Finance [4., grundlegend überarb. Aufl.] 9783486720266

Das bewährte Lehrbuch zur Finanzwirtschaft behandelt die grundlegenden Inhalte, die in diesem Gebiet zum Standard geword

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German Pages 481 [484] Year 2012

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Finance [4., grundlegend überarb. Aufl.]
 9783486720266

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IMF International Management and Finance Herausgegeben von o. Professor Dr. Klaus Spremann Lieferbare Titel: Bernet, Finanzintermediation und Finanzkontrakte, 2. Auflage Scott, Wall Street Wörterbuch, Börsenlexikon von A bis Ζ für den Investor von heute, Englisch-Deutsch, Deutsch-Englisch, 2. Auflage Spremann,Vermögensverwaltung Spremann, Portfoliomanagement, 4. Auflage Spremann, Finance, 4. Auflage Spremann, Valuation Spremann, Wirtschaft, Investition und Finanzierung^. Auflage Spremann • Gantenbein, Zinsen, Anleihen, Kredite, 4. Auflage Spremann • Pfeil • Weckbach, Lexikon Value-Management Yamashiro, Japanische Managementlehre Keieigaku, Japanisch -Deutsch mit Transkription, ι, deutschsprachige Auflage

Finance vori

Dr. Dr.b.c. Klaus Spremami o. Professor für Betriebswirtschaftslehre ari der Universität St. Gallen und Direktor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen

4., grundlegend überarbeitete Auflage

Oldenbourg Verlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2 0 1 0 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Cover-Illustration: Hyde & Hyde, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-59108-8

Zum Inhalt: Aus Fragen der Finanzierung und der Investitionsentscheidungen von Unternehmen ist in der Verschmelzung mit der Analyse von Kapitalmärkten ein großes Gebiet entstanden, das mittlerweile auch bei uns als Finance bezeichnet wird. Das Lehrbuch in Ihren Händen entwickelt das Fachwissen und jene Methoden, die in der Finance zum Standard gehören. Lehrveranstaltungen:

Das Buch wendet sich an Studierende der Betriebs- und der Volkswirt-

schaftslehre sowie an Personen im Beruf, die sich mit Finanzierung und Investition befassen. •

Für ein zeitlich konzentriertes

Seminar empfehlen sich die Kapitel 2 bis 7, also die The-

men:

Finanzierung,

Investitionsrechnung,

Kennzahlen,

Capital-Budgeting

(DEAN,

FISHER), Idee des perfekten Marktes, Irrelevanzthesen (MODIGLIANI und MILLER), Gordonsches Wachstumsmodell, Unternehmensbewertung: Ertragsbewertung, DCF, Bestimmung der Diskontrate: CAPM und Beta. •

In Lehrveranstaltungen,

die ein Semester dauern, werden zusätzlich die Kapitel 8 bis 10

behandelt: Portfoliotheorie (MARKOWITZ), Terminkontrakte

und

Risikoabsicherung

(Hedging), Optionen (Black-Scholes-Formel). •

Für die Vervollständigung

bieten sich die etwas anspruchsvolleren Kapitel 11 bis 15 mit

den Themen: Arbitrage (risikoneutrale Wahrscheinlichkeiten, Binomial-Modell, APT), Unternehmenswert und Steuern, Bewertung des Kreditrisikos (Merton-Modell), Interessenskonflikte im Beziehungsdreieck Fremdkapitalgeber - Manager - Eigenkapitalgeber, empirische Forschung zu den Renditeprozessen und den Marktmodellen (wie das Mehrf a k t o r - M o d e l l v o n FAMA u n d FRENCH).



Einige Kapitel eignen sich für eine Behandlung in Übungen (Kapitel 2, 14) oder für das Selbststudium

(Kapitel 9, 13), weshalb sich Lehrveranstaltungen, die Kapitel 2 bis 15 ab-

decken, im Plenum auf 10 Kapitel konzentrieren können. Der Autor: Prof. Dr. Dr.h.c. Klaus Spremann ist Professor der Universität St.Gallen, Direktor am Schweizerischen Institut für Banken und Finanzen, Akademischer Repräsentant seiner Universität in Singapur und er hat die akademische Gesamtverantwortung für das Summer Study Program an seiner Universität.

Spremann studierte Mathematik an der TU München: 1972 Dipl.-

Mathematiker, 1973 Promotion zum Dr.rer.nat.; Habilitation 1975 an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Karlsruhe. Von 1977-90 war er Professor und Abteilungsleiter (Wirtschaftswissenschaften im Studiengang Wirtschaftsmathematik) an der Universität Ulm. Gastprofessuren an der University of British Columbia in Vancouver B.C., der National Taiwan University in Taipeh, der Universität Innsbruck und Gastaufenthalte an weiteren Universitäten. Zwei Jahre (1993-94) arbeitete er als HongkongBank Professor of International Finance an der University of Hong Kong. Spremann hat verschiedene Bücher und zahlreiche Fachaufsätze verfasst, für die er Auszeichnungen erhielt (Forschungspreise und Best Paper Award). Er ist Autor von Radiosendungen, betreut eine Kolumne und arbeitet in diversen Praxisprojekten.

Inhaltsverzeichnis 1.

Prolog

1.1

Zum Gegenstand des Buches

1

1.2

Und was ich noch sagen wollte

10

11

1

2.

Investition und Rendite

2.1

Investitionsrechnung

11

2.2

Kontinuierliche Zeit

30

2.3

Ergänzungen und Fragen

39

47

3.

Finanzierung

3.1

Finanzierungsvertrag

47

3.2

Kenngrößen

60

3.3

Ergänzungen und Fragen

75

4.

Capital-Budgeting

83

4.1

... ohne Kapitalmarkt

83

4.2

... mit Kapitalmarkt

4.3

Von der klassischen zur neoklassischen Finance

101

4.4

Ergänzungen und Fragen

104

5.

MODIGLIANI u n d M I L L E R

107

5.1

DDM und Transversalität

107

5.2

GGM und MM

117

5.3

Ergänzungen und Fragen

127

6.

Unternehmensbewertung

137

6.1

Ertragsbewertung

137

6.2

Discounted Cash Flow

145

94

6.3

Bewertungspraxis

155

6.4

Ergänzungen und Fragen

165

7.

Risikoprämie

173

7.1

Diskontierung

173

7.2

Marktrendite

183

7.3

Capital Asset Pricing Model

193

7.4

Ergänzungen und Fragen

205

8.

Portfoliotheorie

211

8.1

Effiziente Portfolios — MARKOWITZ

212

8.2

Kapitalmarktlinie — TOBIN

228

8.3

Ergänzungen und Fragen

241

9.

Terminkontrakte

247

9.1

Formel Terminkurs

247

9.2

Hedging

258

9.3

Ergänzungen und Fragen

270

Vili

FINANCE

10.

Optionen

275

10.1

Finanzoptionen

275

10.2

Optionsbewertung

283

10.3

Kreditrisiko

302

10.4

Ergänzungen und Fragen

312

11.

Arbitrage

315

11.1

Risikoneutrale Wahrscheinlichkeiten

315

11.2

Binomial-Modell

327

11.3

Arbitrage Pricing Theory

342

11.4

Ergänzungen und Fragen

348

12.

Kapitalstruktur

351

12.1

Leverage

353

12.2

Unternehmenswert bei Steuern

363

12.3

Kreditvergabe

371

12.4

Ergänzungen und Fragen

376

13.

Asymmetrische Information

379

13.1

Interessenskonflikt Management — Eigenkapital

380

13.2

Interessenskonflikt Management — Fremdkapital

385

13.3

Management — Eigenkapital — Fremdkapital

393

13.4

Ergänzungen und Fragen

404

14.

Renditeprozess

409

14.1

Empirische Forschung

409

14.2

Tests zur EMH

417

14.3

Heteroskedastizität

429

14.4

Ergänzungen und Fragen

434

15.

Marktmodell

435

15.1

Empirische Tests des CAPM

435

15.2

Mehrfaktor-Modelle

441

15.3

Ergänzungen und Fragen

456

16.

Lernregister

457

16.1

Paradigmen

457

16.2

Zwanzig Konzepte

459

16.3

Leitsterne des Denkens

462

16.4

Wichtige Formeln

463

16.5

Personenverzeichnis

464

16.6

Sachverzeichnis

467

1.

Prolog Das Kapitel 1, überschrieben als Prolog, verdeutlicht die „Finance" als Gegenstand und als Fach. Es zeigt den Aufbau des Lehrbuches und bietet Kurzübersichten zu Kapitel 2 bis 16.

1.1

1.1

Zum Gegenstand des Buches

1

1.2

Und was ich noch sagen wollte

10

Zum Gegenstand des Buches

Was in diesem Abschnitt gesagt wird: 1. Gegenstand des Gebiets. 2. Die in den Kapiteln behandelten Themen. 3. Warum Paradigmen gefolgt wird.

1.1.1

Herzlich

willkommen!

Dieses mit Finance betitelte Buch bereitet für Sie jenes Gebiet auf, das nach dem Angelsächsischen mittlerweile ebenso bei uns genannt wird. Ansonsten wird Finanzwirtschaft wirtschaft

gesagt. Der Begriff der Finanzierung

oder

Kapital-

wäre indes aus einem doppelten Grund zu eng.

Erstens werden in der Finance nicht nur Finanzierungen, sondern vor allem Investitionen

behan-

delt. In der Tat bezeichnen die Begriffe Finanzierung und Finanzinvestition dieselbe Sache, nur einmal vom Blick der Partei aus gesehen, die Geld aufnimmt und das andere mal von jener Partei gesehen, die es für einige Zeit zur Verfügung stellt. Zweitens spielen in der modernen Finance Kapitalmärkte

eine große Rolle. Auch wenn die jüngste globale Finanz- und Wirtschaftskrise

verdeutlicht hat, dass Kapitalmärkte nicht zu allen Zeiten die ihnen zugedachten Funktionen erfüllen und zu Übertreibungen neigen, ist das Wirtschaften, das Investieren und Finanzieren ganz ohne Kapitalmarkt nicht vorstellbar. Gleichwohl haben wir gelernt, dass gewisse Fragen, die im Zusammenhang mit Kapitalmärkten stehen, nicht übersehen werden sollten. Aufsicht und Regulierung müssen überdacht werden, hier und da muss das Risikomanagement verbessert werden. Eine weitere Frage ist, wie die starke Manager-Orientierung gebannt werden kann, die durch Kapitalmärkte begünstigt wird. Ungeachtet dieser Punkte kann die Thematik des Faches und des Buches „Finance" so umrissen werden: Die Finance behandelt 1. Investitionen, 2. Finanzierungen und 3. Kapitalmärkte. Bei den Kapitalmärkten interessiert nicht nur deren grundlegende Funktionsweise, sondern auch die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Das sind Unternehmen sowie private und institutionelle Finanzinvestoren wie Banken und Versicherungen.

2

FINANCE

Die Finance nahm ihre Ursprünge in Fragen, die mit der Finanzierung von Unternehmen und mit ihren Investitionsentscheidungen verbunden sind. In den Anfängen der Wissenschaft wurde die Unternehmung isoliert für sich betrachtet. Vielleicht hatte die Firma neben dem Eigentümer noch einen oder mehrere außenstehende Geldgeber (Financiers), die oft still im Hintergrund blieben und mit denen der Unternehmer bilateral Vereinbarungen getroffen hatte. Aber früher wurde bei solchen Verträgen zwischen Unternehmung und Financier kein Kapitalmarkt

betrachtet. Die da-

maligen Überlegungen zur Finanzierung und zur Investition waren folglich auf den spezifischen Fall bezogen und gestatteten kaum Verallgemeinerungen. So ist eine Lehre der

Unternehmensfi-

nanzierung entstanden, in der es für die Unternehmung darum ging, Geld zu beschaffen und die Ansprüche der externen Kapitalgeber zu bilanzieren. Diese klassische Lehre zur Finanzierung der Unternehmung stand in enger Nachbarschaft zum Rechnungswesen. Etwa ab 1960 wurde die Unternehmensfinanzierung

auf fruchtbare Weise mit der Analyse von

Kapitalmärkten verschmolzen. Die Kapitalmarkttheorie ging auf die Portfoliotheorie Modelle zur Entscheidung

sowie auf

unter Risiko zurück. Sobald eine Unternehmung am Kapitalmarktge-

schehen teilnimmt und Aktien oder Anleihen ausgibt, die an einer Börse gehandelt werden, finden ihre Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen neue Antworten. Die neuen Einsichten betreffen vor allem die Frage, welche Maßnahmen und Investitionsprojekte vorteilhaft Wenn es einen Kapitalmarkt gibt, dann kann die (finanzielle) Zielsetzung Streben nach Wertschaffung

sind.

der Unternehmung als

präzisiert werden.

Da wir heute Zugang zu Kapitalmärkten haben, überzeugen die neuen Antworten mehr als die der ursprünglichen, klassischen

Lehre. Folglich setzen auch wir in diesem Lehrbuch einen Schwer-

punkt auf die Art und Weise, in der eine Unternehmung ihre Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen trifft, sofern sie an einem gut funktionierenden Kapitalmarkt teilnehmen kann. 1 Die Untersuchung von Fragen der Finanzierung und der Investition unter der Annahme oder Bedingung, dass es einen gut funktionierenden Kapitalmarkt gibt, bildet die neoklassische Finance. Zur neoklassischen Finance gehören auch Modelle, die es erlauben, die Funktionsweise von Kapitalmärkten zu analysieren. Sie machen die Kapitalmarkttheorie aus, die um 1980 einen gewissen Abschluss mit der Optionspreistheorie

fand. 2

Wichtigste Merkmale: 1. Der gut funktionierende Markt ist o f f e n und transparent: Jedermann hat Z u g a n g und kann leicht alle Informationen erhalten. 2. Der Handel ist liquide: Stets gibt es zahlreiche Marktteilnehmer, die bereit für die eine oder andere Transaktion sind. 3. Kein Marktteilnehmer denkt, die Preise beeinflussen zu können. Niemand versucht, die Preise strategisch zu beeinflussen. 4. Die mit einer Transaktion verbundenen Kosten sollen gering sein. 5. Weiter soll es keine Zweifel hinsichtlich der Qualitätsmerkmale der gehandelten Objekte geben. 2 Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise 2008-09 widerlegt nicht die Notwendigkeit zu untersuchen, wie Kapitalmärkte normalerweise funktionieren und wie die Marktteilnehmer — Unternehmen, Finanzinvestoren, Banken — entscheiden, wenn e s gut funktionierende Kapitalmärkte gibt. Die Krise führt indessen vor Augen, dass es in der Realität nicht einfach ist, Märkte in einem Zustand nachhaltig stabiler Funktion zu halten. Die Krise zeigt auch, dass nach einem Zusammenbruch von Märkten die Neueinrichtung geordneter Abläufe eine Herkulesaufgabe ist, die gemeinschaftliches Vorgehen verlangt, also den Staat und überstaatlich koordiniertes Vorgehen. Gut funktionierende Finanzmärkte sind keine Selbstverständlichkeit.

1.

PROLOG

3

Etwa ab 1990 wurde durch zahlreiche empirische Erkenntnisse deutlich, dass einige Modelle zur Funktionsweise von Kapitalmärkten, die in der neoklassischen Finance entwickelt und verwendet werden und die zahlreiche, als fruchtbar angesehene Einsichten gestatten, nicht genau die Wirklichkeit trafen. Anfangs sah es noch so aus, als würden durch die empirische Forschung in der Finance lediglich Antinomien entdeckt werden, die den Theoretikern nur Mühe bereiteten. Inzwischen ist man sich der außerordentlich konstruktiven Hilfestellung bewusst, welche die empirische Finance leistet. Die Kapitalmarkttheorie wird ergänzt und modifiziert und erhält so eine realitätsnähere Gestalt. Die durch die empirische Forschung initiierten Erweiterungen strahlen wiederum auf die Finanzierung, die Investitionsentscheidungen und das Risikomanagement aus. Was heute allgemein als zum Kern der Finance gehörig betrachtet wird, kann durch diese Grundfragen umschrieben werden: •

Wie trifft ein Teilnehmer am Kapitalmarkt, etwa eine Unternehmung, Investitionsentscheidungen? Welche Rolle spielt dabei der Wert des Projekts? Wie kann eine Unternehmung bewertet werden?



Wie geht eine Unternehmung vor, um die finanziellen Mittel für ihre Vorhaben aufzubringen? Wovon hängen die Konditionen der Finanzierung ab? Wie sollten die Finanzierungsmöglichkeiten mit Eigen- und Fremdkapital gewichtet werden? Welche Bedeutung hat die Kapitalstruktur (Gewichtung von Eigen- und Fremdkapital) ?



Welche Beziehung zwischen Risiko und Rendite beschreibt das Geschehen am Kapitalmarkt? Wie werden Terminkontrakte, Optionen und andere Finanzinstrumente bewertet? Welche Möglichkeiten bieten diese Instrumente für die Absicherung von Risiken?



Welche neueren Erkenntnisse liefert die empirische Forschung? Schließlich Besonderheiten, die auf die Corporate Finance führen: Welche Folgen hat die Besteuerung von Eigen- und Fremdkapital? Wie wirken sich Informationsunterschiede zwischen Kapitalgebern und Management aus?

Ich freue mich über Ihr Interesse, sich die Grundlagen des Wissensgebiets Finance anzueignen. Dazu gehört der Erwerb von Fachkenntnissen, die Bereitschaft, den in der Finance typischen Argumentationen zu folgen und sich mit den Methoden vertraut zu machen. 3 Kurse und Lehrveranstaltungen zur Finance werden inzwischen überall auf der Welt angeboten. Hat es früher in den Schulen und Universitäten noch nationale Akzente und Schwerpunkte gegeben, so wirkt heute eine Konvergenz zu einer quasi weltweit einheitlichen Gewichtung der Inhalte und Themen. 3 Die Wertschöpfung des Finanzbereichs insgesamt liegt bei zehn Prozent des Sozialprodukts. Niemand wollte leugnen: Der Finanzbereich hat im Wirtschaftsleben seine enorme Größe erreicht, weil Manager, Financiers, Investoren, Intermediäre und Unternehmen die Vorteile sehen, die ihnen eine Teilnahme am Kapitalmarktgeschehen bietet. Der Finanzsektor bietet zudem attraktive Arbeitsplätze in den Unternehmen, bei den Intermediären (Banken, Versicherungen, Fondsmanager) und, nicht zu vergessen, in den Medien. Ahnlich wie bei den anderen Industrien unterliegen die im Finanzbereich erbrachten Dienstleistungen dem internationalen Wettbewerb. Die Finanzindustrie eines Landes kann verdrängt werden und abwandern. So ist es für jedes Land wichtig, die heimische Finanzindustrie zu fördern und zu entwickeln. Regulierungen müssen gemeinschaftlich von allen Ländern getroffen werden. Wie in allen anderen Bereichen auch, setzt der gewünschte Fortschritt Expertise und Wissen voraus.

FINANCE

4

Auch das vorliegende Buch folgt diesem Standard, wenngleich die verwendete Währung, die Praxisbeispiele und der Verweis auf institutionelle Gegebenheiten unseren europäischen Lebensbereich reflektieren. Zum Niveau des Buches: Es ist als Einführung geschrieben, die bis zu einem mittleren Schwierigkeitsniveau reicht. Als Lehrbuch wendet es sich an Studierende von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre im zweiten oder dritten Studienjahr einer Universität. Außerdem wird das Buch in der Weiterbildung (Executive

Master in Business Administration)

verwendet. Wie Rückmeldun-

gen zeigen, sind die Materialien und die Darstellung zwischen den Auflagen inhaltlich gereift. In der neuen 4. Auflage sind Korrekturen und didaktische Verbesserungen eingearbeitet. Überdies wurden Erfahrungen mit dem Lehrprogramm eingearbeitet. Trotz dieser Weiterentwicklung der Materialien bleibt die Aufgabe des Lesens, Mitdenkens und Lernens natürlich bei Ihnen selbst.

1.1.2

Inhalte der Kapitel 2 bis 7

Sie haben ein Lehrbuch zur Finance vor sich. Es behandelt den für dieses Gebiet üblichen Stoff. Lassen Sie mich den Aufbau und die Abfolge der Themen kurz erklären. Das Kapitel 2 führt in Investition und Rendite ein. Weil an finanziellen Aspekten Interessierte auf das liebe Geld schauen, werden die Investitionen durch Zahlungsreihen klären die Diskontierung

beschrieben. Wir er-

(sicherer Zahlungen, die in Zukunft geleistet werden) und den

wert. Weiter wird erklärt, warum in der Finance (oft) ein perfekter

Kapitalmarkt

Kapital-

vorausgesetzt

wird, man also alle Fragen anhand eines Modells des ideal funktionierenden Finanzmarkts behandelt. Damit können wir den Begriff des Werts erläutern: Der Wert einer Investition ist der Preis, den sie im perfekten Kapitalmarkt hat. Sodann steht Rechnen auf dem Plan: Wir betrachten die stetige Rendite und die Sheppardsche Korrektur. Zur Lernkontrolle gibt es wie bei den folgenden Kapiteln Aufgaben. Lösungen sind angeben. Literaturhinweise finden sich in Fußnoten. Kapitel 3 Finanzierung: Niemand hat ausreichend viel Geld, um große Investitionen alleine tätigen zu können. 4 Sie müssen finanziert werden. Dazu werden Verträge, also Finanzkontrakte,

ver-

einbart. Wir holen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, bei einer bekannten Unterteilung solcher Verträge ab: Eigen- versus Fremdkapital.

Dann stürzen wir uns auf Größen, die zum Teil aus

dem Rechnungswesen stammen: Cashflow, Gewinn, Abschreibungen, EBIT und EBITDA, Freier Cashflow. So kann die Idee des Unternehmenswerts umrissen werden. Es folgen Kennzahlen

wie

die Gewinnrendite, der ROE, das KGV. In der Ergänzung CAPEX. Das Kapitel 4 erläutert den Übergang von der klassischen zur neoklassischen Finance. Der dazu gewählte Gegenstand ist das Capital-Budgeting. Es bringt Investitionen und Finanzierungen zusammen. J. DEAN hat 1951 ein Verfahren vorgestellt, das praxisnah aussieht. Mit dem Ansatz von 4

Die Entwicklung des Airbus 380 hat 14 Milliarden Euro gekostet. Für die präklinische Entwicklung eines neuen Medikaments werden heute mit Kosten um 1 Milliarde Euro gerechnet. Konzeption, Vorbereitung und Probeaufführungen einer neuen Show des Cirque du Soleil verschlingen 400 Millionen Dollar (bei dann weltweit 80 Millionen Zuschauem). Ein Blockbuster (Kinofilm) wie „Modern Warfare" kostet 50 Millionen Dollar.

1. P R O L O G

5

DEAN bewegen wir uns noch im Paradigma der klassischen

Finance — kein Kapitalmarkt spielt

hinein. Doch dieser Ansatz löst sich in nichts auf, sobald es einen Kapitalmarkt gibt. Das zeigt die Betrachtung der Fisher-Separation.

Mit der Existenz des Kapitalmarkts entstehen somit neue

Einsichten. Das Paradigma der neoklassischen Finance (kurz: Finance mit Kapitalmarkt) wird uns von Kapitel 4 bis Kapitel 11 begleiten. Kapitel 5 fáhrt großes Geschütz der neoklassischen Finance auf. F. MODIGLIANI und M . MILLER zeigen, welche Aspekte unbedeutend werden, sobald es einen perfekten Kapitalmarkt gibt. Erstens kommt es dann einzig auf den Wert der Unternehmung an. Zweitens gibt es kaum Möglichkeiten, den Unternehmenswert durch finanzielle Maßnahmen zu beeinflussen: Weder hängt der Wert von der Dividendenpolitik ab, noch vom Verschuldungsgrad (Kapitel 12), noch von der Risikopolitik (Kapitel 9). Wir sehen uns den Unternehmenswert faktoren genauer an. Er ist der Barwert der Dividenden

und seine Bestimmungs-

— sofern die Transversalität

erfüllt ist.

M. GORDON hat 1959 einen einfachen Fall wachsender Dividenden betrachtet. Der Barwert der tatsächlichen Dividenden spielt nach M M jedoch keine Rolle. Folglich kann die Unternehmung alternativ dazu anhand einer fiktiven Reihe von Dividenden bewertet werden. Das Kapitel 6 Unternehmensbewertung vertieft das Vorgehen bei der Bewertung, die Unternehmung in einem Sandkastenspiel „fiktive Dividenden" auszahlen zu lassen: Als fiktive Auszahlungen werden erst die Gewinne (Ertragsbewertung) und dann die Cashflows

(DCF-Methode)

betrachtet. Selbstverständlich wächst eine Unternehmung, für die in der Bewertungsstudie so getan wird, als ob sie die Gewinne ausschütte, langsamer, als wenn sie nur einen kleineren Teil des Gewinns als Dividende ausschüttet. Eine Unternehmung, die Jahr um Jahr die Gewinne ganz ausschüttet, wächst nur noch mit der Rate des organischen

Wachstums.

Die Irrelevanzthesen von

MODIGLIANI und MILLER haben große praktische Bedeutung. Bei der DCF-Methode kommt es auf die budgetierten

Investitionen

an. Hier besteht große Freiheit, was in der Praxis gelegentlich

ausgenutzt wird. Da heißt es aufpassen, was in einer Bewertungsstudie vorgelegt wird. Zu Kapitel 7 Risikoprämie: Bei allen Bewertungen und Diskontierungen zukünftiger Zahlungsüberschüsse sind wir noch etwas schuldig geblieben: Mit welcher Rate wird eigentlich diskontiert? Wir vergleichen die Risikoprämienmethode

(Berücksichtigung des Risikos durch eine Prä-

mie im Nenner) mit der Risikoabschlagsmethode

(Berücksichtigung des Risikos der zu diskontie-

renden Zahlungen im Zähler). Die Risikoprämienmethode hat zwar gewisse Nachteile, doch sie zeigt die größere Analogie zur Diskontierung einer sicheren Zahlung. Dann fragen wir, wie hoch die Renditeerwartung oder die Risikoprämie ist, die generell mit Aktien erwartet werden kann. Hierzu dienen historische

Schätzungen.

An dieser Stelle besprechen wir das Urnenmodell,

nach

dem die zufälligen Jahresrenditen unabhängige Ziehungen aus immer derselben Grundgesamtheit sind. Zur Begründung der Unabhängigkeit wird die Efficient Market Hypothesis

(EMH) bespro-

chen. Die Prämie des Marktrisikos wird sodann mit dem Capital Asset Pricing Model

(CAPM)

auf die Risikoprämie umgerechnet, die mit einer Einzelanlage verbunden ist. Das C A P M leiten wir aus einem Einfaktor-Modell

ab, das wir intuitiv begründen. Sind Sie schon müde? Dann ist es

höchste Zeit für einen Semesterbreak. Wir könnten aber an dieser Stelle auch ganz aufhören.

6

FINANCE

Die grundlegenden Denkansätze der Finance kommen in den Kapiteln 2 bis 7 zu Sprache: Die Fisher-Separation, die Thesen von MODIGLIANI und MILLER, das Denken in Werten, die Möglichkeit, die Unternehmensbewertung anhand von fiktiven Reihen von Zahlungsüberschüssen ausführen zu können, die Herausarbeitung des Marktrisikos im EinfaktorModell und die Bestimmung der Diskontrate mit dem CAPM. In der Tat bieten die Kapitel 2 bis 7 die Inhalte für eine kurze Darstellung der Finance. Sie dienen daher als Programm für Kurse, die sich an Executives wenden. Ohne Übungen und ohne Aufgaben werden dafür 6 mal 90 Minuten benötigt. Die Behandlung der Kapitel 2 bis 7 mit Übungen verlangt drei Tage von je 4 mal 90 Minuten.

1.1.3

Die Kapitel 8 bis 13

Aus dem Break zurück möchten Sie weiter machen? Gern! Kapitel 8 ist der Modernen Portfol i o t h e o r i e ( M P T ) g e w i d m e t , d i e a u f H . MARKOWITZ, J. TOBIN u n d W . SHARPE z u r ü c k g e h t . W i r

stellen die Grundannahmen der MPT vor: Das Risk-Return-Diagramm, die Effizienzgrenze. Dann folgt die Idee von TOBIN, auch eine sichere Anlagemöglichkeit zu betrachten. Damit liegen alle effizienten Portfolios auf der Kapitalmarktlinie. sondere Rolle spielt das Marktportfolio.

Außerdem gilt die Tobin-Separation.

Eine be-

Wie kann seine Zusammensetzung gefunden werden?

Wir besprechen die Kapitalisierungs-Methode und die Berechnung als Lösung eines linearen Gleichungssystems. Hier kann mit Excel gerechnet werden. Es folgen Hinweise zu einem Optimizer, der gratis über das Internet benutzt werden kann. Kapitel 9 Terminkontrakte: Wo wir schon bei der Portfoliosicht sind: Gewisse Teilrisiken, etwa ein Währungsrisiko, kann man absichern (hedgen), indem dem Portfolio ein gegenteiliges Risiko hinzugefügt wird. Gegenpositionen, die sich auf spezielle Risikofaktoren oder Preisrisiken beziehen, sind über Terminkontrakte

verfügbar. Dabei wird ein neuer Aspekt deutlich: Terminkontrak-

te können (oft) durch einen finanzierten Kauf des Basisobjekts und Lagerung nachgebildet, repliziert werden. In der Finanzwelt haben, weil es auch dort viele Wege nach Rom gibt, alle denselben Wert. Denn andernfalls wäre das Marktgleichgewicht gestört. Wir sind immer noch im Paradigma der neoklassischen Finance, in der es einen perfekten Markt gibt. Da achten die Leute nur auf das Geld. Wenn zwei Positionen letztlich zu denselben Zahlungen führen, dann entsteht deshalb für sie ein übereinstimmender Preis. Kapitel 10 Optionen: Wo im letzten Kapitel 9 die Terminkontrakte besprochen sind, bietet es sich an, Optionen zu behandeln. Optionen sind Termingeschäfte, bei denen die eine Seite noch das Wahlrecht hat, ob der Transfer stattfinden soll oder nicht. Solche Wahlrechte bewerten zu können, ist wichtig. Denn Optionen gibt es überall — so ist beispielsweise die Haftungsbeschränkung eine Option, weshalb auch das Kreditrisiko durch Optionen bewertet werden kann. Läuft alles schief, wählt der durch sie geschützte Investor, sich einfach zu verabschieden. Das ist um so interessanter, je höher die Volatilität ist. Was also in Kapitel 10 neu gegenüber Kapitel 9 hinzu kommt, ist die Abhängigkeit des Werts (der Option) vom Ausmaß an Unsicherheit. Wir be-

1.

PROLOG

7

sprechen die wichtigsten Strategien und ihre Payoffs und kommen zur Bewertung der Optionen. Hier bringen wir die Black-Scholes-Formel.

So kann die implizite Volatilität erklärt werden. Es

folgen die Greek Letters, die Sensitivitäten des Optionspreises hinsichtlich einer Variation seiner Bestimmungsfaktoren. Anschließend zeigen wir die Put-Call-Parität. Wieder kommt das Argument mit der Replikation hinein. Nach der Formel für die Binäroption wird das Merton-Modell für das Kreditrisiko besprochen, das auf einer optionstheoretischen Betrachtung beruht. Das Kapitel 10 endet mit einem kleinen Repetitorium. Kapitel 11 Arbitrage: Jetzt wurde schon mehrfach von der Bewertung durch Replikation gesprochen, so bei der Bestimmung von Terminkursen und bei der Put-Call-Parität. Daher verdient die Replikation ein eigenes Kapitel. Da sie als Bewertungstechnik funktioniert, sofern der Markt so gut funktioniert, dass es keine Arbitrage gibt, ist das Kapitel 11 mit diesem französischen Wort überschrieben. Wir beginnen mit den risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten und zeigen, dass ein jeder Kontrakt einen Wert hat, der gleich dem diskontierten Ρseudo-Erwartungswert

der beding-

ten Zahlungen ist, die mit dem Kontrakt in den einzelnen Zuständen verbunden sind. Der PseudoErwartungswert ist der mit den risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten berechnete Erwartungswert der bedingten Zahlungen. Diese Betrachtung führt zum Binomial-Modell. Abschließend gehen wir — immer in harmonischer Notation mit den risikoneutralen Wahrscheinlichkeiten und dem Binomial-Modell — auf die Arbitrage Pricing Theory (APT) ein. Mit den Kapiteln 2 bis 11 wurden alle Inhaltspunkte bearbeitet, die im Paradigma der neoklassischen Finance — Annahme des perfekten Kapitalmarktes — gelten: 1. Die Irrelevanzthesen von MODIGLIANI und MILLER, 2. die Unternehmensbewertung mit Varianten, 3. das CAPM für die Ermittlung der risikogerechten Diskontrate, 4. die Portfoliotheorie, 5. die Formel für die Optionsbewertung, 6. die Idee der Replikation und die Arbitrage Pricing Theory. Immer wieder erweisen sich Finanzmaßnahmen als irrelevant und verbundene Probleme zerfallen in Einzelentscheidungen: Die Fisher-Separation, die Irrelevanzthesen von MM, die Tobin-Separation. Um 1980 wurde deutlich, dass damit konkretere Fragen, die mit der Investition und Finanzierung von Unternehmen verbunden sind, nur teilweise und noch dazu in einer frustrierenden Weise beantwortet sind: Denn wenn der Markt als perfekt angenommen wird, somit alle Teilnehmenden alles wissen und jedermann die Transaktionen zu denselben Konditionen ergreifen könnte, ist es unerheblich, wer was macht. Alle Wege, die dasselbe bewirken, haben im ideal funktionierenden Markt denselben Preis. Der Chief Financial Officer ist überflüssig. Doch die Finanzmärkte der Wirklichkeit sind nicht perfekt. Eine Beschreibung der Investition und Finanzierung der Unternehmung, die von der abstrakten Ebene des idealisierten Marktes eine Stufe hinunter steigt, ist verlangt. Das ist die Corporate Finance. Ihr sind die Kapitel 12 und 13 gewidmet. Wodurch entsteht die Realitätsnähe der Corporate Finance? Wir konzentrieren uns auf zwei Hauptpunkte. Erstens wird neben Eigenkapital in der Regel Fremdkapital für die Finanzierung eingesetzt. Kapitel 12 ist mit Leverage überschrieben. Die Steuergesetze behandeln Eigen- und

8

FINANCE

Fremdkapital unterschiedlich, bei (teilweiser) Finanzierung mit Fremdkapital reduzieren sich die Steuern

der Unternehmung. Somit hängt der Unternehmenswert von der Kapitalstruktur ab. In

diesem Kapitel 12 über die Fremdfinanzierung behandeln wir auch die Verschuldungskapazität. Durch sie wird die vorteilhafte Fremdfinanzierung begrenzt. Die U n t e r n e h m u n g in d e r Krise zeigt die große Bedeutung auf, die Informationsunterschiede und Interessenskonflikte in der Corporate Finance haben (Kapitel 13). Mit den Kapiteln 14 und 15 über die e m p i r i s c h e F i n a n c e wenden wir uns einem weiteren Paradigma der Finance zu. In der empirischen Finance werden die Finanzmärkte der Realität so beschrieben, wie es wirklich zugeht. Die Untersuchung wird anhand empirischer Daten, vor allem historischer Renditen geführt, wobei als Forschungsmethodik die Statistik und die Ökonometrie in den Vordergrund treten. Das Ziel der empirischen Finance ist ein Erkenntnisgewinn, der dazu führt, die bis dato verwendeten einfachen Modelle zu verfeinern. Natürlich wird die empirische Forschung auch zum Zweck betrieben, hier und da eine Möglichkeit zu entdecken, den Markt — wie er in der Theorie gezeichnet wird — zu „schlagen" um so einen Euro mehr zu erhalten als andere. Kapitel 14 ist mit R e n d i t e p r o z e s s e betitelt, Kapitel 15 mit M a r k t m o d e l l e . Seminaren für Executives liegen oftmals jene Inhalte zugrunde, die in den Kapiteln 3 bis 7 behandelt werden. Der Schwerpunkt wird dann auf die Kapitel 5 (Kapitalmarkt, Irrelevanzthesen von Modigliani und Miller), 6 (Unternehmensbewertung) und 7 (Kapitalkosten •

zur Diskontierung und CAPM) gelegt. An den meisten Hochschulen und Universitäten, an denen das Buch verwendet wird, wird die Lehrveranstaltung auf den Stoff der Kapitel 2 (Investitionsrechnung) bis 10 (Optionen) ausgerichtet. An der Universität St.Gallen werden alle Kapitel 2 bis 15 behandelt, wobei allerdings das Kapitel 2 (Investitionsrechnung) in Übungen bearbeitet wird und die Inhalte der Kapitel 3 (Finanzierung) und 9 (Terminkontrakte) dem Selbststudium zugeordnet werden. In der Plenarveranstaltung werden also die Kapitel 4 (Fisher-Separation) bis 8 (Portfoliotheorie) und 10 (Optionen) bis 15 (Marktmodell) besprochen. Hinzu kommen zwei Gastvorträge aus den Themen „Finanzanalyse" und „Pension Finance".

1.1.4

Didaktik

Das Buch hat zwei didaktische Besonderheiten. Erstens ist es knapp gehalten, es kommt mit dem geringen Umfang von 400 Seiten zurecht, während andere Lehrbücher teils Uber tausend Seiten umfassen. Dennoch werden wir alle Aspekte behandeln und selbstverständlich haben wir Platz für Beispiele

und Aufgaben,

Prüfungsfragen,

zu denen Lösungen

angegeben sind. Die Aufgaben beinhalten auch

die in den letzten Jahren (an der Universität St. Gallen) gestellt worden sind.

Die zweite didaktische Besonderheit ist, dass wir der Reihe nach vier Paradigmen

behandeln:

1.

PROLOG



9

Erstes Paradigma: Die klassische Finance — kein Kapitalmarkt: Der Unternehmer und sein Beziehungsnetzwerk, seine durch persönliche Einschätzung geprägten Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen (Kapitel 2 und 3).



Das zweite Paradigma, die neoklassische Finance: Es gibt Finanzmärkte und sie werden als ideal funktionierend unterstellt. Alle Untersuchungen werden im Modell des perfekten Kapitalmarkts durchgeführt. Dort ist die Präferenz des Unternehmers nicht mehr wichtig, sondern es kommt einzig auf den Wert an (Fisher-Separation). Verschiedene Maßnahmen sind für den Wert irrelevant (MODIGLIANI und MILLER). Der Kapitalmarkt bestimmt die Relation zwischen Rendite und Risiko (Capital Asset Pricing Model). Wie Portfolioinvestoren diversifizieren und am Ende alle dasselbe Marktrisiko tragen (TobinSeparation). Märkte sind arbitragefrei und gestatten die Bewertung durch Replikation und so fort (Kapitel 4 bis 11).



Drittes Paradigma: Corporate Finance. Fremdfinanzierung, Steuern, Interessenskonflikt, asymmetrische Information, Corporate Governance (Kapitel 12 und 13).



Viertes Paradigma: Empirische Finance (Kapitel 14 und 15).

Der Aufbau des Buches nach Paradigmen hat einen didaktischen Grund: Die in Wissenschaft und Praxis gefundenen Antworten sind vielschichtig — Praxis, Theorie, Empirie — und könnten in der Fülle von Sichtweisen schnell überfordern, wenn nicht eine Filterung vorgenommen wird. Jedes Paradigma verkörpert eine bestimmte Art des Denkens. Die Argumente verschiedener Erkenntnisquellen werden in diesem Buch deshalb nicht vermischt. Zum Beispiel muss der Dozierende kein Modell vorstellen und dabei immer einräumen, dass es vielleicht durch die empirische Forschung angefochten wird und sich Praktiker ohnehin nicht an Modelle halten. Die Themen sind, den vier Paradigmen folgend, in die Kapitel (2 bis 15) gegliedert. In jedem steht ein Kerngedanke im Mittelpunkt. Jedes Kapitel ist in Abschnitte (2.1,...) und weiter in Sektionen (3.2.1,...) gegliedert. Beispiele im Text sind nummeriert und enden mit einem Im Text sind wichtige Begriffe farblich ausgezeichnet. Definitionen und wichtige Resultate sind durch einen Balken links hervorgehoben und hellblau unterlegt. Kapitel 16 bietet ein Register zum Lernen und zum Rekapitulieren. Neben Verzeichnissen (Personen, Sachbegriffe) enthält es eine Zusammenstellung und kurze Beschreibung der zwanzig wichtigsten Ansätzen, Modellen und Erkenntnissen, die in diesem Buch dargestellt sind. Außerdem wird gezeigt, wo der gesunde Menschenverstand in der Finance zu finden ist. Schließlich wird schon beim Blättern auffallen: Das Buch enthält einige Portraits. Wir werden mit Inhalten und Ergebnissen schneller vertraut, wenn eine Assoziation zu jener Person bildlich konkret wird, der wir den Denkansatz verdanken.

FINANCE

1.2

Und was ich noch sagen wollte ...

1.2.1

Dank

Dieses Buch möchte ich in Liebe, Respekt und Dankbarkeit meinen Eltern ERIKA (1916-1999) und FRITZ SPREMANN (1912-1993) widmen. Selbstverständlich konnte das Buch nicht ohne Unterstützung anderer entstehen. An dieser Stelle folge ich der angenehmen Pflicht, zu danken. Voran denke ich an meine Frau ATTILIA. Sie hat stets geduldig hingenommen, wenn ich zwar da aber doch abwesend war und sie hat mich immer liebevoll unterstützt. Sodann gilt mein Dank jenen Institutionen und Personen, die Portraits oder Materialien zur Verfügung gestellt haben: A P Foto, Associated Press G m b H (Frankfurt am Main), die for Investment Management

and Research

( A I M R ) , die Boston Public

Library,

Association

die Professoren

EUGENE F. FAMA (University of Chicago), MYRON GORDON (Toronto), ROBERT MERTON (Harvard), ALFRED RAPPAPORT (La Jolla), WILLIAM SHARPE (Stanford). STANLEY ROWIN ( N e w Y o r k ) nahm das Portrait von THOMAS KUHN auf. MARTIN MATTMÜLLER von der Bernoulli-Edition verdanke ich Details zu Dichtung und Wahrheit. Für Fachgespräche, Hinweise, Anregungen und für Unterstützung bei den konzeptionellen Fragen danke ich meinen Kollegen ANDREAS GRÜNER, PASCAL GANTENBEIN, SEBASTIAN LANG und MARCO MENICHETTI. Weiter haben CHRISTOPH THEIS, ROMAN FRICK und PATRICK SCHEURLE die Vorlagen durchgesehen und kommentiert. Dann und wann kamen Anregungen aus der Leserschaft, so von CHRISTIAN KRAUSE, ELENA RITTSTIEG und SERGE URECH. ES versteht sich von selbst, dass ich mit diesen Worten nicht die Verantwortung von mir weisen möchte. Hervorheben möchte ich schließlich die angenehme Zusammenarbeit mit dem Lektoratsleiter JÜRGEN SCHECHLER und mit Frau SARAH VOIT im Oldenbourg Wissenschaftsverlag. Noch etwas: Nun freue ich mich, wenn Sie das Buch für das Fach begeistert und für die Fragen der Finance fasziniert. Wenn Sie die Lektüre dann sogar als nützlichen Wegweiser für ein Masterstudium oder Doktorat erleben, hat es sein Ziel erreicht. Ihnen, dem jungen Leser oder der jungen Leserin möchte der Autor die Steigbügel halten, auf dass Sie in der Finance

weit kommen

mögen. Eigentlich jede Person kann sich die Grundlagen des Gebiets Finance aneignen. Indes ist diese Auseinandersetzung wie das Erlernen eines Handwerks ein W e g , der Zeit erfordert und Mühen kostet. Hierbei eine Hilfestellung anzubieten, war das Motiv des Autors. Den W e g müssen Sie, wie bei jedem anderen Lernprozess, selbst gehen, wenngleich nicht allein. Ihr Begleiter wünscht Freude und Erfolg. Klaus Spremann, St.Gallen im Frühjahr 2010

2.

Investition und Rendite In diesem Kapitel werden Investitionen durch Zahlungsreihen beschrieben. Kennzahlen dienen zur Verdichtung solcher Zahlungsreihen: Wir behandeln den Kapitalwert und die Interne Rendite. Im Anschluss übertragen wir die für Jahre (diskrete Zeitpunkte) formulierte Analyse auf unterjährige und beliebige Zeitpunkte (stetige Zeit) und betrachten die stetige Rendite.

2.1

2.1

Investitionsrechnung

11

2.2

Kontinuierliche Zeit

30

2.3

Ergänzungen und Fragen

39

Investitionsrechnung

Lernziele: 1. Warum Investitionen durch Zahlungsreihen beschrieben werden. 2. Proportionalität und Wertadditivität im perfekten Markt. 3. Der Kapitalwert und die Interne Rendite.

2.1.1

Rendite

Wir beginnen die Investitionsrechnung mit einem Blick auf die Rendite. Eine Geldanlage werde für eine Periode getätigt, das heißt, zwischen zwei Zeitpunkten. In der Rückschau auf eine abgelaufene Anlageperiode soll die Rendite als Zahl zeigen, wie gut es gelungen ist, einen seinerzeit gegebenen Geldbetrag in das Anlageergebnis zu transformieren. In der Vorschau auf eine zukünftige Periode soll die Rendite vermitteln, wie gut es gelingen dürfte, einen heutigen Geldbetrag in ein späteres Ergebnis zu transformieren. Die Rendite misst den Einsatz ebenso wie das Ergebnis als Geldbetrag — Risiken bleiben unberücksichtigt. Die Rendite drückt das Anlageergebnis relativ zum Geldbetrag aus und kann daher gut als Prozentzahl notiert werden. Im Rückblick ist diese Prozentzahl in der Regel bekannt. In der Vorschau ist die Rendite im Allgemeinen unsicher. Wir betrachten drei Größen: A bezeichne den Geldbetrag, der zu Beginn der Periode eingesetzt wurde. Β sei das am Ende der Periode erreichte Anlageergebnis. Während der Periode dem Anleger zugeflossene Zahlungen — Entnahmen, Zinszahlungen, Dividenden, Bezugsrechte (die man verkaufen könnte) und dergleichen — sollen mit Ζ bezeichnet werden. Hierbei wird nicht gefragt, wann genau innerhalb der Anlageperiode diese Zahlungen Ζ zugeflossen sind. Dann ist

12

FINANCE

r

=

B+

Z-A

B+Z

die Gesamtrendite (Total Return oder Holding-Period-Return).

(2-1)

Sie heißt so, weil sie sich auf die

gesamte Periode bezieht, ungeachtet wie lange sie ist. Wenn die Anlageperiode beispielsweise 6 Jahre dauert, kann es durchaus sein, dass die Gesamtrendite einer Aktienanlage 120% ist. Wenn die Geldanlage einen Monat dauert, kann die Gesamtrendite beispielsweise 0,1% betragen. Selbstverständlich kann die Periode auch ein Jahr lang sein. Dann wird die Gesamtrendite auch als Jahresrendite bezeichnet. Da es sich bei der betrachteten Periode um einen Zeitraum handelt, der durch zwei einzelne oder „diskrete" Zeitpunkte, Beginn und Ende, beschrieben ist, wird die Gesamtrendite auch als diskrete Rendite bezeichnet — im Unterschied zur stetigen Rendite (Abschnitt 2.2). Synonym zur diskreten Rendite ist der Begriff einfache Rendite.

