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German Pages 536 [551] Year 2022
Dietmar Hüser (Hg.) Frauen am Ball / Filles en crampons
Jahrbuch des Frankreichzentrums | Band 18
Editorial Das Jahrbuch wird herausgegeben vom Kollegium des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes.
Dietmar Hüser hat den Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte in Saarbrücken inne und war zuvor Professor für Westeuropäische Geschichte an der Universität Kassel. Er leitet das Frankreichzentrum an der Universität des Saarlandes und ist Mitglied im Direktorium des Clusters für Europaforschung CEUS. Zudem ist er Sprecher der DFG-Forschungsgruppe 2475 »Populärkultur transnational ‒ Europa in den langen 1960er Jahren« und verantwortlich für das deutsch-französisch-luxemburgische Doktorandenkolleg »Internationale Geschichte interdisziplinär ‒ Deutsch-französisch-europäische Perspektiven im 20. Jahrhundert«.
Dietmar Hüser (Hg.)
Frauen am Ball / Filles en crampons Geschichte(n) des Frauenfußballs in Deutschland, Frankreich und Europa / Histoire(s) du football féminin en Allemagne, en France et en Europe
Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes Leiter: Dietmar Hüser Geschäftsführung: Sandra Duhem, Daniel Kazmaier Postfach 15 11 50 66041 Saarbrücken [email protected] http://www.uni-saarland.de/fz
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Inhaltsverzeichnis
1. Themenschwerpunkt Frauen am Ball – Geschichte(n) des Frauenfußballs in Deutschland, Frankreich und Europa Femmes en crampons – Histoire(s) du football féminin en Allemagne, France et Europe Einleitung DIETMAR HÜSER: ‚Frauen am Ball‘. Die ‚andere‘ Geschichte des Fußballs in Deutschland, Frankreich und Europa ............................ 15
Frauenfußball in der Langzeitperspektive: Kämpfe & (Teil-)Erfolge SVEN GÜLDENPFENNIG: „Starke Weiblichkeit entfesseln.!“ Sportlicher Eigensinn, Misogynie und Selbstbehauptung. Über Frauenpower im Fußball..................................................................... 33 LAURENCE PRUDHOMME: Les femmes sur la touche. 50 ans de football dit féminin au sein de la FFF....................................... 75 FLORIAN BÜHRER: Frauenfußball in der Schweiz. Der Weg zur Anerkennung war lang und ist noch lange nicht zu Ende .................................................................................................. 93
Von den Anfängen bis in die 1940er-Jahre: Aufschwung & Einhegung XAVIER BREUIL: Les femmes, le football et les relations sportives internationales au cours de l’entre-deux-guerres (1920–1936) ............... 117 WOLFGANG FREUND: Bewegungs-Freiheit. Frauenfußball in Frankreich vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg ................................ 133 HELGE FALLER: Auf eigenen Beinen. Der organisierte Frauenfußball der 1920er- und 1930er-Jahre in Europa ................................................... 173
Von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren: Widerstände & Aufbrüche CARINA SOPHIA LINNE: Spielanalyse. Die Rolle der Geschlechterbilder im deutsch-deutschen Frauenfußball ................ 199 DARIUSZ WOJTASZYN: Fußballerinnen im Sozialismus. Frauenfußball in der Volksrepublik Polen ................................................. 229 ALEXANDER FRIEDMAN: „Na los, ran an den Ball, Blondie!“ Der Frauenfußball in der DDR und im Ostblock .................................... 245 SASKIA LENNARTZ: „Wir wollten doch nur Fußball spielen!“ Die Anfänge des Frauenfußballs im Saarland und die Aufhebung des Spielverbots im Jahr 1970 ...................................................................... 267 HANS-PETER HOCK: Spurensuche zwischen Weinreben. Frauenfußball an der Mosel und im Maifeld ab 1968 .............................. 299
Frauenfußball seit den 1990er-Jahren: Auf dem Weg zur Gleichberechtigung CAMILLE MARTIN: Diffusion du football féminin en France, déterminants contextuels et institutionnels (1992–2019) ........................ 333
LAURENT GRÜN: Von den Schwierigkeiten einer weiblichen Fußballmannschaft sich im Rahmen eines historisch gewachsenen Profifußballvereins zu behaupten. Die Frauenfußballabteilung des FC Metz, 2014–2019 ............................ 351 ANNETTE R. HOFMANN & SILKE SINNING: Trainerinnen im Frauenfußball. Nationale und internationale Entwicklungen seit den 1980er-Jahren ............................. 367 JEAN BRÉHON, OUMAYA HIDRI NEYS & HUGO JUSKOWIAK: Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin. L’exception qui confirme la règle? .............................................................. 395
2. Berichte Gastdozentur des Frankreichzentrums: Transkulturalität in Literatur und Film La transculturalité dans la littérature et le cinéma Dr. Myriam Geiser (Wintersemester 2019/20) MYRIAM GEISER: Lehr- und Forschungstätigkeit in deutschfranzösischer Perspektive während meines Gastsemesters an der Universität des Saarlandes (1. September 2019–29. Februar 2020) ...................................................... 429 MYRIAM GEISER: Forschungsrahmen: Transkulturalität als ästhetische Kategorie in deutsch-französischer Perspektive ............. 441 WOLFGANG MÜLLER: Saarländisch-lothringisches Archivkolloquium zu Quellen einer bewegten Geschichte ........................................................................... 465
3. Rezensionen AOC (Analyse Opinion Critique) (Hg.): „Gilets jaunes“. Hypothèses sur un mouvement, Cahier #1, Paris 2019 (Henrik Uterwedde, Ludwigsburg).............................................................. 471 Agan, Ayla/Chapoutot, Johann/Guieu/Jean-Michel: L’heure des choix 1933-1945, Villeneuve d’Ascq 2019 (Maude Williams, Ludwigsburg) .................................................................. 472 Banoun, Bernard/Teinturier, Frédéric/Weissmann, Dirk (Hg.): Istanbul-Berlin. Interculturalité, histoire et écriture chez Emine Sevgi Özdamar, Paris 2019 (Leslie Brückner, Straßburg) ......................................................................... 474 Dufter, Andreas/Grübl, Klaus/Scharinger, Thomas (Hg.): Des parlers d’oïl à la francophonie. Contact, variation et changement linguistiques, Boston 2019 (Sabine Ehrhart, Nancy/Luxemburg) ........... 476
Gantet, Claire/Neumann, Markus (Hg.): Les échanges savants franco-allemands au XVIIIe siècle. Transferts, circulations et réseaux, Rennes 2019 (Jean-Christophe Merle, Vechta/Saarbrücken) ................ 478 Glaeser, Janina: Care-Politiken in Deutschland und Frankreich. Migrantinnen in der Kindertagespflege – moderne Reproduktivkräfte erwerbstätiger Mütter, Wiesbaden 2018 (Catherine Teissier, Aix-en-Provence/Marsaille)...................................... 480 Grunewald, Michel/Dard,Olivier/Puschner, Uwe (Hg.): Confrontations au national-socialisme en Europe francophone et germanophone. Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919-1949), Bruxelles [u. a.] 2019 (Stefan Seidendorf, Ludwigsburg) .............................................................. 482 Hervé, Florence (Hg.): Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, Köln 2020 (Helga E. Bories-Sawala, Bremerhaven) .................................................... 484 Heß, Claudia: Kriegsende und Erinnerungskultur in Frankreich und der BRD – Politische Reden und Presseberichterstattung zum 8. Mai 1945 (1945 – 2015), Online-Veröffentlichung, 2019 (Ingeborg Rabenstein-Michel, Lyon) .......................................................... 487 Holland, Judith: Gewerkschaftliche Geschlechterpolitik. Ein deutschfranzösischer Vergleich, Baden-Baden 2019 (Olivier Giraud, Paris) .......... 491 Koch, Florian: Die Abwertung des Anderen mittels Sprache im Amateurfußball. Ein soziolinguistischer Vergleich in Deutschland und Frankreich, Berlin 2019 (Odile Schneider-Mizony, Strasbourg) ...... 493 Lübbe, Dorothea: Europera. Zeitgenössisches Musiktheater in Deutschland und Frankreich. Perspektiven auf künstlerische Innovationen und Kulturpolitik, Bielefeld 2019 (Florence Baillet, Paris) ......................... 495 Messling, Markus: Universalität nach dem Universalismus. Über frankophone Literaturen der Gegenwart, Berlin 2019 (Chloé Chaudet, Clermont-Ferrand) ........................................................... 497 Miard-Delacroix, Hélène/Wirsching, Andreas: Von Erbfeinden zu guten Nachbarn. Ein deutsch-französischer Dialog. Stuttgart 2019 (Béatrice Durand, Berlin) .............................................................................. 499
Müller, Wolfgang: Die Universität des Saarlandes: Impressionen aus einer bewegten Geschichte, Erfurt 22017 (Didier Hemmert, Saargemünd)........... 500 Polzin-Haumann, Claudia/Putsche, Julia/Reissner, Christina (Hg.): Wege zu einer grenzüberschreitenden deutsch-französischen Fremdsprachendidaktik: Etat des lieux, enjeux, perspectives, St. Ingbert 2019 (Sandra Schmidt, Paris) ................................................................................. 502 Pröll, Julia/Lüsebrink, Hans-Jürgen/Madry, Henning (Hg.): Médecins–écrivains français et francophones. Imaginaires–poétiques–perspectives interculturelles et transdisciplinaires, Würzburg 2018 (Sylvère Mbondobari, Libreville) ................................................................. 504 Roger, Jennifer: Querelle des médias und pacte de l’adaptation. Die „Grande Guerre“-Erinnerung in Romanen und Filmen der Jahrtausendwende, Würzburg 2020 (Thomas Schmidtgall, Saarbrücken)............................................................ 508 Tétart, Philippe (Hg.): Côté tribunes. Les supporters en France de la Belle Époque aux années 1930, Rennes 2019 (Philipp Didion, Saarbrücken) ..................................................................... 511 Williams, Maude: „Ihre Häuser sind gut bewacht“ – Kriegskommunikation und Evakuierung in Deutschland und Frankreich 1939/40, Berlin 2019 (Dominique Huck, Strasbourg).................................................................... 514 Autor*innenverzeichnis ............................................................................... 517 Bildnachweis .................................................................................................. 531
1. Themenschwerpunkt Frauen am Ball – Geschichte(n) des Frauenfußballs in Deutschland, Frankreich und Europa Femmes en crampons – Histoire(s) du football féminin en Allemagne, France et Europe
Einleitung
Dietmar Hüser
‚Frauen am Ball‘
Die ‚andere‘ Geschichte des Fußballs in Deutschland, Frankreich und Europa
„Damenfußball gibt es heute fast nicht mehr. Er war zwischen 1952 und 1960 in Mode, aber der Charme der balltretenden Mädchen überwog doch bei weitem deren Können.“, lautete der kursorische Eintrag unter dem Buchstaben „D“ im selbsternannten „ersten Lexikon über den Fußballsport“.1 Es war 1969 im Jugend- und Kinderbuchverlag Franz Schneider erschienen, ein Jahr, bevor der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wie auch sein französisches Pendant, die Fédération Française de Football (FFF), sich anschickten, ein Verbot aufzuheben, das es Frauen offiziell untersagte, fußballerischen Aktivitäten in vereins- und verbandsmäßig organisierten Strukturen nachzugehen. Dass den Damen-, Frauen- oder Mädchenfußball weit über das Schneider Lexikon hinaus abfällige bis feindselige Kommentare begleiteten, war damals ein alltagssprachlich wie massenmedial eingespieltes Ritual, das mit dem Aufheben der Verbandsquarantäne 1970 längst noch kein Ende fand. Es verweist auf die weiterhin hohen Hürden, Raum, Respekt und Ansehen für frauenfußballerische Praktiken und Leistungen zu erhalten und auf allen sportlichen Ebenen dafür zu sorgen, dass Fußball in Deutschland, Frankreich und vielen anderen Ländern weltweit als das wahrgenommen wird, was er faktisch seit langem ausmacht und bedeutet: alles andere als eine Männerdomäne.
1. Populärer Sport & historische Forschung Hohe Hürden hatte und hat nicht nur der Frauenfußball zu überwinden, sondern auch die Geschichte des modernen Sports in der deutschen und französischen Historiographie. Zwar bestritt auch vor einem halben Jahrhundert kaum jemand die Mobilisierungskraft und Bedeutungsvielfalt moderner Sportphänomene und Sportpraktiken: Niemand stellte sein Potenzial infrage, zentrale Trends des politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Alltags und Wandels seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu beeinflussen und zu reflektieren;2 ebenso wenig seine Eignung, als Projektionsfläche ___________ 1 2
Vgl. Jendral, Hans Jürgen (Hg.): Schneider Lexikon Fußball. Das erste Lexikon über den Fußballsport, München/Wien: Franz Schneider Verlag, 1969, S. 52. Als eine Art ‚individueller wie gesellschaftlicher Index der Geschichte‘; dazu Kühnst, Peter: Sport. Eine Kulturgeschichte im Spiegel der Kunst, Dresden: Verlag der Kunst, 1996, S. 9.
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menschlicher Phantasien, Sehnsüchte und Bedürfnisse sowie individueller wie kollektiver Weltsichten zu fungieren, die im öffentlichen Raum um Deutungshoheit ringen.3 Zugleich aber begegnete das Gros professioneller Historikerinnen und Historiker allem Populär- bzw. Massenkulturellen – und damit auch dem Sport, besonders dem Fußball – mit mildem Lächeln bis offenem Naserümpfen: als gehöre es „zum guten Ton des europäischen Bildungsbürgers, […] sich pejorativ […] über populäre Sportarten zu äußern“.4 Anders als im britischen ‚Mutterland‘ des modernen Fußballsports wie der akademisch erprobten Sporthistoriographie begannen sich die Dinge im deutsch- und französischsprachigen Raum erst in den 1980er-Jahren langsam zu ändern: aus Gründen, die mit dem Beerben der Sportgeschichtspioniere und dem Einrücken einer jüngeren, weniger berührungsängstlichen Generation auf universitäre Posten zu tun hatten, ebenso mit einem nochmaligen planetären Schub an Professionalisierung, Kommerzialisierung, Medialisierung und Entertainisierung des Fußballs, der seinerseits den ‚Markt‘ sporthistorischer Offerten befeuerte und eine wachsende Zahl an Akteur*innen mit diversen Formaten, Anliegen und Interessen auf den Plan rief. Staatliche Stellen etwa mit „sportlichen“ Gedenkfeiern, Sportverbände mit Fest- und Jubiläumsschriften, ehemalige Aktive mit aufgezeichneten Erinnerungen, audiovisuelle und Printmedien mit historischen Rückblicken, Museen mit Ausstellungen und Katalogen, Journalist*innen oder Intellektuelle mit anekdotischen bis essayistischen Büchern etc.5 Allemal begann sich der fachdisziplinäre Umgang mit dem Phänomen Fußball zu normalisieren; auch deutsche und französische Forscher*innen schickten sich nun an, den Weg vom „‚Proletensport‘ zum ‚Kulturgut‘“6 und „objet de culture“7 nachzuzeichnen und kritisch zu begleiten. Inzwischen sind ___________ 3
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Vgl. Bromberger, Christian: Passions pour „la bagatelle la plus sérieuse du monde“. Le football, in: ders. (Hg.): Passions ordinaires. Football, jardinage, généalogie, concours de dictée…, Paris: Hachette, 22002, S. 271–307, hier S. 271–275; Hüser, Dietmar: Moderner Sport und Geschichte als Wissenschaft. Zur politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtung eines massenkulturellen Phänomens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Neue Politische Literatur 51 (2006), S. 223–263, hier S. 223–225. Zimmermann, Moshe: Die Religion des 20. Jahrhunderts. Der Sport, in: Dipper, Christof/Klinkhammer, Lutz/Nützenadel, Alexander (Hg.): Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder, Berlin: Duncker & Humblot, 2000, S. 33–350, hier S. 331. Dazu Herzog, Markwart (Hg.): Memorialkultur im Fußballsport. Medien, Rituale und Praktiken des Erinnerns, Gedenkens und Vergessens, Stuttgart: Kohlhammer, 2013; Pyta, Wolfram/Havemann, Nils (Hg.): European Football and Collective Memory, New York: Palgrave Macmillan, 2015. Vgl. Gebauer, Gunter: Vom „Proletensport“ zum „Kulturgut“. Essay, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 27/28 (2013), S. 8–14. Gastaut, Yvan/Mourlane, Stéphane: Introduction, in: dies. (Hg.): Le football dans nos sociétés. Une culture populaire 1914–1998, Paris: Autrement, 2006, S. 5–14, hier S. 8.
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manche Phasen, Themen und Phänomene empirisch halbwegs aufgearbeitet, allen voran der Spitzenfußball im Kontext geschichtsmächtiger globaler Großereignisse. Dazu zählen die Fußball-Weltmeisterschaften seit 1930,8 ebenso dort errungene nationale Erfolge wie das bundesrepublikanische Nachkriegs‚Wunder von Bern‘ 1954 bei der Fußball-WM in der Schweiz etwa oder das ‚Wunder von Saint-Denis‘ durch die équipe tricolore 1998 bei der WM im Stade de France;9 daneben quellenbasierte Handbücher zum deutschen wie zum französischen Fußball im 20. Jahrhundert mit unterschiedlichem thematischen und zeitlichen Fokus,10 ferner Synthesen zum internationalen Fußballgeschehen seit seinen frühesten Anfängen im viktorianischen England oder zur Geschichte des Weltfußballverbandes seit der Pariser Gründung der FIFA im Jahre 1904.11 Zugleich bleibt zu konstatieren, dass es eine stete Diskrepanz gibt zwischen der Einsicht, Fußball sei ein mächtiges Gesellschaftsphänomen und legitimes Analyseobjekt, und dem recht überschaubaren wissenschaftlichen Output. Erst recht gilt dies für vergleichs- und transfergeschichtlich dimensionierte deutsch-französische Beiträge, ob es sich nun um quellengesättigte Studien und Qualifikationsschriften handelt12 oder um Sammelbände, die über eine Zusammenschau von Einzelbeiträgen zu dem einen oder anderen Land hinausgehen.13 Hinzu kommt, dass für zahlreiche erkenntnisträchtige ___________ 8 9
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Zuletzt Wahl, Alfred: Histoire de la Coupe du monde du football. Une mondialisiation réussie, Brüssel: P.I.E. Lang, 2013. Vgl. Brüggemeier, Franz-Josef: Weltmeister im Schatten Hitlers. Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaft 1954, Essen: Klartext, 2014; Dauncey, Hugh/Hare, Geoff (Hg.): France and the 1998 World Cup. The National Impact of a World Sporting Event, London/New York: Routledge, 1999. Vgl. Havemann, Nils: Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga, München: DVA, 2013; Wahl, Alfred/Lanfranchi, Pierre: Les footballeurs professionnels des années trente à nos jours, Paris: Hachette, 1995; Krasnoff, Lindsay Sarah: The Making of Les Bleus. Sport in France 1958–2010, Lanham: Lexington Book, 2013. Vgl. Dietschy, Paul: Histoire du football, Paris: Perrin, 2010; zur FIFA vgl. Eisenberg, Christiane [u. a.]: FIFA 1904-2004. 100 Jahre Weltfußball, Göttingen: Die Werkstatt, 2004. Als Ausnahmen von der Regel vgl. Meyer, Jean-Christophe: L‘offre télévisée de football et sa réception par la presse en France et en RFA (1950–1966). L‘édification du „Grand stade“, vecteur d’identité nationale et européenne, Université de Strasbourg, Diss., 2012; Reichelt, Bernd: Fußball im deutsch-französischen Grenzraum Saarland / Moselle 1900–1952. Eine transnationale Geschichte politischer Inszenierung und sportlicher Emanzipation, Stuttgart: Steiner, 2014; Didion, Philipp: „Gute Deutsche in Paris“. Fußball-Länderspiele zwischen Frankreich und der Bundesrepublik in den 1950er Jahren und die Wiederaufnahme der bilateralen Sportbeziehungen, Universität des Saarlandes, Staatsarbeit, 2019. Vgl. Pfeil, Ulrich (Hg.): Football & Identité en France et en Allemagne, Villeneuve d‘Ascq: Septentrion, 2010; Hüser, Dietmar/Baumann, Ansbert (Hg.): Migration | Integration | Exklusion – Eine andere deutsch-französische Geschichte des Fußballs in den langen 1960er Jahren, Tübingen: Narr Francke Attempto, 2020; zuletzt Hüser, Dietmar/Dietschy, Paul/Didion, Philipp
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Forschungsfelder nach wie vor beachtliche Desiderate zu verzeichnen sind, gerade was medien- und kommunikations-, stadt- und regional-, gesellschafts-, kultur- und emotionshistorische Prämissen anbelangt. Für manche Phasen der fußballerischen Entwicklung liegen bislang nur wenige Untersuchungen vor. Auch der gesamte Amateursektor sowie die sozialen bzw. kulturellen Praktiken des Fußballspielens und des Fußballkonsumierens, die sich damit verbinden, sind historiographisch ziemlich unterbelichtet. Nicht weniger – allen zuletzt greifbaren Fortschritten zum Trotz – eine deutsch-französische Geschichte von ‚Frauen am Ball‘.
2. Geschichte als Wissenschaft & ‚Frauen am Ball‘ Obwohl vielerorts Frauen bereits Ende des 19. Jahrhunderts, europaweit dann spätestens im oder kurz nach dem Ersten Weltkrieg, am Ball gewesen sind, manche Spiele schon in den 1920er-Jahren zehntausende Zuschauer*innen mobilisierten und sich ‚Frauen am Ball‘ über mehrere Konjunkturen hinweg zu einem Massenphänomen entwickeln sollten,14 bieten allgemeine geschichtswissenschaftliche Überblickswerke zum Fußballgeschehen im 20. Jahrhundert den Sportlerinnen bislang keinen oder kaum Platz. Oder bestenfalls in einem knappen Nischenkapitel, am besten subsumiert unter anderen ‚nachrangigen‘ Aktivengruppen im Schatten der männlichen Spitzenkicker.15 Dieser traurige Befund über Frauenfußball in Männerfußball-Synthesen, der bereits vor gut zwei Jahrzehnten zutraf,16 hat sich hartnäckig gehalten: sowohl in der französischen als auch der deutschen Historiographie wie in den historisch ausgerichteten Sportwissenschaften beider Länder.17 Auch Monographien zur Frauenfußballgeschichte auf der Grundlage breiter Archivrecherchen sind weiterhin äußerst selten. Für Frankreich lässt sich auf Laurence Prudhomme-Poncets Pionierstudie Histoire du football féminin au XXe siècle aus dem Jahr 2003 verweisen, die einleitend das Schattendasein ___________
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(Hg.): Sport-Arenen – Sport-Kulturen – Sport-Welten / Arènes du sport – Cultures du sport – Mondes du sport. Deutsch-französisch-europäische Perspektiven im ‚langen‘ 20. Jahrhundert/Perspectives francoallemandes et européennes dans le ‚long‘ XXe siècle, Stuttgart : Steiner, 2022. Vgl. Pfister, Gertrud: Frauenfußballgeschichten im internationalen Vergleich, in: Zipprich, Christa (Hg.): Sie steht im Tor und er dahinter. Frauenfußball im Wandel, Hildesheim: Arete Verlag, 2012, S. 20–51, hier S. 32f., 36. Vgl. das Kapitel „Frauen- und Jugendfußball“ bei Eisenberg [u. a.]: FIFA 1904–2004, S. 183–201. Beispielsweise Wahl, Alfred: La balle au pied. Histoire du football, Paris: Gallimard, 2002, S. 46f. Als Ausnahme von der Regel vgl. Koller, Fabian/Brändle, Christian: Goooal!!! Kulturund Sozialgeschichte des modernen Fußballs, Zürich: Orell Füssli, 2002, S. 207–232. Etwa bei Dietschy: Histoire du football, S. 502–507; Havemann: Samstags um halb 4, S. 352– 362, 368. Etwas ausführlicher Correia, Mickaël: Une histoire populaire du football, Paris: La Découverte, 2018, S. 311–329.
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historischer Beschäftigung mit Frauenfußball ebenso beklagt wie 2004 Marianne Meiers Zarte Füsschen am harten Leder… für die Schweiz und den deutschsprachigen Raum.18 Dass die Dinge im Bereich quellenbasierter Bücher eher schleppend vorangingen, dokumentieren zwei weitere wegweisende Abhandlungen aus dem Jahr 2011, die noch immer ein marginales Interesse an ‚Frauen am Ball‘ konstatieren: einmal Carina Sophia Linnes Freigespielt zur Geschichte des deutschen, nicht zuletzt des deutsch-deutschen Frauenfußballs zu Zeiten von Bundesrepublik und DDR bis zum Vereinigungsprozess; dann Xavier Breuils Histoire du football féminin en Europe als konsequenter Vergleich teils ähnlicher, teils divergierender Entwicklungspfade einzelner europäischer Länder im 20. Jahrhundert.19 Breiter gestreut, und dies bereits seit den 1980er-Jahren, sind dagegen Untersuchungen anderer Fachdisziplinen, der Medizin oder Psychologie etwa,20 der aktualitätsorientierten Sportwissenschaft,21 zuletzt der gender-Forschung, bei der historische Dimensionen – wie 2019 bei Friederike Fausts Fußball und Feminismus22 – wieder eine wichtige Rolle spielen. Ein wenig aufgewogen wird der Mangel an archivgestützten empirischen Studien durch eine staatliche und steigende Anzahl einschlägiger Beiträge in Fachzeitschriften und Sammelbänden. Diese reichen zurück bis in die Anfänge einer historisch ausgerichteten sportwissenschaftlichen Frauenforschung,23 haben sich aber in den letzten beiden Jahrzehnten fachdisziplinär erweitert und betrachten Frauenfußball aus verschiedensten Blickwinkeln, aus soziologischen und ethnologischen, aus kulturwissenschaftlichen und – verstärkt auch – geschichtswissenschaftlichen. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang mehrere einträgliche jüngere Veröffentlichungen, die
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Vgl. Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris : L‘Harmattan, 2003, S. 11–20; Meier, Marianne: „Zarte Füsschen am harten Leder…“ – Frauenfussball in der Schweiz 1970–1999, Frauenfeld/Stuttgart/Wien: Verlag Huber, 2004, S. 13–33. Vgl. Linne, Carina Sophia: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra wissenschaft verlag, 2011, S. 7–14; Breuil, Xavier: Histoire du football féminin en Europe, Paris: Nouveau Monde éditions, 2011, S. 7–15. Z. B. Novak, Jacques/Virion, Bernard: Le football féminin, Paris: Chrion, 1981. Etwa Sinning, Silke: Trainerinnen im Frauenfußball. Eine qualitative Studie, Schorndorf: Hofmann, 2005. Vgl. Faust, Friederike: Fußball und Feminismus. Eine Ethnografie geschlechterpolitischer Interventionen, Opladen/Berlin/Toronto: Budrich Press, 2019. Beispielsweise Pfister, Gertrud/Langenfeld, Hans: Vom Frauenturnen zum modernen Sport. Die Entwicklung der Leibesübungen der Frauen und Mädchen seit dem Ersten Weltkrieg, in: Ueberhorst, Horst (Hg.): Geschichte der Leibesübungen, Band 3/2, Berlin: Bartels & Wernitz, 1982, S. 977–1008; bilanzierend Gieß-Stüber, Petra: Frauen- und Geschlechterforschung im Sport. Forschungsfelder, Entwicklungen und Perspektiven, in: Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien 23 (2009), S. 33–44.
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meist aus Tagungen oder Workshops hervorgegangen sind.24 Und andere fußballhistorische Herausgeberschriften zu unterschiedlichsten Themenfeldern kommen längst nicht mehr umhin,25 ‚Frauen am Ball‘ einen gebührenden Platz einzuräumen und einer Forschungslandschaft, die sich gerade neuformiert, Rechnung zu tragen.26 Dies gilt ebenso für Publikationen im Bereich transnational angelegter deutsch-französischer Publikationen zur Sport- und Fußballgeschichte,27 das sich aktuell kaum als befriedigend bestellt kennzeichnen lässt. Auf diesem ‚Terrain‘ einige weitere Pflöcke einzuschlagen, darin liegt ein zentrales Anliegen von ‚Frauen am Ball‘.
3. ‚Frauen am Ball‘: Konjunkturen & Konstanten Der knapp umrissene Forschungsstand in der deutschen und französischen Historiographie, nicht zuletzt die marginale Rolle von ‚Frauen am Ball‘ in einschlägigen fußballhistorischen ‚Gesamtdarstellungen‘, spiegelt die langen und massiven moral panic-gleichen Vorbehalte wider, die bereits das frühe Auftauchen kickender filles en crampons um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begleitete. In den Augen der Gegner*innen drohte Frauenfußball die ‚natürliche‘ (Geschlechter-)Ordnung zu kippen, die kulturellen Grenzen des Sag- und Machbaren zu verrücken und die Werte, die Interessen, das Wohlergehen der Gesamtgesellschaft zu untergraben. Dahinter verbarg sich eine jahrzehntelang dominante Sicht der Dinge, derzufolge Fußball ein Kampfund demnach ein Männersport sei, geprägt durch ‚männliche‘ Eigenschaften wie Härte und Disziplin, Courage und Violenz, Stärke und Ausdauer, Kühnheit und Cleverness. Eine Vision, die öffentliche Meinungsführer im Sport ___________ 24
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Vgl. Hennies, Rainer/Meuren, Daniel (Hg.): Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen: Die Werkstatt, 2009; Zipprich, Christa (Hg.): Sie steht im Tor und er dahinter; Sobiech, Gabriele/Ochsner, Andrea (Hg.): Spielen Frauen ein anderes Spiel? Geschichte, Organisation, Repräsentationen und kulturelle Praxen im Frauenfußball, Wiesbaden: Springer VS, 2012; Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013. 2007 war das noch möglich, vgl. Mittag, Jürgen/Nieland, Jörg-Uwe (Hg.): Das Spiel mit dem Fußball. Interessen, Projektionen und Vereinnahmungen, Essen: Klartext, 2007. Etwa der Beitrag von Vanja Mandic, in: Osses, Dietmar (Hg.): Von Kuzorra bis Özil. Die Geschichte von Fußball und Migration im Ruhrgebiet, Essen: Klartext, 2015, S. 127–135; oder der Artikel von Olaf Stieglitz, in: Friedman, Alexander/Jacob, Frank (Hg.): Fußball. Identitätsdiskurse, Politik und Skandale, Stuttgart: Kohlhammer, 2020, S. 145–163. Vgl. die Aufsätze von Mareike König und von Xavier Breuil, in: Pfeil (Hg.), Football & identité, S. 179–205, von Camille Martin, in: Hüser/Baumann (Hg.): Migration | Integration | Exklusion, S. 277–291, sowie von Saskia Lennartz, von Camille Martin und von Laurence Prudhomme, in: Hüser/Dietschy/Didion (Hg.): Sport-Arenen – Sport-Kulturen – Sport-Welten, S. 391–439.
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selbst wie auch in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Medien, Kirchen, Medizin etc. nicht kritisch zu hinterfragen gedachten und die Verbände wie Vereine auf dem Spielfeld allenthalben und umstandslos geteilt und gelebt haben. Freilich war es eine Vision, die niemals der Realität entsprach. Denn Frauenfußball entpuppte sich langfristig als ein auf Dauer gestelltes Phänomen, das zurecht auf „l‘ancienneté des ancrages, des racines“28 verweisen konnte. Überdies ging es nie – zu keinem Zeitpunkt – im Vereinssport auf, sondern zeigte und zeigt sich in lebensweltlich-freizeitlichen Praktiken weit darüber hinaus:29 auf der Straße, im eigenen Garten oder auf freien Rasenflächen, auf örtlichen Spiel- und Bolzplätzen oder vor nachbarschaftlichen Garagentoren, in schulisch-universitären, betrieblichen oder mannigfachen anderen Kontexten. Die Jahre nach dem Weltkriegsende waren es, die ein massives Ausweiten frauenfußballerischer Praktiken mit sich brachten, allerdings mit unterschiedlichen Temporalitäten und jeweils spezifischen Ausprägungen von Land zu Land: Blieb in der Weimarer Republik die Abwehrfront mächtig und die Dynamik begrenzt auf wenige belegbare Initiativen,30 feierten ‚Frauen am Ball‘ anderswo in Europa seit den 1920er-Jahren erste Hochzeiten, besonders in Frankreich.31 Dort entstanden früh feste organisatorische Strukturen und nachgefragte Wettbewerbe, die jedoch nicht verhindern konnten, dass der Gegenwind im Laufe der Zeit zu- und der sportliche Schwung abnahm. Dazu mochte die unzureichende internationale Zugkraft des Frauenfußballs ein Scherflein beigetragen haben,32 ebenso das verschärfte politische Klima in Europa und die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die weiter schwierigen Trainings- und Spielmöglichkeiten und die Persistenz traditioneller Geschlechterbilder.33 Das Ende des Zweiten Weltkriegs – und damit das Ende des Frauenfußballverbots im Vichy-Regime und Nationalsozialismus – ermöglichte Frauen wieder fußballerische Aktivitäten unter veränderten Vorzeichen. Der neuerliche, allenthalben sichtbare Aufwärtstrend war allerdings in vielen westund osteuropäischen Regionen eine Sache der langen 1960er-Jahre.34 Dies gilt ___________ 28 29 30 31 32 33 34
Dazu Prudhomme-Poncet: Histoire du football féminin au XXe siècle, S. 7. Dazu auch der Hinweis auf den Schweizer Fall der Zwischenkriegszeit im Beitrag von Florian Bührer in diesem Band. Vgl. Faust: Fußball und Feminismus, S. 61–63; ausführlicher Lönnecker, Harald: „…das macht man doch nicht!“ – Frauenfußball an deutschen Hochschulen 1919–1935, in: Herzog (Hg): Frauenfußball in Deutschland, S. 201–219. Vgl. den Beitrag von Helge Faller in diesem Band. Vgl. den Beitrag von Xavier Breuil in diesem Band. Vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Freund in diesem Band. Ausführlich zu den langen 1960er-Jahren im europäischen Frauenfußball vgl. Breuil: Histoire du football féminin en Europe, S. 131–211. Dazu auch die Beiträge von Florian Bühler, Dariusz Wojtaszyn und Alexander Friedman in diesem Band.
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auch für den französischen und westdeutschen Fall.35 Zwar lassen sich für beide Länder weder folkloristische Anflüge noch sexistische Untertöne etlicher Frauenfußballveranstaltungen von der Hand weisen. Zugleich aber hat sich damals ein Pool junger Frauen herausgebildet, die allen formalen und praktischen Restriktionen zum Trotz motiviert waren, regelmäßig zu trainieren, Matches auszutragen und als künftige Multiplikatorinnen ‚am Ball zu bleiben‘.36 Meist aus bescheidenen Verhältnissen und sportbegeisterten Familien, schuf diese 1960er-Generation – längst bevor das offizielle Frauenfußballverbot von DFB bzw. FFF anno 1970 fiel, um hier wie dort das ‚männliche‘ Verbandsmonopol zu wahren – den Nährboden für die zentralen Tendenzen der 1980er-, mehr noch der 1990er-Jahre: zum Beispiel die einsetzende (Halb-) Professionalisierung an der Spitze, die beachtliche Expansion des internationalen Spielbetriebs oder die langsame, aber stete Feminisierung des ‚Männersports‘. Weniger noch als zuvor jedenfalls lässt sich das Männersport-Diktum für die letzten Jahrzehnte argumentieren. Begründet liegt dies in profunden Trends sozio-kulturellen Wandels, die Norbert Elias als Informalisierungsund funktionale Demokratisierungsprozesse moderner Gesellschaften beschrieben hat: mit der Folge, dass immer mehr Menschen über bessere Zugänge zu öffentlicher Mitsprache, Sichtbarkeit und Teilhabe an sozialen und kulturellen Ressourcen verfügen.37 Fußball macht da keine Ausnahme. Und wie in anderen Bereichen auch waren es die benachteiligten Gruppen – in dem Fall die Frauen – selbst, die den öffentlichen Raum eroberten und sich als Akteurinnen eigener sportlicher Zukunftschancen in den männerdominierten Domänen der Verbände, Medien, Politik etc. durchsetzen mussten.38 Ein beschwerlicher Weg, allerdings zunehmend erleichtert durch ein Mehr an öffentlicher Aufmerksamkeit, Anerkennung und Anziehungskraft, auch durch ein Mehr an Förderprogrammen in der Breite wie an der Spitze, nicht zuletzt durch umgekehrte Rechtfertigungszwänge, nunmehr für all diejenigen, die Frauenfußball noch immer kleinreden: „se moquer des footballeuses devient ___________ 35 36 37
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Vgl. dazu die Beiträge von Laurence Prudhomme und Carina Linne sowie die Regionalstudien von Saskia Lennartz und Hans-Peter Hock in diesem Band. Zum „inoffiziellen“ Frauenfußball nach dem DFB-Verbot von 1955, vgl. Linne: Freigespielt, S. 104–111. Vgl. Elias, Norbert: Zivilisation und Informalisierung, in: ders.: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt: Suhrkamp, 41990, S. 31–158, hier S. 51–53. Aufgegriffen von Krüger, Michael: Vom „Strauchballspiel“ zum Frauenfußball. Zur Geschichte des populärsten deutschen Sports, in: ders./Hofmann, Annette R. (Hg.): Rund um den Frauenfußball. Pädagogische und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Münster: Waxmann, 2014, S. 11–46, hier S. 15–17; ähnlich argumentiert für Frankreich Prudhomme-Poncet: Histoire du football féminin, S. 210–214. Dazu der Beitrag von Sven Güldenpfennig in diesem Band.
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assez ringard“39, oder sexistisch aufladen: selbst wenn es sich dabei um die nationalen Verbände selbst im Kontext bevorstehender Großereignisse handelt.40 Dass sich in Deutschland, Frankreich und vielen anderen Ländern die Dinge zum Besseren gewendet haben, wird niemand bezweifeln wollen: bis hin zum stetig wachsenden Frauenanteil an Fußballspielenden, die in DFBoder FFF-Vereinen organisiert sind, seit den frühen 1990er-Jahren,41 der freilich im deutschen gegenüber dem französischen Fall deutlich höher ausfällt. Die länderspezifischen Unterschiede sind weiterhin gewaltig: Der Frauenanteil betrug 2017/18 in den Vereinigten Staaten 55 %, in Schweden 38,4 %, in England 24,6 %, in Deutschland 15,5 % und in Frankreich 7,4 %, dies trotz eines 2011 angestoßenen Feminisierungsprogramms der Fédération Française de Football.42 Auch bei der Präsenz von Schiedsrichterinnen, deren Exzeptionalität auf dem Platz mehr und mehr als Problem galt und im Fußballverband Rheinland schon in den späten 1960er-Jahren ein Ausbildungsprogramm samt Abschlussprüfung nach sich zog,43 sind die Fortschritte ebenso sichtbar wie überschaubar; ähnlich stellt sich die Situation im Bereich der Trainerinnen dar, deren Visibilität seit den 1980er-Jahren besonders im Frauenund Jugendfußball, zuletzt auch bei den Nationaltrainerinnen, überdeutlich zugenommen hat, weniger bei der Betreuung von (Spitzensport-)Männerteams, wo Figuren wie Corinne Diacre am Ende doch die große Ausnahme sind.44 Darüber hinaus – und als Chiffre für Geschlechterverhältnisse in der Gesamtgesellschaft – verstellen fortwährende ‚männliche Schatten‘ eine klare Sicht auf ‚Frauen am Ball‘. Meist meint Männerfußball alltagssprachlich noch immer Fußball, während Frauenfußball geschlechtlich markiert bleibt. Ebenfalls auf der Hand liegen zahlreiche strukturelle Benachteiligungen für ___________ 39 40
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Dies die Einschätzung des Soziologen Patrick Mignon vor der Frankreich-WM 2019 im Interview mit Métayer, Bertrand: N. N.: Coupe du monde féminine. „Se moquer des footballeuses devient assez ringard“, in: Le Parisien, 18.06.2019. Mit Blick auf die DFB-Imagekampagne „20Elf von seiner schönsten Seite“ anlässlich der Deutschland-WM 2011 vgl. z. B. Meuren, Daniel: 20Elf von seiner glattgebügelten Seite, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.2011. Zu vergleichbaren FFF-Initiativen in den 2010er-Jahren sowie zur WM 2019 vgl. den Beitrag von Laurence Prudhomme in diesem Band. Dazu auch der Beitrag von Camille Martin in diesem Band. Vgl. N. N.: Football féminin: Un retard français? Entretien avec Audrey Gozillon, in: Observatoire Géostratégique du Sport, Januar 2020, S. 1–9, hier S. 4; ausführlich Gozillon, Audrey: Entre bancs de touche et terrains verts… Le complexe processus de féminisation du football français à l‘aune de la comparaison (inter)nationale et régionale, Université d‘Artois, Diss., 2021. Dazu die Beiträge von Saskia Lennartz und Hans-Peter Hock in diesem Band Dazu die Beiträge von Annette R. Hofmann und Silke Sinning sowie von Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys und Hugo Juskowiak in diesem Band.
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Frauen.45 Dies reicht von der national wie international eklatanten Unterrepräsentanz in Governance-Positionen sämtlicher Funktionen und Ebenen über schlechtere Vertragsabschlüsse und niedrigere Gehälter im Spitzensport bis hin zu begrenzteren Förderplänen auch in der Breite.46 Daraus ergeben sich strukturell erschwerte Entfaltungschancen und Wertschätzungspotenziale bereits in den Vereinen. Verglichen mit jungen Männern verfügen Mädchen selten über dieselben Ressourcen, über adäquate Zeitschienen, Schutzräume und Betreuungskonzepte, über vergleichbare Ausrüstungs- und Trainingsangebote;47 häufig sind junge Frauen konfrontiert mit ‚männlichen‘ Infrastrukturen auf Sportplätzen, etwa in Umkleiden oder Sanitäranlagen, auch mit einer oft als unzureichend empfundenen Willkommenskultur in den Clubs.48 Hinzu kommt, dass es auch die Meistererzählung dauerhafter Zuwächse an breitenwirksamer Popularität und massenmedialem Interesse im Zuge internationaler Fußball-Events zu relativieren gilt. Zwar sind die kurzfristigen Effekte nicht zu unterschätzen. Großereignisse und sportliche Triumphe der Männer – etwa die westdeutschen WM-Erfolge 1954 in der Schweiz und 1974 in der Bundesrepublik – generierten eine Mobilisierungswelle, die 1955 die verbandspolitisch gewollte Illegalität nach sich zog, 1974 dann anschwellende Mitgliedszahlen im organisierten Spielbetrieb; entsprechende Wirkungen zeigte – ebenfalls im eigenen Land – der französische WM-Sieg der BlackBlanc-Beur-Equipe 1998.49 Ähnliches lässt sich für Turnier-Highlights im Frauenfußball feststellen, für den ‚Heimerfolg‘ des deutschen Nationalteams bei der Europameisterschaft 1989 etwa, der gerne als Durchbruch zu neuen – fortan
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Ausführlich dazu Boniface, Pascal/Gomez, Carol: Quand le football s‘accorde au féminin, Paris: L‘Organisation des Nations Unies pour l‘éducation, la science et la culture, 2019, S. 38–41, 53–60; zur ausbleibenden Mobilisierung gegen Benachteiligungen vgl. Mennesson, Christine: Pourquoi les sportives ne sont-elles pas féministes? De la difficulté des mobilisations genrées dans le sport, in: Sciences sociales et sport 5 (2012), S. 161–191. Zu den Gehältern nun Dilger, Alexander/Scharfenkamp, Katrin: Ist die Vergütung im Fußball geschlechtergerecht? Diskussionspapier des Instituts für Organisationsökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster 1/2020, https://www.wiwi.uni-muenster.de/io/ sites/io/files/forschen/downloads/dp-io_01_2020.pdf (01.5.2022). Vgl. Héas, Stéphane [u. a.]: Football féminin. „c‘est un jeu d‘hommes“, in: Caheris du Genre 36 (2003), S. 185–203, hier S. 198–200. Dazu auch der Beitrag von Laurent Grün in diesem Band. Zu den Rückwirkungen der WM 1974 auf den Saar-Frauenfußball vgl. nun Lennartz, Saskia: Vom Großen ins Kleine. Verbandspolitische Vorgaben und Umsetzungen auf dem Platz – Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland der 1970er und 1980er Jahre, Universität des Saarlandes, Master-Arbeit, 2022, S. 29, 49–51; für Frankreich nach 1998 vgl. den Beitrag von Camille Martin in diesem Band.
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beschleunigt professionalisierten, mediatisierten und auch kommerzialisierten – Ufern betrachtet wird.50 Zugleich aber – und neuerlich – unterstreichen auch die beiden letzten in Europa ausgetragenen WM-Turniere in Deutschland 2011 und in Frankreich 2019, dass der inszenierte Hype von kurzer Dauer war. Es blieb bei einem temporären Aufmerksamkeitsschub, der rasch wieder abebbte, und bei grellen Schlaglichtern im Umfeld des Events, die hier wie da kaum auf den Vereinsfußball in den Top-Ligen abstrahlten, schon gar nicht auf die unterklassigen Ligen.51 Der vorliegende Sammelband zum Frauenfußball greift zahlreiche der erwähnten Aspekte ausführlicher und tiefgehender auf und versucht, anhand von Fallstudien, die fast durchweg über nationale Tellerränder hinausschauen, facettenreiche Einsichten in eine besonders unterbelichtete ‚andere‘ Geschichte des Fußballsports in Deutschland, Frankreich und Europa zu vermitteln. Über länderspezifische Temporalitäten und Strukturunterschiede hinweg beschreibt ‚Frauen am Ball‘ dabei ein spannendes Zusammenspiel von Konjunkturen und Konstanten für das ‚lange‘ 20. Fußballjahrhundert. Denn neben Aufschwung- und Abschwungphasen, was die frauenfußballerischen Praktiken unter den jeweils vorherrschenden konjunkturellen Rahmenbedingungen anbelangt, geraten beständige Momente der longue durée in den Blick. Gemeint sind einerseits durchgängige Möglichkeitsfenster für Frauen, selbst in Abschwungphasen oder Verbotszeiten weiter die Fußballstiefel zu schnüren und beharrlich am Ball zu bleiben, Multiplikatoren für die eigene Sache zu gewinnen und Menschen für Geschlechterfragen hellhörig zu machen; andererseits fortbestehende Beschwernisse angesichts althergebrachter normativer Geschlechterzuschreibungen, die im öffentlichen Raum an Virulenz verloren haben und unter wachsenden Rechtfertigungszwängen stehen, dennoch auch in Aufschwungphasen – und bis heute auf allen Ebenen – strukturelle Benachteiligungen fußballspielender Frauen gegenüber den männlichen Sportlern mit sich bringen. Und die das Anliegen engagierter filles en crampons ___________ 50 51
Zu den Katalysatoreffekten vgl. Büter, Merle: Toleranz – Verbot – Akzeptanz. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 69 (2016), S. 26–33, hier: S. 28–30. Für die WM 2011 vgl. Groll, Stefanie/Diehr, Susanne: Who the F*** is Abby? Die Berichterstattung zur Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 und ihr Schweigen, in: Sobiech/Ochsner (Hg.): Spielen Frauen ein anderes Spiel?, S. 123–138, hier S. 123; für die WM 2019 vgl. Soenen, Florian: Le championnat de France féminin de football ne perçoit pas „d‘effet coupe du Monde“. Même classement, gros écarts au classement et (un peu) plus de spectateurs… Quelques mois après la fin du Mondial en France, la D1 féminine n‘a pas changé de dimension, in: Le Monde, 03.11.2019; daneben Hernandez, Anthony: La crise du coronavirus met en lumière la fragilité du football féminin. Le choc économique provoqué par l‘épidémie suscite l‘inquiétude quant au sort des équipes de l‘élite féminine en France, dont la majorité dépend de clubs masculins, in: Le Monde, 12.05.2020.
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als einen dauerhaften Durchsetzungskampf für mehr gesellschaftliche Offenheit, Wertschätzung und Anerkennung erscheinen lassen:52 „Mit einem Wort: Es ist noch ein langer Weg, bis sich die Gemütslage der Herren im Hinblick auf den Frauenfußball gewandelt haben wird“, schrieb Daniel Cohn-Bendit kürzlich im zwanzigseitigen Kapitel „Die Frau ist die Zukunft des Fußballs“ eines essayistischen Bandes über sein Leben, und über Fußball und Politik. Möglicherweise sind die zwei Zitatstellen in der Zusammenschau ein Teil der Wahrheit.53
4. Sammelbandkontexte & Danksagungen ‚Frauen am Ball‘ geht auf die internationale Tagung „‚Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen …‘: Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa / ‚Et puis, enfin, il y a les dames footballeuses…‘: Histoire, tendances et perspectives 50 ans après la fin de l'interdiction officielle du football féminin en RFA, en France et en Europe“ zurück, die vom 23. bis 25. Oktober 2019 im Graduate Centre der Universität des Saarlandes stattgefunden hat. In der Hoffnung, dass der vorliegende Sammelband allseits zufrieden stimmt, sei zunächst den Autorinnen und Autoren ganz herzlich gedankt. Denen, die damals den Weg an die Saar gefunden, im Rahmen der Veranstaltung einen Vortrag gehalten und später eine ausgearbeitete schriftliche Version zu Publikationszwecken abgeliefert haben; und denen, die nachträglich angesprochen worden sind, zusätzliche Artikel beizusteuern, um das Projekt abzurunden und die Vergleichsperspektiven zu stärken. Weiterer Dank gebührt den Personen, die zum wissenschaftlichen Gelingen der Tagung durch substantielle Referate und Debattenbeiträge unentbehrlich gewesen sind, allen voran Audrey Gozillon (Arras), Lucie Le Tiec (Amiens), Jean-Christophe Meyer (Strasbourg) und Martin Wörner (Dortmund) sowie aus Saarbrücken Melanie Bardian, Ansbert Baumann, Malte König, Jasmin Nicklas und Florian Weber. Ohne die fachdisziplinäre Expertise und wohlwollende Kritik aus geschichts-, kultur- und medienwissenschaftlichen Blickwinkeln, ohne die Offenheit und Diskussionsfreude wäre das Umsetzen der Tagungsziele kaum auf hohem Niveau gelungen.54 ___________ 52
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N. N.: „In Deutschland mangelt es noch an Wertschätzung“. Carina Sophia Linne im Interview mit Tobias Gutsche, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, 17.05.2019. Vgl. Cohn-Bendit, Daniel: Unter den Stollen der Strand. Fußball und Politik – mein Leben, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020, S. 197–217, hier S. 213. Vgl. auch Didion, Philipp/Nicklas, Jasmin: „Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen…“. Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa (Tagungsbericht), 30.01.2020, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8623 (01.5.2022).
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Veranstaltet hat die Saarbrücker Zusammenkunft das Team des Lehrstuhls für Europäische Zeitgeschichte in Kooperation mit dem Frankreichzentrum an der Universität des Saarlandes. Die organisatorische Detailarbeit im Vorfeld wie während der Tagung oblag meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den wissenschaftlichen Hilfskräften, federführend Philipp Didion und Saskia Lennartz, daneben Sarah May, Melanie Bardian und Jasmin Nicklas. Für den stets tatkräftigen, umsichtigen und gut gelaunten Einsatz sei allen Beteiligten an der Organisation ganz herzlich gedankt. Weiterer Dank gilt all denen, die den vorliegenden Sammelband administrativ, technisch und formal mit auf den Weg gebracht haben. Für die redaktionellen Mühen zeichneten ideenreich und professionell zunächst ebenfalls Philipp Didion und Saskia Lennartz verantwortlich, dann vor allem – und bis zum Schluss – Sylvi Siebler, unterstützt durch das übrige Redaktionsteam im Saarbrücker Frankreichzentrum, besonders durch Julia Keule. Als Sponsoren standen uns neben dem Frankreichzentrum der hiesige Internationalisierungsausschuss sowie ganz besonders die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Seite, ohne deren finanzielle Unterstützung weder die Tagung hätte stattfinden, noch der Sammelband hätte publiziert werden können. Auch dafür ein herzliches Dankeschön. Literaturverzeichnis Boniface, Pascal/Gomez, Carol: Quand le football s‘accorde au féminin, Paris: L‘Organisation des Nations Unies pour l‘éducation, la science et la culture, 2019. Breuil, Xavier: Histoire du football féminin en Europe, Paris: Nouveau Monde éditions, 2011. Bromberger, Christian: Passions pour „la bagatelle la plus sérieuse du monde“. Le football, in: ders. (Hg.): Passions ordinaires. Football, jardinage, généalogie, concours de dictée…, Paris: Hachette, 22002, S. 271–307. Brüggemeier, Franz-Josef: Weltmeister im Schatten Hitlers. Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaft 1954, Essen: Klartext, 2014. Büter, Merle: Toleranz – Verbot – Akzeptanz. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 69 (2016), S. 26–33. Cohn-Bendit, Daniel: Unter den Stollen der Strand. Fußball und Politik – mein Leben, Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020. Correia, Mickaël: Une histoire populaire du football, Paris: La Découverte, 2018. Dauncey, Hugh/Hare, Geoff (Hg.): France and the 1998 World Cup. The National Impact of a World Sporting Event, London/New York: Routledge, 1999. Didion, Philipp: „Gute Deutsche in Paris“. Fußball-Länderspiele zwischen Frankreich und der Bundesrepublik in den 1950er Jahren und die Wiederaufnahme der bilateralen Sportbeziehungen, Universität des Saarlandes, Staatsarbeit, 2019. Didion, Philipp/Nicklas, Jasmin: „Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen…“. Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa (Tagungsbericht), 30.01.2020, http://www. hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8623 (1.5.2022). Dietschy, Paul: Histoire du football, Paris: Perrin, 2010.
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Frauenfußball in der Langzeitperspektive: Kämpfe & (Teil-)Erfolge
Sven Güldenpfennig
„Starke Weiblichkeit entfesseln.!“
Sportlicher Eigensinn, Misogynie und Selbstbehauptung. Über Frauenpower im Fußball1
Le football est l’un des innombrables champs de persistance de la misogynie d’origine culturelle, soumis au mépris des hommes et subissant de leur part des obstacles en permanence. Depuis un demi-siècle, de plus en plus de jeunes filles et de femmes se sont libérées de ces chaînes et ont conquis avec souveraineté ce domaine supposé masculin. En effet, le sport, fort de son empreinte culturelle, n’est par nature ni masculin ni féminin, mais simplement sportif. Les footballeuses se considèrent généralement davantage comme les pionnières de cette spécificité culturelle et du libre accès à celle-ci que comme des militantes politiques du mouvement féministe. Mein Beitrag weicht stark von dem offensichtlichen Konsens ab, welcher aus gutem Grund einen Akzent auf empirische Daten zum Thema Frauenfußball legt. Und ich bin schon vorab beeindruckt von der Vielfalt nicht nur des erforschten Datenmaterials, das hierzu bereits vorliegt, sondern auch von dessen realen (zeit-)geschichtlichen Grundlagen, die nunmehr bereits mehr als ein geschlagenes Jahrhundert zurückreichen. Ich selbst werde demgegenüber kaum neue empirische Einsichten beisteuern können, zumal ich mich mit diesem Feld ausführlicher nur anlässlich der Fußball-WM 2011 befasst habe. Gleichwohl würden die mehr strukturellen sowie kultur- und ideengeschichtlichen Grundsatzüberlegungen, die ich Ihnen im Folgenden vortragen möchte, natürlich ohne permanenten Seitenblick auf die Empirie buchstäblich bodenlos in der Luft hängen. Der Obertitel meines Beitrags ist ein Zitat: So überschreibt Monika Becker ihre Biographie der Bildhauerin Niki de Saint Phalle.2 Es passt wie angegossen auch auf das, was die fußballspielenden Frauen seit Jahrzehnten antreibt. Es ist Tatsachenfeststellung mit Punkt und Aufforderung mit Ausrufungszeichen in einem. Beim Untertitel meines Beitrages möchte ich anmerken, dass die Reihenfolge bewusst gewählt ist, eine programmatische Aussage beinhaltet und gleichsam eine Rangfolge festlegt, die von üblichen Sichtweisen abweicht: ___________ 1 2
Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, der im Rahmen eines Workshops im Oktober 2019 in Saarbrücken gehalten wurde. In dieser überarbeiteten Version wurde der ursprüngliche Vortragsduktus beibehalten. Vgl. Becker, Monika: „Starke Weiblichkeit entfesseln“. Niki de Saint Phalle. Die Biographie, Berlin: Ullstein, 2001.
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Mein Blick auf das Feld des Sports ist erstens, generell geleitet von der Annahme eines Primats des sportlichen Eigensinns, das aus meiner Sicht hier gelten sollte, aber häufig in der empirisch-praktischen Realität durch andere Prioritätensetzungen konterkariert und überformt wird. Zu diesen sportideewidrigen, hinderlichen Realitäten gehört zweitens, auf dem Feld des Frauenfußballs an vorderster Stelle eine nach wie vor allgegenwärtige und übermächtige Herrschaft vielfältigster Ausprägungen von Misogynie. Gleichwohl wird deren Macht, drittens, immer stärker in ihre Schranken gewiesen durch schon jetzt starke und weiterwachsende Kräfte weiblicher Selbstbehauptung.
1. Frauenfußball als Referenzpunkt des Geschlechterverhältnisses Ich zitiere als Einstieg eine Aussage von Alexandra Popp, der aktuellen Kapitänin der deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft. Sie erinnert in einem Interview im März 2019 an ihre eigenen frühen Jahre als Angehörige einer Generation, auf die noch „richtig draufgehauen wurde“. Dies hat sich inzwischen zumindest im Spitzenbereich des Frauenfußballs deutlich geändert. Gleichwohl, beklagt Popp: „Was uns fehlt, ist Nachhaltigkeit, das durchgehend hohe mediale und gesellschaftliche Interesse.“3 Unterstrichen wird die Tendenz dieser Einschätzung, wenn Almuth Schult, die Stammtorhüterin ihres Teams, zur Verweigerung der Revierrivalen Borussia Dortmund und Schalke 04 gegenüber einem Engagement im Frauenfußball anmerkt: Deren ‚Begründungen‘ lauteten, dass ihre Platzkapazitäten für das Training nicht ausreichen und dass sie Traditionsklubs sind. Das sind für mich Ausreden, wenn man sieht, wie viel Geld von vielen Bundesligisten in die Infrastruktur gesteckt wird. Doch dafür, dass der Frauenfußball in Deutschland lange verboten war und deswegen für viele nicht zur Tradition gehört, können wir nichts. Frauen haben dafür gekämpft, dass er wieder erlaubt ist. Manchester United zum Beispiel hat sich auch eingestanden: Wir haben die Frauen nicht ernst genommen, aber jetzt ändern wir das.4
Die Zitate verweisen auf jenes Strukturmerkmal, durch welches das zusammengehalten wird, worüber in meinem Beitrag zu sprechen sein wird: Frauen gehören seit Menschengedenken zu jenen Menschen, welche sich deren fundamentales Recht, nämlich die gleiche Anerkennung als Mensch, den Anspruch ___________ 3 4
Popp, Alexandra: Wir haben ganz unten angefangen. Über ihre Führungsrolle in einer Mannschaft mit hohen Zielen, über Millimeterpässe und den selbstironischen Umgang mit Akzeptanz-Problemen. Interview, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 29.05.2019. Schult, Almuth: Ich durfte nie Angst zeigen. Über gesellschaftliche Abwehrhaltungen, die Probleme im deutschen Frauenfußball – und welche Rolle Schalke und Dortmund einnehmen könnten. Interview, in: SZ, 09.11.2019.
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auf Menschenwürde erst erkämpfen müssen. Dieser Kampf um Anerkennung sowohl des Eigenrechts wie der umfassenden Gleichberechtigung der Frauen gegen ubiquitäre Widerstände ist einer jener großen säkularen Prozesse, welche die Weltgeschichte seit jeher maßgeblich mitgeprägt haben. So gehört es zu den großen Paradoxien der Geschichte, dass zum Beispiel ausgerechnet der Erste Weltkrieg, die von George F. Kennan zu Recht so genannte „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“5, zu einem der wichtigen Geburtshelfer der modernen Frauen-Emanzipation avancieren konnte. Antonia Meiners spricht in ihrer Bild-Text-Hommage an prägende Frauengestalten des Zeitraums zwischen 1913 und 1919 von einer „Stunde der Frauen“6. Die Uhr der Geschichte wurde freilich danach umgehend erst einmal wieder patriarchalisch, wie bei der Umstellung von Sommer- auf Winterzeit, um ebendiese Stunde zurückgestellt – ein Muster, das sich auch noch zwei Jahrzehnte später im und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholen sollte und auch weiterhin bis heute mit einem derartigen gesellschaftlichen Widerstand zu kämpfen hatte, dass sogar noch ein weiteres halbes Jahrhundert später und gegenwärtig abermals immer wieder ebendiese „Stunde der Frauen“ ausgerufen wird. Die Rede von der ‚Stärke der Frauen‘, von einem ‚Zeitalter der Pionierinnen‘ und Ähnlichem ist mittlerweile allgegenwärtig und bildet den Hintergrund beziehungsweise den Echoraum auch dafür, dass in diesem Beitrag von ‚Frauenpower im Fußball‘ gesprochen werden kann. Seit einem Jahrhundert nun, insbesondere seit den 1960er-Jahren, hat dieser Befreiungskampf bemerkenswerte Durchbrüche zu verzeichnen. Große Bedeutung kommt dabei der 68er-Bewegung zu, bei der es aber ebenfalls erst einer „Revolte in der Revolte“7 bedurfte, ehe der bereits um die Jahrhundertwende begonnene Kampf um Gleichberechtigung von hier aus erneut Fahrt aufnehmen konnte.8 Seither wird im Zuge einer Art von nachholender Wiedergutmachung auch die schon historisch nachweisbare, aber lange Zeit unterschätzte ‚Macht der Frauen‘ aufgearbeitet. Wenn ich eben von Durchbrüchen gesprochen habe, so ist gleichwohl unverkennbar, an welch eine lange historische Traditionslinie bis zurück in eine mythische Vorzeit, in der es mutmaßlich sogar matriarchalisch geprägte ___________ 5 6 7
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Kennan, George F.: The Decline of Bismarcks's European Order. Franco-Russian Relations, 1875– 1890, Princeton: Princeton UP, 1979, S. 3. Meiners, Antonia: Die Stunde der Frauen zwischen Monarchie, Weltkrieg und Wahlrecht 1913– 1919, München: Sandmann, 2013. Sontheimer, Michael: Revolte in der Revolte. 1968: Der Aufstand der Studenten vor 50 Jahren gilt bislang als Rebellion von Rudi Dutschke, Fritz Teufel und anderen Männern. Jetzt argumentieren Achtundsechzigerinnen, dass ihr Kampf um Gleichberechtigung viel stärker auf die Gesellschaft wirkte, in: Der Spiegel, 07.04.2018. Zum direkten Sportbezug vgl. Beck, Margret: Frauen im Sport: Was haben wir den 68ern zu verdanken, in: Becker, Christian (Hg.): 1968 im Sport. Eine historische Bilderreise, Hildesheim: Arete, 2018, S. 56–59.
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Sozialstrukturen gegeben haben könnte, diese jüngsten Entwicklungen anschließen. Zwar endete der scheinbar ewige Kampf zwischen Auf und Ab in dieser Frauenfrage noch bis vor Kurzem stets in einem ‚Ab‘. Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass das 21. Jahrhundert auf dem Wege ist, den eigentlichen Durchbruch für die lange verhinderte und verzögerte Gleichstellung (oder gar universelle Führungsrolle?) der Frau zu bringen. Berichte über ihre Präsenz in allen Lebensbereichen sind mittlerweile Legion. Und das politische Chaos, das seit einigen Jahren von einer Phalanx zugleich rechtsnationalistisch und in doppelter Hinsicht chauvinistisch orientierter Männer, gestützt auf männliche Mehrheiten in den von ihnen repräsentierten Bevölkerungen angezettelt wird, kann man getrost auch werten als eine Art von Zwergenaufstand, als ein letztes oder vielleicht noch immer nur vorletztes Gefecht, ein verzweifeltes Aufbäumen gegen den Verlust der historisch hergebrachten und vermeintlich angestammten Vorherrschaft. Kurzum: Was den Blick auf mein Thema leitet, ist – ursprünglich angeregt durch eine Studie zu ebenjener Frauen-Fußball-WM 2011 in Deutschland, also vor nunmehr schon wieder fast einem Jahrzehnt – die Neugier, den Stand des Geschlechterverhältnisses neu zu vermessen. Die eingangs angesprochene WM 2011 bildet dabei den Anstoß beziehungsweise ein markantes Beispiel und einen deutlich sichtbaren Baustein für den aktuellen Bauzustand dieses kulturellen Gebäudes. Das Schlagwort von der Frauenpower im Untertitel meines Vortrages ist dabei ein Signal ebenso wie eine Zustandsbeschreibung: Frauen haben Macht. Sie nehmen oder erkämpfen sie sich auf immer mehr gesellschaftlichen Feldern. Darunter weit vorne der Sport. Wobei die staunenswerten Anfänge der Entwicklung auf diesem Feld sogar bereits Jahrzehnte zurückliegen9 und 2019 für den Frauensport sogar ein regelrechtes „kleines Revolutionsjahr“10 gewesen sei. Und vieles spricht dafür, dass diese Selbstermächtigung überwiegend positive Folgen keineswegs nur für sie selbst, sondern darüber hinaus auch für ein menschengerechtes Zusammenleben und -wirken in der (Welt-)Gemeinschaft insgesamt hat: „Geschlechtergerechtigkeit geht nicht nur Frauen etwas an – es geht um die Gesellschaft, in der wir leben wollen.“11 Im Beitrag wird es ___________ 9 10
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Vgl. Sichtermann, Barbara/Rose, Ingo: Sternstunden verwegener Frauen. Berlin: Ebersbach & Simon, 2015; ferner Schumann-Jung, Bettina: Sportlerinnen schreiben Geschichte. 25 Porträts von außergewöhnlichen Frauen, Hildesheim: Arete, 2017. Klimke, Barbara: Darts: Mitten ins Schwarze, in: Berliner Zeitung (BZ), 24.12.2019; zum Beispiel von Fallon Sherrock, das ein für das Thema ‚Frauen in Männerdomänen‘ typisches Medienecho gefunden und den Anstoß zu Klimkes Kommentar gegeben hat, vgl. ferner Dpa: Königin im Palast. Nach ihren beiden Siegen ist Fallon Sherrock der unangefochtene Liebling bei der Darts-WM, in: BZ, 23.12.2019. Collado Seidel, Carlos: Viel zu langsam. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht – manchen ist das nur recht, in: SZ, 31.12.2019.
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darum gehen, einige (Fort-)Schritte auf diesem Entwicklungsweg und Chancen für seine Fortsetzung, dabei aber auch die Risiken und die Kosten aufzuzeigen, die auf diesem Weg für seine Protagonistinnen entstehen. Wie weit der Weg trotz aller Fortschritte in Sport und Gesellschaft noch immer ist, zeigte gerade aktuell wieder ein – freilich extremes, aber gleichwohl für nicht wenige Länder noch immer repräsentatives – Beispiel vom September 2019: „Eine Iranerin soll ins Gefängnis, weil sie ein Fußballspiel besuchte – und zündet sich an.“12 Sie starb und kann als Märtyrerin für die Sache des weiblichen Interesses am Fußball als Teil des Anspruchs von Frauen auf Selbstbehauptung verstanden werden. Gleichwohl läuft die Zeit aus, in welcher es angemessen war, selbst bei einem wohlwollenden Blick auf die gesellschaftliche Stellung von Frauen vorrangig oder gar ausschließlich deren Opferrolle zu betonen.13 Die den Frauenfußball von Beginn an begleitende Geringschätzung oder gar Diskriminierung ist zum einen sportspezifischer Ausdruck der allgemeinen, ___________ 12
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Gröbner, Thomas: Sahar Khodayari könnte noch leben. Über ein Verbot und seine Folgen. Ali Karimi, einst Bayern-Spieler, ruft zum Stadion-Boykott auf, in: SZ, 12.09.2019. Die FIFA erklärte zu dem Vorfall: „Wir fordern die iranischen Behörden erneut auf, die Freiheit und Sicherheit aller Frauen zu gewährleisten, die an diesem legitimen Kampf zur Beendigung des Stadion-Verbots beteiligt sind.“ (zit. nach: ders.: Sahar Khodayari könnte noch leben) Aber das „Stadionverbot für Frauen bleibt“, vermeldet die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) noch am gleichen Tag. Doch nur einen (!) Monat später gibt es die erste offiziell genehmigte und innenpolitisch höchst umstrittene Ausnahme: Frauen erhielten – auf streng separierten Tribünen – Zutritt zum WM-Qualifikationsspiel Iran – Kambodscha am 10.10.2019 und nahmen dieses Zugeständnis der iranischen Regierung an die Drohung der Fédération Internationale de Football Association (FIFA), Iran andernfalls von der WM 2022 auszuschließen, zu Tausenden wahr. Welch zynisches Spiel mit dem Sport nicht wenige politische Mächte sich immer wieder anmaßen. Und wie buchstäblich brandgefährlich bis hinein in die Weltpolitik der dazugehörige Kontext sein kann, in welchem solche ‚Spiele‘ mit dem Sport betrieben werden, wird gerade auch anhand des hier diskutierten Falles exemplarisch ablesbar: Er wird hier zum Spielball im von anderen Weltmächten mit angeheizten Machtduell um die regionale Vorherrschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran; vgl. Lüders, Michael: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München: Beck, 2019, S. 138: Die von dem seitens seines Clans in die Herrscherposition geschobenen Kronprinzen Mohammed bin Salman al-Saud verfügte ‚Liberalisierung‘ des innergesellschaftlichen Verkehrs und Lockerung einiger Restriktionen für die Frauen reichen bis hinein in den Fußballsport: „Sogar Fußballspiele können sie besuchen. (Letzteres vor allem wohl deswegen, weil das Frauen im Iran auch verwehrt war. Wahrscheinlich als Reaktion auf den saudischen Vorstoß gab die iranische Führung im Juli 2018 bekannt, das Stadionverbot für Frauen ebenfalls aufzuheben.).“ Vgl. z. B. Förster, Birte: Aus einer fernen Zeit. Klaus Theweleits Männerphantasien, von heute aus betrachtet: Relektüre eines Klassikers, in: SZ, 27.12.2019: „Unklar bleibt, warum in diesem Buch Frauen durchweg als Opfer dargestellt werden.“
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tief in den gesellschaftlichen Strukturen und kulturellen Mentalitäten verwurzelten ‚Logik der Misogynie‘, an deren nach wie vor verstörende (aber trotz allem nicht unabwendbare) Wirksamkeit die amerikanische Philosophin Kate Manne jüngst in ihrer Studie Down Girl erinnert hat.14 Wie gesagt: Wir haben es mit einer nach wie vor verstörenden Wirksamkeit dieser unsäglichen ‚Logik‘ zu tun: „Auch in relativ gleichberechtigten Gesellschaften ist Antifeminismus gesellschaftlich verbreitet. So macht er den Rechtspopulismus anschlussfähig.“15 Zumindest gegenwärtig ist dieser, wenn nicht schon sozialgeschichtlich seit jeher mal mehr und mal weniger aggressiv auftretende Antifeminismus auch eine Kehrseite und Ausdrucksform von maskulinen Minderwertigkeitskomplexen, welche ein heute weltweit politisch virulentes und dabei alles andere als nur karnevaleskes ‚Dreigestirn‘, eine Allianz aus reaktionärer Ideologie, Antifeminismus und Homophobie grundieren.16 In dem innerhalb dieses Dreigestirns ebenfalls polemisch auftretenden „Begriff ‚Genderdiktatur‘ steckt Hass auf das Weiche – und Angst vor dessen Macht“17. Die Hartnäckigkeit, mit welcher diese Benachteiligung des Frauenfußballs gegenüber ihrem männlichen Pendant trotz aller Verbesserungen zu kämpfen hat, ist zum anderen aber auch die (hier nun freilich kaum abwendbare) Folge einer Besonderheit der sportlichen Sinnstruktur: Im Sport herrscht – im Unterschied zu nahezu allen anderen gesellschaftlichen Feldern, in denen Leistungs- und Sozialanforderungen in je unterschiedlichen Mischungen zusammenspielen – in der Tat das der modernen Leistungsgesellschaft ansonsten irrtümlich unterstellte reine Leistungsprinzip: Es honoriert – exklusiv die je beste Leistung und lässt alle außersportlichen Umstände außen vor. Prinzipiell begründeten sozialphilosophischen Bedenken, die gegen ein Operieren mit ‚Reinheits‘-Vorstellungen eingewandt werden können, halte ich entgegen, dass sie in bestimmten Ausnahmesituationen – und mit einer solchen hat man es nach meinem Verständnis exemplarisch auch im Fall des Sports im engen Sinne zu tun – geeignet und legitimiert sind, weil sie – eben – gerade die Besonderheit eines solchen Sinn- und Handlungsfeldes ausmachen können. Zudem ist in dieser Frage die strikte Unterscheidung zwischen ideeller und pragmatischer Ebene von ausschlaggebender Bedeutung: Während es legitim, ja ___________ 14
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Vgl. Manne, Kate: Down Girl. Die Logik der Misogynie, Berlin: Suhrkamp, 2019. Vgl. dazu Rabe, Jens-Christian: Wer Hassmails bekommt. Die amerikanische Philosophin Kate Manne beschreibt Misogynie als Problem, das sich kaschiert, in: SZ, 19.03.2019. Vgl. ferner: Holland, Jack: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses, Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 2007. Schutzbach, Franziska: Frau als Feind, in: SZ, 15.02.2020. Vgl. Dörr, Julian: Der Mythos vom Verlierer. Woher kommt die Allianz von reaktionären Ideologien und explizitem Antifeminismus? Ein Streifzug durch ein paar sinistre Soziotope, von den Pin-Up-Artists bis zur Neuen Rechten, in: SZ, 13.11.2019. Schutzbach: Frau als Feind.
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unverzichtbar ist, auf der realitätsfernen ideellen Ebene mit der aufklärerischutopischen Kraft von eben reinen Ideen zu arbeiten, kann die Vertretung von ‚Reinheits‘-Ideologien auf der realen Bühne der pragmatischen Kunst politischen Handelns, auf der unterschiedliche Ideen zu einem miteinander verträglichen und möglichst friedlichen Ausgleich gebracht werden müssen, in Sackgassen mit potentiell, menschlich wie politisch, desaströsen Folgen hineinführen.18 Zudem sind der Gesamtkreis der im Spitzenbereich aktiven Frauen und deren kontinentale Verteilung weitaus kleiner als die der Männer in nahezu allen Sportarten; umso größer ist oft das interne Leistungsgefälle der FrauenWettbewerbe, was der Spannungshaltigkeit der Wettbewerbe und damit der weltweiten Resonanz weiteren Abbruch tut; auch dies ist nur schwer und allenfalls langfristig abwendbar. Dadurch kommt folglich der (statistisch, also selbstverständlich nicht in jedem Einzelfall) überlegenen männlichen Leistung ein struktureller Vorrang zu. Dieses strukturelle Leistungsgefälle war besonders anschaulich und exemplarisch zu beobachten bei einer Disziplin wie der 4x400m-Mixed-Staffel, einem neu eingeführten Wettbewerb der Leichtathletik-WM 2019 im katarischen Doha: Je nach Aufstellung der Staffeln klafften zwischenzeitlich riesige Lücken zwischen den Teams, ehe erst auf der Zielgerade die letztlichen Abstände erkennbar wurden. Bei dem 2019 im englischen Harrogate ebenfalls neu ins Programm der Rad-WM genommenen Mixed-Wettbewerb im Zeitfahren kompensierten die Frauen Schwächen der deutschen Männer auf dem Weg zur Silbermedaille.19 Dieses neue Format wird zwar nicht einhellig, aber doch überwiegend begrüßt und von beiden beteiligten Seiten angenommen. Beides bedeutet einen weiteren kleinen Fortschritt dadurch, dass Frauen und Männer in einem gemeinsamen Wettbewerb vereint sind, die weibliche und männliche Seite aber jeweils nur additiv oder kumulativ ihr jeweiliges Leistungsvermögen einbringen können, ohne dass die Frauen dadurch wie früher bloßgestellt und der Häme ausgesetzt würden. Immerhin hatte Mann (bewusst großgeschrieben) einst beim Mixed-Doppel im Tennis noch über das lästige ‚Herren-Einzel mit Damen-Behinderung‘ gelästert. ___________ 18
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Weiterführendes siehe in Güldenpfennig, Sven: Rückbesinnung auf ein puristisches Sportverständnis. Neun Anlässe zum Umdenken, Hildesheim: Arete, 2013, S. 19–23 („Purismus – eine utopische Perspektive?“) und S. 447–450 („Der Purist“); sowie ders.: Fundamentalismen bedrohen den Sport. Sport als Spielball mächtiger außersportlicher Interessen, Hildesheim: Arete, 2017, S. 53– 154 („Purismus und Fundamentalismus: Sport – Eigenwelt und Objekt. Zur Instrumentalisierung des Sports in der Moderne“). Vgl. Aumüller, Johannes: Mixed auf der Straße. Bei der WM in Harrogate gibt es erstmals ein Zeitfahren, bei dem Frauen und Männer gemeinsam antreten. Die Radsport-Szene reagiert zwiegespalten, in: SZ, 21.09.2019.
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Jene Erweiterungen des Programms durch neue Mixed-Wettbewerbe ändern freilich nichts daran, dass die Einrichtung eigener weiblicher Wettbewerbssysteme dort, wo biophysische Unterschiede zwischen den Geschlechtern eine wesentliche Bedeutung für Spitzenleistungen haben, grundsätzlich berechtigt sind und aufrechterhalten werden sollten (Ausnahmen wie der Reitsport bestätigen diese Regel). Sie muss gleichwohl als ein vom Sportsinn selbst her, welcher seine Faszination maßgeblich von der Geltung eben des reinen Leistungsprinzips bezieht, eigentlich nicht gerechtfertigtes Zugeständnis erscheinen. Dieser Umstand bietet natürlich nur eine neben anderen Erklärungen dafür, dass weibliche ähnlich wie unterklassige männliche Wettbewerbe in der Regel nur ein geringeres öffentliches Interesse zu wecken vermögen als die angeblich leistungsstärkeren männlichen Wettbewerbe, womit sich ihnen über die Wirkung von Marktprinzipien auch geringere ökonomische Verwertungschancen eröffnen. Dass etwa bei den Tennis-Grand-Slam-Turnieren inzwischen gleiche Siegprämien bei den Damen und Herren ausgeschüttet werden, ist mithin ein Erfolg des weiblichen Gleichstellungskampfes, der gegen die Geltung reiner Marktimperative errungen worden ist. Tennis-Profi Andrea Petković weist auf den Ausnahmestatus dieses Einzelfalls hin: Im Tennissport kreist diese Geschlechterdebatte ja meist um die Preisgeldfrage. Die Öffentlichkeit denkt, dass wir gleich viel verdienen – stimmt aber nicht. Gleiches Preisgeld erhalten wir Frauen nur bei den vier Grand-Slam-Turnieren im Jahr. Auf der normalen WTA-Tour verdienen wir ein Drittel dessen, was die Männer bei der ATP beziehen. Ich plädiere deshalb stark dafür, das einfach umzukehren: Gleiches Preisgeld für Männer und Frauen auf der Tour, wo wir den Großteil des Jahres antreten, denn da spielen Männer und Frauen ja auch im selben Modus, über zwei Gewinnsätze. […] Und wir hätten ein schönes gesamtgesellschaftliches Symbol: Seht her, im Tennis werden alle für die gleiche Arbeit gleich bezahlt.20
Aber vereinzelt vermag sogar der Frauenfußball inzwischen die Schallmauer von Riesenkulissen in Großstadien zu durchbrechen: Im Herbst 2019 traten die deutschen Frauen „vor 90 000 Zuschauern im Wembleystadion gegen England an“21.
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Petković, Andrea: Tennis ist eine griechische Tragödie. Über falsche Superhelden, echte Gleichberechtigung und die Angst vor dem Karriereende. Interview, in: SZ, 30.11.2019. Meuren, Daniel: Ein Spiel vor einer solchen Kulisse ist ein Geschenk. Die deutschen Fußballfrauen treten vor 90 000 Zuschauern im Wembleystadion gegen England an, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 07.11.2019.
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2. Zum Zusammenspiel zwischen kulturellem Eigensinn des Sports und Ambitionen von Frauen Statt nur in die wenig fruchtbare Klage über weiter bestehende Diskriminierungen des Frauensports generell und des Frauenfußballs speziell einzustimmen, strebe ich mit diesem Beitrag an, dem spannungshaltigen sportspezifischen Zusammenspiel von kulturellem Eigensinn der Sportidee, allgemeiner Misogynie und weiblicher Selbstbehauptung nachzugehen und die bislang gegen alle (bis in die 1970er-Jahre besonders hartnäckigen, aber noch immer wirksamen) Widerstände erbrachten Leistungen der Frauen-Power im Fußball innerhalb dieses Spannungsfeldes zu würdigen. Nur so können wir nach meiner Einschätzung zu einer solchen differenzierten Lagebeschreibung gelangen, aus der sich begründete pragmatische Schritte in diesem Feld ableiten lassen. Auch hierzu einige wenige exemplarische Kurzmeldungen direkt aus dem Sport: Die Kristall-Erbin Diana Langes-Swarowski war die erste Präsidentin im österreichischen Profi-Fußball und hat den Dorfklub Wattens in die Bundesliga geführt – mit ungewöhnlichen Methoden.22 Renate Seethaler ist Chefin beim Schützenverein D‘Denninger. Früher haben Frauen in solchen Klubs ihren Männern die Brote geschmiert. Heute stehen sie auch am Schießstand und prägen das Vereinsleben. An den Vorurteilen ändert das allerdings nichts. Im Schnitt schießen Frauen besser als die Männer.23 Nach dem kurzen Hype zur Frauenweltmeisterschaft 2011 geht es mit dem Mädchenfußball in Bayern wieder bergab. Selbst hochklassige Vereine wie der FC Forstern müssen um Spielerinnen werben, weshalb Experten eine bessere Förderung verlangen.24 Die Nordische Kombination ist die letzte Männerbastion des Wintersports. Doch 2020 startet der Frauen-Weltcup, ab 2021 gibt es WM-Medaillen. Die Kombiniererinnen von morgen werden schon heute in den Sportschulen ausgebildet. Bloß: Olympia sträubt sich noch.25 Frauen in der ‚Hall of Fame‘. Die Gründungs-Elf der DFB-Fußball-Frauen ist offiziell in die ‚Hall of Fame‘ des deutschen Fußballs aufgenommen worden.26
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Gröbner, Thomas: Madonna im Kofferraum, in: SZ, 17.10.2019. Aldenhoff, Kathrin: Atmen, zielen, abdrücken. „Ich könnte nicht mal auf eine Maus schießen“, sagt die Schützenmeisterin, in: SZ, 27.09.2019. Armbrecht, Anne: Mädels, geht’s raus und spielt‘s, in: SZ, 26.10.2019. Armbrecht, Anne: Mädchen auf dem Sprung, in: SZ, 21.02.2019. Dpa: Legendinnen, in: SZ, 14.10.2019.
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Sven Güldenpfennig In ihrem Kampf um ein Mindestgehalt und einen Tarifvertrag treten die Fußballerinnen der ersten spanischen Liga am 16. November in einen unbefristeten Streik. Eine letzte Verhandlungsrunde mit Vertretern der Klubs sei trotz der Vermittlung eines unparteiischen Schlichters ergebnislos beendet worden.27
Maßgeblicher unmittelbar praxisrelevanter Referenzpunkt für die weiblichen Aspirationen in diesem Sport aber waren und sind heute noch immer kaum jene allgemeinen Entwicklungen, die sich auf dem politischen Feld des jahrzehntelangen Kampfes um die Emanzipation der Frau abgespielt haben. Diese allgemeinen Entwicklungen schufen nur den Rahmen, den Bewegungsspielraum und dann auch einen Resonanzraum für die Karriere des Frauenfußballs. Den ausschlaggebenden Referenzpunkt bildete vielmehr das Zusammenspiel zwischen kulturellem Eigensinn des Sports und speziell darauf bezogenen Ambitionen von Frauen. Diesen Eigensinn – und auf diesem Feld nichts als den – wollten und wollen diese jungen Frauen auch für sich erobern. Dessen Eigenwert und Eigenrecht stärken sie damit zugleich auch. Sie agieren beziehungsweise verstehen sich somit in erster Linie als Vorkämpferinnen der Sportbewegung, nicht der Frauenbewegung. Wobei dem Feld des Fußballs hier innerhalb der Sportbewegung aufgrund seiner besonders ausgeprägt patriarchalischen Struktur eher noch die Rolle einer Nachhut zukommt als die Rolle eines Pioniers, die man beziehungsweise die Verantwortlichen dieses Feldes ihm aufgrund seiner hegemonialen Position innerhalb der Sportlandschaft eigentlich zuweisen sollten. Das gilt selbst für die Extremfälle von Märtyrinnen weiblicher Interessiertheit und Begeisterung für diesen Sport, wie das zitierte Beispiel der Iranerin Sahar Khodayari, die für diese Leidenschaft mit dem verbotenen Besuch eines Fußballspiels im Asadi-Stadion in Teheran – wohlgemerkt: im ‚Stadion der Freiheit‘ – eine Gefängnisstrafe riskierte und letztlich aus Verzweiflung sich das Leben nahm.28 Das seit der Islamischen Revolution 1979 im Iran geltende Verbot wird, wie in muslimisch beherrschten Ländern nach wie vor üblich, begründet mit dem ‚Schutz vor einer maskulinen Atmosphäre‘. Der weitaus näherliegende, ja unabweisbare Gedanke, dass man vorrangig an der Überwindung des maskulinen Narzissmus und der daraus entspringenden notorischen Übergriffigkeit arbeiten sollte, statt paternalistisch die davon bedrohte öffentliche Bewegungs- und Entfaltungsfreiheit von Frauen einzuschränken und mit Tabus zu belegen, scheint in der vom Islam dominierten Welt ebenso wie bei Gleichgesinnten anderwärts nach wie vor undenkbar zu sein. Dies verschafft der fußballsportlichen Frauenbewegung, die sie ja gleichwohl verkörpern, eine dreifache Freiheit: a) Befreiung von der von Männern ___________ 27 28
Dpa: Spaniens Fußballerinnen streiken unbefristet, in: SZ, 30.10.2019. Siehe Anmerkung 12.
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angemaßten Vormundschaft in den Institutionen, in den Medien und in diesem Feld nicht zuletzt auch in der Gestalt immer neuer Anläufe medizinischer Hirngespinste über die ‚Untauglichkeit‘ der weiblichen Anatomie für den Fußballsport; b) Freistellung dabei – also natürlich nicht generell! – auch von den Bindungen an die allgemeinen Ziele der Frauenbewegung und somit auch vom Zwang zu einer Parteinahme in deren internen Fraktionskämpfen29; sowie c) Unabhängigkeit von den menschheitsgeschichtlich hergebrachten und entsprechend belasteten ‚imperialistischen‘ Versuchen ‚wichtigeren‘ Sinnfeldern wie der Religion, der Moral, der Politik und der Wirtschaft, dem Sport allgemein und damit auch dem Frauenfußball ihre jeweiligen Sinnimperative zu oktroyieren. Selbstverständlich ist dieser selbsterkämpfte Zugang zum Sport auch einer der zahlreichen Zuflüsse zum großen kulturhistorischen Strom der Befreiung der Frauen (wie auch aller anderen diskriminierten Angehörigen der menschlichen Gattung) zu einer eigenständigen und eigenrechtlichen Eroberung ihres Platzes mitten in statt nur am Rande oder gar außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Aber: Unmittelbar und weitaus wirksamer ist er zu werten als ein wichtiger Beitrag zu einer scheinbar nur ‚partikular-egoistischen‘ Befreiung des Sports aus der Bevormundung, ja Unterdrückung durch den Führungsanspruch der genannten selbstermächtigten Leitsysteme. Wirklich bereichsegoistisch ist diese Befreiung freilich nur scheinbar. Denn die kulturelle Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens kann allein dadurch gewährleistet werden, dass die einzelnen Sinnsysteme sich in einem je ersten Schritt strikt für die Entfaltung ihres Eigensinns in gehaltvollen Werken engagieren, nicht aber dadurch, dass sie von vornherein ‚holistisch-altruistisch‘ in einem irgendwie gearteten Dienst an einem diffusen, in sich undifferenzierten großen Ganzen aufgehen (müssen), welches dann unweigerlich von den jeweils am skrupellosesten ihre spontane Überlegenheit ausspielenden Mächten beherrscht und deformiert wird.
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Das gilt nicht nur für Spielerinnen, sondern auch für Trainerinnen, die gerade beginnen, Positionen auch im Männer-Fußball aufzubauen nach dem Motto: „Sie verstehen sich nicht als Feministinnen, sondern wollen nur ihren Job machen.“ Böckem, Jörg/Kramer, Jörg: „Oh, da ist ja ‘ne Frau Trainer“. Drei Frauen, die Männer anleiten, in: Die Zeit (DZ), 09.05.2019. Ähnlich gelassen, ja selbstbewusst und gleichsam selbstverständlich äußert sich eine vielseitig engagierte Sportlerin wie die schon zitierte Tennisspielerin Andrea Petković: „Ich habe mich nie als Feministin definiert. Aber wenn ich etwas höre, das in Richtung Frauenfeindlichkeit geht, sage ich schon mal: Ich bin Feministin, was babbelst du mich hier voll? Dann benutze ich das Wort Feministin als Abgrenzung. Auch um klar zu machen: Hier ist Schluss, ich diskutiere nicht über Vorurteile!“. Petković: Tennis ist eine griechische Tragödie.
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3. Paradigmenwechsel: die Bedeutung von systemischen Bedingungen auch für Fragen der Gender-Politik Ein solches Umdenken bedeutet einen veritablen Paradigmenwechsel. Der basiert auf Grundeinsichten der Luhmannschen Systemtheorie, welche weithin in der sozialphilosophischen Diskussion noch immer skeptisch aufgenommen oder schon wieder ganz ignoriert wird, man sich jedenfalls schwertut mit einem entsprechenden Umdenken. Ein all diesen Ansätzen gemeinsamer Irrtum blieb unbemerkt: Er liegt in der Annahme, dass es für die Gewinnung gehaltvoller historischer Erkenntnisse überhaupt einer durchgehend und generell geltenden hegemonialen Leitperspektive bedürfe. Seit Niklas Luhmanns Systemtheorie erscheint es plausibel und fruchtbar, auszugehen von einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft in autonome Sinnsysteme und von der Fruchtbarkeit einer kooperativen Arbeitsteilung zwischen ihnen. Demnach wären alle wichtigen Sinndimensionen – ohne einen generellen hierarchischen Anspruch nebeneinander – in ihren je eigenständigen und mit den anderen vernetzten historischen Entwicklungen zu würdigen. Wobei die Leitdifferenzen, welche Luhmann den Systemen in Gestalt von binären Codes zuspricht, jedoch keine reale Macht darstellen, die selbst handelt und sich verändert, sondern eine abstrakte Idee, ein historisch invariables Medium, innerhalb dessen sinnvoll kommuniziert und gehandelt werden kann und die sich daraus ergebenden historischen Entwicklungen und Veränderungen einstellen können. In Weiterentwicklung jenes von Niklas Luhmann noch zu ungenau hinterlassenen Ansatzes plädiere ich für folgenden zweistufigen Weg gesellschaftspolitischen Diagnostizierens, Urteilens, Entscheidens und Handelns: In einem ersten analytischen Schritt die strikte Trennung der ‚reinen‘ Sinnsysteme voneinander, die ähnlich wie Platons Ideen und Max Webers Idealtypen realitätsunabhängige abstrakte Bilder von in sich logisch strukturierten und gegen andere eindeutig abgrenzbaren konstitutiven Teilgebieten der menschlichen Welt darstellen, die zugleich als Medien für je spezifische Kommunikationen fungieren; in einem zweiten pragmatischen Schritt erst die je auf die konkrete Handlungskonstellation bezogene Zusammenführung und Mischung der Sinnsysteme zu ‚sinngemischten‘ Sozialsystemen,30 innerhalb derer jeweils einem der Sinnsysteme situationsbedingt eine vorübergehende Hegemonie zukommt, die eine Art von Filterfunktion für die begründete Auswahl in Bezug auf die ‚Zulässigkeit‘ von Interventionen der anderen Sinnsysteme ausübt und innerhalb derer auf der Grundlage solcher Auswahlurteile und -entscheidungen real gehandelt wird. Die Aufgabe wohlbegründeter Politik ___________ 30
Luhmann hatte diese beiden logisch strikt unterschiedlichen Ebenen in dem einen Begriff ‚Sozialsystem‘ zusammengeworfen und damit unnötigerweise Irritationen über die Plausibilität und Begründetheit seines Ansatzes ausgelöst.
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besteht darin, diese Utopie, dieser theoretischen beziehungsweise hypothetischen Möglichkeit in die Realität zu verhelfen, für sie zu plädieren, für sie einzutreten und ihr den Weg zu realer Macht zu bahnen, statt sich wie bisher mit der ‚Aufklärung‘ über den beklagenswerten Umstand zufriedenzugeben, dass es in der rauen gesellschaftlichen Wirklichkeit nun einmal anders zugehe. Unter dieser Perspektive nun kommt auch dem Sinnsystem des Sports ausdifferenziert über die Leitdifferenz des Codes sportlich – nicht sportlich31, im Rahmen seiner engsten Verwandtschaft den anderen Künsten durchaus eine gleichrangige Bedeutung mit den vermeintlichen Schwergewichten, insbesondere der ökonomischen, politischen und rechtlichen oder auch religiösen und moralischen Sinnsysteme zu. Und in Verbindung damit außerdem auch ein wohlbegründeter Anspruch auf eine sogenannte Autopoiesis sowie Selbstreferenz, Autotelie beziehungsweise Selbstzweckhaftigkeit und Autonomie des Sports. Ein solches Beharren auf diesen Ansprüchen ist keineswegs Ausdruck von idealistischer Weltfremdheit, sondern gerade umgekehrt, Ausdruck eines realistischen Pragmatismus. Denn es ermöglicht erst zum einen das volle Ausschöpfen, gleichsam die Freisetzung der in diesem wie auch in den jeweils anderen Sinnsystemen angelegten und gebundenen Leistungspotentialen. Und es ermöglicht zum anderen die ‚Domestizierung‘ und ‚Machtbegrenzung‘ jener Sinnsysteme, die wie Religion, Militär, Politik und Wirtschaft seit jeher eine quasi-natürliche Hegemonie über alle anderen für sich beanspruchen. Die Realitätstauglichkeit, ja sogar die grundsätzliche Geltung dieses Denkmodells werden gleichwohl von vielen unterschiedlichen Seiten her bestritten. Selbst von denjenigen politisch links oder linksliberal positionierten Gesellschaftskritiker*innen, welche auch Kulturfelder wie die Künste und den Sport in den Dienst fortschrittlicher Gesellschaftsveränderung stellen wollen – und sie damit zu überfordern drohen. So fordert der Musikexperte Berthold Seliger unter Berufung auf den einstigen Übervater der Neuen Linken Herbert Marcuse,
___________ 31
Durch einige beiläufige, flüchtige und dadurch irrtümliche Anmerkungen von Luhmann zum Sport hat sich der Code Sieg – Niederlage als vermeintliche Leitdifferenz des Sinnsystems Sport in den sportbezogenen Diskurs eingeschlichen und behauptet sich dort hartnäckig, obwohl er mit Niederlage als vermeintliche Exit-Seite dieses Codes ein völlig falsches Bild des Sports zeichnet: Denn die Niederlage gehört selbstverständlich in den Sinnkontext sportlichen Handelns, wohingegen Unsportlichkeit jenen Ausgang markiert, über den – vergleichbar dem Code Recht – Unrecht für das Sinnsystem Recht mit seinem Ausgang Unrecht – das Sinnsystem des Sports verlassen wird.
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Sven Güldenpfennig dass die Künste heute mehr als jemals zuvor bei der Veränderung der Verhältnisse und der Erfahrung der Menschen eine entscheidende Rolle spielen müssen […]. Es geht um Musik, die die zentralen Problem- und Fragestellungen der menschlichen Existenz zu berühren sucht.32
Sicher, das kann man sich wünschen. Und es ehrt ihn, dass Seliger solche und keine entgegengesetzten reaktionären Wünsche hegt. Aber (zumindest die nonverbale Instrumental-)Musik kann solche Wünsche ebenso wenig wie der Sport erfüllen. Denn die musikalische Tonsprache und die sportliche Körpersprache sind gleichermaßen untauglich, weil nicht gemacht als Medien für die inhaltliche Semantik gesellschaftspolitischer Botschaften. Diese benötigen andere sprachliche Kanäle, vor allem diejenigen, die einen direkten Zugang zur politischen Kommunikation haben, statt diese Verantwortung an solche Medien abzuschieben, welche hier allenfalls über einen indirekten Zugang verfügen. Die Künste stimmen nicht der Welt zu, wie sie ist, sondern sie zeigen Alternativen auf. Die Künste sind immer auch ein soziales Verhältnis. Es geht letztlich […] um die Entwicklung neuer Möglichkeitsräume. […] Die Künste stehen nicht außerhalb der sozialen Kämpfe und der politischen Verhältnisse, sondern sind Teil derselben, oft sogar ein wesentlicher Teil.33
Sicher, irgendwie schon, was aber eher für Künstler*innen als für die Künste selbst gilt. Insgesamt kommt mithin alles darauf an, wie genau sich dies vollziehen soll. In der Hauptsache jedoch entwerfen sinngerecht gelingende Werke der Künste keineswegs Möglichkeitsräume für die reale Welt, sondern entwerfen eine eigene Welt aus (möglicher- aber nicht notwendigerweise realitätsnahen) Fiktionen. Und ihre Hauptaufgabe für den politischen Raum besteht dabei gerade in der ästhetischen Form ihrer Werke gebundenen Distanz gegenüber der realen Welt und damit in einer strukturellen Widerständigkeit gegen die Indienstnahme auch für je partikulare politische Interessen. Selbst bei jenen Künsten, die mit verbalen oder bildnerischen Mitteln arbeiten können, sind die inhaltlichen und dadurch tatsächlich möglichen politischen Botschaften ja nicht mehr als ‚Rohmaterial‘, das bei (gelingender!) Kunst ästhetisch transformiert und nur auf diese Weise in das Werk integriert wird, jedenfalls aber nicht das ausmacht, was die Bemühungen von Künstler*innen zu Kunst macht. Der pragmatische politische Widerstand hingegen ist Sache von kunstschaffenden Menschen, so sie sich denn dazu berufen und in der Lage sehen. ___________ 32 33
Seliger, Berthold: Klassikkampf. Ernste Musik, Bildung und Kultur für Alle, Berlin: Matthes & Seitz, 2018, S. 212. Seliger: Klassikkampf, S. 257–259.
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Sie teilen sich, sobald sie den Sportplatz betreten – ähnlich wie alle performativen Künstler*innen – auf in zwei Gestalten: auf der einen Seite in die SportGestalt, in der sie als Treuhänder*innen der partikularen Sportidee agieren, und auf der anderen Seite in die Citoyen-Gestalt, in der sie sich als Bürger*innen nicht nur für die arbeitsteilige partikulare Sache, sondern für die universalen Anliegen des Gemeinwesens engagieren. Ein ‚Kronzeuge‘ dieser Szene, wie der hier als Beispiel bemühte Berthold Seliger, hingegen bleibt auch leider so undeutlich, dass sein – aber eben nur irgendwie – sympathisches Anliegen nicht wirklich überzeugen kann. Er mengt diese beiden sinnvollerweise auseinanderzuhaltenden Gestalten zusammen, wodurch er die beiden unterschiedlichen Anliegen gleichermaßen verfehlt: „Der Homo aestheticus ist immer ein Zoon politikón, auch wenn sich Musiker noch so sehr als ‚unpolitisch‘ dünken mögen.“34 Die in Feldern der Künste arbeitenden Menschen sind eben gerade nicht immer zugleich beides! Selbst wo dies tatsächlich der Fall sein sollte, dort zumindest kaum zu gleichen Teilen. Und auch das natürlich nicht etwa aus dem Grund, dass grundsätzlich „Musiker und Künstler nichts von Politik verstünden und sich deshalb aller einschlägiger politischer Aussagen enthalten sollen“35, sondern weil ein struktureller Graben die beiden Felder trennt, der nicht ohne Kollateralschäden einfach übersprungen werden kann. Die Künstler*innen müssen nicht immer zugleich beides sein, so begrüßenswert es auch sein mag, wenn sie sich in politischen Positionsbestimmungen für die ‚richtige‘ Seite entscheiden. Also für die Seite der Freiheit und Würde der Menschen und für eine entsprechende demokratisch-rechtsstaatliche Verfassung von Staat und Gesellschaft. Die gesellschaftspolitische Rolle auch des Sports ist folglich, wie die seiner engsten Verwandtschaft unter den performativen Künsten weitaus bescheidener, als die üblichen Forderungen nach politischer Haltung es ihm abverlangen wollen. Sie wird dadurch ja keineswegs unbedeutend: Auch die Künste sind nicht weniger als ein „Grundnahrungsmittel unseres Daseins“36 – jedoch eben nur durch das, was sie tatsächlich können, nicht aber durch etwas, das nur magisch beschworen und durch ewige Wiederholung nicht plausibler wird. All diese Überlegungen sind natürlich nicht mehr als ein Denkmodell. Es ist offensichtlich alles andere als ein Porträt der weltweiten Realität. Es ist mithin eine Utopie, freilich durchaus eine Realutopie. Denn es sprechen keine begründeten Argumente dagegen, dass sie Realität werden könnte. In dem derzeit noch utopisch anmutenden Fall, dass sie dereinst tatsächlich das reale alltagspraktische Denken und Handeln bestimmen sollte, könnte sie einen immensen Zivilisierungsschub auslösen. ___________ 34 35 36
Seliger: Klassikkampf, S. 360. Seliger: Klassikkampf, S. 376–377. Seliger: Klassikkampf, S. 212.
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Wenn ich mithin für das Postulat einer ‚Autonomie des Sports‘ plädiere, so ist dies natürlich keineswegs gleichbedeutend mit der halsbrecherischen Annahme, der Sport könne sich einfach den Interventionen außersportlicher Mächte in seinen internen Bereich ent- und auf eine irgendwie geartete politikfrei-harmonische ‚Insel der Seligen‘ zurückziehen. Mein Plädoyer kann Plausibilität vielmehr nur im Rahmen ebenjenes Zwei-Schritt-Modells erlangen: Im ersten Schritt geht es um die Klarstellung der autonomen Eigenansprüche der Sportidee. Im zweiten Schritt kommt auch das zum Tragen und ins Spiel, was dem gesunden Menschenverstand als offensichtlich erscheint: die Einflussnahme außersportlicher Sinnfelder und Mächte. Aber eben vom möglichst handlungsorientierenden Denkmodell her nur unter der Regie und den Selektionsentscheidungen über die Zulässigkeit solcher Interventionen durch diejenigen, welche Verantwortung für das sportpraktische Geschehen tragen und damit stets das letzte Wort haben (sollten). Unter dieser Perspektive trüge dann auch der Sinn des Sports somit primär weder hygienisch-medizinische noch pädagogische, moralische, religiöse, ökonomische, politische, militärische oder schließlich auch gendermäßige Bedeutungen und unterläge nicht automatisch den von dort her gestellten Forderungen. Dies alles sind Sinnrichtungen, die ihm zwar aus partikularen Interessen gern zugesprochen werden, mit denen jedoch innerhalb des Sports stets allenfalls sekundär – und oft nur gezwungenermaßen – kommuniziert und kooperiert wird. Willkommen ist ihr Eingreifen in den Sport nur insoweit sie ihm zu helfen versprechen, seinen kulturellen Eigensinn zu verwirklichen. Sport ist insofern auch nicht die viel beschworene schönste Nebensache der Welt, sondern eine schöne Sache neben anderen (zudem oft weitaus weniger schönen). Oft aber war der Blick auf die sportbezogene Tätigkeit von Frauen dominiert, nicht selten auch irritiert durch das exklusive Interesse allein für die politische Seite dieser Tätigkeit. Es wurde zudem noch abgelenkt durch ein diffus ausgeweitetes Verständnis von Politik. Ein Musterbeispiel für diese Sichtweise, die kaum präzise Aufschlüsse über das im engeren Sinne sportliche wie über das im engeren Sinne sportpolitische Handeln von Mädchen und Frauen erbrachte, bot etwa ein von Susanne Bischoff unter dem Titel „… auf Bäume klettern ist politisch“ herausgegebener Sammelband, der mit unbestreitbar gut gemeinten Absichten, aber gleichwohl nicht unproblematischen Konsequenzen „ein Forum für frauen- und lesbenparteiliche Ansätze in Bewegung und Sport zu schaffen“37 versprach. Dieser Diskurs fand allerdings auch in einer Zeit statt, in welcher bereits die öffentlich artikulierte Aversion nicht weniger Feministinnen dagegen einsetzte, sich überhaupt noch von Männern ‚in ihre Angelegenheiten‘ hineinreden zu lassen – eine Aversion, welche seither nicht ___________ 37
Bischoff, Susanne (Hg.): … auf Bäume klettern ist politisch. Texte aus der Feministischen Bewegungsund Sportkultur, Hamburg: Frühlings Erwachen, 1993, S. 9.
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selten den Genderdiskurs belastet, verengt und behindert. Jener von Frauen wie Susanne Bischoff in den 1990er-Jahren für das Feld des Sports eröffnete Diskurs ebnete einen Weg, der in den heute heftig geführten allgemeinen Kampf um Identitäten und um deren Janusgesicht von Schutzfunktion und Freiheitsgefährdung gemündet ist.38 Die Erfahrung des Gelingens der Werke, der ‚Sportwerke‘: Das ist auch im Sport als einer der Künste das höchste Gut. Demgegenüber ist alles andere sekundär. Selbstverständlich gilt dieses Prinzip nur auf seinem spezifischen eigenen Feld, in den zeitlich und räumlich durch sein Regelwerk bestimmten und entsprechend eng eingegrenzten Ereignissen. Aber dort gilt es ohne Wenn und Aber. Dieses Prinzip zu ignorieren, indem man das Sportereignis in den Dienst vermeintlich höherer, jedenfalls außerhalb der Sportidee liegender Ziele stellt, ist hingegen gleichbedeutend damit, jenes Gelingen zu beeinträchtigen, ohne dass für die ‚höheren‘ Ziele Substanzielles erreicht werden könnte, weil es außerhalb der Reichweite sportlichen Handelns liegt. Ein weiterer Strang der Emanzipationsbemühungen von und für Frauen im Sport hingegen richtete sich auf direkte sportpolitische Partizipation. Zugleich wird immer aufs Neue das Ausbleiben von durchgreifenden und nachhaltigen Erfolgen bei diesem Kampf um Teilhabe an der politischen Führungsverantwortung in den Organisationen des Sports beklagt. Zum Beispiel war ein im Auftrag des Bundesministeriums des Innern erstelltes Gutachten über Frauen im Sport – gleichberechtigt?39 bereits in den 1980er-Jahren eindeutig dominiert durch das skeptische Fragezeichen in seinem Titel. Noch heute, Jahrzehnte später, kann ein neugewählter Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) – immerhin ist freilich schon die programmatisch erklärte Absicht bemerkenswert – noch immer als Desiderat verkünden: Gleich nach meinem Amtsantritt haben wir eine Generalinventur beschlossen. Ihr Ziel ist die Antwort auf die Frage: Wo und wofür steht dieser Verband eigentlich? Außerdem gibt es, um nur eine der Einzelmaßnahmen zu nennen, nun eine Gleichstellungsbeauftragte, Hannelore Ratzeburg, ihre Rolle im Präsidium unseres Verbandes haben wir dadurch deutlich gestärkt. Frau Ratzeburg ist noch immer die einzige Frau im Präsidium. Ist das nicht ein Skandal? Das ist sehr bedauerlich. Aber ich kann Sie beruhigen, das wird sich ändern. Ihr Verband wirkt nach außen noch immer wie ein reiner Männerverein. Da gibt es nichts zu beschönigen: Auch der DFB muss weiblicher werden. Ein wichtiger Schritt war die Bündelung des wirtschaftlich orientierten Geschäftsbetriebs in einer GmbH. Das haben wir gemacht, um das Gemeinnützige vom Wirtschaftlichen zu trennen. ___________ 38 39
Zu diesem inzwischen allgemein hochaktuell gewordenen entsprechenden Diskurs vgl. u. v. a. Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg: Hoffmann und Campe, 2019. Vgl. Klein, Michael: Frauen im Sport – gleichberechtigt?, Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer, 1987.
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Sven Güldenpfennig Aber ich verspreche mir davon auch, den Verband jünger, effizienter und weiblicher zu machen. Das müssen Sie erklären. Im DFB haben wir den Frauenanteil an der Belegschaft zuletzt auf 30 Prozent erhöhen können. Auch die Anzahl der Frauen in Führungspositionen, also auf Team- und Abteilungsleiterebene, ist gestiegen und wird weiter steigen. Dies gilt auch für unsere ehrenamtlichen Strukturen. Hier haben wir – ebenso wie unsere Landesverbände – Nachholbedarf. Zu oft wurden Männer von Männern in Gremien gewählt. Frauen hatten wenig Chancen. Deswegen haben wir unter anderem Leadership-Programme auf den Weg gebracht. Vielleicht sollten besser die Männer geschult werden… Solange wir keine sichtbaren Veränderungen erreichen, können wir nicht zufrieden sein. Wäre die Quote eine Option für Sie? Wenn es nicht anders geht: ja. Wir müssen mit allen Mitteln versuchen, den Frauenanteil in den Führungspositionen unserer Mitgliederstruktur anzupassen.40
Wie also ist dieser bis heute anhaltende schwache Rekrutierungserfolg auf der institutionellen Ebene zu erklären? Wie lässt er sich vereinbaren mit dem unverkennbar starken Mobilisierungserfolg, welcher sich längst im Bereich des sportpraktischen Engagements von Mädchen und Frauen eingestellt hat? Obwohl es doch – zumindest heute nicht mehr – keine seit Jahrtausenden zementierte theologische respektive ideologische Zugangssperre gibt, die wie im Vatikan gleichsam ex cathedra Frauen für unbefugt für institutionelle Führungsaufgaben erklärt? Bei aller Zuversicht und Entschlossenheit, die DFB-Präsident Fritz Keller somit auszustrahlen versucht, harren solche Fragen weiterhin einer gründlicheren Erörterung, als sie bislang stattgefunden hat und vor allem durchgreifender praktischer Konsequenzen, deren Wirkung erst noch abzuwarten bleiben wird. Im Rahmen jener allgemeinen emanzipatorischen Frauen- und Genderpolitik seit den 1960er-Jahren entstand zwar, wie an der zitierten Literatur stellvertretend für den gesamten Diskurs ablesbar, auch eine an allgemeinen politischen und lebensweltlichen Zielen orientierte Frauenbewegung auf dem Feld des Sports. Aber diese Ansätze blieben bislang eher marginal. Im Wesentlichen folgte die (zumindest leistungs-)sportliche Emanzipation der Mädchen und Frauen, wie angedeutet, weit eher und direkter dem unmittelbar sachbezogenen Ziel, die Teilhabe am sportlichen Eigensinn dieses Handlungsfeldes auch für sich zu erobern, ohne darüber hinausweisende kollektive Ansprüche individuell gänzlich selbstverständlich zu praktizieren und zu leben. Die fußballspielenden Mädchen und Frauen sind auf diese Weise in einen bis dahin exklusiven Kosmos der Männlichkeit vorgedrungen. Das ist zwar ___________ 40
Keller, Fritz: Der DFB muss weiblicher werden. Außerdem: Mit dem Deutschen FußballBund dem Rechtspopulismus entgegentreten – aber AfDler nicht zwangsläufig ausschließen. Interview, in: DZ, 27.02.2020.
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empirisch mit erheblichen Schwierigkeiten und Hindernissen verbunden (gewesen). Aber das ist gleichwohl gar nicht das eigentliche Thema. Entscheidend ist, dass sie damit einen weiteren Kontinent des Sports für sich entdeckt und erschlossen haben, obwohl es gerade auch in der Sportidee manches gibt, was vielen Frauen nicht von selbst behagt.
4. Hexenwahn, Amazonenfurcht und Fußballverbot Es gibt zwei Arten von Irrtümern: zum einen solche, die erst ex post durch Aufdeckung zunächst nicht erkennbarer oder noch gar nicht eingetretener Gründe als solche sichtbar werden; zum anderen diejenigen, die schon bei der Entscheidung über eine Handlungsalternative als solche erkennbar sind, aber trotzdem begangen werden. Das Fußballverbot, das zum Beispiel der Deutsche Fußball-Bund im Jahr 1955 gegenüber den praktischen Ansätzen und Anerkennungsersuchen von fußballspielenden Frauen verhängt hat, gehört zur zweiten Kategorie. Bemerkenswerterweise fiel dieses Verbot nicht etwa in die Zeit erster Anläufe von Frauen zum Fußballspiel. Diese lagen bereits mehrere Jahrzehnte zurück, wie es insbesondere im Beitrag von Helge Faller eindrucksvoll herausgearbeitet wird. Das Verbot reagierte vielmehr auf eine allmähliche Zunahme solcher Bestrebungen, durch die sie gleichsam die Aufmerksamkeitsschwelle überschritten. Ausgelöst wurde es durch die einfache Übernahme beziehungsweise durch den subkutan weiterwirkenden Nachhall von hergebrachten Vor- und Fehlurteilen über scheinbare biologische, medizinische, bevölkerungspolitische oder ästhetische Kontraindikationen, welche zum Schutz der Mädchen und Frauen vor sich selbst und vor ihren scheinbar abwegigen Ambitionen angezeigt seien.41 Unverkennbar standen im Hintergrund patriarchalisch verblendete Frauen- wie Fußball-Bilder, die angeblich ___________ 41
Das insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert geprägte und noch lange nachwirkende „bürgerliche Frauenbild legte den Frauen eine Vielzahl von Regeln der Sittlichkeit und der Schicklichkeit auf. Lange, einengende Kleidung machte Frauen unbeweglich. Von den Gegnern der Emanzipation wurden die Frauen für zu schwach erklärt, Sport zu treiben, Turnlehrerin zu werden. Besonderer Unfug wurde zum Thema Sport und Geschlecht unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit von Ärzten verbreitet. Befürchtet wurde durch die Teilnahme an Spiel- und Sportfesten die ‚Verminderung der Liebe zum stillen häuslichen Wirken’. Besonders gewarnt wurde vor der Schädigung der Sexualorgane, denn ‚man darf nicht übersehen, dass der weibliche Körper seiner Bestimmung nach unten geöffnet ist, so dass bei heftigen Leibesübungen gar leicht Vorfälle entstehen können. Übermäßige Schritte, Spreizleistungen, hohe Sprünge sind deshalb aus dem weiblichen Turnunterricht auszuschließen’ (Kloss 1855). Die feindliche Einstellung zum Frauensport ging bis zum Exzess“, so Schierenberg, Monica/Palzkill, Birgit: Sport, in: Hervé, Florence [u. a.] (Hg.): Kleines Weiberlexikon A–Z, Dortmund: Weltkreis, 1985, S. 422.
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eine Unzulässigkeit weiblichen Fußballspiels nahelegten. Es war ebenjenes Janusgesicht von paternalistischer Sorge um die Sache und das Wohl der Betroffenen auf der einen Seite und die ungute Mischung aus Borniertheit, Macht und Zeitgeist auf der anderen Seite, das an der Wiege schon so vieler Übel in der Welt gestanden hat. Immerhin muss man, um sich ein angemessenes Bild von diesem FußballEmbargo innerhalb der Zeitumstände zu machen, einräumen, dass der DFB und der Sport insgesamt mit ihren herrschenden restriktiven Einstellungen gegenüber den Fähigkeiten von Frauen innerhalb der Gesamtlandschaft der Kultur ja keineswegs allein standen: Zur selben Zeit waren noch die Orchestervorstände der weltweit hochgerühmten Berliner und Wiener Philharmoniker felsenfest davon überzeugt, dass Frauen ‚es schlicht nicht können‘, sodass deren Aufnahme die musikalische Qualität des Orchesters unweigerlich verderben würde. Die Geschichte der Stellung der Frau im Sport generell war für lange Zeit eine Skandalgeschichte, die sich in zwei Schritten vollzogen hat: Ursprünglich war das Streben nach Anerkennung eines gleichberechtigten Lebensrechts in der Gesellschaft schon für den zunächst ja ohnehin überwiegend nur von Männern betriebenen Sport ein Skandal. Das galt dann erst recht für den Anspruch der Frauen auf gleiche Rechte trotz sonstiger Unterschiede auch auf diesem Feld. Greift deshalb vielleicht die Suche nach halbwegs rationalen Beweggründen für die Ablehnung überhaupt zu kurz? Muss man vielleicht noch weitaus tiefer graben, in solchen ans Magische grenzenden Schichten von Urängsten, aus denen einst auch der Hexenglaube und der panisch-gewaltsame Furor der Hexenverfolgungen aufgestiegen waren? „Den Hexen war alles zuzutrauen.“42 Wurden die ‚gegen jede Vernunft‘ fußballspielenden Frauen wahrgenommen, gleichsam als eine Light-Version, als eine vulgarisierte und weitgehend entdämonisierte Form, ein letzter, wenn auch nur noch schwacher Widerschein jenes bösen Zaubers, den man einst als ‚Grund‘ für den in der frühen Neuzeit ‚erfundenen‘ Hexenwahn angeführt und der die Hexenjagd befeuert hatte? Und dessen späte Ausläufer auch in unser Feld hinein folglich nur durch einen Abwehrzauber in Gestalt eines Fußballspielverbots gebannt werden konnte? Eine Ausstellung in Speyer ist vor einem knappen Jahrzehnt der allgemeinen Entstehungs- und Verlaufsgeschichte des Hexenwahns nachgegangen, der einst seine schlimmsten Exzesse in dem berüchtigten Pamphlet Hexenhammer (Malleus maleficarum) eines Dominikaners namens Heinrich Institoris von 1486 und in den mit dieser Schrift gerechtfertigten massenhaften Hexenverbrennungen gefunden hat. Die daraus entstandene Hexenikonographie ___________ 42
Preisendörfer, Bruno: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit, Berlin: Galiani, 2016, S. 216.
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verband sich mit „Legenden, in denen berühmte Männer von Frauen entmachtet oder verspottet wurden“43. Die Analogien zu dem späteren Muster von anmaßenden Übergriffen auf die Männerdomäne Fußball durch allzu unbotmäßige und folglich ‚verhexte‘ Frauen drängen sich förmlich auf. Dasselbe Museum legte wenig später noch einmal nach mit einer Ausstellung über den Mythos der Amazonen, der ja ebenfalls auffällige zumindest indirekte Sportbezüge aufweist.44 Und die dieser Ausstellung zugrundeliegenden Studien verstärken den bereits aus dem Hexendiskurs ablesbaren Eindruck von irrationalen Abwehrreflexen. Aus den Befunden der kritischen Aufarbeitung des verfügbaren Materials und seiner zumeist spekulativen Deutungen lässt sich mit aller gebotenen Vorsicht der folgende Schluss ziehen: Für ein sogar militärisch erfolgreiches ganzes Frauenvolk gibt es zwar keinerlei historische Evidenz. Nur Hinweise auf einzelne bewaffnet kämpfende Frauen sind plausibel. Dass dennoch der Amazonenmythos so weittragende Wirkung entfalten konnte, ist nur als – eben deshalb so maßlos übertreibender – Ausdruck von männlichen Urängsten um eine Gefährdung ihrer ‚gottgewollten‘ Dominanz sowie um die Aufrechterhaltung einer entsprechenden ‚natürlichen‘ gesellschaftlichen Ordnung verständlich, in und mit der diese Vorherrschaft gewährleistet bleibt. Gleichwohl beginnt sich ab der Frühen Neuzeit zunächst nur literarisch, dann aber auch realhistorisch die Emanzipation einzelner Frauengestalten aus dem Korsett jener mythologischen und ideologischen Vorgaben in ersten Schritten abzuzeichnen. Sie werden sich von da an sukzessive verstärken bis in die Jetztzeit und zudem in alle gesellschaftlichen Felder hinein. Dieser Wendepunkt ist markiert mit der Zeit des beginnenden 15. Jahrhunderts: „Zum ersten Mal in der Amazonendarstellung finden wir utopische Bilder einer auf Dauer gelungenen, stabilen Autarkie von Frauen – eine Feminozentrik, die der reinen Nachahmung des Männlichen, aber auch einer Domestizierung weiblicher Stärke entgeht.“45 Gleichwohl schlagen bis auf den heutigen Tag immer wieder zumindest Relikte jener in mythische Bilder gebannten männlichen Urängste durch bis an die rhetorische Oberfläche in herabsetzend-allergischen Reaktionen. Der Shitstorm gegen den ‚unfassbaren‘ Einsatz der kompetenten Reporterin Claudia Neumann bei den letzten Fußballturnieren der Männer ist noch unvergessen. Er bietet ein Beispiel dafür, wie die inzwischen eingetretene und weitgehend habitualisierte Zivilisierung der männlichen Beobachtung weiblichen Sports ___________ 43 44 45
Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hg.): Hexen. Mythos und Wirklichkeit, München: Minerva, 2009, S. 204. Vgl. Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hg.): Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, München: Minerva, 2010. Historisches Museum der Pfalz Speyer: Amazonen, S. 227.
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in den öffentlichen Medien durch eine Entzivilisierung der männlichen Kommunikation in den anonymen ‚sozialen‘ Netzwerken konterkariert werden kann. Solche Reaktionen können mit Erklärungen allein auf der rationalen Ebene gar nicht plausibel gefasst werden. Deshalb liegt es nahe, ihre Wurzeln auch in tieferliegenden Quellen des kollektiven Unterbewusstseins zu vermuten und zu suchen. Zu den ins Mythische zurückführenden Erklärungen für die Abwehrreaktionen gegen Bilder männlicher Schwäche durch weibliche Bedrohung gehört natürlich auch eine näher liegende sozialpsychologische: die untergründige Angst des ‚starken‘ und sich notorisch selbst überschätzenden Geschlechts vor dem Offenbarungseid über seine tatsächlichen Schwächen, nämlich seiner allein in körperlicher Kraftüberlegenheit gegründeten, also menschlich gesehen angemaßten und bestreitbaren, letztlich atavistisch ‚begründeten‘ und somit unter menschenrechtlichen Normen angreifbaren (Über-)Macht.
5. Der Sport ist nicht männlich oder weiblich, sondern sportlich. Zum weiteren Weg von 1970 bis 2019 Nach diesem etwas abschweifenden kulturhistorischen Exkurs in mutmaßliche allgemeine Hintergründe nicht zuletzt auch für die langjährige Eindämmungspolitik des DFB, nun also der Schritt wieder zurück in die nur noch kurz zurückliegende Zeitgeschichte des Fußballsports: Im Jahr 1970 schließlich wurde das schon von vornherein Selbstverständliche dann doch wirklich. Man beugte sich der nicht mehr zu leugnenden Tatsache, dass Frauen es doch können. Und vor allem auch, dass sie es wollen. Nicht die Tatsache hatte sich geändert, sondern die Bereitschaft des Zeitgeistes und der Verantwortlichen, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen. Auf seinem Bundestag am 30. Oktober 1970 in Travemünde hob der DFB – ähnlich wie die Verbände in Frankreich und England, sodass man hier nicht zuletzt gleichlaufende Reaktionen auf Interventionen der internationalen Verbände UEFA oder FIFA vermuten kann – sein Frauenfußballverbot aus dem Jahr 1955 auf. Seinerzeit hatte der DFB per Satzung seinen Mitgliedsvereinen unter Androhung von Strafen bis hin zum Ausschluss vom Spielbetrieb verboten, Frauenfußball zu fördern, ja ihm auch nur Plätze zum Spielen zur Verfügung zu stellen. Die rein männliche Funktionärsriege hatte seither, im Unterschied etwa zum Handball, einen hartnäckigen Abwehrkampf gegen das Einbrechen der Frauen in eine der letzten männlichen Domänen geführt. Dort, so vermutet Hannelore Ratzeburg, erste Frau im DFB-Präsidium, „passte der Frauenfußball nicht hinein, vielleicht sogar besonders nicht nach dem Sieg der Männer
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bei der Weltmeisterschaft von 1954“46. Argumentative Stütze fand diese Haltung in abwegigen, vorgeblich wissenschaftlichen Thesen etwa eines Frederik Buytendijk, der in einer Studie von 1953 postulierte: „Das Fußballspiel als Spielform ist wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit.“47 Die fußballinteressierten Frauen ließen sich von solch hanebüchenem Unsinn nicht von ihrem eigenen Weg abbringen. Dem blieb jedoch die offizielle Anerkennung noch für einige Jahre versagt. Er lockte zudem windige Geschäftemacher in der entstehenden Grauzone an. Erst die Sorge um die Alleinherrschaft durch die drohende Gründung eines ernst zu nehmenden Konkurrenzverbandes der Frauen, die hieraus möglicherweise entstehen konnte, veranlasste schließlich den Kurswechsel des DFB von 1970. Das bedeutete allerdings noch immer nicht das Ende der Diskriminierung in Gestalt einer Vielzahl von kleineren Restriktionen im Hinblick auf Größen des Balles, des Spielfeldes und der Spielzeit, nicht zuletzt auch von abschätzigen Bildern und Kommentaren im Fernsehen. Erst 1982 konnte das erste offiziell genehmigte Länderspiel stattfinden. Schließlich brauchte es aber sogar noch ein kleines Wunder, um den wirklichen Durchbruch einzuleiten: Im Finale zur ersten deutschen Meisterschaft der Frauen im Jahr 1974 trifft Bärbel Wohlleben per Fernschuss in den Winkel zum vorentscheidenden 3:0 für TuS Wörrstadt gegen Eintracht Gelsenkirchen-Erle. Der Treffer kommt in die Endausscheidung der Wahl zum Tor des Monats in der ARD – und gewinnt. „Ich habe viel später erst gemerkt, dass das ein Meilenstein für uns Frauen war“, erinnert sich die Torschützin aus Anlass des Jubiläums.48 Der ungenaue Blick auf das tatsächliche Geschehen führte im Sportdiskurs häufig zu irreführenden pauschalisierenden Annahmen über den zutreffenden ‚Ort‘ von Geschlechtsdifferenzen im Sport: Dass es biologisch und psychologisch bedingte, zumindest statistisch eindeutige Leistungs- und Mentalitätsunterschiede und entsprechend gut begründete Bedürfnisse nach sozial geschützten Räumen für weibliches Sport- wie allgemeines Handeln sowie nach Anerkennung ihres eigenständigen Artikulations- und Partizipationsanspruches im öffentlichen Raum gibt,49 verleitete zu der weniger gut begründeten Annahme, es gebe auch eine ganz eigene Art weiblichen Sporthandelns. ___________ 46
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Zit. nach: Meuren, Daniel: Freiwild im Sperrbezirk. Vom Kirmesspektakel zum FernsehEreignis für Millionen im Abendprogramm: Vor genau 40 Jahren hat der DFB sein Frauenfußball-Verbot aufgehoben. Der lange Kampf um die Anerkennung trug skurrile Züge, in: FAZ, 30.10.2010. Zit. nach: Meuren: Freiwild im Sperrbezirk. Zit. nach: Meuren Freiwild im Sperrbezirk; vgl. auch Wohlleben, Bärbel: Über das Ende des Frauenfußballverbots 1970. Interview, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), 31.10.2010. „‚Mann‘ und ‚Frau‘ sind soziale Konstrukte? Diese Lehre stößt im Sport an ihre Grenzen“, so Schloemann, Johan: Gespielter Krieg. Der Fall Caster Semenya wirft viele Fragen auf. Eine
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Vorstellungen vom ‚männlichen Sport‘, von einem entsprechend nur das vermeintlich typisch Männliche am Sport nachahmenden weiblichen Sporthandeln sowie von einer unerwünschten vermeintlichen Vermännlichung von Frauen durch extensive Beteiligung entstehen durch das Missverständnis, dass das Handeln auf diesem Feld generell primär durch biologische und/oder soziale Faktoren bestimmt und differenziert werde. Tatsächlich aber ist die Hauptdeterminante hier wie in anderen Kunstgattungen ein biologisch und sozial neutrales kulturelles Sinnmuster. Die Geschlechterdifferenz kommt hier allenfalls indirekt und sekundär durch organisatorische Arrangements zum Tragen, also durch die Schaffung von leistungsdifferenzierten Ligen und anderen Schutzräumen, sowie in motivationsbedingt anderen Deutungen der Handlungsgrenzen innerhalb dieses Raumes, nicht zuletzt auch faktisch durch den weniger bewussten und brutalen Einsatz von Regelverletzungen, von ‚Nickligkeiten‘ an der Grenze zum Foul und anderes mehr. Auf diese zuletzt genannten Aspekte zumindest bezog sich die Hoffnung (und seitens der zögerlichen Verbände geradezu der Oktroi) in der Phase gleichsam des Neustarts für den Frauenfußball seit 1970. Insgesamt steht der Sport in dieser Hinsicht deutlich im Kontext allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen der Geschlechterverhältnisse. Natürlich gibt es zum Beispiel ‚erfolgreiche‘ Versuche insbesondere der Werbewirtschaft, mit Blick auf männliches Voyeurverhalten weibliche Merkmale im Sport herauszuheben und zudem besonders attraktiv anmutende Protagonistinnen des Sports zu vermarkten. Bisweilen wird eine solche ebenso sportwie frauenfeindliche Fokussierung sogar gefördert durch entsprechend entgegenkommendes Verhalten von Sportverbänden, wie die Beispiele der Bekleidungsregeln im Beachvolleyball oder im Feldhockey der Frauen zeigen. Aber das sind keine ‚von innen‘ kommenden Ausflüsse eines durch den spezifischen Eigensinn dieses Kulturmusters vorgegebenen ‚weiblichen Sports‘. Dasselbe gilt umgekehrt: Fußball ist ebenso wenig wie jeder andere Sport, ja ebenso wenig wie jede künstlerische Tätigkeit, von seinem Eigensinn her männlich oder weiblich. Auch wenn manches praktische Handeln, manche individuellen Attitüden und Allüren sowie manche rhetorischen Muster etwas Anderes zu suggerieren scheinen. Gerade solche Nebenerscheinungen sind es ja, die überhaupt erst das öffentliche Bild vom Sport als männlichem Handlungsmuster hervorrufen konnten. Jene allgemeine Tatsache der Geschlechtsneutralität des Kulturmusters kann nicht verhindern, dass männliche Konnotationen hineingedeutet werden von Laien-Beobachter*innen (Zuschauende) oder professionellen Beobachter*innen (Wissenschaftler*innen, Journalist*innen), die den kulturellen Eigensinn des Sports nicht verstanden haben. ___________ lautet: Was ist fragwürdiger, die Geschlechterzuordnung oder der Spitzensport?, in: SZ, 04.05.2019.
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Das hat es – und zwar nicht nur durch Zuschreibung von außen, sondern vonseiten der Protagonisten selbst – sogar in einem Bereich der Hochkultur einst gegeben, in dem man es im aufgeklärten 20. Jahrhundert gar nicht mehr hätte vermuten sollen: nämlich bei den Berliner Philharmonikern, die noch zum Beginn von Karajans Zeiten, so wie auch bei den Wiener Philharmonikern vom Orchester selbst als ein exklusiver Ort männlicher Musikkultur verteidigt wurden. Auch dies hat sich inzwischen längst weitgehend erledigt. Obwohl wir in dieser Thematik auch weiterhin generell nur auf dem Weg, aber längst nicht angekommen sind, scheint nur im Sport beziehungsweise speziell beim Fußball-Publikum heute noch dieses archaische Relikt bisweilen sogar ‚in Reinkultur‘ wie in einem Biotop zu überleben. Ein journalistischer Beobachter der Szene brachte aus Anlass der Rekord-Transfersumme von Cristiano Ronaldo von Manchester United zu Real Madrid im Sommer 2009 die Lage auf den Punkt. Fußballer seien teuer, aber ohne Wahnsinn mache dieser Sport vielen – und das heißt: vielen Männern – keinen Spaß: Die Fußballgötter sind Männer, die Fußballhändler sind Männer, die Fußballbosse sind sogar Alphamänner der prachtvollsten Art. Pérez, Abramowitsch, Berlusconi. Der Fußball, so wie er ist, erscheint gerade diesen Männern schützenswert, weil er ihnen wie ein archaisches Paradies vorkommt. Fußballer traben über Laufstege, wenn sie vorgestellt werden, und besetzen einen Raum, der sonst von weiblichen Models bespielt wird. Frauen dagegen sind Staffage, in der westlichen Welt gibt es keinen Bereich, in dem sie so sehr Randfiguren sind wie im Fußball.50
Solche Beobachtungen zeigen: Zwar weist der Eigensinn des kulturellen Handlungsmusters Sport im engeren Sinne selbst in der Tat keinerlei geschlechtstypische Merkmale auf. Dies jedoch kann durch geschlechtstypische Prägungen auf den Feldern seiner Inszenierungsformen, seiner öffentlichen und privaten Kommunikation51 und keineswegs zuletzt auch seiner Organisationsstrukturen52 gleichwohl stark konterkariert werden und auf diese Weise die öffentliche Wahrnehmung desorientieren. Obwohl dies somit eigentlich gegenüber der kulturellen Bedeutung des sportlichen Ereignisses nur Randphänomene sind, zeigen sie doch deutlich die Sperrigkeit des mächtigen Hindernisparcours, den Mädchen und Frauen durchreiten müssen, wenn sie die tief eingeschnittenen habitualisierten Ausschlussmechanismen nicht länger widerspruchslos hinnehmen wollen. ___________ 50 51 52
Gertz, Holger: Helden haben ihren Preis. Fußballer sind teuer. Aber ohne Wahnsinn macht dieser Sport vielen keinen Spaß, in: SZ, 18.07.2009. Vgl. z. B. Blaschke, Ronny: Die Bastion aufbrechen. Die Wanderausstellung „Fan.Tastik Females“ erklärt, warum alltägliche sexistische Strukturen im Fußball zum Ausdruck kommen – und würdigt engagierte Frauen, in: SZ, 13.03.2019. Siehe hierzu ein weiteres Gespräch zum Internationalen Tag der Frauen: Hayali, Dunja/Ratzeburg, Hannelore/Schwedler, Sandra: Wir müssen normal werden. Selbst in Dax-Vorständen
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Dabei sind viele Athletinnen selbst, die inzwischen diesen Weg gegangen sind, viel weiter als die mannhaften Verteidiger des Status quo. Sie haben selbst nach und nach alle vermeintlich männlichen Domänen im Sport für sich erobert, bis hin zum Boxen, Ringen, Gewichtheben, Skispringen, Bobfahren, Eishockey, ja zum Bodybuilding – ach was, in allen Sportarten! Und so eben auch im Fußball. Und immer gegen Widerstände. Sie sind damit auch weiter als ihre männlichen Sportfreunde. Denn wo sind die Jungen und Männer, die sich scharenweise Zugang zu den vermeintlich weiblichen Domänen Synchronschwimmen oder rhythmische Sportgymnastik zu verschaffen versuchen? Aber die Erzeugung des öffentlichen Bildes der Frau im Sport war allzu lange hartnäckig dem selektiven männlichen Blick unterworfen – ‚enteignet‘. Statt den Frauen selbst ihre eigene Bildproduktion zu überlassen. Auch die Aufhebung der Hegemonie des männlichen Blicks auf den Sport von Frauen bietet allerdings noch keineswegs die Gewähr für eine Aufhebung irreführender öffentlicher Blicke auf den Sport überhaupt. TV-Moderatoren männlichen ebenso wie weiblichen Geschlechts überbieten sich beispielsweise regelmäßig und regelrecht in der Einstimmung ihres Publikums auf einen sei es lokal oder national verengten Blick, durch welchen der kulturelle Reichtum des internationalen Sportgeschehens verkürzt und verstellt wird. Was aber soll man schließlich von einem Gerede halten, das in dem Wortgetöse der folgenden Art daherkommt? „Wir müssen Männerfußball spielen am Samstag. Wir müssen Kerle sein auf dem Platz!“ So Michael Zorc, Sportdirektor des BVB 09 Dortmund, vor dem Bundesliga-Spitzenspiel gegen den FC Bayern München am 9. November 2019, als er meinte, seinem Team noch einmal den Ernst der Herausforderung durch den Serienmeister einschärfen zu müssen.53 Manche reden in einer solchen Situation auch gern und irgendwie unbefangen aufmunternd von ‚Eiern‘, die man haben müsse, um sich kämpfend und mit letztem Einsatz in außergewöhnliche Herausforderungen stürzen zu können. Wie würde wohl ein entsprechender Appell vor einem wichtigen Spiel des Frauenfußballs lauten können? Offensichtlich aber verstehen inzwischen auch manche Männer eine solche anachronistische Ansage einfach nicht mehr: Der BVB jedenfalls ging in diesem Spiel mit 0:4 unter. Hatten die ‚Kerle‘ also Frauenfußball gespielt? Natürlich beides nicht. Denn beide Geschlechter spielen mit je ihren Mitteln nur eins: das Sportspiel Fußball. Die Rede war von Frauenpower. Die episodischen Einblicke, die ich versucht habe, erzählen in ihrer Gesamttendenz eine Erfolgsgeschichte. Aber das Bild wird erst realitätsgerecht, wenn man die Kehrseite der Widerstände und ___________
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sitzen mehr Frauen als in den Führungsetagen des deutschen Profifußballs. Wird sich daran je etwas ändern? Über Frauen, die im Fußball was zu sagen haben. Interview, in: SZMagazin, 08.03.2019. Vgl. Dpa: Zorc fordert „Männerfußball“, in: SZ, 08.11.2019.
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Rückschläge nicht unterschlägt. Man darf die Gewalt- und Behinderungspotenziale nicht unterschätzen, die bis heute in jenen Kulturen dieser Welt grassieren, in denen Misogynie in ihren vielfältigsten Spielarten noch immer zu den Herrschaftsprinzipien und den Mitteln der politischen Auseinandersetzung gehört.
6. Fußball: Teil der Popular- oder der Hochkultur? Das Sportfeld ist nicht das ‚Marsfeld‘. Also auch nicht, wie man das einst nannte, das ‚Feld der Ehre‘ – auf dem in Jahrtausenden Ströme von Blut geflossen sind, und natürlich immer für ‚höhere Ziele‘, die allerdings fast durchgängig von Männern und deren eingeschränktem Blickwinkel definiert wurden. Der Sportplatz ist heute nicht einmal mehr ein Ort, der dafür taugt, Stellvertreterkriege, um unser heutiges Thema zwischen Feminist*innen und Antifeminist*innen für ihre allgemeinen Ziele auszufechten. Denn der Sport und seine Treuhänder*innen sind viel zu – und zwar im doppelten Wortsinn – eigensinnig, als dass sie bereit und in der Lage wären, etwas und sich für die Ziele solcher außersportlichen Kämpfe herzugeben. Gleichwohl ist und bleibt der Sport ein Feld legitimen Kampfes. Aber in gänzlich anderem Sinne als alle Spekulationen und Maßnahmen zu seiner mutmaßlichen Tauglichkeit für militärische Zwecke. Nämlich ein Feld des Kampfes um die Verteidigung und Zukunftsfähigkeit seiner eigenen, ihn tragenden Idee und Ereignisse. Und dabei allen voran jener Ereignisse und ihrer Protagonistinnen, die noch immer in einem nicht ‚gewonnenen‘ Kampf um Anerkennung und um Ausweitung jener ‚Kampfzone‘ stehen, auf denen die Ereignisse des Frauensports und Frauenfußballs ausgetragen werden. Der Sport, zumindest der im engen Sinne die ‚Sportkunst‘ und alle ihre Branchen sind eine ‚ernste Sache‘, denn sie steht auf Augenhöhe mit den anderen Künsten und hat den gleichen Anspruch auf Respekt. Nun handelt es sich allerdings bei unserem Thema, dem Frauenfußball, erfreulicherweise nicht um eine zunehmende, sondern eher um eine langsam abnehmende Krise. Gerade die Krisensymptome, die der schon zitierte Berthold Seliger für seinen Bereich der klassischen Musik beklagt, sind im männlichen Profifußball mindestens so virulent wie dort – „eine unerquickliche Mischung aus Elitekunst, Hochleistungsklassik, Starsystem, Kulturindustrie, Konsumismus, Biedermeier und all dem, was sonst noch zu unseren Jahren des Missvergnügens beiträgt.“54 Gleichwohl besteht auch hier noch erheblicher Aufhol- und insbesondere auch Klärungsbedarf zu Fragen. Hierzu tragen die Beiträge in diesem Sammelband bei. ___________ 54
Seliger: Klassikkampf, S. 18.
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Hiermit komme ich zurück auf das Eingangszitat von Alexandra Popp und schlage eine entsprechende Klammer um meinen Beitrag: Ein Ziel jenes von ihr eingeklagten Aufholprozesses im Hinblick auf die öffentliche Resonanz und Anerkennung des Frauenfußballs gegenüber seinem männlichen Pendant richtet sich nicht zuletzt auf hoffentlich kontinuierlich weiter wachsende Zuschauer*innen-Zahlen wenigstens bei deren Spitzenspielen. Teil des entsprechenden Klärungsprozesses allerdings wird es sein müssen, sich hier von beiden Seiten her aufeinander zu zu bewegen: in Gestalt wachsenden Publikumsinteresses auf weiblicher und eines – angesichts des seit Langem anhaltenden Booms derzeit nur schwer vorstellbaren – Abschmelzens seiner ‚unechten‘ Teile im männlichen Bereich. Die Klage über bislang und trotz einer gewissen Zunahme auch weiterhin überschaubaren Zuschauer*innen-Resonanz beim Frauenfußball umfasst implizit immerhin zugleich eine Kehrseite, einen positiven Aspekt, nämlich die Tatsache, dass man in diesem Kreis von Frauen und Männern mutmaßlich einen höheren Anteil von primär wirklich an der sportlichen Seite des Geschehens interessierten Menschen unterstellen kann. Diese Fokussierung auf die sportliche Seite des Geschehens – diese Sichtweise lässt sich nicht hoch genug bewerten – sollte keineswegs nur aus idealtypischer Perspektive, sondern handlungspraktisch zugleich den Respekt vor dem Status des Fußballspiels als eines ästhetisch-schöpferischen Kulturguts umfassen. Dieser Respekt wird dem Männerfußball von zwei Seiten her verweigert: Vonseiten solcher Fans, die sich allein oder primär am Erfolg ihres ‚eigenen‘ Teams sowie an ihrer eigenen Performance am Rande des Spiels berauschen; und vonseiten solcher Beobachter, welche dem Fußball, so wie jedem sportlichen Spiel, ohne Rücksicht auf die ihrem kulturellen Eigensinn immanenten Beschränkungen vor allem anderen die Stellungnahme zu allgemeinpolitischen Konfliktkonstellationen abfordern. Der Hype bezüglich der boomenden Zuschauer*innen-Resonanz beim Männerfußball nämlich geht mutmaßlich zu ganz überwiegenden Teilen auf außersportliche Motive, nämlich der Hoffnung allein oder primär auf den Erfolg der ‚eigenen‘ Mannschaft und damit auch ‚meines‘ Prestigegewinns und sei es lokalen oder nationalen Identifikationsbedürfnisses zurück. Ein Aufeinanderzubewegen von beiden Seiten her meint somit, dass aus sportlicher Sicht dem Frauenfußball zwar ein stabiles und noch weiterhin wachsendes Publikumsinteresse zu wünschen ist, aber zugleich dem Männerfußball ein wachsendes sportsinn-gerechtes Publikumsinteresse. Das freilich wäre in letzter Konsequenz gleichbedeutend mit einem ‚Verlust‘ ebenjener großen Teile von vorgeblichen Fußballfans, die in Wirklichkeit weniger Fans des Fußballspiels als Ganzem als vielmehr Fans des Erfolgs nur der je ‚eigenen‘ Seite, nicht jedoch des sportlichen Ereignisses selbst sind.55 ___________ 55
Weiterführendes hierzu findet sich bei Güldenpfennig, Sven: Vom Missbrauch des Sports. Eine unendliche Geschichte erfolgreichen Scheiterns, Hildesheim: Arete, 2014, S. 287–370 („Vorrang der
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Das aber setzt eine tiefgreifende Korrektur des öffentlichen Bildes von Sport insgesamt voraus, wie ich sie in meinen bisherigen Ausführungen schon angedeutet habe: Demnach geht es nur für die unmittelbar auf dem Platz agierenden Athlet*innen, für das Publikum als an seinem Rand agierende Beobachter*innen jedoch allenfalls in zweiter Linie um je ‚unseren‘ Sieg, vor allem anderen jedoch um die Zugehörigkeit des Sports und so auch des Fußballs zur Gattung der performativen Künste. Diese Zugehörigkeit besteht darin, dass hier wie dort Dramen zur Aufführung gelangen, die hier freilich – ähnlich wie extemporierte Passagen in Wortvorträgen oder wie freie Improvisationen innerhalb von Musikkompositionen – erst während der Aufführung ‚geschrieben‘, also nicht vorab notiert und kompositionsgetreu wiedergegeben werden. Folglich wird hier der Unterschied zwischen Komposition und Interpretation aufgehoben, welcher mit seinem Zwei-Schritt-Modus für die meisten Mitglieder der Verwandtschaft in dieser Kunst-Familie kennzeichnend ist: für Werke auf der Theater- und Ballettbühne wie auf dem Konzertpodium. Dass dieser Unterschied bei der sportlichen Performance aufgehoben ist, führt dazu, dass die Verläufe von ‚Sportwerken‘ – siehe als anschauliches vergleichendes Beispiel zwei durch Zufälle der Terminpläne kurz hintereinander stattfindende Spiele zwischen den gleichen Fußball- oder Eishockeymannschaften – untereinander extrem abweichen können. Übrigens: Dass im sportlichen Handeln der bei vielen anderen Künsten übliche Zwei-Schritt-Modus von Komposition und Interpretation aufgehoben und in einem Schritt bewältigt wird, verleiht seinen Protagonist*innen sogar den respektheischenden Sonderstatus einer außergewöhnlichen, eben besonders geistesgegenwärtigen und eben alles andere als nur körpergetragenen und damit minderwertigen ästhetisch-schöpferischen Leistung. Den Sport (in seinem engen, elaborierten Sinne) und gar den oft noch immer weithin als irgendwie vulgär wahrgenommenen Fußball überhaupt in diesem Kontext und auf Augenhöhe mit Künsten der Hochkultur zu verorten und zu beurteilen, stößt hingegen im Sportdiskurs seit jeher bestenfalls auf Staunen, meist jedoch eher auf Befremden. Diese Geringschätzung, Abschätzigkeit oder zumindest skeptische Abwehrhaltung gegenüber einer solchen Deutung ist eine weitere Folge der irrigen Annahme von der exklusiv für den Eigensinn des Sports geltenden, dominant konstitutiven Bedeutung der irgendwie animalisch anmutenden Körperlichkeit und des vermeintlich folgerichtig primitiv anmutenden fußballbezogenen Auftretens zahlloser männlicher Fans bis hin zu gewaltaffinen Hooligans mit ihrer extrem kunstfernen narzisstischen Selbstinszenierung. Deshalb wird der Fußball meist bestenfalls als Teil der Popularkultur, der Trivialkultur oder gar nur polemisch als Teil einer Vulgärkultur wahrgenommen ___________ sozialen Gemeinschaft vor der kulturellen Idee? Sogar im Sport? Lokalismus, Nationalismus, Fanspiele: blinde Passagiere an Bord der Sportidee“).
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und genießt einen entsprechend niedrigen soziokulturellen Nimbus. Überhaupt betrifft diese Unterscheidung zwischen Hoch- und Popularkultur allerdings, entgegen der üblichen dominanten Sozialkritik, nicht in erster Linie einen schichtenspezifischen Unterschied zwischen den kulturbezogenen Interessen von gesellschaftlichen Eliten und ‚niederem Volk‘, sondern als Kunstkritik den Unterschied zwischen dem elaboriert auf Exzellenz gerichteten ästhetischen Gestaltungsanspruch einer kulturschöpferisch tätigen Minderheit sowie dem bescheiden auf eher trivialen Geschmack gerichteten Rezeptionsanspruch einer konsumistisch beobachtenden Mehrheit im Sport ebenso wie in anderen Künsten. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die grundsätzlich legitime Popularkultur auch nicht generell als alleiniger Inbegriff einer demokratischen Errungenschaft gegen die elitäre Hochkultur als vermeintlichen Hort nur der Herrschenden in Stellung gebracht werden kann, sondern sich nicht selten nur populistisch an einen kulturfern-mediokren Massengeschmack anbiedert und damit eher den Gegenentwurf zu Schöpfungen einer demokratischen Kulturgesellschaft verkörpern kann. So wie die Unterscheidung zwischen Hoch- und Popularkultur nichts zu tun hat mit dem gerade modisch gewordenen rechtspopulistischen Ausspielen von ‚Volk‘ als dem legitimen ‚Wir alle hier unten‘ gegen ‚die Eliten‘ als dem illegitimen ‚Die da oben‘, so muss sie auch nicht gleichbedeutend sein mit dem Unterschied zwischen hoher und minderer Qualität des Geschaffenen – Werke dessen, was man auch E- im Sinne von ‚ernster‘ Kunst nennt, können hochgradig misslungen sein, und Werke dessen, was man auch U- im Sinne von unterhaltender Kunst nennt, können hochgradig gelungen sein. Jene Differenzierung meint vielmehr den Unterschied zwischen höherer und geringerer Komplexität und damit zwischen schwerer und leichter Verständlichkeit der kulturellen Schöpfungen. Und in ebendieser Hinsicht kann man Fußball und Sport generell eher auf der letzteren Seite verorten. Zwar in der Regel überhaupt nicht bei den Produzenten*innen der Werke, denn deren Leistung ist meist nicht geringer als die von anderen Kulturschaffenden, sondern auf der Seite der Rezipienten*innen, denen das Sportgeschehen prima vista als leicht verständlich erscheinen mag. Deshalb übrigens ist, by the way, auch gern davon die Rede, dass – wieder in ähnlicher Weise besonders bei diesen beiden Kunstgattungen – die Musik eine universale Sprache sei und der Sport sogar alle Sprachen spreche und sie deshalb ein besonderes Potenzial zur Völkerverbindung und -verständigung hätten. Das mag zwar, in Grenzen, so sein. Aber es heißt nicht zugleich, dass man in den Sprachen der Musik und des Sports auch alles ausdrücken, also, siehe oben, damit auch zum Beispiel politische Botschaften vermitteln könnte. Das Verbindende ist vielmehr lediglich, dass alle Menschen gerade wegen der Entlastung von weiterreichenden außerästhetisch-rationalen Semantiken einen leichteren Zugang zu ebendiesen Spezialsprachen haben.
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Ich komme deshalb noch einmal zurück zu der Frage der Unterscheidung von Hoch- und Popular- beziehungsweise E- und U-Kultur: Wir haben es auch hier auf dem Sport- und Fußballplatz mit der Gleichzeitigkeit von zwei scheinbar entgegengerichteten Bewegungen zu tun: Zum einen verwischen generell die einstmals scharf gezogenen Grenzen zwischen sogenannter Eund U-Kultur immer mehr,56 so dass die Positionierung des auch sehr stark binnendifferenzierten Sports gleichzeitig beiderseits der klassischen Grenze zu finden ist.57 Insofern könnte man sagen, dass E-Sport und U-Sport sich annähernd mit den von mir bevorzugten Begriffen von Sport im engen und im weiten Sinne decken.58 Und zum anderen erfüllt der selbst dem realen Fußball wie jeglichem wohlverstandenen Sport vorausgehende Eigensinn der Sportidee bei genauerem Blick, der sich nicht durch den Kontrast zahlreicher banalisierender Oberflächenerscheinungen irritieren und ablenken lässt, alle maßgeblichen Kriterien der Kunst und damit eines höchst anspruchsvollen ästhetisch-schöpferischen Handelns.59 Insofern sollte man sich also wünschen, dass zum einen generell das Verständnis und der Respekt für diesen kulturellen Anspruch auch des Fußballsports wachsen, und dass zum anderen nicht nur die Aktiven auf dem Platz, sondern auch das Publikum in seiner Gesamtheit neben dem Platz, wie bei anderen Kunstereignissen auch, sein Highlight in solchen Momenten erreichen, in denen es im Miterleben des Gesamtereignisses „eine dionysische Ekstase“60, einen außeralltäglichen Ausnahmezustand erleben kann. Ein Ergriffen- und Hingerissen-Sein von dem Triumph der Sportidee in der Dramatik der neunzigminütigen Aufführung auf dem Platz statt seiner Halbierung durch die Fixierung allein auf den letztendlichen Triumph ‚meiner‘ Partei in diesem – im Fall wirklichen sportlichen Gelingens – von beiden Seiten mit letztem Einsatz ausgetragenen ‚titanischen‘ Ringen, das als Abbild der Realität und dessen beide Parteien entsprechend als Repräsentanten ihrer außerkulturellen Herkunftsgemeinschaften missverstanden werden. Gegenüber diesem Idealbild einer Feier des Ereignisses regieren am Rande männlicher Spitzenspiele hingegen weithin narzisstische Autosuggestion ___________ 56 57
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‚Verwischen‘ ist freilich nicht gleichbedeutend mit ‚gänzlich auflösen‘; siehe dazu Seliger: Klassikkampf, S. 196–212 („Warum sind die Kategorien E und U immer noch sinnvoll?“). Vgl. zur sportbezogenen Kultur Güldenpfennig, Sven: Sport: Autonomie und Krise. Soziologie der Texte und Kontexte des Sports, Sankt Augustin: Academia, 1996, S. 64–71 („Sport – Teil der Hoch- oder der Trivialkultur?“); und zur Kultur allgemein Shusterman, Richard: Kunst Leben. Die Ästhetik des Pragmatismus, Frankfurt a. M.: Fischer, 1994. Wobei E-Sport im hier angesprochenen Sinne inzwischen verwechselt werden könnte mit E-Sport im Sinne von digital am elektronischen Bildschirm ausgetragenen Spielen. Vgl. vor allem Welsch, Wolfgang: Sport: ästhetisch betrachtet – oder gar als Kunst?, in: Deutsches Olympisches Institut (Hg.): DOI-Jahrbuch 1998, Sankt Augustin: Academia, 1999, S. 143–164. Seliger: Klassikkampf, S. 106.
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und Selbstfeier, die allenfalls indirekt mit dem Kern der Ereignisse, den von beiden beteiligten Teams aufgeführten Dramen, zu tun haben. Und die professionellen Beobachter? Sie nehmen diesen Ablauf als ‚in diesem Geschäft üblich‘, gar als ‚fußballtypisch‘ zur Kenntnis, melden begeistert ‚die Kulisse ist da‘ unabhängig davon, ob die jeweilige ‚Fan-Wand‘ die gegnerische Mannschaft auspfeift oder die eigene anfeuert, und scheinbar beglaubigen sie diesen Ablauf damit, statt ihrer journalistischen Pflicht zum kritischen Urteil nachzukommen, gegebenenfalls mit klaren Worten dagegenzuhalten und die Unvereinbarkeit solchen Handelns mit dem Sinn des Sports mit Nachdruck in Erinnerung zu rufen. Nachdem sie den Nachhilfeunterricht in Sachen Respekt vor dem Fußballspiel von Frauen inzwischen mit einigem Erfolg absolviert haben, haben sie den Nachhilfeunterricht in Sachen Respekt vor dem Fußballspiel als Sport noch immer vor sich. Und sie bemerken das Desiderat nicht einmal, zumal es im Gegensatz zum inzwischen mehrheitsfähig erscheinenden Genderdiskurs im Sportdiskurs kaum jemanden gibt, dem oder der diese Frage derart wichtig wäre, dass man sie darauf aufmerksam macht. Dazu gehört – endlich – die erklärte Vermittlung der Einsicht, dass Sportler*innen nicht primär Repräsentant*innen und Erfüllungsgehilf*innen der außersportlichen Sehnsüchte ihrer jeweiligen sozialen Referenzgemeinschaften sind, sondern wie alle anderen Kulturschaffenden primär Angehörige der außerordentlich bunt gemischten Großfamilie der von profanen Alltagsdiensten freigestellten „Narren, Künstler und Heiligen“ und keiner anderen Verpflichtung unterstehen als dem kulturschöpferischen „Lob der Torheit“61. Das Missverständnis, ja der Missbrauch des sportlichen Geschehens durch die ‚übliche‘ Form der Inbesitznahme für narzisstische außerästhetische Partialinteressen werden offensichtlich, wenn man noch einmal zum Vergleich das verwandte Feld der Musik heranzieht. In einem Porträt des Geigers Nemanja Radulović wird daran erinnert, was das eigentlich ist: Kunst: Er spiele zwar so, „als müsse er eine große Geschichte erzählen“, dabei aber habe Musik „erst einmal nichts Konkretes zu berichten“62. ‚So, als‘ – genau das ist die Zauberformel, von der die Kunst lebt. Sie ist kein Spiegel der Realität und schon gar nicht die Realität selbst. Sie verkörpert und verlebendigt vielmehr ein ‚Als-Ob‘. Sie tut so, als habe sie irgendwie direkt mit der Realität zu tun, schafft jedoch nichts als ihre eigene Welt. Damit setzt sie sich freilich auch nicht an die Stelle der Realität, sondern trägt nur ihren eigenen unverwechselbaren Stein zu jenem Mosaik, zu dem vielstimmigen Konzert der Gesamtwirklichkeit bei, welche die menschliche Welt ist. ___________ 61 62
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn (Hg.): Narren, Künstler, Heilige – Lob der Torheit. Ausstellungskatalog, Berlin: Nicolai, 2012. Mauró, Helmut: Spiel mit dem Feuer. Der serbisch-französische Geiger Nemanja Radulović ist ein Virtuose mit genialischem Showtalent. Wird er der neue, bessere David Garrett?, in: SZ, 21.02.2019.
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Alle durch jenes Missverständnis, durch die Fehldeutung und Fehlbehandlung mit ausgelösten ‚Unarten‘ auf dem Feld des Männerfußballs nun spielen in der ‚sachlicheren‘ Atmosphäre des Frauenfußballs eine weitaus geringere Rolle. Was eher für ihn spricht. Und zwar im Gegensatz zu abfälligen Kommentaren von im Männerfußball sozialisierten Reporter*innen, die beim Frauenfußball das irritierende Ausbleiben jener überbordenden, oft aber von sportsinn-widrigen Emotionen und Haltungen angetriebenen Stimmung im Stadionrund beklagen. Denn die Reduzierung der Perzeption des Spiels auf den Erfolg nur je einer Seite macht ja keineswegs jene für seine Allgemeinverständlichkeit erforderliche Vereinfachung aus, die ich gerade eben angesprochenen habe. Sie ist vielmehr eine Verfälschung, und sie führt deshalb zu einem Fehlverständnis des sportlichen Ereignisses. Dass diese Nebengeräusche aus dem Off bei Spielen des Frauenfußballs in aller Regel weitaus leiser oder oft sogar gänzlich ausfallen, weil an deren Rändern nicht jener Hype und Kult wuchern, welche sich als Lärmteppich über das eigentliche Ereignis legen und dessen Eigenwert oft zudecken, gereicht aus Sicht der Sportidee dem Frauenfußball somit eher zum Vorteil: Das Auge für das sportliche Ereignis wird nicht buchstäblich in gleichem Maße übertönt, irritiert und abgelenkt durch das einseitig zugedröhnte Ohr. E-Sport, also Sport im engen Sinne, ist im Unterschied zum U-Sport etwas, auf das man sich ohne Wenn und Aber einlassen, das man sich nicht nur als Produzent*in, sondern ebenso als Rezipient*in er-arbeiten, an dessen ästhetischen Botschaften man sich ab-arbeiten muss. An den ästhetischen Botschaften! Mehr kann und muss er nicht. „Mehr kann er nicht“, das heißt: Der sportlich agierende Körper verfügt über kein Medium, welches ähnlich wie die geredete oder geschriebene Sprache oder wie die optischen Signale von Bildern annähernd eindeutig entschlüsselbare Botschaften vermitteln könnte. Weiterreichende Forderungen in Richtung seiner gesellschaftspolitischen Indienstnahme sind folglich überzogen und drohen die ihm durchaus eigene soft power zu überfordern und letztlich sogar seine Existenz zu zerstören. ‚Mehr muss er nicht‘, das heißt, analog und sinngemäß abgewandelt zu dem, was Seliger über die Musik als engste Verwandte unter den Künsten schreibt: Über je mehr Hör- und Reflexionserfahrung ein Kunstrezipient verfügt, […] desto mehr kann er abstrahieren und sich dem großen Glück nähern, das es bringt, sich intensiv mit Werken ernster Musik [und allgemein mit den Künsten] zu beschäftigen. […] Beim Hören von ernster Musik fallen wir aus der ‚Welt‘ heraus und erleben eine zweite, gewissermaßen gleichzeitige Existenz, ein „Zugleich-sein des In-der-Welt-seins und des In-Musik-seins in einer Existenz.63
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Seliger: Klassikkampf, S. 215, 217.
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Mehr kann man kaum verlangen von einer menschlichen Schöpfung. Und es ist allemal weitaus mehr, als man üblicherweise von der Sportrezeption verlangt. Dabei haben die Produzentinnen von Fußball schlicht dieselbe Aufgabe wie dessen Produzenten: ihre Sache gut und (möglichst) immer besser machen, um auch die Rezipienten*innen auf eine faszinierende Reise ins immer wieder Unbekannte mitzunehmen, ihnen eine bereichernde Begegnung mit dem Unbekannten zu ermöglichen, die jedes Spiel ähnlich wie jeder TV-Thriller bedeuten kann, wenn es in aller nur möglichen Ernsthaftigkeit gespielt wird. Dann gehört es freilich auch zu dem Prinzip einer ehrlichen Analyse, das ich hier vertrete, anzuerkennen, dass dieser schöpferische Ausnahmezustand bei Fußballerinnen auch im Spitzenbereich trotz unübersehbarer immenser spieltechnischer Fortschritte noch immer allzu oft beeinträchtigt wird als bei ihren männlichen Kollegen, bei denen sich das spieltechnische und spieltaktische Niveau im Vergleichszeitraum ja ebenfalls erheblich weiterentwickelt haben. Und dieser Rückstand gilt sowohl im Hinblick auf Schwächen in der Ballbeherrschung wie in der Passsicherheit und -schnelligkeit, somit insgesamt im Hinblick auf die Beherrschung des modernen Kombinationsspiels. Und wenn Frauen, noch immer wieder überraschend, in Revieren des ‚männlichen Sports‘ wildern gehen – wie dies zum Beispiel im Dezember 2019 der Dart-Spielerin Fallon Sherrock gelungen ist, die damit einen spontanen Hype bei Publikum und Medien64 und sogar ein grundlegendes Umdenken „über die Zukunft von Frauen im Darts“65 ausgelöst hat –, so kann dies nach wie vor weniger einen Durchbruch, sondern eher das Gegenteil signalisieren: dass nämlich etwas an sich Normales – weil in Sportwettbewerben, die nicht primär durch die physische Überlegenheit des Mannes entschieden werden wie eben auch im Dartspiel, Frauen grundsätzlich gleichrangige Erfolgsaussichten haben können wie zum Beispiel im Reiten – aufgrund von hergebrachten einschränkenden Konventionen als etwas Besonderes wahrgenommen werden kann. Im Übrigen muss ohnehin daran erinnert werden, dass Sport wie alle Kunst mit dem Handeln der Aktiven als den Treuhänder*innen der Sportidee auf dem Platz und ihrem Interesse an einem gelingenden Spiel beginnt, nicht aber mit dem Publikum am Rande des Platzes, seinen oft diffusen Interessen und Haltungen und seiner nur begrenzten Fokussierung auf die Komplexität des Spielgeschehens selbst, an eben der ästhetisch-schöpferischen Seite des ___________ 64 65
Vgl. Klimke: Mitten ins Schwarze; Dpa: Königin im Palast; Scheele, Carsten: Fallon Sherrock: Darts-Spielerin, die es den Männern zeigt, in: SZ, 19.12.2019; Sport-Informations-Dienst (SID): Sherrocks Palastrevolution, in: SZ, 23.12.2019. Wöckener, Lutz: Die Folgen der Palastrevolution. Nach Fallon Sherrocks WM-Märchen wird nun über die Zukunft von Frauen im Darts entschieden, in: Welt am Sonntag (WamS), 29.12.2019.
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sportlichen Ereignisses. Sport findet ja, und zwar ganz überwiegend, auch dann statt und seine Protagonist*innen sollten sich nicht entmutigen lassen, wenn er nicht über die Medien einem größeren Publikum vermittelt und nicht von diesem je nach Lust und Laune bejubelt oder geschmäht wird. Insofern gilt es nicht zuletzt auch für den Frauenfußball, sich nicht jenem Diktat der Medien zu unterwerfen, welches die Selektionsentscheidungen seiner Programme nach dem vierseitigen Motto zu treffen scheint: Männerfußball, Männerfußball, Männerfußball – und 55 Randsportarten.66
7. Zum Schluss: Epilog Insgesamt spricht alles dafür, im Diskurs sowohl über die allgemein-gesellschaftlichen wie die partikular-sportspezifischen Fragen unseres Themas einem Rat, einer Art von Osterbotschaft Urbi et Orbi des Publizisten Jens Bisky zu folgen und den Stil dieses Diskurses wieder nachhaltig zu zivilisieren. Richtig: Wir alle stehen mitten in einem ‚Krieg der Welten‘, der um die großen Reizthemen der Gegenwart und Zukunft ausgetragen wird: Frieden, Umwelt und Klima, soziale und Gender-Gerechtigkeit. Dieser ‚friedliche Krieg‘ darf auch durchaus zum Mittel der Polemik greifen, wenn es mit Vernunft gepaart ist: „Polemik verbindet Schärfe mit Genauigkeit. Dafür muss man aber den anderen aushalten.“67 Also: „Lasst uns heftig streiten“, denn „in Deutschland ist die Debattenkultur verkümmert.“68 Die etwas andere Weihnachtsbotschaft lautet daher: „Fürchtet euch nicht! Gute Auseinandersetzungen spalten nicht, sondern führen Land und Familien zusammen.“69 Darüber hinaus spricht zudem alles dafür, im öffentlichen Diskurs primär die Fortschritte zu würdigen, welche Frauen auf ihrem Weg zur gleichen Teilhabe an den Errungenschaften der menschlichen Welt inzwischen erkämpft, dem patriarchalischen Revierverhalten abgerungen haben und zweifellos weiter erkämpfen werden, statt bei dem klagenden Lamento über das dabei noch nicht Erreichte stehenzubleiben. ___________ 66 67 68 69
Vgl. Güldenpfennig, Sven: Sport: Kritik und Eigensinn. Der Sport der Gesellschaft, Sankt Augustin: Academia, 2000, S. 363–384 (Kap. 14: „Sportainment oder Olympische Idee? Wo bleibt die journalistische Verantwortung?“). Bisky, Jens: Krieg der Welten. Klimawandel, Genderfragen, Tempolimit: Bei den großen Reizthemen wird lieber gebrüllt als diskutiert. Wer anderer Meinung ist, gilt schnell als Feind. Höchste Zeit, die öffentliche Debatte wiederzubeleben, in: SZ, 20.04.2019. Werner, Kathrin: Lasst uns heftig streiten. In Deutschland ist die Debattenkultur verkümmert. Wer radikale Forderungen aufstellt, wird nicht ernst genommen. Das ist ein Fehler. Denn ohne Konflikt gibt es keinen Fortschritt, in: SZ, 18.05.2019. Bittner, Jochen: Fürchtet euch nicht! Gute Auseinandersetzungen spalten nicht, sondern führen Land und Familien zusammen. Nur wie? Vier Vorschläge, in: DZ, 18.12.2019.
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Trotz allem berechtigten Optimismus über das Erreichte und die weiteren Aussichten dürfen freilich auch Warnzeichen am Horizont nicht übersehen werden, von denen wir ebenfalls in unserem Workshop gehört haben. Etwa Meldungen wie diese: Mit dem Mädchenfußball in Bayern geht es rasant bergab – das zeigt eine Studie der Uni Würzburg. Immer mehr Mädchen hören auf. Trotz der großen Erfolge der Frauen-Nationalelf müssen die Profis gegen Klischees ankämpfen. ‚Es reicht auch längst nicht mehr aus, abzuwarten, bis der Nachwuchs alleine den Weg zum Fußball findet. Wir müssen unsere Spielerinnen gezielt gewinnen‘, sagt Sandra Hofmann, Vorsitzende des Mädchenausschusses beim Bayerischen Fußball-Verband. Hier seien auch die Politikerinnen und Politiker gefragt. Der Kampf gegen Vorurteile ist offenbar noch längst nicht beendet.70
Unter Bezug auf die zuvor zitierten exemplarischen Erfahrungen der Reporterin Claudia Neumann gelangt die Autorin zu dem trotz allem noch immer ernüchternden sportbezogenen Zwischenfazit nach Jahrzehnten des Aufschwungs im Frauenfußball: „Fußball wird derart von Männern dominiert, dass Frauen es noch immer schwer haben. Auf und neben dem Feld. Bitter genug, dass viele Fußballfans im Jahr 2019 noch immer nicht so weit sind.“71 Und auch allgemeingesellschaftlich, wo inzwischen das 21. Jahrhundert nicht selten bereits optimistisch als die ‚Stunde der Frauen‘ oder gar als das ‚Jahrhundert der Frauen‘ ausgerufen wird, sind die warnenden oder zumindest relativierenden Stimmen nicht zu überhören, die – gleichsam als Neujahrsbotschaft und Auftrag für die bevorstehenden neuen Zwanziger Jahre – mit einem Motto antreten wie „viel zu langsam – Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht“72 oder gar einen Tenor anschlagen wie „Gleichberechtigung in 257 Jahren“73. Gar nicht zu reden von einem der aktuellen Haupttrends der Weltpolitik: Nämlich mehr als zwei Händen voll rechtspopulistischer und sich unsäglich demonstrativ autoritär gebärdender Männer in staatlichen Führungspositionen, deren Namen ich hier gar nicht aufführen muss, weil sie in aller Munde sind. Männer, die skrupellos rambo- und machohaft die historisch längst desavouierten Sehnsüchte verantwortungsscheuer Massen nach Entlastung durch den ‚starken Mann‘ – nach entschlossener Führung, egal wohin, mit welchen Mitteln und Folgen – bedienen und sich narzisstisch in dem von ihnen angefachten populistischen ‚Erfolg‘ sonnen. Dieses Schlaglicht markiert einen ebenso ___________ 70 71 72 73
Gronostay, Stefanie: Nichts für Mädchen?, in: Allgäuer Zeitung (AZ), 02.11.2019. Gronostay, Stefanie: Bittere Erkenntnis. Kommentar, in: AZ, 02.11.2019. Collado Seidel: Viel zu langsam. Werner, Kathrin: Gleichberechtigung in 257 Jahren. So lange wird es dauern, bis Frauen an Macht und Wohlstand in der Weltwirtschaft aufgeholt haben. In deutschen Unternehmen hat sich die Lage einer neuen Studie zufolge sogar verschlechtert, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 17.12.2019.
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mächtigen wie zukunftsuntauglichen Retro-Trend, der auch durch die ebenfalls wachsende Macht von weiblichen Führungsgestalten und deren demokratie-affineren Politikstil74 offensichtlich nur mühsam im Zaum zu halten ist. Die einstige Fußball-Nationaltorhüterin und Vorständin des Hamburger SV Katja Kraus und die Ex-Staatssekretärin im Bundesverteidigungsministerium Katrin Suder fassen einige Kernpunkte zu unserem Thema in einem Interview zusammen – gleichsam als Schlusswort zu einem insgesamt bemerkenswerten Jahr 2019: Was ist Ihr Hauptanliegen, mehr Diversity oder mehr Frauen an der Spitze? Beides gehört zusammen. Der direkteste Weg, zu gemischten Teams zu kommen, sind Frauen. Es gibt so viele von uns. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn Unrecht offenbar wird, ist es doch eine Pflicht, direkt etwas daran zu ändern. Deshalb wirken Durchhalteparolen wie: ‚Wir haben schon viel erreicht‘ nicht mehr. Wir haben doch eine Aufsichtsratschefin, eine Vorstandsvorsitzende im Dax 30, eine Schiedsrichterin im Männerfußball. Eine. Lassen wir uns nicht einlullen. Es gibt mehr Frauen, ihre spezifischen Fähigkeiten sind so dringend notwendig in einer Zeit mit komplexen Anforderungen. Warum sollte etwas unter 50 Prozent zufriedenstellend sein? Welche Fähigkeiten meinen Sie? Der Verzicht auf Kraftdemonstration und Polarisierung, stattdessen Integrationsfähigkeit, Effizienz, Inhaltlichkeit. Es ist auch deshalb so wichtig, Frauen in Entscheidungspositionen zu haben, weil sich der Arbeitsmarkt verändert, Menschen ganz anders motiviert und gebunden werden wollen. Frauen denken nicht vor allem machtorientiert. Sie können Systeme infrage stellen – weil sie sie nicht selbst geschaffen haben. (…) Warum dauert es so lange? Weil es um Machterhalt geht, um die Angst vor Veränderung und vor dem Kontrollverlust. (…) Auch Frauen werden Fehler machen. Aber die Fehler werden andere sein, genauso wie die Stärken andere sind. Weniger Fehler, die aus Überkompensation und Machtdemonstration entstehen. Freuen wir uns mal auf diese neuen Fehler!75
Zum Abschluss fasse ich dann auch den Grundgedanken noch einmal in einer Kernthese zusammen, von der meine gesamte Argumentation getragen und zusammengehalten worden ist: Der heutige recht hoch entwickelte Stand des Frauenfußballs, von der Basis bis zur Spitze, ist eine Leistung und ein Erfolg allein aus frauenspezifischem Antrieb und allein mit sportspezifischen Zielen. Nun ja: fast allein. Sie – und nur sie – wollten das. Und sie wollten das – und nur das. ___________ 74 75
Z. B. Europa vgl. Gammelin, Cerstin: Weibliche Macht. Merkel, von der Leyen und Lagarde: Sie hören zu, wägen ab und entscheiden erst dann, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.12.2019. Kraus, Katja/Suder, Katrin: Frauen müssen sich gegenseitig feiern. Über ihre Erfahrungen mit Männern in Politik, Wirtschaft und Sport und darüber, wie wichtig gemischte Führungsteams sind. Interview, in: SZ, 30.12.2019.
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Jedenfalls halte ich dafür, sich in keiner in diesem Band diskutierten Frage mit dem Abrufen rhetorischer Formeln zufriedenzugeben. Vielmehr kommt alles darauf an, sich vor allem vom pragmatischen Handeln von im Fußballsport als Spielerinnen, Trainerinnen oder Funktionärinnen engagierten Frauen und von dem noch immer dahinterstehenden Pioniergeist und Mut inspirieren zu lassen. Literaturverzeichnis Aldenhoff, Kathrin: Atmen, zielen, abdrücken. „Ich könnte nicht mal auf eine Maus schießen“, sagt die Schützenmeisterin, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.09.2019. Armbrecht, Anne: Mädchen auf dem Sprung, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 21.02.2019. Armbrecht, Anne: Mädels, geht’s raus und spielt‘s, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 26.10.2019. Aumüller, Johannes: Mixed auf der Straße. Bei der WM in Harrogate gibt es erstmals ein Zeitfahren, bei dem Frauen und Männer gemeinsam antreten. Die Radsport-Szene reagiert zwiegespalten, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 21.09.2019. Beck, Margret: Frauen im Sport: Was haben wir den 68ern zu verdanken, in: Becker, Christian (Hg.): 1968 im Sport. Eine historische Bilderreise, Hildesheim: Arete, 2018, S. 56–59. Becker, Monika: „Starke Weiblichkeit entfesseln“. Niki de Saint Phalle. Die Biographie, Berlin: Ullstein, 2001. Bischoff, Susanne (Hg.): … auf Bäume klettern ist politisch. Texte aus der Feministischen Bewegungs- und Sportkultur, Hamburg: Frühlings Erwachen, 1993, S. 9. Bisky, Jens: Krieg der Welten. Klimawandel, Genderfragen, Tempolimit: Bei den großen Reizthemen wird lieber gebrüllt als diskutiert. Wer anderer Meinung ist, gilt schnell als Feind. Höchste Zeit, die öffentliche Debatte wiederzubeleben, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 20.04.2019. Bittner, Jochen: Fürchtet euch nicht! Gute Auseinandersetzungen spalten nicht, sondern führen Land und Familien zusammen. Nur wie? Vier Vorschläge, in: Die Zeit (DZ) 18.12.2019. Blaschke, Ronny: Die Bastion aufbrechen. Die Wanderausstellung „Fan.Tastik Females“ erklärt, warum alltägliche sexistische Strukturen im Fußball zum Ausdruck kommen – und würdigt engagierte Frauen, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 13.03.2019. Böckem, Jörg/Kramer, Jörg: „Oh, da ist ja ‘ne Frau Trainer“. Drei Frauen, die Männer anleiten, in: Die Zeit (DZ), 09.05.2019. Collado Seidel, Carlos: Viel zu langsam. Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht – manchen ist das nur recht, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 31.12.2019. Dörr, Julian: Der Mythos vom Verlierer. Woher kommt die Allianz von reaktionären Ideologien und explizitem Antifeminismus? Ein Streifzug durch ein paar sinistre Soziotope, von den Pin-Up-Artists bis zur Neuen Rechten, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 13.11.2019. Dpa: Legendinnen, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 14.10.2019. Dpa: Spaniens Fußballerinnen streiken unbefristet, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 30.10.2019. Dpa: Zorc fordert „Männerfußball“, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 08.11.2019. Dpa: Königin im Palast. Nach ihren beiden Siegen ist Fallon Sherrock der unangefochtene Liebling bei der Darts-WM, in: Berliner Zeitung (BZ), 23.12.2019. Förster, Birte: Aus einer fernen Zeit. Klaus Theweleits Männerphantasien, von heute aus betrachtet: Relektüre eines Klassikers, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.12.2019.
