Familien im Medienzeitalter: Digitalisierung in der Beratungspraxis [1 ed.] 9783666452567, 9783525452561


103 32 649KB

German Pages [87] Year 2018

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Familien im Medienzeitalter: Digitalisierung in der Beratungspraxis [1 ed.]
 9783666452567, 9783525452561

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN

Joachim Wenzel

Familien im Medienzeitalter

V

Leben.Lieben.Arbeiten

SYSTEMISCH BERATEN Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Joachim Wenzel

Familien im Medienzeitalter Digitalisierung in der Beratungspraxis

Vandenhoeck & Ruprecht

Meinen Eltern Waltraud und Herbert Wenzel

Mit 3 Abbildungen und 7 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-45256-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Umschlagabbildung: Lee Yiu Tung/shutterstock.com © 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort von Jochen Schweitzer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

I Der Kontext 1 Familiärer Tanz um Smartphone & Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.1 Fallbeispiel 1: Familie Smart ist immer online . . . . . . . . . . 14 1.2 Neue Phänomene bei alten Themen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.3 Medien als Ausweitung von Körper und Lebenswelt . . . . 35 II Die systemische Beratung 2 Medien verändern die Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.1 Fallbeispiel 2: Familie Medienstreit sucht Hilfe . . . . . . . . . 48 2.2 Von der Medienfixierung zur Beziehungsgestaltung . . . . 52 2.3 Fallbeispiel 3: Herr und Frau Trennungsstreit ringen um richtigen Medienumgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.4 Ausblick: Digitalisierung als übergreifende Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III Am Ende 3 Medien zur Medienthematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1 Internetlinks für Kinder/Jugendliche, Eltern/Erziehende, Beratende/Fachkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.2 Studien/Publikationen online . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 4 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5 Der Autor und seine Medienbiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  83

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe »Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten« befasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewäl­ tigung. In ihr geht es um Themen, an denen Menschen wachsen oder zerbrechen, zueinanderfinden oder sich entzweien und bei denen Menschen sich gegenseitig unterstützen oder einander das Leben schwer machen können. Manche dieser Herausforderungen (Leben.) haben mit unserer biologischen Existenz, unserem gelebten Leben zu tun, mit Geburt und Tod, Krankheit und Gesundheit, Schicksal und Lebensführung. Andere (Lieben.) haben mit unseren intimen Beziehungen zu tun, mit deren Anfang und deren Ende, mit Liebe und Hass, mit Fürsorge und Vernachlässigung, mit Bindung und Freiheit. Wiederum andere Herausforderungen (Arbeiten.) behandeln planvolle Tätigkeiten, zumeist in Organisationen, wo es um Erwerbsarbeit und ehrenamtliche Arbeit geht, um Struktur und Chaos, um Aufstieg und Abstieg, um Freud und Leid menschlicher Zusammenarbeit in ihren vielen Facetten. Die Bände dieser Reihe beleuchten anschaulich und kompakt derartige ausgewählte Kontexte, in denen systemische Praxis hilfreich ist. Sie richten sich an Personen, die in ihrer Beratungstätigkeit mit jeweils spezifischen Herausforderungen konfrontiert sind, können aber auch für Betroffene hilfreich sein. Sie bieten Mittel zum Verständnis von Kontexten und geben Werkzeuge zu deren Bearbeitung an die Hand. Sie sind knapp, klar und gut verständlich

7

geschrieben, allgemeine Überlegungen werden mit konkreten Fallbeispielen veranschaulicht und mögliche Wege »vom Problem zu Lösungen« werden skizziert. Auf unter 100 Buchseiten, mit etwas Glück an einem langen Abend oder einem kurzen Wochenende zu lesen, bieten sie zu dem jeweiligen lebensweltlichen Thema einen schnellen Überblick. Die Buchreihe schließt an unsere Lehrbücher der syste­mischen Therapie und Beratung an. Unsere Bücher zum systemischen »Grund­ 8

lagenwissen« (1996/2012) und zum »störungsspezifischen Wissen« (2006) fanden und finden weiterhin einen großen Leserkreis. Die aktuelle Reihe erkundet nun das »kontextspezifische Wissen« der systemischen Beratung. Es passt zu der unendlichen Vielfalt möglicher Kontexte, in denen sich »Leben. Lieben. Arbeiten« vollzieht, dass hier praxisbezogene kritische Analysen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ebenso willkommen sind wie Anregungen für individuelle und für kollektive Lösungswege. Um klinisch relevante Störungen, um systemische Theoriekonzepte und um spezifische beraterische Techniken geht es in diesen Bänden (nur) insoweit, als sie zum Verständnis und zur Bearbeitung der jeweiligen Heraus­forderungen bedeutsam sind. Wir laden Sie als Leserin und Leser ein, uns bei diesen Exkursionen zu begleiten. Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe

Vorwort

In diesem Buch steckt alles drin, was sein Titel verspricht, aber es steckt erheblich mehr dahinter. Ich habe vor der Lektüre des Manuskriptes damit gerechnet, dass dieses Buch über das Spektrum heutiger Medien, über familiäre Stile und Konflikte im Umgang mit diesen und schließlich über Beratung mithilfe neuer Medien informieren wird. All dies tut es auch, mir hat es aber weit mehr Einsichten beschert, als ich vorab erwartet hatte. Zum Ersten habe ich im Buchkapitel »Medien als Ausweitung von Körper und Lebenswelt« Wichtiges aus der Medientheorie gelernt. Dort habe ich verstanden, wie die drei grundlegenden Medientypen »Körpermedien« (Stimme, Gestik, Blick), »Objektmedien« (Bilder, Bücher, Musikinstrumente) und schließlich »elektronische Medien« (PC, Smartphone …) in ganz unterschiedlichem Umfang Abstände in Zeit und Raum überwinden können und wie sich damit der Informationsaustausch von den Körpermedien über die Objektmedien zu den elektronischen Medien über immer größere räumliche und zeitliche Abstände hinweg ausweiten konnte. Zum Zweiten habe ich gelernt, in welchem Umfang Beratung mit elektronischen Medien oft beklagte »Lücken« der bisherigen Beratungsangebote schließen kann. Schüchterne, selbstunsichere, sozial ängstliche oder Stigmatisierung befürchtende Menschen kontaktieren viel leichter virtuelle Beratungsstellen. Viele Jugendliche besprechen ihren Liebeskummer oder ihren Streit mit den Eltern viel lie-

9

ber virtuell als von Angesicht zu Angesicht. Menschen in entlegenen ländlichen Regionen können beraten werden, Menschen im Ausland (»Ex-Pats«) im Kontakt mit »ihrer« Psychotherapeutin bleiben. Klienten können zwischen ihren Face-to-Face-Terminen bei akuten Krisen oder bei Problemen mit therapeutischen Hausaufgaben kurzfristig Rat einholen. Freilich wird all dies mittelfristig erfordern, Beratungskontakte per Internet auch finanziell nach einer eigenen Gebührenlogik zu entlohnen, für die es bislang noch keine Modelle zu geben scheint. 10

Am eindrücklichsten sind mir jedoch, wie ich es auch erwartete, die vielen neuen Konfliktlinien, Koalitionen und Frontenbildungen erschienen, die durch das Hinzukommen der neuen Medien im Familienleben einziehen. Ein Vater, der in einer Online-Familie als einziger offline bleiben will, wird in ihr sehr schnell randständig werden. Elterliche Streits bekommen durch unterschiedliche Auffassungen über zulässige Mediennutzung der Kinder neues Futter. Viele vorab verdeckte Informationen, von der Homosexualität des Sohnes bis zum Seitensprung der Partnerin, können durch elektronische Medien leichter zum Vorschein kommen. Mancher Leser mag die Lektüre des Buches von hinten beginnen, nämlich mit der »Medienbiografie des Autors«. Wer in den späten 1960er Jahren in einem entlegenen Odenwald-Dorf geboren wurde, in dem Telefonzellen Mangelware waren, und dessen Eltern lange nicht von der Anschaffung eines Telefonanschlusses überzeugt waren (wir erfahren nicht, ob wenigstens ein Fernseher im Haus war) – bei dem wird die Begeisterung für die neuen Medien sicher gut nachvollziehbar. Joachim Wenzel ist eine außerordentlich umfangreiche und zugleich verdichtete Darstellung aller Aspekte gelungen, die für neue Medien als Thema von und Hilfsmittel für Beratung wichtig sind. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Jochen Schweitzer

Der Kontext

14

Medien entwickeln sich in unserer Zeit in nie dagewesener

Kontext

1  Familiärer Tanz um Smartphone & Co.

Geschwindig­keit. Die weltweite Vernetzung per Internet in Verbindung mit der rasanten Ausbreitung der allgegenwärtigen Alleskönner-Computer namens Smartphone und Tablet-PC stellen dabei einen aktuellen Höhepunkt dar. Während die sogenannte Digitalisierung mit großen Schritten voranschreitet, haben nicht wenige Menschen das Gefühl, mit diesen Entwicklungen nicht immer Schritt halten zu können. Familien sind dabei Kristallisationszentren, in denen die derzeitigen Evolutionen oder besser gesagt Revolutionen der Gesellschaft auf sehr unterschiedliche Weise zusammentreffen. Eltern und Kinder sind schließlich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen unterwegs und mit verschiedensten Alters- und Bezugsgruppen in Kontakt. Der Umgang mit den Medien kann also kaum unterschiedlicher sein. Und auch die Unterschiede im Umgang mit Medien in den differierenden Kontexten (Beruf, Kindergarten, Schule, Verwandtschaft, Peergroup der Kinder, elterlicher Freundeskreis, Verein etc.) führen nicht selten zu spannungsreichen Situationen. 1.1  Fallbeispiel 1: Familie Smart ist immer online Medien sind bei Familie Smart alltäglicher Bestandteil des Familien­ lebens. Mit Ausnahme des jüngsten Sohnes besitzen alle Familien­ mitglieder ein eigenes Handy, das sie auch regelmäßig nutzen. Vater

Smart hat aus Überzeugung allerdings noch ein älteres Handy­modell, das noch gar nicht so richtig »smart« ist, weil er die »neu­modischen Entwicklungen« nicht mitmachen möchte. Seine Frau und die bei­ den anderen Kinder, die älteste Tochter und der mittlere Sohn, sind jedoch überzeugte Smartphone-Nutzer. Die Eltern sind sich oft nicht einig, was den Medienumgang ihrer Kinder angeht. Ledig­ lich ein einziges Mal waren sie in Bezug auf Medien sofort auf einer Handy zu kaufen. Sie stimmten gleich darin überein, dass es eine

15

bessere Erreichbarkeit der Tochter ermöglichen und ihrer Sicherheit

Kontext

gemeinsamen Linie, nämlich als es darum ging, der Tochter ein

dienen würde, wenn sie ein Mobiltelefon besitzen würde. Doch damit war die Einigkeit im Großen und Ganzen bereits zu Ende. Zu einem ersten größeren Konflikt kam es vor einigen Jahren, als sich die Tochter mit knapp zwölf Jahren bei Facebook registrieren wollte. Die Nutzungsbedingungen erlauben das schließlich erst ab 13 Jahren. Die Tochter setzte ihre Mutter aber unter Druck, ihr beim Registrieren zu helfen, indem sie ankündigte, dass sie es sonst eben heimlich machen würde. So ließ die Mutter sich erweichen. Sie nahm die Registrierung gemeinsam mit ihrer Tochter vor und legte gleich einen eigenen Account an, wodurch sie sich auch im Inter­ net miteinander vernetzten konnten. Sie fand das letztendlich gar nicht so schlecht, weil sie auf diesem Wege so manches über ihre Tochter und deren Freundeskreis erfuhr, was ihr Kind ihr sonst ver­ mutlich nicht erzählt hätte. Ihr Mann wäre in dieser Frage allerdings gerne »konsequent« geblieben und hätte es abgelehnt, gegen die Bestimmungen zu verstoßen. Seit diesem Zeitpunkt fühlt er sich von seiner Frau in Erziehungsfragen immer wieder ausgeschlossen. Inhaltlich geht es regelmäßig um die Frage, wie restriktiv sie als Eltern die Mediennutzung ihrer Kinder kontrollieren sollten. In der Vergangenheit hatten sie, als die Kinder etwas älter wurden und beim Internetzugang nicht mehr dauernd beaufsichtigt werden soll­

ten, zwar gemeinsam entschieden, eine Kinderschutzsoftware zu nutzen. Doch bei Fragen rund um die Zeiten der Nutzung kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen, die sie auch nicht vor ihren Kindern verheimlichen können. Während die Mutter die Nutzungszeiten mit zunehmendem Alter deutlich erhö­ hen will, nimmt der Vater die komplementäre Rolle des Begrenzen­ den ein. Entsprechend fragen die Kinder in Sachen Mediennutzung geht allerdings auch ein anderer Konflikt des Paares einher: In den

Kontext

lieber ihre Mutter, und Herr Smart bleibt meist außen vor. Damit 16

ersten Jahren ihrer Partnerschaft ist es vor allem er gewesen, der die Kontakte mit Freunden und Verwandten in ihrer Kleinstadt gepflegt hat. Das hat sich durch das Smartphone von Frau Smart verändert. Viele Kontakte und Absprachen laufen nun über sie und er erfährt manches erst, nachdem sie es auf ihrem Handy gelesen hat. Da sie das Smartphone auch beruflich nutzt, weiß er oft nicht, mit wem sie gerade kommuniziert. Gedanken an Eifersucht will er sich allerdings nicht eingestehen. Und so gibt es zwischen den beiden auch diesen verdeckten Konflikt, der meist in Bezug auf die Mediennutzung der Kinder hervorkommt. Andererseits ist Herr Smart auch froh, dass seine Frau sich um Medienfragen kümmert, die zu Hause auftauchen und beispiels­ weise aus dem schulischen Kontext kommen. Die älteren Kinder müssen beim Hausaufgabenmachen nämlich immer häufiger das Internet nutzen, etwa um Referate auszuarbeiten, worin Frau Smart ihre Kinder gern unterstützt. Sorgen bereitete es beiden Eltern, als vor einigen Jahren über ihren mittleren Sohn Hasstiraden und Lügen im Internet verbreitet wurden. Zunächst traute er sich nicht, sich damit an seine Eltern zu wenden, da er deren Uneinigkeit in Medienfragen kannte und keinen Streit verursachen wollte. So suchte er in seiner Not Unterstützung in einem Onlineberatungsportal, das sich ausdrücklich an Kinder und

Jugendliche richtete. Wichtig war für ihn, dass er mit seinem Problem ernst genommen wurde, da er zuvor selbst gemeint hatte, er dürfte es nicht zu ernst nehmen. Es tat ihm gut, dass er in seiner seelischen Verletzung von einer Onlineberaterin emotionale Zuwendung erhielt und darin bestärkt wurde, sich Unterstützung bei seinen Eltern und Lehrern zu holen und aktiv gegen dieses Cyber-Mobbing vorzu­ gehen. Die Eltern waren zunächst schockiert und ebenso wie die massiver Form erstmals begegnete. In einer Beratungs­stelle erhiel­

17

ten der Junge und seine Eltern aber kompetente Unterstützung und

Kontext

zuständigen Lehrer überfordert, weil ihnen das Phänomen in solch

neben der emotionalen Aufarbeitung wurden auch Schritte unter­ nommen, um die betreffenden Inhalte im Netz zu löschen. Als deut­ lich wurde, dass der Junge sich in der Schule schon vorher wegen einiger Mitschüler unwohl gefühlt hatte, konnten anschließend auch die weiteren damit verbundenen Themen bearbeitet werden. Andere Fragen in der Familie wurden allerdings nicht in der Weise bearbeitet, und so spitzte sich die Frage der Mediennutzung immer weiter zu. Zu einem Höhepunkt der Eskalation kommt es, als ein Freund von Vater Smart feststellt, dass wohl der mittlere Sohn die Kinderschutzsoftware außer Kraft gesetzt hat und zeitlich unbe­ grenzt und inhaltlich ohne jeglichen Filter im Netz surfen kann – der Sohn ist inzwischen versierter in Fragen der Medientechnik als sein Vater. Daraufhin verschärfen sich die Kontrollversuche rund um die Medien. Auch die Smartphone-Nutzung wird nun stärker reglementiert, und es gibt Verbote, das Gerät mit auf das Zimmer zu nehmen, so lange die Hausaufgaben nicht gemacht sind. Das bewirkt, dass auch die Streitigkeiten zwischen den Eltern in Bezug auf die Mediennutzung zunehmen. Die positive Erfahrung mit der hilfreichen Beratung zur Mobbingthematik lässt die Eltern auf die Idee kommen, sich auch in dieser Frage Hilfe zu suchen. Sie gehen zunächst mit ihren Problemen im Umgang mit der Mediennutzung

ihrer Kinder in die bereits bekannte Beratungsstelle. Es wird schnell deutlich, dass es darüber hinaus auch um Paarthemen geht. Nach­ dem sie einige Sitzungen dazu gearbeitet haben, können sie auch in den Erziehungsfragen eher zueinander finden. Im Beratungsprozess ist nämlich deutlich geworden, dass es in ihren Herkunftsfamilien einen sehr unterschiedlichen Umgang mit Regeln gab. In der Folgezeit sind zwar nicht alle Probleme gelöst, aber es kommt seltener zu Eskalationen und die Eltern können sich immer

Kontext

18

wieder darüber verständigen, wie sie in Bezug auf die Medien­ nutzung mit ihren Kindern umgehen wollen. Schwieriger wird es allerdings dadurch, dass die große Altersspanne der drei Kinder sehr unterschiedliche Vorgehensweisen bei Medien notwendig macht und die Absprachen und das Einfordern der verabredeten Regeln viel Kraft kosten. Im Alltag der Familie können Medien aber auch zur Kommunikation und zum gemeinsamen Spiel genutzt werden und Vater Smart findet immer mehr Gefallen an den interaktiven Möglichkeiten und seinem neuen Smartphone, das ihm seine Frau und Kinder zum Geburtstag geschenkt haben.

