Luftfahrt ist eine Junkers »Ju  52« mit Schaufensterpuppen als Passagieren ausgestellt, in der Nähe sind zur Demonstration des Reisekomforts in Flugzeugen Vitrinen mit Figurinen auf unterschiedlichen Flugzeugsitzen zu sehen. Die Figuren in diesem »zivilen« Bereich sind mehrheitlich weiblich. In der restlichen Ausstellung über den Zweiten Weltkrieg werden Frauen auf Fotos vereinzelt als Notleidende, Bedürftige und nach dem Krieg als Überlebenskünstlerinnen sichtbar: Zwangsarbeiterinnen, Flüchtlinge, Bauarbeiterinnen, eine im Wintermantel unterrichtende Lehrerin, eine Empfängerin von Luftbrückengaben. Das Foto einer Gruppe von Zwangsarbeiterinnen fällt beim Rundgang durch die Ausstellung ins Auge. Die Tafel, auf der es zu sehen ist, befindet sich in einer Reihe von Tafeln mit Fotos und Texten unterhalb einer Junkers »Ju  88«, dem »Standard-Kampfflugzeug der deutschen Luftwaffe«352 . Auf jeder Tafel werden Menschengruppen vorgestellt, die im Zweiten Weltkrieg in der Produktion, speziell der Rüstungsindustrie gearbeitet haben: zivile Arbeiter_innen, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter_innen. Unter der Überschrift »Fremdarbeiter« ist das Foto der Frauen zu sehen. Es ist im Text nicht vermerkt, aber tatsächlich waren ein Drittel aller Zwangsarbeitenden und die Hälfte der aus der Sowjetunion und aus Polen zur Arbeit in Deutschland »angeworbenen« Menschen Frauen. In der Luftfahrtausstellung werden diese »Ostarbeite­ rinnen« als Bestandteil der »Arbeitskräftebilanz« in der Ausstellungseinheit »Der Zweite Weltkrieg – wirtschaftlich gesehen« behandelt. Der Schwerpunktsetzung auf das Thema Arbeit ist es zu verdanken, dass in 351 |  Während der Veröffentlichung der vorliegenden Arbeit plant die Luftfahrthistorikerin im Team des Deutschen Technikmuseums in Berlin Astrid Venn eine Überarbeitung der Ausstellungseinheit über den Ersten Weltkrieg, in der die Überhöhung der »Ritter der Lüfte« abgebaut werden soll. 352 |  Bezeichnung im Beschriftungstext.

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dieser Ausstellungseinheit Frauen vorkommen, denn sie arbeiten auch in Kriegszeiten. Gegenüber dieser Darstellung befindet sich einer der beiden Bereiche in der Ausstellung, wo technische Entwicklungen in der Luftfahrt und die Schicksale von Menschen in der Luftfahrt besonders eng miteinander verbunden werden. Diese Ausstellungseinheiten sind »Mensch und Krieg« über sechs Luftwaffenangehörige und »Raketenbau – Zeitzeugen erinnern sich« über den Bau der »V2«-Rakete. Das erste Ausstellungsmodul in unmittelbarer Nähe des Sturzkampfflugzeugs »Ju 87« beschreibt die Ausstellungsmacherin so: »In dieser Ausstellungseinheit werden die Schicksale von fünf Piloten und einem Bordfunker unter verschiedenen Aspekten nachgezeichnet. In der Großvitrine sind dazu Objekte ausgestellt, die mit der Lebensgeschichte der einzelnen Personen in engem Zusammenhang stehen. Eine große Anzahl von privaten Fotos und Dokumenten können an den Medienstationen abgerufen werden. Hörtexte zu den Biographien ergänzen die Darstellung.« 353

Hier ist mit der Vielfalt von Bedeutungen für verschiedene Menschen Multiperspektivität auf das Großobjekt entstanden. Die zweite Ausstellungseinheit »Raketenbau – Zeitzeugen erinnern sich« ist integriert in die Darstellung von Entwicklung und Bau der »V2«-Rakete in Peenemünde und im KZ Mittelbau-Dora. Es sind Groß- und Kleinobjekte, Filme, Fotos und Zeichnungen zu sehen. Für einen 11-minütigen Film wurden beispielhaft Positionen von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Angestellten, Lehrlingen, Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zum Raketenbau in Peenemünde dokumentiert. Alle, die zu Wort kommen, erinnern sich auf unterschiedliche Weise an den Lebensalltag in den Forschungs- und Produktionsstätten in Peenemünde und Mittelbau-Dora. Unter den Informanten sind auch Frauen: eine technische Angestellte in Peenemünde, die mit Engagement an der Entwicklung der »Wunderwaffe« beteiligt war, und eine Ehefrau, die dem Bericht ihres Mannes über seine wissenschaftliche Arbeit in Peenemünde zuhört. Neben der Ausstellungseinheit über Peenemünde sind an einer weiteren Medienstation zum Bombenkrieg überwiegend literarische Zeugnisse zu hören. Stärker als Zeitzeugenberichte erlaubt die literarische Darstellung den Besucher_innen Di353 |  Bereichsbeschriftung »Mensch und Krieg«, Ausstellung »Luft- und Raumfahrt«, Deutsches Technikmuseum Berlin, Neubau, 4. OG.

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stanz zur ausgestellten Kriegstechnik. Nur zwei der elf Beiträge wurden von einem Mädchen und einer Frau verfasst, obwohl Frauen vom Bombenkrieg ebenso betroffen waren wie Männer. Im Eingangsbereich der Luftfahrtausstellung läuft auf einem größeren Bildschirm eine Filmmontage mit nationalsozialistischer Fliegerpropaganda. Im hinteren Bereich der Ausstellung können auf kleinen Bildschirmen Dokumentaraufnahmen von Auswirkungen (alliierter) Kriegstechnik nach einem Fliegerangriff auf Hamburg angeschaut werden. Den Abschluss der gesamten Ausstellung bilden Fotoikonen vom Ende des Zweiten Weltkriegs wie zum Beispiel die russisch-amerikanische Begegnung in Torgau und ein ausgemergelter KZ-Häftling nach seiner Befreiung. Als Gesamteindruck hinterlässt die Luftfahrtausstellung in Berlin den Eindruck, dass sie auf dem schmalen Grat zwischen Faszination und kritischer Auseinandersetzung, auf dem sich eine Ausstellung über Kriegstechnik bewegt, stärker zur Faszination neigt. Im Rückblick auf die Diskussionen im Kolloquium der Volontärinnen vor Eröffnung der beiden Großausstellungen ist erkennbar, dass die Anregungen des Kolloquiums für den Umgang mit Kriegstechnik im Museum zu wenig aufgegriffen wurden. Konzeptionell blieb bei punktuellen Abweichungen die grundsätzliche Dominanz der Chronologie und des Technischen erhalten. Das Potenzial von Themen wie beispielsweise die Erfahrung der Erweiterung des menschlichen Körpers durch Technik und das Verhältnis des Einzelnen zu Mitkämpfenden, Gefangenen, Zwangsarbeiter_innen wurde nicht ausgeschöpft. Es dominiert das technische Objekt, nicht seine Nutzung oder seine Folgen. Zehn Jahre vor der Eröffnung der auf die beiden Weltkriege fokussierten Luftfahrtausstellung hatte es 1995 im Technikmuseum Berlin bereits eine Sonderausstellung mit Schwerpunkt auf dem Zweiten Weltkrieg gegeben: »Ich diente nur der Technik. Sieben Karrieren zwischen 1940 und 1950.«354 In einem Einleitungsmodul und in weiteren dezentralen Modulen im Museum wurden sieben Männer vorgestellt, die im Zweiten Weltkrieg mit Technik Karriere gemacht haben. Die Gruppe der großen Männer war heterogen, aber verbunden durch Technik und Erfolg in Kriegszeiten. Verglichen mit dieser ganz der Tradition von Technikmuseen verhafteten Ausstellung, sind die Bereiche zum Ersten und Zweiten 354 |  Der gleichnamige Ausstellungskatalog wurde herausgegeben vom Museum für Verkehr und Technik (heute Deutsches Technikmuseum).

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Weltkrieg in den Ausstellungen »Schifffahrt« und »Luftfahrt« stärker kulturgeschichtlich kontextualisiert. Der Kontext, der ihnen weiterhin fehlt, ist die Berücksichtigung der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Perspektiven.

Krieg und Museum Krieg im Museum darzustellen, ist eine besondere Herausforderung, denn das Thema einer Kriegsausstellung ist das Töten. Wie in jeder anderen Ausstellung sind Anknüpfungspunkte für die Besucher_innen erforderlich, um den Museumsbesuch zu einer erinnerungswürdigen Erfahrung zu machen. Für Kurator_innen von Ausstellungen über den Krieg zeigt sich in der Entwicklung eines »guten« Ausstellungskonzepts für ein »schlechtes« Thema: »[H]ow complicated it is to maintain the balancing act between the claim of museums to convey knowledge about history in an enlightened manner while nonetheless, in light of the ›negative history‹, offering positive possibilities for identification.«355 Die Möglichkeiten der Identifikation der Besucher_innen mit Ausstellungsinhalten zum Krieg ist seit den 1980er-Jahren zum einen durch die Bewegung der »Geschichte von unten« und die dadurch zunehmend praktizierte Verlagerung des Schwerpunkts der Darstellung von Kriegsherren und Schlachten zum einfachen Soldaten leichter geworden. Zum anderen wurde der Paradigmenwechsel wesentlich beeinflusst durch den Aufbau und die Schwerpunkte von Gedenkstätten zum Holocaust, in denen das Leid des einzelnen Menschen im Zentrum der Museumsarbeit steht. Als Teil der Geschichte des Zweiten Weltkriegs hat der Holocaust die Vermittlung von Kriegsgeschichte im Museum beeinflusst. »It has become impossible for public exhibitions and museums on the Second World War to ignore the Holocaust. Some make passing reference to it; others redesign their space to provide visitors with images and narratives of civilian war victims, including the murdered Jews of Europe.«356 Durch diesen Wandel wurde der

355 |  Hagemann, Susanne, The Bomb and the City. Presentations of War in German City Museums. In: Muchitsch, Wolfgang (Hg.), Does War Belong in Museums? The Representation of Violence in Exhibitions, Bielefeld 2013, S. 140. 356 |  Winter, Jay, Museums and the Representation of War. In: Muchitsch 2013, S. 29.

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Schwerpunkt von Kampf und Sieg in vielen Kriegsausstellungen ergänzt durch die Darstellung von Verlust und Leiden. Auch der Historiker Thomas Thiemeyer hat in seiner Arbeit über Krieg im Museum357 eine »Vermenschlichung des Krieges«358 in neueren Ausstellungskonzepten und eine Hinwendung zum einfachen Mann (und zunehmend auch der Frau)359 beschrieben. Zudem würden Zeitzeugenberichte als Quellen der Geschichtswissenschaft und der größere zeitliche Abstand zwischen dem Geschehen und seiner Darstellung im Museum einen Einfluss auf die Emotionalisierung der Ausstellungsinhalte haben. Dies führe in einigen Kriegsmuseen bis zum Angebot an die Besucher_innen, in der Ausstellung den persönlichen Lebensweg eines Menschen während des Krieges nachzugehen oder die Geschichte eigener Familienmitglieder zu recherchieren, die im Krieg umgekommen sind. Thiemeyer hat die Entwicklung der Personalisierung des Krieges in Museen in England, Frankreich, Belgien und Deutschland360 aufgezeigt, aber auch auf die Grenzen verwiesen, die der Darstellung des Menschen im Krieg gesetzt sind. Verantwortlich dafür sei das Museum selbst. »Das Museum kann den Menschen, sein Leben und Leiden immer nur mit toten Dingen repräsentieren.«361 Dennoch hat sich die Betonung des Menschen in den neueren Kriegsmuseen durchgesetzt. Was sich außerdem verändert hat, ist eine (West) Europäisierung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Nationale Kriegsdarstellungen verlieren ihre Bedeutung, denn – so konstatiert der Kulturwissenschaftler Bernd Hüppauf: »Die Differenz zwischen Siegern und Besiegten nimmt ab, sobald das Museum Soldaten nicht ausschließlich als Kämpfer, sondern als Menschen im Krieg zeigt.«362 Diese Betrachtungsweise beginnt sich für den Zweiten Weltkrieg erst durchzusetzen und gilt noch nicht für die Kriege in Japan, Korea und Vietnam. Erst seit 357 |  Thiemeyer 2010. 358 |  Ebd., S. 138. 359 |  Ebd., S. 145. 360 |  U. a. Imperial War Museum in London und Manchester, Museen in Péronne und Caen (Frankreich) und im belgischen Ypern, Militärhistorisches Museum Dresden und Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst. 361 |  Thiemeyer 2010, S. 147. 362 |  Hüppauf 2013, S. 404.

