Französische Lexikologie: Einführung in die Theorie und Geschichte des französischen Wortschatzes 9783110926897, 9783484540323


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German Pages 186 [188] Year 1995

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Table of contents :
0. Einleitung
1. Definition und Ausgrenzung der Lexikologie
Aufgaben
2. Historische Schichtung des französischen Wortschatzes
Aufgaben
3. Die Entlehnung
Aufgaben
4. Die Wortbildung
Aufgaben
5. Die Translation
Aufgaben
6. Grundzüge einer Semantik
Aufgaben
7. Konnotation und Registermerkmale
Aufgaben
8. Schlußbemerkung
9. Bibliographie
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Französische Lexikologie: Einführung in die Theorie und Geschichte des französischen Wortschatzes
 9783110926897, 9783484540323

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Romanistische Arbeitshefte

32

Herausgegeben von Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer

Peter Wunderli

Französische Lexikologie Einführung in die Theorie und Geschichte des französischen Wortschatzes

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1989

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Wunderli, Peter: Französische Lexikologie : Einführung in die Theorie und Geschichte des framzösischen Wortschatzes / Peter Wunderli. - Tübingen : Niemeyer, 1989 (Romanistische Arbeitshefte ; 32) NE: GT ISBN 3-484-54032-X

ISSN 0344-676-X

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1989 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: Peter Wunderli mit Signum! 2 auf ATARI MEGA ST. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt

Vorwort Das vorliegende Romanistische Arbeitsheft hat eine relativ langsame Genese hinter sich. Mit den hier behandelten Fragestellungen und Teilgebieten der romanistischen Sprachwissenschaft habe ich mich schon seit Jahren, ja seit Jahrzehnten sowohl in der Forschung als auch in der Lehre befaßt. Gerade aus den Gegebenheiten des universitären Unterrichts, seinen Zwängen und Mängeln heraus, reifte dann allmählich die Überzeugung, daß eine Handreichung für Studierende unseres Faches gerade in diesem Teilbereich dringend notwendig sei — einerseits aufgrund der sich immer verhängnisvoller bemerkbar machenden Spezialisierung, andererseits angesichts des Bedürfnisses, die dadurch gezogenen Grenzen wieder zu überwinden und zu einer sowohl fachinternen als auch fächerübergreifenden Interdisziplinarität zurückzufinden. Ein erster Entwurf dieser Darstellung ebenso wie die letzte Fassung ist von meiner Mitarbeiterin Gabriele Berardi gründlich durchgesehen und einer detail Herten Kritik unterzogen worden. Eine zweite Version profitierte dann von den umsichtigen Anmerkungen und Ausstellungen der Herausgeber dieser Reihe, Gustav Ineichen und Bernd Kielhöfer, wobei mir vor allem lange Gespräche mit dem alten Freund aus Zürich erlaubten, eine Reihe von Schwächen auszumerzen. Daß die noch bestehenden Mängel einzig zu Lasten des Autors gehen, versteht sich von selbst. Zu Dank bin ich weiter Birgit Welbers, Sabine Mauri und Ulrike Pleteit für das umsichtige Lesen der Korrekturfahnen und zahlreiche Detailhinweise verpflichtet. Danken möchte ich schließlich auch noch Herrn Robert Harsch-Niemeyer und seinen Mitarbeitern für die Aufnahme dieses Bandes in ihr Verlagsprogramm und die solide und zügige Drucklegung.

P.W.

V

Inhalt

0. Einleitung

1

1. Definition und Ausgrenzung der Lexikologie Aufgaben

9 30

2. Historische Schichtung des französischen Wortschatzes Aufgaben

31 58

3. Die Entlehnung Aufgaben

60 72

4. Die Wortbildung Aufgaben

74 97

5. Die Translation Aufgaben

99 112

6. Grundzüge einer Semantik Aufgaben

113 153

7. Konnotation und Registermerkmale Aufgaben

156 165

8. Schlußbemerkung

166

9. Bibliographie

168

VII

0. Einleitung Das hier vorgelegte Romanistische Arbeitsheft ist dem schwer zu definierenden Bereich der Lexikologie gewidmet, deren Schicksal es zu sein scheint, ständig mit der Lexikographie verwechselt zu werden. Unbeschadet der noch zu leistenden definitorischen Gegenüberstellung der beiden Arbeitsbereiche 1 soll hier vorläufig herausgestellt werden, daß die Lexikologie gewissermaßen interdisziplinären Charakter hat und im Schnittpunkt einer Reihe von linguistischen Teilgebieten steht, die nicht nur traditionell als solche anerkannt sind, sondern zu einem nicht unerheblichen Teil im Rahmen dieser Reihe auch schon eine Darstellung erfahren haben. Ich erinnere hier nur an die Bände von Ulrich Wandruszka zur Wortbildung, von Horst Geckeier zur Semantik, von Wolfgang Börner zur Orthographie, von Lothar Wolf zur Dialektologie, von Franz Josef Hausmann zu den neufranzösischen Wörterbüchern, von Wolfgang Settekorn zur Normproblematik; ich erwähne ferner den demnächst erscheinenden Band von Otto Jänicke über die Etymologie, usw. 2 Trotz der Existenz entsprechender Einführungen können diese Teilgebiete nicht einfach aus unserer Präsentation der Lexikologie ausgeklammert werden. Wollte man schlicht auf alles schon anderweitig Gesagte und Behandelte verzichten, hätte dieses Arbeitsheft keine Existenzberechtigung, und es hätte nie geschrieben werden dürfen. Eine derartige Haltung würde aber letztlich die Darstellung jedes interdisziplinären Arbeitsbereichs verunmöglichen — ein Effekt, den sich sicher niemand wünscht. Vielmehr muß darauf hingewiesen werden, daß die einzelnen zur Sprache kommenden Teilgebiete nicht per se, sondern in ihrer gegenseiti1 2

Cf. hierzu unten, Kap. 1.1. Cf. Ulrich Wandruszka, Probleme der neu französischen Wortbildung, Tübingen 1976 (RA 16); Horst Geckeier, Strukturelle Semantik des Französischen, Tübingen 1973 (RA 6); Wolfgang Börner, Die französische Orthographie. Tübingen 1977 (RA 18)·. Lothar Wolf. Aspekte der Dialektologie, Tübingen 1975 (RA 15); Franz Josef Hausmann, Einführung in die Benutzung der neu französischen Wörterbücher, Tübingen 1977 (RA 19)·, Wolfgang Settekorn, Sprachnorm und Sprachnormierung in Frankreich, Tübingen 1988 (RA 30).

1

gen Bedingtheit und Abhängigkeit dargestellt werden sollen, so daß ihre Präsentation gezwungenermaßen anders ausfallen muß als in den erwähnten Themenheften. 0.1. Die Arbeitshefte waren ursprünglich einmal (auch) zum Selbststudium gedacht. Dieses durch die späten 60er und frühen 70er Jahre geprägte Konzept hat sich allerdings nur sehr bedingt bewährt; es zeigte sich sehr bald, daß die Komplexität des Phänomens Sprache und die Vielschichtigkeit der sich mit ihr befassenden Wissenschaft nur schwer des erklärenden und interpretierenden, bei auftretenden Problemen helfend einspringenden Universitätslehrers entbehren konnte. Aus diesem Grunde erhebt die vorliegende Darstellung auch nicht den Anspruch, die ideale geistige Nahrung für den studentischen Einsiedler im stillen Kämmerlein zu sein. Vielmehr ist diese Darstellung als Grundlage für ein begleitetes Studium, als Basis für die Diskussion in Proseminaren (u.U. auch in Hauptseminaren) gedacht. 0.2. Trotzdem wird natürlich der Student bei der Vor- und Nachbereitung oft, ja meist, auf sich selbst angewiesen sein. Es muß deshalb versucht werden, möglichst wenig Problemsituationen aufkommen zu lassen bzw. die nötigen Hilfsmittel bereitzustellen, um einen Ausweg aus der jeweiligen Sackgasse zu finden. Schwierigkeiten treten erfahrungsgemäß v.a. in zwei Bereichen immer wieder auf, die beide letztlich auf eine noch nicht ausreichende Sprachkompetenz schließen lassen: einmal bezüglich der umfangreichen, vielschichtigen und alles andere als einheitlichen Fachterminologie, dann hinsichtlich der weniger zentralen Einheiten des fremdsprachlichen Wortschatzes. Was die linguistische Fachterminologie angeht, so könnte man natürlich fordern, daß alle verwendeten termini technici innerhalb einer einführenden Darstellung wie der hier vorgelegten erklärt werden. Dies brächte aber erhebliche Probleme mit sich. Einmal würde der Umfang dieses Arbeitsheftes und damit auch sein Preis in einem nicht zu rechtfertigenden Ausmaß anwachsen. Dann würden aber auch diejenigen Leser über weite Strecken gelangweilt, die nicht als "echte" Anfänger zu gelten haben, sondern schon mehr oder weniger umfangreiche Vorkenntnisse besitzen. Dieser Aspekt ist schon deshalb von großem Gewicht, weil man in

2

aller Regel nicht gleich in ein thematisch gebundenes Seminar geht, sondern vorher eine "Einführung in die romanistische Sprachwissenschaft", irgendwelche Uberblicksvorlesungen usw. besucht. Da nun der Stoffkanon dieser propädeutischen Veranstaltungen alles andere als einheitlich ist, überdies gerade bezüglich der Vorlesungen eine gewisse Wahlfreiheit besteht, bringt praktisch jeder Seminarteilnehmer andere Voraussetzungen mit. Ein einheitlicher Fundus von Fachtermini existiert in der Regel auch gegen Ende des Grundstudiums nicht. Es ist somit unmöglich vorherzusehen, was für den Einzelnen nötig und was überflüssig ist. Aus diesem Grunde habe ich mich dazu entschlossen, nur diejenigen Fachtermini zu erklären, die unter ausgebildeten Linguisten nicht allgemein gebräuchlich sind, sei es, daß sie überhaupt nur von wenigen oder sogar nur von mir benutzt werden, sei es, daß ihnen in diesem Redimen eine besondere Bedeutung zukommt. Für alle übrigen möglichen Problemfälle wird empfohlen, auf die gängigen linguistischen Wörterbücher zurückzugreifen. An deutschsprachigen Werken sind besonders zu empfehlen: — Theodor Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch, 3 vol., Heidelberg 21976 — Hadumod Bußmann, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart 1983 — Wilfried Kürschner, Grammatisches Kompendium. Systematisches Verzeichnis grammatischer Grundbegriffe, Tübingen 1989 In französischer Sprache sind vor allem zu nennen: — Georges Mounin (ed.), Dictionnaire de la linguistique, Paris 1974 — Jean Dubois et al., Dictionnaire de linguistique, Paris 1973 Nach größeren thematischen Zusammenhängen (und nicht streng alphabetisch) organisiert sind die Darstellungen von Martinet und Ducrot/Todorov 3 ; aufgrund der ausführlichen Indices sind jedoch auch sie über weite Strecken als Nachschlagewerke benutzbar, 3

Cf. André Martinet et al. (ed.), La linguistique. Guide alphabétique, Paris 1969; Oswald Ducrot/Tzvetan Todorov, Dictionnaire encyclopédique des sciences du langage, Paris 1972.

3

obwohl die definitorische Präzision für die einzelnen Termini oft zu wünschen übrig läßt. Ähnliches gilt auch für das viel umfangreichere Lexikon der Germanistischen Linguistik und das im Erscheinen begriffene, fast schon monumentale Lexikon der Romanistischen Linguistik4. 0.3. Ebenso wie nicht jeder Fachterminus eingeführt und diskutiert werden kann, ist es auch nicht möglich, zu allen zitierten und erwähnten lexikalischen Einheiten die Bedeutung bzw. die Vielzahl der Bedeutungen zu geben; auch dieser Versuch hätte zur Folge, daß der Umfang dieses Arbeitsheftes nicht mehr vertretbare Ausmaße annehmen würde. Prinzipiell werden im folgenden Bedeutungen nur dort gegeben, wo sie für unsere Argumentation relevant sind oder den Gegenstand der Diskussion bilden. In allen übrigen Fällen wird die Kenntnis des Semantismus der betreffenden Einheit oder zumindest der "Leitbedeutung" vorausgesetzt. Natürlich sind wir uns im klaren darüber, daß diese Haltung den Benutzer und v.a. den Anfänger in zahlreichen Fällen überfordert. Um der Argumentation folgen zu können, wird er deshalb oft gezwungen sein, zu Wörterbüchern zu greifen. In der Regel wird ein Gebrauchswörterbuch vom Typus des PLar. oder PRob. ausreichen: - Petit Larousse illustré, Paris 1988 — Le Petit Robert. Dictionnaire alphabétique & analogique de la langue française, par Paul Robert, rédaction dirigée par A. Rey et J. Rey-Debove, Paris 21977 e

In Frage kommen daneben natürlich auch der DFC und der DFV , wenn sie auch für unsere Zwecke wegen ihrer dominant am aktuellen Sprachzustand orientierten Auslegung nicht die gleich guten Dienste erweisen wie die beiden erstgenannten Werke. — Anderer-

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4

Cf. Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Herbert Emst Wiegand (ed.), Lexikon der Germanistischen Linguistik (LGL), 3 vol, Tübingen 1975 (*1980) : GUnter Holtus/Michael Metzeltin/Christian Schmitt (ed.), Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL). 9 vol, Tübingen 1988ss. (im Erscheinen begriffen). Cf. Jean Dubois et al. Dictionnaire du français contemporain, Paris 1966; Maurice Davau/Marcel Cohen/Maurice Lallemand, Dictionnaire du Français vivant, Paris 1972.

seits kann natürlich auch die Situation eintreten, daß selbst die beiden bevorzugt empfohlenen Gebrauchswörterbücher nicht ausreichen, um mit allen Problemen fertig zu werden. In diesem Falle wird es unerläßlich sein, zu den großen mehrbändigen Werken zu greifen, von denen hier nur die drei wichtigsten genannt werden sollen: — Grand Larousse de la langue française en six volumes, 7 vol., Paris 1971-78 — Paul Robert, Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française. Deuxième édition entièrement revue et enrichie par Alain Rey, 9 vol., Paris 1985 — Trésor de la langue française. Dictionnaire de la langue du XIX· et du XXe siècle, 12 vol., Paris 1971 ss. Für frühere Sprachzustände wird man auf die entsprechenden Spezialwörterbücher zurückgreifen. Für das Altfranzösische erweist sich die gedrängte Darstellung von Greimas als durchaus brauchbar 6 : — A.J. Greimas, Dictionnaire de l'ancien français jusqu'au du XIV siècle, Paris 1969

milieu

Für viele Probleme wird man aber zu den umfassenden Darstellungen von Godefroy und Tobler/Lommatzsch greifen müssen, weil nur sie die betreffenden Lemmata enthalten oder semantisch genügend differenziert vorgehen: — Frédéric Godefroy, Dictionnaire de l'ancienne langue française et de tous ses dialectes du IX* au XV siècle, 10 vol., Paris 1881-1902 — Adolf Tobler/Eberhard Lommatzsch, Alfranzösisches Wörterbuch, 9 vol., Wiesbaden 1925ss. Für das 16. Jahrhundert steht die in vielerlei Hinsicht problematische Darstellung von Huguet zur Verfügung:

6

Natürlich sind auch ältere Werke dieses Typs nicht wertlos geworden. Z£J Frédéric Godefroy, Lezique de l'ancien Français, p.p. J. Bonnard/Am. Salmon, Paris/Leipzig 1901; R. Grandsainges άΉβιιΙβπνβ, Dictionnaire d'ancien français. Moyen Âge et Renaissance, Paris 1947; Hilaire Van Daele, Petit Dictionnaire de l'Ancien Français, Paris 1939.

S

— Edmond Huguet, Dictionnaire de la langue française du XVI' siècle, 7 vol., Paris 1925^-67 Probleme ergeben sich bei diesem Werk nicht nur aufgrund seiner fragwürdigen Materialbasis, sondern v.a. auch deshalb, weil der Verfasser nur (wirklich oder angeblich) im Modernfranzösischen nicht mehr existierende Wörter berücksichtigt. Er folgt in diesem Punkt der unglücklichen Idee von Godefroy, der allerdings seinen Irrtum im Laufe der Arbeit eingesehen und versucht hat, den Schaden in den beiden letzten, im wesentlichen als Supplement ausgelegten Bänden seines Werkes zu begrenzen 7 . 0.4. Ähnlich wie bei den Fachtermini und den Wortbedeutungen ist das Vorgehen auch bei den Etymologien. Diese werden nur dort angeführt, wo sie für unsere Argumentation wichtig sind. Sollte der Benutzer im einen oder andern Fall trotzdem weitere Informationen in dieser Hinsicht benötigen, wird die Benutzung der folgenden zwei relativ kompakten Werke empfohlen: — O. Bloch/W. von Wartburg, Dictionnaire étymologique de la langue française, Paris s1968 — A. Dauzat/J. Dubois/H. Mitterand, Nouveau dictionnaire étymologique et historique, Paris 1964 Für detailliertere Informationen wird man zu dem monumentalen FEW greifen: — Walther von Wartburg, Französisches etymologisches Wörterbuch. Eine Darstellung des gal loromanischen Sprachschatzes, 25 vol., Bonn 1922-28/Leipzig 1932-40/Basel 1944ss. Für die im Französischen seit dem 18. Jh. eine immer wichtigere Rolle spielenden Anglizismen verweise ich auf die Spezialdarstellungen von Rey-Debove/Gagnon und Höfler 8 . 7

8

6

Eine gute Einführung in diese Werke (ebenso wie in die im nächsten Abschnitt behandelten etymologischen Wörterbücher liefert Kurt Baldinger, Introduction aux dictionnaires les plus importants pour l'histoire du français, Paris 1974. Cf. Josette Rey-Debove/Gilberte Gagnon, Dictionnaire des anglicismes. Les mots anglais et américains en français, Paris 1980; M. Höfler, Dictionnaire des anglicismes, Paris 1982.

0.5. Mancher wird bedauern, daß wir uns aus Gründen des Umfangs und des Verkaufspreises bezüglich der Fachtermini, der Bedeutungen und der Etymologien zu dem eben geschilderten Vorgehen entschlossen haben, denn der ständige Rückgriff auf diese verschiedenen Typen von lexikographischen Werken kann leicht lästig werden. Es wäre aber nicht aufrichtig, wenn ich nicht zugeben würde, daß die ökonomischen Erwägungen ein bequemes Alibi sind, und daß der mögliche Frust bis zu einem gewissen Grad intendiert ist: Jeder Student muß möglichst früh und möglichst oft gezwungen werden, mit derartigen Hilfsmitteln umzugehen, denn nur so wird ihre Benutzung zur Selbstverständlichkeit, zu einer nur noch ein Minimum von Zeit erfordernden Routinehandlung. Ich hoffe, daß die Zurückhaltung in der Lieferung von nicht unbedingt nötigen lexikographischen Zusatzinformationen zur Erreichung dieses Zieles beiträgt. 0.6. Ein letztes Wort noch zu den "Hausaufgaben". Vorschläge zur Weiterbeschäftigung mit den behandelten Themen finden sich in vielen, wenn auch nicht in allen Romanistischen Arbeitsheften, und gibt ihnen oft etwas schulmeisterlich Pedantisches. Ich nehme diesen Nachteil in Kauf, denn der Nutzen dieser teils rekapitulierenden, teils weiterführenden Themenvorschläge ist sowohl für den Studierenden als auch für den Lehrenden nicht zu leugnen. Sie regen den einen zu weiterem und eigenem Nachdenken an, und sie ersparen dem andern ein oft mühsames und langwieriges Suchen nach geeigneten Themen für die Uberprüfung des Lehr- und Lernerfolges. Bei den Aufgabenstellungen ist zwischen zwei Typen zu unterscheiden, die sowohl in bezug auf die Funktion als auch hinsichtlich des notwendigen Arbeitsaufwands voneinander abweichen: 1. Eine Art "Kurzfragen", die vor allem der Uberprüfung des vermittelten Stoffes dienen oder zeigen sollen, daß das Erarbeitete nun auch angewandt werden kann; die Beantwortung dieser Fragen ist in der Regel auf einer halben Seite möglich und sollte nur in Ausnahmefällen mehr Platz beanspruchen. 2. Themen für Hausarbeiten oder Referate, die eine umfangreichere und eigenständige Auseinandersetzung mit einem grös-

7

seren Fragenkomplex erfordern; der vermittelte Stoff dient in diesem Fall nur als Ausgangpunkt für eine weiterführende Beschäftigung mit nicht direkt angesprochenen Problemen. Um keine Zweifel an der Zuordnung der Aufgaben zu diesen beiden Kategorien aufkommen zu lassen, werden die zum zweiten Typus gehörenden mit (*) gekennzeichnet.

8

1. Definition und Ausgrenzung der Lexikologie Ich habe es bereits in der Einleitung angedeutet: Die Lexikologie ist ein außerordentlich weites und vielgestaltiges Teilgebiet der Sprachwissenschaft, und gerade diese Aspekte sind auch dafür verantwortlich, daß sie sich nur sehr schwer ausgrenzen läßt. Sie berührt sich mit zahlreichen anderen Forschungsfeldern, die man je nach dem gewählten Standpunkt als zur Lexikologie gehörend betrachten kann — oder auch nicht: Etymologie, Fremd Wortforschung, Wortbildungslehre (Lexematik), Phonologie, Orthographie, Morphologie, Semantik, ja sogar die Syntax! Und damit ist die Liste noch keineswegs vollständig. Um nicht praktisch die ganze Linguistik zu einem Teil der Lexikologie zu machen und so zum Paradox zu kommen, daß das Ganze ein Teil eines Teiles ist, tut eine Definition dringend not. Dieses Bedürfnis wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, daß lexikalische Einheiten durchgängig Bedeutung haben, also bedeutungstragend sind. Dies hat zur Folge, daß die Lexikologie unauflöslich mit der Semantik ("Bedeutungslehre") verknüpft erscheint. Tut sich hier nicht die Gefahr einer weiteren Konfusion auf? Berührt sich die Lexikologie mit der Semantik, überschneidet sie sich mit ihr, oder schließt sie sie etwa ein? Bevor wir aber nicht bezüglich der Lexikologie und ihrer Definition Klarheit gewonnen haben, ist es müßig, über die Beziehungen der Disziplin, die wir ins Zentrum unserer Überlegungen stellen, zu irgendwelchen Nachbar-, Teil- oder Konkurrenzbereichen zu reflektieren. 1.1. Die Lexikologie kann im weitesten Sinne als "Wissenschaft vom Lexikon einer Sprache" definiert werden (cf. auch Ricken 1983:6)1. Ähnlich charakterisiert Lewandowski (1976:425) die Lexikologie als "Lehre von der Erforschung des Wortschatzes bzw. des Lexikons einer Sprache". Damit ist das Problem aber keineswegs gelöst, sondern nur verlagert, denn es ist keineswegs klar, 1

Dies schließt die Betrachtung des Lexikons verschiedener Sprachen im Rahmen einer kontrastiven Untersuchung noch nicht aus; der Kontrastierung hat in jedem Fall eine Analyse der beiden einzelsprachlichen Corpora nach identischen Prinzipien und Methoden voranzugehen.

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was man unter Lexikon zu verstehen hat — ganz im Gegenteil: Die Auffassungen in dieser Hinsicht divergieren erheblich. 1.1.1. Die Vielfalt der Auffassungen bezüglich dessen, was das Lexikon ist, kann hier nicht erschöpfend behandelt werden; einige wenige Beispiele werden aber genügen um zu zeigen, wie widersprüchlich die Aussagen sind. Ferdinand de Saussure bezeichnet z.B. das Lexikon als "trésor des mots, tel qu'il est rangé dans un dictionnaire" (Saussure 1968:305). Der Rekurs auf das Wörterbuch (dictionnaire) überrascht den Saussurekenner hier sicherlich, v.a. wenn man sich vor Augen hält, daß die Sprache als soziales Phänomen (langue) als "trésor déposé dans le cerveau de chaque individu" definiert wird (Saussure 1968:41). Es spricht vieles dafür, daß die erste Formulierung eine (suggestive) didaktische Vereinfachung im Rahmen des universitären Unterrichts darstellt, wie sie sich in den Aufzeichnungen von Saussures Vorlesungen oft finden. Fest steht auf jeden Fall, daß es ein Lexikon unabhängig von jeder lexikographischen Aktivität und von Produkten einer derartigen Aktivität gibt; jeder Sprecher, auch der einer vollkommen unzivilisierten Gemeinschaft, verfugt spontan über das Lexikon der in dieser Gemeinschaft verwendeten Sprache. — Eine wichtige Ergänzung des Vorhergehenden stellt (v.a. im Hinblick auf noch zu besprechende Positionen) die folgende Stelle dar; nach ihr umfaßt die Lexikologie "tout ce qui est indépendant des rapports grammaticaux, ou du moins des rapports grammaticaux concernant la phrase" (Saussure 1968:434). Das Lexikon (als Gegenstand der Lexikologie) würde also all das umfassen, was nicht Grammatik wäre bzw. keine sogenannte morphosyntaktische Relevanz hätte. Ganz anders nimmt sich die Darstellung des Lexikons bei Bloomfield (1933:162) aus, wo dieses als "the total stock of morphemes in a language" definiert wird. Stellt man nun noch in Rechnung, daß Bloomfield nicht zwischen lexikalischen und grammatikalischen Einheiten unterscheidet, sondern jede unteilbare sprachliche Einheit (Minimaleinheit) ein Morphem nennt, wird hier eine der Saussure'schen Haltung fast entgegengesetzte Auffassung deutlich. Dies geht auch aus einer weiteren Stelle hervor, wo der amerikanische Linguist erklärt: "The lexicon is really an appendix of the grammar, a list of basic irregularities" (Bloomfield 10

1933:274). Während bei Saussure das Lexikon eine Art Gegenpol zur Grammatik (bzw. Syntax) bildet und als gleichberechtigt gelten kann, hat es bei Bloomfield gewissermaßen den Status eines Mülleimers: Es umfaßt alles, was nicht in (grammatischen, d.h. morphosyntaktischen) Regeln beschrieben werden kann. Wiederum anders wird das Lexikon in der generativen Transformationsgrammatik dargestellt. Nach Chomsky (1969:113) enthält die Basis jeder Grammatik "ein Lexikon, das einfach eine ungeordnete Liste aller lexikalischen Formative darstellt". In einer Anmerkung wird dann noch präzisiert, daß wir "eine Lexikon-Eintragung einfach als eine Menge von phonologischen, syntaktischen und semantischen Merkmalen auffassen" können. Verschiedenes fällt an dieser Darstellung auf. Einmal sind die grammatikalischen Minimaleinheiten — anders als bei Bloomfield — nicht Bestandteil des Lexikons; bezüglich dieses Punktes steht Chomsky näher bei Saussure, ohne daß die Positionen identisch wären: Chomsky spricht nur von "lexikalischen Formativen", nicht aber von den Lemmata in einem Dictionnaire, wenngleich diese Formative als "Lexikon-Eintragungen" zu gelten haben. An Bloomfield erinnert dagegen das Insistieren auf den ungeordneten, d.h. asystematischen Charakter dieses Inventars. Für unsere weiteren Überlegungen werden wir im wesentlichen auf Saussures Position zurückgreifen, wobei wir allerdings den wenig glücklichen Erfassungsrahmen des Dictionnaire durch denjenigen des Sprecherbewußtseins bzw. der Sprachgemeinschaft ersetzen. Diese Position entspricht im wesentlichen der ersten Definition bei Lewandowski (1976:426), die das Lexikon folgendermaßen umschreibt 2 : Gesamtheit der Wörter bzw. der Wortschatz einer (natürlichen) Sprache: das Zeichenrepertoire als das internalisierte Wissen des Sprachteilhabers von den lexikalischen Eigenschaften der Wörter/Lexeme (phonologisch-phonetisch-orthographische, syntaktische und semantische Informationen).

1.1.2. Im vorhergehenden Abschnitt ist immer wieder der ungeordnete bzw. chaotische Charakter des Lexikons unterstrichen worden. So hat Bloomfield das Lexikon als "Liste von grund2

Zur Verwendung des Terminus Wort/Wörter

cf. unten.

11

sätzlichen Irregularitäten" bezeichnet, und bei Chomsky erscheint es als " ungeordnete Liste aller lexikalischen Formative". Das Lexikon also als Ort des Durcheinanders, der fehlenden Systematik, der Unregelmäßigkeit? Diese Auffassung ist sicher verbreitet, und sie findet sich (zumindest auf den ersten Blick) auch bei Hjelmslev, der erklärt (1971:106s.): Bref, le vocabulaire se présente au premier abord comme la négation d'un état, d'une stabilité, d'une synchronie, d'une structure. À première vue, le vocabulaire reste capricieux et juste le contraire d'une structure. C'est pourquoi tout essai pour établir une description structurale du vocabulaire, et, à plus forte raison, une sémantique structurale, semble être voué à l'échec et devient facilement la proie du scepticisme. C'est pourquoi la lexicologie reste une case vide dans la systématique de notre science, et qu'elle se réduit forcément à n'être qu'une lexicographie, ou simple énumération d'un effectif instable et indécis de certaines grandeurs mal définies auxquelles on attribue un fatras inextricable de multiples emplois différents et apparemment arbitraires.

Allerdings steht die hier beschriebene Situation nur für den ersten Eindruck ; versucht man, den Dingen auf den Grund zu gehen, dann kann man feststellen, daß es durchaus andere Aspekte gibt, die es Hjelmslev letztlich erlauben, im Anschluß an das obige Zitat die Grundzüge einer strukturellen Semantik zu entwickeln und damit zu beweisen, daß das Lexikon eben doch etwas anderes als eine mehr oder weniger zufällige Anhäufung von isolierten Einheiten ist. Was bei Hjelmslev gewissermaßen insinuiert wird, drückt der Prager Linguistenkreis in seinen Thesen zum 1. Slawistenkongreß (1929) mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit aus. Wir lesen dort (cf. Vachek 1964:55s.): Le vocabulaire n'est pas en effet un simple agglomérat de mots isolés, mais c'est un système complexe de mots qui tous, d'une façon ou d'une autre, sont coordonnés aec les autres et sont opposés l'un à l'autre. _ Les systèmes lexicaux sont, il est vrai, tellement plus complexes et vastes que les systèmes morphologiques que les linguistes ne réussiront peut-être bien jamais à les représenter avec le même degré de clarté et de netteté. Mais pourtant, les mots étant, dans la conscience

3

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Man vergleiche die Ausdrücke au premier abord, à première wie die wichtige Rolle von Wörtern wie sembler, attribuer, ment usw.

vue, soapparem-

lexicale, opposés l'un à l'autre et mutuellement coordonnés. Us Forment des systèmes Formellement analogues aux systèmes morphologiques et susceptibles comme tels d'être étudiés par les linguistes. Dans ce domaine encore peu exploré, les linguistes doivent travailler, non seulement à l'examen des matériaux eux-mêmes, mais aussi à l'élaboration de méthodes régulières d'étude.

Auch hier wird die scheinbare Asystematizität des Lexikons unterstrichen, gleichzeitig aber auch deutlich gemacht, daß sich dahinter durchaus strukturierbare Gegebenheiten verbergen. Allerdings sind die Gegebenheiten derart komplex, daß berechtigte Zweifel bestehen, ob eine wirklich strukturierte Darstellung des Wortschatzes überhaupt je möglich sein wird. Alle diese Stellungnahmen machen deutlich, daß die wissenschaftliche Durchdringung des Lexikons (im Gegensatz zu den Gegebenheiten in den Bereichen der Phonologie und der Morphologie) ein großes Problem darstellt. Dies beruht v.a. auf der fast unüberschaubaren Material fülle, die offensichtlich wird, sobald man sich einmal eines der großen Wörterbücher des Französischen (oder jeder beliebigen anderen Sprache) vornimmt. Dies verunmöglicht aber eine Lexikologie, die diesen Namen verdient, keineswegs: Diese Disziplin der Sprachwissenschaft hat nicht zur Aufgabe, das mehr oder weniger endlose Material exhaustiv zu beschreiben; ihr Ziel ist vielmehr, die theoretischen Grundlagen für eine Aufarbeitung der Materialfülle zu liefern. Die Lexikologie ist die Wissenschaft, die die Voraussetzungen für einen Zugriff auf die Materialfülle schafft, die die Vielfalt der Bezüge offenlegt, die es in diesem Material gibt bzw. die in ihm gesehen werden können. In diesem Sinne erklärt Schifko (1977:50): "Nach meiner Auffassung bezieht sich die Lexikologie auf die Einheiten bestimmter Rangebenen, die das Lexikon ausmachen, und sie hat die Aufgabe, sämtliche Informationen, die für die Generierung von Äußerungen notwendig sind, soweit sie direkt die lexikalischen Einheiten betreffen, beizubringen." Dies ist sicher richtig, gleichwohl aber zu einseitig auf eine linguistique de la parole (im Sinne von Saussure) ausgerichtet: Die Lexikologie hat sich nicht nur mit den Steuerungsfaktoren für die Produktion eines korrekten Diskurses zu befassen, sondern auch mit der internen Struktur des Lexikons (die für die Generierung von Äußerungen

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nur mittelbar relevant ist). Einen weiteren Aspekt bringt Berruto (1976:10) in die Diskussion, für den die "Lexikologie die Wörter einer gegebenen Sprache oder mehrerer Sprachen untersucht, sei es unter dem Aspekt des Signifikats, sei es unter demjenigen des Signifikanten" 4 : Sie befaßt sich also sowohl mit der Inhalts- wie mit der Ausdrucksseite lexikalischer Einheiten. Dabei kann man die Untersuchung der Inhaltsseite der (lexikalischen) Semantik, die Diskussion der Ausdrucksseite der (lexikalischen) Morphologie zuweisen (Schifko 1977:50s.). 1.1.3. Ich habe bisher den Ausdruck Wort (außer in Zitaten) geflissentlich vermieden und immer von "lexikalischen Einheiten" o.ä. gesprochen, und ebenso versuchte ich auch — nicht immer mit Erfolg — den Ausdruck Wortschatz zu vermeiden und dafür Lexikon zu sagen. Diese Scheu vor dem Wortbegriff ist natürlich nicht zufällig, sondern hat ihre Wurzeln in der Tatsache, daß die Definition des Wortes ein bis heute ungelöstes Problem der Linguistik ist. Dies mag überraschen, denn jeder Sprecher scheint doch intuitiv zu wissen, was ein Wort ist. Man kann sich allerdings fragen, ob diese Feststellung auch für den wirklich "naiven" Sprecher gilt, oder ob dieses scheinbare Wissen nicht ein Effekt unserer schulischen Bildung oder Verbildung ist. Wie dem auch immer sei: Der Wortbegriff ist vorwissenschaftlicher Natur, d.h. er ist nicht "wohldefiniert" im Sinne der Wissenschaftssprache. Die Probleme müssen zwangsläufig in dem Moment auftreten, wo man versucht, einem vorwissenschaftlichen Terminus eine wissenschaftliche Definition zuzuordnen: "Naive" Ausdrücke sind in aller Regel polysem, d.h. sie haben nicht eine einzige, sondern eine Vielzahl von mehr oder weniger stark voneinander abweichenden Bedeutungen; wissenschaftliche Termini dagegen sollen eindeutig sein. Solange nun vorwissenschaftlicher Gebrauch und wissenschaftliche Definition koexistieren, muß es unweigerlich zu Konflikten kommen, die letztlich unlösbar sind. Um dieses Problem zu umgehen, werde ich auch im folgenden versuchen, den Wortbegriff zu vermeiden. An seine Stelle soll der 4

14

Für die Ausdrücke Signifikat/Signifikant 1968, s.v.

