Franz Spina (1868-1938): Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit 9783412214555, 9783412207472


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Franz Spina (1868-1938): Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit
 9783412214555, 9783412207472

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FRANZ SPINA

(1868–1938)

Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit

HERAUSGEGEBEN VON STEFFEN HÖHNE UND LUDGER UDOLPH

:: Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert

Herausgegeben von Steffen Höhne (Weimar), Alice Stašková (Prag/Berlin) und Václav Petrbok (Prag)

Band 2

Franz Spina

(1868–1938)

Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit

Herausgegeben von Steffen Höhne und Ludger Udolph

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Steffen Höhne ist Professor am Institut für Musikwissenschaft Weimar-Jena, Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar / Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ludger Udolph ist Professor für Slavische Literaturwissenschaft an der TU Dresden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Franz Spina, Anfang der 1930er Jahre. Foto aus Privatbesitz. © 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Redaktion: Steffen Höhne unter Mitarbeit von Carsten Wernicke und Wolf-Georg Zaddach Lektorat: Sibylle Höhne Druckvorlage: Carsten Wernicke und Wolf-Georg Zaddach This work is licensed under the Creative Commons NamensnennungNicht kommerziell 4.0 International License. To view a copy of this license, visit http://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ ISBN (Print) 978-3-412-20747-2 ISBN (OA) 978-3-412-21455-5 https://doi.org/10.7788/boehlau.9783412214555

Inhaltsverzeichnis Vorwort...................................................................................................................7 Franz Spina – Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit Steffen Höhne................................................................................................................9 Franz Spina als Bohemist Ludger Udolph...........................................................................................................39 „... unter der verheerenden Wirkung des bösen Halbworts vom Selbstbestimmungsrecht“. Franz Spina und die Nationalitätenfrage Karl Braun.................................................................................................................67 Vom Erlöser zum Verräter der Sudetendeutschen oder: Wie ‚deutsch‘ war Franz Spina? Positionen seiner öffentlichen Wahrnehmung Klaas-Hinrich Ehlers..................................................................................................81 Von der ‚Beamtenfrage‘ zur ‚Milderung der Schroffheit der nationalen Kämpfe‘. Voraussetzungen, Entwicklung und Wirkung von Franz Spinas Engagement in schulpolitischen Fragen vor dem Ersten Weltkrieg Václav Petrbok...........................................................................................................97 Spina und der Wirtschaftsaktivismus in der Ersten Tschechoslowakischen Republik Christoph Boyer.........................................................................................................127 Franz Spina und der deutsche Agrarismus in den böhmischen Ländern der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts Eduard Kubů, Jiří Šouša...........................................................................................141

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Inhaltsverzeichnis

„Er hielt seine schützende Hand über die Burschenschaften ...“. Franz Spina und die akademischen Vereinigungen Harald Lönnecker....................................................................................................169 Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft ‚Frantova Práva‘ aus sprachwissenschaftlicher Sicht Andrea Scheller........................................................................................................213 Anmerkungen zum Verhältnis von Zweckmäßigkeit und Methode in Spinas philologischer Praxis Alice Stašková..........................................................................................................227 Zwei Zeitschriften – viele Diskurse: Ideenströme zwischen der Prager Slavischen Rundschau und dem Warschauer Wschód im Europa der Zwischenkriegszeit Zaur Gasimov..........................................................................................................241 Eine Begriffsgeschichte der deutsch-tschechischen ‚Symbiose‘ nach Franz Spina Michael Havlin........................................................................................................261 Franz Spina und Gerhard Gesemann Helmut Wilhelm Schaller..........................................................................................281 Herbert Cysarz: Von der barocken zur sudetendeutschen Literatur Ota Konrád..............................................................................................................297 Fr. Spina als Wissenschaftler Roman Jakobson.......................................................................................................315

Abbildungsnachweise.........................................................................................317 Abkürzungsverzeichnis.......................................................................................319 Personen- und Ortsregister..................................................................................321 Adressen der Autoren..........................................................................................329

Vorwort Nachdem der erste Band der Reihe Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahr­ hundert, die in ‚germanobohemischer‘ Tradition Persönlichkeiten, Diskurse und Kontexte in den Blick nimmt, mit August Sauer eine zentrale Gestalt intellektueller Debatten und Kontroversen um 1900 behandelt hat, wird im zweiten Band Sauers Schüler Franz Spina vorgestellt. Spinas Bedeutung ergibt sich sowohl aus seiner Tätigkeit als Hochschullehrer als auch aus seinem po­ litischen Wirken als einer der wichtigsten deutschböhmischen/sudetendeut­ schen Vertreter des ‚Aktivismus‘. Der vorliegende Band versammelt die Ergebnisse einer Tagung zu Franz Spina – Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit, die vom 17.19. Februar 2010 im Österreichischen Kulturforum Prag stattfand. Die Herausgeber möchten sich insbesondere für die Gastfreundschaft bei den Mitarbeitern des Kulturforums bedanken, namentlich bei dem Direktor Dr. Florian Haug sowie bei Dr. Václav Maidl. Ferner sei die finanzielle Unterstützung durch den Herder Forschungsrat sowie den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds erwähnt, durch deren Hilfe die Tagung erst ermöglicht werden konnte. Gedankt sei darüber hinaus den beiden Enkelinnen Franz Spinas, die durch ihre Teilnahme zum Erfolg der Tagung beitrugen und die zudem wert­ volles Photomaterial zur Verfügung stellten, das zum Teil in den Band aufge­ nommen werden konnte. Die Herausgeber

Steffen Höhne

Franz Spina – Ein Prager Slavist zwischen Universität und politischer Öffentlichkeit

1. Intellektuelle in Prag

Um die Jahrhundertwende lässt sich für die Habsburgermonarchie im Allgemeinen, für die Böhmischen Länder im Besonderen, eine zunehmende Verfestigung nationalpartikularer Einstellungen konstatieren, verbunden mit z. T. destruktiven Vorgängen nationaler Selbstvergewisserung und desintegrativen Tendenzen, an denen nicht zuletzt die Wissenschaften maßgeblich beteiligt waren. Johannes Feichtinger (2010) spricht in Anlehnung an Mitchell G. Ash zu Recht von einer Selbstinvolvierung der Wissenschaften im Feld der Politik bzw. von Phänomenen wechselseitiger Ressourcenmobilisierung, die insbesondere für die Professoren der Prager deutschen Universität charakteristisch sein dürfte, wurde doch, angesichts gravierender demographischer und sozialer Verschiebungen im Kräftefeld Prag, die eigene kulturelle Position angesichts der Herausbildung einer tschechischen Metropole als fragil wahrgenommen. Gleich ob man den Typus des politisierenden Professors oder den des Intellektuellen bemüht, denen man, vor allem in Krisen, die spezifische Funktion zuschreibt, Wissen, Theorien, Ideen oder Meinungen zu Problemstellungen von allgemeiner Bedeutung schöpferisch hervorzubringen und/ oder öffentlichkeitswirksam zu verbreiten und somit gesellschaftlich relevante Weltbilder und Ideensysteme zu prägen, auch Franz Spina wirkte als Produzent und Vermittler von Ideen und Weltbildern, gerade in dem Bewusstsein, auf die nationalpartikularen Herausforderungen reagieren zu müssen. Für Spina ist, Spezifikum Prager Universitätsprofessoren (Luft 1988),1 eine Verlagerung des kultur-, sprach- und wissenschaftspolitischen Raisonnements und 1  Allerdings lassen sich die Prager Professoren, ob tschechisch oder deutsch, ungeachtet eines liberalen Selbstverständnisses, kaum als politische Professoren bezeichnen, sie nehmen eher zu allgemeinen, insbesondere kultur- und bildungspolitischen und nationalen Fragen publizistisch Stellung und engagieren sich eher in überparteilichen Vereinen, nicht als

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Engagements in den außerwissenschaftlichen Raum kennzeichnend, zunächst über eine vielfältige publizistische Tätigkeit, nach dem 1. Weltkrieg mit dem direkten Wechsel in die Politik.2 Nun kann man die Figur des Intellektuellen in einem Kontinuum zwischen dem Engagement eines sich als tugendhaft begreifenden Akteurs (Hegel) und einem Akteur innerhalb von Machtkämpfen einordnen, der sich als Teil einer Deutungselite (Wissenschaftler, Künstler, Journalist) und als Sinnproduzent versteht, der „das Geschäft öffentlicher Kritik betreiben und dabei den Rahmen dessen definieren [möchte], was als legitim bzw. illegitim gilt.“ (Bluhm/ Reese-Schäfer 2006: 9) Vor einem solchen Selbstverständnis, bei dem oftmals eine eigene Logik des Politischen akzentuiert wird, die weniger auf Urteilskraft oder praktische Erfahrung in öffentlichen Debatten und Pluralität abzielt, sondern auf abstrakte Ideen und politische Leidenschaften, war Franz Spina aufgrund seines aktivistischen realpolitischen Engagements geschützt, er war somit, um einen kritischen Reflex von Alexis de Tocqueville aufzugreifen, kein freischwebender Intellektueller. Der am 5. Oktober 1868 in Markt Türnau geborene Franz Spina immatrikulierte sich 1888 an der damals schon geteilten Prager deutschen Universität für Germanistik, Altphilologie, Philosophie und Slavistik. Dort wurde er Mitglied der Verbindung Constantia (s. Lönnecker in diesem Band). Sein Lehrer August Sauer promovierte ihn zum Dr. phil. Vom Fach her Germanist entwickelte Spina ein stark volkskundliches Interesse, worauf Sauer (1907) in seiner Rektoratsrede einging, in der er auf Spinas Verdienste um die volkskundliche Forschung in Mähren wies. Nach dem Studium wurde er zunächst Supplent am Stiftsgymnasium der Benediktiner in Braunau i. B., 1896 Gymnasiallehrer in Mährisch-Neustadt für Deutsch, Latein und Griechisch. 1901-1905 folgte eine Lehrtätigkeit in Mährisch-Trübau, 1905 wurde er dann verbeamteter Lehrer am Deutschen Staats-Gymnasium in Prag-Weinberge [Vinohrady], eine Tätigkeit, die ihm Zeit für wissenschaftliche Arbeiten ließ. 1906 nahm er die Stelle eines Lektors für Tschechische Sprache an der Prager deutschen Universität an, sicher auch, ungeachtet gewisser Widerstände (hierzu Ehlers in diesem Band), Ausdruck der Bedeutung, die von deutschböhmischer Seite Parteipolitiker (Luft 1988: 304). Hierin bildet der spätere BdL-Vorsitzende und Minister Franz Spina eine Ausnahme. 2  Seinen politischen Einfluss machte Spina auch zugunsten der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen geltend, der er neue Räume im Deutschen Gymnasium in den Weinbergen verschaffte, nachdem tschechische Dienststellen die ursprünglichen Räume im Clam-Gallas-Palais beschlagnahmt hatten. Gleichermaßen setzte er sich erfolgreich für öffentliche Finanzzuwendungen ein (Pešek/Míšková 2010: 197).

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der zweiten Landessprache beigemessen wurde. Es folgte 1909 die Habilitation für tschechische Sprache und Literatur, die aber noch nicht zur Einrichtung einer selbständigen Lehrkanzel für tschechische Sprache und Literatur führte (Bachmann 1976: 174). Spina erhielt zunächst 1912 einen Lehrauftrag für Tschechische Literaturgeschichte. Erst 1917 wurde Spina Extraordinarius, 1921 dann ordentlicher Professor für tschechische Sprache und Literatur mit Berücksichtigung der übrigen westslavischen Sprachen und Literaturen,3 womit eine Institutionalisierung der Bohemistik an der Prager deutschen Universität erfolgte, die durch eine Reihe profilierter Zeitschriftenprojekte ein fachlich-inhaltliches Fundament erhielt. Ende 1930 gründete Spina zusammen mit Gerhard Gesemann die Deutsche Gesellschaft für Slavistische Forschung in Prag als Dachorganisation, die sowohl die Germanoslavica (1931-1937) als auch die Slavische Rundschau (1929-1940) herausgab. Das Ziel der Germanoslavica bestand in der Darstellung der ‚germanisch-slavischen Kulturbeziehungen‘ und der ‚vergleichenden Völkerkunde‘ (siehe Heft 1, Zum Geleit), mit ihr bekamen die historischen Forschungen zu den wissenschaftlich-kulturellen Beziehungen zwischen Deutschen und Slaven ein zentrales Podium. Das Ziel der Slavischen Rundschau bestand in der eher weiter gefassten kulturpolitischen Vermittlung im deutsch-slavischen Verhältnis, ein völlig neuer Typus einer slavistischen Zeitschrift, die sich neben internationaler Vermittlung der Förderung der zwischen­slavischen Beziehungen verschrieb.4 Mit beiden Zeitschriftenprojekten konnte Spina den engeren Fachdiskurs überschreiten.5 Nach 1918 trat der akademische Lehrer Spina zugunsten des Politikers zurück, wobei er als „anerkannter Führer des deutschen Landvolkes“, der dazu bestimmt war, „die Geschicke der Deutschen in diesem Staat mitzubestimmen“ (Rotter 1928: 5), in den dreißiger Jahren mit dem Aufschwung der radikalen nationalistischen SdP zunehmend in die politische Isolierung geriet, so dass er gar, wie Franz Jesser (1983: 101) in seinen Erinnerungen schreibt, „nach der reichsdeutschen Terminologie reif für das Konzentrationslager“ war. Spina starb – man darf in diesem Falle wohl sagen rechtzeitig – am 17. September 1938 kurz vor dem Münchner Abkommen. 3  Slavistik mit Schwerpunkt westslavische Sprachen und Literaturen. Hierzu im Weiteren der Beitrag von Udolph in diesem Band. 4  Der Slavischen Rundschau ging es, so die Gedenkschrift (1938: 4f.), um das „zeitgenössische kulturelle Schaffen der slavischen Länder in seiner Beziehung zur Weltkultur und vor allem zur Kultur der Nachbarvölker, der Vertiefung der gegenseitigen Kenntnis und Annäherung.“ 5  Zur wissenschaftspolitischen Bedeutung Spinas und der beiden Zeitschriftenprojekte siehe insbesondere die Arbeiten von Ehlers (1997; 2000a und b; 2005).

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2. Sprach- und bildungspolitische Positionen Spinas vor 1918

Die Biographie Spinas ist insbesondere durch die seit den 1880er Jahren fortschreitende politisch-kulturelle Desintegration in den Böhmischen Ländern bzw. der Tschechoslowakei gekennzeichnet, ein Prozess, in den Spina als Publizist und Politiker involviert war. Schon die akademischen wie lebensweltlichen Kontexte beeinflussten den Prager Studenten, Lehrer und späteren Hochschullehrer. Durch die wachsenden Erfolge der nationalen Emanzipa­ tionsbewegungen und destruktive Vorgänge nationaler Selbstvergewisserung, in denen Sprach- und Kulturgrenzen gezogen, verteidigt, legitimiert und erweitert wurden – ungeachtet realer sprachlicher oder mentaler Heterogenitäten im Alltag und ungeachtet permanenter Prozesse des Austauschs, der Ethnogenese, der Akkulturation (Csáky 2011) –, verdrängte eine politics of survival (Cohen 1996) in einem umkämpften Machtfeld utraquistische Traditionen und Einstellungen. Nicht zuletzt Intellektuelle und Künstler sahen sich in der Pflicht, an diversen Konstruktionen des nationalen Gemeinschaftsgefühls mitzuwirken (Feichtinger 2010: 83), umrahmt von Prinzipien und Logiken des Machtstandpunkts, der Selbstaufwertung durch Abwertung anderer zu versprechen schien. Die Prozesse der Nationalisierung ließen utraquistische Traditionen obsolet werden, es setzten sich Konzepte partikularer Identitäten durch, welche die Zugehörigkeit zu einem größeren nationalkulturellen Kollektiv verbürgten. Damit einher verliefen symbolische Besetzungen im öffentlichen Raum, vor allem in Prag (Marek 2004; Nekula 2011). Die Deutschböhmen reagierten auf den Verlust ihrer ursprünglichen Monopolstellung im öffentlichen Raum mit Rückzugs- und Sammlungsbewegungen, ihre neue Positionierung alternierte zwischen Vorposten im Grenzlandkampf und bedrohter Minderheit (Jaworski 1977). Diese Entwicklung führte zu einem Ende des innerböhmischen Dialogmodells und zu einer allmählichen Segregation der beiden Volksgruppen in der Kultur, im Schulwesen, in der höheren Bildung. In diese Überlagerungen war Franz Spina als Vermittler in der Lehre und als Publizist gleichermaßen involviert, wobei er nicht nur mit Reden, Zuschriften, Interviews, Hörfunkansprachen und Leitkommentaren in der sudentendeutschen Medienberichterstattung (z. B. in der Deutschen Arbeit oder der Deutschen Landpost) präsent war, sondern auch in der Prager deutschen sowie in der tschechischen Presse, so in der Bohemia, dem Prager Tagblatt, der christlichen Deutschen Presse,­der offiziösen Prager Presse. Ungeachtet eines nicht vollständi-

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gen ­Korpus’6 ermöglichen die für die Analyse herangezogenen Texte doch einen Blick auf zentrale Argumentationsmuster Spinas, mit denen der Blick auf explizite und implizite, text- und kontextsemantische Verweisungen bzw. intertextuelle Zusammenhänge ermöglicht wird, aus denen sich über Auseinandersetzungen um Bedeutungen, die immer auch Fragen der Macht tangieren, eine Rekon­struktion öffentlichkeitskonstitutiver Wirkungen der Publizistik Spinas ergibt. Ähnlich wie sein Mentor August Sauer beschränkte sich auch Franz Spina nicht auf sein engeres akademisches und pädagogisches Wirkungsfeld, sondern er versuchte die weitere Öffentlichkeit zu beeinflussen. Dabei standen vor 1918 insbesondere sprach- und bildungs- bzw. schulpolitische Kontroversen im Zentrum. Spinas sprachpolitische Einstellung lässt sich an einem Artikel aus dem Jahr 1906 ablesen. Ausgangspunkt ist die Frage der Besetzung von Beamtenstellen, eines, so Spina (1906: 438), „der wichtigsten Momente in den gewaltigen, materielle und geistige Güter verzehrenden nationalen Kämpfen in den Sudetenländern.“ Anlass des Artikels ist eine Studie aus dem Jahr 1893 von Armand Freiherrn von Dumreicher, in der eine deutliche Unterrepräsentierung der Deutschböhmen bei den Beamtenstellen nachgewiesen und als Ergebnis eines national zielgerichteten, tschechischen Verdrängungsprozesses, so das zeittypische Deutungsmuster, interpretiert wird, in dem das „Wesen der alt-österreichischen, im theresianischen Zeitalter mühsam organisierten Bureaukratie“ zerstört worden sei und es gelang, die, Zitat Dumreicher, „slawischen Orte und Gegenden rein slawisch zu verwalten, die gemischten zu slawisieren, die deutschen zu utraquisieren“ (Spina 1906: 438f.), somit eine, an anderer Stelle angesichts der Tschechisierung von Orten wie Budweis oder Olmütz als „Städtetragödien“ (Spina 1914b: 643) bezeichnete, Verschiebung der sprachlichen und damit politischen Mehrheitsverhältnisse vorzubereiten. Nun sei die aktuelle Situation, so Spina, nicht nur Ergebnis einseitiger staatlicher Förderung, sondern auch Ausdruck der „kraftvollen“ tschechischen nationalen Wiedererweckung sowie der Industrialisierung, die zur erhöhten Mobilität der agrarischen Schichten führte, begleitet von einer „national rücksichtslosen Politik der tschechischen Führer“, durch die die ­„Deutschen in die 6  Aufgrund des umfangreichen publizistischen Engagements Spinas nach 1918 und aufgrund des medialen Interesses, das er als führender deutschböhmischer Politiker und späterer Minister hervorrief, ist eine diskursanalytische Untersuchung der Publizistik nur unter Einschränkungen möglich. Zwar hat Michael Havlin eine erste, gleichwohl noch unvollständige Bibliographie der Texte Spinas erstellt, angesichts von häufig an entlegener Stelle veröffentlichten, schwer zugänglichen Texten, dies betrifft vor allem Periodika der lokalen Parteiorganisationen des BdL, sind hier weitere Recherchen unumgänglich.

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Minorität“ gedrängt würden (Spina 1906: 439). Spina vertritt bis hier den nationalen Konsens, der für die deutschböhmische Gesellschaft charakteristisch war. Dann aber spricht er von der schweren Schuld der Deutschen selbst: ‚die tschechischen Anwärter auf Staatsbeamtenstellen haben, gezwungen durch die geographische Lage ihres Volkes, aber auch aus politischer Raison wohl oder übel deutsch gelernt und dadurch im Beamtenstande die Überhand gewonnen, die Deutschen aber haben durch lange Zeit das Gebot der einfachsten politischen Klugheit nicht erfüllt, das zu tun, was den Gegnern so große Erfolge gebracht hat.‘ Sie haben sich freiwillig einer wichtigen Waffe im Kampfe um den Vorrang im Staate begeben, durch deren weise Benützung sie zwar nicht alles gerettet, aber manche schmerzliche Erfahrung sich erspart hätten. ‚Lernen Sie die zweite Landesprache, denn man kann ein Volk nur dann beherrschen, wenn man dessen Sprache versteht‘. (Spina 1906: 439, Herv. i. O.)

Spina, ein Bismarck-Zitat variierend, sieht die Gründe für die ethnozentrische, sprachnationale Fixierung, die Festlegung auf eine einsprachige homoglossische Ideologie, in eigenkultureller Hybris, in der Statusabwertung des Tschechischen und in dem mangelnden realpolitischen Verständnis nationaler Prozesse. Die als problematisch identifizierten Einstellungen reichen von der Kulturträgertheorie, „daß für den Deutschen die Kenntnis seiner alten Kultursprache in Österreich genügen müsse“, bis zur monoglossischen „Furcht vor der Entnationalisierung durch die Kenntnis der tschechischen Sprache“ (Spina 1906: 439). Spina, der explizit den „Wechsel“, den „Austausch der Kinder zwischen deutschen und tschechischen Familien“ und das, bis in die 1860er Jahre einem „vernünftigen utraquistischen Prinzip“ folgende Schulsystem (Spina 1906: 440) sowie die positiven Wirkungen des Mährischen Ausgleichs von 1905 nennt, stellt sich in eine bohemistische Tradition, aus der bildungspolitische Forderungen abgeleitet werden,7 begründet aus einem rein praktischen Bedürfnis zur Erlernung der zweiten Landessprache, um über erhöhte Konkurrenzfähigkeit eine „Stärkung des deutschen Elements in der Beamtenschaft“ zu erreichen (Spina 1906: 440). Aufgabe der Universität, insbesondere der Prager deutschen, müsse es sein, Lehrer für Mittelschulen mit Tschechischkenntnissen auszubilden und tschechische Fachsprachenkenntnisse für die anderen Studienrichtungen anzubieten, insb. für Juristen und Mediziner. Die Aufgaben einer wissenschaftlichen Bohemistik, Spina ist ja 7  „Unter Bohemismus soll ein Integrationsmodell für die böhmischen Länder verstanden werden, welches die nationalen Divergenzen und Interessen zwischen Tschechen und Deutschen zugunsten übernationaler Einstellungen aufzulösen sucht und dabei von einer prinzipiellen Gleichheit im Sinne einer nicht-prioritären, auch sprachlichen Gleichberechtigung der Böhmen […] ausgeht.“ (Höhne 2002: 18)

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gerade ­Lehrbeauftragter geworden, liegen in der „wissenschaftlich-theoretischen Durchbildung der künftigen Mittelschullehrer [an] Gymnasien und Realschulen“ (also alle Schultypen) sowie der praktischen Ausbildung. Als konkrete Maßnahmen stellt Spina Lehrpläne und neue Fächerkombinationen sowie eine bessere Progression der Sprachkurse zur Diskussion, ferner fordert er die Einrichtung eines Lektorates sowie eine Differenzierung zwischen philologischer und fachsprachlicher Ausbildung im Tschechischen. Spina rekapituliert darüber hinaus die praktischen Probleme der Verankerung von Tschechisch an den Gymnasien, z. B. durch Substitution des Griechischen im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Ausbildung in den Kronländern, ferner lägen längst Forderungen neuer Fächer nach Aufnahme in den Gymnasialkanon vor (Naturwissenschaften, Neuere deutsche Philologie, mehr Mathematik): „Unter den gegenwärtigen Verhältnissen empfiehlt sich ein intensiv betriebener unobligater Unterricht von rein praktischer Anlage und mindestens drei Wochenstunden […].“ (Spina 1906: 441) Spinas Hauptargument hinsichtlich einer Fundierung der Bohemistik an der Prager deutschen Universität, und hier verlässt er die wissenschaftspolitische Ebene und wendet sich der sprachpolitischen zu, lautet: „Gewiß würde der nationale Kampf minder schroffe Formen annehmen, wenn der Deutsche seinen nationalen Konkurrenten versteht, wenn er persönlich ihm gegenüber nicht mehr stumm (‚němec‘) ist.“ (Spina 1906: 442) Ungeachtet der Rolle, die Sprachvarietäten als starkes Identitätsund damit Abgrenzungsmerkmal bilden, erwartet Spina eine Abmilderung nationaler Konflikte per kommunikativer Kompetenz. „So würde das, was als Mittel im nationalen Kampfe einsetzt, zu einer Kulturtat werden, indem es zwei aufeinander angewiesene Völker einander näher bringt.“ (Spina 1906: 442) Mit derartigen Äußerungen grenzt sich Spina sowohl von den Sprachnationalisten ab, die von der Überlegenheit der eigenen und der Gefährdung durch andere Sprachen ausgehen, für die „der Deutsche, der tschechisch lernt […] Opfer [bringt], der Tscheche, der deutsch lernt […] damit einen Welthorizont“ erobert (Ullmann 1913: 2), als auch von den Sprachpragmatikern, für die eine Notwendigkeit zur Erlernung des Tschechischen lediglich aus taktischen und strategischen Gründen vorliegt: „Die tschechischen Beamten konnten das deutsche Element nur verdrängen, weil sie tschechisch und deutsch verstanden. […] Darum, Deutsche, lernt tschechisch!“ (N.  N. 1906: 207)8 8  Der Text stammt möglicherweise von dem Abgeordneten Hugo Albrecht (Rotter 1928: 14). Ausgangspunkt ist die tschechenfreundliche Politik seit der Regierung Taafe sowie eine Sprachenpolitik, die mit der Sprachenzwangsverordnung 1880 die Tschechen begünstigte, die über beide Landessprachen verfügten, während „die deutsche Jugend die Erlernung der tschechischen Sprache trotzig ablehnte.“ Als Folge konstatiert man

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Nur am Rande sei auf einen weiteren Bericht in der Deutschen Arbeit verwiesen, der, ähnlich Spina, ausgehend vom Paradigma eines deutsch-tschechischen Wettbewerbs und der normativen Kraft des Faktischen („Wir leben einmal in einem zweisprachigen Lande“, Gaube 1914: 439),9 die Wichtigkeit des Fremdspracherwerbs akzentuiert: „Und vergibt sich der Deutsche etwas, wenn er tschechisch lernt? Heißt Sprachen lernen, nicht seine Bildung erweitern, seinen persönlichen Wert, seine Werbekraft erhöhen?“ (Gaube 1914: 440). Der Bericht weist allerdings auf konkrete Desiderate im universitären Tschechischunterricht, der unter der Statusabwertung des Tschechischen leidet. Karl Gaube nennt Sprachkurse, die offenkundig nicht konsequent besucht werden (hohe Abbrecherquoten), weshalb schon in den Mittelschulen mit Tschechisch eingesetzt werden sollte.

immer weniger deutsche Beamte und Richter. „Wir fragen nur,“ so der Kommentator in provokativem Duktus, „wie soll das deutsche Kulturelement in unserem Staate zu seiner Geltung gelangen, wenn die Deutschen sich freiwillig dem Staatsdienste entziehen? Wie wollen wir die Führung im Staate übernehmen, wenn wir die Staatsverwaltung den ‚anderen‘ Nationen überlassen?“ (N.  N. 1906: 207, Herv. i.  O.) Allerdings wird ein Einstellungswandel beobachtet, aktive Mitgestaltung gelte nicht mehr als Volksverrat, auch „die Furcht vor der tschechischen Sprache beginnt zu weichen.“ Ein weiteres Beispiel für diese Position sind die Überlegungen des Redakteurs der Alldeutschen Blätter, Paul Samassa (1917: 191), zum Fremdspracherwerb unter den Bedingungen der Kriegsereignisse. Konstatiert wird eine zunehmende „Einsicht in die Notwendigkeit der Kenntnis der deutschen Sprache“, auch wenn dadurch keine Abschwächung der natio­ nalen Gegensätze zu erwarten sei, „die Leute, die uns am bittersten bekämpften, waren der deutschen Sprache meist sehr gut mächtig.“ Desiderata beim Fremdspracherwerb werden durchaus konzediert, so das Fehlen einer ordentlichen Lehrkanzel für slavische Philologie an der Prager deutschen Universität. Aber „auch vom Standpunkte der nationalen Gegnerschaft haben wir das größte Interesse daran, alle politischen, aber auch kulturellen Vorgänge im feindlichen Lager genau zu verfolgen. […] Für den Deutschen wird es bedeuten, daß die Kenntnis einer Landessprache seine Verwendbarkeit im Staatsdienste erhöht, er aber nicht zu fürchten braucht, durch diese Kenntnis etwa irgendwo ein neues Gewohnheitsrecht zu schaffen und seinem Volkstum zu schaden.“ (Samassa 1917: 192) Dabei geht Samassa von Deutsch als erster Fremdsprache aus, so wie die Kenntnis des „Tschechischen, Slowenischen, Italienischen, Magyarischen usw. nur einem praktischen Zwecke dienen soll. […] Das heißt, die Kenntnis der Sprache wird als Fertigkeit betrachtet und nicht als Bildungsmittel.“ (Samassa 1917: 195) 9  Gaube konstatiert bei den Prager deutschen Studenten aufgrund mangelnder Sprachkompetenz eine Isolierung von der tschechischen Gesellschaft und eine Zersplitterung in Interessengruppen in deutschfreiheitliche, deutschvölkische und deutschkatholische Gruppierungen, gleichwohl unterstütze die dadurch hervorgerufene Einsamkeit das Studium, Prag gilt als „Arbeitsuniversität“.

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Wenn es gelänge, in beiden Lagern Anhänger für eine wechselseitige Sprachhilfe zu gewinnen und eine solche Veranstaltung in bestimmten Formen und auf möglichst breiter Grundlage durchzuführen, läge eine Annäherung auf anderen Gebieten des wechselseitigen Interesses, oder wenigstens auf dem neutralen Gebiete der Kunst und Wissenschaft nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit und die ganze Angelegenheit gewänne sogar eine gewisse staatspolitische Bedeutung. (Gaube 1914: 440)10

Das ist zwar keine Tschechophilie, wie man sie bei Rilke beobachten kann, der den deutschen Studenten in seiner Erzählung Geschwister nicht nur mit einem Bekenntnis zur nationalen Verständigung, sondern auch mit der emphatischen Neigung zu einer anderen Kultur ausstattet: ‚Ich liebe Ihre Sprache‘, gesteht dieser der tschechischen Freundin. Aber man ist nicht allzu weit von Bilingualitätsmodellen entfernt, wie sie im Vormärz von Bernard Bolzano sowie von Polyglossiemodellen, wie sie im Nachmärz von Jan Evangelista Purkyně formuliert wurden. Geht Spina auch weniger von einem Konzept deutsch-tschechischer Bilingualität als staatspolitischem Ideal aus, schon gar nicht im Sinne eines Äquilingualismus (Trost 1980), sondern eher von interkultureller Sprach- und Handlungskompetenz, so wird doch eine Alternative­ zu einer dominanten sprachnationalen Politik mit ihrer monoglossischen Ideologie sowohl der Tschechen als auch der Deutschen in den Böhmischen Ländern entworfen, durch die tatsächlich ein Rückgang bilingualer Sprachkompetenz zu konstatieren ist und der wachsende Konformitätsdruck Formen sprachlich-nationaler Utraquismen zunehmend delegitimierte und marginalisierte.11 Spina gehört letztlich zu einer Minderheit, für die Sprache nicht als Differenzkriterium dienen soll, sondern – per Sprachkompetenz – zur Minimierung von Differenz und damit Konflikten beitragen könnte. Letztlich vermochte Spina auch die eigenen Schüler nicht zu überzeugen, die wie Adolf Rotter lediglich eine taktische Ebene in Spinas emphatischem Plädoyer zur Fremdsprachenkompetenz konstatierten: In den 12 Jahren vor dem Umsturz schuf Spina jenes Heer von Slavisten, die dann, als der neue Staat Tschechisch an deutschen Volks- und Mittelschulen für obligat erklärte, 10  Die Ungleichgewichte im Fremdsprachunterricht thematisiert auch der Beitrag von Warnfried (1914: 213): „Im Tschechischen gab es also im letzten Berichtsjahre, das 2 Jahre zurückliegt, nur noch 3 Bürgerschulen ohne deutschen Sprachunterricht, bei den deutschen […] sind noch 178 deutsche Bürgerschulen, an denen kein Unterricht in der zweiten Landessprache erteilt wird.“ Der Vf. weist auf „den Schaden, den es für die Zukunft zeigen muß, daß in Deutschböhmen zu wenig Unterricht in der Landessprache erteilt wird“ und schließt mit dem Appell: „Deutsche, lernt tschechisch!“ 11  Zur sprachpolitischen Situation in Prag und den Ausprägungen des Konformitätsdrucks siehe zuletzt den Sammelband von Nekula u. a. (2007) sowie Stöhr (2010), zum Utraquismus um die Jahrhundertwende Luft (1996a; 1996b).

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Steffen Höhne bereit standen, jene Posten zu beziehen, die sonst von Tschechen hätten besetzt werden müssen. Die Einheitlichkeit der Lehrkörper wurde so gewahrt; deutsche Schüler konnten von deutschen Lehrern in der Staatssprache unterwiesen werden […], eine Tat von weiter politischer Voraussicht, die das deutsche Volk dem Lehrer Spina zu danken hat. (Rotter 1928: 14)

Auch in der Folge bemühte sich Spina, die kulturellen Leistungen der anderen Seite nicht zu ignorieren, zumal beide Völker durch gemeinsame Geschichte und „Völkerschicksal“ in „einem Haus eingepfercht“ zur Gemeinsamkeit gezwungen seien (Spina 1910a: 433) und deshalb eine wechselseitige vorurteilslose Einstellung notwendig wäre.12 Spina warnte vor allem vor einer Kulturalisierung nationaler Konflikte: Die nationalen und politischen Gegensätze werden da zu einer Kluft zwischen zwei Kulturen erweitert, die, historisch-kühl betrachtet, doch nur sprachlich verschiedene Ausdrücke gemeinsamer realer Grundlagen sind. (Spina 1910a: 434)

Dabei erkennt Spina in der Tradition von Woltmann und Palacký als Determinante der böhmischen Kultur die „ununterbrochenen Berührungen mit dem stärkeren deutschen Element“ (Spina 1910a: 434), die allerdings zu einer ideologisch motivierten „Abwendung vom deutschen Geistesleben“, zu einer „Antipathie gegen das Deutschtum im Lande und dessen Kulturäußerungen“ geführt haben (Spina 1910a: 434),13 was mit Missachtung der tschechischen Kultur und Negierung des „unleugbaren Kulturfortschritts“ seit dem 19. Jahrhundert, aber auch Unterschätzung der wissenschaftlichen und ökonomischen Leistungen der Tschechen auf deutscher Seite korrespondiere: „Das gegenseitige Nichtsehenwollen und Unterschätzen ist aller logischen Evidenz bar – es verrät aber auch wenig realpolitische Einsicht und Klugheit.“ (Spina 1910a: 435) Auch in diesem Artikel setzt sich Spina mit deutschböhmischen Versäumnissen auseinander, der ideologischen Blindheit14 wie mangelnder Fremdsprachenkompetenz.15 Jenseits von „uferlosem Humanitätsdusel oder 12  Anlass dieses Artikels ist die Besprechung der Literaturgeschichten von Jan Jakubec Geschichte der čechischen Literatur und Arne Novák Die čechische Literatur der Gegenwart. Ferner erfolgt ein kritischer Hinweis auf Engelbert Pernerstorfers Beitrag Die Slawen in Österreich, der in der Neuen Rundschau im April 1909 erschien. 13  Eine Ausnahme bildet Masaryk mit seiner Čas als Vertreter der Autonomie der beiden Völkerstämme. 14  Spina kritisiert eine stereotype Orientierung auf als stabil hypostasierte Sprachgrenzen, wodurch sozialhistorisch erklärbare demographische Veränderungen wie tschechische Zuwanderung in die deutschen Städte in industrialisierten Gebieten übersehen würden. 15  Die Unkenntnis der zweiten Landessprache akzentuiert Spina im Unterschied zum Stellenwert des Deutschen in tschechischen Schulen: Dort werde, so durch die Realistenpartei, Deutsch als obligater Lehrgegenstand an den tschechischen Mittelschulen gefordert, „we-

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gar einem Aufgeben der eigenen Nationalität“ appelliert Spina an ein „würdiges Anstandsverhältnis auf kulturellem Gebiet“ (Spina 1910a: 436).16 Ausgehend von den kosmopolitischen Traditionen der Literaturbetrachtung in Deutschland, hier dürfte ihm die über August Sauer vermittelte Weimarer Klassik vorschweben, erläutert Spina die Spezifika der tschechischen Literatur: Auf der Basis des Kulturkontaktes mit dem deutschen Element und mit Westeuropa komme es, so die These, zur Verwestlichung. Aus dem wechselseitigen Kontakt resultiere ein „Abschleifen der ursprünglichen Stammesmerkmale“ (Spina 1921a: 57), dadurch wurden die Tschechen zu einem „merkwürdigen Typus eines Slawentums mit völlig westeuropäischen, vor allem deutschen Äußern.“ (Spina 1921a: 57f.)17 Attribute zur Stützung dieser These sind die geographische Lage dieses „westlichsten slawischen Vorpostens“, die frühzeitige und freiwillige Annahme des römischen Katholizismus, die „Umklammerung vom starken deutschen Einfluß“ (gleichwohl von tschechischen Historikern als Unglück betrachtet) (Spina 1910a: 437). Im Ergebnis erkennt Spina: eine Kulturgemeinschaft, eine ‚geistige Gütergemeinschaft‘ der Tschechen vorzugsweise mit den Deutschen, […]. Die tschechische Literatur ist eine Kontrafaktur der deutschen. Jede wichtigere deutsche Strömung (höfische Epik, Didaktik des späten Mittelalters, Volksbücher und Grobianismus des 16. Jahrhunderts, mystische Lyrik des 17. Jahrhunderts, anakreontische Modepoesie des Rokoko, Dichtungen der Vorklassiker und Klassiker, Einwirkungen der Romantik und des jungen Deutschland) wurde in ihr lebendig, […]. (Spina 1910a: 437)

gen seiner kulturellen Bedeutung wie auch als Sprache eines durch Heimatgemeinschaft und zahlreiche Berührung mit uns verbundenen Volkes“ (zit. n. Spina 1910a: 436). 16  Kritisch berichtete Spina über antideutsche Texte, so über Lubor Niederle: Slovanský svět. Zeměpisný a statistický obraz současného Slovanstva [Die slavische Welt. Ein geographisches und statistisches Bild des zeitgenössischen Slaventums]. Prag 1910 (eine Übersetzung aus dem russischen Original). Das Werk knüpfe zwar an Pavel Jozef Šafaříks Slawischer Ethnographie von 1842 an, befremde allerdings durch die negative Darstellung deutscher Einflüsse auf Böhmen und den „tschechischen Kulturgang“, worin Spina den Einfluss eines antideutschen Nationalismus erkennt. Vertreten werde u. a. die Erstbesiedlungsthese (Tschechen), ferner die Kolonistenthese, nach der die Deutschböhmen als „das Unglück kat’ exochen für die tschechische Entwicklung“ dargstellt werden (Spina 1910b: 504). ― Ähnlich kritisch setzte sich Spina (1914a) auch mit dem Sokolwesen auseinander. 17  Aus diesem Grunde erkannte Spina (1921a: 59) in der deutsch-tschechischen Sprachgrenze keine Kulturgrenze, auch wenn vor allem ein Einfluss auf die tschechische Literatur: postuliert wird: „sie steht vor allem und mehr als jede andere slawische unter der Wirkung des deutschen Kulturferments; diese Einwirkungen werden bald selbständig verarbeitet, assimiliert, öfter noch lassen sie die Literatur als bloß äußerlich slawisches Kontrafakt der deutschen erscheinen.“

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Der Kulturkontakt, argumentativ gestützt durch den Brückentopos, wird zum Spezifikum wie wissenschaftlichen Problem der tschechischen Literatur und Kultur: Es flutet im Mittelalter wie heute ein mächtiger Strom von Literatur, bildender Kunst, Wissenschaft vom europäischen Westen nach dem Osten […]. Das Tschechentum ist für diesen ‚Drang‘ der Ideen ‚nach dem Osten‘ die wichtigste […] Übergangsstation, […]. (Spina 1910a: 437)

Diese wechselseitige Verschränkung der Kulturen schon im Mittelalter erlaube keine national eindeutige Zuordnung: „Was ist deutsch, was tschechisch an der damaligen böhmischen Kultur?“ (Spina 1910a: 438) Hier werden nicht nur essentialistische Vorstellungen von Nationalkultur problematisiert, Spina stellt sich in eine bohemistische Tradition, die mit Goethe im „böhmischen Dichter […] durch Sinnesart, Ausdrucksweise und Gedichtformen“ eine deutsche, im „deutschen Dichter in Böhmen durch entschiedene Neigung und stetes Zurückgehen zum Altnationalen ihrerseits [eine] recht eigentlich böhmische“ Mentalität erkennt (Goethe/Varnhagen 1830: 199),18 oder die wie Augustin Smetana (1848) von Böhmen „slawischen wie deutschen Stammes“ ausging. Die Bestimmung der tschechischen Kultur sei der Anschluss an die westeuropäische Kulturwelt, darin sei zugleich der zentrale Unterschied zu den anderen slavischen Kulturen zu sehen. Spina (1910a: 439) plädiert für die „kulturelle Annäherung zweier Kulturnationen.“ In einer dritten Artikelfolge setzt sich Spina (1916/17 und 1917) mit der Welt der Slawen auseinander. Unter dem Eindruck des 1. Weltkrieges gelangt Spina zu einer Modifikation in der Betrachtung der deutsch-tschechischen Verhältnisse, die offenkundig unter dem Eindruck der zeittypischen, maßgeblich von Friedrich Naumann fokussierten Mitteleuropadebatte steht (Höhne 2011b). Bei Spina (1916/17: 7) fließen austroslavische Argumentationsmuster mit Vorstellungen einer mitteleuropäischen Solidargemeinschaft (Naumanns Schützengrabengemeinschaft) und der Notwendigkeit zu einem staatlich-politischen Zusammenschluss Mitteleuropas gegen feindliche Blöcke im Westen und im Osten zusammen: „Ein großer Teil der West- und Südslawen, die Magyaren und Finnen stehen heute dem mitteleuropäischen Kulturzustand näher als ein Teil der südeuropäischen romanischen Völker.“ (Spina 1916/17: 147) Ausgehend von dem mitteleuropäischen Integrationsmodell entwickelt 18  Goethe übernahm das Konzept einer „Mischung der beiden Völkerstämme in Böhmen“ (Sauer 1904: 72) aus Woltmanns (1815: XIII) Inbegriff der Geschichte Böhmens, in welchem die „beiden so verschiedenen Volksstämme […] mit ihrer Eigenthümlichkeit gewaltig kämpfend gegen einander“ auftreten.

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Spina – bezogen auf das deutsch-tschechische Verhältnis – ein Akkulturationsmodell als Grundlage des kulturell-sprachlichen Wettbewerbs. Spinas Argumentation zielt dabei in zwei Richtungen. Zunächst destruiert er eine hypothetische panslavische Integration – ein Phantom der neueren deutschen Wissenschaft (Spina 1917: 61)19 – angesichts von Tendenzen „zur Ausbildung selbständiger Völkerindividualitäten, gegenüber denen als einzig wahren Realitäten der urzeitliche Rassenbegriff ‚Slawentum‘ immer mehr zur Schimäre wird.“ (Spina 1916/17: 147) Denn die spezifisch geographischen, ethnographischen und historischen Determinanten wiesen die Tschechen, ungeachtet von Tendenzen nationaler Isolation oder Expansion und gemäß der Wechselseitigkeitshypothese, auf eine „organische“ Verbindung mit Deutschland: „Mit dem Fluten und Ebben des tschechischen Nationalismus hängt das Geschick des Deutschtums im Lande zusammen.“ (Spina 1917: 108). Auf der Basis nationalkultureller Integration und Symbiose müsse, Spina geht von einer „doppelten Germanisierung“ (Spina 1917: 63), einer nationalen und einer kulturellen aus, das Deutungsmuster kultureller Nähe und Wechselseitigkeit, also eine Akkulturation der Tschechen an die deutsche Kultur, aktualisiert werden. Auf ganz veränderten Kulturgrundlagen steigt ein ganz neues, jetzt erst völlig europäisiertes Volk herauf: der ‚Böhme‘ ist zum Tschechen geworden. Im heutigen fortgeschrittenen Tschechentum spüren wir nichts von jenem fremdartigen Rassegeruch, der uns aus den Äußerungen ost- und südslawischen Lebens […] entgegenatmet, und der in der Verneinung und Verachtung unsrer europäischen Kultur in den Alterswerken Tolstois den extremsten Ausdruck gefunden hat. Der ‚sudetenländische Slawentypus zeigt völlig die Gesichtszüge der deutschen Kultur‘. (Spina 1917: 63; Herv. i. O.)20

Spinas Hypothese einer größeren Nähe zwischen Deutschen und Westslaven als von Westslaven und Ostslaven muss selbstverständlich als Anachronismus behandelt werden, letztlich als vergeblicher Versuch, eine austriazistische 19  Nach Spina (1914a: 349) bestehen aufgrund der Vielfalt innerhalb der Slaven und der sprachlich-kulturellen Unterschiede und politischen Divergenzen fundamentale Hindernisse einer slavischen Einheit, „eine sprachlich-kulturelle Einigung […] wird für das Slawentum als großes Ganzes immer unerreichbar sein wie sie für das Germanentum als Ganzes unerreichbar scheint.“ In der Auseinandersetzung mit Erwin Hanslicks Zentralthese, nach der das „gesamte Slawentum […] eine einzig durch die geographischen Verhältnisse bedingte Kultureinheit“ bilde, kritisiert Spina (1916/17: 145) darüber hinaus Tendenzen zur Naturalisierung der germanisch-slavischen Sprachgrenze. 20  Diese Integration empfiehlt Spina (1917: 105, Herv. i. O.) den Deutschen als Modell: „Es gibt keine ‚Böhmen‘, Mährer, Schlesier mehr, nur Tschechen – auf deutscher Seite klafft nicht nur die Lücke zwischen Sudeten- und Alpendeutschen, sondern innerhalb der größeren Gruppen wieder länder- und stammesmäßige Zersplitterung.“

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Perspektive für die Zeit nach dem Weltkrieg zu bewahren, ein vergebliches Unterfangen, wie ja auch Hugo von Hofmannsthal, Hermann Bahr und andere ‚Kakanier‘ schmerzlich zur Kenntnis nehmen mussten. Längst sind die Weichen in Richtung neuer Nationalstaaten gestellt, das Neue Europa verabschiedet das Modell des dynastisch-bewahrenden Staatenbundes zugunsten emanzipativer Kultur- bzw. Staatsnationen. Zieht man ein vorläufiges Fazit zu Spina vor 1918, ist aus der Rückschau des aktivistischen Politikers sicher erstaunlich, dass Spina bis Dezember 1917 an der Deutschen Arbeit 21 mitwirkte, zumal er einer der wenigen Autoren, nach 1912 fast der einzige war, der zwar kritisch, aber ohne chauvinistische Konnotationen und frei von den zeittypischen Kulturkampfszenarien über die zweite Kultur und Sprache des Landes berichtete. Immerhin eine Phase, in der der neue Herausgeber Ullmann nicht nur in anti-austriazistischer Tendenz die Verbindung mit dem Deutschen Reich propagierte, sondern diesen Perspektivwechsel auch zunehmend mit völkischem Vokabular begründete: Für den Einzelnen muß das Wort ‚deutsch‘ mehr als ein bloßer Name bedeuten, es muß in ihm mehr wecken, als eine jähe Begeisterung, mehr auch als ein bloßes Gefühl der Zugehörigkeit zu Blut und Rasse. Tiefere, festere geistige Beziehungen müssen sein Denken und seinen Willen mit all den Kulturgütern verbinden, die den Besitz unseres reichen Volkstums ausmachen. (Ullmann 1912: 1)22

Spina nahm gewissermaßen die Rolle eines Korrektivs in einem auf beiden Seiten sich radikalisierenden nationalistischen Diskurs ein.

3. Der Ausgleichspolitiker nach 1918

Versteht man den Intellektuellen in idealtypischer Weise als ein sozialtypologisches Konstrukt aus Fremd- und Selbstzuschreibungen, dann lässt sich Franz 21  Zur Deutschen Arbeit s. Köpplová (2002), Höhne (2011a). 22  Vor allem nach 1918 findet man immer wieder kritische Reflexe auf den sog. Brückentopos. Anlässlich einer Besprechung der Anthologie Deutsche Dichter aus Prag von Oskar Wiener durch Rudolf Illovy in der Právo lidů, die mit dem Etikett des ‚Böhmischen‘ versehen wird, destruiert G. L. in der Deutschen Arbeit (1919: 119f.) das bei Illovy anklingende Konzept einer Vermittlung oder gar kulturellen Synthese. Zum Perspektivwechsel hin zum Deutschen Reich s. Schmidt (2009).

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Spina sowohl idealisieren, z. B. als bohemistischer Ausgleichspolitiker und Wissenschaftler, oder dämonisieren, z. B. als „notorischer Querulant“, der sich der sudetendeutschen Einheitsfront verweigert. Je nach Wahrnehmung nimmt Spina entweder die Rolle eines, mit Schumpeter gesprochen, potentiellen Störfaktors in der herrschenden sudetendeutschen Diskursordnung ein oder – gemäß der Weberschen Konzeption – die Rolle eines Weichenstellers ideeller Ordnungen. Gegen solche Zuschreibungen soll Spina als Diskursexponent betrachtet werden, der über privilegierten Zugang zu relevantem Wissen und über auch durch personale Tugend praktisch verkörperte universale Normen nach 1918 eine öffentlichkeitswirksame Sprecherrolle einnahm, von der er aus geschichtliche Krisensituationen adäquat diagnostizierte und bewertete (Jung/ Müller-Doohm 2008: 14f.). Dabei zeigt eine erste Textanalyse der publizistischen Arbeiten vor 1918, ungeachtet aller stilistischen und argumentativen Affinitäten zu deutschnationalen Diskursmustern, wie sehr das Interesse an der anderen Sprache und Kultur die späteren aktivistischen, auf Ausgleich bedachten politischen, von Pragmatismus geleiteten Konzepte vorbereitet. Ohne ausführlicher auf den Komplex Aktivismus in der Tschechoslowakei eingehen zu wollen (Kracik 1999; Linz 1982; Sobieraj 2002), sei hier nur ein Blick auf den Ausgleichspolitiker Franz Spina und dessen parteipolitisches Engagement im Bund der Landwirte (BdL) geworfen.23 Spina war 1918 Mitbegründer des BdL, 1920 Abgeordneter im Prager Parlament, 1925 Minister für Öffentliche Arbeiten im 3. Kabinett Švehla, 1929 Gesundheitsminister, ab 1935 Minister ohne Geschäftsbereich. Als Politiker wie als Publizist und Wissenschaftler nahm er eine gleichermaßen initiierende wie konstituierende Rolle bei der Umorientierung der Sudetendeutschen auf einen neuen realpolitischen Kurs ein, der sein praktisches politisches Handeln prägen und den Weg der Konfrontation vermeiden sollte. Mit der am 28. Oktober 1918 ausgerufenenen Tschechoslowakischen Republik veränderten sich die politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Koordinaten in Mitteleuropa. Der größte Teil der deutschsprachigen Bevöl­kerung, die in den Böhmischen Ländern und der Slowakei etwa ein Viertel umfasste, verweigerte sich zunächst dem neuen Staat, eine sich 23  Der BdL, Mitte November 1918 in Böhmisch Leipa gegründet, Nachfolger der 1905 entstandenen Deutschen Agrarpartei, avancierte rasch zur größten bürgerlichen Partei der Deutschen in der Tschechoslowakei. Zum BdL und seiner hohen Organisationsdichte siehe Linz (1975; 1982). – Spina hatte auch enge familiäre Bindungen zu den Agrariern. 1901 heiratete er die Stieftochter von Franz Peschka, Gründer der deutschen Agrarier und deutscher Landmannminister (Linz 1982: 59f.).

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verstärkende Radikalisierung, mit der die nationalen Konflikte des späten 19. Jahrhunderts eine Fortsetzung fanden, führte zu wechselseitiger Ab- und Ausgrenzung. Am 29. Februar 1920 wurde eine Staatsverfassung verabschiedet, an deren Entstehung die Minderheiten nicht beteiligt waren. Auf alltagskultureller Ebene verlief in Prag eine verstärkte Tschechisierung des öffentlichen Raumes, symbolisch markiert durch Denkmalstürze wie der Mariensäule auf dem Altstädter Ring am 3. November 1918 oder der Verhüllung, später Entfernung des Radetzkydenkmals auf dem Kleinseitner Ring im Mai 1919. Eine nationalistische Welle in den letzten Monaten des Jahres 1920, die Tschechen und Deutsche gleichermaßen erfasste, führte zu einer weiteren Polarisierung. Der 28. Oktober 1920 wurde zum Ausgangspunkt für zahlreiche antideutsche Ausschreitungen mit Verletzten und Toten. Antitschechische Ausschreitungen in Eger im November führten zu entsprechend antideutschen in Prag, bei denen man deutsche Institutionen demolierte und das deutsche Ständetheater widerrechtlich besetzte (Linz 1982: 284-286; Becher 1994). Diesen Ausschreitungen, die neben einer antideutschen auch eine antisemitische Richtung besaßen, vom Primator Karel Baxa als ‚Kundgebung des Staatsbewußtseins‘ verharmlost, verdankt man eine der wenigen unmittelbaren Reflexionen Franz Kafkas auf Zeitereignisse: „Die ganzen Nachmittage bin ich jetzt auf den Gassen und bade im Judenhaß,“ schrieb Kafka, ein Hilsner-Redivivus, Mitte November 1920 an Milena Jesenská (1997: 288). Ungeachtet dieser Radikalisierung war gerade der von Franz Křepek geleitete Parlamentarische Verband deutscher Parteien um Deeskalierung bemüht,24 insbesondere beim BdL zeichnete sich eine Entwicklung zu einer realistischen, aktivistischen Politik ab, wobei schon mit der Teilnahme an den Gemeindewahlen am 15. Juni 1919 sich die deutschen Parteien faktisch auf den Boden der Tschechoslowakischen Verfassung sowie der Friedensverträge von St. Germain stellten.25 Als wichtige Signale für einen Politikwechsel galten, neben einer Rede des BdLObmanns Franz Křepek am 25. Mai 1919 auf dem Leitmeritzer Kreistag, mit der er von einer bloßen Protest- und Demonstrationskultur wegkommen

24  Hierbei spielt vor allem Křepeks Rede am 23.11.1920 im Abgeordnetenhaus eine zentrale Rolle (Linz 1982: 286-288). 25  Dabei bescheinigt Norbert Linz (1979: 409) dem BdL eine gewisse Abstinenz „gegenüber Themen aus der ‚großen Politik‘, die mit dem nüchternen Realitätssinn der Bauern“ sowie „fehlender politischer Erfahrung der BdL-Funktionäre“ erklärt wird. Eduard Kubů (2006) akzentuiert die Zusammenarbeit der Agrarparteien ungeachtet ihres radikal-nationalen Profils, bei dem die drohende Germanisierungs- bzw. Tschechisierungsgefahr ein zentrales Deutungsmuster darstellte.

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wollte,26 die Verhandlungen zwischen tschechischen Agrariern und dem BdL im November 1920 sowie der Leitartikel Franz Spinas mit dem programmatischen Titel Aktivismus in der Deutschen Zeitung Bohemia vom 15. Juni 1921. Spina verstand aktivistische Politik als „Erreichung des augenblicklich Möglichen“, als Etappenpolitik, die auf Leistung und Gegenleistung basiere und die als Alternative zu einem „Vernichtungskampf“ ein „freiwilliges Zusammenleben in sprachlicher Gleichberechtigung, in nationaler und kultureller Selbstverwaltung“ intendiere.27 Mit diesem Artikel, eine Bestandsaufnahme der politischen Situation, wurde die politische Richtung des Aktivismus programmatisch für die kommenden Jahre in Abgrenzung zum Negativismus skizziert (Linz 1982: 301f.): „Die andere Richtung steht auf dem Boden eines bedingungslosen, allerschärfsten Kampfes gegen Regime und Staat unter allen Umständen.“ (Spina 1921b) In dem Text wird die politische Spaltung innerhalb des deutschen parlamentarischen Verbandes durch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Aktivisten und „Irredentisten“ (DNP und DNSAP) deutlich,28 Spina übt aber auch Kritik am „anscheinend unheilbaren Chauvinismus“ auf tschechischer Seite und dem politischen „Mangel an gutem Willen und Mut

26  Dieser Politikwechsel schlug sich im Parteiprogramm des BdL von 1920 in der Forderung nach Regierungsbeteiligung nieder (Linz 1975; 1982). Zu nennen wäre ferner eine Audienz Křepeks im April 1921 beim Staatspräsidenten Masaryk. – Motive für die aktivistische Umorientierung waren: Teilhabe an der Macht, Zusammenarbeit mit den tschechischen Agrariern, Einflussnahme auf die künftige verfassungsrechtliche Stellung der Deutschen. 27  „Es ist richtig, daß es innerhalb des Deutschen parlamentarischen Verbandes zweierlei Meinungen über die Art des Kampfes gegen die tschechische Gewaltherrschaft gibt. Für die eine Richtung, die aktivistische, heißt Politik die Erreichung des augenblicklich Möglichen. Sie will in realistischer Erfassung der Verhältnisse durch eine auf Leistung und Gegenleistung aufgebaute Etappenpolitik so viel Nützliches wie möglich aus dem seit dem Umsturze hereingebrochenen Vernichtungskampf herausholen. Sie führt den Kampf nicht gegen das Volk der Tschechen, sondern gegen das herrschende nationalistische Regime, sie perhorresziert nicht das [sic!] Kompromiß und ein staatliches Zusammengehen der beiden Völker von vornherein, sie will durch den Kampf gegen den wahnwitzigen Nationalismus die Bedingungen eines künftigen Friedens auf den Grundlagen der Demokratie und Selbstachtung eines Volkes möglich machen. Sie will ein freiwilliges Zusammenleben in sprachlicher Gleichberechtigung, in nationaler und kultureller Selbstverwaltung.“ (Spina 1921b) 28  Nach den Wahlen von 1920 bildeten die deutschen bürgerlichen Parteien einen Deutschen parlamentarischen Verband, in dem es zu Kontroversen u. a. zwischen Spina (BdL) und Rudolf Lodgmann (DNP) kam. Ende Juni 1922 zeichnete sich innerhalb des Verbandes eine zunehmende Polarisierung zwischen den Parteien ab, die am 29.11.1922 zum Austritt der DNP und der Nationalsozialisten führte.

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gegenüber dem Terror der Massen“ sowie einer Bodenreform mit dem Ziel der „Tschechisierung deutschen Bauernlandes“.29 Einen weiteren Schritt markierte Spinas Rede am 16. November 1921 im Parlament, in der er auf die grundsätzliche Zustimmung der Deutschböhmen und -mährer zum Staat, nicht zu dessen Politik im einzelnen, verwies und er von einer „tausendjährigen Symbiose“ sprach, die ein „komplexes Konglomerat von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen herausgebildet“ habe. Im Tschechoslowakischen Staat „als einer gegebenen Größe“ müssen die Deutschen nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte haben, aus dem Nationalstaat ein Nationalitätenstaat werden (zit. n. Linz 1982: 310).30 Allerdings darf man über gewisse politische Ambivalenzen weder innerhalb der aktivistischen Parteien noch bei Franz Spina in idealisierender Weise hinwegsehen, wird doch auch von dieser Seite eine Politik nationaler Interessen betrieben.31 Mit den Parlamentswahlen vom 15. November 1925, die den aktivistischen Parteien die Mehrheit brachten, sowie dem Vertrag von Locarno (16. 29  Das Antonym Negativismus wurde erst Anfang November 1922 gebräuchlich, als Rudolf Lodgmann, der zuvor am 26.10.1922 seine berüchtigte ‚Hochverratsrede‘ im Parlament gehalten hatte, den Ausdruck in der Reichenberger Zeitung (03.11.1922, Nachdruck aus dem Tag) verwendete. 30  Diese Rede rief massive Kritik hervor, der DNP-Abgeordnete Dr. Wolfram Lehnert schrieb in der Reichenberger Ztg. am 08.12.1921, das Bild von der deutsch-tschechischen Symbiose zeige, dass Spina nicht für eine „Selbstbestimmung der deutschen Gebiete etwa im Sinne des Anschlusses an Deutsch-Österreich oder gar an Deutschland“ eintrete, er protestiere dagegen, dass „ein deutscher Hauptredner in solcher Weise die Grundlagen unserer Politik zu verschieben“ trachte und somit Verrat übe an der staatsrechtlichen Erklärung des Deutschen parlamentarischen Verbandes vom Juni 1920 (zit. n. Linz 1982: 310f.). Zur Reaktion Spinas siehe Bohemia und Reichenberger Ztg. vom 16.12.1921. Zur Metapher der Symbiose ferner der Beitrag von Havlin in diesem Band. 31  S. u. a. Spinas Artikel in der Bohemia vom 30.03.1924, in dem eine nationale Interessenpolitik für den Aktivismus in Anspruch genommen wird. Ähnlich auch die Deutsche Landpost (24.07.1926) in einem Bericht über eine Rede Spinas auf einer BdL-Versammlung: „Der Nationalitätenstaat ist das Ziel der aktivistischen Politik und wenn große deutsche Parteien grundsätzlich entschlossen sind, an diesem Ziele mitzuwirken, so können sie allen Angriffen der Gegner ruhig entgegensehen, weil dieses Ziel gleichbedeutend ist mit der Erringung einer besseren Position für das ganze sudetendeutsche Volk. […] Bleiben wir weiter im Trotzwinkel der Negation, begeben wir uns jeden Einflusses auf die Gebarung des Staates, erfüllen wir nur Pflichten und nehmen wir keine Rechte in Anspruch – oder wollen wir dreieinhalb Millionen endlich die Hand am Steuerruder mithaben und die Dinge so mitlenken, daß sie zum Heile auch für unser Volk ausschlagen. Die deutsche Frage im tschechoslowakischen Staat ist aufgerollt. Das ist das Historische an unserem Schritt.“ (Deutsche Landpost, 24.07.1926: 162)

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Oktober­ 1925) war der Weg für eine übernationale Regierungsbildung geebnet. Anstelle von Křepek, der sich aus Altersgründen zurückzog, übernahm Franz Spina die Führung des BdL und mit der Bildung des Kabinetts Švehla am 12. Oktober 1926 das Ministeramt für Öffentliche Arbeiten. Ohne hier auf die kontroversen Auseinandersetzungen um das Für und Wider des Aktivismus näher einzugehen, seien einige der zentralen Begründungsmuster Spinas vorgestellt. In Herderscher Tradition ging auch Spina von stabilen Kollektividentitäten auf der Basis von Ethnos und Nation aus: Die beiden Hauptvölker dieses Staates, die, soweit wir in der Geschichte der sudetendeutschen Länder zurückblicken, in eben diesen Ländern die Jahrhunderte hindurch nebeneinander gewohnt, nebeneinander gearbeitet, miteinander gekämpft und aufeinander angewiesen waren, haben sich in der Regierungsmehrheit gefunden […]. (Spina 1926a: 3)

Angesichts vielfältiger Konflikte auf der alltagspraktischen Ebene erkannte Spina die Notwendigkeit, den Antagonismus zwischen den nationalen Gruppen zu überwinden und – wie vor 1918 – an die Traditionen des Wechselseitigkeitsdiskurses anzuknüpfen. Neben der Faktizität des Normativen (das geographische Schicksal)32 und den ökonomischen Interessenkonvergenzen, von rein pragmatisch-utilitaristischen sowie politisch-strategischen zu schweigen,33 ging es Spina um zweierlei: Auf der einen Seite erfolgte eine Trennung zwischen politisch-staatlicher und ethnischer Loyalität, die aber in Übereinstimmung gebracht werden kann. Die Aussage „Wir stehen auf dem Boden dieses Staates“ eröffnete nicht nur einen neuen Loyalitätsdiskurs, der sich gegen das ewige „Demonstrieren gegen Tatsachen“ wandte, sondern stand konträr zu einer bloß eigenkulturellen Affinität. Aus dieser Inkongruenz staatlicher und ethnisch-kultureller Interessen und Loyalitäten ließ sich die Konzeption einer „natürlichen Brücke zwischen dem tschechischen Volke, dem tschechischen Staate und seinem deutschen Nachbar“ (N. N. 1927: 1) ableiten. Aus dieser Vermittlungsrolle entwickelte Spina den Anspruch auf gleichberechtigte Anteilnahme am Staat, was explizit auf Prag als „deutscher 32  In Bezug auf das Verhältnis des Staates zu Deutschland nennt Spina das geographische Schicksal, dass den tschechischen Staat zu „einem andauernden Zusammenleben mit dem benachbarten Deutschen Reich, wie Deutsche und Tschechen innerhalb Böhmens, Mährens und Schlesiens“ zwinge (N.N. 1927: 1). 33  Und damit auch Schutz des Volkstums durch aktive Mitarbeit sowie Kontrolle der Regierungspolitik sowie strategische Hilfe für das Deutsche Reich: „Die Hauptfrage ist und bleibt: sind wir gleichberechtigt und wollen wir Einfluß um das, was für unser Volk notwendig ist, in der Regierung zu realisieren, wollen wir die deutsche Mitkontrolle im Staate, oder wollen wir die Fortsetzung der bisherigen Wirtschaft ohne unsere Kontrolle?“ (Spina 1926a: 3)

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Hochschulstadt“ (N. N. 1931: 3) bzw. als auch sudetendeutscher Hauptstadt bezogen wurde.34 Bereits 1926 reagierte Spina, wie Jahre zuvor sein Mentor August Sauer, gegen Tendenzen, die Technische Universität von Prag nach Brünn zu verlagern (Spina 1926b). Auf der anderen Seite ging es Spina um die Überwindung der Polarisierung und ein Gegenkonzept zu dem der exklusiven Schicksalsgemeinschaft, aus der eine Lebens- bzw. Kulturgemeinschaft werden müsse: Es galt vor allem zu zeigen, daß für beide Nationen, die nun einmal in demselben Raume leben und, so lange es eine Geschichte der böhmischen Länder gibt, miteinander gearbeitet und gegeneinander gestritten haben, ein großer Bereich gemeinsamer Interessen besteht und daß die bestehenden Gegensätze zu einem großen Teil künstlich hervorgerufen wurden. (Spina 1928: 88)

Gegen die Konzepte nationalpartikularer Einstellung, wie sie für das „uralte Kampfland Böhmen“ während der Jahrzehnte zuvor prägend waren, entwickelte er das Modell einer inklusiven Schicksalsgemeinschaft: „Tatsächlich haben gerade die schaffenden Stände in beiden Nationen […] erkannt, daß Deutsche und Tschechen in diesem Staate durch jahrhundertelange Schicksalsgemeinschaft eng verknüpft sind.“ Darüber hinaus erkannte Spina als Ergebnis des Aktivismus die „Ausdrucksform eines versachlichten, von hohem Verantwortungsgefühl für die Zukunft unseres Volkes getragenen Nationalismus“ (Spina 1928: 89), eine semantische Umcodierung von einem ethnischintegralen Nationalismus auf einen staatsbürgerlichen. Mit dem Konzept der Schicksalsgemeinschaft erhoffte sich Spina nicht nur eine Neutralisierung der nationalen Konflikte, die in den Narrativen des nationalen Kampfes perpetuiert und aktualisiert wurden,35 sondern er entwickelte die Vision einer 34  „Heute muß der Sudetendeutsche zu Prag, als der Hauptstadt des neuen Staates, endlich eine klare und entschiedene Einstellung gewinnen. Prag liegt außerhalb des geschlossenen sudetendeutschen Siedlungsgebietes, aber die Randlandschaften unseres Siedlungsraumes haben keinen eigenen Mittelpunkt. Schicksalsmäßig sind die Sudetendeutschen mit Prag verbunden, wie mit keiner anderen Stadt. Und vergessen wir nicht: Prag liegt zwischen Berlin und Wien. Zu wiederholtenmalen wurde von dieser eigenartigen Stadt aus, in der böhmische Könige als deutsche Kaiser residierten, das Schicksal des Deutschtums Mitteleuropas bestimmt. Die Abwendung von Prag hat sich für uns Deutsche stets verhängnisvoll ausgewirkt. Die Zeiten höchster kultureller Blüte des Sudetendeutschtums, die Zeit der Premysliden und Karls IV. waren Zeiten der vollen Bejahung Prags durch die Deutschen. Was deutsch ist an der Geschichte dieser Stadt – aus der Prager Kanzlei der Luxemburger z.B. nahm die neuhochdeutsche Schriftsprache ihren Ausgang – ist aus der deutschen Geschichte nicht wegzudenken.“ (Spina 1934: 4) 35  „Durch Jahrhunderte wurde in den Sudetenländern der Kampf zwischen Deutschen und Tschechen um die Vormachtstellung geführt.“ (Spina 1930)

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­ itteleuropäischen Kulturgemeinschaft, die sich aus den spezifischen alltagsm kulturellen Erfahrungen, einer „Lebensgemeinschaft verschiedener Völker auf engem Raum“ (Spina 1934b: 2), und populärkulturellen Phänomenen, einer „musikalischen Affinität beider Völker“ über die Volksmusik als „Eckstein im Bau unserer Kultur“ zusammensetzt (Spina 1934a: 4). Aktivismus darf dabei nicht nur als eine parteipolitische Angelegenheit verstanden werden, sondern ist eingebettet in eine neobohemistische Positionierung, die zunächst in literarisch-künstlerischen Kreisen einsetzte, man denke an Franz Werfels Glosse zu einer Wedekind-Feier im Prager Tagblatt (18.04.1914) oder an Max Brods Vermittlungsbemühungen, und die publizistisch durch eine Reihe von deutschsprachigen Periodika wie Josef Mühlbergers Witiko (1928-1931) flankiert wurde, eine Einstellung, die einen Ausgleich zwischen Tschechen und Deutschen wünschte. Dass Spina in seiner Aktivismusapologie zudem nicht affirmativ argumentierte, sondern die Interessen der deutschsprachigen Bevölkerung Böhmens vertrat, belegen seine kritischen Einwände zur Bildungs- und Sprachpolitik, wo er sich gegen die schrittweise Ungleichstellung des Deutschen wandte (Kučera 1999: 25). 1926, also zur Zeit der sich anbahnenden Regierungsbeteiligung, übte Spina dezidiert und öffentlichkeitswirksam Kritik an der Durchführungsverordnung zum Sprachengesetz vom 3. Februar 1926 (Deutsche Landpost, s. ferner am gleichen Tag in der Bohemia36), mit welcher letztlich eine Entpolitisierung der Sprachenfrage scheiterte.

4. Wachsende Isolation

Mit der Erosion des unter der sudetendeutschen Bevölkerung ohnehin nicht sehr populären Aktivismus ab Anfang der 30er Jahre geriet Spina zunehmend in die politische Isolierung. Nach dem Austritt von BdL und DCV aus der Regierungskoalition am 24. März 1938 galt er zunehmend als Repräsentant 36  Die verzögerte Herausgabe der Verordnung zum Sprachengesetz vom 29. Februar 1920 wurde als größtes Defizit des tschechoslowakischen Sprachenrechts der Zwischenkriegszeit betrachtet, da die ungeklärte Rechtslage Raum für willkürliche Interpretation und zweifelhafte Handhabungen schuf, die das Unbehagen der Minderheiten wecken musste (Kučera 1999: 73).

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einer defaitistischen Politik (Brandes 2008: 67). Es sei dahingestellt, ob das Scheitern des Aktivismus aufgrund unzureichender Reaktionen und Zugeständnisse tschechischerseits, auch von Spina immer wieder beklagt, verursacht wurde,37 ob sudetendeutsche Versäumnisse in den ersten Monaten nach der Unabhängigkeit die Ursache bildeten, ob ein genereller Unwillen zur Zusammenarbeit auf beiden Seiten eine Rolle spielte – Saboteure des Ausgleichs findet man zur Genüge –, ob eine Unterschätzung der totalitären Bedrohung durch den Nazismus bzw. der irredentistischen Kräfte und ihres großdeutschen Nationalismus innerhalb der Sudetendeutschen vorlag, auch Spina, alles andere als ein Machtpolitiker, eher ein Anti-Politiker, glaubte anfänglich in naiver Verkennung der Realitäten an eine Einbindung Henleins in den Aktivismus, oder ob außenpolitische Verschiebungen, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Besetzung Österreichs, die unselige AppeasementPolitik den Verfall des Aktivismus unausweichlich machten. Tatsache ist, dass ernst gemeinte Ausgleichsversuche angesichts wachsender Nationalisierung und Polarisierung auch unter den bäuerlichen (dies betraf den BdL) und katholischen Schichten (DCV) marginalisiert wurden und dass Spina zu den wenigen unter den bürgerlichen Kräften gehörte, die den ‚sudetendeutschen Bankrott‘ der 30er Jahre in seiner ganzen Konsequenz klar erkannten (Prager Tagblatt, 16.05.1933). In einem Rundfunkbeitrag appellierte Spina an eine übernationale Orientierung, da die Deutschen längst schon die Rolle eines zweiten Staatsvolkes besäßen: Wehe einem Minderheitenvolk, das sich von einem Beispiel der Gewalt, auch wenn es von seinen eigenen Stammesverwandten ausgeübt wird, den Blick verwirren und vernebeln läßt und dem goldenen Knauf eines Schwertes zujauchzt, dessen Schärfe es zu guter Letzt selbst zu fühlen bekommen wird. […] Die Lebensmöglichkeiten der Sudetendeutschen hängen ausschließlich davon ab, daß das Prinzip der Demokratie erhalten bleibt. (Deutscher Landbote, 19.03.1933)

In den Auseinandersetzungen mit den rechtsradikalen Kräften innerhalb der Sudentendeutschen gelangte Spina zu einer grundsätzlichen Revision nationaler Grenzziehung und wandte sich damit gegen die Vorstellung homogener Gesellschaften und Kulturen, wie sie der nationale Diskurs propagierte. Angesichts der totalitären Bedrohung orientierte sich Spina metaphorisch an einem gleichwohl anachronistischen austriazistischen Modell des Zusammenlebens, 37  So beklagte Spina im Prager Tagblatt (20.12.1930) das Missverhältnis zwischen der „staatsund demokratieerhaltenden Leistung der zur Teilnahme und Mitarbeit willigen Deutschen und der Gegenleistung der tschechoslowakischen Politik und tschechoslowakischen Demokratie.“ Weitere Belege bei Sobieraj (2002: 185f., 192) und Kracik (1999).

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das er erstmals in einer Parlamentsrede am 19. Oktober 1921 (zit. n. Brügel 1967: 167) und dann am 26. Dezember 1926 im Pariser Le Matin propagierte: Wir haben 1000 Jahre mit den Tschechen gelebt, und wir sind mit den Tschechen durch wirtschaftliche, soziale, kulturelle, sogar rassische Beziehungen so eng verbunden, daß wir mit ihnen eine Einheit darstellen. Wir stellen, um ein Beispiel zu gebrauchen, die verschiedenen Muster eines einheitlichen Teppichs dar. Natürlich kann man einen Teppich zerschneiden, aber man kann die eingewebten Blumen nicht voneinander trennen. Wir leben mit den Tschechen in einem Zustand der Symbiose, wir sind mit ihnen eine Vernunftehe eingegangen, und nichts vermag uns zu separieren. (zit. n. Brügel 1967: 184)

Der Neobohemismus, und das ist die persönliche Tragik Franz Spinas, verlor gerade auch innerhalb der dem Nationalismus lange fern stehenden ländlichen Bevölkerung an Akzeptanz und fand mit dem Münchener Abkommen sein – so die Bohemia am 3. Oktober 1938 – unwiderrufliches Ende. Der Bohemismus war schon mehrmals tot und ist wieder zu neuem Leben erstanden, wenn er auch anders hieß. Er war immer nur ein Bekenntnis zur böhmischen oder mährischen Heimat, der Geburtslandschaft, deren Hügellinien man einfach nicht vergessen konnte. Aber die Konturen einer seligen Kindheit behalten ihre Geltung auch dort, wo die Weltanschauungen aufeinanderprallen. […] Darum können die Diktate von Großmächten und die Ereignisse von Volksabstimmungen auch Grenzen ziehen, wo die Erinnerungen unserer Kindheit von keinen wissen. Aber diese Grenzen sind nur Striche auf einer Landkarte. Der Boden, in dem jeder von uns wurzelt, nimmt es hin, durch Grenzsteine gespalten zu werden, aber die geografische Einheit, eine Einheit, die Gebirgskämme und Flussläufe bestimmen, die natürliche Einheit bleibt bestehen. Mohammed kam zu dem Berge, weil der Berg nicht zu Mohammed kommen wollte. Und die Berge haben ihre Abneigung gegen Ortsveränderungen auch in einer Zeit bewahrt, in der die Propheten nicht mehr Wunder wirken. (Bohemia, 3.10.1938)38

Auch der Prophet Franz Spina konnte ein solches Wunder nicht bewirken.

38  Leitkommentar: Ende des Bohemismus. – Die Deutsche Landpost stellte ihr Erscheinen mit dem 31.03.1938 ein, was als Ausdruck des inneren Umbruchs und als Erfüllung der Sendung im Leitartikel propagiert wurde. Ein wichtiges Periodikum des Aktivismus hatte sich somit überflüssig gemacht!

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Ludger Udolph

Franz Spina als Bohemist

1. Slavistik an der Deutschen Universität1

Als die k. k. Karl-Ferdinand-Universität zu Prag im Jahre 1882 in eine Tschechische und eine Deutsche geteilt wurde, gingen die Vertreter der Slavistik, Jan Gebauer und Martin Hattala mit dem 1880 gegründeten Seminar an die Tschechische Universität. Die deutsche blieb ohne Slavistik und die Professoren zeigten auch wenig Neigung, sie hier einzuführen. Lediglich der Indo­loge Alfred Ludwig fühlte sich verpflichtet, in seinen Vorlesungen gelegentlich auch das Altkirchenslavische mitzubehandeln. An der Tschechischen Universität wurde hingegen die Slavistik 1896/97 breit ausgebaut. Als 1897 die Einführung von Tschechischkursen an der Deutschen Universität durch ­Erlass des Ministeriums verpflichtend wurde, verweigerten sich die Professoren (Šimeček 1990: 40f.). Im selben Jahr forderte die Deutsche Universität auch die Zurücknahme der Badenischen Sprachenverordnungen. Die ablehnende Haltung gegenüber der Slavistik wich erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Alfred Ludwig 1901 von seinem Amt zurücktrat, wurde sein Lehrstuhl für vergleichende Sprachenkunde in zwei Extraordinariate geteilt, in das für indische Philologie – das mit Moritz Winternitz besetzt wurde – und das für vergleichende Sprachwissenschaft, auf das im Jahre 1902 Erich Berneker aus Berlin berufen wurde, der im Bedarfsfall auch slavistische Veranstaltungen durchzuführen hatte.2 Eine tragkräftige Grundlage erhielt die slavistische Lehrtätigkeit Bernekers, als mit Ministerialerlass vom 31. Januar 1906 der Artikel VI, Punkt g der Ministerialverordnung vom 30. August 1897 dahin erweitert wurde, dass bei 1  Ich stütze mich im Folgenden auf die einschlägigen Studien von Zdeněk Šimeček; s. ferner Zeil (1995b), Schaller (2003) und Petrbok (2011). 2  Bernekers Nachfolger waren: Paul Diels 1909-1911 außerordentlicher Professor für Indogermanistik und slavische Philologie; Reinhold Trautmann, 1911-1920 für vergleichende Sprachwissenschaft; Gerhard Gesemann, 1922-1944 für slavische Philologie.

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der Erwerbung der Lehrbefähigung für Mittelschulen die Verbindung von Deutsch mit einer Landessprache (Čechisch) als Hauptfächer auch an Anstalten mit deutscher Unterrichtssprache zulässig sei. Das Interesse der Studierenden erhöhte sich infolge dieser Möglichkeit bedeutend, was daraus zu erkennen ist, dass die Zahl der Hörereinheiten vom Wintersemester 1906/07 bis zum Wintersemester 1908/09 von 29 auf 75 gestiegen war (Spina/Gesemann 1928: 4; Šimeček 1990: 41). An der Deutschen Universität war die Entwicklung der Slavistik also von Anfang an eng mit der Bohemistik und dem Erlernen des Tschechischen verbunden, slavische Philologie war hier nicht nur Teil der vergleichenden Sprachwissenschaft (Šimeček 1990: 41). Im Juni 1905 hatten sich 200 Studenten mit einer Petition, die auch vom Deutschen Volksrat für Böhmen unterstützt wurde, für die Einführung eines Tschechischlektorates an Berneker gewandt (Šimeček 1990: 48). Und just zur selben Zeit erschien in der Deutschen Arbeit Spinas Artikel über die Notwendigkeit eines Tschechischlektorates an der Deutschen Universität (Spina 1905). Berneker fand nun auch Unterstützung bei seinen Kollegen. Eine Kommission sollte die Einrichtung eines solchen Lektorates prüfen; ihr gehörten Berneker, der klassische Philologe Carl Holzinger und August Sauer an. Sauer hatte sich zwar 1897 als Dekan noch gegen das Tschechischlektorat ausgesprochen, ihm war aber wohl bald klar geworden, dass sich die Erforschung deutscher Kultur in den böhmischen Ländern nicht ohne Kenntnis des Tschechischen durchführen ließe. Er unterstützte daher seinerzeit bereits die Einführung der Slavistik und zeigte – unter dem Eindruck von Karl Krumbachers berühmter Programmschrift über die Wichtigkeit des Russischen –  auch am Russischen Interesse. Die Kommission legte ihr Gutachten, das Berneker verfasst hatte, am 21. Januar 1906 vor: Sie forderte ein Lektorat für ordentliche Hörer im Umfang von acht Wochenstunden, der Lektor hatte Kurse für Anfänger, Fortgeschrittene, Philologen und Jurastudenten abzuhalten; alle Kurse waren zweistündig (Šimeček 1990: 48, 57). Gleichzeitig schlug die Kommission eine Dreierliste möglicher Kandidaten vor: 1. Ferdinand Stolle, Professor am Deutschen Gymnasium in Smíchov; 2. Franz Spina, Professor am Deutschen Gymnasium in Kgl. Weinberge; 3. Josef ­ Quaisser, Leiter der Deutschen Lehreranstalt in Prag. Gutachten und Liste wurden von den Professoren angenommen und am 9. Februar 1906 vom ­Dekanat an das Ministerium geschickt (Šimeček 1990: 48). Dieses überließ die Auswahl des Kandidaten schließlich der Fakultät, die sich für Spina entschied. Dieser wurde am 13. September 1906 ernannt und begann im Studienjahr 1906/07 mit seinen Kursen, die durch Entscheidung der Professoren alle kostenfrei waren.

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Von Berneker gefördert arbeitete Spina nun an seiner Habilitation; während seiner Lektorentätigkeit besuchte er auch dessen Veranstaltungen. Am 23. Januar 1909 reichte Spina zusammen mit seiner Arbeit zur Frantova práva sein Habilitationsgesuch für tschechische Sprache und Literatur ein (Šimeček 1994: 117-119); da Berneker am 1. April d. J. sein neues Amt in Breslau antreten würde, drängte die Zeit. Am 28. Januar schon wurde von den Professoren die Habilitationskommission, bestehend aus Berneker, Sauer und Karl Kraus, gebildet, die am 18. Februar 1909 ihren Habilitationsantrag formulierte (Šimeček 1994: 121-123). Bereits am 28. Februar nahmen die Professoren die Empfehlung der Kommission zur Annahme der Arbeit an und am 11. März konnte das Kolloquium vor den Professoren und der Kommission stattfinden. Das Protokoll weist aus, dass Spina den Auszug aus dem alttschechischen Ezop richtig übersetzt und die Fragen zu Sprache, Paläographie und Geschichte dieses ‚Denkmals‘ zufriedenstellend beantwortet habe. Er wurde dann weiter befragt zu Smil Flaška und dem ‚slavischen Gedanken‘ in der neuesten tschechischen Literatur und Wissenschaft. Den Schluss bildete eine Frage zum Einfluss der mittelhochdeutschen Dichtung auf die tschechische. Die Kommission war mit Spinas Leistung höchlich zufrieden und er wurde für den 13. März zur Probevorlesung geladen. Dafür hatte er am 2. März die folgenden Themen vorgeschlagen: „1. Die Anfänge der neutschechischen Lyrik; 2. Über deutsch-tschechische Literaturbeziehungen in der Reforma­ tionszeit; 3. Wie wirkt die deutsche vorklassische Dichtung des 18. Jh. auf die tschechische Literatur?“ (Šimeček 1990: 60, Anm. 96; 1994: 124). Offenbar wählte man das erste Thema (das dem dritten ja recht nahe ist) und Spina sprach über die Almanache von Thám und Puchmajer. Wieder war die Kommission höchlich zufrieden: Der Vortrag war gut vorgetragen und durchdacht sowie instruktiv gegliedert. Eine gute methodische Schulung sei verbunden mit der Fähigkeit des Habilitanden, in einem seiner Arbeitsgebiete Probleme zu formulieren und zu diskutieren (Šimeček 1994: 125f.). Am 16. April 1909 bestätigte das Ministerium die Habilitation und Spina wurde die venia docendi für tschechische Sprache und Literatur verliehen (Šimeček 1990: 52). Spina war damals bereits 41 Jahre alt. Seine weitere Universitätslaufbahn gestaltete sich eher schleppend. 1912 erhielt er zunächst einen Lehrauftrag für tschechische Literatur. Im Sommersemester 1915 wurde der 32jährige Reinhold Trautmann zum Kriegsdienst eingezogen. In seinem Brief aus Troppau vom 19. September 1915 an den Dekan in Prag schreibt Spina, dass mit Trautmanns Einberufung die gesamte Last der Lehr- und Prüfungstätigkeit im Fache Slavistik allein auf ihm ruhe. Spina, der 1887/88 seinen Militärdienst abgeleistet hatte, war mit Rücksicht auf sein Alter bereits zur Reserve gestellt

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worden. Am 16. September 1915 wurden Musterungen in Kgl. Weinberge durchgeführt, wobei Spina als kriegsdiensttauglich eingestuft und zum Ergänzungskommando in Prag beordert wurde, doch die Prager Militärkommandantur erkannte Spinas Einwendungen an und stellte ihn für unbestimmte Zeit frei (Šimeček 1989: 62f.). 1917 wurde ihm der schon 1914 beantragte Titel eines außerordentlichen Professors verliehen (Šimeček 1994: 140f.), aber erst nach dem politischen Umsturz wurde er 1920 außerordentlicher, 1921 dann endlich „ordentlicher Professor der tschechischen Sprache und Literatur mit Berücksichtigung der übrigen westslavischen Sprachen und Literaturen“, Spina war jetzt bereits 53 Jahre alt! Er gehörte zu den Begründern der Deutschen ­Gesellschaft für slavistische Forschungen in Prag (1930), der Slavischen Rundschau (1929) und der Germanoslavica (1931). Seit 1935 veranstaltete er nur noch Übungen, 1937 stellte er seine Lehrtätigkeit ganz ein. Wie Hubert Rösel sich erinnert, überließ er die angekündigten Seminare Eugen Rippl (Rösel 1995: 44). Am Slavistenkongress in Prag im Oktober 1929 hat Spina nicht teilgenommen, er wohnte in seiner Eigenschaft als Minister der Eröffnung im Smetana-Saal des Obecní dům [Gemeindehaus] bei.3 Jakobsons Erinnerung an eine „známý výrok“ [bekannte Äußerung] Spinas auf diesem Kongress bleibt vorerst unklar (Jakobson 1995: 407). Spina bot seinen Studenten eine gründliche philologische Ausbildung in Sprache und Literatur, in Vorlesungen und Seminaren behandelte er die tschechische historische Grammatik und die tschechische Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart.4 Noch als Lektor hatte er einen ‚Reader‘ mit tschechischen Lesestücken zusammengestellt (Spina 1911). Paul Eisner sah in ihm mehr als einen nur traditionell arbeitenden Hochschullehrer, vielmehr sei Spina der „Pionier einer neuen deutschen Slawistik“ gewesen. Dafür findet er in seiner schwülstigen Manier hehre Worte. Spina wolle „das deutschböhmische geistige Deutschtum und besonders die deutsche Slawistik auf jene Wege weisen, die ihnen vom Genius des deutschen Geistes zubestimmt sind.“ Die geistige Aufgabe dieses Deutschtums ist die des „Vermittler[s], Dolmetsch[s], Deuter[s] slawischen Kulturguts für die deutsche und die ganze germanische Geisteswelt [...].“ (Eisner 1928: 28) So wurde er für seine Studenten zum berufenen Interpreten neuer tschechischer Literatur: Auch hier war es seine seltene intuitive Gabe, die ihn in der tschechischen Lyrik die unvergleichliche Krone der Literatur und den unmittelbarsten Ausdruck der nationalen Seele­

3  Sjezd (1909); für den Hinweis bin ich Dr. Anne Hultsch zu Dank verpflichtet. 4  S. die Zusammenstellungen bei Spina/Gesemann (1928: 16-20); Rösel (1995: 53-86); Šimeček (1990: 49f.).

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erkennen ließ, ganz gewiß als den ersten deutschen Slawisten überhaupt. So wurden bei ihm Březina, Bezruč, Sova, Machar, Dyk und andere gelesen und interpretiert mit dem feinsten Verständnis für die ästhetischen Werte von Sprache, Form, Ausdruck und Bild, mit Hinweisen auf verwandte Erscheinungen bei anderen Slawenvölkern und in der deutschen Dichtung; mit nachdrücklicher Betonung des dokumentarischen Wertes dieser Hervorbringungen für Geist und Seele von Volk und Rasse; mit Exkursen zu den Erscheinungen des politischen und kulturellen Tages, die Tagespresse eingeschlossen. Es waren Seminarstunden, wie nur ganz wenige akademische Lehrer sie ihren Hörern zu bereiten verstanden. (Eisner 1928: 28)5

So sei aus der rein physischen die geistige Symbiose geworden. Gemeinsam mit Trautmann (1918-1920) und Gesemann betreute Spina eine Fülle slavistischer Dissertationen (Spina/Gesemann 1928: 15; Rösel 1995: 100-112), hier seien nur drei genannt. Ferdinand Liewehr wurde 1924 mit der Arbeit Toponomatologische Streifzüge im Kuhländchen promoviert;6 er war dann zunächst Assistent, ab 1926 Tschechischlektor am Slavischen Seminar. Nach seiner Habilitation wurde er 1937 außerordentlicher Professor für slavische Philologie in Prag, 1940 ordentlicher Professor in Wien, ab 1956 lehrte er in Greifswald, wo er 1985 starb. 1920 wurde Nikolaus Kretschmer (Mikławš Krječmar) mit seiner von Trautmann und Spina betreuten Arbeit Jakub Bart Ćišinski 1856-1909 promoviert, der ersten wissenschaftlichen Arbeit über diesen bedeutendsten obersorbischen Dichter. Kretschmer arbeitete dann als Deutschlehrer an tschechischen Schulen in Prag und ab 1923 als Sorbisch­lektor an der Tschechischen Universität. Als er seine Dissertation 1933 in Bautzen in sorbischer Sprache zum Druck brachte, vergaß er – entgegen der akademischen Gepflogenheit – seinen Lehrern zu danken (Krječmaŕ 1933). Im Jahre 1930 wurde Roman Jakobson von Gesemann und Spina mit seiner Arbeit Zur vergleichenden Forschung über die slavischen Zehnsilbler promoviert, Jakobsons Moskauer Examen von 1918 (kandidat pervoj stepeni) hatte man in der ČSR nicht anerkannt. 1920/21 besuchte er bohemistische Vorlesungen an der Karlsuniversität bei Oldřich Hujer, František Trávníček und Emil Smetánka. Als er Redakteur bei der ‚deutschen‘ Slavischen Rundschau wurde, reagierte die tschechische Presse negativ, und als er im März 1929 auf 5  Eisner hatte an der Deutschen Universität von 1910-1914 Romanistik, Germanistik und Slavistik studiert und war 1917/18 mit seiner von Reinhold Trautmann und Primus Lessiak betreuten Dissertation Lessing, Goethe und Schiller in tschechischen Übersetzungen promoviert worden. Das Verzeichnis der von ihm besuchten Lehrveranstaltungen in Eisner (2009: 287f.). Von Spina übernahm er die Idee der ‚Symbiose‘, s. seine Studie Milenky. Německý básník a česká žena [Geliebte. Deutsche Dichter und die tschechische Frau] von 1930 (21992); s. zu Spinas Symbiosebegriff die Arbeit von Michael Havlin in diesem Band. 6  Im Druck unter dem Titel Die Ortsnamen des Kuhländchens. Reichenberg 1926.

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­ orschlag von Lubor Niederle zum Mitglied des Slovanský ústav [Slavisches V Institut] gewählt wurde, hieß es, er sei ein Moskauer Spion. Da Jakobson – der von 1920-1928 als Presseattaché­ in der sowjetischen Botschaft in Prag gearbeitet hatte – vonseiten der (aus Russland emigrierten) Professoren Vladimir Andreevič Francev (slavische Philologie) und Evgenij Aleksandrovič Ljackij (russische Sprache und Literatur) Schwierigkeiten bei den Prüfungen befürchtete, reichte er die Arbeit an der Deutschen Universität ein. Sie war bereits im Jahr zuvor in der Festschrift für Spina erschienen.7 1933 konnte sich Jakobson nur gegen erheblichen Widerstand in Brünn habilitieren, wo er von 1937-1939 dann Professor für russische Philologie und alttschechische Literatur war.8 Bei Spina und Gesemann haben sich vier Wissenschaftler habilitiert: Edmund Schneeweis 1927 (Umhabilitierung von Belgrad nach Prag); Eugen Rippl 1928 (Der alttschechische Kapitelpsalter, Reichenberg 1928); Ferdinand Liewehr 1929 (Kurbskijs „Novyj Margarit“, Reichenberg 1929); Konrad Bittner 1930 (Herders Geschichtsphilosophie und die Slaven, Reichenberg 1929). Schneeweis lehrte in Prag, Rostock und Berlin (Ost); Rippl in Prag; Liewehr in Prag, Wien und Greifswald und Bittner in Prag, Posen und Mainz.

2. Spinas bohemistische Arbeiten9

Franz Spina absolvierte 1887 in Wien, dann von 1888-1891 in Prag „philosophische, vorzugsweise germanistische Studien“ (Spina 1909a: 119). Nach der Lehramtsprüfung in Deutsch und klassischer Philologie war er Lehrer in Mährisch-Neustadt und Mährisch-Trübau und seit 1905 Professor am Deutschen Staats-Gymnasien in Kgl. Weinberge.10 Mit seiner Arbeit zum Vers bei 7  Liewehr (1929); Glanc (2005: 155, 191); Kuldanová (1996: 172); die Angabe des Titels bei Glanc (2005: 276): „Über den Versbau der serbokroatischen Volksepen“ ist falsch. 8  Das Aktenmaterial zu Habilitation und Berufung ist abgedruckt bei Glanc (2005: 139200). 9  S. dazu auch Geseman (1928); Jakobson (1938); Fischer (1965) und den Beitrag von Alice Stašková in diesem Band. 10  Als Datum der Lehramtsprüfung nennen Knauer (1957: 50) und Bachmann (1976: 170) das Jahr 1892 (Knauer verwechselt eine Lehramtsprüfung dabei mit einer Promotion), Zeil (1995a: 474) nennt 1894; Petrbok (2008: 297) macht keine Angabe; nach ihm war

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Andreas Gryphius (1895) wurde er von August Sauer promoviert.11 Sauer hat wohl auch Spinas Interessen auf die Slavia gelenkt. Für Spinas spätere Entwicklung wurde es bedeutungsvoll, daß Sauer, als er die slawischen Sprachkenntnisse seines Hörers bemerkte, ihn, wohl unter der Anregung des in den achtziger­ Jahren ausgefochtenen stürmischen Kampfes um die gefälschten tschechischen Handschriften, nachdrücklich auf die lebhaften Beziehungen zwischen deutscher und tschechischer­ Literatur und auf die Kulturbeziehungen der beiden Nationen überhaupt verwies und ihn so zu frühzeitiger Beschäftigung mit slawischen Dingen anregte. (Rotter 1928: 9)12

Spina schrieb später, es seien Masaryks Čas und Arnošt Kraus’ Čechische Revue gewesen, die seinem „nach Erkenntnis tschechischer Kultur, Wirtschaft, Politik gerichteten Streben Führer wurden“ (Vodrážková-Pokorná 2006: 191),13 also nicht Bücher, sondern anspruchsvolle Zeitschriften, wie Spina sie später mit der Slavischen Rundschau und der Germanoslavica selber verwirklichte. Von 1905-1907 besuchte Spina (1909a: 120), um sich die slavistische Kompetenz zu erwerben, einschlägige Kollegien an der Deutschen Universität. Seit 1907 publizierte er zu bohemistischen Themen, so die Arbeit über den tschechischen Buchdruck in Nürnberg und in engem Zusammenhang damit seine Habilitationsschrift über die Frantova práva (Spina 1908; 1909/1975). Dazu kommen Studien und Aufsätze zur tschechischen Literatur, Kultur und Politik in der führenden slavistischen Fachzeitschrift, dem Archiv für slavische Philologie und der Slavia (Spina 1907b; 1910; 1911; 1920; 1922/1923), in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen (Spina 1915; 1916), in der Deutschen Arbeit (Spina 1909/1910a; 1909/1910b; 1912/13; 1913/14; 1916/17a; 1916/17b; 1917/18) und in der Österreichischen Rundschau (Spina 1914). Spina betrachtete Literatur immer „im Rahmen der aktuellen geistigen und politischen Zusammenhänge“ (Pešek 1998: 20); davon zeugen seine Aufsätze in der Deutschen Arbeit und der Österreichischen Rundschau (1914-1918), in denen von Literatur oder einzelnen Autoren und Werken kaum die Rede ist.

Spina 1892 Supplent (Hilfslehrer) in Braunau [Broumov], dann von 1896-1901 Lehrer in Mährisch Neustadt [Uničov], 1901-1905 in Mährisch Trübau [Moravská Třebová] und von 1905-1920 in Weinberge [Vinohrady]. 11  Als Datum der Doktorprüfung nennt Zeil (1995a, 1995b) 1896, Petrbok (2008) 1897, Bachmann (1976) und Luft (2010) 1901. 12  Zu Sauers slavischen Interessen s. Spina (1931); zu Sauer und Spina Petrbok (2011: 230f.) (Spina als Sauers „persönlicher Informant in bohemicis“); Spinas Darstellung des Handschriftenstreites in Spina (1912/13; 1915). 13  Brief an Arnošt Kraus, o. Dat. in Vodrážková-Pokorná (2006: 191).

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Sie versuchen eher, das historische und politische Umfeld zu skizzieren, als dessen Teil und Ausdruck die Literatur verstanden wird. In der Bohemistik arbeitete Spina auf vier Feldern: zur tschechischen Literatur- und Kulturgeschichte; zum frühen tschechischen Buchdruck; zu Metrik und Prosodik; als Herausgeber alter Texte. Spina sah Deutsche und Tschechen, ihre Literatur und Kultur, im engsten Zusammenhang, er spricht einmal auch von ‚Symbiose‘ (Spina 1917/1918: 63). Die Voraussetzung für diese enge Verbindung sind zunächst geographische Gegebenheiten: Am weitesten unter allen slawischen Stämmen nach Westen gerückt und wie ein Hammerkopf oder vorgeschobener Pfeiler in das von Norden, Westen und Süden einschließende deutsche Gebiet eingekeilt, hängt der tschechische Teil von Böhmen durch einen schma­ len, von den deutsch-mährischen Sprachinseln [...] durchbrochenen Streifen mit Mähren und dem östlichen slawischen Hauptgebiet zusammen, das durch einen magyarisch-rumänischen Keil von den Südslawen getrennt ist. Aber dieser inselartig vorgeschobene Slawenposten liegt im Herzen Mitteleuropas in günstigster, von der Natur geschützter Position, die Goethe zum Nachdenken über die Eigenart der Bewohner angeregt hat. Für die slawische Welt ist Böhmen der Pfeiler geworden, über den westliche und östliche Kulturen ihre Brücken schlagen konnten. Aus dem Westen übernommene Einflüsse sind durch die tschechische Literatur an die slowakische, polnische, selbst russische weitergegeben worden – ein ‚Drang nach Osten‘ auf geistigem Gebiet, dessen Geschichte noch geschrieben werden soll. (Spina 1909/1975: 1f.)14

Das sahen manche Tschechen ganz ähnlich, so kurz zuvor Jan Jakubec: Mit einigen anderen slawischen Stämmen bis an die westlichste Grenze gerückt, gerieten die Čechoslawen wie ein Felsblock, welcher sich von der Steinmasse des Berges getrennt hatte, in den mächtigen Strom der westlichen Kultur. Während aber die nördlichen Brüderstämme in dieser Kulturbrandung völlig aufgegangen waren, zeigte sich der čechoslawische Stamm fest genug, um in dem immerwährenden Kulturkampfe als selbständiges Mitglied des groſsen Ganzen – der Menschheit – weiter zu bestehen. In diesem Strom wurden zwar seine eigenartigen Kanten abgeschliffen, er nahm an seiner Gröſse ab, aber in seinem Kern blieb er sein eigen wie ein von den Wellen abgeglätteter Felsblock. Und seine Bestimmung führte ihn weiter: durch sein Gewicht reiſst er allmählich auch andere in den Strom der Kultur mit (Jakubec/Novák 1907: 1).15

Die Tschechen erscheinen als slavisches Kulturträgervolk. Die „geographische Isolierung“, so Spina weiter, führte zur Eingliederung der Tschechen in den lateinischen Westen durch die Annahme des römischen Christentums: „Die 14  Die hier vorgelegten Ausführungen hat Spina 1914 im Wesentlichen nur wiederholt. – Zu Sauers Interesse an deutschen Einflüssen auf die tschechische Literatur s. Spina (1931). 15  Spina hat diese Darstellung „eine tüchtige, ihren Zweck erfüllende Leistung“ genannt (Spina 1909/1910a: 433), Jakubec‘ Stil fand er „mehr philologisch-historisch-sachlich“, Nováks „ästhetisierend-geistreich-subjektiv“ (Spina 1909/1975: 15).