1.2  Neue Phänomene bei alten Themen

Wie das Fallbeispiel von Familie Smart zeigt, hat sich in den vergangenen Jahren in Familien vieles verändert. Internet und Neue Medien bringen immer wieder Neuartiges in die Welt, und wer die Entwicklungen verfolgt, kann ständig Interessantes und in der jeweiligen Weise noch nie Dagewesenes entdecken. Das täuscht aber darüber hinweg, dass dahinter vielfach sehr alte und bekannte Themen, Probleme und Fragen verborgen sind. So ist es gerade bei der Medienthematik wichtig, hinter den neuen Phänomenen auch die menschheitsgeschichtlich häufig sehr alten Funktionen von Medien und die damit verbundenen Bedürfnisse der Menschen wahrzunehmen. Verändert sich dabei der Kontext durch die Medien, bedeutet

das aber auch, dass die bereits bekannten und bewährten Ansätze und Lösungen nicht einfach übernommen werden können. Da aus systemischer Perspektive Probleme und Situationen mit anderen niemals gleichzusetzen sind, gilt es vielmehr genau zu betrachten, welche Muster ähnlich sind und wo es sinnvoll ist, Unterschiede herauszuarbeiten.

Bevor im Folgenden allgemeine Aspekte der Medienentwicklungen

19

dargestellt werden, ist es hilfreich, sich zunächst für einen Moment

Kontext

Neuartige Medienbiografien

mit der eigenen Medienbiografie zu befassen. So sind Sie als Lesende nun eingeladen, einen Moment innezuhalten. Die nachfolgende Übung »Medienkreise« mit Fragen zu Ihrer eigenen Medienbiografie können Sie später auch in der Arbeit mit Familien nutzen.     Übung zur Medienbiografie  

MEDIENKREISE Vergegenwärtigen Sie sich nun Ihre individuelle Mediengeschichte. Gerne können Sie für einen Moment die Augen schließen oder einen Punkt im Raum fixieren. –– Mit welchem Medium bin ich in meinem Leben zuerst in Kontakt gekommen? –– Welche Medien waren für mich früher (in meiner Kindheit und Jugend) bedeutsam? –– Welches Medium habe ich zuletzt kennengelernt? –– Welche Medien sind für mich heute bedeutsam? –– Auf welche Medien würde ich keinesfalls verzichten wollen? –– Welche Medien sind für mich heute weniger bedeutsam? –– Von welchen Medien könnte ich mich heute gut verabschieden? –– Wie wirken sich die Medien auf mein Leben aus?

–– Gibt es in meinem Leben interessante oder humorvolle Geschich­ ten zu Medien? –– Gibt es Gefühle, die ich mit bestimmten Medien verbinde?

Nehmen Sie nun ein Blatt Papier zur Hand. (Kreise auf Papier, vgl. Abbildung 1) Bitte tragen Sie ein, welche Medien Ihnen wie wichtig sind. Dabei in die Mitte. Weniger bedeutsame Medien werden weiter außen ein­

Kontext

kommen diejenigen Medien, die heute sehr bedeutsam für Sie sind, 20

getragen und diejenigen, die heute unwichtig sind oder lediglich in der Vergangenheit bedeutsam waren, kommen ganz an den Rand.

Kennzeichnen Sie hinter den einzelnen Medien … … mit einem »F«, an welches der Medien Sie sich in Ihrem Leben am frühesten erinnern, … mit einem »Z« das Medium, das Sie zuletzt kennengelernt haben, … mit einem »K« bzw. »J« die Medien, die in Ihrer Kindheit bzw. Jugend bedeutsam waren.

Für die Arbeit mit Familien Die Familienmitglieder beschriften ihre Medienkreise zeitgleich und möglichst schweigend. Erst danach tauschen sie sich dazu aus. Wichtig ist es, die Familienmitglieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie werden eingeladen, sich gegenseitig ihre Medienkreise zu zeigen, darauf zu reagieren und Fragen zu stellen. Passende systemische Fragen können später ergänzt werden. Neugier und Interesse der Familienmitglieder untereinander zu nutzen und zu wecken hat Vorrang. Dabei kann auch die Frage nach interessanten und humorvollen Geschichten hilfreich sein.



Walkman (J)

Schallplatten (K)

Kassetten (J) Radio (F, J)

Facebook

CD/DVD Videos Bücher (K)

Beamer mit Powerpoint Flipchart

WhatsApp (Z) Smartphone Computer WWW Mailen

Fernsehen (J)

Zeitung

Chatten Computerspiele

Telespiele (J)

Game Boy (K)

Abbildung 1: Medienkreise (Beispiel)

Die Übung mit einer Vorlage leerer Kreise im DIN-A4-Format gibt es als kostenloses Download-Material auf der Website www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com auf der Seite zum Buch.

Kontext

21 Telefonieren

Findet die Übung Medienkreise mit Menschen aus verschiedenen Altersgruppen statt, so zeigt sich sicherlich, wie sehr sich die jeweiligen Medienbiografien unterscheiden. In nur wenigen Jahrzehnten kam es schließlich zu einer regelrechten Explosion der Entwicklungen. Zu den bereits etablierten Fernseh- und Radiogeräten kamen unzählige Geräte wie Computer, mobile Abspielgeräte, Spielekonsolen, Mobiltelefone, Tablet-PCs und Smartphones hinzu. Das hat grundlegende Auswirkungen auf das Familienleben. Die Eltern kön-

Kontext

22

nen kaum auf vergleichbare Erfahrungen aus der eigenen Kindheit und Jugend zurückgreifen. Auf der anderen Seite ist für Kinder und Jugendliche ihr eigener Umgang mit den Neuen Medien so selbstverständlich, dass sie es nicht selten als Willkür erleben, wenn ihr Medienumgang infrage gestellt oder gar reglementiert wird. Die Unterschiede der jeweiligen Biografien und Mediensozialisationen könnten kaum größer sein (»Digital Natives« versus »Digital Immigrants«). Dieser Kontrast wird vielfach aber nicht bewusst und noch seltener konstruktiv zur gegenseitigen Bereicherung genutzt. Kommunikationsformen und -störungen

Menschliche Kommunikation hat sich über hunderttausende von Jahren vorwiegend als Kommunikation vor Ort entwickelt. Doch dies verändert sich durch technische Neuerungen, durch die der Kommunikationspartner immer häufiger in der Ferne zu finden ist. Vielleicht ist er dann nur noch zu hören oder ausschließlich über Schriftzeichen präsent. Das bringt neue Chancen und Möglichkeiten, etwa dass über Kontinente hinweg Beziehungen aufrechterhalten oder gar geknüpft werden können. Besonders groß ist die Veränderung, wenn der andere gar nicht mehr als eine bestimmte Person zu identifizieren ist, wie das im Internet häufig der Fall ist. Anonymität oder zumindest die partielle Abwesenheit der Kommunikationspartner verändert die Kommunikation grundlegend, was zu neuen Kommunika-

tionsstörungen führen kann. Viele Menschen kennen das Phänomen, dass sie einer bestimmten Person die Meinung sagen möchten und schon vorab innerlich drastische Worte einüben. Sobald sie aber unmittelbar vor diese Person treten, werden sie viel ruhiger, nutzen deutlich gewähltere Worte als geplant oder verzichten ganz darauf, ihre Kritik zu benennen. Bei vielen medientechnisch vermittelten Kommunikationsformen fallen solche meist unbewussten Mecha23

Menschen beleidigen dabei andere Menschen massiv. So kommt es

Kontext

nismen jedoch weg. Das kann die Hemmschwelle etwa zu Cyber-­ Mobbing senken oder sogenannte »Shitstorms« entstehen lassen: auch immer wieder vor, dass E-Mail-Kommunikation eskaliert, wenn das Kommunikationsmedium nicht rechtzeitig gewechselt wird. Es kann aber bei der immer größer werdenden Zahl von parallel genutzten Medien auch sein, dass eine Nachricht von einer Seite noch gar nicht wahrgenommen wurde, bei der Kommunikation über ein anderes Medium vom Kommunikationspartner aber davon ausgegangen wird, dass eine bestimmte Information schon bekannt ist. Das führt immer wieder zu Missverständnissen. So kann es also durch die verschiedenen technischen Medien zu Kommunikationsstörungen kommen, die auch im Familienalltag wirksam werden. Der Entstehungshintergrund ist den Beteiligten dann oft gar nicht bewusst, was eine Konfliktlösung erschwert. Informationsmöglichkeiten

Das Internet wurde von Anfang an zum Verbreiten und Abrufen von Informationen genutzt. Und so ist der Informationsabruf nach wie vor grundlegend, auch nach der Entwicklung des sogenannten Web 2.0 mit seinen vielen interaktiven Möglichkeiten. Selbst große Informationsmengen können auf diesem Wege kostengünstig bereitgestellt und aktuell gehalten werden. Was Qualität und Aktualität der Informationen angeht, gibt es allerdings immense Spannbrei-

ten. Und so bedarf es bei der Informationssuche und vor allem bei der Informationsbewertung neuer medienspezifischer Kompetenzen. Zwar bieten die Suchmaschinen heute komfortable Möglichkeiten, die unvorstellbar großen Informationsmengen zu durchsuchen. Das gewährleistet aber nicht, dass die gefundenen Informationen auch hilfreich sind. Menschen haben durch das Internet also mehr Möglichkeiten als früher, sich zu informieren. Dabei verbreitet sich aber auch leichter ein Halbwissen, das sogar hinderlich sein kann.

Kontext

24

Hinzu kommt, dass aus Eigeninteresse von Informationsanbietern nicht selten auch bewusst Falschmeldungen verbreitet werden, die Menschen manipulieren sollen. In diesem Zusammenhang ist dann etwa von »fake news« die Rede, wobei aber nicht klar ist, was genau darunter fällt. Schließlich sind Fakten auch nicht einfach gegeben, sondern unterliegen häufig selbst in Bezug auf diese Einstufung der Interpretation und ihre Einschätzung hängt auch von der Bewertung der Informationsquellen ab. Die herkömmlichen Sozialisationsinstanzen wie Eltern, Kindertagesstätten und Schulen sind mit solchen Fragestellungen oft überfordert. Schließlich geht es dabei über die Informationen hinaus auch um Deutungshoheit, gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen und Weltanschauungen. ▶ Internetlinks

Kontrollmöglichkeiten

Die Medienentwicklungen bringen auch neue Möglichkeiten der Kontrolle mit sich. Jüngere Kinder und Jugendliche sind oft noch damit einverstanden, wenn die Eltern ihre Mediennutzung beaufsichtigen. Es können darüber hinaus aber auch umfassende Kontrollmaßnahmen realisiert werden. Wenn ihre Kinder das Internet nutzen, sorgen sich Eltern schließlich nicht ohne Grund, diese könnten mit Inhalten konfrontiert werden, die nicht für ihr Alter bestimmt sind. Und tatsächlich ist es durch die Internetvernetzung möglich, mit Texten und Bildern etwa zu Gewalt und Pornografie in Kontakt

zu kommen, was früher kaum denkbar war. Um dem abzuhelfen, werden dann häufig neue Kontrollmöglichkeiten genutzt, die dabei helfen sollen, den Zugang zu problematischen Inhalten zu verhindern. Das kann auf Hardwarebasis geschehen, indem der Zugriff auf bestimmte Geräte (PC, Smartphone) reglementiert wird, oder mittels Softwarelösungen. Damit können zum einen die erlaubten Nutzungszeiten gesteuert werden und zum anderen kann der Zugriff auf cher Kinderschutzsoftware dient eine Whitelist – wie etwa von der

25

Internetseite fragFINN – dazu, dass sich nur Seiten aufrufen lassen,

Kontext

mögliche Inhalte durch sogenannte Filter geregelt werden. Bei sol-

die durch den Ersteller dieser Liste freigegeben wurden. Der Surfradius dieses Ansatzes ist naturgemäß sehr gering, da die meisten Seiten im Netz nicht redaktionell erfasst werden können. So verwendet man bei Jugendlichen auch eher Blacklists, wodurch lediglich die als problematisch eingestuften Seiten gesperrt werden. Hier können aber umgekehrt nicht alle problematischen Inhalte heraus-

gefiltert werden. (Zu den Filtermöglichkeiten: ▶ Internetlinks) Entscheidende Fragen von Eltern bleiben also trotz dieser technischen

Kontrollmöglichkeiten: ȤȤ Ab wann lasse ich mein Kind überhaupt mit welchen Medien in Kontakt kommen? ȤȤ Bis zu welchem Alter soll mein Kind die Medien nur gemeinsam mit Erwachsenen nutzen? ȤȤ Setze ich technische Schutzmaßnahmen ein, sobald mein Kind selbst Internetzugang ohne Aufsicht hat? Wie auch immer diese Fragen beantwortet werden, die Realität zeigt, dass die Kontrollversuche umgangen werden können. Schließlich tauschen sich die Kinder zu diesen Themen aus und lernen immer früher, die technisch gesetzten Grenzen außer Kraft zu setzen. Und häufig kennen sich Jugendliche bei medientechnischen Fragen sogar

besser aus als ihre Eltern. Außerdem können sie im Alltag auch außerhalb des durch die Eltern kontrollierbaren Rahmens mit Inhalten konfrontiert werden, die sie in ihrem Alter nur schwer verarbeiten können. Was Fragen des Umgangs mit Medien betrifft, kommt es deswegen immer häufiger zu Kontroversen in Familien. Während sich Streitigkeiten noch vor wenigen Jahren vielfach um die Fernsehnutzung drehten, entzünden sie sich heute immer häufiger auch setzen hinsichtlich des Internets vor allem auf technische Kontrolle.

Kontext

zum Umgang mit Computer und Neuen Medien. Manche Eltern 26

Es gibt aber auch den Ansatz in Familien, Kinder und Jugendliche stark zu machen und frühzeitig auf die Risiken vorzubereiten. Ein altes Thema in neuem Gewand wird hier deutlich: Bereits seit Jahrhunderten warnen Märchen Kinder frühzeitig vor den Gefahren der Welt jenseits der familiären Geborgenheit, zum Teil mit sehr bedrohlichen Inhalten. Ebenso wichtig ist es, die jungen Menschen für die neu entstandenen Risiken zu rüsten. Schließlich ist in einem Medienzeitalter die altersgemäße Begrenzung des Kontaktes mit der Außenwelt nicht umfassend kontrollierbar, zumal die »Welt draußen« nicht einmal vor dem Kinderzimmer Halt macht. ▶ Internetlinks

Risiken für die Privatsphäre

Neue Medien bringen auch neue Risiken für die familiäre Privatsphäre mit sich. Kamera und Mikrofon können in einem Smartphone oder Laptop schließlich dazu missbraucht werden, die Intimsphäre auszuspionieren. Mittels sogenannter Trojaner, Spionagesoftware auf Kommunikationsgeräten, ist es möglich, von überall in der Welt in die geschützte Welt der Familie einzudringen. Software kann somit auch die familiären Grenzen überschreiten, wenn nicht aktiv Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Technische Kontrollmöglichkeiten sind somit nicht nur innerfamiliär anwendbar, sondern etwa in Form von Firewalls oder Antiviren/Antitrojaner-Software auch notwendig,

um die Grenzen der Privatsphäre nach außen zu sichern. Aber auch in Bezug auf die private Kommunikation mit anderen, die immer häufiger mittels Medien erfolgt, gibt es neue Risiken. Internetkommunikation geschieht standardmäßig völlig ungeschützt und verbleibt häufig nicht einmal in dem Land, in dem kommuniziert wird. Nicht nur für Kinder kann das bedrohlich werden, wenn sie so ausspioniert werden. Über wirksame Abhilfemaßnahmen gibt es oft noch kein Grundwissen und gerade Kinder und Jugendliche irren petenzen. ▶ Internetlinks

Transaktionsmöglichkeiten

Hinzu kommen verunsichernde neue Möglichkeiten zu Transaktionen per Internet. Will heißen, es ist heute sogar möglich, rechtswirksame Verträge online abzuschließen. Unklar ist für die Eltern meist, inwieweit ihre minderjährigen Kinder Verträge rechtswirksam abschließen können und wann sie sich, etwa bei illegalen Software- oder Musikdownloads, sogar strafbar machen. Während diese Fragen in der Welt jenseits des Internets meist klarer sind, herrscht bezüglich Trans­ aktionen im Netz eine große Unwissenheit. Diese Fragestellungen führen aber immer wieder zu Diskussionen in Familien, und Kinder und Jugendliche empfinden das damit einhergehende Verhalten der Eltern oft als willkürlich reglementierend, wenn sie die dahinter liegenden Sorgen nicht nachvollziehen können. Seriöse Portale, auch speziell für Jugendliche, können diesbezüglich aufklären. ▶ Internetlinks

Suchtformen

Auch in Bezug auf neue Suchtformen durch das Internet/Neue Medien kommt es in Familien immer häufiger zu Streitigkeiten. Verunsicherungen sind hier bei Eltern ebenfalls weit verbreitet. Der in diesem Zusammenhang häufig gebrauchte Begriff der »Internet­

27

Kontext

sich häufig in der Selbsteinschätzung ihrer Internetsicherheitskom-

sucht« ist allerdings weder eindeutig noch hilfreich, da er sehr unterschiedlich verwendet wird und als Sammelbegriff mehrerer sich unterscheidender Suchtformen verstanden werden kann. Neue Süchte beziehungsweise neue Spielarten von Süchten im Internet sind vielfältig. Zu nennen sind etwa Onlineglücksspielsucht, Internetsexsucht, Onlinesammelsucht, Kommunikationssucht in Bezug auf Nutzung sozialer Medien, Internetkaufsucht und Computer28

eingestuft und realisiert sich immer häufiger über das Internet.