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Fukuyama, Francis: Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, Hamburg: Hoffmann und Campe, 2019. Gertz, Holger: Helden haben ihren Preis. Fußballer sind teuer. Aber ohne Wahnsinn macht dieser Sport vielen keinen Spaß, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 18.07.2009. Gammelin, Cerstin: Weibliche Macht. Merkel, von der Leyen und Lagarde: Sie hören zu, wägen ab und entscheiden erst dann, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 27.12.2019. Gröbner, Thomas: Sahar Khodayari könnte noch leben. Über ein Verbot und seine Folgen. Ali Karimi, einst Bayern-Spieler, ruft zum Stadion-Boykott auf, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 12.09.2019. Gröbner, Thomas: Madonna im Kofferraum, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 17.10.2019. Gronostay, Stefanie: Nichts für Mädchen?, in: Allgäuer Zeitung (AZ), 02.11.2019. Gronostay, Stefanie: Bittere Erkenntnis. Kommentar, in: Allgäuer Zeitung (AZ), 02.11.2019. Güldenpfennig, Sven: Sport: Autonomie und Krise. Soziologie der Texte und Kontexte des Sports, Sankt Augustin: Academia, 1996. Güldenpfennig, Sven: Sport: Kritik und Eigensinn. Der Sport der Gesellschaft, Sankt Augustin: Academia, 2000. Güldenpfennig, Sven: Rückbesinnung auf ein puristisches Sportverständnis. Neun Anlässe zum Umdenken, Hildesheim: Arete, 2013. Güldenpfennig, Sven: Vom Missbrauch des Sports. Eine unendliche Geschichte erfolgreichen Scheiterns, Hildesheim: Arete, 2014. Güldenpfennig, Sven: Fundamentalismen bedrohen den Sport. Sport als Spielball mächtiger außersportlicher Interessen, Hildesheim: Arete, 2017. Hayali, Dunja/Ratzeburg, Hannelore/Schwedler, Sandra: Wir müssen normal werden. Selbst in Dax-Vorständen sitzen mehr Frauen als in den Führungsetagen des deutschen Profifußballs. Wird sich daran je etwas ändern? Über Frauen, die im Fußball was zu sagen haben. Interview, in: SZ-Magazin, 08.03.2019. Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hg.): Hexen. Mythos und Wirklichkeit, München: Minerva, 2009. Historisches Museum der Pfalz Speyer (Hg.): Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, München: Minerva, 2010. Holland, Jack: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses, Frankfurt a. M.: Zweitausendeins, 2007. Keller, Fritz: Der DFB muss weiblicher werden. Außerdem: Mit dem Deutschen Fußball-Bund dem Rechtspopulismus entgegentreten – aber AfDler nicht zwangsläufig ausschließen. Interview, in: Die Zeit (DZ), 27.02.2020. Kennan, George F.: The Decline of Bismarcks's European Order. Franco-Russian Relations, 1875–1890, Princeton: Princeton UP, 1979 Klein, Michael: Frauen im Sport – gleichberechtigt?, Stuttgart [u. a.]: Kohlhammer, 1987. Klimke, Barbara: Darts: Mitten ins Schwarze, in: Berliner Zeitung (BZ), 24.12.2019. Kraus, Katja/Suder, Katrin: Frauen müssen sich gegenseitig feiern. Über ihre Erfahrungen mit Männern in Politik, Wirtschaft und Sport und darüber, wie wichtig gemischte Führungsteams sind. Interview, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 30.12.2019. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn (Hg.): Narren, Künstler, Heilige – Lob der Torheit. Ausstellungskatalog, Berlin: Nicolai, 2012. Lüders, Michael: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, München: Beck, 2019. Manne, Kate: Down Girl. Die Logik der Misogynie, Berlin: Suhrkamp, 2019.
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Mauró, Helmut: Spiel mit dem Feuer. Der serbisch-französische Geiger Nemanja Radulović ist ein Virtuose mit genialischem Showtalent. Wird er der neue, bessere David Garrett?, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 21.02.2019. Meiners, Antonia: Die Stunde der Frauen zwischen Monarchie, Weltkrieg und Wahlrecht 1913–1919, München: Sandmann, 2013. Meuren, Daniel: Freiwild im Sperrbezirk. Vom Kirmesspektakel zum Fernseh-Ereignis für Millionen im Abendprogramm: Vor genau 40 Jahren hat der DFB sein Frauenfußball-Verbot aufgehoben. Der lange Kampf um die Anerkennung trug skurrile Züge, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 30.10.2010. Meuren, Daniel: Ein Spiel vor einer solchen Kulisse ist ein Geschenk. Die deutschen Fußballfrauen treten vor 90 000 Zuschauern im Wembleystadion gegen England an, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 07.11.2019. Petković, Andrea: Tennis ist eine griechische Tragödie. Über falsche Superhelden, echte Gleichberechtigung und die Angst vor dem Karriereende. Interview, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 30.11.2019. Popp, Alexandra: Wir haben ganz unten angefangen. Über ihre Führungsrolle in einer Mannschaft mit hohen Zielen, über Millimeterpässe und den selbstironischen Umgang mit Akzeptanz-Problemen. Interview, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 29.05.2019. Preisendörfer, Bruno: Als unser Deutsch erfunden wurde. Reise in die Lutherzeit, Berlin: Galiani, 2016. Rabe, Jens-Christian: Wer Hassmails bekommt. Die amerikanische Philosophin Kate Manne beschreibt Misogynie als Problem, das sich kaschiert, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 19.03.2019. Scheele, Carsten: Fallon Sherrock: Darts-Spielerin, die es den Männern zeigt, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 19.12.2019. Schierenberg, Monica/Palzkill, Birgit: Sport, in: Hervé, Florence [u. a.] (Hg.): Kleines Weiberlexikon A–Z, Dortmund: Weltkreis, 1985, S. 422. Schloemann, Johan: Gespielter Krieg. Der Fall Caster Semenya wirft viele Fragen auf. Eine lautet: Was ist fragwürdiger, die Geschlechterzuordnung oder der Spitzensport?, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 04.05.2019. Schutzbach, Franziska: Frau als Feind, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 15.02.2020. Schult, Almuth: Ich durfte nie Angst zeigen. Über gesellschaftliche Abwehrhaltungen, die Probleme im deutschen Frauenfußball – und welche Rolle Schalke und Dortmund einnehmen könnten. Interview, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 09.11.2019. Schumann-Jung, Bettina: Sportlerinnen schreiben Geschichte. 25 Porträts von außergewöhnlichen Frauen, Hildesheim: Arete, 2017. Seliger, Berthold: Klassikkampf. Ernste Musik, Bildung und Kultur für Alle, Berlin: Matthes & Seitz, 2018. Shusterman, Richard: Kunst Leben. Die Ästhetik des Pragmatismus, Frankfurt a. M.: Fischer, 1994. Sichtermann, Barbara/Rose, Ingo: Sternstunden verwegener Frauen. Berlin: Ebersbach & Simon, 2015. Sontheimer, Michael: Revolte in der Revolte. 1968: Der Aufstand der Studenten vor 50 Jahren gilt bislang als Rebellion von Rudi Dutschke, Fritz Teufel und anderen Männern. Jetzt argumentieren Achtundsechzigerinnen, dass ihr Kampf um Gleichberechtigung viel stärker auf die Gesellschaft wirkte, in: Der Spiegel, 07.04.2018. Sport-Informations-Dienst (SID): Sherrocks Palastrevolution, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 23.12.2019. Welsch, Wolfgang: Sport: ästhetisch betrachtet – oder gar als Kunst?, in: Deutsches Olympisches Institut (Hg.): DOI-Jahrbuch 1998, Sankt Augustin: Academia, 1999, S. 143–164.
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Werner, Kathrin: Lasst uns heftig streiten. In Deutschland ist die Debattenkultur verkümmert. Wer radikale Forderungen aufstellt, wird nicht ernst genommen. Das ist ein Fehler. Denn ohne Konflikt gibt es keinen Fortschritt, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 18.05.2019. Werner, Kathrin: Gleichberechtigung in 257 Jahren. So lange wird es dauern, bis Frauen an Macht und Wohlstand in der Weltwirtschaft aufgeholt haben. In deutschen Unternehmen hat sich die Lage einer neuen Studie zufolge sogar verschlechtert, in: Süddeutsche Zeitung (SZ), 17.12.2019. Wöckener, Lutz: Die Folgen der Palastrevolution. Nach Fallon Sherrocks WM-Märchen wird nun über die Zukunft von Frauen im Darts entschieden, in: Welt am Sonntag (WamS), 29.12.2019. Wohlleben, Bärbel: Über das Ende des Frauenfußballverbots 1970. Interview, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), 31.10.2010.
Laurence Prudhomme
Les femmes sur la touche
50 ans de football dit féminin au sein de la FFF
Der Frauenfußball tauchte in Frankreich am Ende der 1960er-Jahre wieder auf: zunächst als Spektakel auf Initiative der Sportvereine, die männlichem Fußball wieder eine höhere Anziehungskraft verleihen wollten, und erst dann als eigene, für sich stehende Aktivität. Der französische Fußballverband zögerte ihn anzuerkennen und versuchte eher, den sogenannten Frauenfußball zu kontrollieren als seine Entwicklung zu fördern und zu begleiten. Die Begegnungen wurden kaum beworben und die Anzahl der Fußballerinnen stieg kaum. Die Widerstände lassen sich auch seitens der europäischen wie internationalen Instanzen des Fußballs verorten, die wenig willens waren, Wettbewerbe zu organisieren. Der Fußball war und ist bis heute ein (gut) verteidigtes Terrain. Die wie viele andere Sportlerinnen wenig sichtbaren Fußballerinnen bleiben bis heute im Schatten des angeblich von Natur aus einzig legitimen Männerfußballs. Der Feminisierungsprozess des Fußballs in Frankreich ist noch sehr jung und das von den höchsten Fußballinstanzen vermittelte Bild der Frauen verharrt in sehr traditionellen Mustern. Es ist schwer, den Sexismus zu Fall zu bringen. Après une première période d’essor au lendemain de la Grande Guerre, notamment à Paris, le football dit féminin, longtemps hors-jeu, réapparaît en France à la fin des années soixante. Maintenu sur la touche ou sur des terrains annexes, il fait l’objet aujourd’hui d’un intérêt croissant – même s’il souffre encore de nombreux préjugés – grâce notamment aux brillants résultats de l’Olympique Lyonnais féminin (OL) en Ligue des champions et plus récemment à l’organisation de la Coupe du monde féminine dans l’Hexagone. Ce frémissement favorable est toutefois à relativiser. Temple de la virilité, le monde du football continue à résister ardemment à sa féminisation. Sur 2,2 millions de licenciés la Fédération française de football (FFF) ne compte que 160 000 footballeuses.
1. Une pratique folklorique plus que sportive A partir de 1965, d’abord dans le Nord-Est de la France et en Alsace, comme à Humbécourt, Gerstheim ou Reims, les femmes sont invitées à taper dans la balle en public, à l’occasion de fêtes, dans un but essentiellement parodique. Il s’agit de tirer profit de l’aspect sensationnel et inédit de la pratique féminine pour accroître l’affluence au stade et renflouer ainsi les caisses du club. C’est en effet l’idée qui motive Jean Schiltz lorsqu’il décide en 1965 de former une
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équipe féminine à l’occasion de la fête de son Club sportif d’Humbécourt, petit village haut-marnais d’à peine 400 âmes. Cette initiative est une réussite, la presse relevant un record d’affluence avec plus de 500 spectateurs et spectatrices.1 A Reims, en 1968, cette même volonté de créer l’évènement pousse le journaliste sportif du quotidien L’Union, Pierre Geoffroy, à réunir vingtdeux femmes et jeunes filles sur la pelouse du Stade Auguste-Delaune en lever de rideau d’une rencontre amicale Reims – Valenciennes. Remporté 3 buts à 1 par les joueuses rémoises, face à leurs homologues de Schwindratzheim, ce match réunit 5 000 curieux.ses. Le lendemain, cette même affiche réunit 2 000 spectateurs et spectatrices dans le cadre de la kermesse annuelle du club corporatif l’Union Sports. Fier de ce succès, Pierre Geoffroy, enthousiaste, écrit dans son journal : « Il serait intéressant, ne serait-ce que pour les finances du football, de renouveler de tels levers de rideau. »2 Ces matches d’exhibition réduisent les femmes, objets de curiosité, au folklore, le jeu sérieux demeurant l’apanage des hommes. Toutefois, il existe un vivier de jeunes filles et de femmes suffisamment motivées et persévérantes pour que ces divertissements folkloriques muent en une pratique sportive régulière. Plutôt issues de milieux modestes et de la classe moyenne, elles sont bien souvent spectatrices des exploits paternels ou de la fratrie. Elles s’adonnent aux joies du ballon rond de façon informelle avec eux, comme l’évoquent la Rémoise Ghislaine Souëf3 ou Monique Jacky à propos d’elle-même et de ses coéquipières de Gerstheim,4 tout en pratiquant, pour la plupart, un sport en compétition : handball, basketball ou athlétisme. En effet, l’initiative rémoise a plus de succès qu’envisagé par son organisateur Pierre Geoffroy. Il pense comme beaucoup que cette curiosité est vouée à disparaître après quelques exhibitions. C’est également ce que l’on imagine aux débuts de la pratique en Suède comme en témoigne Suzanne Erlandsson.5 Avec ce groupe de joueuses intéressées par la pratique de la balle au pied, il fonde le Football club féminin de Reims qui intègrera le prestigieux Stade de Reims, sous la forme d’une section féminine, au début de l’année 1970. Son équipe dispute plusieurs rencontres à l’origine de la création d’autres formations dans la région avant de jouer un rôle déterminant dans la popularisation du football au féminin, durant les années soixante-dix, grâce à un parcours sportif remarquable en grande partie dû à la détermination et aux relations de Pierre Geoffroy ainsi qu’à la notoriété du grand Stade de Reims. ___________ 1 2 3 4 5
Cf. L’Est Républicain, 27/09/1965. L’Union, 26/08/1968. Cf. Entretien avec Ghislaine Souëf, 13/11/1998. Cf. Entretien avec Monique Jacky, 25/07/2001. Cf. UEFA : Women’s Football (conférence sur le football féminin, 27–30/10/1998 à Londres), Londres : UEFA, 1998.
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La seconde moitié des années soixante semble aussi une époque charnière pour le football au féminin dans d’autres pays européens. En Italie, à partir de 1967, une poignée d’hommes d’affaires aménage de lucratives rencontres cherchant à exploiter également la curiosité du public pour ce spectacle insolite : des femmes osant se disputer le ballon rond. En Allemagne fédérale, le football au féminin, bien qu’encore prohibé par la Fédération allemande de football, se développe néanmoins plus largement que dans les années cinquante, dans la région de Munich, dès 1965, puis de Francfort et de Berlin en 1968. L’année 1968 voit aussi la naissance à Dresde du premier club de la RDA.6 Il s’agit essentiellement de formations aux couleurs des communes alors que dans le même temps en Grande-Bretagne, la pratique féminine s’organise au sein de plusieurs entreprises. En Suède, des équipes se forment également à partir de 1966 au sein d’entreprises et pour quelques-unes d’entre elles à l’université comme à Stockholm ou Göteborg. Dans le même temps, des équipes apparaissent au Danemark. En Suisse, la première équipe est créée en 1968.7 Les années soixante connaissent une augmentation du nombre de sportifs. C’est le cas aussi du sport féminin qui attire de plus en plus d’adeptes. Ces années soixante sont surtout marquées par de nombreux changements : forte poussée démographique, urbanisation accélérée, essor des nouvelles classes moyennes, scolarité prolongée et mixité scolaire… qui contribuent à modifier modes de vie, rapports sociaux et valeurs. Le tournant des années soixantedix, c’est aussi et surtout un large mouvement de revendications politiques et sociales. Le statut de la femme devient un important sujet de débat dans la société. La décennie suivante connaît en effet une progression de l’instruction des filles, de l’emploi féminin et des revendications féministes. Pour autant, on ne doit pas voir entre mobilisation féminine et pratique du football par les femmes une relation de causalité. Les mouvements féministes ne s’intéressent pas au sport, qui met pourtant en jeu le corps d’une façon particulière, pas plus que les footballeuses ne militent ouvertement en faveur de l’égalité des droits. Néanmoins, on peut considérer que les footballeuses en faisant une percée dans un univers masculin, constituent elles-aussi, un petit groupe de pression qui agit à sa façon pour l’émancipation.
___________ 6 7
Cf. König, Mareike : Football féminin et société en Allemagne depuis 1900, ds. : Pfeil, Ulrich (dir.) : Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq : PU du Septentrion, 2010, p. 179–194. Cf. Breuil, Xavier : Histoire du football féminin en Europe, Paris : Nouveau Monde, 2011.
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2. Une reconnaissance qui ne va pas de soi En 1970, on compte en France 75 équipes majoritairement implantées au sein de clubs masculins. En Grande-Bretagne, on en compte également 70 environ, en Allemagne une centaine. Sous la pression de la réalité, la Fédération française de football, contrairement à son refus cinquante ans plus tôt, intègre la pratique féminine, non sans tergiverser. Dans un premier temps, elle donne son accord à la création de sections féminines au sein des clubs qui lui sont affiliés et autorise la délivrance de licences. Six mois plus tard, en mars 1970, elle reconnaît officiellement le football féminin, la même année que les fédérations allemande et suédoise, et crée une Commission dite féminine avec une gouvernance essentiellement masculine.8 Cette reconnaissance ne va cependant pas de soi et ne se fait pas sans arrière-pensée. Le football féminin est loin de faire l’unanimité dans les clubs et les instances officielles. Toutefois, les femmes pourraient jouer un rôle d’incitation auprès de leur conjoint et des enfants et apporter un surplus de licences. La fédération tente surtout de canaliser ce qu’elle ne peut éviter, craignant de voir s’ériger une organisation autonome comme dans plusieurs pays européens. C’est en effet le cas au Danemark où existe depuis le milieu des années soixante la Danish Women’s Football Union, en Italie, la Federazione italiana calcio femminile (FICF) créée en 19689 ainsi qu’en Angleterre où la Women’s Football Association voit le jour en 196910. En 1971, le football féminin alors joué dans 22 pays européens n’est placé sous le contrôle de l’association masculine que d’en huit d’entre eux.11 A l’instar d’autres pays européens, la fédération française manifeste peu d’intérêt pour la pratique féminine et n’apporte aucune aide financière. Elle cherche moins à développer cette pratique émergente qu’à la contrôler. Au niveau international, la reconnaissance du football féminin est plus lente encore. La création en février 1970 en Italie d’une fédération autonome, la Fédération internationale et européenne de football féminin (FIEFF), sous l’emprise de la firme turinoise Martini & Rossi, va toutefois stimuler le processus de reconnaissance. Avec la multiplication des matches et tournois internationaux en marge des instances fédérales, nombre de dirigeants redoutent la concurrence hors des pouvoirs officiels, ainsi que la commercialisation du football féminin telle qu’elle a tendance à se développer en Italie. En 1971, l’Union des associations européennes de football (UEFA) s’empare de la question féminine afin de contrôler efficacement ce mouvement, plus que pour concourir au développement de la pratique. Comme le rapporte France Football : « On n’apprécie pas tellement que les femmes se ‘mêlent’ de jouer au ___________ 8 9 10 11
Cf. France Football Officiel, 15/04/1970. Cf. Coppola, Lino : Rassegna del calcio femminile, Salerne : Azienda Moscati, 1973. Cf. Lopez, Sue : Women on the Ball. A Guide to Women’s Football, Londres : Scarlet Press, 1997. Cf. UEFA : Women’s Football.
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football, mais puisque décidément elles le font, il est préférable de ne pas le laisser en marge des clubs et des fédérations officielles. »12 C’est la raison pour laquelle l’union du football européen décide de placer le football féminin sous le contrôle des associations nationales et les rencontres entre nations exclusivement sous l’égide des organismes internationaux, UEFA et FIFA.13 Les associations nationales vont progressivement se conformer à ces directives et se charger d’organiser elles-mêmes le football au féminin : en Belgique, en Finlande, en Islande, au Luxembourg ainsi qu’en Tchécoslovaquie dès 1971, au Danemark et aux Pays-Bas en 1972, en Norvège en 1978, en Espagne et au Portugal en 1980, en Italie en 1986, en Angleterre et en Autriche en 1991. Quant aux matches internationaux, leur organisation se heurte à un certain immobilisme. L’UEFA, désormais seule compétente en la matière, tarde à organiser une compétition européenne qui ne verra le jour qu’une décennie plus tard. Elle n’adopte aucune mesure pour contribuer à son développement pas plus qu’elle n’apporte de soutien financier. Après une première conférence sur le football féminin en 1973, elle ne réunit la deuxième qu’en 1980, dix-huit ans avant la troisième ! C’est peu dire que la pratique au féminin n’intéresse pas les instances européennes du football. La Fédération internationale de football association ne s’implique pas davantage. Elle veille uniquement au contrôle du football féminin mené par l’UEFA et les associations nationales affiliées. L’immobilisme des instances qui régissent le monde du ballon rond fait largement obstruction à la pratique des femmes. Sur le plan sémantique, l’utilisation du terme ‘féminin’ accolé au mot football maintient cette pratique à la marge par rapport au football tout court, celui des hommes, l’universel.
3. Des compétitions empêchées En France, aux rencontres amicales interclubs, qui se développent à partir de 1968, succèdent des rencontres départementales au sein des différentes ligues. La mise en place de ces premières compétitions précède dans certaines régions la reconnaissance officielle du football féminin. En Champagne, sous l’impulsion du club rémois qui en sortira vainqueur, un Championnat régional est mis sur pied dès le printemps 1969 avec la participation de treize clubs ou sections féminines. C’est sous la pression de nombreuses équipes que la FFF crée en 1974, un an après la Suède et le Danemark, un Championnat national original, le Challenge Chesterfield, du nom de la marque de collants qui soutient financièrement l’épreuve. Il est ouvert aux seize équipes championnes de ligue, réparties en quatre poules géographiques. Les joueuses disputent, ___________ 12 13
France Football, 13/07/1971. Cf. UEFA : PV du IVe Congrès extraordinaire de l’UEFA à Monte-Carlo, 16/06/1971.
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d’abord à l’automne, trois matches de classement sachant que les deux premières équipes de chaque poule se qualifient pour les phases finales disputées au printemps.14 Dans les intervalles, elles disputent le Championnat régional au sein de leurs ligues respectives. Le Stade de Reims domine largement cette compétition et remporte le premier titre en battant en finale l’Arago Sport Orléans 5 buts à 0. Ces rencontres restent assez confidentielles se déroulant devant un public très restreint. En Allemagne, le Championnat national, créé la même année, se joue également selon la formule coupe avec quart- et demifinales.15 Comme nous l’avons évoqué plus avant, les rencontres internationales s’organisent d’abord en marge des instances officielles du football. Si, en France, grâce à la vitalité du club de Reims et au patronage du journal L’Union, une équipe anglaise et une équipe tchèque sont invitées, à Reims dès juin 1969, à disputer un tournoi réunissant aussi l’équipe locale et une sélection alsacienne, les premières initiatives pour la création de compétitions internationales viennent de l’Italie, de la toute jeune fédération féminine FICF. Un tournoi européen, qualifié de Première Coupe d’Europe de football féminin par les organisateurs, a lieu à Turin en novembre 1969. Devant 14 000 spectateurs et spectatrices, l’Italie s’impose en finale devant le Danemark ; l’Angleterre termine à la troisième place devant l’équipe française. En juillet 1970, la FIEFF organise le premier tournoi mondial à Salerne en Italie. Sept équipes européennes et une mexicaine se disputent le titre. Le onze danois l’emporte cette fois-ci face aux Italiennes. Avec 10 000 spectateurs et spectatrices réuni.e.s pour la finale, son succès populaire et pécuniaire encourage les organisateurs à envisager une seconde édition dès l’année suivante. Grâce au concours financier de l’entreprise Martini & Rossi, six équipes prennent part à cette nouvelle édition qui se déroule à la fin de l’été 1971 au Mexique : l’Angleterre, le Danemark, la France, l’Italie, l’Argentine et le pays hôte. Le onze danois remporte cette deuxième Coupe du monde, non reconnue par les instances officielles, en s’imposant en finale contre les Mexicaines. Cette entreprise est un franc succès avec 100 000 spectateurs et spectatrices sur les gradins de l’Estadio Azteca de Mexico pour assister à la finale, un an après celle des hommes, et une couverture médiatique exceptionnelle. Toutefois, les instances fédérales ne se montrent pas favorables à l’organisation de tels rassemblements en dehors d’elles et selon une logique mercantile même s’ils passionnent les foules. Pour disputer ces tournois officieux, les fédérations se montrent aussi frileuses à l’idée de constituer une sélection nationale. Pour le tournoi italien organisé en 1969, la fédération française autorise une équipe de club à y participer à titre privé, le onze rémois renforcé par deux joueuses champenoises. ___________ 14 15
Cf. France Football Officiel, 10/07/1974. Cf. Breuil : Histoire du football féminin, p. 228.
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De même l’année suivante, la FFF donne son aval pour la formation d’un groupe formé essentiellement des joueuses de Reims complété par la présence de joueuses originaires du Nord-Est et de deux Lyonnaises. Cette situation provoque des remous et finalement la fédération française donne son accord début 1971 pour la constitution d’une sélection nationale en vue de la participation au Championnat du monde organisé par la FIEFF.16 Le premier match officiel de cette Equipe de France féminine, sous l’égide de la FFF, se déroule le 17 avril 1971 sur la pelouse du stade municipal de Hazebrouck sous la direction de Pierre Geoffroy, premier sélectionneur. Avec un triplé de Jocelyne Ratignier, milieu de terrain de Mâcon, additionné d’un but de Marie-Claire Harant en fin de partie, l’équipe française à ossature rémoise s’impose 4 à 0 contre les Néerlandaises. Devant 1 500 spectateurs et spectatrices environ, elle décroche ainsi sa qualification pour le Mundial au Mexique. Ces premières épreuves internationales non officielles mêlent donc équipes de clubs, sections féminines ou clubs indépendants et bien peu de sélections nationales. Au Mexique, l’Angleterre est représentée par l’équipe de Chiltern Valley, l’Argentine par l’équipe d’une entreprise Ardiles & Company Limited. Dix ans plus tard, et sous la pression de l’organisation d’un nouveau tournoi en Italie en 1979, l’UEFA se décide à créer en 1982, le Tournoi européen réservé aux sélections nationales féminines, marquant ainsi la différence avec le Championnat des nations masculin. Seize pays répartis en quatre groupes géographiques, pour des raisons financières, participent à cette première édition : l’Angleterre, la Belgique, le Danemark, l’Ecosse, la République d’Irlande, la Finlande, la France, l’Irlande du Nord, l’Islande, l’Italie, la Norvège, les Pays-Bas, le Portugal, la République fédérale d’Allemagne, la Suède et la Suisse. En finale, la Suède l’emporte sur l’Angleterre aux tirs au but, après un match aller et retour, le 27 mai 1984. Sur le plan international, à défaut de rencontres officielles, de nombreuses compétitions officieuses occupent le terrain notamment en Asie. L’Asian Football Ladies Confederation (AFLC), une fédération dissidente créée en 1968, met sur pied un premier Championnat asiatique à Hong Kong en 1975 auquel participent aussi l’Australie, la Malaisie, la Nouvelle-Zélande, Singapour et la Thaïlande. En finale, les nombreux.ses spectateurs et spectatrices présent.e.s voient la Thaïlande s’incliner face à la Nouvelle-Zélande. A Taïwan en octobre 1978, l’Association de la République de Chine de football (ROFCA) organise un tournoi international réunissant trois équipes nationales, l’Australie et les deux Chines, ainsi que dix clubs dont Copenhague, Dallas, Northwood en Angleterre, Vancouver, Zurich… A l’issue de 34 rencontres, l’équipe de Reims et d’Helsinki se partagent la première place. En septembre 1981, l’AFLC et ses associations affiliées organisent un tournoi ___________ 16
Cf. France Football Officiel, 03/03/1971.
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non homologué au Japon auquel participent l’Italie, l’Angleterre et le Danemark. Quelques semaines plus tard, en octobre 1981, quatorze équipes prennent part à un tournoi organisé à Taïwan où Vendenheim représente la France et Bergisch Gladbach l’Allemagne de l’Ouest tandis que Hong Kong, l’Inde, l’Indonésie, la Nouvelle-Zélande, la Thaïlande envoient une sélection nationale. En 1983, la République de Chine organise un tournoi similaire le Ghuangzou International Women’s Football. Finalement, la FIFA accepte la tenue d’un tournoi-test en 1988 disputé en Chine populaire afin d’évaluer la viabilité d’une future compétition internationale féminine. Le projet d’une Coupe du monde féminine en gestation à la FIFA depuis le début des années quatre-vingt et que réclame ardemment la Fédération norvégienne depuis 1986 ne voit le jour qu’en 1991. Organisée en Chine, elle réunit douze équipes : l’Allemagne, le Brésil, les deux Chines, le Danemark, les États-Unis, l’Italie, le Japon, le Nigéria, la Norvège, la Nouvelle-Zélande et la Suède. La première victoire est américaine par 2 buts à 1 contre la Norvège. L’institutionnalisation d’une compétition internationale féminine est longue et mouvementée avec un processus qui s’étire sur plus de vingt ans entre les premiers balbutiements d’une Coupe du monde féminine et son aboutissement. Elle a désormais lieu tous les quatre ans comme pour les hommes. Comme le souligne Xavier Breuil, l’inertie que montrent l’UEFA et la FIFA à organiser des compétitions européennes et internationales va entraver la dynamique créée et freiner le développement du football au féminin.17
4. Dans l’ombre du football masculin Alors que dans un premier temps le football pour les femmes s’organise en s’adaptant aux particularités féminines et à la faiblesse des effectifs, il s’alignera progressivement sur les structures masculines préexistantes. Les premières règles du jeu édictées par la FFF en 1970,18 diffèrent peu des atténuations prévues cinquante ans plus tôt : ballon plus petit, temps de jeu réduit, indulgence demandée aux arbitres en cas de protection instinctive de la poitrine, préconisation d’un système de protection de la poitrine pour les gardiennes de but. Ces adaptations, légitimées par un rapport médical, reposent sur la supposée faiblesse physique des femmes que l’on cherche à épargner des fatigues excessives. Les dispositions prises initialement pour ménager les corps des femmes s’estompent, se réduisent, au fil des années, comme en atteste l’étude du Statut fédéral féminin du début des années 1970 à nos jours. La mixité d’abord interdite est ensuite encouragée chez les plus jeunes. ___________ 17 18
Cf. Breuil : Histoire du football féminin, p. 246. Cf. France Football Officiel, 05/08/1970.
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Les compétitions vont, elles aussi, s’organiser progressivement sur le modèle des compétitions masculines. Le Championnat national, créé en 1974 avec seize équipes, est modifié à plusieurs reprises au cours des années quatrevingt, puis restructuré en 1992 avec douze clubs en Championnat national 1A (N1A) et trois poules de Championnat national 1B (N1B). Le Championnat évolue d’abord dans le sens d’une ouverture à davantage d’équipes puis au contraire dans un second à une restriction de l’élite. Depuis 2002, douze équipes se disputent le Championnat de Division 1 (D1), les hommes se disputant désormais la Ligue 1 (L1). Alors que le Stade de Reims domine largement les toutes premières éditions des années soixante-dix et du début des années quatre-vingt, relayé ensuite par la VGA Saint-Maur, les années quatre-vingtdix voient la suprématie du FC Lyon et du FCF Juvisy Essonne. Après les victoires répétées de Toulouse et de Montpellier au début des années deux mille, le trophée est aujourd’hui aux mains de l’Olympique Lyonnais depuis 2007. En 2001 est créé le Challenge de France féminin qui prendra le nom de Coupe de France, comme les masculins, en 2012. Sur le plan européen, la première édition de l’actuel Championnat d’Europe est marquée par la victoire en 1991 de l’Allemagne, désormais réunifiée, qui impose ensuite sa suprématie. La France accède pour la première fois au tournoi final en 1997 et n’atteint les quarts de finale qu’en 2011. La première compétition européenne de clubs féminins, la Coupe féminine de l’UEFA, apparaît en 2001 avec 33 clubs ayant remporté leurs championnats nationaux. Le FFC de Francfort s’impose en finale de cette première édition et les suivantes seront elles aussi largement dominées par des clubs allemands. Elle prendra en 2009 le nom de Ligue des champions féminine de l’UEFA regroupant championnes et vice-championnes des huit meilleurs championnats soit 53 clubs au total. Potsdam remporte la première Ligue des champions en battant l’Olympique Lyonnais aux tirs au but alors que 2020 voit le septième sacre des Lyonnaises. En 2002, pour encourager le football chez les jeunes, l’UEFA crée le Championnat d’Europe des moins de 19 ans, comme cela existe déjà chez les garçons. La victoire revient à l’équipe allemande. En 2008, l’instance européenne met également sur pied le Championnat pour les moins de 17 ans dont la première édition voit la participation de 40 nations et l’Allemagne victorieuse. Enfin, le tout nouvel EURO de futsal féminin connaît, quant à lui, la victoire de l’Espagne qui domine le Portugal, pays hôte, en février 2019. La Coupe du monde des femmes, créée tardivement en 1991, a lieu tous les quatre ans comme pour les hommes. La Suède l’accueille en 1995, les ÉtatsUnis en 1999 et 2003, la Chine en 2007, l’Allemagne en 2011 et le Canada en 2015. Avec 24 équipes participant l’an dernier en France, cette compétition en accueillera 32 en 2023, à l’instar de la compétition masculine. Les joueuses états-uniennes dominent la scène internationale en glanant quatre des huit trophées et sont aujourd’hui premières au classement FIFA talonnées par les
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Allemandes. En 1996, le football féminin devient aussi une discipline olympique à Atlanta faisant des Américaines les premières médaillées d’or en battant en finale les Chinoises par 2 buts à 1. L’entrée du football au féminin dans le programme olympique est comme pour beaucoup d’autres disciplines une longue attente pour les femmes. Huit nations participent à ces premiers Jeux : l’Allemagne, le Brésil, la Chine populaire, le Danemark, les États-Unis, le Japon, la Norvège et la Suède. Les Jeux olympiques (JO) sont marqués par la victoire des États-uniennes à quatre reprises. La France, quant à elle, participe pour la première fois aux JO en 2012 à Londres. Les footballeuses allemandes, médaillées d’or au Brésil, sont les tenantes du titre actuelles. Plus récemment, afin d’encourager le développement du jeu dans les catégories de jeunes, la FIFA a mis en place un tournoi mondial pour les joueuses de moins de 19 ans en 2002, puis une autre compétition biennale pour les moins de 17 ans en 2008, comme elle l’avait fait plus tôt pour les garçons. Progressivement, les différentes compétitions nationales et internationales se dotent des allures des compétitions masculines. C’est le cas aussi de la formation des joueuses qui devient plus précoce et plus poussée. Celle-ci se structure avec la création en 1998 du Centre national de formation et d’entraînement féminin à Clairefontaine qui devient, en intégrant l’Institut national du sport, de l’expertise et de la performance (INSEP) en 2014, le Pôle France féminin. 2005 voit la création de Pôles Espoirs interrégionaux féminins à Blagnac, Liévin, Rennes, Strasbourg, Tours et Vaulx-en-Velin afin de former les jeunes filles de 15 à 19 ans à une pratique de haut niveau. Toutefois, si le football féminin, discipline olympique depuis 1996, rejoint son homologue masculin avec l’adoption progressive des mêmes catégories de joueurs, des mêmes règlements, des mêmes compétitions, il demeure un ‘sous-football’ par rapport au ‘vrai football’, seul légitime.
5. Féminiser le football ou les joueuses ? Reconnu en 1970 par la FFF, le football dit féminin n’en est pas pour autant réellement intégré. Il est tout juste toléré. Les dirigeants du football français ne montrent pas beaucoup d’intérêt à la pratique du football par les femmes et la cantonnent dans une sorte de sous-catégorie. La commission chargée de procéder à l’étude des questions la concernant, la Commission centrale du football féminin qui comprend progressivement de plus en plus de femmes, n’a que peu de pouvoir et moyens. Elle bénéficie, en 1977 et pour la première fois, d’un soutien financier afin de rembourser à hauteur de 60 % le déficit des sections et clubs féminins.19 La faible implication fédérale n’aide pas à la croissance réelle des effectifs. Au cours des années soixante-dix, alors que le ___________ 19
Cf. FFF : Rapport de la Commission centrale féminine, 31/07/1977.
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football féminin a fait des progrès importants en Allemagne de l’Ouest et en Suède, les Françaises représentent à peine 1 % des licencié.e.s de la FFF. On compte près de 2 000 joueuses en 1970, environ 18 000 en 1980. Après un bref essor, les effectifs stagnent et régressent même au milieu des années quatre-vingt sans que pour autant on ne cherche à enrayer cette situation. Le football féminin, négligé, demeure une pratique marginale faute d’une réelle politique de développement. Au cours de la décennie suivante, la pratique féminine est le plus souvent ignorée des rapports de la fédération, comme le souligne Christine Mennesson,20 et les quelques velléités d’actions affichées sont rarement suivies d’effets. A partir de 1998, les instances du football commencent toutefois à se préoccuper de la place des Françaises sur l’échiquier mondial. En 2011, à l’occasion de la Coupe du monde organisée chez nos voisins allemands, le football au féminin gagne en intérêt. Sous la présidence de Noël Le Graët, la féminisation du football devient une priorité fédérale. Brigitte Henriques, ancienne joueuse internationale nommée secrétaire générale, puis vice-présidente, de la FFF est chargée du développement du football féminin. En 2014, le dépôt de la candidature pour accueillir le Mondial en 2019 confirme la volonté de dynamiser la pratique en cherchant à s’appuyer sur le même élan populaire qu’en 1998. La loi du 4 août 2014 pour l’égalité réelle entre les femmes et les hommes qui introduit le principe de parité dans les instances de gouvernance des fédérations sportives, à la place du principe de féminisation au prorata du nombre de licenciées qui prévaut jusque-là, permet également une avancée alors que la féminisation des instances est encore balbutiante. Un poste de directrice du football féminin est créé ; Frédérique Jossinet en assure la fonction. Des moyens financiers significatifs sont engagés pour accompagner le football féminin. Après des années d’inaction, la FFF se mobilise enfin en faveur de la féminisation. Toutefois, la hiérarchie entre football et football féminin demeure très enracinée. Ce qui pourrait apparaître comme anecdotique est en effet très révélateur des priorités de la fédération : à quelques jours du match d’ouverture de la Coupe du monde 2019, les footballeuses de l’Equipe de France sont priées de laisser le bâtiment de Clairefontaine à leurs homologues masculins qui préparent un match amical. Tout un symbole ! L’image des femmes véhiculée dans la promotion du football au féminin témoigne encore aujourd’hui des pesanteurs de l’institution. La féminisation de la pratique n’a-t-elle pas tendance à se confondre avec la féminisation des joueuses ? Les footballeuses continuent à être pensées telles des femmes-objets comme l’illustrent les différentes campagnes de communication de la FFF associant féminité à séduction. En 2009, quatre joueuses de l’Equipe de France ___________ 20
Cf. Mennesson, Christine : La gestion de la pratique des femmes dans deux sports masculins. Des formes contrastées de domination masculine, ds. : Revue STAPS 63/1 (2004), p. 89–106.
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posent non pas balle au pied mais nues avec un message choc « Faut-il en arriver là pour que vous veniez nous voir jouer ? »21. Le choix de la mannequin glamour et femme de footballeur, Adriana Karembeu, comme ambassadrice de sa campagne de communication de 2010 est lui aussi significatif. L’opération ‘Le Football des Princesses’, outil de promotion du ballon rond en milieu scolaire créé en 2011, aux couleurs rose et violet, est aussi un concentré de clichés. Plus récemment, le choix d’un coq de couleur rose doré pour un rendu plus girly sur le maillot bleu des Françaises pour le mondial 2019 participe du même élan. Ces exemples sont révélateurs du regard des dirigeant.e.s du football sur les corps des sportives. La fédération, comme nombre de journalistes d’ailleurs, s’évertue à prouver que les footballeuses ne perdent en rien de leur féminité à la pratique du ballon rond et sont bien de ‘vraies’ femmes, conformes aux standards du féminin et aux canons de la beauté ; des propos sensés rassurer l’opinion, rendre acceptable l’inacceptable.
6. Un sexisme difficile à tacler Le monde du football résiste au développement de la pratique des femmes. Celle-ci a encore aujourd’hui du mal à entrer dans les mœurs. Il reste difficile pour une jeune fille d’intégrer le jeu développé dans les cours de récréation, encore plus d’y obtenir une vraie place sur le terrain. Les garçons ont quelques réticences à partager. L’accès aux clubs n’est pas toujours aisé et les conditions d’entraînement pas toujours très favorables en termes d’espace, d’horaires, de matériel et même de contenus ; les entraîneurs les mieux formés se partageant les équipes masculines. Les femmes, souvent traitées avec mépris, sont tenues à l’écart des terrains. Les footballeuses peinent à trouver des stades pour jouer ou s’entraîner, la majorité des créneaux horaires étant octroyée aux équipes masculines des petits comme des grands clubs. Le Parc des Princes par exemple n’ouvre que rarement ses portes aux joueuses. Les footballeuses du Paris Saint-Germain (PSG) jouent le plus souvent à Jean Bouin. En dehors d’évènements majeurs, Coupe du monde, Championnat d’Europe, Ligue des champions, le public est peu nombreux dans les stades. Au cours de la saison 2019/20 en France, la moyenne des spectateurs et spectatrices par match de D1 se situe autour de 1 000. En dehors de la rencontre Lyon – PSG qui attire 30 661 spectateurs et spectatrices en novembre 2019, un record pour un match de Championnat, l’affluence est limitée. On compte, par exemple, 176 personnes pour l’affiche Reims – Guingamp, 292 pour Montpellier – Dijon.22 Après le Mondial qui a réuni 21 000 spectateurs et spectatrices par ___________ 21 22
Campagne publicitaire de la Fédération française de football, mars 2009. Cf. Soenen, Florian : Le championnat de France féminin de football ne perçoit pas d’effet coupe du Monde, ds. : lemonde.fr, 03/11/2019, https://www.lemonde.fr/sport/article/
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match en moyenne et pas moins de 57 900 pour la finale à Lyon, un record en France, le public ne se presse pas encore régulièrement dans les stades. Si la pratique féminine du football est moins confidentielle depuis une dizaine d’années, elle demeure toutefois, comme nombre de sports féminins, sous-médiatisée. Selon une étude menée en décembre 2012 par le Conseil supérieur de l'audiovisuel (CSA), la diffusion du sport dit féminin représente en effet seulement 7 % du volume global de retransmissions sportives. La médiatisation du ballon rond au féminin est très récente et centrée sur les grands évènements. A cet égard, 2011 marque une rupture : l’OL est le premier club français à remporter la Ligue des champions et l’Equipe de France féminine obtient de bons résultats, finissant dans le premier carré, lors de la Coupe du monde en Allemagne, où le football féminin est très développé. Les médias s’y intéressent subitement. Les déboires de l’Equipe de France masculine au Mondial 2010 en Afrique du Sud et l’absence de compétition internationale au cours de l’été 2011 sont des facteurs facilitants. Avec cette Coupe du monde 2011, le grand public français découvre le football féminin. L’Equipe de France féminine fait pour la première fois la une du journal L’Equipe. Direct 8 fait de bonnes audiences avec 2,4 millions de téléspectateurs et téléspectatrices pour la demi-finale le 13 juillet 2011. La D1 arrive dans le paysage audiovisuel français (PAF). Toutefois, soulignons qu’après l’effet de curiosité de la première saison, les audiences se stabilisent et n’évoluent plus. Avec les excellents résultats de l’OL en Ligue des championnes, le football au féminin gagne un peu en visibilité. Tout récemment, la Coupe du monde 2019 organisée en France attire l’attention des médias. L’exposition médiatique de l’évènement est en effet sans précédent : télévision, radio, presse écrite et en ligne. En conséquence, les audiences télévisuelles sont en forte hausse. En France, en moyenne 3,5 millions de téléspectateurs et téléspectatrices ont regardé les matches du Mondial, 10 millions les matches des Bleues. Près de 6 millions de téléspectatrices et téléspectateurs, soit 10 % de l’audience potentielle, ont suivi la finale sur TF1 malgré l’absence de l’équipe nationale sur le terrain23 et les succès d’audience ne se limitent pas au pays hôte. Ceci confirme la dynamique récente observée. Toutefois en dehors des grands événements internationaux, la majorité des actualités concernent généralement les équipes masculines. Dans la presse écrite, le travail d’analyse mené par la journaliste Alice Coffin portant sur trois titres nationaux (L’Equipe, France Football et So Foot) et sept quotidiens régionaux (Le Midi Libre, Le Parisien, Le Progrès, La Provence, Sud-Ouest, Ouest-France et La Voix du Nord) parus au cours du mois de ___________
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2019/11/03/apres-l-envolee-du-mondial-le-championnat-de-france-feminin-de-footballcomme-avant-ou-presque_6017879_3242.html (31/08/2020). Cf. Osmanian Molinero, Laure : Les footballeuses enflamment le petit écran, ds. : media metrie.fr, 23/07/2019, https://www.mediametrie.fr/fr/les-footballeuses-enflamment-le-petitecran (31/08/2020).
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septembre 2017 est éloquent. Sur 1 327 pages accordées au football, seules 28 sont dédiées à la pratique féminine soit 2 % dans un contexte pourtant favorable : reprise du Championnat de D1 et premiers matches amicaux de l’Equipe de France avec la nouvelle sélectionneuse Corinne Diacre récemment nommée.24 Au-delà de l’espace accordé aux footballeuses, c’est le contenu même des articles qui interroge. Les quelques coups de projecteurs sur le football lors de grandes occasions ne doivent pas masquer le manque de visibilité de la pratique féminine. Or comme le rappelle le rapport de l’Institut de relations internationales et stratégiques (IRIS), Quand le football s’accorde au féminin, la médiatisation est essentielle non seulement pour le développement de la pratique mais aussi pour la déconstruction des stéréotypes.25 Le processus de professionnalisation, récent lui-aussi, s’avère difficile. Les femmes peuvent bénéficier depuis 2009 d’un contrat fédéral comme c’est le cas pour les hommes évoluant au niveau national ou en CFA, c’est à dire un contrat régi par la convention collective nationale des sports, loin d’un contrat professionnel sur le plan statutaire et juridique. Sur les douze clubs de D1, on dénombre 160 contrats fédéraux, souvent à temps partiel, principalement à Paris, Lyon et dans une moindre mesure à Montpellier. Les autres footballeuses n’ont aucune rémunération directe liée à leur activité sportive et jonglent entre football et études ou travail à l’extérieur. Les conditions des joueuses de l’élite n’ont rien à voir avec celle des joueurs de Ligue 1. Les différences de budgets des clubs sont vertigineuses. L’Olympique Lyonnais comme le PSG au féminin ont un budget qui avoisine sept à huit millions d’euros, ce qui correspond à un petit budget de Ligue 2, Montpellier HSC près de deux millions alors que la plupart des autres équipes vit avec moins d’un million. Dans le même temps, l’OL masculin a une enveloppe de 310 millions et le PSG 637 millions d’euros. Les femmes ne sont qu’une poignée à pouvoir vivre décemment du football. Le salaire mensuel moyen d’une footballeuse sous contrat fédéral est de 2 500 euros contre 100 000 pour un footballeur professionnel. Le plus gros salaire avoisinerait 35 000 euros par mois pour la star Ada Hegerberg à l’OL, dix fois moins que son homologue masculin. Les différences de salaire et de prime restent abyssales. En Coupe du monde, l’an dernier, chaque joueuse a touché environ 40 000 euros alors qu’en 2018 chaque Bleu a touché 400 000 euros. La professionnalisation de la D1 suscite questionnements et doutes. Toutefois, la concurrence internationale pourrait accélérer le mouvement. ___________
24 25
Cf. Moran, Anaïs : Les joueuses de foot sont invisibilisées au service de la promotion des hommes, ds. : Libération.fr, 19/10/2017, https://www.liberation.fr/sports/2017/10/19/les-jou euses-de-foot-sont-invisibilisees-au-service-de-la-promotion-des-hommes_1604254 (31/08/2020). Cf. Boniface, Pascal/Gomez, Carole : Quand le football s’accorde au féminin, Rapport sur les enjeux de la féminisation du football, Paris : Editions UNESCO, 2019, https://www.irisfrance.org/wp-content/uploads/2019/06/UNESCO_Rapport_Quand-le-football-saccorde-au-f %C3%A9minin.pdf (31/08/2020).
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Aux États-Unis, où le soccer pratiqué par les femmes jouit d’une forte popularité, une ligue professionnelle, la National Women’s Soccer League, s’installe définitivement en 2013, après les tentatives avortées de la Women’s United Soccer Association (2001–2003) et de la Women’s Professional Soccer (2009–2011). En Angleterre et en Espagne, les instances du football sont en train de franchir le pas. En France, certains plaident pour le rattachement du Championnat de football féminin à la Ligue de football professionnel comme le préconise le rapport de la délégation aux droits des femmes au Sénat à l’occasion de la Coupe du monde 2019.26 Par ailleurs, l’Association du football professionnel féminin vient d’être créée en janvier 2020 sous l’impulsion de Laurent Nicollin, président du club de Montpellier. Une première étape ?
7. Conclusion Le football est un terrain (bien) défendu. Alors que le football pratiqué par les hommes et son financement captent toute l’attention des instances dirigeantes du football, la légitimité des femmes sur la pelouse est pour le moins questionnée. La version au féminin du plus populaire des sports souffre d’un manque de considération comme l’illustre sa croissance limitée. Elle pâtit d’un contrôle pesant et d’une certaine inertie. Comme le souligne Thierry Terret : « le sport [est] une arène masculine qui non seulement [exclut] les femmes mais aussi [fait] de la domination masculine une relation naturelle. »27 Le football, bastion de la virilité, ne fait certainement pas exception. Aujourd’hui, une volonté politique semble se dessiner au niveau de la FFF comme de la FIFA28 mais pas seulement par mansuétude à l’égard de la gent féminine. Les investisseurs commencent à s’y intéresser de plus près. Il est désormais de bon ton de créer une section féminine au sein des clubs professionnels. Les femmes offrent d’abord une belle vitrine, un bel outil promotionnel, comme le suggèrent les propos de Jean-Michel Aulas, président de l’OL, un des premiers à intégrer une section féminine : « Les filles valorisent un club »29. Simple fairevaloir ? En outre, l’autre moitié de l’humanité représente un fort potentiel commercial. Les instances du football prennent donc conscience de l’enjeu ___________ 26
27 28 29
Cf. Billon, Annick [et al.] : Mondial 2019 : Vive les footballeuses ! Un mois qui fera progresser l'égalité femmes-hommes. Rapport d’information 556 (2018–2019), fait au nom de la délégation aux droits des femmes au Sénat, 07/06/2019, http://www.senat.fr/rap/r18-556/r18-5561.pdf (31/08/2020). Terret, Thierry : Sport et masculinité. Une revue de question, ds. : Revue STAPS 66/4 (2004), p. 209–225, ici p. 211. Cf. FIFA : Stratégie pour le football féminin, Zurich : FIFA, 2018, https://img.fifa.com/ image/upload/gpvfxv0dtiwhdx7fygel.pdf (31/08/2022). Perroud, Philippe : Jean-Michel Aulas : « Les filles valorisent un club », ds. : leprogrès.fr, 11/10/2016, https://www.leprogres.fr/lyon/2016/10/11/les-filles-valorisent-un-club (31/08/2020).
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Laurence Prudhomme
que représente la pratique des femmes, une manne financière. Récupération opportuniste ? Telle qu’elle se développe aujourd’hui, la pratique féminine du football demeure sous la tutelle du football masculin professionnel. Comme le montrent les évènements récents cela n’est pas sans risque. Sur fond de crise, Jacques Rousselot, président de l’AS Nancy-Lorraine, prend une décision assez radicale : L’équipe féminine est une des principales victimes du serrage de ceinture. J’ai dû suspendre toutes les dépenses en direction de la section féminine. Aucun contrat ne sera renouvelé. On ne pouvait pas faire autrement. Il faut sauver l’essentiel.30
Les femmes variables d’ajustement ? Rien de très nouveau, l’inégalité étant si enracinée. Le football, terrain d’émancipation, est aussi et surtout terrain de résistances et de dominations. Le football pratiqué par les femmes n’a pas encore gagné la partie contre le sexisme mais les voix qui montent en Norvège, en Australie, aux USA, pour réclamer l’égalité salariale sur les pelouses soufflent un vent d’optimisme. Une nouvelle façon d’agir pour l’émancipation. Bibliographie Sources Archives FFF : Rapport de la Commission centrale féminine, 31/07/1977. UEFA : PV du IVe Congrès extraordinaire de l’UEFA à Monte-Carlo, 16/06/1971. UEFA : Women’s Football (conférence sur le football féminin, 27–30/10/1998 à Londres), Londres : UEFA, 1998. Entretiens Ghislaine Souëf (13/11/1998) ; Monique Jacky (25/07/2001). Sources imprimées Campagne publicitaire de la Fédération française de football, mars 2009. Sources en ligne Billon, Annick [et al.] : Mondial 2019 : Vive les footballeuses ! Un mois qui fera progresser l'égalité femmeshommes. Rapport d’information 556 (2018–2019), fait au nom de la délégation aux droits des femmes au Sénat, 07/06/2019, http://www.senat.fr/rap/r18-556/r18-5561.pdf (31/08/2020). FIFA : Stratégie pour le football féminin, Zurich : FIFA, 2018, https://img.fifa.com/image/ upload/gpvfxv0dtiwhdx7fygel.pdf (31/08/2022). ___________ 30
Vosges matin, 09/06/2020.
Les femmes sur la touche
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Moran, Anaïs : Les joueuses de foot sont invisibilisées au service de la promotion des hommes, ds. : Libération.fr, 19/10/2017, https://www.liberation.fr/sports/2017/10/19/les-joueusesde-foot-sont-invisibilisees-au-service-de-la-promotion-des-hommes_1604254 (31/08/2020). Osmanian Molinero, Laure : Les footballeuses enflamment le petit écran, ds. : mediametrie.fr, 23/07/2019, https://www.mediametrie.fr/fr/les-footballeuses-enflamment-le-petit-ecran (31/08/2020). Perroud, Philippe : Jean-Michel Aulas : « Les filles valorisent un club », ds. : leprogrès.fr, 11/10/2016, https://www.leprogres.fr/lyon/2016/10/11/les-filles-valorisent-un-club (31/08/2020). Soenen, Florian : Le championnat de France féminin de football ne perçoit pas d’effet coupe du Monde, ds. : lemonde.fr, 03/11/2019, https://www.lemonde.fr/sport/article/2019/11/03/ apres-l-envolee-du-mondial-le-championnat-de-france-feminin-de-football-comme-avant-ou -presque_6017879_3242.html (31/08/2020). Périodiques France Football, Paris, 13/07/1971. France Football Officiel. Hebdomadaire officiel du football français, Paris, 15/04/1970 ; 05/08/1970 ; 03/03/1971 ; 10/07/1974. L’Est Républicain, Nancy, 27/09/1965. L’Union, Reims, 26/08/1968. Vosges matin, Epinal, 09/06/2020.
Bibliographie scientifique Boniface, Pascal/Gomez, Carole : Quand le football s’accorde au féminin, Rapport sur les enjeux de la féminisation du football, Paris : Editions UNESCO, 2019, https://www.iris-france.org/ wp-content/uploads/2019/06/UNESCO_Rapport_Quand-le-football-saccorde-au-f%C3% A9minin.pdf (31/08/2020). Breuil, Xavier : Histoire du football féminin en Europe, Paris : Nouveau Monde, 2011. Coppola, Lino : Rassegna del calcio femminile, Salerne : Azienda Moscati, 1973. König, Mareike : Football féminin et société en Allemagne depuis 1900, ds. : Pfeil, Ulrich (dir.) : Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq : PU du Septentrion, 2010, p. 179–194. Lopez, Sue : Women on the Ball. A Guide to Women’s Football, Londres : Scarlet Press, 1997. Mennesson, Christine : La gestion de la pratique des femmes dans deux sports masculins. Des formes contrastées de domination masculine, ds. : Revue STAPS 63/1 (2004), p. 89–106. Terret, Thierry : Sport et masculinité. Une revue de question, ds. : Revue STAPS 66/4 (2004), p. 209–225.
Florian Bührer
Frauenfußball in der Schweiz
Der Weg zur Anerkennung war lang und ist noch lange nicht zu Ende
Les rires furent nombreux après le premier match officiel de football féminin sur le sol suisse. La presse salua surtout la « grâce féminine » des joueuses. Plus de 80 ans plus tard parut dans la Schweizer Illustrierte un portrait de Lia Wälti, la meneuse de la ‘Frauennati’, intitulé « Coup de projecteur sur une professionnelle ». Au lieu de la montrer sur le terrain, le journal à sensations mit la joueuse de milieu de terrain en scène dans les rues de Londres en pantalon blanc à la mode et en manteau noir – ‘Sex sells’, semblait-on penser dans les bureaux éditoriaux. Avant cela, les femmes qui jouaient au foot avaient été longtemps ridiculisées, ignorées ou insultées. Ce n’est que dans le climat révolutionnaire des années 1960 que le football féminin fut (soi-disant) accepté et accessible à tou.te.s : en 1968, le Damenfußball Club de Zürich fut le premier club de football féminin en Suisse. Au début des années 1970, une ligue nationale fut créée et les joueuses suisses disputèrent leur premier match national contre l’Autriche. Ce qui semble être une réussite a été en réalité un travail acharné. Un voyage fascinant à travers l’histoire du football féminin en Suisse montre qu’aujourd’hui encore, il est massivement à la traîne par rapport à l’évolution du monde sportif et de la société.
1. Einführung Im Weltmeisterschaftsfinale der Frauen zwischen den USA und den Niederlanden waren im Grand Stade de Lyon 69 Minuten gespielt, als Rose Lavelle rund 17 Meter vor dem niederländischen Tor völlig frei zum Schuss kam und so die USA mit 2:0 in Führung brachte. Die US-Frauen wurden ihrer Favoritenrolle gerecht und holten zum vierten Mal den Titel bei einer Fußballweltmeisterschaft (WM). Die Schweizer Frauen haben die Qualifikation für das Turnier in Frankreich verpasst und müssen weiter auf ihre zweite WM-Teilnahme warten. Im Play-off-Finale unterlagen sie im Hinspiel gegen die Niederländerinnen nach torloser erster Halbzeit mit 0:3. Im Rückspiel gerieten die Schweizer Frauen schnell in Überzahl, konnten sie aber nicht nutzen. Als Vivianne Miedema die Niederländerinnen in der 52. Minute in Führung brachte, war die Partie entschieden. Die Reaktionen auf die verpasste Qualifikation waren in der Schweizer Presse verhalten. Als die männlichen Kollegen bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland im Achtelfinale gegen Schweden ausschieden, war das mediale Echo vom Blick bis zur Neuen Zürcher Zeitung weitaus gewaltiger. Unter der deutschen Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg,
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Florian Bührer
die von 2012 bis 2018 an der Seitenlinie stand, erfuhr der Frauenfußball in der Schweiz allerdings einen Aufschwung. Heute zählt das Land nahezu 25 000 lizenzierte Spielerinnen.1 Aber genau wie beim Frauenstimmrecht war es bis dahin ein weiter Weg. Im Europameisterschaftsjahr der Männer 2004 in Portugal veröffentlichte der Literaturwissenschaftler Klaus Theweleit das Buch Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, in dem er den Fußball als Spiegel der Gesellschaft darstellt. Er verknüpft das Spiel mit dem runden Leder mit seiner eigenen Biographie, der Politik, der Wirtschaft und prägnanten gesellschaftlichen Ereignissen. „Wer mitbekommt, was sich im Fußball wann und wie verschiebt, ist über andere Gesellschaftsbereiche osmanisch informiert“, ist seine Beobachtung.2 Auch der Sportsoziologe Volker Rittner misst dem Sport die Funktion eines Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen bei.3 Der Religionswissenschaftler Gerald Hödl bemerkt: „Dass sich im Fußball die ihn umgebende Welt niederschlägt, ist mittlerweile eine an die Grenze zur Plattitüde gelangte Einsicht. Ihrer Richtigkeit tut dies keinen Abbruch.“4 Seine Annahme belegt er mit der gesellschaftlichen Entwicklung Afrikas im Zusammenhang mit der Sozial- und Kulturgeschichte des afrikanischen Fußballs. Die Historikerin Marianne Meier erkennt im Frauenfußball eine Chiffre für eine neue Gesellschaftsordnung in der Schweiz.5 Belächelt, beschimpft, bejubelt – 50 Jahre Frauenfussball in der Schweiz benannte das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) kürzlich einen Beitrag über die Geschichte des Frauenfußballs. Man möchte meinen: Immerhin war es den Verantwortlichen einen Beitrag wert. Die Situation des Frauenfußballs im Kontext der schweizerischen Gesellschaft soll nun in der gebotenen Kürze skizziert werden. Die Zustände reichen von Verachtung über Sexualisierung und Skandalisierung bis hin zu Heroisierung. Wissenschaftliche Arbeiten zum Frauenfußball in der Schweiz sind meist jüngeren Datums. Marianne Meier konzentriert sich in ihrer Lizentiatsarbeit Zarte Füsschen am harten Leder auf die Entstehungsabläufe des Frauenfußballs in der Schweiz. Die Autorin beklagt den „katastrophalen Rückstand in der Sportwissenschaft und der Forschung“6. Im Jahre 2006 legten dann mehrere Autoren eine Gesamtdarstellung der Schweizer Nationalmannschaft vor – ___________ 1 2 3 4 5 6
Vgl. Neue Zürcher Zeitung, 08.10.2018. Theweleit, Klaus: Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell, Köln: Kiepenheuer und Witsch, 2004, S. 116. Vgl. Rittner, Volker: Freizeit und Sport, in: Deutsche Gesellschaft für Freizeit (Hg.): Freizeit, Sport, Bewegung. Stand und Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland, Hannover: Medienpool, 1987 (Materialien zur Freizeitpolitik 1) S. 94–99, hier S. 95. Hödl, Gerald: Afrika in der globalen Fußballökonomie, in: Peripherie 117 (2010), S. 9–21, hier S. 9. Vgl. Meier, Marianne: Zarte Füsschen am harten Leder, Bern: Huber, 2004. Meier: Zarte Füsschen, S. 31.
Frauenfußball in der Schweiz
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den Frauen ist dabei ein eigenes Kapitel gewidmet.7 Das goldene Buch des Schweizer Frauenfußballs liefert eine komplette Übersicht über sämtliche Länderspiele der Frauen, beginnend bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft 1970 bis zur Europameisterschaft 2017. Komplettiert wird das Werk von zahlreichen Portraits von ehemaligen und aktuellen Nationalspielerinnen.8
2. Die Anfänge: Der Spott war ihnen sicher Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich in Großbritannien erstmals mehrere junge Frauen zu Mannschaften zusammen. Nettie Honeyball und Florence Dixie gründeten 1894 die British Ladies, die erste englische Frauenmannschaft. Ein Jahr später verfolgten gut 10 000 Zuschauer*innen das erste Spiel der Fußballerinnen.9 Ihre Aufmerksamkeit galt aber weniger dem sportlichen Können der Spielerinnen, sondern der ungebührenden Kleidung der jungen Frauen. Nach den strengen viktorianischen Moralvorstellungen hatten Frauen in der Öffentlichkeit bodenlange Röcke zu tragen, weshalb die kurzen Hosen der Fußballerinnen als Skandal empfunden wurden. Zahlreiche Aufnahmen aus der Zeit um 1900 lassen aber den Schluss zu, dass Fußballerinnen häufig mit extrem kurzen Hosen und langen Beinen dargestellt wurden, um so der Männerwelt die Köpfe zu verdrehen.10 Während des Ersten Weltkriegs stellte die englische Liga wegen des Männermangels den Profibetrieb ein und Frauen ersetzten die Männer nicht nur an den Arbeitsplätzen in Rüstungs- und Industrieunternehmen, sondern auch auf dem Fußballplatz. Die englischen Rüstungsbetriebe wurden zur „Keimzelle des organisierten Frauenfußballs“11. Obwohl die ersten Frauenfußballspiele für wohltätige Zweck veranstaltet wurden, dienten sie doch hauptsächlich der Unterhaltung des Publikums. Der Reiz bestand darin, dass kickende Frauen als „verkehrte Welt“12 galten. Tiefe Löhne und knappe Lebensmittel – auch der schweizerischen Arbeiterschaft brachte der Erste Weltkrieg die bittere Not. Die Arbeiter wehrten sich ___________ 7 8 9 10 11 12
Vgl. Jung, Beat/Koller, Christian/Bosshard, Werner: Die Nati. Die Geschichte der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft, Göttingen: Die Werkstatt, 2006, S. 295–323. Vgl. Degen, Seraina/Schaub, Daniel: Das goldene Buch des Schweizer Fussball. Die Länderspiele von 1972 bis 2017, Muttenz: rotweiss Verlag, 2017. Vgl. Bausenwein, Christoph/Knauer, Ulrich: Fußballbuch, Nürnberg: Tessloff, 2002, S. 24. Vgl. Osses, Dietmar: Fußball, weiblich, in: Brüggemeier, Franz-Josef/Borsdorf, Ulrich/ Steiner, Jürg (Hg.): Der Ball ist rund. Katalog zur Fußballausstellung im Gasometer Oberhausen im Centro, Essen: Klartext, 2000, S. 298–309, hier S. 298–299. Schulze-Marmeling, Dietrich: Fußball. Zur Geschichte eines globalen Sports, Göttingen: Die Werkstatt, 2000, S. 96. Sülzle, Almut: Fußball, Frauen, Männlichkeiten. Eine ethnographische Studie im Fanblock, Frankfurt a. M./New York: Campus, 2011, S. 87.
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Florian Bührer
im Landesstreik 1918 und forderten lautstark den Achtstundentag, die Neuwahl des Bundesrates, eine Alters- und Invalidenversicherung – und eben das Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Davon war man in der Schweiz noch weit entfernt. Anfang der 1920er-Jahre fanden in mehreren Kantonen Abstimmungen zur Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene statt. Die Männer lehnten dies mit großen Mehrheiten an den Urnen ab. Zeitgleich fanden immer mehr Frauen, meist bürgerlicher Herkunft, Gefallen an Leichtathletik oder Fußball und brachen aus den traditionellen Rollenmustern aus. Die Massenmedien haben als Frauenideal jener Zeit das junge, schlanke „Sportgirl“ im kollektiven Gedächtnis verankert.13 Auch Schweizer Urlaubsorte nutzten als Plakatmotiv mit Vorliebe junge, schlanke Frauen in sportlicher Betätigung. Pars pro toto für diese Beobachtung steht das Plakat des Verkehrsvereins Lugano mit einer jungen Frau im rot-weißen Badeanzug und modischer Kurzhaarfrisur, die freudestrahlend im kühlen Nass einen Ball in die Höhe hält (Abb. 1).
Abb. 1: Das Tourismusplakat des Verkehrsvereins Lugano wirbt für Ferien in der Region. Wie so häufig war eine junge, schlanke Frau der Blickfang (© Verkehrsverein Lugano/ Plakatsammlung Zürich). ___________ 13
Vgl. Becker, Frank: Der Sport in der Körpergeschichte der klassischen Moderne und die Position Carl Diems – eine Skizze, in: Krüger, Michael (Hg.): Der deutsche Sport auf dem Weg in die Moderne, Berlin: LIT, 2009, S. 133–152, hier S. 145.
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In der deutschen Zeitschrift Sport und Sonne, dem amtlichen Nachrichtenblatt der Deutschen Sportbehörde für Leichtathletik, verfasste der Autor Walter Huith im Jahr 1925 unter der Überschrift „Soll das weibliche Geschlecht Fußball spielen?“ ein Plädoyer gegen das Frauenfußballspiel.14 Im Verlauf der Weimarer Republik wurden in der Zeitschrift immer wieder Stimmen gegen den Frauenfußball laut. Sie warnten, dass Frauen die von der Natur gegebenen Grenzen nicht überschreiten sollten. In Genf kümmerte man sich nicht um solche vermeintlichen Grenzen. Dort sind die ersten Spuren des Fußballs in der Schweiz zu finden. Florida Pianzola gründete 1923 den Frauensportverein Les Sportives, der auch sofort das Fußballtraining aufnahm. Pianzola war die Tochter eines wohlhabenden Geschäftsmannes und ehemalige Leichtathletin. Sie nahm 1922 an der ersten Frauenolympiade in Paris teil und gewann dort das Speerwerfen mit einem neuen Weltrekord. Dank ihrer gesellschaftlichen Verbindungen stand den Damen sofort ein komfortables Trainingsfeld zur Verfügung. Ihre Aktivitäten stießen aber nicht überall auf Akzeptanz. Die Gazette de Lausanne fragte spöttisch, ob die Sportlerinnen nicht begriffen, dass ihnen nicht alle Disziplinen geziemten. Die Fachzeitung Le Sport Suisse warf die Frage auf, ob das erste Frauenfußballspiel der Schweiz nun kurz bevorstehe.15 Dazu sollte es erst viele Jahre später kommen. Funde auf Schweizer Dachböden zeigen aber, dass Frauen schon zu dieser Zeit sehr wohl dem runden Leder hinterher jagten – wie organisiert das war, gilt es zu erforschen. Wie in zahlreichen anderen europäischen Ländern bekam auch der Schweizer Fußball in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre eine zunehmende politische Bedeutung. Zu einem Symbol der Geistigen Landesverteidigung, jener Kulturpolitik gegen faschistische und kommunistische Staaten, wurde die Nationalmannschaft der Männer.16 Der Sieg der ‚Nati‘ im Achtelfinale bei der Weltmeisterschaft 1938 in Paris gegen Großdeutschland stürzte die Schweiz in einen regelrechten Freudentaumel. Die Gazette de Lausanne maß dem Spiel eine politische Bedeutung zu: Das Ereignis geht weit über den Rahmen des Sports hinaus. Es ist national. Und wir Patrioten haben das Recht, stolz zu sein auf unsere Nationalmannschaft. [...] Dass das Team eines kleinen Landes mit vier Millionen Einwohnern es schafft, Großdeutschland zu besiegen, das offenbar mit seinen achtzig Millionen Einwohnern immer noch nicht genug hat, ist schon außerordentlich. [...] Die elf kleinen Schweizer, die am Donnerstagabend das Spiel ___________ 14 15 16
Vgl. Huith, Walter: Soll das weibliche Geschlecht Fußball spielen?, in: Sport und Sonne 6 (1925), S. 24. Vgl. Jung/Koller/Bosshard: Die Nati, S. 299. Vgl. Koller, Christian: Fußballerische Landesverteidigung an Führers Geburtstag: Schweiz – Deutschland 2:1 (20.4.1941), in: ders. (Hg.): Sternstunden des Schweizer Fußballs. Geschichte des Fußballs, Bd. 2, Wien [u. a.]: LIT, 2008, S. 75–88, hier S. 82.
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Florian Bührer ihres Lebens gespielt haben, haben etwas, was anderen vielleicht fehlt: den Willen zu siegen, den Glauben an den Sieg.17
Von einer solchen politischen Bedeutung waren die Frauen noch meilenweit entfernt. Aber sie sollten nachziehen. Sie traten endlich offiziell gegen den Ball. Als erstes offizielles Fußballspiel gilt die Damen-Fussball-Demonstration in Adliswil im Kanton Zürich im August 1939 (Abb. 2). Die Regionalzeitung Sihltaler schrieb in ihrer Vorschau ganz im Geiste des gesellschaftlichen Klimas: Als Attraktion tragen Sonntag nachmittags zwei Damenmannschaften ein Spiel aus, die weniger ihre sportlichen Ambitionen, dafür aber ihre weibliche Grazie in die Waagschale werfen.18
Abb. 2: Das Team des Töchterchors 1939 vor ihrem Spiel in Adliswil (© Digitalarchiv Erich Huber, www.windstill.ch).
Zehn Jahre später schrieb die Zeitung über ein Frauenfußball-Spiel: Der Clou der Veranstaltung (wenn auch nicht in athletischer Sicht) bildete das grosse DamenFussballtreffen F.C. Butterfly 1 gegen F.C. Töchterchor 1. Was man hier zu sehen bekam, war nicht nur eine willkommene Betätigung der Lachmuskeln, nein hin und wieder sah man richtigen Fussball mit einem Körpereinsatz der einem staunen liess.19 ___________ 17 18 19
Gazette de Lausanne, 10.06.1938. Sihltaler, 12.08.1939. Sihltaler, 16.06.1949.
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3. Frühe Nachkriegszeit: Hausfrau statt Stürmerin In den 1950er-Jahren wurde die gesellschaftliche Stellung der Frau kaum diskutiert. Nach wie vor festgefahren in der Geistigen Landesverteidigung, fasziniert vom ökonomischen Aufschwung, und äußerst selbstzufrieden, sahen die Schweizer Männer keinen Grund, irgendetwas an der Situation zu ändern. Am 1. Februar 1959 scheiterte die erste Volksabstimmung über das eidgenössische Frauenstimmrecht am Volk. Und doch schwärmten immer mehr Schweizerinnen und Schweizer von der modernen Frau. Die war aber weder emanzipiert noch selbstbewusst oder gar beruflich integriert, sondern vielmehr Hausfrau nach amerikanischem Vorbild. Tagsüber präsentierte sie sich keck mit Schürze in der Küche, abends zeigte sie sich noch kecker leicht dekolletiert oder gar rückenfrei – dem neuen Sexappeal, so Yvonne-Denise Köchli, die eine Biographie über die Schweizer Frauenrechtlerin Iris von Roten veröffentlicht hat.20 In Basel regte sich in den 1950er-Jahren noch heftiger Widerstand gegen ein geplantes Damen-Fußball-Länderspiel Niederlande gegen Deutschland. Schließlich war den Frauen das Spiel im Fußballclub noch verboten. Der Schweizerische Fußball- und Athletikverband distanzierte sich und ließ verlauten, das Spiel sei „eher in die Kategorie einer Schaustellung oder Zirkusdarbietung“ einzureihen und dürfe nicht in Basel stattfinden.21 Wenige Kilometer von Basel entfernt gründeten in Murgenthal 1963 mehrere junge Frauen um die Schwestern Monika und Silvia Stahel den FC Goitschel. Mit dem Namen ehrten sie ihre sportlichen Idole, die französischen Skifahrerinnen Marille und Christine Goitschel, die ebenfalls Schwestern waren.22 Der FC Goitschel gewann 1965 ein Spiel zugunsten eines geplanten Altersheims gegen den Gemeinderat von Murgenthal mit 7:2. Im selben Jahr stellten die Fußballerinnen beim Schweizerischen Fußballverband (SFV) einen Antrag, um offiziell anerkannte Spiele auszutragen. Monika Stahel störte sich daran, dass Jungen und Männer gegen das runde Leder treten durften, Mädchen und Frauen aber nicht. „Insofern war unser Engagement auch ein gesellschaftspolitisches Zeichen“23, erklärte sie Jahre später. Die Funktionäre informierten ___________ 20 21 22
23
Vgl. Keller, Anne-Sophie/Köchli, Yvonne-Denise: Iris von Roten. Eine Frau kommt zu früh – noch immer?, Zürich: Xanthippe, 2017, S. 128. Sport, 28.08.1957. Vgl. Meier, Marianne/Hürlimann, Helen: Pfeifendamen, Stauffacherinnen und Champions. Geschichte und aktueller Stand des Schweizer Frauenfußballs, in: Sobiech, Gabriele/Ochsner, Andrea (Hg.): Spielen Frauen ein anderes Spiel? Geschichte, Organisation, Repräsentationen und kulturelle Praxen im Frauenfußball, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, S. 21– 40, hier S. 23. Zit. nach: Rottmeier, Fabian: Anstoss! Schweizer Pionierinnen jagen das runde Leder, in: Zeitlupe 7–8 (2018), S. 13–19, hier S. 15.
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sich bei Sportärzten und Nachbarverbänden und lehnten das Gesuch ab.24 1966 besuchte ein Journalist die Murgenthalerinnen und beschrieb seine Eindrücke: In ihrem [sic!] Trainingsanzügen und Fußballschuhen sehen sie aus wie Jünglinge, ihre kurzgeschorenen Köpfe, ihre eckigen Bewegungen, ihr harter Handschlag [...]. Sie fühlen sich nicht wohl in Röcken, sie bevorzugen lange Hosen. Wenn nicht die Berufsarbeit bestimmend wäre, so würden sie wohl nie Röcke tragen.25
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es für junge Frauen allmählich selbstverständlicher, Berufe zu erlernen, weiterführende Schulen oder gar Universitäten zu besuchen. Diese allmähliche Öffnung geschah weiterhin im Einklang mit den als „natürlich“ erachteten weiblichen Fähigkeiten.26 In ganz Europa wurde die Erwerbstätigkeit der Frau bislang meist nur aufgrund familiärer finanzieller Notwendigkeit gebilligt, in der Schweiz gehörte ein reaktionäres Frauenbild noch immer zum ideologischen Fundament, das für die Frau nun einmal das Eigenheim vorsah. Bürgerliche Parteien warben mit der Hausfrau und glücklichen Mutter als Plakatsujet bei Nationalratswahlen und Volksabstimmungen. Die Zeitschrift Annabelle feierte 1966 Jubiläum und suchte 1967 im Wettbewerb Donna Ideale die ideale Schweizerin. Die Prüfungsaufgaben waren unter anderem: ein Puppenkleid nähen und Zürcher Geschnetzeltes kochen.27 Bis in die 1970er-Jahre hinein war die Schweizer Gesellschaft mehrheitlich der Meinung, dass eine echte Schweizer Hausfrau der Erwerbstätigkeit fernbleiben sollte.28 Vor der Weltmeisterschaft der Herren 1966 im England griff die Schweizer Illustrierte dieses Frauenbild auf. Die Reportage von Ehefrauen prominenter Nationalspieler begann mit den Worten „ein beträchtlicher Teil des starken Geschlechts wird in den nächsten Tagen und Wochen kaum Zeit finden, sich intensiv der Familie zu widmen“29. Warum auch? Das war schließlich Aufgabe der Frauen. Die Schweizer Illustrierte zeigte die Ehefrauen in ihrem ‚Revier‘ – schick zurechtgemacht mit den Kindern am Esstisch oder im heimischen Garten. Natürlich hatten die Frauen immer ein Lächeln im Gesicht. „Zuhause bin ich der Captain…“, sagte Beatrice Schneiter, die Ehefrau des Berner Verteidigers Heinz Schneiter. Während Karl Odermatt vom FC Basel ___________ 24 25 26 27 28 29
Vgl. Meier/Hürlimann: Pfeifendamen, Stauffacherinnen und Champions, S. 24. Wir Brückenbauer, 18.03.1966. Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF (Hg.): Frauen - Macht - Geschichte. Zur Geschichte der Gleichstellung in der Schweiz 1848 – 2000. Teil 4: Bildung, Bern, 2001, S. 11. Vgl. SRF-Archiv: Die ideale Frau, 10.07.1967, https://m.srf.ch/play/tv/archivperlen/ video/die-ideale-frau?id=40334541-0d36-47f4-8a6e-e200cb5ae472 (05.06.2020). Vgl. Marthaler, Kathrin: Die Frauenrolle und das Bild der Frau in der Schweiz der langen 50er Jahre. Untersuchung anhand der beiden Familienzeitschriften „Schweizer Familie“ und „Sonntag“, Fribourg, Univ., Liz. phil. 1996, S. 77–80. Schweizer Illustrierte, Juni 1966.
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bei der ‚Nati‘ im Mittelfeld die Fäden zog, gab seine Frau Vreni Auskunft über ihre Aufgaben und Pflichten als Hausfrau und Mutter. Ihr Credo: „Die Hauptsache ist, dass mein Mann Spass hat am Fussball“, sagte sie der Zeitschrift. Mit unserem sechs Monate alten Töchterchen Jacqueline bin ich vorläufig natürlich noch ans Haus gebunden und kann nicht mehr regelmäßig ins Stadion gehen. Doch ich bin mit den Aufgaben und Pflichten einer Mutter und Hausfrau ausgefüllt und zufrieden.30
4. Mai ‘68: Erstes Länderspiel Die Frühlingsluft der 68er-Bewegung wehte auch über die Eidgenossenschaft hinweg. Nahe des Zürcher Hauptbahnhofes besetzten Jugendliche das damals leer stehende provisorische Gebäude des Warenhauses Globus, die Frauen der Frauenbefreiungsbewegung (FBB) forderten freien Zugang zu Verhütungsmitteln und das Recht auf straffreie Abtreibung. In dieser Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs wurde der Fußball allen zugänglich. Am 21. Februar 1968 riefen mehrere Frauen den Damen-Fussball-Club Zürich (DFCZ) ins Leben, den ersten anerkannten Frauenfußballverein der Schweiz. Die Reaktionen der Medien schwankten zwischen Erstaunen und Belustigung: „FussballAmazonen machen ernst!“, titelte die Zeitung Sport.31 Die Reaktion auf den Einbruch der Frauen in die Männerdomäne erfolgte mit dem Mythos der entweiblichten Sportlerinnen, die wie in griechischen Mythen und Sagen ‚männergleich‘ in den Kampf zogen. Für die Presse waren kämpfende und grätschende Frauen etwas ‚Abnormales‘. Klassische Weiblichkeitsattribute wurden und werden immer noch primär über Schlagworte wie etwa Zartheit, Eleganz, Sanftheit und Schwäche definiert. Die Tribune des Sports überschrieb ihren Artikel am 1. Juli 1968 mit „Zurich a aussi une équipe de football… de charme!“32. Meist sparte die Presse nicht mit Lob für die Äußerlichkeiten der Spielerinnen: „Es sind besonders Hübsche, Grossgewachsene, Schlanke und Blonde darunter“, schrieb die Sport.33 Bereits vier Monate später berichtet die Sendung Antenne über den Zürcher Club, mit dem Titel „Die Torjägerinnen, vor denen gewarnt wird“. „Können Sie sich vorstellen, dass das eine Zukunft hat, Damenfussball?“, fragt der Reporter Ursula Moser, die erste Präsidentin des Clubs. Die antwortete kaugummikauend: „Warum sollte es keine Zukunft haben?“34 Dazu fährt in chauvinistischer ___________
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Schweizer Illustrierte, Juni 1966. Sport, 03.04.1968. Tribune des Sports, 01.07.1968. Sport, 03.04.1968. SRF-Archiv: Die Torjägerinnen, vor denen gewarnt wird, 1968, https://vimeo.com/ 250120996 (05.06.2020).
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Florian Bührer
Manier die Kamera über die Beine der Spielerinnen. Bei ihren männlichen Kollegen wäre solch eine Kameraeinstellung unvorstellbar. Mehr geärgert als über den TV-Journalisten haben sich die Frauen über die Männer, die nur zu den Spielen kamen, „um die Brüste hüpfen zu sehen“, und dies auch noch filmten. „Diesen Gaffern wollten wir es zeigen“, erzählt Ursula Moser Jahre später.35 Im Bildarchiv des Nationalmuseums in Zürich wurde kürzlich eine Bildserie wiederentdeckt, die im März 1968 bei einem Training des DFCZ entstand. Es handelt sich um die allererste Foto-Reportage zum Frauenfußball in der Schweiz (Abb. 3). Die Sportwissenschaftlerin Gabi Langen stellt fest, dass Sportfotografien in den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht nur die sportlichen Anfänge des Frauenfußballs medial kommentierten, sondern vor allem die Unvereinbarkeit von Fußball und Weiblichkeit demonstrierten. Unförmige Kleidung, unattraktive Spielszenen und ungeschickte Spielhandlungen attestierten den Spielerinnen fußballerisches Unvermögen.36 Die Medienwissenschaftlerin Andrea Bachmann analysiert in ihrer Dissertation mit dem Titel Wie eine Katze schmiegt sie sich an, an die Hochsprunglatte aus dem Jahr 1998 die Geschlechterdifferenz in der Sportberichterstattung und kommt zum Fazit, dass bei der Medienberichterstattung über Sportlerinnen die Weiblichkeit in besonderem Maße betont wird. Es gehe, häufiger als bei Sportlern, um das attraktive Aussehen, die Körper der Sportlerinnen werden unter ästhetischen Gesichtspunkten bewertet.37 Nicht so bei den Bildern der Tribune des Sports. Sie fokussieren sich auf das sportliche Geschehen. Es sind sprichwörtlich Fußballbilder, die Spielerinnen müssen nicht posieren und gut dabei aussehen, sie dürfen kicken, sprinten, Zweikämpfe führen und ihrem Hobby nachgehen. In der Saison 1969/70 konstituierte sich in der französischsprachigen Schweiz bereits der erste Dachverband, die Association romande de football féminin (ARFF). Am 24. April 1970 riefen die Frauen die Schweizerische Damenfussball-Liga (SDFL) ins Leben, die sich als Teil des Schweizerischen Fussball-Verbandes (SFV) verstand.38
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Zit. nach: Rottmeier: Anstoss!, S. 14. Vgl. Langen, Gabi: „Kampf der Kugeln“. Die Anfänge des Frauenfußballs in der Sportfotografie, in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 285–304, hier S. 300. Vgl. Bachmann, Andrea: Wie eine Katze schmiegt sie sich an, an die Hochsprunglatte. Geschlechterdifferenz in der Sportberichterstattung, Salzburg, Univ., Diss., 1998, S. 4. Vgl. Jung/Koller/Bosshard: Die Nati, S. 300.
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Abb. 3: Die Tribune des Sports überschrieb ihren Artikel der fußballspielenden Frauen in Zürich mit „Zurich a aussi une equipe de football… de charme!.“ (© Museum FC Zürich)
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Ernst genommen wurden die Frauen aber kaum, belächelt dafür umso mehr. Die Satirezeitschrift Nebelspalter kündigte 1970 die inoffizielle Weltmeisterschaft in Italien mit sieben Mannschaften an, die von der 1969 in England gegründeten Confederation of Independent European Female Football (FIEFF) zusammen mit dem italienischen Getränkehersteller Martini & Rossi veranstaltet wurde. Der Frauenfußball ist im Kommen; im Juli sollen in Italien die ersten Frauenfußball-Weltmeisterschaften stattfinden. Eigentlich gar nicht so abwegig: Da hat man für sein Eintrittsgeld Fußball und Ballet zugleich39,
hieß es da. Das erste und einzige Spiel der Schweizerinnen gegen das Gastgeberland geriet zu einem Skandal. Das schnelle Führungstor der Schweizerinnen erklärte der italienische Schiedsrichter für ungültig, jeden erfolgsversprechenden Angriff unterband er mit einem Pfiff und das Führungstor der Italienerinnen zählte trotz eindeutiger Abseitsposition. In der zweiten Halbzeit zählte ein Tor der Italienerinnen, obwohl der Ball die Torlinie nicht komplett überquert hatte.40 „Schweizer Fussballmädchen betrogen“ titelte die Schaffhauser AZ.41 Um dem Ruf des Frauenfußballs nicht noch weiter zu schaden, entschied sich die Schweizer Teamleitung, trotz allen Ärgers, auf einen Protest zu verzichten.42 Am 8. November 1970 machte der Schweizer Frauenfußball den nächsten Schritt: Er wurde international. In Schaffhausen stieg das erste – wenn auch inoffizielle – Länderspiel gegen Österreich, das die Schweizerinnen mit 9:0 gewannen (Abb. 4). Die feierlichen Begrüßungsworte von Stadtpräsident Felix Schwank lassen an der historischen Bedeutung des Spiels keinen Zweifel aufkommen: Was selbst eingefleischte Fussballanhänger noch vor kurzer Zeit kaum für möglich hielten, ist Tatsache geworden. Der Stadt Schaffhausen fällt die Ehre zu, dass das erste je in der Schweiz ausgetragene Länderspiel im Damenfussball auf ihrem Boden angepfiffen wird.43
___________ 39 40 41 42 43
Nebelspalter, 01.04.1970. Vgl. Meier/Hürlimann: Pfeifendamen, Stauffacherinnen und Champions, S. 28–29. Schaffhauser AZ, 11.07.1970. Vgl. Meier/Hürlimann: Pfeifendamen, Stauffacherinnen und Champions, S. 29. Schaffhauser AZ, 09.11.1970.
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Abb. 4: Ankündigung des ersten Länderspiels der Schweizer Frauenfußball-Nationalmannschaft am 8. November 1970 in Schaffhausen gegen Österreich (© Museum FC Zürich).
In der Berichterstattung nach dem Spiel lassen sich interessante Muster feststellen. Neun Mal glich das Breite-Stadion einem Hexenkessel: immer dann, wenn die Madeleine, die Kathrin, die Rita oder auch die Fiorenza, die recht charmanten Schweizer Balltreterinnen, der ersten Dame Österreichs die Kugel in den Hanf setzten44, ___________ 44
Schaffhauser Zeitung, 11.11.1970.
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schrieb die Schaffhauser Zeitung. Die Spielerinnen wurden einerseits stets verniedlicht und typischerweise mit dem Vornamen genannt, konstatierten die Sportwissenschaftlerinnen Marie-Luise Klein und Gertrud Pfister.45 Andererseits wurden die Sportlerinnen bei Spielsequenzen, die das fußballerische Können aufblitzen ließen, mit ihrem Nachnamen beschrieben. Wie da beispielsweise die Zürcherin Kretz vom rechten Flügel her Flankenbälle zur Mitte servierte, hätte selbst männliche Fussballer vor Neid erblassen lassen46,
schrieben die Schaffhauser Nachrichten. Man beachte aber auch hier den Vergleich mit den Männern. Ein sportlicher Wochenendrückblick in der Westschweiz befasste sich mit der Ästhetik des Fußballspiels: Junge Gören, deren Haare oftmals kürzer sind als jene der wirklichen Ballkünstler. Im Fernsehen, um dieses spöttische Bild zu untermauern, wurden immer wieder die korpulenten Österreicherinnen gezeigt. Diese Aufnahmen – dem Gott der Männer sei Lob und Dank – veranschaulichten den unästhetischen Aspekt des Frauenfußballs.47
Es floss in die Berichterstattung mit ein, wenn die Sportlerinnen wegen ihres Alters, Körpergewichts oder Haarschnittes nicht den vorherrschenden weiblichen Schönheitsidealen entsprachen. Auch andere Kommentatoren sprachen von dem „recht schwergewichtigen österreichischen Torfräulein“48. Als Außenverteidigerinnen standen in Schaffhausen das Zürcher Geschwisterpaar Trudi Moser und Ursula Kaiserauer-Moser auf dem Platz. Besonders Letztere stand im Fokus. Die Schaffhauser Nachrichten gaben die Erklärung gleich mit: Erstens ist Ursula Kaiserauer-Moser hübsch, langbeinig und grazil, zweitens ist sie Frau Kaiserauer […]. Das Winken zu Publikum beim Vorstellen der Mannschaften muss Ursula bei ihrem Mann schon des öfteren gesehen haben. Sie tat es sehr gekonnt.49
Sie bescherte dem Frauenfußball positive Schlagzeilen: Ihr Aussehen und ihre Ehe mit dem landesweit bekannten Fußballer vermochte ihre damals ungewöhnliche Sportart legitimieren und brachte „die blonde Zürcher Hausfrau“ 1974 schön zurecht gemacht im Fußballdress des DFCZ sogar auf die Titelseite der Allgemeinen.50 ___________ 45 46 47 48 49 50
Vgl. Klein, Marie-Luise/Pfister, Gertrud: Goldmädel, Rennmiezen und Turnküken. Die Frau in der Sportberichterstattung der Bild-Zeitung, Berlin: Bartels & Wernitz, 1985. Schaffhauser Nachrichten, 09.11.1970. Gazette de Lausanne, 10.11.1970. Schaffhauser AZ, 09.11.1970. Schaffhauser Nachrichten, 10.11.1970. Allgemeine, April 1974.
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Auf dem Feld standen auch Cathy Moser aus Yverdon und die erst 17-jährige Walliserin Madeleine Boll. Boll war wohl der erste ‚Star‘ des Schweizer Frauenfußballs. Als Zwölfjährige geriet sie bereits in die Schlagzeilen, als ihr der Fußballverband als erstem Mädchen landesweit eine Lizenz ausstellte – und diese sogleich annullierte, als die Offiziellen den ‚Fehler‘ durch Medienberichte über die Juniorin bemerkten. „Darf Madeleine mit den Buben spielen?“ titelte der Blick.51 „Fußball sei kein Sport für Mädchen“, konstatierte ein Arzt.52 Die Walliserin ging trotzdem ihren Weg und stand bei der Länderspiel-Premiere in Mailand unter Vertrag. Die italienische Liga war damals das Maß aller Dinge. Fünf Jahre spielte sie in Italien und machte sich als Montagna Bionda (der blonde Berg) einen Namen. Ein Schweizer Sportjournalist bezeichnete sie 1970 als „Köbi Kuhn des Damenfussballs“53. Auch hier erfolgt wieder der Vergleich mit den männlichen Kollegen. In Schaffhausen lief die 45. Minute, als Fiorenza Kretz sich am Flügel einmal mehr durchsetzte und zur Mitte flankte, wo Madeleine Boll mit prächtigem Kopfstoß das 5:0 markierte. Eine Woche nach der Frauenpartie in Schaffhausen sorgte die Schweizer Fußballikone Karl Odermatt im HerrenLänderspiel gegen Ungarn in Basel mit seinem Kopfball an die Querlatte für Schlagzeilen. Dieses „Match der verpassten Chancen“ ging für die Schweizer mit 0:1 verloren. Trotzdem widmete die Zeitung Sport der Großchance eine ganzseitige Bildserie, was den Stellenwert des Männerfußballs versinnbildlichte.54 Diese ersten Schritte auf dem Fußballrasen gehen zeitlich einher mit dem weiblichen Vormarsch auf dem politischen Parkett. Die 15 Spielerinnen durften wohl die Schweizerfarben auf dem Spielfeld vertreten, sich aber nicht an der Urne äußern. Dieses Recht wurde den Schweizerinnen erst drei Monate später gewährt. In der westlichen, industrialisierten Welt führte nur Portugal das Frauenstimm- und Wahlrecht noch später ein. Die nationalen Wahlen 1971 verschafften den Schweizer Frauen erstmals Sitze im Bundeshaus in Bern. Emanzipation, Gleichberechtigung der Frau überall: verhext wird diese angestrebt, sei es im Haushalt oder am Arbeitsplatz. Seit sieben Jahren kämpfen ebenfalls eine Anzahl bei der Fußball-Damenliga zusammengeschlossene Mädchen und Frauen um Anerkennung.55 ___________ 51 52
53 54 55
Blick, 22.09.1965. SRF-Archiv: Belächelt, beschimpft, bejubelt – 50 Jahre Frauenfussball in der Schweiz, 19.04.2020, https://www.srf.ch/play/tv/sportsendungen/video/belaechelt-beschimpftbejubelt---50-jahre-frauenfussball-in-der-schweiz?id=a59cc8cf-bfeb-4a3e-be10-d457126a 1bb2 (05.06.2020). Zit. nach: Meier/Hürlimann: Pfeifendamen, Stauffacherinnen und Champions, S. 26. Sport, 16.11.1970. Berner Nachrichten, 30.09.1977.
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schrieben die Berner Nachrichten. Dass der gesellschaftliche Umbruch um 1968 eine wichtige Rolle für den Frauenfußball gespielt habe, verneinten damals Aktive. Sie bezogen keine aktive politische Stellung.56 Viele Jahre später sagte Ursula Kaiserauer-Moser in einem Interview: „Und wir Mädchen haben dafür gekämpft, dass die Frauen abstimmen können.“57 Über 30 Jahre, nachdem die Männer zum Aushängeschild gegen totalitäre Ideologen wurden, wurden nun auch die Frauen politisch vereinnahmt und patriotisch aufgeladen. Nach dem Länderspiel bemühten die Medien urhelvetische Symbolfiguren. Der Blick sprach von „wendigen, hübschen Stauffacherinnen, die den zum Teil schwergewichtigen Österreicherinnen nur so um die Ohren wirbelten“58. Auch im Kanton Freiburg wurde mit Stolz über das Spiel berichtet, in welchem sich „die Stauffacherinnen sehr erfolgreich“59 in Szene gesetzt hatten. In Friedrich Schillers Tell geht der Rütlischwur, der schweizerische Gründungsmythos, eigentlich von der Stauffacherin aus. Die Großbäuerin Gertrud Stauffacher ermutigt ihren Mann Werner nach einem langen Gespräch, sich mit anderen Gleichgesinnten zu verbünden und der habsburgischen Tyrannei entgegenzutreten. Sie gibt ihm die geflügelten Worte „Seh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich“60 mit auf den Weg. Gemäß dem Historiker Georg Kreis verkörpert sie „Idole der Häuslichkeit“61 und zeichnete sich durch völlige Zurückhaltung aus. Das Bild der Stauffacherin stand also konträr zum Bild der selbstständigen Fußballerin, die selbstbewusst in die Öffentlichkeit drangen. Die kickenden Frauen standen im Widerspruch zur Häuslichkeit und so schwang auch immer etwas Ironie mit, wenn von den fußballspielenden Stauffacherinnen gesprochen wurde. Nach der Länderspielpremiere riefen nicht wenige Kritiker die Helvetia auf den Plan, um der doch suspekten Balltreiberei Einhalt zu gebieten. Für Schweizerinnen und Schweizer ist die Helvetia eine selbstverständliche Bekannte: Sie ist die Personifikation der Eidgenossenschaft. Die Schaffhauser Nachrichten druckten ein Bein mit Stollenschuhen und Stutzen ab, das ein Zweifrankenstück – mitsamt der personifizierten Schweiz – als Fußball benutzte und dementsprechend mit Füßen trat. Die Bildlegende lautete: „Wenn ___________ 56 57 58 59 60 61
Vgl. Pepe, Saro: Zähe Gegner, in: Zwölf. Fussball-Geschichten aus der Schweiz 68 (2018), S. 34– 39, hier S. 34. Zit. nach: Meier, Marianne: Der Captain hieß auch Odermatt: Schweiz - Österreich 9:0 (8.11.1970), in: Koller (Hg.): Sternstunden des Schweizer Fussballs., S. 103–120, hier S. 107. Blick, 08.11.1970. Freiburger Nachrichten, 09.11.1970. Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell, in: ders. (Hg.): Sämmtliche Werke in einem Bande, Bd. 1, Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1852. S. 516–552, hier S. 520. Kreis, Georg: Helvetia im Wandel der Zeiten. Die Geschichte einer nationalen Repräsentationsfigur, Zürich: Neue Zürcher Zeitung, 1991, S. 68.
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das die gute alte Helvetia wüsste!“62 Wer also wie die Frauen die Helvetia respektlos mit Füßen tritt, verstößt gegen tief verwurzelte schweizerische Gesellschaftsnormen.
5. Seit den 1980er-Jahren: Sex sells Trotz aller ausbrechender Euphorie wurde es dann recht still um die Schweizer Fußballerinnen. In den achtziger Jahren stagnierte der Frauenfußball. Der fehlende sportliche Erfolg der Nationalmannschaft der Männer hatte auch Rückwirkungen auf die Frauen. Die Historikerin Marianne Meier führt aus, dass in den 1980er-Jahren über die Männer geschimpft wurde – die Frauen wurden sträflich missachtet.63 Ende der 1990er-Jahre setzte ein Boom im Schweizer Frauenfußball ein. Viele Vereine gründeten Mädchenteams und der Frauenfußball wurde in die Strukturen des Verbands integriert. Die Boulevardpresse interessierte sich in den 1990er-Jahren vor allem für das Privatleben der Spielerinnen. Unter dem Titel „Sex-Skandal im Fussballklub: Zu viele Lesben – Spitzenteam wurde aufgelöst!“ veröffentlichte der Blick einen Artikel, da das Frauenteam des DFC Wettswill-Bonstetten wegen dem „Ausleben von abnormalen Veranlagungen“ aufgelöst wurde.64 Das führte wieder zu einer landesweiten Debatte über den Frauenfußball. Der Weltwoche-Journalist Martin Beglinger beschrieb die lesbischen Fußballerinnen als eine Provokation in Eskalationsstufen: Sie dringt ein in ein Männerreservat, verweigert sich dem Mann, ist vielleicht noch schön und erfolgreich und beansprucht erst noch Platz.65
Ein Positives hatte es: Die Frauen waren wieder Gegenstand der Berichterstattung – wenn auch nicht wie gewünscht. 2015 qualifizierten sich die Frauen erstmals für eine Weltmeisterschaft und erreichten in Kanada das Achtelfinale, zwei Jahre später nahmen sie zum ersten Mal an einer Europameisterschaft teil. Die Fußball-WM in Frankreich wurde in den Medien fast unisono als Durchbruch für den Frauenfußball gefeiert: „Im Austragungsland hat die Weltmeisterschaft viele eines Besseren belehrt, die anfänglich noch mehr oder weniger sexistisch geprägten Klischees verhaftet waren“, schrieb die Neuer Zürcher Zeitung.66 Ganz anders sieht das die ___________ 62 63 64 65 66
Schaffhauser Nachrichten, 10.11.1970. Vgl. Meier: Zarte Füsschen, S. 124. Vgl. SRF: Belächelt, beschimpft, bejubelt – 50 Jahre Frauenfussball in der Schweiz. Weltwoche, 14.04.1994. Neue Zürcher Zeitung, 07.07.2019.
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ehemalige Nationalspielerin Lara Dickenmann. „Der Fussball hinkt gesellschaftlichen Entwicklungen massiv hinterher“, sagte die Mittelfeldspielerin der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag.67 Die aktuellen Ergebnisse des makellos aufspielenden Teams von Nationaltrainer Nils Nielsen in der EM Qualifikation für das Turnier in England 2022 sind den Schweizer Zeitungen meist nur Randnotizen wert.68 Ramona Bachmann vom FC Chelsea, Spielerin des Jahres 2019, gelang im Qualifikationsspiel gegen Rumänien ein Hattrick. Zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alisha Lehmann, die bei West Ham United spielt, gewährte sie 2019 der Schweizer Illustrierten Einblick in ihr Liebesleben. Um Fußball ging es auf der dreiseitigen Reportage wenig, dafür zeigten sich die beiden turtelnd im Londoner Nachtleben oder kuschelnd auf dem heimischen Sofa. Der Blick fragte ein Jahr zuvor: „Schiesst uns dieses Traumpaar an die WM?“69 Die Schweizer Illustrierte betitelte 2013 einen Beitrag über die Frauennationalmannschaft mit „Der schöne Fussball“ und zeigte die Nationalspielerinnen Lara Dickenmann, Ramona Bachmann und Ana Maria Crnogorcevic nicht im Sportdress, sondern in schicker Abendgarderobe. Anstatt sportlicher Leistungen rückt die weibliche Attraktivität der Spielerin in den Fokus (Abb. 5).70 In diesem Jahr erschien in der Schweizer Illustrierten ein Porträt über Lia Wältli, die Spielführerin der Schweizer ‚Frauennati‘, die beim FC Arsenal London um Titel kämpft. „Weltklasse im Blick“ ist die Überschrift. Die Aufnahmen von ihr in modischer weißer Hose und schwarzem Mantel könnten so auch in einem Hochglanzmagazin erschienen sein. Fußballspezifisch ist daran nichts.71
6. Fazit Seitdem ein paar Frauen in der Schweiz zum ersten Mal einem Lederball hinterhergejagt sind, ist viel Zeit vergangen. Doch wo steht der Frauenfußball heute? Auch nach vielen Jahrzehnten ist er eine Randsportart geblieben. Der Beitrag thematisierte die vielfältige Geschichte des Frauenfußballs in der Schweiz und beleuchtete einzelne wichtige Etappen der Geschichte. Im europäischen Vergleich hat der Schweizer Frauenfußball massiven Nachholbedarf, ___________ 67 68 69 70 71
Steffen, Christine: Interview mit Lara Dickenmann: „Der Fussball hinkt gesellschaftlichen Entwicklungen massiv hinterher“, in: Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 24.08.2019, S. 35. Eigentlich sollte die Frauen-Europameisterschaft 2021 stattfinden. Diese wird jetzt aber aufgrund der Kollision mit der Männer-EM um ein Jahr verschoben. Blick, 09.10.2018. Vgl. Schweizer Illustrierte (Online-Ausgabe), https://www.schweizer-illustrierte.ch/stars/ schweiz/der-schoene-fussball-0 (27.01.2021). Schweizer Illustrierte, 21.02.2020.
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aber auch gesellschaftlich hinkt der Frauenfußball in der Eidgenossenschaft hinterher. Frauen in der Schweiz haben im vergangenen Jahrzehnt bei Hochschulabschlüssen stark zugelegt und das neu gewählte Parlament in Bern ist so weiblich wie noch nie. Trotzdem werden ihre fußballerischen Leistungen weitestgehend ignoriert und die Spielerinnen werden auch heute noch häufig auf ihren Körper und ihr Aussehen reduziert.
Abb. 5: „Der schöne Fussball“ – so betitelte die Schweizer Illustrierte 2013 einen Beitrag über Schweizer Nationalspielerinnen und zeigte sie in schicker Abendgarderobe (© Screenshot des Verfassers).
Quelle- und Literaturverzeichnis Quellen Gedruckte Quellen Huith, Walter: Soll das weibliche Geschlecht Fußball spielen?, in: Sport und Sonne 6 (1925), S. 24. Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell, in: ders. (Hg.): Sämmtliche Werke in einem Bande, Bd. 1, Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1852. S. 516–552.
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Internetquellen Schweizer Illustrierte (Online-Ausgabe), https://www.schweizer-illustrierte.ch/stars/schweiz/derschoene-fussball-0 (27.01.2021). SRF-Archiv: Die ideale Frau, 10.07.1967, https://m.srf.ch/play/tv/archivperlen/video/dieideale-frau?id=40334541-0d36-47f4-8a6e-e200cb5ae472 (05.06.2020). SRF-Archiv: Die Torjägerinnen, vor denen gewarnt wird, 1968, https://vimeo.com/250120996 (05.06.2020). SRF-Archiv: Belächelt, beschimpft, bejubelt – 50 Jahre Frauenfussball in der Schweiz, 19.04.2020, https://www.srf.ch/play/tv/sportsendungen/video/belaechelt-beschimpftbejubelt---50-jahre-frauenfussball-in-der-schweiz?id=a59cc8cf-bfeb-4a3e-be10-d457126a 1bb2 (05.06.2020). Periodika Allgemeine, Zürich, April 1974. Berner Nachrichten, Bern, 30.09.1977. Blick, Zürich, 22.09.1965, 08.11.1970, 09.10.2018. Freiburger Nachrichten, Freiburg (Schweiz), 09.11.1970. Gazette de Lausanne, Lausanne, 10.06.1938, 10.11.1970. Nebelspalter, Zürich, 01.04.1970. Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 08.10.2018, 07.07.2019. Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, Zürich, 24.08.2019 Schaffhauser AZ, Schaffhausen, 11.07.1970, 09.11.1970. Schaffhauser Nachrichten, Schaffhausen, 09.11.1970, 10.11.1970. Schaffhauser Zeitung, Schaffhausen, 11.11.1970. Schweizer Illustrierte, Zofingen, Juni 1966. Sihltaler, Stäfa, 12.08.1939, 16.06.1949. Sport, Zürich, 28.08.1957, 03.04.1968, 16.11.1970. Tribune des Sports, Genf, 01.07.1968. Weltwoche, Zürich, 14.04.1994. Wir Brückenbauer, Zürich, 18.03.1966.
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Von den Anfängen bis in die 1940er-Jahre: Aufschwung & Einhegung
Xavier Breuil
Les femmes, le football et les relations sportives internationales au cours de l’entre-deux-guerres (1920–1936) Kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges fanden diesseits und jenseits des Ärmelkanals Frauenfußball-Spiele zwischen Frankreich und England statt, die mehrere Tausend Zuschauer*innen anzogen. Dieser Erfolg in der breiten Masse verlieh dem Frauenfußball große Anerkennung. Logischerweise wollte Alice Milliat, Präsidentin der Fédération Sportive Féminine Internationale (FSFI) den weiblichen Fußball zu einem Pfeiler der sportlichen Emanzipation der Frauen machen. Allerdings veranlassten die verschiedenen Sportkulturen, die Entwicklung der internationalen Beziehungen sowie die unverkennbare Aversion einiger männlicher Mitglieder der FSFI ihr gegenüber sie dazu, ihre Ambitionen aufzugeben. Mit den Archiven der FSFI und des französischen Außenministeriums einerseits und der Sportund Informationspresse andererseits als Quellengrundlage soll gezeigt werden, dass die fehlende internationale Dynamik eine wichtige Rolle bei der ausbleibenden Entwicklung des Frauenfußballs im Europa der Zwischenkriegszeit gespielt hat. Après avoir connu une première phase d’expansion au lendemain de la Première Guerre mondiale, le football féminin déclina progressivement. A la fin des années 1930, il était devenu une pratique confidentielle. Souvent convoquée, l’opposition du mouvement sportif, essentiellement masculin, n’explique qu’imparfaitement ce reflux. Certes, le football féminin avait ses contempteurs. Et leur aversion à l’endroit du jeu ne favorisa guère son développement. Mais des personnages influents du football et, plus largement, du sport français ne condamnèrent pas le jeu. Au contraire, selon eux, il pouvait être pratiqué à condition d’être adapté et, finalement, de reproduire les inégalités de genre. Dans cette perspective, les règles du jeu devaient être révisées afin qu’il puisse être pratiqué par les femmes. De plus, on notera que d’autres pratiques sportives féminines comptaient aussi leurs détracteurs. Les femmes s’inscrivant dans une tradition omnisports, ce fut souvent l’ensemble des sports féminins qui suscitait la réprobation du mouvement sportif, voire d’une fraction de la société. Pour autant, certaines pratiques féminines ont connu un développement. L’athlétisme par exemple, qui avait été aussi l’objet de critiques virulentes, devint une discipline olympique dès 1928. Aussi est-il pertinent d’interroger à nouveau l’échec qu’a connu le football féminin au cours de l’entre-deux-guerres. Les échanges internationaux, qui permirent à ce sport d’acquérir ses lettres de noblesse dans l’immédiat aprèsguerre, pourraient s’avérer être une piste particulièrement féconde. Ne seraient-
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ils pas à l’origine du déclin de la pratique au cours des années 1920 et 1930 ? A partir des archives du Service des œuvres françaises à l’étranger (SOFE) conservées par le ministère des Affaires étrangères, des archives de la Fédération sportive féminine internationale (FSFI) ainsi que de la presse sportive et d’information, nous verrons dans quelles mesures les premières rencontres internationales ont permis au ballon rond de s’affirmer comme un sport de référence pour le mouvement sportif féminin. Puis nous reviendrons sur la tentative faite par Alice Milliat de l’imposer comme le principal sport collectif au sein de la FSFI avant d’être, finalement, abandonné au profit d’autres disciplines.
1. Les premières rencontres internationales ou le sacre de la footballeuse Au lendemain de la Première Guerre mondiale, alors que le football féminin poursuivait son essor dans quelques pays européens, des rencontres France – Angleterre se déroulaient de part et d’autre de la Manche. En avril 1920, ce furent d’abord les Françaises qui traversèrent le Channel pour disputer une série de matches dans différentes villes anglaises. Puis, en octobre de la même année, ce fut au tour de leurs homologues britanniques d’effectuer le chemin inverse afin de jouer quatre rencontres à Paris, Roubaix, Le Havre et Rouen. L’année suivante, de nouveaux matches internationaux opposèrent Françaises et Anglaises alors que ces dernières affrontaient également leurs homologues écossaises et irlandaises. Ces initiatives furent couronnées de succès comme en attestent les assistances enregistrées. Plus de 61 000 personnes se déplacèrent en 1920 dans les stades de Preston, Stockport, Manchester et Londres pour suivre les quatre oppositions entre footballeuses françaises et anglaises. En France, du fait de la plus faible culture du football, le nombre de spectatrices et spectateurs fut moins important. Mais chaque rencontre attira tout de même entre 8 000 et 12 000 personnes. Ces chiffres démontrent la popularité des matches internationaux de football féminin puisque, à titre de comparaison, la finale de la Coupe de France de football masculin, l’une des épreuves sportives françaises les plus appréciées, attira 10 000 spectateurs en 1919, 7 000 en 1921 et 18 000 en 1922. La presse sportive et d’information ne resta pas insensible non plus à ces manifestations. En France comme en Angleterre, elle consacra des articles et des reportages aux rencontres internationales de football féminin. Le 31 octobre 1920, une footballeuse anglaise fit la manchette du Miroir des sports. Mieux, les journaux diffusèrent une image positive de la pratique. Tout d’abord, ils rappelèrent que les femmes se montraient plutôt habiles balle au pied et étaient pourvues d’une culture tactique. Ensuite, ils insistèrent sur les
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enjeux politiques et diplomatiques de ces matches.1 Même l’organe officiel de la Fédération française de football soulignait que, « à l’intérêt sportif proprement dit, [venait] s’ajouter l’intérêt moral des relations étroites entre les deux nations »2. Les premières rencontres internationales revêtaient en effet une dimension politique. Disputées moins de deux ans après la fin du conflit en Europe occidentale, elles donnaient l’opportunité de célébrer la victoire de l’Entente cordiale dont l’esprit soufflait dans les rues des villes anglaises qui accueillirent les Françaises. La présidente du club parisien Fémina Sport, Alice Milliat3, qui joua un rôle important dans la tenue de ces échanges, témoignait dans Le Miroir des sports : A chaque gare importante, il nous fallut descendre sur le quai ou nous mettre à la portière des wagons pour faire prendre une fois de plus notre effigie […]. Il faut avouer que l’accueil de la population de la grande ville de Preston fut pour nous très inattendu. Les rues étaient tendues de drapeaux, de bandes portant des inscriptions en Français.4
Aussi les premiers magistrats des villes anglaises manifestèrent-ils un intérêt certain pour ces rencontres. A Blackpool et Manchester, ils organisèrent des réceptions officielles alors que celui de Stockport se déplaça à la gare pour recevoir les membres de l’équipe de France. Ce dernier assura qu’il s’agissait d’un évènement ‘historique’. Les maires de Dublin et Southampton profitèrent du passage de l’équipe de France de football féminin à Londres pour leur demander de venir disputer des matches dans leur localité respective. Au stade Pershing de Paris, on nota la présence des sous-secrétaires d’Etat à l’Education physique et à l’Aéronautique, Henry Pâté et Pierre-Etienne Flandin, ainsi que celle de l’Ambassadeur britannique en France, Lord Derby. Plébiscitées par des milliers de spectatrices et spectateurs et sollicitées par des autorités politiques, les footballeuses sortirent de l’anonymat et se virent conférer le statut de vedettes. Elles s’affirmaient surtout comme les représentantes et les ambassadrices de leur nation. Les sportives des deux pays prirent d’ailleurs des initiatives en ce sens. Les Françaises se paraient de tenues sportives aux couleurs nationales, bleu, blanc et rouge, alors que les Anglaises arboraient l’écusson de l’Union Jack sur leur maillot. Ces dernières intégrèrent un autre rituel qui avait une signification politique : la commémoration de la ___________ 1 2 3 4
Voir par exemple L’Écho des Sports, 01/11/1920. Le Football Association, 23/10/1920. Sur Alice Milliat, voir Drevon, André : Alice Milliat. La pasionaria du sport féminin, Paris : Vuibert, 2005 ainsi que Carpentier, Florence : Alice Milliat et le premier ‹ sport féminin › dans l’entre-deux-guerres, ds. : 20 & 21. Revue d’histoire 142 (2019), p. 93–107. Le Miroir des sports, 21/10/1920.
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guerre.5 Lors de leur visite en France, elles se rendirent sur différents monuments aux morts des villes qu’elles visitaient : Celles-ci [les Anglaises] ont eu la bonne pensée de déposer une couronne sur un monument aux morts interallié. Cette délicate attention ira au cœur de tous les sportifs dont les rangs se sont si cruellement éclaircis pendant la guerre.6
Ces rencontres se déroulaient dans un contexte favorable. Les ‘sorties de guerre’ sont une période ambiguë. D’une part, les sociétés européennes touchées par le conflit aspiraient à un ‘retour à la normale’ mais, d’autre part, elles ne se défaisaient que progressivement de leurs réflexes du temps de guerre. Aussi le football féminin bénéficia-t-il de cette position ambivalente. En France comme en Angleterre, les premières rencontres internationales étaient encore perçues comme des matches du temps de guerre. Pour l’opinion publique, il s’agissait de fêtes sportives, permettant de célébrer la victoire et l’Entente cordiale. En célébrant les footballeuses, on souhaitait exprimer la reconnaissance des sociétés aux femmes pour leur travail et leur capacité à soutenir l’effort de guerre. On escomptait que, une fois la parenthèse du conflit refermée, ses rencontres cessassent. De plus, le football féminin renvoyait une image positive puisque les matches s’inscrivaient dans une perspective charitable et répondaient donc aux attendus sociaux. Dans le même temps, les opposants à la pratique ne se manifestaient pas encore ou alors timidement. Quant aux footballeuses et à leurs dirigeant.e.s, elles donnaient un tout autre sens à ses rencontres. Elles leur avaient permis de s’affirmer dans la vie publique et d’exprimer leur aspiration à une plus grande égalité des sexes au sein du mouvement sportif. Aussi étaient-elles décidées à poursuivre l’expérience.
2. Le football au sein de la Fédération sportive féminine internationale (FSFI) Au lendemain de la Première Guerre mondiale, la présidente de la Fédération française de sport féminin, Alice Milliat, manifesta son intention d’inscrire la pratique féminine dans une perspective internationale afin d’obtenir le droit pour les femmes de participer aux Jeux olympiques dans des disciplines autre que le golf ou le tir à l’arc et, en dernière analyse, d’assurer l’émancipation ___________ 5
6
Sur les différents aspects des célébrations devant les monuments aux morts, voir Prost, Antoine : Les Monuments aux morts. Culte républicain ? Culte civique ? Culte patriotique ?, ds. : Nora, Pierre (dir.) : Les Lieux de mémoire. (3 vol.). Tome I : La République, Paris : Gallimard, 1984, p. 185–225. Le Football Association, 23/10/1920.
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politique des femmes. La création de la Fédération sportive féminine internationale en 1921 devait permettre d’atteindre cet objectif : La FSFI compte sur toutes les fédérations et organisations nationales et internationales sportives pour faire reconnaître et imposer le droit pour les femmes de participer aux Jeux olympiques afin qu’elles puissent contribuer au développement des rapports pacifiques entre les nations civilisées unies dans le sport.7
Outre le développement de la FSFI, qui devait régir les échanges entre les associations membres et organiser des compétitions internationales féminines, Alice Milliat entendait entretenir des relations bilatérales avec les fédérations sportives qui n’étaient pas encore adhérentes. Dans cette perspective, elle comptait surtout sur l’athlétisme qui représentait encore la discipline reine des Jeux olympiques. Ce sport se trouvait au cœur du dispositif mis en place par la Française. Cela explique que les premières réunions internationales de sport féminin consistaient essentiellement en des épreuves d’athlétisme. Mais le football avait aussi les faveurs de la présidente de la FSFI. Des rencontres de ballon rond étaient initialement prévues au programme d’un meeting international en mars 1921. La pratique fut choisie aussi pour établir des relations entre les sportives françaises et leurs homologues belges, suisses, espagnoles et tchécoslovaques. A la demande d’une association belge de sport féminin, elles firent une démonstration de football à Liège alors qu’une rencontre de ballon rond était prévue entre les Fémina Sport de Paris et de Genève en mars 1921. Deux ans plus tard, en mai 1923, trois matches de football féminin devaient se tenir à Prague et à Brno, dans le cadre d’une tournée effectuée par les athlètes françaises dans ce pays d’Europe centrale. Enfin et surtout, les joueuses anglaises représentaient les partenaires privilégiées des Françaises. Sur les huit subventions demandées au Service des œuvres françaises à l’étranger (SOFE) du ministère français des Affaires étrangères8, six concernaient des matches France – Angleterre. Jusqu’à la fin de 1923, Alice Milliat semblait donc plutôt confiante dans son projet footballistique. Elle rédigea même un article intitulé « La progression du football féminin » dans le journal L’Auto. Elle y affirmait que ce sport était en « constante progression » et qu’il devenait « le sport le plus populaire chez les femmes ».9 Alice Milliat fut confortée dans ses positions par l’adhésion de la section féminine de la Ligue belge d’athlétisme à la FSFI en 1924. Le ballon rond était un sport apprécié par les sportives de Belgique. Dans ce pays, le football féminin fut implanté en 1921 et avait connu une croissance ___________ 7 8 9
Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Sur l’histoire du SOFE., voir Arnaud, Pierre/Wahl, Alfred (dir.) : Sports et relations internationales, Metz : Centre Histoire et Civilisation, 1994. L’Auto, 06/12/1923.
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des effectifs.10 Cela permettait l’organisation de matches internationaux. Prélude à leur intégration à la Fédération sportive féminine internationale, les Belges affrontèrent l’équipe de France en février 1924. Au cours des mois suivants, ces échanges s’étendirent aux clubs. En mars 1925, les Parisiennes de l’association Nova se rendaient à Molenbeek, dans la banlieue de Bruxelles, pour affronter le FC Brussels Femina. Ce dernier club organisait même un tournoi international un an plus tard.11 Pourtant, le ballon rond peinait à s’imposer comme le sport collectif de référence pour le mouvement sportif féminin. Tout d’abord, la pratique souffrait d’une image mercantile que lui avaient imprégnée les footballeuses anglaises. Nombre de matches de football féminin semblaient être des opérations essentiellement commerciales. De nombreux matches étaient déjà l’occasion pour certains mercanti d’attirer les foules sportives en insistant sur l’aspect sensationnel du football féminin. Ce fut la raison avancée par Jean Giraudoux, le directeur du SOFE, pour refuser d’accorder une subvention à la Fédération française de sport féminin qui envoyait certaines de ses représentantes en Espagne pour y disputer des matches de ballon rond.12 Il semble surtout que le Service des œuvres françaises à l’étranger était disposé à subventionner la Fédération française de sport féminin pour peu que celle-ci soit fidèle aux positions de la France en matière de diplomatie. Il lui accorda une aide financière pour effectuer une tournée en Tchécoslovaquie, pays qui jouait un rôle important dans le système des alliances mis en place par le Quai d’Orsay au lendemain de la Première Guerre mondiale pour isoler l’Allemagne. De même, le SOFE n’hésita pas financer la venue de sportives tchécoslovaques à Strasbourg alors que, initialement, il n’accordait que des subventions pour des représentations françaises à l’étranger et se refusait à financer des manifestations internationales devant se dérouler en France.13 Le jeu pâtissait aussi de son manque d’organisation en Grande-Bretagne, place forte du football féminin. Les dirigeants de la English Ladies Football Association, qui représentaient des alliés précieux pour Alice Milliat, ne marquèrent que peu d’intérêt pour la FSFI à laquelle ils n’adhérèrent d’ailleurs pas. De plus, ils furent incapables de mettre sur pied une véritable sélection nationale qui seule aurait permis à l’équipe de France de football féminin d’obtenir des subventions de la part du SOFE. Cet organisme refusait en effet de soutenir financièrement des rencontres sportives interclubs pour privilégier celles opposants les équipes françaises à des sélections nationales.14 Alice Milliat ne ___________
10 11 12 13 14
Voir Breuil, Xavier : Histoire du football féminin en Europe, Paris : Nouveau Monde, 2011. Cf. Femina Sports, 03/1926. Cf. Archives du ministère des Affaires étrangères (Archives M.A.E.) : SOFE, OXXXIV, carton 95. Sur les relations franco-tchécoslovaques dans les sports féminins, voir Archives M.A.E. : SOFE, OXXXIV, cartons 85 et 95. Cf. Archives M.A.E. : SOFE, OXXXIV, carton 95.
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parvint pas non plus à faire adopter sa stratégie par les organisations nationales de sport féminin affiliées à la Fédération sportive féminine internationale. Si l’athlétisme faisait l’objet d’un consensus, ce n’était pas le cas du football. En fait, les délégué.e.s des différents pays souhaitaient imposer leur sport collectif de prédilection. Il s’agissait le plus souvent d’une pratique considérée comme le sport national dans leur pays respectif et qui seul pouvait permettre aux femmes d’intégrer la vie publique. Lorsque s’ouvrit le second congrès de la FSFI en 1922, Alice Milliat put faire le constat du faible intérêt que suscitait la pratique. Le soccer représentait bien peu de chose pour les sportives américaines. Et pour cause puisque, aux Etats-Unis, il était pratiqué par les minorités ethniques et restait largement ignoré par une large fraction du mouvement sportif masculin. Le baseball par exemple lui était préféré. Ce fut cette pratique que les représentantes nord-américaines tentèrent d’imposer au sein de la FSFI. Les déléguées de la Fédération anglaise féminine d’athlétisme ripostèrent alors en proposant à la FSFI d’adopter le cricket comme sport collectif de référence. Quant à la Fédération tchécoslovaque de sport féminin, la plus importante de la FSFI en nombre de clubs après la fédération française, elle n’adhéra pas non plus au football. Certes, elle accepta le principe de rencontres de ballon rond sur l’insistance d’Alice Milliat. Mais elle souhaitait imposer son jeu national, le házéna.15 Sa position fut renforcée par l’intégration de la Yougoslavie, autre pays slave, à la FSFI au milieu des années 1920. Les 120 associations de la Jugoslavenski Lako Athleteski Savez s’adonnaient exclusivement au házéna. Au final, aucun consensus ne s’était établi autour du football. En revanche, le basketball semblait faire l’unanimité. Le Canada militait pour la pratique de ce sport. En avril 1926, ses deux représentant.e.s avaient proposé la tenue d’un tournoi de basketball lors des Jeux olympiques féminins qui devaient se dérouler à Göteborg. La proposition fut d’ailleurs retenue et une compétition devait opposer les Etats-Unis, le Canada et le champion d’Europe qui restait à désigner entre la France, l’Italie, la Suisse et la Grande-Bretagne. Ce sport, originaire d’Amérique du Nord, avait un avantage sur le football : il ne nécessitait que cinq joueuses pour former une équipe contre onze pour son rival, ce qui n’était pas négligeable pour un mouvement sportif féminin qui rencontrait encore d’importantes difficultés à recruter des adeptes. Contrairement au football, le basketball autorisait la tenue de compétitions régulières disputées par des équipes au complet et permettait au sport féminin de gagner en fiabilité et en respectabilité. Malgré tout, Alice Milliat ne manifestait pas de bonnes dispositions à son égard. Selon elle, les règlements de ce sport, qui variaient – il est vrai – d’un pays à l’autre, manquaient d’uniformité. La présidente de la FSFI lui préférait encore le football. ___________ 15
Il s’agissait d’un jeu de balle à la main d’origine slave qui mettait en opposition deux équipes de sept joueurs. Il s’apparentait au handball disputé plus au nord du continent. Sur les origines de ce sport et ses règlements, voir Le Miroir des sports, 27/04/1922 et 05/05/1922.
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L’évolution des relations internationales l’encouragèrent à revoir progressivement sa position. Enfin, le football féminin souffrait aussi des relations tendues entre Alice Milliat et François Wydemans, le représentant de la Belgique au sein de la FSFI. Certes, l’adhésion de ce pays permit d’organiser de nouvelles rencontres internationales de football féminin. Mais Wydemans était un opposant à Alice Milliat et il allait se faire le cheval de Troie de l’International Amateur Athletic Federation (IAAF), c’est-à-dire de la Fédération internationale d’athlétisme. Depuis 1923, celle-ci s’inquiétait de l’insolente réussite affichée par la FSFI, notamment dans le cadre de l’organisation des premiers Jeux olympiques féminins. L’enquête diligentée à Paris par les dirigeants de l’IAAF le prouvait : son président, le Suédois Edström, était même allé jusqu’à rencontrer la présidente française. Ces initiatives furent immédiatement condamnées par Alice Milliat qui y voyait une tentative de mainmise masculine sur le sport féminin.16 François Wydemans marquait certaines divergences avec les autres responsables de la Fédération internationale d’athlétisme : la question des compétitions était notamment une pomme de discorde puisque le premier jugeait leur organisation indispensable à la promotion du sport féminin alors que ses collègues y étaient farouchement opposés et plaidaient pour leur suppression.17 Mais il les rejoignait complètement sur la question de la direction du sport féminin dont il refusait d’admettre l’autonomie.
3. Le football féminin : un sport déchu Les choses se compliquèrent après 1926, non seulement à cause des difficultés toujours plus grandes rencontrées par Alice Milliat pour imposer son autorité, tant au niveau national qu’international, mais aussi en raison de l’évolution du contexte international. D’abord, la Nantaise ne s’impliquait plus directement dans la gestion du sport féminin français. À partir de 1924, certaines dirigeantes de la Fédération féminine sportive de France (FFSF) commencèrent à contester sa stratégie sportive. Elles lui reprochaient de privilégier une infime partie des licenciées dans un esprit compétitif tout en délaissant la majorité des femmes pratiquant un sport éducatif. La fronde était menée par une doctoresse, Legrand, qui prit la tête de la fédération en 1926. Ce changement de direction eut un impact sur la pratique du football puisque la nouvelle présidente mettait immédiatement fin aux relations avec les équipes britanniques. Sa décision ne manifestait pas une quelconque antipathie pour le ballon rond, mais elle souhaitait développer l’activité dans un cadre légaliste. De fait, les ___________ 16 17
Cf. Drevon : Alice Milliat, p. 64–66. Voir l’interview accordée par Wydemans au journal sportif belge, Les Sports illustrés, 18/11/1925.
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Françaises devaient uniquement rencontrer des équipes de football affiliées à la FSFI, c’est-à-dire belges. La nouvelle présidente de la fédération française entretenait d’ailleurs des relations cordiales avec Wydemans.18 Sa prise de pouvoir était d’autant plus aisée qu’Alice Milliat était bien plus préoccupée par les évolutions en cours au sein de la fédération internationale à laquelle elle souhaitait se consacrer entièrement. En effet, des bouleversements importants se produisaient avec l’affiliation des Allemandes. Jusque-là boycottée par un grand nombre de fédérations sportives nationales et internationales, l’Allemagne était redevenue une nation fréquentable lorsqu’elle s’apprêta à intégrer la Société des Nations (SDN) en septembre 1926.19 Comme ils en avaient convenu en 1921, les délégués de la FSFI discutèrent d’admettre la section féminine de ce pays lors d’une réunion qui se tint à Paris en avril 1926. L’adhésion était officialisée lors du quatrième congrès qui se déroula du 27 au 29 août 1926 à Göteborg. D’autres fédérations emboîtèrent le pas des Allemandes : la Suède et l’Autriche. Dans le même temps, la FSFI enregistrait les affiliations du Luxembourg, de la Pologne, de la Lettonie et même du Japon alors que les Pays-Bas, la Roumanie, l’Estonie et la Grèce frappaient à la porte.20 Au total, dix nouvelles associations s’invitaient dans le concert des grandes nations du sport féminin. Chaque congrès ou réunion voyait l’adhésion de nouveaux pays : à Prague, en 1930, on intégra la Hongrie et la Nouvelle-Zélande ; à Rome, en 1933, ce fut au tour du Danemark de s’affilier ; enfin à Londres, en 1934, l’Australie, la Bulgarie et la Norvège devenaient membres officiels. Au total, en 1935, la FSFI comptabilisaient 31 associations nationales membres. Parmi elles, aucune n’était favorable à la pratique du football. D’emblée, la délégation allemande imposa le handball. Ce jeu, qui se rapprochait du házéna slave, était pratiqué pendant la Grande Guerre à l’arrière et sur le front par la soldatesque. Il s’agissait d’une pratique ‘amusante’ développée par les associations de gymnastique pour les jeunes filles. Au lendemain du conflit, elle était codifiée pour la première fois par Carl Schelenz, un champion de saut en longueur des années de guerre et professeur d’éducation physique. Celui-ci transforma ce jeu de balle pour en faire un ‘sport de combat’, copié sur le football et destiné aux hommes.21 Le handball était rapidement intégré par les associations d’athlétisme et de gymnastique qui y voyait une pratique complémentaire. Il connaissait un certain succès au sein de la Fédération internationale de sport féminin puisque les délégations proches de l’Allemagne ___________ 18 19 20 21
Selon Nos Sportives, 21/09/1929. Sur ces interactions entre sport et relations internationales, voir Arnaud/Wahl (dir.) : Sports et relations internationales. Voir le registre des compte-rendu des réunions de la FSFI. Cf. Eisenberg, Christiane : « English Sports » und Deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte (1800–1939), Paderborn : Schöningh, 1999, p. 331.
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l’adoptèrent aussi : l’Autriche, la Suède puis, plus tardivement, l’ensemble du monde scandinave. Selon le registre de la FSFI, six pays s’affrontaient régulièrement dans cette discipline en 1931 car les sportives hongroises et, à un degré moindre, américaines et polonaises s’y adonnaient également. A cette date, le handball était encore concurrencé par le házéna. La Pologne, en tant que pays slave, adopta sans problème ce jeu au moment de son intégration à la FSFI en 1926. La Roumanie, bien que n’appartenant pas au monde slave, était également favorable à cette pratique. Cela s’expliquait par l’influence de la Tchécoslovaquie et de la Yougoslavie, qui, dans le cadre de la Petite Entente, slavisèrent les pratiques sportives roumaines. Le système d’alliances diplomatiques tourné contre le révisionnisme hongrois avait en effet des répercussions sur les échanges culturels entre ces trois nations, notamment dans le domaine des activités physiques et sportives : cela avait déjà pu s’observer dans le développement d’un mouvement sokol roumain à la fin des années 1920. Dans le même temps, le basketball continuait à se diffuser au sein du mouvement sportif féminin et semblait fédérer une partie des associations puisqu’il dépassait tous les clivages culturels. En avril 1930, le comité directeur de la FSFI constata que sa pratique était effective en France, Italie, Suède, Pologne et Tchécoslovaquie. Un an plus tard, le Luxembourg et la Suisse avait constitué des équipes nationales pour représenter leur pays dans cette discipline. Malgré les progrès accomplis par les Européennes, le basketball restait largement dominé par les formations nord-américaines et plus précisément canadiennes. Toutes ces activités sportives étaient intégrées au programme des troisièmes Jeux Mondiaux qui se déroulèrent à Prague du 6 au 9 septembre 1930 : l’épreuve de basketball était remportée par le Canada, celle de handball par l’Autriche ; enfin la Tchécoslovaquie gagnait le tournoi de házéna. L’entrée massive des différentes fédérations nationales a donc bouleversé les rapports de force en présence avant 1926. Pour Alice Milliat, c’était l’influence française qui était menacée. Elle exprima d’ailleurs son inquiétude au directeur du Service des œuvres françaises à l’étranger : Il est de toute évidence pour les initiés que ce nouvel apport (Suède, Allemagne, Autriche, Scandinavie [sic !]), s’il renforce la fédération elle-même, risque de diminuer considérablement l’influence latine si je n’use de l’autorité que me confère la confiance de nos affiliées.22
Soutenue par Henri Paté, elle multiplia les courriers à l’attention du secrétaire général du Quai d’Orsay, Philippe Berthelot, à partir de 1926. Plus que jamais, la présidente avait besoin de subventions pour lui permettre de ne pas abandonner une œuvre d’initiative et d’influence française. Elle souhaitait emmener à ___________ 22
Archives M.A.E. : SOFE, OXXXIV, carton 93.
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Göteborg un nombre important de compatriotes afin de démontrer aux délégations présentes la force du sport féminin français et augmenter encore l’influence de son pays parmi les nations.23 Son initiative était d’ailleurs couronnée de succès puisque les représentantes de l’Hexagone remportèrent plusieurs épreuves d’athlétisme et contribuèrent à renforcer le prestige de leur nation comme le confirme l’agent consulaire en poste à Göteborg : « Nos jeunes athlètes auront, en battant notamment leurs collègues suédoises, montré que la femme française savait être aussi énergique et aussi moderne que les Anglosaxonnes ou les Scandinaves. »24 Mais derrière ces enjeux culturels et cette volonté de maintenir l’influence française dans la direction du sport féminin européen, voire mondial, se posait en réalité la question de l’autorité d’Alice Milliat au sein de la FSFI. En effet, elle voyait sa marge de manœuvre se réduire comme peau de chagrin après 1926. Jusque-là isolé dans son opposition à la Française, François Wydemans pouvait se réjouir des nouvelles adhésions du congrès de Göteborg. Les entrées de l’Allemagne et de la Suède renforçaient le clan des frondeurs. OutreRhin, les femmes ne possédaient pas une section autonome mais étaient intégrées à la fédération allemande d’athlétisme. Elles étaient représentées par le docteur Bergman, partisan d’un sport féminin sous contrôle masculin. De plus, il était membre de la Fédération internationale d’athlétisme (IAAF).25 C’est également le cas de son collègue suédois, le docteur Einar Lillie. Après avoir fondé une association féminine autonome en 1925, il intégra, un an plus tard, la fédération masculine d’athlétisme de son pays et l’IAAF dans lesquelles se fondaient les effectifs féminins.26 Ces hommes représentaient donc l’organisation suprême de l’athlétisme masculin, à un moment où celle-ci accentuait la pression pour prendre le contrôle du sport féminin. Au cours d’une réunion tenue à Paris en avril 1926, Edström proposa à Alice Milliat d’intégrer l’IAAF. Il lui fit miroiter des recrues importantes pour le sport féminin. Fidèle à sa volonté de préserver l’autonomie des femmes, la Française refusa d’emblée de se soumettre. En revanche, elle accepta la création d’une commission mixte dans laquelle l’IAAF et la FSFI devaient être chacune représentées par trois délégué.e.s chargé.e.s de dicter les règlements de la pratique. Dans chaque pays, le sport féminin devait aussi être géré par un membre de la fédération masculine, soit par lui-même, soit par délégation. Enfin, l’accord comportait l’incorporation d’épreuves féminines aux Jeux olympiques d’Amsterdam de 1928. Mais cette intégration des femmes n’était pas totale. Cinq épreuves d’athlétisme seulement étaient admises alors que les Jeux organisés à Göteborg par la FSFI en proposaient douze. De même, le tournoi de basketball ___________ 23 24 25 26
Cf. Archives M.A.E. : SOFE, OXXXIV, carton 93. Archives M.A.E. : SOFE, OXXXIV, carton 93. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Cf. Drevon : Alice Milliat, p. 78, 98.
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demandé par la délégation féminine canadienne ne fut pas accepté. On suggéra que les épreuves de sports collectifs, basketball, handball et hazéna soient disputées en marge des Jeux olympiques. Cette participation féminine fut contestée par Alice Milliat qui rappela qu’elle n’avait jamais fait une telle demande. Elle souhaitait certes une reconnaissance des femmes et avait œuvré pour l’introduction de l’athlétisme féminin aux Jeux olympiques, mais elle ne voulait pas d’une participation partielle, ne comprenant que quelques épreuves choisies par la fédération masculine et, qui plus est, n’offrant aucune visibilité aux femmes : Les membres du congrès de l’I.A.A.F. ont mélangé la question de la direction du sport féminin et la question olympique. Cette confusion, voulue ou non, a été signalée […]. La participation féminine aux Jeux olympiques ne peut se comprendre que si elle est totale […]. Une participation aussi petitement mesurée ne peut pas servir la propagande du sport féminin.27
Cette ‘étrange victoire’ d’Alice Milliat accentuait les clivages au sein de la FSFI et remettait en cause sa cohésion. Les Tchécoslovaques soutenaient la présidente française. Ils refusaient de travailler avec le dirigeant de l’IAAF de leur pays, soulignant à juste titre que la fédération masculine de leur pays n’avait jamais voulu s’occuper de sport féminin. La fédération anglaise adopta la même attitude. Sa présidente, Elliot-Lynn, indiquait que les Jeux organisés par la FSFI étaient un succès féminin mondial et que la propagande du sport féminin n’avait rien à gagner à l’acceptation de la participation aux Jeux olympiques.28 Elle ajouta que « c’[était] une très grande erreur de croire que les nations désir[aient] cette participation. Les fédérations féminines [avaient], à diverses reprises, démontré qu’elles entendaient rester maîtresse chez elles »29. En revanche, l’Allemagne, la Suède et la Belgique s’opposaient logiquement à Alice Milliat et soutenaient les propositions de la Fédération internationale d’athlétisme. Lors d’une réunion du bureau de la FSFI tenue au siège du Comité olympique néerlandais à Amsterdam, ils proposèrent aussi que la fédération internationale exige un rapport d’activité trimestriel de la part des organisations affiliées afin d’en avoir le contrôle permanent. L’autonomie du mouvement féminin était d’autant plus menacée que d’autres fédérations internationales réclamaient la direction du sport féminin dans leur discipline. En 1931, la FSFI signa un accord avec la Fédération internationale de handball sur les mêmes bases que celui signé avec les dirigeants de l’athlétisme. Au fil des congrès, le piège se refermait sur la Française. Les différentes associations nationales tombaient progressivement sous la coupe de dirigeants qui lui étaient hostiles. Le sport féminin était intégré à la fédération d’athlétisme ___________ 27 28 29
Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Cf. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI.
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masculine en Suisse dès 1926,30 en Autriche, en Grèce, aux Pays-Bas et en Pologne en 1928. Plus grave encore, Valousek et Trantina, les deux représentants tchécoslovaques favorables à Alice Milliat, étaient à leur tour menacés puisque la fédération masculine de leur pays les écarta de la direction du sport féminin. Les deux hommes protestèrent et demandèrent à Alice Milliat d’intervenir. Celle-ci assura que, en vertu des accords passés avec l’IAAF, elle ne pouvait s’y opposer. Effectivement, ils n’apparaissaient plus dans les réunions de la FSFI à partir de 1930. Ce processus comptait quelques exceptions, notamment en Belgique où la fédération d’athlétisme renonça à sa section féminine car elle constituait une menace sérieuse pour l’avenir de l’athlétisme masculin.31 Cette scission ne faisait pas pour autant les affaires d’Alice Milliat puisque le dirigeant belge était officiellement membre de la Fédération internationale d’athlétisme depuis 1926 et soutenait la tentative de mise sous tutelle. Dans certains pays, les femmes essayaient bien de résister en créant des organisations dissidentes, notamment au Canada ou en Roumanie. Mais le processus était inéluctable et le coup de grâce fut porté indirectement par l’arrivée d’Adolf Hitler au pouvoir. Dirigeant influent des fédérations allemande et internationale d’athlétisme, membre du NSDAP, von Halt exigea la mise au pas du sport féminin. En 1934, l’IAAF affirma « qu’elle ne reculerait devant aucun moyen pour tuer la F.S.F.I. » 32. Alice Milliat était alors acculée à la démission et sa fédération féminine fut dissoute à Berlin en 1936. Les dirigeants masculins lui exprimèrent cyniquement leurs remerciements pour le travail réalisé pendant plus d’une décennie.33 Les chances de développer le football féminin s’amenuisaient au fur et à mesure qu’Alice Milliat, sa seule partisane, perdait de son influence. L’adoption du ballon rond était même devenue secondaire pour la Nantaise qui se montrait plutôt soucieuse de préserver son autorité au sein du mouvement sportif féminin international. Dans cette perspective, elle chercha même à resserrer ses alliances en effectuant quelques concessions sur la question des sports collectifs. Dès 1926, elle avoua à un journal sportif français de ne plus croire au développement du football et dressa même un bilan amer sur l’état de la pratique : J’ai cru un moment en l’avenir du football féminin ; je n’y crois plus […]. En Angleterre, il est à peu près tombé ; dans d’autres pays, tels que la Tchécoslovaquie ou la Yougoslavie, il a été très mal accueilli ; le ‘hazéna’, jeu national là-bas, l’a facilement détrôné ; en Allemagne, c’est le handball ; en Amérique et au Canada, le nombre d’équipe de basketball est de beaucoup supérieurs aux quelques unités qui pratiquent le football.34 ___________ 30 31 32 33 34
Cf. Schweizerischer Fussball und Athletik Verband (SFAV) : Jahresberichte, 1926–1927. Les Sports illustrés, 18/11/1925. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Cf. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. L’Auto, 17/08/1926.
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Ce rejet de la pratique par la FSFI se confirma lors de son septième congrès qui se tint à Vienne les 11 et 12 septembre 1932. L’Association anglaise de football féminin décida en effet de rompre son ‘splendide isolement’ et demanda son affiliation. L’initiative était bien tardive et le congrès estima que la FSFI, ayant pour base l’athlétisme, se devait de conserver à ce sport sa prépondérance. Aussi les dirigeant.e.s rejetèrent-ils unanimement la demande anglaise. Au total, la situation du football féminin international se dégrada un peu plus au cours des années 1926–1935. Françaises et Belges continuaient seules à s’affronter au cours de rencontres annuelles. Mais le ballon rond n’apparaissait dans aucune compétition majeure organisée par la Fédération sportive féminine internationale. L’athlétisme, surtout, et les autres sports collectifs profitaient bien plus de la propagande assurée par les manifestations de la FSFI. Pour des raisons stratégiques, Alice Milliat modifia d’ailleurs son discours à l’endroit du basketball. D’abord, parce qu’il était le sport le plus apprécié par ses principales alliées : sportives nord-américaines et britanniques en étaient friandes. Son développement permettait surtout de lutter contre l’influence culturelle de l’Allemagne et des pays scandinaves plus favorables au handball. De plus, sur le Vieux Continent, le basketball féminin ne prêtait pas le flanc à la critique. Importé d’Amérique du Nord et sans grande tradition en Europe, le jeu n’était pas apprécié comme une pratique véritablement virile. Pour ces raisons, les hommes encourageaient les femmes à l’adopter en insistant sur les bienfaits physiques de ce sport.35 Les orientations données par Alice Milliat au mouvement féminin international, en termes de sports collectifs, ne se démentaient pas au niveau national. Lorsqu’elle reprit la tête de la Fédération française de sport féminin en 1930, la nouvelle présidente favorisa le développement du basketball. En revanche, les athlètes du pays attendirent son retrait de la vie sportive, c’est à dire 1935, pour pouvoir pratiquer le handball. Dans le même temps, rien n’était fait pour lutter contre le déclin du football.
4. Conclusion Au lendemain de la Première Guerre mondiale, les matches internationaux de football féminin rencontrèrent un certain succès. La popularité de cette pratique était telle qu’Alice Milliat souhaitait lui accorder une place de choix au sein du mouvement sportif féminin international. Le football féminin devait être le sport collectif de prédilection de la FSFI et donc connaître un développement dans les pays membres. Mais les différentes cultures sportives nationales ainsi que l’hostilité manifestée par une partie des dirigeant.e.s du sport ___________ 35
Pour les discours sur la pratique, voir Prudhomme-Poncet, Laurence : Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris : L’Harmattan, 2003, p. 184–190.
Les femmes, le football et les relations sportives internationales (1920–1936)
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féminin et de l’IAAF à l’égard d’Alice Milliat empêchèrent cette dernière de mener à bien son projet. Progressivement, elle renonça au football pour valider la pratique d’autres sports collectifs qui avaient les faveurs des adhérents, notamment le basketball. C’est ce rejet progressif dont il fit l’objet au sein de la FSFI qui explique, pour partie, le non-développement du football féminin en Europe au cours de l’entre-deux-guerres. Bibliographie Sources Archives Archives du ministère des Affaires étrangères (Archives M.A.E.) : SOFE, OXXXIV, cartons 85, 93, 95. Archives du Musée national du sport : Registre de la FSFI. Sources imprimées Schweizerischer Fussball und Athletik Verband (SFAV) : Jahresberichte, Bern, 1926–1927. Périodiques Femina Sports, Paris, 03/1926. L’Auto, Paris, 06/12/1923 ; 17/08/1926. L’Écho des Sports, Paris, 01/11/1920. Le Football Association, Paris, 23/10/1920. Le Miroir des sports, Paris, 21/10/1920 ; 27/04/1922 ; 05/05/1922. Les Sports illustrés, Bruxelles, 18/11/1925. Nos Sportives, Bruxelles, 21/09/1929.
Bibliographie scientifique Arnaud, Pierre/Wahl, Alfred (dir.) : Sports et relations internationales, Metz : Centre Histoire et Civilisation, 1994. Breuil, Xavier : Histoire du football féminin en Europe, Paris : Nouveau Monde, 2011. Carpentier, Florence : Alice Milliat et le premier ‹ sport féminin › dans l’entre-deux-guerres, ds. : 20 & 21. Revue d’histoire 142 (2019), p. 93–107. Drevon, André : Alice Milliat. La pasionaria du sport féminin, Paris : Vuibert, 2005. Eisenberg, Christiane : « English Sports » und Deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte (1800–1939), Paderborn : Schöningh, 1999. Prost, Antoine : Les Monuments aux morts. Culte républicain ? Culte civique ? Culte patriotique ?, ds. : Nora, Pierre (dir.) : Les Lieux de mémoire, T. 1 : La République, Paris : Gallimard, 1984, p. 185–225. Prudhomme-Poncet, Laurence : Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris : L’Harmattan, 2003.
Wolfgang Freund
Bewegungs-Freiheit
Frauenfußball in Frankreich vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg
Bien que né en Angleterre, le football féminin trouva entre les deux Guerres mondiales en France sa nouvelle patrie. Jusqu’à la fin des années 1920, des matches réguliers attiraient des milliers de spectateur.rice.s dans les stades, en particulier dans le Stade Elisabeth, le lieu du sport féminin français le plus important avant la Seconde Guerre mondiale. Au Stade Elisabeth s’entraînait et jouait le club de football féminin le plus performant de l’entre-deuxguerres, Fémina Sport. Tout comme les activités sportives féminines en général, le football féminin favorisait la confiance en soi des femmes et montrait des points de contact avec le mouvement politique féminin en France. Cependant, le football féminin attaquait les fondements de la domination masculine et remettait en question l’image traditionnelle du genre. Plus que tout autre sport féminin, il devait combattre les préjugés de la société patriarcale. Dans les années de la Grande Dépression, les femmes furent opprimées dans la vie publique ainsi que dans le sport, pendant la Seconde Guerre mondiale, le football féminin fut entièrement interdit en France. Kickende Frauen waren am Anfang des 20. Jahrhunderts noch weitgehend unerhört. Man war es nicht gewöhnt, dass sich Frauen an der neu gewonnenen Bewegungsfreiheit entzückten, dass sie das Korsett des 19. Jahrhunderts abstreiften1 und ihren Körper ausprobierten, überhaupt dass sie Sport trieben, Fußball allzumal. Sport war für Frauen neu und attraktiv. Nicht von ungefähr übte ein großer Teil der im Folgenden beschriebenen Fußballspielerinnen viele weitere Sportarten aus: Thérèse Brulé lief auf der Kurzstrecke und im Gelände und war Hochspringerin. Germaine Delapierre und Suzanne Liébrard waren ebenfalls Sprinterinnen und Hürdenläuferinnen. Liébrard war darüber hinaus Speerwerferin und Weit- sowie Hochspringerin, bei den zweiten französischen Leichtathletikmeisterschaften gewann sie fünf Titel.2 Lucie Cadiès und Lucie Bréard waren Geländeläuferinnen, Bréard lief ebenfalls die ___________ 1 2
Vgl. Gems, Gerald: Football und Feminismus – Geschlechterkonstruktionen in Sport und Gesellschaft, in: Röger, Ulrike [u. a.] (Hg.): Frauen am Ball. Analysen und Perspektiven der Genderforschung, Hamburg: Czwalina, 2008 (TrendSportWissenschaft 11), S. 19–27, hier S. 21. Vgl. N. N.: Les championnats de France féminins, in: Le Miroir des sports, 15.07.1920, S. 22; N. N.: Ce qui s’est passé, ce qui va se passer, in: Le Miroir des sports, 07.10.1920, S. 222; Faller, Helge: Les Footballeuses II. La saison 1919–1920, Nußdorf am Inn: Les Sports et la Femme, 2018, S. 40; Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris: L’Harmattan, 2003, S. 36, 69–70.
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800 und die 1 000 Meter. Suzanne Wurtz war als Schwimmerin französische Meisterin. Im Frauensportverein Fémina Sport gehörten viele Aktive gleichzeitig dem Fußball- und dem Hockeyteam an.3 Die meisten Sportarten vereinte Violette Morris auf sich: außer dem Fußball noch Kugelstoßen, Speerund Diskuswerfen, Schwimmen und Wasserpolo, Rad-, Motorrad- und Automobilrennfahren und das Boxen, bevorzugt gegen Männer.4 Sportexterne Gründe für die weibliche Lust an der körperlichen Betätigung heranzuziehen, wäre gar nicht nötig. Denn intensive sportliche Leistung, wie beispielsweise der Dauerlauf, setzt im Körper endogene Opioide, also Endorphine frei.5 Körperliche Aktivität macht glücklich – Sport ist Lebensfreude. Um in den Genuss dieses Hochgefühls zu kommen, durften sich Sportlerinnen nicht mehr von Konventionen einschränken lassen. In der Psychoanalyse Sigmund Freuds nötigt das Über-Ich dem Individuum Triebverzicht auf: Unsere Kultur ist ganz allgemein auf der Unterdrückung von Trieben aufgebaut. […] Der Verzicht ist ein im Laufe der Kulturentwicklung progressiver gewesen; […] das Stück Triebbefriedigung, auf das man verzichtet hatte, wurde der Gottheit zum Opfer gebracht; das so erworbene Gemeingut für ‚heilig‘ erklärt.6
Wenn die sexualisierte Norm den Frauenkörpern den Ausstoß von Glückshormonen verwehrt, ist im Umkehrschluss Triebbefriedigung Rebellion gegen gesellschaftliche Gebote. Frauenfußball musste sich am Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Männerwelt durchsetzen. In Frankreich gelang dies umfassender und nachhaltiger als ___________ 3
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Vgl. N. N.: Quatre des épreuves féminines du Stade Pershing, in: Le Miroir des sports, 30.09.1920, S. 203; Faller, Helge: Les Footballeuses I. Années de formation 1917–1919, Nußdorf am Inn: Les Sports et la Femme, 2017, S. 35, 31, 28; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 58, 55, 97. Vgl. N. N.: L’extraordinaire carrière d’une sportive. Violette Morris, in: Le Miroir des sports, 03.06.1925, S. 338; Bonnet, Marie-Josèphe: Violence symbolique, violence fantasmée, l’exemple de la ,scandaleuse‘ Violette Morris (1893–1944), in: Cardi, Coline/Pruvost, Geneviève (Hg.): Penser la violence des femmes, Paris: La Découverte, 2017, S. 201–210, hier S. 201; Breuil, Xavier: Histoire du football féminin en Europe, Paris: Nouveau Monde, 2011, S. 22. Vgl. Koppenhöfer, Markus Andreas: Affektmodulation durch Ausdauerlauf. Die Bedeutung endogener Opioide. Eine PET-Ligandenaktivierungsstudie, Bonn, Univ., Diss., 2019, http://hss.ulb. uni-bonn.de/2019/5378/5378.pdf (05.03.2020), S. 15–17, 82–83; Zehentbauer, Josef: Körpereigene Drogen. Die ungenutzten Fähigkeiten unseres Gehirns, München/Zürich: Artemis Winkler, 1992, S. 183–184. Freud, Sigmund: Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität, in: ders.: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie. Und verwandte Schriften, Frankfurt a. M.: Fischer, 1989, S. 120– 139, hier S. 125.
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selbst im Mutterland des Fußballs, in England.7 Die Zunahme weiblicher Fußballaktivität ist nicht nur auf die neuen Frauenaufgaben im Weltkrieg zurückzuführen. Es lassen sich dennoch gewisse Verbindungslinien zwischen der Stärkung der gesellschaftlichen Frauenposition und der Ausweitung des Frauenfußballs, zwischen dem Kampf für Frauenrechte und dem für den Frauensport nachzeichnen. Dabei stechen gewisse französische Frauenfußballvereine und Sportlerinnen heraus. In den 1930er-Jahren räumte der französische Frauenfußball das Feld, um im Zweiten Weltkrieg endgültig zu verschwinden.
1. Quellen und Literatur zur Geschichte des Frauenfußballs Die Literatur zur Geschichte des Frauenfußballs ist in der jüngsten Zeit etwas angewachsen.8 Maßgebend für die Geschichte des französischen Frauenfußballs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind die Werke von Laurence Prudhomme-Poncet9, Xavier Breuil10 und die reich bebilderten (bisher) fünf Bände von Helge Faller, der alle in der Presse überlieferten Partien auflistete und mit einer überaus großen Zahl an Abbildungen seinem Anspruch gerecht wurde, „den Protagonistinnen auch ein Gesicht zu geben“11. Obwohl auch immer häufiger populäre Darstellungen mit Kapiteln zur Geschichte des Frauenfußballs erscheinen,12 lässt die Literaturlage insgesamt zu wünschen übrig. Die Quellenlage ist kaum befriedigender als die historiographische.13 An zeitgenössischen Veröffentlichungen zum Frauenfußball lässt sich ein 1936 in ___________
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Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 3, 43. Vgl. Schiffer, Jürgen: Frauenfußball-Literatur. Eine kommentierte Bibliografie zu wissenschaftlichen Aspekten des Frauenfußballs, Köln: Sportverl. Strauß, 2011 (Schriftenreihe der Zentralbibliothek der Sportwissenschaften der Deutschen Sporthochschule Köln 11), S. 279–296 zu den historischen Aspekten des Frauenfußballs. Zum Start des studentischen Frauenfußballs in Deutschland um 1923: Lönnecker, Harald: „… das macht man doch nicht!“ Frauenfußball an deutschen Hochschulen 1919–1935, in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 201–219. Forschungsüberblick bei Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 12–17. Vgl. Breuil: Histoire. Faller: Footballeuses I, S. 4; vgl. Faller, Helge: Les Footballeuses I–V, Nußdorf am Inn: Les Sports et la Femme, 2017–2019: Entgegen dem, was seine französischsprachigen Titel vermuten lassen, sind Fallers Bücher auf Deutsch verfasst. Von den Werken PrudhommePoncets, Breuils und Fallers ausgehend konnte ich auf viele zeitgenössische Zeitungsartikel zugreifen. In der Internetmediathek der Fédération française de football (FFF) gibt es 174 Einträge zum Frauenfußball 1910–1945, sehr viele aus der Zeitschrift Football, http:// www.mediatheque.fff.fr/index.php (07.04.2020). Z. B. Corbobesse, Olivier: Le football (au) féminin en 60 questions, [Clichy:] Éd. Marie B, 2019. Vgl. Breuil: Histoire, S. 11.
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einer Aufsatzsammlung in Buchform erschienener Zeitungsartikel von Rudolf Kastl aus der Wochenausgabe der Wiener Neuesten Nachrichten anführen. In seinen „heitere[n] Sportinterviews“ machte sich Kastl über Fußballerinnen und Schiedsrichterinnen lustig, indem er sie auf ihr Äußeres und ihre vermeintliche Eitelkeit reduzierte.14 Prudhomme-Poncet bemerkte, dass in Marie-Thérèse Eyquems (1913–1978) Buch La femme et le sport von 1944 kein Frauenfußball aufgeführt sei; das sollte nicht verwundern, hatte doch Eyquem drei Jahre zuvor in Frankreich den Frauenfußball verbieten lassen.15 Die wichtigsten Primärquellen liefern die Sportzeitungen jener Jahre, die Faller ausführlich ausgewertet hat: Allen voran widmete die Tageszeitung L’Auto in den ersten Jahren dem Frauenfußball große Aufmerksamkeit und nahm ebenfalls Gastbeiträge von Fußballfrauen auf.16 Vereinzelt berichteten ebenso die Tageszeitungen Le Journal und L’Écho de Paris vom Frauenfußball.17 In der Sportwochenillustrierten Le Miroir des sports wurden viele Fotografien von Frauenfußballspielen abgedruckt.18 In Ermangelung eines fortgeschrittenen Spielbetriebs in den deutschsprachigen Ländern berichteten österreichische Sportzeitungen oft über den französischen oder belgischen Frauenfußball.19 Archivquellen zum Frauenfußball zwischen den Weltkriegen gibt es so gut wie keine.20 Fémina Sport besitzt in seinem Vereinsheim neben dem Pariser ___________ 14
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Vgl. Kastl, Rudolf: Kannst du pfeifen, Irene? in: ders. (Hg.): Sportler sprechen zu uns, Wien: Friedr. Beck, 1936, S. 63–67; „Heitere Sportinterviews“ lautet der Untertitel auf dem Einband. Vgl. Breuil, Xavier/Dietschy, Paul: Le football et l’image de la femme dans l’entredeux-guerres, in: Guido, Laurent/Haver, Gianni (Hg.): Images de la femme sportive. Aux XIXe et XXe siècles, Chêne-Bourg/Genève: Georg, 2003, S. 99–110, hier S. 103. Klischees, die den Frauenfußball noch bei seinem Neuanfang begleiteten; vgl. N. N.: Fotografie von Edith Grabmaier 1970 mit Lippenstift und Schminkspiegel in der Kabine des FC Bayern, Zeitmaschine. We Too, in: 51. Das FC Bayern Magazin (April 2020), S. 104–108, hier S. 104. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 13. Zum Verbot von 1941 s. u. Abschnitt „Der Niedergang des französischen Frauenfußballs“. Vgl. Milliat, Alice: La progression du Football féminin, in: L’Auto, 06.12.1923; Faller: Footballeuses II, S. 24–25; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 102. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 42. Vgl. Le Miroir des sports, 1920–1939, in: Gallica, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/cb 38728672j/ date.item (05.04.2020). Vgl. N. N.: Frauenfußball, in: Wiener Fremden-Presse, 20.02.1922, S. 6–7.; N. N.: Der Frauensport in Belgien, in: Sport-Tagblatt, 17.02.1928, S. 4; N. N.: Für die Männer der Kampf, für die Frauen das Spiel, in: Sport-Tagblatt, 15.06.1928, S. 4; N. N.: Frauenfußball in Belgien, in: Sport-Tagblatt, 01.03.1929, S. 4; N. N.: Frauenfußball Frankreich-Belgien 6:0, in: Sport-Tagblatt, 19.04.1929, S. 5; N. N.: Sport und Spiel. Fußball-Amazonen, in: Vorarlberger Tagblatt, 17.10.1931, S. 6; N. N.: Frankreich gegen Frauenfußball, in: Tiroler Anzeiger, 14.04.1936, S. 10; N. N.: Von Nah und Fern. Frauenfußball, in: Illustrierte Kronen Zeitung, 04.05.1938, S. 14. Für den vorliegenden Beitrag wurden die Archives nationales in Pierrefitte-sur-Seine, die Archives de Paris, die Archives départementales de la Moselle in Saint-Julien-lès-Metz, das Bundesarchiv Berlin, das Bayerische Hauptstaatsarchiv und das Bayerische Staatsarchiv in
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Stade Elisabeth einige Dokumente, darunter viele Ausgaben der Vereinszeitschrift Fémina Sport und vor allem eine umfangreiche Lichtbildsammlung. Ergiebig war darin der historische Vereinsüberblick von 1930 des Präsidenten von Fémina Sport, Pierre Paÿssé (1873–1938).21 Zuletzt gibt es immer mehr Frauenabteilungen in den Ausstellungen zur Fußballgeschichte, wie im Deutschen Fußballmuseum Dortmund oder in der FC Bayern Erlebniswelt in der Münchener Allianz Arena. Im französischen Nationalarchiv in Pierrefitte-sur-Seine im Norden von Paris bekam 2016 in der Ausstellung „Le foot, une affaire d’État“ der Frauenfußball eine kleine Ecke.22 Zum Abpfiff der letzten Frauenfußballweltmeisterschaft machte sich am Rhein die Wanderausstellung „Heimspiel. Zur Geschichte des Fußballs in der Region Rhein-Erft-Rur. Eine Ausstellung der Arbeitsgemeinschaft der Archive im Rhein-Erft-Kreis und des Stadt- und Kreisarchivs Düren“ mit einem knappen frauenfußballhistorischen Abschnitt auf den Weg.23 Anlässlich der Frauenfußballweltmeisterschaft zeigte die Fédération française de football (FFF) zwischen Ende April und Anfang Juli 2019 in neun französischen Städten die erste Ausstellung in Frankreich, die ausschließlich der Geschichte des Frauenfußballs gewidmet war, „Il était une fois les bleues“.24
2. Die Anfänge des französischen Frauenfußballs Großbritannien entdeckte als erstes den Frauenfußball. Im Mutterland des Fußballs hatten Frauen schon 30 Jahre vor Kontinentaleuropa mit dem Kicken begonnen, unter anderem an den englischen Mädchenschulen.25 Im Jahr 1894 ___________
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München, das Münchener Stadtarchiv und das Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland, Pulheim-Brauweiler vergeblich besucht. Vgl. Archives de Fémina Sport, Paris (AFS): Paÿssé, Pierre: Année 1930. Rapport du directeur général. Im Vorwort zu diesem Bericht schrieb Jeanne Brulé den Nachnamen als „Paÿssé“, da er zu dessen Lebzeiten offensichtlich noch mit Trema ausgesprochen wurde. Ich danke Herrn Philippe Pezet, dem heutigen Präsidenten von Fémina Sport, für die freundliche Genehmigung, das Vereinsarchiv einsehen zu dürfen. Vgl. Archives nationales: Le foot, une affaire d'État. Exposition à Pierrefitte du 27 mai au 18 septembre 2016, http://www.archives-nationales.culture.gouv.fr/visites-virtuelles/le-foot-uneaffaire-d-etat/index.html (21.10.2019); Veyssière, Laurent (Hg.): Le foot, une affaire d’Etat, Pierrefitte-sur-Seine: AN, 2016. Mündliche Auskunft von Herrn Rudolf Kahlfeld (Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland) vom 23.05.2019; vgl. N. N.: Heimspiel – Ausstellung zur Geschichte des Fußballs in der Region Rhein-Erft-Rur, in: LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum, 30.07.2019, https://afz.lvr.de/de/presse/meldung/meldung_5248.html# (13.02.2020). Vgl. Fédération française de football: „Il était une fois les bleues“, Paris, 23.04.2019, https://www.fff.fr/actualites/185188-il-etait-une-fois-les-bleues-a-paris (20.01.2020). Vgl. Breuil: Histoire, S. 21.
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gründeten Nettie Honeyball und Florence Dixie (1857–1905) den ersten Frauenfußballverein der Welt, den British Ladies’ Football Club.26 Beide kämpften ebenfalls für die Emanzipation der britischen Frauen.27 Im Ersten Weltkrieg war Frauenfußball vor allem bei den Arbeiterinnen in der englischen Munitionsproduktion beliebt.28 Am erfolgreichsten waren die Spielerinnen des von der Unternehmensführung geförderten Dick Kerr Ladies FC aus der gleichnamigen Fabrik. Frauenfußballspiele waren gesellschaftlich akzeptiert, da sie einen karitativen Hintergrund hatten und den Kriegsanstrengungen dienten. Zehntausende Zuschauer*innen strömten zu den Wohltätigkeitsspielen, deren Einnahmen vornehmlich dem Sanitätswesen zugutekamen.29 Um die Fürsorge- und Pflegeaufgabe von Frauen30 zu unterstreichen, stand der Frauenelf auf den Mannschaftsfotos mitunter eine Krankenschwester zur Seite. Nach dem Waffenstillstand fiel diese nationale Legitimation weg und der englische Frauenfußball geriet in die Krise.31 1921 verbannte die Football Association (FA) kickende Frauen von den Plätzen ihrer Mitgliedsvereine, weil sie festgestellt hatte, dass der Spendenanteil aus den Einnahmen von Wohltätigkeitsspielen abgenommen habe und Frauen nicht mehr ausschließlich für karitative Zwecke spielen würden. Nicht zuletzt war die FA überzeugt, „that the game of football is quite unsuitable for females“32. Der französische Frauenfußball dagegen war keine Wohltätigkeitsveranstaltung und überlebte in der Zwischenkriegszeit länger als der englische, weil er sich nicht auf den weiblichen Einsatz für verwundete Soldaten beschränkte, sondern in der französischen Öffentlichkeit allgemein verankert war. Er entstand vor dem Ersten Weltkrieg ebenfalls an Mädchenschulen. Sportlehrer brachten das englische Ballspiel nicht nur den männlichen Schülern bei. Gerald Gems betonte die zentrale Rolle von Lehrern der Leibeserziehung für die ___________ 26 27
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Vgl. Breuil: Histoire, S. 21. Vgl. Holsten, Nina/Wörner, Simone: Mehr als ein Sport. Die Geschichte des Frauenfußballs, in: Küchenmeister, Daniel/Schneider, Thomas (Hg.): Emanzipation und Fußball, Berlin: Panama, 2011, S. 106–124, hier S. 110; Pfister, Gertrud: Frauenfußballgeschichte(n) im internationalen Vergleich, in: Zipprich, Christa (Hg.): Sie steht im Tor – und er dahinter. Frauenfußball im Wandel, Hildesheim: Arete, 2012, S. 20–51, hier S. 34; vgl. König, Mareike: Football féminin et société en Allemagne depuis 1900, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2010, S. 179–194, hier S. 182. Vgl. Breuil: Histoire, S. 39–40; Breuil/Dietschy: Football, S. 99. Vgl. Breuil: Histoire, S. 33–34, 44; Breuil/Dietschy: Football, S. 100–101. Vgl. Theweleit, Klaus: Männerphantasien. Bd. 1-2, München/Zürich: Piper, 2000, Bd. 1, S. 131–145. Vgl. Langen, Gabi: „Kampf der Kugeln“. Die Anfänge des Frauenfußballs in der Sportfotografie, in: Herzog (Hg.): Frauenfußball in Deutschland, S. 285–303, hier S. 294. N. N.: Women Football Players, in: The Times, 06.12.1921, S. 10; vgl. Breuil/Dietschy: Football, S. 106; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 138.
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sportliche Herausforderung und Förderung von jungen Frauen.33 1910 spielten Schülerinnen der Höheren Mädchenschule von Pont-à-Mousson in Lothringen Fußball,34 ebenso wie im folgenden Jahr jene der Höheren Mädchenschule von Saint-Gaudens am Fuß der Pyrenäen.35 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden sportliche Aktivitäten in Frankreich bei Männern und Frauen populär, da den werktätigen Menschen ab 1906 durch die Einführung der Sechs-Tage-Woche mehr Freizeit zur Verfügung stand. Alfred Wahl stellte in jener Zeit einen Schub bei der Gründung von Fußballvereinen fest und Mickaël Correia zählte am Vorabend des Ersten Weltkriegs schon etwa 2 000 französische Fußballclubs.36 Der wichtigste französische Frauenfußballverein der Zwischenkriegszeit war Fémina Sport. Er war nicht als Fußballclub gegründet worden, sondern hatte sich vor dem Krieg als Gymnastikverein zusammengeschlossen. Vereinsziel war „de réunir tous les éléments féminins: dames, demoiselles ou enfants qui désirent acquérir et conserver force et santé par la pratique des exercices physiques et des sports“37. Beim Beginn von Fémina Sport spielten gleichfalls Sportlehrer eine Rolle. Zur Gründung trafen sich 1911 Pierre Paÿssé, Turnlehrer an der École normale supérieure,38 am Pariser Collège Sainte Barbe und am Lycée Buffon, der 1906 bei den Olympischen Zwischenspielen von Athen im Geräteturnen zwei Goldmedaillen gewonnen hatte,39 und Gustave Sandoz, Sportlehrer am Lycée Buffon, mit acht Frauen, die vom Pariser Frauensportverein En Avant gekommen waren: Mutter und Tochter Faivre du Bouvot40, Henriette Cramer und Yvonne Molotte, die Schwesternpaare und späteren Fußballerinnen Jeanne und Thérèse Brulé sowie Jeanne und Suzanne ___________ 33 34
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Vgl. Gems: Football und Feminismus, S. 20–21. Vgl. Isch, André: La gloire du football lorrain, 1895–1995, Woippy: G. Klopp/[Nancy:] Ligue lorraine de football, 1995, S. 20, 22. Die von Isch (S. 20) genannten Aktivitäten des Damen-Fußball-Clubs Metz vor dem Ersten Weltkrieg können wir nicht zum französischen Frauenfußball rechnen, da Metz zu jener Zeit zum Deutschen Reich gehörte. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 5–7. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 39; Correia, Mickaël: Une histoire populaire du football, Paris: La Découverte, 2018, S. 312. Service de la Mémoire et des Affaires Culturelles, Le Pré Saint-Gervais bei Paris (SMAC): 77W1494-23520: Staatssekretariat für öffentlichen Unterricht – Allgemeines Kommissariat für allgemeine Erziehung und für Sport: Bericht über Fémina Sport, 24.06.1941; vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 26, 34. Vgl. AFS: Pierre Paÿssé. Né en 1875. Décédé en 1938. Vgl. AFS: Doc. 15: Pierre Paÿssé. Fondateur de Fémina-Sport; Mallon, Bill: The 1906 Olympic Games. Results for All Competitors in All Events, with Commentary, Jefferson, NC/London: McFarland, 1999 (Results of the Early Modern Olympics 4), S. 100–101. Nicht in jedem Fall konnten die Vornamen oder alle Lebensdaten der beschriebenen Personen ermittelt werden.
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Liébrard.41 Ein Jahr darauf, am 18. Juli 1912, ließ sich Fémina Sport in das Vereinsregister eintragen.42 Zu Beginn besaß der Verein weder Sporthalle noch Trainingsgelände noch finanzielle Mittel. Um ihren Sport zu betreiben, kamen die jungen Frauen zuerst in einem Boxstudio auf dem Boulevard Haussmann zusammen, dann in Turnhallen auf dem Boulevard de Clichy und in der Rue du Bac. Der einflussreiche Präsident der Union des sociétés d’éducation physique et de préparation au service militaire und spätere Abgeordnete Adolphe Chéron (1873–1951) nahm sich des Vereins an und blieb ihm zeitlebens verbunden.43 1913 entsandte Fémina Sport die ersten Turnerinnen zu öffentlichen Veranstaltungen, zum Sportfest der Union des sociétés de gymnastique féminine de Deauville et de Melun und zum Kongress für Leibeserziehung im Vélodrome d’Hiver. Zum großen Turnfest von 1914 in der Sporthalle Huyghens steuerte Fémina Sport 60 Turnerinnen bei und zeigte eine Darbietung von 48 gleichzeitig an Parallelbarren turnenden Frauen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges schliefen die Aktivitäten des Vereins kurz ein, um im vorletzten Kriegsjahr wieder aufzuwachen, als der Club Français ihm sein Stade Brancion in Vanves zum Training zur Verfügung stellte. Da die Turnhalle in der Rue du Bac zu klein geworden war, mietete Fémina Sport für fünf Tage in der Woche die Sporthalle Christmann im Faubourg Saint-Denis an. Die anderen zwei Tage trainierte man kostenlos zuerst in der abgelegenen städtischen Turnhalle Saint-Lambert und schließlich in der Turnhalle und im Schulhof des Lycée Buffon. 1917/18 organisierte Fémina Sport seine ersten eigenen sportlichen Vorführungen mit Gymnastik- und Tanzdarbietungen im Stade Brancion.44 Neben der Gymnastik existierten bei Fémina Sport Abteilungen für Hockey, Basketball, Schwimmen und Rudern. Der Verein erfreute sich bald öffentlicher Fördermittel vom Untersekretariat für Leibeserziehung im Innenministerium,
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Vgl. AFS: Pierre Paÿssé (décédé en 1938). Son passé; Fémina Sport: Historique, https:// feminasport.pagesperso-orange.fr/Club_historique.htm (18.02.2020); Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 57, 33: Hier Auguste Sandoz. Vgl. SMAC, 77W1494-23520: Bericht über Fémina Sport, 24.06.1941; Kabinett des Polizeipräfekten – Verwaltungsunterpräfektur – 2. Büro: Bericht über Fémina Sport Paris, 08.10.1943; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 33; Artus, Hubert: Fémina Sports [sic!], in: ders. (Hg.): Donqui foot, [Paris:] Don Quichotte, 2011, S. 138–139. Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 1, 2; Houdré (Mutualité générale des Coopérateurs) an Paÿssé, 12.03.1934; vgl. N. N.: Chéron (Adolphe, François), in: Jolly, Jean (Hg.): Dictionnaire des parlementaires français. Notices biographiques sur les ministres, députés et sénateurs français de 1889 à 1940, [Paris:] PUF, 1963, S. 1031–1033: Union der Gesellschaften für Leibeserziehung und für die Vorbereitung auf den Militärdienst; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 73. Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 2; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 51.
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von der Stadt Paris und vom Seine-Departement.45 1919 betrug der Jahresmitgliedsbeitrag 12 Francs.46 1930 zählte Fémina Sport um die 1 700,47 im Zweiten Weltkrieg etwa 2 000 Mitglieder, die jährlich nun 30 Francs entrichteten. Daneben gingen immer wieder private Spenden ein. Um 1930 belief sich das Vereinsvermögen auf insgesamt eine halbe Million Francs.48 Ab 1924 gab Fémina Sport viermal im Jahr die gleichnamige Vereinszeitschrift heraus. Ihre letzte Nummer erschien im Januar 1940 in einer Auflage von 1 500 Exemplaren. Die Versuche der Vereinsgeschäftsführerin und Vizepräsidentin von 1943 Suzanne Génermont (*1884, geb. Barre), Fémina Sport während der deutschen Okkupation wieder herauszugeben, scheiterten.49 In Paÿssés Bericht von 1930 war die erste Vereinspräsidentin Frau Faivre du Bouvot, auf die eine Frau Schreiber gefolgt sei.50 Alice Milliat (1884–1957), die Fémina Sport im Jahr 1919 vorstand und eine herausragende Funktionärin im nationalen und internationalen Frauensport war, wurde von Paÿssé mit keiner Silbe erwähnt. Offensichtlich hatte Milliat nicht nur in den anderen Sportverbänden, sondern auch im eigenen Verein Widersacher.51 Der Präsidentin zur Seite stand 1919 die Fußballspielerin Castien. Generalsekretärin wurde die Fußballerin Jeanne Brulé (*1890). Um die Finanzen kümmerte sich Andrée Robert. Im Zweiten Weltkrieg war die langjährige Vereinsärztin Dr. Marie Houdré (*1883) Präsidentin, unterstützt von den Vizepräsidentinnen Jeanne Lambert (*1894, geb. Dollé), Suzanne Dalligny (*1900) und Andrée Parot (*1909, geb. Battu). Schatzmeisterin war Marguerite Marie Chansardon (*1900) und Generalsekretärin immer noch Jeanne Brulé, die jetzt in Paris ihr privates Sportstudio betrieb.52
___________ 45 46 47 48 49 50 51
52
Vgl. SMAC: 77W1494-23520: Berichte über Fémina Sport, 24.06.1941, 08.10.1943. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 31. Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 5. Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 4, 5. Vgl. SMAC: 77W1494-23520: Kabinett des Präfekten – allgemeine Sicherheitsdienste – 1. Büro: Zeitschrift Fémina Sport, 06.01.1940, 27.12.1940. Vgl. AFS: Paÿssé, Pierre: Année 1930, S. 1, 2. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 5; Tétart, Philippe: Milliat, Alice, in: Bard, Christine (Hg.): Dictionnaire des féministes. France – XVIIIe–XXIe siècle, Paris: PUF, 2017, S. 995–997. Vgl. Xavier Breuil in der Diskussion der Tagung „‚Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen …‘. Geschichte, Trends und Ausblicke 50 Jahre nach dem Ende des offiziellen Spielverbots in Westdeutschland, Frankreich und Europa“ des Lehrstuhls für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes im Graduate Centre am 23.10.2019. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 29; SMAC: 77W1494-23520: Bericht über Fémina Sport, 24.06.1941; Polizeipräfektur – Kabinett des Präfekten – Verwaltungsunterpräfektur – 2. Büro: Bericht über Fémina Sport Paris, 08.10.1943, S. 2–3.