(signifié/signifiant)

cf. Engler

wohldefinierte wissenschaftliche Terminus der l.exie treten, den ich mit Pottier als "unité de comportement syntaxique" verstehe (Pottier 1964a:l.3.; 1964b:119; 1967:17)5. Lexien wären also nicht plume, vent usw., sondern la plume, le vent etc. Ebenso sind le porte-plume, le pare-brise Lexien, aber auch une machine à laver, une voiture de sport u.a., genauso wie prendre le train, faire une niche, en avoir plein le dos, au fur et à mesure etc. Die lexikalischen Einheiten (Lexien) sind — entgegen der gängigen Auffassung (z.B. Berruto 1976:56; Schifko 1977:44; usw.) — nicht Einheiten des sprachlichen Systems (der langue im Sinne von Saussure), sondern der Norm als zwischen dem System und der konkreten Rede liegender Ebene. Während die langue die Ebene des Virtuellen, der funktionellen Möglichkeiten, die parole diejenige der konkreten Einzelrealisierungen und -anwendungen darstellt, repräsentiert die Norm den Bereich der (zu einem bestimmten Zeitpunkt) historisch realisierten Typen. In diesem Sinne kann Coseriu (1973a:41; 1977:44) die Wörterbücher auch als "Register, bisweilen verspätete Register der Norm" bezeichnen. Dem System kann man dagegen die lexikalischen Minimal einheiten, die sogenannten Lexeme zuweisen, die im wesentlichen den "Wurzeln" früherer sprachwissenschaftlicher Schulen entsprechen (cf. unten). 1.1.4. Lexien haben nur im Ausnahmefall mono-monematischen Charakter (z.B. grand, vert, bien usw.) 6 ; in der Regel umfassen sie mehrere Moneme, und zwar handelt es sich bei den die Lexikologie in erster Linie interessierenden Einheiten (Substantiv, Adjektiv, Verb, Adverb) jeweils um mindestens ein Lexem (= lexikalisches Monem) und ein Morphem (= grammatikalisches Monelli), z.B. ila] blanch-eur, parl-er, ilei vend-eur usw. An einer Lexie können aber auch mehrere Lexeme beteiligt sein, z.B. rie] téléspectateur, [le] coup de foudre, fiel grand magasin, fia] cigarette filtre etc. Wenn in komplexen Lexien dieser Art mehrere 5

Cf. auch Pottier 1974:326, wo die Lerie mémorisée en compétence" definiert wird.

als

"unité

fonctionnelle,

6

Mono-m onematisch = aus einem Monem bestehend". Mit Monem wird die sprachliche Minimaleinheit von Ausdruck und Inhalt bezeichnet, die sich nicht weiter unterteilen läßt in kleinere zweiseitige Einheiten dieser Art.

15

Morpheme impliziert sind, bleibt nur eines von ihnen (in der Regel das im Rahmen der Abhängigkeitsrelationen ranghöchste) für die Klassenzuweisung relevant: also 'Subst.' in [lei grand magasin, 'Verb' in prendre la fuite und tenir bon usw. Einen Sonderfall bilden in dieser Hinsicht Lexien wie île] pare-brise, [leJ couvre feu, île] porte-cigarettes usw., in denen das ranghöchste Element verbaler Natur zu sein scheint und die substantivische Charakteristik nur der Bildung als Ganzem zugewiesen werden kann (cf. Bierbach 1982); entsprechendes findet sich vereinzelt auch bei anderen Typen (cf. z.B. Cl'] avant-scène, [Γ] avant-guerre usw.; Wunderli 1979:330ss.). Zweiseitige sprachliche Minimaleinheiten (Moneme) haben je nachdem den Status von Lexemen oder Morphemen. Lexeme sind dadurch charakterisiert, daß sie aus der Sprache heraus auf (die) Welt verweisen: Sie verfugen über eine (virtuelle) außersprachliche Referenz (Kleiber 1981:15ss.), z.B. vend/-t in vendre, [le] vendeur, [la] vente usw. Die Referenzfähigkeit der Morpheme dagegen ist innersprachlicher Natur: Sie verweisen auf das sprachliche Organisationsmuster bzw. Einheiten desselben, z.B. -ment in lentement, -eur in porteur, -ure in coupure etc. 1.1.5. Vor diesem Hintergrund stellen sich die Aufgaben der Lexikologie folgendermaßen dar: Sie befaßt sich mit dem Lexikon einer Sprache bzw. mit dessen Einheiten (Lexien) unter allen relevanten Aspekten. Betrachtet man das Lexikon als Ganzes, sind dies insbesondere: die Schichtung des Lexikons nach Alter und Herkunft ; die interne Organisation des Lexikons in "Wortklassen" und "Wortfelder"; die Ausdifferenzierung der historisch gewachsenen Sprache als Ganzes in Subsysteme bzw. Dialekte Q und Register; die Natur und die Typen der Fachsprachen . Die 7

Obwohl die

diese

Aspekte

synchronische

[sprachvergleichender] 8

Da

es

sich

diachronischer

Charakterisierung

hierbei

Natur des

sind, spielen

Lexikons

Hinsicht) eine bedeutende

nicht

um

vollständige

(va.

sie in

mit

eigener

gebräuchlich); der

16

des

Inventar von mehr oder w e n i g e r w o h l d e f i n i e r t e n

ten, ist die B e z e i c h n u n g

Fachsprachen

adäquate

Ausdruck

unangemessen wäre

flir

Rolle.

Sprachen

phologie und Syntax handelt, sondern nur um Unterabteilungen kons mit einem

auch

kontrastiver

(obwohl

Fachterminologien.

MorLexi-

Einhei-

allgemein

Lexien als Einheiten des Lexikons sind zweiseitige Einheiten (Zeichen im Sinne Saussures), die über eine Inhalts- und eine Ausdrucksseite verfügen, wobei die jeweilige Zuordnung der beiden Komponenten im Normalfall arbiträr und konventionell ist. Die Lexikologie befaßt sich mit der Untersuchung sowohl der einen als auch der anderen Ebene; die Untersuchung der Inhaltsseite ist die Aufgabe der (lexikalischen) Semantik, diejenige der Ausdrucksseite der (lexikalischen) Morphologie. Dazu kommt noch die Beschreibung der Abhängigkeitsrelationen von verwandten Lexien untereinander, mit denen sich die Lexematik (traditionell "Wortbildungslehre" genannt) befaßt. Für alle erwähnten Teilbereiche der Lexikologie gilt, was für die Sprachwissenschaft im allgemeinen Gültigkeit hat: Da jede Sprache im Sinne Saussures ein autonomes Wertsystem (système de valeurs) ist, in dem sich alle Einheiten gegenseitig voraussetzen und konditionieren, bringt die Untersuchung isolierter Einheiten für die Darstellung des Lexikons als Ganzes nur bedingt gültige Resultate; der Stellenwert der einzelnen Lexien läßt sich immer nur im Zusammenhang mit dem näheren lexikalischen Umfeld und damit letztlich mit dem Lexikon als Ganzem einigermaßen verläßlich ermitteln. 1.2. Die Lexikologie darf nicht mit der Lexikographie gleichgesetzt oder verwechselt werden, obwohl dies häufig geschieht (so z.B. Hilty 1982). Wir haben oben die Lexikologie als Wissenschaft vom Lexikon bzw. Theorie des Lexikons (im jeweils weitesten Sinne) definiert. Die Lexikographie dagegen ist definiert als die "Lehre von der Wörterbuchschreibung, die Wörterbucharbeit als Anwendung lexikologischer Erkenntnisse ..." (Lewandowski 1976:423). Mit dieser Umschreibung wird deutlich, daß die Lexikographie nicht nur praktische Wörterbucharbeit, Redaktion von Wörterbüchern ist, sondern ihr durchaus auch eine methodische Reflexionsebene zukommt (cf. auch Berruto 1976:10s.). Gleichwohl rechtfertigt dies noch lange keine Gleichsetzung mit der Lexikologie. Das Verhältnis zwischen Lexikologie und Lexikographie ist vielmehr dasjenige zwischen "reiner" und "angewandter" Wissenschaft: Im Ideal fall ist die Lexikographie angewandte Lexikologie.

17

1.2.1. Die Lexikographie hat in der Romania eine lange Tradition, die weit hinter den Beginn der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den romanischen Sprachen zurückreicht. Erste Zeugnisse für eine Art Wörterbucharbeit sind die mittelalterlichen Glossare, von denen hier nur die ersten beiden Zeugnisse dieser Art, die Reichenauer Glossen (8. Jh.) und die Kasseler Glossen (8./9. Jh.) erwähnt werden sollen. Ab der Renaissance treten dann erstmals Wörterbücher im heutigen Sinne auf. Vorerst sind sie ausschließlich zwei- oder mehrsprachig; die ersten einsprachigen Wörterbücher erscheinen im 17. Jh. Wörterbücher können entweder deskriptiven oder normativpräskriptiven Charakter haben. Im ersten Fall liefern sie einfach eine mehr oder weniger vollständige Bestandsaufnahme des Wortschatzes einer Sprache zusammen mit einer möglichst präzisen Angabe der Verwendungsmodalitäten. Präskriptive bzw. normative Wörterbücher dagegen sind wertender Natur und beurteilen die einzelnen lexikalischen Einheiten nach (wie auch immer gewonnenen) Kriterien vom Typus gut/schlecht, besser/weniger gut, sei es, daß die negativ bewerteten Einheiten einfach weggelassen werden, sei es, daß sie als nicht oder weniger empfehlenswert stigmatisiert werden. In diesem Sinne sind z.B. Charakterisierungen wie anglicisme, vx. (vieux) usw. im Petit Robert zu verstehen. Die Unterscheidung zwischen deskriptiven und präskriptiven Wörterbüchern ist allerdings mehr theoretischer Natur; in der Praxis bewegen sich zumindest die standardsprachlichen Wörterbücher auf einem schwer definierbaren Mittelweg zwischen den beiden Polen, je nachdem mit größerer Affinität zum einen oder zum andern. So ist z.B. der Dictionnaire général9 vor allem präskriptiv, der Trésor de la langue française dagegen stärker deskriptiv orientiert — und dies ohne daß man behaupten könnte, die jeweils andere Komponente fehle vollkommen. Eine rein deskriptive Anlage findet sich praktisch nur bei Dialekt-

9

18

Cr. Adolphe Hatzfeld/Arsène Darmesteter, Dictionnaire général de la langue française du commencement du XVIIe siècle jusqu'à nos jours, 2 vol.. Paris 1890-1900.

Wörterbüchern wie z.B. dem Glossaire des patois de la Suisse romande10. Diese Situation ändert allerdings nichts daran, daß aus methodischer Sicht immer eine deskriptive Bestandsaufnahme gefordert werden muß, bevor man darangeht, normativ-präskriptive Werturteile abzugeben bzw. das deskriptiv gewonnene Material in dieser Optik selektiv zu bearbeiten. 1.2.2. Wörterbücher können nun hinsichtlich des dargestellten Materials unterschiedlich angelegt sein (Lewandowski 1976:423): Sie können alphabetischer Natur sein, sie können ihr Material nach Signifikaten ("Bedeutungen") geordnet präsentieren und stehen dann in direktem Zusammenhang mit der Wortfeldproblematik 11 , oder aber sie haben onomasiologischen Charakter und rekurrieren für die Stofforganisation auf ein (wie auch immer gewonnenes) Begriffssystem. Lewandowski betont, daß der v.a. von Weisgerber postulierte zweite Typ so gut wie inexistent sei, und dies hat auch seine guten Gründe: Da die sprachlichen Inhalte nicht nur von Sprache zu Sprache, sondern auch von Dialekt zu Dialekt und von Regi12

ster zu Register unterschiedlich organisiert sind , gibt es in diesem Fall kein übergeordnetes Organisationsprinzip mehr, das es erlauben würde, den Stoff vom System oder Kode unabhängig darzustellen; das Auffinden der einzelnen Einheiten wird so praktisch unmöglich — es sei denn, man arbeitet mit einem Index, der nach den Typen 1 oder 3 organisiert ist und der die signifikat-orientierte Präsentation letztlich ad absurdum führt. Der erste (alphabetische) Typ ist seit. Jahrhunderten und bis heute der Normalfall geblieben und organisiert das sprachliche Material nach seiner Ausdrucksseite (Signifikanten) aufgrund einer rekursiven Anwendung des hierarchisch begriffenen Buchstabeninventars. Diese Lösung ist nützlich und in gewissen Grenzen auch praktisch, gleichwohl aber letztlich unsinnig, und 10

Cf. Louis Gauchat/Jules Jeanjaquet/Ernest Tappolet. Glossaire de la Suisse romande, Neuchâle) etc. 1 9 2 4 ss.

11

Cf. hierzu unten. Kap. 6.8.

12

Cf. hierzu unten.

des

patois

19

zwar deshalb, weil sie zu einer rein zufälligen Anordnung des Materials führt, die mit den sprachlichen Strukturen überhaupt nichts zu tun hat (Baldinger 1960; Wartburg 1970:175ss.): Die alphabetische Ordnung ist vollkommen willkürlicher Natur und einzig durch eine Reihe von historischen Zufällen und Uberlieferungs-Pannen bedingt. Eine derartige Materialpräsentation hat zur Folge, daß Zusammengehöriges rabiat auseinandergerissen wird: rêve /songe, rappeler /(se) souvenir usw. stehen weit auseinander und gehören nur Tur den "Eingeweihten" irgendwie zusammen. Gute Wörterbücher (wie z.B. der PRob.) versuchen diesem Mangel dadurch zu begegnen, daß sie auf (vom Gebrauchsbereich her mehr oder weniger eindeutige) Synonyme und Antonyme 11 verweisen — ein Verfahren, das letztlich ein Notbehelf bleibt und die Probleme nicht aus der Welt schafft. Eine befriedigendere Lösung soll (zumindest nach Auffassung der Verfechter) der dritte Typus liefern, das onomasiologische (auch "ideologisch" genannte) Wörterbuch, dessen Grundidee es ist, das lexikalische Material einer (bzw. jeder) Sprache im Rahmen eines übergreifenden und stabilen Bezugssystems zu präsentieren. Diese Bemühungen verdienen eine etwas eingehendere Erörterung. 1.2.3. Die Idee eines onomasiologischen Wörterbuchs stammt zwar nicht von Walther von Wartburg, aber er hat zumindest den wichtigsten Versuch in dieser Hinsicht entscheidend geprägt 1 4 . Der Beginn der Auseinandersetzung mit dieser Problematik liegt in der Zeit um den 1. Weltkrieg, als Wartburg zusammen mit Jakob Jud ein neues Romanisches Etymologisches Wörterbuch plante, das dasjenige von Meyer-I.übke ersetzen sollte (und nie erschienen ist). Da die alphabetische Klassifikation des Materials nach Etyma (v.a. bei einem die gesamte Romania umfassenden Werk) sich als vollkommen ungenügend erwiesen hatte, wollte man der Neugestaltung ein "begriffliches" Klassifikationssystem zugrunde legen. Auch nachdem sich

13

Zu den Problemen von Synonymie und Antonymie cf. unten. Kap. 6.6, 6.7.

14

FUr die Entstehung dieses Wörterbuchtypus cf. Baldinger 1952; Ullmann 1972:289.

20

ihre Wege getrennt hatten, verfolgten sowohl Jud wie Wartburg diese Idee weiter, wobei allerdings Juds Bemühungen aufgrund der Einstellung der Arbeiten an seinem REW (um 1940) weitge15 hend unbekannt blieben . Anders bei Wartburg. Zwar ist sein monumentales Französisches Etymologisches Wörterbuch im Hauptteil in traditioneller Weise alphabetisch nach Etyma organisiert. Diese Lösung wurde von Wartburg gewählt, da zu Beginn der 20er Jahre (Publikationsbeginn des FEW) kein brauchbares onomasiologisches Klassifikationsinstrument zur Verfügung stand. Doch für die Materialien unbekannten Ursprungs (vol. 21-23), mit deren Veröffentlichung erst Ende der 60er Jahre begonnen wurde, ließ sich dieses Verfahren nicht anwenden. Aus diesem Grunde hatte Wartburg schon seit Jahren an einem "Begriffssystem" gearbeitet, das er dann Anfang der 50er Jahre zusammen mit seinem Schüler und Mitarbeiter Rudolf Hallig erstmals publizierte; 1963 folgte eine zweite, überarbeitete Fassung, die den o.g. Bänden des FEW zugrunde liegt 16 . Ausgangspunkt für die Entwicklung des Begriffssystems ist die Feststellung, daß eine inhaltliche Klassifikation des Materials aufgrund eines "der Sprache in ihrem jeweiligen Zustand selbst abgelauschten Systems" (Wartburg 1970:175) letztlich nicht praktikabel ist, weil diese Inhaltsstrukturen nicht nur von Sprache zu Sprache, sondern auch innerhalb einer historischen Sprache unter diachronischen (historischen), diatopischen (geographischen), diastratischen (sozialen) und diaphasischen (stilistischen) Gesichtspunkten variieren (cf. auch Wartburg 1970:158, 167ss.; Ulimann 1972:290). Vielmehr wird ein übergreifendes, allgemein gültiges System benötigt, das jenseits der Strukturen der einzelnen Sprachen, Kodes und Register steht. Ein solches System scheint sich Wartburg schon deshalb aufzudrängen, weil es nach seiner Auffassung so etwas wie "naturgegebene Gruppen" von

15

16

Cf. immerhin das Probefaszikel für ein "ideologisches" Wörterbuch von L. Wittmer und H. Glättli: Dictionnaire idéologique de la langue française. Impression d'un paragraphe spécimen: § 82 Vie .- Mort, Zürich 1951. Es bildet ebenfalls die Grundlage für die Struktur der im Erscheinen begriffenen Werke von Kurt Baldinger: Dictionnaire onomasiologique de landen occitan (DAO) und Dictionnaire onomasiologique de landen gascon (DAG) (beide bei Niemeyer, Tübingen).

21

Begriffen gibt, die allen Sprachen eigen wären: Körperteil, Verwandtschaftsbezeichnungen, Witterungserscheinungen, tägliche Verrichtungen (Essen, Trinken, Schlafen, etc.), Kleidung, staatliche Institutionen, usw. (Wartburg 1970:156s.). Diese Gegebenheiten brauchte man nur mit den Augen des intelligenten naiven Sprechers zu beobachten, um so die GrundzUge eines Klassifikationssystems zu gewinnen; weniger gut strukturierte Bereiche ließen sich analog zu den deutlicher gegliederten organisieren. Oder mit den Worten Wartburgs: [Das Begriffssystem] muß auf der vorwissenschaftlichen, natürlichen Betrachtungsweise fußen, die man gewinnen kann, wenn man sich einen Sprachangehörigen vorstellt, der, die entsprechenden Fähigkeiten vorausgesetzt, mit naivem Realismus die Welt und Menschen betrachtet. Es muß möglichst alle Seins- und Lebensbereiche berücksichtigen und allen kulturellen und zivilisatorischen Verhältnissen Rechnung tragen. Dabei muß es so gestaltet sein, daß es ein gefUgehaftes Ganzes bildet und die innere Verknüpfung der Lebens- und Seinsbereiche widerspiegelt, wie Erleben und Erfahrung sie nahelegen. (Wartburg 1970:177s.)

Für die Systematisierung der so gewonnenen Kategorien wäre dann "in erster Linie der begriffliche Zusammenhang maßgebend. Neben der Einordnung nach diesem Prinzip spielt, jedoch erst in zweiter Linie, die Einordnung der Begriffsassoziation eine Rolle, und zwar dann, wenn deren Beachtung das Ergebnis der Einordnung natürlicher erscheinen läßt." (Wartburg 1970:178) Im Rahmen dieser Vorgaben kommen Hallig/Wartburg (1963:101ss.) nun dazu, den Gesamtwortschatz in drei Hauptbereiche zu gliedern: A. L'univers / Β. L'homme / C. L'homme et l'univers. Diese Bereiche sind nun in sich vielfältig differenziert; ich führe im folgenden nur einen Gliederungsstrang exemplarisch vor: Der Bereich A. (L'univers) zerfällt in I. Le ciel et l'atmosphère·, II. La terre; III. Les plantes; IV. Les animaux. Der Bereich II. (La terre) zerfällt wiederum in: a) La configuration et l'aspect; b) Les eaux: 1. Les eaux intérieures; 2. La mer; c) Les terrains et leur constitution; d) Les matières minérales; e) Les métaux. Usw. - Dies führt dann für den Bereich A/II/b/2 (La mer) z.B. zu folgendem "Begriffsinventar" (Hallig/Wartburg 1963:115): océan, mer, marée haute (flux), marée basse (reflux), étale (sjn.), onde, vague, côte, rivage, plage, falaise, rocher creusé par l'eau, dune, vallon dans les dunes, marais salant, lagune, golfe, baie, calanque, détroit, cap, écueil, embouchure, estuaire, port # île, presqu'île, isthme.

22

Dabei sind nicht nur im engeren Sinne zu dieser Kategorie gehörige Begriffe berücksichtigt, sondern auch (nach dem doppelten Schrägstrich) assoziierte Kategorien, die sachlich anderweitig zu klassieren sind. Bei Betrachtung dieses Systems wird man sicher nicht leugnen, daB es sorgfältig und wohl durchdacht ist. Gleichwohl beinhaltet es eine nicht zu übersehende Willklirlichkeit. Warum werden z.B. die Tiere im Teil A. (L'Univers) geführt und so radikal von B. (L'homme) getrennt, obwohl in den romanischen Sprachen beide oft durch ein gemeinsames semantisches Merkmal ('+ animé') gekennzeichnet sind? Und warum werden die Matières minérales und die Métaux in zwei unterschiedlichen Kategorien geführt, wo doch die Übergänge bekannterweise fließend sind? Und wo sollen schließlich moderne technische Entwicklungen wie Raumfahrt, Computer usw. untergebracht werden? DM System ist offensichtlich recht subjektiv angelegt und überdies noch ergänzungsbedlirftig — Aspekte, die Wartburg selbst keineswegs entgangen sind, und die auch von Ullmann unterstrichen werden (Wartburg 1970:179; Ullmann 1972:290s.). Dies ist nur eines von verschiedenen möglichen Klassifikationssystemen und als solches ersetzbar. Ein anderer Punkt, der oft Kritik hervorgerufen hat, ist die "phänomenologische" Orientierung an der eigenen Alltagserfahrung, bleibt das System doch damit im wesentlichen an unseren (west-)europäischen Kulturkreis gebunden. Für Sprachen, die in einer grundverschiedenen Lebenswelt wurzeln, erweist es sich deshalb als wenig adäquat (obwohl Wartburg zumindest eine Anwendbarkeit für alle indogermanischen Sprachen postuliert). Aus diesem Grunde fordert Heger (1964) auch ein Begriffssystem, das unabhängig von einer Einzelsprache bzw. einer Gruppe von Einzelsprachen sein soll und als reines Konstrukt gelten kann. Er hat selbst einen solchen Versuch für die Zeitbezüge vorgelegt (Heger 1963), aber ein umfassendes System wie dasjenige von Wartburg hat er nie entworfen. Da auch die Versuche von Matoré, ein eigenes Begriffssystem zu entwickeln, nur für Teilbereiche ausgeführt und für den

23

17

Rest skizzenhafter Natur geblieben sind , bleibt das Begriffssystem von Hallig/Wartburg einstweilen das einzige ausgeführte Klassifikationssystem mit (zumindest bis zu einem gewissen Grade) übereinzelsprachlichem Charakter. Trotz aller Kritik, mit der es v.a. aus theoretischer Sicht bedacht worden ist, hat es sich in der praktischen Wörterbucharbeit für die onomasiologische Fragestellung — zumindest im Rahmen der romanischen Sprachen — als durchaus brauchbar erwiesen. 1.3. Nach der Ausgrenzung gegenüber der Lexikographie soll die Lexikologie auch noch von der Semantik abgehoben werden. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil alle lexikalischen Einheiten Bedeutung haben, die Semantik also im Lexikon immer impliziert ist und die Gefahr besteht, die beiden Bereiche einfach gleichzusetzen. Berruto (1976:3) definiert die Semantik als den Teil der Linguistik, der sich mit der Ebene des Signifikats, d.h. mit der Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens befaßt. In dieser allgemeinen Form ist die Definition weitgehend unanfechtbar. Um Mißverständnissen vorzubeugen, muß aber präzisiert werden, daß die Semantik sich mit dem Inhalt sprachlicher Zeichen jeden Ranges befaßt: Sie beginnt mit den kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, den Monemen (ganz gleichgültig, ob sie lexikalischer [Lexeme] oder grammatischer [Morpheme] Natur sind), schreitet fort über die syntaktischen Funktionseinheiten, den Lexien, zu den Syntagmen und Propositionen bzw. Sätzen, um schließlich bei den größten sprachlichen Einheiten, den Texten, haltzumachen. Man könnte in diesem Sinne eine Monemsemantik (Lexemsemantik/Morphemsemantik) und eine Lexiesemantik einer syntaktischen und einer textuellen Semantik gegenüberstellen. Damit wird deutlich, daß die Semantik den Bereich der Lexikologie in der Hierarchie der Einheiten sowohl nach unten als auch nach oben überschreitet: Die gemeinsame Schnittmenge umfaßt nur die Lexeme und Lexien (cf. zu diesen Problemen z.B. Schifko 1977:31 ss. und 1975:22; Geckeier 1973:1; Stati 1975:60ss.; usw.). 17

24

Cf. hierfür und fUr Literaturangaben Wartburg 1972:288s.

1970:186

und

Ullmann

Die vorhergehenden Ausführungen sollen auch suggerieren, daß zwischen Lexie und Syntagma eine wichtige Grenze liegt fur die Semantik. Einheiten, die unterhalb dieser Grenze liegen, werden in der Regel als solche vom Sprecher memorisiert; sie gehören entweder dem System (Moneme) oder der Norm (Lexien) an. Einheiten, die oberhalb dieser Grenze liegen, sind zwar nach vorgegebenen Mustern gebildet, als aktuelle Kombinationen 1 fi haben sie aber normalerweise ad hoc - Charakter . 1.3.1. Die semantische Analyse kann sich auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen bewegen, die der Sprachwissenschaftler je nach Untersuchungsziel und Bedarf wählt. Die für uns im folgenden relevanten Ebenen sind: — die langue (das System), die ein Gefuge von distinktiven, auf Oppositions-Strukturen beruhenden funktionellen Einheiten darstellt; alle diese Einheiten bedingen sich gegenseitig, und aus der gegenseitigen Abhängigkeit resultiert der Wert jeder einzelnen; — die Norm, die nach Coseriu (1978:282) all das umfaßt, "was in der 'Technik der Rede' nicht unbedingt funktionell (distinktiv), wohl aber traditionell (sozial) fixiert, was allge19 meiner Gebrauch der Sprachgemeinschaft ist" ; — die Σ-parole, die die individuellen (aktuell-isolierten) Vorkommen aufgrund einer Typusbestimmung (Identifikation von für eine Klassifikation relevanten Merkmalen) im Rahmen eines Korpus quantitativ integriert (Heger 1976:26ss.); — die parole, die die konkrete Realisierung von langue- und Normeinheiten in einem Kommunikationsakt hic et nunc dar18

Das Kriterium "festgefügt" vs. "ad hoc -gebildet" ist insofern nur tendentiell gültig, als man natürlich einerseits auch Syntagmen, Sätze, ja ganze Texte memorisieren kann, und es andererseits auch möglich ist, nach vorgegebenen Mustern ad hoc neue Lexien zu bilden (• Leiematik). Beides sind aber "Ausnahmefälle". Das Kriterium trifft somit nur fUr die "Normalfälle" zu, d.h. fUr das, was man den sozialisierten Sprachbesitz im Bereich des Lexikons nennen könnte.

19

Norm ist hier nicht im Sinne von "normativer/präskriptiver Grammatik oder Lexikographie" zu verstehen, sondern im Sinne des Sprachbrauchs, des aus deskriptiver Sicht üblichen und Gebräuchlichen.

25

stellt; dabei kann die parole-Semantik sowohl per se, d.h. auf rein sprachlicher Ebene, als auch unter Berücksichtigung ihrer situativen Einbettung (parole en situation; Pragmatik) untersucht werden. Mit diesem letzten Punkt sind wir zu einem speziellen Typ von Semantik vorgestoßen, der sogenannten Referenzsemantik. Sie befaßt sich nicht mehr mit Bedeutungsproblemen auf der sprachlichen Ebene, sondern vielmehr mit der Frage, was Sprache in bezug auf die nicht-sprachliche Umwelt leistet. Oder mit Coseriu: Es geht nicht mehr um Bedeutung, sondern um Bezeichnung0. Auf diese Aspekte der semantischen Fragestellung werden wir im folgenden nicht weiter eingehen. 1.3.2. Auch im semantischen Bereich ist die isolierte Untersuchung sprachlicher Einheiten nur bedingt aussagekräftig. Um die Bedeutung, den semantischen Gehalt von sprachlichen Entitäten — und insbesondere von Lexien — einigermaßen umfassend und abschließend darstellen zu können, ist es immer nötig, diese Einheiten vor dem Hintergrund bzw. im Rahmen des sprachlichen Gesamtsystems zu betrachten, haben sie doch im Sinne Saussures (1931:155ss.) Wertcharakter: Die semantischen Leistungsmöglichkeiten einer Einheit sind bedingt durch das Verhältnis, die Stellung zu den benachbarten Einheiten. Nur aufgrund einer systematischen Betrachtungsweise lassen sich der Bedeutungsumfang der einzelnen Einheiten sowie die diesem zugrunde liegenden semantischen Merkmale (Seme) ermitteln. Die Eingebundenheit der einzelnen Lexien in ihr näheres oder weiteres Umfeld erklärt auch, warum Fragestellungen, die zwei und mehr Einheiten betreffen, im Rahmen der (Lexie-) Semantik eine zentrale Rolle spielen: Synonymie; Homonymie und Polysemie; Antonymie (in ihren verschiedenen Ausgestaltungen); Wortfeldtheorie. Auf diese Aspekte werden wir noch ausführlicher eingehen 21 . 20

21

26

"Die Bezeichnung ist _ der Bezug auf das Außersprachliche oder dieses Außersprachliche selbst, sei es als Tatbestand oder als Denkinhalt (gedachter Tatbestand). Die Bedeutung ist der einzelsprachlich gegebene Inhalt." (Coseriu 1973:9). Cf. unten. Kap. 6.

1.4. Aus dem bisher Gesagten läßt sich bereits erkennen, daß die semantische Analyse es mit außerordentlich vielschichtigen und komplexen Gegebenheiten zu tun hat. Die Problematik ist damit aber noch keineswegs hinreichend beschrieben. Sie wird vielmehr noch dadurch verschärft, daß natürliche, historisch gewachsene Sprachen — entgegen der (idealisierenden) Anneihme gewisser strukturalistischer Schulen und der generativen Transformationsgrammatik — keineswegs homogen sind: Sie zerfallen in eine Vielzahl von funktionellen Sprachen (zu denen dann — für die Lexikologie besonders wichtig — auch die zahlreichen Fachterminologien kommen). Historische Sprachen sind somit in hohem Maße heterogen. 1.4.1. Ein beachtenswerter Versuch, dieser Heterogenität Rechnung zu tragen, ist Coserius Konzept einer "Architektur der Sprache" (Coseriu 1973a:32ss.; 1973b:38ss.). Im Anschluß an Flydal (19S2) unterscheidet er zwischen diatopischen (geographischen), diastratischen (sozialen) und diaphasischen (stilistischen) Varietäten. Diatopische Unterschiede sind solche zwischen der Standardsprache und den verschiedenen Dialekten und Regionalsprachen 2 innerhalb des Französischen, z.B. fr. soixante-dix, quatre-vingt und quatre-vingt-dix und westschweiz. septante, huitante, nonante, oder fr. petit déjeuner, déjeuner und dîner gegenüber westschweiz. déjeuner, dîner, souper, usw. Diastratische Unterschiede sind nach Coseriu solche zwischen Hochsprache, gehobener Umgangssprache, Volkssprache usw.; hierher gehören Paare wie parler / causer (à qqn); ami, camarade / copain; auto / bagnole. In den Bereich der diaphasischen Unterschiede gehören schließlich Kategorien wie Standardsprache, feierliche Sprache, familiäre Sprache, poetische Sprache, Prosasprache usw., repräsentiert durch Paare wie livre / bouquin, bouche / gueule, mourir / crever etc. Die Kategorisierung Coserius ist allerdings nicht problemlos. Oft kann man sich ernsthaft fragen, ob die von ihm angesetzten Subkategorien nicht einem anderen Bereich zuzuweisen sind. 22

Regionalsprachen sind größerräumige Integrationen von Lokaldialekten, die jedoch hinsichtlich der Ausdehnung weit unter dem Geltungsbereich des Französischen als Ganzem bleiben, und von anderen Regionalsprachen innerhalb des Französischen konkurrenziert sind.

27

Wieso soll z.B. die gehobene Umgangssprache ein diastratisches, die gebräuchliche Umgangssprache dagegen ein diaphasisches Phänomen sein? Und warum wird der Gegensatz Sprache der Männer / Sprache der Frauen den Stilbereichen und nicht den sozial bedingten Gruppensprachen zugeordnet? Darüber hinaus stellt auch Coseriu selbst fest, daß die drei Bereiche keineswegs sauber voneinander abgeschüttet sind: Diatopische Unterschiede schlagen leicht in diastratische, diastratische leicht in diaphasische um, so daß man eine (potentielle) Implikationshierarchie vom Typus diatopisch 3 diastratisch D diaphasisch aufstellen kann; die Umkehrrelation dagegen ist nicht gültig. 1.4.2. Operabler als dieser Ansatz scheint mir der Versuch von Halliday zu sein, das Phänomen der sprachlichen Heterogenität in den Griff zu bekommen (Halliday 1964:87ss.; 1978:31ss.). Halliday unterscheidet primär einmal zwischen Dialekten und Registern. Die Dialekte sind in bezug auf die sie sprechenden Gruppen definiert, und zwar unabhängig davon, ob diese Gruppen geographisch (Dialekte im engeren Sinn, Regionalsprachen) oder sozial (sogenannte Soziolekte) ausgegrenzt sind. Die Register dagegen 23

werden aufgrund der Kommunikationskonstellation definiert , und zwar mit Hilfe der drei folgenden Parameter: Feld (Thema im Rahmen einer Kommunikationssituation, z.B. Politik, Mathematik, Literatur, ...; Einkaufen, Tanzunterricht, Wetter, ...); Modus (Kommunikationsmedium: mündlich vs. schriftlich ); Tenor ("Stil") (Relation zwischen den Kommunikationspartnern: Eltern/ Kinder, Chef/Sekretärin, Lehrer/Schüler usw.; hierher gehören auch Kategorien wie formal, kollegial, familiär etc. ). A l

n r

23

24

25

28

Dies schließt das Wirksamwerden von geographischen und sozialen Faktoren im Rahmen der konkreten Kommunikationskonstellation noch nicht aus (cf. unten die Kategorie des Tenor); sie spielen dann aber nicht mehr eine gruppenspezifische, sondern gewissermaßen eine "individualisierte" (den Sprecher charakterisierende) Rolle. Innerhalb dieser beiden Bereiche kann dann weiter nach Textsorten ausdifferenziert werden. z.B. im mündlichen Bereich nach Nachrichten. Reportage, Kommentar usw. im schriftlichen Bereich nach Poesie, Prosa, Essay. _ Auch Sub-Subkategorien usw. sind natürlich wie immer möglich. Cf. hierzu Joos 1962.

Auch bei Halliday sind Überlappungen zwischen Dialekten und Registern nicht ausgeschlossen, und auch zwischen den Bereichen Feld/Modus/Tenor gibt es Berührungspunkte bzw. Interferenzen. Da die angelegten Kriterien aber komplementärer Natur sind, bleiben solche Effekte für die Beschreibung unschädlich, ja können unter Umständen für den einen oder anderen Typ geradezu charakteristisch sein. 1.4.3. Ganz gleichgültig, ob man nun für die Erfassung der Heterogenität der Sprachen Coseriu, Halliday oder irgendeinem anderen Ansatz folgt — die Aufgabe sowohl des Lexikologen als auch (und v.a.) des Lexikographen wird dadurch in erheblichem Maße kompliziert. Er muß den Tatsachen Rechnung tragen, daß dem standardsprachlichen quatre-vingt in der Westschweiz und in Belgien huitante (bzw. ociante) entspricht; er muß berücksichtigen, daß déjeuner in Paris und Lausanne nicht das gleiche bedeutet; er hat darzustellen, daß die standardsprachliche Opposition parler/causer in der Populärsprache neutralisiert wird; er darf nicht verschweigen, daß man standardsprachlich zwar von une gomme crevée sprechen kann, daß crever für mourir aber vulgär ist; er muß herausstellen, daß sei in der Fachsprache der Chemie, langue in derjenigen der Linguistik nicht das gleiche bedeutet wie in der Alltagssprache; usw. Die Lexikographie hat bis zu einem gewissen Grade schon immer versucht, diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, doch sind ihre diesbezügli26

chen Angaben in der Regel unsystematisch und lückenhaft . Die Polysemie bzw. Polyfunktionalität der sprachlichen Einheiten im Rahmen der "Architektur der Sprache" wird weiter verschärft durch die Tatsache, daß es selbst innerhalb einer funktionellen Sprache (Dialekt, Register usw.) zahlreiche Fälle von zum Teil erstaunlicher Leistungsvielfalt für ein und dieselbe Einheit gibt 2 7 .

26

Cf. hierzu auch unten, Kap. 7.

27

Cf. hierfür unten, Kap. 6.5.

29

Aufgaben zu Kapitel 1 1. Versuchen Sie, linguistische Disziplinen zu benennen, die in der einen oder anderen Weise mit der Lexikologie zu tun haben, und beschreiben Sie jeweils die Art dieser Beziehung. 2. Versuchen Sie, die Begriffe Lexikologie, Lexematik voneinander abzugrenzen. 3. Diskutieren Sie die Begriffe Monem, aufgrund von Martinet 1963.

Lexikographie

Morphem

und

und Lexem

4. Was ist unter dem Begriff Wert (valeur) nach Saussure 1931 zu verstehen? 5. Was steht hinter der Unterscheidung

Bedeutung/Bezeichnung?

