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German Pages 907 [908] Year 2005
Francesco Petrarca · Familiaria Band 1
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Francesco Petrarca
Familiaria Bücher der Vertraulichkeiten Herausgegeben von Berthe Widmer Mit einem Geleitwort von Kurt Flasch
Band 1 Buch 1-12
Walter de Gruyter · Berlin · New York
앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN-13: 978-3-11-018239-2 ISBN-10: 3-11-018239-4 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Claudia Wild, Stuttgart Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Geleitwort von Kurt Flasch
I Die Übertragung des Briefwerks des Francesco Petrarca bietet Zugang zur Persönlichkeit eines Gründungsvaters des modernen Europa; sie erschließt ein bedeutendes literarisches Kunstwerk; sie eröffnet eine geschichtliche Welt. Die Freundesbriefe oder Briefe an Vertraute – Familiarum rerum libri, auch Familiares oder italianisiert Le familiari genannt – bilden ein wichtiges Dokument zur Biographie ihres Verfassers; sie sind hochgradig stilisierte Schriftstücke, die sich nicht nur auf ihren jeweiligen Empfänger beziehen, sondern auf die literarische Öffentlichkeit, die sie bis zu einem gewissen Grad erst schaffen; sie dokumentieren die europäische Geschichte der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts. Sie illustrieren die Jahrzehnte des römischen Umsturzes durch Cola di Rienzo, des avignonesischen Papsttums, die Jahre der Pest, den Glanz des neapolitanischen Königreiches unter König Robert und die Unglücksgeschichte nach dessen Tod. Sie sind adressiert an Kaiser Karl IV. und an Fürsten, an Bischöfe und Staatslenker, an den engsten Freund Ludwig van Kempen und an literarische Mitstreiter wie Giovanni Boccaccio. Nur ein geringer Teil davon kann im heutigen Sinn des Wortes „familiär“ heißen; am ehesten noch die Briefe an den Bruder Gherardo, der als Kartäusermönch eine andere Lebenswahl getroffen hat, die den Briefschreiber immer wieder zu vergleichender Abwägung anregt. Petrarca konnte es nicht lassen, sich in die Politik einzumischen; er wurde nicht müde, die Verlotterung am päpstlichen Hof, den er aus nächster Nähe kannte, zu verurteilen. Auch dadurch sind seine Briefe zeitgeschichtliche Dokumente von hohem Wert. Er entwirft Genreszenen oder Portraits von Zeitgenossen, er schildert den Mord im Königshaus Neapel. Er beschreibt seinen Besuch im Badeort Baiae; er erlebt einen Gladiatorenkampf im christlichen Neapel; er schildert das dortige Gefängnis. Weltberühmt für seine frühneuzeitliche Entdeckung der Landschaft im Konflikt mit Augustins Verbot der Neugier (curiositas) ist sein Brief über den Aufstieg zum Mont Ventoux (hier IV 1, S. 180). Die Übersetzung der Familiares macht nun dessen Kontext deutlich; sie zeigt: Petrarcas Briefe wollen auch gelesen werden als literarische Kunstwerke, oft bestehen sie aus einem raffinierten Gewebe von Zitaten, meist aus antiken Schriftstellern. Sie belehren Freunde in seelischen Nöten; immer wieder mischen sie moralistische Reflexionen in die direkte Anrede. Diese Briefe waren das literarische Organ eines Philosophen des 14. Jahrhunderts, der nicht mehr die abstrakte Sprache der Universitätsphilosophen sprechen wollte, sondern der sich psychologischen, ethischen und politischen
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Alltagsfragen zuwandte und dabei den gegenwärtigen Lebenswert antiker Weisheit fruchtbar machte. Petrarca war ein Bücherjäger. Er hat 1345 in einer Bibliothek in Verona die wichtigste Briefsammlung Ciceros entdeckt, die Epistolae ad Atticum. Vielleicht ist schon damals sein Plan entstanden, auch seine eigenen Briefe zu Sammlungen zu vereinigen und zu veröffentlichen; seine tatsächliche Arbeit an diesem Projekt begann aber wohl erst in den Jahren 1351 bis 1353. Wichtigstes Ergebnis waren die folgenden drei Briefsammlungen: Die Briefe Sine nomine, die so heißen, weil sie die Namen der Adressaten nicht nennen. Dies war eine kleinere Sammlung von 19 Briefen vornehmlich politischen Inhalts aus den Jahren 1342 bis 1358. Sie kreisen um Korruption der päpstlichen Kurie, die Wiederherstellung Roms und um die Einheit Italiens; im Mittelpunkt stehen der Umsturzversuch des Cola di Rienzo, den Petrarca unterstützte, wodurch er in Konflikt geriet mit seinen römischen Förderern aus dem Hause der Colonna1. Es folgt der große Komplex der Familiares. Er umfaßt 24 Bücher, von denen der vorliegende Band die Übersetzung der ersten Hälfte enthält, Bücher I bis XII. Petrarcas Arbeit an ihnen dürfte sich bis 1366 hingezogen haben. Die dritte Briefsammlung umfaßt in 17 Büchern Altersbriefe, Seniles. Sie stammen aus den letzten Lebensjahren, von 1360 bis 1374. Diese Briefe sind von hohem intellektuellem, psychologischem und zeitgeschichtlichem Interesse. Es wäre außerordentlich wünschenswert, daß es auch von ihnen eine deutschsprachige Übersetzung gäbe. Es gibt Kenner, die ihr Interesse noch höher veranschlagen als das der Familiares.2 Diese Übersicht zeigt, welch gewaltigen Umfang Petrarcas literarische Selbstdarstellung einnimmt. Ohne die Briefsammlungen Ciceros und Senecas wäre sie nicht möglich gewesen, aber ein bloßes Produkt der Nachahmung war sie nicht. Sie entsprang dem kulturellen, politischen und religiösen Entwicklungsstand um die Mitte des 14. Jahrhunderts; sie korrespondierte dem Interesse Petrarcas an seiner Innenerfahrung und an seiner Selbstdarstellung vor einer Öffentlichkeit, die dank der lateinischen Sprache und dank der Stilkunst des Verfassers bald ganz Europa umfaßte. Die Latinität Petrarcas brach mit der Fachsprache der zeitgenössischen Theologie und Philosophie und ihren Wortungetümen wie quiditas und haecceitas; sie war ein Durchbruch ins Freie und Persönliche. Besondere Einfachheit kann man ihr nicht nachrühmen; sie ist immer kunstvoll, eher raffiniert als schlicht. Petrarca spielt mit abgelegenen Zitaten und seltenen lateinischen Wörtern. Auch wer im Lesen lateinischer Texte geübt ist, trifft auf schwierige Stellen. Auch deswegen ist die Übersetzung dieses einzigartigen und gewaltigen Corpus eine außerordentliche Leistung kulturellen Transfers. Petrarca ist in Deutschland kein Unbekannter. Führende Petrarcaforscher stammten aus Deutschland; ich nenne nur Gustav Koerting, Konrad Burdach und
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Paul Piur. Gleichwohl hat die italienische, die französische und vor allem die amerikanische Forschung die Führung übernommen, und haben sich bei uns eine Reihe vereinfachender Petrarca-Bilder festgesetzt, die jetzt mit den Texten konfrontiert werden können. Es gibt mindestens drei vereinfachende Schemata, die allesamt nicht gänzlich falsch genannt werden können, die aber erweitert, vertieft und aus den Texten korrigiert werden können.
II Das ist zunächst Petrarca als der Vater der modernen Lyrik. Petrarca hat von seinen volkssprachlichen Liebesgedichten eher gering gesprochen, teils in gespielter, teils in ernsthafter Herabsetzung. Niemand bestreitet ihm die außerordentliche Bedeutung für die Geschichte der Dichtung, aber man darf hinzufügen, daß er sich nicht ein Leben lang nur mit Liebesqual befaßt hat. Er hatte ganz andere Probleme als den Gegensatz von Sinnenglück und Seelenfrieden. Die Stimmen verstummen nicht, die behaupten, seine Laura sei ebenso eine literarische Fiktion wie seine Besteigung des Mont Ventoux. Doch wie dem auch sei: Petrarca wurde eine europäische Größe bis ins 18. Jahrhundert kraft seiner lateinischen Traktate und Briefe. In der Bibliothek des Nikolaus von Kues stehen heute noch die lateinischen Briefe Sine nomine und die Traktate; die italienische Lyrik fehlt dort. Erst das romantische Interesse an Liebesqual und Zerrissenheit verschob die Aufmerksamkeit auf Laura und Canzionere. Dann entdeckte ein Historiker, Petrarcas Analyse des inneren Zwiespalts lasse sich der Spekulation über weltgeschichtliche Epochen einordnen; es entstand das Schema: Petrarca zwischen „Mittelalter“ und „Neuzeit“. Jetzt wurde Petrarca „der erste moderne Mensch“, ein psychologisch interessantes Individuum der Neuzeit von melancholischer Zerrissenheit, ein Zeuge für Zwiespalt zwischen Vernunft und Leidenschaft. Dieses Schema verdeckt mehr als es zeigt. Es zieht die Aufmerksamkeit ab von Petrarcas lateinischen Schriften und von deren Zusammenhang mit den Bekenntnissen Augustins, vor allem mit deren zehntem Buch, das ähnlich „moderne“ Selbsterforschungen enthält. Die Briefe zeigen gegenüber solchen enthistorisierenden Bildern den scharfen Zeitbezug; daß sie zum Verständnis auch seiner Lyrik unentbehrlich sind, gehört heute zum selbstverständlichen Standard der wissenschaftlichen Befassung mit Petrarcas Dichtung. Sie erzwingen, könnte man fast sagen, die präzise Temporalisierung Petrarcas mitsamt seiner Lyrik. Petrarca hatte es mit seiner Zeit zu tun. Er bezog sich auf die Pest und die Korruption der Kurie; er beklagt die inneritalienischen Kriege und den Verfall der altehrwürdigen Roma; er kritisiert die Habsucht der Bischöfe und die Geldgier von Mönchen. Die Briefe zeigen ihn im Kampf mit Medizin und Theologie seiner Zeit. Er entfaltet seine christliche Philosophie gegenüber der Universitätstheologie, der
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er vorwirft, sie habe die einfache Lehre Jesu in spitzfindige Dialektik verwandelt. Er entwickelt seine philosophische Moralistik und Politik, angelehnt an Cicero und Seneca, die er in den Briefen ständig zitiert. Das sieht eher nach Antike aus als nach „Moderne“, aber auch hier ist individualisierende Aufmerksamkeit erforderlich, die sich auf die Briefe stützen kann: Petrarca erklärte sich als heimatlos, unbehaust, umherwandernd wie Odysseus, keiner Stadt und erst recht keiner Schule zugehörig, auch keiner antikisierenden Sekte. Aus den Briefen läßt sich lernen, daß Petrarca weder der Antike noch der „Neuzeit“ angehört, er gehört sich selbst und seinen Vertrauten. Es hilft auch wenig, die schematisierende Zuordnung zu Zeitaltern zu ändern und zu sagen, Petrarca gehöre zum „Mittelalter“. Vittore Branca hat in diesem Sinne argumentiert und auf die Augustinus-Zitate bei Petrarca verwiesen. Aber es käme darauf an, genau zu untersuchen, an welche Seite des komplexen Werks von Augustinus Petrarca sich gewandt hat. Dann würde man sehen, daß Petrarca sich auch seinen eigenen Augustinus geschaffen hat. Er hat überaus selbständig gewählt, er suchte die neuplatonisierenden Passagen der Frühschriften und die seelenerforschenden Partien der Confessiones. Augustins Lehren von Gnadenwahl und Prädestination hat er ignoriert, sie waren mit seinem Bewußtsein individueller Verantwortung schwerlich vereinbar. Der historische Petrarca war nicht festgelegt, nur ein lyrisch aufgewühltes Ich zu sein, noch war er Symbolfigur einer Epoche, welcher Epoche auch immer.
III Petrarca war nicht unbeteiligt am Entstehen des italienischen Nationalgefühls. Daher ist auch das Petrarca-Bild: Petrarca, der Italiener, der Vorkämpfer der italienischen Einheit, nicht gänzlich falsch. Gegen Kreuzzüge hatte er nichts einzuwenden, aber bezüglich inneritalienischer Kriege war er Pazifist: „Ich laufe umher und schreie: Friede! Friede! Friede!“ Aus lächerlich-kleinem Anlaß entstehen in Italien grausame Kriege; nicht selten werden sie geführt mit der Rücksichtslosigkeit deutscher Söldner, la tedesca rabbia. Das ganze Land klirrt von Waffen; selbst einfache Bauern und Hirten gehen nicht ohne Waffen ihrer Arbeit nach (Fam. II 12, S. 111). Petrarcas „Nationalgefühl“ ist vorab das Mitgefühl mit dem gedemütigten, zerrissenen und leidenden Land. „Indem ich die anderen Bedrängnisse der Menschheit insgesamt übergehe, wende ich mich als Italiener dem Jammer Italiens zu“ (Fam. XI 8, S. 582). Die Briefe präzisieren diese Friedensethik und zeigen ihre praktische Anwendung: Petrarca appelliert an Kaiser Karl IV., nach Italien zu kommen und Frieden herzustellen (Fam. X 1, S. 516 und XII 1, S. 615); er warnt den Dogen, Venedig in Krieg mit Genua zu verwickeln: „Wenn es gegenüber dem lateinischen Namen
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noch Ehrfurcht gibt, so sage ich: Es sind Brüder, die Ihr zu vernichten gewillt seid!“ (Fam. XI 8, S. 584)3. Das ist kein triumphierender Nationalismus; es ist die Bitte um Schonung und Waffenruhe, ohne die keine Kultur gedeiht. Petrarca greift die Friedensidee und die Kaiserhoffnung Dantes noch einmal auf, so vergeblich wie dieser. Allerdings hat er die Idee vom bleibenden Vorrang Roms gestärkt und damit der Rückkehr des Papstes aus Avignon vorgearbeitet.
IV Petrarca, sagt man, sei der Vater des Humanismus und Begründer der italienischen Renaissance. Das ist unbezweifelbar richtig und gibt doch, wenn es nicht weiter präzisiert wird, Anlaß zu Mißverständnissen und unnötiger Polemik. Es kommt darauf an, was man dabei unter „Humanismus“ versteht und welche Vorstellungen man mit dem Ausdruck „Renaissance“ verbindet. Die Briefe Petrarcas liefern zu diesen Fragen unentbehrliche Lehrstücke. Das Wort „Humanismus“ hat man recht verschieden definiert, wie spätestens die Debatte über Heideggers „Humanismus-Brief“ bewiesen hat. Man sollte drei Bedeutungen auseinanderhalten: In einem engeren Sinn bedeutet „Humanismus“ die gelehrte Zuwendung zur Antike, die Erarbeitung eines sprachlichen Stils und seine pädagogische Durchsetzung. „Humanismus“ in diesem Sinne ist eine formale Bildungs- und Erziehungskonzeption, die sich mit sonst gegensätzlichen philosophischen und religiösen Auffassungen verbinden läßt. In dieser Bedeutung des Wortes waren sowohl der protestantische Theologe Melanchthon wie die Jesuitenpädagogen des 17. Jahrhunderts „Humanisten“. Sie lasen antike Texte in den Originalsprachen, sie lehrten ihre Schüler, in einem Latein zu schreiben, das Cicero nahekommen sollte. In diesem Sinne gab es „Humanisten“ auch im 12. Jahrhundert, z. B. Johannes von Salisbury, aber zweifellos nahm diese Bildungsbewegung durch Petrarca einen neuen, ihren entscheidenden Aufschwung. Dennoch bedeutet das Wort „Humanismus“ im Zusammenhang mit Petrarca mehr. Jetzt ist gemeint: Eine neue Konzeption von Welt und Wissen stellt den Menschen in den Mittelpunkt des Interesses und zieht daraus Konsequenzen nicht nur für das Bildungssystem, sondern für alle Lebensbereiche, von der Architektur über den Schreibstil bis zur Religion. Eine der Ausdrucksformen dieser im 14. Jahrhundert einsetzenden Neugestaltung des gesamten Lebens ist die Vorliebe für die Briefform: An die Stelle umfangreicher Summen und Kommentare treten kürzere und persönlichere Erklärungen, Interventionen in Fragen der Lektüren, der Erziehung, der psychologischen Krisen, aber auch der politischen und religiösen Ereignisse. Dieser „Humanismus“ definiert sich inhaltlich durch seine Neufassung des
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Begriffs des Menschen, des Gemeinwesens, der Kultur und der Geschichte. Zwar geht es auch diesen „Humanisten“ um Handschriften antiker Texte, um Jagd nach Büchern und ihre korrekte Auslegung; aber sie spannen den Rahmen weiter: Sie erweitern durch Rückgriff auf antike Geographen und Kosmologen das naturwissenschaftliche Weltbild, sie betreiben eine neue Gestaltung der Stadt und des Kirchenbaus. Sie wollen Reform des Lebens und des Wissens, nicht nur des Stils. Ihre Bildung soll nicht nur formal sein und gelehrt, nicht nur akademisch oder pädagogisch, sondern politisch, künstlerisch und religiös. Diese weitere und anspruchsvollere Fassung des Konzepts von „Humanismus“ war an bestimmte geschichtliche Bedingungen geknüpft: Er konnte nur im Italien des 14. Jahrhunderts entstehen, und er konnte die gewaltigen politischen und religiösen Umwälzungen der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht überstehen. Erasmus von Rotterdam war sein letzter Repräsentant. Danach erst entstand als Resignationsprodukt der „Humanismus“ als bloße Stil- und Erziehungsbewegung. Jetzt erst wurde die Antike bloßer Dekor oder Gegenstand rein gelehrten Interesses. Spät erst entstand eine vagere Bedeutung von „Humanismus“. Die Antike hat in dieser modernen Wortbedeutung keine Funktion mehr als Muster. In unbestimmter Form wird nur eine Zentralstellung des Menschen gewünscht, gefordert oder behauptet. In dieser Bedeutung konnte Sartre den Existenzialismus einen „Humanismus“ nennen. Andere Autoren des 20. Jahrhunderts vergaben diesen Titel an den Kommunismus oder an den Thomismus. Mit dieser Schwundstufe des „Humanismus“ hat Petrarca nichts zu tun. Aber wir begreifen ihn auch nicht zureichend, wenn wir ihn als Lehrer eines neuen lateinischen Stils oder als Meister klassizistischer Rückwendung auf die Antike verstehen. Gewiß, er pries die Redekunst, er diskutierte literarische Fragen wie die Rolle der exempla (Fam. VI 4, S. 328); er sah die Antike als Vorbild des Stils. Er brauchte die Antike, um die Gegenwart zu kritisieren und eine neue, bessere Lebensform zu konzipieren. Er nahm die Antike nicht nur als gelehrten Stoff oder ästhetischen Dekor; sie war ihm Kampfmittel in seiner Gegenwart. Petrarca hat sich politisch engagiert, er ergriff Partei für Cola di Rienzo; er warnte ihn vor Exzessen (Fam. VII 7, S. 363). Von seiner Kritik der Kurie und der Bischöfe war schon die Rede; auch von seiner Klage über den Niedergang Roms, das er von barbarischen Söldnern überschwemmt sah. Er schrieb Briefe, um Hilfe für einen armen Teufel zu erreichen (Fam. III 21, S. 173 – 174); er veröffentlichte Analysen politischer Entwicklungen z. B. im Königreich Neapel, an dessen Glanzzeit unter König Robert er gern zurückdachte (Fam. VI 5, bes. S. 333 – 334). Er widmete sich den Themen, vor die seine Jahrzehnte ihn stellten: Da war die furchtbare Pest, die ihn ausrufen ließ, jetzt brauchten wir Musen, die wirksame Heilkräuter wüßten (Fam. IX 1, S. 455). Da waren die ständigen inneritalienischen Kriege, gegen die er nicht nur mit Briefen agierte, sondern gegen die er diplomatische Missionen übernahm.
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Rom brauchte eine neue politische Ordnung; er formulierte dafür Vorschläge an die Kardinäle (Fam. XI 16, S. 603 – 610). Da war die Hilflosigkeit und Anmaßung der Ärzte, vor deren Verbalismus er warnte (Fam. V 19, S. 290). Petrarca wandte sich zurück zur Antike, weil er die Gegenwart unerträglich fand, aber bei seinem Kampf für die Reform des gegenwärtigen Lebens hatte er es mit Gegenkräften zu tun, die es in der Antike überhaupt nicht gab, gegen die er sich also etwas Neues einfallen lassen mußte: Die inneritalienischen Rivalitäten, die Geldgier der Bischöfe, die Korruption der Kirche, die Veräußerlichung des religiösen Lebens, die Geringschätzung der Poesie, die Inhaltsarmut einer bloß verbalen Wissenschaft, die Korruption der lateinischen Sprache durch Scholastizismen und Arabismen. Für all diese Nöte boten die antiken Texte kein Rezept. Der „Humanismus“ des Petrarca mußte innovativ sein. Er rief die Antike auf gegen das herrschende Alte. Werden wir sagen, die Briefe des Petrarca zeigten ihn als einen Mann der „Renaissance“? Das hängt erstens davon ab, was man überhaupt von solchen Epochennamen hält, der in unserem Fall eine Erfindung erst des 19. Jahrhunderts ist, zweitens kommt es darauf an, wie man dieses Wort inhaltlich füllt. Gewiß empfahl Petrarca die Antike als Anleitung für eine „Wiedergeburt“ des italienischen Lebens; zweifellos überwand er die Geringschätzung der Poesie, die er bei mittelalterlichen Theologen vorfand, die aber schon Dante hinter sich gelassen hatte. Wer das Pathos des Ruhms und die Zeremonie der Dichterkrönung, oder das Eingeständnis eigener Zerrissenheit für „renaissancehaft“ erklärt, mag Petrarcas Briefe für renaissancetypisch erklären, aber solche verbale Spielchen bringen kaum Erkenntnisgewinn und fördern alte Vorurteile. Wer sich immer noch vorstellt, das Mittelalter sei asketisch und pessimistisch gewesen, die „Renaissance“ habe endlich Lebensfreude und Optimismus gebracht, kann von Petrarca nur enttäuscht werden. Er fand nicht nur das kulturelle und politische Treiben seiner Gegenwart trostlos; er fand das menschliche Leben insgesamt elend. Von allen Seiten sah er es durch Fortuna bedroht. Krankheiten drücken es nieder; Kriege und Konflikte engen es ein oder löschen es aus. Es ist leicht, aus Petrarcas Briefen eine Blütenlese pessimistischer Sätze zusammenzustellen. Da gibt es Sätze, die eher nach Schopenhauer klingen als nach unserer Bilderbuchvorstellung von „Renaissance“: Er faßt das Leben als beschwerliche Reise; er sieht den menschlichen Leib als Quelle der Leiden; er preist den frühen Tod (Fam. II 1, S. 59 und III 10, S. 144). Die Pestzeit gab ihm Gelegenheit genug, diesen Trost der Philosophie zu spenden, der uns wundert bei diesem Mann. Litt er nicht unter dem Tod seiner jungen Geliebten? Vielleicht gibt es für das Lebensgefühl des Autors kein sprechenderes Zeichen als sein Geständnis, jedesmal, wenn er sehe, daß ein Brief ankomme, erschrecke er erst einmal (Fam. IV 12, S. 215- 216). Immer wieder findet er Grund zum Klagen – über die Zunahme der Geldgier und des Luxus (Fam. VI 1, S. 294), über
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die Unstetigkeit seines Lebens, vor allem über die Beschwerden des Alters. Hier sind einige seiner schwarzen Sätze: „Schiene nicht in diese große Finsternis ein Strahl himmlischen Lichtes, würde ich sehr zu der Ansicht antiker Autoren neigen, nicht geboren zu werden, sei das beste. Und das Zweitbeste sei, bald zu sterben“ (Fam. V 9, S. 270). „Wer, der den Lebensweg genau ansieht und vernünftigerweise das Gepränge der Fortuna aussondert, wer sähe dann nicht, wie selten den Sterblichen ein Glück zufällt?“ (Fam. VI 5, S. 333). „Was ist denn das Leben anders als ein kleiner Hauch, ein dünner schwacher Rauch? Jeder fühlt doch bei sich, in welch fauligem und hinfälligem Körper er wohnt.“ (Fam. VIII 4, S. 418). „Noch während wir sprechen, gehen auch wir dahin und verschwinden gleich Schatten, und in einem einzigen Augenblick vernimmt einer vom andern, er sei gegangen, und macht sich bereit, dem Vorgänger zu folgen… Dabei hören wir nicht auf, uns wichtig zu dünken…Was sind wir? So frage auch ich, bei einem so schwerfälligen, so trägen und so gebrechlichen Körper! Und bei einer so blinden, so aufgewühlten und so ruhelosen Seele! Bei einem so wandelbaren, so unsicheren und so trügerischen Schicksal!“ (Fam. VIII 7, S. 436). „Soviel aber weiß ich, daß es durchaus nichts gibt, was dem Menschen, diesem hinfälligen und sterblichen Wesen, nicht zustoßen könnte, mag er in seinem Elend auch aufbegehren!“ (Fam. XI 6, S. 576). „Überall ist Grund zu Angst und überall Grund zu Trauer, und keines der gegenwärtigen Übel trägt nicht das Zeichen eines zukünftigen, schlimmeren.“ (Fam. XI 7, S. 578). Diese düstere Litanei ließe sich fortsetzen. Es gibt Leute, die ein Interesse daran haben, diese pessimistischen Seiten aus dem Bild der „Renaissance“ zu tilgen. Ihr Verlangen nach Lebensbejahung kommt denjenigen Gelehrten entgegen, die von Petrarca lieber sagen, er sei ein christlicher, ein „mittelalterlicher“ Autor. Sie alle werden sagen, diese pessimistische Lebensbetrachtung sei ein „mittelalterlicher“ Rest; Petrarca sei eben eine Figur des Übergangs, noch halb im Mittelalter. Ich schlage vor, jeden, der über Petrarca in solch groben Epochenbegriffen redet, mit einer milden Konventionalstrafe zu belegen: Er müßte so lange schweigen, bis er sämtliche Prosawerke Machiavellis auswendig hersagen kann. Das würde seinen italienischen Stil verbessern und würde ihm zeigen: Die spätere „Renaissance“, als sie beileibe nicht mehr „mittelalterlich“ war, äußerte sich auch nicht optimistischer über das menschliche Leben. Sie folgte nur dem Rat Petrarcas, sich den menschlichen Lebensweg genau anzusehen.
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Anmerkungen 1 Die Briefe Sine nomine sind vollständig aufgenommen und übersetzt in: Berthe Widmer (Hg.), Francesco Petrarca, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises, Basel 2001, S. 224 – 333. 2 Freunde Petrarcas haben hierzu einen Wunsch: Möge ein deutscher Verlag die großartige Initiative des Pariser Verlags Les Belles Lettres nachahmen, der seit einigen Jahren dabei ist, eine schön gedruckte, mehrbändige lateinisch-französische Parallelausgabe der Seniles unter der Leitung von Pierre Laurens herauszubringen. 3 Vgl. auch Fam. XI 7, S. 578 und XI 8, S. 583 – 584.
Vorwort der Herausgeberin Unter den Studien und Übersetzungen, die zum siebenhundertsten Geburtstag Petrarcas in erstaunlich grosser Zahl rechtzeitig erschienen sind, hätte eine bestimmte Arbeit nicht fehlen sollen, da sie unter literarisch und historisch interessierten Lesern deutscher Zunge seit Jahren als Desiderat genannt worden war. Eine deutsche Übersetzung der lateinischen Briefe Petrarcas oder wenigstens seiner ersten Briefsammlung der Familiares hätte man erwarten wollen. Von dieser kann jetzt wenigstens die erste Hälfte, Buch 1 – 12, wirklich vorgelegt werden, die zweite Hälfte, Buch 13 – 24, soll möglichst bald folgen. Sehr viel mehr Zeit beanspruchte die Ausführung eines alten Vorhabens, als vorerst zu vermuten war. Sehr zu danken hat man dem Verlag Walter de Gruyter, im besonderen Fall namentlich seinem Chefredaktor der Abteilung Sprach- und Literaturwissenschaft, Herrn Dr. Heiko Hartmann. Am Aufschub der genannten Arbeit hat er keinen Anteil. Vielmehr hat er auf Anfrage hin sogleich sein Interesse gezeigt und unverzüglich die notwendigen Schritte für die Herausgabe der Übersetzung getan. Auch hat er wie der Verlag sogleich erkannt, wie vieles zum Erschliessen dieser Sammlung Familiares erforderlich sei und auf wie vieles vorderhand verzichtet werden müsse, damit eine solide Vorarbeit für spätere Studien mit einiger Sicherheit und in nützlicher Frist fertiggestellt werden könne. In der Tat geht es zuerst nur darum, das genannte Werk einem deutschsprachigen Publikum überhaupt zugänglich zu machen und eine Orientierungshilfe zu bieten. Es ist nicht allein für einen Nicht-Lateiner ein Buch mit sieben Siegeln; es wirkt wohl auf überhaupt jeden modernen Leser zuerst einmal wenig anziehend, denn was Jacob Burckhardt in der Einleitung zu seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen über alte Überlieferungen ganz allgemein gesagt hat, dass sie nämlich „auf den ersten Anblick langweilig,“ weil „fremdartig“ sind, das gilt auch für Petrarcas Schriften. Sie erfordern Geistesarbeit, wie der Gelehrte betont, ja „den ganzen Menschen“, wenn man wertvolle und beglückende Funde erhoffen will. Nützlich schien es, mit Inhaltsangaben zu den einzelnen Briefen und mit ihrer Aneinanderreihung einen Weg zu bahnen. Darauf wurde Wert gelegt, denn frühere Briefausgaben haben davon abgesehen. Zudem wurde in einer Einleitung von Brief zu Brief nach solchen Leitgedanken und Ereignissen gesucht, die jeweils mehrere Briefe oder das ganze Werk als roter Faden durchziehen. Natürlich war dabei eine Beschränkung auf eine kleine Auswahl nötig. In einem Register wurde zudem versucht, die von Petrarca erwähnten Personen (nicht allein die Briefempfänger) mit einigen Worten vorzustellen. Sowohl in der Einleitung wie in den Anmerkungen wurden Erläuterungen zu Zeitumständen und zu Anschauungen Petrarcas untergebracht. Gewiss kann der Leser auch ohne fremde Hilfe nach einigem Zeitaufwand den geographischen Horizont abstecken, innerhalb dessen sich Petrarca bewegt. Oft ge-
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nannte Namen hervorragender Zeitgenossen sowie Namen der Aufenthaltsorte des Dichters deuten an, dass von Europa ungefähr jener beträchtliche Teil, der in der Antike zum römischen Reich gehörte, sein Beziehungsnetz umschliesst, vermehrt im Nordosten um einen Landstrich bis Prag. In diesem Umkreis ist der Dichter gereist und hat er seine Briefempfänger, Bekannten und Freunde besessen; er kannte Paris, besuchte die Rheingegend, pflegte den Kontakt mit dem Hof des Kaisers Karl IV., hatte zu Gönnern in Mailand die Visconti, in Mantua die Gonzaga, in Verona die Scaliger, in Padua die Carrara, in Neapel den Königshof, in Avignon alle Grossen mitsamt den Päpsten, in Venedig und Genua die Dogen, um nur die wichtigsten zu erwähnen. Die Mehrzahl seiner Humanistenfreunde lebte in Florenz. Wenn von Räumen, Ebenen und Grenzen die Rede ist, kann man darauf hinweisen, dass Petrarca fortwährend von seiner Lebenszeit aus nach der Welt der Antike hinüberschaute, als wäre sie seine bessere Gegenwart, sich lustvoll darin erging und seine Leser da festbannte. Nicht übersehen wird man auch, dass seine Gedanken stets die Strecken zwischen Geburt und Tod, Gut und Böse, Himmel und Hölle umspannten und er sich immer wieder zwischen den lockenden Polen zur Rechten und zur Linken am Scheideweg befand, wo es um wahres Glück oder Unglück ging. Auch wird man kaum überhören, dass Petrarca als ein Mann der Kirche skrupelhaft versuchte, seine leidenschaftliche Liebe zur vorchristlichen, heidnischen Welt mit den strengsten Zielen der christlichen Lehre in Einklang zu bringen, und sehr rasch wird jedermann sein Bestreben auffallen, sich stets nach dem Höchsten und Erhabensten auszurichten, das aber, recht besehen, doch immer nah dem Einfachen, Natürlichen liegen musste. Niemals wollte Petrarca sich und andern eine Steigerung ins Übermass gestatten, und erst recht nicht ein Absinken in die Erbärmlichkeit des Gewöhnlichen und zur Meinung der grossen Menge. Er duldete es weder in der Sprache noch im Denken oder in der Lebensführung. Ein Unterschied zwischen Petrarcas Briefsammlungen und seinen andern Werken besteht in einem häufigeren, leichter merkbaren Wechsel der Szenen und Szenerien, sowie im deutlicheren Wandel geistiger Ausrichtung. Der Dichter zeigt sich bei Reflexionen und Exkursen über philosophische Fragen nicht abgesondert von seiner Umgebung, sondern im engen Kontakt mit ihr und ist dabei einmal mehr Dichter, einmal mehr Politiker, abwechselnd mehr hochfliegender Idealist oder mehr nüchterner Rechner, mehr hingebungsvoller Verehrer heidnischer Vorbilder oder mehr streng christlicher Prediger, aber oft auch reuiger Sünder, einmal begeisterter Einsiedler, dann voller Drang in die Öffentlichkeit. Wenn er in früher Zeit die Widersprüche in seinen Briefen bedauert und viele hätte ausmerzen wollen, verteidigt er sie in späteren Briefen als notwendig und richtig. Denn, wie er dann betont, sollen in den vertraulichen Briefen seine Vertrauten an seinen Denkprozessen teilnehmen, nicht bloss deren Ergebnisse anhören. Was er einem anonymen Leserkreis als allgemeine Weisheiten hätte weitergeben können, enthält zu einem guten
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Teil Zeugnisse für seine Beziehungen zu bestimmten Adressaten wie für deren Eigenarten, aber auch Hinweise auf seine augenblicklichen Stimmungen. Sehr vieles verrät er über sich selber, und dennoch – das lässt sich nicht leugnen – fehlt dabei immer wieder das wirklich Handfeste. Desgleichen übermittelt er von Ereignissen seiner eigenen Epoche, von Menschen, Städten und Gesellschaftskreisen zwar kostbare Einsichten, aber höchst selten ein Gemälde mit deutlich realistischen Zügen, was nicht erstaunt, da man solche auch in der zeitgenössischen bildenden Kunst noch kaum findet. Neben dem hierfür nötigen Können fehlt Petrarca die Zeit – darauf weist er hin –, um dem biographisch Einmaligen nachzuspüren und um auffällige Charakterzüge und überhaupt das Unverwechselbare des Individuellen in der uns heute erwünschten Schärfe herauszuarbeiten. Er schildert mit psychologischem Feingefühl eher Typen, und über rein äusserliche Merkmale einer Gestalt sagt er meist nicht das geringste. Denn immer scheut er das Abgleiten ins Banale. Selbst eine gewisse Sorge um Diskretion hindert ihn, konkret realistisch zu sein. Doch diese wenigen Hinweise auf Eigenarten der Familiares müssen hier genügen. Dem Wunsch nach einer Übersetzung von Petrarcas Briefen ins Deutsche entsprachen vor mehr als siebzig Jahren die Gelehrten Hans Nachod und Paul Stern insofern, als sie eine sehr schöne und sehr geschickt ausgewählte Reihe aus den Familiares, Seniles und Variae mit Erläuterungen vorlegten (Berlin 1931). Sie haben jedoch eben damit in Deutschland den Wunsch nach weiteren Übersetzungen verstärkt, und zwar kurz bevor Vittorio Rossi nach vieljähriger Vorarbeit seinen ersten Band der Familiarium rerum libri herausbrachte (Florenz 1933). Rossi wählte die letzte, von Petrarca gutgeheissene Fassung ; die früheren und berücksichtigte er im kritischen Apparat, und mit Hinblick auf unterteilte er die 24 Bücher in 1 – 11 und 12 – 24. Seiner Ausgabe folgt die vorliegende Verdeutschung, ohne sich an seine genannte Zweiteilung zu kehren. Ihm ist – was betont sei – fast die ganze Fülle der Zitatennachweise zu verdanken; nur verhältnismässig wenige wurden von mir zugefügt. Anmerkungen jedoch zum Textinhalt musste er sich ersparen. Solche findet man in guter Zahl in der lateinisch-italienischen Ausgabe Buch 1 – 11 von Ugo Dotti (Urbino 1974), und für die den Text erläuternden Anmerkungen der späteren Familiares ist die Schreibende verantwortlich. Festgehalten hat Rossi selbstverständlich an dem von Petrarca formulierten Titel der Sammlung, und diesen für die Übersetzung zu ändern, schien nicht angebracht zu sein, obwohl er Schwierigkeiten bietet. Das lateinische familiaris hat einen vielfachen Sinn: zugehörig, häuslich, gewöhnlich, privat, vertraulich, vertraut, freundschaftlich usf. Entschliesst man sich, von „Freundesbriefen“ zu sprechen, trifft man den Sachverhalt nicht besser, als wenn man familiaris auf den Briefinhalt bezieht. Die hier vorgelegte Ausgabe verzichtet weitgehend auf Literaturangaben und Auseinandersetzungen mit früheren Studien. Sie bemüht sich um genaue und klare
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Vorwort der Herausgeberin
Wiedergabe des jeweils gemeinten Sinnes in einem gut lesbaren Deutsch und versucht dabei grundsätzlich, sowohl die dem Dichter unbewussten Sprachbesonderheiten wie auch seine gesuchten Sprachkünste zu beachten. Nur von Ferne kann sie an den ihm wichtigen Rhythmus erinnern, der sich vor allem in den Satzschlüssen dank der Klauseltechnik stark ausprägt. Unmöglich ist es, bei der Bewältigung von mehreren hundert Seiten die geforderte rasche Gangart einzuhalten und trotzdem die stilistischen Feinheiten regelmässig wahrzunehmen, die dem Dichter aus der Feder flossen, und sie gar noch mit der erwünschten Gewandtheit zu behandeln. Bei reinen Versuchen muss es oft bleiben, und besonders schwierig wird die Übersetzung, wenn Petrarca ein kompliziert verschlungenes Satzgeflecht über 6, 7 und mehr Zeilen hinzieht oder wenn ihm ein stilistischer Fehler unterläuft und ihm ein Satz nicht gut gerät. Daraus empfängt der Übersetzer allerdings neben Mühen auch einigen Trost, wie es ihn denn überhaupt beruhigen kann, dass Petrarca sich persönlich wie auch die Schriftsteller insgemein ermahnte, bei aller erforderlichen Anstrengung für sich keine Fähigkeit erzwingen zu wollen, die Gott und Natur nun einmal nicht verliehen hätten. Dieses klugen, humanistischen Rates erinnert man sich gerne, da er die Hoffnung auf ein gnädiges Urteil des Dichters gestattet und auch erlaubt, zeitgenössischer Kritik gefasst entgegenzusehen. Da ich oben in den einleitenden Worten einzig Herrn Dr. Hartmann und dem de Gruyter Verlag im allgemeinen gedankt habe, möchte ich das Vorwort nicht schliessen, ohne anderer Hilfe zu gedenken. Mit Namen bekannt geworden sind mir die beiden Frauen Angelika Hermann und Susanne Rade. Sie haben sehr zuverlässig gearbeitet, kompetent Rat erteilt und sind stets rasch und geschickt auf Vorschläge eingegangen. Dass meine Arbeit mir dadurch sehr erleichtert wurde, sei hier dankbar hervorgehoben. Berthe Widmer
Inhalt Geleitwort von Kurt Flasch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Vorwort der Herausgeberin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Adressaten und Inhaltsangaben zu den einzelnen Briefen . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung mit Überblick über die einzelnen Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1* A) Petrarcas Entschluss zur Briefsammlung . . . . . . . . . . . . . . . . 3* B) Inhalt und Sprache der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10* C) Ausarbeitung und Publikation der Briefe . . . . . . . . . . . . . . . 14* D) Überblick über die einzelnen Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18* Zu Fam. 1,1–1,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18* Zu Fam. 2,1–2,15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25* Zu Fam. 3,1–3,22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34* Zu Fam. 4,1–4,19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43* Zu Fam. 5,1–5,19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50* Zu Fam. 6,1–6,9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58* Zu Fam. 7,1–7,18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63* Zu Fam. 8,1–8,10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75* Zu Fam. 9,1–9,16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85* Zu Fam. 10,1–10,6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94* Zu Fam. 11,1–11,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103* Zu Fam. 12,1–12,17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115* Übersetzung der Briefe Buch 1 bis Buch 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Buch 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 58 118 180 239 293 345 400 454 516 559 615
XX
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
671
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Adressaten und Inhaltsangaben zu den einzelnen Briefen Petrarcas, Fam. 1 – 12 (Die Angaben zu den Briefabschnitten 1 ff. stammen von der Übersetzerin) Fam. 1,1, an seinen Sokrates (Ludwig van Kempen) Gründe für die geplante Briefsammlung. 1. Trauer über den Verlust vieler Freunde im Pestjahr; Gedanken an den eigenen Tod. 3. Petrarca räumt unter seinen Schriften auf. 10. Er rettet aber einen Rest für seine Freunde. 14. Hinweis auf verschiedene Schriftgattungen. 16. Bekenntnis zur einfachen Sprechweise. 20. Über verschiedene Briefschreiber der Antike. 21. Rückblick auf das vergangene Leben. 27. Plan für eine Sammlung eigener Briefe. 32. Vorbild ist der Briefschreiber Cicero. 38. Einige Schreiben Petrarcas zeugen von seiner Schwäche. 42. Schwächen Ciceros hat Petrarca getadelt. 46. Hinweis auf die Anordnung der Briefe in der Sammlung. Am 13. Januar (Parma 1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Fam. 1,2, an Tommaso Caloiro (Caloria) von Messina Über verfrühtes Verlangen nach Ruhm. 1. Allgemeine Klagen über mangelnden Erfolg. 4. Sich hohes Ansehen zu seinen Lebzeiten zu wünschen, ist unvernünftig. 5.Ein Grund für das Ausbleiben des Ruhmes ist der Neid. Seitenhiebe auf die Scholastiker. 6. Beispiele aus der Vergangenheit. 8. Ärger über ungebildete Fürsten, die Talente nicht fördern. 9. Lob auf den einzig gebildeten König von Neapel/Sizilien. 11. Petrarca will ihn aufsuchen. 13. Selbst Heilige waren dem Neid ausgesetzt. 15. Spott über Leute, die schon von Zeitgenossen Ruhm erlangen. 17. Über das Selbstlob von Epikuräern, Rechtsgelehrten und Scholastikern. 22. Eine falsche Behauptung Vergils und eine falsche Ciceros. 24. Über die Rolle der Fama und Fortuna. 27. Selbst Scipio erfuhr Anfechtung. 29. Über die Nichtigkeit des Ruhmes ganz allgemein. Bologna, am 18. April (vor 1326) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Fam. 1,3, an Raimondo Subirani, Auditor an der Kurie Über jugendlichen Leichtsinn und Vergänglichkeit der Jugend. 1. Gedanken über die Mängel der eigenen Jugendjahre. 2. Einsichten im Hinblick auf die Flucht der Zeit. 4. Über das „Blumensammeln“ und über den Vorrang der guten Lebensführung vor rhetorischem Können. 9. Dank für die gebotene Ermahnung. 10. Mit langem Leben zu rechnen, wäre Wahnsinn. 12. Wichtig ist Erziehung zur Selbsterkenntnis. Avignon, am 1. Mai (1330) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 1,4, an den Kardinal Giovanni Colonna Reisebeschreibung. 1. Reise durch Frankreich an den Rhein. 2. Stolz auf Italien und die eigene Abkunft. 5. Aufenthalt in Aachen. 7. Fabel von Karl dem Grossen und von den Anfängen der genannten Kaiserresidenz. Aachen, am 21. Juni (1333) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Fam. 1,5, an den Kardinal Giovanni Colonna Fortsetzung des Reiseberichts. 1. Reise von Aachen nach Köln. Aufenthalt ebenda. 2. Volksbrauch am Fest von Johannes dem Täufer. 5. Über die Musen in Germanien. 9. Besichtigung der Stadt Köln und Vergleich mit Rom. 15. Rückreise bis Lyon und unverhoffte Enttäuschung. Lyon, am 9. August (1333) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Fam. 1,6, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez Klage wegen Nichteinhaltung eines Versprechens. 1. Rückkehr nach Lyon. 2. Fragen des Gekränkten nach dem Grund für die Abreise nach Rom entgegen einer Abmachung. 3. Eine Gerichtsverhandlung soll stattfinden und der Angesprochene Richter sein. 4. Aufzählung verschiedener möglicher Gründe. 15. Suche nach Entschuldigungen für den fehlenden Freund. Lyon, am 9. August (1333) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Fam. 1,7, an Tommaso Caloiro (Caloria) von Messina Gegen einen alten Dialektiker. 1. Angriff auf Dialektiker, die streiten, um zu streiten. 5. Hinweise auf die Philosophenschulen Siziliens, die sich zu Unrecht auf Aristoteles berufen. 9. Über unnütze Vernünftelei. Die Schlagfertigkeit des Diogenes. 13. Von den Vorzügen wahrer Dialektik. 14. Auf dem Pfad der Wissenschaft dürfe man nirgends stehen bleiben. 15. Lob auf Wandel und Wechsel. Avignon, am 12. März (1338; Fassung von 1350/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 1,8, an Tommaso Caloiro von Messina Über Erfindungsgabe und Originalität. 1. Fragen eines jungen Schriftstellers. 2. Meinungen Senecas über Nachahmung und Originalität. Das Beispiel der Bienen. 3. Ratschläge des Macrobius. 5. Eine noch bessere Art des Schaffens: die der Seidenraupe. 6. Überlegenheit des Menschen über Tiere trotz deren besonderen Begabungen. 8. Wichtig ist die Zufriedenheit mit der eigenen Begabung. 12. Warnung, über seine Begabung hinaus Unmögliches erzwingen zu wollen. 14. Anekdote aus Quintilian. 17. Auslegung zu Stellen aus Vergils Aeneis und Georgica. 20. Weitere stilistische und sittliche Ermahnungen. Am 11. April (1338; Fassung von 1350/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Fam. 1,9, an Tommaso Caloiro von Messina Zum Studium der Beredsamkeit. 1. Zusammenhang von Denken und Reden wie von Sitte und Sprache. 3. Der Weise kann die Übereinstimmung seiner Wünsche erlangen. 4. Das ist Voraussetzung für gutes Reden. 6. Oft helfen Worte besser als Taten. 8. Sprache ist Kommunikationsmittel über Räume und Zeiten hinweg. 9. Beim Ergründen der Wahrheit bleibt zu jeder Zeit ein Rest. 12. Vom Nutzen der Lektüre eigener Schriften. Am 1. Mai (1338; Fassung von 1350/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Fam. 1,10, an Tommaso Caloiro von Messina Der Geizhals. 1. Scherzhafte Schilderung eines alten Geizhalses. 2. Zitat aus einer Komödie des Plautus. 4. Über die Gefahr der Extreme. (Fassung von 1350/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Fam. 1,11, an Tommaso Caloiro von Messina Der Schmarotzer. Beschreibung eines hungrigen Schmarotzers auf Verlangen des Freundes. (Fassung von 1350/51) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Fam. 1,12, an Tommaso Caloiro von Messina Über das Geschwätz eines Dialektikers. 1. Ein Dialektiker kann von Attacken nicht abstehen. 2. Die Behauptung, die Dichtung sei nutzlos, widerlegt Petrarca nicht. 4. Er verteidigt aber ihre Würde. 5. Berufung auf Aristoteles. An der Quelle der Sorgue, am 11. Dezember (Fassung von 1350/51) . . . . . . . . 56
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 2,1, an Bischof Philippe von Cavaillon (Cabassoles) Den Tod der Seinen soll man gleichmütig ertragen. 1. Vorsatz, dem Freund zum Tode eines Bruders einen Lobpreis auf hohe Tugend zu schreiben. 3. Über die richtige Art zu trauern. 6. Allgemeine Fragen nach der Sterblichkeit. 7. Einwendungen gegen Trostworte und Antworten darauf. 12. Der Tod des Sokrates. Für edle Menschen hat der Tod nichts Erschreckendes. 19. Das Beispiel Monicas. 20. Über den Glauben an ein ewiges Leben auch unter den Heiden. 26. Das Leben hier ist Exil. 31. Vorbilder für Jenseitsglauben aus der Antike. 38. Petrarca habe den Tod eines Bruders, nicht eines Sohnes erlebt. An der Quelle der Sorgue, am 25. Februar (1338) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Fam. 2,2, an Unbekannt Falsche Sorge um die Bestattung der Toten. 1. Ärger über Klagen eines Freundes wegen der Versenkung eines Toten ins Meer. 6. Manche Sorgen stammen von falschen Meinungen und blossen Gewohnheiten. Berühmte Beispiele (wie des Venezianers Lamba Doria) zeugen für überlegenes Verhalten. 12. Sie bezeugen, dass Bestattungsbräuche von Volk zu Volk und von einer Zeit zur andern verschieden sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Fam. 2,3, an Severo Apenninicola Trostworte im Hinblick auf das Leben im Exil. 1. Für exiliert kann nur gelten, wer gezwungenermassen aus der Heimat wegzog. 3. Ein geistig unabhängiger Mensch kann aber nie gezwungen werden. 7. Immer gibt es Hoffnung auf Rückkehr. 9. Beispiele für Rückrufe aus der Antike (gerichtet an Metellus und Marcellus). 14. Der Exilierte Matteo Visconti. 17. Der Exilierte Stefano Colonna. 26. Schätze, die man mitnimmt. 30. Der Ort des Exils: Florenz. 32. Vergünstigungen des Adressaten von seiten der Fortuna . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Fam. 2,4, an Severo Apenninicola Gleiches Thema wie im vorangehenden Brief. 1. Der Klagende beharrt auf seinem Kummer. 4. Über die Wollust an der eigenen Verzweiflung. Dem Freund soll die Freude an seinem Schmerz belassen werden. 5. Seine Wunde wird daher nicht gepflegt; nur in ihrem Umkreis wird gesalbt. 7. Frage nach erschwerenden Umständen im Exil. 9. Vorzüge selbst eines bedrückenden Exils. Unglück bietet Glück. 14. Dem Klugen ist jeder Erdenfleck Vaterland. 20. Über den schlechten Einfluss der mitleidigen Menge. 25. Exil ist Freiheit. Warnung, in die Unfreiheit zurückzukehren. 28. Aufmunterung zu Studien. 31. Grosstaten antiker Feldherren sollen ermutigen. Zu beherzigen sei vor allem ein Spruch des Kleanthes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 2,5, an den Ordensmann Giovanni Colonna Die Seele leidet viel wegen ihrer Verbindung mit dem Leib. 1. Beunruhigung wegen einer lang ausbleibenden Nachricht. Verwirrung und Träume. 2. Über Anfechtungen der Seele durch den Leib. 6. Auf die von seinem Freund vorgelegten Fragen will Petrarca in drei anderen Briefen antworten. Bekenntnis eigener Schwächen. (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Fam. 2,6, an den Dominikaner Giovanni Colonna Abwesenheit schadet der Freundschaft nicht. 1. Tadel wegen weibischer Klagen. 3. Keine räumliche Distanz kann wahrer Freundschaft etwas anhaben. 8. Beschäftigungen, Beschwerlichkeiten und Blindheit hindern nicht, den Freund vor Augen zu haben. (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Fam. 2,7, an den Dominikaner Giovanni Colonna Auf ungeduldiges Ausschauen soll man verzichten. 1. Der Ärger über eine Verzögerung der Weiterreise in Nizza sei unangebracht. 2. Die Ungeduld der Jugend müsse man mit zunehmendem Alter überwinden. 4. Das Bangen um ungewisse Zukunft sei zu vermeiden. 8. Nötig sei die Abkehr von weltlichen Dingen. 9. Über lächerliche Zukunftssorgen. 15. Selbst Gott sei nicht mit Ungeduld zu suchen. (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Fam. 2,8, an den Dominikaner Giovanni Colonna Alles Natürliche ertrage man mit Gleichmut. 1. Ärger wegen ewiger Klagen des Freundes. 3. Das Natürlich ist nicht erstaunlich. 7. Ungerecht sind die Anklagen gegen die Natur; ihre guten Gaben übersehen wir. 10. Bitte um Nachsicht mit dem Ratgeber. Selbst ein kranker Arzt kann andere heilen. (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 2,9, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez 1. Dank für einen scherzenden Brief. Verteidigung gegen scherzhafte Vorwürfe. 2. Die Welt sei voller Betrug, und sie zu entlarven, vermöge nur ein Weiser. 8. Begeistertes Lob auf Augustinus. 14. Die Hinwendung zu Augustinus sei ehrlich. 16. Widerstreit in Petrarcas Seele. 18. Der Name Laura stehe nicht für einen erhofften Lorbeer. Die Gestalt sei nicht erdichtet. 23. Ernsthafte Bitte um eine Begegnung in Rom. 24. Lobrede auf Rom. 28. Die Stadt ist ein Abbild des Himmels. 30. Dank für liebevolle Worte. Avignon, am 21. Dezember (1336) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Fam. 2,10, an Agapito di Stefano Colonna 1. Über die Vernachlässigung des Wichtigen und die Sorge um das Unwichtige. 2. Zu Unrecht stehe bei jedermann an erster Stelle der Gelderwerb. 4. Jede spätere Generation sei schlechter als die frühere. An der Quelle der Sorgue, am 1. Mai (vor 1344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Fam. 2,11, an Agapito di Stefano Colonna Einladung zu einem einfachen Mahl. An der Quelle der Sorgue, am 13. Januar (vor 1344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Fam. 2,12, an Kardinal Giovanni Colonna Reisebericht. 1. Schilderung von Capranica, das Petrarcas Studien förderlich ist. 2. Ein Wort über die Landschaft. 5. Friedlosigkeit der ansässigen Bevölkerung. 7. Unsichere Entscheidungen und Erwartungen Petrarcas. 9. Über die Erfüllung von Wünschen und über ewige Seligkeit. (Januar 1337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Fam. 2,13, an Kardinal Giovanni Colonna Gründe für eine Verlängerung des Aufenthaltes in Capranica. 1. Lob auf die Gastgeber Orso von Anguillara und dessen Gattin Agnese Colonna, Schwester des Adressaten. 3. Ankunft von dessen Bruder Giacomo. Er holt Petrarca nach Rom. 4. Ankunft weiterer Mitglieder der Familie Colonna. Hinweis auf die Feinde der Colonna. (Februar 1337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 2,14, an Kardinal Giovanni Colonna Über den gewaltigen Eindruck, den Rom auf den Schreibenden macht. Die Stadt zu schildern und zu rühmen, wage Petrarca noch nicht. Rom, an den Iden des März auf dem Kapitol (1337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Fam. 2,15, an Kardinal Giovanni Colonna Alle Tugenden ruhmvoller Frauen der Antike finden sich vereint bei den zwei Schwestern des Angesprochenen. Rom, am 23. März (1337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Fam. 3,1, an Tommaso Caloiro von Messina Über die berühmte, doch unbekannte Insel Thule. 1. Über Gerüchte, denen Petrarca nachgehe. 2. Die Insel müsse im nord-westlichen Ozean liegen. 4. Gespräch mit dem englischen Kanzler Richard. 7. Das Büchlein eines Geraldus gibt einigen Bescheid. 8. Es enthält Hinweise auf antike Autoren. 9. Eben vermisst Petrarca Bücher und Kenner des Lateins. 10. Er gibt Auskünfte aus dem Gedächtnis. 14. Er bricht ab und wendet sich zu wichtigeren Nachforschungen. (-1337; Fassung wohl von 1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Fam. 3,2, an Tommaso Caloiro Gegen nutzlose Erwartungen und vergebliche Mühen. 1. Sorge um einen rastlos reisenden Geschäftsmann. 3. Petrarca habe eine Reise aus purer Neugier unternommen. 4. Prophezeiung über den gemeinsamen Freund. Avignon, am 8. August (1333/1337; überarbeitet 1352?) . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Fam. 3,3, an Stefano Colonna den Jüngeren Einen Sieg muss man nützen. 1. Es gilt, aus der Geschichte Hannibals zu lernen. 2. Gott verheisse dem Angesprochenen gleichen Sieg wie einst dem Theodosius. 3. Die gerechte Sache müsse man aber im Auge behalten und Erfolge nicht von eigener Tüchtigkeit, sondern von Gott erwarten. 5. Der Krieg wende sich gegen Feinde des Kreuzes. 6. Gott mache die Rache zur Pflicht. 8. Beispiele ungenützter Siege aus der Antike. 12. Ein Sieg vermindere nicht die Gefahr. Am 23 Mai (1333) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 3,4, an Stefano Colonna den Jüngeren Nichts Neues unter der Sonne. 1. Hinweis auf ein für den Adressaten verfasstes Werk in der Muttersprache. 2. Über eine dichterische Neuschöpfung, die keine war. (1333) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Fam. 3,5 (ohne Adressaten) Das Einsiedlerleben kann man nur durch Erfahrung kennen lernen. 1. Misstrauen gegenüber dem Fragesteller. 2. Allgemeines Lob auf das Leben in Einsamkeit. 3. Einladung, in die Einsiedelei zu kommen, sofern ein echtes Verlangen nach Einsamkeit bestehe. An der Quelle der Sorgue, am 4. Mai (1337/1338) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Fam. 3,6, an einen Freund Gegen die Begierde nach unrechtem Erwerb. 1. Abneigung gegen jedes Gespräch über Reichtum und Sinnenlust. 3. Einwand gegen die Aufteilung des einen Guten in drei Teile. 5. Hinweis auf Ciceros Abhandlung über das wahre Glück. 7. Ehrenhafter Gewinn ist nicht tadelnswert. Ciceros Buch über die Pflichten ist wegen seines philosophischen Gehalts, nicht wegen seines Stils zu lesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Fam. 3,7, an Paganino von Mailand Expansionsdrang ist zu zügeln. 1. Die Frage, ob Vielherrschaft oder Einherrschaft besser sei, will der Schreibende offen lassen. 2. Anerkennende Worte für den Herrn Visconti von Mailand. 3. Aufzählung früher Herrscher. 6. Warnung vor Ausdehnung einer Herrschaft. 7. Besser sei es, über Freunde als über Feinde zu regieren. Und ein grosses Reich zu errichten, sei leichter, als es zu erhalten. (1339/1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Fam. 3,8, an einen Freund Warnung vor Aberglauben. 1. Gedanken an Vergangenheit und Zukunft sind einzuschränken. 2. Wahrsager wissen nichts. 3. Üble Folgen der Prophezeiungen. 7. Über die Wirkung einer einzigen wahren Aussage. 8. Zitat Augustins. 9. Aberglauben und heitere Ruhe sind unvereinbar. (1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
Adressaten und Inhaltsangaben
XXIX
Fam. 3,9, an Matteo von Padua Gegen Trunksucht. 1.Vieles,was zum Thema gehöre, werde übergangen. 4. Hinweis auf ein Buch von Apuleius, dessen Meinung Petrarca ergänzt. Der erste Schritt auf ein Laster hin ist der entscheidende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Fam. 3,10, an einen Freund jenseits der Alpen (Humbert von Vienne?) Schimpflich ist es, dem Tod aus Feigheit auszuweichen, um länger zu leben. 1. Freundespflicht erfordert diesen Brief. 2. Hinweis auf den herrschenden Krieg. 3. Der Angesprochene wird aufgerufen, sich an die Seite des Königs zu stellen. 6. Der Tod ist nicht schlimmer als die Geburt. 9. Einwendungen und Antworten darauf. 10. Beispiele für ein überlanges Leben, das ins Unglück führt. 16. Bequemlichkeit rettet nicht besser als Tatendrang. 20. Das Abseitsstehen bringt dem Adressaten unter den waltenden Umständen sicheres Verderben. (-1339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Fam. 3,11, an Guido Gonzaga, den Herrn von Mantua 1. Über die verbindende Kraft der Liebe. 3. Ergebenheit habe Liebe gefunden. 4. Das bezeuge ein Brief des Adressaten an Giovanni von Arezzo. 5. Vorbilder für Fürstengunst aus der Antike. 7. Petrarca freue sich über die unverdiente Liebe. Am Ufer der Rhone, am 13. Januar (-1339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Fam. 3,12, an Marco Portonario aus Genua Ein öffentliches Amt sei kein Hindernis, religiös zu leben. 1. Die Gesinnung des Adressaten sei klar erkennbar. 2. Petrarca empfange ihn wie einen Heimkehrenden. 3. Erinnerung an ein früheres Versprechen. 4. Dass es noch nicht eingelöst werde, schade nicht. 7. Grosse Pläne führe man besser in reifem Alter als in früher Jugend aus. 9. Es gebe eine Zeit der Tätigkeit und eine der Beschaulichkeit. An der Quelle der Sorgue, am 1. Januar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Fam. 3,13, an den Dominikaner Giovanni Colonna Die Gicht treffe man bei den Reichen. 1. Es bestehe guter Grund, eine Fabel zu erzählen. 8. Der Adressat leide an der Gicht, was bedenklich stimme. Ratschlag, auf Wein zu verzichten. 9. Reichtum fördert die Gicht. Mit dem Ideal eines Bettelmönchs sei er nicht vereinbar. 11. Freiwillige Armut sei der einzige Weg zur Gesundung. An der Quelle der Sorgue, am 22. Juni (nach 1337) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
XXX
Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 3,14 (ohne Adressaten) Geldverlegenheit macht Hilfe unmöglich. 1. Abwehr gegen alle Herrschaft des Geldes. 2. Streit mit dem Geld um Vormacht. 3. Geld zu leihen sei Petrarca ausserstande. 5. Doch Armut herrsche nicht in seinem Haus. 7. Die Mitte zwischen Armut und Reichtum zu halten, sei ein dankenswertes Los. Am 31. Dezember . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Fam. 3,15, an einen streitbaren Freund Gute Menschen solle man sich zu Freunden machen. 1. Nur wenige Menschen seien gut. 4. Die Stoa mache niemanden fehlerfrei. 6. Habe einer mehr Vorzüge als Schwächen, solle man ihn zu gewinnen suchen. 8.Warnung, üblen Menschen den Kampf anzusagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Fam. 3,16, an Paganino von Mailand Die erwünschte Hilfe könne nicht geboten werden; der beste Rat lautet, im Unglück Geduld zu üben. (1346 – 1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Fam. 3,17, an Paganino von Mailand Bei Hilfeleistungen sei Vorsicht nötig; Undank sei häufig und verwandle die Menschen in unerwarteter Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Fam. 3,18, an Giovanni dell’ Incisa Über Bücher und Büchersuche. 1. Petrarca habe manche Leidenschaft überwunden. 2. Doch an Büchern habe er nie genug. 3. Über eine Besonderheit der Bücher. 4. Beispiele, wie eines auf das andere hindeutet. 9. Es gibt die „vornehmere“ Begierde. 10. Verschiedene Arten von Bibliophilen. 13. Die Bibliothek von Sammonicus Serenus. 14. Bitte um Hilfe beim Büchersuchen. (1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Fam. 3,19, an seinen Lelio di Pietro Stefano (dei Tosetti) Über die Hartnäckigkeit menschlicher Hoffnung. 1. Traurige Erlebnisse stählen die Hoffnung der Menschen und Tiere. 2. In Vaucluse belegen das die Fischer. 3. Ein Beispiel bietet ebenda auch ein Adler. 6. Von der unbesiegbaren Zuversicht der Bienen und Ameisen. 8. Über die unverwüstliche Hoffnung der alten Römer. 11. Zweck dieser Ausführungen sei es, diskret auf einen Hoffenden hinzuweisen. (Vaucluse 1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 3,20, an Lelio di Pietro Stefano Bitte um Antwort. 1. Petrarca wolle mit Schreiben Antwort erzwingen. 4. Der Adressat sei das Schreiben gewohnt. 5. Protest gegen Ausreden. 7. Rasche Antwort möge von Erwartungen befreien. 9. Über die Nichtigkeit des Glücks. 10. Petrarca sei genügsam. (Vaucluse 1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Fam. 3,21, an Lelio di Pietro Stefano Bitte um Rechtshilfe für arme Leute. 1. Abschied von Lelio. 2. Dieser möge seinen Herrn dazu bewegen, einen jungen Mann vor einem Richter zu retten. 5. Genauere Angaben werde er durch Petrarcas Knecht erhalten. An der Quelle der Sorgue, am 26. April (1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Fam. 3,22, an Lelio di Pietro Stefano Über die Macht der Rede und von Lelios Erfolgen bei den Menschen. 1. Von der Macht liebenswürdiger Rede. 2. Beispiele, wie Menschen sich durch Liebenswürdigkeit einnehmen liessen. 5. Beispiele von Tieren. 6. Über die Macht der Musik. Arion. 7. Von der besonderen Gabe Lelios. 8. Er nimmt Petrarcas Diener für sich ein. Dieser wird ihm überlassen. 9. Aber Lelio soll jenen Richter zur Milde bewegen. 11. Er empfängt ein Geschenk. An der Quelle der Sorgue, am 29. April (1346) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Fam. 4,1, an Dionigi da Borgo San Sepolcro vom Augustinerorden Die Besteigung des Mont Ventoux 1. Jahrelanger Wunsch, den Berg zu besteigen. 4. Suche nach Gefährten. 6. Abmarsch mit dem Bruder. 9. Vorliebe für Umwege beim Aufstieg. 12. Betrachtungen über Analoges auf dem geistigen Weg des Menschen zu seiner Vollendung. 16. Überraschende Aussicht auf dem Gipfel. 26. Eine Lektüre ebendort und ihre Folgen. Malaucène, am 26. April (1336; Fassung vielleicht von 1352/53) . . . . . . . . . . 180 Fam. 4,2, an Dionigi da Borgo San Sepolcro vom Augustinerorden Glückwunsch zur Berufung an den Hof von Neapel. 1. Begründung der Freude. 2. Über wahres und falsches Glück. 6. Vom Umgang mit angesehenen Männern. 7. Lob auf den König von Neapel, einen wahren Regenten. 14. Mit der Übersiedlung nach Neapel ist der Angesprochene seinem Ziel nahegerückt. 15. Petrarca hofft – mit Rücksicht auf den winkenden Lorbeer – bald an den Hof zu folgen. An der Quelle der Sorgue, am 4. Januar (1339) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
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Fam. 4,3, an den ruhmreichen König Roberto von Sizilien Antwort auf ein Schreiben. 1. Emphatischer Lobpreis auf den König Roberto von Neapel/Sizilien. 2. Vor allem auf seine Redekunst. 5. Exkurs über den Glauben an die Unsterblichkeit. 9. Die verstorbene Nichte des Königs habe eine doppelte Ewigkeit erlangt. An der Quelle der Sorgue, am 26. Dezember (1338/39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Fam. 4,4, an Kardinal Giovanni Colonna Fragen um die Dichterkrönung. 1. Über zwei Einladungen zur Dichterkrönung. 5. Der Kardinal möge entscheiden, welche vorzuziehen sei. An der Quelle der Sorgue, am 1. September gegen Abend (1340) . . . . . . . . . . 197 Fam. 4,5, an Kardinal Giovanni Colonna 1. Annahme des von Kardinal Colonna gebotenen Ratschlags. 2. Mit dem Kanzler der Pariser Universität hofft der Schreibende sich mündlich zu verständigen. 3. Über eine weitere Angelegenheit kann sich Petrarca nicht äussern. An der Quelle der Sorgue, am 10. September (1340) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Fam. 4,6, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez 1. Klage über die mehrfache Verhinderung eines Zusammenseins mit dem Freund, auf dessen Hilfe der Schreibende oft angewiesen wäre. 5. Nachricht über die bevorstehende Dichterkrönung. 7. Eitelkeit wird nicht geleugnet. An der Quelle der Sorgue, am 15. April (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Fam. 4,7, an König Roberto von Neapel (Sizilien) Über die Dichterkrönung. 1. Über die Förderung der freien Künste durch den König. 2. Die Dichterkrönung werde manches Talent zu grosser Leistung ermuntern. 5. Das Vorbild des Augustus. 6. Meinungen über den Niedergang der Dichterbegabung und allgemeinen Kultur. Worte der Neider. 8. Ansporn zu neuen Leistungen. 10. Roberto: ein neuer Augustus. 11. Mitteilung über die Feierlichkeiten in Rom, denen der König fernbleiben musste. 12. Petrarca werde gerne an den Hof von Neapel zurückkehren. Pisa, am 30. April (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 4,8, an den königlichen Sekretär Barbato da Sulmona Ereignisse in Rom. 1. Über die erfolgte Dichterkrönung. 3. Überfall auf den Dichter nahe der Stadt. Pisa, am 30. April (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Fam. 4,9, an den Kardinal Giovanni Colonna 1. Bericht über die Ankunft in Parma. 2. Petrarca wünscht, eine Zeitlang dort zu verweilen. Am 23. Mai (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Fam. 4,10, an Pellegrino von Messina Über den verfrühten Tod eines Freundes (Tommaso Caloiro). 1. Der Tod hat den Freund in früher Jugend entrissen. 3. Den Jammer über diesen Verlust gedenkt der Schreibende erst später zu schildern; das beiliegende Epitaph sei in aller Eile verfasst worden. (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Fam. 4,11, an Giacomo von Messina 1. Über den Tod des Freundes Tommaso. 2. Vom Verlangen nach dem Tod und über einen Fiebertraum. (1341) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Fam. 4,12, an Kardinal Giovanni Colonna Trostbrief nach dem Tod des Bischofs von Lombez, Giacomo Colonna. 1. Furcht, unwillkomener Tröster zu sein. 5. Lebensdaten und Würdigung des Verstorbenen. 18. Einwendungen gegen Petrarcas Trostworte. 23. Zuversicht, den Verstorbenen im Jenseits wiederzufinden. 34. Dumme Bedenken schliesst Petrarca beim Adressaten aus. 36. Über die Bestattung des Verstorbenen. 37. Frage nach dem Verbleib seiner leiblichen Überreste. 40. Ablehnung unwürdiger Toten- und Bestattungsbräuche. Am 5. Januar (1342) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Fam. 4,13, an Lelio 1. Über den Tod des gemeinsamen Freundes Giacomo Colonna. 4. Über zerstörte Pläne und Hoffnungen. Unsicherheit für die eigene Zukunft. (1342) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 4,14, an Sennuccio del Bene von Florenz Häusliche Sorgen. 1. Über die Plage mit eigenen Dienern. 3. Hoffnung, bessere zu entdecken . . 224 Fam. 4,15 (an Giovanni d’Andrea?) Gegen die Eitelkeit der Gelehrten. 1. Schmeichelhafter Dank für ein Schreiben. 3. Auseinandersetzung über die Bedeutung von Augustinus und Hieronymus. 5. Über Moralisten und Dichter. 9. Abwehr von Beschuldigungen. Hinweis auf mangelhafte Kenntnisse des Adressaten. 12. Bitte, einen Brief nicht zu veröffentlichen. 14. Zu volkssprachlichen Schriften des Adressaten. 15. Warnung vor Scheinwissen und Selbstüberhebung wie vor Übergriffen auf fremde Wissenschaftsgebiete. Am 17. August (1342 oder eher 1345/46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Fam. 4,16 (an Giovanni d’Andrea?) Fortsetzung des Streites. 1. Überlegung, ob und wie der Streit fortzuführen sei. 2. Rechtfertigung des im vorangehenden Brief angewandten Verfahrens. 3. Einwände gegen die Beweisführung, die Hieronymus über Augustinus stellt. 8. Frage, was einen Dichter, was einen Philosophen ausmache. 13. Verteidigung gegen den Vorwurf, die Studien in Bologna aufzugeben, sei ein Fehler gewesen. Am 31. August (1342 oder eher 1345/46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Fam. 4,17, an Unbekannt 1. Das moderne Begehren nach Luxus werde besonders durch Nachahmung verbreitet. 3. Man müsse ihm mit Vernunft begegnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Fam. 4,18, an einen Freund Tadel wegen Liebesbeziehungen des Adressaten. Zitate aus Plautus . . . . . . . . . 237 Fam. 4,19, an den selben Freund Neue Warnung vor gefährlichen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Fam. 5,1, an Barbato da Sulmona 1. Über den Tod des Königs Roberto. 2. Unheilvolle Folgen am Hof. 4. Verlust eigener Hoffnungen. Am 29. Januar (oder Mai 1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 5,2, an Kardinal Giovanni Colonna Dank für grosse Gunst. 1. Schreiben auf einer Romreise. 3. Über ein aussergewöhnliches Vertrauen von seiten des Kardinals. Erinnerung an ein besonderes Erlebnis. 4. Vergleich mit antiken Beispielen. Rom, am 7. Oktober (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Fam. 5,3, an Kardinal Giovanni Colonna Bericht über eine Reise nach Neapel. 1. Abreise von Nizza. 4. Kriegsheere bei Avenza. 6. Besuch bei Stefano Colonna in Rom. 8. Missstände am Hof von Neapel. 9. Der Franziskaner Roberto. 10. Seine Tyrannis. 13. Widerstand dank Philippe de Cavaillon. 15. Drohworte gegenüber dem Kardinal Colonna. 17. Hinweise auf die Kerkerhaft von Freunden der Colonna. Neapel, am 29. November (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Fam. 5,4, an Kardinal Giovanni Colonna Beschreibung von Baiae. 1. Die Neugier des Kardinals soll befriedigt werden. 2. Grund für einen Ausflug nach Baiae. 5. Schilderung des Ortes und seiner ehemaligen Badevergnügen. 10. Begegnung mit einer Amazone in Pozzuoli. Baiae, am 23. November (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Fam. 5,5, an Kardinal Giovanni Colonna Unwetter in Neapel. 1. Die Unwetter Iuvenals und anderer Dichter. 2. Petrarcas Unwetter übertrifft sie. 5. Eine grauenvolle Nacht in Erwartung des Weltendes. 12. Ein Schiffbruch im Hafen. 18. Fragen nach der göttlichen Gerechtigkeit. 19. Folgerungen aus der Geschichte. Neapel, am 26. November (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Fam. 5,6, an Kardinal Giovanni Colonna Erschreckende Unsitten in Neapel. 1. Verzögerung der Geschäfte. 2. Jugendliche Banden in den nächtlichen Strassen Neapels. 5. Grauen eines Gladiatorenkampfes. 6. Flucht aus Neapel. Neapel, am 1. Dezember (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 5,7, an den Kanonisten Giovanni d’Andrea in Bologna Ob man Träumen glauben solle. 1. Der Traum eines Freundes. 3. Meinungen von Gelehrten. 6. Zwei Träume Petrarcas und ihre Erfüllung. Erinnerungen besonders an Giacomo Colonna. 16. Mahnung zur Vorsicht. Am 27. Dezember 1343/1344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Fam. 5,8, an den Kanonisten Giovanni d’Andrea Über einen in Liebesaffären verstrickten Menschen. 1. Wechselhafte, unglückliche Lage. 2. Falsche Hoffnungen. 4. Künste der Dirnen und Kuppler. 6. Ihre Menschenkenntnis. 8. Die Menschennatur bleibt sich immer gleich. 10. Wunderbare Heilung ist selten. Am 13. Mai (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Fam. 5,9, an den selben Giovanni d’Andrea Über wollüstige Alte. 1. Ein Stoff für Satiren. Zitate aus Plautus. (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Fam. 5,10, an Barbato da Sulmona in Neapel Flucht aus Italien. 1. Über Kämpfe um Parma. 3. Petrarca verläßt die Stadt. 4. Gefahren durch Feinde. 5. Sturz vom Pferd. 7. Trost dank einsichtigen Pferden. 10. Der Unfall hat Folgen. Bologna, am 25. Februar (1345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Fam. 5,11, an Andrea von Mantua Über ungerechte Anfeindungen. 1. Gründe zum Klagen. 2. Drohungen. 3. Spott über Angriffe gegen Tote. (1344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Fam. 5,12, an Andrea von Mantua Pläne, sich an einem Streitsüchtigen zu rächen. (1344) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Fam. 5,13, an seinen Sokrates Bitte, die Ausführung guter Vorsätze nicht aufzuschieben. (1342/43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 5,14, an seinen Sokrates Über lästigen Umgang mit Hausleuten. 1. Lob auf die Komödien des Plautus. 4. Rede eines Dieners bei Plautus. 5. Scherereien Petrarcas mit eigenen Dienern. 7. Plan, Vaucluse zu verlassen. (1343/1345) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Fam. 5,15, an seinen Sokrates Aufmunterung zum entschlossenen Lebenskampf. (1342/1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Fam. 5,16, an den Archidiakon Guido Sette von Genua Entschuldigung für langes Schweigen. 1. Verlust eines Briefes. 2. Ärger über Freunde, die Schreiben entwenden. 3. Von Gleichmut sei der Verfasser noch weit entfernt. (1342/43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Fam. 5,17, an Guido Sette Über Schönes aus der Hand von Hässlichen. 1. Petrarca rechtfertigt seine Klage über den Verlust eines Briefes. 2. Über wahre Ehre und ehrenhafte Künste. 3. Wert und Inhalt des verlorenen Briefes. 5. Selbst Sünder können gute Schriften verfassen, so wie unschöne Künstler schöne Gebilde schaffen. Hinweis auf frühere Künstler. 6. Von den zeitgenössischen: Giotto und Simone Martini. 8. Keiner verdankt seine guten Werke sich selber. 10. „Totenklagen“ wegen des entschwundenen Briefes. 11. Nichts davon hat Petrarca schriftlich festgehalten, und sein Gedächtnis versagt. 13. Freude über das Schreiben des Freundes. (1342/43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Fam. 5,18, an Guido Sette Auskunft über das eigene Befinden. 1. Für Philosophen seien nur die Geistesgaben wahre Güter. 2. Den eigenen Geisteszustand kenne Petrarca schlecht. 3. Der Streit mit Fortuna solle von allen äusserlichen Gütern befreien. 5. Petrarcas Leib habe sich im Kampf mit Fortuna sehr verändert. 6. Wer fremde Weisheiten weitergebe, verringere damit ihre Richtigkeit nicht. (März/August 1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 5,19, an Papst Clemens VI. Über moderne Medizin. 1. Der Papst möge zu seinem und der Kirche Heil nicht eine Schar von Ärzten, sondern einen einzigen Arzt zu Rate ziehen. 3. Sie widersprechen sich aus übler Absicht. 4. Vor den Ärzten hat schon Cato gewarnt. 7. Über die Nachteile der Medizin hat sich vor allem Plinius geäussert. Am 12. März (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Fam. 6,1, an Annibaldo da Ceccano, Kardinal-Bischof von Tusculum Gegen die Habgier der Bischöfe. 1. Über die verschiedenen Hauptsünden; Frage nach der schlimmsten. 2. Das Wesen der Habgier. 12. Vergleich mit anderen Lastern. 13. Man finde Habgier gerade bei der hohen Geistlichkeit häufig, obwohl sie bei ihr am wenigsten entschuldbar sei. 19. Eine neue Ausrede für ihre Habgier. 23. Eine Frage des Dichters Persius. 24. Worte der Propheten. 26. Kirchengut sei Armengut. (-1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Fam. 6,2, an den Dominikaner Giovanni Colonna Über Sehenswürdigkeiten Roms. 1. Über das Verhältnis der Christen zu den alten Philosophenschulen. Grösse und Grenze antiker Weisheit. 3. Die Weisheit des Christen ist ohne Verdienst. 5. Wanderungen im antiken Rom. Aufzählung historischer Stätten. 15. Gespräche auf dem Dach der Diocletians-Thermen. 16. Über die zeitliche Begrenzung der Antike gegen die Moderne. 17. Plan, eine Schrift über die freien und die mechanischen Künste zu verfassen. 21. Gute Geistesarbeit gelingt nur in der Einsamkeit. Am 30. November auf der Reise (1337/41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Fam. 6,3, an den Dominikaner Giovanni Colonna Zu Altersbeschwerden. Gedanken zum Altern, zur Armut und zur Gicht. 1. Spott über das Jammern. Einem Menschen ist nichts Menschliches fremd. 4. Über Lachen und Weinen. 8. Über das Altern. 9. Belege für die verschiedene Lebensdauer in verschiedenen Epochen. Berühmte Beispiele aus der Bibel. 12. Beispiele aus der Weltgeschichte; wunderbare Wirkung des greisen Homer. 25. Angaben über den eigenen Urgrossvater. 32. Hinweis auf frühzeitiges Ergrauen. Beispiel: Petrarcas Vater. 38. Über die Armut; Unterscheidung zwischen Armut und Elend. 45. Ermahnung, am Armutsgelübde festzuhalten. 48. Über die Gicht. 50. Verschiedene Heilmittel. 56. Eine besondere Arznei für den Adressaten. 63. Über des Freundes Besuch in Vaucluse. 67. Beschreibung der Reiseroute dahin. An der Quelle der Sorgue, am 30 Mai (1338/1342) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
Adressaten und Inhaltsangaben
XXXIX
Fam. 6,4, an den Dominikaner Giovanni Colonna Vom Nutzen der Beispiele. 1. Petrarca verzichtet auf Satiren, verweist lieber auf Vorbilder. 3. Gründe für seinen Brauch. 8. An Hand von Beispielen wird der Nutzen der Beispiele erwiesen. 14. Nörgler brauchen sie nicht zu lesen. Avignon, am 29. September (1337/1342) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 Fam. 6,5, an Barbato da Sulmona Die Ermordung des Königs Andrea von Neapel. 1. Fragen zur Macht der Fortuna. 3. Unheimliche Vorzeichen am Hof von Neapel. 7. Entrüstung über die Art der Ermordung. 13. Frage nach der Vorsehung. 14. Anrede an den toten König Roberto. 17. Furcht vor weiterem Unglück. (1. August 1345/46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 Fam. 6,6, an einen Ungenannten Mahnung, sich mit einem Unbelehrbaren nicht weiter abzumühen. 2. Charakterisierung eines Menschen ohne Selbstvertrauen. Avignon, am 29. April . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 Fam. 6,7, an einen Ungenannten Über den Unterschied zwischen Beredsamkeit und Zungenfertigkeit . . . . . . . . 340 Fam. 6,8, an einen bedürftigen Freund Übersendung eines Betrages. 1. Petrarca nimmt an, der Freund entbehre Verschiedenes. 3. Er bietet Hilfe an. 4. Beispiele für verschiedene Arten von Geben und Nehmen. Seitenhieb auf die Scholastiker. 12. Petrarca schenke als Freund, nicht als Versucher . . . . . . . . . . 341 Fam. 6,9, an Bischof Philippe von Cavaillon Ankündigung eines Besuches beim Bischof und Bitte um bloss einfache Mahlzeiten. An der Quelle der Sorgue, am 2. Januar (1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Fam. 7,1, an Barbato da Sulmona Klagen über die Verwüstung des Vaterlandes durch den Einfall von Barbaren. 1. Sorge um Barbato, weil die Ungarn nach Neapel vordringen. 3. Entsetzen über den Wandel der Verhältnisse in Italien. 8. Anerbieten, sich beim römischen Tribunen Cola für Barbato zu verwenden und diesen in sein Haus aufzunehmen Avignon, am 11. September (1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
XL
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Fam. 7,2, an einen Freund Bescheidenheit ist achtbar. 1.Warnung vor Überheblichkeit. 2. Echte Bescheidenheit ist nicht leicht zu erkennen. 3. Bescheidenheit suchen, heisst, sich dem Wesen Gottes angleichen. 4. Lehren und Beispiele aus der heiligen Schrift und ihr tieferer Sinn. 17. Für die Offenbarung bediente sich Gott armer Fischer. 20. Das Bescheidene hat grossen Wert selbst in hochkultivierter Zeit. 23. Abschweifung über kulturelle Wandlungen im Verlauf der Jahrhunderte und Versuch einer Zeitberechnung . . . . . . . . . . . . . . 348 Fam. 7,3, an seinen Sokrates Nächtliche Vision über einen Goldfund. 1. Der Fund des Goldes. 4. Streit um den erworbenen Schatz. 6. Philosophische Überlegungen. 9. Späte Reue und Erwachen. Am 14. Januar (1343) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 Fam. 7,4, an Giovanni Coci, Bischof von Saint-Paul-Trois-Château, Kurator der päpstlichen Bibliothek Übernahme einer unliebsamen Verpflichtung. 1. Antwort auf eine Bitte, Handschriften von Werken Ciceros zu überprüfen. 2. Petrarca beugt sich dem Druck. 4. Beschämende Gleichgültigkeit der Allgemeinheit gegenüber solchen Werken. 5. Eine Krankheit verzögert den Beginn der Arbeit. 6. Petrarca hält sich zur Erholung in seiner Einsiedelei an der Sorgue auf. (Herbst 1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Fam. 7,5, an seinen Lelio Vertrauliche Angelegenheiten und Gerüchte von Tätigkeiten des Tribunen in Rom. 1. Die Sorgen häufen sich. 4. Versicherung, die Angelegenheit des Freundes aufs beste zu regeln. 5. Bitte um Nachsendung eines Zettels. 6. Bestürzung über die Wandlung in Rom. Am 22. November, auf der Reise (1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Fam. 7,6, an seinen Sokrates Abneigung gegen grosse Angebote der Kurie. 1. Der Wunsch nach einem Leben im Abseits bleibe bestehen. 7. Der Freund möge an der Kurie den Wunsch des Dichters unterstützen. Am 25. November, auf der Reise (1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
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XLI
Fam. 7,7, an Cola di Rienzo, den Tribunen von Rom Fragen und Bitten an den Volkstribunen Cola di Rienzo. 1. Wegen beunruhigender Gerüchte dringende Bitte an Cola, sein Werk nicht zu zerstören. 7. Hoffnung, die Angaben der Freunde möchten falsch sein. 9. Aber Entschluss, sich von Cola abzuwenden. Genua, am 29. November (1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Fam. 7,8, an Giovanni Aghinolfi von Arezzo Ausdruck der Genugtuung über erfreuliche Ereignisse und gute Aussichten. (1347/1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Fam. 7,9 (ohne Nennung eines Adressaten) Offenkundige Feindschaft ist besser als versteckter Hass. 1. Warnung, sich mit einem Unzufriedenen abzumühen. 3. Ratschläge für seine Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Fam. 7,10, an Giovanni dell’ Incisa Entschuldigungen und Erklärungen nach der Übersiedlung nach Italien. 1. Verspätete Ankunft eines Briefes bei Petrarca. 3. Gründe für die Unterlassung eines Besuches in Florenz. 4. Die grassierende Pest war dafür kein Grund. 8. Verlorene Hoffnungen (Cola di Rienzo). 9. Unsicherer Ausgang eines Rechtsstreites. Verona, am 7. April (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Fam. 7,11, an Giovanni dell’ Incisa Vorfreude auf den Empfang eines Besuches. 1. Mitteilung von der bevorstehenden Ankunft eines Freundes. 2. Dieser habe vergeblich Vaucluse aufgesucht. 3. Petrarca werde den Freund möglichst lange bei sich behalten. Im Tal von Parma, am 10 April (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Fam. 7,12, an Giovanni dell’Incisa Über den Tod des erwarteten Freundes. 1. Klagen über trügerische Hoffnungen. 4. Langes Warten auf den Freund. 7. Erschütterung durch die Todesnachricht. 9. Schilderung der glücklichen Jahre. 17. Fluch auf Savona, wo der Freund verstarb. 21. Rückbesinnung und Mässigung der Klagen. 22. Trost, das Grab des Freundes in Italien zu finden. (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
XLII
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Fam. 7,13, an Kardinal Giovanni Colonna Klagen nach der blutigen Niederlage der Colonna im Kampf gegen Cola di Rienzo. 1. Anerkennung der Dankesschuld gegenüber dem Kardinal. 3. Entsetzen bei der ersten Nachricht vom Unglück. 4. Vergebliche Versuche, die richtigen Worte zu finden. 10. Freude über die Gefasstheit des Kardinals. 16. Das Schicksal der Familie Colonna. 21. Warnung, sich innerlich abzuhärmen. 22. Hinweis auf des Kardinals Pflicht, sich als Vorbild zu bewähren. (Parma 1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Fam. 7,14, an Bruno Casini von Florenz Das Urteil von Liebenden ist blind. 1. Ein Brief voll Lob trifft ein. 2. Geschichtlein von einem blind Verliebten. 3. Warnung vor dem Urteil eines Gönners. 4. Petrarca dankt für ein Gedicht mit einem eigenen, das er sich mühsam abtrotzte. (Am 8. April 1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Fam. 7,15, an Luchino Visconti, den Herrn von Mailand Über gebildete Fürsten. 1. Dank für Gunsterweise. 2. Freudige Bereitschaft, die Wünsche des Adressaten zu erfüllen, auch die den Garten betreffenden. 3. Die alten Cäsaren hätten neben den Staatsgeschäften auch die Musen gefördert. 11. In der Moderne sei mancher Fürst ein asinus coronatus. 13. Der Adressat werde es den Cäsaren gleichtun. Am 13. März (Parma 1347/1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Fam. 7,16, an Lapo da Castiglionchio (Jacopo aus Florenz) Über wahres und falsches Lob. 1. Freude und Bedenken wegen freundschaftlicher Lobsprüche. 5. Bitte um Kritik und Tadel für Fehlerhaftes. 6. Dank für die Zusendung einer Rede Ciceros, die kopiert und zurückgeschickt werden solle. Hinweis auf eine früher verfasste Komödie. Padua, am 25. März (1348/1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Fam. 7,17, an Giberto Baiardi von Parma Zur Kindererziehung. 1. Bitte an Baiardi, den Sohn Giovanni in seine Obhut zu nehmen.2. Dieser steht an der pythagoräischen Wegscheide. 5. Eine Regel der Ärzte gilt auch für die Erziehung. 6. Rücksicht auf die Verschiedenheit der Charaktere ist nötig. 14. Gestalten muss man, solange die Form schmiegsam ist. 15. Wichtiger als die Kenntnis aller Künste ist gute Gesittung. Padua, am 26. März (1348/1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
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XLIII
Fam. 7,18, an den Ritter Lancellotto Anguissola von Piacenza Über die Schwierigkeiten der eigenen Lebenslage. 1. Schlimme Nachrichten seien aus allen Richtungen eingetroffen. 6. Grosse Trauer sei ein Grund gewesen, Briefe unbeantwortet zu lassen. 7. Die Weiterarbeit an der Africa bereite grosse Sorgen. 8. Mit dem Dichten von Versen könne man Schmerzen nicht lindern. (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Fam. 8,1, an Stefano Colonna den Alten Trostbrief für den greisen Stefano Colonna. 1. Allgemeiner Hinweis auf die Glücksgüter des Angesprochenen. 4. Vielzahl von Geschwistern und Kindern. Wohlstand. 5. Hohe Stellung der Söhne. 11. Aufzählung der Verluste. 13. Vergleiche mit Persönlichkeiten der Antike. 17. Weisheit dank Unglück. 22. Erinnerung an ein Gespräch in Rom. 27. Prophezeiung Stefanos über das Ende seines Hauses. 29. Erfüllung der Vorahnungen. 36. Die Lehrmeisterin Erfahrung. 38. Der Köcher Fortunas ist nun leer. Am 8. September (1348/1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Fam. 8,2, an Olimpio (Luca Cristiani von Ferentino) Von einem verfehlten Zusammentreffen. 1. Grosses Bedauern wegen des Missgeschicks. 2. Hoffnung auf eine baldige Begegnung. 3. Wichtige Mitteilungen sollen später folgen. Am 5. Mai (Parma 1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Fam. 8,3, an Olimpio (Luca Cristiani) Plan, mit den von der Pest verschonten Freunden ein gemeinsames Leben zu führen. 1. Petrarca verteilt sein Konzept notgedrungen auf verschiedene Briefe. 3. Eine Rückkehr in die Provence nach Vaucluse wirft Fragen auf. 4. Der Ort hat wegen des Verlustes vieler in Avignon lebender Freunde an Reiz verloren. 6. Er wäre für ein Gemeinschaftsleben der Freunde nur beschränkt geeignet. 8. Für das Lebensnotwendige könnte dort nicht genügend gesorgt werden. 9. Das Tal verdankt seinen Ruhm vor allem dem Dichter. 11. Er erinnert sich an die in jenem Tal begonnenen Werke (Africa und andere). 13. Er weist auf die im Tal erlittenen Nöte hin. 15. Wichtig ist jetzt, neue Aufgaben zu übernehmen. 17. Die Abkehr von Vaucluse und die endgültige Hinwendung zu Italien ist für den Dichter beschlossene Sache. Am 18. Mai (Parma 1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
XLIV
Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 8,4, an Olimpio (Luca Cristiani) Fortsetzung des vorangehenden Briefes. 1. Petrarca schickt dem Freund als Boten seinen Koch. 3. Bekenntnis zum einfachen Leben. 9. Aufruf, gute Pläne auszuführen. 14. Das Alter und das Lebensende sind nah.15. Ein Wort von Aristoteles wird berichtigt. 20. Gedanken an die verstorbenen Freunde weisen den Weg in die Zukunft. 24. Bindungen sind gelöst worden; die Unabhängigen sollten sich jetzt vereinen. 26. Die Ortswahl wird den Freunden überlassen. 27. Furcht vor Mangel ist unnötig. 28. Rücksicht auf Erben soll niemanden binden. 29. Falsche Hoffnung muss man beschneiden. 32. Petrarca stellt sein Haus in Parma zur Verfügung. (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 Fam. 8,5, an Olimpio (Luca Cristiani) Neue Darstellung des gemeinsamen Lebens. 1. Gründe für einen weiteren Brief. 2. Das Verlangen nach Glück erfordert den Trost durch Freunde. Beschreibung eines glücklichen Lebens. 4. Vorzüge des gemeinsamen Wohnens. 8. Hinweise auf die günstige Lage Parmas und Paduas und Aufzählung schöner Ausflugsorte in der Umgebung. 15. Neue Bitte, dem Aufruf zu folgen. Am 19. Mai (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 Fam. 8,6, an den Bruder Bartolomeo vom Orden des Heiligen Augustinus, den Bischof von Urbino Übersendung erwünschter Verse. 1. Lob für die Erstellung von Kompendien zu den Werken der Kirchenlehrer Augustinus und Ambrosius. 2. Hinweis auf des Bruders Erhebung zur Bischofswürde. 5. Petrarca schickt die erbetenen Verse, obwohl er schon lange nicht mehr zu dichten pflegt. (1348/1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Fam. 8,7, an seinen Sokrates Entsetzen über die Pest. 1. Aufschrei in Not. Klage über das persönliche Unglück. 3. Furcht vor dem Spott der Freunde. 10. Eingeständnis der eigenen Schwäche. 12. Verheerende Folgen in Stadt und Land. 14. Überwältigende Grösse des Unglücks. 17. Frage nach der Schuld der eigenen Zeit und nach Gottes Gerechtigkeit. 20. Hinweis auf die plötzliche Vereinsamung. 24. Frage: Was ist der Mensch? 26. Und Frage nach dem, was auf den Tod folgt. (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432
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XLV
Fam. 8,8, an seinen Sokrates Der Pesttod eines Freundes. 1. Über die Freundschaft mit Paganino da Bizzozzero von Mailand. 4. Bericht von seinem und seiner Angehörigen plötzlichem Tod. (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Fam. 8,9, an seinen Sokrates Zum Raubüberfall auf Freunde. 1. Das Übermass an Unglück. 3. Hinweis auf Freunde, mit denen ein Leben in Gemeinsamkeit geplant wird. 5. Charakterisierung dieser Freunde. 10. Bericht über ein verfehltes Zusammentreffen in Parma. 15. Banges Warten auf ihre Rückkehr. 17. Ein Bote meldet ihr Schicksal auf der Weiterreise. 21. Totenklage; Ängste um den Verschollenen. 30. Petrarca wird vor den Behörden von Florenz klagen. Am 22. Juni (Parma 1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 Fam. 8,10, an die Florentiner Klage wegen eines Raubmordes an einem Freund. 1. Die Absicht Petrarcas, den Florentinern zu schreiben, ist alt. 2. Jetzt wird er zum Schreiben gezwungen. 3. Ein Freund ist nahe bei Florenz ermordet worden. 10. Das gereicht der Stadt zur Schande. 13. In der Vergangenheit war die Sorge für Gerechtigkeit dort gross. 14. Florenz, Tochter Roms, geniesst als solche besonderes Ansehen. 18. Die Gerechtigkeit war der Hauptgrund für das Gedeihen der Stadt. 20. Florenz darf auch in schwieriger Zeit Schandtaten nicht ungestraft lassen. 28. Rache verlangt Petrarca aber nicht. 30. Die Strassen müssen gesichert werden. Pilger bevorzugen die über den Apennin. 33. Gute Wünsche für die Stadt. Parma, am 2. Juni (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Fam. 9,1, an Manfredo Pio, den Herrn von Carpi Klagen und Aufmunterungen nach der Pest. Angriffe durch Fortuna und Fama. 3. Freude über die Genesung des Adressaten. Übersendung eines Arztes. Petrarca wird ihm folgen. 5. Bitte um Zuversicht. 7. Die geistige Verfassung habe Einfluss auf das leibliche Befinden. Am 30. Juli (1348) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454
XLVI
Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 9,2, an seinen Sokrates Gedanken an verlorene Freunde sowie an zukünftige Lebensführung. 1. Der Schiffbrüchige ermannt sich. 2. Aufzählung der Verwandten und Freunde, die er verloren hat. 7. Gründe für den Namen des Adressaten. 8. Gemeinsamkeiten der Freunde. 9. Bitte an den Freund, einen Ort zu bestimmen, wo sie gemeinsam leben könnten, um nicht völlig zu vereinsamen. 10. Bitte um Rat und um Befreiung von Zweifeln. 11. Wenigstens Briefe möchte Petrarca erhalten. Verona, am 12. März (1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Fam. 9,3, an Freunde 1. Sein Leben zu ändern, ist schwierig. 2. Freunde und Bekannte wollen an einen echten Gesinnungswandel nicht glauben. 7. Oft ist daher im Alter ein Ortswechsel nötig. Avignon, am 25. September (1346/1347) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Fam. 9,4, an einen Freund Tadel für Unzucht und Warnung vor Folgen. 1. Wahnideen halten die jungen Leute gefangen. 2. Diese suchen die Unzucht als Abenteuer. 4. Menschen handeln schimpflicher als Tiere. 8. Ehebruch gilt ihnen als Heldentat. 10. Ein grässliches Beispiel aus eigener Zeit. 15. Zitate aus Plautus. 20. Ein Rezept Petrarcas. (1348-) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 Fam. 9,5, an Bischof Ugolino dei Rossi von Parma Versuch einer Rechtfertigung. 1. Petrarca bricht sein Schweigen. 3. Er will über Gerechtigkeit streiten. 4. Sein Bischof verdächtigt ihn übler Machenschaften. 7. Verleumder finden bei ihm Gehör. Deshalb fingiert Petrarca ein gegenläufiges Gerichtsverfahren. Er bringt seine Klage gegen den Bischof vor. 8. Petrarcas Person und sein bisheriges Leben werden untersucht. 11. Unrecht zu rächen, hat er stets vermieden. 19. Die Anklage ist unhaltbar. Für die Schuld fehlt beim Dichter jeder Grund. 31. Petrarca wiederholt seine Gegenklage. Die Beteiligung an einem früheren Rechtsstreit rechtfertigt keinen Argwohn. 45. Gefragt wird nach dem Grund für Petrarcas Aufenthalt an der Kurie. 47. Argwohn hat zu jeder Zeit grosses Unglück angerichtet. 49. Dem Ruf des Bischofs ist es abträglich, Petrarca zum Feind zu erklären. Am 28. Dezember (Avignon 1351/1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Fam. 9,6, an den Priester Luca von Piacenza Bitte, den an Bischof Ugolino Rossi von Parma gerichteten Brief zu übergeben und das in ihm enthaltene Anliegen mündlich zu unterstützen. (1351/1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
Adressaten und Inhaltsangaben
XLVII
Fam. 9,7, an Luca von Piacenza Fabel über den Argwohn. Avignon, am 13. Januar (1352/1353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Fam. 9,8, an den Advokaten Giovanni da Bogno Freundschaftsgruss. 1. Versuch einer Wiederbelebung alter Freundschaft. 2. Zwanzig Jahre lang herrschte Schweigen unter den Freunden. 3. Jetzt dankt der Dichter für einen Glückwunsch und gratuliert dem Advokaten zu seiner Geisteshaltung. Parma, am 27. Juni (1348/1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Fam. 9,9, an seinen Sokrates Vom Wert der Freundschaft. 1. Freunde müssen alles gemeinsam haben. 2. Der Freund ist ein Teil des Ich. Frage, ob man das von seiner Gattin sagen kann. 4. Freundschaft ist auf Erden das Beste, aber höchst selten. 6. Petrarca schickt dem Adressaten seinen neuen Freund. Mantua, am 28. Juni (1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Fam. 9,10, an seinen Lelio Bitte um einen Freundschaftsdienst. 1. Schilderung des Frühsommers am Po und eines Gastmahls bei den Herren von Luzzara. 4. Bitte an den Adressaten um eine Vermittlung zu Gunsten eines Bekannten. Luzzara, am 28. Juni um Mitternacht (1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Fam. 9,11, an Niccolò von Lucca Über die Macht geistiger Vorzüge. 1. Nur auf Drängen eines Freundes schreibt Petrarca an den Unbekannten. 3. Gehört hat Petrarca von dessen Vorzügen. 4. „Tugend“ bewirkt durch ihren Ruf selbst bei fremden und fernen Menschen Begeisterung. Beispiele. (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Fam. 9,12, an Unbekannt Protest gegen den Übereifer des angesprochenen Freundes. 1. Der Adressat dürfe vom Schreibenden nicht neue Briefe für Unbekannte fordern. 2. Er gefährde den Ruf des Dichters. 4. Petrarca schreibe selten anders als zur Antwort auf Briefe. 5. Der Freund möge seine Meinung nicht anderen aufdrängen. (1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496
XLVIII
Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 9,13, an den Musiker Philippe de Vitry Gegen geistige Trägheit und körperliche Unbeweglichkeit. 1. Petrarca kündigt ein freies Wort an. 2. Er tadelt eine Vergreisung des Geistes. 6. Das Bedauern des Adressaten für den Kardinal von Boulogne zeugt von Schwäche. 7. Dessen Aufenthalt in Italien ist kein Exil. 8. Der Adressat war vor Jahren auf Reisen begierig. 10. Nun ist es lächerlich, wenn er sich von Paris nicht mehr trennen will. 13. Auf Reisen sammelt man Erfahrungen und Kenntnisse, wie berühmte Beispiele beweisen. 28. Der Kardinal ist ein neuer Odysseus, der Adressat sein Dichter. 32. Die Mission des Kardinals, seine Reiseroute und besonders sein Besuch in Rom sind ehrenvoll. 39. Die schönsten toskanischen Städte und andere Orte wird er besuchen. 42. Er ist ein neuer Lobredner Italiens. 44. Ein Glück, dass Philippe seine gewöhnlichen Klagen nur in der Volkssprache geschrieben hat. Padua, am 15. Februar (1350/1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 Fam. 9,14, an den Priester Luca von Piacenza Pläne für Weltflucht. 1. Hinweis auf Nachstellungen. 2. Ein Rückzug in die Einsamkeit sei geplant. 4. Die Einsamkeit sei notwendig. 6. Falsche Hoffnungen müsse man aufgeben. 7. Petrarca werde sein Buch über das Einsiedlerleben schicken. (-1353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Fam. 9,15, an Guglielmo da Pastrengo von Verona Petrarca dankt für eine Hilfe und bittet um ein Buch. Eine Aufmunterung zur Erledigung weltlicher Geschäfte habe der Schreibende nötig. (1354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Fam. 9,16, an Guglielmo da Pastrengo von Verona Resignation nach erlebter Enttäuschung. (1354) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Fam. 10,1, an Karl IV. Aufruf, ohne Verzug nach Italien zu kommen. 1. Karl möge seiner und Italiens nicht vergessen. 3. Die Zeit dränge. 8. Von Kindheit auf sei er dazu bestimmt, den Römern ein neuer Augustus zu sein. 11. Seine Hauptaufgabe bestehe in der Befriedung Italiens und in der Wiederherstellung der Kaisergewalt. 14. Die würdige Roma breite vor ihm die Heldengeschichte ihrer Vergangenheit aus. 25. Sein Grossvater Heinrich ermahne ihn, das ihm versagte Werk zu vollbringen. 26. Die römische Republik müsse wieder zu Ehren kommen. Padua, am 24. Februar (1350/1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
Adressaten und Inhaltsangaben
XLIX
Fam. 10,2, an seinen Sokrates Angst um den Freund. 1. Hoffnung, die Angst täusche. 2. Unsicherheit, was man wünschen soll. 3. Quälende Überlegungen, ob der Freund lebe. 4. Die Pest ist erneut ausgebrochen. 5. Bitte an den Leser des Briefes, wer immer er sei, zu antworten. 6. Den beiliegenden Brief an Petrarcas Bruder Gherardo möge man weiter schicken. Carpi, am 25. September (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 Fam. 10,3, an den Bruder Gherardo, den Kartäuser Ein Schreiben „in mönchischem Stil“ über das Glück des Kartäusers. 1. Erste Kontaktnahme mit dem Bruder nach dessen Klostereintritt. 8. Hinweis auf Lehren des Pythagoras. 11. Erinnerungen an gemeinsame Torheiten der Jugendjahre. 12. Von früheren Kleidersorgen. 19. Von der Haarpflege. 21. Von Liebe und dichterischen Eitelkeiten. 26. Frage nach dem Grund für die Verschiedenheit des späteren Werdegangs. 28. Vergleich zwischen früherem Missgeschick und neuem Glück des Bruders. 26. Hoffnung auf Hilfe Gottes für den in der Welt Verbliebenen. 28. Von täglichen Belästigungen durch Freunde, Feinde und Diener. 38. Verluste durch Vormünder. 43. Belehrungen an die Adresse des Kartäusers. 50. Empfehlung von Büchern und Vorbildern. 59. Petrarca hat seinen Schreibstil dem Leben des Bruders angepasst. Er gelobt religiöse und sittliche Besserung. Carpi, am 25. September (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Fam. 10,4, an den Bruder Gherardo Über Poesie und Theologie. 1. Poesie ist der Theologie nicht feind. 3. Ursprung der Poesie. 4. Gottesverehrung erforderte früh eine feierliche Sprache. 5. Gewährsmänner für diese Theorie. 6. Die biblischen Schriften sind voll von Poesie. 7. Die Kirchenväter hatten Sinn für Poesie. 10. Petrarca legt eine seiner Eklogen vor. 13. Er bietet zu ihrer Allegorie eine Auslegung. 23. Diese enthält Attacken gegen Scholastiker und andere Ungebildete. 31. Dabei verteidigt sie heidnische Dichter und zieht sie einem David vor. 32. Sie spricht von Petrarcas Epos Africa. Padua, am 2. Dezember (1349) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
L
Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 10,5, an den Bruder Gherardo Über verschiedene Wege menschlichen Strebens. 1. Petrarca dankt für ein Geschenk und einen Brief des Kartäusers. 3. Die Gegensätze zwischen den Brüdern und die Verschiedenheit unter allen Menschen sind gross. 5. Für menschliche Bemühungen kann man drei Wege nennen. 6. Die Zeitgenossen haben eine Vorliebe für die mechanischen Künste. 8. An freien Künsten oder Wissenschaften gibt es sieben (die Theologie wurde verdorben). 10. Dazu kommen die Naturwissenschaften, Medizin, Ethik, Ökonomie und Politik. 12. Die Poesie, welche das Verbergen liebt, schildert die drei Wege im Gleichnis. 17. Das Wollen des Menschen ist gespalten. 22. Überall herrscht Unbeständigkeit. 24. Gherardo soll Selbstvertrauen und selbständiges Denken pflegen. 25. Petrarca bemüht sich, enthaltsam zu leben. Am 11. Juni in der Einsamkeit (1347 – 1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Fam. 10,6, an den kaiserlichen Kanzler, den Elekten von Naumburg Johann Freude über das gespendete Lob, dessen Petrarca freilich nicht würdig sei. (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Fam. 11,1, an Giovanni von Certaldo (Boccaccio) Bericht über die Pilgerreise nach Rom. 1. Fortuna kann man nicht entgehen. 2. Petrarca reiste als Büssender nach Rom. 7. Ein Unfall zerstörte seine Pläne. 10. Er hütet in Rom das Bett. Rom, am 2. November (1350) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Fam. 11,2, an Giovanni Boccaccio Ein neuer Verlust. 1. Boccaccio klagte über seine Vernachlässigung. 2. Die Verse, die Petrarca ihm geschrieben hat, gingen verloren, wurden aber soeben wieder gefunden. 3. Sie bedürfen einer Anmerkung. 5. Der plötzliche Tod Jacopos da Carrara beraubt den Dichter seiner einzigen Stütze. Padua, am 7. Januar (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 Fam. 11,3, an Giovanni Aghinolfi von Arezzo, den Kanzler der Herren von Mantua Zur Ermordung Jacopos da Carrara. 1. Schwierigkeiten, das Leben des Verstorbenen zu würdigen. 4. Die grausame Tat. 10. Nichtigkeit des Lebens. Bekenntnis zur Stoa. 13. Petrarca verfasst am Grabe des Freundes ein Epitaph. Lonigo, am 12. Mai (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 11,4, an Bischof Philippe von Cavaillon 1. Petrarca steht vor der Abreise in die Provence. Dem Freund ebendort beschreibt er sein letztes Ziel. (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 Fam. 11,5, an die Florentiner Dank für Gunsterweise der Vaterstadt Florenz. 1. Petrarca strebt nach den wahren Werten. 3. Er freut sich über das angebotene Geschenk und dankt mit hochtönenden Worten. 10. Er nennt die Vorteile der Besitzlosigkeit. 14. Er hofft auf dauernde Übereinstimmung zwischen der Stadt und seiner Person. 15. Giovanni Boccaccio soll der Stadt Petrarcas Antwort erläutern. Am 6. April (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Fam. 11,6, an Giovanni Boccaccio Über die Reise an die Kurie. 1. Petrarca klagt wegen Verzögerungen durch Besuche bei Freunden. 3. Er verspricht Briefe. 5. Sein Reiseziel ist die Kurie in Avignon. 8. Den Sommer wird er in Vaucluse verbringen. 9. Im Herbst wird er den Ort für immer verlassen. 10. Er grüsst die Humanistenfreunde in Florenz. Verona am 1. Juni (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 Fam. 11,7, an seinen Sokrates Über ein Erdbeben in Rom und anderswo. 1. Über Unglücksfälle der jüngst vergangenen Jahre. 3. Ein besonders heftiges Erdbeben erschütterte Rom. 6. Erdbeben verkündigen kommendes Unheil. 7. Eine Weissagung des Propheten Balaam lässt aufhorchen. 11. Petrarca befindet sich auf der Reise nach Vaucluse und hofft, den Freund dort zu sehen. Piacenza, am 11. Juni (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 Fam. 11,8, an Andrea Dandolo, den Dogen von Venedig Warnung vor einem Krieg der Venezianer und Genuesen. 1. Petrarca rechtfertigt sein Schreiben. 4. Die Schutzmacht der Seestädte ist bedroht. 6. Die Leidenschaft unerfahrener Jugend schafft Unheil. 10. Der Doge hat sich für den Frieden einzusetzen. 15. Ein Bruderkrieg würde ganz Italien schwächen. 20. Rat suchen muss man viel eher bei Alten als bei Jungen. 25. Geschichte und Ruhm der Veneter sind älter als die Roms; sie stehen auf dem Spiel. 28. Grauenhaft ist der Wunsch, bei ausländischen Mächten Hilfe zu suchen. 30. Das Söldnerwesen hat bereits grosses Elend angerichtet. 34. Nur die Einigkeit eröffnet den Seemächten alle Meere. (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582
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Fam. 11,9, an Giovanni Aghinolfi von Arezzo 1. Petrarca hat umsonst nach etwas Erheiterndem gesucht. Er äussert sich über den Ernst der Antike und die Lachlust der Moderne. 2. Das schreibt er auf der Reise und freut sich auf Vaucluse. Von der Höhe des Montgenèvre, am 20. Juni (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 Fam. 11,10, an Bischof Philippe von Cavaillon Der Dichter meldet seine Ankunft in Vaulcuse und freut sich, den Bischof gleich aufzusuchen. Am 27. Juni (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 Fam. 11,11, an Bischof Philippe von Cavaillon Bemerkungen zu einem Empfehlungsschreiben des Adressaten an zwei Kardinäle. An der Quelle der Sorgue, am 29. Juni (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 Fam. 11,12, an Luca Cristiani Über die Rückkehr nach Vaucluse. 1. Hinweis auf die eigene Unbeständigkeit. 3. Der Dichter sucht Vaucluse auf. 4. Er nennt Gründe für die Änderung des früheren Planes: Er benötigt Ruhe; das Tal wurde ihm Heimat; die Vollendung der hier begonnenen Werke muss bald erfolgen; alte Freunde und die Bücher kann er nicht missen. 8. Er rechnet mit einem Aufenthalt von zwei Jahren. 10. Auch bittet er um Verständnis für die Absage an frühere Pläne. An der Quelle des Sorgue, am 19. Juli (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Fam. 11,13, an Niccolò Acciaiuoli, den Gross-Seneschall des Königreichs Sizilien Gratulationsschreiben. 1. Entschuldigung für langes Schweigen. 2. Es fehle Petrarca nicht an Stoff zum Schreiben, jedoch an Zeit. 4. Hoffnung auf eine glückliche Wendung im Königreich Neapel. Dann möchte der Schreibende den Hof in Neapel aufsuchen. Avignon, am 29. August (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 Fam. 11,14, an Philippe de Vitry, den Bischof von Meaux Glückwunsch zur Bischofswürde. 1. Zweifel, ob zur Bischofswahl zu gratulieren sei. 2. Hinweis auf einstige Rücktrittsgedanken des Kaisers Augustus. 3. Charakterisierung amtlicher Sorgen. 4. Hoffnung auf ein Wiedersehen. Avignon, am 23. Oktober (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 11,15, an Bischof Philippe von Cavaillon Willkommensgruss an den Zurückgekehrten. 1. Vom Nutzen vorübergehender Trennung. 4. Von Reisen müsse man nun abstehen. 5. Beschwerden und Gefahren habe man zur Genüge gekostet. 7. Dem Brief werde Petrarca sogleich nachfolgen. Avignon, am 25. Oktober (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 Fam. 11,16, an vier Kardinäle Zur Lage der römischen Republik. 1. Eine ehrenhafte Last sei Petrarcas Schultern auferlegt, da er zu wichtigen Fragen seine Meinung zu äussern habe. 4. Über die Würde Roms, an welcher niemand zweifle. 8. Vaterlandsliebe gehe jeder anderen vor. 10. Ob römische Bürger an der Regierung Roms Anteil haben sollten. 13. Über den römischen Senat. 17. Protest gegen den Stolz des Adels. 26. Darstellung des Kampfes der römischen Plebs um Rechte und Freiheiten. 34. Die Adligen sollten – wenigstens für eine gewisse Zeit – von allen Ämtern völlig ausgeschlossen werden. Am 18. November (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 Fam. 11,17, an vier Kardinäle Rechtfertigung eines politischen Ratschlags. 1. Die Sache betrifft das gemeinsame Vaterland. 2. Petrarca wendet sich gegen die Adelsherren in Rom. 4. Ihre Macht ist reine Anmassung. 5. Die Kurie muss dem römischen Volk zu Hilfe kommen. 9. Im Streit zwischen Adel und Plebs war diese immer siegreich. Am 24. November (1351) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612 Fam. 12,1, an Karl IV. Zweiter Aufruf zur Italienfahrt. 1. Karl möge unverzüglich aufbrechen. 5. Das Wohl der ganzen Christenheit, besonders auch die Lage im Heiligen Land, erfordere die rasche Erfüllung der ersten Pflicht. 8. Günstig sei seinem Unternehmen jetzt auch die politische Wende in Tuszien. (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
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Fam. 12,2, an Niccolò Acciaiuoli, den Gross-Seneschall des Königreichs Sizilien Anweisungen zur Belehrung eines Königs. 1. Lobrede auf den Adressaten. 2. Die Wirren um die Thronfolge seien überwunden; doch nach dem Sieg seien die Gefahren nicht geringer. 5. Lehren aus der Geschichte. 11. Aufzählung der Herrschertugenden nach Art eines Fürstenspiegels. 19. Hinweise auf nachahmungswürdige Könige und Helden aus der Vorzeit. 30. Über den dienenden Stand der Herrscher und die Freiheit der Untertanen. Avignon, am 20 Februar (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 Fam. 12,3, an den Grammatiker Zanobi da Strada in Florenz Aufmunterung, den Schuldienst aufzugeben. 1. Über einen Brief von Niccolò Acciaiuoli. 4. Zanobi möge sich höheren Studien widmen und sich an den Hof von Neapel begeben. 9. Ermahnung zur Beschäftigung mit wahrer Philosophie. 12. Seitenhiebe gegen die Scholastik, auch gegen Schulmeisterei und Tyrannis der Lehrer. Es bestehe eine Gefahr, bis ins Alter schülerhaft zu bleiben. 20. Acciaiuoli habe den Wunsch und die Macht, den Angesprochenen zu fördern. Avignon, am 1. April (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 Fam. 12,4, an Francesco Nelli, Vorsteher an der Apostelkirche in Florenz Schwierigkeiten Petrarcas an der Kurie. 1. Dank für Brief und Freundschaft. 3. Auskunft über harzige Geschäfte an der Kurie zu Gunsten eines Freundes. 6. Über die Krankheit des Papstes. 7. Über die vier berühmten Labyrinthe; Petrarca kann ein Problem nicht lösen. 9. Unverständnis der Menge gegenüber literarischer Bildung. An den Flüssen Babylons, am 13. Januar (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 Fam. 12,5, an Francesco Nelli Über Denken, Reden und anderes. 1. Ein neuer Brief Nellis verlange eine Antwort. 2. Über die Unfähigkeit der menschlichen Rede und über den Unterschied zwischen dem gedachten und dem geäusserten Wort. 4. Neue Freude über die Freundschaft 6. Auch Forese Donati gelte Petrarca als Freund. 7. Das versprochene Gedicht könne nicht abgeschickt werden, bevor Plinius konsultiert worden sei. Hier besitze nur der kranke Papst dessen Werk. Am 18. Januar (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 12,6, an Bischof Philippe von Cavallion Zu einem Besuch des Adressaten in Vaucluse. 1. Petrarca macht dem Freund Vorwürfe, weil er Vaucluse ohne Benachrichtigung besucht hat. 6. Der Adressat hat Bücherwünsche. 7. Einen seiner Briefe hat Petrarca weitergeleitet. 8. Er gibt Nachrichten aus Avignon, doch auch über Ereignisse in Italien. Avignon, am 1. Februar (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 Fam. 12,7, an Barbato da Sulmona Nachrichten über die eigene Person. 1. Ein Brief des Adressaten habe Petrarca sehr spät erreicht. 2. Der Tod des Königs Roberto von Sizilien habe des Dichters Zukunft völlig geändert. 3. Petrarca habe darüber ein Gedicht verfasst. 4. Eine Begegnung mit Barbato in Rom wäre ihrem frommen Vorhaben vielleicht abträglich gewesen. 5. Die Arbeit an der Africa gehe weiter; das Werk müsse noch reifen. 7. Leidenschaften quälten den Schreibenden seltener als früher. An den Flüssen Babylons, am 20. Februar (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Fam. 12,8, an Lapo da Castiglionchio (Giacomo aus Florenz) Leben in der Gesellschaft Ciceros und seiner Werke. 1. Petrarca nimmt Cicero und andere Schriftsteller der Antike mit sich in die Einsiedelei. 2. Vergleich zwischen Vaucluse und Arpinum. 5. Aufzählung der mitgebrachten Werke Ciceros. 10. Freude über das Leben in der beschriebenen Gesellschaft. 10. Der Dichter hofft, ein Band mit Reden Ciceros werde abgeschrieben sein, bevor er nach Italien zurückreise. Am 1. April (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 644 Fam. 12,9, an Francesco Nelli, Vorsteher an der Apostelkirche in Florenz Ein Plauderbrief. 1. Ausdruck der Freude über einen erhaltenen Brief und über das Briefeschreiben. 5. Den Freund nach dem höllischen Avignon zu rufen, will der Dichter sich aber versagen. Hoffnung auf die eigene Rückkehr aus Avignon. Am 1. April (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647 Fam. 12,10, an Giovanni Boccaccio Petrarca grüsst den Freund, hat ihm aber nichts zu melden. Seine Lage ist unsicher. Am 1. April (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649
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Adressaten und Inhaltsangaben
Fam. 12,11, an Bruder Bartolomeo, Bischof von Teano Glückwünsche und Nachrichten aus Italien. 1. Petrarca freut sich, dass der Freund, mit einem Bischofsamt zufrieden, Avignon verliess. 5. Gründe, weshalb der Adressat in Avignon keine höheren Ämter erreicht habe. 8. Petrarca sei der Kurie verpflichtet, doch hoffe er, bald nach Italien zu folgen. 9. Hinweise auf Verhältnisse in Italien, besonders auch im Königreich Neapel, wo ein Ungenannter (Niccolò Acciaiuoli) grosse Ereignisse vorbereite. 10. Diesem will der Dichter für ein Schreiben danken, eventuell durch den Bischof von Florenz, der versprochen hat, ihn an der Sorgue zu besuchen. Am 21. Mai (1352/1353) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 Fam. 12,12, an Francesco Nelli, Vorsteher an der Apostelkirche 1. Klagen über das Ausbleiben eines erwarteten Besuches an der Sorgue; dessen überraschende Ankunft. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 Fam. 12,13, an Francesco Nelli, Vorsteher an der Apostelkirche Zur Streitsache eines Freundes. 1. Lästiges Verhalten des Abtes von Vallombrosa. 2. Die Bemühungen führten zum Erfolg. Zorn auf schamlose Lügen. An der Quelle der Sorgue, am. 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 Fam. 12,14, an den neapolitanischen Ritter Giovanni Barrili Ermahnung, sich um Versöhnung zu bemühen. 1. Bitte, Vernunft walten zu lassen. 2. Über die drei von Platon bestimmten Teile der Seele. Bitte, die Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen. 4. Den Zorn erkennt man an verschiedenen Anzeichen. 7. Die Freundschaft zwischen dem Angesprochenen und Niccolò Acciaiuoli muss wiederhergestellt werden. 8. Zu diesem Zweck schickt Petrarca Briefe an die beiden. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 Fam. 12,15, an Niccolò Acciaiuoli Lob für grosse Leistungen und Ermahnung, sich zu versöhnen. 1. Dank für eine schriftliche Antwort. 2. Alte Römersitten fordern Taten. Lob auf entschlossenes Handeln. 4. In der Nachahmung der Cäsaren soll man sich nicht allein durch Kriegstaten, sondern auch durch Bildung und Beredsamkeit auszeichnen. 5. Besonderer Dank für die Absicht, einen neuen Parnass zu gründen und diesen Petrarca zuzueignen. 7. Die höchste Kunst aber ist die Selbstüberwindung. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
Adressaten und Inhaltsangaben
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Fam. 12,16, an Niccolò Acciaiuoli und Giovanni Barrili Bitte um Rückkehr zur Freundschaft. 1. Das Schreiben ist zur gemeinsamen Lektüre bestimmt. 2. Bitte um Unterwerfung unter die Herrschaft der Liebe. 4. Ansprache durch die Liebe selber. 7. Beispiele der Versöhnung aus der Antike. 13. Mittel zur Erneuerung der Freundschaft. 17. Aufzählung dessen, was die Angesprochenen miteinander verbindet. 20. Über die Anziehungskraft menschlicher Vorzüge. 23. Den Brief habe der Schreibende absichtlich übermässig gedehnt, um die Freunde desto länger festzuhalten. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 Fam. 12,17, an den Grammatiker Zanobi da Strada Sorge um die Versöhnung zwischen Barrili und Acciaiuoli. 1. Dank und Lob für ein Gedicht, in welchem Petrarca allerdings einen Fehler entdeckt und anzeichnet. 3. Hinweis auf Angebote Acciaiuolis. 4. Bitte an den Adressaten, einen Vermittlungsversuch im Streit zwischen Niccolò Acciaiuoli und Giovanni Berrili zu unterstützen. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
Einleitung mit Überblick über die einzelnen Briefe
Einleitung Überblick über die Sammlung der Familiaren mit Inhaltsangaben zu den einzelnen Briefen, unter besonderer Beachtung biographischer Mitteilungen und mit Hinweisen auf eine Auswahl religiöser, ethischer und literarischer Grundauffassungen.