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3. Der Aufstieg des Frauenfußballs gegen Ende des Ersten Weltkriegs Ähnlich wie in England setzte sich in Frankreich der Frauenfußball im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg durch, als das traditionelle Geschlechterverhältnis erschüttert worden war.53 Im September 1917 entstand mit der Fußballabteilung von Fémina Sport der erste Frauenfußballclub Frankreichs. Errichtet wurde die Abteilung Fußball unter einem Herrn Lejeune. Gleichzeitig wurde unter Houdré und André Theuriet die Vereinsabteilung für Barette, der feminisierten Version des Rugbys, aufgebaut.54 Das erste offizielle Frauenfußballspiel Frankreichs fand am 30. September 1917 zwischen der ersten und der zweiten Auswahl von Fémina Sport wohl im Stade Brancion statt. Beide Teams trafen eine Woche später noch einmal aufeinander.55 Seine ersten acht Fußballspiele gegen fremde Mannschaften trug Fémina Sport von Sportlehrer Paÿssé initiiert gegen männliche Schülerteams von Pariser Collèges aus. Prudhomme-Poncet fragte sich, wie es möglich gewesen sei, dass hier Frauen gegen Männer spielten, wo doch beide Geschlechtersphären damals überwiegend getrennt waren. Da Letztere kaum 15 Jahre alt waren, handelte es sich vielmehr um Spiele zwischen Frauen und Knaben. Die zeitgenössische Presse erkannte in den ersten gemischten Spielen eine gewisse Höflichkeit der Jungenmannschaften, die sich zurückgehalten und es den Spielerinnen leichtgemacht hätten.56 Darin lässt sich eine Umschreibung dafür erkennen, dass es den pubertierenden Jungs peinlich war, mit den jungen Frauen auf Tuchfühlung zu gehen. In so gut wie allen diesen Vergleichen zogen die Frauen den Kürzeren.57 Faller fand noch Anfang 1918 gemischte Spiele gegen nachgeordnete Herrenmannschaften aus verschiedenen Männerfußballvereinen, die für die Frauen von Fémina Sport ebenfalls alle verloren gingen, manchmal allerdings knapp. Académia, ein anderer neuer Frauenclub, spielte um die Jahreswende 1919/20 ebenfalls gegen zwei Männermannschaften.58 1921 war Schluss mit den gemischtgeschlechtlichen Begegnungen – sie wurden vom Frauensportverband verboten.59 Als Gründe für das auffällige Zuschauer*innen- und Medieninteresse am Frauenfußball gegen Ende des Ersten Weltkriegs könnte man den Mangel an anderen Fußballspielen während des Krieges heranziehen, als Männer im ___________ 53 54 55 56 57 58 59
Vgl. Breuil: Histoire, S. 26. Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 3. Vgl. N. N.: Éducation physique féminine, in: L’Auto, 02.10.1917; Faller: Footballeuses I, S. 9; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 25. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 27–28; Faller: Footballeuses I, S. 13. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 10. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 14–16; ders.: Footballeuses II, S. 9. Vgl. Breuil: Histoire, S. 65.
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Fußballalter an der Front standen. Frauenfußball bot einen gewissen Ersatz. Frauen vertraten ihre Männer auf dem Acker, in der Produktion, im Dienstleistungssektor und eben auch auf dem Fußballfeld.60 Die kriegswichtigen Tätigkeiten steigerten das gesellschaftliche Ansehen und dementsprechend das Selbstbewusstsein der Frauen, was schon Zeitgenossinnen konstatierten: Le temps de la guerre fut, par un réflexe surprenant, celui de la révélation sportive féminine […]. Sans doute la femme, privée de son appui naturel, chercha instinctivement dans le sport cette virilité qui lui était nécessaire.61
Gesellschaftliche Befreiungsschübe erlaubten Frauen das Fußballspiel. Die These der Frauenfußballhistoriographie, dass die beiden Emanzipierungswellen in den 1910er- und 1960er-Jahren zu einer Belebung des Frauenfußballs geführt hätten,62 lässt sich mit einem aktuellen Beispiel bestätigen. In Nordostsyrien durften Frauen erst gegen den Ball treten, nachdem ihre Geschlechtsgenossinnen jahrelang an der Seite ihrer männlichen Kameraden in der kurdischen Miliz gegen den Islamischen Staat gekämpft hatten. Das dort erst 2017 gegründete Frauenteam von Amûdê gewann Ende Januar 2020 sogar die syrische Meisterschaft.63 Die Gewährung des Fußballspiels war sozusagen der Dank des Patriarchats für weibliche Verdienste an der Gesellschaft. Ein Sport wird bekannt mit den Siegen seiner Mannschaften. Zuschauerinteresse an einer noch wenig vertrauten Sportart entwickelt sich mit den Leistungen der diese betreibenden Teams,64 von der lokalen über die nationale bis hin zur internationalen Ebene. Nicht anders war es beim Frauenfußball, der jetzt zu einer Attraktion wurde. Vermutlich dürfen wir annehmen, dass es einigen männlichen Zuschauern darüber hinaus darum ging, nackte Beine von jungen Frauen in kurzen Hosen zu begaffen.65 Für die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen war diese Sportkleidung sensationell, gab es doch außer dem Laufsport und dem Schwimmen keine Sportarten, in denen Frauen ihre entblößten Knie zeigten. Tennis wurde durchaus noch in knöchellangen Kleidern gespielt.66 Manchmal trugen Fußballerinnen sogar Krawatten, wie 1919–1920 ___________ 60 61 62 63 64 65 66
Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 37, 42. Diane: Les sports féminins, in: Les Dimanches de la femme, 19.03.1922, S. 14. Vgl. Breuil: Histoire, S. 8–9. Vgl. Hechler, Daniel: Frauenfußball in Nordsyrien. Meisterklasse im Kriegsgebiet, in: tagesschau.de, 14.03.2020, https://www.tagesschau.de/ausland/frauenfussball-nordsyrien101.html (15.03.2020); ARD: Weltspiegel, 15.03.2020. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 13. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 92–93, 135. Vgl. Albrecht, Karl-Otto: Politik und Mode, Kassel: Palatino, 2001, S. 115; Gompertz, Dido: From Corsets to Culottes. The Women who Dared to Change Wimbledon, in: Messy Nessy, 07.07.2017, https://www.messynessychic.com/2017/07/07/from-corsets-to-culottes-the-wo men-who-dared-to-changewimbledon/?utm_content=buffer4c916&utm_medium=social
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diejenigen von En Avant, und, um die langen Haare zu bändigen, meist Baretts.67 Im letzten Kriegsjahr überschlugen sich die Initiativen und Aktivitäten zur Begründung französischer Frauenfußballvereine.68 Der 1909 gegründete Frauensportclub En Avant richtete 1918 eine Fußballabteilung ein.69 Aus dem im Juni 1918 gegründeten Cercle des sports de Paris ging im Herbst die Association sportive de la Seine hervor. Im August 1918 entstand die Fußballsparte des Club Français, im Herbst die der Association féminine. Der 1915 von Gustave de Lafreté (1866–1933) gegründete Frauensportverein Académia richtete ebenfalls noch vor Kriegsende eine Fußballabteilung ein. Wenn die Kickerinnen nicht reichten, um eine Elf zu bilden, spielten sie in verkleinerten Teams.70 So flott ging es in den ersten Nachkriegsjahren weiter. Anfang März 1920 gründeten frühere Académia-Spielerinnen Les Sportives de Paris.71 Die Union sportive Clodoaldienne, genannt Clodo, die Ruche sportive féminine vom Januar 1921 und die noch später gegründeten Cadettes de Gascogne sollten in Meisterschaft und Pokal noch von sich reden machen.72 Prudhomme-Poncet ist zuzustimmen, wenn sie den französischen Frauenfußball der 1920er-Jahre als ein urbanes Phänomen, um genau zu sein, als Pariser Initiative und Praxis darstellt.73 Nicht zuletzt durch die ‚Propagandaspiele‘ vor allem von Fémina Sport wurden aber auch in kleineren Städten neue Frauenfußballvereine gegründet: in Rouen im August 1919 Normandia Sport, im April 1920 im Vorort von Rouen Fémina sportive Quevillaise und im Sommer 1920 die Sportives de Reims. In den folgenden Jahren entstanden Frauenclubs in Lille, Marseille und Toulouse. Um den Aufbau neuer Frauenteams zu fördern, stiftete der Frauensportverband für die Saison 1921–1922 einmalig die Coupe de l’Espérance, an der nur Teams teilnehmen durften, die ___________
67 68 69
70 71 72 73
&utm_source=facebook.com&utm_campaign=buffer (01.04.2020); Westermeier, Carola M.: Von „Sport-Suffragetten“ und „Fußball mit Herz“ – Presse- und Selbstdarstellung des bundesdeutschen Frauenfußballs, in: Sinning, Silke/Pargätzi, Jonathan/Eichmann, Björn (Hg.): Frauen- und Mädchenfußball im Blickpunkt. Empirische Untersuchungen – Probleme und Visionen, Berlin: LIT, 2014 (Forum Frauen- und Mädchenfußball 1), S. 29–46, hier S. 33. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 11, 38. Vgl. Castan Vicente, Florys: Marie-Thérèse Eyquem. Du sport à la politique. Parcours d’une féministe, Paris: OURS, 2009, S. 32. Vgl. Prudhomme-Poncet, Laurence: Les femmes, balle au pied – A History of French Women’s Football, in: Magee, Jonathan [u. a.] (Hg.): Women, Football and Europe. Histories, Equity and Experiences, Berkshire: Meyer & Meyer Sport, 2007, S. 27–39, hier S. 29; PrudhommePoncet: Histoire, S. 32, 48. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 23; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 36, 49; Breuil: Histoire, S. 29–30. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 35. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 30, 57–58, 89. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 30.
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sich noch nie an Meisterschaft oder Pokal beteiligt hatten.74 Ende 1921 zählte man in ganz Frankreich schon 130 Frauenfußballclubs.75 Doch setzte sich der Frauenfußball nicht wirklich auf dem Land durch, wo die althergebrachten Meinungen von der Rolle der Frauen dominierten. Daher machten sich Mitte der 1920er-Jahre zuerst in der französischen Provinz die Nachwuchsprobleme bemerkbar und die wenigsten Frauenvereine konnten sich teure Reisen zu Auswärtsspielen leisten.76 Die Kickerinnen kamen zwar aus unterschiedlichen sozialen Schichten, doch insgesamt war der französische Frauenfußball in der Zwischenkriegszeit ein Mittelschichtensport. Paÿssé meinte, seine Spielerinnen bestünden zu drei Vierteln aus Büroangestellten, ein kleinerer Teil studiere und einige übten freie Berufe aus.77 Die englische Presse erkundigte sich am Rande der ersten Englandreisen nach den Berufen der französischen Nationalspielerinnen: 1920 gab es in der französischen Nationalelf zwei Fabrikarbeiterinnen, zwei Schneiderinnen, eine Krankenschwester, vier Stenotypistinnen, eine Übersetzerin und zwei Studentinnen.78 1921 antwortete Milliat auf ebendiese Anfrage der englischen Presse lapidar mit Arbeiterinnen, Sekretärinnen und Lehrerinnen.79 Im Pariser Verein der Cadettes de Gascogne fand Breuil überwiegend Postbedienstete; Unternehmensvereine rekrutierten verständlicherweise aus den Reihen ihrer eigenen Mitarbeiterinnen.80 Mehrheitlich treffen wir bei den ersten französischen Fußballerinnen auf ökonomisch unabhängige junge Frauen aus gelernten Berufen mit einer starken Betonung des tertiären Sektors.81
4. Organisation und Feminisierung des Frauenfußballspiels Zur Zeit, als sich die ersten Frauenfußballclubs bildeten, organisierte sich der französische Frauensport auf nationaler Ebene. Paÿssé, Leiter von Fémina Sport, und Albert Pélan, Direktor der Frauenabteilung von En Avant, begründeten Anfang 1918 die Fédération des sociétés féminines sportives de France (FSFSF). Ihr trat schon bald Lafretés Académia bei. Im folgenden Jahr über___________ 74 75 76 77 78 79 80 81
Vgl. N. N.: Coupe de l’Espérance, in: La Femme sportive, 01.10.1921; N. N.: Coupe de l’Espérance, in: La Femme sportive, 01.02.1922. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 50–54, 88; Breuil: Histoire, S. 45. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 140, 149. Vgl. Breuil: Histoire, S. 60–61. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 50. Vgl. Faller, Helge: Les Footballeuses III. La saison 1920–21, Nußdorf am Inn: Les Sports et la Femme, 2018, S. 72. Vgl. Breuil: Histoire, S. 60–61. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 56–57, 59–60.
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nahmen die Frauen den Vorstand der FSFSF. Milliat, „la plus ardente propagandiste du sport féminin“ 82, wie sie eine französische Zeitschrift damals nannte, die bei ihrem Aufenthalt in England vor dem Krieg den Frauensport kennengelernt hatte, wurde zur Präsidentin gewählt; sie blieb es bis 1925 und wurde es noch einmal von 1930 bis 1935. Zwei Fußballerinnen wurden in die Leitung des Frauensportverbands gewählt: Jeanne Brulé von Fémina Sport wurde Sekretärin und Madeleine Braquemond von En Avant Vizepräsidentin.83 Milliat stand darüber hinaus am Anfang des internationalen Frauensportverbandes: 1921 gründete sie die Fédération sportive féminine internationale (FSFI),84 mit dem sie im kommenden Jahrzehnt einige internationale Frauensportwettkämpfe veranstaltete. 1920 gab es eine kurze Spaltung im Frauensportverband. Wegen der Teilnahme seines Hockeyteams an der Meisterschaft der Union des sociétés françaises de sports athlétiques (USFSA) wurde Académia im Frühjahr 1920 von der FSFSF für drei Monate von allen Verbandsaktivitäten ausgeschlossen. Als Reaktion darauf und aus Protest gegen Milliats Politik öffentlicher Frauenwettkämpfe85, verließ Lafreté mit seinem Verein Académia im Herbst 1920 die FSFSF und ließ bei der USFSA die Fédération féminine française des sports athlétiques (FFFSA) gründen. In der von ihr organisierten Liga spielten neben Académia und Clodo noch Olympique und der Racing Club de France mit. Nach zwei Jahren war das Schisma überwunden und die Vereine kehrten in die FSFSF zurück. Kurz darauf benannte sich der Frauensportverband in Fédération féminine sportive de France (FFSF) um.86 Schon 1909 hatte Lucien Tellé für verschiedene Sportarten eine Anpassung der Regeln an die vermeintlich schwache weibliche Befindlichkeit vorgeschlagen. Zwischen 1919 und 1923 reformierte der Frauenverband die Regeln für den Frauenfußball. Vor allem wurden die Maße reduziert: Das Feld durfte die Größe von 90 x 45,5 Meter nicht überschreiten und die Spieldauer betrug zweimal 30 Minuten, unterbrochen von einer zehnminütigen Pause. Brutale Fouls waren verboten. Der internationale Frauensportverband übernahm diese Regeln.87 Obwohl einzelne seiner Repräsentanten die Fußballfrauen unterstützten, weigerte sich der im Jahr 1919 gegründete Männerfußballverband, die Fédération française de football association (FFFA), den Frauenfußball zu ___________ 82 83 84 85 86 87
Zit. nach: Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 72. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 66–67; Breuil: Histoire, S. 31–32; vgl. Bauer, Thomas: La sportive dans la littérature française des Années folles, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2011, S. 33. Vgl. Tétart: Milliat, S. 996–997; Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 32. Vgl. Breuil: Histoire, S. 62. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 45; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 73–74, 163. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 48, 74–78; Sport-Tagblatt (Wien), 21.12.1928; Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 34–35; Breuil: Histoire, S. 64.
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integrieren.88 Ihr stellvertretender Generalsekretär Dosogne erklärte: „[N]ous sommes totalement hostiles au football pour la femme et nous nous contentons de l’ignorer.“89 Der Ablauf der ersten Frauenfußballmeisterschaft Frankreichs, der Challenge Raoul Baudet, musste also von der FSFSF bestimmt werden. Der Verbandsvorstand beschloss, dass die beiden renommiertesten Clubs Fémina Sport und En Avant in einem Hin- und einem Rückspiel am 23. März und am 13. April 1919 die Meisterschaft unter sich ausmachen sollten. En Avant zog zu beiden Spielen Fußballerinnen von der AS de la Seine heran, mit der sie schon häufiger eine Fußballgemeinschaft gebildet hatten. Das Hinspiel konnte Fémina Sport mit 2:0 für sich entscheiden, das Rückspiel ging torlos aus. Zu den beiden Spielen war eine ansehnliche Zahl an interessierten Zuschauenden erschienen, zum Rückspiel nicht zuletzt deshalb, weil die FSFSF es zum Vorspiel für die Männerbegegnung zwischen Red Star Paris und Club Français de Paris gemacht hatte.90 Obwohl an der Meisterschaftssaison 1919/20 schon drei Teams beteiligt waren, blieb die französische Frauenfußballmeisterschaft noch immer ein Pariser Stadtchampionat: Neben Fémina Sport und En Avant kämpfte Académia um den Titel mit.91 En Avant gewann das Endspiel im März 1920 gegen Fémina Sport 1:0. In der dritten Saison nahm zum ersten Mal ein Team aus der Provinz teil: So spielten En Avant, Fémina Sport, Ruche sportive féminine und Sportives erst die Pariser Stadtmeisterschaft aus, bevor En Avant als Pariser Meister die Sportives de Reims, den so genannten Meister der Champagne, mit 3:0 besiegten. 1922 unterlag Reims erneut mit 3:0 der Pariser Stadtmeisterin, diesmal Sportives. Von 1923 bis 1932 war Fémina Sport französischer Dauerchampion.92 Diese Dominanz war den hervorragenden Trainings- und Spielbedingungen geschuldet: Fémina Sport war der einzige Frauenfußballverein, der über einen eigenen Trainingsplatz und ein eigenes Stadion verfügte.93 1921, 1923 und 1926 sicherte sich Fémina Sport zudem den Pokal. Der französische Frauenpokal wurde 1920 zum ersten Mal unter dem Namen Coupe d’Encouragement zwischen zuerst sehr wenigen Teams ausgespielt. En Avant wurde der erste Cupsieger. 1921, als Fémina Sport gewann, war die Beteiligung kaum breiter. Im Jahr 1922 waren am Kampf um den jetzt Coupe ___________ 88 89 90 91 92 93
Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 64–65. Zit. nach: Prudhomme-Poncet: Histoire. S. 65; vgl. Arrighi, Pierre: Fútbol mundial. Los archivos de 1924. Pruebas documentales de que en 1924 se jugó el primer Campeonato Mundial de Fútbol, Norderstedt: BoD, 2020 (La otra historia del fútbol 1), S. 31. Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 32–35; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 70, 85–86. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 6, 11. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 86–88. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 146–51.
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La Française benannten Pokal schon zehn Clubs beteiligt.94 Gesponsert wurde der Cup von der gemäßigt feministischen Zeitschrift La Française, dem Organ des Conseil national des femmes françaises (CNFF). Zum ersten Spiel um die Coupe La Française am 2. April 1922 im Stade Elisabeth war hoher Besuch zugegen: Die Präsidentin des CNFF Julie Siegfried (1848–1922)95 und der Minister für Hygiene, Wohlfahrt und Soziales Paul Strauss (1852–1942) gaben sich die Ehre.96 Strauss überreichte den Pokal an die Siegerinnen von Sportives. In der darauffolgenden Saison spielten nicht nur zwölf Vereine aus dem Großraum Paris mit, sondern auch drei aus der Provinz. Es gewann Clodo und im nächsten Jahr Olympique. Ab 1926/27 fielen die Pokalspiele weg und die Coupe La Française wurde den Meisterinnen überreicht.97
5. Die Internationalisierung des französischen Frauenfußballs Mit dem ersten Länderspiel 1920 erreichte die Entwicklung des französischen Frauenfußballs ihren vorläufigen Höhepunkt.98 Im Herbst 1919 fragte die FSFSF beim englischen Frauenfußballverband an, ob Interesse an einem Ländervergleich bestehe.99 Für die Matches auf der Insel veranstaltete die FSFSF im Frühjahr 1920 Auswahlspiele, bei denen sich fast ausschließlich Spielerinnen von Fémina Sport und von En Avant für die Nationalmannschaft qualifizierten. Am 27. April 1920 brach die französische Elf zu ihrer Fahrt über den Kanal auf und traf Ende April bis Anfang Mai in vier Begegnungen auf die englische Auswahl, die mit den Dick Kerr Ladies identisch war. Die von der Dick Kerr Company finanzierte Reise der französischen Kickerinnen durch England glich einem Triumphzug. Auf jedem Bahnhof, den sie durchfuhren, wurden sie gefeiert. In jeder Stadt, in der sie ankamen, wurden sie begeistert empfangen. Überall wehte die Trikolore und ertönte die Marseillaise. Mehr als ___________ 94 95 96
97 98 99
Vgl. N. N.: Coupe d’Encouragement, in: La Femme sportive, 01.10.1921; N. N.: Coupe „La Française“, in: La Femme sportive, 01.02.1922; Breuil: Histoire, S. 63. Vgl. Cova, Anne: Conseil national des femmes françaises (CNFF), resp. Cadier-Rey, Gabrielle: Siegfried, Julie, in: Bard (Hg.): Dictionnaire des féministes. S. 345–347, resp. S. 1348– 1351. Vgl. Agence Rol: Stade Elysabeth [i.e. Élisabeth] , 2/4/22 [football féminin] association, Coupe la Française, arrivée de M. [Paul] Strauss [ministre de l'hygiène] et Mme Siegfried, [photographie de presse], in: Gallica, https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb437863799 (25.02.2020); Agence Rol: Stade Elysabeth [i.e. Élisabeth] , 2/4/22 [football féminin] association, Coupe la Française [M. Paul Strauss, ministre de l'hygiène, [photographie de presse], in: Gallica, https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb43786695c (25.02.2020). Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 88–90. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 95–96. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 7.
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nur einmal wurde an die Kameradschaft im Ersten Weltkrieg erinnert.100 Den Aufsehen erregenden Begrüßungskuss der beiden Spielführerinnen vor Beginn des ersten Spiels101 dürfen wir gleichfalls als den Schwesternkuss zur Ehre der Waffenbruderschaft der beiden Nationen im vierjährigen Stellungskrieg an der Westfront interpretieren, zumal die Einnahmen aus dem Kartenverkauf demobilisierten Soldaten und Matrosen zugutekommen sollten.102 Die beiden Spiele in Preston, der Heimatstadt der Dick Kerr Ladies, und in Stockport, einem Vorort von Manchester, gewannen die Engländerinnen. Das Spiel im Stadion von Manchester City endete unentschieden und an der Stamford Bridge in London errangen die Französinnen am 6. Mai 1920 ihren ersten internationalen Sieg. Insgesamt zogen die vier Vergleiche weit über 60 000 Besucher*innen an.103 Um ihr Englisch aufzubessern, beschloss Frankreichs junge Torfrau von Fémina Sport Louise Ourry (1905–1984), ein paar Monate länger auf der Insel zu verweilen. In Preston arbeitete sie als Sekretärin und stand im Tor der Dick Kerr Ladies, die damals gerne die besten Spielerinnen anderer Vereine weglockten.104 Ourry war somit die erste Legionärin des französischen Frauenfußballs. Die beiden Nationalteams sollten sich noch auf drei weiteren Fußballtourneen messen. Im Herbst 1920 kamen die Dick Kerr Ladies als englisches Nationalteam zu vier Wettkämpfen auf den Kontinent. Mit Kranzniederlegungen ehrten die Engländerinnen in jeder Austragungsstadt die Gefallenen des Weltkriegs. Am 31. Oktober fand im Stade Pershing vor der Kulisse von 10 000 Zuschauer*innen das erste Heimspiel der französischen Frauennationalelf statt. Zum Anstoßpunkt kam als Ehrengast der Unterstaatssekretär PierreEtienne Flandin (1889–1958), welcher im Jahr zuvor in der französischen Abgeordnetenkammer den Gesetzesentwurf für das Frauenwahlrecht bei
___________ 100 Vgl. Milliat, A[lice]: Les premiers match féminins internationaux de football furent joués l’an passé en Angleterre. Les matches revanche commenceront à Paris dès dimanche prochain 31 octobre, stade Pershing, in: Le Miroir des sports, 28.10.1920, S. 258; Faller: Footballeuses II, S. 48–57; Poncet-Prudhomme : Histoire, S. 91; Breuil: Histoire, S. 46–51; ders.: Les femmes, le football et la nation. Le cas de la France de 1917 à nos jours, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Football et identité en France et en Allemagne, S. 195–205, hier S. 197. 101 Vgl. Langen: Kampf der Kugeln, S. 298–299. 102 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 90–91. 103 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 92; Faller: Footballeuses II, S. 54. 104 Vgl. Williams, Jean: „Soccer Matter very much, every Day“. Player Migration and Motivation in Professional Women’s Soccer, in: Agergaard, Sine/Tiesler, Nina Clara (Hg.): Women, Soccer and Transnational Migration, London/New York: Routledge, 2014, S. 20–30, hier S. 25; Williams, Jean: A Contemporary History of Women’s Sport, Part One: Sporting Women, 1850–1960, New York/London: Routledge, 2014 (Routledge Research in Sports History 3), S. 126; Faller: Footballeuses II, S. 57, 108; III, S. 7; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 114–115.
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Gemeinderatswahlen eingebracht hatte.105 Die weiteren Begegnungen, verfolgt von ebenfalls jeweils etwa 10 000 Besuchern*innen, wurden in Roubaix, in Le Havre und in Rouen abgehalten.106 Im Frühjahr 1921 trafen sich die Frauen wieder auf der Insel. Diesmal spielte die französische Nationalmannschaft viermal gegen verschiedene englische Clubs. In Longton zogen sie gegen die erfahrenen und fast unbesiegbaren Dick Kerr Ladies den Kürzeren. In Huddersfield, Stoke und Plymouth hingegen gewannen die französischen Frauen gegen die jungen Clubs Huddersfield Atalanta, Stoke Ladies FC und Plymouth Ladies FC. Als die beiden Teams im Oktober 1921 wieder im Stade Elisabeth zusammenkamen, fand dies im Rahmen eines großen französisch-englischen Leichtathletikfestes vor der beeindruckenden Kulisse von 10 000 Sportfans statt. Ein paar Tage darauf trafen die beiden Nationalmannschaften ein letztes Mal in Le Havre aufeinander. Danach kehrten die Engländerinnen kaum mehr auf das Festland zurück. Möglicherweise war hierfür das Dekret mitverantwortlich, mit dem die FA am 5. Dezember 1921 ihren Mitgliedsvereinen die Förderung von Frauenteams verbot. Die Zeit der Frankreich-England-Frauenfußballländerspiele war mitnichten vorüber, wie Breuil behauptet. Sporadisch kam man weiterhin zusammen, wobei sich der französische Frauensportverband in der Weltwirtschaftskrise finanziell keine Englandfahrten mehr leisten konnte. Meist gingen die Engländerinnen als Siegerinnen vom Platz. Nicht so jedoch am Ostersamstag 1935, als vor 1 200 Fußballfans im Stade de Paris von Saint-Ouen-surSeine im Norden vor Paris die Französinnen die sonst international konkurrenzlosen Engländerinnen mit 6:2 schlugen.107 Die zweite Nation, mit der sich die französischen Kickerinnen häufig maßen, war Belgien, das erste Mal am 17. Februar 1924 im Brüsseler Vélodrome ___________ 105 Vgl. N. N.: Le match franco-anglais de football, in: Le Miroir des sports, 04.11.1920, S. 288, vgl. Titelbild, S. 273; Agence Rol: Stade Pershing, 31/10/20/, M. Flandin donne le départ [coup d'envoi du match de football France-Angleterre féminin], [photographie de presse], in: Gallica, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b53053390n/f1.highres (01.04.2020); Berstein, Gisèle: Le Sénat sous la IIIe République, 1920–1940. Le Sénat et la IIIe République dans l’entre-deux-guerres, Paris: CNRS, 2014, Kap. „Le Sénat et le suffrage des femmes au lendemain du premier conflit mondial“. 106 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 91–94. 107 Vgl. N. N.: La réunion internationale d’athlétisme féminin, in: Le Miroir des sports, 03.11.1921, S. 286; Hanot, Gabriel: La femme sportive ne devrait-elle pas délaisser le football au bénéfice d’autres jeux de plein air?, in: Le Miroir des sports, 22.12.1921, S. 389; N. N.: France-Angleterre. 30 octobre 1921, in: La Femme sportive, 01.10.1921; B. G.: En football féminin, la France bat l’Angleterre par 6 buts à 2, in: Le Miroir des sports, 23.04.1935, S. 266; N. N.: Deux victoires françaises sur l’Angleterre, in: Football, Nr. 7, 25.04.1935; Faller: Footballeuses III, S. 71–73; Breuil: Histoire, S. 48, 50, 68–69; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 94– 95, 170. Breuil/Dietschy: Football, S. 104, 109 übernahmen die fehlerhafte Jahreszuordnung der betreffenden Karikaturen aus dem Archiv der FFF.
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d’Hiver, als Frankreich 2:0 gewann. Im Rückspiel waren die Französinnen ebenfalls erfolgreich. Im folgenden Jahrzehnt gab es fast jährlich Länderspiele gegen Belgien, da hier die Fahrtkosten weniger ins Gewicht fielen. Im April 1934, als man sich im Stadion der Red Stars von Saint-Ouen wieder traf, gab es den ersten belgischen Sieg. In den Spielen von 1935 und 1936 stellten die französischen Fußballerinnen das alte Kräfteverhältnis wieder her. Nach 1937 verschwanden die Länderspiele der Fußballfrauen aus der Presse.108
6. Die Stadien des französischen Frauenfußballs Obwohl im Besitz des Club Français, durften andere Vereine das Stade Brancion nutzen, das damals außerhalb der Pariser Stadtgrenze in Vanves, heute im XV. Arrondissement von Paris, lag. Hierher lud Fémina Sport zu seinen ersten Athletiktrainingseinheiten ein und trug im Herbst und Winter 1917/18 einige seiner ersten Fußballspiele aus: möglicherweise das erste Spiel seiner beiden Fußballteams am 30. September 1917, gewiss die folgenden Trainingsspiele und einige der Spiele gegen Schülermannschaften.109 Bedeutender war das Stade Pershing im Bois de Vincennes im Osten von Paris, der in der Zwischenkriegszeit mit einer Kapazität von mindestens 25 000 Zuschauer*innen zu den größten Stadien Frankreichs gehörte.110 Erbaut für die ersten Interalliierten Spiele vom 22. Juni bis 6. Juli 1919 und benannt nach dem amerikanischen General John J. Pershing (1860–1948), wurde es dem französischen Waffengefährten von der amerikanischen Armee und vom Christlichen Verein junger Männer Amerikas, dem YMCA, geschenkt. Im Stade Pershing wurde am 31. Oktober 1920 das erste Frauenfußballländerspiel in Frankreich ausgetragen, das Spiel gegen England, sowie am 24. Februar 1924 das gegen Belgien. Am 8. Mai 1921 veranstaltete hier die FSFSF ihr erstes Frühlingsfest, ein ‚Propagandafest‘ für den Frauensport, bei dem zwar noch kein Fußball, aber Gymnastik, Leichtathletik und andere Ballspiele dargeboten wurden. Im Jahr darauf fanden am 20. August 1922 im Stade Pershing die ersten Frauen-Weltspiele statt. Das Stade Pershing wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen.111 Das wichtigste Stadion des Pariser Frauensports war indes das Stade Elisabeth im XIV. Arrondissement. Errichtet wurde das Stadion dank einer großzügigen Spende von Julien Pierre Bertrand Bessonneau, genannt ___________ 108 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 95, 169–171. 109 Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 9–10, 13, 16, 67. 110 Vgl. Wahl, Alfred: Les archives du football. Sport et société en France, 1880–1980, [Paris:] Gallimard/Julliard, 1989 (Collection archives 102), S. 183. 111 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 53, 99; Ambroise-Rendu, Marc: Paris en guerre 1914– 1919. Comment la capitale a géré le conflit et la victoire, Paris: Éd. Fortin, 2019, S. 277–278.
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Jules (1880–1960), dem Adoptivsohn von Julien Bessonneau (1842–1916), eines wohlhabenden Seilherstellers und Philanthropen aus Angers. Schon die Gründung des Club sportif Bessonneau 1912 in Angers durch den Vater ging auf die Initiative von Jules zurück.112 Nach dem Ersten Weltkrieg engagierte sich Jules Bessonneau für den französischen Sport und stiftete die Journées Bessonneau, Sportlertreffen die von 1918 bis 1921 jedes Jahr in einer anderen französischen Stadt abgehalten wurden.113 Nach einer der ersten sportlichen Darbietungen von Fémina Sport 1918 rief Jules Bessonneau Paÿssé zu sich, um mit ihm über die Förderung des Frauensports zu sprechen. Wenig überzeugend ist Paÿssés Selbstdarstellung aus seinem Bericht von 1930, dass Bessonneau ihm lediglich angeboten habe, die Sportlerinnen des Vereins mit Trikots auszustatten, Paÿssé darauf alle Bescheidenheit fallen gelassen und Bessonneau frech um ein Trainingsgelände gebeten habe, denn die Fußballspielerinnen von Fémina Sport liefen zu jener Zeit schon in einheitlichen Jerseys auf.114 Es ist vielmehr anzunehmen, dass das großzügige Angebot eines Vereinsgeländes von Bessonneau selbst ausging. Paÿssé fand ein geeignetes Grundstück, das am 27. November 1918 von Bessonneau erworben wurde und auf dem zu sehr hohen Baukosten von 400 000 Francs das Stade Elisabeth mit einem Spielfeld für Fußball und Barette errichtet wurde. Benannt wurde das Stadion nach der Ehefrau des Gönners, nach Elisabeth Bessonneau.115 Ende 1919 wurde das Stade Elisabeth seiner Bestimmung zugeführt. Hier trainierten Fémina Sport und andere Vereine, ebenso fanden die ersten Testspiele für die Meisterschaft 1919/20 statt. Ab 1920 wurde das Stadion zum Frauenfußballtempel: Etwa zwei Drittel aller Meisterschaftsspiele und die Pokalendspiele wurden hier ausgetragen.116 Als das Unternehmen Bessonneau 1921 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, erwarb Paÿssé am 19. Mai 1921 das Gelände und übertrug es am 30. Dezember 1923 an Fémina Sport. Der Verein konnte in den folgenden Jahren seinen Trainingsplatz mit einer Turnhalle und weiteren Tennis- und Basketballplätzen ausbauen. Der ganze Stolz von Fémina Sport war das weitläufige Spielfeld. Nachdem 1936 Feuer große Teile des Stade Elisabeth vernichtet hatten, sah sich Fémina Sport außer Stande, ___________ 112 Vgl. Chassagne, Serge: Une affaire de familles. Le capital de Bessonneau, entreprise de transformation du chanvre à Angers (1840–1966), in: Daumas, Jean-Claude (Hg.): Le capitalisme familial. Logiques et trajectoires. Actes de la journée d'études de Besançon du 17 janvier 2002, [Besançon:] PU franc-comtoises, 2003, S. 37–75, hier S. 48. 113 1918 in Bordeaux, 1919 in Lyon, 1920 in Strasbourg und 1921 in Rouen; vgl. Bouvet, Jacques: Bessonneau-Angers, [Angers:] SEA, 2002, S. 63, siehe auch S. 53–54, 59; Lennel, F./ Potiron, S.: Historique des manufactures et usines de la société Bessonneau (1750–1920), rééd. facsim. Angers 1920, Paris: Livre d’histoire, 2017, S. 274. 114 Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 17. 115 Vgl. AFS: Paÿssé: Année 1930, S. 2–3; Fémina Sport: Historique. 116 Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 5, 7–8, 103; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 89.
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den Wiederaufbau zu finanzieren, und musste sein Gelände am 15. September 1936 an die Stadt Paris verkaufen, welche ein neues Stadion errichten ließ.117 1941 umfasste das Vereinsgelände mit dem Stadion eine Fläche von 14 000 Quadratmetern und verfügte über mehrere Spielfelder für Fußball, Hockey oder Barette, ein Basketballfeld, eine Rundlaufstrecke von 250 Metern, zwei Tennisplätze, einen Freiluftturnplatz mit Weitsprunggruben und Weitwurfanlagen, zwei große Umkleidekabinen mit warmen Duschen sowie einen medizinischen Untersuchungsraum. 1944 übernahm die Stadt auch das Mobiliar und die Sportgegenstände von Fémina Sport.118 Zurzeit wird das Stade Elisabeth an der Porte d’Orléans aus Anlass der Olympischen Sommerspiele von 2024 in Paris renoviert.
7. Fußball, Männlichkeit, Weiblichkeit und Feminismus Lange Zeit diente Sport der Konstruktion von Männlichkeit.119 Für Prudhomme-Poncet ist der Sport „un territoire sexué, un lieu d’inégalités entre hommes et femmes“120. Gems betont, dass das Körperkontaktballspiel bedeutsam für die Konstruktion von Männlichkeit und die Abwertung von Weiblichkeit gewesen sei.121 Erst recht der Fußball, wie Gertrud Pfister schreibt: „Fußball war ohne jeden Zweifel ein Männerspiel.“122 Von Anfang an war dieser Sport verwünscht, ein Sport, der Frauen den Schweiß ins Schmerz verzerrte Gesicht trieb123 und sie obendrein zwang, sich gegenseitig physisch zu attackieren. Als neue Variante der alten Frage über den Platz der Frauen in der Gesellschaft, drehte sich die Diskussion über Sport und den weiblichen Körper im Kern um die Gebärfähigkeit von Frauen, eine Anlage, die Männer nicht besitzen und um die sie Frauen beneiden.124
___________ 117 Vgl. AFS: Kaufvertrag, 15.09.1936; [Fémina Sport] an Hannoteaux, 24.12.1980. 118 Vgl. SMAC: 77W1494-23520: Bericht, 08.10.1943, S. 4; AFS: Präfekt des Seine-Departements – Amt für Jugend und Sport an die Präsidentin von Fémina Sport, 27.09.1944. 119 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 29, Breuil: Histoire, S. 19. 120 Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 17. 121 Vgl. Gems: Football und Feminismus, S. 22. 122 Pfister: Frauenfußballgeschichte(n), S. 22; vgl. Prudhomme-Poncet, Laurence: Identité du sport dit „féminin“ à travers l’exemple du football, in: Fauché, Serge [u. a.] (Hg.), Sport et identités, Paris/Montréal: L’Harmattan, 2000, S. 169–176, hier S. 174. 123 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 28. 124 Vgl. Bettelheim, Bruno: Symbolische Wunden. Pubertätsriten und der Neid des Mannes, Übs. Helga Triendl, Frankfurt a. M.: Fischer, 1990, S. 148.
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Um die Gebärfunktion zu kontrollieren, machen sich Männer Frauen untertan. Diese Macht wollte man nicht durch sportliche Belastung des weiblichen Organismus gefährdet sehen.125 Im Streit, ob das Fußballspielen die Kondition der französischen Mütter verschlechtere, wurde in Frankreich der Ruf nach einer Einschränkung dieser unangemessenen weiblichen Betätigung lauter. Ohnehin seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert durch den demographischen Übergang und verstärkt durch die Weltkriegsverluste gegenüber dem deutschen Nachbarn bevölkerungsmäßig in Nachteil geraten, wurden ab den 1920er-Jahren eine natalistische Politik und die „régénération de la race“ gepredigt.126 Die Beweislast, ob sich Sport mit dem Kinderkriegen vertrage, war umgekehrt: Fémina Sport sah sich gezwungen, seinen Stadionbesucher*innen regelmäßig eine Tafel mit Fotos von der Nachkommenschaft seiner Sportlerinnen zu präsentieren.127 1920 verurteilte ein Artikel in L’Auto das Treiben, das den weiblichen Körper zu stark ermüde. Jeanne Brulé, die Sekretärin von Fémina Sport, entgegnete, dass während des Krieges niemand gefragt habe, ob die Mühen, denen man die Frauen aussetzte, die weibliche Gesundheit angriffen. Fußballerinnen könnten sehr wohl selbst entscheiden, was gut für sie sei. Egal welchen Anfeindungen sie ausgesetzt seien, würden sie und ihre Mitspielerinnen nicht auf ihre fußballerische Leidenschaft verzichten.128 Ebenso verteidigte Vereinsärztin Houdré, Aktivistin in der Ligue française du droit des femmes, 1922 in der Femme sportive, der Verbandzeitschrift der FSFSF, die Freude ihrer Sportskameradinnen am Mannschaftsballspiel: „Le sport a un gros avantage: il amuse, il intéresse, il passionne même ses pratiquantes.“ Das Spiel stärke Nerven und Muskeln.129 Alice Milliat betrachtete den Frauensport „comme un instrument de l’émancipation de la femme“130. Gabriel Hanot, Journalist und ___________ 125 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 44–48; vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 30. 126 Vgl. Breuil/Dietschy: Football, S. 103. Das französische Konzept der race hat eine weitere Bedeutung als der deutsche Rassenbegriff; so lässt sich z. B. im Französischen von der „race royale“ sprechen: [L’ Académie française (Hg.):] Le dictionnaire de l’Académie françoise, dédié au Roy, Bd. 2: M–Z, Paris: Coignard, 1694 (Archives de la linguistique française 1), S. 364. 127 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 128, 132; Breuil: Histoire, S. 65. 128 Vgl. N. N.: Les femmes doivent-elle jouer au football? in: L’Auto, 28.01.1920; Brulé, Jeanne: La femme peut jouer au football, in: L’Auto, 31.01.1920. Faller: Footballeuses II, S. 24–25 irrte, als er im Artikel von Brulé las, dass der Stadionförderer Bessonneau selbst die gesundheitliche Eignung der Spielerinnen attestiere; dies überprüfte gewiss Vereinsärztin Houdré. 129 Houdré, Marie: La pratique des sports d’équipe, in: La Femme sportive, 01.01.1922, S. 1–2, Zitat S. 1: „Der Sport hat einen großen Vorteil: Er erfreut, interessiert und begeistert diejenigen, die ihn betreiben.“ Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 102. 130 Zit. nach: Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 102: „als Instrument zur Emanzipation der Frau“; vgl. Breuil: Histoire, S. 35.
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späterer Direktor des Miroir des sports, machte sich 1920 keine Sorgen, dass Frauenfußball zu brutal für das zarte Geschlecht sein könnte.131 Als in den 1920er-Jahren die Erinnerung an den Kriegsbeitrag der französischen Frauen verblasste, setzte sich das überkommene Denkbild von der Rolle der Frauen als Hausfrauen und Mütter wieder durch. Beliebt waren in der französischen Presse Wortspiele mit ‚Torhüterin‘ und ‚Hüterin des Hauses‘.132 1936 amüsierte sich ein Zeitungsreporter über einen Zwischenfall beim Länderspiel Frankreich gegen Belgien: Eine französische Verteidigerin stieß im eigenen Strafraum mit ihren Gegnerinnen zusammen und fiel zu Boden. Darauf lief die Tochter der Verteidigerin „Maman!“ schreiend zu ihrer Mutter auf das Spielfeld, welche ihrerseits den Ball mit den Händen aufnahm und ihrem Team einen Elfmeter bescherte.133 Gabi Langen belegt anhand von Fußballerinnenfotos aus jener Zeit die Persistenz des klassischen Frauenbildes und die Beharrlichkeit des Mutterideals. So wurden die Spielerinnen entweder als ungeübt und ungeschickt oder als unweiblich und unnatürlich dargestellt: „Frauen standen daher immer in dem Dilemma, entweder Frau oder Athletin zu sein, aber niemals beides gemeinsam sein zu können.“ Langen fand auf den Gruppenfotos von Frauenteams sehr häufig ein Kind, das als Maskottchen der Frauenelf Mütterlichkeit kundtat.134 1920 finden wir aber unter den Fußballerinnen der französischen Nationalmannschaft nur eine einzige Ehefrau135 und von einer Mutter ist erst recht nichts überliefert. Augenscheinlich verhielt sich die Unverträglichkeit genau umgekehrt: Nicht das Fußballspielen war für die Mutterschaft misslich, sondern Mutterschaft holte die Spielerinnen meist vom Fußballplatz herunter. Frauensport war aber aus noch viel grundsätzlicheren Erwägungen verschrien.136 Matthias Marschik konstatiert eine allseitige „Angst der Männer vor der sportlichen Frau“137. Pierre Bourdieu deutet den physischen Ausdruck von Geschlechtsunterschieden als notwendig für die androzentrische Gesellschaftsordnung. Verwischen die körperlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau, gerät das Lehrgebäude von der sozialen Geschlechterdifferenz ins Wanken: ___________ 131 Vgl. Breuil/Dietschy: Football, S. 102; Artus, Hubert: Hanot, Gabriel, in: ders. (Hg.): Donqui foot, S. 182–185. 132 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 128, zudem S. 107–112. 133 Vgl. N. N.: Maman! in: Match, 05.05.1936. 134 Langen: Kampf der Kugeln, Zitat S. 298, vgl. S. 292. 135 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 58; vgl. Correia: Histoire populaire, S. 315. 136 Vgl. Arnaud, Pierre: Sport et anti-féminisme. Mythe ou réalité? La construction historique d’une problématique identité féminine par le sport (1900–1939). Histoire et méthode, in: Fauché (Hg.): Sport et identités, S. 15–27, hier S. 27. 137 Marschik, Matthias: Frauenfussball und Maskulinität. Geschichte – Gegenwart – Perspektiven, Münster [u. a.]: LIT, 2003 (Österreichische Kulturforschung 3), S. 61.
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Wolfgang Freund Die Maskulinisierung des männlichen und die Feminisierung des weiblichen Körpers sind gewaltige und in einem bestimmten Sinn unendliche Aufgaben, die, heute wohl mehr denn je, einen beträchtlichen Aufwand an Zeit und Anstrengung erfordern und eine Somatisierung des Herrschaftsverhältnisses zur Folge haben, das auf diese Weise naturalisiert wird. Durch eine regelrechte Dressur der Körper werden jene ganz basalen Dispositionen aufgezwungen, die zur Teilnahme an den [sozialen] Spielen geneigt und fähig machen, die die Entfaltung der Virilität am meisten begünstigen: die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft usf.138
In jenen Jahren waren Fußballerinnen als Mannweiber verschrien.139 Sie zogen sich mit kurzen Hosen an wie Männer. Das Mannweib flößt dem Mann Furcht ein, dichtet man ihm doch einen Penis an.140 Vielstimmig erklang der Vorwurf, dass Fußball zu rüde sei und die Frauen virilisiere.141 Von allen Sportarten war Fußball diejenige, die am stärksten als unweiblich verrufen war.142 Möglicherweise weil der Fußball die einzige Disziplin ist, bei der die Frauen einen quasi organischen Gegenstand zwischen den Beinen haben. Aus der Tiefenpsychologie ist der Ball zwar nicht als Phallussymbol bekannt, aber immerhin zappelt im Spiel zwischen den Knöcheln der Frau ein Lederstück hin und her. Obwohl der Streit um den Frauenfußball alle Züge eines Kampfes um Geschlechterrollen trug,143 setzten sich die Feminist*innen jener Jahre kaum für den Frauensport ein. Von den feministischen Zeitschriften widmete sich ihm einzig La Française. Kein anderes französisches Frauenrechtsblatt rief seine Leser*innen zum Besuch von Frauensportwettkämpfen auf. Die Coupe La Française war der einzige offizielle Berührungspunkt einer Organisation für Frauenrechte mit dem französischen Frauenfußball.144 Auch wenn die Gründerin der Zeitschrift La Française Jane Misme (1865–1935) die Frauenrechtsbewegung und die Frauensportbewegung als zwei Äste des Baumes der Frauenemanzipation sah,145 und Pierre Arnaud den Frauensport als Feminismus der Taten und der Leidenschaft deutete, der möglicherweise mehr zur ___________ 138 Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 42017 (stw 2031), S. 99–100; verbessert anhand der Originalveröffentlichung in französischer Sprache, Bourdieu, Pierre: La domination masculine, [Paris:] Seuil, 1998, S. 62. 139 Vgl. Correia: Histoire populaire, S. 316. 140 Vgl. Graber, Gustav Hans: Die schwarze Spinne. Menschheitsentwicklung nach Jeremias Gotthelfs gleichnamiger Novelle, dargestellt unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Frau, in: Imago 11 (1925), S. 254–334, hier S. 296; vgl. Theweleit: Männerphantasien, Bd. 1, S. 81. 141 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 124–127, 131. 142 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 123. 143 Vgl. Breuil/Dietschy: Football, S. 106. 144 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 43, 104–106; Correia: Histoire populaire, S. 314. 145 Vgl. Prudhomme-Poncet: Identité, S. 175.
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Befreiung der Frau beigetragen habe als der Feminismus der Worte,146 finden wir auf der anderen Seite nicht viele Sportlerinnen mit Interesse an der Frauenrechtsbewegung.147 Viele fürchteten womöglich, dass die Kombination ihrer als unweiblich angesehenen Freizeitbeschäftigung mit feministischer Agitation das Fass zum Überlaufen bringen könnte.148 Obwohl sie sich sonst so ziemlich alles aneignete, was Männer besaßen, verschmähte selbst Violette Morris den politischen Feminismus.149
8. Der Niedergang des französischen Frauenfußballs Ab Mitte der 1920er-Jahre verlor der französische Frauenfußball an Anziehungskraft. Die französische Provinz hatte er ohnedies nie durchdringen können. In den großen französischen Städten blieb jetzt der Nachwuchs an Mädchen ebenfalls aus. Die anfängliche Neugierde war verflogen und das Publikum schwand. Sogar Milliat glaubte nicht mehr an eine Zukunft des Frauenfußballs.150 Das oberflächliche Training bot keine Überraschungen. Die Frauen übten keine Spielsituationen ein, ihnen wurden keine taktischen Systeme gelehrt, keine Technik vermittelt, sondern es wurden, wie Prudhomme-Poncet und Faller feststellen, überwiegend Trainingsspiele abgehalten. Die anderen Clubs mussten auf fremde Fußballfelder ausweichen.151 Fémina Sport profitierte von seinem Privileg und wurde zehnmal hintereinander französischer Meister, was den Frauenfußball dieser Jahre für die Fußballfans nicht gerade interessanter machte. Die zeitgenössische Presse sprach davon, dass sich der Frauenfußball gegenüber den großen Begegnungen gegen England Anfang des Jahrzehnts zurückentwickelt habe. Ohnedies handele es sich nicht um spezialisierte Fußballerinnen, sondern um Sportlerinnen verschiedenster Disziplinen, die nur zur Erheiterung nach dem Ball treten würden: „Toutefois, leur valeur de footballeuses est si faible qu’une équipe d’enfants de douze ans l’emporterait sur ___________ 146 Vgl. Arnaud: Sport et anti-féminisme, S. 27; Louveau, Catherine: Sportives, in: Bard (Hg.): Dictionnaire des féministes, S. 1368–1370, hier S. 1369; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 172. 147 Vgl. Mennesson, Christine: Pourquoi les sportives ne sont-elles pas féministes? De la difficulté des mobilisations genrées dans le sport, in: Sciences sociales et sport 5 (2012), S. 161–191, hier S. 162, 190–191; Arnaud: Sport et anti-féminisme, S. 26; Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 103, 172. 148 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 30–31. 149 Vgl. Angebert, Michel: Éros en chemise brune, Bd. 2: Hitler prédateur, [Rosières-en-Haye:] Camion Noir, 2014, S. 943; Breuil: Histoire, S. 35. 150 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 139–143. 151 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 144–148.
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elles à la fois par le maniement du ballon et par l’intelligence du jeu.“152 Pierre de Coubertin, ohnehin kein Freund des Frauensports,153 zeterte: „S’il y a des femmes qui veulent jouer au football ou boxer, libre à elles, pourvu que cela se passe sans spectateurs.“154 Für den Unterstaatssekretär für Leibeserziehung war Fußball kein Sport für Frauen155 und der Chefredakteur der dem Frauenfußball an sich gewogenen Zeitung L’Auto Henri Desgrange verbannte die Frauen wieder hinter vier Wände: Que les jeunes filles fassent du sport entre elles, dans un terrain rigoureusement clos, inaccessible au public: oui d’accord. Mais qu’elles se donnent en spectacle, à certains jours de fêtes, où sera convié le public, qu’elles osent même courir après un ballon dans une prairie qui n’est pas entourée de murs épais, voilà qui est intolérable!156
Auch gesellschaftlich befanden sich die Frauen in der Defensive. Sie wurden beschuldigt, den Männern die Arbeit wegzunehmen, und wieder nach Hause geschickt.157 Bedingt durch bessere soziale Versorgung, aber auch durch die Weltwirtschaftskrise nahm ab den 1930er-Jahren der Frauenanteil an der französischen Erwerbstätigkeit ab.158 Entsprechend der schwindenden Rolle als Ernährerinnen der Familie kam in jener Zeit der Frauenfußball ebenso aus der Mode. Am drückendsten waren die Geldnöte der Vereine. Die Saison 1931/32 fand nur noch mit acht Teams statt, denn in der Weltwirtschaftskrise gingen die staatlichen Subventionen für den Frauensport um die Hälfte zurück und kein Verein konnte sich noch größere Auswärtsfahrten erlauben. 1933 beendete der Frauensportverband seine Unterstützung für den Frauenfußball. Daher kamen im Sommer des Jahres im Stade Elisabeth Vertreter*innen von über einem Dutzend Vereine aus Paris und Umgebung zusammen, um zur Organisation der Meisterschaft die neue Ligue féminine de football association (LFFA) zu gründen, die 1934 in Fédération française du football féminin (FFFF) umbenannt wurde. Mangels Anmeldungen der klammen Provinzvereine beschränkte sich die Meisterschaft wieder auf die Clubs aus dem ___________ 152 H[anot], G[abriel]: Un match féminin de football Olympique-En Avant à Pantin, in: Le Miroir des sports, 28.01.1925, S. 62; vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire. S. 56, 143, 158. 153 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 29, 31. 154 Zit. nach: Artus: Fémina Sports, S. 138. 155 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 170. 156 Desgrange in L’Auto 1925, zit. nach: Veyssière, Laurent: Le Petit Journal illustré, 18 novembre 1923; 38 x 31 cm, collection privée, in: ders.: Le foot, une affaire d’État, S. 151; vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 134. 157 Vgl. Cova: Conseil national des femmes françaises, S. 346. 158 Vgl. Rollet-Echalier, Catherine: La politique à l’égard de la petite enfance sous la IIIe République, Paris: INED/PUF, 1990 (Travaux et documents 127), S. 491–493.
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Großraum Paris. In der folgenden Saison gingen noch einmal die Spielerinnen von Fémina Sport als Siegerinnen vom Platz, das 1934 unterlegene Dunlop Sport gewann die Trophäe im folgenden Jahr und 1936 siegte Cercle athlétique XIVe. Für das Jahr 1937 konnte Prudhomme-Poncet keinen französischen Frauenfußballmeister mehr nachweisen und fand nur noch Spuren eines Freundschaftsspiels zwischen einer Pariser Stadtauswahl und der Nationalmannschaft sowie eines Legendenspiels im März 1939, eines Spiels von früheren Fußballgrößen. Ende der 1930er-Jahre war die erste Welle des französischen Frauenfußballs verebbt.159 Im Zweiten Weltkrieg schließlich wurde der Frauenfußball in Frankreich offiziell untersagt. Das Vichy-Regime kämpfte gegen „les exhibitions spectaculaires, l’engouement pour la compétition, l’immoralité, la mauvaise tenue“, gegen allen Wettstreit im Frauensport. Im Krieg gegen die „Championitis“, wie es Marie-Thérèse Eyquem nannte,160 regte sie am 27. März 1941 dazu an, den Frauen alle Kampfsportarten, Radrennfahren, Barette und Fußball zu verbieten.161 Diese Sportarten galten als zu brutal für das angeblich schwache Geschlecht.162 Eyquem, seit jeher stärker der Gymnastik zugetan, war von 1931 bis 1956 als Sekretärin bzw. Generalsekretärin und technische Direktorin des Rayon sportif féminin (RSF), des katholischen Frauensportbundes, eine der einflussreichsten Funktionärinnen im französischen Frauensport. Am 17. August 1940 wurde sie unter dem Vichy-Regime zur Direktorin des Frauensports ernannt und damit die erste Frau an der Spitze der staatlichen Organisation des französischen Frauensports. In der Folge gliederte sie die unabhängigen Frauenverbände den Männerorganisationen unter. In den 1960er- und 1970er-Jahren war sie als Beraterin und Freundin von François Mitterrand eine der Vorkämpferinnen für das Recht auf Abtreibung und für eine Quotenregelung im Parti socialiste.163
___________ 159 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire. S. 139–143, 155–157, 167–171. 160 Eyquem, M[arie]-Th[érèse]: Sportives françaises, restez toujours unies, in: Tous les sports 1, Nr. 202, 15.11.1941: „Nous les avons déjà averties que nous lutterions impitoyablement contre les excès sportifs et la ,championite‘“ ; vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 53. 161 Vgl. AN: F17 14462: Notiz für die Herren Inspektoren über den Frauensport [o. D.], S. 4: „spektakuläre Zurschaustellungen, Schwärmerei für den Wettbewerb, Unmoral, schlechte Manieren“, vgl. S. 6; vgl. Giry, Emmanuelle, in: Veyssière, Laurent: Le foot, une affaire d’État, S. 151. Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 113–114, 116–118. 162 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 50, siehe auch S. 51; vgl. Breuil/Dietschy: Football, S. 105. 163 Vgl. Castan Vicente: Marie-Thérèse Eyquem, S. 25, 35–36, 38, 47, 50, 229; Castan Vicente, Florys: Eyquem, Marie-Thérèse, in: Bard (Hg.): Dictionnaire des féministes, S. 529–531.
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9. Zwei Fußballfrauen in der deutschen Okkupation Frankreichs In der Zeit der deutschen Okkupation Frankreichs begegnen uns zwei wichtige Mitglieder von Fémina Sport als Kollaborateurinnen wieder: Marie Houdré und Violette Morris. Im Zweiten Weltkrieg näherte sich die Vereinsärztin und Präsidentin von Fémina Sport, Marie Houdré, den kollaborationistischen Kreisen um das Rassemblement national populaire (RNP) von Marcel Déat an. Sie und ihr dritter164 Ehemann, der Architekt Albert Bernet (1883– 1962), den sie Mitte der 1930er-Jahre bei den Renovierungsarbeiten am Stade Elisabeth kennengelernt hatte,165 gehörten dem Cercle européen an. Der Cercle war ein exklusiver Club unter dem Vorsitz des Bankiers und Industriellen Édouard Chaux, in dem französische Politiker und Unternehmer mit deutschen Entscheidungsträgern aus Militärverwaltung, Diplomatie oder Wirtschaft zusammenkamen. Man hörte Vorträge und wohnte Diskussionen bei; man speiste, trank und ließ es sich gut gehen. Der Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft im Cercle européen war mit 1 200 Francs recht üppig.166 Aufgenommen wurde nur, wer von einem hochrangigen Mitglied des Cercle européen empfohlen worden war; Houdré und ihr Mann waren höchst persönlich von Déat vorgeschlagen worden. Houdré gehörte ferner dem Vorstand der Union féminine des Front social du travail im RNP an. Über sie wussten ihre Nachbarn zu berichten, dass sie während des Krieges fast ausschließlich von Frauen in deutscher Uniform besucht worden sei.167 Ihr Mann Bernet, seines Zeichens hochrangiger Freimaurer, war sogar Mitglied des
___________ 164 Offensichtlich war Marie Houdré drei Mal verheiratet. Ihre Veröffentlichungen zeichnete sie Ende der 1920er-/Anfang der 1930er-Jahre mit „Houdré-Boursin“; vgl. HoudréBoursin [Marie]: Ma doctoresse. Guide pratique d’hygiène et de médecine de la femme moderne, Strasbourg: Argentor, 1928/29; Houdré-Boursin [Marie]: Nos terrains de jeux, in: L’Auto, 25.03.1930. In den Polizeiakten wurde sie 1943 als „divorcée ALARD“ geführt; SMAC: 77W28-98081: Polizeipräfektur – Direktion des Nachrichtendienstes und der Spiele, 12.10.1943. 165 Vgl. AFS: Houdré an Doumerc (directeur du plan de Paris), 17.03.1934. 166 Heute umgerechnet etwa 240 Euro. Déat, Marcel: La participation de la France à la défense et à l’organisation de l’Europe, Paris: Cercle européen, 1942 (Les Conférences du Cercle européen, Centre français de Collaboration économique et culturelle européenne); Burrin, Philippe: La France à l’heure allemande, 1940–1944, Paris: Seuil, 1995, S. 265; Sapiro, Gisèle: La collaboration littéraire, in: Betz, Albrecht/Martens, Stefan (Hg.), Les intellectuels et l’Occupation, 1940–1944. Collaborer, partir, résister, Paris: Autrement, 2004 (Mémoires 106), S. 39–63, hier S. 46; Meletta, Cédric: Jean Luchaire, 1901–1946. L’enfant perdu des années sombres, Paris: Perrin, 2013, p. 208–209. 167 Vgl. SMAC: 77W28-98081: Polizeipräfektur – Direktion des Nachrichtendienstes und der Spiele, 12.10.1943, [Bericht über] Bernet, 09.03.1945.
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Zentralkomitees des RNP und einer seiner führenden Redner.168 Beide standen noch nach dem Krieg unter polizeilicher Beobachtung. Das enfant terrible des französischen Frauenfußballs war Violette Morris (1893–1944). Schon in der Schulzeit probierte sie verschiedene Sportarten aus. Im Ersten Weltkrieg, den sie in Uniform als Kurierin und Krankenwagenfahrerin mitmachte, konnte sie ihrer Passion für Motorfahrzeuge frönen.169 Sportwettkämpfe ließ sie auch im Krieg nicht aus, erst recht keine Fußballspiele. 1918/19 trat sie für die zweite Auswahl von Fémina Sport an, zuweilen als Torhüterin. Mit der ersten Mannschaft des Vereins, in die sie für die beim Hochsprung verletzte Suzanne Liébrard eingesprungen war, unterlag sie am 21. März 1920 im Finale gegen En Avant. 1920 legte sie den Grundstein für die Fußballabteilung im Club olympique von Pantin, in dessen Auswahl sie einige Jahre stand. In den 1930er-Jahren kickte sie bei Dunlop Sport.170 In ihren unzähligen anderen Sportarten errang sie Dutzende Titel und hielt mehrere Weltrekorde. Höchstwahrscheinlich war Morris die erfolgreichste französische Sportlerin ihrer Zeit. Mit Sicherheit war sie die umstrittenste. Passten ihr Entscheidungen nicht, legte sie sich mit dem Schiedsrichter an.171 Bei Schmähungen von Fußballfans stieg sie ins Publikum, um dem betreffenden Zuschauer zu beweisen, dass sie auch eine gute Boxerin war. Aber vor allem fiel Morris neben dem Platz auf: Sie war die Verkörperung des Mannweibes, eine wandelnde Provokation für die französische Geschlechterordnung der Zwischenkriegszeit. Sie trug Männerkleidung und kurze Haare, ließ sich die Brüste operativ entfernen, bewegte sich in der Pariser Halbwelt und lebte ihre lesbische Liebe offen aus, wofür sie 1930 aus dem Frauensportverband verstoßen wurde.172 Ihr Ausschluss aus der FFSF kam einem sportlichen Todesurteil gleich: Morris war nun die Teilnahme an athletischen Wettkämpfen verboten. In den nächsten Jahren beschränkte sie sich auf den Motorsport und führte ihr Automobil___________ 168 Vgl. SMAC: 77W28-98081: Auszug aus der Akte Nr. 48011 s/ch1 (politische Kartei RNP), S. 2; bei der Zentralregistratur am 18.02.1947 eingegangene Schriftstücke; Icher, François: Dictionnaire du compagnonnage, Le Mans: Borrégo, 1992, S. 51; Combes, André: La francmaçonnerie sous l’Occupation: Persécution et Résistance (1939–1945), [Monaco; Paris:] Éd. du Rocher, 2001, S. 146. 169 Vgl. Auvray, Emmanuel: Violette Morris (1893–1944). De l’héroïsme guerrier et sportif à la collaboration, in: Robène, Luc (Hg.): Le sport et la guerre. XIXe et XXe siècles, Rennes: PU de Rennes, 2012, S. 425–434, hier S. 428–429. 170 Vgl. Faller: Footballeuses I, S. 17–19, siehe auch 25, 28; Faller: Footballeuses II, S. 39–41, vgl. 29, 30; Breuil: Histoire, S. 36; H[anot]: Un match féminin, S. 62. Durch die Distanzierung des Frauensportverbandes vom Frauenfußball und die Neugründung eines Frauenfußballverbandes scheint Morris’ Ausschluss aus dem Frauenfußball 1933 aufgehoben worden zu sein, vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 168. 171 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 120. 172 Vgl. Auvray: Violette Morris, S. 430.
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und Motorradersatzteillager in Paris.173 Nach dem Konkurs ihres Geschäfts schlug sie sich als Sängerin in Varieté-Theatern durch.174 Morris war mit einer Pistole bewaffnet. Weihnachten 1937 erschoss sie auf ihrem Flusskahn La Mouette, auf dem sie seit 1933 am Seineufer in Neuilly lebte, einen Mann. Da dieser damit gedroht hatte, sie über Bord zu werfen, wurde ihr in der Gerichtsverhandlung legitime Selbstverteidigung zugutegehalten.175 Morris’ Lebensabschnitt ab Mitte der 1930er-Jahre und besonders ihre Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg sind umstritten. Namentlich zu ihrer GestapoMitarbeit gibt es eine Forschungskontroverse, bei der sich die Auffassungen von Raymond Ruffin176 und Marie-Josèphe Bonnet177 gegenüberstehen. Der wissenschaftliche Apparat von Ruffins letzter Morris-Biographie ist etwas dürftig, kommt diese doch so gut wie ohne bibliographische Belege und mit einer zweiseitigen Liste benutzter Quellen aus. Im Stile eines historischen Romans trug Ruffin fiktive Dialoge zwischen Morris und ihren Komplizen vor. Letztendlich habe die Résistance gut daran getan, diese „Hyäne der Gestapo“, diese „Teufelin“, wie Ruffin Morris mit deutlich gynophoben Unterton betitelt hat,178 zur Strecke zu bringen. Bonnet dagegen schrieb seitenweise im Konjunktiv, um Ruffins Ergebnisse in Zweifel zu ziehen. Ihr Fazit ist eine Aneinanderreihung offener Fragen. Morris’ Exekution durch die Résistance in der Normandie sei auf eine Verwechslung zurückzuführen. Morris sei in erster Linie wegen ihrer Homosexualität und ihres betont maskulinen Auftretens in Verruf geraten. Diese Verleumdung habe aus ihr den idealen Sündenbock gemacht und wirke bis heute nach.179 Die französische Forschung berücksichtigt überwiegend Ruffins Schilderungen.180 Das Feuilleton hingegen folgt Bonnet.181 ___________ 173 Vgl. Auvray: Violette Morris, S. 430–431. 174 Vgl. Bonnet, Marie-Josèphe: Violette Morris. Histoire d’une scandaleuse, Paris: Perrin, 2011, S. 82–83. 175 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 119–120; Bonnet: V. Morris, S. 84–85; Bonnet: Violence symbolique, S. 202–203. 176 Vgl. Ruffin, Raymond: Violette Morris. La hyène de la gestap [sic!], Paris: Cherche Midi, 2004. 177 Vgl. Bonnet: Violette Morris. 178 So lauten die Buchtitel seiner Morris-Biographien: vgl. Ruffin, Raymond: La Diablesse, Paris: Pygmalion, 1989. Ob der Apparat in La Diablesse wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge tut, ließ sich nicht überprüfen. 179 Vgl. Bonnet: Violette Morris, S. 302–303, 14, zudem S. 72–73, 303–304. 180 Vgl. Lormier, Dominique: La Gestapo et les Français, Paris: Pygmalion, 2013, S. 93–96. 181 Youssi, Yasmine: Violette Morris, amazone chez les nazis, in: Télérama, 16.01.2019, https:// www.telerama.fr/livre/violette-morris,-amazone-chez-les-nazis,n6089799.php (31.03.2020); Duncan, Stéphanie: Violette Morris, le destin tragique d’une sportive hors norme, in: France Inter: Autant en emporte l’histoire, 16.06.2019, https://www.franceinter.fr/emissions/ autant-en-emporte-l-histoire/autant-en-emporte-l-histoire-16-juin-2019 (31.03.2020); vgl. Ruffin [Sohn; Vorname unbekannt]: Violette Morris. Quand Télérama s’empare du
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Ruffin behauptete, dass Morris durch ihre frühere deutsche Wettkampfgegnerin Gertrud Hannecker, die als Sportjournalistin und für den Sicherheitsdienst der SS (SD) arbeitete, 1934 Nazideutschland kennenlernte, wo sie sehr hofiert wurde. Zu den Olympischen Sommerspielen von 1936 sei sie als Ehrengast eingeladen gewesen. In jener Zeit soll der englische Geheimdienst, die Special Operations Executive (SOE), auf sie aufmerksam geworden zu sein.182 Nach der französischen Niederlage 1940 gelangte Morris offensichtlich in das Umfeld der so genannten Carlingue, der französischen Gestapo aus der Pariser Rue Lauriston 93 unter dem Ganoven Henri Chamberlin, genannt Henri Lafont (1902–1944) und dem früheren Polizeikommissar Pierre Bonny (1895–1944). 1943 wurde sie Fahrerin einer der Spezialeinheiten Marcel Bucards (1895–1946) für die Jagd auf Widerstandskämpfer, den équipes de la mort, die bis an die Zähne bewaffnet die Normandie unsicher machten. Das Bureau central de renseignements et d’action (BCRA)183 des Freien Frankreichs in London, das den französischen Widerstand versorgte und instruierte, führte Morris in jenem Jahr unter den „traîtres engagés dans une collaboration totale avec l’Occupant“184: Sie habe als Gestapoagentin freie Fahrt sogar in die gesperrten Küstengebiete.185 Darüber hinaus wirkte sie augenscheinlich in Bucards Parti franciste mit. Obwohl gering an Mitgliedern war Bucards Francisme laut Philippe Burin die solideste faschistische Organisation Frankreichs und diejenige der Pariser politischen Gruppen mit den besten Beziehungen zu Vichy. Der in der Kollaboration engagierte Parti franciste war die einzige politische Partei, die berechtigt war, sich in der besetzten und in der unbesetzten Zone zu betätigen.186 Bucard war davon überzeugt, dass nur ein deutscher Sieg Europa vom „Bolschewismus“ und von der „judeokapitalistischen Macht“ befreien könne,187 und baute die Légion des volontaires
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personnage de Violette Morris, 16.01.2019, http://raymond-ruffin.over-blog.com/pages/ Violette_Morris-2253930.html (11.03.2020). Vgl. Ruffin: Violette Morris, S. 135–136.; vgl. Auvray: Violette Morris, S. 430–431; Bouzanquet, Jean François: Fast Ladies. Female Racing Drivers 1888 to 1970, Dorchester: Veloce, 2009, S. 24. Vgl. Lormier: Gestapo, S. 74–77; Jacquemard, Serge: La bande Bonny-Lafont, [Paris:] Fleuve Noir, 1992 (Crime Story 10); Angebert: Éros, Bd. 2, S. 944–946, 948–949; Bisson, Cynthia S.: Bureau central de Renseignements et d’Action (BCRA), in: Gordon, Bertram M. (Hg.): Historical Dictionary of World War II France. The Occupation, Vichy, and the Resistance, 1938–1946, Westport, CT: Greenwood, 1998, S. 51–52. Zit. nach: Angebert: Éros, Bd. 2, S. 944; vgl. Bonnet: V. Morris, Dokument auf S. [330]. Vgl. Auvray: Violette Morris, S. 431. Vgl. Angebert: Éros, Bd. 2, S. 944. Vgl. Burrin: La France: S. 63, 421–422, Bucards Zitat von 1941 auf S. 422.
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français contre le bolchévisme mit auf.188 Die Zeugen für Morris’ Mitgliedschaft in Bucards Parti franciste waren Bonnet verdächtig. Wenn es etwas gegeben habe, das Morris an seiner Gruppe interessiert haben könnte, so fand Bonnet es in der Bucard nachgesagten Homosexualität.189 Dagegen hatte der Widerstand genug erfahren. Ende 1943 kam von der SOE aus London die Anweisung, Morris so schnell wie möglich zu eliminieren. Im April 1944 wurde wiederholt: „Abattre immédiatement et par tous moyens espionne Violette Morris“. Die Gruppe Surcouf kam dem Befehl nach und durchsiebte mit Maschinengewehren am 26. April den Citroën, mit dem Morris fünf weitere Kollaborateure über die normannische Landstraße fuhr.190 Unmittelbar nach der Befreiung von Paris nahm Polizeikommissar Georges Clot die Aussage von Georges Hainnaux (*1895) über Morris auf. Hainnaux, auch bekannt unter den Namen „Jo la Terreur“ und „Jo les Cheveux blancs“, war zehn Jahre zuvor zusammen mit Bonny in die Stavisky-Affäre, namentlich in den Mord am Pariser Staatsanwalt Albert Prince (1883–1934), verwickelt gewesen.191 Nach Auskunft des Sohnes von Bonny wurde Hainnaux noch Mitte 1939 bei seinem Vater vorstellig.192 Man darf annehmen, dass er während der Okkupation weiter im Umfeld der Bonny-Lafont-Bande tätig war. Hainnaux gab Kommissar Clot an, dass er, nachdem er mit seinem Flussboot Mitte 1943 von Paris nach Neuilly-sur-Seine umgezogen sei, dort auf der Seine neben Morris’ Lastkahn La Mouette angelegt habe. Morris aber habe ihm unmissverständlich klargemacht, dass er sich von ihr fernhalten solle. Da Morris als gefährlich galt, habe er sein Boot 300 Meter entfernt festgemacht.193 Obwohl Hainnaux behauptete, dass er mit Morris nicht verkehrt habe, wusste er doch ausgiebig über sie zu erzählen: Einmal will er Morris in einer Bar gesehen haben, wo sie als Mann gekleidet offen ihre Pistole getragen habe. Allen sei bekannt gewesen, dass sie für die deutsche Polizei gearbeitet habe.194 Von ihr seien zahlreiche Binnenschiffer, die mit Treibstoff gehandelt hätten, bei den Deutschen angezeigt, einige der Verhafteten sogar erschossen
___________ 188 Vgl. Kale, Stephen: Bucard, Marcel, in: Gordon (Hg.): Historical Dictionary of World War II France, S. 50–51, hier S. 51. 189 Vgl. Bonnet: Violette Morris, S. 135–136, 297, 287. 190 Vgl. Auvray: Violette Morris, S. 433. 191 R. D.: À la recherche des assassins du conseiller Prince, in: Paris-soir, 07.04.1934, https:// gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k7640128c/f5.image (11.02.2020). 192 Vgl. Bonny, Jacques: Mon père l’inspecteur Bonny, récit recueilli par Pierre Démaret et Christian Plume, Paris: Laffont, 1975. 193 Vgl. Ruffin: Violette Morris, S. 181–182. 194 Vgl. Angebert: Éros, Bd. 2, S. 943.
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worden. Kein Flussschiffer habe ihre Eliminierung einige Monate zuvor bedauert.195 Hainnaux’ Bericht ist mit zwar Vorsicht zu genießen, denn allem Anschein nach suchte er mit diesen Schuldzuweisungen von seiner eigenen Beteiligung an den Verbrechen der Rue Lauriston abzulenken. Aber er bestätigt Morris’ Nähe zum illegalen Kraftstoffhandel, die von Bonnet unterschätzt wurde. Der französische Schwarzmarkt an Treibstoff arbeitete im Krieg vorwiegend für das Konto der deutschen Besatzer. Dem deutschen Beschaffungsbüro in Frankreich unter dem Abwehr-Oberst Hermann Brandl (1896–1948), genannt Dr. Otto, unterstanden mindestens 400 Angehörige der so genannten Gestapo von Neuilly. Offiziell war die Gestapo von Neuilly dazu eingeteilt, die französische Résistance zu bekämpfen, tatsächlich aber griff sie kriegswichtige Güter für das Deutsche Reich ab.196 Augenscheinlich half Morris Brandl dabei, das deutsche Monopol über den Sprithandel durchzusetzen.
10. Fazit Beim Aufbau des breiten Frauensports und des Frauenfußballs in Frankreich Anfang des 20. Jahrhunderts spielten aufgeklärte Sportlehrer eine wichtige Rolle: Sportlehrer organisierten die ersten Fußballspiele ihrer Schülerinnen, standen bei der Gründung von Frauensport- und Frauenfußballvereinen Pate und verabredeten die ersten Fußballspiele gegen Schülermannschaften. Sie waren keine Feministen, gleichwohl erkannten sie die Freude junger Frauen am Ballspiel und gönnten ihnen diese. Der Frauenfußball blieb jedoch ein Pariser Phänomen. Er war nichts für die Provinz, wo sich die Festschreibung der Geschlechterverhältnisse hartnäckig hielt. Erst recht war Fußball nichts für Mütter. Fußballerinnen waren vor die Alternative gestellt: sportliche Betätigung oder Familie. Der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau war nie weit entfernt,197 gleichwohl waren Sportlerinnen nicht verpflichtet, Feministinnen zu sein. Diese Fußballerinnen wollten zuvorderst mit ihren Freundinnen Spaß haben, die Lust genießen, über das Spielfeld zu laufen und gegen einen Lederball zu ___________ 195 Vgl. SMAC: 77W845-273591 [Befragung von Hainnaux durch Clot]; vgl. Bericht von Inspektor Bonnefoy (Brigade financière P.J.), 15.09.1944; vgl. Ruffin: Violette Morris, S. 164– 165, 181–183. 196 Vgl. Arbois, Julien: Histoires insolites de la Seconde Guerre Mondiale, [Saint-Victor-d‘Épine:] City, 2014, Kap. „Collabos et voleurs“; Vgl. Veillon, Dominique: Rationing and the Black Market, in: Gordon (Hg.): Historical Dictionary of World War II France, S. 304–305, hier S. 304; Freund, Wolfgang: One Two Two, in: Gordon (Hg.): Historical Dictionary of World War II France, S. 266–267, hier S. 266. 197 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 102; Arnaud: Sport et anti-féminisme, S. 26–27.
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treten. Nicht zuletzt ist Triebbefriedigung auch Aufstand gegen gesellschaftliche Konventionen. Diese Frauen machten Gebrauch von ihrer neuen gesellschaftlichen Bewegungs-Freiheit. Sie begnügten sich nicht mit einer Sportart, sie wollten sie alle ausprobieren. Sie forderten ihren Körper in kaum gekannter Weise heraus und zeigten stolz, zu welchen Leistungen sie in der Lage waren. Allein mit dem Versuch, sich selbst zu verwirklichen, trugen sie zur Emanzipation der Frauen im Allgemeinen bei. Prudhomme-Poncet interpretiert den Frauenfußball als Spiegel der Geschlechterverhältnisse.198 Solange sich Frauen an die gesellschaftlichen Spielregeln hielten, ihren Fußballsport quasi als Erweiterung der weiblichen Pflegeaufgabe und Wohltätigkeit betrieben und damit keine Gefahr für die Geschlechterhierarchie darstellten, wie die englischen Kickerinnen im Krieg, waren sie im Patriarchat wohl geduldet. Solange Frauen in Produktion und Landesverteidigung ihren ‚Mann‘ standen, war ihr männlich konnotierte Beschäftigung auf weiteren gesellschaftlichen Feldern gestattet – zeitweilig eben auch auf den Spielfeldern. Frauenfußball war der Lohn für gesellschaftliche Verantwortung. Als die Frauen jedoch ihre Neigungen und Vorlieben ins Spiel brachten, als sie zu selbstherrlich wurden, bedrohten sie die männliche Dominanz und wurden anstößig. Nachdem Frauen gesellschaftlich erneut unterdrückt waren, wurde ihnen das Recht auf Fußball wieder entzogen. Schon lange vor seinem offiziellen Verbot im Zweiten Weltkrieg hatte der französische Frauenfußball an Attraktivität verloren. Nichtsdestoweniger war Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg über ein Jahrzehnt lang die neue Heimat des Frauenfußballs gewesen. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Archivalien Archives de Fémina Sport, Paris (AFS): - Doc. 15: Pierre Paÿssé. Fondateur de Fémina-Sport. - [Fémina Sport] an Hannoteaux, 24.12.1980. - Houdré (Mutualité générale des Coopérateurs) an Paÿssé, 12.03.1934. - Houdré an Doumerc (directeur du plan de Paris), 17.03.1934. - Kaufvertrag, 15.09.1936. - Paÿssé, Pierre: Année 1930. Rapport du directeur général. - Pierre Paÿssé (décédé en 1938). Son passé. - Pierre Paÿssé. Né en 1875. Décédé en 1938. - Präfekt des Seine-Departements – Amt für Jugend und Sport an die Präsidentin von Fémina Sport, 27.09.1944. ___________ 198 Vgl. Prudhomme-Poncet: Histoire, S. 173.
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Archives Nationales (AN): F17 14462: Notiz für die Herren Inspektoren über den Frauensport [o. D.]. Service de la Mémoire et des Affaires Culturelles, Le Pré Saint-Gervais bei Paris (SMAC = Archives de la Préfecture de la Police): 77W28-98081: - Auszug aus der Akte Nr. 48011 s/ch1 (politische Kartei RNP). - Bei der Zentralregistratur am 18.02.1947 eingegangene Schriftstücke. - [Bericht über] Bernet, 09.03.1945. - Polizeipräfektur – Direktion des Nachrichtendienstes und der Spiele, 12.10.1943. 77W845-273591 - [Befragung von Hainnaux durch Clot]. - Bericht von Inspektor Bonnefoy (Brigade financière P.J.), 15.09.1944. 77W1494-23520: - Bericht über Fémina Sport, 24.06.1941. - Kabinett des Präfekten – allgemeine Sicherheitsdienste – 1. Büro: Zeitschrift Fémina Sport, 06.01.1940, 27.12.1940. - Staatssekretariat für öffentlichen Unterricht – Allgemeines Kommissariat für allgemeine Erziehung und für Sport: Bericht über Fémina Sport, 24.06.1941. - Kabinett des Polizeipräfekten – Verwaltungsunterpräfektur – 2. Büro: Bericht über Fémina Sport Paris, 08.10.1943. Gedruckte Quellen [L’ Académie française (Hg.):] Le dictionnaire de l’Académie françoise, dédié au Roy, Bd. 2: M–Z, Paris: Coignard, 1694 (Archives de la linguistique française 1). Déat, Marcel: La participation de la France à la défense et à l’organisation de l’Europe, Paris: Cercle européen, 1942 (Les Conférences du Cercle européen, Centre français de Collaboration économique et culturelle européenne). Houdré-Boursin [Marie]: Ma doctoresse. Guide pratique d’hygiène et de médecine de la femme moderne, Strasbourg: Argentor, 1928/29. Kastl, Rudolf: Kannst du pfeifen, Irene? in: ders. (Hg.): Sportler sprechen zu uns, Wien: Friedr. Beck, 1936, S. 63–67. Internetquellen Agence Rol: Stade Pershing, 31/10/20/, M. Flandin donne le départ [coup d'envoi du match de football France-Angleterre féminin], [photographie de presse], in: Gallica, https://gallica. bnf.fr/ark:/12148/btv1b53053390n/f1.highres (01.04.2020) Agence Rol: Stade Elysabeth [i.e. Élisabeth] , 2/4/22 [football féminin] association, Coupe la Française, arrivée de M. [Paul] Strauss [ministre de l'hygiène] et Mme Siegfried, [photographie de presse], in: Gallica, https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb437863799 (25.02.2020). Agence Rol: Stade Elysabeth [i.e. Élisabeth] , 2/4/22 [football féminin] association, Coupe la Française [M. Paul Strauss, ministre de l'hygiène, [photographie de presse], in: Gallica, https://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb43786695c (25.02.2020). Fémina Sport: Historique, https://feminasport.pagesperso-orange.fr/Club_historique.htm (18.02.2020).
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Helge Faller
Auf eigenen Beinen
Der organisierte Frauenfußball der 1920er- und 1930er-Jahre in Europa
Le football féminin organisé en Europe n'est pas une évolution des 50 dernières années, il débuta pendant et après la Première Guerre mondiale. En Angleterre, des compétitions furent organisées pour les ouvrières d’usines à munitions, en France les clubs féminins (notamment Fémina Sport) créèrent des départements de football. L'étape suivante consista à fonder des associations, certaines (comme en Belgique ou en France) sous forme de confédérations pour l’ensemble des sports féminins ou d’autres (comme en Angleterre, puis aux Pays-Bas et en Autriche) sous forme de simples associations de football féminin. Le règlement fut allégé selon différentes modalités. A l'exception des Pays-Bas, toutes les associations organisèrent des compétitions sous forme de championnats et de coupes nationaux et régionaux. La France et la Belgique disputèrent régulièrement entre 1924 et 1937 des matchs internationaux. Malgré l'opposition parfois massive des associations de football masculin, de nombreux matchs furent donc organisés : des matchs en province, mais également des matchs de sélection et des matchs internationaux. La présidence des clubs et associations fut aussi bien assurée par des femmes que par des hommes. En dépit des difficultés rencontrées, des compétitions eurent lieu pendant plusieurs années en France, en Belgique et en Autriche. Cet essai traite les différents aspects du football féminin organisé de l'entre-deux-guerres. Am 23. März und am 13. April 1919 fanden in Gentilly und Saint-Ouen zwei Spiele statt die, wiewohl es die einzigen beiden Meisterschafsspiele der Saison waren, Geschichte schrieben. Erstmals wurde weltweit ein Landesmeister im Fußball ermittelt.1 Damit war der Frauenfußball 38 Jahre nach den ersten Spielen in Schottland und Nord-England in eine neue Phase getreten. Bis es soweit war, hatte der Frauenfußball eine Entwicklung durchgemacht, die ihn sozusagen vom Schauspiel zum ernsthaften Sport führte.
1. Die Anfänge Auch wenn es einige Versuche gab, ernsthaft Frauenfußball zu betreiben – wobei die Initiative tatsächlich in vielen Fällen von Frauen ausging (etwa in Liverpool und London Anfang der 1890er-Jahre) – erregten nur die als England vs. Scotland deklarierten Spiele 1881 und die rund 300 Auftritte ___________ 1
Vgl. Faller, Helge: Les Footballeuses, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2017, S. 32–38.
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Helge Faller
des British Ladies Football Club zwischen 1895 und 1903 das Interesse der Öffentlichkeit, was auch der zielgerichteten Vermarktung geschuldet war. Auch an anderen Orten, etwa in Nordamerika oder Russland wurde Frauenfußball gespielt. Der letzte größere Versuch zweier Tourteams in Europa waren die Spanish Girls 1914, die auf Initiative von Paco Bru, Spieler des FC Barcelona, ins Leben gerufen wurden und nur vom Ersten Weltkrieg an einer Tournee durch Frankreich gehindert wurden.2 1.1 Frankreich Frankreich machte 1918 mit der Gründung des Verbandes Fédération des Sociétes Féminines Sportives de France auf Initiative von Alice Milliat den Anfang. Die treibende Kraft war Fémina Sport de Paris, der 1917 als erster Club den Frauenfußball offiziell in sein Programm aufnahm. Die folgende Übersicht zeigt die verschiedenen Verbände, die sich bis Ende der 1930erJahre mit der Organisation des Frauenfußballs beschäftigten, wobei bis 1933 football féminin jeweils eine Sparte in den jeweiligen Frauensportverbänden war. Die ebenfalls zu sehenden Spaltungen waren von Beginn an ein Merkmal des organisierten Frauenfußballs bzw. Frauensports, wobei einer der bedeutendsten Streitpunkte die Frage nach dem männlichen Anteil in der Verbandsleitung war. Auch spielten Rivalitäten verschiedener Pariser Clubs mit Fémina eine Rolle. Tabelle 1 – Französische Verbände: 1918 FSFSF (Fédération des Sociètés Féminines Sportives de France) 1920 CDSF de USFSA (Comité Directeur des Sports Féminins de Union des Sociétés Françaises de Sports Athlétiques) 1920 FFFSA (Fédération Féminine Française des Sports Athlétiques) 1921 FFFGS (Fédération Féminine Française de Gymnastique et des Sports) 1922 FFF / FFSA (Fédération Féminine Sportive de France) 1924 LSFP / UFSF (Ligue Sportive Féminine Parisienne / Union Féminine Sportive de France) 1933 LFFA (Ligue Féminine Football Association) 1920–1922 und 1924–1925 Spaltung in zwei Verbände ___________ 2
Vgl. Brennan, Patrick: England vs. Scotland – 1881, Dezember 2011, http://donmouth. co.uk/womens_football/1881.html (10.03.2020); ders.: Dasies, Lilies and Angels, Mai 2007, http://donmouth.co.uk/womens_football/1889.html (10.03.2020); ders.: The British Ladies’ Football Club, 2015, http://donmouth.co.uk/womens_football/blfc.html (10.03.2020); Faller, Helge: Lady Footballers, Nußdorf: Privatdruck, 2014; Gibbs, Stuart: Lady Players – The Strange Birth of Women’s Football, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018.
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Die erste Meisterschaft umfasste, wie gesagt, nur zwei Teams, wovon eines (En Avant!) zudem mit A.S. de la Seine eine Spielgemeinschaft eingehen musste. Nichtsdestoweniger wurde diese Meisterschaft als Championnat de la France bezeichnet. Die FSFSF musste aber sehen, dass ihre Erwartungen zunächst zu optimistisch waren, da man auch eine Meisterschaft der zweiten Kategorie plante und zudem auf die Gründung von Frauenfußballmannschaften in der Provinz hoffte. Alice Milliat stand in den Anfangsjahren vehement hinter dem Projekt football féminin und allmählich entwickelte sich die französische Meisterschaft, neben einigen anderen Wettbewerben, zu einer Erfolgsgeschichte mit Krisen. Die Tabelle 2 zeigt die verschiedenen Wettbewerbe in Frankreich vor dem Zweiten Weltkrieg.3 Tabelle 2 – Nationale französische Wettbewerbe: 1918–19 bis 1932–33 Championnat de France 1919–20 Coupe de la FSFSF 1921–22 Coupe de l‘Espérance (national) 1921–22 bis 1925–26 Coupe La Française 1920 etwa gab es mit der Partie En Avant! gegen die Sportives de Reims das erste echte nationale Finale. Der Club aus der Champagne qualifizierte sich indirekt durch ein 0:0 in einem Freundschaftsspiel gegen Fémina für das Finale, denn eine regionale Ausscheidung gab es nur in Paris. In der Saison 1921–22 wurde auf Betreiben der feministischen Zeitung La Française die gleichnamige Coupe eingeführt. Die Premiere gewann der Club Les Sportives, der vom Verbandswechsel des zweifachen Meisters En Avant! profitierte. Die damals beste Fußballerin Frankreichs, Madeleine Bracquemond, wechselte infolgedessen in der Schlussphase der Meisterschaft von En Avant! zu den Sportives und verhalf dem Club zum Double. Bei ihrem alten Verein wurde sie weiterhin als Ehrenmitglied geführt. Einer der Auslöser für den Wechsel war ein vermeintlicher Skandal, der weltweit in der Presse für Aufsehen sorgte. In der Pariser Meisterschaft musste die Partie En Avant! gegen Fémina zur Halbzeit abgebrochen werden, da En Avant! aus Protest den Platz verließ. Grund war der Platzverweis für ihre Kapitänin Rigal, die der Fémina-Stürmerin Baldracchi für ihr hartes Spiel mit einer Ohrfeige drohte. Unbeeindruckt davon wuchs die Zahl der beteiligten Teams stetig.4 Die Coupe La Française ging ab der ___________ 3 4
Vgl. Faller: Les Footballeuses. Vgl. Faller, Helge: Les Footballeuses II – la saison 1919-–20, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018; ders.: Les Footballeuses III – la saison 1920–21, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018; ders.: Les Footballeuses IV – la saison 1921–22, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019; ders.: Les Footballeuses V – la saison 1922–23, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019; ders.: Les Footballeuses VI – la saison 1923–24, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2020.
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Helge Faller
Saison 1926/27 im Championnat de France auf, Fémina war ab 1925/26 mit sieben Meistertiteln in Serie das dominierende Team, wobei oft genug auch Glück im Spiel war. Nach 1926 jedoch geriet der Frauenfußball in Frankreich in eine langsame, aber stetige Abwärtsbewegung, die mit dem Ausschluss des Frauenfußballs aus dem Verband und dem offenkundigen Abbruch der Landesmeisterschaft 1932/33 ihren Tiefpunkt erreichte. Allerdings fanden sich die Fußballerinnen schon im Sommer 1933 in Eigeninitiative zusammen, gründeten einen neuen reinen Frauenfußballverband und konnten das endgültige Ende bis 1938 herauszögern.5
Abb. 1: Der erste Pariser und französische Meister Fémina Sport de Paris nach dem zweiten Finalspiel gegen En Avant! de Paris (Endstand 0:0).6
___________ 5
6
Vgl. Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris: L’Harmattan, 2003; dies.: Les Femmes, Balle au Pied – A history of French Women’s Football, in: Magee, Jonathan [u. a.] (Hg.): Women, Football and Europe – History, Equity and Experiences, Oxford: Meyer & Meyer Sport, 2007, S. 27–39; Breuil, Xavier: Histoire du football féminin en Europe, Paris: Nouveau Monde, 2011. Das Spiel wurde am 19. April 1919 in Paris Saint-Ouen ausgetragen. Hintere Reihe (von links): Rimbaud, A. Pons, Borgela, Camon, A. Milliat (Präsidentin des FSFSF), Gombeau, Delapierre, J. Brulé. Vordere Reihe (von links): Th. Brulé, Cadiès, Ourry, Janiaud (Archiv Helge Faller).
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1.2 Belgien Belgien wurde im Fahrwasser der großen Schwestern aus Frankreich ebenfalls eine Frauenfußballnation und oftmals waren die Ähnlichkeiten in der Entwicklung frappant. Die folgende Auflistung zeigt die verschiedenen belgischen Verbände, die sich ebenfalls spalteten und unter den verschiedenen Rivalitäten litten, die sich oft an der Person François Wydemans, der Mann hinter Atalante de Jette, entzündeten. Tabelle 3 – Verbände Belgiens: FSFB (Fédération Belge des Sports Féminins) Abteilung Fußball: 1923 FSFB (Fédération Féminine de Football Belge) bzw. FSFBF (Fédération Sportive Féminine Belge de Football) 1925 FFBFA (Fédération Féminine Belge de Football Association) mit der LFFA (Ligue de Belgique Féminine de Football) 1929 UBSF (Union Belge des Sports Féminins) 1929 Verband von Ajax Antwerp (keine Bezeichnung aufgefunden) 1924–25 und 1929–30 Spaltung Erster Meister war 1923/24 in Belgien ein Firmenteam. Die Angestellten des Kaufhauses Innovation hatten ihren eigenen Sportclub, Union Sportive, der auch Frauenfußball anbot. Die ersten beiden Meisterschaften konnte der Club für sich verbuchen. Auch wenn später Atalante die letzten vier Meisterschaften für sich entschied, dominierte der Club nicht so sehr wie sein Pendant Fémina in Frankreich. Auch im Coupe de Belgique de Football Féminin gab es in den sechs Ausspielungen (1926/27 bzw. zwischen 1928/29 und 1933/34) immerhin vier verschiedene Siegerinnen. Der große Rivale Atalantes war der William Elie Club, ein sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch seiner Bezeichnung bemerkenswerter Club, hatte er seinen Namen doch von einem zu dieser Zeit sehr populären Schauspieler. Nach 1934 bestand der belgische Frauenfußball dann ausschließlich aus Atalante und seiner Filiale En Avant.7 1.3 England England konnte nach Frankreich die zweite Verbandsgründung melden, die im Dezember 1921 als Reaktion auf das berühmte Verbot der Football Association (FA) erfolgte, welches untersagte, Frauenmannschaften Plätze ___________ 7
Vgl. Faller Helge: Ihrer Zeit voraus – Die Geschichte des Belgischen Frauenfußballs (1921–25), Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019; ders.: Der große Aufbruch – Frauenfußball in Belgien von 1925 bis 1928, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2020; Breuil: Histoire du football féminin.
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von FA-Clubs zur Verfügung zu stellen. Mit viel Optimismus gestartet, unter anderem waren drei Ligen geplant und mehrere Länderspiele, konnte die English Ladies Football Association (ELFA) lediglich einen einzigen Cup ausspielen und auch diesen nur mit Mühe. Trotz aller Anstrengungen Len Bridgetts, dem Ex-Internationalen und Manager der Stoke Ladies, reduzierte sich der Verband in den folgenden Jahren zunächst auf den Gewinner des Cups selbst und später auf Inserate.8 1.4 Niederlande Die Niederlande waren ausgesprochen aktiv in Sachen Frauenfußball. Schon zu Beginn der 1920er-Jahre gab es in einigen Orten Frauenteams und wohl auch verbandsähnliche Strukturen, denn die ELFA plante 1922 ein Länderspiel gegen die Niederlande. Ernst wurde es jedoch erst wieder Anfang der 1930er-Jahre, als sich in Den Haag, Amsterdam, Delft, Groningen und Rotterdam verschiedene Frauenfußballclubs gründeten. Bald organisierten sich diese in einem nationalen Verband und drei regionalen Verbänden. Obwohl es zahlreiche Spiele gab, wurde kein offizieller nationaler Wettbewerb ausgetragen und das erhoffte Länderspiel gegen Belgien blieb im Planungsstadium stecken.9 Tabelle 4 – Niederländische Verbände: 1935 NDVB (Nederlandsche Damesvoetbalbond) 1935 ADVB (Amsterdamsche Damesvoetbalbond) 1935 HDVB (Haagsche Damesvoetbalbond) 1934 RDAVB (Rotterdamsche Dames-Athletiek- en Voetbalbond) 1.5 Österreich Österreich war 1935 alles andere als ein Nachzügler. In der Alpenrepublik gab es bereits 1923–24 einige sehr vielversprechende Versuche, den Frauenfußball zu popularisieren, wobei man sogar nach Frankreich und Belgien Kontakte knüpfte. Nach einer zehnjährigen Pause kam es dann auf Initiative von Edith Klinger zum zweiten Anlauf, welcher den im Niedergang befindlichen etablierten Frauenfußball-Ländern auf dem europäischen Festland eine in kurzer Zeit blühende Frauenfußballnation präsentierte, der es gelang, gegen alle Widerstände des Österreichischen Fußball-Bunds (ÖFB), einen nationalen Verband und nationale Wettbewerbe zu installieren. Von diesem Zentrum aus kam der ___________ 8 9
Vgl. Brennan, Patrick: The Engish Ladies Football Association, 2007, http://donmouth. co.uk/womens_football/elfa.html (10.03.2020). Vgl. Faller, Helge: De eerste Voetballerinas, Nußdorf: Les Sports et la Femme 2017.
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Frauenfußball in Ostmitteleuropa zu einer Blüte, die in Österreich durch den ‚Anschluss‘ und in den anderen Ländern der Region durch den Zweiten Weltkrieg bzw. die männlichen Verbände unterbunden wurde.10 Nach diesem Überblick über die europäischen Verbände wollen wir uns der Organisation des Frauenfußballs innerhalb der Verbände zuwenden.
2. Wettbewerbe Tatsächlich kam es bereits während des Ersten Weltkrieges in England zu einigen Wettbewerben, die aber nicht von einem Verband, sondern von einem Komitee organisiert wurden. Der größte Wettbewerb dieser Art war der Munitionettes-Cup, der 1917/18 und 1918/19 zwei Ausspielungen erlebte und für die Teams der Munitionsfabrikarbeiterinnen im Norden Englands eingeführt wurde.11 Die drei Länder mit nationalen Meisterschaften entwickelten unterschiedliche Modi der Ausspielung, wobei Frankreich das K.O.-System mit zunächst regionalen Vorausscheidungen bevorzugte, ehe dann theoretisch jeder Club startberechtigt war. Belgien hatte von Beginn an eine nationale Liga, die seit 1925–26 mit der erstmaligen Teilnahme eines Teams außerhalb Brüssels, Ghent Fémina, den Namen auch verdiente und später sogar in eine erste und zweite Division eingeteilt war. Österreich schließlich hatte theoretisch ebenfalls eine nationale Liga für alle Clubs, de facto aber traten hier analog zu den Herren nur Mannschaften aus Wien an. Auch trug Österreich seine Saison nach dem Kalenderjahr aus, wohingegen Belgien und Frankreich die Saison im Winterhalbjahr ausspielten. Der Rahmenterminkalender war immer wieder ein Problem, da aus unterschiedlichen Gründen das Ende der Meisterschaft oftmals um Wochen hinausgezögert werden musste, damit noch alle Nachholspiele untergebracht werden konnten. In Österreich wurde zum Beispiel die erste Meisterschaft mit fast sieben Wochen Verspätung, in Belgien die Saison 1925–26 mit einem Monat Verzug beendet.12 ___________ 10
11 12
Vgl. Faller Helge/Marschik, Matthias: Eine Klasse für sich – Als Wiener Fußballerinnen einzig in der Welt waren, Wien: Verlagshaus Hernals, 2020 (im Druck); Marschik, Matthias: Frauenfußball und Maskulinität – Geschichte – Gegenwart-Perspektiven, Münster/Hamburg/London: LIT, 2003; ders.: „Damen wollen Fußball spielen“ – Frauenfußball in Österreich. Historischer Rückblick – aktuelle Ausblick, in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland – Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 161–188. Vgl. Brennan, Patrick: The Munitionettes – A History of Women’s Football in North East England during the Great War, Rowlands Gill: Donmouth Publishing, 2007; ders.: Blyth Spartans Ladies FC, 2006, http://donmouth.co.uk/womens_football/blyth_spartans.html (10.03.2020). Vgl. Faller: Les Footballeuses I–VI; ders.: Ihrer Zeit voraus; ders.: Der große Aufbruch; ders./Marschik: Eine Klasse für sich.
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Helge Faller
Tabelle 5 – Die Meisterschaftsorganisation: Frankreich: Wintersaison (Einschreibegebühr 5 Francs), Meldung bis Anfang Oktober. Bis 1926 Meisterschaft 1. Phase regional (bis Anfang März), 2. Phase national. Ab 1926–27 Meisterschaft offen für alle Clubs. Belgien: Wintersaison, Meldung je nach Ligagröße im August oder September. Bis 1927–28 eine nationale Liga, offen für alle Clubs. Ab 1928–29, bzw. 1930– 31 zwei nationale Ligen mit Auf- und Abstieg. Österreich: Sommersaison, eingeteilt in Frühjahrs- und Herbstmeisterschaft. Meldung bis April. Nationale Liga, offen für alle Clubs. 2.1 Regeln Die Regeln waren nicht ganz einheitlich. Frankreich und Belgien spielten nach den Regeln des französischen Verbandes, die auch von der Fédération Sportive Féminine Internationale (FSFI) als verbindlich angesehen wurden. Da allerdings nicht alle Fußballerinnen in Europa dem Weltverband angehörten, waren zum Beispiel die Spielzeiten unterschiedlich. Die Niederlande spielten offenbar die ganze Periode die reguläre Zeit von 2 x 45 Minuten. In Österreich waren es immerhin 2 x 40 Minuten, während die von der FSFI vorgegebenen Zeiten bei nationalen Spielen 2 x 30 und bei internationalen Vergleichen in der Regel 2 x 35 Minuten betrugen. Allen Ländern gemeinsam (mit der möglichen Ausnahme der Niederlande) war, dass das Benutzen der Schutzhand (der Schutz des Oberkörpers mit Hand und Armen) erlaubt, hingegen hartes Tackeln verboten war. In Frankreich gab es zudem zwischen 1920 und 1922 während der ersten Verbandsspaltung zwei unterschiedliche Philosophien, denn der Verband FFFGS wollte mit seiner Ballon genannten Spielart den Frauenfußball durch leichtere Bälle, stark verkleinerte Spielflächen etc. komplett entschärfen.13 2.2 Nichtantritte Ein großes Problem waren phasenweise in allen drei Verbänden die Nichtantritte, die in manchen Jahren zwischen 20 und 40 % der Spiele betreffen konnten. Während heutzutage in Deutschland eine Mannschaft nach drei ___________ 13
Vgl. Faller: Les Footballeuses IV, S. 21; ders.: Voetballerinas; ders./Marschik: Eine Klasse für sich.
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Nichtantritten von der Liga ausgeschlossen wird, gab es damals kein Limit. Die Art der Wertung eines solchen Spiels war je nach Land unterschiedlich (Belgien: 0:5-Niederlage, Frankreich: 0 Punkte, ansonsten erhielt ein Team für eine reguläre Niederlage noch einen Punkt, Österreich: 0:3-Niederlage). Die Gründe waren sehr häufig Spielerinnenmangel oder Mannschaftsrückzüge, allerdings gab es in Frankreich auch Nichtantritte, weil sich zwei Vereine überworfen hatten und einer der beiden dann erklärte, in dieser Saison nicht gegen den anderen antreten zu wollen. Meistens ergab sich der Grund für den Nichtantritt erst am Spieltag, weswegen die Zuschauer*innen häufig sehen mussten, dass eine Mannschaft dann nur mit höchstens sechs Spielerinnen auflief, also weniger als der Mindestzahl. Man versöhnte dann das Publikum mit einem Freundschaftsspiel, bei dem sich die Mannschaften mischten. Einen Tiefpunkt gab es dann, wenn beide Teams nicht die Mindestzahl aufboten und beide kampflos verloren.14 2.3 Spiele in Unterzahl In Unterzahl anzutreten war im Frauenfußball der 1920er und 1930er nahezu der Regelfall. Selbst große Clubs erwischte es immer wieder – auch bei wichtigen Spielen. William Elie brachte z. B. 1928 zum zweiten Entscheidungsspiel um die Meisterschaft gegen Atalante gerade einmal acht Akteurinnen auf das Feld und verlor prompt mit 1:6. Gegen schwächere Gegnerinnen konnten sich starke Teams aber durchaus eine Differenz von drei Spielerinnen erlauben. Für einen Sieg reichte es trotzdem. Manchmal waren solche Begegnungen allerdings eine Farce, wie das Testspiel zwischen A.S. Amicale und den Sportives im Dezember 1923. Nur 13 Spielerinnen standen auf dem Feld. Amicale mit 7 Spielerinnen siegte 3:1. Reims bot in einem Testspiel 1922 gar einen etwa zehnjährigen Jungen auf, um nicht in Unterzahl antreten zu müssen.15 Es gab immer wieder Mannschaften, die es ganz besonders bitter traf und die wirklich alles unternahmen, um irgendwie die Saison durchzustehen, etwa A.S. Amicale in Frankreich 1923/24, die fast alle Spiele in Unterzahl bestritten und am Schluss aufgaben oder Olympic Fémina Club in Belgien 1926/27, die ebenfalls rund 90 % der Spiele personell unvollständig absolvierten. In Österreich, wo Rapid in der Saison 1937 beständig in Unterzahl spielte, wurden die Mannschaftsrückzüge kreativ gehandhabt. Ein anderer Club (bzw. eine zweite
___________ 14 15
Vgl. Faller: Der große Aufbruch, S. 84–85; ders.: Footballeuses IV, S. 97–98; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, S. 222-224.. Vgl. Faller: Der große Aufbruch, S. 76–77; ders.: Footballeuses VI, S. 56–57; ders.: Footballeuses IV, S. 37–38.
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Mannschaft) übernahm dann kurzerhand die Punkte und Tore des ausgeschiedenen Teams und setzte an seiner statt den Spielbetrieb fort.16 2.4 Unparteiische Schiedsrichter waren durchaus ein Problem, da es nicht sehr viele gab, die regelmäßig zur Verfügung standen. Oftmals pfiff ein Herr fast 50 % aller Meisterschaftsspiele, wie z. B. Monsieur Collet in Belgien. Auch waren die Referees oftmals nicht ganz auf der Höhe des Geschehens. Bei einem Spiel zur französischen Landesmeisterschaft 1924 in Amiens wurde beklagt, dass der Schiedsrichter während des Spiels rauchte. 1923 war der noch jugendliche Unparteiische, der mit dem entscheidenden Spiel zur Pariser Meisterschaft zwischen den Erzrivalen Fémina und Olympique betraut war, sichtlich überfordert. Fünf Minuten vor dem Ende wurde er vom erzürnten Bruder der Geschwister Laloz verprügelt, wobei diesem offenbar zwei seiner Schwestern assistierten, ein Vorfall, der mit drakonischen Sperren geahndet wurde. Immerhin bot die FFSF in der kommenden Saison einen Kurs an, den auch erstmals eine Frau absolvierte. Mademoiselle Doucet wurde im November 1923 die erste Schiedsrichterin, die ein Punktspiel in Frankreich leitete. Wie alle Schiedsrichter erhielt sie für dieses Spiel 10 Francs vom Verband. In Belgien dauerte es bis Anfang 1929, ehe es in einem Spiel der zweiten Division zur Premiere kam. In Österreich gab es das Kuriosum, dass es mit Edith Klinger eine vom ÖFB, also dem männlichen Verband, ausgebildete Schiedsrichterin gab, die erste, die von einem der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) angeschlossenen Verband zur Unparteiischen berufen wurde, diese aber kein einziges Spiel der Frauen pfeifen durfte, da sie sonst ihre Lizenz als ÖFB-Schiedsrichterin verloren hätte. Die Österreichische Damenfußball Union bildete immer wieder selbst Schiedsrichter aus, soweit aber aus den Quellen ersichtlich, war keine Frau darunter, obwohl der Verband explizit gerade an Frauen herantrat.17 2.5 Zweite Mannschaften und Farmteams Zweite Mannschaften gab es in Belgien in zwei Fällen, in Österreich spielten zwei in der Meisterschaft mit und in Frankreich gab es längere Zeit sogar eine eigene Meisterschaft für zweite Mannschaften. Das Spielrecht war aber in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. ___________ 16 17
Vgl. Faller: Footballeuses VI, S. 232. ders.: Der große Aufbruch, S. 95; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, S. 235. Vgl. Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 120; ders.: Footballeuses VI, S. 99.; ders.: Footballeuses V, S. 73– 74; ders.: Footballeuses VI, S. 35.; ders./Marschik: S. 32–33; La Nation Belge, 10.01.1929.
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Auch die Farmteams, de facto die zweiten Mannschaften, waren ein Phänomen, welches in allen drei Meisterschaften zu finden war, teilweise hatte ein Verein (wie Atalante und Fémina Sport) bis zu drei Farmteams in den jeweiligen Ligen im Spielbetrieb. Gerade als es in Belgien und Frankreich zur Verbandsspaltung kam, bestand die Meisterschaft des abtrünnigen Clubs (Atalante de Jette bzw. Fémina Sport de Paris) überwiegend aus seinen eigenen Mannschaften.18 2.6 Clubs und Spielerinnen Frauenfußball war trotz des Erfolgs beim Publikum und der medialen Aufmerksamkeit eine Angelegenheit von wenigen Spielerinnen und Clubs. In Frankreich spielten zu den besten Zeiten zwischen 1923 und 1927 rund 30 Teams aus etwa 20 Vereinen Fußball. Fémina war mit etwa 100 aktiven Spielerinnen der größte Frauenfußballclub. Insgesamt dürften knapp 1 000 Spielerinnen aktiv gewesen sein. In Belgien waren es im Maximum nie mehr als zehn Vereine bei etwa 500 Spielerinnen pro Saison. Österreich konnte offiziell acht, inoffiziell wohl bis zu 15 Vereine je Spielzeit aufbieten, was in etwa 500 bis 700 Spielerinnen entsprochen haben dürfte.19 2.7 Regelung für Ausländer*innen Erstaunlicherweise gab es in Frankreich bereits eine Regelung für ausländische Spielerinnen, die zeigt, dass es eine größere Anzahl nichtfranzösischer Fußballerinnen gab, wie auch oftmals die Nachnamen nahelegen. Tatsächlich durften nur maximal zwei ausländische Spielerinnen in einem Spiel pro Mannschaft auf dem Platz stehen. Auch bei den Länderspielen zwischen Frankreich und Belgien wurde genau darauf geachtet, dass jeweils einheimische Spielerinnen auf dem Platz standen. Generell war man in allen Verbänden nur dann spielberechtigt, wenn man seine Lizenzen ordnungsgemäß beim Verband verlängert hat. Les Sportives versäumten dies beispielsweise zum Jahresende 1923 und schieden trotz eines 5:0 gegen A.S. Amicale aus dem Pokal aus, da die Spielerinnen wegen der fehlenden Lizenzverlängerung nicht spielberechtigt waren.20
___________ 18 19 20
Vgl. Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 88–89; L’Auto, 28.11.1925. Siehe dazu die genannten Veröffentlichungen. Die Zahlen ergeben sich aus einer Hochrechnung der überlieferten Mannschaftsaufstellungen unter der Maßgabe, dass zum Kader einer Mannschaft damals im Schnitt rund 20 Spielerinnen zählten. Vgl. Faller: Footballeuses IV, S. 31; ders.: Footballeuses VI, S. 65–66.
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2.8 Spiele in der Provinz Ein Phänomen der damaligen Zeit waren die sogenannten ‚Propagandaspiele‘, die dazu dienten, den Frauenfußball auch in der Provinz populärer zu machen und die Clubkasse etwas aufzubessern. Die Spiele zum Championnat de France und der Coupe La Française wurden oft in der Provinz ausgetragen, was immer wieder zu beeindruckenden Zuschauer*innenzahlen von mehreren tausend Besucher*innen führte. In Österreich spielte man in Niederösterreich, Oberösterreich und im Burgenland. Ein Meisterschaftsspiel wurde sogar in Ungarn ausgetragen, dem bisherigen Forschungsstand nach, das erste Meisterschaftsspiel, welches im Ausland ausgetragen wurde.21 2.9 Verbandsspaltungen Das Thema Spaltungen wurde bereits angeschnitten. In Frankreich und Belgien trennten sich die Fußballerinnen jeweils zwei Mal (Frankreich zwischen 1920 und 1922 sowie in der Saison 1924–25, in Belgien 1924–25 und 1929– 30) und trugen je eigene Meisterschaften aus. In Österreich gab es zwar keine Verbandsspaltung, allerdings kam es gleich beim ersten Training des Pionierclubs 1. Wiener D.F.C. im März 1935 zum Streit und zur Trennung.22 2.10 Zuspruch von Zuschauenden Nicht nur bei den sogenannten Propagandaspielen konnten hohe Zuschauerzahlen erzielt werden. Gerade in der Anfangsphase kam es in Frankreich und Belgien zu imposanten Kulissen, die einen Publikumsschnitt von etwa 500 bis 1 000 Zuschauer*innen pro Spiel mit sich gebracht haben dürften. Auch in Österreich kamen regelmäßig im Schnitt ca. 300 Besucher*innen – deutlich mehr als heute. Allmählich ließ aber das Interesse in Paris etwas nach und manchmal war nur eine Handvoll Menschen anwesend. Generell kann aber gesagt werden, dass das Interesse am Frauenfußball in Europa groß war, denn bei den regulär stattfindenden Meisterschaftsspielen kamen tatsächlich auch diejenigen, welche sich für den Sport begeisterten. Bei den Spielen beispielsweise in England, die eher Event-Charakter hatten, kamen regelmäßig große Mengen von Zuschauenden mit häufig über 10 000 Besucher*innen zustande.23 ___________ 21 22 23
Siehe dazu die Auflistungen der Spiele in: Faller: Footballeuses I–VI; ders.: Ihrer Zeit voraus; ders.: Der große Aufbruch; ders./Marschik: Eine Klasse für sich. Näheres in Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 51–53., ders.: Footballeuses II, S. 36, 45; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, S. 33–39. Vgl. Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 122; ders.: Der große Aufbruch, S. 121; ders.: Footballeuses III, S. 84–85; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, S. 225, 230, 235, 239.; Newsham, Gail: In a
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2.11 Ausrüstung Wer Fußball spielen wollte brauchte natürlich auch seine Ausrüstung. Tatsächlich gab es Firmen und Sportgeschäfte, die auf den Frauenfußballboom reagierten und teilweise auf Frauen zugeschnittene Sportartikel verkauften, etwa Schuhe oder Trikots, aber auch Bälle. Der offizielle Ball der FFSF war in der Saison 1923/24 beispielsweise La Pilule. Aber es gab auch andere Bälle, die für Frauen empfohlen wurden, wie zum Beispiel Queen Meb für 40 Francs oder das Modell Briton für 45 Francs. Bis zum Preis von 80 Francs wurden auch andere Modelle angeboten. Eine Komplettausstattung inklusive der teuren Schuhe kostete insgesamt rund 70 Francs und dies bei einem Durchschnittslohn von etwa 800 bis 1 200 Francs monatlich.24
Abb. 2: Eine Anzeige des Sportgeschäfts Mestre et Blatgé vom Oktober 1923.25
___________
24 25
League of their own! – The Dick, Kerr’s Ladies 1917–1965, Milton Keynes: Lightning Source, 2018. Vgl. N. N.: Salaires et prix (1919–1939), 2005, http://clioweb.free.fr/dossiers/salaires/ salprix.htm (08.03.2020); Les Sportives, 27.10.1923. Auch wenn auf der Abbildung eine Hockey-Spielerin zu sehen ist, zeigt die angepriesene Ware, dass den Fußballerinnen das Hauptaugenmerk galt. Bemerkenswert ist zudem, dass es spezielle Frauenfußballschuhe und auch Bälle mit dem Vermerk: „Modèles recomandés pour Dames“ im Sortiment gab (Les Sportives, 27.10.1923 / Archiv Helge Faller).
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2.12 Kommunikation Um die Spielerinnen zum Training oder zum Spiel zusammenzurufen, wurden in den Zeitungen L’Auto und Les Sportives oft Inserate eingestellt, die z. B. Treffpunkt und Uhrzeit enthielten, wobei bei Auswärtsspielen immer eine Métro-Station als Treffpunkt angegeben wurde. Außerdem wurde in den ersten Jahren öfters die vorgesehene Aufstellung inklusive der Ersatzspielerinnen publiziert. Dadurch ist die Zeitung wesentliches Medium in der Erforschung des Frauenfußballs, da sich gerade in Anzeigen viele Informationen verbergen, die ein relativ vollständiges Bild der Aktivitäten im Frauenfußball bieten. Auch in Österreich verlief die Kommunikation zwischen Verein bzw. Verband und Spielerinnen auf diesem Weg, wobei hier in den Anzeigen auch immer wieder alltägliche Dinge mit einflossen, etwa als um Mithilfe gebeten wurde, da einem Schiedsrichter die Geldbörse bei einem Spiel gestohlen wurde.26 Vor allem die Vereine waren bei der Organisation vor mannigfaltige Probleme gestellt. 2.13 Spielflächen Das größte Problem in allen Ländern war die Suche nach einer geeigneten Spielfläche, die tatsächlich zum Haupthinderungsgrund für eine wesentlich stärkere Entwicklung des Frauenfußballs wurde. Wie ein Bild vom Spiel zwischen Clodo und den Sportives zeigt, mussten die Vereine oftmals mit Plätzen vorliebnehmen, welche kaum den Mindeststandards genügten. In einem Bericht wurde angemerkt, dass ein vernünftiges Spiel auf dem sumpfähnlichen Gelände nicht nur nahezu unmöglich war, sondern auch, dass die Lage des Sportplatzes im Parc Saint-Cloud dazu führte, dass viele Schaulustige kamen, die oftmals massiv durch lautstarke Zwischenrufe ins Spielgeschehen eingriffen. Zwar gab es manch glücklichen Club, der einen vernünftigen Sportplatz hatte – allen voran Fémina mit dem Stade Elisabeth, aber oft genug musste man hoffen, dass ein Männer-Fußballverein freundlicherweise den Platz mit den Frauen teilte. Da diese Plätze dann oftmals von vielen Clubs belegt waren, kam es mitunter dazu, dass bei einem Pokalspiel die Verlängerung nicht gespielt werden konnte, da die nachfolgenden Mannschaften bereits auf den Platz drängten. Ende der 1920er-Jahre waren dann vermehrt Hilferufe der Frauenclubs zu hören, die händeringend nach Spielflächen suchten. In den Niederlanden hatte Celcia seinen eigenen Platz, während die Rotterdamer ___________ 26
Beispiele für diese Form der Kommunikation sind Legion. Als Beispiele mögen hier die Anzeigen aus Les Sportives, 27.10.1923; L’Auto, 09.01.1926 und der Illustrierten Kronen-Zeitung, 09.05.1936 dienen.
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Clubs ihre Spielfläche in Overschie durch Intervention des dortigen Bürgermeisters verloren, wodurch die Zahl der Clubs in der Stadt von sieben auf eins sank. In Österreich kam es durch das Verbot des ÖFB zu einem wirklich existenzbedrohenden Engpass. Hier griffen die Vereine und der Verband zur Eigeninitiative. Das Gelände Schafbergplatz – das allerdings bei Regen grundsätzlich unbespielbar war – und der neu hergerichtete Olympiaplatz schafften zwar etwas Abhilfe, aber die eingeschränkten Möglichkeiten führten dazu, dass viele Clubs ihre Spielerinnen verloren, denen die Anreise zum Training zu kostspielig wurde und in der Provinz Clubs gar nicht erst zur Entfaltung kamen.27 2.14 Spielorganisation Ganz alltäglich war die Gewinnung von neuen Spielerinnen, die teilweise ebenfalls über Inserate lief, wenn etwa regelmäßig in Österreich nach ‚spielfreudigen Damen‘ gesucht wurde, denen die Aufnahmegebühr erlassen werde. Auch Nachwuchsmannschaften waren im Gespräch, teilweise sogar regelrechte Sportschulen, in denen auch Fußball angeboten wurde. Darüber hinaus wurden Spielerinnen abgeworben, was immer wieder zu Zerwürfnissen zwischen den Vereinen führte und auch regelmäßig von den Verbänden beanstandet wurde. Spielerinnentransfers kamen recht häufig vor und stifteten oft Unfrieden zwischen den Vereinen. Während der Saison gab es Sperrfristen, die jedoch nicht galten, wenn der Club seinen Spielbetrieb eingestellt hatte oder der Wechsel von einem Club eines konkurrierenden Verbandes erfolgte. In der Saison 1924/25 erlebte dies die Fémina, als einige Spielerinnen es bevorzugten in der regulären Meisterschaft der FFSF statt in der vereinseigenen Meisterschaft zu spielen. Es gab auch internationale Wechsel, wenn auch höchst selten. Drei Französinnen spielten einige Zeit in England bei Dick, Kerr’s Ladies (Ourry, Trotman und Pomiès), während Florence Redford nach ihrem Wechsel von Dick, Kerr’s zu Fémina zwischen 1923 und 1926 zum Superstar des französischen Frauenfußballs wurde.28 Die Vereine waren ordentlich im Vereinsregister eingetragen, ebenso wie die Verbände und wählten ihre Administration auf den Jahreshauptversammlungen. Bei der FFSF tagte beispielsweise die Commission de Football während der Saison wöchentlich, beim Club En Avant! gab es monatlich eine Ausschusssitzung. Das Training wurde meist so organisiert, dass auch Arbeiterinnen teilnehmen konnten, weswegen hier oft der Sonntag herhalten ___________ 27 28
Vgl. Les Sportives, 10.11.1923; Faller: Footballeuses V, S. 29; ders.: Voetballerinas, S. 23. Sitzungsprotokoll der Ausschusssitzung von Fémina vom 22.02.1925, in welchem vermerkt wurde, dass die Spielerinnen Georges und Zarraga den Verein verlassen haben. Vgl. Faller: Footballeuses II, S. 69; ders.: Footballeuses III, S. 78–79.; ders.: Footballeuses V, S. 30–31.
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musste. Unter der Woche wurde mitunter bereits um 7 Uhr in der Früh trainiert. Während der Winterzeit musste das Training an die Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergangszeit angepasst werden. In Österreich gab es zusätzlich im Winter das sogenannte „Saaltraining“ – also Hallentraining.29 2.15 Der gesellschaftliche Aspekt und die Geschlechterfrage Außerdem wurden in den Vereinen gesellige Abende angeboten, die gerade in Österreich sehr beliebt waren, wo jeder Club sein Stammlokal hatte. Jedes Jahr gab es mindestens einen großen Ball für alle Clubs und am Ende der Meisterschaft wurde die Pokalübergabe ebenfalls groß vom Verband gefeiert, wo sich unter anderem Spielerinnen und Funktionär*innen als Gesangs- und Kabarettkünstler*innen präsentierten. War eine Spielerin in Not wurde mit Material oder sonstigem Beistand geholfen, etwa als die Spielerin Lutz vom Club Tempo Wien in einen Scheidungsprozess verstrickt war, der weltweit Schlagzeilen machte – mit dem Tenor: Sie spielt Fußball, ihr Mann muss in der Küche arbeiten. Schließlich stellte sich auch immer die Frage nach der Mitarbeit von Männern in Frauenvereinen. Natürlich fungierten sie als Trainer, die einzige unstrittige Funktion. Hingegen wurde die Rolle von Männern im Vorstandbereich vielerorts zur Glaubensfrage. Bei der Gründung des FSFSF-Nachfolgers FFSF sollten Männer lediglich im Beirat auftauchen. Der 1. Wiener Damenfußballklub zerstritt sich gleich beim ersten Training wegen dieser Frage mit dem Resultat, dass es danach zwei Clubs gab. Auch in Belgien wurde die starke Stellung Wydemans kritisch gesehen, weswegen sich 1929 mit der UBSF ein Verband gründete, bei dem ausschließlich Frauen das Sagen haben sollten. Bis zum Ende des Berichtzeitraums gab es keinen Königsweg in dieser Frage.30 2.16 Regionale Verteilung Während sich in England und den Niederlanden der organisierte Frauenfußball auf mehrere Zentren verteilte, war es in den drei Ländern mit eigenen Meisterschaften von Beginn an eher eine Sache der Hauptstädte. Ganz besonders traf dies in Österreich zu, wo sämtliche Versuche, regionale Teams zu etablieren, an den zahlreichen Verboten und Drohungen des ÖFB scheiterten. In Frankreich gab es ab 1920, als in Rouen, Reims und Tourcoing die ___________
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Zu den Sitzungen der Commission de Football siehe die Ankündigungen in: Les Sportives, Jahrgänge 1923 und 1924. Zu den Trainingszeiten vgl. Faller/Marschik: Eine Klasse für sich, S. 52. Die Anstoßzeiten der Spiele finden sich jeweils in den Statistikteilen von Faller: Footballeuses I–V; ders.: Ihrer Zeit voraus; ders.: Der große Aufbruch; ders./Marschik: Eine Klasse für sich. Vgl. Faller/Marschik: Eine Klasse für sich, S. 122, 378; Faller: Footballeuses V, S. 176; La Nation Belge, 03.05.1929.
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ersten Provinzclubs gegründet wurden, immerhin für einige Zeit auch Konkurrenz jenseits der Hauptstadt. In Toulouse und Marseille wurde sogar eine regionale Meisterschaft ausgespielt. Nach und nach verschwanden diese Clubs aber wieder und ab 1930 gab es nur noch in Marseille nennenswerte Aktivitäten. Belgien schließlich versuchte, sich zumindest von Beginn an national aufzustellen. Doch erst ab 1925/26 trat mit Ghent Fémina der erste Club außerhalb Brüssels groß in Erscheinung, gefolgt von drei Clubs aus Antwerpen zwischen 1928 und 1933. Sowohl Antwerpen als auch Brabant spielten je eine regionale Meisterschaft aus. Auch England hatte in der Region Yorkshire regionale Wettbewerbe zu bieten.31 2.17 Der Ligabetrieb Eine Liga mit Auf- und Abstieg finden wir in Paris, wobei es schon vorher Einteilungen nach Spielstärke gab. In Belgien gab es diese Zweiteilung in erste und zweite Division sogar auf nationaler Ebene. Daneben wurden in allen Ländern kleinere Pokalwettbewerbe ausgespielt. In Belgien gab es viele Vorbereitungsturniere, deren langlebigstes die Coupe des Auguste Samyn von 1924 bis 1933 war. Auch die Niederlande spielten so ein Turnier aus und in Österreich waren es die Pfingstrundspiele, welche den Ligaalltag auflockerten.32 Tabelle 6 – Regionale Meisterschaften der Verbände: Frankreich: Championnat de Paris (1918–19 bis 1936–37) Championnat de Sud-Ouest (1922–23 und 1923–24) Championnat de Provençe (1926–27 bis 1929–30) Championnat de Paris Deuxième Série (1921–22 bis 1932–33) Championnat de Paris Eq. Secondes(1919–20 bis 1926–27) Belgien: Championnat de Brabant (1928–29); Championnat de Antwerp (1929–30) England: Yorkshire Championship (1921–22); Bradford Championship (1921–22) ___________ 31 32
Vgl. Faller: Der große Aufbruch; ders.: Footballeuses V, S. 118; ders.: Footballeuses VI, S. 150; Le Petit Marseillais, 05.01.1927; Les Sports de Provence; 05.01.1931, Brennan, Patrick: Donmouth, http://donmouth.co.uk/ (10.03.2020). Zu den Meisterschaften siehe die jeweiligen Statistikteile der angesprochenen Publikationen von Faller bzw. Faller/Marschik.
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3. Internationale Vergleiche Seltener wurden internationale Wettbewerbe gespielt. Diese waren jedoch mitunter spektakulär, denn Atalante lud zu seiner Ligameisterschaft den französischen Club aus Lille ein und auch in Österreich wurde darüber diskutiert, einen Club aus Bratislava an der Meisterschaft teilnehmen zu lassen. Zudem gab es immer wieder Turniere mit Teams aus zwei verschiedenen Ländern.33 Sehr beliebt waren auch internationale Spiele, von denen es etwa 150 zwischen 1917 und 1939 gab. Hier kam es entweder zu Vergleichen zweier Clubs bzw. einer Auswahl und einem Club zweier unterschiedlicher Länder oder ‚Propagandaspiele‘ zweier Clubs in einem fremden Land. Die Teams aus Frankreich und Belgien waren diesbezüglich besonders rührig. Tabelle 7 – Internationale Turnier: 1923: Coupe de Cooperativo Periodistas (England, Frankreich) 1925: LBFFA (Belgien Frankreich) 1925: Coupe de Pâques (Belgien, Frankreich) 1925: Coupe Fémina (Belgien Frankreich) 1937: Internationales Turnier in Wien (Österreich, Tschechoslowakei) 1937 und 1939: World Championship (England, Schottland) Die Tourneen waren dann die Königsdisziplin mit einem wirklich bemerkenswerten Pensum. Beliebt waren die Spiele in Großbritannien von Teams aus Frankreich und Belgien, aber auch die iberische Halbinsel wurde besucht, ebenso Jugoslawien. Die Anzahl der Spiele hätte sich wohl verdoppelt, wenn alle Pläne in die Realität umgesetzt worden wären. Allerdings scheiterten sie oft am Veto des Männerverbandes des zu besuchenden Landes, oder, wie im Falle Österreichs, an den politischen Umständen, denn 1938 waren Tourneen nach Jugoslawien, Ungarn und Polen geplant, die allesamt abgesagt werden mussten. Bemerkenswert in vielerlei Hinsicht war übrigens die Portugal-Tour von Fémina und einer Pariser Auswahl im Herbst 1923. Die Spielerinnen wurden offenbar zum Objekt der Begierde der männlichen Portugiesen, die von entsprechender Literatur, wie etwa Victor Marguerittes Buch La Garçonne angeregt, das Bild der sexuell freizügigen Französin vor Augen hatten und entsprechend ungeniert die Spielerinnen in jeder Form bedrängten. Neben Liebesbriefen und Gedichten kam es wohl, wie die Berichte nahelegen, zu mindestens einem erzwungenen sexuellen Übergriff, aber auch zu freiwilligen Kontakten. Dies führte dazu, dass die bei jeglichen Fehlverhalten äußerst strenge Verbandspräsidentin Alice Milliat eine Sperre von 24 der 26 mitgereisten Spielerinnen durchsetzen konnte, wobei Germaine Thomas und Lucienne Vellu ___________
33
Vgl. Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 88; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, S. 57–58.
Auf eigenen Beinen
191
zwei Jahre Sperre erhielten, die übrigen zwischen 14 Tagen und sechs Monaten pausieren sollten. Lediglich Pomiès und Redford gingen straffrei aus. Bracquemond, Kapitänin der Nationalmannschaft, die wohl als Privatperson mitgefahren war, blieb gleich in Portugal, um eine Karriere als Filmstar zu starten.34 Tabelle 8 – Ziele der Auslandsreisen: Teams aus England: nach Frankreich und Spanien Teams aus Frankreich: nach England, Schottland, Wales, Nordirland, Belgien, Spanien, Portugal, Italien, Andorra Teams aus Belgien: nach England, Wales, Frankreich, Luxemburg, Spanien, Portugal, Italien Außerdem: Schwedisches Team nach Dänemark, österreichische Teams in die Tschechoslowakei und nach Ungarn, spanische Teams nach Algerien, tschechoslowakisches Team nach Jugoslawien Die Länderspiele schließlich waren die Höhepunkte des Spielkalenders in Frankreich und Belgien. Bis 1923 waren alle als Länderspiel apostrophierten Vergleiche de facto entweder Spiele zweier Clubs, eines Clubs und einer Verbandsauswahl oder zweier regionaler Auswahlen. Ab dem 17. Februar 1924 mit der Begegnung Belgien gegen Frankreich im Palais des Sports begann eigentlich die offizielle Frauenländerspielgeschichte. Erstmals schickten zwei nationale Verbände eine Auswahl zu einem Spiel, welches zudem von einem Unparteiischen aus einem neutralen Land geleitet wurde. 17 Länderspiele wurden bis 1938 ausgetragen. Der organisatorische Aufwand war für die beteiligten Verbände enorm und man achtete sogar auf die Herkunft der Spielerinnen. Dies verhinderte, dass die gebürtige Niederländerin Van Hilten für Belgien und die gebürtige Russin Ivanoff-Zarraga für Frankreich auflaufen konnten.35 ___________ 34
35
Vgl. Newsham: In a League of their own!; Faller: Footballeuse II–VI; ders.: Ihrer Zeit voraus; ders.: Der große Aufbruch; ders./Marschik: Eine Klasse für sich, mit zahlreichen Beispielen für solche Auslandsspiele. Zu den Vorkommnissen rund um die Tournee in Portugal vgl. Faller: Footballeuses VI, S. 23–25, 47–53. Zum ersten Länderspiel: Faller: Ihrer Zeit voraus, S. 27–28; ders.: Footballeuses VI, S. 82-97.
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Helge Faller
Abb. 3: Der zukünftige belgische Meister der Saison 1925/26 Brussels Fémina Club mit Atalante de Jette auf ‚Propagandatour‘ in Portugal und Spanien.36
Tabelle 9 – Alle Länderspiele 1924–1937 Datum
Paarung
Ort
17.02.24 24.02.24 11.04.26 10.04.27 01.04.28 14.04.29 06.04.30 22.03.31 03.04.32
Belgien vs. Frankreich Frankreich vs. Belgien Belgien vs. Frankreich Frankreich vs. Belgien Belgien vs. Frankreich Frankreich vs. Belgien Belgien vs. Frankreich Frankreich vs. Belgien Belgien vs. Frankreich
Brüssel Paris Brüssel Paris Brüssel Paris Antwerpen Douai Brüssel
Resultat 1:2 3:0 0:1 1:2 2:4 6:0 0:4 4:0 0:0
___________ 36
Das Bild stammt vom Auftritt in Vigo am 14. Oktober 1925, als der Fémina Club mit 3:0 gewann. Hintere Reihe (von links): Van Dyck, Van Kesteren (?), Van Truyen, Droogmans, Geeroms (?), J. Toitgans. Vordere Reihe (von links): Pinnel, Evrard, Duchâteau, M. Stevens, L. Stevens. Im Hintergrund ist höchstwahrscheinlich Brussels Vorsitzender Rangé zu sehen (Archiv Helge Faller).
Auf eigenen Beinen 09.04.33 28.04.34 23.05.35 13.04.36 10.08.36 09.05.37 30.05.37 09.08.37
193 Frankreich vs. Belgien Frankreich vs. Belgien Frankreich vs. Belgien Frankreich vs. Belgien Nordirland vs. Frankreich Frankreich vs. Belgien Frankreich vs. Belgien Wales vs. Frankreich B
Roubaix Paris Paris Paris Belfast Le Havre Cherbourg Newport
3:1 0:2 1:0 3:1 1:4 3:0 2:1 2:3
3.1 Die FSFI Der Dachverband der Frauensportverbände war die FSFI. Zwar legte der internationale Frauenverband die Normen fest, nach denen Frauenfußball gespielt werden sollte, allerdings waren nicht alle Frauenfußballnationen im Verband aktiv. Weder die Frauenfußballverbände der Niederlande noch von Österreich waren bis zur letzten Generalversammlung im Mai 1936 Mitglied. Dies sagt aber nichts über den Wert des Frauenfußballs in diesen Ländern aus.37 3.2 (Nord-)Irland Schließlich sollen zum Schluss noch zwei Länder genannt werden, in denen verbandsähnliche Strukturen existierten, es aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zur Verbandsgründung kam. Nordirland war vor allem seit dem Ersten Weltkrieg im Frauenfußball ein sehr aktives Land, welches zunächst durch die Aktivitäten von Mrs. Walter Scott und später von Winnie McKenna bzw. Molly Seaton einige Spiele austrug und sogar eine Auswahl auf die Beine stellte, welche 1920 beinahe gegen Frankreich gespielt hätte. Es scheiterte aber am Geld. Nach einem Tief in der zweiten Hälfte der 1920erJahre erlebte der Frauenfußball in Nordirland einen regelrechten Boom mit zahlreichen Mannschaften und sogar einem nationalen Cup. Höhepunkt war wohl das Länderspiel gegen Frankreich im Jahre 1936.38 3.3 Wales In Wales war es der Süden um Cardiff, Swansea und Newport, der seit dem Ersten Weltkrieg eine sehr lebhafte Frauenfußballszene und sogar eine Waliser Auswahl zu bieten hatte. Der Versuch in den 1920er-Jahren, eine eigene Liga zu schaffen, scheiterte am tödlichen Unfall einer Spielerin. Auch hier gab es ___________ 37 38
Zur FSFI besonders: Breuil: Histoire du football féminin. Vgl. Faller, Helge: Part of the Game. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, Dundalk, 28.02.2020.
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Helge Faller
in den 1930er-Jahren einen neuerlichen Aufschwung und schließlich kam es 1937 sogar zu einem Länderspiel gegen Frankreich B.39 Der Frauenfußball in anderen europäischen Ländern war organisatorisch, soweit dies sich bisher sagen lässt, noch nicht so weit entwickelt, dass bereits Wettbewerbe ausgetragen wurden, obwohl es in manchen Jahren bereits einen recht lebhaften Spielbetrieb gab (so etwa in Italien 1933–34, in Deutschland und Polen zu Beginn der 1920er-Jahre, in Spanien 1931–32 sowie in Schweden und Schottland im gesamten Berichtzeitraum), andere Länder hatten immerhin schon Vereine, die in internationalen Spielen in Erscheinung traten (Tschechoslowakei und Jugoslawien).
4. Zusammenfassung Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich der Frauenfußball auf einem nationalen wie internationalen hohen organisatorischen Niveau befand. Mit Frankreich, Belgien, Großbritannien, den Niederlanden und Österreich hatte man fünf Nationen, die den modernen Frauenfußball bereits vorwegnahmen. Die 1920er-Jahre gehörten dabei den ersten drei Nationen, die 1930er-Jahre den letzteren beiden, wobei in Großbritannien der Spielbetrieb ebenfalls wieder zur Blüte kam. Gerade Österreich konnte durch seine sehr intensiven Kontakte ins benachbarte Ausland und zu den arrivierten Nationen dem Frauenfußball neue Impulse verleihen. Der Zweite Weltkrieg und seine Ausläufer zerstörten im kontinentalen Westeuropa die letzten Reste des organisierten Frauenfußballs, der sich zunächst in den Niederlanden parallel zu Deutschland ab 1954 wieder mit Macht zurückmeldete, in Ostmitteleuropa beendete er eine Entwicklung, die in Österreich in voller Blüte stand und in den angrenzenden Ländern gerade erblühte. Auch hier war der Weg zurück steinig. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Belfast Telegraph, Belfast, 05.11.1926. Illustrierte Kronen-Zeitung, Wien, 09.05.1936. L’Auto, Paris, 28.11.1925, 09.01.1926. La Nation Belge, Brüssel/Paris, 10.01.1929, 03.05.1929 Le Petit Marseillais, Marseille, 05.01.1927. Les Sports de Provence; Marseille, 05.01.1931. Les Sportives, Paris, 1923–1924. ___________ 39
Vgl. Belfast Telegraph, 05.11.1926; Faller, Helge: Crossing the Border. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, International Football History Conference, Manchester, 05./06.06.2019.
Auf eigenen Beinen
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Literatur Brennan, Patrick: Blyth Spartans Ladies FC, 2006, http://donmouth.co.uk/womens_football/ blyth_spartans.html (10.03.2020). Brennan, Patrick: Dasies, Lilies and Angels, Mai 2007, http://donmouth.co.uk/womens_ football/1889.html (10.03.2020). Brennan, Patrick: The Engish Ladies Football Association, 2007, http://donmouth.co.uk/ womens_football/elfa.html (10.03.2020). Brennan, Patrick: The Munitionettes – A History of Women’s Football in North East England during the Great War, Rowlands Gill: Donmouth Publishing, 2007. Brennan, Patrick: England vs. Scotland – 1881, Dezember 2011, http://donmouth.co.uk/ womens_football/1881.html (10.03.2020). Brennan, Patrick: The British Ladies’ Football Club, 2015, http://donmouth.co.uk/ womens_football/blfc.html (10.03.2020). Brennan, Patrick: Donmouth, http://donmouth.co.uk/ (10.03.2020). Breuil, Xavier: Histoire du football féminin en Europe, Paris: Nouveau Monde, 2011. Faller, Helge: Lady Footballers, Nußdorf: Privatdruck, 2014. Faller, Helge: De eerste Voetballerinas, Nußdorf: Les Sports et la Femme 2017. Faller, Helge: Les Footballeuses, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2017. Faller, Helge: Les Footballeuses II – la saison 1919-–20, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018. Faller, Helge: Les Footballeuses III – la saison 1920–21, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018. Faller Helge: Ihrer Zeit voraus – Die Geschichte des Belgischen Frauenfußballs (1921–25), Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019. Faller, Helge: Les Footballeuses IV – la saison 1921–22, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019. Faller, Helge: Les Footballeuses V – la saison 1922–23, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2019. Faller, Helge: Crossing the Border. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, International Football History Conference, Manchester, 05./06.06.2019. Faller, Helge: Der große Aufbruch – Frauenfußball in Belgien von 1925 bis 1928, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2020. Faller, Helge: Les Footballeuses VI – la saison 1923–24, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2020. Faller, Helge: Part of the Game. Unveröffentlichtes Vortragsmanuskript, Dundalk, 28.02.2020. Faller Helge/Marschik, Matthias: Eine Klasse für sich – Als Wiener Fußballerinnen einzig in der Welt waren, Wien: Verlagshaus Hernals, 2020 (im Druck). Gibbs, Stuart: Lady Players – The Strange Birth of Women’s Football, Nußdorf: Les Sports et la Femme, 2018. Marschik, Matthias: Frauenfußball und Maskulinität – Geschichte – Gegenwart-Perspektiven, Münster/Hamburg/London: LIT, 2003. Marschik, Matthias: „Damen wollen Fußball spielen“ – Frauenfußball in Österreich. Historischer Rückblick – aktuelle Ausblick, in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland – Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 161–188. Newsham, Gail: In a League of their own! – The Dick, Kerr’s Ladies 1917–1965, Milton Keynes: Lightning Source, 2018. Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris: L’Harmattan, 2003. Prudhomme-Poncet, Laurence: Les Femmes, Balle au Pied – A history of French Women’s Football, in: Magee, Jonathan [u. a.] (Hg.): Women, Football and Europe – History, Equity and Experiences, Oxford: Meyer & Meyer Sport, 2007, S. 27–39. N. N.: Salaires et prix (1919–1939), 2005, http://clioweb.free.fr/dossiers/salaires/salprix.htm (08.03.2020).
Von den 1950er- bis zu den 1980er-Jahren: Widerstände & Aufbrüche
Carina Sophia Linne
Spielanalyse
Die Rolle der Geschlechterbilder im deutsch-deutschen Frauenfußball
L’année 2020 est une année particulière pour le football féminin en Allemagne. Cinquante ans se sont écoulés depuis que la Fédération allemande de football leva l’interdiction de jeu qui touchait les footballeuses d’Allemagne de l’Ouest. De même, depuis 30 ans, les joueuses de l’Est et de l’Ouest de l’Allemagne peuvent affronter ensemble le ballon rond. Comment se déroulèrent les matchs entre Erfurt et Leipzig ou entre Francfort-sur-le-Main et Hambourg jusqu’en 1990 ? Cet article traite principalement du rôle des sexes dans la presse germano-allemande et soulève diverses questions : Où trouva-t-on des signes d’émancipation des femmes dans les pages sportives des journaux ? Où apparût-il clairement que le football était le symbole d’une identité masculine dans ce sport ? Cette analyse partielle définit l’esprit de l’époque et plus largement le contexte politique dans lequel se déroulèrent les matchs de football féminin à l’Est et à l’Ouest. Au-delà de la présentation purement sportive que l’on peut supposer dans la presse, l’expérience personnelle des joueuses, sur laquelle se ruèrent les journalistes, majoritairement masculins, dans leurs reportages, est ici primordiale. Denn obwohl sich das Bild der Frau in der Gesellschaft in dem Maß ändert, indem sie in die Domänen der Männer eindringt und sich an der öffentlichen Ausübung aller gesellschaftlichen Praxen auch öffentlich beteiligt, ist das Verhalten der Fußballerinnen auf dem Fußballplatz (noch) nicht akzeptabel.1
Dieses Zitat von Sabine Krause aus dem Jahr 2007, welches die Rolle der Fußballerinnen in der Öffentlichkeit beschreiben soll, lässt gleich zu Beginn dieses Artikels die Kernproblematik des Frauenfußballs in Deutschland erkennen: die Wahrnehmung eines Sports, der sich seine Anerkennung über viele Jahre in beiden Teilen Deutschlands erspielen musste. Wer an den Frauenfußball in Deutschland denkt, kommt daher schnell aufgrund der langjährigen Berichterstattung zum berühmt berüchtigten Kaffeeservice, dass es 1989 zum Gewinn der Europameisterschaft für die Fußballerinnen von Tina Theune-Meyer gab. Eine Geschichte, die unlängst einen festen Platz in der deutschen Frauenfußballgeschichte gewonnen hat. Doch was dabei oft in der Retrospektive vergessen wird, ist, dass einst die Fußballerinnen bis zum Oktober 1970 warten mussten, um offiziell vom eigenen Verband, ___________ 1
Vgl. Krause, Sabine: Weiblichkeit und Sportlichkeit. Der Körper im Frauenfußball, in: Schmidt, Birger/Krankenhagen, Stefan (Hg.): Aus der Halbdistanz. Fußballbiographien und Fußballkulturen heute, Berlin: LIT, 2007, S. 97–112, hier S. 104.
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Carina Sophia Linne
dem Deutschen Fußball-Bund, anerkannt zu werden. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gab es bereits früher die Möglichkeit, sich Raum zu verschaffen. Eine Analyse der Sport- und Alltagspresse der DDR wird in diesem Artikel nachweisen, dass sich der Frauenfußball zu einem festen Freizeit- und Erholungssport in den einzelnen Bezirken entwickelte.2 Wie stellte sich der Damen- oder auch Frauenfußball in den jeweiligen Medien der beiden unterschiedlichen deutschen politischen Systeme dar? Wenn man der Argumentation von Catharina Tamara Meyer folgt, dann ist „Geschlecht […] also nicht etwas, was wir sind oder haben, sondern etwas, was wir herstellen oder tun“3. Es ist also interessant, zurück in die Vergangenheit zu gehen und zu analysieren, welcher Wandel sich in über 30 Jahren zum Rollenbild der Fußballfrau abzeichnete. Dabei geht es auch um Auffassungen über diesen Sport, der versuchte, in die „Arenen der Männlichkeit“4 einzudringen.
1. „Nicht um das Für und Wider“ – Die Frühphase des DDRFrauenfußballs Der Busen und die Beine der Spielerinnen interessieren zumindest Berichterstatter, Kameramänner und Zuschauer oft mehr als ihre Tore.5
Im geteilten Deutschland hatte die Berichterstattung nicht nur aufgrund der unterschiedlichen politischen Gesellschaftsverhältnisse zu Beginn einen anderen Fokus auf den Frauen- und Damenfußball. Auf westdeutscher Seite, so die These dieses Artikels, beeinflusste der Weltmeistertitel von Bern 1954 und das seit 1955 existierende Verbandsverbot die mediale Darstellung der Damen. In der DDR hatten die Frauen erstmals 1960 mit einem Artikel in der ___________ 2
3
4 5
Vgl. Linne, Carina Sophia: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra wissenschaft verlag, 2011, S. 39–40, 58–59, 114–115. Siehe auch Pfister, Getrud: Zwischen Weiblichkeitsidealen und sportlichen Erfolgen – Geschlechtersegregierungen im Sport, in: dies. (Hg.): Frauen und Sport in der DDR, Köln: Sportverlag Strauß. 2002, S. 104–146. Zit. nach: Getrud Pfister 2002, S. 22, bei: Meyer, Catherine Tamara: Fußball unter der gender-Perspektive oder: Warum liegt die Wahrheit nicht „auf`m Platz“?, in: dies. (Hg.): Was hindert Mädchen am Fußballspielen? Chancen und Barrieren für Mädchenfußball im Sportverein, Wuppertal: VDM Verlag Dr. Müller, 2005, S. 71–96, hier S. 71. In Anlehnung des soziologischen Überblickswerks von Kreisky, Eva/Spitaler, Georg (Hg.): Arena der Männlichkeit: Über das Verhältnis von Fußball und Geschlecht, Frankfurt a. M./New York: Campus-Verlag, 2006. Kugelmann, Claudia: Geschlechterordnung als soziale Konstruktion - Weiblichkeitszwang als Machtmittel einer patriarchalen Gesellschaft, in: dies. (Hg.): Starke Mädchen - schöne Frauen? Weiblichkeitszwang und Sport im Alltag, Butzbach-Griedel: Jung/Paul Verlag, 1996, S. 13–59, hier S. 55.
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ostdeutschen Fußball-Woche (Fuwo) auf sich aufmerksam machen können. Weitere Leserbriefe zur Entwicklung des Frauenfußballs tauchten hier aber erst ab 1968 im Deutschen Sportecho auf.6 Die Frühphase der Fußballerinnen in der DDR ist geprägt von der sozialistischen Emanzipationsbewegung der Frauen. Wichtig für das Frauenbild in der DDR war, dass Frauen eine produktive Arbeitskraft waren, egal ob als Mütter oder alleinstehende Frauen. Sofern ein Kind geboren wurde, ging es zielführend darum, die Mutter frühzeitig wieder in den Erwerbsprozess einzugliedern.7 Ideologische und ökonomische Zielsetzungen trafen dabei zusammen: Die von den marxistischen Klassikern geforderte Befreiung des weiblichen Geschlechts durch seine Eingliederung in den Produktionsprozess entsprach angesichts des Mangels an Arbeitskräften voll und ganz den Intentionen von Partei und Staat.8
Bezogen auf die Fußballerinnen in jener Zeit ist zu konstatieren, dass nicht viele Spielerinnen auch Mütter waren. Sie gingen oft noch zur Schule oder befanden sich gerade in der Ausbildung. Die ersten Artikel von oder Anhänger*innen des frühen weiblichen Fußballsports blieben somit auf einer Ebene der Neugier, wie auch eines der ersten journalistischen Zeugnisse zum Frauenfußball in der DDR von Februar 1960 neutral aufzeigte. Das damals vermeintlich ‚schwache‘ Geschlecht widmete sich nun dieser ‚typischen‘ männlichen Sportart. Vielmehr ging es für den Autor um erste schüchterne Gehversuche Ostdeutschland.9 In diesen beiden Bildreportagen ging der Reporter zum einen auf den laienhaften Umgang der Frauen mit dem Ball ein, zum anderen gestattete er ihnen einen Kampfeseifer und den Willen, dieses Spiel zu gewinnen. Die Bilder zeigten alle Elemente des Fußballspiels von Entsetzen, Willen und Enttäuschung.
___________ 6 7 8 9
Vgl. Linne: Freigespielt, S. 40–41. Vgl. Helwig, Gisela: Frauen, in: Weidenfeld, Werner/Korte, Karl Rudolph (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit 1949–1989–1999, Bonn: Campus, 1999, S. 383-392, S. 383. Helwig sprach vom „sozialistischen Emanzipationsmodell“. Helwig: Frauen, S. 384. Helwig stellte in Folgendem eine Reihe von Maßnahmen zur Arbeitsförderung der Frauen vor, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Vgl. N. N.: Nicht um das Für und Wider! Kampfeseifer – Enttäuschung, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 5, 02.02.1960, S. 11.
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Diese Grundlage für Fußballerinnen in der DDR wurde 1964 gelegt, als das Schiedsrichterwesen, wenn auch langsam, den Bürgerinnen zugänglich gemacht wurde. 10 Jedoch blieb die Förderung des Frauenfußballs auf Nachfrage einzelner Akteurinnen wie der Leipzigerin Waltraud Horn noch aus.
Abb. 1: Artikel „Nicht um das Für und Wider“. ___________ 10
Linne: Freigespielt, S. 42. Es ist die Rede von Nelly Hornung und Eva-Maria Liebethal, die die ersten Schiedsrichterinnen der DDR waren. Dieses Themenfeld steht immer noch offen für weitere Forschungen.
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Waltraud Horn spielte damals unter der Trainerführung ihres Vaters bei der BSC Chemie Leipzig und hätte gerne erlebt, dass sich der Deutsche FußballVerband (DFV) der DDR dem Frauenfußball annimmt. Die Antwort des damaligen Verbandspräsidenten auf ihre Anfrage fiel ernüchternd aus:
Abb. 2: Antwortschreiben DFV der DDR, Dezember 1967.
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Neben Dresden ist damit auch Leipzig als Wiege des frühen DDR-Frauenfußballs zu sehen. Das Plädoyer von Fritz Große in seinem Leserbrief im Deutschen Sportecho vom Januar 1968 machte dies ebenso deutlich: Viele Neugierige kamen kürzlich auf den Platz der BSG Lok Leipzig-Nordost. Sie erhofften, eine Gaudi zu erleben: Vier Mannschaften aus Halle, Wittenberg, Bergwitz und Leipzig trafen sich zu einem Fußballturnier – Fußballerinnen wohlgemerkt! Aber die da ihren Spaß haben wollten, sahen sich schnell getäuscht. Die Mädchen und Frauen auf dem Rasen nahmen ihr Spiel durchaus ernst, und sie verstanden manchmal besser mit dem Leder umzugehen als manch männlicher Kollege.11
In der Gesamtanalyse zur Frauenfußballberichterstattung im Deutschen Sportecho wurden in 22 Jahren insgesamt 91 Artikel abgedruckt. Die Anzahl ist hierbei nicht entscheidend. Viel wichtiger ist, dass die Ausübung des neuen Sports dieser Frauen in der sozialistischen DDR positiver angenommen wurde als in der Bundesrepublik Deutschland. Im Westen der Republik dominierte das Verbandsverbot des DFB die öffentliche Sichtweise. Argumentativ unterstützt wurde dieses nachdrücklich in jener Zeit mit der angeblich gesundheitlichen Beeinträchtigung für die fußballspielenden Damen. Der Mediziner Albert Zapp übertrug die Ergebnisse psychologischer und gynäkologischer Studien über die Schädlichkeit von Leistungssport für Frauen auf das Fußballspiel. Mit Hinweisen auf ‚gefühlsmäßige Grenzen‘ für den Frauensport und das Naturgesetz der Geschlechter, das einen Sport wie Fußball für die Frauen nicht vorsehe, lehnte er den Frauenfußball ab. Ein Cartoon brachte Zapps Ausführungen auf den Punkt. ‚Damenfußball‘ als Zirkusveranstaltung ähnlich den Frauen-Ringkämpfern, der eigentliche Platz der Frauen – mit der Familie auf der Tribüne statt auf dem Spielfeld.12
Dieses Bild der Fußballerinnen in den dafür jeweils vorgesehenen DDR-Medien folgte den Vorgaben des Freizeit- und Erholungssportes sowie der Betriebe. Diese zeigten sich hoch erfreut, dass sie in ihren Reihen fortan Fußballerinnen hatten. Die Betriebszeitung Der Brennpunkt vom VEB Pentacon Dresden beispielsweise feierte ihr kürzlich gegründetes Betriebsteam mit dem Artikel „Junge Mädchen, Sonnenschein und Fußball“13. Diese Entwicklung blieb keine Eintagsfliege und wiederum aus Leipzig kam der letzte nachweisbare frühe Hinweis zum Frauenfußball in der DDR: ___________ 11 12 13
Große, Fritz: Kein Kontra der Grazie, in: Deutsches Sportecho, Nr. 3, 03./04.01.1968, S. 5. Osses, Dietmar: Fußball weiblich, in: Brüggemeier, Franz-Josef/ Borsdorf, Ulrich/ Steiner, Jürg (Hg.): Der Ball ist rund. Katalog zur Fußballausstellung im Gasometer Oberhausen, Essen: Klartext, 2000, S. 298–309, hier S. 301. Lehmann, Fritz: Junge Mädchen, Sonnenschein und Fußball, in: Der Brennpunkt, Nr. 15, 22.04.1969, S. 8.
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Mag es auch wie ein Spaß klingen: man wird sich in Leutzsch auch des Frauenfußballs annehmen, nach dem er bei Lok Leipzig Nordost entstand und von Chemie-Anhängerinnen eine Vertretung der ‚Mädchen, Bräute und Frauen gewünscht wurde‘.14
Ab Mitte der 1960er-Jahre hatte somit die weibliche Bevölkerung der DDR die Möglichkeit, Fußball zu spielen. Faktisch schien der Sport (später) mit der Ehe vorbei zu sein. Ausnahmen gab es jedoch mancherorts, wie bei der BSG NAGEMA Neubrandenburg, wo der Betreuerstab um Werner Lenz – und seine Frau – regelmäßig auf die Kinder der Spielerinnen während der Partien aufpasste.15 Was kann aus jener Zeit Ende der 1960er-Jahre über den bundesrepublikanischen und durch das Verbandsverbot des DFB eingeschränkten Damenfußballs festgehalten werden? Der im Westen Deutschlands allmählich und inoffiziell beginnende Punktspielbetrieb ab 1968 hatte seine Hürden zu überwinden. Zum Beispiel kam in einem Artikel für die Westberliner Fußball-Woche ein Journalist im Oktober 1969 zu dem Statement, dass Fußball kein Damensport sei, er sich aber offen hielte, von einer anderen Meinung belehrt zu werden.16 Dennoch musste er in seinem Bericht konstatieren, dass ein Meisterschaftsspiel des Kreisklassenvereins TSV Weiß verlegt werden musste, weil die Damen – hier als Amazonen betitelt – mehr Zuschauer*innen und Einnahmen brachten. Für die Umbruchphase vor der Aufhebung des Verbandsverbotes war dies kein Einzelfall. Höhepunkt vor der offiziellen Einführung des Frauenfußballs war die Suche der Westberliner Fußball-Woche nach einem Nachfolger des Maskottchens Willie zur Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik. Eine sehr kurvige Blondine mit bundesrepublikanischem Haarband und einem tiefen Ausschnitt sollte es werden.17 Das letzte Beispiel für diese Anfangszeit des Damenfußballs stellt die Berichterstattung über das Spiel zwischen Schwarz-Weiß Landau und den Datschiburger Kickers aus Augsburg dar. Als Vorspiel der Bundesligapartie des 1. FC Kaiserslautern und des 1. FC Köln fand diese Partie auf dem Betzenberg statt.18 Unmissverständlich klingt der Zeitgeist von damals durch:
___________ 14 15 16 17 18
N. N.: Erwähnung Leutzscher Frauenfußballabteilung, in: Deutsches Sportecho, Nr. 10, 13.01.1969, S. 4. Vgl. 1. FFC Neubrandenburg: Vereinschronik BSG NGMB/NAGEMA Neubrandenburg, 1972–1990, Neubrandenburg, 1990. Vgl. N. N.: Zwischen gestern und morgen. Frauen am Ball., in: Fußball-Woche, Nr. 8, 27.10.1969, S. 43. Vgl. N. N.: Wer wird Willies Nachfolger 1974?, in: Fußball-Woche, Nr. 47, 24.11.1969, S. 46. Vgl. Fritz, Danco: Blick ins Land. Frauenfußball: Landau – Augsburg, 27.04.1970, in: SWRArchiv, 701367.
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Carina Sophia Linne Hilfe! Die Frauen sind dabei, nun auch die geheiligte Domäne der Männer zu erobern: den Fußballplatz. Nicht, wie sie meinen, als Fußballerbräute auf den Rängen, nein sie kicken jetzt auch, und das nicht einmal so schlecht. Auf dem Betzenberg fehlte ihnen zwar noch die Unterstützung der Weiblichkeit von den Tribünen – trotz Damenfußball waren nicht mehr Frauen als sonst gekommen – dafür jedoch hat die lautstarke Männerkulisse mit Kommentaren und Anfeuerungen nicht gegeizt.19
Nach der Zeit der Bedenken bezüglich biologischer Differenzen und Konsequenzen überwogen jetzt die Äußerlichkeiten der Spielerinnen. Das Ergebnis schien nebensächlich und die Meinung der Zuschauer*innen wichtiger. Die Journalisten – in diesen Beispielen waren es durchweg Männer, die über den Frauenfußball schrieben – hatten frühzeitig gelernt, mit den Gegebenheiten des Damenfußballs zu kokettieren. Beschreibungen von zwei Vertreterinnen der holden Weiblichkeit bis über zum ladyliken Bemühen zierten die Artikel.20 In dieser zeitlichen Entwicklung waren sie den DDR-Reportern etwas voraus.
2. 1970er-Jahre: Steigendes Ansehen des Frauenfußballs In den 1970er-Jahren wollte der deutsch-deutsche Damen- beziehungsweise Frauenfußball mehr Aufmerksamkeit erzeugen. Ziel war es, die Position im jeweiligen Sport- und Gesellschaftssystem zu stärken. Doch wie konnte dieses Vorhaben erreicht werden? Medial fing hier die Konzentration auf die äußerlichen Umstände der spielenden Frauen an. Etwas, was sich auch bis heute noch in der Berichterstattung hält, in nun 50 Jahren der Aufhebung des westdeutschen Verbandsverbotes. In der Fuwo auf DDR-Seite wurde zum Beispiel der Internationale Frauentag zum Anlass genommen, um auf dieses neue Phänomen aufmerksam zu machen: Eine junge hübsche Frau auf der Titelseite der FUWO? So wird bestimmt mancher beim Anblick dieser Ausgabe fragen. Es geht uns jedoch weder um jung noch hübsch – vielmehr um die Frauen ganz allgemein. Eine nicht unerhebliche Anzahl weiblicher Fußballenthusiasten ist ebenso wie ihre männlichen Kollegen unermüdlich für unseren Sport tätig, als Schiedsrichterin, Betreuerin, Funktionärin und auch Übungsleiterin.21
Der Redakteur sprach von weiblichen Fußballenthusiasten, die bereits mit 18 Jahren das Amt der Trainerin für ein Jungenteam beim BFC Dynamo mit ___________ 19 20 21
N. N.: 20000 mal Mordsgaudi beim Damenfußball, in: Rheinland-Pfälzische Post, 27.04.1990. Vgl. Kauer, Wolfgang: Augsburger „Pflaumenkuchen“ zu sauer für Landauer Mädchen, in: Rheinland-Pfälzische Post, 27.04.1970. Binkowski, Manfred: Das fuwo-thema, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 9, 03.03.1970, S. 9.
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Übungsleiterlizenz angetreten hatte.22 Grundsätzlich herrschte bei den Leserinnen und Lesern der Fuwo ernsthafte Neugier gegenüber dem Frauenfußball. In einem Kommentar vom 29. Juni 1971 hieß es: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die in letzter Zeit hin und wieder zu findenden Spielberichte über den Damenfußball mehr oder weniger davon zeugten, man wolle Sensationen darstellen. Ich selbst bin der Auffassung, daß die Damenfußballer ein ganz anderes Ziel anstrebten.23
Anfang der 1970er-Jahre gab es bereits 150 Mannschaften in der DDR. Innerhalb des sportlichen Alltags der DDR und des DFV wurde der Frauenfußball als Volkssport in den Wettspielbetrieb aufgenommen.24 Wie oben bereits angeklungen, waren in der Anfangszeit die äußeren Umstände und die Äußerlichkeiten der Frauen beim Spiel selbst Mittelpunkt der Berichterstattung. Zum Beispiel konnte für die wissenschaftliche Analyse ein Fernsehbeitrag25 gefunden werden, der zwar versuchte, sich auf das spielerische Geschehen in Ostberlin zu konzentrieren, doch in der Kameraführung zu Beginn drei Frauengesäße filmte. Das spielerische Niveau steckte noch in den technischen Kinderschuhen. Jedoch waren die Aufnahmen der Zusammenstellung der Zuschauenden interessant. Die Gäste am Spielfeldrand waren mehrheitlich Männer schätzungsweise im Alter zwischen 30 und 70 Jahren. Lediglich vier Frauen wurden einmal im Bild präsentiert. Das – vor allem männliche – Interesse an dieser neuen Sportart war für Ostberlin zu jener Zeit also gegeben. Die Sendung Sport Aktuell betonte in einem weiteren Bericht die Zusammengehörigkeit der Familie und Sport. Es wurde von einem Betriebssportfest des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Adlershof im September 1971 berichtet, bei dem zwei Damenmannschaften gegeneinander antraten.26 Interessanterweise gab es hier auch einmal einen Kameraschwenk vom Kinderwagen zum Spielobjekt Fußball. Der Regisseur Jo Hassler stellte in seinem Musikfilm Nicht schummeln, Liebling!27 1973 eine Frauenfußballmannschaft ins Zentrum des Geschehens.
___________ 22 23 24 25 26 27
Vgl. Binkowski: fuwo-thema, S. 9. Schaefer, Otto: Das fuwo-thema, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 26, 29.06.1971, S. 16. Vgl. Schaefer: Das fuwo-thema, S. 16. Vgl. Sport aktuell: DDR-Sportumschau, Grün-Weiß Baumschulenweg – Einheit Treptow, 11.04.1971 in: DRA: AD2864/1. Vgl. Sport aktuell: Betriebssport, Sportfest des DFF in Adlershof, 26.09.1971, in: DRA: AD4307/1. Vgl. Hasler, Joachim: Nicht schummeln, Liebling!. Film, 1972, https://www.defa-stiftung.de/ filme/filmsuche/nicht-schummeln-liebling/ (15.02.2020).
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Auch wenn die Geschichte des Frauenfußballs nur einen Nebenstrang darstellte und als unreal und gesellschaftsfremd kritisiert wurde, kann man darin einen Beleg für die Öffnung der DDR-Gesellschaft für diesen Sport sehen.28 Die aus ökonomischen und ideologischen Gründen in der DDR forcierte Einbeziehung in den Erwerbsprozess brachte den Frauen zwar nicht dieselben Aufstiegschancen wie den Männern, aber finanzielle Unabhängigkeiten und ein gestärktes Selbstbewusstsein. Im Westen dagegen hatten die Frauen schon wegen der unzulänglichen Kapazitäten der öffentlichen Kinderbetreuung große Probleme, Beruf und Familie auf einen Nenner zu bringen.29
Während in der DDR das Gesellschaftssystem die Frauen dazu aufforderte zu arbeiten, um selbstbewusst frühzeitig eine Familie zu gründen, war es in der Bundesrepublik genau das Gegenteil. Dies spürte man weitgefasst auch im Sport und so auch im Damenfußball auf der anderen Seite der Mauer. So tauchte nachdrücklich – und zum Glück möchte man meinen – Mitte der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik im Bereich des Leistungssports die Meinung auf, dass die Männer die falschen Maßstäbe setzten.30 Auf einer Tagung des Frauenreferates des Bundesinnenministeriums in Bonn beschäftigte man sich mit der lautlosen Diskriminierung der Frauen. Liselott Diem – Frau von Carl Diem, dem Organisator der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin – stellte als Präsidentin des Internationalen Verbandes für Sport und Leibesübungen in ihrem Referat dazu fest: Das eigentliche Problem – zu einem Satz zusammengefasst – besteht gar nicht darin, daß Frauen ganz bestimmte Dinge nicht können, sondern, daß Männer zu wissen glauben, daß dies die Frauen nicht können.31
Ihr war es auch in den Jahren zuvor zu verdanken gewesen, dass einige Mediziner die pseudowissenschaftlichen Urteile über den Sport aufgaben. Die 1970er-Jahre standen demnach unter dem Motto, die Frauen bestimmen selbst, was sie können und was nicht.32 Man(n)33 sprach außerdem davon, dass sich die Sportlerinnen in den letzten Jahren am runden Leder emanzipiert hätten und somit nicht im Abseits stünden.34 Für diese Entwicklung sprachen auch die Zahlen. Das sogenannte ‚Internationale Jahr der Frau‘ 1975 verzeichnete am Ende 12 000 Spielerinnen mit ___________ 28 29 30 31 32 33 34
Vgl. N. N.: Kino-Eule, in: Eulenspiegel, Nr. 29, 03.07.1973, S. 6. Hellwig: Frauen, S. 389. Vgl. Theens, Ria: Die Männer setzten falsche Maßstäbe, in: Rheinische Post, 16.04.1974. Theens: Die Männer setzten falsche Maßstäbe. Vgl. Theens: Die Männer setzten falsche Maßstäbe. In diesem Fall eine Journalistin. Vgl. Veit, Brigitte: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits. Sportlerinnen haben sich in den letzten Jahren auch am runden Leder emanzipiert, in: Stuttgarter Nachrichten, 03.02.1975.
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200 Mannschaften im Württembergischen Fußball-Verband und auf Bundesebene 150 000 Damen in 2 500 Vereinen.35 Diese scheinbare positive Entwicklung wurde im Stern zum 75. Jubiläum des DFB mit folgendem Bild dargestellt: „Aber Fußball ist in Deutschland aus einem besonderen Saft, gegoren aus Chauvinismus, Tradition und Glauben an die eigene Unfehlbarkeit.“36 Die Frauen erhielten somit im Vergleich zum bezahlten Männersport keine Möglichkeit, aus ihrem Hobby einen Beruf zu machen. Höchstens in Ausnahmefällen wurden Spielerinnen aus dem Ausland mit einer Ablösesumme gelockt. Zwei Spielerinnen vom Bonner SC erhielten ein Angebot, für 50 000 DM nach Italien zu wechseln.37 Positiv hervorzuheben ist, dass die Berichterstattung sich teilweise vom angesprochenen Chauvinismus zu einer neutralen Sportberichterstattung entwickelte. Anneliese Weidner durchlief im Falle der Westberliner Fußball-Woche diese Metamorphose. Im Spieljahr 1973/74 wählte sie anfänglich noch Überschriften wie „Noch Kinderkrankheiten“38, „Damen blieben am Kochtopf“39 oder „Monika als ‚Mutter des Sieges‘“40. Ab 1980 konzentrierte sie sich überwiegend auf den sportlichen Wert des Damenfußballs.41 Die Westberliner Fußball-Woche hatte glücklicherweise eine damenfußballfreudige Chefredaktion vorzuweisen. 2.1 Gender und Medien im Frauen- bzw. Damenfußball Bei der Betrachtung der Medien in Ost und West fällt auf, dass der Zugang zur Berichterstattung über die Fußballerinnen häufig über die Zweigeschlechtlichkeit erfolgen musste. Nur in Ausnahmefällen, wie bei der Redakteurin Anneliese Weidner aus Westberlin oder bei den Berichten aus den Betriebszeitungen wurde auf den äußerlichen Zugang verzichtet. Im Bezirk Potsdam beispielsweise kündigte ein Artikel die Gründung der Mannschaft ___________ 35 36 37 38 39 40 41
Vgl. Veit: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits. Bizer, Peter: Fußball, Fußball über alles, in: Stern, 15.05.1975. Vgl. Veit: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits. Vgl. Weidner, Anneliese: Noch Kinderkrankheiten, in: Fußball-Woche, Nr. 15, 09.04.1973, S. 29. Vgl. Weidner, Anneliese: Damen blieben am Kochtopf, in: Fußball-Woche, Nr. 17, 16.4.1973, S. 25. Vgl. Weidner, Anneliese: Monika als Mutter des Sieges, in: Fußball-Woche, Nr. 48, 26.11.1973, S. 26. Vgl. einige ausgewählte Artikelüberschriften zwischen 1976 und 1979: Weidner, Anneliese: Damen Fußball. Virginia mit Eckball-Tor, in: Fußball-Woche, Nr. 35, 23.08.1976, S. 37; Weidner, Anneliese: Damen Fußball. MBC-Husarenstreich gegen TeBe, in: Fußball-Woche, Nr. 41, 04.10.1976, S. 40; Weidner, Anneliese: Die Bayern kommen, in: Fußball-Woche, Nr. 44, 29.10.1979, S. 40.
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der BSG Turbine Potsdam mit der Überschrift „Nun kicken auch in Potsdam Mädchenbeine“42 an. Auch in Karl-Marx-Stadt spielte das schöne Geschlecht auf dem Fußballrasen. Immer mehr finden auch unsere Frauen und Mädchen Interesse am Spiel mit dem runden Leder. So auch am vergangenen Sonnabend, als es auf dem Sportplatz an der Clausstraße zum Aufeinandertreffen der Mannschaften von Motor Mitte KarlMarx-Stadt und Pentacon Dresden kam. Tausende Karl-Marx-Städter sahen den 1:0-Sieg der Gäste, sparten aber auch nicht an Beifall für die einheimischen Damen.43
In einem Bericht über die inoffizielle Weltmeisterschaft in Turin reihten sich die Fuwo-Reporter selbst sogar in die westliche Rhetorik zum Frauenfußball ein: In der Tat gehen die Meinungen über die Ernsthaftigkeit des Frauenfußballs jedoch nach wie vor weit auseinander. Während die einen auf das offensichtlich immer größer werdende Interesse hinweisen, warnen vor allem Sportmediziner vor den Eigenarten und den Anforderungen der ‚männlichen‘ Sportart.44
Eine Berichterstattung bezüglich der Bedenken der Ausübung des Frauenfußballs für die DDR-Seite konnte nur noch einmal festgestellt werden, als es um die Aufnahme des Frauenfußballs in die Spielordnung des DFV Mitte 1971 ging. Hier hieß es zum einen, dass die Mädchen und jungen Frauen Neuland in der Domäne des starken Geschlechts betraten und dass das Regelwerk aufgrund der Physis und der Konstitution der Frau geändert werden müsste.45 Die körperlichen Unterschiede wurden zum Teil auch auf DDR-Seite betont. Über den Jahreswechsel 1970/71 bildeten sie als Spielerin des Tages Desireé Bolle aus der Kreisklasse Weißensee mit nur einem gestreiften BH, knappen Hosen, dreckigen Knien und geringelten Stutzen ab. Allerdings wies man im Untertitel noch darauf hin, dass sie Torschützenkönigin der Damen war.46 Eine gewisse weibliche Fixierung konnte somit punktuell für die DDR-Frauenfußballberichterstattung nachgewiesen werden, auch wenn dieses Beispiel wieder unter die Kategorie „Silvesterscherz“ einzuordnen war. Es konnte aber auch auf die Sportlichkeit in der Berichterstattung bildlich hingewiesen werden. Beispielsweise druckte die Freie Presse eines der besten Bilder der Anfangszeit in der DDR vom Fotografen Günter Weisflog ab, als die BSG Motor Mitte ___________ 42 43 44 45 46
Vgl. K. M.: Nun kicken auch in Potsdam Mädchenbeine, in: N. N., März 1971, zit. nach: Privatarchiv Elke Mertens. Weisflog, Günter: Bildunterschrift Frauenfußball BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt, in: Freie Presse, 09.07.1971. N. N.: Dänemarks Frauen trafen am besten, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 40, 04.10.1983, S. 15. Vgl. Schaefer: Das fuwo-thema, S. 16. Vgl. N. N.: Spielerin des Tages, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 52, 29.12.1970, S. 10.