Î

Die diskrete Rendite wird also verwendet, wenn für die Beurteilung einer Geldanlage nur zwei

Zeitpunkte Bedeutung haben: Erstens der Zeitpunkt der Anlage oder der Investition, kurz der Beginn der Berichtsperiode. Zweitens der Zeitpunkt, zu dem das Anlageergebnis realisiert wird und wieder als Geldbetrag zur Verfügung steht oder eben das Ende der Berichtsperiode. Allerdings setzt sich die Rendite nach ihrer Definition (2-1) aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen wird die Änderung Β - A des angelegten Betrags zwischen Beginn und Ende der Periode berücksichtigt, also die Wertänderung. Zum anderen findet Berücksichtigung, falls Erträge Ζ innerhalb der Anlageperiode zufließen. Es wird gleichsam unterstellt, dass diese Beträge Ζ erst zum Ende der Berichtsperiode zufließen beziehungsweise dann noch in dieser Höhe zur Verfügung stehen. Beispiel 2-1: Maria hält Aktien einer Gesellschaft. Zu Anfang des abgelaufenen Jahres hatte die Aktie einen Kurs von A = 32,65 Euro, zu Ende betrug er Β = 34,20 Euro. Irgendwann während des Jahres hat sie Ζ = 0,85 Euro pro Aktie als Dividende (abzüglich einbehaltener Quellensteuer) erhalten. Für Maria ist r- (34,20-32,65 + 0,85)/ 32,65 = 7,35% die diskrete Rendite (nach Steuern). Maria ist mit der Information r = 7,35% zufrieden. Allerdings hat sich im selben Jahr der Preisindex für Konsumgüter von 100 auf 103 erhöht. Zwar hat sich Marias Geldeinsatz nominal von 100 auf 107,35 erhöht. In Kaufkraft gemessen, ist der Einsatz von 100 nur auf 107,35/103 = 104,22 gestiegen, weshalb die reale Rendite 4,22% beträgt. •

I

Wird der durch die Rendite ausgedrückte Erfolg der Geldanlage als Betrag in einer Währung notiert, dann wird die entsprechende Rendite als nominal bezeichnet. Wenn der Erfolg der Geldanlage durch die mit dem Anlageergebnis verbundene Kaufkraft ausgedrückt wird, dann wird von der realen Rendite gesprochen.

In der Finance werden sowohl nominale als auch reale Renditen betrachtet. Ohnehin sind die meisten Überlegungen davon unabhängig, ob nominale oder reale Renditen betrachtet werden, so beispielsweise schon die Definition (2-1). Sobald mit konkreten Zahlen gearbeitet werden soll,

muss feststehen, ob nominale oder reale Renditen ermittelt werden sollen.

2. I N V E S T I T I O N U N D



RENDITE

13

Bei der Geldanlage ziehen es die meisten Finanzinvestoren vor, mit nominalen Renditen zu rechnen. Sie wollen wissen, wie viele Euro, Franken oder Dollar sie mit ihrem Einsatz gewinnen. Zunächst betrachten sie nicht die Kaufkraft, die damit verbunden ist. In den meisten Jahren verliert sich die Kaufkraft des Geldes (Inflation). JOHN M. KEYNES (1883-1946) sprach von Geldillusionen. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Preise etwa alle zwanzig Jahre verdoppelt. Das entspricht auf Jahresbasis ausgedruckt einer Inflationsrate von etwa 3%.



In wissenschaftlichen Untersuchungen wird Geld als Medium angesehen, das zur Erfüllung von Konsumwünschen verhilft. Dann steht die reale Rendite im Mittelpunkt.



Schließlich wird in den Anwendungen oft eine Vorschau, eine Prognose verlangt. Dann wird die Wahl danach getroffen, ob sich nominale oder reale Größen leichter und genauer prognostizieren lassen.

Die zwischenzeitliche Zahlung Ζ fließt dem Berechtigten irgendwann innerhalb der Anlageperiode zu. Es wird bei der Definition der Rendite gleichsam angenommen, dass Ζ als Geldbetrag bis zum Zeitpunkt 1 gehalten und erhalten werden kann. Der interim gezahlte Geldbetrag Ζ geht also bis zum Periodenende nicht verloren, beispielsweise durch eine bis dahin schlecht verlaufende Anlage. Andererseits vermehrt sich Ζ auch nicht bis zum Ende der Periode, innerhalb der Ζ dem Berechtigten zufließt. Diese Annahme wird als Wiederanlageprämisse bezeichnet. In der Tat werden Geldanlagen oft über mehrere Perioden untersucht. Zwischen den Zeitpunkten 0 und 1 soll die erste Periode liegen, zwischen 1 und 2 die zweite Periode und so fort. Meistens sind die in den einzelnen Perioden erzielten oder erzielbaren Renditen verschieden, weshalb sie mit einem Index zu versehen sind: rt bezeichne die Rendite der ersten Periode, r2 die der zweiten Periode und so fort. Den Geldbetrag, mit dem die mehrperiodige Anlage startet, bezeichnen wir jetzt

mit

Wj,, also

Wj, = A.

Bei

einer

mehrperiodigen

Betrachtung

stünde

deshalb

Wj = Β + Ζ = A • (1 + r) als neuer Startbetrag für eine zweite Periode zur Verfügung. Am Ende dieser zweiten Periode ist das Ergebnis W2 = Wj -(1+ r2) und so fort. Insgesamt entwickelt sich die mehrperiodige Anlage wie folgt:

Wx=W0-{\ + rx) W2=Wl-(l

+ r2) = W0-(l + rl)-(l + r2)

(2-2)

W , = W 0 ( l + r 1 ) ( l + r 2 )-...(l+/·,) Beispiel 2-2: Ein Startbetrag von W0 =100 wurde für vier einzelne Jahre angelegt. Die Jahresrenditen sind Γ[ = 30%, r2 = 20% r3 = - 2 0 % , r4 = - 3 0 % . Die Ergebnisse entwickelten sich so: Wj = 130, W2 = 156, W3 =124,80, W, = 8 7 , 3 6 . ·

14

FINANCE

2.1.2

Zahlungsreihe

Die vorangegangene Beschreibung des mehrperiodigen Vorgangs war ganz auf die Wertentwicklung bezogen, also auf die jeweils erreichten Kapitalbeträge und die Periodenrenditen. Interime Zahlungen, zuvor mit Ζ bezeichnet, blieben bei dieser Betonung im Hintergrund. Im Unterschied dazu drängt es sich oftmals auf, gerade diejenigen Zahlungen zu betonen, die einem Berechtigten zufließen, oder die er zu leisten hat. Bei einer mehrperiodigen Betrachtung sind es dann Reihen von Zahlungen oder kurz Zahlungsreihen,

die untersucht werden sollen. Eine Be-

schreibung mehrperiodiger Vorgänge durch Zahlungsreihen bietet sich besonders für eine Unternehmung an. Denn eine Unternehmung hat aufgrund ihrer Natur viele mehrperiodige Vorgänge, wie Investitionen und Finanzierungen. Außerdem sind für eine Unternehmung Zahlungen wichtig, die sie zu leisten hat oder erhält. Denn wir leben in einer Geldwirtschaft. Vorgänge im Zusammenhang mit der Entstehung oder dem Verbrauch von Ressourcen können daher durch Zahlungen abgebildet werden. Eine Unternehmung spielt gegenüber anderen Formen der Koordination wirtschaftlicher Zusammenarbeit — Staat und Bürokratie, Markt, Familie, Partnerschaft und Empathie in Gruppen — ihre Stärken dort aus, wo längerfristige und mehrstufige Transformationsprozesse verlangt sind. Die Unternehmung beschafft Ressourcen, sie kombiniert und verändert diese Ressourcen und kann schließlich Produkte und Dienstleistungen bei Kunden absetzen. Die Transformationsprozesse werden erleichtert, wenn die Unternehmung Vorbereitungen trifft: Sie kauft Maschinen, schließt Arbeitsverträge ab, beauftragt Werbeagenturen und so fort. Um sich die verschiedenen Ressourcen zu sichern und ihren Einsatz zu koordinieren, wird die Unternehmung einige in ihr Eigentum übernehmen. Sie beschafft Rohstoffe, Maschinen und Vorrichtungen, erwirbt Patente und Lizenzen oder akquiriert andere Unternehmungen. Die Unternehmung baut Vermögen auf. Die Beschaffung von Ressourcen und der Aufbau von Kapazitäten verlangt Geld, weil die produktive Nutzung und der Absatz von Produkten und Dienstleistungen erst im Verlauf der Zeit — oftmals sind das Jahre — zu Rückflüssen führt. Es sind also anfänglich überwiegend Auszahlungen zu tätigen, während erst über die Jahre hinweg Einzahlungen erwartet werden. Vorhaben und Vorgänge mit diesen Zahlungswirkungen — anfänglich Auszahlungen und in späteren Jahren überwiegen Einzahlungen — werden als Investitionen bezeichnet. Investieren heißt, zu Beginn eines gedanklich oder planerisch in mehrere Perioden unterteilten Zeitraums, Auszahlungen zu tätigen, damit im Verlauf der Zeit direkt oder indirekt Rückflüsse an Zahlungsmitteln vereinnahmt werden können. Meistens sind die sofort (etwa heute zu t = 0 ) fälligen Auszahlungen der Höhe nach recht genau bekannt. Hingegen sind die Rückflüsse oder Einzahlungen, welche die Unternehmung in den kommenden Jahren / = 1,2,... zu erhalten erwartet, natürlich unsicher. Wenn wir von der Einzahlung Xt in einem zukünftigen Jahr t sprechen, so soll es sich daher um eine Prognose handeln. Oft ist klar, dass die Investition eine beschränkte Lebensdauer hat und die Rückflüsse einmal versiegen. Die Lebensdauer sei dann mit Ν bezeichnet und X N ist die Prognose der letzten, vom Projekt bewirkten Zahlung.

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

15

So können wir eine Investition (unter Abstraktion von weiteren Aspekten) durch eine Zahlungsreihe beschreiben, siehe (2-3). Als Vorzeichenkonvention wird vereinbart: Wenn eine Zahlung X, zu t = 0,1,2,... für die Unternehmung eine Auszahlung darstellt, dann soll sie eine negative Größe sein, X, < 0 . Wenn es sich um eine Einzahlung handelt, welche die Unternehmung erhält, soll X , positiv sein, X , > 0 .

X

=

(X0,XVX2,...,X

N)

(2-3)

Beispiel 2-3: Man betrachte die Investition X = ( - 1 0 0 , 2 0 , 4 0 , 6 0 , 1 5 ) . Sie verlangt anfanglich eine Auszahlung von einhundert Geldeinheiten. Darauf folgen in den kommenden vier Jahren Einzahlungen. Immer mehr Investitionen verlangen, dass bei ihrer Beendigung beispielsweise ein Betriebsgelände saniert wird. Dann können im letzten Jahr die Auszahlungen überwiegen. Die Zahlungsreihe Y - ( - 1 0 0 , 2 0 , 4 0 , 6 0 , - 5 ) unterscheidet sich von X nur dadurch, dass im vierten Jahr zusätzliche Auszahlungen für die Sanierung in Höhe von zwanzig Geldeinheiten verlangt sind, so dass die Zahlung insgesamt nicht X 4 = 15, sondern Y4 = - 5 beträgt. • Ist es gerechtfertigt, Investitionen allein durch ihre Zahlungsreihe zu beschreiben? Zugegeben, hier wird eine starke Abstraktion vorgenommen. Doch für sie sprechen zwei Argumente: 1. Die Unternehmung verfolgt ein wirtschaftliches Ziel. In einer Geldwirtschaft

drückt sich

das letztlich durch einen Geldbetrag aus, der „unter dem Strich" herauskommt — ungeachtet wem diese Wirtschaftsleistung zukommt und wie sie verteilt wird. Wegen dieser Zielsetzung ist wichtig, welche Zahlungen eine Investition verlangt und bewirken wird. Zweifellos werden Entscheidungen innerhalb einer Unternehmung oft aus strategischer Sicht getroffen. Letztlich muss die Strategie aber so gewählt werden, dass sie mit dem skizzierten wirtschaftlichen Ziel harmoniert. 1 2. Die Unternehmung behält ihre Selbständigkeit, so lange sie zahlungsfähig ist. Kann sie anstehende Auszahlungen, zu denen sie sich (aus freien Stücken) verpflichtet hat, etwa durch den Abschluss von Arbeitsverträgen, erkennbar und auf Dauer nicht mehr leisten, dann ist sie zahlungsunfähig.

Die Zahlungsunfähigkeit hat schwerwiegende Konsequen-

zen zur Folge, die bis zum Konkurs gehen können. Die Unternehmung muss daher versuchen, zahlungsfähig zu bleiben. Hierfür ist hilfreich, wenn bedeutende Entscheidungen — und dazu gehören Entscheidungen über Investitionen — anhand ihrer Zahlungswirkungen dargestellt werden. Die Liquiditätsplanung wird durch die Beschreibung von Investitionen durch ihre Zahlungsreihen unterstützt.

1

In den späteren Phasen der unternehmerischen Entwicklung — Wachstum, Reorganisation — wird das finanzielle Denken dominant, während in frühen Phasen — Neupositionierung, Innovation und Entrepreneurship — das strategische Management eine wichtigere Rolle spielen dürfte. BURKHARD SCHWENKER und KLAUS SPREMANN: Unternehmerisches Denken zwischen Strategie und Finanzen. Springer, Heidelberg 2007.

16

FINANCE

2.1.3

Barwert und Diskontierung

Oft soll eine Zahlungsreihe noch prägnanter charakterisiert werden. Meistens wird dazu die Zahlungsreihe auf eine einzige Zahl oder Größe, eine Kennzahl reduziert. Hierzu bieten sich mehrere Kandidaten an. Eine erste Kenngröße der Zahlungsreihe ist ihr Barwert. Eine andere Kennzahl ist die Interne Rendite der Zahlungsreihe. Beide Kenngrößen spielen in der Praxis eine große Rolle. Allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer Eignung für Investitionsentscheidungen, wie bald deutlich wird. Wir beginnen mit dem Kapitalwert oder, synonym dazu, dem Barwert oder Present-Value PV einer Zahlungsreihe. Hierzu sei die Diskontierung rekapituliert: •

Wenn Geld (für ein Jahr) angelegt werden kann, kann ein heute verfügbarer Betrag Xn in einen Geldbetrag X, transformiert werden, der in einem Jahr fällig wird. Bei einem Zinssatz oder einer Rendite in Höhe r gilt: X, = X 0 + r • X0 == X0 • (1 + r).



Ein Betrag der Höhe X l t der in einem Jahr fällig ist, kann in den heutigen Geldbetrag X0 = Χ, /(I + r) transformiert werden, sofern zum Zinssatz oder zur Rendite r ein Kredit genommen werden kann oder eine bereits mit Rendite r getätigte Geldanlage im Anlagebetrag reduziert wird.

Dies ist beides erfüllt, sofern es einen Kapitalmarkt gibt. Wenn der Kapitalmarkt „gut" funktioniert, dann werden zudem die Anlagerendite und der Kreditsatz übereinstimmen. Für große Investoren ist das in der Realität erfüllt. Beispiel 2-4: Bei r = 10% sehen wir den in einem Jahr fälligen Betrag X, = 400 Euro als äquivalent zu dem heute fälligen Betrag X 0 =400/1,1 = 364 Euro an. Denn wir werden im Markt immer jemanden finden, der uns €364 heute überlässt, wenn er dafür in einem Jahr dafür €400 erhält. Oder wir selbst könnten, um heute €364 mehr zur Verfügung zu haben, eine für ein Jahr vorgenommene Geldanlage etwas reduzieren, wobei wir in einem Jahr €400 weniger hätten. • Mit der Umrechnung von X] zu Xn wird der Betrag Xn für heutige Verfügbarkeit ermittelt, der aus X, erzeugt werden kann. Der Geldbetrag X 0 ist der Barwert (Kapitalwert, Present-Value)

der Zahlung X, (die erst in einem Jahr fällig wird). Die Berechnung des

Barwerts X 0 heißt Diskontierung. Der dabei verwendete Zinssatz beziehungsweise die Rendite wird in diesem Zusammenhang als Diskontsatz oder Diskontrate bezeichnet. Ganz ähnlich wird vorgegangen, wenn eine Zeitspanne von 2 oder mehr Jahren betrachtet wird, für welche die Verfügbarkeit von Geldbeträgen verschoben wird. Der heutige Betrag X 0 kann in einen Betrag der Höhe

X 2 transformiert werden, der in zwei Jahren fällig wird: Über

X, = X 0 · (1 + r) und X 2 = X, · (1 + r) folgt X 2 = X 0 · (1 + r)2. Folglich kann ein Betrag der Höhe X 2 , der in zwei Jahren fällig ist, in einen heutigen Geldbetrag der Höhe X 0 getauscht oder transformiert werden: X 0 = X 2 /(1 + r)2.

Voraussetzung dieser Schreibweise: Die Rendite r

kann heute für das erste und sie kann heute ebenso (in derselben Höhe) für das zweite Jahr erzielt oder vereinbart werden.

2. I N V E S T I T I O N U N D

RENDITE

17

Beispiel 2-5: So hat bei einer Diskontrate r = 10% der in zwei Jahren fällige Betrag X 2 = 500 Euro den Barwert X 0 =500/1,21 = 413,22 Euro. Und wenn sich durch eine Variation des Betrags nicht die Diskontrate verändert, dann kann der zehnfache Betrag von Y2 = 5.000 Euro durch Geldanlage zu r-10%

aus Y0 = 4.132,23 Euro erzeugt werden, weshalb der Barwert des in zwei

Jahren fälligen Geldbetrags in Höhe von €5.000 gleich 4.132,23 Euro ist. • Die Schreibweise ändert sich nur wenig, wenn die Diskontsätze für die einzelnen Perioden nicht übereinstimmen. Mit r, sei die Rendite für die erste Periode bezeichnet. Weiter soll, aus heutiger Sicht, eine in einem Jahr verfügbare Geldeinheit in 1 + r2 Geldeinheiten transferiert werden, die dann in zwei Jahren zur Verfügung stehen. •

Dann gilt: Aus einem heutigen Geldbetrag X0 entsteht durch Anlage in zwei Jahren das Ergebnis X2 = X0-(I +



tìMI+Tj).

Ein in zwei Jahren fälliger Betrag der Höhe X 2 kann in den heutigen Betrag X0 — X2 /(( 1 + r, ) · (1 + r2 )) transformiert werden.

Wir ersparen uns die Übertragung der Schreibweise der Geldanlage (Transformation von X0 in X, ) und der Diskontierung (Transformation von X, in X0 ) auf eine Zahlung der Höhe X,, die in t Jahren fällig ist. Jedenfalls setzt die Diskontierung einen Kapitalmarkt voraus oder zumindest die Möglichkeit der Skalierung einer laufenden Anlage. 2 Wenn es einen Kapitalmarkt gibt, dann werden in ihm (unter anderem) Ansprüche auf zukünftige Zahlungen gehandelt. So verbrieft ein Rentenpapier (Bond) Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, nämlich immer wieder auf Kuponzahlungen sowie auf die Rückzahlung bei Fälligkeit. Auch eine Aktie verbrieft Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, die indessen noch von wirtschaftlichen Bedingungen (Unternehmenserfolg) und Gremienentscheidungen (Hauptversammlung) abhängen und daher unsicher sind. Optionen und Strukturierte Produkte verkörpern letztlich Ansprüche auf zukünftige Zahlungen, wobei es bei Ihnen vor allem von der Kursentwicklung der Basiswerte abhängt, welche Höhe diese Zahlungen haben werden. In einem Markt wird es immer Marktteilnehmende geben, die einen Anspruch auf später fällige Zahlungen anbieten und es wird andererseits Personen geben, die Zahlungsansprüche kaufen wollen. Marktteilnehmer auf beiden Seiten einigen sich sodann auf einen Preis für den Anspruch. In unserer Welt wird die Preisfindung durch Börsen unterstützt. Wird der Anspruch durch ein Wertpapier verbrieft, das an einer Börse gehandelt wird, so wird der Preis als Kurs bezeichnet. Bestimmend für den Preis und den Kurs ist, wie die Marktteilnehmer den Barwert der Zahlungen einschätzen, um die es bei den Ansprüchen geht.

2

So hat ROBINSON CRUSOE Jahr um Jahr Bananen gepflanzt (also auf Konsum verzichtet) und dafür ein Jahr später, sagen wir, das Doppelte an Bananen ernten können. Z w a r gab es auf seiner Insel keinen Markt. Dennoch hätte er auf zwei Bananen, fällig in einem Jahr, verzichten können und d a f ü r sofort eine Banane mehr gehabt.

18

FINANCE

Ein erste Bemerkung betrifft die Aussage, dass in einem Markt der Barwert den Preis bestimmt. Wäre der Preis geringer als der Barwert, dann würden viele Teilnehmer am Marktgeschehen die Zahlungsansprüche erwerben. Allenfalls würden sie die Zahlung des Preises durch eine Kreditaufnahme ermöglichen. Wäre der Preis höher als der Barwert, dann würden wohl die Personen, die über die Zahlungsansprüche verfügen, diese im Markt verkaufen. Allenfalls würden sie den erhaltenen Kaufpreis anlegen. Vielleicht käme es sogar zu so genannten Leerverkäufen. Personen. die über die Zahlungsansprüche (deren Preis höher ist als der Barwert der Zahlungen) gar nicht verfügen, würden sich die Zahlungsansprüche vielleicht ausleihen und die geliehenen Zahlungsansprüche verkaufen. Sie würden den vergleichsweise hohen Kaufpreis anlegen, um später die eingegangene Verpflichtung erfüllen zu können. Solche Käufe und Verkäufe haben das Ziel, Arbitragegewinne zu verwirklichen.3 Ein zweiter Punkt ist die Unterscheidung von Barwert — der im gut funktionierenden Kapitalmarkt mit dem Preis übereinstimmt — und Rendite. Die am Marktgeschehen teilnehmenden Personen betrachten vor allem die Preise, also die Barwerte. So werden sie sich beim Anspruch auf eine Zahlung X,, die in einem Jahr fällig ist, von dem Barwert oder Preis X 0 leiten lassen und dann Nachfrage oder Angebot nennen. Wegen X 0 = Χ, /(I + r) könnten sie stattdessen auch die im Markt vorherrschende Rendite r betrachten. In der Tat wird bei Renten in der Praxis eher die Rendite betrachtet als der augenblickliche Kurs. Ob die Marktteilnehmer bei ihren Preisdiskussionen nun über Barwerte (Preise, Kurse) sprechen oder über Renditen, läuft auf dasselbe hinaus. Sind die Barwerte bekannt, dann können die Renditen berechnet werden. Sind die Renditen bekannt, stehen die Barwerte fest und können durch Diskontierung ermittelt werden. Soweit zu den Begriffen Barwert (Preis, Kurs) und Rendite. Nun soll der Wertbegriff erläutert werden. Wertvoll sind Objekte und Tätigkeiten, die in einer entwickelten Gesellschaft allgemein als wichtig angesehen werden. In der Ökonomie gilt ein Gut in jenem Ausmaß als wertvoll, in dem die Wirtschaftsteilnehmer insgesamt bereit sind, auf anderes zu verzichten, um das Gut zu erhalten. Nun gibt es im Wirtschaftsleben immer Möglichkeiten, das eine zu haben, wenn auf etwas anderes verzichtet wird. Bei der Produktion wie beim Tausch sind Substitutionen möglich. In einer auf Geld beruhenden Marktwirtschaft ist daher ein Gut in dem Umfang wertvoll, in dem die Wirtschaftsteilnehmer insgesamt gesehen bereit sind, beim Kauf zu bezahlen. Es ist der Preis des Objekts (in einem gut funktionierenden Markt), der seinen Wert bestimmt. Dieser Wertbegriff der Ökonomie geht auf C A R L MENGER ( 1 8 4 0 - 1 9 2 1 ) zurück und wurde in der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie von K. ARROW und G. DEBREU ( 1 9 2 1 - 2 0 0 4 ) aufgegriffen. In der Ökonomie wird der Preis eines gehandelten Objekts als Wert angesprochen, sofern der Markt gut funktioniert und der Preis breit abgestützt ist.

3

Unter Arbitrage (siehe Kapitel 11) wird eine Veränderung des Portfolios verstanden, die mit der Absicht getätigt wird, sich hinsichtlich der Zukunft, wie immer sie sich entwickeln mag, nicht zu verschlechtern, gleichwohl aber in der Gegenwart Geld entnehmen zu können (einen Free Lunch zu haben). Solange Arbitrage möglich ist, setzen entsprechende Transaktionen ein und die Preise verändern sich. Bald gibt es keine Möglichkeit f ü r Arbitrage mehr, der Markt ist dann arbitragefrei. Die Folge: Preise und Barwerte stimmen überein.

2. I N V E S T I T I O N U N D

RENDITE

19

Gibt es jedoch in der Umgebung, in der das Objekt vielleicht getauscht wird, Transaktionskosten, Informationskosten, nur wenige Tauschpartner, Unsicherheiten über die Qualität und dergleichen, dann können sich zwei zum Tausch bereite Parteien zwar auf einen Preis im Sinne eines Entgelts einigen. 4 Der Preis darf dann aber nicht als „Wert" angesehen werden. Wer dennoch, obwohl es keinen gut funktionierenden Markt gibt, das Objekt (ökonomisch) bewerten möchte, der muss eine Hilfsüberlegung anstellen. Er muss einen gut funktionierenden kenexperiment annehmen.

Markt wie in einem Gedan-

Ein solchermaßen abstraktes Modell eines gut funktionierenden Mark-

tes wird als p e r f e k t e r M a r k t bezeichnet. Im perfekten Markt, den es also nur als Modell oder in der Simulation gibt, wird sodann geklärt, welchen Preis das Objekt dort hätte. Dazu muss auch das Objekt abstrakt beschrieben werden, damit es in die Ebene der Modellbetrachtung gehoben werden kann. Der Preis, der sich im perfekten Markt herausbildet, ist der gesuchte Wert. Konkret verlangt die Modellierung eines gut funktionierenden Marktes, dass von eventuellen Transaktionskosten abgesehen wird, dass eine vielleicht vorhandene Illiquidität als „momentan" angesehen und über sie hinweggesehen wird und dass man etwa hinsichtlich von Zinssätzen von der augenblicklichen Situation abstrahiert und die Betrachtung auf „langfristige" Niveaus abstellt. Gibt es f ü r das Objekt in der Realität keinen gut funktionierenden

oder perfekten

Markt,

sondern nur einen schlecht funktionierenden oder gar keinen Markt, dann muss das Marktgeschehen in einem Modell nachgebildet werden, um den Preis oder den Wert zu bestimmen. Der (ökonomische) Wert eines konkreten Objekts kann folglich auf zwei Wegen gefunden werden. Der eine Weg ist im Wirtschaftsleben gangbar, sofern der konkrete Markt tatsächlich gut funktioniert. Dann ist der Preis, der dort beobachtet werden kann, gleich dem Wert. Allerdings ist dieser Weg versperrt, wenn der konkrete „Markt" nur teilweise oder mangelhaft funktioniert. Dann bleibt nur der andere Weg, die Bewertung im Modell des perfekten Markts zu bestimmen. Das Ergebnis der Rechnung in einem Bewertungsmodell wird allerdings oftmals als etwas abstrakt angesehen, weil der im Modell bestimmte Wert nur bedingt etwas über die Preisbildung im Alltag (und im dortigen, weniger gut funktionierenden Markt) aussagt. Da aber der Wertbegriff von zentraler Bedeutung für weitere Betrachtungen und Überlegungen ist, wird dennoch diese Vorgehensweise ergriffen und ein Bewertungsmodell

2.1.4

aufgestellt, das letztlich einen perfekten Markt

annimmt.

Proportionalität und Wertadditivität

Die oben eingeführte Schreibweise mit Zinssätzen, Renditen oder Diskontfaktoren unterstellt eine Eigenschaft der Preisbildung im perfekten Markt, die P r o p o r t i o n a l i t ä t : Der Barwert (Preis) einer in Zukunft fälligen Zahlung ist proportional

zur Zahlungshöhe. Die Proportionalität ist in einem

4

Was die Kapitalmärkte betrifft, so sind die Hauptmärkte und die größten Börsen die meiste Zeit über im Zustand guter Funktionsweise. Bei den Nebenmärkten k o m m e n hingegen Zweifel an der guten Funktionsweise auf und selbst die Hauptmärkte können bei Krisen den Zustand guter Funktionsweise verlassen.

20

FINANCE

gut funktionierenden Geld- und Kapitalmarkt tatsächlich gegeben. Der Barwert einer Zahlung in Höhe von 10 Millionen Euro (die zu einem zukünftigen Zeitpunkt Τ fallig ist) ist (ziemlich genau) zehnmal so hoch wie der einer Zahlung in Höhe von 1 Million Euro. Wäre die Proportionalität aufgrund einer Störung des Marktgeschehens einmal nicht erfüllt, dann würden sofort Ausweichgeschäfte einsetzen, die in Richtung der Erfüllung der Proportionalität wirken und diese in Kürze wieder herstellen. Die Proportionalität gilt bei großen Beträgen im Geld- und Kapitalmarkt praktisch sehr genau — immer unter der bereits erwähnten Voraussetzung, dass dieser Markt auch wirklich funktioniert und nicht zusammengebrochen ist (wie in der Krise 2008/09). Andererseits ist die Proportionalität im Kleinkundengeschäft der Banken offensichtlich nicht erfüllt. Wer €50.000 zur Bank bringt, erhält andere Konditionen als jemand, der €500 anlegt. Wir wollen indessen nicht das Retailgeschäft untersuchen. Es ist vom Marketing, der Kundenpsychologie und den Kostenstrukturen bestimmt. Diese Aspekte überlagern das Bild, das der Kapitalmarkt zeichnet. Wir sind aber gerade an diesem Bild interessiert. Eine zweite Eigenschaft verlangt ebenso einen gut funktionierenden Markt: Die Wertadditivität. Ein Güterbündel hat in einem Markt einen Gesamtpreis, der gleich der Summe der Preise der einzelnen Komponenten des Güterbündels ist. Die Wertadditivität kennt man vom Supermarkt: Der für einen Warenkorb zu zahlende Betrag ist gleich der Summe der Preise aller auf das Band gelegten Gegenstände. Wertadditivität bedeutet:

Wert{{A,B})

=

Wert{A)+Wert{B)

(2-4)

Angenommen, im Markt wäre der Preis eines Bündels {Α, Β) aus den Gütern A und Β höher als die Summe des Preises von A und des Preises von Β . Jeder Interessent am Bündel würde dann die Güter einzeln erwerben und nach dem Kauf zusammenlegen. Wenn das Bündel einen geringeren Preis hätte als die Summe der Preise der beiden Güter, würden sofort Händler das Bündel kaufen, auftrennen und die einzelnen Güter getrennt anbieten. Solche Arbitragegeschäfte

führen

in kürzester Zeit dazu, dass der Preis eines Bündels genau gleich der Summe der Preise der Komponenten des Bündels ist. Arbitragegeschäfte führen auch im wirklichen Geld- und Kapitalmarkt dazu, dass bereits nach wenigen Sekunden die Proportionalität und die Wertadditivität gegeben sind. Das idealisierte Modell des Kapitalmarktes, der perfekte Markt, wird daher per Annahme so gestaltet, dass diese Eigenschaften erfüllt sind. Die Wertadditivität hat eine wichtige Folge für die Bewertung eines Wertpapiers. Als Beispiel betrachte man eine Kuponanleihe. Sie bietet dem Inhaber eine Zahlungsreihe, also ein Bündel von Zahlungen mit unterschiedlichen Fälligkeiten. In den kommenden Jahren gibt es Kuponzahlungen und bei Fälligkeit der Anleihe noch die Rückzahlung. Der Wert einer solchen Anleihe ist daher gleich der Summe der Werte der einzelnen Zahlungen, die sie dem Inhaber bietet. Für eine Anleihe mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren (Zahlungszeitpunkte in zwölf und dann nochmals in 24 Monaten) gilt: Wert(Anleihe)

=

Wert(Zahlimg

zu t = 1) +

Wert(Zahlung

zu t - 2)

(2-5)

2. I N V E S T I T I O N U N D

RENDITE

21

In Kapitalmärkten gibt es bei der Preisbildung weder Mengenrabatt noch Synergien der Art „ 2 + 2 = 5 " . Ein Güterbündel ist, gemessen am Marktpreis, nicht wertvoller als die Summe der Preise der Komponenten, aber auch nicht weniger wert. 5 Man denke an ein Depot aus diversen Wertpapieren. Zwar können die Komponenten des Portfolios Diversifikationseffekte zeigen, wodurch die Portfoliobildung für den Inhaber vorteilhaft ist. Dennoch ist der Wert des Portfolios gleich der Summe der Werte der einzelnen Komponenten und nicht höher. Aufgrund der Wertadditivität ist der Wert einer Zahlungsreihe, bei der man in einem Jahr X, und in zwei Jahren

X2

erhält, gleich

X0

0

=

+ 1+r

(2-6) (1 + r)

Eine Zahlungsreihe hat (aufgrund der Wertadditivität) einen Barwert, der gleich der Summe der Barwerte der einzelnen Zahlungen ist, wobei diese einzelnen Barwerte wiederum durch Diskontierungen bestimmt werden. Beispiel 2-6: So hat eine Zahlungsreihe, die in einem Jahr den Geldbetrag X, = 400 und in zwei Jahren den Geldbetrag

X2 = 500

Euro bedeutet, beim Diskontsatz

r = 10%

den Barwert

X0 = 4 0 0 / 1 , 1 0 + 5 0 0 / 1 , 2 1 = 363,64 + 413,22 = 776,867 E u r o . ·

2.1.5

Kapitalwert

So verhelfen die Diskontierung und die Wertadditivität zu einer einfachen Formel für die Bewertung von Reihen in Zukunft fälliger Zahlungen. Wir bestimmen jetzt also den Wert einer ganzen Zahlungsreihe. Synonym dazu werden die Begriffe Kapitalwert

und Present-Value

(PV) ge-

braucht. Der Kapitalwert ist aufgrund der Wertadditivität gleich der Summe der diskontierten Zahlungen der zukünftigen

Jahre t = 1,2,.... Der Kapitalwert ist demnach gleich der Summe der

Barwerte der in der Reihe zusammen gefassten, in Zukunft fälligen Zahlungen. Bei Projekten soll oftmals zusätzlich eine heute, also zu t = 0 fällige Zahlung berücksichtigt werden. In der Regel wird es sich dabei um eine Auszahlung handeln, mit der die Anrechte auf die späteren Rückflüsse oder die Möglichkeit, diese erzeugen zu können, erworben werden. Es ist dann erwünscht, diese Anfangszahlung in die Bewertung einzubeziehen. Mit ihrer Berücksichtigung entsteht der Nettobarwert oder Net-Present-Value (NPV) einer Zahlungsreihe. Er ist gleich dem PV

abzüglich

der Zahlung zu / = 0 , für welche eben unterstellt wird, dass es sich um eine Auszahlung handelt.

5

Die Möglichkeit der Aufteilung eines Zahlungsstroms auf zwei Teile und die Feststellung, dass der Wert des Zahlungsstroms gleich der S u m m e der Werte der beiden Teilzahlungsströme ist, die Wertadditivität, wird in Vorlesungen mit dieser Geschichte erklärt: Der Pizzabäcker fragt den Kunden, in wie viele Teile er die gekaufte Pizza schneiden soll. Der Kunde hat heute großen Hunger und möchte deshalb mehr Schnitte als sonst haben (weil dadurch „mehr" Pizzastücke entstehen), doch ändert sich durch eine andere Zerteilung der Pizza die Quantität (etwa durch das Gewicht gemessen) überhaupt nicht.

22

FINANCE

Bild 2-1: Für beide Zahlungsreihen von Beispiel 2-7 sind gezeigt: Die Abhängigkeit des Nettobarwerts, gezeigt in der y-Achse, von der Diskontrate (x-Achse) sowie die kritische Diskontraten, bei der sich das Vorzeichen des NPV ändert. Zur Bezeichnung: Mit Z, ,Z 2 ...,Z N sollen die Rückflüsse der Investition in den kommenden Jahren 1,2,..., Ν bezeichnet werden; Z 0 sei die anfängliche Auszahlung, eine nach der Vorzeichenkonvention negative Größe. Mit r ist die Diskontrate bezeichnet; sie ist gleich der Rendite, mit der im Kapitalmarkt Mittel aufgenommen und angelegt werden können. Zur Vereinfachung der Schreibweise soll sie für alle Perioden dieselbe Höhe haben. So ist Ζ, /(I + r ) ' der Barwert der in t Jahren falligen Zahlung Z t für alle t = 1,2,..., Ν. Der Barwert PV und der Nettobarwert NPV sind so definiert:

PV

1+r

.+.„+—£*_ (1 + r) 2 (l + r) N

=

V t í (1+r)' (2-7)

7

NPV

=

Z n0 + + ...+ ' 1 + r ' (1 + r) 2

¿j

n (l + r) N

Ν _

γ

y1 ^t h (1 + r)'

Damit haben wir den Kapitalwert (2-7) als eine Kennzahl zur Verdichtung einer Zahlungsreihe besprochen und diesen zugleich in zwei Varianten definiert: Barwert (Present-Value PV) und Nettobarwert (Net-Present-Value NPV). Selbstverständlich muss zur Berechnung die Diskontrate r gegeben sein. Da man über sie oftmals nicht Klarheit hat, empfiehlt sich in der Praxis die Berechnung des Kapitalwerts für verschiedene Diskontraten, die in Frage kommen.

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

23

NPV

Beispiel 2-7: Zur Veranschaulichung untersuchen wir den

für die Zahlungsreihen

X = ( - 1 0 0 , 20, 40, 60, 10) und Y = ( - 1 0 0 , 20, 40, 60, - I O ) sowie für Diskontraten zwischen 0% und 15%, siehe Bild 2-1. Erkennbar wird der Effekt der Diskontierung: Steigt die Diskontrate, dann wird der Wert zukünftiger Rückflüsse geringer. Unter Umständen wechselt der Nettobarwert sogar sein Vorzeichen. Bei der Zahlungsreihe X ist das bei r = 11,4% der Fall, bei Y bereits bei r = 4 , 5 % , siehe Bild 2-1. Ein weiterer Punkt: Je höher die Rendite r ist, desto weniger wirkt sich aus, ob man in vier Jahren 10 Geldeinheiten erhält (Projekt X ) oder zahlen muss (Projekt Y ). Die beiden Barwertkurven nähern sich bei stärkerer Diskontierung an. • Der Barwert oder auch der Nettobarwert einer Zahlungsreihe Ζ = ( Z 0 , Ζ , , Z 2 ,..., Z N ) wird oft mit der Roll-Back-Regel berechnet. Zuerst wird ZN /(I + r) berechnet, dann wird dazu Z y _, addiert und nochmals durch (1 + r) dividiert. Z u m Ergebnis wird Z N _ 2 addiert und nochmals durch (1 + 0 dividiert und so fort, bis PV beziehungsweise NPV

ermittelt ist. Allgemein besagt die

Roll-Back-Regel dies: Es sei PV, der auf den Zeitpunkt t bezogene Barwert der nach t noch folgenden Zahlungen:

PV,

7

7

=

, + (1+0

(1+0

7

Ν

, +...+-£¿4(l+o

=

γ

t - ^ h (1+0''

(2-8)

Somit bezeichnet PV0 = PV den Barwert der gesamten Zahlungsreihe. Dann gilt

z , + PV. , PV t

=

(2-9)

l +r

Der Barwert PV einer Reihe von Zahlungen Ζ 1 , Ζ 2 , Ζ 3 , . . . , Ζ Λ . kann demnach ermittelt werden, in

dem

der

Reihe

nach

PVN_2 = (ZN_{ + PVNA)/(l

diese

Berechnungen

durchgeführt

+ r), .... PV0=(Zi+PV[)/(\

werden:

PV w _ t = Z N /(I + r ) ,

+ r). Mit einem weiteren Schritt kann

der Nettobarwert ermittelt werden: NPV =Z0 + PV . Beispiel 2-8: Aus den Daten Z 0 = - 5 0 , Z, = 1 0 , Z2 = 2 0 , Z 3 = 3 0 , also Ν = 3, sowie r = 10% folgt

Ρ V2 = Z 3 / ( 1 + 0 = 30/1,10 = 27,27

PV,=(20+

und

Ρ V, = ( Z 2 +PV2)/(l + r),

also

27,27)/1,10 = 42,97 und PVg = (Ζ, + ΡV,)/(l+ r) = (10 + 42,97)/1,10 = 48,15 sowie

schließlich NPV =Z0 + PV0 = - 5 0 + 48,15 = -1,85

2.1.6

weiter



Unendliche Reihe von Zahlungen

Immer wieder wird nach dem Kapitalwert einer Zahlungsreihe gefragt, bei der die Rückflüsse nie aufhören. Dann müssen vereinfachende Annahmen über die Höhen der unendlich laufenden Zahlungen getroffen werden, um eine geschlossene Formel für den Kapitalwert herleiten zu können.

24

FINANCE

Eine einfache Annahme ist, dass die Rückflüsse ab t - 1 einsetzen und stets die konstante Höhe X, =C haben, also X = (X0,C,C,C,...). Der Barwert ist:

PV

=

—+ 1+ r

— + (1+r)2

— + (1 + r) 3

=

=

-

t í (1 + r ) '

(2-10) r

Für die Herleitung ist r > —1 vorauszusetzen. Wir definieren d = 1 /(I + r) und wollen

1+r

(1 + r)2

(1+ r) J

-...

d-C + d2

=

C + d3 - C + ...

= (d + d2 +d3 +...)• C

berechnen. Die Summe (d + d2 +d3 +...) multiplizieren wir mit (1 - d) und sehen:

{d + d2 +d* +..){l-d)=[d

+ d2 +d* +..)-{d2

+d3 +..)

=

d

Also haben wir .2 (d + d

.3

x

+...)

d

=

=

l-d

1

1

1+ r

1 1_ 1+ r

1+r

1 + r (l + r ) - l

=

1 r

Damit ist bewiesen: (d + d2 +d3 +...)-C

=

— r

Beispiel 2-9: Großbritannien hat 1927 Staatsanleihen ausgegeben, die keine feste Fälligkeit haben und so für immer laufen, so genannte Perpetuáis.

Auf eine Anleihe im Nominalwert von 1.000

Pfund werden (am 1. Februar eines jeden Jahres ) 40 Pfund Zinsen bezahlt. Eine Analystin möchte den unendlichen Zahlungsstrom eines solchen Perpetuáis (per 2. Februar, die nächste Kuponzahlung erfolgt in einem Jahr) bewerten. Sie sieht dabei eine Diskontrate in Höhe von 5% als marktgerecht an. Der Barwert der unendlichen Reihe ist PV m = 4 0 / 0,05 = 800 Pfund. • Gelegentlich soll der Kapitalwert einer Zahlungsreihe bestimmt werden, die konstante Zahlungen in Höhe C liefert, wobei diese Zahlungen jedoch nur bis zum Jahr Ν einschließlich laufen und dann enden. Gesucht ist der Barwert der endlichen Zahlungsreihe:

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

25

Zur Bewertung wenden wir einen kleinen Trick an. Die endliche Zahlungsreihe kann man als Differenz zweier unendlich laufender Zahlungsreihen ansehen. Die erste hat Zahlungen in Höhe von C , die erstmals in einem Jahr und dann bis in die unendliche Zukunft gezahlt werden. Die zweite hat Zahlungen in eben derselben Höhe C , die indessen erstmals im Jahr Ν +1 gezahlt werden und ab dann wieder ohne zeitliche Beschränkung laufen. Offensichtlich kann die zu bewertende endliche Zahlungsreihe dargestellt werden, indem von der ersten unendlichen Zahlungsreihe die zweite unendliche Zahlungsreihe abgezogen wird. OO

pv

=

y

ff



oo

OO

c

y

(l + r)'

+ r)'

=

1

y — t r a + r)'

OO

/ ι

c

! — y (l + r) w

(1 + r)'

Die erste Zahlungsreihe (links) hat zum heutigen Zeitpunkt t = 0 den Wert PV =C / r . Die zweite Zahlungsreihe (rechts) hat, bezogen auf t = Ν, ebenso den Wert C / r . Mit der in (2-8) eingeführten Bezeichnung gilt für sie PVN = C / r. Wird dieser auf t = Ν bezogene Wert durch Diskontierung auf den heutigen Zeitpunkt t = 0 transferiert, so erweist sich der Barwert der zweiten Zahlungsreihe als gleich (C / r)/(I + r)N. Da die ursprünglich betrachtete endliche Zahlungsreihe die Differenz beider Zahlungsreihen ist, muss nach der Wertadditivität ihr Wert gleich dem Barwert der ersten abzüglich dem Barwert der zweiten Zahlungsreihe sein: Der Barwert der endlichen Zahlungsreihe ist demnach gleich dem Wert der unendlichen Reihe abzüglich dem auf den heutigen Zeitpunkt durch Diskontierung bezogenen Wert der zeitlich verschobenen unendlichen Rente:

p v

=

y ——— t t (1 + /·)'

=

— r

(2-12)

(l + r)"

r

(l+r)"

r

Beispiel 2-10: Eine endliche Rente bietet eine Zahlung von C = 100 Euro in t = 1 Jahr und dann in gleicher Höhe zu t = 2. Die Diskontierung soll mit r = 5% vorgenommen werden. Wir errechnen direkt PV = 100/1,05 +100/1,05 2 =95,24 + 90,70 = 185,94 Euro. Nun wende man Formel (2-12) an. Die unendlich laufende Rente (erste Zahlung zu t = 1 ) hat den auf t = 0 bezogenen Barwert 100/0,05 = 2000 Euro. Eine unendlich laufende Rente, bei der die erste Zahlung zu t = 3 geleistet wird, hat den auf t = 0 bezogenen Barwert 2000/1,05 2 =1814,06 Euro. Die Differenz ergibt 2000-1814,06 = 185,94 Euro, genau wie es (2-10) für Ν = 2 ausdrückt. • Beispiel 2-11: Ein 65jähriger Mann rechnet mit einer ersten Rentenzahlung in einem Jahr in Höhe von (auf das Jahr bezogen) 20.000 Euro. Natürlich ist die Dauer der Rentenzahlungen für ihn unsicher, doch für eine Beispielrechnung nimmt er an, dass sie für Ν - 1 5 Jahre gezahlt werde. Mit Anpassungen an die Inflation rechnet er „angesichts der leeren Kassen" nicht. Wie hoch ist der Barwert der Zahlungen, wenn mit r = 5% diskontiert wird? Die Antwort wird mit (2-12) be-

26

FINANCE

rechnet: PVl5 = ( 1 - 0 , 4 8 ) · 20.000/O,05 = 208.000 Euro. Der Barwert beträgt 52% einer Rente in derselben Höhe, die ohne zeitliches Ende laufen würde. Nun wird über Nacht das Gesetz geändert und der Mann erfährt, dass ihm seine Rente erst zwei Jahre später zugestanden wird. Welchen Verlust hat er dadurch? Das Gesetz hat zwei Wirkungen: Die Rente wird nur noch Ν = 1 3 Jahre laufen und sie setzt erst zwei Jahre später ein. Der Barwert, bezogen auf heute in zwei Jahren, beträgt nun (1 - 0,53) · 2 0 . 0 0 0 / 0 , 0 5 = 188.000 Euro. Durch Diskontierung ergibt sich ihr Barwert zu P V =188.000/(1 + 0,05) 2 = 170.500 Euro (Zahlen gerundet). Die gesetzliche Änderung bewirkt einen Wertverlust von Δ = 208.000 - 1 7 0 . 5 0 0 = 37.500 Euro. M Vielfach soll bei nie endenden Zahlungen berücksichtigt werden, dass sie im Verlauf der Zeit wachsen. Im einfachsten Fall wachsen sie von Jahr zu Jahr mit einer konstanten Rate. Sie sei mit g bezeichnet und soll die Diskontrate nicht übertreffen, g < r . Die erste, in einem Jahr fällige Zahlung sei Xx-C.