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wenigen Jahren wird der Erste Weltkrieg als europäische Tragödie ohne nationale Schuldzuweisungen erzählt. Damit wird der ›Sinn‹ dieses Krieges für die heutigen Museumsbesucher_innen nicht mehr nachvollziehbar. Was bleibt, ist Mitleid mit den umgekommenen und verwundeten Soldaten aller beteiligten Nationen. Der Sinn des Zweiten Weltkriegs scheint dagegen klar: Er steht für den gerechten Krieg um Demokratie, Menschenrechte und Freiheit. Seine Helden sind die alliierten Soldaten. Sowohl in seinen Zielen als auch seinen Protagonisten reicht er bis in die Gegenwart. Als länderübergreifende Erinnerung an die Zeit des Zweiten Weltkriegs dient heute auch der Holocaust: »Das Opfer steht im Zentrum der aktuellen Weltkriegserinnerung zulasten des Helden.«363 Die Neuausrichtung von Ausstellungen über den Krieg sowohl zum Inhalt – Vermenschlichung und Emotionalisierung – als auch in Bezug auf die Ebenen der Wahrnehmung durch die Besucher_innen – Erlebnis und Emotionalität – haben Technikmuseen im Allgemeinen weniger rezipiert als historische Museen. Im Technikmuseum Berlin hat in den beiden Ausstellungsbereichen, die den Holocaust thematisieren – der Transport von jüdischen Menschen in die Vernichtungslager und die Produktion der »V2«-Rakete im Konzentrationslager –, der Paradigmenwechsel zum Leid des einzelnen Menschen stattgefunden. In den Ausstellungseinheiten zu den beiden Weltkriegen stehen dagegen überwiegend nicht Soldaten, Opfer und Täter im Mittelpunkt der Darstellung, sondern die Technik; Erlebnischarakter und Emotionalität werden für die Besucher_innen erzeugt durch die Vielfalt und Präsentation der Großobjekte. Der ›menschliche‹ Aspekt des Krieges zeigt sich in den Ausstellungen weniger in der Darstellung der Kriegsteilnahme des einfachen Soldaten, sondern im Kampf des Einzelnen mit Hilfe der Technik, zugespitzt sichtbar in den Jagdfliegern beider Weltkriege. Die Konzentration auf den Soldaten im Krieg muss aber über den erlebnisbetonten, emotionalen Umgang mit Geschichte hinausgehen und einzelne Lebensschicksale kritisch in den historischen Gesamtzusammenhang einbinden. Und auch die Faszination des Krieges kann abgebaut werden, wenn die Bilder der

363 |  Thiemeyer 2010, S. 94.

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Helden so groß sind wie die der Opfer und die Darstellung der Technik so umfangreich wie die ihrer Wirkung:364 »One way to do so is to ensure that for every weapon on display there is an image or an object pointing to the injury or mayhem that weapon causes to the human body. All armies had surgeons in tow, and the stuff of military medicine and the trappings of physical and psychological rehabilitation are readily available in both material and digital form. Another way to avoid the fetishization of weapons is to change the gender balance of representations of populations at war. Women of all kinds – nurses, farmers, prostitutes, and so on – have attended war since Mother Courage’s time, and their traces matter not only intrinsically, but also because they increase and complicate the range of possible identifications visitors can share across the gender divide.« 365

Krieg, Gender und Museum Zum Zusammenhang von Krieg, Gender und Museum kamen seit den 1980er-Jahren wichtige Anregungen aus der Smithonian Institution in Washington. Das zu dieser Forschungs- und Museumseinrichtung gehörige Museum of History and Technology – 1980 umbenannt in National Museum of American History – hat sich in seiner Abteilung Armed Forces History wiederholt mit der musealen Darstellung von Frauen im Krieg beschäftigt, nachdem sich das Nationale Geschichtsmuseum mit seiner Umbenennung auch konzeptionell erneuert hatte: »It became, in short, a museum reshaped to accomodate the new social history, with its stress on race, class, and gender.«366 Die in dieser Zeit im Smithonian einsetzenden Forschungen zur Repräsentation von Frauen im Museum belegen eine Tradition ihres Ausschlusses: »Until the late 20th century, 364 |  Sobald die Folgen eines Krieges in eine Darstellung einbezogen werden, kann der Krieg nicht mehr nur aus einer Perspektive gezeigt werden. Der Roman von Bao Ninh »Die Leiden des Krieges« (Hanoi 1991 [dt. Halle 2014]) über die posttraumatische Belastungsstörung eines Vietcong wurde nach der Übersetzung ins Englische auch von US-Vietnamkriegsveteranen viel gelesen, weil sie die gleichen Folgen des Kriegs erlebten wie ihr ehemaliger Feind. 365 |  Winter 2013, S. 37. 366 |  Hacker, Barton C., Vining, Margaret, Military Museums and Social History. In: Muchitsch 2013, S. 53.

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women’s history was largely ignored by all museums, but perhaps especially by military museums.«367 Während der Konferenz »Does War belong in Museums?«, die 2011 in Graz in Österreich stattfand, verwiesen die Kurator_innen aus Washington auf diesen bis heute andauernden Zustand in Dauerausstellungen von Militärmuseen, obwohl auf der anderen Seite häufiger ›Frauenecken‹ zu finden sind. »The problem is less finding opportunities to show women’s military history separately than it is integrating women into normal military history exhibits«368 . Auch wenn die Repräsentation von Frauen in Dauerausstellungen zum Thema »Krieg« weiterhin aussteht, ist auf der einen Seite die wissenschaftliche Bearbeitung des Zusammenhangs von Militär- und Geschlechtergeschichte seit 30 Jahren im Gange 369 . Auf der anderen Seite findet seit den 1990er-Jahren und besonders seit der Eröffnung des Militärhistorischen Museums in Dresden 2011 eine verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Darstellung von Krieg im Museum statt, die multiperspektivische Konzeptionen reflektiert, und dies sowohl als Konzeption von Individuen als auch von Nationen.370 Auf dieser Grundlage können die bisher erarbeiteten Ergebnisse zu den Themen Frauen und Militär und Militär und Museum zusammengeführt und in Militärmuseen und Technikmuseen thematisiert und ausgestellt werden. Wo gibt es solche Ansätze von geschlechtergerechter Ausstellungspraxis in Museen zum Thema »Krieg«? An zwei Beispielen, dem Militärhistorischen Museum in Dresden und dem Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst soll dieser Frage nachgegangen werden. Anschließend wird mit der Bestandsaufnahme des Museums Hürtgenwald durch das NS-Dokumentationszentrum in Köln ein Beispiel für eine Museums­ analyse als Voraussetzung für einen Neuanfang einer Präsentation von Militärgeschichte vorgestellt.

367 |  Ebd., S. 51. 368 |  Ebd., S. 53. 369 |  Siehe dazu Harders, Cilja, Krieg und Frieden: Feministische Positionen. In: Becker/Kortendiek 2010, S. 532–537. 370 |  Siehe dazu Thiemeyer 2010.

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Militärhistorisches Museum Dresden Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden versteht sich als »ein Forum für eine kritische, differenzierte und ehrliche Auseinandersetzung mit Militär, Krieg und Gewalt in Vergangenheit und Gegenwart«371. Im Dresdner Museum wird eine Geschichte der menschlichen Aggression chronologisch und thematisch ausgestellt. Die Ausstellungsarchitektur des chronologischen Teils ist aufgebaut wie ein Schneckenhaus. An einem ereignisgeschichtlichen Hauptweg sind militärische Auseinandersetzungen vom Mittelalter bis heute visualisiert. Auf einigen Gemälden an diesem Weg sind auch Frauen zu sehen: weibliche Mitglieder von Herrscherfamilien, Frauen, die Soldaten im Krieg begleiten, und trauernde Frauen zuhause. Vom Hauptweg der Chronologie zweigen Kabinette ab und differenzieren die Haupterzählung; von dort geht es weiter in Vertiefungsräume. Auf allen drei Ausstellungsebenen ist Militärgeschichte mit Alltagsgeschichte verknüpft, aber besonders in den Vertiefungsräumen ist die Verbindung zwischen der einzelnen Person und dem politischen Geschehen spürbar. Diese Räume »gewähren einen Blick auf das Leben in einer Garnison, in der sogenannten Etappe oder an der ›Heimatfront‹. Der Einsatz von Frauen im Krieg wird thematisiert, das Lazarettwesen, Verwundung und Tod, Besatzungsherrschaft und Partisanenkrieg«372 . Häufig ist im Vertiefungsraum die Perspektive der Opfer eingenommen, zum Beispiel von Flüchtlingen. Am Anfang einzelner Ausstellungseinheiten stehen Biografien – grundsätzlich von einer Frau und einem Mann. »Gegenübergestellt werden immer zwei Biografien von Menschen, die in derselben Zeit lebten, aber unterschiedlichen Lebensentwürfen folgten, oder die in ein und derselben historischen Entscheidungssituation unterschiedliche Wege gingen. In einigen Biografien wird dabei eine unauflösbare Verstrickung von Opfern und Tätern sichtbar.« 373

371 |  Rogg, Matthias, Der historische Ort. In: Pieken/Rogg 2011, S. 13. 372 |  Pieken, Gorch, Konzeption und Aufbau der Dauerausstellung. In: Pieken/ Rogg 2011, S. 30. 373 |  Ebd., S. 23.

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Die Reproduktion von Geschlechterstereotypen der Frau als Opfer und des Mannes als Täter wird vermieden, etwa wenn ein Widerstandskämpfer zusammen mit einer Frau vorgestellt wird, die in Staatsdiensten biologische Untersuchungen zu rassistischen Zwecken macht. Ein weiteres biografisches Element innerhalb der Vertiefungsräume sind Medienstationen mit Zeitzeugenberichten. Hier wird eine gezielte Suche nach den Kategorien Familien, Einzelpersonen, Geschlecht, Person und Zeit möglich. Über diese vielen inklusiven Ausstellungsangebote für Frauen hinaus hat die Museumspädagogik eigene kleine Ausstellungsboxen in die großen Vitrinen der chronologischen Dauerausstellung integriert. In diesen museumspädagogischen »Stationen« werden auch Geschlechterthemen angesprochen. Es wird beispielsweise vermittelt, dass es unter den »Beutetürken« auch Frauen gab, dass Frauen nach der 1848er-Revolution trotz ihrer Beteiligung an den Kämpfen kein Wahlrecht bekamen und dass auf den Völkerschauen weiße Frauen die Frauen aus den Kolonien betrachteten; die Bedeutung des Mutterkreuzes wird erklärt und die Mangelerfahrung von Frauen im Krieg gezeigt. Auch im zweiten Erschließungsangebot des Museums, den Themenparcours, ist Frauengeschichte Teil der Gesamterzählung. Deshalb gibt es auch keine als Alibi instrumentalisierten Frauen in speziellen ›Frauen­ ecken‹. In den Themenparcours werden dem Kriegsgeschehen übergeordnete Themen ausgestellt wie Militär und Musik, Militär und Mode, Krieg und Spiel oder Leiden am Krieg. Beim Thema »Militär und Technologie«, der flächenmäßig größten Themenausstellung, finden sich die stärksten Bezüge zu Ausstellungen im Technikmuseum, etwa in der UBoot-Entwicklung, der Raketenproduktion oder in der Kommunikationstechnologie. Für diesen letzten Bereich ist in der Ausstellung die Kontinuität von militärischer Frauenerwerbsarbeit im 20. Jahrhundert für das Fernmeldewesen, bei der Flugabwehr und in der Computertechnologie dokumentiert. Im Themenraum »Schutz und Zerstörung«, der sich an den Technologiebereich anschließt, stehen mehrere »Ein-Mann-Bunker« – einer dieser Bunker wird ebenfalls in der Luftfahrtausstellung im Technikmuseum Berlin gezeigt – unter einem Geschosshagel aus Bomben und Raketen. Ein weiteres Beispiel für die Herstellung von Objektbezügen in der Dresdner Ausstellung ist die Präsentation der »V2«-Rakete, die wie beschrieben auch im Technikmuseum Berlin im Mittelpunkt einer Ausstellungseinheit steht. In Dresden wird dies Großobjekt aus verschiedenen Perspektiven betrachtet: Im Bereich »Krieg und Spiel« im zwei-