A) Petrarcas Entschluss zur Briefsammlung Als Petrarca um 1350 beschloss, seine Briefe in einer Sammlung zu vereinen, berichtete er darüber von Oberitalien aus seinem Freund Ludwig van Kempen in Avignon, seinem Sokrates. Denn ihm wollte er das Werk zueignen und anvertrauen. Etwa in der Mitte seines Schreibens liess er seine Gedanken abschweifen und gestattete sich einen Rückblick auf vergangene Zeiten. Dabei folgte er kaum einer unerwarteten Eingebung, obwohl er diesen Anschein erweckte, sondern einer voraus gefassten Absicht. Dem Leser der Briefe, wer immer er wäre, wollte er gleich zu Anfang seiner Sammlung etwas von seinem Wesen und Schicksal bekannt geben. Als einen Odysseus gab sich der Schreibende aus, als einen auf wogender See herumirrenden und umher geworfenen Dulder wollte er sich zeigen, der aber nicht wie jener frühere erst in hohem Alter in die Fremde verschlagen, sondern schon beim Eintritt ins Leben gefährlichen Abenteuern ausgeliefert wurde. Er erwähnte (Fam. 1,1,21) seine schwere Geburt, die seiner Mutter und ihm selber beinah das Leben gekostet hätte – das war 1304 –, und nannte dabei Arezzo, wohin seine Eltern nach der Ausweisung aus der Vaterstadt Florenz ausgewandert waren. Dann schilderte er knapp das Herumziehen in der Toscana, das er, in einem Bündelchen verpackt am Stecken eines berittenen Trägers hangend, trotz der Gefahr beim Überqueren des Arno überlebte. Er gedachte der Stadt Pisa, wo sich die Familie um 1311 aufhielt, dann der winterlichen Überfahrt nach Südfrankreich, wo er als siebenjähriger mit den andern Familiengliedern bei Marseille Schiffbruch erlitt. Damit war auch bereits das Land erwähnt, in dem er sich Jahrzehnte lang als Exilierter aufhielt, zuerst mit den Eltern in Avignon, das heisst am Sitz der römischen Kurie, dann bei einem Lehrer in Carpentras. Doch er verharrte nicht beim Rückblick in vergangene Zeit. Die eigentliche Odyssee war – wie er wusste – nicht einfach eine geographisch zu umreissende, sondern anderer Art; sie bestand im Kampf mit den Wogen des Lebens und einer trügerischen Welt, über welche eine wetterwendische Fortuna gebietet (diese war ihm ständig gegenwärtig, selbst wo er sie nicht nannte), oder sie vollzog sich gar in seinem Innern, wo widerstrebendes Wollen und widersprüchliches Denken voller Zweifel ein Meer aufwühlten, während seine Sehnsucht nach einem Ort der Ruhe, Klarheit und zweifelsfreien Wahrheit Ausschau hielt. Dieses Ziel hoffte er am ehesten mit Hilfe der grossen Geister, der Gedankenwelt der nicht-
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Einleitung
christlichen und christlichen Antike zu erreichen, folglich durch das, was man zum Wesen des Humanismus zählt. Doch darüber liess er sich jetzt nicht aus. Hätte er den weiteren Verlauf seiner kommenden Jahre auch noch andeuten wollen, so wären wenig geliebte juristische Studien in Montpellier, ein Hin- und Herreisen zwischen Südfrankreich und Universität Bologna, der frühe Tod seiner Eltern, die Veruntreuung seiner Habe durch Vormünder, aber auch die freundliche Aufnahme im Haus des Kardinals Colonna in Avignon als Ereignisse und Etappen seiner Jugend zu erwähnen gewesen; er hätte – um sich mit Odysseus zu messen – auf seine Reisen hinweisen können, die weit über die Strecken hinausführten, die jener einst zurückgelegt hatte, und dann hätte er auch das bescheidene Haus in Vaucluse loben müssen, das er sich als Einsiedelei erworben und wohin er sich wie zu einem stillen Hafen und zu einer Notunterkunft oftmals rettete, um da abzuwarten, ob die Stürme sich legten. An der zitierten Briefstelle allerdings schwenkte er von der Schilderung seiner Odyssee mit der Angabe ab, dass seine häufigen Ortswechsel ihm sehr viele Bekanntschaften eingebracht und damit eine riesige Korrespondenz mit verschiedensten Personen auferlegt hätten, und damit kehrte er zum eigentlichen Thema zurück. Man müsste beifügen, viele Personen habe er, ohne sich zu entfernen, gerade in Avignon kennengelernt. Denn an die päpstliche Kurie, die dort in freiwilliger Verbannung residierte, strömten damals die Geistlichen, Gelehrten und Boten hoher Herrschaften, die früher nach Rom gezogen waren, aus ganz Europa zusammen. Bei vielen hohen Geistlichen ging Petrarca ein und aus, und zwar als Gelehrter, als Kleriker (auf geringer Stufe), der eine gewisse Abhängigkeit von der kirchlichen Institution und die ihm hierdurch auferlegten Pflichten akzeptierte. Er hatte bei seinen Zielen, vor allem bei seinem Verlangen, seine Einsichten als Dichter weiterzugeben, und mit Rücksicht auf ein bloss geringes Privatvermögen praktisch keine andere Möglichkeit, als sich den Lebensunterhalt bei der Kirche zu verdienen, und zog daraus für Leib und Seele in jeder Hinsicht weder reinen Nachteil noch reinen Gewinn. Nun zählte er ungefähr 45 Jahre, hatte sich an ein gründliches Aufräumen seiner halb vergessenen Erzeugnisse in Poesie und Prosa gemacht, um sich eine nutzlose Last vom Hals zu schaffen, doch erlag er mitten unter diesem Akt der Befreiung dem Wunsch, sich etwas von seiner alten Bürde von neuem aufzuladen, obwohl sich denken liess, dass sie im Verlauf der kommenden Jahre wieder drückender werde. Bereits hatte er ohne langes Federlesen, so jedenfalls gab er seinem schon genannten Freund Ludwig, seinem „Sokrates“, zu verstehen (Fam. 1,1,7 ff.), seine Erzeugnisse haufenweise ins Feuer geworfen, als sein Blick von ungefähr einen kleinen Rest streifte, der in einer Ecke liegen geblieben war. Vielleicht geschah es ob einer Ermüdung, vielleicht ob einer gewissen Erleichterung infolge des schon Weggeschafften, dass er sich die Zeit zu einem genaueren Hinsehen nahm. Jedenfalls rettete er diesen Rest, in welchem sich Freundesbriefe und Schreiben an nähere
Petrarcas Entschluss zur Briefsammlung
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Bekannte befanden. Er brauchte sie nur zu entfalten, um ihrem Reiz zu erliegen, und gleich war der Entschluss, sie zu sammeln, gefasst. Dabei könnte Petrarca sich gewundert haben, dass er ihn bis dahin vor sich hergeschoben hatte. Die Briefe müssen gewissermassen geordnet vorgelegen haben, wenigstens locker gebündelt und abgesondert von anderen Werken, aneinandergereiht am ehesten unter Berücksichtigung der Adressaten. Denn dem Dichter war es immer wichtig gewesen, auf alle seine schriftlich fixierten Aussagen zurückgreifen zu können, insbesondere auf die Briefe, weil er mit der Fortführung einer Korrespondenz, mit Einwendungen und neuen Fragen oder Zweifeln von seiten der Adressaten und anderer Leser rechnete. Daher hatte er stets Kopien erstellt oder durch seine Schreiber erstellen lassen, und so zu tun bei Gelegenheit auch anderen Personen geraten (so einem Cola di Rienzo in Var. 38). Sie vorzunehmen und neu zu ordnen, das hiess vorerst noch nicht, dass er an den einzelnen Schreiben oder an ihrer Reihenfolge grössere Änderungen vornehmen wollte; er stellte vielmehr mit Befriedigung fest, dass „keine Überarbeitung erforderlich“ sei, und eben dies war für ihn ein triftiger Grund, sie überhaupt zu retten. Er achtete, wie er hervorhob, nicht auf den Wert jenes Bündels, sondern auf den Grad der Mühe und damit auf den Zeitaufwand, die eine solche Beschäftigung erfordern würde. Dass die Briefe jedenfalls einen Wert besassen, verneinte er nicht; er hätte sich darüber selbst dann nicht getäuscht, wenn ihm das Urteil anderer unbekannt gewesen wäre. Nun hatten aber in der Vergangenheit viele Freunde ihm oft genug bekundet, wie viel die Briefe ihnen bedeuteten, denn sie hatten sie ihm bei Gelegenheit entwendet oder sich gegenseitig aus den Händen gerissen (vgl. Fam. 5,16). Unsicher blieb Petrarca nur darüber, was grösseres Gefallen gefunden hatte, die Sprache der Briefe in Wortwahl und Wendungen oder ihr Inhalt, auf den es ihm selber in erster Linie ankam. Bei seinem Ernst, den er schon in jungen Jahren pflegte, hätte er sich nicht erlaubt, seine Schriften hauptsächlich ihres Stils wegen zu empfehlen. Aber immerhin auch wegen des Stils! Dass man sich über jeden Gegenstand, ob heiter, fromm, juristisch, philosophisch, jeweils in persönlicher Weise und freier Wortwahl sowohl klar wie auch richtig und gefällig ausdrücken könne, das zu zeigen, war ihm ein Bedürfnis. Es war aber nicht eine Laune, eingegeben durch irgendeinen alltäglichen Anlass, die den Dichter zum Aufräumen und Wegschaffen antrieb. Das Pestjahr 1347/48 hatte ihm die Macht des Todes so aufdringlich vor Augen gestellt, dass er einer ihm vorher fremden Unruhe verfallen war, und dies, obwohl er sich schon früh angewöhnt hatte, sich ständig der Kürze des Lebens zu erinnern. Was immer zum Leben übrigbleibt, so sagte er sich und kam sich dabei als ein Greis vor, kann nur eine überaus kurze Frist sein; und er überzeugte sich, dass diese kurze Frist höchstens dazu reiche, seine bereits begonnenen Hauptwerke zu einem befriedigenden Ende zu führen. Dies nahm er sich vor: Beschränkung auf das Wichtige, Entscheidende.
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Er hatte zwar viele Freunde und Gönner verloren und war damit einerseits mancher hilfreichen Stütze entblösst und andererseits auch mancher belastenden Tätigkeit ledig geworden; aber wenn er sich den Mut zum Weiterleben erhalten wollte, durfte er sich nicht dem Gedanken hingeben, es warte nun niemand mehr auf die Vollendung seiner Arbeiten. Das Leben ging weiter und entband ihn nicht von seinen Pflichten. Den steilen Weg zu möglichst umfassender Tüchtigkeit, zu menschlicher Würde und menschlich-christlicher Vollkommenheit zu gehen, war ihm eine Aufgabe, die er als eine unabdingbare mit dem Auftrag eines wahren Dichters verband. Er musste lehren und offenbaren durch seine Schriften, doch nicht weniger durch sein Privatleben, durch politische Stellungnahmen; er musste, so lautete seine bleibende Überzeugung, alles tun, um als Dichter in Schrift und Tat eine moralische Autorität zu werden; er musste ein immer besseres Vorbild werden. Zu den Taten, die er seiner Mitwelt zu schulden meinte, rechnete er die Fertigstellung seines lateinischen Epos’ Africa, das, um 1338 begonnen, Scipio den Älteren und alte Römertugend verherrlichen sollte. Die Kühnheit der ursprünglich phantastischen Entwürfe musste Petrarca jetzt entsetzen (er verwendete den Ausdruck perhorrescere; Fam. 8,3,11), und die allmähliche Vernachlässigung des Projekts wäre begreiflich gewesen, zumal König Roberto von Neapel, dem er das Werk versprochen hatte, bereits 1343 gestorben war. Dennoch hatte er bei der grossen Zahl von Bewunderern seiner Dichtkunst zu viele und zu mächtige Erwartungen geweckt, um ihnen ein in Anfängen erstarrtes Rudiment zu hinterlassen. Ausserdem war er mit dem Ziel, seine Italiener in ihrem heillos zerrissenen Land durch möglichst viele glänzende Beispiele aus der Antike zur Vaterlandsliebe, zu mannhaften Taten und zur Erneuerung der ruhmreichen römischen Republik anzuspornen, seit etwa 1338 mit den Vorarbeiten zur Schrift De viris illustribus (Von ruhmvollen Männern) beschäftigt; und die zu einem Teil vorgelegten Porträts sollten nicht nur gefeilt, sondern um eine lange Reihe anderer Vorbilder ergänzt werden. Allegorische Lehrgedichte in italienischer Sprache, die Trionfi (Triumphi), hatte Petrarca Anfangs der vierziger Jahre in Angriff genommen, um einen Kampf zwischen Gut und Schlecht zu verfolgen und den Sieg jeweils der überlegenen guten Macht zu feiern. Vorderhand hatte er wohl erst vier solcher Dichtungen in Arbeit und plante, sie um weitere zu vermehren. So schilderte er den verlustreichen Aufstand von Leidenschaft, Zeit und Tod gegen die siegreiche Selbstzucht, Ehre und Ewigkeit, wobei zum Beispiel die Castitas durch seine viel besungene Laura verkörpert war. Aber bei seinen hohen Ansprüchen an die eigene Schöpferkraft war er nicht einmal zu einem vorläufigen Abschluss der Verbesserungen vorgerückt. Das Secretum, eine Selbstkritik und Beichte nach dem Vorbild des von ihm hochverehrten Kirchenvaters Augustinus und begonnen wohl um 1342, besass nicht in allen Teilen die gewünschte Tiefe und Reife, bedurfte daher ebenfalls der Überprüfungen. Zudem gab es da einen anspruchsvollen Versuch De vita solitaria (Vom Leben in der Abgeschiedenheit), an
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den sich Petrarca nach vorsichtigem Tasten um 1346 gewagt hatte. Er war für den Freund und Bischof Philippe von Cavaillon bestimmt, und die genannte Lebensform erst noch breit und überzeugend zu verherrlichen, war Petrarca ein Herzensanliegen. Das Werk sollte übrigens eine Ergänzung und Überhöhung im Buch De otio religioso (Von klösterlicher Beschaulichkeit) erhalten, zu dem sich Petrarca um 1347 entschlossen hatte. So eisern legte er sich darauf fest, mit den beiden Traktaten sich und die geschäftigen Zeitgenossen von der Notwendigkeit der Selbstbesinnung und Abkehr von der Welt zu überzeugen, dass ihm dafür kein Scharfsinn und kein Zeitaufwand zu gross erschienen. Zu anderen unvollendeten Werken gehörten die Memorandarum rerum libri (Bücher der Denkwürdigkeiten), in denen er die Würdigung hervorragender Personen samt ihren Taten mit einer Verherrlichung der vier Kardinaltugenden verband (es gehörten zu ihnen beispielsweise König Roberto und Dante). Über die Klugheit als der ersten von allen war der Dichter um 1350 aber noch kaum hinaus gelangt. Briefe in Versform Epistolae Metricae, seinem Freund am neapolitanischen Hof namens Barbato zugedacht, wollte er – wie die in Prosa geschriebenen – zu einer ansehnlichen Sammlung vereinen und als ein echtes Gegenstück zu den Briefen in Prosa vorlegen. An seine Sonette und verschiedenen Reimereien (Rime) in der Vulgärsprache dachte er vielleicht mit besonderer Freude insofern, als er in Zukunft wie bisher nach Lust und Laune und entsprechend momentanen Eingebungen neue Gedichte an eine schon bestehende Reihe anfügen konnte, ohne dazu eines stets zu erneuernden Vorsatzes und einer festen Planung zu bedürfen. Das gilt auch für seine Bucolica carmina (Hirtengedichte); denn ihre Zahl liess sich nach eigenem Wunsch vermehren oder auch belassen, sofern nicht eine unerwartete Aufforderung und Bestellung eintraf. Sein letztes grosses Prosawerk, De remediis utriusque fortunae (Heilmittel in Glück und Unglück), begann er ungefähr 1354, also erst nach dem Entschluss, die Familiaren zu sammeln; eine genauere Zeitangabe ist nicht möglich. Zu den Voraussetzungen, höchste Ambitionen aufrechtzuerhalten, gehörten ausser einer guten körperlichen Gesundheit ausgeprägte geistige Fähigkeiten, starker Durchhaltewille und enorme intellektuelle Anstrengungen bei immer neuer Einsicht in eigene Unzulänglichkeit. Petrarcas schriftstellerische Leistungen verraten neben spezifisch sprachlichem, dichterischem Können eine sehr beträchtliche Allgemeinbildung (mit guten Grundkenntnissen der Jurisprudenz, Vulgärphilosophie, Theologie), ein grosses psychologisches Verständnis, ein sehr gutes Gedächtnis (mit einem allzeit verfügbaren Zitatenschatz), einen geschärften Verstand, ein unablässiges Studium der antiken, vorwiegend klassischen Literatur. Ohne grosse Vertrautheit mit den Klassikern hätte er seine sprachliche Gewandtheit nicht erlangt, mit welcher er den Worten das ihnen gebührende Gewicht, den passenden Platz und den richtigen Ton verlieh oder Satzfolgen zu schönen Gefügen von abwechselnden Wendungen aufbaute. Ohne sehr gute Kenntnisse der alten Histori-
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ker Livius, Sallust, Sueton, Orosius und wie sie alle hiessen, auch der Exempelbücher, der Satiriker und Komiker hätte er nie vermocht, die alte Glanzzeit, als wäre sie ein Stück Gegenwart, allzeit vor seinen Augen zu haben und seine Zeitgenossen jederzeit als Kenner darin herumzuführen. Ohne ständige Beschäftigung mit Cicero und Seneca wie auch Augustin wäre sein Denken nicht durch die von ihnen tradierte Philosophie der alten Griechen geprägt und nicht von christlichen Grundwahrheiten durchdrungen gewesen. Und nicht vergessen darf man Epikur, unter dessen Irrtümern er zur rechten Zeit einige ihm einleuchtende Wahrheiten entdeckte. Keine Zeit blieb ihm, sich mehr Erholung zu gönnen, als für seine Weiterarbeit nötig war. Wenn er auf seine Trägheit verwies und gelegentlich mit ihr kokettierte, so ist darin eine berechtigte Bitte um Schonung zu vernehmen. Nach der Pest verlangte sein vertiefter Ernst auch nach vermehrter Beobachtung christlicher Übungen zur Vorbereitung auf den Tod. Und hoffte er auf etwa zehn Jahre zum Weiterwirken, so bedrückte ihn gleichzeitig, dass ihm kaum je gestattet sein werde, sich seinen Studien und seiner Feder als ein freier, unabhängiger Dichter nach eigenem Gutdünken zu widmen. Wenn er einen kirchlichen oder weltlichen Herrn einmal verloren hatte (wie soeben im Pestjahr den Kardinal Colonna), musste er sich nach einem neuen umsehen, um durch die ihm abverlangten neuen Dienste jene Gnadenerweise zu verdienen, dank denen er leben und etwa auch seiner Dichterberufung gerecht werden konnte. Seine Aufträge betrafen dann je nach den Wünschen eines Herrn die Verwaltung, Diplomatie oder Politik und erforderten nebst einem vielfältigen Einsatz seiner Sprachgewandtheit auch persönliche Auftritte und Reisen, die langwierig und beschwerlich sein konnten. Bei allem Planen hatte er damit zu rechnen, dass verschiedenste hohe Herren und Gönner ihm selbst zu sehr ungelegener Zeit Dichtungen abverlangen könnten; solche wurden als Dankbezeugungen oder Lobpreisungen begehrt oder jedenfalls erwartet und konnten nebst ihrem Eigenwert ein unter Umständen ausgesprochen politisches Gewicht erhalten und zu Propagandazwecken eingesetzt werden. Wollte er Fürstendienst (oder auch Schuldienst) vermeiden, hatte er als Kleriker, der er war (nicht Priester), das Recht, sich an der päpstlichen Kurie um Pfründen zu bewerben, und in der Tat hat er sich immer wieder um solche bemüht, doch dabei alles, was eine Vollbeschäftigung auferlegt und folglich alle Freizeit geraubt hätte, heftig von sich gewiesen. Fast immer fühlte er sich durch irgendwelche Vorgesetzte bedrängt oder dann durch kirchliche Vorschriften stärker eingeengt, als ihm lieb war. Zu seinen ständigen Klagen gehörte der über Mangel an Zeit. In Anbetracht solcher Umstände tat er gut daran, Vorsicht walten zu lassen, wann immer ihn ein neues schriftstellerisches Projekt verlockte. Ein eigentliches Pflichtgefühl gegenüber seinem Dichterberuf konnte er dabei nie ablegen; die Dichtung blieb ihm stets Berufung wie Beruf und der erworbene Lorbeer deren offizielle Bestätigung. Dennoch drohte auch immer wieder eine rasch entflammte Be-
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geisterung, ihn aus der Zurückhaltung zu reissen und in einem gegenteiligen Sinn zur Unvorsichtigkeit, das heisst zu spontanen Plänen und zur Übernahme neuer Aufträge zu verleiten, die er als ethische Belehrungen und politische Anweisungen zu erledigen wünschte. Das Sammeln seiner Briefe war nun eben eine dieser Verlockungen, denen er nicht widerstand, weil er dank Illusionen die damit verbundenen Mühen zu gering einschätzte. Er erwähnte oft die Raschheit, mit welcher er gearbeitet habe, und tat es im ängstlichen oder auch etwas eitlen Bedürfnis, etwaige Mängel eines Werkes zu entschuldigen. Sprach er damit eine Wahrheit aus, so doch bloss eine halbe. Denn wie schon angedeutet, vermochte er das, was er eilig hinwarf, selten so, wie es war, auf die Dauer gelten zu lassen. Wie er zum Beispiel an den Trionfi feilte, verraten nicht bloss hundert, sondern mehrere hundert Streichungen und Verbesserungen, die sich auf vielen Zetteln aus verschiedenen Jahrzehnten erhalten haben. Er nahm das Werk selbst in seinem Todesjahr 1374 wieder zur Überarbeitung vor. Mit dem Secretum beschäftigte er sich sicher noch bis ins Jahr 1358; de vita solitaria war vor 1356 nicht beendet; de otio religioso nicht vor 1357. Ja, als Petrarca 1374 starb, waren die oben erwähnten Einzelwerke bloss zu einem, wenn auch beträchtlichen Teil abgeschlossen, nicht etwa vollendet. Mit ziemlichem Optimismus also versicherte er dem Freund, seine neu entdeckten und vor dem Feuer geretteten Briefe von verhältnismässig geringer Zahl bedürften keiner Überarbeitung. Er erinnerte sich dabei, dass sie alle dem Angesprochenen, eben Ludwig, alias Sokrates, längst versprochen waren, ja auch daran, dass ihn dieser Freund zum Sammeln recht eigentlich angehalten hatte. Einem solchen Druck konnte er sich nicht leichtfertig entziehen. Übrigens war ihm der Empfänger ein kenntnisreicher und dankbar gesinnter Kritiker seines Handelns, zudem ein höchst zuverlässiger Ratgeber, und einen solchen hatte er, der sich von lästigen Neidern verfolgt fühlte, nötig. Jetzt gab Petrarca ihm die Anweisung, das ihm Anvertraute mit grosser Vorsicht vor unbefugten Augen zu verstecken (Fam. 1,1,17 und 37), als dächte er gar nicht daran, es je einem breiten Publikum preiszugeben. Einen Anreiz, die Briefe zu sammeln, empfing er übrigens in mehrerer Hinsicht von seinem bedeutendsten literarischen Vorbild aus der Antike. Trieb ihn der Schwarze Tod zum Aufräumen und Wegschaffen von Schriften, so spornte ihn ein bedeutender Fund vom Jahr 1345 zum Aufbewahren und Neubeginnen an. Er hatte damals auf einer fluchtartigen Reise von Parma nach Avignon in Verona Halt gemacht, dort gemäss seiner Gewohnheit in einer Bibliothek, hier in derjenigen der Kathedrale, herumgestöbert und zu seiner fassungslosen Überraschung 16 Briefe Ciceros ad Atticum, dessen Briefe ad Quintum fratrem und ad M. Brutum entdeckt. Sie durchlesen, abschreiben, deuten und bewerten, dann mit Cicero streiten, mündlich aber auch schriftlich in einem Brief an ihn, das füllte seine Tage von Jahresbeginn bis zum Herbst. Kurz darauf nahmen den Dichter politische Ereignisse
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gefangen, dann kam die Pest und erst einige Zeit später fand er wieder Musse und Kraft zur ernsthaften Auseinandersetzung mit seinen Entdeckungen und alten Vorhaben. Er gab der nun geplanten Sammlung in Anlehnung an Ciceros Epistulae ad familiares den Titel Familiarium rerum liber (Buch der Vertraulichkeiten; Fam. 1,1,34) unter Vermeidung des Wortes Epistulae. Cicero gegenüber wahrte er die gebührende Distanz. Dennoch machte er sich Gedanken über die Besonderheit der Briefgattung, in der sich sein Vorbild ausgezeichnet hatte.
B) Inhalt und Sprache der Briefe Um die Idealvorstellung zu begreifen, die sich Petrarca von dieser Art Literatur einprägte, überliest man am besten seine Ausführungen im Widmungsbrief für den genannten Sokrates (Fam. 1,1). Er orientierte sich weitgehend an der nur vage ausgebildeten Epistolographie der Antike, aber sein eigentliches Vorbild war eben einzig Cicero. In Anlehnung an ihn schätzte er den Brief vor allem zur Weitergabe von persönlichen Mitteilungen, wobei er die Wichtigkeit betonte, sich beim Schreiben den besonderen Empfänger vor Augen zu halten (Fam. 1,1,28 ff.), sich dessen Wesen genau zu vergegenwärtigen und sich in seine Lage zu versetzen, damit man diesem (in erster Linie diesem) gerecht werden könne. Willkommen war ihm überdies die Auffassung Ciceros, dass dem Schreiber (Fam. 1,32 ff.) die Freiheit gewährt sei, in einem einzigen Brief unbefangen über alles Mögliche zu sprechen, ethische Ratschläge und philosophische Fragen mit Auskünften über persönliche Angelegenheiten und mit Angaben über öffentliche Geschäfte zu vereinen, Alltägliches und Häusliches neben Weltbewegendes zu stellen, nach der Darlegung einer Theorie das eigene Innere offenzulegen und einen Gemütszustand zu schildern. Eine ungezwungene Mischung von Verschiedenartigem und damit einen angenehmen Lesestoff sollten seine Briefe darbieten, etwas, das so reizvoll wäre wie etwa „buntgewirkte Tücher“ (diversicoloribus…liciis texta; Fam. 1,1,47 und 1,1,32). Keineswegs wollte sich Petrarca die Briefe Senecas zum Vorbild nehmen, der unter dem Namen Epistulae eine Reihe rein philosophischer Abhandlungen vorgelegt und Ciceros Briefe wegen ihres teils unbedeutenden Inhalts verspottet hatte (Fam. 1,1,32). Ganz entschieden setzte sich Petrarca von dem sonst verehrten Philosophen ab. Ernste Belehrungen wollte er immerhin, wie angedeutet, so wenig als Cicero meiden, sondern in heitere und erzählende Texte einfügen, um damit, wie er erklärte, „den Schreiben Würze zu verleihen“. Diese sollten trotz ihrer angenehmen Lesbarkeit und Schwerelosigkeit gehobene Literatur sein, und weniger im Erzählerischen als im Lehrgehalt sollte ihr Hauptwert bestehen. Da die Bezeichnung Epistulae eher für eigentliche Abhandlungen und öffentliche Verlautbarungen verwendet wurde, war das für Petrarca häufig ein Grund, das Wort Literae vorzuziehen.
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Natürlich verlangte Petrarca Übereinstimmung von Inhalt und Form. Wiewohl er sich oft und gern der vulgärsprachlichen Dichtung widmete und bisweilen auch vulgärsprachliche Briefe verschickte (etwa mit Rücksicht auf eine leichtere Verständigung mit literarisch wenig Gebildeten), unterschied er doch zwischen einerseits anspruchsvollen Gegenständen, denen, wie vielfältig sie sein mochten, einzig das Latein gerecht werde, und allen übrigen. In der geplanten Sammlung sollte nun ausschliesslich das Latein herrschen, womit auch wieder eine Aussage über den Charakter der Briefinhalte gemacht war. Dabei sollte das Latein der alten Römer, nicht etwa das bei Zeitgenossen übliche, angestrebt werden, aber – wie angedeutet – sollten weder der Stil noch das Thema hochtrabend sein. Gewählt, wortreich und mit vielfacher Verwendung von Tropen und Figuren zu schreiben, wie Seneca es liebte, das schloss Petrarca aus. Auch hierin setzte er sich entschieden vom Philosophen ab, um gerade auch in der Frage des Stils sich auf Prinzipien Ciceros zu verpflichten. Und indem er für Briefe einen gleichförmigen, eher gedämpften Ton verlangte, liess er erkennen, was vielleicht überrascht, dass er der Sprachgewalt überhaupt nicht ohne weiteres mächtig und sich dessen bewusst war: „Die Gewalt der Rhetorik bleibt bei mir ungenutzt, weil ich ihrer nicht bedarf und weil ich sie nicht in reichlichem Mass besitze“, so kann man wiederum in eben dem Widmungsbrief lesen (Fam. 1,1,14 ff.). Sich nicht um etwas bemühen zu müssen, was seinem Wesen eher fremd zu sein und die Anstrengung seiner Begabung kaum zu lohnen schien, war für ihn ein weiterer, gewichtiger Grund, für seine schriftlichen Äusserungen die Briefform mit Vorliebe zu wählen. Damit ist sein Ideal der bestimmten literarischen Gattung knapp skizziert. Mit Sicherheit rechnete er damit, dass es nach Form und Inhalt vielen missfallen werde. Zudem sah er voraus, dass all die Neider, deren er viele zu haben glaubte, vornehmlich die Rezensenten, „die zwar nie eine Zeile schreiben, aber in ihrer unverschämten Frechheit nur um so kühner auftreten“, seine Versuche belachen würden (Fam. 1,1,36). In der Öffentlichkeit also wurden seine Schriften, wie man vernimmt, besprochen, und natürlich gab es Kritiker, die selber nicht schrieben, aber es gab auch andere, die schrieben, und gerade deswegen zusammen mit dem Inhalt der Briefe Petrarcas auch tüchtig deren Sprache bemängelten (vgl. Fam. 13,5,13). Sie befanden sich zum Beispiel auf Kanzleien und Sekretariaten und hielten sich an Formelbücher, oder sie lehrten an Schulen, wo sie mit einem verknöcherten Gelehrtenlatein sich gar brüsteten. Für ihre Redeweise hatte Petrarca nur Verachtung, und für ihre Themen besass er wenig Sinn. Doch er war, indem er seinerseits Kritik übte, streng nicht allein gegen andere, sondern auch mit sich selbst. Zu seinem Kummer musste er jedoch auch in eigener Person an seinen Briefen recht peinliche Schwächen entdecken, die ihm früher, solange er keinen Überblick über sie gewonnen hatte, entgangen waren. Da gab es lästige Wiederholungen von einem Text zum andern (Fam. 1,1,31 ff.), wie er jetzt feststellte, und sie traten be-
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sonders unangenehm hervor, wenn sie ein auffälliges Wortspiel oder einen aussergewöhnlichen Einfall, ob sprachlich oder gedanklich, betrafen. Als noch weit störender empfand er die beim Vergleich der Briefe zu Tage tretenden Widersprüche. Er traf sie gehäuft in den vorwiegend belehrenden und aufmunternden Schreiben, und sie liessen sich auch leicht erklären. Denn sie kamen, wie Petrarca angibt, einfach deshalb zustande (Fam. 1,1,28 ff.), weil er das schon angedeutete Prinzip der Epistolographie sehr ernst nahm, gemäss welchem er regelmässig Zeit, Ort und andere besondere Umstände zu berücksichtigen und ganz auf das Wesen und die Lage seines jeweiligen Adressaten einzugehen hatte. Das war um so folgenreicher, als er einer nur allzu grossen Menge von Individuen je gesondert gerecht werden wollte. Einem Ängstlichen hatte er den Nutzen der Kühnheit eingeprägt, einem Kühnen den Vorteil der Besonnenheit geschildert und so fort, ohne Einseitigkeit zu scheuen. Zu seiner Entlastung konnte er (wie er bei anderen Gelegenheiten auch wirklich tat) ein Wort des Aristoteles zitieren, gemäss welchem man bei schlechten Gewohnheiten handeln müsse wie Arbeiter, die Hölzer zurechtbiegen; es gelte, solche ganz entschieden in die Gegenrichtung zu ziehen (z. B. Fam. 23, 2, 42). Dies betonte der Moralist, der dabei doch niemals vergass, sondern immer als feste Überzeugung vertrat, dass nämlich das Richtige und Gute sich nicht im Extrem, sondern in der Mitte der Gegensätze befinde. Das letzte Ziel blieb die Mitte. Der heutige Leser seiner Briefe wird aber in ihnen Ungereimtheiten so gut entdecken wie ihr Verfasser, wenn auch nicht in der von ihm beklagten Menge und Häufigkeit, da jener eine Grosszahl der Schreiben eben zerstörte und in den geretteten manche Stelle verbesserte oder eliminierte, dies am leichtesten dann, wenn er einen Privatbrief für ein grösseres Publikum umarbeitete. Übrigens haben seine Widersprüche oft einen anderen Grund als den von ihm angeführten; sie verraten zum Teil sein innerstes Wesen mit seinen unvereinbaren Wünschen oder auch den Gegensatz von geschätzter Theorie und gelebtem Leben. Was er schliesslich beim Durchlesen, also um 1350, mehr als alles bedauerte, war ein allmählicher Verlust an männlicher Festigkeit bei einem Anschwellen eines Klagetons (Fam. 1,1,38 ff.). Er, der stets darauf bedacht war, anderen Menschen mit Trostworten und Unterweisungen zu Hilfe zu kommen und ihnen als ein Vorbild der Unerschütterlichkeit voran zu leuchten, schämte sich dermassen, allmählich der Mutlosigkeit verfallen zu sein und seinen Zustand gar offenbart zu haben, dass er die betreffenden Briefe kurzerhand in einem weiteren Brandopfer hätte vernichten wollen. Dabei erinnerte er sich, wie er kurz zuvor seinem Idol Cicero just wegen dessen kläglichen Aufbegehrens heftig zugesetzt und ihm seine Schelte gar in den Hades (oder wo immer er sein mochte) brieflich nachgeschickt hatte. Doch so unangenehm ihm sein Versagen war: Etwas Bekennermut und etwas Autorenstolz (denn an der hohen Qualität seiner bemängelten Texte konnte er nicht zweifeln) sorgten für die Rettung dieser Zeugen seiner Verzagtheit. Petrarca gab ihnen einen
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Platz in der Mitte zwischen den übrigen Briefen, nämlich, wie er sagte, nach dem Brauch der Feldherren, welche die tüchtigsten und tapfersten Leute an die vorderste Front und in die hintersten Reihen ihrer Heere stellen. Damit gab er dem Leser auch einen Wink, wo er die andern, die beinah verworfenen, ungefähr finden und jedenfalls nicht finden könne. Es handelt sich um die Briefe, die in der letzten Anordnung als 7,10 – 12, 8,7 bis 8,9 und 9,2 figurieren und wohl zum Besten und Menschlichsten gehören, was Petrarca geschrieben hat. Übrigens befanden sie sich bereits im Besitz des Adressaten von Fam. 1,1, denn gerade vor Sokrates hatte Petrarca in der Zeit seiner grössten Niedergeschlagenheit, als Todesfälle sich gehäuft und seine Durchhaltekräfte sich erschöpft hatten, als einem der wenigen noch lebenden Freunde sein Herz ausgeschüttet. Nicht der letzte Ansporn zum Sammeln der Briefe lag in Petrarcas Hochschätzung der Freundschaft, und deshalb hat ihre Mehrzahl als eigentliche Freundschaftsbezeugung zu gelten. Mit einiger Genugtuung dachte er an die Unbeirrbarkeit, mit welcher er seit frühester Jugend das Schreiben an Vertraute und Bekannte als eine Pflicht angesehen, doch auch als ein eigenes innigstes Bedürfnis wahrgenommen hatte. Zwar besass er die Neigung, sich in schlechterdings jeder Literaturgattung zu üben (um überall den Grad der Vorbildlichkeit zu erwerben), aber das schriftliche Gespräch gehörte recht eigentlich zu den ihm lebensnotwendigen Dingen. Trotz seinem Hang zum Einsiedlerleben konnte sich der Humanist ein menschenwürdiges Dasein ohne Freunde, ohne Gesprächspartner, ohne Gleichgesinnte nicht denken. Bereits wagte der durch jene Pest Vereinsamte wieder zu hoffen (was sich als wahr erwies), dass ihm nämlich nach seinen grossen Verlusten neue Freunde geschenkt würden. Doch ahnte er gleichzeitig zum voraus, wie selten er sich mit ihnen zusammenfinden werde. Nicht bloss seine äusseren Umstände waren einem Leben in Geselligkeit hinderlich, vielmehr standen dem häufigen Beisammensein mit anderen auch sein Arbeitsdrang, seine Angewöhnung an Einsamkeit und Ungebundenheit im Wege. Beim stets dringenden Verlangen Petrarcas, die ihm knapp zugemessene Mussezeit möglichst ungestört seinem dichterischen Werk zu widmen, verlernte er, die Nähe der Freunde für längere Zeit zu ertragen. Und dennoch war ihm der Gedanke, er müsste sie vermissen und könnte vergessen werden, unerträglich. In Anbetracht seines längst erworbenen Ruhmes erwog er um 1350 schliesslich nicht selten die Möglichkeit, mit dem Briefe-Schreiben auf einfache Art zu erlangen, was er sonst auf anspruchsvollere hätte erstreben müssen, nämlich die schon erwähnte Ehrung von Hochstehenden, Erfolgreichen, Tüchtigen, wie diese es forderten, um durch ihn den eigenen Ruf und Ruhm gefestigt und erhöht zu sehen. Somit bekräftigte er gerade im viel zitierten Widmungsbrief, „er wolle zu den wenigen gehören, die Ansehen nicht bloss versprechen, sondern auch verschaffen“ (Fam. 1,1,48). Und dann freute er sich auch der Macht, mit seiner Feder darüber mit-
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zuentscheiden, ob das Andenken einer Person den späteren Generationen als ein gutes weitergegeben oder als ein schlechtes verrufen werde. Selten allerdings drohte er, mit seinem Vermögen entweder für jemandes Ruhm oder Ruhmlosigkeit sorgen zu wollen. Wenn er in seine Briefe scharfen Tadel mischte, verzichtete er im allgemeinen darauf, die Betroffenen beim Namen zu nennen, und unterliess solches halb aus Schonung der andern, halb aus Furcht für sich selber –, wie vor allem im Buch der Briefe ohne Namen (Epistulae sine nomine) geschah. Später meinte er rückblickend, er habe diese seine Macht, Ruhm und Schande zu verbreiten, nicht missbraucht; Rache habe er, sogar wenn ein Anlass bestand, nicht geübt (Fam. 9,5,11 ff.). Das heisst jedoch nicht, dass er auf genau gezielte Invectivae verzichtet oder solche nie herausgefordert hätte. Für die meisten der Familiaren nannte er einen bestimmten Empfänger. Einen Gruss fügte er den Namen nicht an; seine Ausführungen schloss er etwa mit einem knappen Wunsch, meist mit einem einfachen Vale. Die grosse Mehrzahl der Adressaten waren Italiener. Mit allen, selbst mit einem Papst oder Kaiser, war er auf Du. Darauf war er stolz, diese gute Sitte der alten Römer in einer Zeit, da man sie missachtete, neu eingeführt zu haben, und er hielt an diesem Du fest, um höher Gestellten und einfachen Leuten mit gleicher Freiheit zu begegnen. Gleichgestellte Männer waren ihm Brüder. Selber ein Kleriker auf niedriger Stufe, sprach er Priester und Mönche als Väter an, ob sie jünger oder älter waren als er; und damit ehrte er mehr ihr Amt als ihre Person und liess sich nicht abhalten, ihnen, wenn nötig, eine tüchtige Portion Rat oder gar Tadel zuzumuten. Briefe an Frauen braucht man in den Familiaren nicht zu suchen; der Dichter und Sänger hoher Minne bewegte sich da in einer reinen Männerwelt, in der man sich der fernen Frauen selten und nur in bescheidenen Gedanken näherte. Einzig die Kaiserin Anna im weit abgelegenen Prag wurde an einer Stelle (Fam. 21,8) unter die Empfänger gereiht, doch was sie entgegennahm, war eine ziemlich trockene Aufzählung tüchtiger Vorgängerinnen aus der Antike, nicht ein Gruss aus des Dichters Herz. Ob er das von Cicero übernommene Ideal der Briefkunst später stets bedachte und in welchem Mass er seine eigenen Vorsätze hochhielt, kann man nur in einer ausgiebigen Lektüre erfahren. Petrarca umkreiste sein Ziel in näherem und weiterem Abstand, ohne sich darüber regelmässig Rechenschaft zu geben. Mit dem Zusammenstellen und Ordnen der Briefe begann er, kaum dass solches beschlossen war.
C) Ausarbeitung und Publikation der Briefe Das Bewahren und Verstecken seiner Briefe prägte er seinem Sokrates ein; er dachte dabei an die schon bestehenden Fassungen. All sein eigenes Planen zielte aber auf Veröffentlichung, und eben deshalb lag ihm daran, Schwächen zu behe-
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ben. Und hatte er sich einmal ans Überarbeiten gemacht, rief eine Korrektur wie von selbst nach der andern; auch das war vorauszusehen. Das dem Freund anvertraute Briefbündel nannte er „schreckliches Zeug“ (horridula) nicht ohne Hoffnung auf Gegenrede. Was daraus werden sollte, verriet er mit den Worten: „Es wird, wenn ich einmal letzte Hand daran gelegt habe, zwar nicht eine Minerva hervorgehen, wie Pheidias sie malte, doch immerhin ein Ebenbild (simulacrum) meines Geistes und meiner Schöpferkraft. Und wenn es dann zu Dir gelangt ist, magst Du es gesichert in einer Hochburg aufbewahren“ (Fam. 1,1,37). Eine gründliche, zeitraubende Überarbeitung von einem Schreiben zum andern hatte Petrarca also – im Hinblick auf eine Publikation – entgegen der ersten Absicht schon bejaht. Hier einen Ausdruck, da eine Wendung ersetzen, einmal etwas einschieben und anfügen oder einmal etwas ausstreichen, unpassende Briefe beiseite legen, neue einschieben, andere aufteilen oder zusammensetzen, die alte Reihenfolge umstellen und alles tun, was ihm Belieben und Phantasie sonst noch eingeben würden, darauf lief sein Entschluss hinaus im Gedanken an ein Werk für die Nachwelt. Doch indem der Dichter selbstverständlich hoffte, viele Schriften einst vollendet und in sich abgerundete vorzulegen, betonte er entschieden, dieser Wunsch betreffe nun gerade nicht das geplante „Buch der Vertraulichkeiten“. Erst der Tod werde diesem ein Ende setzen, denn seinen Freunden zu Liebe und sich selber zur Erquickung wolle er sich der „süssen Plage“ erst an seinem letzten Erdentag entledigen; das solle Sokrates sich merken (Fam. 1,1,45). Für die Briefe an die längst verstorbenen verehrten Vorbilder und Freunde aus der Antike bestimmte er zum voraus den hintersten Platz; sie sollten die besten werden, weil gerichtet an die tüchtigsten und vorbildlichsten Menschen, geeignet für die „hintersten Reihen im Heer“. Als vierundzwanzigstes Buch schlossen sie dann tatsächlich die Sammlung ab. Zu Anfang der sechziger Jahre arbeitete Petrarca – so weit sich sehen lässt – zum letzten Mal an den Familiaren. Sie waren ihm zu einer allzu grossen Last geworden, die er nicht weiter schleppen, sondern abwerfen, nämlich endlich ediert sehen wollte (vgl. Fam. 23,19,6 f.). Er lebte damals zwar nicht seinen letzten Tag, hingegen war der Freund Sokrates bereits tot (†1361). Doch weil er das Briefeschreiben nicht lassen konnte, eröffnete er eine neue Sammlung, die der Seniles, und widmete sie seinem ihm längst besonders vertrauten Freund Francesco Nelli, den er seinen Simonides nannte. Die nun also doch abgeschlossene Sammlung, auf Papier geschrieben, besteht aus 24 einzelnen Büchern, die unter sich einen ungefähr gleichen Umfang besitzen. Für jedes Buch bestimmte Petrarca vage einen zeitlichen Rahmen, ohne ihn mit Ereignissen oder Jahreszahlen klar zu umreissen. Weil er entweder hintereinander an verschiedene Adressaten über vielerlei schrieb oder dann kurz hintereinander der selben Person von gleicher Sache berichtete, entstanden unter seiner Hand in ganz natürlicher Weise lange Ketten von Briefen völlig verschiedener Art. Oft besitzen die sich folgenden Schriftstücke streckenweise keinen andern Zusammenhang als
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Einleitung
den der einen Urheberschaft, aber in einem andern Fall können sie sowohl Gleichheit des Adressaten wie des Themas vorweisen. Wie oben schon angedeutet, hielt Petrarca eine durch die Briefdatierung gegebene Ordnung nicht strikte aufrecht, und das aus sehr verschiedenen, oft nicht erkennbaren Gründen. Sicher darf man damit rechnen, dass er ein für die einzelnen Briefe gesuchtes Ideal auch für das Gesamt eines Buches aufstellte, also in der Brieffolge die selbe erfreuliche Abwechslung von Erzählendem und Belehrendem, Persönlichem und Allgemeinem herbeizuführen beabsichtigte wie für die Einzelbriefe. So schaffte er durch Verschieben und Aussondern gewisser Schreiben unter Missachtung der Datierungen oft inhaltliche Spannungen, aber umgekehrt auch oft mutwillige, schwer erklärbare inhaltliche Verbindungen. In seinem Abändern oder Stehenlassen der ursprünglichen Anordnung fehlt eine strenge Logik. Abrupte Übergänge in der Thematik, wie die Zeitfolge der Briefe sie mit sich gebracht, nahm er einmal in Kauf, wogegen er sie ein andermal durch Einschübe oder Umstellungen milderte oder aufhob. Will man nun aber – und das wollen manche Leser – diesen literarischen Erzeugnissen Stück für Stück mit dem Ziel nachgehen, über den Werdegang des Dichters einen Überblick zu gewinnen, wird man genötigt sein, in die chronologische Unordnung einzutauchen, um wenigstens die Jahreszahlen für die Abfassung der Schreiben zu eruieren. Und dann wird man für die Hilfe der Tabelle dankbar sein, die Ernest H. Wilkins in seinem Werk Petrarch’s Correspondence auf den Seiten 49 ff. aufgeführt hat. Denn für die Datierung jedes einzelnen Petrarca-Briefes sind hier Vorschläge der sämtlichen wichtigen ihm vorausgehenden Petrarca-Forscher aneinandergereiht. Die Untersuchungen zu Datierungen haben allerdings seit der Edition dieses Werkes nicht aufgehört. Hilfreich wäre, wenn der Leser in der genannten Tabelle ausnahmslos überall, wo die Angaben hypothetisch sind, eine gähnende Leere fände, damit ihm eindrücklich würde, wie vieles Petrarca zu sagen unterliess. Und richtig wäre, dass der Leser bei Hypothesen regelmässig auf Klammern stiesse, damit er auf den ersten Blick schon erkennen müsste, was bloss auf der Vermutung der Gelehrten beruht. Wenn Petrarca ein Datum für die Abfassung festhält, besteht es einmal aus der blossen Nennung eines Monatstages, ein andermal bestenfalls aus Monatstag und Ort. Jahreszahlen setzt er ins Datum nie; es bleibt den Neugierigen überlassen, aus gewissen, sonstwie bekannten Umständen die Jahre zu erschliessen. Eine beliebige Platzanweisung um eines besonderen Effektes willen erlaubt sich Petrarca vor allem bei Briefen von rein gedanklichem Inhalt (wenn eine klare Beziehung auf biographische und politische Umstände fehlt), und in diesem Fall kann die Frage der richtigen Datierung gelegentlich ohne weitere Folgen offen bleiben. Fragwürdiger wird dem Leser vorkommen, wenn selbst Briefe mit Angaben zu Petrarcas Lebenslauf und mit Hinweisen auf politische Ereignisse offensichtlich so verschoben sind, dass deshalb die zeitliche Abfolge der vor- und nachstehenden Mitteilungen nicht
Ausarbeitung und Publikation der Briefe
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mehr passen. Undatierte Briefe mit Berichten über jugendliche Erlebnisse reizten die Wissbegier der Forscher schon früh mehr als andere spätere zu Untersuchungen, und wenn sich gar Widersprüche entdecken liessen, lag ihnen die Versuchung nahe, ganze Briefe für reine Spekulationen und Phantasieprodukte des Dichters zu halten, etwa für Schreiben, die nie echte Briefe gewesen oder jedenfalls nie abgeschickt worden waren. Heute dagegen urteilt man vorsichtiger, wenn ein Datum Rätsel aufgibt, gerade weil man regelmässig mit späteren Überarbeitungen oder mit Mängeln von Petrarcas Gedächtnis rechnen kann. Für Einzelheiten innerhalb der Briefe eine dichterische Modifizierung oder gar eine Irreführung nach gewissen Gesichtspunkten in Betracht zu ziehen, ist oft nötig, aber reine Fiktion für ganze Schriftstücke anzunehmen, drängt sich selten auf. Dabei ist allerdings festzuhalten, dass Petrarca – soweit man erkennen kann – fast nie etwas ediert, was er unbekümmert von der Leber weg geschrieben hatte. Immer hat er sich künstlerischen und lehrhaften Überlegungen gebeugt. Sogar die Nachrichten von ganz echten und wohl tief empfundenen Erlebnissen, ob sie ihn betrübten oder freuten, wirken fast nie so persönlich und spontan, wie man das vielleicht erwartet und wünscht; sie sind regelmässig in eine Kunstform gegossen, philosophisch eingefärbt und mit antiken Requisiten ausgeschmückt. Dennoch ist zu beachten, dass beinah alles, was man über des Dichters Leben weiss, auf seine eigenen Aussagen, speziell auf solche in seinen Briefen (denen in gebundener wie denen in ungebundener Sprache) zurückgeht. Da es schwierig ist, in den verschiedenen Büchern mit den teils recht langen Schreiben in recht anspruchsvollem Latein sich zurecht zu finden, ja nicht einmal leicht fällt, einen Überblick über die verdeutschten Texte zu gewinnen, sei hier ein Versuch zur Nachhilfe unternommen, indem die Briefinhalte knapp zusammengefasst und aneinander gereiht, womöglich etwas erläutert werden. Das Hauptaugenmerk wird bei einem ersten Überblick auf äussere Ereignisse von Petrarcas persönlichem Leben gerichtet sein, und der Inhalt der rein belehrenden Schreiben wird eher knapp resümiert werden. Doch dass Grundideen von Petrarcas Ethik, Kulturverständnis und von politischen und religiösen Bewertungen zum vornherein in die biographische Skizze einzubeziehen sind, weil sie einen wichtige Teil seiner persönlichen Entwicklung ausmachen, ist selbstverständlich. Einige von ihnen können anschliessend in einem zweiten Teil erläutert werden. Die Angaben in dieser Übersicht einerseits und die Inhaltsangaben unten bei den einzelnen Übersetzungen anderseits sind als gegenseitige Ergänzungen gedacht, weswegen sich hier unter anderem Fussnoten erübrigen, weil man sie am Ende der verdeutschten Texte ohne weiteres finden kann.
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D) Überblick über die einzelnen Bücher Im Buch 1 war bei Brief 1 vielleicht eher Gleichgültigkeit als Überlegung im Spiel, als Petrarca die Orts- und Jahresangabe wegliess. Man kann aber – mit Rücksicht auf verschiedene gesicherte Umstände nur auf die Zahl 1350 – oder vielleicht noch 1349 – tippen und folglich als Ort nur einen in Oberitalien und am ehesten Parma oder Padua bestimmen. Jedenfalls kann die Szene, die Petrarca darin anschaulich schildert, sich nur in einer Wohnung abgespielt haben, in welcher er sich schon vor einiger Zeit häuslich eingerichtet und wohin er aus Vaucluse, seinem Musensitz jenseits der Alpen, mindestens einen Hauptteil seines schriftlichen Ballasts herbei geschleppt hatte. Sonst müsste man seine riesige Aufräumaktion mitten unter ganzen Bergen von Papieren als künstlerische Erfindung einschätzen, was man doch besser unterlässt. Nach dem besprochenen Schreiben an Sokrates folgen 11 weitere an verschiedene Personen, alle ohne Jahreszahl, wie zu erwarten, teils immerhin mit Abfassungsort und Monatstag (Fam. 1,2 – 7 und 12). Glaubt man den Forschern, so ist Brief 2 in Petrarcas Studienzeit, in die zwanziger Jahre, anzusetzen und geht hinter dieses Datum überhaupt keiner der Familiaren zurück. Die Erstfassungen von Nummer 3 und den folgenden wird man in die dreissiger Jahre datieren dürfen und vielleicht eher auf ihren Anfang als auf ihr Ende. Einige verraten einen recht jungen Schreiber, ob er sich als Moralist oder als Dichter zeigt. Die Überarbeitung jedoch aller 12 fiel dann wohl auf 1350/51 f., auf die Zeit gleich nach dem Entschluss, eine Sammlung anzulegen. Möglich ist allerdings, wie schon angedeutet, dass Petrarca den einen oder anderen Brief damals völlig neu erfand oder aus dem Gedächtnis rekonstruierte, um seine wenigen geretteten sinnvoll zu ergänzen. Jedenfalls nennt er in diesem ersten Buch neben Sokrates solche Adressaten, die ihm in den zwanziger und dreissiger Jahren sehr vertraut waren. Während der Studien in Bologna hat sich der fast gleichaltrige Tommaso Caloiro (Caloria) von Messina, der sich im Dichten übte, ihm angeschlossen, und in Avignon hat er früh den älteren Raimondo Subirani oder Superano, Doktor des kanonischen Rechts, zum väterlichen Freund gewonnen. Ganze sieben Briefe, Nr. 2 und 7 – 12, richten sich an Tommaso, und sie sind nicht allein durch den Namen sondern auch durch ihre Thematik miteinander verbunden. Bezeichnenderweise führt Brief Nr. 2 (1323/ 1325? Überarbeitung 1350?) mit seinen Argumenten und Ausblicken direkt in die Gedankenwelt eines Humanisten ein; er handelt in erster Linie vom Ruhm, diesem so ungemein erstrebenswerten Gut, das jedoch nur dem Tüchtigen verheissen ist. Ebenso deutet er verschiedene Eigenheiten der Humanisten an, so ihre ablehnende Haltung gegen andere Studienrichtungen. Gleichsam in den Philosophenmantel gehüllt ermahnt Petrarca den etwa gleichaltrigen Freund, sich nicht zu überschätzen; einzig Epikur habe sich in seiner Anmassung weise genannt, so meint er zu
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wissen (17), denn noch lehnt er diesen Philosophen durchaus ab. Schon als junger Mensch für sich Ruhm zu fordern, ist töricht; Ruhm stellt sich ohnehin erst nach dem Tode ein. Besonders der Neid wirkt ihm entgegen. Diesem kann eben der Tüchtige am wenigsten entgehen; das ist so wahr, dass Petrarca geradezu erschüttert feststellt – und damit seinen Haupthelden schon an dieser Stelle einführt: Selbst sein Scipio, der edelste der Römer, habe zu seiner Lebenszeit nicht die ihm angemessene Ehre erlangt; das kann man kaum glauben, das muss deshalb mit einem wörtlichen Zitat aus Livius belegt werden! In der Zeit Petrarcas haben just die Literaten mit Neid zu rechnen, und zwar vor allem von seiten der Dialektiker und Scholastiker; aber unerträglich in ihrer Überheblichkeit sind auch die Juristen. Überhaupt gedeihen die Künste jetzt nur schlecht. Förderung durch Fürsten gibt es keine; von wahrer Bildung verstehen sie nichts. Eine einzige Ausnahme gibt es (1,2,9 – 10): Roberto, seit 1309 König von Neapel. Dass dieser Name schon hier auftaucht, ist bedeutsam. Dem König gebührt grösste Verehrung, an ihn muss man sich wenden, das hat Petrarca begriffen, und dass er ihn nicht längst aufgesucht hat, gilt ihm geradezu als ein unentschuldbares Versäumnis. Das wird er in späteren Briefen wiederholen. Eingeschoben sei, dass Roberto ein Enkel jenes Karl von Anjou, des Grafen der Provence war, dem Papst Urban IV. 1265 das Königreich Neapel / Sizilien als Lehen übergeben hatte, um den letzten Staufer Manfred davon auszuschliessen. Petrarca stört sich nicht an der französischen Herkunft des Königs; entscheidend ist für ihn, dass dieser Fürst, tüchtig und kunstliebend, ein Italiener geworden ist. Auch seine führende Rolle in der Partei der päpstlich gesinnten Guelfen, seine antikaiserliche Politik, zumal als päpstlicher Vikar für Reichsitalien mit starkem Einfluss selbst auf Oberitalien, kann Petrarca nicht befremden. Die Partei der Weissen in Florenz, welcher sein Vater angehört hatte, ist ja nicht ghibellinisch, sondern nur massvoller guelfisch als die der Schwarzen. Und Petrarca fragt schon in seiner Jugend in erster Linie, wer den Willen und die Macht besitze, dem zerrissenen Vaterland Italien Frieden und kulturelle Würde zurückzubringen, und weniger nach der Herkunft dieses Retters, also wer in aller Wirklichkeit die gute alte Ordnung wiederherstellen könne und damit Kaisermacht vorzeige, ob er einen entsprechenden Titel besitze oder nicht. Wer sich ausser Roberto für die höchste politische und kulturelle Aufgabe eignen würde, ist einem Petrarca, da er diesen Brief verfasst, nicht ersichtlich. Gegen den Papst, gegen den König Roberto und die ganze Guelfenpartei können sich damals Ludwig der Bayer aus Deutschland und können sich Stadtherren wie die Scaliger, ja selbst die Herren Visconti von Mailand nicht durchsetzen; in Rom wächst Cola di Rienzo mit seinen Erneuerungsplänen erst heran; und die Luxemburger aus Böhmen, Johann und sein Sohn Karl, der spätere Kaiser, kehren nach kurzen Abenteuern in Italien 1333 über die Alpen zurück, ohne eine bedeutende und betriebsame Anhängerschaft zurückzulassen.
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Von vorwiegend humanistischem Denken zeugt auch der nächste Brief 3 (von etwa 1331). Thema ist da die reine Hingabe an das literarische Schaffen. Als Adressat figuriert der genannte Raimondo, der sich offenbar um die geistige Entwicklung des Heranwachsenden kümmert. In einer jugendlichen Mischung von Bescheidenheit, Einsicht und Altklugheit bekennt ihm der Dichter sein Bemühen, Fehler zu vermeiden, vor allem auch darauf zu achten, dass er ein Wissen, das ihm noch fehlt, nicht prahlerisch vortäusche und den Wert der Beredsamkeit nicht überschätze, sondern weit mehr danach trachte, gut zu leben als gut zu sprechen. Moral hat vor Verstandeswissen also den Vorrang. Noch ein anderes Hauptthema Petrarcas klingt an: Säumen darf man nicht, denn die Zeit verfliegt; das Leben des Menschen ist kurz. Ja, dass weiss er, das bedenkt er, und darüber darf der väterliche Freund beruhigt sein. Die kindischen Eitelkeiten und Jugendtorheiten meint Petrarca schon hinter sich zu haben, an die er sich viel später in einem Brief an seinen Bruder Gherardo (Fam. 10,3,12 ff.) erinnert. Völlig anders geartet sind die Schreiben 4 bis 6 (wohl 1333), die jedoch unter sich eine Einheit bilden. Von ihnen richten sich die beiden früheren an Kardinal Giovanni Colonna in Avignon; und in der Tat gehörte es sich für den Dichter, diesen grossen Gönner aus höchstem römischem Adel so bald zu nennen. Bei ihm hat er schon 1330 eine Anstellung als Capellanus gefunden, und im Frühling 1333 (?) hat er von ihm die Erlaubnis zu einer Reise durch Frankreich an den Rhein erhalten. Später wird er in seinem Werk Secretum behaupten, jede seiner Reisen sei eine Flucht im Verlangen nach Freiheit gewesen (Secr. 3,8,7), und das zu glauben, fällt dem Leser nicht schwer. Von verschiedenen Aufenthaltsorten aus erstattet er seinem Herrn auf dessen Wunsch Berichte, zuerst (Fam. 1,4) über die Etappen auf dem Weg durch den Norden Frankreichs bis zu dessen Grenzen höchst summarisch, doch immerhin mit der für ihn bezeichnenden Bemerkung, dass er überall historische Berichte darauf untersuche, wie weit sie wahr, wie weit sie erdichtet seien. An solcher Gelehrtenkritik hat es zu keiner Zeit gefehlt, doch sie verbreitet sich nur langsam und wird nie selbstverständlich. Von Aachen berichtet er nicht viel, er erzählt lieber eine Fabel von Karl dem Grossen (Fam. 1,4,7 ff.); die hat er nicht einfach auf der Strasse vernommen, vielmehr bei irgendwelchen Nachforschungen sogar in verschiedenen Fassungen aufgestöbert; das erhöht ihren Reiz. Er glaubt nicht alles, was darin steht, und übergeht das wenig Schickliche. Wie und mit wem er sich verständigte, kann man sich denken. Er wird sich an die Kleriker gehalten haben, denn die deutsche Sprache ist ihm fremd. Später meldet er sich in Nr. 5 aus Köln, das er mit einem zu seiner Zeit noch unüblichen Geschick zu schildern versteht. Hier bewundert er, herumgeführt von Freunden (denn solche hat der Ruhm ihm da tatsächlich schon verschafft (Abschnitt 2) gleich die schönen Frauen bei ihren Festgebräuchen am Rheinufer; er hätte, wie er anmerkt, sein Herz leicht weggeschenkt, wäre es nicht schon besetzt gewesen (Laura, die Dame seines Herzens
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nennt er nicht). Im übrigen interessiert und beglückt ihn überall so recht nur das, was an die alten Römer und an Rom erinnert, wobei er Gott von Herzen dankt, dass er als Italiener vom tüchtigsten aller Völker abstamme (Abschnitt 9 ff.). Patriotismus, Nationalismus gehört zum Humanisten, insbesondere zu dem der Italiener. Doch gönnt er den Deutschen ihren Anteil an römischer Kultur und ist selbstverständlich froh über die Ausbreitung der Sprache der Römer, da sie nicht allein die würdigste von allen ist, sondern unter allen Gebildeten überall gesprochen wird und ihm gestattet, sich überall mit Gelehrten zu verständigen. Bei diesen Reiseberichten notiert Petrarca selber, wo er sich jeweils befindet, und einige seiner Erläuterungen sind offensichtlich weniger für den Kardinal als für einen grösseren Leserkreis bestimmt. Avignon kann er am Schluss nicht nennen, ohne anzudeuten, dass der Papst sich da zum Schaden der Kirche niedergelassen hat; denn solchen Tadel auszusprechen, ist er sich zu jeder Zeit schuldig. Dass seine Städtebesuche reine Phantasie seien, wie etwa behauptet wurde, gilt heute als überholte Meinung. Es gehört zu seiner Natur, aus Neugier und Tatendrang nach Reisemöglichkeiten auszuschauen und solche zu nutzen, wenn er sich frei machen kann. Schon früher ist er in die Pyrenäen geritten, wo sein Freund Giacomo seinen Bischofssitz Lombez hatte, und immer wird er seinem Ehrgeiz nachgeben, möglichst weit zu den Enden der Erde vorzudringen. Das Reisen wird er geradezu als ein Hauptthema seiner Lebensphilosophie behandeln (vgl. z. B. Fam. 9,13). Etwas Wichtiges hat Petrarca mit seiner Reise verpasst, wie er nur kurz am Ende von Nr. 5 notiert. Erst Nr. 6 (von 1333/1337?) handelt davon ausführlich. Des Kardinals Bruder, der Freund Giacomo Colonna (seit 1328 Bischof von Lombez in den Pyrenäen), ist – entgegen seinem Versprechen – ohne auf die Rückkunft des Dichters zu warten, nach Rom abgereist, und das übersteigt alles, was der schwer Enttäuschte fassen kann. Jetzt schreibt er darüber so persönlich wie sonst selten, und jedes Wort und jede Wendung wird da vom wahrsten Schmerz diktiert und verrät die natürlichste Seelenkenntnis. Er bittet den Fehlbaren, seine Anklagen anzuhören und nachher auch als Richter zu amten (eine bei Streitsachen von ihm auch sonst verwendete Methode); er stellt immer neue Vermutungen an, um eine Entschuldigung zu finden, beschwört schliesslich den Freund, eine einigermassen einleuchtende oder schliesslich irgend eine Ausrede für so tief kränkendes „Desertieren“ vorzubringen; denn längst ist er bereit, jede für wahr anzunehmen, um weniger zu leiden. Mehr darüber erfährt der Leser jetzt nicht, erst später wird das Thema Romreise wieder aufgegriffen, sei’s, dass Petrarca eine ursprüngliche Zeitfolge der Briefe wahrt, sei’s dass er eine Chronologie fingiert oder sich hier wie oft um einen Wechsel und eine Mischung der Themen oder um andere Anordnungskriterien kümmert. Er wendet sich wieder Tommaso zu und kehrt dabei zum früheren Thema zurück, indem er in Nr. 7 (aus den dreissiger Jahren?) nach Humanistenart über An-
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griffe von seiten eines Dialektikers (oder Scholastikers) spottet. Ähnlich wird er auch in Fam. 1,12 über die Dialektiker herziehen und erst recht in Fam. 12,3 seinen Zorn über sie ausgiessen, indem er einen bestimmten Lehrertypus aufs Korn nimmt. Er hasst die wichtigtuerischen Schultyrannen, die mit ihrer ewig gleichen Einpaukerei kindisch bleiben, und er mag auch die Pseudogelehrten nicht, die mit ausgeklügelten Dummheiten andere Leute zu verwirren trachten. Dialektiker der letzten Art haben sich eben der Insel Sizilien bemächtigt, sagt er, indem er zum Gegenangriff übergeht. Er wirft ihnen vor (und kann sich dabei ganz auf seine antiken Autoritäten stützen), dass sie streiten, um zu streiten und sich Begriffsverdrehungen und die tollsten Schlussfolgerungen zu gestatten (9). Nicht dass Petrarca jede Dialektik für wertlos hielte; gegen einen solchen Vorwurf will er sich verwahren. Es gibt auch eine gesunde und hilfreiche; das räumt Petrarca ein, welche selbst von der Stoa (die er hochschätzt) jedem Studierenden empfohlen wird (3). Aber diese echte Dialektik ist eine Wissenschaft, die ihr Ziel nicht in sich selber besitzt, sondern Fundament und Hilfsmittel für sämtliche anderen Disziplinen ist. Indem Petrarca das ausführt, folgt er – wie in manchem – einer langen Tradition der klassisch Gebildeten (selbst des Mittelalters). Im Lauf der Jahrhunderte hat sich die Kluft zwischen ihnen und einer wachsenden Schar selbstzufriedener trockenster Schulmänner vertieft, und Petrarcas Zorn ist sehr begründet. Seine Ausführungen schliesst er mit dem Rat, vor einem ewig zänkerischen Besserwisser zu fliehen, sobald er beginne, seine „Syllogismen herauszurülpsen“. Ein Quintilian-Zitat dürfte spätere Zugabe sein. Mit sehr schönen Vergleichen aus der antiken Dichtung gibt darauf Nr. 8 so einfache wie wichtige Auskünfte über die Erfindungsgabe und Schöpferkraft eines Schriftstellers sowie über ihre richtige Anwendung, ja auch über die ihm nötige Grundhaltung. Der Ausspruch Ciceros, dass der Mensch sich über das Tier dank seiner Sprache erhebe, will er richtig gedeutet wissen; er gilt nur, wenn das gute Sprechen als Ausdruck eines klaren Geistes verstanden wird (6). Unbestreitbar ist, dass der Mensch redend und schreibend Eigenes und Neues hervorbringen kann, doch besteht diese Fähigkeit weitgehend darin, Fremdes im wahrsten Sinne sich anzueignen, und das gelingt, wenn man die Bienen oder die Seidenraupen nachahmt (5), die das Vorgefundene in sich verarbeiten. Wissend, dass schon Seneca und Macrobius solches gelehrt haben und er, Petrarca, einen besseren Ratschlag nicht kenne, begnügt er sich mit Auslegungen der angeführten Schriftstellen in einer Art, die an Deutungen der Bibel durch die Kirchenlehrer erinnern. Allegorisch sind auch die heidnischen Werke aufzufassen, will man ihren tieferen, wahreren Sinn erkennen. Sie lehren, dass der Menschengeist sich immer bemühen muss, nicht zu erschlaffen, und dies in einem stillen Nachdenken (von Meditieren und Meditation ist die Rede unter 12; 20; 24), das der Wahrheit dient, nicht einem Ruhm vor der Menge und nicht der Gefallsucht. Indem Petrarca auf eine immer neue Betonung
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der Zufriedenheit mit den eigenen, von höherer Macht empfangenen Fähigkeiten nicht verzichtet, vertritt er ein durchaus humanistisches Anliegen des Masshaltens und des Sich-Bescheidens (8); die zitierten Anweisungen zur Rhetorik sind ihm zugleich auch Lehren der Sittlichkeit (9 ff.). Nutzlos, ja verhängnisvoll ist es, krampfhaft nach schönen und ungebräuchlichen Redewendungen und überhaupt nach all dem zu suchen, was die eigene Kraft übersteigt. Jeder hat vielmehr drauf zu achten, gute Leistungen innerhalb seiner ihm gesetzten Grenzen zu vollbringen. Um das einzuprägen, führt er eine vielsagende Anekdote aus Quintilians Rhetorik an, und das ruft nach der Frage, ob Petrarca in seiner frühen Jugendzeit dieses Werk bereits gekannt habe. Das ist nicht wahrscheinlich. Somit muss man damit rechnen, dass Petrarca nachträglich Überarbeitungen vorgenommen habe. Der Brief zeugt überhaupt von grosser menschlicher Reife, und dass Epikur anerkennend zitiert wird, verweist wiederum eher auf eine spätere Zeit. Die Unerlässlichkeit der Sprachkultur für jeden Menschen und für die gegenseitige Förderung der Menschen über Zeit und Raum hinweg erläutert der Dichter in Nr. 9. Für einmal unterstreicht er entgegen seinem Brauch, aber durchaus im Sinn der Humanisten, dass ein Mensch dem andern mit Reden öfters sogar höheren Nutzen bieten könne als mit Taten (5), wie sehr das etwa bestritten werde, und er hebt dabei die Möglichkeit hervor, dank dem schriftlich festgehaltenen Wort in weite Fernen zu wirken (8), was anderen Künsten nicht gegeben sei. Die Behauptung, alles Wahre und Gute sei bereits in bester Sprache ausgedrückt worden und man habe nichts mehr zuzufügen, lehnt er entschieden ab (9). Doch mindestens ebenso wichtig ist ihm, mit Nachdruck zu unterstreichen, wie sehr Sprechen und Denken von einander abhängen (2 ff.) und wie sehr die Würde der Rede und die Hoheit der Seele sich gegenseitig fördern. Hier wird eine Grundüberzeugung des Humanisten ausgesprochen, die sich auf die besten philosophischen Schriftsteller der Antike (Cicero, Sokrates und andere) stützt. Die schon in Nr. 8 zitierte CiceroStelle wird hier als bekannt vorausgesetzt, und dass der Mensch dank seiner Rede über Tiere herrschen kann, wird mit den Fabeln von Orpheus und Amphion bewiesen (7 ff.). Dass der Mensch mit der sprachlichen Bemühung sich erziehe, führt er breiter aus. Aufrichtig, nämlich seinem Denken und Wesen gemäss sprechen, das bildet des Menschen inneres Ich und zeigt es. In diesem Innern muss umgekehrt die Voraussetzung für alles gute Sprechen gegeben sein, muss also Übereinstimmung der Neigungen und damit Ruhe herrschen (3 ff.). Hilft das schöne und gute Sprechen gleichzeitig von aussen nach Innen zur Klärung von Gedanken, dann schafft es innere Ordnung und Abgeklärtheit (so das passende Wort). Petrarca hat das an sich selber erfahren durch sein geschriebenes Wort. Seine seelischen Nöte und Unwetter hat er oft mit der Lektüre seiner eigenen Schriften zu mildern vermocht. Mit diesen handelt er – der Vergleich drängt sich ihm auf – wie ein Arzt, der sich selber besser zu heilen vermag, als jeder Fremde an ihm tun könnte; er
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weiss, wo seine Schmerzen sitzen und spürt ihnen sicher nach mit seiner eigenen Hand. An eine wahre innere Süsse, dulcedo (12), erinnert sich der Dichter, die ihn bei der Lektüre seiner Schriften wohltätig zu durchströmen pflegt. Das ist seine Art, sich auf seine Schwächen zu erforschen und auf dem weiten Meer seines Innenlebens die Wogen zu glätten. Seine Schriftstellerei dient am meisten ihm selber, so verrät er hier, und er wird es durch seine oft wiederholten Aussagen bestätigen. Lehrhafte Briefe zu verfassen, ist ihm schon deshalb innigstes Bedürfnis. Aber wie beim vorausgehenden Brief taucht bei dieser Nr. 9 die Vermutung auf, hier liege eine starke Überarbeitung aus späterer Zeit vor. Der Schlusssatz zum Beispiel könnte angefügt worden sein. Schliesslich gesellen sich mit Nr. 10 – 12 Stücke hinzu, die man als dichterische Übungen eines Anfängers oder als Exempel zuhanden eines solchen bezeichnen könnte. Karikaturen eines Geizhalses, dann eines Schmarotzers und eines Dialektikers werden geboten. Petrarca löst Aufgaben, die Tommaso ihm gestellt hat, und zwar unter ausgiebiger Benützung der alten Komiker, und er hofft, den Freund zu befriedigen. Die boshaften Übertreibungen erregen ihm immerhin einige Bedenken, und er zerstreut sie mit der Überlegung, dass er wenigstens keine Namen verrate. Das gehört zur Diskretion, die er sich und seinem Stand gewähren will; er übertreibt oft und gern, aber sein Gewissen verlangt – wie schon oben gesagt –, keinem Menschen zu schaden.
Hiermit geht das Buch 1 zu Ende. Seine Briefe beziehen sich (wenn man von der Widmung absieht) auf die Zeit zwischen ungefähr Mitte der zwanziger bis Mitte der dreissiger Jahre, also auf den der frühen Jugend kaum entwachsenen Petrarca. Ihre Anreihung entspricht kaum ihrer zeitlichen Abfolge, zeugt eher von der Absicht, Ungleiches zu mischen, um dem Leser Ermüdung und Überdruss zu ersparen. Petrarca äussert sich zuerst über den Plan, seine Prosabriefe zu sammeln und nennt dabei sein grösstes literarisches Vorbild Cicero. Es folgen Briefe, in denen er sich gegenüber besonders guten Freunden zu seiner Studienrichtung äussert und erste humanistische Grundanschauungen vorträgt. Dabei nennt er seine gegenwärtigen und seine zukünftigen Gönner (Kardinal Colonna und König Roberto), verrät seine jugendliche Neugier und seine Reiselust, die mit den Entdeckungen im „barbarischen Norden“ nicht zufrieden, nach dem Vaterland zielen. Italien gilt ihm als eigentlicher Hüter der wahren, in antiker Tradition verwurzelten Kultur.