Die in zwei Jahren fällige Zahlung sei X2 - C • (1 + g), die in drei Jahren ist

X3 = C • (1 + g ) 2 und so fort. Auch in diesem Fall gibt es mit (2-13) eine einfache Formel für den Barwert. Der Beweis verläuft analog zu dem von (2-11) und ist deshalb nicht ausgeführt.

pv

»

_ £ _ l+r

+

£ ^ + £ ± t I > ì + . . . (1 + r)2 (l + r )

.

y m

c· W (l + O '

. r-g

(2.13)

Gleichmäßiges Wachstum mit einer Rate g spielt eine große Rolle, weil viele Zahlungen aufgrund steigender Leistungsfähigkeit im Verlauf der Jahre wachsen. Bei Rentenzahlungen gibt es oft Anpassungen an die Inflation, so dass auch dann die nominalen Höhen der Zahlungen steigen. Wie die nachstehende Umrechnung (2-14) zeigt, kann die Formel (2-13) leicht auf den Fall übertragen werden, in dem die wachsenden Zahlungen nur bis zum Jahr Ν einschließlich geleistet werden. Die endliche Reihe ist wieder als Differenz zweier unendlicher Reihen darstellbar.

PV

C

, c-a+g),

l+ r

(l + r ) 2

, c-q+gr (l + r ) "

(l + r ) ' c r-g

c-a+g)"1

J

C ( l + g)'

l = N +1

(l + S ^ . y V«

Z-l m

(l + r ) •

C

1+g

r-g

l+ r

Λ

"

C

(l + r ) '

C-a +

(2-14)

g)"1

(l + r ) ' 1+g l+ r

C r~g

Beispiel 2-12: A) Gesucht ist der Barwert von Zahlungen, die erstmals in einem Jahr geleistet werden, dann die Höhe €100 haben und ab dann mit g = 5 % jährlich wachsen. Diskontrate r = 1 0 % . B) Nun dürfte dieses Wachstum nicht unbeschränkt weitergehen. Es soll deshalb der

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

27

Barwert für den Fall ermittelt werden, dass die Zahlung letztmalig im Jahr Ν = 25 geleistet wird. Wie hoch ist jetzt ihr Barwert? C) Wie viel Prozent des Werts der unendlichen hat die endliche Reihe? Für A) liefert Formel (2-13) PV = C 7 ( r - g ) = 100/(0,10-0,05) = 100/0,05 = 2.000 Euro. Für Frage B) wird (2-14) verwendet. Es gilt ((l + g)/(l + r ) ) " = (1,05/1,10)25 =0,3125, also PV = (1 - 0,3125) · 2.000 = 1.375 Euro. C) 6 9 % . ®

2.1.7

Die Interne Rendite

Nach der Diskussion von Barwert und Nettobarwert soll nun eine zweite Kennzahl betrachtet werden, die zur Verdichtung einer Zahlungsreihe Ζ = { Ζ ( ) , Ζ , , Z 2 , . . . , Z v } herangezogen wird. Es handelt sich um die Interne Verzinsung oder die Interne Rendite der Zahlungsreihe. Im Angelsächsischen heißt sie Internal Rate of Return (IRR ). Die Interne Rendite ist jene auf ein Jahr bezogene und über die Laufzeit als unveränderlich angenommene Rendite oder Diskontrate, bei welcher der Nettobarwert NPV

der

Zahlungsreihe gleich null ist. Da Renditen im Angelsächsischen Yield genannt und oft mit dem Buchstaben y bezeichnet werden, kann die Definition der Internen Rendite so geschrieben werden:

NPV

=

Z

n + 0

A_ l+y

+

Z 2 + ,„ + Zx (! + >') (1 + y)"

o

(2-15)

Nur zur Verdeutlichung: IRR = y. Die Interne Rendite kann berechnet werden, sobald die Zahlungsreihe bekannt ist. 6 Bei der Definitionsgleichung (2-15) handelt es sich um eine algebraische Gleichung der Ordnung Ν . Mit der Substitution jc = 1 /(I + y) erhält sie die Form:

-Z0

=

Ζ, ·χ + Ζ2

χ2 +... + ZN-xN

(2-16)

In einfachen Fällen kann die Lösung dieser Gleichung explizit angegeben werden. Für Ν = 2 gibt es eine explizite Lösungsformel für (2-15) beziehungsweise (2-16), die aus der Lösung für quadratische Gleichungen folgt. Sie lautet:

- z , +JZ,2-4-Z„-Z, !— 5—1

2-Z,

6

und

y

= (1 / χ ) - 1

(2-17)

Im allgemeinen Fall wird die Interne Rendite mit einem numerischen Verfahren errechnet. Die meisten verwenden Newton-Iterationen; kaufmännische Taschenrechner verfügen über entsprechende Funktionen. In MS Office kann die Lösung mit dem Solver (Menü Tools) von Excel berechnet werden.

28

FINANCE

Zur Auflösung von (2-16) muss kein Kapitalmarkt vorausgesetzt werden. Selbst wenn es einen Kapitalmarkt gibt, muss die dort herrschende Diskontrate nicht mit der Internen Rendite der betrachteten Zahlungsreihe übereinstimmen. Das sieht auf den ersten Blick wie ein Vorteil aus, der zugunsten der Internen Rendite als Kennzahl spricht. Allerdings entsteht die Frage, ob und wieso es hilfreich sein soll, eine Kennzahl zu betrachten, die ganz losgelöst vom Kapitalmarkt und den dortigen Konditionen (marktgerechte Diskontrate) ermittelt werden kann. Deshalb ein Argument, das für die Interne Rendite spricht. Es wird ihr die Eigenschaft einer „kritischen Größe" zugesprochen: Liegt die Kapitalmarktrendite unter der Internen Rendite, wirkt die Investition „rentabel". Ist die Kapitalmarktrendite größer als die Interne Rendite, dann scheint die Investition nicht rentabel zu sein. In der Tat sind bei einer Investition die Barwerte der späteren Rückflüsse höher, wenn nicht so stark diskontiert wird. Bei starker Diskontierung fallen hingegen die Zahlungen der weiteren Zukunft nicht mehr stark ins Gewicht. So wird der NPV

einer Investition typischerweise

abneh-

men, wenn die Diskontrate zunimmt. In der Regel wird der Nettobarwert einer Investition monoton mit der Diskontrate abnehmen. Nun gibt die Interne Rendite die Nullstelle des Nettobarwerts wieder, der als Funktion der Diskontrate dargestellt wird. Somit hätten Investitionen einen positiven Nettobarwert, wenn die Kapitalmarktrendite geringer ist als die Interne Rendite. Sie hätten einen negativen Nettobarwert, wenn die Kapitalmarktrendite größer ist als die Interne Rendite. Nun ist bei einer Zahlungsreihe wichtig, ob ihr Nettobarwert positiv oder negativ ist, wenngleich wir die Gründe dafür erst im Folgekapitel besprechen: Es wird sich herausstellen, dass eine Investition mit einem positiven Nettobarwert von Vorteil, während eine Investition mit negativen Nettobarwert von Nachteil ist. Der Vergleich zwischen Interner Rendite und Kapitalmarktrendite zeigt folglich, ob die Investition vorteilhaft ist oder nicht. Diese Betrachtung unterstreicht die Bedeutung der Internen Rendite als kritische Größe. Allerdings gilt das nur im Regelfall, weil man Beispiele konstruieren kann, wo der Barwert einer Investition nicht durchgängig monoton mit der Diskontrate abnimmt. Der Regelfall liegt zum Beispiel dann vor, wenn die Zahlungsreihe nur einen Vorzeichenwechsel aufweist.

I

Die Bedeutung der Internen Rendite y als Kennzahl besteht darin, dass aus r < y im Re-

gelfall die Vorteilhaftigkeit NPV > 0 und aus r > y die Nachteiligkeit NPV < 0 geschlossen werden kann. Die Interne Rendite y ist eine kritische Diskontrate. Sie zeigt, bei

welchen Diskontraten r der NPV positiv ist und bei welchen er negativ ist.

Beispiel 2-13: Die Investitionsmöglichkeit einer Unternehmung verlangt eine Auszahlung von Z 0 = - 1 0 0 (Millionen Euro) und bietet über die kommenden Ν =3 Jahre Rückflüsse in Höhe

Z, = Z 2 = Z 3 = 5 0 . Die Interne Rendite zur Zahlungsreihe Ζ = (-100,50,50,50) ist y = 23,4%. Wenn die wirklich anzuwendende Diskontrate geringer als 23,4% sein sollte, dann hat das Projekt einen positiven NPV (und ist vorteilhaft). Ist die korrekterweise anzuwendende Diskontrate höher, dann ist der NPV des Projekts negativ (und das Projekt nachteilig). U

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

29

Die Definition der Internen Rendite kann auf eine unendlich laufende Zahlungsreihe übertragen werden. Stets verlangt sie, dass - Z 0 . der Betrag der anfanglichen Auszahlung, gleich dem Barwert PV aller dann folgenden Zahlungen ist. Wenn eine Investition konstante Rückflüsse in Höhe C = Ζ, = Ζ2 =... bis in die unendliche Zukunft hat, dann bedeutet die Definitionsgleichung -Z0

— PV

für die Interne Rendite, dass - Z 0 = C / y gelten muss. Das wiederum bewirkt

y = C/(—Z 0 ), Beispiel 2-14: Eine Investition verlangt eine Auszahlung von Z 0 = - 1 0 0 (Millionen Euro) und bietet für immer jährliche Rückflüsse in Höhe 50 = Z, = Z 2 =.... Werden diese Zahlen in y = C / ( - Z 0 ) eingesetzt, ergibt sich als Interne Rendite y = 50/100 = 5 0 % . Damit hat der Investor diese Information: Wenn die wirklich anzuwendende, im Markt bestehende Diskontrate geringer als 50% sein sollte, dann hat das Projekt einen positiven NPV.

Nur bei einer höheren

marktgerechten Diskontrate wäre der NPV des Projekts negativ. • Als Bedeutung der Internen Rendite wurde bisher die der kritischen Rendite genannt, welche die beiden Bereiche NPV > 0 und NPV < 0 trennt. Eine weitere Bedeutung der Internen Rendite bezieht sich auf die Rentabilität eines Wertpapiers. Im perfekten Kapitalmarkt muss der augenblickliche Kurs gleich dem Barwert der Rückflüsse sein, die für das Wertpapier prognostiziert werden. 7 Da ein Investor den Kurs zum Erwerb des Wertpapiers zahlen muss und ein Verkäufer ihn erhält, ist der NPV

der ge-

samten Zahlungsreihe eines Wertpapiers, Kaufpreiszahlung und Rückflüsse zusammengenommen, gleich null. Im perfekten Kapitalmarkt haben daher Investitionen in Wertpapiere regelmäßig einen NPV gleich null. Fazit: Die Interne Rendite, die aus der Zahlungsreihe eines Wertpapiers errechnet werden kann, drückt dies aus: Sie ist jene kritische Rendite, bei der (im Regelfall) ein Vorzeichenwechsel beim Nettobarwert stattfindet. Sie ist jene Rendite, mit der bei einem gehandelten Wertpapier der durch den Kurs gegebene Geldbetrag angelegt wird. Beispiel 2-15: Eine Anleihe mit 2 Jahren Restlaufzeit und Nennwert €100 trägt einen Kupon von €6. Er wird in einem und dann nochmals in zwei Jahren gezahlt. In zwei Jahren wird auch der Nominalbetrag zurückbezahlt. Also: Z, = 6 , Z 2 = 1 0 6 . Der augenblickliche Kurs ist €103, das heißt, der Kauf des Wertpapiers erfordert eine Auszahlung: Z 0 = - 1 0 3 . In (2-17) eingesetzt folgt χ = ( - 6 + -y/6 • 6 + 4 · 103 · 106 ) / 212 = 0,957852. Daraus folgt y = 4 , 4 % . Das ist die Rendite, mit der der Betrag von €100 bei der Anleihe angelegt w i r d . ·

7

Wir haben diese Bedingung der Arbitragefreiheit diskutiert: Wäre der Kurs höher als der Barwert der Rückflüsse, würden sich kaum Käufer für das Wertpapier finden — abgesehen von einigen „Liebhabern", die genau dieses Wertpapier in ihrer „Sammlung" noch missen und die zahlreichen Substitutionsmöglichkeiten, die ein Kapitalmarkt bietet, negieren. Wäre der Kurs geringer als der Barwert der Rückflüsse, die das Wertpapier bietet, würden sich kaum Verkäufer finden.

30

FINANCE

2.2

Kontinuierliche Zeit

Lernziele: 1. Die Logarithmen in der Finanzrechnung. 2. Die stetige Rendite. 3. Unsicherheit und die Sheppardsche Korrektur.

2.2.1

Log-Return

Bei den bisherigen Betrachtungen waren die Zahlungszeitpunkte diskret, t = 0,1,2,..., und sie lagen um jeweils ein Jahr auseinander. Ist r die auf ein Jahr bezogene Rendite, die diskrete Rendite, so entsteht bei einer Anlage des Geldbetrags A nach einem Jahr das Anlageergebnis A • (1 + r). Wird dieses Ergebnis nochmals für ein Jahr mit derselben Rendite angelegt, so hat man ein Jahr später, also nach insgesamt zwei Jahren, das Ergebnis A · (1 + r) 2 und so fort: Nach t Jahren ist das Ergebnis Β — A • (1 + r)'. Bei dieser Schreibweise muss indessen nicht vorausgesetzt werden, dass die Zeit t eine natürliche Zahl ist. Die Beziehung Β = A • (1 + r)' gilt für beliebige Anlagedauern, also für beliebige reelle Zahlen t. Beispielsweise würde t = 3,5 eine Anlagedauer von dreieinhalb Jahren ausdrücken. Entsprechend wurde diskontiert: Eine Zahlung, die in t Jahren in der Höhe Ζ zur Verfügung steht, hat den Barwert PV = Z / ( l + r)' = Ζ · (1 + r)~'. Wiederum muss t nicht eine natürliche Zahl sein. Es kann sich um eine reelle Zahl handeln. Die entsprechenden Potenzen können bequem mit dem Logarithmus und der Exponentialfunktion ermittelt werden, wie ein Beispiel zeigt: Eine Person legt Λ = 1.000 Euro zur Rendite r = 10% für zwei Jahre und drei Monate an, also für i = 2,25 Jahre. Man ermittle das Anlageergebnis Β . Lösung: • •

Aus Β = A • (1 + r)' folgt log Β = log A + log(l + r)' = log A +1 • log(l + r ) . Für den Logarithmus naturalis bedeutet das In Β = In A +1 • ln(l + r) und mit den oben genannten Zahlen folgt In Β = In A +1 • ln(l + r) = 6,907755 + 2,25 · 0,095319 = 7,122223.



Aus In B = 7,122223 folgt mit der Exponentialfunktion Β = exp(7,122223), das heißt, ß = 1239,20 Euro.

Die Potenzrechnung kann mit dem Logarithmus vereinfacht werden. Ungeachtet der Basis entstehen durch die Logarithmenrechnung aus Potenzen Summen. In der Finance wird stets der mit In bezeichnete Logarithmus

Naturalis

verwendet. Dessen Basis ist die nach

LEONHARD EULER

(1707-1783) benannte Eulersche Zahl e = 2,718281828459... So gilt: B = A {\ + r)'

In ß = In /4 + r · ln(l + r) (2-18)

PV -Z!{\

+ r)' = Z - ( l + r ) ~ '

»

In PV = l n Z - i ln(l + r)

2. I N V E S T I T I O N U N D

RENDITE

Argument

31

Bild 2-2: Verlauf des natürlichen Logarithmus für Argumente zwischen 0,1 und 2,0. Deutlich zu erkennen: Beim Argument I ist die Steigung gleich I. Daher stimmen die diskrete und die stetige Rendite ungefähr überein.

Hierbei spielt der Ausdruck ln(l + r) eine besondere Rolle. Wir werden ihn gleich als die so genannte stetige Rendite bezeichnen und durch einen Asterix hervorheben: r*

= ln(l + r)

(2-19)

Die Größe ln(l + r) heißt stetige Rendite (angelsächsisch: Log-Return) und wird mit r * bezeichnet, r* = ln(l + r). Da sich der Logarithmus auf die Basis der Eulerschen Zahl e = 2,71828...bezieht, gilt r*~r:

Die stetige Rendite r* und die diskrete Rendite r sind

(für kleine Renditezahlen) numerisch etwa gleich groß. Wenn eine Rendite in stetiger Notation gegeben ist, kann daraus die ihr entsprechende einfache oder diskrete Rendite berechnet werden. Denn die Umkehrfunktion zum Logarithmus Naturalis ist die Exponentialfunktion. Folglich entsteht aus (2-19) exp(r*) = 1 + r . Damit hat man: r

=

exp(r*)-l

(2-20)

Die stetige Rendite r * erfasst nicht etwas anderes als die einfache oder diskrete Rendite r. Beide Größen erfassen dieselbe Wahrheit, nur ist die Notation oder die formelmäßige Darstellung dieser Wahrheit unterschiedlich.

32

FINANCE

Jedenfalls wird das „exponentielle Wachstum" von Β mit der Zeit, dass sich in der Folge Α, A • (1 + r ) , A-(l + r ) 2 , A · (1 + r ) 3 , . . . , A - ( l + r ) ' , . . .

ausdrückt, mit dem Logarithmus und der stetigen Rendite in ein „lineares Wachstum" I n A , I n A + r*. InA + 2 - r * , I n A + 3 r*,...,

InA +

tr*

übersetzt. Die dem Wachstum ausgesetzte Größe verändert sich proportional Größe, die linear mit der Zeit wächst, ist das logarithmierte

mit der Zeit. Die

Vermögen.

Nochmals: Es wird nicht ein anderer, neuer Wachstumsprozess betrachtet. Lediglich wird das Kapitalwachstum mathematisch anders beschrieben. Allerdings ist ein Wachstumsprozess, bei dem die wachsende Größe sich als proportional mit der Zeit verändernd dargestellt werden kann, rechnerisch einfacher zu handhaben. Deshalb wird der stetigen Rendite und der Logarithmenrechnung bei mehljährigen Kapitalanlagen der Vorzug gegeben. Selbstverständlich können die Einzelrenditen bei einem mehrperiodigen Anlagevorgang unterschiedlich sein, wie das im Kapitalwachstum (2-2) formuliert wurde. Auch hier lassen sich die Produkte mit dem Logarithmus in Summen übersetzen. Das Kapitalwachstum (2-2) nimmt in der Schreibweise mit stetigen Renditen diese Gestalt an:

Startbetrag

W(l

Startbetrag

In W0

Wt = W0 · (1 + r, )

In W, = l n W 0 + r , *

W2=W](l

\nW2 = l n W , + r 2 * = lnW 0

+ r2) = W0-(l + ri)-(\ + r2)

W, = W 0 ( l + r 1 M l + r 2 )-...-(l + r,)

*+r 2 *

(2-21)

lnW, = l n W0+rt *+r2 *+... + r, *

Rechts in (2-21) ist zu lesen: Das logarithmierte Vermögen, das in logarithmischer Skala dargestellte Vermögen, verändert sich mit der Zeit durch die stetigen Renditen. In jeder Periode wird die entsprechende stetige Rendite zum logarithmierten Vermögen addiert. Wird der Anlageprozess für die Zukunft betrachtet, dann sind die (stetigen) Renditen natürlich noch unsicher. Oft können sie als Zufallsgrößen aufgefasst werden, die voneinander unabhängig sind und alle dieselbe Wahrscheinlichkeitsverteilung haben. Dann entwickelt sich das logarithmierte Vermögen so, als ob in jeder Zeitstufe ein „Zufallsschritt" addiert wird. So entsteht ein R a n d o m - W a l k .

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

33

Wir schließen eine Rekapitulation zum Logarithmus an: Der Logarithmus zur Basis b einer Zahl χ ist jene Zahl y, welche als Hochzahl zur Basis genommen, gerade χ ergibt:

y = \oghx

by

=x

(2-22)

In den Ingenieurwissenschaften wird meist mit b = 10 als Basis gearbeitet, mit dem ZehnerLogarithmus also. Der Zehner-Logarithmus einer Zahl χ ist jene Größe y = l o g 1 0 JC, für die 10* = χ gilt. Der Zehner-Logarithmus von χ = 100 ist y = 2 , der von χ = 1000 ist gleich y = 3 und der Zehner-Logarithmus von χ = 1,1 ist gleich y = 0,0414, denn IO0'0414 = 1,1. In der Informationstheorie wird der Logarithmus zur Basis Die Zahl y ist der Logarithmus dualis einer Zahl x ,

dualis.

2 bevorzugt, der Logarithmus = log 2 x - l d x , genau dann wenn

b = y

2y =x gilt. Um ihn zu ermitteln, bietet sich diese generelle Formel an: logi,A: = (logc *)/(log c fc)

(2-23)

Der Logarithmus zu einer Basis b ist gleich dem Logarithmus zu irgendeiner anderen Basis c geteilt durch den Logarithmus zur Basis c von b. Wir wählen b = 2 und c-10.

So kann der

Logarithmus dualis über y = Id χ = (log*)/(log 2) berechnet werden. Der von χ = 100 ist y = Id 100 = (log 100) /(log 2) = 2 / 0,30103 = 6,644, der von x = 1000 ist > = 3/0,30103 = 9,966 und der von JC = 1,1 ist gleich Y = (log 1,1)/(log2) = 0,0414/0,30103 = 0,138, denn 20'138 = 1,1. Wie gesagt wird in der Finanzmathematik und in anderen Wissenschaften der Logarithmus naturalis verwendet,

y = \nx,

der die

Eulersche

Zahl

e

= 2,71828... als Basis hat. Der Logarithmus

naturalis von χ = 100 ist y = In 100 = 4,605, der von λ: = 1000 ist y = In 1000 = 6,908 und der von χ = 1,1 ist y = 0,095, denn e0,m = 1,1. Damit ist gleich die Umkehrfunktion zum Logarithmus genannt: y = lnx ist genau dann der Fall, wenn x = ey ~ exp(y). Warum wird in der Finance der natürliche Logarithmus bevorzugt? Wählt man den natürlichen Logarithmus, so gilt r = ln(l + r ) , weil die Kurve y = In χ an der Stelle χ = 1 die Steigung 1 besitzt (Bild 2-2). Die Feststellung r ~ ln(l + r) hat dies zur Folge: (2-24)

Die diskrete und die dazu gehörige stetige Rendite haben in etwa denselben numerischen Wert — sofern die Rendite eine Zahl im Bereich einiger Prozente ist. Dazu eine Tabelle:

r

-10%

-5%

-2%

-1%

0

1%

2%

5%

10%

r*

-10,536%

-5,129%

-2,020%

-1,005%

0

0,995%

1,980%

4,879%

9,531%

34

FINANCE

Beispiel 2-16: Eine Analystin möchte überschlägig herausfinden, nach wie vielen Jahren Τ sich bei einer Geldanlage das Kapital verdoppelt. Aus 2 = Β / A = exp(T · r*) folgt durch logarithmieren In 2 = Tr*

. Mit In 2 = 0,693 und r ~ r* ergibt sich Τ ~ 69% / r. Für die Rendite

r = 10% dauert es 69% /10% = 7 Jahre. Für r = 5% dauert es 69%/5% = 14 Jahre. Ρ Beispiel 2-17: Eine Investition verlangt heute eine Auszahlung von 100 (Millionen Euro) und es wird zu zwei Zeitpunkten Rückflüsse geben: Erstens zu f, = 1,5 Jahre 60 und zweitens zu t2 = 2,8 Jahre 70 Geldeinheiten. Gesucht ist die Interne Rendite. Der Ansatz lautet: 100 = 60 • exp(-l,5 · r*) + 70 · exp(-2,8 · r*). Der Solver liefert r* = 12,065%, woraus als Interne Rendite r = exp(0,12065)-1 = 12,823% f o l g t . ·

2.2.2

Die Sheppardsche Korrektur — historische

Renditen

Bei mehrperiodigen Kapitalanlagen sind die Renditen der einzelnen Perioden oft unterschiedlich. So sind die Renditen eines Aktienindex für die letzten Jahre bekannt: sie unterscheiden sich von Jahr zu Jahr. Historische Renditen können aus Datenbanken geladen werden. Beispiel 2-18: Die Bank Pictet aktualisiert jedes Jahr eine Studie mit den realen und nominalen Jahresrenditen für Aktien und Renten Schweiz ab 1926, wobei die Daten bis 1980 auf Vorarbeiten von ERNST RÄTZER (1983) beruhen. Beispielsweise betrugen für die acht Jahre 2002 bis 2009 die einfachen Jahresrenditen für den Pictet-Rätzer-Aktienindex -25,95%, 22,06%, 6,89%, 35,61%, 20,67%, -0,05%, -34,05%, 23,18%. Die entsprechenden stetigen Renditen sind -30,04%, 19,93%, 6,66%, 30,46%, 18,79%, -0,05%, -41,63%, 20,85%. • Meist werden Durchschnitte solcher Jahresrenditen gebildet, um sie zu einer einzigen Zahl zusammenzufassen. Dabei kann der arithmetische Mittelwert r der einfachen Renditen oder auch der Mittelwert r * der stetigen Renditen gebildet werden. Die einfachen Renditen rv r2,...,rn der letzten η Jahre oder die entsprechenden stetigen Renditen r,*, r2*,...,rn * sollen gegeben sein. Hier die Formeln:

r

=

- (r, +r2 +... + r J

r*

=

" — (rj *+r2 *+... + rn *) η

(2-25)

Der Mittelwert der stetigen Renditen ist interessant, weil er den geometrischen Durchschnitt der Jahresrenditen wiedergibt: Die geometrische Durchschnittsrendite in stetiger Notation ist gleich dem arithmetischem Durchschnitt der stetigen Renditen:

lnV(l+r 1 )-(l + r 2 ) - . . . ( l + r„)

=

— (rj *+r 2 *+... +r n *) η

(2-26)

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

35

Links in (2-26) steht der geometrische Durchschnitt als stetige Rendite geschrieben, rechts steht der arithmetische Durchschnitt der stetigen Jahresrenditen. Wieder kommen auf die beiden Durchschnittsbildungen (2-25) zurück: Mit den Zahlen (Pictet-Rätzer-Aktienindex 2002-2009) ergibt sich F = (-25,95% + 22,06% + ...-34,05% + 23,18)/8 = 6,05% als arithmetischer Mittelwert

der einfachen

Renditen.

Der

arithmetische

Mittelwert

F* = (-30,04% + 19,93% +... - 41,63% + 20,85)/8 = 3,12%.

der

stetigen

Die beiden

Renditen

ist

Durchschnittsrenditen

r =6,05% und F* = 3,12% können, wie eben vorgeführt, jeweils direkt nach (2-25) aus den diskreten beziehungsweise stetigen Jahresrenditen errechnet werden. Die Frage lautet, ob es nicht genügt einen der beiden Durchschnitte zu errechnen und den anderen über die Umrechnungsformeln (2-19) beziehungsweise (2-20) zu gewinnen. •

Hier ein Versuch: Aus den Zahlen (Pictet-Rätzer-Aktienindex für 2002 bis 2009) führt F = 6,05% zu ln(l + r ) = 5,87% . Das ist deutlich von F* = 3,12% verschieden. Man kann also nicht einfach den Durchschnitt der einfachen Jahresrenditen in stetige Notation übertragen und hoffen, damit den Durchschnitt der stetigen Jahresrenditen zu treffen.



Machen wir noch den Versuch, den Durchschnitt der stetigen Renditen als einfache Rendite zu notieren: Für r * = 3,12% ergibt exp(F*)-l die Prozentzahl 3,17%, die deutlich von F = 6,05% verschieden ist. Man kann also ebenso wenig den Durchschnitt der stetigen Jahresrenditen in einfache Notation übertragen und hoffen, damit den Durchschnitt der einfachen Jahresrenditen zu treffen. Weder gilt r = exp(F*) - 1 noch ln(l + r)—r*,

und in der Folge gilt auch nicht r ~ F *.

Der Unterschied verlangt eine Korrektur. Der britische Mathematiker und Statistiker WIL(1863-1936) hat diese Korrektur in Varianten entwickelt.

LIAM FLEETWOOD SHEPPARD

Eine Version der Sheppardschen Korrektur geht von ln(l + F) Ψ F * aus und korrigiert dies zu:

ln(l + F)

=

r* + ~Var

oder

1+F

=

expj

+

· Vor j

(2-27)

Da ln(l + /}') = χ für kleinere Größen χ ~ 0 gilt, kann (2-27) links einfacher geschrieben werden: F »

r*+-Var 2

(2-28)

Der Unterschied zwischen der durchschnittlichen Jahresrendite — sei sie in stetiger Notation wie in (2-27) oder in einfacher Notation wie in (2-29) dargestellt — und der durchschnittlichen stetigen Jahresrendite, ist nach der Sheppardschen Korrektur fast genau gleich der halben Varianz — wobei es nicht darauf ankommt, ob die der stetigen oder die der diskreten Rendite gewählt wird.

36

FINANCE

Mit Var ist in der Sheppardschen Korrektur (2-27) oder (2-28) die Varianz der diskreten Renditen gemeint:

Var

=

i{(r,-r)2+(r2-r)2+... + (r„-r)2} η

(2-29)

Da jedoch die Varianz der diskreten Renditen fast gleich der Varianz der stetigen Renditen ist und (2-27) und (2-28) ohnehin Approximationen darstellen, kann anstelle von (2-29) die Varianz der stetigen Renditen genommen werden.

I

Die Sheppardsche Korrektur besagt, besonders in der Form (2-28), dass die Renditeerwartung der einfachen oder diskreten Rendite in etwa gleich ist der Renditeerwartung der stetigen Rendite plus Vi mal Standardabweichung oder Volatilität ins Quadrat.

Wir können die Sheppardsche Korrektur hier zwar nicht beweisen, doch sie soll durch Zahlenbeispiele veranschaulicht werden. Wir kommen auf die Jahresrenditen für den Pictet-KrätzerAktienindex 2002-2009 zurück. Die acht einfachen Renditen -25,95%, 22,06%, 6,89%, 35,61%, 20,67%, -0,05%, -34,05%, 23,18% haben die Varianz 0,0538. Wir ermitteln eine Näherung der durchschnittlichen einfachen Rendite mit der Sheppardschen Korrektur, wobei die durchschnittliche stetige Rendite gegeben sei; r * = 3,12% wurde bereits errechnet. Nach Formel (2-27) ergibt sich ln(l + r ) = 0,0312 + 0 , 0 5 3 8 / 2 = 0,0581, also r = e x p ( 0 , 0 5 8 1 ) - 1 = 5,98%. Das darf als gute Approximation des errechneten Durchschnitts r = 6,05% betrachtet werden. Auch (2-28) liefert mit r ~ 5,81% eine gute Approximation von r = 6 , 0 5 % .

2.2.3

Die Sheppardsche Korrektur — zukünftige Rendite

Insoweit haben wir die Sheppardsche Korrektur für historische nauso für die Rendite einer zukünftigen eine Zufallsgröße

Zeitreihen betrachtet. Sie gilt ge-

Periode, etwa eines kommenden Jahres. Diese wird als

aufgefasst. Oft kann eine Aussage über die Wahrscheinlichkeitsverteilung

der

Rendite des kommenden Jahres treffen, weil man historische Renditen kennt und der Annahme folgt, die zukünftige Rendite sei eine Zufallsziehung

aus derselben Grundgesamtheit, siehe Ab-

schnitt 7.2. Daher können wir die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung der Rendite des kommenden Jahres aus den historischen Renditen schätzen, die als Stichprobe angesehen werden. Für die zukünftige Rendite ist in erster Linie der Erwartungswert durch das arithmetische

interessant, der (wie sonst auch)

Mittel der historischen Renditen geschätzt wird. Dies gilt unabhängig

davon, ob man die Rendite diskret notiert, wie in (2-21) links, oder stetig, wie in (2-21) rechts. Indessen ist die Bedeutung des Erwartungswerts der Rendite davon abhängig, ob er sich auf diskrete oder stetige Renditen bezieht, wie wir gleich sehen werden. Ein zweiter Parameter ist die Standardabweichung.

Die Standardabweichung der stetigen Rendite wird meistens als Volatilität

angesprochen, doch die der einfachen Rendite hat keinen eigene Bezeichnung.

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

37

Die unsichere Jahresrendite des kommenden Jahres sei mit r bezeichnet, wenn sie in einfacher Notation ausgedrückt wird. Entsprechend bezeichne r * die zufällige stetige Rendite des kommenden Jahres. Die eben genannten Parameter sind £ [ r ] und V a r f r ] für die einfache, und E\r *] sowie Var[r *] f ü r die stetige Rendite. Wieder zeigt die Sheppardsche Korrektur einen approximativen Zusammenhang. Analog zu (2-27) beziehungsweise (2-28) lautet die Korrektur:

l n ( l + £[?])

«

£[r *]+i-Var

oder

l + #[r]

expj £[r * ] + i - V a r (2-30)

E\r]

=>

£[r*]+^Var

Die Varianz ist die der einfachen oder die der stetigen Renditen (Quadrat der Volatilität).

rd*

8%

10%

12%

20%

30%

ru*

8%

6%

4%

-4%

-14%

E[r *]

8%

8%

8%

8%

8%

Var\r *]

0

0,0004

0,0016

0,0144

0,0484

Var[r *]/2

0

0,0002

0,0008

0,0072

0,0242

0,0800

0,0802

0,0808

0,0872

0,1042

1,0833

1,0835

1,0842

1,0911

1,1098

r„ = e x p ( r „ * ) - l

0,08329

0,10517

0,12750

0,22140

0,34986

rd = e x p ( / - r f * ) - l

0,08329

0,06184

0,04081

-0,03921

-0,13064

E[r]

0,0833

0,0835

0,0842

0,0911

0,1096

E[r *] + Var[r *]/2 ε χ ρ ( £ · [ ? *]+Var[r

*]/2)

Bild 2-3: Veranschaulichung der Genauigkeit der Sheppardschen Korrektur am Beispiel einer zufalligen Rendite, die nur zwei Zahlenwerte annehmen kann (oberste zwei Zeilen). Der Erwartungswert der stetigen Rendite ist für alle der in den Spalten gezeigten fünf Fälle 8%. Die untersten drei Zeilen zeigen die einfachen Renditen und ihren Erwartungswert.

Für eine Illustration von (2-30) oben rechts gehen wir vom einfachsten Fall aus, in dem die zufällige Rendite zwei Realisationen annehmen kann. Sie sind mit ru und rd für die diskrete und mit ru * und rd * für die stetige Rendite bezeichnet; ru = e x p ( r u * ) - l ,

rd = e x p ( r d * ) - l . Zur

weiteren Vereinfachung sollen die Wahrscheinlichkeiten pu und ρd jeweils Vi sein. Die Renditeerwartung und die Varianz der stetigen Rendite sind bei der bivalenten Verteilung:

38

FINANCE

£ÍF*1

=

1 2

1 „*+—rd* 2

und

Varfr*]

=

(r *—r d*) ~ 4

Die Erwartung der diskreten Rendite ist E[r] = ( 1 / 2 ) • ru + ( 1 / 2 ) · rd. Die Tabelle (Bild 2-3) stellt in den Spalten die relevanten Größen für fünf Zahlenbeispiele für ru * und rd * dar. Sie sind alle so gewählt, dass die erwartete stetige Rendite jeweils gleich 8% ist. Der Spread zwischen ru * und rd * nimmt in den Spalten von links nach rechts zu, so dass die Varianz ansteigt. Wie ein Vergleich der Zeilen 7 und 10 zeigt, ist die Sheppardsche Korrektur recht genau. Bei der Formel (2-26) wurde besprochen, dass der arithmetische Durchschnitt der einfachen Renditen die mittlere Rendite eines Jahres wiedergibt, während das arithmetische Mittel der stetigen Rendite die geometrische Durchschnittsrendite beschreibt. Letztere steht für die Entwicklung des Vermögens über einen längeren Zeitraum. Ganz entsprechend beschreibt E\T\ die für ein Jahr erwartete Vermögensentwicklung. Doch wenn es um eine Prognose der Vermögensentwicklung über einen mehrjährigen Zeitraum geht, ist E[R *] die relevante Rendite. Der Grund für diese Unterscheidung liegt darin, dass die Vermögensentwicklung über einen mehrjährigen, in der Zukunft liegenden Zeitraum, als Wahrscheinlichkeitsverteilung betrachtet, eine gewisse Rechtsschiefe aufweist. Dadurch eignet sich der Median besser als der Erwartungswert, um eine Prognose abzugeben, die ein „mittleres Szenario" beschreibt. Obwohl das Vermögen selbst Rechtsschiefe zeigt, also unsymmetrisch verteilt ist, erweist sich das logarithmierte Vermögen (unter gewissen Zusatzannahmen) als symmetrisch verteilt. Der Erwartungswert des logarithmierten Vermögens gibt daher den Median der Entwicklung des (nicht logarithmierten) Vermögens wieder. Folglich verweist der Erwartungswert der stetigen Rendite auf den Median des Ergebnisses, das über einen längeren Anlagezeitraum erreicht werden kann. Fazit: Auf kurze Sicht eignet sich der Erwartungswert der diskreten Rendite zur Prognose. Auf lange Sicht beschreibt der Erwartungswert der stetigen Rendite den Median, weshalb Prognosen für die „mittlere" Entwicklung bei langer Anlagedauer anhand des Mittels der stetigen Renditen getroffen werden. Die Sheppardsche Korrektur beschreibt den Unterschied zwischen der Prognose des Anlageergebnisses auf kurze Sicht (Erwartungswert der einfachen Rendite) und auf lange Sicht (Erwartungswert der stetigen Rendite). Der Unterschied ist die halbe Varianz der Rendite. Beispiel 2-19: Wir betrachten eine (zufällige) Rendite, die nur zwei Werte haben kann: +20% und -20%, wobei beide Realisationen die Wahrscheinlichkeit VI haben. Ferner sei W(T = 100. Auf ein Jahr kann das Ergebnis 120 oder 80 sein, jeweils mit Wahrscheinlichkeit VI. Kurzfristig ist folglich zu erwarten, dass sich das Vermögen nicht ändert. Auf zwei Jahre sind als Ergebnisse, bei W0 = 1 0 0 beginnend, 64, 96 und 144 möglich. Diese Ergebnisse treten mit den Wahrscheinlichkeiten VA, VI, VA ein. Das erwartete Vermögen beträgt daher (wiederum) 100. Indessen würde man das „zentrale" Ergebnis von 96 — es ist Modus und Median zugleich — als eine realitätsnähere Beschreibung im Vergleich zum Erwartungswert ansehen. Die Prognose des Ergebnisses bei kurzem Anlagehorizont ist größer als die anhand des Medians getroffene Prognose des Ergebnisses bei weitem Anlagehorizont. •

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

39

Beispiel 2-20: Bei einer Anlage in Aktien liegt die (durchschnittliche) stetige Rendite bei 8% und die Standardabweichung bei 20% also bei 0,20. Die Varianz der Aktienrendite beträgt 0,04. Dann liegt nach der Sheppardschen Korrektur die (durchschnittliche) einfache Rendite bei 10%. Folglich prognostiziert man bei einer Aktienanlage auf ein Jahr eine Vermögenszunahme um 10%. Bei einer mehrjährigen Anlage ist eine Vermögenszunahme von 8% jährlich eine bessere Prognose, weil die Rendite von 8% den Median der unsicheren Vermögensentwicklungen zeigt. •

2.3

Ergänzungen und Fragen

Lernziele: 1. Unterjährige Renditen. 2. Die Zerlegungsregel. 3. Klassifikation der Unsicherheit. 4. Fragen und Aufgaben.

2.3.1

Unterjährige Renditen

Die stetige Rendite und die Logarithmenrechnung eignen sich auch für die Beantwortung von Fragen, die das unterjährige Kapitalwachstum betreffen. So könnte gefragt werden, welches Ergebnis der Anlageprozess nach einem halben Jahr erreicht. Dazu müsste man die für ein halbes Jahr anzuwendende Rendite kennen. Wir wollen sie mit r2 bezeichnen. Sie soll der zuvor betrachteten Jahresrendite r entsprechen. Das soll heißen: Wird der Betrag A mit r 2 für ein halbes Jahr angelegt und dann nochmals mit r2 für ein zweites halbes Jahr angelegt, dann soll das selbe Ergebnis vorliegen als wenn der Betrag gleich mit r für ein ganzes Jahr angelegt wird. Das verlangt: A • (1 + r2 )2 = A · (1 + r). Aus dieser Bedingung folgt: r 2 - V T + 7 - 1 . Beispiel 2-21: Für r = 10% ist die entsprechende Halbjahresrendite

r 2 = 4 , 8 8 % . Würden €100

auf ein halbes Jahr angelegt, hätte man €104,88 (und nicht €105). Werden €104,88 für ein zweites halbes Jahr angelegt, ist als Ergebnis 104,88 (1 +0,0488) = 110 nach den beiden Halbjahren erreicht. Übrigens wird die für ein halbes Jahr erzielbare Gesamtrendite meist auf Jahresbasis angegeben. Anstelle von r2 = 4,88% als Prozentsatz wird 2 · 4,88% = 9,76% auf Jahresbasis genannt. So werden in den USA Kunden im Anlagegeschäft von Banken gefragt, ob sie als Zins r = 10% wünschen, wobei der Zins jeweils bei Jahresende gut geschrieben wird, oder ob sie als Jahreszins 9,76% wählen, wobei der Zinsertrag halbjährlich gutgeschrieben wird. • Mit dieser Betrachtung können die Anlageergebnisse auch für längere Anlagedauern als ein halbes Jahr ermittelt werden, wobei dem Raster von Halbjahren gefolgt wird. So ist nach 5 Vi Jahren, das sind 11 Halbjahre, das Anlageergebnis Β - A · (1 + r) 5 · (1 + r 2 ) = A -(1-1- r 2 ) " . Mit den Zahlen von Beispiel 2-21, also für r2 = 4,88%, entstehen aus €100 nach fünfeinhalb jähriger Anlagedauer €168,90. Ebenso können Zahlungen diskontiert werden, die (im Halbjahresraster) irgendwann in der Zukunft fällig sind. Eine Zahlung der Höhe €1000, fällig in dreieinhalb Jahren (sieben Halbjahre), hat den Barwert PV = 1000/(1+ r 2 ) 7 = 716,4 Euro.

40

FINANCE

Die Verallgemeinerung auf eine Unterteilung des Jahres in m gleich lange Teilperioden — für eine Unterteilung in Monate ist das m = 12 — verläuft analog. Die Bestimmungsgleichung für die der Teilperiode entsprechende Rendite, nun mit rm bezeichnet, lautet: A(\ + rm)m

=

A • (1 + r)

(2-31)

Die Bedingung für die unterjährige Rendite lautet: rm

=

4Î+7-1

(2-32)

Beispiel 2-22: Ist r = 10% und geht es um beispielsweise ein Monatsraster, m = 12, so ist die unterjährige Rendite rn = 0,7974%. Würden €100 auf ein Jahr und fünf Monate angelegt, also auf 17 Monate, entstehen 100 • (1 + 0,007974)17 =114,5 Euro. Auch hier könnte die MonatsGesamtrendite in Höhe r12 =0,7974% auf Jahresbasis ausgedrückt werden. Das wären 12 · 0,7974% = 9,5688%. Eine Bank könnte Kunden vor die Wahl stellen: Entweder r = 10% mit Zinsgutschrift am Jahresende, oder 9,5688% mit Zinsgutschrift jeweils nach Monatsende. Genauso verläuft die Diskontierung: Ein Zahlung der Höhe €1000, fällig in einem Jahr und elf Monaten, also in 23 Monaten, hat den Barwert PV = 1000/(1 + r l2 ) 23 = 833 Euro. • Im Licht der Rechenbeispiele wollen wir die Anlagedauer mit t bezeichnen und in Jahren messen. Nur soll t ab jetzt nicht notwendig eine natürliche Zahl sein. Die Zeit bis zur Fälligkeit der Zahlung soll eine rationale Zahl sein dürfen. Sie hat die Darstellung eines Bruchs, t = n/m, wobei η und m ganze Zahlen sind. Ist beispielsweise die Zahlung zu t = 2,5 Jahre fällig, dann kann es die Zeit in der Form t = 5 / 2 Jahre geschrieben werden. Für die Ermittlung des Anlageergebnisses benötigen wir dann rm, so wie es in (2-32) festgelegt ist. Ausgehend vom Startbetrag Β ist das Anlageergebnis:

Β =

Α · (1 + rm )"

=

α(^Γ+7)"

=

Α · (1 + r)™

=

A-(l+r)'

(2-33)

In Worten: Ausgehend vom Startbetrag A ist bei einer auf das Jahr bezogenen Rendite von r das Anlageergebnis nach t Jahren Β = Α · (1 + r)', wobei dies nun für alle Anlagedauern t gilt und nicht nur für ganze Jahre. Wir haben das für rationale t bewiesen und mit einem Grenzübergang kann es ebenso für reelle t gezeigt werden. Zusammenfassung: (1) Wird ein Geldbetrag A mit der auf ein Jahr bezogenen Rendite r angelegt, so ist zum Zeitpunkt t das Ergebnis Β = A • (1 + r)' erreicht. (2) Ist eine Zahlung Ζ zum Zeitpunkt t fällig, so ist ihr Barwert PV = Ζ 1(1 + r)' = Ζ • (1 + r) '. Diese Formeln gelten nicht nur für die Zeitpunkte t = 0,1,2,.... Wir haben gezeigt, dass t > 0 eine beliebige reelle Zahl sein kann. Die Formeln für das Anlageergebnis und die Diskontierung sind also für beliebige t gültig.

