Flugschrift 9783110930634, 9783484371071

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German Pages 112 Year 1999

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Table of contents :
1. Die Flugschrift als sprachliches Medium
1.1. Die Flugschrift und andere Medien der Öffentlichkeit
1.2. Das Wort „Flugschrift“ und andere Bezeichnungen
1.3. Was ist eine Flugschrift? Abgrenzung zu anderen Medien
1.4. Äußere Gestalt
1.5. Text und Bild
2. Produktion, Distribution und Rezeption
2.1. Autoren
2.2. Anonymität
2.3. Kontroversen
2.4. Drucker
2.5. Veröffentlichungen fremder Texte
2.6. Rezeptionsprozesse im Rahmen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen Reformation
2.7. Auflagen und Preise
2.8. Vertrieb
2.9. Adressaten und Rezipienten
3. Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten
3.1. Verständlichkeit
3.2. Kanzleistil
3.3. Gelehrtenlatein vs. Deutsch
3.4. Bildhaftigkeit
3.5. Fahnen- und Stigmawörter
3.6. Sprachliche Funktionen
3.7. Textsorten und Textformen
4. Von der Antike bis zum 15. Jahrhundert
5. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
5.1. Die ersten Flugschriftenkontroversen
5.2. Frühe Reformation und Bauernkrieg (1517–1525)
5.3. Das weitere 16. Jahrhundert
5.4. Der Dreißigjährige Krieg
5.5. Die Aufklärung
5.6. Die Mainzer Republik
5.7. Flugschriften gegen Napoleon
5.8. Vormärz
5.9. Die Revolution von 1848/49
5.10. Mediale Nachfolger der Flugschrift
6. Flugschriften in Großbritannien und Frankreich
Quellen- und Siglenverzeichnis
Literaturverzeichnis
Namenregister
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Flugschrift
 9783110930634, 9783484371071

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G r u n d l a g e n der M e d i e n k o m m u n i k a t i o n Herausgegeben von Erich Straßner

Band 7

Johannes Schwitalla

Flugschrift

Niemeyer

Titelillustration: Martin Luther auf dem Wormser Reichstag. Zwischen Luther (rechts) und dem Trierer Offizial Johann von der Eck (links) liegt auf einer Bank ein Stapel von vier Flugschriften (vgl. W A 7, 840). Holzschnitt, gedruckt von Melchior Ramminger, Augsburg 1521.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schwitalla,

Johannes:

Flugschrift / Johannes Schwitalla. - Tübingen : Niemeyer, 1999 (Grundlagen der Medienkommunikation ; 7) ISBN 3-484-37107-2

ISSN 1434-0461

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1999 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Anne Schweinlin, Tübingen Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis 1. Die Flugschrift als sprachliches Medium 1.1. Die Flugschrift und andere Medien der Öffentlichkeit 1.2. Das Wort „Flugschrift" und andere Bezeichnungen 1.3. Was ist eine Flugschrift? Abgrenzung zu anderen Medien 1.4. Äußere Gestalt 1.5. Text und Bild 2. Produktion, Distribution und Rezeption 2.1. Autoren 2.2. Anonymität 2.3. Kontroversen 2.4. Drucker 2.5. Veröffentlichungen fremder Texte 2.6. Rezeptionsprozesse im Rahmen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen Reformation 2.7. Auflagen und Preise 2.8. Vertrieb 2.9. Adressaten und Rezipienten 3. Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten 3.1. Verständlichkeit 3.2. Kanzleistil 3.3. Gelehrtenlatein vs. Deutsch 3.4. Bildhaftigkeit 3.5. Fahnen- und Stigmawörter 3.6. Sprachliche Funktionen 3.7. Textsorten und Textformen 4. Von der Antike bis zum 15. Jahrhundert 5. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert 5.1. Die ersten Flugschriftenkontroversen 5.1.1. Der Reuchlin-Pfefferkorn-Streit 5.1.2. Ulrich von Hutten 5.2. Frühe Reformation und Bauernkrieg (1517-1525) 5.2.1. Das Publikumsinteresse an reformerischen Schriften . . . 5.2.2. Martin Luther und andere reformatorische Autoren . . . . 5.2.3. Radikale Reformatoren 5.2.4. Altkirchliche Autoren

1 1 2 4 7 10 15 15 22 23 25 25 27 30 31 33 35 35 37 39 40 41 42 43 46 49 49 49 52 54 54 56 59 61

VI

5.2.5. Textformen: Brief, Predigt, Dialog, Reformschrift, Utopie 5.2.6. Flugschriften und ideologisch-soziale Differenzierung 5.3. Das weitere 16. Jahrhundert 5.3.1. Konfessionelle Streitschriften 5.3.2. Politische Streitschriften 5.3.3. Hexentraktate 5.3.4. Flugschriften gegen die Juden 5.4. Der Dreißigjährige Krieg 5.5. Die Aufklärung 5.6. Die Mainzer Republik 5.7. Flugschriften gegen Napoleon 5.8. Vormärz 5.9. Die Revolution von 1848/49 5.10. Mediale Nachfolger der Flugschrift 6. Flugschriften in Großbritannien und Frankreich Quellen- und Siglenverzeichnis Literaturverzeichnis Namenregister

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1.

Die Flugschrift als sprachliches M e d i u m

1.1. Die Flugschrift und andere Medien der Öffentlichkeit Jede Zeit hat ihre spezifischen Leitmedien, in denen Meinungen darüber ausgetauscht werden können, was die Leute bewegt. Heute haben wir das Fernsehen als Leitmedium; der Computer ist dabei, es abzulösen. Wir haben aber auch noch das Radio, die Tageszeitung, die Zeitschrift. Alle diese Medien hatten ihre besonderen Zeiträume, in denen sie einmal dominierend für eine erworbene (oder verordnete) Öffentlichkeit waren: das Radio mit den Reden Hitlers und Goebbels', die politischen Zeitungen im 19. Jahrhundert, die Journale der Intellektuellen im 18. Jahrhundert. Hier geht es um das Medium der Flugschrift. Das sind nichtgebundene, mehrblättrige Druckwerke, mit denen man meinungsbildend oder auffordernd auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse einwirken will (zur genaueren Definition Kap. 1.3.). Ihre große Zeit waren das 16. und das 17. Jahrhundert, vor allem die Jahre von 1518 bis 1525, in welchen Flugschriften nicht nur Geschichte kommentierten, sondern Geschichte machten. Zu keiner anderen Zeit hatten Flugschriften auch eine solch weite geographische und soziale Verbreitung (vgl. Kap. 2.1. und 5.2.). Durch sie wurde eine neue Art von Öffentlichkeit hergestellt, die es vorher nicht gab: eine öffentliche Meinung („gemein sag"), die nicht mehr sozial eingeschränkt war wie der lateinische Diskurs unter den Humanisten, der religiöse Diskurs in den kirchlichen Institutionen (Predigt, Verlesung von Briefen) oder der politische Diskurs über staatliche Instanzen (Einblattdrucke und öffentliches Ausrufen; Ukena 1977, Wohlfeil 1984; zum Medienumfeld: Faulstich 1998). Zwei Medien zur Mitteilung aktueller Neuigkeiten begleiteten die Flugschrift im 16. Jahrhundert: das ältere mündliche Medium des historischen Ereignislieds und das neue Druckmedium des illustrierten Einblattdruckes, speziell der Neuen Zeitung. Einzelne Texte aus beiden Medien konnten zwar zum Medium der Flugschrift überwechseln, wenn sie zu öffentlich umstrittenen Fragen Stellung nahmen (das historische Lied, wenn es auch gedruckt wurde). Beide sind aber grundsätzlich andere Medien als die Flugschrift. Da sie nämlich auf die Zustimmung großer Teile der Bevölkerung angewiesen waren, enthielten sie sich in der Regel konkreter Kritik und konkreter Forderungen. Ihre Appelle sind eher moralischer Natur: traditionelle Ständekritik und religiöse Mahnung. Wertungen in

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Die Flugschrift als sprachliches M e d i u m

zugrundeliegenden handschriftlichen Texten, die von der Position einer Partei aus geschrieben wurden, wurden beim Druck wieder herausgenommen (Schilling 1990, 98ff.). Im 17. Jahrhundert kam die periodisch erscheinende Zeitung als neues Medium hinzu. Auch diese teilt mit der Flugschrift das Kriterium der Aktualität. Aber anders als die Flugschrift will (und darf: wegen der Zensur) auch die periodische Zeitung nicht kommentierend-wertend in das Zeitgeschehen eingreifen. Sie soll parteienübergreifend verkauft werden. Erst im 18. Jahrhundert bekam die Flugschrift mit den Zeitschriften und zusätzlich im 19. Jahrhundert mit den politischen Zeitungen ernsthafte Konkurrenz. Die Flugschrift verlor von da an - außer im Revolutionsjahr 1848 - ihre führende Rolle. Dennoch konnten Herausgeber von Zeitungen und Zeitschriften wie Johann Georg Wirth in den 30-er Jahren des 19. Jahrhunderts auf Flugschriften ausweichen, wenn ihre Zeitschrift verboten wurde. Mediale Nachfolger der Flugschriften sind die Broschüren und Heftchen von politischen Parteien, Gruppen und Vereinen im 19. und 20. Jahrhundert. Das politische Flugblatt konnte sich dagegen über die Jahrhunderte hinweg bis in unsere Tage als Propagandamedium halten, weil es einfach und billig herzustellen und leicht zu transportieren ist (Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Flugblatts zur Flugschrift in Kap. 1.3.). Diese Einführung in das Medium Flugschrift beschränkt sich hauptsächlich auf deutsche Flugschriften. Der Schwerpunkt der Beschreibung liegt auf ihren sprachlichen Formen und Funktionen (die Zahlen nach den Quellensiglen der Flugschriftensammlungen CI., Ho., Kö. 1, Kö. 2, L/S, L/S/L usw. beziehen sich auf Flugschriftennummern, nur wenn ein „S." davorsteht, auf Seiten).

1.2. Das Wort „Flugschrift" und andere Bezeichnungen Wann und wo zum ersten Mal das Wort Flugschrift verwendet wurde, ist nicht sicher. Jedenfalls taucht es 1788 bei Christian F.D.Schubart auf („Man muß staunen über den heroischen Ton, der in den Flugschriften herrscht"), nachdem er im Jahr zuvor schon das Wort Flugblatt verwendet hatte. Die Bezeichnung fliegendes Blatt als Lehnübersetzung von französisch feuille volante gab es schon vorher, z.B. in Bodmers und Breitingers Discoursen der Mahlern I (1721, Blatt A3a): „seine Methode, die Morale in fliegenden Blättern nach Art der Gazetten, zu debitiren". 1724 wird gefragt, warum „sie so harte Schrifften wider Ihn [den Hamburger Patrioten] fliegen lassen". Die Bezeichnung spielte metaphorisch auf die Schnelligkeit an, mit der sich kleine und leichte Druckerzeugnisse eben „wie im Fluge" verbreiten konnten (Kluge/Götze, Etymologisches Wörterbuch, 16. Aufl. 1953, 217). Ernst Moritz Arndt schrieb 1814 von den „leicht fliegenden und verfliegenden" Schriften (zit. in Schäfer 1974, 122). Die Wortschöpfung

Das Wort „Flugschrift" und andere Bezeichnungen

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wurde zunächst als „Schubartianum" kritisiert, von Joachim Campe aber in sein Wörterbuch der deutschen Sprache 1808 aufgenommen, um die Fremdwörter Piece, Brochure und Pamphlet zu ersetzen. Die Assoziation mit dem Fliegen war schon in einer Formulierung Martin Luthers angelegt. Er schrieb, seine 95 Thesen „liefen schier in 14 Tagen durch ganz Deutschland" (WA 51, 540); Friedrich Myconius setzte in seiner Geschichte der Reformation (hg. v. O. Clemen, Leipzig o.J., S.22) hinzu: „als wären die Engel selbst Botenläufer". 1567 sprach der Abschied des Erfurter Kreistages von fliegenden Zeitungen, die zensiert werden müßten. Auch in England gab es 1642 diese Assoziation: „Pamphlets, like wild geese, fly up and downe in flocks about the Countrey" (Bach 1997, 25f.). Flugblätter und kleine Flugschriften wurden tatsächlich durch die Luft befördert: 1522 ließ Franz von Sickingen Flugblätter in das belagerte Trier schießen (Schilling 1990, 3); umgekehrt schössen 1534 die belagerten Münsteraner Täufer Flugblätter und Flugschriften zur Abwerbung der Landsknechte aus der Stadt heraus. Im 16. Jahrhundert hießen Flugschriften allgemein Büchlein. Luther nennt seine Flugschriften durchweg so. Das Merkmal der Kleinheit steckt auch in einer anderen Charakterisierung seiner Texte: „ich mach nur kleyn sexternlin und deutsche prediget" im bewußten Gegensatz zu den „hohen und grossen buchem" seiner Gegner (WA 6, 203; sexternio bezeichnet eine Lage von sechs Blättern, die gefaltet den Umfang von 12 Quartblättern ergeben). Gegen Emser schrieb er, es sei schwer, „gewisse narreyt unter wenig papyr zuvorpergen" (WA 7, 624). Von Anfang an nannten die Angegriffenen eine gegen sie gerichtete Flugschrift Schmach-, Schmäh-, Schand- oder Lästerschrift. Schon Johannes Reuchlin und Johannes Pfefferkorn, die Autoren der ersten deutschen Flugschriftenkontroverse (vgl. Kap.5.1.1.), bezeichneten die jeweils gegnerischen Flugschriften auf diese Weise (Reuchlin: „durch ain offen gedrucktes schmachbüchlin und lasterschrift", Augenspiegel 1511, Bl. Ala; Pfefferkorn antwortete mit einer Flugschrift des Titels: Abzotraiben und auszuleschen eines ungegrunten [unbegründeten] laster buechleyn mit namen Augenspiegell 1512). Das Wort Schmehe geschrifft war im Artikel 134 der Bamberger Halsgerichtsordnung von 1508 die Übersetzung des juristischen Terminus libellum famosum. Daraus entstand schon Anfang des 16. Jahrhunderts das Fremdwort (Famos-)Libell. Mit Libell war eine lügenhafte Anklage einer Person gemeint, die dieser Schaden zufügte („lester, ehrenrührig, famos, erdicht, unwarhafftig, und falsch Libell" heißt es im Titel einer Flugschrift von 1540). Da man Luthers Flugschriften im Wormser Edikt von 1521 als Smach und vergijfte Bücher bezeichnete, wurde der Begriff auf Texte gegen kirchliche, soziale und politische Übelstände ausgedehnt. Die Fürsten und ihre Räte belegten sie mit dem Adjektiv aufrührerisch (z.B. uffrurisch buchleyn, Hzg. Georg von Sachsen 1527; Schelle-Wolff 1996, 116). Der Nürnberger Reichstagsabschied von 1524 gebot, daß „Schmaheschrift und Gemelts hinfurter genzlich abgethan und nit weiter ausgepreit" werden sollten.

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Die Flugschrift als sprachliches Medium

Kaiser Karls V. Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 nahm im Artikel 110 die Strafbestimmungen gegen Schmachschriften auf (Kapp 1886, 535ff.; Franz 1980, 90f.). Ab Mitte des 16. Jahrhunderts kam die Bezeichnung Pasquill auf (von einer römischen Statue, an die heimlich Zettel mit Spottversen geklebt wurden), meist mit negativ wertenden Adjektiven: teuflisches, infames, schamloses, schändliches Pasquill (Grimms Wörterbuch Sp. 1482). Die Bezeichnung hielt sich bis ins 19. Jahrhundert. Ähnlich abwertend hießen im 17. Jahrhundert Flugschriften Famos-Gedicht und nichtswertige Scharteken (aus fr. charte = ,Urkunde')· In der Flugschrift Es müßte wohl eine Kuh lachen (Ho. 5387) kommen folgende Bezeichnungen allein im Titel vor: Tractetlin, Famoß Charte und Lüsterschrifft. Die Bezeichnung Streitschrift erschien 1588 in einer Flugschrift von Johann Nas (Der Warnungsengel, S. 142) und wurde im 18. Jahrhundert zum geläufigen Wort für Flugschriften. Jüngeren Datums ist Pamphlet, das erst 1760 aus dem Englischen (dort bis heute in der Bedeutung .kleine Schrift') über das Französische mit der Bedeutung .Schmähschrift' kam. Ende des 18. Jahrhunderts wurden Flugschriften als Volksschrift bezeichnet, sowohl von den Autoren selbst wie auch von Zensurbehörden. Auch Büchlein (Büchelchen) wurde wieder verwendet (Ay 1972, 746). Um 1830 hießen Flugschriften in den behördlichen Akten Flugschrift, Druckschrift, Pamphlet, Libell, Pasquill oder Branddrohbrief (Ruckhäberle 1975, 17). Die meisten Bezeichnungen lassen die falsche Ansicht aufkommen, daß Polemik, Spott und Verunglimpfung die primären Ziele von Flugschriften gewesen seien. Von den Flugschriften der frühen Reformation sind aber schätzungsweise nur 5 % reine Spott- oder Beleidigungstexte; die meisten dienten zur argumentativ unterstützten Aufforderung oder Anklage (Schwitalla 1983, 86; Köhler 1986, 261).

1.3. Was ist eine Flugschrift? Abgrenzung zu anderen Medien Seit Joachim Campes Wörterbuch der deutschen Sprache 1808 wird in Wörterbüchern Flugblatt synonym mit Flugschrift gebraucht (Campe: „ein fliegendes Blatt, eine kleine Schrift"; Grimms Wörterbuch: „fliegendes Blatt, Flugschrift"). Die inhaltlichen Definitionen heben ab auf die Aspekte der Aktualität, des kleinen Umfangs und der Agitation. Auch in modernen Handbüchern und publizistischen Darstellungen werden beide Medien oft unter einer gemeinsamen Überschrift behandelt; es gibt Publikationen mit dem Titel Flugschrift, die nur Flugblätter behandeln. Köhler (1976) hat 70 Definitionen untersucht und 22 Kriterien zusammengestellt, von denen nur die folgenden überdurchschnittlich oft genannt werden: Vervielfältigung durch den Druck, geringer Umfang (bis etwa 60 Seiten), Aktua-

Was ist eine Flugschrift'? Abgrenzung zu anderen Medien

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lität, propagandistische Wirkung, Verbreitung in der ganzen Bevölkerung, verständlicher Stil, Einbandlosigkeit. Die Definition von Zwiedineck-Siidenhorst (1888, 5) trifft gut die mit dem Merkmal der Propaganda gemeinten sprachlichen Handlungen: Als Flugschrift betrachte ich jene literarischen Erzeugnisse, bei deren Abfassung die Absicht vorlag, über eben Geschehenes Aufklärung zu verbreiten, auf die Anschauungen und Meinungen der Zeitgenossen darüber einzuwirken, Parteistandpunkte zu erörtern, Anklagen zurückzuweisen oder zu erheben.

Köhler (1976, 50) schlägt folgende Definition vor: Eine Flugschrift ist eine aus mehr als einem Blatt bestehende, selbständige, nicht periodische und nicht gebundene Druckschrift, die sich mit dem Ziel der Agitation (d.h. der Beeinflussung des Handelns) und/oder der Propaganda (d.h. der Beeinflussung der Überzeugung) an die gesamte Öffentlichkeit wendet.

Wenn man hier noch das thematische Kriterium der öffentlichen und umstrittenen Fragen der Gesellschaft und das Kriterium der quantitativen Verbreitung hinzufügt, wird man einen Großteil der mit dem Wort Flugschrift gemeinten Sache getroffen haben. Moeller (1983, 240) definiert , reformatori sehe Flugschrift' als: billige und ungebundene Bücher in handlichem Format, deren Ziel Werbung, ja häufig Agitation und Propaganda zur Durchsetzung der neuen oder zur Verteidigung der alten Lehre war.

Jedes der Kriterien hat jedoch seine Probleme (Schwitalla 1983, 13ff.): 1. Mehrblättrigkeit: Flugschriften unterscheiden sich von Flugblättern dadurch, daß sie eine größere Textmenge haben. Dennoch gibt es Übergänge: Ein großformatiges Blatt konnte auch als kleiner Quartdruck erscheinen (so Luthers 95 Thesen, die 1517 zuerst als zweispaltiges Folioblatt herauskamen, dann als vierblättrige Quartschrift; Kapp 1886, 412). Einzelne, selbständig erschienene Flugblätter konnten später in einer Flugschrift zusammengefaßt werden (z.B. die acht Flugblätter Das Papsttum mit seinen Gliedern von Hans Sebald Beham: zuerst 1526 als Folioblätter erschienen, dann als 22-blättrige Quartschrift; Meuche/ Neumeister 1976, 77). 2. Keine Periodizität: Dieses Kriterium grenzt Flugschriften von den in regelmäßigen Zeitabständen erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften ab. Aber manche Autoren/Gruppen ließen Flugschriften fast in regelmäßigen Abständen erscheinen. König Maximilian veröffentlichte seine Mandate zwischen 1489 und 1513 ein- oder zweimal pro Jahr. Lessing ließ 1778 elf Folgen seines Anti-Goeze erscheinen. Der „Deutsche Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse" veröffentlichte 1832 sechs Flugschriften nacheinander und numerierte sie. 1834 brachte Friedrich L. Weidig fünfmal den Leuchter und Beleuchter für Hessen heraus und bezeichnete ihn als „erstes" bis „viertes Blatt" (auch der Hessische

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Die Flugschrift als sprachliches M e d i u m

Landbote war als „erste Botschaft" angekündigt). 1848 haben mehrere Autoren Flugschriftenfolgen geplant und die erste Flugschrift als erstes Heft, erstes Sendschreiben, erste Fortsetzung, Nr. 1 etc. bezeichnet. 3. Fehlender fester Einband (im Gegensatz zum Buch): Flugschriften wurden aus einem aktuellen Anlaß geschrieben und deshalb meistens nicht wie Bücher, die zum wiederholten Lesen bestimmt waren, gebunden. Dennoch wurden manchmal mehrere Flugschriften mit einem Einband versehen „zu beheltnis auf kunfftige tzeit" (Caritas Pirckheimer in einem Brief an Hieronymus Emser). Man konnte es einem Druck von außen nicht ansehen, ob er als Flugschrift oder als „Buch" konzipiert war. Erst um 1870 fiel das Innungsprivileg der Buchbinder, welches nur ihnen gestattete, Drucke zu binden. Der Drucker verkaufte nur die gedruckten Bögen, manchmal mit einem etwas stärkeren „Schmutzumschlag" aus Papier. 4. Aktuelles Thema: Flugschriftenautoren greifen in aktuelle Debatten über den Zustand der gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, religiösen etc. Verhältnisse ein, welche im Grunde alle Menschen einer Gesellschaft betreffen (z.B. Steuern und Abgaben, Formen der Ausbeutung, Glaubensfreiheit, Kriege und militärische Bedrohungen, Gewaltakte und soziale Ungerechtigkeiten). Durch Flugschriften soll eine öffentliche Meinung über diese Themen hergestellt werden. 5. Agitation und Propaganda: Zum landläufigen und auch hier vertretenen Begriff von ,Flugschrift' gehört, daß die Autoren nicht nur über (beklagenswerte) Zustände informieren, sondern daß sie zum Handeln aufrufen, warnen, drohen, Personen oder Institutionen anklagen, eigene Aktionen rechtfertigen oder ankündigen. Dieses Kriterium ist jedoch umstritten. Bach (1997) und Wilhelm (1996) gehen von einem weiten Flugschriftenbegriff aus und beziehen wertende Berichte (Neue Zeitungen, news, avisamenti) in ihre Darstellungen mit ein. 6. Nichtspezifisches Publikum und öffentliche Verbreitung: Flugschriften sollen durch den Druck einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Deshalb ist es fraglich, ob Reformaufrufe, die keine große Verbreitung hatten wie z.B. der nur in einer Handschrift überlieferte Oberrheinische Revolutionär um 1509 (VL 7, 8ff.), „Flugschriften" genannt werden können. Auch wenn manche Flugschriften sich an einzelne Gruppen wenden (Luther: An den christlichen Adel deutscher Nation 1520), gehen Autoren und Drucker davon aus, daß auch andere Gruppen den Text lesen (sollen). Problematisch ist, ob lateinische Flugschriften und solche, die sich ausschließlich an bestimmte Gruppen wenden (Gelehrte, Rat einer Stadt), dieses Kriterium erfüllen. In dieser Situation bieten sich für die Definition von ,Flugschrift' die Begriffe ,Zentrum' und ,Peripherie' an. Zentrale Flugschriften sind kurz, auf Deutsch und haben ein Thema, das alle betrifft. Periphere Flugschriften sind solche, die sich vom Inhalt her an spezifische Adressaten wenden, sehr umfangreich und in einem Stil verfaßt sind, den nicht alle verstehen können. Dazu zählen z.B. die langen (und langatmigen) Auseinandersetzungen der protestantischen Theologen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts oder sehr dicke Flugschriften wie die Ver-

Ä u ß e r e Gestalt

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teidigungsschrift Fürstliche Mecklenburgische Apologia 1629 mit 1116 Seiten (sie enthielt im Anhang 259 amtliche Texte!). Flugschriften und Flugblätter sind verwandte Medien: Sie entstehen zur selben Zeit; sie können im 16. und 17. Jahrhundert die gleichen Texte enthalten; eine kleine Flugschrift konnte auch als Einblattdruck erscheinen. So ist das Wormser Edikt Kaiser Karls V. gegen Martin Luther sowohl als 10-blättriger Quartdruck wie auch als Plakatdruck von 120 χ 32 cm (!) erschienen; Luthers anonyme Satire Neu Zeitung vom Rhein 1542 gegen die Überführung der Reliquien von Halle nach Mainz bestand nur aus einem gefalteten Folioblatt. Flugschrift und Flugblatt ergänzten sich in derselben Streitsache, wenn z.B. eine argumentative Flugschrift an die Gebildeten geschrieben wurde, ein polemisches Flugblatt an das Massenpublikum. Es gibt aber auch formale Unterschiede: Flugschriften wurden meist in Prosa geschrieben, Flugblätter meist in Versen. Flugblätter sind im 16. und 17. Jahrhundert illustriert, Flugschriften meistens nicht. Das kommunikative Ziel von Flugschriften ist häufiger explizite Argumentation als in Flugblättern, die tendentiell schärfere Polemik und mehr sensationelle Inhalte enthalten (Schilling 1990, 105ff.). Es sollte noch betont werden, daß .Flugschrift' ein medialer Begriff ist, jedoch kein textlicher. Flugschriften können mehrere Texte enthalten, die auch unabhängig voneinander geschrieben und rezipiert worden sind. Das ist schon in der Flugschriftenkontroverse zwischen Johannes Reuchlin und Johannes Pfefferkorn der Fall (vgl. Kap. 9.1.). Meistens hängen diese Texte inhaltlich zusammen, manchmal jedoch nur locker. Eine Flugschrift ist jedenfalls keine ,Textsorte', solange man unter ,Textsorte' eine kommunikativ-intentionale Kategorie verstehen will. Bei der Frage, ob ein Text eine Flugschrift ist oder nicht, scheint mir das wichtigste Kriterium das der Funktion zu sein: ob bestehende politisch-gesellschaftliche Verhältnisse verändert oder verteidigt werden sollen. Wichtig ist weiter die intendierte weite Verbreitung durch den Druck. Das formale Kriterium der Mehrblättrigkeit genügt, um Flugschriften von Flugblättern abzugrenzen.

1.4. Äußere Gestalt Bis Anfang des 19. Jahrhunderts blieb der Druckvorgang für Bücher und andere Druckwerke im wesentlichen gleich. Flugschriften wurden meist in Quartgröße gedruckt und lösten das bis 1518 vorherrschende Folioformat ab. Das Folioformat wurde für anspruchsvolle Texte verwendet (Bibeln, Gesetzestexte, Kompendien). Die kleinere Druckgröße Oktav war anfangs noch selten, aber gut geeignet für häufigeren Gebrauch, z.B. für Sebastian Lotzers Beschirmbüchlein 1524, eine thematisch geordnete Sammlung von Bibelstellen für den täglichen Argumentationsbedarf (Arnold 1990, 168).

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Die Flugschrift als sprachliches M e d i u m

Ein vierblättriger, also achtseitiger Quartdruck bestand aus einem beidseitig bedruckten Bogen etwa von der Größe 42 χ 34 cm. Um z.B. vier Blätter durch Umschlagen leicht lesen zu können, mußte man einen Druckbogen zweimal jeweils in der Mitte falten und dann am oberen Rand aufschneiden. Mit einem Faden konnte man die ineinander gelegten Blätter zusammenhalten. Viele Flugschriften der Sammlung von Gustav Freytag in der Universitätsbibliothek Frankfurt/M. haben noch diese Fadenheftung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gingen Flugschriften - wie auch die Romane - in Oktav über. Typographisch unterschieden sich Flugschriften nicht von anderen Druckerzeugnissen: Die Normalschrift war eine Variante der Fraktur (Schwabacher), die Auszeichnungsschrift (z.B. für lateinische Wörter) eine Form der Antiqua. Über die mangelnde Druckqualität gab es Klagen: Da Flugschriften oft schnell hergestellt und billig verkauft werden sollten, verwendeten Drucker manchmal schlechtes Papier („auf recht lumpen Papier gedruckt" 1631), wechselten die Drucktypen, um eine bestimmte Seitenzahl einzuhalten, und unterließen Korrekturen (Tschopp 1991, 86). Die Erstausgabe des Kommunistischen Manifests wurde z.B. auf schlechtem Papier, mit vielen Druckfehlern und „Spießen" (Spuren überständiger Metallabdrucke) veröffentlicht. Die Seitenzahlen der meisten Flugschriften in den politisch bewegten Zeiten waren gering. Luther schrieb zwischen 1517 und 1520 mehr kurze als lange deutsche Flugschriften: 14 Flugschriften mit 4 Blättern, 12 mit 8 Blättern; 3 mit 6 und 10 Blättern, 2 mit 2, 12 und 14 Blättern und jeweils eine mit 20, 26, 30, 32 und 48 Blättern. Auch die Flugschriften anderer Autoren der Reformation waren kurz: Über die Hälfte waren nicht länger als acht Blätter; der Durchschnitt lag bei etwa dem Doppelten (Köhler 1987, 312). Kurze Texte konnten in einem Zug gelesen werden; die Lesezeit dauerte etwa so lange wie eine Predigt (eine halbe bis ganze Stunde). Sie ließen sich leichter transportieren; sie waren billiger und fanden deshalb auch leichter ihren Weg in Häuser, in denen es sonst keine Bücher gab. Ein ähnliches Bild ergibt die Auszählung von 81 politischen Flugschriften des ereignisvollen Jahres 1631 aus Gustav Freytags Flugschriftensammlung: ein Drittel liegt bei einer Blattzahl von bis zu 4 Blättern, die Hälfte bis zu 8 Blättern, drei Viertel bis zu 14 Blättern (alle im Quartformat). Es gibt aber auch Flugschriften mit dokumentierenden Texten, die 60, 80 und sogar 158 Blätter umfassen. Die bloße Bogenzahl eines Druckes hatte im 19. Jahrhundert für Flugschriften insofern sozialpolitische Bedeutung, als nach den Karlsbadern Beschlüssen von 1819 alle Druckerzeugnisse bis zu 20 Bogen = 320 Oktavseiten der Zensur unterlagen. Das Titelblatt ist eine Erfindung des Buchdrucks (erstes Titelblatt 1484). Die Drucker verwendeten die sichtbare Seite eines Druckes dazu, um für ihn zu werben. Das Titelblatt wurde in eine typographisch ästhetische Form gebracht durch Randausgleich, Zentrierung und immer enger werdende Zeilen, durch

Äußere Gestalt

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Abstufungen der Schriftgrößen und unterschiedliche Farben. Der Titeltext wurde manchmal gerahmt von ornamentalen und pflanzlichen Verzierungen, Säulen und Tafeln, durch Darstellungen von Putti, mythologischen Gestalten und rätselhaften Szenen. Hierin unterscheiden sich Flugschriften nicht von Büchern. In den Titeltext wurden Informationen über den Inhalt (Von den guten Werken), das Medium (Sendbrief), die sprachliche Funktion (Bericht, Relation, schlag,

Vermahnung,

christlichen

Tröstung,

Adel deutscher

Widerlegung)

Nation)

Rat-

oder die Adressaten {An

den

gebracht. Polemische Texte sind an der

Präposition wider erkennbar: Wider die räuberischen

und mörderischen

der Bauern (L/S 111,6); Wider die Artikel der Bauernschaft Titelblatt von Pfefferkorns Streitbüchlein

Rotten

(L/S 11,6). Auf dem

1516 (Kö. 1, 3717) steht:

wider den falschen Broder Doctor Joannis Reuchlyn. und syne jungern. Obscurorum virorum. Die vormals verstolen wyder mich und noch vil mer wyder die heylig kyrch und wyder vili erber menner auß gegossen haben, eyn unchristlich, ketzerlich, unwarhafftig. schentlich. schmach schryfft. In Flugschriftenkontroversen formulierten Autoren ihre Titel in Anlehnung, aber mit charakteristischen Unterschieden zum Bezugstext. Eine gegen Thomas Müntzer gerichtete Flugschrift von Luther lautete: Den durchleuchtigsten hochgebomen Fürsten und Herrn Herrn Friederich des Rö. Reichs Churfürst, und Johans, Hertzogen zu Sachsen, Landgraffen ynn Düringen, und Marggraffen zu Meyssen, meynen gnedigsten herrn. Müntzer antwortete darauf, implizit auf Luthers Unterwürfigkeit anspielend, mit dem nachgestalteten Titel: Dem durchleüchtigsten, erstgebornen fürsten und allmechtigen herren Jesu Christo, dem gütigen König aller könige, dem tapfern hertzogen aller gelaubigen, meinem gnädigsten herrn und getrewen beschinner, und seiner betrübten ainigen brawt, der armen christenhayt. (Wolf 1989, 150) Manchmal sollte möglichst viel Information zum Text gebracht werden (vgl. den langen Titel von Johann Fischarts De Magorum daemonomania ... in 5.3.3.). 1540 lautete der Titel einer Flugschrift Herzog Heinrichs von WolfenbüttelBraunschweig folgendermaßen (Kö. 2, 230): Andere bestendige, ergriindte und warhafftige antwort, des Durchleuchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Heinrichs des jüngern, Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg etc. Auff des Churfürsten zu Sachsen, und Landgrafen zu Hessen jüngst ausgangen lester, ehrenrührig, famos, erdicht, unwarhafftig, und falsch Libell an beide Churfürsten, Pfaltz und Brandenburg, geschrieben, Darinn der leser zubefinden, wie bösslich, falschlich, erdichtiglich, und neben aller warheit, sein F. G. von Sachsen und Hessen sein angeben, geschmecht, und ausgebreitet worden. Dagegen antwortete Luther ganz knapp mit dem Titel: Wider Hans Worst. Überhaupt erfand Luther viele ironische, witzige und aggressive Titel (Erben 1983).

Die Flugschrift als sprachliches M e d i u m

10

Schon früh hatten Flugschriften auf dem Titelblatt ein Motto, das die Zielrichtung des ganzen Textes zusammenfaßte (Wolf 1989, 149f.). Im Barockzeitalter gingen Autoren dazu über, rätselhafte Übertitel zu formulieren, die sie anschließend erläuterten (Lährma=Trummel, Oder Ein Treue Ermahnung an alle Christliche Mitglieder des Rom. Reichs, Ho. 5915). Auch Sprichwörter dienten zur Weckung der Neugier (Ho. 5027): Traw/ Schaw/ Wem/ Das ist/ Kurtze/ und dieser Zeit hochnötige Erinnerung eines Gott= und friedliebenden Christen/ gestellet an un= terschiedliche deß H. Römischen Reichs von des Bapsts Sawerteig abgesonderte Ständte/ sie wollen doch dem liebkosen der Papisten so viel nicht trawen/ sonder mit allem fleiß darauf schawen/ wie sie/ hindangesetzt aller Neutralitet und eygenen nutzes/ unter sich selbst frieden halten/ und die Religion sampt Vatterlandt/ wider der Papisten gefährliche Practicken/ desto leich= ter mögen beschützen.

Im 19. Jahrhundert gingen Titelblätter auf eine einfache Form zurück, behielten die Zentrierung aber bei.