6. Was versteht mein unter diatopischen, diastratischen und diaphasischen Unterschieden? 7. Worin unterscheiden sich bei Halliday Dialekte von Registern? Φ

8.

Diskutieren Sie aufgrund der angegebenen Literatur Wortbegriff.

den

Φ

9.

Diskutieren Sie den Normbegriff Coserius im Verhältnis zu den Begriffen langue (System) und parole (Rede). — Setzen sie den Begriff der Σ-parole (Heger 1976) dazu in Beziehung. Hl·

10.

Versuchen Sie, die Unterschiede zwischen Coserius Architekturbegriff und Hallidays Dialekt-/Registerkonzeption herauszuarbeiten. Φ 11. Diskutieren Sie aufgrund der angegebenen Literatur Nutzen und Problematik onomasiologischer Wörterbücher und ihre konzeptuellen Grundlagen.

30

2. Historische Schichtung des französischen Wortschatzes Wenn wir nun nach der Definition und der Ausgrenzung der Lexikologie zur Behandlung der sich konkret in diesem Bereich stellenden Probleme Ubergehen, scheint es sinnvoll zu sein, mit der historischen Schichtung des heutigen französischen Wortschatzes zu beginnen: Diese letztlich diachronische Perspektive zeigt, wie alle Geschichte in die Aktualität einmündet; in ihr gehen Elemente unterschiedlichsten Alters und verschiedenster Herkunft eine Art Synthese ein und werden zu einem organischen, funktionierenden Ganzen. Gerade die historische Schichtung ist auch bestens dazu geeignet, einen wesentlichen Aspekt dieser Darstellung zu verdeutlichen, den wir bereits kurz erwähnt haben: Die Fülle des sich anbietenden und zu durchdringenden Materials ist geradezu erdrückend. Es kann unmöglich darum gehen, auch nur den Versuch zu wagen, diese Masse von Fakten erschöpfend darzustellen. Dies ist auch gar nicht die Aufgabe der Lexikologie. Vielmehr will sie aufgrund ausgewählter Beispiele den Weg zu einer theoretischen Aufarbeitung der sich stellenden Probleme weisen und ein Instrumentarium bereitstellen, das einen sinnvollen und wissenschaftlich ergiebigen Umgang mit der Materialfülle erlaubt. Eines dieser Instrumente ist die sogenannte Strattheorie (cf. z.B. Vidos 1968:232ss.; Wartburg 1962:14ss.); sie erlaubt es, die verschiedenen historischen Schichten zueinander systematisch in Bezug zu setzen und in Verbindung mit den historischen Fakten die Geschichte des Lexikons nachzuzeichnen 1 . 2.1. Das Französische beruht in seinen wesentlichen Elementen auf dem von den römischen Eroberern nach Gallien gebrachten Latein . η

1

Dabei darf natürlich nicht aus den Augen verloren werden, daß uns aus der Sicht des modernfranzösischen Wortschatzes diese Geschichte nur mittelbar interessiert; sie verleiht zwar dem französischen Wortschatz ein spezifisches Gepräge im Vergleich zum Wortschatz anderer romanischer Sprachen, die Leistungsfähigkeit und das Funktionieren des Lexikons als solches dagegen ist von der Herkunft seiner einzelnen Einheiten unabhängig.

2

"Wesentliche Elemente" ist nicht unbedingt identisch mit "Mehrzahl der Elemente" entscheidend ist vielmehr, daß die Einheiten mit der größten Gebrauchsfrequenz durchgängig lateinischer Herkunft sind; cf. Kap. 2.2.

31

Bei der Eroberung Galliens betraten die Römer nun aber kein Niemandsland; sie besiegten vielmehr die (keltischen) Gallier, die ihrerseits ältere Völker wie die Iberer und die Ligurer besiegt hatten. Das Latein wurde bald zur dominierenden Sprache in Gallien, blieb aber von den früher in diesem Raum gesprochenen Sprachen nicht unbeeinflußt. Andererseits wurden später die Römer in Gallien während der Völkerwanderungszeit von den Germanen besiegt; es waren in erster Linie die Franken, die ihnen die entscheidenden Niederlagen beibrachten. Im Süden spielten vorübergehend auch die Westgoten eine gewisse Rolle, im Osten die Burgunder. Die Germanen brachten ihre eigene Sprache mit, die sich aber gegenüber dem Latein nicht durchsetzen konnte: Die Germanen — auch die stärkste Gruppe unter ihnen, die Franken — wurden sprachlich assimiliert, allerdings nicht ohne vorher das dominierende Latein in wichtigen Punkten beeinflußt zu haben. Diese Gegebenheiten lassen sich mit den Begriffen Strat, Substrat und Superstrat befriedigend beschreiben. Dabei gelten die folgenden Definitionen: — Strat: letztlich dominierende Sprachschicht, die sowohl Elemente aus den Sprachen der früher herrschenden, besiegten Völker als auch der später siegreichen Völker integriert; — Substrat: Sprache der besiegten Völker, die gesamthaft gesehen untergeht, in einzelnen Punkten aber die Sprache der Sieger beeinflußt; — Superstrat: Sprache der siegreichen Völker, die sich letztlich nicht durchsetzen kann, sondern von der Sprache der besiegten Völker assimiliert wird, diese aber in einzelnen Punkten beeinflußt. Uberträgt man diese Begriffe auf die Geschichte des Französischen, so hat das Latein als Strat zu gelten; als Substrat fungiert (u.a.) das Gallische, als Superstrat in erster Linie das Fränkische 3 . Daneben gibt es noch eine weitere Konstellation, die mit keiner der bisher diskutierten identisch ist. Es kann nämlich vorkommen, daß sowohl Sieger als auch Besiegte ihre eigene Sprache beibehal3

32

Für weitere Sprachen, die - allerdings in viel bescheidenerem Rahmen eine Rolle als Sub- oder Superstrate spielen, cf. unten.

-

ten und sich diese Idiome gegenseitig beeinflussen. Eine vergleichbare Situation kann sich auch unabhängig von kriegerischen Auseinandersetzungen im Rahmen von sozio-kulturellen, ökonomischen usw. Kontakten ergeben. Wir nennen in diesem Falle die beeinflußte Sprache (wie oben) Strat, die beeinflussende Sprache Adstrat. Als Adstrate bezüglich des Französischen können z.B. im Mittelalter das Okzitanische ("Provenzalische"), in der Renaissance das Italienische, in der Neuzeit das Englische gelten. 2.2. Der Kern des französischen Wortschatzes ist lateinischer Herkunft: Von den 1063 häufigsten und damit auch verfügbarsten Wörtern des Französischen haben über 96% ein lateinisches Etymon (cf. Gougenheim et al. 1956:63ss.)4. Allerdings stellt das lateinische Element im Französischen keineswegs eine homogene, im Rahmen einer ungebrochenen Tradition direkt in der Antike wurzelnde Schicht dar. Es ist vielmehr zu scheiden zwischen Erbwörtern, zu verschiedenen Zeitpunkten übernommenen Lehnwörtern, sowie französischen Neubildungen mit etymologisch aus dem Lateinischen stammendem Material. Alle drei Stränge wurzeln letztlich im Latein, aber auf ganz unterschiedliche Weise: Im ersten Fall haben wir Einheiten, die dem (erbwörtlich tradierten) Strat angehören; im zweiten Fall haben wir eine Adstrat-Situation 5 ; der dritte Fall schließlich fällt vollkommen aus dem von der Strat-Theorie vorgegebenen Rahmen heraus und ist im Rahmen der französischen bzw. wissenschaftlich-internationalistischen Lexematik zu sehen 6 . Unabhängig von dieser Untergliederung schätzt Cohen (1967:217) den Anteil der Elemente (irgendwie) lateinischen Ursprungs für den Gesamtwortschatz des 17. Jahrhunderts auf rund 95% des gesamten Lexikons. Durch die starke Zunahme der Internationalismen und Anglizismen (die ebenfalls zu einem hohen Grade lateini-

4

Entsprechendes gilt zJB. auch flir das Rumänische, das zwar als romanische Sprache gilt, aber eine Fülle von slawischen Elementen enthält; ihre Zahl geht weit Uber die der Germanismen im Französischen hinaus. Gleichwohl ist die traditionelle Einstufung des Rumänischen vollauf gerechtfertigt, ist doch der Kernwortschatz praktisch durchgängig lateinischen Ursprungs.

5

Cf. hierfür unten, Kap. 2.5.1.

6

Cf. unten, Kap. 4.

33

sehen Ursprungs sind) im 19. und 20. Jahrhundert hat sich dieser Wert bis heute nochmals erhöht. Es ist weiter zu beachten, daß das erbwörtliche Element nicht mit dem klassischen Latein der großen Autoren gleichgesetzt werden darf. Neben dem Latein der Literatur hat es immer auch ein Sprechlatein (oft unzutreffend auch Vulgärlatein genannt) gegeben, genauso wie es heute neben dem geschriebenen Französisch (français écrit) auch ein gesprochenes Französisch (français parlé) gibt. Im erbwörtlichen Bereich ist es nun gerade diese Sprechsprache, die vom Französischen (und den übrigen romanischen Sprachen) fortgeführt wird. Hierfür nur einige Beispiele, wobei in Klammern jeweils die klassisch-lateinische Entsprechung steht: oie 'Gans' < A U C A ( A N S E R ) ; bouche 'Mund' < B U C C A (os); cheval 'Pferd' < C A B A L L U S ( E Q U U S ) ; chemin 'Weg' < C A M M I N U S ( V I A ) ; feu 'Feuer' < F O C U S ( I G N I S ) ; jeu 'Spiel' < l o c u s ( L U D U S ) ; manger 'essen' < M A N D U C A R E ( E D E R E ) ; parents 'Eltern' < P A R E N T E S ( G E N I T O R E S ) ; savoir 'wissen' < S A P E R E ( S C I R E ) ; tête 'Kopf < T E S T A ( C A P U T ) ; tout 'ganz' < T O T T U S ( O M N I S ) ; USW. Typisch für die Sprechsprache sind auch affektische Bildungen, die auf ursprünglichen Diminutiven beruhen. Auch dieses Phänomen ist im erbwörtlichen Lexikon des Französischen bestens bezeugt: oiseau 'Vogel' < A U C E L L U S ( A V I S ) ; agneau 'Lamm' < A G N E L L U S ( A G N U S ) ; oreille Ohr' < A U R I C U L A ( A U R I S ) ; genou 'Knie' < G E N U C U L U M ( G E N U ) ; soleil 'Sonne' < S O L I C U L U S ( S O L ) : vieux'alt' < V E T U L U S / V E C L U S ( V Ê TUS); usw. Ebenso ersetzen in der Sprechsprache Intensiva und Iterativa (aus affektischen Gründen) oft die Basisverben: chanter 'singen' < C A N T A R E ( C A N E R E ) ; jeter 'werfen' < I A C T A R E ( I A C E R E ) ; usw. — Daß die Sprechsprache sich im Französischen (und in den übrigen romanischen Sprachen) im erbwörtlichen Bereich derart massiv gegenüber der Literatursprache durchsetzt, hängt damit zusammen, daß die in die eroberten Gebiete außerhalb Roms übersiedelnden "Lateiner" in der Regel nicht zur verfeinerten, literarisch gebildeten Schicht gehörten; es handelt sich vielmehr um relativ untergeordnete Verwaltungsbeamte und dann v.a. um ausgediente Soldaten, die für ihre treuen Dienste mit Grundbesitz in den neuen Provinzen belohnt wurden. An dieser Fixierung auf die Sprache einer sozial relativ niedrig stehenden Schicht konnten auch die Lateinschulen in den eroberten Gebieten wenig ändern: Sie wurden

34

nur vom Nachwuchs einer kleinen Elite besucht und erzielten keine Breitenwirkung. Dazu kommt ein weiteres: Es wäre vollkommen unangemessen, wenn man das Sprechlatein als homogene Sprache einstufen würde. Wie jede moderne Sprache kannte auch die offizielle Sprache des römischen Reiches eine weitreichende innere Differenzierung in diatopischer, diastratischer und diaphasischer Hinsicht. Dieses Variationsspektrum ist zumindest teilweise verantwortlich für die Unterschiede zwischen den aus dem Latein hervorgegangenen romanischen Sprachen: Anstelle des klassischen E D E R B setzt sich auf der iberischen Halbinsel ein expressiv verstärktes C O M E D E R E (sp., pt. comer) durch, während im Französischen, Italienischen und Rumänischen ein populäres M A N D U C A R E 'kauen, mampfen' (fr. manger, it. mangiare, rum. mînca) die Oberhand gewinnt. Anstelle von klassischem P U L C H E R setzt sich auf der iberischen Halbinsel und in Dakien F O R M O S U S (sp. hermoso, pt. formoso, rum. frumos) durch, während in Gallien und Italien ein populäres BELLUS 7 triumphiert (fr. beau, okz. bei, it. bello). Für 'weinen' setzen das Italienische und das Rumänische lat. P L A N G E R E fort (it. piangere, rum. plînga), während die übrigen Gebiete nur Ableger des (populär-affektischen) P L O R A R E kennen (fr. pleurer, okz. plorar, sp. llorar, pt. chorar); das klassische H U M E R U S 'Schulter' lebt nur in sp. hombro, pt. ombro, rum. umar weiter, während die restliche Romania eine populäre Ersatzform S P A T U L A (fr. épaule, okz. espatla, it. spalla, engad. spedla) weiterführt 8 ; eine entsprechende Verteilung kennt auch das Paar F E R V E R E / B U L L I R E 'kochen, sieden': sp. hervir, pt. ferver, rum. fierbe / v s . / fr. bouillir, okz. bolir, it. bollire, engad. buglir usw. 9 ; etc. Sehr instruktiv ist auch der Fall der Nachfolgeformen für klassisches PARVUS; mit Ausnahme von rum. mie (< MICA) gehen sie alle auf ein (wohl hypochoristisches) Grundmuster vom Typus "p + Vok. + t/k + Vok. + nn/tt/11"

7

BELLUS eiistierte auch im klass. Lat, aber nicht mit der Bedeutung 'schön'. Interessant ist hier der Kommentar bei Bloch/Wartburg (s. beau): en lat. class, 'joli, gracieux', en parlant des femmes et des enfants, ironique en parlant des hommes;

8 9

Diese fehlt auch auf der iberischen Halbinsel nicht ganz, cf. REW Auch hier gilt das in Ν 8 zu SPATULA Gesagte, cf. REW 1389.

8130.

35

zurück, was dann so unterschiedliche Resultate wie fr./okz. petit, sp. pequeño, pt. pequeño, it. piccolo usw. ergeben hat. 2.3. Das wichtigste Substrat für das Latein im Raum des heutigen Frankreich ist das zu den keltischen Sprachen zählende Gallische, das oft auch als "Festlandkeltisch" 10 bezeichnet wird. Daneben gibt es aber auch noch einige ältere Sprachschichten, die in beschränktem Umfang das in Gallien gesprochene Latein direkt oder indirekt (d.h. vor allem durch die Vermittlung des Gallischen) beeinflußt haben. 2.3.1. Die vermutlich älteste Schicht, die in Rechnung zu stellen ist, dürfte diejenige des Ligurischen sein (cf. z.B. Wartburg 1962:16; Wolf 1979:42). Dabei ist bis heute umstritten, ob die Ligurer ein indogermanisches Volk, ihre Sprache eine indogermanische Sprache war oder nicht. Fest steht, daß sie vor den Kelten im Gebiet des heutigen Frankreich siedelten und von diesen dann in die Alpentäler abgedrängt wurden, wo sie sich zum Teil noch bis zur Ankunft der Römer halten konnten. Gleichwohl dürften die wenigen ligurischen Elemente, die ins gallische Latein und z.T. von da ins Französische gedrungen sind, mehr oder weniger ausnahmslos durch das Gallische vermittelt worden sein. Das Ligurische stellt somit ein mittelbares Substrat bzw. ein Substrat 2. Grades dar. Sprachliche Spuren haben die Ligurer vor allem im Bereich der Toponomastik hinterlassen, wo man die mit - A S C U S / A , - O S C U S / A , 11 - U S C U S / A gebildeten Ortsnamen (ON ) normalerweise auf ihre Siedlungstätigkeit zurückführt: cf. z.B. Vénasque, Manosque, Flayosc usw. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß nicht jeder ON dieser Art direkt ligurischen Usprungs sein muß: Das Suffix ist vielmehr eine Art Wandersuffix geworden und taucht auch in Gebie10

"Festlandkeltisch" im Gegensatz zum "Inselkeltischen" (den auf den britischen Inseln gesprochenen Varietäten des Keltischen). - Das Festlandkeltische ist als Folge der römischen Eroberung vollständig untergegangen. Bei dem heute in der Bretagne gesprochenen Keltisch (Bretonisch) handelt es sich um im Rahmen der späteren geschichtlichen Entwicklung "reimportiertes" Inselkeltisch.

11

Es werden im folgenden im onomastischen Bereich die n a c h s t e h e n d e n Abkürzungen verwendet: EN · Eigenname(n), ON • Ortsname(n), FN • Flurname(n), PN · Personenname(n).

36

ten auf, in denen nie Ligurer gesiedelt haben. So gibt es z.B. in der Leventina (Tessin) eine alpe cavallasca, deren Name unmöglich liber eine ligurische Nutzung als Pferdeweide (!) erklärt werden kann. — Unter Umständen gehen auch Namen wie Seine (< SEQUANA), Garonne (< GARUNNA), Ardennes (< A R D E N N U A ) USW. auf die Ligurer zurück; schlüssige Beweise hierfür gibt es jedoch nicht, so daß die Zuweisung umstritten bleibt. Der onomastische Bereich gehört nun aber nur in sehr marginaler Weise zum Lexikon (cf. Kleiber 1981:404ss.). An eigentlichen lexikalischen Elementen hat man den Ligurern den Stamm CALA (mit den Varianten CARA und GARRA) 'Stein' zugewiesen; auf diese Basis sollen Lexien wie chalet 'Berghütte, kleines Haus in den Bergen' und calanque 'Schlupfhafen, kleine Bucht' zurückgehen. Die gleiche Wurzel fände sich auch in der Ableitung * C A L I A V O > caillou wieder 12 . Ebenso soll auch avalanche < * L A V A N C A ligurischen Ursprungs sein. All diese Etymologien sind jedoch umstritten und können nicht als gesicherte Erkenntnisse gelten. 2.3.2. Noch unbedeutender als der Einfluß der Ligurer scheint derjenige der Iberer gewesen zu sein, ein ebenfalls vorkeltisches, in einer (wie auch immer zu definierenden) verwandtschaftlichen Beziehung mit den heutigen Basken stehendes Volk, das im 6. Jahrhundert vor Christus aus Spanien in Südwestfrankreich eindrang. Neben einigen ON haben die Iberer im Bereich des Lexikons nur das regionalfranzösische artigue 'frisch gerodetes Feld' sowie das okz. esquer/g&sk. ezquer 'links' (sp. izquierdo) hinterlassen. 2.3.4. Sehr oft wird auch das Griechische unter den Substraten des gallischen Lateins genannt (z.B. Wartburg 1962:17ss.; Wolf 1979:41s.), doch ist die Frage berechtigt, ob es sich hierbei nicht eher um ein Adstrat handelt. Die Griechen hatten etwa zu gleicher Zeit wie die Iberer in Gallien Fuß gefaßt, doch kam es von ihrer Seite nie zu einer größeren, auch nur annähernd flächendeckenden Besiedelung. Sie gründeten vielmehr nur eine Reihe von Handelsniederlassungen entlang der Mittelmeerküste; hiervon zeugen

12

Die Anlautentwicklung sowohl in calanque als auch in caillou ist typisch sowohl für den äußersten SUden als auch den Nordwesten der Galloromania.

37

Ortsnamen wie Marseille < (HERAKLÉs) < ANTÍPOLIS,

Port Vendres

< MASSÍLIA

MÓNOIKOS,

Nice
semoule, sottana (it.) > soutane, Pochhammer (dt.) > bocambre historische Lautentwicklungen "nachgestellt" werden. 5.

Diskutieren Sie die Berechtigung der Unterscheidung zwischen Bedürfnis- und Luxuslehnwörtern. Versuchen Sie, dies v.a. vor dem Hintergrund der Begriffe Symbol-, Appell- und Symptomfunktion (Biihler 196S) zu leisten.

6.

Diskutieren Sie aufgrund von Wunderli 1981 (25ss.) den zweiseitigen Charakter der "Buchstaben". Φ

7.

8.

Diskutieren Sie in prinzipieller Hinsicht das Verhältnis zwischen Entlehnungen und den verschiedenen Arten von Straten, und versuchen Sie, dies anhand von Beispielen zu illustrieren. Φ

Versuchen Sie die Begriffe Fremdwort und Lehnwort aufgrund des Kriteriums "Konnotation von Fremdheit" (Braselmann 1981) gegeneinander abzugrenzen und dies mit geeignetem Beispielmaterial zu belegen. 9. Versuchen Sie, möglichst viele Beispiele (mit unterschiedlichen Ausgangs- und Zielsprachen) für die Kategorien Lehnübersetzung, Lehniibertragung und Lehnbedeutung zusammenzutragen. Begründen Sie jeweils ihre Einordnung.

72

Suchen Sie Beispiele für Integrationserscheinungen, die Ihrer Meinung nach auf dem Anpassungsdruck beruhen, der von der Zuordnung Ausdruck/Inhalt (Funktion) im Bereich der graphophonematischen Einheiten ("Buchstaben") ausgeht.

73

4. Die Wortbildung Eine Sprache lebt; auch ihr Lexikon lebt. Dies äußert sich unter anderem darin, daß einerseits Lexien aus dem Gebrauch verschwinden, "sterben", andererseits aber auch laufend neue Lexien entstehen. Primär stellen solche Innovationen immer eine Bereicherung des Lexikons dar, wenn sie auch letztlich flir den Untergang anderer Einheiten verantwortlich sein können. Ausbau und Erneuerung des Lexikons einer Sprache erfolgen nun keineswegs nur Uber Entlehnungen — ganz im Gegenteil: Die Sprachen verfügen auch Uber spezifische Muster1, die es erlauben, neue Lexien zu bilden. Solche Muster liegen z.B. den Filiationen porter > porteur, faire > refaire, cìgarette/fìltre > cigarette-fìltre usw. zugrunde. MM spricht in diesem Falle in der Regel von "Wortbildung"; da der Wortbegriff aber problematisch ist , ziehe ich es mit Manfred Höfler und andern vor, den Terminus Lexematik zu verwenden. Man kann die Lexematik definieren als die Disziplin, die sich mit der Verbindung von Lexemen, Morphemen und Lexien nach bestimmten Mustern zu anderen/neuen Lexien befaßt. Traditioneller weise — und vor allem in der historischen Grammatik des 19. und frUhen 20. Jahrhunderts — wurde die Lexematik ("Wortbildung") als Teil der Morphologie angesehen. Dies läßt sich aus moderner Sicht nicht rechtfertigen, denn die Bildung (neuer) lexikalischer Einheiten hat mit der Flexion (Deklination, Konjugation) nichts zu tun, obwohl rein äußerlich beide in den uns geläufigen westeuropäischen Kultursprachen in der Regel irgendwie das "Wortende" betreffen. Der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Bereichen besteht darin, daß die Lexematik neue Lexien schafft, die Morphologie bzw. Flexion dagegen nicht; sie adaptiert nur bestehende Lexien an variable syntaktische Kotexte . Überdies unterscheiden sich die beiden Bereiche dadurch, 1 2 3

74

Mario Wandruszka und Hans-Martin Gauger sprechen in diesem Sinne von Programmen·, cf. z.B. Wandruszka 1971:37ss, 42ss,· Gauger 1976:147ss. Cf. oben, p. 14ss. Ich verwende Kotext und Kontext hier im Sinne der pragmatisch orientierten anglo-amerikanischen Sprachwissenschaft: Kotext "begleitender, eine Einheit oder eine Sequenz umgebender Text'; Kontext 'situative Einbettung einer sprachlichen Einheit oder Sequenz'.

daß die flexivischen Gegebenheiten (im Prinzip) immer flir alle Einheiten einer Wortart oder einer wortartbezogenen Subklasse gültig sind, während sich die lexematischen Gegebenheiten (zumindest im Französischen) nicht ohne weiteres generalisieren lassen: Sie gelten im Normalfall nur für ausgewählte Lexien, wobei die Auswahlkriterien kaum zu systematisieren und noch weniger zu generalisieren sind. Der Begriff des Musters (oder Programms) ist deshalb besonders wichtig, weil das Ergebnis lexematischer Verfahren in der Regel nicht additiver Natur ist: Zwischen den Bildungselementen bestehen vielmehr — zum Teil äußerst komplizierte — Abhängigkeits- und Hierarchierelationen. Diese Beziehungen zwischen den Konstituenten einer Lexie lassen sich Uber Paraphrasen explizieren4. So ist z.B. eine cigarette-fìltre nicht einfach die Summe von cigarette + filtre, sondern eine 'cigarette munie d'un fìltre'; porteur kann paraphrasiert werden als 'X (homme, objet, etc.) qui porte [quelque choseJ'; ein avant-poste ist ein 'poste qui se trouve 'avant' [devant] X', während ein avant-bras mit 'la partie (X) 'avant' [antérieure] du bras' umschrieben werden kann; usw. (cf. auch Wunderli 1979). Man hat in diesem Sinne auch von einer "wortinternen Syntax" (Saussure 1931) gesprochen. Von besondèrer Wichtigkeit ist im Bereich der Wortbildung die Unterscheidung von Synchronie und Diachronie, von (flir eine bestimmte Epoche) aktueller und historischer Perspektive. Diese Differenzierung wird z.B. von Meyer-Lübke (1921) einfach vernachlässigt, was bei ihm zu vollkommen heterogenen Klassen fuhrt. Zwar ist panier historisch auf P A N E M (> pain) und das Suffix -ARI UM zurUckzufUhren; das Resultat dieser Verbindung hat aber im Laufe der Zeit sowohl inhaltlich als auch formal die Beziehung zu seinen ursprünglichen Konstituenten verloren; es ist deshalb (im Gegensatz etwa zu guêpe guêpier) aus synchronischer Sicht 4

Ich insistiere auf die reine Explikationsfunktion der Paraphrasen; ich folge in diesem Punkt nicht der generativen Transformationsgrammatik, die die Paraphrasen als genetische Grundlagen der durch sie repräsentierten lexematischen Einheiten ansieht. Die Paraphrase ist nichts anderes als eine post /es/um-Interpretation des Linguisten im Rahmen eines vage definierten, verschiedene Anwendungen und Auslegungen zulassenden Programms.

75

nicht mehr analysierbar. Ähnliches gilt für message (< M I S S U M Χ -ATICUM), courage (< COR Χ -ATICUM) USW. — Innerhalb der analysierbaren Bildungen ist zwischen "vitalen" und produktiven Mustern zu unterscheiden (Höfler 1972:99). So sind z.B. de-adjektivische Substantivableitungen auf -ise wie bête bêtise, franc/franche franchise oder Diminutivbildungen auf -eau/-elle wie jambon jambonneau, tour tourelle usw. zwar noch analysierbar (d.h. "vital"), aber sie sind nicht mehr produktiv: Die Bildung von neuen, noch nicht vom Lexikon s sanktionierten Einheiten ist in diesem Falle so gut wie ausgeschlossen. Anders verhält es sich mit Suffixen wie -isme und -iste, mit Präfixen wie archi-, super-, hyper-, die immer für Neubildungen gut sind und in den letzten Jahren auch eine Flille von zusätzlichen Lexien hervorgebracht haben, vom super-marché liber den hyper-marché bis zum super-gi6: Sie können deshalb als produktiv gelten. Aufgrund der bisher diskutierten Kriterien könnte man die (komplexen) Lexien folgendermaßen klassieren: [komplexe Lexie]

+ analysierbar

+ produktiv

0 analysierbar

0 produktiv (= vital)

Wie bereits erwähnt, sind jedoch selbst produktive Muster des Französischen in der Regel nicht vollkommen frei anwendbar: Sie unterliegen hinsichtlich der Nutzung zahlreichen, oft sehr schwer oder kaum kontrollierbaren Restriktionen, wodurch sich die französischen Gegebenheiten deutlich von denen im Italienischen und Spanischen unterscheiden. Zu Recht fordert deshalb Thiele (1985:23) eine Aufarbeitung dieser bis heute in der französischen Lexematik kaum oder zumindest nicht systematisch berücksichtigten Problematik. 5 6

76

Hier verstanden im Sinne Coserius als "Register der Norm". Wiedergabe der engl. Aussprache ftir Super-G, für '(slalom) super-géant'.

4.1. Die lexematischen Bildungen im Französischen können sowohl nach formalen als auch nach inhaltlichen Kriterien klassiert werden. Im formalen Bereich unterscheidet man normalerweise zwischen der Komposition einerseits und der Derivation andererseits. Bei der Komposition treten zwei anderweitig freie, autonome Lexien zusammen, um eine neue Einheit zu bilden, z.B. cigarette-filtre, tablier-blouse, montre-bracelet usw. Im Falle der Derivation haben wir eine Verbindung zwischen einem Lexem oder einer Lexie einerseits und einem gebundenen Monem (Morphem oder Lexomorphem 7 ) andererseits; dabei zerfallen die Derivativa in Präfixbildungen und Suffixbildungen: indissoluble, désavouer, antiparasite, après-guerre, hypermaché; changement, arroseuse, profìtable, fraîcheur usw. Im Prinzip gibt es im Französischen auch sogenannte Infixbildungen, z.B. solche mit -onn-, -ill- oder -ottwie chantonner, sautiller, tremblotter usw.; aufgrund ihrer Position nach dem Lexem werden sie jedoch meist (wie -ifìer, -iser etc.) als komplexe Suffixe behandelt (anders dagegen Thiele 1985:140ss.). Verzichtet man darauf, eine separate Kategorie der Infixe zu führen, kann man die lexematischen Bildungen formal folgendermao Ben klassieren : [komplexe Lexien]

bildungen

7

8

bildungen

Unter einem Lexomorphem verstehe ich eine Einheit, die sich zwar formal wie ein (gebundenes) Morphem verhält, inhaltlich aber gleichwohl Leistungen erbringt, die denjenigen eines Lexems ähnlich sind. Ein typisches Lexomorphem ist z.B. -eur (in porter * porteur), das einerseits morphologisch den Ubergang Verb * Substantiv markiert, andererseits aber auch die (lexikalische) Information 'être/chose qui [Verb]' liefert. FUhrt man die Infixbildungen als eigenständige Kategorie, dann mufi der Bereich der Suffixbildungen entsprechend aufgespalten werden.

77

Allerdings gibt es auch eine Tradition, die die Präfixbildungen den Komposita zuordnet (z.B. Darmesteter 1877). Dieses Vorgehen erklärt sich daraus, daß viele Präfixe mit Präpositionen oder Adverbien formal identisch sind (z.B. à fa-J, après, arrière, avant, contre, entre, sur usw.); es ist aber deshalb unbefriedigend, weil es andererseits Moneme (Präfixe) wie dé- (des), en- (em-), re- (ré-), in- (im-), mé- (mes-) gibt, die zu den gebundenen Morphemen zu zählen sind. Eine scheinbare Lösung bildet der Versuch von Rohrer (1977:122ss.), unter die Komposita nur Bildungen mit solchen "präfixalen" Elementen einzureihen, die auch tatsächlich als Präpositionen oder Adverbien vorkommen. Bei dieser Lösung ergeben sich sofort wieder Probleme, wenn auch auf einer anderen Ebene: Man stellt nämlich sehr schnell fest, daß z.B. der Bedeutungsumfang von avant- (Präfix) denjenigen von avant (Präposition) bei weitem übersteigt, denn er schließt auch 'devant', 'antérieur' usw. mit ein. Ähnlich verhält es sich auch mit après, sous, sur usw. Aus diesem Grunde scheint es mir sinnvoll, unter den Komposita nur diejenigen Bildungen zu berücksichtigen, die (ausschließlich) aus Lexien im engeren Sinne bestehen, d.h. aus Elementen, die den vier Wortarten mit außersprachlicher Referenz (Substantive, Adjektive, Verben und Adverbien) angehören (vgl. Kleiber 1981). In diesem Sinne sind zwar bien-être, mal-élevé usw. Komposita, nicht aber avant-guerre, survoler, sous-estimer usw. Im derivationellen Bereich werden suffixale Ableitungen normalerweise nach Ausgangs- und Zielkategorie subklassifiziert 9 . So kann man z.B. unterscheiden: deverbale Substantivbildungen (changer changement, abolir abolition, rigoler rigolade; enchanter enchanteur, libérer libérateur usw.), deadjektivische Substantivbildungen (faible ·* faiblesse, lent lenteur, gauche gaucherie, franc/franche franchise usw.), desubstantivische Substantivbildungen (cuisine cuisinier, collège collégien, dent dentiste usw.), deverbale Adjektivbildungen (punir punissable, faire faisable), desubstantivische Adjektivbildungen (banque bancaire; fisc fiscal, culture culturel, route routier usw.), deadjektivische Adjektivbildungen {jaune jaunâtre, aigre aigrelet, 9

78

Ausgangskategorie · Wortart der Lexie, die der Neubildung zugrunde liegt; Zielkategorie • Wortart der aus dem lexematischen Verfahren resultierenden Lexie.

pâle pâlot, fìn finaud usw.), denominale Verben (avis aviser, différence différencier, moteur motoriser usw.), deverbale Verben (crier-* criailler, traînertraînasser, trotter·» trottiner usw.). 4.2. Für die inhaltliche (funktionelle) Klassifikation unterscheidet Coseriu (z.B. 1973a:119ss.) zwischen den Kategorien Modifizierung, Entwicklung und "Komposition"; diese Kategorien würden den Bereich der sekundären paradigmatischen Strukturen 10 des Lexikons bestimmen. Unter Modifizierung versteht Coseriu "eine 'inaktuelle' grammatische Determination, d.h. eine Determination, die keine spezifische Funktion des modifizierten primären Begriffs (im Satz) impliziert"; hierher würden Diminutive, Kollektive, Präfixverben usw. gehören, z.B. maison maisonette, feuille feuillage, voir prévoir usw. Die Entwicklung "entspricht einer grammatischen Determination, die eine spezifische Funktion des Begriffs im Satz impliziert", z.B. beau beauté, différence différencier, banque bancaire usw. Auch Derivationsketten wie nation national nationaliser nationalisation gehören hierher. Die etwas unglücklich "Komposition" genannte Kategorie, die sowohl eigentliche Komposita als auch Ableitungen umfaßt, ist dahingehend definiert, daß sie "immer das Vorhandensein von zwei Basiselementen [impliziert], die in grammatischer Beziehung zueinander stehen". "Generische" Komposita wären z.B. pomme pommier, vendre vendeur, "spezifische" Komposita z.B. compte-gouttes, phrase-clé usw.11 Eine ähnliche Klassifikation findet sich bei Gauger (1971a:16, 60ss; 1972), der aber anstelle von Coserius Terminologie die Begriffe Variation, Verschiebung und Ausgriff verwendet. Auch in den Definitionen dieser drei Kategorien weicht Gauger von Coseriu ab, was v.a. auf einem Rückgriff auf die Referenzleistung des Definiens beruht. Die Variation wird definiert als Modifikation der Bedeutung des Basiswortes, dergestalt, daß die Bedeutung der Ableitung im durch das Basiswort gegebenen Rahmen bleibt (maison maisonnette, tour tourelle); eine Verschiebung ist eine Wortklassenverän10 11

Die primären paradigmatischen Strukturen sind die durch die Lexeme ("Stämme", "Wurzeln" usw.) gebildeten Inventare. Unter "generischen Komposita" versteht Coseriu Suffixbildungen, die ein Lexomorphem (cf. oben, Ν 7) enthalten; die "spezifischen Komposita" entsprechen meinem eigenen Kompositionsbegriff.