2. I N V E S T I T I O N

2.3.2

UND

RENDITE

41

Die Zerlegungsregel

Wenn zwei zu einem zukünftigen Zeitpunkt fällige Zahlungen (derselben Höhe) beide sicher sind, dann werden sie von Investoren als gleichwertig angesehen und entsprechend wird ihr jeweiliger Barwert mit derselben Rendite berechnet, eben derjenigen Rendite, die sich im Kapitalmarkt für sichere Zahlungen herausgebildet hat. Wenn indessen bei einer von zwei Zahlungen gewisse Unsicherheiten bestehen, dann wird sich das darin ausdrücken, dass ihr heutiger Wert etwas geringer als der der anderen Zahlung ist. Mit anderen Worten, sie wird stärker diskontiert. Je größer das Risiko der Zahlung ist, desto höher ist die Rate, mit der diskontiert wird. Mit dieser Vorbemerkung betrachten wir zwei Zahlungen, die in einem Jahr fällig werden, Χι und K,. Ihre Barwerte seien mit X 0 = X, /(1 + r) und Y0 = Yx /(1 + s) bezeichnet, wobei nun aufgrund unterschiedlichen Sicherheitsgrades die beiden Diskontraten r und s unterschiedlich sein sollen. Wenn nun ein Investor Anrecht auf sowohl X] als auch Y} hat, dann wird er der Gesamtzahlung in Höhe Ζ, = X,

entgegen sehen. Ihr heutiger Wert ist gleich X0 +YQ und diese Größe sei

mit Z 0 bezeichnet. Die Frage lautet, ob der heutige Wert der in einem Jahr fälligen Zahlung von Z, gemäß der einfachen Diskontierungsregel dargestellt werden kann, also in der Form Z 0 = Ζ, /(I + w) wobei die Diskontrate w eine „Mischung" oder ein irgendwie gewichteter Durchschnitt von r und s ist. In der Tat kann das bejaht werden, was überhaupt nicht selbstverständlich ist. Dazu muss die durchschnittliche Diskontrate w so r und 5 zusammenfassen, dass r und s mit den jeweiligen Wertanteilen gewichtet werden:

X0

=

X —i1+r

und

Y00

=

Y 1+j (2-34)

Xo+ro

für

w

l+w

=

Xo + Yo

•r +-

x0+Y0

Diese Aussage wird durch Einsetzen bewiesen. In Worten besagt die Regel (2-34) dies: Der Barwert von Summen von Zahlungen kann mit der traditionellen Diskontierungsformel errechnet werden, indem die Summe mit einer durchschnittlichen Rate diskontiert wird. Diese Regel spielt eine große Rolle bei den Formeln für den Unternehmenswert, wie in Kapitel 12 deutlich werden wird.

42

FINANCE

Beispiel 2-23: In einem Jahr werden fällig: X, = 4 1 6 , zu diskontieren mit r = 4%, sowie y, = 226, zu diskontieren mit 5 = 13%, also: X 0 =416/1,04 = 400 und Y0 = 226/1,13 = 200. Der Gesamtwert beträgt 400 + 200 = 600. Die Gewichte der Einzelwerte sind 400/600 = 2 / 3 und 200/600 = 1/3. Die durchschnittliche Diskontrate ist (2/3)-4% + (1/3)· 13% = 7%. In der Tat liefert w = l% das Ergebnis: (Χ, + r i ) / ( l + w) = (416 + 226)/l,07 = 642/1,07 = 600. • Die Regel wurde bisher nur für Zahlungen formuliert, die in einem Jahr fällig werden. Sie kann indessen auf Zahlungen ausgedehnt werden, die zu mehreren Zeitpunkten geleistet werden. Der Barwert der Reihe von Zahlungen X , , X 2 , X 3 ,... sei nun mit PV0X bezeichnet, nicht mehr mit X 0 , wie noch in (2-34). Analoge Bezeichnungen wählen wir für die andere Zahlungsreihe. Weiter sei an die Definition (2-8) und an die Schreibweise (2-9) erinnert:

PV*

PV/

=

»

=

+

+

*'+PV'* l+r

+

1+r

(1 + r)

(1+r)

Υ. —+ 1+s

Y,2 Y,1 -— + -r + ...= (1 + Î) (1 + i )

ßr

+

1+ r

Y + PV? 1

„ ßr

1+s

,y F, PV.r = —+ 1+5

(1 + r) 2 Κ3 „ (1+ i )

Für die Zusammensetzung gilt:

χ , PVo +PV¿

_ =

(X^YO+iPVf+PVÎ) 1 + w, (2-35)

mit

tv,

=

PV* PV*+PVor

Y

—-r +

PVn

PV0X + PVg

Wieder leistet die durchschnittliche Diskontrate das Gewünschte, und wie bereits in (2-34) ist auch in (2-35) die durchschnittliche Diskontrate anhand der Barwerte gewichtet. Zur Verdeutlichung seien Ζ, = X, + Yt sowie PVZ = PVtx + PVtr als Bezeichnungen eingeführt, womit (2-35) diese Form annimmt:

mfZ PV„

Z,+PV.z l . = —! — mit 1 + vv,

w.

PV* = —V-rZ PV0

PV¡ + — Z PV0

Was nun die nachfolgenden Barwerte wie PVtx und PV0X betrifft, so können sie mit derselben Umrechnung bestimmt werden. Das Gesamtergebnis heißt Zerlegungsregel und lautet:

2. I N V E S T I T I O N

UND

z

PV:

RENDITE

_

-

Z, + PVj2

43

mit

w,

=

l + w,

PV*

=

Z2 + PV2'

mit

w.

Z 3 + PV(

mit

w.

ζ,+ι+ρν;+1

mit

PV¿ PV?

=

PVY

•r + -

(1 + Wj ) · (1 + w 2 )

PVF

PV¡

•r + -

(2-36)

PV?

PV,2

+

ZZ

1 + Η»!

PVQ

-

PVO

PV,

w.

Werden in die Bestimmungsgleichungen für PV,Z die für PVAZ

•/· +

PVZ

l + w.

PV.

PVn PV*

l + w2 PV;

pyl

PV;

• r +PV?

eingesetzt, so folgen

— + ... (1 + w , ) - ( l + w 2 ) - ( l + w 3 )

beziehungsweise:

y

PV0*+PVI

y

=

Χ,

Χ

τ

Κ

L 2— + — + 1 + Η-, (1 + w, ) • (1 + w 2 )

Χ

"1" Υ-χ

5 + ... (1 + w, ) · (1 + νν2 ) · (1 + νν3 )

(2-37)

Der Barwert einer Summenzahlungsreihe kann bestimmt werden, indem für jedes Jahr die summierten Zahlungen mit einer „gemeinsamen" Rate diskontiert werden, die sich als Durchschnitt der Diskontraten der einzelnen Zahlungsreihen berechnet. Allerdings sind die Durchschnittsbildungen bei der Berechnung der Diskontrate mit den jeweilig aktuellen Barwerten gewichtet, wie in (2-36) dargestellt. Daher sind die durchschnittlichen Diskontraten von Jahr zu Jahr verschieden, denn die relativen Gewichte der restlichen Barwerte werden sich im Verlauf der Zeit ändern — von ganz speziellen Fällen abgesehen.

2.3.3

Die Klassifikation

von KNIGHT

In der Realität gibt es immer und überall Unsicherheit. Da Investitionen über einen oft langen Zeitraum laufen, sind die zukünftigen Rückflüsse auf natürliche Weise unsicher. Infolgedessen sind dann auch die erzielbaren Renditen unsicher. Unsicherheit der Rendite bedeutet, dass sie verschiedene Realisationen annehmen kann und man zu Beginn noch nicht weiß, mit welcher man dann tatsächlich konfrontiert sein wird. Bevor wir fortfahren, gehen wir auf eine Einteilung von Arten der Unsicherheit ein: 8 In einer Entscheidungssituation können diese Fälle vorliegen: 8

Die wohl erste Klassifikation geht auf FRANK HYNEMAN KNIGHT (1885-1972) und sein Buch „Risk, Uncertainty and Profit" (1921) zurück. Abgesehen von Ausführungen zum Unternehmer und seiner Aufgaben hat KNIGHT in seinem Buch Risiko (Fall 1) von allgemeiner Unsicherheit oder Ungewißheit (Fall 2) unterschieden.

44

FINANCE

1. Risiko: Der Entscheidende sieht sich in der Lage, den möglichen Ergebnissen Wahrscheinlichkeiten zuzuordnen, so als ob ein Zufallsexperiment das Ergebnis festlegt. 2. Ungewissheit: Es lassen sich keine Wahrscheinlichkeiten für die Ergebnisse angeben 3. Spiel: Die Konsequenzen hängen von den Handlungen eines oder mehrerer anderer Menschen ab, die sich als Gegner oder auch kooperativ verhalten könnten. 4. Informationsasymmetrie:

Die Realisation steht eigentlich schon fest und ist anderen viel-

leicht auch bekannt, nur der Entscheidungsträger kennt sie noch nicht. 5. Geringfügigkeit·.

Zwar ist die Situation unsicher, doch ist ihre Wirkung im Vergleich zu

anderen und berechenbaren Einflussfaktoren gering. Die wohl erste Klassifikation geht auf FRANK HYNEMAN KNIGHT (1885-1972) und sein Buch „Risk, Uncertainty and Profit" (1921) zurück. KNIGHT hat in seinem Buch Risiko (Fall 1) von allgemeiner Unsicherheit oder Ungewissheit (Fall 2) unterschieden. In der Finance ist der erste Fall interessant, insoweit es als möglich gilt, aufgrund des theoretischen Verständnisses und der empirischen Forschung zu Wahrscheinlichkeiten zu gelangen. Wir folgen somit im praktischen Leben oft einer induktiven Vorgehensweise. Dabei kann immer eine Möglichkeit übersehen, werden, wenn sie (zufälligerweise) in der jüngeren Geschichte, an die sich noch alle erinnern, nicht vorgekommen ist. Daher sind induktiv gewonnene Einsichten stets nur vorläufige Erkenntnisse. Der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph SIR KARL POPPER (1902-1994) hatte dies mit dem Schwarzen Schwan verdeutlicht, der zwar existiert (in Australien und Neuseeland), indes in Europa für unmöglich gehalten wurde, bis 1697 die ersten Seefahrer zurück kehrten und von seiner Existenz berichteten. Wurde die Risikosituation als angemessene Beschreibung erkannt und sind die möglichen Ergebnisse sowie ihre Wahrscheinlichkeiten aufgestellt, dann bietet es sich an, die Parameter der Wahrscheinlichkeitsverteilung zu ermitteln. In unserem Zusammenhang wird man die Parameter der als zufällig erkannten Rendite bestimmen. Vor allem wird deren Erwartungswert betrachtet, also die erwartete Rendite. Weiter ist die Standardabweichung der Rendite von Interesse, die Wurzel aus der Varianz. Zur Rekapitulation: Im einfachsten Fall kann die zufällige Rendite zwei Realisationen annehmen, ru und rd. Hierbei erinnert das u an eine Aufwärtsbewegung (up) und das d an eine Abwärtsbewegung (down). Die Eintrittswahrscheinlichkeiten seien pu und pd. Der Erwartungswert ist gleich der mit den Wahrscheinlichkeiten gewichteten Summe der möglichen Realisationen: =

Pu-ru+pd-rd

Der Erwartungswert einer Zufallsgröße erlangt seine wohl wichtigste Bedeutung, wenn das Zufallsexperiment oft wiederholt wird. Das Gesetz der Großen Zahlen besagt: Wenn ein Zufallsexperiment (in unabhängiger Weise) immer wiederholt wird, dann kommt das arithmetische Mittel der Realisationen immer wahrscheinlicher näher an den Erwartungswert heran. Das Gesetz wurde von dem Mathematiker JACOB I. BERNOULLI (1654-1705) entdeckt und bewiesen.

2. I N V E S T I T I O N

UND

RENDITE

45

Die Varianz ist die mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtete Summe der Quadrate der Differenzen zwischen den Realisationen und dem Erwartungswert: Var[r]

=

Pu {ru-E[r]f

+ Pd (rd -E[r]f

Die Wurzel aus der Varianz ist die Standardabweichung, die wir wie üblich mit SD bezeichnen. Die Standardabweichung drückt die „Schwankungsbreite" der Zufallsgröße aus. Eine weitere Vereinfachung wäre pu = pd = 1/2. In diesem Fall ist die Renditeerwartung gleich dem arithmetischen Mittel

der beiden Realisationsmöglichkeiten,

£ [ r ] = (ru +rd)/2. Die Varianz ist

Var[r ] = (r„ - rd )2 ¡4 und die Standardabweichung SD[r ] = *JVar[r] = (r a - rd )/2.

Beispiel 2-24: Die Rendite kann entweder ru = 30% oder rd = -10% sein, wobei die Eintrittswahrscheinlichkeit jeweils Vi ist. Renditeerwartung: E\r] = (r +rd)/2 = (0,30-0,1 θ)/2 = 10% , Varianz Var[r] = (r„-r ( ,) 2 /4 = (0,30 + 0,10)74 = 0,16/4 = 0,04 und die Standardabweichung beträgt SD[r] = JVar[r] = VWM =0,2. • Die Standardabweichung einer Rendite wird wie die Renditeerwartung meist als Prozentzahl notiert. Anstelle von beispielsweise SD = 0,2 wird dann SD - 20% geschrieben. Wenn eine Jahresrendite den Erwartungswert 10% und die Standardabweichung von 20% besitzt, dann, so die Interpretation, schwankt sie im Bereich von -10% bis 30%.

2.3.4

Aufgaben

1. Nennen Sie zwei Gründe, aus denen man die Beschreibung einer Investition durch eine Zahlungsreihe als zwar eine Abstraktion, aber als eine für Zwecke im Fachgebiet Finance ausreichende Beschreibung ansieht. 2. Ein Gesellschafter möchte ausscheiden und die anderen Eigentümer bieten ihm die Wahl zwischen einer Kapitalabfindung und einer auf zehn Jahre laufenden Rente, die erstmals in zwölf Monaten gezahlt wird, in Höhe von C = 10.000 Euro jährlich an. Wie hoch ist der Barwert dieser Rente bei einer Diskontierung mit r = 6% ? 3. Berechnen Sie den PV eines jährlich gezahlten, nicht endenden Einkommensstroms, der immer wieder an die Inflation angepasst wird. Die nächste Zahlung, in zwölf Monaten fällig, beträgt nominal €100. Die Inflationsrate ist 3%, die Diskontrate 10%. 4. Eine Investition verlangt eine Auszahlung von 100 Geldeinheiten und bietet in einem Jahr einen Rückfluss von 110. In zwei Jahren ist eine Schlusszahlung von 5 Geldeinheiten verlangt. Berechnen Sie die Interne Rendite der Zahlungsreihe {-100,110, - 5}. 5. Eine Zahlung von €100.000 ist in zwei Jahren fällig. A ) Wie hoch ist ihr heutiger Wert, wenn mit der diskreten Rendite von 5% diskontiert wird? B) Nun wird bekannt, dass sie bereits in 1,99 Jahren fällig ist. Wie hoch ist jetzt ihr Barwert?

46

FINANCE

6. Eine Faustformel besagt: „Teile 70 durch den in Prozent ausgedrückten Zinssatz und das Resultat gibt an, nach wie vielen Jahren sich ein Kapital verdoppelt." Welche Überlegungen führen auf diese Faustformel? 7. Eine unsichere Geldanlage sei durch diese Parameter der stetigen Rendite beschrieben: Ihr Erwartungswert ist 6% und ihre Standardabweichung 10%. Ermitteln Sie mit der Sheppardschen Korrektur den Erwartungswert der diskreten Rendite. 8. Jemand hat die Wahl, ein Grundstück zu kaufen oder zu mieten. Die Person möchte den Barwert aller Mietzahlungen ermitteln, die in der gesamten Zukunft zu zahlen wären. Die erste, in einem Jahr fällige Jahrespacht beträgt €10.000, doch die nominale Höhe der Pacht dürfte der langfristigen Inflation von 3% entsprechend steigen. Die Person ist unsicher, ob sie die Diskontierung mit nur r = 5% oder sogar mit r — 7% vornehmen sollte und wünscht sich eine Alternativrechnung.

2.3.5

Antworten und Lösungen

1. ( I ) Die Zielsetzung der Unternehmung leitet sich aus Zahlungsüberschüssen ab. (2) Die Zahlungsfähigkeit ist als fundamentale Nebenbedingung und durch Zahlungen bestimmt. 2. Formel (2-12) wird verwendet. Würde die Rente ewig laufen, wäre ihr Barwert 10.000/0,06 = 166.667

Euro.

Da

sie

nur

N = 10

Jahre

läuft,

ist

ihr

Barwert

( l - l / ( l + r ) " ) = (l —1/1,06'°)= 44,16% davon, also 73.601 Euro. 3.

PV = C / ( r - g ) . Für C = 100 Euro, g = 3% und r = 10% folgt PV = 1.429 Euro.

4. Formel (2-13) wird herangezogen und liefert χ = 0,9501 und y = 5,25%. 5. Wir wenden Formel

(2-19) rechts unten an. Zur diskreten Rendite von 5% ist

r* = ln(l,05) = 0,04879

die

stetige

Rendite.

A)

e x p ( - 2 · 0,04879) = 0,90703,

also

PV = 90.703 Euro. B ) exp(-l,99 • 0,04879) = 0,90747 , also PV = 90.747. 6. Siehe Beispiel 2-16 in Sektion 2.2.1. 7.

l + £ [ r ] = exp(£[r

*]+Var[r

*]/2) = exp(0,06 + 0,l 2 /2) = exp(0,065)= 1,0672, und daraus

folgt E [ r ] = 6,72%. 8. Der

Barwert

aller

Pachtzahlungen

im

Fall

PV = C /(r — g) = 10.000/(0,07 - 0,03) = 10.000/0,04 = 250.000 gleich P V = C / ( r - g ) = l 0.000 /(0.05 - 0,03) = 500.000 Euro.

r = 7% und im

Fall

gleich r = 5%

3.

Finanzierung Nach der Investition und der Investitionsrechnung soll jetzt die Finanzierung behandelt werden. Erst werden Begriffe wie Außen- und Innenfinanzierung erklärt. Dann betrachten wir die Unternehmung als einen Pool von Verträgen. Sodann folgen Erfolgsgrößen und Kennzahlen, auf die Financiers achten, so der Cashflow.

3.1

3.1

Finanzierungsvertrag

47

3.2

Kenngrößen

60

3.3

Ergänzungen und Fragen

75

Finanzierungsvertrag

Lernziele: Von der Finanzierung als Verkauf von Rechten bis zur Finanzierung als Zahlungsreihe. Dazwischen: 1. Eigen- und Fremdkapital. 2. Das Capital Budgeting und die Kapitalstruktur als Vorentscheidungen. 3. Außen- und Innenfinanzierung.

3.1.1

Finanzierung als Verkauf von Rechten

Wenn die Unternehmung für die gewählten Investitionen nicht alle erforderlichen Auszahlungen aus dem eigenen Bestand an Zahlungsmitteln (Geld, Kontobestände) leisten kann, dann muss sie sich die Zahlungsmittel von außen besorgen. Besonders in drei Situationen ist das erforderlich: 1. Bei der Gründung einer Unternehmung. Gründer leisten Ersteinlagen in der Regel in bar. 2. Im Entrepreneurship, in der frühen Phase, in der Konzepte und Prototypen entwickelt werden, hat die Unternehmung noch keine Umsatzerlöse. Deshalb müssen für die benötigten Zahlungsmittel (Löhne, Entwicklungskosten) Personen angesprochen werden, die bereit sind, trotz der hohen Risiken Geld zur Verfügung zu stellen. 3. In der sich anschließenden unternehmerischen Phase des Wachstums von Produktion und Absatz wird Geld benötigt, insoweit als die Auszahlungen (für die Beschaffung der Ressourcen) den Umsatzerlösen zeitlich vorauslaufen. Eine Unternehmung kann weder auf Geschenke noch auf Subventionen hoffen, aber sie kann Geldgeber (Financiers) ansprechen. Financiers überlassen ihre Mittel natürlich nur unter der Auflage, dass sie später einmal „ihr Geld zurück" erhalten können und zusätzlich über die Jahre hinweg vergütet werden. Sie verlangen eine Verzinsung oder eine Beteiligung am wirtschaftlichen

48

FINANCE

Erfolg, der mit „ihrem Geld" entstehen kann. Die Unternehmung muss mit Financiers über Ansprüche verhandeln. Der Geldbetrag, den ein Financier zur Verfügung stellt, und die Ansprüche, die er erheben kann, werden ausgehandelt. Hier gilt Vertragsfreiheit. Bei Einigung kommt ein Finanzierungsvertrag, ein Finanzkontrakt zustande. Aufgrund der Vertragsfreiheit sind Finanzkontrakte in zahlreichen Varianten anzutreffen. Bei den Ansprüchen ist zu beachten, dass eine Unternehmung im Regelfall mehrere Financiers hat. Jeder wünscht sich Priorität gegenüber den anderen Financiers. Auch für solche Vorrechte und Rangordnungen gibt es Varianten. Letztlich akzeptiert die Unternehmung mit dem Finanzkontrakt gewisse Ansprüche der Financiers und räumt ihnen Rechte ein, die sich vor allem auf zukünftige Zahlungen beziehen. Im Gegenzug erhält die Unternehmung vom Financier jetzt Geld. Die Unternehmung räumt dem Financier also gewisse Rechte ein und verpflichtet sich, die Ansprüche des Financiers zu erfüllen. Folglich darf die Finanzierung als Verkauf von Rechten apostrophiert werden: Die Financiers erwerben Ansprüche und zahlen dafür einen „Kaufpreis" an die Unternehmung. 1 Die vertragliche Beziehung wird als Kapital oder Finanzkapital bezeichnet. Auf der einen Seite steht der Kapitalnehmer (hier die Unternehmung), auf der anderen Seite der Kapitalgeber oder Financier. Somit ist Finanzkapital

ein Synonym zu Finanzkontrakt

Der Begriff des Finanzkontrakts ist umfassend und nicht auf ein unterschriebenes schriftliches Vertragswerk eingeengt. Zu jedem Finanzkontrakt gehören auch Regelungen und Bestimmungen, die durch die Gesetze des Landes und die Rechtsform der Unternehmung getroffen sind. Außerdem gehören zum Finanzkontrakt implizite, oftmals unausgesprochene Elemente, die sich aus dem Verhalten und Charakter der beteiligten Personen sowie aus der Tradition und dem üblichen Geschäftsgebaren ergeben. Jeder Finanzkontrakt stützt sich demnach auf: •

Explizite Vereinbarungen zwischen Unternehmung und Financier.



Allgemeine Regelungen und Gesetze, über die nicht eigens gesprochen werden muss.



Implizite Bestandteile, die aufgrund der Kultur und der persönlichen Verhaltensweisen der beiden Parteien erkennbar werden.

Viele Finanzkontrakte unterscheiden zudem, in welchem Zustand sich die Unternehmung befindet. Für eine Notlage (Zahlungsengpass, Financial Distress) können die Rechte und Pflichten anders vereinbart sein als für den Normalfall, in dem die Unternehmung „aus eigener Kraft" fortgeführt werden kann. Insgesamt werden im Finanzkontrakt diese vier Punkte geklärt:

1

Selbst bei einem Geldgeschenk erwartet der Schenkende, meist unausgesprochen, dass der Beschenkte irgendwann einmal eine Gegenleistung erbringt. „Nichts ist so teuer, wie ein Geschenk anzunehmen" weiß ein chinesisches Sprichwort. Die Beziehung zwischen Großmutter und Enkel, bei der die Finanzierung des Autokaufs durch Besuche abgegolten wird, fallt unter den Begriff des Kapitals. Das Kapital hat die Person, welche die Ansprüche hält (die Großmutter). Längerfristige Beziehungen des Gebens und Nehmens sind nicht immer explizit geklärt. Sie laufen gelegentlich unausgesprochen vor d e m Hintergrund einer familiären oder kulturellen Tradition ab.

3.

FINANZIERUNG

49

1. Welchen Geldbetrag stellt der Financier jetzt der Unternehmung zur Verfügung? 2. Wann erhält der Financier das Geld zurück oder welche anderen Möglichkeiten können ihm für einen Ausstieg aus seinem Engagement in Aussicht gestellt werden (zum Beispiel über einen Weiterverkauf seiner Ansprüche)? 3. Welche Rückflüsse (zum Beispiel Zinsen oder Dividenden) erhält der Financier während der Laufzeit des Finanzkontrakts? Wovon hängen diese Rückflüsse ab? Ein wichtiger vertraglicher Punkt ist, welche Risiken der Financier trägt. 4. Welche Rechte werden dem Financier zugestanden, damit die Punkte 2 und 3 nicht leere Versprechungen sind? Welche Informationsrechte und welche Möglichkeiten hat er, die Geschäftsführung der Unternehmung zu beeinflussen? Der zweite und dritte Punkt zeigen, dass sich die Abwicklung eines Finanzkontrakts über die Zeit hinweg erstreckt. Aus diesem Grund ist für die Finanzierung eine mehrperiodige

Betrachtung

verlangt. Deshalb eignen sich Zahlungsreihen zur Beschreibung von Finanzierungen.

3.1.2

Eigen-

und

Fremdkapital

Angesichts der Variantenvielfalt von Finanzkontrakten wird nach Grundtypen gefragt. Die wichtigste Unterscheidung ist die von Eigen- und Fremdkapital. Eigenkapital (Equity): Diese Gruppe umfasst Finanzkontrakte, bei denen sich der Financier beteiligt und bereit ist, das Geschäftsrisiko mit zu tragen. Das hat zwei Konsequenzen: 1. Eigenkapital muss vom Grundsatz her auf Dauer und nicht nur befristet der Unternehmung zur Verfügung stehen. Sonst könnte es die Risiken nicht auffangen. Niemand könnte sich darauf verlassen, dass es wirklich noch da ist, wenn es einmal als „Risikopuffer" dienen sollte. Eigenkapitalgeber dürfen daher nicht auf hohe Rückflüsse hoffen, weil dies das Eigenkapital reduzieren könnte. Rückzahlungen und Eigenkapitalherabsetzungen sind nur unter besonderen Umständen möglich. Eigenkapitalgeber erwarten für das „Ausharren" und das Tragen der Risiken eine besondere Kompensation. Sie erwarten, wo die Rückflüsse eher gering sind, Wertsteigerungen. Außerdem werden für sie Regeln und Umstände bedeutsam, die es gestatten, solche Weitsteigerungen zu fördern und zu realisieren. 2. Wer vom Geschäftsrisiko betroffen ist, möchte die Geschäftsführung mitgestalten und kontrollieren. Bei einer Beteiligung ist daher typischerweise wichtig, welche juristischen und welche faktischen Möglichkeiten bestehen, die Geschäfte beeinflussen zu können. Fremdkapital (Debt): Die Finanzkontrakte dieser Gruppe haben die Form des Kredits. Hierbei werden die Rückflüsse an den Financier unabhängig vom Geschäftsgang festgeschrieben. Bei einem Kredit gehören zum Kapitaldienst, zu dem sich der Schuldner verpflichtet hat, die periodische Leistung der Zinszahlungen, die wiederholte interime Information des Gläubigers und schließlich bei Fälligkeit die Rückzahlung des Kreditbetrags. Der Gläubiger kann aber nicht erwarten, die Geschäfte beeinflussen zu können — es sei denn, es tritt eine Krisensituation und eine

50

FINANCE

Kreditgefährdung ein. Viele Kreditverträge sehen Klauseln vor, so genannte Credit

Covenants,

die dem Gläubiger erweiterte Rechte einräumen, falls eine Kreditgefährdung festgestellt wird.

Fremdkapital (Debt)

Eigenkapital (Equity)

Am Ende der vereinbarten Lautzeit ist der Nennbetrag zur Rückzahlung fällig

Vom Grundsatz her hat Eigenkapital eine unbeschränkte Laufzeit, doch es kann unter Umständen herabgesetzt werden

Zinszahlungen (beim Kreditvertrag) oder Kuponzahlungen (bei einer Anleihe) sowie die Rückzahlung bei Laufzeitende

Entnahmen und Dividenden, Erlös aus Verkauf der Beteiligung

Rechte

Der Gläubiger besteht darauf, periodisch vom Schuldner informiert zu werden

Der Eigenkapitalgeber hat umfangreiche Rechte, in die Geschäftsführung des Kapitalnehmers (Unternehmung) einzugreifen

Risiken

Falls eine Zahlungsunfähigkeit beim Schuldner eintritt, kann ein jeder Gläubiger einen Konkurs beantragen

Wenn es einer Unternehmung wirtschaftlich schlecht geht und sie keine Dividenden mehr zahlt, müssen die Eigenkapitalgeber gemeinschaftlich dafür sorgen, dass die Geschäfte besser geführt werden

beim

Zinseinkünfte und Kuponzahlungen, nicht aber die Rückzahlung des Kreditbetrags, unterliegen der Besteuerung beim Gläubiger

Entnahmen und Dividenden müssen vom Eigenkapitalgeber versteuert werden, bei Verkauf einer Beteiligung müssen vielfach auch die erzielten Wertsteigerungen versteuert werden

beim

Ergebnisse, die als Zinszahlung an Fremdkapitalgeber gehen, müssen von der Unternehmung nicht versteuert werden

Wirtschaftliche Ergebnisse, die als Gewinn dargestellt werden, unterliegen bei der Unternehmung einer „Corporate Tax"

Laufzeit

Einkommen

des

Kapitalgebers

Besteuerung Kapitalgeber

Besteuerung Kapitalnehmer ternehmung)

(Un-

Bild 3-1: Merkmalsausprägungen von Eigen- und von Fremdkapital.

Die Bezeichnung Eigen- und Fremdkapital hat damit zu tun, dass ein Beteiligter Rechte hat, die denen eines Eigentümers einer Sache nahe kommen: Man darf als Eigentümer über die Verwendung entscheiden, ist davon betroffen und muss eventuell für Schäden haften, die entstehen können. Ein Fremdkapitalgeber steht den Geschäften entfernter gegenüber. Weder trifft er im Regelfall Entscheidungen noch ist er davon betroffen. Ungeachtet dessen kann eine Bank als Fremdkapitalgeber einer Unternehmung informatorisch viel näher stehen als ein Aktionär. Deshalb ist gelegentlich der Aktionär der „Fremde" oder der „Außenstehende". Aus diesem Grund wurden zahlreiche Gesetze zum Schutz von Kleinaktionären geschaffen. Doch die Beteiligung (Eigenkapital) und der Kredit (Fremdkapital) sind nur zwei Vertragstypen. Die Rechte können im Finanzkontrakt ebenso gut anders vereinbart werden. Beispielsweise kann sich der Financier wünschen, ein Wahlrecht zu erhalten, mit dem er einen Kredit (eigentlich Fremdkapital) in eine Beteiligung wandeln kann (Convertibles).

3.

FINANZIERUNG

51

Des weiteren gibt es Beteiligungen (eigentlich Eigenkapital), die bei schlechtem Geschäftsgang Rückzahlungen an den Financier vorsehen, die den Zinszahlungen eines Kredits nahe kommen (Vorzugsaktie). U m zu betonen, dass ein Finanzkontrakt Aspekte von Eigen- und Fremdkapital kombiniert, wird er als Mezzanine (wörtlich: Zwischengeschoß) oder als Hybridkapital angesprochen. Hybridkapital ist oftmals das Ergebnis einer Umfinanzierung, also einer Änderung bestehender Finanzkontrakte, wie sie im Sanierungsfall vorgenommen werden.

Eigenkapital

Wertpapier, öffentlich gehandelt, Markt oder Market Maker

Fremdkapital

Aktien vo η Blue-Chii OS

ArLeihen

Mez zanine Privater, bilateraler Kontrakt, eingeschränkte Übertragbarkeit

Private Equity

Bar lkkredit

Bild 3-2: Finanzkontrakte werden einerseits nach Eigen- oder Fremdkapital eingeteilt, andererseits nach der Leichtigkeit der Übertragung der Rechte des Financiers auf Dritte.

3.1.3

Public oder Private Capital?

Finanzkontrakte sind bilaterale Verträge. Doch einige Finanzkontrakte sind so gestaltet, dass die Ansprüche von einem Financier auf einen anderen übertragen werden können. Sie sind

fungibel.

Das ist besonders bei Eigenkapital wichtig, weil der Verkauf der Beteiligung in der Regel die einzige Möglichkeit für einen Eigenkapitalgeber ist, sich von ihr zu trennen und Wertsteigerungen zu realisieren. Ist ein Vertrag fungibel ausgestaltet, bietet es sich an, ihn in die Form eines Wertpapiers zu bringen. Ein Wertpapier ist eine Urkunde, mit der ein Recht derart verknüpft ist, dass es ohne die Urkunde weder geltend gemacht noch auf andere übertragen werden kann. Bekannte Wertpapiere sind die Aktie (Eigenkapital) und die Anleihe (Fremdkapital). Die Übertragbarkeit wird erleichtert, wenn der Finanzkontrakt durch ein Wertpapier (englisch Security)

ausge-

drückt wird, das damit zum Träger der Ansprüche wird. Sind Wertpapiere geschaffen, ist der nächste Schritt die Aufnahme des Handels an einer Börse. Dazu müssen neue Wertpapiere erstmals von Financiers übernommen (gezeichnet) werden. Dieser Vorgang heißt Emission. Da die Emission in einer marktähnlichen Umgebung — es gibt Vergleiche und Wettbewerb — geschieht, wird vom Primärmarkt gesprochen. Anschließend können die Halter der Wertpapiere diese an der Börse weiter verkaufen. Diese folgenden Transaktionen bilden den Sekundärmarkt.

52

FINANCE

Somit sind vier Schritte angesprochen: 1. In den Vertragsbedingungen wird Übertragbarkeit (Fungibilität) zugelassen. 2. Der Finanzkontrakt wird in die Form eines Wertpapiers gebracht (Beurkundung). 3. Emission (Primärmarkt). 4. Der Handel an einer Börse wird begonnen (Sekundärmarkt). Für den Grad der Marktfähigkeit gibt es folglich mehrere Abstufungen. Für eine grobe Typologie genügt, die Finanzkontrakte in marktfähige und nicht-marktfähige zu unterteilen. Bestehen institutionelle Möglichkeiten zur Weitergabe von Kapital, vor allem durch Börsen, dann nimmt der Kontrakt öffentlichen Charakter an. Man spricht von Public Capital. Ist die Weitergabe des Finanzkontrakts hingegen nicht oder nur eingeschränkt möglich, der Kontrakt bleibt „privat", dann wird von Private Capital gesprochen. So ist Private Equity eine bilateral vereinbarte Beteiligung, und der Kapitalgeber kann sich nicht so leicht davon trennen. Der Vorgang, Finanzkontrakte die Form von Wertpapieren zu geben und deren Handelbarkeit zu fördern, ist die Securitization. Sobald Kontrakte die Form des Wertpapiers haben, können sie öffentlich angeboten werden. Dieser Vorgang ist das Public Offering, und das erstmalige öffentlich Anbieten heißt Initial Public Offering (IPO). Ein Vorteil beim Public Capital ist die Leichtigkeit der Weitergabe. Ein Financier kann sich davon trennen, zum Beispiel wenn er Geld benötigt. In der Folge muss kein Financier beim Neuengagement überlegen, ob die Laufzeit den Bedürfnissen entspricht. Zudem entstehen im Handel Kurse, die eine Bewertung der Ansprüche aus verschiedener Sicht ausdrücken. Das ist für den einzelnen Financier vorteilhaft. Denn er sieht, wie andere die Ansprüche einschätzen, die mit dem Kontrakt verbunden sind.2 Diese Überlegungen gelten nicht allein für Eigenkapital. Ebenso ist es bei Fremdkapital attraktiv, wenn der Financier seine Forderungen vor Fälligkeit des Kredits abtreten kann. Wertpapiere, die feste Ansprüche (Fixed Income) verbriefen, werden als Anleihen (Renten, Obligationen, Bonds) bezeichnet. Für Anleihen, seien die Schuldner der Staat oder Unternehmen — im ersteren Fall spricht man von Staatsanleihen (Sovereign Bonds), im letzteren von Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) — bestehen seit Jahrhunderten Börsen. Neben privaten Beteiligungen gibt es auch rein private Fremdfinanzierungen, bei denen der Gläubiger also seine Ansprüche nicht verkaufen kann. Private Capital hat gegenüber Public Capital in gewissen Situationen Vorteile. Beim Private Capital besteht eine dauerhafte und daher intensive Beziehung zwischen Financier und Kapitalverwender. Beide sind sich dieser Schicksalsgemeinschaft bewusst. Der Financier wird nicht nur Kapital überlassen, sondern dem Kapitalverwender auch Know-how bieten. Außerdem ist bei Private Capital die Bereitschaft des Financiers höher als bei Public Capital, Risiken zu tragen und wirtschaftlich schwierige Zeiten gemeinsam mit dem Kapitalverwender durchzustehen. Dem Inhaber von Public Capital wird hingegen oft vorgeworfen, er sei „scheu wie ein Reh" und „stimme mit den Füssen ab". 2 Klar, dass dann im Laufe der Zeit die Ansprüche von einer Seite erhoben werden, die sich von jenen Finanziers unterscheiden, welche die ursprüngliche Finanzierung vorgenommen hatten. Vielleicht werden die Ansprüche dann auch von einer Seite erhoben, die über die Unternehmung wenig weiss und nur schwer abschätzen kann, ob diese die Ansprüche auch erfüllen kann. So ist eben der Markt. Auch die Garantie, die ein Autohändler gibt, wird vielleicht einmal von einem Besitzer wahrgenommen, der nicht mehr der ursprüngliche Autokäufer ist.

3.

53

FINANZIERUNG

Gelegentlich möchte der Kapitalverwender bei Public Capital dieses wieder in Private Capital umwandeln oder sogar sich von allen Pflichten frei kaufen. Falls die Wertpapiere an einer Börse gehandelt werden, so müssen sie zuerst aus dem Handel genommen werden. Dadurch erhalten sie den Charakter von Private Capital. Dieser Vorgang heißt Going Private. Anschließend wird den Inhabern angeboten, den Finanzkontrakt zu beenden. Unter Umständen können die von Financiers erhobenen Ansprüche für kraftlos erklärt werden, wobei ein Ausgleich gezahlt wird.

3.1.4

Finanzierung

— zwei

Vorentscheidungen

Die Unternehmung habe aufgrund ihrer Strategie investive Vorhaben gefunden und sie möchte gewisse Projekte verwirklichen. Beispielsweise können Ersatzinvestitionen anstehen oder es werden Investitionen durch den technischen Fortschritt oder durch Anforderungen von Produktion und Absatz nahe gelegt. Wenn dann nicht hinreichend eigene Zahlungsmittel vorhanden sind, dann kann die Unternehmung alle diese Investitionen nur verwirklichen, falls externe Financiers gefunden werden können. Vor der Suche und Ansprache potenzieller Financiers sind in der Unternehmung jedoch zwei Vorentscheidungen zu treffen: 1. Capital-Budgeting: Rechtfertigen die Ideen, die „betrieblichen Anforderungen" und die Investitionsvorhaben wirklich neue Finanzierungen? Sollte nicht besser auf die Projekte ganz oder teilweise verzichtet werden, wodurch sich der Finanzierungsbedarf reduziert? Die Entscheidung darüber ist das Capital-Budgeting. 2. Kapitalstruktur: Ist für die Finanzierung der in den Investitionsplan aufgenommenen Projekte Eigen- oder eher Fremdkapital gesucht? Die Zusammensetzung des Kapitals aus Eigen- und Fremdkapital heißt Kapitalstruktur. Zum Capital-Budgeting: Hier ist nachteilig, wenn der Kreis der zu tätigenden Investitionen und damit der erforderlichen Finanzierungen zu weit gezogen wird. Denn jede zusätzliche Finanzierung, die eine Unternehmung eingeht, verlangt eine weitere Einräumung von Ansprüchen und Abgabe von Rechten. Das verändert die Rechte der bisherigen Financiers. Vielleicht wünscht sich ein CEO, der sein „Empire" baut, mehr Investitionen und Finanzierungen. Doch die bisherigen Financiers sind zumeist skeptisch. Bei einer Erweiterung der Finanzierung mit Eigenkapital werden die bisherigen Eigenkapitalgeber ihre gewohnten Rechte als verwässert ansehen. Bei einer Fremdfinanzierung sehen die Eigenkapitalgeber, dass durch die Zinszahlungen und die Rückzahlung des Kredits eine finanzielle Belastung kommen wird. Auch die bisherigen Fremdkapitalgeber möchten ungern ihre Gläubigerrechte in einem größeren Kreis von Gläubigern teilen müssen. Aufgrund der Verwässerung (Eigenkapital) und der Teilung von Rechten (Fremdkapital) sehen die vorhandenen Financiers neue Investitionen und neue Finanzierungen nur dann als vorteilhaft wenn sie wirklich besonders günstig sind. Dabei denken Eigenkapitalgeber eher an die Rentabilität, Fremdkapitalgeber eher an die Sicherheit und Einbringlichkeit. Wird der Kreis der Investitionen und Finanzierungen hingegen zu eng gezogen, so wird auf vielleicht vorteilhafte Maßnahmen verzichtet.

54

FINANCE

Die Entscheidung und Planung, wie weit der Kreis von möglichen Investitionen und neuen Finanzierungen „optimalerweise" gezogen werden sollte, wobei das dabei zu verfolgende Ziel untersucht wird, ist das Capital-Budgeting. Wenn feststeht, welche der diskutierten Investitionen realisiert werden sollen und wie viele Finanzmittel dazu erforderlich sind, steht eine zweite Entscheidung an: Soll eher Eigen- oder Fremdkapital aufgenommen werden? Das ist die Frage nach der optimalen Kapitalstruktur. 3

3.1.5 Die Finanzierung als Vorgehen Die beiden Vorentscheidungen — Capital-Budgeting und Kapitalstruktur — seien getroffen. Dann beginnt der eigentliche Vorgang des Finanzierens.

Wir unterteilen ihn in fünf Schritte:

1. Die Suche und Ansprache von Financiers 2. Der Abschluss von Finanzierungsverträgen 3. Entgegennehmen der Zahlungsmittel sowie deren investive Verwendung 4. Der Ausweis der gegenüber den Financiers eingegangenen Verpflichtungen und die Darstellung der investiven Verwendung der Zahlungsmittel 5. Im Zeitverlauf die Bedienung der Financiers und die Erfüllung ihrer Ansprüche. Schritt 1: Wie kann man Financiers finden? Wir betrachten die Suche nach Eigenkapitalgebern. Hierzu bieten sich drei Wege an: In jedem Fall muss man sich einen entsprechenden Bekanntenkreis aufbauen oder Makler bemühen, die passende Financiers zuweisen. 1. Ohne Zweifel kann eine Mitgliedschaft

in einem Club nützlich sein. 2. Personen mit einschlägiger fachlicher Experti-

se, etwa Business Angels, begegnet man auf Messen und Tagungen. 3. Außerdem kontaktiert man Einrichtungen, die sich auf Finanzierungen spezialisiert haben. Das sind Gruppen, die Geschäftsbeteiligungen eingehen und halten, wie Kapitalanlagegesellschaften und Private-Equity-Firmen. Obwohl es letztlich „um Geld geht", kommt es bei diesen Kontakten darauf an, dass sich die Gesprächspartner gut verstehen und einander vertrauen können. 4 Für Fremdfinanzierungen bieten 3 Zur Kapitalstruktur: Die Wahl zwischen Eigen- und Fremdkapital hängt mit dem Risiko zusammen, das von Financiers getragen werden muss. Sind Investitionen stark risikobehaftet und kaum reversibel, dann wird Eigenkapital als Risikoträger benötigt. Sind Investitionen hingegen risikoarm und reversibel, dann bieten sich auch Fremdfinanzierungen an. Ein weiterer Einfluss auf die Vorentscheidung zwischen Eigen- und Fremdkapital geht von den Steuern aus, welche die Unternehmung zu zahlen hat. Der steuerliche Aspekt favorisiert (in allen Ländern) die Fremdfmanzierung. Wirtschaftsergebnisse, die Fremdkapitalgebern als Zins zugerechnet werden (ähnlich wie Löhne) unterliegen keiner Besteuerung bei der Unternehmung im Unterschied zu Wirtschaftsergebnissen, die den Eigenkapitalgebern zugerechnet werden. Neben diesen beiden Kriterien, die bei der Wahl der Kapitalstruktur hineinspielen, gibt es weitere, die mit der Delegation und der Governance zusammenhängen (Kapitel 12 und 13). 4 Für die Notwendigkeit einer auch persönlich (und nicht nur geschäftlich) tragbaren Beziehung gibt es drei Gründe. Erstens werden Aushandeln und Abwickeln des Finanzkontrakts leichter, wenn eine Vertrauensbasis besteht oder geschaffen werden kann. Vertrauen senkt Transaktionskosten. Zweitens: Da es immer wieder Überraschungen in der Wirtschaftsentwicklung geben kann, auch negative Entwicklungen, kann nicht alles besprochen und geregelt werden. Vieles muss unausgesprochen bleiben. Wegen der impliziten Bestandteile des Finanzkontrakts ist die Wahl der Vertragspartner wichtig. Sonst kann Hold-Up entstehen. Die eine Seite verhält sich plötzlich in einer Weise, die

3.

FINANZIERUNG

55

sich ebenso Personen aus dem Bekanntenkreis an. Doch im Regelfall ziehen es beide Seiten — die Unternehmung und ein potenzieller Fremdkapitalgeber vor, über eine Bank als Intermediär in eine indirekte Verbindung zu treten. Eine Unternehmung kann mithin leichter zu Fremdkapital kommen, wenn sie gleich eine Bank kontaktiert. 5 Schritt 2: Dann kommt es zur Aushandlung der Konditionen des Finanzkontrakts. Beide Seiten müssen sich überlegen, ob sie sich eher an einen Standardvertrag halten oder auf die Wünsche beider Seiten „maßgeschneidert" eingehen wollen. Die Praxis der Juristen, der Finanzleute und der Steuerberater bietet eingehende Vorschläge und Fallbeispiele. Schritt 3: Das Entgegennehmen der Zahlungsmittel und deren investive Verwendung müssen durch juristische Konstruktionen abgesichert sein, ähnlich wie das bei einem Hauskauf der Fall ist. Die Unternehmung muss das Geld erhalten und der Financier muss im gleichen Augenblick die explizit ausbedungenen Ansprüche juristisch gesichert sehen. Immer wieder kommt es vor, dass mit einem Wechsel der Unternehmensführung implizite Ansprüche vergessen werden. Ebenso kommt vor, dass die Unternehmung aufgenommene Mittel riskanter verwendet, als bei der Anwerbung von Financiers gesagt wurde. Schritt 4: Fremd- und Eigenkapitalgeber möchten sich mit der Unternehmung über die Geschäftsentwicklung informieren. Fremdkapitalgeber interessiert, ob die Unternehmung sichere und reversible Investitionen getätigt hat. Als solche werden der Kauf tangibler Vermögensgegenständen wie Grundstücke, Gebäude und universell verwendbare maschinelle Einrichtungen angesehen. Sie haben daher ein Interesse an einer Übersicht, die greifbare Vermögensgegenstände zu einem vorsichtig bemessenen Zeitwert ausweist und den eingegangenen Verpflichtungen gegenüber allen Fremdkapitalgebern gegenüberstellt. 6 Schritt 5: Bei der Erfüllung der Ansprüche der Financiers spielt nicht nur der Vertrag und seine Durchsetzbarkeit mit juristischen Mitteln eine Rolle. Wichtig für die impliziten Aspekte, die ebenso zu dieser als Finanzkapital bezeichneten Beziehung gehören, ist, ob die Unternehmung im zwar nicht den Abmachungen direkt widerspricht, dennoch von der anderen Seite als „unfair" angesehen wird. Drittens kommt bei Eigenkapital hinzu, dass die Financiers ihre Entscheidungsrechte ausüben werden. Deshalb sind Fachkenntnisse und Kontakte erwünscht. 5 Banken bestehen bei Krediten auf Konditionen, die stark auf die Ausfallwahrscheinlichkeit bezogen sind. Die Konditionen berücksichtigen, was im Fall eines Defaults einbringlich ist. Hier ist die Unternehmung gut beraten, wenn sie auf ihr Rating achtet. Allerdings verlangt das nicht unbedingt, stets das allerbeste Rating anstreben zu wollen, weil dies zu viele Ressourcen der Unternehmung binden kann. Verlangt ist, das Rating nach wirtschaftlichen Überlegungen zu steuern. Jedenfalls beeinflusst die Unternehmenspolitik die Kreditkosten. Deshalb darf eine Unternehmung, selbst wenn sie streng finanziellen Zielen folgt, nicht auf Wachstum und Wertsteigerung allein achten. Sie muss stets die durch ihr Rating beeinflussten Kreditkosten mit einbeziehen. g Das leistet eine Bilanz, die nach alten Standards der Rechnungslegung erstellt wird. Eigenkapitalgeber — wir erwähnten den Anspruch auf Wertsteigerung, weil die laufenden Ausschüttungen an sie vergleichsweise gering sind — möchten sich eher über die erreichte Wertsteigerung und den aktuellen Unternehmenswert orientieren. Sie bevorzugen eine Bilanz, die stärker auf dieses Informationsbedürfnis zugeschnitten ist. Inzwischen schätzen auch die Banken die neuen Rechnungslegungsstandards, die eine wahre und faire Sicht vermitteln sollen. Vor Jahrzehnten waren sie ganz auf den Krisenfall ausgerichtet und hatten die Frage: „Bekommen wir unseren Kredit zurück, falls die Unternehmung jetzt aufhören und liquidiert werden müsste?" Heute möchten die Banken erkennen, ob sich die Unternehmung weiter entwickelt und über „Finanzkraft" verfügt.