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Karl-Marx-Stadt gegen DFC Krimice, ein Verein aus der zweiten CSSR-Liga, spielte. Dieses sehr sportive Bild wertete den Eindruck der ersten stiefmütterlichen Spiele aus den TV-Beiträgen wieder auf, auch wenn die Karl-MarxStädterinnen hoch verloren: Vor nahezu 1.000 Zuschauern fand am Sonnabend auf dem Dynamo-Sportplatz in KarlMarx-Stadt ein internationales Damenfußballspiel zwischen BSG Motor Mitte Karl-MarxStadt und dem DFC Krimice (2. CSSR-Liga) statt. Die Gäste siegten mit 8:1 (1:0) Toren.47
Höhepunkt der TV-Berichterstattung zum Frauenfußball in der DDR war 1974 der Beitrag in Sport Aktuell, bei der ein Reporter mit der Frauenmannschaft aus Hoyerswerda das Gruppenspiel DDR gegen die Bundesrepublik ansah.48 Die Spielerinnen wurden einerseits nach ihrer Vorstellung zur Taktik der DDR-Mannschaft gefragt, andererseits welches Wissen sie aus ihrem Training anwenden können. Beim Tor von Sparwasser jubelten die jungen Frauen samt ihrem Trainer. Ein Männerkorrektiv war also auch hier mit dabei, auch wenn es zu dieser Zeit kaum Trainerinnen gab. In der Bundesrepublik fing man zwar langsam an, über die Emanzipation der Fußball-Frauen auf den Sportplätzen zu sprechen, aber die Berichterstattung – wie beim oben zitierten Artikel aus den Stuttgarter Nachrichten – war bestimmt von männlichen Attributen, selbst wenn die Artikel aus weiblicher Feder stammten. Es fanden sich darin etwa Beschreibungen wieder, nach denen die Damen als Amazonen über den männlichen Rasen stürmten. Oder aber „ihre Geschichte ähnelte in den Anfängen eher wie eine spielerische Variante des traditionellen Männersports.“49 Dennoch überwanden die Frauen die ersten Hürden sowie Vorurteile und wurden endlich von den Trainern und Vereinskollegen akzeptiert. Der Fußball sei zwar ein harter Sport, der aber nicht unbedingt dem Selbstverständnis des schwachen Geschlechts abträglich sein müsse.50
___________ 47 48 49 50
Weisflog, Günter: Pressefoto Damenfußballspiel BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt – DFC Krimice, in: Freie Presse, 07.08.1972. Vgl. Sport Aktuell: Fußballspiel der DDR, 23.06.1974, in: DRA: 00004309. Veit: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits. Vgl. Veit: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits.
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Abb. 3: Artikel „Wollten nicht mehr nur zuschauen“ in der Allgemeinen Zeitung Uelzen.
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Die Nutzung männlicher Attribute hatte letztlich nicht nur die Bundesrepublik im Damenfußball gepachtet. In der formal für Frauen gleichberechtigten DDR fanden sich punktuell männliche Attribute wieder. Selbst Frauen unterstützten diese Sichtweise, wie ein Beispiel zum Internationalen Frauentag zeigte. Die Frauen in der DDR standen noch 1976 ‚ihren Mann‘ in der Produktion und im Sport. Als Beispiel dafür kämpfte eine Erzieherin auf allen Ebenen für die Gleichberechtigung des Frauenfußballs.51 Eine Darstellung Ende der 1970er-Jahre im Deutschen-Sportecho (DS) berichtete sogar von einem Trikotwechsel innerhalb eines Spiels zweier westdeutscher Mannschaften: Eine Torhüterin musste, da das Auswechselkontingent erschöpft war, durch eine Feldspielerin ersetzt werden. Um den Trikottausch zu beschleunigen forderte der Schiedsrichter nach einem energischen Pfiff die Zuschauer auf: ‚Alles wegschauen!‘ Er erreichte damit genau das Gegenteil, zumal sich die Torwartfrau für Sekunden ‚oben ohne‘ präsentierte. Ein Funktionär führte darüber Klage beim zuständigen Regionalverband, erhielt aber von den zuständigen Herren den Bescheid, daß kein ‚sportwidriges Verhalten‘ vorgelegen habe. Sie beriefen sich dabei auf Zeugenaussagen.52
Interessanterweise tauchte unter dieser Beschreibung noch ein Reimvers auf, dessen Verfasserin darauf hoffte, dass sich so etwas bald auch in der DDR beim Frauenfußball ereignen würde. Das sozialistische Frauenbild war demnach im Frauenfußball nicht davor geschützt, nur auf das Äußerliche reduziert zu werden. Sicherlich bestätigte dies nicht die Meinung der Allgemeinheit zum DDR-Frauenfußball. Es unterstützte jedoch die Bedeutung des Körpers im Frauenfußball: Im Sport spielt der Körper eine wesentliche Rolle. Sport ist immer die Produktion, Präsentation und Inszenierung des Körpers, ebenso wie die der Geschlechtsidentität des Sportlers. Geschlechterunterschiede kommen hier in Abhängigkeit von der Sportart verschieden zum Tragen. Männlichkeit und Weiblichkeit werden mehr oder weniger demonstrativ dargestellt.53
Mit der Einführung der DDR-Bestenermittlung war der erste Schritt hinsichtlich der Anerkennung des weiblichen Fußballsports getan. Das Ansehen des ___________ 51 52 53
Vgl. Richter, Bärbel: Die hohen Ansprüche der Gisela Liedemann, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 10, 09.03.1976, S. 16. N. N.: Abseits. Damen-Fußballspiel in der BRD, in: Deutsches Sportecho, Nr. 241, 07./08.12.1979, S. 7. Krause: Weiblichkeit und Sportlichkeit. Der Körper im Frauenfußball, S. 97–112, hier S. 104. Vgl. Pfister, Gertrud/Fasting, Kari: Geschlechterkonstruktion auf dem Fußballplatz. Aussagen von Fußballspielerinnen zu Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten, in: Jütting, Dieter H. (Hg): Die lokal-globale Fußballkultur – wissenschaftlich beobachtet, Münster [u. a.]: Waxmann Verlag, 2004 (Edition Global-lokale Sportkultur 12), S. 137–152, hier S. 137–138.
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Frauenfußballs in der DDR war gestiegen. Die Frauen hatten bis dato ein wenig an der Bastion der Männer gerüttelt und den populärsten Sport in Europa für sich entdeckt.54
3. 1980er-Jahre: Die Frauen des Königs Aufgrund der Einführung der DDR-Bestenermittlung im Frauenfußball stieg auch das Interesse in den Medien an diesem Thema. Im letzten Jahrzehnt kickten zwischen der Ostsee und dem Erzgebirge schätzungsweise 3 500 Frauen und Mädchen.55 Der Frauenfußball hatte hier in allen Gesellschaftsbereichen seine Spielerinnen gefunden. Von Schülerinnen über Verkäuferinnen, Lehrerinnen, Kellnerinnen oder Mädchen aus der Produktion bis hin zu Journalistinnen war alles dabei.56 Wenn die Frauen einmal dem runden Leder nachjagten, dann übten sie meistens auch keine andere Sportart aus. Manche Artikel sprachen davon, dass die Fluktuation zwischen dem 18. und 20. Lebensjahr in dieser Sportart sehr hoch gewesen sei, weil die Frauen sich dann der Familiengründung zuwandten. Im Team der BSG Turbine Potsdam gab es Anfang der 1980er-Jahre allerdings nur zwei Spielerinnen, die verheiratet waren und Kinder hatten.57 In der DDR waren es überwiegend Spielerinnen, die sich bewusst für den Fußballsport entschieden hatten: Reporter: Darf ich fragen, ob Sie verheiratet sind? Donath: Nein, bin ich noch nicht. Reporter: Was sagt vielleicht ihr Freund dazu, wenn Sie sagen, dass sie Fußball spielen? Donath: Ja, Freunde hatte ich zwar schon viele, aber das mit dem Heiraten, dass muss man sich überlegen. Entweder man spielt Fußball, das ist meine Meinung, oder man ist verheiratet.58
Diese Meinung vertrat die Mehrheit der Spielerinnen in der DDR. Auf der Seite der Bundesrepublik zählte der Deutsche Fußball-Bund 1980 etwa 385 000 ___________ 54 55 56 57
58
Vgl. Wendt, Karin: Was dem einen die Cremetorte, in: N. N., 1979, zit. nach: Privatarchiv Maja Bogs. Bei 301 Mannschaften. Vgl. Gast, Herbert: Schnelle Damen am Ball, in: Wochenpost, Nr. 43, Oktober 1980, S. 27. Vgl. Gast: Schnelle Damen am Ball, S. 27. Vgl. Jahnel, Harry: Flink und Fair, in: Für Dich, Nr. 12, März 1982. Jahnel berichtete von den verheirateten Müttern Doris Schmidt und Elke Mertens. Der Rest der Mannschaft war zu diesem Zeitpunkt ledig. Das Alter der Turbinen betrug zwischen 17 bis 33 Jahre. Die Berufe gingen von Gärtnerin über Köchin, Erzieherin, Bauingenieurin bis hin zu Auszubildenden. Sport Aktuell: Frauenfußball DDR Bestenermittlung in Blankenburg – Finale, Berlin, 05.10.1980, in: DRA: AD4310.
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weibliche Mitglieder.59 Natürlich muss an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass in Westdeutschland knapp 110-mal mehr Frauen offiziell Fußball gespielt haben als in der DDR. Das kann unter anderem mit der angespannten Sportstättensituation im Osten und an einer ausgewiesenen Vereinstreue im Westen gelegen haben.60 Es gab aber auch positive Errungenschaften für die Fußballerinnen in der DDR. Während hier der Fokus auf den persönlichen Hintergrund der Spielerinnen mit Arbeit und Privatleben gelegt wurde, ließ die untersuchte überregionale Berichterstattung diese Perspektive in der Bundesrepublik meistens außen vor. In dieser Zeit fand sich unter anderem die Diskussion, ob der Fußball das Privileg verloren hatte, einen Sport zu repräsentieren, der reine Männersache war. Der Trainer Klaus Bernau beispielsweise behauptete in diesem Zusammenhang: „Unglücklicher-, vielleicht auch glücklicherweise, aber sicherlich zufällig, deckt sich die Emanzipationswelle mit dem Vormarsch der Frauen, die gerne dem Leder nachjagen.“61 Im Gegenteil dazu fand sich in einem Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung vom 4. Mai 1981 die kritische Betrachtung, dass die Spitzenteams sich in taktischen und technischen Mitteln durchaus weiterentwickelt hatten, aber der Frauenfußball harte Zweikämpfe, Brisanz, kraftvolle Spurts und Schüsse vermissen ließ.62 Der Autor mahnte deshalb – wenn auch ambivalent – an: Eine Zukunft hat der Frauen-, Damen- und Mädchenfußball trotzdem. Nur müssen Aktive und Zuschauer sich frei machen von dem Gedanken, dessen Vater (warum eigentlich nicht auch Mutter?) der Vergleich mit den kickenden Männern ist. Die Anziehungskraft liegt in einem anderen Bereich, dessen Betonung mehr auf Spaß an der Sache an sich, auf Freude und – welcher Mann kann das leugnen – auf dem Reiz weiblicher Attribute beruht. Und die können auch im Trikot durchaus ästhetisch wirken. Der Platz auf dem Thron freilich gebührt weiterhin (und wohl für immer) dem König Fußball. Jedoch wird er sich daran gewöhnen müssen, eine Königin neben sich zu haben.63
Es blieb also auf westdeutscher Seite die Aufgabe der Frauen, sich im Männersport zu etablieren und sich aus ihrem Schattendasein zu befreien. Der gesellschaftliche Bereich hatte die Mädchen und Frauen im Fußballspiel benachteiligt, auch wenn der DFB seit 1979 versuchte, dem entgegen zu wirken.64 ___________ 59 60 61 62 63 64
Vgl. N. N.: Stürmische Entwicklung im Frauensport, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.11.1980. Vgl. Teichler, Hans Joachim: Konfliktlinien des Sportalltags. Eingaben zum Thema Sport, in: ders. (Hg.): Sport in der DDR, Eigensinn, Konflikte, Trends, Köln: Sport & Buch Strauß, 2003, S. 535–560. Bernau, Klaus: Damenfußball im Vormarsch, Oberursel, 1980, S. 10. Vgl. N. N.: Im Brennpunkt. Königin Fußball, in: Süddeutsche Zeitung, 04.05.1981. N. N.: Im Brennpunkt. Vgl. Hofmeister, Werner: Zäher Kampf gegen die Abseitsregel. Der Versuch der Frauen, sich im Männersport Fußball zu etablieren, in: Süddeutsche Zeitung, 19.06.1981 sowie Hochgesand,
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Die Berichterstattung in den Printmedien in der DDR konzentrierte sich unter anderem auf die persönlichen Geschichten im Frauenfußball. So leitete beispielsweise Jupp Pilz in Rostock seit zehn Jahren die BSG Post.65 Untermalt mit einem Interview der Torhüterin und Mannschaftskapitänin über die Leistung von Übungsleiter Pilz sowie einem Schaukasten, der titelte, dass der Frauenfußball auch gut für die weibliche Figur sei,66 sah sich der weibliche Fußballsport in diesem Fall in einem sportlichen und gesellschaftspolitischen Umfeld fest verankert. 67 Nur wenige Monate später titelte das DS sogar „Die Frauen des Königs“68 und portraitierte dabei die Damenfußballmannschaft der BSG Aufbau Dresden Ost. Der Artikel begann allerdings mit dem Hinweis auf die erste farbige Spielerin Beverly Ranger in der Bundesrepublik: ‚Die Sexy-Stürmerin mag Männerblicke – Beverly Ranger, das ist ein wohl proportioniertes Girl mit feurigen schwarzen Kulleraugen und Frisur im Afrolook, dem immer der Schalk im Nacken ist: Beverly weiß, daß sie Männer elektrisiert, und es macht ihr Spaß, ‚sexy’ zu sein.‘ Solche Absicht und solchen Spielbericht – zitiert aus der in der BRD erscheinenden ‚Neuen Rhein-Zeitung‘ – würden die Dresdner Fußballfrauen zurückweisen.69
Ferner wurde auf die Motivation der Spielerinnen eingegangen, die sich gegen die Sichtweise des Frauenfußballs als unweiblichen Sport wehrten. Dabei sahen sich die Fußballerinnen in prominenter Gesellschaft mit Olympiasiegerin Renate Stecher, die den Frauenfußball unterstützte.70 Am Ende dieses Berichts wurde jedoch auch die teilweise immer noch vorhandene Unkenntnis zum Frauenfußball in der DDR angemahnt, der in diesem Fall den Fußball als Männersache betrachteten: Dresdens Fußballfrauen, und nicht nur sie, spielen nicht Fußball, um ihre Emanzipation in diesem Bereich durchzusetzen. ‚Aber ein Stück ist da noch zu verwirklichen‘, meint Renate Zebisch, die Zerspanungsfacharbeiterin, ‚viele Männer betrachten das noch immer als ‚Geigel‘.
___________
65 66 67 68 69 70
Dieter: Probleme wurden in Gelsenkirchen vorerst nur angedeutet, in: Frankfurter Rundschau, 02.11.1981. Vgl. Busse, Dieter: „Jupp“ und seine Mädchen von der Post, in: Deutsches Sportecho, Nr. 177, 09.09.1980, S. 7. Vgl. Haupt, Hans: „… und auch gut für die weibliche Figur!“, in: Deutsches Sportecho, Nr. 177, 09.09.1980, S. 7. Vgl. Haupt: „… und auch gut für die weibliche Figur!“, S. 7. Vgl. Hempel, Wolf: Die „Frauen des Königs“, in: Deutsches Sportecho, 1980, zit. nach: Privatarchiv Maja Bogs. Hempel: Die „Frauen des Königs“. Vgl. Hempel: Die „Frauen des Königs“.
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Das schlimme ist nur, meist diejenigen, die sich nie ein Damenfußballspiel angesehen haben. Tatsächlich, der größte Gegner des Frauenfußballs scheint Ignoranz zu sein. Die Popularität von ‚König‘ Fußball ist unumstritten, seine Frauen haben es aber nicht leicht.‘71
Vielleicht war es einem Engagement wie diesem geschuldet, dass die Fußballerinnen in der DDR trotzdem zu einem wiederkehrenden Momentum im Fernsehen wurden.72 Die anfänglichen Beiträge zur DDR-Bestenermittlung verzeichneten mehr einen Unterhaltungscharakter als sportliche Elemente. Auch hier waren die Frauen unterrepräsentiert. 95 Prozent der Beiträge wurden von Männern produziert.73 Dies spiegelte sich auch meistens in der Art der Berichterstattung wider. Bei einem Bericht zur DDR-Bestenermittlung 1980 in Bad Blankenburg zum Beispiel, wählte der Autor als Musikhintergrund ein Lied mit dem Titel „Jungs, haut rein, wir wollen weiter“.74 Im Interview fragte man die Torjägerin Kathrin Prühs, ob sie schon mal gegen Männermannschaften gespielt hätte. Immerhin zeigte man zum Schluss eine Meinung des Publikums, das von den guten technischen Ansätzen der Frauen überrascht war.75 Zum Endspiel der Bestenermittlung 1982 in Lauchhammer wurde erneut ein Lied im Hintergrund zu Beginn des Beitrages angespielt. Dieses Mal mit dem Titel „Der Anfang ist schon ganz gut“.76 Die Musik begleitete Szenen der Verletzung an einem Bein einer Spielerin sowie einen Torjubel. Die Moderation wanderte von der Tatsache, dass der Fußball nicht mehr ausschließlich Männersache war, bis hin zu ‚Evas Töchtern‘, die diesem Sport in 267 Mannschaften und 6 000 Spielerinnen 1982 in der Republik nachgingen. Dafür wurden die weiblichen Kickerinnen in diesem Beitrag als fleißiger, ehrgeiziger und disziplinierter im Training dargestellt als die Männer. Den Abschluss bildete eine Frage nach der Familienkonstellation der Spielerinnen: Reporter: Wie ist das, sind Sie beide verheiratet? Seidel: Nein, noch nicht. Reporter: Kann man sagen, der Fußball ist Schuld dran? Seidel: Wir sind sehr mit dem Sport verbunden und es ist wenig Freizeit, das wird wohl ausschlaggebend sein, das man nicht verheiratet ist. ___________ 71 72 73
74 75 76
Hempel: Die „Frauen des Königs“. Z. B. bei Sport Aktuell oder in Halbzeit. Außer bei einem der ersten Berichte über das Spiel zwischen den Frauen aus Burg und Tangermünde im November 1971, wo eine Reporterin die Interviews führte, dominierten männliche Berichterstatter. Vgl. Sportreporter: Fußball, Burg-Tangermünde, Frauen, Tangermünde, 22.11.1971, in: DRA: AC22810/1. Vgl. Sport Aktuell: Frauenfußball DDR-Bestenermittlung in Blankenburg. Vgl. Sport Aktuell: Frauenfußball DDR-Bestenermittlung in Blankenburg. Halbzeit: Fußball, DDR-Bestenermittlung Frauen, Turbine Potsdam – Chemie PCK Schwedt, 6.10.1982, in: DRA: AD4311.
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Carina Sophia Linne Reporter: Wie ist das man sieht sie hier beim Fußball spielen, bei blauen Flecken, trägt man da nur Hosen? Haben Sie überhaupt Röcke? Seidel: Röcke haben wir auch. Überwiegend werden ja auch Hosen jetzt getragen. Da machen wir natürlich keine Ausnahme.77
In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre dominierte der sportliche Wettkampf, der jedoch nur einmalig in der Berichterstattung des DDR-Fernsehens vorkam.78 Nur für einen kurzen Dokumentarfilm Eberhard Derligs traf diese Analyse für das Fernsehbild des Frauenfußballs nicht zu.79 Derlig bestätigte im Interview, dass er vor seinem Film Trikotwechsel 1984 keinen Kontakt zum Frauenfußball gehabt hatte.80 Erst mit dem Dreh seines 14-minütigen Filmes kam er mit dem Frauenfußball in Berührung. Derlig wollte damals zeigen, dass die Frauen hart für ihren Sport trainierten. Aus seiner Sicht stand der Frauenfußball noch in der Anfangsphase, obwohl er schon fast 17 Jahre Bestand hatte. Er erinnerte sich an eine völlig fehlende Anerkennung der Fußballerinnen. Im Film ließ er daher die Zuschauer zu Wort kommen mit dem Grundtenor, dass es ja alles gut und schön sei, aber Männerfußball blieb Männerfußball.81 Frauenfußball war für mich exotisch und unpolitisch. Außerdem hatte ich einen Trick. Ich habe nie kommentiert. (...) Daran war schwer, sich die Zähne auszubeißen zur Meinung aus dem Volke.82
Wie weit der Damenfußball in die Diskussion Mitte der 1980er-Jahre auf bundesrepublikanischer Seite reichte, zeigte ein Fall, der sich in Niedersachsen ereignete und zu zwei größeren Artikeln in der Frankfurter Rundschau führte:
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79 80 81 82
Halbzeit: Fußball, DDR-Bestenermittlung Frauen. Vgl. Halbzeit: Fußball, DDR-Bestenermittlung der Frauen in Schwedt, 05.10.1983, in: DRA: AD4312. Bis auf die erste Kameraeinstellung, die auf die Waden der Frauen und die Pferdeschwänze zielte, stand in diesem Beitrag das sportliche Ergebnis im Vordergrund. Der engste Sieg in der Geschichte der DDR-Bestenermittlung ging an die BSG Motor Halle. Vgl. Beiträge zur DDR-Bestenermittlung: Halbzeit: Fußball, Frauen Finale Turbine Potsdam, 03.10.1986, in: DRA: AC23086 und Halbzeit: Fußball, Frauen, Finale Rotation Schlema – Wismut Karl-Marx-Stadt, 08.07.1987, in: DRA: AD2870. Vgl. Eberhard Derlig war von 1980 bis 1985 Leiter des Amateurfilmstudios des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit in Babelsberg. Vgl. Linne, Carina Sophia: Interview Derlig, Potsdam, 17.11.2010. Vgl. Derlig, Eberhard: Trikotwechsel, in: Studio des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit Potsdam, DDR 1984, Dok. 8. Vgl. Linne: Interview Derlig. Linne: Interview Derlig.
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Daß der Frauenfußball hierzulande in den Kinderschuhen steckt, ist hinlänglich bekannt. Unlängst aber musste Nationalspielerin Frauke Kuhlmann aus Borstel (Kreis Segeberg) erfahren, daß ihr Chef von der weiblichen Kickerei überhaupt nichts hält: ‚Lehrstelle oder Fußball‘, lautete das unmissverständliche Ultimatum an die Adresse der 17jährigen Auszubildenden zum Einzelhandelskaufmann. Das Risiko wurde nicht belohnt. Frau schoß sich selbst auf die Straße. Dennoch kam es bei ihr zum glücklichen Happy-End. Frauke lernt jetzt in einem Kaufhaus – für Herrenbekleidung.83
Solche Schwierigkeiten hatten die DDR-Spielerinnen glücklicherweise nicht. Sicherlich folgte eine gezielte Förderung erst mit dem Ende der DDR, aber dass sich eine Nationalspielerin zwischen einem Ausbildungsplatz und dem Fußball entscheiden sollte, stellte ein Armutszeugnis für manche Arbeitgeber in Westdeutschland dar.84 Die Querschnittsanalyse zum Gesellschaftsbild der Fußball-Frauen in der DDR zementierte für die 1980er-Jahre ein ähnliches Bild, wie das 1987erPortrait über die BSG Turbine Potsdam anlässlich des Internationalen Frauentages zeigte.85 Zwischen beruflichen und häuslichen Pflichten schafften es DDR-Fußballerinnen teilweise wöchentlich, bis zu viermal zu trainieren und somit ihr spielerisches Niveau zum Teil auf jenes von Bezirksligafußballern zu steigern. Dies ist etwas subjektiv angelehnt an die Erinnerung und Meinung von Bernd Schröder. Das Bild der Berufswahl hatte sich nicht viel geändert. Durch ihre Leistung hatten die Turbinen es geschafft, dass ihnen in einer Sendung wie dem Fußball-Panorama im DDR-Fernsehen zwei Minuten Sendezeit eingeräumt wurden.86 3.1 Gender und Medien im Frauen- bzw. Damenfußball Im dritten Jahrzehnt des Untersuchungszeitraums fiel auch der Fokus auf die Geschlechterstereotype in der Berichterstattung in beiden deutschen Staaten nicht weg. Ausgewählte Überschriften in der DDR wie „Männliche Spötter
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N. N.: Lehrstelle oder Fußball, in: Frankfurter Rundschau, 14.11.1984. Vgl. Schreiber-Rietig, Bianka: Heute im Blickpunkt. Sport oder Lehrstelle!?, in: Frankfurter Rundschau, 15.11.1984. Vgl. Sport Aktuell: Portrait Turbine, 08.03.1987, in: DRA: AD52710. „Sibylle Brüdgam, 21 Jahre, Köchin wie Sabine Seidel 30, in der Herbstserie schon mit 24 Treffern. Kapitänin Doris Schmidt, bereits 32 Jahre, ein Kind und Lagerfacharbeiterin. Die 20jährige Katrin Siering, Studentin für Sport und Geschichte. Antje Gruschel, noch 16, Maschinenbauzeichnerlehrling. Heike Braune, 24, Gärtner. Technisch gut und torgefährlich Simone Röhmhold, 21 Industriekaufmann. Vera Ottersberg, fast 17, Abiturientin, Katrin Huschke 17, wird Unterstufenlehrerin. Martina Hoffmeister, 23 Baufacharbeiter und Trainer Bernd Schröder, 44 Diplomingenieur.“ Sport Aktuell: Portrait Turbine.
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verstummten“87, „Mit Charme und Stil“88 oder „Niveau, Organisation mit beachtlichen Fortschritten“89 und „Frauen stimmen Länderspiel ein“90 deuteten eine positive Entwicklung der Frauen aus Geschlechterperspektive an. Natürlich blieb es aber immer im Interesse des Redakteurs – in der Mehrzahl blieben diese männlich –, wie sie den Frauenfußball darstellten. In diesen hier ausgewählten Artikeln kam es gelegentlich zu Aussagen, dass die Frauen jetzt besser spielten und daher ernster genommen werden wollten.91 Wie in der vorangegangenen Analyse zu der Medienentwicklung des DDR-Frauenfußballs herausgearbeitet wurde, waren auch Redakteure dabei, die dem Frauenfußball damals keine Bedeutung zugesprochen hatten. So gab es auch andere Berichte in der DDR, die wiederum gegen die Eroberung des Königs Fußball durch die Frauen waren. Sei es durch Anspielungen auf den berühmten Trikotwechsel, der selbstverständlich verneint wurde: „Kein Jersey-Wechsel nach dem Abpfiff“92 oder aber durch junge Redakteure, wie Jens Mende, der im Februar 1989 das erste Mal über ein Hallenturnier im Frauenfußball berichtete und dabei fragte: „Einbruch in eine Männer-Welt?“93 Der Frauenfußball war zu jener Zeit im Kommen, wie auch Redakteur Klaus Weise94 festhielt, aber Mendes Artikel griff alle Vorurteile erneut auf, die eigentlich schon widerlegt worden waren: Doch kein Jubel bricht aus bei mir, eher Skepsis. Frauen-Fußball – sogar in der Halle? Auf dem Parkett ist doch technische Brillanz gefragt, das Geschehen wechselt blitzschnell. Na – und zimperlich darf man nun auch nicht gerade sein. Packen das die Mädchen?95
In der Bundesrepublik zeigte sich in den 1980er-Jahren eine ähnliche Entwicklung, die auch hier nur punktuell angerissen werden kann. Damenfußball war nicht nur schön anzusehen, sondern auch packend und spannend, wie ___________ 87 88 89 90 91 92 93 94 95
Vgl. Zinke, Jürgen: Männliche Spötter verstummten, in: BZ am Abend, 05.12.1980. Vgl. Simon, Günter: Mit Charme und Stil, in: Deutsches Sportecho, Nr. 189, 28.09.1981, S. 2. Vgl. N. N.: Niveau, Organisation mit beachtlichen Fortschritten, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 8, 23.02.1988, S. 11. Vgl. N. N.: Frauen stimmen Länderspiel ein, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 35, 30.08.1988, S. 16. Vgl. N. N.: Niveau, Organisation mit beachtlichen Fortschritten; Pfitzner, Joachim: Anerkennung für die Punktelieferanten, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 3, 20.01.1987, S. 11; Buchspieß, Dieter: Das fuwo-thema, in: Die neue Fußballwoche, Nr. 24, 14.06.1988. Vgl. Von Ende, Gerd: Kein Jersey-Wechsel nach dem Apfiff, in: N. N., 1982, zit. nach: Privatarchiv Maja Bogs. Vgl. Mende, Jens: Einbruch in die Männer-Welt?, in: Deutsches Sportecho, Nr. 23, 01.02.1989, S. 5. Vgl. Knüpfer, Horst: Frauenfußball ist weiter im Kommen, in: Deutsches Sportecho, Nr. 73 A, 14.04.1988, S. 7. Mende: Einbruch in die Männerwelt, S. 5.
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Dietmar Wagner eine Spielszene in seinem Entwicklungsbericht zum Damenfußball in der Bundesrepublik 1986 beschrieb.96 In dem bekannten Magazin Spiegel wurde beispielsweise noch 1981 die Meinung einer russischen Ärztin abgedruckt, die meinte, dass Fußball die Bildung von Krampfadern fördere.97 Dem Spiegeljournalisten war nicht aufgefallen, dass die sowjetische Ärztin medaillenträchtige olympische Sportarten für frauentauglich hielt, den damals nicht-olympischen Fußball aber als ungeeignet einstufte. Vielleicht handelte es sich um einen medizinischen Steuerungsversuch der olympischen Sportarten. In einer Radiosendung des Senders Freies Berlin untersuchte man 1982 das Feld des Mädchenfußballs anlässlich der bevorstehenden Europameisterschaft der Männer in Spanien. In Westberlin hatte man zu jener Zeit Mädchenfußball-AGs an Schulen eingeführt.98 In diesem Beitrag berichtete unter anderem ein Mädchen von Schwierigkeiten in einer Fußball-AG, in der elf Mädels alles von der Pike auf lernen mussten – vor den Augen der Jungs: Wir haben nachher dann Prüfungen gemacht, wie Slalomdribbeln und bestimmte Punkte treffen, so Holzwände mit zwei Löchern und da haben wir natürlich kläglich versagt. […] Wie meinste wäre es geworden, wenn es eine reine Mädchen-AG gewesen wäre? Also, ich glaube es wäre besser gewesen. Natürlich gab es welche, die leistungsmäßig stärker waren, also ausdauermäßig, konditionsmäßig als andere. Aber das Können, was Fußball betraf, war bei allen gleich Null. Und das wäre eigentlich ne gute Voraussetzung gewesen, um zusammen zu spielen.99
Im Gegensatz zur DDR-Berichterstattung wurde in der Bundesrepublik sporadisch offensiv in den Artikeln der Stand der Gleichberechtigung auf dem grünen Rasen Kund getan. Im Artikel „Zäher Kampf gegen die Abseitsregel“100 befasste sich ein Journalist in der Süddeutschen Zeitung mit der traditionellen Benachteiligung der Frauen und Mädchen im sportlichen Bereich. Er berichtete von einer entscheidenden Botschaft des DFB, dass das Fußballspiel ab 1981 einen wichtigen Beitrag zur Integration aller Schichten und für Frauen leisten sollte: Integriert ist der Damenfußball inzwischen. Aber anerkannt? ‚Es ist natürlich was Neues, und dem Neuen steht man immer etwas skeptisch gegenüber‘, sagt Jupp Derwall, (Männer-) Bundestrainer.101 ___________ 96 97 98 99 100 101
Wagner, Dietmar: Damenfußball, Leifende, 1986, S. 3. Vgl. N. N.: Willkommene Tupfer, in: Der Spiegel, 02.11.1981. Vgl. Kemper, Magdalena: Frauen und Fußball, in: Zeitpunkte, Berlin: SFB, 11.06.1982. Kemper: Frauen und Fußball. Vgl. Hofmeister: Zäher Kampf gegen die Abseitsregel. Hofmeister: Zäher Kampf gegen die Abseitsregel. Ferner wurden in diesem Beitrag bekannte Fußballprofis zitiert: „Und sein Kollege Berti Vogts, der davon überzeugt ist, daß für Frauen andere Sportarten besser geeignet sind‘, fasst die Erinnerung an sein erstes Damenspiel in die wenig schmeichelhaften Wort: ‚Teilweise sah es nach Fußball aus‘. Paul Breitner
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Drei Jahre später plädierte Ursula Voigt, Leiterin der Abteilung Frauensport beim Deutschen Sportbund auf der Tagung „Frauen und Sport - Frauen und Sportberichterstattung“ für die Teilhabe von Frauen beim Fußball, Basketball oder Volleyball: Außerdem vollzieht sich eine Entwicklung zu den früher als rein ‚männlich‘ bezeichneten Sportarten, d. h. Frauen spielen inzwischen Wasserball, Eishockey und vor allem Fußball – es gibt mittlerweile über 5.000 weibliche Fußballmannschaften – […].102
In der Sportberichterstattung hatte diese Entwicklung zur Folge, dass in den 1980er-Jahren der überregionale und internationale Spitzensport im Mittelpunkt stand und das Sportgeschehen im Breiten- und Freizeitsport nur einen geringen Raum einnahm.103 Darunter fiel auch in jener Zeit der Frauenfußball, wie die Aussage des Journalisten Hans-Dieter Krebs festhielt: „[D]er dritte Platz eines Mannes erscheint immer noch bedeutender als die knapp verlorene Goldmedaille einer Frau.“104 In der westdeutschen Berichterstattung zum Frauenfußball bestach noch mehr die Feststellung, dass die Sportberichterstattung als letztes Reservat traditioneller Männlichkeit anzusehen sei.105 Der Einsatz der Fußballerinnen für ein eigenes Endspiel im DFB-Pokal wurde in der Bundesrepublik bestimmt nicht überall gern gesehen.106
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gar, der auf dem Trainingsgelände des FC Bayern München ‚jede Woche mindestens sein Spiel‘ sieht, findet Frauen, die gegen den Ball treten, schlichtweg ‚unästhetisch‘. ‚Ich mag es nicht‘, winkt der männliche Star ab.“ Aktion Klartext: Frauen und Sport – Frauen und Sportberichterstattung, in: Schriftenreihe der Aktion Klartext e. V., Bielefeld: Eigenverlag, 1984, S. 2. Vgl. Aktion Klartext: Frauen und Sport – Frauen und Sportberichterstattung, S. 5. Zit. nach: Aktion Klartext: Frauen und Sport – Frauen und Sportberichterstattung. An dieser Aussage hat sich für die Bundesrepublik eigentlich bis heute nichts geändert, wenn man die wahre Heldenverehrung der Herren-Nationalmannschaft nach ihrem Gewinn des dritten Platzes bei der WM in Südafrika ansieht. Vgl. Aktion Klartext: Frauen und Sport – Frauen und Sportberichterstattung, S. 8. Voigt belegte, dass in den Rundfunk- und Fernsehanstalten damals neun Redakteurinnen auf 317 Sportredakteure kamen. Vgl. Weidner, Anneliese: Damen wollen eigenes Endspiel, in: Fußball-Woche, Nr. 27, 03.07.1989, S. 3. „Siegens Trainer Gerd Neuser freute sich zwar über die stattliche Kulisse, bemängelte jedoch, daß die Zuschauer nach der Halbzeit überwiegend ihren Lieblingen von Borussia Dortmund und Werder Bremen zujubelten. ‚Daher wäre es wohl besser‘, so Neuser, das Damenendspiel fände an einem anderen Ort statt, wo sich die Besucher nur auf das Spiel konzentrieren und nicht viele gute Kombinationen einfach untergehen.‘ Ein Standpunkt, über den man sicher diskutieren kann und wird. Aber Berlin als Austragungsort des Herren-Finales steht momentan wohl außer jeder Diskussion.“
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4. Ein Fazit – Frauenfußball als Spiegel der Gesellschaft im geteilten Deutschland Nach dieser Bestandsaufnahme der Berichterstattung konnte für die drei Jahrzehnte der deutschen Teilung letztlich die heute noch bestehende Sichtweise belegt werden: [V]iele Spieler wie auch Zuschauer verbinden mit Fußball immer noch die Herstellung von Männlichkeit. Durchsetzungskraft, Gewalt und Schmerzresistenz seien damals wie auch heute immer noch die wesentlichen Bestandteile einer männlichen Erziehung. Der Habitus vom Fußball hänge deshalb genuin mit Männlichkeit zusammen.107
Für die DDR-Seite wurde herausgearbeitet, dass zwar der Spitzensport und der Männerfußball im Fokus der Medien standen, aber die Fußballfrauen ihren Platz darin gefunden hatten. Das Jahr 1989 hatte mit dem Gewinn der Europameisterschaft der Damen-Nationalelf in der Bundesrepublik den Frauenfußball hoffähig gemacht. Ferner verhalf die Einführung einer zweigleisigen Bundesliga zur Stabilisierung der Leistungsfähigkeit. Bei den spielberechtigten Bundesligavereinen diskutierte man über die finanziellen Risiken dieser neuen Leistungsstruktur.108 Während im Damenfußball die Frauen bei einer erfolgreichen Europameisterschaft „Zur Sache gegangen“109 waren, die sogar partiell erstmalig live im Fernsehen in der ARD übertragen wurde,110 versah Anneliese Weidner in der Umbruchsphase das Können der BSG Turbine Potsdam mit weiblichen Attributen: „Die hübschen ‚Turbinen‘ aus Potsdam gehören zu den stärksten Teams der DDR und wurden schon sechsmal (!) Siegerinnen bei der sogenannten ‚Bestenermittlung‘ drüben.“111 Eine weitere Umfrage beim Hallenmaster in Berlin im Januar 1990 brachte endlich medial zusammen, was zusammengehörte. Berühmte Persönlichkeiten des männlichen Fußballsports wurden in der Westberliner Fußball-Woche befragt, was sie vom Frauenfußball hielten. Otto Rehagel gab sich damals sehr gentlemanlike, in dem er sagte: „Daß sich Frauen für den Fußball begeistern und auch spielen, ___________ 107 Sinnig, Silke: Zur geschlechtsübergreifenden Relevanz von Fußball, in: dies.: Trainerinnen im Frauenfußball. Eine qualitative Studie, Schorndorf: Hofmann, 2005, S. 66–96, hier S. 67. 108 Vgl. Weidner, Anneliese: TeBe oder 1. FC Neukölln? 16 Bundesligaanwärter für die Nordstaffel, in: Fußball-Woche, Nr. 1, 02.01.1990, S. 36. 109 Vgl. Seehase, Gerhard: Zur Sache gegangen. Attraktive Europameisterschaft, in: Die Zeit, Nr. 28, 07.07.1989. 110 Der ARD bezahlte 400 000 DM, um ab dem Halbfinale die Spiele der deutschen Nationalmannschaft übertragen zu können. Vgl. N. N.: Hübsch filigran, in: Der Spiegel, Nr. 25, Juli 1989, S. 172–174. 111 Weidner: TeBe oder 1. FC Neukölln?.
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ist schön. Aber inwieweit sich der Frauenfußball als Leistungssport durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.“112 Der ebenfalls in diesem Zusammenhang befragte Magdeburger Spieler Joachim Streich befand es für gut, dass die Frauen sich auch in der Männersportart durchsetzten und Mirko Votava von Werder Bremen gab Preis, dass seine fünfjährige Tochter auf Grund eines fußballbegeisterten Kindergartengefährten ebenfalls dem runden Leder nachjagte. Nur der Werderaner Manfred Burgsmüller wünschte sich, dass die Damen sich eher frauentypischeren Sportarten zuwenden sollten.113 Die Öffnung des Verbandes hatte in der Bundesrepublik sehr wohl in den letzten zwanzig Jahren die Eingliederung des Damenfußballs ermöglicht. Weidner traute sich sogar, von den Spitzenmannschaften im Damenbereich als Eliten zu sprechen.114 Darüber hinaus blieb sie ihrer sportlichen Berichterstattung gepaart mit gesellschaftlichen Veränderungen auch im Jahr des politischen Umbruches treu.115 Die Westberliner Fußball-Woche brachte in einer Sonderbeilage zum Bundesligastart vier Seiten zum Damenfußball heraus.116 Je nach Medium wurde dieses sportliche Bild der DDR-Fußballerinnen noch im Juni 1989 unter anderem als „Zart, aber hart“117 den Leserinnen und Lesern der Für Dich präsentiert. Dieser Artikel verstand noch vorm politischen Umbruch im Oktober 1989 darauf hinzuweisen, dass die portraitierten Schlemaer Fußballfrauen sich in dieser Sportart sehr gut entwickelt hatten und selbstbewusst als Kollektiv in der Republik auftraten: Frauenfußball. Ist er wirklich nur Schnickschnack? Exotik? Erotik? Auf jeden Fall nehmen die Zuschauerzahlen zu. Bei den Pokalendspielen sind es bis zu 5000, die ihnen zuschauen, aber auch im kleinen Schlema bei Aue ist man an ihrem Spiel interessiert. Die Mannschaft und ihre beiden Trainer sagen: ‚Wir werden ernst genommen‘.118
Auf lokaler Ebene, wie in den Brandenburgisch Neuesten Nachrichten schaute man nach Ablauf der Saison auf die Zukunft des DDR-Frauenfußballs und fragte ___________ 112 Weidner, Anneliese: Was sagen Sie zum Damenfußball?, in: Fußball-Woche, Nr. 3, 15.01.1990, S. 28. 113 Vgl. Weidner: Was sagen Sie zum Damenfußball?. 114 Weidner, Anneliese: Elite in der Hallen, in: Fußball-Woche, Nr. 3, 15.01.1990, S. 28. 115 Vgl. u. a. Weidner, Anneliese: Gegen die CSSR in Babelsberg. Nur noch eingleisige Damen-Oberliga, in: Fußball-Woche, Nr. 8, 19.02.1990, S. 28.; Weidner, Anneliese: Ungelöste Fragen, in: Fußball-Woche, Nr. 16, 17.04.1990, S. 28.; Anneliese, Weidner: 97000 DM. Bescheidener Etat für Damen-Bundesliga, in: Fußball-Woche, Nr. 32, 06.08.1990, S. 2. 116 Vgl. Fußball-Woche: Sonderheft 90/91 - "Damen-Verbandsliga bis 2. Damen-Bundesliga", Berlin: Fußball-Woche-Verlag, Juli 1990, S. 46–48. 117 Vgl. Malek, Brigitte: Zart, aber hart. Fußballerinnen von Rotation Schlema, in: Für Dich, Nr. 28, 1989, S. 8–11. 118 Malek: Zart, aber hart.
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„Wie kicken Frauen weiter?“.119 Vor allem interessierte den Redakteur die bevorstehende deutsche ‚Frauenfußballeinheit‘, zu der Bernd Schröder noch mit der Hoffnung zitiert wurde, dass bis zu vier Mannschaften aus dem Osten in die zweigleisige Bundesliga zukünftig aufgenommen werden müssten. Am Ende des Artikels wurde letztlich der Vergleich mit dem Männerbereich gezogen, wo Auswahltrainer Schröder vor der gleichen ungewissen Zukunft stand wie sein Männerpendant Eduard Geyer.120 Nach der politischen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 wehte bereits in der Ausgabe vom 6./7. Oktober 1990 der Brandenburgischen Neuesten Nachrichten ein westlicher Wind. In dem Artikel „Erst das Spiel – dann ran die Hühner!“121 griff der Redakteur bedingt durch eine Werbemaßnahme eines Bierzeltbetriebes und der Einladung zum Brathähnchenessen nach Ende des Spiels diese Schlagzeile auf. Solche Berichte blieben im vereinten Deutschland für die Potsdamer Region allerdings eine Ausnahme. Bis zur Titelvergabe der Meisterschaft des Nordostdeutschen Fußballverbands (NOFV), die an die HSG Universität Jena ging, konzentrierte sich die lokale Presse auf die sportlichen Ergebnisse der Potsdamerinnen. Am Ende dieses Artikels ist also zu konstatieren, dass sich die seit 1960 feststellbare Berichterstattung zum Damen- und Frauenfußball im geteilten Deutschland nie vollkommen frei von folgender sportsoziologischer Sichtweise machen konnte: „Nirgendwo wird männliche Identität in Gestalt traditioneller Geschlechtsrollenstereotype deutlicher dargestellt als etwa im Fußball […].“122 Diese Spielfeldanalyse hofft, überblicksartig dargestellt zu haben, wie wichtig die gesellschaftliche Grundlage für die jeweilige Berichterstattung war und welches Medienbild über die Fußballfrauen lokal und überregional in drei Jahrzehnten ausschnittsweise geherrscht hat. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Archivalien Derlig, Eberhard: Trikotwechsel, in: Studio des Bezirkskabinetts für Kulturarbeit Potsdam, DDR 1984, Dok. 8. Deutscher Städtetag: Vorbericht zu Punkt 6 der Tagesordnung der 12. Sitzung des Sportausschusses, Berlin, 24.06.1957, in: Landesarchiv Berlin: B Rep. 142-09 – Az. 3-95-00-12. ___________ 119 Vgl. N. N.: Wie kicken Frauen weiter?, in: Brandenburgische Neueste Nachrichten, 30.07.1990. 120 Vgl. N. N.: Wie kicken Frauen weiter? 121 Vgl. N. N.: Erst das Spiel - dann ran an die Hühner!, in: Brandenburgische Neueste Nachrichten, 06./07.10.1990. 122 Kleindienst-Cachay, Christa: „Männersport“ für Frauen als Thema der Sportwissenschaft, in: Braun-Laufer, Elisabeth/Anders, Georg (Hg.): Grenzen für Mädchen und Frauen im Sport?, Köln: Sport & Buch Strauß, 2001, S. 45–52, hier S 49.
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Deutsches Rundfunkarchiv (DRA): AC22810/1; AC23086; AD2864/1; AD2870; AD4307/1; AD4310; AD4311; AD4312: AD52710. Fritz, Danco: Blick ins Land. Frauenfußball: Landau – Augsburg, 27.04.1970, in: SWR-Archiv, 701367. Privatarchive von Maja Bogs; Elke Mertens. Gedruckte Quellen 1. FFC Neubrandenburg: Vereinschronik BSG NGMB/NAGEMA Neubrandenburg, 1972–1990, Neubrandenburg, 1990. Aktion Klartext: Frauen und Sport – Frauen und Sportberichterstattung, in: Schriftenreihe der Aktion Klartext e. V., Bielefeld: Eigenverlag, 1984. Bernau, Klaus: Damenfußball im Vormarsch, Oberursel, 1980. Wagner, Dietmar: Damenfußball, Leifende, 1986. Internetquellen Hasler, Joachim: Nicht schummeln, Liebling!, Film, 1972, https://www.defa-stiftung.de/filme/ filmsuche/nicht-schummeln-liebling/ (15.02.2020). Periodika Bizer, Peter: Fußball, Fußball über alles, in: Stern, 15.05.1975. Deutsches Sportecho, Berlin: Sportverlag, 1968–1989. Die neue Fußballwoche, Berlin: Sportverlag, 1960–1988. Fußball-Woche, Köln: Deutscher Sportverlag, 1969–1990. Fußball-Woche: Sonderheft 90/91 - "Damen-Verbandsliga bis 2. Damen-Bundesliga", Berlin: FußballWoche-Verlag, Juli 1990. Gast, Herbert: Schnelle Damen am Ball, in: Wochenpost, Nr. 43, Oktober 1980, S. 27. Heitmann, Anne: 25 Jahre Frauenfußball, in: Stadt & Sport. Das Magazin des Hamburger Sportbundes: Hamburg am Start 7/8, 1995, S. 15. Hochgesand, Dieter: Probleme wurden in Gelsenkirchen vorerst nur angedeutet, in: Frankfurter Rundschau, 02.11.1981. Hofmeister, Werner: Zäher Kampf gegen die Abseitsregel. Der Versuch der Frauen, sich im Männersport Fußball zu etablieren, in: Süddeutsche Zeitung, 19.06.1981. Jahnel, Harry: Flink und Fair, in: Für Dich, Nr. 12, März 1982. Kauer, Wolfgang: Augsburger „Pflaumenkuchen“ zu sauer für Landauer Mädchen, in: RheinlandPfälzische Post, 27.04.1970. Kemper, Magdalena: Frauen und Fußball, in: Zeitpunkte, Berlin: SFB, 11.06.1982. Lehmann, Fritz: Junge Mädchen, Sonnenschein und Fußball, in: Der Brennpunkt, Nr. 15, 22.04.1969, S. 8. Malek, Brigitte: Zart, aber hart. Fußballerinnen von Rotation Schlema, in: Für Dich, Nr. 28, 1989, S. 8–11. Schreiber-Rietig, Bianka: Heute im Blickpunkt. Sport oder Lehrstelle!?, in: Frankfurter Rundschau, 15.11.1984. Seehase, Gerhard: Zur Sache gegangen. Attraktive Europameisterschaft, in: Die Zeit, Nr. 28, 07.07.1989. Theens, Ria: Die Männer setzten falsche Maßstäbe, in: Rheinische Post, 16.04.1974. Veit, Brigitte: Fußball-Frauen stehen nicht im Abseits. Sportlerinnen haben sich in den letzten Jahren auch am runden Leder emanzipiert, in: Stuttgarter Nachrichten, 03.02.1975.
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Carina Sophia Linne
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Dariusz Wojtaszyn
Fußballerinnen im Sozialismus
Frauenfußball in der Volksrepublik Polen
L'objectif principal de l'article est de présenter et d'analyser le football féminin en Pologne à l'époque du socialisme, c'est-à-dire en République populaire de Pologne, sur la base de facteurs politiques et sociaux spécifiques, en particulier le rôle des femmes. Le changement des dogmes idéologiques et l'introduction de la vision communiste du monde ont eu des effets réels sur les transformations sociales, y compris l'image des rôles des sexes – verbalisés dans le célèbre slogan « Les femmes sur les tracteurs ». L’image de l'égalité des sexes dans le système communiste n'était pas le seul facteur, ni suffisant, dans le cas des footballeuses. Le principal résultat de recherche, qui est développé dans l'article, est la forte corrélation entre la possibilité de créer des équipes de football féminin et la situation politique changée par des décennies de socialisme polonais. Ainsi, c'est la politique et – en lien avec elle – l'économie qui ouvrent ou ferment les chances d'émancipation des femmes. Cet article analyse toutes les périodes politiques de la fin de la Seconde Guerre mondiale à la chute du communisme en Pologne, y compris la période du stalinisme, les grèves sociales et le mouvement « Solidarité » et son impact sur le développement du football féminin en Pologne.
1. Einführung Polnische Fußballerinnen gewinnen im 21. Jahrhundert immer mehr Anerkennung auf der internationalen Ebene. Zu den besten Spielerinnen der Welt gehören unter anderem Ewa Pajor vom VfL Wolfsburg und Katarzyna Kiedrzynek von Paris Saint-Germain. Beide Spielerinnen spielten im Finale der UEFA Champions League und wurden bei der Wahl zur Fußballerin des Jahres: Women World XI FIFPro (Fédération internationale des associations de footballeurs professionnels) nominiert. Trotz der Erfolge einzelner Spielerinnen ist Damenfußball in Polen nicht Gegenstand des besonderen Interesses der Fans. Wie in den meisten europäischen Ländern bleibt er definitiv hinter dem Männerfußball zurück – nicht nur in Bezug auf das Fan- und Medienengagement, sondern auch in Bezug auf den finanziellen und organisatorischen Aufwand. Obwohl die Vorliebe für den Männersport als Domäne fast aller polnischen Sportarten gilt,1 sind die Unterschiede im Falle des Fußballs ___________ 1
Vgl. Jakubowska, Honorata: Gra ciałem. Praktyki i dyskursy różnicowania płci w sporcie, Warszawa: PWN, 2014; Cejer, Karolina/Kossakowski, Radosław: Kobiety w polskim sporcie - rozwój, bariery, perspektywy, in: Mańkowski, Dobrosław/Woźniak, Wojciech
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Dariusz Wojtaszyn
wohl am deutlichsten zu spüren. Dies könnte auf die schwierige Geschichte der Etablierung des Damenfußballs in der Sozialismus-Ära in Polen zurückzuführen sein. Das mangelnde Interesse an der Disziplin im öffentlichen Raum wirkt sich zweifellos auch auf das geringere Interesse am Frauenfußball als Forschungsthema aus. Bisher ist in Polen nur eine Monografie zu diesem Thema erschienen – die Doktorarbeit von Artur Kita aus dem Jahr 2014.2 Der Autor hat nur 30 Seiten den historischen Fragen gewidmet, die die Zeit der Volksrepublik Polen betreffen. Er unternahm dabei keinen Versuch, den Frauenfußball in den politischen und sozialen Kontext der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu stellen. Darum ist das Hauptziel des Beitrages die Darstellung der Entwicklung des Frauenfußballs in Polen in der Ära des Sozialismus vor dem Hintergrund der dort spezifischen politischen und sozialen Faktoren. Das Funktionieren von Fußballmannschaften soll unter den Bedingungen des real existierenden Sozialismus hinsichtlich der gesellschaftlichen Dimension wie auch verschiedener externer Faktoren untersucht werden. Zu den zentralen Anliegen gehört darüber hinaus die Analyse der Art und Weise, wie der Frauenfußball von den politischen Eliten der Volksrepublik wahrgenommen wurde.
2. Erste Erfahrungen mit dem Frauenfußball Auf den polnischen Gebieten begannen Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Fußballspielen. Die ersten Spiele hatten lediglich einen inoffiziellen und privaten Charakter. Meistens handelte es sich um Einzelspiele, seltener um halb-private Turniere, nie aber hatten sie den Charakter von organisierten Wettbewerben. Im September 1921 wurde in Poznań (Posen) die erste Frauenfußballmannschaft der Geschichte Polens gegründet. Sie agierte im Rahmen einer der Sektionen des Sportklubs Unia Poznań. Fotos von Spielerinnen wurden in der Presse veröffentlicht.3 1922 entstand eine weitere Mannschaft in Poznań – der Sportklub Zorza Poznań. Poznań, die Hauptstadt der Region Wielkopolska (Großpolen), wurde somit zur Wiege des Frauenfußballs in Polen. Im gleichen Jahr wurde die Frauenfußballmannschaft in Gdańsk (Danzig) gegründet und ein Jahr später erfolgte, erneut in Wielkopolska, die Gründung ___________
2 3
(Hg.): Sport w ponowoczesności: konteksty, perspektywy badawcze, narracje, Gdańsk: Wydawnictwo w Podwórku, 2019, S. 11–23. Vgl. Kita, Artur: Geneza i rozwój piłki nożnej kobiet w Polsce do 2010 roku, Tarnowskie Góry: Drukpol, 2014. Vgl. Przegląd Sportowy, 17.09.1921, S. 1; Drozdek-Małolepsza, Teresa: Sport kobiet w Polsce w latach 1921–1922 w świetle czasopisma „Przegląd Sportowy“, in: Prace Naukowe Akademii Jana Długosza w Częstochowie 12/2 (2013), S. 63–72, hier S. 66.
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der Sportgesellschaft Prosna Kalisz.4 Die erste Welle von Kritik an der neuen Sportart der Frauen ließ nicht lange warten. In einem kritischen Presseartikel der Sport-Zeitung Sport aus dem Jahr 1925 wurde der Fußball im Kontext der unpassenden Anatomie und dem zarten empfindlichen Gemüt der Frauen dargestellt: Die Struktur des weiblichen Körpers erfordert eine besonders sorgfältige Auswahl der verfügbaren Sportarten. [....] Die psychologischen Bedingungen […], Empfindlichkeit […] und Gefühle müssen ebenfalls berücksichtigt werden. All dies spricht gegen Fußball als Sportdisziplin für Frauen.5
Die vereinzelten Berichte über den Frauenfußball in der Sportpresse sind mit der Zeit noch knapper geworden und nahmen in den 1930er-Jahren vollständig ab. Die Tatsache, dass die Matches der Frauenmannschaften immer noch stattfanden, kann man lediglich durch Hinweise in ausländischen Sportzeitungen belegen. So berichtete zum Beispiel die österreichische Illustrierte KronenZeitung 1938, dass ein Frauenverein auf eine zehntägige Tournee nach Polen ging, wo er unter anderem fünf Spiele gegen polnische Mannschaften bestritt.6 Die Schwierigkeiten auf dem Rasen gegen andere Frauenmannschaften zu konkurrieren, hat aufgrund der sehr begrenzten Anzahl von Spielerinnen auch dazu geführt, dass die wenigen Fußballerinnen ihren Vereinen und somit auch dem Fußball den Rücken kehrten und zu anderen Sportarten wechselten.7
3. Stalinismus und ein neues Modell der Weiblichkeit Ein echter Durchbruch des Frauensports gelang jedoch erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Auf dem Gebiet Polens wurde damals ein von der Sowjetunion kontrollierter Staat mit einem neuen politischen und sozioökonomischen System gegründet. Die neuen kommunistischen Behörden schlugen auch ein neues Frauenbild und ein neues Modell der Weiblichkeit in der Gesellschaft vor. Das vorherrschende Phänomen dieser Ära war die Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum. Die Wahrnehmung der Frauenpflichten wurde durch die enorme Zerstörung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg verändert, vor allem durch einen deutlichen Rückgang der Zahl der Männer. Diese waren durch die Vernichtung der polnischen Bevölkerung infolge der deutschen und sowjetischen Besatzung gestorben. Nach Kriegsende ___________ 4 5 6 7
Vgl. Kita: Geneza, S. 28–29. Zit. nach: Kita: Geneza, S. 29. Alle Übersetzungen aus dem Polnischen stammen vom Verfasser des Artikels. Vgl. Illustrierte Kronen-Zeitung, 14.04.1938, S. 12. Vgl. Owsiański, Jarosław/Siwiński, Tomasz: Historia futbolu wielkopolskiego, Poznań: Zibigrafia, 2013, S. 62.
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bildeten Frauen die Mehrheit der Gesellschaft, es gab zwei Millionen mehr Frauen als Männer.8 Die Regierung musste weibliche Kräfte mobilisieren und sie als Arbeiterinnen einsetzen, da die schnelle Industrialisierung des Landes mit der Umsetzung der sowjetischen Wirtschaftsentwicklung verbunden war. Frauen traten in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auf. Nach dem Verständnis der Kommunisten sollte das Mitwirken in der Wirtschaft die ‚vollständige Befreiung‘ der Frauen beschleunigen. Eine Gleichstellung von Frauen und Männern in Bezug auf Rechte, aber auch auf Pflichten wurde angestrebt. Sie wurde durch offizielle Bestimmungen in den wichtigsten Staatsdokumenten erwirkt, insbesondere in der 1952 eingeführten Verfassung, die ihnen in Artikel 66 gleiche Rechte auf Arbeit und Entlohnung garantierte: „Eine Frau in der Volksrepublik Polen hat in allen Bereichen des nationalen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens die gleichen Rechte wie ein Mann.“9 Dieses Modell war das Ergebnis der demographischen Sozialpolitik des Staates. Es führte zu einer Gleichberechtigung der Frauen im politischen Leben sowie in der beruflichen Welt, indem sie biologische Unterschiede oft außen vorließ. Nach kommunistischem Verständnis sollten Frauen die berufliche und gesellschaftspolitische Tätigkeit von Männern nachahmen.10 Ein damals sehr beliebter Slogan war: „Frauen auf Traktoren“. Der Slogan erschien auf Tausenden von Postern, die im ganzen Land aufgehängt wurden. Die Staatsbehörden garantierten auch die offizielle institutionelle Vertretung der Frauen im öffentlichen Leben. Diese Rolle sollte die Liga Kobiet (Liga der Frauen), die im August 1945 gegründet wurde, erfüllen. Von Anfang an war sie eine regierungsnahe, kommunistische Organisation, die von der regierenden Partei unterstützt wurde, aber auch in deren völliger Abhängigkeit stand. Ihr offizielles Ziel war es, sicherzustellen, dass die Rechte der Frauen respektiert wurden, ihre Hauptaktivität konzentrierte sich jedoch auf die Gestaltung der politischen Haltung der Frauen.11 Im Zuge der Umsetzung dieses Plans hat sich die Einstellung der Behörden zur Rolle der Frauen in der Gesellschaft verändert. Nach der Ideologie ___________ 8
9 10 11
Vgl. Nowakowski, Stefan: Miasto polskie w okresie powojennym, Warszawa: PWN, 1988, S. 245; Florczyk, Katarzyna: Modelowy wizerunek kobiety w propagandzie okresu stalinowskiego w Polsce, in: Letnia szkoła historii najnowszej 3 (2009), Warszawa: IPN, 2010, S. 29–38, hier S. 29. Dziennik Ustaw Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej 1952. Konstytucja Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej, Nr. 33, 232, Art. 66. Vgl. Florczyk: Modelowy, S. 30. Vgl. Marcinkiewicz-Kaczmarczyk, Anna: Rola kobiety w Polsce Ludowej w świetle treści propagandowych rozpowszechnianych przez Ligę Kobiet w latach 1946–1956, in: Dzieje Najnowsze 50/2 (2018), S. 149–178.
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des Stalinismus konnten sie gleichzeitig Arbeiterinnen, sogar Arbeitsführerinnen, politische Aktivistinnen, Hausfrauen, Mütter und Ehefrauen sein. Natürlich wurde die Bedeutung der Mutterschaft nicht abgewertet, aber zu diesem Zeitpunkt war sie nicht die wichtigste und einzige Aufgabe einer Frau. Die Möglichkeit, in verschiedenen Berufen zu arbeiten, die bisher Männern vorbehalten waren, eröffnete Frauen nicht nur neue Perspektiven, sondern untergrub auch Stereotype, die in der Gesellschaft vorherrschten.12 Die tatsächliche Rolle und Position der Frauen in den späten 1940er- und 1950er-Jahren unterschied sich jedoch manchmal erheblich von der, die in den Massenmedien präsentiert wurde. Dies zeigt deutlich, dass der offizielle Diskurswandel weitgehend deklaratorischer und propagandistischer Natur war. Die Gleichstellung von Frauen und Männern wurde – trotz der offiziell verkündeten Slogans – in der Praxis meist nicht umgesetzt. Zunächst einmal verdienten Frauen weniger als Männer, die in denselben Positionen beschäftigt waren. Darüber hinaus ließ die Haltung der männlichen Mitarbeiter sehr zu wünschen übrig, insbesondere im Zusammenhang mit der Untergrabung der beruflichen Kompetenzen, die bei Berufen, die Frauen zuvor nicht ausübten und die als ‚typisch männlich‘ galten, häufig konstatiert werden konnte. Es war üblich, dass sie in niedrigeren Positionen beschäftigt waren, die oft unter ihren Qualifikationen lagen.13 Abgesehen von allen Unvollkommenheiten, Mängeln, Missbräuchen und der Propagandadimension ist festzustellen, dass sich während der Zeit die Rolle der Frauen veränderte. Es kam zur Einbeziehung der Frauen in die Umsetzung der neuen ideologischen und gesellschaftspolitischen Vision.14 Die Möglichkeit, in verschiedenen Berufen zu arbeiten, auch in solchen, die früher den Männern vorbehalten waren, hat den Frauen nicht nur neue Perspektiven eröffnet, sondern auch die in der Gesellschaft vorherrschenden Stereotypen untergraben. Auf diese Weise ließen Frauen die Rolle einer traditionell benachteiligten sozialen Gruppe hinter sich und wurden zu einer sozialen Einheit mit einer mehr oder weniger begrenzten Handlungsmöglichkeit.15
4. Erste Mannschaften – erste Spiele Dieser Trend betraf auch den Sport: Frauen wurden in steigender Zahl zu aktiven Mitgliedern von Sportvereinen. Der polnische Sport wurde – wie andere Lebensbereiche – der politischen Macht und den Empfehlungen Moskaus ___________ 12 13 14 15
Vgl. Marcinkiewicz-Kaczmarczyk: Rola, S. 150. Vgl. Florczyk: Modelowy, S. 37. Vgl. Fidelis, Małgorzata: Kobiety, komunizm i industrializacja w powojennej Polsce, Warszawa: W.A.B, 2015, S. 57–58. Vgl. Fidelis: Kobiety, S. 20.
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untergeordnet. Die politische Realität in der Sowjetunion implizierte politische und gesellschaftliche Ereignisse in Polen, die auf Mikroebene fast alle Lebensbereiche der Bürger*innen betrafen. Neue Strukturen und Funktionsweisen des Sportsystems wurden nach sowjetischen Vorbildern gestaltet.16 Bald gehörte auch der Fußball zu den Interessen der polnischen Frauen. Die politischen Veränderungen im gesamten Ostblock im Jahr 1956 im Zusammenhang mit der Destalinisierung wurden von der jungen Generation der im Sport engagierten Frauen genutzt, um eine bestimmte Idee der Organisation des Frauenfußballs zu verwirklichen. Die aus ideologischer Sicht veränderte Rolle der Frau – zumindest in der Propagandadimension – hatte auch in diesem Kontext eine Wirkung. Junge Menschen waren für die neue Ideologie besonders empfänglich, sie waren aktiv und oft nicht in größerem Maße mit der schulischen und gesellschaftlichen Sozialisation der Vorkriegszeit belastet. Darum versuchten sie, die veränderte politische Situation zur Realisierung ihrer Ziele zu nutzen. Die politischen und sportlichen Führer des Landes zur stalinistischen Zeit hatten zuvor alle Versuche, unabhängige Frauenverbände zu organisieren, im Zusammenhang mit den allgegenwärtigen Ängsten vor der Selbstorganisation der Gesellschaft blockiert. Erst im Rahmen der neuen politischen Situation durch die Ereignisse des Jahres 1956 – unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Veränderungen und der erworbenen subjektiven Rolle der Frau als wichtiges Mitglied der kommunistischen Gesellschaft – konnte die Idee, dass Frauen eine der männlichsten (in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung in Europa) aller Sportdisziplinen – den Fußball – ausüben, verwirklicht werden. 1956 entstand in Oberschlesien die erste polnische Frauenmannschaft nach dem Zweiten Weltkrieg: Kolejarz Katowice (Kattowitz). Einige Monate später wurden auch in anderen Großstädten Polens Fußballsektionen für Frauen gegründet: Czarni Szczecin (Stettin), Korona Kraków (Krakau), Widzew Łódź (Lodz), Kolejarz Opole (Oppeln), Ślęza Wrocław (Breslau) und Polonia Warszawa (Warschau).17 Am 25. August 1957 fand das Spiel Kolejarz Katowice – Czarni Szczecin statt, das offiziell als das erste Frauenfußballspiel in der polnischen Geschichte angekündigt wurde. Im Pogoń-Stadion in Szczecin gewannen die Fußballerinnen aus Katowice mit 4:0. Das Stadion war ausverkauft, zum Spiel kamen 15 000 Zuschauerinnen und Zuschauer. Interessanterweise wurde das Match von der staatlichen Polnischen Filmchronik aufgezeichnet und die
___________ 16 17
Vgl. Godlewski, Piotr: Sport w Polsce na tle politycznej rzeczywistości lat 1944–1956, Poznań: Akademia Wychowania Fizycznego, 2006; Pasko, Artur: Sport wyczynowy w polityce państwa 1944–1989, Kraków: Avalon, 2012, S. 53–81. Vgl. Kita: Geneza, S. 29–30.
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Fragmente wurden später – als Kuriosum – vor den Spielfilmen in den Kinos gezeigt.18 Das Debüt der Spielerinnen war aufgrund der schlechten Wetterbedingungen nicht beeindruckend – es wurde bei starkem Wind und Regen gespielt. Die Fußballerinnen hatten keine Fußballschuhe zur Verfügung und mussten in gewöhnlichen Turnschuhen spielen, was zu häufigen Stürzen auf dem rutschigen Rasen führte. Sie gaben dadurch den Fans auf den Tribünen Grund zum Lachen. Die Meinungen der Zuschauer*innen waren meist kritisch, nichtsdestoweniger wurden die Wetterbedingungen und die Ambitionen der Spielerinnen von ihnen berücksichtigt. Symptomatisch war aber die Aussage des Boxers von Pogoń Szczecin, Józef Piński, der auf der Tribüne anwesend war. Er nannte das Spiel eine „Parodie des Sports“ und sagte sarkastisch, dass „es bald sogar passieren wird, dass Frauen anfangen werden, zu boxen“.19 In diesem Jahr wurden auch in anderen Städten Freundschaftsspiele organisiert. In Kraków spielte beispielsweise die hiesige Mannschaft Korona gegen Kolejarz Katowice (2:2), Widzew Łódź gewann gegen Czarni Szczecin (3:0). In den anderen Matchs spielte Kolejarz Katowice gegen eine Auswahlmannschaft von Chorzów (Königshütte) (3:1), Korona Kraków gegen Ślęza Wrocław (0:0 und im Rückspiel in Wrocław 1:0), Kolejarz Opole gegen Ślęza Wrocław (1:1). Alle Spiele zogen eine große Gruppe von Fans an. Jedes von ihnen wurde von 6 000 bis 15 000 Zuschauern*innen besucht.20 Diese Zahlen waren vergleichbar mit den Partien der Herrenteams. Die ersten Spielerinnen kamen meist aus anderen Sportarten, vor allem aus der Leichtathletik oder dem Handball.21 Zunächst wurden Frauenspiele von der Presse eher positiv aufgenommen.22 Somit liegt die Vermutung nahe, dass sich der Frauenfußball in Polen unter diesen Bedingungen etablieren konnte und gute Chancen auf eine positive Entwicklung gehabt hätte.
5. Politische und soziale Veränderungen Die politischen Veränderungen in Polen nach 1956 führten zum Ende der stalinistischen Ära. Die neue Situation wandelte auch die soziale Lage, den Umgang mit dem Alltag und Bräuchen sowie die Medien (Ende der einfachen, ___________ 18 19 20 21 22
Vgl. Kita: Geneza, S. 10–11; Buryta, Rafał/Stefanik, Ryszard: Piłka nożna kobiet w Szczecinie 1957–2007, in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Szczecińskiego 570 (2008), S. 103–119, hier S. 104. Zit. nach: Kita: Geneza, S. 34. Vgl. Kita: Geneza, S. 30–31. Vgl. Buryta/Stefanik: Piłka, S. 104, Kita: Geneza, S. 30–32. Vgl. Kita: Geneza, S. 30–31.
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primitiven Propaganda). Paradoxerweise hat der Ausbau der Freiheit in anderen Lebensbereichen dazu geführt, dass die Frauenrechte und die Geschlechtergleichstellung (die jedoch im Prinzip oft lediglich in Form von Deklarationen und Propaganda funktionierte) dem Entstalinisierungsprozess zum Opfer fielen. Der Beginn dieses Prozesses führte einerseits zu einer größeren Offenheit für Innovationen aus der Welt, andererseits aber zu einer Rückkehr traditioneller Muster, die Frauen in erster Linie die Rolle der Ehefrau und Mutter zuschrieben.23 Mit der Zeit wurde die Kritik am Frauenfußball immer intensiver. Das Presseorgan der kommunistischen Partei Polska Zjednoczona Partia Robotnicza (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei – PZPR), die Trybuna Ludu, hatte beispielsweise eine Umfrage unter Frauen in der Hauptstadt Warszawa durchgeführt und veröffentlicht, die eindeutig Fußball als Frauensportdisziplin kritisierten und ablehnten.24 Auch Funktionäre anderer Sportdisziplinen waren negativ gegenüber der neuen Sportart der Frauen eingestellt. Sie beklagten sich über die Rekrutierung von Spielerinnen aus anderen Disziplinen, was zur Schwächung dieser angeblich ‚ernsteren‘ und ‚wertvolleren‘ Sportarten zugunsten des Fußballs führen würde. Für Zdzisława Majewska (damals 15 Jahre alt), eine der jungen Fußballspielerinnen und gleichzeitig eine der besten polnischen Läuferinnen des Czarni Szczecin, endete der Abschied von der Leichtathletik zugunsten des Fußballs mit einer einjährigen Disqualifikation.25 Die Nichtakzeptanz ging sogar so weit, dass der lokale Vorstand der schlesischen Sportorganisationen, der Wojewódzki Komitet Kultury Fizycznej (Woiwodschaftsausschuss für Körperkultur – WKKF), sogar beim Główny Komitet Kultury Fizycznej (Hauptausschuss für Körperkultur – GKKF), also dem damaligen Sportministerium, ein Verbot von Frauenfußballspielen beantragte.26 Von großer Relevanz war in diesem Kontext die Haltung des Polnischen Fußballverbandes: Der Verband weigerte sich, in irgendeiner Weise an der Entwicklung des Frauenfußballs mitzuwirken.27 Mangelnde Unterstützung durch die Fußballzentrale führte zu fehlendem Interesse bei lokalen Aktivist*innen und Clubpräsidenten. Infolgedessen führten zunehmende finanzielle Probleme (trotz der Einnahmen aus der Veranstaltung von Spielen und kleinerer finanzieller Ausgaben) zu einer allmählichen Auflösung der Frauenmannschaften. Auch die politische Situation war für die mangelnde Etablierung des Frauenfußballs von großer Relevanz. Im Zuge der Veränderungen 1956 kam Włady___________ 23 24 25 26 27
Vgl. Marcinkiewicz-Kaczmarczyk: Rola, S. 150. Vgl. Trybuna Ludu, 17.07.1957, S. 8. Vgl. Buryta/Stefanik: Piłka, S. 104. Vgl. Buryta/Stefanik: Piłka, S. 104. Vgl. Kita: Geneza, S. 30.
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sław Gomułka an die Macht.28 Er gab die Rolle eines Reformers schnell auf und stürzte das Land in die Stagnation. In der Sozialpolitik versuchte er, revolutionäre Veränderungen und moderne soziokulturelle Trends zu vermeiden, indem er die bestehenden, konservativen sozialen Beziehungen aufrechterhielt. Dies war eine bewusste Strategie, um die polnische Arbeiterklasse für die Partei zu gewinnen.29 Unter anderem dank der Abkehr von der stalinistischen Politik der Gleichberechtigung und der Unterstützung der etablierten, stereotypen Geschlechterhierarchie wurde der Bruch mit dem sowjetischen Modell und die Schaffung eines anderen polnischen, nationalen Entwicklungsweges des kommunistischen Staates betont. Unter diesen Bedingungen verschwand der Frauenfußball in Polen in den 1960er-Jahren völlig aus dem öffentlichen Raum – es gab beinahe keine Presseberichte mehr zu diesem Thema.
6. Neuanfang in den 1970er-Jahren Eine Veränderung erfolgte im Jahr 1970: Damals ersetzte Edward Gierek Władysław Gomułka als Generalsekretär der Partei und kam an die Macht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger öffnete Gierek Polen für die Welt, einschließlich der westlichen, nahm Kontakte auf und begann, Dialoge mit westlichen Ländern zu führen. Auf der Basis des Entspannungsprozesses in den Ost-West-Beziehungen versuchte er, eine Politik der relativen Offenheit zu verfolgen und Beziehungen zu westlichen Ländern aufzubauen, um die politische und vor allem wirtschaftliche Lage Polens zu verbessern. Die Sozialpolitik führte zu mehr Freiheit, einer Verbesserung des Lebensstandards und einem Wandel in Gesellschaft und Brauchtum. Seit 1972 bekamen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, in die DDR und später auch in die Tschechoslowakei zu reisen. Dort hatten sie Kontakt mit relativ gut funktionierenden Frauenfußball-Strukturen.30 Zusammen mit Informationen über die Meisterschaften und die offiziellen Ligaspiele im Westen, die in Polen aufgrund der – begrenzten – Rezeption der westlichen Printmedien und des Radios fehlten, war dies ein wichtiger Impuls für die Reaktivierung des Frauenfußballs in der Volksrepublik Polen. In den 1970er-Jahren kam es darüber hinaus zu einer Reorganisation des polnischen Sports: Die Ansichten der Führungsorgane und Anführer sowie ___________ 28 29 30
Vgl. Prażmowska, Anita: Władysław Gomułka, Warszawa: Wydawnictwo RM, 2016. Vgl. Kochanowski, Jerzy: Rewolucja międzypaździernikowa. Polska 1956–1957, Kraków: Horyzont Znak, 2017, S. 253–276. Vgl. Linne, Carina Sophia: Frei gespielt – Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra, 2011; Pfister, Gertrud: Frauen und Sport in der DDR, Köln: Sportverlag Strauß, 2002.
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ihre Wahrnehmung der Bedeutung des Sports veränderten sich.31 Die polnischen Politiker bemerkten, unter anderem wegen der Erfolge der polnischen Sportler bei den Olympischen Spielen in München 1972 und Montreal 1976, dass der Sport einen viel größeren gesellschaftlichen Einfluss als viele Kulturbereiche ausüben und damit ein breites Publikum erreichen konnte. Sie waren sich bewusst, dass Sport zu einem enorm wichtigen Bestandteil des Lebens geworden war, indem er bestimmte Wahrnehmungsbereiche, die bisher ausschließlich für Kultur reserviert waren, übernommen hatte.32 Eines der Hauptziele der damaligen Sportpolitik war die Indoktrinierung der Jugendlichen. Die Teilnahme der jungen Menschen an den staatlichen Sportveranstaltungen oder ihre Sportvereinszugehörigkeit, unterstützt durch die allgegenwärtige Propaganda, sollten die Kontrolle über die Jugendlichen garantieren und entsprechende Bedingungen für die Beeinflussung ihrer Haltung verschaffen. Im Sinne der Staatsführung sollte Sport als stabilisierendes Element des politischen Systems eine relevante Funktion in der Innenpolitik erhalten. Der wichtigste Auftrag bestand darin, die Bürgerinnen und Bürger zu einem bestimmten Sozialverhalten und zur Anerkennung des neuen politischen Staatschefs Edward Gierek zu motivieren.33 Für die Entwicklung des Fußballs von großer Relevanz waren die Erfolge der polnischen Nationalmannschaft. Während der Olympischen Spiele in München 1972 erzielte sie den ersten Platz, was damals der erste große internationale Erfolg der polnischen Fußballer war. Zwei Jahre danach bei der Fußballweltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik erzielte die polnische Nationalmannschaft mit dem dritten Platz einen weiteren Erfolg. Die Leistungen der polnischen Spieler stießen im ganzen Land auf großes Interesse. Dank der Fernsehübertragungen wurde der Fußball zu einer der populärsten Disziplinen des Landes, die bei vielen polnischen Bürger*innen große Begeisterung hervorrief. Die Erfolge der Spieler lösten nicht nur bei Jungen, sondern auch bei Mädchen ein großes Interesse an dieser Disziplin aus, die zunehmend die Möglichkeit zum Fußballtraining forderten. Die wichtigste Rolle bei der Reaktivierung des Frauenfußballs in den 1970er-Jahren spielte eine staatliche Organisation: der Towarzystwo Krzewienia Kultury Fizycznej (Verein zur Förderung der Körperkultur – TKKF), zu
___________ 31 32 33
Vgl. Pasko: Sport, S. 277–378. Vgl. Wojtaszyn, Dariusz: Fußballfans in der Diktatur – Fallbeispiel: Polen, Deutschland und Österreich, in: Göllner, Siegfried [u. a.] (Hg.): Zwischenräume. Macht, Ausgrenzung und Inklusion im Fußball, Göttingen: Die Werkstatt, 2019, S. 252–259, hier S. 252–253. Vgl. Wojtaszyn: Fußballfans, S. 253; Jung, Rafał: Wokół „meczu na wodzie“. Polityczny wymiar występu polskich piłkarzy na Mistrzostwach Świata w 1974 roku, in: Przegląd Zachodni 360/3 (2016), S. 173–191.
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dessen Zielen die Unterstützung und Entwicklung des Breitensports gehörte.34 Unter seiner Schirmherrschaft wurden die ersten Frauenmannschaften gegründet. Der TKKF organisierte für Frauen und Mädchen erste Fußball-Einführungskurse und erste Trainingseinheiten. Am 8. März 1970 wurde in Rzeszów im Südosten von Polen das erste offizielle Hallenturnier ausgetragen. Daran nahmen Schülerinnen, Studentinnen und Mitarbeiterinnen von hiesigen Bauunternehmen und Sporteinrichtungen teil. Das Turnier wurde dann bis 1981 regelmäßig ausgetragen. An einigen Auflagen nahmen sogar Teams aus der Tschechoslowakei teil, vor allem Dukla Preszov, was diesen Turnieren einen internationalen Charakter verlieh.35 Ähnliche Turniere fanden in anderen Regionen Polens, zum Beispiel in Szczecin (Stettin) und Zielona Góra (Grünberg) statt. Von besonderer Bedeutung waren die Stettiner Turniere, die einen internationalen Charakter hatten. Diese wurden wegen einer politischen Entscheidung der neuen Staatschefs der Volksrepublik Polen und der DDR möglich: Edward Gierek und Erich Honecker entschlossen sich zum 1. Januar 1972, die Grenze zwischen Polen und der DDR für den pass- und visafreien Reiseverkehr zu öffnen.36 Dieser Schritt war damals in den Staaten des Ostblocks beispiellos37 und blieb bis zum Herbst 1980 in Kraft. Die Einführung des freien Reiseverkehrs war ein bedeutendes Zeichen der polnisch-ostdeutschen Entspannungspolitik, die eng mit der weltpolitischen Entspannungspolitik verbunden war. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die persönlichen Ambitionen von Edward Gierek und Erich Honecker, die beabsichtigten, auf die spektakulären Leistungen der neuen Mannschaften in beiden Ländern aufmerksam zu machen.38 Dank des offenen Reiseverkehrs nahmen Teams aus der DDR an den Frauenfußballturnieren in Polen teil. Nach Szczecin kamen Damenmannschaften aus Berlin, Neubrandenburg und Passewalk.39 Darüber hinaus nahm der Stettiner ___________ 34 35 36
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38
39
Vgl. Szymański, Leonard: Kultura fizyczna i turystyka w polityce Polski Ludowej 1944–1989, Wrocław: Akademia Wychowania Fizycznego, 2004. Vgl. Kita: Geneza, S. 34–35. Vgl. Umowa między Rządem Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej a Rządem Niemieckiej Republiki Demokratycznej o wzajemnych podróżach obywateli obu Państw, in: Polska Rzeczpospolita Ludowa - Niemiecka Republika Demokratyczna 1970–1981. Dokumenty i materiały, Warszawa: PISM, 1983, S. 96–100. Erst später wurde auch die Grenze zwischen der DDR und Tschechoslowakei und zwischen der DDR und Rumänien für den freien Reiseverkehr geöffnet, vgl. Lehmann, Hans Georg: Deutschland-Chronik 1945 bis 1995, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1996, S. 253. Vgl. Osękowski, Czesław: Otwarta granica pomiędzy NRD i Polską w latach siedemdziesiątych. Wymiar polityczny, gospodarczy i społeczny, in: Kerski, Basil/Kotula, Andrzej/Wóycicki, Kazimierz (Hg.): Przyjaźń nakazana? Stosunki między NRD i Polską w latach 1949–1990, Szczecin: INEP-FZTNP-WSAP, 2003, S. 133–144, hier S. 134. Vgl. Buryta/Stefanik: Piłka, S. 105.
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Verein TKKF Mors im April 1972 an einem Turnier in Passewalk teil. Er gewann den ersten Platz und war damit die erste polnische Mannschaft, die das internationale Turnier für sich entscheiden konnte.40 Der Frauenfußball hat immer mehr Anerkennung und Interesse gefunden. Es gab auch eine Gruppe erfahrener Trainer, die bereit waren, mit Damenmannschaften zu arbeiten. Dies führte zu einem starken Anstieg des technischen und taktischen Trainingsniveaus. In der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre gab es einen regelrechten Boom mit der Gründung von hunderten Frauenfußballteams. Neben der 1971 gegründeten TKKF Mors Szczecin wurde gleichzeitig die TKKF Checz Gdynia (Gdingen) gegründet. Dieser Verein existiert bis heute und ist der derzeit älteste Frauenfußballverein Polens.41 Checz dominierte die heimischen Spiele. Seit 1975 werden Wettbewerbe für den Pokal der Hauptverwaltung von TKKF, die so genannten inoffiziellen Meisterschaften Polens, durchgeführt. Checz gewann den Wettbewerb viermal: 1975, 1976, 1978 und 1979 und war damit das beste Team Polens (im Jahr 1977 wurde das Turnier nicht ausgetragen).42 Die Organisation der Frauenfußball-Wettbewerbe und -Turniere auf der internationalen Ebene weckte endlich das Interesse des Polnischen Fußballverbandes. Die ersten Kontakte waren jedoch sehr bescheiden und zaghaft. Der PZPN schloss sich nur der Gruppe der Mitveranstalter des Turniers an, indem er einen zusätzlichen Pokal für die Gewinnermannschaft finanzierte.43 Gleichzeitig weigerte sich der Polnische Fußballverband, sich stärker für den Damenfußball zu engagieren, Strukturen aufzubauen und ihn als gleichberechtigte Disziplin neben dem Männerfußball anzuerkennen. Auch die PZPN-Funktionäre standen der Idee, Frauenliga-Spiele zu entwickeln, negativ gegenüber.44 Frauenorganisationen wurden jedoch vom Główny Komitet Kultury Fizycznej i Sportu (Hauptausschuss für Körperkultur und Sport – GKKFiS) unterstützt, der damals als Sportministerium der Volksrepublik Polen fungierte und sich bereit erklärte, Ligawettbewerbe halboffizieller Art zu fördern45 – jedoch ohne Akkreditierung des Polnischen Fußballverbandes. Das war ein großer organisatorischer und diplomatischer Erfolg der polnischen Fußballaktivistinnen und -aktivisten. Trotz der ambivalenten, meist sogar feindseligen Haltung des Polnischen Fußballverbandes gelang es ihnen, die Unterstützung der wichtigsten Sportinstitution des Landes zu gewinnen. ___________ 40 41 42 43 44 45
Vgl. Kita: Geneza, S. 37. Vgl. Szkółka Piłkarska Dziewcząt Checz Gdynia: Homepage, http://www.checzgdynia. com (30.01.2020). Vgl. Kita: Geneza, S. 44–49. Vgl. Kita: Geneza, S. 45. Vgl. Kita: Geneza, S. 54. Vgl. Kita: Geneza, S. 54.
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Die Polnische Damen-Liga startete in der Saison 1979/80. In den 1980erJahren wurde die Liga von einer Mannschaft – Czarni Sosnowiec (Sosnowitz) – aus Oberschlesien dominiert. Der Verein wurde zwei Monate nach der Weltmeisterschaft in der Bundesrepublik, im September 1974, gegründet.46 Czarni gewann dann bis zu der politischen Wende und zum Ende der Volksrepublik Polen im Jahr 1989 sieben Mal den Meistertitel. Nur dreimal erzielten andere Mannschaften den Titel: Pafawag Wrocław (Breslau) zwei Mal und das oberschlesische Team Zagłębianka Dąbrowa Górnicza ein Mal.
7. Anerkennung Der Beginn der 1980er-Jahre war in Polen eine Zeit dynamischer politischer Veränderungen und einer bedeutenden sozialen Liberalisierung. Der Auslöser der Krise war eine große Protestwelle im Sommer 1980, die dann zu einer Bewegung führte, aus der die Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) entstand. Nach langen Verhandlungen zwischen den streikenden Arbeitern und der Regierung unterschrieben beide Seiten in Danzig ein Abkommen, das die Formierung der Freiheits- und Demokratiebewegung um Solidarność ermöglichte. Die Niezależny Samorządny Związek Zawodowy Solidarność (Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft Solidarność) war die erste rechtmäßig in den Ländern des Ostblocks tätige Oppositionsorganisation.47 Die 16 Monate anhaltende uneingeschränkte Tätigkeit trug zur Beseitigung des Monopols der kommunistischen Partei in vielen Lebensbereichen und zur Einführung zahlreicher sozialer Veränderungen bei. Das Ende ihres Wirkens und der politischen und sozialen Veränderungen im Land wurde durch die Einführung des Kriegsrechts in Polen (13. Dezember 1981 bis 22. Juli 1983) herbeigeführt, das zur Zerschlagung der Opposition führte.48 Im Zusammenhang mit der Selbstorganisation der Gesellschaft, ausgelöst durch Solidarność, wurde 1981 die erste offizielle Damenfußballstruktur des Landes geschaffen – die Komisja do spraw Piłki Nożnej Kobiet (Kommission für Frauenfußball). Den Vorsitz führte Roman Bieszke, ein langjähriger Fußball-Aktivist, Trainer und Mitbegründer von Checz Gdynia, während Irena Półtorak, eine der herausragendsten polnischen Sportaktivistinnen, dazu
___________ 46 47 48
Vgl. KKS Czarni Sosnowiec: Homepage, http://www.czarnisosnowiec.eu (01.02.2020); Todur, Wojciech: Płakały gdy przegrywały. Płakały gdy wygrywały. Siła polskiej piłki kobiecej zrodziła się w Sosnowcu, in: Gazeta Wyborcza. Sosnowiec, 25.11.2018, S. 8. Vgl. Holzer, Jerzy: Solidarität. Die Geschichte einer freien Gewerkschaft in Polen, München: C. H. Beck, 1985. Vgl. Dudek, Antoni: Stan wojenny w Polsce 1981–1983, Warszawa: IPN, 2003.
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Gründerin und Managerin von Czarni Sosnowiec,49 Vizepräsidentin wurde. Die Führung der Kommission versuchte, Pläne für die Eingliederung in die Strukturen des Fußballverbandes vorzulegen. Dieser Prozess wurde aber durch die Einführung des Kriegsrechts vollständig behindert.50 Die Haltung des Polnischen Fußballverbandes in dieser Hinsicht war unerbittlich – er erlaubte es nicht, eine Vertretung des Damenfußballs in den Verband aufzunehmen. Die Kommission für Frauenfußball war jedoch sehr aktiv, wenn auch inoffiziell, ohne jegliche rechtliche Grundlage für ihre Tätigkeit – sie war weder ein Verband noch eine Organisation sozialer Art. Trotz der Probleme wirkte sie unermüdlich, baute ihr Kontaktnetz auch in der Männerfußballwelt aus und setzte sich für die rechtliche Legitimität ihres Status ein. Diese Aktivitäten brachten erst nach einigen Jahren die erwarteten Ergebnisse: Am 26. Oktober 1985 verabschiedete das Präsidium des Vorstands des Polnischen Fußballverbandes eine Resolution, auf deren Grundlage die Frauenfußball-Kommission offiziell in die Strukturen des PZPN eingegliedert wurde. Im selben Jahr registrierte das Sportministerium GKKFiS den Damenfußball als offizielle und legale Sportdisziplin in Polen.51 Diese Entscheidung beendete den langen Prozess der Etablierung des Frauenfußballs in Polen. Der Damenfußball wurde offiziell zu einem vollwertigen Sport in der Volksrepublik. Von da an organisierte man mit eigenen Strukturen offizielle Ligawettbewerbe – den polnischen Pokal, Hallenmeisterschaften und internationale Spiele der Nationalmannschaft. Die wichtigste Folge der Integration in die Strukturen des Polnischen Fußballverbandes war die internationale Anerkennung. Der Verband wurde automatisch Mitglied der Fédération internationale de football association (FIFA) sowie der Union of European Football Associations (UEFA) und die Nationalmannschaft konnte sich für die Europameisterschaften qualifizieren. Leider ließ es die politische und wirtschaftliche Krise in der Volksrepublik Polen in den 1980er-Jahren nicht zu, dass strukturelle Veränderungen für eine intensivere Entwicklung des Frauenfußballs genutzt werden konnten. Eine signifikante Senkung der Kosten und Ausgaben für den Sport durch den Staat und die Sportbehörden führte zu einem Rückgang der Aktivität der Fußballerinnen.52 Die politische Wende in Polen im Jahr 1989 schuf einen Raum für die uneingeschränkte Entwicklung des Frauenfußballs. In den 1990er-Jahren geriet der Damenfußball durch erhebliche Einschränkungen in Rückstand, vor ___________ 49 50 51 52
Vgl. Mincewicz, Janusz: Diament kobiecego futbolu z Sosnowca miał coś z legendarnej Poli Negri, in: Gazeta Wyborcza. Magazyn, 10.02.2017, S. 6. Vgl. Kita: Geneza, S. 55. Vgl. Kita: Geneza, S. 53–59. Vgl. Pasko: Sport, S. 379–410.
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allem in Bezug auf die westlichen Länder, aber auch auf die ex-kommunistischen Nachbarländer. Gleichzeitig entstanden auch neue Perspektiven im Frauenfußball, die die offiziellen Strukturen versuchten, für sich zu nutzen. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Dziennik Ustaw Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej 1952. Konstytucja Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej. Illustrierte Kronen-Zeitung, Wien, 14.04.1938. Przegląd Sportowy, Warszawa, 17.09.1921. Szkółka Piłkarska Dziewcząt Checz Gdynia: Homepage, http://www.checzgdynia.com (30.01.2020). Trybuna Ludu, Warszawa, 17.07.1957. Umowa między Rządem Polskiej Rzeczypospolitej Ludowej a Rządem Niemieckiej Republiki Demokratycznej o wzajemnych podróżach obywateli obu Państw, in: Polska Rzeczpospolita Ludowa - Niemiecka Republika Demokratyczna 1970–1981. Dokumenty i materiały, Warszawa: PISM, 1983, S. 96–100.
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Dariusz Wojtaszyn
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Alexander Friedman
„Na los, ran an den Ball, Blondie!“
Der Frauenfußball in der DDR und im Ostblock
L’histoire du football féminin dans le socialisme faisait partie de la politique de la femme et de la politique du sport des pays du bloc de l’Est et devrait être analysée dans un contexte de la politique intérieure et étrangère large. Le développement du football féminin dans la ČSSR a été encouragé par le Printemps de Prague. En Pologne, ‘l’euphorie du football’ des années 70 et du début des années 80 a joué un rôle important. En Hongrie, qui était progressiste comparée avec d’autres pays communistes, l’équipe nationale féminine a été autorisée à jouer internationalement dans la seconde moitié des années 80. En Roumanie et en URSS, le football féminin – prétendument malsain – a été victime de la dictature conservatrice et misogyne. Dans le cas de la Bulgarie, le football féminin doit son développement à l’enthousiaste Latchesar Dimitrov. Le compatriote de Dimitrov, Vladimir Tsvetkov, a largement contribué à la diffusion du football féminin en RDA. Dans l’Etat de la SED, par contre, ce sport a obtenu une certaine latitude et a pu se développer principalement en tant que sport de loisir. On peut qualifier la couverture médiatique du football féminin par la presse de la RDA comme bienveillante, mais condescendante et paternaliste-sexiste.
1. Einführung Am 9. Mai 1990 fand das Freundschaftsländerspiel zwischen den Frauenfußballnationalmannschaften der DDR und der Tschechoslowakei im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion statt. Etwa 800 Zuschauer*innen sahen eine packende Partie, in der die spielerisch überlegenen und wesentlich erfahreneren Gäste – die tschechoslowakische Frauennationalelf hatte an der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 1989 (WM) teilgenommen und dabei immerhin das Viertelfinale erreicht, in dem sie dem späteren EM-Sieger aus der Bundesrepublik unterlag – das Spiel bestimmten und die DDR mit 3:0 bezwangen.1 Somit feierten sie ihren ersten Sieg über eine deutsche Mannschaft: In den bisherigen ___________ 1
Die DDR-Nationalspielerin Doreen Meier betonte rückblickend: „Unsere Gegnerinnen waren in allen Belangen überlegen. Ihrem Kombinationsfluß, ihrer Bewegungsfreudigkeit, gepaart mit unbändiger Kampfkraft, war selten etwas entgegenzusetzen. Die Aufregung tat ein Übriges. Kaum eine Spielerin konnte an ihre Normalform anknüpfen. Bitter enttäuscht verließen wir den Platz.“ Meier, Doreen: Frauenfußball in der DDR, in: Ratzeburg, Hannelore/Biese, Horst (Hg.): Frauen Fußball Meisterschaften, Kassel: Agon Sportverlag, 1995, S. 29–42, hier S. 41.
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vier Begegnungen mit der Bundesrepublik gab es für die ČSFR drei Niederlagen und lediglich ein Unentschieden.2 Während die tschechoslowakische Auswahl ein Routinespiel in Potsdam absolvierte, war diese Partie für die erst im Frühling 1990 offiziell gegründete Frauenfußballnationalmannschaft der DDR3 eine historische Premiere und gleichzeitig das letzte Kapitel ihrer kurzen Geschichte. Die Geschichte des Potsdamer Länderspiels am 9. Mai 1990 spiegelt die ambivalente Entwicklung des Frauenfußballs hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘ wider: In der UdSSR lange Zeit verboten, konnte sich diese Sportart in der DDR, in Ungarn, in Bulgarien und in erster Linie in der Tschechoslowakei und in Polen in den 1970er- und vor allem in den 1980er-Jahren durchsetzen. Welche Faktoren beeinflussten die Entwicklung des Frauenfußballs in sozialistischen Staaten? Wie lässt sich deren unterschiedliche Frauenfußballpolitik erklären? Wie ging die staatlich kontrollierte ostdeutsche Presse mit dieser Sportart um und welche Frauenbilder wurden dabei vermittelt? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der vorliegenden diskursanalytischen Studie, die sich vor allem auf den Frauenfußball im ‚Sportwunderland‘ DDR konzentriert. Obzwar die ambivalente Entwicklung des ostdeutschen Frauenfußballs und die SED-Frauenfußballpolitik als Teil ihrer Sportpolitik inzwischen in erster Linie anhand von Akten der Partei- und Staatsorgane, Erinnerungen von Zeitzeugen*innen und Publikationen der Sportpresse erforscht wurden, wird der Fall DDR in der Regel nicht in einem breiten Ostblockkontext behandelt und – wenn überhaupt – mit der Bundesrepublik Deutschland verglichen.4 In diesem Beitrag wird der DDR-Frauenfußball hingegen als Teil des Ostblock-Frauenfußballs betrachtet, wobei relevante Publikationen der an die breite Masse der Bevölkerung gerichteten Tageszeitungen Neues Deutschland, Berliner Zeitung und Neue Zeit sowie einzelne einschlägige Veröffentlichungen des DDR-Fußballmagazins Die Neue Fußballwoche (Fuwo) ausgewertet werden. ___________ 2 3 4
Vgl. Ratzeburg/Biese: Frauen Fußball Meisterschaften, S. 62, 70. Vgl. N. N.: Untersuchungsausschuss, in: Neues Deutschland, 02.04.1990, S. 8. Vgl. Pfister, Gertrud: Frauen und Sport in der DDR, Köln: Strauß, 2002; Galczynski, Ronny: Frauenfußball von A–Z: Das Lexikon des deutschen Frauenfußballs. Spielerinnen, Vereine und Rekorde. Viele Hintergrundgeschichten, Hannover: humboldt, 2010, S. 65–67; Linne, Carina Sophia: Freigespielt: Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra, 2011; dies.: „Bravo, Mädels!“ Einblicke in die Geschichte des Frauenfußballs in der DDR, in: Herzog, Markwart (Hg.): Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013, S. 133–159; dies.: Der vergessene Osten? Die Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR und seine Bedeutung für den vereinten Spielbetrieb, in: Sinning, Silke/Pargätzi, Jonathan/Eichmann, Björn (Hg.): Frauen- und Mädchenfußball im Blickpunkt. Empirische Untersuchungen – Probleme und Visionen, Münster: Lit, 2014, S. 12–28; McDougall, Alan: The People’s Game. Football, State und Society in East Germany, Cambridge: Cambridge UP, 2014, S. 267–282.
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Zunächst wird die Geschichte des Frauenfußballs hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘ zusammengefasst. Anschließend wird auf die ostdeutsche Berichterstattung über den Frauenfußball und deren Besonderheiten eingegangen.
2. Frauenfußball in der DDR und im Ostblock Im Januar 1957 thematisierte die Ost-Berliner Illustrierte Zeit im Bild eine ‚dramatische‘ Tendenz im modernen Sport, die man in der sozialistischen DDR nicht erleben wollte. Die Zeitschrift rekurrierte dabei auf die ‚Fußball-Lollos‘, eine Anspielung auf die international bekannte Schauspielerin und das Sexsymbol des italienischen Kinos Gina Lollobrigida (*1927): Die Frauen wollen auch Fußball spielen. Der Gedanke ist schrecklich, viel schrecklicher als die Vision von den Modetorheiten, die immerzu die weibliche Anatomie verändern und die Hüften verrücken, einmal nach oben, einmal nach unten, die heute den Busen bejahen und morgen verneinen […]. Und dann wollen wir auch nicht erleben, wie eine Frau foult, sich verstellt, weil sie einen Elfmeter erschwindeln will, sich vor geheuchelten Schmerzen windet, die Hände vors Gesicht schlägt und durch die Finger nach dem Schiedsrichter sieht, ob die Darstellung des großen Fouls auch drastisch genug sei.5
Dieser frauenfeindliche Artikel, der die Verbreitung des Frauenfußballs in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg reflektierte, wurde von Fußball spielenden Frauen zurückgewiesen, die gegen eine diffamierende Darstellung ihres Sports protestierten und ihr Recht verteidigten, diesem nachzugehen. Als Beispiel kann etwa die Übungsleiterin der Sektion Gymnastik in der Betriebssportgemeinschaft (BSG) Rotation Berlin Helga Köhne6 erwähnt werden, die der Zeit im Bild eine Abfuhr erteilte und deren Leserbrief die Berliner Zeitung im Februar 1957 veröffentlichte: Obschon die Verfasserin die eher schlechte Spielqualität im zeitgenössischen Frauenfußball zugab, hob sie gleichzeitig hervor, dass sich diverse unerfreuliche Entwicklungen wie harte Fouls oder unfaire Spielweisen nicht nur im Fußball, sondern auch in anderen Sportarten (etwa im Feldhockey) beobachten ließen, und griff zudem männliche Kritiker des Frauenfußballs an, die diese Sportart vor allem respektlos als „Fleischbeschauung“ betrachten würden. Ihr eigenes Leben hätte sich Köhne kaum ohne Fußball vorstellen können: Der Fußball mache ihr nicht nur bloß Spaß, aus ihm schöpfe sie ihre „Freude zur täglichen Arbeit“7. An der Diskussion über den Frauenfußball in der DDR, deren Bestandteil die erwähnten Publikationen ___________ 5 6 7
Zit. nach: N. N.: Fußballbräute mit zuviel Verständnis?, in: Berliner Zeitung, 06.02.1957, S. 4. Vgl. N. N.: Auf dem zweiten Platz des „BZ“-Wettbewerbs, in: Berliner Zeitung, 12.10.1954, S. 4. N. N.: Fußballbräute mit zuviel Verständnis?, S. 4.
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waren, beteiligte sich auch das Fußballmagazin Fuwo, das Ende Juli 1958 vorsichtig betonte, der Fußball könne „auch das Spiel der Frau“ sein.8 In Osteuropa bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bekannt, verbreitete sich der Frauenfußball in der DDR, in Polen und in anderen sozialistischen Staaten in den späten 1950er-Jahren. Obwohl der Frauenfußball dort – im Gegensatz etwa zu England oder zur Bundesrepublik Deutschland – durch die Fußballverbände nicht offiziell verboten war, konnte sich diese Sportart aber zunächst nicht etablieren und setzte erst in den späten 1960er-Jahren zu ihrem Siegeszug an.9 Als Hochburg des Frauenfußballs hinter dem ‚Eisernen Vorhang‘ galt dabei zunächst die ČSSR, in der bereits 1966 ein internationales Turnier veranstaltet wurde. In der Slowakei (1967) und in Tschechien (1969) wurden Meisterschaften organisiert und die Nationalmannschaft entstand bereits 1968, die ihr erstes offizielles Länderspiel allerdings erst 1986 absolvierte. Der Frauenfußball konnte sich in der ČSSR also schnell entfalten und profitierte maßgeblich von der gesellschaftspolitischen Liberalisierung im Zuge des Prager Frühlings.10 Während die tschechoslowakische Fußballnationalmannschaft der Männer in der zweiten Hälfte der 1960er- und in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre in einer Dauerkrise steckte – zwischen 1964 und 1974 konnte sich die ČSSR lediglich für die Endrunde der WM 1970 in Mexiko qualifizieren und schied dort bereits in der Gruppenphase aus –, gewann die polnische Nationalelf den dritten Platz bei der WM 1974 in der Bundesrepublik und wiederholte diesen Erfolg acht Jahre später in Spanien. In diesem ‚goldenen‘ oder zutreffender ‚bronzenen Zeitalter‘ des polnischen Fußballs kam es zu einem rasanten Aufstieg des Frauenfußballs in der Volksrepublik: Nachdem etliche Frauenteams in den 1970er-Jahren entstanden waren, nahm eine Frauenliga 1979 ihren Spielbetrieb auf. Ein Jahr später wurde die Auswahl einer Nationalmannschaft beschlossen, die Ende Juni 1981 ihr erstes Länderspiel bestritt, wobei ihr Gegner nicht einmal aus dem Ostblock kam: Die Polinnen reisten in die sizilianische
___________ 8 9 10
Vgl. N. N.: Fußball kann auch das Spiel der Frau sein!, in: Die Neue Fußballwoche (Fuwo), 28.07.1959, S. 13; N. N.: Nicht um das Für und Wider!, in: Die Neue Fußballwoche (Fuwo), 02.02.1960, S. 11. Zum Fußball in der DDR in den späten 1950er- und in den frühen 1960er-Jahren siehe McDougall: The People’s Game, S. 269–270. Vgl. Jeřábek, Luboš; Český a československý fotbal - lexikon osobností a klubů, Prag: Grada Publishing a.s, 2007, S. 239, 250; Merklová, Aneta: Postavení ženského fotbalu v České republice (Na příkladu ženského fotbalu v Pardubickém kraji), Prag, Diplomarbeit, 2015, https://dspace. cuni.cz/bitstream/handle/20.500.11956/77866/DPTX_2014_1_11510_0_413969_0_158862. pdf?sequence=1&isAllowed=y (25.03.2020), S. 21–22.
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Stadt Catania und verloren dort mit 0:3 gegen die italienischen Gastgeberinnen.11 In der ČSSR und in Polen lief die Entwicklung des Frauenfußballs also auf Hochtouren. In Ungarn, wo 1984 eine Frauenfußballliga gegründet wurde und die Nationalelf ihr erstes Spiel 1985 absolvierte, verbreitete sich der Frauenfußball etwas langsamer.12 Wie war aber die Situation im ambitionierten ‚Sportwunderland‘ DDR, das – abgesehen vom Triumph des 1. FC Magdeburg im Europapokal der Pokalsieger (1974), dem historischen Sieg der DDR-Nationalmannschaft über die DFB-Elf am 22. Juni 1974 in Hamburg und der Goldmedaille der Olympia-Auswahl 1976 – weder große Fußballerfolge wie in Polen noch einen ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘ wie in der Tschechoslowakei kannte? Als Keimzelle des ostdeutschen Frauenfußballs in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre kann der Bezirk Dresden bezeichnet werden: 1963 ließ sich der vom Frauenfußball begeisterte bulgarische Student Wladimir Zwetkow in der Elbmetropole nieder und nahm sein Elektrotechnik-Studium an der TU Dresden auf. Während der Frauenfußball Bulgarien erst in den 1980er-Jahren und vor allem in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts eroberte – eine zentrale Rolle spielte dabei der engagierte Sportwissenschaftler Latschesar Dimitrow13 –, war Zwetkow als „ein Wegbereiter des DDR-Frauenfußballs“14 in Ostdeutschland bereits in den späten 1960er-Jahren erfolgreich: Nachdem der Bulgare, der übrigens eine Zeit lang in der zweiten Mannschaft von Dynamo Dresden gespielt hat, die SED-Führung des Bezirks Dresden für die ‚exotische Sportart‘ gewinnen konnte, durfte er ein Frauenteam in der BSG Empor DresdenMitte zusammenstellen, das am 4. August 1969 bei seinem ersten offiziellen Spiel gegen BSG Empor Possendorf vor etwa 1 600 Zuschauer*innen diese ___________ 11
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Zur Geschichte des Frauenfußballs in Polen siehe bspw. Kita, Artur: Geneza i rozwój piłki nożnej kobiet w Polsce do 2010 roku, Warschau: Drukpol, 2014; Buryta, Rafał/Stefanik, Ryszard: Piłka nożna kobiet w Szczecinie w latach 1957–2007, in: Zeszyty Naukowe. Prace Instytutu Kultury Fizycznej/Uniwersytet Szczeciński 25 (2008), S. 103–119, hier S. 104–111; Komosińska-Ferens, Beata: Historia kobiecej piłki nożnej w Polsce, https://sportowarodzina.pl/ index.php/sporty/gry-zespolowe/historia-kobiecej-pilki-noznej-w-polsce.html (25.03.2020). Vgl. auch den Beitrag von Dariusz Wojtaszyn in diesem Band. Vgl. Déri, Diána: A női labdarúgás története: Európa, mint a sportág bölcsője, April 2016, http://real.mtak.hu/40236/1/07_Déri.pdf (25.03.2020), S. 70–79, hier S. 73. Vgl. Angelowa-Igowa, Borjana: Schenskijat futbol w NRB – primer za emanzipazija ili ekspolatazija?, Juni 2017, https://boryana.litclub.bg/soccer.pdf (25.03.2020). Kocher, Joshua: Dresdner Kickstarterinnen, in: Sächsische Zeitung, 17.02.2018, https:// www.saechsische.de/dresdner-kickstarterinnen-3880538.html (25.03.2020); Fritz, Thomas: Bulgare gründete einen der ersten DDR-Fußballvereine, in: Thüringer Allgemeine, 09.07.2011, https://www.thueringer-allgemeine.de/sport/bulgare-gruendete-einen-der-ersten-ddr-frauenfuss ballvereine-id218329437.html (25.03.2020).
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mit 2:0 bezwang.15 In den nächsten Jahren entstanden zahlreiche Frauenfußballteams in Ost-Berlin und in der DDR-Provinz: Im Juli 1971 gab es in der DDR etwa 150 Frauenmannschaften,16 im September dieses Jahres bereits circa 20017 und Ende 1972 schon 330.18 1981 erhöhte sich ihre Zahl auf 360.19 Der SED-Staat reagierte auf den Frauenfußballboom der frühen 1970erJahre gelassen und pragmatisch. Obschon manche Partei- und Staatsfunktionäre diese Sportart skeptisch sahen, ließ die DDR-Sportführung sich jedoch nicht von der Sowjetunion beeinflussen, in der der Frauenfußball 1972 offiziell verboten wurde. Man nahm diese Sportart eher als eine ‚harmlose Marotte‘ weniger fußballbegeisterter Frauen wahr20 und sah im Frauenfußball gleichzeitig eine Chance, zahlreiche sportferne Damen für den Sport generell zu gewinnen und dadurch ihre Fitness zu verbessern.21 Der Frauenfußball galt in der DDR ausschließlich als Erholungs- und Freizeitsport (Volksport), der auf der Ebene von Betriebssportgemeinschaften betrieben werden konnte, und – zumal er keine prestigeträchtige Olympia-Sportart war – nicht als Leistungssport staatlich gefördert werden musste.22 Der mächtige Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) zeigte kein besonders großes Interesse an der Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR. Der für den Fußball zuständige Deutsche Fußballverband der DDR (DFV) behandelte diese Sportart eher reserviert und manchmal sogar offen feindselig.23 1971 verabschiedete er eine Spielordnung für den Frauenfußball: Eine Partie bestand aus zwei Halbzeiten von jeweils 30 Minuten und sollte von einer weiblichen Unparteiischen geleitet werden. Die mindestens 16 Jahre alten Spielerinnen mussten vorab ärztlich begutachtet werden und durften bei Temperaturen unter minus fünf Grad keine Spiele absolvieren. Der Wettspielbetrieb außerhalb der Bezirksebene war in der DDR zunächst nicht vorgesehen.24 Für ostdeutsche Frauenfußball-Enthusiast*innen war diese Spielordnung ein Schlag ins Gesicht. Der enttäuschte Cheftrainer der 1971 gegründeten, vom VEB Energiekombinat Potsdam geförderten BSG Turbine, Bernd ___________ 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24
Vgl. Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 30. Vgl. N. N.: Die hübschen Ballkickerinnen, in: Neues Deutschland, 28.07.1971, S. 5. Vgl. ADN/BZ: 200 spielen Frauen-Fußball, in: Berliner Zeitung, 08.09.1971, S. 8. Vgl. Teske, Gunter (= Teske, Günther): Zarte „Elfen“ am harten Leder. Fußball – Sport für Frauen?, in: Berliner Zeitung, 12.11.1972, S. 11. Vgl. Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 35. Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 273, 281. Vgl. N. N.: Die hübschen Ballkickerinnen. Vgl. Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 34. Vgl. Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 32–33; McDougall: The People’s Game, S. 273, 275, 279. Vgl. ADN/ND: Neue Spielordnung des DFV der DDR, in: Neues Deutschland, 27.07.1971, S. 5; N. N.: Zahlreiche Änderungen ab 1. August 1971, in: Neue Zeit, 28.07.1971, S. 6; ADN/BZ: 200 spielen Frauen-Fußball.
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Schröder (*1942) wagte sogar, seinen Unmut über den DFV in der Betriebszeitung des Energiekombinats 1972 offen zu äußern. Schröder lobte dabei die positiven Entwicklungen in der Tschechoslowakei, von denen man sich auch in der DDR hätte inspirieren lassen können.25 Schröders Vorstoß blieb aber zunächst ohne Wirkung. Der Druck von unten zwang jedoch den DFV 1979 zur Gründung der Arbeitsgruppe Frauenfußball innerhalb der Kommission Freizeit und Erholungssport. Darüber hinaus führte der Verband die Bestenermittlung als Ersatz für eine Meisterschaft mit vier und ab 1985 mit 15 Mannschaften (Siegerinnen von Ausscheidungsturnieren in Bezirken) ein, die allerdings bis 1986 in kleinen Provinzstädten wie Bad Blankenburg oder Grimma ausgetragen wurde. Ab 1987 gab es eine DDR-Frauenoberliga mit zwei Staffeln (Nord- und Südstaffel). Der Spielmodus wurde modifiziert (zwei Halbzeiten je 40 Minuten). Mit dem Pokal des Demokratischen Frauenbundes Deutschland kam ein neuer Wettbewerb hinzu. Diese Veränderungen erhöhten die Attraktivität des Frauenfußballs, über den nunmehr im Fernsehen und in der Printpresse berichtet wurde.26 Die erste vollwertige DDR-Frauenfußballmeisterschaft fand erst nach der Wende 1990 statt. Der Meister kam aus Rostock und hieß BSG Post. Neben der BSG Post gehörten die BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt, die BSG Motor Halle, die von der SED-Kreisleitung Aue unterstützte BSG Rotation Schlema27 und vor allem die erwähnte BSG Turbine Potsdam, die insgesamt sechs Bestenermittlungen (1981 bis 1983, 1985, 1986 und 1989) für sich entschieden hat, zu den stärksten Frauenfußballteams der DDR. Von der Frauenfußball-Euphorie, die nach und nach die ČSSR, die Volksrepublik Polen und zum Teil auch die DDR erfasste, war in Rumänien und in der Sowjetunion in den späten 1970er- und in den frühen 1980er-Jahren nichts zu spüren: In der neostalinistischen Ceauşescu-Diktatur wurden Frauen in erster Linie als ‚Gebärmaschinen‘ betrachtet. Als überzeugte Gegnerin des Frauenfußballs profilierte sich die mächtige Gattin des Diktators, Elena Ceauşescu. Unter diesen Umständen konnte sich der rumänische Frauenfußball erst nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft entwickeln.28 In der UdSSR wurde der Frauenfußball zusammen mit Boxen, Ringen und Gewichtheben als eine für die weibliche Gesundheit schädliche Sportart eingestuft und vom Staatskomitee für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der Sowjetunion, wie bereits erwähnt, im Dezember 1972 offiziell verboten. ___________ 25 26 27 28
Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 279. Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 276–277; Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 35. Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 280. Vgl. Guiclea, Andreea: „Atunci chiar a fost fotbal de plăcere.“ Cum se juca fotbalul feminin în comunism şi în primii ani de democraţie: povestea Florentinei Smărăndoiu, in: lead.ro, 17.12.2019, https://lead.ro/atunci-chiar-a-fost-fotbal-de-placere-cum-se-juca-fotbalul-femininin-comunism-si-in-primii-ani-de-democratie-povestea-florentinei-smarandoiu/ (25.03.2020).
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Dabei hat nichts im Frühling bzw. im Sommer 1972 auf diese rigorose Maßnahme hingedeutet: So bewunderte die Berliner Zeitung im April 1972 eine 36-jährige Leningrader Kranfahrerin, die begeistert einen Marathon gelaufen war, täglich 36 bis 40 Trainingskilometer für ihre ‚Gesundheit‘ bewältigte und dabei selbstbewusst meinte: „Diese Langlaufdistanz ist für Frauen ungewöhnlich, doch früher war man über Frauenfußball ebenso erstaunt.“29 Tatsächlich war der Frauenfußball in der UdSSR 1972 kein Novum mehr: In der Ukraine, im Baltikum und in Moskau gab es Frauenmannschaften, über welche die sowjetische Sportpresse (Fachmagazin Fubol-Chokkej, Fußball- und Eishockey) positiv berichtete;30 in der ukrainischen Stadt Dnipropetrowsk (heute Dnipro) wurde der nach der ersten Frau im Weltraum Walentina W. Tereschkowa (*1937) genannte und vom Publikum sehr gut besuchte Pokal veranstaltet, in verschiedenen Städten fanden ‚Schauspiele‘ von Frauenteams statt. Ein derartiges ‚Schauspiel‘ bestritten die Dnipropetrowsker Frauenmannschaften Dnipro und Meteor am 25. Juni 1972 vor etwa 12 000 Zuschauer*innen im Kurort Berdjansk am Asowschen Meer. Während die Mehrheit des Publikums die Begegnung begeistert verfolgte, machte das Spiel den Arbeiter des Berdjansker Werks Asowkabel W. F. Welitschko fassungslos. In seinem zornigen Leserbrief an die populärwissenschaftliche Zeitschrift Zdorow’e (Gesundheit) diffamierte er den Frauenfußball als ‚unnatürlich‘ und befürchtete, dass eine Fußballerin – vom Ball in den Unterleib getroffen oder nach einem Zweikampf zu Boden gefallen – eventuell keine Kinder mehr bekommen würde und somit keine Liebe und kein Familienglück in ihrem Leben fände. Während man im Westen – auf die Profitmaximierung bedacht – den Frauenfußball als gutes Geschäft sehe und deshalb entwickle, brauche die UdSSR diesen ‚unweiblichen‘ Sport nicht.31 Ausschlaggebend für das Verbot des Frauenfußballs in der Sowjetunion war allerdings nicht der Leserbrief aus Berdjansk, sondern die Stellungnahme der renommierten Wissenschaftlerin und Lehrstuhlinhaberin für Sportmedizin an der Moskauer Staatsakademie für Körperkultur und Sport, Professorin Nina D. Graewskaja (1919–2008), die den Frauenfußball zu einer Gefährdung für das Nervensystem stilisierte und als Ursache von Herzproblemen ausmachte.32 Erst im Zuge der Perestrojka wurde der Frauenfußball in der UdSSR rehabilitiert, wobei einzelne Turniere in ___________ 29 30 31 32
N. N.: Bunte Welt des Sports, in: Berliner Zeitung, 17.04.1972, S. 5. Vgl. Timoschkin, Iwan: Mjatsch so schpilkoj, in: Futbol 6 (2013), S. 10–13, hier S. 10–11. Vgl. Tulinow, Wjatscheslaw: Schenskij futbol, in: football, http://football.tulja.in.ua/ novosti/zhenskij-futbol/ (25.03.2020). Vgl. Hilbrenner, Anke: Auch in Russland ein „reiner Männersport“. Zur Geschichte und Gegenwart des Frauenfußballs in der Russischen Föderation, in: Dahlmann, Dittmar/ Hilbrenner, Anke/Lenz, Britta (Hg.): Überall ist der Ball rund. Zur Geschichte und Gegenwart des Fußballs in Ost- und Südosteuropa, Essen: Klartext, 2005, S. 71–96, hier S. 81–82.
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den späten 1980er-Jahren veranstaltet wurden. Die erste Sowjetische Meisterschaft fand 1990 statt. Im gleichen Jahr wurde die Nationalmannschaft gegründet.33
3. DDR-Presse und Frauenfußball in den 1970er- und 1980er-Jahren Der Siegeszug des Frauenfußballs in der DDR in den 1970er- und 1980erJahren wurde durch eine insgesamt wohlwollende Berichterstattung der staatlich kontrollierten ostdeutschen Presse begünstigt. Diese Berichterstattung spiegelte die Bemühungen des SED-Staates wider, der die Entwicklung dieser Sportart keinesfalls aufhalten, sondern vielmehr steuern und in ‚richtige Bahnen‘ lenken wollte. So wurde über die Gründung von Frauenmannschaften in der DDR berichtet.34 Man schaltete Annoncen über die Zusammenstellung neuer Teams35 und wies auf bevorstehende Turniere hin.36 Die nicht selten gut besuchten Bestenermittlungen und weitere Fußballspiele wurden thematisiert.37 Die Presse porträtierte einzelne Teams und Fußballerinnen, ging ___________ 33
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Vgl. Hilbrenner: Auch in Russland ein „reiner Männersport“, S. 82; Timoschkin: Mjatsch so schpilkoj, S. 11–13; Masilkin, Artem: „Igrali posle sawoda – nado bylo na tschto-to schit“. Kak w SSSR ubili i woskresili schenskij futbol, in: eurosport.ru, 15.08.2017, https://www.eurosport.ru/football/story_sto6289128.shtml (25.03.2020). Vgl. Oertel, Heinz Florian: FfF, in: Berliner Zeitung, 10.05.1971, S. 5; N. N.: Vom Berliner Sportleben, in: Berliner Zeitung, 18.10.1971, S. 4; Richter, Wolfgang: Der Fußballpokal blieb bei den Agrarstudenten. 100 Mannschaften in der Liga der Universität Halle, in: Neues Deutschland, 04.07.1981, S. 15. Vgl. N. N.: Vom Berliner Sportleben, in: Berliner Zeitung, 24.09.1979, S. 7; 27.02.1984, S. 8; 14.10.1985, S. 8; 24.08.1987, S. 7. Zudem N. N.: Viele Möglichkeiten, aktiv mitzumachen, in: Berliner Zeitung 31.08.1987, S. 7. Vgl. N. N.: Vom Berliner Sportleben, in: Berliner Zeitung, 18.08.1980, S. 7; N. N.: Hallenfußball der Frauen um BFA-Pokal in Marzahn, in: Berliner Zeitung, 04.01.1982, S. 7. Vgl. N. N.: Frauen-Fußball um Punkte, in: Berliner Zeitung, 16.08.1971, S. 4; N. N.: FußballFrauen am Ball, in: Berliner Zeitung, 24.11.1971, S. 4; N. N.: Frauen wieder am Ball, in: Berliner Zeitung, 29.01.1972, S. 4; Metscher, Klaus: Frauen waren am Ball, in: Berliner Zeitung, 24.05.1972, S. 8; Klimanschewsky, Adi: Massenfeld auf 196-km-Kurs. 142 Starter beim 66. Rund um Berlin / Fünf Länder meldeten schon namentlich, in: Berliner Zeitung, 07.09.1972, S. 7; N. N.: EAB-Frauen führen, in: Berliner Zeitung, 12.12.1973, S. 11; N. N.: Täve fuhr eine Ehrenrunde. Buntes Programm vor der Ankunft im Jahn-Sportpark, in: Berliner Zeitung, 16.05.1974, S. 7; N. N.: Elfe-Ballzauber, in: Berliner Zeitung, 05.01.1976, S. 7; N. N.: Tabellenstand im Berliner Frauen-Fußball, in: Berliner Zeitung, 11.07.1977, S. 7; N. N.: Köpenicks Fußball-Frauen mit großem Vorsprung, in: Berliner Zeitung, 28.01.1978, S. 7; N. N.: Im Frauenfußball um Berliner Pokalehren, in: Berliner Zeitung, 30.06.1979, S. 10; N. N.: Sport am Wochenende, in: Neues Deutschland, 30.06.1979, S. 8; N. N.: Köpenicker Frauen-Elf eroberte FDGB-Pokal, in: Berliner Zeitung, 02.07.1979, S. 7; N. N.: Sportlicher Ausklang in
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sporadisch auf die Situation des Frauenfußballs im sozialistischen und kapitalistischen Ausland ein und ließ prominente Befürworter des Frauenfußballs zu Wort kommen. Eine wichtige Rolle spielte dabei die bereits erwähnte Berliner Zeitung (BZ), die schon Ende der 1950er-Jahre Partei für den Frauenfußball ergriffen hatte,38 in den frühen 1970er-Jahren das Recht des „schwachen Geschlechts“, den Ball zu jagen, vehement verteidigte39 und selbst Frauenfußballspiele veranstaltete.40 Diese Besonderheit lässt sich vor allem auf die BZ-Autoren Günter Teske (*1933) und Heinz Florian Oertel (*1927) zurückführen, welche die Verbreitung des Frauenfußballs in der DDR unterstützten. Wohl mit der sowjetischen Diskussion über für Frauen ‚geeignete‘ und ‚ungeeignete‘ Sportarten (1972) vertraut, lehnte der frühere Radrennfahrer und bekannte ostdeutsche Science-Fiction-Autor und Sportreporter Teske, Gewichtheben, Boxen und Ringen der Frauen im November 1972 entschlos___________
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drei Stadtbezirken. Höhepunkte in Pankow, Weißensee und Köpenick, in: Berliner Zeitung, 22.09.1979, S. 7; N. N.: Fußball-Notizen, in: Neues Deutschland, 08.10.1979, S. 15; N. N.: Zwei Titelanwärter im Berliner Frauen-Fußball, in: Berliner Zeitung, 21.05.1980, S. 6; N. N.: Bergmann-Borsig will in der oberen Hälfte bleiben. Stahl Brandenburg am Sonntag zu Gast in Berlin, in: Berliner Zeitung, 13.09.1980, S. 6; N. N.: Die Rollen im heutigen Liga-Duell sind verteilt, in: Berliner Zeitung, 18.10.1980, S. 6; N. N.: EAB-Fußballfrauen haben drei Verfolger, in: Berliner Zeitung, 05.01.1981, S. 7; N. N.: Zwei Helbig-Tore beim Union-Erfolg, in: Berliner Zeitung, 02.02.1981, S. 7; N. N.: Fünf Bewerber im Frauenfußball-Titel, in: Berliner Zeitung, 24.09.1981, S. 6; M. H.: Kicker-Charme, in: Neue Zeit, 30.09.1981, S. 6; N. N.: EABFußballfrauen sind wiederum Meister, in: Berliner Zeitung, 26.04.1982, S. 7; N. N.: Notizen, in: Neues Deutschland, 01.10.1983, S. 15; N. N.: Rotation will zu Hause Gunst der Stunde nutzen. Nun gegen Stahl Hennigsdorf / EAB beim Schlußlicht, in: Berliner Zeitung, 10.03.1984, S. 6; N. N.: KWO-Fußbalerinnen holten ersten Titel, in: Berliner Zeitung, 08.08.1984, S. 6; N. N.: Fußball-Splitter, in: Neues Deutschland, 07.08.1984, S. 7; N. N.: Notizen, in: Neues Deutschland, 02.10.1984, S. 6; N. N.: KWO-Kickerinnen noch ohne Minuspunkt, in: Berliner Zeitung, 11.12.1984, S. 6; N. N.: Sport am Wochenende, in: Neues Deutschland, 26.01.1985, S. 8; N. N.: KWO- und EAB-Frauen noch gut im Rennen, in: Berliner Zeitung, 17.11.1986, S. 7; N. N.: Beste Kickerinnen auf Parkett: KWO-Frauen, in: Berliner Zeitung, 09.02.1987, S. 7; N. N.: Souveräne Squadra Azzurra, in: Neue Zeit, 31.05.1988, S. 6; N. N.: Am Rande, in: Neue Zeit, 17.06.1988, S. 6; N. N.: Berliner Fußballerinnen wieder auf Punktejagd, in: Berliner Zeitung, 17.03.1989, S. 6; ADN: Ines Kulick aus Potsdam wieder auf Tore-Jagd, in: Berliner Zeitung, 22.05.1989, S. 7; N. N.: Notizen, in: Neues Deutschland, 23.05.1989, S. 7. Vgl. N. N.: Fußballbräute mit zuviel Verständnis?. Vgl. Teske, Gunter (= Teske, Günter): Frauen bald als Fußballstürmer? Gedanken zur Gleichberechtigung der Frauen im Sport, in: Berliner Zeitung, 08.02.1971, S. 5. Vgl. N. N.: Frauen-Fußball – Artistik – Tanz, in: Berliner Zeitung, 10.09.1971, S. 8; N. N.: Vize-Weltmeister starten bei „Rund um Berlin“, in: Berliner Zeitung, 15.09.1971, S. 1; Radtke, Bodo: Rund um Berlin, in: Berliner Zeitung, 18.09.1971, S. 2.
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sen ab. Gegen Frauenfußball, der ihm nicht unbedingt robuster oder zweikampfbetonter als etwa Handball erschien, hatte er hingegen keine Bedenken.41 Vom Frauenfußball begeistert42 und bereits Ende der 1960er-Jahre als Unterstützer des Dresdner Frauenfußball-Enthusiasten Zwetkow bekannt,43 griff der Sportkommentator im Hörfunk und Fernsehen der DDR Oertel Mitte der 1980er-Jahre scharf „die Männer“ an, die im Sport – und dabei auch im Fußball – „heftigste Hindernisse auf dem Entwicklungsweg der Frauen“44 gewesen seien. Im Oktober 1986 kritisierte er in seiner BZ-Kolumne die von Männern dominierte DDR-Presse, die sich dem Frauenfußball trotz der zunehmenden Popularität dieser Sportart und der „soliden Klasse“ der Spitzenmannschaften wie etwa Turbine Potsdam viel zu selten annehme, und warf außerdem überwiegend männlichen Sportfunktionären die Vernachlässigung des Frauenfußballs vor, was sich etwa im Fehlen einer vollwertigen Frauenfußballmeisterschaft in der DDR manifestierte.45 Oertel rekurrierte also auf die männliche Alleinherrschaft in den DDR-Fußballgremien, die allerdings bereits in den späten 1970er-Jahren zum kleinen Teil durchbrochen wurde: Noch Ende Juli 1971 glaubte das Neue Deutschland, den „weibliche Charme“ bald im DFV beobachten zu können.46 Sechs Jahre später gab es in der DDR tatsächlich die erste Fußballfunktionärin: Doris Müller von der Volkssportgemeinschaft Elfe (VSG Elfe) übernahm die Leitung der Arbeitsgruppe Frauenfußball in der Kommission für Freizeit- und Erholungssport des Berliner Bezirksfachausschusses Fußball.47 Die für Teske und Oertel charakteristische Tendenz, die ‚Normalität‘ des Frauenfußballs und seine kontinuierlich steigende Spielqualität hervorzuheben sowie Männer aufgrund ihrer ignoranten bzw. verachtenden Haltung gegenüber dieser Sportart zu kritisieren, lässt sich in mehreren ostdeutschen
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Vgl. Teske: Zarte „Elfen“ am harten Leder. Siehe auch ders.: Frauen bald als Fußballstürmer?. Zu Teske siehe Kruschel, Karsten: Günter Teske, in: Simon, Erik/Spittel, Olaf R. (Hg.): Die Science-Fiction in der DDR. Autoren und Werke. Ein Lexikon, Berlin (Ost): Das Neue Berlin, 1988, S. 257–259. Vgl. Oertel: FfF. Vgl. Kocher: Dresdner Kickstaterinnen. Oertel, Heinz Florian: Neue Erfolge für die Evas, in: Berliner Zeitung, 08.07.1985, S. 7. Zu Oertel siehe Hofer, Jan/Oertel, Heinz Florian: Heinz Florian Oertel. Ein Leben für den Sport, Berlin: Das Neue Berlin, 2012. Oertel, Heinz Florian: Kräht danach kein Hahn?, in: Berliner Zeitung, 10.11.1986, S. 6. N. N.: Die hübschen Ballkickerinnen. Vgl. N. N.: Vom Berliner Sportleben, in: Berliner Zeitung, 26.09.1977, S. 8. Aufgrund „ihrer langjährigen Funktionstätigkeit“ wurde Müller 1983 mit einer DFV-Ehrennadel in Silber ausgezeichnet. N. N.: Vom Berliner Sportleben, in: Berliner Zeitung, 28.02.1983, S. 7.
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Pressepublikationen wiederfinden.48 Exemplarisch kann an dieser Stelle der renommierte Sport- und vor allem Fußballreporter des SED-Zentralorgans Neues Deutschland Joachim Pfitzner erwähnt werden, der sich auch in der Fuwo als überzeugter Befürworter des Frauenfußballs profilierte.49 Abgesehen von der Athletik sah Pfitzner keine signifikanten Unterschiede zwischen dem Fußball der Männer und dem der Frauen und hielt den Frauenfußball somit für „eine Sportart wie jede andere auch“. In seinem Bericht über die erste Bestenermittlung in Templin stellte Pfitzner am 20. Oktober 1979 zufrieden fest, dass „die Emanzipation der Frau auch auf dem Fußballfeld Positionen erkämpft hat“, und ging auf den Titelgewinner BSG Motor Mitte Karl-MarxStadt und auf das als „Mutter der Mannschaft“ charakterisierte Mitglied der DFV-Kommission Freizeit- und Erholungssport Ulla Bobert ein.50 Pfitzners Reportage stellte keine Ausnahme dar: Vor und nach 1979 erschienen in der DDR-Presse etliche Publikationen über „hübsche Ballkickerinnen“51, „Evas“ in Jerseys52 und „kickende Amazonen“53 und deren Fußballteams.
4. ‚Kickende Amazonen‘ im Land der Betriebssportgemeinschaften In den frühen 1970er-Jahren war der VEB Elfe Schokoladenfabrik im OstBerliner Bezirk Weißensee primär als größter Süßwarenhersteller der DDR bekannt.54 Im November 1972 erfuhren die Leser*innen der Berliner Zeitung, dass die Sportgemeinschaft dieses Betriebes über eine Frauenfußballmannschaft aus begeistert spielenden „Zucker- und Schokoladenmädchen“ verfüge.55 Im April 1979 veröffentlichte die Zeitung eine Reportage über die in ___________ 48 49 50 51 52 53 54 55
Vgl. Ullrich, Klaus/Klein, Werner: Sie entdeckten Fußball-Liebe. Frauen, die den Kontakt zum Sport nicht verlieren wollten, in: Neues Deutschland, 06.11.1972, S. 8; M.H.: KickerCharme, in: Neue Zeit, 30.09.1981, S. 6. Vgl. Pfitzner, Joachim: Glückwunsche für Ballverliebte, in: Die Neue Fußballwoche (Fuwo), 08.03.1983, S. 2. Vgl. Pfitzner, Joachim: Auch die Fußballdamen haben ihre Argumente. Motor Mitte KarlMarx-Stadt erster Titelträger in Templin, in: Neues Deutschland, 20.10.1979, S. 16. N. N.: Die hübschen Ballkickerinnen. Oertel: Neue Erfolge für die Evas; Wolff, Werner: Evas am Fußball, in: Neue Zeit, 15.07.1986, S. 6. N. N.: Am Rande, in: Neue Zeit, 14.11.1988, S. 6. Hierzu siehe Heinmann, Michael: Geschichte der Süßwarenindustrie der DDR, Leverkusen: IZSVerlag, 2007. Teske: Zarte „Elfen“ am harten Leder. Zu dieser Mannschaft siehe auch N. N.: Elfe-Ballzauber, in: Berliner Zeitung, 05.01.1976, S. 7. Im Oktober 1977 berichtete das DDR-Fernsehen über das Frauenteam der VSG Elfe. Vgl. N. N.: Fußball, in: Berliner Zeitung, 14.10.1977, S. 7.
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Berlin kaum beachtete, aber in der Provinz gefeierte Mannschaft der BSG Motor Köpenick. Der Artikel trug den mutmaßlich witzig gemeinten Titel „Der Mann im Tor heißt Gisela“. Der Autor Gerhard Schule zeigte sich von der Torfrau Gisela Tanke und weiteren „wackeren Elevinnen“ bzw. ehrgeizigen „Ballballetteusen“ und tanzenden „Puppen“ angetan, die zwischen 14 und 36 Jahren alt seien und verschiedenen Berufen – unter den Spielerinnen waren eine Dolmetscherin, eine Epoxidharzkleberin, eine Studentin, eine Sachbearbeiterin und eine Auszubildende – nachgehen würden. Obwohl sie in ihren „knappen blauweisen Jerseys“ keinesfalls unattraktiv seien, würden sie nach Feierabend nicht den Männern, sondern den Bällen hinterherjagen. Dass diese Frauenmannschaft auf einen „strengen Übungsleiter“ wie ihren aktuellen Trainer Günter Jähnke angewiesen sei, erschien dem Verfasser offensichtlich: Gerade nach verlorenen Partien oder bei der Auswechslung könnten manche Spielerinnen ihre Emotionen nicht kontrollieren und würden in Tränen ausbrechen. Trotz dieser sexistisch anmutenden, klischeebehafteten Darstellung räumte Schule jedoch mit einzelnen, gerade im Ostblock weit verbreiteten Vorurteilen und Stereotypen über den Frauenfußball auf. So wurde etwa die Tatsache, dass der Frauenfußball die Gebärfähigkeit von Frauen grundsätzlich nicht beeinträchtigt, am Beispiel der Motor-Stürmerin Margit Stoppa veranschaulicht: Die Fußballerin, die bis 1982 für das Köpenicker Team Tore geschossen hatte, später in die DFV-Kommission für Freizeitund Erholungssport wechselte, dort für den Frauenfußball zuständig war und nach der Wende ihre Karriere beim DFB fortsetzte,56 war im April 1979 schwanger und musste pausieren.57 Als Symbol des ostdeutschen Frauenfußballs galt allerdings weder VSG Elfe noch BSG Motor Köpenick. Diese Rolle übernahm die BSG Turbine Potsdam, deren Spielerinnen noch 1981 als „Sportler des Jahres“ (!) in ihrem Bezirk ausgezeichnet wurden58 und die DDR-Fußballszene in den 1980erJahren dominierten. In der Presse – etwa im Ost-CDU-Zentralorgan Neue Zeit im Juli 1986 – wurden die Kapitänin Doris Schmidt und andere „Evas“ aus Potsdam als „junge hübsche“ Damen gefeiert, die man in der ganzen Republik gut kenne. Die „Adams“ aus Potsdam – die Männermannschaft des Vereins –
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Vgl. N. N.: Untersuchungsausschuss, in: Neues Deutschland, 02.04.1990, S. 8; Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 34; Ratzeburg, Hannelore/Stoppa, Margit: „Fußball gehörte nicht zum Rollenbild“, https://www.dfb.de/dfb-maedels/news-detail/?tx_news_pi1%5Bnews %5D=104053&cHash=30e5ad254779d362d458ea1e050d5716 (25.03.2020). Vgl. Schule, Gerhard: Der Mann im Tor heißt Gisela. Am Spielfeldrand in Köpenick gehört und notiert, in: Berliner Zeitung, 07.04.1979, S. 8. N. N.: Mit einem Satz, in: Berliner Zeitung, 18.11.1981, S. 6.
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seien hingegen aufgrund ihrer durchwachsenen Leistungen höchstens in ihrem Bezirk bekannt.59 Fußballerinnen wurden in der Presse als optisch attraktive, selbstbewusste und temperamentvolle junge, „harmonisch entwickelte“ Damen charakterisiert, die „keine einseitigen Fußballfanatikerinnen“ seien, denen ihr Sport viel Spaß mache und zudem helfe, „gelenkig zu bleiben“60. Diesem Bild entsprachen weitestgehend etwa die Leichtathletinnen und Olympia-Teilnehmerinnen 1968 Bärbel Löhnert (*1942) und Christine Spielberg (*1941), die in den 1970er-Jahren zu den prominentesten Spielerinnen des Landes zählten und als ‚Musterfußballerinnen‘ dargestellt wurden. Nach dem Ende ihrer Leichtathletik-Karriere spielte die mehrfache DDR-Meisterin im Fünfkampf und Weitsprung Löhnert Ende der 1970erJahre in der BSG Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) auf der Libero-Position.61 Ihre Kollegin, Diplomsportlehrerin Spielberg – Europameisterin im Diskuswurf 1966, die mit ihrem Wurf auf 61,64 Meter im Mai 1968 den ersten Weltrekord in der DDR-Sportgeschichte aufgestellt hatte, aber bei den Olympischen Spielen in Mexiko (Oktober 1968) mit 52,86 Metern unter ihren Erwartungen blieb und den enttäuschenden siebten Platz belegte62 – beendete Anfang der 1970er-Jahre ihre Karriere, arbeitete fortan in einer Berliner Berufsschule und fungierte gleichzeitig als Spielertrainerin der Frauenmannschaft der BSG des VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin (EAB) Lichtenberg 47 (BSG EAB Lichtenberg 47). Das Gründungsmitglied dieser BSG, Alfred Spanke, wurde in der DDR-Presse übrigens als „Pionier des Frauenfußballs in Berlin“ gelobt.63 Spielbergs Vorliebe für den Fußball wurde in der Neuen Zeit bereits Mitte September 1968 thematisiert.64 Anfang November 1972 zeigte sich das Neue Deutschland von der imposanten Persönlichkeit der Diskuswerferin und Fußballspielerin Spielberg angetan, die schon als Kind Fußball und später auch Handball gespielt habe und eine seit einem Jahr ungeschlagene, fair agierende Mannschaft führe.65 ___________ 59 60
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Wolff: Evas am Fußball. Die Turbine-Mannschaft steht im Mittelpunkt der DDR-Dokumentation Frauen am Ball (R. Ted Tezke) aus dem Jahr 1988. Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 268. Teske: Zarte „Elfen“ am harten Leder; Schule: Der Mann im Tor heißt Gisela; Richter: Der Fußballpokal blieb bei den Agrarstudenten; H.: Kicker-Charme; Ullrich/Klein: Sie entdeckten Fußball-Liebe; N. N.: Temperamentvolle Fußballfrauen, in: Berliner Zeitung, 19.02.1987, S. 11. Vgl. N. N.: Kurz berichtet, in: Neues Deutschland, 22.08.1979, S. 5. Vgl. Linne: Der vergessene Osten?, S. 18–19. Vgl. Frauen-Fußball um Punkte, in: Berliner Zeitung, 16.08.1971, S. 4; Fußball-Frauen am Ball, in: Berliner Zeitung, 24.11.1971, S. 4; Ullrich/Klein: Sie entdeckten Fußball-Liebe. Vgl. diwi: Hoffnung im Reisegepäck. Christine Spielberg fährt mit nach Mexiko, in: Neue Zeit, 14.09.1968, S. 8. Vgl. Ullrich/Klein: Sie entdeckten Fußball-Liebe.
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5. Frauenfußball als ‚eine schöne Sache‘. Jürgen Sparwasser und weitere prominente Befürworter des Frauenfußballs Am 10. Oktober 1981 absolvierte die DDR-Nationalelf der Männer in Leipzig ihr wichtigstes Qualifikationsspiel in der Gruppe 7: Um ihre Chance auf die WM-Teilnahme 1982 zu wahren, benötigte die Mannschaft von Nationaltrainer Georg Buschner (1925–2007) unbedingt einen Sieg über den Gruppenrivalen Polen. Die DDR verlor jedoch 2:3 und verpasste die WM-Endrunde in Spanien. Bemerkenswert ist, dass die ostdeutsche Presse – wohl angesichts der Stärke der Gäste und der eher bescheidenen Leistungen der DDR-Auswahl – bereits im Vorfeld der Begegnung keine großen Hoffnungen hatte. Man scherzte sogar, dass Buschner vier bis fünf fein spielende Damen in der WM-Qualifikation durchaus gebrauchen und mit einer gemischten Elf vielleicht mehr Erfolg haben könnte.66 Der nach der misslungenen Qualifikation beurlaubte Übungsleiter Buschner zeigte sich in puncto Frauenfußball aufgeschlossen: Im Frühjahr 1988 würdigte er im Neuen Deutschland die sportlichen Erfolgen von Frauen und forderte den DFV auf, den Frauenfußball stärker zu fördern.67 Zu den größten Erfolgen der langen Trainerkarriere der DDR-Fußballlegende Buschner gehört der prestigeträchtige Sieg über die Bundesrepublik Deutschland im Gruppenspiel bei der WM 1974, den der Stürmer Jürgen Sparwasser (*1948) mit seinem legendären Tor in der 77. Minute einleitete. Der Diplomsportlehrer Sparwasser beendete 1979 seine Spielerkarriere und war als wissenschaftlicher Assistent an der Pädagogischen Hochschule „Erich Weinert“ in Magdeburg sowie als Fußballexperte im Neuen Deutschland tätig. Seine Einschätzung des Frauenfußballs änderte sich in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre: Im November 1982 hielt Sparwasser diese Sportart noch für eine förderungswürdige „schöne Sache“, die jedoch mit dem Männerfußball nicht zu vergleichen sei, denn „einer Frau fällt es schwerer, den Ball anzunehmen und auch genau zu spielen“68. Im April 1984 gab der Ex-Stürmer dann selbstkritisch zu, den Frauenfußball zu skeptisch betrachtet und unterschätzt
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Vgl. H.: Kicker-Charme. Vgl. N. N.: Spannende Konstellation bei allen Begegnungen. Exnationaltrainer Georg Buschner mit Prognosen und Antworten auf Fragen unserer Leser, in: Neues Deutschland, 26.03.1988, S. 11; N. N.: Führendes Trio muß aufwärts antreten. Exnationaltrainer Georg Buschner mit Prognosen und Antworten auf Fragen unserer Leser, in: Neues Deutschland, 16.04.1988, S. 15. N. N.: Jena steht in Halle vor einer schweren Prüfung. Exnationalspieler Jürgen Sparwasser mit Prognosen zum heutigen Spieltag der Fußballoberliga, in: Neues Deutschland, 27.02.1982, S. 16.
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zu haben. Nunmehr registrierte Sparwassser rasante Fortschritte dieser Sportart: „Mittlerweile nehmen die Frauen aber mit Recht auch im Fußball einen festen Platz ein.“69 Als Spieler prägte Jürgen Sparwasser das ‚goldene Jahrzehnt‘ in der Geschichte des 1. FC Magdeburg, der in den 1970er-Jahren sowohl in der DDROberliga als auch international erfolgreich war und am 8. Mai 1974 im Endspiel gegen den AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger gewann. Es war aber Sparwasser nicht gegönnt, ein WM-Endspiel zu bestreiten. Der einzige DDR-Bürger, der in einem WM-Finale auf dem Feld stehen durfte, war der FIFA-Schiedsrichter Rudi Glöckner (1929–1999), der am 21. Juni 1970 das Endspiel zwischen Brasilien und Italien leitete. Neben Buschner, Sparwasser und manchen anderen Fußballern, Trainern und Sportmedizinern70 schlug sich auch der Unparteiische Glöckner auf die Seite der Befürworter des Frauenfußballs. Mitte Juli 1989 reflektierte er in der Neuen Zeit die Fußball-EM der Frauen in der Bundesrepublik (Ende Juni bis Anfang Juli 1989) und hielt den Fußballerinnen zugute, auf einem hohen technischen Niveau sauber, diszipliniert und zudem – wohl im Gegensatz zu manchem männlichen Kollegen – fair und respektvoll, ohne die Partie absichtlich verzögern zu wollen oder Schiedsrichterentscheidungen in Frage zu stellen, gespielt zu haben.71
6. Frauenfußball im Ausland Anfang der 1970er-Jahre organisierte die Fédération internationale et européenne de football féminin die Frauenfußball-Weltmeisterschaften in Italien (1970) und in Mexiko (1971), bei denen jeweils die dänische Auswahl triumphierte und die in der DDR-Presse lediglich kurz erwähnt wurden.72 Ende der 1980er-Jahre – nach zwei Jahrzehnten rasanter Entwicklung des Frauenfußballs im SED-Staat – änderte sich die Situation: Über die bereits erwähnte EM in der Bundesrepublik (1989) wurde in der DDR deutlich ausführlicher berichtet, wobei man die Leistung technisch versierter, eleganter, leidenschaftlicher und aparter Fußballerinnen würdigte, die auf das „ungeliebte taktische Korsett“ verzichteten und einen offenen und offensiven Fußball dargeboten hätten. Mit dem überraschend überzeugenden westdeutschen Sieg gegen die ___________ 69 70 71 72
N. N.: Stadion der Weltjugend erlebt Berliner Derby. Exnationalspieler Jürgen Sparwasser mit Prognosen und Antworten auf Fragen unserer Leser, in: Neues Deutschland, 19.04.1984, S. 7. Vgl. Oertel: FfF. Vgl. Hartung, Götz: Gunn fehlt im „Guiness“, in: Neue Zeit, 17.07.1989, S. 6. Vgl. Teske: Frauen bald als Fußballstürmer?; Oertel: FfF; N. N.: Tore, Punkte, Meter, Sekunden, in: Neues Deutschland, 08.09.1971, S. 8; N. N.: Kurz notiert, in: Neue Zeit, 08.09.1971, S. 12.
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favorisierten Norwegerinnen – im Endspiel in Osnabrück am 2. Juli 1989 bezwangen die Gastgeberinnen die Titelverteidigerinnen vor 20 000 Zuschauer*innen mit 4:1 – wurde aber in der DDR überhaupt nicht gerechnet.73 Während der westdeutsche Frauenfußball für die Leser*innen der ostdeutschen Presse bis 1989 eher eine terra incognita – im Mai 1957 wurden drei „Länderspiele“ der „Frauennationalelf“ thematisiert,74 das FrauenfußballVerbot durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) (1955/1957 bis 1970) wurde hingegen ausgeblendet – blieb, wurde Skandinavien als europäische Hochburg dieser Sportart dargestellt: Dänemark galt als die stärkste europäische Mannschaft der frühen 1970er-Jahre.75 Der vermeintliche ‚Fußballzwerg‘ Island hatte ab 1982 seine eigene Frauenfußballliga.76 In Norwegen, wo die erfolglose Nationalelf der Männer sich zwischen 1950 und 1990 weder für eine WM- noch für eine EM-Endrunde qualifizieren konnte, etablierte sich die Frauenauswahl um die „attraktive Blondine“ Gunn Nyborg (*1960) als Spitzenreiter des internationalen Frauenfußballs der 1980er-Jahre. Kritisch betrachtete man im ‚Land des Amateursports‘ DDR allerdings die Förderung der norwegischen Nationalmannschaft durch den Aluminiumkonzern Norsk Hydro: Das Unternehmen sei bestrebt, seinen Ruf durch die „Vermarktung hübscher Fußballerinnen-Beine“77 aufzupolieren. Bei der ersten FIFA-Frauenfußballweltmeisterschaft mit insgesamt 12 Teilnehmerländern in der zweiten Novemberhälfte 1991 erreichte die norwegische Nationalmannschaft das Endspiel, das sie allerdings mit 1:2 gegen die USA verlor. Dass dieses Turnier ausgerechnet in der kommunistischen Volksrepublik China stattfand, war für die frauenfußballinteressierte ostdeutsche Leserschaft keinesfalls überraschend: Die Verbreitung dieser Sportart in China78 und die Vorbereitung der WM von 199179 wurde in der DDR-Presse geschildert. Ostdeutsche Pressepublikationen zeigten unmissverständlich, dass der internationale Frauenfußball in den 1980er-Jahren von westlichen Nationen dominiert wurde. Während aber Polen, Ungarn, Bulgarien oder die Tschechoslowakei in den 1980er-Jahren an den Qualifikationen für die internationalen Turniere (allerdings ohne Erfolg) teilnahmen bzw. vor einem Kräftemessen ___________ 73 74 75 76 77 78 79
Vgl. N. N.: Notizen, in: Neues Deutschland, 30.06.1989, S. 11. Vgl. N. N.: Frauen-Fußball international, in: Berliner Zeitung, 18.05.1957, S. 4. Vgl. Teske: Frauen bald als Fußballstürmer?; Oertel: FfF; N. N.: Tore, Punkte, Meter, Sekunden; N. N.: Kurz notiert, in: Neue Zeit, 08.09.1971, S. 12. Vgl. N. N.: Island-Cocktail, in: Neue Zeit, 29.10.1986, S. 7. Hartung: Gunn fehlt im „Guiness“. Vgl. Hempel, Wolf: Systematik statt Improvisation. Beobachtungen in China, in: Neue Zeit, 23.07.1985, S. 6. Vgl. N. N.: Notizen, in: Neues Deutschland, 11.11.1988, S. 7; N. N.: Erste Frauen-FußballWM findet in China statt, in: Berliner Zeitung, 12.11.1988, S. 6; N. N.: Am Rande, in: Neue Zeit, 14.11.1988, S. 6.
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gegen die Mannschaften aus dem Westen (wiederum meistens ohne Erfolg) nicht zurückschreckten und ihren besten Spielerinnen sogar den Wechsel ins ‚kapitalistische Ausland‘ ermöglichten,80 mischte die DDR, die in den 1980erJahren nicht einmal über eine Frauennationalelf verfügte, in der internationalen Fußballfrauenszene nicht mit. Da man sich angesichts einer im internationalen Vergleich eher durchwachsenen Spielqualität von DDR-Fußballerinnen nicht blamieren wollte, waren Begegnungen mit westlichen Mannschaften grundsätzlich unerwünscht.81 Wenn aber die Frauenteams aus der DDR – etwa Turbine Potsdam, VSG Elfe oder KWO Berlin – auf der internationalen Fußballbühne überhaupt auftraten, dann in Freundschaftsspielen und bei diversen Hallen-Turnieren in Polen, in der ČSSR oder in der DDR gegen Gegnerinnen aus den „sozialistischen Bruderstaaten“.82 Auffallend bei diesen sozialistischen „Amazonen-Rendezvous“83 war zudem die Abwesenheit von Mannschaften aus der UdSSR, welche die DDRPresse bis zum Ende der 1980er-Jahre nicht weiter kommentierte: Das Frauenfußballverbot in der Sowjetunion von 1972 wurde im SED-Staat angesichts der unterschiedlichen Handhabung dieser Sportart nicht thematisiert; sonst hätte man der ostdeutschen Bevölkerung erklären müssen, weshalb die DDR die Verbreitung des im ‚sozialistischen Musterland‘ UdSSR als frauengefährdend eingestuften Frauenfußballs zulässt und diese Sportart sogar in der Presse propagiert. Die erste große ostdeutsche Publikation über den Frauenfußball in der Sowjetunion erschien in der DDR am 9. Mai 1988: Die Neue Zeit veröffentlichte das Interview der Korrespondentin der Moskauer Presseagentur Nowosti (Nachrichten) Lilija Kowaljowa mit Lew Wartanow, dem Cheftrainer der 1986 gegründeten Frauenfußballmannschaft des Textilkombinats „Rotes Banner“ Tekstilschtschik aus Ramenskoe bei Moskau. In diesem Interview ging Wartanow vorsichtig auf das Frauenfußballverbot in der UdSSR ein, schilderte die rasante Entwicklung des Frauenfußballs in der Ukraine, in Litauen, in Aserbaidschan und im Gebiet Moskau, die sich unter anderem in mehreren Turnieren in der Hauptstadt und in der Provinz manifestierte. Anschließend konzentrierte er sich auf seine eigene Mannschaft, die übrigens bei ___________ 80 81 82
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Als Beispiel kann die Bulgarin Christina Christowa erwähnt werden, die ab 1987 für ACF Mailand in Italien spielte. Vgl. Angelowa-Igowa: Schenskijat futbol w NRB. Vgl. McDougall: The People’s Game, S. 276. Vgl. Wolff: Evas am Fußball; N. N.: Temperamentvolle Fußballfrauen; N. N.: Frauen am Ball, in: Berliner Zeitung, 05.07.1982, S. 7; ADN: Großfeld-Meister gewann auch FrauenHallenturnier, in: Berliner Zeitung, 29.12.1986, S. 7; N. N.: Frauen-Fußball in der Halle international, in: Berliner Zeitung, 01.12.1988, S. 6. Hierzu siehe auch Meier: Frauenfußball in der DDR, S. 33; Buryta/Stefanik: Piłka nożna kobiet w Szczecinie, S. 106; McDougall: The People’s Game, S. 276. Wolff: Evas am Fußball.
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der ersten Sowjetischen Frauenfußballmeisterschaft 1990 den dritten Platz gewann und 1991 zum letzten sowjetischen Frauenfußballmeister wurde. Der Tekstilschtschik-Übungsleiter profilierte sich zudem als Kenner der ‚weiblichen Psyche‘: Seine Spielerinnen hätten zunächst nervös und gehemmt gespielt, weil sie Angst vor Fehlern gehabt hätten. Nachdem er den Damen mehr Freiheit gegeben habe, seien sie mutiger geworden und würden inzwischen das schöne Kombinationsspiel beherrschen.84
7. Zusammenfassung Im Januar 1990 berichtete die Berliner Zeitung über die westdeutsche Fußballerin Sandy Friz, die nach Italien wechselte, für Flamma Monza auflief und nebenbei als Kinderbetreuerin jobben musste, denn „ganz so viel wie für Klinsmann oder Völler gibt’s im Frauen-Fußball nicht“85. Der in der Bundesrepublik thematisierte Fall Friz veranschaulicht die bis heute vorhandene gravierende Diskrepanz zwischen dem Männer- und Frauenfußball, die gerade in den ehemaligen Ostblockstaaten sehr stark ausgeprägt ist.86 In den 1970er- und 1980er-Jahren leistete die Berliner Zeitung einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung und Popularisierung des Frauenfußballs in der DDR. Heinz Florian Oertel und weitere engagierte Befürworter des Frauenfußballs machten die Bevölkerung auf diese Sportart aufmerksam. Neben der Berliner Zeitung setzten sich das Neue Deutschland und das Ost-CDU-Zentralorgan Neue Zeit mit dem Frauenfußball sporadisch auseinander. Diese zwar wohlwollende, jedoch zumeist herablassende und überwiegend paternalistisch-sexistische, von männlichen Autoren geprägte Berichterstattung spiegelt zudem den ambivalenten Umgang des SED-Staates mit dem Frauenfußball wider, der auf das Prinzip ‚Weder gezielt fördern noch verbieten‘ hinauslief. Gleichzeitig wurde der Siegeszug des Frauenfußballs in der DDR als Errungenschaft der DDR-Frauen und -Sportpolitik herausgestellt. Die Geschichte des Frauenfußballs im Sozialismus muss in einem breiten innen- und außenpolitischen Kontext und vor allem als Teil der Frauen- und Sportpolitik der Ostblockstaaten betrachtet werden: So wurde die Entwicklung des Frauenfußballs in der ČSSR durch den Prager Frühling begünstigt. In Polen profitierte diese Sportart von der ‚Fußball-Euphorie‘ der 1970er- und frühen 1980er-Jahre. Als die ‚lustigste Baracke des Ostblocks‘ präsentierte ___________ 84 85 86
Vgl. N. N.: Schädlich für Frauen?, in: Neue Zeit, 09.05.1988, S. 6. N. N.: Personen, in: Berliner Zeitung, 17.01.1990, S. 9. Der deutsche Nationalspieler Jürgen Klinsmann stand zwischen 1989 und 1992 bei Inter Mailand unter Vertrag, während sein Kollege Rudi Völler zwischen 1987 und 1992 für AS Rom stürmte. Vgl. Rüttenauer, Andreas: Russische Fußballerinnen. Randigster Randsport Russland, in: taz, 06.06.2019, https://taz.de/Russische-Fussballerinnen/!5601001/ (25.03.2020).
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sich die kommunistische Führung in Ungarn als weltoffen und fortschrittlich87 und ließ die Frauennationalelf in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre international spielen. In Rumänien und in der UdSSR fiel der vermeintlich gesundheitsschädliche Frauenfußball der konservativen frauenfeindlichen Diktatur zum Opfer. Im Fall Bulgarien spielte der Frauenfußball-Enthusiast Latschesar Dimitrow eine zentrale Rolle, während sein Landsmann Wladimir Zwetkow ein Vorkämpfer für den Frauenfußball in der DDR war. Im SEDStaat bekam diese Sportart hingegen einen gewissen Spielraum und konnte sich vor allem als Erholungs- und Freizeitsport entfalten. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Berliner Zeitung (BZ), Berlin (Ost), 1954–1990. Die Neue Fußballwoche (Fuwo), Berlin (Ost), 1959–1983. Neues Deutschland, Berlin (Ost), 1971–1990. Neue Zeit, Berlin (Ost), 1968–1989. Ratzeburg, Hannelore/Stoppa, Margit: „Fußball gehörte nicht zum Rollenbild“, https://www.dfb.de/dfb-maedels/news-detail/?tx_news_pi1%5Bnews%5D=104053&cHash= 30e5ad254779d362d458ea1e050d5716 (25.03.2020).
Literatur Angelowa-Igowa, Borjana: Schenskijat futbol w NRB – primer za emanzipazija ili ekspolatazija?, Juni 2017, https://boryana.litclub.bg/soccer.pdf (25.03.2020). Buryta, Rafał/Stefanik, Ryszard: Piłka nożna kobiet w Szczecinie w latach 1957–2007, in: Zeszyty Naukowe. Prace Instytutu Kultury Fizycznej/Uniwersytet Szczeciński 25 (2008), S. 103–119. Déri, Diána: A női labdarúgás története: Európa, mint a sportág bölcsője, April 2016, http://real.mtak. hu/40236/1/07_Déri.pdf (25.03.2020). Fritz, Thomas: Bulgare gründete einen der ersten DDR-Fußballvereine, in: Thüringer Allgemeine, 09.07.2011, https://www.thueringer-allgemeine.de/sport/bulgare-gruendete-einen-derersten-ddr-frauenfussballvereine-id218329437.html (25.03.2020). Galczynski, Ronny: Frauenfußball von A –Z: Das Lexikon des deutschen Frauenfußballs. Spielerinnen, Vereine und Rekorde. Viele Hintergrundgeschichten, Hannover: humboldt, 2010. Guiclea, Andreea: „Atunci chiar a fost fotbal de plăcere.“ Cum se juca fotbalul feminin în comunism şi în primii ani de democraţie: povestea Florentinei Smărăndoiu, in: lead.ro, 17.12.2019, https://lead.ro/atunci-chiar-a-fost-fotbal-de-placere-cum-se-juca-fotbalul-feminin-incomunism-si-in-primii-ani-de-democratie-povestea-florentinei-smarandoiu/ (25.03.2020). Heinmann, Michael: Geschichte der Süßwarenindustrie der DDR, Leverkusen: IZS-Verlag, 2007. ___________ 87
Das vor allem im Westen verbreitete Ungarn-Bild der ‚lustigsten Baracke des Ostblocks‘ wird in der neuesten Forschung zunehmend in Frage gestellt: vgl. Ungváry, Krisztian: Repressionen in der „lustigsten Baracke des Ostblocks“. Der Funktionswandel des Terrors in Ungarn, in: Baberowski, Jörg/Kindler, Robert (Hg.): Macht ohne Grenzen. Herrschaft und Terror im Stalinismus, Frankfurt a. M.: Campus, 2014, S. 173–192.
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Saskia Lennartz
„Wir wollten doch nur Fußball spielen!“
Die Anfänge des Frauenfußballs im Saarland und die Aufhebung des Spielverbots im Jahr 1970
A partir de 1970, le football féminin en Sarre a connu – comme dans d’autres régions du pays – un essor qui, malgré un faible creux au milieu des années 1970, s’est poursuivi jusqu’aux années 1980. L'étude, qui se concentre particulièrement sur les années 1970– 1974, ne se contente pas d'esquisser un aperçu historique, mais aborde également des expériences des anciennes joueuses et établit une comparaison avec l'ensemble de la République fédérale. Pour les femmes, le football est un sport pour lequel elles ont dû se battre pendant longtemps, caractérisé par des interdictions, des disputes, des moqueries et une reconnaissance tardive. Les efforts indépendants pour toute forme de reconnaissance se poursuivent tout au long des débuts du football féminin en Sarre. Mais l’enthousiasme initial pour les athlètes féminines ainsi que la curiosité et l’intérêt pour les spectateur.rice.s doivent être relativisés. Des expériences similaires ont également été faites dans le reste de la RFA, alors que l'euphorie initiale diminuait de plus en plus. La plus grande différence est la couverture médiatique du football féminin. Alors que les footballeuses étaient ridiculisées par la presse dans le reste du pays, les médias sarrois s'efforçaient de garder leurs reportages aussi neutres que possible. En ce qui concerne la question de l'émancipation, elle n'a joué qu'un rôle mineur, du moins en Sarre.
1. Einführung Frauen und Fußball oder besser gesagt: Frauenfußball. Beides sind Begriffe, die für unsere Gesellschaft zum Teil bis heute noch nicht wirklich zusammenpassen. Laut einer Umfrage im August 2017 gaben nur 10 % der Befragten an, dass Frauenfußball im TV für sie von besonderem Interesse sei.1 Auch der Aufhänger im Titel „Wir wollten doch nur Fußball spielen!“ weist auf dieses Problemfeld hin. Im jüngsten Bundesland der alten Bundesrepublik, also im Saarland, wurde der Fußball für Frauen erst 1970 offiziell genehmigt, infolge des im selben Jahr abgehaltenen DFB-Bundestages in Travemünde. Da es,
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Vgl. Rabe, Lena: Umfrage zum Interesse an Sportarten im TV in Deutschland, November 2017, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/785815/umfrage/interesse-an-sport arten-im-tv-in-deutschland/ (29.02.2020).
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wie im Rest von Deutschland, bei diesem Thema an Quellen aus der Verbotszeit von 1955 bis 1970 mangelt, stellt der Aufsatz die Jahre 1970 bis 1974 in den Vordergrund.2 Im Saarland erlebte der Frauenfußball seit 1970 einen Aufschwung, der sich trotz eines kleinen Tiefs Mitte der 1970er-Jahre bis in die 1980er-Jahre hindurch nachzeichnen lässt. Dieser Zeitraum ist in Bezug auf den Frauenfußball im Saarland nahezu unerforscht und so wird das Ziel dieser Analyse sein, einen Überblick über diese Anfangszeit zu geben. Die Untersuchung soll nicht nur einen historischen Abriss darstellen, sondern sich auch mit den Erlebnissen der ehemaligen Spielerinnen beschäftigen. Warum haben sie Fußball gespielt und wie haben sie diese Zeit erlebt? Von besonderem Interesse ist hier die Frage, ob emanzipatorische Bestrebungen die Frauen zum Fußballspielen angetrieben haben. Zudem wird die Frage gestellt, was positive und was negative Erlebnisse waren. Gibt es hier regionale Unterschiede? Dazu soll auch ein Vergleich zu Gesamtdeutschland gezogen und Gemeinsamkeiten wie Differenzen herausgearbeitet werden. Obwohl die Geschichte des Frauenfußballs im Allgemeinen gut erforscht ist, nimmt die deutsche Öffentlichkeit den Fußball weiterhin als Männersport wahr.3 Die gleiche Sichtweise findet sich auch in der Fußball-Fachliteratur sowie in sporthistorischen Abhandlungen zur Geschichte des Fußballs wieder. In vielen Publikationen kommt der Frauenfußball überhaupt nicht zur Sprache oder wird in einem gesonderten Kapitel kurz dargestellt.4 Speziell zum Saarland existieren gerade einmal zwei Arbeiten zum Frauenfußball. Heiner Bost veröffentlichte in einer Jubiläumsausgabe zum Saarländischen Fußballverband (SFV) einen Aufsatz zu diesem Thema. Eine ähnliche Ausführung stammt von Josephine Henning und Lisa Schwab, die im Zuge eines Praktikums beim SFV ein kurzes Dossier zum Frauenfußball verfassten – beide übernahmen den Text von Heiner Bost nahezu wörtlich. Hinzu kommt, dass keiner der drei Genannten mit Literatur- oder Quellenangaben gearbeitet hat. Somit ist der Inhalt nicht immer nachvollziehbar.5 ___________ 2 3
4 5
Beim folgenden Aufsatz handelt es sich um eine überarbeitete Version meiner Bachelorarbeit, die am 27.09.2018 an der Universität des Saarlandes im Fach Geschichte eingereicht wurde. Auch wenn der Sammelband von Markwart Herzog bereits aus dem Jahr 2013 stammt, fasst er dennoch die Forschungssituation gut zusammen: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18). Vgl. Müller, Marion: Das Geschlecht des Fußballs. Zur „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ im Fußball, in: Sport und Gesellschaft 4/2 (2007), S. 113–141, hier S. 114–115. Vgl. Bost, Heiner: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, in: Festschrift 50 Jahre Saarländischer Fußballverband, Saarbrücken, 1998, S. 64–67; Henning, Josephine/Schwab, Lisa: Handreichung „Frauen- und Mädchenfußball an der Saar“, Saarbrücken [ca. 2007].
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Dass der Frauenfußball an der Saar noch unerforscht ist, liegt vermutlich an der schlechten Quellenlage. Im saarländischen Sportarchiv findet sich keine einzige Akte zum Thema Frauenfußball. Es wurde daher nach Beständen gesucht, in denen möglicherweise Hinweise auf den Frauenfußball zu finden sind. Dies war bei den Protokollen der Vorstandssitzungen des Saarländischen Fußballverbandes der Fall und auch im Magazin Saarfussball lässt sich der ein oder andere Bericht zum Frauenfußball aus dieser Zeit finden. Daneben wurden die Saarbrücker Zeitung (SZ), die meistgelesene Tageszeitung an der Saar, und die Neue Saarbrücker Zeitung, in den 1970er-Jahren ebenfalls eine viel gelesene saarländische Tageszeitung, nach relevanten Artikeln durchsucht. Die Suche in der Neuen Saarbrücker Zeitung war erfolglos, dafür berichtete die SZ regelmäßig über die Geschehnisse im Frauenfußball. Zudem konnten die Ereignisse im saarländischen Frauenfußball durch Veröffentlichungen im Amtlichen Nachrichtenblatt des Landessportverbandes für das Saarland (Nachrichtenblatt des LSVS) nachvollzogen werden. Außerdem wurden alte Fernsehbeiträge nach einer Anfrage beim Saarländischen Rundfunk (SR) gesichtet. Mithilfe von Annoncen in einer Tageszeitung und einem alle sieben Tage erscheinenden Wochenspiegel wurden mögliche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ausfindig gemacht. In insgesamt fünf Interviews wurden zehn Personen befragt.6 Darunter befinden sich neun ehemalige Spielerinnen und ein ehemaliger Trainer. Diese Interviews müssen mit Vorsicht behandelt werden, da die Erfahrungsberichte der einzelnen Spielerinnen keine repräsentativen Aussagen für das Saarland zulassen, sondern deren subjektive Sicht darstellen. Ungeachtet dessen vermitteln solche Interviews jedoch verschiedene Ansichten und Empfindungen besonders deutlich.
2. Frauenfußball im Saarland 2.1 Frauenfußball vor 1970 Unter erschwerten Bedingungen mussten die saarländischen Frauen ihre Anfänge im Fußball bestreiten. Allerdings wurden bereits vor der Aufhebung des Verbotes im Jahr 1970 im Saarland Frauenfußballspiele ausgetragen. Dabei handelte es sich jedoch um Einzelfälle, da natürlich auf die Einhaltung des Frauenfußballverbots geachtet wurde. Aber wie es bei Verboten üblich ist, wurde auch dieses zu umgehen versucht. Auch die Saarländerinnen ließen sich nicht ohne Weiteres das Fußballspielen verbieten. ___________ 6
Alle befragten Personen waren mit der Veröffentlichung ihres Namens einverstanden. Alle weiteren genannten Personen, soweit nicht in der Öffentlichkeit stehend, wurden anonymisiert.
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In der Festschrift anlässlich des 100-jährigen Bestehens des 1. FC Saarbrücken wird von einem Kirmesspiel im Jahr 1969 zwischen den Frauen des VfR 09 Saarbrücken und Schmelz-Außen in St. Arnual (Saarbrücken) berichtet. Dieses Spiel, das Schmelz-Außen mit 11:0 gewann, wurde aus Spaß und zur Unterhaltung der Kirmesbesucher ausgetragen.7 Der Damenverein aus Schmelz gründete sich im selbigen Jahr, nahm bereits an der Hallensaison 1969/1970 teil und erreichte dort den 5. Platz.8 Es gab offensichtlich schon vor 1970 eine Hallenrunde für Frauenmannschaften. Noch wegweisender waren die Initiativen des FC Viktoria Neunkirchen-Saar. Der Verein ergriff 1965 die Initiative und richtete, entgegen dem Willen von DFB und SFV, „das erste inoffizielle Frauenländerspiel gegen Holland aus“9. Obwohl der SFV mit einem Verbandsausschluss drohte, hielt der Neunkircher Vorstand an seinem Vorhaben fest. Vor 2 800 Zuschauer*innen siegte die deutsche Mannschaft – allerdings ohne saarländische Beteiligung – mit 2:1.10 Um den ortsansässigen Frauen eine Freizeitmöglichkeit zu bieten, wurde in Haustadt (Nordsaarland; Landkreis Merzig-Wadern)11 1968 eine Frauenfußballmannschaft gegründet. Ebenfalls in diesem Jahr wurde dort ein Frauenverein geschlossen und bei der Überlegung, wie die Frauen weiterhin in einem Verein aktiv sein konnten, gab es die Idee zur Gründung einer Damenmannschaft. Trainiert wurden sie von einem verheirateten Mann, der laut Aussagen von Felicitas Zimmer mittelmäßig begabt war. Es gelang ihm deshalb nicht, die großen fußballerischen Qualitäten zu vermitteln, wobei die Zeitzeugin vermutet, dass die Qualität der Mannschaft vielleicht noch bewusst niedrig gehalten wurde. Von 1968 bis 1970 konnte sich die Damenmannschaft nicht offiziell als Mannschaft anmelden und spielte lediglich immer nur auf Einladung auf verschiedenen Turnieren nach den Männerspielen. Diese Spiele sollten wiederum der Belustigung dienen und so mussten die Fußballerinnen viel Spott und Gelächter vonseiten der Männer über sich ergehen lassen.12 Somit lassen sich bereits für die Verbotszeit von 1955 bis 1970 auch für das Saarland vereinzelt fußballerische Aktivitäten von Frauen nachweisen. ___________ 7 8 9 10 11 12
Vgl. Günther, Herbert/Klimmt, Reinhard: Die Molschder 1903-2003. 100 Jahre 1. FC Saarbrücken, Saarbrücken: 1. FC Saarbrücken, 2003, S. 133. Vgl. Sport- und Spielvereinigung 1920 Schmelz: Festschrift 50 Jahre Fußball in Schmelz, [Schmelz] 1970, S. 53. Bost: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, S. 65. Vgl. FC Viktoria 09 Neunkirchen-Saar: Festschrift zur Feier des 70-jährigen Bestehens des FC Viktoria 09, bearbeitet von Dr. Rudi Scheer, Neunkirchen, 1979, S. 27; Bost: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, S. 65. Unter der zweiten Kapitelüberschrift findet sich zur Orientierung eine Karte, in der alle Orte, in denen die befragten Zeitzeuginnen Fußball gespielt haben, eingetragen sind. Vgl. Interview Nr. 3 mit Felicitas Zimmer am 29.06.2018 in Haustadt. Im Folgenden wird dieses Interview in den Fußnoten mit Interview Nr. 3 angeführt.
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Abb. 1: Saarland-Karte mit den Orten, an denen die befragten Zeitzeuginnen Fußball spielten (erstellt von Sarah May).
2.2 Frauenfußball nach 1970 Mit der Aufhebung des Frauenfußballverbots war auch im Saarland der Frauenfußballboom nicht mehr zu stoppen. Schon im März des Jahres 1970 gab es erste Überlegungen beim DFB, die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Frauenfußball aufzugeben.13 Vielleicht aufgrund der immer größer werdenden Beschäftigung mit dem Thema Frauenfußball begann auch auf höchster saarländischer Sportebene, im Saarländischen Fußballverband, die Auseinandersetzung mit diesem Thema. Auf einer Vorstandssitzung des Landessportverbandes für das Saarland (LSVS) am 22. April 1970 wurde deshalb der Gründung einer Damenfußballabteilung stattgegeben14 und am 13. Mai 1970 im Amtlichen Nachrichtenblatt des LSVS eine Meldung veröffentlicht, nach der die Gründung von Frauenfußballvereinen oder -abteilungen im Verbandsgebiet vom SFV gestattet wurde. Durch entsprechende Anträge beim SFV sollte eine Mitgliedschaft im selbigen Verband erreicht werden, da erst diese eine offizielle Austragung von Frauenfußballspielen möglich machte.15 ___________ 13 14 15
Vgl. Amtliches Nachrichtenblatt des Landessportverbandes für das Saarland 1970, Jg. 17, Nr. 21, 14.10.1970, S. 1. Vgl. Niederschrift der 12. Sitzung des Verbandsvorstandes am 22.04.1970 in Neunkirchen, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71, S. 2. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1970, Jg. 17, Nr. 10, 13.05.1970, S. 2.
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Die ersten Aufnahmeanträge in die neugegründete Damenfußballabteilung stellten der SV Auersmacher (Stadt Saarbrücken) und der FSV Jägersburg (Stadtteil von Homburg), denen durch den Verbandsvorstand am 27. Mai 1970 mit einer Veröffentlichung im Nachrichtenblatt des LSVS stattgegeben wurde.16 In den kommenden Wochen kam es zu weiteren Aufnahmen in die Frauenfußballabteilung. Aus den Protokollen der Vorstandssitzungen des LSVS geht hervor, dass auch in den Sitzungen nun öfter über den Frauenfußball gesprochen wurde, beispielsweise gab es auf der Sitzung vom 26. August 1970 einen Überblick über den Stand und die Entwicklung des Frauenfußballs. Hier wurde angeregt, dass eine Veröffentlichung im Nachrichtenblatt des LSVS vorgenommen werden sollte, aus der hervorgeht, dass die betreffenden Vereine ihre Damenabteilungen beim Verband anmelden sollen.17 Im Zuge dieser und abermaliger Veröffentlichungen wurden wiederum weitere Damenabteilungen in den Verband aufgenommen.18 Bis Mitte September 1970 stieg diese Zahl bereits auf 26 an.19 Auch die saarländische Presse konnte die Entwicklung des Frauenfußballs, der an der Saar einen immer breiteren Raum einnahm, nicht mehr ignorieren. So beschäftigte sich der Saarfussball in seiner Ausgabe vom 22. Oktober 1970 etwas ausführlicher mit Fußballerinnen. Im dortigen eingehenden Kommentar war sich der Redakteur Josef Wey nicht sicher, ob der Frauenfußball nur eine Modeerscheinung sei oder ob daraus mehr werden könne – trotzdem hielt es die Redaktion für angebracht, einige Kommentare über den Frauen- bzw. Mädchenfußball, die aus dem Niedersachsen-Fußball entnommen worden waren, zu veröffentlichen.20 In einem weiteren Artikel wurden die Stellungnahmen der FIFA-Mitgliedsverbände zur Frage des Frauenfußballs behandelt. Das Ergebnis fiel keineswegs einheitlich aus, denn nur zwölf von 135 Verbänden befürworteten offiziell den Frauenfußball, darunter auch der DFB. Die Frage, ob die Verbände nicht lieber die Kontrolle über die ‚kickenden Mädchen‘ ausüben sollten, anstatt sie gut verdienenden Managern zu überlassen, sorgt für Verwunderung. Nur 33 Verbände antworteten mit „ja“, 21 mit „nein“ und der Rest äußerte sich nicht dazu.21 Hintergrund dieser Frage war, dass viele Ausrichter aus Frauenfußballspielen ein regelrechtes Event gestalteten und dadurch versuchten, möglichst viel Geld einzunehmen. ___________ 16 17 18 19 20 21
Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1970, Jg. 17, Nr. 11, 27.05.1970, S. 3. Vgl. Niederschrift der 20. Sitzung des Verbandsvorstandes am 26.08.1970 in Saarbrücken, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71, S. 2. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1970, Jg. 17, Nr. 18, 02.09.1970, S. 2; Nr. 20, 30.09.70, S. 2. Vgl. Niederschrift der 22. Sitzung des Verbandsvorstandes am 16.09.1970 in Saarbrücken, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71, S. 2. Vgl. Wey, Josef: Redaktionelle Notizen, Unparteiische und Damenfußball, in: Saarfussball 1970, Jg. 13, Nr. 5, 22.10.1970, S. 4–9, hier S. 4–5. Vgl. N. N.: Gott bewahre uns vor Frauenfußball, in: Saarfussball 1970, Jg. 13, Nr. 5, 22.10.1970, S. 9.