1.5. Text und Bild Zwischen 1390 und 1400 wurde der Holzschnitt erfunden, 1446 der Kupferstich. Während fast alle Flugblätter vom 15. bis 17. Jahrhundert illustriert sind, ist dies bei Flugschriften nicht so. Nur knapp 17% aus einer Stichprobe von 3100 Flugschriften der frühen Reformation haben einen Titelholzschnitt, die meisten davon mit einem inhaltlichen Bezug zum Text (41 %), nur 16% mit einem polemischen Akzent (Köhler 1986, 262ff.). Insgesamt wurden etwa drei Viertel dieser Flugschriften mit Holzschnittbordüren umrandet (Köhler 1987, 313). In anklagenden Texten standen sich Freund und Feind gegenüber oder bekämpften sich (z.B. veranschaulicht Ulrich von Huttens Gesprächbüchlein 1520 den beabsichtigten „Pfaffenkrieg" Franz von Sickingens gegen die Bischöfe durch Ritter, die mit Lanzen auf den Papst, Bischöfe und andere Geistliche einstürmen). Und wie polemische Titeltexte in Anlehnung an eine Bezugsflugschrift formuliert wurden, so nahmen Titelholzschnitte bildliche Elemente der Bezugsflugschrift auf. Auf dem Titelblatt von Thomas Murners Evangelischer Kirchendieb- und Ketzerkalender von 1527 zeigt Christus anklagend auf Leute, die eine Kirche ausplündern, während auf dem Holzschnitt des Bezugstexts Christus auf einen Leuchter als Symbol des Evangeliums zeigte (Schottenloher 1917, 311).

11

Text u n d Bild

Besonders die Prognostiken (Prophezeiungen) und Katastrophenankündigungen vor 1524 enthielten bildliche Darstellungen. Von 21 deutschen Flugschriften dieser Art haben 19 einen Titelholzschnitt (Talkenberger 1990, 266f.). Manche sind wie Bilderbücher gestaltet, so Johannes Lichtenbergers Prognosticatio

1488 (48 Blatt

mit 45 Holzschnitten), Joseph Grünpecks Spiegel

1508 (14 Blatt

der Sehungen

mit 13 Holzschnitten), Virdung von Haßfurts Auslegung Zeichen

der

wunderbarlichen

1520 (20 Blatt mit 36 Holzschnitten). Auf einem Holzschnitt in Grün-

pecks Sehungen wird das Schiff der Kirche dargestellt, wie es an einem Felsen zerschellt, so daß der Papst, ein Kardinal und ein Mönch untergehen (Abb. 1).

g p i r g r l ber naturlirltm Ijtoliftljro tmò piop|>ct¿fhd)t< /int> gemeyrt t o t ttiCnffrnlxyt / f u n t a f a r f »fcem2^r«bfèn rtî β ί ο φ ι ο η «ίιβ itaturlicbleinfltiß btepimde tnbtnvoiffen ftin vñ in t o n (Tboibcn Clima ctf círcfd b«gnf^nn/('n Porom títgíit g « « wtrbctt«/ φ ι η φ tcit»trbta«t htrrt Jofcpt? m.

Abb. 1. 1508.

Titelholzschnitt von Joseph Grünpecks Spiegel der natürlichen

Sehungen

Dazu heißt es: „Die gemain Sag [öffentliche Meinung lautet], das sant Peters schiflein zu diesen zeitten sol an vil fels der ungefel [Unfälle] zerstossen"; Kö.

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Die Flugschrift als sprachliches Medium

1, 2024, Bl.Cla). 1522 veröffentlicht, bekam eine solche Prophezeiung von 1508 eine ganz neue Aktualität. Auffallend sind die von den privaten, mit der Hand gemalten Schmähbildern übernommenen Darstellungen schändlicher Todesstrafen des Gegners, z.B. die Vierteilung Reuchlins in Pfefferkorns Klag über alle Klag 1521 (Kö. 1, 3713), die Vierteilung Luthers durch den Kaiser in Johannes Fundlings Anzeigung zweier falscher Zungen Luthers 1526 (L/S, Tafel 16), die Räderung des Papstes in An die Versammlung gemeiner Bauernschaft 1525 (L/S, Tafel 11; vgl. Scribner 1981, Kap.4) oder die Bestrafung der Münsteraner Täufer (Vogler 1981, 315, 349ff.). Aktuell symbolische Bedeutung bekam die Babylonische Hure aus der Apokalypse des Johannes. In Lukas Cranachs Holzschnitten zu Luthers Septembertestament von 1522 wurde sie mit der Tiara auf ihrem Kopf dargestellt und so auf das Papsttum gedeutet. Einige Holzschnittkünstler übernahmen dieses Bild (Entschuldigung eines Priesters 1523; Kö. 1, 709); auf zwei Flugschriften Melchior Hoffmanns von 1530 kniet sogar der Kaiser vor ihr (Schottenloher 1917, 316f.; L/S/W B d . l , S.499). Die Illustrationen der Titelbordüren mit ihren manchmal spielerischen und phantastischen Szenen dienten als Blickfang und Kaufanreiz. Selbst die Flugschriften von Reformatoren (Andreas Karlstadt: Von Abtuung der Bilder 1522, Martin Luther: Eine schreckliche Geschichte und Gericht Gottes über Thomas Müntzer 1525) hatten Darstellungen nackter Frauengestalten (Abb. 2; vgl. Schottenloher 1917, 307). Mit Bildern konnte man aber auch versuchen, jemanden vom anderen religiösen Lager zum Kauf der Flugschrift zu bewegen. Die Flugschrift Von der Vermählung Mariae und Josephs 1524 des Laienpredigers Clemens Ziegler enthält zwei Holzschnitte, die Maria mit dem Kind darstellen. Die im Barock beliebten allegorischen und emblematischen Titel und Textgestaltungen regten dazu an, die Allegorie auch bildhaft darzustellen. Der FriedensCurier (1674, Ho. 5953) zeigt einen reitenden Boten mit Posthorn, eine Flugschrift namens Hahnengeschrey (1756, Ho. 6238) einen Hahnenkampf. Kaspar Zieglers Flugschrift Ein ungeheuer Wunder: Ein Bischof ein Soldate, ein Soldate ein Bischof (1674, Ho. 5945) zeigt einen Mann, der auf der linken Hälfte mit Bischofshut, -stab und Meßgewändern als Bischof erscheint, auf der rechten Hälfte mit Helm, Marschallstab und Rüstung als Feldherr. Manche Flugschriften des 17. Jahrhunderts schwelgen geradezu in erzählerischen Darstellungen, beispielsweise wenn Christus ein Heer der Türken zu Boden wirft (Ho. 5920). Flugschriften, die aus territorialen Kanzleien stammen, haben unter dem Titel manchmal das Wappen oder das Porträt des Herrschers. Die Gattung der dreiteiligen Emblemdichtung mit Überschrift, Bild und epigrammatischer Deutung wurde auch als Flugschrift verbreitet. 1649 erschien eine deutsch-lateinische Flugschrift mit 24 Emblemen (Ho. 5803), die sich alle auf den Westfälischen Frieden beziehen, z.B. das biblische Kamel, das durch ein Nadelöhr geht und folgendermaßen gedeutet wird:

13

Text und Bild Wie? soll nicht ein C a m e l durch eine Nadel gehn? Wann du den Teutschen Fried jetzt wider sihst entstehn.

jfyn^cbrecRUcbgc ; fd)i u l j u S j n g o l d f i a t / p n i b ö ß ö fle eynen C u a n g c l i j c b e n 3 f u n g l i n g / j u w>iDcrfpiccl;unß ö « e r r o : t © o r t e e / b e t r a n e t l^rtbcn/flrafttt.

S t i e b v o i e n t Ι χ τ η β φ t>(e articFcI/fo flfteßtffrr f e b o f t e r r o n îlfcunebcn D u r c b ö i c b o b e n f e b u l gclftaf b c r e ö t a m o.bcntPiifcrfiv.ivc «cburî pcrfcl;tnc!i w i b c r r i i f f c t i r n n ö r e n v o i f f c n actumgiigcifat.

m

m

arfacítie jen nccbjt Ijar.

jt)luj.

Abb. 4. Argula von Grumbach gegenüber den Theologen der Universität Ingolstadt. Argula hält in ihrer Hand die Bibel; zwischen ihr und den Theologen liegen vermutlich päpstliche oder scholastische Bücher auf dem Boden. Der Anführer der Theologen zeigt auf sie und hält an einem Band drohend den Fehdehandschuh.

Autoren

19

Argüía von Grumbach mußte sich in allen ihren Schriften gegen das Vorurteil auseinandersetzen, eine Frau könne und dürfe nicht in der Öffentlichkeit auftreten, schon gar nicht in Fragen der Religion. Das Neue Testament hatte kategorisch erklärt, daß Frauen in der Kirche zu schweigen hätten („die Frauen sollen in den Gemeindeversammlungen schweigen", 1 Kor. 14, 34) und daß sie nicht lehren dürften („zu lehren gestatte ich einer Frau nicht", 1 Tim. 2,12). Diese beiden Bibelstellen wurden durch die Jahrhunderte angeführt, um Frauen mundtot zu machen. Nur die Gnade der Weissagung wurde ihnen zugestanden (Thomas v.Aquin, Summa theologica II-II, qu. 177,2). Deshalb zitierten Frauen (und männliche Laien) immer wieder die gleichen Bibelstellen, in denen von Weissagungen die Rede war, um ihr Recht, öffentlich zur Kirchenreform aufzurufen, biblisch zu begründen, am häufigsten Joel 2, 28: „ich werde meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter werden weissagen" (Vorrede zu Grumbachs Brief an die Universität Ingolstadt; bei Clemens Ziegler und Ursula Weyda auf dem Titelblatt oder am Ende des Textes). Der Verfasser dieser Vorrede verglich Argula von Grumbach mit biblischen Frauen (Judith, Esther, Susanna), die öffentlich als Anklägerinnen auftraten, und er wies auf die Außergewöhnlichkeit hin, daß eine Frau die irrenden Priester „straffet [tadelt], ermanet vnd vnderweyset (vormals von weyblichem geschlecht der gleychen gar wenig vnd bey vnsern zeyten nye gehört)" (A4a). Auch Argula von Grumbach konnte ihren Entschluß, an die Universität zu Ingolstadt zu schreiben, nur biblisch begründen: Ich hab nymmer jm sinn gehabt [...] zuschreyben, mir die ketzerischen artickel anzuzaigen, die der getrew arbayter des Euangeliums Martinus Luther geleert hab, Yedoch mein gay st [h]ernidertruckt, vnd mit schwermütigkait vnderlassen, vrsach das Paulus sagt 1. Thimo. 2. Die weyber sollen schweygen, vnd nit reden in der Kirchen. Nun ich aber in diser art kain man sehe der reden will, noch darff, dringt mich der spruch, Wer mich bekent, wie ob angezaigt, Vnd nim für mich Ysai. am 3. Ich schick in[en] kinder zu Fürsten, vnd weyber, [...] Vnd Ysa. am 29. Die yrrenden wem wissen die vernunfft im gayst [...] vnd psal. 8. Du hast volbracht das lob auß dem mund der kind [...] Vnd Luce am 10. Jesus [...] sagt, Vatter ich sag dir danck, das du dise ding hast verborgen den weysen, vnnd die geoffenbart den klaynen (es folgen fünf weitere Bibelstellen; Wie ein Christliche Frau des Adels strafet die Hoheschul zu Ingolstadt; Kö. 1, 1430, Blb).

Mehrere Autorinnen wurden öffentlich angegriffen, weil sie es gewagt hatten, mit Flugschriften für die Reformation einzutreten. Aber nicht sie, sondern ihre Männer wurden zur Verantwortung gezogen. Friedrich von Grumbach wurde von seinem Amt als Pfleger in Dietfurt abgesetzt. Matthäus Zell wurde vom Rat der Stadt Straßburg befohlen, dafür zu sorgen, daß seine Frau keine Flugschriften mehr schrieb. Und auch dem Mann der Ursula Weyda wurde in einer gegen sie geschriebenen Flugschrift geraten, daß „du deyner frawen gebottest, das sie sulch buchleyn vol lesterwort nit ließ außgehen" (L/W, S.795).

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Produktion, Distribution und Rezeption

In dieser Flugschrift bot ein altkirchlicher Autor alle gängigen frauenfeindlichen Stereotypen auf. Die Frau sei nach Orígenes ein „heubt [Haupt] der sunde, eyn waffen des teuffels, eyn außtreyberin des paradiß, eyn mutter der boßheyt" (ebd., 779); zehn Frauen seien „wol ßo klugk als eyn gans" (780). Statt Bücher zu schreiben, solle Weyda Hemden waschen und Schüsseln spülen (791). Der Ingolstadter Student hatte gegen Argula von Grumbach geschrieben: So stel ab dein muet vnd gut dunckel Vnd spin dafür an einer Kunckel [Spinnrocken] Oder strick hauben vnd wirck borten Ein weyb solt nit mit gottes Worten Stoltzieren vnd die manner leren Sonder mit Madalen zu hören (zit. in Kolde 1905, 108).

Und wo Argumente nicht mehr halfen, wurde den Frauen ein sexuelles Interesse an jungen Mönchen unterstellt. Daß so viele Frauen auf einmal zu einem gesellschaftspolitischen Thema Flugschriften geschrieben haben, hat es später nicht mehr gegeben. 1515 schrieb Herzogin Sabina von Württemberg eine Flugschrift mit Anklagen gegen ihren Mann, den Herzog Ulrich von Württemberg, vor dem sie geflohen war, sowohl im eigenen Namen (Kö. 1, 4112) wie zusammen mit ihren Brüdern, den Herzögen Wilhelm und Ludwig von Bayern (Ho. 1857; vgl. 9.2.). 1545 erschien der Christliche Sendbrief der Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, die fünf Jahre lang Braunschweig-Calenberg für ihren Sohn verwaltete und dort die Reformation einführte. Darin wandte sie sich an die einzelnen Stände (Pfarrer, Adel, Städte, Bauern) und forderte diese je nach ihren Standespflichten zu einem umsichtigen und maßvollen Handeln im Sinne der protestantischen Ethik auf. 1556 veröffentlichte sie das Trostbuch für Witwen (fünf Auflagen bis 1609), worin sie die gesellschaftliche Schutzlosigkeit von Witwen beklagte und diesen die Fürsorge Gottes versicherte (Becker-Cantarino 1989, 202ff.). Frauen mußten erst einmal um Anerkennung ihrer intellektuellen Gleichwertigkeit kämpfen. Dies taten in den Niederlanden Anna Maria van Schurman (Arnica dissertatio inter A. M. Schurmanniam et Andream Rivetum de capacitate ingenii muliebris ad scientias 1638; 1646 und 1656 ins Französische und Englische übersetzt, ins Deutsche erst 1749), in Deutschland Christiana Mariana von Ziegler (Ob es den Frauen erlaubet sei, sich nach Wissenschaften zu bestreben 1739) und Dorothea von Erxleben (Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, darin deren Unerheblichkeit gezeiget wird 1742; ebd., 187f., 265). Die Männerwelt reagierte auf diese Bestrebungen allergisch (Spottgedicht gegen Chr. v. Ziegler ebd., 264). Frauen schrieben häufiger Briefe, Gedichte und Lieder, in welchen aber immer wieder auch gesellschaftliche Pobleme behandelt und Mißstände gegeißelt wurden. 1650 wurde in Schleswig-Holstein Anna Ovena Hoyers' Schrift Geistli-

Autoren

21

che und weltliche Poemata verboten, weil sie eine heftige Invektive gegen die verknöcherte lutheranische Orthodoxie vom Standpunkt der Schwenckfeldianer und Weigelianer enthielt (ebd., 222ff.). Erst im 18. Jahrhundert wandten sich Frauen vermehrt an die publizistische Öffentlichkeit, nun aber als Herausgeberinnen von Moralischen Wochenschriften (als erste Louise Kulmus, die „Gottschedin": Der Aufseher 1745). In Form von selbständigen Schriften forderten Frauen einen weiteren Kreis der Bildung für Mädchen (Betty Gleim: Ankündigung von dem Plan einer in Bremen im Jahre 1806 zu errichtenden Lehranstalt für Mädchen; Erziehung und Unterricht des weiblichen Geschlechts 1810; Uber die Bildung von Frauen und die Behauptung der Würde in den wichtigsten Verhältnissen ihres Lebens 1814; Karoline Rudolphe Gemälde weiblicher Erziehung 1807) und sogar für die berufliche Ausbildung (Eleonore Elisabeth Bernhardi: Ein Wort zu seiner Zeit. Für verständige Mütter und erwachsene Töchter, 1798 anonym erschienen; ebd. 190ff.). Im 19. Jahrhundert schrieben Frauen flugschriftenähnliche Publikationen wie z.B. Bettina von Arnim: Dies Buch gehört dem König 1843, worin Frau Rat Goethe in einem fingierten Gespräch mit der Autorin Gesellschaftskritik übt. Das Buch hatte eine emphatisch lobende Broschüre von Adolf Stahr zur Folge, welche dann verboten und beschlagnahmt wurde. Zurück zu den männlichen Autoren. Waren im 16. und noch im 17. Jahrhundert hauptsächlich Pfarrer und Theologen die Autoren von Flugschriften, so waren es von der Mitte des 16. Jahrhunderts an immer mehr Juristen. Entsprechend verschoben sich die Themen von der Kirchenreform zur politischen Auseinandersetzung. Juristen, die im 18. Jahrhundert für aufständische Gruppen schrieben, wollten lieber unerkannt bleiben (Würgler 1995, 147f.). Im 18. und 19. Jahrhundert traten Schriftsteller hervor, die mit Flugschriften auf den Gang der gesellschaftlichen Entwicklungen Einfluß nehmen wollten (im Krieg gegen Napoleon: E.M.Arndt, A. Ruge, Κ. Varnhagen von Ense, A. W. Schlegel). Die Autoren der Vormärzzeit waren zumeist Akademiker: Schriftsteller, Journalisten, Pfarrer, Juristen, seltener Philologen und Mediziner, aber auch wieder Handwerker (Ruckhäberle 1975, 65ff.). An der Diskussion über die Verfassung Deutschlands 1848 beteiligten sich vor allem Juristen, Regierungsbeamte, Professoren, Lehrer, Pfarrer, auffallend viele Adlige und nur ausnahmsweise „eines Bauern Sohn". Man muß die Autoren auch danach unterscheiden, ob sie aus eigenem Antrieb Texte veröffentlichten oder ob sie in amtlicher Position als Juristen, Gesandte oder Hofprediger die Politik ihres Fürsten unterstützten. In der Reformationszeit, während der Französischen Revolution, in den Befreiungskriegen und 1848, also in Zeiten politisch-gesellschaftlicher Umbrüche, waren es oft einzelne, die sich aus eigenem Entschluß für eine Sache einsetzten. Im 19. Jahrhundert nahm die politische Organisation bei der Produktion und Verteilung von Flugschriften zu: Im Kampf gegen Napoleon wurden sie für kurze Zeit von einzelnen Ministerien (in Berlin Staatskanzler Hardenberg) unterstützt

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Produktion, Distribution und Rezeption

(Schäfer 1974, 62ff.). In Paris gaben der „Bund der Geächteten" und der „Deutsche Volksverein" in eigener Regie Flugschriften und Flugblätter heraus, finanzierten sie durch Mitgliedsbeiträge und setzten Redaktionsausschüsse ein (Ru., S.30ff.). Übrigens ging 1848 auch die politische Propaganda durch Flugblätter hauptsächlich von politischen Vereinen aus (Weigel 1979, 94ff.).

2.2.

Anonymität

Um Verfolgungen zu entgehen, wurden viele Flugschriften anonym gedruckt. In der Flugschrift Wer die ganze Welt arm gemacht hat 1521 heißt es: Du möhtest fragen wer das biechlin gemacht hab, es habens gutt Lutherfische] gethon [...] Es wirt noch der tag kumen, das ich weder dich noch dein Got fürchten wird, aber yetzund fircht in [ihn] alle weit [...] wann ainer nur ain brieflein [Flugblatt] fayl hatt das wider sy ist, so verbietten syß in [ihnen] bey leib und gut und schnappen nach im wie die geschrifft gelerten nach Christum schnapten. (L/S/S, S.739)

Von Anfang an wurden Autoren, Drucker und Vertreiber von Flugschriften, die als häretisch oder staatsfeindlich angesehen wurden, verfolgt (Schottenloher 1917). Ein Tuchmacher, der auf dem Magdeburger Marktplatz Lieder von Luther verkaufte, wurde 1524 gefangengenommen (Schnabel 1965, 871f.). Der Leipziger Drucker Michael Blum mußte 1525 für drei Wochen ins Gefängnis, weil er eine Flugschrift Luthers gedruckt hatte (Schelle-Wolff 1996, 113). Der Flugschriftenautor David Denecker und der Drucker Hans Gegler wurden 1559 in Augsburg eingesperrt (Schottenloher 1985, 210ff.). In den Urkunden von städtischen und territorialen Archiven kann man immer wieder von Drohungen, Abmahnungen, Verboten und Strafen gegen Drucker und Vertreiber lesen. Manche von ihnen mußten ihr Engagement mit dem Leben bezahlen: Hans Hergot, mutmaßlicher Autor der Flugschrift Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens, wurde 1527 in Leipzig hingerichtet, Wolfgang Vogel im gleichen Jahr in Nürnberg. Hans Hut wurde gefoltert und kam beim Versuch, seine Fesseln mit Feuer zu öffnen, um. Melchior Hoffmann starb nach zehnjähriger schrecklicher Kerkerhaft in Straßburg. Johann Philipp Palm, der Verleger der Flugschrift Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung, wurde 1806 auf Befehl Napoleons vor ein Kriegsgericht gestellt und Stunden später zur Abschreckung anderer Flugschriftenvertreiber erschossen. Friedrich Ludwig Weidig, Mitautor des Hessischen Landboten, nahm sich 1837 aus Verzweiflung im Darmstädter Gefängnis das Leben. Anonymität wurde positiv ausgenützt. Sie gab den Autoren die Möglichkeit, sich und ihre Absichten in ein gutes Licht zu stellen. Auf den Titelblättern heißt es z.B.: „Antwort eines ehrbarn Liebhabers göttlicher Wahrheit" (L/S/S, S.512); „Ratschlag eines, der von Herzen begehrt, daß genug geschehe des Römischen Stuhls Würdigkeit" (L/S/S, S.357).

Kontroversen

23

Anonymität bot aber auch die Möglichkeit, die eigene ideologische Position zu verheimlichen und den Anschein zu erwecken, als schriebe man von der gegnerischen Seite aus. Katholiken nutzten im 30-jährigen Krieg die Fiktion eines protestantischen Autors, um gegen die Protestanten zu argumentieren (Auß Leipzig vom 13. Februar 1631; Copia Eines Schreibens 1631); und umgekehrt gaben sich protestantische Autoren als Katholiken aus (Gewissensangst eines fürnehmen Catholischen 1631, Eines fürnehmen Catholischen Herrn Ratschlag 1632; vgl. Böttcher 1953, 200; Tschopp 1991, 34, 42, 44).

2.3.

Kontroversen

Flugschriften regen zu Kontroversen an. Ein Autor schreibt gegen eine bestimmte Person; diese sieht sich in ihrer Ehre getroffen und antwortet ebenfalls mit einer Flugschrift. Der erste Autor repliziert, andere springen ihm bei, und so entsteht ein sich ausweitendes Netz aufeinander Bezug nehmender Flugschriften. Dieses Muster läßt sich immer wieder beobachten, von den lateinischen Kontroversen der Humanisten über den Reuchlin-Pfefferkorn-Streit, die Reformation, die prognostizierte Sintflut 1524, die innerprotestantischen Klärungen der lutherischen Orthodoxie und die konfessionellen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert bis hin zu den Streitschriften der Aufklärung. Es ist erstaunlich, wie gleichartig die Beteiligten an Kontroversen die Schuld immer beim Gegner, sich selbst dagegen in aller Unschuld sahen (vgl. 5.1.1.; Bach 1997, 141f.). Die Adressaten von Antwortflugschriften erschienen oft im Titel (eine englische Flugschrift zeichnet die ganze Kontroverse nach: An Apology against a Modest Confutation of the Animadversions upon the Remonstrant against Smectymnuus, ebd., 149). Die Autoren standen unter Zeitdruck. Nachdem Pfefferkorn auf der Frankfurter Ostermesse 1511 den Handspiegel verkauft hatte, mußte sich Reuchlin beeilen, zur Herbstmesse desselben Jahres seinen Augenspiegel zu veröffentlichen. Luther gab mehrmals eine Antwortschrift heraus, nachdem ihm nur der erste Bogen einer gegnerischen Flugschrift zugespielt wurde. Auch die drei wichtigsten Flugschriften der von Matthias Hoe von Hoenegg ausgelösten Kontroverse über die Feinde der Kirche erschienen 1631 innerhalb von nur drei Monaten (Tschopp 1991, 86). In der Kontroverse zwischen Lessing und dem Hamburger Hauptpastor Johann M. Goeze verkürzten sich die Repliken auf Wochen und manchmal nur Tage: Lessings elf Folgen seines Anti-Goeze mit immer neuen Entgegnungen erschienen zwischen Anfang April und Ende Juni 1778. Eine Kontroverse bringt es mit sich, daß die Meinung des Gegners zitiert und die eigene Meinung ihr entgegengehalten wird. Flugschriften bekommen dadurch eine dialogische Struktur. Immer wieder beklagen sich Beteiligte, nicht richtig zitiert worden zu sein (Luther gegen Emser: „zwackt [h]erauß meyne wort, wo es yhn dunckt, schmiert dran seynen gifft, lessit stehen was vorgehet

24

Produktion, Distribution und Rezeption

und folget", WA 7, 624), sind aber selbst nicht zimperlich, schon in den Zitateinleitungen starke Wertungen einfließen zu lassen (Luther gegen Karlstadt: „wand er das maul und sprach; riisselt er das maul und gab yhm solch antwort", WA 18, 89f.)· Im Lauf einer Kontroverse wurde die Zahl der Flugschriften immer größer: Im Streit um die Bücher der Juden wurden zwischen 1511 und 1519 mindestens 26 Flugschriften veröffentlicht. Luthers 95 Thesen hatten zwischen November 1517 und Mai 1519 15 Schriften von sechs Theologen zur Folge. Seine Babylonische Gefangenschaft der Kirche erschien allein in den Jahren 1520/21 in 9 lateinischen und 5 deutschen Drucken und hatte bis 1527 18 weitere Schriften zur Folge, ausgelöst vor allem durch eine lateinische Flugschrift König Heinrichs Vili. (Flood 1996). An der Sintflutdebatte der Jahre 1521-25 beteiligten sich 19 Autoren mit 25 Schriften, die in mindestens 60 Drucken verbreitet wurden; europaweit waren es 59 Autoren mit 69 Schriften (Talkenberger 1990, 155). Im politischen Streit zwischen Herzog Heinrich von Wolfenbüttel-Braunschweig und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen erschienen zwischen 1540 und 1546 fast 100 Flugschriften (Edwards 1983, 143ff.). Neben den großen Kontrovèrsen der Reformation, die mit dem Namen Luther verbunden waren (Luther gegen Tetzel/Wimpina, Eck, Emser, Murner, Herzog Georg von Sachsen, Karlstadt, Müntzer u. a.), darf man nicht die vielen kleinen vergessen, die manchmal nur aus einer Angriffsschrift und einer Entgegnung bestehen. Auch die theologischen Streitigkeiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die religiös-politischen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert (Tschopp 1991, 261ff.) und die städtischen und ländlichen Protestbewegungen im 17. Jahrhundert (Würgler 1995, 135ff.) sind durch Kontroversen geprägt. Auf die Eröffnungspredigt zum Leipziger Konvent 1631 von Matthias Hoe von Hoenegg antworteten mehrere Autoren (Tschopp 1991, 35ff.). In der Mitte des 17. Jahrhunderts begannen die ersten Auseinandersetzungen, die sich um Fragen des Stils und Geschmacks drehten (Johann B.Schupp: Erste und eilfertige Antwort auf Bernhard Schmitts Diskurs de Reputatione Académica 1655). Mehr und mehr wurden sie aber in Zeitschriften ausgetragen. Zwei der aufsehenerregendsten Debatten des 18. Jahrhunderts fanden in den jeweiligen „Hauszeitschriften" der Kontrahenten statt: der Literaturstreit zwischen Bodmer/Breitinger und Gottsched ab 1740 und die vernichtende Kritik Lessings an dem Hallenser Professor Christian A.Klotz (Briefe antiquarischen Inhalts 1768/69). Man kann diese Texte jedoch wegen ihrer literarisch-künstlerischen Themen nicht als Flugschriften ansehen. Wenn aber ein radikaler Religionskritiker die Aussagen der Bibel in Zweifel zog, dann sah die protestantische Orthodoxie die Grundlagen des Staates gefährdet, dann wurden Bücher verbrannt, Autoren verfolgt und selbst literarisch bekannten Zeitgenossen wurde verboten, weiterhin Streitigkeiten mithilfe von Flugschriften auszutragen (vgl. das Beispiel Lessing in Kap. 5.5.).

Veröffentlichungen fremder Texte

2.4.

25

Drucker

Eine Flugschrift ist ein Produkt mehrerer Personen. Der Autor liefert den handschriftlichen Text; der Drucker und seine Gehilfen bringen ihn in eine endgültige Gestalt. Die Drucker des 16. Jahrhunderts waren am Verkauf interessiert und machten Texte deshalb verständlicher: Sie merzten allzu starke Dialektalismen aus (z.B. in Handschriften des „Gärtners" Clemens Ziegler aus Straßburg) und ersetzten Wörter, die in ihrem Druckort unverständlich waren, durch regional übliche (z.B. Luthers Handschrift im Vergleich zu einem Augsburger Druck, WA 9, 177ff.); sie lösten Abkürzungen auf und setzten mehr Interpunktionszeichen, um das (Vor-)Lesen leichter zu machen (vgl. das Textstück aus einer Flugschrift von Luther in 5.5.2.); sie tendierten zu einer einheitlichen Orthographie; sie statteten den Text mit einem Titelblatt und dessen Schmuck aus und schrieben mitunter auch eine Werbung in eigener Sache darauf (z.B. Nickel Schirlenz aus Wittenberg: „Kauff und ließ / Es wirt dir gefallen"; Kö. 1, 4334); sie fügten positiv wertende Adjektive zum Titel hinzu (Ain gute nutzliche Sermon Doctor Martini Luthers; Ein nutzliche erklerung Durch den hochgelerten D. Martinum Luther; Erben 1983, 35). Aus Furcht vor Verfolgung gaben in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts weniger als ein Drittel aller Drucker ihren Namen oder den Druckort an. Für die Drucker waren die kleinen reformatorischen Flugschriften ein gutes Geschäft. Kurze Texte bedurften keines großen Lettern Vorrats, so daß auch viele „Winkeldrucker" mit Flugschriften und anderen Kleindrucken ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Sie waren Produzenten und Verkäufer zugleich (in einem Nürnberger Ratsprotokoll heißt es z.B.: „das drucken und failhaben der püchlin"). Sie zogen oft von Stadt zu Stadt und druckten auch bereits erschienene Flugschriften nach. Nach 1525 hatten sie allerdings kaum noch eine Existenzmöglichkeit. Großdruckereien dagegen, die sich auf Texte von klassischen Autoren und Humaisten spezialisierten wie z.B. die von Froben in Basel, lehnten es ganz ab, Flugschriften zu drucken.

2.5. Veröffentlichungen fremder Texte Wer in den Besitz eines Schriftstücks von jemandem gelangte, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, konnte dieses durch den Druck veröffentlichen und dadurch den Autor bloßstellen. Durch die Jahrhunderte hindurch wurden gegnerische Texte veröffentlicht und mit höhnischen Bemerkungen kommentiert. Eines der ersten Beispiele ist das Meisterliche Gedinge [Bedingungen] des Abts von Chemnitz von 1522 (Cl. 111,6), in welchem der Abt Heinrich von Schleinitz sich große Vergünstigungen für seinen Rücktritt ausbedungen hatte. Der Vertragstext

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Produktion, Distribution und Rezeption

wurde als Flugschrift gedruckt und mit gehässigen Kommentaren versehen. 1523 veröffentlichte ein reformatorischer Autor einen Brief von Caritas Pirckheimer an Hieronymus Emser und kommentierte ihn spöttisch und frauenverachtend. 1525 gab Luther die Bulle Papst Clemens' VII. zum Jubeljahr heraus und schrieb dazu ein Vorwort und Glossen mit Wortspielen (hellischer (wolt sagen heiligster) Vater), Schimpfwörtern (Sehende dich Gott, du leidiger Teufelskopff, du Schandbube), Stilbrüchen (zu Abendmahl: JA Abendfressen) und Tiervergleichen (Bapst Esel, Hunde und Sew, WA 18, 257ff.). Aber auch Fälschungen waren möglich, zum ersten Mal in den „Packschen Händeln" 1528 (Schottenloher 1985, 122ff.). Im Anhang einer Flugschrift des Landgrafen Philipp von Hessen wurde ein von dem Juristen Otto Pack erfundenes Angriffsbündnis der katholischen Fürsten veröffentlicht und an die Stände des Reichs geschickt. Der angebliche Angriffsplan zwang die genannten Bündnispartner zu Entgegnungen; allein Bischof Konrad von Würzburg mußte an 28 Fürsten, 14 Grafen und 104 Städte eine Entgegnung schicken. Als im Gefolge der Packschen Händel 1529 Herzog Georg von Sachsen einen Privatbrief Luthers an Wenzeslaus Linck veröffentlichte, antwortete Luther in Von heimlich gestohlenen Briefen mit der Unterscheidung zwischen „heimlich" (,privat') und „öffentlich", d.h. durch den Druck oder durch Abschriften verbreitete Schriften. Was heimlich sei, bedürfe keiner Verantwortung vor der Öffentlichkeit, auch wenn darin Lästerworte stünden. Solche „heimlichen" Briefe dürften nicht gedruckt werden: entbieten wir auch allen drückern, setzern, Correctorn und was mit solchem brieffe yn der drückerey umbgehet, dazu allen buchfiirern, keuffern und wer solche exemplar zu handen kriegt oder lieset, das sie alle sampt gewarnet wissen sollen, das sie unsern gestolnen brieff bey sich haben. (WA 30/11, 35)

Dadurch bekam der Begriff des .Privaten' eine Schärfung. „Öffentlichkeit" wurde zunehmend mit einer durch Druckwerke hergestellten Öffentlichkeit gleichgesetzt. Im Kampf der Fürsten untereinander war die Veröffentlichung gegnerischer Texte ein häufig verwendetes Mittel der Propaganda (Schmalkaldischer Krieg, 30-jähriger Krieg). 1814, auf dem Höhepunkt der antinapoleonischen Publizistik, wurde eine Rede Napoleons an die Deputierten der Gesetzgebenden Versammlung veröffentlicht, in der Napoleon als ein Tyrann und Prahler auftrat. Der Beginn lautet: Ich habe Sie hier vor mir beschieden, um Sie von der Höhe meines Thrones herab, einen Vortrag hören zu lassen. [...] mein Ehrgeiz [...] dem ich, wenn es seyn muß, jeden unter Ihnen, wie den letzten meiner Unterthanen aufopfern werde. (Kaiser Napoleons Rede 1814, S.9; Sch/St)

Rezeptionsprozesse in der frühen Reformation

2.6.