Kontext

spielsucht. Lediglich Glücksspielsucht wird bereits als Krankheit Krankhaftes Glücksspiel wird als Impulskontrollstörung verstanden (»pathologisches Spielen« – fünftes Kapitel der ICD-10: F63.0) und im DSM-5 mittlerweile als Verhaltenssucht dargestellt. Computerspielsucht, der bei zunehmender Vernetzung auch immer häufiger online nachgegangen wird, wird seit einigen Jahren erforscht, wobei diese Form der Sucht bislang kein anerkanntes Störungsbild ist. Inwieweit es Sinn macht, diese neuen Suchtformen als eigene Störungsbilder zu verstehen, ist umstritten. Unstrittig ist jedoch, dass die Suchthematik in Familien häufig im Zusammenhang mit Erziehungsfragen auftaucht. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass etwa zu Fragen des übermäßigen Onlinespielens nicht mehr vorwiegend Suchtberatungsstellen aufgesucht werden, sondern immer häufiger auch Erziehungs- und Familienberatungsstellen. Die Machtkämpfe und Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kindern, die oft mit dem als Sucht gedeuteten Verhalten einhergehen, werden von den Betroffenen aber meist nicht als ein Aspekt der familiären Gesamtdynamik verstanden, sondern lediglich als Reaktion auf das Suchtverhalten. Das Internet und Neue Medien werden also häufig als Verursacher ausgemacht und Verhaltensweisen jenseits des Netzes, wie etwa die häufig mit einem problematischen Umgang mit den Neuen Medien zusammenkommenende Schulverweigerung, als reine Folge der Suchtproblematik. Dabei kann es sich beim Online-

verhalten auch um ein Anpassungsverhalten handeln, das aus den Begegnungen vor Ort resultiert, wenn beispielsweise ein Jugendlicher in der Schule Mobbing erfährt und in die Welt des Internets »flieht«. Scholz (2014) zeigt aus systemischer Perspektive die verschiedenen Suchtformen des Internets auf, stellt systemische Behandlungsansätze vor und stellt die Abgrenzung zu nicht süchtigem Verhalten

dar. ▶ Internetlinks ▶ Studien

Wie bereits beschrieben, verändern Anonymität und die Reduktion auf weniger Sinneskanäle die Kommunikation grundlegend. Das kann von einer leichten emotionalen Enthemmung bis hin zur Absenkung der Schwelle zu psychischer Gewalt führen, was in verschiedenen Formen von Cyber-Mobbing enden kann. Es gibt aber auch Mischformen, die vor Ort und über Medien geschehen, wie das »Happy Slapping«. Das bedeutet so viel wie »Lustiges Schlagen«: Körperliche Gewaltübergriffe werden gefilmt und ins Netz gesetzt, um die Opfer zusätzlich zu erniedrigen. Wie systemisch mit Mobbing umgegangen werden kann, haben Schweitzer und von Schlippe (2015, S. 300 ff.) dargelegt. Beim Cyber-Mobbing ist darüber hinaus zu beachten, dass der Übergriff nicht auf bestimmte Orte und Zeiten beschränkt bleibt, sondern durch die Mobilkommunikation per Smartphone praktisch immer und überall erfolgen kann. Ein zeitlicher und räumlicher Schutz oder zumindest ein punktuelles Abstand-Nehmen vor den Übergriffen ist also nicht immer gewährleistet bzw. möglich. Und auch der unüberschaubar große Verbreitungsradius der Attacken kann für die Betroffenen besonders belastend sein. Eine weitere Spezifität der Cyber-­Variante ist, dass oft unklar ist, ob und gegebenenfalls bis wann mögliche Diffamierungen wieder gelöscht werden. Der verbreitete, aber auch zu pauschale Satz »Das Internet vergisst nichts« ist hier kontra­produktiv. Vielmehr kann es für die Betroffenen gerade

29

Kontext

Gewalt- und Sexualisierungsformen

wichtig sein, dass sie konkret erleben, dass die problematischen Inhalte auf den betroffenen Seiten wieder gelöscht werden und/oder nicht mehr über Suchmaschinen auffindbar sind. Schließlich können auch veröffentlichte Daten wieder gelöscht oder es kann durch Suchmaschinen erreicht werden, dass sie nicht mehr gefunden werden. Hier ist – entgegen weit verbreiteter Einschätzung – auch Abhilfe möglich, wobei Kinder und Jugendliche aber zumeist Unterstützung durch ihre Eltern oder Fachleute benötigen. Vertiefend zum Umgang

Kontext

30

mit (Cyber-)Mobbing: Hilt et al. (2017). ▶ Internetlinks ▶ Studien

Vergemeinschaftungsformen

Das Internet ermöglicht auch neuartige Vergemeinschaftungen. Die immer noch vorkommende Auffassung, schriftliche Internetkommunikation sei oberflächlicher, weniger emotional und nicht von Dauer, trifft so nicht zu. Das wurde allein schon durch die Forschungen im Bereich der Onlineberatung widerlegt. Außerdem gibt es zahlreiche gegenteilige Erfahrungen und immer mehr dauerhafte Internet-­ Communitys, die das Gegenteil belegen. Mediale Partnerschaftsanbahnungen zeigen, dass sogar intime Kommunikation über das Netz möglich ist. Medial ist es darüber hinaus machbar, weltweit Gleichgesinnte zu finden, zu allen erdenklichen Themen, für die sich vor Ort wenig oder keine Menschen interessieren. Hier kann es über die Kommunikation hinaus zu dauerhaften Gemeinschaftsaktivitäten kommen, und nicht selten treffen sich die Beteiligten punktuell oder regel­mäßig zusätzlich vor Ort. Immer bedeutsamer im Familien­alltag werden dabei Social Media, über die sich Menschen dauerhaft miteinander vernetzen; sei es wie dargestellt als Vergemeinschaftung per Internet oder indem sich Personen, die vor Ort miteinander in Kontakt sind, zusätzlich medial verbinden. War noch vor wenigen Jahren der feststehende PC Dreh- und Angelpunkt dieser Kommunikations­ form, so sind Social Media durch Smartphones überwiegend mobil

geworden und quasi omnipräsent. Und so können mittlerweile auch Schulen die mobilen Computer nicht einfach aus dem Schulalltag verbannen, sondern integrieren sie immer häufiger medien­pädagogisch in den Lehrplan. In einigen Schulen werden bereits Tablet-PCs im Unterricht eingesetzt. Die sich dabei entwickelnden Kommunikationsund Vergemeinschaftungsformen wirken wiederum auf die Familien zurück und stellen sie vor neue Heraus­forderungen, die nicht auf der Grundlage des Erfahrungsschatzes vorhergehender Generationen

Hilfemöglichkeiten

Das Internet bringt nicht nur neue Probleme und Risiken mit sich, sondern auch neue (Selbst‍-‍)Hilfemöglichkeiten. So sind durch das Internet neue Zugangsmöglichkeiten zum Beratungssystem entstanden. Sie ermöglichen es Menschen sogar, Hilfen in Anspruch zu nehmen, die sie vor Ort nicht hätten nutzen können oder wollen. Menschen berichten schließlich immer wieder, etwa in einer professionellen Onlineberatung oder in Selbsthilfeforen, dass sie sich vor Ort – beispielsweise in einer Beratungsstelle – niemals Hilfe gesucht hätten. Hier bewirkt die Anonymität des Netzes, dass auch sehr intime und schambesetzte Themen bearbeitet werden können. Die anonyme Kommunikation erfüllt dann eine neuartige Brückenfunktion zwischen Hilfesystem und Hilfesuchenden, die von der herkömmlichen Kommunikationsstruktur der Hilfeangebote nicht geleistet wird. Bei einer Beratung per Internet etwa muss es in solchen Fällen aber nicht unbedingt bleiben. Es gibt Beratungsprozesse, die im Internet begonnen und beendet werden, aber auch solche, die später vor Ort weitergeführt werden. Immer wieder kommt es dabei auch zum Wechsel zu einem anderen Berater, wenn der Prozess aus räumlichen oder inhaltlichen Gründen nicht beim selben Berater weitergeführt werden kann oder soll. Das zeigt, dass sich die

31

Kontext

gelöst werden können. ▶ Internetlinks

Beratung von Familien bereits verändert, nicht in der Form, dass Familien als Ganze per Internet beraten würden. Vielmehr nutzen immer wieder einzelne Familienmitglieder Internetberatung und möchten anschließend weiter gehende Beratung vor Ort, auch mit der gesamten Familie. Es gibt aber auch Beraterinnen, die Medien parallel und unterstützend im Rahmen von Familienberatung ein-

setzen. ▶ Internetlinks

Kontext

32

Spiel- und Lernformen

Computerspiele sind weit vielseitiger einsetzbar als lediglich zum Zeitvertreib. Sie stellen auch neue Lernformen dar und können als sogenannte »Serious Games« viel hilfreicher sein als ihr Ruf es vermuten lassen würde (Wimmer, 2013, S. 102 ff.). So kann etwa spezielle Lernsoftware für solche Kinder und Jugendliche einen Ausweg darstellen, die beim Lernen in der Schule schlechte Erfahrungen gemacht haben, etwa weil sie von der Klasse bei falschen Antworten ausgelacht wurden. Mithilfe der Lernsoftware können sie wieder Freude am Lernen entwickeln, weil sie dabei nicht dem sozialen Stress aus der Lerngruppe ausgesetzt sind. Das computergenerierte Feedback des Programms »richtig« bzw. »falsch« ist hierbei nicht mit schambesetzten Erfahrungen wie etwa Ausgelacht-Werden gekoppelt und kann zum Lernen motivieren. Aber auch die multimediale Aufbereitung der Inhalte ist lerntheoretisch interessant, gerade weil unterschiedliche Sinne eingebunden werden können, was das Lernen unterstützt. Zudem ist eine Kopplung an weiter­führende Inhalte durch Internetvernetzung leicht möglich, was gerade für selbstgesteuertes Lernen gut genutzt werden kann. Und auch ein Gruppen­ lernen etwa mittels Tablets, das Spaß macht und spielerische Elemente integriert, bringt zukunftsweisende Lernformen, die das

Lernen erleichtern. ▶ Internetlinks

Differierende Normen zum Medienumgang

Bislang gibt es keine übergreifenden und mehrheitlich anerkannten Normen zum Medienumgang. Vermutlich wird es relativ einheitliche Umgangsweisen, wie das in der Vergangenheit in Bezug auf die herkömmlichen Medien – Schriftmedien, Telefon, Hörfunk und Fernsehen – eher der Fall war, in Zukunft nicht geben. Wie sich die Gesellschaft immer mehr differenziert, so differenzieren 33

dass sie entweder die Medien mit unterschiedlichen Herangehens-

Kontext

sich schließlich auch die Medien und der Umgang mit ihnen immer weiter aus. Für das Zusammenleben der Menschen heißt das aber, weise nutzen, was zu Konflikten führen kann, oder dass sie immer häufiger miteinander aushandeln müssen, wie sie mit den Medien umgehen wollen. Und genau deswegen kommen Familien heute immer häufiger in die Beratung, wenn sie nämlich an die Grenzen ihrer Aushandlungsmöglichkeiten gekommen sind oder sich Konflikte und Machtkämpfe rund um die Kontrollversuche verfestigt haben. Zunehmend diffuse statt fokussierte Mediennutzung

Es gibt einen Trend, Medien immer häufiger diffus statt fokussiert zu nutzen. Nicht selten sind verschiedenste Medien wie Smartphone, Laptop, Fernsehen, Zeitschriften, Musikabspielgeräte usw. zeitgleich in Verwendung, sodass man sich immer seltener auf ein einziges Medium konzentriert. Das heißt, einzelne Medien werden kaum noch mit voller Aufmerksamkeit genutzt. Das kann zu Reizüberflutung führen, wenn es nicht auch Phasen der Fokussierung und der Reizreduktion gibt, wodurch die Eindrücke auch verarbeitet werden können. Hinzu kommt, dass es in früheren Zeiten nicht nur weniger Reizquellen, sondern auch mehr Gemeinschaftsrituale gab, die häufiger zu Fokussierungen führten. Immer mehr Menschen fühlen sich heute von der größer werdenden Informationsflut überwäl-

tigt. Stress bereiten dabei – wie Studien zeigen – gerade die häufigen Unterbrechungen (vgl. Mark, Hausstein u. Klocke, 2008; Killingsworth u. Gilbert, 2010). Es ist notwendig, neue Alltagsstrategien im Umgang mit Medien und den damit einhergehenden problematischen Handlungsunterbrechungen zu entwickeln – das wird zunehmend zu einem relevanten gesellschaftlichen Thema. Medienbedingte Kompetenzbedarfe im Wandel

Kontext

34

Die Ausführungen zeigen, dass nicht nur aufseiten der Klienten passende neue Kompetenzen in Bezug auf Medien fehlen. Was weniger eine umfassende Technikkenntnis meint, sondern es vielmehr nötig ist, die Kommunikationsprozesse und die zirkulären Beziehungsdynamiken in den sich wandelnden Kontexten reflektiert wahrzunehmen. Allerdings sind mediale Grundkenntnisse wichtig, insbesondere das Wissen um die genannten neuen Risiken und Chancen, damit die Medien den Blick auf die dahinter liegenden Themen nicht versperren. Dabei gilt es aber auch, eine politische Dimension der Medienentwicklungen wahrzunehmen, denn durch Medien kann es zunehmend zu digitaler Spaltung kommen, wenn das Internet für benachteiligte Menschen bewirkt, dass ihre Exklusionsrisiken noch weiter steigen. Oft wird den Bürgern eine Mündigkeit in der Nutzung Neuer Medien abverlangt, die sie so nicht einlösen können, weil sie sich von den Entwicklungen überrollt fühlen. Sind schon Akademiker und andere Bildungsbürger vielfach mit den medialen Veränderungen überfordert, so trifft das erst recht auf Menschen zu, die keinen vergleichbaren Bildungshintergrund mitbringen und vielleicht bereits mit Sprache, Schrift oder anderen herkömmlichen Kulturtechniken Probleme haben. Der mündige Umgang mit Medien, wie er gefordert wird, liegt dann für diese Menschen in weiter Ferne. Dennoch tragen auch sie die gesamte rechtliche Verantwortung für ihr Medien-

handeln, was nicht selten zu Überschuldung und dauerhafter Armut führt. Hier ist auch von Systemikern eine politische Positionierung gefragt (vgl. Kuhnert, 2017), da die aktuellen Strukturen keine vergleichbaren Chancen für alle ermöglichen. Eine zusätzlich benötigte Unterstützung im Umgang mit der steigenden Komplexität durch die Medien erhalten Menschen mit den genannten Exklusionsrisiken zumeist aber nicht. Doch eine kritische Medienbildung wäre hier grundlegend, um mündig als Subjekt handeln zu können und nicht

1.3  Medien als Ausweitung von Körper und Lebenswelt

Medien als Kommunikationsmittel sind keine neuen Phänomene in der Menschheitsgeschichte, sondern haben sich als Begleiter der Menschen in Jahrtausenden entwickelt und kontinuierlich weiterentwickelt. Versammlung vor Ort – ursprünglich zur Kommunikation notwendig

Zunächst war Kommunikation zwischen Menschen auf den unmittelbaren Nahraum der sogenannten Fernsinne begrenzt. Lediglich so weit wie man sich sehen und hören konnte, war es möglich, zu kommunizieren. Diese Begrenzung gilt nicht nur für die räumliche Dimension, sondern auch zeitlich. Kommunikation, die im Hier und Jetzt erlebt wurde, ist unmittelbar danach wieder vergangen. Eine zeitlich über die punktuelle Situation hinausgehende Repräsentation fand lediglich im Gehirn der beteiligten Individuen statt. Eine kollektive Speicherung von kommunikativen Inhalten war in der menschlichen Lebenswelt also zunächst nicht möglich. So wird deutlich, dass ursprünglich die Versammlung vor Ort – bei der sich die menschlichen Körper begegnet sind  – zentrale Bedeutung hatte, um kollektive Erinnerung immer wieder vollzie-

35

Kontext

nur behandelt zu werden.

hen zu können. Das Versammeln um ein Lagerfeuer steht für einen solchen Gemeinschaftsort nicht nur beispielhaft, sondern dürfte in der Menschheitsgeschichte sehr früh für Familien und Clans der zentrale Gemeinschaftsort gewesen sein. Zentrale Versammlungsorte inmitten von Unterkünften sind auch archäologisch über Jahrtausende hinweg – von der Steinzeit bis heute – nachweisbar. Medien jenseits des Körpers als Erweiterung