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Zugehörigkeit zum römischen Katholizismus läßt die Tschechen nicht nur als slawisches, sondern auch als hervorragend westeuropäisches Volk erscheinen“ (Spina 1909/1975: 3). Die slavische Liturgie hat für die Tschechen keine kulturbildende Bedeutung gehabt, sie ‚versank frühzeitig‘ (Spina 1909/1975: 3).16 Die andere Integrationskraft waren die deutschen Einflüsse, „die durch ihre lange und ununterbrochene Dauer, die eng-nachbarliche Unmittelbarkeit und Intensität, sowie durch ihren qualitativen Wert den deutsch-tschechischen Beziehungen unter den übrigen slawischen besondere Bedeutung verleihen“ (Spina 1909/1975: 3f.). Es entstand eine ‚geistige Gütergemeinschaft“ seltener Art; die Tschechen wurden zu einem „Slawentum mit den Gesichtszügen westeuropäischer, germanisch-romanischer Kultur“ (Spina 1909/1975: 5). Sie seien „enger verbunden mit dem westeuropäischen Kulturkreis als mit den stammverwandten Kulturen“ (Spina 1909/1975: 26). Für die Herausbildung des heutigen ‚Tschechentums‘ wurde der „energische […] Kulturruck seiner Wiedergeburt“ entscheidend, denn – anders als der Terminus vermuten lässt – war es eine ‚Neugeburt‘, durch die die Tschechen mit ihrer Vergangenheit völlig gebrochen hätten. Durch diese ‚Wiedergeburt‘ entstand „ein ganz neues, jetzt erst völlig europäisiertes Volk [...]: der ‚Böhme‘ ist zum Tschechen geworden“ (Spina 1917/1918: 63). Sie bedeutet ihre vollständige Eingliederung in den westeuropäischen Kulturkreis (Spina 1909/1975: 6, 9); jetzt „spüren wir nichts mehr von jenem Geruch der fremden Rasse, der uns aus den Äußerungen süd- und ostslawischen Lebens, besonders aus der ganz eigenartigen russischen Literatur entgegen atmet und der in der Verachtung und Verneinung unsrer europäischen Kultur in den Alterswerken Tolstois wohl den extremsten Ausdruck gefunden hat“ (Spina 1909/1975: 6).17 Im Kulturgefälle von Westen nach Osten haben die Tschechen also das Glück gehabt, nach Westen eingemeindet zu werden. ‚Widerstandsbewegungen‘ wie die hussitische führten zwar zu einer Isolierung der Tschechen, ohne die westeuropäischen Einflüsse aber wirklich zurückdrängen zu können, denn „der politische und materiell Starke (zieht) den Schwächeren in seine Kreise [...] – oder materialistisch ausgedrückt: daß die Kultur dem höheren Besitze 16  Zur Teilung der slavischen Welt in eine westlich-lateinische und östlich-orthodoxe s. den programmatischen Aufsatz des Münchener Byzantinisten Krumbacher a. d. J. 1908, den Spina mehrfach anführt: Krumbacher (1909); über Sauers Interesse für Krumbacher und das Russische s. Spina (1931). 17  Die Äußerung zu Tolstoj verkürzt dessen ethischen Rigorismus unzulässig auf ein ‚antiwestliches‘ Feindbild und hängt wohl mit Spinas Abneigung gegenüber einem Volk im Osten mit nur schwierig zu rubrizierender ‚Seele‘ (Krumbacher 1909: 347) und seinem Austroslavismus zusammen. Zu Tolstoj s. Kuße (2010).

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nachgeht, wobei räumliche Nähe den Einfluß vergrößert“ (Spina 1909/1975: 8).18 Einen zweiten Bruch in der Kultur der Tschechen sieht Spina in der ­Gegenreformation des 17. und im deutschen Zentralismus des 18. Jahrhunderts, wobei für ihn der Sieg der Gegenreformation nach 1620 aber nur die letzte Folge der hussitischen Bewegung ist (Spina 1909/1975: 9). Die deutschen Einflüsse wären keineswegs „das nationale Unglück“, das Palacký in ihnen sehen möchte, sie hatten vielmehr eine ungeheure kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung für das Volk, dem sie zu einer sehr frühen Kultivierung, zu einer straffen Zentralisierung und Zusammenfassung der Kräfte – welcher Gegensatz bei den Polen! – und schließlich zu einer Art geistiger Führung und materiellen Übergewichtes unter den Slawen verhalfen (Spina 1914: 413; 1909/1910: 434).

Die deutsch-tschechische ‚Symbiose‘ sieht Spina also einmal getrübt durch den tschechischen Widerstand selbst (deutschen scheint es nicht gegeben zu haben), sodann aber, seit dem Ersten Weltkrieg, durch den Panslavismus und durch die russische Politik. Seine Gedanken dazu äußert er im Anschluss an Friedrich Naumanns Buch Mitteleuropa von 1915. War für Naumann Mitteleuropa die „enge […] Verbindung“ von Deutschem Reich und ÖsterreichUngarn, eine „Gesinnungsgemeinschaft“, aus der dann schließlich eine „Wesensgemeinschaft“ werden sollte (Naumann 1915: 27-29), so war es für Spina mehr oder weniger die Erhaltung von Österreich-Ungarn. Wie Naumann macht auch er sich Gedanken über eine Nachkriegsordnung; da seien einmal „die deutsch-slawischen Zwiste“ zu klären und die „slawischen ‚Zwischenvölker‘“ zu gewinnen. Dazu sei die Kenntnis der Slaven und ihres Wesens vonnöten (damit natürlich auch die Slavistik), denn „die Zeiten der Eindeutschung durch Zwang“ seien vorbei (Spina 1916/1917a: 6). Die Rettung für die Monarchie und ihre Slaven sieht Spina im guten alten Austroslavismus, der den seit 1867 virulenten russophilen Tendenzen in der tschechischen Gesellschaft entgegenwirken könne (Spina 1917/1918: 109-111; kritisch zum Panslavismus Spina 1916/1917b).

18  Spinas breit angelegte Konzeption der deutsch-tschechischen Kulturbeziehungen mutierte später bei Gerhard Eis zur Vorstellung der tschechischen Literatur als eines ‚Ablegers‘ der ‚sudetendeutschen‘: „Ebenso wesentlich war ihre Hilfe bei der Emporhebung der tschechischen Literatur zu abendländischem Rang. [...] Der Forschung erwächst daraus die Aufgabe, an der Hand von Schriften beliebiger Herkunft nachzuweisen, daß und in welcher Weise und zeitlichen Abfolge das Beispiel der Sudetendeutschen die Anteilnahme der Tschechen förderte“ (Eis 1949: 16); zur Problematik einer ‚sudentendeutschen Literatur‘ und zur Diskontinuität deutscher Literatur in Böhmen s. Novák (1930).

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Der Zusammenbruch Rußlands bedeutet auch den Sieg der westlichen Kultur über die östliche. Unsere Monarchie wird nach wie vor westlich gerichtet bleiben und ihren historischen Beruf erfüllen: das mitteleuropäische Völkergemenge zu vereinigen. (Spina 1917/1918: 111)

Auch nicht-katholische Slaven (also der kulturell doch eigentlich fremden ‚Slavia orthodoxa‘ angehörige) könnten an Mitteleuropa angeschlossen werden, etwa durch Übernahme der lateinischen Schrift und des Gregorianischen Kalenders (Spina sieht Bulgarien in diesem Fall auf dem richtigen Wege) (Spina 1916/1917a: 10). In seinem Brief an Hofmannsthal vom 26. Januar 1918 zeigt er dann aber deutlich Zweifel an einer solchen Neuordnung und seine Enttäuschung über das Verhalten der Tschechen, die die ‚Symbiose‘ eben nicht mehr wollten. Spina argumentiert dabei mit seinem kulturpolitischen Instrumentarium: Heute scheint der Hebel des möglichen Verderbens Österreichs in tschechischen Händen zu liegen. [...] Dem innerlich germanisierten Volke scheint als einzig echtes slavisches Merkmal die Maßlosigkeit seiner Ziele, die Überschätzung des Erreichbaren und der eigenen Kräfte und die Unbelehrbarkeit durch die Geschichte und die Realitäten gegeben zu sein. Die Entwicklung der Psychose seit der Rückkehr Kramářs, des Politikers der Leidenschaft, deutet auf eine gewollte Isolierung des Volkes hin (Zustand nach den Hussitenkriegen), auf eine radikale Loslösung der tschechischen Kultur vom deutschen Element, was doch völlig unorganisch und realpolitisch gar nicht möglich ist. (Stern 1971: 203)

Es wurde möglich.

3. Tschechische Literatur

Die tschechische Kultur besitzt keine ausgesprochen slawische Originalität. Ihr fehlt unter dem Druck eines sehr einseitigen Rationalismus der Zug ins Weltläufige. Sie ist mehr rustikal, gefällt sich zum eigenen Schaden in einer gewollten lokalen Selbstbeschränkung, in einer Sonderlingsrolle. Ungünstig für den Wettbewerb wirkt, daß ihr nur ein Kulturzentrum zur Verfügung steht, das an der Peripherie des Volkswohnraumes gelegene Prag. [...] Die tschechische Kultur ist mehr praktisch als idealistisch, hier aber intensiver als die polnische das ganze Volk durchdringend, [...]. Die tschechische Kultur ist stark demokratisch, mit

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Ludger Udolph Neigungen zu einem sehr äußerlichen Radikalismus.[19] Die Literatur, deren ältere Periode die neuere an innerem Wert übertrifft, ragt nur in wenig Erscheinungen in die Höhe der Weltkultur, hat vor allem deutsche Einflüsse innerlich zu selbständigem Gut verarbeitet, ist aber auf weiten Strecken auch bloße Nachahmungsliteratur. Sie ist stark tendenziös politisch, zeigt aber als slawisch-originalen Grundzug der tschechischen Volksseele eine charakteristische Neigung zur religiösen und mystischen Spekulation. Die Musik zeigt slawische Eigenart mit deutschen Einschlägen. (Spina 1917/1918: 64f.)

So das kulturpolitisch-völkerpsychologische Bild, das Spina in journalistischem Duktus mit eher pastosem Strich von der tschechischen Literatur malt. Sie entspricht durchaus nicht der von Spina ansonsten behaupteten kulturellen Vormachtstellung der Tschechen, eine Unstimmigkeit, die von Spina nicht aufgelöst wird (vielleicht hat er sie auch gar nicht bemerkt). Dies ist also die Literatur, für deren Lehre und Erforschung Spina als Professor an der Deutschen Universität zuständig war. Was mag ihn bewogen haben, sich mit dieser ‚Nachahmungsliteratur‘ zu befassen? Die tschechische Literatur sei die eines „der kleineren slawischen Völker, das ungefähr 6 Prozent aller Slawen ausmacht“ (Spina 1914: 415); den Status ‚klein‘ versteht Spina – wie auch ‚groß‘ – offenbar nur quantitativ.20 Der polnischen und großrussischen Literatur und dem „slawisch eigenartigen Volksgesang bei den Südslawen und Kleinrussen“ habe sie nichts Gleichwertiges entgegenzustellen (Spina 1914: 415, 1909/1910: 437). Den Rang einer – allerdings nicht definierten – ‚Weltliteratur‘ will Spina unter den slavischen also nur der großrussischen und der polnischen zugestehen, deren Rang die tschechische Literatur nicht erklommen habe. Sie ist also nicht ‚autonom‘, sondern an ‚Einflüsse‘ gebunden und ihnen unterworfen. Tschechische literarische Werke haben ihren Wert nicht in sich selbst, sondern dadurch, dass andere, fremd(sprachlich)e Texte in ihnen erscheinen. Man könnte eine solche Literatur ‚epigonal‘ nennen, und Spina spricht einmal davon, die tschechische Literatur sei „eine wahre Kontrafaktur der deutschen“, sie sei Geist vom deutschen Geist (Spina 1909/1910: 437). Nun lassen sich die Frantova práva sicher auch ohne intertextuelle Kenntnisse lesen und verstehen, doch ist es eben Spinas Absicht zu zeigen, dass hier kein ‚originales‘ Werk vorliegt, womit er allerdings dem stark imitierenden Charakter der älteren Literatur nicht gerecht wird, in der ‚Originalität‘ (wie ja auch in 19  Im Aufsatz über das Sokolwesen sieht Spina in den Tschechen eine geschlossene nationale Gesellschaft mit demokratischer Basis. – Ganz anders die Deutschen in Böhmen, sie sind eine Einheit vorzugsweise politisch, nicht aber ethnographisch und kulturell. Bei den Deutschböhmen überwiegen partikulare Interessen. Die Deutschen sollen sich daher den tschechischen Nationalismus zum Vorbild nehmen und davon lernen, wie man das deutsche nationale Leben in Böhmen organisieren könne. (Spina 1913/14). 20  Eine kritische Sichtung der zeitgenössischen Statistiken der Slaven in Spina (1909/1910b).

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der Volksdichtung) keineswegs ein zentraler Wert war. Eine nur ‚unschöpfe­ rische‘ Nachahmung würde auch nicht erklären, warum Spina gerade den Tschechen die kulturelle (und materielle) Vorrangstellung unter den Slaven zuschreibt. Er hilft sich hier mit dem Begriff der ‚Assimilierung‘: „Den Weg zur ersehnten tschechisch eigenartigen Kultur sucht das Volk mehr durch seine ausgesprochene Fähigkeit zu einer von den Vorbildern allmählich emanzipierenden Assimilierung als durch selbständige schöpferische Begabung“ (Spina 1917/1918: 65). Gegenüber Hofmannsthal verglich Spina die Tschechen mit den Japanern: „Adaptabilität des čechischen Geistes, quasi japanisch. [...] Litteratur: das Geniehafte der Adaptierung, in früher Zeit schon: zB. die Čechisierung von Facetien des Poggio“ (zit. n. Stern 1971: 116). Die von Spina angeführte Neigung zu religiöser und mystischer Spekulation spricht nicht unbedingt für Epigonalität; und ob die mittelalterliche tschechische Literatur vor allem deutsche Einflüsse verarbeitet hat, dürfte angesichts der Bedeutung der lateinischen Tradition in Böhmen recht fraglich sein.21 Auch wird man den Autoren, die Spina selber einmal anführt – Adalbertus Ranconis, Johann Milíč von Kremsier, Matthäus von Janov, Thomas von Štítné, Johannes Hus, Peter von Chelčic, Comenius – nur schwer gerecht, wenn man sie aus deutschem ‚Einfluss‘ zu erklären versucht (Spina 1914: 415; 1909/1910: 438). Dasselbe gilt auch für tschechische Literatur der Moderne, deren Zeitgenosse Spina ja war, und die ihm durchaus nicht unbekannt war (Eisner 1928). Es scheint, dass er der tschechischen Literatur Wert nur zugestehen will und kann, wenn sie sich eben als ‚Kontrafaktur‘ der deutschen erweist. Anders nun als den ‚autonomen‘ Werken von weltliterarischem Rang muss man sich denen einer ‚kleinen‘ Literatur mit einer ‚komparatistischen‘ Methode nähern: „Erkenntnis der Abhängigkeit von den Quellen“ macht deren richtige Einschätzung erst möglich; Literaturforschung – so das anspruchsvolle Programm – muss die wirklichen Verhältnisse durch philologische, ­historische, psychologische, ästhetische Mittel nachschaffen (Spina 1909/1975: XII). Spinas erste bohemistische Arbeit ist eine solche zur ‚Einflussforschung‘. August Sauer hatte 1898 einen nicht unerheblichen deutschen Einfluss auf die tschechische ‚Wiedergeburt‘ am Ende des 18. Jahrhunderts gesehen (Petrbok 2011: 234).22 Prokop Šedivýs Schrift Kratké Pogednánj o vžitku, které vstawičně stog jcý a dobře spořádané diwadlo působiti může (1793) [Kurze Abhandlung über den Nutzen, den eine feststehende und gut eingerichtete Schaubühne bringen 21  Zur mittellateinischen Literatur in Böhmen s. jetzt die Monographie von Nechutová, Jana (2007): Die lateinische Literatur des Mittelalters in Böhmen. 22  Sauer (1898: 690); Murko (1897) und die kritische Würdigung von Tureček (2005); Macura (1977); Schamschula (1973, ohne Kenntnis von Sauer und Spina).

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kann] galt lange Zeit als originales tschechisches Werk; lediglich Jaroslav Vlček (1898: 251) hielt es – etwas kryptisch – für inspiriert von einer deutschen Vorlage aus dem Jahre 1787. Spina (1907b) gelang der Nachweis, dass es sich um die Übersetzung von Schillers Rede Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? aus der Rheinischen Thalia von 1785 handelt. In seinem Aufsatz zum tschechischen Buchdruck geht Spina von Konrad Burdach aus, der von einer Kulturstraße Prag-Nürnberg gesprochen hatte: „Die Forschung wird erweisen, daß diese Straße im 16. Jahrhundert ihren fruchtbareren Arm in der Richtung Nürnberg-Prag hatte“ – so Spina (1908: 35) in einer recht verunglückten Metapher.23 Es geht also um das schon bekannte West-Ost-Gefälle. Seit 1476 gab es tschechischen Buchdruck in Pilsen und Prag, später in Kuttenberg, Jungbunzlau und Leitomischl. Die böhmischen Brüder, denen der Druck und die Verbreitung ihrer Bücher mehrfach verboten worden waren, ließen daher einige Bücher in Nürnberg drucken (Spina 1908: 38-40). Drucker, die in Nürnberg lernten, sind auch nach Böhmen gegangen. Insgesamt kennt Spina zwischen 1502 und 1520 zehn tschechische Drucke aus Nürnberg. In seinem Gedenkartikel auf den Bibliothekar Walter Dolch hat Spina dessen Hypothese zum frühen tschechischen Buchdruck referiert; gestützt auf die minutiöse Untersuchung der verwendeten Drucktypen kam Dolch zu dem Ergebnis, „[...] daß dieser ganze blühende älteste tschechische Buchdruck nicht in Pilsen, Leitomischl, Jungbunzlau, sondern in Nürnberg beheimatet sei, daß also die Druckereien in den tschechischen Städten nicht existiert haben“ (Spina 1916: 359). Die tschechischen Drucke seien in Nürnberg bestellt worden. Josef Volf hat diese Hypothese vorsichtig in Frage gestellt (Spina 1916: 360; vgl. ČČM 1913: 398); Spina selbst weist auf ein Problem hin: „Wie sind in den Anfängen des Buchdrucks Druckschriften aus einer Hand in die andere gegangen und wie weit dürfen wir aus der Identität von Typen Schlüsse auf den Ursprung ziehen?“ (Spina 1916: 362f.). Dolchs Hypothese ist meines Wissens nicht weiter untersucht worden. Spinas Überzeugung von der Wichtigkeit Nürnbergs für den frühen tschechischen Buchdruck haben allerdings die Forschungen von Mirjam Bohatcová (1976) bestätigen können.

23  Schlägt man die angegebenen Seiten bei Burdach (1893: VII, 116) nach, so ist dort von einer ‚Kulturstraße‘ nichts zu finden; Burdach spricht von einer „Culturgemeinschaft Nürnbergs und Prags“ und der „geistige[n] Strömung von Prag nach Nürnberg“ (also anders als bei Spina ein Ost-West-Gefälle!). Auf S. IX spricht Burdach allgemein einmal von „Strassen der geistigen Cultur“. Mit dem Zitieren hat es Spina wohl nicht immer so genau genommen.

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Zu den Nürnberger Drucken gehören auch die Frantova práva, über die Spina 1909 eine umfangreiche Monographie vorlegte. Er steht mit dieser kulturhistorischen Arbeit auf den Schultern des von ihm sehr geschätzten Čeněk Zíbrt, der den Text 1904 erstmals herausgab und mit einer umfangreichen Einleitung versah, in der die Probleme, die der Text einer auch kulturhistorischen Forschung aufgibt, formuliert werden (Zíbrt 1904: VI-XXXIV).24 Spina versucht, das „Volksbuch“ recht hochtrabend in die damalige Zeitsituation einzuordnen: Thesenanschlag Luthers, Tod Maximilians I., Bauernkrieg. Das ‚Denkmal‘ falle in eine „Übergangszeit voller Gegensätze“, in „die Anfänge der neuen individualistischen Kultur“ (Spina 1908: 23). Anknüpfend an Jakob Burkhardts Kult der Renaissance und der ‚großen Persönlichkeit‘ sieht Spina „an den deutschen Menschen der Reformationszeit“ die Fehler „des sich durchringenden Individualismus: [...] maßlose Leidenschaftlichkeit, eine ­erschreckende Freiheit und Verwilderung der Sitten, Laster, Zuchtlosigkeit und Schwächen aller Art: [...] ein Geschlecht, dessen Abgott Skt. Grobian, dessen Liebling der unflätige Eulenspiegel ist [...].“ Diese Verwilderung gehe bis hinunter zu den Bauern, „die die wahren sozialen Parias geworden waren [...]“ (Spina 1908: 25). Trunksucht, Essgier und ein ‚täppischer‘ Luxus allenthalben. An diesem im damaligen Deutschland beobachteten ‚Geist‘ möchte Spina auch den tschechischen Franta teilhaben lassen. Er tut dies in der stark moralisierenden Interpretation des Titelholzschnittes: Der Geist unbändigen, sorglosen Sinnengenusses spricht aus der lärmenden, sichtlich aufgeheiterten Schar ‚voller Brüder‘, [...] ein materiell herabgekommenes, aber in der Sinnlichkeit des Augenblicks aufgehendes, ihr mit einer erschreckenden Sorg- und Zuchtlosigkeit frönendes Geschlecht, eine Verkörperung der mit der Armut der Zeit verbundenen Unsittlichkeit. (Spina 1908: 26f.)

Obwohl, wie Spina weiß, die Vorlagen für die Frantova práva im Umkreis des Universitätshumanismus zu finden sind, so komme in ihnen jedoch die „pessimistische […] Lebensanschauung der gedrückten unteren Stände“ zum Ausdruck (Spina 1908: 43). Ein ‚Franta‘ bezeichnet demzufolge einen „sinnlichen, gottlosen, ausgelassenen, faulen, seine Habe verschwendenden, doch auch verschlagenen Taugenichts, Tagedieb, [ein] Weltkind [...], also eine Determinierung des zeitgenössischen ‚Narren‘ [...]“ (Spina 1908: 45). Nicht allzu weit davon entfernt ist Jaroslav Kolár, der allerdings das ‚Volk‘ hier positiv sehen möchte: In Franta komme das „Volksideal irdischer Lebenswerte 24  Zur etwas unklaren Disposition von Spinas Arbeit vgl. Bolte (1909: 792) und Novák (1909: 303).

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als Ausdruck des gesunden Selbstbewußtseins des einfachen Menschen, der sich von der Verbindlichkeit religiöser Vorstellungen von Wert und Sinn des menschlichen Lebens befreit,“ zum Ausdruck (Lexikon 1: 740). Anders Novák; für ihn ist Franta eher „der satte, bequeme, ruhige, fromme und sozial gleichgültige Pilsner ‚bourgeois‘, mit jenem pejorativen Beiklang, den wir dem Begriff heute geben“ (Novák 1909: 304f.).25 Novák und Jan Krejčí haben sich zu einigen Thesen Spinas kritisch geäußert, so zur Entstehung des Namens ‚Franta‘ und zur Frage des Verfassers, den Novák nicht in dem Pilsner Arzt Jan Franta erkennt (Novák 1909: 305f.). Auch Kolár weist darauf hin, dass wir von Jan Franta de facto nichts wissen und es daher unmöglich ist, sein Leben und Denken mit den Geschehnissen in den Frantova práva zu vergleichen, um feststellen zu können, inwieweit das Werk die Wirklichkeit stilisiert oder reproduziert. Er vermutet als Autor einen lateinisch und humanistisch gebildeten Stadtbürger, der „in seinem Denken“ eng mit dem Landvolk verbunden gewesen sei (Kolár 1959: 14). Völlig zu recht gibt auch Krejčí (1910: 38) zu bedenken, dass es sich bei dieser Pilsner Narrenzunft wohl um eine literarische Fiktion handelt.26 Krejčí und Novák sind auch skeptisch gegenüber der von Spina angenommenen weiten Verbreitung des Buches; die häufigen Erwähnungen im 16. und 17. Jahrhundert müssen nicht dafür zeugen. Die Spitznamen ‚Franta‘ usw. beweisen nicht unbedingt die Kenntnis der Frantova práva, auch Lieder und Sprichwörter müssen nicht direkt darauf zurückgehen (Krejčí 1910: 39; Novák 1909: 305).27 Zur Verbindung Nürnberg-Böhmen gehört noch der Prager Druck Deset Patryarchuow Krystových Starého Zákona w Prwnijm Wěku až do Noe [Die zehn Christlichen Patriarchen des Alten Bundes im Ersten Jahrhundert bis auf Noe] von 1580, eine Übersetzung – wie Spina zeigen konnte – von Hans Sachs’ Spruchgedicht Die zehen alten Ertzveter Christi des alten Testaments Ihm Ersten alter der welt von 1530 (Spina 1910). Spinas bedeutendste wissenschaftliche Arbeit ist die Edition der Katharinenlegende, der schönsten Versdichtung der alten tschechischen Literatur, im Jahre 1913. Bei der Edition eines Textes unterscheidet Spina zwei Möglichkeiten: Erstens den rein philologischen Kommentar, in dem sprachliche, paläographische und orthographische Probleme abgehandelt werden; die kritische Textgestaltung erfolgt durch den Herausgeber. Diese Art der Edition gilt für mittelalterliche tschechische Texte, die den „klassisch- oder kanonisch-alten 25  Zur bäuerlichen Verkleidung s. Braun (2007: 58f., 65f.). 26  Später hat Josef Hejnic wieder versucht, aus seiner Kenntnis der neulateinischen Dichtung biographisches Material zur Pilsner Narrenzunft beizutragen: Hejnic (1978). 27  Zur Frantova práva s. auch den Beitrag von Andrea Scheller in diesem Band.

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Sprachzustand […]“ repräsentieren (Spina 1911a: 455). Beim Glossar sieht Spina dann zwei Möglichkeiten: a) die Erklärung einzelner, seltener Wörter; b) ein Spezialwörterbuch mit allen Wörtern des Textes. Für Texte seit dem 16. Jahrhundert gelte zweitens in erster Linie ein sachliches (nicht philologisches) Interesse, daher bedürfe es hier auch keiner historisch-kritischen Textgestaltung. Das Hauptgewicht bei solchen, einen seltenen späteren Text vermittelnden Ausgaben liegt in den Einleitungen des Herausgebers, die Zíbrt durch eine in unserem spezialistischen Zeitalter nicht häufige Belesenheit auf mehreren Gebieten stets zu sehr gehaltvollen und tiefgreifenden Abhandlungen literarhistorisch-vergleichenden Charakters auszugestalten versteht. (Spina 1911a: 459)28

So ist Spina bei den Frantova práva wie in Punkt 1 bei der Edition der Katharinenlegende verfahren. Spinas Leistung umfasst die kritische Sichtung der ersten Edition von Erben und Pečírka (1860) sowie die der lateinischen Vorlagen; Entdeckung der lateinischen Vorlage für Teil I; Erstellung eines kritischen Textes; Erstellung des kritischen Apparates. Bei der Texterstellung hat Spina folgende Prinzipien befolgt: Erstens konservative Bewahrung der Orthographie, Morphologie, der Dialektismen und der Überlieferung der Verszeile. Abweichungen sind: a) die Vereinheitlichung der ungeregelten Schreibung großer und kleiner Anfangsbuchstaben; b) die Trennung von unüblichen Zusammenschreibungen; c) die sinngemäße Interpunktion; d) die Nichtbeachtung orthographischer Quisquilien und Schreiberversehen. Alle Änderungen werden zweitens im Apparat belegt. Abweichungen vom diplomatischen Abdruck Pečírkas, von der Brünner Abschrift und von der Transkription von Erben (im Erstdruck) werden vermerkt. Spinas Edition wurde zur Grundlage aller folgenden Ausgaben;29 sie eröffnete 28  Spina entwickelt seine Ideen anlässlich der Besprechung von Emil Smetánkas Ausgabe der Staročeské životy svatých otcův [Die altč. Viten der heiligen Väter] (1909) und von Č. Zíbrts Editionen Markolt a Nevím v literatuře staročeské [Markolt und Nevim in der altč. Literatur] (1909), Staročeský Lucidář [Der altč. Lucidarius] (1903) und der Frantova práva (1904). 29  Vilikovský, Jan (1941): Legenda o sv. Kateřině [Legende der heiligen Katharina]; Vážný, Václav/Daňhelka, Jiří (1948): Výbor textů staročeských. Seminář pro slovanskou filologii KU v Praze [Auswahl altč. Texte. Seminar für Slav. Philologie der Karlsuniversität Prag] 1948, 177-231; Kunstmann; Heinrich (1955): Denkmäler der alttschechischen Literatur von ihren Anfängen bis zur Hussitenbewegung. Berlin, 211-287; Vážný, Václav (1959): Dvě legendy z doby Karlovy [Zwei Legenden aus der Karlszeit]. Praha, 91-219; Cummins, G. M. (1975): The Language of the Old Czech Legenda o sv. Kateřině. München; Siatkowska, Ewa/Siatkowski, Janusz (1988): Wybór tekstów staroczeskich [Auswahl altč. Texte]. Warszawa, 67-75; Petrů, Eduard (1999): Život svaté Kateřiny (= Česká knižnice) [Leben der heiligen Katharina (= Čech. Bibliothek)] folgt dem Text von Vážný 1959.

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die Reihe editorischer bohemistischer Arbeiten an der Deutschen Universität, auf deren Bedeutung Jakobson (1995: 403) hingewiesen hat.30 Beim Vergleich der tschechischen Dichtung mit ihrer von ihm entdeckten lateinischen Vorlage fand Spina „zwei grosse Stellen“, die das alleinige Eigentum des tschechischen Dichters sind: das Farbenwunder am Körper der Katharina und die Beschreibung des Edelstein-Saales, in dem Katharina und Christus sich vermählen (Spina 1913: XVIII). Spina nimmt für diesen Raum ein architektonisches Vorbild an: „die Wenzelskapelle im unteren Dom zu S. Veit und die Kreuz- sowie Katharinenkapelle auf Burg Karlstein“ (Spina 1913: XIX), vor allem die beiden letzteren. Seine Hypothese ermöglicht damit auch die genauere – spätere – Datierung der Legende um 1355 (Spina 1913: XXI unter Rückgriff auf Joseph Neuwirths kunstgeschichtliche Untersuchungen). Čeněk Zíbrt schloss sich Spinas „überzeugender Vermutung“ an, ebenso Emil Smetánka, František Trávníček, Roman Jakobson, Jan Jakubec und Walter Schamschula.31 Novák sah in Spinas „verbundenem Studium literarischer und künstlerischer Denkmäler“ eine Bereicherung der historischen Erkenntnis (Novák 1913: 494); in der Farbenpracht, den Edelsteinen und Schmuckgegenständen der Legende sah er den Reflex der glänzenden Hofhaltung des kaiserlichen Mäzens (Novák 1931: 7). Nun hatte allerdings schon der Rezensent J. Mk. darauf hingewiesen, dass lange vor Spina (1889) der Historiker August Sedláček Katharinenlegende und Karlstein in Verbindung gebracht hatte (MK., J. 1913: 266). In seiner Beschreibung der Kreuzkapelle des Karlstein heißt es nämlich: Es ist leicht möglich, daß Karl [IV.] für die Wandmalereien die Anregung aus der Offenbarung des hl. Johannes bekommen hat. In ihr fand er die Beschreibung des neuen himmlischen Jerusalem (XXI, 10-27) und die Ausschmückung seiner Wand [...]. Noch größere Ähnlichkeit hat die Ausschmückung der Heiligkreuzkapelle mit der Beschreibung, die man in der Katharinenlegende liest und die Karl leicht bekannt gewesen sein konnte, da sie uns noch in einer Handschrift des 14. Jahrhunderts erhalten ist. Hier wird erzählt, wie Katharina in ihrer Seele sich sehnte, daß ihr die Muttergottes mit ihrem Sohne erschiene und der Herr sie zur Magd und zur Gemahlin nehme. Dabei einschlafend, hatte sie eine Erscheinung, in welcher sie den Herrn und seine Mutter in einem schönen Saale sah, [...]. Der Saal wird so beschrieben [es folgen die Verse 966-989 der Legende] [...]. (Sedláček 1889: 29; vgl. 14)

30  Es handelt sich um Wostry, Wilhelm: De Theutonicis bonum dictamen (1915); Trautmann, Reinhold: Die alttschechische Alexandreis (1916); Rippl, Eugen: Der alttschechische Kapitelpsalter (1928). 31  Zíbrt (1913: 405); Smetánka (1913/14: 557); Trávníček (1914: 145); Jakubec (1929: 154158); Jakobson (1938); Schamschula (1990: 70).

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Sedláček nimmt also das Vorbild der Katharinenlegende für die Gestaltung der Heiligkreuzkapelle an, während Spina die Abhängigkeit lediglich umdreht. In seiner Analyse der Katharinenlegende hat Jakobson (1985: 498f.) – wie Sedláček – geltend gemacht, dass umgekehrt die Legende die Erbauer der Kapelle inspiriert haben könne. Sedláček wird bei Spina (wie bei Jakobson) nicht erwähnt, dass er dieses seit 1882 erscheinende Monumentalwerk nicht gekannt hätte, möchte man nicht recht glauben. Und wenn Jan Vilikovský (1948: 187) in seiner Studie über die Katharinenlegende 1941 die Vermutung äußert, die Beschreibung des Saales habe, anders als Spina annahm, eine literarische Quelle, und zwar das himmlische Jerusalem aus Off 21, 18-21, so folgt auch er damit nur Sedláček, ohne ihn zu erwähnen. Vilikovskýs Hypothese hinwiederum erschien Jan Lehár wenig wahrscheinlich, Spinas ­Erklärung hingegen „viel konkreter und anscheinend überzeugender“ (Lehár 1983: 167f.), er folgt ihm aber nicht bei der Zuweisung der architektonischen Denkmäler. Zwar hält auch Lehár eine Inspiration durch die bildende Kunst für möglich; er denkt dabei an die beiden Mariendarstellungen in der Legende, ohne aber selber eine konkrete Vorlage dafür nennen zu können. Auch Eduard Petrů sieht in der Dichtung eine gewisse Verbindung von Literatur und bildender Kunst; für ihn zeigt sich dies in des Dichters „Vorliebe beim Gebrauch von Farben“ (Petrů 1996: 81f.). Petrů geht der kaum zu klärenden Frage nach konkreten Vorbildern aus dem Weg und konzentriert sich auf die Untersuchung der Symbolik von Farben und Edelsteinen in der Legende. Spinas (1913: XVIII) Beobachtung der starken Neigung des Dichters für Dialog und Monolog, der weitgehenden Dramatisierung der Vorlage, findet sich später bei Jakobson wieder.32 Spina hatte 1895 in seiner Dissertation eine versanalytische Arbeit vorgelegt; fünfzehn Jahre später hat er sich erneut dem Problem des alttschechischen Verses zugewandt. Den Vers der Ostrovská píseň [Ostrover Lied], eines der ältesten tschechischen Texte, wollte er aus dem Dreizehnsilbler des mittellateinischen Antichristspiel (um 1160, Tegernsee) ableiten; der Kreuzreim des Gedichts sei vielleicht durch die Eingangsstrophen des Dramas inspiriert (Spina 1920: 417, 418). Dem hat Jakobson widersprochen; die Herleitung alternierender acht- und fünfsilbiger Zeilen (im Ostrover Lied) aus einer dreizehnsilbigen Zeile, geteilt in zwei Halbzeilen zu sechs oder sieben bzw. zu 32  „Der pathetische Dialog ist die treffende Begründung für diese kühnen rhythmisch-syntaktischen Konstruktionen des Dichters und hier kann man die Erklärung für Spinas Beobachtung finden, daß der Autor die lateinische Vorlage dramatisierte und daß die direkte Rede etwa 52 % der Verse der Stockholmer Legende ausmachen“ (Jakobson 1995: 296; 1985: 521f.).

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sieben oder sechs Silben, ist nur schwer erklärbar, ebenso die Herleitung des Kreuzreims aus einem Kreuzreim von alternierenden acht- und siebensilbigen Versen. „Das würde bedeuten, daß die Versform des Ostr. Liedes die Kontamination eines syllabischen Schemas und eines Reimtypus verschiedener Teile der lateinischen Vorlage wäre“ (Jakobson 1985: 372; Lehár 1990: 38). Spinas ­semantische Argumente für eine Beeinflussung des Ostrover Liedes durch das Antichristspiel sind allerdings bisher noch nicht überprüft. Slavische Versmaße seien, so Spina, nicht autochthon; da die slavischen Literaturen später als die anderen europäischen begannen, hätten auch auf die Versformen „starke fremde Einflüsse eingewirkt“, so bei den orthodoxen Slaven „die reiche griechische kirchliche Hymnodie“ und bei den Westslaven die rhythmische lateinische Hymnendichtung (Spina 1920: 419). Die alttschechische Metrik müsse daher auf ihren Zusammenhang mit der mittellateinischen und deutschen untersucht werden (Spina 1920: 421). Als einzig selbständiger slavischer Vers könne vielleicht nur der Zehnsilbler angesehen werden (Spina 1922/23: 447) – eine Beobachtung, an die dann Jakobson (1966: 19-37) in seiner Untersuchung zu diesem Vers anknüpfen sollte. Spinas letzte wissenschaftliche Arbeit ist eine Rezension der umfangreichen polnischen Versgeschichte des Krakauer Polonisten Jan Łoś. Über den polnischen Dreizehnsilbler hatte Spina selber eine Monographie vorbereitet; obwohl er dafür 1920 vom Ministerium für Schulwesen und Volksbildung einen Druckkostenzuschuss in Höhe von 5000 Kč erhalten hatte, ist das Buch nicht erschienen (Šimeček 1989: 66, A. 40). Das Manuskript dürfte bei der Plünderung seines Hauses in Trübau im Rahmen der Befreiung vernichtet worden sein.

5. Bilanz

Spinas Arbeiten zur Bohemistik sind nicht nur für ihre Zeit bedeutend; wenn er den Einfluss der deutschen Literatur auf die tschechische insgesamt wohl auch zu hoch eingeschätzt hat, so hat er sie doch eben als Teil der (west-)europäischen begriffen, vergleichende Untersuchungen bleiben also unverzichtbar. Seine Arbeit zu den Frantova práva ist bis heute die einzige Monographie zu diesem ‚Denkmal‘ geblieben; sie machten auf das 16. Jahrhundert als Desiderat der Forschung aufmerksam; seine Edition der Katharinenlegende ist der

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textus classicus geworden; seine philologische Arbeit hat Quellen und Vorlagen für tschechische Texte zu Tage gefördert und gesichert. Bedeutende Wissenschaftler wie Arne Novák, Jan Krejčí, Čeněk Zíbrt und Roman ­Jakobson haben seine Leistungen gewürdigt und anerkannt.33 Bedauerlich ist, dass Spina seine Arbeiten zu dem wichtigen und schwierigen Thema der slavischen Verslehre nicht weitergeführt hat; seine Karriere als Forscher endet Anfang der 20er Jahre. Dann saß er im Parlament, hob die Hand, hielt Reden; dann saß er als Minister am Kabinettstisch, zuletzt ohne Amtsbereich, um letztlich politisch zu scheitern. So wurde der Wissenschaftler dem Politiker geopfert.

Literatur

a. Arbeiten Spinas Spina (1895): Der Vers in den Dramen des Andreas Gryphius. Diss. Braunau: J. Swirak: Braunau. Spina (1905): Die Erlernung des Tschechischen in unseren deutschen Lehranstalten. – In: Deutsche Arbeit 5, 438-442. Spina (1907a): [Rez. zu] Zíbrt, Čeněk, Bibliographie [sic] české historie (Bibliographie der böhmischen Geschichte). I. Band 1900. II. Band 1902. III. Band 1906. Prag: Verlag der böhmischen Kaiser Franz Josefs-Akademie. – In: Euphorion 14, 184. Spina (1907b): Zu Prokop Šedivýs Büchlein über das Theater (1793). – In: AfslPh 29, 105-109. Spina (1908): Tschechischer Buchdruck in Nürnberg am Anfang des 16. Jahrhunderts. – In: Prager deutsche Studien. Reichenberg: Kraus, 29-51. Rez. (1908): Zíbrt, Čeněk. – In: ČČM 82, 378-382. Rez. (1909): Macháček, F. – In: Sborník Městského Historického Musea v Plzni (1909), 132-136.

33  Jakobson hat die Ausgabe der Katharinenlegende sehr hoch geschätzt und mehrfach benutzt; ich vermute, dass sie ihm bei seiner Rekonstruktion des Igor’liedes auch als Vorbild gedient hat (Jakobson 1966: 133-163).

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Spina (1909/1975): Beiträge zu den deutsch-slawischen Literaturbeziehungen. I. Die alttschechische Schelmenzunft ‚Frantova práva‘. Prag (Repr. Nachdruck 1975). Rez. (1909): Bolte, Joh. – In: Euphorion 16, 791f. Rez. (1909): Novotný, J. – In: ČČM 83, 463-465. Rez. (1909): Novák, Arne. – In: LF 36, 301-306. Spina (1909a): Curriculum vitae. – In: Šimeček (1994), 117-119. Spina (1909b): [Ueber den Unterricht des Tschechischen an deutschen Lehranstalten]. – In: Prager Tagblatt, Nr. 326 (26.11.1909), 7. Spina (1909/1910a): Unser Verhältnis zur tschechischen Literatur. Bemerkungen zur deutsch-tschechischen Frage. – In: Deutsche Arbeit 9, 433-439. Spina (1909/1910b): Die neueste Statistik des Slawentums. – In: Deutsche Arbeit 9, 502-507. Spina (1910): Hans Sachs in altčechischem Gewande. – In: AfslPh 31, 394-408. Rez. (1910): Krejčí, Jan. – In: Národopisný věstnik čs., 36-40. Spina (1911a): Neuere Ausgaben zur älteren čechischen Literatur. – In: AfslPh 32, 454-465. Spina (1911b): Čechische Lesestücke. Zum Gebrauch bei den čechischen Sprachkursen an der deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag. Als Manuskript gedruckt. Prag: Taussig & Taussig. Spina (1912/13): Anton Zeidler und die gefälschten tschechischen Handschriften. – In: Deutsche Arbeit 12, 611-615. Spina (1913): Die altčechische Katharinenlegende der Stockholm-Brünner Handschrift. Einleitung. Text mit Quellen. Wörterbuch. Prag: Taussig & Taussig. Rez. (1913): Zíbrt, Čeněk. – In: ČČM 87, 400-407. Rez. (1913): Novák, Arne. – In: ČČH 19, 492-494. Rez. (1913/14): Smetánka, Emil. – In: AfslPh 34/35, 553-558. Rez. (1913/14): Smetánka, Emil. – In: LF 40, 462 und 41, 160. Rez. (1914): Trávníček, F. – In: Časopis pro moderní filologie 4, 144-146. Rez. (1914): Mk., J. – In: Časopis pro moderní filologie 4, 265-266. Rez. (1914): Gregor, Al. – In: Časopis Matice moravské 38, 307-309. Spina (1913/1914): Aus dem Bildungs- und Wirtschaftsleben der Tschechen I. Das Sokolwesen. – In: Deutsche Arbeit 13, 348-354, 665-670. Spina (1914): Streifzüge durch die neuere tschechische Literatur I. Die Grundlagen der Literatur. – In: Österreichische Rundschau 39, 411-416 (= Die deutsch-tschechischen Kulturbeziehungen. – In: Deutsche Politiker an das tschechische Volk 1921). Spina (1915): Neuere Literatur über die Königinhofer und die Grüneberger [sic] Handschrift. – In: MVGDB 53, 43-57. Spina (1916): Dr. Walter Dolch und der älteste tschechische Buchdruck. – In: MVGDB 54, 357-363.

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„... unter der verheerenden Wirkung des bösen Halbworts vom Selbstbestimmungsrecht“. Franz Spina und die Nationalitätenfrage

1.

Franz Spinas Bedenken, das gerade erst deklarierte Selbstbestimmungsrecht der Völker könne sich als böses Halbwort mit verheerender Wirkung erweisen, ist einem Brief vom 26. Januar 1918 an Hugo von Hofmannsthal entnommen. Am 8. Januar 1918, also nur knapp zweieinhalb Wochen vor Spinas brieflicher Äußerung, hatte der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson vor den beiden Häusern des amerikanischen Kongresses die 14 Punkte vorgetragen, mit denen die anstehende Neuordnung Europas nach dem Weltkrieg geregelt werden sollte. Punkt 10 dieser für die Friedensabschlüsse im Jahr 1919 nachhaltig wirksamen programmatischen Erklärung lautet: Den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert zu sehen wünschen, sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden.1

Der Brief Franz Spinas an Hugo von Hofmannsthal steht im Kontext eines ehrgeizigen Planes. Es handelt sich um die Konzipierung eines illustrierten Bandes mit dem Titel Ehrenstätten Österreichs, den Hugo von Hofmannsthal seit 1914 herauszugeben gedachte und für den er unter anderen Hermann Bahr gewinnen konnte. Durch die Kriegsentwicklung, vor allem aber durch die Kritik der tschechischen Intellektuellen, die Hugo von Hofmannsthal um Mitarbeit gebeten hatte, verschob sich dieser Plan – neben anderen angedachten Bänden – hin zu der eigenständigen Editierung einer Tschechischen Bibliothek, bei der Hugo von Hofmannsthal vor allem bei Pavel Eisner­ 1  Zitiert nach der Übersetzung des Deutschen Historischen Museums in Berlin: .

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­ nterstützung fand (Stern 1968; 1969a). Im Zusammenhang mit diesem ProU jekt war Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1917 nach Prag gereist, um sich dort mit tschechischen und deutschen Intellektuellen zu treffen und die Machbarkeit eines solchen Bandes zu sondieren. Dabei war er zweimal mit Franz Spina zusammengetroffen, am 20. Juni und nochmals, zwei Tage später, am 22. Juni 1917. Der zitierte Brief von Franz Spina vom 26. Januar 1918 ist in diesem Zusammenhang zu sehen; zwei Tage vor seiner Abfassung, am 24. Januar 1918, hatte Pavel Eisner Hugo von Hofmannsthal mitgeteilt, er habe mit Franz Spina über die Tschechische Bibliothek gesprochen: Ich habe mit Prof. Spina lange und ausführlich über die Tschechische Bibliothek gesprochen. Er hat meine Auffassung vom Ganzen und die Wahl der Themata vollkommen gebilligt. Habe ihm Ihren Wunsch mitgeteilt, an dem Unternehmen auch Slavisten beteiligt zu sehen.[ ...] Prof. Spina meinte, daß – den Erfolg der übrigen Serien vorausgesetzt – auch an eine weitere gedacht werden könne, die allen Phänomenen der Symbiose der Deutschen und Tschechen gewidmet wäre. (Stern 1969b: 200f.)

Franz Spina war also bereit, an der Tschechischen Bibliothek mitzuarbeiten, aber er regte für das Nachfolgeprojekt der Ehrenstätten sogleich einen weiteren Band an, einen, der allen „Phänomenen der Symbiose der Deutschen und Tschechen gewidmet“ sein sollte. Die symbiotische Koexistenz von Deutschen und Tschechen in den böhmischen Ländern war das Thema von Franz Spina; nur vor diesem Hintergrund ist seine Aussage über „das böse Halbwort vom Selbstbestimmungsrecht“ zu verstehen. Warum aber ist das vom US-amerikanischen Präsidenten Wilson ins Spiel gebrachte ‚Selbstbestimmungsrecht‘ erstens ‚böse‘, und warum zweitens ein ‚Halbwort‘? – und: Auf was eigentlich könnte sich ein Begriff wie ‚Halbwort‘ beziehen? Das ganze Zitat aus Franz Spinas Brief vom 26. Januar 1918, dem die Bezugnahme auf die drei, österreichischen Themen gewidmeten Aufsätze Hugo von Hofmannsthals zu Prinz Eugen, Maria Theresia und Grillparzer2 vorangeht, lautet: Von Herzen muß Ihnen jeder, der in der jetzigen furchtbaren Auflösungszeit schwarzgelb denkt, für die drei österreichischen Aufsätze danken. Welcher Trost in dem Gedanken, daß ein organischer Faden vom Prinzen Eugen und dem Österreich Maria Theresias zu uns Heutigen und zu den Schrecken unsrer Bedrängnis herführt. Welche Erhebung in dem Grillparzerschen Gedanken der gottgewollten Gegebenheit und unzerstörbaren Einheit, der inneren Notwendigkeit Österreichs, die die real denkenden austroslavischen tschechischen Politiker (Havlíček, auch Palacký) so klar erkannt haben, und die jetzt unter der 2  Die drei Aufsätze sind veröffentlicht in Hugo von Hofmannsthal, Prosaischen Schriften, Bd. III. Berlin 1917. Zur Rezeption siehe Stern (1970).

„... unter der verheerenden Wirkung des bösen Halbworts“

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verheerenden Wirkung des bösen Halbwortes vom Selbstbestimmungsrecht, in der gefährlichen Rezidive eines politischen Romantimus kein Tscheche mehr kennen will. Heute scheint der Hebel des möglichen Verderbens Österreichs in tschechischen Händen zu liegen. [...] Dem innerlich germanisierten Volke scheint als einzig echtes slavisches Merkmal die Maßlosigkeit seiner Ziele, die Überschätzung des Erreichbaren und der eigenen Kräfte und die Unbelehrbarkeit durch die Geschichte und die Realitäten gegeben zu sein. Die Entwicklung der Psychose seit der Rückkehr Kramářs, des Politikers der Leidenschaft, deutet auf eine gewollte Isolierung des Volkes hin (Zustand nach den Hussitenkriegen), auf eine radikale Losreißung der tschechischen Kultur vom deutschen Element, was doch völlig unorganisch und realpolitisch gar nicht möglich ist. (Stern 1969b: 203; Herv. i. O.)

‚Böse‘ ist Wilsons Idee vom Selbstbestimmungsrecht für Franz Spina, weil „die innere Notwendigkeit Österreichs“ vor allem durch die Position eines unabhängigen tschechischen Staates gesprengt werden könnte – für Franz Spina eine verheerende Vorstellung. Noch verheerender aber ist seine Funktion als ‚Halbwort‘: Denn unter seinem Regiment kann nicht nur Österreich nicht mehr als Ganzes gedacht werden, sondern sogar Böhmen ist als in sich zusammengehörige Einheit in Gefahr. Ein tschechischer/tschechoslowakischer Staat – das Manifest der čechischen Schriftsteller, im Mai 1917, erst mit 150, später mit 222 Unterschriften tschechischer Intellektueller veröffentlicht, spricht eine klare Sprache3 – würde, dessen ist sich Franz Spina bewusst, zur Idee eines unabhängigen Deutschböhmen führen: Der unausbleibliche Rückschlag ist die Forderung der selbständigen deutschböhmischen Provinz – meine Meinung über dieses volkstümliche politische Schlagwort ist die Jessers in der Öst. Rundschau (1917, 1. April). (Stern 1969b: 203)4

Die Position von Franz Jesser, einem Freund Franz Spinas aus MährischTrübauer Gymnasialtagen und Zimmerkollege während der Prager Studentenzeit (Jesser 1984: 21, 23), ist folgende: Er wünscht – trotz seiner Tendenzen zum Ausgleich – die Beibehaltung eines einheitlichen Zentralstaates,

3  Das Manifest (Projev českých spisovatelů) war von Jaroslav Kvapil verfasst worden; es stellt die Antwort auf die Reaktion der tschechischen Abgeordneten (Tschechischer Bund – Český svaz) im Wiener Reichsrat dar, nachdem diese am 30. Januar 1917 die 14 Punkte Wilsons abgelehnt und eine – vor allem die Zukunft betreffende – Loyalitätserklärung an die Habsburger Krone abgegeben hatten. Mit dem Manifest ist klargestellt: Die tschechischen Intellektuellen wünschen einen tschechischen/tschechoslowakischen Staat. Zum Text des Manifests mit einer knappen Einführung siehe Stern (1969a: 120 ff). Zum Hintergrund auch Ifkovits (2007: 51-54; 626-629). 4  Der Artikel von Franz Jesser trägt den Titel: Organisation und Partikularismus in Österreich, in: Österreichische Rundschau 51/1 (1917), 6-13. Siehe die Bibliographie von Jessers Schriften in Jesser (1984: 149-172, hier: 163).

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wenn möglich unter deutscher Führung; Jesser weiß aber um die nationale Kraft der Tschechen und bedauert [...] in seinem Aufsatz offen, der Deutschösterreicher besitze wohl einen größeren Enthusiasmus für die Krone, aber noch keinerlei Bewusstsein seines deutschen Volkstums und der hieraus erwachsenden Verpflichtung (Stern 1969b: 204).

Schon vor dem Krieg, 1913, hatte Jesser in seiner Analyse Wesen und Werden der nationalen Frage das Verhältnis von Tschechen und Deutschen, nicht nur für Deutschböhmen, sondern für Deutschösterreich insgesamt, resümiert: Die deutsche Assimiliationskraft hat seit 50 Jahren ganz bedeutend nachgelassen. Wir müssen uns eine historische Darstellung dieser Entwicklung versagen und können nur feststellen, daß unsere Lebensformen an Anziehungskraft verloren haben, seit wir nicht mehr das Monopol haben, ‚daß ein sozialer Aufstieg nur auf deutscher Grundlage möglich ist‘. Auch der wirtschaftliche Zwang zur Assimilierung hat an Wirkung verloren, seit die Demokratisierung des öffentlichen Lebens, die Änderung des Rechtsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die gewerkschaftliche und nationale Organisation dem gemeinen Manne das Rückgrat versteift haben. Dazu verhalf den Tschechen auch die Erkenntnis, daß man auf ihre Arbeitskraft angewiesen war, daß man sie also trotz der nationalen Antipathie als willkommene Einwanderer ansehen mußte. Das hat ihren nationalen ‚Bekenntnismut‘ erhöht und sie angeeifert, den kulturellen Zusammenhang mit ihrer Nation möglichst innig zu gestalten, um sich die nationale Eigenart zu erhalten. Die gesamte tschechische Schutzarbeit­ – sie nennen es richtig ‚Minoritätsarbeit‘ – zielt auf die Stärkung des Bekenntnismutes. ­Zeitung, Flugschrift, Buch, Kalender und Bild, Schule, Subvention, Beseda, Sokol, Genossenschaft und Kreditorganisation, Rechtsschutz und Arbeitsvermittlung, Gewerkschaft und Wohltätigkeit u. a. m. werden in den Dienst diese Zweckes gestellt. ‚Wir Deutsche aber sind in einem argen Zwiespalt!‘ [...] Deutsche Ungeschlachtheit, deutscher Kastengeist, deutsches Geld- und Bildungsprotzentum und äußerlicher Nationalismus, der nicht über den Zaun geguckt hat, haben gar manchen ­‚Assimilationswilligen zurückgestoßen‘ und ihn zur ‚Neutralität‘ gezwungen. Er bekundet sie mit dem Bekenntnis zur deutschen Umgangssprache. Bei der ersten besten günstigen Gelegenheit aber wirft er die deutsche Hülle ab. (Jesser 1913: 22f.; Herv. i. O.)

Franz Jessers Vorkriegsanalyse kann auch Gültigkeit für die Zeit vor Kriegsende und vor allem für diejenige des direkten Kriegsendes im Oktober/November 1918 beanspruchen. Der Bekenntnismut und der Wille des tschechischen Volkes zu einem Nationalstaat ist stärker denn je; die Deutschen in den böhmischen Ländern haben dem nichts entgegenzusetzen, schon gar nicht ein unabhängiges Deutschböhmen und ein unabhängiges Sudetenland (= Nordmähren und Österreichisch-Schlesien). Franz Spina war sich der Unmöglichkeit dieser Option bewusst, er wusste, dass ein Zerreißen Böhmens in eine tschechische und eine deutsche Hälfte nicht sinnvoll zu realisieren ist; er erkannte schon vor dem Auftreten der irredentistischen Gruppe um Rudolf

„... unter der verheerenden Wirkung des bösen Halbworts“

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Lodgman von Auen die Konstruktion von ‚Deutschböhmen‘ als eine ideologische Position ohne realpolitische Basis. Laut den Aufzeichnungen Hugo von Hofmannsthals hatte Franz Spina im gemeinsamen Gespräch am 20. Juni 1917 seine Position vorgetragen: Die nationale Figuration: die Čechen bewohnen die Mitte, die Deutschen den Rand. Einheitlichkeit, Verbundenheit, Organisierbarkeit des čechischen Gebietes. Demgegenüber der Begriff ‚Deutschböhme‘ ein ideologischer; die an den Rändern Böhmens angesiedelten Deutschen gehören dem schlesischen sächsischen bairischen u. oesterr. Stamme an. Andere Lage der Dinge in Mähren: hier die beiden Volksstämme durcheinandergewachsen. Demzufolge ein erträglicher politischer Austausch gefunden. Der čechische Charakter. Das Gleichgerichtete; ungezwungener Demokratismus. Alle Kräfte der Nation zusammengefaßt, den Vorsprung der großen Kulturnation einzuholen. Das europäischeste der Slavenvölker. Das organisierbarste u. zur Organisation befähigste. [...] Sie sind ‚halbe Deutsche‘ ‚Dass sie halb germanisiert waren, hat sie davor bewahrt, ganz germanisiert zu werden.‘ (Jaroslav Goll) Durchaus diesseitig, irdisch. In unberechenbaren Zwischenräumen eine Welle slavisch-anarchischer ‚Hysterie‘. (Stern 1969a: 114; Herv. i. O.).

Das Selbstbestimmungsrecht für die böhmisch-mährischen Länder kann niemals deren Ganzheit betreffen; seine Durchsetzung hätte also halbierende Kraft, in diesem Sinne wird für Franz Spina das Wort vom Selbstbestimmungsrecht zum Halbwort. Doch die tschechische Unabhängigkeitsbewegung forderte für die böhmisch-mährischen Länder gar nicht das Selbstbestimmungsrecht, sondern das der historischen Zusammengehörigkeit. Zwei Tage nach dem Gespräch mit Franz Spina traf sich Hugo von Hofmannsthal neben anderen mit Jaroslav Kvapil, dem Direktor des tschechischen Nationaltheaters und Verfasser des schon erwähnten Manifests der čechischen Intellektuellen.5 Hugo von Hofmannsthal notierte: Št.[6] entwickelt das čechische Maximalprogramm. Vollständige Lösung vom Staat, selbständiges böhmisches Reich, mit eigener äußerer Politik. [...] Historischer Moment, wie er kaum alle tausend Jahre einmal kommt. Basis der völligen Neuordnung das historische Recht. Alles richtet sich nach dem historischen Sitz eines Volkes. Demzufolge fällt das Schicksal der deutschen Minorität in Böhmen innerhalb der böhmischen Machtsphäre [...] (Stern 1969a: 115).

Über ein zweites Gespräch mit Franz Spina, nur eine Stunde nach demjenigen mit Štěpánek und Kvapil, notierte Hugo von Hofmannsthal: „Über 5  Eine maschinenschriftliche deutsche Übersetzung des Manifests befindet sich im Nachlass Hugo von Hofmannsthal; die hier zitierte Überschrift mit dem Zusatz „Mai 1917“ stammt von der Hand Hugo von Hofmannsthals. (Stern 1969a: 119) 6  Štěpánek, entweder Bedřich, Jurist und Diplomat, oder Zdeněk, Schauspieler und Dramatiker. (Stern 1969a: 127).

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die Wandlung in Masaryk. Eigentlich unerklärlich.“ (Stern 1969a: 116). Es scheint, als habe Hugo von Hofmannsthal hinsichtlich des tschechischen Maximalprogramms nachgefragt – als Zentralfigur musste hierbei Tomáš G. Masaryk Erwähnung finden. Hinter Franz Spinas Erstaunen über Masaryks „unerklärliche Wandlung“ dürfte der seit 1916 in Paris und London agierende tschechoslowakische Nationalrat stehen – im Mai 1917 hatte Masaryk die Organisation einer tschechoslowakischen Exilarmee übernommen. Die Gespräche während seines Aufenthalts im Juni 1917 in Prag resümierend hat Hugo von Hofmannsthal, die deutsche Position zusammenfassend und wohl auch Franz Spina meinend, geschrieben: „Die Führer (deutscherseits) setzen ihre Ehre darein, den Gegner nicht zu kennen.“ (Stern 1969a: 117)

2.

Am 28. Oktober 1918 war der tschechoslowakische Staat ausgerufen worden – er stellte die Realisierung der tschechischen Maximalforderung dar und berief sich hinsichtlich Böhmens und Mährens auf das historische, hinsichtlich der Slowakei auf das Selbstbestimmungsrecht. Die Deutschen Böhmen und Mährens wurden zur Minderheit in der neu entstandenen und von den Friedensverträgen von Saint-Germain im Sommer 1919 bestätigten Tschechoslowakei. Die Ereignisse zwischen dem 28. Oktober 1918 und dem 4. März 1919 (Braun 1998), die Unabhängigkeitserklärung und die Besetzung der deutschen Gebiete im Winter 1918 sowie die blutige Niederwerfung des deutschen Generalstreiks im Zusammenhang mit der Umstempelung der österreichischen in eine tschechoslowakische Krone am 4. März 1919 erwiesen, dass die sudetendeutschen Führer weder eine umsetzbare politische Linie ins Kalkül zogen noch über ein abrufbares nationales Konzept verfügten, das dem der Tschechen – im Aufbau von unten her – vergleichbar gewesen wäre. Die Umgewichtung der gesellschaftlichen Existenzform als Angehörige der Majorität, deren Position nicht hinterfragt werden musste, in diejenige einer Minderheit unter slavischer Mehrheit wurde als Demütigung erfahren, die sich aufgrund der „Äußerlichkeit“ des deutschen Nationalismus – so lautet zumindest die Analyse Franz Jessers – als unproduktives Ressentiment gegenüber dem neuen Staat verstetigte.

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Eine erste Bilanz der verschiedenen deutschen Positionen nach der Staatsgründung gibt Gustav Flussers Anthologie Deutsche Politiker an das tschechische Volk aus dem Jahr 1921 – der Herausgeber versuchte mit dem Band, in dem sämtliche deutsche politische Gruppierungen der Tschechoslowakei zu Wort kommen, die notwendigen Voraussetzungen für eine rationelle Lösung des deutsch-tschechischen Problems zu schaffen und deshalb von berufener Seite den Gegner über die Forderungen des eigenen Volkes zu informieren. (Flusser 2005: 5)

Franz Spina, der als Abgeordneter des Bundes der Landwirte gefragt war, wählte im Gegensatz zu allen anderen Beteiligten (Josef Seliger, Rudolf Lodgman, Ludwig Spiegel, Bruno Kafka, Karl Kreibich, Rudolf Jung) keine auf die aktuelle Situation oder ein aktuelles Sachthema bezogene Stellungnahme, sondern er griff – erstaunlich genug – auf einen Text zurück, den er 1914, noch vor Kriegsbeginn, verfasst hatte. Er begründete diesen Schritt folgendermaßen: Diese Ausführungen sind am 1. Juni 1914 in der ‚Österr. Rundschau‘, Bd. 39, Heft 5 erschienen. Der Verfasser [...] ist der Meinung, daß auch die Erfüllung des alten Staatstraumes des tschechischen Volkes an den durch die Natur gegebenen Tatsachen nichts ändert, durch die in erster Linie die Verhältnisse der Völker bestimmt wurden [...]. (Flusser 2005: 55)

Noch erstaunlicher jedoch dürfte sein: Es scheint sich bei den Thesen des Textes – zumindest in Grundzügen – genau um jene zu handeln, die Franz Spina im Juni 1917 Hugo von Hofmannsthal vorgetragen hatte. Die Notizen Hugo von Hofmannsthals über sein erstes Gespräch mit Franz Spina vom 20. Juni 1917 beginnen – bei der vorherigen Zitierung aus diesem Gespräch habe ich die Anfangssätze unberücksichtigt gelassen – wie folgt: Böhmen. Die geographische Figuration Die Geschlossenheit des Landes. Der Chronist des XII. hebt hervor, dass keinem nicht in Böhmen entsprungenen Fluss das Land zu betreten gestattet sei. Die nationale Figuration: die Čechen bewohnen die Mitte, die Deutschen den Rand. [...] (Stern 1969a: 114)

Der Wiederabdruck des Aufsatzes von 1914 in der Anthologie von Gustav Flusser setzt folgendermaßen ein: Wie eine Bergfestung springt aus dem mitteleuropäischen Kartenbild Böhmen hervor; von drei Seiten von einem natürlichen Schutzwall umgeben, auf der vierten durch niedrigere Grenzhöhen von der mährischen Ebene und dem Donauland getrennt. Diese geographisch isolierte, an einer großen europäischen Wasserscheide gelegene, von der Natur ausgezeichnet geschützte Becken aber liegt im Herzen Mitteleuropas. Durch das Land geht in weiter westlicher Ausbuchtung die Sprachgrenze, Deutsche und Slawen, europä­ ischen West und Ost unentrinnbar aneinander knüpfend. [...] Josef Nadler erklärt [...] auch

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Karl Braun die deutsch-böhmische Literatur aus der geographischen Lage des Landes und den historischen Trieben seiner Nachbarn. ‚Das Land war das Schicksal seines Volkes‘. Das gilt auch von der Kultur der slawischen Bewohner, dieser am weitesten nach Westen, ins mitteleuropäische Zentrum vorgeschobenen Slawenbastion. Von drei Seiten vom deutschen Element umklammert [...] so mußten die Tschechen in ihrer isolierten Stellung notwendig eine von den übrigen Slawen gesonderte Entwicklung nehmen. [...] Mit den Deutschen verbindet die Tschechen ein seit dem Anfang ihrer Geschichte dauernd nie unterbrochener und trotz aller nationalen Abneigung sehr intensiver politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verkehr [...] Die notwendige Folge ist ein Abschleifen der ursprünglichen ­Stammesmerkmale, kein anderes slawisches Volk hat sie in gleichem Maße erfahren. [...] zeigen die Tschechen den merkwürdigen Typus eines Slawentums mit völlig westeuropä­ ischem, vor allem deutschen Äußern. [...] Gerade die Reibung mit dem deutschen Element schuf die Erhaltung der Nation jene Tatsachen, auf die sich das geistvolle Paradoxon Jaroslav Golls stützt, dass die teilweise Germanisierung die völlige verhindert habe. (Flusser 2005: 55-59)

Wir kennen den ganzen Argumentationsgang bereits aus den knapp gehaltenen Notizen, die Hugo von Hofmannsthal über das Gespräch mit Franz Spina angefertigt hatte; lapidar heißt es dort: „Sie sind halbe Deutsche.“ Und dann folgt in den Notizen Hofmannsthals – wie hier – das Bonmot Jaroslav Golls – eines der Begründer der tschechischen Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert. Die Sprachgrenze bildete für Franz Spina keine Kulturgrenze; er setzte auf die deutsch-tschechische Symbiose, nicht umsonst hatte er Hugo von Hofmannsthal einen eigenen Band zu diesem Thema vorgeschlagen. Die beiden Hälften dieser Symbiose brauchen einander, das Wort, das halbiert, das böse Halbwort vom Selbstbestimmungsrecht, kann Böhmen nicht teilen und aufspalten: Franz Spinas Denken musste sich unter dieser Voraussetzung nicht ändern. Der Artikel von 1921 ist der von 1914, der 1917 Hugo von Hofmannsthal vorgetragen wurde. Schon die nächsten praktischen Bedürfnisse der beiden durch die Urtatsachen der Natur aufeinander angewiesenen Nachbarn in den Sudetenländern verlangen die gegenseitige Kenntnis der Sprachen, des wirtschaftlichen, nationalen und kulturellen Lebens [...] Die kulturelle Entfremdung zwischen beiden Völkern, die durch die großen nationalen, politischen und wirtschaftlichen Kämpfe hervorgerufen wurde, wird gerade durch gegenseitige vorurteilslose Beachtung der Geisteskultur überwunden werden, sie wird zu einer realeren, nicht überheblichen und nicht unterschätzenden Auffassung führen und sicher die Schroffheit der nationalen Kämpfe mindern. (Flusser 2005: 62)

Franz Spina, obwohl hellwach in allen politischen Vorgängen, lässt die enormen gesellschaftlich-sozialen Umbrüche und Dynamiken, die der 1. Weltkrieg in Bewegung gesetzt hatte, außer Acht; fast scheint es, als negiere er sogar die Staatsgründung der Tschechoslowakei. Dem wohnt natürlich eine gewisse Perfidie inne: Aufgefordert zu einer aktuellen Stellungnahme hinsichtlich der

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Situation der Deutschen im neu entstandenen Staat liefert Franz Spina eine Analyse aus der Vorkriegszeit ab und behauptet damit deren nach wie vor währende Gültigkeit. Der für die tschechische Bevölkerung so bedeutungsvolle Akt der Staatsgründung wird dadurch zur bloßen Episode, nicht zu einem nachhaltigen Einschnitt. Im Gespräch mit Hugo von Hofmannsthal tritt ein diskursives Element der ‚Tschechen als halbe Deutsche‘ auf, das in den gedruckten Fassungen keinen Platz finden konnte. Es heißt dort: „In unberechenbaren Zwischenräumen eine Welle slavisch-anarchischer ‚Hysterie‘“ und bezieht sich deutlich national auf einen nicht-deutsch modellierten Anteil des tschechischen Charakters trotz dessen symbiotischer Verschränkung mit dem Deutschen. 1917 hatte Franz Spina die tschechischen Träume von einem eigenen Staat und die Schritte zur Verwirklichung als „Hysterie“ (Stern 1969a: 114) und „Psychose“ (Stern 1969b: 203) diagnostiziert, 1921 dürfte er durch die Negierung der Staatsgründung und ihrer dadurch geschehenden Degradierung zur Episode zwar keinen „Hysterie“-Anfall, aber vielleicht doch eine Art Fieberzustand erfühlt haben – übrigens, davon bin ich überzeugt, blieb Franz Spina diese hier genannte Implikation der Wiederveröffentlichung des Artikels von 1914 gänzlich unbewusst. Denn Mitte 1921 scheint er noch wie hypnotisiert von der Symbiose.

3.

Das Unbewusst-Bleiben dieser Implikation mag mit Franz Spinas Herkunft aus dem Mährischen zusammenhängen; gegenüber Hugo von Hofmannsthal hat er das Verhältnis von slavischer und deutscher Kultur in Mähren als „die beiden Volksstämme durcheinandergewachsen“ bezeichnet und: „Demzufolge hier ein[en] erträgliche[n] politische[n] Ausgleich gefunden.“ (Stern 1969a: 114) Die von ihm als nicht auflösbar betrachtete und von beiden Seiten immer eingeforderte Symbiose hat er in der Kindheit, Schulzeit und als volkskundlich Tätiger im mährischen Schönhengstgau praktiziert gesehen und selbst gelebt. Ob Franz Spina für die Situation in Mähren Hugo von Hofmannsthal gegenüber das Wort ‚durcheinandergewachsen‘ gebraucht hat oder ob es sich um einen Spinas Äußerungen zusammenfassenden Begriff handelt, den

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Hugo von Hofmannsthal einführte, ist zweitrangig: Erstrangig ist, dass sich der hier gebrauchte Begriff des ‚Durcheinandergewachsen-Seins‘ auf zwei ‚Volksstämme‘ bezieht, die in der Theorie von einem Stamm als Teil eines Volkes nicht zusammengehören: deutsche und tschechische Mährer. Franz Spina sieht nicht weniger als fast ein neues Volk aus slavischen und deutschen Wurzeln. Er analysiert zwar innerhalb der slavischen Bevölkerung des böhmisch-mährischen Raums die „ethnographischen und kulturellen Spannungen im Volkskörper selbst“ (Flusser 2005: 60), aber er setzt eben auch – um es in moderner Terminologie zu sagen – auf die Hybridisierung mit dem deutschen Element. Der Begriff ‚Ducheinandergewachsen‘ ist das Zentralwort für Franz Spinas Denkart und Aktivität. Er überträgt dieses ‚DucheinandergewachsenSein‘ von seiner mährischen Erfahrung auch auf die böhmischen Verhältnisse. Diese Übertragung zeitigt zwei nachhaltige Effekte: Es scheint, als missverkenne er erstens die Dynamik der Kriegs- und Nachkriegszeit für die Stärkung und Konsolidierung des tschechischen Nationalismus im Bewusstwerden nationaler Unabhängigkeit; und zweitens lässt ihn dieses Missverkennen auch 1918 weiterhin auf die ausgleichende Kraft der – wie Spina nicht müde wird zu betonen – „tausendjährige(n) Symbiose der beiden Völker [...] voll gegenseitigen Gebens und Nehmens“ (Strauss 1958: 11; Herv. i. O.) setzen und nachdrücklich vertrauen. Diese Grundhaltung wird ihn in Distanz zu der politischen Entwicklung eines Großteils seiner einstigen Wegbegleiter aus dem Umfeld von August Sauer bringen; sie ist es aber auch, die ihm, der die Entwicklung vom Germanisten zum Slavisten und zum aktivistisch agierenden Wissenschaftler (z. B. die Germanoslavika, Ehlers 2001) durchlaufen hat, den Weg zum politischen Aktivismus durch die Übernahme von Regierungsverantwortung in der tschechoslowakischen Republik öffnet. 1926 wurde Franz Spina (Bund der Landwirte) neben Robert Mayr-Harting (Deutsche christlich-soziale Volkspartei) Minister im bürgerlichen Kabinett von Antonín Švehla; Mayr-Harting übernahm das Ressort der Justiz, Spina das für öffentliche Arbeiten.7 Gustav Flussers Vorwort in Deutsche Politiker an das tschechische Volk ist auf Juni 1921 datiert; das druckfertige Manuskript, für das Franz Spina seinen 1914er Text in leichter Veränderung ablieferte, ist also auf den Sommer 1921 7  Franz Spina hatte während mehrerer Kabinette Ministerämter inne; er übernahm das Ressort öffentliche Arbeiten (bis 1929) sowie das der Gesundheit (1929-1935) und wird 1935 schließlich „Minister ohne Portefeuille. [...] Dieses Amt hatte den Rang eines Ministe­ riums [...] nach altösterreichischem Vorbild und war wohl als Landsmannministerium zur Vertretung der deutschen Interessen in der Regierung gedacht.“ (Bachmann 1976: 181f.)

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festzulegen. Im November 1921, nach dem Scheitern des zweiten Versuchs durch Exkaiser Karl IV., die Monarchie in Ungarn wieder zu errichten, bei dem sich die deutschstämmigen Soldaten loyal zum tschechoslowakischen Staat verhalten hatten, erklärte Franz Spina im Parlament: Wir werden uns in dieser Stunde des Charakters unserer Opposition bewusst, die sich nicht gegen den Bestand des Staates richtet, sondern gegen die Art und Weise, wie hier regiert und verwaltet wird. [...] In diesem Staat sind wir eingeschlossen, mit unserer Wirtschaft und Arbeit, in diesem Staate als einer gegebenen realen Größe müssen wir nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte in Anspruch nehmen und wir verlangen nach den Grundsätzen der Demokratie ‚für den einzelnen Deutschen und für unseren ganzen Volksteil‘ jene Stellung, der wir zur lebensfähigen Erhaltung diese unseres Volksteils bedürfen. (zit. nach Strauss 1958: 10; Herv. i. O.)

Hatte Franz Spina auf eine – wie auch immer geartete – Restauration Öster­ reich-Ungarns seine Hoffnung gesetzt, sozusagen auf ein Abebben der „anarchisch-slavischen Hysterie“ und auf die wirksame Einsetzung vielfältiger Ausgleichsmechanismen nach innen? Sei es, wie es sei, das definitive Scheitern der Restaurationsversuche durch Karl IV. scheint Franz Spinas Proklamierung der Symbiose zwar nicht ausgesetzt, aber dennoch aus dem Status einer zwar empirisch fundierten, nichtsdestotrotz programmatisch bleibenden­ Erklärung auf das Feld praktischen Politikverständnisses geführt zu haben: Diese Republik ist zwar nicht unser Staat, aber er könnte auch unserer werden.­ Die Ereignisse in Deutschland ab 1933 mit ihren Auswirkungen auf die Tschechoslowakei haben der aktivistischen sudetendeutschen Politik kaum eine Chance gelassen. Doch gilt auch, was die gemeinsame deutsch-tschechische Historikerkommission 1996 festgestellt hat: Infolge eines übermäßigen Pragmatismus auf beiden Seiten wurden Möglichkeiten zur Bewältigung der Nationalitätenfrage nicht ausgeschöpft. Die Bereitschaft der ‚aktivistischen‘ deutschen Parteien, ohne Vorbehalte als ‚Gleiche unter Gleichen‘ in der Regierung mitzuwirken, diente der Regierung auch als willkommenes Mittel, das Ansehen des Staates nach außen zu heben und von den unbewältigten Fragen im Innern abzulenken. Dies wurde um so offensichtlicher, als spektakuläre Erfolge bei der Verbesserung der Rechtsstellung der Minderheiten ausblieben. (Konfliktgemeinschaft 1996: 29)

Wollte man diese Analyse auf die Person Franz Spina übertragen, so ließe sich feststellen, dass sein „Ur-Vertrauen“ in die deutsch-tschechische Symbiose als Motor bei der praktischen Politikbeteiligung 1926 bereits überholt war und es völlig anderer strategischer Überlegungen, ja eines anderen Politikhandelns insgesamt bedurft hätte, um die angesprochenen Desiderate auch nur einigermaßen erfolgreich in Angriff nehmen zu können.

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Karl Braun

4.

Franz Spinas frühe politisch-soziale Sozialisation hat in einer „Sprachinsellandschaft“ im „mährischen Teil des Schönhengstgaues“ (Bachmann 1976: 169) stattgefunden; in August Sauers Rektoratsrede von 1907 findet er als junger Volkskundler und Herausgeber der Mitteilungen zur Volks- und Heimatkunde des Schönhengster Landes lobende Erwähnung (Braun 2011); seine wissenschaftliche Sozialisation als Germanist geschieht – wie diejenige von so vielen sudetendeutschen Intellektuellen – im Banne August Sauers. Aus diesen beiden Sozialisationssträngen entwickelt sich Franz Spinas Denken: einerseits das Grundvertrauen auf die zum Ausgleich zwingende Symbiose der beiden Volksstämme, andererseits der zur ständigen Grenzziehung drängende Volkstumskampf, wie er sich zunehmend in der 1901 von August Sauer gegründeten Deutschen Arbeit. Monatschrift für das geistige Leben der Deutschen in Böhmen in den Vordergrund schob und zum Beispiel in der Artikelserie Deutsche Studenten nach Prag (1907) von Sauer selbst Ausdruck fand (Sauer 1928: 21-47).8 Es ist ein Verdienst Franz Spinas, dem auf ethnische Reinheit, auf „Mutterboden“ und organische Gewachsenheit setzenden natio­nalistischen Gedanken, wie er sich – durchaus im Einklang mit August Sauer selbst – im negativistischen sudetendeutschen Denken eines Erich Gierach, Josef Pfitzner, Emil Lehmann, Eugen Lemberg und des Reichenberger volkskundlichen und nationalpolitischen Forschungszusammenhangs insgesamt entwickelt hatte, nicht nur das Postulat, sondern auch die aktive Politik des ‚Durcheinandergewachsen‘ entgegengesetzt zu haben.9 Die Hysterie und Psychose des deutschen Nationalismus und deutscher Volkstumswut konnte dadurch jedoch nicht aufgehalten werden. Franz Spina ist am 17. September 1938 in seinem 70sten Lebensjahr in Prag verstorben. So blieb ihm Exil oder KZ erspart, den Beginn des gewalttätigen Zerschneidens der böhmischen Symbiose, für die er das Bild eines bunten Teppichs gefunden hatte, hat er in seinen letzten Lebenstagen im Vorfeld des Münchner Abkommens aber noch erleben müssen. 8  Strauss (1958: 7) täuscht sich, wenn er August Sauers Artikel als Unterstützung der Forderung „Deutsche, lernt tschechisch“ interpretiert. S. a. Kraus (1907). 9  Franz Jesser reklamiert den Begriff der deutsch-tschechischen Symbiose für sich (Jesser 1984a: 232). Es wäre interessant, die nationalpolitische Positionierung Franz Spinas mit derjenigen seines Freundes Franz Jesser abzugleichen. Der theoretischere Kopf scheint Franz Jesser gewesen zu sein.

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Ich möchte sagen, dass sich hier in Mitteleuropa und in unseren Ländern ein ineinander gewebter bunter Teppich gebildet hat, bei dem, wenn man ihn zerschneidet, zugleich das kostbare Muster vernichtet. (Strauss 1958: 11; Herv. i. O.)

Literatur

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Karl Braun

Jesser, Franz (1984a): Die deutsch-tschechische Symbiose. Ein Beitrag zur Geschichte einer Idee. – In: Jesser, Franz, Volkstumskampf und Ausgleich im Herzen Europas. Erinnerungen eines sudetendeutschen Politikers. Aufgezeichnet von Arthur Herr (= Veröffentlichung des Sudetendeutschen Archivs in München, 17). Nürnberg: Preußler, 232-234 (= Faksimile aus: Deutsche Arbeit 32/2 [1932/33], 37-39). Konfliktgemeinschaft (1996): Konfliktgemeinschaft, Katastrophe, Entspannung. Skizze einer Darstellung der Deutsch-Tschechischen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert. Hrsg. von der Gemeinsamen deutsch-tschechischen Historikerkommission/ Konfliktní společenství, katastrofa, uvolnění. Náčrt výkladu německo-českých dějin od 19. století. Vydala Společná česko-nĕmecká historiků. München/Mnichov: Oldenbourg. Kraus, Arnošt (1907): Deutsche, lernt čechisch. – In: Čechische Rundschau 1, 161-165. Sauer, August (1907): Literaturgeschichte und Volkskunde. Rektoratsrede, gehalten in der Aula der Deutschen Universität in Prag am 18. November 1907. Stuttgart: Metzler. Sauer, August (1928): Kulturpolitische Schriften und Reden. Hrsg. von Josef Pfitzner. Reichenberg: Kraus. Stern, Martin (Hg.) (1968): Hofmannsthal und Böhmen (1): Der Briefwechsel mit Jaroslav Kvapil und das Projekt der Ehrenstätten Österreich. – In: HofmannsthalBlätter 1, 3-30. Stern, Martin (Kompilator) (1969a): Hofmannsthal und Böhmen (2): Die Rolle der Tschechen und Slowaken in Hofmannsthals Österreich-Bild der Kriegszeit und seine Prager Erfahrung im Juni 1917. Mit unveröffentlichten Briefen und Notizen. – In: Hofmannsthal-Blätter 2, 102-127. Stern, Martin (Kompilator) (1969b): Hofmannsthal und Böhmen (3): Hofmanns­ thals Plan einer „Tschechischen Bibliothek“ (1918). Ein Aufklärungswerk für die Deutschen. Mit unveröffentlichten Briefen und Notizen von und an Paul Eisner, Franz Spina und Ottokar Winicky. – In: Hofmannsthal-Blätter 3, 195-215. Stern, Martin (Kompilator) (1970): Hofmannsthal und Böhmen (4): Die Aufnahme der „Prosaischen Schriften III“ in Prag und Hofmannsthals Haltung zur Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918. Mit einem unveröffentlichten Brief und Aufsatz von Arne Novák sowie Briefen von und an Otokar Fischer und Blažena Fischerová. – In: Hofmannsthal-Blätter 4, 264-282. Strauss, Karl [1958]: Prof. Dr. Franz Spina – 90 Jahre. Germanist und Slawist. Staatsmann und Gelehrter. London: Selbstverlag.

Klaas-Hinrich Ehlers

Vom Erlöser zum Verräter der Sudetendeutschen oder: Wie ‚deutsch‘ war Franz Spina? Positionen seiner öffentlichen Wahrnehmung In Ernst Eichlers biographischem Lexikon zur Slawistik in Deutschland wird Franz Spina 1993 wie folgt vorgestellt: Die Zweisprachigkeit seiner Heimat und die frühe Begegnung mit der tschechischen Kultur prägten S. und ließen ihn zu einem Mittler zwischen Deutschen und Tschechen werden. Sein Ideal von einem Miteinander der Völker in gegenseitiger Achtung versuchte er in seiner wissenschaftlichen und politischen Tätigkeit zu verwirklichen. (Zeil 1993: 475)1

Schon 1966 hatte Rudolf Fischer in der Ostberliner Festschrift für Eduard Winter Franz Spina als einen „deutsch-slawischen Vermittler“ (Fischer 1966) charakterisiert. Und auch für Fischer laufen die wissenschaftliche und politische Tätigkeit Spinas auf das gleiche völkerverbindende Ideal zu. Die Festlegung Spinas auf eine ausgleichende Vermittlerrolle dürfte heute wohl die kanonische Sicht auf den Politiker und Wissenschaftler sein. Diese Sicht kann sich natürlich auf eine Vielzahl von Äußerungen und organisatorischen Initiativen dieses Mannes stützen. Ich möchte stellvertretend ein Archivdokument vorstellen, das dem Leser vermutlich nicht bekannt ist und in dem Spina sein Ideal einer deutsch-tschechischen Annäherung in, wie ich finde, besonders schöner Weise ausdrückt. Er projiziert dieses Ideal hier auf seinen slowenischen Fachkollegen Matija Murko, der in Prag das Forschungsinstitut Slovanský ústav [Slavisches Institut] leitete.2 Spina schreibt in seinem Glückwunschbrief für Murko zu dessen 70. Geburtstag: Wenn wir hier in Prag auf dem Wege sind, das Unerwartete zustande zu bringen und in unserer Wissenschaft jene glückliche Kollaboration zu finden, die unsere Völker als Partner an einem grossen gemeinsamen Kulturgut – mag es auch völkisch differenziert sein – aufweist, so geht dieses Wirken unserer Wissenschaft, an dem Sie hervorragenden

1  Ähnlich heißt es bei Zeil (1995: 137), Spina habe „sich stets, ohne sich von seinem Sudetendeutschtum zu lösen, von seinem Ideal einer fruchtbaren deutsch-slawischen Wechselseitigkeit leiten“ lassen. 2  Der Slawist und Volkskundler Murko war Präsident des Slovanský ústav in Prag und He­ rausgeber des Zeitschrift Slavia.

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Klaas-Hinrich Ehlers Anteil haben, parallel mit den Grundforderungen unseres jungen Staates überhaupt. Meine Feder entgleist nicht, wenn ich sage, daß Philologie in Ihrem Sinne und Politik den gleichen Weg gehen müssen. Seien Sie aus ganzem Herzen beglückwünscht zu Ihrem gesegneten Lebenswerk und bewahren Sie mir, der ich von der Wissenschaft in die Politik verschlagen wurde, aber hier ehrlich den anderen Weg, doch in gleicher Richtung schreite, die freundschaftliche Gesinnung, deren Sie mich gewürdigt haben und die mich glücklich macht.3

Der unmittelbare Bezugspunkt des Textes, das „Unerwartete“, das in Prag kurz vor der Vollendung stand, war die Gründung der Zeitschrift Germanoslavica. Die germanistisch-slavistische Fachzeitschrift stand im abgegrenzten Bereich der Wissenschaft modellhaft für ein staatspolitisches Programm. Sie sollte thematisch die deutsch-tschechische Partnerschaft am „gemeinsamen Kulturgut“ herausarbeiten und sie verwirklichte auch organisatorisch mit der paritätisch deutsch-tschechischen Besetzung ihrer Redaktion und einer institutionellen deutsch-tschechischen Trägerschaft die „glückliche Kollaboration“ von Deutschen und Tschechen zu gemeinsamen Zielen.4 Bemerkenswerter Weise stand das in heutiger Lesart so hoffnungsvollfriedfertige Ideal einer glücklichen, übernationalen Kollaboration in der Außensicht von Zeitgenossen (aber wohl auch in der Binnensicht seiner Protagonisten) vor Wahrnehmungshintergründen, die uns heute fremdartig erscheinen müssen. Die unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Sichtweisen auf die Person und das politische wie wissenschaftliche Werk Franz Spinas wichen bei seinen Zeitgenossen nämlich vor allem in der Frage voneinander ab, als wie ‚deutsch‘ Spina zu gelten habe. Dies war einer der wichtigsten Fluchtpunkte, auf den die kontroversen Meinungen über Spina in damaliger Zeit zuliefen. Die zeitgenössischen Stilisierungen der Figur im öffentlichen Diskurs sollen Gegenstand meiner folgenden Betrachtungen sein. Ich kann in diesem Beitrag nicht mehr als einige Stichproben aus diesem Diskurs geben; ich hoffe aber, ich kann damit wenigstens drei der wichtigsten Positionen in den diskursiven Gestaltungen der Figur Spina aufweisen: die seiner sudetendeutschen Anhänger, die seiner tschechischen Sympathisanten und die seiner sudetendeutschen Gegner. Der erste Text, den ich hier präsentieren möchte, führt uns in das Jahr 1909 und er beginnt just mit dieser heute so fremd anmutenden Problematik von Spinas Deutschtum. Es handelt sich um einen Antrag des Prager Germanisten August Sauer, der bei der Deutschen Gesellschaft zur Förderung deut3  Brief Spinas an Murko vom 16.2.1931 (LAPNP, Nachlass Murko: Mappe: Spina Murkovi) 4  Zu Programm, Gründung, Entwicklung und Ende dieser Zeitschrift vgl. Ehlers (2000a; 2000b).

Vom Erlöser zum Verräter der Sudetendeutschen?

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scher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen um einen Druckkostenzuschuss für eine Veröffentlichung Franz Spinas ersucht. Sauers Antragstext beginnt mit den Worten: Der Lektor für tschechische Sprache an der deutschen Univ. in Prag, Gymnasialprofessor Dr. Franz Spina geb. zu Markt-Thürnau in Mähren, ein ausgesprochener Deutscher der Abstammung, Bildung und Gesinnung nach, bittet um einen Druckkostenbeitrag von 450 K. zur Drucklegung seines im Man. und teilweise im Korrekturbogen vorliegenden Werkes ‚Beiträge zu den deutsch-slavischen Literaturbeziehungen. I. Die alttschechische Schelmenzunft von 1518‘. (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina)5

Was die „deutsche Gesinnung“ des Franz Spina mit einem Antrag auf Druckkostenzuschuss für ein wissenschaftliches Werk zu tun haben könnte, spricht Sauer wenige Zeilen tiefer an: Spina erbringe in seiner Untersuchung „den unwiderleglichen Nachweis, dass dieses wichtige tschechische Denkmal [nämlich die Frantova práva] aus deutschen Quellen geflossen ist“ (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina). Sauer weiter: Der Arbeit kommt nicht blos eine hervorragend wissenschaftliche Bedeutung zu, sondern auch eine wichtige politische Rolle, obgleich der Verf. von Chauvinismus ganz frei ist und nirgends politische Dinge berührt. (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina)

Der – wenngleich gemäßigte – politische Gehalt der Arbeit Spinas ist für Sauer eines der Hauptargumente, die die Förderungswürdigkeit seiner Publikation begründeten. Und er konnte wohl davon ausgehen, dass dieses Argument 1909 bei der Deutschen Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Litera­­tur in Böhmen verfangen würde.6 Allerdings gab sich Spina in der Einleitung zu seiner Studie über die Frantová Práva Mühe, seinen grundsätzlichen Befund eines bestimmenden deutschen Einflusses auf die alttschechische Literatur rhetorisch etwas zu entschärfen. So sprach er vom „stark westeuropäischen Zug der tschechischen Literatur“ (Spina 1909: 13) statt von einem prägend deutschen Zug. Oder er bemühte Burdachs Rede von der „geistigen Gütergemeinschaft“ (Spina 1909: 4), um nicht immer von einer „Anpassung“ (Spina 1909: 4) der tschechischen Kultur an die deutsche sprechen zu müssen. Aber die „deutsche Gesinnung“ wurde Spina nicht bloß von außen zugesprochen, sondern er selbst lieferte in seinem eigenen Antrag an die Deutsche 5  Antrag vom 09.01.1909, unterzeichnet von Sauer, Keller und Hauffen. Der Handschrift und der Position seiner Unterschrift nach hat August Sauer den Antragstext geschrieben (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina). 6  Spinas Studie erschien noch im selben Jahr „mit Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung Deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen“, wie es auf dem Vorsatzblatt heißt (Spina 1909).

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Gesellschaft vom November 1908 Sauers Begleitantrag die Formulierungsvor­ lage. Spina schrieb: Ich beabsichtige, in einer Reihe von Publikationen den mächtigen und weitverzweigten deutschen Einflüssen auf die slawischen Literaturen, in erster Reihe auf die tschechische nachzugehen. Da die tschechische Wissenschaft die starken deutschen Wirkungen in der Literatur systematisch noch nicht verfolgt hat, ja bestrebt war, deren Bedeutung oft abzuschwächen, kommt vergleichenden Untersuchungen nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch nationaler Wert zu.7

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den deutsch-tschechischen Kultur­ beziehungen, die später als Beleg für Spinas auch politisches Ideal einer deutsch-tschechischen Wechselseitigkeit gewertet wurden, werden hier als wissenschaftliche Vorarbeit für ein einseitig deutschnationales Projekt prä­sentiert. Gewiss, die Demonstration „deutscher Gesinnung“ erfolgt hier antragsstrategisch mit Blick auf eine deutsche Institution der Wissenschaftsförderung. Dass Sauer und auch Spina selbst eine derartige Antragsrhetorik bemühten, zeigt aber ein sehr deutliches Bewusstsein davon, dass der wissenschaftliche Gegenstand der deutsch-tschechischen Kulturbeziehungen im damaligen Zeitkontext einen nationalpolitischen Stellenwert beanspruchen konnte und dass gerade mit dieser deutschnationalen Codierung des Themas Anerkennung zu gewinnen war. Ich mache einen Zeitsprung von 20 Jahren: Festschriften sind herausra­ gende Orte der Gestaltung öffentlicher Wahrnehmung von bekannten Per­ sonen. Kennzeichnend ist dabei, dass hier das Bild der gefeierten Person zu Lebzeiten oder posthum gerade von Beiträgern gestaltet wird, die dem Gewürdigten nahe stehen. Zu seinem 60sten Geburtstag 1928 ist Franz Spina gleich mit zwei Festschriften bedacht worden. Im Jubiläumsjahr selbst erschien die sehr persönlich gehaltene, schmale Festschrift vom Herausgeber Hugo Scholz. 1929 folgten die von Ferdinand Liewehr herausgegebenen Slavistischen Studien, die dem klassischen Typus wissenschaftlicher Festschriften entsprechen (Scholz 1928; Liewehr 1929). Für die öffentliche Wahrnehmung der Figur Franz Spinas ist besonders die erstgenannte Publikation interessant, die nämlich laut Titel Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch zu würdigen vorhatte und Beiträge aus sehr unterschiedlicher Perspektive von einer Vielzahl von Personen aus Spinas politischem, wissenschaftlichem und persönlichem Umfeld versammelt. Das kleine Buch beginnt mit einem anonymen Vorspruch, der sich unmittelbar an den Gefeierten selbst richtet. 7  Antrag Spinas vom 28.11.1908 (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina).

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‚Spina‘ Von Millionen Deutschen wird Dein Name genannt, denn es ist ein großer Name. Einem ganzen Volke schwebt er auf den Lippen, weckt Hoffnung, nährt Glauben, löst Liebe, aber auch Haß. Doch Dir kann kein Lob schmeicheln, Dich kein Schimpf erniedrigen, denn Du bist erhaben durch das göttliche Ideal, das Dich erfüllt. Dem gewaltigen deutschen Bauernheere voran schreitest Du unentwegt durch Dorn und Gestein, um es aus Nacht und Not ins Licht einer besseren Zeit zu führen. Ungezählte folgen Dir in Treue, denn Du bist ihr Führer, an den sie glauben. Heute steht ein Meilenstein am Weg, Dein 60. Geburtstag. Deine Gefolgschaft hält im Kampfe um ihre Sache inne zu kurzer Besinnung. Wie ein leuchtender Stern steigt neu die Erkenntnis auf: Die Kraft Deiner Persönlichkeit ist des deutschen Landvolkes Kraft, die Lauterkeit Deines Charakters, die Schärfe Deines Geistes sind seine Stärke und sein Stolz. Und Dein Ziel ist sein Ziel, Dein Erfolg ist sein Erfolg. Dein Name steht auf seiner Fahne, ist sein Kampf und sein Programm, ist Recht und Freiheit für Grund und Boden, für den Bauer [sic] wie auch für das ganze sudetendeutsche Volk. In den fernen, stillen Bergdörfern, in den Hütten und Höfen, überall wo deutsche Bauern auf deutscher Scholle sitzen, schlagen hunderttausend Herzen laut, neigen sich Dir zu in Liebe und Dankbarkeit, grüßen Dich in alter Verehrung und bringen Dir als schönste Geburtstagsgabe den Schwur ihrer Treue dar. Dir, Spina, wollen sie weiter folgen, Dein ist ihr Vertrauen. Du wirst ihnen, so Gott will, Scholle und Heimat erhalten, denn Du hast die Kraft, Du kennst den Weg, Du bist der rechte Führer. Und wenn die deutschen Bauern an ihre Gabe noch einen Wunsch schließen, dann kann es nur der sein, daß Du, Spina, erleben mögest, wie die Scholle ihr volles Recht und die Heimat ihre volle Freiheit hat, durch Dich und Deinen Weg. Dann wird das ganze deutsche Volk erkennen, daß Du sein einzig wahrer Führer und Retter bist und Dein Name in die Geschichte der Deutschen gehört mit leuchtenden, goldenen Lettern. ‚Heil Spina Dir!‘ (Scholz 1928: 3)

Das atemberaubende Pathos des anonymen Eingangstextes speist sich unter anderem aus seiner dichten religiösen Metaphorik. Die an Spina gebundene Dreiheit von „Hoffnung“, „Glaube“ und „Liebe“ gemahnt an den Korintherbrief. Das Bild des „gewaltigen deutschen Bauernheeres“, das Spina „durch Dorn und Gestein [...] aus Nacht und Not ins Licht einer besseren Zeit“ führt, bringt den Auszug aus Ägypten ins Spiel. Die Weihnachtsgeschichte wird als aufsteigender „leuchtender Stern“ neuer Erkenntnis in den Text eingebracht. Mit seiner durchgängigen Du-Adressierung, seiner rekurrenten Lexik und den parataktisch wiederkehrenden Satzmustern hat der kleine Text Gebetsform. („Und Dein Ziel ist sein Ziel, Dein Erfolg ist sein Erfolg“). Die Verwendung des Kraftbegriffs lässt insbesondere das Vaterunser anklingen: „Denn Du hast die Kraft, Du kennst den Weg, Du bist der rechte Führer“. Die religiöse Metaphorik ist zudem eng mit einem militärischen Bildfeld verschränkt. Da wird Spina als „Führer“ eines „Bauernheeres“ imaginiert und eine „Gefolgschaft“, die „im Kampfe um ihre Sache [...] zu kurzer Besinnung“ innehält. Es fehlt weder Treueschwur noch die „Fahne“, auf der der Name

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Spinas weht. Durch die Verquickung beider Bildfelder wird Spina hier gleichsam zum Moses, Messias, Gottvater und Heerführer zugleich für das „sudetendeutsche Volk“ erhoben. Das Verhältnis der Sudetendeutschen zu ihm wird im Text entsprechend als eines von „Liebe“, „Glaube“, „Gefolgschaft“, „Dankbarkeit“, „Verehrung“ und „Treue“ bestimmt. Die Figur Spina wird schließlich zu einer personalen Verkörperung „des deutschen Landvolkes“ selbst ausgestaltet: Die Kraft Deiner Persönlichkeit ist des deutschen Landvolkes Kraft, die Lauterkeit Deines Charakters, die Schärfe Deines Geistes sind seine Stärke und sein Stolz. (Scholz 1928: 3)

Auch 1928 also wird Spina stilisiert als „ein ausgesprochener Deutscher der Abstammung, Bildung und Gesinnung nach.“ Von einer deutsch-tschechischen Annäherung oder gar einer Kollaboration in Wissenschaft oder Politik ist hier nirgends die Rede, stattdessen von „Kampf“: einem Kampf um „Recht und Freiheit für Grund und Boden, für den Bauer [sic] wie auch für das ganze sudetendeutsche Volk.“ Allenfalls wird angedeutet, dass noch nicht „das ganze deutsche Volk erkennen [kann], daß Du sein einzig wahrer Führer und Retter bist“, und dass Spina auch „Schimpf“ und sogar „Haß“ zu erdulden habe. Wenn der Text damit beiläufig Uneinigkeiten über den richtigen politischen Weg einräumt, so ist doch unstrittig, dass dieser Weg erst enden werde, wenn „die Scholle ihr volles Recht und die Heimat ihre volle Freiheit hat.“ Das überbordende Pathos des kleinen Textes mag verdeutlichen, welch große Hoffnungen 1928 auf den Politiker Spina gesetzt wurden, festzuhalten bleibt, dass Spina auch hier für ein ganz einseitig deutschnationales Programm steht. Die Stilisierung Spinas zum heimattreuen Nationalhelden, der das sudetendeutsche Volk mutig, klug und unbeirrt von „Neid und Mißgunst“ aus „Not und Schmach“ erlösen wird, wird in der kleinen Festschrift gleich auf der darauf folgenden Seite noch einmal in Versform gegossen. Unter dem Titel „Unser Gruß“ schreibt eine siebenstrophige Hymne Karl Hübls das Pathos des Einleitungstextes auf gleicher Stilhöhe und in ähnlichen Bildfeldern fort. Als Gruß des Schönhengster Landvolkes an „seinen großen Sohn“8 inszeniert, vertieft die Hymne dabei das Thema der „deutschen Abstammung“ Spinas, das leitmotivisch die gesamte Festschrift durchzieht. Die immer wieder herausgestellte Herkunft Spinas aus dem Bauerntum der Schönhengster deutschen Sprachinsel weitet die Stilisierung seiner Person in mehrere Dimensionen aus. Hier wird Spina Bodenständigkeit, Volksnähe und bäuerlicher Pragmatismus 8  Alle vorangegangenen Zitate des Absatzes aus Hübl (1928): 4.

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zugesprochen und seine „bäuerlich konservative Gesinnung“ (Zierhut 1928: 18) plausibel gemacht. Wenn „vom Bauernsohn zum Minister [...] eine gerade Entwickelungslinie“ (Rotter 1928: 6) gezogen wird, dann weist dies Spina nicht nur Treue und Beharrlichkeit als Charakterzüge zu, sondern soll ihn auch gegen „Vorwürfe des Opportunismus“ (Rotter 1928: 7) verteidigen, denen sich aktivistische Politiker ausgesetzt sahen. Das Aufwachsen in den „Sprachgrenzverhältnissen“ am Schönhengst prädestiniere Spina außerdem für seine politische Rolle, es habe ihm nämlich „neben der Ausrüstung mit der slawischen Sprachkenntnis vor allem eine erhöhte Vertrautheit mit den völkischen und sonstigen Eigenschaften des [tschechischen] Nachbars“ (Zierhut 1928: 17) verschafft, oder wie Spinas Parteikollege Zierhut in seinem Beitrag wenig später reformuliert: den „klare[n] Blick für die tatsächlichen Verhältnisse beim Gegner“ (Zierhut 1928: 17).9 Mit vereinten Kräften arbeiten die Festschriftbeiträger an dem Bild vom kerndeutschen Manne von der Sprachgrenze [...], der, aus deutschem Bauernblute hervorgegangen, dieses Blut weder als Politiker noch als Wissenschaftler noch als Mensch verleugnet, der treu zur Scholle und seinem Volke hält in zäher, rastloser Arbeit trotz aller politischen Unratkübel, die über ihn ausgegossen werden, weil er weiß, daß nur Arbeit reich und frei und mächtig macht. (Stowitschek 1928: 32)

Auch in diesem Schlüsselzitat gilt die zähe rastlose Arbeit Spinas keineswegs einer Annäherung an die Tschechen, sondern dem Reichtum, der Freiheit und Macht des (sudeten-)deutschen Volkes. Als „ausgesprochener Deutscher der Abstammung, Bildung und Gesin­ nung nach“ wird Spina in der kleinen Festschrift nicht nur in den Texten stilisiert, sondern auch regelrecht ins Bild gesetzt. Neben drei kleineren Porträtaufnahmen aus drei verschiedenen Phasen seines Lebens bringt der Herausgeber auch zwei Ansichten von Spinas Geburtsort bzw. Geburtshaus, die auf die ländliche und bodenständig deutsche Herkunft des Jubilars verweisen. Bemerkenswert ist aber vor allem die ganzseitige Porträtaufnahme Spinas, die dem Buch als Frontispiz vorangestellt wird (s. Abb. 8). Auf diesem Porträt ist geradezu aufdringlich sichtbar, was keine andere mir bekannte Fotografie Spinas so deutlich zeigt: die lange Mensurnarbe auf der linken Wange. Diesem Mann, so wird dem Betrachter demonstriert, ist seine „deutsche Gesinnung“ buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Dass Spinas Gesichtsnarbe damals tatsächlich als untrügliches nationales Symbol wahr9  Der tschechische Abgeordnete Bradáč macht dagegen für Spina geltend, „daß seine Kenntnis des tschechoslowakischen Volkscharakters bei ihm eine Gegnerschaft ausschließt, welche zu einer verblendeten Feindschaft auf nationalem Gebiete führt“ (Bradáč 1928: 22f.).