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ten Obergeschoss steht das Puppenhaus eines englischen Mädchens mit verdunkelten Fenstern, Gasmasken für die Puppen und einem Bunker im Garten. Das so ausgestattete Objekt dokumentiert die Auswirkung der »V2«-Waffe bis in ein Kinderzimmer hinein. Über die Balustrade des Ausstellungsbereichs, in dem das Puppenhaus steht, können Besucher_innen zur Ausstellungseinheit »Militär und Technologie« hinunter in das Erdgeschoss zur »V2«-Rakete schauen. Dort ist die Rakete im Kontext ihrer Produktion im Konzentrationslager Mittelbau-Dora ausgestellt; u. a. ist ein Essnapf zu sehen, in den Häftlingsnummern eingeritzt sind. »Es sind multiperspektivische Inszenierungen wie diese, die das Thema Gewalt nachdrücklich aufschließen und die Ausstellungen im MHM auszeichnen.«374 Das Militärhistorische Museum in Dresden erschließt sich Männern und Frauen dadurch, dass es den Menschen in das Zentrum der Ausstellungen stellt und seinen Besucher_innen verschiedene Zugangswege eröffnet. Die Darstellung der Kriegstechnologie steht in direkter Verbindung zu ihren Folgen in Gewalt, Zerstörung und Leid, einem gedanklich klaren Ansatz in einem Militärmuseum. Dennoch fällt bei aller konzeptionellen Neuausrichtung in Dresden auf, dass das Thema der Formation der Körper, in dem es um die Zurichtung des männlichen Körpers auf die Kriegsführung geht, nicht auf den Frauenkörper erweitert wurde. Mit der Vergewaltigung von Frauen im Krieg als Waffe der Gegner zieht sich ein zweites Körper-Motiv durch die Militärgeschichte, das sich in einem unterschiedlichen Körpergedächtnis von Männern und Frauen an ihre Kriegserfahrungen niederschlägt. Die Vergewaltigung von Frauen als Kriegsmittel ist im Militärhistorischen Museum Dresden angesprochen, aber noch nicht als zentrales Thema der Geschichte des Krieges ausgestellt worden.

Deutsch-Russisches Museum Karlshorst In dem Haus, in dem sich heute das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst befindet, wurde am 8. Mai 1945 die Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnet. Danach war dort der Sitz der sowjeti374 |  Steinberg, Swen, Institut für Geschichte, TU Dresden, Rezension »Katalog der Dauerausstellung für das Militärhistorische Museum in Dresden, herausgegeben von Gorch Pieken und Matthias Rogg«. In: H-Soz-Kult v. 14.01.2012.

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schen Militärverwaltung in Deutschland und seit 1967 ein Vorläufer des heutigen Museums. Das 2013 mit neuem Konzept eröffnete Museum zeigt neben dem Kapitulationssaal und anderen historischen Räumen eine Ausstellung zum Kampf zwischen Deutschland und der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Das Museum arbeitet ebenso wie die Kurator_innen im Militärhistorischen Museum in Dresden mit unterschiedlichen Perspektiven. Im Gegensatz zum zeitlich und räumlich sehr weit gespannten Spektrum in Dresden konzentriert sich in Berlin die Darstellung auf den Zeitraum zwischen 1941 und 1945 und auf die Perspektiven der beiden Kriegsgegner Sowjetunion und Deutschland: »›Großer Vaterländischer Krieg‹ und ›Vernichtungskrieg‹ werden nebeneinander erzählt, obgleich sie von demselben Krieg erzählen.«375 In den zehn Kapiteln der Ausstellung steht abwechselnd die eine oder andere Perspektive im Vordergrund: »Sowjetunion im Krieg«/»Deutsche Bevölkerung und der Krieg im Osten« oder »Sowjetische Kriegsgefangene«/»Deutsche Kriegsgefangene«. In den einzelnen Kapiteln sind Biografien zentrale Ausstellungselemente: »Über die gesamte Ausstellung verteilt gibt es zwei Formen von biografischen Informationen. Zum einen sind es Lebensläufe von Politikern oder Militärführern, die als handelnde Personen genannt werden. Zum anderen sind es Darstellungen von individuellen Lebensläufen von Menschen, die zu Opfern oder Tätern, Helden oder Verbrechern wurden, die mitliefen, wegsahen, widerstanden, aktiv oder passiv waren.« 376

Die Perspektivität des Blickes ist selbst Thema eines einleitenden Ausstellungsmoduls über Kriegsfotografie, wo Fotos eines sowjetischen Fotokorrespondenten, eines Wehrmachtsfotografen und eines deutschen Amateurfotografen über den gleichen Krieg miteinander verglichen werden können. In allen Kapiteln ist die Perspektive von Frauen sichtbar. Weil der Krieg überwiegend auf dem Gebiet der Sowjetunion stattfindet, wird auch die Geschichte der Frauen dort im kriegerischen Kampf und im Überlebenskampf gezeigt: Frauen bei schwerer Feldarbeit, beim Ausheben von Verteidigungsgräben, auf der Flucht mit ihren Kindern, als Zwangs375 |  Morré, Jörg, Einführung. In: Deutsch-Russisches Museum Karlshorst. Katalog zur Dauerausstellung, Berlin 2014, S. 11. 376 |  Ebd., S. 12.

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arbeiterinnen für die Wehrmacht, als Hungernde und Vergewaltigte, »fraternisierende« Frauen, daneben Soldatinnen in der Roten Armee, in Partisanengruppen und bei ihrer Gefangennahme. In den genannten »Darstellungen von individuellen Lebensläufen« sind die Geschichten von Männern und Frauen zu hören, die an der Front und in Partisanengruppen gekämpft haben oder Zwangsarbeit verrichteten. Gleich zweimal ist ein Chirurgenbesteck ausgestellt als Hinweis auf die Zerstörung der Körper im Kampf, und daneben ist mit Krankenblättern aus der Charité in Berlin das Ausmaß der Vergewaltigungen von deutschen Frauen durch Soldaten der Roten Armee dokumentiert. In der gesamten Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum ist die Perspektive auf Frauen im Krieg so ausgewählt, dass sie nicht angefügt, sondern sinnfällig erscheint. So ist im Einleitungsbereich der Ausstellung in einer Vitrine mit Uniformen eine Uniform für weibliche Angehörige der Roten Armee ausgestellt und auf der »deutschen« Seite der Bildband »Frauen helfen siegen« von 1941 mit einer Nachrichtenhelferin der Luftwaffe auf dem Titelblatt.377 Beide Darstellungen bringen die jeweilige Art der Beteiligung von Frauen am Krieg in der Sowjetunion und in Deutschland allein durch Objekte zum Ausdruck: Die Uniform der Rotarmistin verweist auf die kämpfende Soldatin, die Propagandazeitschrift auf die aktive weibliche Kriegsassistentin.

Museum Hürtgenwald 1944 und im Frieden Die multiperspektivischen und damit auch geschlechterperspektivischen Kriegsausstellungen im Militärhistorischen Museum Dresden und im Deutsch-Russischen Museum Berlin sind Ausnahmen von der Regel, dass Kriegsgeschichte besonders in technikhistorischen Museen und Kriegsmuseen und -gedenkstätten mit der beziehungslosen Präsentation technisch faszinierender Ausstellungsstücke häufig vermeintlich »wertfrei« ausgestellt wird. Als »wertfreies« Museum versteht sich auch das Museum »Hürtgenwald 1944 und im Frieden« in Vossenack im Kreis Düren, das sich der »Allerseelenschlacht« im Hürtgenwald im Winter 1944/45 widmet. Diese Schlacht zwischen der deutschen Wehrmacht 377 |  Frauen helfen siegen. Bilddokumente vom Kriegseinsatz unserer Frauen und Mütter. Geleitwort von Gertrud Scholtz-Klink, Reichsfrauenführerin. Nach einer Idee von Wilhelm Havemann u. einer Einleitung von Werner Picht, Berlin 1941.

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und der US Army war eine der schwersten, längsten und verlustreichsten Schlachten im Zweiten Weltkrieg und spielt deshalb besonders in der amerikanischen Erinnerungskultur eine große Rolle. Das 2001 eröffnete Museum, getragen vom Geschichtsverein Hürtgenwald, widmet sich der Darstellung und dem Gedenken an diese Schlacht. 2010 haben sich Teilnehmer_innen einer gemeinsamen Lehrveranstaltung der Hochschulen in Köln und Aachen zum Thema »Krieg im Museum« mit dem Museum Hürtgenwald beschäftigt und eine Bestandsaufnahme des Museums erstellt und veröffentlicht.378 »Ziel der Veranstaltung war es, anhand eines lokalen Beispiels die Frage zu bearbeiten, welche besonderen fachwissenschaftlichen und museumsdidaktischen Anforderungen an die Darstellung von Krieg und Kriegserfahrung in Museen und Ausstellungen zu stellen sind«.379 Die Autor_innen analysieren zu diesem Zweck zunächst die Leitfrage oder das Ziel des Museums, wie es implizit oder explizit für jedes ambitionierte Museum vorliegt oder vorliegen sollte, setzen es zu seiner Verwirklichung in der Ausstellung in Beziehung und verweisen auf Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Sie stellen fest, dass Diskrepanzen zwischen dem Wertfreiheitsanspruch des Museums und der tatsächlichen Präsentation des Kriegsgeschehens bestehen. Dies Missverhältnis stellt zwar für die meisten Besucher_innen des Museums Hürtgenwald kein Problem dar,380 aber das Museum könnte seinen Attraktivitätsgrad, seine Besucher_innenzahlen und seine Aussagekraft durch die kritische Analyse seines Konzepts und daraus abgeleitete Veränderungen erhöhen. Deshalb schlug die Seminargruppe nach der Museumsanalyse im Museum Hürtgenwald für die praktische Umsetzung der Ergebnisse folgende Konzeptbausteine vor: • die Militärgeschichte in den Alltag und die Gesellschaftsräume der Zeit einzubetten (Kontext herstellen) • die Vorgeschichte des Krieges und der Schlacht zu erzählen (die Zeit berücksichtigen) 378 |  Fings, Karola, Quadflieg, Peter M. u. a., Das Museum »Hürtgenwald 1944 und im Frieden« in Hürtgenwald-Vossenack. Eine Bestandsaufnahme, Köln/­ Aachen 2010. 379 |  Ebd., S. 2. 380 |  Das gleiche Phänomen fällt im Gespräch mit vorrangig technisch interessierten Besuchergruppen im Technikmuseum Berlin auf.

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die Kriegserfahrungen in der Region, an der Front und an der »Heimatfront« zu zeigen (den Raum berücksichtigen) das Kriegserlebnis – auch chronologisch – zu differenzieren für die Zivilbevölkerung und die Soldaten auf beiden Seiten, und Tod und Zerstörung in den Dörfern und in der Natur zu dokumentieren (Per­ spektiven erarbeiten und darstellen) die Nachkriegsgeschehnisse (Wiederaufbau, Besatzung, Totenbergung, Minen) weiterzuerzählen und den Erinnerungsraum zu thematisieren (Gegenwartsbezug herstellen).