Kontext

36

der menschlichen Sphäre

Erst durch die Nutzung von Medien jenseits des Körpers konnte die unmittelbare Sphäre des Nahraums ausgeweitet werden. Der Ausdruck »Medien« ist dabei vielgestaltig. Im Online-Duden (2017) wird die Bedeutung von Medien mit »Trägersysteme zur Informationsvermittlung« auf den Punkt gebracht. Dabei wird deutlich, dass es bei Medien grundsätzlich um die Vermittlung von Informationen geht, wobei ein System notwendig ist, das den Informationsaustausch ermöglicht. Betrachtet man die ursprüngliche Herkunft des Wortes »Medium«, so wird die grundlegende Bedeutung noch klarer. Es handelt sich dabei um ein Fremdwort, das im Deutschen seit dem 17. Jahrhundert belegt ist und von dem lateinischen Adjektiv »medius, in der Mitte befindlich, mittlerer usw.« (Duden, 1989, S. 449) abgeleitet ist. Der Ausdruck wurde ursprünglich im Sinne von »Mittel« verwendet, also in der Bedeutung eines stofflichen Vermittlers. Erst später wird »Medium/Medien« auch in der Bedeutung eines immateriellen Übermittlers von Informationen verwendet. »Medien« verwende ich im Sinne von Kommunikations­medien und in Abgrenzung zu reinen Werkzeugen, die primär auf die Bearbeitung der materiellen Umwelt gerichtet sind. Wie im Sprachgebrauch üblich, werden hier als Medien sowohl die Trägermedien (zum Beispiel Buch, Telefon, E-Mail) bezeichnet als auch die basa-

len Übermittler selbst (chemische Stoffe, Strom, Schallwellen, Licht). Diese grundlegende Bedeutung und basale Funktion von Medien ist in der wissenschaftlichen Theoriebildung bislang noch wenig genutzt worden, um auch die Kopplungsmöglich­keiten unterschiedlichster Systeme aufzuzeigen. Gerade in den Beratungs- und Veränderungswissenschaften, in denen Kommunikation grundlegend ist, kann damit aber deutlich gemacht werden, wie selbst unterschiedliche 37

Dabei dürfte es der Fächersystematik geschuldet sein, dass sich unter-

Kontext

Systemtypen durch Medien systematisch miteinander verknüpft werden und über Systemgrenzen hinweg miteinander kommunizieren. schiedliche Wissenschafts­disziplinen traditionell nur mit bestimmten Arten von Systemen befassen. Eine all­gemeine systemtheoretische Betrachtung hilft, diese fachlichen Einschränkungen zu überwinden. Drei Medientypen: Körpermedien, Objektmedien und elektronische Medien

Medientheoretisch sind im Zusammenhang mit diesem Buch drei Medientypen relevant. Dabei erscheint gerade für das Feld der Beratung der Ansatz weiterführend, dass der menschliche Körper selbst als Medium (»Primärmedien«: Pross, 1972) verstanden werden kann. Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend drei unterschiedliche Medientypen (Wenzel, 2013) skizziert. Ausgangspunkt zur Beschreibung dieser drei Medientypen sind die Körpermedien. Der Begriff zeigt, dass der Körper eines Menschen selbst als Kommunikationsmedium fungiert. Nur mithilfe des Körpers vermag es der Mensch, sich über Stimme, Gestik oder Mimik (mittels Schallwellen und Licht) anderen Menschen gegenüber auszudrücken. Und es sind die Sinnesorgane des Körpers, die es wiederum ermöglichen, das Ausgedrückte wahrzunehmen und körperintern ebenfalls über Medien (Synapsen, Neurotransmitter, Hormone) zu verarbeiten. Unmittelbare Kommunikation ohne mediale Ver-

mittlung ist – zumindest nach dem jetzigen Stand der Forschung – nicht möglich. Über Körperberührung, Schallwellen oder Licht kann aber zwischen ansonsten getrennten Systemen kommuniziert werden und es ist möglich, die Grenzen durch Informationsaustausch zu überwinden. Bereits vor vielen tausend Jahren haben es unsere Vorfahren durch die Erfindung von Objektmedien (sinnstiftenden Gegenständen) möglich gemacht, die Reichweite des menschlichen Körpers

Kontext

38

deutlich auszuweiten. Etwa das Einritzen von Zeichen und Bildern in Holz und Stein vermochte bei menschlichen Gemeinschaften der kollektiven Erinnerung nachzuhelfen, was später durch die Erfindung der Schrift perfektioniert wurde. So wurde es möglich, ­geistige Inhalte dauerhaft zu konservieren (zum Beispiel auf Steintafeln), selbst über den Tod hinaus, und über weite Strecken mit nicht anwesenden Menschen zu kommunizieren (etwa über Holztäfelchen oder Papyrus). Damit waren der Ausweitung der unmittelbaren Sphäre des menschlichen Körpers Tür und Tor geöffnet. Steinoder Holztafeln sowie Papyrus wurden zu Papier weiterentwickelt. So ist es seit langer Zeit möglich, mittels materieller Medien über große Distanzen hinweg zu kommunizieren. Für eine Entschlüsselung der Inhalte bedarf es dabei keines weiteren Hilfsmittels, sofern der Rezipient die Zeichen selbst versteht, also in der Lage ist, sie zu entschlüsseln. Das ist bei den elektronischen Medien anders. Bei ihnen bedarf es sowohl beim Erstellen (Codieren) als auch beim Nutzen (Dekodieren) der jeweiligen Inhalte eines technischen Gerätes, da die Daten digital vorliegen. Sie müssen also erst in eine für die Körpermedien anschlussfähige Form gebracht werden. Der aktuelle Erfolg in der Entwicklung und Ausbreitung der elektronischen Medien liegt vor allem darin, dass immaterielle Informationen übermittelt und gespeichert werden. Damit sind nämlich Geschwindigkeiten des Daten-

transfers möglich, die weltweit quasi eine zeitgleiche Kommunikation erlauben. Außerdem sind in den letzten Jahren die Preise für Internettransfer und Speicherkapazitäten derart gefallen, dass Datenaustausch und Datenspeicherung fast unbegrenzt und dennoch bezahlbar möglich geworden sind. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die drei vorgestellten Medien­ typen im Überblick in Bezug auf die räumliche, die zeitliche und die Transport-Dimension.

MEDIENTYPEN

RÄUMLICHE DIMENSION

ZEITLICHE DIMENSION

TRANSPORT-­ DIMENSION

Körpermedien

ausschließlich vor Ort: Nahsinne: Tasten, Riechen und Schmecken in direktem Umfeld Fernsinne: Hören und Sehen bis zur Sicht- bzw. Hörweite

Wahrnehmung im Hier und Jetzt, Speicherung im Gehirn

ausschließlich im Nahraum

Objektmedien (materiell)

vor Ort oder Fern­ kommunikation: Steintafel, Flip­ chart, Bild, Figur, Buch, Brief

Speicherung weit über den eige­ nen Tod hinaus möglich

Übermittlung über (Handels-)Wege an ferne Orte und durch Dritte möglich

elektronische Medien (immaterielle Übertragung)

vor Ort oder Fern­ kommunikation: PC, Beamer, DVD-Player, Radio, Fernsehen, Telefon, Fax, E-Mail, Chat

Speicherung weit über den eigenen Tod hinaus möglich, quasi zeitgleiche Kommunikation trotz Abwesenheit möglich

immaterielle Über­ mittlung, wodurch höchste Geschwin­ digkeiten bei gro­ ßen Datenmengen möglich werden

Medien vermitteln auch zwischen unterschiedlichen Systemtypen

Aus Perspektive einer systemischen Veränderungswissenschaft kann der Mensch als bio-psycho-soziales System verstanden werden. Damit wird ausgedrückt, dass menschliches Leben sich nicht aus-

Kontext

39 Tabelle 1: Medientypen

schließlich in einem einzigen Systemtypen vollzieht, sondern deutlich vielfältiger ist. Notwendig für den menschlichen Lebensvollzug ist also die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen und Systemtypen. Dabei kann etwa die Psyche auf das biologische System des Körpers nicht unmittelbar intentional einwirken, aber auch nicht auf das soziale System und umgekehrt. Systemtheoretisch kann man hier von operationaler Geschlossenheit sprechen. Mittelbare Einwirkung ist zwischen den Systemen aber möglich. Und

Kontext

40

genau hier kommen die Medien ins Spiel, da sie als Mittel zwischen Systemen selbst unterschiedlichster Systemtypen fungieren. Auch wenn die Verarbeitungsweise eines nicht-trivialen Zielsystems als autonom (autopoietisch/operational geschlossen) angesehen werden kann, so kommt es dennoch zur Kommunikation zwischen den Systemen, die auf allen Seiten zu neuen Systemzuständen führt. So wird die Grundlage für Systemveränderungen nachvollziehbar, wobei es auch zu relativen Stabilitäten zwischen den Systemen kommen kann und damit Erwartbarkeiten geschaffen werden. Trägermedien und basale Medien

Will man die Phänomene der Medienentwicklung verstehen, gilt es, den Menschen in seiner Kommunikation zwischen seinem Inneren und seiner Außenwelt, also mit sich selbst und der materiellen und sozialen Umwelt, in den Blick zu nehmen. Die nachfolgende Tabelle 2 veranschaulicht die dargestellte Ausweitung des menschlichen Körpers durch die Kommunikation mittels Medien. Dabei wird zwischen den komplexeren Trägermedien und den basalen Medien (materielle oder immaterielle Übertragung) unterschieden.

Tabelle 2: Ausweitung der körperlichen Sphäre mittels Medien TRÄGERMEDIEN, MATERIELL

BASALE MEDIEN, MATERIELL

BASALE MEDIEN, IMMATERIELL

INTERNE KÖRPERMEDIEN neuronales Netz

Synapsen, chemische Neurotransmitter

Zellen, Blutkreislauf

Hormone

Ionen-Strom

KÖRPERMEDIEN Licht

Köperausdruck: Mimik, Gestik

Licht

Ohr: Hörnerv

Schallwellen

akustischer ­Ausdruck: Stimme, Körper­ geräusche

Schallwellen

Nase beim Geruchssinn

chemische Stoffe

Körpergeruch

chemische Stoffe

Geschmackszellen: Zunge

chemische Stoffe

Hautzellen beim Tastsinn

chemische Neurotransmitter OBJEKTMEDIEN

Buch

Licht

Flipchart

Licht

Systembrett

Licht

Musikinstrument

Schallwellen ELEKTRONISCHE MEDIEN

Smartphone

elektrischer Strom, Licht, Schallwellen

Laptop/PC

elektrischer Strom, Licht, Schallwellen

Die Tabelle zeigt, dass bei Informationsaustausch und Kommunikation immer basale Medien im Spiel sind. Ohne sie ist eine Vermittlung zwischen Systemen nicht möglich. Körperintern sind bei lebenden Menschen regelmäßig alle Trägermedien aktiv (neuronales Netz, Zellen, Blutkreislauf), wenn auch Inputs von außen in unter-

41

Kontext

Auge: Sehnerv

schiedlichen Systemen verarbeitet werden und die Systeme wiederum intern miteinander kommunizieren. Außerhalb des Körpers kann auf bestimmte Körpermedien fokussiert werden und auch im Face-to-Face-Kontakt werden nicht immer alle Medien in gleicher Weise genutzt. Bei der Fernkommunikation, die über Objektmedien und elektronische Medien möglich wird, können einzelne Trägermedien und basale Medien bei der Übermittlung völlig ausgeschaltet werden, wobei die gesamte Übermittlung dann über die anderen

Kontext

42

Medien erfolgt. Kopplung von Systemen mittels Medien

So wird auch ganz praktisch beschreibbar, wie verschiedene Systeme miteinander schwingen können, selbst wenn sie tausende Kilometer voneinander entfernt sind: Ein Hormonschub eines jungen Mannes in New York kann dazu führen, dass er per Telefon verliebte Worte an seine Kommunikationspartnerin in Berlin richtet, wodurch wiederum hormonelle Kreisläufe bei der Geliebten ausgelöst werden. Die Kommunikationsmedien dieses einfachen Beispiels sind auf Ebene der basalen Medien folgendermaßen darstellbar: Hormone ▶ Neurotransmitter ▶ Schallwellen

▶ elektronische Impulse ▶ Schallwellen ▶ Neurotransmitter ▶ Hormone

Ginge es um Chatkommunikation, wären hier die Schallwellen mit Lichtstrahlen auszutauschen. Dabei ist die Kommunikation im Leben natürlich weit komplexer, da bei den beteiligten Systemen parallel unterschiedlichste Kreisläufe ausgelöst werden, die sich punktuell verbinden und immer wieder miteinander in Austausch treten. Medien ermöglichen dabei eine Synchronisation unterschiedlichster Systeme über Systemgrenzen und System­typen

hinweg. So ist etwa das Konzept von Bindung nur dadurch erklärbar, dass Systeme regelmäßig miteinander über unterschiedlichste Medien kommunizieren (mittels basaler Medien wie Hormonen, Strom, Schallwellen, Licht, aber auch über Körper-, Objekt- und elektronische Medien) und in den beteiligten Systemen relativ dauerhafte zirkuläre Prozesse (Kreisläufe) implementiert werden, die sich wechselseitig verstärken.

Heute sind wir an einem Punkt angelangt, den es über die längste Zeit der Menschheitsgeschichte nicht gegeben hat, nämlich dass im Alltag permanent mit räumlich abwesenden Personen kommuniziert werden kann und dabei unterschiedlichste Medien­konstellationen für die Kommunikation gewählt werden können. Im Kontext medialer Beratung wird der Aspekt einer medialen Reduktion im Vergleich zum Face-to-Face-Setting als Kanalreduktion bezeichnet. Ursprünglich wurde dieses Phänomen im Vergleich zu einer Kommunikation vor Ort als defizitär verstanden. Mittlerweile herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass diese normative Vereinfachung unzureichend ist. Schließlich entstehen durch Reduktion und Neukombination auch neue Formen der Kommunikation, die über die Risiken hinaus viele neue Möglichkeiten und Chancen eröffnen, die es so zuvor nicht gegeben hat. Anders wäre der Erfolg der voranschreitenden Medialisierung nicht zu erklären. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu beachten, dass die verschiedenen Medientypen (Körper-, Objekt- und elektronische Medien) im Alltag immer mehr ineinandergreifen, sodass vielfach überhaupt nicht mehr unterschieden wird, mittels welcher Medien was kommuniziert wurde. Die vor einigen Jahren noch vorgenommene Unterscheidung virtuell versus real kann mittlerweile als hinfällig gelten. Schließlich ist beispielsweise Cyber-­Mobbing für die Betroffenen genauso real wie Mobbing vor

43

Kontext

Abwesenheitskommunikation als Normalfall

Ort, und eine schriftlich bekundete Liebeserklärung ist auch nicht als Gegenkonzept zur Realität verstehbar. Ohne Frage nimmt dabei die elektro­nische Fernkommunikation immer mehr zu. Und so verändern sich die Lebenswelten der Menschen nachhaltig. Lebenswelten differenzieren sich weiter aus

Die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse bestehen auch in einem Medienzeitalter weiter und zeigen sich lediglich in neuer

Kontext

44

Gestalt. Neue Medien kommen dabei zu den herkömmlichen Medien hinzu, ohne diese völlig zu verdrängen. Tabelle 3 zeigt die Ergebnisse einer repräsentativen Studie, nach der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren »Freunde treffen« und »Draußen spielen« nach wie vor als »liebste Freizeitaktivitäten« präferieren. Tabelle 3: Liebste Freizeitaktivitäten 2016 (6 bis 13 Jahre, n = 1.229), Quelle: KIM-Studie 2016 Bis zu drei Nennungen möglich

MÄDCHEN in %

JUNGEN in %

Freunde treffen

56

54

Draußen spielen

39

46

Fernsehen

31

32

Sport treiben

14

34

PC-/Konsolen-/Onlinespiele

13

30

Familie/Eltern

17

13

Drinnen spielen

14

14

Mit Tier beschäftigen

15

12

Internet nutzen

17

6

Handy/Smartphone nutzen

11

12

(…)

(…)

(…)

Die Wahlmöglichkeiten der Menschen haben sich durch Internet und Neue Medien in den letzten Jahrzehnten gerade im Bereich der Freizeitgestaltung vervielfacht. Deutlich werden diese Veränderungen auch an den sich wandelnden Kommunikationsgewohnheiten

Jugendlicher. Die JIM-Studie 2017 liefert dazu verlässliche Basisdaten für Deutschland (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2017). Die Studie zeigt auf, dass im Jahr 2017 die 12- bis 19-Jährigen in Deutschland werktags (Mo.–Fr.) täglich 221 Minuten online waren (2007: 106 Min.). Die mobile Nutzung des Internets wird dabei immer bedeutsamer, was durch den zunehmenden Smartphone­besitz vorangetrieben wird: 2017 besitzen 97 Prozent ein 45

zer des Internets verwenden am häufigsten ein Handy/Smartphone,

Kontext

Smartphone. Das hat auch Auswirkungen darauf, mit welchem Gerät das Internet genutzt wird. Über drei Viertel (81 %) der jungen Nutum online zu gehen. Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2017 weist in die gleiche Richtung (Koch u. Frees, 2017). Danach sind in Deutschland 72 Prozent der Menschen ab 14 Jahren tägliche Internetnutzer. Die Medien­ nutzung wird dabei zu drei Vierteln online getätigt, wobei die größte Onlinezeit auf Individualkommunikation entfällt. Dabei stagnieren mittlerweile die sozialen Medien in der Ausbreitung, wohingegen sogenannte Streamingdienste zunehmend genutzt werden. Der Erfolgstrend von WhatsApp geht demnach weiter: 2017 liegt die mindestens einmal wöchentliche Nutzung in der Gesamtbevölkerung bei 64 Prozent (14–19-Jährige: 92 %), bei Facebook lediglich bei 33 Prozent (14–19-Jährige: 50 %). Die anderen Onlinecommunitys sind von diesen Zahlen weit entfernt: Instagram: 9 Prozent (14–19-­Jährige: 51 %), Snapchat: 6 Prozent (14–19-Jährige: 43 %), Twitter: 3 Prozent (14–19-Jährige: 11 %), Xing: 2 Prozent (14–19-Jährige: 2 %). Die bevorzugten Medien variieren hier sehr stark abhängig von den Altersgruppen, was Auswirkungen auf die familiäre Kommunikation über die Medienthematik haben dürfte. Die Zahlen belegen, was sich auch an den veränderten Themen in der Beratung von Familien zeigt: Medien sind im Alltag allgegenwärtig und werden immer häufiger Anlass für oder zumindest Thema in Beratungen.