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genommen wurde, bestätigt einer der Festschriftbeiträger von 1928, wenn er von den anfänglichen Widerständen der Deutschen Universität berichtet, ein tschechisches Lektorat einzurichten: Schon die Bestellung eines Lektors für tschechische Sprache ließ viele, die darin den Beginn der Vertschechung der Hochschule sahen, Gefahr wittern. Spinas tiefe Quart hat damals das Mißtrauen einigermaßen bannen helfen. (Rotter 1928: 15)

Selbstverständlich ist in der Festschrift gelegentlich auch vom aktivistischen Interessensausgleich mit den Tschechen die Rede. Dieses Thema behält aber einen auffallend marginalen Stellenwert, und es wird in diesem Band, der mit dem national markierten Porträt, dem Spina-Gebet und der Spina-Hymne eingeleitet wird und mit den Worten „ein ganzer deutscher Bauer und ein ganzer deutscher Mann“ (Scholz 1928: 45) im Schlusssatz ausklingt, buchstäblich deutschnational eingebettet. Spinas politisches und auch wissenschaftliches Werk wird in dieser Festschrift als eine Art „höherer Nationalismus“ (Zierhut 1928: 20) präsentiert. Von „gutem Willen“ zu einem „gedeihliche[n] Zusammenwirken von Tschechen und Deutschen in der Regierung“ (Flora 1928: 26) und Spinas Versuch, „durch gegenseitige Wertschätzung den Boden für eine verständnisvolle und glückbringende Zusammenarbeit beider Nationen[...] vorzubereiten“ (Bradáč 1928: 23), ist in dieser positiven Wertung und Ausdrücklichkeit bemerkenswerter Weise nur in den Texten der beiden tschechischen Fest­ schriftbeiträger die Rede. Auch der dem zweisprachig deutsch-tschechischen Milieu des Prager Judentums entstammende Paul/Pavel Eisner betont lobend in seinem Festschriftbeitrag Spinas Bestreben, „die rein physische Symbiose [von Deutschen und Tschechen] zu einer geistigen zu machen“ (Eisner 1928: 28).10 Ebenso sehen die Ausschnitte aus den tschechischen Pressereaktionen zum 60sten Geburtstag Spinas, die Eugen Rippl bezeichnenderweise als „Worte aus Gegnermund“ (Rippl 1928: 1) zusammengetragen hat, in Spina den „Wegbereiter [...] einer neuen Einstellung der Sudetendeutschen“ (Národní osvobození [Nationale Befreiung], zit. n. Rippl 1928: 2) und in seiner Politik den „Anfang eines neuen Zusammenlebens beider nationalen Stämme im Zeichen einer engen und rechtschaffenen Zusammenarbeit“ (Československá republika, zit. n. Rippl 1928: 2). Hier steht also tatsächlich die ‚glückliche Kollaboration‘ mit den Tschechen im Vordergrund der positiven Würdigung. Freimütig weisen die beiden tschechischen Festschriftbeiträger darauf hin, dass Spinas Kollaborationspolitik nicht nur ‚zur innerpolitischen Konsolidation‘, sondern 10  Zur Problematik der ethnischen Selbstverortung bei Eisner vgl. Ehlers (2003).

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auch „zur Hebung des Prestige im Auslande“ (Bradáč 1928: 24)11 beitrage. Dass man sich auf tschechischer Seite von der wissenschaft­lichen und politischen Arbeit Spinas außenpolitischen Prestigegewinn versprach, wird an der Publikationspraxis der Prager Presse sehr deutlich. Diese halbamtliche Tageszeitung der Prager Regierung richtete sich in deutscher Sprache auch an eine internationale Leserschaft. Seit dem Ende der 1920er Jahre berichtete sie laufend und minutiös über alle wissenschaftlichen und organisatorischen Aktivitäten der Prager deutschen Slavistik und räumte noch in den 1930er Jahren den politischen Reden Spinas jederzeit breitesten Raum ein.12 In den tschechischen Würdigungen Spinas, sowohl in der Festschrift von Scholz wie in den Pressemeldungen zu seinem sechzigsten Geburtstag, wird wieder regelmäßig seine bäuerliche Herkunft herausgestrichen und zur Charakterisierung seiner Person genutzt. Wie in den deutschen Beiträgen der Festschrift sehen die tschechischen Darstellungen in Spinas bäuerlicher Abstammung „die Grundlage seines gesunden Realismus und seines stark entwickelten Sinnes für praktische Fragen“ (Národní osvobození, zit. n. Rippl 1928: 2). Sein Aufwachsen in „einer deutschen, von tschechischem Gebiet umbrandeten Sprachinsel“ (Prager Presse, zit. n. Rippl 1928: 1) und seine slavistische Forschungsarbeit brächten es mit sich, dass er „die Geschichte der gemeinsamen Heimat [...] vorzüglich versteht“. Mit diesen Attributen wird Spina hier zu einer positiven Kontrastfigur gegenüber sudetendeutschen Radikalen stilisiert: Gegenüber Lodgmanns Heftigkeit stellt Spina seine ruhige Bedachtsamkeit, gegenüber dem unkritischen Urteil die Kenntnis nicht nur tschechischer, sondern auch slawischer Dinge überhaupt, der Literatur, der Geschichte und des Nationalcharakters, gegenüber dem Kampf die stille Arbeit [...] Gegenüber Lodgmanns Radikalismus stellte Spina das langmütige Lächeln eines glänzend erzogenen Menschen, wodurch er sich ebensoviel Freunde zu erwerben pflegt, als Lodgmann Feinde. Durch diese persönlichen Eigenschaften vollbrachte Spina für die Deutschen mehr, als sich die tschechische Öffentlichkeit dessen bewußt ist. Es ist das aber ein Gegner, den man unmöglich nicht achten kann. (České slovo [Tschechisches Wort], zit. n. Rippl 1928: 2)

Hier figuriert Spina nicht mehr als Inkarnation und Führer ‚aller‘ Sude­ tendeutschen, vielmehr wird innerhalb der sudetendeutschen Gruppe, die auch aus tschechischer Perspektive häufig als Lager der „Gegner“ aufgefasst 11  Vgl. Flora (1928: 26f.): „Namhafte Journalisten des Auslandes, aus Deutschland, Frankreich, Amerika usw. sind zu Dr. Spina gekommen, um ihn über den Aktivismus auszufragen, ein Zeichen, daß das Ausland als nach etwas neuem aufhorcht; wahrscheinlich wird sich diese neue politische Methode auch in der internationalen Politik durchsetzen.“ 12  Die Zeitung druckte immer wieder bis zu halbseitige Auszüge und Paraphrasen seiner politischen Verlautbarungen.

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wird, polar differenziert. Das Deutschtum Spinas wird somit als eine Art Ausnahmedeutschtum vorgestellt, wie die adversativen Konstruktionen in Aussagen wie den folgenden belegen: Spina ist ein Deutscher, dazu ein guter Deutscher, hat aber seine Beziehung zu den Tschechen und zum Staate [...] gefunden. (Expres, zit. n. Rippl 1928: 2f.) Bauer und Gelehrter, glühender deutscher Patriot, dabei aber Kenner und Schätzer des tschechischen Volkes. (Flora 1926: 26)

Im Jahr 1938 fokussierte die Prager Presse ihren Nachruf auf den Ausnah­ medeutschen Spina ganz auf seinen Einsatz „für den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechoslovaken“: ‚Prag, 17. September‘. Wenige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag ist heute, Samstag früh, Dr. Franz Spina an einer akuten Lungenentzündung in Prag gestorben. Die Tschechoslovakei verliert in ihm jenen deutschen Staatsmann, der sich am entschiedensten und opferbereitesten für den Ausgleich zwischen Deutschen und Tschechoslovaken eingesetzt hat. (Anonym 1938: 3)13

Seine politische Position charakterisiert die Prager Presse in einer ähnlich adversativen Figur wie andere tschechische Stimmen als „national, aber nicht nationalistisch“ (Anonym 1938: 4). Schauen wir uns nun noch einmal an, wie Franz Spina von seinen Gegnern ­innerhalb der sudetendeutschen Öffentlichkeit wahrgenommen worden ist. Dass ihm schon in den 1920er Jahren von Teilen der sudetendeutschen Be­ völkerung Ablehnung und sogar „Haß“ entgegengebracht wurde, ist bereits angesprochen worden. Spätestens mit dem politischen Aufstieg Konrad Henleins wurde Franz Spina aus der Rolle des „einzig wahren Führers und Retters“ des Sudetendeutschtums hoffnungslos verdrängt. Parallel mit dem Ansehensverlust der aktivistischen Politik verschob sich bemerkenswerter Weise auch die ethnische Kategorisierung der Person Spinas. Im Jahr 1936 schrieb Josef Pfitzner in einem internen Gutachten über die Slavische Rundschau, die Zeitschrift sei „ein Organ, auf das die ‚deutsche‘ Wissenschaft niemals wird stolz sein können. Denn es ist nur deutsch nach dem Namen der beiden Herausgeber, Spina und Gesemann, [...] der Inhalt ist dem Deutschtum wesensfremd.“14 13  Wenige Tage später veröffentlichte die Prager Presse unter dem Titel Zum Gedächtnis Franz Spinas als „bedeutsames Zeugnis von seiner hohen Intelligenz und seiner in sich geschlossenen vornehmen Persönlichkeit“ einen Brief, den Spina 1928 an Arnošt Kraus geschrieben und in welchem er an einem Goethe-Zitat seine Auffassung vom „Ethos des Bauerntums“ entwickelt hatte (Prager Presse, 20.09.1938: 8). 14  Charakteristik Gesemanns von Josef Pfitzner, 10.2.1936, Universitätsarchiv Leipzig, zit. nach Zeil (1986: 735).

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Schließlich bekommt auch Spina selbst das Attribut deutsch aberkannt. So wird er beispielsweise von Wilhelm Weizsäcker 1940 nur noch als einer­ der „sogenannte[n] deutsche[n] Minister“ geführt und der Gruppe der „von Regierungswegen geförderten volksfremden, volksfeindlichen oder wenigstens lauen Professoren“ (Weizsäcker 1940: 48) der Prager Deutschen Universität zugeordnet. In der dickleibigen Universitätsgeschichte Prag und das Reich von Wolfgang von Wolmar sind 1943 viele Ausfälle gegen Franz Spina versammelt, dem würdeloses, wortbrüchiges oder schändliches Verhalten in der Zeit seiner Regierungsbeteiligung vorgeworfen wird: Spinas Regierungsbereitschaft war tatsächlich als Verrat an der Zukunft der sudetendeutschen Volksgruppe zu kennzeichnen. (Wolmar 1943: 511)

Wo bei von Wolmar vom „‚deutschen‘ Minister (Dr. Spina)“ oder den „‚deutschen‘ Ministern“ die Rede ist, die „zu Erfüllungspolitikern größten Formates“ (Wolmar 1943: 510) stilisiert werden, wird das Attribut „deutsch“ in Anführungszeichen gesetzt (z. B. Wolmar 1943: 59, 510, 533). Eine kleine archivalisch überlieferte Episode mag veranschaulichen, dass Spina bereits zu Lebzeiten das Attribut deutsch abgesprochen wurde. Anfang Mai 1938 hatte er telephonisch bei Otto Grosser, dem Präsidenten der Pra­ ger Deutschen Gesellschaft der Wissenschaften und Künste, von der am Anfang dieses Beitrags bereits die Rede war, um einen Besprechungstermin gebeten. Grosser, der Spina zehn Jahre zuvor noch ein herzliches Dankes- und Gratulationsschreiben zum Geburtstag geschickt hatte,15 erwiderte dessen telephonische Anfrage mit dem folgenden Schreiben: Sehr geehrter Herr Professor! Sie haben mir vorige Woche telephonisch Ihren Besuch angekündigt. Auf Grund von Zeitungsmeldungen muss ich annehmen, dass der Besuch mit der Absicht der Gründung einer neuen Partei zusammenhängen würde. Da ich als Deutscher einen solchen Versuch für meine Person auf das allerentschiedenste ablehnen müsste, erübrigt sich wohl der beabsichtigte Besuch, zumal ich in dieser Woche kaum die Zeit für eine Unterredung finden würde. Hochachtungsvoll Prof. Dr. Otto Grosser16

Grossers barsche Zurückweisung der Anfrage ist Folge eines Missverständ­ nisses. Spina hatte lediglich vorgehabt, förmlich seinen Rücktritt von der 15  Gratulationsschreiben Grossers vom 3. Oktober 1928, in dem er auch „das Gefühl des Dankes namens der Gesellschaft hiemit zum herzlichen Ausdruck“ dafür brachte, dass Spina als Minister die „materielle Sicherstellung“ der Gesellschaft gewährleistet habe (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina). 16  Schreiben Grossers an Spina vom 10.5.1938 (AAVČR: DAdW, 48, Mappe: Spina).

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Funktion des Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft einzureichen. Für unseren Zusammenhang interessant ist die Tatsache, dass Grosser den unterstellten Versuch, die aktivistische Politik fortzusetzen, just „als Deutscher“ ablehnt. Das Ideal einer „glücklichen Kollaboration“ zwischen Deutschen und Tschechen war 1938 entschieden ‚undeutsch‘ geworden. Und Spina reagierte seinerseits sehr sensibel auf die Implikation, dass damit er auch selbst nicht mehr „als Deutscher“ gelten könne. Sein Antwortschreiben an Grosser ist überliefert und ich möchte es in voller Länge wiedergeben, auch wenn ich im Zusammenhang dieses Beitrags nur die letzten Zeilen des Briefs in den Blick nehmen möchte: Sehr geehrter Herr Präsident, ich frage mich, was Sie berechtigt hat, im Briefe vom 10. d. M. als Gegenstand der von mir gewünschten Aussprache das politische Motiv der Gründung einer neuen Partei anzunehmen. Soweit ich mich erinnere, habe ich in politischen Dingen nie an Ihren Rat appelliert und es käme auch gegenwärtig die Beanspruchung speziell Ihres Rates wahrlich nicht in Frage – wobei ich nebenbei bemerke, daß es sich gar nicht um eine neue Parteigründung, sondern um die aus Kreisen der alten Partei immer stärker geforderte Registrierung der treugebliebenen Mitglieder handelt. Gegenstand unserer Aussprache wäre vielmehr die von mir schon einige Zeit erwogene Niederlegung meiner Stelle als Vicepräsident der ‚Gesellschaft‘ gewesen, da ich nach meinem Rücktritt aus dem politischen Leben auch meine Stellen in der Pestalozzi-Gesellschaft u.a. liquidiere. Ich ersuche Sie also, da Sie eine mündliche Aussprache nicht für notwendig erachten, hiemit meinen Verzicht auf die Funktion des Vicepräsidenten der ‚Gesellschaft‘ offiziell zur Kenntnis zu nehmen. Ich bedaure den Ton Ihrer Zeilen, den wiederum ich als Deutscher ganz entschieden zurückweise. Hochachtungsvoll Franz Spina

Das Deutschtum, das Spina hier gegen Grossers Ausschließungsrhetorik für sich beansprucht, ist das einer Werte- und Kommunikationsgemeinschaft, die jenseits möglicher Meinungsverschiedenheiten auf Konventionen des respektvollen Umgangs beruht. Wie konsequent Franz Spina aus allen sich als deutsch verstehenden Zusammenhängen ausgeschlossen wurde, offenbart sich am augenfälligsten an der Festschrift, die ihm zu seinem siebzigsten Geburttag zugedacht worden war, die aber erst nach seinem Tod im September 1938 „Franz Spina zum Gedächtnis“ erschien (Festschrift 1938). Alle 26 Beiträge dieses umfangreichen Bandes stammten von Autoren slavischer Herkunft. Obwohl die Gedenk­ schrift als Sonderband der Slavischen Rundschau erschien, die ihre Schriftleitung und Geschäftsstelle am Slavischen Seminar der deutschen Universität hatte, beteiligte sich auch kein einziger von Spinas deutschen Schülern und langjährigen Kollegen mit einem Beitrag. Gerhard Gesemann und Konrad Bittner

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hatten schon 1936 die gemeinsamen Zeitschriftenunternehmen verlassen, in denen die ‚glückliche Kollaboration‘ von Deutschen und Tschechen institutionalisiert worden war. 1938 mochte offenbar selbst Eugen Rippl, der noch lange Zeit als loyaler „Mann Spinas“17 gegolten hatte und weiterhin in der Redaktion der Slavischen Rundschau tätig war, nicht mehr den politischen und menschlichen Graben zu Spina überspringen. Er steuerte weder einen eigenen Beitrag zu der Gedenkschrift bei, noch wird er namentlich als Herausgeber genannt. Franz Spina, der zehn Jahre zuvor noch als Inkarnation des Sudetendeutschtums gefeiert worden war, fand sich 1938 nicht nur aus der deutschen Gelehrtengemeinschaft der Tschechoslowakei ausgeschlossen, sondern aus jeder Kommunikationsgemeinschaft mit Sudetendeutschen überhaupt. Der Begriff der deutschen Volksgemeinschaft war ja zeittypisch eine exklusive Kategorie, und gegenüber den Ausgeschlossenen konnte man sich „als Deutscher“ von der Verpflichtung zu konventionalisierten Akten sozialer Anerkennung wie Dank, Gratulation, Würdigung und Gedenken entbunden fühlen.18 Ich habe gezeigt, dass die Zeitgenossen Franz Spinas bei der kontroversen Bewertung seiner Person und seines politischen und wissenschaftlichen Lebenswerkes immer auch von der Frage umgetrieben worden sind, wie deutsch Spina war. In den zeitgenössischen Diskursen lassen sich mindestens drei wichtige Positionen als Antwort auf diese Frage finden: Erstens: Spina war urdeutsch in Abstammung und Gesinnung und hat in seiner Politik folgerichtig nur einen pragmatischen Weg zur Durchsetzung deutscher Interessen gesucht. Zweitens: Spina war ein guter Deutscher, hat aber trotzdem eine Annäherung an die Tschechen gesucht. Er war also Ausnahme-Deutscher. Und drittens war Spina streng genommen gar kein Deutscher, was daran zu erkennen war, dass er eine Annäherung an die Tschechen gesucht hat. 17  In einem Brief berichtete Roman Jakobson am 23.12.1936 an Jan Hájek, dem Leiter der Kulturabteilung im Prager Außenministerium, von den personellen Umstrukturierungen in der Redaktion der Slavischen Rundschau nach dem Ausscheiden Gerhard Gesemanns: „Vedle Spiny je druhým šéfredaktorem časopisu místo Gesemanna profesor německé university Rippl, člověk Spinův, a naprosto loyální.“ (Toman 1994: 166) [Neben Spina ist anstelle Gesemanns der Professor an der deutschen Universität Rippl, ein loyaler Mann Spinas, zweiter Chefredakteur der Zeitschrift]. 18  Die Prager Presse mutmaßt in ihrer kurzen Rezension der posthumen Festschrift daher mit einigem Recht, „daß Franz Spina mit dem Bande zufrieden gewesen wäre – von einem Umstand abgesehen, der jenseits des Reiches der Wissenschaft liegt.“ (Prager Presse, 03.11.1938: 7)

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Franz Spina das „Ideal von einem Miteinander der Völker in gegenseitiger Achtung“ zuzuschreiben, wie dies heute geschieht, ohne den Träger des Ideals immer auch zugleich in „Abstammung und Gesinnung“ ethnisch zu positionieren, war für die meisten seiner Zeitgenossen damals nicht denkbar.19

Quellen

AAVČR: Archiv Akademie Věd Československé Republiky, Fonds: Deutsche Akademie der Wissenschaften (DadW). LAPNP: Literární archiv Památníku národního písemnictví [Literaturarchiv der Gedenkstätte des nationalen Schrifttums], Fonds: Murko

Literatur

Anonym (1938): Dr. Franz Spina gestorben. – In: Prager Presse (18.9.1938), 3f. Bradáč, Bohumil (1928): Gedanken zum 60. Geburtstage des Ministers Prof. Dr. Spina. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 22-24. Ehlers, Klaas-Hinrich (2000a): Die Gründung der Germanoslavica. Vorgeschichte des deutsch-tschechischen Zeitschriftenprojekts 1929 bis 1931. – In: Ders./Höhne, 19  Die Konfigurationen dieses ethnisch polarisierenden Diskurses wirken freilich teilweise noch weit bis in die Nachkriegszeit hinüber. Alois Knauer, der noch 1957 Spina gegen den Verdacht der „Tschechenfreundlichkeit“ (Knauer 1957: 57) verteidigen zu müssen glaubte, verband die Erörterung der politischen Leitlinien Spinas weiterhin mit der Frage, als wie ‚deutsch‘ dieser zu gelten habe: „Spina war gewiß ein besserer Deutscher als so mancher von denen, die seine Politik ‚vernadert‘ und ihm an die persönliche Ehre gegriffen haben. [...] Spina mochte in dem Wege irren, den er einschlug, weil er die Einsichtsfähigkeit seiner nationalen Gegner zu optimistisch beurteilte; aber irren ist menschlich.“ (Knauer 1957: 60)

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Steffen/Maidl, Václav/ Nekula, Marek (Hgg.), Brücken nach Prag. Deutschsprachige Literatur im kulturellen Kontext der Donaumonarchie und der Tschechoslowakei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag. Frankfurt/M.: Lang, 369-393. Ehlers, Klaas-Hinrich (2000b): Agonie und Nachleben einer deutsch-tschechischen Zeitschrift. Dokumente zum Ende der Germanoslavica aus den Jahren 1932 bis 1942. – In: brücken NF 8, 179-222. Ehlers, Klaas-Hinrich (2003): Rudolf Pannwitz – Otokar Fischer – Paul Eisner. Lesefrüchte aus einem deutsch-tschechoslowakischen Briefwechsel. – In: brücken NF 11, 297-314. Eisner, Paul (1928): Der Pionier einer neuen deutschen Slawistik. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 27-29. Festschrift (1938): Slavische Rundschau 10/6, Sonderband: Arbeiten zur älteren Geistesgeschichte der Westslawen. Franz Spina zum Gedächtnis. Fischer, Rudolph (1966): Streben und Wagnis eines deutsch-tschechischen Vermittlers – das Ende Franz Spinas. Mit authentischem Bericht. – In: Steinitz, Wolfgang et al. (Hgg.), Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen. Festschrift für Eduard Winter zum 70. Geburtstag. Berlin: Akademie: 774-780. Flora, J. (1928): Dr. Spina als Minister für öffentliche Arbeiten. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 24-27. Hübl, Karl (1928): Unser Gruß. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 4. Knauer, Alois (1957): Prof. Dr. Franz Spina. – In: Stifter-Jahrbuch 5. 47-60. Liewehr, Ferdinand (Hg.) (1929): Slavistische Studien. Franz Spina zum sechzigsten Geburtstag von seinen Schülern (= Veröffentlichungen der Slavistischen Arbeitsgemeinschaft an der Deutschen Universität in Prag, 5). Reichenberg. Rippl, Eugen (1928): Franz Spina im Spiegelbilde der tschechischen Presse. – In: Slawistische Schulblätter 2/3-4, 1-3. Rotter, Adolf (1928): Franz Spina. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 5-16. Scholz, Hugo (1928): Franz Spina und seine Bauern. – In: Ders. (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 43-45. Scholz, Hugo (Hg.) (1928): Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B., Scholle.

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Klaas-Hinrich Ehlers

Spina, Franz (1909): Beiträge zu den deutsch-slawischen Literaturbeziehungen 1. Die alt­ tschechische Schelmenzunft ‚Frantova Práva‘ (= Prager deutsche Studien, 13). Prag: Bellmann. Stowitschek, Franz (1928): Der getreue Eckart seiner Schüler. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 31-34. Toman, Jindřich (Hrsg.) (1994): Letters and Other Materials from the Moscow and Prague Linguistic Circles 1912-1945. Ann Arbor/Mich.: Michigan Slavic Publications. Weiszsäcker, Wilhelm (1940): Kurze Geschichte der deutschen Hochschulen in Prag. – In: Hochschulführer für das Protektorat Böhmen, Mähren und den Sudetengau. Hrsg. von den Studentenwerken Prag, Brünn und Tetschen-Liebwerd. Prag, 40-51. Wolmar, Wolfgang Wolfram von (1943): Prag und das Reich. 600 Jahre Kampf deutscher Studenten. Dresden: Franz Müller. Zeil, Wilhelm (1986): Gerhard Gesemann – Slawist und Förderer deutsch-slawischer Wechselseitigkeit. – In: Zeitschrift für Slawistik 31/5, 730-736. Zeil, Wilhelm (1993): Spina, Franz. – In: Eichler, Ernst et al. (Hgg.), Slawistik in Deutschland von den Anfängen bis 1945. Ein biographisches Lexikon. Bautzen: Domowina: 474-476. Zierhut, Wolfgang (1928): Dr. Spina als Politiker und Führer des deutschen Landvolkes. – In: Scholz, Hugo (Hg.), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Herausgegeben anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i. B.: Scholle, 17-22.

Václav Petrbok

Von der ‚Beamtenfrage‘ zur ‚Milderung der Schroffheit der nationalen Kämpfe‘. Voraussetzungen, Entwicklung und Wirkung von Franz Spinas Engagement in schulpolitischen Fragen vor dem Ersten Weltkrieg1

Hochgeehrter Herr Professor! […] Unter den Programmen des Jahres 1896 bemerke ich folgende germanistischen Inhaltes: [...] Krejčí: Heliand a jeho poměr k Tatianovi (Heliand und sein Verhältnis zum Tatian), Czech. Gymnas. Kleinseite. Wenn Sie, hochgeehrter Herr Professor, über ein oder was andern Programm eine Notiz wünschten, so bitte ich um gütige Verständigung. Ich erlaube mir ferner zu bemerken, daß ich des Czechischen soweit mächtig bin, um über Zeitungen, die im Czechischen geschrieben sind, referieren zu können.

Dies schrieb Franz Spina an August Sauer aus Mährisch Neustadt [Uničov] im Oktober 1896.2 Aus den noch nicht veröffentlichten Briefen Spinas an Sauer ist Spinas allmähliches, jedoch zielbewusstes Engagement in der fachlichen, pädagogischen sowie schulpolitischen Problematik in bohemicis ersichtlich, öfter noch in statu nascendi, vor ihren publizistischen Veröffentlichungen. Obwohl Sauers Briefe in Spinas Nachlass nach dem Krieg vernichtet wurden, kann man aufgrund der Briefe Spinas auch die engagierte Stellung seines Lehrers August Sauer bemerken, seine manchmal initiative und immer unterstützende Rolle bei Aktivitäten des ersten Universitätsbohemisten und deutschen Politikers aus der Tschechoslowakei an der Prager deutschen Universität. Das bezeugt auch die Tatsache, dass die schulpolitischen Artikel, deren Analyse Ziel meiner Studie ist,3 in der führenden Zeitschrift der Deutschböhmen, 1  Für Quellenhinweise, Redaktion, Gespräche und andere Unterstützung danke ich Hana Klínková (Praha), Martin Mutschler (Tübingen u. Leonberg), Tilman Berger (Tübingen), Gerhard Trapp (München) und Marcel Atze (Wien). 2  Franz Spina an August Sauer, Mährisch Neustadt, 29.10.1896 (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 166.443). 3  Die informativen Artikel Spinas mit brisanter Thematik, und zwar über Niederles Buch Die neueste Statistik des Slawentums (Spina 1909/10b), wo er besonders Angaben über den „Differenzierungsprozeß des slavischen Gesamtkörper[s]“ macht, und die zweiteilige Abhandlung über die Sokol-Bewegung (Spina 1913/14a), wo er „auch vom Gegner lernen und Gegenvorkehrung zum Vorteil unseres Volkes treffen will“, beziehe ich nicht in mei-

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der Deutschen Arbeit, erschienen, die auf hohem Niveau – auch von tschechischer Seite anerkannt – von August Sauer gestaltet und redigiert wurde. In der Studie wird versucht, auf die folgenden zwei Fragestellungen zu antworten: 1) Welche Voraussetzungen haben dazu beigetragen, dass Franz Spina einer der profiliertesten und auf deutschböhmischer Seite auch einer der kompetentesten Teilnehmer an der deutsch-tschechischen Diskussion um die heikle Problematik des Schulwesens geworden ist? 2) In welchem Kontext und durch welche Spezifika zeichnen sich die schulpolitischen Artikel Spinas aus? Welche Wirkung haben sie gezeigt?

I.

Wie bekannt, wurde Franz Spina im mährischen Türnau [Trnávka] (1918 zusammen mit Alt Türnau [Stará Trnávka] in Markt Türnau [Městečko Trnávka] zusammengefasst) im Olmützer Kreis, Landkreis Mährisch Trübau, am 5. Oktober 1868 in die Familie eines Metzgers und Bauern geboren.4 Markt Türnau ne Analyse ein. Sie behandeln das Schulwesen nur indirekt, aber sie sind auf jeden Fall ein integraler Teil seiner schulpolitischen Erwägungen und ergänzen sie mit Argumenten meistens statistischer Provenienz. Nur an dieser Stelle soll auf den Artikel über die „Kulturgeographie“ und Kulturgeschichte der Tschechen und die Voraussetzungen der historischen Entwicklung ihrer Literatur (Spina 1914) hin­gewiesen werden. Der Artikel entwickelt nämlich frühere Überlegungen Spinas auf höherem Niveau weiter – die Notwendigkeit der entsprechenden Sprachkenntnis als Voraussetzung kultureller Vermittlung wird hier sozusagen ‚conditio sine qua non‘ („schon die nächsten praktischen Bedürfnisse der beiden unabänderlich aufeinander angewiesenen Nachbarn in den Sudetenländern verlangen die gegenseitige Kenntnis der Sprachen, des wirtschaftlichen, nationalen und kulturellen Lebens“, Spina 1914: 416). – Fast programmatisch und mobilisierend klingt sein Aufruf unter dem Einfluss der tschechischen Statistikangaben über die Einwohnerzahl einiger mährischer Städte, der am Anfang des Krieges veröffentlicht wurde: „Dürfen da wir Deutschen in der kronlandsmäßigen Eigenbrödelei weiterverharren oder müssen auch wir endlich eine ‚sudetendeutsche‘ National- und Kulturpolitik betreiben an Stelle unsrer bisherigen deutschböhmischen, deutschmährischen und deutschschlesischen?“ (Spina 1913/14b: 643, Herv. i. O.). U. a. zu seinem Sokol-Artikel s. eine aufmerksame Erwähnung von Otokar Fischer (1941: 1). 4  Zum Lebenslauf von Spina und weiterführender Literatur siehe vor allem die Stichwörter in der Neuen deutschen Biographie (Luft 2010), im Österreichischen Biographischen Lexikon (Spurný

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galt in den Jugendjahren Spinas als zweisprachige Gemeinde. Spina ging in die damals immer noch utraquistische Gemeindeschule und trat 1879 in das deutsche Staatsrealgymnasium von Mährisch Trübau ein, dem einst als mährisches Athen bezeichneten Renaissancesitz der Grafen von Žerotín. Hier knüpfte er langjährige Freundschaften, vor allem zu dem späteren Wanderlehrer, Politiker, Volksbildner und tschechoslowakischen Senator für die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (1933 ausgetreten) Franz Jesser (18691954). Mit ihm und weiteren „gewecktesten Schülern dieser Anstalt“ gehörte er einem Lese- und Diskutierklub an, wo u. a. Schriften von Engelbert Pernersdorfer gelesen wurden, „durch welche unser Interesse für die Politik nicht bloß geweckt, sondern mächtig in Bewegung gesetzt wurde“ (Jesser 1983: 21). Ob Spina dabei auch das Tschechische als nicht obligatorischen Lehrgegenstand lernte, konnte nicht festgestellt werden. Seine Jugenderlebnisse aus diesem zweisprachigen Milieu haben entscheidend die Überlegungen zur Wahl seiner Studienfächer sowie auch die Gestaltung seiner politischen Überzeugungen bestimmt. Das Bestreben, „aus der rein physischen Symbiose eine geistige zu machen“, wie es sein Student, der spätere Kulturvermittler, Übersetzer und Publizist Paul Eisner (1929)5 später nannte, hatte den Ursprung in 2007), im Lexikon der deutschmährischen Schriftsteller (Krywalski 2006) und auch im Lexikon české literatury (Petrbok 2008). Über die Schulverhältnisse in Türnau in den 1870-1880er Jahren siehe Nekuda (2002: 628). Nicht zu unterschätzen wären auch die Erinnerungen einiger Freunde und/oder Kollegen Spinas (auf deutscher Seite); in ihnen finden sich oft anerkennende Erwähnungen auch über die Anfänge seiner bildungs- und kulturpolitischen Tätigkeit (Ullmann 1965: 28, 62; Jesser 1983: 21ff., 30, 77, 82, 86ff., 93, 101, 103ff., 107f., 119). Seine Schüler Paul Eisner (1896-1970) (Eisner 1928) und Johannes Urzidil (18891958) (Trapp 1992: 137) hielten Spina in guter Erinnerung, Josef Mühlberger (1903-1985) schrieb über ihn in seiner Tschechischen Literaturgeschichte (1970: 210): „Mein dankbares Gedenken gilt vor allem meinem Lehrer an der Prager de­utschen Universität, dem Slawisten Professor Dr. Franz Spina, der nicht nur ein vorbildlicher Wissenschaftler, sondern auch ein väterlicher Freund gewesen ist; nicht nur seine Kenntnisse, sondern auch seine Liebe zur tschechischen Dichtung hat er seinen Hörern vermittelt.“ Das heißt aber keinesfalls, wie es Mirek Němec (2007: 252) nahelegt, dass alle Schüler von Spina Verfechter der deutschen aktivistischen Politik wurden. Das war übrigens auch bei Walther Hensel (alias Julius Janiczek, 1887-1956) der Fall, seines Trübauer Schülers, Gründer des sogenannten Finkelsteiner Bundes, der nationalistisch geprägten Jugendmusikbewegung. – Zu Erinnerungen und Erwähnungen tschechischer Provenienz siehe des weiteren Anm 30-32. 5  In dieser Hinsicht klingen auch die Klagen und Prätentionen von Paul/Pavel Eisner gegenüber der Prager deutschen Slavistik kurz vor den Parlamentswahlen im Jahre 1935 symp­ tomatisch (Ort 1935). Eisner meinte, dass „Franz Spina [...] se znamenitým smyslem pro životnou vědu a životní praxi dovedl organisovati slovanské semináře, jenž zas a zas nabádal německý vědecký dorost, aby ‚chodil mezi (slovanský) lid.‘ [...] Působil vůbec po každé stránce tak, jak německý slavista v Praze působiti má. Stojí za zvláštní zmínku, že tak činil

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Václav Petrbok

der Heimat seines Lehrers, dem Schönhengstgau [Hřebečsko], für den er sich von Anfang seiner politischen Tätigkeit an einsetzte und für den er später ins Parlament gewählt wurde.6 1887 legte er die Matura ab und und diente als Einjährig-Freiwilliger in Wien. Zugleich besuchte er die Universitätsvorlesungen in Altphilologie, Germanistik und Philosophie. Er frequentierte auch Vatroslav Jagićs Vorlesungen in slavicis. Ein Jahr später starb Franz Spina der Ältere und sein Sohn musste nach Hause zurückkehren. Spina schrieb sich an der Prager deutschen Universität vor allem in die germanistischen Fächer bei Johann Kelle, Hans Lambel und dem neuen jungen Professor August Sauer ein, der erst zwei Jahre zuvor aus dem mehrsprachigen deutsch-slavischen Milieu, von der Universität Graz und aus dem bis kurz zuvor dreisprachigen Lemberg angekommen war, setzte aber auch seine Studien der Altphilologie bei Alois Rzach und der Volkskunde bei Adolf Hauffen fort. Eventuelle Besuche slavistischer oder bohemistischer Vorlesungen an der tschechischen Universität sind nicht belegt7 und již před převratem a za války. [...] Je nejlacinější pravdou na světě, že v čele pražské německé slavistiky by měl státi bohemista, a to bohemista nelinguista, tedy literární historik,­ jehož úkolem i ctižádostí by bylo tradovati české literární dějiny jakožto dějiny českého ducha. To zároveň znamená, že to sotva může býti kdo jiný než náš rodák. Čechoslovák.“ [mit ausgezeichnetem Sinn für die lebendige Wissenschaft und Lebenspraxis slavische Seminare organisierte, der immer wieder und wieder den deutschen wissenschaftlichen Nachwuchs anspornte, um ‚unter das (slavische) Volk zu gehen‘ [...] Er wirkte überhaupt, wie ein deutscher Slavist in Prag zu wirken hat. Es ist bemerkenswert, dass er so schon vor dem Umsturz und während des Krieges tätig war [...]. Es ist die evidenteste Wahrheit der Welt, dass ein Bohemist an der Spitze der Prager deutschen Slavistik stehen sollte, und zwar ein nicht linguistischer Bohemist, also ein Literaturhistoriker, dessen Aufgabe und Ambition die tschechische Literaturgeschichte als Geschichte des tschechischen Geistes sei. Das bedeutet zugleich, dass es kaum ein anderer sein kann als unser Landsmann. Ein Čechoslowake.] – In ähnlicher Weise wird das häufig benutzte Deutungsmuster „bäuerlicher“ Vernunft belegt, und zwar am Beispiel des nach nationaler Versöhnung strebenden tschechischen ­Agrarpolitikers und Finanzministers aus Mähren, Kuneš Sonntág (1878-1931), im Vergleich mit seinem Landsmann, dem Deutschmährer Franz Spina: „lidé z tohoto kraje mají mnoho z hanáckého klidu, který jim umožňuje dívat se velmi shovívavě na národnostní otázky“ (ad. 1931) [Die Leute aus dieser Gegend haben viel von der hannakischen Ruhe, die ihnen ermöglicht, nationale Fragen mit Nachsicht zu betrachten]. 6  Das zeigen Spinas Artikel in den angespannten Jahren 1918-20/21 (Spina 1918, 1921) sowie auch die publizistische Tätigkeit Franz Jessers (1918a, 1918b). In ihnen wurden die eher reservierten und skeptischen Stellungnahmen beider Autoren zum Anschluss des Schönhengstgaus an die geplante Provinz Deutschböhmen sichtbar (Bachmann 1976: 175f.). 7  Die Recherche der entsprechenden Inskriptionsbögen im Prager Universitätsarchiv liefert keinen Beleg. Auch in den ausführlichen Materialien zu seinem Lebenslauf gibt Spina keine Angaben über den Besuch der Seminare oder Vorträge an der Prager Tschechischen

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können als eher unwahrscheinlich gelten. An der deutschen­­Universität gab es bis 1902 keine entsprechenden Möglichkeiten. Seine Vorliebe für Philologie ist von seiner Inskription der klassischen Sprachen deutlich ablesbar. Schon im Wintersemester 1888/89 findet man also Spinas Namen bei Sauers Vorlesung Geschichte der deutschen Literatur im 16. Jahrhundert, u. a. auch zusammen mit Rudolf Fürst, dem späteren Germanisten und Literaturwissenschaftler.8 Vergleicht man die gedruckten Vorträge Sauers mit den von Spina inskribierten, sieht man, dass Spina fast alle Vorträge bis zum Ende seines Studiums 1891 besucht hat. Sauer hat ihn auch in die Methoden der niederen sowie höheren philologischen Textkritik eingeführt, die insbesondere bei den späteren Erforschungen der deutsch-tschechischen Literaturbeziehungen und damit verbundenen Editionsprojekten höchst angemessen waren und auf deren Grundlage er die Stellung der tschechischen Schriftkultur zu der deutschsprachigen besser beurteilen konnte. In dieser Hinsicht profilierten sich auch der Bibliograph und Bibliophile Alfred Rosenbaum (1861-1942), der schon erwähnte Literaturhistoriker und -kritiker Rudolf Fürst (1868-1923), der Stifter-Forscher und Verfasser einer Abhandlung über die Beziehung zwischen der deutschen und tschechischen Sprache und spätere Realschuldirektor in Aussig Johann/Hans Weyde (1870-1960), der Musikwissenschaftler, -kritiker und Übersetzer italienischer und tschechischer Libretti Richard Batka (18681922) oder Spiridion Wukadinović (1870-1938), der Kleist- und Goethe-Forscher, Sekretär im Prager Klementinum und später Germanist in Krakau und nicht zuletzt zeitweiliger Übersetzer aus dem Tschechischen (Alois Jirásek, Jaroslav Vrchlický) und Theaterreferent für einige tschechische Blätter (Divadelní list Máje [Das Theaterblatt des Vereins Máj]) war; alle waren sie Kommilitonen von Franz Spina. Die erste von Spina inskribierte Vorlesung Sauers betraf die Thematik des 16. Jahrhunderts und zeigt sein breites Interesse auch für die deutschtschechischen Literaturbeziehungen gerade im 16. Jahrhundert, später Spinas Universität. Erst nach 1905 besuchte er Erich Bernekers Vorlesungen zur Slavistik an der Deutschen Universität. 8  WienB (Nachlass August Sauer: Notizbücher IV, Prag, Wintersemester 1888/89); weiter besuchte Spina in demselben Jahr das Seminar Lecture und Interpretation ausgewählter Schriftsteller des 16. Jahrhunderts, im Sommersemester 1889 die Vorlesung Geschichte der deutschen Litteratur im 17. Jahrhundert und Geschichte der poetischen Theorie in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert. Die letzte Vorlesung bei Sauer hörte er im Sommersemester 1891, und zwar Schiller und Goethe 1795-1805. Das Seminar Stoff- und Quellen-Untersuchungen im Wintersemester 1891/92 frequentierte Spina mit dem späteren tschechischen Germanisten Jan Krejčí, der damals als außerordentlicher Hörer an der Prager deutschen Universität Germanistik studierte.

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­ abilitationsthema. Zweifellos war es August Sauer, der den jungen StudenH ten ermunterte – nachdem er seine bei der deutschsprachigen ­Studentenschaft nicht ganz üblichen sehr guten Tschechischkenntnisse bemerkt hatte­ –, den deutsch-tschechischen Beziehungen im Bereich der Sprache und Kultur weiter nachzugehen, die bis dahin an der Prager deutschen Universität fast nicht erforscht waren. Dem sensiblen Studenten entging in seinen Prager Studienjahren jedoch sicher nicht „das reinigende Gewitter des Handschriftensturms“ (Spina 1914: 418), nämlich der Konflikt in der tschechischen Öffentlichkeit um die Echtheit der Königinhofer und Grünberger Handschrift mit all seinen Konsequenzen für das politische, kulturelle und wissenschaftliche Leben, in dessen Folge sich ein neues Objektivitätsideal in den philologischen und historischen Disziplinen durchzusetzen begann, das nicht mehr bereit war, wissenschaftliche Erkenntnis den Bedürfnissen der nationalen Frage unterzuordnen. Zu dieser Thematik kehrte Spina dreißig Jahre später zurück,9 wobei er aus seinen Erfahrungen als Student, aber auch aus dem Respekt schöpfte, den er gegenüber der konstitutionellen Realistischen Partei Tomáš Garrigue Masaryks mit ihren pragmatischen Vorschlägen zur Lösung der Nationalitätenfrage in den böhmischen Ländern hatte. Wie Spina später erklärte, war ihm die Čas [Zeit] ein unentbehrlicher Wegweiser im tschechischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben.10 Aber auch die Lage der tschechischen Geschichtswissenschaft verfolgte er aufmerksam und war über sie gut informiert, was u. a. seine spätere Stellungnahme zum Streit über die Bibliographie české historie [Bibliographie der böhmischen Geschichte]seines guten Bekannten Čeněk Zíbrt beweist (Spina 1907). Spina entschloss sich zur Karriere eines Gymnasialprofessors, ähnlich wie die Mehrheit der Studenten Sauers und vergleichbar mit den tschechischen­ 9  Spina wusste die epochale Wende der Denkart bei der tschechischen Intelligenz (Jan Gebauer, Tomáš Garrigue Masaryk, Jaroslav Goll u. a.) bei der Beseitigung der Echtheit der angeblichen mittelalterlichen ‚Denkmäler‘ zu würdigen, da er ihre konstitutive Rolle bei der Herausbildung der tschechischen nationalen Bewegung und Literatur erkannte. Mit feinem Sinn für Unterschiede konnte er auch die Handschriften als künstlerisch wertvolle Merkmale tschechischer Dichtung des frühen 19. Jahrhunderts im deutschen Kontext rehabilitieren (Spina 1912/13, 1915, 1918). Über diese kulturpolitisch brisante Problematik hielt er auch öfters Vorträge (u.a. Zum Ausklang des tschechischen Handschriftenstreites, 13.06.1911, Deutsche Gesellschaft für Altertumskunde; Noch einmal die tschechischen Handschriften, 21.05.1912). 10  In einem Schreiben vom 06.11.1929 an den Germanisten und engen Mitarbeiter T. G. Masaryks, dem Herausgeber der Čechischen Revue, Arnošt Vilém Kraus schrieb Spina ausdrücklich, dass es dessen Zeitschrift sowie „vorwiegend der Čas und sein Kreis“ gewesen seien, die seinem „nach Erkenntnis tschechischer Kultur, Wirtschaft [und] Politik gerichteten Streben“ Leitbild wurden (zit. nach Hoffmann 1988: 410ff.).

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Studenten Jan Gebauers, wie den literaturwissenschaftlich orientierten Bohemisten Josef Hanuš (1862-1941) oder Jaroslav Vlček (1860-1930), ­beziehungsweise ihren germanistisch orientierten Universitätskollegen Arnošt Kraus (1859-1943) oder Jan Krejčí (1868-1942). Sein Kapital, die sehr guten Tschechischkenntnisse, wollte Spina natürlich weiter nutzen. 1892 legte er die Lehramtsprüfungen in Deutsch als Hauptfach und den klassischen Sprachen als Nebenfach ab. In seiner ersten Anstellung an dem Stiftsgymnasium in Braunau i. B. [Broumov] lehrte er als Supplent nur Deutsch. In Braunau gewann er mehrere jüngere Freunde, was das Zeugnis des P. Dominik Prokop OSB (1890-1969) in Spinas Jubiläumsbuch 1928 belegt. Im Braunauer Stiftsgymnasium wurde Tschechisch als nichtobligater Lehrgegenstand unterrichtet. Diese traditionelle Bildungsstätte der tschechischsprachigen Jugend aus Nordostböhmen verlor zwar ab den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts an Bedeutung, doch wurden auch hier einige tschechischsprachige Knaben unterrichtet, während ihre deutschsprachigen Kommilitonen die Möglichkeit hatten – aus utilitaristischen Gründen –, ihre Tschechischkenntnisse zu vertiefen, durchaus mit Erfolg, wie die Jahresberichte belegen. Wahrscheinlich spielten dabei die Bedürfnisse des zweisprachigen und im gewissen Maße immer noch übernationalen Milieus des Klosters Břevnov-Braunau eine wichtige Rolle. Drei Jahre später, im Jahre 1896, wurde Spina als Gymnasiallehrer in das Landes-Unter- und Kommunal-Obergymnasium in Mährisch Neustadt versetzt. Er befasste sich – neben seinen schon in Braunau begonnenen germanistischen Studien auf dem Gebiet der Versologie – mit der Veröffentlichung älterer literarischer ‚Denkmäler‘ und mit der Reform der deutschen Schullektüre. Diese Leistungen weisen auf seine ab den Prager Studentenjahren erkennbaren akademischen Ambitionen. Aus Spinas Briefen an Sauer geht hervor, dass er nicht nur die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der deutschböhmischen und auch tschechischen Germanistik, Volkskunde und Altbohemistik systematisch beobachtete, sondern auch der führenden germanistischen Zeitschrift Euphorion entsprechende Beurteilungen für die annotierte Bibliographie der Veröffentlichungen auf dem Gebiet der neueren germanischen Philologie anbot und er ab dieser Zeit sozusagen als Agent in bohemicis und slavicis Sauer unterstützte. So erwähnte er explizit seine tschechischen Quellen bei der Edition der Werke Theobald Hocks,11 des ersten deutschsprachigen Barockdichters, der in den Diensten Peter Woks von Rosenberg 11  „Ich habe den größten Theil dieser tschechischen Quellen aufgelesen und muß sagen, daß Koch genau gearbeitet hat“ (WienB, Nachlass A. Sauer: 25.11.1900, H. I. N. 166.445). Es geht um die Edition Theobald Hocks (1899).

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gestanden hatte. Sauer wusste dies zu würdigen. Im Juli 1901 wurde Spina promoviert und gleich danach an das Staatsgymnasium in Mährisch Trübau [Moravská Třebová] entsandt, wo er von 1901-05 wirkte. Die erneuten Erfahrungen in seiner einstigen Gymnasialstadt, wo er nun selbst Professor war, eröffneten ihm weitere Möglichkeiten, den wissenschaftlichen Charakter der benachbarten tschechischsprachigen Gegend, „des östlichsten Böhmens“, zu studieren.­ Ich schreibe Ihnen diese Zeilen in meiner Heimat, die am Südrand der größten deutschen Sprachinsel Cisleithaniens gelegen ist. [...] Am Ort der dereinstigen Herrlichkeit der mährischen Renaissancekultur, an der Slaven, Deutsche und Romanen Anteil hatten, tobt heute ein heftiger Nationalitätenkampf.

So schrieb er im Dezember 1909 an seinen Landsmann, den jungen tschechischen Literaturkritiker und -historiker Arne Novák (1880-1939).12 Dabei wusste er Novák gegenüber, in einer berührenden Passage ihres Briefwechsels, einer Art Konfession zu ihrer Heimat, auch seine Ehrung der volkskundlichen Beiträge und des belletristischen Werkes von Nováks Mutter Teréza Nováková (1853-1912) auszudrücken. Spinas Leistungen im Bereich der Volkskunde in der Mährisch-Neustädter Zeit zeigen Parallelen zu den Arbeiten von August Sauer, der sich in besonderer Weise den Beziehungen zwischen Literaturgeschichte und Volkskunde widmete und auch Spina in seiner berühmten Rektoratsrede würdigte. Dabei erhielt Spina Unterstützung durch den Trübauer Bürgerschullehrer Alois Czerny (1847-1917). Mit ihm gründete Spina die Zeitschrift Mitteilungen zur Volkskunde des Schönhengster Landes, in der er zahlreiche Beiträge über die Schönhengster Mundart sowie weitere Aufzeichnungen von Liedern und Sagen veröffentlichte. Als Vertreter des deutschmährischen Ausschusses nahm er an der Sitzung des Arbeitsausschusses zur Sammlung und Herausgabe des deutschen Liedes in Böhmen teil (Anonym 1906d). Ferner widmete er der Toponomastik seine Aufmerksamkeit. Diese Arbeit – der er bis zum Jahre 1917 treu blieb – bereitete ihn auf seine komparatistischen (philologischen) deutsch-tschechischen Forschungen vor und sensibilisierte ihn für die Regionalkultur und ihre Berührung mit der (benachbarten) andersspra12  Franz Spina an Arne Novák, Türnau, 22.12.1909 (LA PNP: fond Arne Novák, korespondence přijatá). Spina trat auch als Übersetzer auf: Er verhandelte mit Novák die Übersetzung der Erzählung Před pohřbem [Vor dem Begräbnis] (1898) aus der Sammlung Úlomky žuly [Granitblöcke] (1902) seiner Mutter, Schriftstellerin, Volkskundlerin und Wegbereiterin der Frauenbewegung Teréza Nováková (1853-1912) (LA PNP, fond Arne Novák: korespondence přijatá, Franz Spina an Arne Novák, [Königl. Weinberge], Manesgasse 47, 03.11.1913).

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chigen Umgebung.13 Am Gymnasium lehrte er damals schon Tschechisch als ­Wahlfach.

II.

Als Grund, 1905 nach Prag zurückzukehren, lässt sich die von Sauer angebotene Möglichkeit wissenschaftlichen Arbeitens bestimmen. Spina wusste um die Notwendigkeit von Tschechischunterricht an den deutschsprachigen Mittelschulen Mährens.14 Er entschied sich, einen Artikel zum Thema (Spina 1905/06) zu verfassen, ganz im Sinne des späteren Appells seines Universitätslehrers Sauer: Deutsche, lernt tschechisch! Die Prager deutsche Universität hatte seit der Teilung der gesamten Universität im Jahre 1881 keinen Lehrstuhl für slavische – geschweige denn für bohemistische – Philologie eingerichtet, im Unterschied zur tschechischen Universität, wo germanistische Studien ab 1882 systematisch gepflegt wurden. 1897, als sich die deutsch-tschechischen Beziehungen in der Ära Badeni massiv verschlechterten, lehnten die Professoren der Prager deutschen Universität – August Sauer eingeschlossen – die Einrichtung eines tschechischen Lektorats entschieden ab (Anonym 1897).15 Die Kennt13  Zur Geschichte der Schönhengster Volkskundeforschung s. Korkisch (1982: 9-15), zu Czerny s. Martínková/Šmeral (2007). Interessant sind Spinas toponomastische und etymologische Forschungen (Janko 1921: 142; Sandbach 1921: 8). 14  Offensichtlich hatte sich Spina schon früher mit dem Thema beschäftigt, so im Schreiben an August Sauer vom 12. Mai 1904: „Momentan arbeite ich an der Frage: soll unsere deutsche Mittelschuljugend tschechisch lernen? Ich habe in diesen für unsere deutsche Beamtenschaft so unangenehm wichtigen Fragen einige Erfahrung gesammelt – seit 2 Jahren muß ich als des Tschechischen Kundiger Deutschen 4 Stunden wöchentlich Unterricht geben! – Die N[eue]. F[reie]. Presse hat sich im Prinzip zur Aufnahme des Artikels bereits erklärt [es gelang nicht, den Artikel in der Zeitung zu finden, VP]. [...] Die Sache wird freilich sehr ketzerisch gegen unsere ‚Institutionen ausfallen‘, allein man erträgt eben ein freies Wort, wenn es nur begründet wird.“ (WienB, Nachlass A. Sauer: H. I. N. 164.695, Franz Spina an August Sauer, Mähr. Trübau 12.05.1904) 15  Zur Problematik des Spracherwerbs und -unterrichts an den böhmischen und mährischen Schulen und der damit zusammenhängenden Sprachpolitik um die Jahrhundertwende gibt es eine umfangreiche Literatur. Hier sei nur auf Burger (1996: 37-46), Luft (2000), Binder/ Křivohlavá/Velek (2003), Bláhová/Petrbok (2004), Zahra (2005, 2008), Nekula/Fleischmann/Greule (2007) und Stöhr (2010) verwiesen. Über das Engagement von Spina findet

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nis westslavischer Sprach- und Kulturentwicklung war aber für die deutschsprachigen Studenten Böhmens und Mährens zunehmend von Nutzen. Vor allem fehlten um die Jahrhundertwende Lehrkräfte für die deutschsprachigen mährischen Realschulen, denn gerade in Mähren kam es zu grundlegenden Änderungen bezüglich des Unterrichts der zweiten Landessprache, und zwar durch einen Erlass des Ministeriums für Kultur und Bildung (Nr. 15641 vom 27. Mai 1895) mit dem ein Gesetz der mährischen Landesversammlung über den verpflichtenden Unterricht der zweiten Landessprache an allen Realschulen umgesetzt wurde. Mangels Lehrkräften mussten tschechische Lehrer an mährische Realschulen entsandt werden. Erst 1902 erhielt die Prager deutsche Universität ein Extraordinariat für vergleichende Sprachwissenschaft, das mit Erich Berneker (1874-1937) besetzt wurde. Vorlesungen über slavische Philologie wurden nun im Rahmen der Indogermanistik abgehalten. Spina wurde 1905 an dem deutschen Staatsrealgymnasium in den Königlichen Weinbergen angestellt und besuchte – wie schon erwähnt – Bernekers slavistische Vorlesungen. In diesem für seine weitere Karriere entscheidenden Jahr kam es zum Abschluss des sogenannten Mährischen Ausgleichs einschließlich der damit verbundenen Lex Perek (Marek 2005). Dadurch wurde die erwähnte Anordnung über den verpflichtenden Unterricht der zweiten Landessprache im Erlass des Ministeriums für Kultur und Bildung Nr. 9789 auch auf die mährischen Gymnasien erweitert. Diese Gründe bewegten die Prager deutsche Universität, die Einrichtung eines Lektorats für Tschechisch zu fordern. Nach Šimeček (1991: 368) war es Erich Berneker, Professor und damaliger Prüfer für Tschechisch in der Prüfungskommission der deutschen Universität für Lehramtskandidaten an Gymnasien und Realschulen, der im Jahre 1905 den Vorschlag einbrachte, ein Lektorat für tschechische Sprache einzurichten. Auch dank der eingehenden Quellenforschungen Zdeněk Šimečeks (1988, 1989, 1994) sind wir über die Einrichtung des Lektorats an der Prager deutschen Universität und dessen Besetzung mit Franz Spina im Jahre 1906 sehr gut informiert. August Sauers persönliches wie berufliches Engagement in dieser Angelegenheit ist dabei umstritten. Es gibt einige – jedoch unbelegte – Hinweise auf Sauers Engagement, die der ostdeutsche Slavist Rudolf Fischer (1962) in seiner Studie über Reinhold Trautmann anführt, während laut Šimeček Berneker „den entscheidenden Einfluss“ auf Franz Spina ausübte. Eine nicht unwichtige Rolle Sauers bestätigt jedoch indirekt ein Auszug aus einem Schreiben Spinas: man jedoch lediglich einzelne Anmerkungen (Köpplová 2000: 168); am ausführlichsten zuletzt Godau (2010: 181ff.).

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Hochverehrter Herr Professor! Einige Geschäfte werden mich Samstag kommender Woche (21. d. M.) auf 2 Tage nach Prag führen. Ich wäre überglücklich, wenn der so gütige Vorschlag Ihres letzten Briefes, der mich so sehr erfreut hat, Wirklichkeit würde und mir statt eines knappen Besuchsstündleins ein Abend in Ihrer Gesellschaft zuteil würde.16

Die Einrichtung des Lektorats für Bohemistik wurde auch von der Studentenschaft verlangt, die darin eine Verbesserung ihrer beruflichen ­Möglichkeiten sah und dabei vom Deutschen Volksrat in Böhmen unterstützt wurde. Ferner spielten die wissenschaftlichen Interessen der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur sowie der zunehmende wissenschaftliche Wettbewerb mit der tschechischen Volkskunde und Philologie eine gewisse Rolle. Das Tschechisch-Lektorat erhielt Spina durch Erlass des Ministeriums für Kultur und Unterricht (Z. 14988) vom 16. September 1906.17 Spezielle Kurse des Tschechischen, besonders für Juristen, wurden auch von weiteren deutschen Gewerkschafts- sowie Interessenvereinen organisiert, z.  B. wurde von dem Deutschen Verein für Volkskunde und Linguistik ein „dreimonatiger volkstümlicher tschechischer Sprachkurs“ für Deutsche angeboten, die der Gerichtsreferendar beim Oberlandesgericht JUDr. Anton Gustav Fuchs (1877-1923) und der Lehrer am Altstädter Gymnasium Dr. Hugo Ostermann (1856-1940) leiteten (Anonym 1906b). Auch die Studenten der Prager deutschen TU konnten Tschechischkurse in zwei Abteilungen besuchen, die von Josef Quaisser, Regierungsrat und späterer Direktor der deutschen Lehrerbildungsanstalt in Prag (1856-1932), geleitet wurden. Unmittelbar nach der Einrichtung des Lektorats folgte der Mahnruf Deutsche, lernt tschechisch!

III.

Viele deutsche und tschechische Politiker, Pädagogen und Kulturschaffende aus Böhmen verfolgten die Vorbereitungen des mährischen Ausgleichs und seine Folgen für den Unterricht in der zweiten Landessprache mit großer 16  WienB (Nachlass A. Sauer: H. I. N. 164.696, Franz Spina an August Sauer, 14.1.1905). 17  Seine Ernennung wurde in mehreren deutschsprachigen sowie tschechischen Blättern veröffentlicht (etwa Čas, 08.10.1906, Nr. 277: 3; Národní politika, 07.10.1906, Nr. 276: 4; Ranní Lidové noviny, 07.10.1906, Nr. 277: 1).

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Aufmerksamkeit. Auch Spina ist hier keine Ausnahme. Schon Ende Dezember 1905 schreibt er über den geplanten Artikel an August Sauer: Je länger ich über die Frage der Förderung des deutschen Beamtennachwuchses nachdenke, je mehr komme ich – auch unter dem Eindruck des Ulbricht’schen Artikels in der Bohemia vom 24. December18 – zur Überzeugung, dass die Aktion über den Rahmen der philosophischen Fakultät wird hinausgreifen müssen. Ich meine, die rein praktischen tschechischen Lektorenkurse werden nicht nur für die künftigen Lehrer des Tschechischen an deutschen Mittelschulen bestimmt sein dürfen, derer sich vorläufig einst nicht zu viele melden dürften, sondern auch für deutsche Juristen, Mediziner, Techniker. Hauptgesichtspunkt für die Aktion der Fakultät muß ja die Heranbildung eines Stammes von deutschen Mittelschullehrern bleiben. [...]. Das ist aber Zukunftsmusik, und ich glaube nicht zu hoch zu greifen, wenn ich den Eintritt dieses erfreulichen Vorschritts nach einem oder anderthalb Jahrzehnten ansetze. [...] Sollen unsere künftigen juristischen Beamten, Ingenieure [...], die jetzt noch Hörer sind, erfolgreich mit den Absolventen der tschechischen Universität konkurrieren, so muß ihnen Gelegenheit geboten werden, an der Universität wenigstens zum Dienstgebrauch genügende tschechische Sprachkenntnisse zu erwerben. Dann wird sich besonders im gemischtsprachigen Gebiet, wo die slawische Invasion am gefährlichsten ist, mancher Posten in naher Zukunft schon mit einem Deutschen besetzen lassen, während ihn jetzt naturgemäß ein Tscheche bekommt.19

In seinem Beitrag Die Erlernung des Tschechischen in unseren deutschen Lehranstalten mit dem Untertitel Zugleich ein Beitrag zu unserer Beamtenfrage, abgedruckt in der Rubrik Sprechsaal – Unter Verantwortung des Einsenders vom März 1906 – also noch während seiner Bewerbung –, gab er eine komplexe historische Übersicht über die nationalen Verhältnisse im Industrie-, Schul- und Beamtenwesen der böhmischen Länder und kam zu dem Schluss, dass „heute dem einsprachigen deutschen Beamten kein Gebiet des Reiches mehr rein vorbehalten ist.“ Im Duktus des zeittypischen historisch und biologisch geprägten Kampfdiskurses betonte Spina die Wichtigkeit der Beamtenfrage, verzichtete jedoch auf aggressiven nationalistischen Chauvinismus: Die Beamtenfrage ist aber ein sehr wichtiges Vehikel der nationalen Eroberung. [...] Realpolitisch betrachtet ist die Beamtenfrage eine Teilerscheinung jener natürlichen gewaltigen Expansion, die das tschechische Volk nach seiner Wiedererweckung, durch seine stärkere Vermehrung auszuüben vermocht hat. (Spina 1905/06: 438f.)

18  Im Artikel des Juristen, Hofrats und früheren Rektors der Prager deutschen Universität, Joseph Ulbricht (1843-1910), Die Ausgestaltung der deutschen Universität in Prag (Ulbricht 1905) wurde explizit der „bereits früher [...] behandelte Plan der Errichtung des Institutes für moderne Sprachen“ erwähnt. 19  Franz Spina an August Sauer, Mährisch Trübau 29.12.1905 (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 164. 699).

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Spina war sich auch der Folgen des Industrialisierung bewusst: „Unterstüt­ zend­ traten zur Überzahl der slawischen Bevölkerung wirtschaftliche Momente“, ­betonte er, während er nüchtern die politischen Leistungen des „nationalen Gegners“ konstatierte. Dabei plädierte er für die Kenntnis des Tschechischen:­ Eine gesteigerte Kenntnis der tschechischen Sprache wird über den unfehlbar eintretenden praktischen Erfolg hinaus segensreich wirken. Gewiß würde der nationale Kampf minder schroffe Formen annehmen, wenn der Deutsche seinen nationalen Konkurrenten versteht, wenn er persönlich ihm gegenüber nicht mehr stumm (‚němec‘) ist. Die von intransigenten Parteien beliebte nationale Überhebung würde auf beiden Seiten auf ein gerechteres Maß herabgeführt. (Spina 1905/06: 442)

Im positiven Sinne hatte Spina auf den vier Monate früher auch in der Deutschen Arbeit veröffentlichten Artikel Sauers Eine deutsch-böhmische Biographie mit einigen „Probesätzen“ über die Uninformiertheit der Deutschböhmen über ihre unmittelbaren Nachbarn reagiert.20 Über das geplante, jedoch nicht verwirklichte biographische Werk schrieb Sauer: Man könnte das Werk auch auf die Angehörigen der tschechischen Nation ausdehnen, soweit sie im Lande gewirkt haben, und es wäre durchaus nicht von Übel, wenn man über die tschechischen Dichter, Schriftsteller und Künstler objektive Berichte von berufenen Männern unseres eigenen Volkes erhielte. (Sauer 1905/06: 115)

Aber realistisch fügte er gleich hinzu: Aber abgesehen davon, daß die Mitarbeiter für diesen Teil des Werkes sehr dünn gesät sind und sehr schwer zu gewinnen wären, würde das Werk dadurch nur zu leicht einen ganz veränderten Charakter erhalten. (Sauer 1905/06: 115)

Einen potenziellen Mitarbeiter hatte Sauer jedoch seit mehreren Jahren zur Hand: Franz Spina. Ganz gewiss half diese Veröffentlichung Spina zu seiner Anstellung an der Universität. Der Widerhall in der reichsdeutschen und deutschösterreichischen Presse war wohlwollend, die tschechische Presse ­reagierte reserviert.21 Die letzten Sätze Spinas, einige von der deutschböhmi20  Spina unterstützte Sauer auch in seiner Bemühung um die Errichtung eines ‚deutschen‘ Teils der Prager Nationalbibliothek (Beitrag in der Vortragsrunde des Vereins Deutsche Mittelschule 17.01.1906 (Anonym 1906c). 21  Etwa Resch (1906/07: 62); nach Korodi (1907) fand der Appell seine Zustimmung auch in der Steiermark, „wo die nationalen Gegensätze zwischen Deutschen und Slowenen nicht minder scharf sind.“ In der Bohemia vom 01.03.1906 heißt es: „Spina in temperamenter Weise tritt für die Erlernung des Tschechischen an den deutschen Lehranstalten Böhmens ein“ (Anonym 1906c). Auch in der Mährisch Trübauer Schönhengster Zeitung (1906, Nr. 21. u. Nr. 23) oder in der Berliner Täglichen Rundschau (12.04.1906) findet man den Abdruck einiger Passagen aus Spinas Artikel mit Kommentar. In der

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schen politischen und kulturellen Elite wohl nicht allzu gern eingestandene Parolen, lösten bemerkenswerterweise in beiden Lagern Polemiken gegen seine Schlussfolgerungen aus. Nach Spina würde das, was als Mittel im nationalen Kampfe einsetzt, zu einer Kulturtat werden, indem es zwei aufeinander angewiesene Völker einander näher bringt. Nur müssen unsere nationalen Gegner endlich einsehen, daß es sich unserer Jugend mit der Waffe der Sprache nicht um Eroberung, sondern um Schutz des eigenen Gebietes handelt. (Spina 1905/06: 442)

IV.

Spina propagierte unermüdlich – im Sinne August Sauers und weiterer deutscher Politiker Böhmens, etwa des Obmanns des Deutschen Volksrats für Böhmen, Wenzel Titta (1863-1923) – unter der genannten Parole Deutsche, lernt Tschechisch! 22 den Tschechischunterricht an der Prager deutschen Univert­ schechischen Presse s. etwa Žďár [Brand] (14.04.1906: 3). Zum weiteren Nachhall siehe Petrbok (2007). 22  Für den Abdruck des ersten Teil des Flugblatts zusammen mit einem Kommentar aus dem Monatsblatt Das Deutschtum im Auslande s. Anonym (1906/07). Das Flugblatt wurde in der deutschböhmischen, reichsdeutschen und österreichischen sowie auch in der tschechischen Presse öfters interpretiert. Die Čas vom 03.10.1906 (Anonym 1906j) z. B. berichtete mit Sympathie von positiven Stimmen aus der deutschen Presse; die Neue Freie Presse am 22.09.1906 (Anonym 1906e) meinte: „Ob auch der nationale Kampf an Schärfe verlieren wird, muß abgewartet werden. Vorläufig ist die Erlernung der czechischen Sprache als ein Mittel für die Deutschen gedacht, sie zu diesem Kampfe stärker und geschickter zu machen. Es ist jedoch sicherlich auch nicht ausgeschlossen, daß, wenn die beiden Stämme sich erst besser verstehen, sie sich auch leichter verständigen werden“. Viktor Ruß schrieb im Prager Tagblatt (23.09.1906): „Der gewaltsame, rein formale, häufig abträgliche, manchmal sogar absichtlich verletzende Gebrauch des slavischen Idioms [...] verliert ganz und gar seinen Sinn. Hat die deutsche Jugend, wie der Volksrat glaubt, die gleiche Empfindung wie er, und haben die deutschen Eltern die gleichen, in Handlungen umzusetzenden Ueberzeugungen, so datiert vom heutigen Tage eine neue Epoche“. Die alttschechische Zeitung Politik vom 22.09.1906 (Anonym 1906f) hingegen betonte nüchtern die Entstehungsgründe, und zwar dass „der Deutsche Volksrat weiß, daß zwischen heute und früher eine große geschichtliche Tatsache liegt, nämlich das Verschwinden der deutschen Majorität aus dem Reichsrate.“ Die führende tschechische Zeitung der jungtschechischen Partei, Národní listy [Nationale Blätter] vom 23.09.1906 (Anonym 1906h) rief zuerst den deutschen Wider-

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sität und damit indirekt auch an den Mittelschulen der böhmischen Länder. Unzweifelhaft hat der Artikel Spinas Argumente für den Mahnruf geliefert, wenn diesen nicht sogar inspiriert. Im April 1907, in der Zeit der finanziellen Konflikte der deutschen Universität mit ihrer tschechischen Schwester, als immer mehr Rufe nach der Einführung des Tschechischen als interne Amtssprache laut wurden, kurz nach dem Eintritt der Jungtschechen in die Reichsregierung von Max Wladimir von Beck, schrieb Spina an Sauer aus Mährisch Trübau: Ihren Bohemia Sonntags-Artikel23 habe ich mit größtem Interesse gelesen und manches darinnen gefunden, was in mir, seit ich die Prager Verhältnisse wieder aus der Nähe sehe, stand gegen die Erlernung des Tschechischen von 1886 ins Gedächtnis und endete ihre Analyse mit den schroffen Worten: „Proto korigují tak náhle svou čtyřicetiletou chybu v počtech – ne za účelem dorozumění a dohody smírné národa s národem, ale kvůli byrokratické kariéře svých synkův, aby nás Čechy vytlačovali z úřadů a soudů ve vlastech našich a ve Vídni.“ [Deshalb korrigieren sie so plötzlich ihren vierzig Jahre alten Rechenfehler – nicht zum Zweck der Verständigung und der friedlichen Übereinkunft zwischen zwei Völkern, sondern wegen der Beamtenkarriere ihrer Söhne, um uns Tschechen aus den Ämtern und Gerichten in unseren eigenen Vaterländern und in Wien zu verdrängen.] In der neu gegründeten Zeitschrift Čechische Revue begrüßte Arnošt Kraus das Unternehmen und erinnerte dabei unverhohlen an ähnliche Forderungen im Programm der Realistischen Partei (Kraus 1906: 164). S. ferner den pragmatisch ausgerichteten Beitrag in der Bohemia vom 23.09.1906 (Anonym 1906g) oder den versöhnlichen Aufsatz in Právo lidu [Das Recht des Volkes] am gleichen Tag (Anonym 1906i). Der zweite Teil des Flugblatts, „in dem jene Mahnung – vielleicht weil sie verschiedentlich unerwünschte Auslegung erfuhr – ein wenig eingeschränkt wird, erschien wohl nach Protest der radikalen deutschen Kreise einen Monat später“ (Bohemia,­ 24.10.1906, Anonym 1906k). Dies motivierte den Kommentator der Národní listy vom 24.10.1906 (Anonym 1906l) zur Behauptung, dass der Volksrat „Němcům doporučuje znalost češtiny výhradně k  účelům proti Čechům nepřátelským, nejen na německém, ale i českém území“ [den Deutschen die Kenntnis des Tschechischen ausschließlich zu feindlichen, gegen Tschechen gerichteten Zwecken, nicht nur auf deutschem, sondern auch auf tschechischem Gebiet empfehle]. Den Grund dafür fand er in dem Satz „Die Kenntnis der tschechischen Sprache [...] soll aber auch im Staatsdienste nur insoweit gefordert werden, als sie den Bedürfnissen des Dienstes entspricht. Von Beamten in rein deutschen Bezirken darf somit auch die tschechische Sprache nicht verlangt werden.“ – Zum politischen Hintergrund s. Czedik von Bründlsberg und Eysenberg (1921: 238ff.), Bachmann (1977: 74). Die Erlernung des Tschechischen an den deutschen Mittelschulen wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg aktualisiert, als seine Wichtigkeit als Verständigungsmittel auf dem slavischen Balkan hervorgehoben wurde (Anonym 1913). 23  Es geht um den Artikel Prag und seine deutschen Hochschulen in der Bohemia vom 31.03.1907 (Sauer 1907). – Sauer erwähnt hier u. a., dass „dieser mein Aufruf […] das Mißfallen eines tschechischen Blattes [nämlich die Národní listy vom 11.02.1907, Nr. 42, 2; Anonym 1907a; VP] in höchstem Maße erregt [hat]. In einer kurzen Notiz, in der das Blatt einige meiner Argumente kecklich aus dem Zusammenhange herausreißt, wird an künstlichster ­Verdrehung

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auf- und abwogte. Die Wutausbrüche der Gegner zeigen, wie richtig Sie in der ‚Deutschen Arbeit‘24 und in der ‚Bohemia‘ den Nagel getroffen haben. [...] Ich möchte nun auch Ihren Oster-Artikel in der Lokalpresse unserer Sprachinsel, der größten deutsch-österreichischen, deren Studentenschaft leider noch viel zu wenig nach Prag gravitiert, propagieren und bitte Sie um Ihre gütige Einwilligung. Der Artikel würde in Mähr.-Trübau, Landskron, Müglitz, vielleicht auch in Zwittau und Mähr.-Neustadt erscheinen.25

Von den Erfolgen solcher Werbung war er fest überzeugt: Sicher wird die Agitation, die zur Schaltung und Mehrung unsres Schulwesens aller Grade bald eingeleitet werden muß, keinen andern Weg gehen […] und ebenso sicher wird auch der schönste Erfolg Ihrer Anregungen, der zugleich auch der höchste Dank für Sie sein wird, […] die Stärkung und Sicherung der historischen deutschen Position.26

Wie sich die Radikalen beider Nationen (was jedoch weder auf Spina noch auf Sauer zutrifft) die Stärkung und Sicherung der historischen Position – egal ob der deutschen oder der tschechischen – in Prag vorgestellt hatten, bewiesen 1908 die November- und Dezember-Ereignisse, die erneut mit Ausrufung des Standrechts endeten.

und hämischer Umdeutung meiner Worte das äußerste geleistet.“ Auf den Artikel reagierten wiederum die Národní listy vom 03.04.1907 (Anonym 1907b) mit der Behauptung, dass „každý zostřený německý útok na Prahu k tomu účelu, aby její ráz byl zutrakvisován, urychlý klidný, ale nezastavitelný jinak proces jejího očištění od německých zbytků, neboť český národ nesnese, aby mu bylo vzato nebo zkaženo jeho jediné jeho hlavní město. Stane-li se ten proces bouřlivým, vina spadne na hlavu rozsévačům – větru.“ [jeder verschärfte deutsche Vorstoß auf Prag zum Zweck seiner Utraquisierung den ruhigen, aber sonst unaufhaltsamen Prozess seiner Entsorgung von deutschen Resten beschleunigt, denn die tschechische Nation duldet nicht, dass man ihr ihre einzige Hauptstadt wegnimmt oder verdirbt. Falls der Prozess stürmisch wird, wird die Schuld auf die Köpfe der den Wind Säenden fallen.] Diese Reaktion provozierte die Bohemia am 06.04.1907 zu einer Polemik mit der Behauptung, Sauer sei ein nationaler Chauvinist (Anonym 1907c), die Národní listy entwarf am 07.04.1907 eine Polemik über den deutschen bzw. tschechischen Charakter Prags mit einer längeren spöttischen Abhandlung über die ‚deutschen‘ Repräsentanten des Prager Kulturlebens mit antisemitischen Anspielungen (Anonym 1907d). Erst Sauer beendete die Polemik durch seine Ausführungen über die Rolle der Universität für das Prager deutsche Leben (Deutsche Studenten – nach Prag. Ein Schlußwort, s. Sauer 1906/07b), wobei er die Notwendigkeit eines politischen Blattes für die Deutschböhmen betonte. 24  Es handelt sich um den Artikel Deutsche Studenten – nach Prag (Sauer 1906/07a, 1906/07b, 1906/07c). Weiterhin zum Thema Takebayashi (2005: 108ff.). 25  Franz Spina an August Sauer, 04.04.1907 (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 164.700). 26  Franz Spina an August Sauer, 04.04.1907 (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 164.700). Aus dem Brief geht auch hervor, dass Spina maßgeblich an der Verbreitung und Popularisierung des Flugblatts beteiligt war.

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V.

Im November 1909 publizierte Spina in der Wiener Deutschnationalen Korrespondenz einen bis jetzt kaum beachteten Artikel27 über den ­Tschechischunterricht. Über die Intention – eine Art Propaganda in politischen Kreisen – schrieb er an Sauer: Die Versammlung wird im Laufe des Novembers stattfinden. Ein günstiger Zufall fügt es, daß der Frage auch in Wien in Abgeordnetenkreisen, im Landsmannministerium gerade jetzt wieder Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es ist nämlich ein völlig approbierter Kandidat der deutsch-čechischen Fachgruppe ohne Supplentur geblieben, weil leider an den mährischen Realschulen die Stellen vielfach mit ungeprüften Kaplanen, Turnlehrern etc. besetzt sind, was billiger kommt, als eine definitive Kraft. Da wird nun Sturm geläutet, der Herausgeber der ‚Deutschnat. Korrespondenz‘ im Reichsrat hat sich an mich wegen eines instruierenden Artikels für die ‚Korrespondenz‘ gewendet, der in einigen Tagen erscheinen soll. Dann soll auch die Prager Versammlung einsetzen. Den Gang zum Dekan werde ich in den nächsten Tagen machen!28

Auch in diesem Artikel folgte er einer ähnlichen Argumentation – die Gründe für seine Einführung seien die Ueberflutung des staatlichen und privaten Beamtenstandes aller Kategorien mit slavischen, des Deutschen wohl oder übel kundigen Anwärtern, sowie die schmerzlich empfundene geringe Verwendbarkeit eines einsprachigen Bewerbers und Beamten in den Sudetenländern. Auch für die Hilfskräfte deutschen Gewerbes, Handels und der Industrie ist dort heute die Kenntnis des Tschechischen notwendiger als früher. (Spina 1909b)

Er stellte daher mehrere Leitsätze für die Lösung des Problems auf, „offiziell Gelegenheit zur Pflege der zweiten Landessprache zu bieten.“ Besonders betonte Spina den Mangel an geprüften Kandidaten der Fachgruppe „Deutsche und tschechische Sprache als Hauptfach an den deutschen Mittelschulen“, was zeitweilig zu einem freiwilligen Tschechischunterricht an einigen Gymnasien führte. Spina unterstrich erneut die Bedeutung der sprachlichen Autonomie im Unterricht, denn „eine Utraquisierung des übrigen Unterrichts darf 27  In einem tschechischen Kommentar in den Národní listy vom 26.11.1909 (Anonym 1909) ist die Rede von „velmi nebezpečném hesle“ [den sehr gefährlichen Parolen], dem Tschechischunterricht bei den Deutschen, zugleich aber wird Spinas „jistě mimoděk“ [sicher unabsichtlich] reservierte Stellung gegen das „trhání země české v jazyková pásma a ostrůvky“ [Zerreißen von Böhmen in Sprachzonen und kleine Sprachinseln] gewürdigt. 28  Franz Spina an August Sauer, Weinberge-1163, 16. November 1909 (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 164.702).

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durch den Unterricht des Tschechischen nicht im entferntesten eintreten.“ Auch die neuen Lehrkräfte sollten ausschließlich aus dem deutschsprachigen Milieu stammen: Als Lehrer der tschechischen Sprache an deutschen Mittelschulen sind nur Kandidaten zu bestellen, die die Reifeprüfung an einer deutschen Mittelschule und die Lehramtsprüfung vor einer Prüfungskommission für das Lehramt an deutschen Mittelschulen bestanden haben. (Spina 1909a)

Spinas Argumentation zielt auf eine pragmatische Lösung der Beamtenfrage, also die praktische und wissenschaftliche Ausbildung von Kandidaten der tschechischen Sprache und Literatur: a) durch Schaffung von Sprachkursen b) durch Errichtung von Fachprofessuren c) durch Gründung von Seminaren mit ausreichenden Fachbibliotheken. (Spina 1909a)29

Die weitere und bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs letzte publizistische Arbeit Spinas zur deutsch-tschechischen Schulfrage stammt aus dem Frühling 1910. In den Briefen Spinas an Sauer kann auch die Entstehung seiner Habilitationsschrift nachgewiesen werden, während seiner ersten Jahre knüpfte er zudem Kontakte zu mehreren tschechischen Kollegen – z. B. zum Literaturwissenschaftler, Herausgeber und Privatdozent Miloslav Hýsek (18851957),30 zu seinem Rezensenten, dem schon erwähntem Arne Novák,31 zum 29  Diese Leitsätze wurden von der Prager und Wiener deutschen Studentenschaft anhand mehrerer Veranstaltungen diskutiert, jedoch wurden sie erst 1911 mit Gültigkeit „für alle Sudetenländer“ angenommen. Aus der Nachricht in den Národní listy (Anonym 1911) ist ersichtlich, dass eine maßgebliche Rolle dabei Eugen Rippl (1889-1945) spielte, Mitglied des „Exekutiven Ausschusses der Deutschen Slavisten“, Schüler von Spina und sein späterer Nachfolger an der Universität. 30  Hýsek (1970: 254) schrieb über ihn als „milý a přátelský Dr. Spina [...] starší naši literaturu znal dobře, na soudobou se často vyptával“ [der liebe und freundliche Dr. Spina [...] kannte unsere ältere Literatur gut, nach der zeitgenössischen fragte er oft]. 31  Novák rezensierte alle Werke Spinas vor dem Ersten Weltkrieg sehr anerkennend in den Listy filologické [Philologische Blätter] (Petrbok 2008). Novák (1913: 607) erwähnte Spina auch als Publizist über „českých věcech“ [tschechische Angelegenheiten] in der deutschsprachigen Presse. Der ehrgeizige Novák korrespondierte über seine Arbeit Die čechische Literatur der Gegenwart mit August Sauer. In dem einzig erhaltenen Brief an Sauer (WienB, Nachlass August Sauer: H. I. N. 146.153) aus Kuttenberg [Kutná Hora] vom 06.01.1908 bedankt sich Novák für die Zusendung von dessen Studie Kleists Todeslitanei (Prag: Carl Bellmann 1907 = Prager Deutsche Studien, VI) und schickte ihm sein eigenes Buch: „Ich hoffe, daß dieses Buch, cuius et pars magna sui, für Sie nicht ganz ohne Interesse sein wird; wenn Ihnen mal für eine flüchtige Lektüre desselben einige Stunden übrig bleiben, werden Sie in dieser čechischen Literaturgeschichte manches finden, was für die Entwicklung der deutschböhmischen Literatur sowie für die Geschichte des österreichischen Schrifttums

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Bibliothekar­ des Nationalmuseums Čeněk Zíbrt (1864-1932)32 oder zu dem Literaturwissenschaftler Jaroslav Vlček. Manche der erwähnten Persönlichkeiten des tschechischen kulturellen Lebens erinnerten sich später gern – ganz gewiss auch unter dem Eindruck von Spinas Tätigkeit in den 20er und 30er Jahren – an die ungewöhnliche Herzlichkeit und Offenheit ihres deutschen Kollegen. Wohl auch nach Gesprächen und/oder der Korrespondenz mit ihnen veröffentlichte Spina den Beitrag Unser Verhältnis zur tschechischen Literatur mit dem Untertitel Bemerkungen zur deutsch-tschechischen Frage in der Deutschen Arbeit. Die Abhandlung wurde aus Anlass der Neuerscheinung der Čechischen Literaturgeschichte33 von Jan Jakubec und Arne Novák verfasst. Im Brief an Sauer bekannte Spina: Im Artikel, den ich Ihnen zu überreichen so frei war, hab ich mir Verschiedenes, das mich schon lang beschäftigt hat, von der Seele geschrieben. Freilich ist dadurch die ursprüngliche Aufgabe, die Besprechung des Jakubec-Novákschen Buches, in den Hintergrund getreten. Ich habe im allgemeinen Teil auch den Deutschen einige unangenehme Wahrheiten sagen müssen und fürchte, mir dadurch eine Rute an den Rücken zu binden – man wird feige, wenn einem, wie mir mit dem Artikel über den tschechischen Unterricht, die besten Absichten zu persönlichem Nachteil ausschlagen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich – nur durch eine Zeile – beruhigen wollten. Für meinen Vortrag wird sich, wenn er etwas gekürzt wird, wohl auch Platz in der D[eutschen]arbeit finden?34

Der Artikel lobte nicht nur das Kompendium als „eine tüchtige, ihren Zweck erfüllende Leistung.“ Vor allem versuchte sein Autor programmatisch nicht mehr ‚nur‘ für das Erlernen des Tschechischen zu plädieren, sondern auch vor den Folgen des gegenseitigen ostentativen „Nichtsehenwollens und Unterschätzens“ zu warnen. Nach Spina nämlich überhaupt lehrreich ist, ja Sie werden wohl besser als ein čechischer Leser entscheiden können, ob dieser Zusammenhang gut getroffen ist. Doch ich möchte nicht den Verdacht erregen, ich wollte Sie um Mitteilung Ihrer Meinung über die Qualitäten des Buches ersuchen; das Buch mag vorzüglich Zeugnis ablegen, daß ich Sie aufrichtig verehre und längst hochschätze.“ 32  Für die Hilfe bei der Auswahl seiner Habilitation sowie bei der Bereitstellung von Materialien und Konsultationen dankte Spina Čeněk Zíbrt in seiner Habilitation (Spina 1909a: XIII). Im Nachlass Čeněk Zíbrts (LA PNP Praha) befinden sich sechs Briefe und zwei Ansichtskarten Spinas aus den Jahren 1906-28, die ein näheres Verhältnis belegen. 33  Das Buch erschien schon 1907 in der repräsentativen Reihe Die Litteraturen des Ostens des Leipziger Verlags C. F. Amelang und enthält zwei Texte: Jan Jakubecs Geschichte der čechischen Literatur (1-255) und Arne Nováks Die čechische Litteratur der Gegenwart (260-383). Die zweite Auflage mit „Nachträgen und Berechtigungen“ erschien 1909, die dritte, überarbeitete Auflage „bis in die jüngste Vergangenheit“ 1913. 34  WienB (Nachlass August Sauer: H. I. N. 164.703, Franz Spina an August Sauer 21.02.1910).

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drängt doch schon der gesunde nationale Eigennutz zur Beschäftigung mit der Eigenart des anderssprachigen Mitwohners im Lande und ihren Aeußerungen in der Wirtschaft und im Volksleben, doch auch in Literatur, Wissenschaft, Kunst. Hier ist auf deutscher Seite viel versäumt und gefehlt worden, woran die Unkenntnis der Sprache einen starken Teil hat. (Spina 1909/10a: 435)

Über die Betonung der Wichtigkeit der Bildung bei den Tschechen während ihrer Entwicklung zu einer Nation kam er zu aktuellen politischen Fragen, wobei er sehr geschickt die Argumentation beider Seiten in der Kernfrage der politischen Auseinandersetzungen, nämlich der Minderheitspolitik (hier der Stellung der Tschechen in Wien), benutzte: Eine vorbildlich konsequente tschechische Politik hütet heute die durch die Gunst natürlicher Verhältnisse hervorgerufenen Minderheiten in Deutschböhmen und den starken tschechischen Ast an der Donau, diese Schmerzenskinder beider Nationen. […] Auch eine sehr zielbewußte deutsche Abwehr vermochte diese merkwürdige, sehr gut mit dem ‚hussitischen Schrecken‘, auch mit der Kolonisierungstätigkeit der Völker vergleichbare Bewegung nicht dauernd zu hemmen. (Spina 1909/10a: 435)

Regelrecht ketzerisch konnten dagegen die folgenden Behauptungen für deutschböhmische Kreise klingen: Die tschechische Expansion ist […] durchaus nicht eine reine beabsichtigte und systematische ‚Eroberung‘, die durch deutsche Schutzarbeit einfach hätte zurückgeschlagen werden können. Es ist vielmehr ein naturgemäßes Produkt geschichtlicher, sozialer, wirtschaftlicher Verhältnisse. (Spina 1909/10a: 435)

Dabei erwähnte Spina wieder das Instrument des Informationstransfers und der angestrebten Verständigung – die Sprache: Die national, wirtschaftlich und kulturell gleich notwendige Kenntnis der zweiten Landessprache für den deutschen Nachwuchs aller Berufe in den Sudetenländern wird heute vielfach, doch nicht allgemein gewürdigt. [...] Die Kenntnis des Tschechischen ist heute eine dringende Notwendigkeit für den deutschen Beamten, Arzt, Techniker, Geistlichen. (Spina 1909/10a: 436)

In diesem Zusammenhang erwähnte Spina das Rahmenprogramm der tschechischen Realistenpartei mit ihrem Verlangen nach dem Deutschen als obligatem Lehrgegenstand an tschechischen Schulen und die Worte Masaryks, „des Verfechters der nationalen Autonomie beider Völkerstämme“: Es nutzt nichts – der Deutsche ist uns geographisch und wirtschaftlich der allernächste, daher müssen wir an ein entsprechendes Übereinkommen mit ihm stets denken. Dieses Übereinkommen ist unsere nächste, ist unsere dringendste Aufgabe.35

35  Spina zitiert hier aus dem Neujahrsartikel des Čas (Masaryk 1910).

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Es seien auch die Wissenschaftler im Stande, eine Verständigung vorzubereiten, meinte Spina und erwähnte die Initiative des Münchner Byzantinisten Karl Krumbacher zugunsten des Russischen im Reich, ausgedrückt mit den Worten Pasteurs: „Es ist der Mangel an Kenntnis, der die Menschen trennt, und die Wissenschaft, die sie vereint.“ Denn nach Spina gilt: Die Beschäftigung mit der Art des nationalen Gegners wird immer etwas von dessen wirklich Gutem in den Betrachtenden übergehen lassen, hier Vorurteile ausjäten, falsche Beobachtungen korrigieren, eine realere und dabei mildere, nicht überhebliche und nicht unterschätzende Auffassung anbahnen, sicher die Schroffheit der nationalen Kämpfe mildern und doch nicht einen uferlosen Humanitätsdusel oder gar ein Aufgeben der eigenen Nationalität fordern. (Spina 1909/10a: 436)

Aus diesen Worten wird klar, dass Spina die mentale Konzeption von Literatur und Kunst bei den Tschechen sehr gut verstand. Eine besondere Rolle spielte in ihrer Entwicklung die Literatur, der die tschechischen Nationalisten des 19. und 20. Jahrhunderts eine politische Ersatzfunktion auf Grund der mangelnden tschechischen Staatlichkeit zuschrieben. Spina war ferner klar, dass Literatur auch eine Selbstwahrnehmung darstellt, und zwar durch die Charakteristika in der Darstellung der Anderen und die Stellungnahme ihnen gegenüber, die in ihr mitgeteilt werden. Und gerade die tschechische Literatur des 19. Jahrhunderts gibt dafür ein glänzendes Beispiel ab. Dieser Aspekt wurde jedoch in den mir bekannten Reflexionen nicht erwähnt.36 Nach der Veröffentlichung seines weiteren Artikels Über die deutsch-tschechischen Kulturbestrebungen (Spina 1911/12), in dem er die programmatische Einführung in die deutsch-tschechische Kulturvermittlung aus seiner Habilitation abdrucken ließ, fühlte er sich sogar verpflichtet, seine Stellungnahme gegen seinen Gegner (wohl Adolf Bachmann, 1849-1914)37 vor Sauer zu rechtfertigen: 36  Bei der Rezeption des Artikels entnahmen beide Seiten der Argumentation eher die Nachteile der bestehenden Situation beidseitiger Ignoranz, wobei ihrer Meinung nach die Verantwortung immer auf der Seite des nationalen Gegners lag. So zitierte z.  B. Das Literarische Echo (12, 1910: 1767f.) die Worte über die allmähliche „Abtrennung vom deutschen Geistesleben“ tschechischerseits, in den Národní listy (05.04.1910, Nr. 93: 2; Anonym 1910) wurde die Zusammenfassung des Artikels weitergegeben, wobei die Entwicklung des tschechischen Geisteslebens, von Spina als Ausdruck der permanenten Berührung mit stärkerem deutschem Element dargelegt, hervorgehoben wurde. Auch die Čechische Revue (Kraus 1910) beschränkte sich nur auf den Abdruck des ‚Wesentlichen‘. In weiteren Periodika (Čas, Právo lidu [Das Recht des Volkes], Union) konnte eine Rezension dieses Aufsatzes bis jetzt nicht eruiert werden. 37  Bachmann war damals Mitglied des böhmischen Landtags wie auch des Reichstags und zudem Obmann der Deutschen Fortschrittspartei und Führer bei den deutsch-tschechischen Ausgleichsverhandlungen.

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Ich glaube, der wahre Grund der Erbitterung steckt in meinem andren Artikel ‚Unsere Verhältnisse etc.‘38 Ich wende mich gegen den Chauvinismus auf beiden Seiten und spreche die Meinung aus, daß uns Deutschen die Nichtbeschäftigung mit den tschech. Verhältnissen sowie deren Unterschätzung [...] am meisten geschadet habe. – Die altliberale Vogelstrauß-Politik, die immer erst schrie, wenn es zu spät war. Ich bitte Sie sehr, Herrn Hofrath Rzach39 von der merkwürdigen Auffassung [B.´s] Mitteilung zu machen. Sollte ich durch ein Gespräch mit B. nicht den Stier bei den Hörnern packen?40

Wie aus der vorausgehenden Auslegung ersichtlich, waren die beiden verfeindeten Seiten – bis auf einige Ausnahmen – noch nicht zu einer weiteren Debatte bereit. Dazu haben sicherlich auch die wieder angespannten deutschtschechischen Beziehungen beigetragen, wiewohl Spina in seiner publizistischen Tätigkeit – seine Aufmerksamkeit jetzt ausschließlich auf die Interpretation der Stellung der Tschechen zu den Deutschen in der Habsburgermonarchie und weitere Perspektiven des Zusammenlebens, natürlich im Sinne der kulturellen Autonomie beider Völker richtend – unermüdlich fortsetzte. Gerade in der Zeit der Weltkriege – auch durch Spinas Engagement für Hofmannsthals Tschechische Bibliothek und seine Suche nach einem Übersetzer für das bekannte Werk Mitteleuropa von Friedrich Naumann – kamen die Literatur und ihr Instrument – die Sprache – erneut zu Wort (Spina 1916/17a; 1916/17b; 1917/18). Das aber ist ein anderes Kapitel.41

38  Es geht wohl um den Artikel Unser Verhältnis zur tschechischen Literatur: Bemerkungen zur deutsch-tschechischen Frage. 39  Der klassische Philologe, ordentliche Professor und ehemalige Rektor der Prager Deutschen Universität Alois Rzach (1850-1935) war Vater von Hedda Sauer (1875-1953), mit der August Sauer ab 1892 verheiratet war. 40  Franz Spina an August Sauer, [Königl. Weinberge] Manesgasse 47, 10.1.1912. (WienB: H. I. N. 164.704). 41  Einige verstreute Angaben zu Spinas Rolle in diesem Unternehmen führt Stern (1969: 201ff.) an, darauffolgend auch Thirouin (2002: 260, 266). Eine genauere Untersuchung bleibt bisher ein Desiderat. S. aber den Beitrag von Karl Braun in diesem Band.

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Von der ‚Beamtenfrage‘ zur ‚Milderung der Schroffheit der nationalen Kämpfe‘

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Spina und der Wirtschaftsaktivismus in der Ersten Tschechoslowakischen Republik Franz Spina hat Anteil sowohl an der Academia als auch der politischen Öffentlichkeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Die folgenden Überlegungungen kreisen nicht um Spinas „slawistische Existenz“, sondern um den ‚homo politicus‘. Als solcher war er, dies ist allgemein bekannt, einer der Protagonisten des deutschen Aktivismus: derjenigen Gegend in der Parteienlandschaft der Ersten Republik also, in der die schiedlich-friedliche Zusammenarbeit der „einheimischen Deutschen“1 mit der Staatsnation der Tschechoslowaken oberste Leitlinie der Politik gewesen ist. Spina und der Aktivismus: Das Thema hat eine speziellere, aus der kulturwissenschaftlichen Blickrichtung womöglich entlegen anmutende, aber doch nicht unwichtige Dimension. Gemeint ist der sogenannte Wirtschaftsaktivis­ mus: Diejenige wirtschaftspolitische Richtung also, für die die schiedlichfriedliche Zusammenarbeit der deutschen mit der tschechischen Wirtschaft der Republik oberste Leitlinie gewesen ist. Zu fragen ist im Folgenden nach Spinas Bedeutung in diesem wirtschaftsaktivistischen Kontext. Skizziert wird eingangs grob noch einmal der allgemein-nationalitätenpolitische Hintergrund; vorzustellen sind im Anschluss hieran der Wirtschaftaktivismus und seine Konjunkturen zwischen 1918 und 1938. Man wird sehen, dass es praktisch­unmöglich ist, die Rolle Spinas in diesem Zusammenhang ‚nicht‘ zu erörtern.

1  Das Problem der Benennung der ‚eingeborenen‘ Deutschen in Böhmen und Mähren ist nur unzureichend gelöst: Der Begriff ‚sudetendeutsch‘ bezeichnet nur eine Teilmenge dieser Population und auch dies eher in den späteren Existenzjahren der Ersten tschechoslowakischen Republik. Exakter, aber reichlich sperrig ist die Formulierung die „Deutschen in Böhmen und Mähren“. Am ehesten vertretbar erscheinen von der Sache her eigentlich eher blasse Verlegenheitslösungen mit weitem, dann durch den Kontext spezifizierten Begriffsumfang wie ‚die Deutschen im Lande‘ oder die ‚einheimischen Deutschen‘.

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1. Nationalitätenkonflikt, Aktivismus, Wirtschaftsaktivismus: Rahmen und Hintergründe2 Die gängige Rede vom deutsch-tschechischen Nationalitätenkonflikt in der Ersten Republik enthält eine gedankenlose, manchmal auch polemisch gemeinte Verkürzung. Faktisch mischten sich Widerstreit und Kooperation zwischen Tschechen und Deutschen reich facettiert; Ergebnis war ein oft mühsamer, bis ins unmittelbare Vorfeld von ‚München‘ jedoch leidlich tragfähiger ‚modus vivendi‘. In den verschiedenen Lebenswelten bzw. Lebensphasen der Republik nahm dieser unterschiedliche Formen an. In den frühen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, im Kontext des ‚nation-building‘ und damit der Neusortierung der nationalen Verhältnisse überwog das Konfliktelement; in den späteren zwanziger Jahren trat dieses zurück. Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus in der Tschechoslowakei in Gestalt der SHF/SdP wurde es in den dreißiger Jahren aufs Neue und deutlicher als je zuvor evident.3 Die Nationalitätenproblematik imprägnierte nicht nur die Politik der Ersten Republik und ihre Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft. Die Grenze zwischen der „tschechischen Wirtschaft“ und der „Wirtschaft der einheimischen Deutschen“ war in der Realität diffus, begrifflich ist die Grenzziehung diffizil. Stark vereinfachend lässt sich festhalten, dass die „deutsche Wirtschaft“ in erster Linie die exportorientierten Leichtindustrien der böhmischen Randgebiete, etwa die Textil-, die Glas- und die Porzellanindustrie umfasste. Der Schwerpunkt der tschechischen Wirtschaft lag in Zentralböhmen; sie war in der Schwerindustrie, außerdem in den landwirtschaftlichen und nahrungsmittelverarbeitenden Branchen verankert und eher auf den Binnenmarkt orientiert. Unstreitig existierte eine scharfe, zuzeiten erbitterte Konkurrenz zwischen Tschechen und Deutschen um wirtschaftliche Besitzstände. Der Konflikt wurde vom Wirtschaftsnationalismus angefacht, mit dem Ziel, die politische und die Kulturnation nach der ökonomischen Seite hin abzusichern und abzustützen, zu flankieren und zu komplettieren. Die Konsolidierung der tschechischen ‚National-Ökonomie‘, als Ergänzung der 1918 errungenen politischen Selbständigkeit, war nun für den ‚mainstream‘ 2  Vgl. in strengster Auswahl Boyer (1999a; 2002; 2004); Kubů/Pátek (2000); Teichova (1974). 3  Die Hinwendung nicht aller, aber großer Teile der Sudetendeutschen zum Nationalsozialismus und die Attraktivität des NS-Regimes ist in der Forschung unbestritten. Der Grad der Nazifizierung im Einzelnen, auch die Frage, inwieweit die Sudetendeutsche Partei Henleins „nationalsozialistisch“ genannt zu werden verdient, sind immer noch kontrovers (Boyer/Kučera 1996, 1997; Brandes 2008).