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Rezeptionsprozesse im Rahmen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der frühen Reformation

Die Flugschriften der Reformationszeit wurden individuell und still gelesen; sie wurden einem einzelnen oder einer Gruppe laut vorgelesen; sie wurden abgeschrieben; ihre Inhalte gingen in private Gespräche und in organisierte Disputationen ein. Pfarrer verbreiteten Ideen von Flugschriften in ihren Predigten, und Laien nahmen sie in neuen Flugschriften auf. Der Prozentsatz von Lesekundigen wird für 1500 auf ca. 5 % der Stadteinwohner und weniger als 1 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (Schön 1987, 36). Daß Flugschriften der Reformationszeit vorgelesen wurden, belegen Aufforderungen in den Flugschriften selbst. Die mittelalterliche Urkundenformel lesen oder hören lesen taucht immer wieder auf. Eberlin von Giinzburg schreibt: „Wir [...] thund kund aller menglich, so diß unser statut [...] läsen oder hören läsen werden" (Eb. 1, S. 108). Karsthans sagt in der gleichnamigen Flugschrift: „ich hab etlich biichlin, so ir gemacht haben, hören lesen". Wer nicht selbst lesen könne, solle sich die Flugschrift vorlesen lassen: „Kanst nit selb Lesen [...] so bestell ain armen schuler der lißt dir umb ain stuck brots so vil du ains tags bedarfest" (Arnold 1990, 53). In der Flugschrift Neu Karsthans sagt Karsthans: Ob got wil, so bald ich heim kome, wil ich all lutherische buecher kaufen und mir einen Schiller, wann ich nit arbeite, darin lesen lassen. (Rössing-Hager 1981, 77)

Bei Anreden verwendeten Autoren die Verben sagen und hören wie in Predigten: „ir lieben brüder, ich sag eüch", „nun hand ir gehört", „als ihr hernach hören werden" (Clemens Ziegler: Von der wahren Nießung Leibs und Bluts Christi 1524). Diese Autoren stellten sich also ein Publikum vor, dem ihr Text tatsächlich vorgelesen wurde. Es gibt mehrere Berichte davon, wie Flugschriften im privaten Kreis vorgelesen wurden, wie Laien Pfarrer auf der Straße angehalten haben, um sie zur Rede zu stellen, wie Predigten unterbrochen wurden und wie in Wirtschaften, auf Plätzen und in Häusern über das Evangelium diskutiert wurde (Scribner 1981, 67; Arnold 1990, 52f.; Moeller/Stackmann 1996, 210f.). Die Altkirchlichen mokierten sich darüber: Es sei „darzu kummen, das auch schneyder, schuster, pawrn, alte weyber und kinder vom Euangelio reden und disputirn wollen" (CI. II, S.383). Vorgelesen werden Flugschriften (und Zeitungen) noch im 17. Jahrhundert (Ukena 1977, 40). Nun wendete sich der Zorn gegen die „Neugier" des Volkes und den Anspruch, in politischen Fragen mitreden zu wollen. Der Verfasser von Teutscher Achior klagt 1634: Solch verfluchter Fürwitz bringet noch ein Laster [...] daß, weil nunmehr alles Volck sich mit Zeitungen traget und schleppet, ein jeder alsbald über eines und ander Richter seyn will; Der geringste Mann unterstehet sich zurichten, zuurtheilen, was dem Römi-

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Produktion, Distribution und Rezeption sehen Keyser, dem Könige in Franckreich, Hispanien, Schweden, Dennmarck, Polen, etc. zuthun gebiire. (Tschopp 1991, 79)

Auch im 17. und 18. Jahrhundert war das Vorlesen von Zeitungen und Flugschriften die übliche Weise, wie die Landbevölkerung von politischen Ereignissen und Reformforderungen erfuhr (Wiirgler 1995, 151). Dies blieb so bis zur allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert. Friedrich E. von Liebenroth schildert eine solche Szene im Jahr 1790: Sehr trolligt ist es, wenn man zuweilen einen Zirkel von neugierigen Landleuten um den Schulmeister herumsitzen siehet, welcher ihnen gemeiniglich die Zeitungen oder den Bothen vorliest, und seine weisen Anmerkungen den aufmerksamen Zuhörern darüber mittheilet. Alles sitzt unbeweglich, alles ist Ohr. [...] Mit Ehrfurcht schweigt ein jeder und erwartet den Augenblick, wo der Vorleser seine Brille abgenommen und das Blatt aus der Hand geleget hat. Und nun gehen die politischen Zänkereien an, die nicht selten mit großer Hitze geführt werden. (Böning 1989, B44)

In der ersten Phase der Reformation wechselte die Rezeption von Flugschriften zwischen den Medien Mündlichkeit, Skriptographie und Typographie hin und her. Stand am Anfang ein geschriebensprachlicher Text (als Predigt, These, Brief, die auch ohne nachträglichen Druck geschrieben worden wären), so spaltete sich die Rezeption von Flugschriften in verschiedene mediale Kanäle auf: Einem Laienpublikum vorgelesen, wurden Flugschriften mündlich diskutiert. In vielen Städten spielten offizielle mündliche Disputationen zwischen altkirchlichen und reformatorischen Geistlichen eine entscheidende Rolle, ob sich die Stadt der Reformation zuwandte oder nicht. Mündlich konnte man auch in stadtinterner Kommunikation dem Autor sagen, wie man über seine Flugschrift urteilte. Clemens Ziegler forderte in der genannten Flugschrift seine Leser auf, zu ihm zu kommen, falls sie ihn nicht verstanden hätten; er wolle „sye auch berichten". Er teilt in der darauffolgenden Flugschrift Ein schön Büchlein vom Leib und Blut Christi mit: „etlich seind mir heym in mein hauß gelauffen und haben gesprochen, ich sye unsinnig" (Quellen zur Geschichte der Täufer VII, Straßburg, 1959, 31). Inhalte von Flugschriften mündeten in weitere schriftliche Texte, am häufigsten in Form von Predigten gleichgesonnener Pfarrer, welche dann auch wieder als Flugschrift gedruckt werden konnten. Manche riefen aber auch eine weitere, sie unterstützende Flugschrift oder eine Gegenschrift hervor. Bei mehreren Autoren kann man feststellen, welche Flugschriften sie gelesen haben, die sie in ihre eigene Flugschrift einarbeiteten. In Sebastian Lotzers Ermahnung an die Einwohner von Horb (L/S/S 1,16) lassen sich Luthers Betbüchlein, Hartmut von Cronbergs Sendbrief an die Einwohner von Cronberg und Johann Eberlins 15. Bundesgenosse nachweisen (Arnold 1990, 152f.). Manchmal gehen Anleihen bis in die Formulierung hinein (vgl. 5.2.2.). In 15 deutschen und 10 eidgenössischen Städten und Territorien fanden Disputationen statt, um den Streit zwischen Reformationsanhängern und -gegnern

Rezeptionsprozesse in der frühen Reformation

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zu beenden. Die Übertragung dieser Interaktionsform aus dem Raum der Universität in den der Stadt (meist im Rathaus vor dem gesamten Rat) war völlig neu. Derartige Disputationen wurden durch eigene, gegnerische oder gemeinsame Thesen vorbereitet und durch Gegenthesen, Verteidigungs- und Gegenpredigten, offene Briefe etc. begleitet; ihr Verlauf wurde als Protokoll und ihr Ergebnis als Stadtmandat gedruckt. Auch wenn diese Disputationen nicht immer freie, argumentative Reden waren, sondern eher einem Abfragen glichen, so konstituierten sie doch eine mündliche Öffentlichkeit, wie es sie in Deutschland selten gab (Moeller 1974). Abb. 5 zeigt den Ablauf der Textproduktion und -rezeption zwischen Skriptographie (Handschrift), Typographie (Druckerzeugnis) und „konzeptueller" (= ursprünglich gesprochener) bzw. „medialer" Mündlichkeit (= Vorlesen): Skriptographie: SCHREIBEN VON PREDIGTEN, THESEN, BRIEFEN etc.

Typographie: DRUCK DER FLUGSCHRIFT

Mediale Mündlichkeit: VORLESEN DER FLUGSCHRIFT, PREDIGT

Skriptographie: SCHREIBEN EINER NEUEN FLUGSCHRIFT

Konzeptuelle Mündlichkeit: BELEHREN, DISKUTIEREN, DISPUTATION

Typographie: DRUCK DER NEUEN FLUGSCHRIFT, GEGENFLUGSCHRIFT

Abb. 5. Flugschriftenproduktion und •rezeption zwischen Handschrift, Druck und mündlicher Verbreitung. Die Medien des Bildes (illustriertes Flugblatt), der Maueraufschrift und des an Mauern geklebten Zettels (z.B. während des Wormser Reichstags, WA 7, 842), des Gesangs (Ereignis- und Spottlieder), des Schauspiels (Pamphilus Gengenbach: Die Totenfresser 1521) intensivierten die medialen Umsetzungen (Scribner 1981; Köhler 1986, 264). Wie diese kommunikativen Prozesse in einzelnen Städten ineinander verwoben waren, beschreiben Ukena (1977, 42) für Basel, Moeller (1974) für Zürich und andere Disputations-Städte, Lesting-Buermann (1982) für Nürnberg und Arnold (1990, 147ff.) für Memmingen.

Produktion, Distribution und Rezeption

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Die Flugschriften nach der Reformation wurden mehr als Lesetexte geschrieben, aber in der kurzen Phase der Mainzer Republik 1792/93 waren wieder viele auf einen mündlichen Vortrag hin angelegt: Reden, Gedichte, Diskussionen, jakobinische Schauspiele, Katechismen, Fabeln (Herrgen 1990, 7). Während der Feldzüge gegen Napoleon kamen gemeinsam gesungene Soldatenlieder hinzu.

2.7. Auflagen und Preise Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts lagen die Auflagenzahlen bei ca. 300 Exemplaren; sie konnten bis 1520 auf ca. 1000 gesteigert werden. Man rechnet mit durchschnittlich 1000 Exemplaren pro Druck. Bei einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 10000 Flugschriftenausgaben (= Drucken) zwischen 1501 und 1530, deren große Masse in die Jahre nach 1518 fällt, kommt Köhler (1987, 337f.) zu dem Ergebnis, daß auf jeden Einwohner des Deutschen Reichs eine Flugschrift, auf jeden Lesekundigen 10 kamen. Die immer wieder zitierten Auflagenzahlen der am häufigsten gedruckten Flugschriften dürfen nicht verallgemeinert werden: Luthers erste deutsche Flugschrift, der Sermon von Ablaß und Gnade, wurde von 1518 bis 1520 25mal gedruckt; seine Adelsschrift, am 18. August 1520 in einer Auflage von 4000 Exemplaren erschienen, war in fünf Tagen vergriffen und wurde 14mal nachgedruckt; Von der Freiheit eines Christenmenschen erschien in 18 Auflagen. Auch in späteren Zeiten waren die Auflagenzahlen nur in Ausnahmefällen sehr hoch. 1617 vergaben der Nürnberger und der Ulmer Rat Druckaufträge für 4.000 Flugschriften und Flugblätter (Köhler 1987, 325). In einer Flugschrift Hoe von Hoeneggs von 1631 heißt es: Und ist die Predigt reissend auffgekaufft unnd viel tausend Exemplaria in wenigen Tagen hin und wider außgebreitet worden. (Tschopp 1991, 86f.)

Flugschriften mit regionaler Problematik hatten im 18. Jahrhundert Auflagen von 500 bis 1000 Exemplaren (Würgler 1995, 146). Die Auflagenzahlen schnellten in die Höhe, wenn sie von Verwaltungs- und Militärbehörden finanziell unterstützt wurden wie einige Flugschriften Ernst Moritz Arndts. Sein Katechismus für den teutschen Kriegs- und Wehrmann kam auf 20000 bis 60000 Exemplare und seine erfolgreichste Flugschrift Was bedeutet Landsturm und Landwehr? sogar auf 100000 (Schäfer 1974, 253ff.; ders. 1987, 142). Weidigs und Büchners kostenlos verteilter Hessischer Landbote wurde in der ersten Auflage wahrscheinlich nur mit 300, in der zweiten mit 400 Stück gedruckt. Dagegen kam die zu verkaufende Flugschrift des Frühsozialisten Wilhelm Weitling Die Menschheit wie sie ist und wie sie sein sollte 1838 mit 2000 Exemplaren heraus. In gleicher Höhe wurden auch die Flugschriften des „Deutschen Volksvereins" 1832/33 in Paris gedruckt, von denen 500 in Paris verkauft wurden, der Rest nach Deutsch-

Vertrieb

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land in kleinen Mengen, z.T. getarnt als Packpapier, eingeschmuggelt wurde (Ruckhäberle 1975, 161). Nach handschriftlichen Notizen auf Flugschriften zwischen 1515 und 1525 kostete eine Flugschrift von 4 Blättern 1 Pfennig und 3 Heller, eine 6-blättrige Flugschrift 2 Pfennige, eine 8-blättrige 3 Pfennige und eine 10-blättrige 4 Pfennige. „Eine einzelne schmale Flugschrift war wohl nicht teurer als ein gutes Mittagessen" (Arnold 1990, 48). Aus anderen Preisvermerken hat man einen durchschnittlichen Preis von 8 Pfennigen für eine 16-blättrige Flugschrift errechnet. Das entspricht dem Preis für ein Huhn oder für ein Kilo Rindfleisch oder dem Drittel eines Tageslohns eines Handwerksgesellen (Köhler 1987, 325). Flugschriften wurden erst dann gratis verschickt oder verteilt, wenn Behörden oder Vereine ihre Auftraggeber waren. Zum Reformationsjubiläum 1617 ließen Nürnberg und Ulm Texte drucken und kostenlos verteilen (Kastner 1982, 62, 132). Im Ausland gedruckte französische Flugschriften gegen Mazarin wurden in Paris nachts heimlich vor die Haustüren gelegt. Im England des 17. Jahrhunderts war der Preis einer illegal hergestellten Flugschrift doppelt und mehrfach so teuer als ein bewilligter Druck (2 bis 6 Pennies; Bach 1997, 59). Flugschriften während des Frankfurter Verfassungsstreits ab 1705 wurden von der Stadtregierung und von Reformgruppen kostenlos verteilt bzw. an bestimmte Adressaten verschickt; regierungskritische Flugschriften waren dagegen manchmal sehr teuer (Würgler 1995, 152). 1813 wurden antifranzösische Flugschriften kostenlos an die Soldaten verteilt. Arndts Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann 1813 kam sowohl als billiger Druck wie als zum Binden bestimmtes Büchlein heraus (Schäfer 1974, 121). Im 19. Jahrhundert stehen auf manchen Titeln die Preise: J.G.A.Wirths Die Rechte des deutschen Volkes Nancy 1833: „Preis 45 Kreuzer." Die Flugschriften der Arbeiterbewegung wurden im 19. Jahrhundert hauptsächlich kostenlos verteilt, an Wegen, Straßen und Plätzen liegen gelassen, aus Kutschen geworfen, als Trinkgeld gegeben und sogar Heiligenstatuen in die Arme gelegt, „damit die Bauern glauben möchten, die Büchlein seyen vom Himmel gefallen" (Ruckhäberle 1975, 165). Der Hessische Landbote sollte an einem Tag an möglichst vielen Stellen des Großherzogtums Hessen niedergelegt werden, um die Polizei irrezuführen (B/W S. 123).

2.8. Vertrieb Die Verbreitung von Flugschriften gestaltete sich auf vielfältige Weise: 1. durch die Drucker selbst. Manchmal stand auf dem Titelblatt: „Zu haben bey ..." mit dem Namen, seltener auch mit der Adresse des Druckers; 2. durch wandernde „Umträger", „Buchführer" (15., 16. Jahrhundert). Heinrich Grimm hat für die Zeit von 1490 bis 1550 die erstaunlich hohe Zahl von ca. 1000 Buchführern identifiziert (Archiv für die Geschichte des Buchwesens 7,

Produktion, Distribution und Rezeption

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1967, 1153ff.; vgl. Kapp 1886, 433ff.). Sie verkauften Flugschriften und andere Kleindrucke, die sie in trommelartigen Behältern oder Bauchläden transportierten (vgl. Abb. 6). Ab dem 17. Jahrhundert kamen Postkutscher, Postboten und wandernde Krämer als Verkäufer dazu. Im 18. und 19. Jahrhundert verkauften „Land-

r v o u

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Abb. 6. Verkäufer von Neuen Zeitungen im 16. Jahrhundert. Jost Ammann zugeschriebener Kupferstich. Der Druck am Hut bringt die Nachricht von der Ermordung des Herzogs von Guise (1563).

Adressaten und Rezipienten

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fahrer", „Kolporteure" neben anderen billigen Druckwaren (Einblattdrucke, Kalender, Groschen-, Kolportageromane) auch Flugschriften (Ruckhäberle 1975, 156f.; Schenda 1977, 228ff.). 3. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Flugschriften in den Städten in „Zeitungsbuden" und an bestirnten Verkaufstellen (in Hamburg die Börse) verkauft und durch Zeitungsjungen in den Straßen ausgetragen. Verkauft wurden Flugschriften an allen Orten, wo viele Menschen zusammenkamen: auf Plätzen, in Wirtshäusern, auf Dorf- und Stadtjahrmärkten, auf den halbjährlichen Messen in Frankfurt und Leipzig. Produktions- und Verkaufsanlässe waren außerdem immer wieder die Reichstage und wichtige politische und religiöse Versammlungen (Königskrönungen, Begräbnisse, Disputationen; Schnabel 1965; Köhler 1987, 321f.; Schilling 1990, 12ff.; Tschopp 1991, 80f.). Im 19. Jahrhundert ließen politische Vereine Flugschriften drucken, z.T. gingen sie sogar aus Redaktiosausschiissen derartiger Gruppen hervor. Der „Deutsche Vaterlandsverein zur Unterstützung der freien Presse" (Preßverein) von 1832 verpflichtete seine Mitglieder zur Abnahme und Verteilung seiner Zeitungen und Flugschriften.

2.9. Adressaten und Rezipienten Nur in der frühen Reformation, bei Aufständen und in den gesellschaftlichen Umbruchszeiten nach 1789 erreichten Flugschriften alle Schichten der Bevölkerung. In frühen „Sendschreiben" wurden entsprechend den Anredeformeln amtlicher Urkunden die einzelnen Stände hierarchisch benannt, z.B. in Ulrich von Huttens Klagschrift gegen die tyrannische Gewalt des Papstes 1520: Allen und jeden teutschen Nation, Fürsten Herren, Edelleuten, Burgeren und Gemeinen, was Stands oder Wesens die seind. (Vgl. Ukena 1977, 41)

Obwohl eine Flugschrift als Druck grundsätzlich in der ganzen Bevölkerung (vor-)gelesen werden konnte, richteten sich manche Flugschriften an bestimmte Personen oder Gruppen, die man als „primäre Adressaten" bezeichnen könnte. Reformatorische Geistliche, die aus einer Stadt vertrieben wurden, schrieben an ihre frühere Gemeinde, so daß stellenweise nur die mit den Verhältnissen Vertrauten den Text verstehen konnten (Moeller/Stackmann 1996, 212; vgl. 5.2.2.). In den Zeiten konfessioneller und politischer Spaltung sind die eigentlichen Adressaten polemischer Flugschriften oft die Angehörigen der eigenen Partei (Edwards 1983, 67). Sie dienen dazu, Argumente für die eigene Position zu liefern, den Gegner zu verspotten und durch Schadenfreude den Zusammenhalt der eigenen Gruppe zu stärken. In Luthers letzter großer Flugschrift Wider Hans Worst von 1541, die er gegen Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel schrieb, heißt es:

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Produktion, Distribution und Rezeption Wie wol ich aber den unfletigen man [Herzog Heinrich] nicht werd achte, das ich jm einen buchstaben antworten wolte, doch [...] wil ich den unsem etwas zureden geben. (WA 51, 469)

Selbst wenn Flugschriften sich im Titel an den „gemeinen Mann" wendeten, verraten lateinische Passagen und viele Fremdwörter im Text, daß doch Lateinkundige die primär angesprochenen Leser waren (Tschopp 1991, 76f.)· Aber auch das Umgekehrte konnte der Fall sein. Der Victori-Schlüssel (1631, Ho. 5484) wendete sich auf dem Titelblatt an „alle Kriegs-Fürsten und deren hohe und niedrige Offiziere und Soldaten", weitete dann aber das Publikum aus: „wie auch insgemein allen Christenmenschen zu wissen großnötig und nützlich". Flugschriften des 18. Jahrhunderts, die Forderungen von bäuerlichen und städtischen Aufständischen vortrugen, wendeten sich an die „gantze Ehrbare Welt", an die „gantze Welt", an die „unpartheyische Welt" und auch an fremde Regierungen, um den universalen Anspruch ihrer Forderungen zu dokumentieren und die eigene Regierung in Mißkredit zu bringen (Würgler 1995, 149f., 153). Die in den Titeln von Flugschriften des 19. Jahrhunderts genannten Adressaten waren das deutsche Volk, die Deutschen; im Gefolge der Rhetorik der Französischen Revolution auch die Brüder und Freunde (Ru. 11, 12) und mit der Arbeiterbewegung die deutschen Arbeiter (1832, Ru. 3). Die vormärzliche Oppositionsbewegung wollte die „Massen des Volkes", die „niederen Volksklassen", „alle Klassen des Volkes" erreichen. Pathetisch schrieb der Pfarrer Heinrich Hochdörfer: Ich schreibe [...] für diejenigen meiner Mitbürger, die, um nur die Staatsabgaben bezahlen zu können, Tag und Nacht arbeiten müssen, daß ihnen der blutige Schweiß von der Stime rinnt.

Demgemäß sollten die Flugschriften „volkstümlich", „offen", „klar" und „faßlich" geschrieben sein (Zitate nach Ruckhäberle 1975, 123f., 134, 145). Trotzdem waren Autoren wie Arndt und Büchner enttäuscht von der Wirkungslosigkeit ihrer Flugschriften in der ländlichen Bevölkerung (Schäfer 1974, 83ff.; B/W, S. 112). Die Autoren der Jahre 1848/49 richteten sich häufig nur an die Regierungen der deutschen Kleinstaaten, an die Abgeordneten der Nationalversammlung sowie an die Wahlmänner der Abgeordneten.

3.

Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten

3.1.

Verständlichkeit

Immer wieder spricht aus den Flugschriften das Bemühen der Autoren, verständlich zu schreiben. Johann Eberlin von Giinzburg gestaltete die Syntax seiner Flugschriften auf eine Weise, daß leicht vorlesbare und sogar rhythmisch gegliederte Intonationseinheiten zustandekamen (Rössing-Hager 1981; Petry 1988). Dasselbe kann man von Luthers Stil sagen. Auch wenn sich seine Texte immer weiter hypotaktisch abstufen, geht der Gedankengang von einem Nebensatz zum anderen weiter, so daß der Leser/Hörer nicht zu einem früheren zurückkehren muß, um den Sinn zu begreifen. Als Beispiel diene ein Auszug aus dem zweiten Absatz von Wider Hans Worst 1541, gegliedert in vorlesbare Einheiten mit der Zeichensetzung des Druckers (ein Komma steht für eine Virgel = Schrägstrich): Fur mich zwar zureden, hab ichs seer gerne, das solcher art biicher wider mich geschrieben werden, denn es thut mir nicht allein im hertzen, sondern auch in der kniekele und fersen sanfft, wenn ich mercke, das durch mich armen, elenden menschen Gott der HErr beide, die hellischen [höllischen] und weltlichen Fürsten, also erbittert und unsinnig macht, das sie fur bosheit sich zureissen und zubersten wollen, Und ich die weil unter des Glaubens und Vater unsers Schatten sitze und lache der Teuffei und seiner schupen [Anhänger] [die] in jrem grossen zorn plerren und zerren, Damit sie doch nichts ausrichten, on [außer] das sie jre sache teglich erger und meine (das ist Gottes Sache) fordern [fördern] und besser machen. (WA 51, 469)

Bildhaftigkeit (es thut mir in der kniekele und fersen sanfft; sich zureissen und zubersten; unter dem Schatten des Glaubensbekenntnisses] und Vater unsers sitzen) unterstützt die unmittelbare Verständlichkeit; Assonanz (plerren und zerren) macht das Hören angenehm.

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Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten

Einige Autoren von Reformationsdialogen haben bewußt einen einfachen Stil angestrebt mit Satzlängen, die fast an die Kürze heutiger gesprochener Sprache herankommen (so die Dialoge Ulrich von Huttens, Erasmus Albers und der Karsthans-Dialog; Bentzinger 1992, 51). Häufig wurden auch sprechsprachliche Mittel wie Ausrufe, Anrede und Fragesätze, Sprichwörter und Redewendungen, wörtliche Rede, lautliche Verkürzungen und Verschleifungen verwendet (Zur Literatursprache 1978, 21ff., 527ff.). Das Bild ist aber nicht einheitlich. Einige Theologen schrieben wie gewohnt mit vielen Nebensätzen und komplexen Substantivgruppen (Beispiele in Moeller/Stackmann 1996, 265ff.), gelegentlich sogar ein Autor wie Eberlin von Günzburg (Petry 1988, 83). Nach der Reformation ging der gesprochensprachliche Schreibstil zurück, aber manchmal wurden die Inhalte von juristisch-gelehrt geschriebenen Flugschriften durch leicht verständliche Randglossen zusammengefaßt. Was in der Flugschrift Postillion 1631 (vgl. 5.4.) lateinisch unter Berufung auf Gesetze ausgeführt wird, wird am Rand für Laien leicht verständlich paraphrasiert: „Kayser hat mit Religion nichts zuthun" (Ho. 5465, Bl.Cla). Im frühen 18. Jahrhundert forderten die Autoren, daß man verständlich, ohne lateinische Wörter und juristische Terminologie schreiben müsse: „mit so einfältger Schreib-Art, und Außlassung hochtrabenden Worten und Juristischer Terminorum" (zit. in Würgler 1995, 150). In der Fehde zwischen Lessing und Goeze, in der Mainzer Republik und im 19. Jahrhundert bemühten sich die Autoren um einen einfachen, z.T. dialogischen Stil. Für Lessing und Arndt war Luther ein Vorbild. Arndt wollte „einfältig, klar und ohne alle Klügelei" schreiben (Schäfer 1974, 123). Die Volksschriftsteller des Vormärz forderten: Faßlichkeit, Bestimmtheit des Begriffs und Einfachheit der Sprache [...] alles Geschraubte und Gesagte, alles Gekünstelte in der Gedankenverknüpfung, alle überflüßige Wortfälle, die nur auf schmuckvolle Diction abzweckt, muß hier wegfallen. (Zit. in Ruckhäberle 1975, 142f.)

Man nahm die durch Schule und Predigt bekannte Sprache der Bibel als Vorbild: „Wie Jesus sprach: kommt ihr Lahmen und Blinden in den Tempel zu mir [...] so werden die Deutschen den Deutschen zurufen: kommt ihr Bedrängten, ihr durch Elend und Armuth Niedergehaltenen, und lasset stillen die bisher schweren Leiden" (zit. in Ruckhäberle 1975, 143). Die Flugschrift Warum müssen wir Landstände haben? 1818 wurde vor dem Druck Bürgern der Stadt Zwingenberg vorgelesen, um zu überprüfen, ob sie den Text verstehen: [Satz-]Periode vor [für] Periode wurde dem Bürger Fuchs, dem Schmidt Machlaid, dem Becker Beeder, dem Lindenstruth u. s. w. vorgelesen; keiner wollte ein Wort verstehen, [...] als endlich durch Verrückung der Verba weiter vornehin, durch Abkürzung der Perioden, Einschiebung von Bindewörtern und mündlich beigefügte [...] Bilder, der Satz sich so gestellt, daß sie ihn alle begreifen konnten. (Zit. in Ay 1972, 747)

Kanzleistil

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3.2. Kanzleistil Der stilistische Gegenpol einfacher Syntax ist die Kanzleisyntax, ein bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wirksamer Stil für offizielle Texte. Sie war gekennzeichnet durch sehr lange und mehrmals verschachtelte Satzperioden, durch Reihungen von Substantiven, Verben und Adjektiven, durch lange Listen (item ..., item ...) und durch juristische Fachlexik. Erst nach der Schilderung der Vorereignisse in lang aneinandergereihten und eingebetteten Nebensätzen kam im Hauptsatz das aktuelle Ereignis zur Sprache. Manchmal war die Syntax so komplex, daß die Schreiber sie nicht mehr durchschauten. Der Anfang einer Flugschrift des Astrologen Georg Tannstetter beginnt folgendermaßen (vgl. Talkenberger 1990, 1): Nachdem unndter anndern vast [sehr] grossen und schwären verderbungen gemainer Cristenheit auch under sovilen uberfallungen der grausamen Tiircken, in solicher zertaylung Christlicher ainigkait, und schedlichen verderbenlichen kriegen, so sich zwischen den glaubigen [Gläubigen] langwirig hallten. Darzu nach so menigfeltigen wunderberlichen zaichen, so an vil ortten am hymel erschinen, nach erschreckhlichen sterbsleüffen [Epidemien], daryber auff [die] klegliche ableybung [Tod] Kayser Maximilians hochlöblicher gedechtnüß,

Jetzt erst kommt das Subjekt dieses temporalen Nebensatzes: ein grosses geschrey erschollen ist, von dem M.D.und.xxiiij [1524] jar, als sol[le] d[a]z selb diser wellt undergang bringen, darumb das im Almanach angezaigt [ist], wie im Hornung [eine] wund[er]perlich z[us]am[men]fügung und naigung der Planeten [ g e schehen werde.

Anstatt nun aber den erwarteten Hauptsatz folgen zu lassen, setzt der Autor mit einem neuen Satz ein: Solichs geschray hat nach seiner art nit allain d[er] menschen gemüt bewegt, sond[ern] auch dy vernünfftigen zweifelhaftig gemacht, aber etlich also erschreckt, das sy furtan [•·.]

Johannes Pfefferkorn schrieb dagegen zu Beginn seines Judenspiegels 1507 einen Satz mit 240 Wörtern ohne syntaktischen Bruch. In einem Mahnschreiben der habsburgischen Regierung im Elsaß an die untergeordneten Behörden von 1513 enthält der erste Satz 568 Wörter! Dieser Stil hatte eine soziale Symbolik als hohe Stilebene für Fürsten und Könige. Er eignete sich für Verträge, Gesetzestexte, offizielle Verlautbarungen und andere Arten von Urkunden. Im Kanzleistil wurden die vielen Anklage- und Rechtfertigungstexte geschrieben, die die Politik eines Territorialherren in der eingeschränkten Öffentlichkeit der staatlichen Institutionen darlegen sollten. Aber auch Publikationen an die eigene Bevölkerung (Achterklärungen, Arrestationsgebote, Steuererhebungen) demonstrierten auf diese Weise den Abstand zwischen Obrigkeit und Untertanen. Erst die Aufklärer

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Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten

verpönten einen so überladenen Stil unter dem Schreib- und Verhaltensprinzip der Natürlichkeit. Eine satirische Flugschrift gegen die Hamburger Zeitschrift des Patrioten läßt einen drei Seiten langen offenen Protestbrief der „Mademoisellen Studentinnen" von 1724 aus einem Satz bestehen. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hört der Kanzleistil auch in Regierungstexten auf, wurde dann aber durch den komplizierten Nominalstil abgelöst. Als 1793 die kaiserliche Regierung gegen die revolutionären Bestrebungen in und um Mainz ein Edikt ganz in der kanzleiartigen Manier erließ, machte sich ein Student in der Flugschrift Grimassen des Heiligen Römischen Reichs 1793 darüber lustig, indem er den veralteten Stil in der Folge zweier langer Weil-Sätze parodierte (Sch. 2, S.665f.): Weil aber diesen Hochverrat Die Freiheitsfreund begangen Und gar sich unterfangen Zu lehren, daß dem Staat, Wo ein Despot befehle, Das Völkerglück noch fehle; Weil Rheinbewohner länger nicht Erzschwälger zu ernähren Sich frevelhaft erklären Und wider Sklavenpflicht Nur Räuberei und Sünden Bei Landesvätern finden, So wolle seine Majestät Die Kräfte(n), die ihm eigen, Den Reichsverächtern zeigen. [...]

Seit dem 17. Jahrhundert nimmt - wie auch in den Zeitungen (Straßner 1999, 37f.) - in offiziellen Flugschriften ein überfrachteter Nominalstil zu, der ausgehend von substantivierten Verben (Erweiterung, Vermehrung, in Ansehung, daß ...) ganze Sätze in Substantivgruppen umformt und durch aneinandergereihte Attributsätze schwer verständlich macht: in betrachtung, [1. Attributsatz:] das E:[ure] Kön:[igliche] May: [estât] ein solcher fürtrefflicher, reicher und mächtiger Potentat, [Relativsatz:] deßgleichen in vielen Landen schwerlich zu finden, [2. Attributsatz:] das auch E: Kön: May: sonsten mit dapffern Mannhafften und erfahrnen Kriegs Obersten in Ihren Königreichen unnd Landen versehen, [Relativsatz:] welche dieser mächtigen Kriegs Armada mit ihrem Respect, Effect, und Nachtruck vorstehen könten [...] (Sendbrief Marquis Sinolae an den König von Spanien 1620, Ho. 5032, Bl.A2a)

Gelehrtenlatein vs. Deutsch

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3.3. Gelehrtenlatein vs. Deutsch Erst 1692 überstieg die Anzahl der deutschen Drucke wieder die der lateinischen. Latein war die Sprache der Gelehrten, und manche Altkirchlichen empfanden es als ein Sakrileg, über grundsätzliche Fragen des Glaubens auf deutsch zu schreiben; deutsch sollte nur die Lehre für das Volk sein (Kampe 1997, 148ff.). Die Reformatoren wußten sehr genau, daß sie mit deutschen Flugschriften ein weiteres Publikum als den Kreis der Gelehrten erreichen konnten. Eberlin von Giinzburg schrieb eine Flugschrift mit dem Titel: Warum man Herrn Erasmus von Rotterdam in Teutsche Sprach transferiert, warum Dr. Luther und Herr Ulrich von Hutten teutsch schreiben und gab selbst die Antwort: um „die rechte warheit in das volck zu bringen in teütscher sprach und jederman [zu] warnen vor den falschen propheten in schaffs kleideren" (Eb. Bd. 1, 86). Ulrich von Hutten schrieb in der Klag und Vermahnung gegen die übermäßige Gewalt des Papsts 1520 (Hu. Bd. 2, S.44): Latein ich vor geschriben hab, das was eim yeden nit bekandt. Yetzt schrey ich an das vatterlandt Teiitsch nation in irer sprach, zu bringen dißen Dingen räch.

Der Übersetzer eines lateinischen Dialogs von Ulrich Burchardi rechtfertigte seine Übersetzung mit den Worten: Das ja alles das in das lateyn ye ist kommen, und rechter grund des glaubens von den Hebräischen und kriechen, ist nachmals uns teutschen verspert blyben, und ist d[a]z die schuld, d[a]z wir unser aygne sprach veracht, und andre mehr geliebt haben, [...] Damit aber das diß Berlin [Perlen] ainer gemayn der Christenhait nütczte, hab ichs auffs aller schlechst [schlichteste] in unnser kindt teutsche sprach bracht. (Stackmann 1997, 242)

Gelegentliche lateinische Passagen wurden meist übersetzt, manchmal aber auch unübersetzt stehen gelassen (Moeller/Stackmann 1996, 273ff.). Im 17. Jahrhundert wurden viele Flugschriften mit juristischen Fachwörtern und ganzen Passagen in lateinischer Sprache geschrieben und durch Antiquaschrift hervorgehoben, z.B. die folgenden kursiven Teile der Flugschrift Spöttischer Politicus 1621 (Ho. 5093, S.7f.): in erwegung, dz alle vmbständ anzeigen und demonstriren, wohin es gelte, auch vnlängst Schweden, Dennemarckt, Engeland und andere mehr reifflich in nostris terminis ponderili und erwogen ablegationes generales juris, & facti seyen zu wenig, freye Länder und Völcker unter das Joch und Beherrschung zu bringen. Ja viel mehr ist auch zu glauben, nihil tarn contrarium juri, ac legib. esse, nihil minus civile, stituía, & composita República quidquam agi per vim.

& humanuni,

quam

con-

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Die Schreiber solcher Texte rechneten mit juristisch gebildeten Lesern, die nicht nur die Fachtermini und Abkürzungen verstehen, sondern auch die Rechtsquellen identifizieren konnten.

3.4.

Bildhaftigkeit

Eine bildhafte Darstellungsweise enthält viele Metonymien, Metaphern und Allegorien. Manchmal griffen die Verspotteten ein gegen sie verwendetes Bild auf und wendeten es gegen den Angreifer. Reuchlin verglich Pfefferkorn im Augenspiegel mit einem Esel („Was solt kaißerlich maiestat ainem sollichen biffel oder esel zu antwurt geben?", D3b). Pfefferkorn gab diesen Vergleich im Handspiegel zurück und behauptete, Reuchlin verstehe Hebräisch „gleich wie eyn Esel, den mann ylendig [eilends] die Stegen oder trapppen ufftreiben wil" (A3b). Hieronymus Emser, der in seiner Antwort auf Luthers Adelsschrift eine lange allegorische Deutung der Fechtkunst eingeführt hatte, mußte sich von Luther sagen lassen, daß er von den vier geistlichen Waffen des Apostels Paulus nur das Schwert gewählt habe. Luthers Gegenschrift beginnt so: Sihe, Bocks Emßer, bistu der man mit dem langen spieß und kurtzen degenn, [so] behutt [uns] gott fur [deinen] gabelstichenn, die machen [nur] drey locher. Bocks Emßer, du bist myr eyn seltzam kriegsman, Sanct Paulus hat [...] vier gotlich wapen [Waffen] beschrieben, eyn schwerd, eyn hellm, eyn pantzer, ein schillt, der selben [be]darfstu nit mehr den eynß, des schwerds [...] und flux myr zu, mit bloßem kopff, bloßer brüst, bloßem bauch, alß werd ich nit mehr thun, denn fur dyr kniend mich den nackten ritter stechen lassen, und sagen, gnad iuncker Bock, seyd unß gnedig. (WA 7, 621; vgl. Stolt 1974, 96ff.)