Die systemische Beratung

2  Medien verändern die Beratung

Beratung

48

In diesem Kapitel geht es um die Entwicklungen in der systemischen Beratung, die sich aus dem Medienwandel und den Veränderungen gesellschaftlicher Kommunikation ergeben. Das betrifft sowohl die neuen Themen und Lebenswelten der Klienten, wie sie im voran­gegangenen Kapitel dargestellt wurden, als auch die Weiter­entwicklung der Beratungsangebote, die ebenfalls erst durch die Internetvernetzung und den Medienwandel möglich wurde. 2.1  Fallbeispiel 2: Familie Medienstreit sucht Hilfe Familie Medienstreit suchte in einer systemischen Beratungs­praxis Hilfe. Frau Medienstreit nahm per E-Mail Kontakt auf und verabredete ein Erstgespräch. In dieser Sitzung berichteten die Familienmitglie­ der, dass sie durch das aktuelle Zusammenleben in der Familie völlig erschöpft seien. Die Problematik um die Smartphone-­Nutzung hatte sich vor allem im Urlaub zugespitzt. Die Jugendlichen, ein 17-­jähriger Sohn und eine 14-jährige Tochter, waren sich in dem einen Punkt mit ihren Eltern einig: dass es so, wie es zu Hause lief, nicht weiter­ gehen konnte. Bereits zu Beginn eines ausführlichen Joinings wurde die Spannung in der Familie deutlich, da es der Mutter kaum gelang, ihre Kinder ausreden zu lassen. Die Beraterin befragte die Familien­ mitglieder ausführlich dazu, was sie gerne in ihrer Freizeit tun. Und das hatte vielfach mit unterschiedlichen Medien zu tun. Während Frau Medienstreit beim ausführlichen Fragen nach den Musikvorlie­

ben ihrer Kinder relativ ruhig blieb, konnte sie sich bei der Schilde­ rung der anderen Medienaktivitäten kaum zurückhalten. Die Berate­ rin bat die Mutter daraufhin ruhig, aber bestimmt, noch zu warten, bis diese Themen besprochen würden, jetzt gehe es erst einmal um ein Kennenlernen der Einzelnen und der gesamten Familie, und da wäre es wichtig, alle zu hören. Bei diesem ausführlichen Joining und Kennenlernen erfuhr die Beraterin sehr viel über die Jugendlichen, 49

Junge nannte der Beraterin auf ihr Nachfragen hin die Adresse seiner

Beratung

indem sie deren Medienaktivitäten detailliert erfragte. Die beiden sind nicht nur Konsumenten im Netz, sondern auch selbst aktiv. Der Homepage, die offensichtlich auch den Eltern bekannt war. Beim Lesen der Homepage erfuhr die Beraterin im Anschluss an die Sitzung, dass er homosexuell ist. Auf der Homepage unterhielt er einen Blog zur Outing-Thematik von Jugendlichen. Seine Schwester erzählte, welche Videokanäle sie im Videoportal YouTube regelmäßig nutzte. Darüber wurden ihre Interessen und die Themen, mit denen sie sich beschäftigte, schnell deutlich. Sie selbst veröffentlichte zusammen mit Freunden auch Videos. Von Herrn Medienstreit erfuhr die Berate­ rin, dass er in einer Rollenspiel-­Community aktiv war und online einer sogenannten Gilde angehörte. Bei dieser Schilderung konnte Frau Medienstreit kaum zuhören, da es zwischen ihr und ihrem Mann dies­ bezüglich immer wieder Konflikte gab. Diese eskalierten allerdings nicht so stark wie die zur Smartphone-Nutzung. Frau Medienstreit war denn auch die Einzige in der Familie, die das Internet wenig nutzte, aber auch sonst wenig außerfamiliäre Interessen zeigte und sich vor allem für ihre Familie engagierte. In der ersten Sitzung äußer­ ten alle Familienmitglieder Wünsche bezüglich der Frage, was sich verändern solle. Dabei konnten die Einzelnen noch keine konkreten Ziele formulieren. Es wurde aber ein erstes gemeinsames Familien­ ziel herausgearbeitet, nämlich sich zu Hause, vor allem beim Essen, gegenseitig ausreden zu lassen. Meist sei das bei Themen rund um

die Smartphone-Nutzung ein Problem. Beispielsweise, wenn es um die Frage gehe, ob das Gerät am Essenstisch sofort weggelegt werden müsse oder ob noch Nachrichten gelesen werden dürften, bis alles Essen auf dem Tisch stehe. Dabei wurde aber auch deutlich, dass es über das Medienthema hinaus weitere Themen gab, die zu heftigen Diskussionen in der Familie führten und zum Teil nichts mit Medien zu tun hatten. So nannte die Mutter mangelnde Wertschätzung für das, was sie für die Familie leiste, und dass es sie ärgere, dass ihre Kin­

Beratung

50

der am Wochenende dauernd unterwegs seien und kaum Zeit für die Familie hätten. Am Ende der ersten Sitzung waren alle erleichtert, da es möglich gewesen war, wieder einmal ein Gespräch zu führen, bei dem sie sich nicht dauernd unterbrochen hatten. So ging die Familie etwas hoffnungsvoller aus der ersten Sitzung, als sie gekommen war. In der zweiten Sitzung wurde direkt zu Beginn von einer Krise berichtet, und dass es sich zu Hause weiter zugespitzt habe. Als die Tochter ihr Smartphone mit auf die Toilette nehmen wollte, wollte ihre Mutter ihr das verbieten, weil jene auch einmal darauf ver­ zichten müsse. Als die Tochter sich weigerte, kam es zu einer laut­ starken Auseinandersetzung, bei der sich die Tochter durchsetzte. Sie erzählte dann, dass sie sich »aufs Klo zurückziehen würde«, weil sie nur dort wirklich ihre Ruhe habe, und dass sie das Smartphone während der Hausaufgabenzeit schließlich auch nicht mit aufs Zim­ mer nehmen dürfe. Beim Abfragen von Veränderungen zwischen der ersten und der zweiten Sitzung wurde allerdings deutlich, dass sich die Atmosphäre zu Hause verändert hatte und sie sich deut­ lich häufiger ausreden ließen. Darin waren sich alle einig. Dennoch berichteten sie, dass meist noch eine Anspannung in der Luft liege und alle befürchteten, dass gleich »ein Streit passiere«. Nach die­ sem Austausch wurde die im vorangegangenen Kapitel vorgestellte Übung »Medienkreise« mit Familie Medienstreit durchgeführt: Die Beraterin stellte zunächst die Fragen:

–– Mit welchem Medium bin ich in meinem Leben zuerst in Kontakt gekommen? –– Welche Medien waren für mich früher (in meiner Kindheit und Jugend) bedeutsam? –– Welches Medium habe ich zuletzt kennengelernt? (Weitere Fragen und die gesamte Übung: s. Kap. 1.2; S. 19 ff.)

51

in der Mitte und die für sie am unwichtigsten außen. Außerdem soll­

Beratung

Danach sollten die Familienmitglieder die Bedeutsamkeit der Medien mit Kreisen auf einem Blatt Papier einzeichnen. Die bedeut­samsten ten sie mit einem »F« kennzeichnen, an welches der Medien sie sich am frühesten erinnerten, und mit einem »Z« das Medium, das sie zuletzt kennengelernt hatten. Darüber hinaus sollten sie die bedeut­ samen Medien ihrer Kindheit mit »K« bzw. ihrer Jugend mit »J« kennzeichnen. Anschließend wurden noch weitere Fragen genutzt und jedes Familienmitglied hatte Gelegenheit, die eigene Medien­ biografie vorzustellen. Bei dieser Intervention konnten sich die Fami­ lienmitglieder in Bezug auf Medien anders erleben und es wurde deutlich, wie unterschiedlich die jeweiligen Medien­sozialisationen waren. Das Erzählen humorvoller Geschichten zu Erfahrungen mit Medien führte außerdem aus der angespannten Atmosphäre heraus. Parallel zur Face-to-Face-Beratung in der Beratungspraxis wurde auch ein Familienforum auf einem verschlüsselten und geschütz­ ten Server der Beraterin genutzt, in das die Familienmitglieder ihre Gedanken und Erfahrungen zwischen den Sitzungen eintragen konnten. Den Familienmitgliedern war es möglich, dort auch jeder­ zeit Rückfragen zu stellen oder das Geschriebene zu kommentieren. Mit der Beraterin war vereinbart, dass sie sich jeweils am Anfang einer Woche die Foreneinträge anschaute und dann entschied, ob sie reagierte oder nicht. Auf diesem Wege kam ein Thema zum Vor­ schein, das der restlichen Familie nicht bekannt war: Der Sohn hatte

nämlich regelmäßig mit der Trauer um seine vor einiger Zeit ver­ storbene Großmutter zu kämpfen und lenkte sich von dieser Trauer häufig durch Medien ab. Eine wirkliche Verabschiedung von ihr war nach deren Tod nicht erfolgt, weil er bei der Beerdigung nicht dabei sein konnte und das Thema in der Familie tabuisiert wurde. Schrift­ lich konnte er seine Trauer im Familienforum aber äußern und die Beraterin half später dabei, ein gemeinsames Familienritual zu ent­ wickeln, das ihn unterstützte – zusammen mit der gesamten Fami­

Beratung

52

lie – Abschied zu nehmen. Nach acht Sitzungen in längeren Abständen wurde die Beratung beendet, nachdem über die Thematik um die Kinder auch Themen der Eltern bearbeitet worden waren, die sich um das Onlinespielen von Herrn Medienstreit drehten. Dabei wurde unter anderem deut­ lich, dass sich die Eltern auseinandergelebt hatten und wenig Zeit zu zweit miteinander verbrachten. Außerdem wurde thematisiert, wie schwer es Frau Medienstreit fiel, das Älterwerden ihrer Kinder zu akzeptieren, die sich mehr und mehr nach außen orientierten.

2.2  Von der Medienfixierung zur Beziehungsgestaltung

Familie Medienstreit kam in einer krisenhaften Situation in die Beratung. In der folgenden retrospektiven Betrachtung wird nun aufgezeigt, dass sich die Familie zwar zunächst auf das Problemthema »Medienumgang« geeinigt hatte. Dahinter verbargen sich aber weitere Themen, die es zu bearbeiten galt. Niedrigschwelligkeit der Beratung durch vielfältige Zugänge

Bei einer Beratung ist es interessant, auf welchem Wege und durch wen der Erstkontakt erfolgt. In diesem Fall war es die Mutter, die per E-Mail den Kontakt herstellte. Zwar schilderte sich Frau Medienstreit bereits in der ersten Sitzung als eine Frau, die das Internet wenig nutzt, das heißt aber nicht, dass es nicht doch Anwendungen geben

kann, wie hier das Mailen, die in bestimmten Situationen anderen Möglichkeiten vorgezogen werden. Im Zusammenhang mit dem Erstkontakt sei hier darauf aufmerksam gemacht, dass keines der Medien per se niedrigschwelliger für den Zugang zu Beratungsangeboten ist als andere. Vielmehr unterscheiden sich Menschen darin, welche Zugangswege sie präferieren oder gar ausschließen. So gibt es potenzielle Klienten, die niemals per Telefon einen ersten Kontakt 53

den. Und es gibt Menschen, die melden sich lieber direkt vor Ort an,

Beratung

mit einer Beratungspraxis oder Beratungsstelle aufnehmen würden. Genauso gibt es auch Menschen, die gerade zum Telefon greifen würalso face-to-face. Das hat zur Folge, dass man bei der Anmeldepraxis möglicherweise Menschen ausgrenzt, wenn man nicht unterschiedliche Zugangswege eröffnet. Insofern kann festgehalten werden: »Die Vielfalt der Zugänge bewirkt Niedrigschwelligkeit« (Wenzel, 2013, S. 160 ff.). Gerade bei staatlich finanzierten Beratungsangeboten ist es also geboten, unterschiedliche Zugangswege zu eröffnen, um nicht bestimmte Gruppen von Menschen auszuschließen. Und bei privaten Praxen, wie im Fallbeispiel, ist schon aus wirtschaftlichen Gründen anzuraten, keine Verengung auf einen Zugangsweg zu betreiben. Interviews zu Medienaktivitäten

Das Joining in der ersten Sitzung erfolgte sehr ausführlich; die Beraterin forcierte ein vertieftes Kennenlernen. Gerade weil bekannt war, dass sich die identifizierte Problematik primär um die Mediennutzung drehte, fragte sie dazu sehr viel nach. Es ist wichtig, bei diesem Themenfeld nicht einfach bei Verallgemeinerungen zu bleiben wie »Mediennutzung« oder »Internetgebrauch«. Welche Konstrukte sich dahinter tatsächlich verbergen, unterscheidet sich grundlegend. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargelegt wurde, sind die Begriffe »Medien« beziehungsweise »Internet« derart vielgestaltig, dass in der Beratung gerade

im Medienkontext wichtig ist, immer wieder Konkretisierungen zu erfragen. Da Frau Medienstreit schon zu Beginn den Umgang mit den Neuen Medien sehr negativ bewertete, war es wichtig, die negative Konnotation der Thematik nicht allein stehenzulassen, ohne die Perspektiven der anderen dazu abzufragen. Das hätte die Bereitschaft der anderen Familienmitglieder, sich auf einen Beratungs­prozess einzulassen, senken können. Insofern galt es hier für die Beraterin – wie zu Beginn der meisten Familienberatungen – zunächst mit

Beratung

54

allen Familienmitgliedern in einen guten Kontakt zu kommen, wobei die Problemthematik nicht gleich alles überschatten sollte. Für Frau Medienstreit, als diejenige, die die Beratung initiiert hatte, war das allerdings schwer auszuhalten. Und so galt es, die Mutter mehrfach freundlich darauf hinzuweisen, dass ihr Anliegen noch genügend Raum bekommen werde. Das Joining zu den Musikinteressen gehört für die Beraterin, gerade bei Jugendlichen, zum Standard des ersten Kennenlernens. Zum einen haben die meisten Menschen Vorstellungen darüber, was ihnen gefällt – oder auch überhaupt nicht gefällt –, und zum anderen ist Musik, zu der man guten Zugang hat, emotional meist positiv besetzt, was sich gut zum Joinen eignet. Hinzu kommt, dass Internet und Smartphone beim Musikhören immer mehr an Bedeutung gewinnen. So konnte das Themenfeld Medien bereits besprochen werden, ohne dass es nur um Problematisches ging. Beim Übergang zur Medienthematik fragte die Beraterin deshalb auch ausführlich nach, über welche Medienabspielgeräte die Musik gehört wird. Herr Medienstreit und die beiden Kinder erzählten gern, wie sie sich die Musik beschafften, austauschten und welche Geräte sie dabei nutzten. Frau Medienstreit war hier inhaltlich außen vor und kaum beteiligt. Das änderte sich allerdings später, als von den Smartphones und den Rollenspielen die Rede war. Daran anschließend ging die Beraterin dazu über, speziell die Internetaktivitäten zu erfragen. Dabei konnte sie in kürzester Zeit

sehr viel über drei der Familienmitglieder erfahren. Wie bereits dargelegt, erfuhr sie über die Homepageadresse, dass der Junge homosexuell ist, was sie sonst vermutlich nicht so schnell erfahren hätte. Sein Engagement in dem genannten Blog wurde damit schnell deutlich. Die Beraterin lernte die Tochter näher kennen, indem sie die Videokanäle näher erfragte, die jene regelmäßig nutzte, und mit ihr ins Gespräch darüber kam, welche Videos sie selbst dreht. Von für die Rollen interessierte, die der Vater in der Online-Community

55

spielte beziehungsweise keinesfalls spielen wollte. Darüber hinaus

Beratung

Herrn Medienstreit erfuhr sie einiges, indem sie sich sehr dezidiert

fragte sie auch ausführlich nach, wie das mit den Rollenspielen genau funktioniere, obwohl sie sich selbst sehr gut damit auskannte. Hätte die Beraterin sich nicht von Herrn Medienstreit selbst beschreiben lassen, was aus seiner Sicht wichtig ist, hätte sie interessante Einsichten in seine Perspektive verschenkt. Hier wird deutlich, dass es gar nicht notwendig sein muss, als Beratende möglichst viel über die Medien zu wissen. Vielmehr ist es grundlegend, interessiert-neugierig nachzufragen und Unterschiede herauszuarbeiten zu dem, was die anderen Familienmitglieder bislang von den anderen zu wissen glauben. Und selbst zu viel zu wissen kann hier wie auch bei anderen Themen hinderlich sein, wenn man sich dessen nicht bewusst ist und keine Haltung des Nicht-Wissens einnimmt. Insofern war bereits das Joining und ausführliche Kennenlernen der ersten Sitzung diagnostisch sehr ergiebig in Bezug auf die einzelnen Personen. Einige Interaktionsmuster zwischen den Familienmitgliedern wurden hier ebenfalls deutlich, nicht nur durch die ärgerlichen Einwürfe der Mutter. Die Muster in der Familie wurden aber im darauffolgenden Teil noch klarer, als die Probleme und das Anliegen näher ausgeführt wurden. Hier nahm die Beraterin die Bedenken und Probleme der Beteiligten sehr ernst und nutzte unterschiedliche systemische Fragen (vgl. von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 249 ff.;

Schwing u. Fryszer, 2013, S. 209 ff.), um die bisherigen Konstrukte zu differenzieren und zu erweitern. Familienforum als prozessbegleitende Intervention

Am Ende der ersten Sitzung führte die Beraterin eine zentrale Intervention ein, indem sie vorschlug, ein Forum für die Familie einzurichten, über das die Familienmitglieder zwischen den Sitzungen kommunizieren könnten. Sie begründete das damit, dass