56

FINANCE

im Verlauf der Zeit überhaupt noch Kapital benötigt. Wird eine Unternehmung beendet oder werden keine Investitionen mehr vorgenommen, kann es sein, dass sie ihre Beziehung zu Financiers vernachlässigt. Doch das sind Ausnahmen. Im Regelfall sind Unternehmen auf Dauer angelegt, die Wirtschaft wächst und die Unternehmen wollen mithalten oder sogar zum Motor der Weiterentwicklung werden. Eigenkapitalgeber müssen deshalb grundsätzlich bereit sein, die Einbehaltung eines Teils des wirtschaftlichen Erfolgs zu erlauben. Zudem wird im Verlauf des Wachstums der Unternehmung dann und wann eine Erhöhung des Eigenkapitals anstehen, bei der neue Beteiligungskontrakte abgeschlossen werden. So sind stark wachsende Unternehmungen letztlich in größerem Maße gezwungen, ihre Reputation gegenüber Financiers zu stärken. Bei der Außenfinanzierung werden neue Finanzkontrakte abgeschlossen. Bei der Innenfinanzierung besorgt sich die Unternehmung Zahlungsmittel, indem sie Eigenkapitalgeber (im Rahmen bestehender Finanzkontrakte) davon überzeugt, mit geringeren Ausschüttungen zufrieden zu sein. Im Gegenzug stellt sie höheres Wertwachstum in Aussicht. Bei einer Umfinanzierung werden bestehende Finanzkontrakte zur Sanierung geändert, zum Beispiel durch Forderungsverzicht oder eine Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital.

3.1.6 Die Unternehmung als Pool Wer entscheidet in der Unternehmung? Wer entscheidet über Investitionen, Finanzierungen und über die anderen Verträge? OLIVER WILLIAMSON (Nobelpreis 2009) hat die Unternehmung als eine hierarchische

Struktur charakterisiert — im Unterschied zum Markt, wo alle Parteien auf

gleicher Ebene stehen. 1. Alle Entscheidungen über Investitionen und Finanzierungen sowie verzahnt damit die Entscheidungen über andere Ressourcen werden in der Unternehmung von einer Führung getroffen, die an der Spitze der Hierarchie zentralisiert ist. 2. Arbeitende unterstellen sich mit dem Arbeitsvertrag ihren Anweisungen. 3. Durch die Rechtsform ist bestimmt, welche Gremien für die Unternehmung handeln und welche Instanzen kontrollieren. 4. Die Organisation beschreibt, welche der im Prinzip an der Spitze der Hierarchie zu treffenden Entscheidungen von hierarchisch untergeordneten Stellen vorbereitet oder im Auftrag getroffen werden. Die Organisation legt zudem fest, welche Kontrolle die Spitze der Hierarchie bei der Delegation walten lässt. Zur sprachlichen Vereinfachung sprechen wir die Spitze der Hierarchie als Management, schäftsführung

Ge-

oder als CEO an. Durchaus kann es sein, dass der CEO in Personalunion ein Ei-

genkapitalgeber ist. Dann ist es der Unternehmer, der entscheidet. Alle Verträge und Entscheidungen, die von diesen Personen — Manager, Geschäftsführer, CEO, Unternehmer — für die Unternehmung geschlossen werden, also im Namen der F i r m a , werden von der zentralen, hierar-

chischen Führung unterschrieben. Die Unternehmung wird so zum Kern (zum Nexus) vielfältiger

3.

FINANZIERUNG

57

Verträge. Auch die Finanzierungen kommen in diesem Nexus zusammen. Die Ansprüche der Financiers richten sich demnach primär an die Unternehmung (selbst wenn nach der Rechtsform die Eigenkapitalgeber persönlich haften).

I

Die Ansprüche aller Financiers müssen aus dem gesamten Vermögen der Unternehmung

erfüllt werden. Sie sind nicht auf die Rückflüsse einer einzelnen Investition beschränkt.

Auf diese Weise wird die Unternehmung zu einem Pool, in dem mehrere Investitionen und mehrere Finanzierungen zusammenkommen. Denn im Regelfall umfasst das unternehmerische Geschehen nicht nur eine einzige Investition und eine Finanzierung, sondern mehrere Investitionen und mehrere Finanzierungen. So verspricht die Unternehmung allen Financiers, sie

gemeinsam

aus der Summe der Rückflüsse aller Investitionen zu bedienen. Die Finanzkontrakte regeln, in welcher Weise und mit welchem Zuteilungsverfahren hier vorgegangen wird. Von daher empfehlen sich Darstellungen, die einerseits das Vermögen der Unternehmung ausweisen, also die Fähigkeit, Rückflüsse (mit Investitionen) generieren zu können. Andererseits werden Verpflichtungen und Ansprüche dargestellt, die sich aus den laufenden Finanzkontrakten ergeben. 7 Von dieser Regel des Pools von Vermögen und Verpflichtungen kann durch besondere Konstruktionen abgewichen werden. So kann ein Kredit vorsehen, auf gewisse dingliche Sicherheiten zugreifen zu können. Die Grundidee der Zusammenführung von Vermögen und Schulden in einem Pool kann des weiteren aufgebrochen werden, indem eine einzelne Finanzierung mit einer einzelnen Investition in einer eigens gegründeten Unternehmung gepaart wird. Dadurch werden die Geschäfte genau abgegrenzt und die Haftung beschränkt. Eine solche Konstruktion heißt Einzweckgesellschaft oder Single-PurposeCompany (SPC). Das Vermögen der Unternehmung geht auf Investitionen zurück. 1. Investitionen können einerseits den Charakter von Realinvestitionen haben. Dann werden Ressourcen beschafft, die im Verlauf der Zeit durch wirtschaftlichen Einsatz und den Verkauf von Produkten und Dienstleistungen Zahlungsmittel einbringen. Solche Ressourcen bilden das Realkapital. Es ist teils greifbar und konkret, wie Maschinen und Immobilien. Dann handelt es sich um Sachkapital (Tangibles). Zum Teil ist das Realkapital nicht im konkreten Sinn greifbar. Beispiele für nicht-greifbares Realkapital (Intangibles) sind der Markenname, Know-how, Forschungen und Entwicklungen sowie die Organisation. Oft handelt es sich beim nicht-greifbaren Kapital um Wissenskapital. 2. Statt um eine Realinvestition kann es um eine Finanzinvestition gehen. Der Investor kauft in diesem Fall Geldmarktpapiere, Anleihen, Aktien oder er tätigt Finanzierungen. Der Investor wird so selbst zum Financier (und ermöglicht wiederum, dass die sein Kapital nehmenden Personen ihrerseits Investitionen oder andere Vorhaben tätigen). Eine Investition dient also entweder dazu, Realkapi-

7

1. ARMEN A . ALCHIAN u n d HARALD DEMSETZ: P r o d u c t i o n , I n f o r m a t i o n C o s t s , a n d E c o n o m i c O r g a n i z a t i o n .

Ameri-

can Economic Review 62 (1972), 777-795. 2. MICHAEL C. JENSEN und W. H. MECKLING: Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure. Journal of Financial Economics (1976) 3, 305-360. 3 . MASAHIKO AOKI, B o GUSTAFSSON u n d OLIVER WILLIAMSON: The

Publications, London 1990.

Firm

as

a Nexus

of

Treaties.

Sage

58

FINANCE

tal zu beschaffen und wirtschaftlich einzusetzen, oder sie begründet Finanzkapital und damit Ansprüche (gegenüber einem dritten Kapitalnehmer). Deshalb wird jeder Financier sich ein Bild davon verschaffen, wie das Vermögen (Sachkapital und Wissenskapital) einzuschätzen ist und wie hoch die Verpflichtungen und Ansprüche seitens der bereits bestehenden Finanzkontrakte sind.

4£ iilü

Wissenskapital

Λ

,

¿

Strategie Geschäftsplan Management

Sachkapital

Bild 3-3: Eine Unternehmung hält Realkapital (Sachkapital, Wissenskapital, finanzielle Ansprüche) und hat auf der anderen Seite Verträge mit Financiers, aus denen ihr Verpflichtungen erwachsen.

3.1.7

Finanzierung als Zahlungsreihe

Letztlich dienen die Rechte, die ein Financier erwirbt, dazu, dass er bei Fremdkapital in Zukunft Rückzahlungen erhält und die ihm in Aussicht gestellte Verzinsung. Bei Eigenkapital soll sich die Teilhabe am Geschäftserfolg manifestieren und realisieren lassen. Gewinnausschüttungen und Wertsteigerungen zugunsten der Financiers sollen Realität werden. Diese Feststellung gilt ebenso für einen Unternehmer, der in Personalunion seine Firma führt, dort seine Lebensaufgabe sieht und der zugleich deren wichtigster Kapitalgeber ist. Auch eine Unternehmerpersönlichkeit wird sich fragen, was a) der Wert ihrer Expertise und ihres Einsatzes in der Firma ist und b) welche Ergebnisse ihrem Kapitaleinsatz zuzurechnen sind. 8 Die besagten Rechte in den Finanzkontrakten haben keinen Selbstzweck. Sie sind Mittel zur Sicherung und zur Gestaltung der Zahlungen, die später an den Financier zurück gehen oder die er für sich schaffen kann, etwa durch einen Verkauf seiner Ansprüche.

8 Kommen beim letzteren unangemessen geringe Beträge heraus, wird die Unternehmerpersönlichkeit Änderungen suchen. So ist selbst in Familienunternehmen letztlich das Geld wichtig. Die Familienunternehmung hat dort ihre Stärken, wo der Zusammenhalt der Familie Garant für eine besonders dauerhafte und vertrauensvolle Beziehung zwischen den Eigenkapitalgebern untereinander und zur Unternehmung ist, während bei einer Publikumsaktiengesellschaft sehr schnell „mit den Füßen" abgestimmt wird und sich die Eigenkapitalgeber lösen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Finanzinvestoren bei einer Familienunternehmung auf die Rendite verzichten würden. Auch hier gilt: Wenn die Familienmitglieder erkennen, dass ihr Einsatz unangemessen gering honoriert wird, werden sie sich über kurz oder lang von der Unternehmung trennen.

3.

FINANZIERUNG

59

Bei dem Gesamtbild, das sich Financiers von der Unternehmung machen, steht folglich eine Projektion auf die Zahlungsebene im Vordergrund. Die Financiers werden Vermögenspositionen, Verpflichtungen und bereits bestehende Ansprüche durch Größen abbilden, die direkt oder indirekt Zahlungsmittel oder Zahlungsvorgänge darstellen. Das sind Größen aus dem Rechnungswesen und daraus abgeleitete Kennzahlen. Im Weiteren werden Financiers allgemeine Wirtschaftsnachrichten beachten, die auf die Vermögens- und Ertragslage der Unternehmung ausstrahlen. Bei dieser Betonung wird die Finanzierung weniger als „Verkauf von Rechten" angesehen. Vielmehr handelt es sich um einen Vorgang mit intertemporalen ZahlungsWirkungen: Die Unternehmung erhält anfänglich eine Einzahlung und muss im Gegenzug zu einem zukünftigen Zeitpunkt oder verteilt über die nächsten Jahre hinweg Auszahlungen tätigen. Ebenso wie Investitionen können Finanzierungen daher durch Zahlungsreihen beschrieben werden, nur ist das Vorzeichen bei Finanzierungen gerade anders als bei Investitionen. Bei einer Finanzierung erhält die Unternehmung anfangs eine Einzahlung und hat später Auszahlungen. Bei einer Investition muss die Unternehmung anfangs eine Auszahlung tätigen und erhält später Rückflüsse. Investitionen und Finanzierungen vervollständigen sich zum „finanziellen Gleichgewicht" der Unternehmung in dem Sinn des Erhalts der Zahlungsbereitschaft — ähnlich wie sich Yin und Yang aufgrund ihrer unterschiedlichen Attribute zu einem runden Ganzen ergänzen. Investitionen und Finanzierungen gehören zum Wesen der Unternehmung, deren Stärken, wie eingangs gesagt, in längerfristigen Transformationsprozessen liegen. So gehört auch zum Wesen der Unternehmung, dass sie über Vermögen verfügt sowie Verpflichtungen und Zahlungsansprüche eingeht. Das Wesen des Gebiets der Finance liegt in der Zeitverschiebung — wir können nun wieder sagen — von Zahlungen. Von daher würde man die Finance als das Gebiet, in dem Investitionen und Finanzierungen untersucht werden, vielleicht so charakterisieren wollen: Es geht um Geld. Doch dies trifft nicht den Kern. Denn in einer arbeitsteiligen Geldwirtschaft geht es immer und überall um Geld: Die Unternehmung verkauft ihre Produkte und Dienstleistungen, um Geld einzunehmen. Die Menschen gehen einer Arbeit nach, um Geld zu verdienen. Der Staat erhebt die Steuern nicht in Naturalien, sondern erhebt Anspruch auf eine Zahlung. Der Punkt bei der Finance ist der, dass eine Ressource — in der arbeitsteiligen Wirtschaft ist das fast immer das Geld — zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen den Vertragsparteien getauscht wird: Heute erhält die das Kapital aufnehmende Partei „Mittel" oder die „Ressource", später erhält der Financier „Ressourcen".

60

FINANCE

3.2

Kenngrößen

Lernziele: 1. Der Brutto-Cashflow und der Cashflow als zentrale Größen zur Beschreibung der in Zahlungsmitteln vorliegenden Wirtschaftsleistung. 2. Gewinn, EBIT und EBITDA. 3. Kennzahlen von der EB IT-Marge über den ROE bis zum KGV.

3.2.1

Vom Umsatz zum

Cashflow

Wer eine Sache beendet, schaut, was da ist und wie es zu verteilen ist. Wo ein Vorhaben fortgeführt wird, achten hingegen alle Beteiligten auf das, was in der Zukunft noch geschehen wird und geschaffen werden kann. Genauso ist es bei einer Unternehmung, die von ihren derzeitigen und möglichen neuen Financiers beurteilt wird. Wenn eine Liquidation vorgenommen werden soll, richtet sich der Blick auf das Vermögen und die Schulden der Unternehmung, die im Augenblick vorhanden sind. Wenn von einer Fortführung der Unternehmung ausgegangen werden darf, dann richtet sich der Blick statt dessen auf die Wirtschaftsleistung,

die für die kommenden Jahre unter dem zugrunde

gelegten Geschäftsplan prognostiziert werden kann. Wir wollen die Wirtschaftsleistung begrifflich präzisieren und in Kenngrößen quantifizieren. Die genannten Gruppen von Größen — erstens die zu einem Stichtag vorhandenen Vermögen und Schulden, zweitens die Wirtschaftsleistung einer Periode — werden im Rechnungswesen ermittelt und in der Bilanz sowie in der Gewinn- und Verlustrechnung dargestellt. Die im Accounting ermittelten Größen bilden wichtige Informationen für die Financiers. Fremdkapitalgeber lesen die Bilanz, um zu beurteilen, ob ihre Kredite sicher wären, falls es zu einer Beendigung der Unternehmung käme. Banken achten ebenso auf die Gewinn- und Verlustrechnung, um zu erkennen, ob die Unternehmung im (eigentlich von allen erhofften) Fall der Fortführung in den kommenden Jahren genug Finanzkraft besitzt, um die Zinsen bezahlen und fällige Kredite tilgen zu können. Eigenkapitalgeber konzentrieren sich auf die Gewinn- und Verlustrechnung, weil sie sich ein Urteil über die Ertragskraft der Unternehmung in der nahen und weiteren Zukunft bilden wollen. Außerdem möchten die Eigenkapitalgeber die Unternehmung bewerten. Auch dazu verwenden sie Größen, die im Rechnungswesen definiert werden. Beide Gruppen von Financiers beachten zunehmend Kenngrößen, die nicht lediglich Buchgrößen sind. Ihr Blick ist auf Geldbeträge gerichtet, die in einem Jahr nach Abzug aller Auszahlungen durch die Wirtschaftstätigkeit erzeugt werden. Das sind die Cashflows. Die Cashflows werden, wie in Folgekapiteln deutlich wird, auch zur Unternehmensbewertung (im Fall der Fortführung) verwendet. So sind die Cashflows heute die zentrale Größe in der Finance. Wir wollen nun die Cashflows definieren. Dabei nehmen wir Vereinfachungen gegenüber dem Accounting vor, sofern es der Übersichtlichkeit dient. Wir wählen den Weg, die Cashflows aus den Umsatzerlösen herzuleiten. Das ist der direkte Weg zur Ermittlung der Cashflows. Unser Ausgangspunkt ist also nicht der Gewinn. Die Konzentration auf Absatz und Umsatzerlös ist be-

3.

61

FINANZIERUNG

triebswirtschaftlich wichtig. Zudem können Umsatzerlöse in vielen Fällen gut prognostiziert werden. Financiers erkennen, dass Rückflüsse aus den realwirtschaftlichen Investitionen nur über den Absatz hereinkommen. Die Produktionskapazitäten, die Mitarbeitenden, die guten Ideen und die gute Organisation nützen aus Sicht der Financiers wenig, wenn sie sich nicht in Umsatzerlösen niederschlagen. Einen Ingenieur begeistert das technische Konzept oder der Prototyp. Doch ein auf die Erfindung eingeengter Blick wird leicht übersehen, dass die Unternehmung im Absatzmarkt Anklang finden muss — und nicht allein bei Freaks. Der Jahresumsatz und seine weitere Entwicklung in den kommenden Jahren ist daher die zentrale Kenngröße für Financiers.

Jahresumsatz - Löhne - Vorleistungen = Brutto-Cashflow - Zinszahlungen - Steuern = Cashflow

Wir beginnen mit den Umsatzerlösen, die in den kommenden Jahren wohl erzielt werden können. Den Umsatzeinnahmen stehen Auszahlungen gegenüber: 1. Vorleistungen, Auszahlungen für die Beschaffung von Produktionsfaktoren: Material, Energie, Miete, Lizenzgebühren. 2. Löhne. Deshalb werden wir vom Umsatz eines Jahres die Vorleistungen und die Lohnsumme abziehen. So erhalten wir die Wirtschaftsleistung. Da die Umsätze, die Vorleistungen und die Löhne zahlungswirksam sind, ist die Differenz, die Wirtschaftsleistung, ein Geldbetrag. Er wird im Jahr mit der Wirtschaftstätigkeit erzeugt. Die Wirtschaftsleistung heißt auch Brutto-Cashflow: Brutto-Cashflow = Jahresumsatz - Löhne - Vorleistungen

(3-1)

Auf den Brutto-Cashflow erheben Eigenkapitalgeber, Fremdkapitalgeber und der Fiskus Ansprüche. Der Staat verlangt Steuern und die Fremdkapitalgeber Zinszahlungen. Damit sind diese beiden Gruppen korrekt bedient. Der restliche Teil ist der Cashflow:9 Cashflow = Brutto-Cashflow - Zinszahlungen - Steuern

(3-2)

Der Cashflow beschreibt mithin die Wirtschaftsleistung, die den Eigenkapitalgebern zukommt.

g Der in (3-2) gezeigte Berechnungsweg wird als direkt bezeichnet; ihm steht eine indirekte Berechnung des Cashflows gegenüber, die in Sektion 3.3.2 besprochen wird.

62

FINANCE

Der Cashflow ist die (bare) Wirtschaftsleistung eines Jahres abzüglich der Teile, die Fremdkapitalgeber und Fiskus verlangen. Der Cashflow kommt in den Verfügungsbereich

der Eigen-

kapitalgeber, wie wir gleich sehen. Wenn Eigenkapitalgeber eine Unternehmung als eine zu ihren Gunsten laufende „Gelderzeugungsmaschine" ansehen, dann ist das Jahr und Jahr für sie „erzeugte Geld" mit den Cashflows gleichzusetzen. Der Cashflow ist zugleich die Änderung des Zahlungsmittelbestands

der Unternehmung in einem Jahr. Der Zahlungsmittelbestand umfasst neben

der Kasse Bankguthaben sowie die kurzfristigen Finanzanlagen auf dem Geldmarkt, die von der Treasury getätigt werden, um unbenötigte Liquidität zinsbringend anzulegen. In der amerikanischen Literatur wird der Brutto-Cashflow oft kürzer als Cashflow bezeichnet, doch wird der Begriff des Cashflows in der deutschsprachigen Literatur klar wie eben definiert verwendet. Deshalb folgen wir nicht der amerikanischen Sprachpraxis.

3.2.2 Verwendung des Cashflows Aus der gesamten Wirtschaftsleistung, dem Brutto-Cashflow, werden die Fremdkapitalgeber (Zinszahlungen) und der Fiskus (Steuern) vertragsgerecht bedient. Übrig bleibt der Cashflow. Nun ist es nicht so, dass das Management der Unternehmung den Cashflow bekannt gibt und die Eigenkapitalgeber fragt, wie er verwendet werden sollte. Zu leicht könnten Eigenkapitalgeber für eine möglichst volle Ausschüttung stimmen. Es würde dann kein Teil der Wirtschaftsleistung in der Unternehmung bleiben, etwa um Ersatz für alternde Produktionskapazität zu bezahlen oder um in Bereiche und Technologien zu investieren, die neu aufgebaut werden sollen. Die Unternehmung würde gleichsam „ausbluten" — ein Vorgang, den viele als abträglich einschätzen. Denn die meisten folgen der Vorstellung, die Unternehmung sollte wenigstens ihre „Substanz" erhalten. Deshalb gibt es gesetzliche Vorschriften, welche die Ausschüttung begrenzen. Wenn also nicht der gesamte Cashflow ausgeschüttet wird, entsteht die Frage, wer über die Verwendung entscheiden sollte. Die Verwendungsmöglichkeiten gehen tief in die Geschäftsführung hinein, weshalb das Management bei der Verwendung des Cashflows immer mitreden möchte. Am Ende denken viele Manager, sie sollten die Verwendung des Cashflows (unter Verfolgung eigener Ziele) vorschlagen und die Eigenkapitalgeber sollten das so hinnehmen. Praxis ist, dass tatsächlich das Management einen Vorschlag unterbreitet, wie der Cashflow verwendet werden sollte, beispielsweise durch Andeutung von „Entwicklungen". Die Eigenkapitalgeber stimmen vielfach ohne Diskussion zu. Andererseits gibt es hier und da aktivere Eigenkapitalgeber, die das Management zu einer anderen Verwendung des Cashflows zwingen möchten. Hedge Funds wünschen oft den Wechsel zu einer anderen Strategie. Sollten die Eigenkapitalgeber konträre Vorstellungen über die Verwendung des Cashflows haben als das Management, könnten sie das Management auswechseln. Meist genügt die Androhung, und das Management wird den Cashflow so verwenden, wie es die Eigenkapitalgeber vorgeben.

3.

FINANZIERUNG

63

Über den Cashflow wird das Management allein disponieren wollen, doch letztlich können die Eigenkapitalgeber die geplante Verwendung beeinflussen und kontrollieren. In diesem Sinn kommt der Cashflow in den Verfügungsbereich der Eigenkapitalgeber. Wie wird der Cashflow verwendet? Ein Teil des Cashflows wird an die Eigenkapitalgeber ausgeschüttet beziehungsweise von diesen entnommen oder eben als Dividende gezahlt. Eine ähnliche Wirkung wie die Dividenden hat ein Aktienrückkauf mit anschließender Vernichtung der Aktien. Zwar entscheidet die Versammlung der Eigenkapitalgeber über diesen Teil, doch wird vielerorts eine Politik der konstanten Ausschüttungen gepflegt. Deshalb ist das Niveau der Ausschüttungen Gegenstand der Willensbildung der Eigenkapitalgeber. Doch es wird in der Praxis nicht jedes Jahr neu bestimmt — es sei denn, besonders negative Umstände liegen vor. Der verbleibende restliche Teil des Cashflows — oftmals ist dies der größte Teil — kann nun vom Management und den Eigenkapitalgebern wie auch immer verwendet werden. Hier sind einige Möglichkeiten zu nennen: 1. Die Unternehmung kann Ersatzinvestitionen oder Erweiterungsinvestitionen

im Rahmen

der bisherigen Strategie realisieren. 2. Sie kann auf Ersatzinvestitionen verzichten und statt dessen Investitionen tätigen, welche die Unternehmung, ihre Standorte, die Strategie oder den Produktbereich verändern. 3. Die Unternehmung kann eine Barreserve bilden oder ihren Bestand an liquiden Mitteln erhöhen, etwa durch Kauf von Wertpapieren. Hierbei wird die Entscheidung über eine Realinvestition verschoben und eventuell können Risiken besser abgefangen werden. 4. Die Unternehmung kann Schulden zurückzahlen. 5. Selbstverständlich kann die Unternehmung Maßnahmen bezahlen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entsprechen und sie kann dies zeigen. 6. Schließlich kann dieser restliche Teil des Cashflows für Konsum in der Unternehmung ausgegeben werden, zum Beispiel für unökonomisch repräsentative Büros, unnötige Dienstreisen, und den Verzicht auf Abbau vorhandener Ineffizienzen. Allerdings sind nicht alle diese innenfinanzierten Investitionen so rentabel, wie das die Eigenkapitalgeber erwarten. Das gilt natürlich besonders für die Verwendungsart 6. Aber auch die Nützlichkeit von Akquisitionen ist umstritten. Da durch die Übernahme einer anderen Unternehmung viel höhere Werte auf dem Spiel stehen als bei den konsumtiven Verwendungen, reagieren die Eigenkapitalgeber negativ, wenn das Management eine Akquisition ankündigt. Die anderen Verwendungsarten des nach Ausschüttungen verbleibenden Cashflows werden von Eigenkapitalgebern eher weniger kritisch hinterfragt, und das gilt auch für die Verwendungsart 6. Der Punkt ist, dass alle sechs Verwendungsarten keine weitere Außenfinanzierung verlangen (und in der vierten Art wird sie sogar reduziert). Weder sind neue Eigenkapitalgeber anzusprechen, die den Verwendungszweck erläutert haben wollen, noch wird ein Kredit aufgenommen, dessen Zweck einer Bank erklärt werden muss.

64

FINANCE

Daher verdient dieser Teil des Cashflows eine eigene Bezeichnung, die ausdrückt, dass es eben nicht um Außenfinanzierung geht. Üblicherweise wird dieser Teil als Innenfinanzierungspotential oder kurz als Innenfinanzierung bezeichnet. Wir sprechen diesen Teil des Cashflows bewusst nicht als „innenfinanzierte Investitionen" an, weil noch nichts über die Verwendung entschieden ist und vielleicht sogar Konsum (Verwendungsart 6) getätigt wird. Innenfinanzierung

=

Cashflow — Dividenden

(3-3)

Anstelle von Innenfinanzierung wird auch von der Finanzkraft der Unternehmung gesprochen, die sie für Investitionen, die Rückzahlungen von Fremdkapital und für sonstige Ausgaben verwenden kann. Diese Vorhaben sind ohne Außenfinanzierung möglich, also ohne dass mit (weiteren) Financiers neue Finanzkontrakte abgeschlossen werden. Die Aufteilung des Cashflows (3-3) erfolgt im Einverständnis der Eigenkapitalgeber unter Wahrung von Gesetz und Satzung. Unter dieser Einschränkung sollten sich die Eigenkapitalgeber über Verwendungen der Innenfinanzierung oder der Finanzkraft Gedanken machen. Denn eigentlich handelt es sich um einen Teil der Wirtschaftsleistung, über den sie verfugen können. Doch meistens warten die Eigenkapitalgeber die Vorschläge der geschäftsführenden Manager ab und geben sich damit zufrieden. De facto kann daher das Management in den meisten Fällen allein über die Verwendung der Innenfinanzierung / Finanzkraft entscheiden. Das gilt besonders, wenn ein guter Teil der Innenfinanzierung / Finanzkraft für den Ersatz verwendet wird (Verwendungsart 1). Denn dann schiebt das Management technische Argumente vor und spricht von betrieblichen Notwendigkeiten — auch wenn selbst in diesem Fall die Eigenkapitalgeber auf Ersatz verzichten und eine Neuausrichtung in Angriff nehmen könnten (Verwendungsart 2). Wenn das Management eine Akquisition vorhat, so wird oftmals zuvor die „Kriegskasse" gefüllt (Verwendungsart 3) während die Planungen nicht offen gelegt werden. Über konsumtive Verwendungen (Verwendungsart 6) wird meist nicht gesprochen. Sie werden später zudem als Aufwand dargestellt und sind so nicht mehr als Teil der Wirtschaftsleistung ausgewiesen.

I

Die Verwendung der Innenfinanzierung, grundsätzlich zwar im Verfügungsbereich der

Eigenkapitalgeber, wird de facto vom Management festgelegt.

Fazit: 1. Der Brutto-Cashflow kommt als (bare) Wirtschaftsleistung des Jahres den Eigenkapitalgebern, den Fremdkapitalgebern und dem Fiskus zu. 2. Der Cashflow misst den in einem Jahr von der Unternehmung erzeugten Geldbetrag, der in den Verfügungsbereich

der

Eigenkapitalge-

ber kommt. 3. Die in (3-3) vorgenommene Aufteilung des Cashflows beschreibt die Innenfinanzierung oder Finanzkraft. Sie ist gleich dem Cashflow abzüglich der Ausschüttungen/Dividenden. 4. Die Aufteilung (3-3) beschreibt, wie viel die Eigenkapitalgeber in dem betreffenden Jahr direkt erhalten und welcher Teil ihnen über innenfinanzierte Investitionen als Wertentwicklung der Unternehmung zukommt.

3.

FINANZIERUNG

65

3.2.3 Gewinn Bei innenfinanzierten Investitionen ist zu sehen, dass sie dem Werterhalt der Unternehmung dienen und zum Rest eine Wertsteigerung ermöglichen. In jedem Jahr verringert sich der Wert des eingesetzten Realkapitals. Sachkapital wird alt, es nutzt sich ab oder es kommt zu Brüchen. Weiter geht ein Wertverfall auf den Wandel gesellschaftlicher Themen und Moden zurück (Obsoleszenz). Überdies können Schäden durch Kriminalität oder durch Umweltkatastrophen eintreten. Auch das Wissenskapital verfällt im Verlauf der Zeit. Know-how veraltet. Gute Mitarbeiter gründen ihre eigene Firma und nehmen Wissen mit. Der gute Name gerät in Vergessenheit. Die Reputation kann durch Skandale beschädigt werden. Patente laufen aus.

Bild 3-4: Wo kommt das Geld her und wo fließt es hin? Wie aus den Umsatzerlösen der Cashflow beziehungsweise der EBIT entsteht, welche Zusammenhänge es zwischen diesen und dem Gewinn gibt.

Beim Finanzkapital, das eine Unternehmung hält, können Kurseinbrüche zu Verlusten führen. Im Rechnungswesen wird dieser Wertverzehr durch Abschreibungen erfasst. Gegenstände des Anlagevermögens, etwa Maschinen, werden in einer planerischen Vorschau der durch Zeit und Nutzung zu erwartenden Wertverluste über die Jahre hinweg abgeschrieben und durch einen aktualisierten Zeitwert bewertet. Unerwartete Abschreibungen muss man vornehmen, wenn es zu Diebstahl oder zum Ausfall von Forderungen kommt. Unerwartete Abschreibungen haben viele Banken in der Krise 2008 dazu gezwungen, neue Kapitalgeber zu suchen. Denn andernfalls wäre das Eigenkapital so stark verringert, dass die Banken hätten schließen müssen.

66

FINANCE

Gewinn

Abschreibungen

Dividende

Dividende

Thesaurierter Gewinnteil

Werterhöhung

Abschreibungen

Ausgleich des Wertzerfalls

Mit anderen Worten: Der Cashflow wird unter Inkaufnahme eines Wertverzehrs erwirtschaftet. Dieser Wertverzehr wird (im wesentlichen) durch Abschreibungen erfasst. Als echte Wirtschaftsleistung zugunsten der Eigenkapitalgeber dürfen wir daher nur den „Mehrwert" betrachten, also den um die Abschreibungen korrigierten Cashflow. Diese Größe ist der Gewinn — wie gesagt nehmen wir der Übersichtlichkeit halber Vereinfachungen gegenüber dem Accounting vor: Gewinn = Cashflow - Abschreibungen

(3-4)

Der Gewinn stellt damit jene Wirtschaftsleistung dar, die über den Werterhalt hinausgeht. Der Gewinn wird als Kenngröße der echten Wirtschaftsleistung im Sinne eines Mehrwerts eines Jahres von den Financiers und besonders von Eigenkapitalgebern stark beachtet. Analysten nehmen Schätzungen des Gewinns der kommenden zwei oder drei Jahre vor. Diese Schätzungen werden publik gemacht. Überdies möchte kein Land, dass die großen Unternehmen verfallen. Sie sollen wenigstens ihren Wert erhalten. Hier sieht die politische Ebene eine Gefährdung der Existenz von Unternehmen, wenn ein zu hoher Teil der Wirtschaftsleistung ausgeschüttet wird. Der Gesetzgeber greift weder in die Umsatzerlöse noch in die Geschäftsplanung ein. Statt dessen wird (bei Kapitalgesellschaften) die Dividende der Höhe nach auf den Gewinn beschränkt. So können per Gesetz innenfinanzierte Investitionen wenigstens in Höhe der Abschreibungen vorgenommen werden. Auf diese Weise wird der durch die Abschreibungen gemessene Wertzerfall kompensiert. Folglich kann der für innenfinanzierte Investitionen eingesetzte Geldbetrag unterteilt werden: •

Der den Abschreibungen entsprechende Teil dient werterhaltenden Investitionen, der restliche Teil der innenfinanzierten Investitionen stellt werterhöhende Investitionen dar.



Die werterhöhenden Investitionen werden (3-4) entsprechend aus dem Gewinn getätigt. Der Gewinn wird so in einen ausgeschütteten (Dividenden) und einen einbehaltenen Teil zerlegt. Der einbehaltene (thesaurierte) Teil des Gewinns entspricht den werterhöhenden Investitionen.

Für die Anschaulichkeit könnten die werterhaltenden Investitionen als Ersatzinvestitionen und die werterhöhenden Investitionen als Erweiterungsinvestitionen angesprochen werden. Tatsächlich werden die Geschäfte oftmals in rein wiederholender Art fortgeführt, ohne dass es zu wesentlichen Änderungen kommt. Ein altes Auto im Fahrzeugbestand wird durch ein neues ersetzt, dem Abwandern und der Vergessenheit der Kundschaft wird durch immer dieselbe Werbebotschaft Einhalt geboten. Erweiterungsinvestitionen erhöhen dann entweder die Kapazität (Anschaffung

3.

FINANZIERUNG

67

einer zweiten Produktionsanlage desselben Typs) oder sie erweitern die Breite der Geschäftstätigkeit. Allerdings ist das durch die Begriffe Ersatz und Erweiterung gezeichnete Bild nicht immer korrekt, weil Unternehmen sich ab und zu neu positionieren.

Sie ersetzen dann das dem

Wertverzehr ausgesetzte Realkapital nicht wie gehabt, sondern lassen die Tangibles und Intangibles auslaufen. Die für Ersatzinvestitionen zur Verfügung stehenden Beträge (in Höhe der Abschreibungen) dienen zum Aufbau von etwas völlig Neuem. Beispiel 3-1: Nokia hat 1992 aufgehört, den Teil des Cashflows, der den Abschreibungen entsprach, zum Ersatz alt werdender Maschinen (zur Produktion von Gummistiefeln) zu verwenden. Coca Cola hat irgendwann Abschreibungen nicht (nur) dazu verwendet, den Wert der Marke des klassischen Produkts zu erhalten. Statt dessen wurde mit dem Light-Produkt

eine neue Marke

aufgebaut und mit „Coke Zero" eine weitere Marke etabliert (ohne ein neues Produkt zu schaffen). Im Jahr 2007 wurde mit Coke's Virtual World Web eine neu Strategy umgesetzt. Mit den Ersatzinvestitionen wird daher nicht unbedingt ein Ersatz derselben Art vorgenommen. Zwar wird der Wertzerfall des Vorhandenen kompensiert, jedoch durch etwas ganz anderes. • Der Gewinn in einem Jahr drückt die Wirtschaftsleistung (Mehrwert) des Jahres aus. Nun laufen Finanzkontrakte über die Jahre hinweg und die Financiers interessieren sich daher für die nachhaltige Wirtschaftsleistung, also für den langfristigen Entwicklungspfad

der Gewinne. Wie die

Umsatzerlöse schwanken die Gewinne von Jahr zu Jahr. 1. In einigen Jahren sind sie (gemessen am langfristigen Pfad der Gewinnentwicklung) hoch und in den Medien wird dann despektierlich von „Profiten" gesprochen. 2. In anderen sind sie gemessen am langfristigen Pfad gering oder sogar negativ — es liegt dann ein Verlust vor. Im Fall eines Verlusts genügt also die Innenfinanzierung nicht einmal, den Wertverzehr auszugleichen. Häufen sich die Verluste werden die Eigenkapitalgeber darauf drängen, dass das Management Restrukturierungen

einleitet. So gibt es Jahr

um Jahr externe Zufälligkeiten und interne Maßnahmen zur Effizienzsteigerung. Deshalb fragen die Eigenkapitalgeber nach dem langfristigen Entwicklungspfad der Gewinne. Wenn sich im Verlauf der Jahr um Jahr schwankenden Gewinne immer deutlicher abzeichnet, dass die nachhaltigen Gewinne der Unternehmung zu gering sind, dann ziehen sich die Eigenkapitalgeber zurück. Die Unternehmung verfällt und bald darauf sind die Arbeitsplätze in Gefahr. Wie Beispiele zeigen, werden dann Politiker aktiv und wollen „Arbeitsplätze retten". Oft gibt der Staat noch eine „Finanzspritze". Doch bald wenden sich die Medien anderen Themen zu und die Unternehmung wird schließlich doch beendet. Der Staat ersetzt in unserer Gesellschaft nicht die Funktionen, die Eigenkapitalgeber übernehmen (sollten).

3.2.4 EBIT und EBITDA Sowohl der Cashflow als auch der Gewinn sind Kenngrößen für Ergebnisse, die den Eigenkapitalgebern

zu Gute kommen. Der Cashflow beschreibt die totale Wirtschaftsleistung zugun-

sten der Eigenkapitalgeber, der Gewinn die echte Wirtschaftsleistung im Sinn des Mehrwerts gegenüber den Abschreibungen. Üblich ist, bei der Betrachtung der Wirtschaftsleistung den Kreis

68

FINANCE

der Begünstigten weiter zuziehen und zumindest die Fremdkapitalgeber mit einzubeziehen. Man würde so die totale beziehungsweise echte Wirtschaftsleistung zugunsten aller Financiers betrachten. Da die Steuern nicht nur von der Wirtschaftsleistung abhängen, die in der Summe den Eigen- und Fremdkapitalgebern gemeinsam zukommt, sondern auch von der Kapitalstruktur (also der Aufteilung dieses Ergebnisses innerhalb der Gruppe aller Financiers), wird der Kreis der Begünstigten gleich so weit gezogen, dass auch der Fiskus mit einbezogen wird. Diese Größe ist gleich der Summe aus Gewinn, Zinszahlungen und Steuern und wird als Gewinn (Earnings) vor Zinszahlungen und Steuern bezeichnet, als Earnings Before Interest and Taxes (KBIT). EBIT = Gewinn + Zinsen + Steuern

(3-5)

Der EBIT entspricht dem Gewinn, nur ist der Kreis der Berechtigten weiter gezogen und schließt neben den Eigenkapitalgebern auch die Fremdkapitalgeber und den Fiskus ein. Erinnert man sich an den Zusammenhang zwischen Cashflow und Gewinn (3-4) und daran, wie der Cashflow aus dem Brutto-Cashflow (3-2) entsteht, so erweist sich der EBIT als gleich dem Brutto-Cashflow abzüglich der Abschreibungen:

EBIT = (Cashflow - Abschreibungen) + Zinsen + Steuern = = (Cashflow + Zinsen + Steuern) - Abschreibungen = = Brutto-Cashflow

-

Abschreibungen

Der EBIT ist also als echte Wirtschaftsleistung bereits um den in dem Jahr eingetretenen und durch die Abschreibungen gemessenen Wertverlust korrigiert. Der EBIT ist daher ein Mehrwert zugunsten aller Financiers und des Staates. Vielfach wird daher der EBIT als Betriebsgewinn bezeichnet. Werden die Abschreibungen zum EBIT addiert, so entsteht wieder der BruttoCashflow. Der Brutto-Cashflow ist damit der EBIT „vor Abschreibungen". Im Englischen werden die Abschreibungen auf das Sachvermögen als Depreciation und die auf das immaterielle Vermögen als Amortization bezeichnet. Somit ist diese Größe gleich den Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization, den EBITDA: EBITDA = EBIT + Abschreibungen = Brutto-Cashflow

(3-6)

Berichte und Planungen, die auf den EBIT oder den EBITDA abstützen, sind näher am Betriebsgeschehen und der Erzeugung der wirtschaftlichen Leistung als Gewinn und Cashflow. Immerhin sind mit EBIT und EBITDA Ländervergleiche (unterschiedliche Besteuerung) möglich. Die beiden Größen Gewinn und Cashflow erfassen hingegen die Art der Verteilung, weil sie zeigen, was den Eigenkapitalgebern zu Gute kommt. Deshalb werden in Planungen und Analysen der EBIT und der EBITDA öfters als der Gewinn und der Cashflow verwendet.

3. F I N A N Z I E R U N G

Brutto-Cashflow = EBITDA

69

minus Zinsen, minus Steuern

c Q) g 2 -c + Σ

xu> e {θ, l},

7 = 1,2,...,«

(k)

y

6 [θ, l j

y«> • i f > ,

t = 0,1,2,.., Ν

( 4-5)

k = ì,...,m

Die Aufgabe (4-5) verlangt eine nichtlineare (da die Nutzenfunktion nicht linear ist) Optimierung mit teils ganzzahligen Nebenbedingungen. Die Lösung ist im allgemeinen schwierig.

I

Die finanzielle Isolation des Unternehmers vom Rest der Welt oder das Nichtvorhandensein eines Kapitalmarkts charakterisiert die klassische Finance, unser erstes Paradigma.

Im Paradigma der klassischen Finance sind die Möglichkeiten zur Bildung einer Theorie begrenzt. Denn jeder Financier, der zum Bekanntenkreis des Unternehmers gehörte und angesprochen wurde, hatte individuelle Vorstellungen — es gab eben keine allgemein bekannten Konditionen, die als „marktgerecht" und so als Standard wirkten. Die bilateralen Finanzkontrakte, die der Unternehmer eingegangen ist, spiegelten daher deutlich die Wünsche des jeweiligen Financiers wider: Der erste legte Wert auf eine schnelle Rückzahlung, der zweite auf hohe Sicherheit, der dritte auf eine hohe Abfindung bei Beendigung des Vertrags. Der vierte Financier wollte vielleicht gegenüber den anderen im Fall eines Konkurses vorrangig bedient werden, der fünfte wünschte, sein Fremdkapital in Eigenkapital wandeln zu können. Folglich waren die Konditionen der Finanzkontrakte heterogen und keine der Zahlungsreihen (4-3) zeigte mit einer anderen irgendeine Gemeinsamkeit, die zu einer Theoriebildung hätte führen können. Das wird erst anders, wenn es einen Kapitalmarkt gibt. Denn dann gleichen sich die Bedingungen an — wie auch sonst in einem Markt — und die Finanzierungen sind hinsichtlich ihrer Konditionen homogen. Selbstverständlich waren im Paradigma der klassischen Finance — der damaligen Realität entsprechend — auch die dem Unternehmer möglichen Investitionen heterogen. Das Umfeld war intransparent und die öffentlichen Informationen waren auf wirklich Grundlegendes beschränkt. Der Unternehmer erkundete Investitionsmöglichkeiten aktiv und hatte dabei Projektideen gefunden, die nur ihm aufgrund besserer Informationen offen standen. Niemand hatte früher „gute" Investitionsmöglichkeiten anderen mitgeteilt, jeder behielt Informationen für sich. So hatten die Investitionen unterschiedlichste interne Renditen. Die η Zahlungsreihen (4-1) zeigten keine Gemeinsamkeiten. Heute ist das doch anders. Denn heutzutage gibt es einen regelrechten Markt für Investitionen, in dem beispielsweise Immobilien, Maschinen oder ganze Unternehmen gekauft werden können. In diesem Markt bilden sich vereinheitlichte, homogene Konditionen. Deshalb stimmt eine Investition, zum Beispiel der Zukauf einer Lagerhalle, in ihrer Rendite eher mit einer anderen Investition ähnlichen Risikos überein.

90

4.1.4

FINANCE

Lösung nach DEAN

JOEL DEAN ( 1 9 0 6 - 1 9 7 9 )

hat für die Lösung des Optimierungsproblems ( 4 - 5 ) einen Lösungsansatz

entwickelt und in seinem Buch „Capital Budgeting and Managerial Economics" 1951 dargestellt.

Rendite

Bild 4-2: Die möglichen Investitionsprojekte werden nach DEAN in der Reihenfolge fallender interner Verzinsung in Erwägung gezogen.

DEAN

geht also von einer Situation ohne Kapitalmarkt aus, allerdings geht er kaum auf die Frage

ein, ob der Unternehmer den residualen Zahlungsstrom durch Geldanlagen und Mittelaufnahmen noch verändern kann oder nicht. Er klammert auch die Präferenz des Unternehmers aus und konzentriert sich statt dessen ganz auf die Renditen der Investitionsprojekte und der Finanzierungsmaßnahmen. J. DEAN folgt dieser intuitiven Idee: Ein Geschäft wirft mehr ab, wenn „rentable" Investitionen mit „günstigen" Finanzierungen kombiniert werden. Investitionen mit geringerer Rentabilität sollten ebenso wie teure Finanzierungen vermieden werden. Der Ansatz von DEAN ist also darauf ausgerichtet, rentable Investitionen mit günstigen Finanzierungen zu kombinieren und unterstellt, auf diese Weise die Lösung von (4-5) zu bestimmen. Als Kennzahl für die Beurteilung der Rentabilitäten wurde von DEAN die interne Rendite vorgeschlagen. Warum? Betrachten wir für Investitionen: Das von dem Unternehmer aufnehmbare Kapital ist begrenzt. Deshalb kommt es bei einer jeden Investition darauf an, welches Ergebnis sie in Relation zum benötigten Kapital hat. Letzteres wird durch die Anfangsauszahlung bestimmt. Das Ergebnis in Relation zur 2

Aufgaben mit dieser Struktur sind aus dem Operations Research als Rucksackproblem bekannt. Die Veranschaulichung folgt der Situation eines Wanderers, der in die Einsamkeit aufbricht. Der Wanderer kann nicht beliebig viele Gegenstände — Brot, Getränk, Landkarten, GPS, Notzelt — mitnehmen, weil sein Rucksack zu schwer würde. Aufgrund der Gewichtsbeschränkung sortiert er die in Frage kommenden Gegenstände nicht nach ihrer absoluten Nützlichkeit (die er in einer Punkteskala ausdrücken muss), sondern nach der Nützlichkeit geteilt durch das jeweilige Gewicht. Nach dieser Sortierung nimmt er den Gegenstand mit der höchsten Nützlichkeit pro Gewichtseinheit als erstes und packt anschließend den Rucksack mit den Dingen in der Reihenfolge abnehmender relativer Nützlichkeit immer weiter, bis das tragbare Gesamtgewicht erreicht ist.