Flugschriften gegen absolutistische Ungerechtigkeit enthielten viele anklagende Metaphern, darunter die vom Schweiß, von dem sich die Fürsten nähren (vgl. Kap. 17.). Im Hessischem Landboten 1834 erscheint sie in gesteigerter Form („kühne Metapher"): Das Leben der Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Reichen. [...] Der Fürst ist der Kopf des Blutigels, der über euch hinkriecht, die Minister sind seine Zähne und die Beamten sein Schwanz.

Das Bild vom Blutegel auf dem Volkskörper entwarf Jean Paul in seinem Roman Hesperus', aber die Vorstellung, daß sich die Reichen vom Schweiß, dem Blut und den Tränen der Bauern ernähren, gibt es seit dem Mittelalter. Auch Allegorien verwendeten die Autoren immer wieder, besonders in der frühen Neuzeit und im Barock. 1833 wurden in dem Gespräch eines Oberamtmanns und eines Wahlmanns über den wiirtembergischen Landtag die Steuern mit dem Wasser verglichen, das die Räder der Staatsmaschinerie antreibt:

Fahnen- und Stigmawörter

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wollte ich alles Wasser auf meine Mühlräder laufen lassen: so fürchte ich nicht nur, die Räder könnten durch die Fluth zerrissen werden, sondern ich weiß gewiß, daß mir alsdann die Wiese verschmachtet, der Acker verdorrt [...] Acker und Wiese ist der Bürger, der Landmann; [...] Das Räderwerk sollen nun die Beamten seyn. Aber leite ich allzuviel Wasser dahin, d. h. lasse ich die Beamten gar zu viel Geld und Gut verschlingen und [sie] entziehen es der arbeitenden Klasse, so werden sie nicht nur zu üppig und fett, sondern ich muß auch immer wieder neue Räder einsetzen. (Staatsarchiv Stuttgart, E 146/1, Bü 4753, S.5)

3.5. Fahnen- und Stigmawörter Die Autoren verbreiten in ihren Flugschriften die Schlagwörter ihrer Ideologien. Man kann sie in „Fahnenwörter" für die eigene Position und in „Stigmawörter" für den ideologischen Gegner differenzieren. In Fahnenwörtern verdichten sich theoretisch fundierte oder nur vage gefühlte Weltanschauungen; mit Stigmawörtern versucht man, die Überzeugungen und Absichten des Gegners mit einem negativ bewerteten Wort zu belegen. In den antipäpstlichen und sozialkritischen Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts finden sich folgende Fahnenwörter: gemeiner Nutzen vs. Eigennutz; der gemeine Mann vs. der Kurtisan (.Höfling'); göttliche Gerechtigkeit, göttliches Recht (Becker 1975); in der Reformation: Glaube, Gnade, Wort Gottes, Evangelium/Euangelion, Obrigkeit. Ihnen entsprechen Stigmawörter wie: Werke, Gesetz, Antichrist, Schwärmer, Rottengeist, Aufruhr. Bei den reformatorischen Radikalen nennt Diekmannshenke (1994) die Selbstbezeichnungen: das Volk, der gemeine Mann, der arme Mann, die armen Leute, die Brüder, die Auserwählten; als Fahnenwörter: das Bündnis, die Prophetie, die (göttliche) Gewalf, als Stigmawörter: die großen Hansen, Tyrann, Tyrannei, die Gottlosen (Thomas Müntzer: die gottlosen Regenten; als Gottlose betrachtete aber jede Partei ihre Gegner). Von lutherischer Seite wurden die Radikalen Aufrührer, Ketzer, Schwärmer, (Rotten-)Geister, falsche Propheten, Sekten und immer wieder Teufel genannt; ihre Lehre hieß: falsche Prophezeiung, falsche Lehre, Irrsal, Irrtum, Mördergeist. Es kam zu Wortkämpfen. Luther schrieb gegen Müntzer mit einfallsreichen Veränderungen des Müntzerschen Fahnenworts Geist: auffrurischer, phariseischer, Alstettischer geist; welltfresser-, schwymel geyst·, Karlstadt nennt er: lügen-, schalcksgeyst, hoher, tollkühner geyst und liebs geystlin (WA 18, 145ff.). Müntzer beharrte aber auf seinem Fahnenwort und antwortete mit dem Gegenvorwurf geistlos-, den Vorwurf des auffruhrs wehrte er mit dem Gegenvorwurf sanfftlebend ab (Wolf 1989, 149). Über Müntzers theologische Begriffe machte sich Luther lustig durch ironische Adjektive (hübsche entgrobung), entlarvende Wörter („so weysen sie dich ynns schlauraffenland und sagen: Stehe ynn der lang weyle"), durch Reihung und wertenden Kommentar: „ertichten alhie, ,entgro-

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Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten

bung', ,studirung\ ,verwunderunge', ,langweyl' und des gauckel wercks mehr" (WA 18, 101, 138f.). Manche sprachlichen Prägungen vielgelesener Flugschriften, die selbst wieder ähnliche Formulierungen aufgriffen, wurden geflügelte Worte, im 19. Jahrhundert ζ. B.: Das ganze Deutschland soll es sein! Der Rhein, Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze (Arndt; Schäfer 1974, 125f.), Friede den Hütten, Krieg den Palästen (Büchner/Weidig), Ein Gespenst geht um in Europa; Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch! (Marx/Engels; zu Fahnen- und Stigmawörtern der deutschen Jakobiner und des Vormärz vgl. Kap. 5.6. und 5.8.).

3.6. Sprachliche Funktionen Die sprachlichen Funktionen von Flugschriften waren Aufklärung über Mißstände, Anklage, Aufforderung und Appell, Begründung des eigenen Standpunktes und Widerlegung von Gegnern, Regelung gesellschaftlicher Normen in den Textformen des Erlasses, des Gesetzes, des Vertrags u.a. Wenn Flugschriften gegen bestehende Mißstände, Ungerechtigkeiten und ideologisché Gegner geschrieben wurden, herrschte Kritik, Anklage und tatsächlich auch Schmähung vor. Der Ton wechselte dann oft ins Ironische und Sarkastische. Je länger eine Kontroverse dauerte, desto mehr schlug die Auseinandersetzung um in persönliche Angriffe, oft begleitet durch Ironie und Satire. Das läßt sich schon am Reuchlin-Pfefferkorn-Streit (9.1.), an der Fehde der Familie Hutten gegen Herzog Ulrich (9.2.), an den Kontroversen Luthers (Kästner/Schütz 1998, 52ff.), an der Kontroverse um Arsacius Seehofer (Kolde 1905, 149ff.), am Streit zwischen Kurfürst Johann Friedrich und Herzog Heinrich (Edwards 1983, 148f.) und später immer wieder beobachten. Privates und Persönliches wurde ans Tageslicht gebracht und trat an die Stelle der Argumentation. Auch im Textverlauf einer einzelnen Flugschrift wurde der Ton immer emotionaler, z.B. bei Luther, der Karlstadt in Wider die himmlischen Propheten 1525 immer mehr mit dem Teufel identifizierte (Schwitalla 1986), oder bei Lessing, der in seiner Duplik 1778 den Superindententen Reß immer spöttischer behandelte und sich am Schluß wunderte, „daß mein Blut anders umfleußt itzt, da ich diese Duplik ende, als da ich sie anfing." Religiöse und politische Gruppen gründen den eigenen Zusammenhalt oft auf dem Haß gegen andersdenkende Gruppen. Regelrechte Haßausbrüche sind in der Flugschriftengeschichte zwar selten, kamen aber in Zeiten von Aufständen und Revolutionen vor. Luther schrieb 1525 gegen die Bauern: „Mit der faust mus man solchen meulern antworten, das der schweys [das Blut] zur nasen ausgehe", 1543 gegen die Juden: das man jre Synagoga oder Schule mit feur anstecke und, was nicht verbrennen wil, mit erden über heuffe [...] das man auch jre Heuser des gleichen ze[r]breche und zerstöre

Textsorten und Textformen

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[...] Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stai thun, wie die Zigeuner. (Von den Juden und ihren Lügen·, WA 53, 523)

und gegen den Papst, man solle ihm „die Zunge hinten zum Hals herausreißen und an den Galgen nageln" (WA 54, 243; vgl. Abb. 3). Der Anführer der Miinsteraner Täufer, Bernhard Rothmann, schrieb 1534, das arme kleine „herdeken und hiipken" (Herdchen und Häufchen) der christlichen Gemeinde solle alle Gottlosen „under eren vöten to grusen und to knaesteren" (unter ihre Füße zermalmen und zerknirschen; Diekmannshenke 1994, 126). Erst mit der Aufklärung setzte ein Geschmackswandel ein, der ungehemmte Aggression sowie skatologische und sexuelle Themen stärker tabuisierte.

3.7. Textsorten und Textformen Flugschriften dienen verschiedenen kommunikativen Zwecken („Textsorten"); ihre Autoren bedienen sich dabei unterschiedlicher Weisen der sprachlichen Realisierung („Textform"). Zu den Textsorten, die durchgehend vom 16. bis zum 19. Jahrhundert geschrieben wurden, gehören (anklagende) Berichte, informierende und argumentative Lehrschriften, (argumentative) Aufforderungen, gruppenkonstituierende Programme, (utopische) Gesellschaftsentwürfe, Vereinbarungen, Verträge, Gutachten und theoretische Abhandlungen, Verteidigungs- und Anklageschriften, argumentative und persönliche Auseinandersetzungen, polemische, verspottende und satirische, seltener lobende Texte (Wolf 1983). Auf die Textformen in der Reformationszeit wird in Kap. 5.2.5. ausführlich eingegangen; zu denen im 30-jährigen Krieg vgl. Kap. 5.4., zu denen der Mainzer Republik vgl. Kap. 5.6.; dort auch die jeweils neuen Textsorten. Unter den Textformen ist an erster Stelle der Brief zu nennen. Mit den Maueranschlägen des 15. Jahrhunderts und den gedruckten Briefen (Kap.5.) entstand erst der „offene Brief', der zwar an eine einzelne Person adressiert war, durch die Verbreitung an ein weiteres Publikum aber zum Instrument politischer Beeinflussung wurde (Wolf 1989; Wellmann 1999, 372ff.). Einen neuen Aufschwung bekam der Brief in der Reformationszeit (5.2.5.). In vorangestellten Widmungsbriefen an Adlige wurden vom 16. bis zum 18.Jahrhundert die für den Untertanenbrief vorgeschriebenen Titulaturen und Unterwürfigkeitsformen geschrieben. Der eigentliche Text begann dann mit einem deutlichen Stilwechsel. Erst im 19. Jahrhundert wurden Flugschriften als offener Brief bezeichnet (We. 143). Die Regierungen der Territorien veröffentlichten immer wieder abgefangene Briefe des politischen Gegners oder gaben eigene Briefe an bestimmte Adressaten nachträglich in den Druck. Diese Flugschriften erhielten im 16./17. Jahrhundert dann oft den Titel Copia eines (Send-)Briefs. Noch 1813 erschienen anonym Aufgefangene Briefe.

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Sprachliche Formen, literarische Gattungen, Textsorten

Um gegnerische Parteien und einzelne Personen anzugreifen, wurden fingierte Briefe veröffentlicht, meist in satirischer Form. Die berühmtesten sind die Epistolae obscurorum virorum von 1515 (vgl. 5.1.1.), die immer wieder nachgeahmt wurden, besonders im 19.Jahrhundert gegen die Jesuiten, die protestantische Orthodoxie, linke Gruppen in der Paulskirche oder gegen restaurative Kräfte in Preußen (z.B. gegen den preußischen Kultusminister Heinrich von Müller; Rogge 1966, 15ff.). Spezifische Briefformen waren dabei der Fehde-, Höllen-, Himmelsund Hirtenbrief. Predigten waren die wichtigste Textform der Reformation (5.2.5.), wurden aber bis ins 19. Jahrhundert geschrieben, vor allem von Geistlichen (im Vormärz: Carl Klöckner, Johann Ph. Jacob, Karl Juch, Friedrich Weidig; Ruckhäberle 1975, 25f.; 1848 nur noch selten: We. 454). Der Dialog war eine literarische Neuerung der Reformation (5.2.5.), der dann als Textform besonders in der Aufklärung (Gespräche aus dem Reiche derer Toten) und bis 1848 für Flugschriften verwendet wurde (Ot. 718, 727, 728). Mit dialogischer Rede und Gegenrede konnten die unterschiedlichen Standpunkte artikuliert und typische Argumente vorgeführt werden. Marginal sind dagegen dramenartige Formen (um 1520: Ulrich v.Hutten, Niklas Manuel, Pamphilus Gengenbach; 1813: August v.Kotzebue; 1848: ein Schwank, Ot. 796). Gelegentlich wurden Reden bei wichtigen Versammlungen veröffentlicht (zB. die Rede des päpstlichen Legaten beim Reichstag 1523, Kö. 1, 13, oder des bayerischen Gesandten vor dem Konzil in Trient, Kö. 2, 20; mehr dann im 30jährigen Krieg). Reden bekamen aber erst in der Mainzer Republik besondere Bedeutung. 1808 veröffentlichte Johann Gottlieb Fichte einen Vortragszyklus als Reden an die deutsche Nation. 1848 wurden mehrere Reden der Kandidaten und der Abgeordneten zur Nationalversammlung gedruckt, z.B. Reden vor den Wählern der Wahlbezirke (We. 285, 287), in der Frankfurter Paulskirche (We. 629), aber auch Reden (nicht Predigten) von Pfarrern (We. 291) oder Schuldirektoren (We. 114). Für Parodien und stilistischen Nachahmungen bekannter Texte wurden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert am häufigsten religiöse Texte zugrundegelegt: Vaterunser, Glaubensbekenntnis, Vigil, Litanei usw., im 16. Jahrhundert ohne verspottende Tendenz der Textvorlage, im 19. Jahrhundert gelegentlich mit blasphemischem Unterton (Zehn Gebote, Vaterunser, Katechismus, Predigt; Ruckhäberle 1975, 23f., 208ff.; zu Parodien vgl.: Schenda 1977, 425ff.; Wolf 1983, 164f.). Berichte im Stil der Passion gab es z.B. für Luther 1521, für Johann Friedrich von Sachsen nach dem Schmalkaldischen Krieg 1547 und für Pfalzgraf Friedrich 1621 (Behrend 1917, 25). Textadaptionen gingen bis in die Titelgebung hinein: Wachet und betet, damit Euch niemand schlafend findet, wenn die Befreiungsstunde schlägt (Ru. 1,22, mit einer Vaterunser-Parodie). Politische Aufklärungsschriften bedienten sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts der Frage- und Antwortform (z.B. die wichtigste Flugschrift nach 1815, das Frag- und Antwort-

Textsorten und Textformen

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biichlein über Allerlei, was im deutschen Vaterlande besonders Noth thut 1819 von Wilhelm Schulz; Ay 1972) und bezeichneten sich als Katechismus (Ru.2, 25, 35; We. 266). Noch 1848 erschienen Politische Glaubensbekenntnisse und Katechismen, wie auch bei den Flugblättern (Weigel 1979, 85). Weissagungen (Prognostiken) waren eine wichtige Textform im 16.Jahrhundert (vgl. 2.3.), wurden aber noch zu Beginn des 19.Jahrhunderts geschrieben (Johann L.Ewald: Zwey Weissagungen von 1803 und eine Dichterahnung von 1806, erfüllt in den Jahren 1813 und 1814, Sch/St). Eigentlich konnte jede Textform als Flugschrift verwendet werden, zumindest als Textvorlage für einen bissigen Kommentar. Auch wissenschaftliche Textformen wurden parodistisch (lateinische Satiren) oder ironisch verwendet. 1669 bewies Gottfried Wilhelm Leibniz in der Flugschrift Specimen demonstrationum politicarum pro eligendo rege Polonorum „more geometrico", daß die Polen den Pfalzneuburger Kandidaten zum König wählen sollten (Behrend 1917, 28).

4.

Von der Antike bis zum 15. Jahrhundert

Flugschriften haben eine lange Tradition seit der Antike. Der Dialogschriftsteller Lukian hat späteren Satirikern vorgemacht, wie man auf witzige Weise Personen und Charaktere verspottet, indem man sie reden läßt. Cicero sagt von sich, er habe die Ergebnisse der Untersuchung gegen Catilina „sogleich durch alle Abschreiber kopieren, sie überall verteilen und bekannt machen und dem römischen Volk in die Hände geben [lassen]. Ich verteilte sie in ganz Italien, ich schickte sie in alle Provinzen aus [...]. Es gibt keinen Ort auf dem Erdkreis, wo der Name des römischen Volkes bekannt ist, wohin nicht eine Abschrift jener Aussagen gekommen wäre" (Rede für Sulla, c. 15; Riepl 1913, 369). Ebenso ließ er seine Reden gegen Verres und Catilina verbreiten. Cato schrieb gegen Caesar den Anti-Caesar, dieser replizierte mit dem Anti-Cato (beide nicht erhalten). Catull schrieb leidenschaftlich anklagende Gedichte gegen Pompeius, gegen Caesar und dessen Anhänger Mamurra (carm. 29, 54, 57). Seneca ließ in seiner Apocolocyntosis den verstorbenen Claudius in Gestalt eines Kürbisses gleich zweimal vor Gericht stellen: Angeklagt von Augustus, verstößt ihn Jupiter in den Tartaros, wo er zum ewigen Würfelspiel verdammt wird. Juvenal, Roms größter Satiriker, beschrieb die nächtlichen Ausschweifungen der Frau des Claudius, Messalina, und parodierte eine Kabinettssitzung unter dem verhaßten Domitian. Im Mittelalter war die Öffentlichkeit weithin mündlich geprägt durch Predigten, durch Reden bei kirchlichen und politischen Versammlungen und durch vorgelesene Rundschreiben der Päpste und Bischöfe, der Kaiser und Fürsten (Benzinger 1970; Faulstich 1996). Untertanen machten durch Gerüchte („gemein sag"), politische Witze und Lieder ihrem Ärger Luft. Kaiser Friedrich II. mußte mehrmals Schmählieder verbieten lassen. Auch religiöse Neuerungen wurden mündlich verbreitet. Wyclif schickte um 1380 Prediger aus, um seine Forderungen zur Kirchenreform bei den Armen zu verbreiten. Im Investiturstreit und im Streit zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. wurden zum ersten Mal politische Streitschriften in großer Zahl geschrieben. Während des Investiturstreites, im Jahr 1076, forderte Kaiser Heinrich IV. Papst Gregor VII. in einem Brief an „Hildebrand, nicht mehr Papst, sondern den falschen Mönch" dazu auf, vom Stuhl Petri herabzusteigen. Der Brief wurde auch an den Klerus und an das Volk von Rom geschickt, eine verschärfte Fassung an die Bischöfe des Reichs. Der Papst reagierte mit einem

Von der Antike bis zum 15. Jahrhundert

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Rundschreiben, in dem er den Bannspruch über Heinrich mitteilte. Er schrieb mehrfach an die deutschen Bischöfe und rechtfertigte sein Vorgehen. Den Höhepunkt der mittelalterlichen Streitliteratur (libelli de lite) bildete der Streit zwischen Friedrich II. und Gregor IX. (Wieruszowski 1933). Nachdem Friedrich 1227 gebannt wurde, schrieb er einen Brief an alle Könige und Fürsten, in dem er dem Papst Prasserei, Schuldenmacherei und die Unterstützung der abtrünnigen lombardischen Städte vorwarf. Dieser Rundbrief wurde in Rom auch öffentlich vorgelesen. Gregor reagierte mit um so schärferen Angriffen: Der Kaiser sei der Vorläufer des Antichrists, eine Bestie, er leugne die Schlüsselgewalt des Papsts und halte Moses, Christus und Mohamed für Betrüger. Gregor schickte seine Enzykliken direkt an Bischöfe und Könige; sie wurden an Kirchenund Klostertüren angeschlagen. Friedrich schrieb Briefe an einzelne Fürsten, an die Fürsten eines Königreichs oder an das Kardinalskollegium. Zwischen 1240 und 1250, dem Todesjahr Friedrichs, erschienen 123 solcher Schriften; die meisten wurden von Friedrichs Kanzleibeamten Petrus de Vinea und Peter von Prezza verfaßt. Sie wurden gesammelt und bekamen eine Vorbildfunktion als imperialer Schreibstil bis in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im reformatorischen Deutschland wurden sie 1529 noch einmal aktuell, als sie lateinisch gedruckt wurden, um das Papsttum in Mißkredit zu bringen. „Flugschriften" kann man diese Texte nur in einem entfernten Sinne nennen. Es fehlte der Wille zur systematischen Verbreitung über den Kreis der politisch Einflußreichen hinaus. Aber einige inhaltliche und formale Merkmale von Flugschriften sind vorhanden: Anklage und Selbstrechtfertigung; der Versuch, für die eigene Position zu werben; (entstellendes) Zitat und Gegenargument. Im 14. Jahrhundert traten die ersten „Intellektuellen" mit politischen Programmen auf. Der Defensor pacis 1324 des Marsilius von Padua, in dem die Volkssouveränität als theoretische Basis der kaiserlichen Herrschaft postuliert wurde, kursierte in der Pariser Universität auch in einer altfranzösischen Fassung; sie war also nicht an Studenten, sondern an das Volk gerichtet. Im 15. Jahrhundert war die anonyme Reformatio Sigismundi von 1439 die am weitesten verbreitete Reformschrift in Deutschland (13 Handschriften, 14 Frühdrucke). Sie enthielt ein Reformprogramm für die weltliche und die geistliche Herrschaft (Verbot der Ämterhäufung, Priesterehe, jährliche Synoden; VL 7, 1070ff.). An sie war oft auch die Visio Sigismundi angehängt, in der prophezeit wird, daß im Jahr 1439 der Priester Friedrich die Reform durchführen werde. Visionen waren ein aus dem Hochmittelalter stammender Texttyp für religiösgesellschaftliche Veränderungen (Hildegard von Bingen, Joachim von Fiore, Birgitta von Schweden; ihre Relevationes wurden lateinisch 1492, 1500, 1517 und deutsch 1502-1504 dreimal gedruckt; ihr Onus mundi erschien 1481 und 1482 im Druck). Die Vision auf das Jahr 1401 geht auf eine lateinische allgemeine Kurien- und Kirchenkritik um 1294 zurück; sie wurde auf Deutsch

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übersetzt, oft abgeschrieben und separat oder zusammen mit der Reformatio Sigismundi gedruckt (VL 10, 425ff.). Seit der Erfindung des Buchdrucks wurden auch politische Texte gedruckt. Vielleicht ist das Fragment von Konrad Schmidts Sibyllenweissagung der älteste erhaltene Druck überhaupt und somit eine Flugschrift (Giesecke 1991, 266). Kaum war jedenfalls der Buchdruck erfunden, machten die Konkurrenten um das Mainzer Erzbistum von ihm Gebrauch. Adolf von Nassau ließ 1461 seine Ernennungsbulle abdrucken, Diether von Isenburg sein Manifest gegen den Papst 1462, worauf Adolf ebenfalls replizierte (ebd., 264ff.). Ende 1454 druckte Gutenberg den sog. Türkenkalender, einen Aufruf an Kaiser, Papst, Bischöfe und Städte zum Kampf gegen die Türken (ebd., 256ff.). In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestimmte ein Nebeneinander von Handschriften und Drucken noch die mediale Form von Flugschriften. 1470 wurde in Wien, später in Graz, ein langer, handschriftlicher Aufruf an Kaiser Friedrich III. an einer Tür oder Mauer angeschlagen. Sein Verfasser rief den Kaiser vehement dazu auf, etwas gegen die Türkengefahr zu unternehmen. Zum Schluß heißt es: „das nyemant so dürstig sey, der dy geschrift abreyss, tempf oder vnderdruck vncz [bis] sy der kayserlichen maiestat geöffent vnd kundt than werde" (VL 9, 1167). 1480 verfaßte ebenfalls in Wien ein Franziskaner einen Anschlag [Veranschlagung] wider die Türken, in dem vorgerechnet wird, daß, wenn alle Klöster und Pfarreien jeweils einen Soldaten ausrüsteten, ein 500.000 Mann starkes Heer zustandekäme. Als ein Vorläufer neuzeitlicher Publizistik kann der Jurist Gregor Heimburg gelten (VL 3, 629ff.). Er schrieb für seine Auftraggeber Gutachten und hielt als Gesandter seiner jeweiligen Herren viele Reden. Sie sind alle noch handschriftlich tradiert. Obwohl Papst Pius II. jedem den Bann androhte, der an ein Konzil appellieren wollte, schrieb Heimburg 1460 für Herzog Sigismund von Tirol eine Appellation an ein Konzil und wurde daraufhin gebannt. Er selbst verteidigte sich in seiner Appellation von 1461, die er auch deutsch übersetzte (hg. von Raimund Kemper, Mannheim 1984). Dieser Text vereinigt alle stilistischen Tugenden einer gut durchdachten, ironischen und bissig-aggressiven Flugschrift. Erst mit den als Drucke verschickten Mandaten König Maximilians I. ab 1491, in welchen er Rechenschaft für seine Politik gab und die Stände des Reichs um weitere Unterstützung bat (Schwitalla 1983, 228ff.), und seit 1492, als Sebastian Brant durch großformatige Flugblätter die Politik Maximilians publizistisch unterstützte, bekamen Gelehrte, Schriftsteller und Politiker ein Gespür für die Wirkkraft dieser neuen Druckmedien.

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5.1. Die ersten Flugschriftenkontroversen 5.1.1. Der Reuchlin-Pfefferkorn-Streit Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts erregten zwei Kontroversen große Aufmerksamkeit unter Gelehrten und Politikern. Sie schufen die Bedingung dafür, daß man erkannte, wie gut die gedruckte Flugschrift als mediales Instrument fungierte, um eigene Interessen zu artikulieren, sich gegen Feinde zu wehren und Gesinnungsgenossen für sich zu gewinnen. Beim Reuchlin-Pfefferkorn-Streit (Martin 1994, Schwitalla 1999) ging es vordergründig um die Frage, ob die Juden den Talmud behalten dürften. Dahinter stand aber das Aufbegehren humanistischer Intellektueller gegen die ideologische Vormachtsstellung einer inquisitorischen Orthodoxie. Von 1507 bis 1509 hatte der zum Christentum übergetretene Jude Johannes Pfefferkorn vier Flugschriften an und zunehmend auch gegen die Juden geschrieben, jeweils deutsch und durch Übersetzungen befreundeter Kölner Dominikaner lateinisch. 1505 veröffentlichte Johannes Reuchlin das Deutsch Missive, warum die Juden so lang im Elend [Verbannung] sind, wahrscheinlich der erste offene Brief, der in deutscher Sprache gedruckt wurde (Wellmann 1999, 372ff.). Mit großer Energie versuchte Pfefferkorn zunächst, die Juden zum Christentum zu bekehren. Als er keine Erfolge sah, wurde sein Ton - wie später bei Luther - immer schärfer. Den Juden sollten alle hebräischen Bücher außer dem Alten Testament weggenommen werden, weil sie darin Jesus und die Jungfrau Maria lästerten; sie sollten Zwangspredigten hören; ihre Kinder sollten zwangsgetauft werden; der Geldverleih sollte ihnen verboten werden, und falls sie sich weigerten, sollte man sie vertreiben. Im Judenfeind 1509 schrieb Pfefferkorn: sy [die Juden] musten alle verworffne arbait thuun, als die gassen sauber halten oder dye Camin kehren deßgelichen die scheussheuser fegen und hun[d]s dreck klaubenn. (Bl. 11)

Pfefferkorn hatte durch den ideologischen Rückhalt der Kölner theologischen Fakultät, wo der fanatische Ketzermeister Jakob Hochstraten wirkte, und durch die Fürsprache der Schwester des Kaisers Maximilians I. zunächst den Erfolg, daß er, ausgestattet mit einem kaiserlichen Mandat, die Bücher der Juden einsehen und beschlagnahmen durfte. Nach Einsprüchen der Juden in Frankfurt

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wurden vier deutsche Universitäten und der damals schon berühmte Jurist und Hebraist Johannes Reuchlin um Gutachten gebeten. Reuchlins Gutachten, 1511 in seiner Flugschrift Augenspiegel veröffentlicht, ist ein für das 16. Jahrhundert seltenes Zeugnis politisch toleranter, juristisch liberaler und intellektuell aufgeschlossener Einstellung gegenüber den Juden. Mit Pfefferkorns Handspiegel zur Ostermesse 1511 und Reuchlins Augenspiegel zur darauf folgenden Herbstmesse entstand der erste große Flugschriftenstreit in deutscher Sprache. Der Augenspiegel ist auch die erste gedruckte Flugschrift, die mehrmals verboten und öffentlich verbrannt wurde. Zunehmend gerieten in den folgenden Flugschriften die sachlichen Fragen in den Hintergrund; der persönlich verletzende Streit war die Hauptsache. Dabei fällt auf, daß beide Parteien sich die gleichen Vorwürfe machten: Der jeweils andere habe den Streit angefangen; er habe das eigene Vertrauen mißbraucht; er könne kein Latein (Pfefferkorn) bzw. kein Hebräisch (Reuchlin); er ziehe aus der Veröffentlichung von Flugschriften finanziellen Nutzen. Anspielungen auf das Privatleben (die verführerische Frau des Pfefferkorn) machten die Kontroverse auch für Außenstehende interessant. Große Breitenwirkung unter den Humanisten bekam der Streit, als Reuchlin die an ihn geschriebenen lateinischen, griechischen und hebräischen Briefe in einer Sammlung herausgab (Clarorum virorum epistolae 1514 mit Erasmus an erster Stelle und 42 weiteren Humanisten). Im darauf folgenden Jahr veröffentlichte Ulrich von Hutten die lateinische Briefsammlung Obscurorum virorum epistolae als parodistisches Gegenstück, in der die Kontroverse in eine Satire umschlug, bei der Pfefferkorn und die ihn unterstützenden Kölner Dominikaner nicht mehr mithalten konnten. Da Pfefferkorn kein Latein konnte und übersetzen lassen mußte, bedeutete der Wechsel zum Latein einen sozialen Ausschluß. Pfefferkorn antwortete bierernst und bitterböse. Die Dunkelmännerbriefe arbeiteten jedoch mit den Mitteln des Scherzes und des Spotts. Mönche mit fiktiven und wirklichen Namen, die ebenso stur und engstirnig dachten wie der verhaßte Inquisitor Hochstraten, schrieben sich gegenseitig Briefe in einem Latein voller Germanismen, in denen sie sich dümmlich-naiv ihre Schandtaten, ihre seichten Vergnügungen und ihre Dummheiten mitteilten. Der Genuß beim Lesen kam aus der Freude über die geschilderten Abenteuer wie auch aus dem Vergnügen schaffenden Verstehensprozeß, aus dem falschen Latein zu erraten, was eigentlich gemeint ist. Im Verlauf der Kontroverse wurden immer mehr soziale Gruppen in den Streit einbezogen: die Kirche mit den bischöflichen Kanzleien in Mainz, Speyer und Augsburg und mehreren Franziskaner- und Dominikanerklöstern; der Kaiser selbst; die Universitäten von Köln, Mainz, Erfurt, Heidelberg, Paris und Löwen durch eingeforderte Gutachten; die Theologen und Humanisten, die aus eigenem Antrieb schrieben; Fürsten - z.B. die Könige von Frankreich und Spanien - und ihre Ratgeber; Ritter (Franz von Sickingen) und Städte (der Schwäbische Bund). Reuchlin und Pfefferkorn schrieben offene Briefe an den Kaiser (Reuchlin:

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Defensio contra calumniatores suos 1513 mit durchgängiger Anrede des Kaisers; Pfefferkorn: Zu Lob und Ehr der Kaiserlichen Majestät zum Reichstag in Augsburg 1510; gleichzeitig warnte er in einem offenen Brief in ganz kanzleimäßigem Stil die Stände des Reichs vor Bestechungen durch die Juden). Dadurch, daß Reuchlin und Pfefferkorn ursprünglich handschriftliche Urkunden in ihren Flugschriften abdruckten, ergab sich ein Umschlag von handgeschriebener Kommunikation an einzelne, namentlich bestimmte Adressaten in das Medium des Drucks mit einem weiten und anonymen Publikum. Mit der gedruckten Flugschrift bekam mehr und mehr auch das Bild polemische Funktionen. Auf dem ersten Blatt von Zu Lob und Ehr ist ein häßlich anzusehender Jude auf Krücken und mit einem Judenring abgebildet (Abb. 7); im Streitbüchlein 1516 stellte Pfefferkorn Reuchlin mit gespaltener Zunge dar, hinter ihm geblendete Juden. 1518 veröffentlichte Hutten einen Holzschnitt Triumphus Capnionis (Capnion = gräzisiert ,Räuchlein'), auf dem Reuchlin im Triumpfwagen und Pfefferkorn als gebundener Verbrecher am Boden liegend gezeigt werden. Pfefferkorn rächte sich, indem er in seiner letzten Flugschrift Eine mitleidige Klag über alle Klag 1521 Reuchlin darstellte, wie er aus dem Triumpfwagen fällt und als gevierteilter Verbrecher endet.

Abb. 7. Darstellung eines Juden in Pfefferkorns Flugschrift Zu Lob und Ehr Kaiserlicher Majestät 1510.

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Dennoch war Pfefferkorn noch gemäßigt im Vergleich zu Luther, der in der Flugschrift Von den Juden und ihren Lügen 1543 dazu aufrief, die Synagogen und Häuser der Juden zu zerstören, sie zu Zwangsarbeiten heranzuziehen und sie in Ställen zu halten wie das Vieh (vgl. 3.6. und 5.3.4.). 1945 berief sich Julius Streicher vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg auf Luther, um die nationalsozialistische Judenverfolgung zu verteidigen. 5.1.2. Ulrich von Hutten War der Streit um den Talmud das Vorspiel zur viel radikaleren Kirchenkritik durch die Reformatoren, so wurden im publizistischen Kampf der Familie Hutten gegen Herzog Ulrich von Württemberg zum ersten Mal eine politische Kontroverse mittels aufeinander Bezug nehmender Flugschriften eingeübt. Im Mai 1515 hatte Herzog Ulrich von Württemberg seinen Stallmeister Hans von Hutten, dessen Frau er begehrte, eigenhändig in einem Wald ermordet. Ulrich von Hutten verfaßte darauf mehrere lateinische Texte: ein Trauergedicht, ein Trostschreiben an den Vater des Hans, Ludwig von Hutten, und insgesamt vier Anklagereden im Stil antiker Invektiven. Im November 1515 und im Juli 1516 schrieb die Familie Hutten zwei öffentliche Briefe gegen den Herzog und ließ sie drucken (Hu. Bd. 2, S. Iff.). Im ersten, adressiert an die Stände des Reichs von den Kurfürsten bis zu den Gemeinden, wird der Mord geschildert und mit dem besonders schimpflichen Detail ausgemalt, wie der Herzog die Leiche symbolisch erhängte. Im zweiten, adressiert an den württembergischen Landtag, wird der Herzog in Acht und Bann erklärt und der Landtag aufgefordert, sich vom Herzog loszusagen. Im September 1516 antwortete Ulrich mit einer ebenfalls gedruckten Gegendarstellung, nach der der Mord eine Art Hinrichtung wegen Treulosigkeit gewesen sei. Alle diese Texte sind im umständlichen Stil der offiziellen Briefe gehalten. Im September 1516 erschien nun der dritte offene Brief der Familie Hutten an alle Stände des Reichs mit einer publizistisch wirksamen Schreibweise: Der Text ist durch Zwischenüberschriften gegliedert; Briefe des Hans von Hutten werden als dokumentarische Belege für ihre Anklagen abgedruckt und eine für den Herzog beschämende Szene wird geschildert: ist solher thirann für gedachten unnsem lieben Sune [Sohn], Brueder, und vettern, nyderknyet, unnd [hat] jne umb gotzwillen mit außgespannten Armen gepeten zugestatten, das Er seine Eeliche haußfraw liebhaben möge, wann Er kenn [könne] wol und [ver]mögs nit lassenn. (Hu. Bd. 2, S.22)

Das war ein Angriff auf das Ansehen eines Adligen und vielleicht schimpflicher als die Anklage des Mordes. Wie in späteren Kontroversen wurden Einzelheiten aus dem privaten Bereich ans öffentliche Licht gebracht, welche Sensationswert haben und Flugschriften als Ware verkaufbar machen. Die Flugschrift hatte Erfolg: Nur Wochen später wurde der Herzog vom Kaiser in die Acht erklärt und zu einem Sühnevertrag mit der Familie Hutten gezwungen.