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Zudem drohten die Frauen mit der Gründung eines eigenen Verbandes, was zu einem Kontrollverlust der Männer geführt hätte. Es zeigt sich, dass der Frauenfußball bereits vor seiner Legalisierung durchaus das ein oder andere Mal in der saarländischen Presse behandelt wurde. Im Gegensatz dazu war die offizielle Aufhebung des Frauenfußballverbots dort kaum ein Thema. Die SZ berichtete am 2. November 1970 auf der ersten Seite des Sportteils sehr ausführlich über den DFB-Bundestag vom 31. Oktober 1970, jedoch findet wird die Einführung des Frauenfußballs nur in einem Nebensatz erwähnt: „Der Hallen- wie der Frauenfußball wurde ohne große Debatte […] eingeführt […]“.22 Wie durch diesen Nebensatz, in dem der Frauenfußball verbunden mit dem Hallenfußball für Männer abgehandelt wird, deutlich wird, scheint sich die Presse im Saarland nicht sonderlich für den Frauenfußball interessiert zu haben. Ein größeres Interesse am nun offiziell eingeführten Frauenfußball – ob gewollt oder gezwungenermaßen – zeigte der SFV. Wie es bei Neuerungen üblich ist, ging es zunächst einmal um die Kostenfrage. In der Vorstandssitzung vom 18. November 1970 wurde deshalb beschlossen, dass den Frauenmannschaften deutlich gemacht werden solle, dass sie keine Fahrtkostenzuschüsse oder Mannschaftsgelder erhalten würden.23 Frauen konnten zwar Fußball spielen, aber es durfte nichts kosten, so wurde es auch von Zeitzeuginnen berichtet.24 Auf einer Sitzung, die zehn Tage später stattfand, wurde dann zur Austragung von Pflichtspielen als frühester Termin das Spieljahr 1971/1972 genannt.25 Durch die Zulassung des Frauenfußballs wurde die ansteigende Tendenz der Frauenmannschaften im Saarland nur bestätigt. Die Zahl der Mannschaftsgründungen riss nicht ab, sodass es Ende 1970 bereits 40 Frauenmannschaften im Saarland gab.26 Für viele Vereine war die Gründung einer Damenmannschaft eine Prestigefrage. Alle wollten an der neuen, modernen Entwicklung teilhaben. Davon berichtete auch Christel Schröder, ehemalige Spielerin beim SV 08 Ludweiler (Südsaarland; Stadtteil von Völklingen). Dort ___________ 22 23 24 25 26
Vgl. N. N.: Sonntag bleibt Tag der Amateure. Der DFB-Bundestag in Travemünde gab sich fortschrittlich, in: Saarbrücker Zeitung, 02.11.1970, S. 9. Vgl. Niederschrift der 26. Sitzung des Verbandsvorstandes am 18.11.1970 in Neunkirchen, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71, S. 2. Vgl. Interview Nr. 2 mit Christel Schröder am 25.06.2018 in Völklingen; Interview Nr. 4 mit Elke Massone am 09.07.2018 in St. Wendel. Im Folgenden werden die Interviews mit den entsprechenden Nummern benannt. Vgl. Aktennotiz zur Besprechung mit den Spielführerinnen und den Abteilungsleitern bzw. Abteilungsleiterinnen der dem SFV angeschlossenen Frauenfußballabteilungen am 28.11.1970 in Saarbrücken, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1970, Jg. 17, Nr. 25, 09.12.1970, S. 2.
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wurde 1970 eine Damenmannschaft gegründet, die das „Aushängeschild“ des Vereins werden sollte. 27 Für die erste Saison im Frauenfußball, die 1971 offiziell begann, mussten zu Beginn des Jahres noch organisatorische Vorbereitungen getroffen werden. Der Beschluss des SFV vom November des vorausgegangenen Jahres sah vor, dass alle fußballspielenden Frauen und Mädchen ab dem 1. März 1971 einen gültigen Spielerpass besitzen sollten.28 Um einen solchen Pass zu erhalten, mussten die Frauen vom jeweiligen, für den Verein zuständigen Sportarzt ihre Sporttauglichkeit durch eine Untersuchung bestätigen lassen.29 Diese Untersuchung musste jede angehende Fußballspielerin über sich ergehen lassen. Auch im Amateurbereich der Männer war eine solche Praxis Standard.30 Im Saarland war der medizinische Check nicht einheitlich geregelt: Die Erinnerungen der Zeitzeuginnen lassen jedenfalls vermuten, dass es lokale Unterschiede in der Untersuchungspraxis gab. Christel Schröder beantwortete beispielsweise die Frage nach einer solchen Untersuchung mit einem klaren „Nein“, Elke Massone sagte, sie könne sich nicht bewusst daran erinnern. Heidrun Vaterrodt, Birgit Bencivinni und Petra Groß empfanden die Untersuchung als zentral, da diese Voraussetzung war – entsprechend der Richtlinien des DFB für Frauenfußball31 –, um einen Spielerpass zu erhalten. Sie können sich wiederum ganz genau an eine solche Untersuchung erinnern, die es für sie erst überhaupt möglich machte, einen gültigen Spielerinnenpass zu erhalten.32 Nachdem alle institutionellen und organisatorischen Voraussetzungen in die Wege geleitet worden waren, konnte eine erste Pflichtspielrunde im Saarland beginnen. Die saarländische Presse stand der ersten Frauenfußballrunde ___________
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Vgl. Interview Nr. 2. Das dort erwähnte Wort „Aushängeschild“ wurde in der Arbeit übernommen, um deutlich zu machen, dass die Vereine sich in der Öffentlichkeit repräsentieren wollten. Und um nichts anderes ging es bei dieser Gründung einer Damenmannschaft in Ludweiler. Vgl. Aktennotiz zur Besprechung am 28.11.1970 in Saarbrücken, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1971, Jg. 18, Nr. 3, 03.02.1971, S. 3. Ob dieser Test bei Frauen und Männern einheitlich geregelt war, konnte nicht herausgefunden werden. Unklar bleibt auch, ob Frauen andere Ansprüche wie Männer erfüllen mussten. Vgl. N. N.: Richtlinien für den Frauenfußball, in: Der Fußballtrainer. Die Fachzeitschrift für alle Trainings- und Wettkampffragen 21/12 (1971), S. 30. Vgl. Interview Nr. 1 mit Heidrun Vaterrodt (B1), Sabine Bales (B2), Franz Gläser (B3), Christine Krämer (B4) und Erika Schneider (B5) am 14.06.2018 in Bisten. Interview Nr. 2 / Interview Nr. 4 / Interview Nr. 5 mit Birgit Bencivinni (B9) und Petra Groß (B10) am 11.07.2018 in Wadgassen; hier geht es im Besonderen um die Aussagen von Heidrun Vaterrodt, Christel Schröder, Elke Massone, Birgit Bencivinni und Petra Groß. Im Folgenden werden die Interviews mit den entsprechenden Nummern und der jeweiligen Person, die eine Aussage getroffen hat, benannt.
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sehr positiv gegenüber und wünschte den spielenden Damen einen guten Start.33 Gespielt wurde zunächst in vier Kreisen, die jeweils einen Kreismeister ermittelten. Danach sollten diese den saarländischen Landesmeister unter sich ausspielen. Die Gruppeneinteilung in vier Kreise erfolgte zunächst nach geographischen Gesichtspunkten und nicht nach dem jeweiligen Leistungsniveau der Mannschaften. Verschiedenstarke Teams spielten also gegeneinander. Nicht selten gab es ein bis zwei ‚Übermannschaften‘ in einem Kreisgebiet, die den Kreismeister jedes Jahr unter sich ausmachten. Im ersten Spieljahr 1971 erkämpften sich die Damenmannschaften des SV Auersmacher, des SV Weiskirchen (Landkreis Merzig-Wadern), des SV Bubach-Calmesweiler (Landkreis Neunkirchen) und des FC Viktoria/DJK Neunkirchen den Titel der ersten saarländischen Kreismeisterinnen im Frauenfußball.34 Von diesen Vieren spielten nach einer Zwischenrunde – in der Auersmacher und BubachCalmesweiler ausschieden – Weiskirchen und Neunkirchen am 12. November 1971 um die saarländische Landesmeisterschaft. Bereits drei Tage zuvor kündigte die Saarbrücker Zeitung in ihrem Sportteil dieses Event an.35 Ausgetragen wurde das Finale vor etwa 1 000 Zuschauer*innen auf einem neutralen Platz in Eppelborn. Es ist zu vermuten, dass aufgrund des Platzbelages – Eppelborn hatte als einer der ersten Fußballvereine im Saarland einen Rasenplatz – dieser Spielort ausgewählt worden war. Die Damen aus Neunkirchen besiegten die Mannschaft aus Weiskirchen mit 3:1. Einen Tag später waren erstmals fußballspielende Frauen auf der Titelseite der Saarbrücker Zeitung zu sehen. Berichtet wurde von packenden Szenen und zwei unterschiedlichen Halbzeiten, die jeweils von einer Mannschaft dominiert wurden. Der Verfasser des Artikels verglich die Neunkircher Stürmerin Erika Schulz aufgrund ihrer Schussstärke sogar mit Gerd Müller.36 Die Bilanz rund um die Berichterstattung des ersten Jahres im saarländischen Frauenfußball fällt überwiegend positiv aus. Der Saarfussball stellte für das Pflichtspieljahr 1971 fest, dass im ersten Jahr gewisse Erkenntnisse gesammelt worden seien, die für die Weiterentwicklung des Frauenfußballs ausgewertet werden könnten. Die Entwicklung zu einem gewissen technischen und taktischen Verständnis brauche aber noch länger Zeit. Gleichzeitig ___________ 33 34 35 36
Vgl. Keller, Alfons: Von Herbert Binkert bis Schieber. Im Nordsaarkreis prominente Trainer – Gebietsreform auch im Sport?, in: Saarfussball 1971, Jg. 14, Nr. 2, 05.05.1971, S. 7. Vgl. Bost: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, S. 65. Vgl. N. N.: Eppelborn Schauplatz des Frauenfußballfinals, in: Saarbrücker Zeitung, 11.11.1971, S. 20. Vgl. N. N.: Erika schoß wie Gerd Müller. Viktoria-DJK Neunkirchen Frauenfußball-Landesmeister, in: Saarbrücker Zeitung, 15.11.1971, Titelseite/S. 11. In der Zeit davor und bis zum Ende des Untersuchungszeitraums lassen sich keine Fußballspielerinnen auf den Titelseiten der SZ finden.
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sei der Unterbau37 noch so schwach, sodass die einzelnen Kreise, die etwa je zehn bis zwölf Mannschaften umfassten, noch nicht auseinandergerissen werden dürften.38 Trotz der Euphorie herrschte also immer noch eine leichte Skepsis gegenüber dem Frauenfußball. Im ersten Jahr nach der offiziellen Einführung gab es im Saarland bereits 52 Mannschaften. Gemeinsam mit Bremen und Hamburg verzeichnete das Saarland damit im Bundesvergleich die wenigsten Frauenmannschaften, was nicht zuletzt daran lag, dass es sich bei den Dreien um die kleinsten Bundesländer handelt. Insgesamt waren 1 538 Frauen beim SFV als DFB-Mitglieder gemeldet, immerhin 38 mehr als der hessische Verband vorzuweisen hatte, obwohl dieser mit 100 Mannschaften fast doppelt so viele wie das Saarland stellen konnte. Zum Vergleich: 1971 waren beim DFB 1 110 Mannschaften und 74 838 Mitglieder verzeichnet. Stärkster Verband mit 198 Frauenmannschaften war der niedersächsische. Verwunderlich ist, dass der westdeutsche Fußballverband 1971 die wenigsten Frauenmannschaften stellte, obwohl bezüglich der verschiedenen Bemühungen mit dem süddeutschen Verband, den Frauenfußball in Deutschland voranzutreiben, mehr Frauenmannschaften zu erwarten gewesen wären.39 Für das Jahr 1972 wurde erneut eine Pflichtspielrunde auf Kreisebene für Frauen geplant,40 für die sich 51 Mannschaften anmeldeten.41 Der Frauenfußball erfreute sich schon nach kurzer Zeit großer Beliebtheit. In allen vier Kreisgebieten gab es jeweils zwei Sparten, sodass die Erstplatzierten jeweils am Ende der Runde den Kreismeister ausspielen sollten. Kreismeister in dieser Spielrunde wurden der SpV Körprich (Landkreis Saarlouis), der SV Bubach-Calmesweiler, der SV Röchling 06 Völklingen und der FC Viktoria/DJK Neunkirchen.42 Das zweite Endspiel um die Saarlandmeisterschaft der Frauen trugen am 5. November 1972 Bubach-Calmesweiler und Körprich aus. Vor ungefähr 1 000 Zuschauern auf der Sportanlage in Lebach siegte ___________ 37 38 39
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Mit Unterbau sind hier hauptsächlich die Vereine und die dazu gehörigen Damenmannschaften gemeint. Eine Spielrunde im Frauenfußball existierte erst seit einem Jahr. Jetzt wieder all ihre Planungen zu durchkreuzen, machte für die Offiziellen keinen Sinn. Vgl. N. N.: Landesspielleiter Oskar Schillo: Fair play nie aus den Augen verlieren. Beispiel Mexiko: Keine Ausschreitung bei der WM! – Wie soll es mit dem Frauenfußball weitergehen? – SFV-Vortragsreihe beachten!, in: Saarfussball 1971, Jg. 14, Nr. 5, 27.11.1971, S. 8. Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB (Hg.): Damenfußball. Grundlagen und Entwicklung. Unter Mitarbeit der Referentin für Damenfußball im DFB Hannelore Ratzeburg, Frankfurt a. M.: Deutscher Fußballbund, ²1983, S. 15. Im Süden und v. a. im Westen Deutschlands gab es nach dem Zweiten Weltkrieg die größten Bemühungen, Frauenfußball als Sport zu etablieren. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1972, Jg. 19, Nr. 2, 26.01.1972, S. 2. Vgl. Bost: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, S. 65. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1972, Jg. 19, Nr. 21, 25.10.1972, S. 3; Nr. 22, 08.11.1972, S. 2; Nr. 25, 20.12.1972, S. 3–4.
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Bubach-Calmesweiler mit 1:0.43 Einen Tag vor diesem Finale spielte eine Kreisauswahl der Frauenmannschaften des Nordsaarkreises auf Einladung gegen den SC Bad Neuenahr. Da die Spielerinnen aus Bubach-Calmesweiler wegen ihrer Endspielteilnahme nicht an dieser Begegnung teilnehmen konnten, verloren die Saarländerinnen mit 7:0.44 Das Fußballspiel der saarländischen Frauen beschränkte sich also nicht nur auf die regionale Ebene, sondern auch Spiele gegen überregionale und sogar internationale Gegner wurden ausgetragen. Mit der Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland wurde sich parallel um ein breites Kommunikationsnetz bemüht.45 Ende des Jahres 1972 wurde beschlossen, ab dem Spieljahr 1973/74, welches dem Kalenderjahr 1974 entsprach, eine Landesklasse im Frauenfußball einzuführen. Die Platzierungen im nachfolgenden Spieljahr 1973 innerhalb der einzelnen Kreise sollten über den Aufstieg in die erste Leistungsklasse im saarländischen Frauenfußball entscheiden.46 Auch der Saarfussball begab sich laut eigener Aussage in seiner letzten Ausgabe von 1972 „auf völlig jungfräuliches Gebiet“. In ihrer Rubrik „Spieler-Porträt“ stellte die Zeitschrift zum ersten Mal eine Spielerin vor, weshalb die Rubrik einmalig in „SpielerinnenPorträt“ umbenannt wurde. Mit einer gehörigen Portion Ironie stellte der Redakteur Friedrich Lautermann anhand der 15-jährigen Sylvia Conrad vom VfR St. Arnual die bisherige Entwicklung des Frauenfußalls an der Saar vor. Der Artikel ist durchzogen von Kommentaren, die den Frauenfußball als etwas vermeintlich Lächerliches wirken lassen; die Spielweise der Frauen, so der Autor, weise für ihn einen emanzipatorischen Charakter auf. Zum Abschluss seines Berichtes stellte Lautermann fest, dass seine Ausführungen nicht repräsentativ seien, sondern im besten Falle symptomatisch. Denn „der Damenfußball ist eine Kopie, eine Imitation jener sportlichen Leidenschaft, der sich Millionen zum eigenen körperlichen Wohle bedienen, in Ausnahmefällen auch zum finanziellen Segen“47. Solche kritischen Berichte sind eher selten in der saarländischen Presse der damaligen Zeit zu finden. Doch zeigt dieser Artikel, dass der Frauenfußball im Saarland nicht frei von Vorurteilen und ___________ 43 44 45
46 47
Vgl. Niederschrift der 35. Sitzung des Vorstandsverbandes am 08.11.1972 in Saarbrücken, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 14.7.71-16.06.75, S. 3. Vgl. Keller, Alfons: Eine ideale Sportanlage in Lebach. Ostsaar: In Memoriam Alber Altenhofer – Lobenswerte Jugendarbeit, in: Saarfussball 1972, Jg. 15, Nr. 5/6, 01.12.1972, S. 6– 7, hier S. 7. Welche Akteure genau am Ausbau dieses Kommunikationsnetz beteiligt waren und vor welchem Hintergrund konnte durch die Recherche nicht geklärt werden. Sicher ist, dass neben Spielerinnen und Trainern auch Verbandsfunktionäre beteiligt waren. Das Interesse lag dabei ganz klar auf der größeren Verbreitung und der daraus resultierenden Anerkennung des Frauenfußballs. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1972, Jg. 19, Nr. 22, 08.11.1972, S. 2. Lautermann, Friedrich: Diesmal Spielerinnen-Porträt: Sylvia Conrad – VfR St. Arnual. Die sanfte Sylvia, in: Saarfussball 1972, Jg. 15, Nr. 5/6, 01.12.1972, S. 12.
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belächelnden Kritikern war. Zwar wird die Spielerin selbst nicht angegriffen, dennoch machte Lautermann deutlich, dass er nicht viel vom Frauenfußball hielt. Zu Beginn des Jahres 1973 griffen die Fußballerinnen in Deutschland einer DFB-Planung vor und richteten unter Eigenregie ein Turnier um den Goldpokal – eine erste inoffizielle Endrunde um die Deutsche Meisterschaft – aus. Nur sieben Landesmeister nahmen an dieser Endrunde teil.48 Das Saarland vertraten die Siegerinnen der Landesmeisterschaft von 1972, Bubach-Calmesweiler. 600 überwiegend männliche Zuschauer, die eher die Attraktion und nicht die sportlichen Reize in diesem Spiel sahen, kamen zur Vorrundenpartie auf heimischem Boden gegen die Vertreterinnen aus Südbaden, den VfR Rheinfelden. Durch den 2:1-Sieg habe der Frauenfußball laut dem Saarfussball endlich seine Daseinsberechtigung und wenn diese Basisarbeit konsequent weitergeführt werde, dann „erwächst den maskulinen Kickern hier vor allem im Kampf um die Gunst der Zuschauer sicherlich eine starke Konkurrenz“49. Jedenfalls zog Bubach-Calmesweiler durch ein Unentschieden im Rückspiel in die nächste Runde ein, in der die saarländischen Frauen in beiden Spielen gegen den TuS Wörrstadt verloren und somit aus dem Wettbewerb ausschieden.50 In der Saison 1973 wurde im Saarland noch ein Jahr ohne eine leistungsbezogene Klasse gespielt, während dies in anderen Landesverbänden bereits eingeführt worden war.51 Die Zahl von 51 Mannschaften aus dem Vorjahr konnte schon nicht mehr gehalten werden. Aufgrund von Spielerinnenmangel mussten einige Vereine ihre Mannschaften wieder zurückziehen oder wurden wegen Nichtantretens bei Pflichtspielen von der Teilnahme an der Meisterschaftsrunde ausgeschlossen, wie es z. B. beim SC Orscholz (Landkreis MerzigWadern) geschah.52 Unter den vier Kreismeistern SV Röchling 06 Völklingen, SV Weiskirchen, FC Viktoria/DJK Neunkirchen und SV Bubach-Calmesweiler wurde letzterer im Endspiel gegen Röchling-Völklingen mit einem 2:1 Sieg erneuter Saarlandmeister im Frauenfußball.53 Dieses Endspiel wurde auch mit ___________ 48
49 50 51 52 53
Vgl. Kieffer, Stefan/Südwestdeutscher Verband/Verband Rheinland (Hg.): Der Fußball wird weiblich. Die Geschichte des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz, Offenbach an der Queich: Höma-Verlag/Koblenz: Lotto Rheinland-Pfalz, 2011, S. 41–42; Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 21. N. N.: Knirpse und Kickerinnen. Randbemerkungen von Ironicus, in: Saarfussball 1973, Jg. 16, Nr. 2, 27.04.1973, S. 13–14, hier S. 14. Vgl. SV Bubach-Calmesweiler: Festschrift aus Anlass des 60-jährigen Stiftungsfestes des SV BubachCalmesweiler. Festwoche vom 17.–26. Juni 1977, Völklingen, 1977, S. 45. Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 21. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1973, Jg. 20, Nr. 12, 06.06.1973, S. 2. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1973, Jg. 20, Nr. 21, 10.10.1973, S. 2; Nr. 22, 24.10.1973, S. 2–3.; Nr. 26, 19.12.1973, S. 3.
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einem Bericht in der SZ gewürdigt: „Die zweimal 30 Spielminuten hatten phasenweise beachtliches Niveau.“54 Als Landesmeister des Jahres 1973 durfte der SV Bubach-Calmesweiler als Vertretung für das Saarland an der ersten Deutschen Meisterschaft 1973/74 teilnehmen und erreichte einen sehr beachtlichen dritten Platz. Noch als Gruppensieger in die Endrunde eingezogen, mussten sie sich dort KrefeldErle geschlagen geben. Das Spiel um den dritten Platz gegen Bonn konnten die Saarländerinnen wiederum für sich entscheiden.55 Dieser Sieg war der größte Erfolg einer saarländischen Damenmannschaft in den Anfangsjahren des Frauenfußballs. Um im Saarland die Zeit von Januar bis Juli 1974 zu überbrücken, beschloss der Verbandsspielausschuss die Einführung einer Sonderpokalrunde, die von Anfang März bis Ende Juni 1974 dauern sollte.56 Als Sieger dieser Pokalrunde ging die bereits mehrfach erfolgreiche Damenmannschaft des SV Bubach-Calmesweiler hervor. Danach konnte im Saarland das neue Spieljahr 1974/75 mit einer Landesklasse und vier Kreisklassen beginnen. Die Landesklasse setzte sich dabei aus den zwei besten Mannschaften der vier Kreisklassen zusammen.57 Noch vor Beginn der Pflichtspielrunde wurde sich – auf Verbands- wie auf Akteursebene – um die Zukunft des Frauenfußballs gesorgt, da im März 1974 zum Beispiel für den Kreis Südsaar nur sechs Mannschaften zu einer Pflichtspielrunde gemeldet wurden. Aufgrund von Spielerinnenmangel mussten erneut Mannschaften ihre Meldung zurückziehen. Das Fazit: „Die wackere Fußballbraut von damals scheint längst gestorben.“58 Bereits ein halbes Jahr später, am Ende der Vorrunde 1974, konnte dieses Fazit wieder relativiert werden, denn das „Leistungsniveau des Frauenfußballs ist beachtlich gestiegen.“59 Nur wenige Spielausfälle waren zu verzeichnen und alle Spielklassen konnten mit genügend Mannschaften in die Pflichtspielrunde starten. Im Oktober 1974 wurde eine Aufstockung der Landesklasse auf zehn Frauenmannschaften festgelegt. Die beiden Tabellenletzten sollten aus der Landesklasse ab-, die beiden Kreismeisterinnen, die in einer Qualifikationsrunde ermittelt wurden, in die Landesklasse aufsteigen.60 ___________ 54 55 56 57 58 59 60
Merk, Albert: Bubacherinnen im Titelglanz. Erste Saarlandmeisterschaft nach 2:1 über Völklingen, in: Saarbrücker Zeitung, 29.10.1973, Sport, S. 3. Vgl. SV Bubach-Calmesweiler: Festschrift, S. 47. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1974, Jg. 21, Nr. 4, 20.02.1974, S. 2. Vgl. Bost: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, S. 66. Fillgraff, Otto: Keine Auflösung der C-Klassen. Kreis Südsaar: Interesse am Frauenfußball rückläufig, in: Saarfussball 1974, Jg. 17, Nr. 1, 20.03.1974, S. 8. Keller, Alfons: Führung ohne Punktverlust. Dirminger Damen mit 39:1 Toren. Nordsaar: Löstertal mit Pokalambitionen – Gebietsreform?, in: Saarfussball 1974, Jg. 17, Nr. 4, 29.11.1974, S. 8. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1974, Jg. 21, Nr. 21, 23.10.1974, S. 3.
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Nachdem der SV Bubach-Calmesweiler am Ende der Vorrunde 1974 noch an der Tabellenspitze stand und nur durch eine bessere Tordifferenz gegenüber dem FC Viktoria/DJK Neunkrichen sogenannter ‚Herbstmeister‘ wurde,61 konnte sich in der Rückrunde der SC Marpingen (östliches Saarland; Landkreis St. Wendel) durchsetzen und den Rückstand, bestehend aus einem Punkt, in einen Zwei-Punkte-Vorsprung verwandeln. Somit durfte sich der SC Marpingen erster Meister der saarländischen Damenfußball-Landesklasse nennen und den SFV bei den Spielen um die Deutsche Meisterschaft vertreten.62 Der Modus dort wurde dem des Amateurbereichs angepasst, was bedeutete, dass unter den Landesmeisterinnen die Spielpaarungen ausgelost wurden und die unterlegenen Mannschaften direkt ausschieden.63 In diesen Duellen mussten sich die Marpinger Damen direkt in der ersten Runde dem FC Bayern München geschlagen geben. Nachdem das Hinspiel noch 1:1 ausgegangen war, unterlagen sie beim Rückspiel in München mit 1:6.64 Rückblickend gab es in den ersten fünf Jahren nach der Aufhebung des Spielverbots im saarländischen Frauenfußball große Entwicklungen: insbesondere die Einführung von Pokal- und Pflichtspielrunden mit verschiedenen Spielklassen und späteren Leistungsklassen. Der SFV stellte dem Frauenfußball bewusst weniger Mittel zur Verfügung als den entsprechenden männlichen Mannschaften. Doch auch der SFV konnte dem Druck der Fußballspielerinnen und des DFB nicht standhalten: Der Frauenfußball gewann zunehmend an Bedeutung. Eine erste Presseanalyse hat gezeigt, dass die Bewertung des Frauenfußballs stark von den Ansichten der einzelnen Journalisten abhing. Nachfolgend wird zu analysieren sein, ob sich dieser Eindruck bestätigt oder ob die ehemaligen Protagonistinnen dies anders empfunden haben.
3. Die saarländische Perspektive und der bundesdeutsche Kontext 3.1 Die Wahrnehmung der saarländischen Akteure Bisher wurde chronologisch die Anfangszeit im saarländischen Frauenfußball dargestellt. In diesem Kapitel soll es um die Spielerinnen selbst gehen: Wie haben sie diese Anfangszeit erlebt? Wie haben sie den Spielbetrieb auf und neben dem Platz empfunden? Was waren positive und was negative Erfahrungen? Um nicht nur auf die allgemeine Sekundärliteratur zum Frauenfußball ___________ 61 62 63 64
Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1974, Jg. 21, Nr. 22, 06.11.1974, S. 3. Vgl. Nachrichtenblatt des LSVS 1975, Jg. 22, Nr. 11, 28.05.1975, S. 4. Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 22. Vgl. Schirra, Heinrich: FC Hellas Marpingen „So war es“. Eine Zeitgeschichte des FC Hellas und der Marpinger Bevölkerung, Marpingen [ca. 1995], S. 58.
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in Deutschland zurückgreifen zu müssen, wurden fünf Interviews mit Zeitzeug*innen geführt. Nur durch diese war es möglich, stattgefundene Ereignisse aus der damaligen Zeit darzustellen. Sie werden im Folgenden ausgewertet und miteinander verglichen. Um eine möglichst objektive Darstellung verschiedener Ereignisse möglich zu machen, wurden ähnliche Aussagen der Zeitzeuginnen zusammengenommen und als ein Beleg für eine Begebenheit angeführt. Gab es deutliche Unterschiede in der Erzählperspektive, so werden diese hervorgehoben.65 Wie kam es überhaupt zu den Gründungen von Frauenmannschaften? Die Anlässe dafür waren verschieden: Einige Vereine feierten 1970 ihr Jubiläum und um den Zuschauer*innen ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm zu bieten, sollten auch Frauen ein Fußballspiel ausrichten. Da durch solche Einlagespiele das Interesse und der Spaß der Damen geweckt wurden, beschlossen diese, selbst eine Mannschaft zu gründen und diesen Sport weiter auszuüben.66 Bei anderen Vereinen wiederum ging die Initiative von den Frauen selbst aus: Die Mannschaft des SSV Altforweiler (Westsaarland; Landkreis Saarlouis) wurde gegründet, weil einige spielwillige Spielerinnen bei einem fußballbegeisterten Mann aus ihrem Ort plötzlich vor der Tür standen und ihn einfach fragten, ob er sie nicht trainieren wolle. Er war einverstanden und blieb 30 Jahre im Amt.67 Auch in Bous wurde aufgrund des Interesses turnender Damen eine Mannschaft gegründet, da sie sich stark für die neue Sportart interessierten.68 Wie bereits berichtet, wurde – um den ortsansässigen Frauen nach einer Vereinsauflösung weiterhin eine Betätigungsmöglichkeit zu bieten –, bereits 1968 in Haustadt im dortigen Fußballverein eine Mannschaft gegründet.69 Somit sind Gründungen von Frauenmannschaften im Saarland auch für die Jahre vor 1970 belegt. Doch diese waren eher die Ausnahme als die Regel, was die Frauen und Mädchen nicht davon abhielt, sich am Fußball zu beteiligen. Im Gegenteil: Auf der Straße oder im Hinterhof spielte das Geschlecht keine Rolle. Zusammen mit Jungen kickten die Mädchen jeden Tag gegen das begehrte Leder.70 Neben diesen sehr ähnlichen Aussagen von Christel Schröder und Birgit Bencivinni gab es aber auch dazu den Gegensatz: Die ehemalige Haustadter Fußballspielerin Felicitas Zimmer hatte ebenso schon auf der Straße eine deutliche Ablehnung erlebt. Für sie wäre es undenkbar gewesen, zusammen mit den Jungs Fußball zu spielen. Sie gestand auch ___________ 65 66 67 68 69 70
Zu den Herausforderungen der Oral History vgl. Ritchie, Donald A.: The Oxford Handbook of Oral History, Oxford: Oxford UP, 2001. Vgl. SV Bubach-Calmesweiler: Festschrift, S. 47–49; Interview Nr. 2. Vgl. Interview Nr. 1 (B3). Vgl. Interview Nr. 5 (B9/B10). Vgl. Interview Nr. 3. Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 3; Nr. 5 (B9).
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ein, dass es vielleicht mit ihrem Wohnort Haustadt zu tun hatte.71 Auf einen Stadt-Land-Vergleich wird später noch einzugehen sein. Die Aufhebung des Frauenfußballverbots im Jahr 1970 wurde von den damals schon spielenden Frauen und Mädchen aber nicht bewusst erlebt, was auch den Eindruck bestätigt, dass die Legalisierung kein großes Thema in der Öffentlichkeit war, da auch in der saarländischen Presse kaum darüber berichtet wurde. Irgendwann, so wurde von den Zeitzeuginnen berichtet, war das Verbot aufgehoben worden und es durfte offiziell im Verein Fußball gespielt werden.72 Nur Heidrun Vaterrodt, ehemalige Spielerin beim SSV Saarlouis, empfand diese Verbotsaufhebung als positive Bestätigung ihres Hobbys, denn nun konnte es ihr niemand mehr verbieten.73 Ein flächendeckendes bewusstes Erlebnis war die Legalisierung des Frauenfußballs im Saarland jedoch nicht. Da die Damen sich nun offiziell am Fußball beteiligen durften, kam es auch im Saarland zu einer Gründungswelle im Frauenfußball: Ende 1970 gab es bereits 40 Teams, eine für das Saarland beachtlich hohe Zahl. Viele Frauen wechselten aus anderen Sportarten wie aus dem Turnen74 oder aus dem Handball zum Fußball oder übten beide Sportarten parallel aus.75 Viele dieser „Fußballerinnen der ersten Zeit“ hatten schon vor 1970 ein großes Interesse am Herrenfußball und verfolgten diesen.76 Andere sind eher durch Zufall zum Frauenfußball gekommen.77 Frauen zwischen 13/14 und 30 Jahren spielten gemeinsam in einer Mannschaft. Ein Altersunterschied von 15 Jahren war völlig normal,78 denn Mädchenmannschaften gab es generell zu dieser Zeit kaum.79 Viele Frauen begannen erst im Alter von 20 Jahren oder noch älter mit dem Fußballspielen, daher war das Niveau unter den Spielerinnen häufig sehr unterschiedlich. Ungeübte und noch eher unsportliche Frauen spielten mit Sportlerinnen und bereits geübten Fußballerinnen. „Dementsprechend war das Fußballspiel der Damen in den Anfangsjahren nicht sehr ansehnlich“, bestätigten auch Christel Schröder, Felicitas Zimmer und Petra Groß.80 Neben den leidenschaftlichen Fußballerinnen berichteten die Zeitzeuginnen auch von neugierigen Damen, die die neue Sportart nur ausprobieren wollten. ___________ 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80
Vgl. Interview Nr. 3. Vgl. Interview Nr. 3; Nr. 4. Eine offizielle Übermittlung der Neuerung an die Vereine fand nicht statt. Vgl. Interview Nr. 1 (B1). Vgl. Interview Nr. 5 (B9). Vgl. Interview Nr. 4. Vgl. Interview Nr. 1 (B1); Nr. 3; Nr. 4. V. a. die Spiele der deutschen Nationalmannschaft weckten das Interesse der Frauen. Vgl. Interview Nr. 1 (B4); Nr. 5 (B9). Z. B. „hasste“ Christine Krämer zunächst den Fußball und kam erst später durch ihre Schwester Sabine zum Sport. Vgl. Interview Nr. 4; Nr. 5 (B9). Vgl. Interview Nr. 1 (B1). Interview Nr. 2; Nr. 3; Nr. 4 (B10).
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Da ihr Interesse aber nicht so groß wie das ihrer Mitspielerinnen war, hielt die Begeisterung nicht sehr lange an und sie gaben schnell wieder auf. Laut den ehrgeizigen Fußballerinnen sahen solche Damen ausschließlich eine Attraktion im Frauenfußball.81 Nicht nur diese Frauen, sondern auch viele Männer sahen eine Sensation im Frauenfußball. Plötzlich übten die Frauen ‚ihren‘ Sport, einen als männlich kategorisierten Sport, aus. Da es überwiegend männliche Zuschauer waren, die sich die Frauenfußballspiele ansahen,82 waren die Frauen gerade in der Anfangszeit ihren unpassenden Bemerkungen ausgesetzt. Elke Massone und Birgit Bencivinni berichten von Sprüchen über Trikottausch oder sonstigen gängigen Gesten im Herrenfußball, die gerufen worden sind.83 Auch als Lustobjekte wurden die Damen betrachtet, so empfanden es zumindest die ehemaligen Fußballerinnen in der Nachbetrachtung der Ereignisse.84 „Heiratswillige Junggesellen kamen auf den Sportplatz, um sich ihre Braut auszusuchen“, schrieb Felicitas Zimmer in ihrer Erinnerung auf.85 Für die Gesellschaft – und besonders für die Männer – waren sie zu Beginn eher eine Art Volksbelustigung.86 Spiele mit hunderten, gar tausenden von Zuschauerinnen und Zuschauern waren keine Seltenheit. Diese Zahlen sind belegt und festgehalten. Die Damen waren den Herren ein Stück weit voraus.87 Gemischte Reaktionen gab es auch im Umfeld der Spielerinnen: Von Förderung über Hinnahme bis Ablehnung, berichten die ehemaligen Fußballerinnen. Wenn die Familie die Mädchen und Frauen unterstützte, war in der Regel der Vater selbst im Fußballverein aktiv, so wie bei Heidrun Vaterrodt und Christel Schröder.88 Aber meist wurde das Fußballspiel in der Familie nicht gefördert, sondern eher geduldet. Die Mädchen durften ins Training und zu den Spielen gehen, aber eine Unterstützung bei den Fußballspielen gab es weniger.89 Erst als der Frauenfußball einen gewissen Grad an Anerkennung in ___________ 81 82
83 84 85 86 87 88 89
Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 3. Vgl. Beitrag in der SR-Sportschau: Saarbrücker Bilderbogen. Fußballruhm für Frauenbeine, 14.05.1975, in: SR-Archiv: Positionsnummer 7527500000. Auch in verschiedenen SR-Beiträgen zum Frauenfußball stehen fast ausschließlich männliche Zuschauer am Spielfeldrand. Vgl. Interview Nr. 4; Nr. 5 (B9). Vgl. Interview Nr. 1 (B5); Nr. 3. Felicitas Zimmer schrieb der Verfasserin dieses Artikels vor dem Interview einen Brief, in dem sie von ihren Erinnerungen berichtet. Vgl. Interview Nr. 3; Nr 5 (B10). Nicht nur in den Interviews war von „Volksbelustigung“ die Rede, auch in zahlreichen Publikationen zum Frauenfußball wird dieser Begriff zur Umschreibung der schwierigen Anfangszeit genutzt. Vgl. Interview Nr. 4; Beitrag in der SR-Sportschau: Fußball. Damenfußball in Marpingen, 01.06.1971, in: SR-Archiv: Positionsnummer 7119300000. Vgl. Interview Nr. 1 (B1); Nr. 2. Vgl. Interview Nr. 3; Nr. 5 (B10); SR-Sportschau: Saarbrücker Bilderbogen.
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der Gesellschaft hatte, arrangierten sich auch die Eltern mit dem Hobby ihrer Töchter.90 Es gab aber auch Mädchen und Frauen, die zu Hause auf harten Widerstand stießen. Sie mussten heimlich ihrem Hobby nachgehen und waren auf Unterstützung ihrer Mannschaftskolleginnen angewiesen.91 Solch eine Ablehnung konnte sogar so weit gehen, dass die Spielerinnen den Eindruck hatten, ihre Eltern würden sich für sie schämen.92 Größeren Zuspruch erhielten die jungen Frauen aus ihrem Freundeskreis. Meist kannten die einstigen Spielkameraden die fußballbegeisterten Mädchen nur als Spielerinnen, deshalb war es für sie ganz normal, als diese in eine Frauenfußballmannschaft eintraten. Rückblickend empfinden die Fußballerinnen, dass sie für ihr Umfeld etwas Besonderes waren.93 Neben dem Respekt der Zuschauerinnen und Zuschauer, die die Frauen nicht ernst nahmen, mussten die Fußballerinnen auch den der übrigen Vereinsmitglieder durch sportlichen Erfolg gewinnen. Ob es um einen neuen Trikotsatz oder Trainingsanzüge ging oder lediglich um die Trainingszeiten auf dem Sportplatz, für alles mussten sich die Frauen selbst einsetzen. Ohne diese Eigeninitiativen hätten sie für sich nichts erreicht.94 Besonders die Finanzierung der Damenmannschaften war ein heikles Thema. Zwar waren die Damen in den Vereinen angesehen, jedoch durften sie kein Geld kosten.95 Die Frauen mussten alles selbst finanzieren, suchten sich Sponsoren oder arbeiteten selbst, um Geld für ihre Mannschaftskasse zu verdienen.96 Eine finanzielle Unterstützung wurde vom Verbandsvorstand (VV) unterbunden.97 Erst im September 1973 beschloss der VV auf seiner Sitzung, einen einmaligen Zuschuss von 170 DM zu bewilligen.98 Ab dem Spieljahr 1974/75 wurden die Frauenmannschaften dann den übrigen Mannschaften gleichgestellt und erhielten Mannschaftsgelder in Höhe von 170 DM.99 ___________ 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Vgl. Interview Nr. 4. Auch kamen die Eltern nun zu den Fußballspielen ihrer Töchter. Vgl. Interview Nr. 2. Die Mannschaftskolleginnen unterstützten diese Spielerinnen und versteckten z. B. die Fußballausrüstung bei sich oder holten sie zu den Trainingseinheiten und Spielen ab. Vgl. Interview Nr. 3. Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 4; Nr. 5 (B9). Vgl. Interview Nr. 1 (B1); Nr. 2; Nr. 4. Diese Eigeninitiativen wurden von den ehemaligen Spielerinnen immer wieder betont. Vgl. Interview Nr. 2. Vgl. Interview Nr 2; Nr. 5 (B10). Vgl. Niederschrift der 26. Sitzung des Verbandsvorstandes am 18.11.1970, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71, S. 2. Vgl. Niederschrift der Sitzung des geschäftsführenden Vorstandes am 19.09.1973, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 14.7.71-16.06.75, S. 1. Vgl. Niederschrift der 18. Sitzung des Verbandsvorstandes am 24.07.1974, in: Saarländisches Sportarchiv: VV 14.7.71-16.06.75, S. 2.
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Trotzdem gab es Befürworter bzw. ‚Gönner‘, die die Fußballdamen im Verein unterstützt haben, auch wenn es nur eine Kiste Bier nach dem Spiel war, die die Frauen gemeinsam trinken konnten. Bereits das empfanden die Spielerinnen schon als Anerkennung. In Marpingen und Bous war es sogar der Fall, dass der jeweilige Trainer mit seinem Privatvermögen aushalf und so seinen Schützlingen zum Beispiel Trainingsmaterial oder Trainingsanzüge finanzierte.100 Dadurch konnte zumindest der Spielbetrieb aufrechterhalten werden: Zwei Mal in der Woche wurde trainiert und am Sonntag gespielt, obwohl der Trainingsbetrieb im Saarland sehr unterschiedlich war. Der Trainer der Damenmannschaft des SSV Altforweiler war von dem Engagement seiner Spielerinnen so begeistert, dass er über 30 Jahre diesen Job übernahm. Deshalb bezeichnet Franz Gläser seine Damenmannschaft auch gerne als „Vorbildmannschaft im Saarland“.101 Andere Vereine hatten weniger Glück: Wenn ein Trainer da war, konnte trainiert werden, gab es keinen Trainer, mussten sich die Damen selbst, wie beispielsweise in Saarlouis, um ihr Training kümmern und wurden dann auch auf dem Sportplatz von den Männern dementsprechend behandelt. Oft blieb nur eine kleine Ecke zum Trainieren übrig, da die Herrenmannschaften nur einen Trainer und nicht eine aktive Spielerin als Respektsperson ansahen.102 Auch Trainerwechsel standen vor allem in der Anfangszeit an der Tagesordnung. Die meisten Damenmannschaften wurden von Spielern aus den Männermannschaften oder von einem ihrer Ehemänner trainiert. Diese hielten meist nicht lange durch, für sie war dieses Engagement ein Imageverlust gegenüber ihren Freunden.103 Auch der Spielbetrieb konnte sich erst mit den Jahren richtig entwickeln. Da es sich bei den Spielklassen im Saarland zu Beginn noch nicht um Leistungsklassen handelte, waren die Pflichtspiele oft sehr torreich. Ergebnisse im zweistelligen Bereich wie ein 12:0 kamen des Öfteren vor.104 Bevor es zu der Einführung einer Landesklasse kam, gab es in jeder Kreisklasse immer zwei bis drei Mannschaften, die den Titel meist unter sich ausmachten. Die restlichen Mannschaften konnten erst nach 1974 ihre Chancen nutzen. Dabei war nicht immer klar, ob die Damenspiele überhaupt jeden Sonntag stattfinden konnten. Oft erschienen die dafür eingeteilten Schiedsrichter erst gar nicht und ein Betreuer der Mannschaften oder ein Spieler der davor spielenden Herrenmannschaften musste einspringen.105 Wenn sich aber Schiedsrichter für ein Damenspiel zur Verfügung stellten, dann waren es meistens immer ___________ 100 101 102 103 104
Vgl. Interview Nr. 4; Nr. 5 (B10). Vgl. Interview Nr, 1 (B3). Vgl. Interview Nr. 1 (B1/B3). Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 3. Vgl. Interview Nr. 1 (B1). Solche Spiele gab es nicht nur im saarländischen Fußball, sondern auch im Rest von Deutschland. Dazu zählen auch Spiele gegen regionale Auswahlmannschaften. 105 Vgl. Interview Nr. 1 (B1); Nr. 2; Nr. 4; Nr. 5 (B9/B10).
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dieselben Männer, sodass die Damen diese Herren oft nach einiger Zeit persönlich kannten.106 Trotzdem gab es auch Schiedsrichter, die sonst niemand einsetzen wollte oder die durch Damenspiele Praxis sammeln konnten.107 So ließen manche Schiedsrichter die Damen ihre Abneigung gegenüber dem Frauenfußball spüren. Wenn zum Beispiel das Männerspiel aufgrund von Unbespielbarkeit des Platzes nicht ausgetragen werden konnte, ließen diese die Damen trotzdem auf dem Platz spielen. Oder es kam vor, dass sich die Spielerinnen Sprüche, wie „Weisen Sie mal ihre Spielerinnen an, sie sollen damenhafter spielen!“, anhören mussten.108 So sind die Frauen auch teilweise von den Schiedsrichtern nicht ernst genommen worden. Durch die Erzählungen der ehemaligen Spielerinnen stellte sich heraus, dass sie – entgegen der Darstellung im ersten inhaltlichen Hauptkapitel – die Berichterstattung in der saarländischen Presse als unbefriedigend empfanden. Zunächst gab es kaum Berichte in den Tageszeitungen oder beim Rundfunk. Auch hier waren wieder die Initiativen der Spielerinnen und ihrer Trainer gefragt. Woche für Woche mussten sie um jeden Bericht kämpfen und gingen dafür regelmäßig zum Verband und zur Saarbrücker Zeitung.109 Nur wenn sogenannte ‚Großereignisse‘, wie das Endspiel um die Saarlandmeisterschaft, vor der Tür standen, ließen sich Ankündigungen und eine nachfolgende Berichterstattung finden. Ähnlich sah es auch für Funk und Fernsehen aus. Für den Rundfunk konnten keine Aufnahmen nachgewiesen werden. Entweder es gab hier nie eine Berichterstattung oder diese Aufzeichnungen wurden nicht aufbewahrt. Im regionalen Fernsehen wurde, wenn auch selten, über die Fußballfrauen berichtet. In der Zeit von 1970 bis 1975 konnten drei Berichte aus Sportsendungen des SR gefunden werden. Bei diesen Beiträgen handelt es sich überwiegend um Spielberichterstattungen, die meist neutral gehalten sind. Gute Spielszenen wurden gelobt, die schlechten kritisiert.110 Wenn es um die Fußballerinnen selbst ging, scheint es so, dass sich die Reporter für die Anerkennung und die Verbreitung des Frauenfußballs einsetzen wollten.111 Durch den fortdauernden Kampf mit den Offiziellen kam es nach und nach dann zu einer regelmäßigeren Berichterstattung in der SZ, die sich aber auf die Spielstände und den aktuellen Tabellenstand begrenzte. Damit die Damenspiele nicht durch die Spielberichterstattung der Männer am Montag untergingen, wurde immer erst dienstags über sie berichtet. Wenn aber doch Artikel ___________ 106 Vgl. Interview Nr. 1 (B1/B2); Nr. 4; Nr. 5 (B9/B10). 107 Vgl. Interview Nr. 2. Es handelte sich entweder um sehr junge oder schon ältere Herren, die als unzulänglich für den männlichen Amateurbereich galten. 108 Vgl. Interview Nr. 2. 109 Vgl. Interview Nr. 1 (B1/B3). Franz Gläser arbeitete in Saarbrücken und ließ es sich nicht nehmen, die dortigen Mitarbeiter wegen eines Berichts zu „nerven“. 110 Vgl. u. a. in der SR-Sportschau: Fußball. Zusammenfassender Rückblick auf zwei Spiele, 25.08.1975, in: SR-Archiv: Positionsnummer 7542000000. 111 Vgl. SR-Sportschau: Saarbrücker Bilderbogen.
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über die Fußballerinnen selbst erschienen, so waren diese meist neutral oder sogar positiv dem Frauenfußball gegenüber eingestellt.112 Diese Erzählungen der Spielerinnen decken sich auch mit den Rechercheergebnissen in älteren saarländischen Presseartikeln, denn nur vereinzelt lassen sich spöttische Kommentare, wie im vorherigen Kapitel aufgezeigt, finden. Trotz vieler negativer Ereignisse hatte der Fußball für die Spielerinnen auch viele schöne Seiten zu bieten. Hier waren sich alle ehemaligen Spielerinnen einig: Nur weil sie den Fußball so liebten, konnten sie die teilweise schwere Anfangszeit überstehen. Alle ehemaligen Fußballerinnen bestätigten die Tatsache, dass es innerhalb der Mannschaft einen so engen Zusammenhalt gab, ohne diesen sie vielleicht nicht so viel im Frauenfußball erreicht hätten. Auch außerhalb des Sportplatzes unternahmen die Frauen viel gemeinsam – richtige Freundschaften entstanden, die auch bis heute gehalten haben. Immer noch treffen sich regelmäßig ehemalige Spielerinnen und unternehmen, wie die Bouser Spielerinnen, gemeinsame Fahrten.113 Auch Kleinigkeiten, wie das Zusammensein nach dem Training oder dem Spiel, waren für alle Zeitzeuginnen etwas Besonderes, meistens waren auch die Männermannschaften dabei, die die Frauenmannschaft in ihrem Verein akzeptierten.114 Aber auch das Gegenteil war der Fall. Wieder hatten es hier die Haustadter Spielerinnen am schwersten: Wenn sie nach ihrem Training ins Vereinsclubheim kamen, ließ das Gespött der Männer nicht lange auf sich warten: „Geht nach Hause und spielt mit euren Puppen!“. Für die Spielerinnen war das natürlich sehr unangenehm, ihre Stellung in der Fußballwelt wurde dadurch nur erschwert. Sie fühlten sich hilflos und allein gelassen. Ihre Realität war eine andere im Vergleich zu anderen saarländischen Fußballerinnen.115 Was aber alle Fußballspielerinnen gemeinsam hatten, ist die Tatsache, dass sie aus demselben Grund Fußball spielten: Sie hatten Spaß an diesem Sport! Dabei schrieb die zeitgenössische Berichterstattung der Emanzipation mit Kommentaren, wie „Die Emanzipationsbestrebungen im Fußball stecken noch in den Anfangsjahren“ oder „Der Fußball fiel der Emanzipation zum Opfer“116, eine nicht unwichtige Rolle zu. Diese Aussagen müssen aber relativiert werden: Die Emanzipation spielte entgegen der allgemein verbreiteten Vorstellung keine Rolle. Natürlich lässt sich nicht abstreiten, dass die Frauen durch die 68er-Bewegung den Mut erhalten hatten und es für sie einfacher ___________ 112 Vgl. Interview Nr. 1 (B1/B2/B3); Nr. 4. 113 Vgl. Interview Nr. 1; Nr. 2; Nr. 3; Nr. 4; Nr. 5. Dies bestätigten alle Spielerinnen in den Interviews. 114 Vgl. Interview Nr. 5 (B9/B10). Die Männer akzeptierten sie nicht nur, sondern unterstützten sie auch bei ihren Spielen. 115 Vgl. Interview Nr. 3. 116 Vgl. SR-Sportschau: Fußball. Damenfußball in Marpingen; SR-Sportschau: Saarbrücker Bilderbogen.
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wurde, sich für ihre Interessen einzusetzen.117 Dass sie ausschließlich aufgrund dieser turbulenten Zeit auf den Fußball aufmerksam wurden, kann allerdings nicht bestätigt werden. Dennoch mussten die Frauen lange für ihren Sport kämpfen und viele Niederlagen einstecken. Aber dies hatte nichts mit der Emanzipation zu tun. Nur durch den Spaß am Fußball konnten sie diesen langen und harten Weg gehen, auf dem sie immer wieder kleine Etappenziele erreichen konnten.118 Fußballspielerinnen Ende der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre waren die Vorreiterinnen, die die Pionierarbeit für alle nachfolgenden Generationen leisteten.119 Für die wirklich talentierten Spielerinnen kam dieser Umschwung vielleicht etwas zu schnell. Sie hätten eine längere Anlaufzeit gebraucht, da die Förderung noch nicht ausgebildet war. So hatten sie anfangs kaum eine Chance, einer Damenmannschaft beizutreten, in der ihr Talent gefördert wurde. Meist war auch der logistische Aufwand zu hoch, da es nur wenige gute Frauenmannschaften im Saarland gab und diese über das gesamte Gebiet verstreut waren. Dies war auch oft der Grund dafür, dass Mannschaften mit nur zehn oder elf Spielerinnen antreten mussten. Durften die Frauen unter der Woche noch trainieren, mussten sie am Sonntag zu Hause bleiben.120 Natürlich lag der Spielerinnenmangel auch daran, dass das Interesse am Frauenfußball nicht verbreitet war. Aber das alles war den Spielerinnen egal, weil diese elf Fußballerinnen, die sonntags auf dem Platz standen, einfach Fußball spielen wollten. Daher hat man diesen Spielerinnenmangel auch in Kauf genommen.121 Eines ist aber bei der gesamten Recherche immer wieder deutlich geworden: Trotz aller Hindernisse, Beleidigungen oder sonstigen negativen Reaktionen beschrieben die ehemaligen Spielerinnen diese Zeit als eine der schönsten in ihrem Leben. Das Training, die Fußballspiele und der Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft möchte heute niemand mehr missen.122 Die anfängliche Belustigung der Männer gegenüber den Fußballerinnen legte sich mit der Zeit. Durch die immer weiter fortschreitende Etablierung des Frauenfußballs verloren die Männer schon bald das Interesse und die Zuschauerzahlen sanken beträchtlich. Dennoch mussten immer wieder Damenmannschaften ihre Meldung vom Spielbetrieb zurückziehen, was auch daran lag, dass frisch verheiratete Spielerinnen oft mit dem Fußball aufhörten und keine weiteren Frauen nachrückten.123 1974 musste sich die Mannschaft von ___________ 117 118 119 120
Vgl. Interview Nr. 3. Vgl. Interview Nr. 1; Nr. 2; Nr. 3; Nr. 4; Nr. 5. Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 3. So empfinden es heute die ehemaligen Spielerinnen. Vgl. Interview Nr. 2. Damit ist gemeint, dass die Eltern ein Training weniger brutal als das wöchentliche Spiel gegen fremde Gegnerinnen fanden. Deshalb wurde das Training erlaubt, das Spiel allerdings nicht. 121 Vgl. Interview Nr. 1 (B4); Nr. 2. 122 Vgl. Interview Nr. 3; Nr. 4; Nr. 5 (B9/B10). 123 Vgl. Interview Nr. 3; Nr. 5 (B9).
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Felicitas Zimmer aufgrund von Spielerinnenmangel auflösen. So bestand die Damenmannschaft von TuS Haustadt nur sechs, offiziell anerkannt sogar nur vier Jahre.124 Natürlich war es immer schwieriger für eine Damenmannschaft, sich in Regionen oder Orten zu etablieren bzw. akzeptiert zu werden, in denen der Frauenfußball nicht frei von Vorurteilen war und einer strikten Ablehnung gegenüberstand.125 So hatte auch der saarländische Frauenfußball mit einer abnehmenden Euphorie zu kämpfen. Obwohl das Saarland flächenmäßig eines der kleinsten Bundesländer Deutschlands ist, ergibt sich aufgrund der geführten Interviews ein nicht ganz einheitliches Bild, was den Frauenfußball zu Beginn der 1970er-Jahre betrifft. Besonders auffällig ist die schwere Anfangszeit, von der Felicitas Zimmer berichtet. Sie und ihre Mitspielerinnen hatten mit viel Gegenwehr zu kämpfen. Haustadt ist ein kleines Dorf im Nordsaarland, das damals sehr ländlich und konservativ geprägt war. Und genau auf die Umgebung kommt es im Frauenfußball an. Hat diese ein sehr konservatives Bild vom weiblichen Geschlecht, ist es klar, dass dort Frauen, die sich nicht mehr dem klassischen Rollenbild fügen, nicht akzeptiert werden.126 Auch Berichte aus dem Verein von BubachCalmesweiler, in denen die Partner das Hobby ihrer Partnerinnen nicht gut hießen, bestätigen das Bild, dass es im Nordsaarland und dort gerade in ländlichen Gegenden schwer war, den Frauenfußball zu etablieren.127 Fußballspielerinnen aus den restlichen Regionen des Saarlandes hatten es dann doch einfacher.128 Hier soll aber nochmals darauf hingewiesen werden, dass Befragungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen immer eine gewisse Problematik mit sich bringen. Die Interviews wurden mit einem Abstand von über 40 Jahren geführt. Angesichts der langen Zeitspanne können sich deshalb verschiedene Ereignisse in der Erinnerung verklären, bedenkt man auch die Tatsache, dass immer wieder über Frauenfußball diskutiert wurde und sich hier bereits einiges im Vergleich zu den Anfängen geändert hat. Auch wenn die ehemaligen Spielerinnen in manchen Punkten unterschiedliche Angaben machten, beispielsweise was den Test der Sporttauglichkeit betrifft, so hatten sie doch eine meist ähnliche Wahrnehmung der Ereignisse. Gerade zu Beginn mussten die Frauen für ihren Sport kämpfen, da die Unterstützung fehlte. Sie wurden auf den Sportplätzen ausgelacht und meist nur als Lustobjekte für die Männerwelt angesehen. Spiele mit Hunderten von ___________ 124 Vgl. Interview Nr. 3; Nachrichtenblatt des LSVS 1974, Jg. 21, Nr. 21, 23.10.74, S. 3. Die Mannschaft des TuS Haustadt gab es bereits seit 1968. 125 Vgl. König, Mareike: Football féminin et société en Allemagne depuis 1900, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2010, S. 179–194, hier S. 181. 126 Vgl. Interview Nr. 3. 127 Vgl. SR-Sportschau: Saarbrücker Bilderbogen. 128 Vgl. Interview Nr. 1; Nr. 5. Als Beispiele seien hier nur die Gegend um Saarbrücken, Saarlouis oder St. Wendel genannt.
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Zuschauer*innen waren keine Seltenheit. Doch durch gute Spiele und ein langes Durchhaltevermögen, das durch einen harten Kampf mit Offiziellen, Funktionären und Verwandten geprägt war, konnten sich die Fußballerinnen mit der Zeit im Saarland etablieren, auch wenn sich dieser Kampf über einen langen Zeitraum weit über die Mitte der 1970er-Jahre hinaus zog. Dennoch erreichten die Fußballerinnen in der kurzen Zeit einiges im saarländischen Frauenfußballsport: die Abschaffung einiger Sonderregeln und schließlich auch die gesteigerte Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit durch eine stärkere mediale Berichterstattung. 3.2 Einordnung in den bundesdeutschen Kontext Vergleicht man diese Ergebnisse, die speziell für das Saarland gelten, mit den Berichten aus anderen Regionen Deutschlands, so werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich. Deutschlandweit setzte nach der Aufhebung des Damenfußballverbots eine rasche Entwicklung ein. Insgesamt stiegen die Mannschafts- und Mitgliederzahlen stetig an.129 Hannelore Ratzeburg und Horst Biese stellen in ihrer Publikation zum 25-jährigen Jubiläum des Frauenfußballs in Deutschland ähnliche Punkte für den bundesdeutschen Frauenfußball im Vergleich zum saarländischen fest. Insgesamt haben viele ältere Frauen nach 1970 begonnen, Fußball zu spielen und wechselten meist aus dem Handball in diese Sportart. So kam es deutschlandweit zu verschieden starken Frauenmannschaften, die auch innerhalb der Mannschaft ein unterschiedliches Niveau hatten. Landesweit waren die Fußballdamen in den frühen 1970er-Jahren eine Sensation.130 Da der DFB die Regeln für den Frauenfußball vorgab, lief auch der Spielbetrieb in jeder Region ähnlich ab: Die Saison dauerte von April bis Oktober und im Winter wurden Hallenturniere ausgetragen.131 Den größten Unterschied stellte in der Anfangszeit die Einteilung der Spielklassen in den verschiedenen Landesverbänden dar. Nicht jeder Verband hatte gleich viele Mannschaften, sodass es jedem Verband freigestellt war, wie er den Spielbetrieb für die Frauenmannschaften gestaltete. Auch die Einteilung in verschiedene Leistungsklassen wurde erst mit der Zeit in den unterschiedlichen Landesverbänden möglich.132 Mit dem Beschluss aus dem Jahr 1973, gehörte das Saarland mit der Einführung der Landesklasse in der Saison 1974/75 zu einem ___________ 129 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 14. 130 Vgl. Ratzeburg, Hannelore: Interview, in: Hennies, Rainer/Meuren, Daniel: Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen: Die Werkstatt, 2009, S. 65–69, hier S. 67. 131 Vgl. Ratzeburg, Hannelore/Biese, Horst: Frauen, Fußball, Meisterschaften. 25 Jahre Frauenfußball, Kassel: Agon-Sportverlag, 1995, S. 15. 132 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 21.
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der ersten Landesverbände mit verschiedenen Leistungsklassen. Die fußballerische Qualität verteilte sich in ganz Deutschland mehr auf ländliche Gemeinden oder kleinere Orte. Auch quantitativ konnten die meisten Großstädte nicht mit dem Land mithalten.133 Im Saarland sah dies ähnlich aus: Bis auf Saarbrücken befanden sich die qualitativ guten Mannschaften eher in ländlichen Gebieten. Erst nach den 1970er-Jahren erzielte die Frauenmannschaft des späteren 1. FC Saarbrücken die größten saarländischen Erfolge.134 Gerade diese ‚Übermannschaften‘ waren es, zu denen die saarländischen Fußballfrauen aufschauten.135 Wenn es in der Anfangszeit des Frauenfußballs zu einem Vergleich mit solchen Mannschaften kam, hatten die Teams aus dem Saarland meist das Nachsehen, besonders die Frauenmannschaften aus dem Mittelrhein waren den Saarländerinnen in der Athletik um einiges voraus.136 Spätestens seit 1970 wurde auch der Damenfußball hin und wieder in der gesamtdeutschen Presse behandelt. Zu Beginn fand aber keineswegs eine sachliche und objektive Berichterstattung statt.137 Das „Sensationelle“ der Spiele wurde durch einzelne Berichte in der Presse verstärkt, was gleichzeitig auch die Neugierde der Gesellschaft weckte.138 In den Artikeln konnte man Ausdrücke wie „Fußball-Amazonen“ und „Lady-Kickerinnen“ bis hin zur „schnellen Helga“ oder „der schönen Sonja“ lesen.139 Bewertungen über das Aussehen der Spielerinnen, Rollenklischees und Eigenschaften von Frauen flossen in mehr oder weniger versteckter Form ein. Vermutlich wurden ganz allgemein andere Erwartungen an Frauen gestellt als an Männer – dementsprechend anders bewertete die Presse die fußballerische Leistung der Frauen. Von den Frauen wurden nicht nur sportliche Erfolge erwartet, sie sollten dabei zudem möglichst ansprechend aussehen. Ferner ist in den Artikeln häufig von „Mädchen“ die Rede, nicht von „Frauen“. Die sportlichen Leistungen wurden zwar objektiv dargestellt und auch gewürdigt, aber es lassen sich immer wieder Aussagen zum Äußeren der Sportlerinnen finden, die die
___________ 133 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 19. 134 Vgl. Günther/Klimmt: Die Molschder, S. 133–135. Dazu gehören z. B. die Finalteilnahme im DFB-Pokal 2008 oder gewonnene Meisterschaften in der 2. Bundesliga Süd. 135 Vgl. Interview Nr. 2; Nr. 5 (B10). 136 Vgl. Interview Nr. 1 (B1). Eine plausible Erklärung für diesen athletischen Vorteil könnte sein, dass diese Verbände einen finanziellen Vorteil hatten und somit Leistungstrainer engagieren konnten. 137 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 27. 138 Vgl. Wagner, Dietmar: Damenfußball, Leiferde: Wagner, ³1986, S. 3. Die jeweiligen Journalisten bezeichneten unterschiedliche Tatsachen als etwas Sensationelles: Mal war es der Umstand, dass Frauen Fußball spielten, mal war es die Spielweise der Damen oder die vielen Zuschauerinnen und Zuschauer wurden als Sensation angesehen. 139 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 28.
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Berichterstattung nicht mehr objektiv erscheinen lassen.140 Auch viele männliche Beteiligte rund um den Fußball meldeten sich zu Wort. Kurz nach der Aufhebung des Frauenfußballverbots machte Hertha BSC-Spieler Uwe Witt in der Bild-Zeitung deutlich: „Spielt meine Frau mit: Scheidung! Jetzt machen sie unseren Sport zum Zirkus“. Für ihn seien diese Frauen „Mannweiber“, die „auch Leistung bringen müssen. […] Können und Leistung aber bedingt jahrelange Übung. Also Schulmädchen ran. Feste trainieren – ha, ha, da muß ich lachen.“141 Diese sehr klare Meinung steht hier exemplarisch für den Widerstand, der die Frauen von allen Seiten traf. Nicht nur persönlich auf dem Fußballplatz, sondern auch in der öffentlichen Diskussion wurden die Fußballerinnen bloßgestellt. Nur Funk und Fernsehen bemühten sich von Beginn an um eine objektive Berichterstattung.142 Das Saarland war den anderen Teilen Deutschlands hinsichtlich der Sichtweise der Presse schon um einiges voraus. Langfristig wandelte sich die gesellschaftliche Wahrnehmung gegenüber fußballspielenden Damen: Das Gespött verstummte und der Wirbel um den Frauenfußball wurde geringer. Was folgte, war eine objektivere Berichterstattung der Medien und positive Stellungnahmen von Medizinern und Sportwissenschaftlern.143 Eine erste Würdigung des Frauenfußballs für Gesamtdeutschland war die Wahl zum Tor des Monats im Oktober 1974 in der ARDSportschau. Bärbel Wohlleben, Spielerin des TuS Wörrstadt, gelang im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1974 ein sehenswerter Weitschuss, der es in die Vorauswahl dieser Auszeichnung schaffte. Später wurde sie von den Fernsehzuschauern auf den ersten Platz gewählt und somit gab es 1974 die erste „Torschützin des Monats“.144 Dieses anfänglich allgemein große Interesse für den Frauenfußball nahm in ganz Deutschland schnell wieder ab. Insgesamt ist ein Rückgang der Zuschauerzahlen und vor allem der Frauenmannschaften zu beobachten. Nicht nur im Saarland hatte der Frauenfußball mit einem kräftigen Rückgang zu kämpfen.145 Die Anzahl der Frauen- und dann auch Mädchenmannschaften innerhalb des DFB stieg bis 1973 auf 2 031 Mannschaften an, ab 1976 waren die Zahlen jedoch rückläufig, sodass ein Tiefpunkt von 1 798 Mannschaften ___________ 140 Vgl. Voigt, Ursula: Sexy, schnell und schön. Sportberichterstattung über Frauen, in: Schenk, Sylvia (Hg.): Frauen. Bewegung. Sport, Hamburg: VSA-Verlag, 1986, S. 30–40, hier S. 34–35. 141 N. N.: „Spielt meine Frau mit: Scheidung!“ Hertha-Star Uwe Witt: „Jetzt machen sie unseren Sport zum Zirkus“, in: BILD-Zeitung, 04.11.1970, S. 6. Uwe Witt stellt in diesem Artikel schonungslos seine klare Meinung über den Frauenfußball dar. 142 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 28. 143 Vgl. Wagner: Damenfußball, S. 3. 144 Vgl. Wagner: Damenfußball, S. 3; Hennies/Meuren: Der lange Weg zur Anerkennung, S. 53; Kieffer/Südwestdeutscher Verband/Verband Rheinland: Der Fußball wird weiblich, S. 48. 145 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 27.
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in diesem Jahr verzeichnet werden musste. Gegen Ende der 1970er-Jahre stieg die Zahl wieder an und das Interesse am Frauenfußball nahm zu.146
4. Fazit Die Geschichte des Frauenfußballs kann auf eine jahrelange Tradition zurückblicken. Geprägt von Verboten, Auseinandersetzungen, Spott und erst später Anerkennung war der Fußball für Frauen ein Sport, für den sie lange kämpfen mussten. Lange wurde Fußball ausschließlich als Männersport angesehen; nun drangen die Frauen auch noch in diese Domäne vor. Fußballwillige Spielerinnen mussten von 1955 bis 1970 ihren Sport heimlich ausüben, was durch viele Quellen und Zeitzeuginnen belegt werden konnte. 15 Jahre hielt der DFB das Verbot aufrecht, bevor die Frauen ab 1970 endlich legal spielen durften. Es konnte dargelegt werden, dass der Frauenfußball Ende der 1960erJahre fast in der gesamten Bundesrepublik einen deutlichen Aufschwung erlebte. Ein Fokus wurde auf die Anfänge im Saarland gelegt: Bereits hier konnte im ersten Jahr ein Anstieg der Frauenmannschaften belegt werden, sodass bereits 1971 der Spielbetrieb beginnen konnte und 1974 eine Einteilung in Leistungsklassen möglich war. Dass dieser Spielbetrieb aber mit viel Mühe und Kampf verbunden war und auch nicht immer reibungslos vonstattenging, konnte durch Aussagen von ehemaligen Spielerinnen gezeigt werden. Gerade zu Beginn sahen sie sich dem Spott der männlichen Zuschauer ausgesetzt, aber auch im direkten Umfeld erhielten sie kaum Unterstützung für ihren Sport. Sie hatten zunächst keine Chance auf Anerkennung, da sie in der medialen Öffentlichkeit kaum Beachtung fanden. Auch hier musste die Initiative von den Spielerinnen selbst ausgehen. Diese eigenständigen Bemühungen für jegliche Art von Anerkennung ziehen sich durch die komplette Anfangszeit des Frauenfußballs im Saarland. Hätten die Frauen sich nicht selbst für ihren Sport eingesetzt, wäre der Frauenfußball vermutlich nicht auf seinem heutigen Standpunkt und würde zumindest bei Großereignissen ein gewisses gesellschaftliches Interesse erleben.147 Aber auch die anfängliche Begeisterung auf der Sportlerinnenseite sowie die Neugierde und das Interesse auf der Seite des Publikums muss relativiert werden. Nach einigen Jahren fehlte der Nachwuchs und Mannschaften mussten abgemeldet werden. Ebenso kamen immer weniger Zuschauerinnen und Zuschauer zu den Spielen. Aber vor allem in diesem Punkt waren die Frauen in ihrer Anfangszeit eine echte Konkurrenz für die Männer: In puncto Zuschauerzahlen hatten die Frauen den Männern zu Beginn der 1970er-Jahre einiges ___________ 146 Vgl. Sektion Frauensport des DSÄB: Damenfußball, S. 18. 147 Diese Aussage muss gleichzeitig eingeschränkt werden, da jede Fußballerin das Interesse für ihren Sport anders empfindet.
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voraus. Im Amateurbereich fanden selten Männerspiele mit einer Anzahl von weit über 1 000 Zuschauer*innen statt. Erst nachdem das allgemeine Interesse in der Öffentlichkeit sank, bekamen die Herren wieder die volle Aufmerksamkeit der Bevölkerung. Ähnliche Erfahrungen wurden im restlichen Teil von Deutschland gemacht: Die anfängliche Euphorie wurde immer weniger. Auch in Bezug auf die kritische Berichterstattung des Frauenfußballs gab es ähnliche Erlebnisse. Der größte Unterschied stellt der Journalismus zum Frauenfußball dar. Während im Rest des Landes die Fußballerinnen von der überregionalen Presse verspottet wurden, wie der BILD-Artikel von 1970 gezeigt hat, bemühten sich die saarländischen Medien im Untersuchungszeitraum von 1970 bis 1974 um eine möglichst neutrale Berichterstattung.148 Wie selbstverständlich wird das Aufkommen des Frauenfußballs in Deutschland mit der Frauenbewegung und der Emanzipation in Verbindung gebracht. Nur wenige Spielerinnen betrieben Fußball aber aus emanzipatorischen Gründen oder waren Akteurinnen der Frauenbewegung.149 Dies bestätigt sich auch für das Saarland. Keine der befragten Spielerinnen begann aufgrund der Emanzipation Fußball zu spielen. Sie hatten einfach Interesse an diesem Sport gefunden und Spaß daran. Der Fußball war eine Freizeitbeschäftigung und gleichzeitig ein Ausgleich zu ihrem Alltag.150 Der Sport war lediglich Ausdruck und nicht Initiator von Emanzipationsprozessen.151 Generell bleibt die Zeit des Frauenfußballs vor 1970 im Saarland weiterhin unerforscht, es fehlen verlässliche Aussagen darüber, inwieweit der Frauenfußball in seiner Verbotszeit wirklich im Saarland verbreitet war. Um noch repräsentativere Aussagen generieren zu können, müssten mehr Spielerinnen, Trainer und weitere Beteiligte befragt werden. Auch aufgrund der Kürze und der zeitlichen Begrenzung auf die Übergangszeit vor und nach der Verbotsaufhebung konnten nicht alle Erfahrungen aus den Interviews angesprochen werden, viele interessante Aspekte blieben daher unerwähnt. Dabei lohnt es sich durchaus, diesen Punkten nachzugehen. Für die Zeit nach 1975 besteht ebenso ein großer Forschungsbedarf, da diese Periode ebenfalls noch nicht historisch aufgearbeitet worden ist. ___________ 148 Unklar bleibt, warum die saarländischen Reporter sich um eine Neutralität in ihrer Berichterstattung bemühten. 149 Vgl. Madic, Vanja: Frauenfußball und Migration im Ruhrgebiet. Vom Emanzipationshebeln, Wiederholungen und einer anderen Geschichte, in: Osses, Dietmar (Hg.): Von Kuzorra bis Özil. Die Geschichte von Fußball und Migration im Ruhrgebiet, Essen: Klartext, 2015, S. 127–135, hier S. 132; Herzog, Markwart: Frauenfußball. Themen und Desiderate, Eigendynamik und Projektionsfläche, in: ders. (Hg.): Frauenfußball in Deutschland, S. 17–28, hier S. 20. 150 Vgl. Interview Nr. 1; Nr. 2; Nr. 3; Nr. 4; Nr. 5. Hier bestätigen alle Spielerinnen diese These. 151 Vgl. Herzog: Frauenfußball. Themen und Desiderate, S. 21.
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Frauenfußball in der Zwischenkriegszeit bleibt ein weiteres gesamtdeutsches Forschungsdesiderat, obwohl der Frauenfußball zu dieser Zeit seinen ‚ersten Boom‘ erlebt hat. Zwar konnte Harald Lönnecker mit seinen Forschungen schon einige Phänomene dieser Zeit analysieren, dennoch sind weiterhin Frauenfußballspiele in der Zwischenkriegszeit, die von Studentinnen an deutschen Hochschulen durchgeführt wurden, Forschungslücken, die es noch zu schließen gilt.152 Aufgrund mangelnder Quellen sind saarländische Frauenfußballaktivitäten für diese Zeit aber so gut wie nicht nachzuweisen. Die öffentliche Aufmerksamkeit galt und gilt weiterhin dem Männerfußball.153 Fußballerinnen mussten und müssen weiterhin für ihre Rechte einstehen. Der Beginn des Frauenfußballs in Deutschland und auch im Saarland kamen einem Ausnahmezustand gleich. Die Damen wurden nicht ernst genommen, das mussten sie sich nach und nach erst selbst erkämpfen. Aber wichtig dabei ist, dass sie nie aufgaben und durch ihren Zusammenhalt einiges erreichen konnten. Denn wie stellt der SR bereits 1971 in einem Beitrag fest: „Fußball ist nicht nur Männersache!“154 Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Archivalien Saarländisches Sportarchiv: VV 12.7.67-30.06.71; VV 14.7.71-16.06.75. Archiv des Saarländischen Rundfunks [SR-Archiv]: Positionsnummern 7119300000; 7527500000; 7542000000. Amtliches Nachrichtenblatt des Landessportverbandes für das Saarland; Jg. 17–22, 1970–1975. Interviews mit Zeitzeug*innen Interview Nr. 1: Interview mit Heidrun Vaterrodt (B1), Sabine Bales (B2), Franz Gläser (B3), Christine Krämer (B4) und Erika Schneider (B5) am 14.06.2018 in Bisten. Interview Nr. 2: Interview mit Christel Schröder (B6) am 25.06.2018 in Völklingen. Interview Nr. 3: Interview mit Felicitas Zimmer (B7) am 29.06.2018 in Haustadt. Interview Nr. 4: Interview mit Elke Massone (B8) am 09.07.2018 in St. Wendel. Interview Nr. 5: Interview mit Birgit Bencivinni (B9) und Petra Groß (B10) am 11.07.2018 in Wadgassen.
___________ 152 Vgl. Herzog: Frauenfußball. Themen und Desiderate, S. 18; Weitere Ausführungen zum Frauenfußball in der Zwischenkriegszeit finden Sie bei den Ausführungen von Xavier Breuil, Helge Faller und Wolfgang Freund im hiesigen Sammelband. 153 Vgl. Havemann, Nils: Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga, München: Siedler Verlag, 2013, S. 361. 154 Vgl. SR-Sportschau: Fußball. Damenfußball in Marpingen.
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Gedruckte Quellen Bost, Heiner: Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland, in: Festschrift 50 Jahre Saarländischer Fußballverband, Saarbrücken, 1998, S. 64–67. FC Viktoria 09 Neunkirchen-Saar: Festschrift zur Feier des 70-jährigen Bestehens des FC Viktoria 09, bearbeitet von Dr. Rudi Scheer, Neunkirchen, 1979. Günther, Herbert/Klimmt, Reinhard: Die Molschder 1903-2003. 100 Jahre 1. FC Saarbrücken, Saarbrücken: 1. FC Saarbrücken, 2003. Ratzeburg, Hannelore/Biese, Horst: Frauen, Fußball, Meisterschaften. 25 Jahre Frauenfußball, Kassel: Agon-Sportverlag, 1995. Ratzeburg, Hannelore: Interview, in: Hennies, Rainer/Meuren, Daniel: Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen: Die Werkstatt, 2009, S. 65–69. Schirra, Heinrich: FC Hellas Marpingen „So war es“. Eine Zeitgeschichte des FC Hellas und der Marpinger Bevölkerung, Marpingen [ca. 1995]. Sektion Frauensport des DSÄB (Hg.): Damenfußball. Grundlagen und Entwicklung. Unter Mitarbeit der Referentin für Damenfußball im DFB Hannelore Ratzeburg, Frankfurt a. M.: Deutscher Fußballbund, ²1983. Sport- und Spielvereinigung 1920 Schmelz: Festschrift 50 Jahre Fußball in Schmelz, [Schmelz] 1970. SV Bubach-Calmesweiler: Festschrift aus Anlass des 60-jährigen Stiftungsfestes des SV Bubach-Calmesweiler. Festwoche vom 17.–26. Juni 1977, Völklingen, 1977. Wagner, Dietmar: Damenfußball, Leiferde: Wagner, ³1986. Internetquellen Rabe, Lena: Umfrage zum Interesse an Sportarten im TV in Deutschland, November 2017, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/785815/umfrage/interesse-an-sportartenim-tv-in-deutschland/ (29.02.2020). Periodika Saarfussball. Offizielle Monatsschrift des Saarländischen Fußballverbandes, Saarbrücken, Jg. 13–17, 1970– 1974. Saarbrücker Zeitung, Saarbrücken, 1970–1973. N. N.: „Spielt meine Frau mit: Scheidung!“ Hertha-Star Uwe Witt: „Jetzt machen sie unseren Sport zum Zirkus“, in: BILD-Zeitung, 04.11.1970, S. 6. N. N.: Richtlinien für den Frauenfußball, in: Der Fußballtrainer. Die Fachzeitschrift für alle Trainingsund Wettkampffragen 21/12 (1971), S. 30.
Literatur Havemann, Nils: Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga, München: Siedler Verlag, 2013. Hennies, Rainer/Meuren, Daniel: Frauenfußball. Der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen: Die Werkstatt, 2009. Henning, Josephin/Schwab, Lisa: Handreichung „Frauen- und Mädchenfußball an der Saar“, Saarbrücken [ca. 2007]. Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18). Herzog, Markwart: Frauenfußball. Themen und Desiderate, Eigendynamik und Projektionsfläche, in: ders. (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge, Verbote, Widerstände, Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 17–28.
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Kieffer, Stefan/Südwestdeutscher Verband/Verband Rheinland: Der Fußball wird weiblich. Die Geschichte des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz, Offenbach an der Queich: Höma-Verlag/ Koblenz: Lotto Rheinland-Pfalz, 2011. König, Mareike: Football féminin et société en Allemagne depuis 1900, in: Pfeil, Ulrich (Hg.): Football et identité en France et en Allemagne, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2010, S. 179–194. Madic, Vanja: Frauenfußball und Migration im Ruhrgebiet. Vom Emanzipationshebeln, Wiederholungen und einer anderen Geschichte, in: Osses, Dietmar (Hg.): Von Kuzorra bis Özil. Die Geschichte von Fußball und Migration im Ruhrgebiet, Essen: Klartext, 2015, S. 127–135. Müller, Marion: Das Geschlecht des Fußballs. Zur „Polarisierung der Geschlechtscharaktere“ im Fußball, in: Sport und Gesellschaft 4/2 (2007), S. 113–141. Ritchie, Donald A.: The Oxford Handbook of Oral History, Oxford: Oxford UP, 2001. Voigt, Ursula: Sexy, schnell und schön. Sportberichterstattung über Frauen, in: Schenk, Sylvia (Hg.): Frauen. Bewegung. Sport, Hamburg: VSA-Verlag, 1986, S. 30–40.
Hans-Peter Hock
Spurensuche zwischen Weinreben
Frauenfußball an der Mosel und im Maifeld ab 1968 Cet article se penche sur les débuts du football féminin dans une zone rurale près de Coblence qui se caractérise principalement par la viticulture et l'agriculture. A partir de 1968, le football féminin put s'implanter dans de très petits villages. Le lancement de campagnes de collecte de dons (campagne Sorgenkind) constituait souvent le point de départ, encourageant ainsi les femmes à participer à des compétitions de football. Une étape importante représenta le tournoi du 1er mai 1970 à Bad Neuenahr, auquel participèrent douze équipes. Le football féminin fut largement promu par la Fédération rhénane de football, qui, avant même son admission officielle par la Fédération allemande de football (DFB) le 31 octobre 1970, fut le principal sponsor du football féminin. Elle créa les structures nécessaires à la mise en place d’une division et forma en 1969 la première femme arbitre. Les équipes féminines des autres associations nationales allemandes ne bénéficièrent pas d'un tel soutien.
1. Einleitung Ausgangspunkt dieses Beitrags war ein Schwarzweißfoto auf der Webseite des Fußball-Sportvereins „Eltz“ Moselkern 1919. Es zeigt das Frauenteam des Clubs und stammte ursprünglich aus der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen des Vereins im Jahr 1994.1 Die Angaben zu der Mannschaft sind sehr spärlich und beschränken sich auf die Namen der Spielerinnen und der beiden Betreuer sowie auf den Hinweis, dass die Frauenfußballabteilung nur kurz, von 1971 bis 1974, bestanden habe. Da der Club 2019 sein hundertjähriges Bestehen feierte, erschien zu diesem Anlass eine Jubiläumsschrift, welche den Angaben auf der Webseite keine neuen hinzufügte.2 Auch der nur rund 20 km entfernte, im fruchtbaren Maifeld gelegene, SV Ochtendung feierte im Jahr 2019 sein hundertjähriges Bestehen. Dieser Name hat einen gewissen Bekanntheitsgrad, war er doch im Jahr 1969 erster Gegner des legendären SC 07 Bad
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Vgl. Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern 1919 e. V.: Vereinsgeschichte, http://www. fsv-eltz-moselkern.de/Vereinsgeschichte (12.01.2020). Vgl. Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern 1919 e. V. (Hg.): 100 Jahre Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern e. V, Moselkern, 2019, S. 17. Ein Telefonat mit dem Vereinsvorsitzenden Jan Hagen ergab, dass man über das Frauenteam nicht mehr wisse, als auf der Webseite zu lesen sei.
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Neuenahr.3 Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie der Frauenfußball um 1968/1970 in so kleinen Ortschaften wie Moselkern mit 500 Einwohner*innen Fuß fassen konnte, und wie diese ‚neue‘ Sportart im nördlichen Rheinland-Pfalz, einem überwiegend ländlich geprägten Raum, sich in jenen Jahren etablierte. 1.1 Forschungsstand Der Verein aus Bad Neuenahr-Ahrweiler zählt neben der TuS Wörrstadt und der TuS Niederkirchen zu den bekanntesten Frauenteams in Rheinland-Pfalz. Alle drei wurden deutscher Fußballmeister, und deshalb ist die Quellenlage, was sie betrifft, relativ zufriedenstellend. So werden die Clubs ausführlich in der von dem Journalisten Stefan Kieffer zusammengestellten Publikation Der Fußball wird weiblich behandelt, die 2011 zur Heim-WM erschienen ist, als der Hype um Frauenfußball in den deutschen Medien besonders groß war.4 Die Publikation hat ein journalistisches Gepräge und kommt ohne Anmerkungen und Literaturbelege aus, was weitergehende Recherchen erschwert. Anlässlich der Weltmeisterschaft in Deutschland gab es eine Ausstellung im Ikonen-Museum der Stadt Frankfurt unter dem programmatischen Titel „Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs“. In dem gleichnamigen Begleitband werden jeweils auf einer Doppelseite wichtige Persönlichkeiten des Frauenfußballs wie Martina Hertzel, geb. Arzdorf (*1954), Maria Breuer, geb. Nelles (*1953), und Heinz Schweden (1930–2017), zwei Spielerinnen und der Trainer des SC 07 Bad Neuenahr, weiterhin mit Anne Trabant-Haarbach (*1949) und Bärbel Wohlleben (*1943) Fußballerinnen der TuS Wörrstadt in Interviews vorgestellt.5 Die Geschichte des letztgenannten Vereins war bereits ein Jahr zuvor von Anne Schmidt im Rahmen einer Examensarbeit an der Universität Mainz untersucht worden. Schmidt nutzte das Archiv des Deutschen Fußball-Bundes, sichtete Zeitungsartikel und befragte Spielerinnen und Funktionäre äußerst eingehend nach einem festgelegten Schema. Hinsichtlich des genannten Untersuchungsgebiets ist das von der Autorin geführte ausführliche Interview mit ___________ 3 4
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In einer überregionalen sporthistorischen Veröffentlichung fanden die Fußballerinnen vom SV Ochtendung eine frühe Erwähnung bei Fechtig, Beate: Frauen und Fußball. Interviews, Portraits, Reportagen, Dortmund: eFeF-Verlag, 1995, S. 30. Vgl. Kieffer, Stefan: Der Fußball wird weiblich. Die Geschichte des Frauenfußballs in RheinlandPfalz, Offenbach an der Queich: höma-Verlag, 2011. Sehr oberflächlich bleibt leider der Beitrag von Brust, Stephan: Frauenfußball – die saubere Variante, in: Lotto RheinlandPfalz GmbH (Hg.): 60 Jahre Toto in Rheinland-Pfalz. 60 Jahre Fußball in Rheinland-Pfalz, Landau: Knecht Verlag, 2009, S. 180–183. Vgl. Zacharuk, Richard/Bauer, Snejanka (Hg.): Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs, Tübingen: LEGAT Verlag, 2011, S. 28–29, 32–33, 74–75.
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Torfrau Maria Breuer besonders interessant.6 Aufschlussreich sind auch die Ausführungen des damaligen Geschäftsführers von TuS Wörrstadt, Philipp Scheidt (*1925), über seine Lobbyarbeit beim Deutschen Fußballbund (DFB).7 2011 erschien in dritter Auflage eine Publikation, die detailreich den Frauenfußball in Deutschland in den 1950er-, 60er- und 70er-Jahren beschrieb und dabei dem 1968 in Frankfurt gegründeten Team der Niederräder Schützengesellschaft „Oberst-Schiel“ 1902 e. V. und den diversen Frauenteams, welche ab 1968 in Hamburg den Fußballsport bereicherten, ein eigenes Kapitel widmete.8 Die Autoren führen dabei als Quellen Zeitungsberichte (überwiegend der Boulevard-Presse) und Interviews an. Als Beispiel aus dem Bundesland Rheinland-Pfalz wird das Bad Neuenahrer Team auf einigen Seiten vorgestellt.9 Als grundlegende wissenschaftliche Arbeit für die Geschichte des deutschen Frauenfußballs ist die Dissertation von Carina Sophia Linne anzusehen, die ausführlich darauf eingeht, wie beim DFB 1969 ein Umdenken hinsichtlich des Frauenfußballs einsetzte und zugleich darauf hinweist, dass in jener Zeit kickende Handballerinnen im Vorteil waren, was sich im Folgenden bestätigen wird.10 Eine wichtige Ergänzung zu Linnes Publikation ist ein von Markwart Herzog herausgegebener Sammelband mit den Beiträgen einer im Frühjahr 2011 stattgefundenen Tagung. Der Beitrag des Herausgebers über Frauenfußball beim 1. FC Kaiserslautern schließt dabei räumlich an das eigene Untersuchungsgebiet an und behandelt chronologisch den gleichen Zeitraum.11
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Vgl. Schmidt, Anne: 1970: Aufbruchstimmung im Frauenfußball. Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der TuS Wörrstadt, Mainz, Univ., Wissenschaftliche Prüfungsarbeit, 2010, S. 208–225. Vgl. Schmidt: Aufbruchstimmung, S. 134–147. Vgl. Hoffmann, Eduard/Nendza, Jürgen: Verlacht, verboten und gefeiert. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, Weilerswist: Verlag Karl Liebe, ³2011, S. 89–91. Eine Hamburger Fußballspielerin der ersten Stunde war Hannelore Ratzeburg (*1951), die 1974 als erste Frau beim DFB eine wichtige Funktion einnahm und 1995 Mitautorin einer fußballhistorischen Publikation war: Ratzeburg, Hannelore/Biese, Horst: Frauen Fußball Meisterschaften. 25 Jahre Frauenfußball, Kassel: Agon Sportverlag, 1995. Vgl. Hoffmann/Nendza: Verlacht, S. 92–94. Vgl. Linne, Carina Sophia: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra, 2011, S. 111–115. Mit diesem Buch setzte die Autorin auch den Fußball-Pionierinnen in der ehemaligen DDR ein Denkmal. Vgl. Herzog, Markwart: „Sympathie mit den balltretenden Amazonen“. Die Anfänge des Frauenfußballs im 1. FC Kaiserslautern, in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 87–112.
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1.2 Quellenmaterial für die Untersuchung Die folgenden Ausführungen haben einen Werkstattcharakter, weil der zeitliche Rahmen, der für die Untersuchung zur Verfügung stand, sehr limitiert war und auch auf die Art und Weise eingegangen wird, wie die Quellen erschlossen wurden. Die Recherchen für den Tagungsbeitrag dauerten von Ende April 2019 bis Mitte Oktober 2019. Neben der Auswertung von Angaben bzw. Hinweisen aus den oben genannten Publikationen sowie Programmheften und Jubiläumsschriften von Vereinen wurden drei unterschiedliche Quellengruppen herangezogen: 1. 2. 3.
Fotos, Schriftstücke und Mitteilungen in schriftlicher und mündlicher Form von Spielerinnen, Trainern und Vereinen;12 Archivmaterial vom Fußballverband Rheinland e. V. in Koblenz, dessen Zuständigkeitsbereich von Trier im Westen bis zu den Höhen des Westerwaldes im Osten reicht; Zeitungsartikel für den Zeitraum 1968–1972 im Archiv der RheinZeitung in Koblenz.
Da der Name der Spielerinnen auf der Webseite des FSV „Eltz“ Moselkern angegeben war, konnte über das Telefonbuch Kontakt zu einer Spielerin aufgenommen und ein Treffen vereinbart werden. Gleiches ergab sich für den Trainer des SV Ochtendung, der in einem online recherchierbaren Artikel in der Rhein-Zeitung, der wichtigsten Tageszeitung im Raum Koblenz/Neuwied mit zahlreichen Lokalausgaben, namentlich erwähnt wird.13 Das Gespräch mit Frau Liesel Möntenich fand am 2. Juli 2019 in Moselkern statt, das mit Herrn Hubert Kreier am gleichen Tag in Ochtendung. Von dem 1949 gegründeten Fußballverband Rheinland ist bekannt, dass er sich um 1970 sehr für die Zulassung des Frauenfußballs beim DFB stark machte.14 Ein Besuch des Archivs war nicht möglich, aber es kam die Zusage, dass der ehrenamtliche Archivar des Verbandes Quellenmaterial zur Verfügung stellen würde.15 Die Rhein-Zeitung verfügt über ein Archiv, in dem alle in ___________ 12
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Die Reaktionen von Vereinsseite waren sehr unterschiedlich. Während manche die Anfragen an ehemalige Aktive weiterleiteten oder selbst Hinweise gaben, erfolgte von anderen, trotz mehrfacher Nachfrage, keine Antwort, z. B. vom SV Eintracht Trier 05 e. V. oder den Verantwortlichen vom SC 13 Bad Neuenahr e. V., dem Nachfolgeverein des SC 07 Bad Neuenahr. Vgl. Geisbüsch, David: Frauenfußball steht keineswegs im Abseits, in: Rhein-Zeitung, 14.07.2011. Vgl. Bongard, Michael: FVR – Vom Rheinland bis Ruanda, in: Lotto Rheinland-Pfalz GmbH (Hg.): 60 Jahre Toto in Rheinland-Pfalz, S. 51. Mein herzlicher Dank geht an Armin Bertsch, Geschäftsführer des Fußballverbandes Rheinland e. V., und an den Archivar Thomas Hardt, der mir ein umfängliches Konvolut
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der Rhein-Zeitung und ihren Heimatausgaben erschienenen Artikel einsehbar sind. Die Ausgaben ab 1984 sind auf Mikrofilm gespeichert, die davor sind in voluminösen Einzelbänden zugänglich.16
2. Neue Fakten zum Frauenfußball an der Mosel und im Maifeld 2.1 Spielerinnen und Trainer Bei den Gesprächen mit den Spielerinnen und weiteren Protagonisten des Frauenfußballs zeigten sich erwartungsgemäß Erinnerungslücken. Das betraf vor allem Spielerinnen, die nur in den Anfangsjahren aktiv gewesen waren und sich die folgenden rund 50 Jahre nicht mehr mit der Thematik beschäftigt haben. Quellenkritisch bleibt auch anzumerken, dass bei den Gesprächen kein systematischer Fragenkatalog Anwendung fand, wie dies etwas Anne Schmidt in ihrer Arbeit praktizierte.17 2.1.1 FSV „Eltz“ Moselkern von 1919 e. V. Auf der oben erwähnten Webseite heißt es zu dem Frauenteam: Im Jahr 1971 wurde auf Antrag von Liesel Möntenich (geb. Wierschem) und Magret Sues (geb. Klein) eine Damenmannschaft gegründet. Trotz dem damaligen Status einer Randsportgruppe konnte man unter der Leitung von Hans-Josef Fuhrmann und später Heinz Tenhaak den Spielbetrieb bis 1974 aufrechterhalten.18
Mit beiden genannten, noch in Moselkern lebenden Spielerinnen konnte Rücksprache gehalten werden. Dabei betonte Margret Sues (*1949), dass sie nur anfänglich dabei gewesen sei und sich schnell herausgestellt habe, dass sie die für das Fußballspiel notwendige Härte nicht besitze.19 Frau Möntenich (*1950) wusste zu berichten, dass der Vorschlag, eine Damenmannschaft zu gründen, von dem Moselkerner Vereinsmitglied Horst Braun bereits um 1968/69 gekommen sei. An besondere Spiele oder Turnierteilnahmen konnte sich Frau Möntenich nicht mehr erinnern, wohl aber, dass ihnen seitens des ___________
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an Seiten aus dem monatlich erscheinenden Verbandsblatt und der übergeordneten Zeitschrift Sport im Rheinland zum Thema Frauenfußball übermittelte und darüber hinaus jederzeit für Fragen bereitstand. Ich danke Archivleiterin Natalie Simon sehr herzlich für ihre Unterstützung am 26. und 27.09.2019. Vgl. Schmidt: Aufbruchstimmung, S. 50–53. Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern 1919 e. V.: Vereinsgeschichte. Sowohl Frau Sues als auch Frau Möntenich waren mit Spielern des FSV „Eltz“ Moselkern verheiratet.
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Vereins und der aktiven Mitspieler keine Steine in den Weg gelegt wurden. Aus den Unterlagen des Fußballverbands Rheinland geht hervor, dass die Moselkerner Frauen nur an der allerersten Meisterschaftsrunde 1971 teilnahmen und nicht mehr an den folgenden (s. Anhang, Tab. 3.). 2.1.2 SV 1919 Ochtendung e. V. Bei der ersten Kontaktaufnahme teilte Hubert Kreier (*1943) mit, dass die Gründung des Teams auf seine Frau zurückzuführen sei. Auslöser war die Möglichkeit, mit einem Spiel zweier Frauenmannschaften Spendengelder für die Aktion Sorgenkind zu sammeln. Diese 1964 auf Initiative des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) entstandene Sozialorganisation (seit 2000 Aktion Mensch) finanzierte vor allem durch Lotterieeinnahmen Einrichtungen für geistig behinderte bzw. kranke Kinder und Jugendliche. Hinzu kamen Spendengelder, die Vereine oder auch Einzelpersonen bei besonderen Veranstaltungen sammelten, worüber das ZDF u. a. in einer sonntäglichen Sendung regelmäßig berichtete.20 Da Herr Kreier bereits seit 1964 über eine Trainerlizenz verfügte, ging er an die neue Aufgabe engagiert heran, mit der Vorgabe an die Spielerinnen, dass ernsthaft trainiert werde (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Das Team vom SV Ochtendung und sein Trainer beim Fußballturnier am 1. Mai 1970 in Bad Neuenahr (© Sammlung H. Kreier). ___________ 20
Vgl. Brendel, Karlheinz: Zehn Jahre Aktion Sorgenkind 1964 bis 1974, Mainz: Zweites Deutsches Fernsehen, 1974.
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An einzelne Spiele konnte sich Herr Kreier nicht mehr erinnern, was wenig verwunderlich ist, da er in jenen Jahren auch unterschiedliche Männermannschaften parallel betreute. Seine Frau Margo Kreier (1940–2009) sei die treibende Kraft gewesen, aber alle Spielerinnen hätten beim Training und im Spiel großes Engagement gezeigt und es hätte ihnen nichts ausgemacht, auch im Winter im Freien zu trainieren. Wie eingangs erwähnt, feierte der SV Ochtendung 2019 sein hundertjähriges Bestehen. Aus diesem Grund erschien in der Rhein-Zeitung ein ganzseitiger Artikel, der sich vor allem der Frauenmannschaft widmete.21 Zu Wort kam dabei überwiegend die langjährige Spielführerin Rita Hirsch (*1946), damals Hausfrau und Mutter, später Kommunalpolitikerin und viele Jahre lang Bürgermeisterin von Ochtendung (2009–2019). Ihrer Erinnerung nach habe das erste Spiel der Frauen gegen den örtlichen Gemeinderat stattgefunden und man habe an Turnieren teilgenommen, aber keine Ligaspiele ausgetragen.22 Auch Frau Hirsch engagierte sich für die Mannschaft und für den Frauenfußball. Als ihr ein Bekannter eine Ausgabe der Hamburger Praline mitbrachte, in der es in einem kurzen Artikel über Frauenfußball hieß, dass eine Frauenmannschaft aus Bedfordshire Gegnerinnen in der damaligen ČSSR suche, schrieb sie einen Leserbrief an die Redaktion mit dem Hinweis, dass auch in Deutschland Frauen Fußball spielen würden.23 Im Nachgang zu dessen Veröffentlichung kam Post von deutschen Frauenteams, ___________ 21
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Vgl. Boldt, Martin: Die kickenden Exotinnen vom Maifeld. Der SV Ochtendung feiert seinen 100. Geburtstag mit einem Kommers – Pionier im Bereich Frauenfußball, in: RheinZeitung, 15.06.2019, S. 18. Inhaltlich sehr ähnlich sind die Angaben in: Kalter, Lothar/Eifler, Daniel/Röder, Niklas (Hg.): Festschrift zum 100-jährigen Vereinsjubiläum des Sportverein 1919 Ochtendung e. V., Ochtendung, 2019, S. 39–42. Letzteres betonte Frau Hirsch bei einem Telefonat am 16.07.2019. Die Praline war in jenen Jahren noch nicht das plumpe Sexblatt der 1980er- und 90er-Jahre, sondern eher die ‚Billigausgabe‘ von bekannten Wochen-Illustrierten wie Quick oder Stern und erreichte um 1970 eine Verkaufsauflage von über einer Million Exemplare. In der Nr. 30 vom 23.07.1970 kamen auf Seite 2 und 3 ein Mannschaftsfoto und ein sehr kurzer Artikel mit dem Titel „Elf Damen kicken für England“ zum Abdruck. Über Twitter erhielt der Verfasser von Professorin Jean Williams, Professor of Sport, University Wolverhampton, die Auskunft, dass es sich bei der englischen Mannschaft um den Chiltern Valley Ladies Football Club aus Luton (Bedfordshire) handeln könnte. Gegründet von Harry und June Batt im Jahr 1968 vertrat die Mannschaft Englands Farben bei der inoffiziellen WM in Italien und ein Jahr später in Mexiko. Die Football Association in England tat sich im Übrigen genauso schwer mit dem Frauenfußball wie der DFB, vgl. Williams, Jean: A Game of Rough Girls? A History of Women’s Football in Britain, London/New York: Routledge, 2003, S. 38–41. Ob die Angaben von Frau Williams richtig sind, muss offenbleiben, da beim zweiten Mai-Turnier 1971 die Mannschaft von FC Luton Town mitwirkte, vgl. N. N.: Martina Arzdorf traf leider nur das Holz. … dadurch gewann Stade Reims das Damenfußball-Turnier, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe K, 03.05.1971 [Sportteil].
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die an einem Spiel interessiert waren, so unter anderem aus Goldbach bei Aschaffenburg, wo man das Spiel in den dortigen Annalen verzeichnet hat.24 Anhand der im Archiv der Rhein-Zeitung entdeckten Artikel ergibt sich folgende zeitliche Abfolge: Zunächst gab es eine kurze Ankündigung für ein Spiel für einen guten Zweck am 4. August 1968, wobei keine Namen der Frauenteams genannt wurden.25 Eine Woche später folgte ein Foto mit beiden Mannschaften samt Begleittext. Aus der Abbildungsunterschrift geht hervor, dass die Frauen der Deutschen Jugendkraft (DJK) Ochtendung gegen die des SV Ochtendung angetreten sind. Abschließend heißt es: „Die Ochtendunger Damen wollen auch auswärtige Mannschaften zu Spielen einladen und den Erlös dieser Spiele dem gleichen guten Zweck, der ‚Aktion Sorgenkind‛, zuwenden.“26 Der Aktion Sorgenkind muss, zumindest in dieser Region Deutschlands, eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Entwicklung des Frauenfußballs zuerkannt werden, denn einige Teams formierten sich zunächst für solche Benefizspiele, fanden Gefallen daran und betrieben danach Fußball als Leistungssport. Für die Ochtendunger Frauen folgten die nächsten Spiele im September 1968, als sie an einer großen Benefiz-Veranstaltung in der Kreisstadt Mayen teilnahmen, an der zahlreiche Vereine mit unterschiedlichen Aktionen (Ausstellungen, Kegelturniere etc.) mitwirkten. Die Organisation des Fußballturniers lag nicht in der Hand eines Sportvereins, sondern in der von Karnevalist*innen. Zwei Teams kamen aus den Reihen der Blauen Funken-Garde, ein anderes von den weiblichen Angestellten des Mayener Modehauses Küster. Somit gehörten nur die Spielerinnen aus Ochtendung einem Sportverein an. Zwei Beiträge in der Rhein-Zeitung machten im Vorfeld Werbung für die Spendenaktion, wobei in beiden Fällen eine Bildmontage die Spielerinnen der Blauen Funken in Aktion vorstellte.27 Der abschließende Artikel über die Veranstaltung zeigt drei Fotos von dem Fußballturnier, wobei berichtet wird, dass 1 500 Zuschauer*innen den Spielerinnen zuschauten, die „zum Teil sogar einen
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Freundliche Auskunft von Peter Damm, VfR Goldbach 1927 e.V.; die dortige Damenmannschaft bestand von 1969 bis 1974. Das Spiel endete mit einem 3:1-Sieg für Ochtendung. Vgl. N. N.: Damenfußballspiel für die Aktion „Sorgenkind“, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe C, 31.07.1968. Rhein-Zeitung, Ausgabe C, 07.08.1968. Vgl. N. N.: Ein Volksfest für die „Aktion Sorgenkind“. Guter Einfall findet einen starken Widerhall, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe C, 09.09.1968 [in der Rubrik: „Heimat zwischen Rhein und Mosel“]. In der Ausgabe vom 21./22.09.1968 kam eine andere Bildmontage mit einer Frauenmannschaft und kurzem Begleittext zum Abdruck.
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kreisklassereifen Sport [darboten]“28. Die erwähnten Karnevalist*innen in Mayen unterstützten weiterhin die Aktion Sorgenkind mit Benefiz-Spielen. Überliefert ist unter anderem das Plakat eines Spiels der Blauen FunkenGarde im Jahr 1972 gegen ein Team aus Eindhoven, das aus indonesischen Spielerinnen bestand.29 Für die spielfreudigen Ochtendunger Fußballerinnen sollte das Jahr 1969 mit der Gründung des Frauenteams beim SC 07 Bad Neuenahr eine neue sportliche Herausforderung bringen. 2.1.3 Der SC 07 Bad Neuenahr und das Turnier am 1. Mai 1970 Da, wie eingangs erwähnt, über diese Mannschaft und einige Spielerinnen bereits diverse Publikationen vorliegen, soll hier nur kurz darauf hingewiesen werden, dass der Gründungstag auf den 20. Juni 1969 datiert werden kann. Damals formierte sich eine weibliche Thekenmannschaft, die am 5. Oktober 1969 in den SC Bad Neuenahr aufgenommen wurde.30 Interessant ist ein Aspekt, der sich in Ochtendung ergab, als Hubert Kreier dem Verfasser bei einem Gespräch im Juli 2019 das Programmheft des Turniers vom 1. Mai 1970 in Bad Neuenahr übergab (vgl. Abb. 2). Denn diese Veranstaltung ist zu einem viel zitierten Fixpunkt für den deutschen Frauenfußball geworden und bedeutete für den gastgebenden Verein den Beginn von zwanzig erfolgreichen Jahren. Zuvor war am 14. April 1970 in Bad Neuenahr die überraschende Einladung der Federazione Internationale Europea Football Femminile (FIEFF) eingetroffen, als Vertreter Deutschlands an der inoffiziellen FrauenfußballWeltmeisterschaft in Italien teilzunehmen, die am 15. Juli 1970 beginnen sollte. Offenbar war man dort auf den sehr umtriebigen Geschäftsführer des SC 07 Bad Neuenahr Heinz Günter Hansen (1926–2005) und sein Frauenteam aufmerksam geworden. Hansen, seit vielen Jahren Bezirksleiter der Lotto-Gesellschaft, war sehr gut vernetzt und hatte bereits für das Bad Neuenahrer Männerteam Reisen nach Island, Italien und Russland organisiert.31 Innerhalb ___________ 28 29 30 31
N. N.: Tausende Mayener strömten ins Nettetal. „Aktion Sorgenkind“ ein voller Erfolg, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe C, 24.09.1968 [in der Rubrik: „Heimat zwischen Rhein und Mosel“]. Die Spielergebnisse werden nicht erwähnt. Für diesen und weitere Hinweise danke ich Heinz Schüller vom Geschichts- und Altertumsverein Mayen, dessen Frau 1969 beim Benefizspiel für Aktion Sorgenkind auf dem Feld stand. Darüber und auch über das allererste Spiel gegen den SV Ochtendung berichtet Maria Breuer sehr anschaulich in einem Interview bei Schmitt: Aufbruchstimmung, S. 212–214. Vgl. dazu das Kapitel „Heinz Günter Hansen und Fips Scheidt. Duo Infernale mit Visionen“ in Kieffer: Fußball wird weiblich, S. 30–31. Die ‚Lobbyarbeit‘ der beiden und von Ferdinand Stang (*1937, NSG Oberst-Schiel) beim DFB kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, vgl. Schmidt: Aufbruchstimmung, S. 175–177. Hansen war dabei auch publizistisch aktiv, z. B. Hansen, Heinz Günter: SC-07-Fußball-Damen erobern Mallorca, in: Fußballverband
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weniger Wochen stellte er im Vorfeld der WM in Italien ein Blitzturnier in Bad Neuenahr auf die Beine und gab dazu ein Programmheft heraus, das interessanterweise die Gründungsdaten der beteiligten Teams und die Anzahl der absolvierten Spiele aufführt (vgl. Tab. 1).32
Abb. 2: Titelblatt des Programmhefts vom Turnier am 1. Mai 1970 in Bad Neuenahr (© Sammlung H. Kreier). ___________
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Rheinland e. V. 9 (1972), S. 471 und ders.: SC-07-Damen siegten in Holland, in: Fußballverband Rheinland e. V. 9 (1972), S. 471–472. Hansen, Heinz-Günter: 1. Mai 1970. I. Offizielles Damen-Fußballturnier Deutschlands in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Neuenahr: SC 07 Bad Neuenahr e. V., 1970. Ebenfalls wurden pro Team die Namen der Spielerinnen und Betreuer aufgelistet, was die Kontaktaufnahme zu den Vereinen erheblich vereinfachte.
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Tab. 1: Zusammenstellung der zwölf Teams, die am 1. Mai 1970 an dem ersten Turnier in Bad Neuenahr teilgenommen haben. Angaben entsprechend dem Programmheft bei Hansen, Heinz-Günter: 1. Mai 1970. I. Offizielles Damen-Fußballturnier Deutschlands in Bad NeuenahrAhrweiler, Bad Neuenahr: SC 07 Bad Neuenahr e.V., 1970.
Diese Primärquelle eröffnet somit die Möglichkeit, über das eigentliche Arbeitsgebiet hinaus etwas über den Stand des Frauenfußballs in Deutschland im Jahr 1970 vor der offiziellen Zulassung zu erfahren, weswegen die weiteren zehn beteiligten Teams – neben denen aus Bad Neuenahr und Ochtendung – kurz vorgestellt werden sollen. Turnerschaft Bendorf: Der Verein zitierte 2019 auf seiner Webseite aus einer 1986 erschienenen Festschrift zum 125-jährigen Bestehen: Unsere Damen konnten jedoch nicht nur im Handball überzeugen. Zugunsten der Aktion Sorgenkind spielten sie gegen die Damenmannschaft Plaidt Fußball. Hedwig Süßmeier im Tor der Bendorfer Auswahl erwies sich als unbezwinglich. Ihre tollen Paraden sicherten den verdienten 3:0-Sieg.33
Das Handballteam der Frauen war 1961 gegründet worden und wurde 1970 Rheinlandmeister im Feldhandball (Kleinfeld). Die Bendorferinnen hatten erst bei diesem Turnier in Bad Neuenahr mit dem Fußballspiel begonnen, profitierten aber offensichtlich davon, eingespielt zu sein. Kondition, Laufbereitschaft und Wettkampferfahrung waren vorhanden, ein Vorteil, der sich auszahlte, da die anderen Teams noch nicht so eingespielt waren und ihnen die Turniererfahrung fehlte. Der Bericht in der Rhein-Zeitung ging leider nicht auf die Siegerinnen, sondern nur auf die gastgebende Mannschaft mit dem
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Dieser im Juli 2019 einsehbare Passus auf der Webseite (www.turnerschaft-bendorf.de/ geschichte) war im Januar 2020 nicht mehr vorhanden. Eine seitens des Vereinsvorsitzenden per E-Mail vom 05.08.2019 zugesagte Übersendung der Festschrift kam leider nicht zustande.
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jungen Stürmertalent ein.34 Aus dem Kontakt mit einer im Programmheft genannten Spielerin ergab sich, dass das Team beim folgenden Turnier 1971 als Titelverteidiger absolut chancenlos war.35 Immerhin fand eine Spielerin Gefallen am Fußball, denn bei dem inoffiziellen Länderspiel der deutschen Auswahlmannschaft in Hamm im September 1970 gegen den Weltmeister Dänemark schoß Regina Hefterich aus Bendorf den Ehrentreffer zum 1:4.36 1. DFC Wehr: Wie sich bei der Recherche herausstellte, lief die Mannschaft aus der Nähe vom Laacher See nicht als 1. Damenfußballclub Wehr auf, sondern als Frauenteam des FV Vilja 1925 Wehr (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Die Mannschaft von des FV Vilja 1925 Wehr mit Spielführerin Cilly Scharrenbach (untere Reihe, Zweite von links) bei dem Turnier in Bad Neuenahr (© Sammlung C. Scharrenbach).
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Vgl. N. N.: Die 15jährige Martina Arzdorf – eine gefürchtete Torjägerin. Bendorf gewann Damenfußball-Turnier in Bad Neuenahr, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe K, 04.05.1970, S. 4. Ich danke Uta Kersten (*1942) für ihre Informationen. Sie selbst hat nur einmal mit der Mannschaft für die Aktion Sorgenkind in Simmern (Hunsrück) Fußball gespielt. Vgl. Kieffer: Fußball wird weiblich, S. 22.
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Cilly Scharrenbach (*1945) hat sich von Anfang an um das Organisatorische gekümmert, wobei es seitens des Vereins eine stete Förderung gab.37 Das erste Spiel wurde am 5. Oktober 1969 gegen eine Mannschaft des SV Rüber – wieder im Rahmen einer Sammelaktion für die Aktion Sorgenkind – ausgetragen.38 Durch die Teilnahme an dem Turnier am 1. Mai 1970 ergab sich ein besonders guter Kontakt zu dem dortigen Verein, der dazu führte, dass an die Wehrer Fußballerinnen Spielanfragen weitergeleitet wurden, weil der SC 07 Bad Neuenahr mit solchen überhäuft wurde. Die Mannschaft bestand von 1969 bis 1979 und war sportlich so erfolgreich, dass sie auch in die Rheinlandliga hätte aufsteigen können. Laut Cilly Scharrenbach wurde darauf verzichtet, weil man zu weite Reisen vermeiden wollte. Als sie 1978 die Fußballschuhe an den Nagel hängte, erhielt Frau Scharrenbach als erste Spielerin vom Fußballverband Rheinland eine Ehrenurkunde (vgl. Abb. 4). Das eben erwähnte Frauenteam des SV Rüber war im Übrigen bereits 1968 aktiv, als man für einen guten Zweck gegen die Frauen aus dem Moselörtchen Lehmen spielte.39 DFC Illertissen: Die Mannschaft aus Bayrisch Schwaben hatte die weiteste Anreise an die Ahr und brachte mit 13 absolvierten Spielen die größte Spielerfahrung mit. Gegründet wurde die Mannschaft von Margaretha Holl (*1946) zusammen mit Heidi Moll und dem Trainer Gerd Jäckel.40 Chronologisch ergeben sich folgende Fixpunkte: – – –
August 1967: Gründung des Damen-Fußballclubs Illertissen. September 1967: erstes Spiel vor 600 Zuschauer*innen, Altenstadt – Illertissen 0:0, Rückspiel Illertissen – Altenstadt 4:0. In der Folgezeit gab es Freundschaftsspiele, u. a. gegen die Handballerinnen des BC Augsburg und gegen Männerteams (Betriebsmannschaften etc.).
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Ich danke Frau Scharrenbach sehr für die Übermittlung zahlreicher Mannschaftsfotos und Zeitungsartikel aus ihrem Privatarchiv. Die offiziellen Vereinsunterlagen übergab sie ihrer Nachfolgerin beim FV Wehr; sie sind leider nicht mehr erhalten. Die Rhein-Zeitung berichtete mit Foto und einem Kurztext (Sammlung C. Scharrenbach). Vgl. Kölsch, Stefan/Möhring, Dieter (Hg.): Jubiläumsbuch 100 Jahre Leidenschaft. 1912–2012 TSV „Moselfeuer“ Lehmen, Koblenz: Fuck-Druck, 2012, S. 69. Die Frauenmannschaft des SV Rüber soll bereits Ende 1965 gegründet worden sein, bestand circa bis 1975 und bestritt anfangs auch diverse Spiele zugunsten der Aktion Sorgenkind (freundliche Auskunft von Winfried Sesterhenn, lange Zeit 1. Vorsitzender des SV Rüber; die zeitlichen Angaben müssen noch verifiziert werden). Ich danke Frau Margaretha Holl für zahlreiche ausführliche E-Mails und für das Überlassen von Bilddokumenten, Zeitungsartikeln und Kopien der Festschrift von 1977.
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Abb. 4: Die Ehrenurkunde erhielt Cilly Scharrenbach vom Fußballverband Rheinland, als sie ihre aktive Laufbahn beendete (© Sammlung C. Scharrenbach).
Am 8. November 1969 spielte man gegen das Frauenteam des FV Bellenberg. Der Ort liegt nur rund vier Kilometer von Illertissen entfernt. Ein Zusammenschluss beider Teams lag deshalb nahe und am 25. April 1970 kam es zur offiziellen Anmeldung einer Mannschaft unter dem Namen FV Bellenberg beim damals zuständigen Württembergischen Fußballverband. Beim Turnier in Bad Neuenahr lief man aber noch als DFC Illertissen auf und belegte dort Platz 5 (vgl. Abb. 5). Zusammen mit zwei Mitspielerinnen (Anneliese Probst und Sieglinde Schmid) wurde Margaretha Holl in die Auswahlmannschaft für die WM in Italien berufen. Auf der Fahrt dorthin legte die inoffizielle Nationalmannschaft einen Zwischenstopp in Bellenberg ein. Ein Freundschaftsspiel am 5. Juli 1970 vor 3 600 Zuschauer*innen gegen die Gastgeberinnen endete mit einem 5:1 für die ‚Internationalen‘. 1977 war Frau Holl maßgeblich an einer Festschrift zum zehnjährigen Bestehen des Frauenteams des FV Bellenberg
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beteiligt. Die ursprüngliche Mannschaft, der DFC Illertissen, findet darin allerdings keinerlei Erwähnung.41
Abb. 5: Die Mannschaft des DFC Illertissen mit Margaretha Holl (untere Reihe, Erste von links) bei dem Turnier in Bad Neuenahr (© Sammlung M. Holl).
SV Philippsburg 1909: Der Verein ist in Baden, unweit der Grenze zu Frankreich, beheimatet. Nach Unterlagen, die der Trainer der Mannschaft, Hans Schmaderer, Sportoffizier bei der Bundeswehr, zur Verfügung stellte, bestand die Mannschaft von 1969 bis 1972/73.42 Alle Spielerinnen waren keine Sportlerinnen und stießen ohne Kondition zur Mannschaft. Das erste Spiel bestritt man gegen ein Frauenteam des benachbarten FC Flehingen, das nur kurze Zeit bestand und von einem Berufskollegen von Herrn Schmaderer trainiert wurde. Eine Partie wurde auch gegen eine französische Frauenmannschaft ausgetragen, was nicht verwunderlich ist, da 1969 im Elsass bereits rund zehn
___________ 41 42
Vgl. FV Bellenberg (Hg.): 10 Jahre Damenfußball FV Bellenberg 1922. Jubiläumsturnier 5. Juni 1977 in Bellenberg [Programmheft], Bellenberg, 1977, S. 31. Für die Vermittlung des Kontaktes danke ich dem SV Philippsburg 1909 e. V. Herr Schmaderer übersandte dem Verfasser drei Zeitungsartikel und ein Mannschaftsfoto vom Turnier am 1. Mai 1970 mit den Spielerinnen in blütenweißen Trikots und Shorts, die von einem Sponsor zur Verfügung gestellt wurden.
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Frauenteams existierten.43 In Bad Neuenahr erreichte man Platz 7. Die Mannschaft löste sich letztendlich auf, weil der Abgang von Spielerinnen nicht kompensiert werden konnte. VfB 1923 Sennfeld: Auch das zweite in Bad Neuenahr auflaufende badische Team bestand nur wenige Jahre. Hier steuerte die Spielerin Thea Chybiak (*1953), die selbst von 1968 bis 1983 aktiv war, wichtige Informationen bei. Sie erinnert sich, dass das erste Spiel der Sennfelderinnen 1968 gegen Trienz ausgetragen wurde. Anlass der Gründung war das 45-jährige Jubiläum des Vereins.44 In Bad Neuenahr erreichte man bei dem Turnier, das in Gruppen und nicht im KO-System ausgetragen wurde, einen hervorragenden zweiten Platz (vgl. Abb. 6).
Abb. 6: Die Mannschaft des VfB Sennfeld mit Thea Chybiak (untere Reihe, Zweite von rechts) bei dem Turnier in Bad Neuenahr (© Sammlung T. Chybiak).
___________ 43 44
Vgl. Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris: L’Harmattan, 2003, S. 195–196. Mein Dank geht an Thea Chybiak für die übermittelten Informationen, darunter auch ein Spielbericht: vgl. Weiß, Reinhard: Zweiter Platz für Sennfelds Damen-Fußballteam. Hervorragende Leistung beim Damen-Fußballturnier, in: Rhein-Neckar-Zeitung, Mai 1970 [genaues Datum und Paginierung nicht bekannt].
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Die Mannschaft bestand bis 1972, als sie sich im Ligabetrieb gegen sechs andere Teams durchsetzen konnte und Meister des Fußballkreises Buchen wurde. Danach erfolgte wegen Spielerinnenmangel die Auflösung. Thea Chybiak wechselte zum Konkurrenzverein SV Schlierstadt und spielte dort zeitweise zusammen mit der blutjungen Sylvia Neid. Die Schlierstädter gaben 1980 eine inhaltlich sehr ambitionierte Festschrift zum zehnjährigen Bestehen des Frauenteams heraus, das am 22. Juni 1970 anlässlich eines Sportfestes gegründet worden war.45 SG Bad Homburg-Krifeld und SV Teutonia 1910 Köppern: Nur relativ kurz existierten die beiden hessischen Vertreter*innen beim Turnier in Bad Neuenahr. Das Frauenteam aus Krifeld bestand von 1969 bis 1971, hat sich aber durch die Teilnahme am allerersten Fußballturnier in Bad Neuenahr selbst ein Denkmal gesetzt.46 Zu den Aktiven zählte mit Sigrid Zernikow (*1946) eine Spielerin, die 1981 mit Grün-Weiß Frankfurt deutscher Meister im Handball wurde.47 Die Spielerinnen von Teutonia Köppern reisten immerhin mit der Erfahrung von fünf Matches an die Ahr. Das allererste Spiel wurde am 5. Oktober 1968 gegen ein Mixed-Team anderer Köpperner Vereine ausgetragen. In demselben Jahr folgten zwei Spiele gegen Kirdorf und die Teilnahme an einem mit vier Damenteams besetzten Hallenturnier in Frankfurt.48 Ein Antrag auf Mitgliedschaft im Hessischen Fußballverband (1971/72) wurde beim ersten Mal noch negativ beschieden. 1972 löste sich die Mannschaft auf, zählt aber nichtsdestoweniger zusammen mit der ebenfalls 1968 gegründeten NSG Oberst-Schiel zu den allerersten Frauenteams der neuen Generation in Hessen.49 ___________ 45
46 47 48
49
Vgl. Schertler, Hertwig (Red.), 1970–1980. 10 Jahre Damenfußball SV Schlierstadt 1921 e. V., Schlierstadt, 1980. Darin wird erwähnt, dass das Frauenteam im August 1979 eine USAReise unternahm und dort mehrere Spiele ausgetragen hat (u. a. 9:2 Louisville All Stars, 15:0 East Soccer Team Indianapolis, 3:1 Indianapolis Rebels). Vgl. SGK Bad Homburg 1890 e. V. (Hg.): 100 Jahre Fußball in Kirdorf, 1908–2008, Kirdorf, 2008, S. 30. Mein Dank geht an Heinz Barth und an Susanne Kotitschke von der Geschäftsstelle der SGK Bad Homburg 1890 e. V. Vgl. Kullmann, Wolfgang: Handballerin Sigrid Zernikow. Bei ihr hat alles Hand – aber auch Fuß, in: Frankfurter Neue Presse, 03.02.2015, https://www.fnp.de/sport/regional sport/alles-hand-aber-auch-10732970.html (20.02.2020). Ich danke dem Vereinsvorsitzenden Gerhard Huff und Arthur Thomas, 1970 Mannschaftsbetreuer in Bad Neuenahr, sehr für die übermittelten Informationen, ebenso für die Übersendung der Jubiläumsschrift: vgl. SV Teutonia 1910 Köppern e. V. (Hg.): Festschrift zur „100 Jahre SV Teutonia 1910 Köppern e. V.“, Köppern, 2010. Dort auf S. 117: „Die Teutoninnen des Köpperner Fußballs“. Der Begriff ‚neue Generation‘ wird hier verwendet, um die seit 1968 gegründeten ambitionierten Frauenteams von jenen der 1950er- und frühen 1960er-Jahre abzugrenzen. 2003 erfolgte in Köppern eine Neugründung, ab 2012 bestanden wechselnde Spielgemeinschaften. Leider kamen diese Aktivitäten nach der Saison 2017/18 zum Erliegen, sodass zurzeit
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1. DFC Holweide und SV Eintracht Solingen: Das im Programmheft von 1970 als 1. Damen Fußballclub Holweide angekündigte Frauenteam gehörte dem SC Holweide 1968 e. V. an, der in seinen Vereinsarchiv aber keine Unterlagen über diese Mannschaft hat und diese auch nicht in seinem Jubiläumsheft zum 50-jährigen Bestehen erwähnte.50 Der Verein Eintracht Solingen wurde ebenfalls 1968 gegründet, das Frauenteam am 5. Mai 1969. Bis zum Turnierbeginn am 1. Mai 1970 hatte es bereits sechs Spiele absolviert. So spielten sie im Juni 1969 vor 1 000 Zuschauer*innen bei einem Sportfest für einen guten Zweck und unterlagen dem Frauenteam des gastgebenden Lokalrivalen BV Gräfrath mit 2:5.51 Cilly Schirrenbach war mit dem FV Vilja 1925 Wehr in Solingen anlässlich eines Schützenfestes zu Gast und erinnerte sich daran, dass die Schauspielerin Lotti Krekel den Anstoß ausführte. SSV Weilerswist 1924: Es wird sich im Nachhinein wohl nicht mehr ermitteln lassen, wie viele und welche Sportvereine Heinz Günter Hansen angeschrieben hat, als er 1970 das Turnier in Bad Neuenahr organisierte. Seine Anfrage erreichte auch den SSV Weilerswist, wo Frauenfußball bis dahin kein Thema gewesen war. Nach Auskunft von Ulrich Quint (*1942), damals Sportoffizier bei der Bundeswehr, Vorstopper beim Bonner SC und Trainer der Weilerswister Seniorenmannschaft, bildete sich spontan ein Frauenteam. Die Spielerinnen hatten zuvor noch nie Fußball gespielt, sodass man beim Turnier am 1. Mai chancenlos war und den letzten Platz belegte. Die Mannschaft hat nie an einem Ligabetrieb teilgenommen und bestand bis circa 1972. Sporthistorisch interessant ist die Tatsache, dass die Frauen auch ein Spiel in Nordostfrankreich bestritten haben. Zusammen mit der Männerelf von Weilerswist reiste man Ostern 1971 kurz hinter die belgische Grenze, um am Jubiläumsturnier zum 25-jährigen Bestehen des lokalen Fußballvereins in Râches teilzunehmen. Auf dem Veranstaltungsplakat wird das Spiel der Frauen gegen Olympique Minier als erstes Frauenfußballspiel in der Region überhaupt angekündigt: „Pour la première fois dans la region: quinze heure Match ___________
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kein Frauenfußball in Köppern stattfindet. Die Spielgemeinschaft SG Bad Homburg/Köppern wurde noch 2017 Kreispokalsieger: vgl. SV Teutonia 1910 Köppern e. V.: Damen, https://www.teutonia-koeppern.de/senioren/damen (20.02.2020). Zum Frauenteam der Niederräder SG Oberst-Schiel siehe Hoffmann/Nendza: Verlacht, S. 89. Freundliche Auskunft von Gerrit Weiden, Abteilungsleiter Fußball beim SC Holweide 68 e. V. Vgl. Jansen, Olaf (Hg.): Titel, Triumphe und Tragödien im Kölner Osten. 50 Jahre SC Holweide. Das Jubiläumsheft, Köln, 2018. Die Zuweisung des DFC zum SC Holweide erfolgte aufgrund der identischen Spielfarben (weiß-schwarz). Auskunft von Christel Schork (*1944), Linksaußen bei Eintracht Solingen. Über das Spiel gegen Gräfrath wurde in der Lokalzeitung berichtet: vgl. Doneck, Ruthard: 1000 kamen zu den Fußballdamen, in: Solinger Tagblatt, 09.06.1969 (Sammlung C. Schork).
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FÉMININ“52. Beim Weilerswister Verein selbst wusste man weder etwas von diesem Turnier noch von der Existenz einer Frauenmannschaft.53 Dies ist im deutschen Fußball leider bezeichnend für die Erinnerungskultur und für die Archivarbeit bei vielen Sportvereinen. Dieser kurze Überblick über die zwölf Mannschaften, die am 1. Mai 1970 an dem Turnier in Bad Neuenahr teilnahmen, bestätigt das in den Überblickspublikationen über den deutschen Frauenfußball vermittelte Bild, dass in vielen Vereinen auch ohne offizielle Zulassung des DFB bereits ein Frauenteam existierte und dieses von den Regionalverbänden toleriert wurde. Der Fußballverband Rheinland ging sogar schon einen Schritt weiter. Denn bei dem Turnier nahm mit Elisabeth Mengelberg die erste Schiedsrichterin des Verbandes teil. In dem Bericht über das Turnier in den Verbandsmitteilungen wurde sie zusammen mit ihren drei männlichen Schiedsrichterkollegen bei einer Ehrung nach Ende des Turniers gezeigt.54 Im jugendlichen Alter von 17 Jahren hatte Elisabeth Mengelberg im August 1969 in Neuwied die Schiedsrichterprüfung abgelegt. Sie gehörte dem im Westerwald beheimateten TuS Asbach an, spielte dort zunächst im Tor der ersten Frauenmannschaft und nach der Geburt ihrer Söhne im Tor der zweiten Mannschaft.55 2.2 Der Fußballverband Rheinland und die erste Meisterschaftsrunde 1971 Die Rhein-Zeitung und der Fußballverband Rheinland haben jeweils auf ihre Weise den Frauenfußball gefördert. Während sich in der Zeitung nach dem Bad Neuenahrer Turnier ganz prominent auf der Titelseite ein Kommentar für Frauenfußball aussprach,56 hatte man beim Fußballverband Rheinland neben der Ausbildung einer Schiedsrichterin bereits Anfang des Jahres 1970 die Weichen für einen regulären Spielbetrieb für die Fußballerinnen gestellt. Die Januar-Ausgabe des Mitteilungsblattes verkündete als Schlagzeile, dass der Fußballverband Rheinland den Frauenfußball unterstütze.57 Dies geschah also ___________ 52 53 54 55 56 57
Ich danke Ulrich Quint für die telefonisch und schriftlich übermittelten Informationen, darunter auch ein Foto des Plakats von der Sportveranstaltung in Râches. Telefonat mit dem Vereinsvorsitzenden Wolfgang Röseling, dem für seinen Anruf sehr zu danken ist. Vgl. N. N.: 1. Offizielles Damen-Fußballturnier Deutschland in Bad-Neuenahr-Ahrweiler, in: Fußballverband Rheinland e. V. 5 (1970), S. 235. Für zahlreiche Informationen danke ich Martina Klein, die zusammen mit ihrem Mann das Archiv des TuS Asbach betreut. Sie ist die Nichte von Elisabeth Mengelberg, die sie 1975 zum Mädchenfußball brachte. Vgl. Tinti, Hansjörg: Damen-Fußball, in: Rhein-Zeitung, Ausgabe K, 04.05.1970, S. 1. Vgl. Elbers, Karl-Josef: Grünes Licht für „Damenfußball“ im F. V. Rheinland e. V., in: Fußballverband Rheinland e. V. 1 (1970), S. 7.
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zehn Monate, bevor der DFB den Frauenfußball offiziell zuließ. Der Verbandspräsident Toni Martini hatte an einer DFB-Beiratssitzung teilgenommen, von deren Ergebnissen berichtet wurde.58 Der Beitrag schloss mit den aufmunternden Worten: „Wünschen wir dem Damenfußball einen guten Start in die 70er Jahre. – Volkssport Nummer eins hat eine neue Nuance erhalten – Viel Erfolg!“59 Kurz darauf wohnte der Pressewart des Koblenzer Verbandes in Ochtendung einem Wintertraining bei -10° C bei und erwähnte, dass 17 Spielerinnen den Anweisungen des Trainers Kreier Folge leisten würden.60 Die Nr. 4/1970 enthielt eine kurze Nachricht von der DFB-Beiratssitzung vom 21. März 1970 mit der Information, dass man die bisherige Ablehnung des Frauenfußballs aufgebe.61 Dann werden einige Regelungen bekannt gegeben: Voraussetzung für Frauenfußball sei die Mitgliedschaft in einem anerkannten Sportverein. Als Spielzeit habe man zweimal 30 Minuten festgelegt, es gelte die Jugendturnier-Ordnung, ein Schiedsrichter solle ganz offiziell beantragt werden und es sei ein Spielbericht zu erstellen.62 Der Fußballverband Rheinland schuf also die ersten formellen Voraussetzungen für den künftigen Spielbetrieb. In der September-Ausgabe wurden interessierte Vereine zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Frauenfußball eingeladen, die in Koblenz am 7. Oktober 1970, also vor dem ‚legendären‘ DFB-Bundestag am 31. Oktober in Travemünde, stattfinden sollte.63 Darüber wurde in der folgenden Ausgabe auf zwei Seiten ausführlich berichtet.64 Über 120 Vertreterinnen und Vertreter von 46 Vereinen nahmen an der Veranstaltung, der offenbar ein großer Erfolg beschieden war, teil. Erfreut wurde bekannt gegeben, dass bereits über 100 Spielerpässe ausgegeben worden seien und dass es im Verbandsgebiet bereits zwei geprüfte Schiedsrichterinnen gebe. Die zu Wort gekommenen Frauen plädierten dafür, keine kleineren Tore, Spielfelder und Spielbälle zugewiesen zu bekommen. Akzeptiert wurden die kürzere Spieldauer und eine Saison von März bis Oktober. Der Bericht schloss mit dem ___________ 58
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Toni Martini war von 1955 bis 1977 Verbandsvorsitzender, vgl. Schössler, Hans-Peter: 70 Jahre Fußballverband Rheinland: Aus den Trümmern von 1949 entstand ein unverzichtbarer Teil unseres Landes, https://www.fv-rheinland.de/70-jahre-fvr/ (19.06.2019). Bis es beim Koblenzer Verband eine Frau (als Frauenausschuss-Vorsitzende) in den Vorstand schaffen sollte, dauerte es indes bis 1992. Elbers: Grünes Licht, S. 7. Vgl. Elbers, Karl-Josef: Auch Ochtendung hat seinen „Bomber Müller“. Anhängerschar im Frauenfußball nimmt zu, in: Sport in Rheinland-Pfalz 3 (1970), S. 85. Vgl. N. N.: Frauenfußball. Resolution, in: Fußballverband Rheinland e. V. 4 (1970), S. 172. In diesem kurzen Beitrag sprach man zweimal von Frauen- und nicht von Damenfußball. Vgl. N. N.: Frauenfußball. Resolution, S. 172. Vgl. Fußballverband Rheinland e. V. 9 (1970), S. 459. Vgl. N. N.: Damenfußball: Fußballverband Rheinland bleibt nicht auf halbem Wege stehen, in: Fußballverband Rheinland e. V. 10 (1970), S. 491–492.
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programmatischen Ausblick: „Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten“. In einem anderen Beitrag wird darauf verwiesen, dass die nunmehr gültigen Richtlinien (Größe des Balls, Spieldauer, Winterpause, Schutzhand etc.) alle aus Rheinland-Pfalz stammen würden.65 Vehement positioniert sich der Autor gegen ‚wilde‘, also inoffizielle Länderspiele, wie sie zuletzt in Ahrweiler und Wörrstadt ausgetragen worden seien. Ein gewisses Maß an Ordnung müssten auch die Frauen anerkennen. In der Folgezeit gab es weitere kurze Beiträge, die sich mit dem Thema Frauenfußball beschäftigten, so u. a. der Hinweis auf eine gesonderte Ausbildung für weibliche Schiedsrichterinnen vom 26. bis 28. April 1971 in der Koblenzer Sportschule. Die Vereine sollten Kandidatinnen melden, da der Bedarf an Schiedsrichter*innen grundsätzlich groß sei, zum einen wegen der kommenden Ligaspiele der Frauen, zum anderen wegen des Einsatzes im Jugendbereich.66 Interessant ist ein Artikel in der FebruarAusgabe, denn darin wird vermerkt, dass es die Frauen selbst gewesen seien, die den Begriff ‚Damenfußball‘ gegenüber ‚Frauenfußball‘ bevorzugen würden: Zwei Dinge sollten jedoch zum Abschluss dieses Berichtes nicht vergessen werden: Einmal wünschen die Damen die Bezeichnung Damenfußball und sie mögen das Wort Frauenfußball nicht gerne hören. Dem sollte man durchaus Rechnung tragen.67
Im zweiten Punkt ging es darum, dass die Fußballerinnen forderten, das Verbot von Stollenschuhen aufzuheben. In der April-Ausgabe wurde der Beginn der Meisterschaftsspiele für den 25. April 1971 angekündigt. Zudem ging es um die Anstoßzeiten, Spielerpässe, Schiedsrichter*innen und darum, dass der Staffelsieger in einer besonderen Spielrunde im September 1971 den Rheinland-Meister ermitteln würden und dass es in der folgenden Spielzeit eine Rheinlandliga geben würde.68 Als eine Art Beilage enthielt die Ausgabe vier unpaginierte Seiten mit der Überschrift „Anschriftenverzeichnis der Damenmannschaften“ (vgl. Anhang, Tab. 3). 54 Frauenteams werden aufgelistet mit Angabe der Trikotfarben und Ansprechpartner etc.69 In 17 Fällen wurden Frauen als Ansprechpartnerinnen aufgeführt, also immerhin bei fast einem Drittel aller Vereine.
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Vgl. Breyer, Heinrich: DFB-Bundestag mit unverkennbaren Fortschritten. Im Mittelpunkt standen die Damen, in: Sport in Rheinland-Pfalz 10 (1970), S. 324–325. Vgl. Fußballverband Rheinland e. V. 1 (1971), S. 12. Roesener, Fritz: Nun wird es ernst mit dem Damenfußball im Fußballverband Rheinland. Spielbeginn am 25. April 1971, in: Fußballverband Rheinland e. V. 2 (1971), S. 59–60. Vgl. N. N.: Damenfußball-Meisterschaftsrunde vor dem Start, in: Fußballverband Rheinland e. V. 4 (1971), S. 186–188. Zu den weiteren aufgeführten Positionen zählten Vereinslokal, Umkleidemöglichkeit und Sportplatz. Bei der Anschrift wurde sehr oft eine Telefonnummer angegeben.
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Die erste Spielrunde wurde in zwölf Spielstaffeln ausgetragen (vgl. Tab. 2). Damit sollten lange Anfahrten zu den jeweiligen Partien vermieden werden.70 In einem Zwischenbericht seitens des Fußballverbandes Rheinland wird bedauert, dass es in zwei Fällen zu einem Nichtantreten und damit zu einem Spielausfall gekommen sei. Deshalb gab es den nachdrücklichen Appell: „Nichtantreten ist die Todsünde im Fußball“71. Bei aller Begeisterung für den Fußball werden für manche Spielerinnen vielleicht die wöchentlichen Partien, die Fahrten zu den Auswärtsspielen und die Trainingseinheiten zu viel gewesen sein, zumal die Frauen, im Gegensatz zu den Männern, sich nicht seit der E-Jugend an diesen Spielrhythmus hatten gewöhnen können. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Einwohnerzahlen mancher Ortschaften sehr überschaubar waren und die Frauenteams manchen Abgang auch deshalb nicht auffangen konnten.72
Tab. 2: Zuordnung in Gruppen und Staffeln für die erste Saison 1971 beim Fußballverband Rheinland (Quelle: Fußballverband Rheinland e. V. 5/1971, S. 311–312).73 ___________ 70 71 72 73
Ausnahme war hier der SV Ochtendung, dessen gegnerische Teams nicht im Umfeld, sondern auf der anderen Rheinseite lagen. N. N.: Damen-Fußballrunde macht Halbzeit, in: Fußballverband Rheinland e. V. 5 (1971), S. 311–312. Vom Statistischen Landesamt von Rheinland-Pfalz in Bad Ems liegen z. B. folgende Einwohnerzahlen vor: Ellern: 600, Lehmen: 900, Moselkern: 490, Ochtendung: 3 900, Treis: 1 400, Wehr: 1 070. Mit Sternchen* sind diejenigen Teams gekennzeichnet, die in der Saison 1972 nicht mehr aktiv am Ligabetrieb teilgenommen haben, was vor allem bei Vereinen im Raum Trier und Westerwald der Fall war.
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Es verwundert nicht, dass von den 51 Teams des ersten Spieljahres 20 in der nächsten Saison auf eine Teilnahme verzichteten. Dieser Rückgang konnte durch neu gemeldete Mannschaften kompensiert werden. Andere Frauenteams, wie der TuS Ellern im Hunsrück, verzichteten von vornerein auf einen Ligabetrieb, meldeten sich aber beim Fußballverband Rheinland offiziell an, um gegen andere Vereine Freundschaftsspiele austragen zu können. Der Verein wurde bereits 1969 gegründet und bestand bis 1971.74 Das erste Spiel wurde im Frühjahr 1970 gegen die Frauen des benachbarten SV Liebshausen bestritten. Es folgten zahlreiche Freundschafts- und Einladungsspiele. Nach einem 6:0 gegen den TuS Treis,75 bei dem Stürmerin Dagmar Bast alle Tore erzielte, erhielt diese das Angebot, beim TuS Wörrstadt aktiv zu werden. Die junge Fußballerin verzichtete aber darauf, da sie ihre Heimat nicht verlassen wollte. Ähnlich erging es auch der Spielerin Jutta Holl (*1960), vom Hunsrücker Verein TuS Kirchberg. Das Team bildete sich 1970/71 auf Initiative einiger junger Frauen, die Fußball spielen wollten. Trainer war der Vater von Jutta Holl, Gerd Rockenbach. Frau Holl selbst war fußballbegeistert und sehr talentiert, durfte aber mit zwölf Jahren nicht im Damenteam mitspielen, sondern erst im Alter von 13/14 Jahren dank einer Sondergenehmigung des Fußballverbands Rheinland.76 Bei einem weiteren 1. Mai-Turnier in Bad Neuenahr erkannte der Manager Heinz Günter Hansen ihr Talent und bot ihr einen Platz in einem Internat und professionelles Training an.77 Wie die Spielerin von TuS Ellern wollte Jutta Holl ihre Heimat nicht verlassen, blieb aber dem Fußball treu. Nach Auflösung der Kirchberger Mannschaft 1975/76 spielte sie beim benachbarten SV Ober Kostenz und dann beim SV Hottenbach 1924 an der Nahe, mit dem sie Bezirksmeisterin wurde. Besonders erfolgreich ___________ 74
75 76 77
Freundliche Auskunft von Waltraud und Friedrich Sümnich. Frau Sümnich (*1949) war Spielerin, ihr Mann Trainer der vermutlich ersten Mannschaft auf dem Hunsrück. Für die Überlassung von Archiv- und Bildmaterial, darunter den Spielerpass mit der Nr. 33 563, danke ich sehr, ebenso für Kopien aus: Diether, Dieter/Bachelier, Wolfgang: Chronik Turnund Sportverein 1921 Ellern e. V., Ellern, 1981, in dem auf zwei (unpaginierten) Seiten kurz auf die Geschichte des Frauenteams eingegangen wird und Spiele gegen andere Hunsrücker Mannschaften zusammengestellt sind. Über die Partie bzw. über ein Pokalspiel der Männer, bei dem auch das Freundschaftsspiel der Frauen stattfand, erschien ein kurzer Artikel in der Lokalausgabe (Cochem) der RheinZeitung vom 06.07.1971. Frau Jutta Holl ist für die ausführlichen Angaben sehr zu danken. Die sporthistorische Aufarbeitung dieser 1. Mai-Turniere und den Einfluss, den sie auf die Entwicklung des Frauenfußballs hatten, bleibt ein Desiderat der Forschung. Interessant ist eine Befragung von Fußballerinen, die in Bad Neuenahr bei einem späteren Turnier teilnahmen: vgl. Thomas, Alexander: Zur Sozialpsychologie des Damenfußballs, in: Albrecht, Dirk (Hg.): Fußballsport. Ergebnisse sportwissenschaftlicher Forschung, Berlin: Verlag Bartels & Wernitz KG, 1979 (Theorie und Praxis der Sportspiele 2), S. 218–235.
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war sie in den folgenden Jahren im Handball und wurde wie die oben erwähnte Sigrid Zernikow (allerdings eine Generation später) deutsche Handballmeisterin mit Grün-Weiß Frankfurt. Erster Meister im Frauenfußball wurde beim Fußballverband Rheinland der SC 07 Bad Neuenahr durch einen 1:0-Sieg über Eintracht Trier.78 Für die folgende Saison wurde ein Spielbetrieb mit zwei Leistungsklassen (West, Ost) und fünf Kreisklassen festgelegt.79 Damit war die Grundlage für einen dauerhaften Spielbetrieb gegeben, die anderen Regionalverbände des DFB folgten sukzessive, sodass 1974 eine offizielle Deutsche Meisterschaft ausgetragen werden konnte, allerdings nur wieder auf Druck von Persönlichkeiten wie Heinz Günter Hagen und Philipp Scheidt. Vorbehalte blieben und haben den Frauenfußball bis heute nicht verlassen. Eine Spielerin des TuS Treis, die ihr Team 1970 beim Koblenzer Verband angemeldet hatte, berichtete, dass der Vereinsvorsitzende weder ihr noch den Mitspielerinnen die ausgestellten, heißbegehrten Spielerpässe aushändigte, weil er Frauenfußball ablehnte.80 Und der Pressewart des Fußballverbands Rheinland beendete einen Absatz in dem Spielbericht über das erste Finale folgendermaßen: Die erste Damenmeisterschaft des Fußballverbandes Rheinland gehört der Vergangenheit an. Die nächste wird sicherlich folgen. Damenfußball wird sich nach dem ersten Spieljahr in einer bestimmten Größenordnung einpendeln. Mehr aber auch nicht.81
Diese abwertende Formulierung am Ende lässt darauf schließen, dass es beim Koblenzer Verband sicherlich auch Kräfte gab, die dem Frauenfußball mit Skepsis oder Negativität gegenüberstanden.82 ___________ 78 79 80
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Vgl. Roesener, Fritz: Damenelf des SC 07 Bad Neuenahr Rheinlandmeister, in: Fußballverband Rheinland e. V. 11 (1971), S. 596. Vgl. N. N.: Damen-Fußball, in: Fußballverband Rheinland e. V. 2 (1972), S. 67; N. N.: Damenfußball-Meisterschaftsrunde, in: Fußballverband Rheinland e. V. 3 (1972), S. 129. Ich danke Marlies Kolb (*1954, geb. Knaup) für die Zusendung von Bild- und Archivmaterial über die ersten elf Spiele. Daraus geht hervor, dass das erste Spiel gegen den SSV Urbar am 14.06.1970 mit 1:4, das zweite gegen die Frauen von Koblenz-Moselweiß mit 0:5 verloren ging. Erst bei der elften Partie am 08.10.1970 folgte der erste Sieg. Ein Zeitungsausschnitt aus der Lokalausgabe der Rhein-Zeitung belegt zudem die Gründung des Damenteams des eingangs erwähnten SV Moselweiß für das Jahr 1970 und deren 1:0-Sieg gegen die Treiser Damen am 05.09.1970. Roesener, Fritz: Damenelf des SC 07 Bad Neuenahr Rheinlandmeister, in: Fußballverband Rheinland e. V. 11 (1971), S. 596. Da vom Fußballverband Rheinland nur die offiziellen Veröffentlichungen zur Verfügung gestellt wurden, können über interne Diskussionen und Gegenpositionen keine Angaben gemacht werden.
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Im Grunde genommen hat der Widerstand in jener Zeit eher noch zugenommen, denn, wie es Gertrud Pfister formuliert hat, überschritten fußballspielende Frauen – ohne es zu wissen – „die gesellschaftlich fixierten Grenzen zwischen den Geschlechtern, bedrohten Männlichkeitsideale und Ähnlichkeitsmythen und stellten die herrschende Geschlechterordnung in Frage“83. Solange die Frauen bei Wein-/Heimatfesten oder zugunsten der Aktion Sorgenkind gegeneinander antraten, hatte man nichts dagegen,84 sobald sie aber Fußball als Leistungssport ausüben wollten, regte sich oftmals mehr oder weniger offen gezeigter Widerstand von männlicher Seite. Diese Ignoranz prägte auch noch die folgenden Jahrzehnte und betraf unter anderem die Beteiligung von Frauen in den entscheidenden Verbandsgremien. So vermerkte die renommierte Sportwissenschaftlerin Pfister (*1945) an anderer Stelle, dass es noch im Jahr 2004 beim DFB kein weibliches Mitglied im vierzehnköpfigen Präsidium gab.85 Es gibt auf vielen Ebenen noch viel zu tun. Dies betrifft auch die Überlieferung von Namen und Fakten. Denn es zeigt sich, dass nach rund 50 Jahren vieles vergessen und bei den angeschriebenen Vereinen oftmals kaum Bild- und Archivmaterial vorhanden ist. In wenigen Fällen finden sich in Festschriften zu Vereinsjubiläen kurze Angaben zu den jeweiligen Frauenteams. Diese Publikationen sind aber in den seltensten Fällen in der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet und nur über den direkten Kontakt zu den Vereinen zugänglich. Eine Bibliographie über Frauenfußball führt diese leider auch nicht auf.86 Noch seltener wird auf den jeweiligen Webseiten der Vereine ausführlich über das jeweilige Frauenteam berichtet87. Hier besteht großer ___________ 83 84
85
86 87
Pfister, Gertrud: Warum ist Fußball Männersache? – Fußballspielerinnen sind „trouble maker“, in: Sinning, Silke (Hg.): Auf den Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs, Weinheim/ Basel: Beltz Juventa, 2012, S. 48–50. Gegen Spiele, die nur zur Volksbelustigung dienten, wandte man sich z. B. in einer Publikation, die als ein früher Ratgeber für Frauenfußball zu bezeichnen ist: vgl. Bernau, Klaus: Damenfußball im Vormarsch. Alles Wissenswerte auf einen Blick. Band 1, Glashütten: Ina Bernau Verlag, 1980, S. 40. Vgl. Pfister, Gertrud: The Future of Football is Female!? On the Past and Present of Women’s Football in Germany. A Comparative Study, in: Tomlinson, Alan/Young, Christopher (Hg.): German Football. History, Culture, Society, London/New York: Routledge, 2006, S. 93–126, hier S. 106. Die bereits erwähnte Hannelore Ratzeburg gehört dem DFB-Präsidium seit 2007 an. Vgl. Schiffer, Jürgen: Frauenfußball-Literatur. Eine kommentierte Bibliografie zu wissenschaftlichen Aspekten des Frauenfußballs, Köln: Sportverlag Strauß, 2011. Eine Ausnahme im Arbeitsgebiet ist die Webseite des Westerwälder Vereins TuS 09 Viktoria Honigsessen. Die Mannschaft bestand von 1969 und 1974 und der ausführliche Beitrag enthält drei Mannschaftsbilder: vgl. TuS „Viktoria“ 09 Honigsessen e. V.: Chronik des TuS Viktoria 09 Honigsessen e.V., Honigessen, 2008, http://www.tus-honigsessen.de/ verein/dokumente/finish/1-vereins-dokumente/389-teil1-chronik-21x28-druck/0 (20.02.2020).
324
Hans-Peter Hock
Aufklärungsbedarf, damit die derzeit bei den Vereinen vorliegenden Dokumente, Spielberichte, Fotodateien etc. bestandssicher archiviert bzw. zugänglich gemacht werden.88 Gänzlich ungeregelt bleibt, wie mit Privatarchiven von Spielerinnen zu verfahren ist. Weder der DFB noch die Regionalverbände fühlen sich dafür zuständig.
3. Schlussbemerkung Mit diesem Beitrag sollen die Leistungen aller Spielerinnen gewürdigt werden, die in jenen Jahren deutschlandweit die Fußballschuhe angezogen haben. Als in Saarbrücken die Tagung „Und da sind dann auch endlich die Damen Fußballerinnen …“ stattfand, hatte man vierzehn Tage zuvor, am 12. Oktober 2019, in einem offiziellen Akt im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund die sogenannte Gründungself von verdienten Nationalspielerinnen in die Hall of Fame des deutschen Fußballs aufgenommen. Es sollte im Gedächtnis bleiben, dass ihre erfolgreiche Karriere erst durch den Einsatz der hier behandelten Fußball-Pionierinnen möglich gemacht worden ist. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Archivalien Sammlungen von Thea Chybiak; Jutta Holl; Margaretha Holl; Marlies Kolb; Hubert Kreier; Ulrich Quint; Cilly Scharrenbach; Heinz Schmaderer; Christel Schork; Waltraud und Friedrich Sümnich. Interviews mit Zeitzeug*innen Zeitzeugen*innen- und Experten*innen-Gespräche: Thea Chybiak (04.–06.08.2019); Peter Damm (20.07.2019); Jan Hagen (03.07.2019); Rita Hirsch (16.07.2019); Margaretha Holl (04.08.2019, 07.08.2019, 09.08.2019, 25.08.2019, 20.09.2019, 20.10.2019); Gerhard Huff (25.02.2020); Uta Kersten (06.08.2019, 17.10.2019); Martina Klein (24.10.2019, 28.10.2019, 10.–14.11.2019); Marlies Kolb (22.08.2019); Hubert Kreier (22.05.2019, 02.07.2019); Liesel Möntenich (20.5.2019, 02.07.2019); Ulrich Quint (29.07.2019, 12.08.2019); Wolfgang Röseling (12.09.2019); Cilly Scharrenbach (10.07.2019, 29.07.2019); Hans Schmaderer (30.07.2019, 05.08.2019); Christel Schork (06.08.2019, 04.09.2019); Heinz Schüller ___________ 88
Der Landessportbund Hessen e. V. veranstaltet hierzu regelmäßig Workshops, vgl. Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln [u. a.] (Hg.): Sicherungen von Sportüberlieferungen. Sachstandsberichte und Perspektiven, Kassel: Agon Sportverlag, 2017. Die 2003 ins Leben gerufene Deutsche Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e. V. kann hier nur beratend zur Seite stehen.
Spurensuche zwischen Weinreben
325
(01.08.2019, 13.08.2019); Winfried Sesterhenn (19.11.2019); Margret Sues (29.07.2019); Waltraud und Friedrich Sümnich (19.07.2019, 22.07.2019); Gerrit Weiden (23.08.2019). Gedruckte Quellen Diether, Dieter/Bachelier, Wolfgang: Chronik Turn- und Sportverein 1921 Ellern e. V., Ellern, 1981. Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern 1919 e. V. (Hg.): 100 Jahre Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern e. V, Moselkern, 2019. FV Bellenberg (Hg.): 10 Jahre Damenfußball FV Bellenberg 1922. Jubiläumsturnier 5. Juni 1977 in Bellenberg [Programmheft], Bellenberg, 1977. Hansen, Heinz-Günter: 1. Mai 1970. I. Offizielles Damen-Fußballturnier Deutschlands in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Neuenahr: SC 07 Bad Neuenahr e. V., 1970. Jansen, Olaf (Hg.): Titel, Triumphe und Tragödien im Kölner Osten. 50 Jahre SC Holweide. Das Jubiläumsheft, Köln, 2018. Kalter, Lothar/Eifler, Daniel/Röder, Niklas (Hg.): Festschrift zum 100-jährigen Vereinsjubiläum des Sportverein 1919 Ochtendung e. V., Ochtendung, 2019. Kölsch, Stefan/Möhring, Dieter (Hg.): Jubiläumsbuch 100 Jahre Leidenschaft. 1912–2012 TSV „Moselfeuer“ Lehmen, Koblenz: Fuck-Druck, 2012. Schertler, Hertwig (Red.), 1970–1980. 10 Jahre Damenfußball SV Schlierstadt 1921 e. V., Schlierstadt, 1980. Schmidt, Anne: 1970: Aufbruchstimmung im Frauenfußball. Eine empirische Untersuchung zur Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der TuS Wörrstadt, Mainz, Univ., Wissenschaftliche Prüfungsarbeit, 2010. SGK Bad Homburg 1890 e. V. (Hg.): 100 Jahre Fußball in Kirdorf, 1908–2008, Kirdorf, 2008. SV Teutonia 1910 Köppern e. V. (Hg.): Festschrift zur „100 Jahre SV Teutonia 1910 Köppern e. V.“, Köppern, 2010. Internetquellen Fußball-Sportverein „Eltz“ Moselkern 1919 e. V.: Vereinsgeschichte, http://www.fsv-eltzmoselkern.de/Vereinsgeschichte (12.01.2020). Kullmann, Wolfgang: Handballerin Sigrid Zernikow. Bei ihr hat alles Hand – aber auch Fuß, in: Frankfurter Neue Presse, 03.02.2015, https://www.fnp.de/sport/regionalsport/alles-handaber-auch-10732970.html (20.02.2020). Schössler, Hans-Peter: 70 Jahre Fußballverband Rheinland: Aus den Trümmern von 1949 entstand ein unverzichtbarer Teil unseres Landes, https://www.fv-rheinland.de/70-jahre-fvr/ (19.06.2019). SV Teutonia 1910 Köppern e. V.: Damen, https://www.teutonia-koeppern.de/senioren/ damen (20.02.2020). TuS „Viktoria“ 09 Honigsessen e. V.: Chronik des TuS Viktoria 09 Honigsessen e. V., Honigessen, 2008, http://www.tus-honigsessen.de/verein/dokumente/finish/1-vereins-dokumente/ 389-teil1-chronik-21x28-druck/0 (20.02.2020). Periodika Breyer, Heinrich: DFB-Bundestag mit unverkennbaren Fortschritten. Im Mittelpunkt standen die Damen, in: Sport in Rheinland-Pfalz 10 (1970), S. 324–325. Doneck, Ruthard: 1000 kamen zu den Fußballdamen, in: Solinger Tagblatt, 09.06.1969. Elbers, Karl-Josef: Auch Ochtendung hat seinen „Bomber Müller“. Anhängerschar im Frauenfußball nimmt zu, in: Sport in Rheinland-Pfalz 3 (1970), S. 85.
326
Hans-Peter Hock
Fußballverband Rheinland e. V. 1 (1970) – 9 (1972) Rhein-Zeitung, Koblenz, 1968–2019. Weiß, Reinhard: Zweiter Platz für Sennfelds Damen-Fußballteam. Hervorragende Leistung beim Damen-Fußballturnier, in: Rhein-Neckar-Zeitung, Mai 1970.
Literatur Bernau, Klaus: Damenfußball im Vormarsch. Alles Wissenswerte auf einen Blick. Band 1, Glashütten: Ina Bernau Verlag, 1980. Bongard, Michael: FVR – Vom Rheinland bis Ruanda., in: Lotto Rheinland-Pfalz GmbH (Hg.): 60 Jahre Toto in Rheinland-Pfalz. 60 Jahre Fußball in Rheinland-Pfalz, Landau: Knecht Verlag, 2009, S. 48–51. Brendel, Karlheinz: Zehn Jahre Aktion Sorgenkind 1964 bis 1974, Mainz: Zweites Deutsches Fernsehen, 1974. Brust, Stephan: Frauenfußball – die saubere Variante, in: Lotto Rheinland-Pfalz GmbH (Hg.): 60 Jahre Toto in Rheinland-Pfalz. 60 Jahre Fußball in Rheinland-Pfalz, Landau: Knecht Verlag, 2009, S. 180–183. Fechtig, Beate: Frauen und Fußball. Interviews, Portraits, Reportagen, Dortmund: eFeF-Verlag, 1995. Herzog, Markwart: „Sympathie mit den balltretenden Amazonen“. Die Anfänge des Frauenfußballs im 1. FC Kaiserslautern. In: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 87–112. Hoffmann, Eduard/Nendza, Jürgen: Verlacht, verboten und gefeiert. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, Weilerswist: Verlag Karl Liebe, ³2011. Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln [u. a.] (Hg.): Sicherungen von Sportüberlieferungen. Sachstandsberichte und Perspektiven, Kassel: Agon Sportverlag, 2017. Kieffer, Stefan: Der Fußball wird weiblich. Die Geschichte des Frauenfußballs in Rheinland-Pfalz, Offenbach an der Queich: höma-Verlag, 2011. Linne, Carina Sophia: Freigespielt. Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin: be.bra, 2011. Pfister, Gertrud: The Future of Football is Female!? On the Past and Present of Women’s Football in Germany. A Comparative Study, in: Tomlinson, Alan/Young, Christopher (Hg.): German Football. History, Culture, Society, London/New York: Routledge, 2006, S. 93–126. Pfister, Gertrud: Warum ist Fußball Männersache? – Fußballspielerinnen sind „trouble maker“, in: Sinning, Silke (Hg.): Auf den Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs, Weinheim/Basel: Beltz Juventa, 2012, S. 48–50. Prudhomme-Poncet, Laurence: Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris: L’Harmattan, 2003. Ratzeburg, Hannelore/Biese, Horst: Frauen Fußball Meisterschaften. 25 Jahre Frauenfußball, Kassel: Agon Sportverlag, 1995. Schiffer, Jürgen: Frauenfußball-Literatur. Eine kommentierte Bibliografie zu wissenschaftlichen Aspekten des Frauenfußballs, Köln: Sportverlag Strauß, 2011. Thomas, Alexander: Zur Sozialpsychologie des Damenfußballs, in: Albrecht, Dirk (Hg.): Fußballsport. Ergebnisse sportwissenschaftlicher Forschung, Berlin: Verlag Bartels & Wernitz KG, 1979 (Theorie und Praxis der Sportspiele 2), S. 218–235. Williams, Jean: A Game of Rough Girls? A History of Women’s Football in Britain, London/New York: Routledge, 2003. Zacharuk, Richard/Bauer, Snejanka (Hg.): Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs, Tübingen: LEGAT Verlag, 2011.
Spurensuche zwischen Weinreben
327
Anhang Vereinsname
Spielfarben
Anschrift
Gruppe Ost 1
SSV Almersbach/ Fluterschen
blau-gelb
2
TuS Asbach
weiß-weiß
3
SSV Eichelhardt
rot-weiß
4
Eisbachtaler Spfr.
weiß-rot
5
SV Ellingen
weiß-schwarz
6
TuS Honigsessen
grün-weiß
7
VfL Kirchen
rot-rot/blau-weiß
8
SV Marienrachdorf
blau-weiß
9
DJK Mittelhof
10
SG „Nestertal“ Müschenbach
11
VfL Neuwied
12
VfL „Wied“ Niederbieber/Segendorf
13
SV Niederhausen
14
SV Ochtendung
15
Spfr. Schönstein
16
SV Thalhausen
blau-weiß
17
TuS Weitefeld
weiß
blau-weiß blau-gelb blau-blau blau-weiß weiß weiß-blau rot-weiß
Fluterschen, Steinmeierstraße 25 Asbach/Westerwald, Gertrudenhof Eichelhardt/Westerwald Helmut Roßbach, Girod, Hauptstraße Straßenhaus, Bismarckstraße 14 Walter Leidig, Honigsessen, Stadionstraße Kirchen/Sieg, Katzenbacherstraße 88 Marienrachdorf, Turmstraße Annemie Kölzer, Wissen, Böhmerstr. 34 Müschenbach, Hauptstraße 66 P. Nickenich, Neuwied, Rosengarten Edith Dümmler, Neuwied, Sporthalle Annelie Birkenbeul, Pracht, Schulweg Hubert Kreier, Ochtendung, Klöppelstr. Rosemarie Stausberg, Selbach, Görsbachstraße Wilfried Hofmann, Thalhausen, Mittelstraße Artur Winbrenner, Friedewald, Gartenstr.
Gruppe Mitte 18
Deutscher SV Andernach
rot-weiß
19
SC 07 Bad Neuenahr
rot-schwarz
Maria Sänger, Andernach, Kurt-Schumacher-Str. 4 Heinz Günter Hansen, Bad Neuenahr, Nordstraße 27
328
Hans-Peter Hock Vereinsname
Spielfarben
SSV 1926 Boppard
grün-weiß
21
Spfr. Koblenz-Goldgrube
rot-schwarz
22
FC Germania KoblenzMetternich
blau-weiß
23
SC 07 Koblenz-Moselweiß
blau-weiß
24
TuS 1911 Koblenz-Neuendorf
gelb-blau
25
TSV 1912 Lehmen
rot-weiß/rot-blau
26
SV 1969 Lierschied
rot
27
FSV Moselkern
rot-weiß
28
SV 1920 Oberkostenz
blau-weiß
29
Spvgg. Rheinhöhe Perscheid
rot-weiß
30
SC „Rhein-Ahr“ Sinzig
blau-weiß
31
TuS Treis
schwarz-weiß
32
SV 1921 Urbar
grün-weiß
33
SV „Vilja“ Wehr
rot-weiß
34
Sport-Club Weyer
gelb-schwarz
20
Anschrift Irene Icks, Boppard, Oberstraße 118 Helmi Nispel, Güls, Hospitalstraße 10 Manfred Bender, Koblenz, Koblenzer Str. 11 Karl Gräf, Koblenz, Schlachthofstraße 53 Helmut Wagner, Neuendorf, Bergstr. 58 Karin Weber, Lehmen, Bergstraße 11 Monika Herbert, Lierschied Hans Joachim Fuhrmann, Moselkern, Oberstraße 105 Horst Frank, Oberkostenz, Nr. 40 Willi Lambrich, Perscheid Eintracht Bürgerstube, Sinzig, Beethovenstraße 15 Marlies Knaup, Treis-Karden, Hauptstraße Edmund Müller, Urbar, Rheingoldstraße 29 Cilli Scharrenbach, Wehr, Im Hasenstück 1 Gudrun Wendenius, Weyer, Langgasse 37
Gruppe West 35
SV Föhren
rot-weiß
36
SV Heidenburg
rot-weiß
37
SV Hermeskeil
blau-weiß
38
SV Konz
blau-weiß
39
SV 1921 Kyllburg
blau-gelb
40
SV 1922 Laufeld
weinrot-gelb
41
SV Mesenich
gelb-schwarz
Frau Mischo, Föhren, Patheigerstraße 7 Achim Hagen, Heidenburg Rasthaus Tivoli, Hermeskeil Dieter Theby, Konz, Am Zehnthof 7 Annelen Heinrichs, Kyllburg, Marktplatz Sebastian Meeth, Laufeld, Zur Linde 12 Manfred Greis, Mesenich, Bahnhof 50
Spurensuche zwischen Weinreben
329
Vereinsname
Spielfarben
42
SV Newel
gelb-blau
43
SV Neunkirchen/ Steinborn
weiß-rot
44
TuS Nittel
45
SV 1932 Oberweis
blau-weiß
46
DJK Pellingen
weiß
47
Spfr. Thalfang
grün
48
SV „Eintracht“ Trier
blau-weiß
49
1. FC Trier-Mariahof
schwarz-weiß
50
Spvgg. Udelfangen
rot-weiß
51
SV Wallenborn
weiß-rot
52
SV 1957 Wawern
rot-weiß
53
FC Zerf
blau-weiß
54
Spvgg. Zewen
gelb-schwarz
rot-weiß
Anschrift Josef Schönhofen, Newel, Trierer Straße 17 Fritz Hein, Daun-Neunkirchen, Nr. 37 Ellen Hilbert, Nittel, Zollstraße 1 Elisabeth Dahm, Oberweis, Hauptstraße 33 Rudolf Ludwig, Pellingen, Schulstraße 4 Spfr. Thalfang Geschäftsstelle, Trier, Metzelstraße 22a Gert Leistner, TrierMariahof, Am Mariahof 86 Luise Hill, Udelfangen Oswald Blasius, Wallenborn, Tuchwiese 3 Adolf Schöpf, Wawern, Weinbergstraße 2 Karl Bustert, Zerf, Frommersbach 63 Peter Scheck, Trier-Zewen, Wasserbilliger Straße
Tab. 3: Zusammenstellung der 1970 beim Fußballverband Rheinland gemeldeten Frauenteams (Quelle: Fußballverband Rheinland e. V. 4/1971, Beilage). Hervorgehoben sind die von den Vereinen namentlich genannten Ansprechpartnerinnen.
Frauenfußball seit den 1990er-Jahren: Auf dem Weg zur Gleichberechtigung?
Camille Martin
Diffusion du football féminin en France, déterminants contextuels et institutionnels (1992–2019) Auf Grundlage der administrativen Datenreihen, die die Gesamtheit der Lizenzspieler*innen des französischen Fußballverbandes seit Anfang der 1990er-Jahre erfassen, sollen die Modalitäten der Feminisierung des Fußballs in Frankreich während der letzten 27 Jahre in diesem Artikel abgebildet werden. Zunächst wird gezeigt, dass die Bedingungen der Ausübung des Fußballsports für Frauen äußerst schwierig sind: Isolierung innerhalb der MännerVereine, Mangel an weiblichen Teams etc. Diese Bedingungen beeinflussen das Engagement der weiblichen Spielerinnen, verbessern sich aber mit dem Anstieg der Spielerinnen-Zahlen zusehends. Zudem scheint der Zustrom neuer Fußballerinnen – ähnlich wie bei den Männern – vor allem nach großen internationalen Sportveranstaltungen zuzunehmen. Diese führten zu einem massiven Aufkommen neuer junger Fußballerinnen und trugen zu einer nachhaltigen Erhöhung der Lizenzspielerinnen-Anzahl bei. Schließlich hatte der Feminisierungsplan der FFF sehr deutliche Effekte, die den Zugang zum Fußball für Mädchen und Frauen durch symbolische wie materielle Maßnahmen erleichterten. Ganz allgemein wird es hier darum gehen, die Entwicklung des Frauenfußballs aus der Perspektive des institutionellen Angebotes der Praktik und weniger aus dem Blickwinkel der Nachfrage der Spielerinnen zu betrachten. Il est question dans ce chapitre de rendre compte des modalités de diffusion du football féminin en France depuis le début des années 1990. Si cette période a été marquée par la mise en place progressive de mesures de féminisation du football, la tendance à l’augmentation du nombre de joueuses se donne à voir dès le début de la période. Entre 1992 et 2019, la part des femmes parmi les licencié.e.s de la Fédération française de football (FFF) a plus que doublé. A quelles occasions s’est faite cette augmentation ? Quels en ont été les déterminants ? S’il semble délicat d’apporter des réponses définitives à ces questions, il s’agira ici d’abord de décrire ces évolutions démographiques avant d’y proposer des pistes d’explications. Ce travail quantitatif s’inscrit dans la continuité de travaux appliquant les méthodes démographiques à des populations de sportifs. Les travaux de V. Chevalier1, F. le Mancq et F. de ___________ 1
Cf. Chevalier, Vérène : Démographie sportive. Itinéraires et abandons dans les pratiques de l’équitation, Paris VII, Thèse, 1994 ; idem : Une population de pratiquants sportifs et leurs parcours. Les cavaliers titulaires d’une licence, ds. : Population 51/3 (1996), p. 573–608.
334
Camille Martin
Bruyn2, en particulier, insistent sur la volatilité des populations de nageurs/nageuses et de cavaliers/cavalières. Ces travaux tentent en outre de rendre compte des déterminants de l’entrée et de l’abandon de la pratique sportive. C’est dans cette démarche que nous nous inscrirons ici, avec le souci de mettre l’accent sur les déterminants institutionnels de la diffusion du football féminin (visibilité du football, qualité des conditions de pratique, par exemple). Dans ces conditions, il convient de rappeler quelques éléments de contexte relatifs à l’encadrement fédéral du football féminin en France. Ce n’est qu’à partir de 1970 que la FFF envisage de prendre sous sa coupe la gestion du football féminin. C’est ensuite en 1972 qu’est adopté le statut fédéral féminin, qui reconnait officiellement la présence de femmes parmi les licencié.e.s.3 Si l’intérêt de la FFF pour le football féminin va croissant ensuite, c’est en 2011 que la politique fédérale connait un tournant. En effet, à son arrivée à la présidence de la Fédération française de football, Noël le Graët annonce la mise en place d’un « plan fédéral de féminisation ». Celui-ci anticipe de deux ans son imposition juridique par le ministère chargé des sports, qui ne se sera effective qu’en 2013. En effet, la puissance publique dispose d’un pouvoir d’orientation et de contrôle des activités des fédérations sportives agréées. Ce pouvoir se met notamment en place à partir des années 1950 en France, avec l’établissement progressif d’un service public du sport en partie délégué aux fédérations sportives. Cette relation de délégation découle de la reconnaissance par les pouvoirs publics d’une utilité publique du sport et s’intègre à ce titre à un mouvement plus général, remontant également aux années 1950, de prise en charge partielle par l’Etat d’activités relevant jusqu’alors du secteur privé (à l’instar des mutuelles de santé par exemple).4 Si le mode de régulation du sport par la puissance publique a évolué à partir des années 1980, il n’en demeure pas moins que l’Etat continue à attribuer aux fédérations sportives des ressources matérielles et symboliques qui assurent son pouvoir de prescription sur leurs activités. Ainsi, l’intérêt que portent les dirigeants de la FFF au football féminin à partir de 2011 ne saurait être compris qu’à la lumière de la relation de délégation qu’entretient cette institution au ministère chargé des sports et d’une mise à son agenda des questions d’égalité femmes-hommes. ___________ 2
3 4
Cf. Bruyn, Florence de/Le Mancq, Fanny : Les apports de la démographie dans la connaissance des populations sportives, ds. : Staps 80/2 (2008), p. 53–72 ; Bruyn, Florence de/ Bringé, Arnaud : Un prolongement de la démographie sportive. L’analyse de durée appliquée aux populations de sportifs licenciés, ds. : Population 61/5 (2006), p. 805–819. Cf. Prudhomme-Poncet, Laurence : Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris : L’Harmattan, 2003, p. 222. Cf. Hély, Matthieu/Moulévrier, Pascale : L’économie sociale et solidaire. De l’utopie aux pratiques, Paris : La Dispute, 2013.
Diffusion du football féminin en France (1992–2019)
335
Du point de vue de la diffusion du football féminin en France depuis 1992, nous montrerons que si l’augmentation du nombre de joueuses est continue depuis cette date, elle a connu des périodes d’accélération. Celles-ci sont corrélées aux évolutions qu’a connu le football masculin et font suite aux grandes compétitions internationales masculines. Ce constat laisse d’abord penser à une symétrie des déterminants de l’entrée dans la pratique du football, pour les joueurs et les joueuses. Nous montrerons également que ces périodes d’entrées massives ont été des étapes centrales pour la diffusion du football féminin. Elles ont en effet suscité des débuts de carrières sportives qui se sont avérées particulièrement durables, certainement parce qu’elles ont de fait donné lieu à des périodes où l’insertion sportive des filles a été facilitée. Encadré : Le traitement statistique de données administratives J’ai obtenu des responsables de la fédération l’autorisation de traiter les données que collecte l’institution sur ses licencié.e.s, à la suite de la réalisation d’une étude commandée pendant mon doctorat. La base de données utilisée contient un enregistrement de l’ensemble des licences qui ont été délivrées par la FFF entre les saisons 1992–1993 et 2018–2019. Les personnes qui souscrivent à une licence sont ainsi adhérentes de la fédération et sont à ce titre autorisées à participer à ses activités : compétitions, entrainements dans les clubs. Les licences sont délivrées suite à la présentation de documents d’identité et d’une attestation médicale d’autorisation à la pratique sportive. Ces données sont conservées par l’institution à des fins de gestion administrative : établir les feuilles de matchs, lister les joueurs/joueuses d’un club, contacter des joueurs/joueuses pour une sélection régionale, par exemple. Les licences se divisent en quatre familles : pratiquant.e.s (joueurs et joueuses), dirigeant.e.s (bénévoles encadrant la pratique), entraineur.e.s (celles et ceux qui encadrent les aspects sportifs de la pratique), et arbitres (chargés de faire respecter les règles du jeu durant les rencontres sportives). Entre 1992 et 2019, c’est un peu plus de 47 millions de licences qui ont été enregistrées. Pour chacune d’entre elles, les informations disponibles concernent la personne détentrice et les caractéristiques de la licence. En ce qui concerne le détenteur de la licence (le licencié/la licenciée, donc), il s’agit fondamentalement des données d’état civil nécessaires à l’établissement de son assurance sportive et à la définition de la catégorie de pratique qui lui est assignée (laquelle dépend de variables naturalisées : l’âge et le sexe). Sont également précisées les caractéristiques de l’activité qu’autorise la licence : le type de licence (arbitre, pratiquant.e, dirigeant.e, entraineur.e) et ses caractéristiques (la catégorie de pratique pour une joueuse, le niveau de diplôme pour un entraineur, par exemple). Enfin, le club de rattachement de la licence est précisé (désigné par un numéro).