Manches Bedeutsame kommt aber hier nicht zur Sprache. Der Leser erfährt zum Beispiel nichts von Petrarcas eifriger Suche nach Büchern, nichts von seiner Arbeit
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an einer Ausgabe der vom Geschichtswerk des Livius bereits bekannten Partien, nichts von seinen Gedichten in italienischer Sprache, nichts von seinem ersten Aufruf an einen Papst – 1334 war das der neu gewählte Benedikt XII. –, von Avignon nach Rom zurückzukehren. Gerade diese frühe kirchenpolitische Kühnheit ist jedoch für Petrarca höchst bezeichnend. Zeit seines Lebens wird er nicht schweigend dulden, dass die Päpste, die doch römische Bischöfe sind und bleiben müssen, ihr halb resigniert gewähltes, halb unfreiwillig erduldetes Exil in Südfrankreich zu ihrer dauernden Residenz machen. Das 2. Buch mit 15 Briefen erstreckt sich, so lehrt die Tabelle Wilkins’, über die Jahre 1331 – 1337/38 und überschneidet sich zeitlich zum Teil mit Buch 1. Es beginnt in Nr. 1 ohne Rücksicht auf die Zeitenfolge mit der Nennung des Bischofs Philippe im benachbarten Cavaillon, dem Petrarca mit einer herausragenden Platzanweisung in der Briefsammlung Verehrung zollt. Seiner Diözese gehört Vaucluse an, die Einsiedelei des Dichters liegt auf diesem Gebiet. Da nun dem Bischof ein Bruder gestorben ist, fühlt sich Petrarca zu einem langen Kondolenzbrief verpflichtet, zu einem jener Art, wie er sie noch oft verfasst. Ein fromm-philosophischer Traktat wird daraus, in dem sich die Weisheiten der alten Griechen und Römer, insbesondere die der Stoa – denn stoisch ist Petrarcas Grundhaltung – mit spezifisch christlichen mischen. Dem Hinterbliebenen gegenüber, bei welchem der Schreiber viel christliche Einsicht und grosse Festigkeit wahrnimmt, will er mehr loben als klagen oder ermahnen, ja, er versucht überhaupt, den Ton eines Zuspruchs nach Möglichkeit zu dämpfen, wie es einem blossen Kleriker wohl ansteht. „Menschlich ist es, Tränen zu vergiessen; männlich ist es, ihnen Einhalt zu gebieten“, so leitet Petrarca seine Ermunterung und zugleich Anweisung für richtiges Verhalten ein (2,1,4). Schon hier fällt auf, dass zu seiner Zeit selbst Männer bei starker innerer Bewegung das Vergiessen von Tränen nicht scheuen und gutes Mass leicht übersehen. Von Tränen und von der Notwendigkeit, sie rechtzeitig zu hemmen, ist denn auch in jedem Kondolenzbrief des Dichters die Rede. Schon hier tauchen auch die meisten seiner sonst vorgetragenen Kernwahrheiten auf, und hinter ihnen fehlt nicht die stoische Grundhaltung, welche auf die gute Natur vertraut und sich auf gesunden Menschenverstand, Geist und Willen stützt, um einsichtsvoll und gelassen jedes Geschick geduldig anzunehmen. Eben weil diese Gedanken das ganze Werk Petrarcas durchziehen, seien die wichtigsten unter ihnen hier aufgezählt, doch mit dem Bemerken, dass der Dichter sie klug und in einem schönen Sprachduktus erläutert und damit dem Leser wie eine schmackhafte Arznei einflösst. Sterben gehört, so lehrt er, zur Natur des Menschen; gegen die Natur kann man nicht klagen; sie hat stets recht (6 und 7). Der gläubige Mensch weiss, dass der Tote ins wahre Vaterland vorausgegangen ist (6 und 26 ff.). Er ist gestorben zur guten
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Stunde. Denn der Tod hat das Recht, zu jeder Zeit zu kommen, und wenn er kommt, ist die richtige Zeit da (7). Mit seiner Ankunft verkürzt er viel häufiger Leiden als dass er Freuden beschneidet (9 ff. und 28). Deshalb versteht der Tapfere froh zu sterben, wie Sokrates in seinem Tod beweist (11 ff.). Beklagenswert ist der Tod des guten Menschen nie, nur der Tod des schlechten ist ein Verhängnis, weil dabei mit dem Leib auch die Seele verlorengeht (10). Aber wie der Zeitpunkt, so ist auch der Ort, wo der Tod eintrifft, immer der richtige (14 ff.); Gott findet den Menschen ebenda am jüngsten Tag (18 ff.). Im Vaterland sterben zu wollen, zeugt von Gedankenlosigkeit; ohnehin hat der Mensch als Kosmopolit sein Vaterland überall, und der Weg zum Himmel ist auch von überall her gleich kurz oder gleich lang (14 ff.). Und recht bedacht ist die irdische Heimat nur Exil, während die wahre Heimat, die im Tod gefunden wird, für jeden im Jenseits liegt (20 ff. und 26). Das haben selbstverständlich bedeutende Heiden wie Cicero und der ältere Cato auch schon gewusst (20 ff.). Zu bedenken ist weiter, dass man die Gegenwart eines geliebten Menschen im Tode nicht verliert, man kann mit ihm genau so verkehren wie zu seiner Lebenszeit, wenn er abwesend und durch Distanzen entfernt war (24 ff.); das tut Petrarca persönlich – ohne es hier anzudeuten – in aller Selbstverständlichkeit fast Tag um Tag. Lange kann das, was man als Trennung empfindet, ohnehin nicht dauern, weil ja jede Frist des Menschen kurz ist. Und schliesslich entspringt manche Trauer mehr der Eigenliebe als der Sorge um den Toten; dessen muss man sich bewusst sein. Die Beteuerung, dass der Adressat das alles schon selber wisse, darf hierauf nicht fehlen. Mit ihr gelangt Petrarca zu einer Aufzählung würdiger Beispiele für mannhaftes Sterben, und unter diesen ist die Antike – hier wie immer – besonders gut vertreten. Dabei kann der Dichter einen Schmerz nicht unterdrücken, wenn er bedenkt, was so überaus gewiss wie beklagenswert ist: sicut notissimum ita dolendum (21), dass nämlich diese von ihm so sehr verehrten Toten keine Christen waren und daher die Seligkeit der Getauften nicht erlangen. Viel hätte er darum gegeben, ihr Schicksal im Jenseits zu verbessern; aber den Theologen von damals zu widersprechen, gestattet er sich so wenig wie vor ihm Dante, der sogar den edelsten unter ihnen nichts Besseres als eine Vorhölle oder einen Vorhimmel anzuweisen getraute. Bei der Anspielung an das Schicksal der Heiden lässt Petrarca es bewenden. Dann stellt er eine sonst nicht häufig vorgebrachte Frage an sich selber, ob er denn die genügenden persönlichen Erfahrungen mitbringe, um den Trauernden auch wirklich trösten zu können. Er weiss also, Bücherweisheit zu kennen und weiterzugeben, kann nicht genügen; die beste Lehrmeisterin und die beste Vermittlerin von Weisheit ist die Erfahrung. Wieder ist ungewiss, ob ein solcher Hinweis schon in der frühesten Fassung des Briefes gestanden hat. Gedanken an den Tod werden in einem 2. Schreiben an einen andern Adressaten festgehalten, aber um naheliegende Themen ergänzt. Schonungslos zurechtweisend sind da schon die Anfangssätze. Schwere Bedenken, die der Bekannte darum hegt,
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weil die Leiche eines toten Freundes ins Meer versenkt wurde, werden als lächerlich abgetan. Das erwartet der Leser, der den Brief 2,1 kennt, gewiss nicht anders. Hinweise auf Totenbestattungen in anderen Zeiten und in fremden Kulturen folgen (12 ff.), wobei Petrarca sich mit aufklärerischer Toleranz dagegen ereifert, dass man unüberlegt für richtig, ja für einzig richtig ausgebe, was man doch nur eigene Gewohnheit nennen könne. Ganz allgemein sei unangebracht, seine Gewohnheit für besser auszugeben als eine fremde, und was insbesondere die Begräbnisart betreffe, so kenne er andere Kulturen und andere Zeiten mit ganz anderem Brauchtum (17 ff.), das auf Römer geradezu erschreckend wirken müsse, aber nicht kurzerhand verpönt werden dürfe. Er appelliert an den Verstand und illustriert seine Überlegungen – wieder gemäss seiner Neigung – vor allem mit Beispielen aus der Antike. Doch mischt er unter sie, was der Leser vielleicht mit besonderem Dank quittiert, auch Exempel aus der jüngsten Vergangenheit oder gar aus der Gegenwart. Dass mitten in einem Seegefecht ein genuesischer Anführer Doria (7, f.) seinen gefallenen Sohn ohne Umstände ins Meer wirft, ist richtig, unter gegebenen Umständen sogar bewundernswert und hat nichts Befremdliches an sich; das hat der Adressat zu begreifen. Nicht allein zur Toleranz wird hier gemahnt, sondern fast noch mehr zum Überdenken des eigenen Brauchtums und des eigenen Standpunktes. Sehr nüchtern wird auf den modernen Leser der Brief Nr. 3 wirken. Er ist aber nicht weniger als Trost- und Mahnbrief gemeint und für einen uns unbekannten Exilierten geschrieben worden, für einen Witwer, der offenbar in Staatsdiensten tätig gewesen war, dann aber mit seinen zwei Söhnen ins Ausland verwiesen wurde. Sein Schicksal ist ihm unerträglich, und wenn Petrarca ihn ermuntert, denkt er zweifellos an viele andere, die damals das selbe Flüchtlingsdasein ebenso missmutig ertragen. Wie man sich bereits denken kann, wird er den Klagenden vor allem zurechtweisen und ihm die Haltlosigkeit seines Kummers dartun. Wirklich zielt sein Wunsch dahin, den Mut des Freundes zu stärken, und deshalb kennt er ein Mitjammern und Mitleiden nicht. Stoisch sind wiederum viele Gedanken, und sie stehen in klarer geistiger Nachbarschaft zu denen der vorangehenden Briefe. Festgehalten wird, dass es einzig von der inneren Einstellung eines Menschen und von seiner Meinung abhängt, ob er im Ausland ein Verbannter oder ein freier Mann ist. Der Angesprochene kann sich, bei einigem gutem Willen und klarer Vernunft, in der Fremde die Würde und geistige Überlegenheit erhalten, die er zu Hause gepflegt hat (2 ff.). Der beste Trost liegt aber für jeden Menschen selbst unter traurigsten Umständen in der Hoffnung, die man nie aufzugeben braucht, im besonderen Fall in der Hoffnung auf Rückkehr (7 ff.). Inständig bittet Petrarca, sie nur ja nicht – entgegen aller Notwendigkeit – fallen zu lassen, weil dies das einzig Fatale wäre; der Adressat soll das unbedingt beherzigen. Um ihm solches zu erleichtern, berichtet Petrarca von eine Reihe verschiedener Staatsmänner der Antike (Camillus, Rutilius etc.), die verbannt und dann ehrenvoll zurückgerufen wurden (8 ff.), fast als
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wüsste er nichts von den anderen, die umsonst auf eine solche Rehabilitierung gewartet hatten, und darin besteht eine Schwäche seiner Argumentation. Besonders lebendig und in recht aussergewöhnlicher Breite werden die Schilderungen von zwei glänzenden Vorbildern der vorausgehenden Jahrhundertwende (17 ff.), nämlich vom berühmtesten der Colonna und vom ersten der mächtigen Visconti ausgeführt; und gewiss hätten diese beiden Exempel auf den Briefempfänger am ehesten Eindruck gemacht, wäre er für Trost überhaupt empfänglich gewesen. An die Predigt der Hoffnung fügt Petrarca erst gegen den Schluss hin andere, uns schon bekannte Lehren an. Dass der Mensch an seinem Geburtsort hänge, sei eine natürliche Schwäche, sagt er, als wolle er sie fast entschuldigen, aber er verlangt, dass man sie überwinde (31). Der Weise vergesse nicht, führt er aus, dass er als ein Kosmopolit überall zu Hause ist (das könnte in der damals grossen Menge von Verbannten längst ein geflügelter Trostspruch gewesen sein). Wenig oder gar nichts zu klagen habe der Freund, wenn er, was ihm niemand verwehre, sein wahres, richtiger sein einziges Gut, seine Tugenden, virtutes, mitgenommen habe (27); diese dürfe er im Exil sogar vermehren. Für ein besonderes Glück habe er überdies zu danken, weil er seinen beweglichen materiellen Besitz habe mitnehmen dürfen und selbst seine beiden Söhne ihn begleiteten (32). Eine grosse Erleichterung bedeute es zudem, dass ihm zum Aufenthalt eine der vortrefflichsten Städte, nämlich Florenz bestimmt wurde (30). Was wolle er denn mehr? An dieser herben Belehrung soll der Exilierte sich aufrichten. Doch dieser erweist sich als unbelehrbar, er hat just die Hoffnung fahren lassen, weshalb Petrarca, nicht wenig enttäuscht, in Nr. 4 bereit ist, ihm alle Lust an seinen Leiden zu gönnen. Eine funesta perversitas (4) hat Petrarca in den Menschen, und wohl zuerst in sich selber (vgl. Secretum 1,4,5), entdeckt, die verhindert, dass der Jammernde sich einem Trost zu öffnen bereit ist. Nun soll also der Exilierte mit Petrarcas Genehmigung sozusagen befriedigt verzweifeln, desperare (6) und seines Exils und Schmerzes ein volles Leben lang und selbst im Tode sicher sein (4 ff.; 12). Der Dichter sieht jetzt davon ab, hervorzuheben, was die Last der Verbannung verringern könnte. Gelobt – und nicht etwa beklagt – sollen jetzt die Schwere des Schicksals und dessen Folgen sein. Völlig konsequent vermag Petrarca das nicht durchzuführen (9 ff.), weshalb die jetzt vorgebrachten Gedankengänge denen im früheren Brief nicht so völlig entgegengesetzt sind, wie angestrebt wird, aber geistreicher formuliert sind sie, mit Lust an der Ironie, die bewusst nach sokratischer Lehre eingesetzt wird, und sie zeugen von scharfem Einblick in das seelische Verhalten des Menschen. Tapferkeit, Mut, Konzentration auf das einzig Gute, das Geistige, hat der Exilierte zu erbringen. Statt äusseren Gütern wird der Angesprochene im Exil einen wahren Reichtum an Tugenden und dazu grosse Kenntnis vom Wesen der Fortuna erlangen (9 ff.); darüber hinaus wird er dank einem siegreichen Kampf mit dieser Macht grossen Ruhm erwerben (12). Was gibt es Herrlicheres?
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Fortuna wird, ob sie will oder nicht, das Ihre dazu beitragen (13; 17); und schliesslich wird der Exilierte sich aneignen, was in allen Nöten das beste Hilfsmittel ist, die Geduld (32). Der hohe Wert der Patientia, der als Hauptthema das letzte Werk des Dichters (De remediis utriusque fortunae) beherrschen wird, ist hier wenigstens kurz genannt. Nur das eine fürchtet Petrarca nun, dieses aber in hohem Mass, dass nämlich der Adressat nicht nach eigener Meinung und auch nicht nach der seines besonderen Ratgebers Petrarca handle, sondern nach der gängigen Auffassung anderer Leute frage (20). Nichts Schlimmeres gibt es, als sich vom Urteil der Menge abhängig zu machen. Wenn Petrarca auf diese „grässlich ansteckende Pest“ zu sprechen kommt, hat er der abschreckenden Worte kaum genug. In der Menge mutmasst er seine einflussreichen Gegner, nämlich schwächliche Leute, die Mitleid zeigen und damit alles verderben, den Jammernden wie einen Kranken behandeln, statt ihm zu zeigen, dass er gesund ist. Hat der Exilierte nicht im Exil sogar die Musse, seine Studien zu pflegen? (27) Da soll er sich doch vor der Torheit hüten, je wieder heimzukehren (27 ff.). Mit der Geschichte der Antike soll er sich beschäftigen; sie ist vitae magistra, die ihm unter anderem zeigt (28), wie die alten Feldherren fern von Zuhause in den ihnen zugesprochenen Provinzen ihre Heldentaten vollbrachten. Der Exilsort provincia tua est (31); hier hat er wie die alten Feldherren seine Tapferkeit unter Beweis zu stellen, von der schon Cicero rühmte, sie habe „unter allen Tugenden das strahlendste Antlitz“.Ist einmal als beste Waffe im Unglück die Geduld genannt worden, darf nun auch das Wort Fatum nicht fehlen. Darum fügt Petrarca am Schluss den auf stoischer Weisheit beruhenden, berühmten Satz des Kleanthes an: „Den Weisen zieht das Fatum, den Törichten zwingt es“. Das ist seine Lebensweisheit samt dem Glück, das er zu vermitteln weiss. Der Bibelworte bedarf er in diesen Briefen 3 und 4 nicht. Man darf sich nicht wundern, dass der Dichter, der seine eigene Sehnsucht nach seinem Vaterland nie ganz beherrscht, so entschieden gegen die Klagen von Exilierten angehen kann. Er schreibt immer nicht nur für den Adressaten, sondern – wie schon gesagt– auch für sich, und er misst das Richtige und Gute stets am theoretischen Hochziel, das ein weitgehend stoisches ist, nie am eigenen Versagen, dessen er sich allerdings nicht immer, und schon gar nicht in früher Jugend, in genügendem Mass bewusst ist. Geduld hat auch er nicht als festen Besitz, er muss immer neu nach ihr suchen und tut es oft in Ungeduld, wie sehr er das tadelt; aber sie bleibt stets sein erster oder letzter Ratschlag, wenn er Leidenden guten Mut zusprechen will. Von kunstvoller Rhetorik sind die philosophischen Ausführungen in den Briefen 5 – 8 für einen entfernten Verwandten des Kardinals Colonna, den Dominikaner Giovanni Colonna, der nach seinem Abschied aus Avignon über vielerlei, so über den Verlust der zurückgelassenen Freunde und über Hindernisse auf der Reise geklagt und sich dabei trüben Gedanken an einen möglichen Tod in der Fremde hingegeben hat. Die gedanklichen Zusammenhänge mit den vorangehenden Schreiben
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treten klar hervor. Auch der neue Adressat ist nach seiner Abreise gewissermassen ein Verbannter und einer der es nicht versteht, überall daheim zu sein, nicht daran denkt, das Ferne im Geiste in seine Gegenwart zu ziehen und sich in Geduld zu üben. Der jüngere Dichter beteuert zwar in Nr. 5 dem älteren Adressaten gegenüber liebevoll, er habe mit grösster Spannung auf Nachricht von ihm gewartet und sich seinetwegen Sorgen gemacht, und er ist hierauf auch bescheiden genug, die eigene Unfähigkeit im Streit mit seinen Leidenschaften zu bekennen; aber das hindert ihn nicht, im folgenden Brief Nr. 6 gegenüber dem selben Freund den Ton eines überlegenen Lehrers anzuschlagen. Schon hier lässt sich Petrarca zu tadelnden Worten hinreissen. Zuerst wirft er dem Freund ein Übermass an Wehleidigkeit vor, und dann versucht er ihn mit der Theorie zu heilen, dass Freundschaft durch keine Ferne beeinträchtigt werde; sie bestehe ja im Herzen, nicht in den Augen. Darauf lässt er in Nr. 7 jedes Verständnis für die Ungeduld eines reifen Mannes fallen, und das wirkt um so kecker, als er das höhere Alter des Freundes hier ausdrücklich hervorhebt (3).Um fünf bis sechs Jahre Unterschied kann es sich gehandelt haben, was heute für wenig gilt, doch damals eine erhebliche Frist darstellte. Richtig ist, so doziert er im Sinn der stoischen Gelassenheit, mit zunehmendem Alter jedes ungestüme Begehren, jede mehr als mässige Neugier und jedes heftige Verlangen abzulegen. Nicht einmal nach Gott darf man ungeduldig streben, was auch nicht nötig ist, da er immer schon da ist. Doch der Empfänger des Schreibens ist nicht nur älter, er ist – ob sehr gebildet oder nicht, jedenfalls viel gereist und – Glied eines christlichen Lehrordens, wird also vielleicht diesen Unterricht von seiten des jüngeren Freundes mit einigem Befremden anhören. Das kommt diesem schliesslich auch in den Sinn, doch erst in Nr. 8, nachdem er dort unwirsch seinen Überdruss an solchen Klagen ausgesprochen hat (10). Sie seien kindisch und im Munde eines Alten ganz unwürdig, meint er (1). Wirklich hat der Dominikaner auf seiner Reise bloss ganz Natürliches, aber weder Ungewöhnliches noch Sonderbares ertragen müssen, weshalb sich Petrarca nun in stoischer Art zum unnachsichtigen Anwalt der besten Mutter Natur macht (8). Das einzig Richtige und Vernünftige besteht darin, sich in Dankbarkeit ihr anzubequemen. Erst recht töricht ist es, – das hat man auch schon aus den vorangehenden Briefen gelernt – sich darüber Gedanken zu machen, ob man in der Heimat oder in der Fremde sterbe. Der liebe Pater hat das zu beherzigen und soll gleichzeitig am Leben des Schreibenden nicht Anstoss nehmen. Der hat ja auch seine Schwächen und weiss es; doch selbst ein kranker Arzt kann die Kunst des Heilens ausüben. Mit dieser Argumentation hat der Dominikaner sich abzufinden. Aber nach Anhörung dieser Lektionen stoischer Weisheit beginnt hier die Aufnahmebereitschaft des Lesers zu erlahmen, und dies um so mehr, als es scheint, Petrarca habe zwar nicht überall, aber vor allem in den letzten der angeführten Schreiben Angelerntes vorgetragen und noch kaum auf eigene Erfahrung geachtet; ja er habe sich erst als Anfänger darin geübt, sich über seine philosophischen Erkennt-
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nisse Klarheit zu verschaffen und sie allzu rasch weiter zu geben gewagt. Sympathisch wäre die Annahme, es handle sich bei diesen Briefen um blosse Fiktionen; sie seien nie an den Dominikaner abgeschickt worden oder der ältere Empfänger habe damit gerechnet, dass es sich um blosse Übungsstücke handle, die er eher als Lehrer mit einem nachsichtigen Lächeln zu beurteilen, denn als Schüler zu beherzigen habe. Von den Grundsätzen allerdings, die Petrarca hier vertritt, ist er nie entschieden abgerückt, und die Richtlinien der stoischen Ethik hat er nicht allein andern vorgetragen, sondern mit der Strenge seines Ehrgeizes selber von Jugend auf einzuhalten versucht – wohl ängstlicher als die meisten seiner Gefährten, denen er sie aufdrängte – und sich dabei straffere Zügel angelegt, als zur Bändigung seines heissen Temperaments von Gutem war. Die letzten Briefe 9 – 15 sprechen andere Verwandte des Kardinals Colonna an und schliesslich diesen selber. Damit beginnt der Charakter des Buches sich zu ändern; er wird autobiographisch, denn Petrarca macht zum Hauptthema sich selber mit seinen Erlebnissen und Unternehmungen. Bischof Giacomo Colonna, sein besonderer Vertrauter, der, wie oben schon gemeldet wurde, gegen alle Abmachung allein nach Rom gereist war, hat auf die wehmütigen Vorwürfe von Nr. 1,6 scherzend geantwortet, und nun geht Petrarca in Nr. 9 so selig wie umständlich auf dessen Neckereien ein, gelangt dann zu Selbstanklagen und offenbart dabei einige seiner drückenden Sorgen. Er besitzt keineswegs die Weisheit, die der Freund – freundschaftlich spottend – an ihm bewundert. In einer Welt, in welcher das Böse sich verkleidet und als das Gute maskiert, um desto sicherer auf Irrwege und in Abgründe zu verlocken (4 ff.), findet er sich schlecht zurecht. Er kämpft unter hochgehenden Wogen und ist vom rettenden Ufer weit entfernt (das Bild kehrt wieder); er hofft nur auf eine rettende Hand aus der Höhe (17). Auf lächelnde Fragen des Bischofs, wie es denn um seine Liebe zur Antike und seine Beschäftigung mit christlichen Lehren bestellt sei, antwortet er mit einem klaren Bekenntnis. Er bleibt verehrender Schüler der Weisen und Poeten aus der klassischen Frühzeit, so weit – und das ist die wichtige Einschränkung – als sie in die Richtung der christlichen Wahrheit zeigen, und er weiss, dass er dabei wie Augustinus handelt (8 ff.; 16 ff.), der seine heidnischen Lehrer nie verleugnet hat. Diesen Kirchenlehrer hat der Dichter sich zum grossen Führer genommen, daran zu zweifeln, wäre ein Unrecht; das hat ihm der Freund und Bischof zu glauben. Und wirklich ist in diesen Äusserungen Petrarcas über humanistische Studien und christliche Gesinnung der Name Augustinus von eminenter Bedeutung. Augustinus bleibt für ihn auf immer der grosse Lehrer in aller Ratlosigkeit und der entscheidende Helfer bei vielfacher Beschämung; denn welch ein Trost liegt darin, dass er die Qualen eines Suchenden und Irrenden dank eigener Erfahrung bestens kennt, weil er in seiner Jugend auf Irrwegen ging wie der Dichter und wie dieser nur mit Gottes Hilfe dem ewigen Unheil entrinnen konnte!
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Und notwendigerweise fällt hier in Nr. 9 noch ein anderer Name, nämlich der von Laura (18). Der Freund Giacomo hat ihn schon früher aus Petrarcas Mund oder Feder vernommen, aber er will darunter bloss die von Petrarca innig begehrte Auszeichnung, den Lorbeer der Dichter (laurus, laurea), verstehen und hält eine Frauengestalt Laura für rein dichterische Erfindung, mit welcher Petrarca sein dichterisches Ansehen erhöhen wolle. Doch fast flehentlich versucht nun der Dichter ihm das auszureden; er möchte, dass der Angeredete eine ihn quälende Not begreife (vgl. Fam. 4,6,1 und 8,3,13); ihm hat er schon immer am ehesten seine Sorgen verraten. Und kein Zufall ist es, dass Petrarca in den Familiaren einzig hier gegenüber dem besten seiner Jugendfreunde, aber an keiner anderen Stelle dieser Briefsammlung mit dem Namen Laura absichtsvoll in aller Klarheit seine Liebe zu einer bestimmten Frau bekennt (in 8,3,16 bleibt es bei einer Andeutung). Dabei ist der Name nicht Ausdruck für eine liebende Seligkeit, sondern für die Wehmut eines schwer Leidenden. Wer diese Frau Laura ist und was alles hier im Bekenntnis Petrarcas eingeschlossen wird, bleibt ungesagt. Darauf aber sei hingewiesen, dass der Dichter um jene Zeit (1336/1337) Vater eines Sohnes wird, dessen Mutter eben nicht seine vielbesungene hohe Liebe ist. Nichts erwähnt er von einer ihm mittlerweile erteilten Erlaubnis, dem Freund Giacomo nachfolgen zu dürfen; er ist ihrer vielleicht noch nicht sicher; jedenfalls fühlt er sich gedrängt, noch einmal seine Sehnsucht nach der ewigen Stadt zu beteuern (24 ff.). Rom ist ihm ein Abglanz des Himmels. Mit der Nennung der Stadt fallen ihm – wie könnte es anders sein – zuerst römisch heidnische Staatsmänner, Philosophen, Helden ein, so ein Scipio (25), und erst nachher die Fülle christlicher Altertümer und heiliger Reliquien (28). Nun ist es an den Brüdern Colonna, ihm endlich die Reise dorthin zu gestatten, und sie zögern nicht, es zu tun. Eine kleine Betrübnis bleibt am Ende des Briefes (30) nicht verborgen. Etwas weniger scherzender Spott und etwas mehr Herzlichkeit hätte Petrarca nicht ungern entgegengenommen. Mit dem hohen Adel Freundschaft zu pflegen, ist eben nicht leicht; er wahrt den Abstand. Das wird Petrarca mit der Zeit klarer bewusst, und das drückt er später deutlich aus (Fam. 8,4,22). Und doch: Mit welcher Verehrung hängt er an seinem Bischof Giacomo! In der Reihe der Adressaten folgt nun ein Bruder des Kardinals Colonna auf den andern. Da ist Bischof Agapito Colonna, vielleicht jünger als Petrarca, der in Nr. 10 darüber belehrt wird, wie verkehrt es ist, vor allem nach Vermögen Ausschau zu halten, und der etwas später das Lob vernehmen darf, er habe den ersten Schritt zur Besserung getan. Dem Schreiben Nr. 11 entnimmt man, dass der selbe Bischof von seinem Lehrmeister zu einem Besuch gebeten wird. Mehr als ein sehr bescheidenes Gerichte hat er in der Einsiedelei nicht zu erwarten; aber mit einem prächtigen Plautus-Zitat würzt Petrarca seine Einladung. Damit ist die Kluft überbrückt, die das Buch in 2 Teile trennt. Die letzten 4 Briefe sind Schilderungen von Petrarcas frühesten Annäherungen an die Erfüllung seines
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damals ehrgeizigsten Wunsches. Denn wirklich wird ihm 1337 die erste Reise nach Rom ermöglicht. Im Vorfrühling verbringt er erwartungsvolle und glückliche Tage in Capranica bei Sutri im Haus einer Schwester des Kardinals und ihres Gatten (Nr. 12); mitten in der friedlosen, ja hasserfüllten Umgebung, lebt das Ehepaar als Liebhaber des Friedens gleich Lämmern unter Wölfen und wie „Lilien unter Dornen“; so betont er in Nr. 13, und diese hohen Töne darf man nicht vergessen, denn später, wenn Petrarca einen entscheidenden Wandel vollzogen hat, findet er immer seltener ein Wort der Anerkennung für römische Adlige ganz allgemein und denkt dann nicht daran, die Colonna von Anklagen auszunehmen (Fam. 11,16). Hier in Capranica holen der Bischof Giacomo und andere Colonna den Dichter ab und führen ihn unter bewaffneter Begleitung in die unter Adelsfehden leidende ewige Stadt (13), und es sind eben diese Familienkämpfe, die der Dichter schon über kurzem zu den grössten Verhängnissen für die römische Bevölkerung rechnen wird. Von Rom aus datiert Petrarca seinen Brief 14 mit dem bedeutungsschweren Datum Iden des März, also mit dem Tag der Ermordung Caesars durch die Verteidiger der Republik. Er hat zwar eine gewaltige Bewunderung für den grössten römischen Staatsmann und Feldherrn, aber eine eigentliche Verehrung schenkt er Brutus, dem Mörder Caesars, dem Wiederbringer der Freiheit. Davon ist im erwähnten Brief allerdings nicht die Rede. Dieser ist ausserordentlich kurz. Eine Schilderung grossartiger Eindrücke erhält man nicht. So sehr ist Petrarca überwältigt von dem, was er sieht und erlebt, dass er seinem Herrn nichts anderes meldet als sein Unvermögen, darüber zu sprechen. Er vertröstet jenen und sich selber – wie so oft – auf später, und damit hat man sich abzufinden. Man erfährt aus anderen Quellen, dass er auch in Rom von den Colonna aufgenommen wurde. Ein Versuch in Nr. 15, die Schwestern des Kardinals durch den knappsten Vergleich mit Frauen der Antike zu verherrlichen, beschliesst die Darstellung der Erlebnisse auf dieser Romreise.
Buch 2 beginnt mit dem Kondolenzbrief für Philippe von Cavaillon. Hierin und in einer anschliessenden Reihe belehrender Briefe behandelt Petrarca Fragen zum richtigen Verständnis von Tod und Leben, besonders zum richtigen Verhalten in der Verbannung. Antworten gibt vor allem die Ethik der Stoa, gibt aber bereits auch Augustin. Ein neues Bekenntnis zu dem, was man humanistische Bildung nennt, bleibt nicht aus; es rechtfertigt sozusagen Petrarcas Ausbruch aus seinem Exil. Die Colonna ermöglichen ihm die lang schon ersehnte Reise nach Rom, wo er menschenwürdige Kultur besser als anderswo, übrigens auch seine irdische Heimat und den Himmel auf Erden zu gewinnen meint. Die Mehrzahl der Adressaten gehört der römischen Familie Colonna an. Petrarca nimmt die Gelegenheit wahr, sie zu ehren. Dass er nach seiner Rom-
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reise sein Hauptwerk Africa in Angriff nahm, erfährt man aus anderen Quellen.
In Buch 3 führen die 21 Briefe – gemäss Wilkins’ Tabelle – vom Ende der dreissiger Jahre bis wenigstens an den Beginn der vierziger Jahre heran. Über die meisten mit ihnen auftretenden Fragen der Datierung kann man in dieser Einleitung hinweggehen, doch sämtliche Schwierigkeiten dieser Art einfach zu verschweigen, wäre unstatthaft. Ein bezeichnender Fall von Unstimmigkeit liegt gerade bei 1 vor. Dieses Schreiben würde sich mit seiner geographischen Untersuchung wie ein erratischer Block ausnehmen, der mit den vorausgehenden und nachfolgenden wenig zu tun hat, trüge es in der Adresse nicht wenigstens den selben Namen wie das nächste und stünde nicht da wie dort ein Wort von einer Reise. Petrarca antwortet, so gut er vermag, auf die alte, ihm von seinem – uns schon bekannten – Studienfreund Tommaso vorgelegte Frage, wo die sagenumwoben Insel Thule liege, und behauptet von sich gleich am Anfang, er weile soeben nahe an der Nordsee, wozu er nachher noch anfügt, genauere Nachforschungen seien ihm ebenda verwehrt; Bücher habe er nicht zur Hand und weit und breit verstehe niemand die lateinische Sprache. Ob es aber richtig ist zu glauben, Petrarca habe eine ausführliche, von genauer Kenntnis zeugende Abhandlung, in welcher die Meinungen der besten Gewährsmänner gegeneinander abgewogen werden, wirklich fern aller wissenschaftlichen Hilfsmittel auf einer Reise (von 1333 ?) geschrieben, und dies so gut wie unvorbereitet auf Verlangen eines fernen Freundes, oder ob man annehmen muss, alles oder nur die äusseren Umstände seien fiktiv, wird kaum je mit Sicherheit zu beantworten sein. Bereits zitiert er hier Plinius, was in einem seiner frühen Briefe nicht selbstverständlich ist. Dagegen entspricht es seinem Charakter sehr genau, wenn ihm schliesslich das „Erkenne Dich selbst“ wichtiger ist, als das Suchen nach einer fernen Insel, weshalb er abbricht. Man meint immerhin, er hätte wenigstens den Ort, an dem er sich zur Zeit der Abfassung des Briefes befand, benennen müssen, doch am Ende steht Vale und sonst nichts. Daran schliesst sich eine so lange, so bunte und ununterbrochene Kette von Kurzbriefen an, wie man sie sonst in den Familiaren selten findet. Sie enthalten Belehrungen über vorwiegend sittliches und politisches Verhalten, und vermuten darf man, dass sie in Avignon verfasst wurden, sofern Petrarca nicht ausdrücklich Vaucluse und sein Haus an der Quelle der Sorgue angibt. In dieser Einleitung können sie nur kurz behandelt werden. Zuerst wendet sich Brief 2, der aus Avignon abgeschickt wird, gegen ein ruhelos suchendes Umherreisen, das nichts als materiellen Gewinn bezweckt. Der Verfasser gesteht allerdings – und knüpft damit an Nr. 1 an –, dass er auch selber soeben auf
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Reisen gewesen sei, das aber aus blosser Neugier. Der Unbekannte hingegen, der sich der Fortuna ergeben hat, wird in deren Strudel auch umkommen. Nicht das Reisen an sich wird getadelt, sondern der im bestimmten Fall verfolgte Zweck; wozu anzumerken ist, dass Petrarca das Reisen in den kommenden Jahren oft geradezu als Heilmittel gegen seelische Verstimmungen empfehlen wird (vgl. Fam. 8,5,8 ff.; 9,13,9 ff. etc.). Und wiederum eine Warnung enthält der folgende Brief 3 (wohl vom Jahr 1333 und ebenfalls aus Avignon), der sich an den jüngeren Stefano Colonna richtet. Ihn hat der Dichter schon vor seiner Romreise kennen gelernt (Fam. 2, 13, 4), dann hat er von seinem Sieg in einem Treffen mit den Orsini gehört, wohl von jenem im März 1333, weswegen er sich nun gedrängt fühlt, ihn vor der Gefahr eines ungenützten Sieges sowie vor einer verfrühten Sicherheit zu warnen. Der Aufruf zur Wachsamkeit entspricht einer Sorge, die Petrarca häufig wiederholt, so zum Beispiel in einem späteren Schreiben an den Gross-Seneschal Acciaiuoli von Neapel (Fam. 12,4). Dabei wählt er jeweils sehr ähnliche Worte und denkt regelmässig nicht allein an eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Gegnern, sondern auch an einen ethischen Kampf im Innern eines Menschen. Immer gilt, dass ein Sieg kein Ende bedeute und dass ein geschlossener Friede grössere Wachsamkeit als der Krieg verlange (z. B. Fam. 2,2,3 ff.). Das belegt er regelmässig mit antiken Beispielen. Gewaltigen Schaden hat einst Afrika erlitten, weil Hannibal seinen Sieg nicht nützte (1), und hätte Pompeius der Grosse einen Caesar nicht entweichen lassen, so wäre der Menschheitsgeschichte eine unabsehbar lange Reihe von Unglücksfällen erspart geblieben. Sie zusammenzufassen, ist für Petrarca ein Leichtes. Um weitere Exempel für den verhängnisvollen Abbruch einer Kriegsbereitschaft ist er ebensowenig verlegen. Die Kämpfe des Colonna im Kirchenstaat versteht er – ein treuer Diener seines Herrn – als Einsatz für eine denkbar gerechte Sache (3) und darf sie deshalb als Kreuzzüge betrachten (5); auch zeigt er sich von ihrer Wichtigkeit so sehr überzeugt, dass er Stefano an Kaiser Theodosius den Grossen erinnert, für den sogar Gott selber und die Elemente gestritten hätten. Übrigens geht aus dem folgenden 4. Brief hervor, dass er zum Gelingen jenes Kampfes ein zweites Mal tut, was er als Dichter immer tun kann: Damit sein Aufruf auch von den Soldaten verstanden werde, legt er noch eine italienische Fassung vor, die allerdings, weil nicht in der Sprache der Römer geschrieben, den Familiaren nicht eingegliedert werden kann. Darüber hinaus dichtet er für Stefano auch Verse mit ganz besonderen Künsten, die er wenigstens einen Moment lang für eine glückliche Neuerung hält, bevor er merkt, dass andere vor ihm das selbe versucht hatten. Alles zeugt von grossem Bemühen, den Colonna angenehm zu sein. Doch stellt sich wieder die Frage, ob Petrarca rund zwanzig Jahre später, wenn er dem gesamten streitbaren Adel im Kirchenstaat die Hauptverantwortung für das Elend des römischen Volkes zuschiebt, den Streitfall von 1333 und die siegreiche Partei der Colonna noch immer in so günstigem Sinn beurteilen kann (vgl. Fam. 11,16). So viel
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ist klar: Diese parteiischen Briefe in seinen Familiaren zu verewigen, hielt er für richtig. Hierauf weigert sich der Dichter im 5. Brief mit einem überraschend unwirschen Ton, über das Einsiedlerleben im allgemeinen und über sein eigenes in Vaucluse eine schriftliche Auskunft zu geben. Nur in einer persönlichen Erfahrung kann der Adressat den Wert des Eremitentums erkennen, und er soll es nur versuchen, wenn er ernste Absichten hat. Das wird jedoch voller Misstrauen bezweifelt. Die Reizbarkeit erklärt sich kaum anders als mit irgendwelchen Kritiken aus der Umgebung des Dichters, und wirklich verweist er auf solche später sehr klar (vgl. Fam. 9,14), doch ohne anzugeben, wie ihr Inhalt lautet. Unzugänglich zeigt sich der Dichter dann auch in Nr. 6. Eine Zumutung ist es, ihn über Unehrenwertes zu befragen, das heisst, aus ihm Ratschläge für sogenannte materielle Güter herauspressen zu wollen (1). Was versteht man denn überhaupt unter Gütern? Petrarca nützt wiederum die Gelegenheit, sich zum Stoizismus zu bekennen (3). Dabei erwähnt er Ciceros Buch de finibus bonorum, wo man alles Einschlägige nachlesen könne, und lehnt es ab, drei Arten von Gut anzuerkennen. Es gibt bloss ein einziges, das geistige, die virtus, das ist das Ehrenwerte, das honestum, und das ganze Gerede von materiellen Gütern ist dummes Geschwätz. Materielles verdient den Namen des Glückes nicht; auf Epikur, der das Gegenteil behauptet hat, darf man gar nicht hören. Andere als solche schroffen Scheidungen wird man von Petrarca in den Fragen nach dem Guten zum vornherein nicht erwarten. Indessen gesteht er doch ein, dass materieller Erwerb nicht in jedem Fall ein Unrecht ist. Er weiss natürlich, dass auch er ohne solchen nicht leben kann. Den 7. Brief verfasst Petrarca für den ihm persönlich bekannten Paganino Bizzozzero; eine Veranlassung geben ihm Unruhen in Oberitalien (6 f.), deren es schon im Jahr 1339, aber auch 1342 oder 1346 und später gegeben hat. Sicher fällt das Schreiben in die Regierungszeit des mailändischen Stadtherrn Luchino Visconti. Denn der genannte Adressat Paganino ist der grosse Organisator und erste Ratgeber des Visconti. Ihm gegenüber will Petrarca nicht entscheiden, was prinzipiell besser ist, eine Monarchie oder Oligarchie, doch für die eben herrschende verworrene Lage Italiens glaubt er – bezeichnenderweise – die gerechte Strenge eines einzigen und gerechten Princeps wünschen zu müssen (1). Nur von der Tyrannis, die immer ungerecht ist, kann er segensreiche Macht nicht erwarten. Wenn er vom idealen König spricht, denkt er früher und später am ehesten an Roberto von Neapel, doch jetzt sieht er vor sich diesen Visconti und kann ihn kaum genügend bewundern und lobt dabei, „ihm fehle einzig der Titel, um König zu sein“(3).Ganz unrömisch wirkt Petrarca, wenn er dabei rühmend der sieben Könige Roms gedenkt, welche bei der Entmachtung ihrer Sippe einen dauernden Schrecken vor der Monarchie hinterliessen, aber er kennt ihre Verdienste und erreicht mit ihrer Aufzählung, dass der Vergleich mit ihnen dem Mailänder in hohem Masse schmeichelt
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(2). Denn natürlich nimmt der Dichter an, sein Schreiben werde in die Hände dessen geraten, von dem er so vorteilhaft denkt. Nach der Ehrung folgt immerhin gleich eine Einschränkung. Den Expansionsgelüsten des Visconti sollen Grenzen gesetzt werden mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl. Luchinos Eroberungen sind um jene Zeit für die Nachbarn aller Himmelsrichtungen ungemein bedenklich. Stammt der Brief aus den Jahren vor 1345, zeugt er möglicherweise von der Furcht vor einem Angriff auf das von Petrarcas Freunden Correggio beherschte Parma, der später wirklich stattfinden wird (Fam. 5,10). Jedenfalls rückt der Visconti im Piemont so entschieden vor, dass nicht nur die Anjous, sondern auch die Prälaten in Avignon alarmiert sind. Den Mailänder lässt Petrarca also durch Bizzozzero wissen, dass „ein grosses Reich leichter errichtet als erhalten wird“ und dass Masshalten ein Gebot auch für jeden Herrscher ist (5 ff.). Den Ansprüchen Luchinos kommt er zwar sehr weit entgegen; aber er setzt immerhin, wenn auch ohne Nachdruck, schon gleich an den Anfang des Briefes das Wort res publica hin (1), womit er ein alle Macht besitzendes Volk voraussetzt, von dem der Einherrscher abhängig bleibt. Denn auch wenn Petrarca es nicht betont, vertritt er hier wie immer die eine und gleiche Überzeugung, dass sich die Monarchie nicht anders als auf der Grundlage der Republik erhalten kann. Darüber wird man in den Familiaren noch manches hören. Und anzunehmen ist, dass im Gespräch mit Bizzozzero dieses Thema häufig erörtert wurde. Offen bleibt, an welchem Ort der Brief geschrieben wurde; je nach Jahr käme Avignon oder Parma in Frage. Nun wechselt das Thema mit dem nächsten Brief. Von Aberglauben und Weissagungen handelt Nr. 8. Sie werden vor allem unter Benützung von Argumenten Augustins als Scheinwissen und reine Dummheit entlarvt; Nutzen bringen sie keinen, sondern bloss Schaden, nämlich ständige Unsicherheit und Aufregung. Hierauf wird im 9. Schreiben die Trunksucht nach ihren verschiedenen Graden untersucht und vor dem ersten Schritt zu diesem Laster als dem verhängnisvollsten gewarnt. Wie fast immer, wenn Petrarca eine Lehre vorträgt, scheint sie sich auch hier auf eine bestimmte Person zu beziehen und doch ein grösseres Publikum zu berücksichtigen. Dann wendet sich der 10. Brief einem gewissen politischen Ereignis zu. Die Erwähnung des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich (2 und 3) gestattet eine ungefähre Datierung und erinnert gleichzeitig an einen Hinweis auf die selben Waffengänge in Fam. 3,1,6. Der Papst hat seine Rückkehr nach Rom aus verschiedenen Gründen, doch auch ihretwegen verschoben, was Petrarca jedoch nicht erwähnt. In Avignon glaubt man an eine Pflicht, zwischen den Parteien vermitteln zu sollen; Gesandte der beiden feindlichen Mächte gehen an der Kurie ein und aus, und von ihnen kann der Dichter mehrere kennengelernt haben (ebenda). Zur Zeit, da er Fam. 3,10 niederschreibt, hat sich das Kriegsgebiet nach wenigen und lokal begrenzten Kämpfen schon weit ausgedehnt (1 ff.); einen ähnlich gewaltigen Schauplatz ritterlicher Grosstaten hat die Welt seit Generationen nicht gesehen,
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wie der Dichter meint, und um so erbärmlicher erscheinen ihm Pflichtvergessenheit, Bequemlichkeit und Todesfurcht des Adressaten, welcher Vasall eines ungenannten Herrn (wohl des Franzosenkönigs Philippe VI.) ist. Er wird mit Beispielen aus der römischen Vergangenheit, die „stets die ehrwürdigsten sind“ (10 ff.), aufgerufen, sein Leben zu riskieren und seinem Herrn zu Hilfe zu eilen (5). Wo Pflichten bestehen, kann man nicht als Neutraler fernbleiben, um sein Wohlleben zu retten. Für den Neutralen sind die schlimmsten Strafen eben die gerechtesten. Falls diese eben angeführten Briefe je abgeschickt wurden und ihre Datierungen (zum Grossteil ans Ende der Dreissigerjahre) stimmen, kann man sich nur immer wundern, wie selbstverständlich Petrarca in seinen jungen Jahren gegenüber Gelehrten und Adligen hohen Ranges als ein achtunggebietender Ratgeber auftreten darf. Denn zu einer Lehrberechtigung hat ihm erst später die Verleihung des Lorbeers verholfen. Aber er besitzt als Dichter und als moralischer Ratgeber offensichtlich längst einen so weit hin schallenden Ruf – man weiss ja wohl, wie er schon Päpsten ins Gewissen geredet hat –, dass die Zeitgenossen vor lauter Bewunderung begierig sind, ihn persönlich kennen zu lernen, womit sie ihm auch gleich die Möglichkeit schaffen, sie mit einem Brief zu beehren, dank dem sie an seinem Ruhm teilzunehmen meinen, was immer darin stehen möge. Das Selbstgefühl des Dichters, der auf diese Verlockungen eingeht, verbindet sich allerdings – und den Hochgestellten gegenüber notwendigerweise – mit Bescheidenheit. Beglückt spricht Petrarca in Nr. 11 dem Herrn Gonzaga von Mantua seinen Dank für die ihm geschenkte Freundlichkeit im Umgang aus. Die grossen Unterschiede zwischen dem Hohen und Niedrigen seien durch grosse Huld wunderbar ausgeglichen worden. In solcher Weise wird er noch manchem Hochgestellten danken, weil er den Unterschied zwischen sich und den Herren nie übersehen, sondern immer als eine bedeutende Schranke verspüren wird (vgl. z. B. Fam. 5,2). Wann der Dichter die Huld der Familie Gonzaga gewonnen hat, ist nicht sicher anzugeben. Ihre Beziehung ist aber offenbar durch den Kanzler des Herrn von Mantua, den literarisch gebildeten Giovanni Aghinolfi vermittelt worden (3), denn dieser hat an der Kurie in Avignon die Wünsche seines Herrn vertreten. Gekräftigt wird nachher die gegenseitige Hochschätzung dank der allen drei gemeinsamen Freude an der Poesie, vor allem der volkssprachlichen, italienischen wie französischen. Sie gestattet dem Dichter, sich durch gewisse Gefälligkeiten, etwa durch Bücherbeschaffung, angenehm zu machen. Ihm liegt daran, mit allen den verschiedenen Herren in Oberitalien ein möglichst gutes Verhältnis zu pflegen, selbst dann, wenn sie unter sich verfeindet sind. Und wenn seine Briefe nichts davon verlauten lassen, dass er mit ihnen unter anderen Fragen auch politische bespricht, so ist das natürlich kein Beweis dafür, dass er mit ihnen über solche geschwiegen hätte. Einem frommen nur dem Namen nach bekannten Freund Marco aus Genua wendet sich Petrarca in Nr. 12 zu, nicht bloss als irgend ein Ratgeber, sondern gera-
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dezu wie ein Seelsorger, um nicht zu sagen Beichtvater. Dass er sich diese Rolle zulegt, setzt wohl einen ziemlichen Altersunterschied voraus, so würde man meinen; doch Petrarca belehrt Jung und Alt über fast Beliebiges. Für den Briefempfänger, der viel eher zur Beschaulichkeit als zur Tätigkeit neigt, jedoch keine Möglichkeit sieht, sich von politischen Verpflichtungen zu befreien, findet er Trostworte bei Cicero und Plotin, wo zu lesen ist, dass das Wirken für ein Gemeinwesen und für das Vaterland verdienstvoll sein kann und einem Menschen einen Platz im Himmel zu bereiten vermag. Mit grossem Vertauen darf der Dichter bei diesem wohl noch recht jungen Verehrer rechnen und kann ihm um so besser nachfühlen, als er ähnliche skrupelhafte Fragen über Pflichten gegen Himmel und Welt mit sich herumträgt, besonders wenn er bedenkt, dass er der Kirche angehört und von ihr Benefizien innehat (vgl. Fam. 12,11,8), ihr gegenüber jedoch nicht so gefügig ist, wie die Kirchenherren es von ihm wünschen. Noch Jahre später wird er versuchen, dem selben Freund mit Ratschlägen zu seinem Studium beizustehen (Fam. 17,9 und 20, 4); und dann wird er ihm Ausdauer im Rechtsstudium predigen, obwohl er gleichzeitig zu bekennen hat, dass er solches einst habe fahren lassen. Gleich nachher in Nr. 13 kümmert er sich nochmals um seinen alten schon genannten Freund Giovanni Colonna aus dem Dominikanerorden; es scheint, ihn habe er immer wieder mit besonderer Vorliebe zur Belehrung vorgenommen. Jetzt legt er ihm eine reizvolle Fabel vor, von der aber sogleich klar wird, dass sie als bitteres Tränklein zu schlucken sei. Denn sie leitet zur Frage über, ob wirklich der Angesprochene sich trotz seinem Armutsgelübde eine Krankheit der Reichen, das Podagra zugezogen habe. Wenn das zutrifft, erfüllt das den Dichter mit Schrecken (8). Der Ordensmann habe sich unbedingt auf sein Versprechen zu besinnen, das ihn Christus gegenüber binde (9). Wenn er übrigens auf Wein verzichte, so Petrarca, könne das für seine Gesundheit von Vorteil sein. Oft ziehe eben der Weingenuss die Gicht nach sich. Solche Zurechtweisungen hätten, vor allem durch Wiederholung, die Freundschaft sehr belasten können. Doch spricht es sehr zu Gunsten des Ordensmannes (aber wohl auch des Moralpredigers), dass sich die beiden immer wieder versichern, wie sehr sie in Liebe miteinander verbunden seien (Fam. 6,3,63 f.). Petrarca hat später selber sehr schwer an Gicht gelitten und zur Therapie nichts anderes zur Hand gehabt als sein allerletztes Heilmittel Patientia. Dann entschuldigt sich Petrarca in Nr. 14 für sein Unvermögen, Geld zu leihen, – und fügt in teils scherzhafter Weise philosophische Reden über Armut und Reichtum an –; Geld hat er im Augenblick just selber keines, wäre aber bereit, mit anderen Mitteln auszuhelfen. Denn das weiss er: Mit blossen Ratschlägen ist in solchen Fällen nie gedient. In Nr. 15 empfiehlt er darauf einem streitlustigen Weltverbesserer entschiedene Zurückhaltung. Einsehen muss jener, dass man mit Legionen ausrücken müsste, wollte man das Böse ausrotten (9). Fehler hat jeder; zu Freunden muss man sich die Menschen machen, bei denen das Gute das Böse überwiegt (6);
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das ist klüger. Dabei warnt er – man höre wohl – vor dem selbstgefälligen und selbstsicheren Optimismus der Stoiker, die zwar ihre Heilmittel gegen Laster anpreisen (also vor allem den Willen, die Vernunft, die Natur), aber unvermögend sind, ihre Versprechen zu halten (5). So überraschend tritt diese Kritik hier auf, dass man wissen möchte, zu welcher Zeit Petrarca sie hergesetzt hat. Soviel ist immerhin sicher, dass er früh schon lernt (von Seneca, aber auch von Augustinus), in manchen Punkten anders zu denken als diese Philosophenschule. Auch betonte er beizeiten, er habe sich keiner einzigen Philosophenrichtung verschrieben (Fam. 6,2,1), was sicher stimmt. Dennoch darf man sagen, dass er wesentlich stoisch bleibt. Zwei Kurzbriefe 16 und 17 wenden sich nochmals an den schon erwähnten Bizzozzero, den Ratgeber des Stadtherrn von Mailand. Der eine spricht von der Wandelbarkeit und Unbeständigkeit der Welt, von Fortuna, und hat – was nicht erstaunt – wieder nichts anderes zum Trost zu bieten als den Hinweis auf Patientia. Sich klug zu besinnen, bevor man sich zu einer Wohltat entschliesst, ist eine Mahnung im nächsten Schreiben an den selben Bizzozzero Die beiden Männer müssen sich schon in Avignon begegnet sein. Endlich bekundete der Brief Nr. 18 ein spezifisch literarisch-humanistisches Interesse, denn er besteht aus einer Aufzählung von Werken bester antiker Autoren und endet mit einer Bitte an den in Florenz lebenden Freund und Verwandten Giovanni dell’ Incisa, solchen Kostbarkeiten unermüdlich nachzuspüren, um sie dem Lesebegierigen zu übermitteln. Von seinem Hunger nach Büchern sagt er in anderen Schreiben verhältnismässig wenig; aber kein Zweifel besteht, dass er, wie er selber andeutet, zwar bescheiden in der Wahl von Speisen, Kleidung und häuslichen Dingen ist, dagegen bei der Anschaffung von Büchern sich keine Zurückhaltung auferlegt. Vieles, was man darüber wissen möchte, bleibt ungesagt, so zum Beispiel, was er sich die heiss begehrten Werke jeweils kosten lässt und mit welcher Genugtuung er sie seiner Bibliothek einverleibt oder mit wie grosser Aufmerksamkeit er die von Kopisten besorgten Abschriften verfolgt, die zusätzliche Auslagen verlangen. In der Sorge um den Erwerb antiker Schriften und um gute Korrekturen besteht ja eine seiner ganz unschätzbaren humanistischen Leistungen. Nun ist jedoch zu den Briefen 16 und 17 etwas nachzutragen. Es greift allerdings über einige Jahre hinweg. Ihr Adressat Paganino Bizzozzero wird 1346, kaum dass die Visconti von Mailand das begehrte und unter verschiedenen oberitalienischen Mächten heiss umstrittene Parma an sich gebracht haben, Podestà in besagter Stadt. Ob die beiden an ihn adressierten Petrarcabriefe erst in die Zeit fallen, da er dieses Amt in Parma schon innehat, lässt sich nicht ausmachen; der Dichter könnte sie früher geschrieben haben, als Bizzozzero im Auftrag seines Herrn noch in Avignon weilte und wegen Parma mit dem Papst als dem Oberherrn erst verhandelte. Doch wichtiger ist festzustellen, dass Petrarca mit dem Befehlshaber nicht ausschliesslich aus Sympathie freundliche Zeilen tauscht. Er hat ein Interesse an Parma.
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In Avignon ist ihm nämlich unter anderen italienischen Familien auch die von Correggio bekannt geworden, und diese gehört ihrerseits zu den Mächten, die sich um Parma bemühen. Petrarca hat ihr 1335 sogar einen Dienst geleistet, indem er gemäss ihrem Wunsch vor Papst Benedikt XII. mit Erfolg dafür eingetreten ist, dass die Anrechte berücksichtigt würden, die einer ihrer Verwandten, nämlich Mastino della Scala von Verona, auf die betreffende Herrschaft geltend macht. Seither hält der Dichter auf die Stadt ein wachsames Auge gerichtet und hofft auf kirchliche Stellen eben dort. An seinem Wunsch, sie zu erlangen, hält er fest, ohne sich einer der streitenden Parteien je näher zu verpflichten; er spricht davon möglicherweise mit Bizzozzero recht offen, und zu gegebener Zeit bittet er, was er jedoch in den Familiaren nicht heraussagt, an der päpstlichen Kurie geradezu um ein Kanonikat an diesem Ort, wobei er weiss, dass auch die weltlichen Herrschaften bei der Besetzung kirchlicher Stellen ein wichtiges Wort mitreden. Zu noch späterer, jedoch nicht genau bestimmbarer Zeit lässt er eine Bitte um das Archidiakonat in Parma folgen, worüber er in den Familiaren ebenso wenig berichtet. Wenn nicht alles täuscht, drehen sich aber im 3. Buch der Familiaren die Schreiben 19 und 20, von denen jetzt die Rede ist, um diese Sache und sind daher vage wenigstens mit den vorangehenden 16 und 17 dem Inhalt nach verbunden. Abgeschickt wurden sie an den Freund Laelius (Lelio, Lello) aus dem Kreis um Kardinal Colonna in Avignon. Vom Kardinal kann sich Petrarca eine Unterstützung seiner Begehren erhoffen. Die Briefe 19 und 20 lassen sich so schlecht datieren, wie die vorgenannten. Verschiedene Kenner setzen sie ins Jahr1346. Wie dem sei, jedenfalls malt Petrarca in Nr. 19 eindrückliche Bilder von den nie erlahmenden, aber traurigen Hoffnungen armer Leute in Vaucluse (wie in der vielleicht gleichzeitig entstandenen metrischen Epistel 1,10), und darauf spricht er von der zu allen Zeiten unverbrüchlichen Zuversicht bedrängter Kreaturen, niedriger und höchster, die nach unzähligen Misserfolgen in immer gleicher Weise an ihren Zielen festhalten. Plötzlich zeigt er am Ende in brüsker Wendung auf sich selber, hoffend, der Briefempfänger werde begreifen, wozu diese Schilderungen dienen, und einsehen, dass er, Petrarca, dieser ewig hoffenden aber doch unglücklichen Schar angehöre. Wie Freund Lelio im Schweigen verharrt, greift er nochmals zur Feder und versucht in Nr. 20 mit geistreich witziger Eindringlichkeit endlich eine Antwort zu erpressen, die verriete, was Lelio mit Hilfe des Kardinals beim Papst erreicht oder nicht erreicht habe. Er wird also deutlicher: Einen Bescheid erwartet er nun mit wachsender, bereits fast unerträglicher Spannung und will endlich lieber eine Absage hören, als länger in der Ungewissheit schweben, so sagt er zum Schluss. Worauf er aber so ungeduldig wartet, wenn nicht auf die Entscheidung in der Frage der begehrten Pfründen, lässt sich nicht denken. Sein Verlangen nach einer festeren Beziehung zu Parma bildet ein unsichtbares Bindeglied zwischen einer grösseren Zahl von Briefen, als es vor-
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erst den Anschein macht. Zieht man das folgende Buch 4 der Familiaren heran, kann man mit gutem Grund sogar behaupten, von dieser Stadt sowie von den um Parma streitenden Correggio und Visconti (und von deren Dienstmann Paganino) seien Petrarcas Gedanken damals kaum losgekommen. Doch ob seine Wünsche erfüllt wurden, verraten ganz andere Quellen. Das sind Dokumente aus der römischen Kurie in Avignon, die notieren, dass 1346 der Papst, seit 1342 heisst er Clemens VI., dem Dichter wenigstens das Kanonikat in Parma genehmigte, während er ihm das Archidiakonat erst später, im Jahr 1348, zubilligte. Angemerkt sei noch, dass ihm damit Aufgaben nicht der Seelsorge, sondern der Verwaltung und Rechtsprechung auferlegt wurden, für die er auf Zeit einen Vertreter anstellen konnte, wie er auch getan hat. Aber wie gesagt, greift man mit solchen Angaben sogar über die spätesten mutmasslichen Datierungen im 3. Buch der Familiaren hinaus. Am Ende dieses Buches werden an die Nummern 19 und 20 auch noch 21 und 22 angeschlossen – wohl nicht einzig mit Rücksicht auf den Namen Lelio, den immer gleichen Adressaten –. Es besteht ein vager inhaltlicher Zusammenhang zwischen allen vier infolge der wiederholten Bitten gegenüber Lelio um Fürsprache und um tätige Hilfe zur Linderung von Nöten, in welchen sich Petrarca und die arme Bevölkerung in Vaucluse befinden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen diese letzten Nummern, weil sie zu den seltenen Zeugen für das schöne Vertrauen gehören, das der Dichter bei den Anwohnern seines Tales erworben hat (man vgl. dazu Met. 3,5,55 – 59). Mag er auch immer wieder über seine Diener klagen und überdies feststellen, dass das Wort Freundschaft im Tal unbekannt ist (Fam. 11,12,3), so lässt er sich doch auf ein bedenkliches Gerücht hin von einem Bauern leicht zur Hilfe bewegen. Eine dort angstvoll besprochene Gefahr besonderer Art, welche an die der „Promessi sposi“ bei Manzoni erinnert, wird Petrarca bekannt, und sogleich drängt er den Freund Lelio zu wiederholten Malen, er möge beim Kardinal Colonna erwirken, dass er den für das Tal zuständigen Richter zur Milde bewege (21,2 ff.). Auch schickt er an Lelio den Bauern ab, der schon früher vor jenem erschienen ist und sich von dessen Liebenswürdigkeit geradezu hat hinreissen lassen (22,8 ff.). Er hat die traurige Lage der Verlobten mündlich zu erläutern und bringt als Geschenk einen Topf Öl mit (22,11 ff.).Was dem Boten zu berichten überlassen wird, braucht Petrarca nicht noch schriftlich auszuführen; er kann den Hauptteil seines Briefes dafür verwenden, schmeichelhafte Vergleiche zwischen der Überzeugungskunst des Adressaten Lelio und den entsprechenden Fähigkeiten grosser Gestalten der Antike vorzunehmen. Man liest von diesen Beispielen der Wortgewalt um so lieber, wenn man bedenkt, zu welchem Zweck Petrarca sich die Zeit nimmt, sie sorgfältig zusammenzustellen. Gerne wüsste man natürlich, welches Ende das Drama in Vaucluse genommen hat; doch weil Petrarca darüber völlig schweigt, verbleiben dem Leser nur grosse Bedenken.
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Nach einem Überblick über Buch 3 ist festzuhalten, dass es aus dem Zeitraum von ungefähr 1336 bis 1346 herausgreift, was Petrarca nach Belieben ohne viel Rücksicht auf Chronologie zusammenfügte. Übergangen werden die Ausflüge und Reisen jener Zeit; der Dichter weilt wechselnd in Vaucluse und Avignon. Schon geniesst er ein Ansehen, das ihm gestattet, selbst vor bedeutenden Herren als Ratgeber aufzutreten. Mit moralisierenden Briefen spart er nicht, und anknüpfend an Kontakte mit einflussreichen Personen aus Italien, die er in der Rhonestadt und auf Reisen kennen gelernt hat, spannt er Fäden nach Süden hin, indem er die Hoffnung hegt, in Parma Fuss zu fassen. In seiner Einsiedelei hat er das Vertrauen der armen Leute gewonnen; er setzt sich für eines ihrer Anliegen an der Kurie ein.
In Buch 4 kann der Leser von Verschiedenem, vor allem von Reisen hören, die Petrarca im 3. übergangen hat; die zeitliche Abfolge der Schreiben bleibt verwirrt. Vor allem muss der Leser sich einprägen, dass er von dem bereits erreichten Jahr 1346 (falls die Datierung stimmt) in ein früheres zurückversetzt wird. Denn als Nr. 1 steht in Buch 4 an exponierter Stelle unter der Adresse des väterlichen Freundes Dionigi da Borgo San Sepolcro (bei Arezzo) der berühmteste aller Briefe Petrarcas mit der Beschreibung seines Aufstiegs auf den Mont Ventoux. Er trägt das Datum: „Malaucène, den 26. April“, und anzunehmen ist, dass das Ereignis auf 1333 oder 1336 fiel. Einen triftigen Grund für die Annahme, der Dichter habe diesen Berg nie bestiegen und der ganze Brief sei fiktiv, gibt es jedenfalls nicht. Eher kann man sich fragen, weshalb er diesen Berg denn nicht sollte bestiegen und alles bloss erfunden haben. Sonderbar wäre es, wenn ihm die Schilderung selbst ohne eigenes Erlebnis so gut geglückt wäre; denn er konnte sich kaum auf Vorlagen stützen. Erstaunt geniesst er auf dem Gipfel das ihm fremde Wehen der Luft (was seine lebhafte Wahrnehmung verrät), und überwältigt ist er von der Weitsicht, die er nicht geahnt hat (16 ff.). Rauh, steinig, wild und vielhöckrig schildert er den Berg; dass seine Angaben mit der Wirklichkeit weitgehend übereinstimmten, ergibt sich aus Schilderungen des im 19. Jahrhundert dort forschenden Naturwissenschaflers J. H. Fabre († 1924), wogegen man heute aus der veränderten Bodengestaltung und Vegetation kaum noch zu richtigen Rückschlüssen fähig ist. Als eine waghalsige und dabei unnötige Unternehmung, ausgeführt aus blosser Neugier von einem jungen Privatmann (3), wie er sagt, aber immerhin von einem Kleriker, musste zu jener Zeit seine Besteigung auf alle Fälle gelten, wenigstens in den Augen der besseren Gesellschaft. Nicht umsonst hatte Petrarca einige Skrupel wegen ihrer Erlaubtheit zu beschwichtigen (3). Allerdings ist völlig klar, dass die uns überlieferte Brieffassung nicht am Abend nach dieser Fusstour geschrieben wurde. Sie stellt eine spätere
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Überarbeitung, vielleicht eine von 1351/1352 mit Zusätzen nach Petrarcas üblicher Art vor; aber sie berichtet eine wahre Begebenheit, die Petrarca einen besonderen Ruhm für eine Pionierleistung und für eine frühe Schilderung der Bergwelt einbrachte. Der Adressat Dionigi da Borgo San Sepolcro war Augustiner-Eremit. Von ihm hat Petrarca das Bändchen der Confessionen Augustins empfangen, das er auf den Gipfel mitträgt und von dem er sich auch sonst als einem Talisman gegen äussere und besonders geistige Anfechtungen nicht trennt. Dass er schon bei seinem Vermeiden der steilen Hänge und beim vergeblichen Suchen nach einem leichten Aufstieg zur Einsicht gelangt (12 ff.), die Art, wie er eben handelt, entspreche genau seiner Bequemlichkeit auf dem Weg zu geistigen Zielen, zur vita beata, und dass er bei der Rast auf der Höhe sein mitgebrachtes Büchlein öffnet und nach kurzer Lektüre seine weltliche Neugier reuevoll missbilligt und bändigt (26 ff.), weil sie ihn hindere, sich genügend um sein einziges Gut, die Seele, und ihr ewiges Heil zu kümmern, das charakterisiert genau die auch sonst sichtbare fortwährende Unsicherheit schon des jugendlichen Dichters, des skrupelhaften und pflichtbewussten Klerikers und Moralisten, der in sich unbändige Lebenslust und Tatendrang verspürt und auch immer gequält wird von leidenschaftlicher Liebe, sich aber selbst dann Unehrlichkeit vorwirft, wenn er sich nach seinen Mängeln fragt und sich dabei stärker an den Grundsätzen der stoischen Ethik als an einer christlichen misst (12 ff.). Diese Unruhe hat er auf seine Bergbesteigung mitgebracht, und sie verfolgt ihn da auf seinen nutzlosen Umwegen. Dabei hat er offensichtlich die wichtigste Entscheidung für sein zukünftiges Leben schon hinter sich, hat am Scheideweg sich schon früher für den schwierigen Aufstieg entschlossen und den bequemen breiten Weg abgelehnt. Aber seine weltliche Neugier ist, wie ihm bewusst wird, noch immer sehr viel grösser als sein geistiges Streben. Das muss sich ändern. Erst Jahre nach diesem Abenteuer am Mont Ventoux kann er dann die Raschheit, mit der sein jüngerer Bruder Gherardo den Anstieg überwand (11 ff.), als eine Vorbedeutung für dessen frühen Abschied von der Welt und für seinen mutigen Entschluss zum Ordensleben betrachten; und deshalb ist diese Überlegenheit des Bruders vorerst nur als eine allgemeine Klugheit gewertet, nicht auf das Geistige übertragen worden. Die Sehnsucht dagegen, die Petrarca bei seinem Blick vom Gipfel aus nach Süden hin überfällt, beweist ihm, dass er noch kein reifer Mann, auch kein guter Weltbürger ist, und dies wirkt auf ihn wieder als etwas Beschämendes (18 ff.). Doch er erinnert sich dabei grosser Gestalten, die sich im Verlangen nach ihrer Heimat nicht weniger verzehrten als er, und so beschwichtigt er seine stoische Strenge. Die Schilderung des Bergerlebnisses, Prunkstück am Eingang des Buches, hat mit dem Inhalt der nachfolgenden Briefe vielleicht etwas mehr zu tun, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wir vernehmen da von entscheidenden Schritten, die Petrarca auf dem Weg zu Ansehen und Ruhm, ob weltlich oder religiös, unter-
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nimmt. An ein Abirren von seinem höchsten Ziel hat man offenbar nicht zu denken. Dionigi ist ihm streckenweise ein Mentor, und an diesen Augustiner ist denn auch das 2. Schreiben gerichtet, das man mit guten Gründen auf 1339 datiert. Kurz vorher ist der Ordensmann einem Ruf des Königs Roberto nach Neapel gefolgt und darf sich dort, wie Petrarca fast neidvoll schwärmt, eines so wunderbar ruhevollen Lebens erfreuen, dass man es als eine Art irdischen Abbildes der ewigen vita beata (Ausdruck auch schon in Nr. 1) ansehen könnte (6). Zu diesem Fürsten zu gelangen, hat der Dichter sich selber schon vor langem zum Ziel gesetzt (vgl. Fam. 1,2,9), und nun denkt er, mit Hilfe des Freundes besonders leichten Zutritt zu ihm zu finden, ja er plant offenbar bereits, wie er mit der Gunst des Königs dem begehrten Lorbeer näher zu rücken vermöchte. Notfalls ist er zu einer List bereit, was er dem väterlichen Freund am Ende von Nr. 2 auch unumwunden heraus sagt. Dabei hofft er selbstverständlich, dass sein Schreiben an Dionigi in die Hände des Fürsten gelange. Er hat darin mit Schmeichelhaftem an dessen Adresse keineswegs gespart. Beachten wird man, dass das Idealbild, welches Petrarca sich vom König malt, in erster Linie von kulturellen Überlegungen geprägt ist und politische Vorstellungen weniger klar berücksichtigt. Der König ist Philosoph, er fördert Musik und Literatur wie auch die Malerei; dadurch ist er vorbildlich. An die oberitalienischen Herren von Mantua, Parma, Verona, Pavia kann Petrarca jetzt gar nicht denken; sie halten einen Vergleich mit Roberto nicht aus, wie sehr sie ihre Höfe mit Kunst zu zieren gewillt sind. Ja auch der Visconti in Mailand, dem Petrarca im 3. Buch wie einem König gehuldigt hat, muss hinter Roberto verschwinden. Auch wenn der Dichter neben der kulturellen Leistung des Königs seine politische, guelfisch antikaiserliche Führerrolle bedenkt, gerät er nicht in Verlegenheit, denn schliesslich ist er als Sohn seines Vaters Florentiner und weitgehend geprägt von der politischen Vergangenheit dieser Guelfenstadt, die ihr Gedeihen am ehesten in einem guten Auskommen mit den Päpsten und ihrem Lehensmann in Neapel aufrechtzuerhalten meinte (vgl. oben zu Fam. 1,2). Übrigens erlebt er, wie die Gegensätze zwischen Guelfen und Ghibellinen bei ständig umgestürzten Verhältnissen und ständig wechselnden Bündnissystemen an Bedeutung verlieren, und schliesslich kann er nicht übersehen, dass es zu seiner Zeit im ganzen Italien keinen anderen Fürsten gibt, dessen Macht so gut begründet und genügend stark ist, um eine wohltuende einigende Kraft auszuüben. Das schürt in seinem Herzen die phantasievollen Hoffnungen, er werde in Neapel am Friedenswerk teilhaben können. König Roberto persönlich zu schreiben, dazu erkühnt sich Petrarca nun in Nr. 3, wohl noch von 1339. Er versteht es, nicht allein dessen Herrscherbegabung und Weisheit über alles Mass zu erheben, sondern ebenso sehr auch seine königliche Beredsamkeit als ein unerhörtes Wunder zu bestaunen, das selber auch zu erreichen er kaum hoffen darf. Dabei lässt er keinen Zweifel aufkommen, dass der Fürst der Verfasser der von ihm unterschriebenen Zeilen sei. Wer begreifen will, welche Macht Petrarca von der
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Überredungskunst in ihrer Vollendung erwarten möchte und bis zu welcher Höhe er sich dabei versteigt, kann es nirgends besser als bei der Lektüre dieses Briefes erfahren. Nach den ersten Abschnitten breitet er vor Roberto, den ein Todesfall bedrückt, seine gelehrten Vorstellungen über Unsterblichkeit und ewige Freude aus, womit er der theologischen Kenntnis des Fürsten genüge tut und seine eigene Rechtgläubigkeit und seinen Scharfsinn bezeugt. Der Fürst, an grössere Weihrauchspenden gewöhnt und über die Fähigkeiten des Schreibenden gewiss zum voraus orientiert, ist damit gewonnen. Keineswegs ist es Zufall, wenn nicht lange nachher an ein und dem selben Tag und hintereinander, wie Petrarca betont, in Vaucluse Gesandte sowohl des römischen Senats wie der Universität von Paris erscheinen, die ihn einladen, an ehrwürdiger Stätte den Dichterlorbeer entgegenzunehmen; davon erzählt Nr. 4; die Sache ist nicht ohne den König zustande gekommen. Nach Besprechungen mit Kardinal Colonna (Nr. 4 und 5) entscheidet sich Petrarca, wie nicht anders möglich war, für Rom. Er benachrichtigt Giacomo Colonna (Nr. 6), nennt diesem den Tag seiner Krönung, rechnet mit seiner geistigen Gegenwart, weil er seine leibliche Anwesenheit wie so oft – wegen Nachstellungen Fortunas – wird vermissen müssen, und macht sich im Frühjahr 1341 auf die Reise. Sein erstes Ziel ist Neapel, hier soll er von König Roberto examiniert werden. Es mag ihm vorkommen, als befreie er sich endlich aus einer ihm unerträglich gewordenen Enge und als gewinne er die Freiheit, sich in der weiten Welt zu ergehen. Er drängt hinaus nicht um reich zu werden, sondern um für die Ausbreitung hoher menschlicher Werte tätig zu sein und um zur Neubegründung von Italiens Ansehen das Seine beizutragen. Das sprich er in Brief 7 aus. Der Dichter erwartet von seinem überschwenglich gepriesenen König einen Anstoss zur Wiederbelebung des längst erlahmten Kunstschaffens; er will unter seiner Führung und Fahne für dieses Ziel sich einsetzen; sein Lorbeer hat eben diesem Vorhaben zu dienen. Dass auch vanitas dabei ist, leugnet er – wenigstens dem Freund Giacomo gegenüber – nicht (Fam. 4,6,7); dagegen schweigt er über das ihm vom König angebotene Ehrenamt eines Kaplans. Dieses und die freundliche Einladung zum Wiederkommen berechtigen ihn, an eine weitere Förderung durch den Hof von Neapel zu denken. Gleichzeitig mit dem Dichter reist – was die Familiaren übergehen – Azzo da Correggio (von der oben erwähnten Familie) an den selben Hof. Er plant, die Stadt Parma zu erobern (sie steht 1341 ja noch nicht unter der Herrschaft der Visconti) und bedarf nach Erhalt des päpstlichen Einverständnisses jetzt noch der Unterstützung des Königs Roberto, des vom Papst bestellten Vikars über ganz Reichsitalien. Dank seiner Reise wird er Zeuge von Petrarcas glanzvollen Ehrungen, die nach jener in Neapel bestandenen Prüfung auf dem Kapitol in Rom am 8. April 1341 vollzogen wird. Die Krönung mit dem Lorbeer gestaltet sich zu einem wahrhaft patriotischen Grossanlass, zu dem eine gewaltige Volksmenge jubelnden Beifall spendet und die nach Petrarcas Wunsch einem Wiedererblühen antik-römischer Herrlich-
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keit starken Auftrieb geben soll. Was schon Brief 7 andeutete, davon berichtet – knapp – auch Brief Nr. 8, der den neapolitanischen Hofmann und neuen Freund Barbato von Sulmona zum Empfänger hat. Eine ausführliche Schilderung der Festlichkeiten oder gar die Aufzählung der mit der Krönung verliehenen Privilegien (wie römisches Bürgerrecht und Lehrbefugnis) darf man indessen von diesem Schreiben nicht erwarten; darüber kann der Freund Barbato, wie Petrarca sagt, rasch durch Abgeordnete manches mündlich erfahren. Später wird es ihm überdies viel feierlicher im metrischen Brief 2,1 beschrieben. Dagegen will ihm Petrarca im Brief 8 nicht verschweigen, dass dem ruhmvollen Gelingen sofort ein übles Missgeschick angeheftet wurde – weil Fortuna es so wollte –. Ihn und seine Begleitung bedrängen ausserhalb von Rom bewaffnete Wegelagerer und zwingen alle, in die Stadt zurückzukehren. Dennoch befindet er sich jetzt auf seiner Heimreise. Und wieder gehört zur selben Reisegesellschaft – wie schon auf dem Hinweg – Azzo da Correggio. Diesem gelingt tatsächlich im Verein mit seinen Brüdern, die Herrschaft über Parma in einem Handstreich an sich zu bringen; Jubel herrscht auch da, die Sieger wollen gleich den gekrönten Dichter wenigstens auf unbestimmte Zeit bei sich behalten, als könnte er zur Kräftigung ihrer Macht etwas beitragen. Das meldet Petrarca seinem Herrn, dem Kardinal Colonna, nach Avignon (Nr. 9) und rechnet zum vornherein mit der Genehmigung eines Urlaubs. Die Einladung kommt ihm sehr gelegen, um so mehr, als ihm die neue Herrscherfamlie grösste Ruhe zusichert und zur Bekräftigung dieses Versprechens gestattet, dass er sich im südlich von Parma gelegenen Tal der Enza bei Selvapiana niederlasse.Teils hier und teils in der Stadt Parma verlebt er also ganze fünf Jahre vor dem Erwerb des oben erwähnten Kanonikats – denn so weit bleibt Buch 4 hinter den letzten Briefen von Buch 3 zurück – (vgl. Bemerkungen zu Fam. 3, 19 und 20) frohe Tage ja Monate; und in der ungestörten Einsamkeit ebenda wachsen seine literarischen Pläne ins Ungeheure. Sein Epos Africa fordert jetzt alle seine Kräfte. Während die Epistulae Metricae 2,16 und 18 berichten, wie er ungestört und in Arbeiten vertieft einen Sommer lang in Selvapiana weilt, dann in ein Stadthaus umzieht und sich da zweier Gärtchen erfreut, gehen die Familiaren über die angenehmen Einzelheiten seines Aufenthaltes hinweg und beschäftigen sich statt dessen mit zwei Verlusten, von denen er in dieser Zeit Mitteilung erhält. Ihm sterben nämlich noch im Jahr seines stolzen Erfolges sein Jugendfreund Tommaso Caloiro (Nr. 10 und 11), aber auch sein sehr geliebter Bischof Giacomo, der Bruder seines Herrn. Hat man seine Schilderung vom ersten Schmerz beim Tod Tommasos vernommen, kann man sich einen grösseren Verlust kaum noch denken; denn grausam ist der Schicksalsschlag, vorzeitig ist der Tod gekommen (man vgl. aber Fam. 2,1,7), eines Wesens ist er mit dem Freund gewesen und nun möchte er ihm „nachsterben“. Kräftiger hätte er seine Trostlosigkeit nicht ausdrücken können. Aber die Klage über den Hinschied des Bischofs Giacomo lässt bei genauem Zuhören eine eher
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noch grössere Ergriffenheit spüren. Vielleicht hat ihn der Tod des Bischofs von Lombez doch stärker aufgewühlt als der andere; und dass er ihm nicht seinen Lorbeer darbringen kann, trifft ihn hart. Im Trostbrief (Nr. 12) an den Kardinal Colonna muss er den Moralisten und Rhetor hervorkehren oder meint, das schuldig zu sein, kann da jedenfalls beides nicht völlig verleugnen. Mit grosser Gründlichkeit reiht er eine gute Zahl jener Ermahnungen aneinander, die er früher (Fam. 2,1) schon dem Bischof Philippe von Cavaillon aufgezählt hat; nur wirken seine Worte nun persönlicher und wärmer, dies teils wegen seiner eigenen Trauer und der Einsicht in eigene Schwächen, teils wegen seines Verzichts auf Häufung antiker Beispiele. Er weiss, dass er nicht die Ruhe eines Weisen besitzt, das zeigt sich darin, dass er sich fortwährend um die lebenden Freunde ängstigt, und zwar so sehr, dass es ihm fast einen Trost bedeutet, um Tote nicht mehr bangen zu müssen. Sie sind ja gewiss geborgen und gerettet, während er um Lebende, wenn sie abwesend sind, in ständiger Unruhe ist und bei jedem Empfang eines Briefes zusammenschrickt (4,12,19 ff.). Als Stoiker betont er, sich entschuldigend, viele Mühe habe er umsonst aufgewandt, diese Schwäche zu überwinden, kann aber kaum übersehen, wie sehr dieser Mangel an Stärke zu seinen Gunsten spricht. Auch flicht er dank seiner liebenden Erinnerung an den Verstorbenen eine Lebensskizze in das Schreiben ein (5 ff.) und erhebt den Toten zum Ideal eines Priesters. Mut zur Tat, grosse literarische Bildung, Zufriedenheit mit bescheidener Stellung, würdiger Ernst in der Erfüllung priesterlicher Pflichten, aber auch schöne Heiterkeit haben ihn ausgezeichnet. So äussert sich christlicher Humanismus. Schliesslich geht er zu Fragen der Totengebräuche und der Bestattung über. Torheiten, wie sie vielfach üblich sind (vgl. Fam. 2,2), habe er beim Kardinal nicht zu befürchten. Hat sich der Dichter in diesem Schreiben massvoll und sehr gefasst gezeigt, so gestattet er sich in Brief 13 starke Überhöhungen und verliert sich ins Jammern, verherrlicht den Toten mit einer Litanei von Superlativen und denkt vor allem an die Nachteile, mit denen er selber zu rechnen hat. Erst jetzt ahnt der Leser, wieviel der Dichter von diesem Gönner erwartete. Ihm und dem Freund Lelio, an den sich das Schreiben richtet, ist eine kaum zu ersetzende Stütze abhanden gekommen, so behauptet er, und dann verrät er seine Ratlosigkeit, wohin er sich nunmehr wenden solle. Ein Bedenken taucht auf, von dem er offenbar annimmt, dass es dem Freund begreiflich ist. Möglicherweise ist der Kardinal mit seinem Kaplan Petrarca nicht mehr zufrieden. Das Einvernehmen mit ihm wird durch die neuen Umstände erschwert; denn Giacomo wird oft vermittelt haben. Ganz und gar nicht mag der Dichter daran denken, „eines stolzen ausländischen Papstes Hände, barbaricas…manus, zu küssen“ (13,4); damit bricht plötzlich sein Zorn auf die päpstliche Kurie in Avignon und die französischen Prälaten ungehindert hervor. Dass seine schroffen Wendungen dort bekannt werden könnten, nimmt er in Kauf. Zwar hat der Papst, das ist der Franzose Benedikt XII., Petrarca schon 1335 ein Kanonikat in
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Lombez, also in der Bischofstadt seines Freundes Giacomo, zugesagt, aber nun weiss der Begünstigte mit dem Amt in den fernen Pyrenäen noch weniger anzufangen als je zuvor. Stoisch gibt sich dieser jetzt nicht, vielmehr fühlt er sich wie ein Schiffer in Seenot – er gebraucht wieder einmal dieses Bild – und bedarf des Freundes Segel und Steuer. Darauf wartet er. Jene Pfründenfrage, die er dem selben Adressaten Lelio in Buch 3 zu unbestimmter Zeit anvertraut hat, ist offensichtlich noch ungelöst, wie immer die verschiedenen Briefe zu datieren sind (1342? 1346?). Einen handgreiflichen Gewinn hat ihm die erlangte Dichterehre, so muss er einsehen, vorerst nicht eingebracht. Aus der folgenden Nr. 14 erkennt man, dass Petrarca in seinen Helikon im Norden zurückgekehrt ist; das heisst auch, dass er seinem Herrn eben doch wieder in manchen Dingen zur Verfügung steht. Für ihn wird jedoch besser gesorgt, als er gemeint hatte; auf Verwendung des Kardinals Colonna erhält er noch 1342 ein Kanonikat in Pisa zugesprochen, wie man aus anderer Quelle erfährt. Dennoch heitert sich des Dichters Stimmung nicht auf. In Vaucluse hätte er einen gut funktionierenden Haushalt jetzt um so nötiger, als er seiner neuen Auszeichnung gerecht werden und grosse Pläne verwirklichen wollte; aber beim Freund Sennuccio del Bene hat er über seine Diener zu klagen und sich nach besseren zu erkundigen. Ihrer sechs Hausgeister hat er, und das ist offenbar vergleichsweise wenig, und was sie zu leisten hätten, kann man sich denken; sie hätten die Arbeiten in Haus, Pferdestall und Garten zu erledigen. Aber offenbar sind sie kaum zu gebrauchen. Gern möchte Petrarca sogar mit einem einzigen zufrieden sein, wäre der nur einigermassen tüchtig. Wie er sich über vergebliche Bemühungen um ein gutes Einvernehmen mit seinen Dienern ärgert, hört man auch an manchen anderen Stellen der Briefsammlung (z. B. 5,14 und 10,3,30 ff.), und erst spät wird er die hilfreichen Geister finden, die seinen Ansprüchen genügen. Jetzt ist er unzufrieden und übellaunig. Datiert hat er das Schreiben 14 so wenig wie die vorangehenden. Es bindet sie das Missvergnügen zusammen. Besondere Beachtung verdienen Nr. 15 und 16, wann immer sie verfasst wurden, denn sie sind von einer besonderen Lebendigkeit, die kaum durch Überarbeitung und kaum durch spätere Einschübe beeinträchtigt wurde. Sie lassen einen Streit miterleben, der für damals herrschende Rivalitäten unter Vertretern verschiedener Studienrichtungen bezeichnend ist, und sie stellen gleichzeitig ganz persönliche Anfeindung gegen den gekrönten Poeten sowie den Dünkel eines gefeierten Lehrstuhlinhabers an den Pranger. Ein angeberischer Professor der Jurisprudenz, von Petrarca aus Schonung nicht genannt, schmeichelt sich in der grotesken Fehleinschätzung seiner literarischen Kenntnisse, ihm müsse wie von seinen ahnungslosen Studenten so auch vom gekrönten Dichter grosse Bewunderung zuteil werden, ja er hofft, diesem eins auszuwischen. In einem ersten Schreiben pariert Petrarca dessen Angriff zuerst mit allgemeinem schmeichelhaftem Lob, dann mit
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freundlich formulierten Hinweisen auf beträchtliche Irrtümer, ja er warnt in guten Treuen vor einer Publikation der zugesandten Ausführungen, die dem Verfasser nur schaden könnten. Doch wie nun der Jurist in seiner beleidigten Selbstsicherheit mit ungeschickten Ausflüchten und neuen Vorwürfen aufwartet, zerzaust ihn Petrarca in einem zweiten Brief mit so schonungslos spöttischer Bloßstellung, dass am Schluss die guten Ratschläge, die man mit einem „Schuster bleib’ bei deinen Leisten“, zusammenfassen kann, als ganz überflüssige Zugabe zur vorangehenden Lektion dastehen. Man denke allerdings nicht, der Dichter habe die Jurisprudenz als solche verächtlich machen wollen; er war häufig froh, sich seiner juristischen Grundkenntnisse bedienen zu können. Was er verhöhnt, ist die anmassende Auffassung des Gegners, er könne mit lächerlich geringem Scheinwissen solide Kennerschaft übertrumpfen. Dass der Besiegte sich je wieder sorglos auf fremdes Territorium vorwagte, gar auf das des Humanisten, ist nicht anzunehmen. Nach dem erwähnten Wortgefecht lässt der Dichter drei Briefe folgen, die sich gegen Luxus und Ausschweifung (Nr. 17 – 19) wenden und zu den amüsanteren seiner Lehrstücke gehören, weil in ihnen mehrfach dem Komödiendichter Plautus das Wort erteilt wird. Dabei mag auffallen, dass die Häufung von Plautus-Zitaten just an dieser Stelle vorkommt; denn zu den Lächerlichkeiten des Juristen von Nr. 15 und 16 hatte die Behauptung gehört, Petrarca habe diesen Komiker rein erfunden. Der Leser übrigens, der den Belehrungen Petrarcas nicht viel abgewinnen kann, weiss sich gewiss zu helfen; aber wer ihnen Aufmerksamkeit schenkt, wird sie schätzen lernen. Auf einen kräftigen Schlussakkord verzichtete der Dichter.
In Buch 4 hat das Biographische durchweg das Übergewicht. Die einleitende Schilderung der Besteigung des Mont Ventoux hat eine tiefere, vorausweisende Bedeutung, und Hauptgegenstand ist die zweite Romreise von 1341. Auf eine Prüfung durch König Roberto in Neapel folgt die Dichterkrönung in Rom und dann ein längerer Aufenthalt in Parma. Neue schöne Aussichten für die Zukunft verdüstern sich beim Tod des Freundes Giacomo Colonna. Unmutig und voller Zweifel über seine Zukunft kehrt der Dichter nach Avignon und Vaucluse zurück. Die Schreiben an einen unbekannten Juristen könnte man als eine überlegene Verteidigung der soeben errungenen Dichterehre gegen Neider betrachten.
Buch 5 nennt als Empfänger des 1. Briefes den neuen Freund Petrarcas in Neapel, Barbato von Sulmona. Das ist ein Fingerzeig, der nach Süditalien weist. Im Frühling 1343 ist in Avignon der Tod des Königs Roberto bekannt geworden; er wirkt hier auf jedermann bestürzend, aber auf den überschwenglichen Verehrer des Fürsten so
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niederschmetternd, dass er sich unverzüglich in seine Einsiedelei vergräbt oder – um sein oft wiederkehrendes Bild zu gebrauchen – aus den Stürmen seiner Seele sich in seinen Hafen rettet. Er muss befürchten, die schönen Hoffnungen, die er sowohl für Italien als auch für das eigene Fortkommen gehegt hat, seien mit dem König ins Grab gesunken. Doch seinen wehmütigen Grübeleien entreisst ihn der Kardinal Colonna einige Monate später mit dem ihm willkommenen Auftrag, im September wiederum eine Reise nach Rom und weiter an den Ort grosser Umwälzungen, eben nach Neapel, zu unternehmen. Dort, wo sich übrigens bereits sein mehrfach erwähnter Freund, der Bischof Philippe von Cavaillon aufhält, um bei den Geschäften um die Thronfolge die päpstliche Oberhoheit zur Geltung zu bringen, soll auch Petrarca eingreifen, jedoch mit einem anderen Auftrag. Er hat auf die Befreiung persönlicher Freunde des Kardinals Colonna hinzuwirken, die in Kerkerhaft sitzen. Der Kardinal ebnet ihm zum vornherein überall den Weg, wie Petrarca im Brief 2 hervorhebt. Ihm dankt er für seine grosse Liebe, die den Standesunterschied ausgleicht (ähnlich wie er gegenüber Guido Gonzaga betont hat; Fam. 3,11) und darf dabei an das ihm stets geschenkte besondere Vertrauen auf seine Wahrhaftigkeit erinnern. Wirklich gehört diese Eigenschaft zu den auffälligsten des Dichters. Eine Abenteuerlust scheint ihn zu befallen; Brief 3 zeigt eine wahre Freude, die Reise mit ihren Überraschungen zu schildern, und auch seine Mitteilungen von den Ereignissen im Königreich sind lebendig bewegt. Er reist entgegen seinem Versprechen nur eine kurze Strecke zu Schiff (2), die Seekrankheit erträgt er schlecht, und immer zieht er den Landweg bei weitem vor. Damit gerät er in die Nähe eines Schlachtfeldes, wo Truppen des Luchino Visconti (vgl. Fam. 3,7), was ihn nicht überrascht, gegen Pisa um Eroberungen kämpfen. Er reitet täglich von morgens früh bis tief in die Nacht und verfügt sich in Rom zum Hause des alten Stefano Colonna, das ist der Vater seines Herrn, in dessen Gestalt er Iulius Caesar, ja seinen Scipio Africanus zu erkennen meint. Am Hof in Neapel eingetroffen, findet er Veränderungen vor, die ihn erschüttern, nämlich eine widerliche politische Intrige inmitten der Hofgesellschaft unter dem Regiment eines Franziskaners der spiritualen Richtung (solche gibt es da viele), sowie eine fast hoffnungslose Lage der besagten Freunde. Recht besehen haben diese Spiritualen manches mit Petrarca gemein: sie verurteilen die Verweltlichung der Kirche, insbesondere die der päpstlichen Kurie. Doch der Franziskaner ist ein macht- und geldgieriger Heuchler. Und dass der Kardinal Petrarcas Schilderung vom Treiben am Königshof nur ja beachte und dem Papst weiter melde! Das tönt nach kühner Drohung; die kirchliche Oberaufsicht hat es an Strenge fehlen lassen; und was Petrarca in seinem offenen Schreiben nicht ausspricht, wird er in einem zweiten, heimlichen festhalten. Eine sinnlose Wartezeit erleichtert er sich durch eine Fahrt nach dem alten Badeort Baiae und mit einer Besichtigung des Ortes (4). Eine junge Frau, eine wahre Amazone, weckt in ihm gar grösseres Staunen als römische Denkmäler, aber das wahrhaft überwältigende Naturwunder folgt erst noch;
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Petrarca malt seine Schrecken mit einer damals noch seltenen Kunst. Zurück in Neapel durchwacht er während eines Erdbebens und unter orkanartigen Stürmen eine Nacht der bänglichsten Ängste (5), und das Morgengrauen zwingt ihn gleich noch, aus nächster Nähe und tatenlos einen entsetzlichen Schiffbruch anzusehen. Später empört ihn die Zügellosigkeit der Jugend in der Stadt, keine Macht vermag ihr Einhalt zu gebieten. Bei einem Turnier des hohen neapolitanischen Adels wird er Zeuge unmenschlicher Rohheit (6), worauf es ihn drängt, die Heimreise anzutreten. Im Dezember 1343 nimmt er am Hof Abschied im Bewusstsein, nicht das Geringste ausgerichtet zu haben, und ist jetzt nach dem erlebten Sturm noch geflissentlicher als früher dafür besorgt, den Seeweg zu meiden. Die baldige Heimkehr, welche er dem Kardinal mit Worten herzlicher Ergebenheit von Neapel aus zusichert, verliert für ihn bald an Dringlichkeit. Wenigstens in Rom, so ist zu vermuten, wird Petrarca sich einen Aufenthalt gegönnt haben, und sicher ist, dass er Anfangs 1344, ähnlich wie einige Jahre vorher, in Parma hängen bleibt. Von diesem Aufenthalt erfährt man in Brief 7 nur mittelbar. Petrarca geht darin vom Erzählen zum Belehren über, weshalb das bisher vorherrschende Biographische in den Hintergrund tritt. Er erinnert sich, dass er auf gewisse Fragen eines Bekannten zu antworten habe, widerrät dem Betreffenden mit einleuchtenden Gründen, irgendwelchen Träumen Glauben zu schenken, und hält an dieser Warnung fest, obwohl er mit zwei eigenen sehr erstaunlichen Erlebnissen viel eher ihre Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit als ihren trügerischen Charakter belegt. Wo er sich befinde, verrät er mittelbar durch die Worte, ihn schaudere bei der Wiedergabe seines Traumgesichts, denn er habe den Garten just vor sich, in welchem ihm der bestimmte Verstorbene einst erschienen sei. Mit dem Toten ist Giacomo Colonna gemeint, den er im September 1341 verloren hat (vgl. Fam. 4,12 und 13), und mit dem Garten zweifellos der mit Liebe gepflegte eben in Parma. Hier hat er mit dem Haus Correggio wieder Kontakt aufgenommen wie zwei/drei Jahre vorher, denn sie haben die Stadt noch immer in Besitz. Er jedoch ist vom Erwerb eines Kanonikats ebenda noch immer Jahre entfernt (vgl. Angaben zu Fam 3,19 und 20). Von den folgenden Briefen 8 und 9 wissen wir nicht mit Sicherheit, ob sie ebenfalls in Parma verfasst wurden; wichtig ist das nicht; man braucht von ihnen nur anzugeben, dass sie ausgiebig die Komiker Terenz und Plautus zitieren, um vor sinnlicher Liebe und Ausschweifung, sowie vor der List der Kuppler und Huren zu warnen. Allerdings drängt sich eine Anmerkung über Petrarcas eigene Leidenschaften auf, da solche zu meistern, ihm selber noch immer reichlich schwer fällt. Man könnte diese seine Schwäche über den vielen klaren psychologischen Einsichten, die er als Lehrer austeilt, immer wieder vergessen. Während seines Aufenthaltes in Parma arbeitet er, was er in den Familiaren nicht erwähnt, an den Rerum memorandarum libri und beschäftigt sich dabei vor allem mit Papst Hadrian V., mit dem Luxemburger König Heinrich VII. und mit König
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Roberto (Anjou). Auf die verheerenden Kämpfe unter den Stadtherren Oberitaliens antwortet er mit dem berühmten Klagegesang Italia mia, und dann entschliesst er sich zur Flucht. Davon meldet er in Brief 10 dem oben genannten Barbato in Neapel. Er verschickt den Brief „am 25. Februar in Bologna“. Das ist nicht etwa 1344, wie man nach den vorausgehenden Angaben vermuten könnte, sondern erst 1345. So lange hat der Dichter in Parma seine Weiterreise hinausgezögert, nämlich bis für das Haus Corregio keine Aussicht mehr besteht, der feindlichen Allianz standzuhalten. Aus „fast ganz Italien“ sind Kriegstruppen herbeigezogen, und man ahnt, dass eben jetzt der Visconti von Mailand die Stadtherrschaft an sich bringen werde (vgl. Anm. zu Fam. 3,10). Die Folgen eines erlittenen Reiterunfalls sind der Grund, weshalb Petrarca sich genötigt sieht, seine Flucht zu den Grenzen Italiens in Bologna zu unterbrechen, und andere Quellen berichten uns (Metr. 3,9), dass er, die kriegsgeplagten Gegenden meidend, sich über Verona die Etsch hinauf ins Tirol absetzt, dies in gedrückter Stimmung als einer, der auf bessere Zeiten kaum noch zu hoffen wagt. Auf welchen Routen er vom Tirol aus westwärts nach Frankreich geritten ist, bleibt unbekannt. Sein zweijähriges Wegbleiben hat in Avignon nicht lauter Verständnis gefunden. Das bezeugt ein Sonett aus der Feder des oben (Fam. 4,14) genannten Sennuccio del Bene, worin der säumige Diener des Kardinals Colonna – freundlich genug – zur Rückkehr ermahnt wird. Dieser denkt wohl daran zu gehorchen, doch die nächsten Schreiben sind dafür kein Beleg. In den Nummern 11 und 12 spottet er bissig über Leute, die sich damit vergnügen, ihn zu verlästern. Vor allem einen „Theon“ oder „Bion“ will er mit vernichtender Ironie zum Verstummen bringen. Dass er ein Zitat aus des Plinius Naturgeschichte anführt, kann daran erinnern, dass er damals jenes Werk erworben hat. Doch findet man Plinius-Zitate – wie schon oben gesagt – auch in früheren Briefen, ja schon im ersten der Familiaren (vielleicht als spätere Einschübe); und schon bald wird Petrarca in Brief 5,19 eine Beweisführung weitgehend mit Zitaten aus dem selben Werk bestreiten. In den zwei Briefen 13 und 15 sodann, die kaum zu datieren sind (man schwankt zwischen 1343 – 1347), beschwört er sich und seinen Sokrates (Ludwig van Kempen), endlich ein längst gefasstes Vorhaben auszuführen (13,12); einen heilsamen Plan, an den der Freund sich offenbar erinnert, müssten sie gemeinsam und rasch verwirklichen (15,1 – 2). Er nennt einen Krieg, den jeder Mensch zu führen habe, und betont, ein göttlicher Heerführer (imperator) sei dafür nötig, zudem die Hilfe von Freunden von bedeutendem Nutzen. Was konkret gemeint ist, scheint ein kuriales Schreiben aus jener Zeit anzugeben, das an den Papst gerichtet ist und diesem einen Wunsch Petrarcas unterbreitet. Es heisst da, der Erwähnte wolle mit Sokrates ein gemeinsames Leben in der Abgeschiedenheit führen, und zwar in der Nähe des Klosters Montrieux. Eben da lebte aber seit kurzem der leibliche Bruder Petrarcas, das ist Gherardo, als Kartäuser, den man vom Aufstieg auf den Mont Ventoux kennt. Und von diesem kann der Dich-
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ter die alte Mönchslehre erfahren haben (sofern er sie nicht schon vorher kannte), dass das Klosterleben ein Soldaten- und Kriegsdienst ist, in welchem der Kämpfer und Asket nicht als einzelner, sondern gemeinsam mit anderen, und daher mit besserem Erfolg, gegen das Böse streitet. Das wird ihn angespornt haben, etwas Ähnliches zu versuchen. Immer will er höchsten Zielen, wenn sie ihm unerreichbar sind, doch möglichst nahekommen, jetzt in der Gemeinschaft mit dem Freund Sokrates, der sich offenbar schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken an eine ernstere Lebensform beschäftigt. Das Projekt, so kann man vermuten, schwebt Petrarca als Ausweg aus seiner in doppelter Hinsicht schwierigen Lage vor. Er sucht eine strengere christliche Lebensart zur Beruhigung des Gewissens, und zugleich sucht er auch mit Rücksicht auf sein dichterisches Schaffen eine Befreiung von bisheriger Verpflichtung, also den ersehnten Übertritt in die Unabhängigkeit. Obwohl der Papst die nötigen Voraussetzungen später, im Frühjahr 1347, genehmigt, wird aus der Sache nichts. Politische Ereignisse nehmen Petrarca im Verlauf des selben Jahres stärker gefangen, als er geahnt hat; daher wird der Plan doch wieder verschoben, und dann verwandelt die Pest von 1348 die Welt und mit ihr auch Petrarca ganz entscheidend. Dass er den Plan nicht völlig aufgibt, beweisen allerdings weiter unten die Bücher 8 und 10 mit Briefen an andere Freunde und an seinen Bruder Gherardo. Der zwischen Nr. 13 und 15 eingeschobene Brief Nr. 14 zeigt, dass er der Bitte seines Kardinals entsprochen hat; er ist vor Ende 1345 in Avignon eingetroffen. In Vaucluse findet er sich im folgenden Jahr nicht zurecht. Er hofft wohl nach Parma zurückkehren zu können, was die Vermutung stützen würde, dass die Familiaren 3,19 – 22, die oben besprochen wurden, auf 1346 fallen. Auch klagt er wie früher vor allem über seine Diener, mit denen er einen alltäglichen Kampf ausficht. Über diese alte Plage schreibt er an den selben Freund Sokrates nach einer Lektüre der Komödie Casina des Plautus und ist deshalb für einen Augenblick gutgelaunt, weil er eine da prächtig geschilderte Szene ohne weiteres auf seine eigenen häuslichen Verhältnisse übertragen kann. Aber die frohe Stimmung verfliegt schon bald; er könnte, so meint er, in Vaucluse im besten Fall Fischer werden, doch nichts Besseres. Und zum Fischen lädt er tatsächlich seinen Bischof Philippe von Cavaillon ein, wenn auch dieser aus Neapel zurück ist. Dass ihm der Kardinal Colonna einen Hund schenkt, ist ihm zwar eine freudige Überraschung (Met. 3,5); aber dennoch steht sein Entschluss, wegzugehen, fest: Um nicht zu verkommen, muss er fort. Fugiam. Die drei folgenden Briefe 16 – 18, die noch genaueren Bescheid über Petrarcas seelische Bedrücktheit geben, sind möglicherweise nicht erst 1345/1346, sondern schon früher (1343?) verfasst worden; aber wichtiger als ihre Jahreszahl ist auch bei ihnen der Umstand, dass sie hier eingefügt wurden. Der Dichter adressiert sie an einen einstigen Jugendfreund Guido Sette, nun Archidiakon von Genua, häufig an
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der Kurie anwesend. Bei ihm muss er sich in Nr. 16 zuerst einmal für sein langes Schweigen entschuldigen. Ein Brief an ihn ist verloren gegangen, das ist ein Verlust, der den Verfasser in Verwirrung stürzt. Diese Schwäche hinwiederum beschämt ihn so sehr, dass er eine Entschuldigung für sie sucht; und dann macht er sich in Nr. 17 daran, das Schreiben würdig zu ersetzen. Es drängt ihn, dem Freund darzulegen, dass selbst sündige Menschen sehr gute Bücher mit wertvollen ethischen Anweisungen verfassen können, niemand zweifelt ja, dass schöne Kunstwerke oft von hässlichen Malern und Bildhauern geschaffen werden. An einer Reihe von antiken Beispielen lässt Petrarca es hier so wenig fehlen wie sonst irgendwo, und er verrät dabei in wenigen Sätzen seine Bekanntschaft auch mit zeitgenössischen Künstlern wie Giotto und Simone Martini. Entscheidend ist die Folgerung, die seine Freunde aus der Darlegung zu ziehen haben. Sie lautet, dass sie wohl seine Sitten rügen, doch deswegen nicht auch seine Lehren oder seine Sprachkunst geringschätzen dürfen. Dass seine geistigen Leistungen ihren Wert haben, das sollten sie trotz allem anerkennen. Dann besinnt er sich in Nr. 18 (vom März – August 1343?), vielleicht zu des Lesers Überraschung, auf eine schonungslose Darstellung seiner Person. Von seiner Seele sagt er gegenüber Guido Sette, dass sie in Schmutz und Finsternis liege, aufstehen möchte und es nicht fertig bringe, wenn nicht Gott dazu helfe. Und dabei gerät er, wie das für ihn bezeichnend ist, von seinen skrupelhaften Selbstaussagen in peinliche Zweifel über die eigene Ehrlichkeit (vgl. z. B. Fam. 4,1,21). Er will sich sehen, so wie er ist, und korrigiert sich ängstlich, um nahe an die Wahrheit heranzukommen. Einen unvermeidlichen Kampf führt er beständig gegen den unbändigen Leib, ohne den ersehnten Erfolg zu erlangen. Was aber Fortuna betrifft, so will er endlich dafür besorgt sein, dass zwischen ihm und ihr jede Bindung wegfalle. Es muss ihm gelingen, ihr Besitztum, das sie als ihre Gaben verschenkt und das doch nichts als billiger Plunder ist, von sich zu werfen. Fortuna, hier als Frau Welt auftretend, verfügt ja über nichts Besseres als irdischen Tand, das ist Wohlstand, Macht, Ansehen und Dergleichen. Von all dem will Petrarca endgültig nichts mehr wissen, um dafür endlich Freiheit und Ruhe zu finden. Was alles in die Selbstanklage und den Vorsatz eingeschlossen wurde, kann der Leser nur vermuten. Über das eigene Unvermögen beunruhigt zu sein, sieht der Dichter sich damals, also um 1343, nicht zuletzt durch die Geburt einer Tochter veranlasst, – sein Sohn zählt etwa 6 Jahre – (vgl. Bemerkungen zu Fam. 2,9). Von einem seiner Hauptwerke, dem Secretum, das zum Inhalt eine umfassende und scharfsinnige Analyse seiner Fehler vorlegt und mit Brief 18 manches gemein hat, erklärt er später, es sei in einer Krisenzeit entstanden. Ebendeshalb ist unter den Gelehrten der Gedanke aufgetaucht, es auf die selbe Zeit wie besagten Brief, auf ungefähr 1343 anzusetzen. Ein paar Worte zum Secretum einzufügen, ist hier angezeigt. Petrarca wird da in Gegenwart der Frau Wahrheit von Augustinus zur Selbsterkenntnis angehalten; er,
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der vor der Welt als grosser Lehrer auftritt, findet hier seinen Meister und lässt sich von ihm willig einen ungemein scharfen Spiegel vorhalten, der bis in seine hintersten Seelenwinkel leuchtet. Der Kirchenlehrer (oder das bessere Ich Petrarcas), der ihn in Buch 2 des Werkes in eine Diskussion über alle sieben Hauptsünden verwickelt, weiss es schon, bevor Petrarca es eingesteht, wie sehr die fleischliche Begierde ihm zusetzt und ihn erneut zu Fall gebracht hat, und er spart auch nicht mit Tadel und gutem Zuspruch. Aber wenn Petrarca bei der Nennung der Luxuria aufstöhnt, so überfällt ihn doch das blanke Entsetzen erst beim Wort Acedia, das ist Schwarzgalligkeit, Melancholie. Diese wirkt auf ihn, soviel geht aus Petrarcas Schilderung klar hervor, zeitweise wie eine fast tödliche Krankheit, kann aber, da sie den Dichter in seiner Einsamkeit überrascht, von ihm (und zu seinem Verhängnis) leichter als andere Übel versteckt werden. Diese Erklärung im Secretum trägt zum Verständnis seiner Person ganz Wesentliches bei. Und dennoch wird als schlimmste Seelenwunde im 3. Buch des Werkes das bezeichnet, was weit besser bekannt ist, weil Petrarca es nie hat verbergen können noch wollen: seine hohe Liebe (zu Laura) und seine Begierde nach Ruhm. Ob aber das Secretum wirklich im Jahr 1343 in einer ersten Fassung vorlag – spätere Überarbeitungen lassen sich belegen –, bleibt eine offene Frage; geschrieben hat es Petrarca in erster Linie, um mit sich selber ins Reine zu kommen, hat jedoch gewiss von Anfang an eine Edition in Betracht gezogen, um in seinem Verlangen nach letzter Aufrichtigkeit nicht nur vor sich und Augustinus, sondern auch vor seinem grossen Leserpublikum sein ganzes Innere offenzulegen und zu sagen: Ich kenne mich; so bin ich, so sind wir Menschen mit der ganzen Tücke unseres Herzens. Aber leichter zugänglich, nämlich weniger rational und frei von tiefgreifender Analyse ist ein weiteres Werk aus wohl der selben Zeit 1343/45. Gemeint sind seine sieben Busspsalmen. Hierin ist alles Reue und Zerknirschung ob der eigenen Sündhaftigkeit, und das scheinbar allgemein gehaltene Bekenntnis will nichts anderes, als den Stolz hervorheben, dessentwegen eigenes Vermögen vollkommen versagt hat. „Ich hoffte auf meine eigenen Kräfte und versprach mir Grosses“, so gesteht Petrarca in Psalm 7; „ich meinte von mir aus zu Dir zu gelangen, und bin auf unentwirrbaren Krümmungen auf mich zurückgeworfen worden“. Die stoische Haltung, auf die sich der Dichter so oft versteift, hat wiederum einen harten Stoss erlitten; seine neuen Erfahrungen heissen ihn, entschlossener als bisher nach alter christlicher Lehre alle Hilfe vom Himmel zu erwarten. Mit diesen seinen Busspsalmen beschäftigt sich Petrarca jahrelang, gewiss in der Meinung, er werde von ihrer wiederholten Lektüre den Trost erlangen, von welchem er in Fam. 1,9,12 gesprochen hat. Von anderen etwa gleichzeitigen Erlebnissen und Vorkommnissen, die er im Buch 5 der Familiaren übergeht, seien die wichtigsten erwähnt: Seine Begegnungen mit dem römischen Notar Cola di Rienzo, die 1343 an der Kurie in Avignon statt finden, weil der Genannte dort als Anwalt des römischen Volkes und Feind gewalt-
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tätiger Barone auftritt; – weiter der für Petrarca überraschende und auch beschämende Eintritt seines jüngeren Bruders Gherardo ins Kloster der Kartäuser in Montrieux (nördlich Toulon); – drittens der beglückende Fund von Briefen Ciceros in Verona (wie oben zu Fam. 1,1 schon erwähnt) während der fluchtartigen Rückreise von Parma in die Provence. Kaum spürbar wird in den Familiaren das allmähliche Überborden seiner Abneigung gegen die Kurie, deren Sünden er in gewissen Sonetten sowie in den Eklogen 6 und 7 scharf tadelt und im „Buch ohne Namen“ zum Hauptthema macht. Doch deutet er auf diesen Stoff in den Familiaren da und dort wenigstens hin. Sein Verhältnis zu den Prälaten ist zwiespältig. Sie sind ihm zu reich und verweltlicht, und ihre Geldgier ist ihm widerlich. Trotzdem bleibt er – solange kein weltlicher Herr seinen Lebensunterhalt bestreitet, auf ihre Gunst angewiesen, zumal auf die des Papstes, der ihm ein Einkommen zusichern kann. Von Clemens VI. hat er in der Tat einiges zu erhoffen (so das Kanonikat in Parma), selbst wenn ihm dieser meistens das anbietet, was er am wenigsten wünscht, nämlich hohe verantwortungsvolle Ämter. Wie er diesen kirchlichen Oberherrn ehren und sein Verhältnis zu ihm als ein gutes ausgeben will, bekundet nun – immer noch im Buch 5 – das letzte Schreiben 19. Es steht wahrscheinlich völlig ausserhalb der chronologischen Reihe (vgl. Angaben zu Fam. 12,5,7), und es stellt jedenfalls den einzigen Papstbrief dar, der den Familiaren einverleibt wurde. Der kranke Clemens VI. wird darin beschworen, sich doch ja vor Ärzten in acht zu nehmen, und eben hier wird nun, wie oben angemerkt, mehrfach die Autorität des Plinius beschworen, welcher mit besonders deutlichen Reden vor der Medizin gewarnt hat (7 ff.). Ärgerlich sind dem Dichter am meisten ihre modernen Vertreter; sie spielen sich am Krankenbett als Rhetoren auf, und das ist ihm doch wohl, selbst wenn es ihm ganz unbewusst bleibt, der eigentliche Stein des Anstosses. Sie sollen nicht mit einer Kunst prunken wollen, auf die sie sich nicht verstehen, und schon gar nicht sollen sie diese Kunst dazu missbrauchen, ihr eigenes Nichtwissen zu verdecken. Dass es sachkundige Mediziner gibt, leugnet er nicht, unsicher ist er hingegen, ob die Menschheit der Medizin je bedurfte; sie gilt ihm als eine Art Luxus (Fam. 5,19,5); denn ewig braucht der Mensch nicht zu leben. Nun schreibt Petrarca aber dem Papst in der Sorge um seine Person und um das Wohl der Kirche (1). Statt vieler Mediziner soll er einen einzigen guten suchen. Zu welcher Zeit er das schreibt, kann man vermuten. Aber wer den Brief aus gutem Grund auf das Todesjahr des Papstes, auf 1352, ansetzt, sollte immerhin nicht übersehen, dass zum Aufwand der Kurie schon zu früherer Zeit gehört hat, eine Vielzahl von Ärzten hier zu beschäftigen. Und das war für Petrarca zweifellos eines der Ärgernisse, die Avignon ihm schafften. Wie man auch datiere: nach Adressat und Inhalt ist das Schreiben geeignet, das Buch 5 sehr würdig zu beschliessen. Auf eine scharfe Antwort von seiten der verunglimpften Mediziner braucht Petrarca nicht zu warten.