Parallel zur Konzeptarbeit wurde von der Seminargruppe die intensive Aufarbeitung und Erforschung der Sammlung empfohlen, was sich in der Ausstellung bis hin zu korrekten Beschriftungen auswirken würde. In der Haltung zum Museumsobjekt müsse sich niederschlagen, dass die Objekte und ihr Zweck nicht mehr als das präsentiert werden können, was sie einmal waren: Objekte zum Töten und Objekte von Getöteten. Alles, was zum Museum des Geschichtsvereins Hürtgenwald dargestellt, analysiert und vorgeschlagen wurde, kann auch zur Weiterentwicklung von Ausstellungen mit hohem kriegstechnischen Anteil in Technikmuseen beitragen: aus dem Museumskonzept heraus Ausstellungen entwickeln, die Sammlung auf das Konzept hin durchforschen, die Ausstellungsobjekte in den Kontext von Raum (Region und Nation) und Zeit (Vorgeschichte, Nachwirkung) stellen und unterschiedliche Perspektiven herausarbeiten und darstellen (Soldaten, Zivilist_innen, Alltag, Politik, Naturzerstörung). Darüber hinaus sind alle Vorschläge zum Perspektivenwechsel in einer vermeintlich wertfreien Darstellung von Kriegstechnik ebenso geeignet, vermeintlich wertfreie Ausstellungen in Bezug auf Gender neu zu konzipieren.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Forschungsaufgaben zu Krieg und Gender im Museum Ein Grund für die Seltenheit der in Museen erst in Ansätzen vorhandenen Darstellung von Geschlechterverhältnissen im Krieg ist ein Mangel an konkreten Untersuchungen zum Thema. Militärgeschichte hat sich erst vor wenigen Jahren zur Frauen- und Genderforschung hin geöffnet. Einige Bereiche, etwa die Erforschung der sexuellen Gewalt als Waffe, befinden sich noch am Anfang,381 und die bereits vorliegenden Ergebnisse zu diesem Thema bedürfen für eine Darstellung in Ausstellungen der Entwicklung neuer Konzepte, um über den immer wieder konstatierten Mangel an Objekten zum Thema Vergewaltigung hinauszukommen. Es ist in Bezug auf die Darstellung sexueller Gewalt zu überlegen, wie das Thema im Museum auch ohne Objekte ausgestellt werden kann. Weiterhin muss erforscht werden, ob dieser Teil der Geschlechtergeschichte innerhalb der Militärgeschichte deshalb so häufig ausgeblendet wird, weil er das Bild der männlichen Fortschrittsgeschichte stört. Eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema »Vergewaltigung als Waffe« bis in die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen hinein käme einer Selbstkritik des Militärs gleich. Zu anderen, unterschiedlichen Aspekten der Rolle von Frauen im Krieg sind seit den 1980er-Jahren bis heute Forschungen durchgeführt und die Ergebnisse auf internationalen Kongressen zusammengetragen worden.382 Forschungen zur konkreten Museumsarbeit sind jedoch bisher selten. Eine davon ist die Untersuchung der Sammlung im New Canadian War Museum in Ottawa durch die Historikerin Laura Brandon.383 Bran381 |  Beck, Birgit, Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939–1945, Paderborn 2004; Sander, Helke, Johr, Barbara (Hg.), BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigung, Kinder, Frankfurt a. M. 1995. 382 |  Vorgestellt z.  B. auf Konferenzen in der Technischen Universität Berlin 1997: »Militär, Krieg und Geschlechterordnung im historischen Wandel (16.–19. Jh.)« und 1999: »Geschlechterkriege. Militär, Krieg und Geschlechterverhältnisse (1914–1949)«; in der Universität Zürich 2001: »Krieg, Armee und Geschlecht. Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg« und in der Smithonian Institution 2005/2006: »Woman’s Military History: Beyond the Stereotypes«. 383 |  Brandon, Laura, Looking for the ›total‹ woman in wartime: A museological Work in Progress. In: Levin 2010.

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don hatte als Kuratorin der Kunstsammlung des Museums eine Ausstellung mit Kunstwerken zum Thema »Krieg« ausgerichtet. In der ihr dafür zur Verfügung stehenden Sammlung gab es nur eine sehr kleine Anzahl von Arbeiten weiblicher Künstlerinnen, und die männlichen Künstler zeigten Frauen im Krieg in traditionellen Rollen: »[E]ither as observers on the periphery of the action, or as caregivers and supporters. In some cases, they depicted them as sexual objects also.«384 Die Kuratorin vermisste in der Sammlung die Kriegswirklichkeit von Frauen. »Women face new and unexpected professional and domestic challenges: rationing, food shortages, the need for childcare, diminished or extended families, bereavement, veneral desease, mental distress. In these situations, females adapt their regular domestic tasks and responsibilities, such as shopping, childrearing, cooking, washing and ironing, to the conditions of war.« 385

Nach der Fertigstellung der Ausstellung begann Laura Brandon zu forschen und ging auf der Suche nach Objekten, die mehr über Frauen aussagten als die ausgestellten Kunstwerke, die 13 000 Objekte umfassende Kunstsammlung des Museums durch. Im Katalog des Museums fand sie auf den Karteikarten von nur 733 Objekten einen Bezug zu Frauen, aber eine viel größere Zahl von Objekten hatte tatsächlich mit Frauen zu tun. Ihr Fazit: »I have concluded that only by going through the entire collection will it be possible to establish whether these absences are aberrations or just the tip of the iceberg of inadequately catalogued works.«386 Neben der kritischen Durchsicht der Sammlungen besteht erheblicher Bedarf, die Wirklichkeit von Frauen im Krieg weiter zu untersuchen, um sie in den Ausstellungen fundiert darstellen zu können. Dafür bieten sich neben der Erforschung des Kriegsalltags von Frauen, den Laura Brandon vermisst hat, als Forschungsfelder die ökonomische Rolle der Frauen an der »Heimatfront« an und auch ihre explizit militärische Rolle. Der letzte Themenkomplex muss ganz neu definiert werden, weil es für Frauen keine Vorbilder für das Verhältnis von Weiblichkeit und Soldatentum gibt wie umgekehrt für Soldaten und Männlichkeit. Wenn Frauen zu Soldatinnen werden, ist die männlich definierte »Verletzungsmacht« im 384 |  Ebd., S. 108. 385 |  Ebd., S. 109. 386 |  Ebd., S. 111.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Krieg in Frage gestellt, die den Gegenpol zur weiblich konnotierten »Verletzungsoffenheit« bildet.387 Diese Zuschreibungen beinhalten, »dass der gewaltausübende Stärkere – ob Mann oder Frau – eine ›Probe von Männlichkeit‹ abgibt, während derjenige, der Gewalt erleidet, mit Bestimmungen des Weiblichen versehen wird«388 . Als weiblich definiert werden so nicht nur Frauen, sondern auch Gefangene und Deserteure. »Männlichkeit« wird am stärksten gelebt an der Front und am wenigsten an der »Heimatfront«. Aber an beiden Orten wird Gewalt ausgeübt und erlitten. An der Front ist die Verletzungsoffenheit als Risiko, getötet zu werden, die »Quelle der Legitimation der Ausübung von Verletzungsmacht«389 . Für »ihre« Verletzungsoffenheit, d. h. ihre Opferbereitschaft und ihren Mut, werden Soldaten wertgeschätzt. Im Zweiten Weltkrieg waren auch Frauen zum ersten Mal als Soldatinnen Teil der sowjetischen, amerikanischen und britischen Streitkräfte. In der deutschen Wehrmacht haben sie ohne militärischen Status gearbeitet. In der Roten Armee war der Anteil von Frauen mit zeitweilig 8 % an der Gesamtstärke der Armee am größten. Frauen im Zweiten Weltkrieg kämpften überwiegend nicht mit der Waffe, sondern waren als »Tötungsassistentinnen«390 tätig im Sanitärund Nachrichtenwesen, in Logistik und Abwehr. Nur in der Roten Armee hat ein Teil der Frauen als Scharfschützinnen und Pilotinnen direkt in Kampfhandlungen eingegriffen. Seit den 1980er-Jahren wurden die sow­ jetischen Veteraninnen von der Schriftstellerin Svetlana Alexijewitsch über ihre Kriegserfahrungen im Zweiten Weltkrieg befragt.391 Dabei stellte sich heraus, dass eine strikte Trennung zwischen direkt kämpfenden Frauen und Frauen, die den Soldaten assistierten, nicht klar zu definieren war: Krankenschwestern holten Verwundete aus der Frontlinie oder bargen sie aus Panzern, Köchinnen, Wäscherinnen und Telefonistinnen

387 |  Siehe dazu Latzel, Klaus, Maubach, Franka, Satjukow, Silke (Hg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute, Paderborn 2011. 388 |  Ebd., S. 11. 389 |  Ebd., S. 25. 390 |  Ebd., S. 26. 391 |  Svetlana Alexijewitsch, Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Moskau 1984 (dt. Berlin 1989).

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rückten in der zweiten Front bis zum Ende des Krieges nach.392 Wurden Soldatinnen der Roten Armee von Soldaten der deutschen Wehrmacht gefangen genommen, hatten sie nicht den gleichen Status wie ihre Kameraden. Sie erhielten keine Anerkennung als Soldatinnen und in der Folge als Kriegsgefangene, sondern wurden im Allgemeinen zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt. So kam im Februar 1943 eine Gruppe von 500 Rotarmistinnen in das KZ Ravensbrück.393 Auch wenn sich ihr Schicksal als Gefangene bzw. Häftlinge nicht voneinander unterschieden hätte, konnten Soldatinnen bei der Rückkehr in die Sowjetunion nach dem Krieg anders auftreten als Häftlinge. Aber auch von den als Soldatinnen heimgekehrten Frauen wurden nur wenige als »Kriegsheldinnen« für ihren Einsatz geehrt; viele hatten im Gegenteil darunter zu leiden, dass ihre moralische Integrität bezweifelt wurde, sodass sie ihre Kriegsteilnahme häufig verschwiegen. Erst durch die Veröffentlichung der Gespräche mit den ehemaligen Rotarmistinnen durch Svetlana Alexijewitsch tauchten diese Frauen in der Erinnerungskultur auf. In ihrem Tagebuch dokumentiert Alexijewitsch ihre Forschungsarbeit: »Seit zwei Jahren sammle ich Material. Habe schon mehr als hundert Schicksale aufgezeichnet. Oft höre ich: ›Endlich sind Sie auch zu uns gekommen.‹ – ›Haben auch uns gefragt.‹ – ›Jetzt sind wir mit Erzählen dran.‹«394 Kriegsteilnehmerinnen im Osten und Westen bezeugen, dass sie Neuland betreten hatten und deshalb nach Kriegsende nicht mehr auf frühere, Frauen zugedachte gesellschaftliche Positionen zurückweichen wollten. Dies gilt auch für die deutschen Wehrmachthelferinnen, die als Krankenschwestern, Telefonistinnen, Telegrafistinnen oder Sekretärinnen am Krieg in Frankreich und in Osteuropa teilgenommen hatten und zunehmend enger an die erste Front herangerückt waren. Die Historikerin Franka Maubach verweist darauf, dass »viele der Akten, aus denen heutige Historiker ihr Wissen über den Vernichtungskrieg und den ­Holocaust beziehen, von Wehrmachthelferinnen geschrieben« wur-

392 |  Fieseler, Beate, Der Krieg der Frauen. In: Jahn, Peter, Museum BerlinKarlshorst (Hg.), Mascha, Nina und Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941– 1945, Berlin 2002, S. 11 ff. 393 |  Freytag, Claudia, Kriegsbeute »Flintenweib«. In: Jahn 2002, S. 35 ff. 394 |  Alexijewitsch, Svetlana, Der Mensch zählt mehr als der Krieg. Aus dem Tagebuch einer Schriftstellerin. In: Jahn 2002, S. 42.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

den.395 Auch diese Frauen erhielten wie die Rotarmistinnen auf der anderen Seite nach dem Krieg keine Anerkennung für ihren Kriegsein­satz und sahen sich einer ähnlichen moralischen Missachtung ausgesetzt wie die sowjetischen Soldatinnen. Wie diese bildeten sie mit anderen Kriegsteilnehmerinnen private Erinnerungsgemeinschaften. Auch hier hat die biografische Forschung angefangen.396 Der Zweite Weltkrieg ist durch die erstmalige Teilnahme von Frauen als Soldatinnen nicht anders verlaufen als andere Kriege, und männliche Gewaltausübung gegen ­Frauen fand weiterhin statt, aber im Krieg war die Erfahrung von »Formen einer zwischengeschlechtlichen Kameradschaft«397 neu entstanden, die nach dem Krieg nicht rückgängig zu machen war. Dabei war es Kriegsteilnehmerinnen mit dem größten Abstand zu Gewalterfahrungen an der Front am ehesten möglich, sich nach dem Krieg emanzipatorische Handlungsräume zu erschließen. Für Soldatinnen mit traumatischen Kriegserlebnissen gingen dagegen »direkte Teilhabe an der Gewalt und Emanzipation schwerlich zusammen«.398 Gleichwohl hat die Ausübung von »Verletzungsmacht« durch Frauen im Krieg dazu geführt, »Friedlichkeit als nicht mehr genuin weibliche, sondern als anthropologisch, geschlechtsübergreifend und damit universell angelegte Möglichkeiten zu begreifen und gegenüber den Imperativen des Krieges, gleichviel, ob diese sich an Frauen oder Männer richten, in Stellung zu bringen«.399 Dieses Fazit formulierten 2001 auch die Volontärinnen des Deutschen Technikmuseums Berlin als »Conclusion« zum Umgang mit Kriegstechnik im Museum: »Das Museum hat in der Gesellschaft die Aufgabe der Friedenserziehung. In diesem Sinn muss das Museum eine moralischethische Wertung vornehmen: Krieg ist zerstörerisch und kein adäqua-

395 |  Maubach, Franka, Siegen helfen. Frauen waren im Ostfeldzug allgegenwärtig: Sie kämpften mit der Waffe, arbeiteten in der Verwaltung und versorgten die Verletzten, online unter www.zeit.de/zeit-geschichte/2011/02/ Frauen-im-Ostfeldzug. 396 |  Dies., Die Stellung halten. Kriegserfahrungen und Lebensgeschichten von Wehrmachthelferinnen, Göttingen 2009. 397 |  Latzel, Klaus, Maubach, Franka, Satjukow, Silke (Hg.), Soldatinnen. Gewalt und Geschlecht im Krieg vom Mittelalter bis heute, Paderborn 2011, S. 47. 398 |  Ebd., S. 48. 399 |  Ebd.