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derung ohne inhaltliche Modifikation (beau beauté, changer changement, tendre tendrement); beim Ausgriff schließlich handelt es sich um die Bezeichnung eines neuen "Gegenstandes", der verschieden ist vom durch die Basislexie (die Basislexien) bezeichneten Gegenstand (pomme pommier, compter/goutte comptegouttes usw.). Diese inhaltlichen (funktionellen) Kategorien können nun mit den formalen Kriterien kombiniert werden. Dabei kennt Gauger neben Komposita, Präfix- und Suffixbildungen auch noch die Subtraktivbildungen (.marcher marche, pincer pince, oublier oubli, troubler trouble usw.); Coseriu und andere arbeiten hier mit dem (nicht unumstrittenen) Begriff eines Nullmorphems und können damit diese Fälle den Suffixbildungen zuordnen. Theoretisch miißten sich so 12 (3 χ 4) Kategorien ergeben, doch sind nach Gauger nur deren sieben belegbar: 1. ausgreifende Suffixwörter (pomme pommier); 2. Präfixwörter (faire refaire); 3. ausgreifende Subtraktivwörter (pincer-* pince); 4. Wortzusammensetzungen (cigarette/filtre cigarette-filtre); 5. verschiebende Suffixwörter (tendre tendresse); 6. verschiebende Subtraktivwörter (marcher marche); 7. variierende Suffixwörter (maison maisonnette). Diese Klassifikation scheint mir insofern unvollständig zu sein, als bei den Präfixbildungen und den Komposita zwischen Ausgriff und Variation unterschieden werden kann und auch unterschieden werden muß: Bei partir repartir, faire refaire etc. bewegen wir uns immer noch in einem Bezeichnungsfeld, das innerhalb desjenigen der Basislexie liegt (Variation); bei communisme anticommunisme, guerre après-guerre usw. dagegen liegt der neue Referenzbereich eindeutig außerhalb desjenigen der Basislexie (Ausgriff). Zur ersten Gruppe gehören wohl auch Bildungen wie mini-jupe, super-marché/hypermarché usw. — Entsprechendes gilt fur die Komposita, wo man variierenden Bildungen wie cigarette-fil tre, wagon-lits (ebenso grandcafé, bébé-cellule etc.) ausgreifende Zusammensetzungen wie cachenez, casse-croûte usw. gegenüberstellen kann. Damit erhöht sich die Zahl der realisierten Kategorien bereits auf neun. Weiter ist in Rechnung zu stellen, daß — zumindest in dem wichtigen Bereich der Verben — auch ein Typus mit einbezogen werden kann oder sogar muß, den man als (variierende) Infixbildung bezeichnen

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könnte 12; in diese Kategorie würden Fälle wie rêver 13

rêvasser,

chanter chantonner usw. gehören . Die vorhergehenden Bemerkungen zeigen, wie problematisch Klassifikationen dieser Art sind. Diejenige Gaugers krankt daran, daß er bei Präfixbildungen und Komposita nicht zwischen einem endozentrischen Typus (mini-jupe, wagon-lits) und einem exozentrischen Typ (après-guerre, cache-nez) unterscheidet 14 ; nach seinen Definitionen dürfte er die endozentrischen Bildungen nicht dem Ausgriff zuordnen, sondern mlißte sie zur Variation rechnen. — Auch Coserius Klassifikation scheint nicht geeignet, diesem Problem gerecht zu werden. Weiter ist es fraglich, ob man im Rahmen der Modifizierung Diminutive (maison maisonnette) einfach neben Kollektive wie feuille feuillage stellen darf. 4.3. Oft werden im Rahmen der Lexematik auch die sogenannten Motionssuffixe abgehandelt. Es handelt sich hierbei um innerhalb einer Lexie auf ein Lexem folgende Morpheme, die scheinbar nichts anderes leisten, als einen Genus Wechsel am Nomen zu markieren: chanteur chanteuse, docteur doctoresse, instituteur institutrice usw., aber auch compagnon compagne (Subtraktivbildung) u.ä. Entsprechende Leistungen können auch durch Komposita vom Typus femme auteur etc. erbracht werden. Die Verwandtschaft dieser Typen mit gewissen lexematischen Verfahren wie Derivation und Komposition ist offensichtlich, und trotzdem erweist sich ihr Status als problematisch. Stellt man sich nämlich auf den Standpunkt, daB es hier um Genusmarkierung und nur um Genusmarkierung geht, dann miißte man diese Fälle ein-

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13

14

Dies setzt natürlich voraus, daß man die Infixbildungen als eigenständige Kategorie von den Suffixbildungen ablöst oder zumindest eine derartige Möglichkeit ins Auge fafit; cf. oben. Der Status von scheinbaren nominalen Infixen wie -eliet], -«rioni, -erlie] ist außerordentlich problematisch; zumindest aus der Sicht der modernen Synchronie haben wir es hier wohl einfach mit zweisilbigen Suffixen zu tun (die historisch allerdings auf eine Kumulation von zwei [autonomen] Suffixen zurückzuführen sind). Endozen frisch » Bedeutung innerhalb des Bereichs der Basislexie (bzw. des Determinatums [bei Komposita]) liegend; ezozentrisch • Bedeutung außerhalb des Bereichs der Basislexie (des Determinatums) liegend.

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deutig aus der Lexematik ausklammern und der Morphologie zuweisen: Morphologische Kategorien sind der Reflex von sprachinternen Organisationsmustern und haben mit außersprachlicher Referenz nichts zu tun. Eine derartige Haltung muß aber unweigerlich Widerspruch auslösen. Wie kann man sich auf diesen Standpunkt stellen und gleichzeitig die Kategorien Entwicklung (Coseriu) bzw. Verschiebung (Gauger) im Rahmen der Wortbildung behandeln? Schließlich ist doch längst bekannt, daß die "Wortarten" einzelsprachliche Kategorien ohne externe Referenz sind, die einzig der Organisation des sprachlichen Materials und der Botschaften dienen. Sie unterscheiden sich also keineswegs von der nominalen Subkategorisierung nach dem Genus. Muß man die Motionssuffixe also im Zusammenhang mit der Kategorie Entwicklung/Verschiebung behandeln? Dies mag in vielerlei Hinsicht sinnvoll erscheinen, doch gibt es auch Argumente, die gegen eine solche Lösung sprechen. Das sprachliche Genus ist zwar im Normalfall vollkommen arbiträr und subklassifiziert die Nomina auf willkürliche Art und Weise und ohne jede außersprachliche Motivation: une auto/une voiture, aber un avion; une bicyclette, aber un vélo·, un coûteau, aber une cuillère; un projectile, aber une fusée·, usw. Im Bereich der sprachlichen Einheiten (v.a. Nomina), die das Merkmal 'belebt' (cf. 'animé ') enthal1S

ten , liegen die Dinge jedoch anders: Hier wird das Genus als Repräsentant für die Kategorie des Sexus verwendet. Damit bekommt aber die scheinbar rein innersprachlich begründete Kategorie außersprachliche Referenz. Geht man weiter davon aus, daß im Französischen das Maskulinum regelmäßig den nicht-markierten, das Femininum den markierten Term einer partizipativen Opposition darstellt, dann rücken diese Fälle plötzlich in die Nähe der Kategorien Modifizierung bzw. Variation (cf. maison maisonnette); beide lassen sich hinsichtlich des (referentiell gegebenen) Inklusionsverhältnisses analog darstellen 16 :

15 16

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Zur Merkmalanalyse und ihren Problemen cf. unten, Kap. 6.2. Die Schemata sagen nichts anderes aus, als daß der nicht-markierte Term immer fUr den markierten Term stehen kann, daß aber die Umkehrung sich keineswegs regelmäßig als annehmbar erweist.

maison 0

maskulin 0

maisonnette

feminin +

Müssen wir nun angesichts dieses prekären, irgendwie zwischen allen bisher diskutierten Positionen liegenden Status der Motionssuffixe resignieren und sie als "nicht klassierbar" einstufen? Eine solche Entscheidung wäre methodisch überhaupt nicht zu vertreten, denn die aufgezeigten Probleme beweisen nur eines: daß die Motionssuffixe letztlich zu keiner der im einen oder andern Sinne affinen Kategorien gehören. Die aufgetretenen Zuordnungsprobleme lassen nur folgenden Schluß zu: Die Motionssuffixe bilden einen eigenen Typus; eine pauschale Zuordnung zu einer der übrigen Kategorien führt unweigerlich in Aporien. Die hier vorgetragenen Überlegungen haben aber keineswegs abschließenden Charakter; eine definitive Lösung des Problems erfordert noch gründliche und vertiefte Analysen sowohl auf theoretischer als auch auf materieller Ebene. 17

4.4. Wenn wir nun zur Behandlung der einzelnen Typen übergehen, dann kann es nicht darum gehen, vollständige Listen der Suffixe, Präfixe und Kompositionstypen zu geben; hierfür verweise ich vielmehr auf Thiele (1985). Entsprechend unserer Aufgabenstellung, prinzipielle Aspekte zu diskutieren und methodische Instrumente für den Zugriff auf die Materialfülle zur Verfügung zu stellen, wollen wir vielmehr auch hier diesen Weg beschreiten. Dabei scheinen vor allem einige Bemerkungen zur Produktivität angezeigt, wobei immer im Auge zu behalten ist, daß das Französische im Vergleich zu den übrigen romanischen Sprachen (und insbesondere dem Spanischen und Italienischen) in diesem Bereich deutliche Defizite zeigt. 17

Unter Typen kann man im Prinzip sowohl e i n e funktionelle, eine tische als auch e i n e f o r m a l e Klassifikation der l e i e m a t i s c h e n verstehen. D a

die

f o r m a l e Inventarisierung

seman-

Phänomene

die d i f f e r e n z i e r t e s t e und

am

leichtesten z u g ä n g l i c h e ist. w e r d e n w i r uns im folgenden an diese halten.

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4.4.1. Obwohl man aufgrund der ausgeprägten Nominalisierungs18

tendenz des Modernfranzösischen davon ausgehen könnte, daß der Bereich der nominalen Ableitung besonders produktiv wäre, trifft dies keineswegs generell zu: Viele noch "vitale" (d.h. als solche in bestehenden Derivaten isolierbare) Affixe sind heute vollkommen unproduktiv. Dies gilt z.B. für -erie (agacerie, causerie), -ail(le) (épouvantail, volaille), -esse (bassesse), -ise (bêtise), -illon/-ille (faucillon, flottille) usw. Kaum mehr produktiv sind -at (assassinat), -oír (égouttoir, rasoir), -ie (vilenie, jalousie), -ion (correction, satisfaction), -aire (incendiaire), Diminutive auf -eauZ-elle (jambonneau, ruelle) usw. Diesem "toten" Bereich der Lexematik stehen andererseits auch durchaus expansive Typen gegenüber. Hierzu gehören z.B. deverbale Substantivableitungen auf '[Vokal] + -tion'19, repräsentiert durch Beispiele wie actualisation, collectivisation, formation, remilitarisation, abolition, finition usw. Ähnliches gilt für Bildungen auf -ment wie autofinancement, regroupement, blanchiment, glougloument usw., wie das vor allem in der jüngsten Vergangenheit sehr erfolgreiche -age: accrochage, affìchage, rasage, finissage usw. Diese Suffixe sind nur selten kommutabel, d.h. ohne Bedeutungsveränderung gegeneinander austauschbar wie z.B. im Falle von embrouillage/embrouillement, émondage/émondement (dagegen existieren *embrouillation und *émondation überhaupt nicht). Scheinbare Äquivalenzpaare wie z.B. détachage/détachement, perforage/perforation, fìnissage/fìnition usw. sind sementiseli keineswegs gleichwertig; da die Unterschiede weder direkt vom Lexem noch vom Morphem herrühren können, sind Einheiten dieser Art als Ganzes, als inzwischen lexikalisierte Ableger eines ursprünglich rein lexematischen Prozesses zu betrachten. — Alle diese Fakten lassen nur einen SchluB zu: Selbst an sich produktive Suffixe sind im Französischen nicht frei anwendbar, sondern unterliegen (im Moment noch schwer oder überhaupt nicht durchschaubaren) Nutzungsrestriktionen.

18 19

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Vgl. hierzu z.B. Bally 1965, Malblanc 1968. Der diesem Bildungselement vorangehende Vokal variiert je nach verbaler Subklasse ("Konjugation"), so daß letztlich Sequenzen vom Typus -ation, -ition, -utioD in Rechnung zu stellen sind.

Produktiv im deverbalen Bereich sind weiterhin auch -eur/-euse (mit den Varianten -teurZ-trice, -ateurZ-atrice usw.); neben der ur20

sprünglichen Funktion der Personenbezeichnung (planificateur, réalisateur, unifìcateur usw.) schiebt sich hier in der jüngsten Vergangenheit immer mehr diejenige einer Apparate- und Gerätebezeichnung in den Vordergrund: aspirateur, calculateur, calculatrice, erro91 seuse, faucheuse usw. ; das traditionelle Suffix für diese Funktion, -oir(e) (cf. arrosoir, rasoir, rôtissoire usw.) hat dadurch seine Produktivität fast ganz verloren. Im deadjektivischen Bereich scheinen vor allem -lté, -ie und -ion für die Bezeichnung von Eigenschaften, Phänomenen usw. produktiv zu sein (Thiele 1985:44); zur Bezeichnung von Personen, Berufen, Anhängern von Gruppen, Parteien, Strömungen etc. dient - (ic)ienZ- (ic)ienne : brechtien, électronicien, gaullien, kolkhozien, esthéticienne usw., wobei als Ableitungsbasis neben Adjektiven auch Substantive und Eigennamen (EN) möglich sind. — In den beiden erwähnten Bereichen ragen bezüglich der Produktivität -isme und -iste hervor, mit denen fast beliebig Bezeichnungen für Lehren und deren Anhänger produziert werden können: dirigismeZdirigiste, fascisme Ζ fasciste, gaulHsmeZgaulliste, castrismeZcastriste, dodécaphonismeZdodécaphoniste, racismeZraciste usw. gehören zu einem Typus von ursprünglich gelehrten Bildungen, der in den letzten zwei Jahrhunderten einen wahren Siegeszug erlebt hat. Die beiden Suffixe sind (im Rahmen ihrer semantischen Möglichkeiten) praktisch uneingeschränkt einwendbar geworden und können auch zur Bildung von ad hoc -Ableitungen dienen. Ganz anders liegen die Dinge bei den Diminutivsuffixen. Unter den zahlreichen Einheiten dieser Kategorie wie: -eauZ-elle, -et(te), -ot(te), -in(e), -on(ne), -ule, -illon(ne), -onnet(te), -eton(ne), -elet(te) usw. (cf. Hasselrot 1957:169ss.) ist heute nur noch -etite) produktiv: camionette, fourgonnette usw.; auch hier sind ad hoc-Bildungen durchaus möglich, z.B chaînette, fisset (< fìls), fìssette, gaminette usw. (cf. Hasselrot 1957:194s.). Gleichwohl sind (vor allem nicht-lexikalisierte) Diminutive wegen ihres hohen Affektgehaltes 20 21

Genauer: Bezeichnung desjenigen, der eine Tätigkeit X ausführt*. Diese neue Funktion geht wohl ursprünglich auf eine animistische Metapher zurtick, hat sich aber inzwischen als eigenständiger (teilweise allerdings mit dem primären Überlappender) Wert etabliert.

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oft für neutrale Kommunikationssituationen unangemessen, weshalb in diesen Fällen dann zu analytischen Konstruktionen vom Typus petit/mince /ténu usw. + Ν ausgewichen wird. Diese analytische Tendenz wird weiter dadurch gefördert, daß auch bei -et(te) zusätzliche Gebrauchsrestriktionen nicht zu fehlen scheinen. 22

Produktiv ist weiter auch das augmentativ-pejorative -ard , cf. chéquard, combinard, flemmard, gueulard, veinard; Bildungen dieser Art bezeichnen immer Träger von (sehr bzw. Ubermäßig) ausgeprägten Eigenschaften. Im Bereich der (deverbalen) Adjektivbildungen können natürlich Partizipien (und vor allem das Partizip Präsens 23 ) immer adjektivisch verwendet werden. Bei den eigentlichen Ableitungen ist das Suffix -able (mit den verbklassengebundenen Varianten -ible und -üble) in hohem Maße produktiv; es dient zur Bezeichnung von Möglichkeiten, Fähigkeiten, Notwendigkeiten, kurz der Potentialität: ministrable, skiable, éjectable, parachutable, extractible usw. — Unter den desubstantivischen Ableitungen dominiert bezüglich der Produktivität -ique: étatique, filmique, supersonique, génique, zazique (< Zazie) usw. Es folgen dann -el/-al: carentiel, racial etc., sowie -if: compétif, contraceptif usw. Vor allem gilt es, darauf hinzuweisen, daß die oben erwähnten Bildungen auf -iste (zu -isme) in der Regel auch adjektivisch verwendet werden (cf. auch Thiele 1985:111).

Das Bild im Bereich der Suffixableitungen ist gesamthaft wenig einheitlich. Während die Mehrzahl der Suffixe nicht mehr produktiv ist, gibt es durchaus einige, die immer wieder Neubildungen liefern; mit wenigen Ausnahmen sind sie aber nicht frei verfügbar, sondern 22

23

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Ursprünglich ist -ard reines Augmentativsuffii; Einheiten dieser Kategorie scheinen im Französischen, in den Übrigen romanischen Sprachen und in einer Reihe weiterer Idiome generell eine Tendenz zum Pejorativen zu haben. Die Begründung dieser Erscheinung ist wohl im kulturpsychologischen Bereich zu suchen, d.h. aufterlinguistischer Natur. Ich verwende hier diesen traditionellen Ausdruck, weil jedermann weiß, welche Formen damit gemeint sind. Davon bleibt die Tatsache unbeschadet, dafi Partizipien nichts mit der Zeitstufengliederung zu tun haben (weder im Französischen noch in den Übrigen romanischen Sprachen). Das "participe présent" bezeichnet einen Prozefi im Zustand des Vollzugs, das "participe passé" in demjenigen der Vollzogenheit - und dies auf jeder beliebigen Zeitstufe. Cf. hierzu Wunderli 1976:4ss.

unterliegen starken Gebrauchsrestriktionen. Angesichts dieser äusserst lückenhaften Situation, die weit davon entfernt ist, die vielfältigen kommunikativen Bedürfnisse im Bereich der Lexematik erfüllen zu können, liegt es auf der Hand, daß diese Defizite durch Rückgriffe auf analytische Verfahren kompensiert werden müssen 24 . 4.4.2. Auch im Bereich der Präfixe gibt es viele Einheiten, die nicht mehr produktiv sind (cf. Thiele 1985:55ss., 118ss.; 142ss.), z.B. amphi-, contra-, para- ('contre'), dis-, mé- usw. Viele andere Präfixe kommen nur in gelehrten Bildungen vor: a(n)-, caco-, dia-, ecto-, endo-, epi-, eu-, exo-, hémì-, hypo-, méta-, péri- usw. Andererseits sind aber auch gerade die produktivsten Präfixe im Modernfranzösischen gelehrter Herkunft: Sie stammen in der Regel aus dem Lateinischen oder Griechischen. Ich liste im folgenden einige der wichtigsten aus dieser Gruppe auf; in einer Reihe von Fällen ist es unerheblich, welcher Wortart das Basislexem angehört: — ex-: ex-ministre, ex-président, ex-directeur usw. (nur mit Substantiven); — anti-·. anticommuniste, antifascisme, antimìssile, antineutron, antibiotique, antitank, anticancéreux usw. (mit Substantiven und Adjektiven); — pro-: proïmpérialiste, procapitaliste, prosandiniste, proaméricain, prosoviétique usw. (mit Substantiven und Adjektiven) ; — co-: coaccusé, coprésident, copropriété, coparticipant, copossesseur, cohabiter, cohabitation, coposséder usw. (mit Substantiven, Adjektiven, Verben); — demi-: demi-frère, demi-sœur, demi-vierge, demi-ton, demicirculaire, demi-fin (mit Substantiven, Adjektiven); — semi-: semi-coke, semi-auxiliaire, semi-automatique, semiprécieux usw. (mit Substantiven, Adjektiven); — inter-: interattraction, intergroupe, interplanétaire, interdisciplinaire, intersyndical, interconnecter, interclasser usw. (mit Substantiven, Adjektiven, Verben). 24

Cf. hierzu unten, Kap. 5.

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Eine ganz besondere Rolle spielen in der jüngeren Vergangenheit die "superlativierenden" Präfixe, die alle in hohem Maße produktiv sind: — archi-: archicube, archìcélèbre, archisot usw. (mit Substantiven und Adjektiven); — super-: supercarburant, superforteresse, supermarché, superito, superfíuide usw. (mit Substantiven und Adjektiven); — extra-: extra-fort, extra-qualité, extra-fin, extra-souple usw. (mit Substantiven und Adjektiven); — hyper-: hypermarché, hyperorganisme, hypercorrect, hypertendu usw. (mit Substantiven und Adjektiven). Mit diesen gelehrten Bildungselementen steht das erbwörtliche sur- in Konkurrenz, das ebenfalls sehr produktiv ist: surchoix, surfin etc. Auch einige andere nicht-gelehrte Elemente sind durchaus produktiv, so z.B. sans-, in-, non-, dé(s)-, mal-, bien-, sous- und vor allem re-/ré- , das über den verbalen auch in den nominalen Bereich eingedrungen ist: re-bonjour, re-métro, re-voiture usw. (Thiele 1985:66); etc. Gesamthaft ist aber auch im präfixalen Bereich (und ungeachtet der Produktivität einzelner Affixe) festzustellen, daß die Bildungsmöglichkeiten für neue Lexien sehr beschränkt sind und die Nutzung bestehender Muster oft schwer 26 durchschaubaren Restriktionen unterliegt ; auch hier ist oft ein Ausweichen auf analytische Verfahren nicht zu umgehen. « β

4.4.3. Zwischen den Präfix- und den Suffixbildungen stehen die sogenannten Parasynthetika — oder besser: Bei den parasynthetischen Bildungen werden beide Verfahren in einem einzigen Bildungsakt kombiniert, indem von einer Basislexie ausgehend unter gleichzeitiger Nutzung eines Präfixes und eines Suffixes eine 25 26

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Die Varianten dé-Zdés und le-Zrè- sind Uber den phonologischen Kontext konditioniert (konsonantischer/vokalischer Anlaut des folgenden Monems). Die systematische Untersuchung derartiger Nutzungsrestriktionen stellt ein dringendes Postulat der zukünftigen Forschung dar. Inwieweit sie sich allerdings konkret definieren lassen, ist im Moment schwer zu sagen; es könnte sich (zumindest teilweise) auch um vollkommen zufällige Gebrauchsakzeptanzen handeln.

oy

neue Lexie geschaffen wird . Damit eindeutig davon ausgegangen werden kann, daß ein Parasynthetikum vorliegt, darf weder eine (reine) Präfix- noch eine (reine) Suffixbildung existieren, die als Zwischenstufe für eine Ableitung in zwei Schritten dienen könnte. Ein typisches Beispiel für die parasynthetische Bildungsart ist barque embarquer, wobei *embarque und *barquer (cf. Thiele 1985:24; Bally 1965:104 et passim). Echte Parasynthetika sind nur für den verbalen Bereich qua Zielkategorie üblich; sie sind entweder desubstantivischer oder deadjektivischer Natur: genou ·> agenouiller, lune alunir, mer amerrir, terre atterrir, prison emprisonner, racine enraciner-, brut abrutir, doux adoucir, grave aggraver, pauvre appauvrir usw. (Thiele 1985:144). Dagegen halten alle angeblichen Parasynthetika, die Thiele für die Zielkategorien Substantiv und Adjektiv zitiert, einer näheren Uberprüfung nicht stand (Thiele 1985:66, 125): Es handelt sich durchweg um sekundäre Ableitungen von parasynthetischen Verben, wobei sich die Relationen folgendermaßen darstellen lassen: atterrissage: terre atterrir (Parasynth.) » atterrir atterrissage (deverbales Subst.) décavaillonneuse: cavaillon décavaillonner (Parasynth.) « décavaillonner décavaillonneuse (deverbales Subst.) démembrement: membre démembrer (Parasynth.) « démembrer démembrement (deverbales Subst.) encolure: col encoler (Parasynth.) « encoler encolure (deverbales Subst.) détoxication: toxique détoxiquer (Parasynth.) » détoxiquer détoxication (deverbales Subst.) Die Beispiele für die Zielkategorie Adjektiv sind ausschließlich in adjektivischer Funktion lexikalisierte Partizipien, d.h. auch hier liegt ein verbales Parasynthetikum zugrunde. — In einigen Fällen wie 27

Es muß unterstrichen werden, daß die sukzessive Nutzung des präfiialen und des suffiialen Verfahrens keine Parasynthetika liefert: recommencement gehört nicht in diese Kategorie, ganz gleichgültig, ob man eine Filiation commencer * recommencer * recommencement oder commencer + commencement * recommencement ansetzt.

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z.B. apiéceur ist das vermittelnde Verb (apiécer) inzwischen untergegangen; dies ändert aber nichts an der Tatsache, daß apiéceur genetisch kein Parasynthetikum, sondern eine deverbale Substantivbildung ist. Wir müssen somit in allen nominalen 28 Fällen eine mindestens zweistufige Ableitungshierarchie ansetzen, wobei nur die erste (verbale) Stufe parasynthetischen Charakter hat. Die Produktivität der Parasynthetika ist sehr gering, wenn auch nicht vollkommen inexistent, wie Beispiele vom Typus dénazlfìer, déduvallìser Duvallier) usw. belegen. 4.4.4. Der Bereich der Komposita ist insofern ein Problembereich, als es zuerst einmal gilt, all das auszusondern, was zwar normalerweise unter diesem Stichwort abgehandelt wird, aber nicht wirklich zu einer französischen Lexematik gehört. An erster Stelle wären hier einmal Lexien vom Typus Adj. + Subst., Subst. + Adj., Subs t. + Präp. + Subst., Subst. + Präp. + Verb, Adv. + Adj., Verb + Subst. usw. zu nennen, d.h. Beispiele wie: carte perforée, blouson noir, dessin animé, guerre froide, gros mot, blanc-bec, plein air-, pomme de terre, avion à réaction, bombe au cobalt, crème à raser, carte à jouer usw.; nouveau-né, frais émolu, grand ouvert (Adverb in adjektivischer Form, cf. auch peser lourd usw.); prêter la main, avoir peur, tenir tête; etc. Hier liegen keine speziellen Wortbildungsmuster vor, sondern vielmehr Bildungen aufgrund von normalen Syntagmenbauplänen (z.T. in archaischer Form [vorangestelltes Adjektiv; artikelloses Substantiv]), die sich als solche verfestigt haben und zu global abrufbaren lexikalischen Einheiten geworden sind. Die Lexikalisierung läßt sich meist leicht aufgrund der Tatsache feststellen, daß Sequenzen dieser Art sich nur noch global modifizieren lassen: zwar ist crème à raser parfumée möglich, nicht aber *crème parfumée à raser, *crème à raser rapidement29. Aufgrund des formalen Kriteriums 'Fehlen eines spezifischen Wortbauplans' rechne ich — anders als Thiele 198S — diese Fälle nicht zu den Komposita, sondern betrachte sie als "Phraseo-

28 29

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Nomen hier als Oberbegriff für Substantiv und Adjektiv. Im ersten Beispiel determiniert parfumée die Sequenz crème à raser als Ganzes; im zweiten dagegen wUrde sich parfumée direkt auf crème beziehen, im dritten rapidement auf raser.

logismen", d.h. in unserem Falle als lexikalisierte syntagmatische Sequenzen 30 . Ein zweites Problem stellen die (links- oder rechtsorientierten 31 ) gelehrten Bildungselemente dar: crypto-, homo-, idio-, méga-, xénousw.; -crateZ-cratie, -gameZ-gamie, -nomeZnomie, -cide, -algie, -drome etc. Hier liegen Moneme vor, deren semantische Intension 32 diejenige normaler Präfixe und Suffixe bei weitem übersteigt und derjenigen von Lexemen im substantivischen, adjektivischen und verbalen Bereich oft durchaus vergleichbar ist. Gerade dieser Aspekt ist wohl im wesentlichen dafür verantwortlich, daß Bildungen mit diesen Elementen oft unter den Komposita abgehandelt werden. Andererseits erfüllen gerade diese Bildungselemente das entscheidende formale Kriterium für die Konstituenten von Komposita nicht: Sie existieren im Französischen nicht als autonome Lexien (oder zumindest als freie Morpheme). Nun sind allerdings Lexien wie cryptogamie, embryogénie, iconolâtrie, ichthyiophagie, amygdalectomie, biopsie, tétrachlorure, hétérochronie, oxycéphale, Picrotoxine, tachycardie usw. gar keine französischen Bildungen: Sie gehören vielmehr einer internationalen, vor allem auf dem Griechischen und Lateinischen beruhenden Technik- und Wissenschaftssprache an (-» Internationalismen) und sind als fertige Bildungen vom Französischen entlehnt worden. Aus diesem Grunde sind sie nicht Gegenstand einer französischen Lexematik. — Dies schließt nun allerdings noch nicht aus, daß zumindest der gebildete, der klassischen Sprachen kundige Sprecher solche Einheiten zu analysieren und zu interpretieren versucht. Solche sekundären Analysen 33

können dann zu "Rekompositionen" führen , und in diesem Moment besteht auch die Möglichkeit, daß analog (mit wenigstens teilweise autochthonem Material) im Französischen selbst Bildun30 31 32

33

Auf eine ausfuhrlichere Behandlung der Phraseologismen mufi hier aus Raumgründen verzichtet werden; vgl. hierzu z.B. Thun 1978, Rey 1986. Linksorientiert · Suffixe; rechtsorientiert • Präfixe. Intension · Gehalt an semantischen Merkmalen einer sprachlichen Einheit; Eltension · Anwendungsbereich einer intensional definierten sprachlichen Einheit. Die Rekomposition ist nichts anderes als ein neues Bewußtsein beim Sprecher (bzw. bei einer Sprechergruppe) vom Muster, das (importierten) Bildungen dieser Art zugrunde liegt.

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gen dieses Typs entstehen. Viele der obengenannten Elemente sind denn auch in der Tat im Französischen selbst produktiv geworden, wie die folgenden Belege beweisen: boulodrôme, cinémathèque, maxi-manteau, microbus, minicar, minibus, minisalaire, pseudosavant, monorail, budgétivore, multiforme, multinational usw. Aus den obengenannten Gründen können diese Bildungen aber nicht zu den Komposita gezählt werden 34 : Eines der Bildungselemente hat nicht-autonomen Status. Obwohl die Affixe inhaltlich Lexemen entsprechen, verhalten sie sich somit formal wie Präfixe und Suffixe; ich spreche deshalb von Präfixoiden und Suffìxoiden. Anders liegen die Dinge dagegen bei einer Reihe von Bildungen mit auto und télé·. Immer dann, wenn diese Elemente als Reduktionsformen von automobile und télévision bzw. téléphérique angesehen werden können, liegen eigentliche Komposita vor, und zwar deshalb, weil auto und télé in dieser Funktion autonome Lexien des qe Französischen sind ; dies trifft z.B. zu für: auto-école, autoradio, autoroute, autostop; téléspectateur, téléjournal; télécabine, télésiège, téléski·, usw. Im Bereich der eigentlichen Komposita sind drei Haupttypen zu unterscheiden. Den ersten würde ich als kumulativ bezeichnen (Thiele: Koordination): Ein bracelet-montre ist ein Gegenstand, der gleichzeitig als Armband und als (Armband-)Uhr dient; oft ist die Reihenfolge der Konstituenten bei Bildungen dieser Art auch umkehrbar: montre-bracelet. Zu dieser Kategorie gehören ferner: bar-épicerie, porte-fenêtre, taxi-camionette, général-président-, aigre-doux, sourd-muet usw., wobei in der ersten Serie von Beispielen nichts einer Vertauschung der Konstituenten im Wege steht. Charakteristisch für diese Bildungen ist, daß die beiden in sie eintretenden Lexien als gleichrangig zu gelten haben; ihre Verbin-

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35

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Dies gilt selbst dann, wenn die gr.-lat. Vorbilder u.U. diesen Status beanspruchen können; dies ist für uns aber insofern irrelevant, als französische Einheiten aufgrund der Gegebenheiten des Französischen (innereinzelsprachlich) analysiert und interpretiert werden müssen. Dies läßt sich leicht durch einen Einsetzungs- oder Kommutationstest beweisen, indem man die beiden Einheiten in entsprechenden Satzmustern in nominale Positionen einsetzt: la maison est belle * l'auto est belle usw.

dung im Rahmen eines Kompositums markiert eine Doppelzuge36

hörigkeit zu zwei unabhängigen Klassen . Den zweiten Typus kennzeichnet ein eigentliches Determinationsverhältnis; bei den Substantivkomposita ist das Determinane in der Regel rechts-, bei den Adjektivkomposita linkspositioniert, d.h. wir haben je nach der Wortklassenzugehörigkeit eine Dominanz 37 der progressiven bzw. regressiven Sequenzierung : assurance maladie, bas nylon, mot-clé, poids plume, usine pilote, pause-café, wagon-restaurant, wagon-couchettes, grève surprise-, sud-américain, ouest-allemand usw. Versucht man den Inhalt derartiger Bildungen über Paraphrasen zu explizieren, wird deutlich, daß durch ein einziges Muster Determinationsverhältnisse unterschiedlichster Natur wiedergegeben werden können: Eine assurance maladie ist eine 'assurance contre la maladie'; ein bas nylon ist ein 'bas en nylon'; ein poids plume entspricht einem 'poids comparable à une plume'; eine usine pilote ist mit 'usine qui sert de pilote (d'exemple)' zu umschreiben; eine pause-café ist eine 'pause pour [boire] le café'; ein wagon-couchettes entspricht einem 'wagon avec des couchettes'; usw. Kompositionsmuster könnten deshalb 38 als hochgradig polysem eingestuft werden ; ich ziehe es vor zu sagen, daß die von ihnen zum Ausdruck gebrachte Relation außerordentlich abstrakter Natur ist und unterschiedliche Konkretisierungen in Form von Paraphrasen zuläßt. Der dritte Typus schließlich besteht aus einem (nicht weiter spezifizierbaren) verbalen Element und einem Nomen in Objektsfunktion (cf. Bierbach 1982); die (exozentrische 39 ) Bildung als

36

Gerade die Möglichkeit, die Reihenfolge der Konstituenten in vielen Fällen zu vertauschen, macht deutlich, daß hier keine Determination, sondern ein additives (kumulatives) Verhältnis vorliegt. Eine unverrückbare Ordnung haben wir meist nur bei traditionell leiikalisierten Einheiten wie aigredoui, sourd-muet (cf. oben); diese Fixierung ist jedoch rein gebrauchsbedingt und hat nichts mit einer Determinationsabfolge zu tun.

37

Zur Unterscheidung von progressiver/regressiver Sequenz cf. vor allem Bally 1965:201ss.

38

Zur Polysemie cf. unten Kap. 6.5. Dort geht es allerdings um Polysemie auf (lexie-)semantischer Ebene, während wir es hier mit (morpho-)syntaktischer Polysemie zu tun hätten.

39

Zum Begriff eiozentrisch

cf. oben, Ν 14.

93

Ganzes hat substantivischen Charakter: brise-vent, cache-sexe, casse-tête, essuie-glace, gratte-ciel, lance-flammes, pince-nez, tirefesse usw. — Ähnliche Bildungen finden sich zum Teil auch mit einem adverbialen statt des nominalen Elements: couche-tôt, lèvetard, gagne-petit usw. Alle diese Kompositionstypen sind (in Grenzen) produktiv; vor allem beim verbalen Typ gibt es eine Reihe von (erneut) schwer faßbaren Restriktionen, da bei weitem nicht alle Verben in Bildungen dieser Art eintreten können (cf. Thiele 1985:72s.). 4.4.5. Ein verbreitetes lexematisches Verfahren ist die Wortkürzung, bei der allerdings keine neuen Lexien, sondern nur Kurzformen zu bereits bestehenden Lexien entstehen; dieser Typus betrifft somit nicht das sprachliche Zeichen bzw. den sprachlichen Zeichenkomplex als zweiseitige Größe, sondern nur dessen Ausdrucksseite 40 . Bereits der Standardsprache gehören Kurzformen an wie: auto, cinéma (ciné), dactylo, kilo, métro, micro, photo, piano, pneu, radio, taxi, télé, vélo. An untere Sprachschichten (Populär-/Vulgärsprache) oder Gruppensprachen gebunden sind z.B.: ampli (amplificateur), calva (calvados), imper (imperméable), labo (laboratoire), prof (professeur), sous-off (sous-officier). Aus dem adjektivischen Bereich, der von diesem Phänomen bedeutend seltener betroffen wird, stammen impec (impeccable), formid (formidable), sensass (sensationnel) etc. Zum Teil gehen solche Kurzformen auch wieder in Komposita ein, wie dies bereits oben im Zusammenhang mit auto- und télédargelegt wurde. Ein besonders auffälliges Beispiel dieses Typs ist turboprof 'Spagatprofessor' 41 , liegt hier doch ein Kompositum vor, das aus zwei Kurzformen besteht. 4.4.6. Sehr verbreitet sind im Modernfranzösischen auch die Abkürzungen, die — wie die Wortkürzungen — keine neuen Lexien lie40

Die Inhaltsseite der ursprunglichen (vollständigen, unverkürzten) Einheit bleibt dabei im Prinzip unberührt. Allerdings lassen sich spätere semantische Eigenentwicklungen von verkürzten Einheiten a priori nicht ausschließen.

41

Sowohl die deutsche wie die französische Bildung bedeuten: Trofessor, der gleichzeitig an zwei verschiedenen, weit auseinanderliegenden Orten lehrt'.