4. C

91

-BUDGETING

Anfangsauszahlung einer Investition wird gut durch die interne Rendite beschrieben. Denn die interne Rendite bezieht gleichsam das Gesamtergebnis auf den eingesetzten Geldbetrag und verteilt es auf die gesamte Projektdauer. Nach

DEAN

sollen also die möglichen Investitionsvorhaben in

der Reihe fallender interner Renditen angenommen werden. Dazu werden die möglichen Projekte in einem vorbereitenden Schritt sortiert.

Rendite

Bild 4-3: Die Finanzierungen werden in der Reihe aufsteigender interner Verzinsungen beziehungsweise intemer Renditen angenommen. Das optimale Budget ist der Gesamtbetrag von Auszahlungen für die selektierten Investitionen und zugleich der Gesamtbetrag von Einzahlungen angenommener Finanzierungen.

Parallel dazu werden die dem Unternehmer möglichen Finanzierungen sortiert. Die „günstigen" kommen zuerst, die „weniger günstigen" Finanzierungen folgen danach. Die mit einer Finanzierungsmaßnahme verbundenen Finanzierungskosten werden (ebenso wie bei den Investitionen) auf den Betrag bezogen. Wiederum dient die interne Verzinsung oder die interne Rendite der Zahlungsreihe als Maß für die Attraktivität. Nun stellt eine Finanzierungsmaßnahme der Unternehmung für den Financier eine Investition dar, die für ihn, den Finanzinvestor um so attraktiver wirkt, je höher deren interne Rendite ist. Für den Unternehmer ist die Finanzierung umso attraktiver, je geringer die interne Rendite ist. Im Budgetierungsansatz von

DEAN

werden folglich die

möglichen Finanzierungsmaßnahmen in die Reihenfolge aufsteigender interner Renditen gebracht und in dieser Reihenfolge angenommen. Mit diesem Vorgehen wird der gesamte Kapitalbedarf in der Reihenfolge absteigender Attraktivität der Investitionen mit dem gesamten Finanzierungsangebot in der Reihenfolge teurer werdender Finanzierungen verglichen. Für den Vergleich werden die Geldbeträge benötigt, die in der ersten Periode von den Investitionen als Auszahlungen verlangt und von den Finanzierungen als Einzahlungen erbracht werden. Die Gegenüberstellung liefert das als optimal anzusehende Budget nach D E A N .

92

FINANCE

Beim optimalen Budget nach DEAN liegen die Internen Renditen aller angenommenen Investitionen gerade noch oberhalb der Internen Renditen aller angenommenen Finanzierungen, und eine weitere Investition oder Finanzierung würde diese Relation durchbrechen. Ist das optimale Budget nach DEAN bestimmt, dann kann es durch eine kritische Rendite charakterisiert werden: Alle Investitionsprojekte, deren interne Rendite größer als die kritische Rendite ist, werden angenommen. Alle Finanzierungsmöglichkeiten mit geringerem Internen Zinssatz oder geringerer interner Rendite werden akzeptiert. Die kritische Rendite bringt das Budget zum Ausgleich. Beispiel 4-2: Es sollen drei Investitionen und vier Finanzierungen möglich sein. Für jede der drei Investitionen ist gleich die Anfangsauszahlung als Geldbetrag sowie die interne Rendite angegeben. Zudem sind die Investitionsprojekte gleich in der Reihenfolge fallender interner Renditen nummeriert. IP1: €100.000, 20%; IP2: €110.000, 10%; IP3: €160.000, 8%. Die vier Finanzierungsmaßnahmen sind in der Reihenfolge zunehmender interner Verzinsungen nummeriert: FMI: €90.000, 7%, FM2: €130.000, 8%; FM3: €40.000, 9%, FM4: €120.000, 10%. Das nach DEAN optimale Budget besteht darin, IP1 und IP2 anzunehmen, und die Mittel über FMI vollständig und FM2 im Teilbetrag €120.000 aufzunehmen. Das optimale Budget nach DEAN umfasst demnach €210.000. Die Entscheidung wird durch eine kritische Rendite gestützt, die zwischen 8% und 9% liegt. • Das Capital-Budgeting nach J. DEAN hat bemerkenswerte Eigenschaften: 1. Es wird im Lösungsansatz von DEAN erst gar nicht versucht, die Nutzenfunktion des Unternehmers aufzustellen. Der Ansatz betrachtet nur die Internen Renditen der Projekte und Maßnahmen sowie die anfänglichen Geldbeträge. Um sie zu berechnen, wird weder eine marktübliche Diskontrate noch eine Kapitalmarktrendite benötigt. Denn die interne Rendite eines Projekts oder einer Maßnahme kann allein aus der Zahlungsreihe ermittelt werden. Der Lösungsansatz von DEAN scheint sich also gut für die Situation ohne Kapitalmarkt zu eignen und er wirkt durch die Konzentration auf die Rendite ausgesprochen praxisnah. 2. Der Lösungsansatz von DEAN spricht die Intuition an: Zuerst werden die Investitionen anhand ihrer jeweiligen Internen Rendite sortiert, wozu die Kenntnis der möglichen Finanzierungen nicht verlangt ist. Anschließend werden die Finanzierungen sortiert. Dann ist eine Gegenüberstellung aller sortierten Investitionen und aller sortierten Finanzierungen verlangt, wie in Bild 4-3 illustriert. Das Capital-Budgeting nach DEAN verlangt eine Simultanbetrachtung, und auch das entspricht der Intuition. Der Unternehmer kann das simultane Verfahren nicht überspringen und eine einzelne Investition oder eine einzelne Finanzierung herausgreifen, um zu prüfen, ob sie vorteilhaft ist oder nicht. Denn die Trennung der „guten" von den „schlechten" ergibt sich erst aus der Gegenüberstellung aller sortierten Investitionen und Finanzierungen.

4. C

93

-BUDGETING

Das Prinzip für das Capital-Budgeting nach DEAN, sich an den Internen Renditen zu orientieren, entspricht der Intuition und kommt den Vorstellungen entgegen, die in der Praxis gepflegt werden. Wie in der Definition des Paradigmas ausgedrückt (Kapitel 1), war das Capital-Budgeting nach DEAN eine konkrete Problemlösung, welche die Fachwelt damals akzeptiert hat. Die Finance ohne Kapitalmarkt entsprach bis etwa um 1960 der Realität. Bis dahin waren die Konsumausgaben eines Unternehmers mit den Zahlungsüberschüssen aus dem Geschäft praktisch identisch. Ab 1960 konnten Unternehmungen immer mehr für die Anlage von Überschüssen und die Mittelaufnahme auf Banken und Kapitalmärkte zugreifen. Ein Unternehmer kann heute eine residuale Zahlungsreihe durch Geldanlage oder Kreditaufnahme noch verändern. Deshalb bestimmt die residuale Zahlungsreihe Ζ = { Ζ 0 , Ζ 1 , Ζ 2 , . . . , Ζ Λ . } heute den Konsumstrom

des berech-

tigten Unternehmers nur noch indirekt. Wenn beispielsweise ein residualer Zahlungsstrom zu einem Zeitpunkt t negativ ist, Ζ, < 0 , mithin eine zusätzliche Einlage verlangt, dann kann der Unternehmer dies durch eine Kreditaufnahme mildern, sofern es einen Kapitalmarkt gibt.

4.1.5

Eine Kritik

Man wird erwarten, das ein jedes Verfahren für das Capital-Budgeting die Zahlungsüberschüsse Z 0 , Z , , Z 2 , . . . , Z i , betrachtet, die dem Unternehmer zukommen, die seine Konsummöglichkeiten und damit seinen Gesamtnutzen bestimmen. In (4-5) haben wir diese Aufgabe formuliert. Doch der Ansatz von DEAN nimmt keinen Bezug darauf. Löst das nach DEAN als „optimal" bezeichnete Budget überhaupt die Aufgabe (4-5)? Das nachstehende Beispiel zeigt, dass dies nicht unbedingt der Fall ist. Beispiel 4-3: Wir veranschaulichen diesen Sachverhalt durch ein Zahlenbeispiel. Es werden drei Zeitpunkte betrachtet, f = 0 , l , 2 , also N = 2. Zwei Investitionen Xm

X ( 1 ) = ( - 1 0 0 , 10, 12l) und

= ( - 1 0 0 , 15, 115) sowie eine Finanzierungsmaßnahme Y = ( 1 0 0 , - 1 0 , - 1 IO) sollen möglich

sein. Die interne Rendite der Investition X ( 1 ) errechnet sich aus 100 = 10 χ + 121 χ 2 , vergleiche (2-16) und (2-17), über jc = 0,8687zu r l * = ( l / x ) - l = 15,114%. Die interne Rendite der zweiten Investitionen X,2)

ist mit r2* = 15,000% etwas geringer. Die interne Verzinsung der Finanzie-

rungsmaßnahme ist rY -10%.

Das optimale Budget nach DEAN kombiniert die erste Investition

mit der Finanzierung. Wir führen das Zahlenbeispiel fort, um rechnerisch nachzuvollziehen, dass der Unternehmer die zweite Investition der ersten vorzieht, obwohl sie eine geringere interne Rendite hat. Die Nutzenfunktion sei: U{Z0, Ζ , , Z 2 ) = ln(l + Z 0 ) + ln(l + Z, ) + ln(l +

ZN).

Folglich hat der Unternehmer bei der aus dem nach DEAN optimalen Budget resultierenden Zahlungsreihe Zopt = (o,0,11) den Nutzen ( 7 = 0 + 0 + 2,485 = 2,485. Im Vergleich führt die Kombination der zweiten Investition mit der Finanzierung zu Ζ = (0,5,5) und damit zum Nutzen U = 0 +1,792 +1,792 = 3,584, was die Präferenz für das zweite Budget ausdrückt. • Das Beispiel 4-3 lehrt, dass der Unternehmer vielleicht doch einen methodischen Zugang zum Capital-Budgeting wählen möchte, bei dem wie in (4-5) formuliert versucht wird, den Nutzen zu

94

FINANCE

maximieren. Allerdings erweist sich das Optimierungsproblem (4-5) im allgemeinen nicht so leicht lösbar — was eben zur Beliebtheit des Ansatzes von DEAN beigetragen haben dürfte. Zudem ist die Vorgehensweise intuitiv, das Budget durch Reihung der Finanzierungen und Projekte anhand der Internen Renditen zu bestimmen — auch wenn damit nicht (immer) das wirklich optimale Budget — die Lösung von (4-5) — gefunden wird.

4.2

... mit Kapitalmarkt

Lernziele: 1. Die Fisher-Separation. 2. Die Maximierung des Kapitalwerts der aus dem Budget resultierenden Zahlungsreihe verlangt keine Simultanbetrachtung — das Problem zerfällt in unabhängige Einzelbeurteilungen.

4.2.1

Capital-Budgeting

nach FISHER

Der amerikanische Geldtheoretiker IRVING FISHER (1867-1947) hat um 1920 das CapitalBudgeting mit der gerade erwähnten Formulierung (4-5) untersucht. 3 Im allgemeinen ist es schwer, (4-5) zu lösen. Doch in einer speziellen Situation ist es sehr leicht, die Lösung von (4-5) anzugeben, wie wir gleich sehen werden. Diese Situation liegt vor, wenn es einen Kapitalmarkt gibt. Das soll bedeuten, dass es zu einer gewissen, marktgerechten Rendite r möglich ist, Zahlungsüberschüsse ganz oder teilweise anzulegen und Mittel aufzunehmen. Die Situation mit Kapitalmarkt entspricht zwar der heutigen Realität. Mit Annahme eines Kapitalmarktes konnte FISHER das Budgeting nicht nur stark vereinfachen, sondern auch weitere Erkenntnisse gewinnen. Der Unternehmer soll die Möglichkeit haben, einen Zahlungsüberschuss ganz oder teilweise anlegen zu können. Ebenso soll er über einen Zahlungsüberschuss, der eigentlich erst später fällig wird, durch eine Kreditaufnahme bereits früher verfügen können. Die Rendite für Geldanlagen und die Kosten f ü r Mittelaufnahmen sollen übereinstimmen — entsprechend der Idee des perfekten Marktes — und mit r bezeichnet werden. Der Unternehmer kann also die residuale Zahlungsreihe Ζ verändern, so dass er Geld anlegen und aufnehmen kann, bevor er seine Konsumausgaben tätigt. FISHER hat verschiedene Aussagen hergeleitet: •

Zunächst kann der Unternehmer eine jede aus dem Capital-Budgeting resultierende Zahlungsreihe Ζ = ( Z 0 , Z , , Z 2 , . . . , Z W ) durch Anlage und Aufnahme von Zahlungsmitteln zur Rendite r verändern, so dass eine neue Zahlungsreihe entsteht, die seine Konsumausgaben zeigt: C - (C 0 , C,, C 2 C N ).

3

FISHER hat das Capital-Budgeting drei lahrzehnte vor DEAN untersucht. Allerdings haben sich seine Publikationen eher an Volkswirte gerichtet. Betriebswirte wurden erst später damit vertraut. So wurde die hohe Bedeutung der Analyse von FISHER f ü r die UnternehmensFinanzierung erst nach der Buchpublikation von DEAN erkannt.

4. C



-BUDGETING

95

Durch Anlage von Zahlungsüberschüssen oder durch Mittelaufnahme wird aber nicht der Nettobarwert verändert, NPV(C) = NPV(Z).

Anders ausgedrückt: Die residuale Zah-

lungsreihe Ζ = (Ζ 0 ,Ζ 1 ,Ζ 2 ,...,Ζ ΛΓ ) kann mit Hilfe des Kapitalmarkts in jede Reihe von Konsumausgaben C = (C0,CI,C2,...,CN)

transformiert werden, sofern beide denselben

Nettobarwert haben. •

Welche Zahlungsreihe Ζ = (Z 0 ,Z Ì ,Z 2 ,...,Z N ) auch immer aus dem Budgeting resultiert: Der Unternehmer wird sie durch Transformationen (Anlage und Aufnahme am Kapitalmarkt) dergestalt verändern, dass die entstehende Zahlungsreihe C = {C0,Ci,C2,—,CN ) der Konsumausgaben seinen Nutzen U maximiert. Der dabei erreichbare Nutzen hängt nur vom Nettobarwert NPV{Z) ab, nicht aber von der genauen Gestalt von Ζ .



Der Unternehmer wird also bei der Wahl der möglichen Investitionen und bei der Festlegung der Finanzierungen darauf drängen, dass die resultierende Zahlungsreihe Ζ einen möglichst hohen Nettobarwert hat — ungeachtet der Merkmale seiner Nutzenfunktion.



über alle xm,x(X>,...,xla)

Die Aufgabe, NPV(Z)

e {θ, l} und y(>\y™ ,...,yim) e [θ, l] zu

maximieren, kann deshalb an einen Manager delegiert werden, der die Nutzenfunktion U des Unternehmers nicht kennen muss. •

Die Aufgabe „maximiere NPV(Z)"

ist einfach zu lösen. Da die residuale Zahlungsreihe

die Summe von Zahlungsreihen ist, vergleiche (4-3), ist aufgrund der Wertadditivität der Nettobarwert der residualen Zahlungsreihe gleich der Summe der Nettobarwerte dieser Zahlungsreihen. Der Nettobarwert der residualen Zahlungsreihe wird daher maximiert, wenn sie als Summe von Zahlungsreihen mit möglichst großen Nettobarwert en entsteht. Das Capital-Budgeting verlangt, Projekte und Maßnahmen mit möglichst großem NettoXu)

barwert anzunehmen. Für die η Investitionen 7=1,2,...,« mit den Zahlungsreihen wird gefragt, ob NPV(XU))

> 0. Genau wenn das der Fall ist, wird die Investition j an-

genommen. Für die m Finanzierungen k=\,2,...,m [k)

ebenso geprüft, ob NPV(Y

mit den Zahlungsreihen Ya)

wird

) > 0 . Genau jene Finanzierungen werden angenommen. Zur

Ermittlung der Kapitalwerte dient jene Rendite r , mit der die Unternehmung Gelder am Kapitalmarkt anlegen und aufnehmen kann. Das Capital-Budgeting verlangt keine simultane Optimierung (wie beim Ansatz von DEAN). Es zerfällt in η + m einzelne Prüfungen, die unabhängig voneinander vorgenommen werden können. Fazit: Um den Nutzen i/(C 0 ,C,,C 2 ,...,C N )des Unternehmers zu maximieren, den dieser nach einer Transformation (Geldanlage, Mittelaufnahme am Kapitalmarkt) aus den Zahlungsüberschüssen Ζ = (Z 0 ,Z,,Z 2 ,...,Z N ) erzielt, müssen Projekte und Maßnahmen mit positiven Nettobarwerten angenommen, solche mit negativen abgelehnt werden. Für diese Prüfungen ist die Kenntnis der genauen Nutzenfunktion U des Unternehmers unnötig.

96

FINANCE

In der Formulierung von FISHER zerfällt daher die Gesamtaufgabe in zwei

Teilaufgaben,

die voneinander unabhängig gelöst werden können: 1. Der Manager wählt Investitionen und Finanzierungen nach ihrem jeweiligen Nettobarwert aus. 2. Welche Zahlungsüberschüsse der Eigentümer auch immer aus dem Geschäft erhält, er wird sie durch Geldanlagen und Mittelaufnahmen am Kapitalmarkt in eine Zahlungsreihe transformieren, die seine Nutzenfunktion maximiert. Diese Trennung oder Separation der Gesamtaufgabe in zwei unabhängig lösbare Teilaufgaben heißt Fisher-Separation. Beispiel 4-4: Eine Nonne erfährt, dass sie in einer Lotterie gewonnen hat. Sie berichtet der Oberin im Kloster, dass sie einen Preis erwarten kann. Sie kann noch wählen: Entweder nimmt sie eine Harley-Davidson oder eine Luxus-Weltreise für zwei Personen. Die Oberin entgegnet, dass keiner dieser beiden Preise besonders nützlich für das Klosterleben sei. Bevor die Nonne und die Oberin weiter überlegen, ruft ein Agent an und sagt: „Ohne zu wissen, welcher der beiden Preise ihnen lieber ist, bin ich davon ausgegangen, dass sie die Sache ohnehin verkaufen um mit dem Geld zu tun, was für das Kloster am nützlichsten ist. Deshalb habe ich für das Kloster bereits entschieden. Ich habe den Preis gewählt, der im Markt den höheren Erlös bringt. Für diese Entscheidung musste ich nicht wissen, was sie später mit dem Geld machen werden." • In der Situation mit Kapitalmarkt wählt der Unternehmer für sein Geschäft jenes Budget, das den höchsten Nettobarwert aufweist. Er akzeptiert Investitionsprojekte und Finanzierungsmaßnahmen genau dann, wenn sie aus Sicht des Kapitalmarktes vorteilhaft sind, also einen positiven Nettobarwert aufweisen, wobei die Zahlungen der Projekte und Maßnahmen mit der Marktrendite r diskontiert werden. Man könnte auch sagen, der Unternehmer gestalte das Budget so, dass es am Kapitalmarkt die höchste Anerkennung findet, eben den höchsten Preis findet. Der Unternehmer budgetiert „für den Kapitalmarkt" und primär nicht, um seinen Nutzen zu maximieren. Das kann gut mit der Ausrichtung des Produktionsprogramms und des Sortiments am Produktmarkt verglichen werden. Wenn es einen Produktmarkt gibt, dann produziert der Unternehmer nicht jene Güter, die ihm persönlich den höchsten Nutzen bringen. Er produziert jene Güter und Dienstleistungen, die den höchsten Absatzerlös einbringen. Erst anschließend überlegt der Unternehmer, wie er das verdiente Geld dazu verwenden soll, um sich im Markt jene Konsumgüter zu kaufen, die seinen Nutzen maximieren. Die Betrachtung zeigt: Wenn es einen Kapitalmarkt gibt, dann orientiert sich der Unternehmer am Preis, den sein Budget im Kapitalmarkt findet, und das ist der Barwert oder Nettobarwert der residualen Zahlungsreihe. Sie ist die Summe der Zahlungsreihen der angenommenen Projekte und Maßnahmen, weshalb der Preis der residualen Zahlungsreihe gleich ist der Summe der Preise, welche die Projekte und Maßnahmen im Kapitalmarkt finden. Selbstverständlich wird die Summe größtmöglich, wenn unter den Projekten und Maßnahmen genau jene angenommen werden, die im Kapitalmarkt einen positiven Preis finden. Sofern es einen Kapitalmarkt gibt, muss man im Capital-Budgeting aufgrund der Preise (Nettobarwerte, Kapitalwerte) der Projekte und Maßnahmen entscheiden.

4.

CAPITAL-BUDGETING

97

ι '. Zahlung

zut = 2

Menge möglicher Investitionen

Bild 4-4: Die Zahlungswirkungen der dem Unternehmer möglichen Investitionen. Jeder Punkt im eingegrenzten Bereich stellt eine Investition oder eine Kombination mehrerer Investitionen dar.

positioniert anhand ihrer Zahlungen

Zahlung

für f » 1 und ( » 2

zu

t= 1

Nachdem die Arbeiten von I. FISHER bekannt wurden, ist ein wissenschaftlicher Disput darüber entstanden, ob eine Orientierung an der Internen Rendite, wie von J. DEAN postuliert, oder am Kapitalwert „korrekt" sei. Die Antwort: Korrekt im Sinn der Optimierungsaufgabe (4-5) ist eine Orientierung an der Nutzenfunktion des Berechtigten. Doch die exakte Lösung der Optimierungsaufgabe kann im allgemeinen, wenn es keinen Kapitalmarkt gibt, nicht so leicht ermittelt werden. J. DEAN hat zur Vereinfachung einen Ansatz postuliert, der sich an der Internen Rendite orientiert und für die Situation ohne Kapitalmarkt gedacht ist. Jedoch führt dieser Lösungsansatz nicht immer auf das optimale Budget im Sinn einer Lösung von (4-5). I. FISHER hat die Optimierungsaufgabe (4-5) allein für den Fall untersucht, dass es einen Kapitalmarkt gibt. In dieser Situation führt die Orientierung am Nettobarwert auf die korrekte Lösung von (4-5). Ergebnis: Wenn es keinen Kapitalmarkt gibt, dann muss man entweder die (komplizierte) Optimierungsaufgabe (4-5) lösen oder man gibt sich mit einer Näherungslösung zufrieden (wie sie über Renditen mit dem Ansatz von DEAN gefunden wird) bei der das ermittelte Budget allerdings nicht immer (4-5) genau löst. Gibt es einen Kapitalmarkt, dann orientiere man sich an Barwerten, nicht aber an Renditen. Die Orientierung am Kapitalwert führt im Capital-Budgeting auf die exakte Lösung, sofern es einen Kapitalmarkt gibt.

4.2.2

Grafische Darstellung

Für die Fisher-Separation gibt es eine grafische Darstellung. Es werden drei Jahre betrachtet, t = 0,1,2. Die Überlegungen setzen bei der residualen Zahlungsreihe Ζ = ( Z 0 , Z , , Z 2 ) an, die sich aus dem Capital-Budgeting ergibt. Es werden nur die Zahlungsergebnisse Z, und Z 2 gezeigt und dazu unterstellt, dass der erste Zahlungsüberschuss Z 0 für alle möglichen Budgets derselbe ist, siehe Bild 4-4. Die Entscheidung wird folglich mit Blick auf die Überschüsse Z, und Z ; getroffen. Der Unternehmer habe eine Zeitpräferenz, aus der hervorgeht, wie nützlich die Überschüsse Z, und Z 2 zu diesen Zeitpunkten t = 1 und t-2

für ihn persönlich sind. So wird der Unterneh-

98

FINANCE

mer seine Präferenz hinsichtlich Ζ, und Z 2 bilden. Es ist üblich, sie in den Grafiken durch Indifferenzkurven

zu veranschaulichen, siehe Bild 4-5. Die Indifferenzkurven sind die geometrischen

Orte aller Zahlungen, Ergebnisse Z , und Z 2 , die dasselbe Nutzenniveau haben.

Zahlung zu Í

Indifferenzkurven

Zahlung

Bild 4-5: Darstellung dreier Indifferenzkurven der Person. Je nach Geduld oder Ungeduld sind sie anders geformt,

zu f= 1

Die Indifferenzkurven zeigen, wie stark eine Verringerung des Rückflusses zu t = 2 ausfallen darf, wenn dafür ein höherer Rückfluss zu t = 1 möglich wird und trotzdem der Nutzen gleich bleibt. Typischerweise sind die Indifferenzkurven konvex zum Ursprung gewölbt. Das bedeutet, dass die berechtigte Person, der Unternehmer, gleich hohe Konsummöglichkeiten in den beiden Perioden gegenüber ungleichen Aufteilungen bevorzugt. •

Wenn es keinen Kapitalmarkt und keinerlei Möglichkeit gibt, die zeitliche Verfügbarkeit von Zahlungen zu verändern (man kann nicht einmal Geld aufbewahren), dann wählt die Person jene Investition beziehungsweise jenes Budget, bei der sie den maximalen Nutzen der Zahlungen Z j und Z 2 hat. Das Bild 4-6 zeigt die Lösung der Aufgabe (4-5).



Wenn die Situation sich erweitert und es auf einem Kapitalmarkt möglich ist, Geld anzulegen oder aufzunehmen, dann können die dem Unternehmer zukommenden Zahlungen in ihrer zeitlichen Verfügbarkeit oder Fälligkeit transformiert werden.

Liefert eine Investition oder ein Capital-Budgeting als Ergebnis die Zahlungen Z, und Z 2 , dann kann der Unternehmer durch Anlage eines Betrags in Höhe A zum Zeitpunkt t = 1 verändern. So entsteht zu t = 1 aus Z{ die Zahlung Ζ, - A und zu t = 2 entsteht aus Z 2 die modifizierte Zahlung Z 2 + A • (1 + r). Durch Variation des Anlagebetrags A wandern die erzeugten adjustierten Zahlungen ausgehend vom Punkt mit den Koordinaten Z, und Z 2 auf einem

Geradenabschnitt

nach links oben (weniger Geld zu t = 1, mehr zu t = 2 verfügbar). Wir betrachten auch A < 0 , was einer Kreditnahme zu t = 1 entspricht. Bei Kreditnahme wandern die modifizierten Zahlungen — ausgehend vom Punkt mit den Koordinaten Z, und Z 2 — auf einem nach rechts unten (Bild 4-7).

Geradenabschnitt

4.

CAPITAL-BUDGETING

99

Zahlung Gibt es keinen Kapitalmarkt, dann wählt der Berechtigte jene Investition, bei der die Rückflüsse den p e r s ö n l i c h e n N u t z e n maximieren

Bild 4-6: Ohne Kapitalmarkt bestimmen die Zahlungen der angenommenen Investitionen direkt die Konsumausgaben der betrachteten Jahre.

Eine Budgetgerade beschreibt die mit dem Kapitalmarkt erreichbaren Zahlungen zu t = 1 und t = 2 . Die Budgetgerade hat die Steigung - (1 + r ) . Zu jeder möglichen Investition beziehungsweise zu jedem Budget, welche auf Z, und Z 2 führen, kann der Investor durch Geldanlage und Kredite alle Zahlungsreihen erzeugen, die auf der Budgetgeraden positioniert sind.

η

Zahlung zu t = 2

Mit dem Finanzmarkt kann die zeitliche Verfügbarkeit von Zahlungen verschoben werden: Der Verzicht auf eine Geldeinheit zu t = 1 schafft 1 + i mehr Geldeinheiten zu f = 2 Die Budgetgerade zeigt alle erzeugbaren Paare von Zahlungen zu f = 1 und t - 2

Zahlung

Bild 4-7: Budgetgerade: Bei Existenz eines Kapitalmarktes kann die zeitliche Verfügbarkeit von Geld verändert (adjustiert) und an den persönlichen Nutzen angepasst werden.

zu f = 1

Er wird also jene Investition oder jenes Budget wählen, bei der die Budgetgerade möglichst weit rechts oben zu liegen kommt. Er wird bei einer Investition oder einem Budget mit den Rückflüssen Z, und Z 2 auf Ζ, + Z 2 /(I + r) achten. Anschließend wird der Investor überlegen, wie die transformierten Zahlungen aussehen sollen, damit sein Nutzen (unter allen auf der Budgetgeraden positionierten Zahlungen) möglichst groß wird. Das ist eine zweite, persönlich zu lösende Aufgabe, die in der MikroÖkonomie studiert wird und hier nicht weiter interessiert.

100

FINANCE

Zahlung zu t = 2 k

Nutzenmaximale Entnahme für Konsum

Optimale Investition: maximaler Kapitalwert

->-

Zahlung zu f — 7

Y Geldbetrag, den der Investor zu t = 1 anlegt

Bild 4-8: Können die Zahlungen der Investitionen durch Geldanlage und Geldaufnahme zeitlich verschoben werden, dann wählt die Person diejenige Investition, die den größtmöglichen Kapitalwert hat und verändert anschließend, in einem zweiten Schritt, die zeitliche Verfügbarkeit der Rückflüsse so, dass der persönliche Nutzen maximiert wird.

4.3

Von der klassischen zur neoklassischen Finance

Lernziele: U n t e r s c h i e d e z w i s c h e n d e m P a r a d i g m a d e r klassischen u n d d e m d e r n e o k l a s s i s c h e n Finance.

4.3.1

Zwischenfazit

D a s C a p i t a l - B u d g e t i n g ist eine E n t s c h e i d u n g von h o h e r B e d e u t u n g . M i t den Investitionen wird die inhaltliche R i c h t u n g festgelegt, w e l c h e die U n t e r n e h m u n g in den k o m m e n d e n Jahren einschlägt. Mit den F i n a n z i e r u n g e n wird d a r ü b e r entschieden, w e r A n s p r ü c h e erhebt und w i e sie präzisiert sind. D o c h diese inhaltlichen, strategischen A s p e k t e interessieren bei einer auf die Z a h l u n g s w i r k u n g e n reduzierten B e t r a c h t u n g nicht. In d e r T a t d ü r f t e d e r U n t e r n e h m e r letztlich

auf die

Z a h l u n g s ü b e r s c h ü s s e achten. E n t s c h e i d u n g e n ü b e r die m ö g l i c h e n Investitionen u n d F i n a n z i e r u n gen w e r d e n so g e t r o f f e n , dass der Berechtigte aus den Z a h l u n g s ü b e r s c h ü s s e n einen möglichst h o h e n N u t z e n zieht, siehe die O p t i m i e r u n g s a u f g a b e (4-5).

4.

C

101

- B U D G E T I N G

Paradigma

Klassische Finance

Neoklassische Finance

Gibt es einen gut funktionierenden Kapitalmarkt?

Nein

Ja

Zeitraum

Bis 1960

Ab 1960

Vertreter

JOEL DEAN

IRVING FISHER

Welche finanziellen Größen sind wichtig?

Renditen und Renditekennzahlen, auch Buchgrößen

Kapitalwert und Marktgrößen

Wie wird über Maßnahmen entschieden?

Simultanentscheidung, die folglich der Spitze der Hierarchie vorbehalten ist

Einzelentscheidungen sind möglich, die zudem nicht die Kenntnis der Präferenz des Unternehmers verlangen und daher auch in unteren Ebenen getroffen werden können

Wo kommen die Ideen für Investitionen und Finanzierungen her?

Aus dem privaten Bekanntenkreis oder persönlichen Untersuchungen in einem intransparenten Umfeld — da gibt es gute und schlechte Ideen

Sie sind in einer transparenten Umgebung allgemein bekannt — und alle marktgerecht bewertet

Unterscheiden sich die möglichen Finanzierungen?

Ja, sie sind heterogen. Jede Finanzierung ist auf die Umstände und die Beteiligten »zugeschnitten"

Nein, es gibt eine Konvergenz zu wenigen Grundtypen und die Finanzkontrakte sind standardisiert — was die Marktfähigkeit fördert

Bild 4-9: Gegenüberstellung der alten (klassischen) und der neueren (neoklassischen) Finance.

Ein erster Lösungsansatz zum Capital-Budgeting stammt von J. DEAN. Der Ansatz geht davon aus, dass es keinen Kapitalmarkt Z0,Z,,Z2,...,ZN

gibt. Der Unternehmer ist daher von den Zahlungsüberschüssen

direkt betroffen. Der Berechtigte kann sie nicht durch eine Geldanlage oder

Mittelaufnahme in ihrer intertemporalen Gestalt verändern. Sie bestimmen seinen Konsum. Die Annahme, dass es keinen Kapitalmarkt gibt, führt in das Paradigma der klassischen Finance. DEAN ist dem Postulat gefolgt, dass dem Unternehmer die Zahlungsreihe Ζ = ( Z 0 , Z I , Z 2 , . . . , Z N ) dann besonders zusagen sollte, wenn es gelingt, „rentable" Investitionen und „günstige" Finanzierungen im Budget zu kombinieren. Diese intuitiv nachvollziehbare Idee wird so umgesetzt: Die möglichen Investitionsprojekte werden nach ihrer Internen Rendite sortiert. Ebenso werden die möglichen Finanzierungen sortiert. Dann werden die Folge der sortierten Investitionen (in der Reihenfolge abnehmender interner Renditen) und die Folge der sortierten Finanzierungen (in der Reihenfolge zunehmender interner Renditen) gegenübergestellt — eine Simultanbetrachtung. So wird das optimale Budget bestimmt. Allerdings kann dieser Ansatz zu Unstimmigkeiten führen, weil weder die residuale Zahlungsreihe Ζ = (Z0,Zl,Z2,...,ZN)

noch der ihr entsprechende Nutzen U(Z) berücksichtigt wer-

den. In der Tat kann vorkommen, dass ein Budget Β , das nach DEAN nicht optimal ist, eine residuale Zahlungsreihe ZB bewirkt, die sogar auf einen höheren Nutzen als die Zahlungsreihe welche nach DEAN optimal ist, hinführt: U(ZA) , X a > und X ( 3 ) aufgestellt. Die Netto-Barwerte sind NPV(Xm)

= 120, NPV{Xm)

= -50 und NPV(X(3))

= 80. Finanzie-

rungen werden nicht betrachtet. Alle drei Projekte können abgelehnt werden. Bei der Annahme gibt es eine Nebenbedingung: X 1 1 ' kann nur realisiert werden, wenn auch X(2'

realisiert wird, a) Wie viele Entscheidungsmöglichkeiten oder Budgets gibt es zu

beachten? b) Welches ist jeweils der Netto-Barwert der resultierenden Zahlungsreihe? c) Welche Gesetzmäßigkeit wird zur Beantwortung der Teilfrage c) verwendet? 7. Richtig oder falsch? a) Wenn es keinen Kapitalmarkt gibt und eine Unternehmung von zwei berechtigten „Unternehmern" geführt wird, kann es zu Meinungsverschiedenheiten beim Capital-Budgeting kommen, b) Warum lösen sich Interessenskonflikte zwischen mehreren Eignern, wenn es einen Kapitalmarkt gibt? 8. Sollte im Licht der Analyse von FISHER eine international tätige Unternehmung mit Tochtergesellschaften in mehreren Ländern deren Reporting auf die lokalen nationalen Finanzmärkte abstellen oder verlangen, dass stets in der Referenzwährung des Sitzes des Konzerns berichtet wird? 9. Betrachten Sie die nachstehende Abbildung. Welchen der durch eine geschweifte Klammer dargestellten Geldbeträge legt der berechtigte Unternehmer am Kapitalmarkt zum Zeitpunkt t=l an? a) Den mit a bezeichneten Betrag, b) b. c) c. d) Den Gesamtbetrag der beiden Klammern c+d. e) Keine der Antworten a) bis d) ist richtig.

4. C

-BUDGETING

105

Zahlung zu 1=2

a

Optimale Investition: maximaler Kapitalwert b Zahlung zu

V

V d

C

4.4.3

f=

1

J

Antworten und Lösungen

1. Keine der Antworten a) bis d) ist richtig; e) ist korrekt. 2. Die Aussagen a) und c) sind falsch, b) und d) sind korrekt. 3. Nur d) ist mit dem perfekten Markt kompatibel. 4. Offensichtlich ist keine Finanzierung möglich. Deshalb ist, wenn eines oder wenn beide Projekte angenommen werden, Z 0 < 0 . So kommt es darauf an, ob die Unternehmerin ein Z 0 < 0 tragen kann. Das ist eine Frage nach dem Anfangsbesitz der Unternehmerin. Sind das weniger als 100 Geldeinheiten, kann sie keines der Projekte realisieren. Sind es mehr als 300 Geldeinheiten, könnte sie sogar beide Projekte gleichzeitig realisieren. Sodann ist ihre persönliche Zeitpräferenz wichtig. Wenn die Unternehmerin ungeduldig ist, dürfte sie X 0 ) den Vorzug geben. Denn auch wenn Xm

„rentabel" aussieht, erfolgt der

Rückfluss vergleichsweise spät. 5. a) NPV(X)

= 81,60 bei einer Diskontrate von 8 % , NPV(X)

= 75,64 bei 9 % . b) Der

NPV reduziert sich um ( 8 1 , 6 0 - 65,64) / 81,60 = 7 , 3 % , falls die Diskontrate von 8 % auf 9 % steigt, c) r * ~ 2 7 , 3 1 % . 6. a) Es gibt sechs Handlungsmöglichkeiten oder Budgets: Man kann: erstens alle Projekte verwerfen (0), zweitens Xm

und Xa'

annehmen (70), drittens X ' 2 ' ( - 5 0 ) allein, vier-

tens X ( 3 ) (80), fünftens Xm

und Xa)

(30), sechstens Xm,

Xa'

und X"> annehmen

(150). b) Die Netto-Barwerte der sechs Budgets sind in Klammern angegeben, c) Zur Ermittlung dieser Barwerte von Kombinationen von Zahlungsreihen wurde die Wertadditivität (des Kapitalwerts) verwendet.

106

FINANCE

7. a) Richtig, denn sie könnten unterschiedliche Nutzenfunktionen haben. So könnte einer der berechtigten Investitionen bevorzugen, die baldige Rückflüsse (und damit Auszahlungen) haben, während der andere vielleicht Zahlungen (und Konsum) in der späteren Zukunft bevorzugt, b) Weil alle Eigentümer dasselbe Ziel haben, den Netto-Barwert zu maximieren, gibt es keine Interessenskonflikte. 8. Die Konzernleitung betrachtet die Töchter als Projekte und wird sie im Hinblick auf die Fisher-Separation anhand der Kapitalwerte und der Zahlungsreihen bewerten, die dem Finanzmarkt und der Referenzwährung

des Konzerns entsprechen — genau wie der zu-

vor betrachtete Unternehmer die ihm aus allen geschäftlichen Maßnahmen zufließende Zahlungsreihe Ζ aufgrund seines Zugangs zum Kapitalmarkt und seiner Möglichkeiten im Kapitalmarkt in eine Zahlungsreihe transformiert, die seinen Nutzen maximiert. Indessen kann beim multinationalen Konzern aus praktischen Gründen eine Berichtserstellung in den nationalen Währungen der Töchter nahe liegen. Die Zentrale wird die lokalen Berichte dann für ihre Zwecke übersetzen. 9. Korrekt ist e), denn der Unternehmer legt zu t-1 den Betrag d an (und erhält dafür zu f=2 den Betrag a als Anlageergebnis).

5

MODIGLIANI u n d MILLER Im Zentrum dieses Kapitels steht die These von F. MODIGLIANI und M. MILLER (MM), wonach der Wert einer Unternehmung unabhängig von den Ausschüttungen und unabhängig von der Dividendenpolitik ist. Wir werden zunächst den Wert der Unternehmung als Preis der Beteiligungstitel in einem perfekten Kapitalmarkt herleiten. Der Weg beginnt mit dem Dividend Discount Model DDM und führt zum Gordon Growth Model GGM. Im Rahmen des GGM können wir die Irrelevanzthese formal begründen.

5.1

5.1

DDM und Transversalität

107

5.2

GGM und MM

117

5.3

Ergänzungen und Fragen

127

DDM und Transversalität

Lernziele: 1. Die Identifikation der Rückflüsse mit den Dividenden und mit dem späteren Verkaufserlös. 2. Warum der Unternehmenswert nicht unbedingt gleich der Summe der diskontierten Dividenden ist — das Dividend Discount Model setzt Transversalität voraus. 3. Situationen, in denen die Transversalität nicht erfüllt ist.

5.1.1

Unternehmenswert

Wir wenden uns nun der Frage zu, ob es für einen Finanzanleger interessant ist, sich an einer Unternehmung zu beteiligen, etwa durch den Kauf von Aktien. Typischerweise hält ein privater oder institutioneller Investor ein diversifiziertes Portfolio. Anlagen in mehreren Unternehmungen haben natürlich zur Folge, dass die persönliche Beziehung zwischen dem Finanzinvestor und einem jeden einzelnen Beteiligungsobjekt sich versachlicht und eher distanziert gestaltet. Der Finanzinvestor beurteilt Aktien daher rein aus einer finanziellen Sicht. Die mögliche Beteiligung soll wieder als eine Zahlungsreihe beschrieben werden. Dabei wollen wir versuchen, generelle und übertragbare Erkenntnisse zu gewinnen. Das ist im Paradigma der klassischen Finance nicht möglich. Denn wenn es keinen Kapitalmarkt gibt, würde ein Finanzinvestor die Konditionen für eine Beteiligung und die ihm zukommenden Rückflüsse im Licht seiner augenblicklichen finanziellen Möglichkeiten und seiner persönlichen Zeitpräferenz betrachten. Die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung einer Beteiligung (oder des Aktienkaufs) wäre dann von den persönlichen Umständen bestimmt und folglich nicht generalisierbar.

108

FINANCE

Die Gewinnung einer allgemeinen Erkenntnis kann daher nur erwartet werden, wenn als Rahmen das Paradigma der neoklassischen

Finance gewählt und somit ein (gut funktionierender) Kapi-

talmarkt angenommen wird. Denn in diesem Paradigma greift die Fisher-Separation. Die Frage der Vorteilhaftigkeit einer Beteiligung ergibt sich somit aus dem Nettobarwert der Zahlungen, die mit dem Erwerb, dem Halten und einem eventuellen Verkauf der Beteiligung verbunden sind. Ob der betrachtete Finanzinvestor im Augenblick gerade genügend Geld hat und wie seine Zeitpräferenz aussieht, hat keinen Einfluss auf die Frage, ob der Netto-Barwert positiv ist oder nicht. Es kommt überhaupt nicht darauf an, wer der Finanzinvestor ist. Auf diese Weise kann die Frage der Vorteilhaftigkeit einer Beteiligung generell geklärt werden — sofern wir sie im Paradigma der neoklassischen Finance behandeln. Deshalb wird, wie bei der Fisher-Separation unterstellt, ein perfekter Kapitalmarkt vorausgesetzt. 1 Wir wollen den Kurs oder Preis unter der Annahme bestimmen, dass der Kapitalmarkt gut funktioniert, eben unter der Annahme eines perfekten Kapitalmarkts. Wir werden also den Wert der Aktie oder des Beteiligungstitels bestimmen. Der Preis, den ein Beteiligungstitel oder den alle Beteiligungstitel einer bestimmten Unternehmung im (angenommenen) perfekten Kapitalmarkt haben, ist der U n t e r n e h m e n s wert. Genau wie es bei allen anderen Investitionen auf die anfänglichen Auszahlungen und die späteren Rückflüsse ankommt, ist bei der Unternehmensbewertung wichtig, welche Rückflüsse prognostiziert werden, wenn jemand die Beteiligung hält und vielleicht später einmal verkauft. Der Unternehmenswert ist gleich der Summe der Barwerte dieser Rückflüsse, mithin gleich dem PV . Im perfekten Markt muss PV als Preis bezahlt werden, um die Beteiligung zu erwerben und ein Verkäufer der Ansprüche auf diese Zahlungen kann PV erhalten. Der Netto-Barwert NPV

der ge-

samten Zahlungsreihe — Kauf des Titels oder der Aktie, Halten, Verkauf — ist daher aus heutiger Sicht (Zeitpunkt t - 0 ) gleich Null. Die Rückflüsse, die während der Haltedauer der Beteiligung vereinnahmt werden, sind erstens die Dividenden. wobei der allgemeinen

Einschätzung

der Marktteilnehmer

Die Dividenden werden prognostiziert, gefolgt wird (und nicht der Meinung

des gerade betrachteten Interessenten). Der letzte Rückfluss ist der spätere Verkaufspreis,

der er-

zielt werden kann. Der Verkaufspreis ist ebenso unsicher. Wir nehmen an, der Beteiligungstitel kann in jedem zukünftigen Jahr zum Wert verkauft werden, den er dann haben wird. Wir unterstellen also auch zum Verkaufszeitpunkt einen perfekten Kapitalmarkt. Die Diskontierung der zukünftigen Rückflüsse — Dividenden, Verkaufserlös — erfolgt mit einer Rendite r , die als marktgerecht

angesehen wird (und deren Höhe wir im Kapitel 7 bestimmen). Hierbei handelt es

sich um eine Größe, die nicht (nur) von der Einzelmeinung des Finanzinvestors abhängt. Wie bei der Prognose der Dividenden kommt es auf die allgemeine Sicht aller Marktteilnehmer

1

an.

Der Finanzinvestor soll die ihm zukommenden residualen Zahlungsreihen in ihrer intertemporalen Gestalt verändern können, indem Geldanlagen oder Kreditaufnahmen getätigt werden. Selbstverständlich wird die Marktfähigkeit erhöht, w e n n die B e t e i l i g u n g die F o r m eines W e r t p a p i e r s hat. U m die Ü b e r t r a g b a r k e i t u n d M a r k t f ä h i g k e i t an-

zudeuten, sprechen wir auch von einer Aktie oder einem Beteiligungstitel. In unserer heutigen Realität gibt es einen Kapitalmarkt, an dem Aktien und überhaupt Beteiligungstitel gehandelt werden und ihren Kurs oder Preis finden.