336
Camille Martin
Toutes les licences enregistrées le sont sous un numéro unique (le ‘numéro de licence’). Chaque individu demandant une licence dispose d’un ‘numéro de personne’. Les individus conservent leur ‘numéro de personne’ d’une saison à l’autre. Il est ainsi possible de mettre en relation les licences successives d’une même personne. Ce suivi des personnes peut en outre se faire même en cas d’arrêt de la pratique. Dans ces conditions, toutes les licences successives d’une même personne peuvent être mises en relation, permettant ainsi de retracer sur une période de 25 saisons les trajectoires sportives des individus.
1. Des conditions de pratique plus défavorables pour les femmes En termes de nombre de licences délivrées, la FFF est la première fédération sportive unisport française, devant la Fédération française de tennis et la Fédération française d’équitation. Pour la saison 2018–2019, ce sont environ 2,13 millions de licences qui ont été délivrées par les instances de la FFF en France métropolitaine. Les licences de pratiquant.e.s représentent 84 % des licences délivrées (soient environ 1,8 millions de licences). Viennent ensuite les licences de dirigeant.e.s qui représentent 12,6 % des licences délivrées, soit environ 270 000 licences. Les licences techniques, c'est-à-dire relatives à l’encadrement technique des pratiquant.e.s (fonctions d’entraînement) représentent 1,6 % des licences éditées, soient 34 500 licences. Viennent enfin les arbitres, dont la part est comparable à celle des entraineur.e.s, avec 1 % des licencié.e.s et 23 000 licences attribuées. Il s’agit toutefois ici de licences et non d’individus distincts, une même personne pouvant disposer de plusieurs licences, renvoyant à des activités distinctes : il est ainsi possible d’être à la fois joueuse et arbitre, entraineur.e et bénévole, ou encore à la fois joueuse de football et de futsal (football en salle à 5 contre 5, également géré par la FFF). Dans la mesure où 13,4 % des licences appartiennent à des individus qui en possèdent plusieurs, il convient de raisonner également en termes d’individus et non seulement de licences. Au cours de la saison 2018–2019, ce sont 170 000 femmes et 1,8 millions d'hommes environ qui sont détenteurs d’une licence auprès de la FFF, soit environ 0,5 % des femmes et 5,7 % des hommes résidant en France métropolitaine.5 Cette forte pénétration du football dans la société française (s’)accompagne (d’)une forte visibilité de cette discipline dans les médias et la faible représentation des femmes dans cette discipline a des effets symboliques en termes d’égalité femmes-hommes. ___________ 5
Données issues du recensement de la population française de 2016 (INSEE).
Diffusion du football féminin en France (1992–2019)
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Il s’agira dans cette première partie de décrire succinctement l’inégale intégration des femmes au football, selon les types de pratique (joueuse, bénévole, entraineure ou arbitre), selon les types de clubs et les espaces géographiques. Des licenciées à distance des activités sportives les plus techniques et une ancienneté réduite : Au cours de la saison 2018–2019, la part de licences de pratiquantes délivrées à des femmes est de 8,6 %. À titre de comparaison, le taux moyen de féminisation des fédérations de sports collectifs est en 2019 de près de 17 % et celle des fédérations sportives unisport olympiques est de 30,2 % au cours de la saison 2015–20166 (à cette date, la féminisation des licences FFF est de 7,2 %). À titre de comparaison, pendant cette même saison, la Fédération française de volleyball délivre 48,2 % de licences féminines, la Fédération française de handball 35,8 % et la Fédération française de rugby 6,3 %.7 Le football apparait alors en France comme un sport collectif qui demeure parmi les plus fermés aux femmes. Cette faible féminisation des licences dans le football masque néanmoins d'importantes variations de la proportion de femmes selon le type d’activité concernée. Type de licence
Part de licences féminines (en %)
Effectif
Dirigeant.e.s
13,7
36 840
Pratiquant.e.s
7,7
138 319
Entraineur.e.s
4,7
1 612
Arbitres
4,1
949
Ensemble
8,3
177 720
Tab. 1 : Part et effectif des licences féminines délivrées en 2018–2019, par type de licence
C’est parmi les dirigeant.e.s (c'est-à-dire les bénévoles chargé.e.s de l’encadrement associatif de la pratique) que les femmes sont de loin les plus nombreuses. C’est aussi l’activité la moins directement aux prises avec la pratique effective du football. C’est en revanche dans les activités d’encadrement technique, c'est-à-dire spécifiques à la pratique sportive que les femmes sont les moins nombreuses : dans les fonctions d’arbitrage (seulement 4,1 % des ___________ 6 7
Cf. Ministère de la ville, de la jeunesse et des sports : La féminisation du sport, mars 2016, http://tousprets.sports.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/tricolore_feminisation_ mars2016_bd_0.pdf (08/05/2020), p. 3. Ministère de la ville, de la jeunesse et des sports : Chiffres clé du sport, mars 2017, https://de. calameo.com/read/0047233181e8d93b9134c?page=1 (08/05/2020), p. 3.
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licences octroyées l’ont été à des femmes) et d’entrainement (4,7 %). La sousreprésentation féminine (relativement à la part de pratiquantes, notamment) dans les activités d’encadrement technique doit être comprise au regard de la récente croissance des effectifs de pratiquantes, dans la mesure où l’entrée dans ces activités d’encadrement fait souvent suite à plusieurs années consacrées à la pratique du football. En effet, les femmes ont d’une manière générale des carrières sportives plus courtes que celles de leurs homologues masculins. Pour la saison 2018– 2019, les femmes licenciées pratiquent en moyenne pour la 4ème année, tandis qu’il s’agit en moyenne de la 8ème pour les hommes.8 Ce différentiel tient pour partie à l’âge moyen plus faible des joueuses : celles-ci ont en moyenne 16 ans, contre 18,4 pour les hommes. Il n’en demeure pas moins que les joueuses semblent abandonner plus rapidement la pratique que les joueurs. 1.1 Des disparités locales de féminisation A ces valeurs nationales correspondent des taux de féminisation des populations de pratiquants particulièrement variables entre les Districts,9 variant entre 14,1 % dans la Creuse et 4,7 % en Corse (pour un taux moyen de 8,6 % de femmes pratiquantes en 2018–2019). Si la politique de féminisation est définie dans ses grandes lignes à l’échelon national, il n’en demeure pas moins que c’est au niveau des Ligues que se jouent réellement les décisions quant aux moyens dédiés et aux modalités exactes d’application de cette politique nationale. La relative autonomie, dont disposent les Ligues, a un impact sur le traitement réservé localement aux licenciées. En revanche, leur traitement est relativement homogène au sein d’une région, entre les différents Districts. Il apparait pourtant ici que les disparités sont parfois importantes entre les Districts d’une même Ligue. C’est par exemple le cas en Bretagne, où les taux de féminisation varient entre 5,5 % (Morbihan) et 8,7 % (Côtes d’Armor), ou encore en Champagne-Ardenne, où ces taux varient entre 6,8 % (Marne) et 9,8 % (Haute Marne).
___________ 8 9
Il convient toutefois de noter que seules les licences prises depuis 1992 sont comptabilisées ici. Les Districts sont des subdivisions géographiques administratives qui correspondent aux départements français. Les Ligues sont une subdivision correspondant aux régions françaises.
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Ill. 1 : Taux de féminisation du football par département
Il semble par ailleurs que les Districts les plus féminisés correspondent à un ensemble de départements ruraux à cheval sur plusieurs Ligues, dans le centre de la France : Cantal, Creuse, Corrèze, Indre, Cher, Aveyron, Dordogne, Haute Vienne (dont les densités de population sont particulièrement faibles comprises entre 15 et 46 habitants par km², pour une moyenne de 115,8 en France métropolitaine10). Ce constat global fait écho à l’existence d’une relation statistique (coefficient de corrélation linéaire de Pearson de 0,54) entre la part d’agriculteurs installés dans une commune11 et la part de pratiquantes licenciées dans les clubs de la commune, laissant penser à une implantation relativement rurale du football féminin, dont le niveau de développement tiendrait donc pour partie à des effets de contexte institutionnel. En effet, cette plus grande implantation (relative du football féminin) dans les zones les moins denses s’observe également à l’échelle des communes. Or, cette densité de population communale est également corrélée à un nombre plus important d’infrastructures sportives par habitant.e.12 On peut ___________ 10 11 12
Chiffres clés, INSEE, 2015. Recensement de la population, INSEE, 2016. Cf. Martin, Camille : Le football féminin de base. Eléments quantitatifs et qualitatifs. Rapport de recherche pour la Direction technique nationale de la Fédération française de football, Paris, 2014.
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alors faire l’hypothèse d’un accès facilité à ces infrastructures, qui offre des possibilités accrues d’ouverture d’une équipe féminine, dans un contexte de concurrence réduite avec des équipes masculines.13 Par ailleurs, les clubs ruraux rencontrent souvent des difficultés dans le maintien d’équipes de jeunes joueurs et voient parfois leur survie conditionnée au fait de fusionner avec le club d’un village voisin. Dans ces conditions, les responsables de ces clubs se saisissent volontiers de l’incitation fédérale au recrutement de joueuses : elles représentent pour eux un vivier de licenciées potentielles, pouvant participer à la pérennisation du club. Ainsi, il semble que cette implantation plus rurale tienne pour partie aux conditions dans laquelle est proposée l’offre sportive, avec une potentielle mobilisation de certains clubs en faveur du football féminin et un accès facilité aux infrastructures sportives. Par ailleurs, le football féminin bénéficie dans ces zones de la concurrence faible d’autres activités sportives. 1.2 Un accès et une intégration plus laborieux aux clubs de football Au cours de la saison 2018–2019, ce sont environ 12 700 clubs actifs qui accueillent des licencié.e.s pratiquant.e.s en France métropolitaine. Parmi eux, 4 469 clubs (soit plus d'un tiers) ne licencient aucune pratiquante, ne proposant que des pratiques masculines. Ces clubs sont pour la plupart des structures de petite taille, 75 % d’entre eux accueillent moins de 50 licencié.e.s. Ils sont également largement des clubs composés uniquement de seniors (39 %, contre 17 % pour l’ensemble des clubs), regroupant une grande partie des clubs affinitaires. Parmi les clubs qui licencient des pratiquantes, il convient de noter que 50 % des clubs en accueillent moins de 7, et que 75 % en licencient moins de 18. Ce sont ainsi seulement 10 % des clubs qui accueillent plus de 35 joueuses (le maximum étant autour de 200 joueuses). Ainsi, nombre de joueuses sont en réalité largement isolées dans leur club : près de 1 000 y sont seules et environ 2 600 y sont moins de trois. Ce phénomène est particulièrement répandu dans les catégories pour lesquelles la pratique sportive en mixité est autorisée, c'est-à-dire jusqu’à 14 ans. Par ailleurs, le système d’entente entre des clubs, qui permet de composer une équipe avec des joueuses issues de clubs distincts, permet également la présence de joueuses isolées dans certains clubs, qui peuvent néanmoins pratiquer en compétition dans une équipe féminine. ___________ 13
Cette proposition, ainsi que les suivantes, est tirée d’observations faites dans le cadre d’une enquête de terrain commandée par la Direction technique nationale de la FFF en 2014. J’ai à cette occasion rencontré les président.e.s, entraineur.e.s ou responsables de sections féminines d’une soixantaine de clubs français (dans les Ligues de Bourgogne, Centre Ouest et Nord-Pas-de-Calais).
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Parmi les 2 087 clubs qui accueillent des joueuses seniors, ce sont ainsi 2 147 clubs qui licencient au moins 8 joueuses, effectif nécessaire pour constituer une équipe dans un championnat à effectif réduit (pratique à 8 contre 8). A titre de comparaison, les clubs disposant du potentiel pour engager une équipe masculine dans ces conditions sont près de 6 fois plus nombreux (ils sont plus de 12 000 sur le territoire métropolitain). Cette relative rareté des équipes féminines pèse alors sur les conditions de pratique des joueuses fortement susceptibles de se trouver plus éloignées que les hommes d’un club de football adapté à leur pratique : pour la saison 2018–2019 les hommes licenciés dans un club installé dans leur commune de résidence sont trois fois plus nombreux que les femmes.14 Ces chiffres donnent à voir une relation entre le nombre de pratiquantes et la qualité de leurs conditions de pratique : des effectifs trop faibles de joueuses ne permettent ainsi pas de proposer des équipes homogènes pour toutes les catégories d’âge, ni de mettre en place des championnats attractifs ni même d’assurer l’existence d’une équipe de sport à proximité. Ce constat laisse donc penser que l’augmentation des effectifs féminins observée depuis 1992 est certainement mécaniquement favorable à une amélioration de leurs conditions de pratique, amélioration susceptible de soutenir l’augmentation du nombre de joueuses.
2. La dynamique du football féminin depuis le début des années 1990 Si la FFF demeure parmi les fédérations sportives agréées du ministère chargé des sports les moins féminisées, il n’en demeure pas moins que ces dernières années ont été marquées par un accroissement important du nombre de licenciées qui contraste avec la relative stagnation du nombre de licenciés masculins. Cet accroissement sans équivalent masculin s’est pourtant fait à l’occasion de chocs positifs symétriques à ceux qu’ont connus les effectifs masculins, mais dont les effets se sont avérés plus durables. Il s’agira ici de rendre compte de ces évolutions et des transformations de la structure démographique des licenciées de la FFF au fur et à mesure de la diffusion de l’activité depuis 1992.15 Nous verrons en effet que cette croissance se fait conjointement à une distorsion de la structure par âge au cours de la période d’étude, renvoyant à une évolution du sens symbolique de l’activité. ___________ 14 15
Les valeurs brutes ne sont pas données, les adresses visiblement aberrantes sont trop nombreuses. On peut toutefois faire l'hypothèse que leur répartition est indépendante du sexe. L’augmentation est antérieure, mais nous ne disposons ici que des données depuis cette date, qui correspond aux débuts de l’enregistrement informatisé des licences.
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2.1 Des dynamiques féminines et masculines globalement divergentes Entre 1992–1993 et 2018–2019, le nombre de joueuses a été multiplié par 4,7, passant de 37 600 à 145 300 en l’espace de 25 ans. Au cours de la même période, les effectifs masculins ont quant à eux connu une croissance beaucoup plus modérée, passant de 1,6 millions de joueurs à 1,9 millions : les effectifs ont été multipliés par moins d’1,2.
Ill. 2 : Croissance du nombre de licencié.e.s de la FFF depuis 1992.
Ainsi, au gré de ces dynamiques globales tout à fait divergentes, ce n’est pas uniquement l’effectif absolu de licenciées qui a augmenté, mais c’est également leur part relative dans la population des licencié.e.s qui a connu une importante croissance. En effet, si les femmes représentent moins de 3 % des licencié.e.s jusqu’à la fin des années 1990, leur proportion atteint presque 8,6 % au cours de la saison 2018–2019. Cette proportion augmente sur l’ensemble de la période, c’est particulièrement le cas après 2011, la part de femmes parmi les licencié.e.s passant de 4,6 % à près de 8,6 % entre 2011– 2012 et 2018–2019. Ce décrochage se fait à un moment où est lancé un plan fédéral de féminisation sans précédent. La FFF place le football féminin à son agenda, la participation de l’équipe de France féminine senior à la Coupe du monde en Allemagne est retransmise sur des chaînes de télévision gratuites à des heures de grande audience, et les conséquences en termes de recrutement
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de nouvelles pratiquantes sont manifestes. Les effectifs féminins ont ainsi plus que doublé entre les saisons 2011–2012 et 2018–2019, avec des taux de croissance records de plus de 15 % lors de certaines saisons (2014–2015 et 2015– 2016). D’une manière générale, les effectifs féminins connaissent chaque saison depuis 1992 une croissance supérieure aux effectifs masculins. Par ailleurs, il apparait que si les taux de croissance annuels féminins sont positifs sur l’ensemble de la période (à l’exception des saisons 2008–2009 à 2010–2011), les effectifs masculins ont décru pendant 15 saisons (non consécutives) entre 1993–1994 et 2017–2018. Dans les faits, ces constats démographiques divergents masquent des tendances annuelles relativement similaires. Les pics et les ralentissements de croissance sont en effet souvent symétriques entre les deux distributions. C’est seulement à partir de 2011, date de l’établissement du plan fédéral de féminisation que ces tendances tendent à se distinguer réellement.
Ill. 3 : Taux annuels de croissance du nombre de licencé.e.s
Ces concordances observées dans les périodes d’accélération et de ralentissement de la croissance des effectifs féminins et masculins laissent penser (avant 2011 tout du moins) à une similarité des déterminants des tendances démographiques pour les deux groupes. Pour les femmes comme pour les hommes, des pics de taux de croissance se donnent à voir suite à de grands évènements sportifs internationaux masculins. Il s’agit en premier lieu de la Coupe du monde masculine de 1998 en France, dont l’équipe de France sort vainqueure, qui assure le taux de croissance le plus élevé de la période pour les hommes
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(environ 9 % de croissance annuelle pour la saison 1998–199916) ainsi également qu’un taux particulièrement élevé pour les femmes (le plus élevé avant l’établissement du plan de féminisation : 13,5 % de croissance annuelle). Des pics de croissance à peine inférieurs sont observés suite à la Coupe du monde masculine de 2006, qui voit l’équipe de France perdre en finale contre l’Italie. Ces importants pics montrent que pour les femmes comme pour les hommes (avant 2011 au moins), la démographie de la population des licencié.e.s est sensible non seulement à la présence de tels évènements, mais également aux performances de l’équipe nationale engagée. En effet, la Coupe du monde de 2002, durant laquelle l’équipe de France est éliminée lors du premier tour n’implique qu’une croissance faible des effectifs (il convient de noter qu’il s’agit également certainement d’une forme de rattrapage négatif suite à l’afflux de licenciés en 1998). De manière plus frappante encore, la Coupe du monde masculine de 2010 en Afrique du Sud, marquée par une élimination précoce de la sélection nationale et par la crise qu’a connu cette équipe,17 est marquée par la baisse des effectifs de licencié.e.s tant féminins que masculins la plus importante de la période. C’est en outre la seule Coupe du monde qui ne permet pas d’accroitre le nombre de licenciés masculins au cours de la période étudiée (à la différence des évènements de 1998, 2002, 2006 et 2014) et c’est aussi l’une des rares saisons où les effectifs féminins diminuent. Si d’une manière générale les tendances relatives sont fortement coordonnées entre effectifs féminins et masculins avant 2011, elles divergent fortement après. La saison 2011–2012 est marquée par la mise en œuvre du plan fédéral de féminisation contenu dans le programme électoral de Noël le Graët, élu au printemps 2011 (au cours de la saison 2010–2011, donc). A partir de 2011, les écarts de taux de croissance féminins et masculins s’accroissent : entre les saisons 2010–2011 et 2016–2017, les effectifs féminins augmentent de 8,5 % alors que les effectifs masculins stagnent globalement (croissance de 0,3 %). Si la saison suivant la Coupe du monde masculine de 2010 est marquée pour les hommes comme pour les femmes par une réduction du nombre de licenciés, le rattrapage qui s’opère lors de la saison suivante est particulièrement important pour les femmes (voir Illustration 3). Outre le plan de féminisation débutant en 2011 (et dont les effets peuvent être encore faibles pendant la saison 2011–2012, la part des licences souscrites au second semestre de la saison ne divergeant pas significativement des années précédentes), il n’est pas impossible de mettre en relation l’importante croissance féminine entre les saisons 2009–2010 et 2010–2011 avec la diffusion pour la première ___________ 16 17
L’évènement a lieu au cours de l’été 1998, c’est-à-dire celui qui précède directement le commencement de la saison 1998–1999. Le calendrier est le même pour tous les évènements qui seront cités ici. Cf. Beaud, Stéphane : Traîtres à la nation ? Un autre regard sur la grève des Bleus en Afrique du Sud, Paris : La Découverte, 2011.
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fois sur les chaines de télévision gratuites françaises de la Coupe du monde féminine de l’été 2011, dont la sélection nationale termine 4ème suite à une élimination en demi-finale. La transmission de la Coupe du monde féminine de 2015 est également assurée par des chaines de télévision publiques. Si aucune accélération de croissance féminine n’apparait en 2015–2016, le taux de croissance atteint néanmoins sa valeur observée la plus élevée (16 % de croissance annuelle), contre une baisse de 2 % pour les licences masculines la même année. Globalement, il apparait que si les taux de croissance annuels féminins sont toujours supérieurs aux taux masculins, ces deux effectifs suivent des tendances relativement coordonnées : les grands pics de croissance sont en effet communs et correspondent largement à la tenue d’évènements sportifs internationaux masculins. A partir de la saison 2011–2012, les deux dynamiques se montrent plus divergentes, et cette divergence doit être reliée à la mise en œuvre du plan fédéral de féminisation de la FFF et éventuellement à la nouveauté de la médiatisation des évènements sportifs internationaux féminins (en 2011 et 2015, notamment). 2.2 Des pics démographiques aux effets plus durables pour les femmes Globalement, si les tendances féminines et masculines sont symétriques sur l’ensemble de la période jusqu’en 2011, des dissymétries les plus fortes apparaissent pendant les années qui suivent les grandes compétitions masculines : les courbes s’écartent ainsi particulièrement lors des saisons 1999–2000 ou 2000–2001 (cf. Illustration 3). En effet, les pics observés suite aux grandes compétitions sont rapidement compensés par un rattrapage négatif (une entrée faible de nouveaux joueurs) au cours de saisons suivantes (périodes de 1999–2000 à 2001–2002, de 2007–2008 à 2011–2012). Si ces effets de rattrapage existent pour les femmes comme pour les hommes, ils jouent bien plus fortement chez ces derniers. Les effets des pics de croissance masculins sont annulés quelques années après leur apparition (dès 2001 pour le pic de 1998, dès 2009 pour le pic de 2006–2007). En revanche, ces pics ont eu des effets durables pour la diffusion du football féminin, créant un effet de cliquet qui n’existe pas chez les hommes. Se pose alors la question des causes de cette divergence : pourquoi ce rattrapage négatif ne s’observe-t-il pas pour les effectifs féminins ? Il est possible d’abord que le goût pour le football (ou le souhait de pratiquer cette activité) suscité par la diffusion des compétitions internationales masculines se traduise plus lentement par une entrée effective dans la pratique pour les femmes : la plus grande difficulté (très forte avant les années 2010) à accéder à une équipe féminine, ou encore le coût symbolique de l’engagement dans une pratique largement masculine sont susceptibles de retarder la prise de la première licence : ce retardement participe certainement à rendre compte
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du maintien d’un afflux important de néophytes féminines dans les années suivant le pic. Ce phénomène est susceptible d’atténuer la réduction de croissance dans les années après une grande compétition internationale. Empiriquement, cette hypothèse se vérifie puisque si le nombre de débutantes augmente suite à la victoire de 1998, il se maintient à ce niveau lors des saisons consécutives (autour de 12 000 nouvelles joueuses par an). En revanche, si un afflux de licenciés masculins débutants se donne à voir en 1998, il se réduit fortement dans les années qui suivent : la saison 1999–2000 voit arriver plus de 20 % de débutants de moins que la saison 1998–1999. Cette tendance se donne également à voir pour les pics suivants (en 2006– 2007, notamment) et laisse penser que la féminisation du football, avant la mise en place du plan fédéral de féminisation en 2011, s’est faite en bonne partie à l’occasion de grands évènements sportifs masculins qui ont eu des effets durables sur l’accès de nouvelles joueuses à la pratique du football. 2.3 L’effet durable de l’entrée massive de jeunes licenciées en 1998 Si les dynamiques démographiques de licencié.e.s de la FFF sont influencés par la tenue d’évènements sportifs, il n’est pas impossible que ces derniers ne jouent pas à l’identique pour les différentes catégories d’âges. Il convient alors d’éclairer les constats globaux réalisés en rendant compte plus finement des dynamiques propres aux différentes catégories. Sur l’illustration 4 les individus ont été regroupés selon trois classes d’âge, qui ne correspondent que partiellement à des catégories de pratique, lesquelles ont évolué au cours de la période : les joueurs/joueuses entre 5 et 12 ans, entre 13 et 18 ans, et de plus de 18 ans. Est représentée l’évolution de la part relative de chaque classe d’âge, pour chaque sexe, entre les saisons 1992–1993 et 2015–2016.18 Les traits les plus foncés représentent les femmes, plus les traits sont pleins et plus ils correspondent à une classe d’âge avancée. Le premier constat qui peut être fait est celui d’une plus grande volatilité des parts relatives des différentes catégories féminines au cours des 24 saisons étudiées. Cette dernière tient pour partie à la plus grande faiblesse des effectifs bruts (environ 400 000 femmes distinctes pour plus de 8,5 millions d’hommes sur l’ensemble de la période). Elle tient également à l’inégale prise en charge institutionnelle de la pratique féminine depuis le début de la période.
___________ 18
Suite à la fusion des Ligues consécutive à la réforme territoriale de 2015, le mode d’extraction des données a évolué et je n’ai plus eu accès aux dates de naissance de tous les licenciés pour la dernière saison, 2016–2107. Pour cette raison, les traitements en termes d’âge s’arrêtent à la saison 2015–2016.
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Ill. 4 : Proportion des différentes catégories d'âges de pratique
Si l’on considère d’abord les pratiquant.e.s majeur.e.s, la part des seniors (c’està-dire des licencié.e.s de plus de 18 ans) est plus importante chez les hommes (autour de 40 % de l’effectif sur l’ensemble de la période) que chez les femmes (entre 25 et 33 % environ). Du point de vue de l’organisation de la pratique, ce constat peut certainement pour partie être rattaché à l’absence chez les femmes de catégorie de pratique en vétérans : à la différence de ce qui se fait chez les hommes, les femmes âgées de plus de 18 ans évoluent toutes dans la même catégorie de jeu. En effet, cette sur-représentation des joueurs adultes chez les hommes tient d’abord à une forte présence (relativement à ce qui se passe pour les licences féminines) des joueurs les plus âgés. On observe par ailleurs un phénomène de convergence des proportions de licenciés âgés de 5 à 12 ans : en 1995–1996, l’écart entre les parts féminine et masculine de cette classe d’âge est de l’ordre de 10 points, pour devenir presque nul à partir de 2010. C’est en particulier au gré des périodes de décroissance ou de très faible croissance des effectifs masculins (périodes de 1999 à 2004, puis de 2007 à 2010) que la part des plus jeunes joueurs masculins rattrape celle des joueuses du même âge. Dans la mesure où la part relative de la classe d’âge 13–18 ans demeure globalement stable sur la période (elle diminue légèrement pour les hommes, elle connait un pic chez les femmes), les fortes périodes de croissance des effectifs observées sur l’illustration au moment des grands évènements internationaux masculins (Coupes du monde en 1998 et 2006 en particulier) sont liées surtout à un afflux massif de jeunes joueurs (5–12 ans) et dans une moindre mesure de licenciés entre 13 et 18 ans. Ces afflux de jeunes joueurs à l’occasion des pics de croissance ont pour conséquence une réduction mécanique de la part des pratiquants majeurs.
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Si ce constat de l’effet des évènements sportifs masculins internationaux sur les entrées de jeunes licencié.e.s semble effectif tant pour les garçons que pour les filles, il apparait que l’effet de la Coupe du monde de 199819 s’est avéré plus durable pour les effectifs féminins. L’effet de l’évènement semble d’abord similaire sur les proportions des jeunes licencié.e.s féminins et masculins. Néanmoins, il apparait que la part des joueuses de la classe d’âge supérieure (13–18 ans) connait un pic qui n’existe pas chez les hommes, autour de la saison 2001–2002, soit environ trois ans plus tard. Cette divergence des tendances féminines et masculines pourrait être associée à l’avancée en âge des joueuses massivement entrées dans la pratique en 1998–1999, tandis que les garçons entrés au même moment auraient pour une partie d’entre eux connu déjà un arrêt de la pratique. Il n’est ensuite pas impossible que ces joueuses ayant débuté autour de 1998 à un âge compris entre 5 et 12 ans soient particulièrement socialisées à la pratique par cette entrée précoce, et continuent ainsi leur trajectoire jusqu’en senior, donnant lieu à la période de croissance de la part de cette tranche d’âge entre les saisons 2009–2010 et 2013–2014. En effet, cette période de croissance qui ne s’observe que dans une bien moindre mesure chez les hommes. Ainsi, cette représentation agrégée de la dynamique des parts de différentes classes d’âge depuis 1992 laisse penser que la diffusion du football féminin s’est faite en partie au gré de l’afflux de joueuses suite à d’importants évènements sportifs masculins (1998, mais aussi 2006 bien que les effets soient peu observables dans le long terme ici). Les joueuses entrées dans la pratique à cette période se seraient engagées dans des carrières sportives plus durables que les nouveaux venus masculins de leur âge, dont il semble que l’afflux massif de 1998 ne se reporte que peu par la suite sur les autres classes d’âge. Cette plus grande fidélisation20 des jeunes joueuses à partir de la fin des années 1990 peut être mise en relation avec le recrutement des premières Conseillères d’animation technique régionales féminines, entre 1999 et 2001. Ces salariées ont été les premières personnes employées par la FFF pour administrer et développer la pratique du football féminin. Une vingtaine de Ligues sont dotées d’une telle salariée, qui prennent alors le relais des bénévoles qui organisaient jusque-là les compétitions féminines. Ces phénomènes institutionnels, associés à un afflux de joueuses à un moment donné sont de nature à favoriser la socialisation sportive des footballeuses qui favorise ensuite une pratique sportive plus durable. ___________ 19 20
Qui s’est déroulée en France, a été accompagnée de campagnes de promotion du football pour les jeunes, mises en œuvre par la FFF et a finalement été remportée par l’équipe de France pour la première fois. Je reprends ici un terme employé par les salariés de la FFF pour désigner la propension à maintenir son engagement sportif d’une saison à l’autre.
Diffusion du football féminin en France (1992–2019)
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3. Conclusion Nous avons d’abord fait le constat d’une croissance régulière du nombre de joueuses de football en France depuis le début des années 1990. Il apparait ainsi que le plan de féminisation mis en place par la FFF en 2011 intervient dans un contexte où le football féminin connait déjà une certaine croissance : l’amélioration proposée de l’offre rencontre ainsi une demande préexistante de la part d’un certain nombre de joueuses. Il semble ainsi que ces politiques mises en œuvre, et encouragées par la puissance publique, viennent moins créer un goût féminin pour le football que donner la possibilité à ce goût préexistant de s’exprimer. En effet, nous l’avons montré, les déterminants de l’entrée dans le football semblent relativement identiques pour les hommes et pour les femmes : ils se produisent massivement aux mêmes périodes et font suite aux grandes compétitions sportives masculines. Néanmoins, nous avons montré que ces évènements avaient eu un rôle central dans la diffusion du football féminin en France : les entrées massives de joueuses qu’elles ont suscitées ont fait durablement augmenter le nombre de joueuses licenciées. Il est possible que ces périodes d’entrées massives de (jeunes) joueuses soient particulièrement propices à une socialisation facilitée au football pour les nouvelles entrantes. Cette socialisation sportive au football, qui est plus difficile pour les femmes que pour les hommes,21 permet ensuite un maintien durable dans la pratique sportive. Par ailleurs, tout porte à croire que l’entrée de nouvelles joueuses améliore également les conditions matérielles de pratique, en augmentant la proximité des équipes disponibles, l’homogénéité des compétitions etc. Ainsi, avant même que les responsables de la FFF mettent le développement du football féminin à l’agenda fédéral, il convient de garder à l’esprit que la féminisation du football s’est en partie jouée à l’occasion des grandes compétitions masculines. Ces périodes peuvent en effet être lues comme des moments où l’entrée des femmes dans la pratique s’est vue simplifiée, donnant lieu à des socialisations sportives réussies et à des trajectoires sportives relativement durables. Dans les faits, les décisions d’entrée ou de sortie d’une pratique sportive relèvent de facteurs complexes et personnels qu’une étude qualitative permettrait de dénouer. Finalement, si l’efficacité des plans fédéraux de féminisation ne fait aucun doute, il semble que ces derniers ont moins créé un goût féminin pour le football que permis à ce goût existant de s’exprimer dans des conditions favorables. ___________ 21
Cf. Chevalier : Démographie sportive ; Mennesson, Christine : Etre une femme dans le monde des hommes. Socialisation sportive et construction du genre, Paris : L’Harmattan, 2005.
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Camille Martin
Bibliographie Beaud, Stéphane : Traîtres à la nation ? Un autre regard sur la grève des Bleus en Afrique du Sud, Paris : La Découverte, 2011. Bruyn, Florence de/Bringé, Arnaud : Un prolongement de la démographie sportive. L’analyse de durée appliquée aux populations de sportifs licenciés, ds. : Population 61/5 (2006), p. 805–819. Bruyn, Florence de/Le Mancq, Fanny : Les apports de la démographie dans la connaissance des populations sportives, ds. : Staps 80/2 (2008), p. 53–72. Chevalier, Vérène : Démographie sportive. Itinéraires et abandons dans les pratiques de l’équitation, Paris VII, Thèse, 1994. Chevalier, Vérène : Une population de pratiquants sportifs et leurs parcours. Les cavaliers titulaires d’une licence, ds. : Population 51/3 (1996), p. 573–608. Hély, Matthieu/Moulévrier, Pascale : L’économie sociale et solidaire. De l’utopie aux pratiques, Paris : La Dispute, 2013. Martin, Camille : Le football féminin de base. Eléments quantitatifs et qualitatifs. Rapport de recherche pour la Direction technique nationale de la Fédération française de football, Paris, 2014. Mennesson, Christine : Etre une femme dans le monde des hommes. Socialisation sportive et construction du genre, Paris : L’Harmattan, 2005. Ministère de la ville, de la jeunesse et des sports : La féminisation du sport, mars 2016, http://tousprets.sports.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/tricolore_feminisation_m ars2016_bd_0.pdf (08/05/2020). Ministère de la ville, de la jeunesse et des sports : Chiffres clé du sport, mars 2017, https://de. calameo.com/read/0047233181e8d93b9134c?page=1 (08/05/2020). Prudhomme-Poncet, Laurence : Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris : L’Harmattan, 2003.
Laurent Grün
Von den Schwierigkeiten einer weiblichen Fußballmannschaft sich im Rahmen eines historisch gewachsenen Profifußballvereins zu behaupten Die Frauenfußballabteilung des FC Metz, 2014–20191
L’exemple de l’équipe féminine du FC Metz durant la période 2014–2019 démontre que les footballeuses évoluant dans une équipe française de haut niveau ne sont pas encore totalement prises au sérieux dans le milieu du football. A partir de plusieurs entretiens semidirectifs menés avec des joueuses, des entraîneur.e.s et des dirigeant.e.s, il est possible de mettre en évidence une différence de traitement entre femmes et hommes au sein du même club professionnel. Ces inégalités sont perceptibles à la fois dans l’environnement humain et dans l’environnement physique. De plus, on peut souligner des représentations négatives de la part de certains entraîneurs masculins du centre de formation du club envers les joueuses, même si elles n’émanent pas de la totalité d’entre eux. Certes, de 2014 à 2019, la situation des équipes de filles du FC Metz s’est progressivement améliorée. De plus, les joueuses ont pris rapidement conscience de la nécessité d’un comportement professionnel en toutes circonstances. Cependant, le regard porté sur elles au sein du club, que ce soit sur l’équipe première ou sur les équipes de jeunes, reste encore parfois condescendant. Et malgré tout, l’accès des équipes féminines du FC Metz à de bonnes conditions de pratique demeure trop souvent subordonné à la volonté d’un dirigeant haut placé.
1. Einleitung In zeitgeschichtlicher Perspektive soll im Folgenden die ‚kurze‘ Geschichte der Frauenfußballabteilung des FC Metz in den Blick genommen werden. Diese unmittelbare Geschichte (histoire immédiate)2 untersucht die Aussagen verschiedener Akteur*innen wie Fußballerinnen, Trainer und Trainerinnen sowie Clubfunktionären. Die folgenden Beispiele zeigen uns, dass die französischen Fußballerinnen, selbst wenn sie auf hohem Niveau spielen, nicht ernst genommen werden. Ständig sehen sie sich mit Problemen materieller oder menschlicher Art konfrontiert, die ihre männlichen Kollegen nicht haben. Sei es, um geeignete ___________ 1 2
Ich möchte meinem Vater für seine unschätzbare Hilfe danken. Vgl. Soulet, Jean-François: L’histoire immédiate. Historiographie, sources et méthodes, Paris: Armand Colin, ²2012.
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Trainingsplätze zu finden, um passende Trainingstermine zu vereinbaren, um unter der Leitung kompetenter Betreuer*innen zu trainieren; aber auch um sich dem Spott und den herablassenden Bemerkungen des Clubumfelds fernzuhalten. Mittlerweile kann man jedoch – selbst für den kurzen Zeitpunkt von nur fünf Jahren – eine Verbesserung der Stellung der Fußballerinnen innerhalb des FC Metz wahrnehmen, auch hinsichtlich der Ausführung ihrer Tätigkeit. Liegt Christine Mennesson noch richtig, wenn sie von Fußballerinnen schreibt, die eine starke Stigmatisierung erfahren?3 Schlimmer noch: Kann man von Verachtung und Unkenntnis gegenüber diesen Sportlerinnen sprechen?4 Zunächst ist klarzustellen, dass es hier nicht um eine weibliche Vereinsmannschaft, sondern um eine Frauenfußballabteilung gehen wird. Der Unterschied ist wichtig und ist ein Grund, warum diese Frauen und Mädchen oft schlecht angesehen sind. Im Folgenden soll die Frauen- und Mädchenabteilung des FC Metz hinsichtlich der drei nachstehenden Aspekte analysiert werden: 1. 2. 3.
Untersuchung des menschlich-personellen Umfelds: Funktionäre, Trainer*innen, Manager*innen, Spieler*innen Erfragen der physischen Umwelt/Konditionen: Praktik, Übungen, Training Erforschung der gesellschaftlichen Vorstellungen innerhalb des Vereins
Mit Hilfe dieser drei Aspekte sollen die Unterschiede und Ähnlichkeiten zu den Männermannschaften herausgearbeitet werden. 1.1 Methodik und Akteur*innen Im Zeitraum zwischen Mai und Juni 2019 habe ich insgesamt acht halbdirektive Gespräche mit Mitgliedern des FC Metz geführt: fünf mit Mädchen bzw. Frauen – Fußballerinnen und ehemaligen Fußballerinnen – und drei mit Männern, welche Trainer oder Vereinsvertreter sind. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt:
___________ 3 4
Vgl. Mennesson, Christine: Etre une femme dans un sport « masculin ». Modes de socialisation et construction des dispositions sexuées, in: Sociétés contemporaines 55 (2004), S. 69– 90, hier S. 78–79. Vgl. Mennesson, Christine: La gestion de la pratique des femmes dans deux sports ‚masculins‘. Des formes contrastées de la domination masculine, in: STAPS 63 (2004), S. 89– 106, hier S. 94.
Die Frauenfußballabteilung des FC Metz (2014–2019) – – – – – – – –
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Angélique Roujas, ehemalige französische Nationalmannschaftsspielerin von 1995 bis 2001, war von 2014 bis 2019 Managerin der Frauenfußballabteilung des FC Metz. Getter Laar, ehemalige estnische Fußballerin, war von 2014 bis 2019 Torfrau beim FC Metz und überdies von 2016 bis 2019 auch Trainerin der Torhüterinnen. Céline Leuck spielte von 2001 bis 2011 in der ersten und zweiten französischen Liga und ist zudem die Trainerin der weiblichen U-15 beim FC Metz. Marie Papaix spielte von 2007 bis 2008 in der ersten und zweiten französischen Liga (von 2014 bis 2016 beim FC Metz) und ist Trainerin der U-19 der Frauen des FC Metz. Océane Brandao war U-19-Spielerin und Teil der A-Mannschaft 2018/2019. Denis Schaeffer war von 2006 bis 2019 Direktor des Ausbildungszentrums für Nachwuchsfußballer und ab 2018 auch verantwortlich für die Entwicklung der Frauenfußballabteilung. Sébastien Muet war seit 1998 Trainer im Ausbildungszentrum des FC Metz, und ist seit 2017 dessen technischer Direktor. René Franceschetti war der ehemalige Präsident der AS Algrange, ist Vorstandsmitglied beim FC Metz, und auch Vertreter bei der weiblichen Abteilung.
Als ehemaliges Mitglied des Ausbildungszentrums des FC Metz (physisches Training, Geschwindigkeit, körperliche Vorbereitung) – von 2003 bis 2017 – war es für mich nicht schwierig, die genannten Akteur*innen zu treffen. Manchmal habe ich – nach der Gründung der Abteilung 2014 – das Training der Frauen besucht und bin ihnen auf und neben dem Fußballplatz begegnet. Céline Leuck und Marie Papaix waren Studentinnen an der Universität von Metz, an der ich arbeite. Sie sind jetzt Sportlehrerinnen. Océane Brandao ist eine meiner aktuellen Studentinnen. Ich war Co-Trainer von Denis Schaeffer und dann von Sébastien Muet. Trotz meiner Nähe zu den Trainer*innen und Fußballerinnen ist es mir als Forscher wichtig, objektiv zu bleiben und keine Aussagen zu treffen, die lediglich meine eigenen Erwartungen widerspiegeln würden. 1.2 Hintergründe Vor 2014 gab es keine weibliche Mannschaft beim FC Metz. Eine Frauenmannschaft existierte in Algrange, Heimat eines Amateurvereins ungefähr 30 Kilometer von Metz entfernt. Wann und wie wurde diese Frauenmannschaft in Algrange aufgebaut? Am Anfang gab es lediglich ein Männer-Team,
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das Futsal (indoor soccer) spielte. Die Freundinnen und Schwestern dieser Fußballspieler begleiteten diese zu den Matches und spielten außerhalb der Hallen vor oder nach dem Spiel ihrer Freunde und Brüder auf dem Parkplatz Fußball. Sie fragten schließlich René Franceschetti, den damaligen Präsidenten, ob es möglich wäre, eine Frauenfußballmannschaft in Algrange aufzustellen. Franceschetti willigte ein, betraute aber seinen stellvertretenden Direktor, Rémy Bruguerra mit dem Aufbau einer solchen Mannschaft. Dieser bekam wertvolle Unterstützung von Kadija Bettahar, einer ehemaligen Spielerin der ersten Liga Frankreichs. Beide sind die Urheber des Erfolgs der Mannschaft der Frauen von AS Algrange. Von 1999 bis 2004 spielten die Fußballerinnen der AS Algrange in der Regionalliga (championnat régional), dann bis 2008 in der dritten Liga (Division 3 du championnat national), bis 2014 in der zweiten Liga (Division 2 du championnat national) und schließlich in der ersten Liga (Division 1 du championnat de France). Für René Franceschetti war der Aufstieg in die erste Liga 2014 der richtige Moment, um einen Profifußballverein zu gründen – mit Sitz beim FC Metz.5 Die Rolle des Präsidenten des FC Metz, Bernard Serin, war bei dieser Gründung maßgebend. Er bewilligte die Aufnahme einer Frauenmannschaft, die bereits auf dem höchsten Niveau spielte.6 Der FC Metz ist ein professioneller Verein, der 1932 an der ersten französischen Profi-Meisterschaft teilgenommen hat. Der Verein hat die meiste Zeit in der ersten Liga gespielt, auch wenn er einige Male in die zweite Liga abgestiegen ist.7 Von 2014 an wurde die Frauenfußballabteilung nicht dem Profi-Sektor angeschlossen, sondern dem Ausbildungszentrum der jungen Fußballer (U-15 bis U-19). Seit 2014 ist die Laufbahn der Frauenmannschaft mit der der Profi-Mannschaft der Männer vergleichbar: Die Spielerinnen des FC Metz haben drei Aufstiege (2014, 2016 und 2018) sowie zwei Abstiege (2015 und 2017) erlebt. 2019 konnten sie die Klasse halten.
2. Das menschlich-personelle Umfeld Eine der ersten Entscheidungen von Präsident Bernard Serin war die Eingliederung der Fußballmannschaft der Frauen in das Ausbildungszentrum des FC Metz – unter administrativer und pädagogischer Verwaltung dessen Direktors Denis Schaeffer. Angélique Roujas war aufgrund ihrer immensen Erfahrung die erste Rekrutin von Denis Schaeffer. Ab 2014 trug sie die Verantwortung und trainierte die besten französischen Spielerinnen zwischen 15 und ___________ 5 6 7
Vgl. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019. Vgl. Gespräch mit Denis Schaeffer, 10.05.2019. Beispielsweise hat der FC Metz 2014/15, 2016–2018, 2019/20 in der ersten Liga 2015/16, 2018/19 aber in der zweiten Liga gespielt.
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17 Jahren am Pôle France innerhalb des nationalen Leistungszentrums für alle französischen Nationalmannschaften vom Jugend- bis zum Erwachsenen-Bereich in Clairefontaine in der Nähe von Paris. Zusammen wollten Denis Schaeffer und Angélique Roujas ein langfristiges Ausbildungsprojekt gründen – nicht nur für die erste Mannschaft, sondern auch für die Jugend. Das bedeutete, dass U-15- und U-17-Teams rekrutiert und jedes Team mit einem Trainer oder einer Trainerin ausgestattet werden mussten. Nach dem zweiten Jahr (2015) wurde eine Fußballschule für Mädchen ab sechs Jahren gegründet. Denis Schaeffer war bestrebt, seine Erfahrung aus Kanada einzubringen: Dort können Mädchen zwischen 6 und 19 Jahren in eigenen Mannschaften spielen; ganz im Gegensatz zu Frankreich, wo sie bis ins Alter von 15 Jahren in gemischten Teams mit Jungen zusammen spielen – hier gibt es zumeist nur wenige Mädchen.8 Wenn Mädchen in Frankreich mit 15 Jahren ihre männlichen Mitspieler verlassen, um in ausschließlich weiblichen Teams zu spielen, wird dieser Übergang von „Heterogeselligkeit zu Homogeselligkeit“9 für sie manchmal schwierig. In Metz wurde bereits im zweiten Jahr (2015) ein eigener schulischer Sportzweig für Frauenfußballerinnen innerhalb des Collège Arsenal ins Leben gerufen. In diesem collège gab es bereits einen Zweig für männliche Nachwuchsfußballer, aber auch gemischte Zweige für Basketball, Rugby, Tischtennis, Turnen, Judo etc. Die Integration der jungen Fußballerinnen ermöglichte eine bessere Balance zwischen Jungen und Mädchen in dieser Schule10. Alle Schüler und Schülerinnen der Sportzweige sind Internatsmitglieder im Collège Arsenal. Angélique Roujas und Denis Schaeffer sprachen sich beide für die Eingliederung in das Internat und für die Mischung junger männlicher und weiblicher Sportler*innen aus. Es gehörte zum Gesamtprojekt nicht nur die erste Frauenmannschaft, sondern auch die weiblichen Jugendmannschaften zu entwickeln: „Es ging darum, ein echtes Fundament aufzubauen, in einem Projekt, für das noch alles zu bewerkstelligen war.“11 Für die A-Mannschaft begann die Saison 2014/15 mit einem Trainer, der wahrscheinlich nicht die nötigen Fähigkeiten für die höchste Spielklasse mitbrachte. Aufgrund des gemeinsamen Aufstiegs in der vorausgegangenen Saison durfte dieser Trainer trotz fehlender Kompetenzen die Mannschaften auch in der Saison 2014/15 eine Zeit lang betreuen. Nach dieser unangenehmen Erfahrung rekrutierten Angélique Roujas und Denis Schaeffer Trainer, die sich vorher bereits im Männerfußball bewährt hatten: David Fanzel (2015–2018) und Manu Peixoto (ab 2018). Im Vergleich zu den Jugendlichen ___________ 8 9 10 11
Vgl. Gespräch mit Denis Schaeffer, 10.05.2019. Héas, Stéphane [u. a.]: Football féminin : « c’est un jeu d’hommes », in: Cahiers du Genre 34 (2004), S. 185–203, hier S. 189. Vgl. Gespräch mit Denis Schaeffer, 10.05.2019. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019.
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hatten die Frauen allerdings keinen gesonderten Torwarttrainer12 und mussten sich überdies den Fitnesstrainer mit den männlichen Nachwuchsspielern teilen, wobei dieser sich deutlich mehr um Letztere kümmerte.13 David Franzel ist bekannt und geachtet für seine technischen Fähigkeiten, weniger jedoch für seinen Umgang und seine Kommunikation mit den Fußballerinnen. Dies zeigt, dass nicht alle Trainer im Stande sind, Frauenfußballmannschaften zu trainieren und zu coachen, auch wenn sie im Bereich der Männermannschaften exzellente Trainer sind. Es ist sicherlich noch ungewöhnlich, männliche Trainer im Frauenfußball zu finden, die die Spielerinnen angemessen trainieren können.14 Das Vermögen, mit den Fußballerinnen einen wechselseitig bereichernden Dialog zu führen, wurde 2018 durch die Einstellung von Manu Peixoto als Cheftrainer hergestellt. Was die Betreuung der Spielerinnen betrifft, kann jedoch konstatiert werden, dass diese ihren männlichen Pendants nicht gleichgestellt sind. Die Anzahl der Menschen, die sich jeden Tag um die Mädchen kümmern, ist viel geringer als jene der Jungen. Céline Leuck, die Trainerin der U-15-Mädchen, beschwert sich: Die Verantwortlichen der Jungen-Mannschaften und ich haben den gleichen Aufwand, um die U15-, U17- oder U-19 zu trainieren. Sie sind aber alle Vollzeitmitarbeiter des FC Metz. Zusätzlich zur meiner Arbeit als Sportlehrerin trainiere ich die Mädchen jeden Tag und betreue sie auch noch bei den Spielen am Wochenende. Darüber hinaus bin ich auch für den Sport-Zweig der Fußballerinnen im Collège Arsenal verantwortlich. Ich nehme am Klassenrat teil, schreibe die individuellen Beurteilungen, begegne den Eltern… alles für nur 400 Euro pro Monat.15
Und das gilt auch für Marie Papaix, die ebenfalls Sportlehrerin ist. So ist die Situation der Trainer*innen bei Frauen und Männern folglich völlig unterschiedlich. Es gibt viel mehr männliche Betreuer und diese können sich hundertprozentig dem Fußball widmen. Jede männliche Mannschaft des Ausbildungszentrums wird von einem Trainer und dessen Co-Trainer betreut. Im Gegensatz dazu werden die weiblichen U-15- und U-19-Teams nur jeweils von Céline Leuck und Marie Papaix trainiert. Es gibt keinen Trainer bzw. keine Trainerin für die U-19, sodass Céline Leuck und Marie Papaix sich das Training der U-19-Mädchen teilen. Die Trainingsbedingungen sind ebenfalls
___________ 12 13 14 15
Vgl. Gespräch mit Getter Laar, 21.05.2019. Vgl. Gespräch mit Marie Papaix, 21.05.2019. Vgl. Shugart, Helene A.: She Shoots, she Scores. Mediated Constructions of Contemporary Female Athletes in Coverage of 1999 US Women’s Soccer Team, in: Western Journal of Communication 67 (2003), S. 1–31, hier S. 19. Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019. Alle Trainer der Jungenmannschaften des Ausbildungszentrums sind Vollzeitbeschäftigte des FC Metz.
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nicht dieselben: Céline Leuck empört sich: „Der Torwarttrainer des Ausbildungszentrums weigert sich, meine Torhüterinnen zu trainieren“16, auch wenn die fachlichen Kompetenzen dieses Trainers für Gettar Laar als ehemalige Torhüterin offensichtlich sind. Jedoch erkennt Céline Leuck, dass andere männliche Trainer für die U-13 bis U-17-Jungen sie gerne beim Training der U-15- und U-19-Mädchen ersetzt haben, wenn sie zu den Elternsprechtagen und Klassenkonferenzen musste. Im Kontrast dazu fühlt sich Céline Leuck allerdings nicht sicher genug, wenn sich die Möglichkeit bietet, die U-19Nachwuchsfußballer zu trainieren, obgleich sie sowohl die nötige Ausbildung als auch ausreichend Erfahrungen und Fähigkeiten besitzt. Hier spricht sie nur in ihrem Namen. Nichtsdestoweniger muss gefragt werden, warum viele Sportlerinnen sich nicht für fähig genug halten, dieselbe Arbeit und dieselben Aufgaben wie ihre männlichen Kollegen zu erfüllen.17 Schließlich lassen sich auch die optimalen Bedingungen für das Training der Fußballerinnen nicht realisieren, weil wichtige Spielerinnen fehlen: „Oft trainieren meine U-15 oder die U-17 ohne Torhüterin. Das passiert bei den Jungen niemals.“18 Tatsächlich ist es so, dass die A-Mannschaft der Frauen oftmals mehrere Torhüterinnen bei ihren Trainingseinheiten benötigen und die U-15- wie U-17-Torhüterinnen daher zur ersten Mannschaft aufrücken müssen. Fußballerinnen und Trainerinnen des FC Metz werden also nicht wie ihre männlichen Kollegen behandelt.
3. Die physische Umwelt Von Anfang an waren Denis Schaeffer und Angélique Roujas bestrebt, Mädchen und Jungen gleich zu behandeln – sowohl die Spielerinnen der ersten Liga als auch die Fußballerinnen des Ausbildungszentrum betreffend. Es sollten keine Unterschiede hinsichtlich der Nutzung der Einrichtungen, der Ausstattung mit Bekleidung und der medizinischen Betreuung existieren. Aber trotz des Bestrebens der beiden Leitenden bemerkten die Frauen schnell, dass sie im Verein sowie innerhalb des Ausbildungszentrums nicht gleichberechtigt waren. Schon zu Beginn der Saison im August 2014 gab es einige Konflikte hinsichtlich der Nutzung der Sportanlagen. In der Tat wurden einerseits drei zusätzliche Mannschaften innerhalb des Ausbildungszentrums gegründet – die Frauen-Mannschaft, U-15, U-19 –, die es im Vorjahr nicht gegeben hatte. Andererseits wurde kein weiterer Fußballplatz angelegt. Schon vor der ___________ 16 17 18
Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019. Vgl. Mennesson, Christine: Pourquoi les sportives ne sont pas féministes? De la difficulté des mobilisations genrées dans le sport, in: Sciences Sociales et Sport 5 (2012), S. 161–191. Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019.
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Integration der Frauenabteilung gab es Verteilungsprobleme unter den Jugendmannschaften. Aber jetzt häuften sie sich und wurden dadurch zu einem entscheidenden Problem für den Betrieb des Ausbildungszentrums. Einige Trainer wollten das Feld im Winter nicht teilen, wenn mehrere Mannschaften dort zugegen waren.19 Dadurch mussten die Fußballerinnen teilweise zwei Stunden lang warten, um einen Trainingsplatz zu bekommen, oder sie trainierten unter beklagenswerten Bedingungen auf dem Parkplatz: „Manchmal ärgern sich die jungen Spielerinnen, weil sie feststellen, dass ihre Arbeitsbedingungen sich verschlechtern.“20 Hier kann eine Parallele mit dem British Ladies Football Club (BLFC) gezogen werden, eine der ersten weiblichen Mannschaften in der Fußballgeschichte und die erste voll durchstrukturierte. 1895 gegründet wurde der BLFC schnell von der englischen Football Association (FA) ausgeschlossen. Charles Alcock, der damalige FA-Generalsekretär, nahm das Problem der Fußballplätze zum Vorwand, um die Fußballerinnen des BLFC zu verdrängen. Er machte geltend, dass es kaum Spielfelder für die Männer gäbe; Mädchen sollten sich nicht um den Fußball kümmern.21 Etwa 120 Jahre später wurde das Spielfeldproblem in Metz erneut als Vorwand genommen, um den Frauenfußball in den Hintergrund zu drängen. Es lassen sich jedoch Jahr für Jahr auch Verbesserungen ausmachen: „Es wird immer besser. Mit der richtigen Kommunikation ist es möglich, Trainingsplätze oder Material zu teilen.“22 In der Zeit von 2014 bis 2019 können ohne Zweifel Fortschritte hinsichtlich der Arbeitsumgebung der Fußballerinnen wahrgenommen werden. Allerdings kann es nicht das Ziel sein, dass die Frauen langwierige Verhandlungen führen müssen, um ihre elementaren Rechte durchzusetzen. Laut René Franceschetti „befinden wir uns in einer gegenseitigen Verständigungsatmosphäre“23. Bei einer Analyse der praktischen Bedingungen müssen allerdings auch die Verantwortlichkeiten der Fußballerinnen betrachtet werden. Bei der Frauenmannschaft des FC Metz – wie wahrscheinlich auch bei anderen Vereinen – wird von Anekdoten über die mangelnde Professionalität der ersten Spielerinnen berichtet. Nach den ersten Spielen der Fußballerinnen in der ersten Liga 2014 war die neue Managerin Angélique Roujas überrascht, als die Spielerinnen ein Bier tranken und eine Wurst aßen.24 Dies ist bei professionellen Männermannschaften nicht zu beobachten und war für Angélique Roujas, die die jungen U-15- und U-17-Nationalspielerinnen trainierte, nicht akzeptabel. ___________ 19 20 21 22 23 24
Vgl. Gespräch mit Getter Laar und Marie Papaix, 21.05.2019. Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019. Vgl. Lee, James L.: The Lady Footballers. Struggling to Play in Victorian Britain, New York: Routledge, 2008. Gespräch mit Getter Laar und Marie Papaix, 21.05.2019. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019. Vgl. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019.
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Allerdings muss daran erinnert werden, dass die meisten Mädchen im Vorjahr in Algrange spielten und Mitglieder eines Vereins waren, der nicht im ProfiBereich agierte. Sie waren es nicht gewohnt, auf eine gute und gesunde Ernährung zu achten. Getter Laar war ebenso geschockt, dass die Fußballerinnen nach – oder sogar vor dem Spiel – Bier tranken. Sie erzählte eine Geschichte aus der Zeit, als sie 2013 in Guingamp spielte. Ihre Mannschaft En Avant Guingamp traf in einem Spiel der ersten Liga auf Paris Saint-Germain, eine der besten Mannschaften Frankreichs. In Paris wollte der Coach seinen Spielerinnen den Eiffelturm zeigen und daher lief die Mannschaft zum Marsfeld, um das Wahrzeichen zu besichtigen. Allerdings dauerte der Weg dorthin und wieder zurück mehr als zwei Stunden. Als sie zum Spielfeld zurückkamen, waren sie fast zu spät für den Anpfiff und kaum noch spielfähig, weil der Spaziergang sie sehr ermüdet hatte.25 Dieses Beispiel zeigt, dass die Professionalisierung des Frauenfußballs nicht vollendet war, und dass vielleicht auch einige Trainer der ersten Liga nicht unbedingt eine professionelle Art und Weise an den Tag legten. Ein weiteres Problem stellte der Umgang mit Verletzungen dar. 2014 und 2015 verheimlichten einige Spielerinnen dem Trainer ihre Verletzungen, weil sie befürchteten, das nächste Spiel zu versäumen.26 Es existierte auch kein ‚unsichtbares Training‘ (entraînement invisible).27 Was bedeutet ‚unsichtbares Training‘? Hierbei geht es um ein gutes Management unterschiedlicher Faktoren außerhalb der Trainingseinheiten: Ernährung, Pflege, Ruhezeit, Lebensweise etc. Es ist jedoch richtig, dass solche Verhaltensstrategien bei den Jugendmannschaften der Männer nicht selten sind und speziell eingeübt werden.28 Nichtsdestoweniger wird auch von den erwachsenen Fußballspielerinnen der ersten Mannschaft erwartet, dass sie sich wie die männlichen Profis verhalten, ohne aber die gleiche Ausbildung zu erhalten. Schnell wird vergessen, dass das Profitum im männlichen Fußball in Frankreich seit 1932 etabliert ist,29 was für den Frauenfußball nicht gilt. Nur einige Frauenmannschaften der aktuellen ersten französischen Liga, wie Olympique Lyonnais, Paris Saint-Germain oder Montpellier HSC, sind vollständig professionalisiert. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Fußballerinnen – auch wenn sie in der ersten Liga spielen – nicht alle Verhaltensregeln des Profifußballs kennen und anwenden. Heute erleben alle diese Spielerinnen viele Verbesserungen. Auch bei jüngeren Fußballerinnen ist diese neue Entwicklung zu beobachten, zumindest durch die Vorgaben ihrer Trainerinnen. 2018 war die U-15-Mannschaft für ___________ 25 26 27 28 29
Vgl. Gespräch mit Getter Laar, 21.05.2019. Vgl. Gespräch mit Marie Papaix, 21.05.2019. Vgl. Gespräch mit Marie Papaix und Getter Laar, 21.05.2019. Vgl. Gespräch mit Sébastien Muet, 23.08.2016. Vgl. Wahl, Alfred: Les archives du football. Sport et société en France (1890–1990), Paris: Gallimard/Julliard, 1989.
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das französische Schulfußball-Finale in Reims qualifiziert, wo sie den Titel gewinnen konnte. Während des Wettkampfs verweigerte Céline Leuck, die Trainerin, ihren Spielerinnen Pommes Frites sowie die Nutzung des örtlichen Hochseilgartens, der für die Wettkämpferinnen frei zugänglich war, weil sie Verletzungen befürchtete. Es wird hier sichtbar, dass manche Trainerinnen den jungen Mädchen des FC Metz neue Verhaltensweisen und neue Werte durch den Fußball vermitteln wollen. Ziel ist es dabei, durch ein vorbildliches Verhalten auf und außerhalb des Rasens das höchstmögliche Niveau zu erreichen.
4. Gesellschaftliche Vorstellungen innerhalb des Vereins „Schau mal! Null Tempo! Null Intensität! Null Ernsthaftigkeit! Sie könnten nicht einmal gegen unsere U-17 spielen. Sie sind zu schwach, die Jungen würden sie zerstören!“ Das waren die Worte von Sébastien Muet, dem Trainer der männlichen U-17, während eines Trainings der Mädchen im September 2014. Es ist wahr, dass die Mädchen und ihre Trainer*innen nicht den Eindruck erweckten, auf dem Feld ihr Bestes zu geben. Aber es muss daran erinnert werden, dass „Fitness und körperliche Vorbereitung, Qualität und Intensität erst seit kurzem Bestandteil des Frauenfußballs sind. Das Amateurstatut ließ es nicht zu, das zu ändern.“30 So haben die Frauen des FC Metz lernen müssen, höhere Anforderungen zu erfüllen. Heute sind diese Veränderungen sichtbar: „2018 trainierte man fünf bis sieben Mal wöchentlich und dazu kamen noch zwei wöchentliche Krafttrainingseinheiten.“31 Daher kann man heute von einer „unbestreitbaren Professionalisierung“32 sprechen. Denis Schaeffers Meinung nach gab es von Anfang an eine enorme Skepsis bei den anderen Trainern. Jeden Montag fand (und findet aktuell noch immer) ein Treffen statt, bei dem jeder Coach das Spiel seiner Mannschaft analysiert. Hinter dem Rücken des Direktors des Ausbildungszentrums – der zu dieser Zeit Denis Schaeffer war – beschwerten sich die Trainer der Jungenmannschaften. Sie befanden, dass zu viel Zeit für die Besprechung der Partien der weiblichen Teams aufgewandt wurde. Die Trainer der männlichen Nachwuchsmannschaften waren überdies missgünstig, dass die Frauen das Stadion der Profis (das Stade Saint Symphorien) für ihre Spiele nutzen durften. Dies führte zur Verbreitung des folgenden Slogans: „Si tu veux jouer à Saint Sym, laisse-toi ___________ 30
31 32
Prudhomme-Poncet, Laurence/Thiney, Gaëtane: Entretien. Le Football féminin, une pratique en développement, in: Informations sociales 187 (2015), S. 119–126. Laurence Prudhomme-Poncet ist Sporthistorikerin und ehemalige Fußballerin. Gaëtane Thiney ist eine französische Nationalspielern, die seit 2007 mehr als 160 Länderspiele bestritten hat. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019.
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pousser les seins.“ Dieser Spruch lässt sich schwerlich ins Deutsche übersetzen. Er bedeutet in etwa: „Wenn du in Saint-Symphorien spielen möchtest, musst du deine Brüste wachsen lassen.“ Hier mussten die Fußballerinnen eine Form der symbolischen Gewalt erdulden.33 Im Jugendbereich sind solche intoleranten oder ironischen Verhaltensweisen seltener. Hier kommen die jungen Mädchen manchmal zu den Spielen ihrer männlichen Pendants, um sie zu unterstützen, besonders wenn sie Klassenkameraden sind. Das Gegenteil ist selten der Fall. Laut Denis Schaeffer gibt es auch Widerstände von Mitarbeitern: Ärzte, Physiotherapeuten, Bedienstete des Restaurantservice… Alle beklagen sich über zusätzliche Arbeit. Diese Feststellungen lassen die männliche Rücksichtslosigkeit gegenüber den Frauen in unserer Sportkultur erkennen.34 Denis Schaeffer berichtete auch von den folgenden Worten eines Direktors des Ausbildungszentrums: „Für die Frauen und Mädchen ging im Vergleich zu den Jungen und Männern alles zu schnell.“ Dieser Mann hatte anscheinend Angst, dass für die Damen zu viel getan würde und für seine eigenen Fußballer zu wenig.35 Für Angélique Roujas gab es nach zwei oder drei Jahren mehr Probleme als im ersten Jahr. Am Anfang glaubten wenige Menschen, dass die Frauen eine solche Dimension erreichen könnten. Aber dann wurde offensichtlich, dass sie – wie die Jungen – Trainingsplätze von bester Qualität brauchten und im Sommer auch kurzärmlige Trikots zur Verfügung stehen mussten. All diese Dinge kosten viel – für Mädchen und Frauen jedoch nicht mehr als für Jungen und Männer. Allerdings ist nicht jeder Trainer im Ausbildungszentrum bereit, Männer und Frauen gleich zu behandeln. Zu oft gibt es – wie auch in diesem Fall – innerhalb der Fußballvereine Diskriminierungen, die fast nie geahndet werden und gegen die die Frauen ankämpfen müssen.36 Den Mädchen des Ausbildungszentrums ist bewusst, dass für sie nicht die gleichen Regeln gelten wie für die Jungen. Océane Brandao die drei Jahre lang im Ausbildungszentrum trainierte, äußert dazu: „Im Verein, im Ausbildungszentrum mussten wir Frauen uns vorbildlich verhalten. Aber die Trainer tolerierten einige unangebrachte Handlungen der männlichen Fußballer, die sie bei den Fußballerinnen nicht dulden würden. Während unserer Trainingseinheiten herrscht Disziplin.“37 Im Gegensatz zu den Jungen werden die Mädchen aus dem Ausbildungszentrum nicht bezahlt, obwohl sie genauso hart trainieren. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die meisten Jugendfußballer in französischen Ausbildungszentren ab der U-17 zwischen 500 und ___________ 33 34 35 36 37
Vgl. Héas: Football féminin, S. 194. Vgl. Louveau, Catherine: Sexuation du travail sportif et construction sociale de la féminité, in: Cahiers du Genre 36 (2004), S. 163–183, hier S. 181. Vgl. Gespräch mit Denis Schaefer, 10.05.2019. Vgl. Mennesson: Pourquoi les sportives ne sont pas féministes?, S. 190. Gespräch mit Océane Brandao, 20.05.2019.
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5 000 Euro pro Monat verdienen. Trotz der Unterschiede scheint das Verhalten der Jungen gegenüber den Mädchen freundlicher als das ihrer Trainer: „Die Jungen akzeptieren uns, weil wir Klassenkameraden waren oder noch sind. Sie akzeptieren uns als Fußballerinnen, aber auch wegen unserer Leistungen im collège.“38 So kann die Hypothese aufgestellt werden, dass die Schule und – insbesondere hier in Metz – das Internat eine wichtige Rolle als Orte der Sozialisierung, des Respekts und des gegenseitigen Verständnisses spielen. Durch solche Integrationsprozesse sind vielleicht schnellere Fortschritte und Veränderungen im Bereich der gesellschaftlichen Vorstellungen hinsichtlich der Sportlerinnen möglich. Im Jugendbereich akzeptieren die Jungen mit wohlwollendem Blick die Professionalisierung der MädchenTeams. Beide Seiten wissen, dass das Ausbildungszentrum für die jungen Frauen eine Qualitätsoptimierung und eine gesteigerte Professionalität (bessere und mehr Trainingseinheiten) bedeutet, gleichzeitig daraus aber keine quantitativen Belohnungen entstehen: Sie bekommen weder ein angemessenes Gehalt noch wird ein ausreichendes Budget für weitere Trainer*innen bereitgestellt. Es gibt nur drei Trainer*innen für die Frauen: Manu Peixoto für die AMannschaft, Céline Leuck für die U-15 und Marie Papaix für die U-19. Für die U-17, die mit der U-15 oder der U-19 trainieren muss, existiert kein*e Übungsleiter*in. Im Vergleich dazu gibt es für die entsprechenden Männermannschaften sieben Trainer und einen Torwarttrainer. Darüber hinaus haben die weiblichen Trainerinnen im Gegensatz zu ihren männlichen Pendants kein eigenes Büro.39
5. Fazit Beim FC Metz trainieren die Frauen der A-Mannschaft sowie die U-15, U-17 und U-19-Mädchen pro Woche mehr Stunden als 2014. Überdies gibt es nun ein Fitnesstraining, das 2014 in dieser Form noch nicht existierte. So kann René Franceschetti sagen: „Innerhalb von nur fünf Jahren hat die Qualität der Fußballerinnen mit erstaunlicher Geschwindigkeit zugenommen.“40 Und Angélique Roujas kann hinzufügen: „Heute sind die Mädchen echte Sportlerinnen. Vor fünf Jahren war es nicht so!“41 Es wird allerdings deutlich, dass
___________ 38 39 40 41
Gespräch mit Océane Brandao, 20.05.2019. Vgl. Gespräch mit Getter Laar und Marie Papaix, 21.05.2019. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019.
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die Fußballerinnen in einigen Bereichen weiterhin einer Stigmatisierung ausgesetzt sind.42 In Metz wird dies im Hinblick auf die Betreuung, die Entlohnung und die Zuteilung der Spielfelder deutlich. Noch 2019 wechselten die Jungen ihre Trainingsgelände. Wie die Profis werden sie in Frescaty auf einem ganz neuen Gelände trainieren, während die Frauen in La Plaine de jeux bleiben werden. Ob sich dies als bedauernswerte Entwicklung herausstellen oder aber positive Auswirkungen haben wird, muss vorerst offenbleiben. Jedenfalls ist das Problem der Trainingsplätze nun gelöst: Männlicher Fußball und weiblicher Fußball sind oft zwei strikt getrennte Abteilungen innerhalb desselben Vereins, sodass eine für beide positive Koexistenz schwierig ist. Die Konkurrenzsituation führt zu Auseinandersetzungen und in einigen Fällen zur Auflösung der weiblichen Mannschaft oder zum Verlust ihrer Autonomie.43
Im Falle des FC Metz wäre es vielleicht besser gewesen, eine echte Koexistenz aufzubauen. Es bleibt zu hoffen, dass die Frauen – im Unterschied zu anderen Vereinen – nicht unter dieser Isolation leiden müssen.44 Kann von einer Diskriminierung45 der Frauen gesprochen werden? Davon ist nicht auszugehen. Es ist eher von Toleranz zu sprechen. Toleranz ist trotzdem nicht gleichbedeutend mit Wohlwollen. Die Amateur-Abteilung des FC Metz möchte die Frauenfußballabteilung unbedingt behalten, aber die Akteur*innen innerhalb der Abteilung fühlen sich allzu oft allein gelassen.46 Angélique Roujas beschwert sich: „Schade, aber die Entwicklung der Frauenfußballabteilung des FC Metz ist von dem guten Willen Einzelner abhängig. Was wird geschehen, sollte Denis Schaeffer den Verein verlassen?“47 Sie weiß aus Erfahrung, dass nicht alle Fußballvereine Frauen mit offenen Armen empfangen.48 Der Fall des FC Metz zeigt eine in Teilen positive Entwicklung im Frauenfußball auf. Dies bezieht sich auch auf die Unkenntnis und Verachtung,49 die nach und nach verschwinden. In Metz ist der Fußball – wie in anderen Klubs ___________
42 43 44 45 46 47 48 49
Vgl. Mennesson: Etre une femme, S. 78. 2004 sprach Christine Mennesson von einem deutlichen Stigmatisierungsprozess. Prudhomme-Poncet, Laurence: Mixité et non-mixité. L’exemple du football féminin, in: Clio 18 (2003), S. 167–175, hier S. 170. Vgl. Mennesson, Christine: Les sportives ‚professionnelles’. Travail du corps et division sexuée du travail, in: Cahiers du genre 42 (2007), S. 19–42, hier S. 25. Vgl. Fortems, Annie: Le football féminin face aux institutions. Maltraitances et conquêtes sociales, in: Mouvements 78 (2014), S. 90–94, hier S. 91. Annie Fortems ist eine ehemalige Spielerin, die 1971 den FC Juvisy gegründet hat. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019. Im Juni 2019 hat der Verein ihr die Freigabe erteilt, sodass ihr Vertrag aufgelöst werden konnte. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019. Vgl. Prudhomme-Poncet: Mixité et non-mixité. Vgl. Mennesson: La gestion de la pratique des femmes, S. 94.
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vermutlich auch – ein Sport für Frauen und Mädchen geworden. Allerdings bleibt das Wohlwollen gegenüber den Fußballerinnen vom individuellen Verhalten der Männer abhängig. Sollte dieses individuelle Wohlwollen nachlassen, wird die Zukunft der weiblichen Mannschaften wiederum komplizierter. Der FC Metz gilt als innovativer Verein, dem Olivier Echouafni, Sandrine Soubeyrand und Corinne Diacre einen Besuch abgestattet haben.50 Warum kamen sie nach Metz? Weil dieses Experiment der Frauenfußballabteilung, deren jugendliche Mitglieder Internatsschülerinnen sind, neu in Frankreich ist. Wahrscheinlich sind die genannten Persönlichkeiten der Meinung, dass der FC Metz ein Pionier des weiblichen Jugendfußballs ist. Solch eine Einrichtung könnte als Beispiel für andere Vereine dienen. Und dadurch könnten die jüngeren Fußballerinnen eine bessere Betreuung als bisher bekommen: „Den kleinen U-6- oder U-7-Mädchenmannschaften wird viel zu oft ein unerfahrener, freiwilliger Betreuer zugeteilt – viel öfter als bei den Jungenmannschaften.“51 Dies führt uns dazu, über eine Mannschaft der französischen ersten Liga zu sprechen, um die ihr in den Weg gestellten Hindernisse im Rahmen des männlich dominierten Profivereins zu erklären. Aber es ist unmöglich, über diese Frauen zu sprechen, ohne die Entwicklung der jugendlichen Fußballerinnen, von U-6 bis U-19 in den Blick zu nehmen. Nach wie vor lassen sich große Widerstände feststellen, aber auch wertvolle Fortschritte. Heute soll Fußball nicht mehr nur ein Sport für Männer sein.52 Der Frauenfußball entwickelt sich mehr und mehr zu einem Symbol der Gleichheit im Sport.53 Beim FC Metz – genau wie in ganz Frankreich und auf der ganzen Welt – erhalten die Sportlerinnen viel weniger Sponsoring, kommen viel seltener in Fernsehsendungen vor und werden deutlich schlechter entlohnt als ihre männlichen Pendants.54 In Metz, wie auch andernorts, ist es noch ein langer Weg zur Gleichberechtigung. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Gespräch mit Sébastien Muet, 23.08.2016. Gespräch mit Angélique Roujas, 10.05.2019. Gespräch mit Denis Schaeffer, 10.05.2019. ___________ 50 51 52 53 54
Gespräch mit Denis Schaeffer und Angélique Roujas, 10.05.2019. Olivier Echouafni, Sandrine Soubeyrand und Corinne Diacre waren bzw. sind Frauennationaltrainer*in und berühmte Trainerinnen von Erstliga-Mannschaften. Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019. Vgl. Markovits, Andrei S./Hellerman, Steven L.: Women’s Soccer in the United States. Yet another American ‚Exceptionnalism’, in: Soccer and Society 4 (2003), S. 14–29, hier S. 27. Vgl. Hong, Fan: Soccer, Women, Sexual Liberation. Kicking off a New Era, London: Taylor & Francis, 2003, S. 268–269. Vgl. Hong: Soccer, Women, Sexual Liberation, S. 268–269.
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Gespräch mit Océane Brandao, 20.05.2019. Gespräch mit Getter Laar, 21.05.2019. Gespräch mit Marie Papaix, 21.05.2019. Gespräch mit René Franceschetti, 28.05.2019. Gespräch mit Céline Leuck, 05.06.2019.
Literatur Fortems, Annie: Le football féminin face aux institutions. Maltraitances et conquêtes sociales, in: Mouvements 78 (2014), S. 90–94. Héas, Stéphane [u. a.]: Football féminin : « c’est un jeu d’hommes », in: Cahiers du Genre 34 (2004), S. 185–203. Hong, Fan: Soccer, Women, Sexual Liberation. Kicking off a New Era, London: Taylor & Francis, 2003. Lee, James L.: The Lady Footballers. Struggling to Play in Victorian Britain, New York: Routledge, 2008. Louveau, Catherine. Sexuation du travail sportif et construction sociale de la féminité, in: Cahiers du Genre 36 (2004), S. 163–183. Markovits, Andrei S./Hellerman, Steven L.: Women’s Soccer in the United States. Yet another American ‚Exceptionnalism’, in: Soccer and Society 4 (2003), S. 14–29. Mennesson, Christine: Etre une femme dans un sport « masculin ». Modes de socialisation et construction des dispositions sexuées, in: Sociétés contemporaines 55 (2004), S. 69–90. Mennesson, Christine: La gestion de la pratique des femmes dans deux sports ‚masculins‘. Des formes contrastées de la domination masculine, in: STAPS 63 (2004), S. 89–106. Mennesson, Christine: Les sportives ‚professionnelles’. Travail du corps et division sexuée du travail, in: Cahiers du genre 42 (2007), S. 19–42. Mennesson, Christine: Pourquoi les sportives ne sont pas féministes? De la difficulté des mobilisations genrées dans le sport, in: Sciences Sociales et Sport 5 (2012), S. 161–191. Prudhomme-Poncet, Laurence: Mixité et non-mixité. L’exemple du football féminin, in: Clio 18 (2003), S. 167–175. Prudhomme-Poncet, Laurence/Thiney, Gaëtane: Entretien. Le Football féminin, une pratique en développement, in: Informations sociales 187 (2015), S. 119–126. Shugart, Helene A.: She Shoots, she Scores. Mediated Constructions of Contemporary Female Athletes in Coverage of 1999 US Women’s Soccer Team, in: Western Journal of Communication 67 (2003), S. 1–31. Soulet, Jean-François: L’histoire immédiate. Historiographie, sources et méthodes, Paris: Armand Colin, ²2012. Wahl, Alfred: Les archives du football. Sport et société en France (1890–1990), Paris: Gallimard/Julliard, 1989.
Annette R. Hofmann & Silke Sinning
Trainerinnen im Frauenfußball
Nationale und internationale Entwicklungen seit den 1980er-Jahren
Bien que le football féminin en Allemagne remonte aux années 1920, il existe des entraîneures de football (licenciées) seulement depuis les années 1980. On les trouve en priorité dans le football féminin ou le football junior masculin et féminin. Très peu d’entraîneures travaillent dans le football masculin, et encore moins dans le domaine de haut niveau. Cela s’explique, d’une part, par le fait que le football féminin ait une moins longue tradition que le football masculin et que les entraîneures, tant dans le sport de haut niveau que dans le domaine amateur, sont le plus souvent d’anciennes joueuses. D’autre part, les entraîneures, y compris dans d’autres sports, semblent se trouver en priorité dans le domaine féminin ou dans celui des jeunes espoirs. Il n’existe quasiment aucune étude récente à ce sujet. L’objectif de cet article est de donner un exemple de l’évolution des entraîneures dans le football depuis les années 1980 en Allemagne et, au-delà des frontières, d’élargir l’analyse à une dimension internationale. Il débutera par un aperçu de la situation du football féminin en général ainsi que par un résumé de l’histoire du football féminin en Allemagne.
1. Internationale Verbreitung des Frauenfußballs Der Frauenfußball und damit auch die fußballspielenden Frauen wurden in zahlreichen Ländern sehr lange kritisch gesehen. Deshalb war die Prognose des ehemaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter aus dem Jahr 1995, dass die Zukunft des Fußballs weiblich sei, gewagt.1 Rückblickend hatte er jedoch nicht Unrecht. In vielen Ländern konnte der Frauenfußball in den letzten Jahren einen Aufstieg verzeichnen. Schätzungen zufolge spielten im ausgehenden 20. Jahrhundert circa 20 Millionen Mädchen und Frauen im organisierten Fußball.2 Eine Studie der Fédération internationale de football association (FIFA) aus dem Jahr 2007 spricht von rund 38 Millionen Frauen weltweit, das entspricht fast einer Verdopplung innerhalb eines Jahrzehnts. Von den aktuell ___________ 1 2
Vgl. Hofmann, Annette: Frauenfußball aus einer internationalen Perspektive, in: dies./Krüger, Michael (Hg.): Rund um den Frauenfußball. Pädagogische und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Münster: Waxmann, 2014, S. 47–62. Vgl. Scraton, Sheila [u. a.]: It’s still a Man’s Game? The Experiences of Top-Level Women Footballers in England, Germany, Norway and Spain, in: International Journal of Sport Sociology 34 (1999), S. 99–111.
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211 Mitgliedsorganisationen der FIFA befinden sich 155 Länder mit ihren Frauenmannschaften in der aktuellen Weltrangliste, dies ist ein Anstieg von 47 Staaten seit 2003.3 Diese Zahlen zeigen, dass sich der Frauenfußball international weiterentwickelt hat und zahlenmäßig ansteigt. Hinter diesen hohen Zahlen steckt in vielen Ländern ein langer Kampf der Anerkennung. Frauen mussten sich den Weg zum Frauenfußball auf vielfältige Weise erst erkämpfen. Lange wurde die Meinung vertreten, dass fußballspielende Frauen den Wert des Männerfußballspiels herabsetzen würden, zudem wurde davon ausgegangen, dass es Frauen an den körperlichen Voraussetzungen für diesen Sport fehle und die Ausübung zu einer Maskulinisierung führe. In einer amtlichen Mitteilung des DFB hieß es 1955: Man(n) argumentierte damals, im Kampf, der mit dem Einsatz letzter Kräfte, mit Verbissenheit und Zähigkeit geführt werde, verschwinde die Anmut der weiblichen Bewegung, erleide Körper und Seele der Frauen unweigerlich Schaden, ihre echte Weiblichkeit sei in Gefahr. Nicht zuletzt sei das Zurschaustellen ihres Körpers auf dem Fußballplatz der Frau abträglich und verletze Schicklichkeit und Anstand.4
Hugo Sellheim, der Direktor der Universitäts-Frauenklinik Leipzig äußerte 1931 außerdem: Durch zu viel Sport nach männlichem Muster wird der Frauenkörper direkt vermännlicht […]. Die weiblichen Unterleibsorgane verwelken und das künstlich gezüchtete Mannweib ist fertig.5
Dazu kam, dass es für Frauen als unschicklich galt, Hosen zu tragen. Kurz: Fußball wurde als etwas angesehen, das nur den Männern zustand.6 Dies führte dazu, dass in vielen Ländern den fußballspielenden Frauen – ab den ___________ 3
4 5 6
Die Zahlen sind unter FIFA: Weltrangliste (Frauen), https://de.fifa.com/fifa-worldranking/ranking-table/women/ (25.05.2020) abrufbar. Demgegenüber sind 210 Staaten in der aktuellen Weltrangliste der Männer aufgeführt, während es im Jahr 2003 204 Staaten waren und 1992 163 Staaten geführt wurden, vgl. FIFA: Weltrangliste (Männer), https:// de.fifa.com/fifa-world-ranking/ranking-table/men/rank/id1/ (25.05.2020). Amtliche Mitteilung des DFB Nr. 8, zit. nach Novak, Michael: Frauen am Ball. Eine dreißigjährige Erfolgsbilanz, in: Deutscher Fußball-Bund (Hg.): 100 Jahre DFB. Die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes, Berlin: Sportverlag, 1999, S. 489–496, hier S. 493. Zit. nach: Pfister, Gertrud: Vom Ausschluß zur Integration? Frauen und Olympische Spiele, in: Grupe, Ommo (Hg.): Einblicke. Aspekte olympischer Sportentwicklung, Schorndorf: Hofmann Verlag, 1999, S. 83–90; hier S. 86. Vgl. Knoppers, Annelies/Anthonissen, Anton: Women’s Soccer in the United States and the Netherlands. Differences and Similarities in Regimes of Inequalities, in: Sociology of Sport Journal 20 (2003), S. 351–370.
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1920er-Jahren über fünf Jahrzehnte hinweg – die Nutzung der Stadien und Sportanlagen verwehrt wurde.7 Erst in den 1970er-Jahren gab es einen ersten Durchbruch und das Fußballspiel für Frauen wurde offiziell in den unterschiedlichen internationalen Verbänden aufgenommen und es konnten sich erste Turniere und Meisterschaften sowohl national als auch international etablieren. Damit gelang auch ein weltweiter Durchbruch, der sich unter anderem an der ersten FrauenEuropameisterschaft 1982–1984 (ohne Gastgeberland) festmachte. Als Siegerinnen gingen die Schwedinnen hervor. 1991 wurde die erste Weltmeisterschaft in China gespielt, die die Frauen der USA für sich entscheiden konnten und schließlich wurde Frauenfußball auch bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 erstmals aufgenommen. Hier konnte sich Deutschland die erste Goldmedaille sichern. Betrachtet man zusätzlich die Entwicklung der teilnehmenden Mannschaften, so wird auch daran sichtbar, dass sich der Frauenfußball international immer weiter durchsetzen konnte. Waren es bei der ersten Europameisterschaft 1982–1984 noch vier teilnehmende Mannschaften, spielten bei der EM 2017 in den Niederlanden schon 16 Teams. Bei der WM 1991 in China traten zwölf Mannschaften gegeneinander an, in Frankreich 2019 spielten bereits doppelt so viele mit. Ein ähnlicher Anstieg ist auch bei den Olympischen Spielen zu beobachten: Waren es 1996 in Atlanta noch acht Teams, die sich am olympischen Frauenfußballturnier beteiligten, so wurde die Zahl 2016 in Rio auf zwölf Nationalmannschaften erhöht.
2. Von England nach Deutschland In Deutschland ist Fußball der populärste Mannschaftssport für Mädchen und Frauen. Derzeit sind über eine Million weibliche Mitglieder beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) gemeldet. Wie schon die internationale Entwicklung verdeutlicht, war es ein steiniger Weg dahin. Der Frauenfußball hat sich wie der Fußball der Männer von England aus weltweit verbreitet. Das erste offiziell anerkannte Frauenfußballspiel wurde 1888 in Schottland ausgetragen, wo auch sechs Jahre später eine erste Frauenfußballorganisation gegründet wurde. Nettie Honeyball, eine englische Frauenaktivistin, wurde dafür berühmt, dass sie ein Jahr darauf ein Spiel zwischen den Schottinnen und Südengländerinnen organisierte. Um den Anstand zu wahren, trugen die Spielerinnen Hüte und Röcke über ihren Knickerbockern. ___________ 7
Vgl. Hofmann, Annette: Frauenfußball aus internationaler Perspektive, in: Sinning, Silke (Hg.): Auf den Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs, Weinheim [u. a.]: Beltz Juventa, 2012, S. 51–62; Hofmann: Frauenfußball aus einer internationalen Perspektive, S. 47–62.
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Ein paar Jahre nach diesem Spiel kam es auch schon zu ersten Einschränkungen. 1902 gab die Football Association in England ein Gesetz heraus, in dem verboten wurde, dass Männer gegen Frauen Fußball spielten. Der Frauenfußball hat sich dann – vor allem über Arbeiterinnen, die sich durch den Fußball Ablenkung von ihrem ermüdenden Alltag versprachen – weiterverbreitet. In den frühen 1920er-Jahren gab es um die 150 Teams in Großbritannien. In diese Phase steigender Popularisierung fällt ab 1921 das oben schon angeführte Verbot von Frauenfußballspielen in Stadien. Das Gesetz hielt sich genau 50 Jahre.8 Allgemein stieg im ausgehenden 19. Jahrhundert in den verschiedenen Ländern auch das Interesse von Frauen an der Ausübung dieses Sports.9 Was Deutschland angeht, so finden sich laut Gertrud Pfister nur sehr wenige Informationen zu fußballspielenden Mädchen und Frauen im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert.10 Aber es darf nicht vergessen werden, dass diese Sportart auch unter den Männern noch nicht sehr verbreitet war. In Deutschland galt das Turnen als die Form der Körperkultur, mit dem das aus England kommende Fußballspiel konkurrieren musste.11 Die Turner sahen diesen Sport als etwas Barbarisches an. 1898 schrieb der Stuttgarter Turnlehrer Prof. Planck vom „Stauchballspiel“ und von der „englische[n] Krankheit“, an der sich die männliche Jugend infiziere. In einem weiteren Absatz schrieb er noch ironisch mit Bezug des Stauchens auf den Ball: „[…] Fehlte nur noch, daß auch die Mädchen die liebliche Gewohnheit annähmen!“12 Einen einschlägigen Einfluss auf die Fußballentwicklung in Deutschland – vor allem im Frankfurter Raum – hatte Lotte Specht. Sie war nicht nur eine begeisterte Fußballanhängerin, sondern wollte auch selbst spielen. Auf ein von ihr aufgegebenes Zeitungsinserat 1930 in den Frankfurter Nachrichten meldeten sich einige Frauen und so wurde der 1. Deutsche Damenfußballclub (1. DDFC) gegründet. Die Frauen bekamen rasch Zuwachs, sodass der Verein bald zwei Mannschaften vorweisen konnte.13 Dass kritische Kommentare nicht verhindert werden konnten, liegt auf der Hand. Fußball sei nichts für ___________ 8 9 10 11 12 13
Vgl. Williams, Jean: The Fastest Growing Sport? Women’s Football in England, in: Hong, Fan/Mangan, James. A. (Hg.): Soccer, Women, Sexual Liberation. Kicking off a New Era, London: Frank Cass, 2004, S. 112–127. Vgl. Pfister, Gertrud: Frauen-Fußball-Geschichte(n), in: Sinning (Hg.): Auf den Spuren, S. 14–47. Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 22. Vgl. Krüger, Michael: Vom „Stauchballspiel“ zum Frauenfußball – zur Geschichte des populärsten deutschen Sports, in: Hofmann/Krüger (Hg.): Rund um den Frauenfußball, S. 11–46. Planck, Karl: Fußlümmelei. Über das Stauchballspiel und englische Krankheit, Münster: LIT, 1898 [ND 2004], siehe Titel und S. 9. Vgl. Thoma, Matthias: „Mädchen, ihr müsst einen Club gründen“. Frauenfußball in Frankfurt a. M., in: Herzog, Markwart (Hg.): Frauenfußball in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart: Kohlhammer, 2008 (Irseer Dialoge 18), S. 65–86.
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deutsche Frauen, noch für deren Körperbau. Zudem sei diese Sportart zu rau und entspreche nicht deren Wesensart, so einige der vorgetragenen Argumente gegen die Fußballspielerinnen.14 Außerdem war im zunehmend konservativer werdenden politischen Klima der 1930er- und 1940er-Jahre eine weitere Verbreitung des Frauenfußballs nicht möglich. Der Nationalsozialismus vertrat traditionelle Ideale der Weiblichkeit. Frauensport wurde zwar – vor allem im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 – gefördert, aber dieser sollte ‚fraugemäß‘ sein. Diesem Bild entsprachen zum Beispiel die Individualsportarten Schwimmen, Turnen und Gymnastik.15 Ein Zitat des Pressedienstes der NS-Fußballorganisation aus dem Jahr 1936 belegt dies: Es gibt Sportarten, in denen wir die Frau nicht als Sportausübende treffen, weil ihre Eigenarten nicht dem Wesen der Frau entsprechen. Zu diesen Sportarten gehört auch der Fußball, und er befindet sich dabei mit Skispringen, Boxen, Bobfahren, Radrennen und Langstreckenlaufen in bester Gesellschaft. Zu hart, bei allem fairen Einsatz der Kräfte wird in diesen Sportarten um den leistungskrönenden Sieg gerungen, oder zu groß sind die Anstrengungen, die in diesen Sportkämpfen an den Körper gestellt werden müssen, als dass die Frau sie als Durchschnittsleistung je erreichen könnte. Oft aber widerspricht der männliche Kampfcharakter der einzelnen Sportart dem Wesen der Frau, die wir von Sportarten bewusst ausgeschaltet sehen wollen, die ihr die Würde des Weibes im Wettkampf nehmen müssten.16
Diese Einstellungen gegenüber der Beteiligung von Frauen im Sport herrschte nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern, wie die Aussage des niederländischen Sportarztes und Psychologen Buytentdijk in seiner Studie Das Fußballspiel – eine psychologische Studie aus dem Jahr 1953 zeigt: Das Fußballspiel als Spielform ist also wesentlich eine Demonstration der Männlichkeit, so wie wir diese auf Grund unserer traditionellen Auffassung verstehen, und wie sie zum großen Teil durch die körperliche Anlage (die hormonale Irritation) hervorgerufen wird. Es ist noch nie gelungen, Frauen Fußball spielen zu lassen, wohl aber Korbball, Hockey, Tennis und so fort. Das Treten ist wohl spezifisch männlich; ob darum das Getreten weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.17
In den Niederlanden wurde der Frauenfußball rasch beliebt, als er in den 1950er-Jahren wiederaufkam. Er schwappte, vor allem über die Grenzen in das nahegelegene Ruhrgebiet, wieder zurück nach Deutschland. Es wurden ___________ 14 15 16 17
Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 25 Vgl. Thoma: „Mädchen, ihr müsst einen Club gründen“, S. 67. Zit. nach: Thoma: „Mädchen, ihr müsst einen Club gründen“, S. 67–68. Buytendijk, Frederik J. J.: Das Fußballspiel – eine psychologische Studie, Würzburg: WerkbundVerlag, 1953, S. 20.
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erste Frauenfußballspiele zwischen Teams aus Deutschland und den Niederlanden von Geschäftsleuten organisiert. Diese nutzten das ‚Schauspiel‘, um Massen zu gewinnen und Geld zu verdienen.18 Es kam daher erneut vermehrt zur Organisation von Frauenmannschaften, bis dann der DFB eingriff und diese verbot. Am 30. Juli 1955 beschloss er einstimmig, dass seine Vereine keine Damenfußballmannschaften gründen oder Damenfußballabteilungen bei sich aufnehmen dürften. Ebenso wurde es verboten, ihnen ihre Fußballplätze zur Verfügung zu stellen. Zudem wurde den Schiedsrichtern untersagt, Frauenfußballspiele zu pfeifen. Darüber hinaus durfte den Spielerinnen kein Spielmaterial zur Verfügung gestellt werden.19 Dies wurde dann umgehend an die Landesverbände weitergegeben, die dafür Sorge tragen mussten, dass sich der Damenfußball nicht weiter etablierte. Dies galt lediglich für die westdeutschen Vereine. In der früheren DDR gab es kein offiziell ausgesprochenes Verbot des Frauenfußballs, er wurde aber auch nicht gefördert.20 Trotz der erwähnten Verbote gab es auch in den 1950er- und 1960erJahren Länderspiele. Allerdings lassen sich dazu in der Literatur verschiedene Angaben finden. Dies ist auch dadurch bedingt, dass es keine Dachorganisation gab, die sich um den Frauenfußball allgemein, oder um eine offizielle Nationalmannschaft kümmerte. Seitens des DFB wurde das Frauenfußballverbot auf dessen Bundestag am 30. Juli 1955 erneut bekräftigt. Allerdings wurde von Willi Ruppert 1956 der Westdeutsche Damenfußballverband gegründet, der sich dann auch Deutscher Damenfußballverband nannte. Dieser Verband setzte am 23. September 1956 ein Länderspiel einer selbsternannten deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen im privaten Stadion der Essener Zeche Mathias Stinnes vor circa 17 000 Zuschauer*innen gegen die niederländische Fußballnationalmannschaft der Frauen an. Das Spiel gewann die deutsche Mannschaft mit 2:1. Am 17. März 1957 fand in München das nächste Spiel im Dante-Stadion gegen Westholland statt.21 1958 wurde mit der Deutschen Damen-Fußballvereinigung unter Leitung von Josef Floritz ein weiterer Frauenfußballverband gegründet, der etwa 150 inoffizielle Länderspiele organisierte. Dieser löste sich 1965 wieder
___________ 18 19 20 21
Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 14–47. Vgl. Thoma: „Mädchen, ihr müsst einen Club gründen“, S. 68. Siehe auch den Beitrag von Carina Sophia Linne in diesem Band. Vgl. Neue Osnabrücker Zeitung, Sonderbeilage, 25.06.2011; Hennies, Rainer/Meuren, Daniel: Frauenfußball – der lange Weg zur Anerkennung, Göttingen: Die Werkstatt, 2009, S. 16; Hoffmann, Eduard/Nendza, Jürgen: Das Ausnahmeteam. Fortuna Dortmund 1955–1965, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Die graue Spielzeit. Frauenfußball in der Verbotszeit, Dossier, 04.09.2007, https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/graue-spielzeit/ 65071/das-ausnahmeteam-fortuna-dortmund (25.05.2020).
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auf. Den Veranstaltern wurde vorgeworfen, dass sie mit dem frei verfügbaren Begriff ‚Nationalmannschaft‘ schnelles Geld machen wollten.22 Ein anderes Spiel, das am 20. April 1957 stattfand, ging ebenso als erstes offizielles Frauenfußball-Länderspiel in die Geschichtsbücher ein. Vor 4 000 Zuschauer*innen besiegte im Frankfurter Waldstadion die westdeutsche Frauenmannschaft die Mannschaft aus Westholland mit 1:6. Im Juli folgten zwei weitere Länderspiele in Deutschland: eines im Stuttgarter Neckarstadion gegen England und ein weiteres in Augsburg gegen Österreich. Letzteres lockte 10 000 Zuschauer*innen an. Deutschland siegte 5:0.23 Die Frauen ließen sich von dem offiziellen Verbot nicht einschüchtern. In den 1950er- und 1960er-Jahren fanden über 70 inoffizielle Länderspiele statt. Darunter auch eine inoffizielle Europameisterschaft in Berlin im November 1957, an der neben Deutschland, die Niederlande, Österreich und England teilnahmen. Die deutschen Frauen verloren im Endspiel. Die Zeit der 1950er- und 1960er-Jahre war trotzdem nicht einfach für die Spielerinnen: Teilweise waren die Plätze blockiert oder die Polizei ließ sie nicht auf die Fußballplätze. Neben der Verweigerung des DFB, den Frauenfußball zuzulassen, fehlte außerdem die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Fußballspielerinnen wurden als „Mannsweiber“ beschimpft, „sie sollen lieber an den Kochtopf“. Zudem bestand weiterhin die Meinung, dass das Fußballspiel für Frauen gegen die Sittlichkeit und Schicklichkeit sei. Es gab aber auch wohlgesinnte Journalisten, die von „Fußballsuffragetten“ oder „Amazonen“ sprachen, aber ebenso von „Bubikopfstößen“ oder „Markenbutterflanken“ berichteten.24 Die Frauen gaben nicht auf. In den 1960er-Jahren forderten sie Zugang zu Sporteinrichtungen und verlangten vom DFB, der noch immer starke Vorbehalte gegenüber dem Frauenfußball hatte, zugelassen zu werden. Nach wie vor nutzte der DFB medizinische und psychologische Argumente, um die Ablehnung zu legitimieren. So wurde die Meinung verbreitet, dass die Teilnahme an einem solchen anstrengenden Sport die Gesundheit der Frauen sowie ihre feminine Attraktivität beschädigen würde. Doch damit konnte der Fußballbund nicht für immer durchhalten. Letztendlich führten verschiedene Gründe dazu, dass der DFB seine Meinung änderte. Im Zuge der 68er-Bewegung kam es zu gesellschaftlichen Liberalisierungen und Modernisierungen, die auch die Geschlechterrollen betrafen. Als Folge nahm auch die Emanzipation der Frauen zu, was selbstverständlich ___________ 22
23 24
Vgl. Hennies/Meuren: Frauenfußball, S. 15; Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 3. Zudem Schmoll, Herbert: Frauen lockten schon 1957 Fans in die Rosenau, in: Augsburger Allgemeine, 28.10.2009, https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Frauen-locktenschon-1957-Fans-in-die-Rosenau-id6754661.html (25.05.2020). Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 32. Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 33.
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auch Auswirkungen auf den Sport hatte. Die zunehmende Anzahl von Spielerinnen und der Anstieg der Frauen-Fußball-Bewegung in Europa verstärkte den Druck auf die Verbände. Um außerdem die Kontrolle über den Frauenfußball in Deutschland zu bewahren und zu vermeiden, dass ein vom DFB abgekoppelter Verband für Frauenfußball gegründet wird, musste sich auch der DFB den Entwicklungen geschlagen geben und die Spielerinnen akzeptieren. 1970 war es dann endlich soweit. Der ‚Damenfußball‘ wurde vom DFB öffentlich zugelassen.25 Laut einer Aussage von Hannelore Ratzeburg26 war es nur noch eine Frage der Zeit, dass die Frauen ansonsten ihren eigenen Verband gegründet hätten.27 England folgte dann ein Jahr später. Die Größe des Feldes und die Anzahl der Spielerinnen sollte wie bei den Männern sein, allerdings wurden bis in die 1980er-Jahre zahlreiche zusätzliche Regeln für das angeblich schwache Geschlecht diskutiert, wie das Verbot der Stollenschuhe und ein Schutz für die Brust.28 Beide Vorschriften wurden nicht in die Praxis umgesetzt. Zu den Regeln gehörte, dass die Spielzeit nur 30 Minuten pro Halbzeit umfassen sollte, um so der Erschöpfung der Spielerinnen entgegenzuwirken. Zum Wohl der Frauen sah das erste Regelwerk außerdem vor, dass die Spielerinnen nur mit Jugendbällen kicken durften. Des Weiteren sollten keine Hallenspiele stattfinden. Grundsätzlich hatten die Frauen aber weiterhin noch Schwierigkeiten, entsprechende Trainingszeiten, Ausrüstung und Finanzierung zu finden. Bereits vor 25 Jahren (1995) kam es zu einer Umbenennung des Damenfußballs in Frauenfußball.29 Trotzdem hält sich der Begriff in vielen Vereinen und Gesprächen hartnäckig. Während andere Sportverbände bereits in den 1970er-Jahren offizielle Frauennationalmannschaften gründeten und es beispielsweise eine inoffizielle Frauenfußball-Weltmeisterschaft in Italien gab, zu der aus Deutschland der Verein Bad Neuenahr fuhr, war dies beim DFB erst 1982 der Fall, als sich die Austragung von offiziellen internationalen Fußballmeisterschaften anbahnte. Die Union des associations européennes de football (UEFA) plante für 1983 die erste Frauen-Europameisterschaft und die ersten Qualifikationsspiele wurden angesetzt. Gero Bisanz, damals Trainerausbilder an der Sporthochschule Köln, wurde mit dem Aufbau des Teams der erste Trainer der Frauennationalmannschaft.30 ___________ 25 26 27 28 29 30
Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 36. Hannelore Ratzeburg ist seit 2007 Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball im Deutschen Fußball-Bund. Vgl. Büter, Merle: Toleranz – Verbot – Akzeptanz. Zur Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland, in: Ariadne. Forum für Frauen und Geschlechtergeschichte 69 (2016), S. 26–33. Vgl. Pfister: Frauen-Fußball-Geschichte(n), S. 36. Vgl. Sinning, Silke: Trainerinnen im Frauenfußball. Eine qualitative Studie, Schorndorf: Hofmann, 2005, S. 216. Vgl. Hoffmann/Nendza: Das Ausnahmeteam.
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Heute ist der Fußballsport für Mädchen und Frauen ohne Einschränkungen zugänglich und hat auch Eingang in den Sportunterricht gefunden. Im Jahr 2019 organisierten sich im DFB rund 6 000 Frauen- und 4 800 Mädchenmannschaften in unterschiedlichen Spielklassen und Spielbetrieben. Die Frauen-Ligen reichen von den Kreisklassen über Bezirks- und Landesspielklassen hin zu Regionalligen und der zweiten sowie ersten Frauenbundesliga. Daneben gibt es einen durchgängigen Pokalspielbetrieb und einen organisierten Hallen-/Futsal-Spielbetrieb. International vergleichen sich die Top-Frauenmannschaften mit Mannschaften anderer europäischer Länder noch in der UEFA Women‘s Champions League. Auch die Zahlen weiblicher Mitglieder sind beim DFB weiter gestiegen. 813 104 Frauen und 302 681 U-16 Mädchen waren beim DFB 2019 registriert, dem standen 4 206 612 Männer und 1 809 503 U-18 Jungen gegenüber. Tabelle 1 zeigt den Anstieg der Mädchen und Frauen in den unterschiedlichen Altersklassen in den Jahren zwischen 2007 und 2019 deutlich (vgl. Tab. 1a + 1b, s. Anhang).
3. Trainerinnen im Sport Der Einblick in die Geschichte des Frauenfußballs zeigt auf, mit welchen Schwierigkeiten fußballspielende Mädchen und Frauen über viele Jahrzehnte hinweg konfrontiert waren. Die Rolle der Frau im Fußballsport hatte auch Auswirkungen auf die Tätigkeit von Trainerinnen. Dies zeigt sich umso deutlicher, da historisch gesehen im Vergleich zu anderen Ländern, wie zum Beispiel in den USA, in Deutschland keine reinen Frauensportverbände existieren bzw. existierten, in denen es selbstverständlich ist, dass es auch Trainerinnen gibt. Beim Versuch die Situation von Trainerinnen im deutschen Sport darzustellen, wird schnell deutlich, dass keine genauen Zahlen beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) über die gesamte oder prozentuale Anzahl von Trainerinnen und Trainern – unabhängig der Sportarten – vorliegen. Schon alleine deshalb können kaum konkrete Aussagen zu den beim DFB gemeldeten Trainerinnen gemacht werden. Des Weiteren muss unterschieden werden, ob die Trainer und Trainerinnen im Spitzensport aktiv sind und damit ihre Tätigkeit zumindest zum Teil gegen eine finanzielle Entlohnung ausüben oder ob sie sich im ehrenamtlichen Bereich engagieren. Auch hier gibt es keine zuverlässigen quantitativen Aussagen. Letztlich kann nur eine kleine Analyse über die Trainerlizenz oder über die Betrachtung der Nationaltrainerinnen ausgewählter Sportarten bei Welt- oder Europameisterschaften erfolgen. Ein Überblick über bisherige Studien zu Trainerinnen im Vereins- und Spitzensport soll im Folgenden etwas genauer die grundlegende Problematik des Einsatzes von Trainerinnen darstellen. Anschließend soll am Beispiel des
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DFB aufgezeigt werden, wo und wie dort Trainerinnen im Spitzensport eingebunden sind. Dabei werden immer wieder internationale Vergleiche herangezogen.
4. Einblick in den Forschungsstand: quantitative Aspekte Erst Ende der 1990er-Jahre kamen übergreifende wissenschaftliche Studien zum Thema Trainerinnen im deutschen Sport auf, sieht man von vereinzelten Untersuchungen aus dem Fußballsport ab. Dieser Trend ist auch international zu beobachten.31 Eine erste umfassende Studie von Joachim Mrazek und Volker Rittner wies bereits 1991 darauf hin, dass es nur wenige Trainerinnen gibt und dass die Maßnahmen zur Gewinnung neuer Trainerinnen nicht erfolgreich waren und sind. In weiteren Studien wurde außerdem darauf verwiesen, dass vor allem im Sportspielbereich Trainerinnen stark unterrepräsentiert sind und überwiegend im Kinder- und Breitensport eingesetzt werden.32 Petra GießStüber (1996, 1998) und Ute Strakerjahn (1991, 1994) zeigten dies beispielsweise für den Bereich Tennis; Claus Willmann und Christa Zipprich (1995, 1998) für das Sportspiel Volleyball.33 Selbst im Handball sind nur selten Trainerinnen tätig, obwohl das Handballspiel ganz gezielt für Frauen erfunden wurde.34 Im Volleyball, einer Spielsportart, die von Mädchen und Frauen in ___________ 31
32 33
34
Vgl. Christensen, Mette K.: Outlining a Typology of Sports Coaching Careers. Paradigmatic Trajectories and Ideal Career Types among High-Performance Sports Coaches, in: Sports Coaching Review 2/2 (2013), S. 98–113; Acosta, Vivian. R./Carpenter, Linda J.: Women in Intercollegiate Sport. A Longitudinal National Study 1977–2014, 2014, http://www.acosta carpenter.org/2014%20Status%20of%20Women%20in%20Intercollegiate%20Sport%20 -37%20Year%20Update%20-%201977-2014%20.pdf (25.05.2020). Vgl. Mrazek, Joachim/Rittner, Volker: Übungsleiter und Trainer im Sportverein, Schorndorf: Hofmann, 1991. Vgl. Gieß-Stüber, Petra: Kein Platz für Trainerinnen?, in: Tennis Sport 7/3 (1996), S 9–17; dies.: Trainerinnen-Sonderlehrgang – Frauen unter sich, in: Tennis Sport 9/3 (1998), S. 20– 23; Strakerjahn, Ute: Trainerinnen im Aufwind, in: Tennis Sport 2/2 (1991), S. 8–10; dies.: Trainerinnen im DTB, in: Tennis Sport 5/6 (1994), S. 4–6; Willmann, Claus/Zipprich, Christa: Trainerinnen im Volleyball – Wo sind sie zu finden?, in: Klein, Marie Luise (Hg.): „Karrieren“ von Mädchen und Frauen im Sport, Sankt Augustin: Academia, 1995, S. 107–116; Zipprich, Christa: Trainerin – die große Unbekannte in der Sportwissenschaft, in: Franke, Pia/Schanz, Barbara (Hg.): FrauenSportKultur. Beiträge zum 1. Frauen-Sport- und Kulturfestival des adh., Butzbach-Griedel: Afra, 1998, S. 173–181. Vgl. Zipprich, Christa: Trainerinnen im Handballverband Niedersachsen – ein Nachtrag, in: Pfister, Gertrud (Hg.): Frauen im Hochleistungssport, Hamburg: Czwalina, 2002, S. 111– 120; Pfister, Gertrud: Ist Spielen Männersache?, in: Ferger, Katja/Gissel, Norbert/ Schwier, Jürgen (Hg.): Sportspiele erleben, vermitteln, trainieren, Hamburg: Czwalina, 2002, S. 71–92.
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gleichem Maße wie von Jungen und Männern betrieben wird, werden die Frauenmannschaften ebenso nur zu einem geringen Prozentsatz von Frauen trainiert.35 Die Unterrepräsentanz von Trainerinnen wird darüber hinaus auch in internationalen Veröffentlichungen vor allem aus dem amerikanischen Raum ersichtlich. In den USA ist der Prozentsatz an Trainerinnen an den Colleges, wo sich der wesentliche Teil des Wettkampfsports abspielt, insgesamt sehr viel höher als im deutschen Sportsystem. Aber auch hier sind Einbußen zu vermerken, groteskerweise durch die Einführung des Antidiskriminierungsgestzes, den sogenannten Title IX im Jahr 1972,36 der Mädchen und Frauen unter anderem einen besseren Zugang zum Sport an Bildungsinstitutionen garantieren sollte. Dieses Gesetz wirkte sich negativ auf die Anzahl der Trainerinnen aus. Zum Zeitpunkt der Einführung von Title IX konnten rund 90 % der Mädchen- und Frauenmannschaften eine Trainerin aufweisen, 1977 waren es dann nur noch 58,2 % und 2014 43,4 %.37 Eine Langzeitstudie von Acosta und Carpenter (2014) untermauert dies, allerdings weisen sie auch bezogen auf die letzten Jahre wieder kleine Erfolge auf.38 Doch zurück nach Deutschland: Mit Blick auf die Zahl der Nationaltrainerinnen lässt sich feststellen, dass in den Jahren 1993/94 unter 120 Bundestrainer*innen aller im damaligen Deutschen Sportbund (DSB) organisierten Sportarten nur sechs Frauen vorzufinden waren. Dies entspricht einem Prozentsatz von 5 %.39 Knapp zehn Jahre später konnte die Studie von Steffen Bahlke [u. a.] (2003) aufdecken, dass der Anteil der Bundestrainerinnen in Deutschland auf lediglich 9 % gestiegen ist und Trainerinnen mit überdurchschnittlich hohem Prozentsatz in Individualsportarten tätig waren. Darüber hinaus verweist die Studie erneut darauf, dass die Unterrepräsentanz von Trainerinnen vor allem im Spitzensport auffällig ist.40 Daraus ist zu schließen:
___________ 35 36 37 38 39 40
Vgl. Willmann/Zipprich: Trainerinnen im Volleyball, S. 109; Zipprich: Trainerin, S. 181. Dieses Gesetz richtet sich vor allem an die Geschlechtergleichstellung an amerikanischen Erziehungsinstitutionen. Es hat bis in die Gegenwart Auswirkungen auf den Sport an amerikanischen Schulen, Colleges und Universitäten (siehe auch Fußnote 37). Vgl. Bandy, Susan: Title IX und die Geschlechtergleichstellung im amerikanischen Schulund Hochleistungssport, in: Hofmann, Annette R. (Hg.): Sport in den USA, Münster: Waxmann, 2012, S. 131–139. Detaillierte Ergebnisse finden sich im Bericht von Acosta/Carpenter: Women in Intercollegiate Sport (auch bezogen auf die Assistenztrainerinnen). Vgl. Willmann/Zipprich: Trainerinnen im Volleyball, S. 107. Vgl. Bahlke, Steffen/Benning, Annette/Cachay, Klaus: „Trainer...das ist halt einfach Männersache“. Studie zur Unterrepräsentanz von Trainerinnen im Spitzensport, Köln: Sport und Buch Strauß, 2003.
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Annette R. Hofmann & Silke Sinning Je höher die Lizenzstufe oder die Liga, umso eher werden die Positionen von Männern dominiert, und je angesehener eine Sportart ist – wie z. B. Fußball, umso weniger Frauen sind dort als Trainerinnen zu finden.41
Obwohl sie schon über zehn Jahre alt ist, handelt es sich bei der Studie von Helmut Digel [u. a.] (2008) um die aktuellste ihrer Art in Deutschland. Hier wurden über 1 800 Trainerinnen und Trainer sowie rund 600 Funktionsträgerinnen und Funktionsträger befragt. Wieder wurde im Ergebnis bestätigt, dass der Beruf Trainer*in nahezu ausschließlich von Männern ausgeübt wird. Die Ergebnisse zeigen auf, dass nur 13 % der angestellten Trainer und Trainerinnen weiblich sind.42 Speziell auf den Fußball bezogen, zeigten Silke Sinning (2002, 2005, 2006), Yvonne Weigelt-Schlesinger und Ulrike Röger (2008) sowie Yvonne Weigelt (2005, 2006) hingegen auf, dass im Frauenfußball die Trainerinnen zwar unterrepräsentiert sind, dass aber weitaus mehr Trainerinnen aktiv sind als in anderen Sportspielen.43 Ungewöhnlich ist auch, dass nahezu durchgängig Trainerinnen die Nationalmannschaft der Frauen und die U-Nationalmannschaften (Juniorinnenmannschaften) betreuen, was den Ergebnissen von Bahlke [u. a.] (2003) in Teilen widerspricht. Beobachtungen zeigen allerdings, dass es seit der weiteren Professionalisierung der ersten und zweiten Bundesliga immer weniger Frauen in Trainerpositionen gibt.44 ___________ 41 42
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Combrink, Claudia/Dahmen, Britt/Hartmann-Tews, Ilse: Führung im Sport – eine Frage des Geschlechts, in: Hartmann-Tews, Ilse/Rulofs, Bettina (Hg.): Handbuch Sport und Geschlecht, Schorndorf: Hofmann, 2006, S. 288–297, hier S. 289. Vgl. Digel, Helmut [u. a.]: Spitzentrainer werden und sein – repräsentative Befunde zur Rekrutierung und zur Anstellung von Trainern im Spitzensport, in: Leistungssport 5 (2008), S. 5–9. Siehe auch DOSB: Trainerinnen im Sport, 2009, https://cdn.dosb.de/user_upload/ Frauen_und_Gleichstellung/Downloads/Themenblaetter/Trainerinnen.pdf (25.05.2020). Vgl. Sinning, Silke: Trainerinnen im Frauenfußball, in: Pfister, Gertrud (Hg.): Frauen im Hochleistungssport, Hamburg: Czwalina, 2002, S. 101–110; dies.: Trainerinnen im Frauenfußball; dies.: Aufbruchstimmung im Mädchen -und Frauenfußball! – Welche Wirkungen zeigt die aktuelle Erfolgsbilanz?, in: Gieß-Stüber, Petra/Sobiech, Gabriele (Hg.): Gleichheit und Differenz in Bewegung. Entwicklung und Perspektiven der Geschlechterforschung im Sport, Hamburg: Czwalina, 2006, S. 130–140; Weigelt-Schlesinger, Yvonne/Röger, Ulrike: Bestandsaufnahme. Trainerinnen im Mädchen und Frauenfußball, in: Röger, Ulrike [u. a.] (Hg.): Frauen am Ball. Analysen und Perspektiven der Genderforschung, Hamburg: Czwalina, 2008, S. 65–72.; Weigelt, Yvonne: Stereotype – Exklusionsmechanismen gegenüber Trainerinnen im Frauenfußball, in: Hagel, Antje/Selmer, Nicole (Hg.): Gender kicks. Texte zu Fußball und Geschlecht, Frankfurt a. M.: Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der Deutschen Sportjugend Fundstelle, 2005, S. 139–148; dies.: Trainerinnen im Mädchen- und Frauenfußball, in: Sportunterricht 55/4 (2006), S. 108–111. Siehe dazu die Studie zur Unterrepräsentanz von Trainerinnen im Leistungssport von Bahlke/Benning/Cachay: „Trainer...das ist halt einfach Männersache“.
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Die Ursache könnte darin liegen, dass die Trainertätigkeit ein Vollzeitjob geworden ist und Frauen, sollten sie als Trainerin entlassen werden, schwerer eine adäquate Anstellung finden, da sie fast ausschließlich im Mädchen- und Frauenfußball arbeiten und nur bedingt vergleichbare berufliche Aussichten im Männerbereich haben. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Frauenmannschaften inzwischen für die Trainer attraktiver geworden sind.
5. Nationaltrainerinnen in Sportspielen – ein internationaler Vergleich Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass es deutlich mehr Nationaltrainerinnen im Frauenfußball als in anderen Sportarten gibt.45 Bei der FIFAFrauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland wurde dies besonders sichtbar, denn bei dieser WM wurden sechs von 16 Frauenfußball-Nationalmannschaften, das heißt knapp mehr als ein Drittel aller Teams, von Frauen trainiert. Außerdem gehörten die Trainerinnen zu den Top-Trainerinnen der 16 Mannschaften, denn drei der sechs Trainerinnen (Silvia Neid, Hope Powell und Pia Sundhage) schafften es mit ihren Mannschaften ins Viertelfinale. Pia Sundhage, die Nationaltrainerin der USA, wurde mit ihrer Mannschaft sogar Vize-Weltmeisterin.46 Bei der WM 2015 in Kanada wurde die Anzahl der teilnehmenden Mannschaften auf 24 erhöht und neun Teams wurden von Frauen trainiert, das entspricht 37,5 % der Mannschaften. Die USA gewann mit Jill Ellis als Trainerin die Goldmedaille und Silvia Neid konnte mit ihrer deutschen Mannschaft den vierten Platz erringen. 2019 bei der WM in Frankreich waren es 41,7 % der Mannschaften, die von einer Trainerin betreut wurden. Auch hier konnte Ellis erneut mit ihrem Team die Goldmedaille erkämpfen. Betrachtet man die acht Frauenfußball-Weltmeisterschaften als Gesamtes, dann lässt sich die klare Tendenz feststellen, dass immer mehr Trainerinnen aktiv sind und auch entsprechende Erfolge vorzuweisen haben. Die Erfolge der Trainerinnen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen finden sich in den Tabellen 2 und 3 (s. Anhang). Vier der acht Weltmeistertitel wurden von Teams erreicht, die einen männlichen Trainer hatten und zwar 1991 in China, 1995 in Schweden, 1999 in den USA und 2011 in Deutschland. Bei den anderen vier Weltmeisterschaften konnten Mannschaften gewinnen, die von Trainerinnen betreut wurden. 2003 gewann Tina Theune-Meyer mit ihrem deutschen Team die Goldmedaille. Damals gab es bei 16 Teams mit ___________ 45 46
Vgl. Sinning, Silke/Pargätzi, Jonathan: Ein trainingspädagogischer Blick auf Trainerinnen im Frauenfußball, in: Hofmann/Krüger (Hg.): Rund um den Frauenfußball, S. 112–136. Vgl. Hofmann, Annette [u. a.]: „Football is like Chess – You Need to Think a lot“. Women in a Men’s Sphere. National Female Football Coaches and their Way to the Top, in: International Journal of Physical Education 4 (2014), S. 20–31.
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Tina Theune-Meyer (Deutschland), Marika Domanski Lyflor (Schweden) und April Heinrichs (USA) nur drei Trainerinnen, die Gold, Silber und Bronze mit ihren Mannschaften gewannen. 2007 schaffte Silvia Neid mit ihrem deutschen Team erneut den Titelgewinn und 2015 sowie 2019 gewann Jill Ellis hintereinander mit ihrer Mannschaft die Goldmedaille. Betrachtet man die Nationaltrainerinnen und ihre Erfolge bei den Olympischen Spielen in Bezug auf den Frauenfußball, so wird auch hier deutlich, dass sie bei den sechs ausgetragenen Turnieren zwar prozentual deutlich unterrepräsentiert waren, aber dennoch viermal das Turnier gewinnen konnten: Die Goldmedaille holten 2004 in Athen die USA mit April Heinrichs als Trainerin, 2008 in Peking und 2012 in London Pia Sundhage mit ihrem Team (USA) und 2016 Silvia Neid mit der deutschen Mannschaft in Rio (vgl. Tabelle 3, s. Anhang). Insgesamt lässt sich inzwischen eine erstaunliche Anzahl von Trainerinnen namentlich zusammentragen, die als Nationaltrainerinnen für die unterschiedlichsten Länder aktiv sind oder waren. Einige wie Pia Sundhage sogar für mehrere Länder und dies auch sehr erfolgreich. Hier könnten mindestens 23 Trainerinnen namentlich benannt werden und die Zahl ist stetig wachsend. In den anderen Sportspielen sind weitaus weniger Frauen als Nationaltrainerinnen tätig. So waren bei der Frauenhandball-Weltmeisterschaft in Brasilien 2011, in Serbien 2013 und in Dänemark 2015 mit 24 FrauenhandballNationalmannschaften keine einzige Trainerin für ein Team verantwortlich. Bei der Weltmeisterschaft 2017 in Deutschland und 2019 in Japan gab es lediglich eine Nationaltrainerin. Im Volleyball zeigt sich ein ähnliches Bild: 2010 fand in Japan und 2014 in Italien die Volleyball-Weltmeisterschaft der Frauen mit 24 Teams statt und auch hier wurde beide Male nur eine Mannschaft von einer Nationaltrainerin betreut. Bei der WM 2018 – erneut in Japan – wurden lediglich zwei Teams von Trainerinnen betreut. Auch die deutsche Nationalmannschaft hatte bei den Großevents keine Trainerin, obwohl der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) laut DOSB Mitgliederstatistik 2019 mit 209 152 weiblichen Mitgliedern, gegenüber 196 309 männlichen Verbandsmitgliedern, knapp 13 000 mehr weibliche als männliche Mitglieder aufweist.47 Der DVV ist im Bereich der Sportspiele sogar der einzige olympische Spitzensportverband, der mehr weibliche als männliche Verbandsmitglieder nachweisen kann. Die Basketball-Weltmeisterschaft 2010 der Frauen in Tschechien zeigt ein vergleichbares Bild: Von 16 Basketballteams wurden lediglich zwei Mannschaften – das australische und das kanadische Team – von einer Trainerin betreut. Bei der Frauenbasketball-Weltmeisterschaft 2014 in der Türkei waren hingegen für 16 Teams immerhin schon drei Trainerinnen hauptverantwortlich und 2018 in Spanien vier Trainerinnen aktiv. ___________ 47
Vgl. DOSB: Mitgliederstatistik. Bestandserhebung 2019, 13.01.2020, https://cdn.dosb.de/ user_upload/www.dosb.de/medien/BE/BE-Heft_2019.pdf (25.05.2020), S. 5.
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6. Nationaltrainerinnen für Frauen- und Juniorinnenteams im deutschen Frauenfußball Auch bei der Betrachtung der Nationaltrainerinnen in Deutschland wird deutlich, dass weitaus mehr Trainerinnen im Fußball vorzufinden sind als in anderen Sportarten und dass die Trainerinnen auch in allen Jahrgangsstufen eingesetzt werden.48 So war Anna Trabant-Haarbach die erste Frau, die neben Gero Bisanz als Co-Trainerin die erste Frauenfußball-Nationalmannschaft trainiert hat. Sie gehörte zu den besten Spielerinnen in der Anfangszeit des deutschen Frauenfußballs und holte mit dem TuS Wörrstadt 1973 den GoldCup bei einer ersten inoffiziellen Weltmeisterschaft und wurde 1974 erster Deutscher Meister im Frauenfußball. Folglich blieb es nicht aus, dass sie bei der Gründung der Frauen-Nationalmannschaft 1982 Spielführerin der Nationalmannschaft und gleichzeitig Co-Trainerin wurde. Anna Trabant beendete ihr Engagement als Co-Trainerin allerdings schon 1983. Ihre Nachfolgerin wurde Tina Theune-Meyer. Nach einigen erfolgreichen Jahren unter Gero Bisanz als Nationaltrainer wurde Tina Theune-Meyer nach zehn Jahren Co-Trainerinnentätigkeit die erste Nationaltrainerin im Frauenfußball. Schon als Co-Trainerin war sie sehr erfolgreich und errang einen Weltmeister- und drei Europameistertitel. Als verantwortliche Nationaltrainerin steigerte sie diese Leistung noch. Sie wurde mit ihrem Team 2003 Weltmeisterin, 1997, 2001 und 2005 Europameisterin zudem 2000 sowie 2004 Dritte bei den Olympischen Spielen. Dabei wurde sie ab 1996 von Silvia Neid als Co-Trainerin unterstützt. Beide Frauen gehören national wie international zu den erfolgreichsten Trainerinnen.49 Silvia Neid löste 2005 Tina Theune-Meyer als Nationaltrainerin ab. Neid war ehemalige Spielführerin der Nationalmannschaft und engagierte sich frühzeitig als Nachwuchstrainerin der Juniorinnenteams des DFB. Sie gewann 2016 die olympische Goldmedaille, 2007 die Weltmeisterschaft und 2009 sowie 2013 mit dem jüngsten Team aller EM-Teilnehmenden die Europameisterschaft. Darüber hinaus hat sie 2008 die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen gewonnen und viele weitere Titel sowie hervorragende Platzierungen bei den Juniorinnen-Welt- und Europameisterschaften errungen. Dreimal (2010, 2013 und 2016) wurde Silvia Neid von der FIFA zur Welt-Trainerin des Jahres gekürt. Ihr folgte von 2016 bis 2018 Steffi Jones. Steffi Jones war ebenfalls zuvor unter Sylvia Neid eine herausragende Nationalspielerin und von 2015 bis 2016 als ihre Co-Trainerin eingebunden. Das Engagement als Nationaltrainerin endete bereits nach zwei Jahren und die Mannschaft wurde von Horst Hrubesch als Interimstrainer kurzzeitig übernommen. Er übergab das Amt an Martina ___________ 48 49
Vgl. Sinning: Trainerinnen im Frauenfußball, S. 307. Vgl. Hennies/Meuren: Frauenfußball, S. 141.
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Voss-Tecklenburg, die zuvor von 2012–2018 als Nationaltrainerin der Schweiz erste Erfolge feiern konnte. Martina Voss-Tecklenburg war selbst über 15 Jahre Nationalspielerin und konnte mit der deutschen Mannschaft viele Titel feiern. Bevor sie Nationaltrainerin der Schweiz wurde, war sie als Trainerin für das weibliche Auswahlteam in Niederrhein und als Vereinstrainerin der Bundesligisten FCR 2001 Duisburg und FF USV Jena aktiv. Ein Blick auf den Frauenfußball in Deutschland zeigt, dass insgesamt sehr viele Frauen als Trainerinnen in den Frauen- und Juniorinnen-Nationalmannschaften zum Einsatz kommen. Aktuell gehört Britta Carlson als Assistenztrainerin zum Trainerteam der Frauenfußball-Nationalmannschaft. Des Weiteren ist Ulrike Ballweg für die U-23 verantwortlich. Sie wurde neben den Erfolgen als Co-Trainerin von Silvia Neid zusätzlich als verantwortliche Trainerin der U-19-Frauen-Nationalmannschaft 2004 Weltmeisterin und im gleichen Jahr Vize-Europameisterin. Kathrin Peter trainiert aktuell die U-20 und Michael Urbansky hat die U-19 im Frauenbereich übernommen. Im Juniorinnenbereich ist seit kurzem Frederike Kromp für die U-17 tätig. Anouschka Bernhard trainiert die U-16 Juniorinnen und wurde gleich zu Beginn ihres Einstiegs als Nationaltrainerin (2012) mit der U-17 Europameisterin und konnte diesen Titel 2013 und 2016 mit ihrem Team erneut gewinnen. Bettina Wiegmann ist die Trainerin der U-15-Juniorinnen. Sie feierte gemeinsam mit Maren Meinert (ehemalige Trainerin der U-20- Mannschaft) 2006 und 2007 den U-19-Juniorinnen-Europameistertitel. Maren Meinert gewann im Jahr 2010 und 2014 die U-20-Weltmeisterschaft und holte in den Jahren 2006, 2007 und 2011 mit ihrer U-19-Frauen-Nationalmannschaft dreimal den Europameistertitel. Somit wird aktuell nur eine weibliche U-Nationalmannschaft von einem männlichen Trainer betreut, alle anderen weiblichen Nationalteams des DFB werden von Frauen hauptverantwortlich geleitet. Neben dem DFB gibt es keinen anderen Sportspiel-Verband, der so viele hochqualifizierte Frauen in Top-Positionen als Trainerin einsetzt.50 Die Frauennationalmannschaften im Handball, Volleyball und Basketball wurden 2019 von Männern trainiert. Lediglich Jie Schöpp ist seit 2012 Bundestrainerin der Tischtennis-Damen und Anja Weber gehört zum Bundestrainer-Team Einzel der deutschen Badminton-Nationalmannschaft. Barbara Rittner war von 2005–2017 Teamchefin der weiblichen deutschen Fed-Cup-Tennis-Mannschaft (Nationalmannschaft Deutschlands im Damentennis) und Alexandra Maerz war von 2012–2014 Trainerin der deutschen Damen-Nationalmannschaft Basketball. Zuvor (2008–2014) war sie bereits hauptamtliche Bundestrainerin für den weiblichen Jugendbereich U-20 und jünger. Trotz der positiven Unterstützung der deutschen Nationaltrainerinnen seitens der DFB-Verantwortlichen zeigt sich mit Blick auf die Anzahl der hochwertigen Lizenzen (A-Lizenz und Fußball-Lehrer-Lizenz), dass nur eine ___________ 50
Vgl. Sinning: Aufbruchstimmung, S. 130–140.
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geringe Zahl von Frauen diese erworben haben und sich in den letzten 19 Jahren eine kleine Steigerung der Zahlen aufzeigen lässt (vgl. Tabelle 4). Nach Angaben des DFB gab es 2019 30 Frauen mit einer Fußball-Lehrer-Lizenz (UEFA-Pro-Lizenz). Ein großer Anteil dieser Lizenz-Inhaberinnen ist beim DFB tätig. Andere arbeiten in den verschiedenen Fußball-Landesverbänden, in Sportvereinen oder im Ausland (Monika Staab ist beispielsweise FIFA-Beauftragte und ehemalige Nationaltrainerin von Qatar, Bahrain, Gambia). Immerhin gibt es inzwischen aber knapp mehr als 150 registrierte Trainerinnen mit A- und Fußballlehrer-Lizenz. Derzeit sind Nathalie Bischof bei Bayern München II und Isabell Stümper bei der SG 99 Andernach sowie Tanja Schulte beim BV Cloppenburg und Kim Kulig-Soyah beim 1. FFC Frankfurt II die einzigen weiblichen Cheftrainerinnen der zweiten FrauenfußballBundesliga. Alle Frauenfußball-Bundesligamannschaften werden von Männern trainiert. Im Bereich der Einstiegslizenzen (C- und B-Lizenz) sind die Zahlen nicht so belastbar, weil die Lizenzen nicht zentral über den DFB, sondern bei den Landesverbänden erworben werden. In Hessen, dem fünftgrößten Landesverband, zeigt sich, dass aktuell 40 B-Lizenztrainerinnen (= 3,2 %) 1 201 männlichen Trainern und 243 C-Lizenz-Inhaberinnen (= 8,3 %) 2 688 männlichen C-Lizenztrainern gegenüberstehen. Erstmals wird 2020, im 50. Jubiläumsjahr des Frauenfußballs, ein reiner B-Lizenz-Lehrgang für Frauen in Hessen stattfinden, sodass die Quote mittelfristig ansteigen wird (vgl. Tab. 4a + 4b, s. Anhang). Als erste Trainerin im Frauenfußball konnte sich Monika Koch-Emsermann unter Beweis stellen. Sie stieg 1970 als ehemalige Leichtathletin in die frisch gegründete Frauenfußballmannschaft beim FSV Frankfurt ein. Damals wurden die Spielerinnen zuerst von unterschiedlichen Männern trainiert, doch 1974 waren es die Spielerinnen leid, „[…] dass bei keinem der häufig wechselnden Trainer das Gefühl aufkam, dass die Chemie zwischen Coach und Team stimmen würde“51. Monika Koch-Emsermann wurde daher von ihren Mitspielerinnen als Trainerin bestimmt. 1976 machte Koch-Emsermann als erste Frau in Hessen den Trainerschein. 19 Nationalspielerinnen hat KochEmsermann beim FSV Frankfurt ausgebildet.
___________ 51
N. N.: Monika Koch-Emsermann wird 75 Jahre alt – Eine temperamentvolle Pionierin des Frauenfußballs, in: Die Buschtrommel. Mitteilungsblatt des Vereoms Frankfurter Sportpresse e. v. und der Sportabteilung im VFS 1 (2019), https://ad30956e-9862-45e1-a6ae-e8d2775b7f39.files usr.com/ugd/ac2f59_8eb7d7b43a894e5d961bd660ac34ca5c.pdf (25.05.2020), S. 30–31, hier S. 30.
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Annette R. Hofmann & Silke Sinning
7. Vereinstrainerinnen im Männerfußball Frauen, die eine Männermannschaft trainieren, sind im internationalen und nationalen Fußball sehr rar. In Italien trainierte 1999 Carolina Morace (Italienerin) als erste Frau ein italienisches Profi-Männerteam, den A.S. Viterbese Calcio (Serie C1).52 Doch nach nur zwei Spielen trat sie aufgrund starken Mediendrucks zurück. Nelfo Obanez Guerra (Bolivianerin) ist die zweite, die in Peru bei Hijos de Acosvinchos ein hochklassiges Männerteam übernahm. In Deutschland war Sissy Raith die erste, die eine höherklassige Männermannschaft trainiert hat. Sie trainierte die Männer-Bezirksoberliga-Mannschaft TSV Echingen von Januar bis Oktober 2009 und führte diese in die Landesliga.53 Aktuell trainiert beispielsweise Imke Wübbenhorst den Viertligisten Sportfreunde Lotte, zuvor war sie bereits in Cloppenburg Chef-Trainerin eines männlichen Oberligisten. Weitere Beispiele finden sich in Frankreich: 2012 übernahm Mélanie Briche (Französin) als Cheftrainerin den FC Rodéo aus Toulouse (fünfte Division). Sie war bisher im französischen Männerfußball als Cheftrainerin am längsten im Amt. Helena Costa (Portugiesin) bekam 2014 das Angebot, die französische Profi-Männermannschaft Clermont Foot Auvergne 63 (zweite Liga) zu trainieren. Nach ihrer Absage übernahm Corinne Diacre das Amt für drei Spielsaisons, bis sie 2017 Trainerin der Frauen-Nationalmannschaft in Frankreich wurde. Aus einer sportsoziologischen- und pädagogischen Perspektive wäre es wichtig, den Werdegang dieser Trainerinnen wissenschaftlich zu begleiten, um herauszufinden, gegen welche Widerstände und Vorurteile sie in ihrer täglichen Arbeit zu kämpfen, bzw. wo sie aufgrund ihres Geschlechts auch Vorteile haben. Solche Studien könnten dann vielleicht weiteren Trainerinnen einen Weg in den Fußballsport der Männer öffnen.
8. Hegemoniale Maskulinität als Ursache für den Trainerinnenmangel? In den letzten Jahren wurden verschiedene internationale Studien zum Thema Fußballtrainerinnen veröffentlicht, darunter auch das Forschungsprojekt zu Fußball-(National)Trainerinnen im internationalen Frauenfußball. Es handelte sich um eine von der Havelange Stiftung (FIFA) geförderte internationale ___________ 52 53
Vgl. SID: Morace weiter kanadische Nationaltrainerin, 10.06.2011, https://www.focus.de/ sport/fussball/frauen-fussball-wm-2011/frauen-wm-2011-morace-weiter-kanadische-national trainerin_aid_635963.html (25.05.2020). Vgl. Angstmann, Raffaela: „Es hieß, eine Frau sei unzumutbar“. Interview mit Sissy Raith, 28.10.2012, http://www.11freunde.de/interview/eine-trainerin-im-maennerfussball (25.05.2020).
Trainerinnen im Frauenfußball
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Studie, bei der herausgefunden werden sollte, warum es gerade im internationalen Frauenfußball so viele Nationaltrainerinnen gibt bzw. auf welche Barrieren die Trainerinnen noch immer treffen.54 Die Studien ergaben, dass die strukturellen Bedingungen der Sportverbände vielfach frauenfeindlich sind. Oft bekommen die Frauen nicht die Möglichkeit, ein Team zu trainieren und werden von bestimmten Machtpositionen oder Arbeitsplätzen schon grundsätzlich aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen. Mit Blick auf den Fußball zeigt sich, dass es in Deutschland keine einzige Frau gibt, die als Trainerin eine hochrangige männliche Amateur- oder Profimannschaft trainiert. Lediglich der DFB, also die Dachorganisation des Fußballs, hat sich dafür entschieden, Frauen in ihren Strukturen auf der höchsten Ebene – als Nationaltrainerinnen – einzusetzen. Die zeitlich befristeten Verträge und das zum Teil geringe Gehalt auf den unteren Leistungsebenen sind ebenso wenig förderlich, das unsichere Berufsfeld ‚Trainerin‘ nachhaltig attraktiv zu machen. Zumal die Frauen vielfach auch weniger Geld für die gleiche Arbeit erhalten und sich gleichzeitig auch noch intensiver um die Familie kümmern müssen. Laut Helmut Digel [u. a.] erhalten die Trainerinnen im Durchschnitt um die 1 000 € weniger Gehalt als männliche Kollegen in vergleichbaren Positionen.55 Des Weiteren wird die sportliche Qualität der Frauen oftmals geringer als jene der Männer eingeschätzt. Dennoch müssen die Frauen bei den Eignungstests für bestimmte Lizenzen und im Lizenzlehrgang gemeinsam mit den Männern äquivalente Leistungen erbringen. Die Fähigkeiten der Frauen werden vielfach unterschätzt, was wiederum das Selbstwertgefühl der Frauen nicht stärkt und zu einem Mangel an Selbstbehauptung führen kann. Christa Zipprichs Untersuchungen bestätigen, dass Frauen mehr Respekt vor den hohen Anforderungen einer Trainerlizenz haben und dieser Respekt sie teilweise auch daran hindert, die nächsthöhere Trainerlizenz anzustreben.56 Immer wieder werden auch die traditionellen Geschlechterbilder als Hinderungsgrund angeführt, das Berufsfeld Trainerin nicht konsequent zu präzisieren und zu fördern. Geschlechtstypische Kompetenzen seien ein ausschlaggebender Grund, dass Frauen für die Handlungsanforderungen an das Berufsfeld Trainerin und Trainer weniger geeignet erscheinen. Schließlich ist die Rekrutierung von Trainerinnen im Spitzensport auch unsystematisch und ___________ 54
55 56
Vgl. Hofmann, Annette/Sinning, Silke: From Being Excluded to Becoming World Champions: Female Football Coaches in Germany, in: The International Journal of the History of Sport 33/14 (2016), S. 1652–1668; Barker-Ruchti, Natalie [u. a.]: Tracing the Career Paths of Top-Level Women Football Coaches. Turning Points to Understand and Develop Sport Coaching Careers, in: Sports Coaching Review 3/2 (2014), S. 117–131; Hofmann [u. a.]: „Football is like Chess – You Need to Think a lot“, S. 20–31. Vgl. Digel [u. a.]: Spitzentrainer werden und sein, S. 5–9. Vgl. Zipprich: Trainerinnen im Handballverband Niedersachsen, S. 111–120.
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Annette R. Hofmann & Silke Sinning
undurchsichtig.57 Vielfach werden Trainer- und Trainerinnenstellen nicht öffentlich ausgeschrieben. In solchen Situationen wird gerade Frauen auch seltener die Übernahme solcher Positionen angeboten. Von den Frauen wird somit eine noch höhere Eigeninitiative erwartet, um sich überhaupt eine Chance auf eine mögliche Position wahren zu können. Digel [u. a.] weisen auch in der Nachwuchsförderung Unterschiede zwischen den Geschlechtern nach: Obwohl zwei Drittel der Top-Nachwuchsathletinnen und -athleten an einer Trainer*innen-Tätigkeit interessiert sind, werden Athleten regelmäßiger aufgefordert eine Trainertätigkeit aufzunehmen als die Athletinnen.58 Die dänische Sportsoziologin Leila Ottesen bezeichnet die Trainertätigkeit deshalb auch als gendered profession, und Rosa Diketmüller fordert eine geschlechterspezifische Ausbildung von Trainer- und Trainerinnen.59 Abschließend kann gesagt werden, dass die Geschichte der Fußballtrainerinnen eine relativ kurze ist. Aber die Situation von Trainerinnen verbessert sich insbesondere im deutschen Frauenfußball, wenn auch nur in kleinen Schritten. Dies mag auch mit der hohen Zahl von über einer Million beim DFB gemeldeten Spielerinnen zusammenhängen, die ihre langjährigen Erfahrungen weiter nutzen wollen und inzwischen auch häufiger eine TrainerinnenLizenz erwerben. Außerdem werden in vielen Verbänden für die Spitzenspielklassen auf Landesebene (Landesligen; Verbandsligen) Trainer-Lizenzen eingefordert. Da auch auf dieser Ebene im Frauenfußball weniger Geld als im Männerfußball verdient wird, ist es oft für Männer lukrativer, ein Angebot im Männerbereich – auch unterklassiger – anzunehmen, so dass die Frauen etwas leichter diese Positionen übernehmen können. Mit Ausnahme des Deutschen Turner-Bundes gibt es keinen anderen Sportverband, der mehr Mädchen und Frauen aufweist, auch wenn nur 15,6 % der Mitglieder im DFB weiblich sind. Da ist es nur natürlich, wenn auch vermehrt das Bedürfnis geäußert wird, eine Trainerinnenlaufbahn einzuschlagen, sei es im Haupt- oder Ehrenamt. Zudem fördert auch der DFB seit geraumer Zeit aktiv die Ausbildung von Frauen. Trotz dieser Bemühungen kann die hegemoniale Männlichkeit gerade ___________ 57
58 59
Vgl. Alfermann, Dorothee/Würth, Sabine: Sozialkompetenz von Trainerinnen und Trainern im Nachwuchsleistungssport. Einfluss auf Zufriedenheit und Leistungsentwicklung, in: BISp-Jahrbuch 2002 (2003), S. 209–213; Sinning, Silke: Mädchen- und FrauenfußballTrainerinnen – die Chance, besondere Kompetenzen einzubringen, in: dies. (Hg.): Auf den Spuren, S. 124–137; dies.: Trainerinnen im Frauenfußball – eine Analyse vorhandener Strukturen, in: Zipprich, Christa (Hg.): Sie steht im Tor – und er dahinter. Frauenfußball im Wandel, Hannover: Arete, 2012, S. 124–137. Vgl. Digel [u. a.]: Spitzentrainer werden und sein, S. 5–9. Vgl. Ottesen, Leila: Coaching a Gendered Profession? Coaches in Denmark – an Empirical Study, in: Doll-Tepper, Gudrun [u. a.] (Hg.): Sport, Women & Leadership. Congress Proceedings Berlin 2004, Köln: Sport und Buch Strauß, 2005, S. 79–98; Diketmüller, Rosa: Gender Training für Coaches, in: Doll-Tepper [u. a.] (Hg.): Sport, Women & Leadership, S. 99–110. Siehe auch DOSB: Trainerinnen im Sport.
Trainerinnen im Frauenfußball
387
im Fußballsport nicht wegdiskutiert werden. Schaut man die Verbandsstrukturen einmal näher an, so finden sich hier nur wenige Frauen. Solange sich hier nicht grundlegend etwas ändert, werden es auch die Trainerinnen schwer haben, im Fußballsport einen Platz zu finden. Wie unter anderem aufgezeigt werden konnte, ist es allerdings einfacher als Trainerin in einer Frauenmannschaft Fuß zu fassen als in einer Herrenmannschaft. Dass aber die gesellschaftliche Akzeptanz von Fußballtrainerinnen aktuell steigt – zumindest auf nationaler Ebene –, zeigt sich darin, dass die derzeitige Nationaltrainerin – auch bei Spielen der Männernationalmannschaft – von den öffentlich-rechtlichen Medien (ARD/ZDF) als Spezialistin zu den Diskussionen geladen wird. Außerdem führt die derzeitige Debatte, um mehr Frauen in Führungspositionen beim DFB ebenfalls dazu, dass ein erneuter Fokus auch auf die Ausbildung von Trainerinnen gelegt wird. Damit zeigen sich erste kleine positive Entwicklungen. Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Gedruckte Quellen Buytendijk, Frederik J. J.: Das Fußballspiel – eine psychologische Studie, Würzburg: Werkbund-Verlag, 1953. Novak, Michael: Frauen am Ball. Eine dreißigjährige Erfolgsbilanz, in: Deutscher Fußball-Bund (Hg.): 100 Jahre DFB: die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes, Berlin: Sportverlag, 1999, S. 489–496. Planck, Karl: Fußlümmelei. Über das Stauchballspiel und englische Krankheit, Münster: LIT, 1898 [ND 2004]. Internetquellen Angstmann, Raffaela: „Es hieß, eine Frau sei unzumutbar“. Interview mit Sissy Raith, 28.10.2012, http://www.11freunde.de/interview/eine-trainerin-im-maennerfussball (25.05.2020). DOSB: Mitgliederstatistik. Bestandserhebung 2019, 13.01.2020, https://cdn.dosb.de/user_ upload/www.dosb.de/medien/BE/BE-Heft_2019.pdf (25.05.2020). DOSB: Trainerinnen im Sport, 2009, https://cdn.dosb.de/user_upload/Frauen_und_Gleich stellung/Downloads/Themenblaetter/Trainerinnen.pdf (25.05.2020). FIFA: Weltrangliste (Frauen), https://de.fifa.com/fifa-world-ranking/ranking-table/women/ (25.05.2020). FIFA: Weltrangliste (Männer), https://de.fifa.com/fifa-world-ranking/ranking-table/men/ rank/id1/ (25.05.2020). Schmoll, Herbert: Frauen lockten schon 1957 Fans in die Rosenau, in: Augsburger Allgemeine, 28.10.2009, https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Frauen-lockten-schon-1957Fans-in-die-Rosenau-id6754661.html (25.05.2020). SID: Morace weiter kanadische Nationaltrainerin, 10.06.2011, https://www.focus.de/sport/ fussball/frauen-fussball-wm-2011/frauen-wm-2011-morace-weiter-kanadische-national trainerin_aid_635963.html (25.05.2020).
388
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Trainerinnen im Frauenfußball
389
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390
Annette R. Hofmann & Silke Sinning
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Trainerinnen im Frauenfußball
391
Anhang AK 19–26
AK 27–40
AK 41–60
männlich
weiblich
männlich
weiblich
männlich
weiblich
2007
731.301
97.776
994.621
156.329
1.284.330
226.849
2009
795.826
114.050
951.995
145.967
1.310.735
227.796
2011
825.489
128.296
932.365
142.020
1.357.702
237.784
2013
1.114.204
239.175
1.287.381
191.178
1.197.010
144.807
2015
1.111.512
183.805
699.360
138.123
995.088
197.199
2017
1.170.835
197.996
711.927
69.612
1.615.284
468.077
2019
752.125
155.916
1.308.123
264.743
1.596.570
252.458
Tab. 1a: Anzahl der männlichen und weiblichen Mitglieder im DFB zwischen 2007–2019 (Quelle: DOSB Bestandserhebung 2007–2019). AK >60
Gesamt
männlich
weiblich
männlich
weiblich
Gesamt
2007
589.892
83.464
5.534.820
955.188
6.490.008
2009
616.907
89.302
5.661.639
1.022.823
6.684.462
2011
649.324
95.833
5.690.798
1.058.990
6.749.788
2013
251.229
47.387
5.738.332
1.083.901
6.822.233
2015
1.103.925
204.584
5.794.210
1.094.905
6.889.115
2017
422.142
152.325
5.796.393
1.247.571
7.043.964
2019
549.794
103.604
6.016.151
1.115.785
7.131.936
Tab. 1b: Anzahl der männlichen und weiblichen Mitglieder im DFB zwischen 2007–2019 (Quelle: DOSB Bestandserhebung 2007–2019).
392
Annette R. Hofmann & Silke Sinning
2003 USA (3/16) 18,75 % Tina Theune (Deutschland – Gold) Marika Domanski Lyfors (Schweden – Silber) April Heinrichs (USA – Bronze)
2007 China (3/16) 18,75 % Silvia Neid (Deutschland – Gold)
2011 Deutschland (6/16) 37,5 %
2015 Canada (9/24) 37,5 %
2019 Frankreich (10/24) 41,7 %
Pia Sundhage (USA – Silber)
Jill Ellis (USA – Gold)
Jill Ellis (USA – Gold)
Hope Powell (UK – Viertelfinale)
Silvia Neid (Deutschland – Viertelfinale)
Silvia Neid (Deutschland – vierter Platz)
Sarina Wiegman (Niederlande – Silber)
Marika Domanski Lyfors (Schweden – Viertelfinale)
Hope Powell (UK – Viertelfinale)
Martina VossTecklenburg (Schweiz – Achtelfinale)
Martina VossTecklenburg (Deutschland – Viertelfinale)
Carolina Morace (Canada)
Pia Sundhage (Schweden – Achtelfinale)
Eucharia Uche (Nigeria)
Enow Ngachu (Kamerun – Achtelfinale)
Corinne Diacre (Frankreich – Achtelfinale) Melina Bertolini (Italien – Viertelfinale)
Eli Landsem (Norwegen)
Und Weitere…
Und Weitere…
Tab. 2: Erfolgreiche Trainerinnen bei Fußball-Weltmeisterschaften der Frauen. 1996 Atlanta (?/8)
2000 Sidney (3/8)
USA – Gold
Norwegen – Gold
China – Silber Norwegen – Bronze60
USA – Silber (April Heinrichs) Deutschl. – Bronze (Tina Theune)
2004 Athen (3/10) USA – Gold (April Heinrichs)
2008 Peking (2/12) USA – Gold (Pia Sundhage)
2012 London (2/12) USA – Gold (Pia Sundhage)
Brasilien – Silber
Brasilien – Silber
Japan – Silber
Deutschl. – Bronze (Tina Theune)
Deutschl. – Bronze (Silvia Neid)
Kanada – Bronze
Tab. 3: Erfolgreiche Trainerinnen bei den Olympischen Frauenfußballturnieren.
___________ 60
Alles männliche Trainer.
2016 Rio (3/12) Deutschl. – Gold (Silvia Neid) Schweden – Silber (Pia Sundhage) Kanada – Bronze
Trainerinnen im Frauenfußball
393
A-Lizenz 2000
A-Lizenz 2003
A-Lizenz 2014
A-Lizenz 2019
total
3.613
3.882
5.657
6.634
männlich
3.585 99,2%
3.848 99,1%
5.587 98,8%
6.511 98,1%
weiblich
28 0,8%
34 0,9%
96 1,2%
123 1,9%
FußballLehrerLizenz 2000
FußballLehrerLizenz 2003
FußballLehrerLizenz 2014
FußballLehrerLizenz 2019
total
845
932
1.284
1.434
männlich
836 98,9%
919 98,6%
1.259 98,1%
1.404 97,7%
weiblich
9 1,1%
13 1,4%
25 1,9%
30 2,1%
Tab. 4a: A- und Fußball-Lehrer-Lizenzen.
Tab. 4b: A- und Fußball-Lehrer-Lizenzen.
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin L’exception qui confirme la règle ?
Ausgehend von der Analyse der professionellen Betreuung im europäischen Fußball möchte der vorliegende Artikel zunächst die Repräsentativität und die Verteilung weiblicher Trainerinnen innerhalb der hier untersuchten Berufsgruppe, die traditionell von Männern dominiert wird, näher beleuchten. Im Anschluss richtet sich der Fokus auf ein Fallbeispiel mit einer spezifischen professionellen Realität: Unter den ersten und einzigen Frauen, die einen normalerweise den Männern vorbehaltenen Posten innehatten und sich vor allem längere Zeiten in diesen verschiedenen Funktionen halten konnten, stellt Corinne Diacre, die aktuelle Trainerin der französischen Frauen-Nationalmannschaft, eine Ausnahme dar. Als ehemalige Profi-Fußballerin und Trainerin eines männlichen Profi-Fußballvereins während dreier Saisons übernahm Diacre 2017 die Leitung der Nationalmannschaft. Wie lässt sich ihre berufliche Eingliederung und ihre Behauptung in einem stark männlich geprägten Umfeld erklären? Inwieweit ähnelt die ehemalige Trainerin des FC Clermont (zweite französische Liga) ihren Berufskolleg*innen (oder auch nicht)? Der Rückgriff auf theoretische Rahmen aus der Berufsgeschichte und -soziologie erlaubt es schließlich, die herausgearbeiteten Ähnlichkeiten und Eigenheiten besser zu verstehen und die Außergewöhnlichkeit des gewählten Fallbeispiels neu zu denken. « Le football se joue à 11 contre 11 et à la fin… » c’est l’homme qui gagne.1
1. Introduction Largement soutenu par les instances internationales et nationales, le football dit féminin2 constitue, de nos jours, un football à part entière, en voie de développement en Europe notamment.3 Depuis quelques années déjà, l’Union des associations européennes de football (UEFA) développe, en effet, un ___________
1
2
3
Pour paraphraser la célèbre phrase signée Gary Lineker (ancien international de football anglais) à la suite d’un match de Coupe du monde perdu par l’Angleterre contre la RFA : « Le football est un jeu qui se joue à onze contre onze, et à la fin, c’est l’Allemagne qui gagne » (1990). Cette dénomination renvoie à la catégorie officielle de pratique qui sépare formellement femmes et hommes. Ce raccourci est ici utilisé dans un souci de lisibilité bien qu’il fasse l’économie des apports de la sociologie du genre et des rapports sociaux de sexe, auxquels nous souscrivons. Cf. Breuil, Xavier : Histoire du football féminin en Europe, Paris : Nouveau Monde, 2011.
396
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
vaste programme de promotion de l’activité. Symbolisée actuellement par le soutien aux compétitions sportives (EURO féminin, UEFA Women’s Champions League notamment), à la promotion des femmes aux postes de direction du football (Women in Football Leadership Programme – WFLP) ou encore par la campagne Ensemble#WePlayStrong, cette politique volontariste en faveur des filles, associée au soutien des fédérations nationales affiliées, se traduit désormais par « [une] croissance et [un] développement du football féminin en Europe […] réguliers »4. Une enquête de l’instance européenne5 montre ainsi que le nombre total de joueuses licenciées s’élève désormais à plus de 1 365 000 (saison 2016–2017). Par ailleurs, le nombre de championnats jeunes (des U-6 aux U-23) est passé de 164 à 266 entre 2012 et 2017. Six pays (l’Angleterre, la France, l'Allemagne, les Pays-Bas, la Norvège et la Suède) comptent également plus de 100 000 joueuses. En outre, cinquante-deux pays organisent un championnat féminin national et le nombre d’équipes nationales (sélections de jeunes incluses) n’a jamais été aussi élevé (233). Ces indicateurs favorables, associés aux efforts de la Commission du football féminin de l’UEFA, soulignent le rôle affiché et l’impact (supposé ou réel) de ces mesures prises en faveur du football du « deuxième sexe »6. Or, c’est un fait, le chantier est encore vaste et l’(in)égal accès à la pratique et son encadrement, un défi collectif ancré dans l’ère du temps.7 Un rapide détour par les effectifs dirigeant.e.s, joueur.se.s et technicien.ne.s suffit à montrer, en effet, que le football demeure encore aujourd’hui un « fief de la masculinité »8 : toutes proportions gardées, les taux de féminisation9 du football affichent 7,4 % en ___________ 4 5 6
7
8 9
UEFA : Football féminin, 31/08/2017, https://fr.uefa.com/insideuefa/football-development/womens-football/ (23/10/2020). Cf. UEFA : Women's Football across the National Associations 2017, Nyon : UEFA, 2017, https://www.uefa.com/MultimediaFiles/Download/OfficialDocument/uefaorg/ Women'sfootball/02/51/60/57/2516057_DOWNLOAD.pdf (23/10/2020). Beauvoir, Simone de : Le deuxième sexe. Les faits et les mythes, Paris : Gallimard, 1949. Dans cet essai, Simone de Beauvoir, sous l’angle autobiographique, souligne qu’aucune femme n’a un destin tout tracé et que l’émancipation féminine passe, entre autres, par un égal accès des hommes et des femmes au monde du travail. Nadine Kessler : « Toutefois, comme il reste encore beaucoup à faire (…) pour gommer les différences (…) nous devrions être ambitieux dans la fixation de nos objectifs et ne jamais oublier que nous, les parties prenantes du football, pouvons uniquement les atteindre en travaillant ensemble. » UEFA : Le nombre des joueuses inscrites en hausse, 07/11/2017, https://fr.uefa.com/insideuefa/football-development/womens-football/news/ newsid=2517568.html (23/10/2020). Elias, Norbert/Dunning, Eric : Sport et civilisation. La violence maîtrisée. Paris : Fayard, 1994 [1986], p. 68. Ces nations apparaissent parmi les plus féminisées footballistiquement de la planète comme l’indique le rapport mensuel n° 26 de l’Observatoire du football CIES (Centre international
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
397
France, 15,5 % en Allemagne, 24,6 % en Angleterre, 29,7 % en Norvège, 38,4 % en Suède, à titre d’exemples. Si de nombreux travaux questionnent la place des femmes dans les instances dirigeantes du sport et du football notamment,10 peu s’intéressent à l’accès et au maintien des femmes dans les postes techniques d’encadrement,11 professionnel notamment. Or mesurer l’ampleur de la « domination masculine »12 et les effets des rapports sociaux et professionnels de sexe sur l’égal accès aux postes à responsabilités, nécessite d’étudier tout particulièrement des univers d’élite, reconnus et médiatisés justement parce qu’ils peuvent potentiellement participer, comme « caisse de résonnance »13, au changement social. Si la popularité du football professionnel des hommes, sa médiatisation et son poids aux sein des instances fédérales ne font aucun doute,14 quelle place, en Europe, occupe donc les femmes dans le groupe des entraîneurs principaux des clubs professionnels ? Si d’emblée, la rareté des cas interroge, la question de l’exceptionnalité se pose également aux chercheuses et chercheurs : en effet, la catégorie des entraîneurs professionnels regroupe une hétérogénéité de profils, de trajectoires, mais aussi de pratiques professionnelles pour l’exercice d’un métier incertain, concurrentiel et hautement sélectif.15 Cette dernière repose, à l’image de ___________
10
11 12 13 14
15
d’Etude du Sport). Cf. Poli, Raffaele/Ravenel, Loïc/Besson, Roger : Analyse du football féminin – une comparaison entre cinq grandes ligues, juin 2017 (Rapport mensuel de l'Observatoire du football CIES 26), https://football-observatory.com/IMG/sites/mr/mr26/fr/ (23.10.2020). Cf. Reneaud, Martine : Femmes et haut niveau dans les organisations du sport – des territoires en mouvement, ds. : Carpentier, Caroline/Forget, Suzanne/Quintillan, Ghislaine (dir.) : Sport de haut niveau au féminin, t. 2, Paris : Les cahiers de l'INSEP, 2002, p. 413–422 ; Chimot, Caroline : Répartition sexuée des dirigeant(e)s au sein des organisations sportives françaises, ds. : STAPS, 66/4 (2004), p. 161–177 ; Chantelat, Pascal/Bayle, Emmanuel/ Ferrand, Claude : Les représentations de l'activité des femmes dirigeantes dans les fédérations sportives françaises : effets de contexte et ambivalences, ds. : STAPS 66/4 (2004), p. 143–159 ; Vieille-Marchiset, Gilles : Des femmes à la tête du sport. Les freins à l'investissement des dirigeantes locales, Besançon : PU de Franche-Comté, 2004. Cf. Barbusse, Béatrice : Le management des professionnels du sport. Le cas d'un club de handball, ds. : Revue française de gestion 168–169/9 (2006), p. 107–123. Bourdieu, Pierre : La domination masculine, Paris : Seuil 1998. Wermus, Daniel : Les médias comme catalyseurs de changements, ds. : Revue internationale et stratégique 78/2 (2010), p. 81–89, ici p. 82. Cf. Eisenberg, Christiane [et al.] : FIFA 1904–2004. Le siècle du football, Paris : Le cherche midi, 2004 ; Quin, Grégory : La reconstruction de la Fédération Internationale de Football Association (FIFA) après la Seconde Guerre mondiale (1944–1950). Jalons pour une histoire des relations internationales sportives, ds. : STAPS 106/4 (2014), p. 21–35 ; Vonnard, Philippe : L’Europe dans le monde du football. Genèse et formation de l’UEFA (1930–1960), Bruxelles : Peter Lang, 2018. Cf. Juskowiak, Hugo/Sallé, Loïc/Bréhon, Jean : Derrière la casquette de l’entraîneur pro de football, ds. : Jurisport. Revue économique et juridique du sport 180 (2017), p. 28–30.
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Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
« l’élite artiste », sur des avantages cumulatifs décisifs16 pour lesquels ressemblance et différenciation s’entrecroisent et relient, par la force des appariements sélectifs, le conforme du conventionnel, l’atypique du singulier et de l’unique.17 Dans quelle mesure ces quelques femmes, qui encadrent le football masculin de haut-niveau, relèvent-t-elles de ces caractéristiques professionnelles homologiques et/ou d’une exceptionnalité revendiquée et/ou reconnue ? Sur la base des matériaux recueillis et des données produites (cf. Encadré 1), nous décrivons et expliquons dans un premier temps, la représentativité et la répartition des femmes entraîneures de football dans le groupe professionnel des techniciens en Europe. Dans un deuxième temps, nous focalisons l’analyse sur un cas exemplaire d’une réalité professionnelle spécifique : parmi les premières et seules femmes à occuper successivement tous les postes techniques historiquement réservés aux hommes et surtout, à durer dans l’exercice de ces différentes fonctions, Corinne Diacre, l’actuelle sélectionneuse de l’équipe de France féminine fait figure d’exception. Ancienne footballeuse de haut-niveau, entraîneure au sein d’un club professionnel de football masculin pendant trois saisons (Clermont Foot 63, club de Ligue 2 en France), Diacre prend, en 2017, les rênes de la sélection nationale. Comment comprendre son insertion professionnelle dans un univers aux propriétés historiquement masculines18 ? Et en quoi l’ancienne entraîneure clermontoise19 ressemble-t-elle (ou non) à ses pairs ? Encadré 1 : Eléments de méthodologie Les résultats présentés dans ce chapitre reposent sur une combinaison de techniques de recherche : les sources institutionnelles consultées (rapports UEFA et dossiers « Licences » de la Fédération française de football (FFF), saisons 2013 à 2019) ont été analysées et croisées à la littérature scientifique disponible pour situer quantitativement la place des entraîneures dans le football européen (et français notamment) et expliquer qualitativement les raisons historiques de la domination masculine. Le groupe professionnel des entraîneurs français a été circonscrit et caractérisé au plan sociologique ___________ 16 17 18
19
Cf. Menger, Pierre-Michel : Le travail créateur. S’accomplir dans l’incertain, Paris : Gallimard/ Seuil, 2009. Cf. Bréhon, Jean/Juskowiak, Hugo/Sallé, Loïc : Entraîneur de football professionnel – itinéraire d'un joueur gâté ?, ds. : Formation emploi 136/4 (2016), p. 55–77. Cf. Mennesson, Christine : Être une femme dans un sport « masculin ». Modes de socialisation et construction des dispositions sexuées, ds. : Sociétés contemporaines 55/3 (2004), p. 69–90 ; idem : Sports « inversés ». Modes de socialisation sexuée des jeunes, ds. : Eckert, Henri/Faure, Sylvia (dir.) : Les jeunes et l’agencement des sexes, Paris : La Dispute, 2007, p. 63– 94. Entraîneure du Clermont Foot 63 de 2014 à 2017, Corinne Diacre est désormais sélectionneuse nationale de l’Equipe de France féminine de football.
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
399
grâce, premièrement, à une enquête de type prosopographique20 (des années soixante à nos jours) et au traitement statistique de 90 fiches professionnelles reconstituées de l’ensemble des entraîneurs formés (actifs ou non) depuis 2002 par la Fédération française de football (données saisies et traitées, n = 2 000). Deuxièmement, par des observations in situ de trois sessions de formation au Brevet d’entraîneur professionnel de football (BEPF), organisées à Clairefontaine (lieu de formation et de rassemblement des équipes de France de football) par la direction technique nationale (DTN) de football. Et troisièmement, par l’analyse qualitative de 50 entretiens semi-directifs menés auprès d’entraîneur.e.s actif.ve.s sur les bancs de ligue 1 ou de ligue 2 (dont Corinne Diacre) ou ayant exercé une activité significative dans les niveaux professionnels choisis. Enfin, pour questionner l’exceptionnalité du cas Diacre, le parcours de l’actuelle sélectionneuse des ‘bleues’ a été resitué par l’utilisation de données de seconde main issues de la presse sportive et généraliste – utilisables dans la mesure où elles contiennent des éléments objectifs et objectivables par le croisement avec d’autres sources21 – et systématiquement replacé par une phase de contextualisation.22 Notre approche interprétative23 a essentiellement mobilisé des concepts issus des sociologies du travail, des professions, du genre et des rapports sociaux de sexe.
2. Le coaching européen ‘du ballon rond’ : où sont les femmes ? 2.1 Prise en charge fédérale tardive : les raisons de la domination masculine L’histoire du football féminin est relativement récente. Si la première moitié du vingtième siècle, sous l’entre-deux-guerres notamment, coïncide avec l’émergence d’une pratique au féminin, celle-ci demeure largement sous contrôle et confidentielle, tributaire pour l’essentiel de l’initiative privée.24 Ce ___________ 20
21 22 23 24
Reconstitution de la biographie collective de groupes d’individus qui présentent des caractéristiques communes, se situant entre l’individuel et le collectif. Voir à ce sujet : Delpu, Pierre-Marie : La prosopographie, une ressource pour l’histoire sociale, ds. : Hypothèses 18/1 (2015), p. 263–274. Cf. Juskowiak, Hugo/Nuytens, Williams : Les usages et les valeurs des biographies de sportifs de haut niveau comme matériaux d'enquête, ds. : Communication 32/2 (2013), https:// doi.org/10.4000/communication.5065 (23/10/2020). Cf. Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. : La découverte de la théorie ancrée. Stratégies pour la recherche qualitative, Paris : Colin, 2010 [1967]. Cf. Creswell, John W. : Qualitative Inquiry and Research Design. Choosing among Five Traditions, Thousand Oaks : Sage Publications, 1998. Cf. Boniface, Pascal/Gomez, Carole : Quand le football s’accorde au féminin, Paris : UNESCO Publications, 2019.
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n’est véritablement qu’au cours du second vingtième siècle que la pratique essaime, en Europe notamment. Placée devant cette poussée des effectifs féminins, la Fédération internationale de football association (FIFA) adopte en 1951 une position radicale : La FIFA ne s’est jamais mêlée du football féminin. Elle n’a pas de compétence sur cette question et par conséquent ne donne aucun avis aux associations nationales affiliées. C’est une question de biologie et d’éducation qu’on devrait laisser aux médecins et aux professeurs […], l’avenir du football n’est pas au féminin.25
Au seuil des années cinquante, la position officielle de la fédération internationale, replacée dans le contexte, ne doit pas surprendre : elle traduit finalement l’héritage historique d’un sport féminin international encore largement ostracisé. Paradoxalement, cette absence de soutien institutionnel ne freine pas l’essor de la pratique : au contraire, le mouvement des femmes s’organise : elles « pratiquent le football, forment des clubs et mettent en place des structures de compétition »26. Après-guerre, la FIFA qui cherche à asseoir son autorité sur le football international, tout en adaptant ses modes de fonctionnement à la nouvelle donne géopolitique, se réorganise.27 La dynamique d’ouverture à d’autres fédérations nationales (sud-américaines et africaines notamment) entraîne une réduction du poids relatif des Européens dans l’institution, et bien qu’ils conservent les principaux leviers de décision, ceux-ci voient leur influence décroître significativement : « l’Europe cesse d’être l’épicentre du football mondial »28. Pour faire face à la situation, le groupe des associations européennes crée l’UEFA en 1954, instance qui s’affirme rapidement « comme un ‘acteur clef’ de la dynamisation des échanges européens dans le football ».29 Masculin uniquement, car à l’instar de son homologue internationale, l’entité européenne se désintéresse du football féminin.30 Or, en 1970, le nombre de femmes engagées dans la pratique ne cesse pour autant de croître31 et devant l’engouement suscité par une jeunesse féminine encline à jouer au ballon et à bousculer les mœurs établis, certaines fédérations (la FFF ou le Deutsche Fußball-Bund, la fédération de football d’Allemagne de l’Ouest, par exemple), lèvent leur véto sur le jeu féminin et créent des commissions féminines. En 1971, elles sont suivies par les responsables ___________ 25 26 27 28 29 30 31
Eisenberg [et al.] : FIFA 1904–2004, S. 186–187. Eisenberg [et al.] : FIFA 1904–2004, S. 187. Face à la hausse des effectifs, les dirigeants de la FIFA souhaitent, en novembre 1953, créer des groupements continentaux afin de gérer au mieux la pratique mondiale. Quin : La reconstruction, S. 32. Vonnard : L’Europe, S. 28. Cf. Breuil : Histoire. Cf. Breuil : Histoire.
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
401
du comité exécutif de l’UEFA qui insistent « sur le caractère urgent du dossier, [et qui] préconise[nt] la création de sections féminines dans le but de placer le football féminin sous le contrôle des fédérations nationales »32. L’UEFA demande alors aux fédérations qui lui sont affiliées de prendre en charge l’organisation d’une pratique déjà bien diffusée, démarche « approuvée par [ces dernières à] 31 voix contre 1 »33. En 1982, elle décide de l’organisation du premier Championnat d’Europe féminin. S’il ne fait aucun doute que l’émergence, le développement et la consolidation du football féminin aient été différenciés selon les territoires étudiés,34 l’institution mondiale et son homologue européenne ne peuvent revendiquer la paternité du football féminin, ni même sa deuxième naissance, pourtant observée au cours des sixties et seventies dans bon nombre de pays.35 Cette prise en charge internationale tardive explique en partie que le football ait été, et soit encore, ‘le territoire du masculin’. Ce qui semble être d’autant plus vrai, si l’on focalise l’attention sur son encadrement technique. 2.2 Entraîneure de football professionnel ou la femme-invisible au travail Aujourd’hui, la FIFA est composée de 207 fédérations membres dans le monde, dont 175 incluent le football féminin dans leur offre de pratique. Plus de 20 millions de filles et de femmes pratiquent ce sport.36 L’UEFA, qui regroupe 55 nations depuis l’admission en tant que membre affilié de la fédération du Kosovo en 2016, affiche quant à elle, en 2017, une hausse de 5 % des licenciées par rapport à la saison précédente. En apparence, le processus de féminisation du football, dans son ensemble, semble s’accélérer. Pour autant, les chiffres fédéraux croisés à ceux des instances internationales, et la répartition sexuée de l’encadrement technique – telle que le laisse apparaître le rapport UEFA – autorisent, d’emblée, à souligner une profonde hétérogénéité de territoires (voir Annexe, Tab. 1). Trois points essentiels peuvent ici être soulignés : s’agissant du football pratiqué par les femmes, toutes catégories d’âge confondues, il convient, premièrement, de remarquer que son encadrement reste essentiellement masculin, alors même que le nombre d’éducatrices formées ne cesse d’augmenter (19 474 éducatrices formées sur la saison étudiée, soit une augmentation de ___________ 32 33 34 35 36
Breuil : Histoire, S. 196. Breuil : Histoire, S. 197. Cf. Gozillon, Audrey : Le développement du football féminin – réalité ou illusion ?, ds. : Jurisport. Revue économique et juridique du sport 197 (2019), p. 42–45. Cf. Bohuon, Anaïs/Quin, Grégory/Vonnard, Philippe : Le genre du football. XIXè–XXIè siècles, ds. : Encyclopédie pour une Histoire Nouvelle de l’Europe, 22/06/2020, https://ehne.fr/ fr/node/12336 (23/10/2020). Cf. FIFA, Rapport annuel 2019, Zurich : FIFA, 2020, https://img.fifa.com/image/ upload/ic9qmgpxohgqhgx2f15k.pdf (23/10/2020).
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plus de 31 % par rapport à la saison précédente, à l’échelle européenne37) : l’institution estime en moyenne à 85,3 % le nombre de techniciens œuvrant sur les bancs du football féminin, toutes fédérations confondues. Au sein de ces dernières, aucune n’affiche la parité pour l’encadrement technique des équipes concernées. Cette donnée corrobore les résultats proposés par d’autres travaux sur le sujet : l’analyse des équipes participant à la Ligue des champions féminine a révélé que 43 entraîneurs principaux sont des femmes contre 147 hommes, depuis le début de la compétition en 2011.38 En Angleterre, berceau du football moderne,39 les femmes sont encore moins nombreuses à occuper les postes d’entraîneurs principaux : les hommes occupent 96 % des postes attribués au football féminin. La difficulté d’accéder aux formations d’entraîneurs et de les suivre, le poids des stéréotypes genrés et des normes patriarcales, l’impact des médias consacrant les idéaux masculins dans ce sport ainsi que la sous-représentation des femmes aux postes de décision expliqueraient l’invisibilité des femmes coachs dans les pays anglo-saxons.40 En Allemagne, si le Deutsche Fußball-Bund demeure la plus grande instance dirigeante du sport avec environ 6,8 millions de membres (mais seulement 15 % de femmes) et accentue actuellement le programme d’accès des femmes aux postes d’entraîneures, le taux de féminisation des entraîneurs diplômés ne dépasse pas les 5 %.41 Au final, le football ne contredit pas, loin s’en faut, cette tendance du système des sports. En effet, les entraîneures représentent une minorité statistique dans la quasi-totalité des sports et des niveaux de performance. On estime que seuls 20 à 30 % de tous les entraîneurs sportifs en Europe sont des femmes, comme l’indique l’encadré suivant (cf. Encadré 2). ___________ 37 38 39 40
41
Source : UEFA : Women's football. Cf. Filho, Edson/Rettig, Jean : The Road to Victory in the UEFA Women's Champions League. A Multi-Level Analysis of Successful Coaches, Teams, and Countries, ds. : Psychology of Sport and Exercise, 39 (2018), p. 132–146. Cf. Holt, Richard : Sport and the British. A Modern History, Oxford : Clarendon Press, 1989. Cf. Caudwell, Jayne : Gender, Feminism and Football Studies, ds. : Soccer & Society 12/3 (2011), p. 330–344 ; Welford, Jo : Tokenism, Ties and Talking too Quietly. Women's Experiences in Non‐Playing Football Roles, ds. : Soccer & Society Volume 12/3 (2011), p. 365–381 ; Connell, Robert W./Messerschmidt, James W. : Faut-il repenser le concept de masculinité hégémonique ?, ds. : Terrains & travaux 27/2 (2015), p. 151–192 ; Clarkson, Beth G./Cox, Elwyn/Thelwell, Richard C. : Negotiating Gender in the English Football Workplace. Composite Vignettes of Women Head Coaches’ Experiences, ds. : Women in Sport and Physical Activity Journal 27/2 (2019), p. 73–84. Cf. Hofmann, Annette/Sinning, Silke: From Being Excluded to Becoming World Champions. Female Football Coaches in Germany, ds. : The International Journal of the History of Sport 33/14 (2016), p. 1652–1668. Voir aussi l’article d’Annette Hofmann et Silke Sinning dans ce recueil d’articles.