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Das Buch 5 wirkt, wie andere auch, als eine teils künstliche teils natürlich entstandene starke Mischung verschiedener Themen. Dennoch kann man festhalten: Hauptthema ist im ersten Teil Petrarcas Italienaufenthalt von Ende 1343 bis Ende 1345. Seine Mission in Neapel scheitert, und die angenehmen Tage in Parma endigen mit der Flucht aus der belagerten Stadt. Unzufriedenheit mit sich und der Umgebung prägen den zweiten Teil. Nach Frankreich zurückgekehrt, empfindet Petrarca häusliche Schwierigkeiten in Vaucluse als unerträglich; diese und seine moralischen Verfehlungen fordern von ihm Selbstbesinnung, Bekenntnis und eine doppelte Neuorientierung. Er denkt an eine dauernde Abgeschiedenheit von der Welt. Seine Abneigung gegen die päpstliche Kurie wächst.
Im 6. Buch tritt die Person des Verfassers wenig in Erscheinung. Seine 9 Schreiben stammen zumeist aus Vaucluse und zum kleinsten Teil aus Avignon, wo er seinem Herrn Colonna noch immer dient. Sie lassen sich schlecht datieren, doch verweisen sie auf Gedanken, mit denen sich Petrarca bald nach der letzten Romreise zweifellos vorzugsweise beschäftigt. In seinem Verlangen wegzugehen, ist er zum Äussersten bereit. Seine Aufgabe sieht er in Italien, dort auch seine Freiheit. In seiner 8. Ekloge kündigt er seine Trennung vom Kardinal Colonna an. Und was er schon in früheren Briefen mehrfach angedeutet hat, spricht er sogleich in Brief 1 mit harten Worten aus. Die hohe Geistlichkeit an der Kurie hat wenig gemein mit den wahren Aposteln Christi. Das selbe Thema wird er noch oft mit Entrüstung anschlagen oder abwandeln, und wahrlich mit gutem Grund. Dennoch ist er niemals ganz gerecht, weil er in seine Kritik seinen Ärger darüber einfliessen lässt, dass diese Kurie in Avignon sitzt und immer französischer wird, wo sie doch ihrer Aufgabe in Rom unter der Leitung von Italienern nachzugehen hätte (vgl.die Angaben zu Fam. 11, 6,5 ff.). Immer gerät er in Gefahr zu behaupten, dass die Italiener im allgemeinen bessere Prälaten stellen als die Franzosen. Doch jetzt nimmt er sich für einen scharfen Tadel just einen Italiener vor, stellt den Brief mit Absicht an den Anfang des Buches, obwohl er wahrscheinlich später als die folgenden abgefasst wurde, schont auch den Adressaten entgegen seinem Brauch nicht durch Verschweigen seines Namens, sondern nennt ihn mit seinen Würden: Kardinal Annibaldo da Ceccano, Bischof von Tusculum. Dieser ist damals wegen seiner prunkvollen Empfänge und üppigen Gastmähler in Verruf geraten, und wenn ihm die von Petrarca erteilte Lektion vielleicht nie unter die Augen gekommen ist, so empfingen doch andere Leser grosse Genugtuung über die Schilderung der zeitgenössischen aufgeblähten und prassenden Geistlichkeit. An niemandem, so erklärt Petrarca, ist Habgier so unentschuldbar und so schändlich wie an Priestern (13 ff.),
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sie haben, was sie benötigen; für Kinder und überhaupt für Erben haben sie nicht zu sorgen; und nirgends ist Reichtum so widerlich wie auf Altären (19 ff.). Gott lässt sich ja nicht betören; er verachtet den Prunk. Das hat bereits ein Persius, ein Nicht-Christ gewusst (23); Petrarca legt zur Beschämung der Prälaten einige von dessen einschlägigen vortrefflichen Versen vor. Zwar trifft der dem Kardinal zugedachte Vorwurf mittelbar auch Papst Clemens, der jenen gewähren lässt, ja von ihm die aufwendigsten Ehrungen entgegennimmt und seinerseits pomphafte Darstellungen seiner Macht für richtig hält; genannt wird er hier aber nicht. Da es sich lohnt, zu den besonders aussagekräftigen Schreiben Petrarcas jeweils nach vielleicht gleichzeitigen Dichtungen seiner Feder auszuschauen (was hier nicht regelmässig getan werden kann), so ist auf die sogenannten „Babylonischen Sonette“ hinzuweisen. In den folgenden Schreiben geht Petrarca zu anderen Themen über. In Brief 2 vom 30. November (1342?) nimmt er den Kontakt mit dem alten Freund und Dominikaner Giovanni Colonna wieder auf, froh, sich mit ihm an gemeinsame Wanderungen durch Rom (1343?) zu erinnern. Die – wie er meint – „herum wandelnden“ Peripatetiker fallen ihm dabei ein, und gleich fühlt er sich veranlasst zu betonen, dass er sich weder dieser Philosophenschule verschrieben hat, noch Stoiker oder Akademiker ist. Er liebt einzig die Wahrheit (1), das hat man zur Kenntnis zu nehmen, und das glaubt ihm der Leser gerne, denn wirklich hält er bei all seiner Bewunderung für antike Schriftsteller mit Kritik nie zurück, und besonders ein gewisses Abrücken von einer streng stoische Haltung zeigt sich in seinen Reden immer klarer. Er weiss, wie ein Christ mit antiken Schriften umzugehen hat (3); zudem drängt es ihn noch zu betonen, dass die Weisheit der Christen ohne jedes Verdienst sei, was einer Warnung vor Hochmut gleichkommt und zugleich einer Verteidigung seiner verehrten Heiden dient. Nun steht er in Gedanken hoch auf den Thermen Diokletians, zeigt und erklärt dem Dominikaner, der sich als Römer in seiner Stadt zwar auskennt, aber besser mit der Gegenwart als mit der Vergangenheit vertraut ist, wie ein wahrer Cicerone alle die grossartigen Zeugen einer glanzvollen Vergangenheit (5), zuerst die der römisch-antiken Profangeschichte (5), dann die des frühen Christentums (13 ff.) und äussert sich (unabhängig von alten Vorstellungen) über eine Einteilung der Epochen: Die Antike geht gemäss seinen Überlegungen mit der Anerkennung des Christentums durch die Kaisermacht zu Ende, und eben damals beginnt die Moderne (16). Bei beiden verweilt der Dichter möglichst lange und vergisst dabei scheinbar absichtslos, doch gewiss nicht ungern, die Frage des Freundes, die er beantworten sollte. Den Ursprung der sieben freien Künste hätte er zu erläutern, wie ihm das früher einmal zu guter Stunde geglückt war und ihm jetzt, wo er es schriftlich festhalten sollte, nicht wieder gelingen will. Er scheut sich, damit auch bloss zu beginnen (17), merkt, dass der Brief schon viel zu lang geworden ist, und verschiebt
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die Erfüllung des Wunsches wie so oft auf später. Datieren kann man diese Nr. 2 so schlecht wie die folgende Nr. 3. Aneinandergefügt sind sie jedenfalls nur mit Rücksicht auf die Gleichheit des Adressaten. Denn im Schreiben vom 30. Mai (1342/1343?) hat Petrarca zu überlegen, wie er den in Tivoli vereinsamten Ordensmann, den über Alter, Armut und Gicht sich beklagenden Freund, ermuntere und ihm sein Jammern verleide. Wegen Trübseligkeit ist der Dominikaner von ihm schon früher zurechtgewiesen worden (Fam. 2,8), und jetzt, wo es zum wiederholten Mal geschieht, muss man anerkennen, dass Petrarca zuerst herzliches Mitleid äussert, bevor er zum Lachen übergeht. Was er dem Freund schon früher hat beibringen wollen, das versucht er ihm jetzt einzutrichtern. Über ein völlig natürliches Geschick wie Altern und Sterben und Gicht sich zu beschweren, obwohl das nun einmal zum Leben gehört, ist und bleibt lächerlich. Und nachdem er das betont hat, macht er sich daran, das Natürliche an diesen Übeln sozusagen historisch zu belegen. In der Bibel und Profangeschichte sieht er nach, ob man einst ein höheres Alter, und dies gar bei besserer Gesundheit erreicht habe, genau nachprüfend (9 ff.), zu wie vielen Jahren die biblischen Patriarchen und die andern Grossen der Vergangenheit einer nach dem andern gekommen waren, bevor sie, wie lange sie auch leben durften, denn doch verscheiden mussten. Wichtig ist ihm, an ihre Gebrechen zu erinnern und dabei ihre Gelassenheit, ja Heiterkeit hervorzuheben (38 ff.), denn eben dadurch seien sie uns wunderbar beispielhaft. Nebenbei geht er kurz auf andere unliebsame Veränderungen im Alte ein (32). Er will den Freund aufrichten und zerstreuen, wenn er das Ergrauen der Haare als Veredelung lobt, Vorteile ärmlicher Verhältnisse aufzählt, einen Nutzen selbst an der Gicht aufdeckt (48 ff.), um bei all dem in geistreicher Art Vergleiche zwischen Einst und Jetzt zu ziehen. Der moderne Leser ist vielleicht versucht, dem Dichter wieder zu grosse Sachlichkeit und Strenge vorzuwerfen, als hätte er für den vereinsamten alten Mann mildere Worte und grösseres Mitleid finden sollen. Doch jener kennt den Freund weit besser als wir und vermag leichter zu entscheiden, was ihm bekomme, was nicht. Eine Ermunterung zum Ausharren und sich Gedulden ist immer sein einziger Trost; er weiss von keinem andern; und etwas vorzumachen, weist er als Unehrlichkeit von sich. Er sucht nach dem, was Erleichterung schaffen könnte, trifft aber freilich nicht für alle das Richtige. Was ihn selber auf bessere Gedanken bringt, kann andere langweilen. So ist sehr fraglich, ob er dem Ermahnten seine grosse Verehrung für die hochverdienten Greise der Vorzeit, zumal sein beglückendes Andenken an den Dichterfürsten Homer (12 ff.) vermitteln konnte. Kaum ein anderer besass Petrarcas Gabe, die Antike in ihrer Schönheit zu erkennen und sie ganz nah an sich heranzuholen. Und mehr zu seiner eigenen Freude als zu der des Dominikaners erinnert er sich eigener Vorfahren. Doch spricht er jenem immerhin einen Dank für die liebenswerte Nachsicht aus, die ihm erlaubt, an die Reihe der Berühmtheiten den eigenen Urgrossvater Garzo (25) an-
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zufügen, einen klugen und heiligen, aber einfachen Mann, ja etwas später auch seinen Vater (32. 52 ff.) wenigstens mit einer Anekdote zu erwähnen. Aber den Freund unterhält das wenig. Er sucht anderen Trost. Ist er dessen aber wirklich bedürftig? Mit seinem Los zufrieden zu sein, hat er allen Grund, so ist Petrarca überzeugt und erinnert den Ordensmann, wie schon früher (Fam. 3,13,10), nur jetzt in noch entschiedenerem Ton, dass er am Armutsgelübde nichts zu deuteln habe (54); im Vergleich mit dem Leiden Christi und der Märtyrer müsse er seine Entbehrungen und Schmerzen ohnehin als sehr gering einschätzen. Und überhaupt habe die Vorsehung ihm in Tivoli einen Alterssitz ausgewählt, der ihm geradezu auf den Leib zugeschnitten sei. Was will er mehr ?(60 ff.) Dann allerdings wechselt Petrarcas Ton. Auf ein Wort der Liebe und Anhänglichkeit, das er im Brief des Freundes findet, antwortet er herzlich mit der Versicherung, sie lebten trotz äusserer Trennung in unablässiger gegenseitiger Nähe. Hat aber der Gichtkranke ein Verlangen nach einer leiblichen Begegnung mit dem Dichter, braucht er sich einfach an seinem Wohnort auf ein Schiff bringen zu lassen, dann wird seine Reise schmerzlos sein (66 ff.), weil er sie bis nach Vaucluse auf dem Wasser zurücklegen kann. Reizvoll wird die Route skizziert, damit der Kranke bis zum Hort bukolischer Zufriedenheit finde, den Petrarca nicht noch verlockender ausmalen konnte. Ein kleiner Verdacht wird dem Leser allerdings aufsteigen: Wirklich ernst ist die Einladung zum Besuch wohl nicht gemeint; ein Gespräch über die grosse Distanz hinweg scheint dem Dichter ein volles Glück zu bedeuten (70 f.). Und wenn er den Weg über das Meer anpreist, so hat er im Augenblick vergessen, dass er selber nur auf Flüssen gerne fährt, dagegen einen Schwur getan hat, die See stets unter allen Umständen zu meiden (Fam. 5,5,21). Der Kranke unterlässt auch wirklich die Reise und gibt zu verstehen, dass der gesendete Trostbrief ihn nicht recht beglückt. Deshalb sieht sich Petrarca in Nr. 4 (1342 –1344?) veranlasst, ihm wenigstens auf die eine Kritik zu antworten. Sein stets schwelgerisches Aneinanderreihen antiker Beispiele wird nicht allein vom Dominikaner Colonna wenig geschätzt; es ärgert auch andere. Doch ob das den Dichter überrascht oder nicht, er hat keinerlei Mühe, seine gescholtene Gewohnheit zu verteidigen, und tut es – wie, wenn nicht mit einer langen Reihe weiterer Exempel, mit denen er ihren grossen Nutzen schlagend belegen kann (5). Just auf die Beispiele, die ein Verweilen in der antiken Welt verlangen und zur Nachahmung der besten aller Menschen aufrufen, verzichtet er zuletzt. Wem sie nicht gefallen, der braucht sie nicht zu lesen, meint er unangefochten (14). Denn was könnte er an ihrer Stelle vorbringen ausser Satiren, fragt er unter Hinweis auf Iuvenal und rühmt sich, wiewohl er diesen Satiriker bei jeder Gelegenheit zitiert, dass er sich zu einer solchen Wahl noch nie herabgelassen hat (2 f.). Von einer Darstellung und Verherrlichung des Guten erwartet er, dass es mitreissend sei, in Schilderungen des Bösen will er sich nicht ohne Not ergehen; denn es wäre zu be-
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fürchten, dass sie mehr schadeten als nützten. Das beste unter den christlichen Vorbildern, oder wenigstens das bekannteste und ihn selber hoch erfreuende, nennt er zum würdigen Abschluss der gebotenen langen Reihe, indem er die Bekehrung des Kirchenvaters Augustinus in der Nachfolge des Wüstenvaters Antonius und anderer Asketen berichtet. In Nr. 5 muss er die Reihe seiner moralisch-erbaulichen Belehrungen unterbrechen. Ein Ausblick auf alarmierende politische Ereignisse drängt sich auf. Petrarca hat seit seinem letzten Besuch in Neapel ein Unheil vorausgeahnt, aber immerhin nicht an das schlimmste gedacht, nicht an eine Ermordung des jungen Thronanwärters Andrea aus Ungarn, des Gatten der Königin Giovanna, der Enkelin Robertos. Sie erfolgt im September 1345 und flösst allgemein grosses Entsetzen ein. Mit dem Pathos der grösste Erregung sucht der Dichter an dieser Schandtat alle Besonderheiten einzeln hervor, die sie über andere Greuel ähnlicher Art hinaus heben, und endet mit einem Wehruf auf die verheerenden Folgen, die er nun für ganz Italien befürchten muss. Was hatte er sich doch von Neapel an Segen für sein Vaterland erhofft, und welche Gunst auch für seine eigene Person! Aber weitere Nachrichten über Machenschaften am fernen Königshof in einem nächsten Brief zu erwarten, bringt nur Enttäuschung. Es ist wie so oft bei Petrarca: In einem einzigen Schreiben erschöpft sich, was er an einer gewissen Stelle des Buches über ein Thema vorzutragen hat, und darum erlebt der Leser sogar schwerste Schicksalswendungen eines Reiches nur wie ein kurzes Wetterleuchten. Selbstverständlich wird Petrarca später die Entwicklung im genannten Königreich weiterverfolgen und dies und jenes davon auch wieder berichten, denn auf die angevinische Guelfenmacht im italienischen Süden hat ja nicht bloss er persönlich auszuschauen gelernt, sondern hält auch die Kurie in der Stadt Avignon (auf angevinischem Territorium) ständig erwartungsvoll ihre Auge gerichtet. Vorerst ist Petrarca in den Briefen 6 bis 8 der Weltpolitik wieder fern und seine Sprache frei von hohen Tönen. Er zeigt sich mit alltäglichen Schwächen und gewöhnlichen Sorgen aus der Privatsphäre beschäftigt, wenn er zum entschlossenen Abbruch schlechter Lebensführung, dann zur Unterscheidung zwischen wahrer Beredsamkeit und Geschwätzigkeit mahnt und wenn er schliesslich einem Unbemittelten eine beträchtliche Summe zukommen lässt. Ihre Annahme hofft er dem Freund damit zu erleichtern, dass er das Geld gar nicht als sein Eigentum ausgibt, sondern als etwas, das schon immer beiden gehört habe. Auch belegt er mit Anekdoten aus der Vorzeit, wie sowohl den Spendern wie den Empfängern das Geschenk zur Ehre gereichen könne. An eine ausnehmende, doch wiederum ganz persönliche und im gewöhnlichen Alltag erlebte Freude erinnert dann am Ende des Buches noch Brief 9 vom 2. Januar (1347). Hier hört man, dass der hochgeschätzte Bischof Philippe von Cavaillon vom Hof in Neapel, wo er im Sinn des Königs Roberto und im Auftrag des Papstes gewirkt hatte (vgl. Fam 5,3,13 f.), in seine
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Diözese heimgekehrt ist. Das erleichtert dem Dichter das Leben im abgelegenen Tal, wo er Ruhe, aber keine Freunde hat. Mag er auch in seinem Werk de vita solitaria, an dem er zu arbeiten beginnt, seine Abgeschiedenheit rühmen, sie zu ertragen muss immer neu gelernt sein. Nun also erfährt man, dass sich die beiden Freunde ihr stilles Leben durch gegenseitige Besuche erheitern. Zur Tafel des Bischofs bringt Petrarca übrigens Sokrates mit, und sein bäurisches Gewand gedenkt er für den Gang in die Stadt nicht abzulegen. Von dieser seiner Tracht, die er seit einiger Zeit bevorzugt, sprechen auch andere Briefe. Sie ist praktisch und bequem und verkündet überdies seine Absage an frühere Eitelkeit (vgl. Fam. 9,3 und 10,3,12 ff.). Man kennt sie dank bildlichen Darstellungen. Schlicht umfasst die Kapuze den Kopf auf einer Federzeichnung Lomardos della Seta und kleidet für sich allein den Dichter weit schöner als in der Verbindung mit dem oft dargestellten aufgesetzten Lorbeerkranz.
Damit schliesst das 6. Buch. Es handelt von der Periode, die vom Italienaufenthalt 1343/45 zur nächsten Italienreise von 1347 führt. Wechselnd in Avignon und in Vaucluse weilend, empfindet Petrarca sein Leben im Norden der Alpen als unnötige Geduldsprobe; sein Widerwille gegen die päpstliche Kurie verstärkt sich weiter. Fast die Hälfte der Buchseiten dient in zwei Briefen zu Belehrungen an die Adresse des Dominikaners Giovanni Colonna. Als das wichtigste politische Ereignis muss Petrarca am Ende den Umsturz in Neapel und die Ermordung von Giovannas Gemahl Andrea anführen. Gar nichts lässt der Dichter vorläufig von seiner grossen Spannung verlauten, mit welcher er die politischen Unruhen in Rom verfolgt.
Von der nächsten Italienfahrt wird sogleich im Buch 7 gesprochen. Am 11. September 1347 ist Petrarca, wie Brief 1 verrät, zwar noch immer in Avignon, aber bereit zum Aufbruch. Er muntert den Freund Barbato in Neapel auf, sich mit ihm zu treffen und in seinem Haus zu Parma – „in gesunder Gegend“ (11), das ist ihm wichtig – Wohnung zu nehmen; er selber wird von dort mit päpstlichem Auftrag nach Verona weiterreisen. Dringend wünscht er, dass der Hofmann sich vor den Gefahren rette, die der König Ludwig von Ungarn mit einem Kriegsheer über das Reich Neapel heraufführt (3 ff.). Denn dieser kommt aus der Barbarei mit dem Entschluss daher, den Mord an seinem Bruder Andrea zu rächen und seine eigenen Ansprüche auf Neapel durchzusetzen. Aufhorchen lässt, dass der Schreibende daran denkt, zu Gunsten des Adressaten besondere Schritte beim oben genannten Notar Cola di Rienzo, dem jetzt hochangesehenen Volkstribunen in Rom, zu unternehmen (9). Er weiss, dass sein Wort bei dem mächtigen Mann einiges Gewicht hat
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und dass dieser seinerseits mit dem Ungarn verhandelt, bemüht, den Frieden zwischen den Mächten wiederherzustellen. An Cola hat der Dichter – bei seinem glühenden Verlangen nach einer Erneuerung der Res publica romana und ihrer alten Freiheiten – in den vergangenen Monaten manches Wort des Ansporns zum entschiedenen Vorgehen gegen die drückende Adelsherrschaft in Rom gesandt und zu jedem Erfolg lauten Beifall gespendet. Dafür hat er eine Einladung nach Rom erhalten. Die Gunst Colas verdankt er, wie er vor Barbato betont, nicht irgendwelchen persönlichen Verdiensten, sondern bloss dem Umstand, dass er sich von den Schlechten getrennt und zu den Guten bekehrt habe, was hier nichts anderes heisst, als dass er, Petrarca, nicht mehr die Sache des Adels, sondern die des Volkes verteidige. Das wird er später verdeutlichen (Fam. 11,16, 8), und zwar mit einer Offenheit, die für seine Gönner aus dem Adelshause Colonna nicht unverständlich, jedoch bitter ist. Noch im September 1347 also beeilt er sich keineswegs, gegenüber dem römischen Abenteurer und seinen schon masslos angewachsenen Machtansprüchen auf Distanz zu gehen. Ja sogar beim späteren Überprüfen (und Überarbeiten) des Briefinhalts findet Petrarca es nicht für nötig, die bestimmte Briefstelle, die auf seine fortgesetzten Beziehungen zum Tribunen verweist, zu eliminieren. Die Vermittlerrolle, die jener zwischen Ungarn und Neapel zu übernehmen scheint, und der Umstand, dass die päpstliche Kurie gleichzeitig mit einer Verurteilung zuwartet, erlauben ihm die Annahme, sein noch andauerndes Einvernehmen mit Cola werde bei der Mit- und Nachwelt eventuell Staunen, aber jedenfalls keinen Anstoss erregen. Weitere Bemerkungen zu diesem Kontakt lässt er nicht unmittelbar folgen, vielmehr reiht er als Nr. 2 und 3 wieder Briefe mit ganz anderen Themen an, zuerst ohne Rücksicht auf Daten, um nachher die zeitliche Abfolge mit einer nur um so grösseren – sonst häufig vernachlässigten – Sorgfalt zu berücksichtigen. So stellt er in Nr. 2 (ohne Datum) die Frage nach wahrer menschlicher Grösse und beantwortet sie mit einer Ehrung der Bescheidenheit, Niedrigkeit, Demut. Ob aller Bewunderung, die Petrarca für prangende Heldentaten, für hervorragende Feldherren und Staatsmänner wie für die Weisheit der alten Philosophen hegt, könnte man meinen, er habe eine der entscheidenden Lehren des Christentums vergessen, aber nun beweist er in einer Ermahnung an einen Freund das Gegenteil. Er hält fest: Der Gottessohn hätte bei seiner Menschwerdung aus einem stolzen Fürstengeschlecht hervorgehen oder seine Familie zu hohen Ehren erheben können (15); doch, wie der Dichter in Anlehnung an die Bibel und gemäss alter Tradition betont, gab Gott nicht den Grossen und Mächtigen den Vorzug, berief nicht Philosophen, Könige und Feldherrn, sondern machte einfache Hirten und Fischer zu seinen besonderen Vertrauten (passim und besonders 12 ff.), dies – man habe es wohl zu beachten – nicht zur Zeit einer noch wenig entwickelten Lebensart, sondern ausgerechnet in einer Epoche grossartiger Kultur, als es Rom bereits erlaubt
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war, den Völkern Gesetze zu geben (21). Daraus soll der Adressat schliessen, dass auch in seiner Gegenwart der grosse Wert des Bescheidenen unvermindert besteht. Die Exempla, die Petrarca der Heiligen Schrift entnimmt, malt er liebevoll aus, und nachher verweilt er mit Wohlgefallen bei den unansehnlichen Anfängen der zur Weltherrschaft bestimmten römischen Stadt. Materielle Armut und einfachste Verhältnisse haben den kraftvollen Aufschwung des römischen Reiches und seiner Kultur nicht gehindert, das Gegenteil trifft zu. Eine Veredelung der Sitten mit einer Vermehrung der Einsichten hat zwischen Romulus und Christus stattgehabt, und Petrarca kann diese Zeitspanne zu seiner Befriedigung recht genau berechnen (23). Dann schliesst er die Epistel mit einem wiederholten Aufruf, Bescheidenheit, Einfachheit, Niedrigkeit und Demut (was immer das Wort humilitas ausdrückt) als hohe Werte zu lieben. Den Appell richtet er gewiss auch an sich selber. Denn an einem Bekenntnis zu persönlicher Genügsamkeit ist ihm damals viel gelegen. Mit wenig ist er zufrieden, so wiederholt er jetzt häufig mit Nachdruck, dies aber, weil er immerhin bei der Kirche erneut um eine Stelle anhält. Er benötigt sie zu seinem Lebensunterhalt, aber an Wohlhabenheit denkt er nicht. Wie man ganz unversehens der Habsucht verfallen kann, darüber wird er nun freilich in einem Traum belehrt, den er in Nr. 3 vom 14. Januar seinem Freund Sokrates erzählt. Mit ihm zusammen hat er in seinem Garten einen Goldschatz entdeckt; beide sind sie der Versuchung erlegen, ihn ins Haus zu schaffen und gegen andere Personen als ihr Eigentum zu verteidigen. Streit entsteht (4 ff.), während das Gewissen sich regt und herrliche Vorbilder der Antike den Gedanken an die Zufriedenheit beleben. Im Augenblick, da Petrarca sich entscheiden soll, erwacht er im Schrecken über die unerwarteten ganz üblen Folgen seines Fundes schweissgebadet. Ob er wirklich so geträumt hat oder nicht: Eine Unruhe seines Herzens drückt sich hier aus, die ihn wegen seiner unsicheren materiellen Zukunft und im Hinblick auf die ihm teils angebotenen, teils abgesprochenen Kirchenstellen befallen hat. Immer zeigt er die gleiche Entschlossenheit, alle ihm geradezu aufgedrängten hohen Ämter abzuweisen (um jene Zeit handelt es sich vor allem um einen Bischofssitz); denn eine bescheidene Anstellung, die von ihm wenig Aufwand an Arbeit und Zeit erfordert, aber eine weitgehende Unabhängigkeit gewährleistet, das benötigt er; dafür kämpft er, und diesen Streit mit der Kurie will er gewinnen. Dabei kränkt es sein sittliches Ehrgefühl, dass man meint, mit der Aussicht auf materiellen Gewinn lasse er sich gewinnen. Gleich darauf bezieht er sich im Brief Nr. 4 (vom November?) auf eine ehrende Anfrage, die ihm der Bibliothekar Giovanni Coci im Einverständnis mit Papst Clemens VI. vorgebracht hat. Seine recht gewundene Rede, mit welcher er einerseits seine Gehorsamspflicht anerkennt, aber anderseits seinen Widerwillen gegen eine Beschneidung seiner Freiheit betont, lassen jeden noch so bescheidenen Dank für das Angebot vermissen. Eine Bitte der Mächtigen, so zitiert er erbittert (3), ist so
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viel wie eine Drohung mit dem Schwert. Allerdings ist er bereit, dem Wunsch nach Beschaffung und Korrektur von Cicero- Handschriften zu entsprechen, und er verwahrt sich gegen die Vermutung, ihm fehle der rechte Eifer. Dabei lässt er auch durchblicken, dass seine leiblichen Kräfte überfordert sind. Er ist krank (oder schützt Krankheit vor?), nur deshalb will er noch eine Zeitlang an der Sorgue verweilen, um erst bei abklingender Hitze nach Italien zu reisen. Ein anderes Schreiben Petrarcas an Coci liegt nicht vor. Sollte man an der Kurie gehofft haben, man könne den Dichter leicht bei seinen Lieblingsstudien packen und dann in die für ihn vorgesehene Richtung ziehen, sieht man sich dort getäuscht. Er widersetzt sich jeder Einflussnahme, gerade auch jener auf sein ureigenstes, mit Eifer behütetes Arbeitsfeld. Unabhängig will er bei allem seinem Wirken sein, das verlangt er strikte als Voraussetzung zu allem Gelingen. Die Abhängigkeit, so erklärt ihm Augustinus in dem ungefähr gleichzeitig geschriebenen Secretum (2,14,17 f.), vielmehr sein Verlangen nach Befreiung, gehört zu den wichtigsten Gründen für seine Melancholie. Aus Brief 5 (22. November) ergibt sich hierauf, dass der Dichter den Plan der Italienreise soeben ausführt, und nun taucht auch sogleich das Thema Cola di Rienzo wieder auf. Petrarca hält an seinem Vertrauen auf diesen Mann fest. Schon sind die römischen Barone weitgehend entmachtet, die Befreiung des Volkes steht bevor. Da wird dem Dichter die Kopie eines Briefes, der aus Rom nach Avignon geschickt worden war, von dort nachgesandt, und gleich weiss er sich kaum zu helfen vor Schrecken. Mehr ist zur Sache vorerst nicht zu vernehmen. Die jetzt strenge Beachtung der Briefdaten erfordert die Anreihung des Briefes vom 23. November (1347), das ist Nr. 6, und damit die Rückkehr zum Thema des Briefes 4 an Sokrates. Dem Freund gegenüber, der die päpstlichen für ihn gehegten Pläne unterstützt, drückt er von neuem sein angeborenes heftiges Misstrauen gegen Wohlstand und Macht aus. Von seiner geradezu hartnäckigen Ablehnung, die gewisse Leute als Sturheit deuten, rückt er nicht ab (2), und in seinem Zorn wegen der ihm unentwegt durch die Kurie aufgedrängten Ämter erklärt er es jetzt als glatte Verweigerung seiner einfachen Bitte (8), wenn man ihm anstelle eines bescheidenen Postens immer nur einen hohen anbiete. Er weiss, er denkt nun einmal anders als die grosse Menge – das hat er oft gesagt und wird er oft wiederholen –; und er lässt jetzt die Frage offen, ob ihn dieser Gegensatz ehre oder nicht. Dass die Kirche möglicherweise ein Recht habe, seine Fähigkeiten für eine anspruchsvolle Tätigkeit zu nutzen, scheint er nicht zu bedenken. Doch kann man ihn jedenfalls nicht zur Schar der vielgescholtenen Pfründenjäger rechnen, die nach immer grösserer Habe Ausschau hielten. Er möchte von der Kirche das für seinen Lebensunterhalt Nötige erreichen, um ihr und der Welt durch seine ganz besondere Begabung, die er als Auftrag betrachtet, und nicht anders zu dienen. Könnte er eine ihn ernährende, aber ihn kaum belastende Stelle bei einem kunstverständigen und freigebigen Fürsten finden, es wäre ihm ein Himmelsgeschenk.
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Endlich legt er in Nr. 7 ein Schreiben an den Tribunen Cola di Rienzo vor, verfasst bei einem Reisehalt in Genua am 29. November (1347). Beschwörend richtet er sich an den auf schwindelnder Höhe schon Wankenden, als wäre er noch zu retten. In bestürzender Weise hat sich alles verändert. Nicht mit den Guten im Volk hat er sich neuerdings verbündet, sondern mit den Schlechten. Wie sehr sein Vorhaben jetzt gefährdet ist, darf Cola nicht verkennen und die früheren Ziele doch wahrhaftig nicht schändlich verraten. Wäre doch alles Lüge, was Freunde über den Tribunen gemeldet haben; ihre Reden sind ja nicht zu fassen; sie sind vielleicht gar nicht wahr! Mit solchen Zweifeln quält sich Petrarca ab. Doch schliesslich ermannt er sich, lässt seine Illusionen fallen und erklärt, er nehme auf immer von ihm Abschied (9). Damit ist die Trennung vollzogen, und schon bald kann er froh sein, diesen Schritt nicht länger aufgeschoben zu haben. Bereits hat er weit mehr gewagt, als er gefahrlos hat tun können, und wird endlich zugänglich für die Warnungen der Freunde in Avignon. Colas Flucht aus Rom wird ihm ein Gerücht bekannt machen. Einst hat er gehofft, seine Aufrufe an Cola würden auf dem Kapitol in Rom einer Volksmenge vorgelesen (Var. 48 gegen Ende), und vor der hohen Geistlichkeit in Avignon hat er aus seiner Begeisterung für dem Kampf für die Freiheit der Römer nie ein Geheimnis gemacht. Doch spätestens bei der Zusammenstellung der Familiaren muss er beschlossen haben, keinen einzigen dieser Aufrufe in die Sammlung aufzunehmen. Ihrer nur wenige hat er, statt sie zu verbrennen, aufbewahrt (vgl. z. B. Var. 38.40.42.48; Sine nomine 2 und 3). Hingegen hat er später im Jahr 1352 seine einstige feurige Anteilnahme an Colas Umsturzversuch in höchster Erregung nochmals verteidigt (Fam. 13,6 passim), und auch 1354 hat er der ursprünglichen Intention und Leistung dieses Römers volle Anerkennung gezollt (Fam. 18,1,17). Nun ist er also in Italien mit dem Wunsch, sich da fester zu verankern, doch hat er sich die Aussicht auf einen baldigen Aufenthalt in Rom verbaut. Nach dem Fiasko des Befreiungsversuches dieser Stadt sieht er sich in Norditalien um. Ein kurzer Gruss in seinem folgenden Schreiben Nr. 8 ist wohl früher und noch in Avignon abgeschickt worden. Er deutet an, dass Petrarca den mit Mantua geknüpften Kontakt weiterpflegt und einen solchen auch zum Hof von Padua sucht. Aber er bezieht sich im Brief fast ausschliesslich auf eine bestimmte Kirchenangelegenheit der Gonzaga. Deren Kanzler Giovanni Aghinolfi von Arezzo (vgl. Fam. 3,11,3) hat an der päpstlichen Kurie Verhandlungen geführt und sie zu einem guten Ende gebracht. Mit dem Dichter ist er während seines Aufenthaltes dort bekannt geworden und bleibt ihm danach auch in Italien ein vertrauter Freund, übrigens nicht zuletzt darum, weil er der Familie Carrara in Padua nahesteht. Und Padua wird für Petrarca in der Tat ein Hort der ungestörten Arbeit werden. Ein gutes Sprichwort mit einem Vergleich aus dem ländliche Leben, ein Zeugnis für Bauernweisheit zieht Petrarca in Nr. 9 heran, um von Bemühungen mit ewig
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unzufriedenen Menschen abzuraten. Solche Versuche sind so anstrengend wie sinnlos, beteuert er und gibt den ihm geläufigen Rat, nach Art der Ärzte ein Übel oder eine verfehlte Behandlung mit dem Gegenteil ins Richtige und Gute zu ziehen (4; vgl. Fam. 7, 17,5). Doch wann er das schreibt, wem gegenüber und von wo aus, will er nicht verraten. Erst in Nr. 10 erfährt der Leser, dass er sich am 7. April (das muss 1348 sein) in Verona befindet. Wirklich ist Petrarca hier mit einem päpstlichen Auftrag eingetroffen, er sollte die Scaliger warnen, sich mit den Ungarn zu verbinden (vgl. oben zu Fam. 7,1). Und eben da hat er am 25. Januar (1348) das schwere Erdbeben erlebt, das ganz Zentraleuropa mit Schrecken erfüllte und im Dichter die trübsten Ahnungen für die Zukunft weckte (vgl. Fam. 11,7,3). Seither pflegt er regelmässige Beziehungen zum Hofe in Verona und bringt hier offenbar auch eigene Vorstellungen für eine politische Neuorientierung vor, das heisst, er plant mancherlei mit dem ihm schon seit einiger Zeit bekannten Mastino della Scala (vgl. Fam. 7,10,6), der sich durch kulturelle Interessen auszeichnet. Erinnert sei nebenbei an die Gastfreundschaft, welche die Scaliger bereits einem Dante gewährt hatten. Der Brief Nr. 10 nun, den Petrarca in Verona abschickt, richtet sich an seinen Verwandten Giovanni dell’ Incisa, den man schon als Adressaten von Fam. 3, 18 kennt; ihm ist ans Herz gelegt worden, nach wertvollen Schriften Umschau zu halten. Einige findet er vielleicht in seinem eigenen Haus, denn er ist Prior im Kloster San Marco in Florenz. Petrarca muss sich vor ihm und überhaupt vor seinen neuen Florentiner Freunden, den Dichtern und Humanisten dort, vorerst einmal entschuldigen. Er hat allzu lange geschwiegen; und sein ihnen gegebenes Versprechen, sie nach seiner Rückkehr nach Italien aufzusuchen, hat er nicht gehalten. Rechnet man nach, sind tatsächlich schon etwa vier Monate seit seiner Ankunft in Genua vergangen. Für die beiden Unterlassungen will sich Petrarca keineswegs mit seiner Trauer über den Tod einiger Freunde, sondern einzig mit der ihn quälenden Enttäuschung wegen einer misslungenen, von ihm unterstützten Unternehmung rechtfertigen (5 ff.). Und etwas anderes kann er damit nicht gemeint haben als eben den Aufstand in Rom, obwohl er (oder gerade weil er) vage bleibt und Colas Namen verschweigt. Kurz muss er wenigstens andeuten, wie sehr er gehofft hatte, den Freunden von herrlichen Erfolgen Nachricht zu überbringen (wohl von solchen in Rom). Dann aber stellt er scheinbar ergeben fest, Gott habe anders entschieden, und deutet damit an, dass er im besagten Fall mit einer höheren Macht zu tun gehabt als mit Fortuna. Nur im Vorbeigehen nennt der Dichter die Pest; er gibt an, wo sie besonders wütet, nämlich an den Küsten (4). Er scheint sie nicht zu fürchten, und die Todesfälle, an die er erinnert, hat sie wohl nicht verschuldet. Schliesslich muss er Fortuna doch noch heranziehen, nämlich im Zusammenhang mit einer persönlichen Verlegenheit. Die launische Herrin wirkt Petrarca in ihrem eigentlichen Bereich, das heisst in allen Belangen der weltlich-materiellen Güter,
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entgegen (9). Seine Sorge um eine passende Kirchenstelle macht ihm zu schaffen; eine Pfründe, auf die er ein Anrecht zu haben glaubt, bleibt umstritten; noch immer muss er auf eine Entscheidung warten. Doch wie diese auch lauten wird, er wird sie annehmen. Denn er versteht ja, in Armut zu leben. Mehr erfährt man auch darüber vorläufig nicht. Immerhin erkennt der Leser, wie sehr ihn die Sache beschäftigt schon daran, dass sie klar oder verhüllt immer wieder zur Sprache kommt, und sicher ist, dass er noch nicht im Besitz des Archidiakonats von Parma ist, um das er mehrmals gebeten hat. Gar nichts Konkretes berichtet er von seinem Umgang mit Mastino della Scala und seinen Freunden Correggio, obwohl sein Datum wenigstens verrät, dass er bei ihnen weilt. Dass die Familie Correggio Parma verloren hat, ändert nichts an seinem Verhältnis zu ihnen und auch nichts an seiner Vorliebe für diese Stadt. Er reist gleich dorthin, wo die Herrschaft (wie in der Übersicht zu Buch 3 und 4 vermerkt) an den siegreichen Luchino Visconti von Mailand übergegangen ist und wo in dessen Namen Paganino Bizzozzero amtet. Mit ihm knüpft Petrarca die alten Freundschaftsbande jetzt fester (vgl. Fam. 3, 7 und 16 – 17). Bereits am 10. April (1348) schickt er von hier, das heisst von Parma, seinen Brief 11 ab. Darin kündigt er dem eben erwähnten Giovanni dell’Incisa die nahe Ankunft seines besonders geliebten Freundes Francesco degli Albizzi an. Seine Vorfreude auf ein Zusammensein mit dem lang Entbehrten ist grenzenlos. Fast übermütig droht er, ihn möglichst lange bei sich zu behalten, unbekümmert um die Anrechte von Verwandten und andern Freunden. Unter dem lebhaften Ausmalen und Vorbereiten glücklicher Tage (vgl. Nr. 12) verstreicht die Zeit, eine Unruhe kommt auf, ein Hangen und Bangen setzt ein; und lange dauert es, bis diese Qual zu Ende geht mit der Nachricht: Der Ersehnte ist tot. Auf manches war Petrarca gefasst, aber nicht auf diesen Schlag; und wie er das Schreckliche ertragen soll, weiss er nicht. Dem genannten Giovanni von Incisa muss er alles erträumte Glück und alles wirkliche Elend umständlich berichten, um sich daran nochmals in Schmerzen zu weiden (4 ff.). Eines aber sieht er in seiner Verzweiflung ein: An seinem Unglück ist er selber schuld; es war ja kopflos und unverzeihlich dumm, der ewig wechselhaften, neidischen Fortuna noch einmal zu vertrauen. Er hatte ihr schon abgesagt (vgl. z. B. in Fam. 5,18; 7,10,7 ff.), und dennoch hat er nach all seinen Erfahrungen mit dem „entsetzlichen, tierischen Ungeheuer“, mit dem Inbegriff des Launenhaften, des Unbeständigen und Sinnlosen, all ihr Blendwerk wieder für Wahrheit genommen (2 ff. und 11). Sonderbare Früchte treibt Petrarcas oft verkündete Lehre von der Bewältigung des Unglücks. Er lässt seinen Tränen freien Lauf, er stöhnt und spricht unter seinen Klagen hoffnungslose Trauer über den Verlust des Freundes aus, aber es mischt sich darein etwas von verletztem Stolz, als würde der Gedanke an sein persönliches Versagen ihn foltern, ohne ihn auf bessere Gedanken zu bringen (11). Er hat sich ange-
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wöhnt, für Unbegreifliches, Wechselvolles die Verantwortung Fortuna zuzuschieben, um weder die Welt noch Gott zu beschuldigen. Jetzt kommt die Welt selber ihm verdächtig vor, und von Gott spricht er lieber nicht. Er erleidet – und damit entschuldigt er seine Klagen – nicht etwas Natürliches; es ist unnatürlich, dass der Jüngere stirbt, während der Ältere weiterlebt (vgl. z. B. Fam. 8,1,32 und 13,1,11), und folglich darf er herausfordernd fragen, ob in der Welt denn überhaupt die von der Stoa so sehr gepriesene Ordnung obwalte (12 f.). Fortuna ist offenbar mächtiger als die Weltordnung. Von der Schilderung seiner Verzweiflung, in welcher er nicht zu sich kommt und nicht zu sich kommen will, muss man annehmen, sie sei im Kern vollkommen wahr und echt, und dennoch könnte es sein, dass die Dichtung sich der erlebten Wahrheit gewissermassen bemächtigt und sie überhöht hat, dabei auch lehrhafte Neigungen und Rhetorik überhand nahmen und der Schreibende bewusst dazu überging, in seiner Person den Menschen zu zeigen, der sich der Trostlosigkeit ergibt. Beim Durchlesen des Briefes bleibt darüber eine gewisse Unsicherheit bestehen. Ansehen muss man eine Stelle im Secretum (2,13,4 ff.), wo der Dichter bekennt, regelmässig vollkommen zu versagen, wenn Fortuna ihn zum wiederholten Mal und mit grobem Geschütz von allen Seiten bedrängt; man liest das wie einen Kommentar zum jetzt behandelten Brief. Petrarca, der auch sonst beim Verlust eines nahen Freundes ausser sich gerät, windet sich nun in Qualen; sein Schmerz weigert sich, in die „Burg der Vernunft“ zu fliehen (16). Klagend weist er allen Trost zurück, und in seinem Redestrom will er seinem Schmerz Luft verschaffen, ihn nicht erschöpfen. Doch sein Ausholen zu einem gewaltigen Protest gegen den Seehafen (17), bei welchem der Freund verschied, wird kaum von einem Übermass an Weh diktiert, obwohl Petrarca so behauptet; die Verfluchung wirkt wie Grossrednerei (ist übrigens wohl späterer Zusatz) und erfährt denn auch als törichter Exzess gegen Ende des Briefes vom Verfasser selber einen Tadel. Endlich findet der Trauernde die Kraft, sich zu besinnen, und lässt sich aus der Sphäre der Unvernunft und der Herrin Fortuna herausführen, was er vorher abgelehnt hat (16). Er weiss, Hilfe kann ihm einzig aus einer höheren Sphäre kommen, wo die Ratio herrscht, doch auch hier nur insofern, als Gott es gewährt, prestante deo (24). Seine Hoffnung, ein Weitersprechen werde Linderung verschaffen, ist schliesslich gering. Besser ist abzubrechen: Abrumpam! Wie Petrarca später über dieses und ähnliche Schreiben geurteilt hat, steht oben im Widmungsbrief an Sokrates. Die Furcht, es könnten auch andere ihm teure Menschen, vor allem Laura, vor ihm sterben, obwohl sie jünger sind, bedrückt ihn, wie das Secretum 3,3,5 und 11 verrät, von Jugend auf, muss ihn aber jetzt, wo die Pest wütet, erst recht peinigen. Diese ist es wohl, die den Freund umgebracht hat, mag sich Petrarca auch sträuben, diese Todesursache anzunehmen (Fam. 7,18,5). Er wäre um die selbe Zeit, wie man aus einem anderen Schreiben (Fam. 7,18,5 f.) erfährt, dazu verpflichtet, nach verschiedenen Himmelsrichtungen Antworten und
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Entschuldigungen zu versenden; er schreibt und tut aber nichts; er ergibt sich zuerst einer Lethargie und zwingt sich erst spät und auf die Mahnung von Freunden aus Avignon hin, wenigstens seinem dort trauernden Herrn Colonna gegenüber diese seine Pflicht zu erfüllen, die zum mindesten eine doppelte ist: Trost zu spenden und sich zu rechtfertigen (Nr. 13 von 1347 – 1348). Ein Schlag nach dem andern hat Petrarca niedergestreckt, besonders schwer getroffen hat ihn die in Parma durch Bizzozzero empfangene Nachricht, dass Familienangehörige des Kardinals aus dem Leben geschieden sind, und zwar – das ist das Furchtbare – nicht etwa unter üblichen Umständen, vielmehr als Vertreter des Adels im Gefecht just gegen Anhänger des von Petrarca ungeduldig angefeuerten Volkstribunen. Beim Tor San Lorenzo in Rom sind sie, unter ihnen der jüngste der Familie, auf dem alle Hoffnung ruhte, am 20. November 1347 niedergemetzelt worden. Petrarca hat bei seinem Abschied von Cola (oben 7,7) davon nichts (oder nichts Sicheres) gewusst, und nun betäubt ihn die Nachricht vollkommen und anhaltend (3 ff.). Für sein langes Schweigen gegenüber seinem Herrn hat er eine Entschuldigung, die man gerne gelten lässt: Häufige Versuche, zu schreiben gibt er als völlig verfehlte immer wieder auf; die rechten Worte kann er nie finden; alles schon einmal Gesagte kommt ihm abgeschmackt und ausgeleiert vor (6 f.). Wieder einmal stösst er an die Grenzen seiner gerühmten Redekunst. Doch dann hilft ihm die Nachricht, dass der Kardinal Colonna würdevolle Haltung wahrt. Im Frühling 1348 bringt er darum einen Brief zustande, den er Wort für Wort gründlich überlegt hat. Er muss dem Kardinal ausdrücken, wie sehr er vom Bewusstsein durchdrungen ist, dass er ihm alles verdankt, was er ist und was er hat. Jener soll ein deutliches Wort seiner Anhänglichkeit und Treue vernehmen. Ihm, der sich in schweren Stürmen stets durch Charakterfestigkeit ausgezeichnet hat (10 f.), will Petrarca Verehrung bekunden. Auch will er ihm deutlich machen, wie gewaltig er beim Empfang der schrecklichen Nachricht erschüttert wurde, und zudem nicht verhehlen, dass er jetzt seine tröstend aufmunternden Worte zum Widerstand gegen Fortuna unter ständigen Tränen niederschreibt (22). Seine Gedanken des Trostes äussert er nicht darum, weil er meint, der Kardinal bedürfe seiner Unterweisung, sondern weil er schlicht seine Aufgabe erfüllen will. Schale Hoffnungen will er nicht wecken, und wiederholen will er nicht, was jener besser weiss als er (15 ff.). Nur vor einer besonderen Unklugheit will er ihn zuletzt als treuer Seelenkenner immerhin eindringlich warnen: Sich in der Öffentlichkeit heiter zeigen, doch in der Kammer sich in Gram verzehren, das wäre äusserst gefährlich, periculosissimum (21); das muss jener vermeiden. Ob sich im Brief Gedanken an irgendwelche zurückliegende Vorkommnisse verstecken, die schon vor längerer Zeit eine Entfremdung zwischen dem Herrn und dem Diener angebahnt hätten (vgl. Fam. 4,13,4), bleibt ungewiss; eine Entschuldigung vorzubringen, wäre jedenfalls einem Eingeständnis irgendwelcher Selbstvor-
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würfe gleichgekommen. Dabei ist es doch so: Petrarca hat das Unrecht des Adels eingesehen und sich deshalb dem leidenden Volk, den Guten zugewandt (Fam. 7,1,9). Anders hätte er nicht handeln dürfen, dessen ist er sicher. Zwar soll der Kardinal erkennen, wie sehr Petrarca an dem Geschick der Familie Colonna leidet, aber von einer Mitschuld an dem schrecklichen Ausgang der Umsturzversuche spricht er sich innerlich frei, und er könnte sich gegen Anschuldigungen zum Teil damit rechtfertigen, dass die Kurie ihrerseits während beträchtlicher Zeit von der entschlossenen Machtergreifung des Tribunen politischen Nutzen erwartet hat. Wenn er Vorwürfe fürchtet oder zu hören bekommt – sie können nicht ausgeblieben sein –, pariert er sie mit dem Zitat, das Vaterland habe man mehr zu lieben als sogar seine Eltern und Freunde (Fam. 11,16,8), denn dass er das Wort auf die herrschenden Umstände anwenden dürfe, steht für ihn ausser Zweifel. Trotzdem stellt für ihn das unerwartet grausame Verhängnis eine schwere seelische Belastung dar. Einen schwierigeren Brief als diesen zum Trost seines Herrn hat er wohl nie aufgesetzt. Von minderem Interesse scheint in unserem Zusammenhang die Belehrung in der folgenden Nr. 14 gegenüber einem Florentiner Bruno zu sein. Sie ist Petrarca immerhin so wichtig, dass er sie seinen Familiaren einfügen will. Vom blinden Urteil der Liebenden handelt sie, und wirklich kommt er auch sonst immer wieder auf das unzuverlässige Urteil der Liebe zu sprechen, regelmässig ohne zu fragen, worauf denn im besonderen Fall die Liebe beruhe und welcher Art sie sei. Jetzt wird seine Sentenz mit einer Anekdote aus der Antike illustriert, die über den Unterschied zwischen Liebe und Verliebtheit hinweggeht. Aber die Zeilen bedeuten einen kleinen Freundesgruss an einen Dichter, der ihm Verse gesandt hat. Dass die ihm geschenkte Verehrung eine Gegengabe verlangt, beachtet er wohl, aber bei seiner Niedergeschlagenheit kostet es ihn eine gewaltige Anstrengung, sich ein Gedicht abzuringen (4); vix extorsi, so gesteht er, den Brief beendend. Über diese Stimmungslage kann der Ton der Genugtuung und Zufriedenheit in Nr. 15 vom 13. März (1348) nicht hinweg täuschen. Petrarca hat zwar die Erfüllung eines grossen Wunsches erlebt, er ist jetzt Kanoniker in Parma, zudem hat er beste Aussichten, bald auch Archidiakon zu sein, aber zu seinen schon erwähnten Verlusten und Enttäuschungen gesellt sich – ohne dass es erwähnt wird – die Furcht vor der unaufhaltsam heranrückenden Pest. Trotzdem kann Petrarca unmöglich eine andere Haltung als die der frohen Dankbarkeit einnehmen, wenn er sich an Luchino Visconti von Mailand wendet. Er hat die ihm vorgelegten Begehren bereitwillig zu erfüllen und tut es gewiss nicht ungern, da er von diesem seinem neuen Stadtherrn die höchste Auffassung hegt. Er schickt ihm Früchte aus seinem Garten, den sein Blick rasch überfliegt, und ein Gedicht aus seiner Feder (2), in welchem er ihn vor allem ob seiner Gerechtigkeit rühmt. Auch sein Brief kommt einer Anerkennung gleich; der enthält nämlich einen Preis auf jene Fürsten, welche
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gleich den antiken Staatsmännern und Feldherren die schönen Künste lieben und die Künstler fördern (3), und wenn Luchino nicht namentlich in ihre Reihe gestellt wird, so ist ihm, da er von Künstlern, besonders auch von einem Musiker wie Giacopo von Bologna mit Ehren bedacht wird, doch erlaubt, den Worten des Dichters so viel Schmeichelhaftes zu entnehmen, als ihm behagt. Ob er die von Petrarca ihm früher zugedachte Warnung vor Expansionen (Fam. 3,7) wirklich je erhalten hat, bleibt unsicher; beherzigt hat er sie nicht, aber sie dem Dichter zu verübeln, ist er viel zu selbstbewusst. Nebenbei sei angemerkt, dass man zum Hinweis auf Petrarcas Gartenpflege einige Ergänzungen in einem seiner metrischen Gedichte finden kann. Die Beschäftigung mit Pflanzen und Bäumen – nach Anweisungen des alten Palladius – und etwa eine Umgestaltung einer Anlage ist für ihn gerade im Trauerjahr 1348 die beste Art Zerstreuung, ob er dabei selber Hand anlegte oder nicht. Grosse Genugtuung schenkt dem Dichter um jene Zeit ein besonders verständiges, begeistertes Lob von seiten des Florentiner Humanisten Lapo (Giacomo, Giacopo) da Castiglionchio. Das erfährt man aus der an ihn adressierten Antwort 16. Doch rasch geht Petrarca zur Selbstkritik über, die zweifellos echt ist, und hebt den grossen Vorzug eines aufrichtigen Tadels gegenüber einem unaufrichtigen und unberechtigten Lobspruch hervor. Sein nicht unbeträchtliches Vertrauen auf seine Fähigkeiten schliesst Unsicherheit, ja Furcht vor eigener Fehleinschätzung nie aus, und im Verlangen nach ständiger Vermehrung von Wissen und Können erhofft er sich Sachlichkeit in jeder Beurteilung und möchte nicht durch Schmeicheleien in falsche Sicherheit gewiegt werden. Mit wenigen knappen Worten deutet er an, wo er seine stilistischen Mängel am ehesten vermutet (5). Dass er fast unablässig auf solche Jagd macht, hätte er ihnen zuzählen können. Doch hat er dem Humanisten vor allem für eine Bücherleihe zu danken, die ihm nicht allein eine eingehende Lektüre, sondern auch das Kopieren ermöglicht. Wie er es damit hält, wo er doch so häufig herumreist und gewiss nicht immer Kopisten um sich hat, wäre zu wissen nicht uninteressant. Das Schreiben setzt er im März oder April in Padua auf, wo er sich als Gast eines anderen Giacomo (Giacopo), des Herrn Carrara, aufhält. Auf diesen setzt er einige Hoffnung, und nicht zu Unrecht. Denn, wie bereits zu Fam. 7,10 angemerkt, hat er in ihm einen edlen Gönner. Seinen Bemühungen verdankt er unter anderem, dass ihm in dessen Stadt – wie anderswo – ein Kanonikat zugesprochen wird. Doch davon erfährt man erst später und nur nebenbei (Fam. 8,5,13). Von einigen Sorgen, die sich Petrarca seit einiger Zeit um die Erziehung und allgemeine Lebensgestaltung seines (je nach Datierung 1348 – 1351?) ungefähr zwölf oder fünfzehnjährigen Sohnes Giovanni macht, sprechen in Nr. 17 vom 26. März seine sorgfältigen Anweisungen an einen Grammatiker Giberto Baiardi in Parma, dem er noch von Padua aus das Kind anvertraut. Er hält sich darin allerdings an ganz allgemeine Weisheiten, und nur wenige Sätze nennen sein persönliches Anlie-
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gen sowie den besonderen Anlass zur Abfassung dieser Schrift. Er legt, wie man anderswo erfährt, damals Wert darauf, den Heranwachsenden, wann immer möglich, in seiner Nähe zu haben, und erkennt dennoch die Notwendigkeit, ihn vorübergehend anderen Händen zu übergeben. Der Lehrer besitzt mehr Erfahrung im Umgang mit jungen Leuten als er selber, dessen ist sich Petrarca trotz allem bewusst. Und wirklich liegt die Schuld nicht einzig bei seinem Sohn, wenn ein glückliches Verhältnis zwischen ihnen beiden niemals aufblühen kann. Eine grosse Enttäuschung bedeutet es für Petrarca, dass er die Liebe zur Literatur nicht hat vererben können; „der Sohn hasst und fürchtet nichts ausser Bücher“ sagt er später in Fam. 13,2,3, und so greift er gern-ungern nach dem Trost, dass sittliches Verhalten wichtiger ist als literarische Bildung. Doch in jedem Fall hat das Kind sich über sein Wollen Rechenschaft abzugeben, weshalb Petrarca hier wie oft, wenn er zu einem Entschluss auffordert, das Bild von der pythagoräischen Wegscheide heraufbeschwört (vgl. z. B. Fam. 7,9,4; Fam. 12,3,7). Schon ist der Sohn hier angelangt (1 ff.), wo er genötigt ist, den Pfad der Tüchtigkeit oder den Weg der Bequemlichkeit zu wählen; die Entscheidung aufzuschieben, bringt nur doppelte Gefahren und weit grössere Mühen; das soll ihm eingeschärft und die Folgen einer richtigen oder falschen Wahl sollen ihm aufs eindrücklichste dargelegt werden. Noch ist das Kind weich, sagt er, und leicht zurecht zu biegen. Dabei hat man verschiedenen Veranlagungen Rechnung zu tragen, auch hat man die Strafen der Art der Vergehen anzupassen; schwere erfordern die Züchtigung mit der Rute – nach damaliger Auffassung ist das selbstverständlich –. Wieder fehlt ein gewisser Lieblingsgedanke des Dichters nicht, er äussert sich in der Mahnung, gegen ein Extrem das gegenüberliegende auszuspielen, aber gedacht wird hier nicht an das Zurechtbiegen von Hölzern, sondern an die Krankenbehandlung durch Ärzte (5 ff.wie oben Fam,7,9,4). Das kann jedoch, möchte man bemerken, nur solange einleuchten, als sanftes Masshalten nicht vergessen wird. Petrarca weiss das gewiss und müht sich wohl um Aufmunterung in Freundlichkeit und Scherz (7); doch ob er seine eigene Erziehungslehre immer vor Augen hat, muss man sehr bezweifeln. Eher scheint, er habe zu grosse Strenge walten lassen und bei allem guten Willen nicht vermocht, der Veranlagung seines Kindes gerecht zu werden. Zuletzt fasst der Brief 18 an Freund Lancellotto in Piacenza die schweren Enttäuschungen zusammen, welche die jüngste Vergangenheit von Ende 1347 bis Frühling 1348 dem Dichter auferlegt hat, und schildert vor allem, wenn auch knapp, den Verlust von Francesco degli Albizzi. Die Pest hat dafür gesorgt, dass ihn Trauermeldungen von überallher erreichten, er hat sie beiseite gelegt; er will sie vergessen. Mit äusserster Spannung hat er vieles und Höchstes erwartet und nicht erreicht. Bitter wird ihm der Gedanke an die Africa. Eher könnte er die Sterne zählen als die Hindernisse, die der Fortführung dieses Werkes entgegenstehen. Dichten bringt übrigens keine Erleichterung. Helfen kann einzig die Medizin des „wahren
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Äskulap“ Christus, sagt der fromme Kleriker, zweifelt aber, ob sein Adressat Lust hat, dessen Arzneien einzunehmen. So schliesst er das Buch. Er ist jetzt im Vaterland, doch das Glück hat er noch nicht gefunden.
Damit zeigt das Buch 7, dass Petrarca seine Freiheit höher wertet als materielle Vorteile, doch bei einer Stellensuche von der Kurie abhängig bleibt. Immerhin löst er sich von Avignon weitgehend und setzt sich in Parma fest, von wo aus er verschiedene Höfe besucht. Der Verlust des Freundes degli Albizzi ist ihm jetzt der grösste persönliche Schmerz; aber das Versagen Colas di Rienzo in Rom gleichzeitig der härteste Schlag gegen politische Hoffnungen; es bringt teuren Freunden Verderben und stellt sein Vertrauensverhältnis zum Kardinal Colonna auf die Probe. Das Dichten wird mühsam. Dieser mehrfache Kummer durchwirkt das Buch 7 in seiner Verschiedenheit und hält es zusammen. Auf die Pest wird vorerst nur nebenbei hingewiesen.
Die Seuche zeigt sich erst im Buch 8, und zwar vom Rücken her oder gleichsam als ein dem schrecklichen Wüten nachschleichendes Grauen. Das 1. Schreiben, ein Kondolenzbrief vom 8. September 1348, richtet sich an Stefano Colonna in Rom, den Vater des Kardinals Giovanni. Dieser ist kurz vorher, am 3. Juli des selben Jahres, in Avignon gestorben, wohl eben an der Pest; jedenfalls wütet sie dort zu jener Zeit. Petrarca, der den würdigen Senator vor Jahren in Rom besucht und sich an seiner unverminderten Entschlossenheit und Manneskraft erbaut hat, bietet nun seine ganze Kunst auf, um das stolze Haupt der hochadligen Familie zu ehren und in seiner Tapferkeit zu bestärken. In keiner anderen zeitgenössischen Gestalt hat er das alte Römertum in gleicher Vollkommenheit verkörpert gefunden wie in ihm, dem einst unbeugsamen Verfechter seiner Rechte im Kampf gegen Papst Bonifaz VIII. Jetzt stellt er ihm zuerst seine lang dauernden Erfolge vor Augen (3 ff.), rühmt seine Taten, seine edle Gattin, die Vielzahl seiner Kinder, deren Ehren und Würden, seinen Reichtum, sein Ansehen – war er nicht in einem Masse glücklich, dass es für ihn kein Unglück zu geben schien?(15) – und dann stellt er seiner frühen Glanzzeit das späte Unglück gegenüber (18 ff.), nicht etwa als unüberwindliches Elend, sondern, wie man es von Petrarca nicht anders erwarten kann, als Aufruf des Schicksals (oder eher Gottes), in der letzten Bewährung die Vollendung zu finden. Genau erinnert sich der Dichter an gewisse Worte (22 ff.), die jener ihm einst in Rom unter heftigem Schmerz geäussert hat; denn von der Ahnung, dass er alle Söhne werde sterben sehen, ist der Greis schon seit Jahren verfolgt worden, und verstärkt hat sich diese nach dem unheilvollen Treffen seiner Angehörigen mit Colas Scharen am Tor San Lorenzo (Angaben zu Fam. 7,13). Die neue Prüfung durch den Tod des Kardi-
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nals macht die Ahnung zur Wahrheit und untermauert das Wissen von der Unzuverlässigkeit Fortunas. Dieser Gewinn hat nicht etwa darum geringen Wert, weil er spät, unmittelbar vor dem Tod erfolgt. Petrarca, der eine Weiterbildung des Menschen bis in die letzte Stunde des Lebens fordert, könnte das nie gelten lassen (37). Stefano steht aber wirklich vor seinem Ende, und Fortuna kann dem Vollendeten nichts mehr anhaben; ihr Köcher ist leer (38). Nicht lange nach Erhalt dieses Briefes darf er seinem letzten Sohn ins Grab folgen, wohl noch im selben Jahr. Ist die Datierung des 1. Briefes in den Herbst 1348 richtig, dann verstreichen bis zum 2. Brief vom 8. Mai 1349 volle acht Monate. Der Mangel an Nachrichten ist hier wie anderswo vielleicht eine Folge jener erwähnten wahllosen Beseitigung von Schriften, doch ist auch möglich, dass die Pest, die für längere Zeit und selbst nach ihrem Abschwellen den schriftlichen wie mündlichen Kontakt, damit das Absenden von Boten erschwert, Petrarca veranlasst, die wichtigen Ereignisse und Gedanken statt in Briefen, die er nicht abschicken kann, in einer anderen Literaturgattung festzuhalten. In der Tat verfasst er damals „An sich selbst“ (Ad se ipsum), die Eklogen 9 – 11 (Querulus) zum Schwarzen Tod sowie die Dichtung „Triumph des Todes“ nach Lauras Tod, nicht zu vergessen die Sonette (Oimè) zum selben Ereignis. Ein aus Avignon zugesandter Brief hat ihm ihr Ableben schon am 19. Mai 1348 gemeldet; doch in seinen lateinischen Briefen erwähnt er davon nichts. Sehr wenig kann man übrigens aus den Familiaren darüber erfahren, wo er sich zur Schreckenszeit aufhält und wie viel er vom allgemeinen Elend mit eigenen Augen ansehen muss; nur dank Rückschlüssen kann man darüber etwas aussagen (vgl. Angaben zu Fam. 8,7). Endlich hat er im Mai 1349 genügend Festigkeit, um durch Brief 2 die Meinung zu wecken, er erlange nach der Überwindung eines hartnäckigen Stupors allmählich die Fähigkeit zurück, an Alltäglichem einen Anteil zu nehmen und des Erfreulichen inne zu werden. Das Wüten der Pest scheint sich gelegt zu haben, die Menschen glauben das für eine Weile, sie atmen auf und können Pläne entwerfen. Wegen einer Reise (möglicherweise zur Übernahme des Kanonikats in Padua) hat Petrarca seine Freunde Luca Cristiani und Mainardo Accursio, die ihn in Parma besuchen wollten, verpasst (1 f. und 8,9,12 ff.); und sofort macht er sich daran, ihnen schriftlich zu unterbreiten, was er ihnen sehnlichst hätte mündlich darlegen wollen, nämlich seine Überlegungen zum lang schon gehegten Wunsch (vgl. oben Bemerkungen zu Fam. 5,15), mit anderen ein gemeinsames Leben unter einem gemeinsamen Dach zu führen. Er handelt davon in den Briefen 3 – 5, wiederum vom Mai 1349; sie sagen Wichtiges über die seelischen Entwicklungen des Dichters und die Neuorientierung des selben nach dem Tod des Kardinals Colonna aus. Die Angesprochenen haben einst, wie man da lesen kann, dem einen und gleichen Herrn gedient wie Petrarca auch; das war der verehrte Kardinal Colonna; er ist gestorben (8,3,4); seine ihm verpflichteten Diener sind damit frei geworden,
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ohne es zu wollen, sagt Petrarca, und kann doch seine persönliche Freude über den Gewinn der Unabhängigkeit nicht verbergen (8,4,23 -24). Die Pest hat jedoch nur eine kleine Zahl des Freundeskreises verschont, und von dieser Zahl sind nur ganz wenige ihrer übrigen Bindungen ebenfalls ledig geworden und damit in die Lage versetzt, über ihr zukünftiges Leben frei zu bestimmen. Diese tun gut daran, nicht neue Ansprüche an die Welt zu erheben und sich nicht wieder in weltliche Geschäfte zu verstricken, wie Petrarca in seiner Lust am Schreiben reichlich breit mit den so oft wiederholten (dem Leser daher vielleicht allzu bekannten) Argumenten ausführt. Sie haben endlich mehr als nur einen Teil des Lebens, sie haben es bis ans Ende zu überdenken (8,3,8 f.) und eiligst aufzuholen, was sie an Zeit haben ungenutzt verstreichen lassen (8,4,9 ff.). Unnötige Bürden an irdischen Gütern sollen sie ablegen, sich auf das Wichtige besinnen und sich auf den Tod vorbereiten. Sie bedürfen nur noch geringer Habe, wenn sie sich zusammentun und sich gegenseitigen Halt bieten. In schöner Abgeschiedenheit können sie der Freundschaft froh werden und sich den Studien widmen. Endlich einmal lässt Petrarca über Epikur, den er bisher nur getadelt hat (Fam. 1,1, 20 ist noch nicht geschrieben), ein anerkennendes Wort fallen (8,4,3). Er weiss, sein eigenes Ideal vom bescheidenen Leben unter Freunden abseits der grossen Welt ähnelt einem Ratschlag jenes oft geschmähten Philosophen erheblich. Mit Freund Sokrates in Avignon ist er in wichtigen Fragen einig geworden (vgl. Fam. 5,13 und 5,15), aber die nach dem Ort ihrer Niederlassung ist noch offen. Was immer die Freunde wählen, sogar ein Platz in der Fremde, in der „Barbarei“, wird dem Dichter, wie er kühn genug beteuert, recht sein (8,5,17), selbst wenn er weitaus am liebsten in Italien verbliebe. Allerdings kann er, wie oft er sich als Liebhaber seiner Klause dargestellt hat, jetzt das Tal für das geplante Zusammensein nicht empfehlen; er ist Realist genug einzusehen, dass es für eine grössere Zahl nicht genügen würde (8,3,6 ff.); man müsste die Mittel für den täglichen Lebensunterhalt dort bald schon vermissen, und doch sollte die Gemeinschaft an einem immer gleichen Ort sesshaft und dauerhaft sein; sie wäre nämlich nicht bloss für bestimmte Jahreszeiten oder zur gelegentlichen Erholung gedacht. Und nicht nur verlangt ihn beim Abschied von Vaucluse nach einer Würdigung seiner alten Zufluchtsstätte, es drängt ihn auch zu einer sachlichen Rechtfertigung seiner Trennung von ihr. Kurz verweilt er daher bei Erinnerungen an gute und böse Tage, die er dort verlebt hat, und er teilt dabei einiges mit, wovon er sonst kaum einmal spricht (8,3,10 ff.). In jugendlichem Übermut hat er dort gewaltige Pläne geschmiedet, er hat da auch bitterste Erfahrungen gemacht. Genesung hat er einst in Vaucluse für die Leidenschaften seines jungen Blutes gesucht, aber sein Feuer hat sich in der Einsamkeit zu einem verzehrenden Brand entwickelt und hat ihm Liebesklagen abgepresst, deren er sich nun schämt und die doch berühmt geworden und manchem, der unter ähnlichen Qualen seufzt, willkommen sind. Eines hilfrei-
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chen Freundes hätte er dort bedurft, aber keiner ist zu ihm gekommen. (vgl. die Klage gegenüber Giacomo Colonna Fam. 4,6,1). Der Wert solcher Mitteilungen ist kaum zu überschätzen; welche Abgründe sie aufdecken, erahnt, wer sie mit Aussagen über die Melancholie im Secretum (2,13,1 ff.) verbindet. Auch schwere Sorgen wegen übernommener Arbeiten werden da ausgedrückt. Zu den im Tal begonnenen Werken gehört die Africa, mit welcher er bei Freunden so grosse Hoffnungen weckte, dass er jetzt, nüchtern geworden, fürchtet, vor ihnen elend zu versagen. Nichts hat ihn so kräftig zur Arbeit angespornt wie jener langjährige Aufenthalt fern der geschäftigen Welt; aber ein Übermass hat er bewältigen wollen und es nicht vermocht. Nun scheint ihm, dass er auch aus andern Gründen nicht verbleiben kann. Nicht bloss auf kurze Zeit wird er sich entfernen, sondern er denkt, seine bleibende Stätte endlich anderswo einzurichten. Vergleicht er jenes enge Tal (8,3,17 ff.) und die schmalen Ufer von Rhone und Sorgue jenseits der Alpen mit der Zahl ausschweifender Flüsse, blühender Täler und heiterer Hügel Italiens in ihrer Fruchtbarkeit, dann weiss er, dass er sich an den Vorzügen des Südens nicht satt sehen kann. Das spricht er aus. Und dennoch wird ihm eine eigene Zwiespältigkeit bewusst und wundert er sich immer neu über die Unentschiedenheit seiner Seele, die sich vom Norden nur mühsam abzukehren vermag. Sofern es den Freunden genehm ist, bietet er ihnen sein Haus mit Büchern und Garten in Parma an (8,4,32 und 8,5,6), es steht an gesundem Ort (das wird im Mai 1349 betont, wie früher in Fam. 7,1,11 zum Herbst 1347), und ein grösseres, das ihm zur Verfügung steht, würde sogar noch für andere genügen. Er hat nämlich in Italien besser Fuss gefasst, als er noch vor kurzem hoffen durfte, denn ihm ist mit Hilfe des Herrn Giacomo Carrara gelungen, zu den Kirchenstellen, die er schon hat, auch das von ihm gewünschte Kanonikat in Padua wirklich zu erlangen und somit darf er eine Wohnstätte auch dort in Besitz nehmen (Fam. 8,5,13). Mitteilen muss er natürlich nicht, dass mancherorts eine Stelle gerade infolge der Pest für Überlebende frei wurde und dass er von diesem Umstand möglicherweise wenigstens mittelbar profitiert. Ein gewisses Bedenken, das die Aufnahme weiterer Bekannter betrifft, will Petrarca jedoch bei all seiner Zuversicht nicht unterdrücken. Hochgestellte, superiores, (also nicht allein Adlige) sind zwar einer gewissen Liebenswürdigkeit fähig, aber sie würden die Gemeinschaft belasten; sie wollen ihren Vorrang wahren und verlangen hingebungsvolle Verehrung (adorare ist ein starkes Wort; 8,4,22), weshalb sie mit Geringeren keine Freundschaft schliessen. Petrara scheut sich nicht, diese Erfahrung kühl auszusprechen. Mag die Freundlichkeit der Herren, mit denen er Umgang pflegt, noch so einnehmend sein, sie hat ihre klaren Regeln und engen Grenzen. Ihm dagegen schwebt eine Gleichstellung unter allen Gliedern der Gemeinschaft als das natürlich Gegebene vor, weil sie ja eines Herzens und eines Sinnes sind, wie er – freilich erst später – ausdrücklich, aber noch stolz und glücklich hervorhebt ((8,9,3 f.). Dabei gibt er sich allerdings wie so oft einer Illusion hin, einer vor allem
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über seine eigene Person. Denn wie schwierig es ihm werden könnte, sich als ein Glied neben andern in eine Gemeinschaft einzufügen, ist ihm verborgen. Immer tritt er ja als Lehrer und immer als Vorbild auf, auch jetzt, wo er als der Ziehende, nicht Nachfolgende handelt (8,4,26). Die andern sollen das nicht als arrogantia verstehen, so bittet er, weist damit aber auf eine echte Schwierigkeit hin, welche den Freunden wohl besser bekannt ist als ihm. Wie von selbst ergäbe sich, dass er in der vereinten Schar die Führung übernehmen und für seine Meinungen und Ratschläge jeweils mit dem Einverständnis der andern rechnen würde. Nicht allein seine geistige Überlegenheit würde das fordern, sondern auch sein Freiheitsdrang. Seine Unabhängigkeit hat er nicht gewonnen, um sie gleich wieder hinzugeben. Er preist bei Gelegenheit die „freiwillige Armut“ (vgl. Fam. 3,13,9 und 11; Fam. 6,3,49),und er lebt sie gewissermassen, aber was es für ihn bedeuten würde, eine freiwillige Unfreiheit im Alltag durchzuhalten, davon weiss er nichts. Mehrmals innerhalb eines Monats setzt Petrarca zum Schreiben an, teils in der Freude, sich die Zukunft auszumalen, teils in der Einsicht, dass er trotz seiner Autorität, die er zweifellos besitzt, und trotz aller vermuteten und sogar froh verkündeten Gleichheit der Gesinnung unter den Freunden eine tüchtige Überzeugungsarbeit zu leisten hat. Das Glück einer bescheidenen, aber tätigen Hausgemeinschaft fern der grossen Betriebsamkeit, doch in der Nähe lustvoller Städte und bedeutender Bildungszentren, umgeben von einer weiten Landschaft unvergleichlicher Schönheit, das alles wird verhindern, dass sie der Einförmigkeit und dem Trübsinn verfallen (8,5,15). Diese freilich sind Übel der Einsamkeit, die Petrarca zu seiner Qual häufig erfahren hat. Leicht ist es, ihnen durch Ortsveränderung zu begegnen (vgl. Secretum 3,8,7). Mit den Freunden zusammen wird er sie nicht fürchten; sie werden Städte besuchen und Ausflüge nach allen Richtungen unternehmen (8,5,8 ff.). Wenn für alles gesorgt ist, warum sollten sie dann mit einem guten Entschluss noch zögern? Obwohl Petrarca für sich und seine Freunde ein – vorzugsweise den klassischen Studien gewidmetes – Leben vorsieht, spricht er davon wie von einer – man kann sagen – religiösen Pflicht. Die Verwirklichung seines Planes ist wahre Gewissenssache, und vieles steht auf dem Spiel, ja alles. Wenn die Freunde seinen Rat verwerfen: „dann lade ich Euch die ganze Verantwortung auf“ (8,4,25); und keinesfalls darf der heilsame Plan infolge einer Verzögerung gefährdete werden (8,5,17). Nochmals will Petrarca zum Schluss mit aller Eindringlichkeit beteuern, dass er sich den Freunden in allem anbequemen wird, „wenn sie nur vereint beisammen leben können“: modo simul esse liceat. So unendlich wichtig ist ihm, dass sie, ein paar Schicksalsgefährten in einer verödeten Welt, sich zusammenschliessen! Einem dreifachen Unheil meint er persönlich auf diese Weise entrinnen zu können: Der ihm ganz ungemein hinderlichen Abhängigkeit, der ihn oft ängstigenden Einsamkeit und der ihn häufig wie eine schwere Krankheit überfallenden Melancholie, die im Secretum besonders eingehend untersucht wird (2,13,1).
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Es bedeutet ein vom Himmel geschenktes Glück (so Petrarca), dass einer von ihnen, das ist Mainardo, ein Mann der Tat ist, dem an Studien wenig liegt (8,9,6). Er wird für das Häusliche und Leibliche besorgt sein. Das ist sehr praktisch gedacht. Aber, fragt der Leser, was tun die anderen Gemeinschaftsglieder? Was heisst da Studium und womit verdienen sie ihr Brot? Petrarca kann nicht für alle aufkommen. Denn seine Pfründen werfen nicht allzu viel ab, und das von den Eltern ererbte Vermögen haben einst seine Vormünder verschleudert (Fam. 10,3,37). Es wird so sein, dass jeder der drei Freunde eine (bescheidene?) Pfründe innehat, die er durch Vikare besorgen lassen kann, während er selber in schöner Abgeschiedenheit und in Verbindung mit den andern für die Weitergabe des kulturellen Erbes aus der Antike tätig ist. Wenn es sich so verhält, können Eiferer und Neider daran Anstoss nehmen, und wirklich scheinen Tadler nicht ausgeblieben zu sein (vgl. unten zu Fam. 9,14). Doch dass die zukünftigen Einsiedler darauf achten, für ihre Vertretung zuverlässige Männer zu wählen, wenigstes dies darf man annehmen. Und übrigens ist sicher, dass sie, die ohnehin mit wenigem zufrieden sein wollen, dank ihrem gemeinsamen Leben manche Auslagen für ihren Unterhalt einsparen können, wodurch sie in die Lage kommen, nicht immer nach neuen Ämtern auszuschauen. Das bringt dann nicht bloss ihnen persönlich, sondern auch der Kirche, der damals grössten Arbeitgeberin, die ihre Güter unter unabsehbare Scharen aufzuteilen hat, eher materiellen Nutzen als Nachteil. Petrarcas Zukunftsträume werden, das ergibt sich aus Nr. 6, durch die Pflichten seines Alltags verdrängt. Er spricht darin eine kurze Gratulation an die Adresse eines Augustiners Bartolomeo aus, der eben eine Sammlung von Augustinus-Stellen herauszugeben im Begriff ist. Die für den Abschluss des Werkes gewünschten Verse schickt er ihm in zwei Fassungen zur Auswahl; er mag keiner den Vorzug geben. Die Musen haben, so sagt er, sich von ihm zurückgezogen, und darum übt er sich nicht mehr im Dichten. Wenn er es aber doch wieder versucht, so nur in aller Hast und aus dem Stegreif, denn immer fehlt es ihm an Zeit. Fehlt es an Zeit für das weniger Wichtige, wird man betonen müssen. Denn für die Vorbereitung des geplanten neuen Lebens nimmt er sich, wie man sieht, einfach alle. Was hierauf in Brief 7 behandelt wird, kommt ganz unerwartet. Petrarca äussert sich endlich zur Pest, die er bisher mehrmals bloss knapp und beiläufig erwähnt hat. Von einem Datum steht am Ende des Schreibens nichts; doch verrät sein Text (10), dass seit dem Wüten der Krankheit ein ganzes Jahr und ein guter Teil des folgenden vergangen ist. All diese Zeit hat der Dichter den Entschluss nicht aufgebracht, in einem Brief das fürchterliche Massensterben zum Thema zu machen. Mit seinem Unvermögen zu sprechen ist er gewiss nicht allein. In den Köpfen herrscht bis zum Abflauen der Pest Verwirrung, dann beansprucht eine Neuordnung des Alltags viel Kraft, und die Ängste vor einem neuen Auflodern des Unheils verschwinden nur ganz allmählich.
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Nun rechnet Petrarca mit schweren Anwürfen aus dem Munde anderer Personen gegen sich, als hätte er sich anmassend die Rolle zugelegt, die Leiden aller Welt mit Wortgewalt und Heldenmut zu lindern und müsste nun vernehmen, er habe die auf ihn gesetzten Hoffnungen in lächerlicher Weise betrogen (5 f.). Ausgerechnet er, so meint er zu hören, wolle die Sterblichkeit nicht akzeptieren, unter allen sei er der verzagteste. Das ist aber eitle Selbstüberschätzung. Ein gutes Gewissen hat er so wenig als andere und wird sich dessen bewusst gewesen sein. Um der Gefahr vor Ansteckung aus dem Weg zu gehen, hat er in der allgemeinen Not an bedeutender Hilfe nichts geleistet. Das sagt er nicht so deutlich, hingegen das andere, dass er sich nicht einmal rühmen darf, die Vernunft gewahrt und seiner Erregung Zügel angelegt zu haben (10). Seiner Schwäche gibt er jetzt vollends nach: „Ich muss sterben, wenn ich meinen Schmerz und Jammer nicht in Worte ergiesse“ (9). Es ist nicht allein sein Schmerz, der ihn zum Sprechen zwingt; er will auch sprechen, weil er unter dem Druck des allgemeinen Spottes steht oder es zu sein glaubt; er muss seine Dichterehre retten. Dabei begeht er die Unvorsichtigkeit, etwas sagen zu wollen zu einer Zeit, wo längst jeder Kluge (mitsamt der ganzen Schar von Ärzten und Philosophen usf.) eingesehen hat, dass es schlechterdings nichts zu sagen gibt (13 und 16), jedenfalls nicht vor der Öffentlichkeit, weil mit etwas Alltagsweisheit und etwas christlichen Trostsprüchen jeder höchstens für sich selbst und im Stillen etwas anfangen kann. Petrarca erlaubt sich aber genau das, wofür sich andere zu gut sind: Er argumentiert vor seinem fingierten breiten Publikum mit dem gesunden Menschenverstand und mit etwas christlichem Rudimentärwissen, denn eine höhere Erkenntnis und einleuchtende Erklärung des grossen Unheils hat auch er nicht gefunden. Ja, er vergisst sogar einige seiner alten Einsichten und ist deshalb wirklich um gar nichts klüger als die Menge; hat die gleichen Fragen wie sie und die selben Antworten. Doch greift er zu einem gut berechneten Mass Rhetorik und Pathos und versucht gleichzeitig, im Allbekannten nach Tiefe zu forschen, womit er es auch verfremdet und für manches einfache Gemüt vielleicht sogar ungeniessbar macht. Nicht eine Schilderung von Sinnenfälligem legt er vor. Er vergräbt sich in Gedankliches. Er ist nicht wie Giovanni Boccaccio, den er noch wenig kennt, ein Augenzeuge des Elends; er kann nicht sagen wie jener: „Ich habe gesehen“. Er hat sich in sein Haus in Parma oder eher im nahen Selvapiana vergraben, jedenfalls in der Gegend, die er mehrmals als gesund gepriesen (Fam. 7,1,1 und 8,5,6) und wo er, wie er bei späterer Gelegenheit sagt, „ein ganzes Jahr lang keinen Fuss vor die Schwelle gesetzt“ hat (8,9,11), was freilich eine seiner üblichen Übertreibungen ist. Er befand sich da in einiger Sicherheit, aber ein sorgloses Leben hat er nicht geführt, sondern eine Trauernachricht nach der andern entgegengenommen und vielleicht sogar in seinem Abseits gemerkt, dass die Lebensmittelzufuhr aufgehört hat. Das lange Ausharren in der Einsamkeit hat für ihn eine seelische Belastung
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dargestellt. Er hat da vor sich hin brüten können und alle Zeit gehabt, trüben Gedanken nachzuhangen und sich auszudenken, was er der Menschheit über die Pest etwa zu sagen hätte. So ungefähr wird Brief 7 entstanden sein. Der dreifache Schreckensruf, der ihn einleitet, zeugt nicht von einem ersten Entsetzen; er ist ein antikes Zitat aus Cicero, was Petrarca nicht verschweigt. Das Thema Pest hat er literarisch und gedanklich verarbeitet und in Kunstform gegossen. Er setzt die Jahreszahl in seinen Text, die ihn erschüttert, 1348, und fügt sogar die des Weltalters hinzu. Es ist das 6. und letzte. Darin liegt eine Warnung (11). Bereits ist alles unfassbar, unwirklich, gespenstisch, als wäre die Welt schon untergegangen; sogar die Augenzeugen, die auf den Strassen die Leichen liegen sehen, können nichts für wahr halten (12 f.). Petrarca bedarf jetzt der äussersten Übersteigerung alles Vorgegebenen und behauptet deshalb kühn, es habe auf Erden seit der Arche Noa niemals ein so entsetzliches Leid gegeben (12). Gleich drängt sich die Frage nach einem Sinn des Unbegreiflichen auf, und mit ihr stellen sich Gedanken an Sünde und Strafe, dann die Probleme der Gerechtigkeit ein (14). Sie sollen in ihrer ganzen Schwere gezeigt werden. Deshalb vergisst Petrarca – und zweifellos willentlich –, wie oft er seiner Gegenwart attestiert hat, sie übertreffe alle Vorzeit an Lasterhaftigkeit (Fam. 6,4,1 und 6,5,9 und oft.). Dass das Heute besonders grosse Schuld aufgehäuft habe, das zu glauben widersetzt er sich jetzt entschieden (19), auch wenn er dann nicht einsieht, warum seine Zeit eine unerhörte Strafe erleidet. Verwegen behauptet er, wir haben gesündigt, jedoch mit allen andern, und gegeisselt werden wir allein (15). Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Scheinbar nicht. Gleich ist er wieder bereit, an eine höhere Weisheit zu glauben, die seinen Verstand übersteigt. Zweifel an einem gerechten Gott, der sich um seine Welt kümmert, gestattet er weder sich noch andern (18 f.); das hält er für sicher, dass es einen Gott gibt, der sich nach seiner Kreatur umsieht und über sie richtet. Damit redet er wie die Prediger in der Kirche. Eben mit Gott setzt er sich in der ihm eigenen Zudringlichkeit auseinander, als stünde er laut anklagend vor dessen Richterstuhl (14 und 19), muss sich allerdings eingestehen, dass ihm alles unbegreiflich und unsagbar bleibt. Da schweifen seine Gedanken zur Betrachtung seines persönlichen Schicksals über. Soviel ist klar, vor seinem in Avignon vielleicht, vielleicht noch lebenden Freund spricht er es aus: „Wir sind allein“ (21), Du dort, ich hier. Das entsetzt ihn. Neue Freundschaften müsste man schliessen, doch wo in der entvölkerten Welt sie beschaffen, sagt ihm niemand. Nun fällt ihm ein – als Humanista, der er zu jeder Stunde ist – von Seneca (18), Epikur (22) und Cicero (24) zu erfragen, ob sie ihm die Veränderung der Welt etwa deuten könnten, und gegen Ende seiner Epistel rückt er seinem Cicero mit der Frage auf den Leib: Du Markus, „Marce Tulli, wenn unsere Existenz hier aufhört, was geschieht mit uns nachher?“ (26). Das zu sagen hat Cicero unterlassen, so lautet der nachfolgende Vorwurf. Dabei ist gerade diese Frage, die Cicero nicht einmal stellt, gefährlicher, brennender
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als jede andere (periculosius). (26). Klarer drückt sich Petrarca nicht aus. Dass Cicero die Unsterblichkeit der Seele gelehrt und den Glauben an ein Jenseits vertreten hat (vgl. Fam. 4, 3,7), das weiss Petrarca sehr genau. Die Gefährlichkeit, auf die er verweist, hat ihren Grund in einem ausstehenden Gericht, das zwischen Guten und Schlechten (11) und zwischen Himmel und Hölle scheidet. Zeit seines Lebens hat er eine Furcht vor solchem Gericht eher gepflegt als verdrängt (vgl. z. B. Fam. 4,1,14 und 6,3,54; 10,3,58 etc.). Wo Gefahr ist, darf es Sicherheit nie geben; erst mit dem Tod gelangt man in den rettenden Hafen, vorher droht der Untergang. Das bedeutet ihm eine Kernwahrheit. Seinen Brief über die Pest – er nennt ihn eine Inquisitio – (16), kann man als gedankliche Ergänzung zu Boccaccios prächtig anschaulichem Tatsachenbericht würdigen. Gemäss seinen Angaben wird Brief 7 nicht vor dem Sommer 1349 abgesandt, sondern erst zur Zeit, in welcher er auf die Freunde wartet, mit denen er ein gemeinsames Leben plant. Um die gleiche Zeit flackert die Seuche wieder auf. Im Brief 8 vom 20. oder 22. Juni (1349) liest man die Meldung vom plötzlichen Pesttod des mailändischen Statthalters in Parma, von Paganino Bizzozzero und seiner ganzen Familie. Dieser Freund ist nach einem heiteren Abend erkrankt; mit Petrarca, der sich bei ihm aufhielt, hat er noch Gespräche geführt, nach wenigen Stunden aber ist er tot, und seine Familie folgte ihm innerhalb von drei Tagen ins Grab. Kein Wort sagt Petrarca über die Ansteckungsgefahr, der er sich – unbewusst – ausgesetzt hat. Wie immer, wenn er einen guten Freund verliert, bricht für ihn eine Welt zusammen und wünscht er sich sehnlichst den eigenen Tod, der ihn vom unerträglichen Leben erlöse. Nichts fassen können und nirgends einen Sinn erkennen, das bleibt ihm unter allem Unerträglichen jedoch das Unerträglichste. Obwohl der Dichter über seine Vereinsamung erschrickt, kann er mitten im allgemeinen Jammer und chaotischen Zustand, in den die Gesellschaft versunken ist, noch immer auf einige Freunde zählen. Mag Sokrates vielleicht nicht mehr am Leben sein, – das bleibt unsicher – so darf er immerhin die ihm vertrauten Männer Luca Cristiani und Mainardo Accursio bei sich erwarten. Die Briefe mit den Vorschlägen für ein gemeinsames Leben haben sie erhalten, und sie haben Petrarca eine rasche Rückkehr versprochen; sie können bereits wieder da sein. Aufs neue wartet Petrarca auf Freunde, dies zuerst mit freudiger Zuversicht und dann mit wachsender Ungeduld (17 ff.). Nichts ist begreiflicher, als dass er schliesslich die wachsende Spannung nicht länger erträgt und einen Boten nach den Freunden ausschickt. Der kommt mit dem Bescheid zurück: Die Erwarteten sind von Strassenräubern überfallen worden, der eine, Mainardo, ermordet liegen geblieben, der andere, Luca, seither verschollen. Das ist ein ganz unverhofftes, grausames Ende des seligsten Vorhabens, das schon fast Wirklichkeit zu sein schien und jetzt als lächerliche Täuschung entlarvt wird. Fortuna hat ein Verhängnis ausgeklügelt (1), so lautet Petrarcas Entrüstung. Unter heissen Tränen berichtet er wiederum an Sokrates (vielleicht
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lebt er noch), und zwar in Brief 9 vom 22. Juni, der mit Nr. 8 fast gleichzeitig ist, das Geschick der Freunde mit allen empörenden Einzelheiten, voll Ingrimm auf die Täter und hart gepeinigt von der Angst um den Verschollenen (21). Eine furchtsame Frage nach dem Befinden des Adressaten fügt er am Schluss noch an. Er hat ein Gerücht vernommen, dass die Pest erneut über die Ufer der Rhone hereinbreche (27), und er ist selber recht krank. Die Sommerhitze – so erfährt man auch an anderen Stellen (z. B. Fam. 7,4) –, erträgt er schlecht. Und in diesem Zustand muss er sich damit abfinden, dass ein heiss begehrtes Zusammenleben kaum jemals Wirklichkeit wird. Diesem Brief 9 an seinen Sokrates schliesst er das 10. Schreiben in Kopie ein, verfasst schon am 2. Juni. Darin wendet er sich an die Florentiner, denen er gemäss seinen Worten schon öfter hat schreiben wollen. Nun zwingt ihn seine Verzweiflung, das alte Vorhaben auszuführen. Herrlich war einst Florenz, diese stolze Tochter Roms, ruhmvoll ihre überragende politische, wirtschaftliche und kulturelle Macht. Das beweist Petrarca in einem Abriss ihrer Geschichte. Doch das grossartige Idealbild einer Stadt hat sich bis zur Unkenntlichkeit verwandelt. Das muss Petrarca ihr beibringen, dass gerade sie das berichtete Verbrechen wesentlich zu verantworten hat (3 ff.;10 ff.). Und daran sind nicht allein jüngst vergangene Kriege, Wirtschaftskrisen, auch nicht die Pest mit ihren verheerenden Auswirkungen schuld. Um die Gerechtigkeit, in welcher Florenz verankert war, ist es jetzt schlecht bestellt. Ein Unglücklicher, ein von der Stadt Exilierter hält ihr vor, wie stark das Fundament ihrer Grösse wankt und einzustürzen droht. Sie hat aufgehört, die Herrschertugenden zu pflegen (13 ff.), sie unterlässt es, mit Belohnen und Bestrafen für Recht zu sorgen, das Gute hochzuhalten und das Böse auszurotten; schon versteht sie nicht mehr, den Bürgern Sicherheit, Wohlstand und Frieden zu wahren. Ruchlose Taten geschehen auf ihrem Boden ungestraft (22 ff.). Unverzüglich muss sich das ändern; Florenz muss fürs erste energische Massnahmen zur Sicherung seiner Strassen treffen (30), dies nicht zuletzt im Hinblick auf den erwarteten Zustrom der Rompilger über den Apennin, denn wirklich steht man unmittelbar vor dem Jubeljahr 1350, das Clemens VI. zugestanden hat. Doch an den Wurzeln sind die Übel anzupacken, nicht an den Zweigen, sonst ist es um Florenz geschehen. Soviel Tadel und Drohung kann der Dichter sich herausnehmen, der als Sohn seines Vaters noch immer aus Florenz verbannt ist. Er hat keinen Racheakt zu fürchten. Aber auch nicht auf eine entscheidende Wende zum Bessern zu hoffen. Die Räuberhöhlen auf dem Apennin bleiben noch lange erhalten. Doch wird die Stadt dem Dichter die Schelte nicht verübeln, sondern ihm schon bald ein Zeichen ihrer Hochschätzung zukommen lassen (Fam. 11,5).
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Die Reihe der Briefe in Buch 8 wirkt übersichtlicher als die in den vorangehenden Büchern, und dies schon wegen ihrer geringen Zahl und ihrer Verteilung auf das einzige Jahr 1349. Kommt dazu, dass auch inhaltlich ein einigendes Band leicht erkennbar wird. Der Gedanke an die Pest ist überall gegenwärtig und verlangt Antworten auf letzte Fragen. Nach dem Tode des Kardinals Colonna im Pestjahr ist Petrarca von seinem alten Dienstverhältnis frei, was seine Loslösung von der Provence und damit von Vaucluse erleichtert. Der schon alte Plan, mit Freunden ein Gemeinschaftslebens zu führen, sieht einen Wohnsitz in Parma oder Padua vor. Bis fast zur Realisierung scheint er zu reifen, wird aber durch eine Mordtat zunichte. Für diese macht der Dichter seine Vaterstadt Florenz verantwortlich. Den Vertreter der Visconti in Parma, seine beste Stütze ebenda, verliert er, jedoch durch die Pest. Wie in den vorangehenden Büchern bleiben hier manche persönlichen Umstände und manche Ereignisse der Zeit unerwähnt. Damals kann der in unserer Einleitung genannte Entschluss zur Vernichtung eigener Werke und zur Rettung einiger Freundschaftsbriefe gefallen sein. Doch davon hat man schon im Widmungsbrief vernommen.