94

fern: Auch hier haben wir nur eine ausdrucksseitige Modifikation bei gleichzeitiger Bewahrung der inhaltsseitigen Struktur und ihres 42

Gehalts . Dabei sind je nach Aussprachemodalität zwei Typen zu unterscheiden. Im ersten Fall werden die Bildungen gewissermaßen buchstabiert: C.G.T. /secete/ (Confédération générale du travail), P.C.F. /peseef/ (Parti Communiste Français), C.N.R.S. /seeneRes/ (Centre National de la Recherche Scientifique), R.T.F. /eRteef/ (Radiodiffusion-Télévision Française), S.N.C.F. /esenseef/ (Société Nationale des Chemins de Fer) usw. Beim zweiten Typus werden die Initialen nicht buchstabiert, sondern als Phonemsequenz realisiert: ONU /ony/, C.R.E.D.I.F. /kRedif/ (Centre de Recherches et d'Etudes pour la Diffusion du Français), S.M.I.G. /smig/ (salaire minimum interprofessionnel garanti), E.N.A. /ena/ (École Nationale d'Administration), C.A.P.E.S. /kapes/ (Certifìcat d'aptitude pédagogique à l'enseignement secondaire) usw. Die Kürzel sind bereits derart integriert, daß in zahlreichen Fällen Ableitungen (mit substantivischer und/oder adjektivischer Funktion) auf dieser Basis gebildet werden, wobei beim ersten Typus der Buchstabierungsmodus bei schriftlicher Wiedergabe (annähernd) in normale Orthographie umgesetzt werden muß: C.G.T. cégétiste, T.C.F. técéfiste, C.A.P.E.S. capésien, S.M.I.G. smigard. 4.4.7. Zum Abschluß noch zwei Bemerkungen. Es versteht sich von selbst, daß alle Lexien — gleichgültig welcher Herkunft — im Rahmen von rhetorischen Figuren wie Metapher, Metonymie, Synek43

doche und Ellipse eingesetzt werden können ; dies gilt natürlich auch für Derivativa, Komposita und Phraseologismen. Gerade bei auf Syntagmen beruhenden Phraseologismen ist dieses Phänomen im Modernfranzösischen von besonderer Häufigkeit: pur-sang (Pferd), bas-bleu (Frau), blouson noir (Mensch), deux-mats (Schiff), sixcylindres (Auto), deux-chevaux (Auto), trois-pièces (Kostüm) usw. Weiter muß — im Vorgriff auf Kapitel 6 — darauf hingewiesen werden, daß lexikalische Einheiten in der Regel polysem sind: Ihr Semantem zerfällt meist in mehrere Sememe. Hilty (1983) hat nun 42

Natürlich gilt auch hier das in Ν 40 Gesagte.

43

Z u r D e f i n i t i o n der rhetorischen Figuren cf. z.B. Lausberg

1965.

95

zeigen können, daß bei Ableitungen (und Komposita) der Bedeutungsumfang der Lexien in der Regel massiv reduziert wird, ohne daß es aber zu einer Monosemierung kommen muß: Von den acht Sememen von voler sind z.B. im Diminutiwerb voleter nur noch deren drei vertreten. Auch voleter ist somit noch polysem, aber in beschränktem Umfang. Systematische Analysen über die Reduktion der Polysemie im Rahmen von lexematischen Verfahren fehlen bis heute noch; sie stellen ein dringendes Desiderat der zukünftigen Lexikologie dar.

96

Aufgaben zu Kapitel 4 1. Versuchen Sie aufgrund der gegebenen Darstellung ein Urteil über die lexematische Produktivität im Modernfranzösischen abzugeben. Vergleichen Sie die französischen Verhältnisse mit denjenigen in anderen Ihnen bekannten Sprachen. 2. Unterziehen Sie den Begriff der "vitalen" lexematischen Bildung einer kritischen Diskussion, und überprüfen Sie, ob im Sinne der Ausführungen zur partizipativen (privativen) Opposition in Kapitel 6.8. nicht überhaupt auf den Terminus vital verzichtet werden könnte. 3. Diskutieren Sie aufgrund eigener Beispiele die Frage, ob man Präfixbildungen besser zu den Komposita oder zu den Derivativa stellt. 4. Diskutieren Sie die Problematik des Begriffes Komposition bei Coseriu (z.B. 1973a:119ss.). Wie könnte eine terminologisch bessere Lösung aussehen? 5. Versuchen Sie die Begriffe endozentrisch und exozentrisch in lexematischer Hinsicht zu definieren. Stellen Sie aufgrund einschlägiger Wörterbücher zusätzliches Belegmaterial für die beiden Kategorien zusammen. 6. Was ist ein Parasynthetikum? Versuchen Sie, zusätzliche Beispiele für diesen lexematischen Typus zu finden, und diskutieren Sie die dabei zu fällenden Entscheidungen. 7. Versuchen Sie aufgrund der gegebenen Beispiele und Ausführungen zu definieren, was Präfixoide und Suffixoide sind. 8. Versuchen Sie zu ermitteln, inwieweit und in welchem Sinne Wortkürzungen konnotativ (cf. Kapitel 7) markiert sind. 9. Stellen Sie Beispiele Tür ausgreifende und variierende Präfixbildungen zusammen und begründen Sie Ihre Interpretationen. 10. Stellen Sie Beispiele für ausgreifende und variierende Komposita zusammen und begründen Sie ihre Interpretationen. 11. Versuchen Sie zu ergründen, ob es für die Setzung bzw. Nie ht setzung des Bindestrichs bei Komposita eine Regel gibt.

97

12. *Versuchen Sie eine Typologie der verschiedenen lexematischen Bildungsmuster zu erstellen, und definieren Sie die jeweiligen Klassifikationskriterien. 13. *Stellen sie anhand von Meyer-Liibke 1921 Beispiele zusammen, die zwar aufgrund der bei Bally 196S genannten Kriterien aus diachronischer Sicht als lexematische Bildungen eingestuft werden können, denen aber aus synchronischer Sicht dieser Status nicht mehr zukommt. Begründen Sie ihre Entscheidung in jedem einzelnen Fall. 14. *Stellen Sie aufgrund von Bally 1965 (cf. Index, s. zéro) Beispiele zusammen, wo man von einem Nullmorphem sprechen könnte. Vergleichen Sie dazu auch den Begriff des Nullartikels bei Weinrich 1969. Warum ist dieses Konzept problematisch, und unter welchen Voraussetzungen läßt sich ein Rückgriff auf einen derartigen Ansatz unter Umständen rechtfertigen? 15. *Diskutieren Sie aufgrund von Heinimann 1962 die Frage, inwieweit französisch -o als Suffix betrachtet werden kann. Behalten Sie dabei vor allem im Auge, ob jeweils eine der Kategorien von Gauger (1971a, 1972) vorliegt oder nicht. 16. *Stellen Sie aufgrund von einschlägigen Gebrauchswörterbüchern superlativierende Bildungen mit sur-, extra-, archi-, super-, hyper-, ultra- zusammen. Versuchen Sie aufgrund der Datierungen Produktivitätsschwerpunkte zu definieren. Lassen sich Kombinationsrestriktionen, Bedeutungsdifferenzierungen und Affinitäten zu bestimmten semantischen Feldern ermitteln? 17. * Versuchen Sie die Zwischenstellung der Motionssuffixe zwischen Morphologie und Lexematik, Modifizierung und Entwicklung (Variation/Verschiebung) zu begründen. Illustrieren Sie Ihre Ausführungen mit eigenen Beispielen.

98

5. Die Translation Bei der Behandlung der lexematischen Verfahren im vorhergehenden Kapitel sahen wir uns immer wieder gezwungen, auf die Unproduktivität gewisser Muster hinzuweisen: Das Gesamtspektrum der Lexematik erweist sich im Modernfranzösischen als außerordentlich defizitär und ist weit davon entfernt, alle sich im Rahmen der vielfältigen Kommunikationssituationen stellenden Bedürfnisse abdecken zu können 1 . In dieser Situation bietet sich ein Rückgriff auf syntagmatische Verfahren an. Wenn es z.B. keinen spezifischen Terminus Tür (deutsch) Schimmel und Rappe im Französischen gibt, dann muß eben auf Konstruktionen wie cheval blanc und cheval noir zurückgegriffen werden . Allerdings stößt man auch in diesem Bereich sehr schnell an die Grenzen der Möglichkeiten, fehlen doch oft die nach den morphosyntaktischen Regeln erforderlichen Komplementäreinheiten (Adj. Subst.; Adv. Verb; usw.): Ich brauche z.B. eine Lexie um auszudrücken, daß das Portal, von dem die Rede ist, nicht das Portal des Stadthauses, sondern dasjenige der Kathedrale ist; aber ein Adjektiv cathédralique o.a. zu cathédrale ist unmöglich. Oder ich möchte den Ausdruck un chant séducteur in den verbalen Bereich transponieren. Dies ist im Falle von chant chanter ohne Probleme möglich; aber wo kriege ich ein Adverb zu séducteur her? Die massiven Restriktionen im Bereich Verschiebung/Entwicklung (Gauger/Coseriu) machen den Rekurs auf eine syntagmatische Lösung oft unmöglich. Aus dieser Sackgasse kann in vielen Fällen das Verfahren der Translation heraushelfen. 1

Die Existenz von A u s w e i c h v e r f a h r e n in der Form von s y n t a g m a t i s c h e n u n d t r a n s l a t o r i s c h e n K o n s t r u k t i o n e n ist allerdings n i c h t a u s s c h l i e ß l i c h auf die l e z e m a t i s c h e S c h w ä c h e des F r a n z ö s i s c h e n z u r ü c k z u f ü h r e n , f i n d e n sich doch e n t s p r e c h e n d e Lösungen a u c h i m m e r wieder im S p a n i s c h e n und Italien i s c h e n , die in l e z e m a t i s c h e r H i n s i c h t als sehr produktiv gelten k ö n n e n . Die s y n t a g m a t i s c h e n u n d t r a n s l a t o r i s c h e n V e r f a h r e n sind o f f e n s i c h t l i c h primär s p r a c h ö k o n o m i s c h b e g r ü n d e t (im Sinne e i n e r L i m i t i e r u n g des Lexikons).

2

Z w a r ezistiert im Fr. die Lezie moreau. Es h a n d e l t sich hierbei aber p r i m ä r um e i n Adjektiv, das w i e alle Adjektive durch die Verbindung mit e i n e m Artikel substantiviert w e r d e n k a n n . D a r ü b e r h i n a u s bedeutet es nicht e i n f a c h 'schwarz', s o n d e r n g l ä n z e n d s c h w a r z ' , e n t s p r e c h e n d lat. NIGER (im Gegensatz zu

ATER).

99

Der Translationsbegriff stammt von Lucien Tesnière (1953, 1959); allerdings ist er inhaltlich nicht vollkommen neu, denn er nimmt (mit gewissen Modifikationen) den Transpositionsbegriff von Charles Bally (1922, 1965) wieder auf 3 . Definiert wird die Translation bei Tesnière folgendermaßen: " ... la translation consiste ... à transférer un mot plein d'une catégorie grammaticale dans une autre catégorie grammaticale ..." (Tesnière 1959:364)4. — In der Folge unterscheidet Tesnière dann zwischen Translationen ersten und zweiten Grades, wobei der Umsetzungsmechanismus das eine Mal Uber Lexien, das andere über Sätzen bzw. Propositionen operiert. Als Beispiele mögen die folgenden Sequenzen dienen: — Translation 1. Grades: sport (voiture) de sport; laver (machine) à laver; — Translation 2. Grades: je viens (Pierre sait) que je viens·, je l'ai prié de rester (il est parti) quoique je l'aie prié de rester; usw. Aus der Sicht der Suppletion von Lexien bzw. ihrer Adaptation an die unterschiedlichen Wortklassen interessieren uns hier natürlich vor allem die Translationen 1. Grades. Bei Tesnière werden nun analytische und synthetische Verfahren zum Wortklassenwechsel praktisch undifferenziert nebeneinander gestellt: génie génial steht neben génie de génie. Baum (1976:115) scheint dieses Verfahren kritiklos zu Ubernehmen, obwohl damit die lexematische Kategorie Verschiebung/Entwicklung auf die gleiche Stufe wie die im strengen Sinne translatorischen Verfahren gestellt wird. Dies scheint mir deshalb außerordentlich problematisch zu sein, weil wir oben gesehen haben, daß die (synthetischen) lexematischen Verfahren bezüglich ihrer Anwendungsmöglichkeiten nicht nur zum Teil, sondern sogar in der Regel sehr starken Restriktionen unterliegen; Translationen dagegen sind — immer natürlich unter Beachtung der syntaktischen Rahmenbedingungen — praktisch frei anwendbar. Überdies ist in Rechnung zu stellen, daß lexematische Bildungen normalerweise

3 4

100

Wie Heibig (1971:208) gezeigt hat, finden sich ähnliche Ansätze auch schon bei Behaghel und Heyse. Unter mot plein ist in etwa das zu verstehen, was wir als Lexie bezeichnen (im Gegensatz zum [freien] Morphem).

im Lexikon (qua Register der Norm) abgespeichert werden und dort dem Sprecher als direkt abrufbare Einheiten für seine kommunikativen Bedürfnisse zur Verfügung stehen (cf. Rettig 1981:135ss.). Gerade dies ist bei Translationen in der Regel nicht der Fall: Wir haben es mit einem ad hoc-Verfahren zum Wortklassenwechsel zu tun, das von Fall zu Fall wieder neu angewendet werden muß (cf. auch Tesnière 1959:365s.); translative Sequenzen haben deshalb meist kreativen Charakter. Dies schließt allerdings nicht aus, daß es — wie bei den auf (ursprünglich freie) Syntagmen zurückgehenden Phraseologismen — vereinzelt zu globalen Lexikae

lisierungen solcher Sequenzen kommt . — Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die von den lexematischen Verfahren abgedeckten Strukturen der wortinternen Syntax viel komplexerer Natur sind als die der (analytischen) Translationen; diese lehnen sich auf das engste an die freie Syntax an. All dies scheint eine strenge Trennung der Lexematik (und innerhalb derselben besonders des Bereichs Verschiebung/Entwicklung) von der Translation zu erfordern. Ich betrachte deshalb im folgenden (und im Gegensatz zu Tesnière) nur die analytischen Verfahren zum Wortklassenwechsel als Translationsphänomene. Die entsprechenden Prozeduren haben als in der langue gegebene Regeln zu gelten, die bei kommunikativem Bedarf ad hoc angewendet werden, und die es erlauben, Inkongruenzen zwischen der syntaktisch geforderten Wortklassenzugehörigkeit einerseits, den semantischen Dependenzstrukturen und den diese repräsentierenden Lexien andererseits zu überbrücken. 5.1. Der Ansatz von Tesnière erfordert aber nicht nur im genannten Sinne, sondern auch unter anderen Aspekten noch zahlreiche Korrekturen. Sie betreffen erneut die Ausgrenzung des Translationsphänomens und zeigen, daß in dieser Hinsicht nicht mit der nötigen Umsicht vorgegangen wurde. Dies hat zur Folge, daß der Translationsbereich bei Tesnière zu einem Sammeltopf für äußerst disparate Erscheinungen wird. Dies muß natürlich die Kritik wachrufen und diskreditiert so unnötig eine interessante und von ihrer explikativen Potenz her gesehen beachtenswerte Idee.

5

Vgl. hierzu auch die Ausführungen unten. Kap. 5.4.

101

Verhängnisvoll ist z.B. die Tatsache, daß Tesnière neben den Präpositionen auch den Artikel, die Subjektspronomina und die Konjugation 6 zu den Translativen (Translationsoperatoren 1. Grades) zählt (Tesnière 1959:396ss., 411). Da Artikel, Subjektspronomina und Auxiliarien jedoch unabhängig von jeder Translation in bestimmten syntaktischen Konstellationen das Substantiv bzw. das Verb charakterisieren (cf. la beauté/le beau·, je chante, je vais chanter/j'ai chanté), scheint es wenig sinnvoll, sie als Translative zu betrachten: Ihr Auftreten ist vielmehr eine Folge der Tatsache, daß ein bestimmtes Element als Substantiv oder Verb zu gelten hat, vollkommen gleichgültig, ob ihm diese Funktion primär oder erst sekundär zukommt. Man kann ihnen deshalb höchstens den Charakter von Indikatoren für die Wortklassen, keinesfalls aber die Funktion von Wortklassenmodifikatoren zusprechen. Kritik muß bei Tesnière auch die ständige Vermischung von Synchronie und Diachronie hervorrufen. Eine flagrante Vermischung dieser beiden methodischen Perspektiven findet sich zum Beispiel bei der Behandlung des Adjektivs méditerranéen, das über fünf Translationen auf ein indogermanisches ters-a zurückgeführt wird (Tesnière 1959:375s.): ters-a (subst. Adj.) > terra (Subst.) > mediterraneus/méditerrané (Adj.) > méditerranée (Subst.) > méditerranéen (Adj.) Ähnlich verhält es sich mit une après-midi, das aufgrund folgender Translationskette expliziert wird (Tesnière 1959:388): midi (Subst.)> après midi ("locution adverbiale") > (une) aprèsmidi (Subst.) Aus synchronischer Sicht liegt hier jedoch in beiden Fällen nicht eine einzige Translation vor, denn sowohl méditerranéen (Adj.) als auch après-midi (Subst.) sind als solche im Lexikon verfügbare Einheiten. Als Translationen können aber nach unserer Definition •7 nur rein synchronische ad hoc-Phänomene gelten ; aus diesem 6 7

102

Diese allerdings nur insoweit, als es um die Unterscheidung zwischen einfachen und zusammengesetzten Formen geht. Dies schließt natürlich nicht aus, daß im Rahmen einer diachronischen Darstellung gewisse Schnitte auftauchen können, die eine Translation beinhalten; die Genese einer sprachlichen Einheit kann zwar ihr aktuelles So-Sein (weitgehend) erklären, sie ist jedoch für ihr Funktionieren im Rahmen einer hic et nunc gegebenen Synchronie irrelevant.

Grunde gibt es Translationsketten, wie sie Tesnière nicht nur bei den beiden zitierten Beispielen, sondern auch im Falle von (voir les choses) par en dedans von der Präposition dans ausgehend annimmt, im Rahmen einer Synchronie in aller Regel nicht: dedans ist nicht nur Adverb, sondern eben auch Präposition, d.h. es ist polyfunktional; selbst en dedans wird vom Petit Robert (s. dedans) als präpositionale Wendung verzeichnet — und dies zu Recht. Die einzige echte Translation im letztgenannten Beispiel ist somit en dedans (Präp.) par en dedans (Adv.). Genau wie Tesnière irrtümlich die Bildung der temps composés und surcomposés der Translation zuweist 8 , so betrachtet er auch eine Reihe von anderen Phänomenen fälschlicherweise als zu dieser Kategorie gehörig. Dies gilt unter anderem für die sogenannte transformation formelle (Tesnière 1959:388ss.), die neben anderen mit folgendem Beispiel illustriert wird: Peut-être seras-tu général. — Ce 'peut-être' est une insulte. Was hier vorliegt, ist ein metasprachlicher bzw. metakommunikaΑ tiver Gebrauch einer Einheit , wobei sich Sequenzen dieser Art im Hinblick auf ihren Einbettungskontext immer wie Substantive verhalten. — Nicht minder problematisch ist die sogenannte translation atténuée (Tesnière 1959:393ss.). Ausgehend von der Behauptung, dîner, souper usw. qua Infinitive seien bereits Substantivtranslate1 , bereiten Tesnière Konstruktionen mit Artikel wie le dîner, le souper etc. große Schwierigkeiten, betrachtet er doch den Artikel als Translator (cf. oben). Wozu soll hier ein Translator dienen, wenn die ihm unterstellte Einheit bereits der angestrebten Zielkategorie angehört? Tesnière zieht sich nicht gerade elegant aus der Affäre, indem er den beiden Faktoren (Infinitiv und Artikel) nur einen Teil des Trans-

8

Dafi es sich hierbei nicht um Translationen handeln kann, geht schon aus der

Tatsache

scher

Form

hervor, daö in

keinem

ein

Fall

Wechsel einen

zwischen

einfacher

Wortklassenwechsel

und

analyti-

beinhalten

(beides sind ja schließlich auch Verbformen!). Operationen kann

kann

dies

mit

Kommutationstests b e w i e s e n werden. 9

Z u m B e g r i f f der Metasprache

cf. z.B. Hjelmslev

1968:16Iss.;

Lewandowski

1976:449. 10

D i e s e A u f f a s s u n g geht

des Infinitivs in

der

traditionellen G r a m m a t i k , w o er als "substantivische Form des V e r b s "

zurück

auf

die B e h a n d l u n g

ge-

f ü h r t wird; cf. hierzu auch unten, Kap. 5.2.

103

lationseffekts zuerkennt, d.h. die Leistung der beiden als begrenzte Translationsfunktion (translation atténuée) einstuft. Ich werde diesen Sachverhalt im nächsten Kapitel ganz anders interpretieren. — Schließlich ist auch der Begriff der translation fonctionnelle anfechtbar. Tesnière (1959:401s.) versteht darunter gewisse Subkategorisierungen wie die der Präposition à für das complément d'objet indirect (entsprechend dem Dativ im Lateinischen usw.). Auch hier liegt jedoch kein Wortklassenwechsel, sondern die Markierung einer spezifischen syntaktischen Funktion vor; sofern dabei Translationen eine Rolle spielen, werden sie anderweitig realisiert, cf. z.B. je pense à venir/à sa venue/à ce qu'il viendra. Mit diesen kritischen Bemerkungen dürfte der Translationsbegriff gegenüber der Darstellung bei Tesnière erheblich präzisiert worden sein. S.2. Ein besonderes Problem stellen der Infinitiv und die Partizipien dar, mit denen sich auch die traditionelle Grammatik immer schwer getan hat. Aufgrund ihrer substantivischen bzw. adjektivischen Verwendungen betrachtet Tesnière diese Formen als deverbale Translate (1959:379s., 409, 417ss„ 451ss.). Dies verstößt natürlich zuerst einmal gegen die oben etablierten Prinzipien der analytischen Struktur und des ad hoc-Charakters. Darüber hinaus muß man aber auch fragen, was denn mit den verbalen Verwendungen der beiden Formen ist, sei es nun in Verbindung mit einem Auxiliar, sei es in absoluten Konstruktionen 11 . Nicht weniger problematisch ist übrigens die Position der traditionellen Grammatik, wenn sie den Infinitiv einfach als substantivische, die Partizipien als adjektivische Formen des 12

Verbs bezeichnet . Gleichwohl ist diese Redeweise nicht allzu weit vom wirklichen Sachverhalt entfernt. Denn die Infinitive können sowohl verbal als auch substantivisch, die Partizipien sowohl verbal als auch adjektivisch (und von dieser Funktion aus auch substantivisch) verwendet werden, und zwar ohne daß bei den nicht-verbalen Nutzungen eine irgendwie markierte Translation stattfinden würde: 11 12

104

Gemeint sind damit Konstruktionen vom Typus Le travail terminé, il partit. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Bon usage von Maurice Grevisse (§ 1424), wo überdies auch noch eine "adverbiale" Form des Verbs erwähnt wird; diese wtlrde durch den sogenannten gérondif repräsentiert.

Infinitiv: II espère venir à Pâques. Il payera cher son venir tard. Partizip: Ayant terminé son article, il est allé boire une bière. Il m'a rendu l'article corrigé. Le blessé a été transporté à l'hôpital. 13

Im Rahmen einer strukturell-semantischen Analyse kann diese Situation nur dahingehend gedeutet werden, daß die fraglichen Formen bezüglich der Unterscheidung Verb/Nomenu indifferent sind: Sie verhalten sich wie Architerme (z.B. Archilexeme) und können 1S die ihnen untergeordneten Kategorien gleichermaßen vertreten , d.h. in unserem Falle eben ohne Translation in eine verbale oder substantivische (Inf.), eine verbale oder adjektivische (Part.) Position eines syntaktischen Bauplans einrücken. Innerhalb des nominalen Bereichs scheint zwischen Substantiv und Adjektiv eine partizipative Opposition mit dem Substantiv als markiertem Oppositionsterm zu existieren. Dies erklärt, warum Adjektive ohne weiteres als Substantive verwendbar sind, nicht aber Substantive als Adjektive, und warum Partizipien nicht nur als Adjektive, sondern auch als Substantive, nicht aber Infinitive als Adjektive fungieren können. Graphisch lassen sich diese Relationen folgendermaßen darstellen: 'Nomen' (0) Partizip

'Substantiv' (+) 'Verb'

Infinitiv

(++)

13

Ob diese den lexie-semantischen Bereich wie in Kap. 6 oder den morphosyntaktischen Bereich wie hier betrifft, ist irrelevant.

14

Ich verwende hier den Begriff Nomen in der auf die antike Grammatik zurückgehenden, auch heute in romanisch-sprachigen Ländern noch oft gebrauchten Bedeutung als Oberbegriff von Substantiv und Adjektiv.

15

Zum Problem der Architerme cf. unten, Kap. 6.9.

105

Worin die Affinität des Infinitivs zum Substantiv, diejenige der Partizipien zum Adjektiv begründet ist, stellt ein noch o f f e n e s Problem dar; unter Umständen spielt hierbei die fehlende bzw. vorhandene Differenzierung bezüglich des Aktionsstandes 1 6 eine entscheidende Rolle. Vor diesem Hintergrund löst sich nun eine Reihe von Problemen. Einmal ist bei den zusammengesetzten Verbformen (d.h. denjenigen, die aus einem Auxiliar und einem sogenannten participe "passé"bestehen) keine "Reverbalisierung" mehr nötig, wie sie Tesnière annimmt. Dann ist es aber auch nicht mehr nötig, den Artikel (weder beim Infinitiv noch beim Adjektiv oder Partizip) als Translativ einzustufen oder gar s o etwas wie ein Nulltranslativ anzunehmen: Angesichts der beschriebenen strukturellen Relationen sind diese Klassen per se "substantivfähig"; die oben vorgeschlagene Einstufung des Artikels als Index erweist sich somit als sinnvoll. 5.3. Nach diesen Überlegungen allgemeineren Charakters, die wieder einmal die Funktion hatten, den für uns relevanten Teilbereich exakter auszugrenzen und s o ein effizientes theoretisches Instru17

ment für den Zugriff auf die Materialfülle bereitzustellen , geht es nun im folgenden noch darum, die verschiedenen Translationstypen im einzelnen darzustellen. 5.3.1. Wichtigstes Translativ für den Kategorie η Wechsel Substantiv Adjektiv ist die Präposition de (Tesnière 1959:438ss.): un homme de cœur, une faim de loup, un poète de génie, une voiture de luxe, une chemise de nuit, une maison de campagne usw. Anstelle von de kann auch à auftreten, das in der Standardsprache aber zusätz-

16

Unter Aktionsstand verstehe ich den Gegensatz zwischen Verbformen, die die Entwicklung eines Prozesses zum Ausdruck bringen (accomplissement), und solchen, die seine "Entwickeltheit" (accompli) markieren: dieser Gegensatz wird im Französischen u a . markiert durch die Oppositionen participe "présent'/'passé', einfache/zusammengesetzte Verbformen usw. Cf. hierzu Wunderli 1976:6ss.

17

Im hier zur Diskussion stehenden Fall handelt es sich allerdings nicht um ein vollkommen neues Instrument; es ging vielmehr darum, ein bestehendes Werkzeug zu optimieren.

106

1 fi

lieh eine "possessive" Nuance ('avec', 'pour' usw.) einbringt : une femme à barbe, une voiture à bras, une brosse à dents etc. Als direkter Konkurrent von de findet sich à nur in der Populärsprache: le chapeau à (de) mon père; es scheint in diesem Fall im wesentlichen aber an Personenbezeichnungen und Eigennamen (EN) gebunden zu sein. — Obwohl sich betreffende Beispiele nur selten finden, ist in dieser Funktion prinzipiell auch jede andere Präposition möglich, wenn es darum geht, eine spezifische Relation zu explizieren: vente par correspondance, coiffeur pour dames, vol sans escale, service après vente, amour contre nature, vol sans pilote usw. In all diesen Fällen leisten die Präpositionen nicht nur eine Translation Substantiv Adjektiv, sie erfüllen gleichzeitig auch noch die Funktion eines Präfixes und bewirken damit eine semantische Spezifikation (cf. amour contre nature s * amour antinaturel). Nach Tesnière gäbe es auch zahlreiche Fälle mit einem Nulltrans lativ: un sifflement canaille, un livre cochon, un exemplaire type, une ferme-modèle, un chapeau rose, une étoffe marron usw. Das Postulieren von Nullmorphemen ist aber ganz generell eine problematische Angelegenheit; derartige Lösungen sollten wo immer möglich vermieden werden 19 . Bei den hier vorliegenden Beispielen muß man überdies feststellen, daß in keinem Fall eine ad hoc-Umsetzung vorliegt: Entweder haben wir es mit Komposita zu tun (exemplaire type, ferme-modèle etc.), oder aber die angeblich die

18

Der Ausdruck possessiv darf in diesem Falle aber ebensowenig wörtlich (im Sinne von Besitz') genommen werden wie bei den sogenannten Possessiva: Während es im zweiten Falle um eine reine Relation zu einer der drei Kommunikationspersonen geht, liegt bei der standardsprachlichen Translation mit à die Idee einer Eigenschaft oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse vor.

19

Selbst das Postulat, nur dann ein Nullmorphem anzusetzen, wo es eine Parallelkonstruktion mit explizitem Morphem gibt, erweist sich oft als nicht hinreichend. Aufgrund des funktionellen Parallelismus zwischen dt. Er sagt, er komme und Er sagt, daß er komme (ähnlich im Englischen) scheint sich im ersten Fall die Annahme eines Nullmorphems aufzudrängen. Bei näherem Zusehen stellt man aber fest, daß Intonation, Wortstellung und Modus das gleiche leisten wie daß: Wir haben bei seinem Fehlen nur eine Reduktion der sprachlichen Redundanz; die Annahme eines Nullmorphems erweist sich als vollkommen Überflüssig.

107

Rolle eines Adjektivs spielenden Substantive (canaille, cochon, rose, marron usw.) sind in den einschlägigen Wörterbüchern auch als genuine Adjektive verzeichnet. Wie diese Zusatzfunktion genetisch zu erklären ist, wäre im einzelnen abzuklären; es kommen hierfür sowohl appositionelle als auch elliptische Konstruktionen als Ausgangspunkt in Frage. 5.3.2. Eine analoge Leistung erbringen die Präpositionen auch im Rahmen der Translation Substantiv Adverb: il demeure ici/à Paris, il viendra demain /à Noël, il habite ici/chez sa mère, il passera ici/ devant la caserne, il part demain/à l'aube, il chante bien/à mer20

veille, il travaille beaucoup /comme un fou; il voyage confortablement/en auto, il vient volontiers/avec plaisir usw. Während Kommutationsproben liber den adverbiellen Charakter solcher Konstruktionen Aufschluß geben, läßt sich die Zugehörigkeit zu einer adverbiellen Subklasse am ehesten über den Fragetest ermitteln (où?, quand?, comment?, pourquoi? usw.). Nicht klar ist, nach welchen Kriterien die Artikelsetzung erfolgt; sieht man n*einmal von den Bildüngen mit Eigennamen und dem Sonderfall en ab, so scheint sich die Artikellosigkeit vor allem bei traditionellen, lexikalisierten Fügungen zu finden, ohne daß damit aber eine hinreichende Erklärung gegeben wäre. Wendungen wie à la fois 'auf einmal', à l'aveuglette, à la légère, à la française stellen Sondernutzungen des Artikels dar, die außerhalb des allgemeinen Problemfeldes liegen. Einen Sonderfall stellen ferner die Wochentagsnamen (lundi, mardi etc.) sowie Ausdrücke vom Typus le matin, le soir usw. dar, die als solche in adverbieller Funktion lexikalisiert sind und damit keiner Translation bedürfen. Im Falle von parler la bouche pleine, courir la bride sur le cou, partir les larmes aux yeux usw. haben wir es wohl nicht mit Translationen zu tun, sondern mit einem spezifischen Syntagmenbauplan der Frageklasse "comment?". 20

21

108

Daß es sich im Falle des Adv. beaucoup etymologisch um ein Syntagma vom Typus Adj. + Subst. handelt, ist in der Perspektive der modernen Synchronie irrelevant. En wird im Modernfranzösischen in der Regel ohne Artikel gebraucht; sein Auftreten ist weitestgehend an festgeftigte Wendungen (locutions Figées, Phraseologismen) gebunden und spiegelt einen älteren Sprachzustand wider. Vgl. Grevisse 1980: § 2392.

5.3.3. Als Verbalisierungstranslativ fungiert in erster Linie das Auxiliar être, das sowohl über substantivischer, adjektivischer als auch (zumindest teilweise) adverbieller Basis operieren kann: être médecin/charcutier/professeur/présìdent usw.; être malade/jeune/beau/idiot/insupportable etc.; être bien/mal/loin/tôt/tard. Neben être kann eine entsprechende Leistung (zumindest in Teilbereichen) auch von Semi-Auxiliarien wie devenir, sembler, paraître, demeurer, rester usw. erbracht werden. 5.3.4. Substantivierungstranslationen, gleichgültig ob auf verbaler, adjektivischer oder adverbialer Basis, werden nach Tesnière über 22

den Artikel le/la/les bzw. über Substitutionsformen , die im Rahmen des Kommutationsverfahrens an dessen Stelle treten können, realisiert (Tesnière 1959:414ss.; cf. auch Baum 1976:117ss.). Warum bei den substantivisch gebrauchten Infinitiven, Partizipien und Adjektiven aber keine Translation vorliegen kann 23 und der Artikel nur Indexfunktion hat, wurde bereits dargelegt . Bei den Typen le bien, le mal usw. haben wir es mit Lexikalisierungen zu tun, die synchronisch nicht mehr als Translationen gelten können. Ähnliches gilt für Fälle wie le commerçant, le participant, l'étudiant usw.; historisch liegt all diesen Bildungen eine elliptische Konstruktion zugrunde. 5.3.5. Präpositionen spielen auch eine entscheidende Rolle bei der Translation Adverb Adjektiv (cf. auch Tesnière 19S9:450ss.); wiederum steht de im Vordergrund: la mode d'aujourd'hui/d'hier/ de demain, un verre de trop·, ebenso d'ici, de chez nous, de plus, de moins usw. Dieses Verfahren ist aber auf Adverbien auf -ment ftj (aus offensichtlichen Gründen ) nicht anwendbar, und auch im

22

Paradigmen, deren Einheiten im Französischen (zumindest unter g e w i s s e n Voraussetzungen) mit dem "bestimmten" Artikel kommutieren können, sind u.a.: der "unbestimmte" Artikel (inkl. "Teilungsartikel"), nicht-prädikative Demonstrativa, Possessiva, Indefinita, Interrogativa sowie die Kardinalzahlen.

23

Cf. oben, Kap. 5.2.

24

FUr den Fall, daß ich mich bezüglich der Offensichtlichkeit täuschen sollte: Adverbien auf -ment sind von Adjektiven abgeleitet; um ein ihnen entsprechendes Adjektiv zu bekommen, ist es sinnvoller, direkt auf das Basisadjektiv zurückzugreifen und nicht zu einer Translation vom Typus de + Adv. zu greifen.