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403
Encadré 2 : Faits et chiffres sur les entraîneures dans l'Union Européenne42 En 2009, 25 % de tou.te.s les entraîneur.e.s en Finlande étaient des femmes. La plupart d'entre elles travaillaient dans les fédérations et les clubs de sports à prédominance féminine, comme la gymnastique et le patinage artistique. Les données de 2008 montrent qu'au Royaume-Uni, il y a plus d'un million d'entraîneur.e.s, dont 31 % sont des femmes. Pourtant, seules neuf d’entre-elles occupent un poste d’entraîneure en chef au sein d'une équipe nationale senior, par rapport aux 43 directeurs nationaux identifiés. En Allemagne, environ 10 % des 500 entraîneur.e.s nationaux sont des femmes. L’analyse des licences techniques enregistrées au cours de la saison retenue souligne, deuxièmement, et au-delà de l’invisibilité déjà identifiée (1,2 % de techniciennes titulaires du diplôme Pro UEFA ; 1,2 % UEFA A ; 2,1 % UEFA B43), un resserrement de l’élite technique, caractéristique des systèmes de formation pyramidales mis en place par les fédérations44 et, rapporté aux titres (et postes occupés), un football masculin largement sanctuarisé (voir Ill. 1). Dit autrement, l’encadrement technique du football des hommes demeure potentiellement occupé par les hommes. En effet, si l’on resserre la focale sur la licence technique UEFA Pro, elles sont 127 techniciennes à pouvoir aspirer aux postes les plus élevés parmi les 10 437 professionnel.le.s qui composent le groupe européen. Rien d’étonnant si l’on admet que le ___________ 42
43
44
Cf. Katsarova, Ivana : Gender Equality in Sport. Getting Closer Every Day. Briefing de l’European Parliament Research Service, Bruxelles : Union Européenne, 2019, https:// www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2019/635560/EPRS_BRI(2019)63556 0_EN.pdf (23/10/2020). La licence UEFA Pro est une licence d’entraîneur.e mandaté.e par l’UEFA. Délivrée par la fédération de football de chaque Etat membre et valable deux ans, la licence est la plus haute certification d’entraîneur disponible et fait généralement suite à l’obtention des licences A et B de l’UEFA. Une licence UEFA Pro est requise pour toute personne souhaitant gérer un club de football du plus haut niveau du système de ligue d’un pays européen de manière permanente. La licence A permet aux titulaires d’être entraîneur.e.s en chef d’équipes de jeunes jusqu’à l’âge de 18 ans, d’équipes réserves pour les clubs de haut niveau et les clubs professionnels masculins de deuxième niveau. La licence technique B permet essentiellement aux titulaires d’être entraîneur.e.s en chef de clubs amateurs masculins, de jeunes jusqu’à 16 ans et d’entraîneur.e.s adjoint.e.s de clubs professionnels. Hommes et femmes, les entraîneur.e.s professionnel.le.s constituent 3 à 5 % du groupe des entraîneur.e.s diplômé.e.s, tous niveaux confondus. Cf. Bréhon/Juskowiak/Sallé : Entraîneur ; Williams, John/Woodhouse, Jackie : Can Play, Will Play ? Women and Football in Britain, ds. : Williams, John/Wagg, Stephen (dir.) : British Football and Social Change. Getting into Europe, Leicester : Leicester UP, 1991, p. 85–108.
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Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
football masculin génère l’essentiel des postes professionnels à pourvoir et que le titre vise à organiser sportivement, en sécurité, un club autorisé à utiliser des joueurs professionnels, ou une sélection nationale : pour entraîner des joueurs professionnels; diriger, en compétition, l’équipe première dans un club de football autorisé à utiliser des joueurs professionnels, ou une sélection nationale; manager le staff technique et organisationnel d’un club de football autorisé à utiliser des joueurs professionnels, ou d’une sélection nationale.45
Ill. 1 : La pyramide des diplômes UEFA.
Françoise Battagliola a montré que « les pionnières se sont difficilement imposées dans des milieux professionnels où prestige rimait avec masculin »46, une origine sociale et un niveau de diplôme plus élevés ayant souvent été les clefs de leur réussite. « Organiser, entraîner, diriger en compétition, manager le staff technique et organisationnel », la définition du poste « inclut toute sorte de capacités et d'aptitudes sexuellement connotées. »47 Pour accéder à ces postes taillés sur mesure par et pour des hommes et exercer le pouvoir, le fait d’être une femme semble encore constituer un sérieux handicap.48 De fait, aujourd’hui, les postes d’entraîneur.e.s principaux.les (et sélectionneur.e.s) en Europe sont essentiellement occupés par des hommes. La ___________ 45 46 47 48
UEFA : Convention des entraîneurs – Edition 2020, Nyon : UEFA, 2020, https:// editorial.uefa.com/resources/025d-0f8430a554d2-8fb1e384b5da-1000/convention_des_ entraineurs_-_edition_2020.pdf (23/10/2020). Battagliola, Françoise : Histoire du travail des femmes, Paris : La Découverte, 2000, p. 73. Bourdieu : La domination, S. 89. Cf. Victor-Belin, Nicole : Réussir au féminin. Le parcours de la femme-énergie, Paris : Dunod, 1992.
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récente enquête démographique menée par l’Observatoire du football du CIES scelle le sort du féminin dans les clubs professionnels : reléguées, au mieux, au sein des staffs médicaux ou sur quelques postes d’adjointes secondaires pour les premiers niveaux et deuxièmes européens de l’élite, elles ne figurent jamais dans les compositions techniques des clubs du big five.49 Par ailleurs, pour l’ensemble des clubs professionnels européens (niveau 1 et 2) saison 2019–2020, sur les 1 140 managers et 55 sélectionneurs nationaux comptabilisés, aucune femme n’exerce les responsabilités les plus élevées. Malgré les signes tangibles d’une féminisation progressive des professions de l’encadrement du football et, considérant avec Danièle Kergoat50 la division sexuelle du travail comme étant la forme de division du travail social, modulée historiquement et socialement et découlant des rapports sociaux de sexe, force est de constater, troisièmement, que les hommes occupent encore, sur le marché du travail footballistique, les fonctions les plus valorisées socialement. Les femmes demeurent encore largement absentes des staffs techniques des équipes masculines. Pour autant, replacées au cours du temps présent51, des précurseuses se distinguent. En 1999, Carolina Morace, internationale transalpine aux 150 sélections, devient la première femme à entraîner une équipe masculine, à Viterbese alors en troisième division. Nommée par Luciano Gaucci, elle démissionne après deux matchs joués : le président lui ayant attribué d’autorité un adjoint homme, écartant de fait son assistante Betty Bavagnoli et le préparateur physique Luigi Perrone, avec lesquels elle travaillait depuis quinze ans. En Croatie, en 2012, Tihana Nemcic est nommée à la tête d’une équipe de cinquième division. En 2018, c’est l’ancienne joueuse Imke Wübbenhorst qui devient coach principale du BV Cloppenburg (5ème niveau allemand). En 2020, c’est au tour d’Inka Grings d’être la première entraîneure à manager une équipe masculine allemande (SV Straelen) issue des quatre premières divisions allemandes. Pourtant, un cas, parmi elles, fait figure d’exception : Corinne Diacre.
___________ 49
50 51
Les cinq plus grands championnats européens : Angleterre, Allemagne, Espagne, Italie, France. Voir à ce sujet : Poli, Raffaele/Ravenel, Loïc/Besson, Roger : Démographie des entraîneurs de clubs de football professionnels, juin 2020 (Rapport mensuel de l'Observatoire du football CIES 56), https://football-observatory.com/IMG/sites/mr/mr56/fr/ (23.10.2020). Cf. Kergoat, Damièle : Division sexuelle du travail et rapports sociaux de sexe, ds. : Hirata, Hélène [et al.] (dir.) : Dictionnaire critique du féminisme, Paris : PUF, 2000, p. 35–44. Cf. Roussellier, Nicolas : L'histoire du temps présent – succès et interrogations, ds. : Vingtième Siècle. Revue d'histoire 37/1 (1993), p. 139–141.
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3. Corinne Diacre, exception et figure de proue d’un coaching féminin désespérément confidentiel ? 3.1 Pionnière mais pas première : Corinne Diacre l’étendard du football féminin français Le cas français n’échappe pas à la tendance observée à l’échelle européenne. En haut ou en bas de la hiérarchie du football, les femmes techniciennes sont extrêmement discrètes. Pour la saison 2016–2017, l’analyse des données chiffrées révèle que sur les 32 565 licences techniques enregistrées par la fédération, 910 techniciennes officient sur tous les terrains du football (2,8 %) ; 42 d’entre-elles exercent leur activité dans une structure (semi-) professionnelle (dans le football féminin pour 99 % des cas) et seulement deux sont titulaires du plus haut titre délivré par la direction technique nationale (BEPF). Par ailleurs, les femmes demeurent également absentes des staffs techniques des équipes masculines professionnelles et elles sont une minorité à occuper les fonctions d’entraîneure principale dans les clubs français masculins et féminins de l’élite (4 sur 77 postes occupés pour la saison 2018–2019 : Ligues 1 et 2 pour les hommes ; Divisions 1 et 2 pour les femmes et uniquement positionnées dans les sections féminines). Dans un tel contexte, la trajectoire de Corinne Diacre interroge. Ancienne footballeuse de haut-niveau, entraîneure au sein d’un club professionnel de football masculin pendant trois saisons avant de prendre, en 2017, les rênes de la sélection nationale féminine, Corinne Diacre est une technicienne française du groupe des entraîneurs de haut niveau. Si la joueuse Diacre n’a décroché aucun titre international, elle peut cependant se targuer d’une carrière de près de vingt ans en club et de douze ans en équipe de France, ce qui la rapproche de ses homologues masculins. En France, dans l’univers professionnel des entraîneurs, être issu du monde des joueurs professionnels confère un avantage certain pour entrer dans la formation au Brevet d’entraîneur professionnel de football.52 Si le diplôme est actuellement présenté comme « une formation complète qui permet aussi bien à ceux qui viennent du très haut niveau qu’à ceux qui viennent de la base de pouvoir y accéder et aussi de pouvoir réussir l’examen »53, les résultats statistiques nuancent les propos indigènes. Les candidat.e.s issu.e.s du football amateur sont, en réalité, isolé.e.s, et représentent seulement 15 % des technicien.ne.s retenu.e.s et reçu.e.s. De 2002 à 2014, les stagiaires formés et titulaires du diplôme sont, en très grande majorité et comme le montre le tableau ci-dessous, d’anciens joueurs professionnels jouissant d’une carrière relativement longue (85 %). A l’image de celle du cas Diacre. ___________ 52 53
Cf. Bréhon/Juskowiak/Sallé : Entraîneur. Propos tenus par le Directeur technique national, 2010.
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin Statut Joueur Amateur Joueur Professionnel Amateur Contrat pro (1-3 saisons) Carrière courte (4-5) Carrière moyenne (6-8) Carrière longue (9-14) Carrière très longue (15 et +)
Carrière de joueur 13 soit 15 % 77 soit 85 % Durée de la carrière de joueur (en saison) 13 soit 15 % 15 % 4 soit 5 % 12 % 3 soit 2 % 4 soit 5 % 38 soit 42 % 73 % 28 soit 31 %
Moyenne
10,86
407
Tab. 2 : Eléments de carrière des stagiaires reçus au BEPF (2002–2014).54
Cette tendance, identique aux techniciens en activité et sur le marché du travail, s’explique par un processus historique de structuration de la profession d’entraîneur dans lequel la DTN française (1971–1975, 1988–1991, 2008– 2012) aura joué un rôle militant. Les travaux de Laurent Grün55 montrent notamment que les principaux responsables de la DTN de football ont œuvré, tour à tour, pour créer diplômes et formations permettant de distinguer l’éducateur de football de l’éducateur d’Etat, avec pour conviction la reconnaissance des capitaux sportifs et symboliques56 comme principale variable de recrutement. En 1975, le Directeur technique national soulignait déjà que « l’essentiel des connaissances et du bagage de l’entraîneur s’acquiert pendant la carrière de joueur, par l’entraînement, par les matchs, par les discussions »57. L’enquête prosopographique menée, de 1960 (accélération du processus de professionnalisation des clubs et des cadres techniques) à nos jours, stabilise cette situation (voir Annexe, Tab. 3). En tendance, l’entraîneur professionnel de football en France est un homme (de plus en plus) mature, ancien joueur professionnel dont la longévité de la carrière est de plus en plus élevée, sportif reconverti et formé (augmentation de la période de transition joueur-entraîneur), à la carrière ___________ 54 55 56 57
Source : Auteurs. Exemple de lecture pour ce tableau : 12,1 % des stagiaires reçus au BEPF sur la période d’étude présentent une carrière de joueurs qualifiée de ‘courte’ ou ‘moyenne’. Les pourcentages sont arrondis à l’unité la plus proche et ne font pas apparaître de dixième. Cf. Grün, Laurent : L’invention de la formation des entraîneurs (1941–1991) – entre construction identitaire professionnelle et pérennisation des « valeurs » du football, ds. : Sciences sociales et sport 11/1 (2018), p. 133–163. Cf. Bourdieu, Pierre : Les règles de l’art. Genèse et structure du champ littéraire, Paris : Seuil, 1992. Grün : L’invention, p. 138.
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incertaine et instable dans le temps (nombre de postes occupés en augmentation constante), plus évolutive (diversification des postes occupés au sein du staff technique) et pour laquelle la mobilité professionnelle (nationale et internationale) est devenue une composante essentielle.58
Ligue 1 Ligue 2 Ligue 3
Âge
Nombre de matches joueur professionnel
Nombre de saisons joueur professionnel
Nombre de clubs fréquentés comme joueur pro
Nombre de matches entraîneur professionnel
Nombre total de saisons entraîneur professionnel
Nombre de clubs fréquentés comme entraîneur professionnel
51,6
346,6
12,45
4,25
319,9
8,9
3,7
51,05
312,9
11,9
4,4
251,6
7,5
3,4
51,33
329,75
12.18
4,33
285,75
8,2
3,55
Tab. 3 : Eléments de caractérisation des entraîneurs professionnels en France, saison 2014-2015, Ligue 1 (L1), Ligue 2 (L2).59
Aujourd’hui, l’argument de la connaissance du milieu est toujours avancé par les formateurs : C’est comme pour nous, si l’on nous donnait à conduire une formule 1, on se planterait […] au premier virage, on se planterait, c’est sûr. Le joueur de haut niveau a, lui, cette capacité à maîtriser plus rapidement toutes les facettes du métier d’entraîneur.60
Or Corinne Diacre, de ce point de vue est une référence nationale et internationale : elle est la première footballeuse française à dépasser les 100 sélections nationales et reste, à l’heure actuelle, la deuxième joueuse qui a le plus souvent porté le brassard de capitaine en équipe de France (n = 69) derrière Sandrine Soubeyrand (n = 84). Cette reconnaissance sportive se double d’une légitimation symbolique : elle est la première femme à recevoir, en 2005, le trophée spécial de l’Union nationale des footballeurs professionnels (UNFP) en récompense de sa carrière de joueuse ; renforçant ce faisant son statut d’égérie ___________ 58 59 60
Cf. Bréhon Jean/Juskowiak Hugo/Sallé Loïc : S’expatrier pour « faire savoir son savoirfaire » ? Analyse de la mobilité internationale des entraîneurs français de football professionnel, ds. : Migrations Société, 183/1 (2021), p. 163-175. Source : Auteurs. Propos tenus par un responsable de la formation BEPF, 64 ans, ancien entraîneur professionnel de club.
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du football féminin hexagonal. Même si elle ne peut être considérée comme pionnière de l’encadrement de son sport,61 sa longévité sur le banc auvergnat dépasse largement les valeurs médianes observées dans la profession62 : Diacre est une exception parce qu’elle est la seule femme à occuper successivement tous les postes historiquement réservés aux hommes et surtout, à durer dans l’exercice de ces différentes fonctions. 3.2 Diacre sous les traits et les pas de l’entraîneur-type : la conformité masculine au féminin ? Corinne Diacre est née en octobre 1974 à Croix, dans le Nord, au sein d’une famille ouvrière. Ses parents sont sportifs tous les deux : sa mère pratique la course à pied, son père, le football. Celui-ci, bien que lui déconseillant de « pratiquer un sport qui n’était pas fait pour les filles » (extrait d’entretien), l’emmène régulièrement sur le bord des terrains, l’inscrivant ainsi dans le processus de socialisation inversée des footballeuses mis au jour par Christine Mennesson.63 Elle signe sa première licence de joueuse à l’âge de sept ans dans le petit club du CO Saint-Chamond même si « du plus loin [qu’elle] se souvienne, [elle a] toujours eu un ballon dans les pieds ». Sa première rencontre avec le monde du ballon rond, sa progression sportive dans des clubs de mieux en mieux placés dans la hiérarchie sportive (SS Aubusson à 9 ans, ES Azérables à 12 ans, l’ASJ Soyaux à 14 ans), les distinctions sportives qu’elle décroche, le repérage par certains cadres techniques de district ou de ligue participent à la naissance puis au renforcement de sa vocation64 et la rendent conforme aux genèses des trajectoires sportives que connaissent les élites masculines.65 Conforme aux garçons puis aux hommes en tant que joueuse – « j’étais 100 % focus sur mon métier » reconnait-elle – Corinne Diacre l’est tout autant dans sa carrière de technicienne du football. Elle est avant tout une « insider »66 intégrée à un groupe d’élite privilégiant l’entre-soi.67 ___________ 61
62 63 64 65 66 67
En France, c’est en réalité Élisabeth Loisel, par une validation des acquis de l’expérience, qui fut la première à obtenir le Brevet d’entraîneur professionnel de football. Par ailleurs, entre mai et juin 2014, c’est Helena Costa qui fut appelée par le Clermont Foot 63 pour entraîner l’équipe masculine évoluant en Ligue 2. En désaccord avec son président, elle ne foulera jamais la pelouse et sera remplacée par Corinne Diacre le 28 juin 2014. Cette dernière y officiera un peu plus de trois ans, quittant Clermont en août 2017. Douze mois à l’échelle européenne, seize pour le championnat français (Observatoire du football CIES, 2016–2020). Cf. Mennesson : Être une femme. Cf. Suaud, Charles : La vocation. Conversion et reconversion des prêtres ruraux. Paris : Minuit, 1978. Cf. Bertrand, Julien : La fabrique des footballeurs, Paris : La Dispute, 2012. Cf. Becker, Howard: Outsiders. Études de sociologie de la déviance, Paris : Métailié, 1985 [1963]. Cf. Juskowiak/Sallé/Bréhon : Derrière la casquette.
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D’abord, par sa carrière de joueuse, ensuite, par une transition de carrière anticipée, Corinne Diacre, qui avait « quand-même un petit peu prévu le coup quand tout s’arrêterait » obtient ainsi le Brevet d’Etat 1er degré en 2001 à l’âge de 27 ans, le 2e degré en 2003 à 29 ans, son diplôme d’entraîneur de football (DEF) en 2005 à 31 ans et son certificat de formateur quand elle termine sa carrière de joueuse en 2007 à l’âge de 33 ans. Si les amateurs, se hissant au sein des formations fédérales les plus élevées, subissent le « fardeau de leur trajectoire »68 et doivent impérativement se construire une légitimité que la carrière de footballeur ne leur confère pas, Corinne Diacre, quant à elle, bénéficie de ce double avantage, aux yeux de l’institution formatrice : « Corinne, elle a tout compris. Et très vite ! Joueuse de haut-niveau, elle s’est très vite intéressée aux formations. Au DEF, c’était déjà l’une des meilleures, elle était curieuse, critique parfois […] on la suit depuis. »69 Enfin, le cumul formation/emploi fonctionne pour Corinne Diacre « comme une socialisation anticipée du futur professionnel. »70 Lors de son entrée au BEPF en juin 2012, elle est déjà entraîneure principale de l’ASJ Soyaux et adjointe de Bruno Bini en Equipe nationale féminine depuis cinq ans. Ecartée en 2013, « de manière un peu dégueulasse » selon elle, lors de l’arrivée du nouveau sélectionneur Philippe Bergeroo, elle considère son vécu en club et en sélection comme « quelque chose de positif, qui te fait avancer plus vite quoi ! ». A l’instar du profil-type des techniciens – ancien joueur de très haut niveau (Ligue 1 voire international) fraîchement diplômé et qui accède directement à l’élite du football français – les bénéfices sportif, symbolique, communicationnel et réputationnel sembleraient jouer un rôle non négligeable dans l’ascension professionnelle de Corinne Diacre. Lauréate du BEPF en juin 2014, Corinne Diacre devient, la même année, entraîneure principale en Ligue 2. Après 119 matchs passés sur le banc de cette équipe professionnelle (record de longévité dans ce club), elle devient la sélectionneuse nationale féminine seulement trois ans après l’occupation du premier poste de principal. Analysé à la lueur des principales caractéristiques du groupe professionnel auquel elle appartient,71 le parcours de Corinne Diacre est ordinaire, dans une profession (celle de joueur.se et d’entraîneur.e) communément qualifiée d’extraordinaire. A moins de considérer l’exceptionnalité du cas étudié dans le contexte de féminisation d’un univers masculin
___________ 68 69 70 71
Pilet, Emilie : Les trajectoires des entraîneurs dans le champ du football professionnel, Université de Nantes, Mémoire pour le DEA de sciences sociales, 2003, p. 65. Propos tenus par un responsable de la formation BEPF, 64 ans, ancien entraîneur professionnel de club. Bréhon/Juskowiak/Sallé : Entraîneur, p. 16. Cf. Demazière, Didier/Gadéa, Charles (dir.) : Sociologie des groupes professionnels. Acquis récents et nouveaux défis, Paris : La Découverte, 2009.
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encore dominant72 et d’analyser en quoi ‘la figure Diacre’ est finalement à part entière mais entièrement à part. 3.3 Singularités et exceptionnalité du cas Diacre : symbole du changement ou faire-valoir ? Conforme aux trajectoires des plus grands entraîneurs masculins, le parcours de Corinne Diacre est aussi empreint de singularités. Par le parcours scolaire et de transition professionnelle premièrement. Si la formation footballistique moins « totale »73 des filles leur accorde davantage de disponibilités, à la fois intellectuelles, temporelles et spatiales, elle autorise aussi des parcours scolaires de meilleure qualité. De manière concomitante, elle réduit les chances de développer, d’afficher et de monnayer ses compétences sportives,74 ce qui oblige les footballeuses à penser autrement leur avenir scolaire, professionnel et donc pécuniaire. Engagée dans cette logique de sécurisation, Corinne Diacre décroche une Licence STAPS en 1995 à l’âge de 21 ans – niveau scolaire qui la singularise ‘par le haut’ vis-à-vis de ses homologues entraîneurs masculins – et rate ‘de peu’ le Certificat d’aptitude au professorat d’éducation physique et sportive (CAPEPS), « en manquant de noyer le mannequin lors de l’épreuve de sauvetage aquatique ». Si l’état de développement du football féminin de haut niveau impacte les stratégies d’activité et de transition professionnelles des joueuses, on comprend alors autrement l’anticipation de la passation des diplômes d’entraîneur qui, bien que voulue par Corinne Diacre – « c’était dans un coin de ma tête […] j’ai toujours voulu rester dans ce milieu-là » – apparaît également contrainte par la moindre espérance de gains financiers. C’est la même logique qui l’a conduite, par ailleurs, à occuper des postes parfois fort éloignés des terrains de football : « les sponsors, ça ne payait pas des masses, et j’avais une petite bourse d’athlète de haut niveau ». Les « petits boulots » qu’elle occupe entre 1996 et 2000 – emploijeune dans son club de Soyaux, employée dans une usine de batteries, remplacements en Institut médico-éducatif (IME) – ainsi que les périodes de chômage – entre l’arrêt de sa carrière sportive et un poste d’agent de développement au service des sports du Conseil général de la Charente – s’apparentent à une forme de déclassement qui singularise ‘par le bas’ Corinne Diacre vis à vis des techniciens masculins de l’élite. ___________ 72 73 74
Cf. Bourdieu, Pierre : Nouvelles réflexions sur la domination masculine, ds. : Cahiers du Genre 33/2 (2002), p. 225–233. Cf. Goffman, Erving : Asiles. Etudes sur la condition sociale des malades mentaux, Paris : Minuit, 1968. Cf. Slimani, Hassen : Le système de formation à la française, ds. : Demazière, Didier/ Nuytens, Williams (dir.) : Panoramiques, Un monde foot, foot, foot!, Condé-sur-Noireau : Corlet, 2002, p. 22–35, ici p. 28.
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Corinne Diacre se distingue également de ses homologues masculins si l’on observe, deuxièmement, la temporalité de sa carrière d’entraîneure. Le faible vécu – en années d’expérience tout comme en nombre de structures fréquentées – qui est le sien au moment de la transition de carrière et des premières prises en charge de collectifs nationaux représente un facteur de fragilisation. Son engagement auprès de Bruno Bini comme adjointe de l’Equipe de France féminine en 2007 se réalise, en effet, sans aucune expérience préalable d’encadrement et elle ne peut, qui plus est, justifier ‘que’ de dix ans d’expériences dans le métier et de la fréquentation de trois structures (ASJ Soyaux, adjointe en Equipe de France, Clermont Foot 63) lorsqu’elle prend les rênes de l’Equipe de France féminine en 2017. Cette trajectoire est, comparativement à celles des sélectionneurs français masculins,75 la plus rapide depuis près de vingt ans et l’échec relatif de Michel Platini, ce qui constitue un autre facteur de décrédibilisation de sa nomination.76 Or, parmi le faisceau ‘des forces contraignantes’ qui contribue à l’existence et à la persistance des mécanismes qui placent les entraîneur.e.s, à l’image des joueurs.ses,77 dans une situation particulière vis-à-vis des emplois disponibles et de leurs potentiels employeurs, la légitimité reconnue par les pairs et la réputation sportive véhiculée dans l’univers professionnel constituent des atouts de taille78 pour se maintenir et durer dans la profession. Dans notre métier, faut faire attention à tout. La communication, la maîtrise de son environnement proche, son image, sa réputation et bien sûr ses résultats ! […]. Tu peux te rater avec une cartouche, mais la deuxième faut qu’elle fasse mouche […] et puis si tu te fais ___________ 75
76
77 78
En guise d’illustration, voici le nombre d’années d’expérience dans le domaine de l’encadrement et le nombre d’équipes entraînées avant leur prise de fonction pour les sept derniers sélectionneurs nationaux masculins : Gérard Houllier (12 ans/4 équipes), Aimé Jacquet (18 ans/4 équipes), Roger Lemerre (23 ans/8 équipes), Jacques Santini (19 ans/ 6 équipes), Raymond Domenech (18 ans/4 équipes), Laurent Blanc (7 ans/1 équipe), Didier Deschamps (11 ans/3 équipes). Si les deux derniers sélectionneurs semblent moins expérimentés que leurs prédécesseurs, leur réussite sportive avec notamment des titres de champions d’Europe et du monde agit comme un repoussoir puissant d’une éventuelle remise en question de leurs compétences de coach, argument d’autorité que ne peut pas mobiliser Corinne Diacre. Cela est d’autant plus renforcé si l’on considère le niveau des équipes encadrées et les postes occupés par Corinne Diacre depuis l’arrêt de sa carrière de joueuse : une équipe masculine de Ligue 2 et des équipes féminines (dont un poste en tant que seconde entraîneure) considérées comme moins prestigieuses dans le monde du football. Cf. Schotté, Manuel : « Acheter » et « vendre » un joueur. L'institution du transfert dans le football professionnel, ds. : Marché et organisations 27/3 (2016), p. 149–165. Cf. Lemieux, Cyril/Mignon, Patrick : Être entraîneur de haut niveau – Sociologie d'un groupe professionnel entre marché du travail fermé et marché du travail concurrentiel. Rapport de recherche, Paris : INSEP, 2006, https://hal-insep.archives-ouvertes.fr/hal-01703388/document (23/10/2020).
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oublier ou si tu t’arrêtes trop longtemps, alors t’es grillé. Faut être constamment dans le cœur du réacteur.79
Enfin, les nominations successives de Corinne Diacre et la durée dans la carrière doivent, troisièmement, être replacées dans un contexte spécifique de féminisation de la société, des secteurs professionnels, du football notamment. Autrement dit, la trajectoire ascendante de Corinne Diacre peut aussi être considérée comme une conséquence heureuse du plan de féminisation impulsé depuis 2011 en France. Un signal fort, au même titre que l’arrivée, la même année, de Brigitte Henriques à la vice-présidence de la fédération ou encore l’accueil de la 8ème édition de la Coupe du monde féminine pour la première fois en France en 2019.80 Mais si Corinne Diacre a pu bénéficier d’un contexte favorable, du moins offrant davantage de perspectives professionnelles aux femmes désireuses de s’investir dans cette pratique sportive, et même si le sport d’élite repose sur la célébration des exploits individuels,81 cela ne doit pas masquer la face cachée de l’iceberg : Diacre est bien (trop) seule sur l’échiquier du football professionnel.
4. Conclusion L’exception confirme-t-elle la règle ? Autrement dit, l’activité d’encadrement technique du football par des femmes confirme-t-elle une forme de domination masculine ? Parce que les entraîneures sont quantitativement moins représentées que les entraîneurs, parce qu’elles occupent tendanciellement des postes moins prestigieux que leurs homologues masculins et ce, quelle que soit la focale géographique retenue (mondiale, européenne, nationale), il est tentant de répondre à cette question initiale par l’affirmative ; aux hommes l’encadrement de l’élite, à quelques femmes, l’entraînement des ‘seconds couteaux’. C’est sans compter sur la trajectoire professionnelle de Corinne Diacre. Cette technicienne française n’est pas l’exception qui confirme la règle, elle apparaît davantage comme l’exception qui met la règle à l’épreuve en parvenant à occuper et à durer dans des positions habituellement dédiées aux hommes que ce soit en club (plus de trois ans dans le club de Ligue 2 du Clermont Foot 63) ou en sélection nationale (plus de trois ans à la tête de ___________ 79 80 81
Propos tenus par un entraîneur professionnel en Ligue 1, 50 ans. Cf. Gozillon, Audrey/Bréhon, Jean/Hidri Neys, Oumaya : The Effects of Media Powers on the Institutionalization of ‘Women’s’ Football, ds. : Sport in society (soumis). Cf. Bohuon, Anaïs/Gimenez, Irène : Performance sportive et bicatégorisation sexuée. Le cas de Maria José Patno et le problème de l'avantage « indu », ds. : Genèses, 115/2 (2019), p. 9–29.
414
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
l’Equipe de France féminine de football). Parce qu’elle est conforme au groupe professionnel des techniciens (longue carrière de joueuse de haut niveau, anticipation de la passation des diplômes d’entraîneur, anticipation de l’activité d’encadrement), parce qu’elle a réussi à retourner ce qui aurait pu apparaître comme des « stigmates »82 (formation scolaire et universitaire plus poussée que ses homologues masculins, faible expérience d’encadrement avant ses prises de fonction en sélection nationale, emplois ‘alimentaires’ en dehors de la sphère du football), parce qu’elle bénéficie d’un contexte favorable de féminisation au sein de la société, du monde du travail et du plan de féminisation du football impulsée par la Fédération française de football depuis 2011, elle est parvenue à entrer dans un cercle vertueux, à cumuler des avantages83 pour atteindre et se maintenir dans l’élite de l’encadrement du football. Mais cette figure d’exception qui met à l'épreuve la règle est elle-même mise à l’épreuve. Sans cesse remise en question sur sa légitimité à la tête de l’Equipe de France féminine de football (par ses joueuses, par certains entraîneurs, par la presse écrite), encore jamais appelée pour officier en Ligue 1 masculine (en France ou ailleurs), ni en sélection nationale masculine (française ou étrangère) qui s’apparentent dès lors à un « plafond de verre »84, son retour sur (sur)investissement est pour le moins limité. En ce sens, Corinne Diacre joue pleinement un rôle de pionnière, non pas parce qu’elle est la première – et jusqu’à maintenant la seule – à connaître ce type de trajectoire professionnelle mais plutôt parce qu’elle s’apparente à un « soldat employé aux travaux de terrassement ou à l’aménagement des positions défensives »85, ouvrant ainsi la voie à d’autres femmes dans le monde de l’encadrement du football professionnel français et européen. Les répercussions du programme de mentorat, mis en place par l’UEFA depuis octobre 2019, apporteront, sans nul doute et en considérant la force dynamique des appariements sélectifs,86 des réponses quant aux capacités réelles de l’institution à participer au changement social.87
___________ 82 83 84 85 86 87
Goffman, Erving : Stigmate. Les usages sociaux des handicaps, Paris : Minuit, 1975. Cf. Merton, Robert K. : The Mathew Effect in Science, ds. : Science 159/3810 (1968), p. 56– 63. Laufer, Jacqueline : La féminité neutralisée. Les femmes cadres dans l’entreprise, Paris : Flammarion, 1982, p. 124. Larousse dictionnaire : s. v. pionnier, https://www.larousse.fr/dictionnaires/francais/ pionnier/61053 (23/10/2020). Cf. Menger : Le travail créateur. Cf. Trémoulinas, Alexis : Sociologie des changements sociaux, Paris : La Découverte, 2006.
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
415
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418
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
Annexe % éducaFédé-
Licen-
ration
ciées
% tech-
teurs.
Licence
Licence
Licence
rices dans le
technique
technique
technique
football
UEFA PRO
UEFA A
UEFA B
féminin M
F
M
F
M
F
M
niciennes UEFA
F
F
Albanie
385
99
1
86
0
290
0
575
2
0,2
Andorre
220
90
10
6
0
51
1
84
2
2,1
Arménie
49820
80
20
26
1
79
1
194
6
2,6
Autriche
20548
90
10
191
1
1668
7
3013
13
0,4
2246
90
10
24
0
89
0
167
15
5,3
2290
80
20
44
0
180
0
413
6
0,9
28416
90
10
136
0
2678
6
5450
66
0,8
1599
90
10
259
0
827
1
1503
8
0,3
Azerbaïdjan Biélorussie Belgique BosnieHerz. Bulgarie
1303
60
40
113
0
306
2
371
9
1,4
Croatie
2458
80
20
167
1
1030
5
1683
10
0,5
Chypre
1000
97
3
39
0
278
2
330
7
1,4
Tchéquie
11353
90
10
391
1
1529
9
2826
28
0,8
Danemark
62280
85
15
133
2
590
18
1147
41
3,2
Angleterre
102804
96
4
383
7
1653
40
10679
398
3,5
Estonie
1565
60
40
33
2
102
2
181
19
7,2
Iles Féroé
1500
80
20
2
0
77
1
115
5
3,1
Finlande
32221
80
20
118
1
190
10
756
34
4,2
France
118842
90
10
110
2
9
0
6970
138
0,2
1126
80
20
66
0
195
0
441
19
2,7
800
98
2
25
0
207
1
669
6
0,7
203756
85
15
861
26
3866
58
20904
647
2,8
Gibraltar
178
90
10
0
0
1
0
7
1
12,5
Grèce
6320
90
10
97
0
420
1
2308
17
0,6
Macédonie Géorgie Allemagne
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
419
Hongrie
13900
96
4
129
0
720
2
3771
65
1,4
Islande
7375
90
10
17
0
206
22
395
38
9,7
Israël
1294
90
10
156
5
1150
25
1300
20
1,9
Italie
23665
75
25
826
3
1976
25
44534
367
0,8
2526
70
30
51
0
112
2
430
5
1,2
Kazakhstan Kosovo
667
95
5
10
1
100
2
125
0
1,2
Lettonie
1200
70
30
18
0
95
1
184
6
2,3
Lituanie
1211
95
5
36
0
115
0
220
15
4
259
89
11
0
0
6
0
46
4
8
2342
90
10
6
0
134
0
215
0
0
Malte
736
70
30
25
0
97
0
106
2
0,8
Moldavie
1107
93
7
56
1
106
1
192
22
6,7
375
90
10
37
0
98
0
200
1
0,3
155035
80
20
268
2
1185
10
3297
38
1
1375
86
14
126
0
460
8
442
24
3,1
Norvège
103636
68
32
112
4
441
14
2050
120
5,3
Pologne
26727
98
2
189
0
1803
24
3797
79
1,7
Portugal
9067
82
18
586
6
440
2
3562
23
0,7
22960
90
10
62
2
372
8
1320
24
1,9
52572
93
7
158
0
997
1
1127
17
0,7
96
60
40
0
0
0
0
111
1
0,9
Ecosse
10434
98
2
161
3
748
13
1756
37
1,9
Serbie
2464
95
5
138
0
951
4
1436
15
0,7
Liechtenstein Luxembourg
Monténégro Pays-Bas Ireland nord
Rép. Ireland Roumanie SaintMarin
Slovaquie
3101
95
5
273
0
591
6
1776
22
1
Slovénie
2173
70
30
23
0
193
5
404
4
1,4
Espagne
46208
80
20
2379
44
12884
152
9252
405
2,5
Suède
117729
90
10
242
10
841
93
3454
426
11,7
Suisse
23551
74
26
105
1
1387
12
9653
108
1,1
Turquie
40213
97
3
548
0
1953
6
3672
65
1,1
420 Ukraine Pays de Galles TOTAUX
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak 6105
70
30
185
0
325
4
478
11
1,5
6546
95
5
78
1
290
3
892
39
3,4
1339679
85,3
14,7
10310
127
47091
610
160983
3500
2,5
Tab 1 : Panorama du football européen et son encadrement (Sources fédérales et européennes croisées. Licences enregistrées pour la saison 2016–2017. Cf. UEFA : Women’s football).
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
421
Tab. 3 : Approche sérielle et quantitative des entraîneurs en activité, championnat de France niveau 1 et 2, 1960–2016 (Source : Auteurs, suite du tableau, voir pages suivantes).
422
Jean Bréhon, Oumaya Hidri Neys & Hugo Juskowiak
Femme(s) entraîneure(s) du football professionnel masculin
423
2. Berichte
Gastdozentur des Frankreichzentrums: Transkulturalität in Literatur und Film La transculturalité dans la littérature et le cinéma Dr. Myriam Geiser (Wintersemester 2019/20)
Myriam Geiser
Lehr- und Forschungstätigkeit in deutsch-französischer Perspektive während meines Gastsemesters an der Universität des Saarlandes (1. September 2019 – 29. Februar 2020) Der thematische Schwerpunkt „Kultur und kulturelles Erbe in transnationalen Räumen“ der interdisziplinären Forschungstätigkeit des Frankreichzentrums bildete den Rahmen für die Konzeption des Projekts meiner Gastdozentur in Lehre und Forschung im Wintersemester 2019/2020. Ziel war es, neuere transkulturelle Entwicklungen in Literatur und Film in Frankreich und in Deutschland vergleichend in den Blick zu nehmen. Literarische Texte und cineastische Werke spielen unbestritten eine nachhaltige – und nicht zuletzt auch öffentlich stark wahrgenommene – Rolle bei der Bildung und Vermittlung von kulturellen Inhalten, die nicht unwesentlich zur Konstituierung von kollektiven Identitäten beitragen. Durch komplexe Rezeptionsprozesse halten sie ihren Einzug in jene Archive, die schließlich als kulturelles Erbe konserviert und weitergegeben werden. Institutionalisierte Formen von Kanonisierung, die Verbreitung durch Medien und die Aufnahme in Bildungsprogramme stellen wichtige Aspekte bei diesem Vermittlungsvorgang dar, der somit auch sozialen und politischen Faktoren unterliegt. Die seit dem 20. Jahrhundert durch globale Wanderungen in Europa ausgelöste gesellschaftliche und kulturelle Dynamik führt nicht zuletzt zu Transformationen im Kulturbetrieb. Trotz der sehr unterschiedlichen Kolonialund Einwanderungsgeschichten Frankreichs und der deutschsprachigen Länder ist die aktuelle Situation im Hinblick auf Migration und Postmigration in diesen beiden Nachbarstaaten im Herzen Europas durchaus vergleichbar. Sowohl im französischen als auch im deutschen Sprachraum unterlaufen insbesondere transkulturelle Ausdrucksformen, die sich etwa in den letzten dreißig Jahren in Literatur und Film entwickelt haben, häufig die im Kunstbetrieb traditionell dominanten nationalen Ordnungskategorien. Gerade dadurch stellen sie einen aufschlussreichen Beitrag zu einem neuen Nachdenken über Identitäten, Grenzen und das Zusammenleben in modernen Gesellschaften dar. Werke, die sich jenseits monokultureller und monolingualer Vorstellungen bewegen und Zugehörigkeiten als offenen und multiplen Prozess gestalten, können – nicht zuletzt aus der Perspektive transnationaler Regionen – die grenzüberschreitende Dimension des Dialogs und des Kulturenkontakts intensivieren und erweitern.
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Auf der Basis dieser Vorüberlegungen war es mein Ansatz, sowohl in der Forschung als auch in den Lehrangeboten vom Begriff der Transkulturalität auszugehen und ihn aus verschiedenen Blickwinkeln als theoretisches Konzept fruchtbar zu machen. Dabei fasse ich Transkulturalität in Bezug auf literarische und filmische Werke nicht als Gattungskategorie auf, sondern vielmehr als Bezeichnung eines dynamischen Prozesses, einer besonderen Funktion und Qualität kulturellen Schaffens, das sich quer zu nationalen Traditionen entwickelt und simultan aus vielen Quellen schöpft. Die Kulturen inhärente Dynamik wird besonders präzise von Wolfgang Welschs Transkulturalitätsbegriff erfasst, der die zeitliche Dimension des ‚Übergangs‘ im Präfix ‚trans‘ betont. So handelt es sich bei transkulturellen Vorgängen in Literatur und Film um eine kreative Praxis, die „ein ständiges Springen zwischen den Kulturen“1 oder auch das Überlagern und Verweben kultureller Bezüge vollzieht. Perspektivwechsel und Flexibilität sind in solchen Gestaltungs- und Rezeptionsprozessen unabdingbar, der Kommunikation kommt hierbei eine wesentliche Aufgabe zu. Seit den 1980er-Jahren entstehen in Frankreich und in Deutschland im Kontext von Migration und Postmigration filmische und literarische Werke, die ein spezifisches transkulturelles Potenzial entfalten. Nach herkömmlichen Kategorien sind solche Ausdrucksformen der Pluralität und Diversität nur schwer einzuordnen, parallel zu den ästhetischen Phänomenen des Mischens und Überlagerns entwickeln sich neue theoretische Beschreibungsmodelle und Terminologien. Aus postkolonialen Theorien lassen sich Konzepte wie kulturelle Hybridität und Métissage heranziehen, die sich zur Charakterisierung und Analyse der Originalität migrantischer Werke und ihrer Position im Kulturbetrieb durchaus eignen. Folgende Ausgangsfragen habe ich dem Projekt meines Gastsemesters am Frankreichzentrum zugrunde gelegt: Kann man davon ausgehen, dass aktuelle transkulturelle Filme und Literaturen zur Dynamik eines Paradigmenwechsels (etwa innerhalb der Philologien und der Historiographie) beitragen, indem sie eine Rezeption fördern, die territoriale und ideologische Identitätsund Zugehörigkeitskonzepte überwindet? Entstehen durch die bewusste Gestaltung multipler Bezüge in den Werken neue Wahrnehmungsgewohnheiten? Lassen sich beim Vergleich zweier kultureller Räume mit unterschiedlichen Migrationsgeschichten (wie Frankreich und Deutschland) spezifische ästhetische Verfahren ausmachen? Und noch weiter gefasst: Ist es vorstellbar, dass sich im Verlauf umfassender transkultureller Prozesse die Auffassung von Kultur (in europäischen Gesellschaften) grundlegend und nachhaltig verändert? ___________ 1
Ette, Ottmar: ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz, Berlin: Kadmos, 2005, S. 21.
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In einer vergleichenden deutsch-französischen Perspektive habe ich drei Lehrveranstaltungen im Bereich Literatur und Film konzipiert, die für Studierende der Romanistik, der Germanistik, der Komparatistik, der Kulturwissenschaften sowie im Bachelor-Optionalbereich der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes angeboten wurden. Das Seminar „Urbane Räume der Métissage – die Stadt im transkulturellen Film“ wurde in deutscher Sprache abgehalten. Ausgehend vom kulturanthropologischen und ästhetischen Begriff der Métissage, den der Film- und Kulturkritiker Georg Seeßlen als einer der ersten auf filmische Werke angewandt hat, lag der Fokus der Veranstaltung auf der Inszenierung urbaner Räume in deutschen und französischen Filmen, deren Form und Inhalt vom Kontext der Migration geprägt sind. Seeßlen meinte mit Métissage hybride Ausdrucksformen der „doppelten Kulturen“, die er im europäischen Gegenwartskino etwa seit den 1980er-Jahren beobachtete.2 Zahlreiche Filmerzählungen aus dem Migrationskontext siedeln ihre Geschichten in urbanen Räumen an, in denen plurikulturelle Erfahrungen auf spezifische Weise kulminieren und zum Ausdruck kommen. Dadurch ist eine transkulturelle Stadtästhetik entstanden, die sich im Werk zahlreicher Filmautor*innen wahrnehmen lässt, im deutschsprachigen Kontext etwa bei Fatih Akin, Thomas Arslan, Feo Aladag, Züli Aladag oder Detlev Buck. In Frankreich wären die Genres cinéma beur und cinéma de banlieue zu nennen, sowie Filmwerke von Mehdi Charef, Mathieu Kassovitz, Claire Denis, Philippe Faucon, Rachid Djaïdani, Abdellatif Kechiche und Houda Benyamina. Im Seminar standen filmische Einzelanalysen ebenso im Blickpunkt wie der vergleichende Kommentar thematischer Schwerpunkte und narrativer Tendenzen des urbanen Métissage-Kinos. Die transdisziplinäre Zusammensetzung der Seminargruppe (Sozial- und Geisteswissenschaften, Interkulturelle Kommunikation, Lehramt und Forschungsstudiengänge) hat zu einer großen Bandbreite unterschiedlichster Perspektiven in den Referaten und Diskussionsbeiträgen geführt und insbesondere die Aktualität der Thematik und ihre gesellschaftspolitische Relevanz sowohl in Frankreich als auch in Deutschland deutlich werden lassen. Auch die zweite Lehrveranstaltung „Romane der Postmigration in Deutschland und in Frankreich“ wurde in deutscher Sprache abgehalten. Als Romane der Postmigration können Werke von Autor*innen mit einem sogenannten ‚Migrationshintergrund‘ betrachtet werden, die in einem Kontext von Mehrsprachigkeit und kultureller Métissage entstehen. Gemeint sind Schreibsituationen, in denen die Einwanderung der Eltern (oder eines Elternteils) noch einen Einfluss auf die Wahrnehmung und das Selbstverständnis der Autor*innen hat, in denen sich aber zugleich neue transkulturelle Prozesse vollziehen. In der deutschen und französischen Gegenwartsliteratur sind in der ___________ 2
Vgl. Seeßlen, Georg: Das Kino der doppelten Kulturen. Erster Streifzug durch ein unbekanntes Kino-Terrain, in: epd Film 12 (2000), S. 22–29.
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Periode zwischen 1980 und 2010 zahlreiche Werke deutsch-türkischer und franko-maghrebinischer Autor*innen erschienen, die zu neuen Gattungsbezeichnungen geführt und spezifische ästhetische Verfahren ins Zentrum des Interesses gerückt haben. Im Seminar sollten anhand ausgewählter Romane die besonderen Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Postmigration reflektiert sowie charakteristische narrative Strategien vergleichend betrachtet werden. Die Werkauswahl umfasste die französischen Romane Le Thé au harem d'Archi Ahmed (1983) von Mehdi Charef, Le Gone du Chaâba (1986) von Azouz Begag, La voyeuse interdite (1991) von Nina Bouraoui und Kiffe kiffe demain (2004) von Faïza Guène, sowie auf deutscher Seite Werke von Feridun Zaimoglu (Abschaum – Die wahre Geschichte von Ertan Ongun, 1997), Zafer Şenocak (Gefährliche Verwandtschaft, 1998), Yadé Kara (Selam Berlin, 2003) und Dilek Güngör (Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter, 2007). In Seminarsitzungen wurden spezifische ästhetische Verfahren und narrative Strategien der Postmigration beleuchtet und Themenschwerpunkte wie „Authentizität versus Fiktionalität“, „Mehrsprachigkeit, Übersetzung und Innovation“, „Einwandern in die Geschichte eines Landes“, „Weibliche Perspektiven des Kulturkontakts“ und „Humor als Distanznahme und Widerstand“ behandelt. Insbesondere die gesellschaftliche Dimension transkulturellen Schreibens kam in dieser Lehrveranstaltung zur Diskussion sowie ein vergleichender Blick auf die Rezeption postmigrantischer Literaturen in Deutschland und Frankreich. Mein drittes Seminar „Fiction(s) de l’identité: figures du ‘Je’ dans l’écriture transculturelle“ („Fiktion(en) der Identität: Ich-Figuren in transkultureller Prosa“) wurde in französischer Sprache abgehalten. In dieser Lehrveranstaltung ging es um die für transkulturelles Schreiben typische Reflexion und Konstruktion von Identität sowie um besondere poetische Verfahren ihrer Inszenierung. Auffällig ist, dass zahlreiche Romane und Erzählungen der deutschen und französischen Gegenwartsliteratur mit Figuren von Ich-Erzähler*innen spielen und dabei die Genres der Autofiktion oder des autobiografischen Erzählens variieren. Besonders spannend wird das Spiel mit Identitäten im Kontext von Migration und transkulturellen Biografien, da hier häufig Fragen der Zugehörigkeit und der eigenen Verortung verhandelt werden. Anhand zweier französischer Romane – Garçon manqué (2000) von Nina Bouraoui und Vivre me tue (1997) von Paul Smaïl – und zweier deutscher Werke – Mutterzunge (1990) von Emine Sevgi Özdamar sowie Der falsche Inder (2008) von Abbas Khider – wurden in diesem Seminar kontrastiv einige der innovativen narrativen Strategien analysiert, die sich in transkultureller Gegenwartsprosa in deutscher und französischer Sprache derzeit beobachten lassen. Dabei wurden auch methodische Verfahren der Erzähltheorie erprobt, die sich zur Analyse der spezifischen Erzählsituationen und Erzählperspektiven besonders eignen. Dieses Seminar wurde von einem kleinen Kreis sehr motivierter und engagierter Masterstudentinnen besucht, die entweder das trinationale Masterprogramm Literatur-, Kultur- und Sprachgeschichte des deutschsprachigen
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Raums oder den Studiengang Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft absolvierten. Die Beiträge zu den Sitzungen waren auf sehr hohem Niveau, mehrere Projekte für Masterarbeiten gingen aus dieser Lehrveranstaltung hervor und zwei erfolgreiche Teilnehmerinnen erhielten im Laufe des Studienjahres Hilfskraftstellen am Frankreichzentrum und am Lehrstuhl für Frankophone Germanistik. Alle Studierenden meiner Lehrveranstaltungen waren dazu aufgefordert, der Eröffnungsvorlesung der Gastdozentur mit dem Titel „Transkulturalität als ästhetische Kategorie in deutsch-französischer Perspektive“ am 29. Oktober 2019 in der Villa Europa des Institut Français beizuwohnen.3 Für die Teilnehmer*innen des Filmseminars war außerdem die von mir am 14. Januar 2020 organisierte öffentliche Kulturveranstaltung „Die Stadt als transkulturelle Landschaft: Migration im Film“ fester Bestandteil der Lehrveranstaltung. Bei diesem in Zusammenarbeit mit dem Saarbrücker Kino Achteinhalb veranstalteten deutsch-französischen Filmabend zum Abschluss der Gastdozentur wurden die beiden Dokumentarfilme Lignes de partage (Gratlinien) von Thierry Mennessier (Grenoble) und Heimspiel von Mario Di Carlo (Mannheim) gezeigt, in denen eine spezifische Art und Weise zum Tragen kommt, migrantische Geschichten innerhalb einer Stadt oder eines Stadtviertels mittels einer jeweils eigenen urbanen Ästhetik in Szene zu setzen. Heimspiel (2009) ist ein Film über ein Projekt der Creative Factory, einer Werkstatt für kreative Jugendkultur im Mannheimer Stadtteil Jungbusch.4 Der Regisseur verfolgt hautnah die Arbeit der Theaterpädagogin Lisa Massetti, die dort seit über 15 Jahren mit Jugendlichen des Viertels Theaterstücke inszeniert. Dabei orientiert sie sich an den Werken Friedrich Schillers, die sie jeweils an die Realität des Jungbusch anpasst. In diesem Fall dient Schillers Jungfrau von Orleans als Vorlage für eine besondere Form des sidewalk theatre, das mit Laiendarsteller*innen erarbeitet und in den Straßen des Quartiers aufgeführt wird. Der Film dokumentiert zum einen die prozesshafte Theaterarbeit und porträtiert zum anderen die Protagonist*innen mit Migrationshintergrund und ihr Verhältnis zu dem Ort, an dem sie leben. So liefert er auch einen intensiven Einblick in die Gedankenwelt der jungen Bewohner*innen des Stadtteils und in ihre Ansichten zu der Frage, „was Heimat sein soll“5. Lignes de partage / Gratlinien (2017) taucht in kurzen Episoden in den Alltag einiger Migrant*innen ein, denen eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert wurde oder die auf ihre Anerkennung warten. Die Porträts von Kofi von der Elfenbeinküste, Doussou aus Guinea, Reza aus dem Iran und anderen Asylbewerber*innen, ___________ 3 4 5
Siehe hierzu den anschließenden Beitrag zu Forschungsstand und Perspektiven. Zu den Aktivitäten der Creative Factory siehe Gemeinschaftszentrum Jungbusch: Creative Factory, https://www.jungbuschzentrum.de/gemeinschaftszentrum/creative-factory/(08.07.2021). Zum Regisseur Mario Di Carlo und seine Filmographie siehe Di Carlo, Mario: Über Mario Di Carlo, http://www.mariodicarlo.de/%C3%9Cber-Mario-Di-Carlo.html (08.07.2021).
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die der Regisseur in Grenoble getroffen hat, zeigen viele verschiedene Facetten der Situationen und Reaktionen, die sie täglich bei dem Versuch erleben, ihren Platz in dieser Stadt zu finden. Es geht um die elementaren Gesten und Wege des täglichen Lebens: am Tag, in der Nacht, über Wochen und Monate. Es geht um die Frage, wo man schlafen kann, wie man sich ernährt, wo man Französisch lernt und wie man medizinische Hilfe findet. Die Zeit vergeht im Rhythmus von Erwartungen, Hoffnungen und Sorgen. Thierry Mennessier interessiert sich für das Leben im Hier und Jetzt von Menschen, deren Geschichten sich zwischen urbaner Realität und der universellen Frage des Exils vollziehen. Die beiden Regisseure waren zum Filmgespräch und einem ausführlichen Austausch mit dem Publikum beim anschließenden Umtrunk im Kino-Foyer anwesend. Im Vorfeld der Veranstaltung habe ich in Zusammenarbeit mit der freiberuflichen Übersetzerin Dorothée Engel die Untertitel für die erstmalige deutschsprachige Aufführung des französischen Filmbeitrags Lignes de partage erstellt.6 Ein weiterer Filmabend in Kooperation mit dem Kino Achteinhalb, zu dem die Teilnehmer*innen meiner Lehrveranstaltungen eingeladen waren, wurde am 18. Dezember 2019 in Zusammenarbeit mit Mario Laarmann und Nicole Fischer (wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Lehrstuhl Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation der Universität des Saarlandes) im Rahmen der Reihe „Film & Rassismus“ veranstaltet. Gezeigt wurde der französische Film Bande de filles / Mädchenbande (2014) von Céline Sciamma. Die anschließende Diskussion mit dem Publikum zu französischen Banlieue-Filmen, Exklusion, urbaner Ghettoisierung, Alltagsrassismus und weiblichem Empowerment wurde von uns gemeinsam moderiert. Ein anderes kulturelles Ereignis, das in idealer Weise das Programm und die deutsch-französische Ausrichtung meiner Lehrveranstaltungen zu Prosa und Film begleitete, war das Theaterfestival „Primeurs – Frankophone Gegenwartsdramatik“, das vom 27. bis 30. November 2019 in der Alten Feuerwache Saarbrücken stattfand. Um die Studierenden auf diese hervorragende Gelegenheit aufmerksam zu machen, Transkulturalität im aktuellen Drama auf der Bühne zu erleben, hatte ich Juliette Ronceray, Beauftragte für die deutschfranzösische Öffentlichkeitsarbeit des veranstaltenden Theaters „Le Carreau“ (Scène Nationale de Forbach et de l’Est Mosellan), zur Vorstellung des Festivals in meine Literaturseminare eingeladen. Auf diese Weise konnten wir die Teilnahme einer Gruppe von Studierenden an der Eröffnung des Festivals am 27. November 2019 in Forbach mit einer deutsch-französischen Lesung des autofiktionalen Stücks Pourama Pourama des iranischstämmigen Autors Gurshad Shaheman organisieren. Am darauffolgenden Tag besuchte ich mit einer interessierten Studierendengruppe das in Kooperation mit dem SR2 ___________ 6
Eine Präsentation des Films findet sich hier: Association film-documentaire.fr: Lignes de partage, http://www.film-documentaire.fr/4DACTION/w_fiche_film/51650_1 (08.07.2021).
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Kulturradio veranstaltete Live-Hörspiel „Quand viendra la vague / Wenn die Welle kommt“ von Alice Zeniter, einer französischen Autorin mit algerischen Vorfahren, deren Werk als postmigrantisch aufgefasst werden kann. Auch zu dem im Rahmen des Festivals angebotenen Vortrag „Persönlich Schreiben, persönlich Übersetzen. Über Autofiktion und Theater“ mit anschließendem Live-Übersetzen von und mit Claudia Hamm erschienen einige Teilnehmer*innen meiner Seminare. Diese konkreten Kunsterlebnisse und die anregenden Reflexionen und Gespräche (außerhalb des universitären Rahmens) rund um aktuelle Entwicklungen postdramatischen Theaters stellten eine bereichernde Ergänzung der in den Seminaren angestellten Überlegungen zu transkultureller Kreation und Rezeption dar. Ein wichtiger Moment für die deutsch-französische Vernetzung und die wissenschaftliche Kooperation im Rahmen meiner Forschungsschwerpunkte war die Einladung zur Tagung „L’interculturalité à travers le prisme des migrations dans la sphère franco-allemande / Interkulturalität und Migrationsphänomene im deutsch-französischen Kulturraum“, die von Prof. Dr. Romana Weiershausen (UdS), Prof. Dr. Dirk Weissmann (Université Toulouse-Jean Jaurès), Dr. Cécile Chamayou-Kuhn und Dr. Ingrid Lacheny (beide Université de Lorraine) vom 20. bis 22. November 2019 in Metz organisiert wurde. Die schriftliche Version meines Beitrags „Poetik der Métissage: Transkulturelles Schreiben und seine Rezeption in Deutschland und Frankreich“ wird zum Ende des Jahres in einem von den Veranstalter*innen herausgegebenen deutsch-französischen Band bei den Presses Universitaires de Nancy erscheinen. Die persönlichen Begegnungen und Gespräche während der Tagung bildeten den idealen Rahmen für neue Kontakte und Ideen im Hinblick auf künftige deutsch-französische Initiativen und Projekte. Während des Gastsemesters erwies sich der Austausch mit Prof. Dr. Romana Weiershausen, der stellvertretenden Leiterin des Frankreichzentrums und Inhaberin des Lehrstuhls für Frankophone Germanistik, als besonders anregend und gewinnbringend – nicht zuletzt durch die Aktivitäten der von ihr gemeinsam mit Priv.-Doz. Dr. Natascha Ueckmann (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) geleiteten Gruppe von Nachwuchsforscher*innen „Migration und Flucht: Theater als Verhandlungs- und Partizipationsraum im deutsch-französischen Vergleich (1900 bis heute)“. Der Einblick in aktuelle Forschungsperspektiven zum dramatischen Schaffen war für mich umso bereichernder, als ich mich in meiner bisherigen Forschungsarbeit zu migrantischen und postmigrantischen Ausdrucksformen auf Lyrik, Prosa und filmische Narration konzentriert hatte. Gespräche (unter Beteiligung von Dr. Daniel Kazmaier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl) über die aktuellen deutsch-französischen Forschungsprojekte zu Produktion und Rezeption von Gegenwartstheater im Kontext von Migration der beiden Doktorandinnen Andrea Dassing und Christiane Dietrich, eine gemeinsame Exkursion am 9. Dezember 2019 zur Premiere des Theaterstücks La Tablée von Maud
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Galet Lalande und Ahmed Amine Ben Saad im Théâtre-Opéra Metz Métropole, das sich mit dem Hintergrund des arabischen Frühlings auseinandersetzt, sowie die Teilnahme am vom Frankreichzentrum organisierten Vortrag „Quand les artistes de théâtre prennent la parole pour/avec les ‚migrants‘. Enjeux esth-éthiques des pratiques documentaires“ von Dr. Bérénice HamidiKim (Université Lyon 2) am 4. Februar 2020 mit anschließendem gemeinsamen Austausch im kleinen Kreis eröffneten mir viele wertvolle Einblicke in die aktuellen Tendenzen im transkulturellen Drama und boten Stoff für Überlegungen zu den ästhetischen und gesellschaftlichen Dimensionen migrantischen Schreibens. Weitere intensive Forschungskontakte bestanden zu den Romanistiklehrstühlen Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation von Prof. Dr. Markus Messling, Französische Literatur im europäischen Kontext von Prof. Dr. Valérie Deshoulières und Französische Literaturwissenschaft von Prof. Dr. Patricia Oster-Stierle sowie zum Lehrstuhl für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft von Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser. Neben anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen konnte ich während meines Aufenthalts an der Universität des Saarlandes den vom Deutschen Germanistenverband in Saarbrücken abgehaltenen 26. Germanistentag zum Thema „Zeit“ (22.-25. September 2019), die von Prof. Dr. Markus Messling im Rahmen des ERC-Projekts „Minor Universality“ veranstaltete internationale Tagung „1769-1989 Epoche des Universalismus“ (24.-25. September 2019) sowie die im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Europäische Traumkulturen“ organisierte Nachwuchsforschertagung „Träumen mit allen Sinnen. Sinnliche Wahrnehmung in ästhetischen Traumdarstellungen“ (10.12. Februar 2020) besuchen. Einen weiteren interessanten Ausblick eröffnete auch die Teilnahme an einer Sitzung der Arbeitsgruppe „Bordertexturen“ des grenzübergreifenden Netzwerkes Center for Border Studies der Universität der Großregion (UniGR) am 6. Februar 2020 mit einem Beitrag des Sprachwissenschaftlers Dr. Luca Greco (Université de Lorraine, Metz) zum Thema „Borders as Assemblages: Some Theoretical and Methodological Perspectives“. Da ich mich selbst mit der Entwicklung von Grenzbegriffen und Repräsentationen von Grenzen in filmischen und literarischen Narrationen beschäftige, könnten sich hier weitere gemeinsame Forschungsinitiativen ergeben.7 Während meines Gastsemesters in Saarbrücken liefen außerdem die Vorbereitungen zum internationalen Jahreskongress des französischen Germanistenverbandes AGES (Association des Germanistes de l’Enseignement Supérieur) zum Thema „Revolte, Empörung, Emotion“, der vom 4. bis 6. Juni 2020 an der Universität des Saarlandes stattfinden sollte. Durch meine Anwesenheit ___________ 7
Siehe etwa meinen Aufsatz Geiser, Myriam: Borderscapes – Grenz-Erfahrungen und GrenzWerte in Emine Sevgi Özdamars Prosa, in: Etudes Germaniques 72 (3/2017), S. 415–429.
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vor Ort war ich relativ früh in die Planungen eines von Saarbrücker und Grenobler Germanist*innen gemeinsam konzipierten Panels zum Thema „Literarische Empörungsstrategien“ eingebunden. In Kooperation mit Prof. Dr. Nine Miedema (Abteilung für Ältere deutsche Philologie/Mediävistik) und Dr. Daniel Kazmaier entwarfen meine Kolleg*innen Dr. Natacha RimassonFertin, Dr. Dominique Dias (Université Grenoble Alpes) und ich ein Programm für einen transdisziplinären Workshop, zu dem wir auch Dr. Hélène Thiérard (Mitarbeiterin im ERC-Projekt „Minor Universality“ am Lehrstuhl für Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation) gewinnen konnten8. Leider fiel der Kongress wie so viele Forschungsprojekte des Jahres 2020 der Corona-Pandemie zum Opfer und konnte auch zu keinem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die deutsch-französische, grenz- und fächerübergreifende Dynamik, die sich um den Ansatz der „Empörungsstrategien“ entwickelt hat, in anderer Form einen wissenschaftlichen Ausdruck findet. Eine weitere internationale Veranstaltung in Kooperation zwischen Saarbrücken, Metz und Grenoble, zu der mich die Organisatorinnen nach einem ersten Kontakt anlässlich meiner Eröffnungsvorlesung eingeladen hatten, musste leider aufgrund der sanitären Situation im Juli 2020 zunächst ebenfalls abgesagt werden, konnte aber glücklicherweise im Sommer 2021 stattfinden, wenn auch als Online-Format: Es handelt sich um die interdisziplinäre Sommeruniversität zum Thema „Frontières et Migrations en Europe: Etudes juridiques et culturelles/Grenzen und Migrationen in Europa: Rechts- und kulturwissenschaftliche Perspektiven“, die in enger Kooperation vom Forschungsinstitut CEGIL (Université de Lorraine, Metz) vom deutsch-französischen juristischen Institut CJFA (Centre Juridique Franco-Allemand) der Universität des Saarlandes und vom europäischen Jean-Monnet-Lehrstuhl ELSJ „Espace de liberté, de sécurité et de justice/Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Université Grenoble Alpes) konzipiert und durchgeführt wurde.9 Ziel der Initiatorinnen Dr. Cécile Chamayou-Kuhn (Germanistin an der Université de Lorraine), Dr. Florence Renard (Geschäftsführerin des CJFA) und Dr. habil. Constance Chevallier-Govers (Inhaberin des Jean-Monnet-Lehrstuhls an der UGA) war es, Vorträge und Workshops zum Thema Grenzen und Migrationen in Europa aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven anzubieten, die sich an Nachwuchswissenschaftler*innen und Studierende der Geistes- und Rechtswissenschaften richteten. Der ___________
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Das Programm des ursprünglich geplanten Kongresses ist unter diesem Link noch einsehbar: AGES: AGES 2020 – Revolte, Empörung, Emotion, https://ages-info.org/wp content/uploads/2019/11/V4_Programm_Empo%CC%88rung_Saarbru%CC%88cke_ 2020_02_02_09.pdf (08.07.2021). Das Programm ist hier einsehbar: Centre d’excellence Jean Monnet de Grenoble: Université d’été. Frontières et migrations en Europe, https://cejm.univ-grenoble-alpes.fr/ actualites/universite-dete-frontieres-et-migrations-en-europe-lien-disponible (08.07.2021).
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Schwerpunkt sollte dabei auf deutsch-französischen Fragestellungen liegen und juristische wie kulturwissenschaftliche Aspekte berühren. Bei dieser interdisziplinären Herangehensweise ging es darum, Entstehungen und Infragestellungen von Grenzziehungen im Kontext von europäischen Migrationen sowie ihre Darstellungen in verschiedenen gesellschaftlichen und ästhetischen Diskursen aus sehr unterschiedlichen, aber einander ergänzenden bzw. reflektierenden Blickwinkeln zu untersuchen. Ein Arbeitstreffen mit Cécile Chamayou-Kuhn und Florence Renard fand im Februar 2020 in Saarbrücken statt. Nach meiner Rückkehr nach Grenoble wurde die Programmgestaltung der verschobenen Veranstaltung noch einmal neu konzipiert und ich entschloss mich zu einem Beitrag zu zwei sehr aktuellen Filmen, die aus jeweils deutscher und französischer Perspektive die gesellschaftliche Brisanz gegenwärtiger Migrationen und ihrer Folgen reflektieren. Dabei haben die beiden ausgewählten Filme Les Misérables (2019) von Ladj Ly und Berlin Alexanderplatz (2021) von Burhan Qurbani gemeinsam, dass sie migrantische und postmigrantische Gegenwartserfahrungen in eine historische Kontinuität sozialer Exklusion einschreiben, indem sie einen Bezug zu kanonisierten literarischen Werken vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts herstellen (Victor Hugo im Falle von Ladj Ly und Alfred Döblin im Werk von Burhan Qurbani). Meinen Vortrag „Les Misérables (2019) de Ladj Ly et Berlin Alexanderplatz (2020) de Burhan Qurbani – actualisations cinématographiques de deux récits emblématiques de l’exclusion“ habe ich in französischer Sprache vor einem mehrheitlich juristischen Publikum gehalten. Im selben Panel wurden im Anschluss weitere filmische Beispiele präsentiert und sowohl fiktionale als auch dokumentarische Darstellungsformen sowie ihre rechtswissenschaftliche Relevanz behandelt. Der ebenfalls eingeladene Regisseur Thierry Mennessier kommentierte und erläuterte seine Arbeit an dem Film Lignes de partage / Gratlinien, den die Teilnehmer*innen online ansehen konnten. Eine deutsch-französische Publikation zu dieser Veranstaltung (online und in Buchform) ist in Planung. Die Sommeruniversität bot einen anregenden transdisziplinären Rahmen für die Fortsetzung meiner während des Gastaufenthalts am Frankreichzentrum entwickelten wissenschaftlichen Aktivitäten und veranschaulichte in besonderer Weise die deutsch-französischen Synergien, zu der eine solche Erfahrung in Forschung und Lehre beitragen kann. Die Tatsache, dass meine Nachfolgerin auf der Gastdozentur, die Theaterwissenschaftlerin Prof. Dr. Florence Baillet (Université Sorbonne Nouvelle) ebenfalls an dieser Veranstaltung beteiligt war und einen Beitrag zur Repräsentation migrantischer Figuren im Theater („Figure de migrant.e, personnage et personnalité juridique dans les écritures dramatiques contemporaines germanophones et francophones“) vorgestellt hat, zeigt die gesellschaftliche Relevanz und Kontinuität einiger hochaktueller geisteswissenschaftlicher Forschungshemen, die zwei-
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fellos einen wichtigen Beitrag zur Erfassung und Beschreibung kulturellen Erbes im deutsch-französischen Kontext und insbesondere in transnationalen Grenzregionen leisten können. Bleibt zu wünschen, dass sich aus diesen Kontakten und Initiativen im gemeinsamen Forschungsfeld der Transkulturalität weitere Impulse für fachliche Kooperationen zwischen unseren benachbarten europäischen Wissenschaftsräumen ergeben.
Literaturverzeichnis AGES: AGES 2020 – Revolte, Empörung, Emotion, https://ages-info.org/wp-content/ uploads/2019/11/V4_Programm_Empo%CC%88rung_Saarbru%CC%88cken_2020_02 _02_09.pdf (08.07.2021). Association film-documentaire.fr: Lignes de partage, http://www.film-documentaire.fr/ 4DACTION/w_fiche_film/51650_1 (08.07.2021). Centre d’excellence Jean Monnet de Grenoble: Université d’été. Frontières et migrations en Europe, https://cejm.univ-grenoble-alpes.fr/actualites/universite-dete-frontieres-et-migr ations-en-europe-lien-disponible (08.07.2021). Di Carlo, Mario: Über Mario Di Carlo, http://www.mariodicarlo.de/%C3%9Cber-Mario-DiCarlo.html (08.07.2021). Ette, Ottmar: ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz, Berlin: Kadmos, 2005. Geiser, Myriam: Borderscapes – Grenz-Erfahrungen und Grenz-Werte in Emine Sevgi Özdamars Prosa, in: Etudes Germaniques 72 (3/2017), S. 415–429. Gemeinschaftszentrum Jungbusch: Creative Factory, https://www.jungbuschzentrum.de/ gemeinschaftszentrum/creative-factory/ (08.07.2021). Seeßlen, Georg: Das Kino der doppelten Kulturen. Erster Streifzug durch ein unbekanntes Kino-Terrain, in: epd Film 12 (2000), S. 22–29.
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Forschungsrahmen: Transkulturalität als ästhetische Kategorie in deutsch-französischer Perspektive1 Si l’on appréhende la transculturalité en tant que catégorie esthétique, on doit prendre en compte la biographie des artistes et le contexte de création comme des facteurs déterminants aussi bien pour la production que pour la réception des œuvres. L’expérience des contacts de cultures et du multilinguisme dans les sociétés de plus en plus mixtes de la fin du XXe siècle et du début du XXIe siècle conduit à de nouvelles formes d’expression du métissage culturel, pour la description desquelles de nouveaux concepts sont développés. Le terme transculturalité ne désigne pas un phénomène fondamentalement nouveau, puisque la création artistique a toujours connu des tendances transgressives. Il indique plutôt un changement de paradigme par rapport à la conception nationale de l’art dominante depuis le XIXe siècle. Avec l’ère postcoloniale et les mouvements migratoires depuis le milieu du XXe siècle, de nouvelles représentations de l’identité et de l’appartenance émergent et modifient également la perception de la pratique artistique. La contribution est basée sur une perspective croisée permettant de comparer les évolutions transculturelles récentes en France et en Allemagne et de révéler les différences et les convergences significatives. Il en résulte la proposition d’une typologie des procédés esthétiques de la transculturalité. Enfin, le concept de littérature mondiale et l’importance des questions de traduction pour la réception transnationale sont abordés comme cadre de réflexion pour l’approche comparative. Will man das Konzept der Transkulturalität als ästhetische Kategorie für die Untersuchung künstlerischer Werke fruchtbar machen, kommt man nicht umhin, die Biografie der Schaffenden und den Kontext der Entstehung als relevante Faktoren sowohl für die Produktion als auch die Rezeption in Betracht zu ziehen. Gerade im Zeitalter der globalen Mobilität, der Migrationen und der Mehrsprachigkeit erscheint es legitim, den Zusammenhang von Leben und Werk, von Erfahrung und Gestaltung, von gesellschaftlichen Transformationen und Kreativität in den Blick zu nehmen, ohne dadurch Kausalitäten festzuschreiben oder reduzierende Kategorisierungen vorzunehmen. Bei der Auseinandersetzung mit künstlerischen Entwicklungen des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts wird schnell evident, dass gerade Métissage-Erlebnisse, Erfahrungen mit Sprach- und Kulturkontakten, mit ___________ 1
Die folgenden Ausführungen beruhen zu großen Teilen auf der Eröffnungsvorlesung meiner Gastdozentur, die ich am 19. Oktober 2019 in der Villa Europa des Institut Français Saarbrücken gehalten habe.
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gesellschaftlichen Mischungsprozessen spezifische und besonders vielfältige ästhetische Ausdrucksformen entstehen lassen. Viele neue formale und inhaltliche Wege, die in Literatur, Theater, Film, Musik und bildender Kunst im europäischen Raum derzeit gegangen werden, lassen sich mit dem Begriff der Transkulturalität fassen, welcher kein grundsätzlich neues ästhetisches Ereignis bezeichnet, sondern vielmehr einen Paradigmenwechsel gegenüber der dominanten nationalen Kunstauffassung des 19. Jahrhunderts markiert. Fest steht, dass es transkulturelle Tendenzen in den Künsten immer schon gegeben hat, dass sie häufig konstitutiv sind für kreative Neugier und künstlerische Stimulanz. Als prägend und innovativ wurden sie in unserer Gegenwart und aus unserer deutsch-französischen Perspektive vor allem im Zuge postkolonialer Emanzipationsprozesse und im Zusammenhang mit Migration und Exil wahrgenommen, wohl weil sie hier im Kontext prägnanter gesellschaftlicher Transformationen deutlicher in den Fokus gerieten als andere Phänomene. Da ich mich im Rahmen meiner Forschungstätigkeit auf transkulturelle Gestaltungsformen im Umfeld migrantischer und postmigrantischer Erfahrung konzentriere, ist es wichtig festzuhalten, dass es nicht nur diese Kulturkontaktsituationen sind, die zu multiperspektivischer künstlerischer Auseinandersetzung mit Fragen der Identität, der Verortung und der Zugehörigkeit führen. Womöglich enthalten Migrationssituationen allerdings ein besonderes Kristallisationspotenzial für diese Kernfragen künstlerischen Schaffens. Der von mir privilegierte komparatistische Ansatz ermöglicht die Erfassung und Beschreibung neuer ästhetischer Entwicklungen, wie sie sich in Frankreich und Deutschland in den letzten Jahrzehnten vollzogen haben, und macht sichtbar, wie sie in der reziproken deutsch-französischen Betrachtung wahrgenommen werden. Aus einer solchen vergleichenden Perspektive wird schnell deutlich, dass „Transkulturalität“ nur einer der möglichen Begriffe ist, die uns zur Verfügung stehen, um jene Gegebenheiten zu beschreiben und zu analysieren, die wir in unseren Gesellschaften und vor allem in jüngeren künstlerischen Entwicklungen seit Ende des 20. Jahrhunderts beobachten. Mir scheint er besonders dazu geeignet, das Prozessuale und Transformative zu erfassen, das sich bei sprachlichen und kulturellen Mischungen, Überlagerungen und Verflechtungen vollzieht. Natürlich sollte bei der Definition und Anwendung des Begriffs nicht aus dem Blick verloren werden, dass (insbesondere im deutschsprachigen Raum) längst eine kritische Diskussion um die Kohärenz und Schlüssigkeit von ‚trans-Konzepten‘ eingesetzt hat. Nennen ließe sich etwa der Band Grenzen der Überschreitung. Kontroversen um Transkultur, Transgender und Transspecies von 2016, in dem vor allem davor gewarnt wird, bei der Hervorhebung von Cross-
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culture-Phänomenen faktische Hierarchisierungen, Ungleichheiten sowie latente Diskriminierung und Rassismus aus dem Blick zu verlieren.2 Da sich das, was es in künstlerischen Werken als originell und neuartig zu beschreiben gilt, häufig von gesellschaftlichen und biografischen Prozessen und Einflüssen herleiten lässt, scheint es (auch in der internationalen wissenschaftlichen Kommunikation) besonders wichtig, sich auf Begrifflichkeiten zu verständigen, die sich konkret auf die Eigenschaften der Werke beziehen, und dabei möglichst ‚ideologiefrei‘ sind. Ein Passe-partout-Begriff wie ‚transkulturell‘ wird (und das gehört nicht zuletzt zu seinen Qualitäten) immer wieder neu mit Bedeutungen gefüllt und kontrovers diskutiert. Differenzierung und Präzision sind notwendig, wenn man einen Gedankenaustausch über Kunstformen führen will, die in sensiblen Kontexten wie Migration, Flucht und Exil entstehen. Hier sind Begriffe selten neutral, und – bedingt durch Perspektive, Position (und Positionierung!) der Sprecher*innen sowie durch die Redesituation – immer auch durch den Kontext beeinflusst. Umso wichtiger ist es insofern auch, sich nicht dazu verleiten zu lassen, die Analyse von Narrationen, ihrer Formen und ihrer Wirkung mit Aussagen zum (biografischen) Realitätsbezug in eins zu setzen. Die Verwendung des Transkulturalitätskonzepts als ästhetische Kategorie setzt gewissermaßen voraus, dass man den heuristischen Charakter dieses Ansatzes akzeptiert, da nur ein offener, dynamischer Kulturbegriff das Sprechen über aktuelle Entwicklungen in der Gesellschaft und in der Kunst möglich macht. Der Philosoph Wolfgang Welsch hat einmal betont: „Wir Menschen sind wesentlich Kulturwesen“3. Er definiert Transkulturalität als relationalen Begriff, als „neue Konzeptualisierung von ‚Kultur‘“, die den hochgradig differenzierten und komplexen modernen Gesellschaften mit ihren externen Vernetzungen gerecht werden und den traditionellen monolithischen Kulturbegriff hinter sich lassen soll.4 Es geht also nicht um die Bezeichnung eines absoluten Ist-Zustands oder etwa die Zuschreibung bestimmter Qualitäten als essentielle Eigenschaften. Bereits 1997 notierte Welsch, dass er den Vorteil des Konzepts („gegenüber allen konkurrierenden Konzepten“) darin sieht, „dass es Vereinheitlichungs- und Mischungsprozesse auf der einen Seite und das Hervortreten neuer Diversität auf der anderen Seite zugleich und im Zug des gleichen Vorgangs zu erklären vermag“5. In seinem berühmt gewordenen ___________ 2 3 4 5
Vgl. Lavorano, Stephanie/Mehnert, Carolin/Rau, Ariane (Hg.): Grenzen der Überschreitung. Kontroversen um Transkultur, Transgender und Transspecies, Bielefeld: Transcript, 2016. Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität, Bielefeld: Transcript, 2012, S. 25–40, hier S. 25. Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?., S. 26. Welsch, Wolfgang: Transkulturalität. Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen, in: Schneider, Irmela/Thomsen, Christian W. (Hg.): Hybridkultur. Medien Netze Künste, Köln: Wienand Verlag, 1997, S. 67–90, hier S. 79.
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Aufsatz „Was ist eigentlich Transkulturalität?“ betont der Autor die historische und die qualitative Ebene des Begriffs, die ihn zur Bezeichnung kollektiver Phänomene kultureller Evolution, aber auch zur Beschreibung individueller Erfahrung einsetzbar macht. So beschreibt er zeitgenössische Kulturen als extern „stark miteinander verbunden und verflochten“ und „intern weithin durch Hybridisierung gekennzeichnet“6. Für die Mitglieder aktueller europäischer Gesellschaften stellt er bilanzierend fest: „Wir sind kulturelle Mischlinge.“7 Im Sinne Welschs verwende ich das Attribut ‚transkulturell‘ als deskriptiven Begriff für Prozesse der Durchquerung und Überschreitung. Im Bereich der Ästhetik lassen sich dadurch dynamische kreative Vorgänge und besondere Funktionen künstlerischer Produktion bezeichnen, die sich deutlich quer zum monokulturellen Postulat bewegen und sich aus mehreren (sprachlichen und referenziellen) Bezügen gleichzeitig konstituieren.8 ‚Trans-Begriffe‘ beruhen auf einer dreidimensionalen Logik, so Dorothee Kimmich: Sie umfassen jeweils „einen zeitlichen Aspekt“, darüber hinaus benennen sie den räumlichen Faktor „der Wegstrecke, die es zurückzulegen gilt“ und drücken außerdem eine qualitative Veränderung in Form einer gewissen „Metamorphose, die man durchlaufen muss“9 aus. Betrachtet man Transkulturalität als ästhetisches Phänomen, werden, wie einleitend ausgeführt, Zusammenhänge zwischen biografischer Erfahrung und künstlerischer Kreativität relevant. Das Erleben von Kulturkontakten und Mehrsprachigkeit in den zunehmend ‚gemischten‘ Gesellschaften am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert führt zu neuen Ausdrucksformen in ___________ 6 7 8
9
Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 28. Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?, S. 30. Für die literatur- und kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Transkulturalitätsbegriff siehe etwa: Ette, Ottmar: ZwischenWeltenSchreiben. Literaturen ohne festen Wohnsitz, Berlin: Kadmos, 2005; Erfurt, Jürgen (Hg.): Transkulturalität und Hybridität. L’espace francophone als Grenzerfahrung des Sprechens und Schreibens, Frankfurt a. M.: Lang, 2005; Schmitz, Helmut (Hg.): Von der nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler Migration, Amsterdam/New York: Brill/Rodopi, 2009; Özkan, Ezli/Kimmich, Dorothee/Werberger, Annette (Hg.): Wider den Kulturenzwang. Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur, Bielefeld: Transcript, 2009; Kimmich, Dorothee/Shahadat, Schamma (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität, Bielefeld: Transcript, 2011; Giessen, Hans W./Rink, Christian: Migration in Deutschland und Europa im Spiegel der Literatur: Interkulturalität – Multikulturalität – Transkulturalität, Berlin: Frank & Thimme, 2017; Freist, Dagmar/Kyora, Sabine/Unseld, Melanie (Hg.): Transkulturelle Mehrfachzugehörigkeit als kulturhistorisches Phänomen. Räume – Materialien – Erinnerungen, Bielefeld: Transcript, 2019. Kimmich, Dorothee: Nachwort: Was kommt? Was bleibt? Zur Zukunft der Trans_Konzepte, in: Lavorano, Stephanie/Mehnert, Carolin/Rau, Ariane (Hg.): Grenzen der Überschreitung: Kontroversen um Transkultur, Transgender und Transspecies, Bielefeld: Transcript, 2016, S. 263–270, hier S. 263.
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der Kunst. In vielen Werken lassen sich Verfahren der Pluralisierung, Überlagerung und Mischung beobachten, zu deren Beschreibung neue Begriffe notwendig werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang der vergleichende Überblick, in dem Frank Zipfel vor einigen Jahren dargelegt hat, welche Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Misch- und Verflechtungsverfahren in der Literatur sich im deutschsprachigen, französischsprachigen und angelsächsischen Raum parallel entwickelt haben.10 Als zentrale Konzepte stellt er Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität in der deutschsprachigen Theorie, métissage und créolisation in der französischsprachigen Forschung und hybridity im anglo-amerikanischen Begriffsfeld vor. Zur historischen Entwicklung der Begriffstrias Multi-/Inter-/ Transkulturalität in der deutschsprachigen Tradition und im internationalen Vergleich, über die jeweilige Abgrenzung der drei Termini und ihren Eingang in die Wissenschaftsdiskurse ließe sich ein eigener Aufsatz schreiben. In seiner konzisen Darstellung weist Zipfel insbesondere auf die Prominenz des Interkulturalitätsbegriffs in der deutschen Wissenschaftslandschaft hin („hardly any discipline without an intercultural branch“11). Zur Einordnung der relativ neuen Disziplin Interkulturelle Literaturwissenschaft, die sich im deutschsprachigen Raum herausgebildet hat, wurde von Doris Bachmann-Medick bereits 1996 folgende Perspektivierung vorgeschlagen: Interkulturelle Literaturwissenschaft hieße […], die Methoden der kulturellen Interpretation im überdisziplinären Zusammenhang zu reflektieren, die Grenzen zwischen den philologischen Disziplinen komparatistisch aufzubrechen, den traditionellen Kanon in Frage zu stellen und Universalisierungen abzubauen.12
Der aus dem Amerikanischen in den deutschen Diskurs eingegangene Begriff der Hybridität wird in Zipfels Vergleich als Konzept definiert, das in erster Linie der Benennung literarischer Verfahren dient: Textual hybridity […] comes down to literary techniques like intertextuality, the mixing of genres or of styles, montage or collage, fragmentation, combining textual and pictorial elements, playing with the borders between fact and fiction etc. These techniques have been used by different authors at different times in literary history, moreover they are considered to be characteristic features of modern and especially of postmodern literature.13 ___________ 10 11 12 13
Vgl. Zipfel, Frank: Migrant Concepts. Multi-, Inter-, Transkulturalität, métissage/ créolisation and Hybridity as New Paradigms for Literary Criticism, in: ders./ Dumontet, Danielle (Hg.): Ecriture Migrante/Migrant Writing, Hildesheim: Olms Verlag, 2008, S. 5–26. Zipfel: Migrant Concepts, S. 8. Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, 1996, S. 12. Zipfel: Migrant Concepts, S. 20.
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Wie der Begriff hybridity sind auch die französischen Konzepte métissage und créolisation durch die postkoloniale Kritik geprägt. Von anthropologischen Ideen ausgehend hat sich zunächst der Begriff métissage zur Beschreibung einer (meist durch Kolonisierung entstandenen) Situation kultureller ‚Gemischtheit‘ durchgesetzt, die Serge Gruzinski in seinem Buch La pensée métisse (1999) beschreibt. Ab den 1990er-Jahren entwickelte sich parallel dazu das insbesondere von Édouard Glissant präzisierte Konzept der créolisation, das er bereits in seiner Poétique de la Relation (1990) umreißt. Glissants Definition geht über die linguistische Gegebenheit der Kreol-Sprachen und auch über das Manifest Eloge de la créolité (1989) von Jean Bernabé, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant hinaus und plädiert für die Idee einer „créolisation qui nous apparaît comme le métissage sans limites, dont les éléments sont démultipliés, les résultants imprévisibles“14, also einer kreativen und innovativen kulturellen Ausdrucksform. In dem 1997 von François Laplantine und Alexis Nouss veröffentlichten Band Le Métissage. Un exposé pour comprendre. Un essai pour réfléchir bezeichnet der métissage-Begriff keine singulären gesellschaftlichen oder ästhetischen Phänomene, sondern einen intellektuellen Ansatz, in Form eines Plädoyers für eine „pensée métisse“, die grundsätzlich neue Erkenntnisse über gesellschaftliche, politische und kulturelle Wirklichkeiten eröffnen soll.15 Die kontrastive Gegenüberstellung der unterschiedlichen Begriffstraditionen, wie sie Frank Zipfel unternimmt, macht deutlich, dass die deutschen, französischen und englischen Terminologien sich in vielerlei Hinsicht überschneiden, ja zu weiten Teilen synonym einsetzbar sind, etwa zur Beschreibung spezifischer, vergleichbarer Eigenschaften von Texten, ihrer Form und ihrer Stoffe.16 Zugleich kann über zehn Jahre später aber auch festgestellt werden, dass sich einige Konzepte in ihren jeweiligen Wirkungsräumen weiterentwickeln. So definiert der Kulturphilosoph und Komparatist Alexis Nouss das Konzept der métissage in seinem Buch Plaidoyer pour un monde métis (2005) als ein Denkmodell des dritten Wegs („troisième voie“), das die Dichotomie der gegensätzlichen Prinzipien Fusion/Homogenität versus Differenzierung/ Heterogenität zu überwinden vermag.17 Das trans-Konzept wurde durch die Überlegungen des Romanisten und Komparatisten Ottmar Ette erweitert. ___________ 14 15 16
17
Glissant, Édouard: Poétique de la relation, Paris: Gallimard, 1990, S. 46. Vgl. Laplantine, François/Nouss, Alexis: Le Métissage. Un exposé pour comprendre. Un essai pour réfléchir, Paris: Flammarion, 1997, S. 59–102. Eine solche Auffassung vertritt etwa auch der kanadische Historiker und Ethnologe Laurier Turgeon: „[…] le sens du mot hybridité, ou plus encore, hybridation, en tant que processus de mélanges culturels, rejoint celui de créolisation et de métissage dans notre monde postcolonial. Les trois mots veulent dire à peu près la même chose“. Siehe Turgeon, Laurier: Les mots pour dire les métissages. Jeux et enjeux d’un lexique, in: Revue Germanique Internationale 21 (2004), S. 53–69, hier S. 64. Nouss, Alexis: Plaidoyer pour un monde métis, Paris: Textuel, 2005, S. 10.
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Ihm zufolge dient es im weitesten Sinne der Beschreibung kulturübergreifender Bewegungen und Praktiken in einer postnationalen Perspektive, am „Übergang von einer bloßen Raumgeschichte zu einer Bewegungsgeschichte“18 , die er mit dem Begriff TransArea bezeichnet. Bei Ariana Dagnino geht es ebenfalls um einen komparatistischen methodischen Ansatz und eine konzeptuell neuartige Auffassung des literarischen Gegenstands: The concept of the ‘transcultural’ not only describes a type of writer and a kind of creative output, but also qualifies the mode of inquiry […], the set of critical tools and vocabularies which are adopted to analyze transcultural literary texts and their creators’ ideas within a comparative cultural studies paradigm.19
Eine stärkere Tendenz zu Internationalisierung der Forschung und ein ständiger Vergleich und Austausch von Terminologien über die Grenzen nationaler Wissenschaftstraditionen hinweg, haben möglicherweise zu einem pragmatischeren, weniger ideologischen Umgang mit theoretischen Konzepten geführt. Im französischsprachigen Diskurs gewinnen die Begriffe multi-/inter-/ transkulturell erst nach und nach auch in den Literaturwissenschaften an Einfluss. Generell werden sie jedoch weiterhin häufiger als Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens aufgefasst und seltener mit ästhetischen Entwicklungen in Verbindung gebracht. Wesentlich für die literatur- und filmwissenschaftliche Praxis ist meiner Ansicht nach eine jeweils präzise Begriffsbestimmung auf der Basis der Entstehungsgeschichte der Konzepte und im Bewusstsein um ihren provisorischen Charakter und ihre heuristische Funktion – und zwar als methodische Hilfsmittel zur Beschreibung künstlerischer Produktionen, niemals als absolute Kategorien. In Texten der Gegenwartsliteratur sind die sichtbarsten Formen von Hybridität und métissage die verschiedenen Varianten von Mehrsprachigkeit und Sprachreflexion, die man sehr häufig bei Autor*innen mit Migrationserfahrung oder mit ‚Migrationshintergrund‘ findet. Ein Indiz hierfür ist das Auftreten von Metaphern, die die Sprache als offene Konstruktion, als Architektur – in Form eines Hauses – bezeichnen, das bezogen und aus dem heraus die Welt betrachtet werden kann. Beispiele solcher ‚Sprachhäuser‘ fallen einem etwa in metapoetischen Texten des türkisch-deutschen Schriftstellers Zafer Şenocak und des französischen Autors marokkanischer Herkunft Tahar Ben Jelloun ins Auge. In einem Essay mit dem Titel Jenseits der Landessprache schreibt Şenocak: „Eine neue Sprache? Meine Sprache? Die Buchstaben sind bekannt, aber die Wörter sind neu für mich. Ich möchte ___________ 18 19
Ette, Ottmar: TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschichte, Berlin/Boston: De Gruyter, 2012, S. 32. Dagnino, Arianna: Transcultural Writers and Novels in the Age of Global Mobility, West Lafayette, Indiana: Purdue UP, 2015, S. 8.
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diese Sprache so bauen, daß sie nach jeder Seite Fenster hat.“20 Und Ben Jelloun notiert in seinem Beitrag zu dem programmatischen Sammelband Pour une littérature-monde (2007): „[…] une langue a ceci de particulier: c’est une immense maison aux portes et aux fenêtres sans cadres, ouvertes en permanence sur l’univers.“21 Prominente Beispiele für literarische Sprachreflexionen finden sich im Werk der Autorinnen Yoko Tawada und Emine Sevgi Özdamar und im französischsprachigen Raum etwa bei Nina Bouraoui und Assia Djebar.22 Erst wenn eine Sprachwahl oder ein Sprachwechsel stattfindet (oder vom Lesepublikum angenommen wird), kommt es zu einer Hinterfragung der Sprachverwendung und des Umgangs mit Sprache. Assia Djebar kommentiert diese Situation sehr anschaulich im knappen Vorwort zu ihrem poetologischen Essayband Ces voix qui m’assiègent, en marge de ma francophonie (1999): L’écrivain est parfois interrogé comme en justice : « Pourquoi écrivez-vous ? » A cette première question banale, une seconde souvent succède : « Pourquoi écrivez-vous en français ? » Si vous êtes ainsi interpellée, c’est bien sûr, pour rappeler que vous venez d’ailleurs. La francophonie a un territoire multiple certes ; mouvant et complexe, certainement. Elle est en outre censée avoir un centre fixe, d’où parlent, écrivent et discutent des Français dits « de souche ». « En marge de ma francophonie », annonce mon sous-titre ; je serais tentée de le compléter : « en marge » mais aussi « en marche ». Oui, mon écriture française est vraiment une marche, même imperceptible ; la langue, dans ses jeux et ses enjeux, n’estelle pas le seul bien que peut revendiquer l’écrivain ?23
Sie betont hier, dass es nicht so sehr der Umstand ist, in einer fremden Sprache zu schreiben, der zu dieser besonderen poetologischen Situation führt, sondern die Tatsache, dass die/der Schreibende durch den Kontakt mehrerer Sprachen eine andere Sensibilität und ein höheres Bewusstsein dafür entwickelt, was sich im kreativen Schreibprozess vollzieht. Der französische Philosoph Gilles Deleuze hat den Vorgang des poetischen Schreibens einmal so ___________ 20 21 22
23
Şenocak, Zafer: Jenseits der Landessprache, in: ders. (Hg): Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation. Essays, Berlin: Babel, 2001, S. 87–90, hier S. 89. Ben Jelloun, Tahar: La cave de ma mémoire, le toit de ma maison sont des mots français, in: Le Bris, Michel/Rouaud, Jean (Hg.) : Pour une littérature-monde, Paris: Gallimard, 2007, S. 113–124, hier S. 121. Siehe etwa den Prosaband Mutterzunge (1990) von Emine Sevgi Özdamar, den Essayband Talisman: Von der Muttersprache zur Sprachmutter (1996) von Yoko Tawada (darin insbesondere die Erzählung „Das Fremde aus der Dose“, auf Französisch in der Übersetzung von Bernard Banoun erschienen unter dem Titel „Quelque chose d’étranger sorti de la boîte“, in dem Band: Narrateurs sans âmes, 2001), sowie den Roman Mes mauvaises pensées (2005) von Nina Bouraoui. Djebar, Assia: Ces voix qui m’assiègent… en marge de ma francophonie, Montréal: Les Presses de l’Université de Montréal, 1999, S. 7.
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beschrieben: „L’écrivain est un étranger dans sa propre langue: il ne mélange pas une autre langue à sa langue, il taille dans sa langue une langue étrangère et qui ne préexiste pas.“24 Eine solche kreative Fremdheitserfahrung gegenüber der Literatursprache wird im Kontext von Sprachmigration und Sprachkontakt offensichtlich noch intensiviert. Dies beobachtet jedenfalls die Linguistin Simone Hein-Kathib: „Bei den SprachmigrantInnen der Literatur kommt die Kreativität als konstitutives Element unserer Sprachlichkeit in besonders offensichtlicher Weise zum Tragen. Sie zeigen sozusagen par excellence, dass wir es sind, die die Sprache ‚machen‘.“25 Irreführend wäre es allerdings, literarische Mehrsprachigkeit (in ihren multiplen Formen) als Abweichung von einer angenommenen monolingualen Norm zu analysieren. Das enorme poetische Potenzial mehrsprachigen Schreibens und die besondere Aufmerksamkeit, die es seit dem 20. Jahrhundert erfährt, hat vielmehr zu dem von der amerikanischen Germanistin Yasemin Yildiz beschriebenen Paradigmenwechsel des postmonolingualism geführt. Sie plädiert für die Überwindung des binären Konzepts von Muttersprache/Fremdsprache als Kategorie für literarisches Schreiben: The conception of language, origin, and identity that „mother tongue“ marks is very much in effect today, even when the term itself is not explicitly invoked. It is therefore useful to think with this term rather than to ignore it. In fact, I argue that it is the affectively charged dimension of the „mother tongue“ that accounts for the persistence of the monolingual paradigm and its homologous logic. We thus need to work through the mother tongue and not simply sidestep its force. Viewed from this vantage point, writing „beyond the mother tongue“ does not simply mean writing in a nonnative language or in multiple languages. Rather, it means writing beyond the concept of the mother tongue.26
Immacolata Amodeo hat als eine der Ersten die rhizomatische Ästhetik beschrieben, die sie in Migrationsliteraturen im deutschsprachigen Raum beobachtet hat. Für ihren Ansatz präziser Textanalysen verwendet sie das von Gilles Deleuze und Félix Guattari entwickelte Rhizom-Modell, das ein hierarchiefreies Prinzip textueller Verflechtungen und Vernetzungen postuliert. Ihr zufolge kommt die rhizomatische Ästhetik „aufgrund von Kulturkontakten, von Überlagerungen kultureller Traditionen und aufgrund kultureller Vermischungen“ zustande: „[E]s handelt sich um eine interkulturelle Ästhetik, in der allerdings eine klare Unterscheidung zwischen den kulturellen Ebenen – ___________ 24 25 26
Deleuze, Gilles: Critique et clinique, Paris: Les éditions de Minuit, 1993, S. 138. Hein-Kathib, Simone: Sprachmigration und literarische Kreativität. Erfahrungen mehrsprachiger Schriftstellerinnen und Schriftsteller bei ihren sprachlichen Grenzüberschreitungen, Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1998, S. 204. Yildiz, Yasemin: Beyond the Mother Tongue. The Postmonolingual Condition, New York: Fordham UP, 2012, S. 13–14.
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zwischen Fremdem und Eigenem – wegen der vielfältigen und unberechenbaren Verflechtungen kaum möglich ist.“27 Neben Mehrsprachigkeit nennt sie Heterogenität, Dialogizität, Befremdung und Synkretismus als Eigenschaften dieser interkulturellen Ästhetik, für die ich aus den oben dargelegten Gründen die Bezeichnung ‚transkulturell‘ vorziehen würde. In meiner vergleichenden Studie zu deutsch-türkischer und frankomaghrebinischer Literatur der Postmigration habe ich den Versuch unternommen, eine Typologie ästhetischer Verfahren zu erstellen, die als charakteristisch für literarische Transkulturalität angenommen werden können. Hierzu zählt das Prinzip der Hybridität als narrative Haltung, die sowohl in der Positionierung der Schreibenden als auch in den jeweiligen narrativen Strategien wirksam wird. Das bereits näher betrachtete Prinzip der konkreten oder ‚latenten‘ Mehrsprachigkeit als kreative métissage ermöglicht das Sichtbarmachen von Sprachgrenzen, die aber zugleich verwischt oder spielerisch übertreten werden. Häufig geht die Inszenierung des Sprach-Gebrauchs mit einer deutlichen Verfremdungsabsicht einher, indem das Verstehen zunächst bewusst erschwert und die Lesenden in einer dialogischen Situation auf Umwege gebracht werden. Metaphern als dynamisches Sinn-Spiel (häufig verbunden mit kulturellen oder sprachlichen Übersetzungsprozessen) stellen einen häufigen narrativen Modus dar, in dem sich die Polyvalenz und Heterogenität der métissage-Situation in besonders anschaulicher Weise ausdrückt. Darüber hinaus bietet das Element des Humors subtile Möglichkeiten für Distanznahme und Widerstand innerhalb eines dialogischen Erzählens. Humoristische Verfahren lassen einen Abstand zum Erzählten entstehen, der dem Lesenden eine gemeinsame Perspektive auf Figuren und Ereignisse suggeriert. Häufig begleitet eine Art permanentes (selbst)ironisches Augenzwinkern die dargestellte Handlung – selbst dann, wenn sie nicht unbedingt dazu angelegt ist, um jeden Preis zu amüsieren. Literatur, Theater, Film, Musik und bildende Kunst tragen Ansätze zu Grenzüberschreitungen immer schon in sich, künstlerische Verfahren der Aufnahme neuer Einflüsse, der Verflechtung, Kombination, Collage, des Eklektizismus und des Synkretismus waren zu allen Zeiten wirksam. Daher bezeichnet der Begriff der Transkulturalität als ästhetische Kategorie – wie weiter oben bereits erläutert – keine neue Phase in der Kunst, sondern eben jenen Wechsel der Sichtweise gegenüber der seit dem 19. Jahrhundert dominanten nationalen Betrachtung von Kunstwerken. Mit dem postkolonialen Zeitalter und den Einwanderungsprozessen seit Mitte des 20. Jahrhunderts ändert sich die Perspektive insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang von Kultur
___________ 27
Amodeo, Immacolata: ‚Die Heimat heißt Babylon‘. Zur Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen: Westdt. Verlag, 1996, S. 109.
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und künstlerischem Schaffen. Neue Vorstellungen von Identität und Zugehörigkeit entstehen und verändern auch die Wahrnehmung künstlerischer Praxis. Im Zuge der Einwanderungsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts im deutschsprachigen und französischsprachigen Raum wird in gesellschaftlichen und ästhetischen Diskursen etwa seit Mitte der 2000er-Jahre eine Differenzierung von ‚Migration‘ und ‚Postmigration‘ relevant. Der gegen Ende des 20. Jahrhunderts wahrgenommenen künstlerischen Produktion von Nachkommen von Migrant*innen (also der sogenannten ‚zweiten‘, teilweise auch schon ‚dritten‘ Generation) wird nicht zuletzt dadurch eine besondere wissenschaftliche Rezeption zuteil, dass die bisher verwendeten biografischen Beschreibungskategorien (Kunst von Ausländer*innen, Fremden, ethnischen Minderheiten, Migrant*innen, der Diaspora, des Exils, der Frankophonie…) nicht mehr zutreffen. Den Begriff der Postmigration fasse ich demzufolge als heuristische Kategorie auf, in deren Bezeichnung das Präfix ‚post‘- einen neuen Entstehungskontext und eine der Migrationserfahrung ‚nachgeordnete‘ biografische Situation anzeigt. Mit Erol Yildiz lässt sich argumentieren, dass postmigrantische Erfahrungen zu „hybriden Lebensentwürfen“ führen, in denen es „nicht mehr um Eindeutigkeit und binäre Zuordnungen, sondern um Überschneidungen, Grenz- und Zwischenräume, um Kreuzungen und simultane Zugehörigkeiten“28 geht. In literarischen und filmischen Diskursen drückt sich dies sowohl in der Perspektive und der Erzählhaltung als auch in den Motiven und im Stil aus. Aktuelle Tendenzen, vornehmlich in den deutschsprachigen Sozial- und Kulturwissenschaften, definieren ‚Postmigration‘ als neues gesellschaftliches Modell zur Überwindung von Exklusion und Diskriminierung durch die Aufgabe biografischer Kriterien. So plädiert etwa der Germanist Moritz Schramm dafür, „Migration als gesellschaftliche Grundbedingung sichtbar zu machen, die in literarischen und künstlerischen Texten auf verschiedene, manchmal nachholende, manchmal auch in sich widersprüchliche Weise verhandelt wird.“29 Hierzu schlägt er den literatur- und kulturwissenschaftlichen Ansatz einer postmigrantischen Perspektive vor, die sich „potentiell auf alle literarischen und künstlerischen Texte, unabhängig vom Hintergrund der jeweiligen Autor_innen beziehen lässt“30. Anspruch eines solchen methodischen Paradigmenwechsels ist „die gesellschaftliche Anerkennung von Migration als ___________ 28 29
30
Yildiz, Erol: Postmigrantische Verortungspraktiken. Ethnische Mythen irritieren, in: Mecheril, Paul [u. a] (Hg.): Migrationsforschung als Kritik? Spielräume kritischer Migrationsforschung, Wiesbaden: Springer, 2013, S. 139–156, hier S. 144. Schramm, Moritz: Jenseits der binären Logik. Postmigrantische Perspektiven für die Literatur- und Kulturwissenschaft, in: Foroutan, Naika/Karakayali, Juliane/Spielhaus, Riem (Hg.): Postmigrantische Perspektiven: Ordnungssysteme, Repräsentationen, Kritik, Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag, 2018, S. 83–94, hier S. 84. Schramm: Jenseits der binären Logik, S. 84.
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Normalität“31. „Migration und ihre Folgen“ sollen so aus einer Gesamtperspektive in den Fokus geraten und nicht allein am Beispiel von Migrant*innen und deren Nachkommen behandelt werden: Der Perspektivwechsel von einer für bestimmte Kreise der Gesellschaft reservierten (post-) migrantischen Erfahrung zu einem die gesamte Gesellschaft prägenden postmigrantischen Zustand führt zugleich dazu, dass die Unterscheidung zwischen Migration vs. Nicht-Migration, bzw. Migrant vs. Nicht-Migrant, selbst problematisch wird.32
Im Hinblick auf die künstlerische Produktion ginge es darum, den postulierten „postmigrantischen Zustand“ auf „den ganzen Korpus der Literatur“ in westeuropäischen Gesellschaften ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anzuwenden, für die „frühere und gegenwärtige Migrationsbewegungen“ konstitutiv sind, die sich also „ohne Migration gar nicht verstehen lassen“33. Dass diese Auffassung gegenwärtiger Kulturrezeption eine utopische Note enthält, ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Mit Blick auf das konkrete künstlerische Schaffen würde ich dafür plädieren, die bisher entwickelten engeren und weiteren Definitionen des Postmigrantischen als komplementär zu betrachten. Einerseits kann die Kategorie zur differenzierenden Beschreibung der Entstehung von Kunstwerken in einer konkreten Situation biografischer Postmigration dienen. Andererseits ermöglicht die Einnahme einer postmigrantischen Perspektive die genauere Beleuchtung des sich verändernden Kontextes, innerhalb dessen sich künstlerische Produktion und Rezeption vollziehen. Zweifellos lassen sich in unseren transkulturellen Gesellschaften Anzeichen für dynamische Transformationen von Wahrnehmungsmodi erkennen. Innovative ästhetische Strategien, die im Migrationskontext entstanden sind, machen neue Positionierungen der Ambivalenz und der Mehrfachzuordnung erfahrbar, die die enge Verknüpfung von Sprache, Kultur und Gesellschaft aufzeigen und die unseren Blick darauf verändern. Es ist zu vermuten, dass sich im Laufe der umfassenden transkulturellen Prozesse unseres Zeitalters auch unsere Auffassung von Kultur weiterentwickelt und verändert. Mit Blick auf Frankreich ist man zunächst versucht, von einer transkulturellen Literaturwelt zu sprechen, in der Kategorien wie Herkunft und Zugehörigkeit eine nachgeordnete Rolle spielen. Autorinnen und Autoren wie Milan Kundera, Nancy Houston, Vassilis Alexakis, Andreï Makine, Tahar Ben Jelloun, Amin Maalouf werden mit (nationalen) Literaturpreisen gefeiert und sind in den Medien als Vertreter*innen französischer Kultur präsent. Nur in ___________ 31 32 33
Schramm: Jenseits der binären Logik, S. 85. Schramm: Jenseits der binären Logik, S. 90. Schramm: Jenseits der binären Logik, S. 89.
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seltenen Fällen werden ihre Werke als Migrantenliteratur ausgewiesen. Entsprechend bezeichnet die französische Literaturwissenschaftlerin Véronique Porra eine bestimmte Gruppe von Schriftsteller*innen nichtfranzösischer Sprachherkunft als „konvertierte“ Autor*innen34. Zugespitzt könnte man formulieren, dass die französische Öffentlichkeit erst durch die Generation der Postmigration, und hier vor allem mit den Werken von Nachkommen maghrebinischer Einwanderer, auf das Thema Migration in der Literatur aufmerksam wird. Nicht zuletzt durch den gesellschaftlich brisanten Kontext prekärer Lebensbedingungen in den migrantisch dominierten Vorstadt-Ghettos (den banlieues) und durch die Politisierung einer widerständigen Bewegung geraten sozialkritische literarische und filmische Werke als kollektives beurPhänomen (Slang-Bezeichnung nach dem Prinzip der Verlan-Wortbildung: beur = arabe) in den Fokus. Prominente Vertreter*innen der ersten Stunde sind Azouz Begag, Mehdi Charef, Leila Houari. Auch in den 2000er-Jahren ist das Genre beur noch wirksam in Romanen, die – häufig autobiografisch inspiriert – gesellschaftliche Marginalisierung und kulturelle métissage-Prozesse zum Thema haben. Beispiele jüngeren Datums sind die Werke von Faïza Guène und Rachid Djaïdani (der auch als Filmregisseur bekannt geworden ist). Eine ähnlich politisierte, widerständige Bewegung gab es in Deutschland in den 1990er-Jahren rund um das Schlagwort ‚Kanak Sprak‘ und die u. a. von Feridun Zaimoglu, Vito Avantario und Mark Terkessidis 1998 mitbegründete Plattform Kanak Attack, die das rassistische Schimpfwort ‚Kanake‘35 als Identifikationsbegriff offensiv umwendete. Im Unterschied zu Frankreich, wo Migration im Literaturbetrieb terminologisch kaum sichtbar gemacht wurde, hat sich die postmigrantische Bewegung im deutschsprachigen Raum in Reaktion auf eine Bezeichnungstradition entwickelt, in der seit der frühen Rezeption in der Periode der Arbeitsmigration migrantische Kultur explizit als kulturelle Produktion von ‚Fremden‘, ‚Ausländer*innen‘ oder ‚Migrant*innen‘ gekennzeichnet wurde.36 Angesichts einer in der Öffentlichkeit zunehmend ___________ 34 35
36
Porra, Véronique: Langue française, langue d’adoption. Une littérature ‘invitée’ entre création, stratégies et contraintes (1946‑2000), Hildesheim/Zürich/New York: Olms, 2011, S. 15. Das Wort Kanake (m.) bezeichnet einen ‚Südseeinsulaner, Polynesier‘. Es wurde im 19. Jahrhundert von europäischen Seeleuten entlehnt aus polynesisch kanaka ‚Mensch‘ und bald auf alle nicht-europäischen Insulaner übertragen. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird die Bezeichnung in der Vulgärsprache zunächst zum Schmähwort für Menschen fremder Herkunft oder fremdländischen Aussehens, im Weiteren auch zur Selbstbezeichnung von Migrant*innen. Siehe: Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache: Kanake, https:// www.dwds.de/wb/Kanake (08.07.2021). Siehe etwa Ackermann, Irmgard/Weinrich, Harald (Hg.): Eine nicht nur deutsche Literatur. Zur Standortbestimmung der „Ausländerliteratur“, München: Piper, 1986; Amodeo, Immacolata: Anmerkungen zur Vergabe der literarischen Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Blioumi, Aglaia (Hg.): Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten, München: Iudicium, 2002, S. 78–91.
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wahrgenommenen Präsenz deutsch-türkischer Autor*innen spricht die amerikanische Germanistin Leslie A. Adelson 2005 von einem turkish turn in der deutschen Gegenwartsliteratur37. Mit diesem bewusst markant gewählten Stichwort plädiert sie für eine transkulturelle Perspektive, mittels derer postmigrantisches Schreiben (wie jenes von Feridun Zaimoglu oder Zafer Şenocak) in der Mitte einer sich verändernden deutschen Gesellschaft verortet werden kann. In dem programmatischen Text Against Between – Ein Manifest gegen das Dazwischen (2006) hinterfragt sie die metaphorische Verwendung dieses Adverbs als Bezeichnung eines ‚Nicht-Ortes‘, an dem migrantische und postmigrantische Kultur häufig angesiedelt wird: Die imaginierte Brücke „zwischen zwei Welten“ ist dazu gedacht, voneinander abgegrenzte Welten genau in der Weise auseinander zu halten, in der sie vorgibt, sie zusammenzubringen. Im besten Falle stellt man sich die Migranten für alle Ewigkeiten auf dieser Brücke aufgehoben vor. Kritiker scheinen nicht genug Einbildungskraft zu besitzen, um sich Migranten bei der eigentlichen Überquerung dieser Brücke oder beim Erreichen von neuen Ufern vorstellen zu können.38
Stattdessen wirbt sie für das Bild einer „Schwelle, die lockt, keine ermüdete Brücke ‚zwischen zwei Welten‘“39, zur Beschreibung eines dynamischen und von territorialen Kategorien losgelösten Kulturbegriffs. Transkulturalität als ästhetisches Prinzip steht im Widerspruch zu nationalen Einordnungskriterien. Sowohl im französischen als auch im deutschen Kontext haben sich in jüngster Vergangenheit Forschungsansätze entwickelt, die für die dynamischen kulturellen Tendenzen der Gegenwart globale Beschreibungsmodelle heranziehen. In seiner „literarischen Globalisierungsgeschichte“ beschreibt Ottmar Ette aktuelle „Formen widersprüchlicher Verweltgesellschaftung“40, zu deren Erfassen zunehmend bewegliche, polyperspektivische Verfahren der Repräsentation und des Verstehens notwendig werden. Das Globale hat auch die Welt der Kunst längst eingeholt und die Geisteswissenschaften tendieren zu transnationalen und supranationalen Ansätzen zur Beschreibung dessen, was sich in vielen Werken vollzieht. So erhalten die Kategorien world literature, Weltliteratur und littérature-monde (oder littérature mondiale) neue Prominenz bei der (meist komparatistischen) Untersuchung migrantischer und postmigrantischer Schreibweisen. Bereits 1995 ___________ 37 38 39 40
Vgl. Adelson, Leslie A.: The Turkish Turn in Contemporary German Literature. Toward a New Critical Grammar of Migration. New York: Palgrave, 2005. Adelson, Leslie A.: Against Between – Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Literatur und Migration, München: Ed. Text + Kritik, 2006, S. 36–46, hier S. 38. Adelson, Leslie A.: Against Between – Ein Manifest gegen das Dazwischen, S. 40. Ette: TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschichte, S. 5.
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stellte Manfred Schmeling die provokante Frage: „Ist Weltliteratur wünschenswert?“41 Für ihn spiegelt das Thema Weltliteratur das Paradigma der „unaufhaltsame[n] Internationalisierung des sozialen Lebens insgesamt, der kulturellen Entwicklung im besonderen“42. Er hebt hervor, dass der gemeinsame Nenner aller Konzepte von Weltliteratur in der Auffassung besteht, „daß sich jede Einzelliteratur thematisch und strukturell, auf der Produktions- wie auf der Rezeptionsebene nicht in nationaler Abgeschiedenheit, sondern im Konzert mit anderen Literaturen und Kulturen entwickelt“43. Somit kann die Kategorie Welt eine sinnvolle Erweiterung der Perspektive für den Blick auf transkulturelle Ästhetik sein: Weltliteratur – das bedeutet im gegebenen Zusammenhang (des 20. Jahrhunderts) weder die Summe sämtlicher Literaturen der Welt, noch die besonders herausgehobenen Werke, noch das alle Literaturen verbindende Ur-Menschliche, sondern es bedeutet die fortschreitende Internationalisierung der Welt der Literatur.44
Einen methodischen Beschreibungsversuch, der sowohl die biografische als auch poetologische Dimension transkulturellen Schreibens berücksichtigt, unternimmt Heidi Rösch in ihrem Aufsatz „Migrationsliteratur als Neue Weltliteratur“ (2004). Hier postuliert sie zunächst eine (selbst)kritische Dezentralisierung literaturwissenschaftlicher Forschung: Das Konzept von Weltliteratur kann nur Bestand haben, wenn es sich dem aktuellen Diskurs um Kultur und Literatur stellt und dazu gehört nicht nur die Wahrnehmung der Welt und ihrer Literatur auch außerhalb Europas, sondern vor allem eine kritische Betrachtung des eurozentrischen philosophisch-ästhetischen Anspruchs.45
Die Erweiterung nationaler Perspektiven durch die Kategorien Weltliteratur oder Neue Weltliteratur hat in Frankreich durch den spezifischen postkolonialen Kontext der Francophonie eine ganz eigene Entwicklung genommen. Das im Frühjahr 2007 erschienene und von 44 Schriftsteller*innen unterzeichnete Manifest Pour une littérature-monde en français, dessen Anlass im Literaturherbst 2006 die Verleihung sämtlicher großer nationaler Literaturpreise an Autorinnen und Autoren nichtfranzösischer Herkunft war, hat hohe Wellen ___________ 41 42 43 44 45
Schmeling, Manfred: Ist Weltliteratur wünschenswert? Fortschritt und Stillstand im modernen Kulturbewußtsein, in: ders. (Hg.): Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1995, S. 153–178. Schmeling: Ist Weltliteratur wünschenswert?, S. 155. Schmeling: Ist Weltliteratur wünschenswert?, S. 155. Schmeling: Ist Weltliteratur wünschenswert?, S. 162. Rösch, Heidi: Migrationsliteratur als neue Weltliteratur?, in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft. Zeitschrift der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 35/1 (2004), S. 89– 109, hier S. 102.
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geschlagen.46 Michel Le Bris (den man als den Verfasser des Manifests annehmen kann) kommentiert dieses Ereignis als ‚kopernikanische Wende‘ („révolution copernicienne“) im französischen Literaturbetrieb, die die Dezentralisierung der französischen Literatur („le centre […] est désormais partout, aux quatre coins du monde“), das Ende des Konzepts der Frankophonie und das Heraufkommen einer neuen Ordnung zur Folge habe: „Fin de la francophonie. Et naissance d’une littérature-monde en français.“47 Unter den Unterzeichner*innen dieses Plädoyers für eine transnationale Öffnung des französischen literarischen Feldes finden sich so bekannte Namen wie Tahar Ben Jelloun, Maryse Condé, Édouard Glissant, Nancy Huston, Dany Laferrière, JMG Le Clézio, Amin Maalouf, Alain Mabanckou, Wajdi Mouawad, Boualem Sansal, Dai Sijie und viele andere. Abgesehen davon, dass der programmatische (und poetologische) Standpunkt des Manifests in der Folge durchaus umstritten war und dass der Welt-Begriff als methodische Kategorie sehr vage blieb (Emily Apter monierte: „the term ‚world‘ in Littérature-monde remains curiously under-theorized“48), kommt dieser Initiative nach Ansicht JeanMarc Mouras das Verdienst zu, die Globalisierung des Literarischen in der französischen Rezeption in den Blick zu bekommen: „Il n’en demeure pas moins que ce manifeste a le mérite d’envisager la mondialisation littéraire.“49 Dominic Thomas weist jedoch auf einen ‚blinden Fleck‘ innerhalb des französischen Literaturraums hin, der durch das Manifest noch verstärkt worden sei: „[T]he claims and demands of the ‚44‘ [...] ignore in their ‚constellation‘ the ‚other other‘ located within France, namely the Beur generation of writers and the pluridimensional and pluri-ethnic writings of the banlieue authors, of which not a single one is included.“50 Die offensichtliche Ambivalenz und Ungenauigkeit der Begriffsverwendung und die weiter bestehende implizite Differenzierung zwischen sogenannten ‚frankophonen Literaturen‘ und einem französischen Kanon der Metropole haben dazu geführt, dass sich die Bezeichnung littérature-monde nicht als literaturwissenschaftliche Kategorie für transkulturelles Schreiben durchgesetzt hat. Als französische Entsprechung von Weltliteratur und World literature schlagen Christophe Pradeau und ___________ 46
47 48 49 50
Vgl. Barbery, Muriel/Ben Jelloun, Tahar [u. a.]: Pour une ‚littérature-monde‘ en français, 17.03.2007, http://www.lemonde.fr/livres/article/2007/03/15/des-ecrivains-plaident-pourun-roman-en-francais-ouvert-sur-le-monde_883572_3260.html (08.07.2021). Die prämierten Autoren sind Jonathan Littell (Goncourt und Grand Prix du roman de l’Académie française), Alain Mabanckou (Renaudot), Nancy Huston (Femina) und Leonora Miano (Goncourt des lycéens). Alle Zitate entstammen dem Text des Manifests, ohne Seitenangabe. Apter, Emily: Against World Literature. On the Politics of Untranslatability, New York/London: Verso, 2013, S. 178. Moura, Jean-Marc: Littératures francophones et théorie postcoloniale, Paris: PUF, 22013, S. 169. Thomas, Dominic: New Writing for New Times. Faïza Guène, Banlieue Writing, and the Post-Beur Generation, in: Expressions maghrébines 7/1 (2008), S. 33–51, hier S. 38.
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Tiphaine Samoyault die alternative Bezeichnung littérature mondiale vor.51 Etwa gleichzeitig führt aber auch die Wiederentdeckung einer eigenen französischen postkolonialen Theorie, entwickelt durch Autor*innen wie Aimé Césaire, Frantz Fanon, Édouard Glissant, Jacques Derrida und Assia Djebar, zu einer gewissen Konvergenz von Perspektiven und Methoden und zu der Erkenntnis, dass verschiedene Bezeichnungen aus unterschiedlichen akademischen Traditionen durchaus dazu geeignet sein können, ähnliche Realitäten zu beschreiben, auch im Hinblick auf gegenwärtige Globalisierungsphänomene.52 Homi K. Bhabha war übrigens einer der Ersten, der in seinem Band The Location of Culture (1994) dazu angeregt hat, Migrationssituationen und postkoloniale Konfigurationen als Kontexte von Weltliteratur zu betrachten: The study of world literature might be the study of the way in which cultures recognize themselves through their projections of ‚otherness‘. Where, once, the transmission of national traditions was the major theme of a world literature, perhaps we can now suggest that transnational histories of migrants, the colonized, or political refugees – these border and frontier conditions – may be the terrains of world literature.53
In ihrem Ansatz einer ‚anthropologischen Wende in der Literaturwissenschaft‘ hat Doris Bachmann-Medick einige Hinweise zur möglichen theoretischen Fundierung neuer Konzepte von Weltliteratur entwickelt. Durch die „konfliktreiche Dynamik“ aktueller Globalisierungsprozesse und die traditionelle Zuordnung von Autor*innen und Werken „zu den Zentren oder Peripherien im weltweiten Machtgefüge der Kulturen“ beinhaltet die Verwendung der ‚Weltliteratur‘-Kategorie ihr zufolge immer auch eine kritische Positionierung innerhalb literarischer Produktion und Rezeption: Die ökonomischen und politischen Globalisierungsprozesse fordern – zumal in der postkolonialen Situation die Existenz kultureller Bezugssysteme auf dem Spiel steht – die differenzierenden kulturellen Selbstdarstellungs- und Überzeugungsleistungen von (literarischen) Texten verstärkt heraus. […] Über die alte Frage der Weltliteratur heute zu diskutieren, verlangt also weitsichtige kulturpolitische Perspektiven.54
___________ 51 52 53 54
Vgl. Pradeau, Christophe/Samoyault, Tihpaine (Hg.): Où est la littérature mondiale?, SaintDenis: PU de Vincennes, 2005. Vgl. Forsdick, Charles/Murphy, David (Hg.): Postcolonial Thought in the French-speaking World, Liverpool: Liverpool UP, 2009. Bhabha, Homi K.: The Location of Culture. London/New York: Routledge, 1994, S. 12. Bachmann-Medick, Doris: Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in postkolonialer Perspektive, in: dies. (Hg.): Kultur als Text, S. 262–296, hier S. 263–264.
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Mads Rosendahl Thomsen zufolge bildet migrantisches Schreiben zwar eine eigene „Konstellation“55 innerhalb der Weltliteratur, mit seinem Versuch einer neuen Kartografie der literarischen Welt macht er allerdings deutlich: „If we appeal to a new global aesthetics, in which both themes of dislocation and styles of hybridization are taken as indicators of the new contemporary intellectual experience, the category of ‚migrant literature‘ becomes redundant.“56 Ein vergleichender, supranationaler Ansatz kann allemal dazu beitragen, obsolete Integrationsversuche transkulturellen Schaffens in traditionelle nationale Kanons zu überwinden. Wie ich in meiner vergleichenden Studie zu französischen und deutschen Literaturen der Postmigration angeregt habe, kann die ‚globale‘ Perspektive etwa dazu beitragen, transkulturelle Eigenschaften migrantischen Schreibens „mit anderen plurikulturellen und mehrsprachigen Literaturkontexten (z. B. Exil, Diaspora, postkoloniale Situationen, multikulturelle Gesellschaften etc.) in Zusammenhang“ zu bringen und nicht allein unter der Fragestellung zu betrachten, „welche formalen und inhaltlichen Anteile genuin einer Ursprungskultur zuzurechnen und welche auf Einflüsse des Aufnahmelandes zurückzuführen sind“57. Dabei sollte die Horizonterweiterung einer Critique mondiale58 aber nicht missverstanden werden als pauschalisierender, homogenisierender Ansatz, der den konkreten Entstehungskontext und die künstlerische Eigenart der Werke aus den Augen verliert. In ihrem vor kurzem erschienenen Band Gegenwartsliteratur – Weltliteratur. Historische und theoretische Perspektiven (2019) nehmen Giulia Radaelli und Nike Thurn eine begriffstheoretische Einordnung vor, in deren Einleitung sie betonen, „dass jeder Begriff spezifische, historisch und kulturpolitisch gewachsene Bedeutungen mit z. T. nur schwer übersetzbaren Konnotationen transportiert“59. Zum produktiven Umgang mit der Kategorie ‚Weltliteratur‘ als methodischem Konzept empfehlen sie eine präzise Definition der Begriffsverwendung, indem etwa weitere textimmanente Bestimmungskriterien hinzugezogen werden, wie zum Beispiel „die ‚Welthaltigkeit‘ oder ‚Weltläufigkeit‘“60 der Werke. Der Mehrwert des theoretischen Ansatzes liegt ihrer Ansicht nach in seinem Potenzial, auf die spezifischen „Spannungsverhältnisse“ und ___________ 55 56 57 58 59 60
Rosendahl Thomsen, Mads: Mapping World Literature. International Canonization and Transnational Literatures, London: Continuum, 2008, S. 101: „In world literature, migrant writing stands out and forms a constellation of its own“. Rosendahl Thomsen: Mapping World Literature, S. 4. Geiser, Myriam: Der Ort transkultureller Literatur in Deutschland und in Frankreich. Deutschtürkische und frankomaghrebinische Literatur der Postmigration, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2015, S. 353. Siehe Garnier, Xavier: Conditions d’une ‚critique mondiale‘, in: Pradeau/Samoyault (Hg.): Où est la littérature mondiale?, S. 99–113, hier S. 101. Radaelli, Giulia/Thurn, Nike (Hg.): Gegenwartsliteratur – Weltliteratur. Historische und theoretische Perspektiven, Bielefeld: Transcript, 2019, S. 8. Radaelli/Thurn (Hg.): Gegenwartsliteratur, S. 8.
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„die diffizilen Beziehungen zwischen dem Regionalen oder Lokalen und dem Globalen, dem Partikularen und dem Allgemeinen, der Homogenität und der Heterogenität, der Singularität und der Pluralität“61 in den jeweiligen Texten aufmerksam zu machen. Wesentliche Voraussetzung für einen vergleichenden Blick auf transkulturelle Phänomene, so ließe sich hier bilanzieren, ist die Annahme der freien Zirkulation von Werken, von Begriffen zu ihrer Benennung und von theoretischen Ansätzen zu ihrer Analyse. Damit ist die Geschichte der reziproken Rezeption aber zunächst schlicht auch eine Frage der Übersetzung. Dies lässt sich rasch an zwei Beispielen der hier genannten theoretischen Werke illustrieren, bei denen die zeitliche Verschiebung zwischen Erscheinungsdatum von Original und Übersetzung zweifellos zu zeitversetzten produktions- und rezeptionsästhetischen Debatten in den jeweiligen Sprachräumen geführt hat. So liegt die Originalausgabe von Homi K. Bhabhas The Location of Culture seit 1994 im englischsprachigen Raum vor, die deutsche Übersetzung mit dem Titel Die Verortung der Kultur (2000) ergänzt um ein Vorwort von Elisabeth Bronfen erschien sechs Jahre später beim Stauffenburg-Verlag in Tübingen und die französische Übersetzung wurde erst weitere sieben Jahre später mit dem Titel Les lieux de la culture. Une théorie postcoloniale (2007) von Payot in Paris herausgebracht. Im Falle von Ottmar Ettes Band TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschichte liegen vier Jahre zwischen der deutschen Originalausgabe (De Gruyter, 2012) und der englischen Übersetzung TransArea. A Literary History of Globalization (De Gruyter 2016); weitere drei Jahre später wurde die französische Ausgabe TransArea. Une histoire littéraire de la mondialisation (2019) mit einem Vorwort von Jean-Marc Moura bei Garnier Paris veröffentlicht. Eine solche Ungleichzeitigkeit führt nicht zuletzt auch zu unterschiedlichen Begriffskonjunkturen, sodass das Wandern von Ideen und Begriffen auch in unserer globalisierten Welt neben kulturellen und ideologischen Aspekten häufig dem rein temporalen Moment der Verzögerung unterliegt. Um Transkulturalität tatsächlich als transnationale Kategorie auffassen zu können, kommt es bei einem komparatistischen deutsch-französischen Ansatz auch darauf an, zu beobachten, welchen Weg einzelne Kunstwerke gehen und welche Rolle sie in der gegenseitigen Rezeption spielen. Auch hier müsste – gerade bei literarischen Werken – der Übersetzungspolitik eine eigene Untersuchung gewidmet werden. Von vielen der hier erwähnten deutschsprachigen Schriftsteller*innen liegen Titel in französischer Übersetzung vor (so etwa von Emine Sevgi Özdamar, Zafer Şenocak, Feridun Zaimoglu, Abbas Khider und Yoko Tawada). Fast alle großen Namen der sogenannten ‚frankophonen‘ Literatur wurden ins Deutsche übersetzt (ich nenne hier nur Assia Djebar, Tahar Ben Jelloun und Amin Maalouf), aber ___________ 61
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auch einzelne Autor*innen der Beur-Generation, wie etwa Mehdi Charef, Azouz Begag und Faïza Guène. Allerdings stellt gerade transkulturelles Schreiben die Übertragung in andere Sprachen vor große Herausforderungen – und einige Formen mehrsprachiger Ästhetik müssen wohl als unübersetzbar betrachtet werden.62 Als Bilanz und Ausblick möchte ich am Ende dieses knappen Überblicks über Forschungsperspektiven und methodische Ansätze rund um das Konzept der Transkulturalität nur noch auf ein internationales, komparatistisches Publikationsprojekt verweisen, das voraussichtlich bis zum Ende des Jahres 2021 abgeschlossen sein wird und auf dessen Realisierung ich derzeit gemeinsam mit den Mitherausgeberinnen Jeanne E. Glesener, Helga Mitterbauer, Fridrun Rinner, Franca Sinopoli und Sandra Vlasta hinwirke: Im Band mit dem Titel Trans-Culture: Literature and Migration in Europe since the 1950s , der in der Reihe Comparative History of Literatures in European Languages (CHLEL) beim Verlagshaus John Benjamins in Amsterdam erscheinen wird, geht es um eine vorläufige Bilanzierung der Interrelation von Migration und Literatur in Europa seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.63 Die verschiedenen Migrationen in und nach Europa seit den 1950er-Jahren haben die Gegenwartsgeschichte der europäischen Nationen stark geprägt und einen wesentlichen Einfluss auf die Begriffe Identität und Alterität genommen. Literaturen der Migration und der Postmigration beschäftigten sich inhaltlich häufig mit historisch relevanten Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Vorstellungen von kultureller, politischer und wirtschaftlicher Überlegenheit und Vorherrschaft. Dabei tragen sie seit einigen Jahrzehnten auch zur Definition des europäischen Selbstverständnisses und zur dynamischen Entwicklung kollektiver beziehungsweise nationaler Identitäten bei. Das Buchprojekt widmet sich diesem genuin transkulturellen Bereich der Literaturwissenschaft, der insbesondere die komplexen Wechselbeziehungen der europäischen Literaturen untereinander und hinsichtlich ihrer zahlreichen außereuropäischen Verbindungen in einer zunehmend globalisierten Welt in den Blick nimmt. Ziel des komparatistischen Ansatzes ist die Erkundung der Historizität von Migrationsliteraturen in Europa, ihrer Rezeption in der europäischen Wissenschaftslandschaft und ihres poetischen Innovationspotenzials. Jenseits der traditionell angenommenen Disparität zwischen sogenannten Nationalliteraturen und migrantischem Schreiben zielt der Theorierahmen des Bandes auf eine kultur- und literaturwissenschaftliche Einschätzung jener Dynamik, die zur Entstehung zahlreicher ___________ 62
63
Zu Aspekten der Übersetzung migrantischen Schreibens siehe Nuselovici, Alexis/ Pinconnat, Crystel/Rinner, Fridrun (Hg.): Littératures migrantes et traduction, Aix-enProvence: PUP, 2017, und darin meinen Aufsatz: „We are translated men“. Translation culturelle dans les écritures de la post-migration, S. 13–22. Siehe die Kurzdarstellung des Projekts auf der Homepage der CHLEL, https://www. uantwerpen.be/en/projects/chlel/ongoing-projects/trans-culture--liter/ (08.07.2021).
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transnationaler Konzepte und Terminologien geführt hat. Dabei geht es nicht um konkrete und umfassende Ländervergleiche, sondern um die Formulierung zentraler Fragen, die aus einer supranationalen Sichtweise anhand signifikanter Entwicklungen und Fallbeispiele erörtert werden. Die komparatistischen Einzeluntersuchungen der Beiträgerinnen und Beiträger zum zweiten Teil der Studie befassen sich mit den Forschungsschwerpunkten „Translingualism and Translation“, „Writers’ Positioning“, „Transcultural Memory“, „Dynamics of Canonization“ und „Trans-Poetics“. Das Projekt meiner Gastdozentur in Saarbrücken hat wertvolle Impulse für meinen Anteil an der Fertigstellung des Buchmanuskripts geliefert. Die spezifischen Erkenntnisse aus der Perspektive des deutsch-französischen Vergleichs (im Kontext der sehr unterschiedlichen historischen Gegebenheiten) haben sich zur Bewertung des Zusammenhangs von Migration und Literatur in Europa als besonders relevant und aufschlussreich erwiesen Literaturverzeichnis Ackermann, Irmgard/Weinrich, Harald (Hg.): Eine nicht nur deutsche Literatur. Zur Standortbestimmung der „Ausländerliteratur“, München: Piper, 1986. Adelson, Leslie A.: The Turkish Turn in Contemporary German Literature. Toward a New Critical Grammar of Migration, New York: Palgrave, 2005. Adelson, Leslie A.: Against Between – Ein Manifest gegen das Dazwischen, in: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Literatur und Migration, München: Ed. Text + Kritik, 2006, S. 36–46. Amodeo, Immacolata: ‚Die Heimat heißt Babylon‘. Zur Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen: Westdt. Verlag, 1996. Amodeo, Immacolata: Anmerkungen zur Vergabe der literarischen Staatsbürgerschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: Blioumi, Aglaia (Hg.): Migration und Interkulturalität in neueren literarischen Texten, München: Iudicium, 2002, S. 78–91. Apter, Emily: Against World Literature. On the Politics of Untranslatability, New York/London: Verso, 2013. Barbery, Muriel/Ben Jelloun, Tahar [u. a.]: Pour une ‚littérature-monde‘ en français, 17.03.2007, http://www.lemonde.fr/livres/article/2007/03/15/des-ecrivains-plaident-pour-un-roman-enfrancais-ouvert-sur-le-monde_883572_3260.html (08.07.2021). Bachmann-Medick, Doris (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, 1996, S. 12. Bachmann-Medick, Doris: Multikultur oder kulturelle Differenzen? Neue Konzepte von Weltliteratur und Übersetzung in postkolonialer Perspektive. in: dies. (Hg.): Kultur als Text. Die anthropologische Wende in der Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, 1996, S. 262–296. Ben Jelloun, Tahar: La cave de ma mémoire, le toit de ma maison sont des mots français, in: Le Bris, Michel/Rouaud, Jean (Hg.): Pour une littérature-monde, Paris: Gallimard, 2007, S. 113– 124. Bhabha, Homi K.: The Location of Culture, London/New York: Routledge, 1994. Dagnino, Arianna: Transcultural Writers and Novels in the Age of Global Mobility, West Lafayette, Indiana: Purdue UP, 2015.
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Transkulturalität als ästhetische Kategorie in deutsch-französischer Perspektive
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Rosendahl Thomsen, Mads: Mapping World Literature. International Canonization and Transnational Literatures, London: Continuum, 2008. Schmeling, Manfred (Hg.): Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1995. Schmeling, Manfred: Ist Weltliteratur wünschenswert? Fortschritt und Stillstand im modernen Kulturbewußtsein, in: ders. (Hg.): Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven, Würzburg: Königshausen & Neumann, 1995, S. 153–178. Schmitz, Helmut (Hg.): Von der nationalen zur internationalen Literatur. Transkulturelle deutschsprachige Literatur und Kultur im Zeitalter globaler Migration, Amsterdam/New York: Brill/Rodopi, 2009. Schramm, Moritz: Jenseits der binären Logik. Postmigrantische Perspektiven für die Literaturund Kulturwissenschaft, in: Foroutan, Naika/Karakayali, Juliane/Spielhaus, Riem (Hg.): Postmigrantische Perspektiven: Ordnungssysteme, Repräsentationen, Kritik, Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag, 2018, S. 83–94. Şenocak, Zafer: Jenseits der Landessprache, in: ders. (Hg): Zungenentfernung. Bericht aus der Quarantänestation. Essays, Berlin: Babel, 2001, S. 87–90. Thomas, Dominic: New Writing for New Times. Faïza Guène, Banlieue Writing, and the PostBeur Generation, in: Expressions maghrébines 7/1 (2008), S. 33–51. Turgeon, Laurier: Les mots pour dire les métissages. Jeux et enjeux d’un lexique, in: Revue Germanique Internationale 21 (2004), S. 53–69. Welsch, Wolfgang: Transkulturalität. Zur veränderten Verfassung heutiger Kulturen, in: Schneider, Irmela/Thomsen, Christian W. (Hg.): Hybridkultur. Medien Netze Künste, Köln: Wienand Verlag, 1997, S. 67–90. Welsch, Wolfgang: Was ist eigentlich Transkulturalität?, in: Kimmich, Dorothee/Schahadat, Schamma (Hg.): Kulturen in Bewegung. Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität, Bielefeld: Transcript, 2012, S. 25–40 Yildiz, Erol: Postmigrantische Verortungspraktiken. Ethnische Mythen irritieren, in: Mecheril, Paul [u. a] (Hg.): Migrationsforschung als Kritik? Spielräume kritischer Migrationsforschung, Wiesbaden: Springer, 2013, S. 139–156. Yildiz, Yasemin: Beyond the Mother Tongue. The Postmonolingual Condition, New York: Fordham UP, 2012. Zipfel, Frank: Migrant Concepts. Multi-, Inter-, Transkulturalität, métissage/créolisation and Hybridity as New Paradigms for Literary Criticism, in: ders./Dumontet, Danielle (Hg.): Ecriture Migrante/Migrant Writing, Hildesheim: Olms Verlag, 2008, S. 5–26.
Wolfgang Müller
Saarländisch-lothringisches Archivkolloquium zu Quellen einer bewegten Geschichte Um den Informationsaustausch mit den lothringischen Kolleginnen und Kollegen zu fördern, aktuelle Fragen des Archivwesens zu erörtern und über Saarbetreffe in Archiven außerhalb des Saarlandes zu informieren, veranstaltete der Saarländische Archivverband am 22. Mai 2019 im Stadtarchiv Saarbrücken ein Kolloquium. Nach der Begrüßung zeichnete der gastgebende Vorsitzende des Verbandes Dr. Hans-Christian Herrmann die Struktur des föderal geprägten deutschen Archivwesens nach und verwies auf die stark differierende personelle und finanzielle Ausstattung der Archive in den einzelnen Bundesländern. In seinem Überblick erinnerte er unter anderem auch an die zu bewältigenden Herausforderungen nach dem politischen Umbruch 1989, die Sicherung der Unterlagen durch das Ministerium für Staatssicherheit, die Auswirkungen der Verwaltungsreformen, die Diskussionen um das archivarische Selbstverständnis, die Bedeutung der Archive für Rechtsstaat und Demokratie, ihr Engagement in Notfallverbünden sowie zuletzt die verschiedenen Herausforderungen der Digitalisierung. Der Direktor des Departementsarchivs Moselle (Metz) Metz Jean-Éric Iung widmete sich der „Digitalisierung, Verbreitung und Wiederverwendung von Bilddateien aus französischen Archiven“. Dabei berichtete er, wie in Frankreich ausgehend von den genealogischen Unterlagen seit den 1990erJahren durch große Kampagnen und die Erweiterung der personellen und finanziellen Ressourcen der Archive die Digitalisierung von Archivalien vorangetrieben wurde und welche Konsequenzen und Konflikte sich daraus für das Archivrecht – etwa durch das „Gesetz über die Wiederverwendung öffentlicher Informationen“ – ergaben. Über Digitalisierungsprojekte in ihrem Sprengel referierte die Direktorin des Departementsarchivs Meurtheet-Moselle (Nancy) Hélène Say Barbey. Nach einem Blick auf die begonnene virtuelle Rekonstruktion des lothringischen Haus- und Staatsarchivs bis 1508 konzentrierte sie ihre Betrachtung auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges und den vom Inspecteur des camps d'internement André Jean-Faure erstellten, 2004 ganz zufällig im Bestand der Präfektur des Departements entdeckten illustrierten Bericht über die verschiedenen französischen Internierungslager von 1941 bis 1943.1 Welcher besondere Stellenwert der Digitalisierung und der elektronischen Langzeitarchivierung in unserem Nachbarland zukommt, zeigten auch die Ausführungen des Kollegen Pascal Koenig, Chef du Service ___________ 1
Vgl. Archives départementales de Meurthe-et-Moselle: Rapport André Jean-Faure, http:// archivesenligne.archives.cg54.fr/f/Rapportjeanfaure/tableau/?&debut=0 (03.03.2021).
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Wolfgang Müller
des archives (Conseil régional Grand Est) über die Projektstrategie zur elektronischen Archivierung von Dokumenten der Kommunalverwaltung in der Region Grand Est. Nach deren Gründung wurden seit 2016 zwei Projekte einerseits zur Gestaltung und Organisation digitaler Dokumente und andererseits für ein elektronisches Archivsystem in den Masterplan Informationssysteme aufgenommen, im März 2019 die Stelle eines speziell für die Digitalisierung zuständigen Archivars eingerichtet und die Digitalisierung etwa auf die Bereiche öffentliches Auftragswesen und Post ausgeweitet. Eine enge Kooperation zwischen den Bereichen Archiv und Informationstechnologie ist dabei unverzichtbar. Die beträchtliche Menge von neun Kilometern Archivgut verwahrt das von seiner Leiterin Barbara Hesse vorgestellte Centre des Archives Industrielles et Techniques de Moselle (CAITM) in St. Avold, das sich aus einem 1988 eingerichteten Archiv der Houillières du bassin de Lorraine entwickelt hat. Dementsprechend bilden die rund sieben Kilometer und den Zeitraum von 1806 bis 2011 umfassenden Bestände zum regionalen Kohlenbergbau den Überlieferungsschwerpunkt. Dazu gehören auch 200 000 Karten und Pläne, 4 300 Filme und 20 000 Fotos. Außerdem haben verschiedene Unternehmen ihre Firmenarchive ebenfalls im CAITM hinterlegt, das somit vielfältige Recherchen zur regionalen, übrigens auch grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Sozialgeschichte ermöglicht. Demgegenüber existiert weder im Saarland noch in Rheinland-Pfalz ein regionales Wirtschaftsarchiv, und wie sehr die Überlieferung auf dieser Seite der Grenze zersplittert ist, bewies Christian Reuther (Stadtarchiv Neunkirchen) bei seiner Spurensuche zur saarländischen Montanindustrie. Neben den Unterlagen der verschiedenen Territorialherrschaften, der staatlichen Zentral-, Mittel- und Lokalbehörden und einigen in Kommunalarchiven deponierten Firmenarchiven sowie wenigen eigenständigen Firmenarchiven finden sich Bestände aus der Ära der Französischen Revolution und den Nachkriegszeiten zwischen 1918 und 1935 sowie 1945 bis 1957 vornehmlich in französischen Archiven. Einen facettenreichen Überblick zur Überlieferung zum Reichsland ElsassLothringen im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz bot Dr. Dieter Heckmann. Einer Skizze der staatsrechtlichen Stellung von ElsassLothringen und der in die Verwaltung des Reichslandes involvierten Ministerien, Oberbehörden und Verfassungsorgane folgten die diversen elsass-lothringischen Betreffe aus den Akten des Geheimen Zivilkabinetts und der Ministerien. Da das durch den Versailler Vertrag neu geschaffene Saargebiet zwischen 1920 und 1935 dem Völkerbund und der Verwaltung einer Regierungskommission unterstellt wurde, beschäftigte sich Michael Sander (ehemals Landesarchiv Saarbrücken) mit den Saarbetreffen dieser Jahre im Archiv des
Saarländisch-lothringisches Archivkolloquium
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Völkerbundes in Genf sowie in deutschen und französischen Archiven.2 So werden in Genf unter anderem die Akten des Generalsekretariats des Völkerbundes, der Regierungskommission des Saargebiets und der die Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 vorbereitenden und überwachenden internationalen Institutionen verwahrt. Abschließend informierte Dr. Wolfgang Freund (Metz/Saarbrücken)3 über die „Überlieferung zum Zweiten Weltkrieg in den Archives Départementales de la Moselle“. So finden sich in den Beständen 1 W und 2 W die Unterlagen der deutschen Verwaltung in der Zeit der defacto Annexion, der NSDAP, der „Deutschen Volksgemeinschaft in Lothringen“ und privater Unternehmen. Außerdem hat das 1940 in Metz eingerichtete Lothringische Institut für Landes- und Volksforschung eine bedeutende zeitgenössische Fotosammlung angelegt (1 W 284–285). Neben den Akten des Sondergerichts Metz (335 W) verdienen die Akten der Nachkriegsprozesse (285 W) und zur politischen Säuberung sowie die Untersuchungen des Comité départemental de la libération de la Moselle zur Kollaboration in rund 7 000 Fällen (24 W) besondere Beachtung. Die Vorträge des von Didier Hemmert (Archives municipales de Sarreguemines) und Dr. Wolfgang Müller (Universitätsarchiv Saarbrücken) moderierten Kolloquiums sind inzwischen im September 2021 als Veröffentlichung des Saarländischen Archivverbandes bilingual unter dem Titel Quellen einer bewegten Geschichte. Saarländisch-lothringisches Archivkolloquium 2019 – Rencontre archivistique Sarre-Lorraine. Aux sources d'une histoire mouvementée im Dengmerter Heimatverlag St. Ingbert veröffentlicht worden (104 Seiten, ISBN 978-3-929576-22-1). Die Publikation kann über das Stadtarchiv Saarbrücken bezogen werden. Erfreulicherweise liegt für das nächste Jahr bereits die Einladung zu einer neuerlichen Archivtagung in Lothringen vor.
___________ 2
3
Vgl. auch Sander, Michael: Die Saar in internationalen Archiven, in: Storm, Moinka (Hg.): Archive ohne Grenzen. Erschließung im europäischen und internationalen Kontext. 83. Deutscher Archivtag in Saarbrücken (Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag herausgegeben vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare Band 18), Fulda: Selbstverlag des VdA, 2014, S. 39–50. Vgl. Freund, Wolfgang: Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaft und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925–1945 (Veröffentlichung der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 39), Saarbrücken: Saarländische Druckerei und Verlag, 2006.
3. Rezensionen
AOC (Analyse Opinion Critique) (Hg.): „Gilets jaunes“. Hypothèses sur un mouvement, Cahier #1, Paris: La Découverte, 2019, 203 S. Wie kaum eine andere Protestbewegung haben die Gilets jaunes, die die französische Politik zwischen November 2018 und dem Frühjahr 2019 mit ihren eigenwilligen Aktionen in Atem gehalten und Präsident Macron in schwerste Bedrängnis gebracht haben, die Aufmerksamkeit der Medien und der Sozialwissenschaften auf sich gezogen. Dies auch, weil die Bewegung durchaus originelle Züge trug, vielfältige Facetten aufwies und nur schwer zu fassen war, weil sie sich den herkömmlichen Beurteilungskriterien größtenteils entzog. Entsprechend unsicher fielen die zahlreichen Versuche aus, die Bewegung politisch und gesellschaftlich einzuordnen. Hier setzt der Sammelband der AOC ein, einer Vereinigung, die Journalismus und Geistes- bzw. Sozialwissenschaften einander annähern und damit die Oberflächlichkeit vieler journalistischer Reportagen überwinden will. Der Band vereint 25 Beiträge, die zunächst zwischen dem 17. November 2018 und dem 13. November 2019 online auf der Plattform der AOC erschienen sind und die sich aus philosophischer, historischer, ökonomischer, geografischer und vor allem soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicht mit den Gelbwesten befassen. Die Autor*innen haben ihre Analysen mitten in der Hochphase der Proteste verfasst, also ohne zeitlichen Abstand versucht, erste analytische Einordnungen der Bewegung, ihrer tieferen Ursachen und Entstehungsbedingungen vorzunehmen. Herausgekommen ist ein spannender Sammelband mit durchweg lesenswerten, prägnanten, oft nur fünf bis sechs Seiten langen Beiträgen, die in ihrer Gesamtheit die vielfältigen und auch widersprüchlichen Facetten der Gelbwesten wiedergeben. Großen Raum nehmen die Themen ein, die mit den zentralen Forderungen (soziale Gerechtigkeit, direkte Demokratie) verbunden sind. So umreißen Serge Paugam und François Dubet Dimensionen der sozialen Benachteiligungen, aber auch damit verbundene subjektive Faktoren der Mobilisierung (Gefühl der Vernachlässigung, ja Verachtung durch die Eliten). Michel Lussault, Ivan Bruneau und andere umreißen Lebensbedingungen und Veränderungen in den periurbanen Räumen fern der Metropolen, in denen die Bewegung ihren Ursprung hat. Philippe Marlière geht wie andere Autoren der politischen Krise und dem Diskredit der repräsentativen Demokratie nach. Es geht aber auch um politische Perspektiven, etwa die Verknüpfung der ökologischen Wende mit Themen der sozialen Gerechtigkeit (Alexis Spire; Maxime Combes). In einem Dialog über die politischen Folgen der Gelbwesten zeigen sich Francis Wolff und Tristan Garcia bemerkenswert nachdenklich und skeptisch: Im Gegensatz zu manchen Apologeten der Bewegung verweisen sie auf deren Widersprüche und den tendenziell antipolitischen Charakter der Gelbwesten, der letztlich im anderswo sattsam bekannten Populismus zu münden drohe.
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Rezensionen
Natürlich konnte aus diesen Beiträgen keine kohärente Gesamtanalyse entstehen. Nicht jeder Beitrag hat die gleiche Qualität, vor allem die einzige literarische Verarbeitung am Ende gerät flach und schematisch. Zuweilen ersetzen militante Parteinahme und pauschalierende Kritik (etwa am ‚Neoliberalismus‘) präzisere Argumentationen. Dennoch: In ihrer Summe liefern die Beiträge überwiegend prägnante und plausible Hypothesen nicht nur zu den Gelbwesten, ihrer soziologischen Struktur und ihren Arbeitsformen, sondern auch zu den Verwerfungen der französischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der vergangenen Jahre. Nicht zuletzt kommt die Verantwortung des Präsidenten Macron zur Sprache, dessen autokratisch-zentralistischer Stil und Mangel an Respekt für die Misere der ‚kleinen Leute‘ der Bewegung zusätzliche Vehemenz verliehen hat. Insofern weist das Buch weit über die Gelbwesten hinaus und bietet eine differenzierte Ortsbestimmung Frankreichs in der Ära Macron. Henrik Uterwedde, Ludwigsburg (Deutsch-Französisches Institut) Agan, Ayla/Chapoutot, Johann/Guieu/Jean-Michel: L’heure des choix 1933– 1945, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2019, 322 S. Der neunte Band der vom Deutschen Historischen Institut in Paris (DHIP) herausgegebenen Reihe Deutsch-Französische Geschichte behandelt die Zeit der schwierigen Beziehungen zwischen den zwei Nachbarländern von 1933 bis 1945. Den Historiker*innen Alya Aglan, Johann Chapoutot und Jean-Michel Guieu ist es gelungen, eine deutsch-französische Geschichte zu erzählen, die keine bloße Wiedergabe der deutschen einerseits und der französischen Geschichte andererseits ist, sondern eine vergleichende und verflochtene Geschichte der beiden Länder darstellt. Über diesen methodischen Ansatz hinaus legen die drei Autor*innen in ihrer Argumentation den Schwerpunkt auf die Entscheidungen der zeitgenössischen Akteur*innen (S. 14). Damit rücken das Verhalten, die Handlungsoptionen, der Erwartungshorizont sowie die getroffenen Entscheidungen der Akteur*innen in den Vordergrund, was ein tieferes Verständnis der Epoche ermöglicht. Der neunte Band – wie alle Bände dieser Reihe – gliedert sich in zwei Teile: ein erster Teil, in dem die deutsch-französische Geschichte chronologisch-thematisch von 1933 bis 1945 erzählt wird, sowie ein zweiter Teil, der neue Fragen und Forschungsperspektiven aufwirft. Diese Gliederung hat zum Vorteil, dass sie dem Lesenden sowohl einen chronologischen als auch einen thematischen Zugang anbietet, Klarheit im Aufbau und in der Argumentation des Buches verschafft sowie den aktuellen Forschungsstand wiedergibt.
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Natürlich konnte aus diesen Beiträgen keine kohärente Gesamtanalyse entstehen. Nicht jeder Beitrag hat die gleiche Qualität, vor allem die einzige literarische Verarbeitung am Ende gerät flach und schematisch. Zuweilen ersetzen militante Parteinahme und pauschalierende Kritik (etwa am ‚Neoliberalismus‘) präzisere Argumentationen. Dennoch: In ihrer Summe liefern die Beiträge überwiegend prägnante und plausible Hypothesen nicht nur zu den Gelbwesten, ihrer soziologischen Struktur und ihren Arbeitsformen, sondern auch zu den Verwerfungen der französischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der vergangenen Jahre. Nicht zuletzt kommt die Verantwortung des Präsidenten Macron zur Sprache, dessen autokratisch-zentralistischer Stil und Mangel an Respekt für die Misere der ‚kleinen Leute‘ der Bewegung zusätzliche Vehemenz verliehen hat. Insofern weist das Buch weit über die Gelbwesten hinaus und bietet eine differenzierte Ortsbestimmung Frankreichs in der Ära Macron. Henrik Uterwedde, Ludwigsburg (Deutsch-Französisches Institut) Agan, Ayla/Chapoutot, Johann/Guieu/Jean-Michel: L’heure des choix 1933– 1945, Villeneuve d’Ascq: PU du Septentrion, 2019, 322 S. Der neunte Band der vom Deutschen Historischen Institut in Paris (DHIP) herausgegebenen Reihe Deutsch-Französische Geschichte behandelt die Zeit der schwierigen Beziehungen zwischen den zwei Nachbarländern von 1933 bis 1945. Den Historiker*innen Alya Aglan, Johann Chapoutot und Jean-Michel Guieu ist es gelungen, eine deutsch-französische Geschichte zu erzählen, die keine bloße Wiedergabe der deutschen einerseits und der französischen Geschichte andererseits ist, sondern eine vergleichende und verflochtene Geschichte der beiden Länder darstellt. Über diesen methodischen Ansatz hinaus legen die drei Autor*innen in ihrer Argumentation den Schwerpunkt auf die Entscheidungen der zeitgenössischen Akteur*innen (S. 14). Damit rücken das Verhalten, die Handlungsoptionen, der Erwartungshorizont sowie die getroffenen Entscheidungen der Akteur*innen in den Vordergrund, was ein tieferes Verständnis der Epoche ermöglicht. Der neunte Band – wie alle Bände dieser Reihe – gliedert sich in zwei Teile: ein erster Teil, in dem die deutsch-französische Geschichte chronologisch-thematisch von 1933 bis 1945 erzählt wird, sowie ein zweiter Teil, der neue Fragen und Forschungsperspektiven aufwirft. Diese Gliederung hat zum Vorteil, dass sie dem Lesenden sowohl einen chronologischen als auch einen thematischen Zugang anbietet, Klarheit im Aufbau und in der Argumentation des Buches verschafft sowie den aktuellen Forschungsstand wiedergibt.
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Die deutsch-französischen Beziehungen von 1933 bis 1945 werden von den Autor*innen in drei Phasen unterteilt. Dabei stellen die Jahre 1936 und 1940 Zäsuren dar, die die Eskalation der Konflikte zwischen den beiden Staaten markieren. In der ersten Phase von 1933 bis 1936 schildern die Autor*innen die Auswirkungen der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf die deutsch-französischen Beziehungen. Neben den französischen Wahrnehmungen und Haltungen gegenüber der Politik der Nationalsozialisten sowie deren Folgen in Frankreich erläutern die Autor*innen Hitlers offizielle und inoffizielle Absichten zu dieser Zeit: Beruhigung nach außen durch Friedenspropaganda, zugleich jedoch die Isolierung Frankreichs durch den Abschluss entsprechender Bündnisse sowie die Remilitarisierung Deutschlands. In der zweiten Phase (1936–1940) werfen Aglan, Chapoutot und Guieu einen Blick auf die politischen Ereignisse, die die deutsch-französischen Beziehungen prägten, sowie den kulturellen und wirtschaftlichen Austausch. Zugleich zeigen sie auf, wie die nationalsozialistische Propaganda ein negatives – frivoles – Frankreichbild vermittelte und damit einhergehend vor allem auch Kritik an der Demokratie transportierte. Besonders detailliert ist die französische diplomatische und militärische Strategie der Jahre 1938–1940 ausgeleuchtet, die als Reaktion auf die territorialen Forderungen der Nationalsozialisten (Sudeten, Tschechien, Österreich) unter Berücksichtigung der politischen inneren Lage Frankreichs sowie der Politik der Alliierten verstanden werden kann. Im letzten Abschnitt dieses chronologischen Teils werden die Jahre der Besatzung und der Kollaboration unter die Lupe genommen. Die Machtverhältnisse sowie die Verhandlungen zwischen dem Vichy-Regime und den Nationalsozialisten werden in verschiedenen Bereichen betrachtet: Politik, Wirtschaft, Kultur, aber auch hinsichtlich der Judenverfolgung. Im zweiten Teil geben die Autor*innen neue Einblicke in verschiedene Themengebiete der deutsch-französischen Geschichte (die europäische Idee, Repressionen und Krieg gegen Zivilist*innen) und gehen kurz und bündig auf den neuen Forschungsstand ein. Aufschlussreich und besonders gelungen ist an diesem Buch die Schilderung der politischen Wechselwirkungen und der verflochtenen Geschichte zwischen beiden Ländern. Die Autor*innen stützen sich auf eine aktuelle internationale und umfangreiche Bibliografie, die sich in der Dichte der Themen und der Blickwinkel im Buch widerspiegelt. Auch wenn einige Aspekte ein wenig kurz kommen, wie z. B. die kulturellen Beziehungen, die Mediengeschichte oder die Alltagsgeschichte, legen die Autoren eine runde Analyse der deutsch-französischen Geschichte im untersuchten Zeitraum vor. Studierende und Dozierende können in diesem Buch ein Beispiel für das gelungene Erzählen einer histoire croisée sowie Impulse für neue Überlegungen und Perspektiven zu den deutsch-französischen Beziehungen der 1930–1940erJahre finden. Durch seine sehr gute Lesbarkeit und den fachlich angemessenen,
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Rezensionen
jedoch zugleich allgemein verständlichen Schreibstil eignet sich dieses Buch aber auch für ein breiteres Publikum. Maude Williams, Ludwigsburg Banoun, Bernard/Teinturier, Frédéric/Weissmann, Dirk (Hg.): Istanbul-Berlin. Interculturalité, histoire et écriture chez Emine Sevgi Özdamar, Paris: L’Harmattan, 2019, 248 S. 2019 wurden zwei Texte Emine Sevgi Özdamars, ihr erster Erzählband Mutterzunge (1990) und der autofiktionale Roman Die Brücke vom Goldenen Horn (1998), in das Programm der französischen Staatsprüfungen für angehende Lehrer*innen aufgenommen. Bernard Banoun, Frédédric Teinturier und Dirk Weissmann organisierten daraufhin eine Journée d’études zu Özdamar, die Anfang 2019 in Anwesenheit der Autorin in der Pariser Maison Heinrich Heine stattfand. Der vorliegende Band Istanbul-Berlin. Interculturalité, histoire et écriture chez Emine Sevgi Özdamar ist das Ergebnis dieser Tagung. Der Band beginnt mit einer Kontextualisierung Özdamars im Feld der interkulturellen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und innerhalb der Debatten um literarische Erinnerungskultur. Michaela Holdenried gibt einen Überblick über die umfangreiche Forschung der Interkulturellen Germanistik zu Özdamar, die als eine der prominentesten Autorinnen einer ‚deutschtürkischen Migrationsliteratur‘ viel beachtet worden ist. Holdenried arbeitet heraus, wie Özdamar mit dem „ethnischen Kapital“ (S. 34) ihrer türkischen Herkunft souverän spielt und es als kulturelles Kapital für den deutschen Literaturmarkt schöpferisch einsetzt. Michael Braun untersucht Özdamars Roman Die Brücke vom Goldenen Horn in politischen und zeitgeschichtlichen Kontexten als Erinnerungsliteratur. Er betont, dass Özdamars poetische Fantasie über die Funktion der Erinnerungsliteratur als „Speichersystem“ (S. 43) für zeitgeschichtliche Fakten weit hinausgehe. Katja Schubert analysiert schließlich die Darstellung der Gastarbeiterinnen und der türkischen Studentenbewegung in Die Brücke vom Goldenen Horn und geht der Frage nach, inwiefern man Özdamar als politische Dichterin bezeichnen kann. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem für Özdamars Stil charakteristischen Phänomen der deutsch-türkischen Sprachmischung. Benoît Ellerbach arbeitet die komplexen Zusammenhänge zwischen Sprache(n) und Identitätsfindung in Die Brücke vom Goldenen Horn heraus. Er weist nach, dass Özdamars Roman sich an einen impliziten deutschen Leser richtet, dem die türkische Sprache und deren Besonderheiten übersetzt und vermittelt werden müssen. Anhand konkreter Beispiele betrachtet er die Einflüsse des Türkischen auf das Deutsche im ersten Teil des Romans. Im zweiten Teil des Romans erlaube die Verwendung der deutschen Sprache erst das Sprechen über die politische
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jedoch zugleich allgemein verständlichen Schreibstil eignet sich dieses Buch aber auch für ein breiteres Publikum. Maude Williams, Ludwigsburg Banoun, Bernard/Teinturier, Frédéric/Weissmann, Dirk (Hg.): Istanbul-Berlin. Interculturalité, histoire et écriture chez Emine Sevgi Özdamar, Paris: L’Harmattan, 2019, 248 S. 2019 wurden zwei Texte Emine Sevgi Özdamars, ihr erster Erzählband Mutterzunge (1990) und der autofiktionale Roman Die Brücke vom Goldenen Horn (1998), in das Programm der französischen Staatsprüfungen für angehende Lehrer*innen aufgenommen. Bernard Banoun, Frédédric Teinturier und Dirk Weissmann organisierten daraufhin eine Journée d’études zu Özdamar, die Anfang 2019 in Anwesenheit der Autorin in der Pariser Maison Heinrich Heine stattfand. Der vorliegende Band Istanbul-Berlin. Interculturalité, histoire et écriture chez Emine Sevgi Özdamar ist das Ergebnis dieser Tagung. Der Band beginnt mit einer Kontextualisierung Özdamars im Feld der interkulturellen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und innerhalb der Debatten um literarische Erinnerungskultur. Michaela Holdenried gibt einen Überblick über die umfangreiche Forschung der Interkulturellen Germanistik zu Özdamar, die als eine der prominentesten Autorinnen einer ‚deutschtürkischen Migrationsliteratur‘ viel beachtet worden ist. Holdenried arbeitet heraus, wie Özdamar mit dem „ethnischen Kapital“ (S. 34) ihrer türkischen Herkunft souverän spielt und es als kulturelles Kapital für den deutschen Literaturmarkt schöpferisch einsetzt. Michael Braun untersucht Özdamars Roman Die Brücke vom Goldenen Horn in politischen und zeitgeschichtlichen Kontexten als Erinnerungsliteratur. Er betont, dass Özdamars poetische Fantasie über die Funktion der Erinnerungsliteratur als „Speichersystem“ (S. 43) für zeitgeschichtliche Fakten weit hinausgehe. Katja Schubert analysiert schließlich die Darstellung der Gastarbeiterinnen und der türkischen Studentenbewegung in Die Brücke vom Goldenen Horn und geht der Frage nach, inwiefern man Özdamar als politische Dichterin bezeichnen kann. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem für Özdamars Stil charakteristischen Phänomen der deutsch-türkischen Sprachmischung. Benoît Ellerbach arbeitet die komplexen Zusammenhänge zwischen Sprache(n) und Identitätsfindung in Die Brücke vom Goldenen Horn heraus. Er weist nach, dass Özdamars Roman sich an einen impliziten deutschen Leser richtet, dem die türkische Sprache und deren Besonderheiten übersetzt und vermittelt werden müssen. Anhand konkreter Beispiele betrachtet er die Einflüsse des Türkischen auf das Deutsche im ersten Teil des Romans. Im zweiten Teil des Romans erlaube die Verwendung der deutschen Sprache erst das Sprechen über die politische
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Situation der Türkei in den 1960er-Jahren. Dirk Weissmann beschäftigt sich ebenfalls mit der Mehrsprachigkeit in Özdamars Texten, wobei er betont, dass sich Mehrsprachigkeit und die daraus entstehende sprachliche Kreativität nicht auf die Biografie und ethnische Zuschreibungen reduzieren lasse. Beide Autoren arbeiten heraus, wie zentral das Spiel mit dem mehrsprachigen Sprachmaterial als Grundlage für Özdamars literarische Kreativität und Poetik ist. Eine dritte Gruppe von Beiträgen untersucht Özdamars Erzähltechniken. Norbert Mecklenburg betrachtet Özdamars Humor und erkennt die Karnevalisierung im Sinne Bahtins als eines der Hauptverfahren der Autorin. Die Brücke vom Goldenen Horn liest er als weiblichen Schelmenroman, in dem patriarchale Denkmuster karnevalistisch unterwandert werden. Er verweist auch auf die Theatralität des Humors bei Özdamar und analysiert die bitterböse Satire auf Feridun Zaimoglu im Theaterstück Perikızı (2010). Transkulturelle Aspekte des Humors erscheinen bei Özdamar nicht im Sinne von EthnoComedy, sondern als „Poetik des Transitorischen“ (S. 195), oder wie die Putzfrau Nihal in Özdamars Erzählung sagt, „wir sind alle nur Gast auf dieser Welt“ (S. 195). Florence Baillet analysiert, welche Rolle die fünf Sinne in Özdamars Werken spielen. In Anlehnung an Pierre-Louis Pantoine formuliert sie die These, dass die sinnliche Erfahrbarkeit der Texte Özdamars eine „empathische Lektüreerfahrung“ (S. 213, 216) bei der Leserschaft hervorrufe. Die Betonung der Sinneserfahrungen Hören und Riechen, die stärker mit Körperlichkeit assoziiert werden als das ‚rationale’ Sehen, sei durch die Verbindung von hohen Idealen und ‚niedrigen’ körperlichen Erfahrungen auch ein Mittel eines karnevalistischen Humors im Sinne Bahtins. In Die Brücke vom Goldenen Horn sei die Fragmentarisierung der Wahrnehmung und die Darstellung der Welt aus der Froschperspektive wichtiger als die inszenierte Naivität der Erzählerin. Frédéric Teinturier untersucht schließlich den Zusammenhang von Identität und Erzählen in Özdamars Texten. Der Akt des Erzählens, sowohl das Erzählen der Geschichten anderer als auch das Sich-selbst-Erzählen ist zentral für die Identitätssuche der Migrantin in Özdamars Texten. In Karagöz in Alemania diene das Erzählen auch dazu, die traurige Realität zu vergessen. Die Theatralität der Prosatexte Özdamars wird in mehreren Beiträgen hervorgehoben. In diesem Zusammenhang untersucht Christine Meyer die intertextuellen Bezüge zu Shakespeares Midsummer Night’s Dream in Die Brücke vom Goldenen Horn. Yasemin Dayıoğlu-Yücel wagt schließlich einen interessanten Perspektivwechsel, indem sie die Figur des anthropomorphen Esels in Özdamars Prosaund Theatertext Karagöz in Alamania aus der Perspektive des neuen Forschungsparadigmas der Multispecies Studies betrachtet, die den Menschen nicht mehr ins Zentrum des Universums stellt, sondern die anderen Arten als gleichberechtigte Akteure wahrnimmt.
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Rezensionen
Durch die Vielfalt der Perspektiven bereichert der vorliegende Band die Forschungsliteratur zu Özdamar. Mit seinen durchweg niveauvollen, überwiegend auf Deutsch verfassten Beiträgen eignet sich der Band m. E. sehr gut als wissenschaftliche Einführung zu Özdamar. Außerdem zeigt er nachdrücklich, dass Özdamar sich dem Exotismus verweigert und dass ihre Texte nicht als ‚interkulturelle Literatur‘, sondern als deutschsprachige Gegenwartsliteratur des 20. Jahrhunderts in allen ihren Facetten zu würdigen sind. Leslie Brückner, Straßburg Dufter, Andreas/Grübl, Klaus/Scharinger, Thomas (Hg.): Des parlers d’oïl à la francophonie. Contact, variation et changement linguistiques, Boston: de Gruyter, 2019, 351 S.
Der Band 440 der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie/Edition Niemeyer erschien 2019 bei Walter de Gruyter in Berlin und Boston. Die Herausgeber dieses Heftes sind Andreas Dufter, Klaus Grübl und Thomas Scharinger. Das 351 Seiten umfassende Werk trägt den Titel: Des parlers d’oïl à la francophonie. Contact, variation et changement linguistiques. Dem Einleitungskapitel der Herausgeber, in welchem sie die Rahmenbedingungen der Entstehung des Buches (ein wissenschaftliches Kolloquium in München im Frühjahr 2016, gefolgt von einer Reihe von Kolloquien an anderen alpennahen europäischen Universitätsstandorten) und die zentrale Thematik Repenser l’histoire du français beschreiben und insbesondere auf die Bedeutung der neuen Datenbanken für die aktuelle Forschung hinweisen, folgen zwölf Kapitel. Diese gliedern sich in drei Teilbereiche: -
einen historischen mit vier Beiträgen, welche unter dem Titel Contact, nivellement et (re-)standardisation : De la variation médiévale au français moderne zusammengefasst werden einen mit fünf Texten zur sprachlichen Dynamik der Neuzeit (Expansion du français comme langue seconde ou véhiculaire) und einen abschließenden zur geografischen Variation und möglichen Zukunftstendenzen (Continuités et ruptures en français d’Outre-mer et dans l’émergence des langues créoles).
Die Themenwahl deckt ein breites Spektrum an Kontaktsituationen des (Nord-)Französischen ab, in unterschiedlichen geschichtlichen, soziolinguistischen und geografischen Kontexten. Die Inhalte der Beiträge sind von außergewöhnlicher Qualität und basieren auf exzellent und sehr genau durchgeführten Datenanalysen mit einer ganzen Reihe von neuen Erkenntnissen. Die Lektüre
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Durch die Vielfalt der Perspektiven bereichert der vorliegende Band die Forschungsliteratur zu Özdamar. Mit seinen durchweg niveauvollen, überwiegend auf Deutsch verfassten Beiträgen eignet sich der Band m. E. sehr gut als wissenschaftliche Einführung zu Özdamar. Außerdem zeigt er nachdrücklich, dass Özdamar sich dem Exotismus verweigert und dass ihre Texte nicht als ‚interkulturelle Literatur‘, sondern als deutschsprachige Gegenwartsliteratur des 20. Jahrhunderts in allen ihren Facetten zu würdigen sind. Leslie Brückner, Straßburg Dufter, Andreas/Grübl, Klaus/Scharinger, Thomas (Hg.): Des parlers d’oïl à la francophonie. Contact, variation et changement linguistiques, Boston: de Gruyter, 2019, 351 S.
Der Band 440 der Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie/Edition Niemeyer erschien 2019 bei Walter de Gruyter in Berlin und Boston. Die Herausgeber dieses Heftes sind Andreas Dufter, Klaus Grübl und Thomas Scharinger. Das 351 Seiten umfassende Werk trägt den Titel: Des parlers d’oïl à la francophonie. Contact, variation et changement linguistiques. Dem Einleitungskapitel der Herausgeber, in welchem sie die Rahmenbedingungen der Entstehung des Buches (ein wissenschaftliches Kolloquium in München im Frühjahr 2016, gefolgt von einer Reihe von Kolloquien an anderen alpennahen europäischen Universitätsstandorten) und die zentrale Thematik Repenser l’histoire du français beschreiben und insbesondere auf die Bedeutung der neuen Datenbanken für die aktuelle Forschung hinweisen, folgen zwölf Kapitel. Diese gliedern sich in drei Teilbereiche: -
einen historischen mit vier Beiträgen, welche unter dem Titel Contact, nivellement et (re-)standardisation : De la variation médiévale au français moderne zusammengefasst werden einen mit fünf Texten zur sprachlichen Dynamik der Neuzeit (Expansion du français comme langue seconde ou véhiculaire) und einen abschließenden zur geografischen Variation und möglichen Zukunftstendenzen (Continuités et ruptures en français d’Outre-mer et dans l’émergence des langues créoles).
Die Themenwahl deckt ein breites Spektrum an Kontaktsituationen des (Nord-)Französischen ab, in unterschiedlichen geschichtlichen, soziolinguistischen und geografischen Kontexten. Die Inhalte der Beiträge sind von außergewöhnlicher Qualität und basieren auf exzellent und sehr genau durchgeführten Datenanalysen mit einer ganzen Reihe von neuen Erkenntnissen. Die Lektüre
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der Artikel dieses Bandes ist gleichzeitig höchst informativ und abwechslungsreich. Zinaïda Geylikman verfolgt in Tu parli como ber in kriminalistischer Genauigkeit die schrittweise semantische Differenzierung der Formen ber/baron, die zunächst reine Varianten des Substantivs darstellten. Die Übersetzungsgeschichte des Werkes von Quintus Curtius zur Geschichte Alexanders des Großen ist wohl genauso spannend wie das Leben des illustren Helden. Annie Bertin liefert eine packende Beschreibung der verschiedenen Übersetzungen durch die Jahrhunderte und besonders der von Vasco de Lucena, von der zwei Varianten existieren, eine sich stärker an die lateinische Tradition anlehnende und eine Nacharbeitung mit mehr volksnahen picardischen Elementen. Julie Glikman zeigt anhand der fluktuierenden Akzeptanz der Formen malgré que und à cause que die Lebendigkeit der französischen Sprache und der oft wellenförmig verlaufenden grammatikalischen Entwicklungen. Auch bei den Frageformen ist die Entwicklung nicht linear, in diachronischer Sicht zeigt sich im Beitrag von Pierre Larrivée, dass mehrere Formen nebeneinander existieren können und dass sich die heutige Norm erst langsam und durch vielfältige Kontaktprozesse herauskristallisiert hat, auch sie bleibt weiter in Bewegung. Mit François Poulain de la Barre et les Remarques particulières sur la Langue Françoise pour la ville de Genève (1691) : Les enseignements de la première cacologie d’un français régional zeichnet Andres Kristol in eindrucksvoller Weise das Bild eines normativen Sprachenlehrers aus Frankreich, welcher mit Vehemenz gegen regionale Varianten der französischen Sprache in Genf vorgeht. Dieser stützt sich dabei zum Teil auf Standardautoren aus Frankreich und zum Teil auf die eigene Intuition, welche sich stellenweise zu einem übersteigerten Purismus weiterentwickelt. Sehr interessant im Bereich der Fehlerlinguistik sind auch die Soldatenbriefe aus dem südfranzösischen Département Hérault, welche Ende des 18. und im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit der Zielsprache Französisch durch Personen verfasst wurden, welche der Schriftsprachennorm nur wenig mächtig waren; gleichzeitig weisen die Texte einen starken Einfluss des mündlichen Gebrauchs des Okzitanischen auf. Josef Reisdoerfer beschreibt die ganz besondere Lage Luxemburgs in einem geografischen Bereich, in dem sich Romania und Germania überschneiden. Er führt die Leserschaft von den historischen Ursprüngen bis zur Aktualität und erlaubt ihr dadurch, die Grundlagen der heutigen sprachenpolitischen Entscheidungen besser zu verstehen. Eine ebenfalls außergewöhnliche Situation der Frankophonie ist in Palästina zu beobachten, einer Region, in der das Französische lange Zeit eine wichtige Rolle spielte, ohne dabei zu den französischen Kolonialgebieten zu gehören. Clémentine Rubio liefert einen packenden Bericht dieser Entwicklungen.