In Buch 9 sind die Hinweise auf die Abfassungszeiten und –orte der 16 Briefe für die Ermittlung einer biographischen Abfolge wiederum kaum hilfreich. Der erste Brief fällt wohl in die Zeit vor der Abfassung der Schreiben von Buch 8. Aber vor allem wirken die Ortsbezeichnungen verwirrend, da die Kette von Datierungen aus italienischen Städten durch drei aus Avignon unvermittelt unterbrochen wird. Beachten muss man zum vornherein das Gesicherte, dass nämlich Petrarca, einem päpstlichen Rufe folgend, im Juni 1351 in die Provence reist und erst zwei Jahre später dort Abschied nehmen darf, also erst im Frühsommer 1353 nach Oberitalien zurückkehrt. Allerdings irrt man sich, wenn man dank dieser Kenntnis eine sichere Lösung der vorliegenden chronologischen Probleme zu finden glaubt. Es ist nicht so, dass die Nummern 8 – 16 im Gegensatz zu 1 und 2 sowie 4 mit Bestimmtheit in die Zeit nach jenem Aufenthalt in Avignon anzusetzen sind. Ein Blick auf die Inhalte des nachfolgenden 10. Buches macht klar, dass sogar hierin noch sämtliche Briefe mit Ausnahme des letzten in die Zeit vor der Abreise in den Norden fallen, und beim Weiterblättern stellt man fest, dass Petrarca sich erst im 11. Buch auf seiner Alpenüberquerung befindet. Von interessanten biographischen Einzelheiten erfährt man in den Schreiben 2, 5 und 10; durch langes gedankliches Umkreisen bestimmter Probleme und vor allem auch durch ungewöhnliche Länge heben sich die Lehrstücke Nr. 4, 5 und 13
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von den übrigen ab. Doch es soll hier die Besprechung wie immer der gegebenen Reihenfolge nachgehen. Eröffnet wird also das Buch mit Brief 1 vom 30. Juli wohl noch des Pestjahres 1348; der Leser wird in dieses zurückversetzt. Mit seiner Thematik knüpft das Schreiben an Buch 8 an; es erinnert nämlich an vergangene Todesfälle und andauernde Krankheiten. Seinen Wohnort hat Petrarca nicht gewechselt; er schreibt aus Parma, und Adressat ist Manfredo von Carpi (bei Modena), der mit dem 1. Platz im Buch in besonderer Weise geehrt werden soll. Aber der Dichter kann es nicht lassen, zuerst von seinem eigenen Leid und seinem eigenen Kampf mit Fortuna zu berichten, bevor er sich zur Krankheit des Adressaten äussert. Manfredo befindet sich auf dem Weg der Besserung, doch verspricht ihm der Dichter, einen tüchtigen Mediziner zu senden, wobei er den Wert der Medizin allerdings wie üblich gering anschlägt. Hilfe soll Manfredo nicht von Fortuna erwarten, er soll auf Gott allein vertrauen; der ist der wahre Hippokrates; seine besonderen Mittel sind zweifellos die besten (5). Dabei soll Manfredo Heiterkeit und Zuversicht hegen; denn – wie so oft zeigt sich Petrarca als psychologisch klugen Ratgeber – der Einfluss der seelischen Verfassung auf den Verlauf einer körperlichen Genesung ist bedeutend (6). Schliesslich kündigt Petrarca seinen baldigen Besuch an. Er wird ihn abstatten, doch vielleicht zu spät. Der Herr von Carpi stirbt am 12. September des genannten Pestjahres. Der nächste Brief 2 stammt von 1349 oder eher von 1350. Die Pest grassiert nicht mehr. Petrarca hat seinen grossen Plan für ein Gemeinschaftsleben noch nicht begraben (Fam. 8,3 – 5 und 9). Am 12. Mai schreibt er aus Verona wieder an seinen Freund Sokrates und zeigt sich ihm als einen dem allgemeinen Schiffbruch Entronnenen. In seinem Jammer sieht er sich um und sucht einen wenn zwar erbärmlichen Trost in der Aufzählung jener Lieben (3 ff.), die ihm geblieben sind. Von ihnen allen lebt er getrennt. Sein Bruder, der zwar noch lebt, bleibt ihm hinter Klostermauern fern, und die neu gewonnenen Bekannten in Florenz (Nelli, Boccaccio etc.) können ihm nicht nahe sein, weil sie sich aus manchen Gründen von ihrer Stadt nicht trennen wollen, während er selber daraus verbannt ist. Wie er soeben Cristiani und Accursio verloren hat, will er nicht nochmals berichten. Über sein Geschick klagt er rückhaltlos, um Sokrates abschliessend einzuprägen, dass nun einzig auf ihm all seine Hoffnungen ruhen. Das Entsetzen vor dem Alleinsein hat ihn nicht verlassen. Deshalb beschwört er jenen „bei allen Himmlischen“ (9), ihre Trennung durch die Alpen nicht ein Dauerzustand werden zu lassen. Noch einmal verweist er auf seine Häuser in Italien und lädt den Freund dahin ein (10), und noch einmal fügt er die Versicherung an, er werde überall hingehen, wo der Freund es bestimme, wenn damit die Einsamkeit überwunden werde. Denn das beste Mittel, Unglück zu ertragen, besteht im Zusammenleben mit einem Freund; nicht auf immer will und kann er darauf verzichten (9). Ein geradezu ethisches Problem liegt vor. Petrarca fühlt sich zu schwach, sich ohne Beistand zu bewähren; er
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darf nicht scheitern, und trotzdem scheint das geplante Gemeinschaftsleben, von dem er sich Hilfe versprach, undurchführbar zu werden. Den besprochenen Plan hat er jahrelang wie ein heiliges Gelöbnis aufrechterhalten (Fam. 8,5,33), aber nun ist vielleicht niemand geneigt, sich dafür gewinnen zu lassen. Wirklich hängt alles von Sokrates ab; er soll denn auch die Entscheidung fällen, und zwar nach gründlicher und reiflicher Überlegung und ohne sich von Affekten leiten zulassen (10). Eindringlicher kann der Dichter nicht bitten. Wäre nun aber den Freunden ein Zusammenleben verwehrt, möchte er vom Hangen und Bangen erlöst werden und in seiner Einsamkeit wenigstens Briefe erhalten (10). Gespannt wartet er von jetzt an auf eine Antwort. Sie wird ihm nicht schon bald gegeben. Die selbe Bitte an Sokrates steht wieder in seinem Brief 10,2 mitsamt dem Zweifel, ob er überhaupt noch am Leben sei. Änderungen des eigenen Lebensstils werden im Brief Nr. 3 vom 25. September eines unbestimmten und unbestimmbaren Jahres mit der unerwarteten Ortsangabe Avignon angekündigt. Das Schreiben bezeichnet in der vorgelegten Form nicht den Zustand, den Petrarca mit etwa fünfundvierzig Jahren durchlebt. Undenkbar ist unter anderem, dass er in dieser späten Zeit (wenn überhaupt je) sich einer Freundin erwehren muss, die recht eigentlich seine Türe belagert, weil sie eine Nebenbuhlerin argwöhnt und an seine Abkehr von den Frauen nicht glauben mag. Ebenso schlecht passen die Bemerkungen über Verzichte auf elegante Kleidung und gesellschaftliche Anlässe zu dieser Spätzeit; er hat beides längst aufgegeben (vgl. Fam. 6,9). Immerhin hat Petrarca früher wie später die ebenda geäusserte Überzeugung vertreten, man müsse in die Ferne ziehen, wo man niemandem bekannt sei, wenn man sich von alter Gewohnheit befreien wolle. Ganz nebenbei entschuldigt er damit vor den Bekannten in der Provence sein Fortgehen und Fortbleiben, welches dort vielfach beanstandet wird. Der Hinweis auf seine Liebschaften in Nr. 3 schafft eine Brücke zum nächsten Schreiben, das man als ein Sittengericht über die damalige Gesellschaft bezeichnen könnte. Petrarca, der dank eigener Erfahrungen die Gewalt der Leidenschaften kennt, aber auch durch seine Lektüre und seinen vielfältigen Umgang mit Zeitgenossen mit allgemeinen Exzessen vertraut ist, tritt in Nr. 4 gegenüber einem leichtsinnigen jungen Mann nicht als ein gestählter Sieger, sondern nur als ein in Kämpfen gereifter Mann auf, in der Hoffnung, ihn von der grossen Gefahr seiner schlüpfrigen Wege überzeugen und abziehen zu können. Wenn das Gemälde, das er entwirft, der Wirklichkeit entspricht, so weiss man wirklich nicht, worin das 14. Jahrhundert der Unmoral von heute nachstehen würde. Widerwärtigste Farben sind da aufgesetzt worden (3 ff.), Verirrungen der verhängnisvollsten Art, wie ein ständiges Gieren nach Ehebruch und eine Vorliebe für schamlosen, gewalttätigen Inzest sind bereits zu gewöhnlichsten, allgemein gesuchten und unwiderstehlichen Abenteuern verkommen. Der Mensch ist vertiert, nein, die Tiere sind nie zu der Schlechtigkeit ab-
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gesunken, in der sich der Mensch unter Verneinung seiner Natur jetzt gefällt. Mit Hinweisen auf frische Beispiele erinnert der Dichter anschliessend noch drohend an brutale Racheakte und deren öffentliche Schande, wobei er erschüttert einer hochstehenden von ihm sehr geschätzten Persönlichkeit gedenkt (10 ff.). Worin denn die Freude an solchen Exzessen bestehe, das möchte er wissen, wo doch die Liebe so viel Qual verschaffe. Er meint die antike Autorität zu kennen, welche die mörderische Pein der Liebe am besten nachempfunden und am lebendigsten geschildert hat. Auf Plautus muss man hören, meint er, und zweifelt vielleicht doch an dessen Überzeugungskraft. Er zitiert ihn immerhin ausgiebig, bevor er den Brief mit der Beschwörung beendet, doch ja rechtzeitig Vernunft anzunehmen. Aber gleich nachher beschäftigen ihn ganz andere und eigene Sorgen. Etwa ein Viertel des ganzen Buches 9 macht der Brief 5 aus, der als eine äusserst erregte Selbstverteidigung zur Entwertung einer wahren Fülle von Anwürfen gegen seine Lauterkeit von hohem Interesse ist. Hier geht es um seine Person und um sein zukünftiges Leben. Es gilt jetzt, einen wahren Kampf um seine Stelle in Parma zu gewinnen. Dass Bischof Ugolino Rossi von Parma seinem Archidiakon von sich aus Betrügereien, hinterhältiges Betragen, Neid und andere Bosheiten zutrauen würde, will Petrarca nicht glauben (4), er rechnet vielmehr mit Verdächtigungen, die auf Einflüsterungen neidischer Ratgeber am bischöflichen Hof beruhen, doch bittet er immerhin seinen Herrn (so weit geht seine Kühnheit) vor einen Richterstuhl, wo dieser als Angeklagter sich verteidigen und gleich darauf diesen Stuhl besteigen und in eigener Sache amten soll, um schliesslich über sich und den Kläger Petrarca ein gerechtes Urteil zu fällen (3). Offenbar haben Personen, die dem Dichter übelwollen, leichtes Spiel. Äusserungen des Unmuts gegen ihn haben sich gehäuft; er hat sie in Avignon vernehmen müssen und will nun nicht länger schweigen (8), vielmehr den Tag der Unschuldigen Kinder (einen antiken Brauch vorschützend) zu einer offenen Aussprache benützen. Eine lange Reihe von offenkundig gehässigen Vorwürfen widerlegt er (10 ff.) heftig aufgebracht, unter manchen Ausrufen der Entrüstung aber nach den Regeln eines Gerichtsverfahrens (was z. B. an Fam. 1,6,3 ff. erinnert) und gemäss seiner üblichen umfassenden Gründlichkeit. Indem er die einzelnen Fehler, die man ihm vorwirft, durchgeht, ereifert er sich, dass er sie gar nicht haben könne, weil sie seinem Naturell widersprechen und ihm gegenteilige Laster eigen sind (19 ff.). Ebenso sicher weiss er, dass er die ehrgeizigen Pläne nicht verfolgt, die man ihm unterschiebt, sie zielen ja in die völlig falsche Richtung. Ganz lächerlich ist zudem der Verdacht auf Nekromantie, den er sich durch seine Lektüre Vergils nur darum zuzieht (15), weil das Misstrauen gegen Poeten (das – nebenbei bemerkt – unter mittelalterlichen Gelehrten üblich war) in Avignon nicht überwunden ist. Unauffindbar sind irgendwelche Gründe, die ihn zum Neid gegen den Bischof hätten verleiten können (19 ff.). Neid kenne er nicht, gegen diese Sünde schütze ihn, wie er weiss und ausspricht, eine andere: seine Verachtung, Überheblichkeit (22 f ). Beweisen
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kann er leicht, wie so völlig fremd ihm vor allem das Verlangen nach hoher Stellung und materiellem Gewinn ist. Er braucht nur auf den noch lebenden Papst zu verweisen, der ihn zur Annahme höchster Stellen ganz vergebens zu bewegen versucht hat (29). Entschuldigen muss sich Petrarca ja eher, dass er solchen Würden mit grösster Abneigung stets ausweicht. Doch da gibt es immerhin etwas, das Petrarca verdächtig macht: Einst, als er sich um die Stelle des Archidiakonats beworben hatte, war ihm gar nicht eingefallen (31 ff.), Bischof Rossi könnte ihm vielleicht nachtragen, dass er – noch früher – vor Papst Benedikt XII. ein gutes Wort zu Gunsten der Familien Correggio und della Scala eingelegt und – mithin – gegen die rivalisierende Familie Rossi Stellung bezogen hatte (vgl. oben zu Fam. 3,16 und 17), dies allerdings nur als Privat- und nicht als Amtsperson. Nun aber wird ihm das offenbar nicht vergessen, und Petrarca hat einige Mühe, seine damalige Handlung zu rechtfertigen. Treu ergeben war er jener Familie, und dass Treue lobenswert ist, muss der Bischof doch einsehen; und wissen könnte er zudem, dass er von dem in der Treue Bewährten wie ein Vater treu verehrt wird (37 ff.). Nun bleibt Petrarca nur noch, der Selbstverteidigung eine Drohung anzufügen; aber kaum hat er sie ausgesprochen, schlägt er sie aus. Er könnte, sagt er, spräche er zu einem Poeten, nach Art der Poeten Beschwörungen, Verfluchungen (imprecationes) anfügen, doch nein, seinem Bischof gegenüber tut er das nicht (40). Dagegen ruft er diesem am Schluss noch zu, er möge „bei allen Himmlischen“ darüber nachsinnen, wie viel Unglück das Misstrauen je geschaffen habe. Dabei bedauert er gehörig, dass die Zeit ihm fehle, selber Beispiele anzufügen; bringt es dann aber fertig, ihrer doch noch wenigstens fünf aufzureihen, um dem Gedächtnis des Prälaten nachzuhelfen. Zu den Anklagen gegen seine Person gehört der Vorwurf, er verharre an der Kurie so lange, weil er gegen den Bischof intrigiere. Dabei weilt er dort, so betont er, aus Pflichtgefühl, langweilt sich zu Tode und verliert kostbarste Zeit (46). Da der Brief von dort abgeschickt wird, ist er auf frühestens das Ende 1351 oder dann auf 1352/53 zu datieren, müsste also bei einer Beachtung der Chronologie nicht schon hier, sondern in einem der folgenden Bücher figurieren. Doch insoweit als er den früheren freundschaftlichen Umgang Petrarcas mit Ugo Rossi in Parma, seine vertraulichen Beziehungen zu ihm und seine erste Befürchtung hervorhebt, passt er zur Schilderung seines früheren Aufenthalts in Italien, von dem die Briefe 1 – 4 und wieder die Nr. 8 ff. berichten. Das macht seine Plazierung einigermassen begreiflich. Angeschlossen werden in Nr. 6 und 7 zwei Schreiben, die ebenfalls aus Avignon abgesandt wurden und vom selben unglücklichen Verhältnis handeln. Denn das eine (6) bittet einen Priester in Parma, er möge die Epistel 5 an den Bischof Rossi persönlich abgeben und dabei Gestik und Mienenspiel des Empfängers beobachten, um darüber nach Avignon Genaues zu melden; das andere (7) erzählt dem gleichen Priester eine Fabel über das Misstrauen und lässt damit den schlechten Ausgang der Krise erahnen. Sogar Papst Clemens VI. sucht – was eine andere Quelle
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mitteilt – nach einer Lösung des Streitfalls, übrigens zu Gunsten des Dichters. Es hilft jedoch alles nichts, und schliesslich hat dieser die Klugheit, auf das Archidiakonat in Parma zu verzichten, wie schwer es ihm fällt. Einen echten Ersatz für diese Stelle wird er nicht leicht wieder finden. Mit einem kurzen Gruss (der Leser wird jetzt aus Avignon nach Parma zurückversetzt) ehrt Petrarca einen Jugendfreund in Nr. 8 (von 1350?), der ihm verlorengegangen ist, nun aber von sich hat hören lassen. Aus welchem Beweggrund es geschieht, braucht man nicht zu wissen; die Pest überlebt zu haben, konnte für sich allein das Verlangen wecken, nach alten Freunden Ausschau zu halten. Der Adressat wird von Petrarca vor allem für seine Zufriedenheit gelobt. Hierauf wendet sich dieser in Nr. 9 erneut an Sokrates in Avignon. Er zählt ihn also (trotz allem Schweigen?) noch zu den Lebenden und freut sich sichtlich, ihm am 28. Juni (1350?) von Mantua aus eine besondere Kostbarkeit zu schicken, nämlich einen neu erworbenen Freund, das ist der Benediktiner Pierre aus der Auvergne. Ein sprachliches Kunstwerk von grosser Rhetorik legt er vor, eine Hymne auf die Freundschaft von wortreicher Exaltation, die kaum anders als mit der nüchternen Feststellung, der gerühmte „alter ego“ sei höchst selten zu finden, am Boden der Wirklichkeit haftet. Es ist Petrarca aber wichtig, den aller Liebe würdigen Ordensmann in Avignon den besten Händen anzuvertrauen. Und gleich folgt als Nr. 10 vom 28. Juni ein weiteres Empfehlungsschreiben zu Gunsten eines Freundes; es wird zu Lelio, und also wieder von Italien nach Avignon gesandt. Einleitend teilt Petrarca mit, wie er, von Mantua kommend, an den Ufern des überbordenden Po (in den Alpen schmilzt der Schnee) mit seinen Pferden nur mühsam voran rückte, und sagt dann, er schreibe in tiefer Nacht aus Luzzara. Ebenda ist er als Gast der Gonzaga empfangen worden und hat in einem prachtvollen Saal ein vorzügliches Mahl genossen, ist aber vor den springenden und quakenden Fröschen ins obere Schlafzimmer geflohen. Anschauliche Einzelheiten über so vornehme Einladungen sind bei Petrarca nicht oft zu entdecken und haben daher Seltenheitswert. Etwa ein halbes Jahr vergeht darauf, wie Nr. 11 und 12 vermuten lassen, bis er sich aus Padua meldet, doch wieder ohne einen Hinweis auf die Beschäftigungen, denen er hier nachgeht. Man vernimmt lediglich, dass er sich eines Tages gegen den Übereifer eines Verehrers nicht anders als mit entschiedenem Protest zu schützen vermag, hält dieser es doch für richtig, ihm zu wiederholten Malen Zeilen für ihm völlig unbekannte Leute – die er als hoch bedeutende preist – abzuringen. Aus der Verlegenheit, was einem fremden Menschen etwa zu sagen sei, befreit sich der Dichter mit dem für ihn bezeichnenden Entschluss, was, wenn nicht wiederum die Freundschaft, genauer: ihre besten Grundlagen, nämlich virtus und fama, Tüchtigkeit und Ansehen zu verherrlichen (Fam.11). Weitere Stilübungen dieser Art erspart er sich mit einer energischen Belehrung an die Adresse seines zudringlichen
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Verehrers (Fam. 12). Erst wenige Jahre verkehrt er in Italien, und schon erlebt er, was er immerhin schon vorher gewusst hat, dass der Ruhm seine überaus lästigen Seiten hat. Ebenfalls in Padua und im Kreis der Familie Carrara hält er sich Anfangs 1350 auf (die Datierung für Nr. 13 wird stimmen), und obwohl die Pest und anderes Unglück noch nicht weit zurückliegen, scheint er in Italien seines Lebens ab und zu recht froh zu sein. Möglich ist, dass er sich in der erwähnten Stadt mit Giottos Kunst beschäftigt hat, denn früher einmal hat er ihn persönlich kennen gelernt (Fam. 5,17,6). Und ebenso in Padua trifft er, das ist sicher, den Kardinal Guy de Boulogne, da dieser nach erledigter päpstliche Mission, die ihn an den Hof in Ungarn geführt hatte (oben Fam. 7,1), nach Oberitalien zurückgekehrt ist; er übernimmt nun die Aufgabe, die Gebeine des heiligen Franziskaners Antonius in die neue Basilika in Padua zu transferieren. Ohne weiteres kann Petrarca sich diesem Kardinal nähern, und gleich erhält er von ihm Einblick in einen Brief des berühmten französischen Komponisten der Ars Nova Philippe de Vitry, worin er lesen kann, dass Besagter um das Wohlergehen des herumreisenden Freundes übermässig bekümmert ist und nichts heftiger verlangt als dessen prompte Rückkehr nach Frankreich (7). Wie so oft hat man den Eindruck, Petrarca habe längst auf eine gute Gelegenheit nur gewartet, um sich verschiedenste alte Anliegen vom Herzen zu schreiben, so rasch greift er zur Feder und lässt ihr die Zügel schiessen. Dass er an dem einst feurigen Geist des Musikers jetzt greisenhafte Vorbehalte gegen Reiselust tadeln kann (4 und 8 ff.), ist das mindeste. Er erinnert den Freund an die lange Reihe grosser Philosophen und Staatsmänner, die sich bedeutende Kenntnis und Weisheit just auf weiten, andauernden Fahrten errungen haben (11 ff.), und erklärt, dass es grossen und freien Geistern stets eigen sei, in immer neue Fernen zu ziehen. Doch noch weit verlockender ist für den Italiener, vor die Augen eines an Paris und an den Petit-Pont sich klammernden Gelehrten (10) die Landschaften seines Vaterlandes Italien in ihrer Herrlichkeit hinzuzaubern, wo man schöner reist als irgendwo sonst, und also den daheim Gebliebenen für die Torheit seiner Unbeweglichkeit mit empfindlichem Reueschmerz abzustrafen. Einen wahren Triumph bedeutet es für Petrarca überdies, dem Franzosen (und aller Nachwelt) mitzuteilen, wie sehr der hohe Gast Guy de Boulogne (den Namen wird man sich merken, denn er taucht in den späteren Familiaren immer wieder auf ) in Italien nicht etwa im „Exil“ (19 und 42), wie der andere zu behaupten wagt, sondern so recht zu Hause sei. Hier begeistert er sich für italienische Bräuche und Kultur (30 ff.); seine Reisen durch Norditalien und seine Pilgerfahrt nach Rom sind ihm so viel wie ein einziges Freudenerlebnis von grossem geistigen Gewinn, und darum hat er es gar nicht eilig, hinter die Alpen zurückzukehren. Petrarca nennt die dem päpstlichen Legaten übertragenen hohen Aufgaben (32), die ihm in Italien allenthalben geschenkten Ehrenbezeugungen und rühmt am Kardinal abschliessend die ihm jetzt
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eigen gewordene höhere Reife als eine harmonische Verbindung von „gallischer Urbanität und italischer ernster Würde“ (44). Welches der Länder vor dem anderen den Vorrang habe und wahren müsse, das einzusehen ist Philippe von Vitry damit aufgefordert. Die stets herrschende Rivalität unter allen Nationen hat, teils infolge der Übersiedlung des Papstes nach Avignon, zwischen Italienern und Franzosen längst den Grad hoher Gereiztheit erreicht. Dass Petrarca wegen der angedeuteten Verärgerung des Freundes Philippe über das Reisen spricht und es zum Hauptthema seines Briefes 13 macht, liegt zum Teil an seinem Bedürfnis, seine Überzeugung vom seelischen Nutzen der Ortsveränderung weiterzugeben. Die Reiselust wird er noch oft verteidigen. Aber vorerst kann der folgende Brief 14 als eine Berichtigung und Erläuterung zu Nr. 13 betrachtet werden. Dem Priester Luca aus Piacenza (den man schon von Fam. 9,6 f. kennt) muss der Dichter hier nämlich guten Mut zusprechen, weil er Anfeindungen erleidet, und zwar wegen seiner Neigung zum Einsiedlerleben. Unter den selben Angriffen leidet auch der Dichter selber. Von eigentlichen Stürmen (1 f.), denen sie beide ausgesetzt sind, ist sogar die Rede, und von der Unmöglichkeit, dass sie auf das Leben in der Einsamkeit je verzichten (4 f.). Unsere Natur hat uns dieses auferlegt, erklärt Petrarca. Und da er genau über dieses Thema eine Schrift vor sich hat, nämlich de vita solitaria, und diese eben zu beenden meint (in Wirklichkeit wird er noch Jahre lang daran arbeiten), freut er sich, einem Wunsch des Freundes entsprechend, das Werk, so wie es ist, gleich zu übersenden. Wie die Einwendungen der Angreifer, das sind Neider (1), lauten, wird nicht angedeutet. Man hat an Vorwürfe zu denken, die schon oben als Vermutung vorgebracht wurden (zu Fam. 8,5), und vor allem wird man die Kritik beachten, die Petrarca just im genannten Werk de vita solitaria seinen Gegnern in den Mund legt (lib.1, sect. 5,c.3 und lib.2, sect. 10,c.7). Schon Seneca hat sie wenigstens zum Teil vorgebracht: Das Eremitentum ist ein Nährboden für Trägheit und alle anderen Laster, es bringt Schaden dem Gemeinwohl; das Bedürfnis nach Freiheit für Studien und nach Ruhe ist selbstisch. Fragen konnte man, ob Petrarcas Ideal mit dem Anachoretentum des frühen Christentums und überhaupt mit Frömmigkeit etwas gemein habe. Er selber hätte es bejaht. Eine Rücksicht auf eine chronologische Abfolge kann nicht der Grund dafür sein, dass die Ausführungen über die Notwenigkeit des Reisens und die über den hohen Wert des Einsiedlerlebens nebeneinander stehen. Ihre Datierungen, so ungewiss sie sind, deuten auf eine ziemliche zeitliche Distanz untereinander. Möglicherweise folgt also ihre Aneinanderreihung der Absicht, zwei scheinbar gegensätzliche Lebensformen, welche der Dichter damals in der Praxis zu vereinen sucht, auch im Briefkorpus zu verbinden. Er ist in Italien so fortwährend unterwegs, dass er allmählich Verwunderung und Fragen von verschiedener Seite provoziert (vgl. Fam. 15,4). Unstetigkeit wird ihm gelegentlich vorgeworfen, die ihm eine Rechtfer-
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tigung abverlangt. Er zieht von Hof zu Hof, verfasst aber gleichzeitig eine Schrift über das Eremitentum und liebt es jetzt wie früher, sich im Bekanntenkreis als Liebhaber der Wälder vorzustellen, sich daher einen Silvanus heissen zu lassen (vgl.10,4,20) und immer wieder zu betonen, nur in seinem wilden abgelegenen Tal könne er zur Ruhe kommen, nur dort seien die Bedingungen für ein fruchtbares Schaffen gegeben (Fam. 11,4 und 11,15,7 etc. De vita lib.1, sect.5.c.2 und oft.). Sein gegensätzliches Streben ist sehr ausgeprägt, zwar in seiner Theorie nicht unvereinbar, aber in seiner Praxis aus mehreren Rücksichten nicht zu jener Harmonie zu bringen, die seine Kritiker überzeugen könnte. Was Petrarca im genannten Werk verherrlicht, ist ein von ihm nie erreichtes und nur in beschränktem Sinn erstrebtes Ziel. Das Miteinander von einerseits Reisen und anderseits Ausdauern im Abseits ist nicht möglich, aber ein Wechsel von einem zum andern lässt sich erbringen. Und wenigstens auf diesen Wechsel, den Petrarca als eine Notwendigkeit empfindet, hat er schon einmal hingedeutet (Fam. 8,5,15), denn die üblen Erfahrungen während seiner einstigen Verlassenheit in Vaucluse (Fam. 8,3,13) und offenbar auch zu anderen Zeiten, haben ihm diese Einsicht vermittelt, dass er (wie viele Menschen) ohne Wechsel nicht auskommen kann, will er den Trübsinn meiden. Er wird in seinen Briefen noch mehrmals darauf zurückkommen (11,12 ff.; 13,4,20 ff.). Auch im Secretum, wo Augustinus ihn der geistigen Trägheit, acedia, anklagt, wird ihm als Hilfsmittel gegen das oft fast unerträgliche Übel wiederum der Ortswechsel – wenn auch mit Einschränkungen – empfohlen. Gegen zermürbende Eintönigkeit muss er Anregungen suchen; er ist angewiesen auf Naturgenuss, auf Betrachtung schöner Künste, auf Geselligkeit, derentwegen er die Einöde zeitweise aufgeben muss. Diese Notwenigkeit mag damals bei vielen Laien und Klosterleuten auf Zweifel gestossen sein. Doch er kehrt sich nicht daran. Er schafft sich übrigens inmitten einer Menge und unter grossem Lärm seine – wie er sagt – „erdichtete Einsamkeit“ (De vita lib.1, sect. 4,3); die genügt ihm auf eine gewisse Zeit. Bricht er aber aus seiner Einsiedelei aus, nimmt er neben seelischen Bedürfnissen auch noch moralisch-humanistische Aufgaben samt einer politischen Mission wahr. Er sucht Freunde und einflussreiche, bildungsbeflissene Herren auf, wie er sie in Florenz, aber auch an den Höfen der Scaliger, Correggio, Gonzaga, Carrarca findet; er spricht mit ihnen über die Förderung der Kultur und über das Schicksal Italiens; er beschwört vor ihnen die grosse Vergangenheit Roms herauf und überlegt mit ihnen, wie der Zerfall des alten Weltreiches aufzuhalten wäre. Auch schaut er sich auf seinen Reisen immer nach alten Schriften um, die er korrigieren und abschreiben lässt, um sie in weiteren Kreisen bekannt zu machen. All das ist ihm eine Pflicht, die er in der Abgeschiedenheit nicht erfüllen und die er doch nicht vernachlässigen kann. Von solchem literarischen und politischen Bemühen sprechen in Buch 9 knapp die folgenden Nr. 15 und 16. Dem Freund Giuglielmo da Pastrengo in Verona hat
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Petrarca für eine Bücherleihe zu danken (er benötigt die Schrift für die Arbeit de viris illustribus), auch weiss er dessen Ratschlag und Ansporn zu einer uns nicht genannten Tat sehr zu schätzen. Dann muss er (Nr. 16) gleichsam nebenbei an eine versuchte und missglückte, (wohl politische) Einflussnahme eben dort am Hof der Scaliger erinnern; sie näher zu umschreiben unterlässt er; es zu tun, wäre wohl gefährlich. Denn er ist zwar vor nicht langer Zeit von der Kurie mit einem politischen Auftrag dahin geschickt worden (vgl. oben zu Fam. 7,1), aber worauf er jetzt hindeutet, das könnte sehr wohl (wenn es sich nicht wieder um eine Pfründe dreht) ein ganz persönliches Wagnis mit politischen Absichten betreffen. Ganz Oberitalien befindet sich ja in grosser Unruhe; die Stadtherren stehen unter dem Druck der Expansion Mailands, zum Teil auch Venedigs, das seine Terra Ferma ausbauen will, und sie rechnen mit der Möglichkeit einer Romfahrt Karls von Böhmen. Die späte Datierung (1354) der beiden Schreiben bleibt übrigens zweifelhaft, und man kann sich wundern, dass der Dichter darauf verzichtet, das Buch 9 mit einem kräftigeren Akkord zu beschliessen.
Buch 9 konzentriert sich also auf die Jahre 1349- 1351, in denen der Dichter in Italien weilt. Er fühlt sich verlassen und hat seine Hoffnung auf ein gemeinsames Leben nicht aufgegeben. In kurzen Abständen wechselt er seinen Aufenthaltsort. Er ist einmal in Mantua, dann in Verona, Parma, wieder in Mantua, darauf in Luzzara, Padua und zuletzt in Mailand, um nur die wichtigsten Orte zu nennen. Er rühmt das Reiseleben jetzt ganz allgemein, aber er schreibt gleichzeitig an seinem Buch über das einsame Leben und bekennt sich zu seiner Einsiedlernatur wie früher. Dabei ist er sich der Notwendigkeit bewusst, es zu unterbrechen. Er pflegt Umgang mit Gelehrten, Politikern und Verehrern, denen er offenbar kulturelle und politische Fragen unterbreitet und Bitten um Hilfe bei der Büchersuche vorlegt. Sich in Parma sein Archidiakonat zu retten, versucht er vergeblich. Manches Wichtige hält er in diesen Briefen wiederum nicht fest; so übergeht er zum Beispiel seine Verehrung für das vermeintliche Grab des Livius in Mantua und seinen ebenfalls in Mantua getätigten Kauf der Historia naturalis von Plinius; er zitiert das Werk jedoch bereits in früheren Büchern.
Mit dem 1. Brief des 10. Buches öffnet sich ein neuer Horizont. Denn nun erkühnt sich der Dichter, obwohl ein „ganz geringer und unbekannter Mensch“ (homo pusillus et incognitus), doch als ein Italiener voll schwerer Besorgnis um sein Land und das römische Kaiserreich, mit dem Gruss serenissime caesar den Böhmenkönig Karl anzusprechen, der am 25. Juli 1349 ein zweites Mal zum König der Rö-
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mer mit dem Anrecht auf die Kaiserwürde gekrönt worden ist. Ort und Monatstag für die Abfassung des Schreibens festzuhalten, ist Petrarca hier wichtig: Padua, am 24 Februar. Als Jahreszahl wäre entweder 1350 oder 1351 hinzuzufügen; undenkbar ist, dass Petrarca sich schon früher an den König gewandt hätte, nämlich bevor dieser allgemein anerkannt war. Er ist ihm allerdings schon früher begegnet und verdankt das wiederum seinem häufigen Aufenthalt an der verhassten Kurie. Anderseits kommt kein späteres Jahr für die Abfassung des Briefes in Frage. In den Februartagen von 1352 und 1353 befindet er sich nicht in Oberitalien, sondern in der Provence. Gespräche mit Freunden und hohen Herren in den Städten Oberitaliens (vgl. Buch 9) haben dem Dichter erlaubt, sich von den dort waltenden politischen Verhältnissen und allgemeinen Erwartungen ein Bild zu verschaffen. Einer Italienfahrt Karls ist man da, so seine Auffassung, nicht abgeneigt. Seine Zuversicht hat gute Gründe. Die pro-kaiserliche, ghibellinische Einstellung der Herren Gonzaga, Scala und Carrara samt ihren Herrschaftsgebieten, in denen er verkehrt, ist längst Tradition, allerdings ohne grosse Festigkeit und ohne eine zusammenbindende Kraft. Mit den Königen vom Haus Luxemburg sich zu arrangieren hat man da gelernt; man fürchtet sie nicht ernstlich. Nach dem Italienzug und Tode Heinrichs VII. hat dessen Sohn König Johann von Böhmen, der Vater Karls, für kurze Zeit ganze zehn oberitalienische Städte als Signore innegehabt. Allmählich verwischt sich die klare Scheidung zwischen Guelf und Ghibellin. Andere Gegensätze, etwa der zwischen den Visconti und den von ihnen bedrohten Nachbarn oder der zwischen andern benachbarten Städten unter sich, führen zu immer neuen politischen Konstellationen. Neapel ist innerlich zerrissen und im Streit um Piemont gegen die Visconti unterlegen. Was die Florentiner betrifft, so halten sie zwar noch an ihrer guelfischen Politik fest, doch schwindet ihr Vertrauen, ohne die Hilfe eines Kaisers sich der Visconti auf Dauer erwehren zu können. Karls Verhandlungen mit dem Papst gestatten ihnen die Hoffnung, ein Romzug werde jedenfalls nicht anders als im Einverständnis mit dem kirchlichen Oberhaupt vonstatten gehen. Folglich ist ihr Widerstandswille gegen die deutsche Macht zwar nicht gebrochen aber geschwächt. Venedig fürchtet eine Romfahrt des böhmischen Königs ohnehin nicht. Das Bedenken wegen der eigenen Kühnheit (vielleicht nicht bloss rhetorisch) überwindet Petrarca in den ersten Sätzen sehr rasch, um dem König freimütig, doch nicht ohne schmeichelhafte Andeutungen auf seine charakterlichen Vorzüge ins Gewissen zu reden. Mit der vorwurfsvollen Frage „Hast Du Dich und Italien vergessen?“, ist schon alles Wesentliche vorgebracht, was nachher ausgeführt wird. Karls Ehre und Pflicht sind innig an Italien geknüpft. Er ist noch mehr Italiener als Deutscher und Böhme, und Italiener hat er zu sein. Sein eigentlicher Sitz ist in Italien, in Rom; den muss er aufsuchen. Die Lebenszeit ist kurz; vertane Zeit muss man aufholen. Aufschub kann nur schaden. Für den Italiener ist klar: Karls erste
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Pflicht besteht in der Einigung Italiens, diese wird die Grundlage für alle späteren Unternehmen sein; ist die erste Tat vollbracht, ergibt sich alles andere fast von selbst. Die Gutgesinnten – und zu diesen rechnet Petrarca zuerst seine Freunde an den oben genannten Höfen, doch ohne sie zu nennen – erwarten ihn als einen von Gott gesandten Retter und als Hersteller der Freiheit mit einem Verlangen, wie sie es seit Jahrhunderten keinem andern Herrscher entgegenbrachten. Um Karl vollends zu überzeugen, erscheint vor ihm – in Petrarcas Brief – schliesslich die greise Roma in eigener Person und breitet vor ihm die grandiose Geschichte ihrer Herrschaft mitsamt deren erstaunlichen Heldentaten aus. Karl hat den Italern ein neuer Augustus zu sein, einzig ihm hat Gott in seiner Vorsehung das grossartige Erbe der Römer zugedacht. Was Gott will und wirkt – so ist zu verstehen –, das wird geschehen, wenn nur Karl sich nicht widersetzt. Er kann es ohne gewaltigen Schaden für die Welt und ohne Schuld und Schande für seine Person nicht von sich weisen. Vom Himmel her ermahnt auch Heinrich VII. seinen Enkel, sich der trauernden Roma anzunehmen und ihre Republik zu erneuern. Wie einem Bräutigam hofft sie ihm entgegen. Manches Wort in diesem Brief erinnert an Wendungen, mit denen einst Dante den eben genannten Heinrich als Retter begrüsst hat. Eine gewisse Vorsicht darin ist aber spürbar. Über die Kaiserkrönung selbst und die mit ihr verbundenen prinzipiellen Schwierigkeiten sagt Petrarca kein Wort. Für ihn ist klar: Das römische Volk allein verfügt – dank göttlicher Vorausbestimmung – über die Kaisergewalt, und niemand sonst, selbst nicht ein Papst, kann sie vergeben. Doch das zu erwähnen, wäre unter den waltenden Umständen gefährlich. Es ist schon viel, wenn im Schreiben nicht einfach die Stärkung der römischen Herrschaftsgewalt, sondern die Wiederherstellung der res publica (10,1,26) als des Kaisers Aufgabe genannt wird. Cola di Rienzo hat sie nicht bewältigt, also besteht sie weiterhin. Sofern der Brief von 1351 datiert, darf man zudem annehmen, Petrarca sei darüber informiert, dass der Volkstribun nach Prag geflohen ist und dort bereits Aufnahme gefunden habe. Doch wie dem sei: er nimmt in seiner Besorgnis um das Schicksal Italiens seinerseits – zwar auf eigene Weise – Zuflucht zum selben Hof. Dabei meint er nicht, Karl werde sich nach einigen Anordnungen zur Befriedung des Landes und nach der Bestellung einiger Reichsvikare wieder entfernen können; nein, Karl hat in Italien zu verbleiben und ebenda Italiener zu sein, das ist Petrarcas ernste Auffassung. Als etwas Unmögliches kann er das nicht ansehen, was doch ganz selbstverständlich, nämlich so richtig wie natürlich und erst noch von Gott bestimmt ist. Der Staufer Friedrich II. hatte sich als Italiener erwiesen und in Italien residiert; als Italiener haben sich die französischen Anjou bewährt, als sie sich auf Dauer in Italien festgesetzt hatten. Wie der Papst von seinem Bischofssitz Rom aus zu wirken hat, so gehört es sich für den römischen Kaiser, in seiner Kaiserstadt zu weilen. Mit solchen Vorstellungen ist Petrarca allerdings so ghibellinisch wie kaum
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einer der oberitalienischen Stadtherren. Hingegen ist wenigstens Cola di Rienzo nicht weniger streng in der Bestimmung, wem der Imperatorentitel vorbehalten und wo dessen ständiger Sitz zu suchen sei. Als wichtiges Dokument und politisches Bekenntnis wird dieser Brief zu Ehren des Cäsars Karl allen anderen Schreiben des 10. Buches vorangestellt, und zwar ohne Rücksicht auf die Abfassungszeit. Wie man zum voraus vermuten kann, hat gleich nachher Brief 2 einen völlig anderen Charakter: Er kehrt in die Privatsphäre des Dichters und in ein früheres Jahr zurück. Dieser fragt am 25. September 1349 bekümmert über die Alpen hinweg, ob Sokrates etwa doch der Pest zum Opfer gefallen sei (in Fam. 8,7 – 9 hat er mit seinem Leben gerechnet), bittet zum wiederholten Mal um ein Lebenszeichen und verweist auf ein Begleitschreiben, das sich an Gherardo, den leiblichen Bruder bei den Kartäusern im Kloster zu Montrieux richtet. Die Schlussbitte lautet, der Empfänger der Sendung, wer immer er sei, möge Bescheid über Freund Sokrates geben und die beiden Briefe weiterleiten (der Botenverkehr funktioniert vielleicht infolge der Pest nicht wie einst). Mit dem Bruder in Kontakt zu treten, will Petrarca nicht aufschieben. Wirklich zeugt Nr. 3 (1349) von einem liebevoll eifrigen Bemühen, mit dem Ordensmann Gherardo ins Gespräch zu kommen. Dieser habe, so sagt Petrarca, seit etwa sieben Jahren ein wahrhaft pythagoreisches Schweigen gehütet, jetzt sei wohl die Zeit gekommen zu sprechen. Die Zahlenangabe darf man nicht allzu genau nehmen; denn ins Kloster eingetreten ist der Bruder im Jahr 1343, und eben damals hat Petrarca daran gedacht – wie oben zu Fam. 5,13 und 15 angemerkt wurde –, sich in der Nähe von Montrieux mit Sokrates niederzulassen. Obwohl aus diesem Vorhaben nichts geworden ist, verweilt er in Gedanken noch immer gerne bei der Lebensweise, die derjenigen seines Bruders nahe zu kommen schien, und die er damals als die beste würdigte. Dem Bruder gegenüber bedient er sich jetzt, wie er selber bemerkt, einer ihm sonst fremden, ja geradezu mönchischen Sprache (59). Auf die versteht er sich natürlich wie auf jede. Doch während er sich hierin dem Bruder anpasst, verfehlt er nicht, insofern eine Predigt von besonderer Art vorzulegen, als er dem Klosterbruder neben den Kirchenlehrern auch die alten Heiden (wie Seneca, Cato und selbst Epikur) als Autoritäten und Exempel vorstellt (48 ff.). Doch er unterbricht seine Belehrung mehrfach, um Erinnerungen an frühere Zeiten, insbesondere an die Jugend heraufzubeschwören (11 ff.), und malt anschaulich-farbig manche kleine Szene ihrer damals einträchtig gepflegten Torheiten aus, tut es vielleicht sogar mit einigem Behagen, obwohl ihn bei der Vergegenwärtigung gewisser Operationen, welcher sich die beiden aus Eitelkeit unterzogen, Entsetzen ergreift und er nicht zögert, allen jugendlichen Leichtsinn zu verurteilen. An eine mühsame, teils sehr schmerzhafte Pflege der Haare und Kleidung, an gestelztes
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Gebaren, an lächerlich gefallsüchtige Auftritte, dichterische Künsteleien, Liebeleien und Liebesschmerzen, mit denen sich die Brüder wichtig dünkten, wird erinnert, bevor Petrarca endlich – in Anlehnung an sein grosses Vorbild Augustinus – das gnädige und gebieterische Eingreifen Gottes lobpreist (21 ff.). Gleich darauf wundert er sich allerdings wehmütig – weil weniger glücklich als der Kirchenlehrer –, warum nur der Bruder den Netzen der Welt habe entfliegen können (26 ff.), während er selber die Kraft zum Entweichen noch immer nicht finde. Was er falsch gemacht hat, möchte er wissen; vielleicht hat er zu stark auf die eigene Kraft vertraut und die dargebotene Hand Gottes übersehen, so durchforscht er sich in der ihm eigenen skrupelhaften Weise (und vielleicht mit einem Gedanken an die Stoa, die ihn so etwas wie Selbsterlösung gelehrt hat). An seiner Verantwortung will er keineswegs zweifeln, vielmehr schämt er sich seiner persönlichen Schwäche. Das Klosterleben verherrlicht er als einen Glückszustand (28 ff.), um sich der eigenen selbstverschuldeten misslichen Lage desto klarer bewusst zu werden. Zudem hat er vieles an seinen persönlichen unverschuldeten Verhältnissen auszusetzen. Zu seinem Alltag in der Welt gehören unvermeidliche Gastmähler mit nachfolgenden grässlichen Bauchkrämpfen (29), ewige Scherereien mit ungeschlachten und anmassenden Hausangestellten (30 ff.), hinterhältige Anfechtungen von seiten nur scheinbar zuverlässiger Freunde und Betrügereien durch bevorzugte Verwalter. Nicht immer wird klar, was er in der bösen Welt wirklich erlebt oder was ihm da nur droht. Doch zweifellos sind er und sein Bruder einmal Opfer von Vormündern geworden, die sie beide um ihr Erbe gebracht hatten (37 f.), und schliesslich muss er zurückblickend auch der früheren Unglücksfälle gedenken (39 ff ), denen sie beide dank göttlicher Güte entronnen (evasimus) oder überhaupt nicht ausgesetzt worden sind, nämlich Feuer und Schwert, Kerker und Schiffbruch und Unzähliges mehr. Entronnen ist diesen Gefahren aber recht besehen nur der Bruder, der den Hafen erreicht hat; Petrarca ist von ihnen noch immer rings umlagert (41). Ganz wunderbar hebt sich von seinem Elend der klösterliche Friede des Bruders und sein seliger Umgang mit Gottes Engeln ab. Nach solchen Gegenüberstellungen geht Petrarca – als wäre er ein bewährter Novizenmeister – zu Ermahnungen an den Ordensmann über, wie sich dieser im Gedanken an Christi und der Märtyrer Leiden vor Selbstmitleid, Trägheit, Überdruss und anderen Schwächen hüten solle (43 ff.). Und eben hier kann er es nicht lassen, dem Klosterbruder gar noch den viel verschrieenen Epikur als Autorität anzuführen (48). Denn offenbar soll man im Kloster erkennen, dass die Heiden gar nicht so übel waren. Er gibt seine Belehrungen als der ewig ältere Bruder und der pflichtschuldige Moralist, obwohl er einsichtig beteuert, dass der Angesprochene seiner Unterweisung kaum bedürfe. Eigentlich habe er alles für sich selber geschrieben, gesteht er zum Schluss, denn wenigstens ihm sei das von Nutzen, und er wünsche, dass jener es wisse. Wirklich ist sich Petrarca ja stets bewusst, dass er beim Festhal-
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ten seiner Überlegungen und beim möglichst sorgfältigen Formulieren Klarheit über sich selber findet (vgl. Fam. 1,9,11 f.); und natürlich denkt er auch immer an die lernbedürftigen späteren Leser seiner Briefe, was alles seine Lehrhaftigkeit (selbst die am falschen Ort) denn auch weitgehend entschuldigt. Vielleicht noch im selben Jahr (1349) verspürt Petrarca ein Bedürfnis, das Gespräch mit dem Bruder, richtiger seine Unterweisungen fortzuführen, jetzt, in Brief 4, mit dem Ziel, dessen geistigen Horizont zu erweitern. Wie sehr er das Klosterleben auch sonst als einen Himmel auf Erden preist – er arbeitet ja bereits an seiner Schrift de otio religioso – muss er eine gewisse Engherzigkeit und Engstirnigkeit der Asketen insgemein längst wahrgenommen haben, auch wenn er aus Höflichkeit den Mangel jetzt höchstens andeutet. Ihre Bildung ist gering, von den Dichtern denken sie noch fast wie es Jahrhunderte früher üblich war, als die Eiferer deren Werke auf teuflische Inspiration zurückführten. Nun will Petrarca nicht gelten lassen, dass die Beschäftigung mit ihnen der christlichen Frömmigkeit abträglich sei, er ist natürlich vom Gegenteil überzeugt, nämlich von ihrem hohen religiösen Wert, dank dem sie leicht die zeitgenössische, zur Dialektik verkommene Theologie, zu welcher der nächste Brief sich äussern wird (Fam. 10,5,8), weit hinter sich lässt. Somit hofft er jetzt, den Bruder vom wahren Charakter echter Poesie zu überzeugen (Fam. 10,4 1). Wer ihm nicht glauben will, der muss wenigstens die alten Philosophen und erst recht die kirchlichen Autoritäten anhören (5 ff.). So ereifert er sich und legt dann die sakralen Wurzeln der Dichtung bloss, macht auf die gehobene, rhythmische Sprache von Psalmen und biblischen Prophezeiungen, dann auf den dichterisch verhüllten Gehalt der Parabeln aufmerksam und erbringt noch andere Beweise für die Weihe seiner Kunst, worauf er mit einem eigenen Werk, nämlich dem ersten seiner Hirtengedichte, herauszurücken wagt (10 ff.). In eigener Person will er dessen tieferen Sinn Wort für Wort auslegen; ein anderer könnte sich dabei irren, selbst wenn wenigstens soviel unmittelbar klar ist, dass die beiden auftretenden Hirten seinen ungleichen Bruder und ihn selber versinnbildlichen. Der Hirte Monicus, das ist der Mönch Gherardo, lauscht bei einer Höhle den Gesängen Davids, der andere Hirte Silvio, also Francesco gemäss seinem Übernamen, entfernt sich vom Bruder, weil er grossartigeren Sängern nachfolgen und von ihnen einen herrlicheren Gesang erlernen will, um darauf die erworbene Kunst einem hohen Helden (das ist Scipio) zu widmen (32; nämlich in der Africa). Hat er dieses Ziel erreicht, will er zurückkommen, um den Sänger des Bruders anzuhören, und Monicus lässt ihn mit der Ermahnung ziehen, sich der Gefahren eines Aufschubs bewusst zu bleiben (19 und 32 ff.). Aus der Dichtung geht unter anderem hervor, dass Petrarca jetzt so wenig wie früher daran denkt, seinem Gherardo in absehbarer Zeit ins Kloster nachzufolgen, wie sehr er den Klosterfrieden als heiliges Jerusalem verherrlicht, und zwar nicht
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allein in diesem Brief, sondern auch im eben genannten Werk de otio religioso, und sein eigenes Weltleben als ein Babel beklagt. Selbstverständlich können ihm die beiden gegensätzlichen Städte auch für etwas anders gelten, nämlich für verschiedene Seelenzustände; dann liegt es an ihm, sich sein Jerusalem in seinem Innern selber zu schaffen und aus seinem inneren Frieden schöne Früchte hervorwachsen zu lassen. Wenn er auf das Kloster verzichtet, so doch nicht auf eine stete Ruhe seines Herzens. So ungefähr mag er beschlossen haben. Denn das entspricht seiner Angabe im Buch de vita solitaria, wo er erklärt, er verstehe es, selbst im Gewühl der Menschen sich in Gedanken eine „imaginäre Einsamkeit zurecht zu zimmern“ (lib.1,sect.c.3). Indem er sich im Bucolicum so gut als Hirte bezeichnet wie seinen Bruder, verrät er ohnehin, dass er wie jener in einer Art Einsamkeit und jedenfalls fern dem Geschäftsbetrieb lebt. Allein zu sein, diese hohe Kunst, erlernt und übt er im Abseits, und dann trägt er sie in die Welt hinaus. Das ist seine Lebensform. Da er nicht einmal das Ideal der vita solitaria für sich selber aufstellt, kann er sich erst recht nicht für otio religioso entscheiden. Er ist dafür nicht gemacht. Seine Hauptaufgabe besteht eben noch immer in der Vollendung seiner Africa, wie das aus seiner Ekloge deutlich hervorgeht; er hält daran fest trotz Bedenken (vgl. Fam. 7,18,7) und trotz dem im Secretum von Augustinus gemachten Vorschlag, das Projekt aufzugeben (3,14,11 f. und 3,17,6). Sicher beschäftigt er sich damals mit ganz anderen Themen, behauptet, die Musen hätten ihn verlassen, und bevorzugt die Prosa, und dennoch spricht er zum Bruder jetzt so, als würde er just um der Africa willen auf einen Gang ins Kloster verzichten. Im Kloster, wo man von Poesie nichts wissen will, könnte er ohnehin an seiner Dichtung nicht arbeiten, während der ihn beglückende Traum, der eigenen Zeit ein Heldenepos, das zu neuen Taten aufrüttelt (15), sich nicht verscheuchen lässt. An Freunde muss Petrarca denken, die auf die Vollendung der Africa warten, auch der Gedanke an Neider kann ihm nicht fern sein, die sich schon einen Triumph ausmalen. Kein Wunder also, wenn sein Ehrgeiz wach bleibt und ihm guten Mut zuspricht. Später, vielleicht erst 1352, empfängt Petrarca von Gherardo zusammen mit einer von ihm verfertigten Büchse eine Sammlung von Sentenzen alter Autoritäten, die er in Nr. 5 freudig, wenn auch wie immer etwas zu lehrerhaft lobt, um ihn darauf entschieden zu ermuntern, eigene Gedanken zu vertreten. Es liegt ihm offenbar daran, dass sein Bruder nicht einem in den Klöstern übermässig gehegten Autoritätsglauben erliege, auch nicht den Verzicht auf geistige Selbständigkeit als notwendige Forderung ansehe. Folglich breitet er vor ihm den umfassenden Plan menschlicher Studiengänge (artes liberales, artes mechanicae usf.), Kunstrichtungen und anderer Beschäftigungen aus (5 ff.), um ihm einen Begriff von der reichen und vielfältigen Welt menschlichen Meinens, Wissens, Wollens, Suchens und Wirkens zu vermitteln. Dabei stellt er eine Wertordnung auf. Er unterstreicht die starken
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Gegensätze zwischen den Auffassungen der Philosophen (15.), kommt auf die Unbeständigkeit und Haltlosigkeit der Menschen zu sprechen, auf den ständigen Wechsel ihrer Bestrebungen, ja auf das Nebeneinander von Wollen und NichtWollen (17), das besonders im Verhalten zum Tod ganz widersinnig ist. Und dann steigt er, seiner eigenen fatalen Zerrissenheit gedenkend (23 ff.), gemächlich von seinem Lehrstuhl herab, um endlich wie ein Zögling des Klosters seinem frommen Bruder Rechenschaft über sein Leben und über die Einhaltung gewisser ihm gegebener Versprechen abzulegen. In drei Dingen vor allem hat er ihm gehorcht (26 ff.) – und das ist zur Kennzeichnung seiner Persönlichkeit und zur Bestimmung eines Wendepunktes in seinem Leben die überraschendste und klarste Aussage in den drei Briefen –: Er hat erstens in einer Beichte seine Bosheiten (scelera) einem Priester bekannt und sich entschlossen, solche Bekenntnisse oft zu wiederholen. Er hat nach fiktiven Beichten endlich eine echte Beichte abgelegt, eine beschämende vor einem Priester, von dem er als dem Sprachrohr Gottes Verzeihung erbittet und dann auch erhält. Denn es scheint, die früheren Versuche zur Selbsterkenntnis und die Selbstbefragung unter der Leitung Augustins hätten, so nützlich sie sein konnten, zu einer entschiedenen Besserung nicht genügt. Zweitens hat er sich zur Gewohnheit gemacht, gleich den Mönchen siebenmal im Tag Gott zu loben, also bei Tag und Nacht die Stundengebete zu verrichten, und hat damit schon begonnen. Drittens darf er beteuern, dass er nun die Begegnung mit Frauen, „ohne die ich einst nicht leben zu können meinte“ (29), bereits wie eine Todesgefahr vermeidet. Schliesslich bittet er um die Unterstützung durch Gebete, damit er einstmals zu Freiheit und Frieden gelange. Nicht missverstehen darf man eine abschätzig klingende Frage, die er im Hinblick auf seine Bekehrung einschiebt. „Was ist denn eine Frau?“ (29), so wirft er hin, und das entspricht ähnlichen Äusserungen an anderen Stellen: Was ist denn eine Mutter, was ist denn ein Vater, was ist denn der Mensch (vgl. z. B. Fam. 10,5,3). Indem er sich von einer einseitig sinnlichen Überschätzung und ihren Gefahren befreien will, versucht er mit der ihm beliebten Methode einer Gegenüberstellung von Extremen zur goldenen Mitte und Wahrheit zu gelangen (vgl. z. B. Fam. 7,17,5, und 11,16,35). Die verächtliche Äusserung über die Frau gibt natürlich nicht seine endgültige und eigentliche Meinung wieder, sondern zeigt nur die für ihn bezeichnende Schroffheit im Suchen nach der richtigen Einschätzung; und wie immer er von einzelnen Frauen oder über das Wesen der Frau denken mag, so kennt er doch unter allem Irdischen nie etwas Anbetungswürdigeres als Laura. Genaueres kann hier darüber nicht gesagt werden. Fragt man sich aber, ob Petrarca im Bemühen, die mönchischen Gebete zu einem Bestandteil seines Alltags zu machen, nie erlahmte, so wird man mit einer Annahme antworten: Den Mangel an Zeit empfand er immer als gewaltige Bedrängnis. Sein Tagesprogramm war stets in Gefahr, wegen allzu vieler eigener Vorhaben und vor allem auch wegen fremder Anfor-
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derungen über den Haufen geworfen zu werden. Von Abhängigkeiten konnte er sich ja nie befreien. Aber im Buch vom einsamen Leben wird die Wichtigkeit der sieben Tagesgebete mit den Psalmen in der selben Eindringlichkeit hervorgehoben, und am Ernst des Vorsatzes kann man nicht zweifeln. Gearbeitet hat er am Werk de vita solitaria nach 1347 noch mindestens zehn Jahre lang. Und auffällig ist, dass von allen Bibelstellen diejenigen aus den Psalmen, also aus dem mönchischen Tagesgebet, ihm weitaus am häufigsten aus der Feder fliessen. Der eben besprochene Brief 5 bildet mit den zwei vorangehenden eine Einheit, und zusammen erreichen sie eine Länge, dass mit ihnen jene ungefähre, für die einzelnen Bücher vorgesehene Seitenzahl fast aufgebraucht ist. Bloss ein kurzes 6. Schreiben hängt Petrarca noch an. Dieses eignete sich recht gut, gemeinsam mit dem von Nr. 1 dem 10. Buch einen Rahmen zu geben, denn es wendet sich wieder an den Hof in Prag, wenn es auch nicht direkt für den Böhmenkönig bestimmt ist. Dessen Kanzler, der noch heute für seine humanistischen, sprachlichen Verdienste berühmte Johann von Neumarkt, hatte mit einem hoch geschraubten Kunstprodukt seiner Feder den Dichter um ein Erzeugnis seiner bewundernswerten Muse gebeten; denn von ihr hatte er schon manches Rühmliche gehört, nämlich durch einen in Prag wohnhaften Apotheker aus Florenz, so konnte Petrarca lesen. Noch eine andere Informationsquelle hätte ihm genannt werden können, eben Cola di Rienzo, der sich jetzt zu Prag in Haft befand, und das wäre umso passender gewesen, als der Gefangene etwas von Stilkunst verstand. Doch sich auf ihn zu berufen, schickte sich gegenüber dem Dichter jetzt schlecht. Denn von ihm war anzunehmen, dass er sich besorgt frage, was alles der Volkstribun über seine verschiedenen Anhänger ausgesagt haben mochte. Also erwähnte Johann von Neumarkt den gefährlichen Gast aus Rom eben nicht. Um so unbeschwerter darf sich der Dichter jetzt über das Echo aus der Umgebung des zukünftigen Kaisers freuen. In seinen Ohren klingt es ihm wie eine Verheissung. Er zeigt sich sehr geschmeichelt über das ihm bescherte Lob und schmeichelt in aller Bescheidenheit zurück, in welchem Jahr, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Würde die Titulatur (Elekt von Naumburg) in der Adresse stimmen, könnte es nicht vor 1353 gewesen sein.
Damit zeigt das 10. Buch eine gedankliche Geschlossenheit wie wenige andere. Sie kommt dank einer starken Vernachlässigung der Chronologie bei einer kleinen Zahl von Adressaten zustande. Eine Frage nach dem Befinden eines unbegreiflich schweigsamen Freundes in Avignon und drei belehrend-bekennende Briefe an den Mönch Gherardo, in denen Abkehr von Sünden, Beichte und gute Vorsätze angezeigt werden, stehen eingerahmt zwischen den Schrei-
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ben 1 und 6, die eine Einflussnahme auf den Hof in Prag anstreben. Die Grenzen des Zeitraumes lassen sich nur schlecht abstecken: 1348 – 1353?
Im 11. Buch wird an exponierter Stelle, nämlich in der Adresse über dem 1. Brief der berühmteste unter Petrarcas Freunden erwähnt; das ist jener hoch gebildete Humanist und kunstvoll fabulierende Dichter, welcher noch heute in allen Weltgegenden genannt und sogar jetzt noch von einem breiten Leserkreis sehr geschätzt wird; Johannes de Certaldo, Giovanni Boccaccio. Für sicher darf man nehmen, dass schon der in Buch 9 erwähnte Giovanni (Fam. 9,2,5) mit diesem Latinisten, Graezisten und Virtuosen des Volgare identisch ist. Jedenfalls kennt ihn Petrarca schon seit geraumer Zeit, zwar nicht etwa von seinen Reisen nach Neapel her, aber dank seinen Beziehungen mit dem Florentiner Dichterkreis. Und eben hat er ihn besucht, nämlich auf seiner Pilgerfahrt nach Rom und hat von ihm zum Zeichen der Freundschaft einen Ring zum Geschenk erhalten. Von dieser Romreise, die er um den 12. Oktober des Jubeljahres 1350 antritt, berichtet eben Brief 1 vom 2. November. Petrarca hat sich spät im Jahr auf den Weg gemacht, und ein Grund dafür wird in seiner Scheu vor grosser Hitze, ein anderer in der Hoffnung auf eine Verminderung der Pilgerzahl liegen, da die in grosser Ferne Beheimateten zur rechten Zeit über die Alpen oder das Meer zurückkehren mussten. Viel äussert Petrarca im Sinn der zeitgenössischen Katholizität über Bussgesinnung, Ablässe und Befreiung von Sündenlast, bevor er schildert, was ihm im Augenblick doch als die wichtigste Mitteilung gilt, nämlich die von seiner schweren Verwundung durch einen Pferdehuf, die ihm nur knapp erlaubte, unter ganz erheblicher Gefahr und heftigsten Schmerzen von Bolsena aus sein Ziel zu erreichen (5 ff.). Krank hütet er in Rom das Bett, unsicher, wie gut oder wie schlecht er sich in Zukunft des geschädigten Beines werde bedienen können. Doch trägt er die Schmerzen mit der Ergebenheit weniger eines strengen Stoikers als eines christlichen Asketen und meint, sein Beichtvater habe ihn zu sehr geschont (11; vgl. Fam. 10,5, 27), weshalb Gott nun einiges an Leiden beifüge, wie nur billig sei. Ja, er geht noch weiter, indem er sich am Gedanken erbaut, er werde als Bettlägeriger nun nicht einmal in die Versuchung geraten, an frommer Stätte fromme Übungen zu vernachlässigen; leicht hätte es ja sein können, dass er bei guter Gesundheit mehr Zeit auf archäologische Studien als auf das Beten verwendet hätte (11 ff.). Offenbar rechnet er (was manchen Leser erstaunen wird) ohne weiteres auf Boccaccios Interesse und Verständnis für seine Gottergebenheit und reuevolle Überlegung. Doch ist dieser lebensfrohe Freund – wie sich gehörte – ebenfalls in Rom gewesen und hat sich da den ernsten Pflichten der Pilger nicht entzogen. Welchen Sehenswürdigkeiten der Dichter bei früheren Rombesuchen Aufmerksamkeit geschenkt
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hat, erfährt man in anderen Briefen (z. B. 6,2,5 ff. und 9,13,34 ff.); den Reliquien christlicher Heiliger grösste Verehrung zu bekunden, hat er zwar niemals verachtet, aber der Gedanke, an den Überresten aus der Römerzeit die alte Geschichte mit ihrer glanzvollen Kultur abzulesen, hat für ihn denn doch einen unvergleichlich höheren Reiz besessen, wie er jetzt unumwunden verrät. Ohne für seine Lieblingsbeschäftigung Zeit und Kraft gefunden zu haben, kehrt er noch vor Jahresende 1350 mit um so besserem Gewissen nach Parma zurück, reist nach Padua weiter und schreibt von da am 7. Januar 1351 erneut an Boccaccio (Nr. 2), um ihm unter anderem die Ermordung des Stadtherrn Giacomo von Carrara zu melden. Sie hat ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Und wieder ist von ihm zu hören, dass er mit diesem Freund so gut wie alles, was ihm übriggeblieben, verloren hat. Giacomo war nach dem Tode des Königs Roberto als der einzige tatkräftige Förderer der Künste übrig geblieben (5). Er wäre, so deutet der Dichter an, fähig und geneigt gewesen, ihm zu ersetzen, was ihm in Parma zu entgleiten droht (vgl. Fam. 9,5). Nun entbehrt Petrarca des einzigen Fundaments für irgend eine Hoffnung; es ist ihm unter den Füssen weggezogen worden. Er hat gemeint, der Unabhängigkeit schon ganz nahe zu sein (6); doch nun entweicht sie erneut in weite Fernen. Rhetorik und Pathos gehören zu Petrarcas Natur; er braucht sie vor allem dann nicht zu unterdrücken, wenn er Gönnern und Freunden danken will. Dass er dem toten Herrn Carrara eine Würdigung seiner Verdienste schuldet, kann er nicht übersehen, doch zögert er aus mancherlei Gründen (so wegen seiner ewig gleichen Zeitnot), sich ans Werk zu machen und lässt sich erst auf die Ermahnung des früher erwähnten Freundes und Kanzlers Aghinolfi aus Mantua dazu herbei (vgl. Fam. 7,8), mit einer Schilderung des verübten Gewaltaktes einen Preis auf die Verdienste des Verstorbenen zu verbinden und einen Brief zu füllen. Etwas wirklich Handfestes, Greifbares aus dem Leben des Gepriesenen dem Leser vor Augen zu stellen, gelingt ihm – wegen der Kürze der Zeit ?– allerdings nicht; dagegen liefert er die begehrte Grabschrift, wiewohl er sie, gemäss seinen Angaben in Nr. 3, nur unter ungewöhnlichen Umständen (14 f.) und – wie er immer betont, wenn er ein Werk anderen Händen anvertraut – in aller Hast entworfen hat. Das geschieht am 12. Mai (April? 1351). Damals weiss Petrarca, dass er Italien auf ungewisse Zeit wieder verlassen muss. Er hat sich wohl oder übel an den Gedanken gewöhnt, dass er einem Ruf aus Avignon unbedingt nachzukommen hat. Der Verlust des genannten Gönners erleichtert ihm vielleicht die rasche Ausführung der beschlossenen Tat. An der Kurie hält man Würden und Ämter für ihn bereit, als wüsste man nichts von seiner starrköpfigen Ablehnung solcher Angebote. So schwer ihm die Rückkehr in die Provence fällt, gelingt ihm doch, sich auf sein Haus in Vaucluse zu freuen. Das kann man aus Brief Nr. 4 aus der selben Zeit entnehmen. Seinem Bischof Philippe von Cavaillon
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gegenüber spricht er von seiner Hoffnung, dort unter seiner Obhut zu leben und zu sterben. Dabei wird er allerdings kaum erwartet haben, dass sich seine Unrast auf immer legen und dass ihm irgendwoher die Fähigkeit zufallen werde, bis zum Tod fern von Italien in der Verborgenheit seiner Klause mit Musse und Freiheit zufrieden zu sein. Vor der Abreise hat er ein wichtiges Dankesschreiben abzufassen. Noch während Petrarca sich in Padua aufhält, erscheint da Giovanni Boccaccio mit einem offiziellen Brief, und darin steht zu lesen, dass die Bürgerschaft der Stadt Florenz ihm ein Professorenamt an ihrer Universität anbietet und ihm jene Güter herauszugeben beschlossen hat, die bei der Vertreibung seines Vaters zu Anfang des Jahrhunderts konfisziert worden sind. Die Bereitschaft zu dieser Gutmachung verdankt er politischen Wandlungen, aber auch seinem Ruhm und in einem unbestimmbaren Mass den Florentiner Humanisten. Diese möchten, dass er eine sichere Lebensgrundlage erhalte, und zwar eine in Italien, in ihrer nächsten Nähe; sie meinen, damit dem Dichter einen Gefallen und sich selber Gutes zu tun, wenn sie ihre Mitbürger zur Grossmut gegenüber dem Verbannten anhalten. Auf Petrarcas persönliche Anwesenheit, auf seine Anregungen, Belehrungen, seine Bücher, Büchersuche und auf die Teilhabe an seinen anderen Forschungen möchten sie nicht verzichten und darum der Gefahr vorbeugen, dass er ihnen durch die Kurie in Avignon entzogen werde. Ganz unverhofft kann Petrarca das ehrende Angebot aus seiner Vaterstadt nicht gekommen sein. Doch jetzt muss er dazu schriftlich Stellung beziehen. In Nr. 5 vom 6. April (1351) zeigt er sich überwältigt von so bedeutender Ehrung und zutiefst beeindruckt von der völlig unverdienten, ihm geschenkten Huld, ja, er belegt dank seinem rhetorisch freien Umgang mit historischem Wissen leicht genug das unerhört Einmalige der Seelengrösse, mit welcher das ganze glorreiche Volk von Florenz an ihm handelt (6 f.). Dann erhebt er sich allerdings rasch in die höchsten Höhen der Vernunft (9), wo ihm weniger der Nutzen als der Schaden eines Erwerbs einsichtig wird. Mit dem ihm eigenen weitschweifigen Pathos beharrt er vor den freigebigen Herren (10) bei Gedanken über den unstillbaren Durst nach immer mehr Gold und Land und über die damit verbundenen so sinnlosen wie endlosen Mühen, als hätte er sich vor ihnen sehr zu fürchten. Dann kommt er zum Schluss. Petrarca fühlt, wie er betont (15), wunderbare Genugtuung über das ihm gespendete hohe Lob, denn er ist ja nicht aus Stein; und übrigens hat er keinen grösseren Wunsch, als stets im besten Einvernehmen mit der Stadt seiner Väter zu leben. Alles andere, was noch anzufügen wäre, wird den Florentinern durch ihren ausgezeichneten Mitbürger Giovanni Boccaccio, welcher ihm das grossartige Schreiben überbracht hat, mitgeteilt werden. Es folgt noch der Wunsch, dass die Stadt auf ewig ihrem Namen gemäss herrlich weiterblühe. Sich persönlich in Florenz zu bedanken, wie man dort hätte erwarten wollen, erspart sich der Dichter.
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Das Angebot stellt Petrarca vor keine schwierige Entscheidung. Eine pathetische Warnung vor dem Erwerb eines Besitzes benötigt er nicht. Er sieht die Abhängigkeiten, die ihm in Florenz drohen würden, sehr klar. Um Hab und Gut sich zu kümmern und Dankesschulden abzutragen, ist ihm ein lästiger Gedanke. Und sich in einen Freundeskreis einbinden zu lassen, schafft ihm jetzt ein rechtes Unbehagen, wenn er überlegt, dass unter wissensdurstigen florentinischen Gelehrten eine oft stark beklagte Einsamkeit rasch wieder zu einem sehr vermissten Glück werden könnte. Boccaccio, der sich für die Sache mehr als andere eingesetzt hatte und dem jetzt die Aufgabe zufällt, die Absage den Florentinern zu übermitteln, ist nicht zu beneiden. Aber Petrarca wird gedacht haben, der habe sich das mit den Freunden selber eingebrockt. Über die ihm angebotene Professur an der neuen Universität von Florenz äussert er sich in seinem Schreiben nicht, und die ganze Angelegenheit ist nach der Absendung des Briefes für ihn so gut wie erledigt. Es bleibt ihm darauf nichts anderes übrig, als dem Ruf des Papstes Clemens VI. zu gehorchen. Nachdem er in Nr. 6 am 1. Juni (1351) von Verona aus dem Freund Boccaccio mitgeteilt hat, dass er sich mit gemischten Gefühlen auf dem Weg in die Provence befinde, legt er ihm allerdings noch die Bitte vor (10), ihn beim Senat von Florenz mit fleissigen Bezeugungen seiner Ergebenheit zu empfehlen. Er kann sich nicht verhehlen, dass er die hohen Herren gekränkt hat und seine Freunde dazu. Widerwärtig ist ihm auf seiner Route, dass er nur langsam vorwärtskommt (2), weil ihn seine Verehrer da und dort aufhalten. Das bedeutet für ihn jedesmal so viel wie ein Freiheitsentzug (carcer); und nur dort, wo er gerne Einkehr hielte, so fügt er an, in Parma also, drängt ihn aus bekannten Gründen (vgl. Fam. 9,5) jetzt niemand zum Bleiben. Gewiss, er liebe seine Freunde, so beteuert er, dass sie ihn aber am Arbeiten hindern, werde er zeit seines Lebens beklagen. Das hat Boccaccio nun gewiss nicht zum ersten Mal gehört. Und auch etwas anderes wird ihm wiederholt, dass nämlich im Tal an der Sorgue die Dichtkunst am besten gedeihe. Im selben Brief wägt Petrarca knapp die Vorzüge und Nachteile seiner Einsiedelei gegeneinander ab und meint, dort bis zum Ende des Lebens zu verweilen, wäre das Beste (4). Wenn nur, und hiermit folgen auch sofort die Einschränkungen, die alles zur Illusion machen: wenn nur Avignon sich nicht in der Nähe befände, und wenn nur das Tal in Italien und nicht in der Barbarei läge (5). Im Gedanken an die Kurie schliesst er alles, was ihn dort erwartet, in den Decknamen Babylon ein (5); diesen wird er immer häufiger verwenden und in seinem Buch ohne Namen (Liber sine nomine) erläuternd rechtfertigen (vgl. Angaben zu Fam. 6,1 und 12,4,7 ff.), während er ebenda – wie der Titel andeutet – alle Eigennamen absichtsvoll verschweigt, und zwar nicht allein aus Schonung für die von ihm charakterisierten oder angesprochenen Personen, sondern auch aus Furcht für sich selber. Denn ein Märtyrer zu werden, beabsichtigt er nicht, wenn er von diesem neuen Babylon aussagt, es sei (wie das der Apokalypse) eine Stätte der Unzucht
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und ebenda verwandle die heilige Kirche sich zur Hure und drohe die zur Rettung der Menschheit bestimmte Arche, das Schifflein Petri, Schiffbruch zu erleiden. Eine Mitschuld seiner Person (und der Christenheit überhaupt) an den dort waltenden Missständen weist Petrarca zurück (7), und dabei verbirgt er auch nicht, wie sehr neben seinen religiösen Empfindungen sein nationaler und persönlicher Stolz zu leiden hat, wenn er, ein Italiener, ja ein Bürger Roms, den Papst an der Rhone und nicht am Tiber aufsuchen muss. Dass der Dichter, wenn er seinen patriotischen Gefühlen freien Lauf lässt, zu völlig gerechter Beurteilung fähig sei, wird niemand annehmen. Er braucht es gar nicht zu sagen, es ist ihm wie seinen Adressaten selbstverständlich, das Papsttum als eine von Gott gewollte Institution anzuerkennen und auch ein Kardinalskollegium gelten zu lassen; aber er verlangt zuerst, und das hört man von ihm immer wieder, dass die höchsten Kirchenämter von echten Aposteln, apostelähnlichen Christen besetzt würden, und dann schon gleich darauf, dass an der Kurie die Italiener in schöner Zahl vertreten wären und schliesslich dass der Papst – als römischer Bischof – mitsamt der Kurie, wie es einer göttlichen Anordnung entspreche, in Rom residiere (z. B. Sine Nomine Nr. 3 und 5 etc.). Eine päpstliche Kurie französischer Prägung ist ihm, wenn sie ihn herbeiruft, zum vornherein in jeder Hinsicht zuwider. Wichtig ist ihm, Boccaccio über seine persönlichen Absichten zu unterrichten (6). Er hat ihn und seine Freunde mit der Ablehnung der Angebote ihrer Heimatstadt vor den Kopf gestossen. Nun muss er ihnen beteuern, dass er dafür seine Gründe gehabt und dass er, wie sie es unbedingt wünschen, bald wieder unter ihnen sein wird. Den wenigen Freunden, die ihm in Avignon verblieben sind, will er jetzt ein letztes Lebewohl sagen; denn wenn er im Brief an Philippe von Cavaillon (11,4,2) mit dem Gedanken wenigstens gespielt hat, an der Sorgue für immer zu bleiben, rechnet er im Augenblick, da er Boccaccios Brief beendet, mit einer Rückkehr nach Italien schon im folgenden Herbst (9). Ja, dann will er auch jene Bücher, die er früher in Vaucluse zurückgelassen hat, mit nach Italien nehmen, um sie da seiner Bibliothek einzufügen. Das tönt, als wollte er den Sitz an der Sorgue für immer aufgeben, obwohl er bereits damit rechnet, dass ein Verbleiben in Parma auf Dauer unmöglich und seine Rückkehr nach Padua schwierig sein wird. Auf dem selben Reiseweg schickt er im gleichen Monat Juni (1351) Brief Nr. 7 an seinen Freund Sokrates in Avignon ab. Verfasst hat er ihn, wie er dem Adressaten angibt, lange vorher, nämlich unter dem Eindruck eines Erdbebens vom September 1349. Das ganze Schreiben ergänzt das frühere an den selben Sokrates über das grosse Sterben von 1348 (Fam. 8,3). Erderschütterungen hat es damals in kurzen Abständen mehrmals gegeben, auf die vom 25. Januar 1348 wurde schon hingewiesen, aber die letzte hat – Petrarca sagt es mit Schaudern –, sogar das Haupt der Welt, das heisst die ewige Stadt Rom und deren ehrwürdigste Bauten, nicht mehr verschont (4 ff.). Unerhört ist das nach seiner Überzeugung und zweifellos eine An-
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kündigung noch weiterer schrecklicher Schicksalsschläge, aufgespart für die Menschen, die der Pest entronnenen sind. Denn das gehört zur Eigenheit der Erdbeben, dass sie eine Reihe von Unglücksfällen einleiten, so hat er sich von Autoritäten sagen lassen (7). War im Pestbrief bereits an das letzte Zeitalter, nämlich an das sechste erinnert worden, ist nun auch das letzte aller Weltreiche Gegenstand der Betrachtung. Der alten christlichen Tradition entsprechend muss das römische diesen Abschluss machen. Der Gedanke an seinen Untergang ängstigt Petrarca, er bedeutet das Ende der gesamten Welt (9). Aber nichts kann ihm so grossen Schmerz erzeugen wie der Gedanke an die Zerstörung dessen, was Italien und Rom an Schönstem und Bestem besitzen. Zu wenig selbstbewusst, um sich recht eigentlich als Propheten auszugeben, beurteilt er dennoch die Erfüllung seiner Voraussagen regelmässig mit Genugtuung; er fühlt sich als Dichter wenigstens in die Nähe der Seher gerückt und sieht sich oft durch die von ihm hochgeschätzten Kenner historischer Begebenheiten und Gesetzmässigkeiten in seinen Ahnungen gewissermassen bestätigt. So nennt er jetzt zur Rechtfertigung seiner sorgenvollen Vorausschau eine Theorie des Plinius (7) und zitiert danach noch ein prophetisches Wort Balaams (9), das ihn geradezu erstarren macht. Beschaut er seine Zeit, so fällt ihm die allgemeine Niedergeschlagenheit der Menschen auf, wiewohl ihn zur gleichen Zeit erstaunt, dass ein unglaublicher Leichtsinn herrscht (wie man ihn bei Boccaccio geschildert sieht), der mitten im Aufruhr aller Elemente im ganzen Weltgebäude noch immer nicht daran denkt, sich zu Sack und Asche zu bekehren (vgl.Fam. 11,9). Was er persönlich zur Verbesserung der Lage tun könnte, ist ihm allerdings auch nicht klar. Er erlässt an den Freund eine eindringliche Ermahnung zur Tapferkeit (8 und 10) und hofft im übrigen darauf, ihn an der Quelle der Sorgue empfangen zu dürfen (11 f.). Und als könne und wolle er eines der im Erdbeben angekündigten Verderben benennen, fügt Petrarca mit Nr. 8 ein auf den 18. März (1351) datierbares politisches Schreiben an den Dogen Andrea Dandolo von Venedig an, worin die „angsterfüllte Brust“ ob des drohenden Unheils zuerst nichts anderes als Furcht und Schrecken und Verzagtheit zu äussern vermag, dann der eigenen hastigen und verwirrten Rede bewusst wird und um Entschuldigung nachsucht. Die mächtige Hafen- und Handelsstadt hat sich kurz vorher zu einem neuen Krieg gegen ihre Rivalin Genua entschlossen, und Petrarca, der dem Dogen wahrscheinlich schon früher bei einem Besuch in Venedig begegnet ist, will trotz den weit gediehenen Kriegsvorbereitungen sein rhetorisches Vermögen einsetzen für einen Versuch, das drohende Unheil doch noch abzuwenden. Das Imperium romanum, die höchste weltliche Gewalt auf Erden, ist bereits untergegangen (4 ff.), so hält er fest, als hoffe er nicht mehr auf König Karl aus Böhmen (vgl. Fam. 10,1). Nach diesem fast sicheren Verlust, gewaltig nicht allein für Italien, sondern für den ganzen Erdkreis, besteht die gebieterische Notwendigkeit, mindestens die Seeherrschaft, das imperium maris für das Abend-
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land zu retten (5). Im höchsten Mass ist es gefährdet, und zwar nicht zuletzt durch das frivole Verhalten der beiden Seestädte. Zum Schutze Italiens ist ihnen unmittelbar von der Natur ihr Platz in Ost und West angewiesen worden (4), nun aber laden sie mit ihren ewigen Streitereien die ausländischen Feinde geradezu ein, die längst begehrte Vormacht zur See an sich zu reissen. Der Türke, der vorrückende Glaubensfeind, wird hier nicht namentlich genannt, jedoch eine Reihe seiner Städte, wie Smyrna und Memphis, aufgezählt (14). Das ist der Warnung genug. Grauen erfüllt Petrarca aber schon beim Gedanken an die üblichen Plackereien eines Krieges; der Doge soll sich diese doch ausmalen. Jeder sichere Frieden ist besser als ein erhoffter Sieg (12 ff.). Petrarcas Angst vor kopflosen Entscheidungen steigert sich im Hinblick auf den verbreiteten Brauch, zu einem Senat, der doch – wie sein Name angibt – ein Rat der Alten zu sein hat, junge Leute, das heisst unerfahrene Draufgänger, zuzulassen (6); zu welchem Niedergang das geführt habe, sei längst nur allzu bekannt. Der Doge, zwar ebenfalls jung, aber immerhin besonnen, werde sich von alten, erfahrenen Männern leiten lassen, dazu wird er höflich, aber deutlich angehalten. Eigentliches Entsetzen schafft dem Schreibenden dann die Roheit, mit welcher die Städte gegen Angehörige ihres eigenen italienischen Volkes vorgehen (14 ff.), ohne zu bedenken, wie verheerend die Bürgerkriege wirken. Dass sie ein Reich sehr rasch zerstören, vermag er natürlich leicht mit Ereignissen aus der Antike zu belegen (25). Und dann nennt er als den Gipfel allen Wahnsinns die gegen das eigene italische Blut gerichteten Bündnisse mit ausländischen Mächten. Gemeint ist vor allem eines mit Aragon (28). Hier holt er aus, um eine ihm modern erscheinende Überschätzung des Ausländischen zu verurteilen. Er muss dabei Italien über alle anderen Völker hinaus heben. Auf einem gewaltigen Irrtum beruht die Neigung, so meint er, sich Fremden anzuvertrauen und Fremde ins Land zu ziehen (31), doch erklärt er das nicht lange. Wie wir wissen, heuerte man in Italien damals Söldner in grossen Scharen an, um selber ungestört seinen Handelsgeschäften nachzugehen, und die Touristen jener Zeit, die Pilger, lockte man mit allen Mitteln herbei, um mit ihrem Geld die eigenen Taschen zu füllen. Petrarca dagegen möchte empfehlen, Italien gegen die Aussenwelt nach allen Weltgegenden hin mit den ihnen verliehenen Schranken wieder abzuschliessen, wie Natur und Vorsehung das wollten (31). Dabei meint der Dichter selbstverständlich nicht, die Italiener sollten ihrerseits auf ein Ausgreifen über alle Schranken verzichten und sich mit sich selber begnügen; die römische Weltherrschaft muss ja zum Segen aller, zur Sicherung der Ordnung auf Erden weiterbestehen, die Seeherrschaft der Römer ebenfalls. Echte Probleme der Zeit werden hier angedeutet; Petrarca kann auf sie hinweisen, aber ernst zu nehmende politische Lösungen für Unlösbares kann er natürlich keine vorweisen. Zum Schluss des Friedensappells, den Petrarca nicht allein an Venedig richtet, sondern in einem gleich lautenden Schreiben auch Genua zukommen lässt (16), wird den beiden Städten die unangefochtene Fahrt auf allen Meeren und An-
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sehen und Macht in allen Gegenden der Welt verheissen (35), sofern sie nur den Frieden wahren. Diese Bedingung ist jedenfalls ausschlaggebend. Dass die Expansion der Italiener über gar alle Schranken hinweg wünschbar sei, wird mit diesem Segenswort bekräftigt. Andrea Dandolo bleibt indessen überzeugt, dass man die Genuesen „wegen ihrer heimtückischen Art“ bezwingen müsse; und Erfolg hat Petrarca mit seinem Schreiben vielleicht sogar selber nicht erwartet. Dass er Untergangsängste nicht in einem fort hegt, sondern auch vergessen kann, zeigt Brief Nr. 9 vom 20. Juni (1351),den er auf dem Reiseweg nach Südfrankreich schreibt. Er befindet sich auf der Höhe des Mont Genèvre (den Seeweg hat er wie üblich gemieden) und wendet sich an den oben genannten Freund und Kanzler Giovanni Aghinolfi von Arezzo (vgl.Fam. 7,8 und 11,3), den er in der Provence wieder treffen wird. Er habe sich am Po nach etwas Heiterem, Scherzhaftem umgesehen, sagt er, allerdings nichts gefunden ausser läppischen Spässen, wie sie ihm die neue Zeit zu charakterisieren scheinen. Die Epoche der alten Römer war, so glaubt er, ernsthafter gewesen. Nicht zuletzt deshalb, so denkt der Leser, hängt sein Herz an jener. Kurz darauf meldet er in Nr. 10 vom 27. Juni (1351) dem Bischof Philippe von Cavaillon seine Ankunft in Vaucluse. Dass er ihm wichtige persönliche Geschäfte in eigener Sache anvertraut, deutet vage Nr. 11 an. Sie betreffen wahrscheinlich wiederum Pfründen, die ihm selber oder einem Freund zufallen sollten. Hierauf hält er in Nr. 12 vom 19. Juli für richtig, von Vaucluse aus jenen Luca Cristiani (Olimpio; vgl. Fam. 8,2 ff.) anzusprechen, dem er vor kurzem in Italien Pläne für ein Gemeinschaftsleben unterbreitet hatte. Die Suche nach dem Verschollenen (vgl. Fam. 8,9,23) hatte er abgebrochen und seither mit ihm gar nicht mehr gerechnet, was er ihm jetzt in irgendeiner freundlichen Weise beibringen will. Denn kurz vor seiner Abreise aus Italien hat er ihn getroffen. Alles ist seit ihren letzten Beziehungen anders geworden. Petrarca strahlt eine unerwartete Zufriedenheit aus; er hat sich mit seiner neuen Lage gerne abgefunden und einzig die Vorteile seines Aufenthalts an der Sorgue vor Augen, ohne noch viel an die benachbarte Kurie zu denken. Kein Wort lässt er in diesem Schreiben über einen Ruf des Papstes und irgendeinen Zwang fallen; er nennt ganz andere Gründe, die ihn hierher ins Exil zurück gezogen haben. Unerkannt und ruhmlos möchte er im Abseits leben. Die Folgen seines allzu grossen Ansehens sind ihm längst entsetzlich lästig. Das wiederholt er hier, nachdem er (vgl. Fam. 11,6) ähnlich schon früher geklagt hat, wie viel kostbare Zeit ihm seine Verehrer wegstehlen. Darum kann er in seiner gleichzeitigen Dichtung Metr. 3,9 behaupten, er fliehe nicht aus Italien, aber Italien verscheuche ihn. Das sagt er ohne Bitterkeit. Nach Ruhm verlangt er nicht mehr (4). Die Gewohnheit, in der Wildnis zu leben, ist ihm zur Natur geworden; wie in seine Heimat ist er dahin zurückgekehrt (6), und dass er hier bei diesem armen Völklein (3), wo er keine Freunde haben kann, gerne verweilt, wundert ihn und
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wundert ihn nicht. Freund ist ihm im nahen Cavaillon der oft genannte Bischof Philippe und in Avignon Sokrates. Die beiden halten ihn fest. Es bindet ihn jedoch vor allem sein unbändiges Verlangen, angefangene Arbeiten endlich zu vollenden (6); nichts ist ihm kostbarer als seine Musse, das heisst die stille Geistesarbeit, welcher er in möglichst vollständiger Unabhängigkeit nachgeht. Was freut ihn hier nicht, kann man sich fragen. Schliesslich hofft er launig, seine Bücher wenigstens auszustäuben, wenn ihm die Zeit zum Lesen fehle (11). Allerdings denkt er nicht daran, für immer hier zu bleiben. Er wird nach Italien zurückkehren (7), wenn auch kaum so bald, wie er kurz zuvor seinen Florentinern (Fam. 11,6,9) versprochen hat. Beinahe scheint es, man könne von einem Brief zum andern eine Klärung seiner Zukunftspläne verfolgen. Wie von selbst, so stellt Petrarca fest, hat sich in der Vergangenheit ein Wechsel zwischen Provence und Italien in einem Rhythmus von ungefähr zwei Jahren ergeben. Vielleicht wäre dieser Wechsel von zwei Jahren für alle Zukunft das Richtige im Hinblick auf seine Person und seine Arbeit (8). An dieser Überlegung bleibt er hängen. Viele Möglichkeiten sind offen, und entscheiden muss er sich (das ist dem so oft Zögernden eine Beruhigung) noch nicht. Etwas unsicher fragt er dann, ob er von seiten des Freundes einen Vorwurf zu erwarten habe (10). Er bittet um Vergebung, weil er ein ihm gegebenes Versprechen (mit ihm in Gemeinschaft zu leben) nicht einhalte. Zu seiner Entschuldigung erinnert Petrarca an die Wandelbarkeit der Menschen, er kann ihr auch selber nicht entgehen, stellt er ohne Reue fest; und dann fügt er als zweiten Grund die üble Gleichförmigkeit der Abgeschiedenheit an, die ihm unerträglich ist. Hier wiederholt er sich. Wie man dem Überdruss, der aus der Gleichförmigkeit erwächst, entgeht, hat er schon früher anzugeben gewusst (Fam. 8,5,8) und hat es bei jeder Gelegenheit betont (Fam. 9,13). Nun hat man den Eindruck, weniger die Vorstellung vom Einsiedler- und Gemeinschaftsleben habe sich in Petrarcas Kopf geändert und mehr seine Einsicht in die eigene mangelhafte Fähigkeit, ein Gemeinschaftsleben auszuhalten, habe sich vertieft, vielleicht nicht zuletzt im Umgang mit den Humanisten in Florenz. Vielleicht auch dank Rückschlüssen aus dem Leben in der täglichen Hausgemeinschaft, wo er zwar nicht mit allen „eines Herzens und eines Sinnes“ ist, aber die Untergebenen doch nicht verdächtigt, sie seien darauf bedacht, sich seinen Wünschen zu widersetzen. Sein Sohn Giovanni ist bei ihm, wie man anderswo erfährt (z. B. Fam. 13,2 aus Vaucluse und Sine nom. 11), und Hausdiener verrichten da ihre Dienste, Kopisten halten sich bei ihm auf. Da, wo Petrarca seinen stillen Hafen haben wollte, gehen immer wieder die Wellen hoch. Das verraten die nie verstummenden Klagen über den ach so lernunwilligen Sohn und die respektlosen, untüchtigen Diener. Was er denn falsch mache, das zu fragen hat Petrarca oft viel Anlass (vgl. z. B. Fam. 10,3,30 ff. und 22,2 und 22,7), und eine Antwort findet er nicht.
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Zwar ist er nun im Begriff, seinen besonderen Lebensstil zu finden. Wenigstens in der Theorie. Am Ende des Briefes an Cristiani zeigt er sich aber nicht mehr so zuversichtlich wie am Anfang. Es besteht, recht besehen, alles Wünschbare eben nur in seiner Hoffnung auf eine bessere Zeit, die von Lasten befreit sein wird. Nach ihr seufzt Petrarca „in grosser innerer Erregung“ (11). Vorerst kommt es, wie er geahnt hat: Allzu oft wird er genötigt, zum nahen „Babylon“ hinüber zu reiten, und das ist die Art von Abwechslung, die ihm just nicht behagt. Kaum einmal bedenkt er, welchen Gewinn ihm ein Aufenthalt an der Kurie schon immer eingebracht hat. Er darf dort die unschätzbare Gelegenheit nutzen, sich besser als irgendwo über die Ereignisse in der Welt zu orientieren und auf die leichteste Art mit hochstehenden Gelehrten und Politikern in näheren Kontakt zu treten. Er hat zum Beispiel von der bevorstehenden vom Papst genehmigten Eheschliessung der Königin Giovanna von Neapel mit dem Prinzen Luigi von Tarent und von den Streitigkeiten um die Herrschaft in jenem Reich, auch vom Verzicht des Königs von Ungarn auf Neapel manches schon in Italien vernommen, doch erfährt er just an der Kurie von Avignon darüber jetzt einige, ihn interessierende Einzelheiten, weil hier vor dem Papst als dem Lehensherrn von Neapel/Sizilien Verhandlungen zwischen den Parteien geführt werden. Ein Gesandter befindet sich da, Angelo Acciaiuoli, Kanzler im Königreich und Vetter des neapolitanischen GrossSeneschalls Niccolò Acciaiuoli, der dort die Regentschaft innehat. Mit diesem Angelo kommt Petrarca rasch ins Gespräch. Florentiner sind die beiden Vettern wie er selber; der zuerst genannte ist überdies Bischof in seiner Heimatstadt. Und ohne lang zu zögern sendet Petrarca schon im August (1351) mit Nr. 13 eine schwungvolle Gratulation an den erfolgreichen Niccolò, voll des Lobes, dass er die Ungarn aus Italien verdrängt habe. Ob er zu einer dichterischen Würdigung der militärischen und staatsmännischen Leistungen aufgemuntert worden war oder nicht: Er setzt jedenfalls seine Ehre darein, es zu tun, ja empfindet es als eine Pflicht seines Berufes, die ihn teils beglückt und teils auch beschwert. Die Selbstkritik kann er nicht lassen; er drückt sein Bedauern darüber aus (2), dass ihm mit zunehmendem Alter der Mut zur Darstellung herrlicher Taten beinah abhanden komme, und fügt auch ein Wort über seinen Verdruss an, dass ihm niemand auch bloss die nötige Zeit zu solchen Werken verschaffe. Klagen über Zeitmangel häufen sich, und vielleicht – ja sogar wahrscheinlich – taucht in ihm jetzt der Gedanke auf, er könnte am Hof in Neapel Verständnis für seine schwierige Lage und damit eine Sinecure finden. Jedenfalls fügt er am Schluss des Briefes die Bemerkung an, er möchte endlich wieder das herrliche Neapel besuchen. Er hat schon zu Lebzeiten des verehrten königlichen Förderers aller Künste Roberto von etwas Besserem als von einer bescheidenen Ehrenstelle eben dort geträumt, aber nichts davon erreicht. Leicht ist er geneigt, dem südlichen Königreich erneut einen ganz Italien belebenden Aufschwung zu prophezeien. Für einen sol-
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chen wollte er noch so gern seine eigenen Kräfte einsetzten. Und wie von selbst verquicken sich seine politischen Wünsche mit seinen persönlichen. Von der Provence aus ist es nach Süditalien trotz der bedeutenden räumlichen Distanz nicht weit, weil die eine und gleiche Familie der Anjou da wie dort über grosse Besitztümer gebietet, während der Papst oft genug seine französischen Prälaten nach Neapel schickt, wo er als Oberherr anerkannt werden muss. Eine geschuldete Freundlichkeit erweist Petrarca darauf in Nr. 14 dem Musiker Philippe de Vitry, den er einst (vgl. Fam. 9,13) wegen seiner erlahmten Unternehmungs-und Reiselust getadelt hat. Er beglückwünscht ihn, weil er Bischof von Meaux, geworden ist, fügt aber rasch die ihm unvermeidliche Frage an, ob er ihn nicht eher bedauern müsse. Seinen eigenen Wunsch, sich mehr und mehr der Ruhe zu ergeben, bekräftigt er dann am 25. Oktober (1351/1352?) in Nr. 15, und zwar zum wiederholten Mal gegenüber dem Bischof Philippe, seinem benachbarten Freund, und gefällt sich dabei in der Aufzählung immenser Gefahren, denen sie beide sich vielfach ausgesetzt hätten, um ihn darauf zu bitten, von jetzt an – wie er, Petrarca, sich vornimmt –, auf Reisen zu verzichten (4 ff.). Reisen oder Nicht- Reisen: Er bleibt bei diesem Schwanken. Vaucluse oder Neapel: Es ist kaum mehr als ein Gedankenspiel. Dabei brennt in ihm noch stets ein Verlangen, die politische Entwicklung seines Vaterlandes mitzubestimmen. Auch hat er seine Enttäuschung über die missglückten Reformen in Rom noch nicht überwunden. Im Hinblick auf seine andauernde Beschäftigung mit der Lage in Rom und auf sein römisches Bürgerrecht (ihm bei seiner Dichterkrönung verliehen) gewähren ihm vier (ungenannte) Kardinäle, die über einer Neuordnung der ewigen Stadt und des Kirchenstaates brüten, die ehrenvolle Gunst, ihnen einen Vorschlag dazu zu unterbreiten, und diesen schreibt er in Nr. 16 am 18. November (1351) nieder. Ausgehend von der angeblich ganz unbestrittenen Wahrheit, dass Rom durch göttliche Verfügung das Haupt sowohl des Imperiums wie der Kirche sei und bleiben werde, verlangt er – wozu Cola di Rienzo applaudiert hätte – für das römische, einst alle Völker bezwingende Volk (dominator olim omnium populorum) die Restitution aller ihm entzogenen Rechte (11). Das Volk umfasst die Guten, die Adelsherren sind die Bösen, so hat er längst eingesehen (vgl. Fam. 7,1,9), und fragt jetzt herausfordernd, ja, sogar unter bewusster Zurückstellung all seiner Liebe zu seinen hohen (freilich verstorbenen) Gönnern Colonna (8), womit denn die verschiedenen adligen Geschlechter (sie seien ja fremder Herkunft) ihre Herrschaft über Rom und das römische Volk legitimieren wollten (19 f.), etwa mit ihrer Habgier und etwa mit ihrem Reichtum? Rom steht zwar für ein Weltreich, das heisst jedoch nicht, dass es da keine Fremden geben kann. Diese haben da nichts zu sagen, und auf ihre Anmassungen antwortet er so, wie es für ihn natürlich ist, nämlich mit einem Ausschlag auf die Gegenseite. Mit letzter Strenge müssen sie zurückgebunden werden, notfalls sind sie – so weit wagt
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er zu gehen – mit dem Schwert vom Senat fernzuhalten (14). Die lange verschlungene Geschichte vieler Jahrhunderte seit dem Ende der Antike würdigt er keines Blickes; sie bedeutet nichts. Er begnügt sich mit einer Darstellung des in der Antike ausgefochtenen siegreichen Kampfes der römischen Plebs um die Gleichstellung mit den Patriziern und um ihren Zutritt zu allen Ämtern (26 ff.); dieser Kampf dient ihm zum Beweis für die Richtigkeit seiner Forderung, dass die grossen Herren aus ihren Stellungen und Ämtern zu vertreiben sind. Denn obwohl er beinah bereit wäre, ihnen – bei guter Aufführung – einen Anteil im Senat neben den Bürgern zuzugestehen, empfiehlt er doch schliesslich für die gegenwärtige Lage und sozusagen zu ihrer Umerziehung ihren vorläufigen vollständigen Ausschluss (34). Darauf fügt er am 24. November (1351) in seinem zwingenden Bedürfnis, die Kardinäle von seiner persönlichen Interesselosigkeit zu überzeugen und ihnen die dringend nötige Unerbittlichkeit abzuforden, den Brief Nr. 17 an. Hierin erbittet er als „ein Römer neben andern Römern“ wieder nichts als bloss Gerechtigkeit, meint aber in grösserer Strenge, diese sei einzig dann erreicht, wenn nach der radikalen Beseitigung der Tyrannis die Unheil stiftenden adligen Fremdlinge selbst von der Stadtgemeinschaft mit römischen Bürgern, aus der Civitas ausgeschlossen würden (7). Schon mag er gar nicht mehr erwägen, ob ihnen vielleicht doch irgend ein Anteil am Senat zuzubilligen sei. Man muss sie entfernen, das ist weitaus das Beste. Tüchtig war stets nur die Plebs, und dass sie den Adel stets besiegte, zeigt an, wem die Herrschaft gebührt (9). Petrarcas Anliegen ist übrigens wohlvermerkt ein religiöses (5 – 9); er zweifelt nicht, dass die Apostelfürsten Petrus und Paulus, ja selbst Christus vor den Kardinälen flehentlich dafür einstehen. Wenn er in Eifer gerät, meint er, vor diesen Herren nie deutlich genug zu sprechen. Und wie grosses Lob er ihnen auch spendet, er traut ihnen sehr wenig.
Mit einem kämpferischen Ton beschliesst er Buch 11. Es erstreckt sich mit seinen 17 Schreiben über ein Jahr vom November 1350 bis zum November 1351. Grössere chronologische Unstimmigkeiten fehlen hier im Gegensatz zu den vorangehenden Büchern. Es sieht aus, als setze Petrarca das Buch nicht mehr wie die früheren etwas willkürlich aus einem Bündel zurückliegender und in Unordnung geratener Schreiben zusammen, vielmehr reihe er nun eine grössere Zahl aus der jüngsten Vergangenheit, so wie sie eintrafen, aneinander. Von der Wallfahrt nach Rom hört man in Buch 11 und von den Beziehungen zu Florentiner Humanisten, in erster Linie zu Boccaccio, dann von Petrarcas Verlust seines Gönners Carrara, doch auch von seiner Ablehnung aller Gunsterweise der Stadt Florenz, darauf von der ihm auferlegten Rückkehr nach der Provence, wo er sich nur kurze Zeit seines einsamen Tales freut, dann häufig
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in Geschäften und – im Wunsch, sich aller Würden zu erwehren – in Avignon weilt. Den Ruhm empfindet er jetzt als Last, doch was er weder da noch dort lassen kann, ist die Einmischung in die italienische Politik, in die von Venedig, Genua, auch Neapel und Rom, ja um jede, die Italien berührt.