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

1 09

Der heutige Marktwert eines Beteiligungstitels ist selbstverständlich unabhängig davon, wie lange der Titel gehalten wird, genau wie der Marktpreis irgend eines Objekts unabhängig davon ist, was ein einzelner Käufer mit der Sache vorhat. In unserem Kontext wird der eine Finanzinvestor die Aktie kaufen und sie vielleicht nach einem Jahr verkaufen. Ein anderer Finanzinvestor wird den Beteiligungstitel erwerben und vielleicht zwei Jahre halten. Da der Wert (Preis im perfekten Markt) gleich dem Barwert der Rückflüsse ist, müssen die Barwerte der Rückflüsse in beiden Fällen übereinstimmen. Denn wäre zum Beispiel der Barwert bei zweijähriger Haltedauer geringer, dann würde der Markt im zweiten Jahr austrocknen, weil niemand für sich einen geringeren Barwert realisieren wollte. Das kann in einem perfekten Markt nicht passieren. Aufgrund dieses Sachverhalts können wir schreiben:

Wa

=

=

_

3 L + l+r 1+ r D

W, 2

1+ r

(1 + r)

A 1+r

D, (1 + r) 2

(5-1)

(1 + r) 2 D, (1+r) 3

(1 + r) 3

Damit ist eine wichtige Grundgleichung formuliert. Sie wird helfen, den gesuchten Unternehmenswert zu ermitteln. Er ist mit VV(1 bezeichnet, weil er sich das Jahr t = 0 bezieht, auf „heute". Die betrachtete Unternehmung zahle Dividenden, die für das Jahr t = 1,2,... in der Höhe D, prognostiziert werden. Im angenommenen perfekten Markt haben alle Finanzinvestoren einen übereinstimmenden Informationsstand, so dass es sich bei der Prognose von D,,D 2 ,... um eine allgemein geteilte Erwartung handelt, die sich auf das heute generell verfügbare Wissen bezieht. Sowohl der Wert W{) als auch die Dividenden DX,D2,... können sich auf die gesamte Unternehmung oder einen einzigen Beteiligungstitel beziehen. Wie (5-1) festhält, ist der (heutige) Untemehmenswert W0 unabhängig davon, wann die Beteiligung wieder verkauft wird. Der Verkaufserlös, wenn im Jahr t verkauft wird, ist gleich dem Wert, den die Unternehmung oder den ein Beteiligungstitel zu t haben wird. Diese Größe ist wieder unsicher und wird aus dem heutigen Informationsstand von allen Marktteilnehmern in der Höhe W, prognostiziert. Ein Hinweis: Wt ist nicht gleich dem Wert, den die Unternehmung heute in t Jahren haben wird, wenn dann, zu t, eine Bewertung vorgenommen wird. Den Wert, der in 1 errechnet werden wird, kennen wir zum heutigen Zeitpunkt noch nicht. Denn diese Größe hängt von den Informationen ab, die man zu t haben wird. Wt ist hingegen die aufgrund der heute verfügbaren Informationen vorgenommenen Prognose dieses Unternehmenswerts zum späteren Zeitpunkt t.

110

FINANCE

5.1.2

Dividend Discount Model

Das System (5-1) zeigt leider einen Teufelskreis: •

Um den Unternehmenswert W0 zu ermitteln, muss man nicht nur die Dividende D, wissen, die in einem Jahr gezahlt wird. Zusätzlich muss man W] kennen, also den Wert prognostizieren, den die Unternehmung in einem Jahr haben dürfte.



Oder man muss die Dividenden in den kommenden beiden Jahren D ¡ , D2 sowie den Wert W2 der Unternehmung in zwei Jahren prognostizieren können.



Oder man muss die Dividenden in den kommenden drei Jahren Di,D2,Di

sowie den

Wert W, der Unternehmung in drei Jahren prognostizieren können ... Selbst wenn alle Dividenden bis in ein vielleicht fernes Jahr t prognostiziert sind und somit £),, D2

als gegeben betrachtet werden dürfen, verlangt die Ermittlung des heutigen Unter-

nehmenswerts die zusätzliche Prognose und Berücksichtigung der Verkaufsmöglichkeit in Höhe W,. Um den heutigen Unternehmenswert zu berechnen muss der zukünftige Unternehmenswert bekannt sein. Dieser Teufelskreis muss aufgebrochen werden. Hierzu soll das System (5-1) in der dazu äquivalenten Form

Wo

in Σ tí

=

D, WT TT^r +TT^F (1 + r) ü + ry

ßr alle Τ =1,2,...

(5-2)

geschrieben werden. Da diese Beziehung für alle Τ = 1,2,... gilt, muss sie (sofern die Grenzwerte existieren) auch für Τ —> °o erfüllt sein, also: /) W00

=

t tí

(1 + r)'

IV lim——f T T-*~(l + r)

(5-3)

Mit (5-3) ist eine recht allgemeine Formel für den Unternehmenswert gefunden: Der Unternehmenswert ist gleich der Summe der Barwerte aller zukünftigen Dividenden die (aus heutiger Prognose) gezahlt werden plus dem Grenzwert der Barwerte der für die zukünftigen Jahre prognostizierten Unternehmenswerte. Doch die Formel (5-3) wirkt abstrakt, vor allem aufgrund des rechten Terms. Zudem ist der Teufelskreis — der heutige Unternehmenswert hängt von den zukünftigen Unternehmenswerten ab — noch nicht ganz durchbrochen, denn immer noch erscheinen in der Formel für den heutigen Unternehmenswert die zukünftigen Unternehmens werte. Immerhin zeigt die Formel, dass der heutige Wert nur noch davon abhängt, wie sich die diskontierten zukünftigen Unternehmenswerte schließlich, also für Τ —» °o, verhalten. Die Formel (5-3) wird stark vereinfacht, wenn die diskontierten Unternehmenswerte schließlich gegen Null gehen:

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

lim——

111

=

0

(5-4)

Diese Bedingung (5-4) heißt Transversalität. Sie ist keine Feststellung, sondern eine Annahme. Ist die Transversalität erfüllt, dann entsteht aus (5-3) eine deutlich einfachere Wertformel:

W0

Transversalität

00

=

y tí

I)

-— α+r)'

(5-5)

Ist die Transversalität erfüllt (was oft, aber nicht immer der Fall ist), dann ist der Wert der Unternehmung gleich der Summe der Barwerte aller zukünftiger Dividenden. Der bei Wiederverkauf erzielbare Erlös spielt keine Rolle mehr. Die Bewertungsformel (5-5) wird als Dividend Discount Model bezeichnet und mit DDM abgekürzt. Zur Verdeutlichung: Dies ist der Wert der Beteiligung, also der Preis im perfekten Markt. Dieser Wert gilt für alle Investoren, auch zum Beispiel für einen Investor, der die Beteiligung vielleicht nur für ein Jahr oder für zwei Jahre behalten möchte.

5.1.3

Kommentar

Bevor die Transversalität näher beleuchtet wird, sei eine Einwand aufgegriffen, der gelegentlich vorgebracht wird. Es heißt, soviel Mathematik zur Herleitung des DDM sei übertrieben. Schließlich liege doch auf der Hand, dass eine Beteiligung soviel wert ist, wie sie abwirft. Und was eine Beteiligung abwirft, sind die Dividenden. Also sei doch klar, dass der Unternehmenswert gleich der Summe aller diskontierter Dividenden sein müsse. Außerdem, so die Kritiker, sei (5-5) eine nahe liegende Verallgemeinerung des Kapitalwerts einer Zahlungsreihe — des in Formel (2-5) eingeführten PV — auf den Fall, dass die Zahlungsreihe nicht endliche sondern unendliche Länge habe. Und selbstverständlich sind im vorliegenden Zusammenhang die Rückflüsse der Investition mit den Dividenden gleichzusetzen. Dieser Einwand geht aber daneben. Die hier begründete Aussage ist eine andere. Wir haben dies gezeigt: Der Unternehmenswert ist dann und nur dann gleich dem Barwert der Dividenden, wenn die Transversalität gilt. Die Entdeckung ist also nicht so sehr der in (5-5) ausgedrückte Barwert der Dividenden. Die Entdeckung ist, dass die Transversalität als Bedingung zu verlangen ist. Im allgemeinen, wenn die Transversalität vielleicht nicht erfüllt ist, gilt nur die generelle Bewertungsformel (5-3). Der Unternehmensweit ist gleich der Summe der Barwerte aller zukünftigen Dividenden die (aus heutiger Prognose seitens aller Marktteilnehmer) gezahlt werden plus dem Grenzwert der Barwerte der für die zukünftigen Jahre prognostizierten Unteraehmenswerte. Zwischenergebnis: Das DDM (5-5) wurde in drei Schritten hergeleitet. 1. Die Investoren achten bei einer Beteiligung nur auf die Zahlungen.

112

FINANCE

2. Es wurde argumentiert, dass es bei verschiedenen Zahlungsreihen nur auf deren Barwert ankommt, denn wir sind von der Existenz eines perfekten Kapitalmarktes ausgegangen: Die Fisher-Separation greift. 3. Wir haben Transversalität (5-4) angenommen, weshalb die Verkaufserlöse (in der unendlich fernen Zukunft) keine Rolle mehr spielen. Um das DDM in einem konkreten Fall anwenden zu können, müssen drei Informationen beschafft werden. Erstens müssen Prognosen hinsichtlich der zukünftigen Dividenden D,,D 2 ,... gebildet werden. Zweitens muss die Diskontrate r bestimmt werden, um die Barwerte der Dividenden berechnen zu können. Die Diskontrate ist jene Rendite, die im Kapitalmarkt als situationsgerecht für diese Unternehmung angesehen wird. Wir werden (im Kapitel 7) sehen, dass dazu die Risiken, mit denen die Dividenden behaftet sind, in eine marktgerechte Rendite übersetzt werden müssen. Die dritte Information betrifft schließlich die Transversalität. Denn nur wenn sie angenommen werden kann, ist die Bewertung anhand der Formel (5-5) gerechtfertigt. Zu den Prognosen der Dividenden D,,D 2 ,... und zur Ermittlung der Diskontrate r sind zwei Punkte zu ergänzen, die immer wieder zu Fragen Anlass geben. Der eine Punkt betrifft die Frage, ob die Prognosen die einer einzigen Person sind, etwa jener, die sich mit dem Kauf oder Verkauf der Beteiligung trägt, und ob deshalb die Prognosen möglicherweise auf rein persönlichen Kenntnissen beruhen. Der zweite Punkt betrifft die Rolle von Fakten, von historischen Daten, und von Zahlen aus dem Rechnungswesen für die Bewertung. Zum ersten Punkt. Gesucht ist nicht der „Wert", den die Beteiligung für eine einzelne Person hat, sondern der Marktwert, der Preis also, den die Beteiligung in einem perfekten Markt hat. Die Informationen zu Dividenden, Rendite, Transversalität sollen daher möglichst „objektiv" oder breit abgestützt sein. Denn der Preis (in einem als perfekt modellierten Markt) kommt aufgrund des Angebots und der Nachfrage aller Marktteilnehmer zustande. Die Prognosen der Dividenden Dt,D2,... ebenso wie die Diskontrate r und die Beurteilung, ob die Transversalität erfüllt ist, müssen daher aufgrund der Einschätzungen möglichst zahlreicher Marktteilnehmer gebildet werden. Bei der Bewertung genügt daher nicht, auf die persönliche Sicht einer Einzelperson (Kaufinteressent, Manager) abzustellen. So wird ein Analyst oder ein Wirtschaftsprüfer bei einer Unternehmensbewertung darauf achten, dass die von ihm verwendeten Prognosen jene Gegebenheiten und Möglichkeiten der Unternehmung widerspiegeln, die allgemein „im Markt" geteilt werden. Grundlage ist eine Geschäftspolitik, die für die Unternehmung allgemein als realistisch eingeschätzt wird. Gleiches gilt für Optimierungen, für Synergien und für Wachstum. Dieses Erfordernis wird als materielle Korrektheit angesprochen. Insofern bleibt bei einer materiell korrekten Unternehmensbewertung Insiderwissen außer Acht. Gleiches gilt für strategische Möglichkeiten oder für Synergien, die nur eine einzige Person oder wenige Personen kennen. Der Untemehmenswert ist in diesem Sinn eine objektive Größe. Deshalb spricht das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) in seinen (im Internet verfügbaren) Standards ES I n. F. von einem „objektiven Unternehmenswert", der einen „typisierten und intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert" darstelle (IDW ESI 42).

5. M O D I G L I A N I U N D

S

MILLER

113

Der Wert von Unternehmen hängt von den Rückflüssen ab, wie sie allgemein im Markt prognostiziert werden, sowie von den Risiken, welche die marktgerechte Diskontrate bestimmen. Gleiches gilt für die Einschätzung, ob die Transversalität als erfüllt angesehen werden darf. Beim zweiten Punkt ging es um die Frage, ob sich eine Bewertung nicht besser auf Fakten, historische Daten, und Zahlen aus dem Rechnungswesen abstützen sollte. Nun hängt der Marktpreis eines Objektes von der Zukunft ab. Diese elementare Feststellung trifft auch dann die Wirklichkeit, wenn es nicht leicht fallt, Prognosen anzustellen. Die Dividenden beziehen sich auf die Zukunft. Die Diskontrate bezieht sich auf die kommenden Jahre. Die Transversalität betrifft sogar die unendlich ferne Zukunft. Weil wir die Zukunft nicht kennen, sind wir gezwungen, Erwartungen und Prognosen zu bilden. Dafür verwenden wir Fakten, die bekannt sind. Solche Fakten kamen in der Vergangenheit zustände. Der Wert hängt zwar von der Zukunft ab, genauer, er hängt davon ab, wie die am Kapitalmarkt Teilnehmenden in ihrer Mehrheit die Zukunft der Dividenden D,,D 2 ,... einschätzen, welche Erwartungen sie hinsichtlich der Rendite r haben und ob sie die Trans-

ís

R

versalität als zutreffend ansehen. Für diese Erwartungsbildung gehen die Investoren von Sachverhalten aus, die sich in der Vergangenheit herausgebildet haben. Gewisse Merkmale der Unternehmung, die oft erhoben und für „wichtig" erachtet werden, so beispielsweise Zahlen aus dem Rechnungswesen, haben für den Unternehmenswert deshalb insoweit Bedeutung, als sie dem Markt dazu verhelfen, genauere Prognosen zu bilden.2

5.1.4

Transversalität

Die Transversalität (5-4) darf nicht als Spitzfindigkeit angesehen und schnell auf die Seite geschoben werden. Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine kritische Bedingung. Denn der Unternehmenswert erwies sich als dann und nur dann gleich dem Barwert der Dividenden, wenn die Transversalität erfüllt ist. Ob die Transversalität gilt, muss folglich genau geprüft werden. Hierzu soll eine Situation betrachtet werden, in der zwar die Unternehmenswerte W0,Wl,W2,W3,... durchaus wachsen können, jedoch sollen sie mit der Zeit nicht so schnell wachsen wie die Folge (1 + r ) , (1+ r) 2 , (l + r ) 3 , ( l + r ) 4 . . . zunimmt. Dann werden die diskontierten Werte im Verlauf der Jahre immer geringer und die Transversalität ist erfüllt:

2

W e r eine Unternehmung bewertet und daher Prognosen treffen muss, geht oft von leichter beobachtbaren Größen aus, die zu den gesuchten Rückflüssen und den Risiken in einem betriebswirtschaftlich begründeten Zusammenhang stehen. Beispielsweise kann v o m Gewinn auf Ausschüttungen geschlossen werden. Von der Forschung und Entwicklung kann auf zukünftige Gewinne geschlossen werden. Von der Kreativität der Mitarbeiter der Unternehmung kann auf Chancen und Optionen geschlossen werden, die ergriffen werden, sofern es das Marktumfeld erlaubt. Von Buchwerten kann (mit Einschränkungen) auf einen Liquidationswert geschlossen werden, der dann sagt, welches die untere Grenze der risikobehafteten Rückflüsse wäre. Deshalb spielen alle diese Fakten und Größen eine Rolle, auch wenn sie nicht direkt den Wert begründen. Ihre Rolle besteht darin, einen Schluss auf die Zahlungen zu erlauben (Dividenden), die den Investoren in Zukunft zufließen werden.

114

FINANCE

w,

>

1+ r

W2 ^ - — > (l + r) 2

W3 ä-r (1 + r) 3

(5-6)

>...

Um diese Situation näher zu begründen, müssen wir kurz etwas über die Diskontrate r sagen. •

Sie ist erstens jene Rendite, mit der jemand im Markt auf vergleichbare Weise Mittel anlegen kann. Beispielsweise kann ein Finanzinvestor mit dem Geldbetrag W0 den Dividendenstrom D,,D 2 ,... kaufen. VV(I ist der Barwert der Dividenden D,,D 2> ... oder anders ausgedrückt: NPV = 0 . Alternativ könnte der Finanzinvestor seine Mittel anders investieren. Ist die Alternative vergleichbar, so wird sie bei derselben Rendite r ebenso einen Nettobarwert von 0 haben. Andernfalls würden die Marktteilnehmer eine der Investitionen klar bevorzugen. Im Markt würden sich sofort andere Preise einstellen.



Zweitens ist die Rendite jene Rendite, welche die betrachtete Unternehmung auch erwirtschaftet. Würde sie weniger erzielen, dann wären die Ausschüttungen geringer und der Barwert der Ausschüttungen wäre geringer als W(l. Insgesamt ist die Diskontrate oder Rendite einerseits die Vergleichsrendite im Markt, andererseits die Rendite, die ein Einsatz von W0 wirtschaftlich erzeugt.

Das Wirtschaftsergebnis kann nun zum Teil als Dividende ausgeschüttet werden, zum Teil wird es einbehalten und in der Unternehmung investiert. Durch Einbehaltung und Wiederanlage von Ergebnissen in der Unternehmung steigen deren Werte über die Jahre hinweg an. Allerdings nehmen die Unternehmenswerte weniger stark zu als durch die Rendite beschrieben wird, weil ein Teil des Wirtschaftsergebnisses als Dividende abfließt. Das Wachstum der Unternehmenswerte ist infolgedessen schwächer als die Folge (1 + r ) , (1 + r ) 2 , (1 + r ) 3 , ( 1 + r ) 4 . . . Fazit: Die Transversalität ist erfüllt, sofern die Unternehmung Ausschüttungen tätigt und dadurch etwas langsamer wächst. Die Transversalität ist allerdings nicht immer erfüllt. Wir betrachten eine Unternehmung, für welche die zukünftigen Dividenden in den Höhen Di,D1,Di,...

prognostiziert

werden. Weiter stellen wir uns vor, die zu bewertende Unternehmung könne gedanklich in zwei Teile zerlegt werden. Der Anschaulichkeit wegen nennen wir den einen Unternehmensteil „Betrieb" und den anderen „Finanzanlagen". Die wirtschaftliche Leistung beider Unternehmensteile soll vom Markt mit der übereinstimmenden Rendite r eingeschätzt werden, die so für beide Teile die adäquate Rate für die Diskontierung darstellt. •

Die eben genannten und mit £>,,D 2 ,D 3 ,... prognostizierten Dividenden sollen voll aus der betrieblichen Leistung stammen. Dabei sollen die Dividenden, gemessen am Wert des Betriebs, auf Dauer eine gewisse Mindestschranke nie unterschreiten. Würde der Betrieb als eigenständige Unternehmung betrachtet, so wäre für ihn die Transversalität erfüllt. Wir notieren den Wert, der für den Betrieb aus heutiger Sicht für das Jahr t prognostiziert wird, mit ß , . Also gilt lim ß, = 0 für t —> oo. Der heutige Wert des Betriebs ist

nach

dem

DDM

Ä0=XZ)(/(l + r)'.

gleich

der

Summe

aller

diskontierter

Dividenden,

5. M O D I G L I A N I



UND

MILLER

115

Bei den Finanzanlagen unterstellen wir, dass deren Erträge voll wieder angelegt werden. Aus den Finanzanlagen erfolgen daher keine Ausschüttungen an die Beteiligten. Da die Rendite bei den Finanzanlagen nach Voraussetzung ebenso r ist, wachsen die Werte der Finanzanlagen Jahr um Jahr mit eben dieser Rendite, F, = F 0 · (1 + r), F2 = F, • (1 + r) = F 0 • (1 + r)2, ... F, = F 0 · (1 + r)' und so fort. Wenn wir die Folge der diskontierten Werte der Finanzanlagen F, /(I + r)' betrachten, so sind alle Folgenglieder gleich F 0 . Daher ist auch der Grenzwert der Folge gleich F0 und somit größer als Null. Die Transversalität ist für diesen Unternehmensteil nicht erfüllt. Daher kann der Wert der Finanzanlagen nicht als Summe aller diskontierten Ausschüttungen gewonnen werden — die ohnehin alle gleich Null sind.

Nun wenden wir uns der gesamten Unternehmung zu. Der relative Anteil der Finanzanlagen am Unternehmenswert nimmt laufend zu, während der relative Anteil des Betriebs zurück geht. Denn die Bt wachsen mit t spürbar langsamer als die Faktoren (1 + r)', immerhin konvergieren die diskontierten Betriebswerte B, /(1 + r)' gegen Null. Die Werte der Finanzanlagen F ( wachsen hingegen genauso schnell wie die Faktoren (1 + r)', denn es gilt Ft = F 0 · (1 + r)'. Hinsichtlich der Werte der Unternehmung als Ganzes gilt demnach dies: Die Folge der diskontierten Werte, IV, /(I + r)' = Β, /(I + r)' + F, /(I + r ) ' , konvergiert nicht gegen Null: W lim_Jlr_ (1+ r ) r

=

=

5.1.5

Hm

τ~>·"

lim

ΒT + FT (1 + r)T Βτ t

(5-7) + lim

R

'

=

0 + F0

Perlen und Lasten

Finanzanlagen haben die Bedeutung von Perlen: Sie sind wertvoll, aber eigentlich nicht (zur Generierung der abgegebenen Dividenden) erforderlich. Perlen werden im Verlauf der Jahre immer wertvoller. Dies geschieht mit einer Rate, die nicht geringer ist als jene, mit der diskontiert wird. Daher strebt auch der Barwert der diskontierten Werte (einer Perle) nicht gegen Null. Perlen zerstören die Transversalität. Der Wert einer Unternehmung mit Perlen ist nicht gleich der Summe der Barwerte der Dividenden. Der Wert einer Unternehmung ergibt sich aus dem, was sie in allen zukünftigen Jahren noch abwirft, plus dem Wert von Perlen — sofern solche vorhanden sind.

116

FINANCE

Diese theoretisch gewonnene Einsicht findet große Beachtung in der Bewertungspraxis. Der Experte zerlegt eine Unternehmung, die bewertet werden soll, regelmäßig in zwei Teile. Der erste Teil, hier von uns als „Betrieb" bezeichnet, umfasst das so genannte betriebsnotwendige Vermögen. Der zweite Unternehmensteil, hier als „Finanzanlagen" beziehungsweise dann als „Perlen" bezeichnet, besteht aus dem nicht-betriebsnotwendigen Vermögen. Betriebsnotwendig sind alle Aktivitätsbereiche (und das zugehörige Sach- und Wissenskapital), die zur Erzeugung der Dividenden Verwendung finden. Nicht-betriebsnotwendig sind alle Aktivitätsbereiche (und das ihnen zugehörige Sachund Wissenskapital), aus denen keine Ausschüttungen erfolgen. In der Praxis vereinfacht man dieses Kriterium etwa so, dass unbebaute Gründstücke und betrieblich nicht notwendige Finanzanlagen getrennt bewertet werden, etwa durch Marktvergleiche. Ihr Wert wird dann — wie in (5-8) vorgesehen — zu dem des „eigentlichen Betriebs" addiert, der wiederum nach dem DDM bestimmt wird (oder einem anderen Verfahren, das ebenso auf die Summe der Barwerte von „Rückflüssen" abhebt). Ab und zu ist der Grenzwert der Folge der diskontierten Untemehmenswerte, lim Wt /(I + r)' für /—>=», zwar wohl bestimmt, aber negativ. Auch dann ist die Transversalität (5-4) verletzt. Dieser Fall tritt ein, wenn die Unternehmung Verpflichtungen erfüllen muss, deren Erfüllung im Verlauf der Zeit immer teurer wird und zwar so stark, dass die Kosten ebenso mit der Rendite r wachsen. Wir sprechen von Lasten. Lasten wirken sich bei der Unternehmensbewertung aus wie negative Perlen. Eine solche Last kann sich beispielsweise aus einer Sanierungsauflage ergeben. Oft wird eine Unternehmung verpflichtet, ein Betriebsgelände in seinen natürlichen Zustand zu überführen, sollte die Betriebstätigkeit einmal aufgegeben werden. Es wird nicht verlangt, dass das Betriebsgelände zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder frei gemacht wird. Es heißt nur: Sollte die Unternehmung irgendwann einmal ihre Tätigkeit aufgeben, dann muss zu jenem Zeitpunkt eine Sanierung vorgenommen werden. Der Punkt für die Bewertung ist, dass solche Sanierungen im Verlauf der Jahre immer teurer werden. In gewissen Fällen, etwa wenn Gifte entsorgt werden müssen, dürften die Sanierungskosten mit derselben Rate Jahr um Jahr teurer werden, mit der diskontiert wird. Das heißt, die diskontierten Sanierungskosten konvergieren nicht gegen Null. Solche Lasten müssen dann von der Summe der (diskontierten) Dividenden abgezogen werden. Wir können daher die Bewertungsformel (5-3) so schreiben:

Wert =

Y tí

——— (1 + ry

+

Perlen

-

Lasten

(5-8)

Beispiel 5-1: Unter Umständen ist der Wert einer Unternehmung, die zugunsten der Beteiligten regelmäßig ansehnliche Ausschüttungen vornimmt, negativ. In Graz gibt es eine Mülldeponie, bei der das Stadtparlament einmal beschlossen hat, das Gelände müsse saniert werden, sofern die

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

117

Deponie einmal aufgegeben werde. Der Deponie wurde im Grunde eine unbefristete Betriebslizenz belassen, nur hieß es nun, dass im Fall einer Beendigung dieses und jenes zu geschehen habe. Diese Auflage sieht zunächst recht harmlos aus, weil sie nicht für ein konkretes Jahr ausgesprochen wurde, sondern sich nur auf den hypothetischen Fall bezieht, dass einmal der Betrieb beendet werden sollte. Allerdings wird die Entsorgung eines möglicherweise kontaminierten Betriebsgeländes Jahr für Jahr teurer und zwar mit einer Rate, die kaum geringer ist als jene, mit der diskontiert wird: Der Grenzwert der diskontierten Entsorgungskosten ist nicht gleich Null. Es liegt eine Last vor. Obwohl die Deponie laufend Überschüsse erzielt, die zum Teil ausgeschüttet werden, ist ihr Wert durch die Last negativ geworden. Das hat dramatische Konsequenzen, wenn ein Gesellschafter seine Anteile verkaufen möchte. •

5.2

GGM und MM

Lernziele: 1. Die enorme Vereinfachung durch Annahme gleichförmigen Wachstums. 2. Das Wachstum der Dividenden entspricht dem Wachstum der Unternehmung. 3. Die These von Modigliani und Miller (MM) und ihr formaler Beweis.

5.2.1

Das Gordonsche Wachstumsmodell

Eine Bewertung mit dem Dividend Discount Model (5-5) verlangt, alle zukünftigen Dividenden im Einzelnen zu prognostizieren. Das übersteigt die Möglichkeiten der Praxis. Um dennoch mit dem DDM arbeiten zu können, sucht man nach einem Bildungsgesetz,

das die Dividenden er-

zeugt. Es soll einfach sein und dennoch die Wirklichkeit der zu bewertenden Unternehmung in akzeptabler Genauigkeit wiedergeben. Der Schlüssel für ein solches Bildungsgesetz liegt im Wachstum der Dividenden. Viele Unternehmen können wachsen und bieten ihren Aktionären im Verlauf der Jahre wachsende Dividenden. Das einfachste Bildungsgesetz unterstellt, dass die prognostizierten Dividenden von Jahr zu Jahr mit einer konstanten Rate wachsen. Sie sei mit g bezeichnet:

D2

=

D , ( l + g)

D}

=

D2-(l + g)

D4

=

Z V ( l + g)

= =

Dx • (1+ g) 2 D , ( l + g)

3

(5-9) ...

Im einfachsten Fall wird also ein für immer währendes gleichförmiges

Wachstum

angenommen.

Wird die in (2-9) gefundene Formel für den Barwert einer gleichförmig wachsenden, unendlichen Zahlungsreihe verwendet, so nimmt das DDM folgende Gestalt an:

118

FINANCE

Wo

(5 9) =

2

Ο, (1 + r)

|

O,-q+g) (1 + r) 2

|

(2-9)

ΰ,-dn) (1 + r) 3

D, (5-10) r~g

Der Wert ist also gleich der ersten, in zwölf Monaten erwarteten Dividende geteilt durch die Differenz aus Diskontrate und Wachstumsrate. Zur Herleitung ist neben r > 0 vorauszusetzen, dass die Wachstumsrate der Dividenden geringer als die Diskontrate ist, g < r . In diesem Fall ist die Transversalität erfüllt und muss nicht eigens überprüft werden. Das Bewertungsmodell Wachstumsmodell

(5-10) heißt Dividenden-Wachstums-Modell,

Gordonsches

(Gordon Growth Model, G G M ) oder auch Gordon-Shapiro-Modell 3

Das GGM ist ein Spezialfall des DDM, insofern als es lediglich die Dividenden gemäß (59) vorgibt. Durch g (2006)·(1+ g ) 2 = 23-(l + 0,092) 2 = 27,4 folgt D , = 2 7 , 4 Cents. N a c h d e m GGM ist der auf das Jahr 2007 bezogene Wert einer Aktie W0 = Dt l(r-g)

= 27,4/(0,12-0,092) = 979

Cents. Das sind knapp 10 Singapur-Dollar. Tatsächlich betrug das Kursniveau (März 2007) 18 Singapur-Dollar (und im Oktober 2009 aufgrund der Krise die Hälfte davon). Für die Abweichung zwischen Wert und Kurs 2007 bieten sich Erklärungen: 1. Unsere Rechnung hat Sonderausschüttungen nicht berücksichtigt. 2. Vielleicht ist die Rendite r = 12% zu hoch angenommen. 3. Die Börse in Singapur könnte aufgrund temporärer Besonderheiten zu Kursen führen, die von den Werten (Preisen im perfekten Markt) abweichen. • 3

So aufgrund einer gemeinsamen Arbeit von MYRON GORDON und E U SHAPIRO aus dem Jahr 1956 über „Capital Equipment Analysis" benannt. GORDON hat später in seinem Buch 1959 die vielfaltigen Einsatzmöglichkeiten des Modells gezeigt. Zuvor wurde das Modell in der Dissertation von JOHN BURR WILLIAMS 1938 erwähnt.

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

119

Wird das G G M zur Bewertung von Unternehmen herangezogen, dann ist zu beachten, dass Unternehmen in der Regel immer wieder Kapitalerhöhungen durchführen, so dass im Verlauf der Zeit die Anzahl der ausgegebenen Aktien zunimmt. Die Dividenden.vwmme wächst dann schneller als die Dividende pro

Aktie.

Diesen Punkt verdeutlichen die beiden nachstehenden Beispiele. Beispiel 5-4: Eine Aktie lässt in zwölf Monaten eine Dividende von € 10 erwarten. Für das langfristige Wachstum der Unternehmung soll von der Jahresrate 4% ausgegangen werden. Dieses Wachstum sollte möglich sein, ohne dass Kapitalerhöhungen stattfinden und dabei neue Aktien ausgegeben werden. Deshalb wird die Dividende gleichfalls mit dieser Rate wachsen, also g - 4%.

Es soll mit r = 9% diskontiert werden. Als Wert der Aktie folgt mit dem G G M

W0 = 10/(0,09 - 0,04) = 200 Euro. Die Dividendenrendite ist DYD = D, / W0 = 10/ 200 = 5 % .



Beispiel 5-5: Für den Vorstandsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft steht Wachstum an erster Stelle. Den Aktionären berichtet er immer über die gesamten

Ausschüttungen an sie. Die Divi-

dendensumme ist in den vergangenen beiden Jahrzehnten seiner Führung tatsächlich um 8 % jährlich gestiegen. Allgemein wird mit r = 1 0 % diskontiert. Der Vorsitzende berichtet auf der Hauptversammlung so: „Die nächste Dividende pro Aktie beträgt €3. Die Zahlen für Wachstum und Rendite führen auf den Wert einer Aktie von 3 / ( 0 , 1 0 - 0 , 0 8 ) = 150 Euro." Ein Aktionär entgegnet: „Zwar ist die gesamte Unternehmung um 8% gewachsen und in gleicher Weise ist die Dividendensumme um 8% gewachsen. Doch es gibt heute viel mehr Aktionäre als noch vor zwanzig Jahren und die Dividende pro Aktie ist langsamer angestiegen. Denn es kam immer wieder zu Kapitalerhöhungen. Uber die Jahre hinweg ist die jährliche Rate der Neuaufnahme von Eigenmitteln und die Ausweitung der ausgegebenen Aktien durch Kapitalerhöhungen mit 5 % zu veranschlagen. Das Wachstum der auf eine Aktie bezogenen Dividende ist geringer als die genannte Wachstumsrate von 8 % , es betrage nur etwa g = 3% . Andererseits hat es für die Altaktionäre immer Bezugsrechte gegeben, so dass mit kommenden Ausschüttungen pro Aktie von D, = 4 anstatt 3 Euro gerechnet werden kann. Der Wert einer Aktie beträgt folglich W = 41 (0,10 - 0,03) = 5 7 und nicht 1 5 0 E u r o . " ·

I

Aus diesen Gründen ist Vorsicht zu walten. Es ist eigentlich keine besondere Kunst, immer wieder einen großen Kredit zu nehmen oder neue Aktien auszugeben (Außenfinanzierung) und Erweiterungsinvestitionen zu tätigen. Die beim G G M verwendete Wachstumsrate bezieht sich hingegen auf das Wachstum, das durch nicht ausgeschüttete Teile der Wirtschaftsleistung entsteht, nicht auf außenfinanziertes Wachstum.

5.2.2

Die Summe von DYD und Wachstumsrate

Das Gordonsche Wachstumsmodell bezieht sich auf eine Situation, in der die (aus heutiger Sicht) prognostizierten Dividenden D , , D 2 , / > , , . . . geometrisch wachsen, genau wie in (5-9) beschrieben. So kann der heutige Wert bestimmt werden, W0 = D, Kr - g ) , vergleiche (5-10).

1 20

FINANCE

Bild 5-1: MYRON J. GORDON (geboren 1920). Zunächst Assistenz Professor an der Carnegie-Mellon University (1947-1952) und Associate Professor am Massachusetts Institute of Technology (1952-1962), dann Professor an der University of California at Berkeley und der University of Rochester. Ab 1970 wirkt er an der School of Management der University of Toronto. GORDON war 1975-1976 Präsident der American Finance Association. Zahlreiche Gastprofessuren, Verleihung des Ehrendoktors 1993. GORDON hat das nach ihm benannte Dividenden-Wachstums-Modell zu großer Bekanntheit gebracht.

Die Analyse erlaubt es auch, W¡ und W2 und so fort zu bestimmen. Wt ist die (aus heutiger Sicht) getroffene Prognose des Werts, den die Unternehmung zu t = 1 haben dürfte:

W,

-

-

l+r D

-

-

(l + r)

( 1 +

g )

D +

l+r =

(l+g)W

'

( 1 +

f

) 2

(l + r)2

+

. . .

=

(5-11)

0

Analog gilt für die Folgejahre W2 = ( l + g ) 2 - W 0 , W3 = ( 1 + « ) 3 - W a , . . . . I n Worten: Der Wert der Unternehmung wächst im Gordonschen Wachstumsmodell mit derselben Rate mit der die Dividenden (annahmengemäß) wachsen. Es muss also nicht immer präzisiert werden, dass g die Wachstumsrate der Dividenden ist. Denn das g erweist sich ebenso als Wachstumsrate des Unternehmenswerts.

Folglich kann man kurz von der Wachs-

tumsrate der Unternehmung sprechen. Dieser Tatbestand verdeutlicht, dass die Dividendenrendite im Gordonschen Wachstumsmodell eine Konstante ist. Die Dividendenrendite D, /W0 sei analog zu (3-13) mit DYD bezeichnet:

DYD

=

(5-12) W0

Im Jahr danach erkennen wir die dann gültige Dividendenrendite D2 /W, als unverändert. Denn annahmegemäß gilt D 2 = D, (1+ g) und wegen (5-11) gilt Wj = W() - (1 + g ) . Die Dividenden-

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

121

rendite bleibt im GGM über die Jahre hinweg konstant. Diese Konstante folgt, indem die Wertformel (5-10) in (5-12) eingesetzt wird:

DYD

=

-^L wtl

=

P,

(5-13)

r-g

Diese Gleichung können wir in der nachstehenden Form schreiben: r

=

DYD

+

Man kann (5-14) auch direkt aus (5-10) folgern. Denn W0 = D, /(r-g) oder r-g

(5-14)

g

führt auf r-g

= Dt IW0

- DYD. Die Formulierung (5-15) stellt den grundlegenden Zusammenhang dar, der im

Gordonschen Modell zwischen der Diskontrate r, der in einem Jahr gezahlten Dividende D] und der Wachstumsrate g gilt. Wir erinnern daran, dass die Rendite r eine doppelte Bedeutung hat: •

Es ist die Rendite, die der Markt bei der Unternehmung als situationsgerecht ansieht und für ein finanzielles Engagement erwartet.



Es ist die Rendite, mit der zukünftige Zahlungsüberschüsse, welche die Unternehmung zugunsten der Beteiligten erzeugt, diskontiert werden. Die Beziehung (5-14) zeigt, dass diese Rendite r gleich der Dividendenrendite plus der Wachstumsrate ist. In der Tat kommt die Rendite den Beteiligten zum Teil in barer Form zu und zum anderen Teil bewirkt sie weiteres Wachstum, weitere Wertsteigerungen und höhere Ausschüttungen.

Beispiel 5-6: Ein Bürger von St.Gallen hält Aktien der Kantonalbank des Kantons. Die Dividendenrendite beträgt beim gegenwärtigen Kurs 3%. Finanzinvestoren sehen bei Kantonalbanken eine Rendite von r — 8% als marktgerecht an. Nach (5-14) müsste die Kantonalbank auf Dauer mit jährlich 5% wachsen können. Ein Wachstum dieser Größenordnung erscheint dem Aktionär noch realistisch. Denn die Geschäfte und Einnahmen der Bank — ausgedrückt als Nominalbeträge — nehmen ohnehin im Verlauf der Zeit aufgrund der Inflation zu. Außerdem ist die Kantonalbank in der Vermögensverwaltung tätig, und selbst wenn keine neuen Kunden gewonnen werden könnten, würden die verwalteten Vermögen (und die Einnahmen der Bank) langfristig mit der Anlagerendite steigen. Die Aktie erscheint daher korrekt bewertet zu sein. • Die Beziehung (5-14) verdeutlicht zugleich, dass die Unternehmung mit der Entscheidung über Ausschüttungen und über die Dividendenrendite zugleich die Wachstumsrate festlegt. Denn man darf die Diskontrate r als eine Größe ansehen, die nicht von der Dividendenpolitik beeinflusst wird. Sie ist durch die Art und die Risiken des Geschäfts gegeben.

1 22

FINANCE

Damit darf r als eine Konstante betrachtet werden (solange der bisherige Geschäftsplan fortgeführt und nicht eine neue Strategie eingeschlagen wird). Hingegen ist die Aufteilung der relativen Wirtschaftsleistung in Höhe von r auf den ausgeschütteten Teil DYD und den nicht ausgeschütteten Teil g variabel und von der Dividendenpolitik abhängig. Höhere Ausschüttungen werden mit einer geringeren Wachstumsrate erkauft. Geringere Ausschüttungen ermöglichen höheres Wachstum. Doch hier findet kein Zauber statt: Die Summe von D YD und g ist konstant. Die Formel (5-14) wird oft in der Finanzanalyse eingesetzt. Dort wird sie in die Form g = r-DYD

= r- Dt /W(1 gebracht: Die Wachstumsrate ergibt sich, wenn von der Rendi-

te r die Dividendenrendite DYD abgezogen wird. Finanzanalysten beobachten den Kurs einer Aktie, unterstellen Wu = Kurs, prognostizieren die Dividende Dx und nehmen eine Schätzung für r vor. Dann errechnen sie die aus diesen Größen folgende, implizite Wachstumsrate

8

=

D,r



Kurs

(

5

-

1

5

)

Sie stellen dann die Frage, ob diese aus der Kursbildung folgende Wachstumsrate als realistisch angesehen werden darf. Wenn ihnen das errechnete (implizite) Wachstum als zu gering erscheint, wenn sie also denken, die Unternehmung könne durchaus schneller wachsen, dann sehen die Finanzanalysten den Kurs im Vergleich zum Wert als zu gering an. Sie geben eine Kaufempfehlung. Wenn den Analysten hingegen die über (5-15) errechnete Wachstumsrate als unrealistisch hoch erscheint, dann sehen sie den Kurs als zu hoch an und geben eine Verkaufsempfehlung. Wir kommen im weiteren auf die Formeln (5-14) und (5-15) zurück. Sie wird eine wichtige Rolle bei der Herleitung der These von F.

MODIGLIANI

und

M . MILLER

spielen, nach der die Dividen-

denpolitik keinen Einfluss auf den Unternehmenswert hat.

5.2.3 Irrelevanz der Dividendenpolitik Wir können uns nun an die Frage wagen, wie sich der Wert der Unternehmung Wn ändert, wenn für die Unternehmung eine andere Ausschüttungspolitik gewählt wird. Vorweg ist dies deutlich: Wenn die Unternehmung höhere Ausschüttungen vornimmt, so hat das eine positive Wirkung auf den Wert der Beteiligungstitel, weil sich dieser aus den diskontierten Rückflüssen ableitet, die den Eigenkapitalgebern zukommen. Andererseits bedeuten höhere Ausschüttungen, dass die Unternehmung langsamer wächst und damit ist ein langsameres Anwachsen der zukünftigen Ausschüttungen verbunden.

5. M O D I G L I A N I

UND

MILLER

123

Ebenso gilt: Wenn die Dividendenrendite reduziert wird, wird zwar der Wert geringer, doch die Dividenden können schneller wachsen, was den Wert erhöht. Zunächst ist unklar, ob einer der beiden Effekte den anderen überwiegt und welche Wirkung daher die Ausschüttungspolitik für den Unternehmenswert hat. Um die Wirkung der Dividendenpolitik für den Unternehmenswert zu studieren, wählen wir als Rahmen das GGM, also die Gordonsche Annahme gleichförmig wachsender Dividenden. In diesem Rahmen ist, wie wir in der letzten Sektion 5.2.2 vor der Formel (5-12) begründet haben, die Dividendenrendite über die Jahre hinweg konstant. Wenn wir von „Dividendenpolitik" sprechen, so meinen wir mithin die Wahl der Höhe der über die Zeit hinweg konstanten Dividendenrendite DYD.

Außerdem ist aufgrund der Wachstumsannahme des GGM die Beziehung zwischen der

als Entscheidungsvariable zu betrachtenden Dividendenrendite DYD

und der Wachstumsrate g

bekannt. Sie ist durch (5-14) gegeben. Dabei verändert sich r nicht mit der Dividendenrendite. Die Diskontrate hängt allein davon ab, wie der Markt die Risiken einschätzt. Bild 5-2: FRANCO MODIGLIANI (1918-2003), links, u n d MERTON H. MILLER ( 1 9 2 3 - 2 0 0 0 )

beeinflussten

die Entwicklung der Corporate Finance stark mit ihren beiden Aufsätzen. MODIGLIANI stammte aus Rom und hatte an der dortigen La Sapienza 1939 sein juristisches Studium abgeschlossen. Er musste wie viele andere emigrieren und lehrte an verschiedenen Universitäten in den Vereinigten Staaten, ab 1962 am Massachusetts Institute of Technology als Professor fiir Economics and Finance. Im Jahr 1985 erhielt er den Nobelpreis. Ab 1988 lebte MODIGLIANI als Emeritus in Boston. MERTON H. MILLER erhielt den Nobelpreis 1990

zusammen

mit

HARRY

MARKOWITZ

und

WILLIAM SHARPE. MILLER s t a m m t e a u s B o s t o n u n d

hatte sein Studium an der Harvard Universität 1943 mit magna cum laude abgeschlossen. Er lernte MODIGLIANI an der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh (PA) 1953 kennen, wo MODIGLIANI damals lehrte. MILLER ging später nach Chicago und wurde nach einer Professur Direktor des Chicago Board of Trade, später der Chicago Mercantile Exchange. MILLER hat wiederholt und kraftvoll die Idee des freien Marktes vertreten.

Wir betrachten eine Unternehmung. Deren marktgerechte Rendite r sei eine durch die realwirtschaftliche Tätigkeit gegebene Konstante und bekannt. Zum Beispiel kann die Rendite 8% oder 10% betragen. Zur weiteren Situationsbeschreibung: Die Unternehmung praktiziert seit Jahren die Dividendenrendite DYD.

Nichts spricht dagegen, diese Ausschüttungspolitik fortzusetzen.

Beispielsweise könnte diese tatsächliche Dividendenrendite 2% oder 3% sein. Aus beiden Größen, r und DYD,

ergibt sich mit (5-16) bereits die Wachstumsrate (der Dividenden, der Unter-

nehmenswerte), welche die Unternehmung auch in Zukunft hat, wenn die eingeschlagene Dividendenpolitik fortgeführt wird. Die Wachstumsrate ist g =r-DYD.

Wenn wir die DividendeD¡

prognostizieren, die wohl in einem Jahr ausgeschüttet wird, so kennen wir den Unternehmenswert. Er ist nach dem DDM (5-12) gleich W0=DJ(rg).

1 24

FINANCE

Im heutigen Zeitpunkt t = 0 beginnt eine Diskussion unter den Eigenkapitalgebern über die Ausschüttungspolitik. Einer der Beteiligten fragt, wie hoch der Unternehmenswert wäre, wenn — gleichsam in einem Sandkastenspiel — angenommen wird, die Dividendenrendite werde ab sofort von DYD,

bezogen auf den derzeitigen

Unternehmenswert

W{), um Δ verändert so dass sie

als neues Niveau hat: DYDW

= DYD + A

(5-16)

Im Fall Δ > 0 würde das eine höhere und im Fall Δ < 0 eine geringere Dividendenrendite bedeuten. Demnach wäre bereits im Jahr t — 1 die Dividende nicht mehr D, sondern:

Df

=

Dt+A-W0

D1

AD, A

+

i+-

(5-17)

Hinsichtlich der neuen Wachstumsrate gilt: (5-16)

?(Δ)

(5-18)

r-DYDw

= =

=

(r-DYD)-A

r-(DYD

=

+ A)

(5-18)

g-A

Der dieser fiktiven Dividendenrendite (5-18) entsprechende Unternehmenswert — er soll mit VV0'A) bezeichnet werden — soll nun berechnet werden:

D

W

(5-20)

D

((Δ)

r-(g-A) w D\

(Δ)

r-g

(5-19)

Di A(r-g) +

D,

(r~g)·

1+r~g

(5-19)

1+ö,

Wn

(r-g)· 1+ r~g

Das (im Rahmen des DDM) hergeleitete Ergebnis W0 W , dann werden immer mehr Investoren, die eine langfristige Geldanlage wünschen, erkennen, dass sie durch ein langfristiges Halten nur W realisieren. Sie werden also verkaufen. Vielleicht warten sie eine günstige Gelegenheit ab, denn die Kurse schwanken. Wenn dann der Kurs einmal in die Nähe des Werts steigt, dann verkaufen sie. Der Kurs Ρ wird durch diese Verkäufe letztlich fallen und sich mittelfristig in Richtung des Werts W bewegen. Ergebnis: Wenn es in einem konkreten Marktumfeld zahlreiche langfristig orientierte Investoren gibt, dann werden die Kurse oder die Marktkapitalisierungen ziemlich genau dem jeweiligen Wert entsprechen. Ab und zu heißt es bei diesem Argument: Wenn ein Anleger eine Aktie bewertet und entdeckt, dass ihr Kurs Ρ geringer als der Wert W ist, könnte es

Ì m.

lange dauern, bis sich der Kurs Ρ in Richtung des Werts bewegt. Das ist aber nicht der Punkt: Der Langfrist-Investor kauft Aktien mit einem (im Vergleich zum Wert) geringen Kurs nicht, weil er darauf spekuliert, dass „der Markt den Fehler entdeckt und sich der Kurs auf den Wert bewegt" und er dann wieder verkaufen kann. Der Langfrist-Investor kauft, weil er sich mit dem langen Halten über die Rückflüsse den Wert W sichert und dafür nur Ρ, Ρ O

8000 6000 4000 2000

0 o

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Jahr

Bild 6-2: Die SPC wendet tatsächlich die Dividendenrendite von 3% an, die angesichts der Rendite von 10% ein Wachstum der Dividenden mit 7% erlaubt. Die Höhen der Dividenden für die kommenden zwanzig Jahre sind mit quadratischen Markern gezeigt. Sie beginnen für das erste Jahr bei €3000 und gehen für das zwanzigste Jahr bis 10,850 Euro. In zwei Sandkastenspielen wird die Entwicklung der Dividenden gezeigt, die sich aus einer anderen Ausschüttungspolitik ergeben. Alle drei Reihen von Ausschüttungen haben denselben Wert, nämlich €100.000.