109

Bereich der nicht suffixmarkierten Adverbien gibt es eindeutige Gebrauchsrestriktionen im Rahmen des Translationsmusters: Bildungen wie *de tôt, *de tard usw. sind nicht möglich. Daneben wird bei bien (un homme bien), zum Teil auch bei mal, oft ein Nulltranslativ angenommen; diese Verwendungsweisen gehen jedoch schon auf das Altfranzösische zurück und können als lexikalisiert gelten. Ebenso wird auch debout (une place debout; vent debout·, usw.) in den Wörterbüchern als Adjektiv geführt und kann aus der Sicht der heutigen Synchronie nicht mehr als Translat gelten. — Problematisch sind einige Fälle mit avant, arrière etc. : traction avant, roue avant, marche arrière usw. Thiele (1985:135) nimmt hier eine Translation Adverb Adjektiv an, was jedoch bezüglich des Ausgangspunktes sowohl formal als auch inhaltlich Schwierigkeiten bereitet 2 5 ; es liegt näher, in diesen Elementen als Adverbien verabsolutierte Präfixe zu sehen und die Bildungen als Komposita einzustufen. 5.3.6. In allen hier nicht ausdrücklich als Translationen anerkannten Typen liegt nach unserer Auffassung dieses Phänomen auch nicht vor. Der Wechsel Adjektiv Adverb mit Hilfe des Suffixes -ment (Tesnière 1959:468ss.) ist im Modernfranzösischen ein Phänomen der Wortbildung (Verschiebung/Entwicklung). Der Wechsel Verb Adjektiv mit Hilfe der Partizipien beruht auf der in Kapitel 5.2. diskutierten funktionellen Ambivalenz bzw. Undifferenziertheit dieser Formen und kann deshalb auch nicht als Translation gelten (cf. dagegen Tesnière 1959:451ss.). Und was den Wechsel Verb Adverb angeht, so existiert dieser im Französischen nicht. Der sogenannte Gérondif (en + "participe présent") ist zwar eine Adverbialisierung mit Hilfe der Präposition en, doch operiert sie letztlich über einem adjektivisch zu interpretierenden Partizip Präsens (Tesnière 1959:470, 503ss.; 1959:470, 503ss.); aus den obenge-

25

110

Formal stellt sich das Problem, weil avant, arrière Präpositionen, nicht aber Adverbien sind (in adverbieller Funktion erscheinen die Formen en avant, en arrière usw.). Inhaltlich gibt es Probleme, weil in Konstruktionen dieser Art avant, arrière nicht den semantischen Gehalt der entsprechenden Adverbien aufweisen, sondern den viel umfassenderen der Präfixe a vant'/a rrière-.

nannten Gründen scheint es uns nicht möglich, hier von einer doppelten Translation zu sprechen 26 . 5.4. Ebenso wie die Phraseologismen können auch Translationen lexikalisiert werden. Sie gehen dann als solche ins Lexikon ein, sind global abrufbar und verlieren zusammen mit dem ad hoc "Charakter auch gleichzeitig (aus synchronischer Sicht) ihren Translatstatus, der nur noch im Rahmen einer historischen Erklärung relevant ist. Lexikalisierte Translationen im substantivischen Bereich (auf adjektivischer, adverbialer oder verbaler Basis) sind z.B. le bien, le mal, le bleu, le vert, le passé, le commerçant, l'étudiant usw. Beispiele für lexikalisierte Adjektivtranslationen sind unter anderem d'avant garde, de point, de gauche, de droite etc. Als lexikalisierte Adverbialtranslationen könnte man etwa anfuhren: à pied, à cheval, en voiture, en face·, à droite, à gauche, à côté; à la fois, à l'aveuglette, à la légère; en avant, en arrière, en dehors, au-dehors, audedans usf. Das diesbezügliche Material, auf das man bei einer Durchforstung jedes beliebigen Lexikons unter diesem Blickwinkel stößt, ist praktisch endlos. Obwohl die Translation primär einmal dazu dient, Defizienzen des Lexikons und der Lexematik zu überwinden und über ad hoc -Bildungen die Kommunikation zu garantieren, wird sie so über die Lexikalisierung selbst zu einem Verfahren der Lexikonbereicherung. Diesen scheinbar widersprüchlichen Status teilen die Translate mit den Phraseologismen 27 .

26

Cf. Kap. 5.1.

27

Allerdings stellen die Phraseologismen in ihrem Ursprung keine "Ersatzvornahmen" dar; gleichwohl ist die Grenze zu den Translaten fließend.

111

Aufgaben zu Kapitel 5 1.

Versuchen Sie, die Begriffe Syntagma, Translation und Phraseologismus definitorisch zu fassen und gegeneinander abzugrenzen.

2.

Diskutieren Sie das Schema in Kapitel 5.2. und versuchen Sie, die möglichen Oppositionen bzw. deren Neutralisierung sowohl mit Beispielen aus dem morpho-syntaktischen als auch dem lexiesemantischen Bereich zu belegen.

3.

Stellen Sie aufgrund einschlägiger Wörterbücher Beispiele für scheinbare Adjektivtranslate mit Nulltranslativ zusammen (cf. Kap. 5.3.1.) und diskutieren Sie in jedem einzelnen Fall, ob nicht (in synchronischer Sicht) auch eine Erklärung auf genuin adjektivischer Basis oder als Kompositum möglich wäre.

4.

Versuchen Sie zu explizieren, warum eine deadverbiale Adjektivtranslation mit de bei Adverbien auf -ment aus der Sicht der Norm zu inakzeptablen Resultaten führt.

5.

Stellen Sie aufgrund eines Gebrauchswörterbuchs lexikalisierte Adjektiv- und Adverbialtranslate zusammen. Versuchen Sie, Ihre Entscheidungen zu begründen. $

6.

Versuchen Sie, aufgrund einschlägiger Beispiele Kriterien zu ermitteln, die die Einstufung ursprünglicher Syntagmen und Translate als lexikalische Einheiten (Lexikalisierungen) rechtfertigen. $

7.

8.

112

Stellen Sie bei Tesnière 1959 Translationsbeispiele zusammen, in denen der Autor synchronische und diachronische Perspektive nicht sauber auseinanderhält und begründen Sie in jedem einzelnen Fall Ihre Kritik. * Stellen Sie aufgrund eines frei gewählten Prosatextes Beispiele für denominale Adverbialtranslate zusammen und liefern Sie aufgrund des Fragetests eine semantische Subklassifikation.

6. Grundzüge einer Semantik Oft wird die Auffassung vertreten, das Lexikon sei im Gegensatz zu anderen sprachlichen Teilsystemen wie zum Beispiel der Phonologie, der Morphologie usw. schlecht oder überhaupt nicht strukturiert. Diese Auffassung ist sicher historisch bedingt und erklärt sich aus der Entwicklung des Strukturalismus heraus, der sich vorerst — und forschungsstrategisch durchaus sinnvoll — den begrenzteren und in ihrem Aufbau leichter durchdringbaren Inventaren zugewandt hatte. In der jüngeren Vergangenheit hat sich nun in zunehmendem Maße die Auffassung verbreitet, daß es durchaus systematisch und konsequent aufgebaute lexikalische Strukturen gibt, daß diese aber nur Teilbereiche des Lexikons betreffen und keinen durchgängigen Charakter haben (Berruto 1976:59; Coseriu 1978:197; Schifko 1977: 52s.; Wotjak 1971:55; usw.). Beim heutigen Forschungsstand ist eine derartige Formulierung nichts anderes als die redliche Folgerung aus den vorliegenden Ergebnissen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob angesichts der Fülle des zu analysierenden Materials, das die für den phonologischen und morphologischen Bereich zu berücksichtigenden Fakten in kaum vorstellbarer Weise übersteigt, die Forschung einfach noch nicht genügend weit gediehen ist, um die durchgängige Systematlzität des Wortschatzes aufdecken zu können 1 . In diesem Bereich dürften noch die Anstrengungen von Generationen nötig sein, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen. Leider stagniert die strukturelle Semantik seit einigen Jahren (cf. Geckeier 1981:53ss.), was sich wohl aus der Komplexität und Vielfältigkeit der sich stellenden Probleme erklärt: Sie lassen keine raschen und spektakulären Erfolge zu und sind deshalb bei jüngeren Forschern wenig beliebt. Um die lexikalischen Strukturen freilegen zu können, sind auf jeden Fall eine Reihe von Vorbedingungen zu erfüllen, deren Einhaltung oft erhebliche Probleme schafft. Die drei wichtigsten sollen hier kurz andiskutiert werden: 1

Ware der Begriff der (linguistischen) Relativitätstheorie nicht schon von Whorf in Anspruch genommen, dann würde sich ein Vergleich mit der Entdeckung der Relativitätstheorie durch Einstein anbieten bzw. mit der Situation in der Physik vor diesem Ereignis.

113

1. Es muß streng zwischen synchronischen und diachronischen Gegebenheiten geschieden werden (cf. Coseriu 1978:215ss.; Schifko 1975:23: usw.). Wie wichtig dies z.B. bezüglich der Translationen ist, haben wir im vorhergehenden Kapitel gesehen — und im semantischen Bereich verhält es sich nicht anders 2 . Vor allem müssen lexikalisierte Elemente syntagmatischer Natur, das heißt Phraseologismen und (festgefugte) Translate als eigenständige Lexien betrachtet werden, gehen sie doch (auf Normebene) direkte Oppositionen mit einfachen Lexien ein; würde man diese komplexen Einheiten einfach undifferenziert zu ihren lexikalischen Konstituenten stellen, könnte weder das Funktionieren des Lexikons in seiner Gesamtheit adäquat erfaßt noch die spezifische Bedeutung vieler in ihrer Entstehung komplexer Einheiten angemessen beschrieben werden. 2. In jedem Falle muß man sich der Analyseebene genau bewußt sein, auf der man gerade argumentiert (cf. auch Schifko 1975:24ss.). Diese Ebenen sind im sprachlichen Bereich: das System (die langue im Sinne Saussures), die Norm (als deskriptive Norm im Sinne Coserius), die Σ-parole (im Sinne Hegers) und die Rede (bzw. parole im Sinne Saussures) . Sprachliche Einheiten qua Systemeinheiten sind virtueller Natur und funktionell über (und nur Uber) ihre Distinktivität definiert. Sprachliche Einheiten qua Redeeinheiten stellen konkrete Einzelrealisierungen von virtuellen Einheiten im kontextuellen und Situationellen Zusammenhang (im Kotext und Kontext) dar und erfahren durch diese Einbettung entsprechende Modifikationen. Die Norm schließlich umfaßt all das, was "nicht unbedingt funktionell (distinktiv), wohl aber traditionell (sozial) fixiert, was allgemeiner Gebrauch der Sprachgemeinschaft ist" (Coseriu 1978:232). Oder mit anderen Worten: Das System umfaßt die Gesamtheit der möglichen Realisierungen, die Norm dagegen die typisierte Gesamtheit des schon Realisierten. Zwischen Norm und parole führt Heger nun noch die Σ-parole ein, in deren Rahmen (quantitativ erfaßbare) Vorkommensmengen aufgrund der Typus-Vorkommen-Relation, das heißt unter Rückgriff auf das System (und die Norm) klassiert werden (Heger 1976:26s.). Kon2

3

114

Angesichts der Komplexität und der Vielfältigkeit des semantischen Bereichs wirkt sich hier eine fehlende oder unsaubere Trennung der beiden Bereiche im Gegenteil noch viel verheerender aus. Cf. hierzu oben, Kap. 1.2.1.

krete Realisierungen, Klassen von konkreten Realisierungen, traditionelle Typen und funktionelle Möglichkeiten kennzeichnen somit diese vier Ebenen im Sinne einer fortschreitenden Abstraktion, wodurch sich von Stufe zu Stufe je unterschiedliche Existenzformen und damit andere Analysebedingungen ergeben. 3. Schließlich ist für eine semantische Analyse (gleichgültig auf welcher Ebene) streng zu trennen zwischen dem, was sprachlicher Natur ist (d.h. was als kodiert, traditionell fixiert, übermittelt usw. gelten kann), und dem, was außersprachlichen Charakter hat, sei es nun, daß es (auf einer relativ abstreikten Ebene) aufgrund unserer Weltkenntnis gegeben sei (enzyklopädisches Wissen), sei es, daß es sich um spezifische Eigenschaften des jeweiligen Referenzobjektes (des im Rahmen des Kommunikationsaktes bezeichneten Außersprachlichen) handele. Daß zum Beispiel ein Schweineschnitzel ein Schnitzel vom Schwein, ein Jägerschnitzel ein Schnitzel mit einer Pilzsauce ist (und nicht ein Schnitzel vom Jäger), ist enzyklopädisches Wissen; daß die Jägersauce gegebenenfalls nur Champignons oder auch andere Pilzsorten enthält, ist ein spezifisches Charakteristikum des jeweiligen Referenzobjekts. Beides hat nichts mit der Semantik des Kompositums bzw. Kompositionstyps zu tun. Allerdings muß zugestanden werden, daß die Grenze zwischen sprachlicher (inhaltlicher) Kodierung und enzyklopädischem Wissen fließend ist und daß die inhaltliche Kodierung letztlich auf einem "primitiven" 4 enzyklopädischen Wissen beruht; gerade dieser genetische Zusammenhang ist für den fließenden Charakter der Grenze verantwortlich. 6.1. Seit Saussure gehört es — zumindest in der europäischen Linguistik — praktisch zu den Gemeinplätzen, daß ein sprachliches Zeichen aus einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite besteht; diese beiden Komponenten der bedeutungstragenden Einheiten werden signifiant und signifié genannt. Die Beziehung zwischen den beiden Zeichenkonstituenten ist arbiträrer (d.h. unmotivierter), gerade deswegen aber notwendigerweise konventioneller Natur (Saussure 1931:97ss.; Schifko 1975:27ss., 1977:103; Körner 1977:7; usw.). Eine 4

"Primitiv" ist hier zu verstehen als vorwissenschaftlich', das heißt als nicht auf systematischer Erfassung und wohldefinierten Termini beruhend.

IIS

gewisse Ausnahme in dieser Hinsicht stellen nur die Onomatopoetika dar (Guiraud 1966:23ss.), wobei allerdings selbst in diesem Bereich eine gewisse (willkürliche) Konventionalisierung offensichtlich ist; dies wird zum Beispiel schon aufgrund der Gegenüberstellung von dt. kikeriki, schweizerdt. giiggerügü, fr. coquerico, it. chicchirichì, engl, doododeldoo usw. deutlich (cf. hierzu Saussure 1931:101s.). Komplexe Lexien, die in mehrere Moneme zerlegt werden können , bezeichnet mein als "relativ motiviert"; cf. zum Beispiel re/faire, lente/ment, cigar(e)/ette/-fil tre usw. (Saussure 1931:180ss.; Rettig 1981). Sprachliche Zeichen sind nun aber im Laufe der Geschichte nicht stabil: Sie verändern sich ständig, sowohl bezüglich ihrer Inhalts- und/oder Ausdrucksseite als auch hinsichtlich der Zuordnungsrelation6. Eine entsprechende Mutabilität findet sich auch in Bezug auf die Motivationen, die aufgrund der verschiedensten Faktoren in Bewegung geraten können. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Veränderung der Analyse von gantier: Ursprünglich eine Suffixableitung von gant auf -ier (gant/ier), wird diese Lexie nach dem Verstummen von -t in gant neu analysiert als gan/tier (WunderIi 1981:71s.). Man spricht in diesem Fall von Reinterpretation, Remotivation, und — wenn es vordringlich um den lexiesemantischen Aspekt geht — von "Volksetymologie" (Körner 1977: 121s.). Arbiträr ist nicht nur die Zuordnung von signifié und signifiant, sondern auch diejenige zwischen dem sprachlichen Zeichen und dem Referenzbereich. Gerade weil diese Relation arbiträr ist, fällt sie auch einzelsprachlich verschieden aus. So deckt zum Beispiel fr. mouton sowohl die Referenzbereiche von engl, mutton und sheep, 5

Für die monematische

Analyse

spielt es letztlich keine Rolle, ob die iden-

tifizierten Einheiten den Status von Lexemen, M o r p h e m e n

oder

Lexomor-

phemen haben. 6

Solche V e r ä n d e r u n g e n

können

die

Ausdrucksseite

seite b e t r e f f e n . Eine ausdrucksseitige

Veränderung

vorkonsonantische N a s a l e verstummen (z.B. chanter:

oder/und /Jante/

e i n e inhaltsseitige V e r ä n d e r u n g liegt- vor, w e n n z.B. réaliser Gegebenheiten

im

Englischen

auch

die Bedeutung

die

haben w i r

Inhalts-

z£, >

wenn

/jate/)¡

a u f g r u n d der

'wahrnehmen'

(neben

' v e r w i r k l i c h e n ' ) umfaßt. G a n z gleichgültig, ob primär die A u s d r u c k s - oder die

Inhaltsseite

modifiziert

wird:

Die

Komponenten ist immer mitbetroffen.

116

Relation

zwischen

den

beiden

fr. cher von dt. lieb und teuer, fr. louer von dt. mieten und vermieten ab (Saussure 1931:158ss.); kymr. glas überdeckt nicht nur den Bereich von fr. bleu, sondern reicht auch in denjenigen von vert und gris hinein, ebenso wie fr. bois im Deutschen sowohl Holz als auch einem Teil des Geltungsbereiches von Wald entspricht; usw. (cf. Hjelmslev 1968:76ss.). Diese Art von Arbitrarietät wird von Amacker (1975:20 und passim) als arbitraire radical (im Gegensatz zum besser bekannten und oben erwähnten arbitraire banal) bezeichnet. 6.2. Das Signifkat (signifié) eines Zeichens ist der eigentliche Untersuchungsgegenstand der Semantik: Es handelt sich hierbei nicht um eine einfache, sondern vielmehr um eine komplexe, gegebenenfalls sogar um eine hochgradig komplexe Einheit. So kann z.B. dem signifiant / s a / auf der Inhaltsseite die folgende Serie von Lexien entsprechen 7 : sans, cent, (le) sang, (Je) sens, (tu) sens, (il) sent usw. Wir sprechen in diesem Falle von Homonymie (cf. unten) und sagen, das Signifikat zerfalle in verschiedene Semanteme (im Falle von / s ä / : 'sans = ohne', 'cent = hundert', 'sang = Blut', 'sentir = fühlen' etc.). Das Phänomen der Homonymie stellt allerdings nicht den sprachlichen Normalfall dar; es hat vielmehr Ausnahmecharakter. Aus diesem Grund fallen in der Regel Signifikat und Semantem zusammen. Selbst in diesen Fällen weist die Inhaltsseite des Zeichens jedoch normalerweise noch eine komplexe Struktur auf: Das Zeichen ist polysem ('mehrdeutig') 8 und zerfällt in verschiedene Sememe, die zwar gewisse semantische Merkmale ('Züge' bzw. Seme) gemeinsam haben, sich aber auch gleichzeitig bezüglich anderer Merkmale voneinander unterscheiden (cf. Wotjak 1971:31ss., 40; Schifko 197S:32ss., 1977:57s., 105s., 180ss.; usw.). Dies soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden. Hilty hat für französisch jour die folgenden fünf Sememe ermittelt (1971:253): 1. 'Zeiteinheit, während welcher sich die Erde einmal um ihre eigene Achse dreht' (/vs./ Minute, Stunde, Monat usw.); 2. 'Zeiteinheit, während welcher sich die Sonne über dem Horizont befindet' (/vs./ nuit);

7 8

Ich verwende vorerst einmal einfach die traditionelle Orthographie. Zur Polysemie cf. unten, Kap. 6.5.

117

3. 'Licht als Zustand' ( / v s . /

obscurité);

4. 'Licht als Ergebnis' (s Öffnung); 5. 'Licht als Ausdruck des Lebens' (s Geburt). Das Verb voler 'fliegen' würde sogar 8 Sememe aufweisen, die sich (mit lateinischen Definitionen) folgendermaßen darstellen lassen (Hilty 1978:118): LOCOMOTIO

I

IN MEDIO SPECIFICO

(+) I

(-)

IN AERE

VELOX

I

I

VI PROPRIA SUBIECTO SUBIECTO CONCRETO ABSTRACTO

7

INTUS

SUBIECTO SUBIECTO ANIMATO INANIMATO

1

2

8

EX TUS

SUBIECTO SUBIECTO MOMEN- CONACTIVO PASSIVO TANEA TINUA

3

4

5

6

Diese acht Sememe können Uber folgende Beispiele illustriert werden: 1. Un oiseau vole; 2. Un avion vole; 3. Ce pilote a cessé de voler·, 4. Il paraît que nous volons à haute altitude; 5. Une flèche vole; 6. Le vent fait voler les flocons; 7. Son petit cheval volait; 8. Le temps volait. 118

Sicher sind nicht alle diese Unterscheidungen gerechtfertigt und auf Sememunterschiede zurückzuführen: Die Unterscheidungen 1/2, 5/6 und 7/8 sind mit Sicherheit nicht im Verb angelegt, sondern beruhen auf der syntagmatischen Kombinatorik, und auch die Abtrennung von 5/6 von 1/2 scheint mir problematisch zu sein. Bei aller Kritik muß aber sicher anerkannt werden, daß im Falle von voler mindestens drei verschiedene Sememe vorliegen. Andererseits macht gerade dieses Beipiel deutlich, wie groß die Gefahr ist, daß man kontextuelle Faktoren auf die zu analysierende Einheit zurückprojiziert. Es fragt sich nun, wie man diese Sememe ermittelt. Nach Hilty (1978:123; 1982) repräsentieren die verschiedenen "Bedeutungen" eines Wörterbuchs im Idealfall die verschiedenen Sememe. Darauf kann man nur antworten: Im Idealfall sollte es so sein. In der Praxis dagegen sind kaum Fälle beizubringen, in denen diese Forderung auch tatsächlich erfüllt wird, und dies einfach deshalb, weil die Bedeutungszuweisungen im Wörterbuch in der Regel auf intuitiver und damit schwer kontrollierbarer Grundlage erfolgen 9 . Zu gültigen Ergebnissen hinsichtlich der Sem- und Sememstrukturen kann man aber nur im Rahmen einer systematischen Analyse kommen, und zwar unter Berücksichtigung der folgenden Aspekte: 1. Die Analyse muß auf die paradigmatische Dimension eingehen, indem die zu analysierende Einheit im Rahmen des Wortfeldes (bzw. der Wortfelder) 10 , dem (denen) sie angehört, untersucht wird 11 . 2. Die Analyse muß auf die syntagmatische Dimension eingehen durch Berücksichtigung der Kombinationsfähigkeit der zu 9

10 11

Damit soll die Brauchbarkeit der Bedeutungsangaben in den Wörterbüchern fUr die sprachliche Praxis keineswegs in Frage gestellt werden, ja vielleicht sind diese Angaben im Alltag sogar viel besser und leichter zu nutzen als eine strukturell-semantische Analyse. Es darf nicht aus den Augen verloren werden, daß die Zielsetzung sowohl die Methode als auch die Ergebnisse in einem gewissen Sinne präjudiziert, und deshalb die unter verschiedenen Zielsetzungen erreichten Resultate nicht direkt vergleichbar sind. Zum Wortfeld-Begriff cf. unten. Kap. 6.8. Die Alternative zwischen Singular und Plural in dieser Formulierung ist dadurch bedingt, daß es neben den Leiien, die nur einem Wortfeld angehören, auch solche gibt, die in verschiedenen Wortfeldern beheimatet sind. Dieser zweite Fall hat keineswegs Ausnahmecharakter.

119

analysierenden Einheit mit anderen lexikalischen Einheiten und 12

der sich dabei ergebenden semantischen Variationen . 3. Es ist weiter die jeweilige referentielle Leistung der Einheit im konkreten Sprechakt zu berücksichtigen (pragmatische Dimension). Die semantische Analyse muß somit sowohl die System- und Normebene als auch die Realisierungsebene (parole) miteinbeziehen, sie muß versuchen, sowohl die kotextuellen als auch die kontextuellen Faktoren hinreichend zu würdigen. Diese verschiedenen Bereiche sind in hohem Maße miteinander verzahnt, gleichwohl aber bei weitem nicht direkt und auf exakt vorhersagbare Weise auseinander ableitbar. Gerade aus diesem Grunde sind sie alle in Betracht zu ziehen, denn nur so kann letztlich ermittelt werden, was wirklich distinktiv (und damit strukturell relevant) ist und was nicht; nur so können auch gleichzeitig gefährliche Ubergeneralisierungen vermieden werden (cf. hierzu z.B. Lyons 1978:202ss.; Hilty 1978:122ss. und 1983:33s.; Schifko 1975:97 und 1977:120ss.; usw.). Eine Vernachlässigung des einen oder andern dieser Aspekte führt fast unweigerlich zu analytischen Fehlleistungen. Aber die Sememe sind auch noch komplexe sprachliche 1Ì Einheiten , aufgebaut aus distinktiven semantischen Zügen, den sogenannten Semen (cf. z.B. Berruto 1976:77ss., 111; Schifko 1977:57s, 106; Stati 197S:49ss.; Körner 1977:70ss.; Wotjak 1971:42ss.; usw.). Die Seme lassen sich als Differenzen zwischen den verschiedenen Sememen eines Semantems bzw. zwischen den Semantemen verschiedener, dem gleichen semantischen Feld angehörenden Lexien begreifen. Eine der bekanntesten Semanalysen ist diejenige von Pottier für das semantische Feld der Sitzgelegenheiten 14 : 12

13

14

120

Diese sind davon abhängig, daö der Koteit auf die in ihn eingebettete Einheit zurückwirkt; die semantische Leistung einer sprachlichen Einheit ist in der konkreten Anwendung somit koteit-determiniert. Entsprechendes gilt auch für die situative Einbettung (Kontext). Die Komplexität kann linearer oder simultaner Natur sein: Eine komplexe Lexie ist primär eine lineare Abfolge von Monemen (obwohl dahinter ein Bauplan bzw. Bildungsmuster steht); die Komplexität eines Signifikats bezüglich der in ihm enthaltenen Semanteme, eines Semantems bezüglich der Sememe, eines Semems bezüglich der konstitutiven Seme dagegen ist paradigmatischer Natur und deshalb simultan. Cf. hierzu Wunderli 1981:93ss. Hier zitiert nach der Version bei Geckeier 1973:31.

Si

s2

S3

S4

chaise

+

+

+

+

-

+

= St

fauteuil

+

+

+

+

+

+

-

+

+

+

-

+

canapé

+

+

-

+

+

+

pouf

-

+

+

+

-

-

= s2 = s3 = s4 = s5

tabouret

SS

S6

Sj: 'avec dossier' s 2 : 'sur pied' s 3 : 'pour 1 personne' s 4 : 'pour s'asseoir' s 5 : 'avec bras' s 6 : 'avec matériau rigide' Eine ähnliche Analyse liefert Ricken (1983:149s.) für den Bereich der Landfahrzeuge. Lexien wie la moto/la volture/le camion, le vélo/la bicyclette, la charrette usw. wären die Seme 'Transportmittel' und 'Fahrzeug' gemeinsam, wobei den ersten drei Einheiten noch das Sem 'mit Motor' zukommt. Das Sem 'für Personen' würde voiture, taxi, bus usw. von camion, tracteur etc. unterscheiden. Weitere distinktive Merkmale wären '+/- Bezahlung', '+/- größere Zahl von Personen' und '+/- Fernverkehr' («-» 'Nahverkehr'). Die Lexien voiture, taxi, bus, car, camion würden sich (im vorgegebenen allgemeinen Rahmen) durch folgende Merkmalkonstellationen charakterisieren lassen: •fUr Per- wenige größere sonen' Perso- Zahl nen" Personen'

TUr NichtPersonen'

'öffentl. Dienstleistung'

Nah- "Fernververkehr ' kehr'

voiture

+

+

-

-

-

0

0

taxi

+

+

-

-

+

0

0

bus

+

-

+

-

+

+

-

car

+

-

+

-

+

-

+

+

0

0

0

camion

-

121

Sowohl die Analyse von Pottier als auch diejenige von Ricken treffen sicher viel Richtiges, sind aber gleichwohl auch in mancher Hinsicht anfechtbar. Das von Pottier untersuchte Feld ist zum Beispiel bei weitem nicht vollständig erfaßt: Es fehlen unter anderem Lexien wie banc, sofa, divan, berceuse, (rocking-chair), chaire, chaise longue usw. Nur wenn man das Feld in seiner Gesamtheit analysiert, kann eine (mehr oder weniger) definitive Aussage über die Semstruktur seiner Einheiten gemacht werden. Weiter kann das Beispiel Pottiers leicht zu der falschen Anneihme fuhren, Seme seien gewissermaßen im (außersprachlichen) Referenzbereich vorgegeben 15 ; in Wirklichkeit kommt ihnen aber einzelsprachlicher und damit radikal-arbiträrer Charakter zu (cf. unten). Die Koinzidenz mit referentiellen Größen in unserem Beispiel ist rein akzidenteller Natur. Fragmentarisch bleibt auch die Analyse von Ricken. Darüber hinaus scheinen auch die Seme zum Teil recht unglücklich definiert zu sein. Ob ein taxi oder ein car eine "öffentliche Dienstleistung" erbringt, mag vielleicht noch eine Frage des sozialistischen oder kapitalistischen Systems sein 16 ; ganz sicher ist aber der Unterschied zwischen bus/car nicht der von 'Nahverkehr/Fernverkehr', sondern vielmehr derjenige von '+/- Linienverkehr' — ganz abgesehen davon, daß bus selbst wieder polysem ist und nicht nur den Autobus im Linienverkehr bezeichnet, sondern auch einen kleinen bis mittelgroßen Kastenwagen (meist mit seitlichen Fenstern). Es zeigt sich somit, daß eine Semanalyse ein außerordentlich schwieriges und oft auch problematisches Unterfangen ist; das letzte gilt vor allem dann, wenn nicht mit der nötigen, der Kom15

16

122

Damit würde man - wenn auch in leicht modifizierter Form - zu der von Saussure mit aller Vehemenz bekämpften Nomenklaturthese zurückkehren, die sich flir die Erfassung der sprachlichen Gegebenheiten als vollkommen inadäquat erwiesen hat. Cf. Saussure 1931:97ss. Persönlich wtirde ich dies allerdings bestreiten und meinen, daß auch unter sozialistischen Vorzeichen die Öffentlichkeit eines Taxis oder eines Cars aufgehoben ist, sobald sie belegt bzw. gemietet sind; die 'öffentliche Dienstleistung" ist damit (im Gegensatz zum Bus, zur Eisenbahn usw.) gerade nicht gegeben. - Weiter muß man sich auch fragen, ob Uberhaupt aus methodischen Grtinden die Gegebenheiten in einem sozialistischen Staat flir die Analyse der Verhältnisse im Französischen berücksichtigt werden durften.

plexität des Gegenstandes angemessenen Umsicht und Vollständigkeit vorgegangen wird. Semanalysen lassen ganz offensichtlich keine "schnellen Erfolge" zu, sie erfordern vielmehr einen gewaltigen Arbeitsaufwand; als Beispiele hierfür seien nur die Analysen Geckelers für das Feld "alt-jung-neu" (1971a) und Baldingers für das Feld des Erinnerns (1966) genannt. Die bisher zitierten Beispiele waren von unterschiedlicher Form: Wir hatten einerseits die Arboreszenz bei Hilty, andererseits 17

die Matrix bei Pottier und Ricken . Bei der Matrixdarstellung haben wir es mit einer (scheinbar) ungeordneten Häufung von Merkmalen zu tun, während die Arboreszenz zwingend eine hierarchische Ordnung der Seme voraussetzt, überdies können bei einer Matrixdarstellung die Merkmale mehr oder weniger beliebig definiert werden; die Arboreszenz dagegen zwingt nahezu unausweichlich zur Definition der Oppositionen nach den binären Mustern +/1A oder +/0 . Hier tut sich nun ein alter Streit in der Semantikdiskussion auf, der in der jüngeren Vergangenheit wohl immer mehr Vorteile für die Annahme einer (weitgehenden) Ordnung und Hierarchisierung der Merkmale gebracht hat (Hilty 1978:125ss. et passim; Lyons 1978:260; Schifko 1975:44ss., 1977:171ss.; Körner 1977:83s.; usw.). Hauptargumente für eine hierarchische Organisation sind vor allem die Neutralisierungsphänomene und die große Verbreitung von hyponymischen und hyperonymischen Relationen, Archilexe19 men usw. Dadurch werden Matrixdarstellungen allerdings nicht nutzlos und überflüssig; sie bedürfen aber einer hierarchisierenden Ergänzung bzw. müssen so angelegt werden, daß sie sich jederzeit in eine Arboreszenz umsetzen lassen. Dies läßt sich zum Beispiel dadurch erreichen, daß man die Seme mit einem Index versieht, der die 17

Im Prinzip dUrfte es sich hierbei eigentlich nur um einen Unterschied bezüglich des Darstellungsmodus handeln, der ohne inhaltliche Rückwirkungen bleiben mUMe. In Wirklichkeit bleibt aber die anvisierte Form bleibt nicht ohne Folgen flir die Ergebnisse. Eine Arboreszenz ist in der Regel in eine Matrix umsetzbar, das Umgekehrte ist aber fast nie der Fall. Cf. unten.

18

Dies gilt zumindest bei binarisierten Darstellungen, wie sie heute Üblich sind. Mehrgliedrige Verästelungen wie z.B. in Hiltys Analysen von dt. Tag und fr. jour (1971:251, 253) lassen sich immer in eine Hierarchie von binären Verzweigungen auflösen. - Die obigen Formeln + / - ( b z w . u n d •/0 stehen für die äquipollente bzw. privative Opposition; cf. unten, Kap. 6.9.

19

Cf. hierzu auch unten, Kap. 6.9.

123

Hierarchie der Merkmale wiedergibt, oder aber sie aufgrund einer Konvention so anordnet, daß ihre Abfolge direkt auf die Hierarchie bezogen werden kann. In beiden Fällen ist allerdings Voraussetzung, daß die Merkmaloppositionen streng binaristisch definiert werden (cf. oben). 6.3. Umstritten ist auch der Status der Sememe und vor allem der Seme: Haben sie jeweils einzelsprachlichen Charakter oder sind sie als Universalien zu betrachten? Während die meisten Forscher wenigstens die Sememe als einzelsprachliche Konfigurationen ansehen (cf. z.B. Lyons 1978:194), ist die Beurteilung der Seme außerordentlich kontrovers: Hilty (1978:129) hält sie — ebenso wie z.B. die generative Grammatik und die generative Semantik — für Universalien, während viele andere Forscher heute die Auffassung vertreten, auch die semantischen Minimaleinheiten seien im wesentlichen einzelsprachlich bedingt und hätten radikal-arbiträren Charakter; sie würden nur eher zufällig einmal mit Universalien zusammenfallen (Lyons 1978:191; Schifko 1975:44ss., 1977:106ss.; Stati 1977:56ss.; usw.). Der Dissens ist allerdings in Wirklichkeit bedeutend weniger groß als er auf den ersten Blick erscheint; wie so oft, dürfte es sich bis zu einem gewissen Grade um eine Frage der Perspektive handeln. Erkennt man einmal den einzelsprachlichen Status der Seme20

me an , und definiert man die Seme als Differenzen zwischen (verwandten) Sememen, dann muß man auch diesen Unterschieden mehr oder weniger zwingend einzelsprachlichen Charakter zuweisen. Andererseits läßt sich nun aber auch nicht leugnen, daß man in allen Sprachen mit den Sememen auf eine 21 in hohem Maße gleichartige außersprachliche Realität referiert und — wenn Referenz sinnvoll sein soll — die Sememe nicht vollkommen unabhängig von 20

21

124

Hierfür spricht die Evidenz, die sich aus der kontrastiv-semantischen Analyse ergibt, und zwar nicht nur bei voneinander weit entfernten, sondern auch bei eng verwandten Sprachen. Dies schließt natürlich Unterschiede im sozio-kulturellen und auch im physischen Bereich nicht aus, wobei diese Differenzen allerdings immer nur einen viel bedeutenderen Anteil von Gemeinsamkeiten überdecken; diese Gemeinsamkeiten könnte man einerseits als anthropologische, andererseits als terrestrische Konstanten bezeichnen.

dieser Realität sein können; dies gilt mutatis mutandis für die auf einer höheren Abstraktionsebene anzusiedelnden Seme. — Definiert man andererseits (wie z.B. Hilty 1978:127ss.; Wotjak 1971:42ss.) die Seme als Abstraktion von der außersprachlichen Wirklichkeit und die Sememe als einzelsprachliche Kombinationen dieser Merkmale, dann wird man dazu neigen, ihnen eine universelle Fundierung zuzusprechen; gleichzeitig muß man aber auch zugestehen, daß der Abstraktionsprozeß von Fall zu Fall unterschiedlich weit vorangetrieben wird, und zumindest in diesem Sinne ein einzelsprachlicharbiträrer Charakter der Seme nicht geleugnet werden kann. Oder mit anderen Worten: Die substantielle Basis der Seme ist (weitgehend) universeller Natur, die formale Verarbeitung dieses Substrats dagegen hat im wesentlichen einzelsprachlichen Charakter (cf. auch Schifko 1975:53s.). Da somit auch die Seme mindestens bis zu einem gewissen Grade als einzelsprachlich bedingt angesehen werden müssen, bestünde bei ihrer Beschreibung mit Termini aus der gleichen oder einer eng verwandten Sprache in hohem Maße die Gefahr der Zirkularität. Um dies zu vermeiden, greift man auf Noeme zurück. Bei einem Noem handelt es sich laut Heger (1976:41ss., 338; 1983) um einen "intensional definierten Begriff, der von einzelsprachlichen Bindungen frei (außereinzelsprachlich) ist" (cf. auch Kleiber 1981: 24ss.; Martin 1976:134ss.); damit ist auch gleichzeitig gesagt, daß Noeme nicht mit pragmatischen und/oder enzyklopädischen Informationen und Informationseinheiten gleichgesetzt werden dürfen. In der Konzeption von Kleiber stellen sie konstruierte minimale Inhaltselemente dar, mit deren Hilfe die Seme überhaupt erst tautologie- und widerspruchsfrei als Kombinationen solcher beschreibungstechnischer Versatzstücke dargestellt werden können 22 . Dadurch wird die Beschreibung der Sememe auf eine tragfähige Basis gestellt; der Begriff des Noems ermöglicht überdies auch erst eine

22

Theoretisch ist es allerdings auch möglich, irgend eine beliebige natürliche Sprache zum Bezugssystem zu machen und ihre Einheiten als "Maßeinheiten" für die zu beschreibende Sprache einzusetzen. In der Praxis bringt ein derartiges Vorgehen bei hinreichender methodischer Umsicht durchaus brauchbare Resultate. Es hat allerdings den Nachteil, daß die verwendeten Bezugseinheiten im wissenschaftstheoretischen Sinn nicht "wohldefiniert" sind.