Sogleich in Buch 12 stürzt sich Petrarca in eine neue literarische Betriebsamkeit zur Einflussnahme auf die Reichspolitik. Er ist römischer Bürger, als solcher gehört er zu dem Volk, das über die Kaisermacht verfügt. Er hat folglich das Recht, sich über deren Aufgaben zu äussern. Der Brief Nr. 1 ist ein zweiter Aufruf an König Karl IV., worin Petrarca den Herrscher an seinen ersten (10,1) erinnert und sich selber zugute hält, dass er ihm gegenüber nun längere Zeit geschwiegen habe. In seinem stets wachsenden und entwaffnenden Freimut erklärt er des Königs Zögern nun nachsichtig für entschuldbar, ja, jetzt ist er sogar bereit zu glauben, der Aufschub der Romfahrt habe vorteilhafte Folgen gezeitigt. Denn das Verlangen der Italiener nach dem zukünftigen Kaiser habe sich seither nur noch gesteigert. Allerdings, so weiss er, ist nun keine Verzögerung mehr möglich, die Sehnsucht nach Karl hat ihren Höhepunkt erreicht, und somit kann sie nur noch erlahmen. Vor allem ist jetzt der Zustand der Toskana, der Florentiner, zu beachten; Karl kenne die früheren Revolten dieses (guelfischen) Gebiets, doch es habe sich da eine Wandlung vollzogen, und der Gedanke an Unterwerfung unter die kaiserliche Macht habe um sich gegriffen. Daraus ergebe sich, dass der Kaiser unverzüglich seine ersten und höchsten Pflichten wahrzunehmen habe; Petrarca „hingegossen zu Deinen Füssen“ zählt sie auf; da ist zu nennen: die Sorge für die Reichsehre, die für das Heil Italiens, die Tröstung Roms, das Wohlergehen aller Untertanen und nicht zuletzt die Errettung vieler bedrängter Christen. Er denkt an eine Unternehmung (negotium) gegen die Türken; der Kaiser hat sie rasch voranzutreiben. Überhaupt hat alles Eile wie immer, wenn Petrarca hohe Herren um Taten bittet. Dem Mutigen wird das Schicksal günstig sein. Mit dem Ruf „Beeile Dich“ schliessen die Mahnung und der Brief, in welchem ein Hinweis auf den Ort und die Zeit der Abfassung völlig fehlt. Doch dürfte er in der Provence und zwar zwischen Januar und März 1352 geschrieben worden sein. Sofern das zutrifft, haben die verschiedenen Mächte in Italien, und hat vor allem auch Rom, wohl einige Kenntnis von den Ergebnissen der Verhandlungen zwischen Avignon und Prag und schauen deshalb einer Fahrt zur Kaiserkrönung gefasst entgegen. Gerade Petrarca scheint allerdings von wichtigen Einzelheiten der Abmachungen nichts Genaues erfahren zu haben (vgl. Fam. 23,2,34 f.), dennoch entspricht seine Feststellung, dass man dem Kaiser in Italien allgemein geneigt sei, den wirklichen Verhältnissen. Im nördlichen Gebiet haben sich die Gegner Mai-
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lands – genauer des neuen Stadtherrschers Giovanni – einander genähert, um seinen Expansionen nach allen Seiten Einhalt zu bieten. Venedig steht nicht abseits, weil es seine Terra- Ferma-Politik und seinen Sieg über Genua gefährdet sieht. Florenz glaubt, im Kampf gegen Mailand könne ein Übereinkommen mit einer kaiserlichen Macht nicht schaden, und Mailand selber ist klug genug, sich in der Gefahr zur Vorsicht zu bequemen und einen zukünftigen Kaiser zum mindesten nicht zu reizen. Im Süden ist das guelfische Neapel noch immer sehr mit sich selber beschäftigt, während von Avignon aus Pläne für eine Neuordnung des ruhelosen Kirchenstaates entworfen werden (vgl. Fam. 11,16 und 11,17). Bei so günstigen Voraussetzungen für einen Romzug kann Petrarca seine Feder selbstverständlich nicht zurückhalten. Kommt dazu, dass ihm möglicherweise der vorgenannte Gruss Johanns von Neumarkt aus Prag (Fam. 10,6) einen letzten Anstoss zum neuen Aufruf an König Karl gegeben hat. Gleich in Nr. 2 wendet sich Petrarca am 12. März (1352?) vom Norden ab, um nochmals (vgl. Fam. 11,13) vor dem Regenten Acciaiuoli in Neapel als Lehrer und Ratgeber aufzutreten. Der Königshof in Süditalien, dem Petrarca im 11. Buch grosses Interesse geschenkt hat, wird Hauptgegenstand des 12. Buches. Des Seneschals Vetter Angelo Acciaiuoli aus Florenz (vgl.oben Bemerkungen zu Fam. 11,13) fördert des Dichters moralisch-politische Einmischung eher als dass er sie hindert. Dieser nimmt sich für Briefe an den Regenten – man könnte meinen – unnötig viel Zeit, als hätte er davon zu viel; aber wenn man ihn anhören will, trifft das Gegenteil zu. Avignon bietet zum vornherein nicht die Ruhe, in der ein kunstvolles Werk gedeihen kann, weshalb Petrarca zwar keine Zeit für das ihm Wichtige, aber sehr viele zum Verschwenden hat. Das drückt er im oben besprochenen Schreiben an Bischof Ugo Rossi, wie erinnerlich, so aus: „Ich langweile mich, quäle mich ab, empöre mich und verliere meine Zeit“ (Fam. 9,5,45). Ähnliche Klagen häufen sich in der Rhetorik seines Werkes „Buch ohne Namen“, das er, seine übelste Laune schlecht zügelnd, aus 19 Briefen zusammenstellt. In einer solchen Verdrossenheit muss ihm die Abfassung eines vulgärphilosophischen Lehrbriefes ein geradezu beruhigender Zeitvertreib sein. Er benötigt dafür keine Vorstudien; den Stoff dazu besitzt er längst. Fast wirkt er wie ein Apotheker, der in einem kleinen Laden mit verhältnismässig wenigen Pulvern, die er verschieden zusammenrührt, eine erstaunlich grosse Kundschaft bedienen kann. Jetzt wählt er zum Empfänger eben den Gross-Seneschall in Neapel. Acciaiuoli, der sich im Krieg und in materieller Not durch seine Tüchtigkeit ausgezeichnet hat (Fam. 11,13), muss sich jetzt, nachdem ein Abkommen mit den Ungarn bestätigt und eine Einigung unter den Parteien des Königreiches erreicht ist, in seiner neuen Lage, das heisst im Frieden und Wohlergehen, zurechtfinden und bewähren. Das, sagt Petrarca, ist eine so schwierige wie unumgängliche Aufgabe und verlangt Meisterschaft in utraque fortuna (längst ein von Petrarca häufig verwendeter Ausdruck; 9). Fortuna hat ein anderes Waffengewand angelegt (4) und
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zeigt sich darin mit strahlendem Lächeln; aber ihr zu trauen, könnte tödlich sein. Immer fordert der Frieden besondere Wachsamkeit, will man dem Unheil entgehen. Das hat Scipio gewusst (Petrarca unterscheidet nicht immer klar zwischen den verschiedenen Helden dieses Namens), als er – im Widerspruch zu Cato – verhindern wollte, dass die Feindin Karthago zerstört werde. Und das erkennt man an den alten Römern, die im bewaffneten Krieg die Völker besiegten, dann aber durch Frieden und Wohlergehen besiegt wurden. Eine Predigt ist das, die der Dichter zeit seines Lebens wiederholt (vgl. z. B. Fam. 3,3,6 und 10 f.). Dann nennt er einen anderen Kampf, einen der keinen Waffenstillstand kennt. Es handelt sich um den Streit, den der Mensch gegen sich selbst in seinem Innern ausfechten muss; er dauert unaufhörlich bis zum Tod. Damit ist der Dichter sehr bewusst von der Machtpolitik zur Ethik und zur Einzelperson abgeschwenkt. Dem Seneschall obliege, so meint er, neben seinen verschiedenen Ämtern nämlich auch die Pflicht, sich um die sittliche Ertüchtigung des Königs Lodovico zu sorgen. Gewiss hat der Heranwachsende trotz seinen jungen Jahren die geistige Reife eines alten Mannes, so wird im Brief gemäss einem überlieferten Ideal vom puer senex behauptet (9), aber dieses Lob braucht der Leser nicht sehr ernst zu nehmen; es macht eine tüchtige Unterweisung nicht überflüssig; und überhaupt ist König Lodovico gar nicht so jung, wie der Leser vermuten könnte; er zählt etwa 32 Jahre. Und seine Sitten stehen nicht im besten Ruf; es gibt Leute, die ihn der Teilnahme an der Ermordung des Königs Andrea verdächtigen. Wie dem sei: Petrarca macht einen „Fürstenspiegel“ zurecht, den der Gross-Seneschall seinem Schützling vor die Augen halten soll. Das kann nicht schaden. Eine Fülle von Sentenzen in lockerer Reihe legt er vor, einprägsam jede einzelne in ihrer knappen und schönen Formulierung. Sie sind es wert, gelesen und überdacht zu werden, doch sie zusammenfassend zu behandeln, bedeutet, ihren Wert stark zu reduzieren. „Lehre ihn“, sagt Petrarca zu Acciaiuoli, „zeige ihm“, „überzeuge ihn“. Eine Zahl von Lehrsätzen, die den Herrscher im besonderen betreffen, machen den Anfang aus, und ganze Ketten dieser Art folgen später. Doch immer von neuem vermischen sich die speziell für einen Fürsten gedachten Anweisungen mit solchen, die auf alle Menschen anwendbar, vom Fürsten immerhin in besonderem Mass zu beherzigen sind. An diesen ergeht die Mahnung, dass nicht das Zepter, sondern die Tüchtigkeit den Herrscher macht. Seine Regenschaft besteht zuerst einmal (13 ff.) in der Beseitigung grassierender Übelstände, damit in der Sorge für den Frieden, der Unterdrückung der Tyrannis, der Rückgewinnung der Freiheit und in der Liebe zu den Untertanen. Auf diese Liebe legt Petrarca besonderen Wert; er betont sie mehrmals (Abschnitte 12. 13. 16. 21. 36). Liebe muss wirken statt Zwang; Liebe muss mitreissen und Gegenliebe erzeugen (11). Alle Mahnungen zielen darauf, den Herrscher als sittliches Vorbild (30), dann aber auch als Wohltäter seines Landes und als Diener seines Volkes darzustellen. Drei Werte vor allem muss er in hohen Ehren
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halten: Gottesliebe, Tugend und Freundschaft. Da er zu oberst auf dem Gipfel der menschlichen Gesellschaft steht, ist er desto besser sichtbar, hier hat er wahre Menschlichkeit vorzuleben (12 ff.und 28 ff.); das Beispielhafte im Benehmen des Königs wird im Text wiederholt. Aller Tugenden und Fähigkeiten, die andere Menschen erstreben sollen, ist gerade der Fürst in höchstem Mass bedürftig. Er besitzt, so muss man schliessen, keine Privatsphäre, in welcher er sich moralische Lizenzen erlauben kann. Selbst für sein Speisezimmer und seine Schlafkammer wird ihm ein für seine Untergebenen exemplarisches Benehmen auferlegt (26). Neben die Warnungen vor Missbrauch seiner Macht und Gewalt treten Warnungen vor jenen Verhaltensweisen und Massnahmen, die einer unnötigen Angst entspringen (24), denn der Angst bedarf der Herrscher in seiner Machtfülle ja nicht. Derentwegen hat er auch keinen Grund, finster zu blicken, Grausamkeiten zu begehen (21), Misstrauen zu hegen, und nicht den mindesten Anlass hat er, sich mit Lügen zu behelfen (23). Wer müsste noch die Wahrheit sagen, wenn der König davon absieht, fragt Petrarca schroff. Angeber hört der Fürst nicht an, Schmeichler scheut er wie Gift (17 ff.). Humanität ist keine Tugend, sondern – man höre den Humanisten! – einfach Natur; ein Monstrum ist, wer sie nicht besitzt (28). Der wahre Fürst aber hat mehr als nur Humanität; er hat ein Herz für sein Volk, er kennt auch Mitleid, Erbarmen, misericordia, und gerade durch die Pflege dieser Tugend kann er Gott ähnlich werden (28). Vollständig haben sich die Philosophen ja geirrt, so ereifert er sich (und denkt an die Stoa), welche das Mitleid verurteilten (Petrarca selber kennt, wie er oft beweist, davon einzig eine männliche Art). Überdies zieht ein guter König es vor, so lehrt er weiter, seinen Untertanen Wohlstand zu gönnen, statt dass er den Fiscus bereichert (12 f.); das ist dem Staatshaushalt nur förderlich. Nie vergisst der Fürst, dass auf ihm die Verantwortung für jedes Verfehlen seiner Beamten lastet, und begriffen hat er, dass er just bei der Übernahme der Macht – das wird hervorgehoben – seine eigene Freiheit aufgibt und die Knechtschaft, servitus (30), auf sich nimmt, um damit die Freiheit aller zu garantieren. Anders kann er nicht König sein. Auffallenderweise verzichtet Petrarca, der seine Lehren gerne mit Exempeln untermauert, nun darauf, diesen idealen Fürsten, der sich seiner Freiheit begibt, aus der Vergangenheit hervorzuholen. Wie hiesse er nur? Immerhin haben die Imperatoren wenigstens auf Königstitel und Königswürde verzichtet, um den Freiheitswillen des römischen Volkes nicht herauszufordern. Was in den verschiedensten üblichen Katalogen und Gesetzestafeln an Tugenden und Sünden aufgeführt wird, ist in diesen Fürstenspiegel offen oder verdeckt eingefügt worden. Der gute Herrscher meidet alle Hauptsünden wie Habgier, Stolz, Jähzorn usf.; er zeichnet sich auch insbesondere durch die vorzüglichsten Geistesgaben aus, als da sind Grossherzigkeit, Vertrauen, Liebe und caritas (27 ff.). Auch die Dankbarkeit, gratitudo (29) ist ihm keineswegs fremd, und – wie Petrarca betont – ganz unverzichtbar ist ihm Schamhaftigkeit, Keuschheit, castitas, (28).
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Nachdem Petrarca, wo immer ihm möglich war, seine einzelnen Anweisungen mit kurzen Anekdoten illustriert hat, erklärt er es denn doch für unnötig, so meint er, für einen König Neapels nach dem besten Vorbild weit in der Ferne zu suchen. Neben die antiken Staatsmänner stellt er – wie man zum vornherein ahnen kann – König Roberto, den von ihm geradezu angebeteten Fürsten und Philosophen, dessen Tod noch keine zehn Jahre zurückliegt. Segensreiches Glück ist es, ihn nachzuahmen. Auf ihn, so unterstreicht er, habe der neue König sein Auge zu richten. Dann wendet er sich am Schluss des Briefes nochmals Acciaiuoli zu. Dieser trägt die ganze Last der Regentschaft und wird für den jungen Fürsten sein, was einst Chiron einem Achill und Philoktetes einem Herkules und andere berühmte Ratgeber waren. Als Zierde des Vaterlandes wird er von Petrarca schliesslich gegrüsst. Ob Petrarca unter dem Schreiben eigene Hoffnungen nährt und welche, fragt man vergebens. Aber dass Acciaiuoli auf Petrarcas Briefe eingeht, belegen die folgenden Familiaren. Der 3. Brief stammt wahrscheinlich auch noch vom Jahr 1352, und wenn das stimmt, folgt er auf Nr. 2 sehr bald. Petrarca verfasst ihn an einem 1. April und ist dazu eben von Niccolò Acciaiuoli aufgemuntert worden. Er wendet sich darin an einen seiner Freunde, den jungen Humanisten und Dichter Zanobi da Strada in Florenz, um ihm eine Übersiedlung an den Hof von Neapel schmackhaft zu machen. Der Gross-Seneschall schaut nach einem tüchtigen Lehrer (für seinen königlichen Schützling?) aus, und somit wird Zanobi, damals als einfacher Schulmeister tätig, dringend angehalten, sich die ihm gebotene Gelegenheit einer Weiterbildung nicht entgehen zu lassen. Dabei kann Petrarca nicht darauf verzichten, wieder einmal gegen Dialektik und Scholastik auszuschlagen (8 ff.) und mit Sarkasmus einen verbreiteten Typus Schulmeister zu karikieren (12 ff.). Diese Leute halten dafür, ihre Aufgabe sei erfüllt, wenn sie widerwilligen Schülern Schrecken einjagen und elementaren Lehrstoff mit dem Stöcklein einbläuen; sie laben sich am Genuss ihrer tyrannica voluptas so sehr, dass sie den Umgang mit höher gebildeten und überlegenen Menschen geradezu vermeiden. Sie lernen nicht weiter; an Sprachkultur, literarischer Bildung, Philosophie, an all dem, was den Humanismus auszeichnet, liegt ihnen nichts. Höchste Zeit ist es, dass Zanobi diesem Stand entsagt; er steht nicht vor einem beliebigen Entschluss; er steht am Scheideweg (6 ff.) zwischen Tüchtigkeit und Bequemlichkeit und soll mit einer alles bestimmenden Wende die steile Strasse wählen, mithin den Weg der echten Philosophie betreten. Mit dieser Mahnung hebt Petrarca diese Wissenschaft weit über den Kreis der freien Künste hinaus (10 und 18), die er gleichzeitig abwertet. Die Philosophie hat sich emanzipiert und ist nicht mehr wie früher im Mittelalter der Inbegriff von trivium und quadrivium; sie wurzelt ausschliesslich in der Weisheit der antiken Autoren wie eh und je, aber sie hat sich jetzt zu einer überragenden Grösse entfaltet, die sich nicht mehr in die Schulfächer einsperren lässt. Zanobi darf also nicht, gleich jenen scholastischen
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Pseudogelehrten auf elementarer Stufe verharren; er muss sich hüten, ein „Anfänger-Greis“, ein „Elementarschüler-Greis“ zu werden (oder wie man das lateinische Wort elementarius senex der Antike übersetzen will; 19); ein solcher Alter wäre das traurige Gegenstück zum puer senex des vorangehenden Schreibens. Mit der Ermahnung verbindet Petrarca, aufgemuntert durch den Gross-Seneschall Acciaiuoli, das Zanobi vorgelegte Angebot, in Neapel einem höheren Studium nachzugehen, das des jungen Dichters würdig ist. Und tatsächlich hat, wie man später erfährt (z. B. aus Fam. 12,17), der so ermunterte Zanobi sich nach Neapel aufgemacht und da mehrere Jahre verbracht. Dass Petrarca über die ganze Scholastik mit satirischer Feder herfährt, muss ihm zweifellos die Mehrheit an der Kurie und in anderen Kreisen sehr übel vermerkt haben. Er nennt diese Gelehrsamkeit unnütz, geschwätzig, hohl, so lächerlich wie überheblich, und wiederholt damit das Schimpfen, das er sich schon in Fam. 1,7 schonungslos herausgenommen hat. Im Gegensatz zu diesen längeren Schreiben 1 – 3, die an entfernte hochgestellte Politiker adressiert oder in deren Auftrag verfasst und eher nach ihrem Inhalt als nach ihren zeitlichen Daten zusammengestellt sind, wenden sich die folgenden eher kurzen Schreiben 4- 13 an nahe Bekannte und lassen vermuten, dass ihre Abfassungszeiten berücksichtigt wurden. Auch haben sie den Charakter echter freundschaftlicher Mitteilungen, selbst wenn sie in Stil und Inhalt das hohe Niveau eines anspruchsvollen Verfassers wahren, der ihre Veröffentlichung vorsieht. Sie sprechen von persönlichen Beschäftigungen, von Verhältnissen an der Kurie, und wenn sie da und dort Beziehungen zu Neapel vermuten lassen, tun sie das nur kurz. Von einer seligen Freude Petrarcas über eine auffällige Geistesverwandtschaft mit dem neuen Freund Francesco Nelli zeugen Nr. 4 und 5 vom 14. und 18. Januar (1352). Der Angesprochene ist Prior an der Florentiner Kirche San Pietro e Paolo, erhält vom Dichter später den Übernamen Simonides nach dem griechischen Lyriker aus der Zeit der Perserkriege und darf eines Tages die ihm gewidmeten Seniles entgegennehmen. Es fehlt im Brief 4 nicht an geradezu religiösen Ahnungen vom heiligen Wert der Freundschaft, wird doch ein Versuch gemacht, die Empfindung solcher gegenseitiger Zuneigung wie ein – zwar unzulänglicher – Vorgeschmack der Anschauung Gottes im Himmel zu schildern. Dabei spürt Petrarca in seiner eigenen Ausdrucksweise ein Ungenügen und wundert sich deshalb über das beträchtliche Versagen formulierter Rede gegenüber einer inneren Sprache des Herzens. Der Lehrer der Beredsamkeit muss deren Grenzen zugeben; er tut es hier nicht zum ersten Mal und nicht ungern und vertraut glücklich darauf, dass Freunde gerade auch im Schweigen ein tiefes gegenseitiges Verständnis finden. Dann hat er Nelli auch noch einiges über gewisse Geschäfte ärgerlicher Art an der Kurie zu berichten, und er spricht darüber etwas offener, als er sonst beim gleichen Thema, sofern er es überhaupt erwähnt, zu tun pflegt. Um kirchliche Stellen, so gibt er zu verstehen, wird in Avignon selbst von heiligmässigen Klosterleuten hartnäckig gekämpft, worüber er
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zu spotten sich erlaubt. Zu Gunsten eines Freundes will er sich nun aber dafür einsetzen, dass wenigstens gegebene Versprechen gehalten werden und einem bestimmten Mann Gerechtigkeit widerfährt (vgl. Fam. 12,13,1). Schliesslich fügt er, wie oben angemerkt, ein Wort über den schlechten Gesundheitszustand des Papstes Clemens VI. an, was die Richtigkeit der Datierung wenigstens dieses Briefes auf 1352 belegt (vgl. Fam. 5,19). Später überquillt er in Nr. 5 von noch grösserer Freude über das Glück der Freundschaft mit Nelli. Überschwenglichen Dank weiss er dafür und schliesst auch den neuen Freund Forese Donati darin ein. Die Sprache genügt ihm jetzt schon gar nicht mehr, um das auszudrücken, was er denkt und empfindet. „Das Antlitz der Seele sichtbar machen“,das wäre das höchste Ziel der Beredsamkeit, aber die Zunge vermag es nicht zu erreichen (vgl. Fam. 1,9,4). Ein Gedicht hat er für Nelli verfasst (er beginnt, an seine Muse neu zu glauben), doch es abzuschicken, sagt er, sei ihm vorderhand nicht möglich. Er müsse vorher die Naturgeschichte des Plinius konsultieren, habe sein eigenes Exemplar in Verona zurückgelassen, und in Avignon besitze seines Wissens nur der Papst dieses Werk. Dass Clemens VI. krank sei, wiederholt er und fügt an, er liege im Sterben. Dass er genese, kann er nicht hoffen. Zu viele Ärzte stehen an des Papstes Bett. Offensichtlich wartet Petrarca auf die Zeit nach des Papstes Genesung oder Tod, um die Naturgeschichte in seine Hand zu bekommen. Mit diesen Worten wird man unmittelbar an den Brief 19 im 5. Buch erinnert und kann sich nochmals wundern, weshalb jener als Einzelgänger sich dort in einen ihm fremden Zeitraum verloren hat. Sein Hauptwert besteht just in seinen langen und wörtlichen Pliniuszitaten, und diese belegen dort, wie erinnerlich, den mangelhaften Wert der Medizin und der Ärzte entsprechend dem, was Petrarca nun auch seinem Freund Nelli gegenüber betont. Was aber die Verse betrifft, die er Nelli versprochen hat, so will er sich ihretwegen in der selben Naturgeschichte des Plinius über die alten Labyrinthe informieren. Sie beschäftigen ihn damals sehr; denn ihm bedeutet die Kurie, wie er in verschiedenen Schreiben im Liber sine nomine ausführt, einen neuen Irrgarten, der sich an die alten anreiht. Mehrere der 19 Briefe dieses Buches sind übrigens höchst wahrscheinlich gerade an Nelli gerichtet. Doch kann man seinen Name darin so wenig finden wie den irgend einer anderen Person. Wer sich in die Labyrinthe verloren hat, das ist klar, kann ohne Gottes Hilfe den Ausgang nie mehr finden; Petrarca erfährt das unter Qualen. Er sehnt sich nach einer raschen Befreiung, aber die erreicht er auch dann nicht, wenn er dem Leibe nach in seine Einsiedelei entweichen kann. Ohnehin geschieht das nicht sehr häufig und gestattet jeweils nur ein kurzes Atemholen. Da erfährt man zum Beispiel in Nr. 6 vom 1. Februar (1352), wie Petrarcas geliebter Freund Bischof Philippe vom benachbarten Cavaillon ganze fünf Tage an seinem Musensitz Vaucluse verbracht, ja sich sogar unter des Dichters Werken umgesehen hat, und dass die beiden all die Tage sich nicht getroffen haben, weil der
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Bischof nach dem andern zu rufen unterlassen und der andere zu spät von diesem Besuch erfahren hat. „Und Du hast da nichts Wesentliches vermisst“, fragt Petrarca aus Avignon betrübt hinüber und bittet dann, von allen Rechten der Freundschaft Gebrauch zu machen. Hierauf teilt er noch – und damit nähert man sich wieder dem Hauptthema des Buches 12 – gute Neuigkeiten aus Neapel mit. Die müssen den Bischof, der dort am Hof als Vizekanzler und mehrmals für die Kurie tätig gewesen, besonders interessieren (vgl. Fam. 5,3,13). Hierauf vergehen keine vierzehn Tage bis Petrarca mit dem Schreiben Nr. 7 vom 20. Februar (1352) auf Meldungen des neapolitanischen Hofmanns Barbato da Sulmona eingeht. Sie sind beinah ein volles Jahr unterwegs gewesen, und daran war der ständig von Ort zu Ort ziehenden Dichter nicht unschuldig. Viel Neues erfährt Petrarca jetzt nicht; er ist über die dort herrschenden Verhältnisse unterrichtet und auch bemüht gewesen, für Barbato darüber ein Gedicht zu verfassen – die wiederholten Hinweise auf das Dichten fallen auf –; jetzt will er nicht davon sprechen. Dass er und der Hofmann sich im Jubeljahr 1350 auf ihrer Wallfahrt nach Rom verpasst haben, hält er für göttliche Fügung und wiederholt dafür Argumente, die er früher einem Boccaccio gegenüber geltend gemacht hat (vgl. Fam. 12,7,4 mit.11,1,11). Die Reise hat er als einen Akt der Frömmigkeit und als Bussübung verstanden, die nicht durch profane Beschäftigungen unterbrochen werden durften. Dass wieder nach seiner Africa gefragt wird, ist ihm peinlich. Doch er erneuert auf den Wunsch des Freundes das alte Versprechen, sein Epos niemandem früher zu übergeben als ihm (es hätte ja in die Hände von dessen König gelangen sollen), dies nicht ohne sogleich die Bedingung anzuschliessen: sofern es je ediert werde. Ausreifen soll es, um nicht wie unreife Äpfel (5) zu faulen. Erfreuliche Fortschritte an dieser Arbeit kann er nicht vermelden; seine Hoffnung auf gutes Gelingen hält er nur mühsam aufrecht, zumal jetzt, wo er mutlos „an den Flüssen Babylons“ sitzt; dabei berücksichtigt er, dass Augustinus (seine höhere Einsicht), wie schon gesagt (oben Anmerkung zu Fam. 10, 4), von einer Weiterführung der Arbeit abrät. Immerhin verlebt er ab und zu schöne Tage in der besten Gesellschaft, wie er mit Nr. 8 vom 1. April (1352) gegenüber seinem Humanisten-Freund Lapo da Castiglionchio versichert. Dieser ist identisch mit Giacomo von Florenz, den man von Fam. 7,16 her kennt. Petrarca hatte ihn dort gebeten, mit Kritik an seinen Werken nicht zurückzuhalten. Der Gelehrte, der durch seine Bereitschaft, Bücher auszuleihen, grosse Verdienste und Gunst erwirbt, hat dem Einsiedler vor kurzem CiceroReden überlassen. Und weil die Werke die Gegenwart ihres Verfassers herbeizaubern, kaum dass sie in Petrarcas Hand sind, berichtet dieser: „Dein Cicero“ hat einst bei seinem Aufenthalt in der Provence das Tal der Sorgue nicht beachtet und sieht sich nun ebenda begeistert um. Und nicht etwa, dass er unbegleitet gekommen wäre! Er hat im Gegenteil eine ganze Schar von Gelehrten mitgebracht, womit Petrarca andere Werke des antiken Schriftstellers und dessen Gesprächspartner
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meint. Unter Disputieren und Kopieren geht die Mussezeit herrlich dahin. Ist man aber nach einer Verschnaufpause und nach einer felix rusticacio gezwungen, wieder nach Avignon zu reiten, überfällt einen erneut ein Entsetzen. Längst rechnet Petrarca damit, dass ihm der Überdruss und der Mangel an Freiheit allzu unerträglich werden (11); recht besehen fürchtet er seit Jahren nichts so sehr – wie man bereits weiss –, als dieser Krankheit schliesslich erliegen zu müssen. Nur ein neuer Gruss von Francesco Nelli vermag in ihm ein frohes Gefühl zu wecken. Diesem Freund dankt er auch dann noch mit einer Antwort (Nr. 9), wenn er von kurialen Geschäften und vom Briefeschreiben schon erschöpft ist, nämlich wiederum am 1. April (1352). Viele Grüsse treffen aus Florenz jetzt rasch hintereinander ein, denn man wünscht dort, nicht vergessen zu werden und von einer baldigen Rückkunft des Dichters zu hören, er ist ja schon länger fort, als geplant war. Allen Freunden gerecht zu werden, ist nicht leicht. Boccaccio, das Haupt des Florentiner Gelehrtenkreises, darf bei seiner Empfindlichkeit nicht übergangen werden; somit erhält er in Nr. 10 (wiederum vom 1. April) wenigstens eine kurze Meldung, eine unfrohe, es gebe nichts zu melden. Dass Petrarca von sich aus länger, als unbedingt nötig, in der Provence verharren werde, das jedenfalls hat man in Florenz nicht zu befürchten. Dann hat Petrarca in Nr. 11 vom 21.(24.?) Mai das Bedürfnis – und dieses lenkt nach Neapel zurück –, dem „mehr als liebenswürdigen“ (superamabilis) Bischof Bartolomeo von Teato zu seinem Abschied aus Avignon Glück zu wünschen, zuerst mit einem kleinen Strauss vergilischer Verse, dann mit Worten der Verehrung (3 ff.). Denn das ist ein Mann ganz nach seinem Herzen, hat er doch keinen Wert darauf gelegt, sich in Babylon mit Hilfe einflussreicher Gönner einen Weg zu höheren Ämtern zu ebnen. Dass er ins Königreich Neapel zurückkehrt, ist für Petrarca ein zweiter Grund, ihm einige Annehmlichkeiten zu sagen. Er lässt nicht ab von seinem Bemühen, mit dem Hof dort Beziehungen zu pflegen, wobei er klagend eingesteht, dass er wegen einiger Benefizien noch immer der Kurie verpflichtet ist (8). Kein Zweifel besteht, dass er sich leicht der Illusion ergibt, jede andere Abhängikeit wäre besser als die, welche er spürt. Das immer wache Interesse an Neapel verrät er dann gleich noch in Nr. 12 vom 24. Mai. Er lobt vor dem Adressaten Nelli den Bischof Angelo Acciaiuoli, den Vetter des Gross-Seneschalls, als den „zuverlässigsten Mann“ der Welt; gesteht aber zugleich, er sei von ihm enttäuscht, denn sein Versprechen, Vaucluse zu besuchen, halte er – aus offenbar wenig rühmlichen Gründen – nicht ein (2). Kaum aber steht das auf dem Papier, entsteht an der Türe ein Lärm; der Bischof ist da. Und der Brief –zwar überholt – ist es wert, abgeschickt zu werden (4). Dem Bischof wird er, wenn er ihn zu sehen bekommt – und dafür kann Petrarca sorgen – doppelt schmeicheln. Ganz kurz wird die Reihe der um Neapel kreisenden Schreiben erneut unterbrochen, nämlich durch Nr. 13. Es drängt Petrarca, seinem Vertrauten Francesco Nelli
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einen erfolgreichen Abschluss des ihn lange Zeit belastenden sauren Geschäfts mitzuteilen (vgl. Nr. 4), das ihm auf dem Magen gelegen hatte. Dank seinem unentwegten und selbstlosen Einsatz hat jener Bekannte die umstrittene Kirchenstelle zugesprochen erhalten, sehr zum Verdruss der neidischen Feinde. Die Lüge ist überwunden, die Gerechtigkeit siegreich und er, Petrarca, hat vor dem Thron des Papstes und den versammelten Vätern für die Unterstützung der gerechten Sache hohe Anerkennung gefunden. So schreibt er am 24. Mai (wohl 1352) und beachtet dabei nicht, dass er hiermit einem richterlichen Gremium der Kurie ganz entgegen seinem Brauch wenigstens so viel gesunden Verstand zuerkennt, dass es ein richtiges Urteil fällt. Mit seinem verkündeten Erfolg hat er aber den Ausgang des Labyrinths keineswegs erreicht. Je nach Datierung des Briefes 13 wird er noch ein Jahr oder gar mehr da aushalten müssen. Er ist an der Kurie weiterhin für Freunde tätig, vermeidet jedoch genauere Auskünfte über seine derartigen Tätigkeiten, kämpft gleichzeitig weiter für eine ihm angemessene bescheidene Stelle und wehrt sich gegen eine höhere, die nichts als eine unerträgliche Zumutung darstellt (vgl. Fam. 13,4 und 13,5.). Dabei lässt er die politischen Änderungen in Italien nicht aus den Augen und macht sich Gedanken über seine Zukunft eben dort. Bereits in Nr. 14, wiederum vom 24. Mai (1352), und in den folgenden Schreiben vom selben Datum verkehrt er mit Neapel. Er hat vernehmen müssen, dass der ihm längst vertraute Rat am neapolitanischen Hof namens Giovanni Barrili, in dessen Gesellschaft er vor Jahren Baiae besucht hatte (Fam. 5,4,4), mit dem Gross-Seneschall Acciaiuoli einen Streit ausficht, und will nicht tatenlos zusehen, welchem Ende die Auseinandersetzung entgegen steuert. Wie viel auf dem Spiele steht, lässt sich nicht abschätzen. Jedenfalls kann im damals ruhelosen Königreich eine Gegnerschaft unter zwei Hofleuten in kurzer Zeit tiefe Gräben aufreissen. Und Niccolò ist nicht einer unter andern, sondern der in Neapel alles lenkende und sehr ehrgeizige Mann, doch immerhin einer von fremder Herkunft, der hier als solcher seine entschiedenen Feinde hat. Zum vornherein rechnet Petrarca mit sehr viel Rechtsinn und Anstand der Entzweiten. Dem Adressaten Barrili spricht er schon im ersten Satz unumwunden aus, dass die Leistung, die man von ihm erbittet, die jederzeit schwierigste ist, aber zugleich auch just die, welche er zu erbringen sich durchaus nicht weigern kann. Diese Höchstleistung besteht im Sieg über sich selbst, in der Unterwerfung aller Regungen unter die der höchsten Vernunft. Von der Seelenlehre Platons hebt Petrarca hervor, was den Adressaten bewegen soll, über die Niederungen, wo Zorn und Stolz und alle Begierden wie Stürme toben, dahin aufzusteigen, wo wunderbarer Friede und Glück herrschen. Helfend wird Petrarca eingreifen, um „mit dem Faden seiner Rede“ die zerrissene Freundschaft „zusammenzunähen“ (8). Deshalb wird er sich sogleich auch an den Gross-Seneschall wenden; denn jeder der beiden soll Schritte zur Versöhnung tun und beide sollen genau gleich behandelt werden,
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keiner gegenüber dem andern eine Erleichterung empfangen. Um das zu erreichen, will der Dichter zu einer List greifen. Er wird in einer einzigen Epistel sie beide gemeinsam ansprechen, und dass sie diese Epistel gemeinsam empfangen und auch gemeinsam lesen müssen, darum wird er sich bemühen (9). Während der Lektüre werden sie mit den selben Gedanken an Versöhnung und Freundschaft beschäftigt sein, eine gute Zeit bei einander verharren und durch die Worte Petrarcas – nicht ohne Hilfe des Himmels – die verlorene Zuneigung wiederfinden (vgl. Fam. 12, 16, 24); dahin geht seine Hoffnung. Und wie so oft fragt man sich, womit er es rechtfertigte, so viel Zeit für diese Sache aufzuwenden, wo er doch keine Zeit hatte oder keine zu haben meinte. Die Nr. 15, am selben Tag, dem 24. März, abgefertigt, spricht noch nicht beide Hofleute an, sondern einzig Acciaiuoli. Ein grosses Lob geht voraus, eines für militärische wie staatsmännische Taten; es paart sich mit der sicheren Zuversicht (4), der Siegreiche werde bald Zeit finden, sich literarischen und rhetorischen Studien hinzugeben, da erst die doppelte Auszeichnung sowohl mit dem Stirnreif des Herrschers wie mit dem Lorbeer des Poeten einen Vergleich mit den alten Cäsaren durchaus rechtfertigen könnte. Schon hat der Gross-Seneschall seine Bereitschaft bekannt gegeben, die literarische Bildung fördern zu wollen; ja, er hat Petrarca mitgeteilt (und dafür wird ihm jetzt auch Dank gesagt), er plane zwischen Vesuv und Falerno einen „Parnass“ zu errichten, einen zum Nutzen der Nachwelt und zugleich zu Ehren des Dichters, was dieser mit Freuden begrüsst. Zwei Musensitze, so rühmt dieser bescheiden, habe er schon, doch „lehne ich einen dritten nicht ab“ (6). Er kann sich nun als einen willkommenen Mann betrachten, doch ob er die Einladung annehmen werde, darf er offen lassen. Und nun leitet er rasch zu seinem wichtigsten Anliegen über, um es nach einer geschickten captatio benevolentiae knapp vor dem Briefende noch anzubringen. Wiewohl Acciaiuoli sich oft glorreich bewährte, so wäre es doch weitaus am herrlichsten, ja erst cäsarengleich, wenn er nach seinen Siegen über andere jetzt auch sich selber besiegte. Barrili wird genannt und auf den Brief verwiesen, der bald folgen wird. Nr. 16, das Schreiben an sie beide, ist Petrarcas längster Lobgesang auf die Freundschaft und verbindet sich mit dem Aufruf, ihr unverzüglich die verschlossenen Herzen wieder zu öffnen. Nichts besitzt grössere Kraft als die Freundschaft, nichts unterscheidet klarer zwischen edlen und unedlen Menschen als ihre Liebe. Diese erscheint in eigener Person, um Gemüt und Verstand für sich zu gewinnen und um die Abtrünnigen vor der zerstörerischen Gewalt der Zwietracht zu warnen (4 ff.). Namen antiker Staatsmänner, die es fertigbrachten, einer Feindschaft abzusagen und sich zu versöhnen (7 ff.), sollen die beiden Zerstrittenen zur Nachahmung bewegen. Diese haben sich unter der Führung des Dichters ihrer früheren gemeinsamen Erlebnisse zu erinnern (13 ff.), damit sie zu ihrer einstigen Vertrautheit zurückfinden können; der Gedanke an alle Segnungen eines guten Einverneh-
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mens muss sie aus ihre stolzen Reserve hervorlocken (17 ff.), und der andere Gedanke an den Schaden, den alle Zerwürfnisse je erweckten, soll sie erschrecken. Ihrer besonderen Würde haben sie sich bewusst zu sein; die Virtus fehlt ihnen nicht; eben sie weckt Liebe, das kann nicht anders sein (21). Dem Königshof werden ihre Übereinstimmung und ihr Zusammenwirken Glück bringen und ihrer Gegnerschaft, allem Unguten werden sie schaden. Meint, ja hofft der Leser, Petrarca komme zum Ende, so hebt dieser von neuem an; er, der auch sonst ein weites Ausholen liebt, schweift hier gar so entschieden über sein übliches Mass hinaus, dass man um Einhalt bitten möchte. Doch er weiss, was er tut. Er muss die Zeit für die Lektüre zerdehnen, um die verfeindeten Hofleute möglichst lange aneinander zu ketten. Das tut er ganz bewusst und verrät am Ende seine Absicht. Dann stellt er sich im Geiste vor sie hin (24 ff.) und fleht sie an, zu überlegen, dass ihre Namen unter den berühmtesten Freundespaaren nicht fehlen dürfen. Hat er ihre Versöhnung erlangt, hat er „lange genug gelebt“. (26). Um das Gelingen des Planes noch besser zu sichern, schreibt Petrarca in Nr. 17 auch an Zanobi da Strada, der jetzt wirklich in Neapel weilt (vgl.Fam. 12,3). Dieser soll den besprochenen Brief übergeben und darauf achten, dass die Lektüre in der gewünschten Art zustande kommt. Er allein darf den Brief öffnen noch bevor er ihn vorlegt, ja er darf ihn sogar wo nötig kürzen oder verlängern. Dann soll er die beste Zeit zur Übergabe wählen. Ist dieser Zwist so gefährlich, wie es Petrarca scheint, und seine Mission so wichtig? Soviel ist sicher: Die beiden Männer erneuern ihre Freundschaft, sofern das stimmt, was Zanobi wohl noch im Jahr 1352 (Fam. 13,9,9) Petrarca von Neapel aus mitteilt. Dieser gratuliert sich und jenem zum schönen Erfolg ihrer Bemühungen. Erst viel später vernimmt man in Fam. 15,8,11, dass der Dichter entgegen aller Erwartung sich nicht entschliessen kann, der Einladung nach Neapel Folge zu leisten; er fürchte vor allem die Hitze, wie er sagt, doch hat er noch andere Gründe. Seine grosse Hoffnung auf einen neuen kulturellen Aufschwung Neapels findet keine Nahrung.
Buch 12 geht mit dem besprochenen Brief 17 zu Ende. Es umfasst mit seinen verhältnismässig dicht aufeinander folgenden Schreiben lediglich die Monate Januar bis Mai (1352). Petrarca sucht nicht mehr zurückliegende Schreiben zusammen, vielmehr wählt er jetzt das Geeignete aus seiner laufenden Korrespondenz. Damit informiert er in den genannten Monaten über politische Pläne und Ereignisse, die Italien betreffen. Nochmals drängt er Karl IV. zur Romfahrt, doch ist er weit stärker Neapel zugewand, wo der Gross-Seneschall Acciaiuoli im Begriff ist, die Königsmacht wiederherzustellen. Von ihm darf Petrarca persönliche Ehrungen erwarten, und von ihm, der den Dichter und
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Humanisten Zanobi an seinen Hof ruft und einen Parnass zu erstellen plant, erhofft er einen neuen Aufschwung des kulturellen Lebens im Sinne des früheren Königs Roberto. Ein Geschäft Petrarcas kommt an der Kurie zum Abschluss. Unter den Freunden, mit denen er brieflich verkehrt, nimmt jetzt Francesco Nelli den ersten Platz noch über Boccaccio ein.
Das Ende des 12. Buches stellt die Mitte der 24 Bücher Familiaren dar, doch es bezeichnet so wenig eine klare Schnittstelle wie die vorangehenden oder nachfolgenden Bücher. Es markiert keinen geistigen Wandel. Man kann nicht einmal sagen, dass man nun bei einem Jahreswechsel stehe. Sofern die Datierungen stimmen, wird der Leser mit Brief 12, 17 in den Frühling, genauer auf den 24. Mai 1352 versetzt, und mit dem 1. Brief von Buch 13 wird er einige Schritte zurückzugehen haben, nämlich zum 14. Mai, bevor er in den Juni hinübergeleitet wird. Petrara sagt über sich persönlich nicht viel anderes, als dass er seine Lage, die ihm wie die Unterwelt vorkommt, kaum erträgt, weil da, wie er behauptet, jedermann lügt, jedermann habsüchtig und machtgierig, lüstern, selbstisch und verantwortungslos ist. Er wünscht nichts anderes, als fortzukommen. Seinen Überdruss meint man den gleichzeitig verfassten Familiaren anzumerken; aber viel deutlicher sprechen davon die anonymen Briefe, die sine nomine. Sicher ist, dass manches andere zur Verdrossenheit des Dichters beiträgt. Es fehlen ihm erfreuliche geistige Anregungen, er entbehrt das Reisen und einfach die Italianità seines Vaterlandes. Wenn die Provence unter Regen oder Schnee leidet und wenn da die Hitze oder die Kälte einbricht, ist das weit schlimmer, als wenn Oberitalien den selben Witterungsverhältnissen ausgesetzt wird. Wie oft Petrarca die stoische Lehre vom Weisen ausgesprochen hat, der überall so gut wie im Vaterland lebt, so wenig kann er sich nach dieser Lehre richten. Übrigens hat er grosse Zweifel, wie sich seine Zukunft gestalten werde, wovon er leben könne, wer ihm am ehesten den Lebensunterhalt und die Ruhe, die Unabhängigkeit garantieren werde, die er für seine Dichterexistenz für unerlässlich hält. Jenen Prälaten, die er verachtet, hat er noch immer für Benefizien zu danken, was ihn beschämt. Doch wie löst er diese Bindung? Im Mai 1352 weiss er zu seinem Glück noch nicht, dass dieses gleichmässig öde Leben in der Unterwelt ein volles Jahr weiterdauern wird.
Übersetzung der Briefe Buch 1 bis Buch 12
Fam. 1,1, an seinen Sokrates (Ludwig van Kempen)1 Gründe für die geplante Briefsammlung. 1. Trauer über den Verlust vieler Freunde im Pestjahr; Gedanken an den eigenen Tod. 3. Petrarca räumt unter seinen Schriften auf. 10. Er rettet aber einen Rest für seine Freunde. 14. Hinweis auf verschiedene Schriftgattungen. 16. Bekenntnis zur einfachen Sprechweise. 20. Über verschiedene Briefschreiber der Antike. 21. Rückblick auf das vergangene Leben. 27. Plan für eine Sammlung eigener Briefe. 32. Vorbild ist der Briefschreiber Cicero. 38. Einige Schreiben Petrarcas zeugen von seiner Schwäche. 42. Schwächen Ciceros hat Petrarca getadelt. 46. Hinweis auf die Anordnung der Briefe in der Sammlung.2 Am 13. Januar (Parma 1350).
1. Was tun wir jetzt, Bruder? Sieh, wir haben schon fast alles versucht! Und nirgends ist Ruhe! Wir erwarten sie wann? Wir erwerben sie wo? Die Zeiten sind uns – wie man sagt – zwischen den Fingern zerronnen. Unsere Hoffnung von einst liegt mit den Freunden begraben. 2. Es ist das Jahr 1348, das uns einsam und hilflos gemacht hat. Es nahm uns ja nicht, was das Indische und Kaspische oder Ägäische Meer3 zu vergüten verstünden; nein, unersetzlich sind die letzten Verluste. Was immer der Tod gebracht hat,4 ist unheilbare Wunde. Ein einziger Trost ist uns verblieben: wir folgen denen, die wir vorausgeschickt haben. Wie kurz das Ausharren sein wird, weiss ich nicht; doch weiss ich: lang kann es nicht sein. Und so flüchtig es sei, unmöglich ist es anders als lästig. 3. Doch man sollte seine Klagen wenigstens am Anfang noch mässigen. Wie Du, mein Bruder, für Dich sorgst und was Du für Dich planst, ist mir unbekannt. Ich aber packe bereits mein Bündelchen, und wie Auswanderer tun, überlege ich, was ich mit mir nehmen, was ich unter Freunde verteilen und was dem Feuer übergeben will. Nichts nämlich habe ich zu verkaufen. Zwar ist meine Habe (nein meine Plage) grösser als ich glaubte. Ein riesiger Vorrat an Schriften mancher Gattung liegt hier im Haus, ungeordnet und ungenützt. Durchstöbert habe ich von Schmutz starrende Kästchen, deren Inhalt durch langes Lagern verrottet ist, und habe – selber von Staub bedeckt – halb vermoderte Papiere auseinandergefaltet. Die widerliche Maus hat mich geschädigt, so auch der unersättliche Schwarm von Motten, und während ich Minerva5 diente, hat die Feindin Minervas, die Spinne,6 mir ein Wirrwarr gestiftet. 4. Doch es gibt nichts, was einer zähen und unablässigen Anstrengung auf immer standhält. Mitten in einem Durcheinander haufenweiser Briefe und vergraben in unförmiges Papierzeug, fasste ich den hastigen Entschluss, alles ins Feuer zu werfen und mir unrühmliche Mühe zu ersparen. Darauf allerdings jagte ein Gedanke den andern, und endlich sagte ich mir: „Was hindert mich, wie ein vom langen Weg erschöpfter Wanderer gleichsam von hoher Warte aus rückwärts zu schauen und die Bemühungen meiner Jugend – Schritt für Schritt durchmessend – neu zu
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betrachten?“ Diese Überlegung siegte. Denn wenn es keine rühmliche Anstrengung sein konnte, so war es doch auch keine lustlose, mir ins Gedächtnis zurück zu rufen, was ich zu bestimmter Zeit einst gedacht hatte. 5. Wie sehr nun aber das unbedacht Aufgestapelte dem planlos Wühlenden unansehnlich und wild verworren vorkam, ist kaum zu beschreiben; nämlich so sehr, dass ich manches (weniger ob seiner Beschaffenheit als wegen meiner veränderten Geisteshaltung) kaum noch erkannte. Anderes freilich hat mir recht vergnüglich die Vergangenheit in Erinnerung gebracht. 6. Ein Teil war ohne Rhythmus frei gestaltet, ein anderer Teil in homerische Fesseln gezwungen (aber selten haben wir die Zügel des Isocrates verwendet7), schliesslich ein dritter Teil, um dem Ohr des Volkes zu schmeicheln, nach dessen besonderen Regeln geordnet.8 Diese Dichtungsart, die – wie man sagt – in Sizilien erst vor wenigen Generationen wieder auflebte, hat sich rasch über ganz Italien und darüber hinaus verbreitet, war aber schon früher bei den ältesten Griechen und Lateinern geschätzt worden. Wir haben ja immerhin gehört, dass attische wie römische Volksdichter einzig die rhythmischen Verse zu verwenden gewohnt waren.9 7. Dieser Haufen also von Geschiebe verschiedener Herkunft hat mich in der Tat während mehrerer Tage beschäftigt; dabei hielt mich eine nicht geringe Annehmlichkeit und eine tief verankerte Liebe zu diesen meinen Dichtungen in Bann; und doch siegte schliesslich meine Achtung gegenüber meinen wichtigeren Werken, die schon allzu lange ruhen und – wiewohl von vielen mit Spannung erwartet – mir nicht von der Hand gehen.10 Es siegte der Gedanke an die Kürze des Lebens. Ich fürchtete, wie ich gestehe, seine Tücke. Denn was ist flüchtiger als das Leben, was aufsässiger als der Tod? 8. Es fiel mir ein, welche Fundamente ich schon gelegt hätte und was an Mühe und Nachtarbeit mir noch bevorstehe. Verwegenheit, ja Wahnwitz schien es zu sein, mir für die noch bleibende, so kurze, ungewisse Frist so lange und gewisse Arbeiten aufzuladen11 und ein Talent, das kaum für eine einzelne Aufgabe genügt, auf verschiedene zu verzetteln, zumal ja – wie Du weisst – eine weitere Unternehmung meiner harrt, die um so viel herrlicher ist, als den Taten ein höherer Wert innewohnt als den Worten.12 9. Und nun? Unglaublich vielleicht, doch wahr ist, was Du hören sollst: Von verstreuten Gedichten aller Art und von vertraulichen Briefen habe ich tausend und mehr, nicht weil sie durchaus missfallen hätten, wohl aber weil sie mehr Künstlichkeit als Erfreulichkeit besassen, dem Gott Vulkan zur Verbesserung anvertraut. Freilich nicht ohne Seufzen (was soll ich mich schämen, die Schwäche zu gestehen). Doch dem belasteten Herzen musste geholfen werden, und zwar sogar mit dem bittersten Mittel, so wie man ein übermässig befrachtetes Schiff auf hoher See erleichtern muss, und dies sogar durch Abwurf kostbarer Dinge. 10. Als aber alles das brannte, entdeckte ich etwas weniges in einer Ecke liegen; und ob es eher zufällig als absichtlich beiseite gelegt oder erst vor kurzem von meinen Schreibern kopiert worden war: es hatte jedenfalls dem alles besiegenden Alter widerstanden. Weniges, so
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habe ich gesagt; doch ich fürchte, dem Leser werde es als grosse Menge erscheinen, und als viel zu grosse einem Schreiber. Dennoch schenkte ich diesen Schriften grössere Nachsicht und liess sie bestehen; nicht etwa, weil ich auf den Wert geachtet hätte, sondern auf die Mühe; sie schienen nämlich keine Überarbeitung zu erfordern.13 11. Während ich nun die Geistesrichtungen meiner zwei Freunde erwog, hielt ich für richtig, so zu teilen, dass die Prosa Dir und die Poesie unserem Barbato14 zufalle; denn so habt Ihr es, wie ich mich erinnere, allemal gewünscht und ich selber es versprochen. Wie ich nämlich alles, was mir in die Hände kam, in einer einzigen Aufwallung zerstörte – noch ohne Absicht, wenigstens jenen Rest zu verschonen –, da war mir, als stünde einer von Euch zu meiner Linken, der andere zu meiner Rechten, fasse nach meiner Hand, um mich freundschaftlich zu ermahnen, weder mein Gelöbnis noch Eure Erwartung in einem einzigen Brand zu vernichten. Das war der Hauptgrund für die Rettung dieser Werke; sie wären sonst, glaube mir, mit allem übrigen in Flammen aufgegangen. 12. Was nun vom Rest billigerweise Dir zukommt, das wirst Du, was immer es sei, wohl nicht bloss gleichmütig, sondern gar begierig lesen. Ich wage freilich nicht wie Apuleios von Madaura15 ins Publikum zu schreien: „Leser gib acht, hier wird’s lustig“; denn woher nähme ich die Zuversicht, um den Lesern Freude und Vergnügen zu versprechen? 13. Dennoch wirst Du, mein Sokrates, weil Du die Deinen sehr liebst, das Vorliegende lesen und Dich daran wohl erfreuen und, weil Du meiner Gesinnung gedenkst, auch meine Schreibweise schätzen. Was liegt mir daran, wie schön die Form sei, wenn ich nichts anderes erwarte als das Urteil eines Liebevollen? Sinnlos ist, sie aufzuputzen, wenn sie zum vornherein gefällt. Wenn Dir aber etwas darum gefällt, weil es mein ist, so nenn ich’s nicht mein, sondern Dein. Denn wirklich: Nicht meinem Können gebührt Lob, wohl aber Deiner Freundschaft. 14. Nichts ist hierin von grosser Sprachgewalt. Denn in der Tat, sie steht mir nicht zu Gebot. Und hätte ich sie, so würde doch die bestimmte Schriftgattung sie nicht gestatten. Selbst Cicero, in dieser Kunst der weitaus überragendste, hat in seinen Episteln die gehobene Sprache nicht verwendet, und in seinen Büchern herrscht, wie er sagt, ein gleichförmiger, gedämpfter Sprechton;16 die gewaltige Kraft und die glanzvolle, die mitreissende, überbordende Beredsamkeit hat er dagegen in seinen Reden verströmt. Ja, von diesem rhetorischen Stil hat Cicero unzählige Male zu Gunsten eigener Freunde und oft gegen Feinde der Republik oder gegen eigene Gebrauch gemacht. Cato tat es oft für andere, für sich selber aber vierundvierzig Mal.17 15. Ich jedoch bin darin unerfahren. Denn einerseits bin ich öffentlichen Ämtern fern geblieben und andererseits hat mein guter Ruf – obwohl ab und zu durch leises Murren und heimliches Zischeln verletzt – bisher keine gerichtliche Kränkung erlitten, die ich hätte ahnden oder abwehren müssen. Auch gehört es nicht zu meinem Beruf, mit meinen Worten fremde Wunden zu salben. Und weder ein Tribunal zu umwerben, noch meine Sprache andern zu leihen, habe
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ich gelernt. Zutiefst widerstrebt das meiner Natur, die mich zum Liebhaber von Ruhe und Einsamkeit, zum Feind des Marktes und zum Verächter des Geldes gemacht hat. Aber gut so! Denn das heisst, dass ich der Sache nicht bedarf, deren ich vielleicht ermangeln würde, wenn ich ihrer bedürfte. 16. Ungenutzt bleibt bei mir die Gewalt der Rhetorik, weil ich sie nicht benötige, sie auch nicht im Überfluss habe und selbst, wenn ich sie reichlich besässe, nirgendwo anzuwenden hätte. Daher wirst Du diese mittlere, häusliche und vertraute Sprechart gutwillig lesen wie anderes auch und wirst zufrieden sein, dass sie jenen Gedankengängen, die wir im Umgang gesprächsweise äussern, angemessen und dienlich ist. Doch ich habe auch Richter, die nicht ebenso freundlich sind. Denn weder denken alle dasselbe, noch lieben alle in gleicher Weise. Wie könnte ich allen gefallen, da ich immer darauf bedacht war, nur wenigen zu gefallen! 17. Drei Dinge sind es in der Tat, die ein wahres Urteil verfälschen: Die Liebe, der Hass und der Neid. Achte darauf, dass Deine allzu grosse Liebe zu uns nicht gar Dich nötige, etwas unter das Volk zu bringen, was besser im Verborgenen bliebe. Wie Dir nämlich die Liebe das Urteil trüben kann, so andern wohl etwas anderes. Zwischen der Blindheit der Liebe und der des Neides besteht zwar ein grosser Unterschied; aber in der Wirkung sind sie gleich. Den Hass, den ich zwischen beide gesetzt habe, verdiene ich nicht und fürchte ich nicht. 18. Mag sein, dass Du beabsichtigst, meine Belanglosigkeiten für Dich zu behalten und für Dich zu lesen, um Dich bloss unserer Erlebnisse und der unserer Freunde zu erinnern. Damit tätest Du mir einen grossen Gefallen, denn dann wäre gleichzeitig Deine Bitte nicht unerfüllt und mein Ruf nicht gefährdet. 19. Ohnehin können wir nicht einmal annehmen – ausser wir täuschen uns wegen leerer Beifallsbezeugung –, dass ein Freund, ausser er sei wie ein zweites Ich,18 alles das ohne Überdruss lesen werde. Es ist eben ganz verschiedenartig und widersprüchlich, und es herrscht in ihm kein einheitlicher Stil und keine einheitliche Absicht des Schreibenden. Dieser war ja entsprechend der Verschiedenheit der Themen verschieden gestimmt, und zwar selten froh und häufig bekümmert. 20. Der Philosoph Epikuros,19 gemeinhin verachtet, doch laut dem Urteil der Alten hoch bedeutend, hat seine Briefe an zwei oder drei Männer, an Idomeneus, Polyainos und Metrodoros20 gerichtet, an fast gleich viele hat Cicero geschrieben, nämlich an Brutus, Atticus21 und an seine Ciceronen, das heisst an seinen Bruder und seinen Sohn. Seneca22 hingegen hat Briefe fast einzig für Lucilius23 verfasst. Ein leichtes, erfolgversprechendes Unterfangen ist’s, wenn man die Gesinnung seines Gesprächspartners kennt und sich nur einem einzigen Charakter anzubequemen hat und dabei gar weiss, was jener hören möchte und was zu sagen schicklich ist. 21. Mir nun ist ein völlig anderes Los beschieden, schon dadurch, dass ich mein Leben bis zum heutigen Tag fast immer in der Fremde zubrachte. Vergleiche die Irrfahrten des Odysseus mit den meinen! Wirklich, es müssten in beiden Fällen nur
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der Name und die Sache das gleiche Ansehen besitzen, so wäre der Genannte weder länger noch weiter herumgeirrt als ich. 22. Er hat die Grenzen der Heimat ja erst als Greis überschritten, und dabei ist – da in keinem Lebensalter irgend etwas lange dauert – im Greisenalter alles von geradezu äusserster Kürze. Ich hingegen bin in der Fremde gezeugt und in der Fremde geboren worden,24 und es geschah unter so grosser Not und Drangsal meiner Mutter, dass nicht nur die Hebammen sondern auch die Ärzte sie lange für leblos hielten. So wurde ich, noch bevor ich geboren wurde, der Lebensgefahr ausgesetzt und gelangte an die Schwelle des Lebens unter der Prophezeiung des Todes. 23. Davon weiss die hochedle Stadt Arezzo in Italien zu berichten, denn dahin war mein Vater, aus der Vaterstadt vertrieben, samt einer beträchtlichen Schar rechtdenkender Männer geflohen. Von dort wurde ich mit sieben Monaten weggebracht, und ein kräftiger Jüngling – es freut mich ja, meiner ersten Nöte und Gefahren mit Dir zu gedenken –, hat mich, der gut eingewickelt an einem knorrigen Stecken hing, mit seiner Rechten durch ganz Tuszien getragen, genau wie Metabus einst Camilla,25 damit der zarte Leib keine Stösse erleide. Da er den Arno durchquerte, wurde er vom ausgleitenden Pferd herabgeworfen und ist im Bestreben, die ihm anvertraute Bürde zu retten, in einem wilden Strudel beinah ertrunken. 24. Das Ende der tuszischen Irrfahrt war Pisa.26 Von dort wurde ich im siebten Jahr fortgerissen, auf dem Seeweg nach Frankreich gefahren und habe im winterlichen Nordwind nicht fern von Marseille Schiffbruch erlitten. Es fehlte wenig, so wäre ich aus dem Vorraum eines neuen Lebens gleich wieder verjagt worden. 25. Doch wohin lasse ich mich, meinen Vorsatz vergessend, hinreissen! In der Folgezeit habe ich wahrhaftig bis heute nie oder höchst selten die Möglichkeit zum Stillestehen und Atemholen gefunden, und wie viele, verschiedenartige Gefahren und Ängste ich umherirrend ertrug, kennt ausser mir keiner besser als Du. Doch eben deshalb ist mir jetzt lieb, an sie zu erinnern, damit Du im Gedächtnis bewahrest, dass ich in Gefahren geboren und in Gefahren gealtert bin, sofern ich schon alt bin und nicht auf mein Alter hin noch Schlimmeres aussteht. 26. Obwohl solches ja allen beschieden ist, die in dieses Leben treten (denn nicht bloss „Felddienst ist das Leben des Menschen auf Erden“,27 sondern Kampf ), wird doch dem einen dies, dem andern jenes zuteil und ist die Art des Kampfes doch recht verschieden. Und wie sehr auch jeden die eignen Lasten beschweren, ist dennoch wahrhaftig zwischen den uns drückenden Bürden ein mächtiger Unterschied. 27. In diesen Stürmen also des Lebens – um zur Sache zurückzukehren – habe ich, eben weil ich in keinem Hafen für lange Zeit Anker warf, weiss Gott wie viele wahre Freunde (denn das Urteil über sie ist zweifelhaft und der Mangel an ihnen gewaltig), aber sicher unzählige Bekannte gefunden. Daher musste ich vielen, die nach Gesinnung und Verhältnis von einander sehr verschieden waren, schreiben, und dies in jeweils so besonderer Weise, dass ich jetzt beim Durchlesen mir selber zuweilen wie ein Verfechter von Widersprüchen erscheine. Doch dass ich es gleichsam ge-
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zwungen tat, wird jeder einräumen, der selber Ähnliches erlebt hat. 28. Zuerst muss der Schreibende dafür besorgt sein, dass er genau beachte, an wen er sich wendet; und dabei wird er das Was und Wie und die andern Umstände erwägen. Auf die eine Art muss er den Tapferen, auf die andere den Feigling ermuntern, auf die eine Art den unerfahrenen jungen Mann, auf die andere den in öffentlichen Ämtern Ergrauten; auf die eine Art den vor Glück Strotzenden, auf die andere den Leidgeprüften, auf die eine Art schliesslich den fleissigen, gebildeten und klaren Kopf, auf die andere den weniger Begabten, der nichts versteht, sobald man mehr in die Tiefe geht. 29. Unendlich sind die Verschiedenheiten der Menschen, und nicht grösser ist die Ähnlichkeit ihres Inneren als die ihres Äusseren. Und wie nicht bloss den verschiedenen Mägen, ja nicht einmal einem einzigen Magen zu jeder Zeit die gleiche Speise bekömmlich ist, so kann auch dem einen und gleichen Geist nicht immer die gleiche Schreibart zur Nahrung dienen. Zweifach also sei die Bemühung: Man überlege, wer der Empfänger des Schreibens sei und was er empfindet, wenn er einmal vor Augen hat, was man ihm schriftlich zumutet. 30. Durch solche Schwierigkeiten bin ich gezwungen worden, mich selber entschieden hintanzusetzen. Und dass mir solches von ungerechten Richtern keinen Tadel eintrage, habe ich zum Teil mit Hilfe eben des Feuers selber erreicht und wirst zum andern Teil wohl Du mir erwirken, sofern Du alles im Verborgenen ohne Namennennung bei Dir bewahrst. Doch wenn Du es vor den wenigen überlebenden Freunden nicht verbergen kannst (denn Luchsaugen hat die Freundschaft, und nichts ist dem Blick der Freunde nicht zugänglich), so ermahne sie, was bei ihnen verblieben ist, möglichst bald zu beseitigen, damit darin nichts durch Änderung des Inhalts oder der Worte verunstaltet werde. 31. Da ich übrigens nie vorausgeahnt hatte, es könnte Dir einfallen, von mir zu begehren, oder mir, ich könnte darauf eingehen, alles zu einer einzigen Sammlung zu vereinigen, ist geschehen, dass ich der Bequemlichkeit halber gelegentlich ein Wort aus dem einen Brief in einen andern übernahm und, wie Terenz28 gesagt hat, „das Meine als das Meine behandelte“. Als schliesslich das in langen Jahren Verfasste und in verschiedene Gegenden Ausgesandte zur gleichen Zeit und gleichen Stelle zusammenkam, ist die Unförmigkeit des vereinigten Gebildes, die am Einzelglied nicht erkennbar war, leicht sichtbar geworden, und das Wort, das im einen Brief durch einmalige Nennung zu erfreuen vermochte, begann – weil im ganzen Werk mehrmals wiederholt – Überdruss zu erzeugen, weshalb es an der einen Stelle belassen und an den übrigen getilgt werden musste. 32. Auch mancherlei häusliche Sorgen, die zur Zeit der Niederschrift wohl der Bekanntgabe wert waren, jetzt aber selbst einen Lesegierigen langweilen, habe ich im Gedanken an Cicero ausgemerzt, denn ihn hat Seneca solcher Dinge wegen verspottet.29 Dennoch ahme ich in diesen Briefen meist eher Ciceros als Senecas Verhalten nach. Dieser hat nämlich fast die ganze Sittenlehre, die in seinen Büchern stand, in Briefform zusammengefasst, während Cicero das Philosophische geson-
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dert in Büchern behandelte, Vertrauliches dagegen und die Tagesereignisse sowie die verschiedenen Tagesgespräche in Briefen festhielt. Was nun Seneca von dessen Briefen denken mag, ist seine Sache; mir – ich gestehe es – ist ihre Lektüre höchst reizvoll, denn sie bringt Erholung von der Anstrengung, die durch schwierige Fragen bereitet wird und bei unablässiger Dauer den Geist zermürbt, aber dank Unterbrechungen Freude schafft. 33. Vieles habe ich hier – wie Du sehen wirst – vertraulich an Freunde und somit auch an Dich selber geschrieben, einmal über öffentliche und private Geschäfte, einmal über unsere schmerzlichen Erlebnisse, was ein allzu häufiges Thema bildet, oder über andere Angelegenheiten, die der Zufall an mich herantrug. Beinah nichts anderes habe ich bezweckt, als dies: meinen Gemütszustand oder das, was ich etwa in Erfahrung bringen konnte, den Freunden mitzuteilen. Mir leuchtete nämlich ein, was Cicero im ersten Schreiben an seinen Bruder gesagt hatte:30„Es gehört zum Wesentlichen eines Briefes, den Empfänger von den ihm unbekannten Dingen zu unterrichten.“ 34. Das hat mich übrigens auf den Titel gebracht. Denn als ich über diesen längere Zeit nachgedacht hatte, schien mir der Ausdruck „Briefe“ zwar der Sache angemessen zu sein, es hatten ihn auch viele der Alten verwendet und ich selber in früher Zeit ihn für die oben erwähnte verschiedenartige Dichtung an die Freunde aufgegriffen. Aber es war mir lästig, ihn wiederholt zu gebrauchen, weswegen mir ein neuer Name gefiel, der lautet: „Buch der Vertraulichkeiten“. 35. Darin wird eben nur weniges in etwas gehobener Sprache, aber vieles in vertraulicher Weise über Vertrauliches geschrieben, selbst wenn ab und zu, weil der Stoff es verlangt, die schlichte und kunstlose Darstellung durch gewisse eingeschobene Sittenlehren gewürzt wird, worauf übrigens auch Cicero Wert legte. 36. Diese Art, recht vieles über recht weniges zu sagen, weckt die Furcht vor bissigen Rezensenten; weil diese, ohne selber je etwas vorzulegen, was einer Beurteilung wert wäre, über die Geisteserzeugnisse anderer urteilen. Eine ganz unverschämte Frechheit ist das, gegen die man sich nur durch Nicht-Schreiben absichern könnte! Wer mit den Händen im Schoss am Ufer sitzt, hat es leicht, über die Kunst eines Steuermanns jede beliebige Meinung von sich zu geben. 37. Vor solcher Anmassung wenigstens solltest Du diese struppigen, uns unversehens entschlüpften Werklein mit einem Versteck beschützen. Was hingegen zwar nicht eine Minerva von Pheidias,31 wie Cicero sagt,32 aber immerhin sozusagen meines Geistes Abbild und meines schöpferischen Vermögens Erzeugnis darstellen wird, das ich mit grossem Fleiss mir soeben abringe, das solltest Du, wenn ich einst letzte Hand daran gelegt habe und es zu Dir gelangt ist, auf einer Hochburg wohl gesichert aufrichten.33 38. Doch genug davon. Etwas anderes würde ich sehr gerne mit Schweigen übergehen; doch eine schwere Krankheit lässt sich nicht leicht verbergen; sie bricht hervor und zeigt sich in ihren Symptomen. Mich beschämt mein der Schwächlich-
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keit verfallenes Leben, und sieh da: es verrät sich schon durch die Anordnung der Briefe. In der frühesten Zeit war meine Rede – zum Zeichen eines gesunden Geistes – kräftig und nüchtern, und zwar so sehr, dass ich nicht bloss mich selber, sondern oft auch andere aufmuntern konnte. Die späteren Briefe wurden von Tag zu Tag untauglicher und dürftiger und waren angefüllt mit nicht eben männlichen Klagen. 39. Sie vor allem bitte ich, verstecken zu wollen. Was würden denn andere sagen, wo ich doch sogar selber, indem ich sie überlese, erröte? Sollte ich etwa in der Jugend ein Mann gewesen sein, um im Alter ein Kind zu werden? Unselige und fluchwürdige Verkehrtheit! Ich hatte beabsichtigt, die Anordnung zu ändern oder das Verabscheute geradewegs zu unterschlagen. Doch mit keinem dieser Vorhaben schien es möglich, Dich zu hintergehen, weil Du eben die weinerlichen Stücke, alle mit Datum versehen, schon besitzest.34 Daher nehme ich Zuflucht zu den Waffen der Entschuldigung. 40. Gelähmt hat mich in einem langen und schweren Kampf die Fortuna. Solange Begeisterung und Mut mir nicht fehlten, habe ich persönlich gekämpft und auch andere zum Kampf ermuntert. Als jedoch unter den Schlägen der Feindin mein Fuss und mein Mut zu wanken begannen, schwand sogleich jene kraftvolle Sprache, und ich verfiel diesem jetzt so übel anmutenden Jammern. 41. Zu entschuldigen vermag mich vielleicht meine Liebe zu den Freunden. Denn wenn diese wohlauf waren, habe ich bei keinem Schicksalsschlag aufgestöhnt. Als aber fast alle das eine und gleiche Unheil übermannte und darüber hinaus die ganze Menschheit dahinstarb, schien es eher von Unmenschlichkeit als von Tapferkeit zu zeugen, wenn einer unerschüttert blieb. Wer hat mich denn, bevor diese Zeit gekommen war, über Exil und Krankheit, über Gerichtsprozesse, Volksaufstände und irgendwelche Tumulte auf der Gasse, wer hat mich über Verluste von Vaterhaus und Vermögen, über Schmälerung meines Ruhmes, über Aufschub von Zahlung und Abwesenheit von Freunden je weinerlich wehklagen hören?35 42. Wegen dergleichen Ärgerlichkeiten hat gerade Cicero so empfindsam gejammert, dass oft im gleichen Mass, als sein Stil mich erfreut, seine Denkart mich zornig macht. Ferner gibt es von ihm Streitschriften, Zänkereien und Beschimpfungen gegen sehr berühmte Männer, die er kurz vorher noch mit Lob überschüttet hat, und das rührt von erstaunlicher Unvernunft her. Da seine Lektüre mich nun zwar bezauberte, aber nicht weniger entrüstete, konnte ich mich nicht enthalten, unter dem Diktat des Zorns ihm wie einem Zeitgenossen und Freund in der Vertrautheit, welche durch Geistesverwandtschaft gegeben wird, und gleichsam im Vergessen des Zeitabstandes zu schreiben und ihn wegen eben dieser Äusserungen zu tadeln, die mich empören.36 43. Dieser Einfall war dann der Grund, dass ich auch an Seneca, als ich nach Jahren seine Tragödie mit dem Titel „Octavia“ wieder las,37 in einer ähnlichen Aufwallung einen Brief schrieb 38 und nachher bei verschiedenem Anlass auch an Varro, Vergil39 und an andere. Von solchen Briefen habe ich in den letzten Teil dieses Werkes verschiedene eingefügt,40 und ohne Voranzeige – könn-
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ten sie einen Leser in jähe Verwunderung stürzen. Andere wurden durch das genannte umfassende Feuer vernichtet. 44. Da sieht man also, wie jener bedeutende Mann seine Schmerzen ertrug und wie ich die meinen. Du sollst aber auch wissen, wie es um meine Gemütsverfassung heute steht. Ich bin gewiss darum nicht beneidenswert, wenn ich mir zuschreibe, was, laut Seneca41 den Anfängern gemeinhin zuteil wird; ich bin nämlich gerade dank meiner Hoffnungslosigkeit jetzt kecker. Was sollte denn fürchten, wer so oft mit dem Tode gerungen hat? „Darin besteht für Besiegte das Heil, nie mehr Heil zu erhoffen.“42 Sehen wirst Du, dass ich täglich mutiger handle und mutiger spreche. Sollte sich etwas ereignen, was der Feder würdig ist, so wäre auch diese energischer. 45. Ja, vieles dieser Art wird sich ereignen. Das Schreiben und das Leben werden, wie ich ahne, für mich gleichzeitig enden. Mögen meine anderen Werke ihre je besondere Vollendung erleben oder wenigstens erwarten: diesem hier, das ich Stück für Stück von frühester Jugend auf weitergeführt habe und jetzt in reiferem Alter sammle und in Buchform bringe, verspricht meine Freundesliebe, es werde nie vollendet werden. Denn ihnen zu antworten, werde ich ständig gezwungen bleiben; von dieser Pflicht wird mich niemals ein entschuldigender Hinweis auf irgendwelche Geschäfte befreien. Halte darum fest: Dann erst werde ich die Entlastung von dieser Last erlangt haben und wird dieses Werk abgebrochen werden, wenn Du von meinem Tod und von meiner Befreiung aus allen Lebensmühen erfahren hast. Inzwischen ziehe ich auf der beschrittenen Strasse weiter und erwarte das Ende der Reise nicht früher als das des Tageslichts. Und als Erholung wird mir eben diese süsse Plage gelten. 46. Übrigens will ich nach dem Brauch der Rhetoren und Feldherrn das Schwächere in die Mitte verlegen und dafür sorgen, dass wie die vorderste Front des Buches so auch seine hinterste Zeile durch mannhafte Reden gestärkt sei. Je länger ich lebe, um so besser meine ich gegen die Stürme und Ränke des Schicksals abgehärtet zu sein. Wie ich aber in der Erprobung standhalten werde, wage ich niemals vorauszusagen. Immerhin hege ich die Absicht, mich durch nichts je wieder besiegen zu lassen. „Wenn einst der Erdkreis birst und einstürzt Treffen die Brocken den Unerschrocknen.“43 Sieh nur, so haben mich die Sittenlehren des Flaccus und Maro gewappnet! Ich habe sie einst gelesen und oft gelobt, dann habe ich, genötigt durch das unausweichliche Fatum, sie mir anzueignen gelernt. 47. Lieb war mir das Gespräch mit Dir; lustvoll und gleichsam mit Fleiss hab’ ich’s in die Länge gezogen. Es hat mir Dein Antlitz über gar viele Länder und
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Meere zurückgebracht und mir Deine Gegenwart bis zum Abend gewahrt, nachdem ich zur Morgenstunde die Feder ergriffen hatte. Schon gehen der Tag und der Brief zu Ende. 48. Er sei Dir, Bruder, wie ein aus bunten Fäden gewobenes Tuch verehrt. Und sollten mir endlich ein fester Sitz und die immer vergeblich gesuchte Musse vergönnt sein, die mir an diesem Aufenthaltsort44 winkt, so gedenke ich, ein edleres und jedenfalls gleichförmiges Gewebe45 in Deinem Namen anzuzetteln. Ich möchte zu den wenigen gehören, die Ruhm sowohl verheissen als auch gewähren können.46 Aber Du wirst dank eigener Kraft ans Licht treten, beflügelt durch Dein eigenes Talent, und meiner Hilfe nicht bedürfen. Und wahrhaftig: Sollte ich unter so vielen Schwierigkeiten aufsteigen können, wirst Du mir Idomeneus und Atticus und Lucilius sein. Lebe wohl. (Parma, am 13. Januar 1350).47
Anmerkungen 1 Ludwig van Kempen (de Beeringen), geb. 1304, wirkte als Kantor im Dienste des Kardinals Giovanni Colonna in Avignon bis zu dessen Tod. Auch nachher verblieb er an der päpstlichen Kurie. Sein Übername Sokrates erinnert an den bekanntesten Philosophen im alten Athen, den Lehrer Platons. Vgl. U. Berlière, Un ami de Pétrarque: Louis Sanctus de Beeringen, Rom 1905. Vgl. bei Dotti, Fam. und Vita die Register. Für weitere Briefe an ihn s. unter „Adressaten“. 2 Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 3 Das heisst: deren Handel. Die Pest ist über diese Meere nach Italien gekommen. 4 Zu den im Pestjahr gestorbenen Freunden gehörten unter anderen Franceschino degli Albizzi, Kardinal Giovanni Colonna, Paganino da Bizzozzero, Mainardo Accursio, Sennuccio del Bene; vgl. Fam. 8,1 und 8,7 – 9. Auch Petrarcas angebetete Laura starb an der Pest. 5 Göttliche Beschützerin der Künste. 6 Zur Stelle vgl. Verg. Georg. 4, 246 – 247. 7 Zum Redner Isokrates, 436 – 338, vgl. Cic. De orat. 3,44,173. 8 Vgl. Petrarcas Rerum vulgarium fragmenta und Canzoniere. 9 Servius, um 400 n. Chr. ,Kommentator; zur Stelle vgl. Ad Georg. 2,385. 10 Gemeint ist vor allem die Africa 11 Zu den wichtigsten, von Petrarca schon begonnenen Arbeiten gehörten neben der Africa die Trionfi, die Rerum memorandarum libri, de viris illustribus.; vgl. Dotti, Vita 70 ff. 12 Woran Petrarca denkt, ist unklar. Es kann aber kein literarisches Werk gemeint sein, da von Taten die Rede ist. 13 In der Bibliothek der Kathedrale von Verona hatte Petrarca 1345 die sechzehn Bücher der Briefe Ciceros an Atticus, sowie die Briefe an seinen Bruder Quintus und an Brutus entdeckt. Das wird ihn zum Sammeln und Edieren eigener Briefe erst recht ermuntert haben, da Cicero ohnehin sein grosses literarisches Vorbild war. Vgl. Dotti, Fam. zum vorliegenden Schreiben. 14 Barbato da Sulmona lebte am Hof von Neapel. Vgl. die Briefe an ihn. 15 Apuleios, ca.125.- Ende 2.Jh.; vgl. seine Metam. 1,1. 16 Die Stelle bei Cicero (von Petrarca oft Tullius genannt) in De off. 1,1,3. 17 Gemeint ist Cato, der Censor; 234 – 149; vgl. Plin. Nat. 7,27,100.
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18 Cic. De am. 21,80. 19 Zu Epikuros, 342 – 271, vgl. Petrarca, De vita sol. 1. 20 Idomeneus, Polienus (Polyainos), Metrodoros, alle drei aus Lampsakos, Freunde und Schüler Epikurs. 21 Marcus Iunius Brutus, 85 – 42, der Caesarenmörder, und sein Freund Titus Pomponius Atticus. 22 Seneca der Jüngere, 4 v. Chr.-65 n. Chr., Philosoph, Lehrer des Kaisers Nero. 23 Das ist Senecas bevorzugter Schüler. 24 Verbannung von Petrarcas Vater aus Florenz 1302. Geboren wurde Petrarca am 20. Juli 1304. 25 Der Volskerkönig und seine Tochter; vgl. Verg. Aen. 11,552 – 555. 26 Im Jahr 1311. Von hier aus zog die Familie 1312 nach Frankreich. 27 Job 7,1. 28 Publius Terentius Afer,185 – 160; vgl. Andria, prol. 14. 29 Ad Lucil. 118,1 – 2. 30 Ad. Q. fr. 1,1,37. 31 Ph(e)idias, tätig ca. 447 – 438, der berühmteste griechische Plastiker und Maler. 32 De orat. 2,17, 73. 33 Damit wird Petrarcas Hauptwerk, die Africa gemeint sein. 34 Zu denken ist vor allem an Fam. 8,7. 8,8. 8,9 und 9,2. 35 Die väterlichen Güter waren 1302 konfisziert worden. Eine Restitution durch die Behörden von Florenz lehnte Petrarca 1351 ab; vgl. Fam. 11,9. 36 Fam. 24,3. 37 Fälschlicherweise Seneca zugeschrieben. 38 Fam. 24,5. Terentius Varro, 116 – 27, allseitig gebildeter, scharfsinniger Gelehrter und Schriftsteller. 39 Publius Vergilius Maro, 70 – 19, der Verfasser der Aeneis, von Petrarca oft kurz Maro genannt. Mit den Vorerwähnten im Buch 24 der Familiares als Adressat aufgeführt. 40 Petrarca hat, indem er das schreibt, offenbar schon das ganze Werk in irgendeiner Fassung vor sich. 41 Nat. quaest. 6,2,1. 42 Verg. Aen. 2,354. 43 Hor. Carm. 3,3,7 – 8; Quintus Horatius Flaccus, 65 – 8, wird von Petrarca oft kurz Flaccus genannt. Dasselbe Zitat steht Fam. 11,7,10 für denselben Adressaten. 44 Padua? Eher Parma. 45 Dieses Wort widerspricht gewissermassen dem in 1,1,32.35 – 36 geschilderten Ideal eines Briefes. 46 Sen. Ad Lucil. 9,5. 47 Parma ist eher zu nennen als Padua. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 49.
Fam. 1,2, an Tommaso Caloiro aus Messina1 Über verfrühtes Verlangen nach Ruhm. 1. Allgemeine Klagen über mangelnden Erfolg. 4. Sich hohes Ansehen zu seinen Lebzeiten zu wünschen, ist unvernünftig. 5. Ein Grund für das Ausbleiben des Ruhmes ist der Neid. Seitenhiebe auf die Scholastiker. 6. Beispiele aus der Vergangenheit. 8. Ärger über ungebildete Fürsten, die Talente nicht fördern. 9. Lob auf den einzig gebildeten König von Neapel/Sizilien. 11. Petrarca will ihn aufsuchen. 13. Selbst Heilige waren dem Neid ausgesetzt. 15. Spott über Leute, die schon von Zeitgenossen Ruhm erlangen. 17. Über das Selbstlob von Epikuräern, Rechtsgelehrten und Scholastikern. 22. Eine falsche Behauptung Vergils und eine falsche Ciceros. 24. Über die Rolle der Fama und Fortuna. 27. Selbst Scipio erfuhr Anfechtung. 29. Über die Nichtigkeit des Ruhmes ganz allgemein.2 Bologna, am 18. April (vor 1326).
1. Eine allgemeine Klage macht ein weiser Mann nicht zu der seinen. Genug hat jeder zu Hause an seinen eigenen. „Genug“ habe ich gesagt, „zu viel“ hätte ich sagen sollen. Meinst Du, das habe noch keiner erfahren? Du täuschest Dich: das Gegenteil trifft zu. Kaum einmal haben die Werke und Taten eines Autors schon zu seinen Lebzeiten gefallen. Menschenlob bringt der Tod. Weisst Du weshalb? Weil mit dem Leib die Missgunst stirbt und mit dem Leib die Missgunst lebt. 2. „Viele haben etwas geschrieben,“ so entgegnest Du, „was man lobt, aber wenn sich zu rühmen erlaubt ist …“ Hier brichst Du ab, und wie das bei Entrüsteten Sitte ist, fliegst Du, ohne den Satz zu vollenden, weiter, um den Hörer in der Schwebe zu lassen. Ich aber, ja wirklich, ich eile dem Fliehenden mit einer Ausdeutung nach. Ich weiss, was Du sagen willst: Vieler Leute Schriften würden gelobt, und doch, wenn man jene mit den Deinen vergliche, könnten sie keinen Lobredner, ja auch keinen Leser finden; doch eben, niemand nehme die Deinen auch nur vor. 3. Erkenne in meinen Worten Deinen Unwillen! Die Klage wäre gerecht, hättest Du sie nur nicht vom immer allen gemeinsamen Klagehaufen aller Welt zu Deinem Privatgebrauch abgezogen. Aller Welt, sage ich, weil die ganze sich der Schreiblust oder Schreibkrankheit ergeben hat und ihr ergeben ist. Beachte doch vor allem, wer das geschrieben hat, was etwa gelobt wird! Forsche nach den Autoren! Zweifellos sind alle längst zu Asche geworden. Willst Du Deine Werke gelobt sehen? Dann stirb! 4. Mit dem Tod eines Menschen beginnt die Menschengunst zu leben, und das Ende des Lebens ist der Anfang des Ruhmes. Entsteht dieser früher, ist er absonderlich und verfrüht. Mehr wage ich: Solange einer Deiner Zeitgenossen am Leben ist, kannst Du das Begehrte nicht reichlich bekommen. Hält aber die Urne Euch alle gleicherweise umschlossen, treten andere auf, die ohne Hass und ohne Missgunst richten werden. Wie immer also die Urteile der Gegenwart über uns lauten mögen: wenn sie gerecht sind, wollen wir sie gleichmütig ertragen, andernfalls rufen wir nach gerechteren Richtern, und das heisst: nach späteren, da gerechte anderer Art zu erlangen, verwehrt ist.
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5. Ganz ungemein verfänglich ist ein andauernder Umgang mit der Gesellschaft; an kleinsten Kleinigkeiten nimmt sie Anstoss. Überhaupt ist dem Ansehen immer eine persönliche Anwesenheit schädlich.3 Und sehr abträglich sind der Bewunderung für einen Menschen sein vertrauliches Verhältnis mit anderen und seine häufigen Gastereien. Kennst Du übrigens nicht die Scholastiker, einen Menschenschlag, der in Nachtwachen und Fasten vertrocknet? Glaube mir, nichts ist bei Nachtarbeiten ausdauernder, aber nichts bei einer Buchbesprechung fauler. Mögen sie auch vieles mit grösster Anstrengung gelesen haben, so überprüfen sie doch gar nichts. Und was der Inhalt wert ist, das weigern sie sich zu ergründen, weil sie sich einbilden, den Autor zu kennen. Alle vertreten nämlich das gleiche Prinzip: Sämtliche Schriften jener Autoren, die sie auch nur einmal gesehen, sind zweifellos langweilig! 6. „Das,“ meinst Du, „geschieht nur bei kleinen Begabungen; grosse und kraftvolle setzen sich gegen jedes Hindernis durch.“ Aber gib mir Pythagoras4 zurück, und sogleich sind auch die Verächter seines Geistes da. Es kehre Platon nach Griechenland heim, es werde Homer neu geboren, es lebe Aristoteles wieder auf; wiederum zeige sich in Italien Varro;5 Livius erstehe von den Toten; Cicero zeige sich in seiner Kraft! Sie alle werden nicht bloss müde Lobredner, sondern überdies auch bissige und neidische Kritikaster finden, genau wie jeder es zu seiner Zeit erlebt hat. 7. Wurde der lateinischen Sprache je Grösseres geschenkt als Vergil? Aber auch er traf Leute, die ihn nicht als Dichter gelten liessen, sondern einen Plagiatoren nannten, der sich mit geraubten Federn schmücke. Er allerdings verachtete im Vertrauen auf seine Begabung und gestützt auf das Urteil des Augustus6 hochgesinnt die Reden seiner Neider.7 8. Du bist, wie ich weiss, Deines grossen Talentes Dir bewusst. Doch wo findest Du einen Sachverständigen wie Augustus, der als ein eifriger Förderer verschiedenartigster zeitgenössischer Künstler sich einen Namen gemacht hat? 8. Unsere heutigen Könige wissen über den besonderen Geschmack ihrer Speisen und den Flug der Vögel, doch nicht über menschliche Begabungen zu urteilen. Wenn sie sich Derartiges trotzdem anmassen, gestattet ihnen ihre aufgeblasene Eitelkeit nicht, die Augen zu öffnen und sie auf die Wahrheit zu richten. Damit man ja nicht denke, sie würden eine Leistung ihrer eigenen Zeit beachten, bewundern sie lieber die Alten. Wenn sie aber jemanden zur Kenntnis nehmen, dann schmähen sie ihn; weshalb ihr Lob auf die Verstorbenen nicht frei von Schimpf auf die Lebenden ist. Das also sind die Richter, unter denen wir leben und sterben, ja wir müssen, was noch härter ist, unter ihnen sogar schweigen. Wo in aller Welt sollten wir, wie ich gesagt habe, eine Richterinstanz wie Augustus herholen? 9. Immerhin hat Italien wenigstens einen, vielmehr der Erdkreis hat ihn! Einen nur hat er, den sizilianischen König Roberto.8 Selig bist Du Neapel, denn Du hast die einzige Zierde unseres Jahrhunderts dank einem unvergleichlichen Glücksfall für Dich erlost! Seliges Neapel, sage ich, und beneidenswertes Neapel, erhabene
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Stätte der Bildung! Wenn Du einst einem Maro9 liebenswert erschienen bist, wie viel mehr musst Du es uns sein, da bei Dir der gerechteste Kenner der Talente und Künste wohnt! 10. Zu Dir fliehe jeder, der auf Bildung vertraut, und er denke nicht daran, es aufzuschieben. Gefährlich wäre eine Verzögerung; denn weit vorgeschritten ist seine Lebenszeit,10 und schon bald wird die Welt ihn entbehren; er selber aber wird gewürdigt werden, in bessere Reiche hinüber zu siedeln. Darum fürchte ich, dass auch ich durch meinen Aufschub mir grossen Stoff für eine späte Reue verschafft habe. Rühmliches zu vertagen, ist sträflich, und Ehrenhaftes allzu lange zu bedenken, ist ehrlos. Die Gelegenheit muss man packen, und unverzüglich muss man tun, was man nicht früh genug tun kann. 11. Was mich betrifft, so habe ich nun die Absicht, zu laufen und zu rennen, um – wie Cicero11 in einem seiner Briefe über Iulius Caesar gesagt hat – „all mein Bestreben auf dieses eine zu richten. Mit einem brennenden Eifer vermag ich vielleicht zu erreichen, was oft die Reisenden in ihrer Eile erleben, dass sie nämlich, obwohl sie später, als sie wollten, sich aufmachten, dank einer Beschleunigung sogar früher an ihr Ziel gelangen, als wenn sie sich bei Nacht erhoben hätten. So will ich denn, weil ich den Umgang mit diesem Menschen zu pflegen so lange verschlafen habe, mein Versäumnis durch Laufen wettmachen.“ So weit das Zitat. 12. Du hingegen musst Dich mit Deinem eigenen Betätigungsfeld begnügen, solange Dich weniger das Meer als der Krieg daran hindert, diesen König aufzusuchen. Dein Vaterland, das kein anderer Bürger getreuer liebt als Du, beugt sich ja der Herrschaft eines feindlich gesinnten Königs,12 und ich würde ihn einen Tyrannen nennen, müsste ich nicht fürchten, Deine Ohren zu verletzen. Die Angelegenheit ist schwierig, und sie zu entscheiden, steht dieser Feder nicht zu, sondern den Schwertern anderer Leute. Somit kehre ich zum Thema zurück. 13. Können Dir meine – unter den rühmlichsten Vorbildern ausgesuchten – Beispiele nicht genügen, will ich Dir solche aus einer weiteren Menschengattung vorzeigen, solche aus neuerer Zeit und von strahlender Heiligkeit. Wie viele Neider hatte doch einst unser Augustinus, wie viele Hieronymus, wie viele Gregorius,13 bevor ihre bewährte Tugend und ihre bewundernswerte Überfülle an göttlicher Weisheit den Neid besiegte! Kaum einer von ihnen empfing einen reinen, weithin verbreiteten Ruhm vor seinem Todestag. 14. Nur einer war frei von jedem Neider und Tadler, einer, der mit vollem, unbestrittenem Lob geziert ward: Ambrosius! Dass an seinem Ruf nicht einmal zu seinen Lebzeiten die bissige Scheelsucht genagt habe, lese ich bei gewissen Schriftstellern.14 Aber das kann sich eigentlich bloss auf seine reine und schlichte Lehre beziehen, die von allem Zweideutigen frei ist. Paulinus nämlich,15 der das Leben des Ambrosius beschrieben hat, nennt uns nicht nur Namen von Kritikern, sondern auch die den Kritikern durch ein Gottesgericht auferlegte Strafe. Ertrage daher endlich auch Du ohne Klagen das Geschick, von dem Du siehst, dass es sogar die hervorragendsten Geister betroffen hat.
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15. Du scheinst ja an einer bestimmten Stelle Deines Briefes Dich gerade deswegen zu beschweren, weil Du von vielen gehört hast, sie hätten bereits zu ihren Lebzeiten sich grosses Ansehen erworben. Willst Du auf mich hören, musst Du diesen Umstand selbstbewusst übersehen. Du weisst ja, was für Leute solches erlangen: Es sind nur jene, die ihren Ruhm – weil ihre Feder es nicht vermag – mit grossem Geschrei behaupten. 16. Schau sie Dir doch an, diese in Purpur Prangenden, die mit gewaltigem Gezeter die Augen der Menge auf sich ziehen! Sie wollen als Weise gelten! Und dabei hat sich jene einst blühende Mutter aller Bildung, das ist Griechenland, mit nicht mehr als sieben Weisen gebrüstet! Und schon das ist den Späteren als eine unpassende Anmassung erschienen! 17. Einige, die es verteidigen, behaupten freilich, jenen sieben sei der Beiname nicht aufgrund einer Selbsteinschätzung, sondern dank einer Abstimmung im Volke zugelegt worden. Nur ein einziger in allen Jahrhunderten, das ist Epikur, habe nämlich „sich selber als einen Weisen zu bezeichnen gewagt“! Ein unerträglicher Hochmut oder eher lächerlicher Wahnwitz! An den Cicero16 in seinem zweiten Buch über „Das letzte Ziel von Gut und Übel“ erinnert. 18. Und erst heute ist diese Tollheit in der Schar unserer Rechtsanwälte ganz allgemein verbreitet. Neben ihnen schau Dir immerhin auch jene an, die in dialektischen Zänkereien und Wortklaubereien ihr ganzes Leben verschwenden und sich fortwährend in sinnlosen Spitzfindigkeiten tummeln,17 und nimm diese meine Voraussage entgegen: Ihrer aller Ruhm wird mit ihnen zusammen stürzen, und ein einziges Grab wird für ihrer aller Gebein und Ehre genügen. Wenn nämlich der Tod ihre erstarrten Zungen zum Stillstehen zwingt, werden nicht bloss sie selber verstummen, sondern alle übrigen von ihnen zu reden aufhören. 19. Ich könnte Dich mit Beispielen geradezu eindecken und Dich selber zum Zeugen einer grossen Zahl machen; viele unendlich geschwätzige Elstern haben wir ja gekannt, die vor den Augen einer tobenden Menge einen gewaltigen Lärm vollführten und deren Stimme doch plötzlich schwieg! Nur schon ihre Aufzählung würde zu lang werden und manchen noch Lebenden verhasst sein. 20. Aber von all dem habe ich oft anderswo gesprochen, und ich wiederhole es jetzt einzig darum, weil die Sache es erfordert. Denn nicht um jene zu ermahnen, sondern um Dich, dessen Verhalten völlig verschieden ist, zufrieden zu stellen, habe ich mir diese Abhandlung auferlegt. Du nämlich wirst den grössten Widerhall erst finden, wenn Du längst nichts mehr zu sagen vermagst. Übrigens zeugt es von einem sehr ungeduldigen Sinn, wegen einer äusserst kurzen Wartezeit sich zu martern. Gedulde Dich ein Weilchen! Du erlangst das Gewünschte, wenn Du aufhörst, Dir selber im Weg zu stehen! Vielleicht könnte Dir eine lange Abwesenheit einen Teil an Ruhm verschaffen, freilich einzig der Tod den ganzen. 21. Rufe Dir die herrlichen Gestalten aller Jahrhunderte ins Gedächtnis, all die Römer, Griechen und Ausländer! Welchem von ihnen hat die eigene Gegenwart
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nicht geschadet? Dir fallen vielleicht, weil Du ein frischeres Gedächtnis hast, mehrere aus den Geschichtsbüchern ein. Ich erinnere mich nur, dass dem Africanus diese Gunst zuteil wurde,18 das heisst, dass sein Ruf für wunderbar und seine Gegenwart für noch wunderbarer galt. Denselben Vorzug erlangt in der Heiligen Schrift auch Salomon.19 22. Aber suche noch einen anderen! Möglich, dass Du keinen findest. Zwar hat Vergil20 in seinem übermässigen Bemühen um die Verherrlichung des Aeneas selbst diesen ausnehmenden Glorienschein auf ihn zu übertragen unternommen. Aber die Wahrheit ist unumstösslich. Zu Vergils Entschuldigung sagt man, er habe nicht Aeneas als solchen, sondern unter dem Namen des Aeneas den vollendeten Helden darstellen wollen. 23. Die gleiche Auszeichnung wollte einer, der sie richtiger für sich selber beansprucht hätte, einem einzigen unter allen Rednern zubilligen; dies tat der glanzvolle Fürst der Redner, Marcus Tullius Cicero;21 einem bestimmten Dichter hat er sie gewährt: dem Aulus Licinius Archias.22 Doch fürchte ich, er habe, nur weil die Liebe sein Urteilsvermögen schwächte, an diesem seinem Lehrer, einem Mann von mittelmässiger Begabung, etwas gepriesen, was er weder Homer zusprach, noch Vergil zugeschrieben hätte.23 24. Um zu Dir zurückzukehren, so findet sich in allem Erwähnten nichts, was Dir Stoff zu einer gerechten Entrüstung anböte. Niemand würde ja gar darüber beleidigt sein, dass ihm irgendeiner oder dass ihm einige wenige vorgezogen werden. Er müsste denn ganz verbohrt darauf beharren, ihm selber gebühre der höchste Rang allen Ruhmes. Ertrage also mit dem Los in allen Dingen auch das Deiner Begabung und das Schicksal Deines Rufes! Oder hast Du gemeint, Fortuna habe einen Anspruch einzig gegenüber materiellen Gütern? Über alles Menschenwerk – mit Ausnahme der Tugend – ist sie Herrin. Immer wieder darf sie gegen Dich ankämpfen, freilich niemals Dich niederkämpfen. Auch gibt es da die Fama, flattriger als alles; und eben sie wird von Fortuna mühelos herumgedreht und umhergewirbelt, damit sie, getragen von den Lüften, hingleite von Würdigen zu Unwürdigen. Und nichts ist wiederum beweglicher, nichts unwürdiger als die öffentliche Meinung, auf welcher die Fama fusst. Daher ist nicht verwunderlich, wenn sie ständig geschüttelt wird; sie stützt sich eben auf gar zu schwankende Fundamente. 25. Freilich erstreckt sich Fortunas Herrschaft nur über die Lebenden; der Tod kauft den Menschen los von ihrer Gewalt. Dann hören ihre Narrheiten auf, und dann folgt die Fama – ob sie will oder nicht – „der Tugend wie der Schatten einem festen Körper.“24 26. Damit hast du, mein Bester, ich täusche mich denn, mehr Grund zum Triumphieren als zum Lamentieren, weil Du ja mit beinahe allen hervorragenden und glänzenden Geistern ein und dem selben Los unterworfen bist. Hast Du aber einmal Gleichmut gewonnen, kann ich sogar den Africanus, den ich soeben von der Herde auszunehmen schien, in sie einfügen. Ihm hat zwar in der Tat nicht – was,
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wie gesagt, höchst selten vorkommt –seine zeitliche Gegenwart geschadet, wohl aber – wie auch anderen Menschen – die Missgunst, die er mit all seinen Fähigkeiten nicht ersticken konnte. Eher hat er sie noch angefacht. Ihn behelligte überdies – woran ich nicht ohne Entrüstung erinnere –, ein allzu lange währender Umgang mit den Menschen und die aus der Vertrautheit erwachsende Geringschätzung. 27. Woher ich das wisse, wirst Du fragen. Ich will nicht den Verdacht erwecken, als erlaubte ich mir ungenaue Zitate, und gebe daher eine Stelle des allgemein hochgeschätzten Schriftstellers Titus Livius25 wörtlich wieder. Zwischen Scipio Africanus und Titus Flamininus26 hatte sich ein Streit über Würden und Ehren ergeben, in welchem der Erstgenannte unterlag, und hierzu sagte Livius: „Grösser war Scipios Ruhm, und je grösser, desto anfälliger gegen Missgunst“; und kurz darauf: „Dazu kam noch etwa anderes. Scipio Africanus lebte fast zehn Jahre fortwährend unter den Augen der Menge, ein Umstand, der gerade durch das Genügen den Wert selbst bedeutender Männer verringert.“ 28. Soweit jener. Du aber, um zum Ende zu kommen, kannst Dich über Dein Geschick mit einem solchen Gefährten trösten und wirst dann ruhiger zuwarten. Und zwar in Gedanken an ein altes Wort bei Flaccus,27 dass „wie der Wein“, so auch „das Gedicht mit jedem Tag besser wird“. Oder an ein noch älteres bei Plautus,28 der gesagt hat: „Wer altem Wein den Vorzug gibt, den nenn ich klug, Wie jenen, der am liebsten alte Possen hört“. Allerdings hat die Ehrfurcht vor der früheren Zeit, wenn sie allzu gross war, vermutlich sogar die Galle eines Flaccus29 nicht weniger erregt als die Deine. Er musste ja in einem langen Gedicht sich wie für ein Verbrechen entschuldigen, weil er Lucilius30 getadelt hatte. 29. Zum Schluss aber bedenke bei Dir Folgendes: Was ist es denn, dessentwegen wir uns so geflissentlich quälen? Ein Windhauch ist der gute Ruf, den wir erstreben, ein Rauch, ein Schatten ist er, ein Nichts. Folglich kann er ganz leichthin durch einen echten und entschiedenen Richterspruch abgeurteilt werden. Kann aber vielleicht – denn gerade die edlen Menschen pflegt diese Pest vorzugsweise zu verfolgen – das genannte Verlangen nicht ausgerottet werden, dann musst Du wenigstens seine Auswüchse mit der Hippe der Vernunft beschneiden. Willfahren muss man der Zeit, willfahren den Umständen. Und um zuletzt die Quintessenz meiner Ratschläge kurz zusammenzufassen: Pflege Meisterschaft im Leben, so findest Du Ehre im Grab! Lebe wohl. Bologna, am 18. April (vor 1326).31
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Anmerkungen 1 Genannt Caloiro oder Caloria. Er wurde um 1302 in Messina geboren, studierte in Bologna, wo er Petrarca begegnete, und starb in seiner Vaterstadt 1341. An den gleichen Freund richtete Petrarca Fam. 1,7 – 12 und 3,1 – 2. Die Schreiben 1,7 –12 können als Fortsetzung von Fam. 1,2 verstanden werden; alle sind vielleicht bloss fingierte Briefe. Vgl. F. Lo Parco, Francesco Petrarca e Tommaso Caloiro all’università di Bologna, in: Studi e memorie per la storia dell’università di Bologna 11,1933, 25 – 181. G. Billanovich, Petrarca letterato 1: Lo scrittoio del Petrarca, Roma, 1947, 20. 47 – 55.Vgl. auch bei Dotti, Vita, im Register unter Caloiro. 2 Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 3 Vgl. Claud. De bello gild. 385. 4 Pythagoras von Samos, Philosoph im 6.Jh. v. Chr. – Es folgen: Platon, 427 – 347, Philosoph in Athen, – Homer, Dichter unbekannter Frühzeit, – Aristoteles, 384 – 322, Philosoph in Athen. 5 Varro, 116 – 27, Gelehrter in Rom. – Livius, 59 v. Chr.-17.n. Chr., Geschichtsschreiber. – Cicero, 106 – 43, Redner. 6 Kaiser Augustus. 7 Vgl. die Vergil-Vita des Donatus 34 – 44. 8 Aus dem Hause Anjou, lebte von 1278 bis 1343. 9 Verg. Georg. 4,563. 10 Wann immer dieser – vielleicht fingierte – Brief geschrieben wurde, Petrarca setzt ihn in die Zeit vor Tommasos Tod 1341. Der König Roberto starb 1343. 11 Ad Q fr. 2,13,2. 12 Federico II. von Aragon kämpfte gegen Roberto um die Herrschaft über die Insel Sizilien. 13 Gemeint sind die 4 bedeutendsten abendländischen Kirchenlehrer, zu denen der unten genannte Ambrosius gehört. 14 Aug. De gratia Chr. 47. 15 Paulinus von Mailand, Sekretär des Vorgenannten. Die Angabe steht in der Vita 16 – 18. 16 De fin. 2,3,7. 17 Dies wiederum – wie schon oben – ein Angriff auf die Scholastiker, speziell die Dialektiker. 18 Gemeint ist Scipio, der römische Held des 2. Punischen Krieges; vgl. Liv. 28,18,7. 19 König Salomon; vgl.1 Reg. 10,7; Paralip. 9,6. 20 Aen. 11,124 – 125. Macr. Saturn. 6,2,33. 21 Laus Catonis. 14 bei Macr. Saturn. 6,2,33. 22 Pro Arch. 3,4. 23 Vergil war, als Cicero 43 starb, erst siebenundzwanzig Jahre alt. 24 Cic. Tusc. 1,45,109. 25 Liv. 35,10,1 – 9. 26 „Befreier“ Griechenlands nach dem 2. Makedonischen Krieg. Petrarca schrieb fälschlicherweise, aber regelmässig Flaminius. 27 Epist. 2,1,34. 28 Titus Maccius Plautus, ca. 254 – 184, Komödiendichter. Zur Stelle vgl. Cas. prol. 5 – 629 Serm. (= Sat.) 1,10. 30 Lucilius Gaius, gest. 103 v. Chr., Satiriker. 31 Die Datierung ist sehr umstritten; vermutet wird, der Brief sei von Petrarca noch in seiner Studienzeit verfasst worden; vgl. oben Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 49.