Beratung

56

zwischen den Sitzungen ja einige Wochen liegen würden und es gut sei, aktuelle Fragen und Themen auf diese Weise nicht zu vergessen. Außerdem könne die Familie auch schon weiterarbeiten, was die Zahl der Sitzungen reduzieren könnte. Humorvoll fügte sie hinzu, dass das durch die Selbstberatungskompetenz der Familie gesparte Geld dann ja auch für Freizeitaktivitäten genutzt werden könne. Die gesamte Familie nahm diese Einladung gern an, und das Lachen ermöglichte zudem eine lockere Atmosphäre, die gerade zum Ende der ersten Sitzung hilfreich war. Mit dieser Intervention, die zugleich eine Einbettung von elektronischen Medien in die Beratung darstellte (Blended Counseling), vermittelte die Beraterin der Familie gleich mehrere Botschaften: Der Familie wurde nahegelegt, dass sie auch selbst an der Lösung weiterarbeiten könne. Außerdem wurde die Möglichkeit eingeführt, dass Medien in der Familie nicht nur Probleme verursachen, sondern auch dazu beitragen können, sie zu lösen. Am Ende der Sitzung wurde deutlich, dass alle froh waren, wieder einmal reden zu können, ohne dass sich die Familienmitglieder dauernd ins Wort fielen. Eine solche Erfahrung konnten sie danach auch bei der zeitversetzten Forenkommunikation machen. Auf diese Weise ist es möglich, wichtige Themen auch aus einer Distanz heraus zu beschreiben. Ob und wie diese Intervention genutzt wird, ist zu Beginn des Beratungsprozesses natürlich nicht absehbar. Aber allein das Signal, dass die Selbstorganisa-

tionskräfte ernst genommen und bestärkt werden, hat vermutlich schon eine eigene Wirkung. Zu Beginn der zweiten Sitzung wurde direkt wieder ein Streit über die Mediennutzung benannt. Das hätte beinahe darüber hinweggetäuscht, dass sich tatsächlich schon einiges in der Familie verändert hatte. Durch das hartnäckige Nachfragen nach Veränderungen seit der letzten Sitzung wurde deutlich, dass es weniger schnell 57

chen werden, die face-to-face sofort eskaliert wären. So gelang es

Beratung

zu Streitigkeiten kam oder diese zumindest nicht zu stark eskalierten. Über das Familienforum konnten außerdem Punkte angesproschon in der ersten Zeit der Beratung, immer längere Momente zu schaffen, in denen eine erträgliche und manchmal auch wieder gute Atmosphäre in der Familie möglich war. Damit wurden Energien mobilisiert, die für weitergehende Veränderungen genutzt werden konnten. Medienbiografiearbeit mit Übung Medienkreise

Bedeutsam war die Medienbiografiearbeit mit der Übung »Medienkreise« (s. S. 19 ff.) in der zweiten Sitzung. Dabei war es wichtig, einen Gesprächsrahmen zu schaffen, der möglichst frei von Bewertungen gegenüber Medien war. Solche Be- und Abwertungen waren schließlich ein Hauptthema der Streitigkeiten, bei denen es immer wieder zu extremen Polarisierungen und Entweder-oder-Zuspitzungen kam. Mit den Fragen zur Medienbiografie sollten demgegenüber die individuellen und unterschiedlichen Erfahrungen mit Medien in den Blick gebracht werden. Ziel war es, einen Perspektivwechsel zu ermöglichen und Verständnis für die jeweils andere Haltung zu fördern, die durch den unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Hintergrund besser verstehbar wurde. Durch diese Übung wurde bei Familie Medienstreit deutlich, dass die Kinder keine konkrete Vorstellung davon hatten, wie anders der Alltag und die Lebenswelt

ihrer Eltern in deren Kindheit gewesen waren. Theoretisch wussten sie zwar, dass es vieles nicht gegeben hatte, was für die junge Generation heute selbstverständlich ist. Aber das waren eher abstrakte Vorstellungen, die durch die Erzählungen der Eltern nun konkreter und lebendiger wurden. An einigen Punkten wurde sogar herzlich gelacht, wenn etwa deutlich wurde, wie wenig Herr und Frau Medienstreit in Bezug auf manche Fragen damals wussten und dass sie keine Möglichkeit hatten, sich im Internet schnell zu informieren.

Beratung

58

Darüber hinaus konnte aber auch das Denken über die Einstellungen der anderen teilweise revidiert werden und so wurde für Frau Medienstreit deutlich, dass auch andere Familienmitglieder manche Entwicklungen in Bezug auf Neue Medien schwierig fanden. Am Ende der zweiten Sitzung wurde durch die Übung klar, dass es bislang kaum eine Chance gegeben hatte, in Ruhe einen befriedigenden Umgang mit Smartphones in der Familie zu entwickeln. Die beiden Kinder berichteten, dass in ihrer Altersgruppe alle schon ein Smartphone hatten, lange bevor sie eines kaufen durften. Und dann wurde die Nutzung in der ersten Zeit sehr restriktiv gehandhabt. Das heißt, die Smartphones durften zu Hause kaum genutzt werden, lediglich zu sehr begrenzten Zeiten. Als im Urlaub dann die Smartphone-Nutzung quasi »freigegeben wurde« und die Eltern auf einen guten Umgang damit hofften, kam es zum Gegenteil. Die beiden Kinder gaben das Smartphone kaum noch aus der Hand, und die Eltern beschwerten sich zunächst auch nicht, weil sie es ja erlaubt hatten. Am Ende kam es aber zu extremen Streitigkeiten, und der Urlaub wurde zum Fiasko. Nun war man sich aber einig, dass es so nicht weitergehen könne und die entsprechenden Regeln unter allen Familienmitgliedern abgestimmt werden sollten. Als Aufgabe wurde dann vereinbart, dass jedes Familienmitglied im Familienforum aufschreibt, was es in diesem Zusammenhang für hilfreiche Regeln hält. Diese konnten schon im Familienforum diskutiert werden, sollten

aber dann gemeinsam zu Hause in einer Familiensitzung miteinander abgestimmt werden. Verdeckte Themen mittels elektronischer Medien hervorbringen

Über das Familienforum tauchte ein Thema auf, das vorher keinen Raum in der Familie bekommen hatte, nämlich der Tod der Großmutter der Kinder und Mutter von Frau Medienstreit. Das ist ein auftritt: Menschen äußern etwas in einer Face-to-Face-Sitzung nicht,

59

es aufzuschreiben ist ihnen aber möglich. So kommt beispielsweise

Beratung

Phänomen, das etwa im Rahmen von Onlineberatung immer wieder

eine Situation in ähnlicher Weise immer wieder vor: Eine Online­ beraterin schreibt ihrem Klienten, dass es bei dem vorliegenden Problem sicherlich besser sei, dieses vor Ort mit einer Beraterin oder einem Therapeuten zu besprechen. Daraufhin antwortet der Klient häufig, dass er bereits seit längerer Zeit in Therapie oder Beratung sei, ohne dort das für ihn so wichtige Thema benannt zu haben. Nun könnte es sein, dass Klienten bei schambesetzte Themen nicht wollen, dass ihr direktes Gegenüber davon erfährt. Vielfach ist es aber einfach der Fall, dass Klienten das Thema nicht aussprechen können, vielleicht weil sie beim Erzählen nicht vor anderen weinen möchten. Und so kommt es regelmäßig vor, dass schriftlich etwas kommuniziert wird, was im gesprochenen Wort nicht möglich ist. Das zeigt, dass Face-to-Face-Settings auch Nachteile mit sich bringen können und anderen Settings nicht grundsätzlich überlegen sind. Vielfach können die Nachteile aber kompensiert werden, indem etwa neben den Körpermedien auch Objekt- oder elektronische Medien methodisch eingesetzt werden. In der systemischen Beratung ist es ja verbreitet, verschiedenste Medien zu nutzen, und so wäre es kein großer Schritt, künftig neben Körpermedien (Face-to-Face-Setting, Skulpturarbeit etc.) und Objektmedien (Familienbrett, Symbole, Flipchart etc.) auch elektronische Medien vermehrt einzusetzen.

Konstrukterweiterung und Beziehungsarbeit

In der dargestellten Beratung war es wichtig, den Prozess von der ursprünglichen Fixierung auf das Thema Medien hin zu einer familiären Beziehungsgestaltung zu entwickeln. Wie in anderen Fällen auch war zu Beginn der Beratung eine Festlegung auf ein sehr klar umgrenztes Problem erfolgt. Probleme oder auch Symptome können aus systemischer Perspektive aber nicht einfach als etwas verstanden werden, das es zu beseitigen gilt. Vielmehr werden darin auch

Beratung

60

Entwicklungspotenziale deutlich, die es im Beratungsprozess aufzugreifen und zu nutzen gilt. So ist es wichtig, bei einer systemischen Hypothesenbildung gerade auch die damit verbundene »Anregungsfunktion« (Hanswille, 2015, S. 60 ff.; von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 204) aufzugreifen und zu nutzen. Bei den Medienthemen liegen die Anregungen zum Teil schon auf der Hand und so konnten die Familienmitglieder hier auch schnell Chancen entdecken, die sie weiterentwickelten. Bei den Rollenspielen von Herrn Medienstreit wurde etwa deutlich, dass in der familiären Freizeitgestaltung etwas für ihn Wichtiges verlorengegangen war. In früheren Jahren hatte er mit seiner Frau und später auch zusammen mit den Kindern häufig Ausflüge mit dem Auto unternommen. Doch dann hatte er vor einigen Jahren wegen einer Alkoholfahrt den Führerschein verloren und die Ausflüge wurden ersatzlos gestrichen. In den Rollenspielen war Herr Medienstreit aber immer viel unterwegs und diese Sehnsüchte konnten in der Beratung aufgegriffen werden. Dem Ehepaar gelang es, sich wieder näherzukommen. Wie das Tabu um die verstorbene Großmutter bzw. Mutter und Schwiegermutter wurde nun auch offen angesprochen, dass Frau Medienstreit Angst vor der Ablösung der Kinder aus dem Elternhaus hatte. Der Versuch, die Jugendlichen am Wochenende quasi »festzuhalten« – so erlebten diese ihr Verhalten –, bewirkte schließlich eher das Gegenteil. Dadurch, dass die Familienmitglieder sich mit ihren Medienbiografien und Internetaktivitäten befassten,

konnten ein neues Verständnis füreinander und ein Umgang miteinander auf einer erwachseneren Ebene realisiert werden. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass Medien sowohl neue Risiken als auch neue Möglichkeiten für das familiäre Zusammen­ leben mit sich bringen. Wichtig war jedoch, dass die Beraterin sich in Bezug auf die Bewertung von Medien nicht auf eine Seite ziehen ließ. Unabhängig davon, wie sie selbst zu bestimmten Medien steht, Haltung einnahm, ohne selbst Bewertungen einzubringen. Da die

61

Medienentwicklungen derzeit sehr rasant vonstattengehen und sich

Beratung

war es wichtig, dass die Beraterin eine wohlwollend-interessierte

viele Menschen damit überfordert fühlen, gibt es in dieser Hinsicht extreme Pro- und Kontra-Lager. Hier in einer neutralen Haltung zu bleiben ist grundlegend, damit die Familie selbst ihre Lösungen entwickeln kann. Das wird auch am nächsten Fallbeispiel deutlich. 2.3 Fallbeispiel 3: Herr und Frau Trennungsstreit ringen um richtigen Medienumgang Ein systemischer Berater eines Jugendhilfeträgers wird von einer Mit­ arbeiterin des Jugendamts angefragt, ein getrenntlebendes Eltern­ paar in Bezug auf den Medienumgang der gemeinsamen Kinder zu beraten. Sie fragt speziell diesen Mitarbeiter an, weil sie von ihm weiß, dass er sich in Bezug auf Neue Medien weitergebildet hat. Im ersten Gespräch im Jugendamt wird dem Berater deutlich, dass die Eltern völlig zerstritten sind und beide von den anderen Betei­ ligten erfahren wollen, wer in Bezug auf die Kinder »richtig« mit Medien umgeht. Frau Trennungsstreit lebt seit einigen Monaten mit einem neuen Partner und dessen drei Kindern zusammen. Die gemeinsamen Kinder von Herrn und Frau Trennungsstreit, ein noch zweijähriger Junge und ein zehnjähriges Mädchen, sind dauerhaf­ tes Streitthema der beiden. Herr Trennungsstreit hat erfahren, dass seine Ex-Frau ihren Sohn regelmäßig zusammen mit den Kindern

ihres neuen Partners mit einem Tablet-PC »ruhigstellt«, wie er es nennt. Von Erzieherinnen der Kindertagesstätte erhielt er außer­ dem die Rückmeldung, dass sein Sohn Verhaltensauffälligkeiten zeige. Das hat er daraufhin dem Jugendamt mitgeteilt. Umgekehrt möchte Herr Trennungsstreit, dass seine Tochter ihm jeden Abend per Smartphone »Gute Nacht« sagt. Das wird aber immer häufiger durch Frau Trennungsstreit verhindert, wodurch er sich als Vater in seinen Rechten beschnitten sieht. Die Mitarbeiterin des Jugendamts

Beratung

62

nimmt vor allem die Hinweise auf die Mediennutzung des Zweijäh­ rigen sehr ernst und will, dass hierbei eine Schädigung des Kindes durch altersunangemessenen Medienkonsum ausgeschlossen wird. Auch sie möchte von dem Berater wissen, was er für dieses Alter für richtig hält. Der Berater merkt während des Gesprächs schnell, dass es in dieser Konstellation für einen Beratungsprozess schwierig wer­ den wird, Neutralität zu wahren, da die Beteiligten von ihm genau wissen möchten, was »richtig oder falsch« ist. Und so schlägt er vor, die Eltern in ihren elterlichen Entscheidungen zu begleiten, um gute Lösungen für ihre Kinder zu entwickeln. Was die Fragen rund um eine altersgemäße Mediennutzung angeht, bringt er zusätzlich eine Kollegin ins Spiel, die einen Einblick in Fragen förderlicher und problematischer Mediennutzung geben könne. Die Beteiligten eini­ gen sich daraufhin auf eine gemeinsame Sitzung mit der Kollegin. Bei diesem Treffen mit der Beraterin, bei dem auch der systemi­ sche Berater und die Jugendamtsmitarbeiterin anwesend sind, wird schnell deutlich, wie sinnvoll es war, die mediale Fachberatung nicht mit der systemischen Prozessberatung zu vermischen. Herr und Frau Trennungsstreit wollen nämlich auch von der Beraterin jeweils recht bekommen. Die Beraterin zeigt die relevanten Dimensionen und Optionen bei der Mediennutzung durch kleine Kinder auf. Die zugrunde liegenden Studien zu kleinkindlicher Mediennutzung lie­ fern allerdings keine eindeutigen Handlungsanweisungen. (▶ Inter-

netlinks ▶ Studien) Eltern und Jugendamtsmitarbeiterin hätten sich aber ganz klare Vorgaben gewünscht. Der eigentliche Beratungsprozess erfolgt anschließend im Rah­ men verschiedener Settings mit dem Berater. Zunächst in einem gemeinsamen Gespräch mit beiden Eltern, aber auch in Einzelsit­ zungen und mit den Kindern. In der medienbiografischen Arbeit mit der Übung »Medienkreise« (S. 19 ff.) mit der Mutter zeigt sich, dass losen Eltern gelitten hat. Und so war sie froh, als sie einen Gameboy,

63

eine mobile Spielekonsole der 1990er Jahre, geschenkt bekam. Mit

Beratung

sie als Kind sehr unter den dauernden Streitigkeiten ihrer arbeits­

seiner Hilfe konnte sie sich jederzeit ablenken und in eine andere Welt abtauchen. Eine ähnliche Funktion hat für sie heute das Smart­ phone, mit dem sie sich auch bei Problemen ablenken kann. Bei Herrn Trennungsstreit liegt die Sachlage in Bezug auf Medien völlig anders. Auch er benannte viele Probleme in seinem Elternhaus, war in seinem ländlichen Heimatort aber sehr viel mit Freunden in der Natur unterwegs, was ihn Sorgen vergessen ließ. Zu Spielekonsolen und Computern hat er ein zwiespältiges Verhältnis entwickelt und nimmt dadurch eher eine medienkritische Haltung ein. In einer Ein­ zelsitzung mit Frau Trennungsstreit wird deutlich, dass sie sich in Bezug auf die Mediennutzung ihrer Kinder nicht immer gegen ihren neuen Partner durchsetzen kann. Hier gibt es viele Streitigkeiten, die sie gegenüber ihrem Ex-Mann allerdings nicht zugeben will. Außer­ dem sei der neue Partner auch keinesfalls zu einer Beratung bereit. In den gemeinsamen Sitzungen der Eltern ist es zunächst schwie­ rig, überhaupt eine Verständigung zu finden, da die Verletzungen, die aus dem Scheitern der Partnerschaft herrühren, auf beiden Sei­ ten noch sehr groß sind. Die zentrale Arbeit des Beraters liegt in dieser noch immer akuten Trennungsphase darin, die Bedürfnisse, Perspektiven und die Bedarfe für das Wohl der Kinder immer wie­ der in den Blick zu bringen. Diese Phase geht nur sehr kleinschrittig

voran. Immer wieder kreisen die Themen, die die Eltern miteinander besprechen, vor allem um die »richtige oder falsche« Mediennut­ zung. Hier ist es wichtig, die Thematik auf andere Lebensbereiche auszuweiten. Auf Karten wird gesammelt, was die Kinder mit zwei bzw. mit zehn Jahren alles benötigen, um sich gut entwickeln zu können. So sind Medien nur noch ein Teilbereich der Klärungen. Dabei wird mit Skalierungen gearbeitet, es wird also eingeschätzt, wie wichtig welches Element für die Entwicklung des Kindes ist. Hier

Beratung

64

werden Unterschiede deutlich, es kommt aber auch zu ähnlichen Einschätzungen. Nur allmählich können die Eltern so aus dem »Ent­ weder-oder« herausfinden und sich auf grundlegende Punkte in der Erziehung verständigen. Methodisch ist es hilfreich, nicht nur auf der Sprachebene zu bleiben, sondern viel zu visualisieren und mit Bildern und Metaphern zu arbeiten. Wichtig ist es, immer wieder zu würdigen, dass beide Eltern das Beste für ihre Kinder wollen und sich deshalb auch auf die mühsame Suche nach einem guten Weg für sie gemacht haben. Mit der Zeit rücken die Medienfragen zugunsten anderer Themen immer mehr in den Hintergrund. Der Settingwechsel, der bei Bedarf vorgenommene wird, ermög­ licht, dass die Eltern wichtige Punkte auch allein für sich klären kön­ nen, ohne zeitgleich stets mit dem Ex-Partner bzw. der Ex-Partnerin konfrontiert zu sein. Schließlich hat sich bereits das Muster verfestigt, dem anderen sofort zu widersprechen, was auch immer der bzw. die andere sagt. Bei heiklen Punkten, die es dem anderen mitzuteilen gilt, kann im Einzelsetting außerdem in Ruhe überlegt werden, was der eigene Standpunkt ist und wie dieser gut vermittelt werden kann, ohne den anderen zu sehr gegen sich aufzubringen. Mit der Zeit wird es dann auch möglich, stärker emotional besetzte Themen direkt zu besprechen. In Bezug auf die Medien ist es wichtig für die Eltern, dass sie lernen, ihren Blick nicht nur auf einzelne Aspekte im Umgang mit den Medien zu richten. Vielmehr gilt es, den Blick auf den gesamten

Alltag der Kinder auszuweiten. Ein Kind, das sich viel bewegt und regelmäßig Zeit mit anderen Kindern verbringt, wird sicherlich kei­ nen Schaden nehmen, wenn es auch mal längere Zeit technische Medien nutzt. Allerdings sind die Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen heute andere als die ihrer Eltern im gleichen Alter. Und so fällt es den Eltern auch in diesem Fall schwer einzuschätzen, wie die Medien sinnvoll genutzt werden können und wann sie schädlich 65

und damit verbundenen Themen besprochen und bearbeitet werden.