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tes Mittel zur Konfliktlösung.« 400 Die Volontärinnen forderten mit ihrem Fazit des Kolloquiums eine Abkehr von vermeintlicher Wertfreiheit. Dies gilt wie bereits zum Museum Hürtgenwald beschrieben sowohl in Bezug auf die Darstellung von Krieg als auch auf Genderdarstellungen.

Kriegserinnerungen Die in der Forschung gewonnene Erkenntnis der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Erinnerung trifft auch auf Kriegserinnerungen zu. Kriegserinnerungen, die offiziell in das kollektive Gedächtnis einer Nation eingegangen sind, werden im Allgemeinen von Männern vertreten und dargestellt. Das stärker Frauen zugeschriebene kommunikative, affektgeladene Gedächtnis erlaubt die Einnahme verschiedener Perspektiven. 401 In einem Beispiel aus den Begegnungen von Svetlana Alexijewitsch mit Soldatinnen der Roten Armee in den 1980er-Jahren wird dieser Unterschied sichtbar. Die Schriftstellerin notiert nach einem Interview in ihr Tagebuch: »Ich kam in eine Familie, in der Mann und Frau gekämpft hatten. Sie hatten sich an der Front kennengelernt und dort geheiratet. ›Unsere Hochzeit haben wir im Schützengraben gefeiert, mein weißes Kleid habe ich aus Mull genäht.‹ Er war MG-Schütze, sie Melderin. Vom Bericht des Mannes ist mir nichts im Gedächtnis haften geblieben – Rückzug, Angriff, linker Frontabschnitt, rechter, soundso viele Menschen im Kampf verloren, Kommandeur der soundso vielten Einheit, Stabschef. Der Bericht der Frau aber blieb mir schmerzlich in Erinnerung. ›Nach dem Krieg konnte ich 20 Jahre nicht in Fleischgeschäfte gehen. Ich konnte den Anblick geschnittenen Fleischs nicht ertragen‹.« 402

Im Gespräch sagen Mann und Frau auch Persönliches übereinander: Er, dass er ihr viel beigebracht und sie geweint habe, als ihr Zopf beim Eintritt in die Armee abgeschnitten wurde, und sie, dass er Angst um sie gehabt habe. An das Mitgefühl des Mannes erinnert seine Frau, in seiner eigenen Erzählung vom Krieg ist das subjektive Erleben vom politischen 400 |  Andres/Hahn/Hattig/Stüve, 2001, Protokoll des Kolloquiums, Manuskript. 401 |  Siehe dazu den Abschnitt über Erinnerungsforschung in dieser Arbeit. 402 |  Alexijewitsch, Svetlana, Der Mensch zählt mehr als der Krieg. Aus dem Tagebuch einer Schriftstellerin. In: Jahn 2002, S. 42.

Dritter Ansat zpunkt: Langfristig realisierbar

Geschehen abgespalten. Die Erinnerung der Frau ist individualisierter und auf die eigene Familiengeschichte bezogen. Sie liefert eine ›Gegen‹Erinnerung zur offiziellen Darstellung des Mannes, was sie am ehesten innerhalb der Familie äußern kann. Hier wird am Beispiel die Notwendigkeit deutlich, gerade in Erzählungen über den Krieg »die Gegenläufigkeit oder den sich gegenseitig in Frage stellenden Charakter weiblicher und männlicher Erinnerung herauszuarbeiten« 403 . Die Einseitigkeit von Kriegserinnerung aus männlicher Perspektive führt häufig zu einer Tabuisierung der Erinnerungen an die Verletzbarkeit im Krieg 404 und zur Projizierung der Angst vor Verwundung und Tod auf Frauen als Leidtragende des Krieges. Auch im Technikmuseum Berlin sind die wenigen in Kriegszeiten dargestellten Frauen eher Opfer als selbstständig agierende Menschen. Hier ist das Hervorheben des von Aleida Assmann so bezeichneten Speichergedächtnisses als inaktive Gedächtnisquelle und Korrektiv des sichtbaren kulturellen Funktionsgedächtnisses im Hinblick auf neue Ausstellungsinhalte sinnvoll. Frauen müssen selbstermächtigende Strategien entwickeln, um sich von der Dominanz des offiziellen kulturellen Gedächtnisses zu lösen, etwa wenn norwegische Frauen von ihrer Arbeit im Widerstand gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg als nicht zur Geschichte gehörig berichten, sondern als eine ihrer persönlichen Pflichten. 405 Diese Einschätzung zeigt das Verdrängen und Vergessen des eigenen gesellschaftlichen Wertes, so wie die Verletzungsleugnung von Soldaten dem Verdrängen und Vergessen der eigenen persönlichen Angst dient. Auf dem geschlechtsspezifischen Vergessen kann keine Grundlage für eine andere Darstellung von (Kriegs-)Geschichte entstehen. Das gemeinsame Erinnern zwischen den Geschlechtern könnte ebenso möglich werden wie das heute möglich gewordene Erinnern zwischen ehemaligen Kriegsgegnern. Eine Voraussetzung dafür ist das Eingehen der Erinnerung aller am Krieg Beteiligten in das kulturelle Gedächtnis. Museen, die ja das kulturelle Gedächtnis verbreiten, sind deshalb in besonderem Maß herausgefordert, Kriegserinnerungen unter dem Genderaspekt kritisch zu erforschen und zu vermitteln. 403 |  Schraut/Paletschek 2006, S. 23. 404 |  Penkwitt/Moos 2007, S. 13. 405 |  Björg, Helle, Benz, Claudia, »If only grandfather was here to tell us«: Gender as a category in the culture of memory of the Occupation in Denmark and Norway. In: Paletschek/Schraut 2008, S. 221–236.

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Wunderkammer

Auf der Suche nach Formen der Erneuerung des Museums wird seit dem Ende des 20. Jahrhunderts in Ausstellungen und Museen auf die Idee der »Wunderkammer«406 zurückgegriffen. Sie ist auch Patin für das geplante Humboldt Forum in Berlin als größtem aktuellen Museumsprojekt in Deutschland. Mit der Einrichtung von aktuellen »Wunderkammern« sollen sowohl konzeptionell Traditionen überwunden als auch bisher ausgeschlossene Zielgruppen gewonnen werden. Im Humboldt Forum sollen durch Aufgreifen von Elementen der »Wunderkammer« Ausstellungen entstehen, die multiperspektivische Deutungen der überwiegend ethnologischen Objekte anbieten. Damit sollen der Ausschluss der »source communities«, also der Gesellschaften, aus denen die Objekte stammen, überwunden und immer mindestens zwei Perspektiven sichtbar werden: die der westlichen Fachwissenschaftler und die von Angehörigen der nicht-westlichen Kulturen, die zu den Objekten, die aus ihren Kulturen stammen, andere als westliche Deutungen in die Diskussion einbringen. Im Humboldt Forum organisiert das Museum also eine Infragestellung seiner Deutungshoheit. Dass das Gleiche im Hinblick auf die Geschlechterfrage im Technikmuseum passiert, ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit. Auch hier soll es um die Aufhebung des strukturellen Ausschlusses einer bis heute unberücksichtigten Gruppe gehen. Die Genese des

406 |  Ich differenziere im Folgenden nicht zwischen Wunderkammer, Kuriositätenkabinett oder Kunst- und Naturalienkammer, weil es für das aktuelle Aufgreifen des Wunderkammerkonzepts hauptsächlich darum geht, dass in den Sammlungen in diesen Kammern und Kabinetten zusammen ausgestellt wurde, was heute getrennt in Kunst-, Kunstgewerbe-, Ethnologischen Museen, Naturkunde- und Technikmuseen zu sehen ist.

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Ausschlusses sowohl der Frauen als auch der Fremden 407 seit Beginn der Neuzeit wurde im Kapitel über die Aufklärung angesprochen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Frauen und Fremden und die aktuellen Ansätze, »Fremdheit« im Museum unter neuen Fragestellungen und mit neuen Methoden auszustellen, macht die Konzeptarbeit im Humboldt Forum auch für das Ausstellen von Genderfragen interessant. Die Wunderkammerdiskussion, die im Zusammenhang mit der Planung des Humboldt Forums an Aktualität gewonnen hat, kann deshalb auch konkrete Anregungen für die Inklusion von Frauen im Technikmuseum geben. Sie wird aus diesem Grund hier vorgestellt. Es soll dabei untersucht werden, ob das Prinzip Wunderkammer geeignet ist, den verengten Museumsblick unter dem Aspekt der Multiperspektivität grundsätzlich zu weiten. Zunächst wird die barocke Wunderkammer als eine der Wurzeln des Museums vorgestellt und danach am Beispiel des Humboldt Forums ihrer aktuellen Attraktivität nachgegangen. An die Darstellung der Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Prinzips Wunderkammer in die Gegenwart schließt sich eine Einschätzung an, inwiefern Museen geschlechtergerechter werden können, wenn sie Elemente der Wunderkammer aufnehmen. Eine »Wunderkammer« war im 17. Jahrhundert ein Ort, an dem Fürsten und reiche Bürger parallel zur beginnenden Aufklärung Sammlungen wunderlicher Gegenstände zusammentrugen, die ihnen und ihren Besucher_innen zum Studium und zur gelehrten Unterhaltung dienten. »Objects were ordered in the display through correspondences, through analogies, and the emphasis on the ability of man to know or to discover through the power of the gaze. Humankind was perceived as being able to take a position within the order of the universe, and from this position develop a rational understanding of that universe, and thus appreciate the superiority of humankind’s position therein.« 408 407 |  Die lange gemeinsame Geschichte von Frauen und Fremden wird besonders im ethnologischen Rahmen deutlich. Weltweit ziehen die meisten Frauen nach ihrer Heirat zur Familie des Mannes und werden dadurch zu Fremden. Noch bis 1957 galt auch in Deutschland als Wohnsitz einer Ehefrau automatisch der Wohnsitz des Ehemannes. 408 |  Hooper-Greenhill, Eilean, The museum: the socio-historical articulations of knowledge and things, unveröffentlichte Dissertation 1988, zit. n. Walsh, ­K evin, The Representation of the Past. Museums and Heritage in the post-modern World, London/New York 1992, S. 19.