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Der Kampf gegen Herzog Ulrich ging dann auf zwei Ebenen weiter: einmal als Veröffentlichung offizieller Ausschreiben von Fürsten (Herzog Ulrich, die Herzöge von Bayern, die Brüder der mit Herzog Ulrich vermählten Sabina und diese selbst) und andererseits als literarische Texte Ulrich von Huttens. Im März 1517 erschien in Mainz der Phalarismus, ein an Lukian orientierter lateinischer Dialog in der Unterwelt, in dem sich Herzog Ulrich gegenüber dem antiken Prototypen eines Tyrannen, Phalaris von Agrigent, seiner Grausamkeiten brüstet. Der Druck hatte einen Titelholzschnitt von Hans Weiditz, auf dem Herzog Ulrich den ermordeten Hans von Hutten an seinem Gürtel aufhängt (Abb. 8). Dies ist eine der ersten Abbildungen eines aktuellen politischen Ereignisses überhaupt im Medium des Drucks. Die deutsche Übersetzung erschien erst 1521.

Abb. 8. Herzog Ulrich ermordet den Hans von Hutten. Holzschnitt von Hans Weiditz in Huttens Flugschrift Phalarismus 1517.

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Ulrich von Hutten hat insgesamt 22 lateinische und 15 deutsche Flugschriften veröffentlicht (mit mehr als 75 Druckausgaben). 1517 gab er z.B. die Untersuchung Lorenzo Vallas heraus, nach der die Konstantinische Schenkung eine Fälschung war. Zum Augsburger Reichstag 1518 schrieb er eine Türkenrede an die deutschen Fürsten. 1520 richtete er zwei Klag- und Mahnschriften an die gesamte deutsche Nation. 1521 erschien die nationalistisch-antipäpstliche Flugschrift Anzeige, wie sich die Päpste gegen den deutschen Kaiser gehalten haben. 1521 ist auch das Jahr mit der wohl größten literarischen Wirkung einer Flugschrift Huttens, der deutschen Übersetzung der Dialogi im Gesprächbüchlein mit vier satirischen Dialogen gegen die römischen „Kurtisanen" (Höflinge) kurz vor dem Wormser Reichstag, auf dem die Causa Lutheri anstand. Die beiden FieberDialoge gehören zum Witzigsten, was in der deutschen Literatur geschrieben wurde. Hutten und Luther sind die ersten großen Publizisten in der deutschen Geschichte. Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts begannen die Regierungen der einzelnen Territorien, ihre politischen Streitigkeiten auch durch Flugschriften auszutragen. Ein Jahr vor dem mit Flugschriften ausgetragenen Streit zwischen Herzog Ulrich von Württemberg und den Herzögen von Bayern erschien eine Verteidigungsschrift des Erbschenken Friedrich von Limpurg gegen Wenzel von Wolfskehl, in der sich jener gegen den Vorwurf wehrte, er habe einem Untertanen der Wolfskehls Unrecht getan. In einem langen Bericht wird dargelegt, daß dieser Mann einen seiner eigenen Untertanen überfallen und eingesperrt habe. Der Text wurde sowohl als Plakat mit zwei Druckbögen „an vil orden und enden angeschlagen" wie auch als „famoß libel [...] manchem Rittermeßigen thewern mann zu Haus und Hof geschickt" (Bechstein 1862, 18f.). Die Wolfskehls antworteten mit einem ebenfalls als Plakat gedruckten Gegenbericht. Diese publizistischen Auseinandersetzungen, die nur einzelne Herrschaftsgebiete betreffen, zeigen dennoch, daß sie von der allgemeinen Meinung ihrer Gesellschaftsschicht abhängig sind. Auch hier wandelt sich der Begriff ö f f e n t lich' zu einer durch Druckschriften hergestellten Öffentlichkeit. Im Gegenbericht der Wolfskehls heißt es, sie wollten „hiemit öffentlich" bezeugen, was wirklich vorgefallen sei (ebd., 19).

5.2. Frühe Reformation und Bauernkrieg (1517-1525) 5.2.1. Das Publikumsinteresse an reformerischen Schriften Keine Epoche der deutschen Geschichte wurde so sehr vom Medium der Flugschrift bestimmt wie die frühe Reformation und der Bauernkrieg (Überblicke: Moeller 1983; Köhler 1987). Von 1520 bis 1526 „erschienen [...] über 11000 Drucke mit mehr als 11 Millionen Exemplaren oder [...] über 20 Exemplare für

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jeden Lesefähigen" (Köhler 1986, 250f.; vgl. Arnold 1990, 38). Schon 1525 nahm die Häufigkeit von Flugschriften wegen der stärkeren Zensur wieder ab, war aber dennoch ungefähr lOmal höher als zwischen 1510 und 1517 und immer noch fast doppelt so hoch wie 1518/19. Um das plötzliche Ansteigen der Flugschriftenzahlen im Jahr 1518 und ihr steiles Wachstum bis 1524 zu veranschaulichen, sei die Grafik der Publikationszahlen einer Stichprobe von 3.016 Texten der Jahre 1510-1530 aus Köhler (1986, 266) wiedergegeben (Abb. 9). Nach 1525 wurden Druckwerke stärker zensiert und die Territorien waren konfessionell getrennt. Erst während der Erhebungen gegen die Besatzungspolitik Kaiser Napoleons kam es wieder zu der Situation, daß ein politisches Ereignis große Teile der Bevölkerung einte und viele Leute von sich aus Flugschriften schrieben. Aber erst ab März 1848, nach der

Abb. 9. Anstieg der Flugschriftendrucke nach 1519 (Köhler 1986, 266).

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Aufhebung der Zensur, erreichten auch quantitativ die Flugschriftenzahlen den Stand der frühen Reformation von mehreren Tausenden (Wentzcke 1911, XVI). Am Anfang dieser Flugschriftenexplosion standen Luthers handschriftliche 95 Thesen vom 31. Oktober 1517. Zunächst gar nicht für die Öffentlichkeit, sondern für die akademische Diskussion und die bischöfliche Verwaltung gedacht, wurden sie innerhalb zweier Monate dreimal in Nürnberg, Leipzig und Basel auf deutsch gedruckt und als lateinisches Plakat an Wände geklebt. Im Februar 1518 veröffentlichten Johann Tetzel und Konrad Wimpina eine lateinische Entgegnung. Im März reagierte Luther mit dem von vornherein deutsch geschriebenen Sermon von Ablaß und Gnade, der ein regelrechter Erfolg wurde (bis 1520 erschienen 25 Ausgaben). Innerhalb von anderthalb Jahren entstand eine Kontroverse mit mindestens 12 Flugschriften und Einblattdrucken (Brecht 1981, 187ff.). Seit dem 15. Jahrhundert gab es in vielen sozialen Kreisen eine starke Kritik an der Kirche. In dieser Situation brachte Luthers Gnaden- und Glaubenstheologie wie auf einen Schlag eine Legitimationsbasis für die Abschaffung finanzieller und religiöser Mißstände, die von ganz unterschiedlichen sozialen Gruppen gefordert wurden (Städte, Ritter und Fürsten, Pfarrer und Mönche, Bauern und Stadtproletariat). So kam es, daß Texte, die irgendetwas Kirchenkritisches enthielten, sofort übersetzt und gedruckt wurden. Erasmus von Rotterdam veröffentlichte zwar nie einen Text in einer Volkssprache; dennoch erschienen bis 1540 annähernd 200 deutsche Drucke unter seinem Namen, die meisten davon in den Jahren von 1519 bis 1526. Das Publikumsinteresse und der berühmte Name garantierten, daß Texte zur Kirchenreform reißenden Absatz fanden (vor allem die kirchenkritischen Stellen aus den Annotationes ad Novum Testamentum, die Paraclesis und die Nova praefatio zum Neuen Testament; Holeczek 1977). Die Drucker gaben den Flugschriften aktuelle Titel: Von Wallfahrt; Von Heiltum (Reliquien); Von den Kriegsleuten; Vom Gesang; Du bist Petrus, ein Fels usw. 5.2.2. Martin Luther und andere reformatorische Autoren Der bedeutendste Flugschriftenautor der Reformationszeit war Martin Luther, zunächst rein zahlenmäßig: Seine Drucke machten bis 1550 ungefähr ein Fünftel aller Flugschriften aus (Köhler 1987, 318). Von Ende 1517 bis Ende 1519 erschienen mehr als 300 Einzeldrucke. Je kürzer ein Text war, desto häufiger wurde er nachgedruckt. Kurze Texte konnten auch Winkeldrucker mit einem begrenzten Lettern Vorrat drucken. Luther hat im Lauf seines Lebens über 200 Flugschriftentexte geschrieben. Allein bis 1530 enthält die Bibliographie von Köhler (199Iff.) 903 Flugschriftendrucke Luthers. Deren Themen zeichnen die Geschichte der frühen Reformation nach: der Ablaßstreit 1517/18; die Polemik gegen Johannes Eck und Hieronymus Emser über den Primat des Papstes und die Unfehlbarkeit der Konzilien;

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der Aufruf zu einem Nationalkonzil; der Wormser Reichstag von 1521; Bann und Reichsacht; das Papsttum als Institution; die Kirchen- und Gemeindeordnung seit den Tagen auf der Wartburg; die Zinspraxis und die sozialen Versorgungsinstitutionen; Juden und Türken; die Einrichtung von Schulen und die Reform der Universitäten; die Aufhebung der Klöster und das Verbot der Frauenhäuser; der Bildersturm und die Auseinandersetzungen mit den radikalen Reformatoren; der Bauernkrieg mit der Frage, wie weit man der Obrigkeit Gehorsam schulde; die sog. Packschen Händel 1528 und die Frage des Widerstandsrechts protestantischer Fürsten gegen den Kaiser ab 1530; die Confessio Augustana zum Augsburger Reichstag 1530; die Auseinandersetzungen mit Herzog Georg von Sachsen von 1522 an bis zu dessen Tod 1539; die Diskussion um ein allgemeines Konzil, an der sich Luther seit 1532 mit 18 Publikationen beteiligte; der politische Kampf zwischen der katholischen Liga mit Herzog Heinrich v. Braunschweig-Wolfenbüttel an der Spitze und dem protestantischem Schmalkaldischen Bund ab 1539; und gegen Ende seines Lebens noch einmal die heftigen Invektiven gegen den Papst, der ein Konzil unter Einschluß der Protestanten verhindern wolle. Kein anderer deutscher Schriftsteller beherrschte so viele unterschiedliche Textformen wie Luther. Nur die Dialogform fehlt. Luther verwendete für seine Flugschriften folgende Textformen: 1. aus der Wissenschaft: lectio, disputatio, Thesen, Gegenthesen und Konklusionen („Auflösungen"), Kommentare, Allegoresen (übertragen auf bedeutsame Wundergeburten: Deutung der zwo greulichen Figuren, WA 11, 368ff.); 2. aus der Seelsorge: Predigt, Epistel („Sendbrief'), Bibelübersetzung, Katechismus; 3. aus der Kommunikation mit Institutionen: die Briefformen des Untertanenund des Widmungsbriefs; 4. aus den Nachrichten- und Propagandamedien: Zeitungslied (Von den zwei Märtyrern zu Brüssel 1523), Neue Zeitung, Bildsatire; 5. aus der Dichtung, einschließlich der Volksdichtung: Kirchenlied, Fabel, Sprichwort, Spottgedicht. Alle diese Textformen, sogar die Bibelübersetzung durch Randglossen und Vorworte, setzte Luther zum Kampf gegen die Papstkirche ein. Die Holzschnitte der Flugschrift Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet 1545 (WA 54, 202ff.; vgl. Abb. 3) konnte bei den Gegnern nur Abscheu auslösen. Sie sollten eher gruppenstabilisierend Haß und Verachtung gegen die Papstkirche wecken. Der überaus große Erfolg von Luthers Flugschriften lag auch in der Verständlichkeit, Anschaulichkeit und im Witz seiner Formulierungskunst. Obwohl Luther in stärkerem Maße hypotaktisch schrieb als seine Zeitgenossen, trug die enge Bindung der Nebensätze an die fortlaufende Gedankenfolge dazu bei, daß die Hörer/Leser den Inhalt leicht verstehen konnten. Luther schrieb für das Gehör in kurzen syntaktischen Einheiten, die er aber nicht systematisch durch Interpunktionszeichen markierte. Das besorgten die Drucker. Sie setzten sehr

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viel stringenter vor und nach Nebensätzen Virgeln, markierten abgeschlossene Sätze mit Punkt und nachfolgender Großschreibung, setzten Doppelpunkte vor Zitate und lösten Abkürzungen auf. Ein Beispiel für die Gliederung vorlesbarer Einheiten durch Satzzeichen aus der Flugschrift Antwort deutsch auf des Königs von England Buch, gegliedert in Zeilen (4/4 = 4 von 4 Druckern setzen hier ein Interpunktionszeichen, ' = Hauptakzent, " = Nebenakzent, / = Virgel; hier der Text von Schirlenz, Wittenberg 1522; Kö. 1, 1116 im Vergleich zu 1114, 1115, 4646): Es meynen viel / (4/4) König Heinrich habe diß büchlin nicht sélb gemàcht / (4/4) dà ligt myr nichts an. ('/) (4/4) Es hab könig héyntz odder kúntz / (:) (2/4) téuffel (/ 1/4) odder die helle sélbs gemacht. (/) (4/4) Wer léugt der ist ein lügener / (3/4) daru[m]b förcht ich ihn nicht. (4/4) Mich dunckt wóll / (4/4) könig heynrich habe eyn elle grobs tüchs oder tzwó datzu gében. (4/4) Un[d] der gifftige buhe léus / (:) (4/4) der widder Erásmu[m] geschrieben hatt / (:) (3/4) oder séins gleichefn] / (:) (3/4) habe die kappen geschnytten und mit flitter untertzògen. (/) (4/4) Aber ich wil sie yhn ánsthreichen un[d] schéllen dran schürtzen / (3/4) ob gótt will. (4/4)

Dieser Ausschnitt ist auch ein Beispiel dafür, daß Luther Bildhaftigkeit planvoll ausbaute: König Heinrich gab ein oder zwei Ellen Tuch; im nächsten Schritt wird aus dem Tuch eine Kappe, und noch ehe man es sich versieht, wird daraus die Narrenkappe. Es gibt Berichte darüber, daß sogar Luthers Gegner beim Lesen seiner Flugschriften lachen mußten (WA 6, 135f.). Theologen, Pfarrer und Mönche, die von Luthers Ideen überzeugt waren, schrieben nun Flugschriften (vgl. 2.1.), viele davon zum ersten Mal und nur eine einzige (Moeller/Stackmann 1996, 202). Nach Ausweis der Bibliographie von Köhler (1991ff., allerdings ohne die Autoren von Τ bis Z) wurden bis zum Jahr 1530 von folgenden Autoren mehr als 15 Flugschriftendrucke (nicht: Flugschriftentexte) veröffentlicht: von Johann Agricola (18), Johannes Brenz (18), Martin Bucer (30), Johannes Bugenhagen (52), Johann Eberlin von Günzburg (29), Johannes Fabri (26), Pamphilus Gengenbach (33), Kaspar Güttel (15), Andreas Karlstadt (127), Heinrich von Kettenbach (33), Wenzeslaus Linck (29), Johannes Oekolampad (61), Andreas Oslander (24), Urbanus Rhegius (61), Hans Sachs (27), Lazarus Spengler (28), Jakob Strauß (37). Eberlin von Günzburg gab 15 Predigten heraus, zunächst als Einzelflugschriften, dann in einem Sammelband unter dem Titel der Fünfzehn Bundesgenossen 1521. Heinrich von Kettenbach - wie Eberlin Franziskanerprediger - veröffentlichte insgesamt 10 Flugschriften, darunter fünf Predigten, einen Dialog (Ge-

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sprach mit einem frommen Altmütterlein von Ulm 1523), eine Verteidigung Luthers, eine Klage an den Adel des Reichs 1523 und eine Practica 1523 (die Texte in Cl. II; zu seinem Stil: Rössing-Hager 1981, Petry 1988). Sehr viele Flugschriften sind aber anonym erschienen, ohne daß es gelang, die Autoren zu identifizieren, darunter eine so wichtige Flugschrift wie die Verantwortung und Auflösung etlicher vermeinter Argumente zur Unterdrückung des Wortes Gottes 1524, die Christoph Schappeler und Lazarus Spengler zugeschrieben wird. Leitender Schreibstil war der der Predigt, den sich auch solche Autoren aneignen konnten, die nicht studiert hatten. Der Augsburger Weber Utz Rychsner schrieb in einem gut verständlichen Stil mit alltagsnahem Wortschatz: Da [bei den Altkirchlichen] ist ain solcher yamer, das man die hayligen nit mere eeren wil, das nit darvon zu sagen ist. Doch lege [lag] inen nit sovil an der eere der hayligen, aber [sondern] an irer schand unnd schaden, so wir yetz wissenn, das sy uns also vor[her] hand [haben] belogen und uns umb das unser hand beschissen. (US/S, S.428) 5.2.3. Radikale Reformatoren Luther maß die Wirklichkeit der kirchlichen Praxis an den Normen des Neuen Testaments. Andere maßen nun auch die soziale Wirklichkeit an diesem geoffenbarten Text und forderten eine schnelle Abschaffung von Ungerechtigkeiten (Blickle Hg. 1987). Ideologische Unterschiede kamen hinzu: eine stärkere Gewichtung des Alten Testaments mit den Vorstellungen eines Gottesstaates und eines Gottes, der die Fürsten straft, die Möglichkeit direkter Offenbarung ohne den Umweg über die Bibel und eine stärkere Betonung des aktiven Handelns. Entscheidend aber war, daß sich die Radikalen - im Gegensatz zu Luther - gegen staatliche Ungerechtigkeiten auflehnten. Einer der frühen radikalen Reformatoren war Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt, mit 127 Druckausgaben der produktivste Autor nach Luther. Trotz wiederholter Verbote seiner Flugschriften und der Ausweisung aus dem Kurfürstentum Sachsen schrieb Karlstadt Flugschrift auf Flugschrift. 1522 erschien Von Abtuung der Bilder und daß kein Bettler unter den Christen sein soll zur Rechtfertigung des Wittenberger Bildersturms. Nach einem ebenfalls veröffentlichten Gespräch mit Luther im August 1524 schrieb er in wenigen Wochen acht Flugschriften gegen Luther: fünf über das Abendmahl, je eine zur Kindertaufe, zur schnellen Umsetzung der Reformation, zum Glauben. Die Flugschrift über die Kindertaufe wurde konfisziert, der Drucker gefangen genommen (WA 18, 38). Von Thomas Müntzer sind nur sieben Flugschriften in 11 Druckausgaben erschienen; davon behandeln drei die Liturgiereform in Allstedt. Von dem gedichteten Glauben 1524 wendet sich gegen die Glaubensgewißheit der „wollüstigen Schriftgelehrten", die nicht erkennen wollten, daß der Glaube wie ein Ungewitter in die Seele fährt. Die Auslegung des andern Unterschieds Danielis 1524, die „Fürstenpredigt", ruft zum Kampf gegen die Gottlosen auf:

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Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert ane zweifei [werden sich] vil unvorsuchter menschen an dyesem biichlein ergern, drumb das ich mit Christo sage [···] das man die gotlosen regenten, sunderlich pfaffen und monche, tödten sol, die uns das heyige euangelion ketzerey schelten unnd wollen gleich wol die besten christen sein. (L/S/L, S.997)

In der Ausgedrückten Entblößung des falschen Glaubens rechnete Müntzer mit Luther ab. Hans Hut brachte die Handschrift nach Nürnberg; Hans Hergot druckte sie, jedoch wurde sie sofort verboten. Die Hochverursachte Schutzrede wider das geistlose, sanftlebende Fleisch zu Wittenberg 1524 ist eine direkte Antwort auf den offenen Brief Luthers An die Fürsten zu Sachsen 1524. Gesellen von Hergot und der Nürnberger Drucker Hieronymus Höltzel druckten die Flugschrift, freilich ohne Ort und Namen des Druckers anzugeben. Gegen Müntzer schrieben Luther (3 Flugschriften), Johann Agricola (2 Flugschriften), Melanchthon und auch die Kanzlei des Luthergegners Herzog Georgs von Sachsen (Ein glaubwürdiger Unterricht, wie die thüringischen Bauern gestraft worden sind 1525; die Texte in L/S und Fi.). Diese offiziellen Darstellungen prägten das falsche Bild von der mordenden und brennenden Müntzergemeinde bis in die Schulbücher unseres Jahrhunderts. Wie im Fall der Münsteraner Täufer sind mehr Gegenschriften als revolutionäre Flugschriften erhalten. Müntzer schrieb einen ganz persönlichen, manchmal auch derben Stil (Peilicke/Schildt Hg. 1989). Er griff die Metaphern der Mystik auf (Entblößung der Seele, Untergang des Willens, Wüste des Herzens, Langeweile, Gelassenheit)', er wechselte von Ironie zum groben Ton; er bezeichnete Luther und seine Mitreformatoren mit ätzender Schärfe: buchstabische Bösewichter, tolle, tobende, unsinnige Schriftstehler, Zartlinge, das sanftlebende Fleisch zu Wittenberg, Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben, Vater Leisentret, Dr. Lügner, und wie Luther evozierte er boshafte Bilder beim Zitieren des Gegners: unnd saget mit eynem spitzen züngleyn: Ey man mag wol das euangelion predigen [...] und auch die unvernünfftigen regenten in ehren halten [,..] wil [ausjsehen wie ein saltzricht [salziges] angesicht, und gleych sich stellen wie eyner, der gespeyet hett, und saget on allen unterlaß: Glaub, glaub, das dir der rotz vor der nasen pflastere [blähe]. (L/S/S, S.455, 462)

Revolutionäre Vorstellungen erreichten auch bei den täuferischen Predigern seltener eine Verbreitung in gedruckten Flugschriften als bei den lutherischen Reformatoren, z.B. beim Kürschner und Laienprediger Melchior Hoffmann, der das kommende Friedensreich mit der Ausrottung aller Gottlosen vorbereiten wollte, oder bei Bernhard Rothmann, der in der Restitution rechter unde gesunder Christliker leer, gelovens und levens 1534 die Grundlagen für das apokalyptische Täuferreich in Münster mit neuem Gottesbund, Gütergemeinschaft und Polygamie legte. Wie in Münster (Vogler 1981) wurden die in verschiedenen Gegenden entstandenen Täufergemeinden, welche die Utopie einer neuen sozialen Ordnung

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weiter tradierten, brutal verfolgt, die Zensur gerade täuferischer Flugschriften intensiviert. Von dem Täufer Hans Hut sind nur noch drei Drucke erhalten. 5.2.4. Altkirchliche Autoren Die wichtigsten romtreuen Theologen, die gegen Luther und die reformatorische Theologie schrieben, waren Hieronymus Emser (26 Flugschriften), Johannes Eck (46), Johannes Cochlaeus (45), Augustin von Alfeld (18), Petrus Sylvius (17), Johannes Dietenberger (11), Kaspar Schatzgeyer (23) und Thomas Murner (27, 6 davon gegen Luther, z.B. die Antwort auf Luthers Adelsschrift mit ähnlichem Titel: An den großmächtigen Adel deutscher Nation 1520 und Vom großen lutherischen Narren 1522, eine an sprachlicher Meisterschaft Luther ebenbürtige dialogische Satire). Die Sammlung der antireformatorischen Flugschriften in LAV enthält 40 Flugschriften, in der Einleitung sind weitere 51 erwähnt. Altkirchliche Autoren mußten sich überwinden, auf Deutsch zu schreiben. Sie beschwerten sich darüber, daß man dem einfachen Volk Rede und Antwort stehen müsse. Sie veröffentlichten ihre Flugschriften zuerst in lateinischer, dann erst in deutscher Sprache. Sie beklagten sich auch darüber, keinen Drucker für ihre Flugschriften zu finden. Johannes Cochlaeus schrieb 1540 (übersetzt): Für unsere katholischen Schriftsteller gegen die Häretiker war in Deutschland seit nunmehr 20 Jahren nichts beschwerlicher und verderblicher als [...] der Mangel an Druckern [...] weil sie fast alle vom Luthertum angesteckt waren und uns nichts druckten, wenn sie nicht mit Geld bestochen wurden. (Schnabel 1965, 873; vgl. Köhler 1987, 326)

Manche Drucker gaben sowohl reformatorische wie altkirchliche Flugschriften heraus (Hero Fuchs in Köln, Ulrich Molhart in Tübingen). Eberlin von Günzburg rügte diese Praxis in der Flugschrift Mich wundert, daß kein Geld im Land ist: J[e]tzt sein sie gefallen auff die Lutherische buchlein, auff heilige geschriefft [...] und wan der euangelisch handel ynen nit wil mehr gelten [etwas einbringen], so fallen sie so fast [sehr] auff den Pebstischen als kein Papist. [...] zu schyrm [Verteidigung] yres abfalls sprechen sie. Dieweil so grosser zangk sey zwischen predigern, wollen sie beyde partheyen lesen, trucken und verkeuffen biß zu einem außtrag der sache. (Eb. Bd. 3, S. 161 f.; vgl. Widmann 1975, 70)

Hier meldet sich bei Drucker und Autor ein unterschiedliches Verständnis der medialen Funktion von Flugschriften: als öffentliches Forum des Meinungsstreits einerseits, als Propaganda- und Verkündigungsinstrument einer ideologischen bzw. politischen Position andererseits. Je mehr die romtreuen Theologen Luther als Ketzer, Verführer, Aufrührer, abtrünnigen Mönch, Narr usw. angriffen, desto mehr reagierten die Lutheranhänger mit einer Überhöhung seiner Person in die Sphäre des Heiligen (von Gott gesandter Schriftausleger, Prophet), so daß es im weiteren 16. Jahrhundert zu einem sich gegenseitig aufschaukelnden Prozeß verklärender bzw. verleumdender Legendenbildung kam (Kästner/Schütz 1998, 61ff.).

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5.2.5. Textformen: Brief, Predigt, Dialog, Reformschrift, Utopie Die reformatorischen Flugschriften sind in einer erstaunlichen Vielfalt von Textformen und Textsorten erschienen: 1. Aus dem Bereich der Institutionen stammen alle Arten von Urkunden: Verträge, Kapitulationsurkunden, Mandate, Gesetze, städtische Armen-, Bettler-, und Kastenordnungen, bäuerliche Beschwerdenlisten, Forderungskatalaoge, Bundesordnungen, Abmahnungen, Verhörprotokolle. 2. Aus Alltag und Institutionen stammen: unterschiedliche Briefformen („Missive", „Sendbrief', privater Brief, offener Brief, reformatorischer Brief in Analogie zu den apostolischen Briefen, Briefparodien: Höllenbriefe, informierende Briefe als Grundlage von Neuen Zeitungen), Berichte (z.B. von Eheschließungen von Pfarrern, von Tumulten, Prozessen und Hinrichtungen von Reformatoren). 3. Aus dem Bereich der Universität stammen: an Kirchen und Straßenecken angeschlagene Thesen; Traktate, die nun auch gleich auf deutsch geschrieben wurden; Protokolle von Disputationen; Kommentare, Allegoresen, und Auslegungen; Prognostiken. 4. Aus dem Bereich der (Volks-)Literatur kommen: Lieder (Hans Sachs: Die Wittenbergische Nachtigall 1523), Spruch- und Reimdichtung, Fastnachtsspiel, Parodien. Parodiert wurden kirchliche Texte (Vaterunser, Credo, Vigil; Cl. 111,3). Die wichtigste Textform war die Predigt. Da Predigten ein hörendes Publikum voraussetzen, konnten ihre Stilfiguren für appellative Texte adaptiert werden: Anreden, Ausrufe, Imperative, Redewendungen, Beispiele, Bildhaftigkeit, Frage und Antwort, direkte Rede, Vorwegnahme von Einwänden. Viele Geistliche predigten ja ohnehin Sonntag für Sonntag, und so lag es für viele nahe, in der lokalen Auseinandersetzung mit den Altkirchlichen auf eine schon geschriebene Predigt zurückzugreifen. Moeller/Stackmann (1996) haben die Inhalte von 35 Predigtflugschriften der Jahre 1522-29 paraphrasiert, in denen reformatorische Geistliche an ihre früheren Gemeinden schrieben, um sie in ihrem neu erworbenen Glauben zu stärken. Sie unterscheiden drei Formen (ebd., 237ff.): a) Summarien in Form von aufgelisteten Punkten, b) Summarien mit erkennbarer Abfolge, c) die Redigierung einer wirklich gehaltenen Predigt für den Druck. Die Textformen von Brief und Predigt gehen dabei ineinander über (ebd., 232ff.). Die zweitwichtigste Textform war der Brief, oft in Nachahmung des Segenswunsches eines paulinischen Briefs („gnad und fryde durch Christum" etc.; Liste der Formeln ebd., 235f.). Manche Autoren schlossen sich explizit an die Gewohnheit der Apostel an, einer bestimmten Gemeinde eine Epistel zu schreiben (ebd., 234f.). Allein Luther hat zehn „Sendbriefe" bzw. „Missive" an Einzelpersonen und Gemeinden geschrieben. Auch Laien übernahmen die Briefform für ihre Mahnungen (Argula von Grumbach: An den edlen und gestrengen Herrn Adam von Thering 1523; Hans Mörlin: Sentbrief eines Laien an Herrn Valentin Kreyder, Prediger des Geizes 1524; Nikolaus Kadolzburger: Ein Missive (oder Sent-

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brief) von Abgotterei, seiner Schwester zu Bamberg geschrieben 1524; Sebastian Lotzer: Ein christlicher Sendbrief an seinen lieben Vater zu Horb 1523). Eine literarische Innovation war der Dialog (Le., S.9ff.; Schwitalla 1983, 112ff.; Bentzinger 1992, 9ff.; Kampe 1997). Dem Reformationsdialog gingen lateinische satirische Dialoge der Humanisten voraus, in denen sich eine bestimmte Person (Eccius dedolatus 1520) oder ein Vertreter der gegnerischen Seite unfreiwillig bloßstellte (Erasmus: Abbas et erudita aus den Colloquia familiaria 1518; Hutten: Vadiscus 1519). Die Autoren bemühten sich um die Natürlichkeit von Rede und Gegenrede, sie stellten eine Sammlung von Argumenten für die eigene Position bereit und wollten dabei den ideologischen Gegner entlarven. Die Zahl der Reformationsdialoge wird auf über 100 geschätzt; viele sind anonym erschienen. Sie reichen von literarisch meisterhaft konstruierten Dialogen (zu Hans Sachs: Balzer 1973) bis zu spachlich recht anspruchslosen (Von der Gült 1522; Tholl und Lamp 1523; Von der Wallfahrt im Grimmethal 1523/24; die Texte in Le. und Be.). Dialoge konnten Argumentationsstrategien für die tägliche Auseinandersetzung lehren und dabei das Vergnügen bereiten, zuzusehen, wie sich der Gegner immer mehr in eine unhaltbare Position verstrickt und dabei seine unchristliche Lebensweise verrät. Bauern und Handwerker stellen Vertretern der römischen Kirche Fragen und verwickeln sie in Widersprüche. Sie kennen sich besser in der Bibel aus und demonstrieren auf diese Weise ihren Anspruch auf das allgemeine Priestertum. Bei den Lehrdialogen lassen sich die zunächst Unwissenden von der reformatorischen Theologie überzeugen, manchmal in einem plötzlichen Umschwung ihrer Meinung. Der neuen Gesinnung folgt die Tat auf dem Fuße: Sie greifen zum Flegel (Karsthans), verbrennen Ablaßbriefe (Tholl und Lamp), geben eine Pilgerreise auf und ziehen die Mönchskutte aus (Wallfahrt im Grimmethal·, Bentzinger 1992, 13). Die syntaktischen Verhältnisse innerhalb der Dialoge sind unterschiedlich. Sie reichen von sehr einfachen bis zu schriftsprachlich komplizierten Stilen, haben insgesamt aber geringere Gesamt- und Elementarsatzlänge und weniger Nebensätze (ebd., 50f., 77, 81) als andere Flugschriften. Dialoge mit komplexen Satzgefügen wurden seltener nachgedruckt. Schriftsprachlich sprechen einerseits die belehrenden Dialogpartner, andererseits wurden aber mit einem solchen Stil die Reformationsgegner (z.B. Thomas Murner im Karsthans) als wortreiche, aber nichtssagende Redner vorgeführt (ebd., 82f.). In einer Zeit, als große kirchliche Veränderungen möglich waren, schössen Reformschriften und Utopien förmlich aus dem Boden (Seibt 1972, 70ff.). Luther selbst rief in An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (11 Drucke 1520) zu einem Konzil auf und gab auch gleich die theoretischen Grundlagen (allgemeines Priestertum, Schriftprinzip, kein Vorrang der geistlichen Gewalt vor der weltlichen) und die Themen vor: Ver-

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Weigerung des Besetzungsrechts von Pfarrstellen durch Rom, Abschaffung der Annaten und anderer Abgaben, Abschaffung der immer auch mit Geld verbundenen „guten Werke" (Seelenmessen, Wallfahrten, Feste), Priesterehe, Universitätsreform. Johann Eberlin von Günzburg hat im 10. und 11. Bundesgenossen 1521 die religiösen und weltlichen Statuten des utopischen Landes Wolfaria aufgesetzt (Eb. Bd. 1, S. 107ff.; L/S/S, S.75ff.). In jeder Pfarrei sollte es zwei Pfarrer geben, zwanzig Pfarreien sollten einen Bischof wählen, der 15 Gulden weniger Jahresgehalt bekommen sollte als ein gewöhnlicher Pfarrer. Eberlin gründet seine utopischen Vorstellungen auf einem idealisierten Bauerntum: „aller adel soll sich neren vom ackerbaw"; „in allen räten sollen als vyl edelleiit als baurßleüt sitzen". An der Spitze von Dorfgemeinschaften mit 200 Höfen sollen Vögte, und an der Spitze von 10 Stadtgemeinschaften sollen Hauptmänner die Regierung übernehmen, jedoch nicht „on hylff und rat deren, so vom hauffen der underthon dar zu gesatzt oder geordnet sind", also eine Art repräsentativer Demokratie. Eberlin übernahm einiges aus der Reformatio Sigismundi und aus Luthers Adelsschrift. Als rigoristischer Moralist wollte er, daß Leute, die anders als bei Gott schwören, öffentlich ausgepeitscht werden, und er verordnete die Todesstrafe für solche, die andere Gebete beten als das Vaterunser, außerdem für öffentliche Zutrinker und für Ehebrecher (letzteres wie Luther in Vom ehelichen Leben 1522). In den Umkreis gemäßigter, stadtbürgerlicher Reformvorstellungen gehören auch die 1523 anonym in Bamberg und Zwickau erschienene Flugschrift Deutscher Nation Nothdurft (L/S/S, S.760ff.) und, von dieser ausgehend, das Heilbronner Programm, das der Versammlung der Bauern in Heilbronn 1525 vorgelegt werden sollte (L/S 1,9). Beide Aufrufe zur Reichsreform wollen die Territorialherren in ihren Rechten bestätigen, verpflichten sie aber darauf, daß „der aigennutz ver[unter]truckt, [...] dem armen als dem reichen geholfen, auch bruderlich ainickait gehalten werde" (L/S, S.74). Münzen, Maße und Gewichte sollen vereinheitlicht werden; Geistliche, auch Bischöfe, sollen sich aus der weltlichen Herrschaft heraushalten. Beide Flugschriften appellieren an die Fürsten, ihre Untertanen nicht auszubeuten, und beide operieren mit den Fahnenwörtern: gemeiner Nutzen, der gemeine/arme Mann, brüderliche Liebe, christliche und menschliche Freiheit. Wichtigstes Dokument der bäuerlichen Revolution sind zweifellos die Zwölf Artikel der Bauernschaft von Christoph Schappeler (Vorwort, Bibelstellen am Rand) und Sebastian Lotzer (L/S 1,1; zur Entstehung: Blickle 1982; zum theologischen Hintergrund: Brecht 1974). Keine andere Flugschrift wurde so schnell nachgedruckt wie diese (25 Drucke im ganzen Reich). Ihre Vorzüge sind Kürze (6 Blätter), die Legitimation der Forderungen durch Bibelstellen und eine prägnante Formulierung. Alle Rechte der Adligen werden an der Heiligen Schrift gemessen. Findet sich dort keine Bestätigung, gelten sie als aufgehoben: Leibeigenschaft (Art. 3), das Verbot von Jagd, Fischfang und Holzfällen für die