Fam. 1,3, an den Juristen Raimondo Subirani1 Über jugendlichen Leichtsinn und Vergänglichkeit der Jugend. 1. Gedanken über die Mängel der eigenen Jugendjahre. 2. Einsichten im Hinblick auf die Flucht der Zeit. 4. Über das „Blumensammeln“ und über den Vorrang der guten Lebensführung vor rhetorischem Können. 9. Dank für die gebotene Ermahnung. 10. Mit langem Leben zu rechnen, wäre Wahnsinn. 12. Wichtig ist Erziehung zur Selbsterkenntnis. Avignon, am 1. Mai (1330).
1. Du scheinst mir zu fürchten, und nicht zu Unrecht, dass ich mich – wie es beinah allen jungen Leuten unterläuft – durch die blühende Jugend täuschen lasse. Ich werde Dir nicht versichern, Vater, dass mein Herz untadelig und beständig und frei von aller Eitelkeit wäre, denn ich meine, das sei in meinem Alter sehr schwierig und eher eine Frucht der göttlichen Gnade als der menschlichen Fähigkeit. Doch beteuere ich, dass meine Gesinnung ihre Beschaffenheit keineswegs verkennt. 2. Ich fühle, glaube mir, dass ich gerade jetzt, wo ich den höchsten Stand der Blüte erreicht habe, auch im höchsten Mass zum Vertrocknen neige. Doch wie kann ich für eine so ungemein schnelle Beschleunigung so trägflüssige Worte verwenden? Ich eile, ja ich laufe, ja, um zutreffend zu reden, ich fliege. „Es fliegen die Jahre“, wie Cicero2 sagt, „und die Zeit dieses Lebens ist nichts anderes als ein Rennen in den Tod.“ Und niemandem ist dabei gestattet, so meint Augustinus,3 „ein Weilchen stehen zu bleiben oder etwas langsamer zu gehen. Vielmehr werden alle mit der gleichen Raschheit voran gedrängt und mit dem selben Anstoss vorwärts getrieben. Wer ein kürzeres Leben geschenkt bekam, hat seinen Tag nicht rascher verbracht als der andere, der ein längeres erhielt, vielmehr wurden ihnen beiden ganz gleiche Momente gleich rasch entrissen, wobei jedoch der eine einen kürzeren Abstand, der andere einen längeren dahinging, ohne dass sie mit verschiedener Schnelligkeit liefen. Etwas Verschiedenes ist es, ob man einen längeren Weg gemacht hat oder ob man langsamer gegangen ist, und wer bis zum Tod eine weitere Strecke durchmisst, geht nicht langsamer, sondern bewältigt einen längeren Weg.“ 3. Da hört man zwei Männer von solcher Bedeutung die Raschheit des sterblichen Lebens beschreiben und behaupten, sie fliege und laufe! Und wie oft hat auch Vergil4 gesagt, dass es fliehe? Was aber geschähe, wenn alle darüber schwiegen? Was, wenn sie es leugnen wollten? Würde die Zeit dann gemächlicher fliehen oder fliegen? 4. Du wirst nicht annehmen, dass ich da leichtfertig etwas nachspreche, weil ich – wie Gleichaltrige es gewohnt sind – einfach auf den Wiesen der Autoren „Blumensträusslein“ sammle. Was gemäss Seneca5 bei einem reifen Mann verächtlich ist, das gilt bei anderen als etwas so durchaus Erlaubtes, dass sie gar meinen, bei einem Heranwachsenden sei nichts schöner als das. Ich leugne nicht, dass auch ich bisweilen „Blümchen“ sammle, um sie einst im Reigen der Alten, wenn es sich gibt,
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verwenden zu können. Aber zum erwünschten hohen Alter möchte ich dadurch mit verdientem Lob gelangen, dass ich alles mehr auf seinen Wert für das Leben prüfe und nicht so sehr auf die Redekunst ausrichte. 5. Und obwohl ich nach Gewohnheit, nach Begabung, nach Gesinnung und nach Alter mich am Studium der Redekunst erfreue, ziele ich dennoch bei allem, was immer es sei – ob ich treffliche Aussagen anderer überprüfe oder ob mir selber durch Zufall etwas besonders Wohllautendes entfällt – eher darauf, dass es dem Leben nütze und mich von den Schwächen der Jugend erlöse, und weniger, dass meine jugendliche Zunge in besonders kunstvollen Worten zu schwelgen vermöge. 6. Als den Gipfel des Wahnsinns betrachte ich, wenn man sich um eine Sache bemüht, die man kaum je erreichen kann, weil sie nur wenigen geschenkt wird, und die, wenn man sie erlangt hat, nur wenig nützt, wahrscheinlich sogar sehr schadet, besonders wenn man dabei gleichzeitig vernachlässigt, was sich allen als etwas Nützliches geradezu anbietet und niemandem schaden kann. 7. Wir wissen dank der Autorität bedeutender Männer und dank eigener Erfahrung, dass nur wenigen gegeben wird, gut zu sprechen, dagegen allen insgemein, gut zu leben. Und dennoch haschen viele nach dem einen und fliehen das andere. Das entspricht der Natur des Menschen, sich auf Schwieriges zu verlegen und besonders gierig das zu verlangen, was besonders mühsam erworben wird. 8. Ich jedoch habe nun, auch wenn meine Jugend der Glaubwürdigkeit Abbruch tut, die Zeugenaussage meines Gewissens: Ich bilde mich, nicht um wortgewandter und scharfsinniger, sondern um besser zu werden. Und was Aristoteles6 zum moralischen Teil der Philosophie aussagt, wende ich auf alle Teile an, wobei ich nicht leugne, dass ich der Mühen erst dann glücklich bin, wenn daraus doch beiderlei Früchte erwachsen. 9. Dir aber, Vater, sage ich Dank, dass Du mich väterlich ermahnst, und bitte Dich, es häufig zu tun. Doch halte fest, dass ich schon begonnen habe, meinen Lebenslauf zu erkennen, die Gefahren zu zählen und dass ich viele hinfällige Alte kenne, die tiefer als ich im Boden haften und hartnäckiger daran kleben. 10. Stark beeindruckt hat mich ein Wort des schon alternden Fürsten Domiti7 an : „Nichts“, so sagt er, „ist erfreulicher als Liebreiz, nichts vergänglicher“; übrigens auch ein anderes vom alten Cato, das bei Tullius8 steht: „Wer wäre dermassen töricht, nur weil er denkbar jung und frisch ist, für eine ausgemachte Sache zu halten, dass er bis zum Abend lebt?“ Oder was ist mit jenem Wort des noch jungen Vergil,9 das jugendlich klingt, aber ernst, aber wahr, aber reif? „Jetzt, da die Rosen noch frisch und noch knospend, pflücke sie, Mädchen, Aber bedenke dabei, dass Dir die Jugend enteilt.“ 11. Ich jedenfalls bedenke es, und obwohl ich es noch nicht richtig vermag, überlege ich’s, so viel ich kann und bemühe mich von Tag zu Tag, es gründlicher zu können. Ich überdenke, nicht was ich anderen zu sein scheine, sondern was ich bin,
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und schliesse auch dieses mein Alter und die Art meiner Körpergestalt und das übrige ein, was mir vielleicht von anderen eine Missgunst einträgt. Und ich fühle, dass es mir zur Gefährdung gegeben ist, auch zur Selbsterziehung, zur Anstrengung. Schliesslich, um in Kürze zu endigen, weiss ich, dass ich aufsteige, um abzusteigen, dass ich blühe, um zu verwelken, dass ich altere, während ich jung bin, und lebe, um zu sterben. Lebe wohl. Avignon, am 1. Mai (1330).10
Anmerkungen 1 Subirani war Doktor des kanonischen Rechts, Auditor des Papstes Johann XXII. und Vertrauensperson des Königs Eduard II. von England. Er starb in Avignon 1330.Von Petrarca hat sich nur dieser eine Brief an ihn erhalten.- Vgl. bei Dotti, Fam. und Vita 14, hier den Hinweis auf G. Billanovich, La tradizione 50 –52; ders. Tra Dante e Petrarca, in: Italia medioevale e umanistica 8,1965, 1 – 44. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. auch Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Tusc. 1,31,76. 3 Aug. De civ. 113,10. 4 Georg. 3,284. 5 Ad Lucil. 33,7. 6 Eth. Nic. 1103b,28 – 30. 7 Titus Flavius Domitianus, 51 – 96, Kaiser ab 81; vgl. Suet. Domit. 18,3. 8 Cic. De sen. (Cato) 19,67. 9 Ap.Verg. Rosae 49 – 50. 10 Diesen Brief zitiert Petrarca in Fam. 24,1 vom Jahr 1360/61 und datiert ihn 30 Jahre zurück. Daraus ergibt sich das Datum in der Klammer.
Fam. 1,4, an den Kardinal der römischen Kirche Giovanni Colonna1 Reisebeschreibung. 1. Reise durch Frankreich an den Rhein. 2. Stolz auf Italien und die eigene Abkunft. 5. Aufenthalt in Aachen. 7. Fabel von Karl dem Grossen und von den Anfängen seiner Kaiserresidenz. Aachen, am 21. Juni (1333).
1. Gallien habe ich soeben – wie Du weisst – nicht eines Geschäftes wegen sondern aus blosser Lust, es zu besichtigen, und aus gewissem jugendlichem Tatendrang bereist. Nun bin ich bis nach Germanien und bis zu den Ufern des Rheins vorgerückt, habe dabei aufmerksam die menschlichen Sitten beobachtet und mich am Anblick der unbekannten Gegend erfreut, auch ständig alle Einzelheiten mit den Zuständen bei uns verglichen. Obwohl ich überall viel Herrliches gesehen habe, bedaure ich nicht meine Abstammung aus Italien. Vielmehr vergrössert sich, um die Wahrheit zu sagen, je weiter ich reise, meine Bewunderung für mein Geburtsland. 2. Denn wenn Platon – um seinen Ausdruck zu verwenden – den „unsterblichen Göttern“ unter manchem auch dafür dankte, dass sie ihn als Griechen und nicht als Fremdländer geschaffen hatten,2 was verbietet da uns, Gott als dem Urheber unserer Abkunft für das Selbe Dank zu sagen? Es müsste denn für edler gelten, als Grieche denn als Italer geboren zu sein; doch wer immer das sagen wollte, müsste auch behaupten, der Knecht sei edler als der Herr. 3. Doch kein einziges Griechlein, und wäre es noch so anmassend und unverschämt, würde das zu sagen sich erfrechen. Es hätte sich nur daran zu erinnern, dass lange vor der Gründung Roms und vor der Geburt und kraftvollen Erweiterung seiner Macht und lange vor der „Weltbeherrschenden Stadt, dem togatragenden Volke“3 nicht etwa ganz Italien, sondern ein blosser Teil davon (ein damals übrigens verlassener und leerer, aber von griechischen Siedlern besetzter) sich als „Grossgriechenland“ bezeichnete! Wie aber hätte das, was damals gross erschien, sogar sehr gross, ja grenzenlos erscheinen können, nachdem Korinth zerstört, Ätolien verwüstet, Argos, Mykene und die übrigen Städte erobert, die Könige Makedoniens gefangen, Pyrrhos besiegt und die Thermopylen zum zweiten Mal von asiatischem Blut durchtränkt waren!4 Ich glaube, niemand wird leugnen, der italische Name sei um einiges berühmter als der griechische. 4. Doch darüber vielleicht anderswo. Kehren wir zu Gallien zurück. Paris, die Hauptstadt des Königreiches, die vorgibt, Iulius Caesar sei ihr Gründer,5 betrat ich mit nicht anderen Gefühlen als Apuleius einst die thessalische Stadt Hypata besuchte.6 Indem ich vor Erregung und Spannung ganz ausser mir war und mich überall umsah, habe ich im Begehren, zu sehen und zu erforschen, ob wahr oder er-
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funden sei, was ich über diese Stadt vernommen hatte, recht viel Zeit aufgewendet und stets, wenn für ein Unternehmen das Tageslicht nicht ausreichte, auch die Nacht hinzugenommen. Schliesslich glaube ich, dank meinem unentwegten lernbegierigen Herumgehen zu einem guten Teil erkannt zu haben, was man als Wahrheit und was als Fabel betrachten muss. Doch weil das eine lange Geschichte ist, die ich hier nicht genügend erläutern kann, muss sie aufgeschoben werden; Du wirst von mir alles mündlich vernehmen. 5. Auch Gent – um die dazwischen liegenden Orte zu übergehen – habe ich besucht, eine ausgedehnte, reiche Stadt, die sich des gleichen Gründers rühmt. Besucht habe ich die Bevölkerung von Flandern und Brabant, die Wolle und Tuch verfertigt. Lüttich habe ich besucht, das sich durch seinen Klerus auszeichnet. Und Aachen, die Karlsresidenz, habe ich besucht und in einem marmornen Dom auch das den Fremdländern verehrungswürdige Grab dieses Fürsten. 6. Hier habe ich von gewissen Domgeistlichen eine Fabel vernommen, die man sich recht gerne merken wird. Man hat mir davon eine Abschrift gezeigt, und später habe ich bei modernen Schriftstellern davon eine noch genauere Fassung gelesen.7 Da fällt mir ein, ich könnte sie Dir erzählen, freilich unter der Bedingung, dass man Glaubwürdigkeit nicht etwa von mir verlange, sondern dass sie, wie man sagt, bei den Autoren verbleibe.8 7. König Karl, den sie mit dem Beinamen „der Grosse“ einem Pompeius und Alexander9 gleichzusetzen wagen, soll sein Herz in massloser Leidenschaft an ein Weibchen verloren haben, so dass er, durch ihre Zärtlichkeit verweichlicht, seinen Ruf, den er vorher sorgfältigst gepflegt hatte, missachtete und die Pflichten der Reichsregierung vernachlässigte, bis er schliesslich alle Welt, ja sich selber vergass, um einzig in ihren Armen zu ruhen, sehr zum Verdruss und Schmerz der Seinen. Als man bereits alle Hoffnung aufgegeben hatte, weil der König in seiner krankhaften Begierde bereits gegen heilsame Ratschläge völlig taub war, wurde die Frau, der Grund aller Übel, unverhofft vom Tod hingerafft. 8. Darüber herrschte am Hof zuerst eine ungeheure, wenn auch heimliche Freude; doch wurde der Schmerz nachher nur um so heftiger, weil man des Königs Gemüt von einer noch schmutzigeren Krankheit ergriffen sah. Denn er liess seine Leidenschaft durch den Tod nicht besänftigen, vielmehr übertrug er sie auf den ekelhaften, blutlosen Leichnam selber, der, mit Kräutern einbalsamiert, mit Edelsteinen beladen und in Purpur gehüllt, Tag und Nacht von ihm in ebenso erbärmlichen wie gierigen Umarmungen gehegt wurde. 9. Unmöglich zu sagen, wie sehr die Rolle eines Buhlers und die eines Königs einander widersprechen und wie schlecht sie sich miteinander vertragen. Nie werden in der Tat die Gegensätze ohne Kampf überwunden. Was anderes ist denn die Regentschaft als gerechte und ruhmvolle Herrschaft, was anderes ist dagegen die Buhlerei als abscheuliche und ungebührliche Knechtschaft? 10. Während also beim buhlenden, ja rasenden König Gesandte der Völker sowie Befehlshaber und Vorste-
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her der Provinzen wegen wichtigster Regierungsgeschäfte um die Wette sich einfanden, lag er elend auf seinem Bett, verweigerte allen bei verriegelten Türen den Zutritt und schmiegte sich an das geliebte Leichnämchen, indem er seine Freundin häufig wie eine lebende und zum Antworten fähige anredete, ihr seine Sorgen und Nöte erzählte, ihr ein zärtliches Gemurmel und nächtliches Seufzen und immer Tränen der Liebe zuträufelte. Ein entsetzlicher Trost für solches Elend, aber auch der einzige, welchen der sonst, wie man sagt, sehr weise König sich wählte! Die Fabeln fügen noch anderes an, von dem ich aber glaube, es sei nicht möglich gewesen und werde besser nicht weitererzählt. 11. Zu jener Zeit befand sich am Hof der Bischof von Köln,10 der, wie man berichtet, seiner Heiligkeit und Weisheit wegen berühmt war und zudem im Gefolge und Rat des Königs das höchste Ansehen genoss. Dieser hatte Erbarmen mit dem Zustand seines Herrn; und da er einsah, dass menschliche Heilmittel nichts vermochten, wandte er sich an Gott, um in eifrigen Gebeten auf ihn seine Hoffnung zu setzen und von ihm unter vielen Seufzern das Ende des Unheils zu erflehen. 12. Als er dies lange Zeit getan hatte und darin nicht zu erlahmen schien, wurde er eines Tages durch ein herrliches Wunder gestärkt. Denn als er seinem Brauch gemäss das Messopfer darbrachte und nach andächtigstem Gebet über Brust und Altar seine Tränen verströmen liess, ertönte vom Himmel eine Stimme, die sagte, unter der Zunge der verstorbenen Frau verstecke sich der Grund für die Raserei des Königs. Erleichtert stürzte er sogleich nach dem Messopfer zum Ort, wo der Leichnam lag und wo ihm seine allgemein bekannte Vertrautheit mit dem König ein Recht zum Eintreten gab. Hier untersuchte er mit dem Finger heimlich den Mund, entdeckte unter der kalten, starren Zunge einen Edelstein in prachtvollem Ring und trug diesen eilends hinweg. 13. Wie nun wenig später Karl zurückkehrte und wie gewohnt zur ersehnten Verbindung mit der Toten lief, schrak er plötzlich beim Anblick des vertrockneten Kadavers zusammen, erstarrte, entsetzte sich vor einer Berührung und befahl, ihn möglichst rasch zu beseitigen und zu bestatten. Darauf wandte er sich völlig dem Bischof zu, um nun ihn zu lieben, ihn zu hegen, ihn täglich inniger an sich zu binden, alles genau nach seiner Meinung zu tun und ihn weder bei Tag noch bei Nacht von seiner Seite zu lassen. 14. Als der rechtdenkende, kluge Mann das bemerkte, beschloss er, die wohl manchem wünschbare, ihm jedoch beschwerliche Last abzuschütteln. Und da er fürchtete, der Ring könnte, wenn er in andere Hände gerate oder den Flammen übergeben werde, seinem Herrn irgendwelche Gefahr bereiten, versenkte er ihn im tiefen Schlund eines benachbarten Gewässers. 15. Der König hielt sich damals mit seinen Hofleuten zufällig in Aachen auf, und von dieser Zeit an wurde ihm diese Pfalz lieber als alle anderen Städte. Hier war ihm nichts angenehmer als dieses Gewässer; bei ihm wollte er sich niederlassen; seines Wassers bediente er sich mit sonderbarer Lust, und an seinem Geruch er-
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quickte er sich, als wäre er der allerköstlichste. Schliesslich verlegte er seinen Königssitz hierher, liess mitten in diesem Gewässer mit riesigem Aufwand ein Fundament aufschütten11 und darauf einen Palast und einen Tempel bauen, damit ihn weder menschliche noch göttliche Pflichten von hier fortzuziehen brauchten. 16. Zuletzt verbrachte er hier den Rest seines Lebens und wurde hier begraben, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass seine Nachfolger die Krone und die höchsten Herrschaftsgewalten eben hier ergreifen müssten. Das hat sich bis heute so gehalten und wird so lange bewahrt, als die Zügel der römischen Herrschaft in deutschen Händen verbleiben. 17. Allzu lange habe ich mich bei dieser Erzählung aufgehalten. Doch weil die weite Reise ohne den Trost der Bücher auskommen muss und weil es bei ständiger Bewegung leichter ist, an vielerlei zu denken als an Bedeutendes, vermag ich einen richtig bemessenen Brief nicht mit etwas Ernsthaftem zu füllen und begnüge mich – wie Du siehst – ihn mit dem, was der Zufall mir bietet, vollzustopfen. Lebe wohl. Aachen, am 21. Juni (1333).12
Anmerkungen 1 Der Kardinal, aus dem römischen Geschlecht der Colonna, war der zweite Sohn von Stefano Colonna dem Älteren, erwähnt als Kind 1290, wurde 1327 Kardinal. Als solcher lebte er am päpstlichen Hof in Avignon. Petrarca, Kleriker niedrigen Grades, war 1330 als „Kaplan“ in seinen Dienst getreten (vgl. Wilkins, Studies 5) und unternahm eine Reise in den Norden nur mit seiner Erlaubnis. Dass es sich bei dieser Reise um eine Fiktion handle, wie etwa behauptet wurde, ist unwahrscheinlich, wie Wilkins, The Making 314 in einleuchtender Weise dartut. Die Aufzählung der übrigen Briefe an den Kardinal Giovanni Colonna findet man unter „Adressaten“. 2 Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. Zur Stelle vgl. Lact. 3,19,17. 3 Verg. Aen. 1,282. 4 Hinweis auf das Jahr 191 und die Niederlage des Königs Antiochos III. von Syrien bei den Thermopylen gegen die Römer. 5 Die Behauptung, Paris sei durch Caesar gegründet worden, machte sich im Mittelalter breit. 6 Gemeint ist A(p)puleios von Madaura. Zur Stelle vgl. sein Werk Metam. 1,5. 7 Vgl. G. Paris, Hist. poét. de Charlemagne, Paris l865, 383 ff. und L’anneau de la morte, Paris l897, 12,n.1. 8 Sall. Iug. 17,6. 9 Gemeint sind Pompeius der Grosse und Alexander der Grosse von Makedonien. 10 Bischof Hildebold. 11 Hor. Carm. 3,1,34. 12 Wahrscheinlich wurde eine Fassung vom angegebenen Jahr später, nämlich 1350/1351, überarbeitet. Vgl. oben Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 49.
Fam. 1,5, an den Kardinal Giovanni Colonna1 Fortsetzung des Reiseberichts. 1. Reise von Aachen nach Köln. Aufenthalt ebenda. 2. Volksbrauch am Fest von Johannes dem Täufer. 5. Über die Musen in Germanien. 9. Besichtigung der Stadt Köln und Vergleich mit Rom. 15. Rückreise bis Lyon und unverhoffte Enttäuschung. Lyon, am 9. August (1333).
1. Aachen hatte ich verlassen, doch vorher in den lauen Wassern, von denen man den Namen der Stadt ableiten zu können meint,2 gebadet, wie man in Baiae tut; und schon nahm Köln mich auf, das auf der linken Seite des Rheins liegt, ein dank Lage, Fluss und Bevölkerung berühmter Ort. Erstaunlich, wie gross im Barbarenland3 die bürgerliche Gesittung, wie bedeutend die Schönheit der Stadt, die Würde der Männer und die Reinlichkeit der Frauen ist. 2. Zufällig war es am Vortag des Festes von Johannes dem Täufer, dass ich dort ankam, und schon neigte sich die Sonne dem Westen zu. Sogleich liess ich mich auf Ermahnung von Freunden – denn auch hier hatte mein Ruf rascher als mein Verdienst mir Freunde geschaffen – vom Gasthaus zum Fluss geleiten, damit ich ein aussergewöhnliches Schauspiel sähe. 3. Und man täuschte mich nicht. Das ganze Ufer nämlich war von einer herrlichen und unabsehbar grossen Schar Frauen bedeckt. Ich erstarrte geradezu. Gute Götter, welche Gestalten, welch ein Benehmen! Zur Liebe musste jeder verlockt werden, der nicht mit einem längst eroberten Herzen gekommen war.4 Ich stand auf etwas erhöhter Stelle, um alles, was geschehe, von da aus überblicken zu können. 4. Unglaublich war der Auflauf, doch ganz unbehindert, und alle waren sie freudig erregt. Und einige hatten sich mit duftenden Kräutern bekränzt und die Ärmel hinter die Ellbogen zurück gestülpt, um die schimmernden Hände und Arme in der Strömung zu baden, wobei sie ich weiss nicht was für schmeichelnde Worte in fremdartigem Gemurmel miteinander wechselten. Kaum habe ich je so deutlich erfahren, was Cicero zu sagen liebte und was als altes Sprichwort wiederholt wird,5 dass nämlich unter unbekannten Sprachen ein jeder gleichsam taub sei und stumm. 5. Der eine Trost, gefälligste Interpreten zu finden, hat mir immerhin nicht gefehlt. Denn auch darüber wird man sich unter anderem wundern, dass dieser Himmelsstrich musische Geister hervorbringt. Wenn demnach Iuvenal sich wundert, dass „Gallien, redegewandt, unterwies rechtskundige Briten“,6 so muss er sich auch weiter wundern, denn „Wohlunterrichtet erzog Germanien geistvolle Sänger“.7
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6. Lass Dich aber nicht durch meine Rede irreleiten, sondern merke Dir: Hier gibt es keinen Vergil, aber immerhin einiges von Ovid,8 weshalb man jene Weissagung für richtig erklären wird, die er selber ans Ende des Buches Metamorphosen gesetzt hat; er vertraute nämlich stark auf die gnädige Gunst der Nachwelt und auf seine Begabung,9 und in der Tat wird er überall dort, wo die römische Macht, vielmehr der römische Name, auf einem gebändigten Erdenrund vorstösst, von einer ihm günstig gesinnten Menge unter Beifall nun eifrig gelesen. 7. Ich aber habe, wo immer etwas zu hören und zu beantworten war, Zunge und Ohr jener Gefährten in Anspruch genommen, und als ich bei einem von ihnen, verwundert und in Unkenntnis der Begebenheit, mich mit folgenden Verslein Vergils10 erkundigte: „… Was soll dieser Zulauf zum Wasser Sag, was die Seelen begehrn …“? erhielt ich zur Antwort, es handle sich um einen sehr alten Volksbrauch, und man habe der Menge, vor allem den Frauen eingeredet, jedes drohende Unheil eines ganzen Jahres werde an diesem Tag durch eine Waschung im Fluss weggespült, und dann ereigne sich fortan nur noch Erfreuliches. Deshalb werde die Reinigung alljährlich mit Hingabe gepflegt und gelte als unerlässlich. 8. Hierauf sagte ich lächelnd: „Oh, überglücklich seid Ihr, Anwohner des Rheins, da er all Euren Kummer hinwegspült; den unseren wegzuspülen hat weder der Po je vermocht noch der Tiber. Ihr könnt Eure Übel rheinabwärts den Briten übersenden, und wir würden die unsern recht gern Afrikanern und Illyrern zuschicken; doch unsere Flüsse sind dazu, wie wir einsehen müssen, zu träge.“ Da brach ein Gelächter aus, und erst spät entfernten wir uns von dort. 9. An den folgenden paar Tagen habe ich von früh bis spät unter der selben Führung die Stadt durchwandert, was eine recht vergnügliche Unternehmung war, nicht so sehr wegen der Dinge, die sich den Augen darboten, als wegen der Erinnerung an unsere Ahnen, die fern ihrer Heimat Denkmäler römischer Tüchtigkeit von solcher Herrlichkeit hinterlassen haben. 10. Zuerst begegnete uns Marcus Agrippa,11 der Gründer dieser Kolonie, der, wiewohl er daheim wie in der Ferne sehr vieles Vortreffliche errichtet hat, diesen Ort allein unter allen für würdig hielt, seinen Namen zu tragen, er, ein hervorragender Erbauer und Krieger, den Augustus für so würdig erachtete, dass er aus aller Welt gerade ihn zum Schwiegersohn, zum Gatten seiner Tochter, erkor, die wie immer sie sein mochte, doch die geliebte, die einzige, die Augusta blieb.12 11. Besucht habe ich die vielen Tausend gleichzeitig niedergemetzelten heiligen Jungfrauen13 und auch den Boden, der ihren edlen Reliquien geweiht ist und der – wie man sagt – unedle Kadaver ausstösst. Besucht habe ich das Kapitol, ein Abbild des unsern, nur dass am einen Ort der Senat über Friedens- und Kriegssachen Rat hält, am andern Ort ein gemischter Chor wohlgestalteter Knaben und Mädchen Gott die Lobgesänge der Nocturn14 in unend-
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licher Eintracht darbringt und dass am einen Ort der Lärm von Rädern und Waffen und das Stöhnen von Gefangenen, am andern Ort Ruhe, Fröhlichkeit und scherzende Stimmen herrschen, schliesslich dort ein kampflustiger, hier aber ein friedfertiger Sieger einherzieht.15 12. Besucht habe ich den Dom in der Mitte der Stadt, herrlich, wenn auch unvollendet, den man nicht zu Unrecht den höchsten nennt. Die Leiber der königlichen Magier, die man aus dem Osten in den Westen über drei Stationen hierher versetzte16 und die, wie wir lesen, einst den Himmelskönig, als er in der Krippe wimmerte, mit Geschenken beehrten, habe ich hier voll Verehrung betrachtet. 13. Mir scheint, bester Vater, ich hätte hier die Schranken meiner Zurückhaltung ein wenig überschritten und mehr zusammengetragen, als nötig war. Beides gebe ich zu. Doch ist mir eben nichts so nötig, wie Deinem Befehl zu gehorchen. Von all dem, in der Tat, was Du mir beim Abschied aufgetragen hast, ist dies die letzte Mahnung gewesen, ich solle von den Ländern, zu denen ich reisen, und von allen Einzelheiten, die ich sehen und hören würde, Dich schriftlich so unterrichten, wie ich sonst mündlich zu tun gewohnt bin, und die Feder nicht schonen, weder um Kürze noch um Ausschmückung bemüht sein, auch das Blumige nicht zerpflücken, sondern nichts auslassen. 14. Schliesslich hast Du Dich eines Cicero-Wortes17 bedient und gesagt: Schreibe, „was immer die Backen Dir aufbläht.“ Ich habe versprochen, es zu tun, und es scheint mir, ich hätte das Versprechen mit häufigen Reisebrieflein auch gehalten. Hättest Du befohlen, von Tiefsinnigem zu sprechen, ich hätte es versucht. Jetzt aber sehe ich die Aufgabe eines Briefes nicht darin, dass er den Schreibenden empfehle, sonder darin, dass er dem Lesenden Nachricht vermittle. Will einer seine Begabung vorzeigen, muss er sich in Büchern hervortun; in Briefen muss man sich unterhalten. 15. Ich fahre fort. Am 29. Juni bin ich von Köln abgereist, und dies bei so viel Sonne und Staub, dass ich oft von Vergil „den Schnee der Alpen“ und „die Kühle des Rheins“18 hätte einfordern mögen. Dann bin ich durch den Ardennenwald (mir zum voraus dank schriftlichem Zeugnis bekannt,19 doch beim Anblick unheimlich erschreckend) unbegleitet hindurch geritten, und was Dich erst recht verwundern wird: mitten im Krieg.20 16. Den Verwegenen jedoch – so sagt man – hilft Gott. Doch um den langen Reiseweg, den ich kaum zu Pferd bewältigt habe, nicht noch einmal mit der Feder zu durchmessen, so höre: Ich bin, nachdem ich durch viele Gegenden gekommen war, heute in Lyon eingetroffen. Auch diese Stadt ist eine edle Römerkolonie, wenig älter als Köln.21 Zwei bekannte Ströme, die unserem Meer zufliessen, Rhone und Arar (von den Anwohnern Saône genannt), kommen hier zusammen. Von diesen nichts weiter als dies: Vereint eilen sie zu Dir, der eine gleichsam drängend, der andere gleichsam gedrängt, und Avignon, an welches der römische Bischof 22 Dich und sogar das ganze Menschengeschlecht soeben gekettet hält, bespülen die beiden mit vermischten Wassern.
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17. Als ich in der Frühe hier ankam und beim Betreten der Stadt durch Zufall auf diesen Deinen Diener23 stiess, habe ich ihn nach Art der Heimkehrer mit tausend Frägelchen überfallen; doch er wusste auf alle nichts zu berichten, ausser dass Dein trefflicher Bruder,24 dem vor allen andern ich entgegeneilte, ohne mich nach Rom gereist sei! 18. Auf diese Worte hin ist die Begierde zu fragen und zu kommen, plötzlich abgeflaut. Ich beabsichtige also, hier zu warten, bis die Sommerhitze, die ich bisher nicht verspürt hatte, ebenfalls abflaut. Ruhe soll mich wiederbeleben; denn eben, während ich jene Kunde erhielt, habe ich erstmals wahrgenommen, dass ich müde bin. Keine Müdigkeit ist grösser als die des Geistes. Sollte mir der restliche Reiseweg lästig fallen, wird mir die Rhone ein Gefährt sein. Inzwischen ist mir nicht unangenehm, Dir, damit Du wissest, wo ich bin, dieses Schreiben durch den Eilboten zu senden. 19. Über Deinen Bruder, mir einst Führer und – verzeih meinem Schmerz – jetzt fahnenflüchtig, will ich mich nirgends als bei ihm selber beklagen. Ihm meine Beschwerde möglichst bald zuschicken zu lassen, das bitte ich Dich; das tu! Denke an uns, Du Licht des Vaterlandes, Du unsre Zier!25 Lyon, am 9. August (1333).26
Anmerkungen 1 Zum Adressaten und zum ganzen Text vgl. Fam. 1,4; vgl. auch Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Aachen von Aqua abgeleitet; Aquae Grani erklärt sich mit dem Kult des Apollon Grannus. 3 Barbarisch heisst bei den Römern ausländisch, dies aber bedeutet auch ein Gebiet von geringerer oder mangelhafter Kultur. 4 Petrarca hatte sein Herz mit 27 Jahren an Laura verloren. 5 Tusc. 5,40,116. 6 Iuvenalis, 60 – 140, Satiriker; vgl. Sat. 15,111. 7 Diesen Vers bildete Petrarca selber. 8 Von Publius Ovidius Naso, 43 v. Chr. – ca. 18 n. Chr., zitiert Petrarca vor allem die Metamorphoses. 9 Metam. 15, 871 – 879. 10 Aen. 6, 318 – 319. 11 Feldherr Octavians, Gatte von dessen Tochter Iulia. 12 Ihre Lebensführung bereitete dem Kaiser grosse Sorgen. 13 Die zehntausend Jungfrauen, das heisst: Sankt Ursula und ihre Gefährtinnen. 14 Psalmen des kirchlichen Offiziums zur Nacht. 15 Dort der Imperator, hier Christus. 16 Über Konstantinopel und Mailand kamen die Reliquien der Hl. drei Könige nach Köln. 17 Ad Att. 1,12,4 und 14,7,2 und oft. 18 Ecl. 10,47. 19 Petrarca kannte von Paulus Orosius, 4./5. Jh., die Historiarum adversus paganos libri VII. Zur Stelle vgl. ebenda 6,10,18. 20 Der Streit zwischen den Königen von England und Frankreich um niederländische Herrschaften begann schon vor dem Hundertjährigen Krieg. 21 43 vor Chr. von Munatius Plancus gegründet.
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22 Johann XXII. oder Benedikt XII. Bereits zur Zeit dieser Reise in den Norden rief Petrarca den Papst zur Rückkehr nach Rom auf. 23 Dieser Diener geht offensichtlich mit Petrarcas Brief zum Kardinal zurück. 24 Bischof Giacomo Colonna von Lombez; vgl. das folgende Schreiben. 25 Vgl. Hor. Carm. 1,1,2. 26 Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 5.
Fam. 1,6, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez1 Klage wegen Nichteinhaltung eines Versprechens. 1. Rückkehr nach Lyon. 2. Fragen des Gekränkten nach dem Grund für die Abreise nach Rom entgegen einer Abmachung. 3. Eine Gerichtsverhandlung soll stattfinden und der Angesprochene Richter sein. 4. Aufzählung verschiedener möglicher Gründe. 15. Suche nach Entschuldigungen für den fehlenden Freund. Lyon, am 9. August (1333).
1. Ich kehrte aus Germanien zurück und war bereits nach Lyon gelangt, zog es mich doch an den Haken Deiner Bitten und meiner Sehnsucht heim. Und nicht nach Dichter- und Philosophenart eilte ich voran, vielmehr tat ich’s wie ein Läufer. Hier aber hemmte meinen Lauf ein unverhofftes Gerücht mit dem lästigsten Zügel; es hiess, Du seist entflohen, ganz als hättest Du meine Abwesenheit als eine gute Gelegenheit gepackt, um ohne mich nach Rom zu reisen, obwohl Du wirklich versprochen hattest, das niemals zu tun. 2. Was soll ich sagen? Ich meine, ein Liebender, der nicht geliebt wird, ist unglücklicher als alles. Doch in welcher Weise und mit welchen Worten kann ich Dir beikommen? Soll ich Dich für argwöhnisch und für einen Verächter der Deinen erklären? Nichts ist Deinen Sitten fremder als das. Soll ich klagen, dass Du vergesslich seist ? Wo ich doch stets Dein Gedächtnis bewundere! Soll ich Dich einen Wortbrüchigen nennen? Doch allbekannt ist Deine Verlässlichkeit. Was also? 3. Du selber magst für Deine Schuld einen Namen finden und Dich verurteilen oder – wenn’s beliebt – Dich freisprechen. Vor Deinem eigenen Richterstuhl wird Deine Sache verhandelt, und eben Du wirst sowohl Angeklagter wie Zeuge und Richter sein. Daher setze Dich nun zu mir, um gemeinsam mit mir ein Weilchen nach gleichem Recht zu streiten! Einen Ausgleich schafft ja die Liebe bei Ungleichheit.2 Sollte mich aber Deine Zunge verurteilen, will ich an Dein Gewissen appellieren. Antworte meinem fragenden Schmerz! 4. Weshalb bist Du in Rom und bin ich in Gallien? Womit habe ich solche Trennung verdient? Werde ich etwa wie eine nutzlose, beschwerliche Last rücklings abgeworfen? Über meinen Nutzen magst Du entscheiden, doch über den Rest will ich, weil ein mächtiger Schmerz sich diese Freiheit herausnimmt, just selber urteilen. Du hast – sofern ich Dich kenne – unter Deinen Lasten keine bequemere und keine, die Deinen Bemühungen dienlicher wäre, als mich. Dies möchte ich ganz im Frieden mit meinem Lelio3 und mit den andern behaupten, wobei mich freilich vielleicht der Neid auf ihr grossartiges Geschick und der Schmerz über das meine dazu verleiten könnten, mich mit ihnen zu streiten. 5.Wirklich, was mich betrifft, so habe ich allem anderen Dich vorgezogen; Du aber, bitte, was ziehst Du mir nicht vor? Hast Du gefürchtet, mir werde Dein Geheimnis in die Öffentlichkeit entwischen? Hat Dich Er-
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fahrung gelehrt, dass ich so undicht sei, geistig so schwächlich und durchlässig, dass mir etwas Anvertrautes so leichthin entströmte? Dann hast Du stets unvorsichtig gehandelt, wenn Du mir etwas besonders Wichtiges bekannt machtest! 6. Doch glaube mir (heute, so merke ich, übersteigt mein Schmerz meine Ehrerbietung), glaube mir, sage ich, bester Vater! Keiner von allen, so weit ich sie kenne, übertrifft mich an Verschwiegenheit. Und niemand kann behaupten, ich würde Geheimnisse verraten und – es geht hier nicht bloss um treue Freundschaft! – ich sei deshalb zum Senatorenstand oder zum Priesteramt der Ceres untauglich.4 7. Man liest,5 bei den Persern sei nichts heiliger als Verlässlichkeit, nichts rühmlicher als Verschwiegenheit, dagegen nichts verächtlicher als Geschwätzigkeit. So kommt es, dass sie das eine hüten bis in den Tod und das andere strafen mit dem Tod. Da ist keiner, der unter irgendwelcher Folter das Geheimste seines Königs bekannt gäbe, und würde es einer tun, so gälte er für würdig jedweder Strafe. Grossartig! Doch überhaupt, was wäre denn leichter als schweigen? Wozu könnte man einen für nützlich halten und zu welcher Grosstat könnte man einen für fähig erklären, wenn er das weitaus Leichteste nicht zu tun vermöchte? 8. Oder wolltest Du etwa meine eigenen Beschäftigungen nicht stören? Wozu hat dann der langjährige Umgang zwischen uns gedient? Begreifst Du noch immer nicht, dass ich zur Herde jener Leute just nicht gehöre, die ein Wort von Flaccus6 beschreibt: „Wohl, die Zeit währt kurz, doch erjagen Wackre Vieles. Land um Land, die da glühn in fremder Sonne, tauschend …“, und die, wie Vergil7 sagt: „… Treten ein in der Könige Hallen und Wohnsitz“, sie, die sich zerfleischen, um dem einen zuzulächeln, dem andern zu dienen, die aber keinen von Herzen lieben und keinem völlig vertrauen. 9. Gewiss, ich weiss nicht, wer ich bin, wir täuschen uns ja sehr in der Beurteilung unserer Eigenheiten. Doch bemühe ich mich nach Kräften, der Schar der Bedürfnislosen anzugehören, und auf die grosse Menge habe ich nie gehofft, wobei ich weiss, dass den vielen verhasst wird, wer den wenigen ähnlich zu werden verlangt. Nein, meine Hoffnung und meine Beschäftigung waren bisher einzig auf Dich gegründet. 10. Wolltest Du aber nicht länger dulden, dass ich mich Täuschungen hingebe, so will ich nicht leugnen, dass Du sehr menschlich mit mir umgehst. Denn wirklich habe ich die innere Entfremdung weder in einer verächtlichen Behandlung, noch in einem herben Wort oder in einer ernsten Miene, sondern einzig in diesem Anzeichen, das in Deiner heimlichen Flucht liegt, zu bemerken vermocht. Solltest Du aber beabsichtigt haben, meine Sehnsucht zu erproben oder zu steigern, dann frage Dich, ob Du nicht für ein schwächliches Gemüt ein allzu verletzendes Spiel gewählt hast!
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11. Mag auch sein, dass eher eine Rücksicht vorliegt. Erspart hast Du mir – so denke ich – eine Beschwerlichkeit aus Furcht, ich könnte einer lästigen Seereise nicht standhalten und ich könnte, weil Dein Weg auch durch das „durstgeplagte Apulien“8 führt, der Sommerhitze erliegen. Doch bitte, sündigst Du mit einer solchen Vermutung nicht gegen meinen guten Ruf? Wann habe ich eine solche Meinung verdient? Welche Mühe hat mich je gebrochen oder abgeschreckt? Die blosse Schaulust hat mich im unbekannten Ausland herumgeführt, und da hätte mich – bitte! – eine schöne Notwendigkeit nicht durch Italien herumführen sollen? 12. Mit welchen Bitten und Schmeicheleien hast Du mich – mit Verlaub gesagt – einst überhäuft, ich möchte im Hochland der Pyrenäen Dein Begleiter sein! Dabei war ich freilich – ich will ehrlich sein – so begierig, Dir zu folgen, dass ich mich gar nicht erst drängen liess.9 Jetzt aber hätte ich nicht verdient, Dich auf Höhen des Apennin zu begleiten? Dann hätten also die Wanderungen von damals mein Unvermögen dargetan? Aber Du hast Dich ja täglich gewundert, woher ich, durch Geburt und Studien zur Bequemlichkeit neigend, die Ausdauer für die Anstrengungen hernähme, zumal die Jahreszeit ungünstig, der Weg voller Dorngestrüpp, die Gegend wild und – was uns am meisten zu schaffen machte – ihre Lebensart ungeschlacht und unseren Sitten völlig zuwider war. 13. Oder vielleicht ist es so – denn allmählich führt die Denkarbeit zur Wahrheit –, dass man nicht alles, was man einmal vermochte, auch später vermag. Der Tag fügt an, und der Tag nimmt weg, und seit jener Wanderung zählt man den vierten Sommer; drei Jahre bin ich älter geworden, und diese Frist genügt nicht bloss für die Veränderung eines Körperchens, sondern auch für den Verfall von Kaiserreichen und Städten. Ich treibe jetzt einen Scherz mit Dir, wie Du merkst. Ein grosser Schmerz verkehrt sich ja bisweilen, wenn das Klagen versagt, ins Scherzen. Jeder Tag, ich weiss, ist ein Schritt zum Tod, und schon die Kinder, die in der Wiege wimmern, sind bei ihrem Wachsen im Begriff zu altern. 14. Immerhin habe ich nicht das Alter, das die natürliche Abnützung spürt, denn ich habe die Lebensfülle noch nicht erlangt. Deshalb komme ich mit der wachsenden Jahreszahl noch vorwärts, indem ich Tag für Tag an Leib und Geist viel tüchtiger werde, freilich im Bewusstsein dessen, was nachfolgt. Der Wanderer kommt im Mass, als er aufsteigt, dem Abstieg näher, so dass er gewissermassen, wenn der Ausdruck erlaubt ist, aufsteigend absteigt. Eben dies widerfährt mir. Jetzt immerhin steige ich noch auf. 15. Indessen ist Dir selber vielleicht ein guter Grund für Dein Handeln bekannt. Ich aber suche nach ihm in starker Erregung und finde ihn nicht. Und allein schon daraus ersehe ich, wie sehr Du mir lieb bist, dass es mir geht wie Liebenden, die gewöhnlich über Kränkungen zuerst sich entrüsten, dann aber sogleich, wenn sich der Zorn nicht ersticken lässt, nach Entschuldigungen greifen (als wären sie eine Arznei) oder dann erklären, die besonders heftig schmerzende Tat sei nicht getan
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worden oder gut gemeint gewesen. Wirklich drängt es mich, nach Möglichkeit so zu tun, als hättest Du mich aus gutem Grund zurückgelassen. 16. Ach könnte ich mich doch wirklich überzeugen! Gewiss, es mag sein, dass Du einerseits jene andere Reise10 mir nicht vorenthalten wolltest und andererseits meine Rückkehr nicht abwarten konntest. Es mag auch sein, dass Du, den Weinenden aus Deinen Armen entlassend, Dich scheutest, ihm noch weitere Ursachen zum Klagen zu geben. Doch für diesen Fall möchte ich, Du wärest weniger barmherzig gewesen! Deine Güte hat sich ja ins Gegenteil verkehrt. 17. Nichts ist schrecklicher, als wenn ein Feind ganz unverhofft auftaucht, und alles Unerwartete trifft besonders grausam. War mir ein Tränenstrom nicht zu ersparen, so hätte ich solchen lieber beim Abschied vergossen; denn natürlicher ist es, wenn Scheidende als wenn Heimkehrer trauern. 18. Du also überlege, bitte, wie Du möglichst bald mit Deiner überströmenden Beredsamkeit Dich vor mir verteidigst! Wie aufrichtig, tut nichts zur Sache. Blosse Wahrscheinlichkeit wird genügen. Bei einem, der glauben will, ist keine Überredung ohne Wirkung. Inzwischen bringe ich’s leichter dahin, Deine Schuld zu verkennen als mein Schicksal! Lebe wohl und denke an uns! Lyon, am 9. August (1333).11
Anmerkungen 1 Giacomo war ein Sohn von Stefano Colonna dem Älteren, damit ein Bruder des Kardinals Giovanni, geboren wohl 1301 (oder früher). Mit Petrarca befreundete er sich schon zur Studienzeit in Bologna. Zum Bischof von Lombez wurde er am 28. Mai 1328 erwählt, und 1333 wurde er wegen Feindseligkeiten zwischen den Familien Colonna und Orsini nach Rom gerufen. Er starb in Lombez im September 1341. Vgl. Fam. 4,12 und die an ihn gerichteten Fam. 2,9 und 4,6. Vgl. auch L. Couture, Pétrarque et Jacques Colonna, Toulouse 1880, weiter Dotti, Vita, das Register. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. Fam. 3,11,2. 3 Lelio oder Lello di Pietro Stefano dei Tosetti stand lange Zeit im Dienst des Bischofs Giacomo und war mit Petrarca befreundet; vgl. die Briefe an ihn. 4 Hinweis auf die Ludi Cereales zu Ehren der Göttin der Feldfrüchte Ceres von jeweils 12.-19. April. 5 Vgl. Quintus Curtius Rufus, um 50 n. Chr. Verfasser eines Werkes über Alexander den Grossen; vgl. seine Hist. Alex. 4,5,5 – 7. 6 Carm. 2,16,17 – 19. 7 Georg. 2,504. 8 Hor. Epod. 3,16. 9 Giacomo Colonna begab sich in sein Bistum im Frühling 1330. In seiner Begleitung befanden sich neben Petrarca auch der eben genannte Lelio und „Sokrates“, das heisst Ludwig van Kempen. 10 Die Reise an den Rhein. 11 Die Datierung ergibt sich aus einem Vergleich mit den vorangehenden Briefen und aus dem Hinweis auf die Reise des Bischofs nach Rom l333.Vgl. oben Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,7, an Tommaso Caloiro1 Gegen einen alten Dialektiker. 1. Angriff auf Dialektiker, die streiten, um zu streiten. 5. Hinweise auf Philosophenschulen Siziliens, die sich zu Unrecht auf Aristoteles berufen. 9. Über unnütze Vernünftelei. Die Schlagfertigkeit des Diogenes. 13. Von den Vorzügen wahrer Dialektik. 14. Auf dem Pfad der Wissenschaft dürfe man nirgends stehen bleiben. 16. Lob auf Wandel und Wechsel. Avignon, am 12. März (1338; Fassung von 1350/1351).
1. Verwegen ist es, mit einem Gegner zu kämpfen, der nicht so sehr den Sieg als den Streit liebt. Du schreibst, ein alter Dialektiker, wegen meiner Briefe aufs heftigste entrüstet, als hätte ich seine Fertigkeit verurteilt, tobe und drohe öffentlich, er werde nun seinerseits in Briefen tüchtig gegen unser Studium losziehen, doch seit vielen Monaten hättest Du nun auf diese Briefe vergeblich gewartet. 2. Lass ab, noch länger auf sie zu warten! Denn glaube mir, sie werden nie kommen! Ein bisschen Bescheidenheit hat er sich erhalten. Ob es Scham ist über die eigene Schreibweise oder vielleicht ein Bekenntnis mangelnden Wissens: Jedenfalls kämpfen die Unversöhnlichen mit der Zunge und nicht mit der Feder. Sie wollen nicht, dass bekannt werde, wie wertlos ihre Waffen sind, und verlegen sich deshalb – wie die Parther – auf die Taktik des Fliehens. Senden sie aber geflügelte Worte aus, so ist’s, als überliessen sie ihre Pfeile den Winden. 3. Es ist demnach, wie gesagt, verwegen, mit solchen Leuten nach ihrer Weise zu kämpfen; denn es ist das Streiten, was ihnen das grösste Behagen schafft, und ihr Ziel besteht nicht im Finden der Wahrheit sondern im Wortgefecht. Daher sagt Varro2 sprichwörtlich: „Dauert der Wortstreit zu lange, geht man der Wahrheit verlustig.“ 4. Du brauchst jedoch nicht zu befürchten, sie könnten auf das offene Feld der Schriftlichkeit und des ehrlichen Gesprächs herabsteigen. Von ihnen gilt, was Quintilian3 in seiner Sprachlehre gesagt hat: „Es gibt Leute, die im Disputieren verblüffend gerieben sind, nach der Beendigung der sophistischen Klügeleien sich jedoch in einer schwierigen Erörterung nicht besser bewähren als gewisse Tierlein, die zwar auf engem Raum sehr behend, doch auf weitem Feld leicht zu erwischen sind.“ Sie haben Grund, sich vor dem weiten Feld zu fürchten. Wahr ist nämlich auch ein anderes Wort des Erwähnten:4 „Abschweifungen und Ablenkungen sind Hilfsmittel der Schwäche; wer nicht gut zu laufen vermag, kann durch Ausweichen foppen.“ 5. Dir aber, mein Freund, möchte ich eines gesagt haben: Wenn Du nach Tüchtigkeit und Wahrheit verlangst, dann meide diese Menschengattung! Freilich, wohin werden wir vor dem Anblick dieser Wütenden fliehen, da nicht einmal die Inseln ein sicherer Hort sind? Wirklich haben weder Skylla noch Charybdis5 diese Seuche daran gehindert, nach Sizilien überzusetzen. Vielmehr besteht darin bereits ein die Inseln kennzeichnendes Übel, dass sich dort zum Haufen von Dialektikern
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Fam. 1,7
aus Britannien eine Schar neuer Kyklopen6 vom Ätna gesellt hat. 6. Das ist es ja, was ich früher in der Kosmographie des Pomponius Mela7 gelesen habe: Der Insel Sizilien sei Britannien sehr ähnlich. Ich glaubte indessen, diese Ähnlichkeit bestehe in der geographischen Lage, in der beinahe dreieckigen Form und vielleicht auch in der ständigen Brandung des ringsum flutenden Meeres. Nicht im geringsten dachte ich an die Dialektik. Ich hatte vernommen, dass zuerst Kyklopen, dann Tyrannen (die einen wie die andern als mutwillige Ansiedler) kamen; dass eine dritte Gattung von Monstren sich dazugesellte, eine, die mit doppelt scharfem Syllogismus bewaffnet und noch zudringlicher als selbst das Branden an der Küste von Taormina ist, das hatte ich nicht gehört. 7. Etwas allerdings hatte ich schon beachtet, woran eben Du mich nun erinnerst, dass sich diese Sekte nämlich mit dem ruhmvollen Namen des Aristoteles sichert. Sie sagen ja, Aristoteles habe diese Art des Disputierens gepflegt. Das ist auch wirklich eine recht gute Entschuldigung, wenn man sagt, man sei den Spuren berühmter Lehrer gefolgt. 8. Auch Marcus Tullius8 erklärte, er habe notfalls nicht ungern seinen Irrtum in Platons Gesellschaft begangen. Doch jene täuschen sich. Aristoteles war ein Gelehrter von brennender Verstandesschärfe und hat über erhabenste Dinge abwechselnd sowohl disputiert wie auch geschrieben! Woher denn sonst diese grosse Zahl von Büchern, die der höchsten Anstrengung und vielen Nachtwachen abgerungen sind, und zwar unter den ernsten Beschäftigungen mit vielen und insbesondere mit jenem bestimmten und bevorzugten Schüler,9 zudem in einem nicht allzu langen Leben? Wir haben ja gehört, er sei im dreiundsechzigsten Lebensjahr, das den Schriftstellern als gefährlich galt, gestorben.10 9. Warum aber handeln diese Leute so anders als ihr Lehrer? Warum freut es sie und beschämt es sie nicht eher, sich Aristoteliker zu nennen? Nichts ist einem so grossen Philosophen unähnlicher als ein Mensch, der nicht schreibt, nur wenig begreift und dabei viel und unnütz herumschreit. 10. Wer wollte jene nichtigen Vernünfteleien nicht belachen, mit denen diese Gelehrten sich und andere bemühen und mit denen sie doch ihre ganze Lebenszeit vertreiben, zu allem anderen unbrauchbar, aber in diesem einen durchaus schädlich? Was sind das doch für Sachen, über die Cicero und Seneca an verschiedenen Stellen spotten? 11. Was ist das doch für eine Schlussfolgerung, die ein Dialektiker dem Diogenes vorsetzte,11 als er ihn verächtlich in folgender Weise angriff: „Was ich bin, bist Du nicht“, um auf die Zustimmung des Diogenes hin weiterzufahren: „Ich nämlich bin ein Mensch“, und der nachher, als jener das gelten liess, spöttisch den Schluss zog: „Also bist du kein Mensch“. – „Halt“ sagte da Diogenes, „das Letzte ist falsch, und willst Du, dass es wahr werde, so beginne den Beweis nun bei meiner Person!“ 12. Sehr viel Lächerliches dieser Art gibt es, und was jene mit solchen Dingen bezwecken, ob Ruhm, ob Unterhaltung, ob eine Anweisung zu gutem und glücklichem Leben: mag sein, dass sie es wissen; mir ist nichts weniger ersichtlich als das. Gelderwerb kann edel Gesinnten niemals als ein würdiger Gewinn der Bildung er-
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scheinen. Für mechanische Künste passt sich, nach solchem Erwerb zu jagen; doch ehrenhafte Künste kennen ein besseres Hochziel. 13. Freilich, wenn jene das hören, werden sie zornig, ist doch die Geschwätzigkeit streitsüchtiger Menschen fast immer sehr nahe dem Jähzorn. „Also“, sagen sie, „verurteilst Du die Dialektik!“ Durchaus nicht. Ich weiss ja, wie grossen Wert die Stoiker, eine kraftvolle, männliche Philosophensekte, ihr beimessen. Unser Cicero gedenkt ihrer wie an vielen andern Stellen so auch in seinem Buch „Über die letzten Ziele“.12 Ich weiss auch, dass sie eine der freien Künste ist, eine Stufe für alle aufwärts Strebenden und eine nicht nutzlose Rüstung für alle durch philosophisches Dorngestrüpp Schreitenden. Sie regt den Verstand an, bezeichnet den Weg der Wahrheit und lehrt, Betrügereien zu vermeiden. Schliesslich macht sie – wenn sonst nichts – wenigstens schlagfertig und scharfsinnig. 14. All das leugne ich nicht. Doch kann man nicht ohne weiteres auf dem Weg, den man mit Anstand gewandert ist, auch in Ehren verharren; vielmehr ist es ein Merkmal des unklugen Wanderers, wegen der Annehmlichkeit der Wege das einmal gesetzte Reiseziel zu vergessen, wogegen rasch vorwärts zu gehen und nie länger als nötig zu verweilen, den Ruhm des Wanderers ausmacht. Und wer von uns ist kein Wanderer? In einer kurzen und widrigen Zeit und gleichsam an einem winterlichen Regentag legen wir unsere schwierige Reise zurück; und von dieser kann die Dialektik nur ein Teil sein, aber nicht das Ziel. Und sie kann der morgendliche Teil sein, der abendliche aber nicht. 15. Sehr vieles haben wir ja in der Jugendzeit anständig erledigt, was noch später zu tun, ganz unschicklich wäre. Wollte man auf die Schule der Dialektik, wo man als Kind gespielt hat, im Alter nicht verzichten, müsste man sich auch nicht schämen, dann noch immer Grad-Ungrad zu spielen,13 auf einer schwankenden Rute zu reiten und in einer Kinderwiege sich schaukeln zu lassen. Wunderbar sind die Verschiedenheiten der Dinge und die Wechsel der Zeiten, welche die Natur, um dem Überdruss zu begegnen, mit wachsamstem Kunstsinn ersonnen hat. Und glaube nicht, sie seien einzig im Jahreskreis zu finden, es gibt sie auch in der langen Dauer einer Lebenszeit. 16. Der Frühling ist an Blumen und blühenden Bäumen, der Sommer an Getreide reich; der Herbst hat an Früchten und der Winter am Schneetreiben Überfluss. Doch was uns das eine Mal nicht bloss erträglich, nein auch erfreulich ist, wird uns – sobald es sich durch eine Erschütterung der Naturgesetze verändert hat – lästig. Wie man also niemanden finden wird, der eine Eisglätte des Winters im Sommer oder eine glühende Sonnenhitze in anderen Monaten gleichmütig ertrüge, so wird es auch niemanden geben, der einen alten, mit Kindern spielenden Mann nicht verachtete und verlachte oder über ein ergrautes, gichtiges Kind sich nicht wunderte. 17. Dennoch: Was ist für jede Wissenschaft so nützlich, ja so nötig wie eine erste Kenntnis jener Schriften, in denen die Fundamente aller Studien gründen? Und umgekehrt: was ist lachhafter als ein Greis, der sich noch immer mit solchen beschäftigt?
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Fam. 1,7
18. Du also rüttle die Schüler Deines Alten mit Worten auf! Schrecke sie nicht ab, sondern ermuntere sie, sich zwar nicht der Dialektik, aber mit deren Hilfe etwas Besserem zu verschreiben. Dem Alten aber sage, dass ich nicht die freien Künste verurteile, wohl aber die knabenhaften Alten.14 Wie ja nichts widerwärtiger ist als ein greiser Abeceschütze, wie Seneca15 sagte, so ist nichts abgeschmackter als ein greiser Dialektiker. Und wenn er Syllogismen auszurülpsen anfängt, dann fliehe, so rate ich, und heisse ihn, mit Enkelados16 disputieren. Lebe wohl! Avignon, am 12. März (1338; Fassung von 1350/51).17
Anmerkungen 1 Tommaso Caloiro aus Messina; vgl. Fam. 1,2 und 1,8 – 1,12; 3,1 – 2. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Diese Angabe findet man Macr. Saturn. 2,7,1. 3 Marcus Fabius Quintilianus, ca. 23 – 100, Rhetoriker; vgl. sein Werk De institutione oratoria (Inst.) 12,2,14. 4 Inst. 9,2,78. 5 Die beiden Riffe (oder Seeungeheuer) in der Meerenge von Messina. 6 Kyklopen: Ungeheuer mit einem „Rundauge“ auf der Stirn, im Ätna lokalisiert. 7 Vgl. Pomponius Mela, 1.Jh. n. Chr., De chorographia 3,6,50. 8 Tusc. 1,17,39. 9 Alexander der Grosse? Oder eher Theophrast? 10 Aulus Gellius, *ca.130, verfasste ca. 175 Noctes atticae; vgl. Noct. att. 3,10,9 und 15,7. 11 Diogenes aus Sinope, Lehrer äusserster Bedürfnislosigkeit, der Philosoph in der Tonne; vgl. Gell. Noct. att. 18,13,7 – 8; auch Cic. De orat. 3,15,58; Sen. Ad Lucil. 48,82. 12 De fin. 3,21,72. 13 Hor. Serm. 2,3,248. 14 Senes pueri, ein Wort, das auf Aristoteles zurückgeht und das Petrarca im Kommentar des Calcidius zu Tim.208,248 lesen konnte. 15 Ad Lucil. 36,4. 16 Ein Gigant, der von Zeus besiegt und unter den Aetna geworfen wurde; vgl. Verg. Aen. 3,578 – 582. 17 Der mehrfache Hinweis auf die Institutiones Quintilians legt die Vermutung nahe, dass der Brief, in der vorliegenden Fassung kurz nachdem Petrarca das Werk bei einem Freund entdeckt hatte, also nach 1350, geschrieben wurde. Vgl. G. Billanovich, Petrarca letterato 1: Lo scrittoio del Petrarca, Roma 1947, 20.47 – 55 und Dotti, Vita 203. Tommaso war 1341 gestorben; es ist damit zu rechnen, dass das ganze Schreiben reine Fiktion sei. Um reine Fiktionen könnte es sich auch bei den folgenden Briefen an den gleichen Adressaten handeln. Vgl. auch Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,8, an Tommaso Caloiro1 Über Erfindungsgabe und Originalität. 1. Fragen eines jungen Schriftstellers. 2. Meinungen Senecas über Nachahmung und Originalität. Das Beispiel der Bienen. 3. Ratschläge des Macrobius. 5. Eine noch bessere Art des Schaffens: die der Seidenraupe. 6. Überlegenheit des Menschen über Tiere trotz deren besonderen Begabungen. 8. Wichtig ist die Zufriedenheit mit der eigenen Begabung. 12. Warnung, über die eigene Begabung hinaus Unmögliches erzwingen zu wollen. 14. Anekdote aus Quintilian. 17. Auslegung zu Stellen aus Vergils Aeneis und Georgica. 20. Weitere stilistische und sittliche Ermahnungen. Am 11. April (1338; Fassung von 1350/1351).
1. Was tun, fragst Du in einem Zustand, in dem sich fast die ganze Schar der Schriftsteller befindet, weil jedem das Seine nicht genügt und jeder sich schämt, bei anderen Anleihen zu machen, dabei aber mit Schreiben nicht aufhören will, weil die Annehmlichkeit dieser Beschäftigung und die Begierde nach Ansehen, die allen Sterblichen innewohnt, es nicht zulassen. Daher wendest Du Dich verwirrt und zaudernd an mich. Weitaus ratsamer wäre gewesen, Du hättest Dir einen tüchtigeren Ratgeber ausgesucht, von dem Du vieles und Verschiedenes oder wenn nur etwas Bestimmtes, dann doch gleich das Allerbeste und Vorzüglichste hättest vernehmen können. Nun hast Du an die Türe eines Armen geklopft, von wo Du allerdings, wenn es nach meinem Willen geht, nicht mit völlig leeren Händen davongehen sollst. 2. Was ich von einem andern erbettelt habe, will ich gerne mit Dir teilen. Ich selber habe ja wirklich in dieser Sache nur einen einzigen Rat. Und musst Du vielleicht einsehen, dass dieser Dir unnütz ist, hast Du Seneca2 zu beschuldigen; und wenn er Dir nützlich ist, hast Du Dich bei ihm zu bedanken, nicht aber bei mir. Auf jeden Fall sollst Du jenen als den Urheber des Ratschlags betrachten. Kurz gesagt, besteht er in Folgendem: Man soll die Bienen bei ihrem Sammeln nachahmen;3 sie tragen die besuchten Blüten nicht als solche mit sich fort, sondern verfertigen daraus Wachs und Honig in einer wunderbaren Mischung. 3. Diesen Vergleich hat Macrobius4 nicht bloss dem Sinne nach, sondern auch im genauen Wortlaut in seinen Saturnalien5 wiedergegeben, und somit hat er, wie mir scheint, das bei seiner Lektüre und Niederschrift Festgestellte im einen und gleichen Zeitpunkt durch seine Tat widerlegt; denn wirklich hat er ja die bei Seneca gefundenen Blüten nicht zu Wachs zu verarbeiten versucht, sondern sie in ihrer Ganzheit und genau so, wie er sie an den fremden Zweigen gewonnen hat, vorgebracht. Nun aber frage ich, warum man etwas als fremdes Gut bezeichnen soll, bloss weil es von andern erarbeitet wurde? Es hat ja Epikur die später von Seneca6 überlieferte Meinung vertreten, es sei alles, was irgend einer richtig gesagt habe, nichts Fremdes, sondern Allgemeingut.
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4. Deswegen ist Macrobius nicht anzuklagen, wenn er einen grossen Teil jenes Briefes im eigenen Vorwort – man wird kaum sagen überarbeitet, sondern eher übernommen hat. Das unterläuft übrigens wohl ab und zu auch mir und zudem selbst grösseren Autoren. Dennoch halte ich allerdings fest: Von glänzenderem Können zeugt es, wenn wir in der Nachahmung der Bienen alle Meinungen, obwohl fremder Herkunft, mit eigenen Worten wiedergeben. 5. Weiter sollten wir nicht den Stil des einen oder andern, sondern unseren eigenen, aus mehreren zusammengebrauten, besitzen. Rühmlicher wäre es nämlich, nicht nach Art der Bienen weit und breit Zerstreutes zu sammeln, sondern nach dem Beispiel eines Wurmes, der kaum grösser ist7 und in seinem Gedärm einen Saft erzeugt, ein eigenes Wissen und eine eigene Sprechweise aus sich selber zu schöpfen. Dabei müsste der Gehalt ernsthaft und wahr, die Rede aber schmuck sein. Da jedoch eine solche Gabe entweder gar niemandem oder nur ganz wenigen verliehen ist, müssen wir gleichmütig diejenigen Fähigkeiten hinnehmen, die das Los uns beschieden hat, und auf grössere Talente nicht neidisch sein, auch geringere nicht verachten und ebenbürtigen nicht lästig fallen. 6. Ich weiss, was Du nun schweigend Dir selber einredest: „Dieser Mensch da zieht mich vom Bemühen weg und widerrät mir, beharrlich zu sein, indem er mich lehrt, geduldig mein Unvermögen zu ertragen.“ Ich aber meine im Gegenteil, man solle sich vor nichts so sehr hüten wie vor der Gefahr, unsere Begabung in der Trägheit vergreisen zu lassen. Cicero8 hat geschrieben, ihm scheine, „der Mensch sei in mancher Hinsicht unbegabter und schwächlicher als die Tiere, er sei ihnen aber dadurch überlegen, dass er sprechen könne“; und gewiss hat man diesem Redner zu verzeihen, wenn er insbesondere diejenige Kunst empfiehlt, die er selber übt, oder man muss seine Aussage unter der Voraussetzung annehmen, dass das Reden-Können ohne das vorangehende Verstehen nicht möglich ist. 7. Andernfalls würde ich meinen, der Mensch überrage die Tiere weit eher dadurch, dass er verstehe und unterscheide, vieles wisse und im Gedächtnis behalte, was die Natur den Tieren nicht gegeben hat, auch wenn diese etwas der Einsicht, Unterscheidung und Erinnerung Ähnliches zu haben scheinen.9 8. Wozu sage ich das? Ich ermahne und beschwöre Dich, lass uns mit aller Wachsamkeit und mit höchster Anstrengung des Geistes Dunkelheit, das heisst das Nichtwissen, überwinden und auf dieser Erde uns bemühen, etwas zu lernen, womit wir uns einen Weg zum Himmel bereiten. Doch während unserer Bemühung wollen wir uns immerhin daran erinnern, dass unserer Schwerfälligkeit der Weg zur höchsten Höhe vielleicht nicht offen steht. Wir sind ja nicht alle unter dem gleichen Stern geboren worden, weshalb wir mit unseren begrenzten Fähigkeiten, die Gott und die Natur uns bestimmt haben, zufrieden sein müssen. Täten wir das nicht, könnten wir niemals ohne ängstliche Unruhe leben. 9. Solange wir nämlich auf Erkenntnis ausgehen, was wir ohne Unterlass bis zu unserem letzten Atemhauch zu tun haben, werden täglich vor uns Winkel auftau-
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chen, in deren Tiefen unser Unverstand nicht hineinreicht. Daraus werden Trauer, Unwille und Selbstverachtung entstehen. Die ungebildete Menge, die von diesen Schlünden nichts sieht, lebt heiterer und ruhiger, während die Wissenschaft, die ein unerschöpflicher Quell heiliger Wonne sein müsste, ins Leben beschwerlichste Unruhe bringen kann und – entgegen ihrem Versprechen, ihm Führerin zu sein – es möglicherweise zu Grunde richtet. 10. Daher wahre man in allen Dingen Bescheidenheit. Diese wird darauf dringen, dass wir uns daran gewöhnen, nicht allein für die Güter unseres Geschickes und Leibes, sondern auch für die des Geistes (ob die uns zugesprochenen Anteilchen auch klein, ja selbst unbedeutend seien) unserem göttlichen Spender einen nicht geringen Dank auszusprechen, ihm, der am besten weiss, was uns bekömmlich ist und uns eben das auch zuteilt, also nicht jedem das ihm besonders Erfreuliche, sondern das ihm besonders Nützliche spendet. Und wahrhaftig, wie jener alte Besitzer von bloss wenig Morgen Land zu Recht dafür gelobt wird, dass er dem Reichtum der Könige die eigene Seele gleichsetzte,10 so wird auch ein Unschöner, Stumpfsinniger und Stotternder gelobt werden, wenn er neben die Schönheit eines Alkibiades,11 die Geisteskraft eines Platon oder die Beredsamkeit eines Cicero die eigene Seele setzt. 11. Wenn ihm die Geisteskraft fehlt, so fehle ihm doch nicht der Gleichmut. Steht dieser ihm bei, fehlt ihm auch die Ordnerin aller Dinge, das ist die Gabe der Unterscheidung, nicht, dank welcher er mit einem unbestechlichen Urteil seine Kräfte bemessen kann, um nicht – sich selber schmeichelnd oder sich selber betrügend – untragbare Bürden auf sich zu nehmen. Dem steht ein Wort entgegen, das im Werk über die Dichtkunst geschrieben steht:12 „Ihr, die Ihr schreibt, ergreift doch den Stoff, der Eurem Vermögen Zukommt, und achtet darauf, was die Schultern zu tragen sich weigern Oder was ihnen entspricht“. 12. Natürlich muss man seinem Talent mit eigenem Bemühen zu Hilfe kommen und muss es auch mit vielfachem Nachsinnen aufrichten; doch darf man es niemals dahin zwingen wollen, wohin es nicht zu gehen vermag. Ganz abgesehen davon, dass dieser Versuch unbedingt scheitern müsste, würde man im Verlangen nach dem Unmöglichen oftmals leicht schon das Mögliche zu erreichen verfehlen. 13. Eine kurze aber wohl nützliche Geschichte und eine einprägsame will ich einfügen, die ich bei Quintilian, einem scharfsinnigen Gelehrten, gelesen habe;13 und weil er sie kurz und klar formuliert hat, brauche ich die Worte nicht zu ändern. „Es geschieht nämlich“, so sagt er, „auch begabten jungen Leuten recht häufig, dass sie sich beim Studium aufreiben und in ihrem allzu grossen Begehren nach einer guten Sprechweise schliesslich sogar in Schweigen versinken. Eben deshalb erinnere ich an das, was Iulius Secundus, gleichen Alters wie ich und mir bekanntlich in Freundschaft sehr verbunden, ein Mann von wunderbarer Beredsamkeit, aber
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auch von unendlicher Sorgsamkeit, mir einmal als eine Bemerkung seines Onkels erzählt hat. 14. Dieser hiess Iulius Florus14 und war an Redegewandtheit in Gallien – denn dort übte er seinen Beruf aus – der weitaus bedeutendste, und überhaupt wie nur wenige beredt und damit würdig seiner Verwandtschaft. Als er einst den Neffen, der damals noch zur Schule ging, niedergeschlagen antraf, fragte er ihn, weshalb er so finster dreinschaue. Der junge Mann täuschte nichts vor, sondern gestand, schon seit drei Tagen suche er unter grosser Anstrengung ganz umsonst nach einem Anfang zu einer schriftlichen Arbeit, und das schaffe ihm nicht nur Sorgen in der Gegenwart, sondern auch Verzweiflung für die Zukunft. Da habe Florus lachend gefragt: „Du willst offenbar besser sprechen können, als Du kannst?“ 15. Soweit Florus zu seinem Neffen. Quintilian selber sagt zu uns, vielmehr zu jedermann: „Genau so ist es. Man muss sich bemühen, möglichst gut zu sprechen, aber immerhin gemäss seiner Begabung. Um Fortschritte zu machen, ist Anstrengung nötig, aber keine Verbissenheit.“ Dieser Ratschlag lässt sich von der Beredsamkeit in verschiedenster Weise auch auf andere Tätigkeiten des menschlichen Lebens übertragen. Doch weil wir hier von der Erfindungsgabe und der Redegewandtheit handeln, sei festgehalten, dass bei diesen beiden wie bei allen anderen Dingen sowohl Reichtum wie Armut gelassen hinzunehmen sind. 16. Würden aber die Sterne auf einen Menschen ihre Strahlen so wohlwollend herabsenden, dass sich dieser ohne äussere Hilfsmittel selber zu genügen und von sich aus die herrlichsten Gedanken auszusprechen vermöchte, dann hätte er guten Grund, dieses einem Geschenk der himmlischen Güte zuzuschreiben. Er müsste sich vor Überheblichkeit hüten und die Gaben Gottes in grosser Bescheidenheit geniessen. Auf die Gewohnheit der Bienen aber könnte er für sich verzichten. 17. Wir hingegen, denen so Grosses nicht beschieden ist, dürfen uns nicht schämen, die Bienen nachzuahmen. Und von ihnen heisst es bei Vergil:15 „Sorgen im Sommer sich schon um den kommenden Winter und fliegen Alle behend, und was jede erwarb, trägt sie sorgsam nach Hause.“ Auch wir wollen uns sorgen, während die Zeit uns gegeben und während unser Leben feurig und unsere Fähigkeit kräftig ist! Warten wir nicht, bis die Kälte des hohen Alters uns überrasche und auf den Glanz des Sommers der winterliche Nebel folge. Von den Bienen lesen wir beim genannten Dichter auch Folgendes:16 „… im neuen Lenz auf grünendem Acker Gehen sie tags ihrer Arbeit nach …“ Und wiederum an anderer Stelle:17 „… auf Matten im heiteren Sommer Suchen sie Blumen bunt, verweilen sich da und umschwärmen Schimmernde Lilienpracht, dass die Wiese erbraust vom Gesumme“.
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18. Wollen wir also den uns vom hervorragenden Sittenlehrer überlieferten Ratschlag zu unserem Nutzen auf ein breiteres Feld ausdehnen, müssen wir, was immer von den Bienen gesagt wurde, auf den Eifer des menschlichen Erfindergeistes übertragen. Was anderes bedeutet für uns der Sommer als diese besonders feurige Jugend? Und was anderes ist dem kalten Nebel eher zu vergleichen als das hohe Alter? Wie soll die Frucht aussehen, die wir von dieser Jugend oder dieser Studienzeit zu erwarten beschliessen? Wie müsste die Ernte unserer Geistestätigkeit werden, wollten wir jetzt, angesichts der Mühe erschrecken und sie aufgeben? Was könnte ein späteres Geschlecht aus unseren Scheunen gewinnen, wenn wir in stumpfer Untätigkeit verharrten? „Ledig der Arbeit im Feld, sind im Winter die Landleute träge.“18 19. Doch damit die Rede nicht von den Bienen zu den Landleuten abgleite, wollen wir jetzt auf Matten und über mancherlei Äcker den bunten Blumen nachgehen; dabei die Bücher der Gelehrten durchforschen und in ihnen die reichsten und schönsten Gedanken heraussuchen und auch rings um weisse Lilien schwärmen. Das aber müssen wir so unermüdlich wie bescheiden und sachte tun. Für unsere Studien wollen wir keinen eitlen Ruhm begehren, der vor der grossen Menge sich sehen lässt, keinen der aus spitzfindigen Streitereien hervorgeht, sondern uns ein durch Wahrheit und Tüchtigkeit erzeugtes höheres Ziel setzen. 20. Möglich ist, glaube mir, ohne lärmendes Wortgezänk sich Wissen zu erwerben. Nicht Lärmen, sondern Nachsinnen fördert die Gelehrsamkeit. In der Tat, wenn unser Vorsatz nicht darauf ausgeht, mehr zu scheinen, als zu sein, werden wir weniger am Beifall der törichten Menge als an einer still gehegten Wahrheit uns freuen, und wir werden zufrieden sein, wenn wir bisweilen mit leiser Stimme Worte aus authentischen Schriften uns selber vorsagen. Dann wird nichts im Getöse erdröhnen, sondern dann wird eben „das ganze Feld vom Gesumme ertönen“. 21. Da ich, wie Du siehst, freigebiger bin, als die Not Deines Zweifels es fordert, rate ich ausser dem schon Gesagten zudem, Du möchtest jeden Ort fliehen, wo man unschicklich oder aufwendig und nach dem Urteil bloss eines allgemeinen Geredes lebt. Nicht anders als die Bienen sollst Du die ungesunden Stätten erkennen:19 „Dort ist ein dumpfer Geruch von Kot; es poltert im Anschlag Hohles Gestein, und die Stimme verhallt im schaurigen Echo.“ 22. Nimm für sicher, das sei nicht Dir allein, sondern allen gesagt, die bei irgendeiner lobenswerten Sache sich mit einer Erfindung beschäftigen. Zwei Übel sind es vor allem,20 welche mancher Leute edle Geistesgaben ersticken: Die sinnliche Begierde als Gewohnheit und die Verkehrtheit vulgärer Meinungen. Das eine hat seinen Sitz im Innern des Menschen, das andere belagert ihn von aussen; der Geist verweichlicht und entzieht sich dann immer stärker der Erkenntnis der Wahrheit.
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23. Das ist es, was ich Dir, wie ich meinte, über die Nachahmung der Bienen zu sagen habe. Folge ihrem Beispiel, und was immer Du unter allem Dir Begegnenden als das Vorzüglichere erkennst, das verbirg in den Tiefen Deines Herzens und das bewahre mit grösster Sorgfalt geizend und beharrlich, damit Dir womöglich nichts davon entfalle. Und achte auch darauf, dass bei Dir nichts auf längere Zeit so verbleibe, wie Du es gepflückt hast. Denn nur damit verdienen die Bienen sich Lob, dass sie alles Gesammelte ins Bessere verwandeln. 24. Daher empfehle ich Dir, was Du beim Lesen und Nachdenken etwa findest, mit der Feder „in Wachs zu verwandeln“.Dann wird daraus hervorquellen, was Gegenwart und Zukunft völlig zu Recht Dir als das Deine zusprechen. Und um heute keine anderen Blüten zu pflücken als solche von den Bäumen Vergils, so höre:21 „… und kommt jene Jahreszeit wieder, Greifst Du den Honig heraus; er ist süss, er ist wunderbar flüssig; Und jenen herben Geschmack des Bacchus wird er veredeln.“ Lebe wohl! Am 11. April (1338; Fassung von 1350/51).22
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden und nachfolgenden Brief und zu den im Text genannten Personen und Werken auch das Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Ad Lucil. 84,3 – 4. 3 Vgl. Jürgen von Stackelberg, Das Bienengleichnis; ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Imitation, Romanische Forschungen 68, 19, Heft 3 und 4, 271 – 293. 4 Macrobius, Schriftsteller vom Anf. 5. Jh. n. Chr., Verfasser der Saturnalia. 5 Saturn. 1 praef. 5 ff. 6 Ad Lucil. 16,7. Der Gedanke stammt nicht von Epikur, sondern von Seneca selber. 7 Gemeint ist die Seidenraupe. 8 De inv. 1,4. 9 Ein gewisses Verständnis hat Petrarca bei Gelegenheit seinen Pferden zuerkannt; vgl.Fam. 5,10,7. 10 Verg. Georg. 4, 127 – 128. 11 Athenischer Staatsmann, *ca. 450. 12 Hor. Ars 38 – 40. 13 Inst. 10,3,12 – 15. 14 Annaeus oder Annius Florus: dieser Schriftsteller ist nach moderner Auffassung wohl identisch mit L. Annaeus Florus, dem Verfasser der Epitome de Tito Livio. 15 Georg. 4, 156 – 157. 16 Aen. 1,430 – 431. 17 Aen. 6,707 – 709. 18 Verg. Georg. 1,299. 19 Verg. Georg. 4,49 – 50. 20 Vgl. Cic. De fin. 3,10,35. 21 Georg. 4,100 – 102.
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22 Die Jahreszahl steht vielleicht wie beim vorangehenden Brief für eine Überarbeitung; möglicherweise ist der ganze Brief 1338 entstanden oder eine Fiktion; vgl. zur Datierung Fam. 1,7 Anm. 17 und Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,9, an Tommaso Caloiro1 Zum Studium der Beredsamkeit. 1. Zusammenhang von Denken und Reden wie von Sitte und Sprache. 3. Der Weise kann die Übereinstimmung seiner Wünsche erlangen. 4. Das ist Voraussetzung für gutes Reden. 6. Oft helfen Worte besser als Taten. 8. Sprache ist Kommunikationsmittel über Räume und Zeiten hinweg. 9. Beim Ergründen der Wahrheit bleibt zu jeder Zeit ein Rest. 12. Vom Nutzen der Lektüre eigener Schriften. Am 1. Mai (1338; Fassung von 1350/51).
1. Die Sorge für die Seele erfordert den Philosophen, aber die Schulung der Sprache ist Sache des Redners. Keines von beidem dürfen wir vernachlässigen, wenn wir das Ziel haben – wie man sagt2–, „uns vom Boden zu erheben und unter allen Leuten von Mund zu Mund zu fliegen“. Doch über das Erstgenannte ein andermal! Es stellt eine bedeutende Sache dar und erfordert gewaltige Anstrengung; die Ernte freilich ist überreich. An dieser Stelle aber – um nicht abzuschweifen von dem, was mich verlockte, zur Feder zu greifen – empfehle und rate ich, nicht einzig nur das Leben und die Sitten zu bessern (was freilich unter den Werken der Tugend das Wichtigste ist), vielmehr auch den Sprachgebrauch zu schulen, wie die Pflege der Redekunst uns beibringt. 2. Denn die Rede ist eine nicht unbedeutende Verkünderin der Seele, und die Seele ihrerseits ist eine Bildnerin der Rede.3 Die eine hängt von der andern ab. Allerdings verbirgt sich die eine in der Brust, während die andere in die Öffentlichkeit hinaustritt. Die eine ordnet der anderen, bevor sie hinaustritt, das Haar und formt sie nach ihrem Willen; heraustretend verkündet eben diese vom Wesen jener andern. Dem Urteil der einen wird gehorcht; dem Zeugnis der andern wird vertraut. Für beide hat man Sorge zu tragen, denn die eine hat der andern gegenüber nüchtern streng zu sein, und gleichzeitig hat die andere der ersten gegenüber wahrhaft grossmütig zu handeln. Und wirklich, wo die Seele gepflegt wird, kann die Rede unmöglich verkümmern, und umgekehrt kann die Rede unmöglich mit Würde geschmückt sein, wenn die Seele ihrer Hoheit beraubt wird. 3. Würde es dann etwa helfen, tief in die ciceronianischen Quellen unterzutauchen, auch das griechische Schrifttum und das unsre4 gut zu beachten? Gewiss: Schön, heiter, schmeichlerisch und hochtönend wäre dann die Rede, doch gehaltvoll, ernsthaft, weise und (was gar am wichtigsten ist) folgerichtig wäre sie trotzdem noch nicht. Denn zuerst müssen unsere Wünsche unter sich übereinstimmen, was einzig – das merke Dir! – ein Weiser erlangen kann. Vermeiden lässt sich nämlich nicht, dass, solange sich unsere Sorgen widersprechen, auch unsere Sitten und Worte sich befehden. Dagegen ist der wohlgeordnete Geist wie ein beständig heiterer Himmel, immer friedvoll und ruhig; er weiss, was er will, und was er einmal gewollt hat, das zu wollen, hört er nicht auf. Und selbst wenn ihm dabei das Rüstzeug der Redekunst mangelte, so würde er
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doch immer die herrlichsten, gewichtigsten und zweifellos auch die miteinander übereinstimmenden Worte aus sich hervorlocken. 4. Leugnen kann man gewiss nicht, dass etwas ganz Einzigartiges immer dann hervorbricht, wenn sich seelische Aufregungen gelegt haben (solange sie herrschen, ist kein glückliches Gelingen zu erhoffen) und wenn man sich danach für die Bemühung um gute Redeweise Zeit nimmt. Wenn wir der Sprache nicht persönlich bedürften und wenn unser Geist – auf eigene Kräfte gegründet und seine Gaben in aller Stille entfaltend – die Unterstützung der Worte nicht benötigte, so müssten wir doch mindestens zum Nutzen der Mitmenschen diesem Studium obliegen, denn dass wir ihnen gerade mit unseren Gesprächen behilflich sein können, ist unbestritten. 5. Du wirst mich unterbrechen und einwenden: „Ach, wie viel sicherer für uns und wie viel wirksamer für andere wäre es, wenn wir, um sie zu überzeugen, vor ihren Augen Beispiele unserer Tüchtigkeit errichteten, so dass sie – durch deren Schönheit begeistert – zur Nachahmung hingerissen würden. Denn es entspricht unserem Wesen, uns viel eher und leichter durch Taten anstacheln als durch Worte aufrütteln zu lassen und auf eben diese Weise auch rascher jede Höhe der Tüchtigkeit zu erklimmen.“ – Ich sage nichts dagegen, und was ich darüber denke, konntest Du schon oben erkennen, als ich vor allem dazu riet, zuerst die Seele zu ordnen. Denn nicht von ungefähr, so meine ich, hat der Satiriker5 gesagt: „Schuldest mir die Gaben des Geistes als erste“; sie wären ja nicht die ersten, wäre ihnen etwas anderes vorausgegangen. 6. Und dennoch: Wie viel auch die Beredsamkeit zur Gestaltung des menschlichen Lebens beiträgt, kann man bei vielen Autoren lesen und dank täglicher Erfahrung einsehen. Wie viele kennen wir doch, bei denen zu unserer Zeit die beispielhaften Taten von seiten der Ermahnenden nicht das Geringste bewirkt hatten und die plötzlich, wie aufgeschreckt, auf die blossen Worte anderer hin sich von einem völlig abscheulichen Lebenswandel weg und zur grössten Selbstbeherrschung bekehrten. 7. Ich will Dir jetzt nicht auch noch berichten, was zu diesem Gegenstand Cicero in den Büchern „Über die Erfindungsgabe“6 weitschweifig ausführt; man kennt die Stelle ja aufs beste. Auch die Fabel von Orpheus und Amphion7 füge ich nur aus einem einzigen Grund an; denn wird zwar von ihnen gesagt, der eine habe die wildesten Tiere, der andere Bäume und Felsen durch die Tonkunst erschüttert und ganz nach Belieben geleitet, so besassen doch beide zudem eine ungewöhnliche Redebegabung. Und eben dank dieser hat8– so sagt man – der eine die zügellosesten und schrecklichsten Menschen, die sich in ihrem Betragen von reissenden Bestien kaum unterschieden, der andere ganz bäurische und denkbar rohe, unbezwingbare Leute zu edler Gesittung und Geduld in allen Dingen befähigt. 8. Bedenke überdies, dass uns durch die Sprachkenntnis gewährt wird, sogar den Menschen in fernen Gegenden zu nützen. Zu ihnen, die unsere Person und Gesell-
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schaft wohl nie zu erreichen vermöchten, kann immerhin unsere Rede gelangen. Und was wir schliesslich den später Geborenen mit der Sprache weiterzugeben imstande sind, können wir am besten ermessen, wenn wir betrachten, was die Geisteskraft unserer Ahnen uns an Herrlichem gegeben hat. 9. Doch auch hier wirst Du widersprechen: „Wozu sich noch weiter bemühen? Ist doch alles, was den Menschen förderlich ist, schon vor tausend Jahren in so zahlreichen Bänden in wunderbarer Schreibweise und mit göttlicher Geisteskraft aufgezeichnet worden und bleibt uns für immer erhalten.“ – Leg, bitte, diese Sorge ab! Niemals soll Dich dieser Umstand zur Trägheit verleiten.9 Diese Furcht nämlich haben uns einige der alten Autoren genommen, und ich nehme sie jetzt denen, die nach mir kommen. Zehntausend Jahre mögen vorbeigehen, Zeitalter sich an Zeitalter reihen: Niemals wird die Tugend genügend gelobt sein, niemals wird für die Liebe zu Gott und gegen den Hass auf das Böse eine ausreichende Zahl von Anweisungen vorhanden sein, und niemals werden scharfsinnige Köpfe den Weg zu neuen Einsichten verbaut finden. 10. Darum seien wir hochgemut! Wir bemühen uns nicht umsonst, und nicht vergeblich werden sich jene bemühen, die einst nach vielen Epochen am Ende des alternden Weltalls heranwachsen. Eher ist zu befürchten, das Menschengeschlecht werde vergehen, bevor es dank der Pflege menschlicher Wissenschaft bis ins innerste Heiligtum der Wahrheit hineindringe. 11. Ja, selbst dann, wenn uns keine Liebe zu den Mitmenschen verpflichtete, dürften wir dennoch, wie ich meine, das hervorragende und für uns so fruchtbare Studium der Redekunst nicht zum Minderwertigen rechnen. Mögen andere für sich selber schauen! Was aber mich betrifft, so kann ich mir nicht einmal ausdenken, wie ich je leichthin auszudrücken vermöchte, was bestimmte vertraute Worte und Zeichen in meiner Einsamkeit bewirken, und zwar nicht nur solche, die ich im Herzen hervorbringe, sondern auch solche, die ich laut ausspreche und mit denen ich den schlafenden Geist zu wecken gewohnt bin. Ja, ich kann auch gar nicht hoffen, je zu schildern, wie sehr es mich erheitert, fremde und häufig auch eigene Schriften immer neu zu überdenken, oder wie sehr ich dank solcher Lektüre eine Befreiung von schlimmsten und heftigsten Anfechtungen erlebe. 12. Ja, ich behelfe mir bisweilen ganz besonders gern mit eben den eigenen Schriften; sie wirken gegen meine Krankheit am besten, denn sie gleichen der mitwissenden Hand eines kranken Arztes, der sie dort auflegt, wo er spürt, dass der Schmerz seinen Sitz hat. Und wahrhaftig, ich würde solche Hilfe niemals erlangen, wenn die Worte nicht an sich selber wohltätig wären, fähig, meine Ohren zu erquicken und mit der Kraft ihrer innewohnenden Süsse zum häufigen Überlesen zu ermuntern, nämlich sanft in mich eindringend, um mit verborgenen Stacheln mein Innerstes zu durchbohren. Lebe wohl! Am 1. Mai (1338; Fassung von 1350 oder 1351).10
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Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,7 und Fam. 1,8 an den gleichen Adressaten. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. das Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. Verg. Georg. 3,9. 3 Sen. Ad Lucil. 115,1 ff. 4 Gemeint ist wohl das nach der Antike geschriebene, vor allem auch das christliche Schriftwerk. 5 Iuv. Sat. 8, 24. 6 De inv. 1,1. 7 Orpheus, ruhmvoller Sänger; Amphion, Erfinder der Leier. 8 Vgl. Hor. Ars 391 – 397. 9 Vgl. Sen. Ad Lucil. 64,7. 10 Geschrieben wurde der Brief vielleicht 1338. Er bildet eine Einheit mit Fam. 1,7 und 1,8 ff.; vgl. Fam. 1,7 und dort die Anm. 17, auch Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,10, an Tommaso Caloiro1 Der Geizhals. 1. Scherzhafte Schilderung eines alten Geizhalses. 2. Zitat aus einer Komödie des Plautus. 4. Über die Gefahr der Extreme. (Fassung von 1350/51)
1. Dir sei mitgeteilt, dass Dein Greislein in bester Verfassung ist. Gute Gewohnheiten kräftigen nicht allein den Geist, sondern auch den Körper, und Genügsamkeit ist die Schwester einer guten Gesundheit. Er aber wird, das wisse, sofern er nicht Hungers stirbt, unsterblich sein; so ausgetrocknet und ausgefegt ist sein Körperchen, dass da kein Platz für ein Fieber oder Zipperlein bleibt. Worin die Nahrung des Mannes besteht, verrät gerade sein Äusseres: Bleiches Gesicht, Magerkeit, hohle Augen, Kummerfalten und ungezähmte Strenge; dazu ein Schuh so hoch gestelzt wie ein Kothurn und ein vor Alter zerschlissenes Mäntelchen. Wäre er nur etwas belesen, könnte man von einem Philosophen sprechen; denn einen philosophischen Rücken hat er und auch tragische Füsse. 2. Sonst noch etwas dazu zu fügen, wäre überflüssig. Um aber mit wenigen Worten zu schliessen, sage ich, er sei nicht unähnlich jenem Greis, dessen Gewohnheiten und Geistesverfassung in der Komödie „Der Geldtopf“ von Plautus2 ein Diener mit bissigem Witz übergossen hat:
„So trocken ist ein Bimsstein nicht wie dieser Greis. … Sein Hab und Gut sei hin, entwurzelt sei er selbst, So schreit er, wenn dem kleinsten Scheit ein Rauch entweicht, Auf dass ihn Gott und Menschen retten aus der Not. … Dieweil er schläft, verstopft ein Sack den offnen Mund, Damit nur ja kein Seelenhauch nach draussen fährt; Und tiefer unten ist ein andres Loch verstopft, Damit auch hier kein Seelenhäuchlein ihm entweicht. … Zum Waschen Wasser auszugiessen, schafft ihm Pein. Erbitte seinen Hunger Dir; er leiht ihn nicht. Die Nägel hatte ein Barbier ihm jüngst gekürzt: Er raffte alle Schnitzel auf und trug sie heim. … Dann raubte ihm – beim Styx– ein Vogel Stücke Fleisch: Zum Prätor ging der Mann und tat wie nicht gescheit;
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Er forderte sein Recht, er heulte weh und ach, Der Vogel müsse, wie nur billig, vor Gericht; – Ich wüsste Dir sechshundert Sachen, hätt’ ich Zeit.“ 3. Soviel jener. Für unseren Greis hier wird ein tüchtiger Schwätzer sechsmal sechshundert Geschichtlein erfinden. Milo, den Gastgeber des Apuleius,3 würde man der Verschwendung bezichtigen, hätte man bloss einmal gesehen oder gehört, wie dieser Alte nach ökonomischen Vorschriften, die kein Philosoph je gekannt hat, sein Hauswesen regelt. Doch allzu sehr verweilen wir bei fremden Lastern. Kehren wir also zu den eigenen zurück. 4. Denn wir Sterbliche leiden beinahe alle an der einen und gleichen Krankheit, dass wir uns von einem Extrem ins andere stürzen. Darum ist ja sehr wahr, was Flaccus4 gesagt hat: „Meidet ein Laster der Tor: ins gegenteilige rennt er“. Was halten wir denn vom Unterschied zwischen den Duftkügelchen eines Rufilius und dem Bocksgestank eines Gorgonius oder zwischen dem Verzicht des Aristippus und dem Epigramm des Staberius?5 Unnötig, im Unwegsamen umherzuirren und weit und breit zu suchen, was selig macht. Denn die Laster wohnen in den Extremen, die Tugend ist in der Mitte.6 Lebe wohl. (Fassung von 1350/51)7
Anmerkungen 1 Vgl. die vorausgehenden Briefe an Tommaso und die späteren Fam. 3,1 – 2. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Aul. 2,4,299 – 305; 308; 311 – 313 und 316 – 320. 3 Metam. 1,21 ff. 4 Serm. 1,2,24. 5 Zum ganzen Satz vgl. Hor. Serm. 1,2,27; 1,4,92; 2,3,84 – 102. Rufilius war ein Geck, Gorgonius ein Schmutzfink; Aristipp liess Sklaven Gold wegwerfen, damit sie rascher laufen könnten; Staberius bezifferte auf seiner Grabschrift die Grösse seines Reichtums. 6 Hor. Carm. 2,10,5. 7 Zur Jahreszahl vgl. Fam. 1,7 Anm. 17 und Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,11, an Tommaso Caloiro1 Der Schmarotzer. Beschreibung eines hungrigen Schmarotzers auf Verlangen des Freundes. (Fassung von 1350/51)
1. Glücklich habe ich wohl die erste Prüfung überstanden. Du legst eine zweite vor. Sehen willst Du, so nehme ich an, was ich in der Gattung der Charakterschilderung leisten kann. Zwar wäre mir lieber, Du wolltest mich im Loben als im Gegenteil erproben; aber da es Dir anders gefällt und es ohne Namennennung geschehen kann – eine genaue Umschreibung gewinnt freilich den Wert eines Namens – will ich mich auch dieser Aufgabe unterziehen. 2. Was Du suchst, ist ein vagabundierender Schmarotzer, wie Horaz2 ihn beschreibt: „… der seine Wiege nicht sicher bezeichnet, Ja, vor dem Essen nicht weiss, kann er Bürger und Feind unterscheiden“. Er ist, kurz gesagt, von allen, die je dem Schmarotzerberuf ihre Mühe zuwandten, der aufsässigste, und dennoch um gar nichts glücklicher, als wenn er von allen der faulste wäre. Denn der Schiffer fürchtet nicht so sehr das Riff oder der Landmann den Hagel und der Händler den Dieb, wie jedermann ihn. Alle weichen ihm aus, alle überlassen ihm den Weg, grad wie wenn er als Dorngestrüpp daherkäme. Überall findet er leere Strassen, verlassene Höfe, verschlossene Türen. Bei seinem Erscheinen ergreift man die Flucht, gleich als führte er den Krieg im Schoss. 3. Nie aber geschieht das in so lästiger Weise wie zu dieser Jahreszeit. Der Sommer ist ja immerhin für die Armen eine Zuflucht. Ein einziger Baum reicht als Kleid, als Nahrung, Dach und Bett. Was aber tut er jetzt? Verschworen haben sich gegen ihn der Winter, das Alter und die Dürftigkeit. Niemand reicht Hilfe und – was unter allem das Härteste ist – seine Erbärmlichkeit ist ohne Erbarmen. 4. Ich habe ihn heute gesehen, als ein starker Nordwind ihn jagte. Er ging mit hoch geschürztem Kleid und hatte sein Haar den zausenden Winden überlassen, ähnlich wie die Venus Vergils.3 Ihm fehlte eine gelbgraue Mütze aus Wolfspelz für den Kopf; mit dem übrigen, nämlich mit einem hernikischen, von den Pelasgern4 überlassenen Gewand, sah er aus, als ziehe er in den Krieg, und was die Füsse anging, war der linke nackt. Ein solcher Ingrimm stiess ihn voran, dass auf ihn wohl passen dürfte, was bei Plautus5 jener vorwärts stürmende Parasit ausrief: „Wurfgerät ist mir meine Faust, als Katapulte dient mir der Arm, Widdern gleich sind die Schultern …“.