Wunderkammer

Der in dieser Weise »aufgeklärte« Anspruch der Sammler war universell. Er umfasste Naturalien und Kunst, ethnografische Souvenirs von Entdeckungsreisen und mechanische Objekte wie Uhren, Automaten und Maschinenmodelle. Natur und Technik, Kunst und Handwerk waren nicht voneinander getrennt. In der im deutschen Raum herausragenden Kunstund Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle sind beispielsweise neben Naturalien und Kunstgegenständen aus früheren Missionsgebieten ähnliche Exponate wie im Technikmuseum zu sehen: mechanische Modelle, Schiffs- und Architekturmodelle, Waffen, pharmazeutische und medizinhistorische Gegenstände. Auf anschauliche Weise ordneten die Betreiber von Wunderkammern im Glauben an eine als sinnvoll verstandene Schöpfung seltene und unterschiedlichste Objekte den Bereichen Geschichte, Kunst, Natur und Wissenschaft zu. Sie erstellten Inventarlisten und ließen zum Zweck der systematischen Aufbewahrung und Präsentation erste spezielle Vitrinen und Depotschränke anfertigen. Das Charakteristische und wieder Aktuelle der Wunderkammer fasst der Leiter der Franckeschen Stiftungen in Halle so zusammen: »Weil sie einem enzyklopädischen Anspruch folgt und das gesamte Universum einzufangen versucht, begreift sie alle Komponenten der Ausstellung als ein Beziehungsgeflecht. Nicht das Einzelstück steht im Vordergrund, sondern die Gesamtkomposition, die alles, vom Sammlungsgegenstand über das Aufbewahrungsmobiliar bis hin zum Ausstellungsraum und nicht zuletzt die museale Anordnung miteinbezieht.« 409

In Wunderkammern findet bereits ein museales Zusammenspiel von Konzept und Gestaltung statt. »Die Kunstkammern boten nicht nur eine Verklammerung von Zeugnissen historisch, geographisch und ethnisch fremder Kulturen sowie aller Bereiche der Natur, sondern auch einen Übungsraum der Verschmelzung von Sinn und Form […].« 410 409 |  Müller-Bahlke, Thomas, Die Wunderkammer. Die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale), Halle 1998, S. 11. 410 |  Bredekamp, Horst, Antikensehnsucht und Maschinenglauben. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 2012, S. 100.

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Alle Exponate waren Teil eines Gesamtkunstwerks, aus dem sich die einzelnen Betrachter_innen ohne die Unterstützung oder Bevormundung einer Beschriftung einen Sinn machen konnten. Dieser scheinbare Wildwuchs von Präsentation und Rezeption wurde jedoch im weiteren Verlauf der Aufklärung eingedämmt: das Staunen sollte dem Denken weichen, die Sinnlichkeit der Vernunft, das Erlebnis der Bildung, die Gesamtschau der Differenzierung in Einzeldisziplinen. Erst im Rückblick wurden die Folgen dieses Wandels deutlich: »Die Kunstkammer hatte ein Plateau bereitgestellt, auf dem das Chaos der Welt komplex erfaßt und sowohl in einer räumlichen wie zeitlichen Schichtung dargestellt werden konnte. Indem diese Plattform zerbrach, traten Spezialsammlungen der Naturobjekte, der Antiken, der Kunstwerke und der Maschinen an ihre Stelle.« 411

Die Gesamtschau der Welt in der Wunderkammer wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgekündigt und ihre Einzelteile gingen ein in die ersten Museen. In ihnen war zukünftig das nützliche Maschinenwesen von der Präsentation der Kunst getrennt. Der Kunst als einer der ehemaligen Teilbereiche der Wunderkammer oblag nun – losgelöst von ihrem handwerklichen Bestandteil und von ihrem Naturbezug – die übergeordnete Aufgabe, Sinn in die mechanische, entseelte Welt zu bringen. Die zweckmäßige Mechanik wurde der freien und zwecklosen Kunst untergeordnet. Die Kunst verzichtet seitdem auf »Verantwortlichkeit und ›Leben‹«, die Technik auf »Freiheit und Spiel« 412 . Diese Trennung von Kunst und Technik hat langfristig zu ihrer jeweiligen Verarmung geführt. »In Bezug auf die Technikgeschichte gilt dasselbe wie für die Kunstgeschichte: In der Isolierung müssen die Disziplinen ihre Konturen schärfen, aber wenn sie in ihr verbleiben, werden sie verkümmern wie in Einzelhaft.« 413 Dieser »Verkümmerung« soll heute mit der Wiederbelebung des Wunderkammerkonzepts begegnet werden. Das Wunderkammerprinzip, entstanden an der Schwelle zum Zeitalter der Aufklärung, erfährt also im Zeitalter der Erkenntnis der Begrenztheit des Prinzips Aufklärung eine Wiederbelebung. Im 2011 neu eröffneten National Museum of Scotland 411 |  Ebd., S. 80. 412 |  Ebd., S. 96. 413 |  Ebd., S. 104.

Wunderkammer

etwa wird »zurückgegriffen auf die Anfänge der Museumsgeschichte, auf Wunderkammern und Kuriositätenkabinette der Fürsten, als es noch keine Spezialisierung in einzelne Fachgebiete gab. Eine alte Idee für die Zukunft.« 414 Das schottische Nationalmuseum ist ein Universalmuseum der Technik, Kultur und Natur. Auf mehreren miteinander verbundenen Ebenen durchdringen sich Ausstellungen zu Natur, Schottland, Weltkulturen, Kunst und Design, Naturwissenschaft und Technik. Wie dieses große Nationalmuseum verfolgen auch kleine Museen den Wunderkammergedanken – zum Beispiel das winzige Museum of Jurassic Technology in Los Angeles. Es zeigt Exponate aus Naturwissenschaft und Technik, Naturkunde, Ethnografie, Geschichte, Kunstgewerbe und Kunst zusammen mit Geschichten und Kommentaren. »Es ist kein Technikmuseum, entwickelt aber das in der Kunstkammer erbrachte Zusammenspiel von Natur- und Kunstform, indem es den Betrachter keine Sekunde aus der Unsicherheit entläßt, was erfunden und was gesichert, was natürlich geformt und was technisch gestaltet ist.« 415 Das größte derzeitige Projekt mit Bezug zur Wunderkammer ist das Humboldt Forum in Berlin, das »wichtigste Kulturprojekt in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts« 416. In dem bis voraussichtlich 2019 neu erbauten ehemaligen Berliner Schloss planten ursprünglich die HumboldtUniversität, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit ihren außereuropäischen Sammlungen und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin 417 eine »Stätte der Begegnung und des Dialogs, wo vielfältige Sammlungen und interdisziplinäre Zugänge die enge Verbindung der Weltkulturen in Vergangenheit und Gegenwart lebendig werden lassen« 418 . 2001 hatten Vertreter der Humboldt-Universität und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz der Schlosskommission ein erstes Nutzungskonzept für das neue Stadtschloss vorgelegt, das bereits die Unteilbarkeit von Kunst und Wis414 |  Pataczek, Anna, Dolly und die Wunderkammer. In: Tagesspiegel v. 07.08.2011. 415 |  Bredekamp 2012, S. 104. 416 |  Parzinger, Hermann, Das Humboldt-Forum. »Soviel Welt mit sich verbinden als möglich«. Aufgabe und Bedeutung des wichtigsten Kulturprojekts in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2011. 417 |  Das Bibliothekskonzept »Welt der Sprachen« wurde 2015 durch die Ausstellung »Welt.Stadt.Berlin« ersetzt. 418 |  Imageflyer Humboldt Forum, o. J.

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senschaft als wichtigstes Ziel des Projekts vorsah. 419 Wesentlichen Anteil an der Fokussierung auf diesen Grundgedanken der Wunderkammer hatte der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, der sich »über Jahrzehnte mit der Sammlungsgeschichte und insbesondere mit der Geschichte der Kunstkammer beschäftigt« und Ende 2000 die vielbeachtete Ausstellung »Theatrum naturae et artis. Wunderkammer des Wissens« aus Beständen der Humboldt-Universität organisiert hatte. 420 Bredekamp gehört heute zum leitenden Dreiergremium des Humboldt Forums. Auch der 2015 als Intendant des Projekts eingesetzte Museumsmann Neil MacGregor weist sich mit seiner »Geschichte der Welt in 100 Objekten« (2011), ein Buch über zwei Millionen Jahre Weltgeschichte, als dem Wunderkammergedanken nahestehend aus. Nach der konzeptionellen Initialzündung in Berlin wurde das Humboldt Forum zuerst 2009 in der Werkstattausstellung »Anders zur Welt kommen« im Alten Museum gegenüber dem geplanten Schlossneubau konkretisiert. Es ging in der Ausstellung schwerpunktmäßig um die Geschichte des Sammelns außereuropäischer Objekte in Berlin, um deren multiperspektivische Deutung und um heutige Forschung und Vermittlung in der Museumsarbeit. Die Ausstellung führte den Ursprung der drei damals vorgesehenen Nutzer des zukünftigen Humboldt Forums, Museum, Bibliothek und Universität, zurück auf die Kunstkammer im Berliner Stadtschloss, die vom 17. bis 19. Jahrhundert bestanden hatte. Sie wurde danach wegen der inzwischen stärker gegliederten Wissenslandschaft aufgelöst und auf andere Institutionen verteilt, darunter das ehemalige Völkerkundemuseum – heute Ethnologisches Museum und Museum für Asiatische Kunst – und die Humboldt-Universität. Im geplanten Humboldt Forum, so projizierte es die Werkstattausstellung, sollte das ehemals Getrennte wieder vereint werden. Und tatsächlich entsteht in den drei Galeriegeschossen der gewaltigen zentralen Eingangshalle des Humboldt Forums »die Bühne für eine neuartige Ausstellung, deren Objekte und Bildinstallationen sich der Erinnerung an die einstige Kunst-

419 |  Entscheidungsgrundlage für das Nutzungskonzept Schlossplatz gemäß den Vorgaben der Kommission, vorgelegt von der AG Nutzungskonzept am 19.12.2001. 420 |  Großartiger geht es nicht. Interview mit Horst Bredekamp. In: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum (Hg.), Stimmen zum Berliner Schloss – Humboldtforum. Das Erbe bewahren, um die Zukunft zu gewinnen, Berlin 2011, S. 37 f.

Wunderkammer

kammer und ihrer Bedeutung verdanken« 421. Von dort sollen die Wege zu den nach Regionen unterschiedenen ethnologischen Ausstellungen, zu den Laboratorien und Bibliotheken abzweigen. Um den Anspruch der Vernetzung von Wissenschaft und Kunst, außereuropäischer und europäischer Kultur, Vergangenheit und Gegenwart, Erlebnis und Erkenntnis einzulösen, wurde seit 2013 als Teil der Projektplanung das »Humboldt Lab Dahlem« im Ethnologischen Museum, dem Museum für Asiatische Kunst und dem Museum Europäischer Kulturen im Museumskomplex in Berlin-Dahlem temporär und experimentell installiert. Die »Probebühnen« sollten als konzeptionelle Inseln in den bestehenden Dauerausstellungen neue Inhalte und Präsentationsformen für die geplanten Ausstellungen im Humboldt Forum entwickeln. Dabei geht es beispielsweise um reales und mediales Ausstellen von Perspektiven in Bezug auf Objekte, die in unterschiedlichen Kulturen genutzt und jeweils anders gedeutet werden. Es geht ebenfalls um das Auslösen und die Reflexion von Assoziationen beim Betrachten von Museumsobjekten, um die Überschneidung und den Zusammenhang verschiedener Welterfahrungen oder die Ahnung von deren Unvereinbarkeit, um die Vermittlung von traditionellen Vorstellungen in einem zeitgenössischen Museum oder um die Rezeption von Bild, Sprache und Musik. Die Präsentationen sind mit hohem Anspruch entwickelt und werfen konzeptionelle Schlaglichter auf ein mögliches innovatives Museum. Im Humboldt Lab Dahlem als einer Art Thinktank für das Humboldt Forum werden richtungweisende, punktuelle, suchende und hinterfragende Ausstellungsideen für das 21. Jahrhundert entwickelt, wie es der Rückgriff auf das traditionelle Wunderkammerkonzept allein nicht leisten kann. Dennoch gibt es Gründe, die den Wunderkammergedanken trotz seiner Begrenztheit attraktiv machen. Zum ersten entspricht die Methode der Wunderkammer heutigen Erfahrungen einerseits von Spezialisierung, andererseits von Verbreitung und Vernetzung innerhalb der wissenschaftlichen Arbeitswelt. »Wissenschaftliches Wissen wird zunehmend dezentral in heterogenen Kooperationsteams erstellt und mit einer Vielfalt von Methoden erprobt.« 422 Dar421 |  Heller, Martin, Agora und Humboldt-Forum. Inhaltskonzept, Juni 2013, S. 9. 422 |  Robertson-von Trotha, Caroline Y., Öffentliche Wissenschaft – ein notwendiger Dialog. Hauptrede 1 bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium am 14.9.2006 in Karlsruhe, S. 3.