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Bauern (Art. 4, 5), Abgaben beim Tod eines Untertans (Art. 11). Abgaben und Dienste sollen überhaupt reduziert werden, „darmit der baur solych gutt onbeschwert also rüeblich [ruhig] brauchen und niessen müg" (L/S, S. 30). Pfarrer sollen frei gewählt werden (Art. 1); sein Lohn und die Kosten für Armenpflege und Landesverteidigung sollen vom Kirchenzehnten bezahlt werden. Das ganze Programm wäre durchführbar gewesen, ohne die Struktur der feudalen Gesellschaft zu ändern. Luther und andere Reformatoren (Melanchthon, Urbanus Rhegius, Johannes Brenz, Johannes Rurer) protestierten heftig gegen die Zwölf Artikel aufgrund der Gehorsamspflicht nach Rom. 13. Die Zwei-ReicheLehre lege dem Christen - außer in Glaubensfragen - bedingungslosen Gehorsam auf. Ein Christ müsse auch eine tyrannische Herrschaft dulden: Doch in dem stuck gebüret sich in kainen weg, der oberkait zu widerstreben mit fechten, Schwert zucken, auffrüren, und der gleychen, sonder mit leyden, nemlich, ee [eher] leyden das man leyb und gutt, weyb und kind nem [nähme], ee man unrecht wöll thun. (J.Brenz, Vom Gehorsam der Untertanen, L/S, S . 2 8 8 ) Dann nach außweysung [...] Sanct Paulus zu [den] Römern am XIII. [Kapitel ...] ist man nit allein schuldig gehorsam zu seyn den christlichen, frummen unnd gelynden Herren, sonder auch den bösen und ungeschlachten [...] und tyrannischen herren. (J. Rurer, Wider die unschristliche Empörung, L/S, S . 3 1 3 )

Der fast unbedingte Gehorsam gegenüber staatlicher Macht, der ja bis 20. Jahrhundert hinein seine Folgen hatte, stammt aus dieser Reaktion auf Bauernkrieg. Als schließlich die ersten Schlösser brannten, schrieb Luther Schluß seiner Flugschrift Wider die räuberischen und mörderischen Rotten Bauern: Drumb lieben herren loset hie, Steche, Schlahe, würge hie, wer kanstu nymer mehr uberkomen untreglich ist auffruhr. (WA 18,

ins den am der

rettet hie, helfft hie, erbarmet euch der armen leute. da kan. Bleybstu drüber tod, wol dyr, seliglichern tod [...] Dunckt das yemand zu hart, der [be]dencke, das 361)

Über diese Brutalität empörten sich sowohl Luthers Feinde wie seine Anhänger. Er wurde als „adulator principum (Schmeichler der Fürsten)" bezeichnet (WA 18, 376), so daß er sich genötigt sah, im Sendbrief vom harten Büchlein wider die Bauern darauf hinzuweisen, daß er doch den Fürsten geraten habe, die Bauern, „so sich ergeben, zu gnaden auff[zu]nemen". Er habe sich nicht an die „wütigen, rasenden und unsynnigen tyrannen [gewandt], die auch nach der Schlacht nicht mügen bluts sat werden", die mehr Bestien als Menschen seien, die man „aber dennoch leyden [mus], wenn uns Got durch sie plagen will" (ebd., 400f.). Parallel zu den Zwölf Artikeln wurde ein Verfassungsprogramm veröffentlicht, die nur 4-blättrige Memminger Bundesordnung (8 Ausgaben; L/S, S. 32ff.; Blickle 1982, 288). 1525 erschien anonym die radikale Flugschrift An die Versammlung gemeiner Bauernschaft (Buszello 1969), die sofort nach ihrem Erscheinen in

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Nürnberg beschlagnahmt wurde. Alle Menschen seien gleich („es gilt gleych, hyrt, bapst, kayser, oder bader", L/S, S. 115); Inhaber staatlicher Gewalt müßten gewählt werden und könnten auch wieder abgewählt werden; das einzige Ziel sei „gemeiner Nutz und brüderliche Einigkeit" (ebd., 117). Die genannten Flugschriften sind aber nur ein Ausschnitt aus weiteren Reformschriften, die sich z.T. als Gesamtpläne in offenen Briefen (Hartmut von Cronberg), ζ. T. als Flugschriften zu Einzelfragen mit der „Reformatz" von Reich und Kirche befaßten (Gehorsamsfrage, Leibeigenschaft, Allmenden und Freiheit der Wälder, der Flüsse und des Bergbaus, der Zehnte, Bettler- und Armenordnungen, Wucher und Warenhorten; Holeczek 1975, Arnold 1982). Nachdem schon alles vorbei, die Bauern zu Tausenden niedergemetzelt waren, erschien 1526 oder 1527 in Leipzig die Utopie Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens (L/S, S.537ff.), wahrscheinlich von Hans Hergot. Nach einer an den Zahlen 3, 4 und 12 orientierten Hierarchie ist die gesamte Gesellschaft gestuft in „Flure", 144 „Länder", 4 „Viertel" und 3 „Zungen" (Schelle-Wolff 1996, 215ff.). Die bäuerlich-kommunistische Gesellschaftsordnung sieht weder „zins noch Schätzung geben" vor; alles geschieht „zu der Ehre Gotes und dem gmainen nutzen"; alle Menschen werden gemeinsam arbeiten und die Früchte ihrer Arbeit auch gemeinsam genießen: Alle ding [sind] ynn gemeynen [Ge]brauch vorliehen, also das sie auch werden essen aus eynem toppt und trincken aus eynem vasse [...] Und es werden die leutte alle erbeyten ynn gemeyn[schaft], eyn ytzlicher wo[zu] er geschickt ist und was er kan, und alle ding werden ynn gemeynen brauch komen. (L/S, S. 548)

5.2.6. Flugschriften und ideologisch-soziale Differenzierung Die religiöse Interpretation von Welt und Gesellschaft war so allgemeingültig, daß Überlegungen zur Änderung von gesellschaftlichen Verhältnissen nur vom Christentum aus entworfen wurden. Bei allen Gruppen ist die richtige religiöse Haltung wichtiger als konkrete gesellschaftliche Forderungen. Das gilt für die vorsichtige Erneuerung innerhalb der traditionellen Strukturen der Kirche (Erasmus), für ganz neue kirchliche Institutionen (Luther), für die chiliastischen Gottesbünde (Müntzer, Täufer) wie auch für die gemäßigten (Zwölf Artikel) und utopischen Gesellschaftsordnungen. Juristisch argumentierende Vorschläge waren selten und beschränkten sich auf Einzelfragen. Wie bei späteren subversiven Bewegungen spalteten sich immer neue Gruppierungen ab und forderten zur sozialen Selbstdefinition heraus. Die etablierten Gruppen reagierten mit sozialer Ausgrenzung (Ketzer, Aufrührer). Ideologiebildungen stabilisierten sich entlang einer Kette von Orthodoxiedefinitionen (Glaube und Werke, Bibel als einzige Norm, freier Wille, Abendmahlslehre, Obrigkeitsfrage usw.). Alle diese Prozesse spielten sich im Medium der Flugschrift ab.

Das weitere 16. Jahrhundert

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5.3. Das weitere 16. Jahrhundert 5.3.1. Konfessionelle Streitschriften

In theologischen Flugschriften wurde der Streit zwischen Katholiken, Lutheranern, Zwinglianern, Calvinisten, den Wiedertäufern und anderen religiösen Gruppen fortgesetzt. Eins der wichtigsten Themen betraf die „Adiaphora" (d. h. Dinge, die weder gut noch böse sind), z.B. die Frage, ob die protestantische Liturgie zu den Glaubensdingen gehört (dann wäre eine Einigung mit den Katholiken noch schwieriger gewesen), oder ob die Christen weltliche Freuden wie Tanz, Musik, Theater usw. ablehnen sollten, was die Calvinisten und später die Pietisten mit aller Strenge forderten. Von katholischer Seite wurden Zitate aus Luthers Schriften, allen voran die Tischgespräche, ohne Rücksicht auf den Kontext zitiert (z.B. das formelhafte „will fraw nicht, so kum die magd" aus Von dem ehelichen Leben). Alphabetische Register dienten zur schnellen Auffindung einschlägiger Argumente (Kastner 1982, 243). Konrad Andreae brachte 1598 zwei Flugschriften heraus, in denen Aussagen Luthers mit genauen Stellenangaben angeführt wurden, oft ohne Verständnis für Luthers witzige Formulierungen und z.T. gegen den Sinn im Kontext; z.B. habe Luther die heilige Schrift ein „eytel Gifft" genannt, während es bei ihm heißt: „als wäre die heilige Schrift eitel Gift" (vgl. auch Körber 1998, 242f.). Das Flugblatt Anatomia Lutheri 1567 des Franziskaners Johann Nas, in dem dargestellt wird, wie die protestantischen „Sekten" sich an der Leiche Luthers zu schaffen machen, wurde zum Ausgangspunkt einer Polemik, die auch mit Flugschriften ausgetragen wurde und 1577 mit dem thematisch ähnlichen, nun aber viel raffinierteren Gedicht Der Barfüßer Sekten- und Kuttenstreit von Johann Fischart endete (Stopp 1965). Sprachlich-rhetorische Verfahren in diesen Flugschriften sind: Wortspiele (fasten - farzeri), Namenverdrehungen (Jesuiten = Jesu zu wider, Jesuwider), Rekonkretisierungen von Metaphern (Leuchter - Saufglas), Veränderungen gegnerischer Fahnenwörter und -texte (Deformator statt: Reformator; ihr Formula Discordiae statt: Concordiae\ die Augsburgisch Confusion statt: Confession·, Erhalt uns Herr bey deiner Wurst) und Schimpfwörter (Sau, Unflat, Bestie, Lotter Bue·, Kastner 1982, 226ff.). Die Protestanten beantworteten diese Angriffe mit ebenso grobianischen Angriffen gegen die römische Kirche und ihre Institutionen (Kästner/Schütz 1998); zur Selbstverteidigung schrieben sie ein Lutherlob in dessen eigener Rede (z.B. Lutherus Triumphans, 1568/69 als Flugschrift und Flugblatt) oder brachten zum Jubeljahr 1617 eine gereimte Idealbiographie Luthers als „Propheten und Mann Gottes" heraus („Zu Wormbs er auch aufm Reichstag / Sein lehr bekant Unverzagt"). Da nach 1555 in den meisten Städten und Territorien die Entscheidung für eine Konfession gefallen war, bekamen polemische Flugschriften den Charakter

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von staatstragenden bzw. -gefährdenden Schriften. Apologetische Flugschriften wurden gefördert, Flugschriften aus Territorien mit anderer Religion wurden verboten, fremde Drucker und Buchführer verfolgt. Minimale theologische Differenzen wurden aufgebauscht und zur Schicksalsfrage des Seelenheils erklärt. In den katholischen Gebieten Süddeutschlands übernahmen Jesuiten (Konrad Vetter, Jakob Gretser, Georg Scherer) den volkstümlich polemischen Stil, den Luther vorgemacht hatte (Gloning 1997). Johann Nas schrieb eine Reihe von Streitschriften im nicht-gelehrten Stil, z.B. über die Rechtfertigung allein aus dem Glauben („sola fide"): und ist diß Sola, nur ein nulla .o. ein nicht, und nicht in der Geschrifft [...] eine taube Nuß, kann nicht einen geringes Teuffle außtreiben, wie Christus sagt, dieser Art Teuffei geht nicht auß, dan ieiunio et oratione (dann durchs Gebet und Fasten) aida aber Glauben nicht excludirt ist, wie auch neben dem Glauben die liebreichen Werck nicht Verstössen werden. (Praeludium in Centurias hominum, sola fide perditorum 1588, S.4f.)

Die Gewohnheit, nach süddeutscher Aussprache das E am Ende eines Worts wegfallen zu lassen (die Werck, der Glaub, Gnad und Fried), machte daraus das „lutherische E", an dem man schnell erkennen konnte, ob ein Text aus dem protestantischen Norden oder dem katholischen Süden stammte. 1614 erschien eine Schmähschrift gegen den berühmten Jesuiten Robert Bellarmin, die schon im Titel verkündete, er habe in seinem Pharisäuischen unheiligen Leben, mehr nicht dann 1642. Weibspersonen beschlaffen, dieselben hemacher mehrertheils sampt den Kindern durchs Schwerdt, Gift, Fewer und Wasser [...] verderbt und umgebracht. (Zit. in Franz 1980, 91)

Auf den nicht ganz ernst gemeinten Angriff antworteten die Jesuiten mit großer Empörung. Der Drucker aus dem evangelischen Lauingen (nahe bei der jesuitischen Reformuniversität Dillingen) mußte fliehen, die Auseinandersetzung zog weitere pro- und antijesuitische Flugschriften nach sich und gipfelte darin, daß der evangelische Autor George Zeämann auf Betreiben des Kaisers verhaftet wurde. Nach einem Jahr wurde er aber wieder freigelassen, da die protestantischen Stände Einspruch erhoben. Sie ließen sich ihr Recht nicht nehmen, in ihren Territorien Flugschriften gegen die Katholiken drucken zu lassen. 5.3.2. Politische Streitschriften Von den Anfängen des Buchdrucks bis zum Ende des Absolutismus trugen die Territorialherren ihre Streitigkeiten publizistisch durch offizielle Streitschriften aus, denen manchmal auch Flugblätter für ein größeres Publikum dienten. Textsorten waren Anklage- und Verteidigungsschriften, argumentative Widerlegungen, anklagende Berichte und Gegendarstellungen, oft von so großem Umfang, daß die Vorstellung von „fliegenden" Schriften nicht mehr paßt.

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In politische Flugschriften wurden weitere offizielle Schriftstücke aufgenommen: Klagschriften, Gutachten, Urteile, Urgichten (Geständnisse), Briefe, Mandate, Verträge, Testamente u. a. Der Stil war weitgehend geprägt durch die Kanzleisyntax, durch juristische Fachtermini, Gesetzeszitate, stellenweise ins Latein übergehend, dann auch durch den Drucktyp der Antiqua gekennzeichnet. Der anvisierte Leserkreis beschränkte sich weitgehend auf die Juristen und Verwaltungsbeamten in den Regierungen. Anders ist dies in ein- oder mehrblättrig gedruckten Mandaten (Achterklärungen, Verhaftungsgeboten, Zinsforderungen usw.), die sich an die eigenen Untertanen wendeten, die aber ebenso im Stil der Kanzleisyntax geschrieben wurden. Zwei Flugschriften, die der Schwäbische Bund 1523 nach seinem Sieg über die Ritter in der Pfalz und in Franken drucken ließ, bedienten sich einer besonderen Textform. Die eine enthielt die Liste der Teilnehmer am Feldzug, die andere - zur öffentlichen Schande der Besiegten die Liste der „schlesser, die verprendt seind worden" (Schottenloher 1929, 114ff.). Die erste kriegerische Auseinandersetzung, in der systematisch Flugschriften eingesetzt wurden, war der Schmalkaldische Krieg 1546/47. Waldeck (1910/11) zählt 152 Flugschriften. Viele offizielle Texte erschienen nun im Druck. Karl V. ließ die Achterklärungen gegen Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen veröffentlichen. Darauf erschienen zwei Antwortschreiben, in denen sich der Schmalkaldische Bund rechtfertigte. Eine Bulle des Papstes versprach den Soldaten einen Ablaß. Ein Brief des Kaisers an süddeutsche Städte mit der Bitte um Waffenhilfe und ein Brief des Papstes wurden von den Protestanten veröffentlicht, um zu beweisen, daß der Kaiser einen Religionskrieg führe. Die Kriegserklärung gegen den Kaiser wurde mit einem Bericht veröffentlicht, in dem geschildert wird, daß es der Kaiser abgelehnt habe, die Erklärung entgegenzunehmen. Gedruckte Gottesdienstordnungen für die Soldaten dienten zur Demonstration christlicher Herrschaft. In vielen Wahrhaften Berichten wurden die Machenschaften des jeweiligen Gegners und die gerechten Reaktionen der eigenen Seite dargestellt. Es erschienen Lob-, Spott-, Triumpf,- Landsknechts- und historische Ereignislieder (eines von Hans Sachs), Trost-, Klag- und Mahnschriften, Gebete, Parodien und Textadaptionen (Passion), Bibelauslegungen gegen den Papst, Prognostiken, Neue Zeitungen mit anklagenden Berichten und Dialoge. Nur die Predigt fehlt. 13 Abhandlungen widmeten sich der Frage des Widerstandrechts gegen den Kaiser. Schriften von Luther zu dieser Frage wurden wieder aufgelegt, von kaiserlicher Seite mit dem Beweis, daß Luther einen solchen Widerstand verurteilt habe. Melanchthon antwortete unter dem Pseudonym Menius, daß die Gehorsamspflicht dort aufhöre, wo der Kaiser etwas gegen Gottes Gebot befehle. Auch bei kleineren Streitigkeiten veröffentlichten in der Folgezeit die Regierungen der deutschen Territorien immer wieder Darlegungen ihrer eigenen Politik, Anklage- und Verteidigungstexte (für Preußen: Körber 1998, 157ff.). Im

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18. und 19. Jahrhundert erschienen solche Texte jedoch häufiger in Zeitungen und Zeitschriften, wenn sie nicht zu lang waren. 5.3.3. Hexentraktate Ein düsteres Kapitel sind die Flugschriften gegen Hexen. Das vielleicht unheilvollste Buch überhaupt war der Malleus Maleficarum (Hexenhammer) der Dominikaner Heinrich Institoris und Jakob Sprenger (13 Drucke 1487 bis 1520). Der Hexenhammer schrieb die ideologischen Grundlagen und das sondergerichtliche Prozeßverfahren für zweieinhalb Jahrhunderte fest. Er ist eine Kompilation aller frauenfeindlichen Äußerungen in der christlichen Kirche (1. und 2. Teil mit Schilderungen ihrer „Verbrechen"). Denunziation, Folter bis zum Geständnis, Todesstrafe und Beschlagnahmung der Güter markieren die Stadien der Anleitung zum Inquisitionsverfahren im 3.Teil. Die Mehrzahl der Schriften, die zur Hexenverfolgung aufriefen, waren institutionsinterne Texte, die zuerst lateinisch geschrieben wurden und dann erst, und das auch nur zum Teil, auf Deutsch übersetzt wurden. Für die Stadt- und Landbevölkerung wurde der Hexenwahn durch Predigten und Neue Zeitungen verbreitet. Die Pfarrer verbanden damit konfessionelle Polemik. Jakob Gretter, protestantischer Pfarrer in Schwäbisch-Hall, schrieb in seinen Hexen- oder Unholdenpredigten 1589: Dann wenn man [...] dem Segensprechen, Allfantzerey [Betrug] unnd Aberglauben nach henget: so ists ein naher weg zur Zauberey und Hexerey, Daher gibts auch so viel Unholden im Pa[p]stumb, da man kein rechte Erkenntnis Christi und seines Euangeliums hat. (Kö. 2, 1148, Bl.B2a/b)

Im Gegenzug priesen katholische Autoren die Heilmittel der römischen Kirche. In einem Exorzismusbericht von 1584 werden Weihwasser, geweihte Kerzen, Reliquien, schließlich eine Hostie zur Teufelsaustreibung aufgeboten, welche GOTT allein, in seiner [...] vertrawten Gesponß der Heyligen, Allgemeynen, Catholischen unnd Apostolischen Kirchen, ausserhalb welcher kein Heyl noch Seligkeit nimmermehr zu suchen, gethan. (Erschreckliche ganz wahrhaftige Geschichte, welche sich hier mit Apolonia Geißlbrecht zugetragen 1584; Kö. 2, 595, S.34)

Während von 1500 bis 1570 in jedem Jahrzehnt durchschnittlich nur ein bis zwei Hexentraktate erschienen, wurden ab 1580 viele veröffentlicht, zunehmend auch in Deutsch (mindestens 16 deutsche Texte zwischen 1580 und 1600). Johann Weyer (Wier) hatte 1563 in De praestigiis Daemonum (6 Auflagen bis 1583, deutsche Übersetzung 1565, Reprint Amsterdam 1967) dafür plädiert, die Hexerei unter medizinischen statt juristischen oder theologischen Begriffen zu sehen. Er interpretierte angebliche Hexengeschichten in einer Mischung von nüchterner Beobachtung eines Arztes (z.B. die Unmöglichkeit eines Teufelsbeischlafs, wenn die Angeklagte noch Jungfrau sei) und ungebrochenem Teufelsglauben. Die

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übernatürlichen Ereignisse seien vom Teufel eingegebene Träume oder Phantasien. „Hexen" seien eher Geisteskranke. Die „halbverkindten alten Weiber" sollten christlich unterwiesen und ärztlich behandelt werden. Die Richter seien zu leichtgläubig; unter der Folter würde man alles gestehen: Jn solcher unleidlichen peinigung sonderlich des weiblichen geschlechts [...] haben sie lieber alles böß zu bekennen das man von jr wil bekent haben, damit sie mit einer kurtzen pein, nemlich den todt, frey sein mögen [...] dann täglichs mit newen erfundne Tyranney gemartert zu werden. (Bl. B3a)

Gegen Weyer schrieb Jean Bodin, der Hexen als Staatsfeinde ansah, die Flugschrift De la Démonomanie des Sorciers aveque la Réfutation des Opinions de Jean Wier (französisch Paris, 1580, lateinisch Frankfurt, deutsch Straßburg 1691, Reprint Graz 1973). Johann Fischart übersetzte 1581 diesen Text mit dem Titel: De Magorum daemonomania. Vom Außgelaßnen wütigen Teuffelsheer Allerhand Zauberern, Hexen und Hexenmeistern, Unholden, Teuffelsbeschwerern, Warsagem, Schwartzkünstlem, Vergifftern, Augenverblendern. etc. Wie die vermög aller Recht erkant, eingetrieben, gehindert, erkündigt, erforscht, Peinlich ersucht und gestrafft werden sollen. Gegen des Herrn Doctor J.Wier Buch von der Geister Verführungen, durch den Edlen und Hochgelehrten Herrn Johann Bodin, der Rechten D. und des Parlements Rhats inn Franckreich außgegangen. Und nun erstmals durch den Ernvesten und Hochgelehrten H. Johann Fischart, der Rechten D. etc. auß Frantzösischer sprach trewlich in Teutsche gebracht, und nun zum andernmahl an vilen enden vermehrt und erklärt. [...]

Fischarts Übersetzung erschien im Folioformat mit 336 Seiten, schon dadurch die Autorität eines Gesetzbuches beanspruchend. Er vermischt grausige Erzählungen mit einer wissenschaftlichen Behandlungsweise (seitenlange lateinische Passagen, lateinische, griechische, hebräische Wörter, Gesetzesverweise am Rand, 11seitiges Register). Fischart wies ausdrücklich darauf hin, daß sich das Buch unterhaltsam lesen lasse: Bodin habe allerhand lustige unnd anmütige Materien unter einander gemenget, damit nur ein jeder, der darüber kompt etwas, das jhm muntet und schmecket, het anzutreffen. (Vorrede, 1. Blatt nach iij)

Bodin und Fischart tradierten die unwahrscheinlichsten Greuelmärchen, sie insistierten auf einer weiten Auslegung der Todesstrafe, auch wenn kein Schaden entstanden sei, und verrieten Tricks, wie man angeklagte Frauen einschüchtern könne. Mit ihrer theoretischen Behandlungsweise gaben sie der Hexenverfolgung die wissenschaftliche Weihe, die sie in den Prozeßanleitungen nicht hatten (Scholz Williams 1996). Fischarts Buch hatte leider großen Erfolg. Es wurde von 1581 bis 1591 dreimal gedruckt. In kurzer Zeit schrieben eine ganze Reihe von Theologen und Juristen Flugschriften gegen Weyer, unter ihnen der Arzt Wilhelm A. Scribonius (Von der Natur und Gewalt der Hexen, lateinisch und deutsch 1588) und der Trierer Weihbischof Petrus Binsfeld (Tractat vom Bekenntnis der Zauberer und

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Hexen, lateinisch 1589, deutsch 1590 und 1591). Diese Flugschrift ließ die Hexenprozesse stark ansteigen. Allein in den Landgemeinden um Trier wurden von 1587 bis 1593 368 Personen hingerichtet (wie schon hundert Jahre zuvor nach Erscheinen des Malleus'. 30 Hinrichtungen in Trier 1492/93). Binsfeld erwirkte in Köln die Konfiskation des lateinischen Traktats von Cornelius Loos De vera et falsa magia 1591, der sich gegen die blindwütigen Verfolgungen aussprach. Erfolg hatten auch die juristischen Anleitungen zur Hexenverfolgung: Theatrum de veneficiis. Das ist: Von Teufelsgespenst, Zauberern und Giftbereitem; allen Vögten, Schultheissen, Amtleuten nützlich zu lesen 1586, und der Erfahrungsbericht Daemonolatria 1594 des lothringischen Richters Nicolas Rey (Remigius), der meinte, man müsse auch sechsjährige Kinder zum Tode verurteilen. Am Ende des 16. Jahrhunderts steht ein weiteres kompendienartiges Werk: die Disquisitonum magicarum libri VI 1599 des Jesuiten Martin Delrio. Im Vergleich zu den Flugschriften der fanatischen Hexenverfolger ist die Zahl der Flugschriften von Gegnern der Hexenprozesse gering. Ihre Texte hatten wenig Erfolg. Zu nennen sind: der Okkultist Agrippa von Nettesheim, die Reformatoren Martin Bucer und Johannes Brenz, Hans Sachs, der Philosoph und Mathematiker Augustin Lerchheimer (Christlich Bedenken und Erinnerung von Zauberei 1585, von vornherein auf Deutsch erschienen); der Jurist Johann Georg Gödelmann (Von Zauberern, Hexen und Unholden, lateinisch 1584, deutsch 1592); in Frankreich Michel de Montaigne und Pierre Scarron, in England Reginald Scott; im 17. Jahrhundert dann Friedrich von Spee (Cautio Criminalis, anonym 1631, deutsch 1647) und Melchior Goldast (Rechtliches Bedenken von Konfiskation der Zauberer und Hexengüter 1661); in der Frühaufklärung Johann M.Meyfart (Erinnerung, wie das Laster der Hexerei in Gerichtshäusern sehr bescheidenlich zu handeln sei 1703) und schließlich Christian Thomasius (Über die Verbannung der Folter aus den Gerichten 1705; Historische Untersuchung vom Ursprung und Fortgang des Inquisitionsprozesses wider die Hexen 1712). 5.3.4. Flugschriften gegen die Juden Gegen die Juden wurden im 16. Jahrhundert viele Flugschriften geschrieben: Victor von Carben: De vita et moribus Judaeorum 1504, auch deutsch; Johannes Reuchlin: Missive, warum die Juden so lange im Elend sind 1505 (Wellmann 1999); Antonius Margarita: Der ganze jüdische Glaube 1530; Thomas Murner: Änderung und Schmach der Bildung Mariae von den Juden bewiesen (o.J.); Philipp Allendorf: Der Juden Badstub 1535, 1609; Martin Bucer/Johannes Pistorius: Bedenken der Theologen 1539; Johannes Eck: Eines Judenbüchleins Widerlegung 1542; Georg Nigrinus: Judenfeind 1569. Dazu muß man die vielen Neuen Zeitungen zu angeblichen Hostienschändungen und Ritualmorden rechnen, außerdem antijüdische Äußerungen in sozialkritischen Flugschriften, die die Juden in einem Zuge mit ausbeuterischen Kaufleuten

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und römischen Pfründenjägern nennen (Von den vier größten Beschwernissen eines jeglichen Pfarrers 1521, Cl. III, 2). Zur Verteidigung der Juden schrieb auf Deutsch außer Reuchlin im Augenspiegel eigentlich nur noch Andreas Oslander: Ob es wahr und glaublich sei, daß die Juden die Christenkinder heimlich erwürgen 1540.

5.4.

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Im 30-jährigen Krieg wurden Flugschriften nun zunehmend von Juristen im Auftrag ihrer Regenten geschrieben. Abgesehen von der publizistischen Vorbereitung der Landung König Gustav Adolf in Stralsund bereiteten sie auch nicht mehr gesellschaftlich-politische Veränderungen vor, sondern kommentierten diese im nachhinein. Anlässe waren jeweils die entscheidenden militärischen und politischen Situationen. Viel mehr als früher wurde nun die politische Propaganda auch vom Medium des illustrierten Flugblatts im Folioformat begleitet (Schilling 1990, 177ff.); dennoch ließen Städte eher Flugschriften als Flugblätter drucken, um ihre Politik darzustellen. Briefe an und von Regierungen wurden abgefangen, zugespielt und veröffentlicht. 1621 wurde z.B. die gesamte Korrespondenz des Fürsten von Anhalt mit Friedrich von der Pfalz, welche den Bayern in Prag in die Hände gefallen war, veröffentlicht. Man fälschte auch Briefe. 1628 erschien anonym der Hochteutsche Morgenwecker des dänischen Diplomaten Jakob Steinberg, in dem ein angeblicher Brief des kaiserlichen Beichtvaters Lamormaini, eines Jesuiten, abgedruckt wurde. Da der Kaiser die Aufstellung einer Ostseeflotte plante, intensivierte Gustav Adolf die Propaganda im eigenen Land und bot dem von Wallenstein belagerten Stralsund seine Hilfe an. Nach seiner Landung ließ er eine von Johan Adler Salvius geschriebene Rechtfertigung publizieren (Ursachen, dahero Gustavus Adolphus gezwungen worden, mit dem Kriegsvolk in Deutschland überzusetzen 1630). Von ihr gab es 23 Drucke: 5 lateinische, 14 deutsche, 2 niederländische, je 1 französischer und englischer. Das zeigt, wie die Regierungen im 17. Jahrhundert Flugschriften europaweit zur Darstellung ihrer Politik nutzten. Die kaiserliche Antwort wies die Vorwürfe des Salvius zurück und brandmarkte die Landung als Aggression. Die Schweden veröffentlichten daraufhin diese Antwort, blieben bei ihrer Rechtfertigung und boten einen Frieden an. Alle diese Flugschriften argumentieren politisch und juristisch, nicht mehr religiös. Proschwedische Flugschriften stützten sich nicht mehr nur auf Luthers Theorie des Verteidigungskriegs, sondern auf die naturrechtlichen Ideen des Hugo Grotius, dem schon ein real drohender Angriff als Grund für einen „gerechten Krieg" genügte (Antiochi Verfolgung und der Maccabäer Widerstand 1632; Tschopp 1991, 122ff.).

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Die Schweden entfalteten für die norddeutschen Territorien auf mehreren Kanälen (ausgesandte Diplomaten, Flugschriften, Reden des Königs an das Volk) eine Propaganda, mit der ihnen versichert wurde, daß Gustav Adolf ihren Glauben beschützen werde. Die Flugschrift Victori-Schliissel, mit welchem Herr Gustavus Adolphus in dem Heiligen Römischen Reich zu desselbigen gefallenen lusticiWerks und Religionsfreiheiten wieder Aufhelfung ein- und durchbrochen hat (1631, Ho. 5484) sollte für die schwedische Armee Vertrauen schaffen. Ihr Autor stellt die kaiserlichen Soldaten, welche mit abergläubischen Praktiken versuchten, ihre Angst und ihr aus Morden und Vergewaltigungen herrührendes schlechtes Gewissen zu unterdrücken, den schwedischen Truppen gegenüber, welche die Erweckung der Heldenmuthigen Dapfferkeit einig unnd allein auf dem rechten wahren Glauben unnd vertrawen an dem am Creutz=Holtze, geschehenen Verdienst JEsu Christi, unnd dannenhero erlangendem guten Gewissen, stehen unnd beruhen [lassen], (Bl.Bla)

Aufrufe an die Bevölkerung Mecklenburgs, die schwedische Armee zu unterstützen, hatten jedoch keinen Erfolg; die Bauern warteten erst einmal ab. Die protestantische Seite sah in Gustav Adolf den erhofften Erretter und pries ihn im Bilde alttestamentlicher Gottesstreiter. Er war - unter Anspielung auf sein Wappentier - „der Löwe aus Mitternacht", eine Wiederauferstehung der Könige Josua, David, Josaphat und Josias; ein Krieger wie „unser Gedeon", „unser Matathias", am häufigsten aber ein wiedererstandener Judas Makkabäus. Gustav Adolf wurde als Moses imaginiert, der das Volk Gottes aus dem „Antichristischen Joch" des Pharao (Kaisers) befreien werde. Wie Moses haben auch jhre Königliche Maiestät durch GOttes sonderbare Gnad nicht allein in jhren Königreichen, sondern auch in vielen andern und Außländischen Evangelischen Ort und Enden, grosse Wunder gethon. Das Jesuitische un[ge]ziffer, und alle andere Ketzerische Frosch und Raupen, die mit ihren Blutdürstigen Anschlägen und schrecklichen Finsternussen manche Land und Leut uberfielen und ruinirten, [...] hat er auß seinen Landen vertrieben. (Threnologia Sueco-Regica 1633; vgl. Tschopp 1991, 113)

Reichten biblische Vorbilder nicht aus, ging man zu antiken über: „Alexander Magnus Redivivus", „Schwedischer Hercules". Auch Anagramme unterstützten die religiöse Überhöhung: „Deus heißt auf Teutsch Gott, und aus diesen vier Buchstaben kommet Sued" (zit. in Böttcher 1953, 199). Die Rekatholisierung der eroberten Territorien brachte große Erbitterung gegen Wallenstein, Tilly und die Jesuiten hervor. Der Leipziger Konvent beschloß am 13.4.1631 den Kampf gegen die kaiserlichen Truppen. Nun erst wurden Predigten zur Textform der proschwedischen Propaganda, zuallererst diejenigen des sächsischen Oberhofpredigers Matthias Hoe von Hoenegg, dessen Eröffnungspredigt eine Antwort hervorrief, deren Autor vorgab, ebenfalls ein Protestant zu sein (Aus Leipzig vom 13. Februar, Ho. 4517), und die zu einer der wichtigsten Flugschriftenkontroversen führte (Tschopp 1991, 32ff.).