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der tschechoslowakischen Politik von erstrangiger Bedeutung. Umgesetzt wurde dieses Ziel in einem Bündel gesetzgeberisch-administrativer Maßnahmen: etwa mittels Lenkung von Staatsaufträgen vorzugsweise in tschechische Betriebe, durch Vorzugsbehandlung tschechischer Unternehmer bei der Kreditierung durch staatsnahe Banken oder durch Einflussnahme auf die nationale Zusammensetzung von Belegschaften und Unternehmensleitungen. Die deutsche Volkstumskampfrhetorik brandmarkte diese Politik als „Tschechisierung“: als unfairen Einsatz der Machtmittel des Staates zugunsten der neuen Staatsnation. Aus tschechischer Sicht hingegen handelte es sich um die Revision der Habsburger „Germanisierungspolitik“ im Interesse der historischen Gerechtigkeit. Auch die Rede vom Wirtschaftskampf ist, ebenso wie die vom Nationalitätenkampf generell, zu simpel. Gerade in der Wirtschaft, in der Domäne der materiellen Interessen, wurde der Nationalitätenkonflikt, weitaus deutlicher als etwa in der stark „ideologieanfälligen“ Sprachen- oder der Schulpolitik, durch den Pragmatismus ‚beider‘ Seiten „eingehegt“. Faktisch waren die deutsche und die tschechische Wirtschaft der Republik durch vielfältige, enge und sensible Abhängigkeitsbeziehungen verbunden: Tschechische Kapitalbeteiligungen an deutschen Unternehmen etwa, die in diesen den tschechischen Einfluss sichern sollten, aktivierten das tschechische Interesse am – modern ausgedrückt – ‚shareholder value‘, also am wirtschaftlichen Wohlergehen dieser Unternehmen. Solche und weitere Beispiele verdeutlichen, dass hier keine Nullsummenspiele gespielt wurden: Der Verlust der einen Seite war beileibe nicht der Gewinn der anderen. Eine zweiter Umstand begünstigte die Kooperation: Die tschechischen und die deutschen wirtschafts‚politischen‘ Interessen – sowohl die der Industrie als auch die des Gewerbes oder die der Landwirtschaft – waren in vielfacher Hinsicht ähnlich oder gar identisch. Die wirtschaftspolitische Landschaft der Ersten Republik war, mit anderen Worten, eher nach Wirtschaftssektoren, Branchen usw. sortiert als entlang nationaler Linien gespalten. Speziell die Industrie fühlte sich, und zwar ungeachtet ihrer deutschen oder tschechischen Etikettierung, über weite Strecken als Stiefkind der staatlichen Wirtschaftspolitik. Auf diesen Punkt wird zurückzukommen sein. Wichtig war vorerst zu zeigen, dass, vor dem geschilderten Hintergrund, auf dem Terrain der Wirtschaft ein sozusagen naturwüchsiger, vom ökonomischen Kalkül geleiteter Wille zur übernationalen Kooperation existierte: sozusagen ein struktureller Wirtschaftsaktivismus, jenseits von allen mehr oder weniger flüchtigen (national-)politischen Konstellationen oder der mehr oder weniger zufälligen Gunst oder Ungunst von Personen.

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All dies gilt, wie gesagt, im Prinzip. Im Detail trifft man, in den zwanzig Jahren zwischen 1918 und 1938, dann doch auf recht unterschiedliche spezifische Mischungen von Kooperation und Konflikt, von Koalition und Konkurrenz. Die großen Konjunkturen der Nationalitätenfrage, auch politisch-taktische Gesichtspunkte, kurz: die ‚Politik‘ war aus diesem Spiel nicht auszublenden. Vorzustellen sind im Folgenden drei Konstellationen: Die frühen Jahre der Republik, in denen der Wirtschaftsaktivismus in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zum politischen Aktivismus stand; des weiteren die späten zwanziger und die frühen dreißiger Jahre, die eher von der Konkordanz beider geprägt waren. In den späteren dreißiger Jahre schließlich zeigte diese Interessenharmonie unter dem Ansturm des Nationalsozialismus tiefe, politisch bewirkte Sprünge und Risse; schließlich zerbrach sie. Alle drei Stadien machen augenfällig, wie neben den ökonomischen Strukturen und Interessendispositionen die Politik, genauer: die Nationalpolitik – und in diesem Zusammenhang dann auch Franz Spina – ins Spiel kommen.

2. Strukturen und Konjunkturen des Wirtschaftsaktivismus4

a. Im Zusammenhang mit der Gründung des tschechoslowakischen Staates konstituierte sich im Herbst 1919 auch das aus der Habsburger Zeit stammende Industrieverbandswesen neu. Weil die Gründungsphase in eine Zeit besonders intensiver nationaler Spannungen fiel, waren die Industrieverbände national sektioniert: Auf der einen Seite der Ústřední svaz československých průmyslníků, also der Zentralverband der tschechoslowakischen Industriellen, auf der anderen der Deutsche Hauptverband der Industrie in der Tschechoslowakei. Der Hauptverband legitimierte seine Existenz mit der Notwendigkeit der Wahrung des nationalen Besitzstands; die Sammlung der deutschen Industrie unter der nationalen Flagge war als Pendant zur Einheitsfront der deutschen Parteien der Republik gedacht.5 4  S. Boyer (1999a; 1999b). 5  PA (R 9104, Gesandtschaft Prag an Auswärtiges Amt, 04.01.1919; R 22 576, Deutsche Botschaft Wien an Auswärtiges Amt, 3.6.1919; R 9103, Konsulat Brünn an Auswärtiges Amt, 19.10.1919; R 9103, Deutsche Botschaft Wien an Auswärtiges Amt, 24.10.1919).

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Ziemlich bald allerdings wurden diese Tendenzen zum „Rückzug in die ­ itadelle“ von der Einsicht überlagert, dass gerade „Besitzstandswahrung“ Z unter den neuen politischen Rahmenbedingungen Chancen auf Erfolg nur dann besaß, wenn die deutsche Wirtschaft der Tschechoslwakei mit der Verwaltung des neuen Staates zusammenarbeitete und Einfluss auf die Wirtschaftspolitik zu nehmen versuchte – und zwar zusammen mit dem Zentralverband (Jahresbericht 1920: 9f.; Resolution 1919: 14f.). Vor allem der Druck der Nachkriegswirtschaftskrise wirkte dahin, dass 1921/22 die Zusammenarbeit der Industrieverbände in Form eines Zentralausschuss institutionalisiert6 wurde – wenn auch noch nicht auf Dauer. Damit akzeptierten die deutschen Industriellen, im Einklang mit der aktivistischen, d. h. der staatsloyalen Richtung der deutschen Politik stillschweigend die Existenz des tschechoslowakischen Staates. Maßgebliche Triebkraft war hier, wie gesagt, der Pragmatismus. Er bewirkte, kontrapunktisch zur Politik, die übernationale Zusammenarbeit der Unternehmer beider Seiten gerade in einer Phase außerordentlich gespannter national‚politischer‘ Beziehungen. Eigentlich war dies in beiden nationalen Lagern ja die Stunde der Negativisten; dass sich der Wirtschaftsaktivismus gegen diese durchsetzen konnte, ist ohne die Rückendeckung aus dem Lager der aktivistischen Politik nicht befriedigend zu erklären. An dieser Stelle kommen der Bund der Landwirte und Spina ins Spiel (Kracik 1999: 89f., 104f., 114, 118-120). Die Interessen der deutschen Agrarier waren ‚inhaltlich‘ mit denen der Industrie keineswegs identisch; Übereinstimmung bestand jedoch in der prinzipiell positiven Einstellung gegenüber dem neuen Staat und seiner Staatsnation: 1921 kam, ungeachtet der im Deutschen Parlamentarischen Verband vorherrschenden negativistischen Strömung, ein Verbund der deutschen und der tschechischen Agrarier zustande. Für diesen übernationalen Verbund der Agrarier – der im BdL intern keineswegs auf einhellige Zustimmung gestoßen war – hatte Spina, gegen den deutschnationalen Druck, energisch geworben: Doktrinarismus und Schlagwortradikalismus müsse man denen überlassen, die keine realen Güter zu schützen hätten. Spina begegnet in diesem Zusammenhang zwar nicht als direkter Protagonist industrieller Interessen, jedoch als indirekter Impulsgeber des Aktivismus. Wo der Zentralausschuss der Industrie zusammengeschirrt wurde, war er nicht im Vordergrund der Bühne präsent, wohl aber, um im Bild zu 6  Vortrag Teltschers auf der Vollversammlung des Allgemeinen Deutschen Textilverbands, abgedruckt unter dem Titel „Wirtschaftskrise und Steuerdruck“ (Prager Tagblatt, 04.05.1922).

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bleiben, als Wegbereiter und als Rückendecker in deren Hintergrund. Von Bedeutung war Spina auch für das „Atmosphärische“; von „Gefühlen“ war Nationalpolitik schließlich niemals abzulösen. Ein Zusammengehen von Tschechen und Deutschen wurde durch die Segmentierung der Gesellschaft in nationalkulturelle Milieus erschwert; die Trennlinien machten eine Annäherung sogar im zwanglosen gesellschaftlichen Verkehr zu einer mühsamen Angelegenheit. Ausnahme von dieser Regel war etwa, im Dezember 1922, eine – wie der Chronist vermerkt: gelungene – Abendgesellschaft mit Exponenten des deutschen und des tschechischen wirtschaftlichen und politischen Lebens. Anzutreffen waren auf dieser Soirée mit Kislinger, dem Geschäftsführer des Deutschen Hauptverbands der Industrie, Mayr-Harting, Kafka, Ledebur-Wicheln und eben Spina die Crème des Aktivismus – sowie, auf tschechischer Seite, die Tochter des Präsidenten, Alice Masaryková, und der Generalsekretär des Zentralverbands, Hodáč.7 b. Ende der zwanziger Jahre erreichte der Wirtschaftsaktivismus mit der Gründung einer Gesamtvereinigung der tschechoslowakischen Industrie eine neue Entwicklungsstufe. Dringlicher als je zuvor erschien eine einheitliche und schlagkräftige Vertretung der gemeinsamen Interessen nun vor allem angesichts des sich verschärfenden Gegensatzes zwischen Industrie und Landwirtschaft. Aus der Sicht der Industrie waren die Steigerung des Exports und deshalb eine halbwegs liberale Außenhandelspolitik erste Priorität der tschechoslowakischen Wirtschaftspolitik. Die Landwirtschaft hingegen strebte Schutzzölle für Agrareinfuhren an; der Agrarprotektionismus barg allerdings die Gefahr der Verteuerung der Lebensmittel und damit auch der Lebenshaltungskosten der Arbeiterschaft; der Druck auf die Löhne drohte die Kosten der industriellen Produktion nach oben zu treiben (Observer 6 [1924]: 285; Observer 7[1925]: 533f., 605; Hospodářský rozhled, 26.10.1928). Hatte die Bilanz prominenter deutscher und tschechischer Wirtschaftsjournalisten zum zehnjährigen Jubiläum des Staates als größten Fehler der Wirtschaftspolitik des abgelaufenen Dezenniums die unzureichende Berücksichtigung der industriellen Belange gebrandmarkt,8 so änderte sich dies nun durch das Zusammenrücken der Industrie. Die Annäherung stand, anders als in den frühen zwanziger Jahren, nicht mehr quer zur Nationalpolitik, sondern fand im Zeichen einer umfassenden Entspannung der nationalen Gegensätze 7  AKPR (T 12/25: Karton 134, C 2, Aktenvermerke Šámal vom 21. und vom 29.12.1922). 8  Dies im Rahmen der Umfrage des Hospodářský rozhled unter prominenten Persönlichkeiten der tschechoslowakischen Wirtschaft (Hospodářský rozhled [Wirtschafts-Rundschau], 26.10.1928).

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statt. Ihr innenpolitisches Signum war die Mitarbeit der deutschen Aktivisten in der Regierung seit dem Eintritt des Bundes der Landwirte und der Deutschen Christlich-Sozialen ins Kabinett des Bürgerblocks im Juli 1926, in dem Spina dem Ministerium für öffentliche Arbeiten vorstand. War die Beteiligung der Aktivisten an der Regierung zunächst auch nur taktisch, nämlich durch die Suche nach einer Regierungsmehrheit motiviert,9 so betrachteten doch weite Kreise der tschechischen Öffentlichkeit, nicht zuletzt Masaryk und Beneš, die Mitarbeit der Deutschen auch als prinzipiell unerlässlich für die Konsolidierung des Staates. Auf der deutschen Seite trat mit der Gründung der Deutschen Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft (DAWG) nun eine industrienahe, aktivistische Partei auf den Plan.10 Die DAWG war keine Massenorganisation, sondern eine lose Bündelung von Intel­ligenz und Unternehmerschaft; ihre wirtschaftspolitischen Ziele waren ‚inhaltlich‘ denen der Landwirtschaft diametral entgegengesetzt. Insofern sie jedoch ‚aktivistisch‘ war, bewegte sie sich parallel zur Landwirtschaft. Maßgebliche politische Persönlichkeit war der Rechtsanwalt und Unternehmer Alfred Rosche. Bereits als Mitglied der negativistischen DNP hatte Rosche bei den Deutschen der Republik für eine Verständigung mit der tschechischen Seite geworben – in dieser Außenseiterposition unterstützt von Spina (Kracik 1999: 164f., 169, 182-185). Spina erscheint in diesem Kontext wieder als Befürworter übernationaler Kooperation: Der politische Aktivismus stützte sich schließlich an der Kooperationsbereitschaft der Industriellen ab – und ‚vice versa‘. In diesem Umfeld hatte sich die in den Gründerjahren noch ziemlich deutliche nationale Imprägnierung der Industrieverbände bereits abgeschliffen, die Verbände agierten im Tagesgeschäft verschiedentlich informell als „Seilschaften“ und unterstützten sich wechselseitig bei der Vertretung industrieller Interessen. Am 18. September 1928 trat der Hauptverband ‚in corpore‘ dem Zentralverband bei (Bericht 1928; Prager Tagblatt, 19.09.1928). Grundlage war ein für das Proporzdenken der Ersten Republik charakteristisches Quotenmodell: Die Belange beider Seiten waren durch einen „nationalen Schlüssel“ garantiert. Ob die hier fixierte Verteilung der Gewichte der Bedeutung der deutschen Wirtschaft gerecht wurde, ist schwer zu sagen. Keinesfalls aber war den Deutschen ein Status minderen Rechts zugewiesen worden; die in der Frühzeit der Republik als Schreckensperspektive an die Wand gemalte „Aufsaugung“ hatte nicht stattgefunden. 9  Die Frage der Regierungsbeteiligung war, wie Beneš auf einem Bankett zu Ehren der Auslandspresse wenig später ausführte, weniger eine nationale denn eine Klassenangelegenheit gewesen (PA, R 73 778: Gesandtschaft Prag an Auswärtiges Amt, 23.2.1927). 10  PA (R 73 833: Gesandtschaft Prag an Auswärtiges Amt, 07.08.1928); Die Wirtschaft (10 [1928]: 990).

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c. Das Zusammengehen der industriellen Vereinigungen war keine isolierte Erscheinung, sondern Teil eines republikweiten Schubs der Aggregierung wirtschaftlicher und sozialer Interessen über die sich einebnenden Gräben zwischen Deutschen und Tschechen hinweg. Begünstigt sowohl durch die politische Großwetterlage wie auch den wirtschaftspolitischen Konsens erwies sich das Bündnis der Industriellen in den folgenden Jahren als tragfähig. Erst der Aufstieg der Sudetendeutschen Heimatfront (SHF), dann der Sudetendeutschen Partei (SdP) änderte dies: Die SHF verstand sich als „Bewegung“ über dem „Parteienzwist“ mit dem Anspruch auf Transzendierung aller Sonderinteressen – auch derjenigen der Unternehmer – im Monolithen der „Volksgemeinschaft“ unter der politischen Leitung der Heimatfront. In der Konsequenz dieser Auffassung lag eine von der tschechischen Wirtschaft separierte, am illiberalen nationalsozialistischen Ordnungsmodell orientierte „deutsche Volkswirtschaft“ (Konrad Henlein).11 Diese Anmutung stand vorerst noch auf dem Papier. Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Mai 1935 näherte sich die SdP zwar einzelnen deutschen Unternehmern, aber nicht dem Hauptverband als solchem an; zwischen diesem und der SdP bestand, ungeachtet vereinzelter Sympathisanten, eine nicht zu überbrückende Distanz. Das wirtschaftspolitische Programm der SdP enthielt eine krause Mixtur traditioneller Mittelstands- und Agrarrhetorik und scharfe Ausfälle gegen das „parasitäre Kapital“, es plädierte für „großzügige Planung“ mit dem Ziel der „Abstimmung“ aller Wirtschaftszweige, überhaupt für die autoritäre Option in der Ordnungspolitik. Dies stand konträr zur Gedankenwelt der deutschen Industriellen, die mit dem tschechischen Zentralverband, schon im Interesse des Exports, ein gemäßigt wirtschaftsliberales Programm teilten. Setzte sich die deutsche Industrie der Tschechoslowakei zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise vorrangig für eine Intensivierung der Ausfuhr nach Übersee ein, so erteilte die SdP einer solchen Westorientierung des Absatzes zugunsten der Umorientierung der Wirtschaftsbeziehungen auf Deutschland „mit ganzem Herzen“ eine unbedingte Absage. Gemeinsamkeiten gab es höchstens in der Absage an den „marxistischen Internationalismus“ und „Klassenhass“.12 11  SÚA (SdP: Karton 68, Memorandum Henleins für Spina vom 14.10.1933; SdP: Karton 3, KH, 1933-1938. SHF-Schulungspapier „Sudetendeutsche Politik – Lage und Folgerungen“, undatiert [vermutlich 1933]). 12  SÚA (SdP: Karton 54, SHF-Weisung Nr. 92 an die Orts-, Bezirks- und Kreisleitungen vom 19.4.1935; Rede Garliks (1937); Rede Wollner (1937); SÚA (SdP: Karton 3, KH 1933– 38/6, Text eines Interviews Henleins vom 03.07.1935 mit „La Stampa“; SdP: Karton 54, SHF-Weisung Nr. 92 an alle Orts-, Bezirks- und Kreisleitungen vom 19.04.1935); Rede Enhuber (1937); Die Zeit, 08.11.1935; Rede Frank (1937); Rede Richter (1937).

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Analog zum Wirtschaftsaktivismus wahrte auch der politische Aktivismus Distanz zur SdP. Hier gerät Spina wieder ins Blickfeld: Nach 1933 verteidigte er öffentlich mehrfach die Zusammenarbeit von Tschechen und Deutschen (Kracik 1999: 233). Man werde seitens des BdL einer Auflösung der SHF aus staatspolitischen Gründen nichts in den Weg legen; die von der SHF proklamierte „Verständigung von Volk zu Volk“ sei „eine flache Redensart“. Über die Nationalitätengrenzen hinweg hätten sich, in erster Linie zwischen Parteien und Interessengruppen identischer Ausrichtung, ja allenthalben bereits Brücken gebildet: Der Bund der Landwirte kooperiere mit der tschechischen Agrarpartei, die deutschen mit den tschechischen Sozialdemokraten. Kontakte bestünden zwischen den beiden Gewerbeparteien und auch die Industrie habe „Kollaborationsbrücken“ aufgebaut.13 Mit dem erdrutschartigen Wahlsieg der SdP 1935 und den länger werdenden Schatten des „Dritten Reichs“ geriet der Verbund von politischem und Wirtschaftsaktivismus allerdings in die Defensive. 1937 wurde die Agitation der Henlein-Partei für eine weitestgehende Autonomie der deutschen Volksgruppe, in deren Konsequenz die Sprengung des tschechoslowakischen Staatsverbands gelegen hätte, zusehends radikaler. Die Wirtschaft müsse, so hieß es nun, „im Bereich des nationalen Kampfes eine neue Haltung einnehmen“. Der kaum verhüllte Vorwurf an die Adresse der deutschen Industriellen hieß nun „Internationalismus“ und „Kungeln mit dem nationalen Gegner“.14 Im Frühjahr 1938 veränderte der „Anschluss“ Österreichs die Kräfteverhältnisse dann entscheidend zuungunsten der sudetendeutschen Industrie: Deutschland kontrollierte nun fast alle Transitwege der tschechoslowakischen Ausfuhr; über die Frachttarife war das Reich in der Lage, die Konkurrenzfähigkeit der ČSR auf Drittmärkten zu beeinflussen. Besonders verwundbar waren Unternehmen, die in der Tschechoslowakei produzierten, ihren Absatz jedoch von Wien aus betrieben. Zum Druck von außen kam nun die revolutionäre Bewegung von unten: Mit einer Doppelstrategie von Terror und Verlockung brach die SdP in die Betriebe ein; sie begann, staatliche bzw. verbandliche Ordnungsaufgaben an sich zu reißen.15 Unter diesen Umständen konnte die Henlein-Partei im Frühjahr und Sommer 1938 dem immer noch 13  AMZV (Sektion III: Karton 655, Mappe 10, Aufzeichnung über eine Information Spinas vom 29.09.1934). 14  SÚA (SdP: Karton 2, KH 1937-4/21, „Appell“ Henleins an die sudetendeutsche Wirtschaft auf der Wirtschaftstagung der SdP am 06.02.1938). 15  AMZV (Sektion III: Karton 609, č.j. 122 915/1938, Sbírka propagačního materiálu. Národnostní otázky [Sammlung von Propagandamaterial. Nationalitätenfragen]. 10 vom 26.9.1938).

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„im liberalistischen Fahrwasser“ segelnden Hauptverband deutlich wirkungsvoller als vordem „nahelegen“ (Die Zeit, 17.03.1938), seine Einstellungen zu überprüfen. Die erodierenden aktivistischen Parteien und ihre Minister waren nun keine Stütze mehr; auch sie waren nicht imstande, das politische Vakuum auszufüllen, in das die aktivistischen Industriellen zu fallen drohten. Für die allenthalben in Gang befindliche Formierung und Unterwerfung der sudetendeutschen Wirtschaft lieferte die im April 1938 auf der Karlsbader Amtswaltertagung der Sudetendeutschen Partei von Henlein vorgelegte Autonomiekonzeption in acht Punkten eine Blaupause.16 Unter der Prämisse der schroffen Absage an den (Wirtschafts-)Aktivismus war hier das Organisationsmodell einer zukünftigen „sudetendeutschen Wirtschaft“ vorgezeichnet. Wenige Wochen später wurde das SdP-Mitglied Theodor Liebig, der sich zur Auffassung von der Wirtschaft als „Volkswirtschaft im emphatischen Sinn“ bekannte, zum Präsidenten des Hauptverbands gewählt (Liebig 1938; Bohemia, 03.06.1938). Allerdings: Sogar unter diesen erschwerten Umständen setzte der Hauptverband die praktische Zusammenarbeit mit dem Zentralverband vorerst fort; erst nach „München“ wurden die Verbindungen gekappt. Geriet der Hauptverband mit dem Aufstieg der SdP auch unter massiven Druck, so ging die Formierung der Wirtschaft doch nur zögerlich und halbherzig vonstatten. Gegenüber Henleins ‚sudetendeutscher Autonomie‘ oder dem ‚Anschluß‘ an die reichsdeutsche Wirtschaft wahrten die deutschen Industriellen der Republik skeptische Distanz.

3. Fazit

Die Auffassung, zwischen den deutschen Industriellen einerseits sowie den mit der Staatsmacht verbündeten tschechischen Industriellen andererseits habe es einen fundamentalen, national aufgeheizten Interessenkonflikt gegeben, 16  AKPR (D 1016: Karton 130, Skizze zur Neuordnung der innerstaatlichen Verhältnisse auf Grundlage [sic!] der 8 Punkte aus der Rede des Vorsitzenden der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, in Karlsbad am 24. April 1938, undat., an Hodža überreicht am 07.06.1938); Henlein (1938) Haupttagung (1938); SÚA (SdP, Karton 53, 28-Pk [1938] 8/21, Die bisherige Rechtsentwicklung und unsere grundsätzlichen Forderungen für eine Rechtsordnung. Rechtspolitisches Referat Ernst Kundts in Karlsbad am 23.04.1938).

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hat wenig für sich. Die Hauptkonfliktlinie verlief nicht zwischen Tschechen und Deutschen, sondern zwischen der Industrie und der Landwirtschaft, zwischen der Industrie und der Arbeiterschaft, der Industrie und dem Staat. Der Schlüssel zur Erklärung findet sich in langfristig stabilen, überpersönlichen Interessenlagen: In dem also, was oben ‚struktureller‘ Wirtschaftsaktivismus genannt worden ist. Um die ‚Konjunkturen‘ dieses Wirtschaftsaktivismus zu verstehen, sind seine Kon- oder auch Diskordanzen mit dem politischen Aktivismus in Rechnung zu stellen. In der Frühzeit der Republik verhalf die Schubkraft aktivistischer Politik der Zusammenarbeit in der Wirtschaft gegen negativistische Widerstände zum Durchbruch. In den späten zwanziger und den frühen dreißiger Jahren verstärkten sich die Impulse gegenseitig; im Fortgang der dreißiger Jahre schließlich wurde die Kooperation von Tschechen und Deutschen in Wirtschaft und Politik rabiat, durch Gewaltanwendung, zum guten Teil auch von außerhalb der Republik, zu Fall gebracht. „Aktivismus“ meint hier nicht lediglich eine Struktur, Richtung, Strömung oder Partei; er verkörperte sich in Persönlichkeiten, die, im direkten oder auch indirekten Sinn, assistierten, flankierten und unterstützten. Zu zeigen war, dass es praktisch unmöglich ist, die bedeutende Rolle Spinas in diesem Zusammenhang ‚nicht‘ zu erörtern.

Quellen

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Christoph Boyer

Literatur

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Eduard Kubů, Jiří Šouša

Franz Spina und der deutsche Agrarismus in den böhmischen Ländern der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts

Abb.1: Portrait (Deutsche Landpost 8/232, 13.10.1926: 1).

1. Phänomen Agrarismus

Unter Agrarismus versteht man eine Ideologie und auch eine politische, wirtschaftliche und soziale Bewegung, die von dem Grundsatz ausgeht, dass der Boden und diejenigen, die ihn bearbeiten, entscheidende Bedeutung für Volk und Staat haben. Eine Analyse der enzyklopädischen, aber auch der weiteren Literatur zur Verbindung von Landwirtschaft und Politik fördert eine deutliche Streuung der Agrarismus-Definitionen zutage, die regional, zeitlich, national und sachlich bedingt sind. Der Agrarismus wurde sowohl zu einer

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politischen Ideologie als auch zu einer Ständeideologie. Er wurde und wird als Bestandteil des Lebensstils wahrgenommen. In der Kultur (vor allem in der Literatur) wird er als Ruralismus bezeichnet. In den einzelnen Regionen Europas reflektiert der Agrarismus die spezifischen Bedingungen der sozial-ökonomischen Entwicklung der einzelnen nationalen Gesellschaften bzw. Staaten und ihrer Ziele (Puhle 1977; Koning 1997; Gollwitzer 1977). Grob gefasst kann man sagen, dass die meisten Variationen der Doktrin des Agrarismus von dem Prinzip ausgehen, dass der Boden der wichtigste nationale Reichtum ist, sich die Entwicklung der Volkswirtschaft auf den Sektor Landwirtschaft stützen muss und dass den in der Landwirtschaft arbeitenden Personen ein adäquater Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden soll, was auch seinen Ausdruck in einer entsprechenden Vertretung im politischen System finden sollte (man geht von der These der politischen Inferiorität der Landwirte aus). In älteren Formen des Agrarismus spielen neben dem bäuerlichen Element auch die Schichten der Großbauern und der Gutsbesitzer eine wesentliche Rolle. Mit der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts, als die politischen Parteien eine Massenbasis bei den Wählern suchten, wandte sich der Agrarismus sehr dominant an die bäuerlichen und niederen Schichten der ländlichen Bevölkerung, denen er helfen wollte, ihre materielle Situation zu verbessern und ihr soziales Prestige zu heben. Ein charakteristisches Merkmal des Agrarismus ist der Antimodernismus, der manchmal als bäuerlicher Konservatismus verstanden wird und der in Antiliberalismus, Antisozialismus, im Widerstand gegen die Industrie, den städtischen Lebensstil sowie Kultur seinen Ausdruck findet. Liberalismus und Sozialismus nahm er als zwei Seiten derselben Münze wahr, d. h. als Ausdruck der ‚unseligen‘ Lebensweise der städtischen Schichten, als Folge der für sie bedrückenden Industrialisierung und der damit verbundenen Landflucht. Er betrachtete die Städte als Quelle moderner Zivilisationskrankheiten: des Pauperismus und des Mobs. Er baute auf christliche Moral. Eine tiefe Frömmigkeit, die in einem engen Zusammenschluss mit der katholischen Kirche ihren Ausdruck gefunden hätte, versuchte er jedoch nicht durchzusetzen. Das war der Konkurrenz durch die klerikale Bewegung eigen. Hauptziele aller Formen des Agrarismus wurden die Aufrechterhaltung einer florierenden Landwirtschaft und der Kampf gegen die Landflucht. Zu einem Heilmittel gegen den moralischen Verfall der Gesellschaft, der durch die städtische Kultur symbolisiert wurde, sollte die ‚Rückkehr zum Boden‘ werden, denn der Boden sei ein elementarer, ständiger Wert, der Bauer der Ernährer der Gesellschaft. Akzentuiert wurde eine patriarchalische Ordnung

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in Verbindung mit dem bäuerlichen Gehöft. Mit der Hinwendung des Agrarismus zu den mittleren und niederen Schichten hängt die Forderung nach einer Bodenreform zusammen, die die ländlichen Gebiete wirtschaftlich und sozial stabilisieren sollte. Das letzte charakteristische Element des Agrarismus ist die Formierung von an die politischen Bewegungen anknüpfenden Organisationsstrukturen, in erster Linie genossenschaftlicher, ständischer sowie anderer Art.

2. Deutsche Agrarpartei

Die deutsche Agrarbewegung hatte in den böhmischen Ländern relativ lange keine eigene politische Vertretung, die ihre spezifischen Interessen repräsentiert hätte. Um eine Vertretung der deutschen Bauernschaft bemühten sich nicht nur liberale und nationalpolitische Richtungen, sondern auch die Sozialdemokratie. Den ersten Versuch, ein eigenständiges Agrarprogramm in den böhmischen Ländern zu schaffen, formulierte der nordböhmische Bauer Franz Křepek aus dem Gebiet Litoměřice [Leitmeritz] im Jahre 1895. In Böhmen fand er die Unterstützung des von Georg von Schönerer gegründeten Bundes der deutschen Landwirte Ostmark (Parteiprogramme 1967: 73-83), aus dem auch spätere einflussreiche Abgeordnete und Senatoren des deutschen Agrarismus im Tschechoslowakischen Parlament hervorgingen und zwar: Theodor Zuleger, Erdmann Spiess, Josef Mayer sowie Josef Fischer. Auf Grundlage des Landtags des Königreichs Böhmen konstituierte sich im Jahre 1897 der Bund der Deutschen Landwirte Böhmens. Diese Vereinigung orientierte sich hinsichtlich ihres Programms am reichsdeutschen Bund der Landwirte, einer 1893 gegründeten überparteilichen Organisation.1 Führende 1  Das Ziel dieser mittelständischen Vereinigung war die Propagierung der Landwirtschaft, ihrer Bedeutung für die deutsche Heimat und nicht zuletzt auch die Verteidigung ihrer Interessen. Neben einer Propagierung von Schutzzöllen auf landwirtschaftliche Produkte war der Bund der Landwirte auch stark nationalistisch sowie politisch als auch wirtschaftlich geprägt (Deutschland auch wirtschaftlich den Deutschen). Neben dem Nationalismus vertrat er jedoch auch die klassischen Postulate des Agrarismus – den Kampf gegen einen spekulativen Kapitalismus, die Sozialisten, er propagierte das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen u. ä. (Handbuch 1911: 264-285).

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­ ersönlichkeit des Bundes der Deutschen Landwirte Böhmens wurde der P Gutsherr Franz Peschka.2 Die Gründungsversammlung der Deutschen Agrarpartei in Böhmen (im ff. DAiB) fand am 7. April 1905 statt, mehr als sechs Jahre nachdem sich die ständische česká agrární strana [Tschechische Agrarpartei] konstituiert hatte. Zu ihrem Vorsitzenden wurde der bereits erwähnte Franz Peschka gewählt, sein Stellvertreter wurde der Gutsherr Theodor Zuleger, Geschäftsführer war der in den Anfangsjahren die gesamte Bewegung integrierende Publizist Franz Jesser, der neben organisatorischen Belangen auch die Funktion des Herausgebers des zentralen Parteiperiodikums Deutsches Agrarblatt übernahm (Kuhn 1983: 10). Aus dieser Position heraus dominierte er die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, die er mit einer ganzen Reihe bedeutender theoretischer Aufsätze beeinflusste, mit denen er die Ausrichtung der Partei zu profilieren suchte. Die erwähnten Persönlichkeiten beteiligten sich auch an der Formulierung des 1905 veröffentlichten Parteiprogramms. In fachlichen Angelegenheiten – wie der Zollpolitik, der Entschuldung des Bodens usw. – bezog man sich auf das Arbeitsprogramm der Österreichischen Zentralstelle zur Wahrung der landwirtschaftlichen Interessen vom Abschluss der Zoll- und Handelsverträge in Wien aus (Linz 1982: 21). Eine weitere Quelle waren die Auffassungen des Berliner Bundes der Landwirte. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass dieses Programm ganz offensichtlich von den Bedingungen der Landwirtschaft und des Alltagslebens der ländlichen Bevölkerung in den böhmischen Ländern ausging. Die Leitenden Grundsätze der DAiB aus dem Jahre 1905 sind das erste ganzheitliche Werk von Thesen des deutschen Agrarismus in den böhmischen Ländern. Ihre Schöpfer waren so zufrieden damit, dass sie es in den nächsten Jahren nicht für notwendig erachteten, diese zu verändern (Deutsches Agrarblatt 2/16 [23.2.1901], 1f.; 6/41 [24.5.1911], 1f.). Die Partei durchlief auf dieser Grundlage alle Wahlen zu Zeiten Österreich-Ungarns. Die Präambel besagte: Sie ist eine nationale Partei mit besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Inte­ ressen der deutschen Landwirte Böhmens. Sie bildet somit die nationale, politische, wirtschaftliche und soziale Vertretung des gesamten deutschen Volkes in Böhmen. Die Erhaltung des deutschen Landwirtes auf seiner ererbten Scholle ist die erste Bedingung aller nationalen Schutzarbeit, da Grund und Boden und ihr Bebauer die natürliche Quelle der Volkskraft und Volkswirtschaft sind. Die deutschen Landwirte Böhmens fühlen sich als Glied des gesamten deutschen Volkes.

2  Zu der politischen Bauernbewegung in Böhmen im ausgehenden 19. Jahrhundert siehe Linz (1982: 15-19).

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Der Text deutet an, dass es der Partei primär um nationale Interessen ging, um die Aufrechterhaltung des deutschen nationalen Besitzstands (Hájek/ Jančík/Kubů 2009). Der Wirtschaftsnationalismus brachte das Wesen eines der Schlüsselprobleme des Deutschtums in den böhmischen Ländern zum Ausdruck, und zwar die wirtschaftliche Entwicklung der tschechischen Gesellschaft und ihr dynamischer Aufstieg sowohl in den Städten als auch auf dem Lande. Mit der Forderung nach dem Schutz der ‚deutschen Scholle‘ reflektierte die Agrarpartei die Aktivitäten und die sich radikalisierenden Forderungen nationalistischer regionaler Schutzvereine wie des Böhmerwaldbunds bzw. seines tschechischen Pendants Národní jednota Pošumavská [Nationaler Böhmerwaldverein]. Als zentrales Problem werden die Landflucht und die hierdurch hervorgerufene slavische Masseneinwanderung bezeichnet. In Teil eins der Leitenden Grundsätze werden die nationalen und politischen Forderungen formuliert. Es handelt sich um eine nationale Unterteilung der böhmischen Länder nach dem Vorbild des Landeskulturrates und des Landesschulrates, was die Autonomie der national einheitlichen Gemeinden, Bezirke und Kreise gestärkt hätte. Dann folgen die wirtschaftlichen Forderungen, die in einer Steuerreform, einer Senkung der Ausgaben für die Armee, in einer wirtschaftlichen Trennung von Ungarn, in der Gründung einer mitteleuropäischen Zollkonvention unter Ausschluss der Balkanstaaten usw. bestehen. In Teil zwei bekennt sich die Partei zu einer „streng germanischen freiheitlichen Grundlage“, was den Antislavismus und den Antisemitismus der deutschen ländlichen Bevölkerung ausdrückte. Offensichtlich ist auch das Bemühen, das landwirtschaftliche Schulwesen aller Stufen zu stärken. Erst Kapitel drei kommt mit spezifischen agrarischen Forderungen, die jedoch mit Ausnahme der Feststellung, ein Bauer sei die Grundlage des Staates, nicht vollständig mit dem Begriff Agrarismus konform gehen, zumindest so wie dieser zu dieser Zeit in der tschechischen Gesellschaft verstanden wurde. Vor allem sind hier nicht der Grundsatz des Ständetums, das Verhältnis zur Stadt, die Rückkehr zum Boden bzw. die christliche Moral und der traditionelle bäuerliche Lebensstil postuliert. Den agrarischen Prinzipien lässt sich somit nur die Entwicklung der Selbsthilfe auf der Basis eines landwirtschaftlichen Genossenschaftslebens zuordnen (Leitende Grundsätze 1905). Wenngleich im grundlegenden Programmdokument der Agrarismus als Ideologie nur undeutlich enthalten ist, trat er innerhalb der Parteipresse, auf den Parteitagen und anderen Foren zutage und profilierte sich immer stärker. An erster Stelle stand auch weiterhin der Nationalismus (Jesser 1907: 1). Der Nationalismus wurde zum prägnantesten Element des deutschen Agrarismus, durch den er sich vom tschechischen Agrarismus unterschied. Der

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tschechische Agrarismus war primär ständisch und erst sekundär nationalistisch orientiert. Im deutschen Umfeld war dies umgekehrt. Bereits im Jahre 1907 befasste sich das Deutsche Agrarblatt in einem Kommentar mit einer Idee des französischen Ministerpräsidenten Jules Méline, die zur Basis der Ideologie des europäischen Agrarismus, so ein Artikel vom 25. Mai 1907, wurde: Zurück zur Scholle (Deutsches Agrarblatt 3/42, 2f.). Die Rolle des Ständetums als charakteristisches Merkmal des Agrarismus thematisierte einer der Begründer der DAiB und spätere Repräsentant des BdL Franz Křepek, der in seinen Neujahrsüberlegungen aus dem Jahre 1911 bereits mit Begriffen wie ‚Standesbewußtsein‘ und ‚Standesinteresse‘ operierte und seinen umfangreichen Aufsatz appellativ beendete: „Ihr Bauern aller Zungen wehret euch, erkennt was euch Not tut“ (Křepek 1911: 1f.). Des Weiteren sei an den proklamativen Wahlkampfartikel erinnert, der im Deutschen Agrarblatt von 1911 unter dem Titel Was ist Deutsche Agrarpartei veröffentlicht wurde. Gleich im ersten Satz wird festgestellt, „daß sie die Standesvertretung der deutschen Landwirte Böhmens“ bilde (Deutsches Agrarblatt 6/45, 07.06.1911: 1). Vom internationalen Spekulationskapital grenzt er sich ab und verweist auf die nationale Rolle, denn die Partei konzentriere sich auf den Schutz der lokalen, ländlichen Traditionen. In dieser Zeit bestand bereits kein Zweifel mehr daran, dass die Partei die Ideologie des Agrarismus im europäischen Sinne des Wortes teilte. Dies dokumentiert auch eine Reihe von Teilartikeln zu spezifischen Pro­ blemen. Es kann jedoch keinen Zweifel daran geben, dass er an reichsdeutsche Wurzeln anknüpfte. Das Deutsche Agrarblatt informierte ausführlich über eine Reise deutscher Abgeordneter nach Deutschland, speziell nach Thüringen und Preußen, wo sie Erfahrungen mit der Wirtschaftsführung und den Kolonisierungsbestrebungen im Gebiet Posen sammelten (Goll 1911). Hier konnten sie das von Preußen eingesetzte Modell der Kolonisierungsaktivitäten überprüfen, von denen die erste mit dem Artikel Der erste Versuch einer inneren Kolonisation in Deutschböhmen bereits am 28. Oktober 1908 feierlich der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde (Deutsches Agrarblatt 3/87: 1f.). Ein Phänomen, das weiter untersucht werden sollte, ist die Klientel der Partei. Norbert Linz (1982: 22) führt an, die Deutsche Agrarpartei habe sich auf Großbauern und Gutsbesitzer gestützt. Die Partei war ein Subjekt mit einer lockeren Organisation und einer Repräsentanz aus Gutsherren und Bauern, in der auch die Aristokratie vertreten war, die sich für die Partei um Abgeordnetenmandate auf dem Landtag des Königreichs Böhmen bzw. im Wiener Reichsrat bemühte, so z. B. Ferdinand Graf Buquoy (Deutsches Agrarblatt 2/17, 27.02.1907: 1) und Leopold Graf Kolowrat (Deutsches Agrarblatt 5/24, 23.03.1910: 1). Die DAiB selbst charakterisierte sich in ihrer Wahlerklärung

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neu als „eine nationale und freiheitliche Partei des gesamten Mittelstandes mit besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen der deutschen Landwirte“ (Deutsches Agrarblatt 3/11, 06.02.1908: 3). Bei dieser Bezeichnung blieb es dann auch in den folgenden Jahren, wobei die Wahlergebnisse belegen, dass es der Partei in einem hohen Maße gelang, neue Zielgruppen anzusprechen. Über die mittelständische Klientel hinaus erreichte man die unteren sozialen Schichten der deutschen ländlichen Gebiete. Gleich bei den ersten Wahlen zur Abgeordnetenkammer des Reichsrates erreichte die DAiB auf der Basis des allgemeinen Wahlrechts im Jahre 1907 ein herausragendes Ergebnis, in Böhmen erhielt sie fast 22 % aller deutschen Stimmen und auf dieser Basis 21 Mandate, wurde damit zur stärksten deutschen bürgerlichen Partei und insgesamt zweitstärksten Kraft hinter der Sozialdemokratie. Diesen Erfolg konnte sie jedoch in den Wahlen zum Landtag des Königreichs Böhmen im Folgejahr nicht wiederholen, da sie in Böhmen 31.900 Stimmen, also nur 8 % aller Stimmen, erreichte (Statistisches Handbuch 1913: 54). Dieser Misserfolg bei den Wahlen findet seine Erklärung darin, dass in vier Kurien gewählt wurde – den Kurien des Großgutes, der Städte, der Märkte und der Industriestandorte, der Handels- und Gewerbekammern und der ländlichen Gemeinden. Das System, dass auf der Präferenz der Honoratioren beruhte, bot somit einer Partei mit einer breiteren mittelständischen und niederen ländlichen Klientel keine reale Erfolgschance. Des Charakters ihrer Wählerbasis war sich die Partei wohl bewusst, denn von Beginn an unterstützte sie die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. In den Wahlen im Jahre 1911 zur Abgeordnetenkammer des Reichsrates konnte die DAiB in Böhmen mit einem Gewinn von 21,8 % der deutschen Stimmen ihre Position verteidigen (Statistisches Handbuch 1913: 56). Der deutsche Agrarblock hatte 1911 im Wiener Parlament 30 Abgeordnete, davon 22 aus den böhmischen Ländern (Linz 1982: 21). Das hohe, aus den Wahlergebnissen resultierende Ansehen der DAiB, die konsequent­ die deutschen nationalen Interessen verteidigte, fand auch darin seinen Ausdruck, dass ihr Vorsitzender wiederholt als deutscher Landsmannminister in die cisleithanische Regierung berufen wurde. Im November 1907 war dies Franz Peschka, ein Jahr später, nach seinem Tod, war Dr. Gustav Schreiner sein Nachfolger an der Spitze der Partei.3 Die Ambitionen der Parteiführung waren von Beginn an hoch. Ihre für verschiedene politische Gruppierungen in die Abgeordnetenkammer des

3  S. die Artikel Die Deutsche Agrarpartei und Minister Peschka (Deutsches Agrarblatt 2/92: 1f.); Der neue Landsmannminister Dr. Gustav Schreiner (Deutsches Agrarblatt 3/93, 18.11.1908: 1f.).

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Reichstags gewählten Vertreter gründeten bereits im März 1906 auf ihrem Boden die deutsche Agrarpartei im Reichsrat, die den Charakter einer Abgeordnetenfraktion hatte. An ihrer Spitze stand der Vorsitzende der DAiB Franz Peschka. Diese Gruppierung verabschiedete sogar im Februar 1907 eigene Programmgrundsätze, die fast mit den  Leitenden Grundsätzen der DAiB identisch waren.4 Wenngleich sich die Agrarbewegung in Böhmen konstituierte, trug ihr Presseorgan von Anfang an einen Untertitel, der die gesamt­österreichischen Ambitionen der Partei zum Ausdruck brachte, und zwar: Organ der deutschen Agrarier Österreichs. Ein Bindeglied der gesamtösterreichischen deutschen Agrarinteressen sollte die 1911 gegründete Deutsche Agrarbank für Österreich mit Sitz in Prag als Parteiinstitution werden, die die Aufgabe hatte, sich um die praktische wirtschaftliche Verschmelzung der deutschsprachigen ländlichen Gebiete in ganz Cisleithanien zu kümmern. Die politische und ständische Gemeinschaft sollte auch wirtschaftlich gestärkt werden. Fünf von sieben Gründungsmitgliedern waren Abgeordnete des Reichsrates für die DAiB. Der ständische Gedanke war von dem Grundsatz gekennzeichnet, die großen Geldmittel der ländlichen Kreise dem flachen Lande wieder dienstbar zu machen und die Ausnützung unserer Gelder durch den Kapitalismus anderer Berufsgruppen zu verhindern.5

Die neu gegründete Aktiengesellschaft sollte neben der klassischen Kreditvergabe an Landwirte und landwirtschaftliche Genossenschaften vor allem bei der Entschuldung des landwirtschaftlichen Vermögens mithelfen und sich an der Durchführung einer inneren deutschen Kolonisierung beteiligen. Die natio­nale Verwurzelung der DAiB und ihr Einfluss in breiteren mittelständischen Schichten, aber auch in den unteren Schichten festigte ihre Verflechtung und Zusammenarbeit mit Kultur- und Bildungseinrichtungen sowie Sport- und Interessenorganisationen, sei es mit dem Turnverband oder regio­ nalen nationalen Schutzvereinen. Über ihre Tätigkeit informierte in ihren regelmäßigen Rubriken das Parteiperiodikum Deutsches Agrarblatt. Die Parteispitzen betrieben im Grunde eine Politik kleiner Gewinne wirtschaftlichen Charakters. Als größten Erfolg betrachteten sie die Zölle auf landwirtschaftliche Produkte gegenüber den Balkanstaaten. Die Kriegswirt4  S. die Artikel Eine deutsche Agrarpartei im Reichsrat (Deutsches Agrarblatt 1/26, 31.03.1906: 1); Leitende Grundsätze der deutschen Agrarpartei in Österreich (Deutsches Agrarblatt 2/16, 23.02.1907: 1f.). 5  S. den Artikel Die Deutsche Agrobank für Österreich. Ein neuer Erfolg der Deutschen Agrarpartei und der kreditgenossenschaftlichen Organisation (Deutsches Agrarblatt 5/46, 10.06.1911: 4).

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schaft bot für die Präsentation von Agrarpolitikern, die die Kriegsbestrebungen Österreichs unterstützten, nur geringen Raum.

3. Bund der Landwirte

Im Jahre 1916 begann man in Česká Lípa [Böhmisch Leipa] im Rahmen des Bezirkslandwirtschaftsvereins über die Möglichkeit zu diskutieren, eine neue politische Partei der deutschen ländlichen Gebiete zu gründen, für die, auf der Basis des Beispiels Deutschland und einheimischer Traditionen vom Ende des 19. Jahrhunderts, die Bezeichnung Bund der Landwirte gewählt wurde. Die Protagonisten dieses Plans waren die dort ansässigen Bauern Franz Peterle, Franz Heller und Franz Trieselt sowie der Geschäftsleiter des Landwirtschaftsvereins von Böhmisch Leipa Josef Janausch. Nach der Niederlage Deutschlands und Österreich-Ungarns im 1. Weltkrieg, die die deutsche Bevölkerung in den böhmischen Ländern in dramatischer Weise betraf, wurden diese Pläne umgesetzt. Das Treffen der Gründerväter der neuen politischen Partei fand statt am 17. November 1918 im Gasthof Himmel in Böhmisch Leipa. Unter den Gründervätern spielte Josef Janausch eine bedeutende Rolle, der für die Sitzung die Programm- und Organisationsgrundsätze erarbeitete. Janausch war von Hause aus Friseur und hatte bis 1915 die Funktion des Parteisekretärs des lokalen Parteiverbandes der Sozialdemokratie von Böhmisch Leipa inne, von wo aus er zum Landwirtschaftsbund und dann in die Reihen der deutschen Agrarier wechselte. Sein großer Vorteil war die Kenntnis von Organisationsstrukturen und Funktionen einer politischen Massenpartei (Linz 1982: 27-30). Gerade Janausch kann als eigentlicher Initiator betrachtet werden, der die Bekanntheit der neuen Partei und ihren Aktionsradius maßgeblich erweiterte. Der Gründungsakt fiel auf einen sehr fruchtbaren Boden, denn die Deutsche Agrarpartei, die in ihrer Führung im Grunde aus Honoratioren bestand und eine lockere Organisationsstruktur aufwies, hatte sich offensichtlich überlebt. Die Forderung nach einer modernen, handlungsfähigen politischen Partei auf der Basis einer festen Organisationsstruktur von unten schloss eine in der Vergangenheit in der deutschen Agrarbewegung nicht zu übersehende Lücke jenseits von Aristokratie und Klerikalismus. In der Tschechoslowakei wiederum wurden die großen Adelsgüter zu einem Mittel der Gewinnung

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einer neuen Klientel (Bodenreform). Die Gründung des BdL und sein formaler Bruch mit der DAiB ist in gewissem Sinne eine organisatorische Wende und eine Revolution im deutschen Agrarlager, die es in der tschechischen Agrarbewegung ca. zehn Jahre früher gegeben hatte, als die agrarische, vom Gutsbesitzerelement (Karel Prášek bzw. Stanislav Kubr) repräsentierte Partei unter der neuen Leitung von Antonín Švehla zu einer Partei der tschechischen ländlichen Gebiete geworden war, die versuchte, unter der Losung Die ländlichen Gebiete – eine Familie nicht nur die mittleren, sondern auch die niederen Schichten der Bevölkerung zu integrieren. Diese Veränderung barg ein Wachstumspotenzial bei der Wählerbasis in sich.6 Der Gründungsparteitag im Februar 1919 suchte einen Ausweg aus der Situation, in die die Deutschen in den böhmischen Ländern hineingeraten waren. Damals hoffte man noch auf eine Angliederung an Deutsch-Österreich, doch es war immer deutlicher zu spüren, dass das vormals herrschende Volk der Habsburgermonarchie in der neu entstandenen Tschechoslowakischen Republik zu einer Minderheit werden würde. Dies verhinderte zunächst in deutlichem Maße die Herausbildung einer realistischen programmatischen Ausrichtung. Unsicherheit und Atavismen herrschten auch in den Reihen der ehemaligen Funktionäre der DAiB. Einige versuchten, die alte Partei zu retten, andere erkannten sofort die besseren Möglichkeiten der neuen Partei. Als Schlüsselfigur, die die neue Partei profilieren und viele Anhänger für sie gewinnen sollte, erwies sich der ehemalige Abgeordnete und Sekretär der DAiB Franz Křepek, der mit natürlicher Autorität den neuen BdL beherrschte und wenig später den ersten Vorsitzenden F. Peterle an der Spitze der Bewegung ablöste. Zur neuen Partei bekannte sich die überwiegende Mehrheit der nichtadeligen Repräsentanten der alten Partei – an erster Stelle die Abgeordneten Josef Mayer und Theodor Zuleger. In den folgenden Wochen und Monaten kam es zu einem fast überstürzten Übertritt von Politikern und Wählern der DAiB zum neuen BdL, was das Ende der alten Agrarpartei herbeiführte. Der formale organisatorische­ Bruch zwischen beiden Parteien korrelierte daher mit einer personellen Kontinuität. Die ersten provisorischen Programmgrundsätze stammen vom Juni 1919 (Linz 1982: 331f.). In ihrer Präambel lässt sich eine Kontinuität mit der alten Agrarpartei beobachten, denn dort wird festgestellt:

6  NaP (fond BdL: Kart. 1, Verhandlungsschrift der beiden Parteitage des Bundes der Landwirte von Deutschböhmen, abgehalten am 22.-23. Februar in Teplitz-Schönau im Kaiserbad, S. 33ff.).

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Die deutsche Bauernpartei ‚Bund der Landwirte‘ ist eine nationale Partei, welche sich die energische Vertretung der nationalen und wirtschaftlichen Interessen des gesamten deutschen Landvolkes zum Ziele setzt.

Die Aufmerksamkeit der Partei erweiterte sich auf die gesamte deutsche Bevölkerung der ländlichen Gebiete. Das, was schrittweise auf den Seiten des Parteiblattes der DAiB kultiviert worden war, jedoch in ihrer Satzung fehlte, fand im Programm des BdL Aufnahme. Es handelte sich um das Paradigma einer von regional-ländlichen Interessen geleiteten Abgrenzung gegenüber Sozialismus und Kommunismus einerseits und Industriekapitalismus andererseits. Verteidigt wurde das Prinzip des Kleinbetriebs und des Genossenschaftswesens. Einen vorrangigen Platz im Programm hatten ‚völkische Belange‘. Deklariert wurden die Forderung nach Recht auf Selbstbestimmung aller Völker, insbesondere des deutschen Volkes, sowie das Prinzip der Vertretung der deutschen Interessen durch die Deutschen, was auch den Stachel des Antisemitismus in sich barg. Dieser bildete langfristig ein charakteristisches Element der Parteipolitik. Man forderte „die Beseitigung des jüdischen Einflusses auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens“, des Weiteren die volle Autonomie der Deutschen in den deutschen Gebieten. Im kulturellen Bereich war ebenfalls der Einfluss des mitteleuropäischen Agrarismus auf der Basis christlicher Moral spürbar. Mit dem Agrarismus korrespondierte auch sein Streben nach Beschränkung des theoretischen und geisteswissenschaftlichen Unterrichts im Schulwesen und einer Stärkung der praktischen und technischen Fächer. Politisch deklarierte sich die Partei als Bauernpartei, die den Konkurrenzkampf zwischen den deutschen Parteien innerhalb des deutschen Volkes verurteilte und sogar die Beseitigung des Parteienparlaments sowie seinen Ersatz durch ein nach Berufen gegliedertes Ständeparlament forderte. Der antikapitalistische Charakter und die Aver­sion gegenüber der Stadt fanden in der Forderung nach einer Beschränkung des Verwaltungsapparats, der Streichung überflüssiger Juristen und anderer Fachleute ihren Ausdruck. Der BdL forderte eine progressive Besteuerung der Reichen und Steuererlässe für geringe Vermögen. Gleichzeitig stand er für volle Bürgerrechte und -freiheiten, und zwar auch für Frauen. Im ­wirtschaftlichen Bereich vertrat er einen Zollprotektionismus, der den einheimischen Lebensmittelmarkt schützen sollte. Er wandte sich radikal gegen die Ausbeutung der unteren sozialen Schichten. Großunternehmen, vor allem Banken, sollten deshalb der staatlichen Kontrolle unterliegen. Ein besonderes Kapitel im Programm bildeten natürlich landwirtschaftliche Forderungen, die im Ganzen das Ziel verfolgten, dass der Landwirt auf seiner ererbten Scholle bleiben konnte. Man forderte eine Umverteilung des Bodens, damit dieser sich in

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den Händen derjenigen befand, die ihn bearbeiteten. Großgrundbesitz sollte enteignet und durch Schaffung bäuerlichen Grund und Bodens die innere Kolonisierung unterstützt werden. Eingeführt werden sollte auch das bäuerliche Erbrecht als Mittel zur Erhaltung der bäuerlichen Güter (Tradition des deutschen Agrarismus). Eine Reform der Verhältnisse in der Landwirtschaft sah man auch in einer Beseitigung der schädlichen Kartelle sowie von Börsenpraktiken mit Termingeschäften. Der Kontakt von Produzenten und Konsumenten sollte vor allem über Genossenschaften erfolgen. Diese sollten auch Möglichkeiten zur landwirtschaftlichen Kreditbeschaffung bieten. Das erneuerte Programm des BdL wurde am 22. Januar 1920 veröffentlicht (Linz 1982: 333-338). Innovationen gingen von der innerparteilichen Diskussion und den Anregungen regionaler und lokaler Organisationen aus. Der Inhalt der Präambel wurde nur geringfügig geändert und um den nationalen Aspekt vertieft. Die Korrektur spiegelte die neuen Aufgaben wider, die sich die Partei im Bereich Verteidigung des Deutschtums gestellt hatte, und zwar: „zu den vornehmsten Aufgaben zählt die Erhaltung des deutschen Besitzstandes“. Im politischen Teil des Programms bekannte sich die Partei erneut zur Republik als Staatsform. In Artikel 3 des Kapitels staatsrechtliche Forderungen deklarierte die Partei erstmals die Forderung nach einer Sicherung des Einflusses auf den repressiven Staatsapparat und sogar nach einer „entsprechenden Vertretung in der Regierung“. Die Realisierung solcher Forderungen wurde in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre zu einem der wichtigsten Bausteine der Parteipolitik, die von ihrem aktivistischen Flügel mit dem Vorsitzenden Franz Křepek und seinem Nachfolger, dem hier betrachteten Franz Spina, durchgesetzt wurde. Die politischen Prinzipien wurden um den Schutz sprachlicher Minderheiten und eine Militärverfassung nach Schweizer Muster erweitert, in finanzpolitischen Fragen wurden die radikalen Forderungen des rigiden, antikapitalistisch orientierten Agrarismus zugunsten der Mittelschicht geschwächt. In der Wirtschaft forderte der BdL Unterstützung für den mittleren und kleinen bäuerlichen Grundbesitz. Ein Novum stellte das Bestreben dar, weitere ländliche Schichten für die Partei zu gewinnen, seien es Gewerbetreibende, Arbeiter, Lehrer u. a. An letzter Stelle fanden im neuen Programm in stark reduzierter Form kulturelle Forderungen Eingang, die eine Unterstützung für Hoch- und Mittelschulen und Religionsfreiheit verlangten. Bei einem Vergleich mit dem provisorischen Programm aus dem Jahre 1919 wird klar, dass der explizite Antisemitismus weggelassen und allgemeine politische Passagen, die mit dem Prinzip des Schutzes der Bürgerrechte operierten, gestärkt worden waren. Der frühere (1919 markante) bäuerlich-ständische Charakter des Programms wurde leicht geschwächt, blieb jedoch erhalten, der

Franz Spina und der deutsche Agrarismus

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deutsche Agrarismus erlangte somit dauerhaft eine republikanische Form, die eine künftige Zusammenarbeit mit tschechischen Agrariern auf der Grundlage gemeinsamer Interessen ermöglichte und schließlich zum Einzug der Partei in die tschechoslowakische Regierung führte. Insgesamt kann man nicht nur eine personelle, sondern im Grunde auch eine programmatische Kontinuität des deutschen Agrarismus in den böhmischen Ländern beobachten, der sich bereits am Ausgang des 19. Jahrhunderts zu formieren begonnen hatte. Die ersten acht Monate nach dem Parteitag in Teplice diente das Deutsche Agrarblatt als zentrales Informationsorgan des BdL, wurde jedoch gleichzeitig auch von der alten Deutschen Agrarpartei in Böhmen genutzt. Der BdL versuchte deshalb, das Gros seiner Berichterstattung in regionale Blätter zu legen. Das bedeutendste war Der Landwirt, der in Karlovy Vary erschien. Ab dem 1. Oktober 1919 erschien unter der Leitung der neuen Partei ein Zentralorgan mit dem Titel Deutsche Landpost und dem Untertitel Tagblatt der deutschen Landpartei ‚Bund der Landwirte‘, politische Partei zur Vertretung der Interessen des deutschen Landvolkes in Böhmen, Mähren, Schlesien und der Slovakei.7 Ähnlich wie im Falle der Gründung des Deutschen Agrarblatts befand sich das Parteiblatt in ihrem Eigentum, Chefredakteur wurde der Sekretär der Partei. Diese Funktion hatte der bereits erwähnte Josef Janausch inne, der dem Tagblatt unter professioneller journalistischer Anleitung das Gesicht einer programmatischen Parteiplattform aufdrückte. Die Auflage stieg und erreichte mehr als 20.000 Exemplare.8 Im Jahre 1921 löste sich der BdL definitiv vom Deutschen Agrarblatt, von dem man sich, dem Sprachrohr der christlich-sozialen Volkspartei und der Großgrundbesitzer, abgrenzte.9 Der BdL wollte eine Partei der Mittel- und Kleinbauern sein. Dieses Ziel wurde erreicht. Unter den Repräsentanten figurieren zwar mehrere Eigentümer von mehr als einhundert Hektar großen Gütern, doch wie die innerparteiliche Statistik zeigt, bildeten den Kern der Mitgliederbasis Bauern mit Land von bis zu 8 Hektar (die Berechnung für das Jahr 1927 belegt einen durchschnittlichen Landbesitz pro Mitglied von 8,3 ha). Eine Tabelle, die die Statistik der Mitgliederbasis in den Jahren 1919-1927 zusammenfasst, zeigt deutlich, dass mehr als 7  Der BdL deklarierte sich zwar als gesamtstaatliche Partei, in der Slowakei jedoch war seine Mitgliederbasis nicht sonderlich stark. Die Anzahl der Mitglieder bewegte sich um die 3.000. Im Grunde handelte es sich um eine Partei der böhmischen Länder. 8  Nach eigener Werbung war die Deutsche Landpost nach dem Prager Tagblatt, der Bohemia und der Reichenberger Zeitung das viertgrößte deutschen Tagblatt im Lande (Deutsche Landpost 3/72, 01.04.1921). 9  S. den Artikel Das ‚Deutsche Agrarblatt‘ als Sprachrohr der christlich-sozialen (Großgrundbesitzer) Volkspartei? (Deutsche Landpost 3/38, 17.02.1921: 2).

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drei Viertel der Parteiklientel auf Böhmen entfallen, von wo sich auch die Parteiführung rekrutierte. Die Anzahl der Mitglieder stieg bis zum Jahre 1922 auf 172.000, danach pegelte sie sich bis zum Ende des betrachteten Zeitraums auf ca. 150.000 ein. Davon besaßen etwa 60 % Land und bewirtschafteten es (1927 60,07 %). Nach unseren Berechnungen bewirtschafteten 1927 die Mitglieder des BdL 16,06 % des landwirtschaftlichen Bodens der böhmischen Länder. Dies ist zweifelsohne ein hoher Wert und dokumentiert das wirtschaftliche Gewicht der Mitgliederbasis (Statistisches Handbuch 1928: 21). Diese große Mitgliederbasis schuf die Voraussetzungen dafür, dass die Partei ihre Politik auch auf parlamentarischem Boden zur Geltung bringen konnte. Sie erreichte, nach der Deutschen Sozialdemokratie, die besten Wahlergebnisse. Im Jahre 1920 erhielt sie 15 % aller deutschen Stimmen und 13 Mandate, in den anschließenden Wahlen 1925 dann gemeinsam mit der Ungarischen Natio­ nalpartei und der Partei der Deutschen aus der Slowakei ein Drittel der deutschen Stimmen, auf sie entfielen 16 Mandate. In den Wahlen 1929 kandidierte die Partei erneut eigenständig und erlangte knapp ein Viertel der deutschen Stimmen und erneut 16 Mandate. Ihre Position als bürgerliche Partei in der Republik war somit gefestigt, sie wurde zu einem wichtigen Teil des tschechoslowakischen politischen Parteiensystems und potenzieller Koalitionspartner. 1920

1925

1929

15,35/13

– /16

24,10/16



33,33/24



DSAP

43,70/31

24,16/17

30,80/21

DCV

9,84/9

18,33/13

20,98/14

DNP

– / 12

14,16/10

11,60/7

DNSAP

–/5

10,00/7

12,50/8

Freidemokraten

1,96/ 2





Vereinigung der deutschen Parteien (1920) **

8,26/6





20,86/15



BdL Deutsche Wahlgemeinschaft (1925) *

Deutsche Wahlgemeinschaft (1920) ***

Abb. 2: Wahlergebnisse der deutschen Parteien (Prozent deutscher Stimmen/Mandatenzahl)

– 10

10  * BdL + Ungarische Nationalpartei + Deutschen aus der Slowakei ** Deutsche Politische Parteien in 4 Wahlkreisen (Prag, Brünn, Iglau, Ungarisch Hradisch) *** DNP + DNSAP DCV – Deutsche Christlichsoziale Volkspartei DSAP – Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei DNP – Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei DNSAP – Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei.

Franz Spina und der deutsche Agrarismus

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Der Weg des BdL zur Teilhabe an der Macht durch den Aufstieg in die Regierungskoalition war jedoch recht lang und steinig. Der Grund dafür bestand darin, dass neben dem starken Nationalismus der Partei, der in der Zeit der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik sogar gegen die Basis des Staates an sich gerichtet war, die tschechischen politischen Parteien nicht darauf vorbereitet waren, mit deutschen Politikern und Parteien zusammenzuarbeiten. Die reale Politik und die Profilierung der Partei waren in den ersten Jahren ihrer Existenz (mindestens bis 1924) noch radikaler, als es das Parteiprogramm andeutet. Dies zeigt eine Kampferklärung des BdL vom Dezember 1919, die das Ringen um eine nationale Emanzipation bekräftigt, sich hart von der sozialdemokratischen Politik abgrenzt und unter dem Titel An unser deutsches Landvolk! den „Kampf für die Wahrung der wirtschaftlichen Existenz der Deutschen, für den Erhalt der Heimatscholle, der deutschen Heimat und des Familienherdes“ akzentuiert (Deutsche Landpost 1/71, 28.12.1919). Die Partei avancierte somit zu einer Vertretung aller deutscher Interessengruppen auf parlamentarischem Boden und auch außerhalb. Charakteristischer Ausdruck dieses Umstands waren die Parlamentswahlen 1920, als der BdL einer Einheitsliste der deutschen Parteien zustimmte. Im Parteitagsbericht vom Februar 1923 heißt es pragmatisch, der BdL verfolge keine festliegende starre Taktik, vielmehr sei diese wandelbar und von dem Gesichtspunkt geleitet: „was frommt der Heimat, dem Deutschtum und seinem wichtigsten Faktor, dem deutschen Landvolk!“11 Der nationale Charakter blieb auch in den dreißiger Jahren eines der wesentlichen Attribute der Partei, als sich die Partei unter Spinas Führung wegen der Gründung und zunehmenden Bedeutung der SdP am Rande des deutschen politischen Spektrums wiederfand. Der Wortführer der jungen Generation des BdL, Gustav Hacker, brachte es auf den Punkt: Der BdL ist nicht weniger national gesinnt als jedwede nationale Partei, nicht weniger religiös als jedwede christliche Partei, und nicht weniger sozial als die Arbeiterpartei. Auch stellt er ständische Interessen keinesfalls über das lebenswichtige Interesse des Volkes. (Hacker 1937: 23)

Nicht zu übersehen ist der Antisemitismus, der schon in der Satzung aus dem Jahre 1919 fixiert und in die Satzung aus dem Jahre 1928 übernommen wurde, als der BdL bereits Bestandteil der Regierungskoalition war. Absatz 1

11  NaP (fond BdL: Kart. 15, V/171, Bericht der Reichspartei-Geschäftsleitung des „Bundes der Landwirte“, politische Partei des deutschen Landvolkes an den Reichsparteitag in Znaim am 3. Februar 1923 für die Zeit vom 2. Karlsbader Reichsparteitage, das ist vom 4. und 5. Dezember bis zum 20. Januar 1923. gedrucktes Dokument).

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lautet: „Parteimitglied kann jede deutscharische Person sein“.12 Dem Antisemitismus wurde auch auf den Seiten der Parteipresse in den Aufsätzen Die Juden im Urteil der Zeiten (Deutsche Landpost 3/239, 23.10.1921) und Die Deutschen Jeiteles, Abeles usw. (Deutsche Landpost 3/273, 04.12.1921) Platz eingeräumt. Für die Veröffentlichung des Artikels Die Judenknechte wurde der Chefredakteur der Deutschen Landpost Josef Janausch sogar Im Namen der Republik (Deutsche Landpost 2/281, 18.12.1920) rechtskräftig verurteilt. Eine antisemitische Gesinnung brachte auch die Jubiläumsausgabe des Zentralorgans vom 12. September 1920 zum Ausdruck, in der eine Karikatur das Leibeigentum des 16. und des 20. Jahrhunderts vergleicht (Deutsche Landpost 2/196, 12.09.1920). Im 16. Jahrhundert hätten die Bauern unter der Knute des Feudalherrn, im 20. Jahrhunderts dann unter der Knute des Kapitalisten und Juden gelebt. Der kämpferisch formulierte deutsche Nationalismus gegen den Staat war Grund für wiederholte Konfiszierungen ganzer Nummern der Deutschen Landpost bzw. für von der Zensur ‚korrigierte‘ Ausgaben. Ein Ausdruck des Rassennationalismus war auch die vom BdL initiierte Gründung der Deutscharischen Parteienvertretung, in der sich der BdL mit DNP, DNSAP und der Deutsch sozialen Arbeiterpartei zusammenschloss,13 und die die Aufgabe hatte, „eine feste, beständige Grundlage für alle jene Beratungen zu schaffen, die den Parteien in nationaler und politischer Beziehung gemeinsam sind und die sie in den Stand setzen sollen, das deutsche Volk gegen die Angriffe der tschechischen Machthaber zu schützen“. Norbert Linz (1982) stellt in seiner Arbeit fest, dass diese Institution den Eindruck eines verstärkten Antisemitismus hervorrufen könnte, der nur dem nationalen Sozialismus eigen sei und bei anderen Parteien fast keine Rolle gespielt habe. Allerdings irrt er hier, denn der BdL war Initiator für die Gründung einer weiteren, international profilierten Institution, die als Germanische Grüne Internationale bezeichnet wurde und in den Jahren 1920-27 fast jährlich Germanische Bauern- und Landvolkkongresse einberief, an denen fast eintausend Delegierte teilnahmen. Der Sekretär des BdL Janausch war auch Sekretär und Organisator dieser Internationale.14 Der BdL und sein Apparat waren eng mit der Gebietsorganisation verbunden. In den Regionen hatte auch die organisatorische Parteiführung ihren Sitz – die Reichsparteileitung in Böhmisch Leipa, die Landesparteileitung in Mährisch Schönberg. Die überwiegend an Prag gebundenen Abgeordneten 12  NA (BdL, Kart. 2: I/15, „Reichsparteisatzungen des Bundes der Landwirte“). 13  S. Artikel Zusammenschluß der deutsch-arischen Parteien (Deutsche Landpost 1/24, 28.10.1919). 14  Der erste Kongress fand im Dezember 1920 in Karlovy Vary [Karlsbad] statt (Deutsche Landpost 2/273, 08.12.1920; 2/275, 11.12.1920 u. a.).

Franz Spina und der deutsche Agrarismus

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und Senatoren, die in die sog. ‚große Politik‘ integriert waren, entfernten sich langsam vom regionalen Alltag. Somit entstand Raum für autonome politische Konzepte. Gegenüber dem deutlich nationalen Flügel des BdL, der von Josef Mayer sowie Georg Heinreich repräsentiert wurde, formierte sich ein national versöhnlicherer und zukünftig aktivistisch orientierter Flügel unter dem Vorsitzenden des BdL Franz Křepek und seinem Wegbegleiter Franz Spina, der 1928 von ihm die Parteiführung übernahm.

4. Franz Spina und der Agrarismus

Franz Spina stammte aus der national gemischten Gemeinde Markt Türnau [Trnávka] in der Nähe von Mährisch Trübau [Moravská Třebová]. Seine Eltern waren Handwerker und betrieben Landwirtschaft. Er kannte somit die Probleme der Landwirte und der landwirtschaftlichen Produktion aus eigener Erfahrung. Als er jung war, stand die Radikalisierung des Nationalitätenkonfliktes in seiner Region noch bevor. Seine geisteswissenschaftliche Ausbildung führte zum sozialen Aufstieg. Nach Abschluss seiner universitären Ausbildung kehrte er in seine Heimatregion zurück und begann seine Laufbahn als Gymnasiallehrer für deutsche Sprache in Mährisch Trübau. Er wurde Protagonist der deutschen Heimatkunde und Mitherausgeber der Zeitschrift Mitteilungen zur Schönhengster Volkskunde (Rotter 1928: 13). Sein studentisches Leben war – gemäß Erinnerungen seiner Zeitgenossen – geprägt von einem profilierten Deutschtum und der Mitgliedschaft in deutschen Studentenvereinen.15 Er engagierte sich in der Leitung deutscher Wehrvereine, wie sich Adolf Rotter 1928 erinnert (Rotter 1928: 15). In dieser Zeit entstand seine lebenslange Freundschaft mit Franz Jesser, mit dem er das Gymnasium in Mährisch Trübau besucht und während seines Studiums an der deutschen Karl-Ferdinand-Universität in Prag einige Semester lang ein Studentenzimmer geteilt hatte (Jesser 1983: 21, 23). Die Freundschaft mit Jesser, der zu den führenden Vertretern des deutschnationalen politischen Lebens und des 15  Zu Spinas Engagement auf dem Boden der Prager Burschenschaft Constantia, die sich zu deutsch nationalen und alldeutschen Ideen stark antisemitischer Prägung meldete, siehe den Beitrag von Harald Lönnecker in diesem Band.

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Eduard Kubů, Jiří Šouša

Vereinslebens gehörte, beeinflusste zweifelsohne seine intellektuelle Entwicklung. Beide tendierten zum deutschen politischen Agrarismus. Jesser wurde an dessen Anfängen einer der wichtigsten intellektuellen Repräsentanten des formativen Typs. Gerade auf den Seiten des Deutschen Agrarblatts unter Jessers Leitung taucht bereits 1906 die neue Bezeichnung sudetendeutsch auf, die in den nächsten Jahrzehnten auf die gesamte deutsche Minderheit in den böhmischen Ländern erweitert wurde. Im Jahre 1901 heiratete Spina Valerie Waigl, die uneheliche Tochter des Gründers der deutschen Agrarpartei und österreichischen Ministers Franz Peschka. Spina wurde so nicht nur in die politische Atmosphäre des Agrarismus hineingezogen, sondern nach dem Tod seines Schwiegervaters (1908) übernahm er 1914 für seinen minderjährigen Neffen Rudolf Peschka die Bewirtschaftung seines mehr als einhundert Hektar großen Freisassenhofs in Abtsdorf/Opatov bei Litomyšl (sein Sohn fiel im 1. Weltkrieg), den er bis zum Jahre 1922 bewirtschaftete (Rotter 1928: 15f.). Hieraus wird deutlich, dass Spina wahrscheinlich, auch wenn keine Quellen vorliegen, schon in einer deutschen Agrarpartei vor dem ersten Weltkrieg engagiert war. Franz Jesser (1928: 39) erinnert: „durch seine Heirat trat Spina in neue Verbindungen mit der Landwirtschaft und jetzt auch mit der Tagespolitik“. Außer Zweifel ist die Tatsache, dass Spina bereits vor der Gründung der Tschechoslowakischen Republik detaillierte Kenntnis von der deutschen Agrarbewegung und ihren Problemen hatte, diese Bewegung stand ihm durch seine soziale Herkunft und seine landwirtschaftliche Betätigung nahe und er teilte auch ihre symptomatische nationale Ausrichtung. Dank der erfolgreichen Bewirtschaftung von Peschkas Gut verwuchs Spina mit Land und Leuten der ostböhmischen Sprachinsel, gewann das Vertrauen der dortigen Bauern und engagierte sich nach der Entstehung des BdL beim Aufbau einer regionalen Organisation (Rotter 1928: 16). Aus diesem Engagement heraus kandidierte er für diese Partei in den Parlamentswahlen des Jahres 1920. Auf einer Sitzung im Rahmen der Wahlkampagne im März 1920 in Landskron präsentierte sich Spina im Einklang mit dem deutlich nationalen Ton des Parteiprogramms des BdL. Er widmete sich nicht den Bauern und der Ideologie des Agrarismus, sondern aktuellen politischen Problemen aus einer zugespitzt nationalen deutschen Sicht heraus. Er berief sich auf das Recht auf Selbstbestimmung der Deutschen und stellte fest, der tschechoslowakische Staat sei kein Nationalstaat, sondern ein Nationalitätenstaat, der im Gegensatz zur geographischen und wirtschaftlichen Realität stehe. Dessen Orientierung nach Westen bezeichnete er als unmöglich und schädlich. Spina forderte, der Boden der konfiszierten Großgüter in den deutschen Gebie-

Franz Spina und der deutsche Agrarismus

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ten sei nur Deutschen zur Verfügung zu stellen.16 Nach seiner erfolgreichen Wahl stieg Spina rasch in der Partei- und der Parlamentshierarchie auf. Er wurde stellvertretender Vorsitzender der Abgeordnetenfraktion seiner Partei. In langen Parlamentsdebatten sprach er über die allgemeine Situation der deutschen Minderheit in den böhmischen Ländern. Er proklamierte nationale Forderungen, kämpfte gegen die demografische Zurückdrängung der deutschen Sprachinsel im tschechischen Siedlungsgebiet, erinnerte daran, dass das Schicksal der Deutschen in der Tschechoslowakei von der internationalen Situation abhänge. Die Prinzipien einer Realpolitik brachte er dann in einer Erklärung von November 1920 zum Ausdruck, in der er darauf aufmerksam machte, dass der BdL viele Wähler aus den ländlichen Gebieten repräsentiere, die im einheimischen Umfeld verankert seien, deshalb müsse man in allen Entscheidungen von nüchternen Überlegungen ausgehen.17 Trotz der Symptome eines potenziellen Aktivismus, der in der Bereitschaft bestand, mit den Tschechen zu verhandeln, hielten der BdL und sein Repräsentant Franz Spina auch weiter am nationalen Konzept der Politik fest, das prinzipiell zur tschechoslowakischen Regierung und dem Staat in Opposi­ tion stand. Spina vertrat zudem den BdL in der Deutschpolitischen Arbeitsstelle, also der Vereinigung deutscher nationaler Parteien (BdL, DCV, DNP, DNSAP), die Parlamentsaktivitäten im Geiste nationalpolitischer Interessen koordinieren sollte (Jahresbericht 1922: 23). Parallel dazu entwickelte sich jedoch bereits in den Jahren 1921-22 ein Aktivismus, der als Erreichung des Möglichen präsentiert wurde und der im Juni 1922 zu ersten Sondierungen hinsichtlich einer Regierungsbeteiligung führte (Linz 1982: 300f., 318). Spina fungierte in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre nicht nur als Experte des BdL zu Fragen der Politik, sondern auch zu Problemen des Schulwesens, die er auch im Parlament bearbeitete (Sobieraj 2002: 66-69). Ein Fragment eines erhaltenen Exhibitprotokolls des BdL aus den Jahren 1923/24 vermittelt einen Einblick in die Tiefe des Spinaschen Engagements in der Parteiarbeit, seine Kompetenzen innerhalb der Partei und nicht zuletzt seine Kontakte. Die Anzahl an Schriftstücken, die er bearbeitete, ist überraschend hoch, was bedeutet, dass sich Spina fast täglich der Parteiarbeit widmete. Ihm wurde die Korrespondenz zum deutschen Schulwesen zugeteilt, die etwa drei Viertel der Agenda bildet. Der verbleibende Teil verweist auf seine Kontakte zu tschechischen Agrarkreisen, z. B. Bohumír Bradáč und sogar zur Burg zu 16  S. Artikel Die Zukunftspolitik der Deutschen in der Republik von Dr. Spina (Deutsche Landpost 2/3, 04.01.1920). 17  S. Artikel Die Rede des Abg. Prof. Spina (BdL) (Deutsche Landpost 2/265, 28.11.1920: 5).

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Kanzler Přemysl Šámal.18 Diese Kontakte verliehen ihm im Rahmen der Partei eine besondere Stellung. Dazu trug bei, dass dem BdL – ähnlich wie den meisten Agrarparteien weltweit (und das gilt auch für die tschechische Agrarpartei) – ausreichend gebildete Intellektuelle fehlten, die für die hohe Politik geeignet gewesen wären. Spina hatte in dieser Richtung im BdL keine Konkurrenz. Auch gibt das Protokoll darüber Auskunft, dass Spina in Verbindung mit den  Reichs-, Kreis- und Bezirksleitungen des BdL stand, es behandelt jedoch keine Fragen eines ständischen Interesses. Im Laufe der ersten Hälfte der 1920er entwickelte sich allmählich eine ambivalente Einstellung im Denken und Handeln von Spina und einem Teil der Führung des BdL, die auf der einen Seite in der Opposition gegen den Staat (als gemeinsamer Politik der deutschnationalen Parteien) und auf der anderen Seite in dem Bemühen zum Ausdruck kommt, der deutschen Bauernschaft durch die Kooperation mit dem Staat einen Anteil an der wirtschaftlichen Macht zu verschaffen. In einer Rede auf der Konferenz der BdL-Bezirksverbände Reichenberg, Kratzau, Gablonz, Tannwald und Friedland kritisierte Spina den antideutschen Charakter des französisch-tschechoslowakischen Bündnisses und das Fehlen eines Selbstbestimmungsrechtes, erklärte aber im selben Atemzug, die Deutschen hätten mit Besonnenheit und Klugheit zu handeln. Diese bestehe darin, auch den kleinsten Vorteil zugunsten der deutschen Minderheit zu nutzen. In einer Rede in Reichenberg über Innen- und Außenpolitik betonte Spina: Wir verlangen, daß in den Zentralämtern unsere Vertreter sitzen, daß wir über die Verwendung der Steuern mitbestimmen, daß eine Beteiligungen der Kontrolle über die Verwendung der Staatsgelder eingeräumt wird. (Deutsche Landpost 6/37, 14.02.1924: 3)

Sein Aufstieg innerhalb der Parteihierarchie ist daraus zu ersehen, dass Spina den BdL in der Deutschpolitischen Arbeitsstelle vertrat und das Amt eines stellvertretenden Vorsitzenden einnahm. Noch auf dem vierten Reichsparteitag des BdL im März 1925 in Karlsbad bewegte sich Spina mit seiner Rhetorik tief inmitten des deutschnationalen politischen Lagers. Deutschland bezeichnet er als wirtschaftlichen Motor Mitteleuropas, dem der Vorzug vor einer unnatürlichen pro-westlichen Bündnispolitik zu geben sei. Das politische System der Tschechoslowakischen Republik, verkörpert durch fünf Entscheidungsträger der tschechischen Politik mit dem Agrarier Švehla an der Spitze, erklärte er zum undemokratischen System. Er kritisierte die „schonungsloseste Willkür in der Sprachenfrage, im 18  NA (BdL: Kart. 1, Exhibitprotokoll von AZ 981 – 14.06.1923 bis AZ 1350 – 30.08.1924).

Abb. 1: Porträt als junger Mann.

Abb. 2: Franz Spina in den 1890ern.

Abb. 3: Franz Spina Anfang der 1930er.

Abb. 4: Franz Spina in den 1930ern.

Abb. 5: Marie Spina, geb. Frieb. Mutter von Franz Spina.

Abb. 6: Franz Spina in den 1930ern.

Abb. 7: Franz Spina und Valerie, geb. Weigel.

Abb. 8: Unterschrift Franz Spinas sowie Foto mit sichtbarem Schmiss.

Abb. 9: Postkarte (Couleurkarte) der Burschenschaft Abb. 10: Franz Spina (Mitte) im Kreis der BurConstantia Prag, vor 1914. schenschaft Constantia Prag, 1917.

Abb. 11: Wappen der Burschenschaft Constantia Prag.

Abb. 12: Bude der Burschenschaft Constantia Prag am Kohlmarkt 10 mit dem am Haus angebrachten Flaggenstock, erkennbar am ‚C‘ für ‚Constantia‘ an der Spitze.

Abb. 13: Titelblatt der Frantova Práva (Nachdruck).

Abb. 14: Ernennung Spinas zum o. Prof. (tschech. Version).

Abb. 15: Ernennung Spinas zum o. Prof. (dt. Übersetzung).

Kabinett Švehla III

Abb. 16: Kabinettsphoto. v.l.n.r.: Milan Hodža; Jan Šrámek; Franz Spina; Jan Černý; Josef Václav Najman; Tomáš Garrigue Masaryk; František Udržal; Antonín Švehla; Jozef Kállay; Robert Mayr-Harting; František Peroutka; Otakar Srdínko; František Nosek; Karel Engliš.

Kabinett Udržal I (Abtritt)

Abb. 17: Kabinettsphoto. v.l.n.r.: Robert Mayr-Harting; Josef Václav Najman; Jan Šrámek; Karel Viškovký; Franz Spina; Tomáš Garrigue Masaryk; František Udržal; Jan Černý; Edvard Beneš; Otakar Srdínko; Ladislav Novák; Juraj Slávik.

Kabinett Udržal II

Abb. 18: Kabinettsphoto. v.l.n.r.: Karel Viškovský; Karel Engliš; Bohumír Bradáč; Ludwig Czech; Jan Dostálek; Jan Šrámek; Franz Spina; Emil Franke; Rudolf Bechyně; Tomáš Garrigue Masaryk; František Udržal; Edvard Beneš; Juraj Slávik; Alfréd Meissner; Rudolf Mlčoch; Josef Matoušek; Ivan Dérer.

Kabinett Malypetr II

Abb. 19: Kabinettsphoto. v.l.n.r.: Jan Krčmář, Ivan Dérer; Bohumír Bradáč; Josef Černý; Franz Spina; Jan Malypetr; Milan Hodža; Tomáš Garrigue Masaryk; Rudolf Bechyně; Emil Franke; [?]; Jan Šrámek; Jan Dostálek; Alfréd Meissner; Ludwig Czech.

Kabinett Malypetr II (Abtritt)

Abb. 20: Kabinettsphoto. v.l.n.r.: Milan Hodža, Emil Franke, Edvard Beneš, Josef Černý, Jan Malypetr, Ludwig Czech, Tomáš Garrigue Masaryk, Rudolf Bechyně, Jan Dostálek, Bohumír Bradač, Ivan Dérer, Alfréd Meissner, Karel Trapl, Jan Krčmář, Jan Šrámek, Franz Spina.

Abb. 21: Franz Spina (links) mit Tomáš Garrigue Masaryk (Mitte).

Abb. 22: Franz Spina (links) mit Tomáš Garrigue Masaryk (Mitte).

Abb. 23: Deutsche Politiker IV. Prof. Dr. Franz Spina, Führer der deutschen Agrarier, Gesundheitsminister und Herold des tschechisch-deutschen Zusammenlebens.

Abb. 24: Rundfunkansprache, 15.05.1933.

Abb. 25: Weg ins Ministerium, 28.05.1935.

Abb. 26: Verleihung der Ehrendoktorwürde an Gerhart Hauptmann in der Urania 1931. v.l.n.r.: Prof. Dr. Otto Frankl; Prof. Dr. Marian San Nicolò, Rektor der Deutschen Universität; Prof. Dr. Otto Grosser, Vorsitzender­der Gesellschaft der Wissenschaften und Künste; Dr. h. c. Gerhart Hauptmann; Minister Prof. Dr. Franz Spina; Dr. Paul Eger, Direktor des Deutschen Theaters; Prof. Dr. Alois Rzach.

Abb. 27: Franz Spina in den 1930ern.

Abb. 28: Franz Spina mit den beiden Enkelinnen Ingeborg Götz, geb. Bumba und Gertraut Rampl, geb. Bumba, Mitte 1930er.

Franz Spina und der deutsche Agrarismus

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Schulwesen, in der sogenannten Bodenreform, in der Behandlung deutscher Beamten und Offiziere.“ Die Hauptaufgabe des BdL sah er in einer Radikalisierung der Opposition, und zwar nicht nur auf parlamentarischem Boden, wo die Abgeordneten des BdL „vor allem unsere völkische Pflicht“ zu erfüllen hätten.19 Von ähnlichem Geist getragen war auch seine Wahlkampagne vor den Novemberwahlen im Jahre 1925 für die zweite Legislaturperiode des tschechoslowakischen Parlaments. Neben Forderungen nach der Beseitigung „des herrschenden Systems der nationalen Unterdrückung und wirtschaftlichen Benachteiligung“ trat das agrarisch-völkische Prinzip hier mit dem Ruf nach der Verteidigung der heimatlichen Scholle, so im Wahlaufruf des Bundes der Landwirte (Deutsche Landpost 7/245, 28.10.1925: 1), deutlicher in den Vordergrund. Die veränderte Lage nach den Wahlen 1925 bedeutet für Spinas Politik eine wesentliche Voraussetzung. Das hohe Prestige als Universitätsprofessor und akzeptierter Unterhändler brachte ihm in der neu gewählten Nationalversammlung den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer ein. Auf der Tagesordnung stand nach dem Fall der Regierung der tschechischen allnationalen Koalition auch die mögliche Zusammenarbeit tschechischer Parteien mit dem BdL und den deutschen Christsozialen. Zum Katalysator des gegenseitigen Verständnisses von BdL und den tschechischen Agrariern wurde der Konflikt um die Agrarzölle, wo ein unmittelbar partikulares Interesse der Agrarier zum Ausdruck kam und mit dem Einzug des BdL in die Regierung mündete. Die Vorwürfe deutscher Nationalisten, die von Verrat an deutschen Interessen sprachen, beantwortete Spina damit, dass die deutsche Minderheit sich mit ihrem beharrlichen Negativismus selbst um eine Einflussnahme auf das Finanzgebaren des Staates bringe, während der Aktivismus, im Gegenteil, die deutsche Frage im tschechoslowakischen Staat erneut stelle (Spina 1926). Der Regierungsbeitritt im Oktober galt als grundlegende Wendung der deutschen Politik, die sich in einen aktivistischen und einen negativistischen Teil spaltete. Es muss betont werden, dass die Posi­ tion der Aktivisten innerhalb der deutschen Gemeinschaft nicht einfach war. Ihre Stimme im innerdeutschen Dialog hatte einen defensiven Unterton. Der Leitartikel Der Wendepunkt (Deutsche Landpost 8/232, 13.10.1926: 1) am Tag der Einsetzung der neuen Regierung mit Spina als Postminister und Rudolf Mayr-Harting als Justizminister betonte, beide würden in der Regierung als Deutsche auftreten. Dies bestätigte auch Spina selbst auf der Versammlung 19  S. Artikel Der vierte Reichsparteitag des BdL, Spina: Parlamentarischer Bericht. Innen- und Auβenpolitische Angelegenheiten (Deutsche Landpost 7/56, 10.3.1925: 2f.).

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der deutschen Bauernschaft in Saaz im Dezember 1926, als er erklärte, die bloße Präsenz deutscher Minister in der Regierung könne vieles abwenden, was der deutschen Bevölkerung Schaden zufügen könnte, und erhob „die Anerkennung der nationalen Gleichberechtigung“ zum Ziel seiner Politik (Deutsche Landpost 8, 14.12.1926: 3). Zwei Jahre später auf dem Brünner Parteitag sagte Spina, dass der Aktivismus sogar eine Form vom edlem gerechtem Nationalismus darstelle: Der Aktivismus ist nicht lediglich die Auswirkung einer bestimmten Wirtschaftspolitik, sondern, da er der Wahrung der höchsten Güter unseres Volkes dient, die Ausdrucksform eines edlen, sachlich geworbenen, gerechten Nationalismus, der von hohem Verantwortungsgefühl für die Zukunft des Volkes getragen ist. (Deutsche Landpost 10/289, 18.12.1928: 1, Spina über die Entwicklung unserer Politik)

Die Regierungsbeteiligung führte in der Partei zu einer gewissen Umgruppierung der Prioritäten. Symptomatisch ist, dass in einer im agrarischen Umfeld entstandenen Interessenpartei der damalige mitteleuropäische Agrarismus an Bedeutung gewann, der auf Werten wie Ständetum und Bauerntum basierte, und zwar in einer Form, die Anknüpfungspunkte mit dem tschechischen Agrarismus hatte. Ausdruck dessen ist der Beitritt des BdL zum Internationalen Agrarbureau (IAB) 1928, auch als Prager Grüne Internationale bezeichnet. Diese ging von den ideellen Postulaten aus, die von Antonín Švehla formuliert und ab Mitte der zwanziger Jahre von Milan Hodža weiterentwickelt worden waren. Die Mitgliedschaft im IAB bedeutete eine Teilung der theoretischen Plattform des Agrarismus, wie sie im herausgegebenen Bulletin formuliert wurde (Kubů/Šouša 2008; 2010), allerdings unter Beibehaltung eines profilierten Deutschtums. Die Bevorzugung des Agrarismus vor einem Nationalismus belegt auch ein Bericht der parlamentarischen Fraktion des BdL auf dem Parteitag in Brno [Brünn] im Jahre 1928, wo angeführt wird: Die erste Voraussetzung des Gedeihens eines Volkes ist die Erhaltung und Stärkung der Landwirtschaft. Wenn wir daher in der Schaffung eines möglichst zahlreichen Bauernstandes, das erste Ziel einer nationalen Wirtschaftspolitik betrachten, so stehen wir mit dieser Politik im Dienste unserer deutschen Heimat und unseres deutschen Volkes. Die Besitzverteilung in den deutschen Randgebieten, die Erfahrung, und die Lehren der nationalen Kämpfe im deutschen Osten und Südosten, beweisen, dass unsere Bauernpolitik keine Großbauernpolitik sein kann. Hier müssen alle überkommenen politischen Anschauungen aus der Vorkriegszeit als veraltet und unrichtig zurückgestellt werden. Hier in den deutschen Gebieten dieses Staates, aber auch im reichsdeutschen Osten, gibt es nur eine wirkliche, feste deutsche Grenze, das ist die Ackerfurche, des deutschen Bauern, mit der er die des tschechischen Nachbars scheidet. Bei uns kann es aber auch keine Politik der Worte

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geben, hier ist die beste Waffe der Pflug und hier kann nur mit deutscher Bauernarbeit gezahlt werden, weil es um den letzten Wert geht, um den deutschen Boden.20

Dieser Parteitag brachte eine neue Satzung hervor, die sich an einer ständischen Gesellschaftsordnung orientierte. Der Begriff Landstand umfasste die gesamte ländliche Bevölkerung. Die Partei wollte mit diesem Programm ihre aktivistische Politik theoretisch untermauern (Sobieraj 2002: 198f.). Im Jahre 1929 begann dann ein neues Kapitel in der ideellen Entwicklung des BdL. Der Parteitag von Brno brachte die Veränderung der Ausrichtung symbolisch auch in der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden zum Ausdruck, zu dem Franz Spina gewählt wurde, was seine Position in der Regierung stärkte.21

5. Fazit

Die lange Reihe pragmatischer Zitate Spinas, die seinen unermüdlichen Nationalismus zum Ausdruck bringen, sollte uns nicht dazu verleiten, Spina als Politiker und als Menschen vorschnell abzuurteilen. Spina betrieb seine aktivistische Politik in einem stark nationalistisch geprägten Milieu. Mit anderen Worten: Eine grundlegend andere als die von Spina betriebene Politik hätte schwerlich in einer für den maßgeblichen Teil der Klientel des BdL akzeptablen Form umgesetzt werden können. Spina wurde ohnehin schon wegen seiner Politik der Regierungsbeteiligung sowie im eigenen Umfeld des BdL und bei der deutschen Landbevölkerung mit gemischten Gefühlen betrachtet. Als Politiker fand er sich auch in der eigenen Partei in der Defensive wieder. Noch auf dem Gipfel seiner Erfolge, die auch eine wirtschaftliche Komponente hatten und die Situation der deutschen Landbevölkerung unstreitig verbesserten, sah sich Spina mit seiner Politik vermehrtem Erklärungsbedarf ausgesetzt. Einer Auslegung, die ihn der Kollaboration mit den Tschechen beschuldigte, soll mit der Feststellung begegnet werden, dass Spina vormals wie jetzt Repräsentant einer deutschen Politik war, die in erster Linie der Wahrung der Interessen der deutschen Bevölkerung verpflichtet war. Dies kommt 20 � NA (BdL: Kart. 3, Parteitagsbericht 14.-16.12.1928 in Brno). 21  NA (BdL: Kart. 4, Verhandlungsschrift über die am 14. Dezember 1928 in Brünn, Deutsches Haus, stattgefundene Reichsparteivertretungssitzung).

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sogar in einer Gratulation in Versform zum Ausdruck, die auf der ersten Seite des BdL-Parteiblatts – der Deutschen Landpost – anlässlich seines 60. Geburtstags abgedruckt wurde. Unser Gruβ Das deutsche Volk stand an den Pfahl gebunden, Das Haupt zerschlagen, blutig, dorngekrönt, Und jeder neue Tag schlug ihm auch neue Wunden. O Not und Schmach! Wie wurde es verhöhnt? Da schrittest Du ans Werk, den Blick aufs Ziel gerichtet, Ein ganzer Mann, der ernst erfüllt die Pflicht. Manch bösen Handel hast Du klug geschlichtet. Du kanntest die Gefahr und wanktest nicht. Du gingst den Weg, den keiner noch gegangen, Und ob er auch verloren schien in Nacht, Du hast den leidverloren Heimatbangen, Dank ernster Arbeit, Trost und Mut gebracht. Es mag der Kläffer Schar vor Neid und Missgunst schwellen, Sie mag noch oft zerstampfen Deine Saat, O lass sie reden, rügen, böse Worte schnellen. Einst mag sie sehen, was die Treue tat… Du bist noch jung mit Deinen sechzig Jahren, Die Hand ist fest, das Herz ist treu und gut. Ja, Du bist treu wie jene Helden waren, Die ihrem Volke opferten ihr Blut. Die Heimat grüβt, für die Du oft gestritten, Es grüβt der Schönhengst seinen groβen Sohn Und wenn Du auch manch bitteres Leid erlitten, Die alte Heimat lebt, das sei Dein Lohn. Es grüβt der Bauernstand, dem Du entsprossen, Das Landvolk grüβt, das Dir sein Treuwort gibt, Der schönste Gruβ sei Dir zuletzt erschlossen, Es grüβt Dein Volk, das Du so heiss geliebt. (Deutsche Landpost 10/228, 05.10.1928: 1)

Spinas prekäre Situation wird noch anschaulicher durch ein weiteres Dokument aus dem Jahre 1928 – einer bemerkenswerten Karikatur, die die Ambivalenz auf Seiten der mit Spina unzufriedenen deutschen Wählerschaft zeigt. Ihr ist er zu wenig deutsch, zu sehr mit der tschechischen Regierungsmehr-

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heit im Bunde – wobei aber dieselbe Gemeinschaft Spina zugleich akzeptiert, weil er ihre Situation merklich verbessert hat (Deutsche Landpost 10/276, 01.12.1928: 3).

Abb. 3: Die Wandelbaren.

Derartige Dokumente sind keine Seltenheit. Sie legen jedoch weniger Zeugnis von Spinas Persönlichkeit als vielmehr von der Geistesverfassung der deutschen Landbevölkerung und ihren – das Parteiblatt beherrschenden – politischen Führungsgestalten ab. Kehren wir also zu Franz Spina, seiner Beziehung zum deutschen Landvolk und zur Ideologie des Agrarismus zurück. Franz Spina stammte aus einem agrarischen Umfeld und in diesem Umfeld bewegte er sich mehrere Jahrzehnte lang. Er verwaltete Peschkas Gut, engagierte sich in der lokalen Politik, kannte die Probleme der Bauernschaft. Trotz allem aber verinnerlichte er den Agrarismus als Weltanschauung und den Inhalt der agrarischen Politik bis zu seinem Amtsantritt als Vorsitzender des BdL nicht. Hugo Scholz stellte im Teil Franz Spina und seine Bauern in der Jubiläumsschrift zu Spinas sechzigstem Geburtstag ausdrücklich fest: „Franz Spina kennt den Bauern bis ins kleinste.“ (Scholz 1928: 43) Spina allerdings war Intellektueller und hatte Sinn für die große Politik. Somit kam es zu einer besonderen Situation: Die Führung der Partei war von einer Persönlichkeit geprägt, die die Tradition des eigenständigen deutschen Agrarismus in den böhmischen Ländern ­repräsentierte,

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die aber mit dem Agrarismus als solchem nicht arbeitete.22 Die Berührungspunkte der von ihm konzeptionalisierten Politik mit dem deutschen Agrarimus stellte Spina als nationales Interesse, als Erfolg für die Bauernschaft und die Landwirtschaft als solches dar. Dazu ist nur zu bemerken, dass dieses Paradox dem BdL nicht nur nicht schadete, sondern ihm offensichtlich zugute kam. Spina, ohne dass er das Programm grundsätzlich zu reformieren versuchte, führte die Partei von einem auf der Tradition basierenden Agrarismus zu einer modernen bürgerlichen Fassung der Politik.

Quellen

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Literatur

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Harald Lönnecker

„Er hielt seine schützende Hand über die Burschenschaften ...“. Franz Spina und die akademischen Vereinigungen Der an der Deutschen Universität Prag lehrende Slavist Franz Spina (18681938), zugleich Parteivorsitzender des Bundes der Landwirte, Abgeordneter und Regierungsmitglied in der Tschechoslowakei, gehörte seit seiner Studentenzeit der Prager Burschenschaft Constantia an.1 Noch Jahrzehnte später erinnerten sich seine Bundesbrüder: „Er hielt seine schützende Hand über die Burschenschaften und das gesamte Farbenstudententum.“ (Schaffar 1950: 2; Constantia 1961: 6) Spina galt als ein engagierter Burschenschafter und bekannte sich stets zu seiner Burschenschaft. Immer nahm er „am Geschick der Burschenschaft regen Anteil und beteiligte sich an den meisten Veranstaltungen.“2 Constantia war am 10. Oktober 1861 als „akademisch-technische Verbindung“ an der Prager Technischen Hochschule mit dem Wahlspruch „Bieder, fest und treu!“ gegründet worden, ihre Mitglieder trugen ein violett-weißschwarzes Band und eine violette Mütze.3 Angeblich soll Constantia auf eine 1  Er war 1888 aufgenommen worden. S. BArch (DB 9, M. 1.: Franz Spina); Dvorak (19962005/I-5: 468-470); Schaffar (1950: 1f.); Berka (1959: 47); Lönnecker (2008a: 142-144, 158, 185, 263f.; 2009a: 174). – Für vielfältige Unterstützung danke ich Wilfried Stangler (Burschenschaft Sudetia München, Burschenschaft Constantia Prag), Geretsried, Archivar der Burschenschaft Constantia Prag. 2  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 8. 3  Hierzu und im folgenden: Constantia (1961: 2-5); Schmidt (2010: 50f.); Münchener Burschenschaft Sudetia (1980: 157f.); Hauptleitung (1898: 29; 1908: 115, 118f., 125, 129-131, 140, 144, 231f.); Haupt (1925: 113; 1929: 119); Droßbach/Hauske (1932: 439f.); Amberger (1951: 97f.); Locher/Saß (1964: 122, 124); Hauptausschuß der Deutschen Burschenschaft (1982ff.: 1.3.058, 1.3.062); Dachsel (1998: 54, 58); Deutsche Burschenschaft (2005: 104, 108); Balder (2005: 332, 347f.); Fabricius (1926: 427); Ranzi (1956: 68-70, 72; 1960: 116); Bräunlich (1965: 87, 89f., 92-94, 96); Doeberl u. a. (1931: 1000); Gladen (2007: 155, 177); Jess (2010: Nr. 6127 Gr2); Lönnecker (2008a: 238); H., G. (1932: 220f.); KUP (656/59, U: Prager Burschenschaft ‚Constantia‘, 1883-1910).