125

sinnvolle Unterscheidung von Semasiologie und Onomasiologie (cf. Heger 1964; Baldinger 1964): Die Semasiologie fragt nach den (einzelsprachlichen) semantischen Leistungen eines Signifikanten, während die Onomasiologie einem Noem (oder einem Noemkomplex) einzelsprachliche Zeichen qua zweiseitige Entitäten (Signifikant/Signifikat) zuordnet 23 . Die beiden Disziplinen sind gerade nicht einfach (wie so oft behauptet) eine Umkehrung der jeweils anderen. 6.4. Seme und Sememe sind dazu da, die Anwendung von sprachlichen Zeichen auf außersprachliche Sachverhalte zu regeln: Sie stellen zeicheninterne Regeln für die Referenzfunktion dar. In diesem Sinne bezeichnet man den semantischen Gehalt eines Zeichens als seine Intension . Die Verwendungsfähigkeit des Zeichens für die Bezeichnung außersprachlicher Sachverhalte nennt man seine Extension (cf. auch Schifko 1977:108ss.). Der Referenzbereich eines Zeichens umfaßt dabei nicht nur die Welt hic et nunc, sondern auch alle möglichen Welten und die ihnen zuzuordnenden Diskurswelten. Wäre dem nicht so, müßte man Lexien wie Pégase ('Pegasus'), licorne ('Einhorn') usw. als referenzlos betrachten (was im Rahmen der traditionellen Sprachphilosophie auch nur allzu oft der Fall ist). Allerdings erweist sich der Ausdruck Referenz vor diesem Hintergrund als problematisch: Wirklich gerechtfertigt ist er nur bezüglich der (realen) Welt hic et nunc-, im Hinblick auf die möglichen Welten würde man besser von Konstituenz sprechen, werden η Λ

η ς

23

24

25

126

Dies bedeutet nichts anderes, als daß eine semasiologische Beschreibung ohne Rückgriff auf die Noeme möglich ist, eine onomasiologische dagegen nicht. Will man allerdings die im Rahmen der Semasiologie eingesetzten Ausdrücke definieren, wird man wieder auf die Noeme angewiesen sein, wenn man Zirkularitäten vermeiden will; eine derartige Definition ist dann aber selbst wieder onomasiologischer Natur. Man könnte die Intension eines Zeichens umschreiben als 'Gehalt an referenzsteuernden Merkmalen einschließlich ihrer hierarchischen Organisation'. Die Extension eines Zeichens läßt sich umschreiben als "potentieller Anwendungsbereich in referentieller Funktion aufgrund (und nur aufgrund) der intensionalen Steuerung'. Metaphorische, metonymische u.a. Verwendungen gehören deshalb nicht primär zur Extension eines Zeichens; sie entstehen erst aufgrund der Anwendung Ubergreifend einsetzbarer "rhetorischer" Muster.

diese Welten doch überhaupt erst aufgrund von Sprache und ihren 26

Einheiten konstituiert . Die Diskussion um die Referenz hat inzwischen einen nur noch schwer überschaubaren Umfang angenommen. Kleiber (1981) hat diese gewaltige Literatur in einer Uberzeugenden Synthese aufgearbeitet und dabei gezeigt, daß sich die Referenz über verschiedene Ebenen hinweg realisiert und sukzessive präzisiert. Die Lexeme referieren (unabhängig von jeder Wortart) in dem Sinne, daß sie die Existenz eines konzeptuellen Referenten27 präsupponieren. Auf der Ebene der Lexie (bestehend aus mindestens 1 Lexem + 1 effi28 zientes, wortartbestimmendes Morphem ) sind die Substantive, und unter diesen insbesondere die sogenannten kategorematischen Substantive (z.B. auto, arbre, fleur etc. tvs. blancheur, amabilité, rondeur etc.) insofern referentiell privilegiert, als sie die einzigen sind, die die Existenz einer stabilen und homogenen Referenzklas29 se präsupponieren . Die Nominalsyntagmen schließlich unterliegen — unabhängig von ihrer Position in der Aussage — einer restringierten Quantifikation und präsupponieren so die Existenz einer nicht-leeren Referenzklasse Wir kämen so zu der folgenden (aufsteigend-präzisierenden) Hierarchie der referentiell relevanten Ebenen: 1. Lexem 2. Lexie Ψ 3. Nominal syntagma

26

Im Sinne BUhlers handelt es sich bei den möglichen W e l t e n um men"; cf. BUhler

"Phantas-

1965:133ss.

27

Konzeptueller

28

Z u r E f f i z i e n z b z w . N i c h t e f f i z i e n z der M o r p h e m e im R a h m e n von

Referent

kann mit "Begriff' w i e d e r g e g e b e n werden. Kompo-

sita vgl. oben (Kap. 1.1.4.). 29

Diese

Charakterisierung

gültig; synkategorematische

ist

nur

für

die

kategorematischen

Substantive verhalten

nicht anders als Adjektive, V e r b e n usw.· D i e der

Eigenschaften.

Tätigkeiten

usw.

sich

durch

konstituierten

Substantive

in dieser

Hinsicht

die j e w e i l i g e n Klassen

sind

Träger hetero-

g e n e r Natur. 30

D i e s bedeutet nichts anderes, als daß in der realen oder einer W e l t von der Existenz von mindestens werden

kann, a u f

die die Uber

die

einer

Trägereinheit

Semkonstellation

zum

möglichen

ausgegangen Ausdruck

ge-

brachte C h a r a k t e r i s i e r u n g z u t r i f f t .

127

Trotz dieser verschiedenen Präzisierungen erweisen sich die Lexien qua sprachliche Einheiten als unfähig, per se zu referieren. Die aktuelle Referenz ist vielmehr ein Akt des Sprechers, den dieser mit Hilfe sprachlicher Einheiten (cf. die obige Hierarchie) im Rahmen des propositionalen Aktes zusammen mit einem Prädikationsakt leistet (Searle 1969); dabei referiert das logische Subjekt aktuell, 31

das logische Prädikat dagegen nur konzeptuell . Die partikuläre aktuelle Referenz bedarf dabei immer sogenannter Referenzpunkte (pragmatische "Aufhänger"), die eine zeitlich-räumliche Fixierung leisten; nur so kann die aktuelle Referenz verwirklicht werden. Diese Referenzpunkte müssen allerdings nicht unbedingt objektiv gegeben und Uberprüfbar sein: Es reicht, wenn der Sprecher an die partikuläre, räumlich-zeitlich fixierbare Existenz des Referenzobjekts im Rahmen seines Diskursuniversums glaubt (cf. auch Martin 1987). Im Rahmen des Sprechaktes wird nun nicht nur referiert; Voraussetzung fürOQ das referentielle Gelingen ist vielmehr die Monosemierung (Desambiguierung) der in semantischer Hinsicht vielschichtigen (polysemen) sprachlichen Einheiten. Wenn z.B. von einem Schloß die Rede ist, muß irgendwie deutlich werden, ob ein Schloß an einer Tür (an einem Gegenstand) oder ein Schloß als Gebäude gemeint ist; die (partikuläre) Referenz stellt in dieser Hinsicht nur eine Vollendung des fortschreitenden Eingrenzungsund Präzisierungsprozesses dar. Um dies zu verdeutlichen, sei nochmals ein Blick auf die verschiedenen für uns relevanten sprachlichen Ebenen geworfen (wenigstens soweit sie das Lexikon betreffen): 1. Die Ebene der langue liefert ein Inventar von minimalen Einheiten mit Zeichencharakter; je nach ihrer Leistung handelt es sich um Lexeme, Morpheme oder (Lexie-)Baupläne; höherrangige Einheiten wie Syntagmen- und Satzbaupläne werden nur dort (und überdies nur indirekt) relevant, wo sie als Ganzes lexikalisierten Einheiten 31

D e r propositionale Akt ist die Äußerung Rahmen

dieser

Äußerung

findet

(im

hic et nunc eines

logischen

Sinne)

Sprechers; im

eine

Prädikation

statt. 32

D a es hierbei nicht um die W a h l z w i s c h e n verschiedenen Semen, sondern zwischen

rung

128

verschiedenen

Sememen

der korrekte Ausdruck.

geht, w ä r e

eigentlich

Monosememie-

des entsprechenden Ranges zugrundeliegen. In der Regel ist die Ebene der langue im Rahmen des Referenzaktes nicht relevant, es sei denn, die kommunikativen Bedürfnisse erfordern eine ad hocNeubildung mit traditionellem Material (so wäre es zum Beispiel theoretisch jederzeit möglich, zu dem Adjektiv canin nach dem Muster humain/inhumain ein *incanin zu bilden: des conditions de vie *incanines. 2. Die für das Lexikon spezifische Ebene ist nicht diejenige der langue, sondern diejenige der Norm. Hier sind die traditionell gegebenen lexikalischen Einheiten unabhängig von ihrem Komplexitätsgrad (von den Monemen bis zu den Phraseologismen) inventarisiert; es sind die Entitäten dieses Ranges, auf die der Sprecher fUr die Kodierung im Rahmen des Sprechaktes, der Hörer fìir die Dekodierung im Rahmen des Verstehensaktes einen direkten Zugriff hat (Rettig 1981). Die Lexien auf dieser Ebene sind in aller Regel noch komplexer Natur: Sie umfassen meist mehrere Sememe (das heißt sie sind polysem) und müssen für ihre Verwendung noch monosemiert (monosememiert) werden. 3. Die Ebene der monosem(em)ierten lexikalischen Einheiten ist die Ebene der Σ-parole, denn hier geht es nicht um die lexikalischen Einheiten per se, sondern um die verschiedenen Auftretenstypen jeder lexikalischen Einheit. Die Monosem(em)ierung erfolgt aufgrund von Kompatibilitäts- bzw. Inkompatibilitätsbeziehungen zu den verschiedenen Kontexttypen (cf. auch Heger 1976:53s.). Dabei ist zu beachten, daß es nur um Typen, und nicht um konkrete Kontexte geht: Um zum Beispiel zwischen langue 'Zunge' und langue 'Sprache' unterscheiden zu können, reicht eine Kontextanbindung an 'essen' bzw. 'lernen' aus, unabhängig von allen weiteren möglichen Variablen. Obwohl nur auf der Ebene der Σ-parole isoliert, sind die verschiedenen Sememe eines Semantems aber bereits auf Norm- und langue-Ebene im Rahmen der Inhaltsstrukturierung der einzelnen Zeichen präfigurierl 33 .

33

In diesem Sinne stellen z.B. die schematischen Darstellungen bei Hilty als Ganzes die Semanteme, hinsichtlich der einzelnen Stränge dagegen die Sememe dar und konfrontieren so die Ebenen der Norm und der Σ-parole. Cf. z.B. oben. p. 118.

129

4. Die Ebene der parole ist die Ebene der konkreten Rederealisierung und damit der spezifischen Kontexteinbettung. Erst hier wird z.B. bei synkategorematischen Einheiten die Bezugsskala fixiert: Une grande souris ist vielleicht Uber 10 cm groß, un grand homme dagegen Uber 1 m 90; une vieille voiture ist vielleicht 10 Jahre alt, während une vieille femme dagegen zum Beispiel in ihrem 80. Lebensjahr steht; usw. Eine Anwendung der Kriterien des jeweilig ersten Falles auf den zweiten (und umgekehrt) würde zu unsinnigen Aussagen fuhren, denn ein 50 cm großer Mensch 1st nicht 'groß', ein IS Jahre altes Mädchen nicht 'alt'. Was auf der Ebene der Σ-paroJe fixiert werden kann, ist der "Sinn", die "Meinung", fr. die signification (cf. Coseriu 1973; Martin 1976:16ss.; Schifko 1975:79ss.; Wunderli 1981). 5. Die letzte der in Betracht zu ziehenden Ebenen ist die pragmatische, das heißt die Ebene der parole en situation; sie ist gekennzeichnet durch die partikuläre (singuläre), von den jeweiligen Referenzpunkten 34 abhängige Referenz: Wenn Herr X am -1.8.1987 um 9 Uhr 15 vor dem Hauptbahnhof in Lyon erklärt: Cette vieille femme me fait pitié, meint er damit z.B. Frau Dominique Dupont (*7.5.1900); wenn Herr Y tun 2.8.1987 um 14 Uhr 30 auf dem Flughafen Charles de Gaulle in Paris den gleichen Satz äußert, referiert er damit z.B. auf Mme Claudine Garnier (*10.11.1899); usw. Man kann hier mit Coseriu (1978:2s.) auch von der Bezeichnungsfunktion sprechen. Wichtig ist auf jeden Fall festzuhalten, daß sowohl signifìcation als auch Referenz Uber die Semantik gesteuert werden, nicht aber mit ihr zusammenfallen: Auf den Ebenen der parole und der parole en situation sind diese Erscheinungen aufgrund ihrer unendlichen Vielfalt nicht systematisierbar. Dies ist nur mit Hilfe der abstraktlven Relevanz (BUhler 196S:44 et passim) auf einer höheren Abstraktionsebene möglich. 6.5. Bis jetzt haben wir die Relationen zwischen den semantischen Einheiten immer im Rahmen der Lexien diskutiert; es gilt nun noch, diese Bezeihungen als solche zu behandeln und die verschiedenen Typen kurz zu charakterisieren.

34

130

Zu den Referenzpunkten cf. auch oben.

Von den Relationen zwischen verschiedenen Sememen wurde bereits mehrmals die Polysemie erwähnt . Die Polysemie setzt eine Identität der Signifikanten voraus und wird von Heger (1976:61s.) definiert als "disjunktive Verbindung von zwei oder mehr Sememen", wobei "alle möglichen Paare von Sememen eines Signifikats durch mindestens ein gemeinsames Sem bzw. durch mindestens eine gemeinsame Sememkomponente, die in einem oder beiden Sememen Sem-Status hat, verbunden sind". So würde z.B. zwischen langue 'Sprache' und langue 'systemhaftes Inventar sprachlicher Elemente mit Wertcharakter (Saussure)' Polysemie, zwischen diesen beiden Sememen und langue 'Zunge' dagegen Homonymie bestehen (cf. unten). Ein eindeutiger Fall von Polysemie ist auch das bereits oben diskutierte Beispiel voler 'fliegen' von Hilty, während zwischen voler 'fliegen' und voler 'stehlen' wieder Homonymie anzusetzen ist. Polysemie findet sich im Französischen praktisch bei jeder Lexie der Normalsprache; eine Ausnahme machen meist nur spezifische Einheiten von Fachterminologien. Die Polysemie stellt also geradezu den Normalfall des sprachlichen Alltags dar. Nicht mit der Polysemie verwechselt werden dürfen rhetorische Figuren wie Metapher, Metonymie und Synekdoche — zumindest soweit sie ad hoc eingesetzt werden. Im Falle von Cette femme est un cheval für eine grobschlächtige Frau, C'est une plume brillante für einen elegant und gefällig schreibenden Autor usw. haben wir es mit allgemeinen Aktualisierungsmustern zu tun, die im Prinzip jederzeit und Uberall eingesetzt werden können, ohne daß dadurch der Bedeutungsgehalt der jeweils betroffenen Einheit qua virtuelle, inventarisierte Größe irgendwie in Mitleidenschaft gezogen bzw. modifiziert würde . Andererseits darf aber auch QC

35

Der entscheidende Faktor fllr die Differenzierung zwischen Polysemie und Homonymie ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines gemeinsamen Sems; im 1. Fall ist die Beziehung innerhalb eines Semantems, im 2. Fall innerhalb eines Signifikats anzusiedeln, womit deutlich wird, daß das Semantem nur einen Sonderfall des Signifikats darstellt. Vgl. hierzu die folgende Definition, die das allgemeinere Signifikat als Bezugsrahmen wählt.

36

Der Effekt der rhetorischen Figur ist somit punktuell und momentan, also an das hic et nunc des jeweiligen Kommunikationsaktes gebunden. - Anders liegen die Dinge bei lexikalisierten rhetorischen Figuren, die ähnlich wie die Phraseologismen einzustufen sind.

131

nicht Ubersehen werden, daß lexikalisierte rhetorische Figuren im Laufe der Geschichte oft zur Konstitution neuer Sememe geführt haben: Das französische tête < T E S T A 'Scherbe* ist eine lexikalisierte Metapher für CAPUT, und ähnliches gilt für das populärfranzösische poire mit der gleichen Bedeutung. Ebenso ist chaise 'Glockenstuhl, Gebälk usw.* nichts anderes als eine metaphorische Verwendung von chaise 'Stuhl', die inzwischen längst zum traditionellen, in der Norm gegebenen Bedeutungsinventar gehört; usw. Gewissermaßen eine Umkehrung bezüglich der Relation signifìé/signifìant stellt die sogenannte Polymorphie dar: Hier entspricht einer konstanten Struktur der Inhaltsseite eine unterschiedlich geformte Ausdrucksseite. Ein Musterbeispiel fUr die Polymorphie ist die Variation des Lexemsignifikanten des Verbs aller: — / v ( a / e / 5 ) / = va/vas, vais, vont — / a l - / = all- in aller, allons etc. — AR-/ = ir - in irai, iras, irais usw. Einen ähnlichen Fall haben wir im Fall von œil mit den Varianten /cej/, / j 0 / und / o k y l - / (cf. œil, yeux, oculaire usw.). Diese Phänomene sind im Rahmen einer semantischen Analyse marginaler Natur; Überdies ist die Polymorphie im Französischen aufgrund starker historischer Ausgleichstendenzen relativ selten: Variationen wie treuve/trouvons, lieve/levons usw. wurden schon im Mittelfranzösischen eliminiert und sind nur bei einigen hochfrequentigen unregelmäßigen Verben wie vouloir (veut/voulons/veuille), pouvoir (peut/pouvons/puisse usw.) erhalten geblieben. Anders verhält es sich mit der Homonymie, die oft mit der Polysemie verwechselt wird und sich auch nur schwer von dieser abgrenzen läßt (cf. hierzu z.B. Schifko 1975:37, 66, 1977:183s.; Hilty 1978:125s.; Körner 1977:28ss.; Stati 1975:32; Berruto 1976:61s.; usw.). Definiert wird die Homonymie von Heger (1976:61s.) als "disjunktive Verbindung von zwei oder mehr Sememen", "wenn diese Sememe ... kein gemeinsames Sem bzw. keine gemeinsame Sememkomponente, die in mindestens einem Semem Sem-Status hat, aufweisen". Oder mit anderen Worten (und in meiner eigenen Terminologie): Die Homonymie ist eine Disjunktion im Rahmen des

132

ο «7

Signifikats, die Polysemie dagegen in demjenigen des Semantems . Typische Fälle von Homonymie sind z.B.: — / s ä / = sang, sans, sent, cent·, — / s ë / = saint, sain, sein, ceint, cinq·, — /VER/ = vert, vers (Präp.), vers (n.m.), verre, ver, vair. Dabei ist allerdings zu beachten, daB in gewissen Fällen die Homonymie Uber die Genusflexion und in der Liaison aufgehoben werden kann, cf. z.B. sainte/saine, verte/vaire; sans.abri/cent, abris, saint, homme/cinq .hommes; usw. In den oben erwähnten Beispielen ist die Homonymie lautlicher Natur; man spricht deshalb auch von Homophonie. In den meisten zitierten Fällen werden die Homophone auf graphischer Ebene mit Hilfe der verschiedensten, normalerweise aufgrund der Gegebenheiten im Rahmen der historischen Lautlehre erklärbaren Verfahren unterschieden. Eine Ausnahme macht hier nur vers, das sowohl (maskulines) Substantiv als auch Präposition sein kann; diese Einheit ist sowohl homophon als auch homograph. In der Regel setzt die Homographie die Homophonie voraus (nicht aber umgekehrt); Ausnahmen von dieser Regel sind außerordentlich selten, cf. z.B. négligent: Solange diese Graphemsequenz vollkommen kontextfrei erscheint, sind sowohl die lautlichen Interpretationen /negli:3/ als auch /negli3ä/ möglich. Ähnlich liegen die Dinge bei est: / ε / vs. / e s t / C3. Pers. Sg. Präs. Ind. être' vs. 'Osten'); usw. Gesamthaft gesehen spielt die Homonymie im Französischen eine viel bedeutendere Rolle als in den Übrigen romanischen Sprachen (in denen sie aber keineswegs fehlt!); dies ist darauf zurückzuführen, daB nirgends die lautliche Erosion im Laufe der Ge37

Diese Umschreibung entspricht im wesentlichen dem. was Heger zur Definition heranzieht, nämlich dem Nichtvorhandensein bzw. Vorhandensein von mindestens einem gemeinsamem Sem. Allerdings nur 'im Prinzip' denn es läßt sich nicht ausschließen, daß an irgendeiner Stelle in der Arboreszenz eben doch identische Seme auftreten; so wird z.B. bei den beiden Farbadjektiven rert und vair irgendwo ein gemeinsames Sem Tarbe' vorkommen, obwohl hier sicher keine Polysemie vorliegt und die beiden Einheiten auch historisch vollkommen unabhängig voneinander sind. Der Unterschied zwischen Polysemie und Homonymie liegt dann darin, daß im ersten Fall die Gemeinsamkeit konstitutiv, im zweiten dagegen akzidentell ist.

133

schichte derart stark war wie im Bereich des fränkischen Superstrats. 6.6. Das Problem der Synonyme (-» Synonymie) hat schon Ströme von Tinte fließen lassen und ist gleichwohl auch heute noch nicht definitiv gelöst. Unter Synonymie versteht man eine mehr oder weniger weitgehende Inhaltsidentität sprachlicher Zeichen auf einer noch zu bestimmenden Ebene. Diese vage Umschreibung des Sachverhalts läßt noch verschiedene Definitionsmöglichkeiten zu; die drei wichtigsten sind nach Martin (1976:113s.) die folgenden: — Die referentielle Definition, nach der die Lexien a und b synonym sind, wenn sie das gleiche Objekt denotieren (bzw. denotieren können). Dieser Ansatz hat den Nachteil, daß er Referenz und Bedeutung unauflöslich miteinander verzahnt; er bringt zwar im Bereich der Konkreta (cf. zum Beispiel das Paar livre/bouquin) durchaus brauchbare Resultate; im Bereich der Abstrakte dagegen (cf. z.B. peine/chagrín) stößt man auf fast unliberwindbare Schwierigkeiten, und zwar deshalb, weil oo es hier keine (scheinbar) "naiv-isolierbaren" Objekte gibt . — Die distributioneile Definition, nach der a und b synonym sind, wenn sie in einem identischen Kontext {X—Y ) den gleichen Sinn ergeben. Allerdings wird auf diese Weise das Problem nur verlagert, stellt sich doch gleich die Frage, was man denn unter "gleichem Sinn" zu verstehen hat. Von wo an sind "Nuancen" als Sinnunterschiede relevant? Sind Le livre est abîmé und Le bouquin est foutu synonym oder nicht? Eine streng distributionalistische Definition der Synonymie ohne Rekurs auf den "Sinn" ist deshalb unmöglich, weil es keine zwei Lexien gibt, die wirklich exakt das gleiche Distributionsspektrum zeigen würden — und sei der Unterschied auch nur konnotativer Natur 40 . Die distributioneile Analyse erlaubt es QA

38

39 40

134

Ich habe sie bewußt gewählt und mit Absicht (wenigstens vorläufig) auf eine präzisere Formulierung verzichtet, um nicht vor der Diskussion der Probleme gewisse Aspekte zu verabsolutieren und andere auszuschließen. Etwas 'wissenschaftlicher* formuliert wUrde dies hei&en. daß die Ergebnisse nur bei kategorematischen Substantiven brauchbar sind. Zur Konnotation cf. unten, Kap. 7.

aber immerhin, das Phänomen der Synonymie von demjenigen der Polymorphie zu trennen (cf. auch Heger 1976:67s.): Bei Polymorphie liegt regelmäßig eine komplementäre Distribution* 1 vor, während bei Synonymie eine derartige Ausgrenzung über den Kontext nicht möglich ist. — Die komponentielle Definition (Merkmalsdefinition), nach der a und b dann synonym sind, wenn sie die genau gleichen Seme enthalten, und diese Seme in einer identischen Struktur angeordnet sind. Da Lexien in der Regel polysem sind, dürfte es auf dieser Ebene so gut wie keine Fälle von Synonymie geben; das Phänomen könnte al 1er höchstens für die Relation zwischen Sememen geltend gemacht werden (cf. auch Heger 1976:52). überdies stellt sich hier die Frage, ob nicht auch die konnotativen Merkmale dem Semem zuzurechnen sind. Bejaht man dies, dann dürfte es vor dem Hintergrund dieser Definition auch auf Sememebene so gut wie keine Synonyme geben. Die erwähnten drei Definitionen situieren die Synonymie auf den Ebenen der parole, der Σ-parole bzw. der Norm; je abstrakter die Ebene ist, umso weniger läßt sich die Existenz des Phänomens "Synonymie" glaubhaft machen. Schon Gauger (1972) hat festgestellt, daß es absolute Inhaltsidentität nur auf der Ebene der parole, nicht aber auf derjenigen der langue (bzw. der Norm) gebe. All den erwähnten Aspekten trägt Martin (1976:113) Rechnung, wenn er die Synonymie Uber die Paraphrase definiert, die er ihrerseits logisch fundiert : "On dira ... de deux unités a et b qu'Celles] sont synonymes, si la substitution de a à b conduit à une paraphrase q de p." Obwohl deutlich auf eine paro/e-Äquivalenz abzielend, läßt diese Definition durchaus noch verschiedene Möglichkeiten der Synonymiebegründung offen. Um diese Fälle in einer Typologie einzufangen, führt Martin (1976:114s.) die Unterscheidungen absolute/relative Synonymie und totale/partielle Synonymie ein: J A

41

42

Komplementäre Distribution bedeutet nichts anderes, als daß die eine Polymorphie ausmachenden Einheiten nicht in den gleichen unmittelbaren Kontexten auftreten können; cf. ζ Β. die Stämme all-, r- und ir- des Verbs a lier. Nach Martin (loc. cit.) liegt eine Paraphrase dann und nur dann vor, wenn eine logische Äquivalenz (d.h. identische Wahrheitswerte) bei zwei Sätzen ρ und q fUr jeden Sprecher in jeder Situation gegeben ist.

135

— absolute Synonymie: a und b haben in einem gegebenen Round Kontext gleichen denotativen und konnotativen Wert. Diese Fälle sind außerordentlich selten. Vielleicht liegt ein Beispiel dieser Art im Falle von Pierre enlève/ôte son manteau vor, doch macht sich im heutigen Französisch eine deutliche Tendenz zur "Literarisierung" von ôter bemerkbar; dies bedeutet nichts anderes, als daß zwischen den beiden Sequenzen ein konnotativer Unterschied aufgebaut wird: Der Status dieses Beispiels ist offensichtlich hochgradig prekär. — relative Synonymie: Hier unterscheidet Martin zwei Typen. Im ersten Fall liegt zwar eine Identität von a und b im denotativen, nicht aber im konnotativen Bereich vor: policier/flic, livre/bouquin, soixante-dix/septante43. Daneben kann auch bei geringer Abweichung im denotativen Bereich (-» Semstruktur) die Beziehung zwischen a und b noch so eng sein, daB in bestimmten Kotexten eine Paraphrasenrelation entsteht, d.h. der Unterschied zwischen den beiden betroffenen Einheiten neutralisiert wird: cf. z.B. den Gegensatz fatigué/épuisé. — totale Synonymie: Totale Synonymie liegt dann vor, wenn a und b in edlen denkbaren Kotexten vom Typus X—Y austauschbar sind; dies gilt z.B. für das bereits erwähnte Paar livre/bouquin trotz der konnotativen Unterschiede, die die Verwendung des einen der beiden Termini in bestimmten Situationen (Kontexten) verunmöglichen können44. — partielle Synonymie: In diesem Fall sind a und b nur in einem Teil der je möglichen Kotexte austauschbar: Ich kann enlever durch ôter ersetzen in Pierre enlève son manteau, nicht aber in Pierre a fini par enlever cette affaire und Pierre a enlevé Marie la nuit passée. Die Unterscheidung absolute/relative Synonymie läuft somit auf das Nichtvorhandensein bzw. Vorhandensein von differenzierenden konnotativen Merkmalen hinaus (die denotativen Merkmale sind 43 44

136

Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um den häufigsten der traditionell als "synonymisch" bezeichneten Typen. So ist es z.B. kaum vorstellbar, daß Präsident Mitterand auf einem offiziellen Empfang und in aller Öffentlichkeit zum Nobelpreisträger Claude Simon sagt: Votre dernier bouquin m a beaucoup plu.

[im Prinzip] identisch); der Gegensatz zwischen totaler/partieller Synonymie läßt sich dahingehend resümieren, daß wir im ersten Fall eine Äquivalenz der Semanteme, im zweiten dagegen nur der Sememe im denotativen Bereich haben. Aufgrund der Kriterien '+/- (vollständige) denotative Identität' (A), '+/- konnotative Identität' (B) und '+/- (generelle) Kommutabilität' (C) kommt Martin dann zu der folgenden Typologie der Synonyme 45 : 1. +A/+B/+C: totale und absolute Synonymie. Dieser Fall scheint so gut wie nicht zu existieren außer bei gewissen termini technici; als Beispiele könnten z.B. die Paare spirante/fricative oder occlusive/plosive aus dem Bereich der Phonetik gelten. Da aber selbst in diesem Fall die Verwendung des einen oder anderen Ausdrucks auf die Zugehörigkeit oder Nähe zu einer bestimmten Schule verweist, ist Kriterium C nicht oder nur bedingt erfüllt; der Gegensatz zwischen den betreffenden Ausdrücken suggeriert einen Unterschied, der zumindest eine konnotative Differenzierung in nuce erahnen läßt 46 . 2. +A/+B/-C: absolute, aber nicht totale Synonymie. Die Kommutabilität beruht auf Sememidentität und ist deshalb auf bestimmte Kotexte beschränkt; typische Beispiele für diesen Fall sind Paare wie paraître/sembler, commencer/débuter usw. 3. +A/-B/+C: denotative Identität und generelle Kommutabilität, aber konnotative Unterschiede. Dieser Fall ist außerordentlich häufig; einschlägige Beispiele sind u.a. Paare wie policier/flic, livre/bouquin, quatre-vingt/huitante (ociante), vélo/bicyclette, belle fìlle/bru usw. 4. +A/-B/-C: Hier liegt ein dem vorhergehenden verwandter Typ vor mit dem einzigen Unterschied, daß die konnotativ abweichenden Einheiten nicht in allen Kotexten austauschbar sind: Die 45

46

Das dritte Kriterium ist nötig, weil sich nicht alle Verwendungsrestriktionen bzw. Kommutationshemmnisse auf Unterschiede im Bereich des konnotativen und/oder denotativen Merkmalinventars zurückführen lassen, sondern rein distributionell (ko- und kontextuell) bedingt sind; vgl. z.B. die Paare paraître/sembler, commencer/débuter, wo Unterschiede weder im denotativen noch im konnotativen Gehalt ausgemacht werden können. Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu enlever/ôter. p. 136 (oben).

137

denotative Äquivalenz gilt nur für einen Teilbereich, cf. z.B. tête/citrouille/poire/chef, voiture/bagnole, lourdaud (e)/vache usw. 5. -A/+B/+C: Da jede Bedeutungsdifferenz Rückwirkungen auf die Distribution hat, ist dieser Fall widersprüchlich und folglich ausgeschlossen. 6. -A/+B/-C: Dieser Fall von denotativer Teilidentität (mit unterschiedlicher Distribution) ist häufig; einschlägige Beispiele sind u.a. un auteur/écrivain classique, aber l'auteur/ * l'écrivain du Cid; le directeur/le chef de l'entreprise, aber le chef/ *le directeur du parti socialiste; usw. 7. -A/-B/+C: Dieser Fall ist wie die Nr. 5 widersprüchlich und deshalb nicht belegbar. 8. -A/-B/-C: Hier liegt ein relativ seltener Fall von akzidenteller Austauschbarkeit vor, obwohl weder im denotativen noch im konnotativen Bereich Merkmalidentität besteht; als Beispiel hierfür könnte baiser/bise (Subst.) angeführt werden. Gesamthaft gesehen, spielt zwar die Synonymie im Französischen eine nicht zu vernachlässigende Rolle, ist aber gleichwohl von begrenzter Häufigkeit. Dies hängt einerseits damit zusammen, daß man im 17. Jahrhundert die Synonyme zum Teil systematisch bekämpft und eliminiert hat 47 , andererseits aber auch mit einer Tendenz in der Sprachentwicklung, bedeutunsidentische oder bedeutungsähnliche Einheiten semantisch zu differenzieren. Beispiele für dieses letztgenannte Phänomen sind z.B. Paare wie frêle/fragile, raide/rigide, froid/frigide, nourriture/nutrition, étendue/extension, étranglement/strangulation, sûreté/sécurité usw. (cf. Körner 1977: 21). Trotz der gemeinsamen etymologischen Wurzeln haben sich die Einheiten dieser Paare zu unterschiedlichen Bedeutungen entwickelt, was z.T. auch dadurch begünstigt wurde, daß im einen Fall eine erbwörtliche, im andern eine lehnwörtliche Entwicklung vorliegt. Vereinzelt gibt es bei diesen Paaren noch Reste von synonymischen Verwendungsbereichen. eine Art "minimale Schnittmenge" (cf. z.B. frêle/fragile), in andern Fällen dagegen ist auch dieser letzte Rest 47

138

Diese Bekämpfung der Synonyme ist ein Effekt des Sprachpurismus, der bis heute von dem scheinbar unausrottbaren Irrglauben an das (einzig) richtige, zutreffende, passende usw. "Wort" geprägt ist.

von Gemeinsamkeiten inzwischen abgebaut (cf. z.B. froid/frìgide). Alle diese Probleme harren jedoch noch einer Spezialanalyse. 6.7. Gewissermaßen das Gegenstück zur Synonymie bildet die Antonymie, ein Begriff, mit dem man traditionell sememtische Gegensatzrelationen bezeichnet. In der jüngeren Vergangenheit ist man in zunehmendem Maße dazu Ubergegangen, Antonymie nur noch für einen bestimmten Typus von Gegensatzrelationen zu verwenden, so daß zwischen einer Antonymie im weiteren (z.B. Martin 19776:S9ss.) und einer Antonymie im engeren Sinne (z.B. Geckeier 1973:21; Berruto 1976:64 s.; usw.) unterschieden werden muß 48 . Wir verwenden hier Antonymie im weiteren Sinne und benutzen zur Kennzeichnung der Subtypen die Adjektive kontradiktorisch, konträr JA

und konvers Die kontradiktorische Antonymie (Komplementarität) beruht auf einem bipolaren (das heißt durch zwei und nur zwei Terme konstituierten) Gegensatz, der keine Gradation zuläßt. Die Opposition ist logisch so angelegt, daß wenn ρ wahr, q automatisch falsch ist (und umgekehrt); tertium non datur. Typische Repräsentanten dieses Typus sind Paare wie: vivant/mort, masculin/ féminin (mâle/femelle), animé/inanimé, parler/taire usw. Eine Wendung wie "plus mort que vivant" stellt eine metaphorische Redeweise dar und ändert nichts am kontradiktorischen (und damit nicht graduierbaren) Charakter der betreffenden Lexien und ihrem Status als System- bzw. Normeinheiten so . Die konträre Antonymie (Antonymie im engeren Sinne) stellt einen auf mehr als zwei Elementen beruhenden Gegensatz dar, wobei diese Elemente eine Gradationsskala bilden; ein Musterbei-

48

Unter Antonymie im engeren Sinne sind die sogenannten konträren Relationen zu verstehen, mit denen die Extreme einer Gradationsskala bezeichnet werden wie zJB. jeune -vieux, beau -laid, haut-bas usw.; cf. unten.

49

Zur Antonymie im allgemeinen und fUr das Folgende cf. z.B. Lyons 1978:218ss„ Schifko 1 9 7 5 4 1 s s , 1977:191ss4 Martin 1976:59ss^ Berruto 1 9 7 6 £ 4 s s j Gsell 1979:34ss4 usw.

50

Es ist ganz prinzipiell festzuhalten, daft Metaphern es immer erlauben, primär gegebene Merkmale außer Kraft zu setzen und sie im Rahmen eines konterdeterminierenden Kotextes (Weinrich 1976:317ss.) zu neutralisieren.