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In antikatholischen Flugschriften versuchte man, den Kaiser selbst zu schonen; seine Politik wurde den Jesuiten und militärischen Führern angelastet. Die protestantische Seite spaltete sich in eine quietistische Richtung, die zum Frieden mahnte, eine gemäßigte, die die Wiederherstellung der alten Zustände forderte und eine radikale, die zur militärischen Aktion gegen den Kaiser aufrief (Böttcher 1953, 188f.)· In einem programmartigen Aufruf der Radikalen, dem Postillion an alle Evangelische Könige und Potentaten (1631, Ho. 5465), wird eine Staatsrechtstheorie entwickelt, nach der die Fürsten die Wähler und Richter des Kaisers seien, dem man auch, wenn er sein Eigeninteresse über den Reichsfrieden stelle, militärischen Widerstand leisten dürfe (vgl. Böttcher 1953, 189): Mit dem allem ist richtig und wahr, das, wann der Kayser in der Administration wider den contract in wichtigen Sachen, bevorab wider die Fundamentalsatzungen handlet, die Stände nicht alleine dem Kayser zu keinem Gehorsamb verbunden, sondern auch befugt und Amptshalben verpflichtet seyn, dem Kayser (wofem er sonst nicht zu corrigirn) die Miete uffzusagen und mit darstreckung Guts und Bluts zuverfechten und zuverwehren. (Abschnitt 23, Bl.B3b)

Schon 1625 mahnte der anonyme Autor von Glücksteuber oder Schadenfroh (Ho. 5093), daß selbst die Papistischen Juristen gern nachtgeben], daß wegen erforderter Lehendienst kein Lehen verwürckt werde, es seye dann, daß der Lehenmann dem Lehenherm die Dienste dolosè versage. Darauff leichtlich der Schluß zu machen, daß der jenige Reichs Chur oder Fürst, wie auch ein anderer Stand aller praesumption doli inn so grosser, weit eingerissener Diffidentz der Evangelischen gegen die Papisten, & vice versa statlich enthebt seye. (S.13)

Dieser Ausschnitt kann auch als Beispiel für die schwere Verständlichkeit vieler von Juristen verfaßter Texte dienen. Die Zerstörung Magdeburgs durch die Truppen Tillys am 20.5.1631 erregte in ganz Deutschland ein ungeheures Aufsehen und hatte über 300 Flugschriften zur Folge (Lahne 1931). Tilly rechtfertigte die Eroberung, weil sich die Stadt nicht ergeben habe, und warf den Schweden vor, nur ihr ,,eigene[s] Dominatum und Privatinteresse [zu] suchen" (Copia Manifesti). Die Schweden klagten ihrerseits die Kaiserlichen an und schoben die Schuld auf die evangelischen Kurfürsten, weil sie sich nicht mit ihnen verbündet hätten (Böttcher 1953, 197f.). Nach der Schlacht bei Breitenfeld am 17.9.1631 feierten die Protestanten ihren Sieg in über 100 Flugschriften. Die Schlacht von Lützen, in der Gustav Adolf fiel und die den Wendepunkt der schwedischen Intervention brachte, der Heilbronner Bund 1633 und der Prager Friede 1635 waren weitere Anlässe für die Veröffentlichung vieler Flugschriften. Die kaiserliche Kanzlei schickte 1648 den Friedensvertrag von Münster an einige Reichsstände, diese beauftragten einheimische Drucker zum Nachdruck, so daß der Vetrag binnen kurzer Zeit in ganz Deutschland bekannt wurde.

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Neu war die systematisch gelenkte Publizistik zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Ratsprotokolle und Ausgabenregister der jeweils von den Kriegszügen betroffenen Städte zeigen, wie planvoll schwedische Gesandte ihre militärischen Aktionen durch die Veröffentlichung von Flugschriften und Flugblättern vorbereiteten, wie aber auch einzelne Reichsstädte (Nürnberg) eine eigene Pressepolitik betrieben (Tschopp 1991, 63f., 82). Verglichen mit der Reformationszeit richteten sich die Flugschriften stärker an spezifische Gruppen, z.B. an die Ratsherren der Hansestädte, an Offiziere und Soldaten oder an ein regional begrenztes Publikum rund um den Druckort, das vom Kriegsgeschehen betroffen wurde. Konfessionell argumentierende Autoren wendeten sich zunehmend nur noch an die Angehörigen ihrer Konfession. Die vielen lateinischen Wörter, Sprichwörter und Sätze strafen die Anrede des „gemeinen Mannes", der „Hohen und Niedrigen Standspersonen" auf den Titelblättern Lügen. Viele juristische Gutachten galten nur den Juristen in den Regierungen. Die 1624 von Martin Opitz (Buch von der deutschen Poeterei) empfohlenen neuen poetischen Gattungen wurden auch in Flugschriften übernommen: Gedichte im Versmaß des Alexandriners (Trauergedichte nach Gustav Adolfs Tod), Klagelieder im Stile des Jeremias und anderer Propheten, Emblemdichtung (Meditadones de restaurata Pace 1649, Ho. 5803). Häufiger als früher endeten die Drucke mit einem Gedicht. Die Flugschriften spiegeln den allgemeinen Sprachwandel wider: Fremdwörter spanischer und französischer Herkunft, vor allem aus dem Bereich des Militärwesens (Courachio, Soldatesca, Guarnison, Quartir, Officir, Blockquirung), nahmen zu. Die Drucker hoben die Wortteile von Komposita durch doppelten Bindestrich hervor: Machtvollkommenheit, Reichs=Stände\ auch in Reihung: Blut= Angst= Threnen=Geld (Ho. 5649). Wie in Zeitungen wurden auch in Flugschriften Sätze zu attribuierten Substantiven verkürzt (nach erhaltener Schlacht, Ho. 5447). Wie früher wurden die Textformen des Briefs, des Gesprächs, der Allegorie, des Kommentars, des Vertrags usw. geschrieben, die offiziellen Texte auch weiterhin im komplizierten Kanzleistil. Ein kaiserliches Mandat (Ho. 5441) hat im ersten Satz 172 Wörter, eine evangelische Relation sogar 230 (Ho. 5469). Neu sind anklagende Berichte über Verbrechen der Soldatesken (Des Spaniers Tyrannei 1621, Ho. 4986, Victori-Schlüssel Kap.5, 1631, Ho. 5484).

5.5. Die Aufklärung Das Leitmedium der Aufklärung ist die Zeitschrift. 1688 erschien die erste, nicht nur an Fachgelehrte gerichtete: Christian Thomasius' Freimütige Gedanken oder Monats-Gespräche (Straßner 1997, 65f.). Dennoch wurde über politische, kirchliche und gesellschaftliche Themen immer wieder auch im Medium der Flug-

Die A u f k l ä r u n g

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schrift gestritten. Unter dem Einfluß der Aufklärung änderte sich jedoch der argumentative Stil. In einem Vergleich von Müntzers Fürstenpredigt mit einer Rede Georg Forsters stellt v. Polenz (1988) fest, daß Forster mehr höflich-abschwächend formuliert und daß Wahrheitsfindung bei ihm nicht mehr als ein „Sehen" von offen zutage liegenden Wahrheiten, sondern als eine gedankliche Bewegung von Hypothese zu Hypothese verstanden wird. Thomasius argumentierte in seiner Zeitschrift im Juni 1689 mit der neuen Staatstheorie Samuel Pufendorfs gegen eine extreme Auslegung des protestantischen Gottesgnadentums durch den dänischen Hofprediger Hector G.Masius. Dieser hatte behauptet, Gott würde den Monarchen ihre Herrschaftsgewalt unmittelbar übertragen. Als er Schriften von Thomasius verbrennen ließ, meldete sich dieser außer in seiner Zeitschrift auch mit einer Flugschrift zu Wort (Attilae Friedrich Frommholds Rechts gegründeter Bericht, wie sich ein ehrliebender Scribent zu verhalten habe, wenn eine auswärtige Herrschaft seine Schriften durch den Henker verbrennen zu lassen verleitet worden 1691). Masius replizierte, indem er diesen Titel aufgriff und die Antwort schon vorgab: Vernunftgegründeter Bericht, was von einem Scribenten zu halten, der ehrlicher Leute guten Namen mutwillig angegriffen hat (Grunert 1997, 55). Thomasius schrieb auch später eine Reihe von deutschen Flugschriften. In den Gedanken vom Rechte eines Christlichen Fürsten in Religionssachen 1695 forderte er die Redefreiheit und die Freiheit der Wissenschaft; in der Vollständigen Erläuterung der Kirchenrechts-Gelahrtheit, erst 1738 gedruckt, die Trennung von Staat und Kirche. Thomasius wollte wieder in die freie Entscheidung stellen, was die Kirchen längst geregelt hatten. Schon 1689 protestierten dagegen Theologen in Flugschriften (Weigl 1997, 41). In der Flugschrift über die Lustmitteldinge 1713 ging Thomasius so weit, das Konkubinat („die Freiheit, eine Beyschläferin zu halten") zu verteidigen, was ihm ebenfalls erbitterte Streitschriften von pietistischer Seite eintrug. Beim Vorwurf des Atheismus' jedoch kannte Thomasius keine Gnade: „die Atheisten [... sollen] mit dem Feuer gestraft werden" schrieb er gegen den des Atheismus verdächtigten Theodor L. Lau. In Hamburg entzündete sich 1724 ein Streit zwischen aufgeklärtem Bürgertum und protestantischer Religiosität, als die Wochenschrift Der Patriot erschien, in welcher hochgestellte Hamburger Bürger unter sprechenden Namen (der Patriot, der Biedermann, der Redliche usw.) gesellschaftskritische Artikel veröffentlichten (Reprint Berlin 1969ff.; Martens 1989). Ihr Ziel war es, Mißstände im privaten und städtischen Bereich anzuprangern, vor allem Verhaltensweisen, die als veraltet empfunden wurden, z.B. die Prunk- und Titelsucht, unterwürfige Anredeformen oder die mangelnde Bildung von Mädchen und Frauen. Sofort schrieben Geistliche und Gelehrte Flugschriften gegen den Patrioten. Die erste stammte von dem jungen Theologiestudenten Justus L. Dietz, der sehr genau erkannte, daß die neuen Ideen der Natürlichkeit, der Selbstbestimmung und der Vernunft schlecht zum damaligen Menschenbild des Protestantismus' paßten:

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Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert Erstlich ist gedachte Schafft wider GOtt und sein geoffenbahrtes Wort, weil der Autor denen Wirckungen GOttes, bey der Menschlichen Seelen zum Guten derogiret, und der Seele einige selbst eigene Wirckungen zum Guten, für sich und eigene Kräfte, auch nach dem [Sünden-]Fall, zuschreibet. (Des Reformierten Hamburgischen Patrioten erstes StUck 1724, Bl. A2a)

Und gegen die nicht ganz ernst gemeinte Warnung des Patrioten, er könne durch Dienstboten erfahren, wie sich die Bürger zu Hause verhielten, wetterte er: O Gotteslästerliche Worte! Weiß der tumme Kerl nicht, daß das allein GOttes ist, der den Hertzens=Grund der Menschen offenbahret [...] 1 Regum 8 v. 39. 2 Paralipom. 16 V.9. 1 Corinth. 4 v. 5f. und Psalm 139. [...] Zudem wer hat ihm zum Zucht=Meister gesetzt! Da sind rechtschaffene Lehrer und Prediger, denen kommt solche Kraft ihres Amts zu, es zu bestraffen aus GOttes Wort. (Ebd., B1.3bf.)

Diese mit theologischen Fachwörtern gespickte und syntaktisch schwerfällige Argumentation weckte aber bald den Spott von Autoren, die für den Patrioten eintraten. Einer von ihnen schrieb in einem offenen Brief gegen Dietz: Wo hinaus aber, mein Herr! mit einem so abgeschmackten Wort=Gewäsch? Das ohnedem, in der Rechtschreib= und Wortfügung, auf einander klappet, als wann man Steine mit Fuchs=Schwänzen prellet; [...] Fort mit einem solchen Ucker=Wendischen Pritsch=Meister=Teutsch zu dem ehmal gehabten Unterrichter, und lassen [Sie] sich von Selben entweder noch ein halb Dutzend Jahr ein Reineres [Deutsch] mit einem Creutz=dornen Stecken einbläuen, oder das zuvor damit unnütz verwandte Geld wieder zurückgeben! {Dem Hochgelahrten Herrn, Herrn N.N., Bl. A2a)

Das war ein ganz anderer Ton, auf den sich Kirchenmänner einstellen mußten, wenn sie in der öffentlichen Diskussion mithalten wollten. Einer der Gegner des Patrioten war der Mathematikprofessor Sebastian Edzardi, ein Autor sehr vieler Polemiken (130 Schriften), die er anfangs in lateinischer, dann in deutscher Sprache und sogar im Hamburger Platt schrieb. Eine eigene literarische Gattung begründeten die Gespräche im Reiche derer Todten von 1718 bis 1739. Ihnen folgten die Gespräche im Elysium. David Fassmann, der ehemalige Teilnehmer des Tabakkollegiums König Friedrich Wilhelms I., ließ in den Neu entdeckten Elisäischen Feldern 1735 Mitglieder des Kollegiums miteinander disputieren, griff indirekt aber den König an. Der 1776 gegründete Illuminaten-Orden, der in Flugschriften aufklärerische Ideen popularisierte, operierte im Geheimen, weil er staatliche Repression zu fürchten hatte (Johann J. Chr. Bode: Gedanken über die Verfolgung der Illuminaten 1786; Adam Weishaupt: Schilderungen der Illuminaten 1786). Ihre Mitglieder hofften, durch die Besetzung von Beamtenstellen den Staat von innen zu reformieren. Offene Kritik an der Obrigkeit wurde erst in den politischen Zeitschriften ab 1770 vorgebracht (Friedrich Daniel Schubarts Teutsche Chronik 1774-93; Straßner 1997, 9, 28, 48). Aber auch in Flugschriften wurde für und gegen die refor-

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menschen Ideen geschrieben. Setzte sich der Kirchenrechtler Joseph Valentin Eybel in mehreren Flugschriften (Was ist der Papst?, Was ist ein Bischof?, Was ist ein Ablaß? 1781) für die josefinische Kirchenreform ein, so antwortete ihm der konservative Staatsrechtler Franz Anton Chrismar 1783 mit Was ist der Staat?, worin er die Verbindung von Thron und Altar verteidigte. Das eigentliche Thema des Mediums Flugschrift war im 18. wie im 16. Jahrhundert die Religion. Der Versuch der Aufklärer, christliche Grundsätze mit rationaler Argumentation anstatt nur mit Bibelauslegung zu begründen, beschwor die heftigsten Debatten herauf. Die politische Virulenz einer Neuinterpretation des Christentums lag darin, daß katholische wie protestantische Monarchien im Gottesgnadentum gründeten. Mit dem Argument, ein rebellischer Minister oder Soldat könne sich auf das Wolffische Fatum berufen, erwirkten 1723 Pietisten aus Halle bei König Friedrich Wilhelm I. die Vertreibung von Christian Wolff von seinem Lehrstuhl, das Verbot seiner Bücher und das seiner Lehre an den preußischen Universitäten. Pastor Johann Melchior Goeze sah 1778 allein im Christentum die „ganze Glückseligkeit der bürgerlichen Verfassung", die „Rechte der Obrigkeit", die „Sicherheit und Treue, welche sie [die Monarchen] von ihren Kriegern erwarten" begründet (Streitschriften gegen Lessing, hg. v. E. Schmidt, 1893, 24, 70). Der Streit um die Philosophie Christian Wolffs erregte großes Aufsehen in Deutschland und in ganz Europa. Georg V. Hartmanns Anleitung zur Historie der Leibnitzisch-Wolffischen Philosophie 1737 (Reprint 1973, S. 835-979) zählte bis zum Jahr 1737 126 deutsche und lateinische Flugschriften, darunter je eine von einem Gärtner und einem Schmied (Hinrichs 1971, 426, 431). Es ging um die Fragen der Gottesbeweise, der Interpretation der Welt als eines von Gott unabhängigen Wirkmechanismus', die menschliche Willensfreiheit, die Herkunft des Bösen, die biblischen Wunder usw., insgesamt um die Möglichkeit einer säkularisierten Interpretation von Welt und Gesellschaft. Wie weit die mediale Vielfalt für ein Laienpublikum aufgefächert war, sieht man daran, daß neben die lateinischen Gutachten, Abhandlungen und offenen Briefe deutsche Veröffentlichungen in Form von Briefen, Dialogen, Predigten und Zeitschriftenbeiträgen traten. Neu waren zusammenfassende Berichte über die Kontroversen. Einer preist sich im Titel an als „leicht einzusehen und ohne Mühe zu beurtheilen; vor [für] diejenigen, welche die Streit=Schrifften nicht alle lesen wollen, verfasset". Schließlich wurden die Streitpunkte in Lexika gegenübergestellt: in Johann G.Walchs Philosophischem Lexikon und in Zedlers Universal-Lexikon (1748, Bd. 58, Sp.967ff.) mit 127 Folioseiten! Dieses Medienumfeld verschuf der Debatte eine noch größere Resonanz. Verstand sich Wolff als jemand, der mit den Mitteln der Vernunft zur Religion hinführen wollte, so griffen Johann Chr. Edelmann {Moses 1740, GlaubensBekenntnis 1746) und Johann A.H.Reimarus die Inhalte der Bibel als Wort Gottes grundsätzlich an (inhaltliche Widersprüche, Barbareien im Alten Testa-

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ment, Leugnung der Auferstehung Jesu usw.). Gegen Edelmann wurden an die 200 Flugschriften geschrieben, seine Schriften 1750 in Frankfurt a.M. verbrannt. Die Veröffentlichungen von Reimarus' Thesen durch Lessings Fragmente eines Ungenannten in den Jahren 1778/79, riefen den Hamburger Pastor Melchior Goeze auf den Plan. In schneller Folge schrieben sich Goeze, Lessing und ihre jeweiligen Anhänger Streitschriften hin und her, insgesamt 32 gegen Lessing in den Jahren 1778/79. Goeze ging von Zeitschriftenbeiträgen zu Flugschriften über (Etwas Vorläufiges gegen Herrn Hofraths Leßings Angriffe auf unsere allerheiligste Religion; drei Folgen von Leßings Schwächen), während Lessing - anders als in seinen kunsttheoretischen Kontroversen mit Samuel G. Lange und Christian A.Klotz - von Anfang an Flugschriften schrieb (Eine Parabel, Axiomata, 11 Folgen des Anti-Goeze). Auch vom stilistischen Aspekt sind die Flugschriften Goezes und Lessings ein Höhepunkt in der Geschichte öffentlichkeitsherstellender Kontroversen. Obwohl sich Goeze über die metaphorische, nicht-wissenschaftliche Schreibweise Lessings ärgerte, wandelte er Textformen ab (Allegorie, Dialog) und schrieb in einem flüssigen Stil. Gegen Lessings Argument, er wolle den Theologen nur die Gelegenheit bieten, ihre Religion um so durchdachter zu verteidigen, verwendet er z.B. folgenden Vergleich: Er wil sich das Ansehen geben, daß er aus bloßer Ehrlichkeit die, wie er sie selbst nennet, unchristlichen Fragmente drucken lassen, und sie also vor dem Untergange bewahrt habe. Hat dieses Grund, so kan auch jemand die schändlichen Schmähschriften auf itzt regierende große Herren drucken lassen, Käufer dazu wird er häufig finden, und alsdenn, wenn er dafür zur Rechenschaft gefordert wird, sagen: er habe es aus bloßer Ehrlichkeit gethan, um dadurch anderen Gelegenheit zu geben, ihre Ehre desto nachdrücklicher zu retten. (Streitschriften gegen Lessing, 1893, S. 113)

Der große polemische Meister in diesem Streit ist aber Lessing. Als Beispiel für seinen Stil sei ein längerer Abschnitt aus dem angehängten „Absagungsschreiben" zur Parabel zitiert: Sie, Herr Pastor, Sie hätten den allergeringsten Funken Lutherischen Geistes? - Sie? der Sie auch nicht einmal Luthers Schulsystem zu übersehen in der Lage sind? - Sie? der Sie mit stillschweigendem Beifall von ungewaschenen, auch wohl treulosen Händen die Seite des Lutherschen Gebäudes, die ein wenig gesunken war, weit über den Wasserpaß hinausschrauben lassen? Sie? der Sie den ehrlichen Mann, der freilich ungebeten, aber doch aufrichtig den Männern an der Schraube zuruft: „Schraubt dort nicht weiter, damit das Gebäude nicht hier stürze!" - der Sie diesen ehrlichen Mann mit Steinen verfolgen? Und warum? - Weil dieser ehrliche Mann zugleich den schriftlich gegebenen Rat eines ungenannten Baumeisters, das Gebäude lieber ganz abzutragen, - gebilliget? unterstützt? ausführen wollen? auszuführen angefangen? - nicht doch! - nur nicht unterschlagen zu dürfen geglaubt.

Nach dem Verbot des Herzogs von Braunschweig, weiter gegen Goeze öffentlich zu schreiben, zog sich Lessing mehr auf literarische Formen zurück (Ernst und

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Falk. Gespräche für Freymäurer 1778; Nathan der Weise 1779), gab aber in seinen inhaltlichen Positionen nicht nach.

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Zu Beginn der Französischen Revolution ging eine Begeisterung für Demokratie und Menschenrechte durch Deutschland wie seit den ganz anders orientierten Freiheitsbestrebungen der Bauern 1525 nicht mehr. Nach den Septembermorden 1792 und der Hinrichtung des Königs wich sie aber schnell einer allgemeinen Ernüchterung. Die Diskussion über die Berechtigung der Revolution und die Art ihrer Durchführung spielte sich mehr in Zeitungen und Zeitschriften ab, z.B. in August Schlözers Staatsanzeigen, Wielands Teutschem Merkur, Johann von Archenholz' Minerva, Friedrich Schlegels Athenäum. In Mainz entstanden nach der Besetzung durch französische Truppen im Juli 1793 vier neue Zeitschriften, dazu im Januar 1794 Georg Forsters Neue Mainzer Zeitung. In den Zeitungen wurden die neuesten Ereignisse berichtet und kommentiert. Zeitungen waren auch das Medium für die Veröffentlichung der Manifeste und Aufrufe der deutschen Fürsten. Von den sechs Zeitungen, die sich ausdrücklich an den „gemeinen Mann" wendeten, sei die Rothe Zeitung des Landgeistlichen Werner D. Braess genannt, der bei aller Vermeidung expliziter Wertung doch eine Sympathie für die Revolution zeigte (Böning 1989, B46ff.). In den von französischen Truppen besetzten Gebieten und in Städten, in denen es Jakobinerclubs gab, kamen Flugblätter, Plakate, Schauspiele und Versammlungen (Pflanzung von Freiheitsbäumen) als Formen der Propaganda hinzu (Dumont 1982, 138ff.). Dennoch wurden auch Flugschriften geschrieben, die meisten aber gegen die Revolution: 1793 gab Friedrich Gentz seine Übersetzung von Edmund Burkes Reflections on the Revolution in France gegen die französische Republik und die englischen Revolutionsgruppen heraus; im gleichen Jahr erschien die wichtigste antirevolutionäre Schrift: August Wilhelm Rehbergs Untersuchungen über die Französische Revolution (Vierhaus 1983). Die Befürworter waren in der Minderheit. Dazu gehören: Joachim Heinrich Campes Briefe aus Paris zur Zeit der Revolution geschrieben 1790 (372 S., Reprint Hildesheim 1977), Georg Friedrich Rebmanns Kosmopolitische Wanderungen 1793, Johann Gottlieb Fichtes Zurückforderungen der Denkfreiheit von den Fürsten Europens 1793 und - gegen Rehberg - sein Beitrag zur Berichtigung der Urteile über die Französische Revolution, ebenfalls 1793. Sogar der alte österreichische Außenminister Graf Kaunitz setzte sich in einer Denkschrift für die Franzosen ein (Erwägungen über die angebliche Ansteckungsgefahr, mit der die neue französische Verfassung alle anderen souveränen Staaten Europas bedroht 1791).

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Die Aufklärer taten sich schwer, die Revolution, je länger sie dauerte, unumwunden gutzuheißen. Sie forderten soziale Veränderung ohne Gewalt. Rudolph Z.Becker (Das Rebellions-Fieber 1790, Noth- und Hilfs-Büchlein 1799), Christoph G.Steinbeck (Frei- und Gleichheitsbüchlein 1794), Christian G.Salzmann (Revolutionsgespräche, gehalten von dem Boten aus Thüringen mit seinem Wirthe und einem Weber 1794) und Traugott G. Roller (Dorfpredigten für gemeine Leute 1790 mit mehreren Auflagen) zeigten zwar Verständnis für die Revolution („die schrecklich harte Regierung, die zwang denn die Unthertanen, daß sie rebelliren mußten"), rieten aber von gewaltsamem Umsturz ab und befürworteten Bitten an die Regierungen („mit geziemender Bescheidenheit"). Nur in Dialogen wurde als gegnerische Meinung vorgetragen, daß das Volk, wenn die Unterdrückung unerträglich würde, wie in Frankreich, sein Joch selbst abschüttele, ein bischen rebelliere, und das Unterste zu oberst kehrte [...] es würde in der Welt in keinem Lande eher besser, bis der gemeine Mann selbst Anstalt dazu machte, und die grosen Herren dazu zwänge. (Frei- und Gleichheitsbüchlein, S.92, zit. in Böning 1989, B53)

Mit dem Einmarsch französischer Revolution Struppen in die Pfalz und nach Mainz kam allerdings eine revolutionäre Stimmung auf, deren publizistischer Ausdruck Flugschriften waren. 1792/93 erschienen mehr als 100 Flugschriften, 19 Einblattdrucke und 34 Faltblattdrucke (Die Schriften der Mainzer Jakobiner 1994, 26ff.). Manche Texte wurden sowohl als Flugschrift wie als Plakat gedruckt (so Johann F. Cottas und Friedrich G. Papes Von der Staatsverfassung in Frankreich, Sch. 2, S.295ff.). Es ist erstaunlich, wie die Textsorten und -formen denen der Reformation gleichen: argumentierende und belehrende Texte, theoretische Abhandlungen zu bestimmten Themen, Aufforderungs- und Appelltexte (meist zur Unterstützung der Republik, weniger zu konkreten Aktionen wie Kleiderspenden, Versammlungen, Bildung eines Revolutionsheers), Veröffentlichungen von Akten und Schriften des Gegners mit kritischen Kommentaren, Anklage- und Verteidigungstexte. Wie nach dem gescheiterten Volksaufständen 1525 erschienen Utopien. R. Z. Becker schildert im zweiten Teil des Noth- und Hilfsbüchleins die genossenschaftliche Dorfstruktur eines ,,Völkchen[s] von ächten Brüdern und Schwestern". In völliger Resignation endet dagegen Christian G. Salzmanns Ausfuhrliche Erzählung wie Ernst Haberfeld aus einem Bauer ein Freyherr geworden ist 1810 mit der Botschaft, „daß man die Zufriedenheit, ebenso, und noch mehr, in den Lehmhütten, als in großen Pallästen finde" (Böning 1989, B59f.). Auch andere Textformen wurden weiter tradiert: (Spott-)Gedichte und Lieder (Marseillaise), Kalender, belehrende und satirische Dialoge, Briefe, Kommentare zu Flugblättern und Flugschriften, die die bestehende Ordnung verteidigten, teils ironisch-sarkastisch, teils wissenschaftlich-argumentativ, Parodien von Gebeten, des Vaterunsers, des Credos. Neu ist die republikanische Verfassung, die ironi-

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sehe, unterwürfige Danksagungsadresse und die Textsorte Todesurteil (Sch. 1, S.288ff., 39Iff.). Neu sind auch das Sturm-und-Drang-Drama (Sch. 1, S.383ff.), die Deklaration von Menschen- und Völkerrechten und im Formalen das Oktavformat (in Mainz häufig 8 bis 16 Seiten, die programmatischen Schriften aber mit über 100 Seiten). War in der Reformationszeit die Predigt die wichtigste Textform, so war es 1792 die Volksrede. Mehrmals lag eine Rede schon gedruckt vor, als sie vor dem Jakobinerclub gehalten wurde. Die Mainzer Professoren (Georg Wedekind, Anton J. Dorsch) stellten sich vom akademischen Stil ihrer Vorlesungen auf die emotionale Volksrede um (Herrgen 1990, 8). Typische Redefiguren sind: Anrede (Brüder, Mitbürger), syntaktisch parallel gebaute Sätze, rhetorische Fragen, Ausrufe (ha, ach), Redewendungen (ei kräht kein Hahn danach) und ein Pathos ähnlich wie in den Dramen der Zeit („zerschmettert die Thüren des Kerkers"; „zittert, ihr Tyrannen"). Lehrhafte und auffordernde Texte für Handwerker und Bauern wurden in bewußt einfacher Diktion geschrieben: In Frankreich sind alle Menschen frei. Also gibt es keine Leibeigene. Auch ist kein Mensch Herr des andern, und sogar der Dienstherr hat vom Bedienten oder Knecht nur zu verlangen, was im Dienstkontrakte ausgemacht worden ist. (Cotta/Pape: Von der Staatsverfassung in Frankreich, Sch. 2, S.296)

Die meisten Autoren schrieben jedoch den zeitgenössischen hypotaktischen Stil der Gelehrten und Literaten, der die Gedanken schrittweise weiterführt, mal mit biblischen, mal mit dichterischen Anklängen. Gelehrte wie Georg Forster und Johann N. Becker warnten vor „Sansculottensprache" und „erniedrigenden Ausdrücken" (Sch. 2, S. 15, 99), wie sie in handschriftlichen Liedern vorkamen (Beispiele in Sch. 1, S.53). Im Brief Ein[es] überrheiner Bauersmann[s] an seinen Kurfürsten zu München 1793 gibt der Autor vor, ein alter Bauer zu sein; der Brief imitiert einen einfachen, gesprochensprachlichen Stil mit Lautverschleifungen, Linksherausstellungen, Modalpartikeln und Schimpfwörtern: Und so steht's halt vom Geringsten bis zum Höchsten. - Kömmt man zu dem gnädigen Herrn: ja, da muß man erst dem Bedienten die Finger salben, daß er einem nur Audienz, wie man's nennt, beschafft; und haben wir die, so sind wir doch um nichts besser. Sagt man in aller Höflichkeit, woran's dem guten Bauernstande gebreche, und klagt etwa diesen oder jenen Beamten vor einen Blutsauger an und hat seine guten Beweise dazu in Händen, so heißt es dennoch: Ihr Leute, wißt ihr, daß es noch Zuchtäuser im Lande gibt? Ihr seid aufrührerische Schurken! (Sch. 2, S.414f.)

Anklage wird zur Empörung gesteigert: sie haben die Fackel an die Wohnungen unschuldiger Landleute gelegt und wimmernde Mütter zurückgehalten, die ihre brennenden Kinder aus den Flammen retten wollten. (Unterricht für diejenigen Bürger, Sch. 2, S.714)

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Die Fahnen Wörter hießen: Freiheit, Gleichheit, Menschen-, Völkerrecht, Nation, Republik, die Stigmawörter: Despot, Tyrann, Sklaverei. Einige sind ausdrucksgleich mit (radikal-)reformatorischen Schlagwörtern (Freiheit, Wahrheit, Pfaffen, Tyrannei), haben ihren Sinn aber geändert (Diekmannshenke 1993). Die Revolutionsanhänger nannten sich Freiheitsfreunde, Freiheitskämpfer, Freunde der Freiheit, Demokraten und wurden von der Gegenseite als Freiheitseiferer, -ritter, -prediger, -schreier, -Schwindler, -apostel und Demokratenhunde beschimpft (Herrgen 1990, 9). Die zentralen Ideen der Französischen Revolution, z.B. die Begriffe Freiheit, Gleichheit, Volkssouveränität, wurden sowohl in Zeitungen und in Flugschriften diskutiert. Viele heute noch übliche Lehnwörter und Lehnübersetzungen stammen aus dieser Zeit: öffentliche Meinung (opinion publique), Preßfreiheit (liberté de la presse), Bürger (citoyen) im Sinne von .Staatsbürger', Patriot, Republikaner, Demokrat. Anklagende Metaphern (Ketten, Joch der Tyrannei, Blutegel, aussaugen, unterdrücken) und Beschimpfungen (Rotte von adeligen Dieben, Speichellecker, Raubgesindel) wurden vielfach wiederholt. Vereinzelt endeten Flugschriften mit Parolen: Es lebe die Frankenrepublik! Es lebe das fränkische Volk! Es lebe die Freiheit und Gleichheit! (Sch. 2, S.274, 298). Die Phase der revolutionären Flugschriften und Zeitungen dauerte in Mainz nur vier Monate. Ein Dekret der französischen „Allgemeinen Administration" beendete ihr Erscheinen.

5.7. Flugschriften gegen Napoleon Auch in der Zeit der Napoleonischen Kriege waren Zeitungen und Zeitschriften die wichtigsten Informations- und Meinungsvermittler, die nun mit Friedrich A.Brockhaus' Deutschen Blättern 1813, Joseph von Görres' Rheinischem Merkur 1814-16 und Ernst Moritz Arndts Wächter 1815/16 in die politische Meinungspresse übergingen. Als neue Medien erschienen die Feldzeitung, die gedruckte Proklamation und der Tagesbefehl, das Karikaturblatt, Soldaten- und Vaterlandslieder (Arnold Ruge: Liederbuch der Hanseatischen Legion 1813; Kriegs-Gesänge für freie Deutsche 1813). In Preußen bekamen Predigten eine neue Bedeutung. Wie immer in einem Krieg stieg die Zahl von politischen Druckerzeugnissen an. Nach der kurzen Zeit der Pressefreiheit 1813-15 begann eine um so rigorosere Pressezensur (Schäfer 1974, 44ff.). Emotionaler als die in ruhigem Ton vorgetragenen Proklamationen der Fürsten versuchten die alliierten Generäle, durch gedruckte Armeeproklamationen (Flugblätter) bei der Bevölkerung Unterstützung für militärische Operationen zu bekommen. Zu Beginn des Feldzugs im Frühjahr 1813 forderten sie zur Bildung von Freiwilligen-Verbänden auf (General Tettenborn: Zu den Waffen! 7.3.1813).

Flugschriften gegen Napoleon

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Die antifranzösische und antinapoleonische Flugschriftenpropaganda begann 1806 mit drei anonymen Flugschriften: Betrachtung über Bonapartes bis jetzt ungehinderte Fortschritte zur Unterjochung aller Staaten und Völker in Europa, Wien; Die Genealogie der kaiserlichen Majestäten und Hoheiten, Linz; Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung, Nürnberg. Die letztgenannte Flugschrift (Faksimiledruck 1983) war noch vom aufklärerischen, ruhigen Ton der Belehrung, des Berichts, des Räsonnements und der maßvollen Kritik an den deutschen Fürsten getragen; nur stellenweise ging sie in eine scharfe Invektive gegen Napoleon und seine Heere über: Fressen, Saufen, Raub und Weiberschänden, waren Tagesordnung der französischen Armee. [...] Kaum war der Franzose aus seinem Nest, als er sich schon nach Caffé, Wein, Likör, Braten und Eingemachten umsähe. Noch dampfte der Fraß aus seinem gespannten Wanste, da er sich zum Mittagessen niedersetzte, und wenn nicht köstliche Zubereitung der Speisen aufs neue seinen Appetit reizte, Wirt und Wirthin auf das

infamste mißhandelte. (Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung, S.22, 24f.) Von 1812 bis zum Wiener Kongreß 1815 wurden wieder sehr viele einfallsreiche Flugschriften geschrieben. Schöwerling und Steinecke (= Sch/St) haben 240 Texte als Microfiches veröffentlicht. Die neuen Textformen waren: tagebuchartige Dokumentationen der vergangenen Tage und Wochen, Aufrufe, die sich aus einer Schilderung der jüngsten politischen Ereignisse ergeben (Arndt: Zwei Worte über die Deutsche Legion 1813), Erinnerungen, Erzählungen (Anekdoten, Schreckensscenen und edle Charakterzüge aus der spanischen Insurrection 1809), Berichte (Karl Varnhagen v. Ense: Geschichte der hamburgischen Begebenheiten während des Frühjahrs 1813), Gedichte in Form von Knittelversen (Bonapartiade, eine biographische Skizze), ebenso Jeremiaden in Anspielung auf Jérôme Bonaparte (Jeromiade, Gegenstück zur Bonapartiade; Jerömchen; Carl Schellers JerominaIde), zwei Theaterstücke August v. Kotzebues: Der Flußgott Niemen', Noch Jemand 1813 (im Theater von Reval, sonst als Marionettentheater aufgeführt, eine der verbreitetsten Flugschriften), Sammlungen satirischer Gedichte unterschiedlicher Form (Politische Stachelnüsse, gereift in den Jahren 1813-14), eine Briefsammlung (Oriflamme, amüsant zu lesende Briefe aus Paris im Zusammenhang der gleichnamigen Oper mit viel Kritik an Napoleons Staatsapparat). Überhaupt konzentrierten sich viele Flugschriften auf den Hauptfeind Napoleon: Über Bonaparte und seinen letzten Schritt; Napoleon der Große; der Krebsgang Napoleon; Napoleon der Gaukler; Napoleon in der Klemme; Napoleons Traum, in dem ihm der Herzog von Enghien als Racheengel erschien etc., alle anonym 1813-15. Einer der produktivsten Autoren war Ernst Moritz Arndt. In seinen kleinen Flugschriften verbinden sich syntaktische Kürze, Bildhaftigkeit, biblische Wendungen, Pathos und Radikalität zu einem emotional aufpeitschenden Stil: Ich will den Haß, festen und bleibenden Haß der Deutschen gegen die Wälschen und ihr Wesen [...] Ich will den Haß gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will

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Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert ihn für lange Zeit, ich will ihn für immer. (Über Volkshaß und über den Gebrauch femden Sprache 1815, S. 18, Sch/St)

einer

Arndts Flugschriften propagierten einen Nationalismus, der sich in feindlicher Opposition zu durchweg als schlecht bewerteten Eigenschaften der Franzosen definierte („esprit", „Glätte", „Oberflächlichkeit", „Unbeständigkeit", „Unruhe"; ebd., 54; „der Franzose ist ein sprechendes, der Deutsche ein denkendes Volk"; ebd., 50). Gegen diesen Feind gelte es sich radikal abzugrenzen („Grade der Vermischung mit dem Ungleichen - das ist der Tod der großen Tugend", ebd., 17). Nationalistische Parolen des 19. und 20. Jahrhunderts (eine Flugschrift lautet: Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze 1814), Symbole (die deutsche Eiche, das eiserne Kreuz) und Schlagworte (der nordische Mensch, reines und gleiches Blut, Blutschande) haben hier ihren Ursprung. Auch der Antisemitismus kommt wieder zu Wort („verflucht sei die Humanität und der Kosmopolitismus [...] jener allweltliche Judensinn"). Arndt, der „einfältig, klar und ohne alle Klügelei des Worts" schreiben wollte (zit. in Schäfer 1974, 123), griff auf den Stil alttestamentlicher Geschichtsbücher zurück: Und Oestreich bot jetzt auch eine große Landwehr auf in Oestreich und Böhmen und Mähren, und diese Landwehr war dem Vaterlande von großer Hülfe, und wäre ohne sie das Vaterland verloren gewesen, und sie focht eben so tapfer und standhaft, als die gewöhnlichen Soldaten [...] Das ganze Volk ergrimmte, rüstete und bewaffnete sich; sie beteten zu Gott, knieeten an den Altären, zeichneten sich in den Kirchen mit dem heiligen Kreuze für den heiligen Krieg. (Was bedeutet Landsturm und Landwehr?, 1813, S.6f.)