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studentische Verbindung namens Die Veilchenblauen zurückgehen, die bereits vor 1848 bestand, was aber keineswegs sicher ist. Gelegentlich wird auch der 22. Februar 1868 als Gründungsdatum angegeben, weil sich Constantia an diesem Tag zur Burschenschaft erklärte, das bereits seit der Gründung praktizierte Satisfaktions- und das Mensurprinzip offiziell anerkannte und für die Mitglieder verpflichtend machte. Im Sommersemester 1872 musste Constantia wegen „schwachen Mitgliederstandes suspendieren“, tat sich im „Frühjahre 1875 [...] wieder auf“ und erklärte sich am 21. Februar 1877 zum Corps. Am 18./28. Oktober 1882 wurde Constantia „deutsch-technische Verbindung“, da die anderen Prager Corps Constantia die Anerkennung dafür verweigerten, daß sie ihren Namen ‚technisches Korps Constantia‘ in ‚Deutsches Korps Constantia‘ umändere, und zwar war der Name Verbindung nur als Übergang zu der kurz darauf folgenden Burschenschaftserklärung angenommen worden.

Von 1886 bis 1888 wiederum suspendiert, ermöglichte die Prager Burschenschaft Teutonia durch Abstellung von drei Mitgliedern Constantia die Wiederaufnahme des „Aktivenbetriebs“, die sich so 1889 an der Gründung des Verbands der Burschenschaften in Österreich, des Linzer Delegierten-Convents (LDC), beteiligen konnte. Diese Auftuung war jedoch von kurzem Bestand, da die Burschenschaft schon im Jahre 1892 neuerdings suspendiert wurde, nachdem vorher das [Moldau-]Hochwasser das ganze Inventar samt dem Archiv vernichtet hatte.

Die ehemaligen, bereits examinierten und im Beruf stehenden Mitglieder, die Alten Herren, darunter Spina, „hielten [...] in ihrer ausgezeichneten Übereinstimmung eng zusammen.“ 1904 gründeten sie einen eigenen Altherrenverband, der bis 1911 seinen Sitz in Aussig a. d. Elbe hatte. Der Aktivenbetrieb lief über Jahre „auf kleiner Flamme“ und erst am 10. bzw. 20. Juni 1906 erstand die seit einer Reihe von Jahren suspendierte Burschenschaft ‚Constantia‘ aufs neue und wurde bei ihrem Eröffnungskommers am 30. Juni von allen Prager Burschenschaften freudig begrüßt.

Die drei, dann fünf Wiedergründer waren Mitglieder der Prager Burschenschaft Thessalia und der Brünner Burschenschaft Arminia, die zu diesem Zweck eigens von ihren Burschenschaften beurlaubt worden waren (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 5/2, 1904: 47; 7/7, 1906: 114).4 Aus diesen Umständen ergaben sich engere Beziehungen Constantias zu Arminia Brünn und der mit dieser befreundeten Burschenschaft Arminia 4  Seit 1902 wurde verstärkt versucht, Constantia wiederzubeleben (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 3/1, 1902: 5; 3/12, 1902: 14).

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Wien, mit denen sich Constantia 1908 zum Grenzlandkartell zusammenschloss, dem 1922/23 noch die Burschenschaft Marcho-Teutonia Graz beitrat. Constantia gründete zu Pfingsten 1907, am 19./20. Mai, den LDC-Nachfolgeverband, die Burschenschaft der Ostmark (BdO) mit, mit dem sie im August 1919 im rund 160 Mitgliedsverbindungen zählenden Verband der Burschenschaften, der mit Vorläufern bis 1818 zurückreichenden Deutschen Burschenschaft, aufging.5 Bereits im Mai 1933 schied sie auf Grund der politischen Entwicklung aus dieser aus und war Mitglied der neugegründeten Burschenschaft der Sudetenländer (BdS), die bis 1938 bestand. Anfang 1939, etwa zum Zeitpunkt der deutschen Besetzung Prags, stellte Constantia den Aktivenbetrieb ein, bestehen blieb ein lockerer Kreis ehemaliger Mitglieder, der 1941 den Altherrenverband wieder gründete. Er schloss sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht dem NS-Altherrenbund (NSAHB) an, einer Unterorganisation der Reichsstudentenführung für die Mitglieder ehemaliger Korporationen. Zweimal im Monat fanden auch unter beachtlicher Beteiligung der Bundesbrüder aus der Provinz Constanzen-Treffen in Prag statt. Dies währte bis zum Zusammenbruch von 1945, dann rissen alle Verbindungen infolge der Katastrophe ganz auseinander.

Nach der Vertreibung „fanden die Bundesbrüder im Westen Deutschlands langsam wieder zusammen. Der Altherrenverband erstand neu“, auf Grund der alliierten Beschränkungen „getarnt als ‚Allgemeiner Handelsverband‘, aus Anlaß des neunzigjährigen Stiftungsfestes im Jahre 1951 in Frankfurt am Main“. Noch in diesem Jahr erfolgte die Rückbenennung in Burschenschaft Constantia – Altherrenverband – er zählte rund 120 Mitglieder –, der am 19. Mai bzw. 15. Juni 1951 gemeinsam mit anderen Burschenschaften aus Prag, Brünn und Tetschen-Liebwerd die nach wie vor bestehende Burschenschaft Sudetia München gründete.6 Im vielschichtigen Spektrum der Prager akademischen Verbindungen und Vereine in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte Constantia zu den Burschenschaften und stand damit in der Spitzengruppe der inoffiziellen studentischen Hierarchie (Lönnecker 2004b: 145, 150f.). Zwar hatte es um 1820 und während der Revolution von 1848/49 5  Zur Geschichte der Burschenschaft in Österreich jeweils mit weiteren Nachweisen s. Lönnecker (2008d: 405-421, 499-504; 2009b; 2010a); zur Geschichte der Deutschen Burschenschaft im 19. u. 20. Jahrhundert, jeweils mit weiteren Nachweisen Lönnecker (2009a; 2009b: 252-259; 2004; 2006/2008; 2006: 113-121; 2008b; 2008c: 27-33; 2010b; 2010c). 6  Constantia (1961: 4f.); Sudetia (1980: 85f., 158, 162f.); Amberger (1951: 97); Locher/Saß (1964: 122); Hauptausschuß (1982: 1.3.058); Dachsel (1998: 54); Deutsche Burschenschaft (2005: 104); Balder (2005: 332, 348); Doeberl (1931: 1000); Gladen (2007: 142, 155f., 180, 182); Jess (2010: Nr. 6-127 Gr2); Lönnecker (2008a: 224).

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studentische Zusammenschlüsse in Prag gegeben, doch waren sie von den Behörden rasch wieder unterdrückt worden, ihre Mitglieder von der Hochschule relegiert und inhaftiert oder in die Emigration getrieben.7 Erst nach dem Ende der Restaurationszeit der Ära Bach 1859 und besonders nach dem Deutschen Krieg von 1866 und dem ihm folgenden österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 bildeten sich in rascher Folge eine Vielzahl von Verbindungen und Vereinen, die sich das neue, freiere Vereins- und Koalitionsrecht zunutze machten. Organisationsformen und Organisationsstrukturen, Mentalitäten und Habitus, Aktivitäten und Unternehmungen der künftigen Funktionselite nahmen in Prag jedoch eine unverwechselbar andere Entwicklung als sonst in Österreich oder Deutschland: Einerseits war nach außen die nationale Ausdifferenzierung zwischen Tschechen und Deutschen bestimmend, andererseits war die deutsche Studentenschaft innerlich nicht homogen, sondern zerfiel in verschiedenste miteinander konkurrierende Gruppen und Grüppchen, die meist bestimmten politischen Parteien oder Verbänden enger verbunden waren, diese oft sogar gründeten. Aus diesen Beziehungen und Spannungsverhältnissen resultierten Besonderheiten und großer Einfluss der Prager deutschen Studentenschaft zwischen 1867 und ihrem Untergang 1945, der weit über den Hochschulbereich hinausreichte. In der böhmischen Landeshauptstadt Prag, einer Großstadt mit rund einer halben Million Einwohner um 1900, lebten etwa 50.000 Deutsche, die meist der Mittel- und Oberschicht angehörten und das politische, kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt beherrschten. Die deutschen Unterschichten waren im Laufe des 19. Jahrhunderts weitgehend tschechisiert worden. Die etwa 2.500 deutschen Studenten, von denen mit steigender Tendenz etwa die Hälfte einer akademischen Verbindung oder einem akademischen Verein angehörte, rekrutierten sich daher weniger aus Prag selbst, sondern aus den deutsch besiedelten Randgebieten Böhmens und Mährens, dem Sudetenland.8 Geprägt durch eine dort mehrheitlich deutsche Kultur, politisch am Erbe des großdeutschen Liberalismus von 1848/49 orientiert, trafen sie in Prag auf eine tschechische Bevölkerung und Studentenschaft, die sich mehr und mehr nationalisierte und wie die Ungarn einen Ausgleich innerhalb der Donaumonarchie begehrte, der angesichts der aktuellen Gegebenheiten nur auf deutsche Kosten gehen konnte. Diese Konstellation führte nach 1880 7  Hierzu und im folgenden Lönnecker (2008a: 15, 25-28; 2001; 2003a; 2007; 2006b); Zusammenfassungen: Lönnecker (2009g; 2010e; 2010f; 2010g). 8  An der deutschen Universität studierten 1900 1.343 Studenten, 1907 waren es 1.587, die deutsche Technische Hochschule zählte 964 Studenten, die tschechische Universität 3.708, die tschechische Technische Hochschule 1.712 (Lönnecker 2008a: 74, 117f.).

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zu Konfrontationen, die sich in Budenstürmen und Straßenschlachten entluden. Berühmt wurden die Kuchelbader Schlacht am 28. Juni 1881 – eine Massenschlägerei zwischen Tschechen und Mitgliedern des Corps Austria im Kontext des Wahlkampfs um die Mandate der Prager Handelskammer für das nach Kurienwahlrecht zusammengesetzte österreichische Parlament – und der Sturm auf die studentischen Vereinslokale 1896/97 sowie 1920, denen Karl Hans Strobl (1877-1946) – Mitglied der Corps Austria und Frankonia Prag, Frankonia Brünn und Saxonia Wien – in seinen Romanen literarische Gestalt gab (Lönnecker 2008a: 31-54, 103f.). Constantia wurde besonders Mitte 1912 in Mitleidenschaft gezogen, als „Sokoln aus allen Teilen der Welt [...] nach Prag zum allslawischen Sokolkongress“ strömten: Das Festprogramm war seit langem aufgestellt, nur der Angriff auf die deutschen Studenten fehlte. Und dennoch konnte er nicht umgangen werden, gehört dies doch bereits zu Programmpunkten bei grossen slawischen Anlässen. Und tatsächlich nach dem grossen Festzuge musste diese Lücke des Programms ausgefüllt werden, Stockhiebe und Fusstritte, Hanbarufe, Kappenraub verliehen Ausdruck jener stets unterschätzten tschechischen Kultur. Das auch unsere Bundesbrüder den frischen Hauch dieser Kultur zu spüren bekamen, braucht wohl nicht näher auseinandergesetzt zu werden.9

Bereits vier Jahre zuvor, 1908, hieß es: Der Prager tschechische Mob, entfesselt durch die chauvinistischen Hetzblätter, beherrschte die Gasse, und ließ seine Wut spüren an jedem, der sich als Deutscher bekannte. Schutzlos und vogelfrei war nun schon wieder einmal der Burschenschafter, niemand nahm sich seiner an, er aber hat gezeigt, daß er immer unentwegt ‚Farbe tragen und Farbe bekennen will‘. [...] Constantias Söhne waren fast immer als die ersten den Angriffen des tschechischen ‚Kulturvolkes‘ ausgesetzt.10

Die Abwehr tschechischer Ansprüche bedeuteten der deutschen Studentenschaft ein Erfordernis, hingen davon doch ganz konkret die eigene Zukunft, eigene gesellschaftlich-soziale Sicherungs- und Aufstiegsmöglichkeiten ab. Entsprechend radikalisierten und nationalisierten sich die Studenten nicht nur zunehmend, sondern suchten und fanden auch Verbündete im 9  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 89. und 90. Semester ihres Bestandes 1911/12. Prag 1912, 3) 10  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ [W.S. 1908/09-S.S. 1909], 1); zu den Unruhen von 1908 s. Lönnecker (2008a: 50f.); der Ausspruch „Farbe tragen heißt Farbe bekennen!“ wird dem Prager Rektor Karl Rabl (18531917) zugeschrieben, einem Ehrenmitglied der Prager Universitäts-Sängerschaft Barden (Lönnecker 2008a: 49).

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außeruniversitären­Bereich, die von Parteien bis hin zu Massenorganisationen wie dem Deutschen Schulverein, dem Bund der Deutschen in Böhmen oder dem Bund der Landwirte reichten. Einige deutschnationale Parteien und Politiker – vor allem Ernst Bareuther (1838-1905), Raphael Pacher (1857-1936) und Karl Hermann Wolf (1862-1941) – waren so eng mit Prager Korporationen verzahnt, dass die Verbindungen vielfach als eine Art politische Vorfeld- oder Jugendorganisation der Parteien und Bünde galten (Lönnecker 2008a: 31, 34f., 56-64, 101, 141-151, 156-159).11 Auch Constantia war hier zu verorten: Bei den Reichsratswahlen [1911] entfalteten unsere Bundesbrüder in der Provinz sowohl als auch in Prag eine lebhafte Agitation zu Gunsten der deutschnationalen Kandidaten. Wir beteiligten uns an den Wahlen in Prag, Leitmeritz, Warnsdorf, Türmitz, Krummau und Asch.12

Es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, als verliefe die Front in der Studentenschaft in erster Linie zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Dies ist irrig und wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß die etwa 100 bis 150 deutschen Prager Korporationen und Vereine – wie andernorts auch – untereinander tief zerstritten waren, wenn auch der Appell an die gemeinsame Nationalität in heiklen Situationen stets einen Solidarisierungseffekt über alles Trennende hinweg zur Folge hatte (Lönnecker 2008a: 64, 126-128). Es gab deutschnationale oder alldeutsche, großdeutsch-antiklerikal-antisemitisch orientierte Korporationen und deutschfreiheitliche, großdeutsch-liberalnichtantisemitische – auch als „paritätisch“ bezeichnet – Verbindungen, dazu großösterreichisch-liberale – antisemitisch und nicht – und konfessionell ausgerichtete deutschkatholische mit Neigung zu den Christlich-Sozialen, dann deutschjüdische, österreichischjüdische, orthodoxjüdische und zionistische, und dies keineswegs in dieser Stringenz, sondern in verschiedenen Spielarten und changierenden Entwicklungsstufen, wiederum unterteilt nach Satisfak­ tion gebend oder nicht, Mensuren schlagend oder nicht, couleurtragend – Farben in Band und Mütze zeigend – oder nicht.13 Sie rekrutierten sich zudem aus 11  Kurzbiographien Bareuthers, Pachers und Wolfs bei Lönnecker (2008a: 249f., 257, 264f.). 12  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 8). 13  Satisfaktion oder Genugtuung ist die Wiedergutmachung einer wörtlichen oder tätlichen Beleidigung durch einen Zweikampf mit schweren Waffen, wozu der Beleidigte seinen Gegner herausfordert; für eine Mensur ist kein Ehrengrund notwendig, ihr Zweck ist ein erzieherischer, da Mut, Kraft, Haltung, Selbstbeherrschung usw. gezeigt werden sollen; zu Begriffen, Hintergrund, Entwicklung und theoretischer Einordnung (Lönnecker 2005a; 2009c: 119-127; 2011a).

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unterschiedlichen sozialen Schichten. So waren die älteren Burschenschaften und Corps mit einem hohen Anteil an Juristen und Medizinern eher groß- und bildungsbürgerlich geprägt und damit elitärer als jüngere Landsmannschaften und studentische Kollegen- bzw. Landtage oder wehrhafte Vereine mit eher wirtschaftsbürgerlichem Hintergrund, wo die Ökonomen und Techniker leicht überwogen, und diese waren wiederum elitärer als konfessionelle Verbindungen mit einem verhältnismäßig hohen katholischen Theologenanteil und zahlreichen Philologen eher kleinbürgerlicher Herkunft. Die soziale Zusammensetzung bildete sich in einer informellen Hierarchie ab, an deren Spitze – wie erwähnt – die deutschnationalen, Farben tragenden, Satisfak­tion gebenden und Mensuren schlagenden Burschenschaften standen, gefolgt von den sozial elitären und exklusiven, aber meist großösterreichisch-liberalen Corps, die sich hinsichtlich Farben und Waffengebrauch jedoch nicht von den Burschenschaften unterschieden (Lönnecker 2004b).14 Gemein war den meisten Verbindungen die Nichtaufnahme tschechischer Hochschüler, die sich allerdings auch kaum einmal um die Mitgliedschaft bewarben – man musste kooptiert werden – und nur vereinzelt in deutschkatholischen Verbindungen nachzuweisen sind. Zudem zog die steigende Zahl der Studenten bei den Zeitgenossen den Eindruck der Vermassung nach sich, was wiederum zu einem Gefühl ständig steigender Konkurrenz führte, die sich in starken Distinktionsund Segregationstendenzen der einzelnen Korporationen bzw. Korporationstypen untereinander und nach außen manifestierten (Lönnecker 2008a). Wesentlicher Begründer des Deutschnationalismus war Georg von Schönerer (1842-1921) mit seinem Aufruf Deutsche Stammesgenossen, fortgesetzt in seinem Linzer Programm vom 1. November 1882. Deutlich erkennbar hatte Schönerers Programm einen mittelständisch-agrarischen Zuschnitt, war gegen das altliberale Großbürgertum gerichtet, barg revolutionäre und reak­ tionäre, liberale und soziale bzw. sozialreformerische Strömungen. Besonders stark war bei ihm die nationale Komponente, die mehr und mehr ethnisch definiert wurde. Er verlangte die Bevorzugung der deutschen Sprache als Amtssprache und die Zusammenfassung der deutschsprachigen Kronländer Österreichs einschließlich Böhmens und Mährens und deren engeren Anschluss an das Deutsche Reich, was praktisch die Zerschlagung ÖsterreichUngarns bedeutet hätte und in den Augen der Behörden Landesverrat war. 14  Die deutschnationalen Burschenschaften dürfen nicht mit den paritätischen Burschenschaften verwechselt werden, die zwar auch deutsch waren und die Aufnahme tschechischer Studenten ablehnten, jedoch (deutschen) Juden den Beitritt gestatteten; der Begriff Burschenschaft ist nach 1860 keineswegs auf eine bestimmte Ausrichtung des Korpora­ tionsspektrums begrenzt; zu den Corps s. Anm. 3 und Lönnecker (2008a: 36, Anm. 67).

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Schönerer „war damit zum Held des Tages geworden, die deutschnationalen Österreicher und vor allem die Studentenschaft wurden [sic!] ihm blindlings ergeben.“ Niemand im Habsburgerreich trat für deutschnationale und alldeutsche Ideen konsequenter und kompromissloser ein als die Mitglieder der nationalen Korporationen, allen voran die Burschenschaften. Einher gingen diese Forderungen mit einem starken Antisemitismus, der in verschiedenen Ausprägungen zu einem tragenden Pfeiler des politischen Bewusstseins der Studenten wurde. Als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Ideen völkischer Denker mit denen des Grafen Joseph Arthur de Gobineau, Wilhelm Marrs und Houston Stewart Chamberlains vermischten, waren „alldeutscher Nationalismus und Antisemitismus synonym geworden“ (Lönnecker 2008a: 22-24, 66).15 Dieser Entwicklung entsprach auch die Constantias. Die dauernde Konfrontation mit Tschechen, Hochschülern wie Prager Bevölkerung, radikalisierte auch ihre Mitglieder und „hatte eine Verstärkung der nationalen Bestandteile der Studentenschaft, besonders der Burschenschaft, zur Folge“ (Lönnecker 2008a: 37f.). Das Aufnahmegesuch eines Studenten in eine Korporation erhielt mehr und mehr den Charakter eines deutschen Bekenntnisses. Der Burschenschaft Carolina Prag zufolge war die Einwirkung dieser Prager Excesse auf das innere Leben der Burschenschaft [...] eine durchaus günstige. Wie sie im allgemeinen dem deutschnationalen Gedanken neue Nahrung zuführten, bewirkten sie im Verbande der Carolina einen festen Zusammenschluß der vorhandenen und ein reges Zuströmen neuer Mitglieder.

Der Badenisturm 1897/98 hatte eine ähnlich mobilisierende, radikalisierende, aber auch integrative Wirkung: „Die neuentfachte nationale Begeisterung führte ihr [der Burschenschaft, H.  L.] zahlreiche Mitglieder zu, die vor Begierde brannten für ihr Volk zu wirken.“ Eine andere Haltung als eine strikt nationale schien unmöglich, Verbindungen ohne sie ging es personell schlecht – einige gingen sogar unter –, und selbst die sich ihr bisher teilweise widersetzenden Korporationen zogen nach: Es „nahmen alle noch bestehenden Corps deutschvölkische und antisemitische Richtung an und festigten sich dadurch wieder.“ Zwanzig Jahre später sahen die Burschenschaften das als ihr Verdienst an: 1891 „studierten kaum 100 Burschenschafter“ in Prag, 1912 „zählen die 7 Prager Burschenschaften 338 studierende Mitglieder in ihren Reihen. Eine große Anzahl einstmals liberaler Korporationen sind heu15  Kurzbiographie Schönerers bei Lönnecker (2008a: 262); er war Ehrenmitglied zahlreicher Korporationen, in Prag des Lese- und Redevereins der deutschen Hochschüler in Prag Germania (1897), der Verbindung Campia (1896) und der Burschenschaft Germania (1898).

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te streng national; Korps, Gesang- und Fachvereine wetteifern mit uns in ernster­völkischer Arbeit.“ (Lönnecker 2008a: 38) Auch Constantia war den Weg der schrittweisen Radikalisierung gegangen. Zunächst bloße Verbindung, war sie Corps geworden, nationalisierte sich und versuchte 1882 – kurz nach der Kuchelbader Schlacht – deutsches Corps zu werden. Das war Programm und bedeutete die Abwendung vom Internatio­ nalismus der Donaumonarchie, nur noch Deutsche wurden aufgenommen. Das reichte aber längst nicht, erst die weitere Radikalisierung, sichtbar in der Erklärung zur Burschenschaft, ermöglichte das personelle Überleben. Dabei gehörte Constantia nicht zu den äußersten Radikalen, was in der Studentenschaft natürlich bekannt war, so dass bewusst deutsche Abiturienten eher den sich als ausdrücklich deutschnational verstehenden Verbindungen beitraten. Das führte wiederum zur mehrfachen Suspendierung Constantias auf Grund Mitgliedermangels. Es ist nicht bekannt, was Spina 1888 zum Eintritt bewog, vielleicht war es gerade der Umstand, das Constantia zu dieser Zeit nicht als so radikal wie die anderen Burschenschaften wahrgenommen wurde. Trotzdem, auch als sie sich nach und nach radikalisierte, blieb er ihr treu.16 16  Berichte, Mitgliederverzeichnisse usw. mit vielfacher Nennung Spinas in BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ (W.S. 1908/09-S.S. 1909); DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J.; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 89. und 90. Semester ihres Bestandes 1911/12. Prag 1912; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Vierteljahresmitteilungen der Prager Burschenschaft „Constantia“ 15.10.-07.12.1913; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichtenblatt der Prager Burschenschaft „Constantia“ 1/3-8, 1924, 2/2-9, 1924-1926, Folge 14, April 1928, Folge 15, Juni 1928, 6/1-2, 1929; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichten der Burschenschaft „Constantia“ 6/1-2, Feb. 1929; Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (5/2, 1904: 29; 5/2, 1904: 47; 5/4, 1904: 60; 5/7, 1904: 114; 5/12, 1904: 193; 7/7, 1906: 114; 7/8, 1906: 134; 7/12, 1906: 190; 8/2, 1907: 35; 8/4, 1907: 76f.; 8/5, 1907: 93f.; 8/7, 1907: 112; 8/8, 1907: 136; 8/10, 1907: 180; 8/11, 1907: 201; 8/12, 1907: 225f.; 9/1, 1908: 15; 9/3, 1908: 56; 9/4, 1908: 73; 9/5, 1908: 91; 9/6, 1908: 109; 9/7, 1908: 129; 9/8-9, 1908: 158; 9/10, 1908: 190; 9/11, 1908: 211f.; 9/12, 1908: 235); 40jähriges Stiftungsfest der Prager Burschenschaft Constantia (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 9/4, 1908: 62-64); Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (19/10/2, 1909: 34; 19/10/4, 1909: 67f.; 19/10/6, 1909: 113; 19/10/7, 1909: 136; 19/10/10, 1909: 178; 19/10/11, 1909: 198; 19/10/12, 1909: 214; 20/11/1, 1910: 22; 20/11/2, 1910: 37f.; 20/11/3, 1910: 56; 20/11/4, 1910: 70; 20/11/5, 1910: 87; 20/11/6, 1910: 108; 20/11/7, 1910: 129; 20/11/8-9, 1910: 152; 20/11/11, 1910: 192f.; 21/12/1, 1911: 20f.; 21/12/2,

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Das alltägliche Leben der studentischen Mitglieder Constantias, der 20 bis 40 Aktiven, unterschied sich zwischen Spinas Eintritt 1888 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs – und selbst nach 1918 – nicht grundlegend von dem anderer Korporationen.17 Gelebt wurde Semester für Semester in einem engen Zusammenhalt, wozu das Erlebnis der Fremdheit und der Einsamkeit in der Großstadt der in der Regel nicht aus Prag stammenden Hochschüler wohl nicht wenig beitrug. Außerhalb der Universität und der Technischen Hochschule hielt man Abstand zu Nichtakademikern und verkehrte nach den Regeln des Comments – der studentischen Binnenethik – nur unter seinesgleichen, meist auf der Konstante oder Bude, einer Gastwirtschaft in Prag I. Kohlmarkt 10, wo man über mehrere Zimmer verfügte, deren Miete durch den Verzehr abgegolten wurde. Das tägliche gemeinsame Mittag- und Abendessen und die Fechtscheuer zur Übung im Fechten – Spina schlug als Student mindestens drei Mensuren, wahrscheinlich mehr – war ebenso üblich wie das Zusammensein Abend für Abend, meist in ritualisierten Formen, sei es zum Convent, der Versammlung zur Regelung von internen Fragen am Montag, zu meist politischen und literarischen Vorträgen, den Burschenschaftlichen 1911: 38; 21/12/3, 1911: 57; 21/12/4, 1911: 76; 21/12/5, 1911: 92; 21/12/6, 1911: 111; 21/12/8-9, 1911: 159; 21/12/10, 1911: 180; 21/12/11, 1911: 196f.; 21/12/12, 1911: 216f.; 22/13/1, 1912: 22; 22/13/2, 1912: 50; 22/13/3, 1912: 68; 22/13/4, 1912: 94f.; 22/13/5, 1912: 122; 22/13/6, 1912: 145 f.; 22/13/7, 1912 173f.; 22/13/8-9, 1912: 203; 22/13/10, 1912: 229; 22/13/11, 1912: 252; 22/13/12, 1912: 278; 23/14/1, 1913: 23f.; 23/14/2, 1913: 45; 23/14/4, 1913: 100; 23/14/5, 1913: 126; 23/14/6, 1913: 151f.; 23/14/7, 1913: 184; 23/14/8-9, 1913: 222; 23/14/11, 1913: 273; 23/14/12, 1913: 303f.; 24/15/1, 1914: 37; 24/15/4, 1914: 67f.; 24/15/5, 1914: 96; 24/15/6, 1914: 123f.; 24/15/8-9, 1914: 175; 24/15/10, 1914: 186; 24/15/11, 1914: 205; 25/16/1, 1915: 13; 25/16/3, 1915: 56; 25/16/4, 1915: 78f.; 25/16/5, 1915: 105f.; 25/16/6, 1915: 129; 25/16/7, 1915: 152; 25/16/9, 1915: 190; 25/16/11, 1915: 236; 25/16/12, 1915: 256; 26/17/1, 1916: 14; 26/17/2, 1916: 32; 26/17/3, 1916: 46f.; 26/17/4, 1916: 58; 26/17/6, 1916: 91; 26/17/8, 1916: 122f.; 26/17/9, 1916: 138; 26/17/10, 1916: 154; 26/17/11, 1916: 172; 26/17/12, 1916: 188; 27/18/2, 1917: 28; 27/18/4, 1917: 60; 27/18/6, 1917: 92; 27/18/8, 1917: 124; 27/18/9, 1917: 140; 27/18/10, 1917: 155f.; 27/18/11, 1917: 172; 27/18/12, 1917: 187; 28/19/2, 1918: 29; 28/19/4, 1918: 60f.; 28/19/6, 1918: 78f.; 28/19/7, 1918: 85; 28/19/8, 1918: 94; 28/19/9, 1918: 110; 30/21/2, 1920: 17, 21; 30/21/3, 1920: 31; 30/22/1, 1921: 14; Beiblatt zu den Burschenschaftlichen Blättern (5.2.1922: 35; 6.3.1922: 47); Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern“ (7 [April], 1922: 50; 9 [Juni], 1922: 70; 3 [Dezember], 1922: 5, 7; 6 [März], 1923: 20; 4 [Januar], 1924: 12; 10 [Juli], 1924: 37; 7 [Ende März], 1926: 104; 8/9 [Mitte April], 1926: 146; 14 [Juli], 1928: 200; Burschenschaftliche Blätter (37/9-10, 1923: 95); Burschenschaftliches Nachrichtenblatt (44/9, 1930: 57; 44/11, 1930: 65, 72; 45/3, 1930: 23; 45/5, 1931: 33; 45/8, 1931: 51; 45/10, 1931: 59; 45/12, 1931: 80; 46/9, 1932: 65, 71; 46/10, 1932: 74; 46/11, 1932: 86); s. Lönnecker (2009b: 210-214; 2010e). 17  Berichte s. Anm. 16; zwischen 1906 und 1914 betrug die Aktivenzahl meist um die 35.

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Abenden am Dienstag, zum Kartenspielen auf der Spielkneipe am Mittwoch, zu Ausflügen und Theaterbesuchen – Constantia hatte eine eigene Loge – am Freitag, zur Kneipe, der Zusammenkunft zum Reden und Trinken nach Biercomment am Sonnabend und zum Bummel mit nachfolgendem Frühschoppen am Sonntag. Lediglich der Donnerstag war couleurfrei, wurde aber meist trotzdem im Kreise der Verbindung verbracht. Dazu kamen zahlreiche Sonderveranstaltungen, an denen die Mitglieder sich mit Elan und Engagement beteiligten, der vierzehntägliche Mensurtag – gefochten wurde mit den anderen Prager Burschenschaften, aber längst nicht gegen jede Verbindung –, das jährliche Stiftungsfest, die Feier des Reichsgründungstags von 1871, zu dem die Alten Herren oft nach Prag kamen, Bismarcks und der Kaisergeburtstag – des deutschen Kaisers, nicht des österreichischen –, der Sedantag usw., außerdem Veranstaltungen der burschenschaftlichen Verbände wie alljährliche LDC- und BdO-Burschentage und sonstige Zusammenkünfte und Reisen. Alle Veranstaltungen dienten der Vermittlung von sozialer Identität und Intimität, der Stärkung des Zusammenhalts nach innen, der Bundesbrüderlichkeit, gaben dem einzelnen persönlichen Rückhalt wie nach außen einen sozialadäquaten Platz in der akademischen Hierarchie und dienten zugleich der beständigen Unterstreichung und Hebung des nationalen, politischen und Elitebewusstseins (s. Anm. 16). Spina beteiligte sich ab 1905, nach seiner Rückkehr nach Prag, verstärkt. Erst wirkte er als Gymnasiallehrer, dann an der Universität. Er besuchte regelmäßig die Veranstaltungen Constantias, ihre Rekonstitution 1906 hat er ideell und materiell unterstützt und am 30. Juni die Wiedereröffnungsrede für die Alten Herren gehalten. Auf die Begrüßungsrede des für jeweils ein Semester gewählten Vorsitzenden der Aktiven, des Sprechers, erwiderte A.H. Dr. Spinna [sic] [...] in markigen Worten und nach einem Rückblick auf die Vergangenheit der Constantia sprach er der Aktivitas sein volles Vertrauen und den Chargen seine Anerkennung aus, indem er sagte, daß die Prager a.H.a.H.,18 welche Gelegenheit hatten, jene drei Burschenschafter, welche die Constantia auftun wollten und auftaten, näher kennen zu lernen, überzeugt seien, daß die Constantia jetzt in die richtigen Hände gekommen sei und durch die jetzigen Aktiven gewiß zu dauernder Blüte gelangen wird.

Erst in „früher Morgenstunde“ ging man auseinander „mit dem Bewußtsein [...], daß die alte Burschenschaft Constantia durch diese Eröffnungskneipe in würdiger Weise ihre Auferstehung gefeiert hat“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 7, 1906: 134; 9/4, 1908: 63). Und 1909, nachdem Constantia sich gefestigt hatte, sagte Spina in seiner Altherrenrede: 18  a.H., A.H. = Alter Herr; a.H.a.H., A.H.A.H. = Alte Herren.

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Das Vorhergegangene überblickend, bietet die Entwicklung unserer Burschenschaft im Inneren, ihre Tätigkeit nach Außen das erfreulichste Bild. Die starke Aktivenzahl, ihr Anhang in der Studentenschaft, die einflußreiche Stellung auf Prager Boden, das befriedigende Ergebnis strammen Schlagens [der Mensuren, H. L.], der hingebungsvolle Geist der Aktiven für unsere Sache und ihr erfolgreiches nationales Wirken in der Gegenwart, die große Zahl opferwilliger Alter Herren sind wohl ebensoviele unleugbare Bürgschaften und Beweise einer festen und dauernd gesicherten Blüte unserer hehren Farben. Und mit dem freudigen Gelöbnis, daß wir wie bisher so auch in Zukunft für die Ehre und Reinheit unserer Farben einstehen, für die kräftige Entwicklung unserer Burschenschaft mit allen unseren Kräften arbeiten und für die Verwirklichung hoher nationaler Ziele unentwegt einstehen wollen, bitten wir Euch, liebe Alte Herrn, uns in Wort und Tat auch fernerhin treue Mitkämpfer zu sein. Ihr seht daraus, liebe Alte Herren, daß der Geist, der unsere Burschenschaft seit der Gründung auszeichnete, rein und unverfälscht in uns weiterlebt, daß nur ein Wunsch uns beseelt: ‚Constantia, vivat, crescat, floreat in aeternum!‘19

Stets unterstützte Spina seine Burschenschaft, die internen Mitteilungen Con­ stantias und die Verbandszeitschrift der Burschenschaften Österreichs vermerken oft seine Anwesenheit sowie zahlreiche Reden und Spenden: Am 13. Oktober 1906 besuchte er die Eröffnungskneipe des Wintersemesters 1906/07 (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 7/12, 1906: 190),20 er kam regelmäßig zu den Julkneipen,21 vertrat Constantia auf den Stiftungsfesten anderer Burschenschaften22 und besuchte regelmäßig die Constantias. Am 23. Februar 1907 „feierte unsere Burschenschaft nach langer Zeit wieder ihr Wiegenfest“, das 39. Stiftungsfest, die Dankrede der Alten 19  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Konvent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Contantia“ [W.S. 1908/09-S.S. 1909]. Prag o. J., 13f.). 20  Am 6. Juli 1907 erschien er zur Abschlusskneipe des Sommersemesters 1907 (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 8/10, 1907: 180); 1908 schenkte Spina der Aktivitas eine Wanduhr und spendete 62 Kronen (BArch DB 9, I.: Prager DeputiertenConvent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ (W.S. 1908/09-S.S. 1909), 10, 12); auf der Eröffnungskneipe des Wintersemesters 1913/14 am 18. Oktober 1913 hielt er eine Rede: „an die Füchse richtete a.H. Dr. Spina herzliche Worte“ (BArch DB 9, I.: Prager DeputiertenConvent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Vierteljahresmitteilungen der Prager Burschenschaft ‚Constantia‘, 15.10.-07.12.1913, 2); Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (23/14/12, 1913: 303). – Fuchs, Fux = Student in den ersten beiden Semestern seiner Zugehörigkeit zu einer Verbindung (Golücke 1987: 176). 21  Am 18. Januar 1907, 16. Januar 1909, 13. Januar 1912 und 11. Januar 1913 wird seine Anwesenheit ausdrücklich erwähnt (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 8/2, 1907: 35; 19/10/2, 1909: 34; 22/13/2, 1912: 50; 23/14/2, 1913: 45). 22  Etwa 1906 auf dem 30. Stiftungsfest der Prager Burschenschaft Teutonia (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 8/2, 1907: 35).

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Herren hielt „a.H. Prof. Dr. Franz Spinna [sic] in überaus herzlichen und trefflichen Worten.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 8/4, 1907: 76f.)23 Auf dem 41. Stiftungsfest hielt er die Antwortrede der Alten Herren auf die Burschenschaft,24 ebenso war er in den Folgejahren anwesend.25 Am 11. Mai 1911 fand eine Trauerfeier für einen verstorbenen Constanzen statt, „die Trauerrede [...] hielt a.H. Dr. Spina.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 21/12/6, 1911: 111)26 Er sprach auch am 27. Oktober 1910 auf dem feierlicher Trauerkommers Constantias für eines ihrer bekanntesten Mitglieder: Für unseren verstorbenen a.H. und Gründungsburschen Hofrat Dr. Zdenko Ritter von Skraup, k. k. Universitätsprofessor, fand der Trauerkommers am 27. Oktober statt. Auf den Verstorbenen sprach in längerer Rede a.H. Dozent Dr. Franz Spina. (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 21/12/1, 1911: 20f.)27 23  Zum 40. Stiftungsfest v. 21.-23. Februar 1908: Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (9/4, 1908: 63). 24  Zum 41. Stiftungsfest v. 19.-22. Februar 1909: BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ (W.S. 1908/09-S.S. 1909), 6f.; Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (19/10/4, 1909: 67 f.). 25  Zum 42. Stiftungsfest v. 19.-21. Februar 1910 s. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (20/11/4, 1910: 70); zum 44. v. 22.-26. Februar 1912 s. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (22/13/4, 1912: 95); zum 46. v. 26.-28. Februar 1914 s. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (24/15/4, 1914: 67f.). 26  Ebenso am 19. Juni und 1. Juli 1913 auf der Trauerkneipe für zwei weitere Constanzen: „A.H. Dr. Spina hielt eine tiefempfundene Trauerrede.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 23/14/8-9, 1913: 222); ferner am 3. Mai 1916 auf dem Wolschaner Friedhof, wo er „Namens der Burschenschaft sprach“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 26/17/4, 1916: 58). 27  BArch (DB 9: I.: Prager Depurtierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 5f.); s. a. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (20/11/11, 1910: 192); anlässlich seiner Wahl zum Rektor der Grazer Universität 1903 besuchte Constantia Skraup, ebenso 1907 (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 4/11, 1903: 17; 8/7, 1907: 112). – Skraup (1850-1910), um 1900 einer der bedeutendsten Chemiker der Welt, studierte 1866-1871 in Prag, 1887 Professor für analytische Chemie an der Technischen Hochschule Graz, 1903/04 Rektor, 1906 an der Universität Wien, wo er den Neubau des chemischen Instituts leitete; 1880 veröffentlichte er die sogenannte „Skraupsche Synthese“, wodurch das sehr teure Malariamittel Chinolin aus einfachen und preisgünstigen Stoffen synthetisch in beliebiger Menge hergestellt werden konnte, das bis 1925 das einzige wirksame Medikament gegen Malaria war; BArch (DB 9, M. 1.: Zdenko Han[n]s [von] Skraup); Neue deutsche Biographie (20, 2001: 29); Constantia (1961: 5). – Bekanntes Mitglied Constantias war auch der Opernsänger, (Film-)Schauspieler und Musikpädagoge Karl Clewing (1884-1954), Professor an den Musikhochschulen in

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Spina besuchte auch mehr oder weniger regelmäßig die Germania-Kommerse der Germania, Lese- und Redeverein der deutschen Hochschüler in Prag.28 Sie war 1892 als deutschnationale Konkurrenz der 1848 entstandenen, deutschfreisinnigen oder deutschliberalen Lese- und Redehalle der deutschen Studenten in Prag gegründet worden, war großdeutsch und antisemitisch und entwickelte sich rasch zum wichtigsten studentisch-interkorporativen Verein in Prag. In den Augen ihrer meist burschenschaftlichen Gründer war die Germania „die Ablösung des morsch und blutleer gewordenen Liberalismus durch den lebenswarmen Nationalismus“, die nach 1900 meist ein Drittel aller deutschen Hochschüler Prags auf sich vereinigte. Der alljährliche Germania-Kommers, „an dem die akad. Behörden beider deutscher Hochschulen [der Prager Universität und der Technischen Hochschule, H. L.] mit ihren Rektoren und sämtliche völkischen Korporationen in Farben mit ihren Chargierten in voller Wichs teilnahmen, war immer der Höhepunkt des völkischen Studentenlebens in Prag“. Die Germania stieg zur Vertretung der „deutschen Studenten und Burschen“ auf, für die die Mitgliedschaft so selbstverständlich wurde, dass sie in den Berichten „erst nicht angeführt werden“ musste.29 Die ehemaligen, Detmold, Wien und Berlin, zudem Jäger und Sammler von Jagdkultur, zu der er zahlreiche Veröffentlichungen vorlegte; auch Mitglied der Burschenschaft Franconia Berlin und 1928 der Burschenschaft Arminia Wien (BArch DB 9, M. 1.: Karl Clewing; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichtenblatt der Prager Burschenschaft „Constantia“ Folge 14 [April], 1928: 1); Constantia (1961: 6 f.); Luther (2000: Sp. 1266); s. a. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (19/10/6, 1909: 113; 19/10/7, 1909: 136; 19/10/10, 1909: 178; 19/10/12, 1909: 214; 20/11/7, 1910: 129; 20/11/11, 1910: 193; 21/12/12, 1911: 216; 22/13/7, 1912: 174; 23/14/4, 1913: 100; 23/14/5, 1913: 126; 24/15/1, 1914: 37; 24/15/11, 1914: 205; 25/16/3, 1915: 56; 25/16/4, 1915: 78; 25/16/5, 1915: 105; 25/16/7, 1915: 152; 25/16/9, 1915: 190; 25/16/11, 1915: 236; 26/17/8, 1916: 122; 28/19/4, 1918: 61; 28/19/6, 1918: 78f.); Die Einweihungsfeier des Hauses der Berliner Burschenschaft Franconia (Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern“ 11, Juni 1927: 169f.). 28  Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (9/12, 1908: 235; 19/10/12, 1909: 214; 22/13/7, 1912: 174; 22/13/12, 1912: 278; 23/14/12, 1913: 304); BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Vierteljahresmitteilungen der Prager Burschenschaft „Constantia“, 15.10-7.12.1913, 3); zur Germania s. Lönnecker (2008a: 76-78; 2009b: 59-61). 29  ΒArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ [W.S. 1908/09-S.S. 1909]. Prag o. J., 7f.; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Con­ stantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes. Prag o. J., 7). Zur Besetzung von Vorständen, Ausschüssen usw. der Germania durch Mitglieder Constantias s. Anm. 16; vgl. KUP (676/59, U: „Germania“, Lese- und Redeverein der deutschen Hochschüler in Prag, 1913).

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nicht mehr studierenden Germania-Mitglieder schlossen sich ab 1905 zur AltGermania zusammen, die sich im April 1914 als Verein konstituiert hatte und am 13. Mai 1914 vom Innenministerium und am 20. Mai von der Statthalterei genehmigt worden war (Lönnecker 2008a: 77; 2009b: 61). Auch Spina war Alt-Germane, zudem seit 1911 Obmann des von ihr organisierten „Vereins zur Unterstützung mittelloser Hochschüler aus Mähren und Schlesien.“30 1909 erhielten Germania und die Lese- und Redehalle weitere Konkurrenz in Gestalt des Lese- und Redeverbands christlicher deutscher Studenten in Prag Akademia, die Vereinigung der zu den Christlich-Sozialen tendierenden deutschkatholischen Studenten und Korporationen (Lönnecker 2008a: 78f.; 2009b: 61f.).31 Die Gründung war eine direkte Folge der antiklerikalen Affäre um den Innsbrucker Kirchenrechtler Ludwig Wahrmund, der sich in Veröffentlichungen und Vorträgen gegen katholische Dogmen – vor allem den antimodernistischen Syllabus Papst Pius X. – gewandt hatte, beurlaubt und 1908 nach Prag versetzt worden war. Als seine Vorlesungen auch hier sistiert wurden, gab es zwar studentische Proteste im Carolinum, an denen sich Constantia beteiligte, doch hatte es damit sein Bewenden (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 9/6, 1908: 109; 9/7, 1908: 129). Im Gegensatz zu Innsbruck und Graz spielte der Antiklerikalismus in Prag eine geringere Rolle. Häufig ist in den Berichten Constantias zu lesen: „Ueberaus tätig war unsere Burschenschaft in den Ausschüssen verschiedener studentischer und völkischer Vereine.“32 Damit unterschied sie sich nicht von anderen Burschenschaften. Außer in der Germania war Constantia in etlichen weiteren deutschnationalen Vereinigungen engagiert – die Constanzen waren meist Funktionsträger –, in den deutsch-akademischen Techniker-, Pharmazeuten-, Juristen-, Mediziner- und Philosophenvereinen, im Salzburger Hochschulverein, im Deutschen Männerturnverein Prag, der akademischen Turnverbindung Tafelrunde und bei den völkischen Deutschen Sportbrüdern, im Prager Volksgesangverein und im Bund der Deutschen in Böhmen oder im Bund der Deutschen Nordmährens. Charakteristisch waren Mehrfach- und Doppelmitgliedschaften, man ­unterstützte 30  BArch (DB 9, M. 1.: Franz Spina; DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Con­ stantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 7). 31  S.  a. KUP (700/60, U: Akademischer Rede- und Leseverein christlicher deutscher Studenten in Prag, 1908); KUP (624/58, U: ‚Akademia‘, Lese- und Redeverband christlicher deutscher Studenten in Prag, 1910). 32  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 6).

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sich gegenseitig, besuchte sich zu Feiern und Festlichkeiten.33 Oft hieß es: „bei mehreren nationalen Veranstaltungen in der Provinz Böhmen waren wir vertreten.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 24/15/5, 1914: 96) Übertroffen wurde dies alles vom Engagement im Deutschen Schulverein:34 „Selbstverständlich beteiligten sich auch unsere Bundesbrüder an der nationalen Schutzarbeit [...] und waren überall dort vertreten, wo es einzutreten galt für die Rechte unseres geliebten Volkes.“35 Er war 1880 durch sechs Burschenschafter gegründet worden und zählte sieben Jahre später bereits 120.000 Mitglieder. Der burschenschaftliche Einfluss im Schulverein war enorm, seine besondere Stellung verdankte er aber dem Umstand, dass der Verein vor der Schaffung eigener deutschnationaler Parteiapparate für diese Ersatz bot und in diesem Sinne eifrig genutzt wurde. Der Prager akademischen Schulvereins-Ortsgruppe gehörte Constantia korporativ an sowie etliche Mitglieder nochmals persönlich, darunter Spina (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina).36 Die Führungspersönlichkeiten des Schulvereins waren meist Alte Herren und die Schutzarbeit vor Ort wurde in hohem Maße von den Aktiven gestaltet, die in den Semesterferien als freiwillige Lehrer, Archivare, Bibliothekare und Musiker im ‚deutschvölkischen‘ Sinne arbeiteten und damit zugleich ‚nationale Volksbildung‘ trieben, die auf die Landbevölkerung und vor allem die ländliche Jugend identitätsstiftend und national immunisierend wirken sollte. Unmittelbar nach der Wiedergründung 1906 übernahm Constantia einen eigenen Schutzort, Rudolfstadt bei Budweis. Die örtliche Schutzarbeit beschränkte sich auf Besuche, in den Semesterferien auch längere zu Unterrichtskursen verschiedenster Art, und Spenden, die meist über den Schulverein verteilt

33  S. Anm. 16 und KUP (684/59, U: Deutscher akademischer Juristenverein in Prag, 18901905; 712/60, U: Akademischer Verein deutscher Mediziner, 1913; 748/61, U: Tafelrunde deutscher Studenten in Prag, 1890-1896). 34  S. Anm. 16; dort regelmäßige Berichte; zum Schulverein s. Lönnecker (2008a: 56-64, 147156; 2008d: 421; 2009b: 44-50, 116-123); zuletzt Schmid (2009: 13, 33), obwohl hier die Rolle der deutschnationalen Korporationen zwar als tragend bezeichnet wird, wird deren tatsächlicher Einfluss völlig verkannt, nicht einmal Dvorak (1996-2005) benutzt, was manchen Zusammenhang erhellt hätte. 35  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 89. und 90. Semester ihres Bestandes 1911/12. Prag 1912, 4) 36  Vgl. KUP (737/61, U: Akademische Ortsgruppe des deutschen Schulvereines in Prag, 1890-1893).

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wurden:37 „Am 22. und 23. Juni [1907] beteiligten wir uns an der Sonnwendfeier in Budweis.“ Der Sprecher sprach im Namen der deutschvölkischen Studentenschaft Prags, welche in der Stärke von 100 Mann erschienen war, den durch völkische Not so hart bedrängten Budweiser Deutschen sowohl bei dem Empfange auf dem Bahnhofe als auch bei dem nach dem Abbrennen des Sonnwendfeuers abgehaltenen Festkommers unseren herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme und die Zusicherung der größten Anteilnahme und der werktätigen Mithilfe in dem Kampfe um die deutsche Scholle aus. Den nächsten Tag besuchten wir die von unserer Burschenschaft in völkische Obhut genommene Bergstadt Rudolfstadt bei Budweis.

Der „Eindruck war allseits ein großartiger und hat das völkische Wollen befördert.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 8/4 1907: 76; 8/10 1907: 180) Genau das war der Zweck. Die bäuerliche bzw. kleinstädtische Bevölkerung sollte national erweckt und unterstützt werden. Sie sollte das Gefühl haben, nicht allein zu sein, Verbündete zu haben an der Spitze der sozialen Hierarchie, die sich für sie interessierten und ihr beistanden (Lönnecker 2008a: 61). Spina besuchte Rudolfstadt nach 1907 wiederholt (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina). Im Zentrum des Konglomerats an Mitgliedschaften stand jedoch stets die sie bedingende in der Burschenschaft, dies schon allein auf Grund des immer sorgfältig beachteten sozialen Abstands. Das wurde nicht als der stets proklamierten nationalen Einheit widersprechend empfunden, sahen sich die Wissen und Leistung kumulierenden Studenten und Akademiker doch als gegebene, quasi natürliche Führer des deutschen Volkes. Die Korporationsmitgliedschaft war für viele Hochschulabsolventen des 19. und 20. Jahrhunderts ein konstitutives Element ihres späteren Lebens, das nicht zu überschätzen, keinesfalls aber auch zu unterschätzen sein sollte. Auf Grund der besonderen Entwicklung in Mitteleuropa gab – und gibt – es an den dortigen Universitäten und Hochschulen das Prinzip der Selbstorganisation der Studenten in Verbindungen und Vereinen. Die Mitglieder standen sich nahe, gewannen durch gemeinsame Aktivität und durch den Wechsel der Universitäten und die damit verbundene Mitwirkung im neuen Umfeld Freunde und Gleichgesinnte. So entstand ein Netzwerk der Kommunikation und Nahverhältnisse, in das viele einbezogen waren. Das Aufnahmebegehren in eine Burschenschaft war einmal ein politisch-weltanschauliches Bekenntnis zu einer Gesinnungsgemeinschaft. Ebenso wichtig war zum anderen der Anteil des „ursprüngli37  „Unserem Schutzort Rudolfstadt übergaben wir als Julspende K[ronen] 100“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 9/3, 1908: 56; 19/10/2, 1909: 34; 20/11/2, 1910: 38); zum wahrscheinlichen Grund, ausgerechnet einen als besonders bedroht wahrgenommenen Ort bei Budweis als Schutzort zu wählen, s. Schmid (2009: 162-164).

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chen, meist durch emphatische Freundschaft bestimmten Beziehungsgefüges einer Studentenverbindung“, der allerdings kaum messbar ist. Prägend ist auf jeden Fall diese Doppelung, „bezogen auf die Verbindung als einer Gemeinschaft mit verbindlichen Idealen und Werten und auf deren Mitglieder, die meist untereinander als enge Freunde verbunden waren“. Feststellbar, jedoch kaum mess- oder beschreibbar ist die Investition „erheblicher emotionaler Werte“ durch die Mitglieder, „die weit über den Vereinszweck hinausgehen“, die „starke und dauerhafte emotionale Bindung, die über den Horizont des bürgerlichen Vereins hinausreicht“: Es werden menschliche Beziehungen aufgebaut, in die die Mitglieder ihre Gesamtpersönlichkeit einbringen und die auch auf Dauer angelegt sind.38

Man nahm regen Anteil aneinander, Standesveränderungen wurden etwa stets vermerkt: „A.H. Dr. Spina hat sich als Privatdozent für Slawistik a. d. K. K. Deutschen Karl-Ferdinands-Universität in Prag habilitiert.“39 – „Am 13. März [1909] legte a.H. Dr. Spina das Privatdozentenkolloquium ab.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 19/10/4, 1909: 68) – „Unser a.H. Privatdozent Dr. Spina wurde zum Mitglied der Prüfungskommission für das Mittelschulamt ernannt.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 22/13/4, 1912: 95) – „A.H. Dr. Franz Spina wurde zum a.-o. Prof. an der Universität in Prag ernannt.“40 Deutlich wird das Beziehungsgeflecht einer bürgerlichen Elite, die durch gemeinsame edukative Sozialisation geprägt ist. Im Gegensatz zum ausgehenden 18. Jahrhundert und den zeitgleich sich etablierenden Corps und jüngeren Landsmannschaften erfolgte die gesellschaftliche Verflechtung in der Burschenschaft während des 19. Jahrhunderts aber nicht nur sozial durch gemeinsame Identität und Mentalität, sondern auch kulturell, zivilisatorisch und politisch, durch eine gemeinsame Zielvorgabe, einen ideologischen Gleichklang. Zur weiteren Verdichtung trugen gemeinsame Weltbilder, Interessen, Zukunftsentwürfe und identische Kommunikationsmuster bei sowie das Bewusstsein, das Moment der Geschichte auf seiner Seite zu haben. Man empfand sich gegenseitig als glaubwürdig und authentisch, woraus wiederum 38  Beispielhaft Lönnecker (2001b; 2002a; 2004c; 2005b; 2008e; 2009d; 2009e; 2006a; 2006/08; 2008b; 2010b; 2010c; 2010h; 2010i). 39  BArch (DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über das 83. und 84. Semester der Prager Burschenschaft „Constantia“ [W.S. 1908/09-S.S. 1909], 4). 40  Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (27/18/12, 1917: 187); BArch (DB 9, M. 1.: Franz Spina); vgl. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (28/19/2, 1918: 29).

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Zusammenarbeit, Verständnis, Affinität, Vertrautheit und Freundschaft entstand bzw. entstehen konnte. Übereinandergelegt und quer über Dritte und Vierte verbunden ergaben die vielen verschiedenen Linien ein Netz, das seine Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit immer wieder bewies. Mentale Nähe nivellierte noch nach Jahren die geographische Distanz und wurde politik- oder sonst wirkungsmächtig, erhielt gesellschaftliche und soziale Relevanz.41 Dazu kam die konnubiale Vernetzung. Alte Herren brachten oft ihre Kinder und sonstige jüngere Verwandte zu Stiftungsfesten und anderen Feierlichkeiten ihrer Burschenschaft mit, die Söhne, Neffen usw. kamen als künftige Mitglieder in Betracht, die Töchter, Nichten und Cousinen fanden unter den höhersemestrigen Studenten und jungen Akademikern potentielle Heiratskandidaten, die nicht nur sozial adäquat, sondern auch von erwünschter Mentalität, Habitus und politischer Einstellung waren. Das setzte sich fort, Trauzeugen und Taufpaten waren gleichfalls oft Burschenschafter. So waren zwei, drei oder gar vier Generationen in einer oder verschiedenen Burschenschaften keine Seltenheit.42 Auch Spina war in dieses Netz eingebunden, er hatte im burschenschaftlichen Kreis seine Frau kennengelernt, die Tochter des Reichsrats- und böhmischen Landtagsabgeordneten sowie Landsmannministers Franz Peschka (1856-1908), eines Alten Herrn der Burschenschaft Bruna Sudetia Wien,43 dessen Sohn Rudolf, Spinas Schwager, 1909 Ehrenkonkneipant Constantias wurde und gleichfalls mit einer Burschenschaftertochter verlobt war.44 Spinas Schwiegervater soll 1905 auch seine Versetzung aus der Provinz nach Prag bewirkt oder zumindest stark gefördert haben (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina). Spinas Tochter Margarete gen. Gretl heiratete 1926 41  S. Anm. 38; Überblicke zu netzwerktheoretischen Zugängen zuletzt bei Boyer (2008) und Neurath/Krempel (2008). 42  S. Anm. 16; beispielhaft Lönnecker (2007b); vgl. im Beitrag 40jähriges Stiftungsfest (s. Anm. 16), S. 63. 43  Dvorak (1996-2005/I-5: 468); BArch (DB 9, M. 1.: Franz Spina); zu Peschka, Gründer und Vorsitzender der Deutschen Agrarpartei, nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts zum Reichsrat 1907 die stärkste nicht-sozialistische Partei in Böhmen: Dvorak (19962005/I-4: 290); BArch (DB 9, M. 1.: Franz Peschka); bei Peschkas Begräbnis am 9. Mai 1908 waren die meisten Burschenschaften, darunter Constantia, vertreten, sie gaben dem Kondukt das Ehrengeleit (BArch DB 9, M. 1.: Franz Peschka); Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (9/6, 1908: 109). 44  Peschka fiel noch vor seiner Eheschließung am 25. November 1914 als Leutnant im k. u. k. Infanterie-Regiment Nr. 42 „Ernst August Herzog von Cumberland Herzog von Braunschweig und Lüneburg“ bei Schabatz/Šabac/Sabatsch/Szabács a. d. Save; Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (20/11/2, 1910: 37 f.; 25/16/1, 1915: 1, 13; 25/16/11, 1915: 236); BArch (DB 9, M. 1.: Rudolf Peschka); vgl. Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (20/11/6, 1910: 108).

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einen Constanzen, den Mediziner Prof. Dr. Josef Bumba (1894-1967), Lehrstuhlinhaber und Primarius der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde an der Deutschen Universität Prag (Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern“ 7 [Ende März], 1926: 104).45 Die im folgenden Jahr geborene Enkelin Spinas hatte Constanzen zu Taufpaten (Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern“ 12, 01.07.1927: 183; BArch DB 9, M. 1.: Josef Bumba, Franz Spina). Einen Großteil der Zeit Constantias wie aller schlagender Korporationen nahmen Mensurfragen ein (s. Anm. 13 u. 16). Dies war keineswegs gleichgültig, denn der blutige Austrag war im 19. Jahrhundert „über die studentische Welt hinaus zur communis opinio geworden“. Die Mensur wurde zu einem Markenzeichen akademischer Kultur, gesellschaftlich breit etabliert und obrigkeitlich zumeist stillschweigend geduldet. Zugleich markierten Mensur und Duell einen herausgehobenen sozialen Status, initiierten nach innen und grenzten ab nach außen. Dazu trat noch die Ansicht, nur ein seine persönliche Ehre wahrender Student sei fähig „in Zeiten politischer Not genügend Aufopferungsgeist für die Nation aufzubringen“. Nur der in seiner Korporation zur Wahrung seiner ‚Waffenehre‘ erzogene Student verbürgte danach, im kriegerischen Ernstfall dem Vaterland wirklich und uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen. Aus dieser Haltung und Bereitschaft resultierte aber auch der Anspruch auf künftige Einnahme von sozialen und gesellschaftlichen Führungspositionen (Lönnecker 2008d: 411f.). Deutlich wurde das im Prager Liedertafelstreit, in den Constantia 1897 verstrickt war, ein Beispiel für den der Mensur von den Zeitgenossen beigemessenen Wert und die sich auch durch sie manifestierende akademische Hierarchie. Der Annahme der blau-weiß-blauen Farben im Band durch die mit Abstand kopfstärkste, um 200 bis 300 studentische Mitglieder und um 550 Alte Herren zählende Prager Verbindung, den Universitäts-Gesangverein (UGV), die spätere Sängerschaft Barden,46 widmet Karl Hans Strobl einige Seiten in seinem Studentenroman Die Flamänder von Prag. Es heißt dort: Wenn die Farbenannahme 45  Zu Bumba s. BArch (DB 9, M. 1.: Josef Bumba); Mášová/Těšínská (2006: 458). 46  Zu Barden: KUP (622/58, U: Liedertafel der deutschen Studenten, Lese- und Redehalle der deutschen Studenten, 1884-1909; 707/60, U: Universitäts-Gesangverein „Liedertafel der deutschen Studenten“ in Prag [Universitäts-Sängerschaft „Barden“], 1884-1910; ebd., 630/58, U: „Alte Herren“-Section der Liedertafel der deutschen Studenten in Prag, o. L.); Knoblich (1973); Lönnecker (2008a: 15, 17, 24-26, 28, 37, 39, 59, 61f., 72, 75-77, 81-84, 98, 102f., 109, 113, 127f., 132, 147, 150-153, 164, 168f., 183f., 186, 191, 196f., 210, 212-214, 216, 218-221, 241; 2007c: 112-114, 138-140).

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schon an sich eine Vermessenheit ist und eine Überhebung, ein Eingriff in die Rechte der bevorzugten Verbindungen, so wird die Vermessenheit himmelschreiend, sobald die Farben des Gesangvereins so gewählt sind, daß man sie mit den Farben einer Burschenschaft verwechseln könnte [...] Plötzlich tauchten an allen Ecken und Enden die Leute des akademischen Gesangvereins in den Farben der Burschenschaft Konstanzia auf. Das war unerhört, das war noch nicht dagewesen. Es gab eine furchtbare Empörung. Die Konstanzen verloren vor Zorn den Kopf. (Strobl 1932: 238)

Die Farben Constantias und des UGV ähnelten sich zu sehr. Als gar ein Hochschullehrer, ein Alter Herr der Burschenschaft – Spina wird es wohl noch nicht gewesen sein –, „in der Aula einen Gesangsvereinsler als Konstanzen angesprochen hatte“, lief das Fass über. Denn die „Konstanzen fühlten sich keineswegs sicher, nicht einmal irgendwo als Gesangsvereinsler angesprochen zu werden. Und das wäre der Gipfel der Schmach gewesen.“ Zunächst versuchten sie in langstündigen Verhandlungen mit den Sängern eine Einigung. Draußen vor der Tür [...] warteten die feindlichen Völker, in zwei Heerlager getrennt. Im Lager der Konstanzen waren alle anderen Farbenstudenten, aber die Gesangvereinsler waren den anderen durch sich selbst allein an Zahl fast überlegen.

Man einigte sich nicht, ein Blick auf die Mienen der Diplomaten genügte, um zu erkennen, daß man vor die Entscheidung durch die Waffen gestellt war. Wenige Minuten später folgte das erste Handgemenge und gleich darauf das allgemeine Getümmel [...] in allen Formen der Ritterlichkeit. Man ging einfach aufeinander los, sagte sich irgendeine vorher möglichst eigenartig ausgedachte Beschimpfung ins Gesicht, wechselte die Karten [...], und kehrte nach seinem Platz zurück.

Außerdem fielen sechs Ohrfeigen. Insgesamt kam es zu 137 Forderungen, darunter etliche auf Säbel und Pistolen. Sie wurden nach und nach in der Nähe der Gastwirtschaft Schipkapaß bei Prag ausgetragen. Nach der letzten „kam man bald zur allgemeinen Verbrüderung“, da der UGV seinen Farben durch die Waffen alle Ehre machte (Strobl 1932: 238-242; Lönnecker 2009b: 205f.). Er war als Verbindung anerkannt, nicht durch den Gesang, dem es an akademischer Exklusivität mangelte, sondern durch Stehen zur Satisfaktion, durch Waffen und Farben, durch korporative Haltung, durch Anpassung und Verinnerlichung des von den Burschenschaften vorgegebenen Habitus: Die Burschenschaften hatten sich heftig gegen die Einführung unseres Dreifarbs gewehrt, weil sie das Tragen des Dreifarbs als ihr Vorrecht betrachteten. Es kam zu zahlreichen Auseinandersetzungen und Reibereien, die ebenso viele Säbelpartien auslösten. Aber gerade dadurch konnte sich der UGV erfolgreich behaupten und den anderen Korporationen den nötigen Respekt aufzwingen. (Knoblich 1973: 40)

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Spina soll bei den Verhandlungen mit dem UGV zur Delegation Constantias gehört haben, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina). Die Alten Herren hielten sich meist bedeckt, wenn es um Angelegenheiten der Aktiven ging. Dafür war Spina in Altherrenkreisen überaus umtriebig, bereits 1896 gehörte er der Vereinigung Alter Burschenschafter (VAB) in Mährisch-Neustadt an – 1897/98 war er Vorsitzender –, 1901 in Mährisch-Trübau und seit 1905 in Prag.47 Derartige örtliche Zusammenschlüsse ehemaliger Burschenschafter aus verschiedenen Burschenschaften waren seit den 1830er Jahren im gesamten deutschsprachigen Raum – und weit darüber hinaus, etwa in New York, Philadelphia, Chicago, Santiago de Chile, Rio de Janeiro usw. – entstanden, seit etwa 1870 verfestigten sie sich mit Satzungen und gewählten Vorständen organisatorisch, ab 1885 setzten Bestrebungen zur Gründung eines Verbands der VAB ein, die schließlich für das Deutsche Reich 1890 erfolgte (Hopf 1931; Lönnecker 2009a: 37, 50; 2010i; 2011b). Ein lockerer Kreis alter Burschenschafter lässt sich in Prag ab etwa 1865 nachweisen, die VAB Prag war aber erst am 19. Januar 1898 gegründet worden. Zum 10. Stiftungsfest 1908 hielt Spina die Festrede, mehrfach war er Vorstandsmitglied, 1910/11 und 1916/17 Vorsitzender (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina; Hauptleitung 1908: 137; Lönnecker 2007b: 231). Die Prager VAB zählte um 1900 rund 50 Mitglieder, 1910 etwa 150, nach 1920 über 300, vertreten waren alle akademischen Disziplinen und Berufe.48 Sie ist ein weiterer Aspekt personeller Vernetzung, der weit über eine einzelne Burschenschaft hinausreicht, war die VAB Prag doch auch eine maßgebliche Betreiberin der Gründung von LDC wie BdO (Lönnecker 2010a). Der Anteil Spinas daran lässt sich jedoch nicht ermessen, wird aber beträchtlich gewesen sein. Die in der VAB organisierten Alten Herren der Burschenschaften in Öster­ reich gehörten zunächst nicht dem reichsdeutschen Verband an. Sie gründeten im April 1891 in Linz a. d. Donau die Wartburg als Gesamtverband aller Alten Herren in der Monarchie. Der Name war Programm, er wurde nach dem Ort gewählt, wo erstmals 1817 die Einheit Deutschlands von den Studenten proklamiert worden war. Die Wartburg zählte bereits nach 14 Tagen über 100 Mitglieder, darunter etliche Landtags- und Reichsratsabgeordnete (Lönnecker 2010a; Gärtner 1922). Da die Wartburg natürlich großdeutsch orientiert 47  BArch (DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VABs, VAB Mährisch-Neustadt; DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VABs, VAB Mährisch-Trübau; DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VABs, VAB Prag). 48  BArch (DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VABs, VAB Prag); V.A.B. Wartburg-Prag, in: Beiblatt zu den Burschenschaftlichen Blättern (2 [November], 1921: 12); vgl. Verzeichnis (1896); Hauptleitung (1899, 1902, 1905, 1909, 1912); Verzeichnis (1927, 1930).

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war, verfügte die oberösterreichische Statthalterei im September 1892 deren Auflösung. Daraufhin gab sich der Verband am 10. Oktober neue Statuten und gründete sich neu. Bereits Ende 1894 zählte die Wartburg 788 Mitglieder, Multiplikatoren wie Ärzte und Anwälte, Gymnasiallehrer und Professoren, Bürgermeister, Stadträte und Abgeordnete. Sie gab eine eigene Zeitschrift – die Wartburg – und ein Handbuch heraus. Zugleich verlegte sie ihren Sitz von Linz nach Salzburg. Ständig wurden neue Ortsgruppen gegründet. Besonders die in Teplitz machte von sich reden, da sie zugleich als Ausrichterin mehrerer Burschenschaftertage in Böhmen fungierte, die auch von Constantia besucht wurden. Der „Bund“, der Pfingsten 1896 seinen Sitz nach Wien verlegte, beschränkte sich aber nicht auf Alte Herren des L.D.C., sondern nahm alte Burschenschafter jeder Richtung auf. Da er sonst mit den Burschenschaften stets zusammenging, bei den Tagungen des L.D.C. stets vertreten war, hat er nicht nur zur Herstellung und Erhaltung der Einheit der ostmärkischen Burschenschaft wesentlich beigetragen, sondern auch deren nationales Wirken nach Kräften unterstützt und gefördert.

Am 24. Juli 1899 wurde die Wartburg genau deswegen einmal mehr durch die Behörden aufgelöst, bestand dann als Verband Alter Herren der österreichischen Burschenschaften weiter, wurde am 8. Januar 1900 erneut aufgelöst und erstand am 1. Februar als Verband alter Burschenschafter Österreichs neu. Von nun an existierte die Wartburg mehr oder weniger ungestört bis Ende 1921, als sie sich nach der Vereinigung der österreichischen Burschenschaften mit der Deutschen Burschenschaft als Verband Alter Burschenschafter Österreichs (VABÖ) der über 30.000 Mitglieder zählenden Gesamt-Vereinigung Alter Burschenschafter (GVAB) anschloss. Während aber die reichsdeutschen Vereinigungen als örtliche Zusammenschlüsse ohne näheren Zusammenhang bestanden und nur alle drei Jahre einen die Geschäfte führenden ‚Vorort‘ wählten sowie alljährlich den Altherrentag in Eisenach beschickten, gab es in Österreich einschließlich Czernowitz weiterhin einen Gauverband, den Donaugau, mit Vorstand in Wien und gemeinsamen Veranstaltungen außerhalb der Burschen- und Altherrentage, so dass der organisatorische und persönliche Zusammenhalt wesentlich enger war. Spina gehörte mehreren Ausschüssen und Kommissionen der Wartburg an, so den Ausschüssen für Geschichte, Volkstumsfragen und Verfassungsfragen sowie dem Ehrengericht bzw. der Kommission für Ehrensachen und den Vorbereitungsausschüssen für die in Böhmen abgehaltenen Burschentage.49 Die VAB Prag vertrat er öfter gegenüber der Wartburg.50 Dabei blieb es 49  BArch (DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VAB, Wartburg/VABÖ). 50  BArch (DB 9, C: 4. Gauverbände und einzelne VAB, VAB Prag; DB 9, M. 1.: Franz Spina).

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auch nach 1918/19, als sich die burschenschaftlichen Altherrenvereinigungen in der neugegründeten Tschechoslowakei von der Wartburg bzw. der VABÖ trennen mussten. Der neue Staat wollte Beziehungen deutscher Vereinigungen ins Reich und nach Österreich nach Möglichkeit unterbinden, die Polizeidirektionen in Prag und Brünn verlangten seit Ende 1918 Verzeichnisse der Funktionäre der Altherrenverbände, seit 1924 Einsicht in die Akten, seit 1930 Tätigkeitsberichte, gestatteten aber auf Intervention Spinas das Schlagen von Mensuren, was zunächst in Prag unmöglich gewesen war: Anfang 1920 kam die überraschende Mitteilung durch den Polizeipräsidenten, daß er das Mensurenschlagen gestatte. Ein Alter Herr der Burschenschaft ‚Constantia‘ hatte es vermittelt, und zwar durch persönliche Verbindungen. (Lönnecker 2008a: 97f.; 2009b: 74f.; BArch, DB 9, M. 1.: Franz Spina)

Die VABs in der Tschechoslowakei schlossen sich am 29. Dezember 1919 zum „Verband alter Burschenschafter (für die tschecho-slowakische Republik) in Reichenberg“ zusammen und hielten regelmäßige VAB-Tage ab. Seit 1925 erschien ein eigenes, in Wien redigiertes Nachrichtenblatt, die Mitteilungen für die alten Burschenschafter in der tschechoslowakischen Republik (Lönnecker 2008a: 99, Anm. 19). Gegenüber den Behörden wurde der neue Verband als eigenständig geführt, nach innen war davon keine Rede, selbstverständlich betrachtete man sich als Teil der GVAB und in den neuen Staat hineingezwungen, deutlich auch an der internen Selbstbezeichnung als Vereinigung Alter Burschenschafter, Gau Sudetenland.51 Ebenso war es bei anderen Korporationsformen, den Landsmannschaften, Sängerschaften, wehrhaften Vereinen und Corps (Lönnecker 2008a: 98f.). Untereinander waren die Verbände wiederum durch örtliche „Waffenringe“52 und überregional durch den „Deutschen Akademikerverband in der Tschechoslowakei“ vernetzt (Lönnecker 2008a: 99), der seinerseits der sehr einflussreichen, auf das gesamte deutsche Sprachgebiet in Europa orientierten Deutschen Akademikerschaft (DA) angehörte (Lönnecker 2010j). Verfolgungsmaßnahmen seitens der den deutschen Separatismus

51  BArch (DB 9, C.: 4. Gauverbände und einzelne VABs, Gau Sudetenland); wie in den Altherrenverbänden gab es eine doppelte Aktenführung, eine tatsächliche und eine für die Behörden, was die Rekonstruktion der Ereignisse, Zusammenhänge und Entwicklungen ausgesprochen schwierig macht. 52  Zuerst schlossen sich Ende 1918 in Brüx und im Mai 1919 in Aussig die örtlichen Vereinigungen der Alten Herren der Corps, Burschenschaften, wehrhaften Vereine und Bardens zusammen (Deutsche Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 20/3, 1919: 39f.).

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fürchtenden tschechischen Behörden waren nicht selten, die Verweigerung von Reisepässen die Regel.53 Die Befürchtungen der tschechischen Behörden bestanden nicht zu Unrecht, Constantia hat die 1918 geschaffenen Verhältnisse niemals als endgültig betrachtet: „Am 4. März [1920] hielten wir auf unserer Bude eine Gedächtnisfeier zu Ehren der Märzgefallenen ab.“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 30/21/2, 1920: 21)54 Auch war ein Constanze bei den Unruhen des Vorjahres schwer verletzt worden. Constantia engagierte sich in der „deutscharischen Arbeitsgemeinschaft“ der Prager Hochschulen und demonstrierte „gegen die Vergewaltigung der deutschen Universität“ seitens der Tschechen. Ein Mitglied war Vorsitzender des Studentenausschusses der deutschen Universität, ein anderes saß dem Medizinerverein vor und „führte für den Med.-Verein Verhandlungen betreffend das Univ.-Gesetz mit dem Unterr[ichts].-Min[isterium].“. Ein weiteres war Mitglied „des Rates der Geschäftsstelle für die zukünftige Gestaltung des deutschen Hochschulwesens in der Tschecho-Slowakei“, aus deren Ablehnung die Studenten ab 1920 auch öffentlich kein Hehl machten (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 30/21/2, 1920: 21; 30/21/3, 1920: 31; 30/22, 1921: 14). Im August 1923 unterhandelte neben anderen Burschenschaften und Altherrenverbänden auch Constantia in Karlsbad mit reichdeutschen und österreichischen Akademikergruppen und gründete „eine Arbeitsgemeinschaft loser Art“ unter dem Bekenntnis: „Uns trennt kein ‚Friedensvertrag‘!“55 Daraus ging Mitte April 1925 der Verband deutscher Akademiker hervor, der spätere Deutsche Akademikerverband 56 – dessen Mitglied auch Spina war (BArch, DB 9, M. 1.: Franz Spina) –, der sich ab dem 1. Sudetendeutschen Akademikertag in Reichenberg (30. April-2. Mai 1926) eindeutig großdeutsch und antitschechisch äußerte (Lönnecker 2008a: 99). Spina gehörte dem Akademikerverband bis etwa 1930/31 an, trat aber anscheinend aus, als der Verband sich mehr und mehr radikalisierte (BArch DB 9, M. 1.: Franz Spina). Wie schon in der Wartburg bzw. im VABÖ war Spina auch im Akademikerverband Mitglied der Ausschüsse für Volkstumsfragen und Geschichte, 53  Tschechische Paßverweigerung für deutsche Studenten. Trotz der deutschen Minister! (Burschenschaftliche Blätter 41/4, 1926: 128). 54  Zu den Märzgefallenen von 1919 s. Lönnecker (2008a: 100f.; 2009b: 77). 55  BArch (DB 9, B. IV.: Arbeitsgemeinschaft der völkischen Akademikerverbände des deutschen Sprachgebietes, Rundschreiben Nr. 8 v. 27. April 1926). 56  Heine (1925: 190f.); BArch (DB 9, B. IV.: 7. Ausschuß für vaterländische Arbeit, Bericht über die gründende Hauptversammlung des Verbandes der deutschen Akademiker in den Sudetenländern am 5. April 1925 in Prag).

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trat hier wie dort vor allem durch eine reiche Vortragstätigkeit hervor. Damit stand er in eigener Tradition, gehörte er doch auch der Burschenschaftlichen Historischen Kommission (BHK) bzw. der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG) an (Lönnecker 2009a: 174). Deren Forschungsgegenstand, die 1815 gegründete Burschenschaft, war die Avantgarde der deutschen Nationalbewegung (s. Anm. 5). Sie wurzelte in den Freiheitskriegen, stand unter dem Einfluss von Friedrich Ludwig Jahn, Ernst Moritz Arndt und Johann Gottlieb Fichte, war geprägt durch eine idealistische Volkstumslehre, christliche Erweckung und patriotische Freiheitsliebe. Diese antinapoleonische Nationalbewegung deutscher Studenten war eine politische Jugendbewegung – die erste in Europa – und die erste nationale Organisation des deutschen Bürgertums überhaupt, die 1817 mit dem Wartburgfest die erste gesamtdeutsche Feier ausrichtete. Auf dem Wartburgfest wurden die „Beschlüsse des 18. Oktober“ gefasst, die erste Formulierung der Grundrechte in Deutschland, die teilweise wortwörtlich in die Reichsverfassungen von 1848/49 und 1919 sowie in das Grundgesetz 1949 einflossen. In der Burschenschaft entstanden die schwarz-rot-goldenen Farben, die zu den deutschen wurden. Der 1818 gegründete Zusammenschluss der örtlichen Burschenschaften, die Allgemeine Deutsche Burschenschaft, war die erste nationale Organisation, die in Deutschland existierte. 1819 nach der Ermordung August von Kotzebues durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand verboten, ging die Burschenschaft mehr oder weniger in den Untergrund, trotzdem wirkte sie konstitutiv für ganze Generationen deutscher Akademiker. Aus ihren Reihen ging der erste Versuch einer politischen Partei in Deutschland, der Preß- und Vaterlandsverein hervor, die Organisatoren und wichtigsten Redner des Hambacher Festes Ende Mai 1832 waren Burschenschafter. Und als 1848 die erste deutsche Nationalversammlung zusammentrat, stellten Burschenschafter dort die größte Gruppe, der Präsident, Heinrich von Gagern, gehörte etwa der Jenaer Burschenschaft von 1815 an. Der Einfluss der Burschenschaft auf das nationale Bewusstsein der Deutschen, ihren Einheitsund Freiheitswillen ist überhaupt nicht hoch genug zu veranschlagen, vielfach haben die Burschenschaften es erst geschaffen: Die Mehrzahl der führenden Liberalen des Vormärz – und weit darüber hinaus – waren Burschenschafter. Die Burschenschaft war folglich unbestritten geschichtsmächtig. Um 1900 war sie geschichtswürdig geworden und wurde immer stärker von Fachhistorikern erforscht (Lönnecker 2009a: 155). Sie sammelten sich in der am 13. April 1909 gegründeten BHK, darunter Reinhold Koser (1852-1914) und sein ehemaliger Doktorand Friedrich Meinecke (1862-1954), ersterer Mitglied der Burschenschaft Silesia Wien, letzterer gehörte der Burschenschaft Saravia Berlin­

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an, oder der in Graz und Wien lehrende Heinrich von Srbik (1878-1951), ein Alter Herr der Burschenschaft Gothia Wien. Da Quellen und Literatur für die Erforschung der burschenschaftlichen Geschichte nur unter größten Schwierigkeiten zu beschaffen waren, hatte sich seit etwa 1890 und verstärkt seit 1904/05 ein Netzwerk von Archivaren, Bibliothekaren und Hochschullehrern herausgebildet (Lönnecker 2009a: 41-43, 56f., 95-105), zu dem auch Spina gehörte. Er unterstützte die Kommission wie später die GfbG, vor allem bei prosopographischen und genealogischen Fragen, die sich aus der 1910 begonnenen Erstellung der Burschenschafterlisten ergaben.57 Spina nahm die entstehenden Druckwerke, die Reihe Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung ab, verschenkte die Bände auch an Bundesbrüder bei Constantia und an andere Burschenschafter,58 erledigte Anfragen und half mit fachlichen Auskünften (BArch DB 9, M. 1.: b. Vertrauensmänner-Aufnahme, 1920-1936). Dabei war Spina jedoch bei weitem nicht so engagiert wie sein Kollege an der Universität, der Volkskundler Prof. Dr. Adolf Hauffen (1863-1930), ein Alter Herr der Burschenschaft Carniola Graz und vielfacher VAB-Vorstandskollege, der sich seit der Jahrhundertwende mit der Geschichte der Burschenschaft befasste (Lönnecker 209a: 174).59 Er hatte Spina 1909/10 gewonnen, wahrscheinlich mit Hinweis auf den ehemals gleichfalls in Prag lehrenden Münchner Burschenschafter Prof. Dr. Karl Adolf Konstantin Ritter von Höfler (1811-1897), den „Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft in Böhmen“ und, 1862, Gründer des Vereins für die Geschichte der Deutschen in Böhmen (Lönnecker 2009a: 63; 2008a: 20; 2006/08: 149f., 155f.; BArch DB 9, M. 1.: Karl Adolf Konstantin Ritter von Höfler). Während des Ersten Weltkriegs ruhten weder der Betrieb der Kommission noch der Constantias, beide waren aber sehr eingeschränkt (Lönnecker 2009a: 185-189; zu Constantia s. Anm. 16; Lönnecker 2008a: 82-92; 2009b: 66-70, 217-222). 83 Mitglieder der Burschenschaft standen „im Felde [...], von den 12 den Heldentod starben.“ (Doeberl 1931: 1000) An der auch von 57  BArch (DB 9, M. 1.: b. Vertrauensmänner-Aufnahme, 1920-1936); zu den Burschenschafterlisten Lönnecker (2009a: 172-182; 2009f). 58  Spina verschenkte regelmäßig Bücher, zur Julkneipe am 14. Januar 1911 auch „ein grosses Quodlibetbuch“ (BArch DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 87. und 88. Semester ihres Bestandes 1910/11. Prag o. J., 3; DB 9, I.: Prager DeputiertenConvent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Bericht über die Tätigkeit der Prager Burschenschaft „Constantia“ im 89. und 90. Semester ihres Bestandes 1911/12. Prag 1912, 3); eine Übersicht über die BHK/GfbG-Veröffentlichungen bei Lönnecker (2009a: 384-413; 2002b). 59  BArch (DB 9, C: 4. Gauverbände und einzelne VAB, VAB Prag).

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den Prager Burschenschaften begangenen 100-Jahr-Feier der Burschenschaft am 12. Juni 1915 nahm Spina teil (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 25/16/7, 1915: 152; 25/16/9, 1915: 190; Lönnecker 2009a: 148f.). Kurz darauf wurde „A.H. Dr. Spina [...] bei der Musterung für tauglich erklärt“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 25/16/11, 1915: 236), aber nicht eingezogen. Anfang 1916 gab es keine studentischen Mitglieder Constantias mehr in Prag, so dass die Alten Herren, darunter Spina, den Briefverkehr zwischen den Constanzen organisierten (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 26/17/1, 1916: 14). Am 26. Februar [1916] feierte die Burschenschaft, dem Ernste der Kriegszeit entsprechend, ihr 48. Stiftungsfest im engsten Kreise durch eine Zusammenkunft im Deutschen Hause in Prag. Anwesend waren: A.H. Dr. Spina [...] A.H. Dr. Spina gedachte während des Stiftungsfestes in kurzer Rede der auf dem Felde der Ehre gefallenen Bundesbrüder [...].60

Das 49. Stiftungsfest verlief ähnlich, beim „50. Stiftungsfeste – sind wir hoffentlich alle beisammen!“,61 zumal als kriegsversehrt entlassene oder zum Studium beurlaubte rekonvaleszente Studenten im Sommersemester 1918 den Aktivenbetrieb rekonstituierten: „Wir beteiligten uns am ‚Wartburg‘-Abend vom 5. Mai, an welchem A.H. Univ.-Prof. Dr. Spina einen fesselnden Vortrag über ‚Die Wandlungen der tschechischen Politik im Kriege‘ hielt.“ Er führte auch „wieder [...] die Leitung“ Constantias (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 28/19/6, 1918: 78f.), denn die „Burschenschaft konnte das Semester [Wintersemester 1918/19, H. L.] nicht eröffnen, da die meisten Studienurlauber ihren Wohnsitz außerhalb Prags nahmen“ (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 28/19/8, 1918: 94). Es gab nur „Zusammenkünfte im Deutschen Hause jeden Samstag abends 8 Uhr“, denen Spina oft vorsaß (Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter 28/19/9, 1918: 110). Über das Sommersemester 1919 ist nichts bekannt, erst im folgenden Wintersemester war der Betrieb wieder „friedensmäßig“, die Mitgliederzahl nahm seither rasant zu und betrug durchschnittlich um die 65 Aktive.62 60  Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (26/17/4, 1916: 58); zum Deutschen Haus Lönnecker (2008a: 39f.). 61  21. Februar 1917; Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (27/18/2, 1917: 28; 27/18/4, 1917: 60; 28/19/4, 1918: 60). 62  Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (29/20/6, 1919: 81; 30/21/2, 1920: 21); Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern (9 [Juni], 1922: 70; 3 [Dezember], 1922: 5, 7; 6 [März], 1923: 20; 4 [Januar], 1924: 12; 10 [Juli], 1924: 37; 4 [Januar], 1925: 37; 9/10 [Juni/Juli], 1925: 97; 4 [Dezember], 1926: 79; 6 [Februar] 1928: 85; 13 [Juli], 1928: 185); Burschenschaftliche Blätter (37/9-10, 1923:

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Die Studenten der Nachkriegszeit waren andere als vor 1914. Charakteristisch für sie war der 1918 bei Constantia aufgenommene Anton Kreißl (1895-1945), schon als Schüler völkisch engagiert und deswegen gemaßregelt, 1915 Offizier, durch den Krieg weiter radikalisiert, 1919 einer der Mitgründer der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP) und ihrer Prager Studentengruppe, 1921 Dr. iur. und Rechtsanwalt in Bodenbach, seit 1923 nationalsozialistischer Gemeindevertreter und – 1938 – Bürgermeister, 1930 Gründer des NS-Juristenbunds im Sudetenland, Mitgründer der Sudetendeutschen Partei, später SS-Brigadeführer, Reichstagsmitglied und 1939 Gauhauptmann des Sudetenlands, 1943 Leiter der Kommunalabteilung im Reichsinnenministerium, ein nationalsozialistischer Multifunktionär (Dvorak 19962005/I-3: 170f.; Lönnecker 2008a: 255f.; Constantia 1961: 8f.; BArch DB 9, M. 1.: Anton Kreißl). Oder der nur wenig ältere Dipl.-Ing. Othmar Kallina (1889-1945), 1909 Mitglied der Burschenschaft Arminia Brünn, der schon vor dem Ersten Weltkrieg bei Constantia verkehrte und 1921 Aufnahme fand. Der ehemalige Vorsitzende der Brünner Deutschen Studentenschaft und Obmann der Brünner Gruppe des Bundes der Deutschen in Nordmähren war nach dreijährigem Kriegsdienst 1919 Direktor des Wasserwerks in Karlsbad geworden. Er war Mitgründer der Deutschen Nationalpartei (DNP), für die er 1920 bis 1935 im tschechoslowakischen Parlament als außenpolitischer Experte tätig war, mehrfach in Haft, 1933 Mitgründer der Sudetendeutschen Heimatfront (SHF), 1939 NSDAP-Mitglied, 1940 Leiter der Außenstelle des Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition in Prag.63 Wenn Kreißl und Kallina auch politisch mehr als andere hervortraten, so waren sie doch nach Mentalität, Einstellung und Verhalten durchaus typisch für die Nachkriegszeit. Die Kriegsstudentengeneration verließ bis 1923 die Hochschulen. Die nachfolgende übernahm den antibürgerlichen Geist der Jugendbewegung, politisierte, radikalisierte und militarisierte ihn aber. Diese Generation kannte nicht mehr die Front, hatte wohl aber die Entbehrungen der Nachkriegszeit, die Revolution, das Versagen des Staatsapparates, Putsche, Hunger und Inflation miterlebt. Sie verließ spätestens gegen Ende der 95; 41/13, 1927: 232; 43/10, 1929: 282; 44/3, 1929: 80; 44/10, 1930: 253; 45/10, 1931: 246; 46/4, 1932: 94; 46/10, 1932: 240; 47/4, 1933: 104); Burschenschaftliches Nachrichtenblatt (45/3, 1930: 74; 45/9, 1931: 59; 45/10, 1931: 68); im Wintersemester 1930/31 zählte Constantia 85 Alte Herren und 74 Mitglieder der Aktivitas (Doeberl 1931: 1000). 63  Dvorak (1996-2005/I-3: 56f.); Lönnecker (2008a: 254f.); Constantia (1961: 7f.); Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (30/22, 1921: 14); BArch (DB 9, M. 1.: Othmar Kallina); vgl. Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern (6 [März], 1923: 20; 2 [November], 1924: 16).

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zwanziger­Jahre die Hochschulen und machte der nächsten Platz, die ihr Studium angesichts von Weltwirtschafts- und Überfüllungskrise sowie bedrückender beruflicher Aussichten begann. Allen Generationen waren Enttäuschung, Skeptizismus und Zynismus eigen, aber auch ein eng mit der Hoffnung auf einen Aufbruch, auf etwas Großes und Neues verbundener Idealismus, der „neues Volksleben“ aus der „Zertrümmerung der Gegenwart“ schaffen wollte, eng verzahnt mit einer besonderen „Anfälligkeit für das Grundrauschen der völkisch-antisemitischen Publizistik der Weimarer Jahre,“ wie sie sich in den Werken Arthur Moeller van den Brucks, Oswald Spenglers, Edgar Julius Jungs, Hans Grimms und Erwin Guido Kolbenheyers offenbarte (Lönnecker 2006c; 2008a: 116f.; 2008b: 415f.; 2004b: 146f.; 2005b: 238f.). Für diese Studenten kennzeichnend war ein hohes Selbstwertgefühl und das Bewusstsein, die Speerspitze bei der Durchsetzung nationaler Interessen zu sein, gesehen als eine naturgesetzliche Notwendigkeit, die zur uneingeschränkten Bekämpfung der identifizierten Feinde des eigenen Volkes berechtigte. „Solchen Vorstellungen lag eine eliminatorische, vermeintlich rationale ‚Ethik‘ zugrunde, die ‚konsequenterweise alle moralischen Bindungen‘ ablegte und ‚sich allein durch den Bezug auf die Interessen des eigenen Volkes‘ rechtfertigte.“ Gepaart war dieses Denken mit einer „Kombination aus radikalem politischen Engagement und büromäßiger Organisation, aus nationalistischer Begeisterung und ‚sachlicher Arbeit‘, aus ‚Heroismus‘ und ‚Realismus‘, die den generationellen Stil der akademischen Nachkriegsjugend kennzeichnete“, dazu einem „elitären Idealismus“ sowie der „Attitüde der Kühle, ‚Sachlichkeit‘ und der unbedingten Leistungsbereitschaft“ huldigte. Das alles rundete ein rassenbiologisch gefärbter Antisemitismus ab, wodurch dem einzelnen die Gewissheit vermittelt wurde, „sich von der liberalen und demokratischen Umwelt durch ‚Weltanschauung‘, von den älteren ‚national‘ oder konservativ Denkenden“ aber durch Radikalität und Härte zu unterscheiden. Zusammengefasst machte dies alles jenen „Heroischen Realismus“ aus, der ein Schlüsselbegriff zum Verständnis von Gedankenwelt und Handlungsperspektiven der jungen akademischen Rechten in den zwanziger und dreißiger Jahren ist (Lönnecker 2008a: 117; 2008b: 417f.). Spina gehörte hingegen einer älteren Generation an, unterhielt als deutscher Professor Kontakte zu Hochschullehrern der tschechischen Universität und betrieb als Vorsitzender des Bundes der Landwirte eine Politik der Verständigung mit den tschechischen Parteien. Viele deutsche Studenten verübelten ihm die Übernahme von Ministerämtern und die Beteiligung seiner Partei an Regierungskoalitionen. Sein Augenmaß galt ihnen vielfach als Synonym für Verzicht auf deutsche Rechte, wenn nicht gar als Verrat an den Sudetendeut-

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schen.64 Der Studentenschaft näher standen der DNSAP-Vorsitzende und -Chefideologe Rudolf Jung (1882-1945), Alter Herr der Burschenschaft Markomannia Wien (Lönnecker 2008a: 143f., 253f.), Kreißl und Kallina oder Alois Baeran (1872-1936), wie Kallina Brünner Armine und Prager Constanze,65 die sich jeder Mitarbeit in der Tschechoslowakei verweigerten und für den Anschluss an Deutschland eintraten. Ihre Biographie und ihr Habitus, Engagement und Politik sprachen den jugendlichen Radikalismus nachhaltig an. Personen, Erfahrungen und Einstellungen waren charakteristisch für die im „Volkstumskampfe“ besonders aktiven Verbindungsangehörigen aus dem Sudetenland und Österreich (Lönnecker 2008a: 145). Der häufig in Prag weilende „Vorsitzende des Ausschusses für vaterländische Arbeit und der Grenzlandstiftung der Deutschen Burschenschaft“ schrieb: „Man gewinnt den Eindruck, daß die Ordnung politischer Parteien allein auf wirtschaftspolitischer Grundlage“ – Sozialdemokraten und Bund der Landwirte – „allmählich zu einer Erschütterung der Volkstumstreue geführt hat, was dem, der in Sudetendeutschland einmal auf die Stimmen aus der Masse der Bevölkerung gehört hat, schon längst klar war.“ Spina galt in diesem Fall als äußerst negatives Beispiel.66 Das Paktieren mit tschechischen

64  Tschechische Völkerversöhnung (Anläßlich der „Mitarbeit“ der zwei deutschen Minister im Tschechenstaat (Burschenschaftliche Blätter 41/4, 1926: 123f.); Paßverweigerung (s. Anm. 53; Burschenschaftliche Blätter 44/2, 1929: 37); vgl. Schaffar (1950: 2); Berka (1959: 47). 65  Baeran, Dr. iur., Schulpolitiker in Brünn, Gründer der Deutschen Mittelstandspartei, 1904 Mitglied des mährischen Landtags, 1914-1918 Kriegsdienst, 1920-1923 Abgeordneter der Deutschen Nationalpartei im Prager Parlament, 1923 wegen angeblichen Hochverrats zu Gunsten Ungarns zu vier Jahren Kerker verurteilt, 1925 Flucht nach Berlin, antitschechischer Agitator im Sudetendeutschen Heimatbund; Ende 1927 besuchte die VAB Düsseldorf einen Vortrag Baerans „gemeinschaftlich mit Ortsgruppen des Vereins für das Deutschtum im Ausland an der Lessing-Oberrealschule; anschließend V.A.B.-Zusammensein mit Damen und Gründung eines Vereins für das Ausland-Deutschtum, Ortsgruppe Düsseldorf“ (Dvorak 1996-2005/I-1: 41f.; BArch (DB 9, M. 1.: Alois Baeran); Burschenschaftliche Rundschau. [Vertrauliches] Beiblatt zu den „Burschenschaftlichen Blättern (6 [Februar], 1928: 91; 14 [Juli], 1928: 200). 66  Burschenschaftliche Blätter (44/2, 1929: 37); dagegen: BArch (DB 9, B. IV.: 7. Ausschuß für vaterländische Arbeit, VAB in der Tschechoslowakei, Hauptleitung, Rechtsanwalt Dr. Karl Kappel [Libertas Wien]. Troppau, 05.12.1929). Kappel gab „ohne weiteres zu, dass die Regierungstätigkeit deutscher Parteien und verschiedene Phantastereien von Völkerversöhnung auf das Nationalgefühl lähmend wirken, aber ich glaube vorläufig nicht, dass sich [...] eine Erschütterung der Volkstumstreue feststellen läßt.“

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Parteien und die Beteiligung deutscher Parteien an Regierungskoalitionen zog tiefste Verachtung nach sich: Außer der Sozialdemokratie nahmen zuerst die (katholischen) Christlich-Sozialen, später der Bund der Landwirte an Koalitionen teil, während die übrigen deutschen Parteien außerhalb der Regierung blieben; die Einheitsfront war zerfallen.

Nationalpartei und DNSAP stießen dagegen zunehmend auf studentisches Wohlwollen, vermochte sich doch vor allem letztere mit dem ansprechenden Nimbus von Jugend, Kreativität, Aktivismus und Aktionismus zu umgeben. Zu verzeichnen war um 1930 angesichts des Zusammentreffens von politischer und ökonomischer Krise eine ansteigende, keine Kompromisse mehr zulassende Radikalisierung (Lönnecker 2008a: 158). Was ein Jung, Kreißl, Kallina oder Baeran an Boden gewannen, verlor Spina. Seit etwa 1925 zog er sich mehr und mehr zurück, blieb zwar weiterhin Mitglied Constantias, der Germania usw., engagierte sich aber immer weniger, in den einschlägigen Periodika wird er kaum einmal erwähnt.67 Das mag zwar auch seiner Beanspruchung durch Forschung und Lehre an der Hochschule, durch Parteivorsitz und Ministeramt geschuldet sein, doch schien er sich unter den Studenten immer weniger wohl zu fühlen. Deren Haltung war angesichts wirtschaftlicher Misere und damit zusammenhängender mangelnder Zukunftsaussichten völlig verhärtet, nur durch Gewalt schien eine Besserung möglich. Die deutschen Studenten, innerhalb der Sudetendeutschen die Gruppe der radikalsten und kompromisslosesten Gegner des tschechoslowakischen Staates, zugleich erfüllt von politisch-nationalem Selbst- und Sendungsbewusstsein bei einem Gefühl zunehmender sozialer Deklassierung, Erschütterung und Unsicherheit, flüchteten sich in einen Determinismus, der sie in eine Sackgasse manövrierte und vermeintlich jeden Ausweg außer einem verschloss. In ihren Augen konnten nicht politische und soziale Über67  S. Anm. 16; 1927 und 1928, jeweils am 7. Dezember, besuchte Spina die Julkneipe Con­ stantias und spendete 200 bzw. 150 Kronen, im Wintersemester 1928/29 war er auch bei den akad. Schubert-Abenden anwesend, Anfang 1929 auf dem Ball der deutschen Hochschulen, der von den Korporationen bzw. der Germania ausgerichtet wurde: „Beim feierlichen Einzug der Professoren wurde A.H. Dr. Spina samt Frau gleich hinter den beiden Rektoren eingeführt“, flankiert von zwei Ehrenchargen Constantias (BArch DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichtenblatt der Prager Burschenschaft „Constantia“ Folge 14 [April], 1928, 2; BArch DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichtenblatt der Prager Burschenschaft „Constantia“ 6/1-2, 1929: 2f.); vgl. Burschenschaftliches Nachrichtenblatt (44/7, 1930: 39); am „140 sem[estrigen]. Stiftungsfest“ v. 23.-25. Mai 1931 nahm Spina teil (Burschenschaftliches Nachrichtenblatt 45/8, 1931: 51); BArch (DB, M. 1.: Franz Spina).

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einkünfte, sondern nur noch ein Befreiungsschlag die gegenwärtigen Verhältnisse bessern. Eine Mentalität des Alles-oder-Nichts hatte sich ausgebreitet, die den Eindruck einer dauernden fiebernden Hochspannung vermittelt, begleitet von einem sich beständig in Wort und Tat zu überbieten suchenden nationalen und politischen Radikalismus (Lönnecker 2008a: 159).68 Selbst innerhalb Constantias machte sich das bemerkbar, wo sich unter den Mitgliedern die Anhänger Kallinas und Spinas formierten. Franz Krätschmer, seit 1925 Constanze, nach 1945 Rechtsanwalt in Passau, schreibt in einem Bericht über die damalige Zeit: In meine Aktivzeit fiel die scharfe politische Auseinandersetzung zwischen den Anhängern­ unseres AH Spina, der als erster deutscher Minister in die Regierung eingetreten war auf der einen Seite und den Abgeordneten der Deutschen Nationalpartei Kallina und Baeran, beide ebenfalls Constanzen, auf der anderen Seite. Die entscheidenden Convente in denen die Gegensätze aufeinander prallten leitete ich als xx,[69] stellvertretend für den Sprecher. Es gelang mir schließlich, einen für die Burschenschaft tragfähigen Ausgleich zu erreichen [...].70

Er lief offensichtlich auf den Rückzug Spinas aus dem aktiven burschenschaftlichen Leben hinaus, obwohl Constantia unterstrich, auch weiterhin „die politische Gewissensfreiheit in allen Dingen zu verfechten.“ Sie befand sich in einem Dilemma: Jede Unterstützung Spinas isolierte sie in der Studentenschaft, jedes engere Zusammengehen mit der Studentenschaft entfremdete sie ihrem Alten Herrn und widersprach dazu dem Prinzip der Bundesbrüderlichkeit. Folglich legte sich Constantia Neutralität auf und enthielt sich aller öffentlichen Äußerungen (BArch DB 9, I.: Prager Deputierten-Convent [DC], Nr. 357: Constantia Prag [Sudetia München], Nachrichtenblatt der Prager Burschenschaft „Constantia“ Folge 15 [Juni], 1928: 7). Franz Spina war zeitlebens ein engagierter Burschenschafter, der mehr als manch anderes Mitglied hervortrat. Seit seiner Studentenzeit hatte er die deutschnationalen Regungen der Burschenschaften stets unterstützt und gefördert, erst nach dem Ersten Weltkrieg ging er ihren sich mehr und mehr radikalisierenden Weg nicht mehr mit und suchte als Parteiführer, Abgeordneter und Minister nach einem tragfähigen Kompromiss zwischen Tschechen und Deutschen. Das war ein Umstand, der ihn Constantia wie den anderen Burschenschaften entfremdete, wenn es auch nie zu einem Bruch kam – dafür scheint die burschenschaftliche Sozialisation Spinas viel zu stark gewesen 68  Dabei gehörten die Burschenschaften nicht einmal zu den Radikalen, sondern wurden von den ab 1919 entstehenden Gilden überflügelt (Lönnecker 2008a: 179f.; 2010e). 69  xx = Fechtwart. 70  Mitteilung Wilfried Stangler, Geretsried, 17. November 2009.

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zu sein, war er viel zu fest im burschenschaftlichen Milieu verwurzelt. In dieser Hinsicht war Spina nicht untypisch für eine ältere Generation, die nach 1918 in den Burschenschaften aber nicht mehr tonangebend war.