Beratung

wirken dürften. Vor allem ist es dabei wichtig, dass sich die Beratung nicht nur um die Medien dreht, sondern auch die dahinter liegenden

2.4 Ausblick: Digitalisierung als übergreifende Herausforderung

Es gibt Familien, die sich durch die Medienentwicklungen überfordert fühlen. Das ist nicht verwunderlich, haben sich doch in kürzester Zeit völlig neue Kulturtechniken entwickelt, die von den Sozialisierungsinstanzen und vom Bildungssystem noch nicht angemessen aufgegriffen werden. Den beteiligten Akteuren fehlt es oft selbst noch an notwendigen Kompetenzen. Mangelhafte Grundbildung wird somit immer häufiger Anlass für Beratung, wodurch die herkömmliche Trennung von Bildungs- und Beratungssystem immer durchlässiger wird. Die mit der Digitalisierung einhergehenden Herausforderungen für Beratung sind in nachfolgenden Dimensionen darstellbar. Dimensionen des Wandels gesellschaftlicher Kommunikation

Es ist sinnvoll, die für Beratung relevanten neun Dimensionen des Wandels, die mit den Veränderungen gesellschaftlicher Kommunikation einhergehen, in den Blick zu nehmen (s. Abbildung 2). Medien befördern den Wandel der gesellschaftlichen Kommunikation maßgeblich. Sobald die IT-Wirtschaft neue Medien verbreitet, hat das Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Subsysteme.

Damit verändern sich die Lebenswelten der Klienten und zugleich ihre Fragen, Themen und Probleme, wobei Politik/Recht und Bildungssystem an vielen Punkten nicht nachkommen, die Neuerungen zeitnah aufzugreifen und zu gestalten. Diese Entwicklungen verändern nicht nur die Beratung selbst, sondern auch die beteiligten Beratungsmedien und Organisationen.

Beratung

66

Abbildung 2: Dimensionen des Wandels der Beratung

Politischer Gestaltungsbedarf

Die Herausforderungen durch die Digitalisierung sind im Bereich der Beratung von einzelnen Beratern, Freiberuflern und Beratungseinrichtungen nicht zu bewältigen. Aber auch für Verbände sind die Entwicklungen nicht trivial, wie das eine Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (2017) auf den Punkt bringt: »Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege werden durch die Digitalisierung in all ihren Aufgaben und Funktionen tangiert. Anforderungen ergeben sich dadurch in den Bereichen der verbandlichen

Kommunikation und der Zugangswege zu Unterstützungsbedürftigen und Engagierten, der lebensbegleitenden Bildung und Qualifizierung, der Kooperation und Vernetzung mit neuen Partnern, der Implementierung neuer technologischer Lösungen und der verbandlichen Infrastruktur, des Wissensmanagements und des Wissenstransfers.« Während Staat und große Unternehmen finanzielle Ressourcen mitbringen, um die Digitalisierung gestalten zu können, sind kleine aber einer Weiterentwicklung der Hilfekonzepte mit der entspre-

67

chenden technischen Ausstattung, wobei auch Datenschutz- und

Beratung

Einrichtungen und Freiberufler hierzu kaum in der Lage. Es bedarf

Sicherheitsanforderungen erfüllt werden müssen. Denn es gibt dringenden Bedarf, den Menschen zeitgemäße Hilfe anzubieten. Politischer Handlungsbedarf besteht somit in folgenden Punkten: ȤȤ sozialstaatliche Finanzierung der Beratungsleistungen im Internet, ȤȤ vielfältige (milieu-)differenzierte Zugangswege für Hilfesuchende, ȤȤ Verknüpfung von lokalen mit überregionalen Angeboten, ȤȤ Anreize für die IT-Wirtschaft zur Entwicklung von bezahlbaren und sicheren Kommunikations-/Beratungsanwendungen auch auf Open-Source-Basis. Medial vermittelte Beratung wird auch heute noch immer nicht staatlich regelfinanziert. Damit erhalten viele Menschen, die Hilfe suchen, nicht die für sie passende Beratung. Derzeit überbrücken zahlreiche Beratungsanbieter mit Personalressourcen die mittlerweile antiquierten Finanzierungsstrukturen, die aus einer Zeit stammen, in der es Beratung nur vor Ort gab. Die digitale Entwicklung wird auch durch die föderalen Strukturen behindert, da sie es erschweren, zusätzlich zu den lokalen und regionalen auch über­regionale Finanzierungen auf Bundesebene zu realisieren. Dies wäre bei Internetangeboten aber notwendig, schließlich kennt das Netz weder kommunale Grenzen noch Landesgrenzen. Die aktuelle Struktur staatlich finanzierter

Beratung passt also nicht mehr in einen modernen Sozialstaat des 21. Jahrhunderts. Demgegenüber sollten die Chancen von Digitalisierung und Vernetzung heute viel konsequenter genutzt werden. Dabei könnte ein Zusammenwirken der Fach- und Wohlfahrtsverbände mit Verwaltung, Politik und IT-­Wirtschaft die Digitalisierung zukunftsweisend zum Wohle der hilfesuchenden Menschen gestalten.

Betrachtet man Beratung in Bezug auf die Medientechnik, sind zwei

Beratung

Entwicklung medienbasierter Beratungsfachlichkeit 68

Grundfunktionen zu unterscheiden: Medien können einerseits für die Beratung genutzt werden, um durch die Überwindung von räumlicher Distanz Kommunikation zu ermöglichen, wie das bei den Angeboten von Onlineberatung der Fall ist. Sie können andererseits aber auch gezielt fachlich und parallel zur Face-to-Face-Beratung methodisch als Intervention eingesetzt werden, wie es mit dem Familien­ forum am Beispiel der Familie Medienstreit dargestellt wurde. Bisweilen meinen Berater, sie müssten sich mit der gesamten Medientechnik auskennen, um mit Medienfragen umgehen zu können. Dieser Anspruch überfordert sie jedoch, zumal selbst Medienfachleute nicht mehr alle Entwicklungen im Detail erfassen können. Aber auch aus fachlicher Sicht ist eine wohlwollend-interessierte und zugleich hinterfragende Haltung zu den Phänomenen hilfreicher als eine wissende. Dennoch ist es wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen, welche grundlegenden Kommunikationsmedien existieren (s. Tabelle 4). Das kann zur Komplexitätsreduktion beitragen, da die unzähligen im Alltag verbreiteten Anwendungen wie WhatsApp, Instagram, Facebook, Snapchat, Twitter etc. alle in den dort gezeigten Kommunikationsmedien aufgehen. Die grundsätzlich möglichen Kommunikationsformen sind nämlich begrenzt, da sie an die Körpermedien des Menschen, die nach außen gerichtet sind (visuell, auditiv, taktil/haptisch, olfaktorisch, gustatorisch), anschließen müssen.

Tabelle 4: Kommunikationsmedien BASALE MEDIEN/KANÄLE

KOMMUNIKATIONSMEDIEN FACE TO FACE

visuell, auditiv, taktil/haptisch, olfaktorisch, gustatorisch, zeitgleich

Versammlung vor Ort: zum ­Beispiel am Lagerfeuer oder in der Face-to-Face-Beratung

AUDITIVE KOMMUNIKATION auditiv, zeitversetzt

Mailbox, Sprachnachrichten Telefonie SCHRIFTBASIERTE KOMMUNIKATION

visuell-schriftlich, zeitversetzt

E-Mail

visuell-schriftlich, zeitgleich

Chat, Foren

VISUELLE KOMMUNIKATION visuell, zeitversetzt

Bildkommunikation, Videoaufnahme ohne Ton

visuell, zeitgleich

Bildkommunikation, Videokonferenz ohne Ton MULTIMEDIALE KOMMUNIKATION

visuell, auditiv, zeitversetzt

Videoaufnahme mit Ton

visuell, auditiv, zeitgleich

Videokonferenz mit Ton VIRTUELLE ANIMATIONEN

visuell, auditiv, taktil/haptisch, olfaktorisch, gustatorisch, zeitversetzt

Aufnahmen von 3D-Animationen mit Brille und Anzug sowie Geruchs- und Geschmacksgeneratoren

visuell, auditiv, taktil/haptisch, olfaktorisch, gustatorisch, zeitgleich

3D-Animation mit Brille und ­Anzug sowie Geruchs- und Geschmacksgeneratoren

Die Tabelle zeigt, welche Möglichkeiten es für die Weiterentwicklung von Beratung, über das Face-to-Face-Setting hinaus, gibt. Mittlerweile belegen schon einige Studien die Wirksamkeit von Onlineinterventionen (vgl. Eichenberg, 2011; Ebert u. Baumeister, 2016). Im Feld der Onlineberatung (Kühne u. Hintenberger, 2009) gibt es mittlerweile einen über zwanzigjährigen Erfahrungsschatz. Die Beratung im Internet war allerdings lange Jahre auf schriftliche Beratung fokussiert (Mail, Chat, Foren). Mittlerweile rücken aber auch weitere Formen wie die Videoberatung in den Fokus. Der Trend

69

Beratung

auditiv, zeitgleich

zur Verknüpfung von Face-to-Face-Beratung mit Beratung durch elektronische Medien gewinnt immer mehr an Bedeutung. Für dieses Phänomen wurde der Begriff Blended Counseling (Engelhardt u. Reindl, 2016; Hörmann u. Flammer, 2017) geprägt. Die Entwicklungen zeigen, dass es fachlich einer Weiterentwicklung der Beratungskonzepte bedarf, zumal die Face-to-Face-Kommunikation bisweilen noch immer als die bessere Beratungsform angesehen wird, weil sie angeblich »unmittelbar« sei (vgl. Wenzel, 2015). In der Praxis sieht

Beratung

70

das aber bereits anders aus, da viele Berater regelmäßig und parallel zur Face-to-Face-Beratung mittels Medientechnik beraten, ohne das als Onlineberatung bzw. Blended Counseling zu verstehen. So senden die Klienten immer öfter vor Beginn der Beratung, parallel dazu oder danach E-Mails, die von den Beratern beantwortet werden. Wo die Grenzen computergestützter Hilfe liegen, gilt es jedoch, noch weiter auszuloten. Insbesondere der Trend, Kommunikation allein durch Computertechnik mittels Algorithmen anzubieten, ist aus fachlicher und ethischer Perspektive kritisch zu betrachten. Die entsprechenden Entwicklungen hin zu künstlicher Intelligenz sind zurzeit schneller denn je, so dass es an der Zeit ist, sich aus fachlicher Perspektive damit zu beschäftigen. Schließlich wäre es angezeigt, aus professionellen Erwägungen heraus zu entscheiden, auf welche Weise Computer künftig eingebunden werden sollen. Menschliche Begegnung ist schließlich nicht durch Technik zu ersetzen. Zur Unterstützung von Beratung und Therapie bietet die Computertechnik aber sinnvolle Potenziale, wie etwa das »Synergetic Navigation System« (SNS) zeigt. Das SNS ist ein internetbasiertes Verfahren für Therapie, das auf systemischer Basis Veränderungsprozesse abbildet und es ermöglicht, selbst große Datenmengen zu erfassen, zu visualisieren und zu analysieren (Schiepek, Eckert u. Kravanja, 2013). Im Alltag machen sich Berater die mit Medientechnik verbundenen Grenzen nach wie vor nicht regelmäßig bewusst und neh-

men die medienspezifischen Kompetenzbedarfe oft nicht als solche wahr. Vielfach wird noch alleine das Beratungsgespräch vor Ort fachlich in den Blick genommen. Will man im heutigen Medienzeitalter die Beratungsprozesse aber als Ganze erfassen, wäre es sinnvoll, »dass Berater nicht länger das Gespräch als ihr zentrales Medium ansehen, sondern ihr Beratungsverständnis generell auf Kommunikation hin erweitern […]. Wenn die Kommunikation im Mittelpunkt lich, die Beratung insgesamt theoretisch neu zu fassen, und Fragen

71

der Medienbildung würden damit in die Beratungsfachlichkeit mit

Beratung

des professionellen Beratungshandelns stehen würde, wäre es mög-

hineingenommen« (Wenzel, 2013, S. 228). Beratung ist spätestens im Medienzeitalter neu zu denken als multimediale Kommunikation, bei der alle beteiligten (Körper-, Objektund elektronische) Medien in eine medienbasierte Beratungsfachlichkeit hineingenommen werden. Das Feld der Beratung ist fachlich bereits auf einem guten Weg in Bezug auf die Herausforderungen des Medienzeitalters, weil hier bereits seit über zwanzig Jahren Erfahrungen in medialer Beratung gesammelt und erforscht werden. Allerdings dürfte es noch einige Zeit dauern, bis sich die vielfältigen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse flächendeckend verbreiten. Das zunehmende Interesse Beratender für Medien zeigt aber, dass die Entwicklung vorangeht. Gemeinsam ist es möglich, die Entwicklungen zum Wohle der hilfesuchenden Klienten zu gestalten. Was Fragen zum Umgang mit Medien in der Familie angeht, können die nachfolgenden Links dazu beitragen, aktuelles medientechnisches und medienpädagogisches Wissen zu erlangen und sich mit den damit einhergehenden Werthaltungen auseinanderzusetzen. Wie gezeigt wurde, gibt es im Zusammenhang mit der Medienthematik keine einfachen Antworten. Für Beratende ist eine aktive Auseinandersetzung mit den Medienentwicklungen demnach unumgänglich.