So wie Luther am Ende von Wider die Rotten der Bauern die Fürsten stakkatoartig dazu aufrief, die Bauern zu erschlagen (vgl. 5.2.5.), so rief Arndt mit einer Reihe von Imperativen die Bauern dazu auf, gegen die Franzosen zu kämpfen: Auf alle! helfet, rathet, redet, handelt! wollet das Rechte und das Freie! wollet lieber ehrlich sterben als schändlich dienen! Und Gott, der Schirm der Freiheit und Gerechtigkeit, wird mit euch seyn! (Ebd., S.22)

Wie in der Reformation wurden auch Kampflieder gedruckt. Arndt gab mehrere Liederhefte heraus, darunter seine Fünf (Kriegs-)Lieder für Deutsche Soldaten 1813 mit vier Ausgaben innerhalb kürzester Zeit (Schäfer 1974, 131). 1814 erschienen anonym die Ergießungen Deutschen Gefühles in Gesängen mit 94 patriotischen Liedern, von denen es im Vorwort heißt: Was den Krieger in das Schlachtfeld treibt, eben das begeistert den Sänger zum Gesänge: Glaube an die Heiligkeit der verfochtenen Sache, Hoffnung auf den endlichen Sieg des Guten, und Vertrauen auf eine Vorsehung, die in der Hand des Allgerechten, des Allgütigen, des Allweisen ruht.

Vormärz

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5.8. Vormärz Nach 1819 wurden in ganz Deutschland alle wie auch immer demokratisch eingestellten Schriftsteller rigoros verfolgt. Görres' Flugschrift Teutschland und die Revolution (212 S.) gegen die Karlsbader Beschlüsse vom 10.9.1819 wurde beschlagnahmt; er selbst mußte nach Straßburg fliehen. 1838 mischte er sich mit seiner Schrift Athanasius in die „Kölner Wirren" ein und verteidigte den gefangengesetzten Kölner Erzbischof Droste-Vischering, der sich der preußischen Regierung widersetzte und darauf bestand, daß katholische Partner von Mischehen ihre Kinder katholisch erziehen müßten. Damit stärkte er das Selbstbewußtsein der Katholiken und trug zum Konfessionalismus im 19. Jahrhundert bei. Zunehmende Verfolgung zwang kritische Schriftsteller (Heinrich Heine, Ludwig Börne) ins Exil. Kritische Zeitschriften wurden über kurz oder lang verboten (Lorenz Okens Isis 1817, Ludwig Börnes Waage 1821, Karl Gutzkows Forum der Journal-Literatur 1831, August Wirths Deutsche Tribüne 1832 u.a.); ihre Herausgeber konnten manchmal auf eine Veröffentlichung ihrer Texte als Flugschrift ausweichen. Die Medienbezeichnung Flugschrift erschien nun auch im Titel, ζ. B. in der Flugschriftenreihe Eins ist Noth. In Flugschriften herausgegeben von mehreren teutschen Patrioten, Straßburg 1833. An besonderen Textsorten und -formen wurden gedruckt: Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1834 (Ru. 1, 14), Partei- und Vereinsprogramme, Statuten (Ru. 1, 16, 17, 24), Erklärungen staatsbürgerlicher Begriffe (Karl W. Schusters Gedanken eines Republikaners 1835, Ru. 1, 18; Johann F. Sauerwein: ABC-Buch der Freiheit 1832), das Bauern-Conversations-Lexicon 1834 (Ruckhäberle 1975, 144f., 353). Die Schlagwörter waren: Einheit Deutschlands, Volk, Volksherrschaft, -freiheit, -revolution, -rechte, -Souveränität, -Vertretung, (demokratische) Republik, Vaterland, Revolution, freier Staat, (persönliche, bürgerliche) Freiheit, oft in der Doppelformel Freiheit und Gleichheit, Preßfreiheit, Geschworenengerichte; die Stigmawörter wie früher: Knechtschaft, Sklaverei, Tyrannei, Despot(ismus) (ebd., 183ff.). 1834 erschien der Hessische Landbote von Georg Büchner und dem Butzbacher Schuldirektor Friedrich Ludwig Weidig (Faksimileausgaben: Marburg 1973, Frankfurt/M. 1987). Büchner verfaßte im Mai 1834 die erste Version, Weidig überarbeitete sie und schwächte manche Formulierungen ab (statt die Reichen: die Vornehmen), gab ihr den Titel und den Vorbericht, in dem geraten wird, wie man mit der Flugschrift umgehen solle, ohne von den Behörden belangt zu werden. In einer geheimen Druckerei in Offenbach wurde die Flugschrift gedruckt, von Weidig und Mitverschworenen verteilt, aber bald von einem Spitzel verraten. Mehrere Personen, die bei der Herstellung und Verbreitung der Flugschrift mitwirkten, wurden verhaftet und einige zu neun oder zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach Weidigs Tod im Gefängnis wurden mehrere anklagende Flugschriften gegen die Justizbehörden veröffentlicht, auf die die hessische

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Regierung mit einer offiziellen Gegendarstellung des Hofgerichtsrats Friedrich Noellner antwortete (Actenmäßige Darlegung des wegen Hochverraths eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens gegen Pfarrer D. Friedrich Ludwig Weidig 1844; vgl. B/W mit weiterer Literatur). Wie Flugschriften aus der Zeit der Französischen Revolution verwendeten Büchner und Weidig die Rhetorik kämpferischer Rede und das Mittel der Textsortenmischung. Der Hessische Landbote setzt ein mit dem Motto: Friede den Hütten! Krieg den Palästen!, das aus der Französischen Revolution stammte (la guerre aux chateaux, la paix aux chaumières). Weidig als Pfarrer, aber auch Büchner selbst imitierten den Stil der Lutherbibel (B/W, S. 125, 191). Ihm steht eine trockene Statistik der hessischen Staatseinnahmen gegenüber, die dann in sarkastischem Ton erläutert wird. Es folgt ein geschichtlicher Exkurs, wieder im biblischen Stil: Die übrigen Könige aber entsetzten sich vor der Gewalt des französischen Volkes [...] Da ergrimmte das Volk und erhob sich in seiner Kraft. Es erdrückte die Verräther und zerschmetterte die Söldner der Könige. Die junge Freiheit wuchs im Blut der Tyrannen und vor ihrer Stimme bebten die Throne und jauchzten die Völker [...] Da rathschlagten die Fürsten, wie sie dem Grimm des Volkes entgehen sollten. (S. 5f.)

Mit jesuanischen Wehe-Rufen, Bibelstellen, Appellen im Ton einer Predigt, Bildern aus Jean Pauls Hesperus (vgl. 3.4.), der Schlußstrophe aus Gottfried August Bürgers Gedicht Der Bauer 1773 („Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?/ Gott spendet Segen aus;/ Du raubst, du schindest, kerkerst ein,/ Du nicht von Gott, Tyrann!") und direkter Anrede machten Büchner und Weidig den Hessischen Landboten zu einer Flugschrift von literarischer Qualität, die als ein Meisterwerk der gesamten Flugschriftengeschichte gepriesen wurde (Zeugnisse in B/W, S. 129ff.).

5.9.

Die Revolution 1848/49

Nach der Aufhebung der Zensur im März 1848 erschien eine Fülle von Flugschriften zur staatlichen Neugestaltung Deutschlands, so daß für kurze Zeit (bis Ende 1849) die Flugschrift für dieses Thema das führende Medium war. Paul Wentzcke hat 5000 Flugschriften von 1848-51 durchgesehen und 1000 davon mit kurzen Inhaltsangaben bibliografiert. Es ging hauptsächlich um die Verfassung des Deutschen Bundes (konstitutionelle Monarchie oder Republik, mit oder ohne Österreich, Ein- oder Zweikammersystem, wer das Oberhaupt des Bundes sein solle). Alle politischen Richtungen meldeten sich zu Wort, von konservativen Pfarrern, die sogar eine konstitutionelle Monarchie ablehnten (We. 452, 454) oder das Todesurteil gegen Robert Blum verteidigten (We. 633), bis zu radikalen Sozialisten. Es wurden auch ganz abstruse Ideen vorgetragen, z.B.

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mit Waffengewalt nach Asien einzumarschieren, um der Überbevölkerung zu entgehen, oder auszuwandern und zur Natur zurückzukehren (We. 142, 306). Zu juristischen Aufsätzen, Verfassungsentwürfen, Programmen und Statuten, Vorträgen und Reden (vor den Urwählern, den Wahlmännern, der Frankfurter Paulskirche, Grabreden für die „Märzgefallenen"), kamen als neue Textsorten Bewerbungen um ein Mandat, Aufrufe zur Wahl bestimmter Kandidaten (z.B. Arnold Ruges für Leipzig, Bruno Bauers für Berlin und David Strauß' für Schwaben, We. 283.) und Berichte der Abgeordneten an ihre Wähler hinzu. Selten wurden die Formen der Allegorie (We. 302), des Aphorismus (We. 298) und des Gesprächs (We. 449, Ot. 728f.) verwendet. Bei den Aufsätzen kommt der akademische Stil schon in den Titeln zum Ausdruck: Gedanken zu ..., Einige Worte zu ..., Bedenken zu ...; durch Fragesätze (Was dürfen wir Deutsche von den in Frankfurt versammelten Volksvertretern zunächst erwarten? We. 264), Formulierungen wie für wissenschaftliche Bücher (Grundzüge einer deutschen Bundes-Verfassung mit Rücksicht auf ... unter Rückblick auf..., We. 146). Manche Titel bestanden aus thesenartigen Forderungen (Nur keine Republik!, We. 308) oder Ausrufen (Schluß! Schluß! Schluß! Sechs Reden, so in der constituirenden Reichsversammlung wegen des Schlußrufes nicht zu deren Ohren gekommen sind, We. 653). Die Autoren schrieben oft einen Nominalstil mit mehrfach untergeordneten Attributen und komplexen Partizipialattributen (... daß sie sich folgenden, in der von einer großen Anzahl von Mainzer Bürgern unterzeichneten, bereits ihren Abgeordneten unterm 2. März überreichten Adresse gestellten unabweislichen Forderungen anschließen). Dazu kommen Funktionsverbgefüge und das Verfahren graphisch abgesetzter Aufzählungen (Spiegelstriche) nach einem übergeordneten Satz. Stilistische Innovationen fanden mehr im Bereich der Flugblätter und der (satirischen) Zeitschriften statt, die für die Großstadtbewohner von Berlin und Wien die wichtigeren Medien waren. Gustav Otruba kommt allein für Wien im Jahr 1848 auf 2.842 Flugblätter, darunter einige Flugschriften. Als neues Medium trat außerdem das Plakat in Erscheinung. Für Berliner Flugblätter ist ein spöttischer Ton charakteristisch. Ihre (professionellen) Schreiber intendierten eine genießende Lektüre mit Wortspielen, sexuellen Anspielungen, Umformulierungen hochtrabender Phraseologismen in den Berliner Dialekt und die Satire durch selbstentlarvende Äußerungen (wir haben ja Freiheit, wer wird denn da arbeeten?, Schildt 1986, 199). Dadurch kam es zu einer deutlichen Funktionstrennung zwischen Flugblatt und Flugschrift: Die Flugschrift hatte ernsthafte, rational argumentierende Aufgaben. Paul Wentzcke urteilte: „Ihren durchdachtesten Ausdruck fand die öffentliche Meinung damals jedenfalls in den Flugschriften" (We., S. XIV). Aber keine dieser Tausenden von Flugschriften hatte eine solche historische Wirkung wie eine nur 23-seitige Flugschrift aus London: Das Manifest der Kommunistischen Partei 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels (Faksimile in

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B.Andréas: Le Manifeste Communiste, Mailand 1963). Während die anderen Flugschriften dieser Jahre sich auf einzelne Forderungen, allenfalls auf die Verfassung des Deutschen Bundes beschränkten, gaben Marx und Engels eine geschichtsphilosophische Deutung der sozialen Situation (Teil I), verteidigten die Ziele der Kommunisten gegen bürgerliche (Teil II) und andere sozialistische Gruppen (Teil III) und skizzierten ihre Stellung gegenüber den anderen Parteien (Teil IV). Das Manifest war eine Auftragsarbeit des „Bundes der Kommunisten", gedacht als ein Parteiprogramm für die Öffentlichkeit. Für die Verbreitung in Deutschland wurden eigens gotische Lettern gekauft. Neue Parteimitglieder mußten auf das Manifest schwören wie auf die Bibel (Kuczynski 1995, 138). Die suggestive Wirkung des Textes liegt in mehreren stilistischen Verfahren (Beispiele mit Seitenangaben des Erstdrucks): in der Einfachheit der Syntax; in sentenzartigen Aussagen (die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen, 3; eine Association, worin die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung für die freie Entwicklung Aller ist, 16); in spannungsschaffenden Redeabbrüchen (die Bourgeoisie [...] hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden - die modernen Arbeiter, die Proletarier, 7); in bildhaften Vergleichen (mit Anspielung auf Goethes Zauberlehrling·, die kapitalistische Produktion ist der Hexenmeister, der seine unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, 6); in Metaphern (die Bourgeoisie [...] hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei [...] in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt; alles Ständische und Stehende verdampft, 5); in wertenden Wörtern (Schacher statt: Handel, 12) und schockierenden Formulierungen (die Kinder werden in einfache Handelsartikel und Arbeitsinstrumente verwandelt; der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktions=Instrument, 14). Beginn und Ende des Textes wurden zu sprichwörtlichen Formulierungen. Der Beginn: Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Czar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.

Das Ende: Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier

aller Länder vereinigt

Euch!

Der Vergleich des Kommunismus mit einem Gespenst, an dessen Realität niemand glaubt, wurde in den 40er Jahren mehrmals verwendet. Eine Petition von Mannheimer Bürgern, formuliert von Gustav Struve ebenfalls im Februar 1848, beginnt ganz ähnlich: „Ein Gedanke durchzuckt Europa. Das alte System wankt und zerfällt in Trümmer ...".

Mediale Nachfolger der Flugschrift

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Das Manifest der Kommunistischen Partei entfaltete seine Wirkung durch die Arbeiterbewegung und die kommunistischen Parteien. Schon im Erstdruck wurden Übersetzungen ins Englische, Französische, Dänische und Italienische angekündigt; erhalten sind nur eine schwedische von 1848 und eine englische von 1850. Übersetzungen in andere Sprachen begannen erst nach 1871, dann aber in großer Zahl (bis 1819 wurde das Manifest 544 mal verbreitet, z.T. nur in Auszügen oder nur handschriftlich).

5.10. Mediale Nachfolger der Flugschrift Die Praxis der Verlage, nach 1870 Druckwerke schon gebunden zu verkaufen, und die Einführung der maschinellen Drahtklammerung seit 1875 bereiteten der Flugschrift auch ein buchbindetechnisches Ende. Die medialen Nachfolger der für die breite Masse geschriebenen Propagandaschriften waren die Broschüren und Heftchen der politischen Parteien, der Kirchen, der politischen und weltanschaulichen Gruppen und Vereine (oft in Reihen wie bei den seriösen Zeitschriften). Die völkische Ideologie (Paul A.Lagarde) und der Rassenwahn wurden z.B. in solchen Heftchen popularisiert. Der junge Hitler las sie in seiner Wiener Zeit. In der Zeitschrift Ostara, Briefbücherei der Blonden (Nr. 2, 1905), herausgegeben von Jörg Lanz-Liebenfels, heißt es: der blonde, heldische Mensch [ist] der schöne, sittliche, adelige, idealistische, geniale und religiöse Mensch [...] Alles Häßliche und Böse stammt von der Rassenmischung her, der das Weib aus physiologischen Gründen mehr ergeben war und ist, als der Mann [...] Denn diese dunklen Tschandalen, als Schmarotzer von dem Schweiße der arbeitenden blonden heldischen Menschheit lebend, wußten, daß sie, falls diese Menschheit erwacht, von einem noch nie dagewesenen Weltpogrom hinweggefegt werden. (Vor S. 1 und S. 7)

Das deutet schon auf den Ton Hitlers. Nach dem Ende der Flugschrift als Medium wurde das Wort Flugschrift immer häufiger für die Titel von Broschüren verwendet (Karl Gabriel: Wann wollen und wann sollen wir den Frieden schließen? Eine Flugschrift 1918; Ewald Geißler: Flugschrift des Deutschen Sprachvereins Nr.l. Sprachpflege als Rassenpflicht 1937). 1919/20 gab der Rowohlt Verlag Flugschriften aus dem 19. Jahrhundert (Büchner) neben aktuellen Aufrufen heraus. Die Nationalsozialisten entfalteten nicht nur mit dem Radio, sondern mit vielen Schriftenreihen und Einzeltexten ihre Propaganda (Helmut Stellrecht: Soldatentum und Jugendertüchtigung 1935; Landesbischof Martin Sasse: Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen! 1938). Antisemitische Hetzschriften (Der ewige Jude 1938; Die Juden in USA 1942) verwendeten dazu (Presse-)Fotos und historische Bilder mit Textkommentaren. Das Medium des Widerstands war das Flugblatt (KPD, Weiße Rose) und die Maueraufschrift. Die KPD ließ Texte auch

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Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert

als Tarnschriften unter einem harmlosen Einband nach Deutschland schmuggeln. (Noch im Juni 1971 verbreitete die RAF in Berlin die Schrift Die Lücken der revolutionären Theorie schließen - die Rote Armee aufbauen unter einem Deckblatt mit dem Titel: Verkehrsrecht und Verkehrsaufklärungsheft\ Verfassungsschutzbericht 1972, 95). Nach 1945 erschienen separat gedruckte Denkschriften zur Neugestaltung Deutschlands (z.B. Für eine aktive deutsche Friedenspolitik 1952 von Joseph Wirt und Eilhelm Elfes). Einen späteren medialen Nachfolger der Flugschrift kann man in den Taschenbuchreihen sehen, in denen Gesellschaft und Politik kritisch beleuchtet wurden und von denen z.B. Bahman Nirumands Bericht über das Persien unter Schah Pahlevi mit zur Studentenrevolte von 1967/68 beitrug.

6. Flugschriften in Großbritannien und Frankreich In Großbritannien (Grabes 1990) und Frankreich (Überblicksartikel: „Pamphlet" in P.Larousse: Grand Dictionnaire du XIXe Siècle, 1874, Bd. 12, 91ff.) hatten Flugschriften eine ungleich bedeutendere Rolle für die Bildung einer öffentlichen Meinung als bei uns. Seit Heinrich VIII. ließen die Könige und Königinnen in ihrer eigenen Druckerei ihre Politik durch Flugschriften darstellen. Unter Heinrich betraf das z.B. die (Nicht-)Gültigkeit seiner Ehe mit Katharina von Aragon, den Aufstand in Yorkshire 1536; unter Königin Elisabeth das Vorgehen gegen die Northern Rebellion 1570 (ca. 30 Flugschriften, z.T. als volksnahe Balladen), die Hinrichtung von zwölf Jesuiten 1581 oder die Zurückweisung des Anspruchs Maria Stuarts auf den englischen Thron. Texte, die die auswärtige Politik betrafen, wurden in lateinisch, französisch, niederländisch und spanisch gedruckt und an die Regierungen Europas verschickt. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist die Zeit der großen Kontroversen: Katholiken gegen Anglikaner (die Jewel-Harding-Kontroverse seit 1559), häufiger noch zwischen Puritanern und Anglikanern (die Harvey-Green- und die HarveyNash-Kontroverse seit 1592). Sie fanden ihren Höhepunkt in den auch rhetorisch meisterhaft geschriebenen Flugschriften Job Throkmortons alias Martin Marprelates 1588/89. Es gab eine zentrale kirchliche Zensur, die die Autoren von kirchenkritischen Texten zwang, vom Ausland aus Flugschriften dorthin zu schmuggeln. Ihre Verbreitung wurde drakonisch bestraft (Brandmarkung mit den Buchstaben SL = „seditious libeller"), oft mit dem Tod. Den Verurteilten wurde am Pranger oder auf dem Schafott eine Rede eingeräumt, die, von Zuhörern aufgeschrieben, dann als heimlich gedruckte Flugschrift verbreitet wurde. Ab 1640 ließ das House of Commons Predigten und Reden drucken, die vor ihm gehalten wuden (Bach 1997, 80f., 88). Anders als in Deutschland nahmen in England auch mehr Schriftsteller an den politischen Fragen teil, an erster Stelle John Milton, der von 1641 bis 1660 zugunsten der Religionsfreiheit und der Rechte des Parlaments schrieb. Ihm folgten John Locke, der Earl of Shaftesbury, Jonathan Swift und Daniel Defoe. Unermüdlich schrieb dieser z.B. gegen Absolutismus, religiösen Fanatismus und für den protestantischen König Wilhelm von Oranien. Ein wohl einmaliger Fall war seine Gefängnisstrafe, weil man die Ironie in The Shortest Way with the Dissenters nicht erkannte (Ahrens 1991, 3Iff.). Ein noch wichtigeres nationales Zentrum für Flugschriften war Frankreich. Das ganze 16. Jahrhundert über wurden Schriften gegen die katholische Kirche

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Flugschriften in Großbritannien und Frankreich

geschrieben, nach 1530 hauptsächlich von Calvinisten und oft in Genf gedruckt. In mehreren Zirkeln in Frankreich entstand eine Atmosphäre der Freigeisterei, in der sich die Kirchenkritik zur Religionskritik radikalisierte. Henri Estienne machte sich nicht nur über die faulen, dummen, ewig betrunkenen und nichtsnutzigen Mönche lustig, sondern betrachtete in seiner Apologie pour Hérodote das Christentum überhaupt von einer heidnischen Perspektive aus, in der das Abendmahl als Theophagie (Gottesfresserei) erschien. In der Regierungszeit von Franz II. (1559/60) wurden die Herzöge von Guise die Zielscheibe zahlreicher Flugschriften, weil sie den Calvinismus in Frankreich bekämpften. Die Zahl der Flugschriften verdoppelte sich unter Karl IX. (1560-74) und vervierfachte sich unter Heinrich III. (1574-89). Die Ermordung Heinrichs IV. 1610 wurde in vielen volkstümlichen Klageliedern betrauert, der Mord den Jesuiten angelastet. Das religionsgeschichtlich anspruchsvollste Werk gegen die Denkart der Jesuiten waren jedoch Pascals Lettres à un provincial von 1656/57. Während der innenpolitischen Unruhen im 17. Jahrhundert bekamen Flugschriften auch die Funktion, in der Öffentlichkeit für eine bestimmte Person oder Familie zu werben, besonders, wenn sie von staatlicher Verfolgung bedroht waren (z. B. der Freigeist Théophile de Viau und der von Kardinal Mazarin gefangengesetzte Herzog de Longueville, desen Frau sich mit Flugschriften für ihn einsetzte und dadurch auch Erfolg hatte; Saba 1984, Aronson 1984). In den Jahren 1648 bis 1652 wurden vier bis fünf Tausend „Mazarinaden" gegen die Politik und die Person des Kardinals veröffentlicht, oft von den Niederlanden aus. Mazarin selbst benutzte die Flugschrift, um Revolten zu provozieren, die seiner Politik dienten. Publizisten aus den Niederlanden und aus dem Deutschen Reich griffen die expansionistischen Bestrebungen Ludwigs XIV. an. Die in Deutschland so bewunderte französische Kultur sei nur ein Deckmantel für die Ausweitung der französischen Landesgrenzen (Schillinger 1999). Ludwig XIV. nahm einige ausländische kritische Flugschriften immerhin so ernst, daß er Antworten schreiben ließ. Satirische Flugschriften verbreiteten den Klatsch aus dem Hof von Versailles. Fast jeder Minister, Beamte, General und jede Favoritin wurden auf diese Weise dem Gelächter der Franzosen und der europäischen Höfe preisgegeben. Auch der Beginn der Französischen Revolution wurde auf diese Weise durch Flugschriften mit vorbereitet.

Quellen- und Siglenverzeichnis Be.

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B/W

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Cl.

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Eb.

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Fi.

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Ho.

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L/S/L = L/S/W = L/W

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Ot.

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Ru. 1

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Ru. 2

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Sch. 1 = Sch. 2 =

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WA

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Namenregister Adolf von Nassau 48 Agricola, Johann

15, 58, 60

Catull 46 Chrismar, Franz A. 79

Agrippa von Nettesheim, Heinrich 72

Cicero 46

Alber, Erasmus 36

Clemens VII.

Alfeld, Augustin v. 61

Cochlaeus, Johannes 61

Allendorf, Philipp 72

Cotta, Johann F. 82f.

Amann, Erasmus

15f.

26

Cranach, Lukas

12f.

Andreae, Konrad 67

Cronberg, Hartmut v. 28, 66

Antonius Margarita 72

Defoe, Daniel 93

Archenholz, Johann v. 81

Delrio, Martin 72

Arndt, Ernst M. 2, 21, 30f„ 34, 36, 42,

Dietenberger, Johannes 61 Diether von Isenburg 48

84-86 Arnim, Bettina v. 21

Dietz, Justus L. 77f.

Bauer, Bruno 89

Dorsch, Anton J. 83

Becker, Johann N. 83

Eberlin von Günzburg, Johann 27f.,

Becker, Rudolph Z. 82 Beham, Hans S.

5

35f„ 58, 61, 64 Eck, Johannes 24, 56, 61, 72

Bellarmin, Robert 68

Edzardi, Sebastian 78

Bernhardt, Eleonore E. 21

Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg

Binsfeld, Petrus 71

20

Birgitta von Schweden 47

Engels, Friedrich 42, 89f.

Blum, Robert 88

Emser, Hieronymus 3, 6, 23f., 26, 40,

Bode, Johann J.Chr. 78 Bodin, Jean 71 f. Bodmer, Martin

57, 61 Erasmus von Rotterdam 39, 50, 56, 58,

24

Börne, Ludwig 87

63, 66 Erxleben, Dorothea v. 20

Breitinger, Johann J. 24

Estienne, Henri 94

Braess, Werner D. 81

Fabri,Johannes 58

Brant, Sebastian 48

Fassmann, David 78

Brenz, Johannes 58, 65, 72

Fichte, Johann G. 44,81

Brockhaus, Friedrich A. 84

Edelmann, Johann Chr. 79f.

Bucer, Martin 58, 72

Ewald, Johann E. 45

Büchner, Georg 30, 34, 40, 42, 87f., 91

Eybel, Joseph v. 79

Bürger, Gottfried A. 88

Fischart, Johann 67, 71

Burke, Edmund 81

Florentina von Oberweimar 17

Bugenhagen, Johannes 58

Forster, Georg

Burchardi, Ulrich 39

Freytag, Gustav 8

Campe, Joachim H. 2, 4, 81

Friedrich II. 46f.

Carben, Victor v. 72

Friedrich III. 48

77, 81, 83

104 Friedrich von Limpurg 54 Friedrich von der Pfalz 73 Friedrich III. von Sachsen 18 Friedrich Wilhelm I. von Preußen 79 Fundling, Johannes 12 Füßli, Hans 16 Gabriel, Karl 91 Gaismair, Michael 15 Gengenbach, Pamphilus 15, 29, 44, 58 Gentz, Friedrich 81 Georg von Sachsen 3, 24, 26, 57, 60 Gerhard, Hans 15 Gleim, Betty 21 Gödelmann, Johann G. 72 Görres, Joseph v. 84, 87 Goeze, Johann M. 23, 36, 79f. Goldast, Melchior 72 Gottsched, Johann Chr. 24 Graff, Jörg 15 Gregor VII. 46 Gregor IX. 46f. Greiffenberger, Hans 15 Gretser, Jakob 68 Gretter, Jakob 70 Grotius, Hugo 73 Gretzinger, Benedikt 15 Grünpeck, Joseph 11 Grumbach, Argula v. 17-20, 62 Gustav II. Adolf 73-76 Gutenberg, Johannes 48 Giittel, Kaspar 58 Gutzkow, Karl 87 Hardenberg, Karl A. v. 21 Hartmann, Georg V. 79 Hass, Cuntz 15 Heine, Heinrich 87 Heinrich d.J. von Braunschweig-Wolfenbüttel 9, 24, 33, 42, 57 Heinrich IV. 46f. Heinrich VIII. 2 4 , 5 8 , 9 3 Heimburg, Gregor 48 Hergot, Hans 15, 22, 60, 66 Hochdörfer, Heinrich 34 Hitler, Adolf 91 Hochstraten, Jakob v. 49f. Hoe von Hoenegg, Matthias 23f., 30, 74 Hoffmann, Melchior 12, 15f., 22, 60

Namenregister Hoyers, Anna O. 21 Hut, Hans 22, 60f. Hutten, Ulrich v. 10, 15, 33, 36, 42, 44, 50, 52-54, 63 Institoris, Heinrich 70 Jacob, Johann Ph. 44 Jean Paul 40, 88 Johann Friedrich von Sachsen 24, 42, 44, 69 Juch, Karl 44 Juvenal 46 Kadolzburger, Nikolaus 15f., 63 Karl V. 3, 7, 69 Karlstadt, Andreas Bodenstein, gen. 12, 24f„ 41f„ 58f. Kaunitz, Wenzel v. 81 Kettenbach, Heinrich v. 58f. Klöckner, Carl 44 Kotzebue, August v. 44, 85 Kulmus (Gottsched), Louise 21 Lagarde, Paul A. 91 Lanz-Liebenfels, Jörg 91 Lau, Theodor L. 77 Leibniz, Gottfried W. 45, 79 Lerchheimer, Augustin 72 Lessing, Gotthold E. 5, 23f., 36, 42, 80f. Lichtenberger, Johannes 11 Linck, Wenzeslaus 26, 58 Locke, John 93 Longueville, Mme de 94 Loos, Cornelius 72 Lotzer, Sebastian 7, 15f., 28, 62, 64 Lukian 46, 53 Luther, Martin 3, 5, 6-14, 17, 22-26, 28, 30, 33f„ 36, 39-42, 44, 49, 52, 54, 56-69, 73, 80, 86, 88, 91 Manuel, Niklas 15, 44 Marschalck, Haug 15 Marsilius von Padua 47 Marx, Karl 42, 89f. Masius, Hector G. 77 Maximilian I. 5, 48f. Mazarin, Kardinal 94 Melanchthon, Philipp 60, 65, 69 Meyfart, Johann M. 72 Milton, John 93 Montaigne, Michel de 72

Namenregister Mörlin, Hans 15f., 62 Müller, Heinrich v. 44 Münsterberg, Ursula v. 17 Müntzer, Thomas 9, 12, 15, 41, 59f., 66, 77 Murner, Thomas 10, 24, 61, 63, 72 Nagel, Hans 15 Napoleon I. 22, 26, 30, 55, 84-86 Nas, Johann 4, 67f. Nigrinus, Georg 72 Nirumand, Bahran 92 Oekolampad, Johannes 58 Oken, Lorenz 87 Opitz, Martin 76 Oslander, Andreas 58, 73 Pack, Otto 26, 57 Palm, Johann F. 22 Pape, Friedrich G. 82f. Pascal, Blaise 94 Petrus de Vinea 46 Peter von Prezza 46 Pfefferkorn, Johannes 3, 7, 9, 12, 23, 37, 40, 49-52 Philipp von Hessen 26, 69 Pirckheimer, Caritas 6, 17, 26 Preyning, Jörg 16 Pufendorf, Samuel 77 Rebmann, Georg F. 81 Rehberg, August W. 81 Reimarus, Johann A. 79f. Rem, Katharina 17 Reuchlin, Johannes 3, 7, 12, 23, 40, 4952, 72f. Rey (Remigius), Nicolas 72 Rey chart, Peter 15f. Rhegius, Urbanus 58, 65 Roller, Traugott G. 82 Rothmann, Bernhard 43, 60 Rudolphi, Karoline 21 Ruge, Arnold 21, 84, 89 Rurer, Johannes 65 Rychsner, Utz 15f., 59 Sabina von Württemberg 20, 53 Sachs, Hans 15f„ 58, 62f., 69, 72 Salvius, Johann A. 73 Salzmann, Christian G. 82 Sauerwein, Johann F. 87 Scarron, Pierre 72

105 Schappeler, Christoph 59, 64 Schatzgeyer, Kaspar 61 Scheller, Carl 85 Scherer, Georg 68 Schlegel, August W. 21 Schlegel, Friedrich 81 Schlözer, August 81 Schmidt, Konrad 48 Schirlenz, Nickel 25, 58 Schönichen, Hans 15 Schubart, Christian F. D. 2, 78 Schulz, Wilhelm 45 Schupp, Johann B. 24 Schurman, Anna M. van 20 Schuster, Karl W. 87 Schwalb, Hans 15 Scott, Reginald 72 Scribonius, Wilhelm A. 71 Seehofer, Arsacius 17, 42 Shaftesbury, Earl of 93 Seneca 46 Sickingen, Franz v. 3, 10, 15, 50 Spee, Friedrich ν. 72 Spengler, Lazarus 58f. Sprenger, Jakob 70 Stahr, Adolf 21 Stanberger, Balthasar 15 Staygmayer, Hans 15 Steinbeck, Christoph G. 82 Steinberg, Jakob 73 Stellrecht, Helmut 91 Strauß, Jakob 58 Struve, Gustav 90 Swift, Jonathan 93 Sylvius, Petrus 61 Tannstetter, Georg 37 Tetzel, Johann 56 Thomas von Aquin 19 Thomasius, Christian 72, 76f. Throkmorton, Job 93 Tilly, Johann T. 74f. Ulrich von Württemberg 20, 42, 52-54 Valla, Lorenzo 54 Varnhagen von Ense, Karl 21, 85 Vetter, Jakob 68 Viau, Théophile de 94 Virdung von Haßfurt 11 Vogel, Wolfgang 22

106 Vögeli, Jörg 15 Vogtherr, Heinrich 15 Walch, Johann G. 79 Wallenstein, Albrecht v. 73f. Wedekind, Georg 83 Weidig, Friedrich L. 5, 22, 30, 42, 44, 87f. Weiditz, Hans 53 Weishaupt, Adam 78 Weitling, Wilhelm 30 Wenzel von Wolfskehl 54 Weyda, Ursula 17, 19f. Weyer, Johann 70f. Wieland, Christoph M. 81

Namenregister Wilhelm IV. von Bayern 17, 20, 53f. Wilhelm III. von Oranien 93 Wimpina, Konrad 56 Wirth, Johann G. 2, 31 Wirth, August 87 Wolff, Christian 79 Zeämann, George 68 Zedier, Johann H. 79 Zell (Schütz), Katharina 17, 19 Ziegler, Caspar 12 Ziegler, Clemens 12, 15f„ 16, 19, 25, 27f. Ziegler, Christiana M. v. 20 Zierer, Wolfgang 15