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aus erwachsen unterschiedliche wissenschaftliche Interpretationsansätze anstelle einer universell geltenden, einheitlichen und objektiven Wissenschaft. 423 Diese Heterogenität könnte sich in der modernen Wunderkammer widerspiegeln. Zur aktuellen Popularität der Wunderkammer trägt weiterhin bei, dass sie als ein dem Internet vergleichbares Netzwerk gesehen werden kann. In beiden Netzen steht ein Spektrum von Wissen zur Verfügung, die Nutzung ist individuell und wird wesentlich strukturiert durch Assoziation. Wunderkammer und Internet setzen in Erstaunen und machen Spaß; der Erlebnis­charakter der Wissensaneignung stellt die Gleichförmigkeit und Mühe, aber auch die Konzentration beim Lernen aus Büchern in den Schatten. Was außerdem die Aktualität der Wunderkammer ausmacht, ist die in ihr gebündelte Globalität. Die Medizin des eingeborenen Heilers kann neben dem Apothekentiegel liegen, die Büste neben der afrikanischen Maske. Deshalb sind sowohl das Konzept des Humboldt Forums als auch sein verbindendes Foyer mit dem Nebeneinander der Exponate aus aller Welt eine geeignete Möglichkeit, mit der ein Haus der Weltkulturen entstehen kann. Ein weiterer Grund für die Attraktivität der Wunderkammer als Museumsidee ist ihre Anlehnung an den Massenkonsum. Anders als zur Zeit des privilegierten Barockfürsten, der sich eine Wunderkammer einrichten ließ, verfügen heute viele Menschen speziell in westlichen Gesellschaften über so viele Gegenstände, dass auch sie bewahren wollen und können, was ihnen persönlich bedeutungsvoll erscheint. Die Fülle und Wertschätzung von persönlichen und musealen Sammlungsgegenständen in Konsumgesellschaften ist einer der Gründe für die gestiegene Nachfrage nach Museen. 424 Aufgrund der gewachsenen Ansprüche der Besucher_innen haben Museen mit Vergrößerung des »Warenangebots« und mit immer stärkerer Professionalisierung der Präsentation ihrer »Waren« reagiert. Sie können aber trotz ihres erweiterten materiellen Angebots die Attraktivität von Kaufhäusern nicht erreichen. In unmittelbarer Nähe zum Humboldt Forum gehen täglich durchschnittlich 10  000 Menschen auf die Museumsinsel, aber ebenso viele in ein nahe gelegenes Kulturkaufhaus. Noch fünfmal mehr Menschen suchen täglich das größte Kaufhaus Berlins auf, das KaDeWe, eine kommerzielle Wunderkammer: 423 |  Siehe dazu Janelli, Angela, Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums, Bielefeld 2012, S. 281–283. 424 |  Hahn 2005, S. 83 ff.

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»Das KaDeWe ist mehr als nur ein traditionelles Kaufhaus. Beinahe jeder Berliner war schon einmal dort, Touristen sowieso. Wenn nicht zum Einkaufen, dann wenigstens zum Staunen und Sich-Wundern. Über die unüberschaubare Auswahl – und über kuriose Geschichten rund ums Sortiment.« 425

Museen versuchen mit dem Rückgriff auf die Wunderkammer, sich ohne Verzicht auf das westliche Leitmotiv »Aufklärung« auf eine globale Gesellschaft einzustellen, in der das Beharren auf einem einzigen, vermeintlich objektiven Blick obsolet geworden ist. In gleicher Weise hat auch in Technikmuseen die eine, aufgeklärte, westliche Perspektive ausgedient, und dies trotz der Ecken für andere Perspektiven und trotz der museumspädagogischen Angebote zur Relativierung des hegemonialen Präsentationswillens in den Ausstellungen. Die Funktion des Museums für seine Besucher_innen, auf anschauliche und belehrende Weise über die Artefakte »aufgeklärt« zu werden, kann sich im Technikmuseum wie auch in den anderen Museen durch die der Aufklärung innewohnende und fortschreitend sich entwickelnde Dialektik von Befreiung und Herrschaft nicht erfüllen. Der Fortschritt der aufgeklärten Naturwissenschaften hat zwar das Versprechen der Aufklärung bestätigt, den Menschen zum Mittelpunkt des Universums zu machen; nicht realisiert wurde jedoch der dadurch angestrebte Befreiungs- und Humanisierungsprozess. Anstelle der Abhängigkeit des Menschen von den Zwängen der Natur ist die Anpassung an die Zwänge von angewandter Naturwissenschaft und Technik und die ihre Ergebnisse verwertende Wirtschaft getreten. Aus dieser Sackgasse führt das aufgeklärte Wunderkammerkonzept nicht heraus, denn in der Wunderkammer liegen die Dinge nur scheinbar gleichberechtigt nebeneinander. Die eigene und die fremde Kultur werden über den Kamm nur der eigenen Kultur geschoren, obwohl auch fremde Kulturen ihre eigenen Erkenntniswege haben. »Traditionale Kulturen teilen die Welt klar in den Bereich des überlieferten Wissens und der in dessen Licht erkennbaren und erklärbaren Dinge sowie den Bereich des Nichtwissens und der nicht erkennbaren und erklärbaren Dinge. Beides sind feststehende Welten. Das Nichtwissen erzeugt deshalb kein Motiv

425 |  Tagesspiegel v. 20.4.2009.

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der Erkenntnissuche zu seiner Beseitigung, weil man davon nichts weiß, nicht daran glaubt, wissen zu können, was man nicht weiß, und dies auch nicht will.« 426

Dieses nach dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss als »wildes Denken« bezeichnete Denken ist dem »aufgeklärten Denken« gleichgestellt, da es ebenso wie dieses die Welt zu ordnen und zu erklären sucht. Lévi-Strauss schreibt über die beiden Denkarten: »Es gibt nämlich zwei verschiedene Arten von wissenschaftlichem Denken, die beide Funktion nicht etwa ungleicher Stadien der Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern zweier strategischer Ebenen sind, auf denen die Natur mittels wissenschaftlicher Erkenntnis angegangen werden kann, wobei die eine, grob gesagt, der Sphäre der Wahrnehmung und der Einbildungskraft angepaßt, die andere von ihr losgelöst wäre.« 427

Zwar werden durch die weltweite Durchsetzung der westlichen, aufgeklärten Methode der Wissensbildung auch Unterschiede im Zugang zu Erkenntnis abgebaut, gleichzeitig gibt es jedoch Gründe für das weitere Anwachsen von Ungleichheiten. »Erstens: Mit dem allgemeinen Wissen wächst auch das Wissen über Ungleichheiten. Zweitens: Die globale Verbreitung des Wissens bietet zwar jedem die Chance der Teilhabe, aber nur ein Teil von allen kann sie auch tatsächlich wahrnehmen. Drittens: Durch die Verbreitung des wissenschaftlichen Wissens in der ganzen Welt wird alles Wissen, das sich nicht seinen Methoden fügt, als minderwertig ausgegrenzt.« 428

Vor diesem globalen Hintergrund sollen im Zentrum des geplanten Humboldt Forums in Berlin die außereuropäischen Kulturen durch die Präsentation einer der weltweit größten ethnologischen Sammlungen »zu

426 |  Münch, Richard, Politik einer entgrenzten Welt: Unerwünschte Folgen guter Absichten. In: Junge, Kay u. a. (Hg.), Erleben, Erleiden, Erfahren. Die Konstitution sozialen Sinns jenseits instrumenteller Vernunft, Bielefeld 2008, S. 468. 427 |  Lévi-Strauss, Claude, Das wilde Denken, Frankfurt a. M. 1968, S. 27. 428 |  Münch 2008, S. 473.

Wunderkammer

Teilhabern des vornehmsten Platzes Deutschlands werden« 429 , denn die »Gleichberechtigung der Weltkulturen wird im Zusammenspiel mit der Museumsinsel sichtbar werden« 430. Die außereuropäischen Kulturen werden das Material für das Humboldt Forum stellen, aber die Menschen, deren Kultur ausgestellt wird, werden bis auf einige, meist in beiden Kulturen ausgebildete Spezialist_innen und Künstler_innen, deren Expertise die Planung bereichert, keine Einreisegenehmigung bekommen, um selbst zu Teilhaber_innen zu werden. So wird nur ein eingeschränkter Personenkreis die Möglichkeit erhalten, »soviel Welt mit sich [zu] verbinden als möglich« 431, »fremde Kunst und fremde Kulturen als Inspirationsquelle für Europas Moderne« 432 zu studieren und auf der Grundlage von »Wissen und Bildung als die entscheidenden Schlüssel zu Respekt und Toleranz gegenüber anderen Kulturen« 433 diese auch einzuüben. 434 Die westliche Gesellschaft erhält mit dem Humboldt Forum eine weitere Unterstützung, vorn zu bleiben; die intellektuell verbrämte Ethnozentrik des Humboldt Forums steht im Widerspruch zur Vision für das Foyer: »Aus der Keimzelle Kunstkammer wird ein moderner Makrokosmos im Mikrokosmos, der nicht mehr von fremdartigen Kuriositäten und Raritäten lebt, sondern von den Zeugnissen eines über Jahrhunderte gewachsenen Austausches und gleichberechtigten Dialogs der Kulturen.« 435

Der objektbezogene Dialog soll zwischen dem Humboldt Forum mit den außereuropäischen Sammlungen und der Museumsinsel mit den Samm-

429 |  Parzinger, Hermann, Das Humboldt-Forum. »Soviel Welt mit sich verbinden als möglich«. Aufgabe und Bedeutung des wichtigsten Kulturprojekts in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2011, S. 12. 430 |  Ebd., S. 43. 431 |  Ebd., Titel. 432 |  Ebd., S. 28. 433 |  Ebd., S. 43. 434 |  Im Artikel »Barockes Domizil« nahm der Kabarettist Frank Lüdecke auf der Satire- und Humorseite der »taz« am 5. September 2015 die Schlossplaner beim Wort und schlug vor, den Neubau zu einem großzügigen Asylbewerberheim umzufunktionieren. 435 |  Vgl. www.humboldt-forum.de/humboldt-forum/aufbau/entrée.

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lungen aus Europa und dem Nahen Osten stattfinden, also nicht als Dialog innerhalb des Humboldt Forums selbst. Diese Kunstkammer nimmt die Herausforderung der Multiperspektivität nicht an, sondern instrumentalisiert sie. Aber es gibt neben ihrer Interpretation im Humboldt Forum auch Konzepte für neue Wunderkammern, die stärker an Erfahrungs- und Handlungsräume anknüpfen. Ein besonders vielversprechendes Konzept baut auf dem wilden Denken als einer »Wissenschaft vom Konkreten« (Lévi-Strauss) auf. In Analogie dazu hat die Kulturwissenschaftlerin Angela Janelli aus der Analyse von Amateur- und Heimatmuseen das Konzept für ein wildes Museum zur Diskussion gestellt. Das wilde Museum »zielt nicht darauf ab, abstrakte Sachverhalte wie zum Beispiel Industrialisierung, Strukturwandel oder die ›große Geschichte‹ zu erklären, es ist vielmehr ein Verhandlungsort für unmittelbar mit den gesammelten Gegenständen verbundene Erfahrungen« 436. Für Janelli werden Museumsobjekte durch das Thematisieren der Beziehungen zwischen Dingen und Menschen bedeutend. Die Dinge seien »keine Illustrationen abstrakter Konzepte, sie sind vielmehr wirksame Dinge« 437, deren Bedeutung die Menschen, die sie betrachten, für sich selbst erzeugen. Das Objekt im wilden Museum bleibt in seinem Kontext, auch im Alltag; es ist durch die geforderte Vernetzung räumlich und zeitlich weit gefasst; es ist weniger kognitiv als sinnlich und dadurch in seiner Materialität wirksam; es steht in stärkerem Bezug zum kommunikativen als zum kulturellen Erinnern. In dieser Ausstellungspraxis stellen die kleinen Erzählungen, die dem Mythos näher sind als der wissenschaftlichen Erklärung und die die Vorstellungskraft anregen, die große, geradlinige, fortschrittsorientierte, objektive Geschichtserzählung in Frage. Die Kunst wird mit ihrer Nähe zum wilden Denken in allen Ausstellungen des wilden Museums bedeutend sein, denn beide, Kunst und wildes Denken, »gründen sich auf eine spontane, unmittelbare Art des Verstehens« 438 . Das wilde Museum korrigiert das Museum als Institution der Aufklärung, es ersetzt es nicht. Es erinnert daran, dass das »individuelle« Ordnen von Erfahrungen mithilfe von Objekten gleichberechtigt steht neben dem »wissenschaftlichen« Ordnen technischer und kulturhistorischer 436 |  Janelli 2012, S. 28. 437 |  Ebd., S. 324. 438 |  Ebd., S. 327.