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Die Rolle des Französischen in Finnland (oft über den Umweg der russischen Kolonisierung) ist noch wenig untersucht und der Artikel von Juhani Härmä ist daher ein wertvoller Beitrag zur Frankophonie. Der letzte Teil zu den geografischen Varianten und Entwicklungstendenzen des Französischen auf anderen Kontinenten behandelt zunächst Eigenheiten im Gebrauch des Adverbs im Französischen Nordamerikas (Ingrid Neumann-Holzschuh und Julia Mitko), die Normvorstellungen der kanadischen Eliten in Bezug auf das Französische in der Zeit des Régime anglais in Québec (1760-1867) und abschließend den interessanten Bezug zwischen französischen Dialekten und Kreolisierung unter Bezugnahme auf die Konvergenz zwischen den beteiligten Systemen (Sibylle Kriegel, Ralph Ludwig, Stefan Pfänder). Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie dank einer exzellenten Datengrundlage die Komplexität von sprachlichen Entwicklungsprozessen hervorragend analysieren und dabei eine rein lineare Sicht der Diachronie hinter sich lassen, in einem innovativen und sehr überzeugenden Ansatz. Sabine Ehrhart, Nancy/Luxemburg Gantet, Claire/Neumann, Markus (Hg.): Les échanges savants franco-allemands au XVIIIe siècle. Transferts, circulations et réseaux, Rennes: PU de Rennes, 2019, 356 S. Im Jahrhundert der Aufklärung bestanden die kulturellen Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Sprachraum überwiegend in der Rezeption des ersten im letzteren, obgleich die Aufklärung nicht nur in einem einzigen, sondern in mehreren europäischen Ländern entstand und „für die Hauptvertreter der deutschen Literatur von Lessing bis Herder Frankreich oft als Gegenmodell der deutschen Selbstwahrnehmung galt“, wie Michel Espagne (S. 318) in den Schlussbemerkungen dieses Sammelbandes betont. Dies zeigen auch die meisten Beiträge an konkreten Beispielen aus der Rezeptionsgeschichte der französischen Autoren und Bewegungen im deutschen Sprachraum. Im Mittelpunkt des Sammelbandes stehen aber die Voraussetzungen für die genannte Rezeption. Denn, „um zu verstehen, was im 18. Jhd. die Übersetzung eines Buchs bedeutet, muss die Geschichte der Bibliotheken, die Rollen des Buchhandels, die Ausbildung der Übersetzer und die Arten der wissenschaftlichen Rezensionen berücksichtigt werden. Erst in diesem Kontext wird eine inhaltliche hermeneutische Untersuchung möglich.“ (Espagne, S. 317) Dementsprechend versteht sich der Sammelband als Anwendung von Michel Espagnes und Michael Werners Schwerpunkt bzw. Forschungsansatz (siehe die Einleitung der Herausgeber). Der französischen Leserschaft liefert
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Die Rolle des Französischen in Finnland (oft über den Umweg der russischen Kolonisierung) ist noch wenig untersucht und der Artikel von Juhani Härmä ist daher ein wertvoller Beitrag zur Frankophonie. Der letzte Teil zu den geografischen Varianten und Entwicklungstendenzen des Französischen auf anderen Kontinenten behandelt zunächst Eigenheiten im Gebrauch des Adverbs im Französischen Nordamerikas (Ingrid Neumann-Holzschuh und Julia Mitko), die Normvorstellungen der kanadischen Eliten in Bezug auf das Französische in der Zeit des Régime anglais in Québec (1760-1867) und abschließend den interessanten Bezug zwischen französischen Dialekten und Kreolisierung unter Bezugnahme auf die Konvergenz zwischen den beteiligten Systemen (Sibylle Kriegel, Ralph Ludwig, Stefan Pfänder). Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass sie dank einer exzellenten Datengrundlage die Komplexität von sprachlichen Entwicklungsprozessen hervorragend analysieren und dabei eine rein lineare Sicht der Diachronie hinter sich lassen, in einem innovativen und sehr überzeugenden Ansatz. Sabine Ehrhart, Nancy/Luxemburg Gantet, Claire/Neumann, Markus (Hg.): Les échanges savants franco-allemands au XVIIIe siècle. Transferts, circulations et réseaux, Rennes: PU de Rennes, 2019, 356 S. Im Jahrhundert der Aufklärung bestanden die kulturellen Beziehungen zwischen dem französischen und dem deutschen Sprachraum überwiegend in der Rezeption des ersten im letzteren, obgleich die Aufklärung nicht nur in einem einzigen, sondern in mehreren europäischen Ländern entstand und „für die Hauptvertreter der deutschen Literatur von Lessing bis Herder Frankreich oft als Gegenmodell der deutschen Selbstwahrnehmung galt“, wie Michel Espagne (S. 318) in den Schlussbemerkungen dieses Sammelbandes betont. Dies zeigen auch die meisten Beiträge an konkreten Beispielen aus der Rezeptionsgeschichte der französischen Autoren und Bewegungen im deutschen Sprachraum. Im Mittelpunkt des Sammelbandes stehen aber die Voraussetzungen für die genannte Rezeption. Denn, „um zu verstehen, was im 18. Jhd. die Übersetzung eines Buchs bedeutet, muss die Geschichte der Bibliotheken, die Rollen des Buchhandels, die Ausbildung der Übersetzer und die Arten der wissenschaftlichen Rezensionen berücksichtigt werden. Erst in diesem Kontext wird eine inhaltliche hermeneutische Untersuchung möglich.“ (Espagne, S. 317) Dementsprechend versteht sich der Sammelband als Anwendung von Michel Espagnes und Michael Werners Schwerpunkt bzw. Forschungsansatz (siehe die Einleitung der Herausgeber). Der französischen Leserschaft liefert
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der Sammelband diesbezüglich zwar keinen systematischen Überblick, jedoch eine sinnvolle Auswahl an detaillierten Beiträgen zu den Netzwerken (von Bayle, Haller, der Société économique de Berne, der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften, der Universität Göttingen und des Dictionnaire historique) und zur Rezeptionsgeschichte (der französischen gelehrten Zeitschriften, der beiden Hauptwerke La Mettries, der Freimauerei, des Illuminismus und des magnetischen Somnambulismus), vor allem deutscherseits. Allerdings bleiben grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Sprachräumen unterbeleuchtet, die für die Einseitigkeit der Rezeption eine entscheidende Rolle spielen. Damit meine ich z. B. die jeweilige Rolle des Universitätswesens und der akribischen philologischen und historischen Forschungsarbeit für dasjenige, was der Titel des Sammelbandes als savant (gelehrt) nennt und nicht dieselbe Bedeutung in den beiden Sprachräumen hatte. Helmut Zedelmaier und Elisabeth Décultot thematisieren dies noch am meisten. Nach Zedelmaier lassen sich der damalige Ruf des pedantischen „gelehrten Fleißes“ des deutschen Gelehrten – sowie bereits Pierre Bayles und der humanistisch geprägten eruditio seiner Dictionnaire historique et critique – im französischen Sprachraum und – spiegelbildlich – der Ruf der schöngeistigen oberflächlichen Originalität der französischen Aufklärer im deutschen Sprachraum – darauf zurückführen, dass „– anders als in Frankreich – die deutschen Universitäten – jedenfalls einige führende protestantische deutsche Universitäten – Hauptakteure der Aufklärung waren. Es muss bloß auf die Bedeutung der Universitäten Halle und Göttingen für die Aufklärung und auf die Figuren von Christian Thomasius, Christian Wolff und Immanuel Kant – alle drei Universitätsprofessoren – verwiesen werden.“ (Zedelmaier, S. 96) Décultot erklärt den Widerstand gegen die Anfänge der deutschen philosophischen Ästhetik dadurch, dass im französischen durch eine zentralisierte Hofkultur geprägten Kulturraum eine „Hierarchie“ besteht, „in der der Künstler dem Philosophen höhergestellt wird“ (166) und sich die kritische Debatte über die Kunst dementsprechend auf die Beurteilung einzelner Kunstwerke beschränkt. Den deutschen Lesenden würde ein Beitrag zu den Gründen helfen, warum sich seit der Renaissance – und besonders in der Zeit der Aufklärung – sowohl das intellektuelle als auch – paradoxerweise – das wissenschaftliche Leben Frankreichs weitgehend außerhalb des Universitätswesens abspielen. Damit hängt auch indirekt die o. g. Ablehnung der Ästhetik zusammen. Denn die zentrale Rolle der (ob Leibnizianisch-Wolffianische oder später kantische) Metaphysik als Hochschuldisziplin im Gegensatz zur Vorherrschaft des Sensualismus oder des Materialismus bzw. zum bloßen Desinteresse für die Metaphysik im französischen Sprachraum wurde auch durch die jeweilige Rolle des Hochschulwesens bedingt. Auch die jeweiligen inhaltlichen Positionen zu den wissenschaftlichen und philosophischen Hauptdebatten hätten daher umfangreicher in ihrem Kontext – an manchen Stellen auch im gesamteuropäischen
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Kontext (z.B. mit einem kurzen Vergleich mit der Englischen und der Schottischen Aufklärung bezüglich der Ästhetik) – und unter einer größeren Einbeziehung weiterer Fächer als Geschichte und Germanistik untersucht werden können. Dennoch bleibt der Sammelband ein wertvoller und sehr zu empfehlender Beitrag zur Aufklärungsforschung. Jean-Christophe Merle, Vechta/Saarbrücken Glaeser, Janina : Care-Politiken in Deutschland und Frankreich. Migrantinnen in der Kindertagespflege – moderne Reproduktivkräfte erwerbstätiger Mütter, Wiesbaden : Springer, 2018, 392 p. L’ouvrage de Janina Glaeser s’inscrit dans les préoccupations actuelles qui tentent de combler un déficit : l’attention insuffisante portée jusqu’ici aux formes d’organisation qui permettent dans une société de concilier le travail dit productif (le travail salarié), et les tâches dites reproductives, c’est-à-dire liées notamment à la sphère domestique (ou privée), tout particulièrement au soin à la personne (enfants, parent.e.s âgé.e.s ou dépendant.e.s) – ce que l’on appelle depuis quelques années le travail du care. Force est de constater, en effet, que l’entrée massive dans les années soixante des femmes sur le marché du travail, en France, en Allemagne et plus largement dans le monde occidental, mais aussi, plus récemment, les nouvelles formes de flexibilité de l’emploi, source d’intensification de l’engagement professionnel et d’un certain effacement des frontières entre vie privée et vie professionnelle, ne se sont pas accompagnées des bouleversements profonds dans l’assignation des unes et des autres aux deux sphères d’activité privées/professionnelles. Qu’elles aient ou non des enfants, ce sont les femmes qui se chargent, aujourd’hui encore, de la plus grande part du travail du care, non valorisé par un salaire, et pourtant indispensable à la société. Femmes au travail et mères : comment font-elles ? Et quels dispositifs les sociétés postindustrielles, françaises et allemandes, mettent-elles en œuvre pour répondre à la demande grandissante de care, un enjeu économique de plus en plus important ? Telle est la question à l’origine de cet ouvrage, édition de la thèse de doctorat réalisée par Janina Glaeser en cotutelle (Johann-Wolfgang-Goethe-Universität et Université de Strasbourg) et soutenue par l’Université franco-allemande et la fondation Hans Böckler. L’étude part d’une double constatation, dans une perspective comparatiste : d’une part, la pression qui s’exerce sur les mères qui travaillent conduit à une délégation de la garde des enfants vers l’extérieur du foyer (externalisation du care), et ce, en Allemagne comme en France. D’autre part, l’approche des deux sociétés, pourtant économiquement et culturellement proches, à une poussée similaire des mères vers le travail salarié, s’articule autour de réponses
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Kontext (z.B. mit einem kurzen Vergleich mit der Englischen und der Schottischen Aufklärung bezüglich der Ästhetik) – und unter einer größeren Einbeziehung weiterer Fächer als Geschichte und Germanistik untersucht werden können. Dennoch bleibt der Sammelband ein wertvoller und sehr zu empfehlender Beitrag zur Aufklärungsforschung. Jean-Christophe Merle, Vechta/Saarbrücken Glaeser, Janina : Care-Politiken in Deutschland und Frankreich. Migrantinnen in der Kindertagespflege – moderne Reproduktivkräfte erwerbstätiger Mütter, Wiesbaden : Springer, 2018, 392 p. L’ouvrage de Janina Glaeser s’inscrit dans les préoccupations actuelles qui tentent de combler un déficit : l’attention insuffisante portée jusqu’ici aux formes d’organisation qui permettent dans une société de concilier le travail dit productif (le travail salarié), et les tâches dites reproductives, c’est-à-dire liées notamment à la sphère domestique (ou privée), tout particulièrement au soin à la personne (enfants, parent.e.s âgé.e.s ou dépendant.e.s) – ce que l’on appelle depuis quelques années le travail du care. Force est de constater, en effet, que l’entrée massive dans les années soixante des femmes sur le marché du travail, en France, en Allemagne et plus largement dans le monde occidental, mais aussi, plus récemment, les nouvelles formes de flexibilité de l’emploi, source d’intensification de l’engagement professionnel et d’un certain effacement des frontières entre vie privée et vie professionnelle, ne se sont pas accompagnées des bouleversements profonds dans l’assignation des unes et des autres aux deux sphères d’activité privées/professionnelles. Qu’elles aient ou non des enfants, ce sont les femmes qui se chargent, aujourd’hui encore, de la plus grande part du travail du care, non valorisé par un salaire, et pourtant indispensable à la société. Femmes au travail et mères : comment font-elles ? Et quels dispositifs les sociétés postindustrielles, françaises et allemandes, mettent-elles en œuvre pour répondre à la demande grandissante de care, un enjeu économique de plus en plus important ? Telle est la question à l’origine de cet ouvrage, édition de la thèse de doctorat réalisée par Janina Glaeser en cotutelle (Johann-Wolfgang-Goethe-Universität et Université de Strasbourg) et soutenue par l’Université franco-allemande et la fondation Hans Böckler. L’étude part d’une double constatation, dans une perspective comparatiste : d’une part, la pression qui s’exerce sur les mères qui travaillent conduit à une délégation de la garde des enfants vers l’extérieur du foyer (externalisation du care), et ce, en Allemagne comme en France. D’autre part, l’approche des deux sociétés, pourtant économiquement et culturellement proches, à une poussée similaire des mères vers le travail salarié, s’articule autour de réponses
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institutionnelles variables, correspondant à des représentations sociales et culturelles en réalité profondément différentes : le modèle de la mère qui travaille est socialement accepté et encouragé en France, ce qui se lit dans les politiques déjà anciennes d’accueil du jeune enfant, y compris la politique fiscale et de transferts monétaires vers les familles. Ce modèle est contesté en Allemagne (où le terme de Rabenmutter continue à imprégner les mentalités), ce qui se lit dans des politiques d’accueil qui tentent, seulement récemment, de répondre au déficit du care, quand la politique fiscale contribue à maintenir le modèle du foyer avec un salaire principal (généralement celui de l’homme) et un salaire d’appoint (celui de la femme), voire l’aggrave (modification de la réglementation sur les pensions alimentaires en 2008). Dans les deux sociétés, on constate toutefois une progression du taux d’activité des mères, avec une externalisation du care majoritairement vers d’autres femmes – économiquement moins favorisées. Janina Glaeser a choisi de se concentrer sur une forme importante de dispositif de garde en France et en Allemagne : celui assuré par les assistantes maternelles (France : 51 % des enfants de moins de trois ans) ou Tageseltern (Allemagne : 15 %). Ces bases statistiques trop éloignées l’une de l’autre pourraient nuire à la valeur de la comparaison. Il n’en est rien, grâce d’une part à la démarche qualitative (et non quantitative) adoptée, issue de la recherche en sociologie politique (biografische Policy-Evaluation), grâce d’autre part à l’échantillon choisi, puisque l’étude porte exclusivement sur les assistantes maternelles immigrées. L’analyse des récits biographiques recueillis par la méthode de l’observation participante1 (qui inclut l’observatrice dans l’observation) permet à la chercheuse d’étudier l’articulation des différentes politiques (politiques de la famille, de l’emploi, politiques migratoires), des institutions et d’autres acteurs, ainsi que leurs effets sur la biographie des interviewées. L’attention est en particulier portée sur les possibilités d’ascension sociale offertes par le travail d’assistante maternelle/Tagesmutter, contrairement aux représentations dominantes d’un travail caractérisé par le précariat et l’exploitation. L’ouvrage de Janina Glaeser propose la première étude comparative de la situation des assistantes maternelles immigrées en France et en Allemagne aujourd’hui (pour l’Allemagne : échantillon de femmes issues des pays postsocialistes en majorité, pour la France : échantillon de femmes maghrébines en majorité). Il s’agit d’un important travail de recherche croisant les études sur les migrations, le genre, les inégalités socio-économiques et sur les politiques sociales. L’étude, très bien structurée, présente notamment trois premières parties précieuses sur l’évolution du phénomène du care dans ses développements les plus récents (dont celui de l’émergence d’un espace social devenu transnational) et une comparaison des politiques sociales et familiales ___________ 1
Cf. Beaud, Stéphane : L‘usage de l‘entretien en sciences sociales. Plaidoyer pour « l’entretien ethnographique », ds. : Politix 35/9 (1996), p. 226–257.
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françaises et allemandes, aperçu historique et économique très bienvenu. Le cœur de l’étude est constitué par l’analyse du matériau recueilli à travers les 21 interviews menées (10 en Allemagne et 11 en France), ces deux parties étant organisées à l’identique autour du parcours avant le début de l’activité, de la mobilité sociale et de la constitution de l’identité à travers l’activité professionnelle, et des perspectives quant à l’avenir des personnes. Une comparaison, construite également de manière systématique, des deux études empiriques, incluant un tableau récapitulatif, conclut l’étude. Cette dernière constitue un apport très important à la compréhension d’un phénomène actuel et fondamental dans nos deux sociétés : l’apport des femmes immigrées dans le travail du care, un pan du monde du travail sans lequel l’autre (travail) n’est tout simplement pas possible – à moins d’organiser d’une toute autre manière les soins et l’attention qu’une société et ses individus, (pas seulement féminins) se doivent de prodiguer aux enfants, aux personnes âgées, aux personnes dépendantes, si elle veut continuer à ‘faire société’. Catherine Teissier, Aix-en-Provence/Marseille Grunewald, Michel/Dard, Olivier/Puschner, Uwe (Hg.): Confrontations au national-socialisme en Europe francophone et germanophone. Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919–1949), Brüssel [u. a.]: Lang, 2019 (Les gauches face au national-socialisme 3/Die Linke und der Nationalsozialismus 3), 266 S. Das Buch ist der dritte der auf sechs Bände angelegten Reihe Confrontations au national-socialisme/Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus. Dabei handelt es sich um das große, interdisziplinäre Projekt einer deutsch-französischen politischen Kulturgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Die verschiedenen Bände legen den Schwerpunkt auf die unterschiedlichen politischen Interpretationen und die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: Nach einem ersten Band über Allgemeine historische und methodische Grundlagen und einem zweiten zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im liberalen Spektrum widmet sich der vorliegende Band den Debatten und Analysen der Linken in Frankreich und Deutschland. Wie die anderen Bände ist das Buch durchweg interdisziplinär und vergleichend angelegt, wobei einige Beiträge auch nach deutsch-französischen Wechselwirkungen und Transfers fragen. Das Buch ist zweisprachig aufgebaut, die Einleitung liegt komplett in beiden Sprachen vor (von Eva Zimmermann ausgezeichnet übersetzt), bei den anderen Beiträgen folgt jeweils am Ende eine Zusammenfassung in der anderen Sprache. Fünf Beiträge sind auf Französisch verfasst, zehn auf Deutsch. Der Band unterteilt sich in die Abschnitte Sozialdemokraten, Sozialisten und Gemässigte
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françaises et allemandes, aperçu historique et économique très bienvenu. Le cœur de l’étude est constitué par l’analyse du matériau recueilli à travers les 21 interviews menées (10 en Allemagne et 11 en France), ces deux parties étant organisées à l’identique autour du parcours avant le début de l’activité, de la mobilité sociale et de la constitution de l’identité à travers l’activité professionnelle, et des perspectives quant à l’avenir des personnes. Une comparaison, construite également de manière systématique, des deux études empiriques, incluant un tableau récapitulatif, conclut l’étude. Cette dernière constitue un apport très important à la compréhension d’un phénomène actuel et fondamental dans nos deux sociétés : l’apport des femmes immigrées dans le travail du care, un pan du monde du travail sans lequel l’autre (travail) n’est tout simplement pas possible – à moins d’organiser d’une toute autre manière les soins et l’attention qu’une société et ses individus, (pas seulement féminins) se doivent de prodiguer aux enfants, aux personnes âgées, aux personnes dépendantes, si elle veut continuer à ‘faire société’. Catherine Teissier, Aix-en-Provence/Marseille Grunewald, Michel/Dard, Olivier/Puschner, Uwe (Hg.): Confrontations au national-socialisme en Europe francophone et germanophone. Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus im deutsch- und französischsprachigen Europa (1919–1949), Brüssel [u. a.]: Lang, 2019 (Les gauches face au national-socialisme 3/Die Linke und der Nationalsozialismus 3), 266 S. Das Buch ist der dritte der auf sechs Bände angelegten Reihe Confrontations au national-socialisme/Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus. Dabei handelt es sich um das große, interdisziplinäre Projekt einer deutsch-französischen politischen Kulturgeschichte Europas im 20. Jahrhundert. Die verschiedenen Bände legen den Schwerpunkt auf die unterschiedlichen politischen Interpretationen und die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus: Nach einem ersten Band über Allgemeine historische und methodische Grundlagen und einem zweiten zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im liberalen Spektrum widmet sich der vorliegende Band den Debatten und Analysen der Linken in Frankreich und Deutschland. Wie die anderen Bände ist das Buch durchweg interdisziplinär und vergleichend angelegt, wobei einige Beiträge auch nach deutsch-französischen Wechselwirkungen und Transfers fragen. Das Buch ist zweisprachig aufgebaut, die Einleitung liegt komplett in beiden Sprachen vor (von Eva Zimmermann ausgezeichnet übersetzt), bei den anderen Beiträgen folgt jeweils am Ende eine Zusammenfassung in der anderen Sprache. Fünf Beiträge sind auf Französisch verfasst, zehn auf Deutsch. Der Band unterteilt sich in die Abschnitte Sozialdemokraten, Sozialisten und Gemässigte
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Linke 1920–1939 (sieben Beiträge), Kommunisten und kommunistisches Umfeld 1928–1939 (vier Beiträge) sowie Bilanzen und Perspektiven. Dieser letzte Abschnitt (vier Beiträge) weist über das Kriegsende hinaus bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1949. Da das Projekt auf der Interpretation vielfältiger gedruckter und veröffentlichter Quellen beruht, (Zeitschriften, Buchveröffentlichungen, Aufsätze, Presseveröffentlichungen) ist es besonders wichtig, dass die Beiträge jeweils eine kurze Diskussion des gewählten methodischen Zugriffs beinhalten. Die Argumentationen und Analysen lassen sich so nachvollziehen. Untersucht werden durchaus unterschiedliche Akteure aus Politik, Meinungsmacher und Journalisten, dazu kommt noch die Untersuchung verschiedener Zeitschriften. Neben aktiven Politikern der Weimarer Republik (Rudolf Hilferding) und der Bundesrepublik (Herbert Wehner) sind es Intellektuelle wie Alexander Abusch, dessen Buch Der Irrweg einer Nation (1945) in der SBZ/DDR in sieben Auflagen in über 130 000 Exemplaren verkauft wurde, die den Weg in den vorliegenden Band gefunden haben. Obwohl jeder einzelne Beitrag interessant und mit Gewinn zu lesen ist, stellt sich am Ende die Frage nach dem roten Faden, der diese Auswahl zusammenhält. An Zeitschriften wird aus Frankreich Le populaire und seine Haltung zum Nationalsozialismus bis 1933 analysiert, außerdem die Illustrierte Vu (1928–1936) und die Zeitschrift Europe, als Organ der auf deutsch-französische Annäherung ausgerichteten Milieus. Aus Deutschland finden sich Die Linkskurve und Der Ruf (1945–1949). Welches Bild ergibt sich aus diesen unterschiedlichen Beiträgen? Kurz gesagt, die Linke war vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die erbitterten Konflikte zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten und ihre unterschiedlichen, theoretisch begründeten Sichtweisen auf den Nationalsozialismus verhinderten in den meisten Fällen eine auf eigener Anschauung oder empirischer Analyse basierende Auseinandersetzung mit dem neuen politischen Phänomen, geschweige denn die Entwicklung einer (gemeinsamen) Strategie und einer geschlossenen Front. Die Akteure verwendeten stattdessen den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die Sowjetunion Stalins und der von ihr festgesetzten Linie im Klassenkampf, wahlweise um dieser Linie zum ‚historischen Sieg‘ zu verhelfen, oder aber um sich gegen sie abzugrenzen. Überzeugt vom bevorstehenden Sieg der Arbeiterklasse wurde der Nationalsozialismus als besondere Ausprägung des ‚Finanzkapitalismus‘ in seiner Endphase verstanden. Somit konnte, zumindest theoretisch, das Phänomen als vernachlässigbar abgetan werden – mit den bekannten leidvollen, zum Teil tödlichen Konsequenzen auch für viele der untersuchten Autoren. Ein weiterer interessanter Aspekt betrifft das Ringen der pazifistischen Kreise, die gehofft hatten, über die Etablierung einer multilateralen Weltordnung im Völkerbund zu einem nachhaltigen Wandel in Deutschland beitragen zu können. Der Beitrag über Pierre Brosollette, der zunächst ganz auf der
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pazifistischen, auf Kooperation angelegten Linie Aristide Briands lag, bevor er später zu einem der mutigsten und entschlossensten Anführer der französischen Résistance wurde, zeigt, wie schwer diesen Akteuren der Abschied von ihrer pazifistischen, anti-nationalistischen Grundhaltung fiel. Paradoxerweise findet sich nur in der Illustrierten Vu, herausgegeben vom ehemaligen Modejournalisten Lucien Vogel, eine empirische Analyse des Nationalsozialismus: Getarnt als Touristen bereisen die Autorinnen und Autoren Deutschland und berichten aus eigener Anschauung über das Leben in der Diktatur. Die Reportagen werden im Mai 1933 veröffentlicht. Der Tochter des Herausgebers, Marie-Claude Vaillant-Couturier, gelingt die erste fotografische Dokumentation des KZ Dachau und der Beitrag benennt explizit die Rolle der Lager als tragende Säulen des NS-Systems. Am Ende vermittelt der Band, trotz der nicht immer klaren Auswahlkriterien, eindringlich das Bild einer Linken, deren eigenen Machtund Theoriekämpfe eine empirische Analyse des Nationalsozialismus erschwerten. Die Konsequenzen einer lang fehlenden gemeinsamen Strategie gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus musste sie teuer bezahlen. Stefan Seidendorf, Ludwigsburg Hervé, Florence (Hg.): Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, Köln: PapyRossa Verlag, 2020, 294 S. Mit Mut und List – der Titel klingt nach Huldigung und Verehrung. Der von Florence Hervé herausgegebene Band über 75 Widerstandskämpferinnen aus 20 Ländern ist aber viel mehr als das. Die 22 Autorinnen konzentrieren sich in ihren unterschiedlich ausführlichen Porträts auf die informative und erhellende Darstellung des Engagements all dieser Frauen, die beispielhaft und ohne Anspruch auf Repräsentativität für die unzähligen Europäerinnen stehen, die gegen die Naziherrschaft aufgestanden sind und von denen meist nicht einmal die Namen überliefert sind. Wie sinnlos gar der Anspruch auf Vollständigkeit wäre, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass laut den Verfasserinnen z. B. mehr als ein Drittel aller Griechinnen in den Widerstand involviert waren. Auch in Jugoslawien war die Partisanenbewegung ein Massenphänomen. 1943 bestand eine 700-köpfige reine Fraueneinheit in der polnischen Armee. Die Zahl der Frauen, die als Freiwillige in der Roten Armee oder als sowjetische Partisaninnen kämpften, wird auf eine Million geschätzt, einige dieser Kombattantinnen werden hier porträtiert. Eine Definition dessen, was als Widerstand gilt, liefern die Autorinnen nicht. Es wird aber deutlich, dass dieser von kleinen symbolischen Aktionen, wie dem Abreißen von Hakenkreuzfahnen, über spezifisch weibliche Aktionen, wie der Organisation und dem Verstecken von Lebensmitteln sowie dem
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pazifistischen, auf Kooperation angelegten Linie Aristide Briands lag, bevor er später zu einem der mutigsten und entschlossensten Anführer der französischen Résistance wurde, zeigt, wie schwer diesen Akteuren der Abschied von ihrer pazifistischen, anti-nationalistischen Grundhaltung fiel. Paradoxerweise findet sich nur in der Illustrierten Vu, herausgegeben vom ehemaligen Modejournalisten Lucien Vogel, eine empirische Analyse des Nationalsozialismus: Getarnt als Touristen bereisen die Autorinnen und Autoren Deutschland und berichten aus eigener Anschauung über das Leben in der Diktatur. Die Reportagen werden im Mai 1933 veröffentlicht. Der Tochter des Herausgebers, Marie-Claude Vaillant-Couturier, gelingt die erste fotografische Dokumentation des KZ Dachau und der Beitrag benennt explizit die Rolle der Lager als tragende Säulen des NS-Systems. Am Ende vermittelt der Band, trotz der nicht immer klaren Auswahlkriterien, eindringlich das Bild einer Linken, deren eigenen Machtund Theoriekämpfe eine empirische Analyse des Nationalsozialismus erschwerten. Die Konsequenzen einer lang fehlenden gemeinsamen Strategie gegen den Aufstieg des Nationalsozialismus musste sie teuer bezahlen. Stefan Seidendorf, Ludwigsburg Hervé, Florence (Hg.): Mit Mut und List. Europäische Frauen im Widerstand gegen Faschismus und Krieg, Köln: PapyRossa Verlag, 2020, 294 S. Mit Mut und List – der Titel klingt nach Huldigung und Verehrung. Der von Florence Hervé herausgegebene Band über 75 Widerstandskämpferinnen aus 20 Ländern ist aber viel mehr als das. Die 22 Autorinnen konzentrieren sich in ihren unterschiedlich ausführlichen Porträts auf die informative und erhellende Darstellung des Engagements all dieser Frauen, die beispielhaft und ohne Anspruch auf Repräsentativität für die unzähligen Europäerinnen stehen, die gegen die Naziherrschaft aufgestanden sind und von denen meist nicht einmal die Namen überliefert sind. Wie sinnlos gar der Anspruch auf Vollständigkeit wäre, wird klar, wenn man sich vor Augen hält, dass laut den Verfasserinnen z. B. mehr als ein Drittel aller Griechinnen in den Widerstand involviert waren. Auch in Jugoslawien war die Partisanenbewegung ein Massenphänomen. 1943 bestand eine 700-köpfige reine Fraueneinheit in der polnischen Armee. Die Zahl der Frauen, die als Freiwillige in der Roten Armee oder als sowjetische Partisaninnen kämpften, wird auf eine Million geschätzt, einige dieser Kombattantinnen werden hier porträtiert. Eine Definition dessen, was als Widerstand gilt, liefern die Autorinnen nicht. Es wird aber deutlich, dass dieser von kleinen symbolischen Aktionen, wie dem Abreißen von Hakenkreuzfahnen, über spezifisch weibliche Aktionen, wie der Organisation und dem Verstecken von Lebensmitteln sowie dem
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Verfassen und Verbreiten von illegalen Flugblättern und Zeitungen, reicht. Ebenso zählen das Ausspionieren von militärischen Informationen bis hin zu gar nicht so seltenen bewaffneten Einsätzen als Partisaninnen oder sogar Attentäterinnen, wie im Falle von Sarah Goldberg in Brüssel, hinzu. Annita Malavasi war eine der elf weiblichen Kommandantinnen von Partisaneneinheiten in der Emilia Romagna. Frauen wie Zivia Lubetkin kämpften als Kommandeurinnen im Warschauer Ghetto-Aufstand. Der Band unterscheidet den Widerstand im eigenen Land (Deutschland), wo er als Verrat gegen die Heimat galt, vom Widerstand in den besetzten Ländern (Belgien, Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Jugoslawien, Niederlande, Österreich nach 1938, Polen, Sowjetunion, Tschechoslowakei und mit jeweils einem Beispiel auch Dänemark, Luxemburg und Rumänien). Hier war der Widerstand mit der Befreiung von fremder Besatzung verbunden, richtete sich aber oft durchaus auch gegen die eigene kollaborierende Regierung, wie in Frankreich, oder die Bekämpfung militanter einheimischer Kollaborateure, wie im Baltikum oder auf der Krim. Großbritannien, Schweden, Spanien und die Schweiz stehen abschließend für den Widerstand in den nicht-besetzten Ländern in Form von Fluchthilfe, Unterstützung von Verfolgten und Ähnlichem. Die meisten Länderkapitel werden eingeleitet mit einem knappen Überblick zur innenpolitischen Lage, der Position des Landes im Zweiten Weltkrieg, den Erfordernissen des Widerstands und den Bedingungen, unter denen er geleistet wurde. Die Zuordnung der porträtierten Frauen zu einzelnen Ländern ist dabei nicht immer einfach; man denke an die Italienerin Teresa Noce, die sowohl in Frankreich und Italien agierte, sowie die Dänin Sunneva Sandø, die Rumänin Olga Bancik und die aus griechisch-russischer Herkunft stammende Ana Marly, die ebenfalls durch ihre Aktionen in Frankreich bekannt wurden. Einige Kämpferinnen entstammten internationalen Familien, wie die in Moskau geborene indisch-amerikanische Noor Inayat Khan, die von London aus als Funkerin nach Angers geschickt wurde. Anderen gelang, wie Dora Schaul, noch die Flucht ins Exil, bevor auch dieses zur Falle wurde. Der Weg von Lisa Fittko führte sie über Wien, Berlin, Prag, Paris, ins Lager Gurs, dann nach Marseille. Schließlich brachte sie als Schleuserin Flüchtlinge über die Pyrenäen nach Spanien, wie auch die Neuseeländerin Nancy Wake, die später von England aus mit dem Fallschirm über der Auvergne absprang, um die Maquisards zu unterstützen. Die Schweizerin Trudi Duby-Blom entfaltete ihre antifaschistischen Aktionen nacheinander in Italien, Deutschland, Katalonien, Frankreich, den USA und Mexiko. Auch wenn die allermeisten der Frauen, die dieser Band vereint, sich nie begegnet sind, dürfte der Gedanke daran, dass es überall in Europa Gleichgesinnte gab, ihnen zusätzlichen Mut gemacht haben. Dabei waren die Wege in den Widerstand so unterschiedlich wie die soziale Zugehörigkeit. Während manche wie Rossana Rossanda „unversehens hineingeraten“ (S. 151) waren,
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hatten sich andere schon vor dem Krieg antifaschistisch engagiert, unter ihnen die baskische Pasionaria Dolores Ibárruri. Jüdische Frauen wie Helga und Ursel Beyer, Etty Hillesum, Chaika Grossmann und viele andere mehr hatten keine Wahl, als um das eigene Überleben und das ihrer Liebsten und darüber hinaus vieler bedrohter Menschen zu kämpfen. Für viele Weitere war der Widerstand eine folgerichtige Fortsetzung ihres Engagements in der Arbeiterbewegung, wie z. B. für Johanna Kirchner, die „in eine Arbeiterdynastie hineingeboren“ (S. 28) wurde und sich der Roten Kapelle anschloss. Manche Frauen kämpften an der Seite ihrer Männer und in organisierten Widerstandskreisen; andere entschlossen sich allein und nur aufgrund eigener, zutiefst humanistischer Überzeugungen zu zivilem Ungehorsam, wie die Elsässer Ärztin Adélaïde Hautval, die sich in Auschwitz weigerte, an Menschenversuchen teilzunehmen. Es gab im Beruf stehende Frauen und Teenager, Arbeiterinnen wie Mitka Grabtschewa, Intellektuelle wie Ada Gobetti, Wissenschaftlerinnen wie die Ethnologin Germaine Tillon und die Biologin Astrid Løken, überzeugte Feministinnen wie Berty Albrecht und Milena Jesenskà und traditionell lebende Frauen. Viele der hier Porträtierten haben ihren Einsatz im Widerstand mit dem Leben bezahlt, wie Lilo Herrmann, gegen die am 12. Juni 1937 das erste politisch motivierte Todesurteil gegen eine Frau in Europa fiel. Viele weitere wurden im KZ ermordet oder hingerichtet, manche noch kurz vor der Befreiung wie Hannie Schaft und Soia Madeysker. Nicht für alle, die das Kriegsende erlebten, kamen nun glückliche Zeiten. Anders als Greta Kockhoff, die 1950 Präsidentin der Deutschen Notenbank der DDR wurde, und die Italienerin Tina Anselmi, die mehrfach Ministerin wurde, folgten für die Griechin Maria Beikou weiter Verfolgung, jahrzehntelanges Exil und abgeschnittene Lebensperspektiven. Dionysia Papadomichelaki wurde mehrfach verbannt und inhaftiert, die Ärztin Doris Maase wurde nach dem KPD-Verbot 1959 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die allermeisten Überlebenden engagierten sich auch über den Krieg hinaus gegen Rassismus, für Gleichberechtigung, für den Frieden und gegen das Vergessen. Sie haben teils eigene Memoiren veröffentlicht, auf die sich die Beiträge beziehen, von anderen sind dagegen Briefe oder Tagebücher überliefert. In Ländern, in denen nach dem Krieg der antifaschistische Widerstand ein wichtiger Teil der nationalen Identität wurde, war auch die öffentliche Anerkennung der Widerstandskämpferinnen ausgeprägter als dort, wo noch bis in die 1980er-Jahre umstritten war, ob das Kriegsende eine deutsche Niederlage oder die Befreiung vom Faschismus darstellte. In vielen besetzten Ländern erinnern Denkmäler oder Gedenktafeln an Frauen, die im Widerstand waren, tragen Schulen, Straßen und Bibliotheken ihre Namen, manche erst spät wie die Rue Dora Schaul im französischen Brens (2006) oder die Stadtbibliothek von Turin, die 2019 nach Bianca Guidetti Serra benannt wurde.
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Zwei Französinnen, Geneviève de Gaulle-Anthonioz und Germaine Tillion wurden 2015 ins Panthéon überführt, viele Schulen tragen ihren Namen, weitere sind nach Danielle Casanova, Lucie Aubrac oder Marie-Jo Chombart de Lauwe benannt. Einige Widerstandskämpferinnen wurden in Frankreich mit der Ehrenlegion, in der UdSSR mit dem Leninorden oder als „Heldin der Sowjetunion“ (S. 253) ausgezeichnet; die Kasachin Manssija Mametowa z. B. als erste asiatische Frau. Noch während des Krieges wurde die hingerichtete Partisanin Soja Kosmodemjanskaja zur „Ikone des gerechten Verteidigungskriegs der Sowjetunion“ (S. 240), aber auch hier gab es manchmal erst späte Anerkennung: 2015 erhielt die Partisanin Alime Abdenanowa mit ihrer gesamten Widerstandsgruppe posthum den Tapferkeitsorden. Nach ihrem Tod wurden auch Violeta Jakova zur bulgarischen, Marguerite Bervoets zur belgischen Nationalheldin, Andrée de Jongh 1985 in den Adelsstand erhoben. Besonders gravierend ist der Gegensatz im Umgang mit den (oft kommunistischen) Widerstandskämpferinnen zwischen der BRD, wo nur der Name Sophie Scholl einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist – eine Ehrung der Kommunistin Lilo Herrmann stieß auf erhebliche Widerstände – und der DDR, wo mehrere Schulen nach ihr benannt sind und bis 1992 eine Schule den Namen von Ursula Götze trug. Einige dieser europäischen Widerstandskämpferinnen sind von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt worden; die allermeisten aber sind bis heute wenig bekannt und es bestehen noch erhebliche Forschungslücken. Der Band will seinen Beitrag dazu leisten, dass sich dies ein wenig ändert, und er verweist auch auf eine Seite zum Weiterlesen: www.gedenkorte-europa.eu. Helga E. Bories-Sawala, Bremerhaven Heß, Claudia : Kriegsende und Erinnerungskultur in Frankreich und der BRD – Politische Reden und Presseberichterstattung zum 8. Mai 1945 (1945–2015), 2019, 437 p., https://publikationen.sulb.uni-saarland.de/bitstream/20.500.11880/ 28517/1/Dissertation_He%c3%9f_Abgabeversion%20fuer%20Scidoc.pdf (09.02.2021). La thèse Kriegsende und Erinnerungskultur a été soutenue à l’Université de la Sarre en 2019. Elle propose une réflexion sur l’évolution de la commémoration du 8 mai 1945 jusqu’en 2015 à travers une analyse des discours, articles et sondages parus pendant cette période, dans une approche comparative entre l’Allemagne et la France : une question sur laquelle la recherche ne s’était pas encore penchée.
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Zwei Französinnen, Geneviève de Gaulle-Anthonioz und Germaine Tillion wurden 2015 ins Panthéon überführt, viele Schulen tragen ihren Namen, weitere sind nach Danielle Casanova, Lucie Aubrac oder Marie-Jo Chombart de Lauwe benannt. Einige Widerstandskämpferinnen wurden in Frankreich mit der Ehrenlegion, in der UdSSR mit dem Leninorden oder als „Heldin der Sowjetunion“ (S. 253) ausgezeichnet; die Kasachin Manssija Mametowa z. B. als erste asiatische Frau. Noch während des Krieges wurde die hingerichtete Partisanin Soja Kosmodemjanskaja zur „Ikone des gerechten Verteidigungskriegs der Sowjetunion“ (S. 240), aber auch hier gab es manchmal erst späte Anerkennung: 2015 erhielt die Partisanin Alime Abdenanowa mit ihrer gesamten Widerstandsgruppe posthum den Tapferkeitsorden. Nach ihrem Tod wurden auch Violeta Jakova zur bulgarischen, Marguerite Bervoets zur belgischen Nationalheldin, Andrée de Jongh 1985 in den Adelsstand erhoben. Besonders gravierend ist der Gegensatz im Umgang mit den (oft kommunistischen) Widerstandskämpferinnen zwischen der BRD, wo nur der Name Sophie Scholl einer breiteren Öffentlichkeit bekannt ist – eine Ehrung der Kommunistin Lilo Herrmann stieß auf erhebliche Widerstände – und der DDR, wo mehrere Schulen nach ihr benannt sind und bis 1992 eine Schule den Namen von Ursula Götze trug. Einige dieser europäischen Widerstandskämpferinnen sind von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt worden; die allermeisten aber sind bis heute wenig bekannt und es bestehen noch erhebliche Forschungslücken. Der Band will seinen Beitrag dazu leisten, dass sich dies ein wenig ändert, und er verweist auch auf eine Seite zum Weiterlesen: www.gedenkorte-europa.eu. Helga E. Bories-Sawala, Bremerhaven Heß, Claudia : Kriegsende und Erinnerungskultur in Frankreich und der BRD – Politische Reden und Presseberichterstattung zum 8. Mai 1945 (1945–2015), 2019, 437 p., https://publikationen.sulb.uni-saarland.de/bitstream/20.500.11880/ 28517/1/Dissertation_He%c3%9f_Abgabeversion%20fuer%20Scidoc.pdf (09.02.2021). La thèse Kriegsende und Erinnerungskultur a été soutenue à l’Université de la Sarre en 2019. Elle propose une réflexion sur l’évolution de la commémoration du 8 mai 1945 jusqu’en 2015 à travers une analyse des discours, articles et sondages parus pendant cette période, dans une approche comparative entre l’Allemagne et la France : une question sur laquelle la recherche ne s’était pas encore penchée.
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Le travail est clairement structuré : une introduction, trois parties dédiées respectivement aux différents concepts et théories de la culture de la commémoration, à une présentation du/des corpus et à la définition de la méthodologie, et à une longue comparaison (279 pages) entre la France et l’Allemagne. La conclusion revient sous forme de résumé sur les résultats essentiels de cette thèse qui accorde une attention particulière aux anniversaires ‘ronds’ du 8 mai. De riches annexes (statistiques, graphiques, explications méthodologiques…) la complètent. L’abondante et très pertinente bibliographie représente un outil intéressant pour de futures recherches sur des thèmes analogues. L’introduction rappelle certaines évidences : le regard forcément différent porté sur l’Histoire par les vainqueurs et les perdants, ou encore la compatibilité entre mémoire individuelle et mémoire collective comme théorisé par Maurice Halbwachs. Plus intéressant, la réflexion sur la transition d’une politique historique à une politique de commémoration, donc du passage du politique au culturel entre 1945 et 2015, reflété quantitativement mais aussi qualitativement par la couverture médiatique. Cette introduction soulève par ailleurs l’interrogation sur la possibilité d’une culture voire d’une pratique de la commémoration commune transcendant les frontières des deux pays. Claudia Hess rappelle dans ce contexte Etienne François qui souligne que c’est sur la mémoire sociétale de la Deuxième Guerre mondiale que s’est construite l’identité des actuels pays européens. La première partie aborde une culture du souvenir n’incluant que tardivement la reconnaissance des victimes et l’acceptation de la responsabilité. Elle décrit l’émergence progressive d’une mémoire collective susceptible de recomposer l’image du passé, en s’accordant toutefois à chaque époque avec les pensées dominantes de la société (M. Halbwachs). Les actes de commémoration, organisés souvent dans des lieux de mémoire (P. Nora) où se cristallise la mémoire culturelle, traduisent alors la relation entre une société et son Histoire. Le 8 mai peut ainsi être considéré comme une nouvelle manière de rencontrer le passé, une sorte de deuxième histoire du national-socialisme selon P. Schmid et H. Reichel. La deuxième partie de la thèse est consacrée à la présentation des corpus français et allemand, essentiellement des discours officiels et des articles de presse, avec le focus déjà mentionné sur les anniversaires ‘ronds’. L’hypothèse avancée est celle d’une couverture plus intensive en Allemagne (ici la seule R.F.A., la R.D.A. ne faisant pas partie de cette recherche), notamment dans les régions frontalières. On peut bien entendu s’interroger sur la représentativité des supports de presse choisis : pour la France, Le Monde, Le Figaro, Le Parisien (libéré), France-Soir, Républicain Lorrain, et pour l’Allemagne Süddeutsche Zeitung, FAZ, Bild, Saarbrücker Zeitung. La présence de titres plus populaires (Bild …) est cependant assumée, dans la perspective d’une évaluation plus large de la couverture médiatique.
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La troisième partie, cœur de la thèse, analyse l’évolution de la commémoration du 8 mai dans les deux pays. Heß distingue trois étapes pour l’Allemagne, deux pour la France, avec des périodes de transition. L’Allemagne passe ainsi du refus – « l’oubli imposé »2 dans l’immédiat après-guerre jusqu’en 1955 – à la Deutschlandfrage (séparation et réunification des deux Allemagnes) à partir de 1965. Progressivement, même si timidement encore, le 8 mai cesse alors d’être le symbole de l’effondrement pour devenir celui du nouveau départ, de la liberté regagnée, engageant une discussion tournée vers l’avenir. En 1985, le discours du président Weizsäcker rappelle que le 8 mai, tout en induisant un devoir de mémoire pour tous les Allemands, doit être considéré comme un moment de libération, et dix ans plus tard, le cinquantenaire se déroule sous la devise de la réconciliation et de l’amitié. L’Europe comme espoir et garante de la paix devient pour la première fois un thème central. La couverture médiatique est alors importante dans les deux pays. Mais à partir de 2005, le nombre restreint de publications reflète un désintérêt croissant. De nouveaux thèmes ont fait leur entrée : les expulsions, la division, les souffrances des populations baltes, russes polonaises etc. Et on remarque que les sujets sont de plus en plus souvent traités non pas par des politiques, mais par des historiens : en 2015, le 8 mai est devenu Histoire. Aux trois phases du souvenir en Allemagne correspondent, pour Claudia Heß, deux phases en France, la première allant de la fin de la guerre jusqu’au milieu des années quatre-vingt, la deuxième, après une phase de transition, de 2005 à 2015. Le 8 mai est essentiellement compris comme la commémoration de la victoire sur l’Allemagne nazie et de la Résistance, comme une fête patriotique et populaire. Le pays, frappé « d’amnésie collective »3, se livre ainsi à la célébration d’une image positive du pays qui occulte volontiers, par exemple, la douloureuse question de la collaboration. La couverture médiatique reste globalement centrée sur la France. Claudia Heß mentionne un seul article dans Le Monde qui se tourne vers l’Allemagne, ou traite de l’autocélébration des Soviétiques prompts à s’attribuer la victoire, et une seule évocation d’une manifestation de survivants à Compiègne. Supprimé par Valery Giscard d’Estaing et rétabli en tant que jour férié par François Mitterrand, le 8 mai suscite de moins en moins d’intérêt comme l’indique la baisse du nombre d’articles. D’autres évocations de la Deuxième Guerre mondiale et du régime nazi retiennent alors l’attention : la série américaine Holocaust (Antenne 2, 1979), le film Le Chagrin et la Pitié d’Ophüls (première ___________ 2 3
Assmann, Alaida : Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, Bonn : Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 (Schriftenreihe 633). Rousso, Henry : Frankreich. Vom nationalen Vergessen zur kollektiven Wiedergutmachung, ds. : Flacke, Monika (dir.) : Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums. Begleitbände zur Ausstellung (2. Oktober 2004 bis 27. Februar 2005), Berlin : Deutsches Historisches Museum, 2004, p. 227–255.
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diffusion en France en 1981), de Shoah de Claude Lanzmann (1985), et surtout le procès Barbie de 1987 font enfin entrer la France dans une salutaire période d’anamnèse. Mais malgré une réflexion sur le rôle du régime de Vichy et la prise de conscience du génocide juif, la France reste le pays de la Résistance. La transition s’opère en 1995 avec le discours du président sortant François Mitterrand – son ‘testament européen’ – lors du cinquantenaire du 8 mai : vainqueurs et vaincus commémorent alors ensemble la fin de la guerre et célèbrent une victoire de l’Europe sur elle-même. La couverture médiatique est importante. Reste que seuls 7 % des articles se penchent sur la thématique ‘Mémoire et Histoire’, et seulement 1 % met celle-ci en lien avec la France. A partir de 2005, début de la deuxième phase française, c’est l’idée de la consolidation d’une mémoire culturelle apaisée qui génère 67 articles de presse dont 26 qui, pour la première fois, traitent des commémorations non françaises. Très peu d’articles (Heß en recense trois) sont toutefois consacrés au devoir de mémoire, à la collaboration, et à la responsabilité. L’image de la France reste positive. Et les commémorations allemandes ne suscitent que peu d’intérêt dans la presse française. Le thème qui émerge est surtout celui de la transmission de la mémoire aux jeunes générations. En 2015, l’actualité politique relègue le 8 mai au deuxième rang. La couverture médiatique est limitée, elle s’avère d’ailleurs plus importante dans la presse régionale que dans la presse nationale confirmant ainsi l’une des hypothèses de Heß. Même le discours du président Hollande qui évoque l’Histoire comme « une leçon pour l’avenir »4 est peu commenté. Dans cette partie consacrée à la France, Claudia Heß décrit le processus qui transforme progressivement l’ancien ennemi allemand en ami respecté à travers, entre autres, la perception du 8 mai. L’Allemagne devient une nation amie, un partenaire estimé et un précieux allié. Dans sa conclusion, Claudia Heß souligne les changements importants de l’image du 8 mai entre 1945 et 2015. Dans les mémoires culturelles française et allemande, la date devient progressivement un référent historique central qui participe à la (re)définition de l’identité des deux pays. Pour Heß, le 8 mai peut ainsi être considéré comme un « lieu de mémoire »5 à l’instar de ceux décrits par Pierre Nora ou encore Etienne François et Hagen Schulze. La place réservée au génocide juif reste toutefois le point faible dans les deux pays. Malgré l’image du chancelier Brandt à genoux devant le mémorial du ghetto de Varsovie qui avait fortement marquée les esprits en 1970, la question de la persécution et de l’extermination des Juifs et de l’Holocauste reste ___________ 4
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Hollande, François : Déclaration sur le concours national de la Résistance et la déportation, Paris, Palais de l’Elysée, 08/05/2015, https://www.elysee.fr/francois-hollande/2015/05/ 08/declaration-de-m-francois-hollande-president-de-la-republique-sur-le-concours-nation al-de-la-resistance-et-de-la-deportation-a-paris-le-8-mai-2015 (09.02.2021). Nora, Pierre (dir.) : Les lieux de mémoire, Paris : Gallimard, 1984/1986/1992 (Tomes I à III).
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tabou dans une discussion qui se veut tournée vers l’avenir. La distance temporelle et l’affaiblissement de la mémoire communicative (la disparition des témoins) transforment progressivement la mémoire politique en mémoire culturelle. Fête de la Nation et de la Résistance en France, incitation à une réflexion critique sur son Histoire pour l’Allemagne, les commémorations restent malgré un rapprochement certain encore trop concentrées sur chacun des deux pays pour que puisse émerger le concept d’un lieu de mémoire franco-allemand. Une mémoire européenne basée sur une « communauté du souvenir »6 reste ainsi à construire. Ingeborg Rabenstein-Michel, Lyon Holland, Judith : Gewerkschaftliche Geschlechterpolitik. Ein deutsch-französischer Vergleich, Baden-Baden : Nomos, 2019, 371 p. L’ouvrage de Judith Holland Gewerkschaftliche Geschlechterpolitik – Ein deutschfranzösischer Vergleich est une contribution importante à la fois à l’analyse des études de genre, mais aussi, à la connaissance des organisations syndicales européennes. Ces organisations sont en effet également des arènes de pouvoir au sein desquelles se construisent des carrières militantes et se composent des programmes politiques, en lien avec le contexte politique et social ambiant. Cet ouvrage compare la façon dont les inégalités de genre sont traitées dans les principales organisations syndicales françaises et allemandes, sur la base d’une analyse des discours de militant.e.s, permanent.e.s syndicaux.les en charge de cet enjeu au sein de leur organisation. L’analyse se fait à travers une grille de lecture de modèles d’interprétation et de formulation des enjeux de genre qui renseigne à la fois sur la façon dont ces enjeux sont compris par les individus, mais aussi dont cette compréhension vient s’insérer à la fois dans le contexte politique et institutionnel national, mais aussi dans la logique organisationnelle et politique du syndicat. L’ouvrage de J. Holland est à la fois un ouvrage pédagogique qui présente une comparaison assez complète des systèmes français et allemand de relations professionnelles, mais aussi des régulations des relations entre les genres dans les marchés du travail nationaux, ou encore au sein des organisations syndicales. En l’occurrence, l’autrice souligne le fait qu’en lieu du contraste habituel entre des syndicats allemands, plus unitaires et rompus à la négociation et des syndicats français divisés et plus souvent radicaux, on trouve relativement peu de contrastes entre ces deux pays dans le rapport à la différence de genre que les traditions syndicales ont construit au fil des décennies. ___________ 6
Assmann, Alaida : Der lange Schatten der Vergangenheit.
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tabou dans une discussion qui se veut tournée vers l’avenir. La distance temporelle et l’affaiblissement de la mémoire communicative (la disparition des témoins) transforment progressivement la mémoire politique en mémoire culturelle. Fête de la Nation et de la Résistance en France, incitation à une réflexion critique sur son Histoire pour l’Allemagne, les commémorations restent malgré un rapprochement certain encore trop concentrées sur chacun des deux pays pour que puisse émerger le concept d’un lieu de mémoire franco-allemand. Une mémoire européenne basée sur une « communauté du souvenir »6 reste ainsi à construire. Ingeborg Rabenstein-Michel, Lyon Holland, Judith : Gewerkschaftliche Geschlechterpolitik. Ein deutsch-französischer Vergleich, Baden-Baden : Nomos, 2019, 371 p. L’ouvrage de Judith Holland Gewerkschaftliche Geschlechterpolitik – Ein deutschfranzösischer Vergleich est une contribution importante à la fois à l’analyse des études de genre, mais aussi, à la connaissance des organisations syndicales européennes. Ces organisations sont en effet également des arènes de pouvoir au sein desquelles se construisent des carrières militantes et se composent des programmes politiques, en lien avec le contexte politique et social ambiant. Cet ouvrage compare la façon dont les inégalités de genre sont traitées dans les principales organisations syndicales françaises et allemandes, sur la base d’une analyse des discours de militant.e.s, permanent.e.s syndicaux.les en charge de cet enjeu au sein de leur organisation. L’analyse se fait à travers une grille de lecture de modèles d’interprétation et de formulation des enjeux de genre qui renseigne à la fois sur la façon dont ces enjeux sont compris par les individus, mais aussi dont cette compréhension vient s’insérer à la fois dans le contexte politique et institutionnel national, mais aussi dans la logique organisationnelle et politique du syndicat. L’ouvrage de J. Holland est à la fois un ouvrage pédagogique qui présente une comparaison assez complète des systèmes français et allemand de relations professionnelles, mais aussi des régulations des relations entre les genres dans les marchés du travail nationaux, ou encore au sein des organisations syndicales. En l’occurrence, l’autrice souligne le fait qu’en lieu du contraste habituel entre des syndicats allemands, plus unitaires et rompus à la négociation et des syndicats français divisés et plus souvent radicaux, on trouve relativement peu de contrastes entre ces deux pays dans le rapport à la différence de genre que les traditions syndicales ont construit au fil des décennies. ___________ 6
Assmann, Alaida : Der lange Schatten der Vergangenheit.
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Les syndicats se sont développés comme des organisations dominées par les hommes, voire hostiles aux femmes. En Allemagne, le registre de la Gleichstellung évoque un processus actif de « mise en égalité » (p. 23) des femmes et des hommes. En France, « l’égalité hommes-femmes » (p. 138) renvoie plutôt à des droits abstraits qui s’insèrent dans la tradition républicaine. Cependant, J. Holland note aussi qu’en France, la domination de la norme d’emploi à plein temps pour les femmes et la disponibilité de structures d’accueil des jeunes enfants confère à l’égalité des sexes une réalité concrète plus forte en France qu’en Allemagne, en dépit de la forte progression du taux d’emploi des femmes dans ce pays. Enfin, le livre de Judith Holland livre des résultats d’analyse des trajectoires et des discours des responsables syndicaux en charge de l’égalité des genres appuyés sur l’approche en termes de « connaissances des sexes » (Geschlechterwissen) (p. 28–30), développée par Angelika Wetterer. Trois modèles, sont distingués : le « savoir expert sur le genre » (p. 38) comprend la connaissance sur la différence des sexes comme source d’arguments justifiant des revendications; le « savoir scientifique sur le genre » (p. 36) porte surtout le savoir, peu opérationnel dans le travail politique, sur le caractère socialement construit des différences entre les sexes; les « savoirs quotidiens sur les sexes » (p. 36) s’appuient sur les savoirs naturalisés et les actes routiniers en matière de différences des sexes, en ce qu’ils peuvent fournir des ressources à l’action, également dans le cadre d’une organisation syndicale. Enfin, l’égalitarisme républicain est ajouté par l’autrice comme un cadre supplémentaire. Au-delà des grandes qualités de cet ouvrage, on regrette que l’autrice n’ait pas mieux justifié le choix des branches d’activité qu’elle retient, ou qu’elle passe sous silence, la diversité territoriale des régulations de genre, notamment dans le cas allemand. De la même façon, on regrette l’absence de référence aux approches comparatives en termes de régimes de genre comme chez Sylvia Walby par exemple ou de discours institutionnalisés sur le genre. Par exemple, l’ouvrage de Myra Marx Ferree, Varieties of Feminism German Gender Politics in Comparative Perspective, 2013, Stanford UP analyse les liens entre les traditions des mobilisations sociales l’orientation des luttes féministes en Allemagne, et, notamment aux USA. Ces perspectives auraient sans doute permis de pousser plus loin l’analyse des tensions qui émergent, au sein des organisations syndicales entre inégalités sexuées, statutaires, de classes, liées aux formations, aux traditions syndicales, etc. On retiendra cependant avant tout le grand intérêt, le sérieux, la pratique maîtrisée et informée de la comparaison dans ce riche ouvrage, visiblement issu d’une thèse. Olivier Giraud, Paris
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Koch, Florian : Die Abwertung des Anderen mittels Sprache im Amateurfußball. Ein soziolinguistischer Vergleich in Deutschland und Frankreich, Berlin : Lang, 2019 (Sprache – Kultur – Gesellschaft 20), 220 p. La publication est issue d’une thèse de doctorat en cotutelle soutenue en 2018, portant sur les interactions verbales déplaisantes dans le monde du football, résumées ici sous l’étiquette de « dénigrement », qui est le terme par lequel l’auteur s’auto-traduit (p. 9). Elles comprennent aussi bien les interpellations dépréciatives, les moqueries et persiflages, que des apostrophes agressives et des insultes. Ce dénigrement verbal est un phénomène largement médiatisé en Allemagne et en France dans le monde du sport, conduisant parfois des ministres eux.elles-mêmes à demander au grand public une conduite verbale ‘civile’, au sens de ‘ne comportant pas d’incivilités’ au cours des matchs de football nationaux ou internationaux. Cette étude s’intéresse aux actes de violence verbale dans le football amateur entre les joueurs, mais aussi à l’encontre des arbitres, sur comme autour du terrain, dans les vestiaires comme à la sortie. Précisons que l’auteur ne cible que le football masculin, même si un petit passage (13 lignes, p. 145) évoque les incivilités à l’égard d’arbitres de sexe féminin, incivilités qui semblent être moins virulentes et rarement s’accompagner de coups, esquissés ou réalisés. Cette moindre virulence envers les arbitres femmes résulterait à la fois de facteurs interpersonnels (seuil plus élevé de retenue d’un homme supporteur envers une femme) et d’effets de contexte : les arbitres-femmes sont généralement cantonnées aux matchs de foot féminin. Après avoir présenté ses questions de recherche (chapitre 1), sa méthodologie comprenant le traitement statistique des données traitées (chapitre 2), F. Koch expose ses inspirations théoriques en chapitre 3. Le cadre théorique utilisé par l’auteur s’appuie sur les concepts de violence verbale et de discours haineux (Hassrede en allemand, adapté de l’anglicisme hate speech) ; ces concepts sont très utilisés depuis une dizaine d’années pour ce qui relève de la communication publique aussi bien qu’interpersonnelle, et sont objets de nombreuses publications internationales. Florian Koch élabore un modèle propre, qu’il codifie par l’acronyme AdAmS, qui est l’abréviation de la formule allemande Abwertung des Anderen mittels Sprache, et se pose trois questions de recherche portant spécifiquement sur la violence verbale, le dénigrement verbal dans le foot amateur, et une comparaison sur les usages communicatifs entre la France et l’Allemagne. Dans la pratique, cela le conduit à s’intéresser aux séquences linguistiques de dénigrement dans un contexte footballistique (match, mais aussi sociabilité d’avant et après-match), et à réfléchir sur l’influence éventuelle du cadre social, sportif et culturel sur le dénigrement verbal. Les séquences linguistiques examinées relèvent du très classique « fils de pute » en langue française, et de ce que l’auteur appelle pudiquement le « Götzzitat » en langue allemande (p. 143). Les chapitres suivants relèvent de
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réflexions préparatoires (chapitre 4) à l’état de la recherche sur le sujet (chapitre 5), et l’on s’en vient à se languir de ce que l’auteur présente enfin sa recherche personnelle, dont les produits commencent à être exposés à la page 149 sur 188 pages de texte. Heureusement pour le lecteur, des cartes localisant les lieux de recueils des données, des camemberts en couleurs, des croquis avec flèches fusant dans tous les sens, et des tableaux présentant aussi bien le nombre de vidéos recueillies pour la recherche que le rapport entre une insulte précise et l’attribution d’un carton rouge ou jaune viennent soutenir l’intérêt jusqu’à l’analyse proprement dite. Le chapitre 6 expose la recherche doctorale elle-même, mais peine à remplir les promesses de ce phénomène à riche potentiel à la croisée du verbal, du corporel, du social, du légal et des émotions. Les exemples langagiers concrets sont peu nombreux, parfois traduits littéralement d’une langue à l’autre comme « éjecter du terrain » rendu par « herunterstellen » (p. 159), et ceci indépendamment de quelques coquilles : études empiriques de Labov datées de 1927 (p. 76) ou verbe manquant (note 155). Les insultes les plus fréquemment mentionnées dénigrent les capacités intellectuelles (« Depp !») ou morales (« Vendu ! ») de l’interlocuteur, suivies de celle de type sexué, comme « Wichser » (p. 142–143). Les insultes racistes, xénophobes ou homophobes représentent une fréquence approximativement analogue à l’usage de mots crus comme « Verpiss dich ! » ou « Tu fais chier ! » (p. 142–143) : ces dernières sont l’usage expressif d’un lexique populaire des émotions, et ne dénigrent pas directement l’interlocuteur auquel elles sont adressées. La dimension de jeu interactionnel codé que sont les apostrophes porteuses d’instructions dépréciatives dans les interactions sportives semble avoir échappé à l’auteur, alors qu’elles font partie d’un rituel de persiflage à caractère plus ou moins symbolique. Il est alors logique, mais inadéquat, que F. Koch regrette qu’un arbitre ne se soit pas vraiment senti insulté par tel ou tel propos rude comme à la page 140, lorsque l’auteur justifie cette attitude tolérante par un manque de confiance de l’arbitre envers une suite pénale d’un éventuel dépôt de plainte. L’optique et les valeurs humanistes revendiquées de l’auteur lui font négliger la dimension identitaire très forte de ces commentaires et apostrophes dépréciatives, réalisées en groupe autour ou pendant un match de l’équipe que des supporteurs sont venus encourager. La sociologie a pourtant décrit ce comportement quasi tribal de supporteurs habillés avec des maillots et écharpes de fan, quelquefois le visage peint rappelant les peintures de guerre de peuplades dites primitives, des slogans communs, un registre de langue relâché à vulgaire, empreint de régionalismes ou dans lequel on lâche la bride à son accent. Là où l’évènement sportif a vu théoriser sa vertu cathartique comme exutoire d’une violence sociale contrôlée, Florian Koch néglige la part de défoulement et d’agressivité intrinsèque, ‘hormonale’, dans ces manifestations violentes de dissension imaginaire. Comme les éléments sémiotiques, susmentionnés mais absents de l’étude, les éléments langagiers du dénigrement font
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partie du doing-fan. Cela ne les excuse évidemment pas, mais constitue la base d’une analyse sociologique qui assoirait plus solidement l’analyse sociolinguistique prévue par l’auteur. Peut-être la diversité des perspectives théoriques convoquées a-t-elle pesé sur la possibilité de profiler des résultats à partir d’échantillons parfois modestes : par exemple 20 arbitres sur 34 interrogés ont donné des exemples concrets d’insultes (p. 175), les autres évoquant simplement une atmosphère agressive. Dans ce contexte modérément représentatif, il semble délicat de conclure alors qu’il n’y a pas un « changement de la langue » (Wandel der Sprache) (p. 186) ou que le concept AdAmS décrit de façon exhaustive le dénigrement verbal de l’autre dans le foot amateur. En revanche, on ne sera guère étonné que le travail ne montre guère de différences d’usage entre la France et l’Allemagne. Au rayon des déceptions figure également le fait que l’ouvrage souffre de l’importation de parties typiquement doctorales : la présentation des concepts langagiers remonte jusqu’au signe saussurien d’un côté, tout en arrêtant la sociolinguistique à une conception qui date des années 1990, signe d’une inspiration théorique qui se cherche. Mais la diversité des angles abordés permet une vision panoramique des angles de réflexion que l’on peut ouvrir à partir d’un terme cru prononcé sur ou autour d’un terrain de foot vendéen ou sarrois. Odile Schneider-Mizony, Strasbourg Lübbe, Dorothea : Europera. Zeitgenössisches Musiktheater in Deutschland und Frankreich. Perspektiven auf künstlerische Innovationen und Kulturpolitik, Bielefeld : transcript, 2019, 276 p. L’ouvrage de Dorothea Lübbe, qui est tiré d’une thèse effectuée dans le cadre d’une cotutelle franco-allemande et soutenue en 2017 à l’Université d’AixMarseille, porte sur le théâtre musical contemporain en Allemagne et en France : il s’intéresse au renouvellement des spectacles d’opéra depuis la fin du XXème et le début du XXIème siècle, tout en se penchant sur les conditions structurelles et la politique culturelle nécessaires à de pareilles transformations. Le sujet est éminemment actuel, étant donné l’essor, ces dernières années, du « théâtre musical » sur les scènes européennes (Musiktheater en allemand, music theatre en anglais – le terme désignant des réalités variables selon les langues et les cultures), ainsi que le développement de la recherche à ce propos.7 ___________ 7
Nous renvoyons aux travaux de Matthias Rebstock et en particulier à l’ouvrage suivant, qui vient de paraître : ITI Zentrum Deutschland/Rebstock, Matthias (dir.) : Freies Musiktheater in Europa/Independent Music Theatre in Europa, Bielefeld : transcript, 2020.
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partie du doing-fan. Cela ne les excuse évidemment pas, mais constitue la base d’une analyse sociologique qui assoirait plus solidement l’analyse sociolinguistique prévue par l’auteur. Peut-être la diversité des perspectives théoriques convoquées a-t-elle pesé sur la possibilité de profiler des résultats à partir d’échantillons parfois modestes : par exemple 20 arbitres sur 34 interrogés ont donné des exemples concrets d’insultes (p. 175), les autres évoquant simplement une atmosphère agressive. Dans ce contexte modérément représentatif, il semble délicat de conclure alors qu’il n’y a pas un « changement de la langue » (Wandel der Sprache) (p. 186) ou que le concept AdAmS décrit de façon exhaustive le dénigrement verbal de l’autre dans le foot amateur. En revanche, on ne sera guère étonné que le travail ne montre guère de différences d’usage entre la France et l’Allemagne. Au rayon des déceptions figure également le fait que l’ouvrage souffre de l’importation de parties typiquement doctorales : la présentation des concepts langagiers remonte jusqu’au signe saussurien d’un côté, tout en arrêtant la sociolinguistique à une conception qui date des années 1990, signe d’une inspiration théorique qui se cherche. Mais la diversité des angles abordés permet une vision panoramique des angles de réflexion que l’on peut ouvrir à partir d’un terme cru prononcé sur ou autour d’un terrain de foot vendéen ou sarrois. Odile Schneider-Mizony, Strasbourg Lübbe, Dorothea : Europera. Zeitgenössisches Musiktheater in Deutschland und Frankreich. Perspektiven auf künstlerische Innovationen und Kulturpolitik, Bielefeld : transcript, 2019, 276 p. L’ouvrage de Dorothea Lübbe, qui est tiré d’une thèse effectuée dans le cadre d’une cotutelle franco-allemande et soutenue en 2017 à l’Université d’AixMarseille, porte sur le théâtre musical contemporain en Allemagne et en France : il s’intéresse au renouvellement des spectacles d’opéra depuis la fin du XXème et le début du XXIème siècle, tout en se penchant sur les conditions structurelles et la politique culturelle nécessaires à de pareilles transformations. Le sujet est éminemment actuel, étant donné l’essor, ces dernières années, du « théâtre musical » sur les scènes européennes (Musiktheater en allemand, music theatre en anglais – le terme désignant des réalités variables selon les langues et les cultures), ainsi que le développement de la recherche à ce propos.7 ___________ 7
Nous renvoyons aux travaux de Matthias Rebstock et en particulier à l’ouvrage suivant, qui vient de paraître : ITI Zentrum Deutschland/Rebstock, Matthias (dir.) : Freies Musiktheater in Europa/Independent Music Theatre in Europa, Bielefeld : transcript, 2020.
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D. Lübbe s’intéresse plus particulièrement aux structures et aux modes d’organisation dans le cadre desquels s’inscrivent les nouvelles formes de théâtre musical : son angle d’approche participe de la sorte des évolutions récentes des études théâtrales, qui mettent en évidence le rôle des cadres institutionnels et des modalités du travail artistique (qu’il s’agisse d’institutions établies ou de collectifs indépendants) dans leur interaction avec la dimension esthétique.8 Le choix de prendre en compte à la fois l’Allemagne et la France est tout à fait pertinent dans la mesure où le fonctionnement très différent de la scène opératique de part et d’autre du Rhin permet d’examiner un grand éventail de possibles, de faire des comparaisons et d’interroger par ailleurs l’éventuelle circulation des pratiques artistiques entre ces deux pays. L’ouvrage est structuré en trois grandes parties. Dans la première section, D. Lübbe définit, par rapport au concept d’opéra, la notion de « théâtre musical », revient sur l’histoire de ce dernier en France et en Allemagne depuis 1945 et pose le cadre institutionnel général dans lequel il évolue. La deuxième partie est pour sa part constituée d’études de cas, ce qui permet d’avoir un aperçu concret des expérimentations diverses caractérisant la scène opératique contemporaine. Sont examinés tour à tour, sous l’angle de la contemporanéité et de l’innovation, les cas de l’Opéra de Halle, dirigé par une nouvelle équipe à partir de 2016/2017, du Nouveau Théâtre de Montreuil et de son festival dédié depuis 2011 au théâtre musical, de l’Opéra de Wuppertal doté d’un nouveau directeur depuis 2016/2017, de l’Opéra Bastille et du projet qui présida à sa création en 1989, du collectif berlinois de théâtre musical Hauen und Stechen fondé en 2012, de la troupe indépendante Opera Lab Berlin, qui propose ses spectacles d’opéra contemporain depuis 2013, et de la compagnie franco-allemande de théâtre musical La Cage, laquelle présente depuis 2015 ses travaux dans les deux pays. A partir de cette enquête de terrain et du bilan qui en ressort, D. Lübbe dégage, lors la troisième partie du volume, des recommandations à l’attention des décideurs politiques, de manière à promouvoir une rénovation de la scène opératique : son ouvrage revêt donc également un caractère programmatique, au-delà de l’état des lieux qu’il propose. Si la démarche et les concepts utilisés au cours du travail sont clairement indiqués, on regrettera cependant que les choix faits ne soient pas davantage explicités et justifiés, voire nuancés : sur quelles références théoriques s’appuie l’analyse de discours qui est convoquée pour l’examen du corpus (p. 22) ? Pourquoi vouloir recourir à la définition de l’innovation proposée par l’économiste Joseph Schumpeter, tout en reconnaissant (p. 96 et p. 217) qu’elle n’est pas forcément adaptée au domaine artistique ? Par ailleurs, il est sans ___________ 8
Voir le projet ‚inaes‘ de l’Université de Munich. LMU München : Forschungszentrum Institutionelle Ästhetik (inaes), https://www.inaes.kunstwissenschaften.uni-muenchen.de /index.html (12/08/2020).
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doute dommage que la dimension franco-allemande de l’étude ne soit pas davantage développée et problématisée afin qu’on puisse apprécier les apports d’une perspective transnationale sur un pareil sujet. L’état de la recherche concernant les relations franco-allemandes en matière de théâtre aurait ainsi pu être plus complet, en ajoutant notamment la mention de l’ouvrage de Nicole Colin Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945.9 On notera en outre des approximations (par exemple – p. 43 – au sujet de la revue Théâtre populaire, dirigée en fait par Robert Voisin), d’assez nombreuses coquilles et des répétitions. Il n’en reste pas moins que le livre de D. Lübbe met en lumière un champ de recherche des plus passionnants. Florence Baillet, Paris Messling, Markus : Universalität nach dem Universalismus. Über frankophone Literaturen der Gegenwart, Berlin : Matthes & Seitz, 2019, 222 p. Liberté, égalité, fraternité : que reste-t-il de ces idéaux républicains à l’ère postcoloniale, et en particulier au tournant du XXIe siècle ? C’est à cette vaste question qu’est consacré le dernier ouvrage du romaniste et comparatiste Markus Messling, à partir des œuvres de neuf auteur.e.s contemporain.e.s de langue française. A cet égard, l’essai va bien au-delà d’une succession d’études de cas : si les analyses sont issues d’un cycle de conférences qui s’est tenu à la ifa-Galerie de Berlin en 2017, la densité des chapitres introductifs et les confrontations récurrentes entre les œuvres et postures auctoriales abordées confèrent une cohérence et une densité indéniables à l’ouvrage. Ce dernier n’en est pas moins tout à fait accessible à un public de non-connaisseurs des littératures de langue française : le style clair et précis, ainsi que les mises au point et résumés d’œuvres qui émaillent l’étude de Messling sont en effet calibrés pour un vaste public germanophone. De ce point de vue, nul hasard que ne soient indiqués nulle part les noms des traducteurs des œuvres littéraires et critiques sur lesquelles se fonde l’ouvrage, rédigé exclusivement en allemand – à l’exception de quelques expressions en français qui surgissent çà et là. Ce choix entre en cohérence avec la perspective dans laquelle s’inscrit l’étude, qui relève moins des études philologiques que des études culturelles. On ne trouvera pas dans l’essai d’analyses stylistiques de détail, qui auraient nécessité un recours ponctuel au texte français ; en revanche, le très large empan sociocritique de l’analyse signe son originalité dans l’actuel contexte critique français (en particulier métropolitain). Autre spécificité, l’extension que donne Messling à la notion de ‘littératures francophones’ est plutôt novatrice. Au lieu ___________ 9
Colin, Nicole : Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld : transcript, 2011.
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doute dommage que la dimension franco-allemande de l’étude ne soit pas davantage développée et problématisée afin qu’on puisse apprécier les apports d’une perspective transnationale sur un pareil sujet. L’état de la recherche concernant les relations franco-allemandes en matière de théâtre aurait ainsi pu être plus complet, en ajoutant notamment la mention de l’ouvrage de Nicole Colin Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945.9 On notera en outre des approximations (par exemple – p. 43 – au sujet de la revue Théâtre populaire, dirigée en fait par Robert Voisin), d’assez nombreuses coquilles et des répétitions. Il n’en reste pas moins que le livre de D. Lübbe met en lumière un champ de recherche des plus passionnants. Florence Baillet, Paris Messling, Markus : Universalität nach dem Universalismus. Über frankophone Literaturen der Gegenwart, Berlin : Matthes & Seitz, 2019, 222 p. Liberté, égalité, fraternité : que reste-t-il de ces idéaux républicains à l’ère postcoloniale, et en particulier au tournant du XXIe siècle ? C’est à cette vaste question qu’est consacré le dernier ouvrage du romaniste et comparatiste Markus Messling, à partir des œuvres de neuf auteur.e.s contemporain.e.s de langue française. A cet égard, l’essai va bien au-delà d’une succession d’études de cas : si les analyses sont issues d’un cycle de conférences qui s’est tenu à la ifa-Galerie de Berlin en 2017, la densité des chapitres introductifs et les confrontations récurrentes entre les œuvres et postures auctoriales abordées confèrent une cohérence et une densité indéniables à l’ouvrage. Ce dernier n’en est pas moins tout à fait accessible à un public de non-connaisseurs des littératures de langue française : le style clair et précis, ainsi que les mises au point et résumés d’œuvres qui émaillent l’étude de Messling sont en effet calibrés pour un vaste public germanophone. De ce point de vue, nul hasard que ne soient indiqués nulle part les noms des traducteurs des œuvres littéraires et critiques sur lesquelles se fonde l’ouvrage, rédigé exclusivement en allemand – à l’exception de quelques expressions en français qui surgissent çà et là. Ce choix entre en cohérence avec la perspective dans laquelle s’inscrit l’étude, qui relève moins des études philologiques que des études culturelles. On ne trouvera pas dans l’essai d’analyses stylistiques de détail, qui auraient nécessité un recours ponctuel au texte français ; en revanche, le très large empan sociocritique de l’analyse signe son originalité dans l’actuel contexte critique français (en particulier métropolitain). Autre spécificité, l’extension que donne Messling à la notion de ‘littératures francophones’ est plutôt novatrice. Au lieu ___________ 9
Colin, Nicole : Deutsche Dramatik im französischen Theater nach 1945. Künstlerisches Selbstverständnis im Kulturtransfer, Bielefeld : transcript, 2011.
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de distinguer les ‘littératures francophones’ des ‘littératures françaises’ – distinction pour le moins problématique lorsqu’elle mène à dénier subrepticement aux écrivain.e.s des DOM-TOM le statut de citoyens français –, Messling choisit de désigner l’ensemble des littératures de langue française comme ‘francophones’. Son étude milite ainsi pour un dialogue transculturel à l’échelle mondiale, qu’il reste à développer au sein de la critique en langues européennes. Dans une introduction substantielle, Messling met en perspective la nécessité pour les littératures de langue française de figurer une nouvelle Universalität (universalité), qui permettrait de dépasser un Universalismus (universalisme) discrédité par l’histoire impérialiste de sa mise en pratique internationale. A cet égard, les auteur.e.s abordés dans les trois parties principales de l’essai ne participent pas tous explicitement à la critique et/ou reconfiguration de cette valeur phare de la modernité française et de ses ambitions universalistes ; mais ils se positionnent tou.te.s par rapport à la devise ‘Liberté, égalité, fraternité’. Messling choisit toutefois de faire graviter la première partie de son essai autour de la notion d’égalité, décision qu’il justifie par sa volonté d’éclairer « un drame dialectique, que l’inversion des [deux premiers] mots permet d’invoquer […] : au nom de la liberté, on a non seulement soumis des sociétés, mais on a aussi diffusé ces ‘armes de la critique’ qui contribueront ensuite à miner l’impérialisme », menant à ce que les colonisés revendiquent la notion d’égalité pour marquer leur propre volonté d’émancipation (p. 48). C’est dès lors en leurs dialogues et frictions avec l’idéal égalitariste que sont lues les œuvres de Michel Houellebecq, Mathias Énard puis Camille de Toledo, qui réagissent de manière plus ou moins constructive à une expérience de la perte s’articulant à un « profond pessimisme anthropologique » (p. 56) – la palme du pessimisme revenant à l’auteur de Soumission. Mutatis mutandis, la deuxième partie d’analyse, qui dialogue avec la notion de ‘liberté’, aborde les œuvres d’Alexis Jenni, Kossi Efoui et Wajdi Mouawad, chez qui les dynamiques émancipatoires vont de pair avec une violence délétère au niveau du logos, de l’ethos comme du pathos. Enfin, la troisième partie de l’ouvrage examine les œuvres de Shumona Sinha, Edouard Glissant et Léonora Miano : mêlant force de dénonciation (surtout dans l’ouvrage Assommons les pauvres ! de Sinha) et force de proposition, les différentes stratégies d’écriture qui les caractérisent se saisissent de la problématique de la fraternité – et, plus largement, de la solidarité et de la convivance – à l’échelle internationale. Au terme de la lecture de cet essai, il apparaît que chacune des parties tend à valoriser les dynamiques constructives lorsqu’elles sont présentes dans les œuvres concernées. Le corpus à l’étude ne se limite donc pas à des « sismographes de notre présent en crise » (texte de couverture) ni à des généalogies critiques de la modernité européenne, mais relève aussi d’un engagement prospectif très net, qui est loin d’être toujours perçu par la critique en langues
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européennes portant sur les liens entre littérature et politique. Un approfondissement possible ici serait d’analyser plus en détail les rapports du littéraire au politique en fonction des différentes aires socio-culturelles abordées dans l’ouvrage. Comme l’ont montré Odile Cazenave et Patricia Célérier (Contemporary Francophone African Writers and the Burden of Commitment, UVP, 2011), l’injonction à une écriture essentiellement polémique a par exemple mené divers écrivains d’origine subsaharienne à élaborer des poétiques dépassant la formulation de contre-discours adressés à la métropole française. En sa manière de convoquer les travaux de Felwine Sarr et Léonora Miano, en particulier, c’est résolument dans cette voie que s’oriente l’ouvrage de Messling, qui devrait connaître des prolongements fructueux. Chloé Chaudet, Clermont-Ferrand Miard-Delacroix, Hélène/Wirsching, Andreas : Von Erbfeinden zu guten Nachbarn. Ein deutsch-französischer Dialog. Stuttgart : Reclam, 2019, 159 p. Von Erbfeinden zu guten Nachbarn de la germaniste française Hélène MiardDelacroix et du politologue allemand Andreas Wirsching raconte un siècle de relations franco-allemandes – de la guerre franco-prussienne de 1870 à la période qui suit immédiatement la Réunification. Centré sur l’histoire politique et diplomatique, l’ouvrage prend aussi en considération la perception réciproque d’un pays par l’autre et les sentiments collectifs qui ont pesé sur les décisions politiques et diplomatiques. Un premier chapitre rappelle les origines anciennes de ‘l’inimitié héréditaire’ : le souvenir des guerres menées par Louis XIV dans le Palatinat (sa politique de ‘réunion’), souvenir réactivé par le nationalisme allemand naissant pendant l’occupation napoléonienne, la flambée de patriotisme allemand en réponse aux vues françaises sur le Rhin dans les années 1840 (la ‘crise du Rhin’), puis la peur française d’une modification de l’équilibre européen à partir du moment où la Prusse s’affirme comme une grande puissance. Deux chapitres sont consacrés à la guerre de 1870 et à ses conséquences, le revanchisme français et la naissance du discours français des ‘deux Allemagne’ – l’une pacifique et cultivée, héritière du romantisme, l’autre puissante et agressive. Les trois chapitres consacrés à la 1ère Guerre mondiale s’inscrivent en faux contre la thèse selon laquelle toutes les puissances européennes auraient contribué à provoquer la guerre (thèse défendue notamment par Christopher Clarke, qui reprenait en cela la position historique de Lloyd George). L’échec des tentatives de réconciliation après 1918 s’explique par l’humiliation allemande consécutive au traité de Versailles et par l’intransigeance de la politique ‘d’exécution’ française – en dépit des efforts de nombreuses personnalités de part et d’autre – militants politiques et syndicaux, intellectuels, diplomates. Le
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chapitre consacré à la 2de Guerre mondiale rappelle la triple honte que représentent pour la mémoire française la défaite de 1940, l’Occupation et la Collaboration. Les chapitres consacrés à l’après-guerre expliquent les conditions de cette réconciliation qui avait échoué après 1918 et son rôle dans la construction européenne. L’ouvrage, joliment édité, offre une synthèse riche et précise, tout en étant agréable à lire en raison de sa forme narrative et dialoguée. La forme dialoguée ne sert d’ailleurs pas à présenter des points de vue antagonistes, ni même des points de vue spécifiquement allemands ou français, mais simplement à donner les éléments d’un récit ‘post-national’, qui thématise les divergences entre les discours nationaux et, par là-même, les dépasse. Attentifs aux phénomènes de mémoire, les auteur.e.s accordent une place importante aux détails symboliques dans la mise en scène de certains moments cruciaux de l’histoire : le choix du 18 janvier pour l’ouverture de la conférence de Versailles en 1919, qui fait écho au 18 janvier 1871, date de la proclamation de l’Empire allemand dans la Galerie des Glaces à Versailles, elle-même choisie en souvenir du couronnement de Frédéric Ier, premier roi en Prusse et héros des guerres contre Louis XIV, le 18 janvier 1701; ou encore le wagon de Rethondes, dans lequel le maréchal Foch fit signer l’armistice de 1918 à l’État-major allemand et qu’Hitler exhuma pour faire signer l’armistice de 1940 aux Français. Un regret : que l’ouvrage s’arrête si tôt après la Réunification (même s’il inclut quelques allusions à la présidence d’Emmanuel Macron). Le ‘bon voisinage’ auquel fait allusion le titre n’est pas une amitié sans nuages. Un degré d’institutionnalisation des relations bilatérales unique au monde associé au cadre européen fait que les conflits ne se tranchent plus par la force comme dans le passé. Mais ils n’ont pas disparu. On aurait aimé que cette synthèse, écrite par un observateur et une observatrice privilégié.e.s des relations franco-allemandes, explique aussi comment les récents ‘couples’ président-chancelièr.e, la crise de la dette, la crise des réfugiés, mais aussi la résurgence régulière d’un discours anti-allemand en France et le scepticisme anti-français en Allemagne s’inscrivent – ou pas – dans la continuité d’une histoire plus ancienne. Béatrice Durand, Berlin Müller, Wolfgang: Die Universität des Saarlandes. Impressionen aus einer bewegten Geschichte, Erfurt: Sutton-Verlag, 22017, 127 S. (Bezug nur über Universitätsarchiv.) Der Verfasser, Dr. Wolfgang Müller, präsentiert sein Werk als ‚einen Spaziergang‘ durch die bewegte Geschichte der Universität des Saarlandes. Von vornherein darf man schreiben, dass die Leserschaft zu einer sehr angenehmen und gelungenen Wanderung eingeladen wird. Es geht mir weniger darum, die Vollkommenheit der Arbeit zu preisen – andere Kolleg*innen haben es schon
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chapitre consacré à la 2de Guerre mondiale rappelle la triple honte que représentent pour la mémoire française la défaite de 1940, l’Occupation et la Collaboration. Les chapitres consacrés à l’après-guerre expliquent les conditions de cette réconciliation qui avait échoué après 1918 et son rôle dans la construction européenne. L’ouvrage, joliment édité, offre une synthèse riche et précise, tout en étant agréable à lire en raison de sa forme narrative et dialoguée. La forme dialoguée ne sert d’ailleurs pas à présenter des points de vue antagonistes, ni même des points de vue spécifiquement allemands ou français, mais simplement à donner les éléments d’un récit ‘post-national’, qui thématise les divergences entre les discours nationaux et, par là-même, les dépasse. Attentifs aux phénomènes de mémoire, les auteur.e.s accordent une place importante aux détails symboliques dans la mise en scène de certains moments cruciaux de l’histoire : le choix du 18 janvier pour l’ouverture de la conférence de Versailles en 1919, qui fait écho au 18 janvier 1871, date de la proclamation de l’Empire allemand dans la Galerie des Glaces à Versailles, elle-même choisie en souvenir du couronnement de Frédéric Ier, premier roi en Prusse et héros des guerres contre Louis XIV, le 18 janvier 1701; ou encore le wagon de Rethondes, dans lequel le maréchal Foch fit signer l’armistice de 1918 à l’État-major allemand et qu’Hitler exhuma pour faire signer l’armistice de 1940 aux Français. Un regret : que l’ouvrage s’arrête si tôt après la Réunification (même s’il inclut quelques allusions à la présidence d’Emmanuel Macron). Le ‘bon voisinage’ auquel fait allusion le titre n’est pas une amitié sans nuages. Un degré d’institutionnalisation des relations bilatérales unique au monde associé au cadre européen fait que les conflits ne se tranchent plus par la force comme dans le passé. Mais ils n’ont pas disparu. On aurait aimé que cette synthèse, écrite par un observateur et une observatrice privilégié.e.s des relations franco-allemandes, explique aussi comment les récents ‘couples’ président-chancelièr.e, la crise de la dette, la crise des réfugiés, mais aussi la résurgence régulière d’un discours anti-allemand en France et le scepticisme anti-français en Allemagne s’inscrivent – ou pas – dans la continuité d’une histoire plus ancienne. Béatrice Durand, Berlin Müller, Wolfgang: Die Universität des Saarlandes. Impressionen aus einer bewegten Geschichte, Erfurt: Sutton-Verlag, 22017, 127 S. (Bezug nur über Universitätsarchiv.) Der Verfasser, Dr. Wolfgang Müller, präsentiert sein Werk als ‚einen Spaziergang‘ durch die bewegte Geschichte der Universität des Saarlandes. Von vornherein darf man schreiben, dass die Leserschaft zu einer sehr angenehmen und gelungenen Wanderung eingeladen wird. Es geht mir weniger darum, die Vollkommenheit der Arbeit zu preisen – andere Kolleg*innen haben es schon
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getan –, sondern ich möchte eher die Hartnäckigkeit und das Durchhaltevermögen des Archivars betonen bzw. würdigen. Es bedurfte Jahre, um das verstreute Fotomaterial zu sammeln. Eine unermüdliche Neugierde hat den Autor in alle Himmelsrichtungen getrieben, um einen stattlichen Band zusammenzuführen. Diese oft verkannte Tätigkeit erhebt ihn meiner Ansicht nach zum Vorbild. Zwar erweckt das ‚Bilderbuch‘ einen Hauch Sehnsucht, hauptsächlich bei den ehemaligen Studierenden und Professor*innen, aber die Zusammenfassung reicht weit darüber hinaus. Wolfgang Müller hat sein Werk didaktisch – also lehrreich – ausgebaut. Wer einen raschen und doch umfassenden Überblick über die Saar-Universität bekommen will, der kann sorglos auf diese Arbeit zurückgreifen. Er wird gut beköstigt. Als der europäische Gedanke noch in den Anfängen steckte, spielte sich seit 1948 ein Experiment ab, das weitgehende Folgen haben sollte. Wenn auch der Vorgang nicht frei von nationalistischen Hintergedanken war, so hat sich dort trotzdem etwas ereignet, was das zukünftige Europa erahnen ließ. Müller beschreibt mit Akribie diesen Vorposten der deutsch-französischen Zusammenarbeit. Allmählich schildert er dann die verschiedenen Übergänge, die bis zur heutigen Globalisierung geführt haben. Jeder Zeitabschnitt bietet eine Gelegenheit, uns spüren zu lassen, welche Vorreiterrolle die Universität des Saarlandes spielte, bis zum heutigen Tage, wo Informatik und Nanoforschung dazu beitragen, ihren Ruhm weltweit auszubreiten. Didier Hemmert, Saargemünd † In memoriam Didier Hemmert (23. Oktober 1956 – 4. April 2020), Stadtarchivar von Saargemünd Aus: Unsere Archive – Mitteilungen aus den rheinland-pfälzischen und saarländischen Archiven Heft 65, 2020, S. 62. Mit großer Betroffenheit erfuhren wir Anfang April 2020 vom Tode unseres geschätzten Kollegen und Freundes Didier Hemmert. Wegen seiner Kompetenz, seines weiten Œuvres, seines Engagements und seiner den Mitmenschen mit Empathie begegnenden Persönlichkeit war der langjährige Direktor des Stadtarchivs Saargemünd in der Region diesseits und jenseits der Grenze bekannt und beliebt. 1981 übernahm er nicht zuletzt dank der Förderung seines ehrenamtlichen Vorgängers Henri Hiegel die Leitung des Stadtarchivs Saargemünd, das er dank vielfältiger Aktivitäten nahezu drei Jahrzehnte prägen sollte. Durch zahlreiche, von Katalogen begleitete Ausstellungen, regelmäßige Vorträge und die Aktivitäten der 1986 gegründeten Vereinigung Confluence pflegte er zugleich eine intensive archivische Öffentlichkeitsarbeit.
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Auf seine Einladung fand auch die 30. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländischer Archive am 11. September 1989 in Saargemünd und damit erstmals außerhalb der beiden Bundesländer statt. Im Rahmen des unter dem Motto „Archive ohne Grenzen“ stehenden 83. Deutschen Archivtages in Saarbrücken war das Stadtarchiv Saargemünd am 25. September 2013 Ziel einer von Didier Hemmert und Dr. Wolfgang Müller geplanten Exkursion. Als kompetenter und durch intensive Quellenkenntnis beeindruckender Archivar gehörte Didier Hemmert seit dem Beginn auch dem Kuratorium der von dem früheren Saarbrücker Stadtarchivar Dr. Hanns Klein 1997 gegründeten Aleksandra-Stiftung an. 2004 wurde er zum membre correspondant der Académie Nationale de Metz gewählt und 2008 zum membre associé dieser 1757 gegründeten Wissenschaftsorganisation befördert. Seine Publikationen umfassen neben grundlegenden Arbeiten zur Geschichte der Stadt Saargemünd, des Bitscher Landes und zu verschiedenen Epochen dieser Landschaft insbesondere biographische Studien zu Geistlichen, Kaufleuten, zu jüdischen Familien im unteren Bliestal, zu Unternehmern, und Politikern sowie zur Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Wolfgang Müller / Michael Sander Polzin-Haumann, Claudia/Putsche, Julia/Reissner, Christina (Hg.): Wege zu einer grenzüberschreitenden deutsch-französischen Fremdsprachendidaktik. Etat des lieux, enjeux, perspectives, St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 2019, 186 S. Anlässlich des europäischen Tages der Sprachen am 25. September 2020 haben sich Armin Laschet in seiner Funktion als deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter und der französische Minister für Bildung, Jugend und Sport, Jean-Michel Blanquer, mit einer gemeinsamen Videobotschaft an Lehrer*innen und Schüler*innen in beiden Ländern gewandt, um für das Lehren und Lernen der Partnersprache zu werben. In ihrer Argumentation legen sie den Fokus ergebnisorientiert auf die Chancen und Möglichkeiten, die sich durch das Beherrschen von Fremdsprachen eröffnen. Der Sammelband Wege zu einer grenzüberschreitenden deutsch-französischen Fremdsprachendidaktik, zusammengestellt aus Beiträgen, die auf dem 10. Frankoromanistentag im Oktober 2016 in der saarländischen Landeshauptstadt zum Thema „Grenzbeziehungen – Beziehungsgrenzen (Liaisons frontalières)“ präsentiert wurden, erschien 2019, im Jahr des Aachener Vertrags und untersucht verschiedene Aspekte des Fremdsprachenlernens an der Grenze zwischen beiden Ländern. In der Einleitung bieten Claudia Polzin-Haumann, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität des Saarlandes, ihre Lehrstuhlmitarbeiterin Dr. Christina Reissner und Julia Putsche, Dozentin für Fremdsprachendidaktik an der Universität Straßburg, einen informativen
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Auf seine Einladung fand auch die 30. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländischer Archive am 11. September 1989 in Saargemünd und damit erstmals außerhalb der beiden Bundesländer statt. Im Rahmen des unter dem Motto „Archive ohne Grenzen“ stehenden 83. Deutschen Archivtages in Saarbrücken war das Stadtarchiv Saargemünd am 25. September 2013 Ziel einer von Didier Hemmert und Dr. Wolfgang Müller geplanten Exkursion. Als kompetenter und durch intensive Quellenkenntnis beeindruckender Archivar gehörte Didier Hemmert seit dem Beginn auch dem Kuratorium der von dem früheren Saarbrücker Stadtarchivar Dr. Hanns Klein 1997 gegründeten Aleksandra-Stiftung an. 2004 wurde er zum membre correspondant der Académie Nationale de Metz gewählt und 2008 zum membre associé dieser 1757 gegründeten Wissenschaftsorganisation befördert. Seine Publikationen umfassen neben grundlegenden Arbeiten zur Geschichte der Stadt Saargemünd, des Bitscher Landes und zu verschiedenen Epochen dieser Landschaft insbesondere biographische Studien zu Geistlichen, Kaufleuten, zu jüdischen Familien im unteren Bliestal, zu Unternehmern, und Politikern sowie zur Wirtschaftsgeschichte des 18. Jahrhunderts. Wolfgang Müller / Michael Sander Polzin-Haumann, Claudia/Putsche, Julia/Reissner, Christina (Hg.): Wege zu einer grenzüberschreitenden deutsch-französischen Fremdsprachendidaktik. Etat des lieux, enjeux, perspectives, St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag, 2019, 186 S. Anlässlich des europäischen Tages der Sprachen am 25. September 2020 haben sich Armin Laschet in seiner Funktion als deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter und der französische Minister für Bildung, Jugend und Sport, Jean-Michel Blanquer, mit einer gemeinsamen Videobotschaft an Lehrer*innen und Schüler*innen in beiden Ländern gewandt, um für das Lehren und Lernen der Partnersprache zu werben. In ihrer Argumentation legen sie den Fokus ergebnisorientiert auf die Chancen und Möglichkeiten, die sich durch das Beherrschen von Fremdsprachen eröffnen. Der Sammelband Wege zu einer grenzüberschreitenden deutsch-französischen Fremdsprachendidaktik, zusammengestellt aus Beiträgen, die auf dem 10. Frankoromanistentag im Oktober 2016 in der saarländischen Landeshauptstadt zum Thema „Grenzbeziehungen – Beziehungsgrenzen (Liaisons frontalières)“ präsentiert wurden, erschien 2019, im Jahr des Aachener Vertrags und untersucht verschiedene Aspekte des Fremdsprachenlernens an der Grenze zwischen beiden Ländern. In der Einleitung bieten Claudia Polzin-Haumann, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität des Saarlandes, ihre Lehrstuhlmitarbeiterin Dr. Christina Reissner und Julia Putsche, Dozentin für Fremdsprachendidaktik an der Universität Straßburg, einen informativen
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Problemaufriss sowohl auf theoretischer wie bildungspolitischer Ebene. Es ist gerade für Studierende und interessierte Praktiker*innen aus dem Bildungsbereich äußerst hilfreich, dass sie eingangs auf das sogenannte Grenzkompetenzmodell des romanistischen Sprachwissenschaftlers und Fachdidaktikers Albert Raasch verweisen und weitere Arbeiten zur Fremdsprachendidaktik sowie Beispiele aus der Praxis im deutsch-französischen Grenzraum vorstellen. Exemplarisch für die Vielzahl bildungspolitischer Initiativen gehen die Autorinnen auf die Charta für Mehrsprachigkeit der Oberrheinkonferenz (2013) und die Frankreichstrategie des Saarlandes (2014) ein. Zukünftige Untersuchungen werden auch die am 14. Juli 2020 vorgestellte FrankreichKonzeption des Landes Baden-Württemberg mit in eine solche Thematik aufnehmen können. Wie die Herausgeberinnen sind auch alle anderen Autor*innen des Sammelbandes selbst in der Grenzregion tätig. Anemone Geiger-Jaillet, Professorin für Sprachwissenschaft an der Universität Straßburg, widmet sich in ihrem Beitrag der Vielfältigkeit von bilingualen Kindertageseinrichtungen. Positiv hervorzuheben ist, dass die Autorin bei ihrer Analyse der unterschiedlichen Konzepte von Kleinkindbetreuung und -bildung in Deutschland und Frankreich nicht von einer westdeutschen Norm ausgeht, sondern auch die Betreuung in der DDR in ihrer Ähnlichkeit mit der Betreuungsorganisation in Frankreich erwähnt. Dominique Macaire, Professorin an der Université de Lorraine, ist in der Ausbildung von Lehrer*innen tätig und untersucht die Besonderheiten des didaktischen Umgangs mit Mehrsprachigkeit in der deutschfranzösischen Grenzregion am Beispiel der beruflichen Praxis in Kitas und Ecoles maternelles im Saarland und in Lothringen. Chloé Faucompré, die für ihre Doktorarbeit zur Frage, welche didaktischen Ansätze für das Sprachenlernen in der deutsch-französischen Grenzregion besonders förderlich sind, 2019 mit dem Preis der Université de Haute-Alsace ausgezeichnet wurde, stellt ein konkretes Unterrichtsprojekt vor, das an vier Klassen in Straßburg und Freiburg/Breisgau durchgeführt wurde. Es ermutigte Lehrkräfte, grenzüberschreitende Praktiken und Erfahrungen der Schüler*innen stärker in den Kontext des Fremdsprachenlernens einzubeziehen und zu reflektieren. Die beiden Sprachwissenschaftlerinnen der Universität des Saarlandes, Dr. Julia Montemayor Garcia und Dr. Vera Neusius, haben das Sprachbewusstsein und die Einstellungen von Romanistikstudierenden in der Grenzregion untersucht und kommen zu konkreten Empfehlungen für die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte zu möglichst authentischen Sprach- und Kulturvermittler*innen. Karin Dietrich-Chénel von der Université de HauteAlsace in Mulhouse und Clara Fritz von der Pädagogischen Hochschule Freiburg/Breisgau blicken zurück auf die Erfolgsgeschichte des integrierten deutsch-französischen Lehramtsstudiums im Primarbereich, die ihre beiden Hochschulen seit 1998/99 miteinander verbindet. Mehr als 100 Studierende
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haben diesen Parcours inzwischen absolviert. Eine Mehrzahl von ihnen ist heute im Grenzraum als Lehrkräfte aktiv. Dr. Jürgen Michael Schulz, Geschichtsdidaktiker der Universität Trier, analysiert die Nutzungsmöglichkeiten des dreibändigen deutsch-französischen Geschichtsbuchs „Histoire/Geschichte“ bis hin zum Einsatz in Luxemburg. Zum Abschluss des Sammelbandes stellt die in Nancy lebende und an der Universität Luxemburg lehrende Sprachwissenschaftlerin Sabine Ehrhart die provokante Frage, ob es noch sinnvoll ist, eine Fremdsprachendidaktik für die Grenzregion zu suchen. Sie plädiert für eine Ausweitung der „Grenzdidaktik auch für Gebiete, die weiter von den Grenzen entfernt liegen“ und für eine Abkehr von der „‚Fremd‘-Sprachendidaktik für alle Sprachen, die wir nicht in den ersten Lebensjahren gelernt haben“ (S. 183). Das ist ein spannender Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Sandra Schmidt, Paris Pröll, Julia/Lüsebrink, Hans-Jürgen/Madry, Henning (Hg.): Médecins–écrivains français et francophones. Imaginaires–poétiques–perspectives interculturelles et transdisciplinaires, Würzburg : Köningshausen & Neumann, 2018, 386 S. Der von Julia Pröll, Hans-Jürgen Lüsebrink und Henning Madry herausgegebene Sammelband der Reihe Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literaturund Kulturwissenschaft schließt eine Lücke der Frankophonieforschung, die dem Arzt-Schriftsteller bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Beiträge bestehen aus dem Abdruck der im Kolloquium vom 28. bis 30. Januar 2016 in Saarbrücken gehaltenen Vorträge. Julia Prölls umfassende Einleitung (S. 10–36) kann es sich als Verdienst anrechnen, über die Frage des Schreibprozesses und des Heilungsprozesses unter Berücksichtigung der Schreibpraxis, des geschichtlichen Hintergrundes und über die kritische Verwertung von Sekundärliteratur hinaus Grundlagen für eine tiefgreifende theoretische und textanalytische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen zwischen Medizin und Literatur im postmodernen Kontext zu schaffen. Pröll verortet die Grundthematik innerhalb der Literature and Science Studies, einem Forschungsgebiet, das in den 1980er-Jahren in der englischsprachigen Welt entstand. Diese Einführung, in der für das Thema des Bandes relevante Fragestellungen gründlich und instruktiv abgehandelt werden, kann auch als Brücke zu den einzelnen Studien dieses Bandes gesehen werden. Die vierundzwanzig im Band enthaltenen Beiträge sind in die nachfolgenden Schwerpunkte gegliedert: „Die Stimmen der Schriftsteller: Umstellung von Skalpell auf Bleistift“ (43–95), „Transfer: Selektion, produktive Aneignungen, Mediationen“ (97–172), „Kontamination und Permeabilität: Wie
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haben diesen Parcours inzwischen absolviert. Eine Mehrzahl von ihnen ist heute im Grenzraum als Lehrkräfte aktiv. Dr. Jürgen Michael Schulz, Geschichtsdidaktiker der Universität Trier, analysiert die Nutzungsmöglichkeiten des dreibändigen deutsch-französischen Geschichtsbuchs „Histoire/Geschichte“ bis hin zum Einsatz in Luxemburg. Zum Abschluss des Sammelbandes stellt die in Nancy lebende und an der Universität Luxemburg lehrende Sprachwissenschaftlerin Sabine Ehrhart die provokante Frage, ob es noch sinnvoll ist, eine Fremdsprachendidaktik für die Grenzregion zu suchen. Sie plädiert für eine Ausweitung der „Grenzdidaktik auch für Gebiete, die weiter von den Grenzen entfernt liegen“ und für eine Abkehr von der „‚Fremd‘-Sprachendidaktik für alle Sprachen, die wir nicht in den ersten Lebensjahren gelernt haben“ (S. 183). Das ist ein spannender Ausblick auf zukünftige Entwicklungen. Sandra Schmidt, Paris Pröll, Julia/Lüsebrink, Hans-Jürgen/Madry, Henning (Hg.): Médecins–écrivains français et francophones. Imaginaires–poétiques–perspectives interculturelles et transdisciplinaires, Würzburg : Köningshausen & Neumann, 2018, 386 S. Der von Julia Pröll, Hans-Jürgen Lüsebrink und Henning Madry herausgegebene Sammelband der Reihe Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literaturund Kulturwissenschaft schließt eine Lücke der Frankophonieforschung, die dem Arzt-Schriftsteller bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt hat. Die Beiträge bestehen aus dem Abdruck der im Kolloquium vom 28. bis 30. Januar 2016 in Saarbrücken gehaltenen Vorträge. Julia Prölls umfassende Einleitung (S. 10–36) kann es sich als Verdienst anrechnen, über die Frage des Schreibprozesses und des Heilungsprozesses unter Berücksichtigung der Schreibpraxis, des geschichtlichen Hintergrundes und über die kritische Verwertung von Sekundärliteratur hinaus Grundlagen für eine tiefgreifende theoretische und textanalytische Auseinandersetzung mit den Verhältnissen zwischen Medizin und Literatur im postmodernen Kontext zu schaffen. Pröll verortet die Grundthematik innerhalb der Literature and Science Studies, einem Forschungsgebiet, das in den 1980er-Jahren in der englischsprachigen Welt entstand. Diese Einführung, in der für das Thema des Bandes relevante Fragestellungen gründlich und instruktiv abgehandelt werden, kann auch als Brücke zu den einzelnen Studien dieses Bandes gesehen werden. Die vierundzwanzig im Band enthaltenen Beiträge sind in die nachfolgenden Schwerpunkte gegliedert: „Die Stimmen der Schriftsteller: Umstellung von Skalpell auf Bleistift“ (43–95), „Transfer: Selektion, produktive Aneignungen, Mediationen“ (97–172), „Kontamination und Permeabilität: Wie
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schreibt man (zwischen) zwei Kulturen?“ (173–283) „Interkulturelle Begegnungen: medizinische Kulturen in Kontakt und Konflikt“ (284–375). Der erste thematische Teil ist den Erfahrungen der Schriftsteller gewidmet, die sich der Problematik von einer eher künstlerischen als wissenschaftlichen Perspektive nähern. Der Beitrag der Schriftstellerin und Psychiaterin Ouanessa Younsi besteht aus Selbstreflexionen über die besondere Stellung der Literatur sowohl in ihrem eigenen Alltag als Ärztin als auch in ihrem Schaffensprozess. Der kanadische Literaturwissenschaftler, Dichter und Mediziner Jean Désy erzählt in seinem Beitrag von der Entdeckung des Nordens und von der Begegnung mit den Ureinwohnern Kanadas. Marie Didier reflektiert in ihrem Beitrag ihren eigenen Schaffensprozess, wobei die Lektüre einiger Klassiker wie etwa Mikhail Boulgakov, Jean Reverzy oder Philippe Pinel auf der einen Seite und ihre eigenen Erfahrungen im Spital auf der anderen Seite eine wichtige Rolle zukommen. Sarah T. Reyna beschreibt in vier Schritten, was die Literatur und die Medizin gemeinsam leisten können: (1) Schreiben + Behandlung = Entlastung; (2) Literatur + Medizin = Medizin?; (3) Schreiben + Orthophonist = Orthophonist; (4) Lesen + Schreiben = ein Weg. In einem Stil, der den Aphorismen nahekommt, beschreiben Marc Zaffran und Martin Winckler in 57 Punkten ihre Erfahrung des Schreibens als Mediziner und was sie unter Kunst verstehen. Peter C. Johnson und Aparna Shekar wenden sich der Problematik des Hasses in der Medizin und insbesondere ihrer Darstellung in den neuen Medien, in der Literatur und im Internet zu. Sie richten ihr Augenmerk in erster Linie darauf, wie Autoren wie Michael Swango sowie Richard und Enid Peschel die Motive der Depression, der Frustration, der Fahrlässigkeit oder der Missachtung herausarbeiten. Martina Diaz und Alexandre Wenger zeigen in ihrem Beitrag „Henri Mondor et la revue Art et Médecine: construction de l’idéal du « médecin littérateur » dans les années 1930“, dass im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, das geprägt von einer Zersplitterung des Wissens und einer Autonomie von Literatur und Medizin ist, zu Anfang des 20. Jahrhunderts enge Verbindungen zwischen Poesie und Medizin, zwischen poetischem Schreiben und wissenschaftlicher Tätigkeit nachweisbar sind. Der Beitrag von Gerardo Acerenza ist dem kanadischen Schriftsteller und Polemisten Jacques Ferron gewidmet. Auf der Grundlage von literarischen Chroniken, die in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurden, präsentiert Gerardo Acerenza Ferrons Kritik an der Ärzteschaft. Sophie Dubois beschäftigt sich mit einem Text von dem Psychiater, Psychoanalytiker und Künstler Bruno Cormier, veröffentlicht in dem Manifest Refus Global. Vor dem Hintergrund von Cormiers Engagement in der Künstlergruppe Automatistes wird über die Interaktionen zwischen künstlerischer Sensibilität und wissenschaftlicher Reflexion insbesondere der Einfluss der Wissenschaft auf die Kunst nachgezeichnet. Marc Lapprand hinterfragt Martin Wincklers Romane Le Choeur des femmes und En souvenir d’André
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vor dem Hintergrund des evolutionistischen Modells und des literarischen Darwinismus. Der Beitrag von Maximilian Gröne konzentriert sich auf Wincklers Medienpräsenz in sozialen Netzwerken und beschreibt seine Strategie zur Verbreitung medizinischen Wissens im Internet. Der zweite Teil des Sammelbands „Contaminations et perméabilités: comment écrire (entre) les deux cultures ?“ beginnt mit einem Aufsatz von Gérard Danou über Le Passage und Place des Angoisses, zwei Romane von Jean Reverzy. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Reverzys Überlegungen über Alter, Krankheit und Tod. Es wird deutlich, dass eine Reflexion über die Medizin auf der Grundlage praktischer Erfahrungen, die durch die Polyphonie des literarischen Textes bereichert wird, grundlegend ist, um die Komplexität des Alltags besser zu erfassen und der Sprache ihre Ausdruckskraft sowie Metaphorik zurückzugeben. Thomas Augais und Julien Knebusch thematisieren am Beispiel der Freundschaft zwischen Henri Mondor und Paul Valery die Wechselbeziehungen zwischen Dichtung und einem lange verachteten Zweig der Medizin, der Chirurgie. Daniel Lançons Beitrag „« Feuilles d’hôpital » (1970-1990), les cahiers du chirurgien hospitalier et poète Lorand Gaspar“ beschäftigt sich mit dem zum Teil unveröffentlichten Werk des Arztes, Essayisten, Übersetzers und Fotografen Lorand Gaspar. Die Feuilles d’hôpital sind Notizen, die Gaspard im Rahmen seiner Arbeit als Chirurg zwischen 1970 und 1990 schrieb. Der Beitrag von Philippe Beck „Médecine, littérature et culture de guerre. Une configuration trilatérale chez Max Deauville ?“ befasst sich mit der Problematik des Arzt-Schriftstellers im Kontext der belgischen Literatur. Die Wechselbeziehungen zwischen Medizin und Literatur werden in Bezug auf den Einfluss der medizinischen Tätigkeit auf die literarische Arbeit untersucht. Piotr Sadkowskis Rezeptionsstudie „Des regards médicaux et psychologiques sur la Grande Guerre chez Georges Duhamel, LouisFerdinand Céline et Sergio Kokis“ stellt die Erfahrungen des Kriegs und die literarische Verarbeitung dieser Erfahrung in Verbindung mit dem Werk des Malers, Schriftstellers und Psychologen Sergio Kokis. Ziel von Jutta Weisers Studie „L’écriture médicale et pathologique de Louis-Ferdinand Céline : à propos de la poétologie médico-littéraire du prologue de Mort à crédit“ befasst sich mit dem Einfluss medizinischer Genres auf Celines literarisches Schreiben. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die Verflechtung der literarischen Gattungen, die Permeabilität der Grenzen zwischen Autor und Erzähler, zwischen Imagination und Erfahrung sowie zwischen Literatur und Medizin. Weisers narratologische Analyse weist drauf hin, dass Celines experimentelles Schreiben zu einer medizinisch-literarischen Poetik führt, die mit den traditionellen Formen des Romans bricht. Yasmin Temellis Beitrag „Un style au scalpel : l’écriture acérée d’Antoine Sénanque dans Blouse (2004) et La grande garde (2007)“ beschäftigt sich mit der Entmystifizierung der Medizin in den Werken Sénanques‘. Im Zuge der Kritik des französischen Gesundheitssystems der letzten Jahrzehnte, schreibt Sénanque Romane, die
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durch die Fiktionalisierung des Alltags in den Krankenhäusern die Ängste und die Forderungen der Ärzte und des Krankenhauspersonals aufnehmen. Der dritte Teil des Bandes mit dem Titel „Confrontations interculturelles: cultures (médicales) en contact et en conflit“ erweitert die Perspektive durch den Blick auf außereuropäische Literaturen und Kulturen. Die ersten Aufsätze von Papa Samba Diop, Hans-Jürgen Lüsebrink und János Riesz sind thematisch durch ihr Interesse an frankophonen Autoren verbunden. Papa Samba Diop untersucht, auf welche Weise Jean-Price Mars‘s Schriften sich im Spannungsfeld von Anthropologie, Psychologie, Politik und Literatur bewegen. Der Autor von Ainsi parla l’oncle und Herausgeber der Annales de Médecine Haïtienne betrachtet Haiti, das unter politischer und kultureller Vorherrschaft stand, als einen kranken Körper, der in seiner Geschichte gestört, in seiner Geografie eingeschränkt und vom Standpunkt seiner religiösen Glaubensvorstellungen her chaotisch ist. Der folgende Beitrag von Hans-Jürgen Lüsebrink „Les Mémoires et les Contes de Birago Diop. Lecture interculturelle de l’œuvre d’un vétérinaire africain, de l’époque coloniale à l’ère postcoloniale“ beschäftigt sich mit den autobiographischen und den epischen Texten des Tierarztes und Schriftstellers Birago Diop, der eine Verbindung zwischen seinem Beruf als Tierarzt und seiner Leidenschaft für die Literatur herstellt. In seiner Analyse zeigt Lüsebrink, dass die Mémoires trotz einer intensiven Erfahrung der Vielfalt der traditionellen afrikanischen Kulturen und ihrer oralen Literatur weitgehend auf der Ebene der Ereignisse bleiben und in dieser Hinsicht nur sehr selten eine reflexivere Dimension erreichen. János Riesz‘ literaturwissenschaftliche Analyse wendet sich der Ambivalenz der afrikanischen Initiation und der westlichen Medizin am Beispiel von Olympe Bhêly-Quénums Roman L’Initié zu. An der Konfrontation zwischen dem Arzt Marc-Kofi Tingo und dem Heiler Djessou zeigt János Riesz wie Olympe im Roman die politische Sphäre und den Machtkampf auf der einen Seite und die medizinische und kulturelle Sphäre auf der anderen Seite miteinander verbindet. Julia Pröll thematisiert in ihrem Beitrag „La greffe chez les médecins-écrivains français et francophones de l’extrême contemporain : entre tentation prométhéenne et métaphore postcoloniale?“ den grundlegenden Widerspruch, der die Transplantation, um es mit den Worten Mokeddems auszudrücken „zu einem Heilmittel durch Verstümmelung“ (S. 330) macht. Am Beispiel von Un léopard sur le garrot. Chroniques d’un médecin nomade von JeanChristoph Rufin, L’Odyssée du rein von Jean Vacant, Vaincre la mort von MichelRaymond Corniglion und Réparer les vivants von Maylis de Kerangal beschreibt Julia Pröll einen Prozess der Literarisierung und der Mythisierung der Transplantation auf der einen Seite durch die Schaffung eines Mythos über den Transplantationsarzt und das Transplantat und auf der anderen Seite durch die Heroisierung des Empfängers. Der Beitrag von Emine Bogenç Demirel ist dem Arzt und Schriftsteller Dr. Marco-Ovadiya Albukrek und Autor von Mes amis les malades (1956), Propos d’un flâneur (1974) und von zahlreichen
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medizinischen und literarischen Essays gewidmet. Bogenç Demirel weist in einer biographischen und soziologischen Analyse darauf hin, dass alle Schriften des multikulturellen Autors auf seiner Lebenserfahrung, seinen Reflexionen über Gesellschaft, Literatur und Politik sowie der Vermittlung menschlicher Werte basieren. In seinem Nachwort „Littérature/Médecine. Parcours épistémologiques et philologiques“ beschäftigt sich Hans-Jürgen Lüsebrink mit theoretischen und methodischen Grundfragen der Wechselbeziehungen zwischen Medizin und Literatur bzw. des Arztes als Schriftsteller und thematisiert damit zusammenhängende Aspekte, die teilweise in den anderen Beiträgen des Bandes aufgegriffen wurden. Er fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und bringt die Erkenntnisse aller Beiträge auf einen gemeinsamen Nenner. Im Zentrum des überaus nützlichen und aufschlussreichen Nachworts steht zum einen die Erörterung der epistemologischen Aspekte, d. h. die Frage nach der Wissenskonstruktion bzw. nach der konzeptuellen und methodologischen Charakteristik und zum anderen die Erläuterung der philologischen Perspektiven, also der sprachlichen Form und der Rhetorik. Lüsebrink zufolge verweist der in dem Band vorgeschlagene doppelte erkenntnistheoretische und philologische Weg über das medizinische Wissen und die darauf Bezug nehmenden pragmatischen oder literarischen Texte hinaus auf vielfältige Zäsuren und Brüche, aber auch auffällige Konvergenzen. Sylvère Mbondobari, Libreville Roger, Jennifer: Querelle des médias und pacte de l’adaptation. Die „Grande Guerre“Erinnerung in Romanen und Filmen der Jahrtausendwende, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2020, 394 S. Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges im Jahr 2014 wie auch dessen Ende im Jahr 2018 haben erwartungsgemäß und katalysatorartig eine Zunahme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen, dem Verlauf und den Folgen des Krieges hervorgebracht. Dazu zählen prominente, international beachtete geschichtswissenschaftliche Arbeiten wie z. B. Christopher Clarks The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914 (Allen Lane, London 2012) genauso wie weniger stark rezipierte Werke mit didaktischer Perspektive wie Der Erste Weltkrieg – globalgeschichtlich betrachtet (Röhrig, 2019), herausgegeben von Philipp Bernhard, Susanne Popp und Jutta Schumann. Ähnlich stark repräsentiert sind zwischenzeitlich auch Untersuchungen mit einer zunehmend transnationalen bzw. -kulturellen Perspektive wie z. B. der von Monika Fenn und Christiane Kuller herausgegebene Sammelband Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? (Wochenschauverlag, 2016). Die Erinnerungskultur ist es dann auch, auf die sich der Blick
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medizinischen und literarischen Essays gewidmet. Bogenç Demirel weist in einer biographischen und soziologischen Analyse darauf hin, dass alle Schriften des multikulturellen Autors auf seiner Lebenserfahrung, seinen Reflexionen über Gesellschaft, Literatur und Politik sowie der Vermittlung menschlicher Werte basieren. In seinem Nachwort „Littérature/Médecine. Parcours épistémologiques et philologiques“ beschäftigt sich Hans-Jürgen Lüsebrink mit theoretischen und methodischen Grundfragen der Wechselbeziehungen zwischen Medizin und Literatur bzw. des Arztes als Schriftsteller und thematisiert damit zusammenhängende Aspekte, die teilweise in den anderen Beiträgen des Bandes aufgegriffen wurden. Er fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und bringt die Erkenntnisse aller Beiträge auf einen gemeinsamen Nenner. Im Zentrum des überaus nützlichen und aufschlussreichen Nachworts steht zum einen die Erörterung der epistemologischen Aspekte, d. h. die Frage nach der Wissenskonstruktion bzw. nach der konzeptuellen und methodologischen Charakteristik und zum anderen die Erläuterung der philologischen Perspektiven, also der sprachlichen Form und der Rhetorik. Lüsebrink zufolge verweist der in dem Band vorgeschlagene doppelte erkenntnistheoretische und philologische Weg über das medizinische Wissen und die darauf Bezug nehmenden pragmatischen oder literarischen Texte hinaus auf vielfältige Zäsuren und Brüche, aber auch auffällige Konvergenzen. Sylvère Mbondobari, Libreville Roger, Jennifer: Querelle des médias und pacte de l’adaptation. Die „Grande Guerre“Erinnerung in Romanen und Filmen der Jahrtausendwende, Würzburg: Königshausen & Neumann, 2020, 394 S. Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges im Jahr 2014 wie auch dessen Ende im Jahr 2018 haben erwartungsgemäß und katalysatorartig eine Zunahme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ursachen, dem Verlauf und den Folgen des Krieges hervorgebracht. Dazu zählen prominente, international beachtete geschichtswissenschaftliche Arbeiten wie z. B. Christopher Clarks The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914 (Allen Lane, London 2012) genauso wie weniger stark rezipierte Werke mit didaktischer Perspektive wie Der Erste Weltkrieg – globalgeschichtlich betrachtet (Röhrig, 2019), herausgegeben von Philipp Bernhard, Susanne Popp und Jutta Schumann. Ähnlich stark repräsentiert sind zwischenzeitlich auch Untersuchungen mit einer zunehmend transnationalen bzw. -kulturellen Perspektive wie z. B. der von Monika Fenn und Christiane Kuller herausgegebene Sammelband Auf dem Weg zur transnationalen Erinnerungskultur? (Wochenschauverlag, 2016). Die Erinnerungskultur ist es dann auch, auf die sich der Blick
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vieler kulturwissenschaftlicher Werke richtet, nicht zuletzt ausgelöst durch den vor wenigen Jahrzehnten erfolgten Übergang vom kommunikativen ins kulturelle Gedächtnis. In besonderem Maße gilt dies für Frankreich, wo der Erste Weltkrieg für das eigene Selbstbild nach wie vor eine erinnerungskulturell große Rolle spielt. Medialen Repräsentationsformen des Ersten Weltkrieges als Untersuchungsobjekte kommt in diesem Kontext eine besondere Bedeutung zu und so widmet sich auch die vorliegende Arbeit diesem nach wie vor ergiebigen Forschungsfeld. Die in der von Oliver Jahraus und Stefan Neuhaus herausgegebenen Reihe Film – Medium – Diskurs erschienene und von Königshausen & Neumann verlegte Dissertationsschrift von Jennifer Roger ist an der Universität Rostock im Fachbereich Romanistik entstanden und untersucht die „mediale Inszenierung des für Frankreichs Selbstbild so bedeutenden Ereignisses der Grande Guerre aus einer erinnerungskulturellen und (medien-)ästhetischen Perspektive“ (S. 12). Das knapp 400 Seiten umfassende Werk unterteilt sich neben der Einleitung und einer Schlussbetrachtung in zwei wesentliche Abschnitte, wovon sich der erste einer gleichermaßen konzisen wie umfassenden und adäquaten Darstellung des Forschungsstandes widmet. Als durchaus beachtlich zu bezeichnen, ist in diesem Zusammenhang die geschickte Verknüpfung unterschiedlicher Reflexionsstränge sowohl zur Memoriaforschung als auch zum methodischen Vorgehen der Arbeit. Hierzu gehören die sehr guten, mit einer umfassenden Recherche unterlegten, Überlegungen zu Denkmodellen und Konzepten bezüglich der Beziehungen zwischen unterschiedlichen Medientypen – hier v. a. der Intermedialitätsbegriff, die kulturelle Bedingtheit von Mediendiskursen und ganz zentral das traditionelle Denkmodell der Paragone, dem Wettstreit der Künste, genauso wie ein umfassender historischer Abriss des Grande Guerre-Romans in Frankreich, der dem Leser die drei Konjunkturen der Erinnerung des Ersten Weltkriegs im französischen Roman ins Gedächtnis ruft. Ebenfalls in diesem Zusammenhang zu nennen ist das Aufzeigen der Entwicklung und die „eigene Dynamik“ (S. 38) filmischer Repräsentationen der Grande Guerre, die eine wissenschaftlich sehr fundierte Recherche erkennen lässt und letztlich v. a. die komplexe diskursive Interaktion zwischen Medien und Krieg mit zeitlichem Fokus auf die Jahrtausendwende klar darstellt. Argumentativ umrahmt werden die genannten thematischen Kapitel nicht nur von einer dezidiert auf den Untersuchungsgegenstand bezogenen Rekapitulation der „ästhetischen Valorisierung von Literatur und Film in Frankreich“ (S. 66), sondern auch von einer Herausarbeitung der spezifischen historischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Literaturverfilmung in Frankreich. Hervorzuheben sind auch die beiden Kapitel zum „pacte de l’adaptation“ (S. 86–90) und zur „querelle des médias“ (S. 90–94), die sich als Schlüsselbegriffe auch im Titel der intellektuell äußerst anspruchsvollen Arbeit wiederfinden. In Ersterem geht die Verfasserin dem „besonderen
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mediendiskursive[n] Potenzial“ nach, das sich aus dem Zusammenspiel von „ästhetischen Merkmalen“, „kultureller Valorisierung von Literatur und Film“ sowie den „medienspezifischen Eigenschaften der Literaturverfilmung“ (S. 86) ergibt, um dann das „dialogische Verhältnis“ (S. 88) von Literatur und Literaturverfilmung im Sinne des Denkmodells eines „pacte de l’adaptation“ (S. 88) zu reflektieren. In Letzterem verweist sie auf die „querelle des médias“ (S. 90) und damit auf das Spannungsfeld zwischen Originaltext und filmischer Adaptation, um hier versiert zum eigentlichen Analyseteil der Arbeit überzuleiten. Der zweite und zentrale Teil der Arbeit, in dem sich die Verfasserin dann einem wohldurchdachten und überzeugenden Untersuchungskorpus zuwendet, kann durchaus als ausgesprochen gelungenes Beispiel des close reading bezeichnet werden. Anhand von drei ausgewählten literarischen Vorlagen der Jahrtausendwende, die die Zeitspanne von 1991 bis 2003 abdecken, sowie deren filmische Adaptationen, widmet sich die Verfasserin den „literarische[n] und filmische[n] Inszenierungsstrategien“ (S. 95) und fokussiert den „Diskurs […], der die fiktionalen Repräsentationen der Grande Guerre sowie plurimedialen Netzwerke […] charakterisiert“ (S. 95). Gleichzeitig werden auch mediale Vergleichsparadigmen und Bezugsrahmen in die Untersuchung miteinbezogen. Auf überaus überzeugende Art und Weise und mit großer analytischer Präzision und Belegführung werden narrative Strategien, Gattungsformate, aber auch paratextuelle und übergeordnete rezeptionsästhetische Aspekte wie z. B. publizistische Epitexte an einer mediendiskursiven und erinnerungskulturellen Perspektive entlang untersucht und zu einer kohärenten Gesamtschau zusammengeführt. In methodischer Hinsicht werden dabei die eingangs postulierten zentralen Hypothesen und Fragestellungen anhand verschiedener Zugänge wie z. B. dem Phänomen des pacte de l’adaptation systematisch überprüft, um schließlich „mediendiskursive Tendenzen der Grande GuerreErinnerung“ (S. 91) aufzuzeigen. Das vorliegende Werk leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der erinnerungskulturellen und medienästhetischen Repräsentation der Grande Guerre in Frankreich. Der Erkenntnisgewinn, den die Verfasserin im über 200 Seiten langen Analyseteil herausarbeitet und zu dem z. B. die im zeitlichen Verlauf erfolgende Aktualisierung der Repräsentation von Absenz, Metaisierung oder Authentizität hinsichtlich der erinnerungskulturellen Darstellung des Ersten Weltkrieges gehört, ist beeindruckend. Auch in methodischer Hinsicht ist die Arbeit aufgrund der verschiedenen Zugänge und deren intelligenter Zusammenführung für die thematisch kundige wissenschaftliche Leserschaft zweifellos eine Bereicherung. Thomas Schmidtgall, Jena
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Tétart, Philippe (Hg.): Côté tribunes. Les supporters en France de la Belle Époque aux années 1930, Rennes: PU de Rennes, 2019, 428 S. Bisher wurde der französische Sport-Fan bzw. -supporter10 weitestgehend aus soziologischer oder journalistischer Perspektive beleuchtet. Historisch dimensionierte Arbeiten fehlten – zumindest in Frankreich – bislang. Während sich in England bereits frühzeitig historische Studien mit den engagierten Sportzuschauer*innen beschäftigten11 und in Deutschland erste Ansätze zur Geschichte der Fans – speziell zum unorganisierten ‚Vereinsfanatismus‘ im Fußball – entstanden,12 blieb der französische supportérisme von der Belle Epoque bis zu den 1930er-Jahren in großen Teilen eine „terra incognita“ (S. 13). Um diese Brachfläche für die historische Forschung fruchtbar zu machen, hat Philippe Tétart, Geschichtswissenschaftler an der Universität von Le Mans, in diesem Sammelband einige der renommiertesten französischen Sporthistoriker*innen versammelt. Obwohl Vereinsarchivalien praktisch inexistent sind, nur wenige Dokumente in den staatlichen Archiven vorliegen und Forschende auf diesem Gebiet nahezu ausschließlich auf die Auswertung der Presse – insbesondere der regionalen Sportpresse – angewiesen sind, haben es sich die Autor*innen dieses Bandes zum Ziel gesetzt, die Geschichte der supporters und supportrices als Kapitel der Sozialgeschichte des Sportes in den Blick zu nehmen (S. 18). Dabei fokussieren sie sich von Anfang an hauptsächlich auf den Fußball, da der organisierte supportérisme in allererster Linie dort zum Tragen kam. Der Sammelband beginnt mit einem Vorwort von Georges Vigarello, einem der Nestoren der französischsprachigen Sportgeschichte. Nach einer Einführung des Herausgebers und zwei einleitenden Artikeln zum supporter im Spiegel der Presse (Philippe Tétart) sowie zu den ersten organisierten Fan-Clubs (P. Tétart/Stéphane Mourlane) folgt eine Serie von Studien zu thematischen wie geographischen Einzelaspekten des Phänomens. Zunächst beschäftigen sich – auf thematischer Ebene – Michaël Delépine mit dem damaligen Nationalstadion in Colombes als Austragungsort des Endspiels der Coupe de France ___________ 10
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Der angelsächsische Terminus supporter hat sich in Frankreich trotz der Konkurrenz französischer Begriffe, wie fanatique oder partisan, und einer nicht zu vernachlässigenden Anglophobie durchgesetzt. In Deutschland wurden die engagiertesten Unterstützer*innen bis zu den 1960er-Jahren als Schlachtenbummler oder Vereinsfanatiker bezeichnet. Der zeitgenössische deutsche Begriff Fan verweist auf eine Sozialfigur, die erst in den 1960er-Jahren entstanden ist. Wenn in dieser Rezension der Terminus Fan verwendet wird, verweist er jedoch stets auf den französischen supporter zwischen 1910 und 1940. Z. B. Vamplew, Wray: Sports Crowd Disorder in Britain, 1870–1914. Causes and Controls, in: Journal of Sport History 7/1 (1980), S. 5–20. Vgl. Schmidt-Lux, Thomas: Geschichte der Fans, in: ders./Roose, Jochen/Schäfer, Mike S. (Hg.): Fans. Soziologische Perspektiven, Wiesbaden: VS Verlag, 2010, S. 47–68; Oswald, Rudolf: „Fußball-Volksgemeinschaft“. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919– 1964, Frankfurt a. M./New York: Campus, 2008, insbesondere S. 211–299.
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und Paul Dietschy mit dem Nexus zwischen Fan-Sein und Gewalt im französisch-italienisch-europäischen Vergleich. Im Anschluss folgen sieben geographische Artikel zu verschiedenen Landesteilen: Norden – Pas-de-Calais (Olivier Chovaux), Korsika (Didier Rey), Nizza (Yvan Gastaut/P. Tétart), Midi – Marseille und Nîmes (Marion Fontaine/Ludovic Lestrelin), Rennes (P. Tétart), Paris (Julien Sorez), Haut-Garonne – Toulouse (mit Rugby als Schwerpunkt; P. Tétart). Zwei weitere thematische Beiträge zum supporter in der Literatur (Thomas Bauer/Serge Vaucelle/P. Tétart) und zur weiblichen supportrice (P. Tétart) ergänzen den Band. Abschließend bringt der Herausgeber die wichtigsten Analyseergebnisse in einem Fazit zusammen. Am Ende des Sammelbandes finden sich ein Personenindex sowie eine Autor*innenliste. Welche Erkenntnisse fördern diese geographisch wie thematisch breit angelegten Untersuchungen nun zutage? Die Geschichte des französischen supportérisme im engeren Sinne begann 1911/12. Einen Bekanntheitssprung erlebte das neue Phänomen aufgrund von Konkurrenz- wie Nachahmungseffekten sowie einer stärkeren Mediatisierung mit der Einführung der ProfiFußball-Liga im Jahr 1932. Zur Zeit des Front populaire wurde der supporter/die supportrice dann zu einer alltäglichen Erscheinung. Zugleich verlief diese Entwicklung zeitlich gesehen in Phasen entlang einer geographischen Linie von Norden nach Süden. Während gerade in den Departements Nord und Pasde-Calais die englischen und belgischen Modelle das ‚frühe‘ Fantum förderten, verlangsamte insbesondere im Südwesten die Vormachtstellung des informell und lose organisierten Rugby-Fans die weitere Ausbreitung des Phänomens. Der polysemische supportérisme bezog sich in erster Linie auf Männer, wobei sukzessive auch einige wenige Frauen in den Fanclubs auftraten. Vorstellbar ist das Phänomen als „Matroschka-Puppe“ (S. 43): Die größte Puppe stellt das gesamte Publikum dar, die kleinste steht für die Gruppe der engagiertesten Anhänger*innen im Kreis des Fanclubs. An der Entwicklung des supportérisme lässt sich auch die Popularisierung des Sport-Spektakels ablesen. Die bürgerlichen Eliten überließen den couches populaires sukzessive die lautstarke Unterstützung der Vereine und konzentrierten sich auf die Leitung der Fanclubs. Die Aufgaben der supporteurs und supportrices in den Fanclubs, in welchen zumeist mehrere Hundert Fans organisiert waren, bestanden darin, das eigene Team bedingungslos, sichtbar und hörbar, moralisch wie finanziell zu unterstützen, um einen Sinn für Kameradschaftlichkeit und Geselligkeit zu entwickeln sowie der eigenen Mannschaft nachzureisen. Zudem traten sie als Botschafter*innen ihres Clubs, ihrer Stadt, ihres Departements, ihrer Region und teilweise ihrer Nation auf. Insbesondere die Rivalität zwischen benachbarten Städten spielte dabei eine wichtige Rolle. Laut den Autor*innen wollten die Fans ihre lokale Identität verteidigen, wobei das zugrundeliegende Identitätskonzept hier nicht näher erläutert wird. Folglich ist der supportérisme als Geschichte der „petites patries sportives“ (S. 410) zu bezeichnen, was auch die
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Sonderstellung des ‚verspäteten‘ und schwer zu mobilisierenden Pariser Publikums erklärt. Schließlich werden die supporteurs und supportrices hier auch als „Verwahrer*innen des kollektiven Gedächtnisses und der Geschichte ihres Vereins“ (S. 158) bezeichnet. Die Frage nach der verbalen wie körperlichen Gewalt, die in der Zwischenkriegszeit in den Stadien immer präsenter wurde, stand auf der Tagesordnung der Fanclubs nicht weit oben (S. 415). Aus gesellschaftlicher Perspektive wurde der supporter aber trotz häufiger werdender Ausschreitungen nicht als gefährliche Person angesehen. Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass es den Autor*innen dieses Sammelbandes gelungen ist, wichtige erste Pflöcke in ein – was Frankreich anbelangt – historisch bisher noch gänzlich unerforschtes Feld einzuschlagen. Damit genügt der Sammelband seinem Selbstanspruch, einen ersten sozialgeschichtlichen Abriss des französischen Sport-supportérisme von der Belle Epoque bis zu den 1930er-Jahren zu skizzieren. Hervorzuheben ist insbesondere das die einzelnen thematisch-geographischen Analysen zusammenfassende und verbindende Fazit (S. 403–418) sowie die breite Abdeckung des französischen Staatsgebietes, wobei Studien zur Mitte sowie zum Osten des Landes hoffentlich noch folgen werden. Darüber hinaus schafft es das Autor*innen-Kollektiv, die transnationalen Dimensionen der Fankulturen – in Bezug auf Belgien, England und Italien sowie in der journalistischen Beschreibung verschiedener, national bedingter Fan-Stereotypen (S. 64) – aufzuzeigen. Aus dieser ersten, besonders innovativen Sammlung von Aufsätzen lassen sich zahlreiche weitere spannende Forschungsperspektiven ableiten: So könnte beispielsweise die Auswertung staatlicher Archivalien aus Präfektur- und Polizeibeständen, auf die hier bewusst verzichtet wurde (S. 49, 418), sowie kinematographischer und radiophonischer Quellen ins Auge gefasst werden. Zukünftig ließen sich überdies transnationale Merkmale verschiedener Fankulturen systematisch herausarbeiten. Zudem müssten bei weiteren Arbeiten die Stadien als zentraler Ort des supportérisme stärker und gezielter Berücksichtigung finden. Ferner ist forschungsperspektivisch eine Analyse der Zeit zwischen dem supportérisme der Zwischenkriegszeit und den soziologisch untersuchten Fankulturen von den 1980er-Jahren bis heute, folglich der Nachkriegsjahrzehnte, wünschenswert. Alles in allem kann der vorliegende Sammelband als erster, erfolgreicher Bauabschnitt einer „histoire en chantier“ (S. 418) bezeichnet werden. Philipp Didion, Saarbrücken
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Williams, Maude : „Ihre Häuser sind gut bewacht“ – Kriegskommunikation und Evakuierung in Deutschland und Frankreich 1939/40, Berlin : Metropol, 2019, 470 p. L’ouvrage est issu d’une thèse, Communication et flux d’informations dans les sociétés en guerre à l’exemple des évacuations de la région frontalière franco-allemande (septembre 1939 - septembre 1940) soutenue en 2016, dans le cadre d’une cotutelle francoallemande, et distinguée par le prix de thèse 2019 de l’Université franco-allemande. Il cherche à décrire, à interroger et à analyser les changements de formes de communication dans une société qui, nolens volens, passe d’une société civile à une société soumise à un état de guerre et à comparer ce passage entre les deux Etats concernés. Disons-le d’emblée : il s’agit d’un ouvrage dont la lecture est passionnante, qui s’appuie sur une documentation d’archive abondante et multiforme, interrogeant les sources étatiques, religieuses, médiatiques, … Mais peut-être n’a-t-il pas été très facile de poursuivre l’objectif théorique visé sans également interroger les structures politiques, les factualités, les facteurs subjectifs et humains qui pèsent aussi sur l’ensemble d’une transformation dans un Etat. Aussi l’auteure doit-elle parfois intervenir pour établir un distinguo entre son objet stricto sensu et le cadre qui a été retenu. Après une introduction, l’ouvrage propose trois angles d’attaque, d’abord la communication vue comme propagande (chap. I), puis comme une forme de négociation (chap. II) et enfin les rumeurs comme forme communicationnelle (chap. III). Dans les deux premiers chapitres, il détaille la manière dont les deux Etats tirent des leçons de leur passé immédiat (la Grande Guerre) et leurs visions à la fois du rôle de l’Etat et de la manière dont il peut influencer la société par les systèmes de communication dont il dispose ou qu’il peut influencer. Le troisième chapitre s’intéresse aux rumeurs (concernant, ici, essentiellement les pillages et les destructions que subiraient les biens des personnes dans les zones évacuées) comme facteur de communication en s’intéressant au courrier, aux propos rapportés (d’origine policière et institutionnelle ou privée) ainsi qu’à la construction de leur circulation. Il s’agit sans doute de l’aspect à la fois le plus difficile à cerner et à retracer comme il n’est guère facile d’en évaluer l’importance avec certitude. Néanmoins, l’ouvrage tend à montrer la difficulté qu’ont les Etats à endiguer ces rumeurs. Pour l’ensemble de ce travail, c’est donc à la fois une perspective « macro » de la communication qui est exposée (nationale, internationale), puis « méso » par le biais de l’analyse des éléments régionaux ou locaux et enfin « micro » par les interactions entre les individus-sujets et les groupes de personnes. D’une certaine manière, ce sont également ces trois niveaux qui sont examinés successivement dans les trois chapitres, avec les superpositions nécessaires de deux ou de plusieurs niveaux selon le cas. C’est aussi une manière cohérente d’ordonner et de structurer l’ensemble des types de communications, mais
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aussi de permettre au lecteur de mieux comprendre comment l’ensemble s’articule… ou non. Ce n’est donc pas tant l’objet retenu en soi (la région frontalière francoallemande évacuée), les individus et groupes-sujets plus particulièrement concernés et la période qui sont centraux, mais bien les processus des flux communicationnels et informationnels que l’auteure cherche à mettre en évidence. Néanmoins, il n’est pas imaginable qu’il ne soit pas tenu compte des « contextes » mêmes, c’est-à-dire des histoires socio-politiques, idéologiques, sociales, … des habitant.e.s des espaces concernés. En effet, une part d’entre eux, les Alsacien.ne.s, les Lorrain.ne.s et les Sarrois.es ont, à des degrés différents, des histoires, récentes ou anciennes, singulières par rapport à leurs concitoyens. Cet aspect reste sans doute trop sous-représenté. De la même manière, une carte plus précise que celle fournie des zones touchées par l’évacuation de ses habitants (p. 10) aurait été la bienvenue. Or l’histoire de ces zones s’invite néanmoins régulièrement dans la thématique de la communication parce que des points particuliers, des dits et des non-dits des autorités et des médias ne peuvent pas être expliqués en soi, mais uniquement par l’histoire des zones visées. Au total, c’est un livre fort bien documenté, qui ouvre de nouvelles perspectives et qui intéressera, outre le grand public curieux, de nombreux.ses chercheur.euse.s, qu’ils soient historien.ne.s, politistes, spécialistes de la communication et des médias, ou même linguistes. Dominique Huck, Strasbourg
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JEAN BRÉHON Socio-historien en STAPS, maître de conférences à l’Université d’Artois ; membre du laboratoire Textes et Cultures (UR 4028). Actuellement, ses recherches sont principalement centrées sur le groupe professionnel des entraîneur.e.s de football. Recourant à l’histoire et la sociologie, ses travaux interrogent les conditions d’entrée, d’exercice, de durée et d’évolution dans le métier, en accordant une attention particulière aux situations de vulnérabilités repérées. Par ailleurs, le traitement médiatique du football féminin et la désertification du football des villages constituent également des objets de recherche étudiés. Publications choisies : Entraîneur de football professionnel : itinéraire d’un joueur gâté ?, ds. : Formation-emploi 136 (2016), p. 7–29 (avec Loïc Sallé/ Hugo Juskowiak); ‘Tracksuit’ or ‘Business Suit’? Effects of the Clothing Styles of French Professional Football Managers, ds. : Sport in Society 21/11 (2018), p. 1721–1738 (avec Hugo Juskowiak/Oumaya Hidri-Neys). XAVIER BREUIL Docteur en histoire, Xavier Breuil a été collaborateur scientifique de l’Université libre de Bruxelles et de l’Université de Besançon où il a poursuivi ses recherches et publié plusieurs articles sur différents aspects de l’histoire du sport. Il consacre actuellement ses recherches sur les interactions entre les entreprises métallurgiques et le sport de la fin du XIXe siècle aux années 1980 et le sport mosellan dans l’entre-deux-guerres. Ouvrages publiés : Le Club athlétique de la Société Générale. Histoire d’une succursale de champions, St-Cyr-sur-Loire 2008 ; Histoire du football féminin en Europe, Paris 2011 ; Les paris dans le football. Histoire d’une industrie culturelle, Paris 2018. FLORIAN BÜHRER Studium der Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und der Kunst- und Bildgeschichte in Trier, Berlin und Zürich; Masterarbeit über die Bedeutung eidgenössischer Mythen in Abstimmungskämpfen; studentische Hilfskraft beim Projekt „Bilder teilen – Internetfotografie und visuelle Kultur der Gegenwart“ (Universität der Künste Berlin); aktuell Arbeit an einem Dissertationsprojekt mit dem Arbeitstitel „Kollektives Bildgedächtnis in der eidgenössischen Konkordanzdemokratie“. Forschungsschwerpunkte und Arbeitsbereiche: politische Ikonographie, zeitgenössische Medialität, Geschichte und politisches System der Schweiz.
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Jüngste Veröffentlichung: Mit dem Rütlischwur heim ins Reich!, in: Saargeschichten 3 (2020), S. 44–50. HELGE FALLER Studium der Religionspädagogik an der FH in München-Pasing, Studium der Geschichte, Politik und der Kulturwissenschaften an der Fernuniversität in Hagen; seit 1998 Religionspädagoge an mehreren Schulen in Oberbayern. Seit 2010 Forschung zur Geschichte des Frauenfußballs mit zeitlichem Schwerpunkt vor 1945. Veröffentlichungen u.a. Les Footballeuses I-VI (sechs Bände), Nußdorf am Inn 2017–2020; De eerste Voetballerinas, Nußdorf am Inn 2017; Waltzing Down Under, Nußdorf am Inn 2018; Ihrer Zeit voraus, Nußdorf am Inn 2019; Der große Aufbruch, Nußdorf am Inn 2020; Eine Klasse für sich, Wien-Hernals 2020 (m. Matthias Marschik); Nederlands vrouwenvoetbal: hoe het begon in: Luitzen, Jan/ Zonneveld, Wim (Hg.): de Sportwereld 93 (2020), Den Haag, S. 4–11. WOLFGANG FREUND Studium der Geschichte und Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Freien Universität Berlin (FUB); Leitung des Projekttutoriums 147 der FUB „Projekt für interdisziplinäre Faschismusforschung (PfiFf)“; Promotionsstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Graduiertenkolleg „Interkulturelle Kommunikation in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ und Doktorat an der Universität des Saarlandes (UdS); 2005–2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der UdS im Rahmen des DFG-Schwerpunktprojekts 1106 „Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts ‚Bevölkerung‘ vor, im und nach dem ‚Dritten Reich‘“; zzt. Postdoc im Projekt Gilbert Trausch der Universität Luxemburg; Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus; Lehre der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts am Collège universitaire in Nancy des Institut d’Etudes Politiques – Sciences Po Paris und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts an der UdS. Veröffentlichungen u. a: Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaften und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925–1945, Saarbrücken 2006 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 39); Begegnungen. Perspektiven Interkultureller Kommunikation, Frankfurt a. M. 2002 (Hg. m. Cédric Guinand/Ralph S. Seidel); Burgund in den nationalsozialistischen Planungen, in: Gallé, Volker (Hg.): Die Burgunder – Ethnogenese und Assimilation eines Volkes, Worms 2008,
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S. 395–420; Bevölkerungswissenschaften im Gau Josef Bürckels, in: Nordblom, Pia/Rummel, Walter/Schuttpelz, Barbara (Hg.): Josef Bürckel. Nationalsozialistische Herrschaft und Gefolgschaft in der Pfalz, Kaiserslautern 2019 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 30), S. 175–189; Das „Größte, was jetzt in der Welt vorgeht“. Marx und Engels über die Erste und die Zweite Amerikanische Revolution, die Unabhängigkeit und den Bürgerkrieg“, in: Jacob, Frank/Altieri, Riccardo (Hg.): Revolutionen. Beiträge zu einem historischen Phänomen der globalen Moderne, Berlin 2019 (Impulse. Studien zu Geschichte, Politik und Gesellschaft 10), S. 41–67; Die Westraumbibliothek in Metz 1940–44. Eine Raubbibliothek in der de facto Annexion des ostfranzösischen Departements Moselle im Zweiten Weltkrieg, in: Jahrbuch für Buch- und Bibliotheksgeschichte 5 (2020), S. 33–52; Außenaufnahmen. Zur Zusammenarbeit von Arktisforschung und Abenteuerfilm am Beispiel von Arnold Fancks Grönlandexpedition 1932 für seinen Film S.O.S. Eisberg, in: Friedman, Alexander/Jacob, Frank (Hg.): Die Arktis. Geschichte, Politik, Rezeption, Würzburg 2020, S. 101–133, Die Praxis der Geschichtsschreibung. Der Historiker Gilbert Trausch in seiner Bibliothek, in: Forum für Politik, Gesellschaft und Kultur 421 (2021), S. 56–60 (m. Renée Wagener). ALEXANDER FRIEDMAN Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Philosophie und des Deutschen als Fremdsprache an der Belarussischen Staatsuniversität und an der Universität des Saarlandes; 2009 Promotion an der Universität des Saarlandes mit einer Dissertation über Deutschlandbilder in Sowjetbelarus vor dem deutschen Überfall auf die UdSSR; Mitarbeiter des Forschungsprojekts „Widerstand im Rheinland 1933-1945“ (LVR-Institut für Rheinische Landeskunde und Regionalgeschichte, Bonn) und des Dokumentationsprojekts „Juden in Nazideutschland“ von Yad Vashem (Jerusalem); Lehrbeauftragter an der Universität des Saarlandes und an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (Duisburg). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der sowjetischen Geschichte, der Geschichte der Juden in Osteuropa, der Sportgeschichte und der Geschichte des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u. a: Deutschlandbilder in der weißrussischen sowjetischen Gesellschaft 1919-1941. Propaganda und Erfahrungen, Stuttgart 2011; Diskriminiert – vernichtet – vergessen. Behinderte und Kranke in der Sowjetunion, in den besetzten sowjetischen Gebieten und im Ostblock, Stuttgart 2016 (Hg. m. Rainer Hudemann); Russische und sowjetische Geschichte im Film. Von bolschewistischen Revolutionären, antifaschistischen Widerstandskämpfern, jüdischen Emigranten und „Kalten Kriegern“, New York 2016 (Hg. m. Frank Jacob); Fußball: Identitätsdiskurse, Politik und Skandale, Stuttgart 2020 (Hg. m. Frank Jacob).
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MYRIAM GEISER 1997 Magister Artium Deutsche Philologie und Romanistik an der Universität Mannheim; 1998 Lehrbeauftragte im Bereich Neuere Literaturwissenschaft am Seminar für Deutsche Philologie der Universität Mannheim; 1998–2001 Lektorin der Robert Bosch Stiftung und des DAAD an den Universitäten Vilnius und Vytautas Magnus in Kaunas (Litauen); 2002-2008 Lektorin des DAAD am Institut für Germanistik der Universität Stendhal-Grenoble 3; 2010 binationale deutsch-französische Promotion an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz-Germersheim und der Universität Aix-Marseille; seit 2014 Dozentin (Maîtresse de conférences) am Institut für Germanistik der Université Grenoble Alpes (UGA) mit den Schwerpunkten Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Interkulturelle Studien in Forschung und Lehre (Espaces germanophones: Etudes interculturelles); Wintersemester 2019/ 2020 DAAD-Gastdozentur am Frankreichzentrum der Universität des Saarlandes; Mitglied im Forschungszentrum ILCEA4 (Institut des langues et cultures d’Europe, Amérique, Afrique, Asie et Australie). Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Transkulturalität und Kulturübersetzung, Migration und Literatur in Europa seit 1945, Gegenwartsliteratur und Film, Raumkonzepte und border studies, Identitätskonzepte, métissage und Mehrsprachigkeit. Veröffentlichungen u. a.: Der Ort transkultureller Literatur in Deutschland und Frankreich. Deutsch-türkische und frankomaghrebinische Literatur der Postmigration, Würzburg 2015; Grenzen der Zentralität. Zur Dynamik von Zentren und Peripherien/ Limites de la centralité. La dynamique des centres et des périphéries (Hg. mit Dominique Rademacher und Lucie Taïeb); Urbane Räume der Métissage. Weibliche Stadterfahrungen im Cinéma de banlieue, in: Hertrampf, Marina Ortrud M. [u. a.] (Hg.): An der Schnittstelle der Welten. Aktuelle Narrative von migrierenden Frauen/Au carrefour des mondes. Récits actuels de femmes migrantes, München 2021, S. 309–337; Borderscapes. Grenz-Erfahrungen und Grenz-Werte in Emine Sevgi Özdamars Prosa, in: Etudes Germaniques 3 (2017) S. 415–429. LAURENT GRÜN 1984–1996 Sportlehrer im Schuldienst; seit 1999 außerordentlicher Professor an der Université de Lorraine, Metz (Departement STAPS, Sportgeschichte); 2011 Promotion zum Thema „Fußballtrainer in Frankreich von 1890 bis heute. Geschichte eines Berufs“ an der Université de Lyon; Mitglied des Centre Régional Universitaire Lorrain d’Histoire (CRULH). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte des Trainers und des Trainings – insbesondere im Fußball und in Mannschaftssportarten –, der
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Geschichte der Leibeserziehung und der Geschichte der Rock-Musik – insbesondere des französischen Punk-Rocks. Veröffentlichungen u. a: Les représentations de l’Allemagne dans la presse sportive française – L’exemple des rencontres de football France-Allemagne dans les années trente, in: Modern & Contemporary France 19/1 (2011), S. 85–101 (m. Thierry Terret); Entraîneur de football en France – Histoire d’une profession, Arras 2016; Technical and Tactical Coaching in French Professionnal Teams between 1942 and 1992, in: Revue STAPS 114 (2016), S. 19–34; L’invention de la formation des entraîneurs – entre construction identitaire professionnelle et pérennisation des « valeurs » du football (1941-1991), in: Sciences Sociales et Sport 11 (2018), S. 133–163. SVEN GÜLDENPFENNIG Studium der Fächer Germanistik und Sport an der Freien Universität Berlin; seit 1971 Forschungs-, Lehr-, Publikations- und Vortragstätigkeit; 1977 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Bremen; 1988 Habilitation an der Technischen Hochschule Darmstadt; 1972–2002 Wiss. Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin; 1990–2015 Lehrstuhl-Vertretungen, Gastprofessuren und weitere Lehraufträge an der Freien Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin sowie an den Universitäten Bremen, Potsdam, Hamburg, Münster und der Deutschen Sporthochschule Köln; 1997– 2002 Wiss. Leiter des Deutschen Olympischen Instituts in Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sportphilosophie, -soziologie, -politologie und -geschichte. Veröffentlichungen u. a.: Seit 1970 zahlreiche Buch- und Zeitschriftenpublikationen, insbesondere 17 Bände in der eigenen Schriftenreihe „Sport als Kultur. Studien zum Sinn des Sports“ (Sankt Augustin und Hildesheim), darunter: Frieden – Herausforderungen an den Sport (1989), Sport: Autonomie und Krise (1996), Olympische Spiele als Weltkulturerbe (2004), Die Würde des Sports ist unantastbar (2010), Rückbesinnung auf ein puristisches Sportverständnis (2013), Vom Missbrauch des Sports (2014), Weltsport in der Weltpolitik (2015), Fundamentalismen bedrohen den Sport (2017), Im Fokus sportpolitischer Aufklärung (2018), Krisen: Herausforderung für die Autonomie des Sports (2020). OUMAYA HIDRI NEYS Docteure en STAPS, thèse soutenue à Paris-Sud en 2005 ; maîtresse de conférences en sociologies du sport, du corps, de l'emploi et du travail sportifs à l’Université de Paris-Sud (2006–2009), puis de Lille (2009–2018) ; depuis
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2018 professeure à l’Université d’Artois (sociologie en STAPS) ; membre du laboratoire Textes et Cultures (UR 4028). Publications choisies : Des arbitres « hors-jeu » ? L’évaluation des arbitres du football amateur en question, ds. : Formation-emploi 142 (2018), p. 255–277 (avec Loïc Sallé) ; Comparer les violences des femmes et celles des hommes dans le football amateur. Apports et limites de l’approche croisée, ds. : International Review on Sport and Violence, numéro spécial « Sport et Genre » (2014), en ligne, p. 15–21 (avec Nicolas Penin). HANS-PETER HOCK Studium der Vor- und Frühgeschichte, Kunstgeschichte und Alten Geschichte in Mainz und Kiel; seit 1995 Mitarbeiter am Landesamt für Archäologie Sachsen; seit 2011 Forschung zu sporthistorischen Themen, wobei die Erschließung neuer Quellen zur Geschichte des Fußballs im Mittelpunkt steht; Teilnahme u. a. an der 1. International Football History Conference im Juni 2017 in Manchester. Veröffentlichungen u. a.: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa, Hildesheim 2016. ANNETTE R. HOFMANN Professorin für Sportwissenschaft/Sportdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg; Präsidentin der International Society for the History of Physical Education and Sport (ISHPES), Vize-Präsidentin Gesellschaftspolitik des Deutschen Turner-Bundes (DTB), Vorstandsmitglied der Deutschen Olympischen Akademie (DOA) und Stellvertretende Vorsitzende des Instituts für Sportgeschichte Baden-Württemberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Erforschung des Einfluss der Deutsch-Amerikaner auf den US-amerikanischen Sport, der genderspezifischen Aspekte der Sportgeschichte, des Themenkomplex Krankheit-KörperSport, der sexualisierten Gewalt und des E-Sports in Bezug auf den Sportunterricht. Veröffentlichungen u. a: Aufstieg und Niedergang des deutschen Turnens in den USA, Schorndorf 2001; Rund um den Frauenfußball. Pädagogische und sozialwissenschaftliche Perspektiven, Münster 2014 (Hg. m. Michael Krüger); „Football is like Chess – You Need to Think a lot“. Women in a Men’s Sphere. National Female Football Coaches and their Way to the Top, in: International Journal of Physical Education 4 (2014), S. 20–31 (m. Silke Sinning); From Being Excluded to Becoming World Champions. Female Football Coaches in Germany, in: The International Journal of the History of Sport, 14 (2016), S. 1652–1668 (m. Silke
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Sinning); Sportgeschichte in Deutschland – Herausforderungen und internationale Perspektiven/Sport History in Germany – Challenges and International Perspectives, Wiesbaden 2020 (Hg. m. Michael Krüger). DIETMAR HÜSER Studium der Fächer Geschichte, Politikwissenschaft, Völker- und Europarecht an den Universitäten Bochum, Heidelberg, Paris, Saarbrücken; 1991–2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent, dann Hochschuldozent an der Universität des Saarlandes; 1994 Promotion; 2002 Habilitation; 2002/03 Lehrbeauftragter, 2003/04 Alfred-Grosser-Gastprofessor an Sciences Po Paris; 2004–2013 Professor für Geschichte Westeuropas im 19./20. Jh. an der Universität Kassel; seit 2013 Professor für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes. Dort seit 2017 Leiter des Frankreichzentrums, zudem seit 2019 erst Direktor, dann Direktoriumsmitglied des Europakollegs bzw. des Clusters für Europaforschung CEUS. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Politik-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte Frankreichs und Westeuropas nach 1945 sowie den deutsch-französischen Beziehungen, Vergleichen und Transfers; seit 2017 fungiert Dietmar Hüser als Sprecher der DFG-Forschungsgruppe 2475 „Populärkultur transnational – Europa in den langen 1960er Jahren“ und als Verantwortlicher des trinationalen Doktorandenkollegs „Internationale Geschichte Interdisziplinär – Deutsch-französisch-europäische Perspektiven im 20. Jahrhundert“. Letzte Buchveröffentlichungen: Skandale zwischen Moderne und Postmoderne – Interdisziplinäre Perspektiven auf Formen gesellschaftlicher Transgression, Berlin 2014 (Hg. mit Andreas Gelz und Sabine Ruß-Sattar); Populärkultur und deutsch-französische Mittler – Akteure, Medien, Ausdrucksformen, Bielefeld 2015 (Hg. mit Ulrich Pfeil); Markgrafschaft – Metropolen – Medien. Krisen, Kommunikation und Politisierung europäischer Gesellschaften, Trier 2016 (Hg. mit Gabriele Clemens [u. a.]); Populärkultur transnational. Lesen, Hören, Sehen im Europa der langen 1960er Jahre, Bielefeld 2017 (Hg.); Migration | Integration | Exklusion – Eine andere deutschfranzösische Geschichte des Fußballs in den langen 1960er Jahren, Tübingen 2019 (Hg. mit Ansbert Baumann); Macrons neues Frankreich: Hintergründe, Reformansätze und deutsch-französische Perspektiven, Bielefeld 2020 (Hg. mit Hans-Christian Herrmann); Sport-Arenen – Sport-Kulturen – Sport-Welten. Deutsch-französisch-europäische Perspektiven im ‚langen‘ 20. Jahrhundert, Stuttgart 2022 (Hg. mit Paul Dietschy und Philipp Didion).
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HUGO JUSKOWIAK Docteur en STAPS, thèse intitulée « Un pour mille. Eléments de sociologie de la formation au métier de footballeur » soutenue en 2011 ; depuis 2013 maître de conférences en STAPS à la Faculté des Sports et de l'Education Physique de l’Université d'Artois – Liévin. Ses travaux de recherche se sont articulés dans un premier temps autour de deux thématiques : la fabrication des élites sportives d'une part et les conditions d’entrée, d’exercice, de durée et d’évolution dans l'activité d'encadrant technique de l’élite du football français d'autre part. Membre du laboratoire Textes et Cultures (UR 4028), ses activités portent désormais attention à la fabrication, la recomposition et la décomposition du lien social et les processus de vulnérabilités et individus vulnérables rencontrés dans l’univers du football. Publications choisies : S’expatrier pour faire savoir son savoir-faire ? Analyse de la mobilité internationale des entraîneurs français de football professionnel, ds. : Migrations Société 183 (2021), p. 107–120 (avec Jean Bréhon/Loïc Sallé). SASKIA LENNARTZ Studium der Geschichtswissenschaften an der Universität des Saarlandes; Bachelorarbeit zur Geschichte des saarländischen Frauenfußballs; seit WiSe 2018/19 Masterstudium der Historisch orientierten Kulturwissenschaften an der Universität des Saarlandes; seit 2016 studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Europäische Zeitgeschichte an der Universität des Saarlandes; laufende Masterarbeit „Vom Großen ins Kleine: Verbandspolitische Vorgaben und Umsetzungen auf dem Platz – Die Entwicklung des Frauenfußballs im Saarland der 1970er und 1980er Jahre“; Referentin für Mädchenfußball beim Saarländischen Fußballverband. CARINA SOPHIA LINNE Studium der Politikwissenschaft, Sportwissenschaften und Interkulturellen Kommunikation an der TU Chemnitz sowie den Universitäten Tampere und Pilsen; 2008–2011 Promotion zum Frauenfußball im geteilten Deutschland; zeitgleich wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam; im Anschluss leitende Projektkoordinatorin der Wanderausstellung „Vergessene Rekorde – Jüdische AthletInnen vor und nach 1933“ am Lehrstuhl für Sportpädagogik der Universität Potsdam; 2011– 2013 Mitarbeiterin für den Frauen- und Mädchenfußball beim Fußball-
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Landesverband Brandenburg; seit 2014 Mitarbeit in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten wie z.B. „Aufarbeitung der Geschichte des DDR-Fußballs: Kultur und Alltagsgeschichte“. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Erinnerungskultur, der Medienanalyse und der Geschlechterforschung im Frauen- und deutsch-deutschen Sport. Veröffentlichungen u. a: Freigespielt – Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin 2011; Wehret den Anfängen – Die Geschichte des Frauenfußballs im geteilten Deutschland und seine Bedeutung für die Zukunft am Beispiel des Fußball-Landesverbandes Brandenburg, in: Jansen, Christian T. [u. a.] (Hg.): Trainingswissenschaftliche, geschlechtsspezifische und medizinische Aspekte des Hochleistungsfußballs, Hamburg 2012 (Beiträge und Analysen zum Fußballsport 18), S. 51–57; Bravo, Mädels! – Einblicke in die Geschichte des Frauenfußballs in der DDR, in: Herzog, Markwart (Hg.): Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland. Anfänge – Verbote – Widerstände – Durchbruch, Stuttgart 2013 (Irseer Dialoge 18), S. 133–160; Der vergessene Osten? Die Entwicklung des Frauenfußballs in der DDR und seine Bedeutung für den vereinten Spielbetrieb, in: Sinning, Silke/Eichmann, Björn/Pargätzi, Jonathan (Hg.): Frauen- und Mädchenfußball im Blickpunkt. Empirische Untersuchungen – Probleme und Visionen, Münster 2014, S. 13–28; Ein Vergleich zur Entwicklung des Frauenfußballs zwischen Deutschland und Brasilien. Teil 1: Ursprünge, Barriere und Verbote, in: Sinning/Eichmann/Pargätzi (Hg.): Frauen- und Mädchenfußball im Blickpunkt, S. 47–59 (m. Maithe Cardoso de Araújo). CAMILLE MARTIN Titulaire d'un doctorat de l'Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Camille Martin a travaillé en partenariat avec la Fédération française de football entre 2013 et 2018. Elle est désormais maîtresse de conférences à l'Ecole Normale Supérieure de Lyon et membre du Centre Max Weber à Lyon. Publications choisies : Compétences masculines, qualités féminines. Stratégies dominées de légitimation professionnelle chez des salariées du football féminin, ds. : Regards sociologiques 52 (2018), p. 81–100; Visibilité et désamorçage des antagonismes sociaux dans des équipes féminines de football, ds. : Mouvements 2/78 (2014), p. 95–102. WOLFGANG MÜLLER Archivoberrat, Leiter des Archivs der Universität des Saarlandes. Geboren 1954 in Kaiserslautern. 1972–1978 Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität des Saarlandes. 1975–1978 studentischer Mitarbeiter am
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Institut für Alte Geschichte, 1978 Erstes Staatsexamen, Promotionsstipendium, 1983 Promotion mit der Studie „Rußlandberichterstattung und Rapallopolitik. Deutsch-sowjetische Beziehungen 1924–1933 im Spiegel der deutschen Presse“, 1981–1988 wissenschaftlicher Assistent am Historischen Institut, unter anderem erste Studien zur Universitätsgeschichte und Koordination der Zusammenarbeit mit dem Historischen Institut der Universität Metz, 1986–1988 Stipendiat im VW-Forschungsprojekt bei Prof. Dr. Elisabeth Fehrenbach über die Resonanz der Französischen Revolution im linksrheinischen Deutschland, 1989–1991 Archivreferendariat am Landesarchiv Saarbrücken/24. Lehrgang Archivschule Marburg, 1991 Zweites Staatsexamen Laufbahnprüfung für den höheren Archivdienst, seit 1991 Gründung, Aufund Ausbau des Archivs der Universität des Saarlandes, Lehrbeauftragter für Archivwissenschaft am Historischen Institut. Unter anderem Mitglied des spartenübergreifenden Arbeitskreises „Archivische Bewertung“ des „Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare“, der Kommission für Saarländische Landesgeschichte, des Saarländischen Archivverbandes und Vorstandsmitglied im „Verein für pfälzische Kirchengeschichte. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte der Universität des Saarlandes, zur Wissenschaftsgeschichte, zur regionalen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, zur Archivwissenschaft und Aspekten des pfälzischen Protestantismus (Literaturliste: https://www.uni-saarland.de/universitaet/portraet/ges chichte/literatur/mueller.html). LAURENCE PRUDHOMME Docteure en Sciences du Sport, elle enseigne l’Education Physique et Sportive à Lyon. Elle soutient en 2002 sa thèse intitulée Ces dames du ballon rond. Histoire du football féminin en France au XXe siècle sous la direction de Pierre Arnaud et Thierry Terret. Principales publications : Histoire du football féminin au XXe siècle, Paris 2003 ; Les femmes, balle au pied. A history of French Women’s Football, ds. : Magee, Jonathan [et al.] : Women, Football and Europe. Histories, Equity and Experiences, Oxford 2007, p. 27–39 ; Les femmes et la pratique du football en France (1917–2017). Une émancipation sous contrôle, ds. : Saint-Martin, Jean/Terret, Thierry (dir.) : Pierre Arnaud, Historien du sport, tome 2, Paris 2019, p. 285–302.
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SILKE SINNING Professorin für Sportpädagogik/-didaktik an der Universität KoblenzLandau, dort Leiterin des Arbeitsbereichs „Bildung und Bewegung“; ehrenamtlich: Präsidiumsmitglied im Hessischen Fußballverband (HFV), Vorstandsmitglied im Süddeutschen Fußballverband (SFV) und Vizepräsidentin des Deutschen Fußball-Bunds (DFB). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen bei konzeptionellen Fragen und Problemstellungen des Sportunterrichts (v. a. Spiel- und Sportspieldidaktik sowie Themenkonstitution), in der Genderforschung (u. a. Trainerinnen im Fußball) sowie in der Handlungsökologie und pädagogischen Bewegungsforschung. Veröffentlichungen u. a: Handbuch Sportdidaktik. Balingen 2009 (Hg. m. Harald Lange); Handbuch Methoden im Sport – Lehren und Lernen in der Schule, im Verein und im Gesundheitssport. Balingen 2010 (Hg. m. Harald Lange); Auf den Spuren des Frauen- und Mädchenfußballs. Weinheim/München 2012; Empirische Untersuchungen zum Frauen- und Mädchenfußball, Berlin 2014 (Hg. m. Jonathan Pargätzi); Der Umgang der Printmedien mit Nationaltrainerinnen im Fußball. Das Beispiel Silvia Neid und Pia Sundhage, in: Lames, Martin/Kolbinger, Otto [u. a.] (Hg.): Fußball in Forschung und Lehre. Beiträge und Analysen zum Fußballsport XIX, Hamburg 2014, S. 190–195 (m. Annette Hofmann); Trainerinnen im deutschen Spitzensport, in: Sobiech, Gabriele/Günter, Sandra (Hg.): Sport und Gender – (inter)nationale sportsoziologische Geschlechterforschung, Berlin 2016, S. 295–308 (m. Annette Hofmann). DARIUSZ WOJTASZYN Studium der Geschichte an der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen; 2007 Promotion an der Universität Wroclaw; 2014 Habilitation an der Universität Wroclaw; 2005–2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw; 2007–2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Journalismus und Gesellschaftskommunikation der Universität Wroclaw; 2015 Gastprofessur an der Universität Wien; seit 2018 Professor am Lehrstuhl für Zeitgeschichte am Willy Brandt Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen nach dem 2. Weltkrieg, der Geschichte der DDR, der internationalen Schulbuchforschung, der Untersuchung europäischer Erinnerungsorte sowie der imagologischen Aspekte der deutsch-polnischen Beziehungen, der Sportgeschichte, der Sportsoziologie und der Sportanthropologie.
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Veröffentlichungen u. a.: Obraz Polski i Polaków w prasie i literaturze NRD w okresie powstania Solidarności i stanu wojennego/Das Polenbild in der Presse und Literatur der DDR in der Entstehungszeit der ‚Solidarność’ und in der Kriegsrechtzeit, Wrocław 2007; Sport w cieniu polityki. Instrumentalizacja sportu w NRD/Sport im Schatten der Politik. Instrumentalisierung des Sports in der DDR, Wrocław 2011; Kibice w socjalizmie/Fußballfans im Sozialismus, Wrocław 2013; Historia polskiego i niemieckiego sportu w XIX i XX wieku. Idee, ludzie, polityka i kultura/Geschichte des polnischen und deutschen Sports im 19. und 20. Jahrhundert. Ideen, Personen, Politik und Kultur, Poznań 2016 (Hg. m. Włodzimierz Stępiński/Jerzy Eider); Ideologiczna współpraca. Władze wobec środowisk opiniotwórczych w PRL i NRD/Ideologische Zusammenarbeit. Die Staatsorgane angesichts meinungsbildender Personengruppen in der VRP und der DDR, Wrocław 2016 (Hg. m. Sebastian Ligarski/Krzysztof Ruchniewicz); Niemieckojęzyczni laureaci literackiej Nagrody Nobla. Materiały edukacyjne/Deutschsprachige Nobelpreisträger. Unterrichtsmaterialien, Wrocław 2019 (Hg. m. Piotr Przybyła); Football Politics in Central Europe and Eastern Europe. A Study on the Geopolitical Area’s Tribal, Imaginal and Contextual Politics, Lanham [u. a.] 2020 (Hg. m. Roland Benedikter).
Bildnachweis
Bildnachweis BÜHRER Abb. 1: © Verkehrsverein Lugano/ Plakatsammlung Zürich Abb. 2: © Digitalarchiv Erich Huber, www.windstill.ch Abb. 3: © Museum FC Zürich Abb. 4: © Museum FC Zürich Abb. 5: © Screenshot des Verfassers
FALLER Abb. 1: © Archiv Helge Faller Abb. 2: © Les Sportives, 27.10.1923 / Archiv Helge Faller Abb. 3: © Archiv Helge Faller
LINNE Abb. 1: © Die neue Fußballwoche, Nr. 5, 02.02.1960 Abb. 2: © Privatarchiv Waltraud Horn Abb. 3: © Allgemeine Zeitung Uelzen, 22.02.2020
LENNARTZ Abb. 1: © Saskia Lennartz (Karte erstellt von Sarah May)
HOCK Abb. 1: © Sammlung H. Kreier Abb. 2: © Sammlung H. Kreier Abb. 3: © Sammlung C. Scharrenbach Abb. 4: © Sammlung C. Scharrenbach Abb. 5: © Sammlung M. Holl Abb. 6: © Sammlung T. Chybiak
MARTIN Ill. 1:
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Ill. 2:
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Ill. 3:
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Ill. 4:
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BRÉHON, HIDRI NEYS & JUSKOWIAK Ill. 1:
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Kulturwissenschaft Tobias Leenaert
Der Weg zur veganen Welt Ein pragmatischer Leitfaden Januar 2022, 232 S., kart., Dispersionsbindung, 18 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5161-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5161-8 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5161-4
Michael Thompson
Mülltheorie Über die Schaffung und Vernichtung von Werten 2021, 324 S., kart., Dispersionsbindung, 57 SW-Abbildungen 27,00 € (DE), 978-3-8376-5224-6 E-Book: PDF: 23,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5224-0 EPUB: 23,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5224-6
Erika Fischer-Lichte
Performativität Eine kulturwissenschaftliche Einführung 2021, 274 S., kart., Dispersionsbindung, 3 SW-Abbildungen 23,00 € (DE), 978-3-8376-5377-9 E-Book: PDF: 18,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5377-3
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Kulturwissenschaft Stephan Günzel
Raum Eine kulturwissenschaftliche Einführung 2020, 192 S., kart. 20,00 € (DE), 978-3-8376-5217-8 E-Book: PDF: 16,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5217-2
Maximilian Bergengruen, Sandra Janßen (Hg.)
Psychopathologie der Zeit Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2021 Januar 2022, 176 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-5398-4 E-Book: PDF: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5398-8
Thomas Hecken, Moritz Baßler, Elena Beregow, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Annekathrin Kohout, Nicolas Pethes, Miriam Zeh (Hg.)
POP Kultur und Kritik (Jg. 10, 2/2021) 2021, 176 S., kart. 16,80 € (DE), 978-3-8376-5394-6 E-Book: PDF: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-5394-0
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