Anhang

40jähriges Stiftungsfest der Prager Burschenschaft Constantia71 Am 22. Februar [1908] feierte unsere Burschenschaft im engsten Freundeskreise die 40. Wiederkehr ihrer Gründung. Dieser Anlaß hat so manchen Alten Herren bewogen, des Alltags Last und Sorgen weit hinter sich zu werfen und nach Prag zu eilen, wo auch er einmal jung gewesen ist, wo er seine schönste Zeit verbracht hat. Ihm wurde ja hier Gelegenheit geboten, seine Bundesbrüder aus seiner eigenen Studienzeit vielleicht nach langen Jahren wieder einmal recht herzlich zu begrüßen. Er hatte aber auch Gelegenheit, zu sehen, wie der Lebensbaum unserer Burschenschaft nach einer 15jährigen Unterbrechung abermals kräftig Wurzel gefaßt und junge, lebensfrische Triebe hervorgebracht hat. Mit Genugtuung konnten unsere Alten Herren erblicken, wie sich eine ganze Schar junger Männer wieder um das Banner Constantias geschart hat, wie die Burschenschaft trotz des kurzen Wiederbestehens seit der Neuauftuung im Sommersemester 1906 heute gefestigt und gekräftigt in jeder Beziehung dasteht. Das Stiftungsfest wurde eingeleitet durch den Begrüßungsabend auf unserer Bude am Freitag, den 21. Februar, welcher durch die feierliche Rezeption unseres bisherigen Brandfuchsen Diez eine besondere Weihe erhielt.72 Samstag, den 22., fanden nach dem um 5 Uhr abgehaltenen Festkonvent, um 6 Uhr abends Verhandlungen mit den Vertretern der Burschenschaften Arminia-Brünn und Arminia-Wien statt, welche die Abschließung des offiziellen Verkehrsverhältnisses73 zum Ergebnis hatten. Der Abend vereinigte alte und junge Constanzen mit ihren Gästen bei der Festkneipe im Reichsdeutschen Zimmer des Deutschen Hauses. Unser Sprecher phil. Franz Paar konnte begrüßen: die a.H.a.H. Böhmer, Bub samt Gemahlin und Sohn, Enge, Jahn samt Gemahlin und Nichte, Kramer samt Tochter, Löw, Ludwig, Ferdinand Lumpe, Otto Lumpe, Wenzl, Müller 71  Die Wartburg. Zeitschrift für den ostmärkischen Burschenschafter (9/4, 1908: 62-64); es handelt sich um den einzigen längeren Bericht, den Constantia jemals über ihr inneres Leben veröffentlichte. 72  Rezeption = Aufnahme, hier die endgültige (Golücke 1987: 372); Brandfuchs = ein Fuchs, der ein Semester Mitglied der Verbindung ist (Golücke 1987: 70f.). 73  Verkehrsverhältnis = Verhältnis zwischen Verbindungen, die offiziell miteinander verkehren (Golücke 1987: 487).

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samt Gemahlin und Tochter, Pollak, Spina samt Gemahlin, E.B.74 Heinrich samt Gemahlin und Tochter; die Vertreter unserer lieben Verkehrsburschenschaften Arminia-Brünn und Wien, Herrn Baurat Knott (Arminia-Brünn und Wien), die Herren Kreuzig, Fitzka, Miska (Brünn), Blakowetz, Franke, Schinhan, Hackl, Stritzki, Klauser (Wien); Herrn Kopper (Libertas-Brünn), Herrn Igler (konservative75 Verbindung Athenaia Wien); die Vertreter des deutschen Männerturnvereines Prag und der deutschen Turnverbindung „Tafelrunde“; Fräulein Ida Heitzmann, Herrn Schauspieler Rittig samt Gemahlin, Herrn Leutnant Peschka76 sowie eine große Anzahl Verkehrsgäste.77 Die Festrede hielt in trefflicher Weise unser a.B.78 med. Karl Proschko. Er sprach von den Idealen der deutschen Burschenschaft, von Ehre, Freiheit, Vaterland,79 schilderte die Stellung der ostmärkischen Burschenschaft, namentlich der Prager Burschenschaft auf ihrem hart umstrittenen Boden und lenkte unser Hauptaugenmerk auf die wichtigste Aufgabe der Burschenschaft, völkische Männer zu erziehen, hin. Mit der Mahnung an alt und jung, treu zu unseren Farben und zum deutschen Volke zu stehen, schloß er seine begeisternden Worte. Auf unsere lieben Verkehrsburschenschaften Arminia-Brünn und Arminia-Wien sprach B.80 phil. Rudolf Nitsch. Er hob in rühmender Weise hervor, wie unsere Burschenschaft von Brünner und Wiener Arminen namentlich in den ersten Zeiten nach der Neuauftuung unterstützt wurde und wie sich im Lauf der Semester seither ein herzliches Verhältnis herausgebildet hat, wie es herzlicher nicht mehr sein konnte. Daher war die Abschließung des Verkehrsverhältnisses selbstverständlich. Zum Schlusse gab er der Hoffnung Ausdruck, das dieses Verhältnis immer das bleiben möge, was es jetzt ist, ein inniger und ehrlicher Freundschaftsbund. Herr Kreuzig (Arminia-Brünn) und Herr Blakowetz (Arminia-Wien) erwiderten auf diese Worte in äußerst herzlicher Weise. Die alten Herren wurden von a.F.81 Lehinant gefeiert. Er würdigte die großen Verdienste der Alten Herren um die Erhaltung unserer Farben und gab insbesondere unserer berechtigten 74  Ehrenbursche = Ehrenmitglied der Aktivitas, des studentischen Teils einer Verbindung. 75  Konservativ = österr., nicht nur Satisfaktion gebend, sondern auch Mensuren schlagend; der Begriff ist hier nicht politisch zu verstehen (Golücke 1987: 268; Franzelin 1910: 4345). 76  Rudolf Peschka, Spinas Schwager. 77  Verkehrsgast = Mitglied einer auswärtigen Burschenschaft, das sein Studium in Prag fortsetzt und während dieser Zeit offiziell bei Constantia verkehrt (s. Anm. 73; Golücke, 1987: 487). 78  a.B. = aktiver Bursch(e), vollberechtigtes Mitglied, dass das aktive Leben der Verbindung gestaltet und zur Teilnahme verpflichtet ist (Golücke 1987: 18, 81). 79  „Ehre, Freiheit, Vaterland!“ ist der Wahlspruch der Deutschen Burschenschaft seit 1815 bzw. 1818 (Lönnecker 2003b: 2f.). 80  B. = Bursch(e), vollberechtigtes Mitglied, das auf Grund der Examensnähe von den meisten Pflichten entbunden ist, oft auch als „Inaktiver“ (i.a.B.) oder „Altbursch“ bezeichnet (Golücke 1987: 230). 81  a.F. = aktiver Fuchs, Student im ersten oder zweiten Semester seiner Zugehörigkeit zu einer Verbindung, der vor Ort studiert; Gegensatz zum „b.F.“ (beurlaubter Fuchs), dem Neumitglied, das in der Regel zur Ableistung seiner Militärdienstpflicht beurlaubt ist (Golücke 1987: 176).

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Freude und unserem Stolz über die Strammheit in nationaler Beziehung und selbstlose Aufopferung unserer Alten Herren unserer Burschenschaft gegenüber Ausdruck. Ihm erwiderte a.H. Oberingenieur Lumpe, welcher im Namen der Alten den Jungen das vollste Vertrauen aussprach. Er erzählte dann von der großen Vergangenheit unserer lieben Constantia, von den Schicksalsschlägen, die sie doch immer siegreich überwunden habe, und richtete sowohl an die Alten als auch an die Jungen die Aufforderung, gewissenhaft ihren Verpflichtungen nachzukommen. A.H. Menzl dankte den Prager Alten Herren in einfacher, rührender Weise dafür, daß sie den auswärtigen Alten Herren in Prag hier wieder ein Heim geschaffen haben. Weiters beglückwünschten die Burschenschaft noch: Herr Willomitzer im Namen des Prager deutschen Männerturnvereines, Herr Karl von Moese im Namen der Verkehrsgäste und Herr Schauspieler Rittig. Begrüßungsschreiben waren von sämtlichen ostmärkischen Burschenschaften und von allen abwesenden Alten Herren eingelaufen. Den Schluß der offiziellen Festkneipe bildete die feierliche Handlung des Landesvaters.82 Noch lange hielt man unter der strammen Leitung der a.H.a.H. Ludwig und Lumpe und des Herrn Baurat Knott im Exteil83 bei Sang und Becherklang aus. Sonntag, den 23. Februar, fand nach dem Festbummel am Graben (Lönnecker 2008a: 39, 41) ein feuchtfröhlicher Frühschoppen im Deutschen Hause statt. Dann wurde gemeinsam zu Mittag gegessen und eine Anzahl von Lichtbildern im Kasinohofe zur Erinnerung an diese fröhlichen und feierlichen Stunden aufgenommen. Nachmittags traten die Alten Herren zum A.H.C.84 zusammen. Im Verlaufe des Abends nahmen wir Prager von unseren Auswärtigen einen recht herzlichen Abschied. Der für Montag anberaumte Ausflug auf den Schipkapaß85 mußte leider der ungünstigen Witterung halber unterbleiben. Doch fanden sich alle zu einer gemeinsamen Nachfeier auf der Bude zusammen. Tage der Freude und der Begeisterung waren es, welche die Feier des Stiftungsfestes mit sich brachte. Echt burschenschaftlicher Geist klang aus all den Reden, von so mancher burschenschaftlichen und völkischen Tat wurde berichtet. So manches alte Burschenherz hat höher geschlagen während dieser Zeit, so mancher junge Burschenschafter hat sich neue Begeisterung und neuen Stolz für die deutsche Burschenschaft und ihre Bestrebungen geholt. Diese Tage werden nie aus der Erinnerung der Teilnehmer entschwinden.

82  Im engeren Sinne ein Lied, das bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts belegt ist und mit den Worten begann: „Landesvater, Schutz und Rater ...“; im weiteren Sinne eine feierliche Zeremonie des Mützendurchstechens mit dem Schläger, der studentischen Paradewaffe, während das Lied gesungen wird; das entstehende Loch wird mit einem metallfarbenen Eichenblatt überstickt; der Landesvater ist unter Studenten die feierlichste Form der Ehrung für das Vaterland; zu Ablauf und Geschichte Golücke (1987: 277f.); Ullmer, (1929); Schwenke (1990); Bauer (2000). 83  Exteil = auch „Exkneipe“ oder „Fidulität“, der ungezwungene Teil einer studentischen Kneipe (Golücke 1987: 150, 161f.). 84  A.H.C. = Altherrenconvent, Mitgliederversammlung der Alten Herren. 85  Ein beliebtes Studentenlokal, von Karl Hans Strobl in seinen Romanen verewigt (Lönnecker 2008a: 42-44).

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Quellen

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Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft ‚Frantova Práva‘ aus sprachwissenschaftlicher Sicht

1.

Franz Spinas Abhandlung Die alttschechische Schelmenzunft ‚Frantova Práva‘ über ein alttschechisches ‚Denkmal‘ vom Beginn des 16. Jh.s gehört zu seinen wichtigsten Schriften: Es handelt sich um seine Habilitationsschrift, die uns in einem Nachdruck der Ausgabe von 1909 in der Reihe Prager Deutsche Studien als Beitrag zu den deutsch-slavischen Literaturbeziehungen zur Verfügung steht. Vorliegender Aufsatz zielt darauf, diese wichtige Arbeit Spinas unter sprachwissenschaftlicher Perspektive näher zu beleuchten, denn noch immer sind Spinas Thesen, die er zu Beginn des 20. Jh.s in Bezug zur Geschichte der tschechischen Literatur darlegte, aktuell: Das Stiefkind der Forschung ist der mittlere Abschnitt, zu dem die folgenden Studien Beiträge liefern sollen. […] es klafft also in der Darstellung die große Lücke vom 16. bis ins 18. Jahrhundert. (Spina 1909/1975: 17, 20)

In der Tat wurde in der tschechischen Sprachwissenschaft nicht allen Abschnitten der Entwicklung des Tschechischen gleichermaßen Aufmerksamkeit geschenkt. Im Blickpunkt des Interesses standen vor allem die alttschechische Periode und die Periode der Wiedergeburt. Es fehlte jedoch an systematischen Untersuchungen der sog. mittleren Epoche [střední doba], d. h. der Zeit des 15.-18. Jahrhunderts. Um es mit den Worten Alexander Stichs auszudrücken: My o češtině té doby (skoro) nic nevíme; nevíme, že nic nevíme; a nevadí nám to, že nic nevíme. (Stich, mdl. Zit. aus: Vorlesung zur Geschichte der tsch. Sprache, Karls-Universität Prag, Sommersemester 1995) [Wir wissen über das Tschechische dieser Zeit (fast) nichts; wissen nicht, dass wir nichts wissen; und es macht uns nicht einmal etwas aus, dass wir nichts wissen.]

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Jaroslav Kolár bezeichnete Franz Spinas Analyse der ‚Frantova Práva‘ als rühmliche Ausnahme in Bezug zu einer ähnlichen Einschätzung der literaturhistorischen Beschäftigung mit bestimmten Epochen des Tschechischen parallel zur sprachwissenschaftlichen: literárněhistorická pozornost věnovala dosud jen české satiře předhusitského a husitského období, zatím co satirické tvorbě z pozdější doby se dostalo literárněhistorického studia je v nepatrné míře. čestnou výjimku tvoří kniha Franze Spiny ‚Die alttschechische Schelmenzunft Frantova práva, Praha 1909‘. (Kolár 1957: 5) [Literaturhistorische Beachtung fanden bisher nur tschechische Satiren der vorhussitischen und hussitischen Periode, während dem satirischen Schaffen späterer Zeit nur unangemessen wenige Studien gewidmet sind. Eine rühmliche Ausnahme bildet Franz Spinas Buch ‚Die alttschechische Schelmenzunft Frantova Práva, Prag 1909‘.]

Es handelt sich um ein populäres Volksbuch, das im Böhmen des 16. Jahrhunderts eine unterhaltsame, kurzweilige Lektüre war, die mit Witz und Ironie die Sittenrichter der damaligen Zeit an den Pranger stellt (Kolár 1977: 3). Dieses Buch muss gar von solcher Beliebtheit gewesen sein, dass es von Böhmen weiter nach Osten, nach Polen gelangt ist (Spina 1975: 46; Zíbrt 1904: XIX-XXII; bzw. Zíbrt 1910: 35). Von seiner Volkstümlichkeit zeuge nach Spina ferner die Tatsache, dass der Begriff ‚Franta‘ zu einem Gattungsnamen für einen gottlosen, verschwenderischen, doch auch bauernschlauen Taugenichts wurde, der – wenn zwar in einer leicht modifizierten Bedeutung , wahrscheinlich über polnische ‚Vermittlung‘ – dann offensichtlich bis zu den Russen gelangt ist, auch wenn im Russischen ein Volksbuch diese Titels nicht bekannt ist. Bemerkenswerterweise existiert aber gerade in Russland – in einem Sammelband der Bibliothek der St. Petersburger Akademie – ein Exemplar dieses Buches. Dabei handelt es sich um das wohl einzige heute noch erhaltene Exemplar, ein Unikat des Nürnberger Originaldruckes von 1518. Auf dieses Exemplar, das in der älteren tschechischen Literatur immer wieder Erwähnung findet, das Original selbst gilt als verschollen, hatte Alexander Brückner (1905: 209ff) aufmerksam gemacht. Nach dem Petersburger Unikat hat Čeněk Zíbrt die Frantova Práva zweifach ediert: in einer akademischen, wortgetreuen Ausgabe von 1904 (einschließlich aller Eigenheiten und Fehler des Originals sowie einer umfangreichen Einführung) und in einer adaptierten Fassung in einer Sammlung zum volkstümlichen Brauchtum und der Trinkkultur in den böhmischen Ländern des 16. Jahrhunderts (Zíbrt 1904;

Franz Spinas Abhandlung zur alttschechischen Schelmenzunft

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1910).1 Spinas Abhandlung beruht auf der Zíbrtschen Textausgabe von 1904 (Spina 1975: 42).2 Spina hinterfragt, wie es dazu kommen konnte, dass von solch einem verbreiteten, in seiner Beliebtheit mit dem Eulenspiegel vergleichbaren Volksbuch nur ein Exemplar erhalten geblieben ist. Zum einen könnten die ­Exemplare möglicherweise als Volksbuch förmlich zerlesen worden sein, was deren Erhalt beeinträchtigt haben mag. Schwerwiegender scheint aber, dass diese Art der Lektüre in besonderem Maße den Verfolgungen der geistlichen Aufsichtsbehörden ausgesetzt war, „wegen seines leichtlebigen, in der Sinnlichkeit der materiellen Genüsse wurzelnden Charakters des Buches.“ (Spina 1975: 43) Betrachtet man den Titelholzschnitt, der dem Originaldruck von 1518 voransteht, gibt dieser bereits den Geist wieder. In den Streitschriften der Reformation war es üblich gewesen, die Wirkung des Wortes durch das Bild zu verstärken, was von Spina folgendermaßen beschrieben wird: An der Spitze der bewegten Gesellschaft zieht der als ‚Franta‘ gekennzeichnete Zunftmeister, ein Privileg, die Zunftartikel, in der Hand, in zerrissenen Kleidern und Schuhen einem verwahrlosten Wirtshaus zu, wo vier trunkene zechende Gesellen mit lauten Geberden [sic!] den Zug bewillkommen. (Spina 1975: 26)

Im Jahre 1518 hatte nämlich ein gewisser Johann Mantuan Fenzl,3 ein Pilsener Bürger, in Nürnberg sogenannte ‚Satzungen‘ oder ‚Zunftregeln‘ des Franta, die Frantova Práva, zum Druck gegeben. Dabei handelte es sich um Vorschriften vornehmlich grobianischen Charakters, die der Zunftmeister, der Pilsener Arzt Johannes Franta, in der damals beliebten Form von Zunftartikeln an die Brüder und Schwestern seines Ordens richtete. Ebenso sind die Schriftzüge der Namen für die Zunftbrüder ‚Paperle‘, dem Zunftsekretär, und ‚Paška‘ zu lesen, die auf dem Titelholzschnitt unverkennbar als Zecher und Fressbrüder­ 1  Ve vydání nákladem české Akademie otiskl jsem doslova, ve věrném přepise se všemi zvláštnostmi i chybami text staročeský [...] Tuto otiskuji text přizpůsobený nynějšímu čtenářstvu a vypouštím místa závadná pro nynější vkus i požadavky slušné četby. (Zíbrt 1910: 9). [Für die Verlagsausgabe der Tschechischen Akademie habe ich eine wortwörtliche Veröffentlichung besorgt, in wortgetreuer Abschrift mit allen Eigenheiten und Fehlern des alttschechischen Textes [...] den hier gedruckten Text hingegen habe ich für die heutige Leserschaft angepasst und die zu anstößigen Stellen in Hinsicht auf den guten Ton und Anspruch an einen schicklichen Lesestoff ausgelassen.] 2  Zu späteren Textausgaben der Frantova Práva (Kolár 1959, 1977) s. Anmerkungen des Herausgebers (Kolár 1977: 195). 3  Durch die Buchstaben J. M. in der rechten unteren Ecke des Holzschnittes wird auf Johannes Mantuan, den wahrscheinlichen Herausgeber des Buches, verwiesen.

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(mit Löffel am Hut) dargestellt sind. Vom Handwerk war letzterer ein sogenannter Bader, d. h. Inhaber einer Badestube. In diesen Badestuben, die zugleich Wein- u. Bierhäuser waren, „ging es allerdings nicht immer züchtig zu“, wie es Spina sehr vorsichtig formuliert (Spina 1975: 67).4 Die Frantova Práva (FP) gliedern sich in folgende Abschnitte: 1. Widmung des Herausgebers Johann Mantuan Fenzl an den Pilsner Stadtschreiber Linhart Jílek aus Doubravka. 2. Hauptteil, der den Namen gab: die Vorschriften des Zunftmeisters Johannes Franta an die Brüder der Zunft in Form eines Erlasses von Vorschriften der Handwerkerzünfte oder geistlichen Ordensregeln, wobei an einzelne Vorschriften ganze Erzählungen angeschlossen sind, die die Vorschriften für die Zunftgesellen veranschaulichen sollen. 3. O zienach [Über die Weiber] 4. O Lykarzich [Über die Ärzte] 5. O Krczmarziech [Über die Wirte] (Der Schluss fehlt, von insgesamt 27 Seiten sind 3 ausgerissen.) Als Quelle für die einzelnen Vorschriften des Zunftmeisters dienten sogenannte ‚quaestiones fabulosae‘, akademische Scherzreden. Hauptquelle für die FP war dabei insbesondere die Scherzrede des Bartholomäus Gribus namens ‚Monopolium philosophorum, vulgo die Schelmenzunft‘, gehalten zu Heidelberg 1478/79. Als Vorlage für die sich jeweils anschließenden Erzählungen oder Facetien, die die einzelnen Vorschriften bildhaft illustrieren, erhärtet Spina in Anlehnung an den Nachweis Zíbrts (1904) anhand zahlreicher Belege insbesondere die Facetien Heinrich Bebels ‚Libri facetiarum‘ (1509). Spina, ein Kenner der deutsch-tschechischen Beziehungen,5 geht detailliert der Frage nach, ob die tschechische Version auf den lateinischen Originalen 4  Obwohl sich im Text kaum Hinweise auf drastische u. vulgäre Ausdrücke finden, gibt folgender Fakt einen Hinweis auf diese möglicherweise euphemistische Ausdrucksweise für Unzüchtigkeiten: Im Slovník nespisovné češtiny (Hugo u. a. 2009: 139) findet man für ‚franta‘, ‚frantík‘ folgende Bedeutungserklärung: vulg. ‚mužské přirození‘ [männliches Glied], tež. francek, francl, frantík. Insgesamt scheint der tschechische Text im Vergleich zu seinen lateinisch bzw. deutschen Vorlagen diesbezüglich allerdings sehr ‚entschärft‘, was Spina u. a. lakonisch vermerkt: „z. B. der auch in FP ausgelassenen ekelhaften Stelle“ (Spina 1975: 100). 5  Eine weitere wichtige Arbeit Spinas ist dem Buchdruck im 16. Jh. gewidmet (vgl. Spina 1908).

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od. deren deutschen ‚Plagiaten‘ beruht, die teilweise auch in Böhmen (Olmütz) nachgedruckt wurden, was er anhand von Druck- u. Übersetzungsfehlern zwischen Original und Nachdruck nachweist (Spina 1975: 71f.). Aufgrund seiner Analyse kam er zu folgendem Schluss, womit wir gleichzeitig nochmals auf den beschriebenen Titelholzschnitt zurückkommen: Das Bild könnte ganz gut auch eine deutsche Satire der Zeit schmücken, etwa Murners ‚Schelmenzunft‘, […] So eng ist die deutsch-tschechische Kulturgemeinschaft jener Zeit. (Spina 1975: 27)

Diese Parallele zu Murners bekannter ‚Schelmenzunft‘ und der Nachweis, dass Gribus’ Scherzrede als Vorlage diente – ebenfalls mit ‚Schelmenzunft‘ im Titel –, motivierten Spina sicherlich, die Frantova Práva alttschechische Schelmenzunft zu nennen. Da, literaturwissenschaftlich gesehen, jedoch zwischen den zwei verschiedenen Begriffen ‚Narr‘ und ‚Schelm‘ zu unterscheiden ist, die jeweils mit verschiedenen literarischen Gattungen verbunden sind – mit der Narrenliteratur des 16. Jahrhunderts bzw. dem Schelmenroman des 17. Jahrhunderts (Caperos 2000: 192) – wäre die Übersetzung ‚Narrenzunft‘ möglicherweise treffender.6 Die Narrenfigur wird im Humanismus zum kritischen Instrument der Gesellschaftsanalyse: 1494 erscheint ,uff die Vasenaht/die man der narren/kirchwich nenet‘, [...] ‚Das Narrenschiff‘ von Sebastian Brant, 1509 ‚Das Lob der Torheit‘ von Erasmus von Rotterdam, 1512 die ‚Narrenbeschwörung‘ von Thomas Murner. (Braun 2009: 56f.)

In der Tat sind dem Franta typische Eigenschaften eines Narren eigen: Narren können stellvertretend Dinge sagen und tun, die dem gegenläufig erscheinen, was nach den Normen der gesellschaftlichen Institutionen eigentlich verlangt wäre, und sie können diese Dinge mit der gebührenden Narrenfreiheit lauthals sagen, weil sie ja Narren sind. (Wiegmann 2006: 78)

Spina scheint jedoch die Begriffe ‚Schelm‘ und ‚Narr‘ synonym zu gebrauchen, so wie es der heutige Sprachgebrauch nahelegt: ‚Narr‘ – Bajazzo, Bobo, Clown, Eulenspiegel, Faxenmacher, Hanswurst, Harlekin, Hofnarr, Humorist, Komiker; ‚Schelm‘ – Spaßmacher, Spaßvogel; (ugs. scherzh.): Kasper; (veraltend): Possenmacher, Possenreißer, Schalk. (Duden 2007)

Dem Wort ‚Schelm‘ haftete jedoch ursprünglich – im Vergleich zur heutigen Deutung von ‚Schelm‘ als ‚jmdm., der gern anderen Streiche spielt‘ – eine weit negativere Konnotation an, da es sich von ahd. ‚scelmo‘, ‚scalmo‘ = ‚Aas, 6  Für diesen Hinweis danke ich Karl Braun, der auf die Parallelen zur mittelalterlichen Fastnacht hinwies.

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Pest, Seuche‘ ableitet, spätmhd. ‚verworfener Mensch, Betrüger‘ bedeutet und als Schimpfwort gebraucht wurde. Die alttschechische Version ist ganz offensichtlich mit dem Narrentypus verbunden, durch den das Aufzeigen menschlicher Schwächen mittels Karikierung und Übertreibung als Kritik der Verhältnisse beabsichtigt wurde: Der Typus ‚franta‘ ist die Verkörperung einer bestimmten Spezies des Narren, des für die Reformationszeit charakteristischen Symbols jeglicher Menschentorheit. […] Die Grundzüge dieses Narrentypus, der echten Ausprägung des individualistischen Zeitalters: die Diesseitigkeit des Charakters, das sorgenlose Wesen, die hervorstechende Sinnlichkeit im Kultus der Begierden und der Eigenliebe passen schlagend auf den tschechischen ‚franta‘ des 16. Jh., dessen Aufgehen in der Sinnlichkeit des Diesseits (FP 5, 20) ausdrücklich als Grundeigenschaft hervorgehoben wird. (Spina 1975: 72f.)

In der Einleitung und polemischen Verteidigung des Werkes gegenüber möglicherweise „ungeneigten Lesern“ betont der Autor der Frantova Práva: neb my za pyšné řeči a tvrdé trestání málo dbáme. A jakož každý muož našim žertóm bez úrazu místo dáti, jestli pozná řeč múdrého, že hra a žert sú člověku potřebné k životu. (Kolár 1977: 35) [Um die Gegner, die des Franta Werk herabsetzen wollen, kümmern wir uns als Franta­ brüder wenig, da Spiel und Scherz, wie der Weise sagt und jeder Billige erkennt, dem Menschen zum Leben notwendig sind.] (Spina 1975: 49)7

Auch das ist ein Argument für eine Bevorzugung des Begriffes ‚Narr‘, der wie der ‚weise Narr‘ in der deutschen Narrenliteratur des 16. Jahrhunderts in der Verkehrung der starren Ordnungswelt deren gewöhnliche Normen in parodistischer Weise auf den Kopf stellt. Mit welchen sprachlichen Mitteln das dem Autor der FP gelingt, soll im Folgenden dargestellt werden.

2.

Trotz akribischer Nachzeichnung dessen, welche Stellen den ermittelten und oben erwähnten Originalen folgen (vgl. tabellarische Übersicht, Spina 1975: 60-63) betont Spina, dass es ihm in erster Linie nicht darum geht, eine 7  Zitierung der tschechischen Bsp. nach Kolár (1977), die deutsche Übersetzung nach Spina (1975: 48-59)

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‚­sklavische‘ Abhängigkeit der tschechischen Version von den dt. Originalvorlagen zu suchen, sondern er möchte darüber hinaus die Unterschiede der Vorlagen sowie den eigenständigen Charakter aufzeigen. Insbesondere sieht Spina die selbstständige Leistung des tschechischen Autors der FP darin, dass er sich nicht auf eine bloße Nennung der Regeln beschränkte, sondern in seiner Begründung diese scharfsinnig, sozusagen mit ‚Frantascher Logik‘ und schalkhaftem Wortwitz erweiterte und in das tschechische Milieu der einfachen Leute übertrug, die Spina als Transponierung aus dem Deutsch-Akademischen des 15. Jahrhunderts ins Tschechisch-Bäuerliche des beginnenden 16. Jahrhunderts charakterisiert: Die Hauptquelle, die ‚Schelmenzunft‘, baut ihre Ordensregeln dadurch auf, daß sie das meist knappe Gebot oder Verbot durch fingierte juristische Zitate ironischen oder humoristischen Charakters unterstützt […] Für das tschechische Volksbuch waren diese gelehrten Zitate unbrauchbar. Sie wurden entweder weggelassen oder durch Bibelzitate oder durch Erzählungen ersetzt. Weggelassen wird naturgemäß alles Gelehrte und Studentische, doch auch das allzu Rohe […] Für den Geschmack des sonst recht grobianischen tschechischen Bearbeiters spricht es, wenn er FP 7, 47 die ekelhafte Stelle der ‚Schelmenzunft‘ DU 63,36-64,2 unterdrückt: si tamen se exuat, tantus sit foetor pedum et caligarum spurcicies, ut nemo nisi huius sectae frater aerem pati valeat.8 Der deutsche ‚bruder orden in der schelmen zunft’ bringt die Stelle unbedenklich. (Spina 1975: 115f.)

Spina weist zudem darauf hin, dass auch antiklerikale Tendenzen aus Bebels ‚Facetien‘ vermieden werden: Der Tscheche hat diese Deutung auf die geistlichen Zustände weggelassen. Das entspringt einer Grundtendenz des Denkmals, das jeder antiklerikalen Äußerung, von denen seine Quellen wahrlich überfließen, aus dem Wege geht. Die Erklärung bieten zwei Umstände: der Autor ist ein Sohn der auch in den Wirren der Husitenzeit [sic] stets gutkatholischen Stadt Pilsen, andererseits muß er Rücksicht nehmen auf die um 1518 der katholischen Priesterschaft noch freundliche Nürnberger Zensur, die den tschechischen Druck des ‚behemischen Giftes‘ wegen und aus sozialen Gründen überaus mißtrauisch beobachtet. (Spina 1975:150)

Neben den erwähnten Auslassungen stellt Spina als wesentliches literarisches Mittel die kreativen argumentativen Erweiterungen des Autors der Frantova Práva heraus. Die Komik lebt sozusagen von der ‚Franta-Logik‘ des einfachen Mannes, was an einigen ausgewählten Beispielen illustriert werden soll: 8  [Wenn er sich trotzdem auszieht, dann steigt (wörtl.: ist) eine solch große Gestankwolke (wörtl.: Gestank der Füße) empor und ein solch übler Mief (wörtl.: Verunreinigung/ Ausdünstung der Stiefel), dass keiner außer einem Bruder dieser Zunft imstande ist, den Nebelschwaden auszuhalten.] Da Spina hier auf eine eigene Übersetzung verzichtete – hier die Übersetzung von AS. Für die Prüfung und Bedeutungsinterpretation der Übersetzung danke ich Thomas Daiber.

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Nejprv obdarujeme vás, abyšte v jídle a v pití žádné míry nedrželi, a to proto, že ten žádný dlúho nestůně a také lehce umře [...] A tak nebude třeba velikého nákladu na líkarstvie, ani na svátosti, ani na hromnice. (Kolár 1977: 25) [Seid unmäßig im Essen und Trinken, denn Unmäßige pflegen [...] nie lange krank zu sein und haben auch leichten [sic!] Tod [...] ersparen Ausgaben für Ärzte, Sakramente und Sterbekerzen.] (Spina 1975: 48-63).9 A jestliže by kde šindel vypadl, vytrhej jich víc, neb jest líp, že se velikú děrú kropí, než kdy malá, ješto se všecko k ní zběhne i teče potůčkem. (Kolár 1977: 26) [Fehlt eine Schindel, so reiße mehrere aus dem Dache, denn durch das große Loch tropft der Regen nur, durchs kleine fließt er wie ein Bächlein.] nezavírejte u večer ... ani voken, ani domu, a to proto, že zlodějí jdúc tudy budou řéci: Když tě tak nechal, čert tam jdi, an proto tak nechal, že tu někde stojí a střeže s oštípem, a kdyby zavřel, tehdy by se oni lámali a dobývali do domu řkúc: Hled‘me svýho, neb všickni v domu spie. (Kolár 1977: 26) [Schließet nachts nicht die Häuser, weil sich die Diebe dann wohl sagen: den Teufel werd ich tun, dort hinein zu gehen, er hat sicher Fenster und Türen offengelassen, um irgendwo mit dem Knüppel auf dich zu warten, aber wenn alles verschlossen ist, dann sagt sich der Dieb: Na, dann wollen wir uns mal umsehen, ob es was zu holen gibt, weil sicher alles im Hause schläft.] (Übersetzung AS)10

All das lässt darauf schließen, dass der Verfasser der Frantova Práva einerseits unzweifelhaft über eine lateinisch-humanistische Bildung verfügt haben muss, andererseits offensichtlich auch ein Mensch war, der mit dem Leben der einfachen Leute seiner westböhmischen Heimat um Pilsen eng verbunden war. Davon zeugt auch die Tatsache, dass die in der Frantova Práva erwähnten Örtlichkeiten und Personen sich in und um Pilsen nachweisen lassen: Kdy je v neděli neb v svátek, přikazujem vám, abyšte doma nebývali, a to pro dlužníky [...] děte do lesa na myslivost neb do vsi ‚do Malesic‘ na pivo. (Kolár 1977: 35) [Sonntags bleibet nie zu Hause, weil die Gläubiger kommen können, sondern gehet lieber auf die Jagd oder nach Malesice (Dorf bei Pilsen) Bier trinken.] (Spina 1975: 55)

Insbesondere verfolgte Spina in fast kriminalistischer Weise die Spuren einer historischen Persönlichkeit namens Franta in Pilsen: In dem im Archiv český VIII, S. 281, No. 358 abgedruckten Briefe vom 30. Jänner 1526 schreibt Zdenko Lev von Rožmitál auf Blatna an seinen Schwager Heinrich von Riesenberg (Ryzmberk), gerne wolle er ihm auf seine Bitte den Arzt senden, doch sei dieser in Prag geblieben. [...] Weil Ihr aber näher nach Pilsen habet, schadete es vielleicht nicht, 9  Die jeweils kursiv gekennzeichneten Textstellen sind im lat. Original nicht vorhanden (Kennzeichnung AS). 10  Spina verkürzt an dieser Stelle sehr stark, indem er übersetzt: „dann seid Ihr sicher vor den Dieben, die glauben, Ihr wachet irgendwo mit dem Spieß, während sie ins geschlossene Haus einzudringen suchen.“ (Spina 1975: 52)

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wenn Ihr um den Franta schicket. [...] Diesem Briefe nach hat es in Pilsen i. J. 1526 einen berühmten Arzt gegeben: ‚den‘ Franta. (Spina 1975: 64f.)

Von der zeitgenössischen Erwähnung eines Arztes namens Franta schließt Spina auf dessen Identität mit der Person des Johannes Franta, phisicus Plzenski, von dem in der Widmung der FP die Rede ist. Ebenso versucht Spina zu rekonstruieren, durch welche Quellen sich die Personen des Johann Mantuan, Linhart Jílek aus Doubravka sowie eine Reihe der angeführten Frantabrüder geschichtlich tatsächlich nachweisen lassen: Johann Mantuan, den wir aus den Pilsner Urkunden und der Leipziger Universitätsmatrikel nachgewiesen haben [...] Auch Mantuans Freund, der Stadtschreiber Linhart Gílek von Daubrawka, dem Mantuan die FP zueignet, ist in den Pilsner Urkunden von 1510 an bis zu seinem Tod 1543 nachweisbar [...] zugleich mit Mantuan wird er im Sommersemester 1499 in Leipzig intituliert: ‚Leonhardus Johannis Gelkonis institoris de Nova Pilzna‘ [...] (Spina 1975: 65ff.)

Spina nähert sich somit dem Namen Franta, dem das Buch seinen Titel verdankt, eher kulturhistorisch, über die Frage nach seiner historischen Nachweisbarkeit, als philologisch-etymologisch. Allerdings scheint mir Spinas Hypothese nicht stichhaltig genug, dass die Entstehung des Appellativums aus dem Eigennamen allein auf der damaligen Beliebtheit und Verbreitung des Buches beruhe:11 Sein zum Gattungsbegriff verdichteter Name konnte, getragen durch ein beliebtes Volksbuch mit einem der volkstümlichsten tschechischen Namen im Titel, rasch im Volksbewußtsein einwurzeln. Die lockende Hypothese verlangt aber Zurückhaltung […]. Entweder war das Pilsner Individuum Franta das Frühere und es wurde zum Ausgangspunkt der Entwicklung des Typus ‚franta‘; oder es war vor 1518 dieser Typus seiner Wesenheit nach bereits vorhanden und er fand durch die glücklichen Pilsner Momente Namen und speziell tschechische Verkörperung. (Spina 1975: 71f.)

Überzeugender ist m. E. Bernekers Einordnung des Gebrauchs des Personennamens ‚Franta‘ als generelle Bezeichnung für einen schalkhaften, sorglosen, faulen Menschen in allgemeinere sprachhistorische Deonymisierungsprozesse, die er mit parallelen Entwicklungen von Eigennamen und ihrer Verallgemeinerung zu appellativen Bedeutungen in anderen Sprachen untermauert. Beispielsweise führt er an: poln. alt ferens, ferenc (aus magy. ferenc ‚Franz‘) ‚armer Teufel‘, manda (von Magdalena) ‚faule Dirne, Strunze‘, frz. ladre (aus ‚Lazarus’) – ‚Aussätziger‘, ‚Schuft‘ oder dt. Matz (von Matthias)

11  Jech verweist zudem auf den Rückgriff des Verf. der FP auf die althergebrachte tschechische Volkslied- u. Märchentradition, was auch gegen Spinas These spricht. (Jech 1999: 91)

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als ‚Scheltwort für einen feigen, weibischen oder auch törichten Kerl‘ u. a. (Berneker 1924: 284).12

Dass zur Bezeichnung des ‚Narren, Schelms‘ gerade ‚Franta‘ wurde, schreibt Berneker – in Anlehnung an Brückner (1905) – dem Einfluss deutscher Wörter zu, wie mdh. vanz ‚Schalk‘, nhd. (obd. md.) fanz ‚mutwilliger, toller Einfall, Possenmacher, mutwilliger Mensch‘; fänzig ‚zierlich, niedlich, wunderlich, geputzt, lustig, neckisch‘; fanzen ‚kindisch tun, Possen treiben‘, alafanz, alefanz, alfanz ‚Betrüger, Schalk‘, nhd. fant ‚Windbeutel, Geck, Narr‘; obd. fant ‚Possenreißer‘, fanten (Plural), Possen, mutwillige Grillen, Späße‘: „Es könnte nämlich ein *fant, *fanc daraus ins č. entlehnt und mit franta kontaminiert sein.“ (Berneker 1924: 284) Diese Erklärung scheint auch aus heutiger Sicht überzeugend, zumal in den deutschen Lexemen fanz, fänzig sowohl die tschechische als auch die polnische und russische Bedeutung vereint erscheinen. In Bezug auf den Bedeutungs­wandel des Namens ‚Franta‘ legt Berneker mithin folgende Entwicklung nahe: Am wahrscheinlichsten ist es [...], daß auch die Bed. ‚Narr, Schalk‘ bei franta durch den Übergang des Eigennamens in einen Gattungsnamen zu erklären ist. [...] Im XVI. Jh. ist franta die Bezeichnung des ‚Narren, Schalks‘ [...]. Im XVII. Jh. begegnet franta, frant ‚schlauer, lustiger Schalk, spaßhaft törichter Mensch‘ [...] frantovný ‚scherzhaft, jovial‘ [...] aus dem č. stammt p. frant ‚schlauer Kerl, Filou, Schelm‘; alt ‚Hanswurst, Narr, wandernder Komödiant und Sänger‘; auch ‚Kamerad in der Lehre‘; dial. Franty ‚Possen‘, frantowski ‚schlau, übertrieben, elegant‘, dial. ‚weltlich, fröhlich‘, dial. frantówka ‚weltliches, fröhliches Lied, scherzhafte Anekdote‘. [...] r. франтъ ‚Stutzer, Modenarr‘; франтикъ (Dimin.) ds.; франтиха ‚Modedame‘; франтить ‚den Stutzer machen, sich putzen‘, франтовской ‚stutzerhaft, geschniegelt‘. (Berneker 1924: 284)13

Auf diese Weise wurde möglicherweise auch der Eigenname Franta später zu einem Gattungsnamen für einen ‚dummen, törichten Menschen‘: ‚hlaupý, prkený franta‘ – ‚dummer Kerl‘. So meinte die Wendung ‚to jsem Franta‘: „da habe ich eine Dummheit angestellt“ (Berneker 1924: 284; Oberpfalcer 1931: 203)

12  S. auch moderne Untersuchungen zum Phänomen der Deonymisierung – (z. B. Schwei­ ckard 1992; Köster 2003). 13  Spina hat 1906/07 bei Berneker, ab 1902 Professor an der Tschechischen Universität in Prag, slavistische Vorlesungen gehört (Lexikon česk lit., S. 297), Spinas Arbeit wird in Bernekers Etymologischem Wörterbuch erwähnt.

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Franta = Franz = weselý žertowný, blázniwý člowěk, ein schlauer, lustiger Schalk, spaßhaft thörichter Mensch. Luter, hněwiwý a pyšný franta. (Jungmann 1835: Djl I, 552)

Desweiteren ist eine ganze Reihe von Sprichwörtern und Wendungen zu verzeichnen, die zu dieser Zeit lebendig gewesen sein müssen, wie z. B.: ‚po frantovsku lži psáti‘ [‚nach Franzens Art lügen‘], ‚tráviti své dni po frantovsku‘ [‚seine Tage nach Franzens Art verbringen‘], ‚hodno zapsati do Frantovských práv‘ [‚viel zu den Zunftregeln des Franta beitragen‘], ‚ty si pěkný Franta‘ [‚Du bist mir ein richtiger Franta‘], ‚z nouze/v nouzi Franta dobrý‘ [‚jmd. ist ein Notnagel, Lückenbüßer‘, ‚in der Not frisst der Teufel Fliegen‘ usw.], die in der tschechischen Gegenwartssprache aber nur noch marginal in Erscheinung treten und vorwiegend in Form der sogenannten ‚obecná čeština‘ gebraucht werden, d. h. eher im umgangssprachlich-familiären Kontext, was sich im Tschechischen in spezifischen morphologischen Formen widerspiegelt, wie z. B. ‚z nouze Franta dobr‚ej‘‘. Erstaunlich ist demgegenüber die beispielsweise in der russischen Sprache zu verzeichnende, auf dem Namen Franta beruhende, appellativische Bedeutung mit ihrem ausgeprägten Wortbildungsreichtum – wenn auch in einer etwas modifizierten Form, die auf ein ‚modisches, weltliches Wesen‘ deutet –, wie es bereits die obige etymologische Herleitung der Bedeutungsnuancen von Berneker (1924) veranschaulicht. Diesbezüglich lassen sich bis hin zum Russischen des 19./20. Jh.s ganze Wortnester nachweisen: Франтъ [Stutzer], франтиха [Modedame, Modepuppe], франтикъ (Dimin.), франтить [sich herausputzen, Staat machen], пофрантить [eine Zeitlang den Stutzer spielen (mit ‚stutzen‘ in der veralteten Bedeutung: ‚in modischer Kleidung umherstolzieren‘)], франтовской [herausgeputzt, stutzerhaft], франтовски одеваться [sich wie ein Stutzer/eine Modepuppe kleiden], франтовство [Modesucht], ходить франтом: сапоги съ рантомъ! [er läuft wie ein Dandy mit Stulpenstiefeln herum] (Dal‘ 1955/4: 1153f.; Pavlovskij 1922/2: 1689). Aber auch in der russischen Gegenwartssprache sind diese Lexeme, die mit dem Namen Frant verbunden sind, noch recht zahlreich vorhanden, wie eine Vielzahl von Belegen aus dem Russischen Nationalkorpus dokumentiert, hier seien nur einige Beispiele zur Illustration angeführt: За Гессом сидит Риббентроп – гитлеровский министр иностранных дел и пресловутый «сверхдипломат. Некогда блестящий светский франт и сердцеед (вспомним, с каким шиком он появился в Москве в 1939 году. – Борис Ефимов. Десять десятилетий. 2000) [Hinter Hess sitzt Ribbentropp – Hitlers Reichsminister des Auswärtigen und ein wortgewandter „Spitzendiplomat“. Ein ehemals brillanter Mann von Welt und Herzensbrecher

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(ich erinnere mich noch gut, mit welcher Eleganz er 1939 in Moskau aufgetaucht ist – Boris Efimov. 10 Jahrzehnte. 2000)14

Auffällig ist allerdings nicht selten auch die negative Konnotation des übertrieben oder unpassend Modischen: Наружность у него была странная, обращающая внимание. Костюм франтовский и неряшливый, баки, лысина, окруженная редкими вьющимися волосами … [Sein Äußeres, das Aufsehen erregte, wirkte etwas seltsam: Ein geckenhafter Anzug, unordentlich, Backenbart, Glatze – umgeben von einzelnen, umherwehenden Haaren ...] Настоящий франт дважды в одном не покажется. [Ein echter Geck zeigt sich nicht zweimal in derselben Kleidung.]

Doch kehren wir nun abschließend nach Böhmen zu Anfang des 16. Jh.s und zu Spinas Abhandlung darüber zurück. Für die Gesamteinschätzung der Frantova Práva und dessen Verfassers kommt Spina zu dem Schluss: Durch Darstellungsmittel aller Art: der Komik, der dummschlauen Begründung, des absichtlich falschen Induktionsschlusses, der falschen Generalisierung, der Selbstironie [...], des Kontrastes, Vergleiches, des lebhaften dramatischen Gesprächs, […], durch Häufung überraschender individueller Züge und liebevolle Ausmalung des Lebens der verschiedenen Stände, besonders der armen, aber schlauen dörperlichen [sic] Frantabrüder, die den Städter prellen; durch Verwendung volkstümlicher Redensarten und Sprichwörter entrollen sich lebendige Bilder, die dem Denkmal nicht nur literarischen, sondern auch hohen kulturhistorischen Wert verleihen. (Spina 1975: 112)

Spina schließt seine Analyse mit den Worten: Er wollte zeigen, „daß für Studien über deutsch-tschechische Beziehungen Raum ist.“ (Spina 1975: 113) Das kann man auch für eine sprachwissenschaftliche Analyse dieses Textes aus dem 16. Jahrhundert unterstreichen, in der Hoffnung, mit diesem Beitrag sowohl auf das ‚Denkmal‘ der Frantova Práva selbst, als auch auf die lesenswerte, in vielem noch immer aktuelle Abhandlung von Franz Spina neugierig gemacht zu haben.

14  Russ. Beispiele im Folgenden aus: ; Üb. AS.

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Literatur

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Alice Stašková

Anmerkungen zum Verhältnis von Zweckmäßigkeit und Methode in Spinas philologischer Praxis Die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren sich auf eine Aufgabe, die Franz Spina, wenn auch nicht explizit, einem deutschen Bohemisten als Literarhistoriker zuwies: nämlich die Erkundung der deutsch-tschechischen literarischen Beziehungen. Dies wirft drei Fragen auf: Inwieweit hat Spinas Zielsetzung seine eigenen Methoden und Urteile beeinflusst? In welcher Art und Weise hat er seine Interessen in seiner pädagogischen Praxis, soweit diese ermittelbar ist, realisiert? Und kann die literarhistorische Forschung heute einige von Spinas Vorschlägen aufgreifen? Diese letzte Frage ist gewiss eine rhetorische – und mit ihr wird die Schlussüberlegung des vorliegenden Beitrags vorweggenommen. Im Folgenden seien zunächst Spinas Vorschläge für den Unterricht sowie seine eigene pädagogische Praxis angesprochen. Dabei geht es um seine Berichte über den Lehrstoff und die Beteiligung der Studenten, aber auch um seine Ausführungen im Rahmen seines Antrags auf Habilitation von 1909 sowie um Gutachten und Protokolle sowohl zur Habilitation als auch für das Extraordinariat und das Ordinariat. Es folgen einige Bemerkungen zu Spinas Beiträgen für das Archiv für slavische Philologie sowie zur Einleitung der von ihm edierten alttschechischen Katharinenlegende.1 Zum Schluss soll überlegt werden, was Spina von seinen programmatischen Punkten von 1907-1909 einlöste. Insgesamt zeigt sich dabei die außerordentliche Breite von Spinas fachlichen Interessen. Darüber hinaus wird in seinen Arbeiten ein gewisses methodisches Schwanken deutlich.

1  Zur Schrift Spinas Die alttschechische Schelmenzunft ‚Frantova práva‘ vgl. den Beitrag von An­ drea Scheller im vorliegenden Band.

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Alice Stašková

1. Spinas Unterricht und seine pädagogischen und wissenschaftlichen Projekte

Ausführliche Berichte über seine Lehrtätigkeit hatte Spina regelmäßig vorzulegen. Aufschlussreich sind allerdings nur die aus den Jahren 1906 bis 1908, also vom Anfang seines Lektorats.2 Wie wichtig die Ermittlung des tatsächlichen Interesses am Tschechischunterricht an der deutschen Universität war, belegt dabei eine Aufzählung aus seinem Bericht vom 2. März 1907 über das Wintersemester 1906/07: 70 Personen belegten die dreistündigen Anfängerkurse, 40 waren fortgeschritten, 20 besuchten den Spezialkurs für Juristen, fünfzehn den philologischen Kurs. Über diese heißt es nun ausdrücklich, sie hätten „regelmäßig und ständig“ teilgenommen. Die Zahlen stiegen in den nächsten Jahren.3 Hinzu kam, dass der Kurs für Juristen auf alle Hörer erweitert wurde, wenn auch mit besonderer Berücksichtigung der Jurastudenten, die überhaupt am zahlreichsten vertreten waren: Im Jahre 1912-13 beispielsweise besuchten 327 Juristen, 124 Philosophen, 22 Mediziner, 5 Theologen und 4 Pharmazeuten die Kurse. Der detaillierte Bericht über den Stoff im Unterricht im Jahre 1906 zeigt bereits eine interessante Auswahl an zu behandelnden Texten, die die späteren, wenn auch summarischen Berichte bestätigen. Ich gebe hier alle Themen wieder, so zahlreich sie auch sind, denn sie stecken das Ausmaß an Spinas Interessen ab und deuten seine laufenden oder künftigen Projekte an.4 Im Kurs für Fortgeschrittene wurde eine Erzählung von Karolina Světlá gelesen und erläutert, in späteren Kursen in den Jahren 1908-1910 folgten Texte von Jan Neruda und Vítězslav Hálek, Balladen und Romanzen von Jaroslav Vrchlický sowie Volkslieder von Ladislav Čelakovský. Im speziellen Kurs für Juristen wurden „ausgewählte politische Artikel von Karel Havlíček und politische und volkswirtschaftliche Artikel tschechischer Tagesblätter“ sowie die „juridisch-politische Terminologie“ behandelt. Im philologischen Kurs wurde Svatopluk Čechs Ve stínu lípy [Im Schatten der Linde] gelesen und erläutert, außerdem Literatur- und Theaterkritiken aus Tagesblättern, ferner wurde eine 2  Gesichtet wurde die Personalakte Franz Spinas im Archiv der Karlsuniversität Prag, Bestand Deutsche Universität (AKP BDU: PA Spina). Zu Spina im Kontext der Entstehung der Slavistik an der Prager deutschen Universität vgl. insbesondere Šimeček (1990). Einen Überblick bietet Zeil (1994: 28ff.). 3  Vgl. hierzu den Beitrag von Ludger Udolph im vorliegenden Band. 4  Vgl. AKP (BDU: PA Spina, Bericht vom 02.03.1907). Dort die folgenden Zitate.

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literarhistorische Übersicht über die Literatur der tschechischen Wiedergeburt geboten. Dazu gehörten Beiträge zu sehr unterschiedlichen Themen: a) Referate zu den historischen Grundlagen der tschechischen Wiedergeburt, zur europäischen Aufklärung und den theresianischen und josefinischen Reformen, b) ein Referat Der Rückschlag gegen den Josefinismus und zur Entwicklung des tschechischen Nationalismus, c) ein Beitrag mit der Themenstellung „die Entwicklung der Wissenschaften in Böhmen, besonders der historischen und slavistischen Studien, unter dem Einflusse des Josefinismus“, d) ein Referat zu Josef Dobrovský und seiner Bedeutung als „Patriarch der Slavistik“, e) Darstellungen der Entwicklung des neutschechischen Dramas und Theaters in diesem Zeitraum mit einer Übersicht über die Entwicklung des alttschechischen Dramas unter der Berücksichtigung von Einflüssen der Wiener Dramatik, f) Referate zur Entwicklung der neuen populären Prosaliteratur, zur Wirksamkeit von Kramerius und seiner Verlagsanstalt sowie zu deutschen Einflüssen des Ritter-, Räuber- und Gespensterromans, g) eine Überblicksdarstellung zur Entwicklung der Rokokoliteratur in den europäischen Literaturen (deutsch, französisch, polnisch). Zum zuletzt genannten Thema schreibt Spina, dass es „als spezielle Einleitung zu der literarhistorischen Übung des Sommersemesters“ diente, nämlich einer „Methodischen Übung über die beiden ersten neutschechischen Almanache des Václav Tham von 1785 und des Jar. Puchmajer (1795-1814) mit Rücksicht auf die Fachgruppe Deutsch-Tschechisch“ unter „ständiger Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen deutscher und tschechischer Literatur“. An diesen Bericht schließt Spina zwei Anträge an: Erstens plädiert er dafür, dass die Tschechischkurse weiterhin unentgeltlich bleiben, zweitens will er eine Vereinigung des Juristen- und des Fortgeschrittenenkurses erwirken, was eine Erhöhung der Stundenzahl (statt viermal zwei Stunden dreimal drei Stunden) bedeuten würde. Die Kurse blieben tatsächlich gratis, doch die Zusammenlegung fand nicht statt.

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Dieser Überblick zeigt zunächst ein besonderes Interesse an deutschen Einflüssen auf die tschechische Literatur.5 Ferner aber ist die Art und Weise hervorzuheben, mit der Spina hier die Anfänge der neutschechischen Literatur in die historischen Zusammenhänge des Josefinismus, des Nationalismus und der wissenschaftlichen Entwicklung in Böhmen einbettet. Dies, so stichwortartig es auch erscheint, erinnert weniger an die Literaturgeschichte der Arbeitsgruppe von Josef Hanuš u. a. von 1902 (Hanuš u. a. 1902), sondern vielmehr an die Bilanz, die Arne Novák in seiner deutschen Darstellung Die tschechische Literatur formulierte (Novák 1931). Ein kurzer Seitenblick auf Novák mag an dieser Stelle erhellend sein. Dieser nämlich grenzte sich von der älteren, „romantischen“ Forschung ab, die – der bedingenden Kontexte ungeachtet – noch von einer „‚Auferstehung‘ des Volkes“ sprach, zugleich aber auch zum Teil von der jüngeren historisch-positivistischen Literaturgeschichtsschreibung um Jaroslav Vlček, die nach Nováks Auffassung Ursache und Wirkung verwechselte (ein „innerhalb des Positivismus üblicher Irrtum“, Novák 1931: 33). Insofern habe diese, so Novák, den Wiener Josefinismus zum eigentlichen Auslöser der Bewegung gemacht und die genuine Kraft des tschechischen Nationalismus unterschätzt. Abgesehen davon, dass hier Novák für Ansichten von Josef Pekař Partei ergreift, treten durch den Vergleich mit seiner Auffassung einige Aspekte von Spinas Behandlung der tschechischen Literaturgeschichte in seinem Unterricht hervor. Zwar betont auch Spina die Rolle des Josefinismus, die Bedeutung der Entwicklung des Nationalismus schwächt er dabei aber nicht ab. Und mag seine Bezeichnung Dobrovskýs als ‚Patriarchen der Slavistik‘ ein gängiger Topos der tschechischen Literaturgeschichte gewesen sein,6 so ist doch Spinas Hauptaugenmerk auf der Erforschung der böhmischen Wissenschaft des 18. Jahrhunderts bemerkenswert. Um diesen Forschungsgegenstand hatte sich, wie später Novák hervorhebt, Josef Hanuš verdient gemacht. Spinas philologische Übungen tragen hier also der breiten Bestimmung des slavistischen Aufgabenbereichs Rechnung, wie sie Vatroslav Jagić formulierte. Zugleich belegen sie, dass Spina die tschechische bohemistische Forschung offenbar detailliert verfolgte. Die Übung über Thám und Puchmajer nimmt bereits Spinas späteren Habilitationsvortrag vorweg. Dieser zeigt allerdings, dem Protokoll zufolge, eine besondere Akzentuierung der deutschen Einflüsse auf die Anfänge der 5  Zur Anregung der Interessen Spinas für die Erforschung der deutsch-tschechischen Literaturbeziehungen durch August Sauer s. Petrbok (2011: 230f.). 6  Arne Novák (1931: 36) nennt Dobrovský im vergleichbaren Zusammenhang „ein Patriarch im wahren Sinne des Wortes.“

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neutschechischen Lyrik: „Nach einer Einleitung“, so heißt es im Protokoll, die zeigte, wie die Entwickelung der čech. Literatur Schritt für Schritt von der deutschen abhängt, der sie immer in einem gewissen Abstand nachrückt, sowie einer allgemeinen Charakteristik der europäischen Rokokopoesie, wendet sich der Vortragende der Behandlung des Thámschen Almanachs [sic!]. Es wird der allgemein repräsentative Charakter geschildert sowie seine Abhängigkeit von den Ideen des josefinischen Liberalismus; sodann ihre Elemente – ältere čechische Literaturwerke (Trutznachtigall), Übersetzungen aus der deutschen Anakreontik (Gleim, Hagedorn, Weise, Bürger), endlich die Originalleistungen besprochen. [...] (zit. n. Šimeček 1994: 125)

Inwieweit Spina diese Abhängigkeit und den deutschen Einfluss insgesamt überbetonte, sei dahingestellt. Interessant mutet heute der breite Blick auf die (so wörtlich) „europäische Rokokopoesie“ an – ein Gegenstand, der bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein ein Desiderat der Germanistik wie der Komparatistik war. Zu seinem Habilitationsantrag legte Franz Spina am 23. Januar 1909 einige Schwerpunkte seiner künftigen Lehre vor: Nebst grammatischen Kollegien der historischen Grammatik des Tschechischen, der Lektüre alttschechischer ‚Denkmäler‘ bis ins 16. Jahrhundert und einem Spezialkolleg zu tschechischslavischen Dialekten sollte dies eine literaturhistorische Vorlesung in drei Kursen – ältere Literatur, Wiedergeburt und Aufklärung sowie neuere Literatur – sein. Spina führte zu dieser Vorlesung aus: Entsprechend der geschichtlichen Entwicklung und dem Charakter der Literatur ist hier das Hauptgewicht auf die Beziehung zu den fremden Literaturen, vor allem der deutschen, zu legen. Diese deutschen Einwirkungen, ein bisher von der tschechischen Forschung nicht genügend gewürdigter Gegenstand, wären in einem eigenen größeren Kolleg zusammenzufassen. (zit. n. Šimeček 1994: 118)7

Zu den Schwerpunkten, denen wir bereits in Spinas Bericht über den Stoff seiner Veranstaltungen begegneten, kommt noch das Thema „Die deutschen Klassiker und die tschechische Literatur“ hinzu. Diesem Thema hatte sich Spina schon einmal gewidmet, kurz zwar, jedoch mit Erfolg.

7  Konzeptuell beruft sich Spina auf Konrad Burdach (Vom Mittelalter zur Reformation. Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung, 1893); vgl. auch die Ausführungen in der Schrift zur Frantova práva (Spina 1909: 3 und 13). Hier betont Spina (1909: 20) allerdings auch: „Der neueste Abschnitt der Literatur erfreut sich in den letzten Jahren emsiger vergleichender Durchforschung.“.

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2. Spinas Beiträge für das Archiv für slavische Philologie

Der erste von seinen Beiträgen aus dem Jahre 1907 für die von Vatroslav Jagić edierte Zeitschrift Archiv für slavische Philologie lautet Zu Prokop Šedivýs Büchlein über das Theater 1793. So bescheiden wie der Titel ist auch der Umfang seines Aufsatzes, der bloß fünf Seiten beträgt, darunter etwa zwei Seiten Zitate. Das 18seitige Traktat Šedivýs mit dem Titel Krátké pojednání o užitku, kterýž ustavičně stojící, a dobře spořádané divadlo z působiti může [Kurze Abhandlung über den Nutzen, den ein stehendes und wohl bestelltes Theater erwirken kann] wurde, wie Spina akribisch darlegt, von den tschechischen Literarhistorikern einhellig für einen originalen – und z. T. auch originellen – Text des ansonsten kaum anspruchsvollen Verfassers und Übersetzers von Theaterstücken und Ritterromanen gehalten. Franz A. Šubert ließ sich sogar auf ein Lob dieser Abhandlung ein, der nüchterne Jaroslav Vlček vermerkte immerhin, ohne dies allerdings näher auszuführen, dass Šedivý durch eine deutsche Vorlage von 1787 angeregt worden sei (Spina 1907: 106f.). Die Quelle war aber, wie Spina lakonisch schreibt, eine andere: Šedivýs Büchlein ist eine ziemlich getreue – durch weite Absätze wörtliche – in den Hauptsachen gute Übersetzung der Schillerschen Abhandlung ‚Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet‘ von 1784. (Spina 1907: 107)

Dies belegt Spina anhand einer vergleichenden Gegenüberstellung beider Texte unumstößlich. An manchen Stellen begnügt er sich nur mit Hinweisen und kommentiert dann: An Šedivýs Übersetzung läßt sich gut beobachten, wie eine eben wieder flügge werdende Sprache mit den charakteristischen Eigenschaften Schillerscher Diktion: dem begeisterten und machtvoll hinströmenden Fluß, dem rhetorischen Periodenbau ringt. Insbesondere im Ausdruck der fein abgeschliffenen Abstrakta bleibt sie zurück. (Spina 1907: 108)

Ferner macht Spina darauf aufmerksam, wie Prokop Šedivý Schiller für die Zwecke der tschechischen Aufklärung „färbt[e]“ – wo Schiller vom nationalen Theater sprach (im Lessingschen Sinne) oder das Wort Volk verwendete, greife Šedivý zum Wort „tschechisch“. Spina fasst zusammen: Von einer originellen Leistung Šedivýs kann also keine Rede sein. Die begeisterte Apologie der stehenden Bühne, die im Charakter des Zeitalters liegende Verquickung von Kunst und Moral, der aufklärende, popularisierende Zug, die umfassende Belesenheit, das geradezu dramatische Hinarbeiten auf den Hauptzweck – das alles kommt auf Schillers Konto. (Spina 1907: 109)

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Die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis diese so offensichtliche Wahrheit ausgesprochen wurde, ist hier nicht von Belang.8 Zur Illustration der Reichweite von Spinas bescheiden formulierter Entdeckung sei dennoch zusätzlich auf die bereits erwähnte Geschichte der tschechischen Literatur des 19. Jahrhunderts von 1902 hingewiesen, die Josef Hanuš, Jan Jakubec, Josef Máchal, Emil Smetánka und Jaroslav Vlček verfassten und die Šedivý erstaunlicherweise nicht anführt. Hier wurde Šedivýs Leistung – dessen Abhandlung zudem als „v duchu zásad Rousseauvých“ [im Geiste der Rousseauschen Grundsätze] (Hanuš u.a. 1902: 262) charakterisiert wurde,9 nicht gewürdigt: Vývody své podpírá příklady z dramatických prací Euripidových, Shakespearových, Corneillových, Molièreových, Lessingových, Schillerových, Törringových a j., což svědčí o jeho znalosti dramatické literatury světové. (Hanuš u. a. 1902: 262) [Seine Ausführungen stützt er durch Beispiele aus Werken von Euripides, Shakespeare, Corneille, Molière, Lessing, Schiller, Törring, was von seinen Kenntnissen der dramatischen Weltliteratur zeugt.]

Interessant sind in Spinas Aufsatz insbesondere zwei Momente: Spinas abschließende Würdigung von Šedivýs Büchlein und die Inkonsequenz, mit der er sich dem schillerschen Bezug widmet. „Trotzdem ist Šedivýs Büchlein“, schließt Spina seine Abhandlung, obgleich eine pia fraus, die ihren Zweck bei den Zeitgenossen gewiß erreicht hat, ein nicht uninteressantes Glied in der Kette der deutsch-tschechischen Beziehungen in der Literatur der Wiedergeburt. Interessant auch durch die Bewertung seitens der Forschung, die in einer Schillerschen Abhandlung den echten Geist jener merkwürdigsten Periode tschechischen Schrifttums fand – eine Parallele zwischen deutscher und tschechischer Aufklärung (das Wort im weitesten Sinne gebraucht), die eines sozusagen geschichtsphilosophischen Interesses nicht entbehrt. (Spina 1907: 109)

Auch wenn man die Erläuterung dieses „sozusagen geschichtsphilosophischen Interesses“ in Spinas Aufsatz vermisst, bietet dieser selbst ein Stück Aufklärung. Im Übrigen bestätigte die spätere germano-bohemistische Forschung die Intensität des Einflusses von Schiller auf die tschechische nationale Wiedergeburt.10 Franz Spina hat hier den deutschen Einfluss keineswegs überbewertet. Erstaunlich jedoch ist seine bereits angedeutete Inkonsequenz. Šedivýs Büch8  Im nachträglich verfassten Register der Literaturgeschichte von Vlček (1898ff.: 357) findet man zu Šedivýs Traktat bereits den Vermerk „ze Schillera“ [aus Schiller]. 9  Im Übrigen schrieb hier Schiller und daher auch Šedivý gerade gegen Rousseau. 10  Vgl. z. B. die Beiträge von Hyršlová (1959) mit Blick auf Šafařík, Kollár und Palacký sowie zum Einfluss Schillers auf die Ästhetik und Geschichtsphilosophie Palackýs Stašková (2008).

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lein ist nicht die partielle Übersetzung der Abhandlung Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet von Schiller, erweitert durch eine eigene Einleitung und einige Einschübe. Denn dieser Text Schillers ist erst 1802 im 4. Band seiner Kleineren prosaischen Schriften erschienen. Šedivýs Traktat ist deshalb eine wortgetreue tschechische Übersetzung der Thalia-Version dieses Aufsatzes von 1785 mit dem Titel Was kann eine gute, stehende Schaubühne eigentlich nützen? Dabei stimmt Šedivýs Text mit der Vorlage völlig überein, wie Josef Leo Seifert im Jahre 1912, Spina korrigierend, in Listy filologické [Philologische Blätter] darlegte (Seifert 1912: 232f.). Dass hier Spina, ein promovierter Germanist, etwas zu rasch vorging, dürfte sich durch seine Zwecksetzung erklären. Ungenauigkeit war, wie sein Aufsatz Hans Sachs in altčechischem Gewande aus dem Archiv für slavische Philologie von 1910 belegt und die Rezensenten seiner Edition der Katharinenlegende sowie der Schrift zur Frantova práva lobend hervorheben, gewiss nicht typisch für ihn. Auch in diesem Aufsatz hebt er die deutsche Provenienz des tschechischen Textes als Beleg für deutsch-tschechische Literaturbeziehungen hervor, jedoch auf dem eigentlichen Gebiet seiner Forschungsinteressen – im Rahmen der Mediävistik und der Frühen Neuzeit. In dem kurzen Beitrag über den Repräsentanten der tschechischen nationalen Wiedergeburt hat ihn daher offenbar der Zweck, nämlich die Vorführung der Bedingtheit der neu­ tschechischen Literatur durch die deutsche, die er in seinem späteren Habilitationsvortrag akzentuierte, mehr interessiert als ein genauer philologischer Vergleich. In späteren Geschichten der tschechischen Literatur, zum Beispiel derjenigen von Jan Jakubec, wird auf Spinas Entdeckung allerdings dankbar hingewiesen (Jakubec 1934: 195); einer Begeisterung ob Šedivýs Leistung begegnen wir in der bohemistischen Literaturgeschichtsschreibung nach 1907 nicht mehr. Ein dritter Aufsatz aus dem Archiv für slavische Philologie sei deswegen hervorgehoben, weil hier Spina der deutschen Slavistik zwei Traditionen der tschechischen editorischen Praxis vermittelte. In diesem Beitrag von 1911 mit dem Titel Neuere Ausgaben zur älteren čechischen Literatur hebt er diese Praxis sogar gegenüber der deutschen hervor und konstatiert dabei zwei Tendenzen: einerseits die strengere philologische in der Nachfolge von Jan Gebauer (es handelt sich um Emil Smetánka), andererseits die historisch-kritische, die mehr an kulturgeschichtlichen Kontexten interessiert sei und dabei die Ausbildung des Historikers (es geht um Čeněk Zíbrt) auch zu Ungunsten der Edition spüren lasse. Spina hebt die Vorteile und Stärken beider Richtungen gleichermaßen hervor, auch wenn seine Bewunderung für die Gebauer-Schule überwiegt. Dies wird etwa dann sichtbar, wenn es heißt:

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Eines muß anerkannt werden: alle diese neueren Ausgaben, mit welchen die Bohemistik Ehre einlegt, wären undenkbar ohne den voraufgegangenen Ausbau der historischen Grammatik der Sprache, ohne das Lebenswerke Johann Gebauers, der den Goethischen Spruch von dem fruchtbarsten kleinsten Kreise so trefflich dokumentiert. (Spina 1911: 455f.)

Dieser Aufsatz erscheint aber auch mit Blick auf Spinas eigene philologische Praxis als aufschlussreich. Er dürfte nämlich eine Erklärung dafür liefern, dass Spina in seiner Ausgabe der Katharinenlegende von 1913 eine gewisse methodologische Inkonsequenz zeigt. Zwei Aspekte wurden in den ansonsten positiven Besprechungen und späteren Beurteilungen dieser Edition moniert. Ein erster Kritikpunkt, formuliert von Emil Smetánka, bezog sich auf das Wörterbuch: Es sei „klein und möchte nicht lexikographischen Bedürfnissen, sondern nur dem Textverständnis dienen. Wir befürchten, dass es wegen seines bescheidenen Ausmaßes, durch Rücksichten des Verlags diktiert, nicht einmal dieser Aufgabe genügt.“ (Smetánka 1913: 465; übers. A. S.)11 Auf Unzulänglichkeiten von Wörterbüchern machte jedoch Spina selbst mit Blick auf Zíbrts Editionen aufmerksam, und zwar gerade mit dem Hinweis darauf, dass die kulturgeschichtlichen Interessen die philologischen um ihre Vorzüge bringen (Spina 1911: 459f.). Es wäre zu erwägen, ob im Falle von Spinas Zurückhaltung beim Verfassen des Wörterbuchs nicht vielmehr die diesbezügliche germanistische Diskussion eine Rolle spielte. Wie Paul Sappler andeutete, bezog der Prager Germanist Johann Kelle bei seiner Edition des Otfried-Evangeliums Position in diesem Streit, in dem es darum ging, inwieweit ein Glossar ein etymologisch wie kulturell umfassendes Wissen vermitteln kann. Kelle entschied sich für die umfassendere Variante, seine Textedition von 1856 bekam das Glossar erst später (im Jahre 1881). Der Umfang und die beeindruckende Akribie verurteilten ihn vermutlich zur geringeren Resonanz – sie wurde schnell von handlicheren, das Verständnis unmittelbar fördernden Wörterbüchern abgelöst.12 Die zweite Kritik bezog sich auf Spinas Erläuterungen zu der Katharinenlegende. Etwas spekulativ erwog er, ob bestimme Erweiterungen gegenüber 11  Ähnlich in der deutschen, etwas längeren Fassung der ansonsten positiv würdigenden Rezension Smetánkas (Smetánka 1914: 555). 12  Dies hat Paul Sappler in seinem akribischen und ungemein anregenden Referat während der Tagung an der Prager Karlsuniversität Prag als Topos der Literatur, der Künste und der Politik am 06.02.2009 dargelegt. Ich stütze mich bei meinen Erwägungen zur Diskussion um die angemessene lexikographische Praxis bei Kelle und anderen auf meine Mitschriften; für eventuelle Missverständnisse und Ungenauigkeiten bin ich selbst verantwortlich. – Herr Professor Sappler konnte seinen Beitrag nicht mehr zur Veröffentlichung bereitstellen; am 14.04.2010 ist er nach schwerer Krankheit gestorben. Zur Wörterbuchfrage mit Blick u. a. auf Kelles Otfried-Edition s. Sappler (2005: 112ff.).

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der Quelle, die sich auf Räumlichkeiten beziehen, nicht auf die unmittelbare Erfahrung des Verfassers zurückzuführen seien. Es handelt sich um Schilderungen des prächtigen Raums, in dem Katharinas Vermählung mit Christus stattfindet und der mit in Gold gefassten Halbedelsteinen geschmückt ist. Spina vermutete die Wenzelskapelle im Prager Veitsdom sowie die Kreuzund Katharinenkapelle auf der Burg Karlstein als Vorlagen. Das veranlasste ihn, den Text auf frühestens 1355 zu datieren (Spina 1913: XIXf.) Jan Vilíkovský widerlegt in seiner Studie zur eigenen Ausgabe der Katharinenlegende von 1941 diese Vermutung mit dem Hinweis auf den Topos des himmlischen Jerusalems und seine sprachliche Darstellung vom Apostel Johannes bis hin zu mehreren mittelalterlichen Texten (Vilíkovský 1948: 186f.). Auch wenn die Datierung Spinas etwa von Smetánka als ein Novum begrüßt wurde (Smetánka 1913; 1914: 557), könnte man mit Blick auf die spätere Argumentation von Vilíkovský zögern, Spina eindeutig der philologischen Schule zuzuordnen.13 In Spinas Einleitung zu seiner Edition der Katharinenlegende begegnen sich, wie mir scheint, jene zwei Tendenzen, von denen er selbst im Bericht über die neueren tschechischen Editionen für das Archiv für slavische Philologie sprach: die Akribie der philologischen Schule sowie die Lust eines Kulturhistorikers, die Grenzen des Textes zu verlassen, um mehr zu erfahren, als der philologisch ermittelte Wortlaut alleine erlaubt.14 Abschließend kann gefragt werden, was Spina von seinem Programm von 1906-1909 eingelöst hat und welche der von ihm formulierten oder angedeuteten Impulse weiterhin als aktuell zu betrachten sind. Spina widmete sich in seinem Unterricht der alttschechischen Sprache und Literatur sowie der Aufklärung,15 auch interessierte er sich für die tschechische zeitgenössische Literatur.16 Hinzu kamen polonistische Themen. Das Buchprojekt über den polnischen dreizehnsilbigen Vers, für den er sogar eine zeitweilige Deputatskürzung in Anspruch nahm und 5000 Kronen Druckkostenbeitrag erhielt und das auch in den Empfehlungen für das Extraordinariat und das Ordinariat nicht unwichtig war, hat er nicht mehr realisiert. Insgesamt hat er allerdings seine Vorhaben weitgehend eingelöst – bis auf einen Punkt: die Darstellung des Einflusses der deutschen Klassiker auf die tschechische Literatur. Dieser Bereich, den er mit seinem Šedivý-Aufsatz immerhin erschließen konnte, ist 13  Vgl. auch die Bemerkung, dass an der deutschen Prager Bohemistik die philologische Methode richtunggebend war (Kudělka u. a. 1997: 244). 14  Vgl. auch die Hervorhebung von Spinas interpretatorischen Interessen im Nachruf (Arbeiten 1938: 1-6). 15  Vgl. den Beitrag von Ludger Udolph im vorliegenden Band. 16  Dies belegt Václav Petrbok im vorliegenden Band.

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bis heute nur zum Teil bearbeitet: Man denke etwa an die Lyrik František Palackýs, die, etwas zugespitzt formuliert, ohne Friedrich Schiller soviel wäre wie Prokop Šedivýs Plädoyer für eine stehende tschechische Bühne. Insgesamt kann jedoch behauptet werden: So pragmatisch und zum Teil auch forciert Spinas Akzentuierung der deutschen Einflüsse auf die neue tschechische Literatur auch erscheinen mag, die Metapher eines gemeinsam gewebten Teppichs, die er für das lange Zusammenleben der Deutschen mit den Tschechen verwendete, bleibt schön und wahr zugleich. Dieses Bild benutzte er in seiner Rede im Parlament vom November 1921,17 einer Rede, die Ferdinand Peroutka die „moderateste Rede“ nannte, die „diese Institution bisher von einem deutschen Abgeordneten zu hören bekam“ [nejumírněnější řeč, jakou tato instituce dosud od německého poslance vyslechla]. (Peroutka 2003: 641) Spina plädierte hier für eine aktive Arbeit am künftigen Zusammenleben beider Nationen; zerschnitte man jenen bunten, gemeinsam gewebten Teppich, ginge, so Spina, ein wertvolles Muster verloren (Peroutka 2003: 641).

Archivdokumente

AKP BDU: Archiv der Karlsuniversität Prag. Bestand Deutsche Universität. Personalakte Franz Spina.

Literatur

Arbeiten (1938): Arbeiten zur älteren Geistesgeschichte der Westslaven. Franz Spina zum Gedächtnis. – In: Slavische Rundschau X/6, o. S.

17  Vgl. hierzu den Beitrag von Steffen Höhne im vorliegenden Band.

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Hanuš, Josef/ Jakubec, Jan/Máchal, Jan/Smetánka, Emil/Vlček, Jaroslav (1902): Literatura česká devatenáctého století, díl 1. Od Josefa Dobrovského k Jungmannově škole básnické [Die tschechische Literatur des 19. Jahrhunderts, Teil 1. Von Josef Dobrovský zu Jungmanns dichterischer Schule]. Praha: Laichter. Hyršlová, Květa (1959): Friedrich Schiller und die tschechische nationale Wiedergeburt. – In: Zeitschrift für Slawistik I/3, Teil 1, 43-76; Zeitschrift für Slawistik II/1, Teil 2, 67-78. Jakubec, Jan (21934): Dějiny literatury české II, 1, 2. Od osvícenství po družinu Máje [Die Geschichte der tschechischen Literatur. Von der Aufklärung bis zur Gruppe Máj]. Praha: Laichter. Kudělka, Milan/Šimeček, Zdeněk/Šťastný Vladislav/Večerka, Radoslav (1997): Česká slavistika od počátku 60. let 19. století do roku 1918 [Tschechische Slavistik vom Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts bis 1918]. Praha: Historický ústav. Novák, Arne (1931): Die tschechische Literatur. Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion. Peroutka, Ferdinand (2003): Budování státu 1920-1921-1922, Bd. 3/4 [Der Aufbau des Staates]. Praha: Academia. Petrbok, Václav (2011): August Sauer und die Bohemistik. – In: Höhne, Steffen (Hg.), August Sauer (1855-1926). Ein Intellektueller in Prag zwischen Kultur- und Wissenschaftspolitik (= Intellektuelles Prag im 19. und 20. Jahrhundert, 1). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 229-248. Sappler, Paul (2005): Text und lexikalische Bedeutung im Sprachwörterbuch und im Autorenwörterbuch. – In: Plate, Rolf/Rapp, Andrea (Hgg.), Lexikographie und Grammatik des Mittelhochdeutschen. Stuttgart: Steiner, 109-119. Sappler, Paul (2009): Referat über den Prager Germanisten Johann Kelle, Tagung Prag als Topos der Literatur, der Künste und der Politik (Vortrag am 6.2.2009). Seifert, Josef Leo (1912): Šedivého knížka o divadle [Šedivýs Büchlein über das Theater]. – In: Listy filologické 39, 232-233. Smetánka, Emil (1913): Franz Spina: Die altčechische Katharinenlegende der Stockholm-Brünner Handschrift. Einleitung. Text mit Quellen. Wörterbuch. Prag, Taussig & Taussig, 1913. – In: Listy filologické 40, 462-465. Smetánka, Emil (1914): Franz Spina: Die altčechische Katharinenlegende der Stockholm-Brünner Handschrift. Einleitung. Text mit Quellen. Wörterbuch. Prag 1913. – In: Archiv für slavische Philologie 35, 553-558. Spina, Franz (1907): Zu Prokop Šedivýs Büchlein über das Theater (1793). – In: Archiv für slavische Philologie 29, 105-109. Spina, Franz (1909): Beiträge zu den deutsch-slawischen Literaturbeziehungen. I. Die alttschechische Schelmenzunft „Frantova práva“. Praha. Spina, Franz (1910): Hans Sachs in altčechischem Gewande. – In: Archiv für slavische Philologie 31/1910, 394-408. Spina, Franz (1911): Neuere Ausgaben zur älteren čechischen Literatur. – In: Archiv für slavische Philologie 32, 454-465.

Anmerkungen zum Verhältnis von Zweckmäßigkeit und Methode

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Spina, Franz (1913): Die Altčechische Katharinenlegende. Die Stockholm-Brünner Handschrift. Einleitung. Text mit Quellen. Wörterbuch. Praha: Taussig & Taussig. Stašková, Alice (2007): Geschichte und polemos: Schiller, Palacký, Patočka. – In: Dies. (Hg.), Friedrich Schiller und Europa. Ästhetik, Politik, Geschichte. Heidelberg: Winter, 207-220. Šimeček, Zdeněk (1990): Počátky slavistických studií na německé univerzitě v Praze a zápasy o její charakter [Die Anfänge der slavistischen Studien an der deutschen Universität in Prag und die Kämpfe um ihre Ausrichtung]. – In: Slovanské historické studie XVIII, 31-61. Šimeček, Zdeněk (1994): Dokumente zur Geschichte der Slavischen Philologie an der Deutschen Universität in Prag. – In: Anzeiger für slavische Philologie 22/2, 97-145. Vilíkovský, Jan (1941): Legenda o sv. Kateřině [Die Katharinenlegende]. – In: Ders., Písemnictví českého středověku [Schrifttum des tschechischen Mittelalters]. Praha: Universum, 176-200. Vlček, Jaroslav (1898ff.): Dějiny české literatury. Druhého dílu část první: století osmnácté [Geschichte der tschechischen Literatur. II.1.: das achtzehnte Jahrhundert]. Praha: Jednota českých filologův. Zeil, Wilhelm (1995): Slawistik an der deutschen Universität in Prag (1882-1945). München: Otto Sagner.

Zaur Gasimov

Zwei Zeitschriften – viele Diskurse: Ideenströme zwischen der Prager Slavischen Rundschau und dem Warschauer Wschód im Europa der Zwischenkriegszeit

1. Die Zwischenkriegszeit: Prager und Warschauer Perspektiven

Die Zwischenkriegszeit stellt eine Epoche dar, in der der größere Teil Ostmitteleuropas die politische Unabhängigkeit erlangte. Die im Zuge der Nachkriegsordnung um 1918 wiedergewonnene Staatlichkeit konnte von den neu entstandenen Staaten allerdings nur mit teilweisem Erfolg verteidigt werden. Während z. B. die ukrainische Selbstständigkeit bereits 1918 scheiterte, existierten die kaukasischen Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien bis 1920/21. Polen und die Tschechoslowakei, die ebenfalls infolge des Zusammenbruchs von Imperien – des Zarenreiches und Österreich-Ungarns – als unabhängige Staaten auf der politischen Karte Europas auftraten, blieben bis 1939 bzw. 1938 souverän. Für alle Nationen Ostmitteleuropas und vor allem für die Polen und Tschechen war die Zwischenkriegszeit daher die Periode des intensiven Aufbaus einer Staatlichkeit. Obwohl der Prozess der Nationswerdung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen war (Hroch 1968), fand eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage der nationalen Identität sowie deren Weiterentwicklung in dieser Zeit sowohl in Polen als auch in der Tschechoslowakei statt.1 Von den Publizisten in Polen und in der Tschechoslowakei damals häufig als Patriotismus bezeichnet, sollte der polnische bzw. tschechische (tschechoslowakische) Nationalismus das schwierige Erbe der Jahrhunderte langen Fremdherrschaft beseitigen und die eigene Staatlichkeit festigen. Hier 1  Der polnische Publizist Eugenisuz Wiśniowski schrieb 1934 im Wschód [Osten], dass der „Glaube an Polen und seine historische Bestimmung der wahre Freund des polnischen Nationalismus“ sei (Wisniowski 1934: 5).

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e­ ntwickelte man selbständige Denkkonzepte auf Grundlage eigener Traditionen, aber auch unter den Impulsen ‚von außen‘. Innerhalb Mitteleuropas waren die polnischen sowie die tschechoslowakischen Ideenwelten dem Einfluss des italienischen Faschismus, des deutschen Nationalsozialismus, des russisch-sowjetischen Kommunismus (Bolschewismus, Stalinismus) – alle drei totalitäre Ideologien wurden bereits Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre zu Staatsideologien – sowie den Ideendiskursen und -transfers ausländischer Emigranten ausgesetzt. Polen und die Tschechoslowakei waren nicht nur von wirtschaftlich und militärisch starken Staaten, sondern auch von „kämpfenden Staaten“ – wie der polnische Publizist Włodzimierz Bączkowski die Sowjetunion der 1930er Jahre bezeichnete – umgeben. Kämpferisch seien nicht nur die Armeen dieser Staaten, sondern auch die Ideologien und die Weltanschauungen. Der Siegeszug der totalitären Ideologien in Deutschland, Italien und in Russland beeinflusste die innenpolitischen Prozesse in Mittelosteuropa. Polen wurde bereits in den 1920er Jahren, vor allem nach dem so genannten Marsch nach Warschau, durch den Marschall Piłsudski im Mai 1926 an die Macht gelangte, autoritär regiert und seine Eliten, sowohl die Gruppe der Nationaldemokraten (‚endecy‘) um den Politiker Roman Dmowski, als auch die ehemaligen Sozialisten und Sozialdemokraten von Józef Piłsudski, verstanden den im November 1918 wiedererrichteten polnischen Staat als Nationalstaat, obwohl ein Drittel der Bevölkerung aus – ethnisch betrachtet – Nichtpolen bestand. Die Tschechoslowakei – wie auch in der offiziellen Bezeichnung festgehalten – war ein Staat der tschechischen Mehrheit und der slowakischen Minderheit und wurde von den eigenen Eliten als der tschechisch-slowakische bzw. tschechoslowakische Staat wahrgenommen. Das multinationale und -kulturelle Prag blieb zuletzt die Hauptstadt der einzigen Demokratie in Ostmitteleuropa, wo jedoch Unklarheit darüber herrschte, wie man die deutsche und die ungarische Minderheit in eine asymmetrische, von Tschechen deutlich dominierte Zwei-Völker-Gesellschaft integrieren sollte. Die Konflikte zwischen den Tschechen und Slowaken sowie die Auseinandersetzung mit der jüdischen Minderheit2 und mit den slavischen Minderheiten in den 2  Der Antisemitismus der tschechischen Intellektuellen und der Bevölkerung nahm seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ähnlich wie in Polen stetig zu. Auf dem Lande in Böhmen und Mähren, aber auch in Prag wurde die Nationalsprache von den tschechischen Nationalisten weitgehend instrumentalisiert. Nur ein vergleichsweise geringer Teil der Prager jüdischen Intellektuellen bediente sich der tschechischen Sprache; Deutsch dominierte eindeutig in den jüdischen Diskursen, obwohl ein nicht gerade kleiner Teil jüdischer Intellektueller sich für das Erlernen des Tschechischen einsetzte. Hans Kohn, Nationalismusforscher und ein

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Grenzregionen (vor allem mit den Ukrainern bzw. Ruthenen) standen von 1918 bis 1938 auf der Tagesordnung. Ähnlich sah es auch in Polen aus, wo man jedoch eine radikalere Homogenisierung – Polonisierung3 der deutschsprachigen und ukrainischen Minderheit mit unterschiedlicher Intensität betrieb. Die Ideenwelt in Polen und in der Tschechoslowakei war somit von den lokalen Nationalismen, vom geopolitischen und außenpolitischen Denken sowie von einer intellektuellen Auseinandersetzung mit totalitären Ideologien wie z. B. dem Kommunismus geprägt. Obwohl diese Ideologien die eigentlichen Herausforderungen im 20. Jahrhundert bedeuteten, setzte man sich in der Zwischenkriegszeit vorwiegend mit älteren weltanschaulichen Konzepten aus dem 19. Jahrhundert auseinander. Dabei ging es vor allem um den Pan­ slavismus, den innerslavischen Dialog und nicht zuletzt in diesem Kontext um die Wahrnehmung Russlands: Dies war äußerst wichtig sowohl für Polen als auch für die Tschechoslowakei. An zwei bedeutenden Kulturzeitschriften aus Prag und Warschau wird in diesem Aufsatz versucht, die Ideen- und Gedankentransfers zwischen diesen ostmitteleuropäischen Metropolen exem­­pla­risch nachzuzeichnen. Es wird versucht, den Dialog und die Verflechtungen wiederzugeben, die es in den Prager und Warschauer Intellektuellenkreisen4 gebürtiger Prager, erinnert sich in seinen Memoiren an das damalige Prag: „In allen Lebensbereichen herrschte eine freiwillige Segregation, eine Art stillschweigend anerkannter ‚Eiserner Vorhang‘, der zwei Welten trennte, die Seite an Seite lebten, jede verschlossen und fast ohne Verbindung untereinander.“ (Kohn 1965: 26) In Polen dagegen waren Jiddisch und Polnisch die Alltagssprachen der jüdischen Minorität. Im Gegensatz zur Tschechoslowakei, wo übrigens Tschechisch und Slowakisch als offizielle Amtssprachen festgelegt wurden, Deutsch aber wichtiges Kommunikationsmittel blieb, war Polnisch in Polen auch eine interethnischeVerkehrssprache. 3  Unter ‚Polonisierung‘ ist die Förderung und Forderung nach einer Zwangsanpassung der nationalen Minderheiten an die polnische Sprache und Kultur zu verstehen. Sie äußerte sich in der Einführung des Pflichtunterrichts des Polnischen in den von den Minderheiten besiedelten Regionen. Den Methoden, der Organisation und dem Ablauf nach verlief die Polonisierung im Vergleich z. B. mit der Russifizierung in der Sowjetunion der 1930er Jahre deutlich liberaler. 4  Der Begriff des Intellektuellen in Polen (intelektualista) und im tschechischen Kontext (Intelektuál) hat eigene Traditionen. Er ist nicht mit dem russischen Begriff der ‚inteligencija‘ gleichzusetzen. Die polnischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit hatten je nach vorherigem Teilungsgebiet eine höhere Bildung auf Französisch, Deutsch, Russisch oder Polnisch (Krakau). Das Warschauer Milieu zeichnete sich daher vor allem durch die Rus­ sischkenntnisse der Intellektuellen aus, die jedoch auch über recht gute Französisch- sowie Deutschkenntnisse verfügten. Latein und Italienisch waren wegen der katholischen Tradition weit verbreitet. Die tschechische Intellektuellenschicht zeichnete sich durch brillante Deutschkenntnisse aus, auch war Französisch in Prag ebenso verbreitet wie in Wien; des Russischen waren im Vergleich zu Polen dagegen nur wenige tschechische Intellektuelle

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gab und deren Intensität in der bisherigen Forschung leider nicht berücksichtigt wurde. Polen und die Tschechoslowakei waren, auf einem Makrolevel betrachtet, einem intensiven Einfluss faschistischer, nationalsozialistischer und kommunistischer Ideenströmungen bereits seit den frühen 1920er Jahren ausgesetzt. Die konservative Atmosphäre der Weimarer Republik, die deutschen politischen Diskurse, die Europakritik sowie der Pessimismus und die Untergangsstimmung deutschsprachiger Konzepte wurde unter den polnischen und tschechischen Intellektuellen registriert. Dieser Einfluss intensivierte sich in den 1930er Jahren erheblich. Auf dem Mikrolevel bemühte man sich sowohl in Warschau als auch – um es mit den Worten Oskar Wieners auszudrücken – in der „Dreivölkerstadt“ (zit. n. Bobrakov-Timoškin 2010) Prag um die Stärkung des staatlichen und des nationalen Bewusstseins der eigenen Bevölkerung im Sinne des Polentums und des Tschechoslowakismus. In beiden Ländern beäugte man die sprachlichen, ethnischen und religiösen Minderheiten mit Misstrauen. Die Warschauer und Prager Diplomaten versuchten, die Position ihrer Länder auf dem internationalen Parkett zu stärken. Gefahren sah man vor allem vom kommunistischen Osten, aber auch von Deutschland kommen.

2. Die Ideenwelten der zwei Zeitschriften

Die Slavische Rundschau (1929-1940) war eine deutschsprachige Fachzeitschrift, die von den Slavisten Franz Spina und Gustav Gesemann in Prag herausgegeben wurde. Die Entwicklung einer länderspezifischen und -übergreifenden Slavistik, die osteuropäischen und vor allem die slavischen Literaturen sowie die deutsch-slavischen kulturellen Kontakte waren die Schwerpunkte dieser Zeitschrift. Die Slavische Rundschau besaß in der vor allem sprachlich zutiefst mächtig. Die Sprachkompetenzen erweiterten natürlich die Möglichkeiten der Rezeption. Gerade in Mittelosteuropa waren die Intellektuellen multilingual und in mehreren Kulturen gleichzeitig heimisch.

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gespaltenen tschechoslowakischen und Prager Gesellschaft eine Brückenbauerfunktion. Die deutsche Kultur sollte den tschechischen und slowakischen Intellektuellen näher gebracht und die Aufmerksamkeit sollte auf die engen Verflechtungen der tschechischen mit den deutschen bzw. deutschsprachigen kulturellen Traditionen gerichtet werden. Im ostmitteleuropäischen Kontext wurde die Slavische Rundschau zu einem wichtigen Forum prominenter Linguisten,5 aber auch der russischen Eurasier: Diese zwei Intellektuellengruppen waren aufs engste miteinander verflochten. Prag war in der Zwischenkriegszeit zu einer Zufluchtsstätte für viele politische Emigranten aus Russland6 geworden und entwickelte sich neben den „drei Hauptstädten der Verbannung“ (Ippolitov 1999) – Istanbul, Berlin und Paris – zu einem wichtigen Zentrum der russischen Kultur (Tolstoj 2008). Nikolaj Trubeckoj7 und Roman Jakobson,8 führende Mitglieder des Prager Linguistischen Zirkels, und viele andere ließen sich in Prag nieder und setzten ihre wissenschaftlichen Aktivitäten hier fort. Ihre in den 1920er Jahren entwickelten Ideen wurden nun auch in der Slavischen Rundschau publiziert. Franz Spina strebte den Ausgleich zwischen den Deutschen und den Tschechen sowie zwischen den Deutschen und den Slaven an. Das bedeutete, dass er sich auch um eine Vermittlung der wichtigsten tschechischen Ideenströ5  Die Slavische Rundschau war keine eurasische Zeitschrift, jedoch vertrat einer ihrer Herausgeber, Gesemann, Ansichten, die die russischen Eurasier teilten. Er wies auf den von ihnen projizierten (Kultur-)Raum Eurasien, indem er über Russlands kulturelle Zugehörigkeit schrieb. Gleichzeitig publizierten in der Slavischen Rundschau Nikolaj Trubeckoj, Petr Savickij (1933) und Dmitrij Svjatopolk-Mirskij (1932), die zur Erarbeitung des eurasischen Gedankengutes intensiv beitrugen (Wiederkehr 2007). 6  Zur russischen Emigration in Europa siehe Kosik (2010). 7  Nikolaj Trubeckoj (1890-1938) lehrte in Rostov-am-Don und Moskau, nach der Emi­ gration in Sofia und schließlich in Wien. Er befasste sich mit der Phonologie und gilt als einer der Mitbegründer der eurasischen Lehre, einer Ideenströmung, die im russischen Exil im Europa der Zwischenkriegszeit entstand. In Sofia publizierte er 1920 seine Abhandlung Evropa i čelovečestvo [Europa und die Menschheit], in der er äußerst europakritisch und prorussisch polemisiert. 1921 gab er zusammen mit anderen die programmatische Schrift Ischod k Vostoku [Exodus gen Osten] heraus. Sie gilt als eine der Grundlagen der eurasischen Bewegung, die die ‚Vermählung‘ des historischen Russland mit Eurasien und die Einstellung der Bemühungen der russischen Annäherung an Europa befürwortet. Die Mongolenherrschaft im Mittelalter wurde positiv bewertet, die Wendung zu Europa während der Zeit Peters des Großen dagegen verurteilt. Detaillierter zur eurasischen Bewegung s. Wiederkehr (2007). 8  Roman Jakobson (1896-1982) lebte seit 1920 in Prag und wanderte Ende der 1930er Jahre in die USA aus. Er war wie Trubeckoj einer der Mitbegründer des Prager strukturalistischen Zirkels. Zum Überblick der wichtigsten Werke s. Jakobson (1971).

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mungen bemühte. Es waren Gesemann, Pannwitz und die russischen Emi­ granten, die Deutschtum und Slaventum als eine Art Schicksalsgemeinschaft­ stilisierten. In Russland sah man keinen Feind: Seine Kultur, Literatur und historische Bindung an Mähren und Böhmen, d. h. an Zentraleuropa, wurde von den Autoren der Slavischen Rundschau kommentiert und stets akzentuiert. Die Slavische Rundschau war somit nicht nur eine Fachzeitschrift der Slavistik, sondern auch ein bedeutendes Forum für ideengeschichtliche Diskurse, die größtensteils die Ansichten der im damaligen Prag Zuflucht gefundenen Eurasier stützten. Hiermit schlug die Slavische Rundschau Brücken in der Tschechoslowakei, in Prag und in ganz Ostmitteleuropa.9 Die polnische Zeitschrift Wschód, die 1930-1939 in Warschau vom polnischen Publizisten und Sprachwissenschaftler Włodzimierz Bączkowski10 herausgegeben wurde und sich ebenfalls der Erforschung Osteuropas widmete, hatte eine diametral entgegengesetzte Vorstellung vom Osten Europas und seiner (Neu-)Gestaltung. Diese Zeitschrift stand wie die überwiegende Mehrheit der ideengeschichtlichen und analytischen Zeitschriften im Polen11 der Zwischenkriegszeit unter dem Einfluss des polnischen Prometeismus, einer Ideologie, die eine Zerstückelung der Sowjetunion und des bolschewistischen Russlands nach dem Nationalitätenprinzip anstrebte.12 Mit Hilfe dieser Ideologie, die von Marschall Piłsudski und seinen Gefährten intensiv unterstützt wurde, versuchte man den Einfluss des Kommunismus zu reduzieren und die Sowjetunion zu schwächen. Die polnischen Prometeisten arbeiteteten deswegen eng mit den ukrainischen und kaukasischen Emigranten zusammen, die sich nach der bolschewistischen Eroberung der Ukraine und der südkaukasischen Republiken 1920-21 ins politische Exil nach Europa, vor allem nach Frankreich und Polen geflüchtet hatten. Für den Ukrainer Roman 9  Im Unterschied z. B. zur von Max Vasmer herausgegebenen Zeischrift für slavische Philologie, sind in der Slavischen Rudnschau deutlich mehr Artikel zu kulturwissenschaftlichen Themen (Ost-West-Probleme, Rezeptionsgeschichte etc.) zu finden. 10  Włodzimierz Bączkowski, geb. 1906, war polnischer Sinologe, Politologe und Historiker. Er verbrachte seine Kindheit in der polnischen Community im russischen Charbin und absolvierte dort die russische Mittelschule. Danach folgten das Studium der Orientalistik und die Promotion in Warschau. In den 1930er Jahren war Bączkowski einer der führenden Publizisten Polens. Nach der sowjetisch-deutschen Eroberung des Landes begab er sich ins Exil, zuerst in den Libanon, wo er 1951 eine programmatische Schrift Russia and Asia veröffentlichte, und später in die USA, wo er im Jahr 2000 verstarb. 11  Es handelt sich in erster Linie um die Zeitschriften Przymierze (1920-21), Wschód (1930-39) und Problemy Europy Wschodniej (1939-40). 12  Zur Prometeismusbewegung s. Woytak (1984); Mikulicz (1971); Kornat (2003); Snyder (2005); Mamoulia (2007).

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Smal‘-Stoc’kyj,13 für den Aserbaidschaner Mammad Amin Rasulzade14 und für Hunderte georgischer Offiziere wurde Warschau zum wichtigen Sammelpunkt ähnlich wie Prag für Trubeckoj und Jakobson zur Zufluchtsstätte und zum Ort des akademischen Schaffens geworden war. Fanden die letzteren in Spina und Gesemann wichtige Ansprechpartner in der neuen Heimat, so waren es in Warschau die polnischen Wissenschaftler und Politiker, die den emigrierten Ukrainern und Kaukasiern die Möglichkeiten für wissenschaftliches Arbeiten einräumten.

3. Russlanddiskurse

Six hundred years of history, argued Pilsudski, had taught the lesson that Polands relations with Russia are determined by the relative degree of influence the two rivals could exercise on the intermediate area: the Baltic region, Belorussia, and the Ukraine […]. In this part of the European continent there is simply no room for two strong states (Dziewanowski 1969: 99),

so beschrieb der polnische Exilhistoriker Marian Dziewanowski das außenpolitische Geschehen im Polen der 1920er Jahre in seiner Piłsudski-Biographie. Die Elite Polens war Russland gegenüber kritisch eingestellt. Das kommunistische Russland sowie das eurasische Projekt waren für die Intellektuellen Polens Schreckensszenarien. Die Möglichkeit, in der Slavischen Rundschau zu publizieren, stand den russischen Eurasiern dagegen offen. Sie schrieben hier 13  Der Professor für ukrainische Philologie an der Universität Warschau, Roman Smal‘Stoc’kyj (1893-1969), war einer von dreizehn ukrainischen Professoren (Stand: 1929), die an polnischen Universitäten lehrten. Er gehörte zu den Aktivisten der prometeistischen Bewegung und leitete seit 1927 den Klub Prometheusz in Warschau (Komar 2008). Die philologischen Publikationen Smal‘-Stoc’kyjs wurden in der Slavischen Rundschau vorgestellt. Siehe die Rezension seines Buches (Slavische Rundschau 1930/2-3: 197f.). 14  Der Literaturhistoriker und Journalist Məmməd Əmin Rəsulzadə (1884-1955) war 1918/20 Parlamentspräsident der Aserbaidschanischen Republik. Nach der sowjetischen Okkupation Aserbaidschans im April 1920 blieb Rəsulzadə noch im Lande, da er immer noch auf die Einhaltung der Vereinbarungen mit den Bolschewiki hoffte. Anfang der 1920er Jahre floh Rəsulzadə nach Finnland und danach nach Istanbul ins Exil. Die 1930er Jahre verbrachte er in Warschau und kehrte nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in die Türkei zurück.