Am Ende

3  Medien zur Medienthematik

Ende

74

3.1 Internetlinks für Kinder/Jugendliche, Eltern/Erziehende, Beratende/Fachkräfte

Die nachfolgenden Links sollen zur bewussten Auseinandersetzung mit Medienentwicklungen anregen. Mit der Medienthematik gehen dabei Konstrukte und Bewertungen einher, die auf den verlinkten Seiten nicht immer ausdrücklich benannt werden. Insofern wird eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Inhalten empfohlen. Links für Kinder/Jugendliche

Tabelle 5 und 6 verweisen auf Seiten für Kinder/Jugendliche, die aber auch für Eltern/Erziehende und Beratende/Fachkräfte Grundlegendes enthalten; dort gibt es teilweise auch spezielle Unterseiten für Eltern. Tabelle 5: Medienlinks für Kinder Internetadresse

Themen

fragfinn.de

Inhalte für Kinder, geschützter Surfraum für Kinder von sechs bis zwölf Jahren, Kindersuchmaschine

internet-abc.de

Medienkompetenz für Kinder, Datenschutzinfos

meine-startseite.de

Inhalte für Kinder und weiterführende Links

seitenstark.de

Kinderseiten mit Chat, Internetsicherheit, Cybermobbing

blindekuh.de

Suchmaschine für Kinder

Internetadresse

Themen

surfen-ohne-risiko.net

Surfen, Chatten und Spielen: Familienquiz, Ver­ einbarungen zwischen Eltern und Kindern

klicksafe.de

Kommunizieren im Netz, problematische Inhalte, technische Schutzmaßnahmen, Privat­ sphäre, Cyber-Mobbing, mediale Frauen- und Männerbilder, Rechtsfragen, Spielen und Ein­ kaufen im Internet

Tabelle 6: Medienlinks für Jugendliche Themen

ins-netz-gehen.de

Chancen und Risiken von Computer und Internet mit Selbsttest zu Computerspiel- und Internetsucht

handysektor.de

Infos über Apps, Smartphones und Tablets: Datenschutz, Datensicherheit, Recht, Mobbing, Porno, Gewalt

youngdata.de

Datenschutz, digitale Selbstverteidigung, Cybermobbing

bsi-fuer-buerger.de

Internetsicherheit: Computer, Apps, Handys, Smartphones

checked4you.de

Online-Jugendmagazin zu Verbraucherfragen, Tipps zu Apps, Internetsicherheit

spielen-mit-verantwortung.de

Glückspielsucht mit Selbsttest

drugcom.de

Sucht, Alkohol, Drogen mit Selbsttest

dajeb.de/ beratungsfuehrer-online

Beratungsstellen vor Ort und online

nummergegenkummer.de

Onlineberatungsangebote

profamilia.sextra.de jugend.bke-beratung.de u25-deutschland.de youth-life-line.de telefonseelsorge.de

75

Ende

Internetadresse

Links für Eltern/Erziehende Tabelle 7: Medienlinks für Eltern und Erziehende

Ende

76

Internetadresse

Themen

schau-hin.info

Kinder und Jugendliche im Netz: Chatten, Apps, Pornografie, Cybermobbing, Datenschutz, ­Internetsicherheit, Computerspiele

schau-hin.info/app

App, die Eltern in der Medienerziehung unterstützt

spielbar.de

Computerspiele, Spiele-Lexikon, Fachartikel, Spiele zum kritischen Umgang mit dem Internet

gutes-aufwachsen-­mitmedien.de

Infos für Eltern zur Mediennutzung von Kindern

jugendschutz.net

zentrale Seite zum Jugendschutz mit Themen zu Cybermobbing und sexueller Belästigung, Ess­ störung und Selbstgefährdung, Extremismus

fsm.de

Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Dienste­ anbieter mit Beschwerdestelle

internet-beschwerdestelle.de

Beschwerden gegen rechtswidrige Inhalte im Internet

vorsicht-im-netz.de

Verbraucherschutz: Abo-Fallen, mit Quiz und Forum

familien-wegweiser.de

Hilfen für Familien, Familienleistungen

bke-elternberatung.de

Beratungsangebot für Eltern

jugendundmedien.ch

Nationale Plattform der Schweiz zur Förderung von Medienkompetenzen

digi4family.at

Österreichische Initiative zur Steigerung der Medienkompetenz von Familien

Empfehlungen zur Mediennutzung von Kleinkindern

ȤȤ schau-hin.info/informieren/extrathemen/medien-und-kleinkinder.html ȤȤ kindergesundheit-info.de/themen/medien/medienwahrnehmung ȤȤ mpfs.de/fileadmin/files/Infoset/PDF/MPFS_Infoset_FrueheKindheit_2016.pdf ȤȤ jugendundmedien.ch/de/jugendschutz/elterliche-begleitung/ vorschulalter.html (Schweiz)

Links für Beratende/Fachkräfte

Zu Medien gibt es sehr unterschiedliche fachliche Einschätzungen. Vor allem in Bezug auf die Mediennutzung von Kleinkindern gehen sie weit auseinander. So warnt Spitzer (2017) ausdrücklich vor einer digitalen Kindheit. Demgegenüber betonen viele Medienpädagogen, dass es vor allem auf die Dosis der Mediennutzung ankomme und auf die weiteren sinnlichen Wahrnehmungen und Aktivitäten der Kinder. dass es im Umgang mit Medien vor allem wichtig ist, den Ansatz »Vom Konsumieren zum Gestalten« zu verfolgen: »Der Schwerpunkt dieser medienpädagogischen Intervention liegt weniger in der Aufklärung und der Beschränkung der Nutzungszeiten digitaler Medien, sondern vielmehr in der kompetenten Heranführung von Kindern, auch schon im Vorschulalter, an den Einsatz und die Nutzungsmöglichkeiten dieser modernen Werkzeuge für die Erstellung und Gestaltung von kleinen, für die Kinder interessanten ›Werken‹ in Form bestimmter selbst geschaffener Medienprodukte« (Hoffmann u. Hüther, 2016). Medienkompetenz/digitale Bildung

ȤȤ medienkompetenzbericht.de ȤȤ jugendhilfeportal.de/fokus/medienkompetenz ȤȤ bpb.de/lernen/digitale-bildung ȤȤ die-medienanstalten.de ȤȤ kjm-online.de Gesundheit/Abhängigkeit/Suizidalität

ȤȤ kindergesundheit-info.de/themen/medien ȤȤ kinderschutzhotline.de ȤȤ multiplikatoren.ins-netz-gehen.de

77

Ende

Kristina Hoffmann und Gerald Hüther zeigen an einem Beispiel,

ȤȤ fv-medienabhaengigkeit.de ȤȤ check-dein-spiel.de ȤȤ suizidprophylaxe.de Datenschutz/Sicherheit und Verbraucherschutz im Internet

ȤȤ vertraulichkeit-datenschutz-beratung.de ȤȤ sewecom.de/sewecom-verfahren ȤȤ bsi.bund.de

Ende

78

ȤȤ sicher-im-netz.de ȤȤ ecommerce-verbindungsstelle.de Onlineberatung/Blended Counseling

ȤȤ e-beratungsjournal.net ȤȤ systemische-onlineberatung.de ȤȤ dgsf.org/ueber-uns/gruppen/fachgruppen/online-beratung ȤȤ dg-onlineberatung.de ȤȤ e-beratungsinstitut.de     Diese und weitere Links in Internet 

Umfassende Linkliste der Fachgruppe Onlineberatung und Medien der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF): dgsf.org/service/medienkompetenz-fuer-systemiker Erreichbar auch über das Menü: dgsf.org: Menü: Wissen & Service/Medienkompetenz für SystemikerInnen



3.2  Studien/Publikationen online Studien online

Die Studien befassen sich mit der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen, den Bedarfen aus Elternperspektive, Sucht und Internet, Gesundheitsfragen, Computerspielen etc. ȤȤ schau-hin.info/service/studien.html ȤȤ mpfs.de/studien ȤȤ ard-zdf-onlinestudie.de ȤȤ kinder-medien-studie.de ȤȤ dji.de/themen/medien.html ȤȤ fv-medienabhaengigkeit.de/forschungsergebnisse.html ȤȤ drogenbeauftragte.de/themen/studien-und-publikationen.html ȤȤ bzga.de/forschung ȤȤ kindergesundheit-info.de/fuer-fachkraefte/hintergruende-grundlagen/daten-und-fakten ȤȤ mein-netz.at/wp-content/uploads/BJV_Studie_Zusammenfassung_Jan2017.pdf (Österreich) ȤȤ wie-ticken-jugendliche.de Online-Publikationen

ȤȤ bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen ȤȤ jugendschutz.net/materialien ȤȤ bzga.de/infomaterialien/fachpublikationen ȤȤ kjm-online.de/publikationen ȤȤ die-medienanstalten.de/publikationen ȤȤ fv-medienabhaengigkeit.de/publikationen.html

79

Ende

ȤȤ shell.de/ueber-uns/die-shell-jugendstudie/multimediale-inhalte

4 Literatur

Ende

80

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (2017). Digitale Transformation und gesellschaftlicher Zusammenhalt – Organisationsentwicklung der Freien Wohlfahrtspflege unter den Vorzeichen der Digitalisierung. Zugriff am 02.11.2017 unter http://www.bagfw.de/veroeffentlichungen/ stellungnahmenpositionen/detail/article/digitale-­transformation-undgesellschaftlicher-zusammenhalt-organisationsentwicklung-der-freien Duden (1989). Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. Mannheim u. a.: Dudenverlag. Duden online (2017). Zugriff am 07.09.2017 unter http://www.duden.de/ rechtschreibung/Medien_Presse_Rundfunk_Fernsehen Ebert, D., Baumeister, H. (2016). Internet und mobilbasierte Interventionen in der Psychotherapie: Ein Überblick. Psychotherapeutenjournal, 15 (1), 22–31. Eichenberg, C. (2011). Zur Rolle moderner Medien in der Psychotherapie. Stand und Perspektiven. Psychotherapie im Dialog, 12 (2), 102–106. Zugriff am 29.01.2014 unter http://christianeeichenberg.de/wp-content/ uploads/2011/07/Eichenberg_2011a.pdf Engelhardt, E., Reindl, R. (2016). Blended Counseling – Beratungsform der Zukunft? Resonanzen. E-Journal für biopsychosoziale Dialoge in Psychotherapie, Supervision und Beratung, 4 (2), 130–144. Hanswille, R. (2015). Haltungen Systemischer Therapeuten und Therapeutinnen. In R. Hanswille (Hrsg.), Handbuch systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (S. 23–69). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Hilt, F., Grüner, T., Schmidt, J., Beyer, A., Kimmel, B., Rack, S., Tatsch, I. (2017). Was tun bei (Cyber)Mobbing? Systemische Intervention und Prävention in der Schule. Ludwigshafen: Klicksafe c/o Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz. Hoffmann K., Hüther, G. (2016). Medienpädagogik geht nicht ohne die Eltern. Huffingtonpost vom 18.05.2016. Zugriff am 06.11.2017 unter

81

Ende

http://www.huffingtonpost.de/gerald-huether/medien-erziehung-­ eltern_b_9948200.html Hörmann, M., Flammer, P. (2017). Blended Counseling. Näher an der Lebenswelt durch die Kombination verschiedener Kommunikationskanäle in der Beratung. Sozial Aktuell, 17 (5), 12. Killingsworth, M. A., Gilbert, D. T. (2010). A Wandering Mind Is an Unhappy Mind. Auszug »Brevia«. Science vom 12. November 2010. Vol. 330, 932. Zugriff am 20.01.2018 unter http://www.danielgilbert. com/KILLINGSWORTH%20&%20GILBERT%20(2010).pdf Koch, W., Frees, B. (2017). ARD/ZDF-Onlinestudie. Ergebnisse aus der Studienreihe »Medien und ihr Publikum« (MiP). Media Perspektiven 48 (9), 434. Zugriff am 28.11.2017 unter http://www.ard-zdf-online­stu­ die.de/files/2017/Artikel/917_Koch_Frees.pdf Kühne, S., Hintenberger, G. (Hrsg.) (2009). Handbuch Online-Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kuhnert, T. (2017). Leben in Hartz IV – Armut und Menschenwürde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Mark, G., Hausstein, D., Klocke, U. (2008). The cost of interrupted work. More speed, more stress. In M. Burnett, M. F. Costabile, T. Catarci, B. de Ruyter, D. Tan, M. Czerwinski, A. Lund (Eds.), Proceedings of the 2008 ACM conference on Human Factors in Computing Systems (CHI 2008) (pp. 107–110). New York: ACM Press. Zugriff am 28.10.2017 unter https:// www.ics.uci.edu/~gmark/chi08-mark.pdf Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs) (2017). JIM-Studie 2017. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Zugriff am 02.12.2017 unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/ JIM/2017/JIM_2017.pdf Pross, H. (1972). Medienforschung. Berlin u. a.: Deutsche Buch-Gemeinschaft. Schiepek, G., Eckert, H., Kravanja, B. (2013). Grundlagen systemischer Therapie und Beratung. Psychotherapie als Förderung von Selbstorganisationsprozessen. Göttingen: Hogrefe. Schlippe, A. von, Schweitzer, J. (2012). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung I. Das Grundlagenwissen. Göttingen: Vanden­hoeck & Ruprecht. Scholz, D. (2014). Systemische Interventionen bei Internetabhängigkeit. Heidelberg: Carl-Auer. Schweitzer, J., Schlippe, A. von (2015). Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II. Das störungsspezifische Wissen. Göttingen: ­Vandenhoeck & Ruprecht.

Ende

82

Schwing, R., Fryszer, A. (2013). Systemisches Handwerk. Werkzeug für die Praxis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Spitzer, M. (2017). Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert. München: Droemer. Wenzel, J. (2013). Wandel der Beratung durch Neue Medien. Göttingen: V&R unipress. Wenzel, J. (2015). Mythos Unmittelbarkeit im Face-to-Face-Kontakt. Weiterentwicklung von Beratung und Therapie durch gezielte methodische Nutzung der Medien. e-beratungsjournal.net. Fachzeitschrift für Online-Beratung und computervermittelte Kommunikation, 11 (1), 36–54. Zugriff am 03.10.2017 unter http://www.e-beratungsjournal. net/ausgabe_0115/wenzel.pdf Wimmer, J. (2013). Massenphänomen Computerspiele. Soziale, kulturelle und wirtschaftliche Aspekte. Konstanz u. München: UVK Verlags­ gesellschaft.

5  Der Autor und seine Medienbiografie

namens Mosbach (heute Schaafheim-­ Mosbach) im hessischen Odenwald ge­bo­ ren, das nicht mehr als drei oder vier Telefonzellen hatte. Damals waren diese Kommunikationsorte eine zentrale Verbindung zur Außenwelt. Noch gut erinnere ich mich an die Überlegungen meiDr. Joachim Wenzel, © Romina Hager

ner Eltern, ob es denn notwendig sei, sich ein eigenes Telefon anzuschaffen. Die Jün-

geren unter den Lesern dürften sich über eine solche Frage wundern. So haben sich die medialen Zeiten in rund vierzig Jahren geändert. In meiner Jugend, den 1980er Jahren, war ich davon überzeugt, dass ich niemals einen Computer anrühren würde. 1992 entschied ich mich jedoch, einen zu kaufen, nachdem ich die erste Hausarbeit an der Uni Mainz auf der für die damalige Zeit immerhin fortschrittlichen Schreibmaschine meiner Frau (mit einer elektronischen Korrekturzeile!) geschrieben hatte. Zu diesem Zeitpunkt war ich davon überzeugt, dass ich den Computer ausschließlich als elektronische Schreibmaschine verwenden werde. Nachdem ich 1997 auch das Internet genutzt hatte, wunderte ich mich selbst über meine früheren Vorhersagen und empfand den Satz »Sag niemals nie« wesentlich einleuchtender als zuvor.

83

Ende

1968 wurde ich in einem kleinen Dorf

Im selben Jahr kam ich erstmals fachlich mit Medien in Berührung, nachdem ich mein Diplom-Pädagogik-Studium abgeschlossen hatte und mit halber Stelle als Hauptamtlicher der Telefonseelsorge Mainz-Wiesbaden tätig wurde (1997 bis 2008). Das gesamte sechsköpfige Leitungsteam arbeitete nicht nur in der telefonischen Beratung, sondern auch face-to-face in den Beratungsstellen in Mainz und Wiesbaden. Zu unseren Aufgaben gehörten die Auswahl, die 84

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Beratungsstelle in der

Ende

Aus- und Weiterbildung sowie die Supervision der ehrenamtlichen Mainzer Innenstadt arbeitete ich als Berater sowohl mit Einzelnen als auch mit Paaren und Familien. Darüber hinaus war ich mit verschiedenen organisatorischen Leitungsaufgaben betraut und erstellte die erste Homepage dieser Einrichtung. Einige Telefonseelsorgestellen leisteten im deutschsprachigen Raum Pionierarbeit in der Onlineberatung, indem sie 1995 im Internet mit ersten Beratungsangeboten starteten. So wurde 1997 auch ich angefragt, ob ich nicht mit der Mainz-Wiesbadener Stelle E-Mailoder Chatberatung anbieten wolle. Meine Frage nach der Sicherheit der überwiegend unverschlüsselten Beratungskommunikation hatte zur Folge, dass ich 1999 das erste Datenschutz- und Sicherheitskonzept für webbasierte Onlineberatung (sewecom.de) ent­wickelte, das anschließend bei der Telefonseelsorge Deutschland umgesetzt wurde. Der Ansatz, die Beratungskommunikation webbasiert im Netz zu verschlüsseln und mit Benutzername und Passwort zu schützen, hat sich danach im psychosozialen Feld zum fachlichen Standard entwickelt. Da ich Beratung telefonisch, online und face-to-face anbot, kam bei mir das Interesse an der Forschungsfrage auf, wie sich die Beratungsarbeit insgesamt durch die Medien verändert. So arbeitete ich ab 2007 (bis 2014) mit halber Stelle am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Mainz (Schuldnerfachberatungszentrum) und veröffentlichte 2013 meine Dissertation zum »Wandel der Beratung

durch Neue Medien«. Um mit meinen Fragen nicht allein zu bleiben, gründete ich 2005 die Fachgruppe »Systemische Onlineberatung« der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), die sich 2016 in »Fachgruppe Onlineberatung und Medien« umbenannte, da die anstehenden Fragen immer mehr über die Onlineberatung hinausgehen. Ich bin Gründungsmitglied der DGSF und der Deutschsprachigen Gesellschaft für psycho­ soziale Onlineberatung (DGOB) und habe das Portal und Netzwerk Seit 2015 arbeite ich in Vollzeit als freiberuflicher Dozent/Trainer und Berater in eigener Praxis in Mainz. Ich habe die Lehrenden-Anerkennung der DGSF für Systemische Beratung/Therapie, Coaching und Supervision und bin auch Organisationsentwickler (DGSF). Als Lehrender war und bin ich unter anderem tätig an der Universität Mainz, der Technischen Hochschule (TH) Nürnberg und bei den systemischen Instituten ifs Essen und Praxis-Institut für syste­mische Beratung Süd (Hanau) am Standort Mainz. Zum Themenfeld »Beratung und Medien« kooperiere und forsche ich gemeinsam mit unterschiedlichen Personen und Institutionen, etwa dem Institut für E-Beratung der TH Nürnberg und dem Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) in Olten. Da ich aus den genannten Erfahrungen heraus mittlerweile niemals nie sage, bin ich gespannt, wohin die medialen Entwicklungen die Beratung und auch mich selbst noch führen werden. Publikationen des Autors

spi-mainz.de/wenzel-publikationen Kontakt

Dr. Joachim Wenzel ∙ spi – systemische Praxis und Institut Mainz spi-mainz.de/wenzel ∙ [email protected]

85

Ende

»Schweigepflicht und Datenschutz in der Beratung« gegründet.