Wunderkammer

Entwicklungen ebenfalls mithilfe von Objekten. Das linear ausgerichtete wissenschaftliche Museum und das kreisförmig sich orientierende Museum der Erfahrungen und der Kommunikation über diese Erfahrungen gehören zusammen. Das wilde Museum als ein neues demokratisches und partizipatives Konzept auf dem Boden der Wunderkammer ergänzt das Humboldt Forum inhaltlich, weil es nicht nur die ästhe­tische Form der Wunderkammer aufgreift. Das wilde Museum macht auf die überfällige Pluralisierung des Wissens aufmerksam. Diese Arbeit leisten innerhalb des Humboldt Forums die Experimente des Humboldt Lab Dahlem. Es versucht mit großer Themen- und Methodenvielfalt die Annäherung an ein neues Museumskonzept, lässt unterschiedliche Blicke auf ein Objekt zu und erweitert das Rezeptionsspektrum von Objekten und Bildern auf Geräusche, Musik und Sprache. Das Humboldt Lab Dahlem zeigt die Schwierigkeiten der Bündelung von verschiedenen Perspektiven auf ein Objekt, beispielsweise die Nutzung von Kultgegenständen durch ihre ehemaligen Benutzer_innen im Gegensatz zum Wegschließen der gleichen Gegenstände in Vitrinen und Depots durch Museumsmitarbeiter_innen. Oder es erlaubt durch die museumskritische Recherche von Objektbiografien im Austausch mit Vertretern der Ethnien, aus denen die Objekte kamen, Einblicke in die konfliktreiche Geschichte von Objekten sowohl in der nicht-westlichen Gemeinschaft selbst als auch in ihrem Austausch mit westlichen Ethnolog_innen. Das Humboldt Lab Dahlem gibt einen Eindruck von der Punktualität und Mühseligkeit gegenseitigen Verstehens. Das Gleiche würde zutage treten, wenn ein Humboldt Lab nicht nur zur Untersuchung der ethnischen Kategorie, sondern auch zu Aspekten der Genderkategorie eröffnet würde, um den unterschiedlichen Blick von Männern und Frauen auf Museumsobjekte zu untersuchen und daraus neue Präsentationsformen zu entwickeln, wie dies gerade im Humboldt Lab Dahlem in Bezug auf die Angehörigen der ehemals kolonisierenden und kolonisierten Gesellschaften geschieht. In beiden Fällen wird deutlich, dass dies innovative Vorgehen nach Jahrhunderten der Exklusion sowohl von Fremden als auch von Frauen nur der Anfang einer Erarbeitung von Bausteinen für inklusive Ausstellungen sein kann. Für das Humboldt Lab Dahlem scheinen Umfang und Zeit für die Pionierarbeit bereits zu kurz: 30 experimentelle Projekte sollten zwischen 2013 und 2015 auf den Probebühnen in Dahlem das größte Kulturprojekt in Deutschland konzeptionell beleben. Die anspruchsvolle und wegen ihrer Marginalität im Gesamtprojekt un-

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dankbare Rolle des Humboldt Lab Dahlem kann trotz der außerordentlichen Ergebnisse nicht allein zu einem Neuanfang führen. Eine Aufarbeitung hegemonialer Museums­praxis und umfassende Vorschläge für einen neuen Ansatz sind in der kurzen Zeitspanne nicht zu leisten. Grundsätzlich Neues ist auch nicht auf der personalen Ebene der für das Humboldt Forum Verantwortlichen geschehen: Frauen und nichtweiße Männer sind – oft nur temporär – mit ihrem Fachwissen gefragt, aber nicht im Entscheidungsraum zugelassen. Je einflussreicher und politischer die Positionen werden (Intendanz, Leitender Ausschuss), desto exklusiver werden sie für Frauen und Fremde. Beide können in dieser Situation von ihren Positionen außerhalb der Entscheidungsräume daran erinnern, dass sich das Humboldt-Projekt der Aufklärung im Sinne seiner Namensgeber verschrieben hat. Aufklärung steht in der Tradition von Bewusstseinsbildung und Wissenstransfer. Bewusstseinsbildung setzt die Analyse und die Aufhebung der Verhältnisse voraus, die von Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und Ethnien geprägt sind. Wissenstransfer im Sinne von Aufklärung bedeutet Weitergabe von Wissen, um Unfreiheit, Ungleichheit und Unfrieden zu bekämpfen. Das Projekt »Aufklärung« lebt von Kritik und Selbstkritik, durch sie entwickelt es sich weiter. Deshalb muss jedes Projekt, das mit seiner Präsentation Aufklärung reklamiert, kritisch nach seinen Zielen befragt werden können. Im Fall des Humboldt Forums ist ein solches Ziel nicht zu erkennen. Darauf hat beispielsweise Udo Gößwald vom Museum Neukölln hingewiesen und vorgeschlagen, die Sammlungen aus Europa und die ethnologischen Sammlungen unter die gemeinsame Leitidee der Gefährdung zu stellen, denen Kulturen in anderen Teilen der Welt ausgesetzt sind. Städte aus diesen Kulturen könnten im Humboldt Forum zeigen, »wie sie mit ihrem historischen Erbe verfahren und wie sie in der Gegenwart mit ihren aktuellen Problemen umgehen: Umweltschutz, Konzepte zur behutsamen Stadterneuerung, Erhaltung von bezahlbarem Wohnraum, Umgang mit Flüchtlingen und Zugewanderten, Stadtraumbewirtschaftung, Grünflächennutzung und Energiefragen et cetera.« 439 Ohne überzeugende Ziele können Wunderkammerprojekte nicht mehr als faszinieren und ohne Weiterarbeit am Projekt Aufklärung bleibt das Postulat der Aufklärung unrealistisch und gleichzeitig ein Herr439 |  Gößwald, Udo, Eine Art globales Kulturschutzzentrum. In: taz v. 02./03.04.2015, S. 23.

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schaftsinstrument. Ein Ineinanderfügen von Ausstellungsteilen zu einem Sammelsurium von Perspektiven ersetzt nicht die Arbeit an der Gesamtperspektive, in der hegemoniale Ansprüche aufgegeben und mehr Gerechtigkeit zum Tragen kommen soll. Dies gilt für postkoloniale und Genderausstellungen gleichermaßen. Unter einer Gesamtperspektive ist dabei nicht eine allgemeingültige Perspektive zu verstehen, sondern eine offene Präsentation, in der vielfältige subjektive Erfahrungen zum Ausdruck kommen und als solche benannt werden.

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Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit entstand auf der Grundlage langjähriger Aus­ einandersetzung mit Museumspraxis und reflektiert die Genderdebatte mit Bezug auf den Museumstyp Technikmuseum. In der Arbeit wurde zunächst am Beispiel der drei größten und am häufigsten besuchten Ausstellungen »Eisenbahn«, »Schifffart« und »Luftfahrt« im Technikmuseum Berlin untersucht, ob und wie Frauen in den Ausstellungen repräsentiert sind. In zwei Abteilungen – »Schienenverkehr« und »Luftfahrt« – werden Frauen auf »Fraueninseln« ausgestellt und bilden so die Abweichung von der männlichen Norm. In der dritten Ausstellung – der »Schifffahrt« – werden Arbeit und Freizeit von Frauen an einigen Stellen als Elemente der Gesamtgeschichte sichtbar. Nach der weiteren Bestandsaufnahme im Deutschen Technikmuseum Berlin wurden einige der wenigen Ansätze zur Veränderung der generellen Unterrepräsentation von Frauen in Museen und Ausstellungen vorgestellt. Die Suche nach den Ursachen für den Ausschluss von Frauen im Technikmuseum führt zu den Anfängen des neuzeitlichen, aufgeklärten, naturwissenschaftlichen Denkens. Die vorliegende Arbeit geht dabei dem Zusammenhang von Natur und Technik, der Definition von Subjekt und Objekt und der Festlegung des Objektstatus von Frauen und Fremden durch den forschenden Wissenschaftler nach. Die Kritik am Projekt »Aufklärung« und am Konstrukt hegemonialer Männlichkeit wurde auf die Genderverhältnisse in naturwissenschaftlich-technischen Institutionen wie dem Technikmuseum übertragen. Als Schwerpunkt der Arbeit werden kurzfristig und langfristig realisierbare Ansatzpunkte zu einer selbstreflexiven Inklusion von Frauen im Technikmuseum beschrieben. Zu den ersten gehören die Anwendung geschlechtergerechter Sprache, die Entwicklung von Interventionen und die Einbringung von bisher nicht berücksichtigten Perspektiven in be-

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stehende Dauerausstellungen. Die Problematik der Gefahr der Verfestigung bestehender Ungleichheitsverhältnisse durch kurzfristige, die Haupterzählung ergänzende Ansatzpunkte wird diskutiert. Die langfristig zu realisierenden Veränderungen beziehen sich auf die Personal- und Raumgestaltung, auf Vorhaben in Forschung und Sammlung und auf die Bedeutung der Themen Arbeit und Krieg für ein geschlechtergerechtes Technikmuseum. Als Forschungsthemen werden zunächst Untersuchungen im Rahmen der Genderforschung vorgeschlagen, um Mitarbeitende und Besucher_innen im Technikmuseum für die Notwendigkeit eines Wandels zu sensibilisieren. Zweitens ist Forschungsnachholbedarf vorhanden zur Entwicklung von sozialen Werkzeugen als Bestandteil der Reproduktionsarbeit im Gegensatz zu den technischen Werkzeugen im Produktionsbereich. Zum Dritten wird die Notwendigkeit einer erweiterten und differenzierteren Erinnerungsforschung beschrieben, um der sozial konstruierten Erinnerung von Männern und Frauen im Museum Rechnung zu tragen. Die »Sammlung« als Ansatzpunkt für Innovation wird herausgehoben, weil die geschlechtsspezifische Wahrnehmung der Objekte bisher kaum Eingang in die Museumsarbeit gefunden hat und es einen großen Teil der Energie im Museum beanspruchen wird, bis die Sammlungen nach einer Durchsicht in Bezug auf Frauen ihr ganzes ­Potenzial offenbaren können. Im Hinblick auf dringend unter Genderaspekten zu bearbeitende Themen wird vorgeschlagen, Arbeit und Krieg zum Schwerpunkt von multiperspektivischen Ausstellungen zu machen. Wenn sich der Erzählstrang im Technikmuseum vom vorherrschenden Thema »Technik« auf das Thema »Arbeit« verlagert, sind alle Menschen strukturell in Ausstellungserzählungen eingebunden. Wenn sich außerdem in der Darstellung von Kriegstechnik der Blickwinkel auf eine geschlechtergerechte Darstellung erweitert, kann dies zu einer ganz neuen Ausstellungspraxis führen. Frauen sind nirgendwo so abwesend wie in Ausstellungen zur Kriegsgeschichte. Hier sind Forschen, Sammeln und Ausstellen am dringlichsten. Im letzten Kapitel der vorliegenden Arbeit wird die Wunderkammer als aktueller Vorschlag zur Einlösung von Multiperspektivität in Ausstellungen vorgestellt, schwerpunktmäßig am Beispiel des geplanten Humboldt Forums in Berlin. Der Einrichtung einer Wunderkammer als Hilfsmittel zur Einlösung von Multiperspektivität wird das Konzept des »wilden« Museums gegenübergestellt, in dem die Besucher_innen mit ihren Erfahrungen in einen Austausch mit den Objekten treten können.

Zusammenfassung

Damit wird ein partizipativer, alltagsorientierter, sinnlicher und kommunikativer Ansatz zu einer realistischen Museumsarbeit vorgestellt, den es auszubauen gilt.

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Frauen im Technikmuseum

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Mädchen als Beobachterin des elektrischen Treidelns am Finowkanal, 1899

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