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als Wissenschaftler, vor allem als Slavisten, in ihren Aufsätzen sind aber eurasische Argumentationsmuster deutlich spürbar. Ihr prominentester Vertreter, Nikolaj Trubeckoj, führte in seinem Aufsatz zum gesamtslavischen Element in der russischen Kultur aus, dass eine einheitliche slavische Kultur ein Mythos sei. Die russische Kultur habe die älteste und kontinuierlichste literatursprachliche Tradition (Trubeckoj 1927b: 80). Trubeckoj pocht dabei auf die kulturelle Nähe der Russen zu den Turkvölkern, dabei sieht er die russische Kultur als Leitkultur im Kontext der slavischen Völker an.15 Neben anerkannten Linguisten wie Trubeckoj schrieb auch sein engster Mitstreiter, der russische Eurasier Petr Savickij (1895-1968), häufig für die Slavische Rundschau. 1933 veröffentlichte Savickij eine Rezension des Buches Histoire de Russie des (exil-)russisch-französischen Autorenkollektivs Paul (Pavel) Miljukov, Charles Segnobos und Louis Eisenmann, das 1932-33 in Paris erschienen war und noch in den 1940-50er Jahren in Frankreich als das klassische Werk zur russischen Geschichte galt. Savickij (1933: 348) betonte die eurasische Idee von einer totalen Verschiedenheit der russischen Kultur von der europäischen. Dem „Westler“ sei am russischen Leben alles ‚künstlich und siech‘. Die Wschód argumentierte dagegen.16 Russland ließe sich sehr wohl europäisieren, gehöre jedoch nicht zum europäischen Kulturkreis, daher würde eine Europäisierung des Landes keinen Sinn ergeben. Die in der Zeitschrift Wschód publizierenden Autoren sahen in Russland kein Land einer Hochkultur. Die Slavische Rundschau veröffentlichte dabei eine ganze Reihe von Aufsätzen allein zu Dostoevskij. 1931 publizierte der polnische Literaturkritiker und Schriftsteller Stanisław Baczyński (1890-1939) einen Aufsatz zu Dostoevskij und Polen (Baczyński 1931). Baczyński schrieb: Im 19. Jahrhundert wurde die russische Kultur und Literatur ein Teil der allgemeinen europäischen Kultur, sie drang immer tiefer in sie ein, durchsetzte sie mit ihren eigentümlichen Elementen und bildet dank der Tiefe ihrer Problematik und ihren schriftstellerischen Methoden eine der faszinierendsten Erscheinungen der Weltliteratur. (Baczyński 1931: 385)

Die russische Literatur und auch die Kultur seien, Baczyński zufolge, ein Teil der europäischen sowie der Weltkultur. Dabei wies er auf Folgendes hin: Trotz aller Voraussetzungen und Annäherungsmöglichkeiten zwischen der polnischen und der russischen Kultur gäbe es ein größeres Hindernis, das diese Möglichkeiten paralysiere. Es sei der Unterschied in der Tradition und im Charakter der Kultur (Baczyński 1931: 388). 15  Trubeckoj plädierte dafür, dass die nichtrussischen Völker Zentralasiens für die eigenen Sprachen die russisch-kyrillische Schrift verwenden sollten. 16  Siehe dazu exemplarisch den Beitrag des Chefredakteurs Bączkowski (1936).

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Dostoevskij wurde auch von den polnischen Autoren der Warschauer Wschód als eine Einführung in das Verständnis der russischen Realität und Mentalität gepriesen. Man bemühte sich jedoch um einen distanzierten Blick auf sein literarisches Schaffen. Eine Serie zur ideellen Dimension Dostoevskijs war in der Wschód unvorstellbar. Man wollte Dostoevskij als Berichterstatter wahrnehmen, man wollte in seinen Schriften das Funktionieren der russischen Politik und die Mentalität des Landes begreifen und nicht mehr. Dostoevskij war für die Wschód-Autoren im Gegensatz zu den Autoren der Slavischen Rundschau in erster Linie kein Schriftsteller, sondern Berichterstatter.­ Die Ideen Sergej Kulakovskijs17 sind von besonderem Interesse im Hinblick auf einen eventuellen Gedankentransfer von Warschau nach Prag. 1931 veröffentlichte er in der Slavischen Rundschau einen längeren Aufsatz: Der Einfluss der neuen russischen Lyrik auf die polnischen Dichter (Kulakovskij 1931). Kulakovskij schrieb, dass die Literatenvereinigung Młoda Polska „in keiner Beziehung zu den zeitgenössischen russischen Dichtern gestanden“ habe. Die Tatsache, dass Stefan Żeromski18 für den Petersburger Apollon und der Warschauer Lyriker Bolesław Leśmian19 für die Moskauer Vesy [Waage] schrieben, spielte für Kulakovskij keine Rolle. Ihm zufolge hatten die Vertreter der Młoda Polska [Junges Polen] maßgeblichen Einfluss auf die russische Literatur (Kulakovskij 1931: 8). Obwohl viele der Aktivisten des Jungen Polen russische Schulen und Universitäten besucht hatten, dominierte die westliche Orientierung eindeutig. Die Aufenthalte in Paris und Wien waren immer sehr begehrt. Für die russischen Literaturwissenschaftler war die polnische Literatur Teil der westlichen, der abendländischen sowie der slavischen Kultur. „Kein anderer ausländischer Dichter wurde so oft in Russland übersetzt wie Mickiewicz,“ schrieb die italienische Slavistin Rita Giuliani (Džuliani 2010). Angesichts der tatsächlichen 17  Sergej Kulakovskij lebte seit 1925 in Polen und lehrte seit 1926 an der Polnischen Freien Volksuniversität. Er unterrichtete Russisch und ab 1928 russische Literatur. Sein Vater war Professor der Kiewer Universität. Kulakovskij nahm am 1. Slavistenkongress in Prag sowie am zweiten in Warschau teil. Er starb 1949. Detaillierter zu Kulakovskij s. Zenkevič (2010). 18  Stefan Żeromski (1864-1925) gilt neben Henryk Sienkiewicz als einer der bekanntesten polnischen Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu den berühmtesten Werken gehören die Romane Syz yfowe Prace [Sisyphusarbeit] (1898), in dem die zaristische Russifizierungspolitik thematisiert wird, und der Roman Przedwiośnie [Vorfrühling] (1924), der eine adlige polnische Familie und ihr Leben zwischen Sankt Petersburg und Baku schildert. 19  Der polnisch-jüdische Dichter Bolesław Leśmian (1877-1937) verbrachte seine Jugend in Kiew und sprach so gut Russisch, dass er auch auf Russisch dichtete. Er war einer der prominentesten Vertreter des literarischen Zirkels Młoda Polska.

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Beeinflussung der russischen Lyrik von Seiten des Jungen Polen ist der Aufsatz Kulakovskijs keineswegs übertrieben. Treffend ist auch seine Analyse des Zirkels Czartak. Kulakovskij schrieb: „Nichts Gemeinsames mit der zeitgenössischen russischen Dichtung hat die Gruppe ‚Czartak‘, die an polnische und westeuropäische Traditionen anknüpft.“ (Kulakovskij 1931: 10)

4. Russisch: lingua sacra oder lingua diabolica?

Russland blieb eines der Hauptthemen der Slavischen Rundschau, Fragen der russischen Literatur und Linguistik dominierten hier sogar überproportional. In all den Jahren wurde Polen dagegen nur einmal, und zwar im Jahr 1934, zum Schwerpunktthema der Slavischen Rundschau.20 Die russischen Linguisten – viele von ihnen wie Trubeckoj und Jakobson waren nicht nur in Prag, sondern auch in Berlin und Paris populär – schrieben für die Slavische Rundschau. Jakobson setzte sich kritisch mit der Entwicklung der sowjetisch-russischen Literatur und vor allem mit der dortigen Sprachpolitik auseinander. In seinem Aufsatz Slavische Sprachfragen in der Sovjetunion (Jakobson 1934) verwies er – wenn auch deutlich zurückhaltender als die Publizisten des Wschód – auf die unausgewogene Sprachpolitik in der UdSSR (Jakobson 1936). Er zitierte Maksim Gor’kij mit den Worten: „Der Schriftsteller muß Russisch schreiben, nicht aber Va‘tisch oder Balachnisch. Ihr schreibt für die Menschen eines gewaltigen mannigfaltigen Landes.“ (Jakobson 1934: 327) Diese Zitate wurden ohne tiefere Analyse, die sich erübrigte, von Jakobson in den Fokus gestellt. Zur Lage in den slavischen Republiken der UdSSR, die andauernd im Wschód thematisiert wurde, schrieb er, dass die ukrainische und weißrussische Schriftsprache innerhalb „des zaristischen Rußland ein elendes, schweres, nahezu illegales Dasein“ fristen würden (Jakobson 1934: 333). Jakobson verglich die Wahrnehmung des Russischen in den nichtrussischen Gebieten der Sowjetunion mit der Nationalitätenpolitik des Zarenreiches. 20  Anders als in der Wschód widmeten sich die Autoren der Slavischen Rundschau häufig einem breiteren Themenkomplex. Noch 1929 veröffentlichte Julja Dickstein-Wieleżyńska ihren Aufsatz Die Frau im heutigen Polen (Slavische Rundschau 1/4, 1929). Die Genderfrage wurde von Wschód nicht berücksichtigt.

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Unter dem Zarismus und dessen kolonisatorischer Russifizierungspolitik verwandelte sich das russische Alphabet in den Augen der nationalen Minderheiten in ein verhaßtes Symbol der Unterdrücker. (Jakobson 1934: 335)

In Polen war die sowjetische Nationalitäten- und Sprachpolitik ein stets aktuelles Thema. Keine andere Zeitschrift setzte sich mit diesen Themenfeldern so intensiv auseinander wie der Wschód. Bemerkenswert ist in diesem Kontext die Durchführung einer dreitägigen Tagung der sogenannten Linguistischen Versammlung der geknechteten Völker der UdSSR, die vom 31. Mai bis zum 2. Juni 1936 in Warschau stattfand und vom Wschód begleitet wurde. Teilgenommen an diesem Kongress haben die prominenten Osteuropahistoriker, Slavisten, Turkologen und Linguisten Polens wie z. B. Leon Wasilewski, Stanisław Siedlecki, Stanisław Poniatowski und der Chefredakteur des Wschód Włodzimierz Bączkowski. Der Ukrainist Roman Smal’-Stoc‘kyj erklärte bei der Eröffnung der Tagung, dass die Russifizierung in der UdSSR seit 1929 mit außerordentlicher Intensität durchgeführt werde. Die Aufgabe der Tagung, so Smal’Stoc‘kyj, sei es, Maßnahmen gegen die Russifizierung zu finden und gegen diese Politik zu protestieren. Leon Wasilewski referierte zum Thema der Geschichte des polnischen Widerstandes gegen die Russifizierung. Poniatowski kritisierte die sowjetische Sprach- und Nationalitätenpolitik. Ihm zufolge beruhe die Wissenschaft in der Sowjetunion auf Unwissen, Lüge und Terror. Die Teilnehmer der Tagung analysierten insbesondere die Leninsche und Stalinsche Politik gegenüber den nichtrussischen Nationen. Das Ziel Iosif Stalins, in der UdSSR nach der Annäherung [sbliženie] die Völker anschließend zu verschmelzen [slijanie], wurde entschieden verurteilt. So sei auch das Hauptziel der kommunistischen Nationalitätenpolitik die Verschmelzung aller Kulturen zu einer Einheit mit nur einer Sprache, dem Russischen, das als Sprache Vladimir Lenins, des Proletariats und der Oktoberrevolution propagiert wurde. Die sowjetische Nationalitätenpolitik, die durch ihre Formel „sozialistisch dem Inhalt und national der Form nach“ bekannt wurde, strebe im Endeffekt die Auslöschung der nichtrussischen Völker an. Die Methoden der Russifizierung sind dermaßen perfide und werden besonders in dem Bereich der Sprachpolitik mit einer solchen Brutalität durchgeführt, dass die Vertreter dieser von Moskau eroberten Völker und vor allem die Vertreter ihrer Exilgemeinschaften mit der Frage konfrontiert seien, wie man die eigenen Sprachen verteidigen kann, um diesen barbarischen Mitteln entgegenzuwirken, mit deren Hilfe die ‚liberalste und demokratischste Regierung‘ der Sowjets und die Kommunistische Partei das nationale Anderssein [‚odrębność narodowa‘ – Z.G.] der geknechteten Völker vernichtet. (Linguistenkongress 1936: 57f.)

Die Teilnehmer der Tagung wandten sich daher an die Polnische Akademie der Wissenschaften sowie an die finnische und rumänische, um Unterstützung­

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gegen die in der Sowjetunion stattfindende Russifizierung zu bekommen (Gasimov 2011: 25-30).

5. Kulturdiskurse

Die Slavische Rundschau widmete sich – ähnlich wie der Wschód – den OstWest-Debatten, der Diskussion über die kulturhistorische Zugehörigkeit der östlichen Gebiete Europas, Russlands sowie Mittelosteuropas. In der Slavischen Rundschau erhielten auch deutsche Autoren die Möglichkeit an dieser Diskussion teilzunehmen, die im Kontext der damaligen, deutschsprachigen Diskurse zu betrachten ist. Ein Beispiel war Rudolf Pannwitz.21 Er veröffentlichte 1931 einen pathetischen Aufsatz zur Bedeutung „der deutschen Kultur für die Slaven“ (Pannwitz 1931), in dem er verkündete: Eine Kulturübernahme ist immer unvermeidlich. Der Übernehmende ist nicht jedesmal der weniger Entwickelte. Schon die ältesten Völker haben höchste Werte von sogenannten Barbaren übernommen, um sich zu verjüngen und zu adeln. (Pannwitz 1931: 305)

Ähnliche Tendenzen waren auch beim Herausgeber der Slavischen Rundschau, Gerhard Gesemann, zu beobachten. 1933 publizierte er seine Vorlesung zum Wesen des Westens und Wesen des Ostens. Gesemann definierte die Region Osteuropa, leitete es vom Zwischeneuropa Giselher Wirsings22 ab und plädierte für den Begriff Eurasien, der, ihm zufolge, so treffend den russischen Kulturraum umfasse. „Nein, Mongolentum und Russentum sind keine Gegensätze, sondern Ablösungen in der einheitlichen eurasischen Geschichte,“ schrieb er. Das könnte auch von Trubeckoj oder Savickij stammen, ebenso von 21  Der deutsche Philosoph und Essayist Rudolf Pannwitz (1881-1969) betrat die europäischen Intellektuellenkreise als Statist der europäischen (Kultur-)Krise. Zu den bekanntesten Werken gehört seine Abhandlung Die Krisis der europaeischen Kultur, die 1917 in Nürnberg und somit ein Jahr vor Oswald Spenglers Opus Magnum erschien. 22  Giselher Wirsing veröffentlichte 1932 in Jena seine Abhandlung Zwischeneuropa und die deutsche Zukunft, die Gesemann rezipierte. Wirsing kritisierte das von den europäischen Intellektuellen um Coudenhove-Kalergi propagierte Ideenkonzept eines Pan-Europa, das Naumannsche Mitteleuropa-Konzept und vor allem die Nachkriegsordnung in Europa, die zu keinem dauerhaften Frieden führe, „solange die Politik der Einkreisung der Mitte gespenstisch weiterlebt.“ (Wirsing 1932: 2)

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Bączkowski. Letzterer würde dies jedoch negativ werten, denn der polnische Nationalismus, den Bączkowski vertrat, hatte deutliche antirussische Züge.23 Franz Spina hätte einen solchen Nationalismus mit Sicherheit als ‚unduldsam‘ bezeichnet. In seinem Nekrolog für den ehemaligen tschechoslowakischen Premierminister Antonin Švehla schrieb Spina 1934, dass der Nationalismus von Švehla „nicht unduldsam, nicht chauvinistisch“ (Spina 1934: 3) sei. Spina und seinen Mitstreitern ging es darum, die Kulturen ins Gespräch zu bringen, eine Geschichte des kulturellen Dialoges in Ostmitteleuropa sowie im östlichen Europa, vor allem in Russland24 nachzuzeichnen. Die Publikationen in der Slavischen Rundschau würden sich nicht auf die Konfliktfelder konzentrieren, keine genaueren Konfliktlösungsrezepte anbieten, hetzten aber auch nicht gegeneinander. Der ganze Raum, mit dessen Untersuchung sich die Autoren der Zeitschrift befassten, träte als ein heterogener und interessanter Kulturraum auf. Man beleuchtet die Unterschiede, es kommt zu Präsentationen eines unterschwelligen Überlegensheitsgefühls (z. B. in den Publikationen von Rudolf Pannwitz sowie einigen anderen). Russland, das ja eigentlich das wichtigste „Andere“ für das Selbstverständnis der osteuropäischen Staaten war, wird als eine Hochkultur behandelt, als ein ebenbürtiger Bestandteil der europäisch-abendländischen Ideenwelt. Dies hing mit drei Aspekten zusammen: Spina und vor allem Gesemann, der sich mit der russischen Ideengeschichte gut auskannte, waren bemüht, den deutsch-tschechischen, germanisch-slavischen Antagonismus zu überwinden. Ein negativer Stempel wurde im Prinzip keinem slavischen Land oder einer Region aufgedrückt. Die tschechischen Intellektuellen hatten seit dem 19. Jahrhundert eine spezifische Russlandwahrnehmung, die im Unterschied zur polnischen meistens positiv war. In Böhmen konnten sich, wie in keinem anderen slavischen Land Mitteleuropas, panslavistische Ideen festigen. Der Panslavismus – wenn auch nicht unbedingt in der Form, in der er von den russischen Klassikern des 19. Jahrhunderts (Danilevskij,25 Leont’ev u. a.) vertreten wurde, war ein 23  Zur Entwicklung des polnischen Nationalismus in der Zwischenkriegszeit s. Zloch (2010). 24  Spina stand Russland zwar ablehnend gegenüber, verhinderte aber jegliche russophobe Stimmung in der Slavischen Rundschau. 25  Den russischen Panslavisten Danilevskij bezeichnete Bidlo als „Vorgänger Spenglers“. Eine solche Aussage könnte auch von den polnischen Kulturhistorikern kommen. Abgesehen von den persönlichen Sympathien war die damalige Generation polnischer und tschechischer Intellektueller sowohl mit der deutschen als auch mit der russischen Ideengeschichte gut vertraut. Dies ging auf die Kompetenzen, auf die Sprach- und Länderkenntnisse zurück. Die Lebensläufe vieler tschechischer und polnischer Osteuropahistoriker

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Konzept,­welches ein großer Teil der tschechischen Intellektuellen befürwortete. Gefahren für das nationale Bewusstsein sah man dagegen im Katholizismus und in der deutschen Sprache: Beides erschien als antislavisch und wurde zu einem wichtigen Topoi stilisiert. Der tschechische Historiker Jaroslav Bidlo (1868-1937) – ein regelmäßiger Autor der Slavischen Rundschau26 – wurde zu einer Symbolfigur einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den slavischen Ideenströmungen. Die Auffassungen dieses an der Prager Tschechischen Universität lehrenden Osteuropahistorikers prägten den intellektuellen Diskurs in Böhmen und Mähren wie auch in der späteren Tschechoslowakei entscheidend. 1912 und 1927 skizzierte er zunächst und beschrieb dann umfangreich die Geschichte des Slaventums, 1933 präsentierte er seine Perspektiven von der Geschichte Osteuropas auf dem Historikertag in Warschau, was z. T. von den polnischen aber auch deutschen Historikern27 scharf kritisiert wurde. Nach ihm bestand Europa aus zwei gegeneinander stehenden Hälften, dem römisch-germanischen und dem griechisch-slavischen Kulturkreis.28 Das panslavistische Engagement des 19. Jahrhunderts war auch mit einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung des tschechischen Staatsmannes und Philosophen Tomáš G. Masaryk mit Russland verbunden, der eine umfangreiche Abhandlung zur russischen Geistesgeschichte aufgrund einer detaillierten Analyse der russischen Literatur sowie seiner Forschungsaufenthalte und Reisen in Russland verfasste und in Jena 1913 in deutscher Sprache veröffentlichte. Dieses Buch wurde von Jaroslav Bidlo sowie von Hans Kohn intensiv rezipiert. Masaryk war von Russland begeistert: Ich kenne ein gutes Stück der zivilisierten und unzivilisierten Welt, aber Russland, das muß ich gestehen, war und ist mir das interessanteste Land. (Masaryk 1965: 7)

Das tschechische Russlandbild, sowohl in der Bevölkerung als auch in den Intellektuellenkreisen, war damals positiv. Von Prag aus gesehen änderte sich das auch nach 1918 nicht. In der Distanz zum Kommunismus waren sich jedoch­ sowohl die tschechischen als auch die deutschen Intellektuellen und die russischen Emigranten einig. und -linguisten wie Bidlo, Badouin de Courtenay u. a. hatten Lebensstationen sowohl in Wien, als auch in Moskau oder Sankt Petersburg. 26  Hier veröffentlichte er 1933 seinen programmatischen Aufsatz Was ist die osteuropäische Geschichte? (Bidlo 1933: 361-370). 27  Der sudentendeutsche Historiker Josef Pfitzner (1901-1945) gehörte zu den verbittertsten Kritikern Bidlos. Scharf kritisierte ihn Pfitzner während seines Vortrages auf dem 18. Deutschen Historikertag in Göttingen (Pfitzner 1934). 28  Siehe den Nekrolog von Eduard Winter (1937).

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Zdzislaw Ludkiewicz schrieb 1931 in der Slavischen Rundschau über Die polnische agrarische Ideologie. Er sprach über die Kultur des Ackerbaus in Polen und ging auf vermeintliche Parallelen ein: Der Patriotismus entspringt weder der Solidarität und noch weniger dem Verständnis für das eigene Interesse. In dieser Gestalt kennt er keinen Gegensatz anderen Völkern gegenüber, im Gegenteil entstehen auf diesem Boden die großen Ideen der Verbrüderung und der Föderation der Völker. Das ist auch die Grundlage der Union zwischen Polen und Litauen gewesen und hat damals zu einem glänzenden Aufschwung des polnischen Staates geführt. (Ludkiewicz 1931: 557)

Ausführungen wie diese konnten auch auf den Seiten des Wschód gefunden werden. Auch dort diskutierte man über die spezifischen Merkmale des ökonomischen Lebens der Völker in Mittel- und Osteuropa, aber auch in den nichtrussischen Teilen der UdSSR. Und hier bestand ein deutlicher Unterschied zur Slavischen Rundschau. Russland war für die Wschód-Autoren – ungeachtet dessen, ob sie gebürtig aus Polen, der Ukraine oder dem Kaukasus waren – ein Abseits, eine halbasiatische Despotie. Eine Hochkultur wurde Russland aberkannt, was mit einer allzu schwachen Prägung durch Byzanz begründet wurde. Die Slavische Rundschau setzte sich mit Russlands Dostoevskij, mit der Geisteswelt der russischen Intelligenzija auseinander und der Wschód mit Dostoevskijs Russland, einem Land, das sich der sozioökonomischen Entwicklung nach weit hinter Europa befand.

6. Schlusswort

Als Adam Mickiewicz 1855 in Istanbul starb, lebte Tomáš G. Masaryk erst fünfjährig noch bei seiner Familie in Mähren. In den 1860ern besuchte Masaryk die deutschsprachigen Gymnasien in Brünn und Wien. Polen erlebte damals eine der turbulentesten Zeitepochen seiner Geschichte, die seit dem Aufstand von 1863 und seiner Niederschlagung unter dem Aspekt einer Radikalisierung des polnischen messianistischen Nationalismus, der Polen zum ‚Christus der Völker‘ stilisierte, neu geschrieben wurde. Piłsudski äußerte sich 1917 dazu folgendermaßen: „Unser heutiges Geschlecht gehört zu denjenigen, die als Nachgeborene des Jahres 1863 betrachtet werden müssen.“ (Piłsudski 1967: 30) Obwohl Polen autoritär und die Tschechoslowakei ­demokratisch

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regiert wurden, prägten die beiden Staatschefs die gesellschaftlichen Diskurse in den jeweiligen Ländern: Piłsudskis Erfahrung und Ideen, die sich aus dem Romantismus von Mickiewicz speisten, dominierten in Polen, Masaryks Ansichten waren in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit von enormer Bedeutung. Ein negatives Bild Russlands auf der einen Seite stand einem fast mystischen Bild russischer Weite auf der anderen gegenüber. Die Slavische Rundschau sollte Brücken bauen in einem heterogenen Land, einzelne Teile seiner Bevölkerung und Gruppen von Intellektuellen in eine Gesellschaft und zu einem Denkkollektiv zusammenschweißen. Der Wschód versuchte dagegen die Brücken zu den „von Russland geknechteten Völkern“ zu schlagen. Nicht primär der Konsens, sondern das geopolitische Denken wurde in dieser Warschauer Zeitschrift für wichtig gehalten. Russland und die russische Geisteswelt wurden somit ungewollt zum Thema einer intellektuellen Kontroverse der beiden Zeitschriften. Die Eurasier, die Slavophilen und die russische Kultur wurden in beiden Zeitschriften rezipiert, jedoch unterschiedlich eingeschätzt und wahrgenommen. In einem komplexeren Kontext waren die Diskurse der Slavischen Rundschau und des Wschód, ebenso wie die eurasischen Publikationen Savickijs, Trubeckojs und Jakobsons sowie die philosophischen Schriften Masaryks aus den 1910er Jahren wichtige Bestandteile der europäischen Diskussion.

Literatur

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Linguistenkongress (1936): Zjazd Językoznawczy Narodów Ujarzmjonych Z.S.S.R. [Der Linguistenkongress der von der UdSSR geknechteten Völker]. – In: Wschód 7/2-3, 53-58. Ludkiewicz, Zdzislaw (1931): Die polnische agrarische Ideologie. – In: Slavische Rundschau 3/8, 552-557. Mamoulia, G. (2007): L’histoire du groupe Caucase (1934-1939). – In: Cahiers du monde russe 48/1, 45-85. Masaryk, Tomáš. G. (1965): Zur russischen Geschichts- und Religionsgeschichte. Soziologische Skizzen. Bd. 1. Düsseldorf, Köln: Eugen Diederich. Mikulicz, Sergiusz (1971): Prometeizm w polityce II Rzeczypospolitej [Prometeismus in der Politik der Zweiten Republik]. Warschau. Pannwitz, Rudolf (1931): Die Bedeutung der deutschen Kultur für die Slaven. – In: Slavische Rundschau 3/5, 305-310. Pfitzner, Josef (1934): Die Geschichte Osteuropas und die Geschichte des Slawentums als Forschungsprobleme. – In: Historische Zeitschrift 150/1, 21-85. Piłsudski, Józef (1967 [1936]): Erinnerungen und Dokumente. Einleitung von W. Lipinski. B. 4: Reden und Armeebefehle. Essen: Essener. Savickij, Petr (1933): Ist eine westlerische Auffassung der russischen Geschichte noch möglich? – In: Slavische Rundschau 5/5, 337-342. Snyder, Timothy (2005): Sketches from a Secret War: A Polish Artist’s Mission to Liberate Soviet Ukraine. Yale: UP. Spina, Franz (1934): Antonin Švehla. – In: Slavische Rundschau 6/1, 1-4. Sv’atopolk-Mirskij, Dmitrij (1932): Der russische historische Roman der Gegenwart. – In: Slavische Rundschau 4/1, 10-16. Tolstoj, Ivan (2008): Zametrki o russkoj Prage [Notizen über das russische Prag], und andere Beiträge in der Rubrik Russische Emigration in der Tschechoslowakei. – In: Novyj žurnal, 251. New York (zit. n.: , 7.10.2010). Trubeckoj, Nikolaj S. (1927): K probleme russkogo samopoznanija. Sobranie statej [Zum Problem der russischen Selbsterkennung. Eine Artikelsammlung]. Paris: Evrazijskij Knigoizdat. Trubeckoj, Nikolaj S.: (1927) Obščeslavjanskij element v russkoj kul’ture [Ein gesamtslavisches Element in der russischen Kultur]. - In: Ders., K probleme russkogo samopoznanija. Sobranie statej [Zum Problem der russischen Selbsterkennung. Eine Artikelsammlung]. Paris: Evrazijskij Knigoizdat, 54-94. Wiederkehr, Stefan (2007): Die eurasische Bewegung. Wissenschaft und Politik in der russischen Emigration der Zwischenkriegszeit und im postsowjetischen Russland (= Beiträge zur Geschichte Osteuropas, 39). Köln, Weimar, Wien: Böhlau.

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Michael Havlin

Eine Begriffsgeschichte der deutsch-tschechischen ‚Symbiose‘ nach Franz Spina Am Tag nach dem Tod Franz Spinas, Professor an der deutschen Universität Prag, Obmann des Bundes der Landwirte, langjähriger Abgeordneter und Vizepräsident des Prager Abgeordnetenhauses sowie Minister von 1926 bis 1938,1 erschienen die Nachrufe auf ihn in den deutschen2 sowie tschechischen3 Tageszeitungen nur auf den hinteren Seiten. Die Titelseiten wurden am 18. September 1938 von weltpolitischen Fragestellungen beherrscht – Erörterungen über Krieg und Frieden zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakei, auf die fünf Tage später tatsächlich die Generalmobilmachung folgte. Der Führer der faschistischen Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, war am 14. September ins Deutsche Reich geflohen und hatte sich am 15. September 1938 mit der schicksalhaften Proklamation „Wir wollen heim ins Reich“ an das „Sudentendeutschtum und die ganze Welt“ gewandt.4 In der Nacht vom 29. auf den 30. September 1938 wurde das so genannte Münchener Abkommen unterzeichnet, das die vermeintlich überwiegend deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei dem Deutschen Reich überantwortete und damit das Ende der Vorkriegstschechoslowakei vorwegnahm.

1  Franz Spina war mit insgesamt 11 Jahren und 9 Monaten im Amt der am längsten dienende deutsche Minister der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938) und nach Edvard Beneš, Jan Šrámek, Milan Hodža und Emil Franke insgesamt der fünftdienstälteste Minister. Der am zweitlängsten amtierende deutsche Minister war mit 8 Jahren und 4 Monaten Ludwig Czech (Bakke 1999: Appendix V). Zur Biographie Spinas s. Spurný (2007). 2  Prager Presse (18.09.1938, Nr. 233: 3f., Dr. Franz Spina gestorben); Deutsche Presse (18.09.1938, Nr. 214: 2, Dr. Franz Spina gestorben); Reichenberger Zeitung (18.09.1938, Nr. 219: 3, Spina gestorben). 3  České slovo (18.09.1938, Nr. 219: 3, Dr. Fr. Spina mrtev [Dr. Fr. Spina tot]); Národní listy (18.09.1938, Nr. 256: 2, Dr. Fr. Spina mrtev [Dr. Fr. Spina tot]); Venkov (18.09.1938, Nr. 220: 8, Mluvčí Německých aktvistů Prof. Dr. Fr. Spina zemřel [Wortführer der deutschen Aktivisten Prof. Dr. Fr. Spina gestorben]); Pražské noviny (20.09.1938, Nr. 216: 3, Bývalý ministr dr. Spina zemřel [Früherer Minister Dr. Spina gestorben]). 4  Proklamation Henleins. Eger-Berlin, 15.09.1938 (Bußmann 1950: 639 f.).

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Einer „der hervorragendsten deutschen aktivistischen Politiker in diesem Staate“ verstarb zu einem Zeitpunkt, „wo Spina vielleicht manches zu sagen gehabt hätte, und wo er wenigstens durch seine politische Einsicht und mit seinem Rat in die Entwicklung hätte eingreifen können“ (Sozialdemokrat, 18.09.1938, Nr. 220: 4, Dr. Spina gestorben). Einige Nachrufe erinnerten in diesem Zusammenhang an Spinas Begriff der deutsch-tschechischen „Symbiose“. Für die deutsche Presse stand fest, dass Spina hiermit sein „politisches Glaubensbekenntnis“ (Prager Tagblatt, 18.09.1938, Nr. 220: 7, Franz Spina gestorben) abgelegt hatte, das jedoch „von den Gegnern seiner Politik ihm so oft zum Vorwurf gemacht“ worden war (Bohemia, 18.09.1938, Nr. 220: 3, Franz Spina †). Dieser Einschätzung schloss sich die tschechische Presse an, die Spina ausdrücklich Recht gab im Hinblick auf die „Notwendigkeit der tschechisch-deutschen Zusammenarbeit“: „Jeho slovem bylo: symbiosa“ [Sein Wort dafür war: Symbiose] (Přítomnost, 28.09.1938, Nr. 39: 611, Spina). Dieses „heslo“ [Schlagwort] war indes nie nur ein „taktisches, politisches Schlagwort“, sondern vielmehr das Ergebnis einer tiefen „wissenschaftlichen“ Einsicht in die historisch-kulturellen Zusammenhänge des deutsch-tschechischen Zusammenlebens (Lidové noviny, 18.09.1938, Nr. 470: 4, Dr. František Spina zemřel [Dr. Franz Spina gestorben]). Auch nach 1945 sind Spina und der Begriff der „Symbiose“ erinnerungsgeschichtlich „nicht zu trennen“ (Knauer 1957: 57). Die wenigen Dokumentations- und Forschungsbeiträge, die sich der Biographie Franz Spinas in den vergangenen Jahrzehnten widmeten, erklärten allesamt die „Symbiose“ zur umfassenden Handlungsanweisung Spinas: „So lehrte er für die praktische Politik eine Symbiose, eine Lebensgemeinschaft der Menschen verschiedener Sprachen in einer gemeinsamen Heimat.“ (Fischer 1963: 608) Analog dem „Gedanken der jahrhundertealten Symbiose zwischen Tschechen und Deutschen in den böhmischen Ländern“ habe er die „Verständigung“ zwischen den Völkern vermitteln wollen (Bachmann 1976: 177). Und auch der sudetendeutsche Vertriebenenpolitiker Rudolf Hilf sah Spina „im Einklang mit den 800 Jahren böhmischer Geschichte“ und nahm dessen Begriff in den Untertitel seiner ‚Geschichtsinterpretation‘ auf: Deutsche und Tschechen. Symbiose – Katastrophe – Neue Wege (Hilf 1995: 85). Diese in der Geschichtswissenschaft tradierte Verschmelzung der historischen Person Spina mit seinem ‚Glaubensbekenntnis‘ erfordert jedoch eine genauere Untersuchung – besonders unter dem Aspekt, dass Spina, der als Politiker und Wissenschaftler nahezu wöchentlich in der tschechoslowakischen und internationalen Presse publizierte und an bis zu 35 Wochenenden pro Jahr parteipolitische und ministerielle Reden im ganzen Land hielt, nach

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meiner Kenntnis in seinen Ausführungen den Begriff der Symbiose in den Jahren 1917 bis 1938 nur ganze drei Mal verwendete.

1. Eine kleine Begriffsgeschichte der Symbiose

Zur Erklärung dieser offensichtlichen Unausgewogenheit zwischen der Intensität der Begriffszuschreibung und der Häufigkeit der Begriffsverwendung soll ein Blick auf die historische Semantik des Ausdrucks Symbiose geworfen werden. Als eine „Geschichte der Verwendungsweisen und ihrer Konstellationen“ (Fritz 2006: 14) wird im diachronen Verlauf die Wandlung von Konnotationen und die Bedeutung von Begriffen untersucht. Dabei ergibt sich ein fließender Übergang zum historischen Forschungsfeld der Begriffsgeschichte. Diese zielt auf die Ausmessung von „Dauer, Wandel und Neuheit von Wortbedeutungen“ (Koselleck 1978: 27) jenseits der außersprachlichen Realitäten ab. Der Ausdruck Symbiose ist eine bereits in der Frühen Neuzeit bekannte Entlehnung aus dem griechischen „symbíōsis“ für „Zusammenleben“ – laut dem Deutschen Fremdwörterbuch „fachsprachlich in der Biologie verwendet in der Bedeutung ‚dauerndes Zusammenleben (zweier) verschiedener Organismen zu gegenseitigem Nutzen‘.“ (Kirkness u. a. 1978: 627) Obwohl der Begriff bereits früher vereinzelt Verwendung fand – so sprach beispielsweise der Biologe Albert Bernhard Frank vom „Symbiotismus“ als einem gestuften Verhältnis von der „lockersten […] bis zur innigsten und notwendigen Verbindung beider Wesen“ (Frank 1877: 195) –, wurde der Terminus Symbiose erst durch den Botaniker Anton de Bary im September 1878 endgültig in die Wissenschaftssprache eingeführt. Seinem Vortrag Die Erscheinung der Symbiose auf der 51. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel stellte de Bary folgende Erklärung voran: Als ich einen Gegenstand für diesen Vortrag suchen sollte, war ich gerade mit der Untersuchung zweier Pflanzen beschäftigt, welche in einem eigenthümlichen Genossenschaftsverhältniss mit einander stehen. Die momentane Praeoccupation, nicht minder aber die Erwägung, dass ähnliche Genossenschaften wie jene seit etwa 10 Jahren in sehr beachtenswerther Ausdehnung bekannt geworden und geeignet sind, allgemeines Interesse in Anspruch zu nehmen, bestimmte mich, eine Betrachtung der Erscheinung des Zusammen-

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lebens ungleichnamiger Organismen, der Symbiose, wie man kurz und allgemein sagen kann, zu wählen. (de Bary 1879: 5)

Binnen kurzer Zeit konnte sich der von de Bary geprägte Begriff fest in allen größeren Sprachen etablieren, wobei sich der Verwendungsbereich gemäß der zeitgenössischen Standardwörterbücher vorerst auf Bereiche der Botanik und Zoologie beschränkte: Im Französischen bezeichnete er das „Vie en commun de deux organismes différents“ [Zusammenleben zweier verschiedener Organismen] (Larousse 1890: 1891) und im Spanischen die „Asociacón de organismos de diferentes especies que se favorecen mutuamente en su desarrollo“ [Eine Verbindung von Organismen verschiedener Art, die sich in ihrer Entwicklung gegenseitig unterstützen] (Real Academia Española 1914: 941). Im Englischen5 sprach man von einer association of two different organisms (usually two plants, or an animal and a plant) which live attached to each other, or one of the tenant of the other, and contribute to each other’s support. (Murray u. a. 1919: 362)

Auch ins Tschechische wurde der Bary’sche Begriff übernommen und im Konversationslexikon Ottův slovník naučný beschrieben: V širším smyslu shledány pak i v říši živočišné podobné poměry, kde dva jedinci bývají na se odkázáni svým živobytím, poskytujíce si vzájemné výhody a tvoříce t. zv. fysiologickou jednotku, na rozdíl od cizopasnictví, kde jeden nebo druhý jedinec při tom trpí, až zakrňuje neb hyne. (Otto 1906: 481) [Im weiteren Sinne auch im Tierreich vorgefundene Verhältnisse, wo zwei Einzelwesen durch ihren Nahrungserwerb aufeinander angewiesen sind und eine so genannte physiologische Einheit bilden, im Gegensatz zum Parasitentum, bei dem das eine oder das andere Einzelwesen dabei leidet, bis es verkümmert oder zugrunde geht.]

Aus der Wissenschaftssprache gelangte der Begriff der Symbiose bald in die Alltagssprache. Der französische Soziologe René Worms applizierte bereits Ende des 19. Jahrhunderts die verschiedenen biologischen Zusammenlebenstypen, darunter auch die Symbiose, auf den Menschen und dessen Organisationsformen: „Or les memes formes du groupements se rencontrent parmi les sociétés humaines.“ [Nun aber sind dieselben Gruppierungsformen auch bei den menschlichen Gemeinschaften anzutreffen] (Worms 1896: 284). Ferner bestätigt das Deutsche Fremdwörterbuch, dass die Symbiose „seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch übertragen und bildlich gebraucht [wird] im Sinne 5  Ins Englische ist der Begriff scheinbar durch eine Übersetzung eines Werkes des deutschen Botanikers Otto Wilhelm Thomé durch seinen britischen Kollegen Alfred William Bennett gelangt (Murray u. a. 1919: 362).

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von ‚Vereinigung, (Ver-)Bindung, Verschmelzung; Gemeinschaft‘ von Personen und Sachen.“ (Kirkness u. a. 1978: 627). Heutzutage belegen nicht nur die Titel zahlreicher nicht-biologischer Veröffentlichungen, dass die Symbiose im übertragenen Sinne längst Eingang in die Alltagssprache gefunden hat: So werden vom Projekt Deutscher Wortschatz der Universität Leipzig neben „Natur“ (76) unter anderem die signifikanten Kookkurrenzen „Architektur“ (42), „sportlich“ (42), „marktwirtschaftlich“ (40), „Kultur“ (38) und „Musik“ (28) angegeben.6

2. Spinas Verständnis der Symbiose

Vor dem Hintergrund dieser originär naturwissenschaftlich geprägten Begriffstradition in zahlreichen europäischen Sprachen ist die Verwendung und Rezeption des Ausdrucks Symbiose zu verstehen, den der Privatdozent Franz Spina, wohl zum ersten Mal7 in einem Beitrag für die Deutsche Arbeit (Fielitz 2008), zur Bezeichnung des „tschechischen Problems“ einführte. In einer für die Zeit typischen Sichtweise sieht er Kultur und Geschichte des Tschechentums als das Ergebnis der „bestimmenden Macht der Geographie“. Denn für alle Völker gilt: Die Schicksale der Völker sind im letzten Grund geographische Axiome. Natur ist das unwandelbar Grundlegende, Primäre – neben und nach ihr wirken soziale, wirtschaftliche, völkische und verfassungspolitische Verhältnisse auf die Völker und Staaten an sich und untereinander. (Spina 1917/18: 61)

6  Abfrage Stichwort „Symbiose“ am 08.01.2011: . 7  In einem Artikel beanspruchte der deutschmährische Senator Franz Jesser für sich, den Begriff der Symbiose noch vor Spina eingeführt zu haben, was jedoch im Rahmen dieser Untersuchung nicht nachgewiesen werden konnte: „Ich vertrat seit 1898 die Auffassung, daß die Geographie, Geschichte und Wissenschaft jedes der beiden Kronländer, Böhmen und Mähren, zu typischen, in sich geschlossenen, daher in untrennbaren Wechselwirkungen stehenden Einheiten herausgebildet haben. Als Sammelbezeichnung wählte ich das Wort ‚Symbiose‘, Lebensgemeinschaft zweier verschiedener, an sich selbständiger Wesen, die besser miteinander als jeder für sich leben.“ (Deutsche Landpost, 28.09.1932, Nr. 221: 2, Senator Jesser und die Symbiose).

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Da der böhmische Raum eine „geographische, geschichtliche, modern-wirtschaftliche Einheit“ bildet, in der „um das slawische Kernland das deutsche Randland gelagert ist“, mussten „die beiden in einem Hause eingeschlossenen­ Völker sich notwendig politisch und kulturell auseinandersetzen“ (Spina 1917/18: 66, 62). Für die Tschechen ergab sich aus der „organischen“ Verbindung mit dem Deutschtum eine „deutsch-tschechische Symbiose“, die eine „doppelte Germanisierung“ zur Folge hatte: „die nationale eines Teiles und die kulturelle des ganzen Volkes“ (Spina 1917/18: 63). Rückschlüsse aus dieser „Symbiose“ auf geschichtlich-kulturelle Eigenarten der Deutschen Böhmens zog Spina in seinem Beitrag ausdrücklich nicht, was auch der damaligen Weltkriegszensur zugeschrieben werden kann. Vordergründig kaisertreu schließt Spina seinen Beitrag mit einem Lob auf den „historischen Beruf“ der Habsburgermonarchie, „das mitteleuropäische Völkergemenge zu vereinen“ (Spina 1917/18: 111). Erst vier Jahre später, nach Ausrufung und Etablierung der Tschechoslowakischen Republik, verwendet Spina – inzwischen zum ordentlichen Professor für tschechische Sprache und Literatur an der deutschen Universität Prag ernannt – erstmalig in einer Rede vor dem Prager Abgeordnetenhaus den Begriff der „Symbiose“ sowohl für die Tschechen als auch für die Sudetendeutschen zur Beschreibung der „tausendjährigen Symbiose der beiden Völker“: Wir fühlen uns wirklich als Zugehörige des großen deutschen 60-Millionenvolkes, weil uns mit diesem Volke die Sprache und eine Kultur verbindet, die zu einem integrierenden und charakteristischen Bestandteil der Menschheitskultur gehört, und die wir uns aus der Menschheitskultur gar nicht weg gewischt denken können. Wir fühlen auch mit jedem unseren Herzschlag die furchtbaren Leiden mit, die der Wahnwitz der Friedensverträge über breite Schichten des deutschen Volkes ausgegossen hat, die unschuldig sind an dem, was deutsche Fürsten, Staatsmänner und Generäle angeblich begangen oder verbrochen haben. Aber neben diesem Ideale der unzerstörbaren Zusammengehörigkeit, die alle Grenzpfähle überfliegt, steht bei uns Deutschen dieses Staates doch auch die reale Erkenntnis der tatsächlichen Dinge. Wir verkennen nicht die Urtatsachen der Natur, die uns den böhmischen Kessel und das sudetenländische Massiv als Wohnsitze angewiesen hat. Wir verkennen nicht, daß gemeinsame wirtschaftliche, soziale, verkehrsgeographische Momente, daß eine tausendjährige Symbiose der beiden Völker vorliegt, voll gegenseitigen Gebens und Nehmens. Wir verkennen nicht, daß sich hier in der engsten Nachbarschaft des deutschen Volkes, dieses stärksten wirtschaftlichen und kulturellen Motors Mitteleuropas, ein kompaktes Konglomerat von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Beziehungen herausgebildet hat, das durch die Wege, der Wirtschaft aufs Innigste mit diesem mitteleuropäischen Motor und mit dem Donaulande verbunden ist. Ich möchte sagen, daß sich hier in Mitteleuropa

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und hier in unseren Ländern ein ineinandergewebter bunter Teppich gebildet hat, bei dem man, wenn man ihn zerschneidet, zugleich auch das kostbare Muster vernichtet.8

Wie auch in seinem Beitrag für die Deutsche Arbeit bilden die „Urtatsachen der Natur“, nämlich der gemeinsame Natur- und Wohnraum, die Determinante der deutsch-tschechischen „Symbiose“. Aus ihr habe sich ein wunderbares Beziehungsgeflecht zwischen den beiden Völkern gebildet, das es zu hegen und zu schützen gelte. Mit solchen Worten nahm Spina bereits 1921 den so genannten sudetendeutschen Aktivismus vorweg – die politische Anerkennung der „jahrhundertelangen Schicksalsgemeinschaft“ und das Bekenntnis zur Zusammenarbeit beider Nationen, die – wie Spina an anderer Stelle fast schon lapidar ausführte – „nun einmal in demselben Raume leben.“ (Spina 1928/29: 89, 88) Jedoch fanden weder Spinas Artikel in der Deutschen Arbeit noch seine Parlamentsrede weitergehende Beachtung. Das mag daran liegen, dass der Ausdruck einer Symbiose im böhmischen Kontext unüblich – wenngleich bekannt9 – war und gleichzeitig ein etablierter Nachbarbegriff existierte. So hatte bereits 1884 der Abgeordnete Heinrich Clam-Martinic im Prager Landtag unter dem Begriff einer Synthese für das deutsch-tschechische Zusammenleben geworben: Darum, meine Herren, ist es meine Ueberzeugung, daß soweit man in der Sonderung gehen mag, man doch in diesem Lande nothwendig über diese Sonderung einer gemeinsamen Synthese für beide Völker nothwendig und heilsam und daß diese Synthese gegeben ist in der Landeseinheit.10

Und auch während der ersten tschechoslowakischen Republik wurde immer wieder von Befürwortern einer nationalen Aussöhnung die kulturelle Synthese der Völker im Staat herbeigewünscht: Beispielsweise sah der Prager Schriftsteller Johannes Urzidil (1936) in der „richtigen Synthese der überlieferungstreuen Grundsätzlichkeit und einer ausreichenden Realitätsanpassung“ die künftige „Fähigkeit zu Erfolgen“ für das Sudetendeutschtum. Politisch galt es 8  Stenographisches Protokoll der 91. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Franz Spina. Prag, 16.11.1921 [Abrufdatum aller Internetquellen: 06.02.2011]. 9  So wurde von den Deutsch-Nationalen die „Phrase“ der „Symbiose“ verhöhnt. Stenographisches Protokoll der 43. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Josef Keibel. Prag, 15.10.1926 . 10  Stenographisches Protokoll der 27. Sitzung des Landtages des Königreichs Böhmen. Abgeordneter Heinrich Clam-Martinic. Prag, 20.10.1884 .

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ebenfalls als angebracht, von einer nationalen Synthese zu sprechen. So warb der Sozialdemokrat Wenzel Jaksch in einem gleichnamigen Artikel für die „Politik der Synthese“ (Jaksch 1937), während der Außenminister und spätere Staatspräsident Edvard Beneš von der gemeinsamen Aufgabe sprach, „sowohl unter den Čechen als auch unter den Deutschen die richtige Konzeption von Nationalismus und Vaterlandsliebe auszubilden, welche eine wirkliche Synthese der nationalen Idee und der Idee eines wahrhaften Menschentums wäre“ (Beneš 1935: 39). Dem schloss sich mit Blick auf die Nationalitäten im Staate auch der Philosoph Zdeněk Smetáček an: „Proto nesmí být naším heslem autarkie a isolace, nýbrž synthesa v duchu a v pravdě.“ (Smetáček 1936: 202) [Deswegen darf unser Motto nicht Autarkie und Isolation sein, sondern vielmehr die Synthese im Geiste und in der Wahrheit.] Historisch koexistierten somit die Begriffe Synthese und Symbiose zur Beschreibung des deutsch-tschechischen Zusammenlebens, wobei die Synthese zweifelsfrei der dominantere und opportunere Ausdruck war, was sich schon an der Verwendungshäufigkeit ablesen lässt. Ein drittes und offenbar letztes Mal gebrauchte Spina – inzwischen als Minister für öffentliche Aufgaben im Amt – den Begriff der Symbiose in einem Interview für die französische Tageszeitung Le Matin im Dezember 1926. Dem Redakteur, der sich vor allem für die Anschlussfrage der Sudetendeutschen an Österreich beziehungsweise an das Deutsche Reich interessierte, entgegnete er: Wir haben eintausend Jahre mit den Tschechen gelebt, Monsieur, antwortet mir Hr. Spina, und wir sind mit den Tschechen durch ökonomische, soziale, kulturelle, sogar rassische Bande so eng verbunden, dass wir mit ihnen eine Einheit bilden. Wir bilden, um einen Vergleich zu ziehen, verschiedene Muster desselben Teppichs. Tja, diesen Teppich können Sie zerschneiden, aber die Blumen werden Sie doch nicht daraus lösen können! Wir leben mit den Tschechen in einem Zustand der Symbiose, wir sind mit ihnen eine ‚Vernunftsehe‘ eingegangen und man kann uns nicht trennen. Wir sind vereint, mehr noch als durch unsere gemeinsamen Interessen, durch die gemeinsamen Garantien.11

11  „Nous avons vécu mille années avec les Tchèques, monsieur, me répond M. Spina, et nous sommes liés aux Tchèques par des liens économiques, sociaux, culturels, raciaux même, tellement étroits, que nous formons avec eux une unité. Nous formons, pour faire une comparaison, les différents dessins d’un même tapis. Eh bien, vous pouvez découper un tapis, vous ne pouvez pas en séparer les fleurs ! Nous vivons avec les Tchèques en état de symbiose, nous avons conclu avec eux un « mariage de raison » et on ne peut nous séparer. Nous sommes unis, plus encore que par nos intérêts communs, par des garanties communes.“ (Le matin, 26.12.1926, Nr. 15621: 3, Une conversation avec le docteur F. Spina) [Übersetzung Michael Havlin].

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Verglichen mit seinen früheren Darlegungen umriss Spina sein Symbioseverständnis nur sehr kurz, wobei er auch die Teppich-Metapher aus seiner Parlamentsrede vom November 1921 fast wörtlich wiederholte. Das einzig neue rhetorische Element war die Beschreibung des deutsch-tschechischen Zusammenlebens als eine „Vernunftehe“, wobei Spina die Ehe-Analogie bereits schon zuvor vor heimischem Publikum geprägt hatte.12 Angesichts dieser eher kargen Ausführungen im Matin muss es zunächst überraschen, dass eben dieses Interview den Anstoß dazu gab, Spina und seinen Ausdruck der Symbiose zu einer fast schon untrennbaren narrativen Einheit zu verbinden. Das Interview fand aber eine so breite und gleichzeitig so unerfreuliche Rezeption, dass Spina von nun an darauf verzichtete, den Begriff der Symbiose noch einmal zu verwenden.

3. Gegner und Sympathisanten von Spinas Symbiose 1926/27

Um die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Interviews besser verstehen zu können, ist es notwendig, die Rahmenbedingungen der Anfänge von Spinas Ministertätigkeit zu untersuchen. Der Eintritt des Bundes der Landwirte und der Christlich-Sozialen Volkspartei, beziehungsweise ihrer Vertreter Franz Spina (Minister für öffentliche Arbeiten) und Robert Mayr-Harting (Justizminister) (Šebek 1999), in die Regierung am 12. Oktober 1926 spaltete die politische Parteienlandschaft der Sudetendeutschen. Während die aktivistischen Parteien den Beginn eines „neuen Weges“ (Deutsche Presse, 13.10.1926, Nr. 234: 1, Der neue Weg) und den „Erfolg des Verständigungsgedankens“ (Prager Tagblatt, 13.10.1926, Nr 242: 1, Die ersten deutschen Minister) feierten, kündigten die negativistischen Parteien ihren Widerstand „starrer denn je“ und mit „unerbittlicher Härte unserer Opposition“ (Der Tag, 14.10.1926, Nr. 196: 1, Landbündler u. Christlichsoziale in der Regierung) an: „Das Rad ist im Rollen! Wir greifen derzeit nicht in die Speichen, denn wir wissen, daß 12  „Man hat unser Verhältnis oft mit einer Ehe verglichen und zwar mit einer, die nicht glücklich ist. Aber sie ist auch unlösbar, wir können nicht auseinander, wir haften zur ungeteilten Hand für ein Vermögen, das uns überantwortet wurde. Wir müssen daher trachten, daß diese Ehe eine erträgliche wird.“ Rede Franz Spinas in Saaz vom 12.12.1926 (Deutsche Landpost, 14.12.1926, Nr. 284: 3, Minister Spina in Saaz).

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der Weg, den es rollt, nicht allzu lang ist und daß es selbst zum Fall kommen muß.“ (Sudetendeutsche Tages-Zeitung, 13.10.1926, Nr. 235: 1, Der Himmel voller Geigen) Jede Rede, jede Entscheidung der beiden neuen Minister wurden argwöhnisch von den Deutschnationalen beobachtet, immer unterstellend, dass jene vorhaben, das „ganze sudetendeutsch geschlossene Siedlungsgebiet“ auszuliefern und die Sudetendeutschen mit dem „Tschechoslowakentum als eine neue der neuesten mitteleuropäischen Nationen, ein sich gegenseitiges Aufsaugen, Vermischen und Durchdringen zu einem Staatsvolk, den Tschechoslowaken“ zu verschmelzen.13 Und so wurde, als Spina im Budgetausschuss des Abgeordnetenhauses aufgrund der Geschäftsordnung sein Referat in „einem reinen Tschechisch“ hielt,14 ihm dieses umgehend als „Dolchstoß im Sprachenkampf“ ausgelegt (Der Tag, 13.10.1926, Nr. 216: 1, Deutsch reden, Herr Minister!). Selbst eine Kurzansprache Spinas auf Tschechisch in seiner Funktion als Minister zur Einweihung der Moldauregulierung, in der er einige Worte über „unser Vaterland“ verlor, nutzte die nationalsozialistische Presse, um ihn sogleich zum Verräter desselbigen zu stempeln (Der Tag, 22.12.1926, Nr. 242: 1, Kde domov muj… Spina über unser Vaterland). Zur Beruhigung dieser fast schon hysterischen Stimmung beschloss Spina, die nachrichtenarme Weihnachtszeit zu nutzen, um nach zehnwöchiger Amtsdauer ein kleines Resümee zu ziehen und mit einigen Veröffentlichungen für die Sache des sudetendeutschen Aktivismus zu werben.15 In diesem Kontext gab er auch das schicksalhafte Interview für die französische Tageszeitung Le Matin, das am 26. Dezember 1926 in Paris erschien.16 Wie 13  Rede Heinrich Brunars, Vorsitzender der Deutschen Nationalpartei in Znaim vom 17.10.1926 (Sudetendeutsche Tages-Zeitung, 20.10.1926, Nr. 240: 7, Die gegenwärtige politische Lage). 14  Da der deutsche Justizminister Mayr-Harting nicht flüssig tschechisch sprach, ließ er sich von seinem Sektionschef vertreten (Prager Tagblatt, 07.11.1926, Nr. 268: Deutsche Minister und tschechische Sprache; Bohemia, 07.11.1926, Nr. 262: 1f., Die kulturelle Mission der deutschen Minister; Bohemia, 11.11.1926, Nr. 265: 2, Spina spricht tschechisch; Deutsche Landpost, 12.11.1926, Nr. 258: 1, Minister Spina über Ressort-Fragen). 15  Deutsche Landpost (17.12.1926, Nr. 287: 2, Presseempfang bei Minister Dr. Spina); Deutsche Landpost (24.12.1926, Nr. 293: 1, Ausblicke); Bohemia (25.12.1926, Nr. 303: 1, Aus der Werkstatt eines deutschen Ministers); Prager Tagblatt (01.01.1927, Nr. 1: 2, Unterredung mit Minister Spina). Die publizistischen Aktivitäten Spinas waren so umfangreich, dass ironisiert wurde, dass er weniger als Minister als vielmehr als „Zeitungsschreiber“ [novinářem] beschäftigt sei (Přítomnost, 06.01.1927, Nr. 52: 820, Cesta do vlády [Der Weg in die Regierung]). 16  Nach einer unbestätigten Quelle wurde das Interview am 19.12.1926 geführt (Der Tag, 14.01.1927, Nr. 9: 1, Symbiose und staatsrechtliche Erklärung).

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es damals üblich war, gelangte das Interview tags darauf durch Vermittlung der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur nach Prag und wurde anschließend nahezu von jeder bedeutenden deutsch-17 und tschechischsprachigen18 Zeitung ganz oder in Auszügen abgedruckt. Während die tschechische Presse keinerlei Anstoß an den Aussagen des Ministers nahm und sogar ausdrücklich dessen guten „Willen zu einem friedlichen Zusammenleben“ lobte (Československá republika, 29.12.1926, Nr. 350: 1, Vůle k smířlivému soužití),19 sah die negativistische sudetendeutsche Presse im Ausdruck der deutsch-tschechischen Symbiose den vorläufigen Höhepunkt der „gewagtesten und würdelosesten Anbiederungen“ an das Tschechentum in der Absicht, „die ganze Tradition der sudetendeutsche Politik einfach über Bord zu werfen.“ (Der Tag, 29.12.1926, Nr. 246: 1, Die „Symbiose“ des Herrn Spina) In Anspielung auf die naturwissenschaftliche Semantik des Begriffs wurde die Symbiose zu einer Metapher für die sudetendeutsche „allmählich verkümmernde Wirtspflanze“ beziehungsweise zum „Gasttier“ am tschechischen „Staatskörper“ uminterpretiert (Teplitz-Schönauer Anzeiger, 01.01.1927, Nr. 1: 1, Wünsche). Besondere Empörung rief der Umstand hervor, dass Spina nicht als Universitätsprofessor oder als Partei-Obman des Bundes der 17  Prager Abendblatt (27.12.1926, Nr. 295: 2, Spina über die Rolle der deutschen Minoritäten); Sudetendeutsche Tages-Zeitung (28.12.1926, Nr. 295: 2, Spinas „Vernunftsheirat“); Bohemia (28.12.1926, Nr. 304: 2, Tschechisch-deutsche Symbiose und Anschlußbewegung); Deutsche Presse (28.12.1926, Nr. 295: 1-2, Weihnachten in der Politik); Reichenberger Zeitung (30.12.1926, Nr. 305: 2, Die Sudetenländer als einheitliches Ganzes). 18  Národní listy (27.12.1926, Nr. 354: 1, Ministr dr. Spina o německému smíru s Čechy a s Československem [Minister Dr. Spina über die dt. Aussöhnung mit Böhmen und der Tschechoslowakei]); Pondělník českého slova (27.12.1926, Nr. 52: 2, Ministr dr. Spina o politice našich Němců [Minister Dr. Spina über die Politik unserer Deutschen]); Tribuna (27.12.1926, Nr. 293: Ministr dr. Spina o česko-německé spolupráci [Minister Dr. Spina über tschechisch-deutsche Zusammenarbeit]); Lidové noviny pondělní (27.12.1926, Nr. 648: 1f., Ministr Spina o německé politice v Československu [Minister Spina über die deutsche Politik in der Tschechoslowakei]); Národní osvobození (27.12.1926, Nr. 354: 1, Projev min. dra Spiny v „Matinu“ [Äußerung des Minister Spina im Matin]); Pondělník národních listů (27.12.1926, Nr. 52: 1, Projev ministra dra Spiny k zástupci „Matinu“ [Äußerung des Minister Spina gegenüber einem Vertretern des Matin]); Národní politika (27.12.1926, Nr. 354: 2, Projevy německého ministra dra Spina. V pařížském „Matinu“ [Äußerungen des dt. Minister Dr. Spina im Pariser Matin]); Československá republika (28.12.1926, Nr. 349: 3, Ministr dr. Spina o česko-německé spolupráci [Minister Dr. Spina über tschechisch-deutsche Zusammenarbeit]); Venkov (28.12.1926, Nr. 304: 3, Ministr dr. Spina o úloze německé minority v naši politice [Minister Dr. Spina über die Aufgabe der dt. Minderheit in unserer Politik]). 19  Eine andere Zeitung störte sich nur daran, dass Spinas Aussagen nicht schon „einige Jahre früher“ erschienen sind (Tribuna, 29.12.1926, Nr. 305: 1, Ke povšimnutí! [Zur Beachtung]).

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Landwirte gesprochen hatte, sondern als „deutscher Minister der tschechoslowakischen Regierung“, weshalb seinen Ausführungen eine offizielle Bedeutung zukommen würde (Sudetendeutsche Tages-Zeitung, 08.01.1927, Nr. 5: 1, Offener Brief an den Minister Prof. Dr. Spina). Die breite von den Negativisten angeheizte Kampagne gegen Spina und den von ihm gewählten Begriff gipfelte in einem Offenen Brief des Vorsitzenden der Deutschen Nationalpartei, Heinrich Brunar, der in mehreren sudeten- und reichsdeutschen Tageszeitungen erschien.20 Brunar erklärte, er könne die „merkwürdigen Äußerungen“ Spinas nicht unwidersprochen­ stehen lassen und initiierte auf der nächsten Reichsparteitagssitzung einen persönlich gegen Spina gerichteten Beschluss: Die Aktivisten betrieben eine „bedingungslose Unterwerfung“ des Sudetendeutschtums gegenüber dem tschechischen Volk, die sich in dem Begriff der Symbiose widerspiegele, und es sei „völkische Pflicht“ der „nationalen Parteien“, gegen diese „Verzichtspolitik“ mit aller Vehemenz anzugehen.21 Bei aller parteipolitischen Taktik scheint jedoch ein Teil der Empörung echt gewesen zu sein. Weder in der aktivistischen Presse noch in den Blättern der Regierungsparteien erschien auch nur eine einzige Erörterung, um Spina – wie sonst üblich – vor seinen Gegnern in Schutz zu nehmen. Das Parteiorgan des Bundes der Landwirte, die Deutsche Landpost, brachte sogar nicht einmal einen Auszug aus dem Matin-Interview. Nur das deutschsprachige offiziöse, von der tschechischen Regierung finanzierte Regierungsblatt Prager Presse sprang Spina halbherzig zur Seite: Es erklärte, dass der Minister mit dem Begriff der Symbiose nur eine „historische, wirtschaftliche und geographische Realität“ benannt habe, die spätestens seit dem 18. Jahrhundert bekannt, aber vergessen worden sei, und es nun einen „Fortschritt“ bedeute, wenn nach langer Zeit endlich der Mut aufgebracht werde, den „Sachverhalt“ neu anzusprechen (Prager Presse, 01.01.1927, Nr. 1: 1, Neujahrsbilanz). Spina selbst ahnte wohl, dass, wenngleich seine Aussagen möglicherweise tatsächlich seine wissenschaftliche Einschätzung des deutsch-tschechischen Zusammenlebens widerspiegelten, er sich im Ausdruck der Symbiose politisch und rhetorisch vergriffen hatte. Zwar zog er seine Aussagen nicht zu20  Sudetendeutsche Tages-Zeitung (08.01.1927, Nr. 5: 1f., Offener Brief an den Minister Prof. Dr. Spina); Teplitz-Schönauer Anzeiger (08.01.1927, Nr. 5: 2, Offener Brief an Minister Prof. Dr. Spina); Bohemia (08.01.1927, Nr. 6: 2, Zeitungsstimmen); Leipziger Neueste Nachrichten (13.01.1927, Nr. 13). 21  Beschluss der Reichsparteitagssitzung der deutschen Nationalpartei. Teplitz-Schönau, 15.01.1927 (Sudetendeutsche Tages-Zeitung, 18.01.1927, Nr. 13: 7, Reichsparteileitungssitzung der Deutschen Nationalpartei).

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rück, unternahm aber auch keinen Schritt, sie in irgendeiner Art und Weise­ richtig zu stellen oder gar zu vertiefen. Allein auf Brunars Offenen Brief antwortete er verhalten in einer reichsdeutschen Zeitung, wobei er sich aber nicht zum Begriff der Symbiose selbst äußerte, sondern die Argumentation auf einen Nebenschauplatz lenkte und sich ausschließlich dagegen verwehrte, im Matin-Interview den deutschen Reichskanzler Bismarck falsch zitiert zu haben (Leipziger Neueste Nachrichten, 14.01.1927, Nr. 14: 5, Bismarck und die Tschechoslowakei).22 Nach 10 Wochen im Ministeramt hatte Spina seine Lektion gelernt und kleidete von nun an seine Aussagen zum deutsch-tschechischen Verhältnis in eine opportune und weniger angreifbare Wortwahl, wozu auch der vollständige Verzicht auf den Begriff der Symbiose zählte. Bei seinem folgenden größeren Auftritt im Januar 1927 sprach er nur mehr allgemein davon, dass die Sudetendeutschen „durch das Völkerschicksal in diesen Staat hereingestellt wurden, der unsere Heimat einschließt.“ Mit Blick auf seine tschechischen Amtskollegen erläuterte er: „Wir sind eine Regierung der Völker des Staates, einer Gemeinschaft der Nationen, die den guten Willen beweisen müssen, miteinander in diesem Staat zu leben und einander das Leben nicht sauer zu machen.“23 Und einem Redakteur der Wiener Neuen Freien Presse erklärte er fast schon entschuldigend: Als Deutscher und Slawist, der ich mich aus innerstem Berufe mit Wesen und Geschichte der slawischen Völker beschäftige, kann ich die engen historisch-kulturellen Zusammenhänge zwischen Deutschen und Czechen nicht achtlos übergehen. (Neue Freie Presse, 17.04.1927, Nr. 22482: 10, Die Politik der Sudetendeutschen)

22  Daraufhin erschien nochmals eine Erwiderung Brunars an Spina (Teplitz-Schönauer Anzeiger, 16.01.1927, Nr. 12: 3f., Symbiose oder Großdeutschland). 23  Rede Spinas auf der Bezirkstagsversammlung des Bundes der Landwirte in Reichenberg vom 24.01.1927 (Deutsche Landpost, 26.01.1927, Nr. 20: 3, Minister Spina zur politischen Lage).

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4. Spina, der „Symbiotiker“

Nichtsdestoweniger stand bereits wenige Tage nach dem Matin-Interview fest, dass Spina für die Nachwelt der „Symbiotiker“ bleiben würde. Der TeplitzSchönauer-Anzeiger bewies diesbezüglich eine bemerkenswerte Voraussicht: Politiker sollten eigentlich vorsichtig sein mit der Prägung von Schlagworten. Hat so eine Redensart einmal den Weg in die Massen gefunden, so hängt sie dem Autor zeitlebens an und wird bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit zitiert. […] Auch der Herr Minister Spina scheint nun den Ehrgeiz zu haben, seinen Namen mit einem Schlagwort zu verbinden. Er ist der Erfinder des Begriffs der ‚deutsch-tschechischen Symbiose‘, der „Ernährungsgemeinschaft zwischen Deutschen und Tschechen: Dieses recht unglücklich aus der Natur gewählte und in die Politik projizierte Bild der deutsch-tschechischen Beziehungen entwarf Herr Spina im Pariser ‚Matin‘ […] Minister Spinas Schlagwort von der deutsch-tschechischen Symbiose war also eine recht böse Entgleisung. Er wird nun vermutlich für alle Zeiten der ‚Symbiotiker‘ bleiben. Denn politische Schlagwörter kleben fest und haben ein zähes Leben. (Teplitz-Schönauer-Anzeiger, 15.01.1927, Nr. 11: 1, Gute Folgen einer schlechten Historik?)

Auf diesem Wege wurde Spina das Etikett „Symbiotiker“ angeheftet, das er zeitlebens nicht mehr abstreifen konnte. In zahllosen Kommentaren wurde der Ausdruck parodiert („ministerielle Symbiose“,24 „gepredigte Symbiose“,25 „Spuk der […] Symbiose“,26 „Die čechischen Lausbuben haben Bedürfnis nach Symbiose gezeigt!“27) oder gegen seinen Urheber gemünzt: „Möglich, daß unterdessen die Symbiose sein [Spinas] Erinnerungsvermögen geschwächt hat.“28 Zwar wurde immer wieder von Seiten des Bundes der Land24  Stenographisches Protokoll der 140. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Rudolf Jung. Prag, 12.06.1928. . 25  Drucksache 603/XXIX des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei: Interpellation des Abgeordneten Wolfgang Richter an den Minister des Innern. Prag, 13.08.1936 . 26  Stenographisches Protokoll der 76. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Josef Keibel. Prag, 29.04.1927 . 27  Stenographisches Protokoll der 199. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Zwischenruf des Abgeordneten Otto Horpynka. Prag, 30.06.1932 . 28  Stenographisches Protokoll der 148. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Rudolf Jung. Prag, 26.06.1928 .

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wirte versucht, dem „Schindluder mit der Symbiose“ ein Ende zu setzen und aufzuklären, dass „Symbiotiker“ nicht wie „Kokainisten … unheilbar verfallene Menschen“ sind und der Begriff „Symbiose“ zu Deutsch einfach nur „Zusammenleben“ bedeutet (Deutsche Landpost, 22.09.1932, Nr.: 1, Schindluder mit der Symbiose), jedoch wurde gegen den Ausdruck nicht nur von Spinas politischen Gegnern („professorale Symbiose“) (Der Tag, 17.09.1932, Nr. 180: 1, Treten Sie ab, Herr Spina!), sondern sogar von seinen ehemaligen Weggefährten polemisiert. Selbst Spinas früherer Ministerkollege Robert MayrHarting distanzierte sich „mit aller Entschiedenheit“ von einer Symbiose „im Sinne des Wortführers.“29 Hatte der Ausdruck wohl zu keinem Zeitpunkt eine reelle Chance gehabt, eine politisch unbelastete Verwendung zu finden, so wurde mit dem Aufstieg der Sudetendeutschen Heimatfront beziehungsweise Partei ab 1933 die Symbiose auch ideologisch unhaltbar. Völkisch der nationalsozialistischen Weltanschauung verhaftet, erklärte die Spitze der Sudetendeutschen Partei das Sudetendeutschtum als untrennbaren und „organischen Teil der gesamtdeutschen Kultur“. Folglich verbat sich „eine sudetendeutsche Sonderkultur, eine Symbiose-Sonderkultur“ von selbst.30 Für den Vorsitzenden der auf Reinheit und nationale Scheidung bedachten faschistischen Partei, Konrad Henlein, war die Idee einer „‚tschechoslowakischen Kultur‘ als Mischkultur aller Völker unseres Staates“ eine schreckliche Vorstellung. Folglich deklarierte er den Begriff der Symbiose offiziell für eine „Ermüdungserscheinung, die niemals eine tragfähige Grundlage für einen gemeinsamen Aufbau in kultureller und politischer Hinsicht geboten“ habe (Henlein 1937: 133). Eine vom Deutschen Reich sich unterscheidende „Sudetendeutsche Sonderkultur“ sei auf jeden Fall abzulehnen. In diesem Sinne wurde Henlein durch die Zuschrift von einem nicht näher bekannten, der Sudetendeutschen Partei nahestehenden Zeitgenossen unterstützt. Sprache und Inhalt des Schreibens zeigen, dass Spinas Symbiose in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zu einem Tabu-Begriff geworden war, zu dem sich sein Urheber verständlicherweise schon seit seinem Matin-Interview 1926 nicht mehr bekannte: Herr Spina bezeichnet dies [Čechisierung, Reslavisierung, Durchdringung, Aussaugung und Ausplünderung] mit dem schönen Worte ‚Symbiose‘, richtig übersetzt ‚Aufsaugung‘ / 

29  Rede Mayr-Hartings auf dem Landesparteitag der Christlichsozialen Volkspartei. Reichenberg, 17./18.09.1932 (Deutsche Presse, 20.09.1932, Nr. 216: 2, „Wir müssen vorbereitet sein“). 30  Stenographisches Protokoll der 69. Sitzung des Abgeordnetenhauses der Tschechoslowakei. Abgeordneter Karl Hermann Frank. Prag, 02.12.1936 .

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bis nichts mehr übrig bleibt  /  , was er sich aber dabei vorstellt, weiss kein Mensch! Er wahrscheinlich selber nicht!31

5. Zusammenfassung

Der Begriff der Symbiose hat im deutsch-tschechischen Kontext in den vergangenen Jahrzehnten eine Wiederentdeckung erlebt. Von Seiten der verschiedenen politischen Vertriebenenorganisationen wird ungeachtet der historischen Konnotation nahezu inflationär die „einzigartige Symbiose“ von Deutschen und Tschechen im mittleren und östlichen Europa beschworen.32 Aber auch in den offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen ist es angebracht, sich der historischen Symbiose zu erinnern. In einem Vortrag führte 1995 der tschechische Präsident Václav Havel aus:

31  NaP (fond SdP: kartón 4, Unbekannt an Henlein. o. O., o. J.). 32  „Friedliches Miteinander war jahrhundertelang ein Segen für beide Seiten, doch auch manche Konkurrenz belebte das kulturelle und wirtschaftliche Geschäft. Erst der Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, die totalitären Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus sowie die Vertreibung fast aller Sudetendeutschen aus der Heimat zerstörten diese einzigartige Symbiose, an der nicht zuletzt die vom NS-Regime fast völlig vernichtete jüdische Gemeinschaft einen wesentlichen Anteil hatte.“ (Sudetendeutsche Zeitung, 07.05.2010, Nr. 18: 1, Gemeinsame Früchte [vom Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe Bernd Posselt]).

„Die Stadt Prag war in dieser Zeit eine gelungene Symbiose tschechischen, deutschen und jüdischen Geistes- und Kulturlebens. Reibungen, die aus dem Zusammenleben erwuchsen, entwickelten noch schöpferische Energien.“ (Vortrag von Erika Steinbach. Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Langen, 14.03.2010. )



„Damit setzte die deutsch-tschechische Symbiose zur fruchtbaren Entwicklung dieses wichtigen Transit- und Kernlandes des römisch-deutschen Reichs ein, an der schließlich Siedler aus dem gesamten Reichsgebiet beteiligt waren. Entwickelte landwirtschaftliche Anbaumethoden und die Dreifelderwirtschaft, Rechtsschutz, Handelsfreiheiten, Privilegien und Königsfreiheit für die deutschen Kaufleute ließen die königlichen Handelszentren, allen voran Prag, schnell zur Blüte kommen.“ (Homepage der Österreichischen Landsmannschaft: )

Eine Begriffsgeschichte der deutsch-tschechischen ‚Symbiose‘ nach Franz Spina

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Po dlouhá staletí se přitom u nás oba živly – doplňovány ještě živlem židovským – nejrůzněji vzájemně prolínaly, inspirovaly a ovlivňovaly, takže lze hovořit až o jistém typu jejich symbiózy. (Havel 1999: 360) [Jahrhundertelang haben sich bei uns die beiden Elemente – ergänzt noch um das jüdische Element –in vielerlei Hinsicht miteinander vermischt, haben einander inspiriert und beeinflusst, so dass man sogar von einer Art Symbiose sprechen kann.]33

Mit ähnlichen Worten gedachten die Bundespräsidenten Roman Herzog34 und Johannes Rau35 der „böhmischen Symbiose“. Auch in der Wissenschaft wird immer mehr die deutsch-tschechische beziehungsweise deutsch-tschechischjüdische Symbiose thematisiert (Pazi 1990; Paleczek 2009). Jedoch bleibt es nicht nur der zunehmenden Symbiose-Rhetorik wegen notwendig, dass die Referenz dieses nicht unproblematischen Ausdrucks künftig verstärkt unter Berücksichtigung seines Urhebers, Franz Spina, sowie seiner begriffsgeschichtlichen Dimension erfolgt. Zwar ist heutzutage sowohl die Verwendung des Terminus Symbiose alltagssprachlich akzeptiert als auch

33  Eröffnungsvortrag von Václav Havel Tschechen und Deutsche auf dem Weg zu einer guten Nachbarschaft. Prag, 17.02.1995. 34  „Diskussion und Dialog sind der Weg, friedliche Zusammenarbeit in der Zukunft ist das Ziel. Was Dialoge in Gang bringen können, zeigen zwei richtungsweisende tschechischdeutsche Gemeinschaftsprojekte: das deutsch-tschechische Jugendwerk, das Präsident Havel und mir so besonders am Herzen liegt, und der Bibliotheksneubau in Liberec/Reichenberg auf dem Gelände der 1938 niedergebrannten Synagoge. Ich kenne keine andere Initiative, die mit so ermutigender Symbolik die über Jahrhunderte bewährte und in nur einem einzigen schrecklichen Jahrzehnt zerstörte böhmische Symbiose zwischen Tschechen und Deutschen, Christen und Juden wiederbelebt.“ (Ansprache von Bundespräsident Roman Herzog anlässlich der 1. Jahrestagung des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums in Dresden Deutsche und Tschechen – Gemeinsame Verantwortung in Europa. Dresden, 04.12.1998. ) 35  „Unsere gemeinsame Geschichte ist über 1000 Jahre alt. Die guten, ja die erhebenden Kapitel überwiegen bei weitem. 700 Jahre lang hat sich die böhmisch-mährische Symbiose zwischen Tschechen und Deutschen, Juden und Christen bewährt. Sie hat unsere Völker gemeinsam zu hoher wirtschaftlicher und kultureller Blüte geführt. Sie hat weit über die Grenzen der von ihnen bewohnten Länder hinausgewirkt. Aber dann kam im 20. Jahrhundert das schrecklichste Jahrzehnt der Geschichte, das auch diese Symbiose zerstört hat.“ (Ansprache von Bundespräsident Johannes Rau beim Abendessen aus Anlass des Staatsbesuchs von Präsident Václav Havel. Berlin, 10.05.2000. )

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die „böhmische Symbiose“ in der politischen Rede opportun. Dies entspricht jedoch nicht zwangsläufig der historischen Konnotationsüberlieferung. Der Bohemist und langjährige deutsche Minister in der Tschechoslowakei, Franz Spina, führte den Begriff der Symbiose im Jahre 1917 als einen wissenschaftlichen Begriff zur kulturgeschichtlichen Mentalitätsbeschreibung des Tschechentums ein. Erst als Abgeordneter und Minister erweiterte er 1921 den Begriff um das Sudetendeutschtum. Die Verwendung des Ausdrucks Symbiose in einem Auslandsinterview zur Jahreswende 1926/27 durch Spina löste in der sudetendeutschen Politik eine gewaltige Protestwelle aus. Spina wurde vorgeworfen, mit der sudetendeutschen Symbiose der politischen Entrechtung, der kulturellen Verkümmerung und insgesamt dem Verrat des Sudetendeutschtums Vorschub geleistet zu haben. Spina verstand früh, dass seine Begriffswahl unglücklich gewesen war und distanzierte sich insofern von seinen Aussagen, als er zeitlebens auf diesen Begriff nicht mehr zurückkam. Jedoch haben sich im historischen Gedächtnis Spina und der von ihm geprägte Begriff zu einer festen Einheit verbunden, so dass Spina sowohl für die Zeitgenossen als auch die Nachwelt – und dies eigentlich zu Unrecht – bislang der „Symbiotiker“ geblieben ist.

Quellen

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Eine Begriffsgeschichte der deutsch-tschechischen ‚Symbiose‘ nach Franz Spina

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Franz Spina und Gerhard Gesemann Was verbindet und was trennt aus heutiger Sicht die beiden Prager Slavisten Franz Spina, geboren am 5. Oktober 1868 in Markt-Türnau [Trnávka] (Mähren), gestorben am 17. September 1938 in Prag und Gerhard Gesemann, geboren am 16. Dezember 1888 in Lichtenberg bei Wolfenbüttel und gestorben am 31. März 1948 in Bad Tölz (Oberbayern). Beide haben ihr Fach Slavische Philologie in den Bereichen der Literatur- und der Sprachwissenschaft in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen an der Deutschen Universität Prag nicht nur in der damals noch jungen Tschechoslowakischen Republik, sondern auch auf internationaler Ebene zu höchstem Ansehen geführt. In ihrer Schrift Wesen und Aufgaben der deutschen Slavistik wiesen Heinrich Felix Schmid und Reinhold Trautmann im Jahre 1927 darauf hin, wie wichtig eine bohemistische Ausrichtung der Slavistik gerade in Prag sei: Für die dringendste Aufgabe, die ein Prager deutscher Slavist zu lösen vermag, halten wir die Darstellung der deutsch-tschechischen literarischen Beziehungen, die am besten auf verschiedene Epochen zu verteilen sind und natürlich nur im engsten Zusammenhang mit Zeit- und Geistesgeschichte eines vollen Jahrtausends darstellbar erscheinen. Ein fruchtbarer Anfang wurde an wichtigen Punkten schon von Spina gemacht – wir bedauern, dass niemand von deutscher Seite die Anregung aufnahm. (Schmid/Trautmann 1927: 40)

Franz Spina war zwanzig Jahre älter als Gerhard Gesemann. Spina war nicht nur Literatur-, sondern auch Sprachwissenschaftler und darüber hinaus auch politisch aktiv und engagiert. Beide Slavisten hatten sich bei Erich Berneker habilitiert, Spina (1909) noch an der Deutschen Universität Prag und Gesemann (1925) an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.1 Gesemanns Bedeutung als Slavist, seine Haltung zu den politischen Strömungen

1  Gerhard Gesemann veröffentlichte u. a. Studien zur südslavischen Volksepik, erschienen in einer ersten Folge in Reichenberg 1926 (Gesemann 1926), ferner als Band 20 des Handbuches der Literaturwissenschaft in den Literaturen der slavischen Völker seine 1930 in Wildpark-Potsdam erschienene Serbo-kroatische Literatur (Gesemann 1930), in Berlin 1943 die Heroische Lebensform. Zur Literatur und Wesenskunde der balkanischen Patriarchalität (Gesemann 1943).

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dieser Epoche, wird hier nur kurz, später an anderer Stelle jedoch noch ausführlicher behandelt werden.2 Ein sichtbares Dokument gemeinsamer Arbeit in Prag war unter anderem die von Spina und Gesemann ausgearbeitete Denkschrift Fünfundzwanzig Jahre Slavistik an der Deutschen Universität Prag, nämlich 1903 bis 1928, wo die Slavistik definiert wird als „Forschung und Wissenskunde des gesamten kulturellen Lebens aller slavischer Völker“, eine Forderung, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem wenige Jahre später – vor allem durch den Kalten Krieg bedingten – Aufschwung des Faches in dieser Breite in keiner Weise mehr aufrechterhalten ließ. Seit 1927 erschienen, ediert von Spina und Gesemann unter der Redaktion des Bohemisten Eugen Rippl, die Slawistischen Schulblätter als eine Zeitschrift des Vereins deutscher Slawisten der Tschechoslowakischen Republik mit Sitz in Prag. 1929 begründete Spina zusammen mit Gesemann die Slavische Rundschau, eine berichtende und kritische Zeitschrift für das geistige Leben der slavischen Völker (Ehlers 1997). Eine lange Reihe unterschiedlicher Themen aus dem Bereich der Slavischen Philologie erfassten die Veröffentlichungen der Slawistischen Arbeitsgemeinschaft an der Deutschen Universität in Prag, ebenfalls gemeinsam von Franz Spina und Gerhard Gesemann herausgegeben. Zusammen mit Josef Janko, nicht mit Gerhard Gesemann, gab Spina seit 1931 die Zeitschrift Germanoslavica heraus, eine Vierteljahresschrift für die Erforschung der germanisch-deutschen Kulturbeziehungen, ein Organ, das vor einigen Jahren eine Fortsetzung in neuer Folge fand.3 Am 4. Mai 1963 hielt der Leipziger Slavist, Bohemist und Namensforscher Rudolf Fischer anlässlich Spinas 25. Todestages, am 17. September 1963, im Rahmen der Veranstaltungen zum 10. Jahrestag der Namensgebung der KarlMarx-Universität Leipzig einen Gedenkvortrag mit dem Thema Von Franz Spinas Prager Slawistik,4 den er mit den Worten einleitete: Spinas ehemalige Hörer sollen ihn nicht vergessen, den Lehrer voller Güte, Noblesse und Teilnahme auch noch in den persönlichsten Sorgen und Bedrängnissen, die wie Paul Eis2  In Vorbereitung für den Druck in der Zeitschrift für Balkanologie befindet sich der Beitrag des Vf.’s Gerhard Gesemann, Slawist und Balkanologe an der Deutschen Universität Prag in schwierigsten Jahren. 3  Wie es in einer seinerzeit verbreiteten Anzeige hieß, gibt das „Slavische Institut“ in Prag von neuem die Zeitschrift „Germanoslavica“ heraus, die zuerst in den Jahren 1931 bis 1939 erschien. Die Zeitschrift ist vor allem den deutsch-slavischen Beziehungen in den Bereichen Literatur, Geschichte, Linguistik und Völkerkunde gewidmet (Ehlers 2000; 2002; 2001). 4  Vgl. ebenfalls Fischer (1956; 1963a, b; 1965; 1966), ferner Knauer (1957).

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ner5 ihm nachrühmte – vielen ein warmherziger Förderer weit über die akademischen Jahre hinaus war. Dass Spina noch vor dem ersten Weltkrieg in der Praxis des akademischen Tages Wege beschritt, die leider eben so wenig selbstverständlich waren, wie selbstverständlich hätten sein müssen, ist nach dem Zweiten Weltkrieg und zeitlicher Distanz in seiner Bedeutung erst recht zu ermessen. Denn es ging ihm um ein Miteinander der Völker in gegenseitiger Achtung und um den Frieden. (Fischer 1964: 312)6

Im weiteren Verlauf seines Vortrages führte Rudolf Fischer jedoch aus: Aber die politischen Ereignisse des Jahres 1933 warfen ihre Schatten. Als Abgeordneter des Agrarischen Bundes der Landwirte und als Minister einer Regierungskoalition, die der Lage nicht gewachsen war, wurde Spina für eine Entwicklung mitverantwortlich, vor der er selber gewarnt hatte. Als Haupt der Slawistik an der Deutschen Universität in Prag wurde er nun auch von solchen Kollegen im Stiche gelassen, die ehedem seine Hilfsbereitschaft nützten. So schwenkte der zweite Ordinarius G. Gesemann ab, der auch als Mitherausgeber der ‚Slavischen Rundschau‘ ausschied […] der Zusammenbruch der ‚Germanoslavica‘, des deutsch-tschechischen Gemeinschaftsunternehmens, war 1937 ein Vorzeichen noch schlimmeren Zerfalles. Spina selber, der am 17. September 1938 kurz vor seinem 70. Geburtstag starb, hat die Münchner Kapitulation und Finis Bohemiae nicht mehr erlebt. (Fischer 1964: 315)

Wie Rudolf Fischer an anderer Stelle ausführte, hatte Spina 1938 den Eintritt in Konrad Henleins Sudetendeutsche Partei abgelehnt. Bereits viel früher, nämlich in der ersten Hälfte der 30er Jahre, hatte Konrad Henlein Gesemann aufgefordert, eine Kandidatur auf der Liste der Henlein-Partei zu übernehmen, wozu sich Gesemann aber – aus heute durchaus verständlichen Gründen – schon damals nicht entschließen wollte. Trotz aller Abneigung gegen politische Aktivitäten in diesen Jahren, kam Gesemann doch nicht darum herum, den Eintritt in die NSDAP zu vollziehen, insbesondere nachdem seine erneute Verbeamtung als „Reichsprofessor“ an der „Deutschen Karls-Universität Prag“ auf dem Prüfstand war. Auch Gesemann konnte sogar 1943 sein 1934 in Prag erschienenes Buch Der montenegrinische Mensch unter dem Titel Heroische Lebensform erneut veröffentlichen. In der schon erwähnten Schrift 5  Paul Eisner, Herausgeber u. a. einer Slowakischen Anthologie (Eisner 1921); einer Tschechischen Anthologie (Eisner 1917); Prag in der deutschen Dichtung. Eine Anthologie von Paul Eisner (Eisner 1932), Die Tschechen. Eine Anthologie aus fünf Jahrhunderten (Eisner 1928); Volkslieder der Slawen (Eisner 1926); Slowakische Volkslieder (Eisner 1920). 6  Franz Spina war in seiner mährischen Heimat auch wissenschaftlich engagiert und hat u. a. zusammen mit Alois Czerny die Mitteilungen zur Volks- und Heimatkunde des Schönhengster Landes mit Unterstützung des Kuratoriums der L.  V.  Holzmaister-Museumsstiftung begründet und seit 1914 in Mährisch-Trübau mit herausgegeben. Aus der Chronik des Mährisch-Trübauer Webermeisters Michael Heger (1663-1730) hat er im Jahresbericht des K.K. Staats-Gymnasiums in Mährisch-Trübau 1905 einen Beitrag veröffentlicht.

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Wesen und Aufgaben der Deutschen Slawistik wiesen Heinrich Felix Schmid und Reinhold Trautmann darauf hin, dass eine Beschäftigung mit Osteuropa über die Sprach- und Literaturwissenschaft hinausgehen müsse: Der deutsche Slawist hat als berufenster Vermittler zwischen deutschem und gesamtslawischem Geistesleben Vorpostendienste für das deutsche Volk und die deutsche Wissenschaft zu leisten und feinfühlig anzumerken, dass ihm keine wesentlichere Regung des slawischen Geisteslebens entgehe, um sie in das Bett des eigenen Volkstums hinüber zu leiten. Er muss dazu selbst immer wieder durch beständige Vertiefung in die Leistungen der slawischen Forschung dieser beweisen, dass sich die deutsche Wissenschaft ihrer universalen Stellung im europäischen Kulturleben bewusst sei. – Darüber hinaus soll der deutsche Slawist durch persönliche Einwirkung in Deutschland auch in den slawischen Ländern durch Rede und Schrift darauf hinweisen, dass gegenseitiges Missverstehen, auch wohl gegenseitiges nicht verstehen wollen einer freundlicheren Gesinnung Platz mache. (Schmid/Trautmann 1928: 71)

In der Denkschrift Spinas und Gesemanns mit dem Titel Fünfundzwanzig Jahre Slavistik an der deutschen Universität Prag (1903-1928). Eine Denkschrift, erschienen als Privatdruck der slavischen Seminare und Proseminare an der Deutschen Universität Prag, findet sich kurze Zeit später ebenfalls eine Beschreibung der damals aktuellen Aufgaben der Slavistik, in diesem Falle auf die Gegebenheiten an der Deutschen Universität in Prag bezogen: Wir fassen den Begriff der slawischen Philologie an der deutschen Universität in Prag im weitesten und würdigsten Sinne als Forschung und Wissenskunde des gesamten kulturellen Lebens aller slawischen Völker, vornehmlich soweit diese ihre Volks- und Hochkulturen in ihren Sprachen und Sprachdenkmälern, ihrem Volksleben und in ihrer politischen und geistigen Geschichte gestaltet haben. Dieser ideale Begriff einer philologischen Disziplin erleidet in der Wirklichkeit gewisse Beschränkungen, die hauptsächlich von den Besonderheiten der studentischen Hörer, der Lehrmittel, der Studienzeit und der akademischen Lehrer abhängen. ([Spina/Gesemann 1928]: 8; Herv. i. Orig.)

Es war sicher ein Novum dieser Denkschrift, dass man auch an die Situation der Fachstudierenden dachte, ihre Herkunft hinterfragte und auch die beruflichen Möglichkeiten für die Gestaltung der Studiengänge mit in Betracht zog. Mit vollem Recht wiesen Gesemann und Spina darauf hin, dass mit der Verselbständigung der Slavistik, mit ihrer auf zwei Lehrstühle verteilten Spezialisierung, mit einem steigenden Zustrom von Studierenden zur Slavistik und mit dem weiteren Ausbau der slavischen Seminare und Proseminare der „eigentliche Aufschwung der slavistischen Studien an unserer Universität“ erst beginne ([Spina/Gesemann 1928]: 16). In Betracht zu ziehen sind aber auch die völlig veränderten staatlichen Verhältnisse in Ost- und Südosteuropa nach dem Ersten Weltkrieg. Und dass die Slavistik gerade in Prag, der Hauptstadt der neuen Tschechoslowakischen Republik, einen derartigen Aufschwung er-

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lebte, lässt sich sicher mit der umsichtigen Tätigkeit von Gesemann und Spina erklären, die sich über ihre Lehrverpflichtungen hinausgehend auch um die Finanzierung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen erfolgreich bemühten (Schaller 2003). Entsprechend diesen Zielsetzungen wurde auch eine slavistische Arbeitsgemeinschaft an der Deutschen Universität in Prag gegründet, die sich als eine freie Vereinigung älterer und absolvierter Slavisten verstand, die in Verbindung mit ihren akademischen Lehrern ernsthaft an einer wissenschaftlichen Fortbildung über den Rahmen des normalen Universitätsbetriebes hinaus zu arbeiten bestrebt waren. Die Arbeitsgemeinschaft veröffentlichte Arbeiten ihrer Mitglieder in drei Reihen, nämlich Untersuchungen, Editionen und Lehrmittel. Die Arbeitsgemeinschaft publizierte auch Arbeiten nicht in Prag ansässiger Slavisten. Entsprechend vielfältig ist auch das Verzeichnis der dort zur Veröffentlichung gelangten Untersuchungen, beginnend mit Ferdinand Liewehrs (1926) Ortsnamen des Kuhländchens, jener Gegend an der oberen Oder in Nordmähren, die durch ihre Rinderzucht und eine seit dem 11. Jahrhundert entstandene deutsche Sprachinsel bekannt geworden war. Gefolgt ist dieser Abhandlung Eugen Rippls im Jahre 1930 in Reichenberg erschienenes Buch Zum Wortschatz des tschechischen Rotwelsch, eine der deutschen Gaunersprache entsprechende sprachliche tschechische Sonderform. Rippl versuchte hier eine lexikographische Darstellung aufgrund einer Sammlung rotwelscher Ausdrücke und Redewendungen, angefangen von den ältesten Belegen bis in das 20. Jahrhundert hinein. Besonders berücksichtigt wurde hier von Rippl auch die Prager ‚Hantýrka‘.7 Die südslavischen Literaturen waren Themen zweier weiterer Abhandlungen, nämlich Gerhard Gesemanns (1926) Studien zur südslavischen Volksepik und Adolf Hauffens (1928) Das serbische Volkslied in der tschechischen Literatur. Besondere Erwähnung verdient der 5. Band dieser Reihe, nämlich Slavistische Studien (Liewehr 1929), die Franz Spina zum sechzigsten Geburtstag von seinen Schülern gewidmet wurden, gedruckt mit Unterstützung des Prager Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur. An erster Stelle findet sich dort ein Beitrag von Roman Jakobson mit dem Thema Zur vergleichenden Forschung über die slawischen Zehnsilber, gefolgt von einem Beitrag Gerhard Gesemanns mit dem Titel Sočivica, der Geschichte eines dalmatinischen Haiduken mit diesem Namen, sowie Hochzeitsbräuche der Serbokroaten in ihren Hauptelementen von Edmund Schneeweis. Weitere Beiträge finden sich u. a. von 7  Eine Bezeichnung für die tschechische Gaunersprache, möglicherweise auf deutsches „hantieren“ zurückgehend.

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Eugen Rippl,8 Josef Hanika, Bruno Schier, Eugen Lemberg und Ferdinand Liewehr,9 der später in Greifswald lehrte. Umstritten war der 6. Band dieser Reihe, nämlich Konrad Bittners Abhandlung Herders Geschichtsphilosophie und die Slawen. Bittner hatte von 1941 bis 1945 an der „Reichsuniversität Posen“ die slavische Literaturwissenschaft vertreten, während Maximilian Braun dort für die slavische Sprachwissenschaft zuständig war, jedoch wegen kriegsbedingter anderer Verwendung nie in Poznań lehrte. In seiner Abhandlung über Herder gelangte Bittner zu folgender Kernthese, die keineswegs auf allgemeine Zustimmung stieß: Also nicht aus dem Einfühlen in das Wesen slawischen Volkstums hat H. seine Lehre von der Wesenheit der Slawen geschöpft, sondern sein Rigaer Erleben der slawischen Welt wurde in der Weimarer Zeit unter vollständig geänderten geschichtsphilosophischen Voraussetzungen fruchtbar gemacht. Denn in der Weimarer Zeit lebte ja H. weit ab von den Slawen, völlig abgeschieden von ihrem eigenen Geistesleben und die Quellen, auf die er am Ende des Slawenkapitels verweist, stammen bis auf Pelcl und Dobrovský – durchwegs von Deutschen her. H. war in Weimar, um das Slawentum neuerlich in sich lebendig werden zu lassen, gezwungen auf alte, in ihm bereits erstarrte Vorstellungen vom Slawentum zurückzugreifen und sie den Forderungen der Weimarer geschichtsphilosophischen Überzeugungen gemäß umzugestalten. (Bittner 1929: 100)

Die Reihe der Untersuchungen weist noch mehrere grundlegende Veröffentlichungen auf, so die von Dmytro Čyžev’skyj gesammelten und 1931 herausgegebenen Dostojewskij-Studien, die Darstellung Hegel bei den Slaven im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für slavistische Forschung in Prag, ebenfalls von Čyžev’skij 1934 herausgegeben. In den Untersuchungen erschien auch die Abhandlung Eugen Lembergs Grundlagen des nationalen Erwachens in Böhmen mit dem Untertitel einer geistesgeschichtlichen Studie, aufgezeigt am Lebensweg von Josef Georg Meinert (1773-1844) mit einem Anhang des Briefwechsels zwischen Meinert und Josef Dobrovský. In einer dritten Reihe sollten Lehrund Handbücher veröffentlicht werden. Hier erschien nur ein von Hans Augustin verfasstes Lesebuch zur Übung der tschechischen Umgangssprache mit Anmerkungen und Wörterbuch unter dem Titel Z dnešního života [Aus dem heutigen Leben]. Das beste und heute noch am meisten lesenswerte Ergebnis wissenschaftlicher und herausgeberischer Zusammenarbeit von Franz Spina und Gerhard Gesemann war sicher die von beiden in den Jahren 1929 bis 1936 herausgegebene­ Slavische Rundschau, deren Inhalt sich jeweils in Aufsätze, Re8  Der alttschechische Kapitelpsalter. Einteilung. Text mit kritischen Anmerkungen. Wörterbuch. Prag 1928. 9  Kurbskijs „Novyj Margarit“, untersucht und in Auswahl ediert. Prag 1928.