Tatsächlich wird Jahr für Jahr eine Dividende in Höhe von DYD = 3 % des letzten Werts ausgeschüttet. Für das Jahr

t = 1 stehen

110.000 Euro

zur Verfügung. Da im ersten

Jahr

D, = WQ • DYD = 1 0 0 . 0 0 0 - 3 % = 3 . 0 0 0 Euro ausgeschüttet werden, bleiben Wt = 1 0 7 . 0 0 0 als weitere Anlage, die auf den neuen Wert W2 =Wl-(1

+ r) = 1 0 7 . 0 0 0 · (1 + 0,10) = 1 1 7 . 7 0 0 Euro

führen. Im zweiten Jahr werden D2 =W{ ·£)KD = 1 1 7 . 7 0 0 - 3 % = 3 . 2 1 0 Euro ausgeschüttet. Die Höhe der im Jahr t gezahlten Dividende bezieht sich auf den Wert, der zu t - 1 vorhanden ist. D 2 /£>, =1,07 zeigt: Die Dividenden wachsen jährlich mit 7%. Der Wert der Zahlungsreihe D¡ = 3 . 0 0 0 , D2 = 3 . 2 1 0 , . . . ist W0 = 3 . 0 0 0 / ( 0 , 1 0 - 0 , 0 7 ) = 3 . 0 0 0 / 0 , 0 3 = 100.000 Euro. In einer e r s t e n Fiktion wird mit der Annahme DYD = 8% gerechnet — eine reine Fiktion. Die SPC wird bewertet, also ob sie Jahr für Jahr Ausschüttungen in Höhe von 8% ihres Werts vornehmen würde. Im Jahr t = 1 sind zunächst wieder 110.000 Euro erreicht und da annahmegemäß Di=W0

DYD = 100.000 · 8% = 8.000 Euro ausgeschüttet werden, verbliebe bei der fiktiven Divi-

dendenpolitik der Betrag Wl = 1 0 2 . 0 0 0 für den weiteren wirtschaftlichen Einsatz seitens der SPC. So entstehen im zweiten Jahr W2 =W, (1 + r ) = 102.000 (1 + 0,10) = 112.200 Euro. Zu t = 2 wird der Betrag D2 =W, · DYD = 112.200 -8% = 8 . 1 6 0 Euro ausgeschüttet. Man sieht an D2/Dt=

1,02: Die Dividenden wachsen mit der Rate 2%. Die Zahlungsreihe

D2 = 8 . 1 6 0 ,

D j = 8.323,

D4 = 8 . 4 9 0 ,

D5 = 8.659

W0 = 8 . 0 0 0 / ( 0 , 1 0 - 0 , 0 2 ) = 8.000/0,08 = 100.000 Euro.

...

hat

D, = 8 . 0 0 0 , den

Wert

140

FINANCE

In einer weiteren, zweiten Fiktion wird mit der DYD = 15% gerechnet. Für das Jahr t = 1 stehen 110.000 Euro zur Verfügung und da im ersten Jahr £>, = Wn • DYD = ] 00.000 ·Ι5% = 15.000 Euro ausgeschüttet W¡ =95.000

werden,

verblieben

bei

der

angenommenen

für die weitere Anlage seitens der SPC.

Dividendenpolitik Sie führt im Jahr

nur t- 2

noch auf

W2 = W 1 ( l + r) = 95.000 (l + 0,10) = 104.500 Euro. D2=W¡

DYD = 95.000• 15% = 14.250 Euro

werden im zweiten Jahr ausgeschüttet. Man sieht an D2/ Dt-

0,95 bereits dies: Die Dividenden

wachsen bei dieser Fiktion exakt mit der Rate -5%. Der Wert der Zahlungsreihe O, =15.000, D2 =14.250, Di =13.538, DA = 12.861, ... ist auch bei diesem Szenario wiederum gleich W0 =15.000/(0,10-(-0,05) = 15.000/0,15 = 100.000 Euro. In allen drei Szenarien werden die Ausschüttungen konsistent mit dem weiteren Wachstum geplant. Der Irrelevanzthese entsprechend stimmen die drei Werte überein.

6.1.2

Warum sind fiktive Ausschüttungen

nützlicher?

Eine Unternehmung kann demnach nicht nur anhand ihrer tatsächlichen Reihe von Ausschüttungen (und deren tatsächlichen Wachstum) bewertet werden, sondern mit gleichem Ergebnis anhand einer fiktiven Reihe von Ausschüttungen (wobei das den fiktiven Ausschüttungen entsprechende Wachstum zugrunde zu legen ist). Wir werden in diesem Kapitel zweimal davon Gebrauch machen: •

Gleich anschließend sollen Unternehmen so bewertet werden, als ob sie Jahr für Jahr ihren Gewinn voll ausschütten würden. Wir fragen, welche Wachstumsrate eine Unternehmung noch hätte, wenn sie stets ihren vollen Gewinn ausschütten würde. Die Antwort darauf ist das organische Wachstum. Wir werden die Rate des organischen Wachstums ermitteln. Mit dieser Ausschüttungsannahme gelangen wir zur so genannten Ertragsbewertung.



Sodann werden Unternehmen so bewertet, als ob sie Jahr für Jahr den freien Cashflow ausschütten würden. Für die Aufstellung der Reihe der freien Cashflows wird angenommen, dass diese Geldbeträge tatsächlich abfließen. Dieser Ansatz heißt Discounted Cash Flow, abgekürzt DCF. In beiden „Sandkastenspielen" gelangen wir auf den Wert der Unternehmung. Die Irrelevanz-These ist mithin ein kräftiges Werkzeug für die Entwicklung praktisch nützlicher Bewertungsansätze.

Doch warum sollte eine fiktive Ausschüttungspolitik in der Bewertungspraxis nützlicher sein als eine Bewertung aufgrund der tatsächlichen Ausschüttungen? Drei Gründe: Erstens ein mathematischer

Grund: Die Formel W0 = D, Kr - g) für das GGM zeigt, dass der

Wert sehr sensitiv auf selbst kleine Veränderungen hinsichtlich der Wachstumsrate g beziehungsweise der Rendite r reagiert. Besonders bei geringen Ausschüttungen, wenn folglich zwar g < r aber g ~r gilt, wirken sich Schätzfehler bei den benötigten Größen stark auf die Wertberechnung aus. Von daher ergeben sich wegen der immer vorhandenen Schätzfehler robustere

6.

141

UNTERNEHMENSBEWERTUNG

Bewertungen, wenn g und r auseinander liegen. Deshalb sind für die Bewertungsrechnung fiktive Politiken mit hoher Ausschüttung und geringem Wachstum zu bevorzugen. Zweitens ein betriebswirtschaftlicher

Grund: Für die Bewertung nach der Gordonschen Annahme

gleichförmiger Unternehmensentwicklung ist — neben der Rendite und der (zur Ausschüttungspolitik passenden) Wachstumsrate — vor allem die Höhe der Ausschüttung im Jahr t = I wichtig. Hier können in aller Regel hinreichend genaue Prognosen getroffen werden, wenn die (fiktiven) Ausschüttungen mit Größen wie EBIT oder EBITDA identifiziert werden, weil sie von der betrieblichen Entwicklung der Umsatzerlöse, den Ausgaben für Vorleistungen und den Abschreibungen abhängen und diese Größen recht zuverlässig geplant werden können. Von daher sind Bewertungen vorzuziehen, die fiktive Ausschüttungen in Höhe der betrieblichen Leistungsgrößen wie EBIT verwenden. Drittens ein sozialökonomischer

Grund der Akzeptanz in der gesellschaftspolitischen Auseinan-

dersetzung: Wer die Bewertung an den tatsächlichen Dividenden festmacht, welche die Eigenkapitalgeber entnehmen, betont stark die Verwendung der wirtschaftlichen Leistung der Unternehmung durch „Shareholder". Wer die Bewertung hingegen auf Größen wie EBIT und EBITDA abstützt, betont die Entstehung der unternehmerischen Leistung durch die Arbeit „im Betrieb".

6.1.3

Ertragsbewertung

Jetzt wird der Fiktion gefolgt, die Unternehmung schütte Jahr für Jahr ihren (im Jahresabschluss festgestellten) Gewinn voll aus. Diese Annahme führt auf die Ertragsbewertung. Für die Herleitung wird wiederum das DDM oder das GGM zugrunde gelegt, nur sind die dort als „Dividenden" bezeichneten Zahlungen, die den Beteiligten zufließen, bei der jetzt angenommenen Vollausschüttung die Gewinne. Falls die Transversalität erfüllt ist — allenfalls muss man Perlen und Lasten separieren und getrennt bewerten — kann der Wert analog zum DDM (5-5) als Summe der Barwerte aller zukünftiger Gewinne Ex,E1,Ei... dargestellt werden:

w0

=

1+r

Die Gewinne E],E2,Ei...

(1 + r)

(1 + r)

=

y

(6-1)

(1 + r)'

sind Prognosen derjenigen Gewinne, welche die Unternehmung hätte,

sofern sie die Gewinne Jahr für Jahr voll ausschütten würde (Konsistenz). Es handelt sich nicht um eine Prognose der Gewinne, die die Unternehmung wohl haben wird. Denn die realistisch zu prognostizierenden Gewinne entwickeln sich schneller als in der Folge Et,E2,E3...

in (6-1) pro-

gnostiziert, weil die Unternehmung in Wirklichkeit Dividenden ausschüttet, die geringer als die Gewinne sind. Für die weiteren Umformulierungen von (6-1) wollen wir die Gordonsche Annahme einer gleichförmigen Weiterentwicklung übernehmen. Die der Fiktion der Vollausschüttung entsprechenden Gewinne Ei,E2,E3...

sollen gleichförtnig wachsen. Die Wachstumsrate sei

mit gE bezeichnet. So folgt die Aufgabe, gE zu bestimmen. Muss man von gE= 0 ausgehen?

142

FINANCE

Richtig ist, dass bei Vollausschüttung kein Teil des Gewinnes einbehalten wird, der für Erweiterungsinvestitionen verwendet werden könnte. Allerdings sind drei Punkte zu sehen, die dennoch g E J= 0 bewirken können: 1. Teilhabe am Strom der Zeit. Die Einkommen der Menschen steigen und dadurch kann die Unternehmung wachsen, sofern sie im Strom dieser Veränderungen gut platziert ist. Selbst ohne Kapazitätsausweitung kann die Unternehmung höhere Preise durchsetzen. 2. Maßnahmen, die den bilanziellen Gewinn verringern und zugleich den Unternehmenswert erhöhen. Einige Standards der Rechnungslegung erlauben es, dass eine Unternehmung interne Arbeiten mit werterhöhender Wirkung zwar als Aufwand verbucht, nicht aber aktiviert.1 Ähnliches gilt für Maßnahmen zur Effizienzsteigerung, die den Wert der Unternehmung, nicht aber den Gewinn erhöhen. 3. Die Neupositionierung durch Ersatzinvestitionen.

Die Gegenwerte der Abschreibungen

werden regelmäßig in der Unternehmung wieder angelegt — auch bei Vollausschüttung der Gewinne. Dabei können Neuerungen realisiert und einen qualitativer oder sogar quantitativer Ausbau bewerkstelligt werden. Die drei Gründe deuten an, dass typischerweise in der Realität gE > 0 gelten dürfte. Dieses Wachstum hängt von Vorgängen im wirtschaftlichen Umfeld sowie von internen Vorgängen ab und erfolgt gleichsam durch natürliche oder organische Vorgänge. Unter dem organischen Wachstum wird jenes Wachstum (der Gewinne) einer Unternehmung verstanden, das sich einstellt, wenn die Gewinne voll ausgeschüttet werden. Diese Begriffsbildung bietet den Vorteil einer einfachen sprachliche Bezeichnung für das Wachstum im Modell der Ertragsbewertung. 3 Wächst eine Unternehmung in der Annahme der Vollausschüttung der Gewinne über die Jahre hinweg mit einer gleichförmigen Rate (des organischen Wachstums), E2

=

£,-(l + g£)

E3

=

E2-(l + gE)

£4

=

£ 3 ·(! + £*)

= »

£ , ( l + g£)2 £,-d + g£)

(6-2)

3

Ein Beispiel sind Forschungsarbeiten, die weder bei IAS noch bei US-GAAP aktiviert werden dürfen. Bei Entwicklungsarbeiten gibt es hingegen bei IAS ein Aktivierungswahlrecht, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Auch der Aufbau von Reputation — klar werterhöhend — etwa durch großzügigere Kundenbedienung (Aufwand) wird nicht aktiviert. 2 .. Ahnlich können Instandhaltungen und Reparaturen, die in der Jahresrechnung als Aufwand erscheinen, für (werterhöhenden) technischen Fortschritt verwendet werden. 3 In einer leicht anderen Definition wird das Wachstum einer Unternehmung als „organisch" bezeichnet, wenn es durch „interne" Vorgänge und „kleinere" Investitionen erzeugt wird, nicht aber durch „größere" Investitionen oder Akquisitionen. Diese Begriffsbildung dient oft dazu, internes W a c h s t u m von externem W a c h s t u m zu unterschie-

den. Wachstum wird als „extern" bezeichnet, wenn es durch Zukäufe von Unternehmungen bewerkstelligt wird. Wachstum ohne Zukäufe wird dann als „intern" oder „organisch" eingeordnet.

6.

143

UNTERNEHMENSBEWERTUNG

dann kann ihr Wert (6-1) mit der Formel des GGM so geschrieben werden:

E,

(6-3)

Beispiel 6-1 : Für eine Gesellschaft wird allgemein von den Analysten als Gewinn pro Aktie für das nächste Jahr €3 prognostiziert. Der Gepflogenheit bei dieser Gesellschaft entsprechend ist die nächste Dividende ein Drittel davon, €1. Der Markt insgesamt sieht eine Rendite von r = 10% als sachgerecht an. Die tatsächliche Wachstumsrate der Gesellschaft ist 8%, wobei das organische Wachstum in den Medien mit gE -4%

veranschlagt wird. Wir nehmen zwei Bewertungen vor:

1. Eine Bewertung anhand der tatsächlichen Dividenden: W0 = 1/(0,10-0,08) = 50 Euro. 2. Eine Bewertung der Aktie nach (6-3) liefert denselben Wert: W0 = 3/(0,10 - 0,04) = 50 Euro. • Beispiel 6-2: Das Beispiel fortführend, soll die Gesellschaft 100.000 Aktien ausgegeben haben, die sämtlich von Heinz Schlau als einzigem Aktionär gehalten werden. Herr Schlau wird von Hanna Klar angesprochen, die Interesse an der Übernahme aller Aktien zeigt. Heinz Schlau ist bereit, die Unternehmung zu verkaufen und erklärt: „Wir sollten eine Ertragsbewertung vornehmen. Wie viel sie, liebe Frau Klar, als neue Eigentümerin dem Geschäft entnehmen werden, hängt dann allein von ihnen ab. Deshalb ist eine Bewertung anhand der Dividenden nicht geeignet." Heinz Schlau führt fort: „Die Gesellschaft hat im nächsten Jahr einen Gesamtgewinn von 300.000 Euro. Wir diskontieren mit r = 10% und müssen berücksichtigen, dass die Gesellschaft immer mit g = 8 % gewachsen ist. Diese Wachstumsrate wird durch die Zahlen der letzten fünfzehn Jahre untermauert. Es ist vorauszusehen, dass es sich so in die Zukunft fortsetzen wird. Also führt die Ertragsbewertung auf 300.000/(0,10 - 0,08) = 15.000.000 Euro und das ist meine Preisforderung." Hanna Klar wirft ein, die Bewertung enthalte einen Fehler, weil bei einer Ertragsbewertung im Nenner nur die Rate des organischen Wachstums stehen dürfe. Heinz Schlau antwortet: „Für akademische Überlegungen haben wir in der Praxis keine Zeit. Sie können doch weder leugnen, dass der nächste Gesamtgewinn bei €300.000 liegen wird, noch können sie abstreiten, dass die Unternehmung und ihr Gewinn bislang immer mit 8% gewachsen sind." •

6.1.4

Zur Schätzung des organischen Wachstums

Die Bestimmung der Rate des organischen Wachstums gE verlangt einige Überlegungen. Sie folgt nicht aus der Beobachtung der Unternehmensentwicklung in der Vergangenheit, weil die Annahme der Vollausschüttung des Gewinns eine Fiktion ist. Wer die Unternehmung beobachtet, sieht ihr tatsächliches

Wachstum — es sei mit g D bezeichnet — das sie aufgrund der Tatsache

hat, dass sie als Dividende nur einen Teil des Gewinns ausschüttet. Das wirkliche Unternehmenswachstum gD kann beobachtet werden, während das organische Wachstum gE allenfalls mit Hilfsüberlegungen erschlossen werden kann. Zwei Hilfestellungen bieten sich an.

144

FINANCE

Branche

KGV

Organisches Wachstum

Biotech, Software, IT

über 30

6,7% < gE

Pharma, Medizinaltechnologie

24 . .. 30

5,8% < gE 1, verbindet mit dem Block von q Einheiten einen in Geld ausgedrückten Gesamtnutzen, der geringer als q • ρ ist. Beispiel 6-6: Frau Meyer, die sich beim Preis von €5.000 entschlossen hat, 8 Anteilsscheine im Portfolio zu halten, weil der mit dem achten Beteiligungstitel verbundene Grenznutzen gerade dem Preis entspricht, wird gefragt, ob sie das Paket von 8 Anteilsscheinen gegen den Gesamtbetrag von €40.000 tauschen würde, denn „dies sei ihr Wert". Frau Meyer verneint und erklärt: „Persönlich bin ich indifferent zwischen dem Paket der 8 Anteilsscheine und €75.000, denn ein paar dieser Aktien zu besitzen hat für mich persönlich einen hohen Nutzen." • Beispiel 6-7: Peter ist ein Autonarr. Bisher hatte er kein Geld, um sich wirkliche Sammlerstücke kaufen zu können. Über Nacht ist er durch Erbschaft reich geworden und sieht, dass er 10 RollsRoyce en bloc kaufen könnte, alles gleich gute Exemplare aus den Jahren 1925 bis 1933. Er überlegt, dass er in seiner neuen finanziellen Situation indifferent zwischen 5 Millionen Euro und diesen zehn Autos ist, die nur als Paket angeboten werden. Der Verkäufer verlangt weniger. Beide werden sich handelseinig, die zehn Rolls-Royce für 4 Millionen Euro zu übertragen. Peter freut sich über den Nutzengewinn von einer Million Euro. Ein paar Tage später kommt Freddy und bietet Peter an, eines der zehn Autos abzukaufen. Aber Freddy möchte er nur €125.000 Euro zahlen. Peter überlegt, dass der Unterschied, ob er nun zehn oder neun Rolls-Royce hat, für ihn nicht so groß ist. Er schätzt den persönlichen Grenznutzen des letzten Rolls-Royce mit €100.000 ein und verkauft eines der Autos an Freddy. Wieder freut sich Peter, weil er einen Nutzengewinn von €25.000 realisieren konnte. • So muss man den Preis einer bestimmten Menge des Objekts — in unseren Anwendungen ist das eine ganze Unternehmung oder ein bestimmtes Beteiligungspafef — von dem persönlichen und in Geld ausgedrückten Nutzen unterscheiden, den eine an einer Transaktion interessierte Person persönlich hat.

6.

UNTERNEHMENSBEWERTUNG



1 59

Wer an einem Kauf eines Beteiligungspakets (oder einer ganzen Unternehmung) interessiert ist, hat somit eine persönliche Preisobergrenze O. Wenn es sich um den Marktteilnehmer k handelt, bezeichnen wir diese Preisobergrenze mit Ot um hervorzuheben, dass es sich um eine persönliche Größe des betrachteten Subjekts handelt.



Der Kaufinteressent k ist indifferent zwischen dem Behalten des Geldbetrags Ok und dem Erhalt des Beteiligungspakets. Wenn es zu der Transaktion kommen sollte, dann hat der Käufer einen Nutzengewinn, falls der von ihm zu zahlende Preis geringer als die persönliche Preisobergrenze O t für das Paket ist. Würde der am Kauf Interessierte auch einen Preis bezahlen, der über Ok liegt, dann würde er sich persönlich schaden.



Wer an einem Verkauf eines Beteiligungspakets interessiert ist, hat dafür eine persönliche Preisuntergrenze U . Er ist indifferent zwischen dem Behalten des Geldbetrags U und dem Erhalt des Beteiligungspakets. Wenn es sich dabei um den Marktteilnehmer V, handelt, bezeichnen wir diese Untergrenze mit U¡ um hervorzuheben, dass es sich um eine persönliche Größe von / handelt.



Der Verkaufsinteressent / hat, wenn es zur Transaktion kommt, einen Nutzengewinn, sofern der vereinnahmte Preis höher als die persönliche Preisuntergrenze U, ist. Würde der am Verkauf Interessierte auch einen Preis akzeptieren, der unter U, liegt, dann würde er sich persönlich schaden.

Die persönliche Preisobergrenze und Preisuntergrenze hängen von diversen Einflussfaktoren ab. 1. Als erstes ist die Größe des Beteiligungspakets maßgebend. Denn wenn es sich nur um einen einzigen Beteiligungstitel handelt, dann wäre der mit dem Transfer dieses einen Titels verbundene Nutzen gleich dem Grenznutzen, der im Marktgleichgewicht für alle Marktteilnehmer übereinstimmt und gleich dem Marktpreis ist. Wie hoch der mit einem Transfer von fünf oder fünfhundert Beteiligungstiteln verbundene Nutzen (wieder in Geldeinheiten ausgedrückt) ist, wird hingegen stark von der Person abhängen. 2. Die persönliche Situation ist des weiteren durch sonstige Vermögenswerte des Betreffenden bestimmt. 3. Auch die persönliche Präferenz, vor allem die Risikoaversion, spielt in die Preisgrenze hinein. So wird sich jemand, der eine höhere Risikoaversion hat als die Marktteilnehmer im Durchschnitt, bei Aktien eher auf der Verkäuferseite sehen und sogar mit dem Preis, den er bei einem Verkauf erzielen kann, recht zufrieden sein. 4. Schließlich wird die persönliche Preisgrenze auch von der subjektiven Einschätzung der Zukunft abhängen sowie von der Erwartung, die der Interessent im Hinblick auf Synergien sich selbst bildet. In jedem Fall sollte man die persönliche Preisgrenze kennen. Denn sonst kann es passieren, dass man bei einem Kauf „zu viel" bietet oder bei einem Verkauf „zu wenig" verlangt.

160

6.3.3

FINANCE

Der Wirtschaftsprüfer als Berater

Nicht immer fällt es leicht, die eigene Situation und Präferenzen präzise zu erfassen und daraus für sich und doch auf eine nachvollziehbare Weise die Preisgrenze abzuleiten. Die Ermittlung der Preisobergrenze eines Kaufinteressenten verlangt bei wichtigen Transaktionen daher eine methodische Entscheidungsrechnung. Gleiches gilt für die Ermittlung der Preisuntergrenze für eine am Verkauf interessierte Partei. Die Entscheidungsrechnung, wie hoch die persönliche Preisgrenze aufgrund der individuellen Umstände anzusetzen ist, kann an einen Ratgeber delegiert werden. So kann die an einem Kauf interessierte Partei einen Wirtschaftsprüfer ermitteln lassen, wie viel sie höchstens für ein Beteiligungspaket oder für eine Akquisition zahlen dürfte. Gleichfalls kann jemand, der ein Beteiligungspaket hält, den Beratungsauftrag erteilen, die persönliche Preisuntergrenze zu bestimmen. 8 Die Wirtschaftsprüfung wird für die Bestimmung der persönlichen Preisgrenzen oder Entscheidungswerte ähnliche Kalküle verwenden, die auch bei einer Unternehmensbewertung Verwendung finden. Nur nehmen die Ratgeber Bezug auf die persönliche Situation der an der Transaktion interessierten Partei. Wie gesagt sind das weitere Vermögenspositionen, über die der Auftraggeber bereits verfügt, die persönliche Präferenz (Risikoaversion), persönlich geprägte Einschätzungen der Zukunft sowie eine persönliche Sicht von Synergien. Beispiel 6-8: Sandra Till leitet eine Maschinenfabrik und überlegt, ob sie eine kleine Softwarefirma übernehmen soll. Sie hat mit dem Eigentümer der Softwarefirma schon gesprochen, der zum Verkauf bereit ist. Frau Till ruft einen Wirtschaftsprüfer (WP) an, um mit der Transaktion weiter voranzukommen. Der WP stellt ihr diese Frage: „Soll ich die Funktion des neutralen Gutachters übernehmen und die Unternehmung bewerten, oder soll ich in der Beratungsfunktion ihre persönliche Preisobergrenze ermitteln?" • Wenn die an der Transaktion interessierte Partei selbst eine Unternehmung ist, dann wird deren Situation vor allem durch ihr bisheriges Geschäft und die vorhandenen Ressourcen bestimmt, beispielsweise durch das Wissen der Unternehmung. Die Frage, die für die Bestimmung der Preisgrenze beantwortet werden muss, lautet: Wie verändert sich das bisherige Geschäft, wenn die diskutierte Transaktion vollzogen wird, wenn also etwa eine Akquisition getätigt oder eine Division verkauft wird? In diesem Zusammenhang werden immer wieder Synergien thematisiert. Durch Synergien kann die persönliche Preisobergrenze für den Kaufinteressenten bei einer Akquisition deutlich über dem Unternehmenswert (des Akquisitionsobjekts) liegen, der sich aus einer allgemeinen Geschäftsmöglichkeit errechnet. Umgekehrt ist es, wenn ein Konzern den Verkauf einer Division in Erwägung zieht. Fehlen innerhalb des Konzerns Synergien und ist das Halten der Division nur mit Überwachungs- und Kontrollkosten verbunden, dann liegt die Preisun-

g Das IDW unterscheidet die Funktion des neutralen Gutachters von der des Beraters. Während der neutrale Gutachter einen „objektivierten, von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert des Unternehmens ermittelt", wird die Beratung so definiert: „in der Beratungsfunktion ermittelt der Wirtschaftsprüfer einen subjektiven Entscheidungswert, der ... angeben kann, was — unter Berücksichtigung der vorhandenen individuellen Möglichkeiten und Planungen — ein bestimmter Investor für ein Unternehmen höchstens anlegen darf (Preisobergrenze) oder ein Verkäufer mindestens verlangen muss (Preisuntergrenze), um seine ökonomische Situation durch die Transaktion nicht zu verschlechtern" (IDW ES I n.F. 12).

6.

UNTERNEHMENSBEWERTUNG

161

tergrenze des Verkäufers klar unterhalb des Marktwerts der Division. Bei einer Akquisition werden nicht nur die beiden Unternehmen nebeneinander gestellt und bei ansonsten passivem Verhalten darauf gehofft, dass Synergien von sich aus eintreten. Nach einer Akquisition oder Übernahme eines Beteiligungspakets bietet es sich an, die Strategien der beiden Unternehmen zu modifizieren, um Synergien aktiv herbeizuführen. Meistens hat der Kaufinteressent Änderungen der Strategien im Auge, die sich von jenen Geschäftspolitiken deutlich unterscheiden, die aus Sicht der Allgemeinheit zugrunde gelegt werden. Deshalb werden Synergien einen wichtigen Einfluss auf die Preisgrenze haben. Anders als bei Unternehmensbewertungen, wo nur unechte Synergien Berücksichtigung finden, werden bei der Beratung über die Preisgrenze (auch) die echten Synergien berücksichtigt.9 Bei einem solchen Zuschnitt auf die individuelle Situation der konkreten, an einer Transaktion interessierten Partei können zudem weitere Punkte berücksichtigt werden. Beispielsweise könnte ein Kaufinteressent — ähnliches gilt wieder für eine am Verkauf interessierte Partei — hinsichtlich der Unternehmung sich es wünschen, dass sie aufgrund subjektiver Informationen beurteilt wird, die von den allgemeinen Marktinformationen abweichen. So kann es durchaus sein, dass der Kaufinteressent eine optimistischere Sicht hinsichtlich der späteren Cashflows pflegt als der Markt im Allgemeinen. — —

Funktion

neutraler Gutachter

Berater

Zweck

Bestimmung des (objektivierten) Werts der Unternehmung

Ermittlung des subjektiven Entscheidungswerts für eine konkrete Partei

Ausführende

Finanzanalysten, Investmentbanken, Wirtschaftsprüfer

Consultingfirma, Wirtschaftsprüfung

Informationen

Prognosen der Zahlungsüberschüsse und Einschätzung der Risiken (Diskontrate) nur aus der allgemeinen Sicht, die im Markt geteilt wird

In Abweichung von der allgemeinen Einschätzung des Marktes können die subjektiven Zukunftserwartungen des Auftraggebers einfließen

Gesamtperspektive

Annahme eines perfekten Marktes — typische und langfristige Größen

Umstände der konkreten Situation im Augenblick

Synergien?

Nur unechte Synergien werden berücksichtigt, soweit sie bereits eingeleitet oder dokumentiert sind

Alle Synergien werden berücksichtigt, auch wenn sie nur im Stadium der Planung sind

Bild 6-9: Merkmalsunterschiede in den Rollen des neutralen Gutachters und des Beraters.

Wenn dann der Kaufinteressent eine persönlich auf ihn zugeschnittene Entscheidungsrechnung in Auftrag gibt, so wird er von der Wirtschaftsprüfung verlangen, dass sie eine Kalkulation aufgrund seiner subjektiven Prognosen vornimmt. Gleiches gilt für die Einschätzung der Risiken g D a s IDW empfiehlt, in der Beraterfunktion Synergien zu berücksichtigen, die der Käufer vorhat, selbst wenn sie weder eingeleitet noch im Unternehmenskonzept dokumentiert sind. (IDW ES 1, n.F. 58).

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FINANCE

und die Bestimmung der ihnen entsprechenden Diskontrate. Insgesamt darf sich die Ermittlung der Preisgrenze auf Informationen stützen, welche die persönliche Sicht des Auftraggebers der Entscheidungsrechnung sind, auch wenn diese Sicht von der allgemeinen Sicht des Kapitalmarktes abweicht. Das gilt nicht nur bei Synergien, sondern ebenso bei der Einschätzung des Wachstums und der Risiken. •

Selbstverständlich gehört es zur Aufgabe des Beraters, mit dem Auftraggeber zu sprechen, falls dieser eine klar unrealistische Sicht entfaltet. Bekanntlich haben Kaufinteressenten oft eine zu optimistische Sicht. Ebenso kommt vor, dass Personen, die verkaufen möchten, eine unrealistisch pessimistische Sicht mit der weiteren Fortführung einer Unternehmung verbinden.



Gleichwohl soll der Berater die Frage beantworten, welche Preisgrenze sich aus der Situation des Auftraggebers, aus der persönlichen Präferenz und aus jenen Einschätzungen errechnet, die der Auftraggeber (und nicht der Berater oder der Markt als Ganzes) über die Zukunft hat. Es geht um einen subjektiven Entscheidungswert (1DW ES I n.F. 12).

Der Auftraggeber wird sich nicht darauf einlassen, dass seine Preisgrenze aus einer „typischen" und „langfristigen" Perspektive ermittelt wird, die den Annahmen des perfekten Markts zugrunde gelegt wird. Er möchte, dass die konkreten Daten der augenblicklichen Situation einfließen, denn er möchte einen konkreten und persönlich zugeschnittenen, keinen „nur" grundsätzlichen und allgemeinen Rat. In der konkreten Situation gilt aber vielleicht nicht mehr die Proportionalität. Es dürfte — anders als im perfekten Kapitalmarkt — wichtig sein, ob eine Beteiligung zu einer Sperrminorität oder sogar zur Mehrheit der Stimmrechte führt oder nicht. Bei der Bestimmung der Preisobergrenze wird es daher eine Rolle spielen, ob der Kaufinteressent durch das diskutierte Beteiligungspaket Herrschaftsrechte einer gewissen Qualität erlangt oder ob es letztlich bei einer rein finanziellen Beteiligung bleibt. Entsprechend wird bei der Preisobergrenze ein Paketzuschlag berücksichtigt. Es sind demnach einige Unterschiede zwischen der Bewertung einer Unternehmung oder eines Beteiligungspakets aus Marktsicht und der Bestimmung der Preisgrenze für eine konkrete Partei festzuhalten. Die wichtigsten sind vielleicht die mit der Größe des Pakets verbundenen Rechte, die persönliche Einschätzung der zukünftigen Entwicklung und die Bedeutung von Synergien.

6.3.4

Verhandlungsgespräche

In einem (halbwegs funktionierenden) Markt versuchen alle Personen immer wieder, ob sie zu (für sie) „günstigen" Konditionen zu einer Sache kommen können, die ihnen persönlich mehr bedeutet als sie dafür zu zahlen hätten. Ebenso werden Personen, die Objekte haben, ab und zu prüfen, ob sie diese zu „interessanten" Preisen verkaufen könnten. Bei dieser Suche ist eine Orientierung am Marktüblichen hilfreich, damit nicht jede denkbare bilaterale Vorabklärung erforderlich ist. Jedermann wird also für die Dinge, die ihm besonders wünschenswert sind, Marktpreise beobachten. Das gleiche Verhalten ist im Markt für Beteiligungen anzutreffen.

6.

163

UNTERNEHMENSBEWERTUNG



W e n n bei der Orientierung über ein Beteiligungspaket oder eine Unternehmung eine Person k für sich W 0 so anzubringen, dass gilt:

176

FINANCE

(7-4)

Die Vorgehensweise (7-4) heißt Risikoprämienmethode. Bei ihr wird der Erwartungswert der unsicheren Zahlung mit einer Rendite diskontiert, die größer ist als der Zinssatz und neben diesem noch eine Risikoprämie enthält. Beispiel 7-1: Wer heute €100 in einen Aktienindex anlegt, der hat ein Jahr später ein Ergebnis, das zwischen €70 und €150 liegen dürfte und unsicher ist — eben wie die unsichere Zahlung Z , beschreibt. Historische Vergleiche legen nahe, ein Anlageergebnis von €110 zu erwarten: = 110. Die Marktteilnehmer erkennen, dass die mit einer solchen Anlage verbundene erwartete Rendite 10% ist. Sie diskontieren die erwartete Zahlung von €110 mit dieser Renditeerwartung von 10% und erhalten den ursprünglichen Anlagebetrag von €100, den Barwert des Anlageergebnisses Z , . Beträgt der Zinssatz r0= 5%, so folgt aus r 0 + ρ = 10%, dass sie das Risiko mit einer Prämie von ρ = 5% berücksichtigen.



W a s heißt es, dass PV(Z, ) der Preis der stochastischen Zahlung Z , ist? Es gibt im Kapitalmarkt einen Handel mit Ansprüchen auf die unsichere Zahlung Z , . Einige Personen haben den Anspruch auf die unsichere Zahlung Z, und verkaufen ihn. Dafür erhalten sie heute den Preis PV(Zt ) . Andere Personen bringen heute den Geldbetrag PV(Zl ) auf und erhalten dafür die unsichere Zahlung Z , ein Jahr später. Sie betätigen sich als Investoren. Wird der von ihnen investierte Geldbetrag mit (1 + rQ + p) multipliziert, folgt das erwartete Anlageergebnis. So hat r0 + ρ die Bedeutung einer erwarteten Rendite; r0 + ρ ist mithin die risikogerechte Renditeerwartung im Kapitalmarkt. Das Vorgehen bei der Risikoprämienmethode umfasst drei Schritte: 1. Ermittle den Erwartungswert Z , der stochastischen Zahlung Ζ , , Z, = f [ z , ]. 2. Bestimme das Risiko und die dazu risikogerechte Risikoprämie ρ . 3. Berechne den Barwert PV,(Z,) durch Diskontierung nach Formel (7-4). Der Barwert PV] (Z, ) der stochastischen Zahlung Z, ist ermittelt, sobald die

risikogerech-

te Prämie ρ und damit die für die Diskontierung nach der Risikoprämienmethode (7-4) anzuwendende Renditeerwartung r0 + ρ bekannt sind. Die Diskontierung wird sodann auf die zu den späteren Jahren Z 2 , Z 3 , Z 4 fälligen Zahlungsüberschüsse der Unternehmung übertragen. Ihr Preis im perfekten Markt, mithin ihr Wert oder Barwert, ist durch (7-5) ausgedrückt:

PVAZ,)

= (1 +

Ld— r0+pY

für alle

t = 1,2,3...

(7-5)

7.

RISIKOPRÄMIE

1 77

Üblicherweise wird dabei in Anwendungen die für den Fall t = I bestimmte, marktgerechte Rendite r0 + ρ auch für die Folgejahre t = 2,3,4... übernommen, auch wenn genauere Untersuchungen zeigen, dass hierzu eigentlich wieder gewisse Annahmen zu treffen sind. 1 Die Risikoprämienmethode hat gegenüber der Risikoabschlagsmethode den Vorzug der größeren Ähnlichkeit zur klassischen Diskontierung einer sicheren Zahlung. Wir folgen der Risikoprämienmethode weiter und wenden uns der Bestimmung der risikogerechten Renditeerwartung r0 + ρ zu, die sich aus dem Zinssatz r0 und der marktgerechten Risikoprämie ρ zusammensetzt. Um die Renditeerwartung r0 + ρ zu bestimmen, ist eine Modellvorstellung verlangt, die sagt, wie die Teilnehmenden am Kapitalmarkt Risiken bewerten. Das wichtigste Modell hierzu ist das Capital Asset Pricing Model (CAPM). Es wurde um 1964 von W. SHARPE und anderen aufgestellt.

7.1.3 Repetition: Erwartungswert und Varianz Viele zukünftige Größen sind unsicher. Sie sind aber nicht ungewiss, weil eine Wahrscheinlichkeitsverteilung angegeben werden kann. Sie ist vollständig beschrieben, wenn jede mögliche Realisation angegeben und dazu gesagt werden kann, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintritt. Zwei bekannte Beispiele für solche Zufallsereignisse sind der Münzwurf und das Würfeln. Der Würfel kann auf 1 bis 6 Augen führen und jede dieser Realisationen hat, wenn der Würfel symmetrisch ist, eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 1/6. Oft genügt es, eine Wahrscheinlichkeitsverteilung durch Parameter zu beschreiben. Für Zufallsgrößen, deren Realisationen Zahlen sind, ist der wohl wichtigste Parameter der Erwartungswert.

Der Erwartungswert ist gleich der mit den

Wahrscheinlichkeiten gewichteten Summe aller möglichen Realisationen. Seine Bedeutung liegt im Gesetz der Großen Zahlen, das von JAKOB I. BERNOULLI (1654-1705) gefunden wurde: Wird ein Zufallsexperiment häufig auf voneinander unabhängige Weise wiederholt, dann kann man immer sicherer sein, dass der Mittelwert der Ergebnisse der Ziehungen nahe beim Erwartungswert liegen wird. Der Erwartungswert wirkt allerdings gelegentlich artifiziell, weil es sein kann, dass er bei einer einmaligen Durchführung des Zufallsexperiments nicht realisierbar ist. So ist im Beispiel des Würfels die erwartete Augenzahl 3,5. Bei einem einzigen Wurf ist dieses Ergebnis unmöglich. Des weiteren kann bei einer einzigen Durchführung eines Zufallsexperiments die Realisation weit vom Erwartungswert entfernt sein. Um diese „Unsicherheit" zu messen, wird als zweiter Parameter die Varianz betrachtet. Die Varianz ist die mit den Wahrscheinlichkeiten gewichtete Summe der Quadrate der Differenzen zwischen den Realisationen und dem Erwartungswert, kurz, die mittlere quadratische Abweichung. Die Wurzel aus der Varianz ist die Standardabweichung oder Streuung der Zufallsgröße. Zwei weitere Parameter einer Wahrscheinlichkeitsverteilung sind die Schiefe und die Kurtosis.

1

1. MICHAEL BRENNAN: An Approach to the Valuation of Uncertain Income Streams. Journal of Finance 28 (1973), pp. 661-674. 2. EUGENE F. FAMA: Risk-Adjusted Discount Rates And Capital Budgeting Under Uncertainty. Journal of Financial Economics 5 (1977), pp. 3-24. 3. FRANK RICHTER: Simplified Discounting Rules in Binomial Models. Schmalenbach Business Review 53 (July 2001), pp. 175-196. 4. JÖRG LAITENBERGER: Rendite und Kapitalkosten. Zeitschrift für Betriebswirtschaft 76 (2006) 1, 79-101.

178

FINANCE

Für die nachstehenden Formeln (7-6) beschränken wir uns auf eine Zufallsgröße χ , die nur zwei mögliche Realisationen hat. Die beiden Realisationen seien x, und x2 · Die Eintrittswahrscheinlichkeiten sind mit p1 und p2 bezeichnet; also gilt p{ + p2 = I . Der Erwartungswert, die Varix2

anz und die Standardabweichung sind in diesem Fall:

Φ]

=

P\*l

Var[x

=

pr(xl-E[l])2

S£>[3c]

=

JVar[x J

+ P2X2 + p2-(x2-E[x])2

(7-6)

Beispiel 7-2: Jemand spielt eine Lotterie, bei der mit der Wahrscheinlichkeit von jeweils Vi der Geldbetrag 100 oder nichts gewonnen werden kann. Der Erwartungswert ist 50 und die Varianz ist 2500, die Standardabweichung also 50. • Beispiel 7-3: Die Rendite r eines unsicheren Finanzinstruments im kommenden Jahr wird als zufällig betrachtet. Sie soll die Realisationen +30% und -10%, je mit Wahrscheinlichkeit Vi, haben. Ihr Erwartungswert r = f [ r ] beträgt r = +10%. Die beiden Realisationen der zufälligen Rendite weichen von ihrer Erwartung 10% um jeweils 20 Prozentpunkte ab. Die quadratische Abweichung beträgt bei beiden Realisationen also 0,20 • 0,20 = 0,04 . Die mittlere quadratische Abweichung, die Varianz, ist ebenso 0,04. Die Standardabweichung ist: Hinweise: Wenn die Rendite als Prozentzahl geschrieben wird, bietet es sich an, ihre Standardabweichung (nicht aber die Varianz) ebenso als Prozentzahl zu schreiben. Oft wird der Erwartungswert mit μ und die Standardabweichung mit ]

=

ΦΑ'ro

= Mk -r0

Rechts steht:

E\ßk{rM-rQ)

+ ek\

Zusammengenommen folgt ßk-r0wartung aufgelöst:

=

ßkE[rM-rQ}+E[ëk]

°

ßk(ßM-r0)

ßk • (μΜ - r 0 ) , oder explizit nach der gesuchten Risikoer-

7.

RISIKOPRÄMIE

MK =

197

r

o + ßk '(MM ~ro) fär alle Anlagen k

(7-22)

Die Formel (7-22) ist das Capital Asset Pricing Model (CAPM, sprich „Käp-emm"). Das CAPM erlaubt, die Renditeerwartung beziehungsweise die Risikoprämie des Marktindexes, Mm ~r0'in

die gesuchte Renditeerwartung oder Risikoprämie einer Einzelinvestition umzurech-

nen. Das CAPM sagt aus, dass die Risikoprämie einer Einzelanlage k das beta-fache der Risikoprämie des Marktindexes ist.

Bild 7-7: Das CAPM als Wertpapierkennlinie (Security Market Line SML). Die Renditeerwartung einer jeden Investition nimmt mit ihrem Beta zu. Die funktionale Beziehung zwischen der Renditeerwartung und dem Beta ist linear. Eine Investition oder eine Wertpapieranlage mit einem Beta von I hat dieselbe Renditeerwartung wie der Marktindex. Alle Investitionen und alle Wertpapieranlagen sind auf der SML positioniert. Der in (7-21) auftauchende, titelspezifische Einfluss Ek hat auf die Höhe der risikogerechten Prämie keinen Einfluss. Gleichsam ist ek kein relevantes Risiko, jedenfalls nicht eines, dass sich in der Kapitalmarktbewertung ausdrücken würde. Denn wie argumentiert kann man sich vorstellen, dass es zahlreiche Investitionsmöglichkeiten wie die betrachtete gibt. Jede von ihnen hat zwar ein titelspezifisches Risiko, doch die titelspezifischen Risiken der verschiedenen Investitionen haben keinen gemeinsamen Faktor. Sie verschwinden praktisch vollständig durch Diversifikation. Anders ist es bei dem Einfluss des Marktindexes. Er wirkt als gemeinsamer Faktor auf alle einzelnen Investitionen, wie im Einfaktor-Modell (7-21) formuliert. Bei Einzelanlagen mit einem geringen Beta wirkt der gemeinsame Faktor nur gering ein und bei Einzelanlagen mit einem hohen Beta eben stärker. Er findet sich indessen bei allen Investitionen als der eine und allen gemeinsame Risikofaktor. Das mit diesem gemeinsamen Faktor verbundene Risiko, das Marktrisiko, kann nicht diversifiziert werden. Das Marktrisiko wird als systematisches Risiko, bezeichnet. Das Beta einer Investition drückt das Exposure gegenüber dem Marktrisiko aus und misst somit das in ihr enthaltene systematische Risiko.

198

FINANCE

7.3.3

Beta

Um das Beta im CAPM (7-22) zu charakterisieren, berechnen wir für das Einfaktor-Modell (721) die Kovarianz zwischen der Überrendite der Einzelanlage und der des Marktportfolios:

Cov[rk-r0\ru-r0]

=

Cov[ßk

(?M-rn)

+ ek; rM-r0]

=

(7-20)

Cov

=

[ A i':M-ra)^M-r0]

+ Cov[ëk \ru - r 0 ]

=

omit gilt für das Beta Cov[r t - r 0 ; r u - r] = Cov[r t ; Cwfa ; rM ] _ ßk

=

ßt Var\fu

=

^-VoT-fo]

] = ßk • Var[rM ] und folglich:

0 . Beides zusammengefasst:

o