139

spiel hierfür stellt z.B. die Kette froid-frais-tìède-chaud dar. Die Zwischenstufen brauchen dabei nicht unbedingt durch eigene Lexien repräsentiert zu sein: Da Termini dieses Typs prinzipiell graduierbar sind, können zur Markierung von Zwischenstufen auch mor51

phosyntaktische Mittel eingesetzt werden, vorausgesetzt, die Extrempunkte der Skala sind lexikalisch abgedeckt 52 . Hierher gehören Dimensionen, die durch Paare gekennzeichnet werden wie: grand-petit, rapide-lent, haut-bas, beau-laid, long-court/bref usw. Konträre Antonyme sind durch ein spezifisches Verhalten im Wahrheitstest gekennzeichnet: Während bei der kontradiktorischen Relation -p automatisch q, ρ automatisch -q impliziert (cf. z.B. non vivant mort), impliziert hier die Negation von ρ keineswegs zwingend die Wahrheit von q. Eine Aussage wie Cet homme n'est pas grand läßt im Folgekontext sowohl die Aussagen Cet homme est petit als auch Cet homme n'est pas petit zu. Allerdings impliziert die Wahrheit von p, daß q automatisch falsch ist. Während bei der kontradiktorischen Antonymie die Relation p/q symmetrischer Natur ist, erweist sie sich bei der konträren Antonymie als asymmetrisch. Die konverse Antonymie (Konversion, Konversität, Inversion) unterscheidet sich von den beiden vorhergehenden Typen dadurch, daß die Wahrheitswerte bzw. Wahrheitswertrelationen nicht mehr definitionsrelevant sind. Vielmehr beruht die Konversion auf einer Art "Spiegelsynonymie": Zwei Lexien bzw. Sememe sind in konverser Relation, wenn mit ihnen gebildete Aussagen bei der Vertauschung von zwei Argumenten den gleichen Sachverhalt bezeichnen. Dies gilt z.B. für das Paar père/fils in Sätzen wie Pierre est le père de Paul und Paul est le fils de Pierre. Andere Paare dieses Typus 51

52

140

Solche Mittel sind z.B. im Lat. die synthetische Komparation aufgrund einer spezifischen Flexion, im Fr. die analytische Komparation aufgrund von Syntagmenbauplänen mit plus/moins usw. In einigen Ausnahmefällen wird die Normalskala nicht durch die Extrempunkte. sondern durch Punkte aus deren näherem Umfeld konstituiert. Dies gilt z.B. fUr die Skala froid-cbaud, die sowohl nach unten wie nach oben noch ergänzt werden kann Uber Lexien wie gelé einerseits, bouillant oder brûlant andererseits. Historisch stellten die ftlr die Skala konstitutiven Einheiten wohl einmal die Extrempunkte dar; diese Position haben sie dann aber später verloren (je nachdem aufgrund der außersprachlichen und/oder der sprachlichen Entwicklung).

sind: acheter/vendre, donner/recevoir, mari/épouse, à droite/à gauche, devant/derrière, au-dessus/au-dessous usw. Damit sind die möglichen Gegensatzrelationen im Rahmen des Lexikons noch lange nicht erschöpfend dargestellt (cf. auch Schifko 1977:194). Auch in diesem Bereich besteht für die Forschung noch ein großer Nachholbedarf, obwohl in jüngster Zeit eine Reihe von Studien (Geckeier 1979; Staib 1983; usw.) wichtige Fortschritte gebracht haben. Es steht fest, daß auch Antonymierelationen im wesentlichen auf Sememebene und nur im Ausnahmefall auf Semantemebene anzusiedeln sind. Die (systematische) Darstellung der verschiedenen Antonymietypen im Rahmen der Semstruktur der Lexien wirft aber nach wie vor große Probleme auf. 6.8. Die bisher beschriebenen Relationen zwischen den Inhaltsseiten verschiedener lexikalischer Einheiten decken nur einen Teil des ganzen Relationsbereichs ab. Es handelt sich immer nur um Beziehungen in einem eng begrenzten Rahmen von einigen wenigen, oft nur von zwei Einheiten. Diese Beziehungen können als mikrostrukturell bezeichnet werden. Daneben gibt es aber auch noch den Bereich der sogenannten Makrostrukturen. Zu den Makrostrukturen gehören die sogenannten lexikalischen Klassen (oder auch Wortklassen), die Coseriu (1978b:241) folgendermaßen definiert: Die Klasse ist die Gesamtheit der Lexeme, die unabhängig von der Wortfeldstruktur durch einen gemeinsamen inhaltsunterscheidenden Zug zusammenhängen. Klassen manifestieren sich durch ihre grammatische und lexikalische "Distribution", d.h. die Lexeme, die zu derselben Klasse gehören, verhalten sich grammatisch bzw. lexikalisch analog: sie können grammatisch gleiche Funktionen Ubernehmen und erscheinen in grammatisch, bzw. lexikalisch analogen Kombinationen. Merkmale, die lexikalische Klassen konstituieren, werden als Klasseme bezeichnet. Im Französischen fungieren z.B. folgende Merkmale als Klasseme: '+/- animé', '+/- humain', '+/- transitiv' (mit einer Reihe von Subklassifikationen im transitiven Bereich nach der Art des Objekts), '+/- adlativ' (= 'adlativ/ablativ'), usw. So gehören z.B. jeweils der gleichen Klasse an: '+ animé': homme, femme, vache, chien, lion, chat, ... '- animé': arbre, pierre, rocher, mer, herbe, route, maison, ...

141

'+ humain': homme, femme, garçon, fille, paysan, chevalier, boulanger, banquier, ... '- humain': cheval, souris, rat, oiseau, moineau, coq, canard, ... '+ transitiv': chanter, acheter, vendre, boire, nettoyer·, penserà, aboutir à, accéder à, acquiescer à, contrevenir à; dévier de, diverger de, (se) désister de, (s')abstenir de;... '- transitiv': vivre, mourir, dormir, exister, ... '+ adlativ': venir, apporter, arriver, entrer, ... '- adlativ': s'en aller, enlever, partir, sortir, ... Damit ist die Liste der Klasseme allerdings noch lange nicht komplett, ja es ist bis heute noch nicht hinreichend geklärt, welche Merkmale Uber den oben erwähnten Kernbereich hinaus als Klasseme zu betrachten sind. Eine extreme Haltung, die jedes in mehr als einem Lexem auftretende Merkmal als virtuelles Klassem betrachtet, ist durchaus möglich und argumentativ kaum zu widerlegen. Der Nutzen einer derartigen Position bleibt allerdings fraglich — ganz abgesehen davon, daß unsere Intuition und eine lange grammatische Tradition gegen ein solches Vorgehen sprechen. Viel wichtiger für die Makrostruktur des Wortschatzes sind die sogenannten Wortfelder 53 , die mit Coseriu (1978b:241) folgendermaßen definiert werden können: Ein Wortfeld ist in struktureller Hinsicht ein lexikalisches Paradigma, das durch die Aufteilung eines lexikalischen Inhaltskontinuums unter verschiedene in der Sprache als Wörter gegebene Einheiten entsteht, die durch einfache inhaltsunterscheidende Zlige in unmittelbarer Opposition zueinander stehen. Typische Wortfelder wären z.B. das bereits oben erwähnte Feld der Sitzgelegenheiten, das von Geckeier (1971a) analysierte Wortfeld alt-jung-neu oder das von Duchaiek (1960) untersuchte Feld der Schönheit. Ihren Ursprung hat die Wortfeldtheorie in Deutschland, wo sie v.a. von Leo Weisgerber und Jost Trier in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen propagiert wurde. Theoretische Elemente

53

142

Zu den Wortfeldern cf. Schmidt 1973; Geckeier 1971b:84ssj Blanke 1973: 61 ss.; Ullmann 1972:141ss^ usw. Ich orientiere mich in der folgenden Darstellung va. an Ullmann und Geckeier.

lassen sich bis Wilhelm von Humboldt, ja sogar bis Herder zurückverfolgen, doch dürften die maßgeblichen Anstöße von Husserl und Saussure ausgegangen sein. Von Saussure kommt sicher der Systemgedanke, wobei die sprachlichen Einheiten (auch und v.a. hinsichtlich ihres semantischen Aspekts) als sich gegenseitig (aufgrund von Oppositionen und Differenzen) bedingende Werte im Rahmen des Gesamtinventars aufgefaßt werden; das ganze Gefüge ließe sich mit einer Art Atommodell vergleichen, das in der gegebenen Form im Gleichgewicht ist und bei jeder noch so geringfügigen Veränderung ein neues Gleichgewicht liber eine Restrukturierung finden mUßte. Von Husserl dürften die allgemeinen Verfahren der phänomenologischen Analyse und der "Antipsychologismus" stammen, die die meisten Arbeiten dieser Orientierung kennzeichnen. Ausgangspunkt für Weisgerber war eine engagiert geführte Diskussione i um den Begriff der "inneren Sprachform" bei Humboldt , bei der er auf eine Reihe von Wortschatzbereichen gestoßen ist, die von Sprache zu Sprache unterschiedlich gegliedert sind. Das Paradebeispiel in dieser Hinsicht ist inzwischen der Bereich des Farbspektrums geworden, das z.B. von Hjelmslev (1968:77) für das Französische und das Kymrische (ausschnittweise) folgendermaßen wiedergegeben wird:

vert bleu gris brun

gwyrdd

glas llwyd

Die unterschiedliche Gliederung im Farbenbereich geht so weit, daß man sogar (wenn natürlich auch vollkommen zu Unrecht) vermuten konnte, die Menschen in der Antike seien farbenblind gewesen! — Ein weiteres beliebtes Beispiel ist der Bereiche Wald — Holz —

54

Cf. hierfür und für das folgende Ullmann 1972:144ss.

143

55

Baum im Dänischen, Deutschen und Französischen , und nicht weniger interessant sind die Verwandtschaftsbezeichnungen im Latein und im Neufranzösischen (und den übrigen romanischen Sprachen). Im Latein wurde — auch in juristischer Hinsicht — zwischen Onkeln und Tanten väterlicherseits bzw. mütterlicherseits unterschieden, wovon die Paare patruus/avunculus und amita/matertera zeugen. Diese Opposition wird in den romanischen Sprachen nicht fortgeführt; die Bezeichnungen für die Geschwister eines der Elternteile fallen zusammen, und es wird nur noch nach dem Genus der betreffenden Person differenziert: fr. oncle, tante 56 . Also:

Linie 'Vater'

Linie 'Mutter'

männlich

patruus

avunculus

oncle

weiblich

amita

matertera

tante »

»

fr.

Auffallend ist, daß im Französischen ein Ausdruck aus der väterlichen, der andere aus der mütterlichen Linie fortgeführt wird; eine schlüssige Begründung für dieses Phänomen steht noch aus, zumal die Neutralisationserscheinungen im Lateinischen nicht signifikant zu sein scheinen 57 . Phänomene dieser Art haben Weisgerber zu der Uberzeugung gebracht, die Sprache sei ein Uberindividuelles Kulturprodukt, das unsere Begriffe und unser Wissen, unsere Weltsicht und unsere Weltdeutung prägt: Jede Sprach- und Kulturgemeinschaft sieht die Welt anders. Dieser Sachverhalt ist später von Benjamin Lee Whorf ep als "sprachliches Relativitätsprinzip" bezeichnet worden . 55

Vgl. hierfUr die graphische Darstellung bei Hjelmslev 1968:78.

56 57

Vgl. hierzu auch Coseriu 1964:169, 176, sowie Ulimann Geckeier 1971b:138s. Cf. Coseriu 1964:176 Ν 51.

58

Cf. u à . Whorf 1984 (1956):12s.

144

1972:145

und

Auf Welsgerber greift letztlich Jost Trier mit seiner großangelegten Arbeit liber den Deutschen Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes (1931) zurlick; er sollte seine Argumentation und Methode in den folgenden Jahren noch stark verfeinern und auch eine Reihe von romanistischen Schülern und Anhängern finden . Trier ist fest davon überzeugt, daß es sich bei seinem Untersuchungsgegenstand um einen engmaschig gegliederten "Sinnbezirk" handelt, in dem sich die Bedeutung jeder einzelnen Einheit aus der Opposition zu den umgebenden Einheiten ergibt; die Einheiten würden das ganze Feld erfassen und lückenlos aufgliedern. Was für ein einzelnes Feld zutrifft, gilt nach Trier auch für den Wortschatz hIn Ganzes: Er würde somit ohne Rest in ein Gefüge von Feldern zerfallen, die ihrerseits wieder vollständig durch die einzelnen sprachlichen Einheiten abgedeckt würden. Triers Feldtheorie läuft somit auf eine Art hierarchisch organisierten Flickenteppich hinaus. Gerade das Postulat der gewissermaßen lückenlosen (hierarchischen) Organisation hat sich allerdings als problematisch bzw. bis heute als nicht beweisbar herausgestellt 6 0 . Es gibt mit Sicherheit eine Reihe von in sich wohl organisierten Feldern, von denen wir einige genannt haben (Sitzgelegenheiten; Farben; Holz/Gehölz; Verwandtschaftsbeziehungen; usw.). Allerdings sind gerade der erste und der letzte der erwähnten semantlschen Bereiche problemträchtig, weil sie sich auf objektiv faßbare außersprachliche Gegebenheiten stützen und deshalb in die Nähe von (Fach-) Terminologien rücken, die nicht (im linguistischen Sinne) strukturiert sind 61 . — Andere Bereiche scheinen dagegen bedeutend weniger konsequent strukturiert zu sein und auch eigentliche Lücken aufzuweisen. Wie soll man sonst erklären, daß es im Französischen z.B. keine adäquate Übersetzung für dt. Heimweh, Gemütlichkeit usw. gibt? Ein weiteres Problem stellt Triers Postulat dar, die einzelnen Felder seien scharf und deutlich gegeneinander abgegrenzt. DageCA

59

Cf. h i e r f ü r u a . Ullmann 1972:145 Ν 321.

60

Cf. hierzu auch oben unsere einleitenden Bemerkungen zum Semantikkapitel (p. 112).

61

DafUr können sie in der Regel fUr sich in Anspruch nehmen, wohldefiniert zu sein. Gerade dies schließt aber aus. dafi den Einheiten Wertcharakter im Sinne Saussures zukommt.

145

gen spricht schon die Tatsache, daß es durchaus Lexien gibt, die ganz offensichtlich mehr als einem Feld angehören. So sind z.B. père/mère einerseits Termini aus dem Bereich der Verwandtschaftsbezeichnungen, andererseits dienen sie aber auch der Bezeichnung von kirchlichen bzw. monastischen Rängen. Ein sein ist einerseits ein populär-anatomischer Terminus, andererseits aber auch die Bezeichnung für eine Küstenformation. Die Lexie jour steht für eine Zeiteinheit, sie markiert einen Helligkeitsgrad Dunkelheit), kennzeichnet eine spezielle Stickereitechnik, usw. Gewisse Termini lassen sich also nicht eindeutig einem und nur einem semantischen Feld zuordnen. Der Einwand, hier lägen doch Metaphern vor, ist nicht stichhaltig bzw. höchstens historisch relevant: Es handelt sich in all diesen Fällen keineswegs mehr um ad hoc-Bildungen, sondern vielmehr um lexikalisierte Bedeutungen, die aber auch für den naiven Sprecher noch eindeutig zusammenhängen . Allein schon diese Fälle legen die Vermutung nahe, daß es um die eindeutige Ausgrenzbarkeit der Felder nicht so gut bestellt sein dürfte wie Trier annimmt. Aus diesem Grunde haben denn auch z.B. Porzig (1934) und Jolies (1934) versucht, Triers Feldbegriff einzuengen und so die Ausgrenzungsprobleme zu vermeiden. Porzig reduziert seine Felder auf Beziehungen vom Typus Hund — bellen, Pferd — wiehern usw., d.h. auf das, was Coseriu lexikalische Solidaritäten nennen wird . Bei Jolies gelten als Felder Oppositionspaare vom Typus rechts/links, oben/unten, d.h. Bereiche, die unter unseren Antonymiebegriff fallen. Hier stellen sich die Probleme, die Trier hat, in der Tat nicht oder kaum — aber gleichzeitig wird auch die richtige Intuition von einer umfassenderen Organisation lexikalischer Bereiche einfach verschenkt. Die neuere Forschung versucht nicht mehr, Wortfelder exakt auszugrenzen. Sie verfolgt vielmehr den Weg, den die Dialektologie schon um die Jahrhundertwende bezüglich der (heftig umstrittenen) Dialektgrenzen eingeschlagen hat: Es gibt keine Dialektgrenzen, sondern nur Dialektzentren, und zwischen diesen Zentren 62 63

146

Es liegt also aus synchronischer Sicht nicht ein Fall von Homonymie, sondern vielmehr Polysemie vor. Cf. hierzu auch unten, Kap. 6.9.

konstituieren sich Spannungsfelder und Ubergangszonen 64 . Eine entsprechende Neuformulierung der Problematik der Wortfeldgrenzen hat die semantische Merkmalanalyse ermöglicht, wobei die Seme für die Problemlösung eine ähnliche Rolle Ubernehmen wie die Isoglossen bei der Frage der Dialektgrenzen. Wortfelder konstituieren sich nach dieser neueren Auffassung einzelsprachlich über die Rekurrenz einer gewissen Anzahl von Semen (im Extremfall eines einzigen Sems (Wotjak 1971:44). Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Feld ist so durch eine vorgegebene Merkmalkonstellation gesichert, wobei aber gleichzeitig auch die Zugehörigkeit zu einem andern Feld aufgrund einer ebenfalls im Semem enthaltenen Merkmalgruppierung möglich ist. Prinzipiell dürften Felder umso leichter zu umschreiben sein, je größer die Zahl der feldkonstitutiven Seme ist. Es darf aber nicht Ubersehen werden, daß selbst bei Einheiten, die die Zugehörigkeitskriterien (-» Vorhandensein einer bestimmten Semgruppierung) erfüllen, diese Zugehörigkeit ganz unterschiedlichen Grades sein kann. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die rekurrenten Seme in den Sememen in der Hierarchie der Merkmale (-» Arboreszenz) ganz unterschiedlich piaziert sein können: Lexien bzw. Sememe, in denen der feldkonstitutive Semkomplex einen hohen Rang einnimmt, gehören zum Kern des Feldes; solche, in denen die ausgliedernden Merkmale einen niedrigen Rang einnehmen, sind zur Peripherie des Feldes zu rechnen. So können zum Beispiel in dem von Geckeier (1971a) untersuchten Feld die Lexien vieux, jeune, âgé, ancien, antique, archaïque, moderne, récent, frais, neuf, nouveau zum zentralen Bereich gerechnet werden, während Einheiten wie cadet, aîné, majeur, mineur, juvénile, séniîe, mûr, inédit usw. peripheren Charakter haben. Damit sind zwar Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten für die erwähnten Probleme aufgezeigt; wie in den meisten Bereichen der strukturellen Semantik läßt aber der Ertrag im Bereich der konkreten Analysen noch sehr zu wünschen übrig: Man zitiert immer wieder die gängigen Evidenzbeispiele und macht einen 64

Vgl. hierfür va. die meisterliche Darstellung des Streites zwischen den Lagern von Ascoli und P. Meyer bei Horning (1893), der im wesentlichen auch die entscheidende Neuformulierung leistet.

147

großen Bogen um die Problemfälle. Auch hier besteht somit ein gewaltiger Nachholbedarf. 6.9. Innerhalb der Wortfelder spielen die Phänomene von Hyperonymie und Hyponymie eine sehr wichtige Rolle. Vage und vorwissenschaftlich könnte man die beiden Erscheinungen als das Auftreten bzw. Vorhandensein von Ubergeordneten bzw. untergeordneten Termini umschreiben. Definiert man lexikalische Einheiten in inhaltlicher Hinsicht nach dem klassischen Modell von Genus + Differentia specifica, dann entspricht das Hyperonym dem Genus, das Hyponym dagegen der spezifizierten Einheit: rose, tulipe, lys, marguerite usw. sind Kohyponyme 65 in bezug auf fleur, das seinerseits als Hyperonym für alle Bezeichnungen von Blumenarten zu gelten hat. Vergleichbare Relationen werden z.B. repräsentiert durch: bête: cheval, bœuf, chien, chat, chèvre usw. bâtiment: maison, église, palais, gratte-ciel, usine, fabrique, château usw. bâteau: chaloupe, barque, voilier, paquebot, steamer, tanker, yacht usw. Zwischen fleur und rose zum Beispiel existiert eine Oppositionsrelation, die man aus intensionaler Sicht als privativ, aus extensionaler Sicht als partizipativ bezeichnen kann 66 : fleur enthält gegenüber rose weniger semantische Merkmale, während rose den gesamten Merkmalkomplex von fleur einschließt (+ zusätzliche Merkmale); fleur ist somit semantisch weniger spezifiziert als rose und kann deshalb immer für den spezifischeren Terminus eintreten, während die umgekehrte Substitution nicht generalisierbar ist, sondern von akzidentellen Gegebenheiten abhängt. — Eine Opposition wie sie z.B. zwischen rose und tulipe existiert, nennt man äquipollent: Die beiden Lexien unterscheiden sich nicht durch das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein eines oder mehrerer Merkmale, sondern dadurch, daß zu einem gemeinsamen Kern 65 66

148

D.h. nebeneinander stehende (wenn auch nicht bedeutungsidentische) Hyponyme mit einem gemeinsamen Hyperonym. Intension · Gehalt an Merkmalen; Extension • virtueller Anwendungsbereich der Einheit.

mindestens je ein unterschiedliches Merkmal hinzukommt. Eine einseitige oder eine gegenseitige Substitution ist deshalb ausgeschlossen, während natürlich beide durch fleur ersetzt werden % f 7 können . — Schließlich kennt die Literatur auch noch den Typus der graduellen Opposition (z.B. froid/frais/tiède/chaud usw.). Obwohl unter anderem von Trubetzkoy (1967:67) vertreten, liegt hier wohl kein wirklich eigenständiger Typ vor. Wir haben vielmehr ei68 ne bzw. mehrere Hierarchien von binären Oppositionen (je nachdem privativer oder äquipollenter Natur). Die obige Temperaturskala ließe sich z.B. folgendermaßen gliedern 69 : [température]

froid

frais

tiède

chaud

Fällt das Hyperonym mit derjenigen Lexie zusammen, die als "Leitwort" ein ganzes Wortfeld definiert, spricht man von einem Archilexem (Coseriu 1978b:241; Geckeier 1973:23). In diesem Sinne ist siège das Archilexem flir das ganze Feld der Sitzgelegenheiten, fleur für dasjenige der Blumenbezeichnungen, bâteau für dasjenige der Wasserfahrzeuge, usw. Allerdings kann das Archilexem einzelsprachlich auch fehlen, d.h. es gibt ganze Felder, die man aufgrund dieses Mankos als solche nicht benennen kann. So gibt 67 68 69

Beide Einheiten sind Kohyponyme zu fleur. Cf. hierzu auch Geckeier 1973:25. 76. Die 1. dieser Oppositionen ist als äquipollent zu interpretieren und bezeichnet die negative oder positive Abweichung von der an der menschlichen Körpertemperatur orientierten "Normaltemperatur". Die 2. Oppositionsstufe ist privativer Natur, wobei die schwache Abweichung als markierter Term zu gelten hat.

149

es z.B. im Französischen kein Archilexem für die Gruppe von Lexien, die das Feld alt/jung/neu ausmachen, und ebensowenig existiert ein Architerm flir die Temperaturbezeichnungen. Allgemein gilt wohl, daß das Archilexem um so eher fehlt, je umfassender ein Feld ist, d.h je abstrakter es definiert ist. überdies ist der kategorematische Bereich bedeutend konsequenter durch Archilexeme abgedeckt als der synkategorematische. Ein weiterer Typus von makrostrukturellen Konfigurationen scheinen die sogenannten lexikalischen Solidaritäten zu sein, die Coseriu als "inhaltliche Bestimmung eines Wortes durch eine Klasse, ein Archilexem oder ein Lexem" definiert, "und zwar in der Hinsicht, daß eine bestimmte Klasse, ein bestimmtes Archilexem oder ein bestimmtes Lexem im Inhalt des betreffenden Wortes als unterscheidender Zug funktioniert" (Coseriu 1978b:243). Wie schon aus Coserius Definition hervorgeht, sind drei verschiedene Typen von (lexikalischer) Solidarität zu unterscheiden: — Affinität: Hier funktioniert ein Klassem als unterscheidender Zug. So ist z.B. im Französischen bouche durch das Merkmal '+ humain* gekennzeichnet, gueule dagegen durch das Merkmal '0 humain'. Dies hat zur Folge, daß bouche in Verbindung mit homme, femme, garçon, fille, jeune fille, directeur usw. verwendet wird, gueule dagegen bezogen auf chien, vache, lion, ours etc.; da gueule aber als nicht-markierter Term zu gelten hat, sind auch Verwendungen im Hinblick auf Einheiten mit dem Merkmal '+ humain' nicht ausgeschlossen, erbringen dann aber einen spezifischen konnotativen Wert ('vulgär', 'brutal' 70

usw.) . Eine ähnliche Konstellation haben wir bei dem Paar enceinte/pleine; auch hier existiert die (aufgrund der privativen Struktur vorgegebene) Verwendung des zweiten Terms flir menschliche Individuen, während der anthropomorphisierendmetaphorische Einsatz der ersten Einheit kaum zu belegen ist. — Selektion: Hier funktioniert ein Archilexem als unterscheidende Größe; so impliziert z.B. moisson, daß es sich um Getreide (céréales) handelt, das geerntet wird, bei cueillette kann es 70

ISO

Andererseits lassen sich auch Beispiele beibringen, wo bouche auf Lebewesen mit dem Merkmal "0 humain' bezogen erscheint; in diesen Fällen liegt eine anthropomorphisierende Metapher vor.

sich nur um Früchte (fruits) gehen. Der Terminus bec kann nur auf einen Vogel (oiseau) bezogen sein, nicht aber auf ein Säugetier oder gar einen Menschen (cf. auch oben zu bouche 71

und gueule) . In all diesen Fällen fungiert das Archilexem (céréales, fruits, oiseau usw.) als Semkomplex innerhalb des seiegierenden Terms (cf. auch Geckeier 1983:90). — Implikation: Hier funktioniert ein Lexem als unterscheidende Größe. Eine Lexie wie vendage impliziert, daß es sich um Trauben (raisin) handelt, fenaison setzt foin bzw. herbe voraus. Farbbezeichnungen wie alezan, rouan, moreau implizieren cheval, Adjektive wie aquilin, camus gehören zu nez; usw. Hierher gehören natürlich auch tierische Lautgebungen wie aboyer, hennir, beugler, miauler etc. mit den Implikationen 'Hund', 'Pferd', 'Rind', 'Katze'. Allerdings ist beugler wohl eher der Selektion zuzuordnen, da bœuf als Archilexem für vache, taureau, veau etc. fungiert, überhaupt erweisen sich die von Coseriu und Geckeier als Solidaritäten angesetzten Beziehungen oft als außerordentlich problematisch. Bei jambe/patte funktioniert zum Beispiel die Unterscheidung '+/0 humain' nicht, denn in bezug auf ein nn Pferd würde man nie von patte sprechen ... Es gibt durchaus Fälle, wo eine paradigmatische Analyse der Gegebenheiten und die Feststellung eines der Solidaritätstypen ausreicht, um alles wesentliche Uber die semantische Struktur einer gegebenen sprachlichen Einheit zu sagen; eine solche Konstellation haben wir z.B. im Falle von mordre und seiner Implikation '(avec) dent(s)', bei lécher und seiner Implikation '(avec la) langue'·, usw. Eine entsprechende Situation haben wir auch bei Selektionen vom Typus cueillette fruits. In anderen Fällen dagegen hat das Solidaritätsphänomen aber auch eine eindeutig syntagmatische Dimension: Es wirkt sich als Selektionsbeschränkung aus73. So kann ich enceinte nur in bezug auf eine Frau, nicht aber für eine Kuh verwenden; alezan als Angabe für die Farbe der Behaarung ist nur in bezug

71

Dies schließt natürlich metaphorische Verwendungen nicht aus, cf. zB. dt. Grünschnabel, fr. blanc-bec.

72

Zu dieser Problematik cf. auch Gsell 1983.

73

Cf. hierzu ζ Β. auch Wotjak 1971:210ss^ Berruto 1976:66s.; Schifko 1975: 88ss.; Körner 1977:98ss.¡ usw.

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auf ein Pferd, nicht aber für einen Menschen oder irgend ein anderes Tier möglich; miauler kann ich nur bezüglich einer Katze, nicht aber hinsichtlich eines Hundes sagen; usw. — wobei natürlich metaphorische Verwendungen wie immer eine mögliche Ausnahme von diesen Selektionsbeschränkungen darstellen. Ob sich Solidaritäten syntagmatisch als Selektionsbeschränkungen auswirken oder nicht, dürfte im wesentlichen davon abhängen, ob wir es mit kategorematischen oder mit synkategorematischen Lexemen zu tun haben: Der kategorematische Charakter der implizierten bzw. selektierten Einheit zieht automatisch eine syntagmatische Bindung an einen Repräsentanten eben dieser Einheit nach sich. 6.10. Unsere Ausführungen zur Semantik sind recht umfangreich geworden, was sich angesichts der zentralen Stellung dieser Teildisziplin im Rahmen einer Lexikologie auch durchaus rechtfertigen läßt. Gleichzeitig machen diese Ausführungen auch deutlich, welche Fortschritte in diesem Bereich in den letzten Jahrzehnten erzielt worden sind. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die semantische Forschung im Moment stagniert: Die theoretischen Probleme scheinen weitgehend eine befriedigende Lösung gefunden zu haben, so daß man auf das mühsame Geschäft weiterer Materialdurchdringung glaubt verzichten zu können. Gerade dies ist ein grundlegender Irrtum. Nur weitere und konsequente Arbeit «im Material wird es erlauben, Schwächen der vorliegenden theoretischen Lösungen aufzudecken und so weitere Fortschritte im theoretischen Bereich auszulösen.

152

Aufgaben zu Kapitel 6 1. Versuchen Sie, die Begriffe parole. Σ-parole. Norm und System (langue) zu definieren und beschreiben Sie den Abstraktionsschritt von der jeweils einen zur nächsten dieser Analyseebenen. 2. Diskutieren Sie nach den Ausführungen p. 119ss. das Problem der Linearität und der Simultaneität sprachlicher Einheiten wie Phonem, Sem, Monem, Lexie. Wie verhalten sich Baupläne unterschiedlichen Ranges ("Wort", Syntagma, Satz) in dieser Hinsicht? 3. Analysieren Sie den Ausdruck caisse de bols (dt. Holzkiste) im Hinblick auf seine verschiedenen semantischen Möglichkeiten und unter Berücksichtigung der folgenden Ebenen: 1. sprachliche Struktur; 2. enzyklopädisches Wissen (Weltkenntnis); 3. referentielle Gegebenheiten. 4. Diskutieren Sie die Begriffe arbiträr, konventionell und (relativ) motiviert in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit. 5. Grenzen Sie die Begriffe Signifikat, Semantem und Semem gegeneinander ab und Illustrieren Sie ihre Ausführungen mit eigenen Beispielen. 6. Versuchen Sie mit Hilfe eines Gebrauchs Wörterbuchs, die Sememe von canard und division zu bestimmen. Versuchen Sie herauszuarbeiten, was jeweils den verschiedenen Sememen gemeinsam ist. 7. Diskutieren Sie — vor allem aufgrund von Heger 1964 — den Unterschied zwischen Semasiologie und Onomasiologie. 8. Definieren Sie den Unterschied zwischen Homonymie und Polysemie und illustrieren Sie die beiden Kategorien mit geeigneten (eigenen) Beispielen. 9. Diskutieren Sie die Auflösung des Begriffs Homonymie in Homophonie und Homographie und versuchen Sie, das Verhältnis dieser beiden Subkategorien zueinander zu bestimmen.

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10. Stellen Sie einige Fälle dar, wo zwar Homophonie, nicht aber Homographie gegeben ist. Erläutern Sie anhand einer einschlägigen altfranzösischen Grammatik, welche Fakten der historischen Lautlehre hier zur graphischen Differenzierung genutzt werden. 11. Stellen Sie mindestens 10 Beispiele oder Beispielketten fUr antonymische Adjektive zusammen und diskutieren Sie deren kontradiktorischen bzw. konträren Status. 12. Wenn man im Französischen schon Wortklassen '+/- animé' und '+/- humain' ansetzt, mlißte man auch K l a s s e n vom Typus '+/- végétal' postulieren? den Sie bei Ihrer Argumentation kognitive und Ebene.

vom Typus dann nicht Unterscheisprachliche

Φ

13.

Erstellen Sie ein Inventar von Verwandtschaftsbezeichnungen im Französischen und versuchen Sie, dieses im Rahmen einer Semanalyse zu strukturieren.

Φ

14.

Versuchen Sie, die Matrixanalyse von Pottier flir die Sitzgelegenheiten in eine Arboreszenz umzusetzen. Beziehen Sie weitere — von Pottier nicht berücksichtigte — Sitzgelegenheiten in ihre Analyse mit ein. 15. Diskutieren Sie aufgrund von Kleiber 1981 den Unterschied zwischen kategorematischen und synkategorematischen Lexien (Substantive). Werten Sie in diesem Sinne die ersten 10 Seiten des Buchstabens A des Petit Robert aus. Φ

16.

Diskutieren Sie aufgrund einschlägiger Wörterbücher, inwieweit contrat, traité, accord, convention, pacte, alliance usw. synonym sind.

Φ

17.

Versuchen Sie, ein Inventar der das Wortfeld 'Landfahrzeuge' ausmachenden Lexien zu erstellen und Strukturierungskriterien herauszuarbeiten. Wie ist das Verhältnis dieses Feldes zu den Feldern "Wasserfahrzeuge' und 'Luftfahrzeuge' innerhalb des Gesamtfeldes 'Fahrzeuge'?

18. *Analysieren Sie das Wortfeld 'Bäume' im Französischen unter dem Gesichtspunkt von Hyperonymie/Hyponymie und disku-

154

Ueren Sie anhand dieses Materials die verschiedenen Oppositionstypen (privativ/partizipativ, equipollent). Φ

Unterziehen Sie das Wortfeld gâteau/tourte/tarte (inklusive der im Petit Robert angegebenen "Synonyme") einer Semanalyse. Inwieweit spielen in diesem Feld Lehnelemente eine Rolle? Sind diese Lehnelemente integriert oder nicht? Sind sie zentral oder marginal?

ISS

7. Konnotation und Registermerkmale Es bleibt uns noch ein letzter Bereich im Rahmen der Lexikologie zu besprechen, derjenige der Konnotation. Auch bei den konnotativen Merkmalen ("Konnotemen") eines sprachlichen Zeichens handelt es sich ganz offensichtlich um inhaltliche Elemente, die die Verwendung der Einheit mitbestimmen, d.h. je nach Kotext und Kontext begünstigen oder behindern, ermöglichen oder verunmöglichen. Dies läßt natürlich die Frage berechtigt erscheinen, warum die konnotativen ZUge nicht im vorhergehenden Kapitel Uber die Semantik abgehandelt wurden. Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach zu geben. Die Semantik befaBt sich mit Bedeutungsunterschieden, die distinktiver bzw. denotativer Natur sind. Seme haben insofern Steuerungswert für die Verwendung eines sprachlichen Zeichens, als ihre Nutzung zur Wiedergabe von außersprachlichen Sachverhalten entweder zutreffend oder nicht zutreffend ist. Oder mit anderen Worten: Auf Semen und Semkonfigurationen beruhende Bedeutungen gehen dergestalt in Aussagen ein, daß sie deren Wahrheitswert beeinflussen. Gerade dies ist im Falle der Konnoteme nicht der Fall, obwohl auch sie flir den Charakter einer Aussage nicht irrelevant sind. Ihr Einfluß hat aber mit dem Wahrheitswert nichts zu tun, sondern wirkt sich auf den kommunikativen Wert höchstens in dem Sinne aus, daB eine Äußerung als "gut geformt" oder "schlecht geformt", "angemessen" oder "unangemessen", "gekonnt" oder "stümperhaft" usw. beurteilt wird. Seme sind bedeutungsrelevant, Konnoteme dagegen stilrelevant*. 7.1. Der Begriff der Konnotation ist erstmals von Louis Hjelmslev (1968:155ss.) systematisch aufgearbeitet worden, wobei er ihn bewußt sowohl gegen denjenigen der Denotation absetzt als auch gegenüber der Metasprache ausgrenzt 2 . Jedes normale (d.h. deno1 2

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Für eine Stildefinition in meinem Sinne, die gezielt auf das Konnotationsphänomen abhebt, cf. Braselmann 1981:76ss. Im Sinne Hjelmslevs ist eine Metasprache eine (künstliche) Besch reibungssprache fUr eine natürliche Sprache oder eine andere Metasprache. Die Hierarchie der Uber einer natürlichen Sprache operierenden Metasprachen ist im Prinzip unbegrenzt, endet aber immer mit einer natürlichen Sprache.

tative) sprachliche Zeichen kann als Ganzes in einen Konnotator eingehen und in diesem die Rolle der Ausdrucksseite iconnotant) des konnotativen Zeichens übernehmen; die zugehörige Inhaltsseite (connoté) ist relativ einfacher Natur und entspricht dem, was wir oben Konnotem genannt haben. Dies bedeutet nichts anderes, als daß (im Gegensatz zu den denotativen) die Inhaltsseite der konnotativen Zeichen in der Regel nur aus einem einzigen Merkmal besteht. Graphisch lassen sich diese Verhältnisse folgendermaßen darstellen : signifié connoté

signifiant