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ferate, Bibliographien und Kulturchroniken gliederte. An erster Stelle erschien dort ein Beitrag von Aleksej Ivanovič Nekrasov zur neuen Architektur und ihrer Stellung in der traditionellen russischen Baukunst. In diesem ersten Band der Slavischen Rundschau finden sich weiter Beiträge von Otto Schürer zum Thema Neu-Prag, von E. Arnoldi zur Filmkunst in der Sowjetunion und von Julia Dickstein-Wielcżyńska zum Thema Die Frau im heutigen Polen. Von Gerhard Gesemann wurde in diesem ersten Band der Slavischen Rundschau das damals aktuelle Thema Verleger- und Schriftstellernöte in Jugoslawien behandelt. Mehrere Beiträge greifen die Situation der Slavistik in verschiedenen europäischen Ländern auf, so Roman Jakobson über die damaligen Voraussetzungen der russischen Slavistik, Tadeusz Lehr-Spławiński über die Slavistik in Polen in den zwanziger Jahren und Vilém Mathesius mit Glossen zur tschechischen Slavistik eines tschechischen Nichtslavisten. Im zweiten Band der Slavischen Rundschau gibt Gerhard Gesemann 1930 einen allgemein gehaltenen Rückblick und Ausblick auf die Zeitschrift. Auch in den späteren Bänden finden sich damals führende Slavisten als Autoren, so wieder Čyžev’skyj mit einer Abhandlung zum Wesen und zu den Aufgaben der tschechoslowakischen Philosophiegeschichte, Alexander Brückner über ein polnisches biographisches Lexikon sowie Roman Jakobson mit einem Beitrag zum russischen Wortschatz und Neuem zur Geschichte der altrussischen Literatur. Mit dem Jahrgang III des Jahres 1931 wurde die Slavische Rundschau im Auftrage der Deutschen Gesellschaft für slavistische Forschung in Prag herausgegeben, die am 5. Dezember 1920 gegründet worden war. Diese Gesellschaft setzte sich, wie das neu formulierte Programm deutlich machte, die Organisierung und die Ausführung solcher Forschungsvorhaben zum Ziel, die in fruchtbarer Weise nur kollektiv, d. h. von einer Arbeitsgemeinschaft gleichgerichteter Forscher aus verschiedenen Disziplinen, behandelt werden können. Die Deutsche Gesellschaft wollte jedoch keine Akademie und auch keine gelehrte Gesellschaft sein. Mit dem Jahrgang IX des Jahres 1937 war Gerhard Gesemann als Mitherausgeber nicht mehr an der Slavischen Rundschau beteiligt, sie wurde nun von Franz Spina und Eugen Rippl herausgegeben und ab dem Jahrgang XI des Jahres 1939 lautete der Untertitel der Zeitschrift Berichtende und kritische Zeitschrift für das Gegenwartsleben der slavischen Völker. Sie wurde nach dem Tod von Franz Spina nunmehr von Matthias Murko, dem Vorsitzenden des Slavischen Instituts in Prag, allein herausgegeben, wobei klar war, dass das Fortbestehen dieser Zeitschrift durch die politischen Ereignisse in Frage gestellt wurde, wenn es dort u. a. hieß:

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Das Slavische Institut (Slovanský ústav) in Prag, dem die Pflege der Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen mit den slavischen und benachbarten Ländern obliegt, erachtet es daher für seine Pflicht, eine so gut eingeführte und wünschenswerte Zeitschrift unter seine Fittiche zu nehmen. Maßgebend war auch die Erwägung, dass die Vierteljahresschrift für Erforschung der germanisch-slavischen Kulturbeziehungen ‚Germanoslavica‘ nicht durch Schuld des Instituts, das dieses rein wissenschaftliche Organ moralisch und materiell förderte, eingestellt wurde. (Slavische Rundschau 1939/1-2)

Immer wieder wurde Gesemann eine schwankende Einstellung zum Nationalsozialismus nachgesagt (Ehlers 2001), die letztendlich in seiner Mitgliedschaft der NSDAP mündete und die nach dem Zweiten Weltkrieg auch Gegenstand eines Spruchkammerverfahrens wurde (Zeil 1995: 129). Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf einen Brief, den Gesemann am 2. Juni 1933, also nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, an Franz Spina in Prag schrieb, in dem er sich enthusiastisch zu den neuen Machtverhältnissen in Deutschland äußerte (Krywalski: 2007). Wenig später aber war Gerhard Gesemann klar geworden, in welche Richtung sich die neue Regierung unter Hitler als Reichskanzler bewegte. Zu erwähnen ist hier auch die von Gesemann entschieden geförderte Berufung des damals führenden Philosophen und Ästhetikers Emil Utitz 1934 an die Deutsche Universität Prag, nachdem dieser als Professor von der Universität Halle aus rassischen Gründen entlassen worden war. Die deutsche Universität Prag war am 1. September 1939 dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zugeordnet worden und am 4. November wurde die Übernahme der deutschen Hochschulen in Prag feierlich begangen (Feier 1940).10 Im Herbst 1939 waren aufgrund der nunmehr geltenden Beamtenrechte auf der Grundlage des Deutschen Reiches für Gesemann nur zwei Möglichkeiten gegeben, entweder erwerbslos zu werden oder durch den Eintritt in die NSDAP seine Anstellung als Beamter der nunmehr „Deutschen Karls-Universität“ möglich zu machen. Wie sehr ihm trotzdem die Nationalsozialisten misstrauten, geht aus einer Stellungnahme bereits früher, nämlich 1938, hervor, die dem damaligen deutschen Generalkonsul Neuhausen in Belgrad zugeleitet worden war und wo es u. a. hieß: 10  Einziger Hoffnungsschimmer der dort gehaltenen Ansprachen war die Rede des amtierenden Rektors, des Sprachwissenschaftlers Ernst Otto, der u. a. ausführte: „Und es muss endlich einmal Schluss gemacht werden mit dem grausigen Gegeneinander der beiden Nationen. Denn ein vernünftiges Miteinander ist alleine der echte, wahre Sinn des sonst so viel missbrauchten Wortes Humanität – vorausgesetzt, dass auch auf der anderen Seite diese ethische Forderung als unabdingbare Notwendigkeit echter Menschlichkeit verstanden wird.“

Franz Spina und Gerhard Gesemann

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Professor Gerhard Gesemann hat seiner Zeit mit finanzieller Unterstützung des tschechoslowakischen Ministers Spina die slawistische Gesellschaft in Prag gegründet, in der zahlreiche russisch-jüdische Gelehrte tätig sind. Im Zusammenhang damit gründete er die ‚Slavische Rundschau‘. Mitarbeiter dieser Zeitung wurde neben dem Juden Roman Jakobson, jetzt Honorarprofessor an der tschechischen Universität Brünn, auch ein Redaktionsmitglied der ‚Prager Presse‘, die den Kreisen um Benesch nahe steht. (BArch, NS 15/204)

Anlässlich der Fünfzehnjahrfeier der UdSSR hielt Gesemann im November 1932 eine Rede, in der er unter Hinweis auf „die Schicksalsverbundenheit der deutschen und russischen Nation“ betonte, der russische Umschwung vollziehe sich im Sinne deutscher Gelehrter wie Hegel und Marx. Für die Slavisten würde die Welt der letzten 15 Jahre ohne neues Russland öde sein. Des Weiteren äußerte Gesemann, die Wissenschaft halte die Beziehungen zur Sowjetunion lebendig, auch wenn Politiker und Wirtschaftler noch nicht überall so weit seien. Auch hier muss gesagt werden, dass erst einige Jahre später der Terror Stalins in der Sowjetunion bekannt wurde, so dass Anfang der dreißiger Jahre noch ein gewisses idealisiertes Bild der Sowjetunion vorherrschte. Noch im Sommer 1933 wurde Gesemann, wie in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt wurde, von den „demokratisch-jüdischen“ und tschechoslowakischen Kreisen zum Rektor der Universität Prag gewählt. Obwohl er auch zum Abgeordneten der Henlein-Partei gewählt wurde, galt er in sudetendeutschen Kreisen als politisch unzuverlässig. Wie in einem soeben erschienenen Beitrag von Ota Konrád ausgeführt wird, förderte Gesemann auch den Nachwuchs an der Deutschen Universität Prag in Zusammenarbeit mit der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft. Trotzdem wurden weder Gesemann noch der Theologe Werner Winter an der Deutschen Universität Prag als eindeutig national gesehen. Die Professoren der Deutschen Universität Prag galten in diesem Zusammenhang als die intellektuelle, sozia­ le und kulturelle Elite der Sudetendeutschen. Franz Spina verstand ähnlich Gesemann die Slavistik als eine offene Kulturwissenschaft, deren Aufgabe es sein sollte, zwischen der deutschen und der slavischen Welt zu vermitteln. In diesem Zusammenhang war auch Loyalität gegenüber der Tschechoslowakischen Republik gefordert. Auf der anderen Seite fanden sich Professoren, die aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem tschechoslowakischen Staat keinen Hehl machten, was vor allem für den Germanisten Erich Gierach galt (Konrád 2010: 292). Im Jahre 1936 sollte in Leipzig ein Südostinstitut zur zentralen Verfolgung der wissenschaftlich kulturellen Beziehungen nach Südosten errichtet werden. Als Leiter dieses Instituts war zunächst Gerhard Gesemann vorgesehen. Im Hinblick auf seine sowjetfreundliche Einstellung wurde aber von dieser

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Ernennung Abstand genommen.11 Im Zusammenhang mit dieser Berufung auf die neugegründete Professur für „Geschichte und Kultur Südosteuropas“ kam man in Leipzig 1937 seitens der NSDAP zu folgendem Urteil: Zusammenfassend muss ich über Gesemanns politische Einstellung sagen: Mag er sich, wenn er in Deutschland weilt, auch national oder gar nationalsozialistisch gebärden, die Tatsachen, die ich in seiner politischen Begutachtung aufgezählt habe, ergeben mit aller Deutlichkeit, dass seine Haltung gegenüber dem russischen Kommunismus und dem Judentum nicht die nationalsozialistische ist. Darum bezeichne ich ihn als politisch nicht zuverlässig. (BArch, NS 15/204)

Als 1941 in Prag eine Reichsstiftung für wissenschaftliche Forschung in Zusammenarbeit mit der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität eingerichtet wurde, die nach dem Attentat auf Heydrich auch seinen Namen erhielt, und am 18. Februar 1943 der Slovanský ústav in die Heydrich-Stiftung eingegliedert wurde, war die Zeit fruchtbaren Lehrens und Forschens für Gerhard Gesemann längst vorbei. 1944 zog Gesemann die Konsequenzen mit seiner vorzeitigen Emeritierung auf eigenen Antrag, nachdem er noch 1940 die Gründung und Leitung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Belgrad übernommen hatte (Hausmann 2002: 167-174, insb. 168), dann nach seiner Rückkehr nach Prag 1943 mit Rippl und Schneeweis das Institut für die Kunde Ost- und Südosteuropas leitete. Er begab sich 1944 nach Bad Tölz, wo er im Alter von nur 60 Jahren 1948 verstarb. Seine wissenschaftliche Bibliothek, eine der besten Balkanbibliotheken seiner Zeit, sollte vom Münchner Slavischen Seminar übernommen werden. Durch die Kriegsverhältnisse bedingt, war kein Transport von Prag nach München mehr möglich. Die Bibliothek löste sich bei Kriegsende auf, Einzelexemplare tauchten gelegentlich noch in Antiquariaten auf. Das Jahr 1929, als der ‚Erste Internationale Slavistenkongress‘ in Prag stattfand, scheint eine ungemein positive Entwicklung der Slavistik an der 11  BArch (NS 15/204: für Herrn v.  Kursell und SS-Brigadeführer Wolff): „In Ergänzung der mündlichen Aussprache am 29. Januar im Büro des Herrn v. Kursell beehre ich mich, bezüglich des geplanten Südostinstitutes in Leipzig Folgendes anzuführen: In Leipzig soll ein Südostinstitut zur zentralen Verfolgung der wissenschaftlich-kulturellen Beziehungen nach dem Südosten mit entsprechendem politischem Gewicht errichtet werden. Für die Leitung dieses Institutes wurde Herr Prof. Gesemann aus Prag als in Aussicht genommen genannt. Herr Prof. Gesemann, der als Slawist einen guten Ruf genießt, war von der Deutschen Akademie zur Ernennung des Senators ins Auge gefasst. Diese Ernennung wurde nicht vollzogen, da nach Mitteilung der Herren Prof.  Gierach, Reichenberg, und Prof. A. O. Meyer der Deutschen Akademie München, Prof. Gesemann anlässlich eines Sowjetjubiläums in Prag eine sehr unvorsichtige Rede mit einer betont sowjetfreundlichen Tendenz gehalten hat“.

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Deutschen Universität unter Spina und Gesemann eingeleitet zu haben, eine kurze Epoche, die bereits nach weniger als einem Jahrzehnt zu Ende ging. Im Wintersemester wurde der später international führende Sprach- und Literaturwissenschaftler Roman Jakobson, einer der bekanntesten Vertreter des Prager Linguistischen Zirkels, bei Gesemann und Spina mit einer Arbeit zur vergleichenden Forschung über die slavischen Zehnsilber promoviert. Im selben Jahr erfolgte die Habilitation des Bohemisten Eugen Rippl und ebenfalls seit 1929 lehrte Edmund Schneeweis als Dozent für slavische Volkskunde an der Deutschen Universität. Die deutsche Herausgeberschaft und die Verwendung der deutschen Sprache in der neuen Zeitschrift Slavische Rundschau wurden in der Prager Presse als Hinweis darauf gedeutet, dass die deutschen Slawisten in Prag ihre ureigene kulturelle Mission voll erfasst haben: Vermittler zu werden zwischen ihrem Volke und den slavischen Nachbarn, mit denen das deutsche Volk seit Jahrhunderten in engster Berührung lebt und wirkt. Das traditionelle Vorbei- und Aneinanderleben wird zu Zusammenleben und Mitarbeit […]. (Prager Presse, 20.01.1929: 10)

Wie hoch Spinas langjährige Tätigkeit, vor allem als Bohemist, an der Deutschen Universität Prag geschätzt wurde, zeigt das Kondolenzschreiben, das der seinerzeitige Dekan der Philosophischen Fakultät an die Witwe des am 17.  September 1938 Verstorbenen, Frau Valerie Spina, am 26. September 1938 richtete: Prof. Spina hat als Begründer und erster Vertreter der deutschen Bohemistik an unserer Universität durch Jahrzehnte eine vielseitige und fruchtbare Tätigkeit entwickelt, wodurch er sich einen ehrenvollen Platz in der Geschichte der Prager deutschen Slavistik für alle Zeiten geschaffen hat. Aus den kleinsten Anfängen heraus hat er es schon in der Vorkriegszeit trotz großer Schwierigkeiten in vorbildlicher Weise verstanden, eine große Schar von Schülern und Hörern heranzuziehen und für sein damals noch wenig bekanntes Fach allgemeines Interesse zu wecken. Auch als Mensch war Professor Spina ein stets hilfsbereiter Berater und Förderer seiner wissenschaftlichen Jünger und Freunde, die er nicht nur durch seinen glänzenden und tiefgründigen Vortrag an sich zu fesseln, sondern auch sonst in jeder Beziehung zu unterstützen wusste. Besonders auf dem Gebiete der deutsch-tschechischen Beziehungen hat er neue Bahnen beschritten. Er hat später, als die Prager deutsche Slavistik durch seine Anregungen aufzublühen begann, die Zeitschriften ‚Slavische Rundschau‘ und ‚Germanoslavica‘ begründet und geleitet und auch in den ‚Veröffentlichungen der Slavistischen Arbeitsgemeinschaft‘ eine Basis geschaffen, die seinen Mitarbeitern und Schülern ein weites Feld wissenschaftlicher Tätigkeit eröffnete. In seinen Seminar- und Proseminarübungen hat er stets mit reichem Bedacht auf die Notwendigkeit und Wichtigkeit seines engeren Fachgebietes hingewiesen und viel dazu beigetragen, dass die Kenntnis in der Bohemistik in weiten Kreisen verbreitet wurde […]. (KUP, AUK: Personalakte F. Spina)

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Es besteht kein Zweifel, dass sich Spina und Gesemann in fachlicher Hinsicht hervorragend ergänzten: Franz Spina war Sprachwissenschaftler und vor allem Bohemist.12 Seine Forschungen waren so gut wie ausschließlich auf die alttschechischen Texte und ihre Interpretation ausgerichtet, die er mit äußerster Akribie durchführte, wie vor allem seine Abhandlung zur alttschechischen Katharinenlegende aus dem Jahre 1913 zeigt,13 wo er die Frage des Alters der Handschrift, die Frage der Spuren des Dialektes des Autors bzw. Schreibers untersuchte. Philologische Vermutungen wurden von ihm mit der gebotenen Vorsicht gemacht, hier merkte man besonders den Einfluss Bernekers auf Spina. Franz Spina war aber auch seiner mährischen Heimat sehr verbunden, wie der oben genannte Aufsatz und die Herausgeberschaft Spinas zeigen. Gerhard Gesemann war Literaturwissenschaftler und vor allem auf den südslavischen und darüber hinaus auch auf den ostslavischen Bereich spezialisiert.14 Ihm gelang der Übergang von der historisch-vergleichenden Erforschung der slavischen Sprachen etwa im Sinne der Leipziger Junggrammatischen Schule, vertreten in der Slavistik vor allem von August Leskien, zu einer neuen Ausrichtung der Slavistik als einer kulturkundlichen Darstellung der slavischen Völker, eine neue Richtung, die in Prag Lehre und Forschung entscheidend bestimmte. Beide Slavisten fanden nicht nur in der Slavischen Rundschau als einer berichtenden und kritischen Zeitschrift für das geistige Leben der slavischen Völker eine gemeinsame Basis, sondern trugen auch dafür Sorge, dass der wissenschaftliche Nachwuchs für das nach dem Ersten Weltkrieg erstmals richtig aufblühende Fach der Slavischen Philologie in Prag 12  „Spina war der bedeutendste Vertreter der Bohemistik an der Prager deutschen Universität zwischen den beiden Weltkriegen. Allerdings blieb ihm jetzt weniger Zeit für weitere wissen­schaftliche Forschungen übrig, weil er sich als Mitglied des Bundes der Landwirte aktiv an der Politik der Ersten Tschechoslowakischen Republik beteiligte, in der er schließlich zum Minister avancierte. Seinen verdienstvollen wissenschaftlichen Untersuchungen der Vorkriegsjahre über die deutsch-slawischen Kulturbeziehungen und über die alttschechische Literatur konnte er nur noch einige wenige Publikationen folgen lassen.“ (Zeil 1995: 139) 13  Vgl. hierzu die Besprechung von E. Smetánka (Archiv für Slavische Philologie 35, 1913-1914, 553-558). 14  Vgl. hierzu eine private briefliche Äußerung Gesemanns aus dem Jahre 1947 – rückblickend auf seine Prager Jahre, wiedergegeben von seinem Sohn Wolfgang Gesemann: Gerhard Gesemann (1888-1948): „Ich trieb mein Handwerk als Slavist in dieser sonderbaren, herrlichen und doch eigentlich grausigen und gespenstischen Stadt Prag, solange es eben gehen wollte. Die meiste Zeit war ich freilich auf Reisen in allen Bergen und Tälern des Balkans zwischen Adria und Schwarzem Meer und ‚Ich bin [...] darauf gekommen, dass ich eigentlich nie ein richtiger Professor gewesen bin, sondern ein Dichter‘.“ (Sudetenland 4, 1988: 49)

Franz Spina und Gerhard Gesemann

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seine Ausbildung und seinen Ausgangspunkt für eine weitere wissenschaftliche Tätigkeit finden konnte.

Quellen

BArch (NS 15/204): Bundesarchiv, Berlin. Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. Buchstabe Ga-Gn. KUP (AUK): Karsluniversität Prag, Univesitätsarchiv.

Literatur

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Franz Spina und Gerhard Gesemann

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Zeil, Wilhelm (1995): Slawistik an der deutschen Universität in Prag (1882-1945). München: Sagner.

Ota Konrád

Herbert Cysarz: Von der barocken zur sudetendeutschen Literatur1

1.

Obwohl der Name von Herbert Cysarz nicht zu den bekanntesten der deutschen Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts gehört, hat auch dieser Germanist, welcher einen Teil seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Prag verbrachte, Forschungsinteresse hervorgerufen. In den einschlägigen Studien wurden seine wissenschaftstheoretischen Ansätze, seine Rolle in der Literaturkritik der frühen Bundesrepublik oder die Tätigkeit als Professor für Neuere deutsche Literatur an der Deutschen Universität Prag (DUP) in der Zwischenkriegszeit behandelt (Müller 2006; Becher 2001). Trotzdem ist eine detailliertere Darstellung dieser wissenschaftlichen als auch politischen Persönlichkeit bisher ausgeblieben. In meinem Beitrag werde ich ein Segment seiner Tätigkeit näher darstellen, und zwar seine Konzeption der sudetendeutschen Literatur, die er in den 1930er Jahren in Prag entwickelte. Diese Themenwahl ist auf keinen Fall zufällig. Im Beispiel Cysarz bündeln sich nämlich mehrere Aspekte der deutschen Wissenschaftsgeschichte in den böhmischen Ländern – samt deren politischer Bedeutung. Die Konzeption einer sudetendeutschen Literatur von Herbert Cysarz ist nicht ohne ihre zeitgeschichtliche Kontextualisierung adäquat darzustellen. Man kann sie daher mit den Worten des Münchner Historikers Martin Schulze Wessel als einen Versuch auffassen, „das Entstehen von Loyalität gegenüber der Republik zu vereiteln und eine sudetendeutsche Binnenloyalität gegen die Tschechen aufzubauen.“ (Schulze Wessel 2004: 21) Unter diesem Gesichtspunkt lassen sich auch die anderen geisteswissenschaftlichen Fächer an der Deutschen Universität Prag in den 20er und 30er Jahren betrachten. 1  Der Beitrag entstand im Rahmen des Výzkumný záměr [Forschungsprojekt] AV0Z70900502.

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Ota Konrád

Es liegt vor allem ein Vergleich mit der deutschen Volkskunde nahe.2 Zugleich sind auch die Parallelen mit der Konzeption der sudetendeutschen Geschichte von Josef Pfitzner auffällig.3 Die wichtigsten Topoi einer solchen Geschichtsauffassung (und zugleich der konstruierten historischen Identität der Sudetendeutschen), wie die Hervorhebung der kulturellen, politischen sowie auch wirtschaftlichen Leistungen der Sudetendeutschen in einem vorgeblich primitiven und fast geschichtslosen Raum und auch ihre wesentliche Verflechtung mit dem deutschen Muttervolk, sind darüber hinaus auch in den Arbeiten anderer deutscher Prager Historiker vorzufinden (Konrád 2009). Daher ist die Konzeption von Cysarz nicht nur als eine literaturwissenschaftliche Angelegenheit aufzufassen; eher kann man sie als einen der Versuche begreifen, ein Sudetendeutschtum zu definieren und es zugleich kulturell und historisch zu legitimieren. Darüber hinaus verkörperte Herbert Cysarz damalige politische und ideologische Optionen der sudetendeutschen Gesellschaft. Man kann seine wissenschaftliche wie auch kulturpolitische Tätigkeit als einen Gegenpol zu seinem Universitätskollegen Franz Spina auffassen. Dies trat im Frühling und Sommer 1938 klar hervor. Während Spina in dieser Zeit einen Niedergang nicht nur seiner Konzeption einer aktivistischen, gegenüber dem tschechoslowakischen Staat positiven sudetendeutschen Politik, sondern auch seiner wissenschaftlichen Vorstellungen erleben musste,4 triumphierte Herbert Cy­ sarz am 25. März 1938 im Prager Deutschen Haus als Hauptredner auf einer Versammlung der „völkischen Professoren und Studenten“, welche den Anschluss Österreichs bejubelten. Cysarz forderte die Anwesenden auf, „Bauern und Krieger der Wissenschaft“ zu werden und fuhr fort: führen wir unsere Forschungswerkzeuge wie Pflüge und Schilde [...] Ein Volkstumskampf wie der unsere muß gleich einen Kreuzzug geführt werden. Wir brauchen nicht nur Schlagworte [...] sondern auch Dogmen, für die jeder steht und fällt. Auch Wissenschaft ist nicht 2  Zur sudetendeutschen Volkskunde vgl. vor allem die grundlegende Arbeit von Lozoviuk (2008). 3  Zu Josef Pfitzner s. Hadler/Šustek (2001). Zu Pfitzners Konzeption einer sudetendeutschen Geschichte s. Pfitzner (1937a, b; 1938a, b). Zur sudetendeutschen Geschichtsschreibung der Zwischenkriegszeit vgl. u. a. Kolář (2006; 2008); Lohmann (2004); Hadler (2004). 4  In einem tschechischen Brief an Vojtěch Jirát schrieb Spina Ende April 1938: „Úmysly jsou nejlepší, ale okolnosti jsou silnější – tak to chodí ve světě, nejen v politice, čehož jsem já příkladem, nýbrž také ve věcech vědeckých – bohužel!“ [Die Absichten sind die besten, aber die Umstände sind stärker – so geht es in der Welt, nicht nur in der Politik, wofür gerade ich ein Beispiel bin, sondern auch in wissenschaftlichen Dingen zu – leider!]. (Spina an Jirát, 22. 4. 1938, LAPNP, Jirát, zit. nach Ehlers 2000: 197).

Herbert Cysarz: von der barocken zur sudetendeutschen Literatur

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Diskussion – die ist nur ein Hilfswerkzeug und erst dann, wenn sich das Wesentlichere geklärt hat. Kein Jahrmarkt also, keine internationale Messe oder Börse der Gedanken, keine Fabrik und kein Museum. (Cysarz 1938a: 41-43)

2.

Im Jahr 1928 wurde Herbert Cysarz zum Nachfolger von August Sauer in Prag ernannt.5 Obwohl er damals erst 32 Jahre alt war, blickte er auf ein Leben voller Umbrüche zurück. Cysarz wurde 1896 in Bohumín [Oderberg] geboren,6 nach dem Abitur in Těšín [Teschen] schrieb er sich im Herbst 1914 an der Wiener Universität ein. Schon im Frühling 1915 wurde er eingezogen und im September 1916 an der italienischen Front schwer verletzt. Im Frühling 1917 begann er erneut mit dem Studium in Wien, und nach nur zwei Jahren promovierte er bei Walter Brecht mit der Dissertation Erfahrung und Idee in der deutschen Literatur des klassisch-vorromantischen Zeitalters.7 Schon 1922, also mit 26 Jahren, habilitierte er sich in der Neueren deutschen Literaturgeschichte mit einer, wie in der Beurteilung hervorgehoben wurde, bahnbrechenden Arbeit über die deutsche Barockdichtung.8 Etwa vier Jahre später wurde ihm der Titel eines außeror5  Cysarz war ursprünglich nicht die erste Wahl der zuständigen Prager Berufungskommission. Die Fakultät wünschte zunächst einen an den reichsdeutschen Universitäten schon etablierten ordentlichen Professor zu gewinnen. Doch diese Berufungspolitik scheiterte – nicht nur in diesem Fall – an Gehaltsfragen und offensichtlich auch dem geringen Prestige der DUP. Cysarz, damals noch Wiener Privatdozent, tauchte daher erst in der zweiten Vorschlagsliste auf. 6  Zur Biographie von Herbert Cysarz s. Herbert Cysarz, Curriculum vitae (Cysarz 1921; UA Wien: PA Cysarz); Becher (2001) als auch die autobiographischen Texte (Cysarz 1957; 1976). 7  Die erweiterte Dissertation erschien 1921 (Cysarz 1921). 8  In der Begutachtung der Habilitationschrift Die barocken Typen in der deutschen Dichtung des XVII. Jahrhunderts kann man lesen: „In dieser Arbeit ist zum ersten Male seit dem Jahrzehnte zurückliegenden, jetzt lange überholten Versuch von Carl Lemcke die deutsche Barockdichtung, insbes. die Lyrik, im literatur- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang dargestellt worden. Den aufgezeigten Richtungen der Literatur des Jahrhunderts, deren Formulierung zum Teil an sich schon verdienstlich ist, sind die lebendigen Charakterporträts der hauptsächtlichsten Dichter eingefügt, so daß die geschilderten Richtungen fern von abstrakten mit großer Lebendigkeit und persönlicher Deutlichkeit hervortreten (UA

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dentlichen Professors verliehen;9 zugleich erschien auch seine erste wissenschaftstheoretische Studie Literaturgeschichte als Geisteswissenschaft (Cysarz 1926). Cysarz kam nicht mit politischen Anschauungen nach Prag. Im Unterschied zur Konzeption der Literaturwissenschaft seines Vorgängers auf dem Prager neugermanistischen Lehrstuhl, August Sauer, die – geht man von dessen bekannter Rektoratsrede Literaturgeschichte und Volkskunde (Sauer 1925) aus dem Jahr 1907 aus – die Literatur bzw. die Geistes- und Kulturleistungen in einem „Volksboden“ verankert sah, schienen die Cysarzschen theoretischen Ausführungen seiner Prager Antrittsvorlesung (Geschichtswissenschaft, Kunstwissenschaft, Lebenswissenschaft) (Cysarz 1928c) noch ganz anational zu sein: Sein Hauptthema, das er hier farbig umschrieben hat, stellte das „ewig Schaffende“ dar bzw. die „unzerstörbar-unzerlegbare Wesenheit, Wesenheit der Schöpfer und Schöpfungen.“ (Cysarz 1928c: 6) Cysarz plädierte dafür, das ewige Wesen des Schaffens, das dem nach Kausalität suchenden Positivismus fremd geblieben sei, zu erfassen: Dem Ablaufs-Forscher enthüllt sich vielleicht, daß gutenteils die Syphilis den Minnesang begraben hat oder die Wiederaufrichtung der Nachkriegswährung den Expressionismus; das Wesensbild aber des Minnesangs und des Expressionismus – die Frage lautet hier eben: was ist er?, nicht aber warum ist er? […] – bleibt unmittelbar von solchen Erkenntnissen unabhängig. (Cysarz 1928c: 18)

Die Annäherung an dieses „Wesensbild“ sollte ein innerlich engagiertes „Betrachten“ vermitteln. Durch solche methodologischen Ausgangspunkte reihte sich Cysarz in die damals moderne geistesgeschichtliche Wende in der deutschen Literaturwissenschaft ein, die exemplarisch in dem Buch Shakespeare und der deutsche Geist von Friedrich Gundolf (Gundolf 1911) dargestellt wird. So wurde er auch von seiner Umgebung gesehen – in dem Kommissionsbericht über die potentiellen Nachfolger von August Sauer wurde er zum Beispiel als ein „ausgesprochener Vertreter dieser [geistesgeschichtlichen] Richtung“ bezeichnet, also einer Richtung, in welcher „Sauer selbst nicht […] gearbeitet hat“, obwohl er sich „den Vorzügen dieser Methode nicht verschlossen“ haben soll.10 Wien, PA Cysarz: Kommissionsbericht betreffend die Verleihung des Titels eines ausserordentlichen Professors an den Privat-Dozenten Dr. Herbert Cysarz, Wien 26.06.1926). Die Habilitationsschrift ist 1924 erschienen (Cysarz 1924). 9  Vgl. Das Ernennungsdekret des österreichischen Bundespräsidenten  vom 02.09.1926 (UA Wien: PA Cysarz). 10  Antrag der Kommission für die Nachfolge von Prof. Sauer mit neuen Vorschlägen für dessen Nachfolger. An das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur in Prag, Prag, 14.05.1927, (AUK, FF NU: Kart. 68).

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Thematisch interessierte sich Cysarz schon seit den 1920er Jahren sowohl für die deutsche Barockdichtung, die Romantik und für die Literatur des 19.  Jahrhunderts im Allgemeinen (Cysarz 1928a) als auch für die zeitgenössische deutsche Literatur.11 Seine Forschungsschwerpunkte prägten auch die Themen der germanistischen Dissertationen an der DUP. Unter seiner Leitung entstanden mehrere Dissertationen, die die bisherige übliche Schwerpunktsetzung auf die deutsche Klassik und Romantik um neuere bzw. Gegenwartsautoren erweiterten. 1933 entstand z. B. eine Dissertation über Christian Morgenstern, 1938 betreute er eine Arbeit mit dem Titel Instinkt und Moral. Das Problem Frank Wedekinds.12 Weitere Arbeiten waren Paul Ernst, Carl Sternheim, Rudolf Pannwitz und Stefan George gewidmet.13 Den Expressionismus behandelte die Dissertation Der Idealismus im literarischen Weltkriegsbild,14 den Neorealismus die Arbeit Der Stil des Neorealismus in den Romanen von Hermann Stehr, Hans Carossa und Ernst Wiechert. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre entstanden auch die Arbeiten, die Cysarz’ Interesse für die deutsche Barockdichtung widerspiegelten. Im Kontext der Prager deutschen Germanistik ist vor allem seine ‚Entdeckung‘ des literarischen deutschsprachig böhmischen Barock hervorzuheben.15 11  Schon in seiner Prager Zeit ist seine Studie über die neuere österreichische Literatur erschienen (Cysarz 1928b). 12  In diesem Fall warf er jedoch dem Autor die „Wahlverwandschaft mit dem 19. Jahrhundert“ vor, die „unserer Gegenwart zuinnerst“ fremd sein sollte (AUK, FF NU: Kart. 81, Herbert Cysarz, Gutachten über die Doktorarbeit des Herrn cand. phil. Dr. Erhard Ernst: Instinkt und Moral. Das Problem Frank Wedekinds, Prag, 31.03.1938). Zu den Prager Dissertationsarbeiten vgl. das Verzeichnis bei Havránek u. Kučera (1965). 13  In der Beurteilung der letzgenannten Arbeit hob Cysarz seine Methode einer engagierten Betrachtung des Wesens der Dichtung hervor: „Die Arbeit versucht die vielerörterte Erscheinung des Georgeschen ‚Kreises‘ nicht nur, wie öfters geschehen als literatursoziologische und -psychologische Angelegenheit zu betrachten, sondern auch auf ihre besonderen stilistischen Auswirkungen zu untersuchen. So fällt entgegen vielen heutigen Kollektivismen, die die Gemeinschaft der Persönlichkeit schlechtweg voransetzen, das Hauptgewicht auf die beständige Wechselwirkung des Kreises und seines Mittelpunkts; item nicht so sehr auf das Vorbild, das George den Seinen gibt, als auf den Lebensstoff und die Lebensform, die er dem Widerstrom der eigenen Auswirkung dankt.“ (AUK, FF NU: Kart. 83, Herbert Cysarz, Gutachten über die Doktorarbeit des Herrn cand. phil. Karl Hahn: Gemeinschaftsbild und Gemeinschaftskräfte im Werk Stefan Georges, Prag, 15.5.1935) 14  Mit der Reflexion des Weltkrieges in der deutschen Literatur befasste sich auch Cysarz selbst (Cysarz 1931). 15  Vgl. folgende Dissertationsarbeiten: Das deutsche Schriftum Böhmens in der ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts; Bartholomäus Christelius. Ein Beitrag zum Barockschrifttum im Sudetengebiet; Das somatische Gleichniss im schlesischen Spätbarock; Die geistesgeschichtliche Stellung Theobald Hoecks.

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Zu dieser Zeit findet sich unter den Dissertationen jedoch noch ein bisher vernachlässigtes Thema – und zwar das der sudetendeutschen Gegenwartsliteratur.16 Dieses Thema, welches dem neuen Forschungsinteresse von Herbert Cysarz entsprach, war nicht nur wegen der Konzentration auf gegenwärtige, noch lebende Autoren zeitgemäß, sondern darüber hinaus, weil diese Literatur explizit als spezifisch sudetendeutsche Literatur wahrgenommen wurde. Das neue Forschungsthema korrespondierte mit einem wachsenden politischen Interesse von Cysarz. Ein Meilenstein war dabei die unter anderem von Franz Höller, dem späteren Leiter des Propagandaamtes des NSDAPGaus Sudetenland, herausgegebene Gedichtsammlung der Prager deutschen Studenten Wir tragen ein Licht mit einer Einleitung von Cysarz (Cysarz 1934a). Cysarz versucht hier zum erstenmal, eine sudetendeutsche Literatur darzustellen, die er als Erscheinungsform der nach 1918 entstandene sudetendeutschen „Schicksalgemeinschaft“ beschreibt. Vor uns das Chaos, nach uns die Sündflut. Wem jetzt die Fackel entfällt, der wird sie nicht wiedererlangen. Soll und wird es ein sudetendeutsches Schrifttum geben, dann muß es hier und heute geschaffen werden. (Cysarz 1934a: 9)

Dieser Versuch blieb nicht ohne politische Folgen: Die Sammlung wurde gerade wegen dieser Einleitung verboten, ein Ereignis, welches, wie es scheint, zur weiteren Politisierung von Cysarz beitrug (Becher 2001). Liest man weitere einschlägige Texte von Cysarz aus den 1930er Jahren – die wichtigsten von ihnen hat er selbst 1935 und 1938 in zwei Sammlungen herausgegeben (Cysarz 1935d; 1938d) – kann man einige Hinweise finden, die seine wachsende Empfänglichkeit gegenüber aktuellen politischen Fragen und Problemen, die aus dem Spannungsverhältnis zwischen den beiden wichtigsten Ethnien in den Böhmischen Ländern in den 1930er Jahren resultierten, belegen. Dieser Prozess der Politisierung beginnt mit einer ‚Nationalisierung‘ seiner Literaturdeutung: Neben dem ursprünglichen Interesse für die selbständige „Wesenheit der Schöpfer und Schöpfungen“ zog Cysarz jetzt auch die Kategorien des Bodens und des Stammes, oftmals in direkten Anspielungen auf Sauer, heran: In dem Text Die Weltgeschichtlichen Kräfte der Wortkunst schrieb er: 16  Vgl. Johannes Thummerer; Sudetendeutsche Schicksalfragen im Nachkriegsroman; Die Sudetendeutsche Kleinstadt im Heimatromane der Kriegs- und Nachkriegszeit.

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Landschaft, Stamm, Volk aber sind auch in höchster Dichtung gegenwärtig. Alles echte Schöpfertum, es stehe unter noch so wählerischen Voraussetzungen, drückt sein Volk von oben bis unten aus. (Cysarz 1935a: 56)

In der Einleitung zu diesem Text hat er übrigens selbst im Nachhinein versucht, seinen neuen theoretischen Schwerpunkt als die Folge einer kontinuierlichen Entwicklung seiner literaturwissenschaftlichen Deutung zu rationalisieren: Auch heute suche ich vor allem die Ursprünglichkeit des Geistes, die Unabhängigkeit und Unauflöslichkeit der Kunst zu sichern. Doch diese Eigenständigkeit schliesst Wechselbezüge nicht aus […]. (Cysarz 1935a: 49)

Der zweite Wesenszug seiner Texte – die Instrumentalisierung von Literatur und Kultur im Allgemeinen für politische Propaganda – zeigt sich am deutlichsten in seiner schon erwähnten Rede im Deutschen Haus im März 1938. Die früher oftmals unklaren Wendungen und kompliziert dargestellten theo­ retischen Ansätze formulierte Cysarz hier in einem fast irrationalem Geist neu und öffnete dabei dem Einzug der Ideologie in die Wissenschaft Tür und Tor: Auch vielem Pharisäertum, Fellachentum gestriger Scheinwissenschaft winkt hier endlich der Kehraus. Wie will man denn zum Beispiel über den Mythos oder die Dichtung theoretisieren? Um mit dem Mythos, mit den Dämonen der Kunst zu verkehren, muss man sich ganz mit ihnen erfüllen […] Man wird nicht voraussetzungslos, indem man viele und gegensätzliche Voraussetzungen wahllos annimmt. Je schlüssiger die Weltanschauung, desto klarer, sachlicher und gültiger die Verständigung. (Cysarz 1938a: 38)

Der wichtigste Punkt seiner Texte und Reden aus den 30er Jahren ist jedoch seine Begriffsbestimmung von einer einheitlichen sudetendeutschen Literatur. Dabei musste Cysarz mehrere methodische Fragen klären: Was gehört zu einer solchen Literatur, wo sind ihre Grenzen, wie kann man ihre Entwicklung beschreiben und was ist ihre tragende Idee? Wie schon erwähnt, stellte Cysarz die sudetendeutsche Literatur in enge Verbindung zur sudetendeutschen Schicksalsgemeinschaft.17 Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtete er, und dabei war er sich einig mit anderen Universitätsprofessoren an der DUP, die Ereignisse des Jahres 1918 nicht nur 17  In seinem Vortrag in dem Prager Deutschen Haus erklärte Cysarz fast drohend: In „unserer sudetendeutschen ‚Not- und Trutzgemeinschaft‘, da es täglich auf jeden einzelnen ankommt, da jeder gegen die Seinen steht, wenn er nicht für sie steht, da jeder Nachgiebige oder Gleichgültige zum Überläufer werden muß. Denn sobald Wahltag ist, wählt man auch, indem man zu Hause bleibt; auch Flucht und Versäumnis ist dann eine Wahl, und zwar immer die schlechteste.“ (Cysarz 1938a: 29).

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als eine sudetendeutsche Tragödie.18 Die Zerschlagung der Habsburgermonarchie und die Verweigerung der Selbstbestimmung der Deutschen in den Böhmischen Ländern wurde fast dialektisch als Potenzial für einen neuen Anfang begriffen. In der schon zitierten Einleitung zur Gedichtsammlung der „sudetendeutschen“ Studenten schrieb Cysarz: Der Zusammenbruch [des Jahres 1918] also hat unsere reinere, dichtere Schicksalgemeinschaft entbunden. Das Halbe fällt ab und das Scheinbare sinkt in sein Nichts zurück; jeder solche Verlust ist Gewinn. Die Kommenden aber bleiben im Land. Und was sie hier festhält, ist nicht mehr Provinzialismus. (Cysarz 1934a: 12)

Diese enge Verflechtung der aktuellen politischen und geschichtlichen Situation mit der Definition von einer sudetendeutschen Literatur wirkte zugleich handlungsmotivierend. Die sudetendeutsche Literatur wurde durch die sudetendeutsche Identität begrenzt, die jedoch durch engagierte öffentliche Werbung für sudetendeutsche Literatur zu stärken war. In dem Vorwort zu seiner Studie Die großen Themen der sudetendeutschen Schrifttumsgeschichte, die er Ende 1937 verfasste, äußerte sich Cysarz: Die vorliegende Studie […] arbeitet für das Gesamtbewußtsein und Gesamtbild des Sudetendeutschtums, indem sie auf ihren Feldern die umfassendste Schicksaleinheit des sudetendeutschen Werdens erweist. (Cysarz 1938b: Vorwort)

Ursprünglich nahm Cysarz die sudetendeutsche Literatur, ähnlich dem sudetendeutschen Stamm, als ein erst entstehendes Phänomen wahr, welches sich von den älteren (österreichischen) Traditionen bewusst abhebe: Sudetendeutsches Schrifttum ist ein Ding von morgen, nicht von gestern. Man hat diesem Werde- und Zukunftsland viel zu viel Vergangenheit andichten wollen. Man hat ihm Ahnen gesucht, die in keinerlei Hinsicht Sudetendeutsche oder gar Dichter waren. Man hat es mit einem Überschwang von Geschichte beladen, mit erdrückenden Lasten insonderheit alt-österreichischer Geschichte. Obwohl doch weder das kaiserlich-königliche Fellachentum noch österreichischer Provinzionalismus das Feld des Sudetendeutschtums bestellt, es vielmehr beide verwahrlost haben. (Cysarz 1934b: 448)19

18  Da die Gründung der Tschechoslowakischen Republik die Sudetendeutschen dazu zwingen sollte, sich auf ihre wahren volklichen Wurzeln zu besinnen, ist sie unter diesem Aspekt nach dem Volkskundler Gustav Jungbauer fast positiv zu deuten. Zu dieser These s. Jungbauer (1934) bzw. die Kritik der Großstadt Prag, in welcher das deutsche Element in der Luft hängen soll (Jungbauer 1937: 487). 19  Cysarz sah die deutschböhmische Literatur des 19. Jahrhunderts, vor allem den Bohemismus, negativ: „Der böhmische Lokalpatriotismus […] treibt seine neuen Bastard-Blüten. Undeutsch und widerdeutsch Fühlende sprechen und schreiben fehlerfreies Deutsch, vollbürtige Deutsche beherrschten ihr Deutsch oft nur unvollkommen. Es wächst jenes fremde Schrifttum in deutschem Kleid oder deutscher Verkleidung, wie es die Namen

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In den Texten vom Ende der 1930er Jahre ist jedoch diese appellierende Darstellung eher in den Hintergrund getreten; anknüpfend an die populären Deutungen der sudetendeutschen Geschichte im Sudetendeutschen Katechismus von Erich Gierach oder an die mehr wissenschaftlich argumentierenden Geschichtskonzeptionen von Josef Pfitzner, Wilhelm Wostry oder Heinz Zatschek (Gierach o. J.)20 versuchte Cysarz, die definierte Existenz einer sudetendeutschen Literatur in die Vergangenheit zu verlagern. Eine erforderliche vereinigende Idee sudetendeutscher Literatur und Kultur fand er in einem steten, den vielen historischen Ereignissen zum Trotz, Knüpfen von Verbindungen mit dem deutschen ‚Muttervolk‘ in den Alpenländern und im sogenannten Altreich. In diesem Punkt spiegelt die Cysarzsche Konzeption die damaligen Diskussionen über den sudetendeutschen Stamm wider, denen eine enorme politische Brisanz innewohnte, deckten sich doch einzelne Positionen auch mit der inneren Spaltung der Sudetendeutschen Partei in Tradionalisten und Radikale, wie es Ronald Smelser in seinem Buch über die SdP formulierte (Smelser 1980). In einem Bericht über die sudetendeutschen Hochschulwochen in Reichenberg 1935 stellte der damalige Breslauer Historiker Hermann Aubin dieses Dilemma prägnant heraus: Die Kulturarbeit bei den Sudetendeutschen steht unter zwei einander [...] entgegenlaufenden Bedingungen [...] Auf der einen Seite geht es darum, das Bewußtsein der Gemeinschaft mit allen Deutschen und namentlich den Deutschen im Reiche zu stärken; auf der andern, die Sudetendeutschen zu ihren gemeinsamen Aufgaben fest zusammenzuschliessen. Das erstgenannte Ziel ist zu erreichen, ist es dringend notwendig, daß die natürlich gewachsenen, jahrhundertealten, in Sprache und Sitte trotz aller Landesgrenzen lebendigen Beziehungen der einzelnen Randteile des deutschen Sprachgebietes in der Tschechoslowakei immer wieder hergestellt und zur Wirkung gebracht werden. Auf der andern Seite verlangt die politische Abwehrarbeit eine gemeinsame Front der Sudetendeutschen.21 Josef Wenzig, Karl Hugo Rößler, Siegfried Kapper und verwandte kennzeichnen.“ (Cy­sarz 1934b: 456). Ähnlich kritisch sah er die Habsburgermonarchie und ihre Entwicklung im 19. Jahrhundert. Infolge der unter Maria Theresia und Joseph II. durchgeführten Zen­ tralisierung wurde Deutsch zwar zur Hauptsprache der Donaumonarchie; in einem „undeutschen“ Staat drohte jedoch eine derartige Stellung, dass es in ein „Esperanto“ eines multinationalen Staates niedergehen könne (Cysarz 1938b: 21). Darüber hinaus stelle die Monarchie ein Hindernis einer sudetendeutsch-deutschen Annäherung dar: „Wieder und wieder drohte Habsburgs Hausmacht, die um der Hausmacht willen auch die Kaisermacht mit un- und widerdeutschen Anliegen belasten mußte […] Sudetendeutschland aus dem volksdeutschen Kraftgefüge herauszulösen.“ (Cysarz 1938c: 91). 20  Zu Heinz Zatschek s. Hruza (2008), zu Josef Pritzner und Wilhelm Wostry s. Hadler/ Šustek (2001), ferner Kolář (2006; 2008); Lohmann (2004); Hadler (2004). 21  Hermann Aubin an Albert Brackmann, Breslau, 20.09.1935 (BArchB, R153/1298).

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Die Konzeption der sudetendeutschen Kultur von Cysarz ermöglichte es, beide angedeutete Varianten einer sudetendeutschen Identität zu integrieren; darüberhinaus kann man beide Deutungen in Zusammenhang mit dem politischen Verhalten setzen: Die Sudetendeutschen sollten zwar als Einheit, als Schicksalsgemeinschaft, die sich nach 1935 unter der Führung von Konrad Henlein befand, wahrgenommen werden, zugleich sind sie aber als Grenzlanddeutsche dem deutschen Muttervolk und seinem Führer als ihrem inte­ gralen Bestandteil zugehörig. Jede Begriffsbestimmung sollte nicht nur inhaltlich erfolgen, sondern auch das, was außerhalb liegt, benennen. Das gleiche gilt auch für die Konzeption von Cysarz. Aus einer Fülle überlieferter literarischer Publikationen erfüllte nur ein Bruchteil die von Cysarz festgesetzten Kriterien einer sudetendeutschen Literatur. Der Rest war als fast wertlos zum Vergessen verurteilt. Diesen normativen Wesenszug der Deutung der Literaturgeschichte hat Cysarz in seinen Gedanken über die Entwicklung der österreichischen Literatur klar zum Ausdruck gebracht: In dem Text Deutsches Südostschicksal im jüngsten Sudeten- und Ostmarkschrifttum (1939) liest man: Auch in der Ostmark ist ein Krankheitszustand der Sonderung und Verbannung, des Lugs und Scheins in sich zusammengestürzt. Es gibt künftighin auch keine deutschösterreichische Art und Kunst, die sich wesenhaft absetzen liesse. Das nur-Österreichische an etwa Raimund oder Nestroy, Josef Lanner und den beiden Johann Strauss, das alt-österreichische Barock hat seine Schuldigkeit getan und will in Ehren gehalten, nicht weiter nachgeahmt werden. Alle lebendigen Überlieferungen der Alpenländer rufen nach gesamtdeutscher Einverleibung. Was ganz hoch emporwuchs aus diesem Boden, schlug immer schon kühne Brücken […] ins volksdeutsche Ganze; so Grillparzer und Stifter, so Mozart und Schubert und Bruckner […] Nur im volksdeutschen Gesamt kann die Ostmark sowohl ihr Vermächtnis hüten als auch ihre übergreifende Geltung behaupten – ihre Bestimmung, deutsches Volkstum offen in den Südosten ausstrahlen […]. (Cysarz 1939: 87)

Eine solche tendenziöse Begriffsbestimmung musste sich jedoch auch mit anderen Literaturphänomenen abfinden: Wo ist dann zum Beispiel die deutschjüdische Prager Literatur einzugliedern? Wenn wir uns auf Cysarz selbst und seine wissenschaftliche Autobiographie, die 1976 unter dem Titel Vielfelderwirtschaft. Ein Werk- und Lebensbericht erschienen ist, verlassen, so ist Cysarz einer der ersten, der auf die „weltgeschichtliche Grösse von Franz Kafka“ (Cysarz 1976: 167) aufmerksam machte. In dem einschlägigen Text – es handelt sich wieder um seine Einleitung zur studentischen Gedichtsammlung aus dem Jahr 1934 – kann man tatsächlich lesen: Kafka dünkt uns eine der ragendsten, wenn nicht die ragendste Gestalt des jüdischen Schrifttums seit Spinoza. Das Deutsch Franz Kafkas bleibt vollkommen neutral; unter den Neueren ist er der vielleicht einzige große Dichter, der ohne Schaden ins Esperanto, zumindest ins

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Lateinische übersetzt werden könnte […] bei allem Prager und selbst alt-österreichischen Anflug wäre seines Wesens Wesen auch in Asien, im Altertum möglich. Kafkas erzählende Gleichnisse spielen nirgends und gelten überall […]. (Cysarz 1934a: 13)

Diese Charakteristik Kafkas ist innerhab des Textes selbst als auch im Zusammenhang mit Cysarz’ Literaturverständnis jedoch nicht auschließlich positiv zu deuten. Es scheint eher, dass Kafka, den man laut Cysarz problemlos ins Esperanto oder Latein übersetzen könne, in dem Text als eine eher undeutsche Erscheinung aufgefasst wurde. Noch eindeutiger erscheint die Bewertung Kafkas in einer Reformulierung der Charakteristik der deutschjüdischen Prager Literatur aus dem Jahr 1939: Die lauteste Schar hat dem Expressionismus das Prager Judentum gestellt. Doch eben wo das Judentum sich mächtig fühlt wie hier, geht es in keinem Stil und kein Zeitgefühl seines Wirtsvolks auf. Es schliesst sich allem Großstadtschrifttum an, verkostet alle Gifte der Dekadenz (um sie anderen einzuflößen), nimmt leidenschaftlich am Hexensabbat des Umsturzes teil. Im Grund aber sucht es sich selbst. Ihm ist der Asphalt Heimat; wie es ja auch im zwischenvolklichen Zwielicht zuhause ist und im ‚Kosmischen‘ seine eigene zeitlose Allzeitgemässheit entdeckt. So bleibt der echteste der Prager Juden, Franz Kafka, der treueste Sohn des seelischen Ghettos. Er hält es weniger als alle mit einer Anbiederung, die jüdische Interessen für Demokratie oder Ähnliches ausgibt; eher umgekehrt mit der Ausbürgerung, die allein einem Fremdkörper die ihm gemässe Lebenslust sichern kann. Kafka schreibt Deutsch, als wäre es Volapük. (Cysarz 1939: 66)22

Statt der Autoren der deutsch-jüdischen Prager Literatur, die nicht zur sudetendeutschen Literatur zu zählen seien, werden als ihre Vorläufer Adalbert Stifter oder Franz Grillparzer genannt und vor allem zeitgenössische Autoren wie Hans Watzlik, Bruno Hans Wittek, Karl Franz Leppa, Hans Deißinger oder Wilhelm Pleyer wurden ihr zugeordnet (Cysarz 1935b). Kann man aus den Texten von Cysarz aus den 1930er Jahren jedoch auch auf seine politischen Ansichten schließen? Warum nicht – wurden doch die hier erwähnten Texte mit eindeutiger politischer Absicht geschrieben und waren für ein breiteres Publikum bestimmt. Unter diesem Gesichtspunkt stehen sie im Zusammenhang mit der Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses zu dieser Zeit. In der Mitte der 1930er Jahre sprach sich Cysarz, übrigens ganz im Einklang mit der damaligen offiziellen Politik der SdP, noch für eine sudetendeutsche Autonomie aus – innerhalb der Tschechoslowakischen Republik.23 Die 22  Die Kunstsprache Volapük stellte für Cysarz ähnlich dem ‚Esperanto‘ das Symbol einer entwurzelten Sprache, die nur auf ihre rein kommunikative Funktion begrenzt ist, dar. 23  „Es gibt unter uns keinen Willen zur volklichen Lebenshaltung, der nicht zugleich den Willen nach der Neuordnung auch der Beziehungen von Volk zu Volk einschlösse; keinen

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nationale Autonomie, beruhend auf dem Prinzip eines natürlichen ethnischen Kollektivrechtes, sollte zu einer Gesundung und Normalisierung eines neu zu definierenden deutsch-tschechischen Verhältnisses beitragen und dadurch die beiderseitige Verständigung erleichtern: Schluss […] mit jenen schein-versöhnlichen Klischees, die alle wesentlichen Eigenschaften beider Völker verleugnen, um gleichsam in dem vergnüglichen Typus eines abstrakten ‚Böhmen‘ oder gar ‚Tschechoslowaken‘ mit doppeltem Wortschatz zu gipfeln. Wir wünschen keine neuen Alfred Meissner oder Rudolf Glaser. Wir wollen, dass im Schrifttum Volk und Volk einander unvermischt und unverwischt, hart und offen ihr Wesen erschliessen. (Cysarz 1934a: 19)

In diesen Ideenkontext passt seine Teilnahme an einem Zusammentreffen der Studenten der beiden Prager Universitäten in der Stadtbibliothek am 9. Mai 1935, auf dem František X. Šalda über die tschechische Gegenwarts- und Cysarz über die sudetendeutsche Literatur referierten.24 Doch im Jahr 1938, das sudetendeutsche „Jahr 1“ (Cysarz 1938d: Vorwort), wurde diese Problemstellung radikal anders gelöst. Cysarz, wie auch eine ganze Reihe seiner Universitätskollegen, konnten ihre Begeisterung nicht verbergen. In seiner Rede Sudetendeutschland in der volksdeutschen Gesamtfront vom Herbst 1938 erklärte er: Sudetendeutschland ist neu erstanden. Sudetendeutschland ist gewesen. Die Vaterlosen, Vaterlandslosen […] sind Kinder des Hauses und Bürger der Festung geworden. Schon wogt und schäumt jeder Tropfen unscheidbar im Strom eines neuen Zeitalters. Durch die zerwühlten und zerschrammten Sudetengaue marschiert in fortan gemeinsamen Waffen das deutsche Gesamtvolk […] nun gibt es hier überall nur noch Grossdeutschland […] Wir haben Jahr um Jahr ein Gefüge unserer Volksgruppe organisiert, das dem Deutschen Reich nur eben einverleibt werden mußte […] Und wir hatten und haben in unserem Konrad Henlein einen würdigen Statthalter des Führers aller Deutschen. Jeder von uns war angetreten, jeder bereit. Ein Führerwort – und das Ganze marsch! (Cysarz 1940: 9)

Den künftigen Dingen hat er 1938 enthusiastisch entgegengesehen: unbezwinglich die Zuversicht auf das grosse Reich und seine Führung, den Führer und seinen Stern. Eine neue Gewissheit fasst alle Deutschen der Erde in eine Feuergarbe des Lebens […] Heil ihr, Heil uns, Heil Deutschlands aufgehendem Jahrtausend! (Cysarz 1940: 25) Aufbruch des Volksbewußtseins, der nicht auch Verständigung suchte, der nicht über sich selbst hinaus zielte, nicht letzlich für das Recht, die Wahrheit und Sittlichkeit aller zeugte. Die Fragen des rechtlichen, ehrenhaften Zusammenlebens müssen nun einmal gelöst werden […] In ganz Mitteleuropa ist keine Grenzziehung denkbar, die alle Nachbarn reinlich schiede und übergreifende Ordnungen entbehrlich machte. Auch diese aber setzen die volkliche Selbstentfaltung und Selbstverteidigung voraus.“ (Cysarz 1935c: 59) 24  Die Vorlesung von Cysarz ist in der Zeitschrift Der Ackermann aus Böhmen 1935 unter dem Titel Sudetendeutscher Längsschnitt erschienen (Cysarz 1935b).

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Herbert Cysarz ist eine faszinierende und zugleich irritierende Persönlichkeit der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Sein Weg zu einer eindeutig politischen Instrumentalisierung seiner Fachkenntnisse lässt viele Übereinstimmungen mit anderen Prager deutschen Universitätsprofessoren erkennen. Man kann daher vermuten, dass die Bereitschaft, die Wissenschaft für aktuelle politische oder vermeintlich gesamtnationale Erfordernisse nutzbar zu machen oder sogar die Bezauberung durch den Nationalsozialismus unter den national orientierten Professoren an der DUP Ende der 1930er Jahre ein Gemeingut war. Ein solches Paradigma ist nicht nur als ein spezifisches Fach- und Wissenschaftsverständnis wahrzunehmen, sondern darüberhinaus als ein Ideenkontext, in welchem die Professoren ihr politisches Verhalten formulierten, sowie als ein Sozialmilieu, in welchem sie sich untereinander begegneten und Forschungs- sowie Personennetzwerke bildeten, zu verstehen. Die Cysarzsche Zuordnung (und zugleich Begriffsbestimmung) einer sudetendeutschen Literatur ist ein tragendes Beispiel einer solchen Verflechtung von Politik, Ideologie und Wissenschaft. Sie stellt in keinem Falle nur eine wissenschaftliche Kategorie dar; von Bedeutung ist ihre identitätsstiftende und handlungsmotivierende Funktion für die damalige sudetendeutsche Gemeinschaft. Wie man sich diese Identität inhaltlich vorzustellen habe, zeigt jedoch nicht nur ihre positive Konnotation, d. h. die von Cysarz zu Grunde gelegte Galerie der Klassiker einer sogenannten sudetendeutschen Literatur, sondern auch ihre Eingrenzung – der Ausschluss einer ganzen Reihe von deutschsprachigen Texten aus den Böhmischen Ländern. Beide Seiten lassen auf einige Schlüsselbegriffe seiner Definition der sudetendeutschen Literatur schließen. Es handelt sich vor allem um Begriffe wie ‚Volkstümlichkeit‘, ‚Bodenständigkeit‘, denen die negativ wahrgenommenen und oftmals von Cysarz selbst gebildeten, bzw. umgedeuteten Begriffe wie ‚Fellachentum‘, ‚Esperanto‘ aber auch ‚jüdisch‘ gegenübergestellt wurden. Es zeigte sich darüber hinaus, dass der Cysarzsche Ansatz in der Literaturwissenschaft, den er, wie am Anfang hervorgehoben wurde, erst im Prager Kontext konzipierte, eine Vollendung und Synthese mehrerer Traditionen, vor allem einer schon seit der Sauerschen Rektoratsrede lebendigen Prager ‚stammlichen‘ und durch die Volkskunde inspirierten Tradition war. Als solcher stellt er eine Variante des Verständnisses von sudetendeutscher Kultur und des Sudetendeutschtums im Allgemeinen dar, das man als Gegen-

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modell zu einem weitaus offeneren Verständnis begreifen kann, welches eine Loyalität dem tschechoslowakischen Staat gegenüber nicht ausschließt und welches die sudetendeutsch-tschechische Zusammenarbeit oder sogar vielleicht eine sudetendeutsch-tschechische Symbiose positiv bewertet. So stand er im Gegensatz zu anderen Prager deutschen Slavisten und vor allem Franz Spina.

Quellen

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Literatur

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Ota Konrád

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Herbert Cysarz: von der barocken zur sudetendeutschen Literatur

313

Konrád, Ota (2009): „Denn die Uneignung der slawischen Völkergruppe bedarf keines Beweises mehr“. Die ‚sudetendeutsche Wissenschaft‘ und ihre Einbindung in die zeitgenössischen Diskurse 1918-1945. – In: Schachtmann, Judith/Strobel, Michael/Widera, Thomas (Hgg.), Politik und Wissenschaft in der prähistorischen Archäologie. Perspektiven aus Sachsen, Böhmen und Schlesien. Göttingen: V & R, 69-98. Lohmann, Nina (2004): Wilhelm Wostry und die ‚sudetendeutsche‘ Geschichtsschreibung bis 1938. – In: Acta Universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 44, 45-145. Lozoviuk, Petr (2008): Interethnik im Wissenschaftsprozess. Deutschsprachige Volkskunde in Böhmen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen. Leipzig: Universitätsverlag. Müller, Dorit (2006): Das Konzept einer ‚Gesamtwissenschaft‘ bei Herbert Cysarz. – In: Euphorion 100, 79-108. Pfitzner, Josef (1937a): Sudetendeutsche Geschichte. Reichenberg: Kraus. Pfitzner, Josef (1937b): Sudetendeutsche Einheitsbewegung. Werden und Erfüllen. Karlsbad: Frank. Pfitzner, Josef (1938a): Die Entwicklung des Gesamtbildes sudetendeutscher Geschichte. – In: Zeitschrift für sudetendeutsche Geschichte 2, 273-292. Pfitzner, Josef (1938b): Das Sudetendeutschtum. Köln: Schaffstein. Sauer, August (1925): Literaturgeschichte und Volkskunde. Rektoratsrede gehalten in der Aula der Deutschen Universität in Prag am 18. November 1907. Zweite unveränderte Ausgabe mit einem Nachwort von Dr. Georg Stefansky. Stuttgart: Metzler. Schulze Wessel, Martin (2004): ‚Loyalität‘ als geschichtlicher Grundbegriff und Forschungskonzept: Zur Einleitung. – In: Ders. (Hg.), Loyalitäten in der Tschechoslowakischen Republik. Politische, nationale und kulturelle Zugehörigkeiten. München: Oldenbourg, 1-22. Smelser, Ronald M. (1980): Das Sudetenproblem und das Dritte Reich 1933-1938. Von der Volkstumspolitik zur Nationalsozialistischen Außenpolitik. München: Oldenbourg.

Roman Jakobson

Fr. Spina als Wissenschaftler Das gründliche Studium der slavischen und deutschen Philologie an den Universitäten Wien und Prag, ebenso die vollkommene Kenntnis der sprachlichen und literarischen deutschen und tschechischen Entwicklung und der weite kulturelle und sozialpolitische Blick, das alles prädestinierte Spina zur durchdringenden theoretischen und praktischen Arbeit auf dem Felde jener brennenden Fragen, die der verstorbene Gelehrte und Politiker die „tschechisch-deutsche Symbiose“ im Rahmen des tschechoslowakischen Ganzen und das Verhältnis dieses „kulturell und wirtschaftlich über den sprachlichen Dualismus hinaus“ einheitlichen Ganzen zum kulturellen Geschehen des Deutschen Reiches und Westeuropas überhaupt nannte. Er vermochte unvoreingenommen den epochalen religiösen und sozialen Beitrag des tschechischen Hussitismus für die deutsche Reformation und die reichen Impulse der deutschen Renaissancekultur für das tschechische geistige Leben des 16. Jahrhunderts zu würdigen. Gerade durch zwei bedeutende Publikationen über den tschechischen Buchdruck in Nürnberg zu Beginn jenes Jahrhunderts und über den bedeutendsten dieser Drucke, das Volksbuch Frantova práva, zeichneten sich die ersten Jahre (1906-1909) von Spinas Tätigkeit an der Prager Deutschen Universität aus. Genauigkeit und Scharfsinn der philologischen Analyse, die durchgehende Anwendung der vergleichenden Methode und der beständige Blick auf die gesamte kulturelle Entwicklung der Zeit, die für die Untersuchungen über das genannte burleske ‚Denkmal‘ und über Hans Sachs in altčechischem Gewande (1910) charakteristisch sind, gipfelt [sic] in der beispielhaften Edition und Erklärung des Gipfelwerkes aus der Gipfelzeit der alttschechischen Dichtung (1913). Zu Recht vergleicht Spina dieses Werk der Karlszeit, die große Katharinenlegende, mit den kostbarsten Kleinodien der gleichzeitigen deutschen Dichtung. Er erwies die Unabhängigkeit der alttschechischen Dichtung von den deutschen Bearbeitungen dieser Legende, ermittelte die lateinische Vorlage, auf die sich der tschechische Dichter in einem Teil seines Werkes stützt, machte auf die ursprünglichen Bestandteile aufmerksam, brachte scharfsinnig die Himmelsvision der Heiligen mit der Ausschmückung der Kapelle auf dem Karlstein zusammen, trennte den sprachlichen Beitrag der Schreiber von den Eigentümlichkeiten des dichterischen Werkes und zeigte ein feines Gefühl für den künstlerischen Wert gotischer Poesie. Spina widmete der dichteri-

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Roman Jakobson

schen Form mittelalterlicher tschechischer Dichtungen in ihrem Verhältnis zu den Gestaltungsmitteln der zeigenössischen lateinischen Wortkunst stets größere Aufmerksamkeit, wie das vor allem die Studie zum ältesten ‚Denkmal‘ der tschechischen gotischen Poesie, dem sog. Ostrower Lied, zeigt (1920). Im ersten Jahrgang der Slavia warf er programmatisch die aktuellen Fragen der Forschung zum altpolnischen Vers auf. Die Arbeit über seine eigentümlichsten Formen und ihre einzigartig schnelle Entwicklung und ihren Höhepunkt im Schaffen Kochanowskis wurde durch Spinas politische Tätigkeit unterbrochen. Er kehrte zwar heuer zu seinen reichen Exzerpten und Skizzen zurück, doch war es ihm nicht vergönnt, diese Studie, unternommen auf einer breiten vergleichenden Grundlage, zu vollenden. Die Jahre unermüdlicher staatlicher Arbeit konnten Spinas wissenschaftliche Tätigkeit jedoch nicht zum Stillstand bringen. Unermüdlich schritt er in seinen Universitätsvorlesungen voran; die wissenschaftliche Revue Germanoslavica, begründet und redigiert von dem Slavisten der Deutschen Universität Spina und dem Germanisten der Karlsuniversität Janko, sollte nach Spinas Absicht jenes großzügige Programm verwirklichen, das ein Vierteljahrhundert zuvor seine Einführung zu den Beiträgen zu den deutsch-slawischen literarischen Beziehungen gebracht hatte; die Slavische Rundschau, die er vor gerade zehn Jahren mit seinem damaligen eifrigen Anhänger und Schützling Gesemann begründete, verbindet beide Seiten von Spinas Tätigkeit: Sie vereint nach seinem Plan das Heute mit der historischen Tradition und gibt einen kritischen Überblick über das kulturelle Schaffen der slavischen Länder in ihrem Verhältnis zur Weltkultur. Der Sammelband mit Beiträgen zur älteren Geistesgeschichte der westslavischen Völker, der unter Beteiligung zahlreicher tschechoslowakischer, polnischer und westlicher Gelehrter am 5. Oktober Spinas 70. Geburtstag feiern sollte, wird leider sein Nachruf. Aus dem Tschechischen von Ludger Udolph

Abbildungsnachweise Die Abb. 1-7, 16-19, 21-22, 24-28 stammen von den beiden Enkelinnen Franz Spinas, Ingeborg Götz und Gertraut Rampl (München). Abb. 8 ist entnommen aus Scholz, Hugo (Hg.) (1928), Franz Spina als Politiker, Wissenschaftler und Mensch. Hrsg. anläßlich seines 60. Geburtstages. Braunau i.B.: Scholle. Die Abb. 9-12 wurden von Harald Lönnecker zur Verfügung gestellt. Abb. 13 ist entnommen aus dem Nachdruck Franz Spina (1975): Die alttschechische Schelmenzunft Frantova Práva. Hildesheim: Gerstenberg. Abb. 14 und 15 stammen aus dem Nachlass Franz Spinas und wurden vom Collegium Carolinum zur Verfügung gestellt. Abb. 20 entnommen aus Rainhard Riepertinger (Hg.) Bayern und Böhmen. 1500 Jahre Nachbarschaft. Hrsg. von Rainhard Riepertinger, Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2007 (Zwiesel). Abb. 23. ist entnommen aus Sobota. Týdeník pro politiku, sociálni otázky, hospodařství a kulturu [Samstag. Wochenblatt für Politik, soziale Fragen, Wirtschaft und Kultur] , Jg. 1. Praha (Melantrich) 1930, 673. Für den Hinweis danken die Hrsg. Václav Petrbok.

Für die Hilfe bei der Identifikation der Kabinettsmitglieder danken die Hrsg. Robert Luft vom Collegium Carolinum.

Abkürzungsverzeichnis

a. B.

aktiver Bursche

a. F. AfslPh a. H., A. H. A. H. C. AKPR

aktiver Fuchs Archiv für slavische Philologie alter Herr Altherrenconvent Archiv kanceláře prezidenta republiky [Archiv der Kanzlei des Präsidenten der Republik]. Archiv ministerstva zahraničních věcí [Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten] Archiv University Karlovy [Archiv der Karlsuniversität] Bursche Bundesarchiv, Koblenz Bundesarchiv, Berlin Bund der Landwirte Burschenschaft der Ostmark Burschenschaft der Sudetenländer Burschenschaftliche Historische Kommission Český časopis historický [Čechische historische Zeitschrift] Časpis Českého muzea [Zeitschrift des böhm./čech. Museums] Československá republika [Tschechoslowakische Republik] Deutsche Akademikerschaft Deutsche Agrarpartei in Böhmen Deutsche Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft Deutsche Christlichsoziale Volkspartei Deutsche Nationalpartei Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei Zarncke, Friedrich (1857): Die Deutschen Universitäten im Mittelalter. I. Leipzig: Weigel Deutsche Universität Prag

AMZV AUK B. BArch BArchB BdL BdO BdS BHK ČČH ČČM ČSR DA DAiB DAWG DCV DNP DNSAP DSAP DU DUP

320 DuQ FP GfbG GVAB IAB KUP LDC LF MVGDB NaP NSAHB NSDAP PA PA Cysarz SdP SHF SÚA TU UA Wien UGV VAB VABÖ WienB xx

Abkürzungsverzeichnis

Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert Frantova Práva Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung Gesamt-Vereinigung Alter Burschenschafter Internationales Agrarierbureau Karlsuniversität Prag Linzer Delegierten-Convent Listy filologické Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen Národní archiv Praha Nationalsozialistischer Altherrenverband Nationalsozialistische Partei Deutschland Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Personalakte Herbert Cysarz Sudetendeutsche Partei Sudetendeutsche Heimatfront Státní ústřední archiv [Staatliches Zentralarchiv] k.k. Deutsche Technische Universität Prag Universitätsarchiv Wien Universitäts-Gesangverein Vereinigung alter Burschenschaften Verband Alter Burschenschafter Österreich Wienbibliothek im Rathaus Fechtwart

Personenregister

Albrecht, Hugo 15 Amberger, Heinz 169, 171 Arndt, Ernst Moritz 194 Arnoldi, E. 287 Ash, Mitchell G. 9 Atze, Marcel 97 Aubin, Hermann 305 Augustin, Hans 286 Bach, Alexander Freiherr v. 172 Bachmann, Harald 11, 44f., 76, 78, 100, 111, 117, 262 Bączkowski, Włodzimierz 242, 246, 251, 253 Baczyński, Stanisław 248 Badeni, Kasimir Felix 39, 105 Baeran, Alois 199ff. Bahr, Hermann 22, 67 Bakke, Elisabeth 261 Balder, Hans-Georg 169, 171 Bareuther, Ernst 174 Bary, Anton de 263f. Batka, Richard 101 Baxa, Karel 24 Bebel, Heinrich 216, 219 Becher, Peter 24, 297, 299, 302 Beck, Max Wladimir v. 111 Beneš, Edvard 133, 261, 268 Bennett, Alfred William 264 Berger, Tilman 97 Berka, Günther 169, 199 Berneker, Erich 39ff., 101, 106, 221ff., 281, 292 Bezruč, Petr 43 Bidlo, Jaroslav 253f. Binder, Harald 105

Bismarck, Otto v. 14, 179, 273 Bittner, Konrad 44, 92, 286 Bláhová, Kateřina 105 Bluhm, Harald 9 Bobrakov-Timoškin, Aleksandr 244 Bohatcová, Mirjam 52 Bolte, Johannes 53 Bolzano, Bernard 17 Boyer, Christoph 128, 130, 187 Brackmann, Albert 305 Bradáč, Bohumil 87, 89, 159 Bradley, Henry 264 Brandes, Detlef 30, 128 Brant, Sebastian 217 Braun, Karl 54, 72, 78, 217 Braun, Maximilian 286 Bräunlich, Kurt 205 Brecht, Walter 299 Březina, Otokar 43 Brod, Max 29 Bruck, Arthur Moeller van den 198 Brückner, Alexander 214, 222, 287 Bruckner, Anton 306 Brügel, Johann Wolfgang 31 Brunar, Heinrich 270, 272f. Bußmann, Walter 261 Bumba, Josef 188 Bumba, Margarete, geb. Spina 187 Buquoy, Ferdinand Graf 146 Burkhardt, Jakob 53 Burdach, Konrad 52, 231 Burger, Hannelore 105 Bürger, Gottfried August 231

Caperos, Manuel Montesinos 217 Carossa, Hans 301 Čech, Svatopluk 228 Čelakovský, Ladislav 228 Chamberlain, Houston Stewart 176 Chelčic, Peter v. 51 Christelius, Bartholomäus 301 Ćišinski, Jakub Bart 43 Clam-Martinic, Heinrich 267 Clewing, Karl 181f. Cohen, Gary B. 12 Comenius, Johann Amos 51 Corneille, Pierre 233 Coudenhove-Kalergi, Richard Graf 252 Courtenay, Jan Ignacy Niecisław Baudouin de 254 Craigie, William A. 264 Csáky, Moritz 12 Cummins, George M. 55 Cysarz, Herbert 297, 299309 Čyževs’kyj, Dmytro 286f. Czech, Ludwig 261 Czedik v. Bründlsberg u. Eysenberg, Alois 111 Czerny, Alois 104f., 283 Dachsel, Wolfgang 169, 171 Daiber, Thomas 219 Dal’, Vladimir I. 223 Daňhelka, Jiří 55 Danilevskij, Nikolaj 253 Deißinger, Hans 307 Dickstein-Wieleżyńska, Julja 250, 287 Diels, Paul 39

322 Dobrovský, Josef 229f., 286 Doeberl, Michael 169, 171, 195, 197 Dolch, Walter 52 Dostoevskij, Fëdor Michajlovič 248f., 255 Dumreicher, Armand Freiherr v. 13 Droßbach, Max 169 Dvorak, Helge 169, 184, 187, 197, 199 Dyk, Viktor 43 Dziewanowski, Marian 247 Efimov, Boris 224 Ehlers, Klaas-Hinrich 10f., 76, 82, 88, 282, 288, 298 Eichler, Ernst 81 Eis, Gerhard 48 Eisenmnn, Louis 248 Eisner, Paul (Pavel) 42f., 51, 67f., 88, 99, 282f. Enhuber, Emil 134 Erasmus v. Rotterdam 217 Erben, Karel Jaromír 55 Ernst, Erhard 301 Ernst, Paul 301 Eugen Franz, Prinz v. Savoyen-Carignan 68 Euripides 233 Fabricius, Wilhelm 169 Feichtinger, Johannes 9, 12 Fichte, Johann Gottlieb 194 Fielitz, Wilhelm 265 Fischer, Josef 143 Fischer, Otokar 98 Fischer, Rudolf 44, 81, 106, 262, 282f. Flaška, Smil 41 Fleischmann, Ingrid 17, 105 Flora, J. 88f. Flusser, Gustav 73f., 76 Francev, Vladimir Andreevič 44 Frank, Albert Bernhard 263

Personenregister Frank, Karl Hermann 134, 275 Franke, Emil 261 Fritz, Gerd 263 Fuchs, Anton Gustav 107 Fürst, Rudolf 101 Gagern, Heinrich v. 194 Garlik, Karl 134 Gärtner, Ludwig 190 Gasimov, Zaur 252 Gaube, Karl 16f. Gebauer, Jan 39, 103, 234f. George, Stefan 301 Gesemann, Gerhard 11, 39f., 42ff., 90, 92f., 244ff., 252f., 281-292 Gesemann, Wolfgang 292 Gierach, Erich 78, 289f., 305 Giuliani, Rita 249 Gladen, Paulgerhard 169, 171 Glanc, Tomáš 44 Glaser, Rudolf 308 Gleim, Johann Wilhelm Ludwig 231 Gobineau, Joseph Arthur de 176 Godau, Jeannette 106 Goethe, Johann Wolfgang v. 20, 101, 235 Goll, Jaroslav 71, 74, 102, 146 Gollwitzer, Heinz 142 Golücke, Friedhelm 180 Gor’kij, Maksim 250 Greule, Albrecht 17, 105 Gribus, Bartholomäus 216f. Grillparzer, Franz 68, 306f. Grimm, Hans 198 Grosser, Otto 91f. Gryphius, Andreas 45 Gundolf, Friedrich 300 Hacker, Gustav 155 Hadler, Frank 298, 305

Hagedorn, Friedrich v. 231 Hahn, Karl 301 Hájek, Jan 93, 145 Hálek, Vítězslav 228 Hanika, Josef 286 Hanslick, Erwin 21 Hanuš, Josef 103, 230, 233 Hattala, Martin 39 Hauffen, Adolf 83, 100, 195, 285 Hauske, Hans 169 Hausmann, Frank-Rutger 290 Havel, Vávlav 276f. Havlíček, Karel 68, 228 Havlin, Michael 26, 43 Havránek, Jan 301 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 10, 286, 289 Heger, Michael 283 Heine, Erwin 193 Heinrich, Georg 157 Hejnic, Josef 54 Heller, Franz 149 Henlein, Konrad 30, 90, 128, 134ff., 261, 275f., 283, 289, 306 Herder, Johann Gottfried 27, 286 Herzog, Roman 277 Heydrich, Reinhard 290 Hess, Rudolf 223 Hensel, Walther 99 Hilf, Rudolf 262 Hilsner, Leopold 24 Hitler, Adolf 223, 288 Hock (Hoeck), Theobald 103, 301 Hodáč, František 132 Hodža, Milan 136, 162, 261 Hoffmann, Roland J. 102 Höfler, Adolf Konstantin Ritter v. 195 Hofmannsthal, Hugo v. 22, 49, 51, 67f., 71-76, 118 Höller, Franz 302

323

Personenregister Holzinger, Carl 40 Höhne, Steffen 14, 20, 22 Hopf, Wilhelm 190 Horpynka, Otto 274 Hroch, Miroslav 241 Hruza, Karel 305 Hübl, Karl 86 Hugo, Jan 216 Hujer, Oldřich 43 Hultsch, Anne 42 Hus, Johannes (Jan) 51 Hyršlová, Květa 233 Hýsek, Miloslav 114 Illovy, Rudolf 22 Ifkovits, Kurt 69 Ippolitov, S. S. 245 Jagić, Vatroslav 100, 230 Jahn, Friedrich Ludwig 194 Jančík, Drahomír 145 Janko, Josef 105, 282, 316 Janov, Matthäus v. 51 Jakobson, Roman 42ff., 5659, 93, 245, 247, 250f., 256, 285, 287, 289, 291 Jaksch, Wenzel 268 Jakubec, Jan 18, 46, 56, 115, 233f. Janausch, Josef 149, 153, 156 Janiczek, Julius 99 Jaworski, Rudolf 12 Jech, Jaromír 221 Jesenská, Milena 24 Jess, Hartmut H. 169, 171 Jesser, Franz 11, 69f., 72, 78, 99f., 144f., 157f., 265 Jílek, Linhart 216, 221 Jirásek, Alois 101 Jirát, Vojtěch 298 Joseph II. 305 Jung, Rudolf 73, 199f., 274 Jung, Thomas 23 Jungbauer, Gustav 304 Jungmann, Josef 223

Kafka, Bruno 73 Kafka, Franz 24, 306f. Kallina, Othmar 197, 199ff. Kappel, Karl 199 Kapper, Siegfried 305 Karl IV. 56 Keibel, Josef 267, 274 Kelle, Johann 100, 235 Keller, Otto 83 Kirkness, Allan 263f. Kislinger, Josef 132 Kleist, Heinrich v. 101, 114 Klínková, Hana 97 Knauer, Alois 44, 262, 282 Knoblich, Hermann Hubert 188f. Kochanowski, Jan 316 Kohn, Hans 242f., 254 Kolár, Jaroslav 53f., 214f., 218, 220 Kolář, Pavel 298, 305 Kolbenheyer, Erwin Guido 198 Kollár, Jan 233 Kolowrat, Leopold Graf 146 Koning, Niek 142 Konrád, Ota 289, 298 Köpplová, Petra 22, 106 Korkisch, Gustav 105 Kornat, Marek 246 Korodi, Lutz 109 Koser, Reinhold 194 Koselleck, Reinhart 263 Köster, Rudolf 222 Kotzebue, August v. 194 Kracik, Jörg 23, 30, 133, 135 Kramář, Karel 49 Krätschmer, Franz 201 Kraus, Arnošt Vilém 45, 78, 90, 102f., 111, 117 Kraus, Karl 41 Kreibich, Karl 73 Kreißl, Anton 197, 199f. Krejčí, Jan 54, 59, 97, 101, 103

Krempel, Lothar 187 Křepek, Franz 24f., 27, 143, 146, 150, 157 Kretschmer (Krječmar), Nikolaus (Mikławš) 43 Křivohlavá, Barbora 105 Krumbacher, Karl 40, 47, 117 Krywalski, Diether 99, 288 Kubů, Eduard 24, 128, 145, 162 Kučera, Jaroslav 29, 128 Kučera, Karel 301 Kudělka, Milan 238 Kuhn, Heinrich 144 Kulakovskij, Sergej 249f. Kundt, Ernst 136 Kunstmann, Heinrich 55 Kursell, v. 290 Kuße, Holger 47 Kvapil, Jaroslav 69, 71 Lambel, Hans 100 Lanner, Josef 306 Lârrouse, Pierre 264 Ledebur-Wicheln, Eugen 132 Lehár, Jan 57f. Lehmann, Emil 78 Lehnert, Wolfram (Wenzel) 26 Lehr-Spławiński, Tadeusz 287 Lemberg, Eugen 78, 286 Lemcke, Carl 299 Lenin, Vladimir Il’ič (Ul’janov) 251 Leont’ev, Konstantin Nikolaevič 253 Leppa, Karl Franz 307 Leskien, August 292 Leśmian, Bolesław 249 Lessiak, Primus 43 Lessing, Gotthold Ephraim 232f. Liebig, Theodor 136

324 Liewehr, Ferdinand 43f., 84, 285 Ljackij, Evgenij Aleksandrovič 44 Link, Elisabeth 263f. Linz, Norbert 23-26, 144, 146f., 150, 152, 156, 159 Locher, Torsten 169, 171 Lodgmann von Auen, Rudolf 25, 70f., 73, 89 Lohmann, Nina 298, 305 Lönnecker, Harald 10, 157, 169, 171-178, 182-190, 192f., 194-201 Łoś, Jan 58 Lozoviuk, Petr 298 Ludkiewicz, Zdzislaw 255 Ludwig, Alfred 39 Luft, Robert 9f., 17, 45, 98, 105 Luther, Martin 53, 182 Machar, Josef Svatopluk 43 Máchal, Josef 233 Macura, Vladimír 51 Mamoulia, Georges 246 Mantuan Fenzl, Johann 215f., 221 Marek, Michaela 12 Marek, Pavel 105 Maria Theresia v. Habsburg 68, 305 Marrs, Wilhelm 176 Martínková, Jana 105 Marx, Karl 289 Masaryk, Tomáš Garrigue 18, 25, 45, 72, 102, 116, 133, 254ff. Masaryková, Alice 132 Mášová, Hana 188 Mathesius, Vilém 287 Mayer, Josef 143, 150, 157 Mayr-Harting, Robert 76, 132, 161, 269, 274f. Maximilia I. 53 Meinecke, Friedrich 194

Personenregister Meinert, Josef Georg 286 Méline, Jules 146 Meissner, Alfred 308 Meyer, Arnold Oskar 290 Mickiewicz, Adam 249, 255f. Mikulicz, Sergiusz 246 Milíč v. Kremsier, Johann 51 Miljuskov, Paul (Pavel) 248 Mišková, Alena 10 Mohammed 31 Molière 233 Morgenstern, Christian 301 Mozart, Wolfgang Amadeus 306 Murko, Matthias (Matija) 51, 81f., 287 Murner, Thomas 217 Murray, James 264 Mühlberger, Josef 29, 99 Müller, Dorit 297 Müller-Doohm, Stefan 23 Mutschler, Martin 97 Nadler, Josef 73 Naumann, Friedrich 20, 48, 118, 252 Nechutová, Jana 51 Nekrasov, Aleksej Ivanovič 287 Nekuda, Vladimír 99 Nekula, Marek 12, 17, 105 Němec, Mirek 99 Neruda, Jan 228 Nestroy, Johann 306 Neuhausen, Franz 288 Neurath, Wolfgang 187 Neuwirth, Joseph 56 Niederle, Lubor 19, 44, 97 Nortmeyer, Isolde 263f. Novák, Arne 18, 46, 48, 53f., 56, 59, 104, 114f., 230 Nováková, Teréza 104 Oberpfalcer, František 222 Oestermann, Hugo 107 Onion, Charles T. 264

Otto, Ernst 288 Pacher, Raphael 174 Palacký, František 18, 48, 68, 233, 237 Paleczek, Raimund 277 Pannwitz, Rudolf 246, 252f., 301 Pasteur 117 Pátek, Jaroslav 128 Pavlovskij, Ivan J. 223 Pazi, Margarita 277 Pečirka, Jaromír 55 Pekař, Josef 230 Pelcl (Pelzel), František Martin (Franz Martin) 286 Perek, Václav 106 Pernerstorfer, Engelbert 18, 99 Peroutka, Ferdinand 237 Peschka, Franz 23, 144, 147f., 158, 165, 187 Peschka, Rudolf 187 Pešek, Jiří 10, 45 Peter I. der Große 245 Peterle, Franz 149f. Petrbok, Václav 39, 44f., 51, 99, 105, 110, 114, 230, 236 Petrů, Eduard 55, 57 Pfitzner, Josef 78, 90, 254, 298, 305 Piłsudski, Józef 242, 246f., 255f. Pius X. 183 Pleyer, Wilhelm 307 Poniatowski, Stanisław 251 Posselt, Bernd 276 Prášek, Karel 150 Prokop, P. Dominik OSB 103 Puchmajer, Antonín Jaroslav 41, 229f. Puhle, Hans-Jürgen 142 Purkyně, Jan Evangelista 17

325

Personenregister Quaisser, Josef 40, 107 Rabl, Karl 173 Raimund, Ferdinand 306 Ranconis, Adalbertus 51 Ranzi, Fritz 169 Rasulzada, Mammad Amin 247 Rau, Johannes 277 Reese-Schäfer, Walter 10 Resch, J. 109 Ribbentropp, Joachim v. 223 Richter, Wolfgang 134, 274 Riesenberg (Ryzmberk), Heinrich v. 220 Rilke, Rainer Maria 17 Rippl, Eugen 42, 44, 56, 88ff., 93, 114, 282, 285ff., 290f. Rosche, Alfred 133 Rösel, Hubert 42f. Rosenbaum, Alfred 101 Rousseau, Jean-Jacques 233 Rotter, Adolf 11, 17f., 45, 87f., 157f. Rožmitál auf Blatna, Zdenko Lev v. 220 Rößler, Karl Hugo 305 Rzach, Alois 100, 118 Sachs, Hans 54, 234, 315 Šafařík, Pavel Jozef 19, 233 Šámal, Přemysel 132, 160 Samassa, Paul 16 Sand, Karl Ludwig 194 Sandbach, Edmund 105 Sappler, Paul 235 Sauer, August 10, 13, 19f., 28, 40f., 45f., 51, 76, 78, 81-84, 97, 100-115, 117f., 230, 299f. Sauer, Hedda 118 Savickij, Petr 245, 248, 252, 256 Saß, Hans-Martin 169, 171 Schaffar, Wilhelm 169, 199

Schaller, Helmut Wilhelm 39, 285 Schamschula, Walter 51, 56 Scheller, Andrea 54, 227 Schier, Bruno 286 Schiller, Friedrich 52, 101, 232ff., 237 Schneeweis, Edmund 44, 285, 290f. Scholz, Hugo 84, 86, 88f., 165 Schönerer, Georg v. 143, 175f. Schubert, Franz 200, 306 Schürer, Otto 287 Schumpeter, Joseph 23 Schmid, Heinrich Felix 281, 284 Schmid, Julia 22, 184f. Schmid, Wolfgang 169 Schreiner, Gustav 147 Schulze Wessel, Martin 297 Schweickard, Wolfgang 222 Šebek, Jaroslav 269 Šedivý, Prokop 51, 232ff., 236f. Sedláček, August 56f. Segnobos, Charles 248 Seifert, Josef Leo 234 Seliger, Josef 73 Shakespeare, William 233 Siatkowska, Ewa 55 Siatkowski, Janusz 55 Siedlecki, Stanisław 251 Sienkiewicz, Henryk 249 Šimeček, Zdeněk 39-42, 58, 106, 231, 236 Skraup, Zdenko Hanns Ritter v. 181 Smal‘-Stoc’kyj, Roman 246f., 251 Smelser, Ronald 305 Šmeral, Jiří 105 Smetáček, Zdeněk 268 Smetánka, Emil 43, 55f., 233-236, 292

Snyder, Timothy 246 Sobieraj, Silke 23, 30, 159, 163 Sonntág, Kuneš 100 Šouša, Jiří 162 Sova, Antonín 43 Spengler, Oswald 198, 252f. Spiegel, Ludwig 73 Spiess; Erdmann 143 Spina, Franz 9-23, 25-31, 3959, 67-78, 81-94, 97-118, 127, 130-135, 141, 157166, 169f., 177, 179ff., 183f., 185-188, 190-193, 195f., 198-202, 213-222, 224, 227-237, 244f., 253, 261f., 265-275, 277f., 281-289, 292, 298, 310, 315f. Spina, Valerie, geb. Waigl 158, 291 Spinoza, Baruch de 306 Spurný, František 98, 261 Šrámek, Jan 261 Srbik, Heinrich v. 195 Stalin, Iosif 251, 289 Stangler, Wilfried 169, 201 Stanislav, Kubr 150 St’astný, Vladislav 236 Stašková, Alice 44, 233 Stehr, Hermann 301 Steinbach, Erika 276 Sternheim, Carl 301 Štěpánek, Bedřich (oder Zdeněk) 71 Stern, Martin 49, 51, 68ff., 72, 75, 118 Stich, Alexandr 213 Stifter, Adalbert 101, 306f. Štítné, Thomas v. 51 Stöhr, Ingrid 17, 105 Stolle, Ferdinand 40 Stowitschek, Franz 87 Strauss, Karl 76, 78f. Strauß, Gerhard 263f. Strauß, Johann 306

326 Strobl, Karl Hans 173, 188f. Šubert, Franz A. 232 Šustek, Vojtěch 298, 305 Švehla, Antonín 23, 27, 76, 150, 160, 162, 166, 253 Světlá, Karolina 228 Svjatopolk-Mirskij, Dmitrij 245 Taafe, Eduard 15 Takebayashi, Tazuko 112 Teichova, Alice 128 Teltscher 131 Těšínká, Emilie 188 Thám, Václav 41, 229ff. Thirouin, Marie-Odile 118 Thomé, Otto Wilhelm 264 Thummerer, Johannes 302 Titta, Wenzel 110 Tocqueville, Alexis de 10 Tolstoj, Lev 21, 47, 245 Toman, Jindřich 93 Törring 233 Trapp, Gerhard 97, 99 Trautmann, Reinhold 39, 41, 43, 56, 106, 281, 284 Trávníček, František 43, 56 Trieselt, Franz 149 Trost, Pavel 17 Trubeckoj, Nikolaj 245, 247f., 250, 252, 256 Tureček, Dalibor 51

Personenregister

Varnhagen v. Ense, Karl August 20 Vasmer, Max 246 Važný, Václav 55 Večerka, Radoslav 236 Velek, Luboš 105 Vilikovský, Jan 55, 57, 236 Vodrážková-Pokorná, Lenka 45 Volf, Josef 52 Vlček, Jaroslav 52, 103, 115, 230, 232f. Vrchlický, Jaroslav 101, 228

Wiechert, Ernst 301 Wiederkehr, Stefan 245 Wiener, Oskar 22, 244 Wilson, Woodrow 67ff. Winter, Eduard 81, 254 Winter, Werner 289 Winternitz, Moritz 39 Wirsing, Giselher 252 Wiśniowski, Eugenisuz 241 Wittek, Bruno Hans 307 Wok v. Rosenberg, Peter 103 Wolf, Karl Hermann 174 Wolff, Karl 290 Wollner, Georg 134 Wolmar, Wolfgang v. 91 Woltmann, Alfred 18, 20 Worms, René 264 Wostry, Wilhelm 56, 305 Woytak, Richard 246 Wukadinović, Spiridion 101

Wahrmund, Ludwig 183 Warnfried 17 Wasilewski, Leon 251 Watzlik, Hans 307 Weber, Max 23 Wedekind, Frank 301 Weise 231 Weizsäcker, Wilhelm 91 Wenzig, Josef 305 Werfel, Franz 29 Weyde, Johann (Hans) 101

Zahra,Tara 105 Zatschek, Heinz 305 Zeil, Wilhelm 39, 44f., 81, 90, 288, 292 Zenkevič, Tadeuš 249 Żeromski, Stefan 249 Zíbrt, Čeněk 53, 55f., 59, 102, 115, 214, 216, 234f. Zierhut, Wolfgang 87f. Zloch, Stefanie 253 Zuleger, Theodor 143, 150

Udolph, Ludger 11, 228, 236 Ulbricht, Joseph 108 Ullmann, Hermann 15, 22, 99 Urzidil, Johannes 267 Utiz, Emil 288

Ortsregister

Abtsdorf 158 Alt Türnau 98 Aš (Asch) 174 Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) 101, 170, 192 Bad Tölz 281, 290 Baku 249 Bautzen 43 Beograd (Belgrad) 44, 288, 290 Berlin 28, 109, 182, 194, 199, 245, 250, 261, 281 Berlin (Ost) 44, 67, 81 Bodenbach 197 Bohumín (Oderberg) 299 Braunau i. B. (Broumov) 10, 45, 103 Brno (Brünn) 28, 130, 154, 162f., 170, 173, 192, 197, 199, 255, 289 Česká Lípa (Böhmisch Leipa) 23, 149, 156 České Budějovice (Budweis) 13, 185 Český Krumlov (Krumau) 174 Charbin 246 Cheb (Eger) 24, 261 Czernowitz 191 Detmold 182 Doubravka 216, 221 Dresden 277 Düsseldorf 199 Dvůr Králové (Königinhof) 102 Frankfurt/M. 171

Geretsried 169, 201 Göttingen 254 Graz 100, 171, 181, 183, 195 Greifswald 43f., 286

Locarno 26 London 72 Luxemburg 28 L’viv (Lemberg) 100

Halle a. d. Saale 288 Heidelberg 216 Hřebec (Schönhengst) 86f.

Mainz 44 Malesice 220 Městečko Trnávka (Markt Türnau) 10, 83, 98, 157, 281 Mladá Boleslav (Jungbunzlau) 52 Mohelnice (Müglitz) 112 Moravská Třebová (Mährisch-Trübau) 10, 45, 69, 99, 104f., 108f., 111f., 157, 190, 283 Moskva (Moskau) 224, 245, 249, 251, 254 Most (Brüx) 192 München 11, 31, 47, 78, 97, 117, 128, 169, 171, 173f., 177, 180-185, 195, 200f., 261, 281, 283, 290, 297

Istanbul 245, 255 Jena 194, 252, 254 Jihlava (Iglau) 154 Karlovy Vary (Karlsbad) 136, 153, 155f., 160, 193 Karlstein 56, 236 Kassel 263 Kiev 249 Kraków (Krakau) 58, 101, 243 Kuchelbad 173, 177 Kutná Hora (Kuttenberg) 52, 114 Langen 276 Leipzig 90, 221, 265, 282, 289f., 292 Leonberg 97 Liberec (Reichenberg) 43f., 160, 193, 273f., 277, 281, 285, 290, 305 Libverda (TetschenLiebwerd) 171 Lichtenberg (b. Wolfenbüttel) 281 Linz 170, 175, 190f. Litoměřice (Leitmeritz) 24, 143, 174 Litomyšl (Leitomischl) 52, 158

Nürnberg 45, 52ff., 214, 219, 252, 315 Olomouc (Olmütz) 13, 217 Opava (Troppau) 41, 199 Paris 31, 72, 245, 248f., 250, 270, 274 Passau 201 Pilsen 52, 54, 215f., 219ff. Poznań (Posen) 44, 286 Praha (Prag) 9-16, 19, 23f., 27-30, 39-44, 49, 52, 54f., 67, 69, 72, 78, 81ff., 89ff., 93, 97, 99-103,

328 105-109, 112ff., 131, 133, 148, 154, 156f., 162, 169-174, 176-193, 195ff., 199ff., 213f., 228, 235f., 241-245f., 249, 254, 261, 266f., 271, 274-277, 281-292, 297302, 304, 306-310, 315 Riga 286 Rostock 44 Rostov-na-Donu (Rostow am Don) 245 Rudolfov (Rudolfstadt) 184f. Šabac (Schabatz) 187 Salzburg 183, 191 Sofia 245 St. Germain 24, 72 St. Petersburg 214, 249, 254

Ortsregister Šumperk (Mährisch Schönberg) 156 Teplice-Šanov (TeplitzSchönau) 150, 191, 272 Těšín (Teschen) 299 Třebová (Trübau) 58 Trmice (Türmitz) 174 Tübingen 97 Uherské Hradiště (Ungarisch Hradisch) 154 Uničov (Mährisch-Neustadt) 10, 45, 97, 103f., 112, 190 Varnsdorf (Warnsdorf) 174 Vinohrady (Prag-Weinberge) 10, 40, 42, 44f., 104, 118

Warszawa (Warschau) 241, 243f., 246f., 249, 251, 254, 256 Weimar 286 Wien 28, 43f., 69, 97, 99f., 113f., 116, 130, 146f., 171, 173, 182, 191, 194f., 199, 230, 243, 245, 249, 254f., 273, 299, 315 Wildpark-Potsdam 281 Wrocław (Breslau) 41, 305 Žatec (Saaz) 162, 269 Zelená Hora (Grünberg) 102 Znojmo (Znaim) 270 Zwittau 112

Adressen Herausgeber / Reihenherausgeber Prof. Dr. Steffen Höhne

Hochschule für Musik Franz Liszt Platz der Demokratie 2/3 D-99423 Weimar [email protected]

PhDr. Václav Petrbok PhD.

Ústav pro českou literaturu AV ČR Na Florenci 3 CZ-110 00 Praha 1 [email protected]

Dr. Alice Stašková

Institut für Deutsche und Niederländische Philologie Freie Universität Berlin Habelschwerdter Allee 45 D-14195 Berlin [email protected]

Adressen Autoren Prof. Dr. Karl Braun

Universität Marburg Europäische Ethnologie/ Kulturwissenschaft Biegenstr. 9 D-35032 Marburg [email protected]

330

Adressen

Prof. Dr. Christoph Boyer

Universität Salzburg Fachbereich Geschichte Rudolfskai 42 A-5020 Salzburg [email protected]

PD Dr. Klaas-Hinrich Ehlers

Europa-Universität Kulturwissenschaftliche Fakultät Sprachwissenschaft I PSF 1786 D-15207 Frankfurt (Oder)

Dr. Zaur Gasimov

Institut für Europäische Geschichte Alte Universitätsstr. 19 D-55116 Mainz [email protected]

Dr. Michael Havlin

Brandenburger Str. 24 D-95448 Bayreuth [email protected]

PhDr. Ota Konrád, Ph.D.

Masarykův ústav a Archiv AV ČR, v. v. i. Na Florenci 3 CZ-110 00 Praha 1 [email protected]

Prof. Dr. Eduard Kubů

Ústav hospodářských a sociálních dějin FF UK nám. J. Palacha 2 CZ-116 38 Praha 1 [email protected]

Dr. Harald Lönnecker

Bundesarchiv Potsdamer Straße 1 D-56075 Koblenz [email protected]

331

Adressen

Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Schaller

Philipps-Universität Marburg Fremdsprachliche Philologien Institut für Klassische Sprachen und Literaturen Fachgebiet Slawische Philologie Wilhelm-Röpke-Straße 6 D-35032 Marburg [email protected]

PD Dr. Andrea Scheller

Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften Institut für fremdsprachliche Philologien (IFPH) D-39114 Magdeburg Turmschanzenstr. 15

Doc. Dr. Jiří Šouša, CSc.

Katedra pomocných věd historických historických a archivního studia FF UK nám. Jana Palacha 2 CZ-116 38 Praha 1

Prof. Dr. Ludger Udolph

Institut für Slavistik TU Dresden D-01026 Dresden [email protected]

Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte neue Folge

Band 69:

Herausgegeben von Karl gutscHmidt, roland marti, Peter tHiergen, ludger udolPH und bodo ZelinsKy

Band 70:

reiHe a: slavistiscHe ForscHungen

Eine Auswahl.

Band 65:

Walter Koschmal

der dicHternomade JiŘí mordecHai langer – ein tscHecHiscH-JüdiscHer autor

2010. X, 441 S. Gb. ISBN 978-3-412-20393-1

Band 66: Steffen Höhne, Ludger Udolph (Hg.) deutscHe – tscHecHen – böHmen Kulturelle integration und desintegration im 20. JaHrHundert

2010. 379 S. Gb. ISBN 978-3-412-20493-8

Band 67: Ines Koeltzsch, Michaela Kuklová, Michael Wögenbauer (Hg.) übersetZer ZwiscHen den Kulturen der Prager PubliZist Paul/Pavel eisner

2011. 316 S. Gb. ISBN 978-3-412-20550-8

Band 68:

Anne Hultsch

ein russe in der tscHecHoslowaKei

Rolf-Dietrich Keil

PuŠKin- und gogol-studien 2011. 429 S. Gb. ISBN 978-3-412-20565-2

Ingrid Stöhr

ZweisPracHigKeit in böHmen deutscHe volKsscHulen und gymnasien im Prag der KaFKa-Zeit

2010. 497 S. Gb. ISBN 978-3-412-20566-9

Band 71: Christine Fischer, Ulrich Steltner PolniscHe dramen in deutscHland übersetZungen und auFFüHrungen als deutscHdeutscHe reZePtionsgescHicHte 1945–1995

2011. 297 S. Gb. ISBN 978-3-412-20669-7

Band 72: Rodmonga K. Potapova, Vsevolod V. Potapov KommuniKative sPrecHtätigKeit russland und deutscHland im vergleicH

2011. VIII, 312 S. Gb. ISBN 978-3-412-20688-8

Band 73:

Martina Munk

ungeHeuerlicHe massen tierbilder Für das PHänomen des massenHaFten in der literatur des 20. JaHrHunderts

2011. X, 355 S. Gb. ISBN 978-3-412-20696-3

leben und werK des PubliZisten valeriJ s. vilinsKiJ (1901–1955)

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DER GROSSE ILLUSIONIST OTTO BAUER (1881–1938)

Otto Bauers Traum vom Sozialismus ist zerplatzt, aber die Frage nach einer gerechteren Gesellschaft ist aktueller denn je. Was können wir heute aus seiner Biografie lernen? Er verband höchste Intelligenz, eine scharfe Analysefähigkeit auf vielen Gebieten mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Menschheit. Er war kein Zyniker der Macht, sondern ein bescheidener, eher schüchterner Mensch. In kritischen Situationen hatte er Scheu vor der Macht. Als brillanter Rhetoriker und Theoretiker aber prägte der führende Sozialdemokrat die Geschichte der österreichischen Ersten Republik maßgeblich. Licht- und Schattenseiten dieses Politikers und Menschen werden siebzig Jahre nach seinem Tod erstmals umfassend analysiert und kritisch bewertet. 2011. 478 S. GB. M. SU. 26 S/W-ABB. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78601-6

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FR ANZ K AFK A UTB-PROFILE

Nirgends findet sich die schockhafte Erfahrung der Moderne präziser und sachlicher dargestellt als in den endlos faszinierenden Schriften Franz Kafkas. Diese Einführung ist ideal für Leserinnen und Leser, die einen klar verständlichen und zugleich anspruchsvollen Zugang zur vertiefenden Kafka-Lektüre suchen. Besprochen werden die Romane, Erzählungen, Tagebücher und Briefe, aber auch der sozialgeschichtliche, biografische und kulturelle Kontext des Werks, alles unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands. AUS DEM INHALT:

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6 Ein Experte der Macht. Gesetz, Gericht, Institution 7 Schuld und Strafe 8 Hungern und Pfeifen. Kafkas letzte Gedanken zur Kunst

Schreiben 5 Kafkas jüdische Moderne

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Steffen HöHne (Hg.)

AuguSt SAuer (1855–1926) ein intellek tueller in Pr Ag zwiScHen kultur- und wiSSenScHAftSPolitik (intellek tuelleS Pr Ag im 19. und 20. JAHrHundert, BAnd 1)

Der Prager Germanist August Sauer wirkte nicht nur im engeren akademischen Rahmen an der dortigen Karl-Ferdinand-Universität, sondern auch in kultur- und wissenschaftspolitischer Hinsicht. Sein Einfluss auf die intellektuellen und wissenschaftlichen Diskurse in Böhmen bzw. später der Tschechoslowakei, aber auch auf Habsburg-Österreich insgesamt ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der vorliegende Sammelband würdigt August Sauers Werk aus literatur-, kultur- und geschichtswissenschaftlicher Perspektive, bei der der kultur- und wissenschaftspolitische Kontext genauso in den Blick genommen wird wie der engere fachhistorische Rahmen. 2011. 405 S. Gb. 155 x 230 mm. ISbN 978-3-412-20622-2

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