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So sah er aus, doch waren an seinen Mienen die Spuren lange währenden Hungers zu erkennen. Ja, er war ein Mensch, wie ihn ebenfalls Plautus6 gezeigt hat: „Keinen, der besser zu fasten versteht und den der Hunger so ganz verzehrt Kenn’ ich, auch keinen, dem weniger glückt, was immer er da oder dort versucht.“ 5. Als ich zuletzt aus seinem Blickfeld weg in ein Gässlein einbog, gleichsam um dem Piratenschiff in einem Versteck zu entkommen, sah ich, wie er im Vorübergehen Dampfwolken durch Nebelschwaden aushauchte, und mir war, als zöge ich an der Spelunke des Cacus7 oder an einer der äolischen Inseln8 vorbei. Dabei hörte ich ein sonderbar tremolierendes, verworrenes Geräusch aus seinem Rachen hervorbrechen; was er sagen wollte, weiss ich nicht, so abgehackt waren seine Worte. Aber ich denke, dass er seine Füsse und Schultern mit dem satirischen Trostspruch ermunterte:9 „… Haltet durch; bald kommen die Grillen“.10 Damit hast Du das Gewünschte. Zum Lästermaul hast Du mich gemacht! Lebe wohl! (Fassung von 1350/51)11
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Vgl. die vorangehenden Briefe an den gleichen Tommaso. Epist. 1,15,28 – 29. Aen. 1,319. Die Herniker waren ein in Latium siedelndes Volk, die Pelasger aus Griechenland nach Italien gekommen. Capt. 4,2,796 – 797 Capt. 3,1,446 – 447. Ein Strassenräuber, der Herkules Rinder stahl. Der Ort, wo ein Sack, den der Windgott Aeolos an Odysseus gegeben hatte, geöffnet wurde, so dass ihm alle Winde entströmten. Iuv. Sat. 9,69. Die Grillen stehen für den Sommer. Zum Datum vgl. Fam. 1,7 Anm. 17 und Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 1,12, an Tommaso Caloiro da Messina1 Über das Geschwätz eines Dialektikers. 1 Ein Dialektiker kann von Attacken nicht abstehen. 2. Die Behauptung, die Dichtung bringe keinen Nutzen, widerlegt Petrarca nicht. 4. Er verteidigt aber ihre Würde. 5. Berufung auf Aristoteles. An der Quelle der Sorgue, am 11. Dezember (Fassung von 1350/51).
1. Sieh da, schon wieder werden wir auf die Probe gestellt. Dein Dialektiker kann,2 wie Du schreibst, nicht zur Ruhe kommen. Du wunderst Dich? Mich würde wundern, wenn er es könnte, da sein ganzer Ruhm im Lärmen und Schimpfen besteht. Doch ein Glück, dass er nicht zu schreiben versteht und ich ihn nicht vernehmen muss. Meine Ohren, aber auch meine Augen sind wegen der Trennung durch Meer und Land vor seiner Dummheit sicher.3 Das ganze Gewicht dieses lästigen Streithahns fällt daher einzig Dir auf den Kopf. Und das ist nur gerecht; denn Du bist es gewesen, der meinen Brief den Dialektikern gezeigt hat. 2. Von allem, was Du offenbar von diesem heiseren Gekläffe begriffen hast, ist dies das Erste und Wichtigste, dass unser Kunstzweig von allen der unnützeste sei. Sieh, da hat er nun das Virus, das er in anderen Briefen androhte, ausgespuckt. Aber ist das nun alles, was er gegen unsere Studien vorzubringen versprochen hat? Herrlich! Euer Kunstzweig, so sagt er, ist von allen der „unnützeste“. 3. Da schauen wir doch diesen Kunstzweig zuerst einmal an. Ich weiss nämlich nicht, welchen er uns zuschreibt, nehme allerdings an, er verstehe darunter die Dichtung. Diese also wäre nach seiner Auffassung völlig unnütz. Dem widerspreche ich nicht; das meinen ja auch die Unsern. Denn „Lustvoll sei Poesie dem Gemüt; dazu ward sie geboren“, wie gerade Flaccus4 bezeugt. Und die Sache an sich lehrt ebenso, die Dichtung sei zur Freude und zur Zierde entstanden, nicht aber zum Nutzen. Es lebe also Dein Dialektiker und überschütte uns nur weiter mit seinen gehörnten Schlussfolgerungen, solange er mit uns einig geht und nicht in jeder Hinsicht unwissend ist, wie ich glaubte. 4. Doch sein überstürztes und brandendes Denken bleibt keineswegs innerhalb dieser Grenzen. Wie geht es weiter? Ein verrücktes Enthymem5 windet er heraus: „Je weniger nützlich,“ sagt er, „desto weniger edel“. Oh wie schlecht versteckt sich der Unsinn! Schon erweist er sich nicht mehr als Dialektiker, sondern als Phrenetiker. Es sollen also die Arbeiten der Schuster und Bäcker und selbst die niedrigsten mechanischen Künste, da die Nützlichkeit zu adeln vermag, zu den edelsten unter allen gehören, während die Philosophie und alle anderen Disziplinen, die immer das Leben beglücken, bilden und schmücken, nur weil sie zum Nutzen der grossen Menge nichts beitragen, unedel sein! 5. Oh welch eine unerhörte und exotische Lehre! Selbst einem Aristoteles, dessen Namen sie missbrau-
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chen, ist sie ganz unbekannt! Dieser nämlich sagte: „Nützlicher alle anderen, würdiger keine.“ – Lese er doch das erste Buch seiner Metaphysik;6 dort wird er es finden. Doch damit heisse ich den Alten, in einem fremden Bereich und auf steinigem Pfad die Wahrheit suchen! Keine geringe Mühe! Lebe wohl! Am 11. Dezember, an der Quelle der Sorgue (Fassung von 1350 – 51).7
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. die andern Briefe an Tommaso, aufgezählt unter „Adressaten“. Vgl. Fam. 1,7. Der Dialektiker befand sich in Sizilien, Petrarca in Vaucluse. Ars 377. Ein elliptischer Schluss. Metaph. 983 a,10 – 11. Zur Datierung vgl. Fam. 1,7 Anm. 17 und Wilkins, Petr. Corresp. 50.
Fam. 2,1, an Philippe, Bischof von Cavaillon (Cabassoles)1 Den Tod der Seinen soll man gleichmütig ertragen. 1.Vorsatz, dem Freund zum Tode eines Bruders einen Lobpreis auf hohe Tugend zu schreiben. 3. Über die richtige Art zu trauern. 6. Allgemeine Fragen nach der Sterblichkeit. 7. Einwendungen gegen Trostworte und Antworten darauf. 12. Der Tod des Sokrates. Für edle Menschen hat der Tod nichts Erschreckendes. 19. Das Beispiel Monicas. 20. Über den Glauben an ein ewiges Leben auch unter den Heiden. 26. Das Leben hier ist Exil. 31. Vorbilder für Jenseitsglauben aus der Antike. 38. Petrarca habe den Tod eines Bruders, nicht eines Sohnes erlebt. An der Quelle der Sorgue, am 25. Februar (1338).
1. Eine ganz beträchtliche Schreibarbeit erspart mir jetzt Dein tapferes Verhalten. Wie beim Körper so ist es auch beim Geist: Je bedenklicher die Verletzung, desto schwieriger die Heilung; sind aber beide gesund, benötigen sie überhaupt keine Medizin oder nur ganz wenig. Und wie man im einen Fall gar keines Arztes bedarf, so im andern bloss eines gelinden Trostes oder keines. Mit Dir, verehrtester Freund, würde ich recht behutsam umgehen, wenn Dich ein Unglück gebrochen oder niedergeworfen hätte; doch weil Du gegen den Ansturm Fortunas Dich unerschrocken zu zeigen weisst, hast Du mir – die Aufgabe eines Trösters entziehend – bloss die Pflicht eines Lobredners und Bewunderers überlassen. 2. Damit hast Du mir, wie angedeutet, den Stoff für einen besonders erhabenen Stil geraubt. Die Tröstung nämlich behilft sich vieler hoheitsvoller Worte und behilft sich ernster aufmunternder Denksprüche, um in die Seele des trauernden Zuhörers einzudringen; dagegen genügt bei Mannesmut ein bloss einfaches, kunstloses Zeugnis, und ganz überflüssig ist dabei, eine sachliche Wahrheit mit aufgebauschten Zierereien zu verhüllen. Denn die Tugend heisst sich selber gut und begnügt sich mit dem eigenen Lob, ohne nach lautem Theatergetöse zu fragen. 3. Ich kam neulich zu Dir wegen eines beklemmenden Gerüchts vom frühzeitigen Tod Deines liebenswertesten Bruders,2 und wie sehr Deine Seele erschüttert sein müsse, ermass ich an meiner eigenen Verwirrtheit. Dabei bedachte ich nicht, was oft geschah, dass nämlich irgendwelche Schläge, die schwächlichen Jungsoldaten todbringend waren, von einem tapferen und erfahrenen Soldaten geringgeschätzt wurden oder dass gewisse Leute durch das Strömen fremden Blutes zu Tode erschreckt aufschrien, stöhnten, erbleichten und in Ohnmacht fielen, während gleichzeitig die Opfer, die ihr eigenes Blut vergossen, schweigend und unerschrocken dastanden und ihre blutenden Wunden mit trockenem Auge betrachteten. 4. Ich kam also zu Dir voller Trauer, trat zu einem Gesunden als ein kranker Arzt und fand, dass Du, zwischen dem Schmerz der Anhänglichkeit und der Würde persönlichen Anstandes verharrend, in Deinem Gesicht sowohl die Zeichen brüderlichen Mitgefühls wie die der tapferen Zuversicht zeigtest. Beides hat mich be-
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ruhigt; das eine geziemt Deiner Milde, das andere Deiner Weisheit. Menschlich ist es, beim Tode der Seinen die von Liebe zeugenden Tränen zu vergiessen; tapfer ist es, ihnen ein Mass zu setzen und sie, solange sie fliessen, zu hemmen. Dass Du beides in rechter Weise getan hast, verrieten eben Deine Mienen. 5. Zudem fandest Du Worte voll bedeutender Gedanken, die mich, gewillt Dich zu trösten, darüber belehrten, dass Du einer Hilfe weniger bedürfest als ich, der aus Deiner Rede eine Linderung meiner Besorgnisse schöpfte. Nichts will ich daher nach Art eines Tröstenden reden. Aber ich lobe, anerkenne, bewundere und bestaune die grosse Stärke Deines Geistes. 6. Einen ausgezeichneten Bruder hast Du verloren, nein, nicht verloren, sondern ins Vaterland vorausgeschickt, zu dem auch Du gelangen musst. Doch lass uns sprechen wie die Menge, aber nicht denken wie die Menge: Deinen Bruder hast Du verloren, und Du hättest ihn nicht verloren, wäre er nicht sterblich gewesen. Die Klage dreht sich folglich nicht um das Sterben eines einzelnen Menschen, sondern um die Sterblichkeit unserer Natur. Diese aber führte uns unter der Bedingung ins Leben ein, dass wir auf den Befehl eines Rückrufes wieder hinausgehen würden. 7. „Aber zurückgerufen hat sie ihn vor der Zeit und scheint mit einer vorschnellen Verfügung ein Unrecht begangen zu haben.“ – Nein. Es gibt da keine zum voraus bestimmte Zeitspanne; wir sind Schuldner ohne bestimmte Grenzen. Wären wir auf einen bestimmten Tag hin verpflichtet, könnten wir vielleicht aufschieben und ausweichen wollen und könnten der uns fordernden Stunde auch geizende Kleinlichkeit vorwerfen. Doch nun können wir über Eilfertigkeit keineswegs klagen, als würde von uns schon vor der Zeit etwas zurückgefordert, denn wir sind Schuldner, kaum dass wir empfangen haben. 8. „Doch er hätte länger leben können.“ – Ja, er hätte auch früher sterben oder anders sterben können oder er hätte – obwohl einen ehrbaren Menschen kein ehrloses Sterben ereilen kann – auch grausamer sterben können. Er aber hat so gelebt und ist so gestorben, dass Du Gott dafür danken musst, weil er ihn so, wie er war, gegeben und in solcher Weise genommen hat. 9. Und wenn Du die Geschicke menschlicher Dinge und die Unterschiede der Begebnisse einmal beachtest, wirst Du nicht bloss nicht trauern, sondern vielleicht auch froh sein, dass er gestorben ist. Denn oft beschneidet der Tod die Mühen dieses Lebens und oft beugt er ihnen vor. Wer könnte die Angstzustände und Beschwerden dieser Welt aufzählen, wer ihre Entbehrungen, Betrübnisse und all die Beschimpfungen durch Fortuna, wer die Gefahren für Geist und Leib und die Menge all der Krankheiten, die über die beiden ein Recht haben? Selbst wenn wir nicht just von allen erdrückt werden, unterstehen wir ihnen doch immer, bis der letzte Tag von ihrer Gewalt uns loskauft. 10. Von all diesen Plagen also ist Dein Bruder dank der Wohltat eines rechtzeitigen Todes jetzt befreit. Und darin, gütigster Vater, täuschen wir uns und irren wir, dass wir von Sterbenden sagen, sie würden den Annehmlichkeiten des Lebens entrissen,
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wo sie doch, wenn man genauer hinsieht, unzähligen Übeln dank ihrem Tod entkommen. Das könnte ich sehr leicht mit Autoritäten, Vernunftschlüssen und Beispielen beweisen, wenn nur die Kürze eines Briefes eine lange Rede nicht ausschlösse. Schon fürchtet also der glückliche junge Mann alles das nicht mehr. Er floh von hier und entfernte sich ein wenig von uns, hinterliess uns aber dank seinem Ansehen solchen Wohlgeruch, dass er mit nicht geringer Annehmlichkeit uns Gedenkenden Sinn und Herz umschmeichelt. 11. „Aber das,“ so wird einer sagen, „beklagen wir, dass uns der Tod einen guten und hochgeachteten Menschen entrissen hat. Das Lob auf Verstorbene entlockt den Hinterbliebenen Tränen, indem es die Erinnerung auffrischt, und die immerwährende Entbehrung bringt untröstlichen Jammer hervor.“ – Gewiss, mir ist nicht unbekannt, dass viele so zu sprechen pflegen. Aber ich (und das habe ich Dir, wie mir erinnerlich, schon mündlich gesagt) denke darüber ganz anders. 12. Zur Todesstrafe wurde Sokrates durch ungerechteste Richtersprüche verurteilt,3 und er ging zum Sterben in der gleichen Gesinnung, die er zeit seines Lebens gewahrt hatte, tapfer und aufrecht als einer, der sich dem Joch Fortunas nie gebeugt hatte. Froh war er, dem Drohen der Tyrannen, das er im Leben verachtet hatte, im Sterben zu entgehen. Als er mit solcher Festigkeit den ihm vom Henker gereichten Giftbecher schon an die Lippen setzte, fuhr seine völlig anders fühlende Gattin4 dazwischen, und zu den verschiedenen Klagen ihres weibischen Geheuls gehörte das Jammern darüber, dass ihr Mann als Gerechter und Unschuldiger sterbe. Als er das hörte, setzte er kurz seinen Becher ab, um zu ihr gewendet zu sagen: „Wie denn? Möchtest Du lieber, ich stürbe als schuldiger Übeltäter?“5 13. So jener! Ausgezeichnet wie immer! Ich aber, um meinen Faden wieder aufzunehmen, behaupte im Gegensatz zur Auffassung vieler Leute, man habe den Tod der Schlechten zu beklagen, weil er zugleich ihre Seele wie ihren Leib zerstöre, doch umgekehrt habe man den Tod der Guten mit Freuden zu begleiten, weil Gott sie dem Tal der Leiden mitleidsvoll entreisse und sie in frohere Regionen versetze. 14. Freilich könnte der Tod Deines Bruders darum besonders hart erscheinen, weil er ihn fern von seinem Vaterland ereilt hat. Doch wir sind nicht dermassen dumm; wir kennen den durchaus wahren Ausspruch eines Dichters,6 es sei „jeder Boden dem Tapferen Heimat.“ Aber wahrer als diese Wahrheit ist der Ausspruch des Apostels:7 „Wir haben hier keine bleibende Stätte, vielmehr suchen wir eine andere.“ 15. Die beiden scheinen sich auszuschliessen, tun es aber nicht; jeder drückt nach seiner besonderen Eigenart knapp genug seine eigene Meinung aus, und wiewohl in je anderer Weise, dennoch wahrheitsgemäss. Hältst Du Dich an den Dichter, so konnte Dein Bruder nicht ausserhalb seines Vaterlandes sterben; und glaubst Du dem Apostel, so sterben wir alle ausserhalb des Vaterlandes, um schliesslich in unser Vaterland heimzukehren. Und freilich, ob Du der einen oder der anderen
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Meinung zustimmst, findest Du nichts, weshalb Du über eine Entfernung der Todesstätte zu klagen hättest. 16. Die Lebenden haben zwar die Möglichkeit, entweder aus ehrenwerten oder aus unedlen Empfindungen zu behaupten, der eine Ort sei einem anderen vorzuziehen; aber den Sterbenden ist es gleichgültig, wo sie schliesslich verscheiden, und wenn einer noch anders denkt, hat er zu begreifen, dass er noch immer in die Dummheiten der Ammen und Irrtümer der Weiber verstrickt ist. 17. Ein Philosoph8 hat auf die Frage, wo man ihn begraben solle, geantwortet, ihm sei alles recht, denn „von überall her sei der Weg in die Unterwelt der gleiche“. Wir hingegen, denen Christus durch seine Himmelfahrt die Hoffnung zum Aufsteigen hinterlassen hat, wollen anders sprechen: „Was tut’s, ob wir in Italien, Gallien, Spanien oder an der Küste des Roten Meeres liegen? Von überall her ist der Weg in den Himmel der selbe.“ Auf dieser Fährte müssen wir voranschreiten, ob sie auch eng und schwierig sei; wir haben ja einen Führer, auf dessen Spuren wir unmöglich fehlgehen. 18. Sofern wir diesen Weg beachten, kümmert uns wohl nicht, wo wir die Bürde unseres Leibes abwerfen! Ausser wir wollten vermuten, am Jüngsten Tag sei es für uns besonders schwierig, einen abseits ruhenden Leib wieder an uns zu nehmen! 19. Doch das hat eine überaus fromme und ihres grossen Sohnes würdige Mutter9 nicht befürchtet, als sie sterbend ihr Begräbnis anordnete. „Legt diesen Leib“, so sagte sie, „irgendwohin; macht Euch seinetwegen keine Sorge“.Und man beachte, was sie auf die Frage, ob sie den Tod fern dem Vaterland nicht fürchte, zur Antwort gab: „Nichts ist fern von Gott, und ängstigen muss man sich nicht, dass er am Ende der Zeiten im Zweifel sei, wo er mich erwecke.“10 Dies die Worte einer christgläubigen11 Frau. Und wir, die dem gleichen Glauben anhangen und Männer zu sein versprechen, wollen weibischer denken? 20. Aber ich weiss, worüber Ungläubige beim Tod ihrer Freunde am heftigsten trauern, nämlich darüber, dass sie die innig Geliebten nie wieder sähen. Dabei hat das als eine Meinung der Heiden zu gelten, freilich nicht aller, sondern nur jener, die von den Seelen annehmen, sie gingen mit den Leibern zugrunde. 21. Gewiss hat Marcus Tullius, dessen Heidentum so ganz unzweifelhaft wie bedauernswert ist, bei seinem Glauben, dass die Seele unsterblich sei und dass den edlen Geistern nach diesem Leben die himmlische Wohnung offen stehe, richtiger gesprochen. Andernfalls hätte er nämlich in jenem Buch, das den Titel: „Cato der Ältere“ trägt, nicht den Greis Marcus Cato zitiert, der hoffnungsvoll die Worte äusserte:12 „Oh herrlicher Tag, an dem ich zur Vereinigung und Gemeinschaft mit jenen göttlichen Geistern aufbreche und mich aus diesem Haufen und dieser Wirrsal wegbegebe. Aufbrechen werde ich gewiss nicht bloss zu jenen Männern, von denen ich gesprochen habe, sondern auch zu meinem Cato,13 dem Besten aller Geborenen und ersten aller Pflichtgetreuen.“ 22. Und weiter an der gleichen Stelle:14 „Ich brenne vor Begierde, Eure Väter, die ich verehrt und geliebt habe, zu sehen; und nicht allein
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die mir persönlich bekannten will ich aufsuchen, sondern auch die andern, von denen ich gehört und gelesen und geschrieben habe.“ Diese und ähnliche Worte, die Cato gemäss Cicero gesagt hat, bezeugen zur Genüge, was jeder der beiden geglaubt hat. 23. Und was immer sie geglaubt haben mögen (und was zu einem grossen Teil leere und falsche Hoffnung war): uns jedenfalls wird von Jenem, der nicht getäuscht wird und selber nicht täuschen kann, die sichere Hoffnung verliehen, dass wir schliesslich dahin gelangen, wohin gemäss unserer Zuversicht Dein Bruder versetzt wurde. 24. „Doch was tue ich inzwischen“, wird einer fragen, „ich verzehre mich in Sehnsucht, ich vergehe vor Liebe, ich martere mich im Verlangen, meinen Bruder wiederzusehen?“ – Was tust Du, wenn nicht das, was alle tun, die durch irgendeinen Zufall von heiss geliebten Personen getrennt werden? Sie halten fest an der Erinnerung und verwahren das Bild der Abwesenden zutiefst in ihrer Brust geborgen; sie lieben jene, sie sprechen von ihnen, sie wünschen ihnen einen glücklichen Übergang. 25. Tu das selbe und, ich bin sicher, Du hast es schon getan. Birg Deinen Bruder in jenem Winkel Deines Herzens, aus dem kein Vergessen ihn austreibt. Liebe den Begrabenen wie einst den Lebendigen, oder gar viel heftiger! Zwinge ihn oft in getreuem und wiederholtem Gedenken, zu Dir zu kommen. Bete, dass der Weg für ihn segensreich werde und dass nach Überwindung feindlicher Anschläge seine Rückkehr ins Vaterland rasch vor sich gehe. 26. Dieses Leben ist ja nicht unser Vaterland und war auch nicht das seine; hier pilgern wir noch immer als Fremdlinge und hier warten wir mit vergeblichen Wünschen auf jenen, der nun zu Besserem flüchtet. Dieses Leben hier ist Exil; er aber ging fort ins Vaterland. Bitten wir, dass er wohlbehalten und mühelos ankomme; das kann ihm nützen, das wollen wir tun. Eine Pflicht der Treue ist es, für Verstorbene zu beten. Die Tränen hingegen sind Waffen der Weiber; Männern steht nicht an, sie zu vergiessen, ausser vielleicht ganz spärlich und ganz selten. Sonst gereichen sie den Weinenden zum Nachteil und den aus Liebe Beweinten nicht zum Vorteil. 27. Solltest Du auch jetzt noch durch irgendwelche Stacheln der Sehnsucht geplagt werden, bedenke, dass alles nicht für lange Zeit dauern kann – kurz ist ja des Menschen Leben –, so dass wir ihn, da er nicht zu uns zurückkehrt, mit Notwendigkeit schnell genug einholen. „Was rasch vergeht, muss eben deshalb erträglich sein,“ sagt Cicero,15 „selbst wenn es etwas Gewichtiges ist“. 28. Dein Bruder ist tausend Mühen entrissen worden, und wir hoffen zuversichtlich, dass er zur ewigen Ruhe gelangt ist oder über kurzem gelangen wird. Wir aber sind im Kampf mit der wogenden Zeit verblieben. Sollte aber einer sich bedauern, weil er zurückblieb, müsste er genau zusehen, ob er nicht jenes Wort des Tullius16 auf sich beziehen müsse, das lautet: „Fühlt sich einer durch sein eigenes Unglück bedrückt, liebt er nicht den Freund, sondern sich selber.“ Und fühlt er so im Hinblick auf den andern, muss man befürchten (wie jener anfügt),17 „es verrate eher einen Neidischen als einen Freund“.
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29. Das habe ich weniger zu Deiner Belehrung als zu Deiner Ehre ausgeführt; denn wie schon am Anfang steht, danke ich dem ewigen Tröster,18 dass Du fremden Trostes nicht bedarfst. Und wäre da gar ein Bedürftiger, was könnten ihm solche Sprüchlein helfen, die ich in Eile aus dem schon halb vertrockneten Quell meines Verstandes gepresst habe? 30. Überflüssig ist es, im folgenden vorbildliche Männer aufzuführen, von denen überliefert wird, dass sie den Tod der Ihren mit grossem Mut ertragen haben. Damit Du aber erkennst, welcher Schar ich Dich zuordne, und damit Du gestützt auf die so lange Reihe bei Deiner Zuversicht verharrst, will ich, soweit mein Gedächtnis hinreicht (nur wenige Bücher haben mich ja in diese Einsiedelei begleitet), einige der edelsten Beispiele aus der Menge der alten Zeiten hier anfügen. 31. Aemilius Paullus,19 eine überragende Gestalt, seiner Zeit und seinem Vaterland die grösste Zierde, hatte vier Söhne ganz glänzender Veranlagung, und indem er zwei von ihnen aus seiner Familie zur Adoption weggab, riss er sie von sich los. Die übrigen zwei raubte ihm der Tod in der Zeitspanne von sieben Tagen, und er ertrug solchen Verlust mit so hoher Gesinnung, dass er bei seinem öffentlichen Auftritt vor den Ohren des römischen Volkes über sein Unglück so tröstend sprach, dass es schien, er fürchte, der Schmerz könnte andere heftiger getroffen haben als ihn selber. Und daraus gewann er, wie ich meine, nicht geringeren Ruhm als aus seinem Triumph, den er in jenen Tagen denkbar grossartig gefeiert hatte. Denn durch die eine Tat erwies er sich als Sieger über Makedonien, durch die andere als Sieger über Tod und Schicksal. 32. Perikles,20 der Feldherr Athens, der in vier Tagen zweier Söhne beraubt wurde, unterliess nicht nur zu klagen, sondern änderte auch seinen gewöhnlichen Gesichtsausdruck nicht. 33. Wie sehr Cato der Ältere, der selbe, den ich oben erwähnt habe, von jedermann gelobt wird, wissen alle, die sich in der Geschichte auch nur ein wenig auskennen. Doch wichtiger ist, dass der Ruhm seines Namens sogar bei den der Geschichte Unkundigen weit verbreitet ist und dass kaum einer, der ihn gehört hat, zur Fülle seiner Weisheit etwas Neues hinzufügen könnte. So kommt es, dass Cato nach dem Urteil der Alten und ebenso nach der Übereinstimmung der Modernen als der weiseste von allen gilt. Nun aber bewundern wir unter all dem Herrlichen dieses Mannes nichts so sehr wie die bescheidene Art, mit der er den Tod seines Sohnes, eines vorzüglichen Menschen, ertragen hat. 34. Xenophon21 hat bei der Nachricht vom Tod seines Sohnes den Opferdienst, dem er beiwohnte, nicht verlassen. Nur den Kranz, den er auf dem Haupte trug, legte er nieder, um sich gleich nach Einzelheiten zu erkundigen; und als er vernahm, jener sei im tapferen Kampf gefallen, setzte er sich den Kranz wieder auf und zeigte damit an, man habe einzig den Tod eines schimpflich und feige Verscheidenden zu beklagen.
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35. Anaxagoras22 aber sagte zum Boten, der ihm den Tod seines Sohnes berichtete: „Nichts Neues und Unerwartetes vernehme ich. Da ich selber sterblich bin, wusste ich, der aus mir Geborene ist sterblich.“ Oh wie war diese Antwort des Menschen würdig! 36. Und dabei gibt es doch viele sogar aus der Schar der Philosophen, die allerdings die Gesetzlichkeit der Natur anzunehmen heucheln, aber die Umkehrung der natürlichen Todesfolge klaglos zu ertragen nicht vermöchten! Einem Anaxagoras hingegen konnte nichts widerfahren, was er nicht schon bedacht hatte; er erinnerte sich nämlich immerfort, wie Seneca überliefert, dass „alles sterblich sei und nach unsicheren Gesetzen sterblich.“ So hat denn der selbe auch an anderer Stelle erklärt, er wisse, „alles kann mir zustossen.“ Und eben daher ist es geschehen, dass er sagte, „ich wusste es.“ 37. Noch viele ähnliche Beispiele der Unerschütterlichkeit bieten sich an; doch die Briefgattung erlaubt nicht, noch mehrere anzuführen. Ich komme daher zum Schluss. Und sollte einer vielleicht denken, Dein geduldiges Ertragen habe mit den angeführten lobenswertesten Handlungen nichts gemein, weil Du nicht einen Sohn verloren habest sondern einen Bruder, so nehme ich gleichmütig hin, dass jeder denke, was er wolle. 38. Auch ich habe eben das andere erfahren; der Tod eines Sohnes blieb mir erspart,23 aber die Wunde, die der Tod eines Bruders schlägt, die habe ich empfangen;24 und darüber könnte ich Gewisseres sagen. Ich streite daher nicht und vergleiche nicht eine Trauer mit der andern. Nur das eine weiss ich: Oft ist es leichter, einen verlorenen Sohn zu ersetzen als einen Bruder. Lebe wohl. An der Quelle der Sorgue, am 25. Februar (1338).25
Anmerkungen 1 Der Angesprochene wurde um 1305 geboren; er stammte aus einer Familie, die der Dynastie der Anjou (Angiò) ergeben war. Seit August 1334 war er Bischof von Cavaillon, und zu seiner Diözese gehörte Vaucluse mit der Einsiedelei Petrarcas. König Roberto von Neapel bestimmte ihn im Testament zum Vizekanzler seines Reiches, doch wurde er dort als solcher nicht anerkannt. 1361 wurde er Patriarch von Jerusalem und 1366 Bischof von Marseille. Urban V. machte ihn 1368 zum Kardinal. Vgl. bei Dotti, Fam. zum vorliegenden Brief und Vita 51.104 und 270; vgl. auch Wilkins, Life das Register. – An ihn richtete Petrarca mehrere andere Briefe; vgl. unter „Adressaten“. Zu den im Text genannten Personen vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Zwei Brüder des Bischofs, Isnard und Isoard, sind bekannt. Wessen Tod hier gemeint ist, lässt sich nicht sagen. 3 Der Philosoph wurde fälschlicherweise als Gottesleugner 399 in Athen zum Tod verurteilt. 4 Xantippe. 5 Vgl. Val. Max. 7,2, ext 1. 6 Ov. Fast. 1,493. 7 Hebr. 13,14. Paulus ist für Petrarca nicht einer der Apostel, sondern der Apostel. 8 Vgl. Cic. Tusc. 1,43,104. Der Philosoph Anaxagoras lebte von ungefähr 500 bis 428.
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Mon(n)ica, die Mutter Augustins. Aug. Conf. 9,11,27 – 28. Im lateinischen Text steht „catholica“, was erst seit der Reformation eine Konfession meint. De sen. 23,84. „Mein Cato“ meint den verstorbenen Sohn des alten Cato. De sen. 23, 83. De am. 27,104. De am. 3,10.; Tusc. 1,46,111; etc. De am. 4,14. Gemeint ist die dritte Person in der göttlichen Trinität. Aemilius Paullus mit dem Beinamen Macedonicus wünschte, dass ein von ihm gefürchtetes Unglück nicht das Volk, sondern eher seine eigene Familie treffe. Perikles, der erfolgreiche Führer im Perserkrieg. Der Historiker und Philosoph Xenophon nahm an Kämpfen gegen die Perser teil; einer seiner Söhne verlor sein Leben in einem Reitergefecht. Zu Anaxagoras vgl. oben Anm. 8. Petrarcas illegitimer Sohn Giovanni starb 1361. Dieser Bruder starb im Kindesalter. Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,2, an Unbekannt1 Falsche Sorge um die Bestattung der Toten. 1. Ärger über Klagen eines Freundes wegen der Versenkung eines Toten ins Meer. 6. Manche Sorgen stammen von falschen Meinungen und blossen Gewohnheiten. Berühmte Beispiele (wie des Venezianers Lamba Doria) zeugen für überlegenes Verhalten. 12. Sie belegen, dass Bestattungsbräuche von Volk zu Volk und von einer Zeit zur andern verschieden sind.
1. Dass Du einen guten Freund verloren hast, betrübt mich. Doch grösser ist mein Ärger, dass Du Dein gesundes Urteilsvermögen offenbar verloren hast. Du tröstest Dich selber nicht männlich genug (oder sagen wir: nicht philosophisch), und weinst auch nicht in angemessener Weise über jenen Verstorbenen, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass der Tod eines tapferen Menschen eher neidisch als traurig zu betrachten wäre. Fasst man den Sinn Deines Schreibens kurz zusammen, scheint es gar, Du beklagtest nicht so sehr den Verlust Deines Freundes und seinen frühzeitigen Tod – was ich als verbreiteten Fehler vielleicht schonend behandeln könnte –, sondern bejammertest eher die Art seines Sterbens und das Unrecht, welches dem unbeerdigten Leib, dem ins ägyptische Meer geworfenen Kadaver, angetan wurde. 2. Eben das vermag ich als ein sehr gewöhnliches, ja weibisches Wehgeschrei nicht zu ertragen. Muss man, ich bitte Dich, einer so peinlichen Besorgtheit um die Art des Begräbnisses nicht das Wort entgegenhalten, man entbehre gar leicht eines Grabes? Oder hast Du den Vers Vergils2, der genau das verkündet, etwa vergessen, obwohl er sogar den Kindern so gut bekannt ist, dass er bereits als ein Sprichwort gilt? 3. Was den Tod betrifft, so täuschst Du Dich, wenn Du meinst, man werde durch ihn glücklich oder unglücklich. Zur Genüge bekannt ist der Vers eines anderen Dichters:3 „Unglück kommt nie durch den Tod …“ Es ist das Leben, das elend oder selig macht; und wer es bis zum letzten Atemzug gut geführt hat, ist glücklich, ist sicher, ist im Hafen. Weshalb aber glaubst Du, es habe etwas mit der Frage nach dem besten Geschick zu tun, ob einen Toten die Erde bedecke, das Meer umspüle oder die Flamme verzehre? 4. Weil ich nun aber begreife, dass Du ganz besonders wegen eines Begräbnisses, ja nur deswegen so sehr in Angst bist, frage ich: „Um wie viel glücklicher ist denn etwa ein in die Erde Versenkter als ein von Fluten Bedeckter? All das kommt wohl vom Grauen eines einzigen Vergilischen Verses:4 „Fische entsendet die Flut; sie umschwärmen fressgierig die Wunden.“
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Doch wenn wütende Hunde eines Menschen Wunden zernagten und wenn ein Rudel hungriger Wölfe Gräber aufwühlte und Menschenglieder zerrisse, was dann? Du wirst wohl erwidern: „Diese wären ebenso unglücklich“. 5. Somit würden also von allen Menschen nur jene glücklich, denen eine ungestörte Grabesruhe zuteil wird? Nichts ist kindischer als diese Meinung. Hätte man sich auch gegen alles vorgesehen, so könnte man die Leiber, die man wildem Getier versagt hat, schliesslich doch vor Würmern nicht retten. Und schon wird klar, was man in seiner Angst vor einer Berührung mit vielleicht prächtigen Tieren am Ende unausweichlich von verächtlichsten zu ertragen hat. 6. Wirklich, solches fürchten wir nur darum weniger, weil es uns infolge einer Gewohnheit längst alltäglich geworden ist. Und somit kannst Du erkennen, was ich immer wieder sage, und nicht etwa bloss aus mir selber, sondern im Einvernehmen mit berühmten Philosophen, dass nämlich das Lästige in unserem Leben nicht in der Natur der Dinge liegt, sondern im Unvermögen unseres Verstandes oder – um die Worte jener andern zu gebrauchen – in der Verkehrtheit unserer Meinungen. Vor dem Neuen bangt uns, das Gewohnte nehmen wir leicht! Warum, ich bitte? Doch einfach, weil im einen Fall der Verstand, unbewaffnet wie er ist, sich bei einem unerwarteten Anblick verwirrt, während er im anderen Fall dank häufig angestellter Überlegung sich einen Schild geschaffen hat, um ihn allem Missgeschick entgegenzustellen. 7. Beachte ein Verhalten der Seeleute! Wie gelassen ertragen sie, dass die Leiber der Ihren in die Fluten versenkt werden! Nur ein einziges berühmtes Beispiel von vielen will ich nicht verschweigen. Lamba Doria,5 ein äusserst gestrenger und überaus beherzter Mann, soll Admiral der Genuesen gewesen sein, und zwar in jenem ersten Seekrieg gegen die Venezianer, der unter allen Leistungen unserer Väter besonders denkwürdig ist. 8. Als er die feindliche Flotte gesichtet hatte und wusste, dass für seine, nur geringe Zahl Krieger die Stunde des Kampfes gekommen sei, ermahnte er die Seinen dem Augenblick entsprechend mit einer grossartigen, aber kurzen Rede und stürzte sich ins Handgemenge. Und als in diesem Treffen sein einziger Sohn, ein prächtig blühender Jüngling, der den Vorderteil des Schiffes verteidigen sollte, von einem Speer durchbohrt als erster unter allen stürzte, erhob sich rings um den Gefallenen ein fürchterliches Geheul, worauf der Vater herbeieilte und sagte: „Jetzt gilt nicht klagen, sondern kämpfen!“ 9. Und indem er, zum Sohn gewendet, erkannte, dass keine Hoffnung auf Leben bestehe, fügte er bei: „Du aber mein Sohn, könntest kein so herrliches Grab finden, würdest Du in der Heimat sterben.“ Mit diesen Worten umarmte er, bewaffnet wie er war, den Bewaffneten und noch Warmen und warf ihn mitten in die Fluten. Gerade in diesem Unglück, so scheint mir, war er überaus glücklich, weil ihm gegeben war, ein solches Ereignis so kraftvoll zu ertragen. 10. Wirklich haben seine Tat und seine Worte, da alle Kämpfer sich an seinem Mannesmut begeisterten, an jenem Tag einen
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glänzenden Sieg errungen. Und daher war seine Selbstbeherrschung nicht weniger liebevoll, als wenn er – just in der äusserst bedrohlichen Lage seiner Republik – sich über den Leichnam beugend und auf weibische Weise stöhnend, ausser sich geraten wäre. Du würdest Dir mit den Nägeln die Wangen zerkratzen, erlebtest Du etwas Ähnliches bei den Deinen, und dies nicht vor Schmerz über einen Tod, sondern wegen der Schande eines Begräbnisses! 11. Seeleute hingegen trauern über den Verlust von Freunden wie andere Menschen, dulden aber gleichmütig, dass das Meer sie aufnimmt, und dies darum, weil sie solches zu ertragen in langer Gewöhnung gelernt haben. Wie sollte ich nun mit Cicero6 nicht ärgerlich sein, weil ein Brauchtum mehr vermag als die Vernunft? Ein ungebildeter Seemann könnte ohne Tränen etwas ansehen, weil er es gewohnt ist, was Du, ein Philosoph, mit Verstand begabt, in so manchen guten Künsten unterrichtet und durch eine Fülle von Beispielen ermuntert, nicht zu ertragen vermöchtest? 12. Man kann in den Geschichtsbüchern von vielfältigen Begräbnisriten der Menschen vernehmen, von solchen, die unserem Brauch auf mehrfache Art durchaus widersprechen. Gewisse verwahren die Leiber der Ihren, die sie sorgfältig einbalsamiert haben, bei sich zu Hause; andere sind gewohnt, sie Tieren vorzuwerfen, die sie einzig zu diesem Zweck je nach der Fähigkeit der einzelnen lang zum voraus abgerichtet und aufgezogen haben; einige halten den Bauch eines edlen Hundes nämlich für die beste Art von Grabstätte. Wieder andere verschlingen ihre Toten gerade selber. 13. Artemisia, die Königin von Karien,7 berühmtestes Beispiel für eheliche Liebe, konnte sich für ihren teuren Gatten nichts Angenehmeres ausdenken, als ihm nach dem Tod ein lebendiges Grab zu bereiten. Den in Asche Verfallenen bewahrte sie geizend auf, mischte ihn nach und nach ihrem Getränk bei, um ihn dann zu trinken, womit sie dem teuren Leib ihren eigenen Leib als Gaststätte bereitete. 14. Und hier fragen wir nicht, ob sie richtig gehandelt habe; es geht vielmehr darum zu begreifen, dass alles, worum wir uns ängstigen, nicht durch die Sache an sich, sondern durch unsere Ansichten bestimmt werde und dass zu deren Erzeugung und Verbreitung gerade die Gewohnheit sehr vieles beitrage. Jene hat den Gatten, den sie liebte, verzehrt,8 und müsstest Du Dergleichen bei unseren Frauen erkennen, würdest Du erstarren und vor Entsetzen über solchen Anblick die Augen abwenden. Doch man möge so handeln, wo es eben gebräuchlich ist, und dann soll es nicht Unmenschlichkeit, aber auch nicht ausserordentliche Liebe, sondern üblicher Dienst der Treue genannt werden. 15. Unnötig, nach fremdländischen Beispielen zu suchen. Bei unseren eigenen Vorfahren in diesem unserem Italien herrschte der Brauch, die Körper der Seinen den Flammen zu übergeben, und diesen Brauch bezeugen sowohl die historischen Überlieferungen als auch die bis heute in der Erde gefundenen Aschenurnen. Dennoch war das nicht eine allerälteste Gewohnheit. Vorher nämlich wurden wie heute
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alle Toten der Erde übergeben, bis man wegen des unauslöschlichen Hasses in den Bürgerkriegen, der sogar gegen die Gräber wütete, jenen Behelf ersann und mit Hilfe des Feuers sich der Schändung durch die Feinde entzog. 16. Daher haben die Scipionen, die ja wussten, dass sie der Republik wegen ihres Verdienstes teuer seien, alle unversehrt in der Erde gelegen; überhaupt ist aus dem Stamm der Cornelier vor dem Diktator Lucius Sulla9 keiner verbrannt worden. Eben dieser hat als erster und entgegen der Sitte seiner Familie im Bewusstsein, dass viele ihn hassten, auf der Verbrennung seines Leibes bestanden. Er befürchtete ausdrücklich, wie man berichtet, die Partei des Marius werde nach seinem Tod eben das wagen, was er gegenüber Marius auch gewagt hätte.10 Sein Beispiel leuchtete ein; es befolgte seine Tat, wer nach dem Sinn der Tat nicht fragte. 17. Und als die Sitte des Verbrennens überhand genommen und der Brauch sich Ansehen verschafft hatte, wurde das, was Behelf gewesen, zur feineren Lebensart, und das führte hernach zur Auffassung, es sei ein ausserordentlicher Schimpf, der letzten Verbrennung nicht teilhaft zu werden. Deshalb wurde auch jene Freundestreue gelobt,11 welche am Nilufer mit ganz wenigen gesammelten Hölzern den ruchlos verstümmelten Leib des grossen Pompeius12 nicht nur verbrennen durfte, vielmehr auch wollte. Ja, das vermochte dann sogar einen Namen zu Ehren zu bringen. Wer hätte je von diesem Kodros13 gehört, wenn er nicht an die Glieder des Pompeius Feuer gelegt hätte? Der andere Kodros, der aus Athen,14 ist wegen einer verschiedenen Art Treuedienst und wegen seines eigenen Todes bekannt geworden. 18. Heute jedoch würde das Verbrennen der Toten für ein grosses Unrecht und gar für einen Racheakt gelten. Weshalb aber gibt es in dem einen und gleichen Volk so grosse Veränderung ? Verwunderlich ist es nicht, dass die im Verlauf der Zeit sich wandelnden Sitten auch die Meinungen der Menschen verwandeln. 19. Und wiederum frage ich nicht, worüber ich bisweilen bedeutende Gelehrte habe streiten hören, ob die eine Art der Bestattung ehrenwerter sei als die andere, nämlich ob es die unsere sei, welche die christliche Religion von den ältesten Vätern als Brauch übernommen hat oder ob jene vorzuziehen sei, die unsere Vorfahren gehegt haben (und die, wie man sagt, noch heute von vielen Völkern gepflegt wird). Freilich galt das Verbot, Menschen innerhalb von Städten zu bestatten, jene paar wenigen ausgenommen, die ein besonders grosses Verdienst von bestimmten Gesetzen befreite (was Cicero15 im dritten Buch „Von den Gesetzen“ anführt). 20. Darum kümmere ich mich jetzt nicht. Vielmehr bleibe ich bei meinem Gegenstand und sage zum Schluss, dass wir infolge lang anhaltender Gewohnheit verschiedenen Irrtümern erlegen sind und daher manches für entsetzlich ansehen, was bei anderen wegen entgegenstehender Gewohnheit nicht abgelehnt wird. Würdest Du mir also entsprechend der Besonderheit Deines Standes und nach Verzicht auf alles andere einzig nach der Wahrheit des Sachverhalts, jedoch nicht beim dummen Gerede der Menge, sondern bei Dei-
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ner Dir angeborenen Klugheit fragen, dann müsstest Du einsehen, dass ein weiser Mensch eine Meinung von Irrtümern befreit und die Herden der Verrückten entweder beklagt oder auslacht. Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zu einer Datierung)
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Dieses Schreiben kann als Fortsetzung zum vorangehenden Fam. 2,1 betrachtet werden. Verg. Aen. 2,646. Lucanus, 39 – 65, römischer Schriftsteller; zur Stelle vgl. Luc. Phars. 8,632. Aen. 10,560. Lamba Doria besiegte die Venezianer am 8. Dezember 1298 bei Curzola in Dalmatien. Tusc. 1,45,109. Artemisia, Königin von Karien im südwestlichen Kleinasien, Schwester und Gattin des Maussolos, der um 353/351 verstarb, errichtete ihm immerhin ein grossartiges Grabmal. Vgl. Val. Max. 4,6, ext.1: De amore coniugali. Lucius Cornelius Sulla, 138 – 78, Gegner des Marius im Kampf der Patrizier gegen die Popularen. Marius, Cic. De leg. 2,22,56. Luc. Phars. 8, 712 – 793. Pompeius Magnus, Gegner Caesars, von diesem 48 bei Pharsalus geschlagen Er war Quaestor des Pompeius. Cic. Tusc. 1,48,116. Der sagenhafte König suchte den Tod durch Feindeshand, um – gemäss einem Orakelspruch – dadurch Athen zu retten. De leg. 2,23,58.
Fam. 2,3, an Severo Apenninicola1 Trostworte im Hinblick auf das Leben im Exil. 1. Für exiliert kann nur gelten, wer gezwungenermassen aus der Heimat wegzog. 3. Ein geistig unabhängiger Mensch kann aber nie gezwungen werden. 7. Immer gibt es Hoffnung auf Rückkehr. 9. Beispiele für Rückrufe aus der Antike (gerichtet an Metellus und Marcellus). 14. Der Exilierte Matteo Visconti. 17. Der Exilierte Stefano Colonna. 26. Schätze, die man mitnimmt. 30. Der Ort des Exils: Florenz. 32. Vergünstigungen des Adressaten von seiten der Fortuna.
1. „Exilium“ leitet sich – wie ich glaube – von „exsilire“, „hinausspringen“, ab oder – wie Servius2 meint – davon, dass man „extra solum“, „ausser Landes“, geht. Trotzdem würde ich nicht zugeben, es handle sich selbst dann um Exil, wenn der Wegzug anders als widerwillig geschieht. Sonst wären oft auch Könige, wenn sie ihrem Königreich fern sind, im Exil, und dies gerade auch zu den Zeiten, die sie zur Erweiterung und Verteidigung ihrer Reichsgrenzen und zur Erhöhung ihres Ruhmes aufwenden. Sicherlich würde eben dann keiner es wagen (ausser einer, dessen ganze Vernunft „ins Exil ging“), sie Exilierte zu heissen, da sie ja bei dieser Gelegenheit im wahrsten Sinn Könige sind und genannt werden. Folglich gehört notwendigerweise ein Zwang und ein Schmerz dazu, damit ein echtes Exil bestehe. 2. Wenn Du das zugibst, siehst Du bereits, dass es bei Dir selber liegt, ob Du ein Exilierter oder einfach ein Auswanderer bist. Hast Du Dich weinend, bedrückt und niedergeschlagen entfernt, musst Du Dich zweifellos als Exilierten betrachten; wenn Du aber, auf Deine Würde bedacht, nicht gezwungen, sondern willig einem Befehl gehorchend, Dich entfernt hast, nämlich mit der Miene und der Geisteshaltung, die Du zu Hause zu wahren pflegst, dann bist Du in Wirklichkeit ausgezogen, aber nicht „exiliert“. 3. Übrigens wirst Du auch in anderen furchterregenden Zuständen nie einen Unglücklichen finden, der sich nicht selber unglücklich gemacht hätte. Man ist ja auch nicht arm durch geringe Habe, sondern durch Habgier, und auch beim Tod, der dem Exil sehr eng verwandt ist, schadet nicht so sehr dessen Herbheit als vielmehr die Angst vor ihm und die verkehrte Meinung über ihn. Diese braucht man nur abzulegen und wird sogleich feststellen, dass viele Menschen nicht allein gleichmütig, nein sogar heiter, ja glücklich sterben. Daraus lässt sich ohne weiteres erkennen, der Tod sei nicht von sich aus ein Übel, sondern man mache ihn dazu, und nicht im Wesen der Sache beruhe das Übel, vielmehr auf der falschen Einschätzung der Menschen. Wäre dem anders, gäbe es niemals in der gleichen Gefahr eine solche Ungleichheit der Gemütszustände. 4. Daher gilt beim Exil doch wohl, was bei allem andern: Nicht in ihm, sondern in uns liegt das, was uns niederdrückt. Die Meinung bewirkt solches. Sie, die schon nach einer geringen Abweichung von der Wahrheit gleich mit unzähligen Irrtümern auftrumpft, ist dann kaum noch fähig,
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ohne grosser Hilfe von aussen umzukehren und sich aufzurichten, um der Erhabenheit ihres Ursprungs zu gedenken. 5. Um aber bei unserem Anfang anzuknüpfen, fragen wir: Was ist das Exil? Ist es denn seine Beschaffenheit oder die zeitweilige Trennung von geliebten Personen oder sind es nicht eher unsere Entrüstung und unser ungeduldiges Verlangen, die unseren kränklichen Geist verbittern? Wenn man von jedem, der dem Vaterland fern ist, ohne Unterschied versichern wollte, er sei im Exil, so gäbe es nur wenige Nicht-Exilierte. 6. Welcher Mensch – ausser ein tatenloser und weichlicher – hat nicht öfters sei’s im Verlangen, die Welt zu besehen, sei’s im Wunsch zu studieren und im Begehren, seinen Horizont zu erweitern, entweder zur Stärkung des Leibes oder zur Vermehrung seines Vermögens oder unter dem Zwang von Kriegen und auf Befehl seines Staates, seines Herrn oder Vaters sich aus seinem Haus und seiner Heimat wegbegeben? Weshalb sind diese Wegziehenden nicht alle bedauernswert? Einfach darum, weil sie sich ermannt und es abgelehnt haben, im Elend zu verkommen. Sie alle haben ja Gattin, Kinder, Verwandte, Eltern, den Umgang mit Freunden und den Anblick ihrer Heimatstadt nicht weniger als andere vermisst, aber ihr Verlangen wurde durch ihre Anspruchslosigkeit gelindert, die ihnen in der Fremde eine gewisse Erleichterung schenkte. 7. „Immerhin half ihnen auch sehr die Hoffnung auf Rückkehr; und niemals wären sie so guten Mutes fortgegangen, hätten sie nicht an ihre Rückkehr in die Heimat geglaubt.“ – Mag sein! Doch wer hat denn Dir diese Hoffnung genommen? Sie ist ja wahrlich das Einzige, was man niemandem gegen seinen Willen entreissen kann. Da wird ein rechtschaffener Mann ins Exil getrieben; er wird auf den Wink eines Tyrannen aller Güter beraubt, in den Kerker geworfen, verstümmelt, geschunden, getötet und ohne Begräbnis beseitigt. Unter so vielen Schrecken und Schlägen des Schicksals wird jeder zu allem gezwungen, nur nicht in die Verzweiflung getrieben. 8. Wie viele Verbannte haben wir doch gesehen! Es gab unter ihnen solche, die, noch bevor sie am Bestimmungsort waren, ein dringender Wunsch von seiten ihrer Heimat zurückrief; es gab solche, welche die Bürger nach einer gewissen Zeit mit grosser Ehr- und Reuebezeugung zurückholten, weshalb mir scheinen könnte, das Exil habe sie glücklich gemacht. Es gab wieder andere, die mitten in der äussersten Not plötzlich zum grössten Reichtum, und einige, die in der Kerkerhaft zur Herrschaft gelangten, auch nicht wenige, die ihren Nacken unter dem Beil eben noch wegzogen, dem Tod entkamen und für einen ungewöhnlichen Glücksfall aufgespart blieben. Nie hat einer an so schimpflichem Ort gelegen, dass er die Augen nicht hätte erheben dürfen; niemand hat je für seine Lage einen so trostlosen Ausgang erwartet, dass er gehindert gewesen wäre, auf etwas Besseres zu hoffen. 9. Cicero wurde durch Rom aus dem Exil zurückgerufen; kaum ein paar Tage lang konnte diese Stadt einen so hervorragenden Bürger vermissen. Zurückgerufen hat sie auch Metellus;3 und als er im Theater von Tralles4 sass und dort die ehren-
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vollsten Briefe des Senats und Volkes von Rom empfing, zeigte er keinerlei Freude, sondern die gleiche Miene, mit der er die Stadt verlassen hatte. Er war beim Abschied nicht sonderlich gebrochen gewesen und war bei der Rückkehr nicht sonderlich hochgemut; zuerst hatte er den Zorn der Heimat geflohen, später ihrem Verlangen entsprochen, war zuerst bescheiden, später pflichtbewusst. 10. Dann prüfte die Stadt mit gleicher Leichtfertigkeit auch Rutilius;5 doch dieser blieb härter und hielt eine Rückkehr in die Heimat für seiner unwürdig. Von gleicher Art war das Los des Marcellus;6 aber sein Ausgang war völlig verschieden; denn als er von Caesar zurückgerufen und gemäss dem innigsten Wunsch aller Rechtschaffenen schon auf dem Heimweg war, fiel er in die Hand seiner Feinde, weshalb anstelle eines sehr freudigen Empfangs eine öffentliche Trauer stattfand. Doch dass ihm der Tod keineswegs schwerer wurde als das Exil, würde ich für sicher halten; denn es gibt nur eine einzige Tapferkeit, und eben sie wappnet den Menschen und weist ihn an, sämtliche verschiedenen Gefahren zu überstehen. Der Genannte aber zeigte im Exil ein Benehmen, das aufs deutlichste darauf hinwies, wie er sich einst bei seinem Tod verhalten werde. 11. Nicht übergehen will ich, was Brutus7 im Buch „Über die Tapferkeit“ von jenem Marcellus an Cicero gemeldet hat, nämlich dies: Er, Brutus, selber habe jenen in Mytilene8 getroffen, und zwar als einen Verbannten mit so ungebrochenem Mut und mit so grosser Begierde nach tüchtiger Unternehmung, ja überhaupt in so glücklichem und zufriedenem Zustand, dass nicht etwa der seit langer Zeit Vertriebene wie ein Verbannter, sondern umgekehrt er, Brutus, beim Abschied als solcher erschienen sei. Ja, er gab auch an, dass Caesar, der zwar zuerst die Vertreibung jenes bedeutenden Mannes, aber nachher auch dessen Rückkehr verfügte, bei einer Reise durch jene Gegend – aus lauter quälender Scham über die Exilierung – die bestimmte Stadt, wo jener sich aufhielt, mit Absicht gemieden habe. 12. Oh, ruhmreich ist dieser Verbannte, da seine Verbannung beim einen der mächtigsten Bürger Bewunderung und beim andern Schamröte hervorrief. Denn wie Caesar der Welt ein Schrecken war, so Brutus dem Caesar, und dennoch hat bei ihnen beiden der verbannte Marcellus Hochschätzung gefunden. Wer aber würde ein solches Exil sich nicht wünschen, vielmehr: wer würde das überhaupt als Exil bezeichnen, was selbst den Herren in der Heimat beneidenswert vorkam? 13. An jene habe ich erinnert, welche durch die Reue der Bürger zurückgeholt wurden; doch wie viele andere hat Fortuna ebenfalls wieder heimgeführt! Niemals hätte Rom einen Camillus9 zurückgerufen; das Schicksal aber und der Untergang der Stadt und – wer würde es glauben! – das durch ganz Italien schnaubende Wüten der Völker von jenseits der Alpen haben ihm den Heimweg geebnet,10 damit er für sich allein allen Verbannten ein denkwürdiges Beispiel der wahren Hoffnung und jener Treue sei, die selbst einem undankbaren Vaterland geschuldet wird.
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14. Und um endlich zu den Ereignissen unserer Epoche überzugehen: Auch Matteo Visconti wurde aus seiner Vaterstadt Mailand durch die Gewalt seines übermächtigen Feindes vertrieben.11 Einsam und flüchtig entbehrte er aller Mittel vollständig und wurde von den Seinen beweint und von den Gegnern verspottet. Von ihm wird erzählt, wie eines Tages, als er voller Sorgen am Ufer des Gardasees umherging, ein Bote seines stolzen Gegners auf ihn zukam, um ihn im Auftrag seines Herrn zu fragen, was er da in der Einsamkeit treibe, worauf er nichts anderes geantwortet habe, als dass er Netze ausspanne. Was diese Antwort, die damals vielleicht belächelt wurde, an tieferem Sinn enthielt, wurde über kurzem begriffen; denn in seiner Mussezeit hat der Alte für sich allein seine sämtlichen Widersacher, wie ebenso viele Fische, mit einem Köder der trügerischen Hoffnung überlistet und mit den Netzen seiner Berechnung gefangen. 15. Als wieder einmal ein Bote ihn aufsuchte und spöttisch bei ihm nachforschte, auf welchen Wegen und zu welcher Zeit er in die Vaterstadt zurückzukommen gedenke, gab er mit heiterer Miene zur Antwort: „Geh nun und melde Deinem Herrn, dass ich auf den gleichen Wegen zurückzukehren gedenke, auf denen ich fortging, doch nicht bevor seine Frevel die meinen allgemach übertreffen.“ Und die Voraussage täuschte nicht. Denn da nicht lange nachher die Schandtaten der Gegner, weil im masslosen Erfolg gemästet, unendlich gewachsen waren, vertrieb er sie und zog als Sieger in Mailand ein,12 wo noch heute, wie Du siehst, seine Neffen und Söhne an der Macht sind. 16. Doch es soll nicht so aussehen, als sei ich auf diese Erzählung verfallen, um Dich oder sonst einen rechtschaffenen Mann aufzuwiegeln, gegen ein noch so undankbares Vaterland die Waffen zu ergreifen. Ich halte für richtiger, dass einer im Exil mittellos sterbe, als dass er unter Gefährdung der öffentlichen Freiheit über Widerwillige befehle. Dagegen sollte mit alten und neuen Beispielen bekräftigt werden, wie unmöglich es ist, den Verbannten mit Gewalt ihre Hoffnung zu nehmen. 17. Und vermag die Erinnerung an tapfere Männer jene von Nöten bedrängten Gemüter zur Geduld zu ermuntern, dann höre noch ein anderes hervorragendes Beispiel aus neuerer Zeit an. 18. Stefano Colonna,13 höchste Zierde im Heerwesen, war in jeder Lebenslage ruhmwürdig, doch vor allem ruhmwürdig und bewundernswert im Exil. Dabei entsprachen die Bedingungen seines Exils nicht den üblichen. Manchen ist es erlaubt, ausserhalb der Heimat irgendwo in Sicherheit zu leben, und diese wahren sich, wenn sie die Heimat verlassen haben, weitreichende Freiheit. Anderen wird ein strikteres Gebot auferlegt, damit sie sich auf diesen oder jenen Ort beschränken; doch wenn sie sich ebenda aufhalten, brauchen sie nichts Schlimmeres zu befürchten. Der Erwähnte aber hatte weder in der Heimat noch irgendwo sonst auf Erden einen sicheren Ort und in seinem grossen Unwetter weder einen Hafen noch eine Zuflucht. 19. Zum Feind hatte er den so gewaltigen wie unerbittlichen römischen Bischof Bonifaz VIII.;14 und diesen mit Waffen zu bezwingen, war überaus schwie-
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rig, und ihn mit Unterwürfigkeit oder Gefälligkeit zu beugen, geradezu unmöglich. Schliesslich hat ihn einzig der Tod bezwungen. 20. Gewütet hat er unmenschlich und gefordert hat er auf alle Weise den Kopf des schuldlos Verbannten, nämlich mit Versprechungen, Drohungen, Gewalt, List, Autorität und Geld. Ungeheuer gross war der Lohn für die Verfolger, aber gross war auch die für die Helfershelfer bestimmte Strafe, als Stefano bald diesseits, bald jenseits der Meere, einmal auf den abgeschiedensten Inseln beider Meere (das sind Sizilien und Britannien), einmal in den fernsten Gebieten Galliens als einsamer Wanderer umherzog, bedürftig an aller Habe, doch überreich an Mut. 21. Als er bei Arles zufälligerweise in die Hand von Spähern geraten war, gab er auf die Frage, wer er sei, seinen Namen, obwohl er ihn hätte verheimlichen können, vor vielen Ohren bekannt, und dass er ein römischer Bürger sei, verriet er mit fester Stimme. Wie gewaltig, guter Gott, ist die Hoheit dieses einzigartigen Hauptes, dass es sogar dieser hasserfüllten, bewaffneten Schar bei all ihrer Angriffslust doch Schrecken einjagte! 22. In einem Edikt wurden die Könige aufgehetzt, ihm ja keine Gastfreundschaft zu gewähren; doch als man ihn aus Sizilien auswies,15 gehorchte er mit solcher Haltung, dass man meinen konnte, der Verbannte sei in der Gegend zurückgeblieben und der König sei ausgezogen. Er hat eben während der ganzen Zeit seiner Verfolgung den Blicken der Könige standgehalten, als wäre er selber ein König, einer von erhabenster Gesinnung, durch keinerlei Widerwärtigkeit zu bezwingen und durch keine Wogen Fortunas zu bewältigen, ganz als stehe für ihn allein das dichterische Wort:16 „Blicke doch selbstbewusst, nicht untertänig auf Fürsten!“ 23. Wie oft ist in Rom und in ganz Italien sein Tod verkündet worden! Wie oft ging das Gerücht um, es sei um die Sache der Colonna geschehen und mit diesem Mann sei die hervorragende Sippe erloschen! Nirgendwo gab es für ihn irgendwelche Hoffnung ausser in seinem eigenen Herzen; niemals freilich ist sie daraus gewichen, weshalb er bei Tag und bei Nacht mit kühnen Plänen beschäftigt war und an alle Mühen unerschrocken heranging. Darüber hinaus aber war er, trotz anhaltender Gefährdung seiner Lage, oft an den Kämpfen seiner Freunde – ohne dass eine der Parteien es wusste – beteiligt, und allgemein gestand man, die blosse Anwesenheit dieses Mannes bringe den Sieg. 24. Nicht etwas Zweifelhaftes, sondern etwas, das Dir noch besser bekannt ist als mir, schreibe ich nieder. Wer also wird jenen Verbannten für unglücklich halten, der in sein Exil ein so bedeutendes Gefolge herrlicher Gaben mitnahm und den nach zehn Jahren harter Erfahrung die eigene Geistesgrösse, und nicht etwa Fortuna, zu seiner früheren Stellung zurückführte? 25. Aber wozu diese Häufung vieler Exempel? Niemand sollte im Schrecken über ein gegenwärtiges Unglück sich so geflissentlich über ein zukünftiges eine Meinung bilden, dass er das mässig schwere, das Exil, um das allerschwerste, die
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Verzweiflung, vermehrt. Denn nicht allein die entschlossene Tatkraft, die jenen Stefano ins Vaterland heimführte, vermag ein Exil zu beenden. Gleiches vermag beim häufigen Gesinnungswandel der Menschen zum Beispiel das Ende von Zwistigkeiten oder die lange Zeitdauer, die sogar heftige Gemüter bezähmt, oder die Bewunderung für eine still wirkende Tüchtigkeit, eine den Bürgern bezeigte Willfährigkeit oder auch das Entstehen einer Notlage oder irgendeine Gewalt Fortunas. 26. Übrigens soll keiner wegen seiner Verbannung sich der ganzen Herrlichkeit seiner Fähigkeiten entledigen, in der Meinung, es sei schwierig, höchste Werte ins Exil mitzunehmen, da man sogar Minderwertiges zurücklassen müsse. Das ist ja nichts Unerhörtes, dass man zwar Edelsteine und Gold fortträgt, während man städtische Liegenschaften und jede nutzlose, drückende Last einer Feuersbrunst preisgibt. Und wenn nun die Menschen gewohnt sind, das Gold zu den Kostbarkeiten zu rechnen, was soll man da von den Tugenden sagen? „Silber ist schlechter als Gold, und Gold ist schlechter als Tugend.“17 27. Während uns nicht immer erlaubt ist, in die Verbannung Silber und Gold mitzunehmen, dürfen wir, wohin wir auch gehen, die Tugend und die Güter des Verstandes wegtragen. Das zeigen uns die Beispiele, welche ich Dir soeben vorgelegt habe, damit Du zur Nachahmung angespornt werdest und nicht etwa daran zweifeln wolltest, es könnte sich wiederholen, was sich schon so häufig begeben hat. Erlaubt ist, sage ich, ins Exil, in den Kerker und selbst in den Tod die Tüchtigkeit mit sich zu nehmen; erlaubt ist es, habe ich gesagt; doch ist es auch vorteilhaft, richtig, ja notwendig. Denn wenn man ohne sie fortzieht, ist man wirklich verbannt, wirklich bedürftig, wirklich unglücklich und wirklich elend. 28. Allerdings genügt es nicht, wegzutragen, was man hat; weit mehr wird gefordert. Schau nur, wie genau man für den Unterhalt besorgt ist, wenn man verreisen will. Der Vorrat muss um so grösser sein, je weiter man fortgeht. Einen reichlichen Vorrat wird Dir bei Deinem Aufenthalt in der Fremde die Tüchtigkeit bescheren, und wenn diese sich mehrt, wirst Du sogar beim Mangel an leiblicher Nahrung nicht der Armut verfallen. 29. Raffe sie also zusammen; verschaffe Dir mit ihrer Hilfe Stützen auf allen Seiten! Einen herrlichen Hausrat an Tüchtigkeit – das weiss ich – hast Du einmal besessen. Nicht beschwerlich, nicht lästig, nein bequem und erfreulich ist die Sache. Mühsam ist nur, eine so bedeutende zu erwerben; doch hat man sie gefunden, trägt man sie mühelos mit sich. Gesucht hast Du sie von Jugend auf, bewahrt hast Du sie zu Hause; nun darfst Du als Greis und Fremdling sie nicht etwa verlieren, musst vielmehr, was Du von ihr hattest oder noch mehr, entsprechend dem gewachsenen Bedürfnis, erbringen, was übrigens, wie ich meine, auch ohne Dein Wollen sich wie von selber ergibt. Diese Art Reisevorrat wird im Gebrauch niemals aufgezehrt, sondern eher vergrössert; er besteht ja eben aus den Fähigkeiten, die sich im Gebrauch entfalten und die mitten unter
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Schwierigkeiten nur immer wachsen, bis sie ihren Besitzer erhoben haben zum höchsten Gipfel der Seligkeit. 30. Ich halte mich nicht bei den – freilich nicht zu verachtenden – tröstlichen Aspekten Deiner Verbannung auf. Wärest Du geheissen worden, unter dem Sternbild des Bären im ewigen Eis von Skythien oder in einer unbewohnbaren Gegend unter der glühenden Sonne zu wohnen, oder wärest Du in eine zwar näher gelegene Gegend, die aber jenseits der italischen Grenzen liegt, verschlagen worden, dann hättest Du vielleicht Deinem Schicksal etwas vorzuwerfen. Nun sieh aber zu, wie gerecht Deine Klage ist! Man befiehlt Dir, nach Florenz zu ziehen und dort zu verweilen, bis das Volk Dich zurückruft. Begreifst Du denn nicht, wie grossen Dank Du Deiner Obrigkeit schuldest? Sie hat Dich, der in lang andauernder Untätigkeit entschlummerte, aufgeweckt und wie einen, der aus lauter Gewohnheit an der mütterlichen Brust hing, weggezogen, um Dich (so sage ich in guten Treuen) von einem bescheidenen Ort in eine unvergleichlich schöner blühende Stadt zu weisen. 31. Doch darauf, sage ich, gehe ich nicht ein. Denn wir sind nun einmal von Natur aus so beschaffen, dass wir sogar von einer rauhen, verlassenen Klippe meinen, sie sei wegen unserer Erinnerung an unsere Geburt und unser Heranwachsen allen anderen Gebieten der Erde vorzuziehen. Sollte einmal dieser Irrtum verschwinden, würdest Du dem Schicksal wahrhaftig verzeihen, ja, Du würdest es um Nachsicht bitten, weil Du nicht früher seine Wohltat erkannt hast. 32. Beachte aber auch, dass Du zwei Söhne von herrlichen Anlagen mitgenommen hast, einen jungen Mann und ein Kind, deren Altersunterschied Dir angenehmen Vorteil bringt. Mit dem einen kannst Du die Sorgenlast teilen und mit dem anderen die selbe vergessen und in der Fremde vom einen Unterstützung und vom andern Trost empfangen. Eben diese beiden haben Dir das Vaterland lieb gemacht, und eben sie sind Dir geblieben. 33. Was wünschest Du mehr? Erwartest Du, Deine getreueste Gattin, Deine vorzüglichen Eltern, Deine zärtlichen Töchter könnten wieder lebendig werden? Nicht die Verbannung hat sie Dir genommen, sondern der Tod. Und hast Du den Tod, der Dich so häufig verhöhnt und Dich der liebsten Deiner Güter beraubt hat, immer aufs neue besiegt, so lass Dich jetzt nicht durch die Verbannung besiegen. Denn die Verbannung erlaubt Dir, alles, was Dein bisheriges Leben erleichtert hat, und vor allem Deine Söhne, die Dir von allen grossen Pfanden verbleiben, bei Dir zu behalten. 34. Doch ich will, wie gesagt, diesen Trost und alles, was den Schlägen Fortunas unterworfen ist, übergehen. Ich weiss, Fortuna, welche Dir das Vaterland geraubt hat, besitzt auch ein Recht auf Deine Kinder. Darum kehre ich mich wieder den weit verlässlicheren Hilfsmitteln, denen der Mannhaftigkeit zu. Diese werden Dir weder durch Beschlüsse von Bürgern, noch durch Befehle von Tyrannen, Gewalttaten von Räubern oder nächtlichen Dieben jemals entrissen. Hast Du sie bei Dir,
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lügt jeder, der Dich als Verbannten bezeichnet. Doch hast Du sie in der Heimat zurückgelassen, wird Dir jeder Tag einen neuen Anlass zu Klagen bescheren und jeder Ort nicht bloss lästig, sondern feindlich, nicht bloss Exil, sondern Kerker sein. Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zu einer Datierung)
Anmerkungen 1 Vgl. auch Fam. 2,4 an den selben Adressaten, der sich durch Petrarcas Worte nicht trösten liess. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Servius oder Sergius, Grammatiker um 400 n. Chr. Zur Stelle vgl. sein Werk Ad Aen. 3,11. 3 Zu Quintus Caecilius Metellus Numidicus vgl. Val. Max. 4,1,13. Er ging 102 freiwillig nach Rhodos. 4 Zerstörte Stadt an der lydisch/jonischen Grenze. 5 Publius Rutilius Rufus ging 92 freiwillig nach Asien; vgl. Val. Max. 2,10 5; 6,4,4 und Sen. De benef. 6,37,2. 6 Sen. De cons. ad Helv. 9,4 – 6. 7 Anhänger Caesars, von Verschwörern gegen ihn gewonnen, 44 Mörder Caesars. 8 Zerstörte Stadt auf Lesbos. 9 Dass Marcus Furius Camillus verbannt wurde, gehört zur Sage. 10 Vgl. Liv. 5,43,26 ff. und 7,1,8 ff., auch 9 f. 11 Er floh nach einem Umsturz vor den Machthabern della Torre 1302 und kehrte mit Hilfe Heinrichs VII. im Jahr 1311 nach Mailand zurück. Vgl. Giovanni di Carminate, Hist.16,99 ff. 12 Matteo regierte Mailand bis 1322. 13 Zu Stefano Colonna vgl. z. B. Dupré Theseider 307 ff. Es handelt sich um den Vater von Petrarcas Freunden Kardinal Giovanni und Bischof Giacomo. Sein grosser Gegner, Papst Bonifaz VIII., liess 1299 das den Colonna gehörige Palestrina zerstören; unter anderen wurden die Könige von England und Frankreich aufgefordert, dem Flüchtigen Hilfe zu verweigern. Petrarcas Urteil über Bonifaz erklärt sich zum Teil durch seine Freundschaft mit Gliedern der Familie Colonna. 14 Bonifaz, Papst von 1294 – 1303, aus dem Geschlecht der Gaetani, in Geschlechterstreit und in Kämpfe gegen ausländische Mächte und um Sizilien verwickelt. 15 1300 wurde Federico II. aus Aragon, der König von Sizilien war, von Bonifaz scharf getadelt, er habe einigen Colonna Hilfe geboten. 16 Luc. Phars. 7,709. 17 Hor. Epist. 1,1,52.
Fam. 2,4, an Severo Apenninicola1 Gleiches Thema wie im vorangehenden Brief. 1. Der Klagende beharrt auf seinem Kummer. 4. Über die Wollust an der eigenen Verzweiflung. Dem Freund soll die Freude an seinem Schmerz belassen werden. 5. Seine Wunde wird daher nicht gepflegt; nur in ihrem Umkreis wird gesalbt. 7. Frage nach erschwerenden Umständen im Exil. 9. Vorzüge selbst eines bedrückenden Exils. Unglück bietet Glück. 14. Dem Klugen ist jeder Erdenfleck Vaterland. 20. Über den schlechten Einfluss der mitleidigen Menge. 25. Exil ist Freiheit. Warnung, in die Unfreiheit zurückzukehren. 28. Aufmunterung zu Studien. 31. Grosstaten antiker Feldherren sollen ermutigen. Zu beherzigen sei vor allem ein Spruch des Kleanthes.
1. Ich sehe, Dir ist alle Hoffnung vergangen; und wie recht Dir damit geschieht, habe ich in meinem früheren Brief dargelegt. Nun betrübt mich, dass jenes Schreiben Dir keine Hilfe gebracht hat. Auch ist mir nicht klar, ob die Schuld beim Arzt liegt oder beim Kranken, der, wollte er genesen, den Ratschlägen der Ärzte Glauben und ihren Vorschriften strikten Gehorsam schenken sollte. Ich jedenfalls habe in jenem Schreiben darauf gedrängt, dass Du nach Deinem Wegzug aus der Heimat die Hoffnung bewahrest, denn sie besitzt genügende Kraft, um Bedrängnisse der Gegenwart vergessen zu machen, indem sie – schönere Dinge vorausahnend –in Gedanken sich mit der Zukunft beschäftigt. 2. Was denn hat Dir zu hoffen verboten? Etwa die Strenge der Dich vertreibenden Heimat? Doch wie sieht diese Strenge denn aus? Und worüber hast Du überhaupt zu klagen ausser über dieses Wörtchen Exil, ob auferlegt oder aufgehoben? Oder fehlen Dir Vorbilder berühmter Männer? Nein, viele habe ich Dir vor Augen geführt. Und viele andere könnte ich anfügen, wären nicht die Gründe sinnlos geworden, welche Dir zur Einsicht verhelfen sollten, dass eine gute Hoffnung einen glücklichen Ausgang begünstigt. 3. Bist Du vielleicht, weil die Vaterstadt Dir etwas von der gewohnten Annehmlichkeit entzogen hat, in Angst geraten, sie werde ewig grollen? Oder hast Du vergessen, dass Väter gegen keines ihrer Kinder so sanft gestimmt sind wie gegen das von ihnen gezüchtigte? Oder dass eben jener in heftigster Liebe entbrennt, der gegen eine wohlverdiente Freundin sich allzu streng betragen hat? Oder hat Dich vor allem das Edikt der Vaterstadt erschreckt, das unter Strafe verbietet, einen Rückruf der Verbannten vor der Bevölkerung zu erwähnen? Doch Du musst wissen, dass die Wünsche der Menge am Anfang so heftig und mannigfaltig sind, wie sie im späteren Verlauf dann beeinflussbar und unhaltbar werden. 4. Freilich gibt es in den Herzen der Sterblichen ein Etwas, das ich nur schlecht begreife und nicht in Worte fassen kann. Es gibt da eine sonderbare und verhängnisvolle Verkehrtheit, mit der sich manche Leute die Ohren gegen heilsame Worte der Tröstenden verstopfen2 und auf jede Weise so handeln, dass sie unglücklicher werden und dass von den schmerzlindernden Mitteln nichts bei ihnen eindringt
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und sich also nichts ausdenken lässt (oder eher nichts vorhanden ist), was unsinniger wäre. Ich erkenne nun an Dir eine Bereitschaft, die Verzweiflung an einer Heimkehr – ich möchte sagen – als eine gewisse Wollust zu hegen, und ziehe daher meine Hand von der Stelle weg, wo sich eine unberührbare Wunde durch Medikamente nicht pflegen lässt. 5. Was aber sollte mich hindern, wie jene vorzugehen, die nach dem Verlust des einen oder anderen Gliedes wenigstens die benachbarten Körperteile ringsum salben, damit die Krankheit sich nicht ausdehne? Ich will mich also sehr um die angrenzenden Stellen bemühen und mit ausgesuchten Linderungsmitteln den Schmerz derart eindämmen, dass er nicht in alle Seelenwinkel hineinkriecht. Erschrick, bitte, nicht! Ich werde meine Finger nicht dorthin legen, wo Du es wohl erwartest. Nichts werde ich heute Deiner Meinung entgegensetzen. Damit jedoch nicht zusammen mit der Verzweiflung an einer einzigen Sache der Überdruss an allen anderen sich heranschleiche und die Ruhe Deines ganzen Lebens dahin sei, will ich – weil Du selber es willst – lieber mich dazu zwingen, meine Hoffnung auf eine Wiedererweckung Deiner Hoffnung fahren lassen. 6. Male Dir also aus, wie Du im Exil leben, im Exil sterben musst. Ich meinerseits glaube alles, was Du verlangst. Du sollst durchaus mit meinem Einverständnis an der Rückkehr in die Heimat verzweifeln dürfen. Denn wirklich, um Deiner Krankheit in noch höherem Mass entgegenzukommen, dulde ich darüber hinaus, dass Du im Exil nicht bloss stirbst, sondern3 „… fernab vom italischen Boden, Flüchtling selbst noch im Tod, dann bedeckt von barbarischer Erde Endlich ruhst“. Damit gestatte ich Deinem Schmerz mehr als Du selber! Du nämlich erwartest für Dich in der Zukunft nichts Froheres, ich für Dich sogar etwas noch Traurigeres. Dennoch sehe ich nicht, was selbst in so misslicher Lage imstande wäre, einen tapferen Mann zu Tränen zu bewegen. 7. Freilich, wenn ich annehmen müsste, Dich hätten die Fackeln krankhafter Liebe oder ehrgeiziger Pläne entzündet, die fern der Vaterstadt erst recht heftig zu brennen schienen, oder Dir sei als übliche Begleiterin ins Exil die Mittellosigkeit nachgefolgt, so hätte ich viele Argumente aufs Mal zusammenzuhäufen, um entweder ein Dir schmeichelndes und aufgeplustertes Übel zu mildern oder Dir in Deiner Armut Trost zu verschaffen. Und wäre selbst in diesem Fall mir leicht gemacht, passende Worte zu sagen, und Dir angenehm, sie zu hören, so bliebe doch die Schwierigkeit, sie – im vorgegebenen Rahmen – als wirksame Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten zu erläutern. 8. Denn wie niederdrückend und trauervoll das Ding, das man Liebe heisst, und wie jämmerlich der Erfolg des Ehrgeizes ist, der, sich bergend unter Schminke und lügnerischem Glanz, verspricht, was er nicht
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halten kann, und wie anderseits die Armut der echten Seelengrösse erträglich sein muss, das vermag kein Mensch mit wenigen Sätzen darzulegen. Immerhin, bei Deinem Zustand werde ich aus mehreren Gründen der grossen Last einer überschwenglichen Trostrede enthoben; denn Dein sittlicher Ernst weiss nichts von Liebesleidenschaft, Dein höheres Alter hat das einstmals Gefühlte erstickt, und zudem verbietet Dir die fliehende Zeit das ehrgeizige Ausschauen nach hohen Ämtern, und schliesslich hat die Güte Deiner Vaterstadt Dir die Armut erlassen. 9. Deine Vaterstadt hat Dir keine andere Unannehmlichkeit auferlegt als den Verzicht auf ihre vertraute Nähe. Dein ganzes Eigentum ist bei Dir und ist Dir dienstbar, und zwar meine ich nicht allein das ohnehin Unentreissbare, nämlich Grossherzigkeit, Bescheidenheit und andere Vorzüge jener Art, die ein Bias4 (wie Cicero, Valerius5 und viele andere sagen) oder Stilpon6 (laut Seneca7) beim Brand seines Vaterlandes als Flüchtling mit sich fortzutragen triumphierte. Nein, ich meine in ganz gebräuchlichem Sinn auch all das, was Dir an weltlichen Gütern eigen ist. Denn als Herr über Dein väterliches Erbe bist Du fortgezogen und bist als Verbannter so reich wie vordem als Bürger, ja vielleicht sogar vermögender, weil jetzt bei gleichbleibendem Reichtum Dein Aufwand geringer ist. 10. Ferner ist zu beachten, dass der grösste Teil der Menschen die Möglichkeit eines Sturzes nicht früher bedenkt, als bis er ahnt, schon sei alles eingestürzt, während Du ja noch gar nicht gefallen bist, sondern bloss gestossen wurdest und, wie ich vermute, noch unversehrt und aufrecht stehend doch schon spürst, wie ungewiss Dein Schicksal ist. Gleichzeitig begreifst Du bereits, auf wie schwache Fundamente Du Dich damals gestützt hast, als Du stark zu sein glaubtest, und wirst von jetzt an nicht mehr zweifeln, dass jene Macht, die Dich gestossen hat, auch niederzuwerfen fähig ist. 11. Somit gehst Du, was nur den allerwenigsten zukommt, als Exilierter reich und vorsichtiger voran, und kannst Dich so mit zwei erheblichen Gütern über ein einziges, sogar geringes Übel hinweg trösten (sofern man in diesem Leben neben der Tugend überhaupt etwas anderes als ein Gut und neben dem Laster etwas anderes als ein Übel bezeichnen darf ). 12. Geh also mutig voran! Das Vaterland wird Dich gewiss nicht zurückrufen und ein Zufall Dich nicht zurückbringen!8 Dagegen wird das Exil, das Du heftig beweinst, hartnäckig wie es ist, mit seinem Unrecht Dich tüchtig verklären. Das Unglück hat viele grosse Männer geschaffen, hat viele bekannt gemacht; und keinen hat das Missgeschick ins Elend gestürzt, aber manch einen aus dem Dunkel hervor gezogen, um seine Verborgenheit nicht länger zu dulden. Was also erschrickst Du, als besässe Fortuna ein grosses Recht auf Dich? Sie besitzt nicht die Rolle eines Richters, sondern die eines Zeugen. Wer Du seist, hängt von Dir ab. Übrigens kommt jener auch nicht zu, die Art ihres Zeugnisses zu bestimmen, sondern nur, dieses auszusagen. Lügen kann sie nicht, aber reden kann sie.
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13. Wer denn ausser ein Schuldbewusster fürchtet eine Zeugin, welche die Wahrheit sagen wird? Sie jedenfalls drängt Dich nicht zu einer Feigheit; sie zählt Deine Schritte, sie übt Dich in Geduld, sie achtet oder verachtet Deine Seelenstärke, und sie macht der Öffentlichkeit bekannt, was immer sie entdeckt hat. Richte Dich auf, zerstreue die Dunkelheit gewöhnlicher Irrtümer, verschliesse Deine Ohren vor weibischem Geschwätz! Nie wirst Du heiter sein, niemals sicher, wenn Du Dich der Leitung einer Menge anvertraust. Was immer die Mehrheit der Menschen sei’s bewundert, sei’s befürchtet, ist lächerlich; was sie verkündet, ist unwahr. 14. Vertraue Dich vielmehr dem Rat der wenigen an! Entgegen allem Anschein sind es nicht entsetzliche Schicksale, denen die grosse Menge die Verbannung zuzählt. Und wenn Dich ein langes Bücherstudium darüber nicht belehrt hat, wird vielleicht die Erfahrung Dich belehren. Schau nicht immerzu auf die Erde, erhebe die Augen bisweilen zum Himmel! Sogleich wird die Wahrheit auf Dich zugehen, und Du wirst bekennen, dass das Exil ein Nichts ist und dass ein guter Mensch da nicht schlechter lebt, mag ihm das Vaterland auch fern sein; ja, dass einer gar nicht ausserhalb des Vaterlandes leben kann, da ihm ja dieser ganze Erdkreis ein Vaterland ist. 15. Was liegt ihm denn daran, in welchem Erdenwinkel er sich aufhält? Die Täler freilich, die Seen, die Flüsse und Hügel, die er sieht, sind andere, doch der Himmel ist derselbe. Dahin wendet er sich, dahin erhebt er seinen Geist, dahin schickt er seine Gedanken aus allen Gegenden der Erde. Und ganz wie man unter dem umfassenden Gewölbe eines einzigen Daches tut, meint er bloss, von einem Gemach in ein anderes hinüber gegangen zu sein. Auch Du wirst Dich keineswegs – sofern Du meine Hoffnung und die vieler anderer nicht seit langem getäuscht hast – an einen einzigen Winkel dieses unendlichen Gebäudes festklammern, vielmehr wirst Du jeden Ort, wo Deine Füsse den Boden treten, wo Du über Deinem Kopf den Himmel erblickst und wo Dich die Lüfte umwehen, als Dein Vaterland ansehen. Somit wird Dir die Beschaffenheit des Exils nicht bloss leicht, sondern auch erfreulich sein. 17. Übrigens gibt es zwei Dinge, die das Fühlen des Menschen zum Wohlwollen gegen andere reizen. Da ist einmal die bewährte Tugend (die, wie Cicero9 sagt, liebenswürdiger ist als alles), und da ist auch das einem Schuldlosen auferlegte Unglück. Von diesen beiden bewirkt das eine Hochschätzung und Bewunderung für würdige Männer, das andere aber Mitleid mit Trauernden. Und das eine ist Dir bereits in diesen rauhen Zeiten zuteil geworden, vom andern wird sich später zeigen, ob es Dir verliehen wird. Für einen starkmütigen Mann werden Dich alle halten, und alle werden Dich einen Verbannten heissen. Gewiss hat Starkmut, wenn wir Tullius10 auch nur ein wenig glauben, unter allen Tugenden das strahlendste Angesicht, während das Exil nicht zu den geringsten aller menschlichen Bedrängnisse gezählt wird. 18. Täusche ich mich also nicht, so ist sogar wünschenswert, dass die-
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ser neuerliche Zorn Deiner Mitbürger sich nicht etwa abschwäche und nicht irgendein Zufall Dir die Bezeichnung „Verbannter“ entreisse. Denn Du findest in solcher nichts Nachteiliges, hingegen denkbar viel an Günstigem und Glorreichem. 19. Doch nun entgegnest Du: „Meine Seele entsetzt sich vor Unglück und Schande.“ – Zuerst leugne ich, dass solches überhaupt vorhanden sein könne. Denn Dir ist ja, wie ich weiss, Stoff zu grossem Lob geboten worden, und der Grund zu Deiner Auswanderung aus dem Vaterland hat Dich geehrt. Es war die Halsstarrigkeit eines Tyrannen, die Deinen hohen Mut herausgefordert hat. Überdies hast Du als Verbannter die Musse und die schon immer begehrte Befreiung von Geschäften gefunden. Weiter ist zu sagen, dass jeder, der eine durch Tüchtigkeit erzeugte Schande fürchtet, ein Freund bloss des guten Rufes und nicht der Tüchtigkeit selber ist, und zudem, dass einer, der Anstrengungen meidet, damit aufhört, nach Ruhm zu begehren; denn solchen erreicht man einzig auf einem beschwerlichen, wenn auch herrlichen und – sofern ich nicht irre – auf einem freudvollen Weg. Dir allein wird nun aber, wie ich gesagt habe, unermessliche Ehre dank einem besonderen Vorrecht vergönnt, und zwar ohne jede Zugabe irgendwelcher Belästigungen, mit Ausnahme etwa derer, die Du selber Dir eingebildet hast. 20. Eines nämlich fürchte ich: Du könntest die empfangene Wunde eher mit fremden Augen als mit den eigenen betrachten und Deinen Fall nach einer fremden Meinung beurteilen. Das ist eine derart alltägliche Seuche, dass sehr viele auf fremdes Geschrei hin ins Schwanken geraten und stürzen, lange bevor sie gestossen werden, obwohl man gerade jenen als gestossen ansehen könnte, dem tausend Menschen mit verderblichsten Meinungen hart zuzusetzen nicht aufhören. 21. Aber wie einer ganz schwach an Kräften sein muss, wenn er schon bei leichtem Lufthauch vornüber fällt, so muss man jenen für völlig wahnsinnig halten, der seine Lage offenbar nach dem Geschwätz andere Leute, gar Unwissender beurteilt. Dieses Verhalten ist, je häufiger es vorkommt, desto entschiedener zu meiden, und zwar wie eine ansteckende Krankheit, die weit umher für Menschenherzen schädlich ist. 22. Willst Du auf andere hören, so fehlt es nicht an Leuten, die Dein Los mit vielfältigen Klagen erschweren, Dich trotz Deiner Unversehrtheit und Gesundheit bemitleiden und damit sozusagen als halb Tote an der Bahre eines Lebenden sitzen. Hören kannst Du dann Gejammer, sehen kannst Du dann wohl auch Tränen, geheuchelte oder solche des halben Wahnsinns. Und dann fängst Du an, elend zu sein, wenn Du Dir angewöhnst, Jammernden Dein Ohr zu leihen. Denn es gibt beinahe nichts, was in Folge eines ständigen Zusammenlebens mit anderen Menschen über eine menschliche Veranlagung nicht siegen kann. 23. Würdest Du aber lieber Dich selber um Rat fragen als Dich mit anderen zu besprechen, könnte ich nie aufhören, von Dir Grosstaten zu erwarten, Dich – mit Deiner eigenen Zustimmung – den Glücklichsten zu heissen und Dich eher für beneidenswert als für beklagenswert zu halten.
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24. Bist Du aber geneigt, anderen zu glauben, warum dann nicht auch mir, der Dir Richtigeres und zugleich Angenehmeres vorträgt? Du bist, glaube mir, nicht gefallen und wirst es auch nicht tun, ausser Du willst es. Du hast keinen Schimpf erlitten, vielmehr hast Du an der Schwelle ewiger Glorie die Wahl, entweder ruhmvoll voranzugehen oder ruhmlos zurückzuweichen. Mühe bedeutet das Vorangehen nicht, vielmehr Ruhe, nicht Verbannung, vielmehr Freiheit. Hast Du solcher einst nachgetrauert, als sie mit erstaunlicher Schnelligkeit entfloh, musst Du sie nun, da sie Dir entgegeneilt, um so freudiger umfangen.11 „Sage, wie heisst Dein Beweggrund, um endlich nach Rom zu verreisen? Freiheit gab ihn, die spät, doch endlich des Trägen sich annahm.“ 25. Da hat sich einer in einem Hirtengedicht gerühmt, er habe, um die Freiheit zu finden, das Vaterland verlassen. Du aber, ein Philosoph, betrübst Dich darüber? Langezeit hast Du für andere gelebt; beginne endlich, für Dich selber zu leben! Niemand wird behaupten, Du hättest es zu früh getan, denn nicht früher hast Du Dich aufgemacht als jener Hirte des Maro,12 nämlich „Als der lang schon ergraute Bart der Schere anheimfiel.“ 26. Von Jugend auf hast Du Deine ganze Zeit den Bürgern geopfert. Sie aber erröteten schliesslich wegen Deines unaufhörlichen Verzichtes auf ein unschätzbares Gut und entschieden, Du solltest über den Rest Deines langen Lebens endlich selber verfügen. Erkenne die Gesinnung der Gemeinde, und betrachte dann neben Deiner Guttätigkeit die ihre. Sie war so gross, dass sie die Hände, die ihrer freilich dringend bedurften, in anhaltender Dauer ermatten liess.13 Nun aber gebrauche heiter die Unabhängigkeit, die Dir gewährt wird! Und an die Mauern Deiner Vaterstadt erinnere Dich wie an ein Gefängnis der Freiheit. Du bist ihm entkommen, und das besonders Erstaunliche besteht darin, dass Dir vergönnt war, Dich just auf Befehl der Wächter davonzumachen. 27. Toll bist Du, wenn Du etwas unternimmst, um zurückzukehren. Jenen Dingen wende Dich vielmehr zu, denen Deine Jugend gewidmet war und die Deinen kräftigeren Jahren zweifellos Ruhe verliehen hätten, wäre nicht die Vaterstadt, nach der Du auch heute Dich sehnst, dazwischengetreten. Sie werden Dir ein ganz beschauliches und ehrwürdiges Alter verschaffen, das nicht bloss Dein Exil, sondern auch andere Zufälligkeiten Deines Lebens geringachtet. 28. Von den freien Künsten spreche ich und insbesondere von jener philosophischen Richtung, welche die Lehrmeisterin des Lebens ist.14 Diese hast Du niemals ganz aus Deinem Geiste verbannt, auch wenn der Ansturm politischer Geschäfte Dich bisweilen von ihnen fernhielt. Nun aber verlege Dich ganz auf sie, da Dich nichts mehr daran hindert! Bereite Dich unter besseren Vorzeichen für ein neues Leben vor und ertüchtige Deinen Geist mit den genannten Verrichtungen!
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29. Lies die antiken Historiker; dann erfährst Du, wie grosser Wetteifer unter den römischen und gerade den hervorragendsten Feldherren herrschte. Denn jeder wollte entweder möglichst bald vom Vaterland weggeschickt oder möglichst spät zurückgerufen werden. Das nur deshalb, weil ihnen behagte, auf die Behaglichkeit der Heimat so lange zu verzichten, als sie anderswo eine schönere Gelegenheit zur Bewährung ihrer Heldentugend fänden. Nach den Feierlichkeiten der Comitien15 pflegten die Konsuln in ihre Provinzen auszureisen, und ein hochgemuter Mann wünschte sich unter allen diejenige, in der er die meisten Gefahren entdeckte. Nicht weil irgend ein Mensch, ausser ein Verrückter, Gefahren und Notlagen um ihrer selbst willen aussuchte, sondern weil sich dank ihnen der Glanz der Vortrefflichkeit am ehesten offenbart. 30. Ob also Dein Exil leicht und die Empörung darüber bei den schmeichlerischen Schreihälsen unangebracht sei oder ob es umgekehrt hart und unerträglich drücke – wie die grosse Menge behauptet, ich aber verneine –: jedenfalls wird, sofern von altrömischer Charakterstärke sich etwas erhalten hat, die Klage eines Mannes unwürdig sein, wenn er trauert, dass ihm ohne sein Zutun auferlegt wird, wonach andere ehrgeizig jagen. 31. Der Ort, den der Magistrat Dir bestimmt hat, ist Deine Provinz!16 Nicht alle können mit einem gewaltigen Heer, weil ein Hannibal aus Italien abzog, nach Afrika übersetzen,17 um das feindliche Karthago anzugreifen. Nicht alle können, einen Sieg aus dem andern hervorlockend, einmal durch das rebellische Spanien, dann über ein von Piraten besetztes Meer, nun durch Armenien und Judäa und die Königreiche des ganzen Orients vordringen.18 Nicht allen ist es gegeben, nach Überwindung der nubischen Streitkräfte mit immer neuer Befehlsgewalt die Heere von Süden nach Norden zu verlegen19 und in allerkürzester Zeit ein von libyschem Blut gefärbtes Schwert in teutonische und kimbrische Herzen zu stossen. Nicht alle vermögen nach der Überwältigung Galliens seinen Königen die Anerkennung der Römermacht abzutrotzen,20 darauf hier die Tore am Rhein und dort die Tore am Ozean zu durchbrechen und in einem einzigen Vorstoss Germanien und Britannien niederzutreten. Auch kommt nicht allen zu, gefangene Könige vor einem Triumphwagen her zu treiben. Das nämlich war Helden wie Scipio, Pompeius, Marius, Caesar und Aemilius vorbehalten.21 32. Diese und andere in der Ferne lebende Männer lagen im Streit mit dem auswärtigen Feind. Du aber hast einen Kampf mit Deiner Verbannung durchzustehen! Und diese Bedrängnis wirst Du nicht bloss aushalten; Du wirst sie auch überwinden und niederringen, wenn Du tun willst, was unumgänglich ist, und wenn Du Dein Herz überzeugst, dass es als einzigen Schild gegen Ungemach nur die geduldige Ausdauer gibt, ja wenn Du schliesslich einmal das überaus heilsame Wort des Kleanthes,22 das Seneca ins Lateinische übersetzt hat, tief in Deine Brust versenkst: „Den Willigen leitet das Schicksal, den Widerwilligen zwingt es.“23 Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zu einer Datierung)
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Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Adressaten, und zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Petrarca spricht über die Lust am eigenen Leiden im Secretum 1,4,4 f. und auch sonst. 3 Luc. Phars. 8,391 – 393. 4 Bias war im 6. Jh. führender Staatsmann in Priene in Karien; wurde zu den sieben Weisen gerechnet. Berühmt ist sein Wort: Omnia mea mecum porto. 5 Valerius Maximus, Verfasser einer Sammlung von Exempeln richtiger Lebensführung, dem Kaiser Tiberius gewidmet. 6 Stilpon, Philosoph der Schule von Megara, lebte von ungefähr 380 – 300. 7 Cic. Parad. 1,1,8. Val. Max. 7,2, ext. 3; Sen. Ad. Lucil. 9,18 – 19 und De const. sap. 5,6. 8 Vgl. zum Verständnis oben Abschnitt 4 und 5. 9 De nat. deor. 1,44,121. 10 Cic. De off. 1,18,61; Tusc. 5,37,106. 11 Verg. Ecl. 1,26 – 27; es antwortet der Hirte Tityrus. 12 Verg. Ecl. 1,28. 13 Der Sinn bleibt unklar. Ein Vergleich der Lesarten von Rossi und Fracassetti hilft wenig. 14 Das ist die Geschichte. 15 Das sind Wahltage, Volkstage. 16 Gemeint ist: Dein Tätigkeitsfeld, das dem der grossen Feldherren vergleichbar sei. 17 Das tat Scipio nach der Schlacht am Trasimenischen See 217. 18 Erinnert wird an die Kriegszüge von Pompeius dem Gr. 67 ff. 19 Von den Kämpfen des Marius ist die Rede; vgl. die Anmerkung 20. 20 Das waren die Erfolge Caesars. 21 Marius war von 106 bis 100 ununterbrochen Konsul. Mit Aemilius ist Lucius Aemilius Paullus Macedonicus gemeint. 22 Stoiker, Freitod ca. 232 v. Chr. 23 Ad Lucil. 107,11.
Fam. 2,5, an den Ordensmann Giovanni Colonna1 Die Seele leidet viel wegen ihrer Verbindung mit dem Leib. 1. Beunruhigung wegen einer lang ausbleibenden Nachricht. Verwirrung und Träume. 2. Über Anfechtungen der Seele durch den Leib. 6. Auf die von seinem Freund vorgelegten Fragen will Petrarca in drei anderen Briefen antworten. Bekenntnis eigener Schwächen. (1336)
1. Deinen Brief, der von der halben Strecke Deiner Reise hierher zurückkam, habe ich höchst begierig entgegengenommen. Ich sehnte mich glühender als gewöhnlich zu hören, es gehe Dir gut, denn die Begleiterinnen der Liebe, die Ungeduld und die Furchtsamkeit, wachsen mit der Entfernung. Ich ängstigte mich, und mein Herz war verwirrt, weil ich wusste, dass auch Du beim Abschied verwirrt warst, und weil ich sah, wie jene, die Dir zur Verwirrung Anlass gegeben und ihre böse Absicht erreicht hatten, vor meinen Augen herausfordernd herumstolzierten, gleichsam sich brüstend, dass sie Dich in die Ferne getrieben und mich der Gegenwart Deiner Person und unseres unschuldigen und heiteren Umgangs beraubt hatten. Übrigens schreckten mich meine Gesichter und Traumbilder, die wild erregt waren und auf sonderbare Weise und feindlich mich einmal und immer wieder bedrängten. 2. Nicht als wäre mir unbekannt, dass man Träumen nicht leichtfertig glauben darf! Doch es ist so: Auch ich befinde mich auf einer Reise; und ich meine mit „Reise“ die des Lebens, die absinkt zum Sterben und während welcher man Hitze und Kälte, auch Hunger und Durst, Traum und Albtraum, Rätsel der Nacht und Ruhestörung erleben und überhaupt manches erleiden muss bis zu jenem Tag, erhofft von den Guten, gefürchtet von den Schlechten, der uns unserer sterblichen Hülle entkleidet und die Seelen, die himmelwärts streben, aus den Fesseln dieser düsteren Gelasse empor reisst. 3. Indessen, so gestehe ich, finden die Anfechtungen meiner Leidenschaften bei mir leichten Zugang, und was immer die Philosophen über die Notwendigkeit, sie zu dämpfen und zu bezwingen, dozieren und was immer andere bei sich empfinden: Ich bin ihnen noch immer unterworfen. Schon bei meiner Geburt wurde mir dieses Gesetz mitsamt meinem Körper auferlegt; und so erwächst mir aus der Gemeinschaft mit dem Leib manches Leiden, das mir ohne ihn erspart bliebe. 4. Der Geheimnisse der Natur bewusst, hat ein Dichter an der Stelle, wo er behauptet, dass den menschlichen Seelen eine gewisse feurige Kraft und ein göttliches Prinzip innewohne, gleichsam einschränkend angefügt:2 „… sofern nicht die quälenden Leiber sie hemmen, Weder ein sterbliches Glied noch Gelenk ihre Dienste versagen. Dann eben spüren sie Angst, auch Verlangen und Schmerzen und Lüste, Schauen zum Himmel nicht auf, gebannt in die Gruft ihrer Blindheit“.
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5. Ich habe mich also gewundert, als nach Deinem Weggang nicht die geringste Nachricht von Dir an mein Ohr drang. Doch sieh! Da wurde mir Dein Brief überbracht! Ich habe Dein Siegel erkannt und habe das Schreiben, gleich mich beruhigend, gelesen. Doch weil Dein Bote offenbar sonderbar beeilt ist, Deine Angelegenheit aber mehrerer Worte bedarf, verschiebe ich die Antwort auf morgen. 6. Schon jetzt nehme ich an, sie sei auf drei Briefe zu verteilen, weil Deine, verschiedene Dinge betreffende, Klage dreifacher Art ist. Eine Bemerkung nur, die rasch gemacht ist, möchte ich nicht unklug auf später verschieben: Ich bleibe in die Netze meiner Sünden verwickelt, noch immer unfähig, in den Hafen zu flüchten. Im gleichen Unwetter, in dem Du mich scheidend zurückliessest, kämpfe ich noch jetzt mit den Fluten, und umsonst versuche ich häufig, mit vollen Segeln zu fahren, sobald sich für mich im Westen irgend ein Wind erheben wollte. Einzig dessen bin ich froh und dafür danke ich Gott, dass ich wenigstens Dich von sehr vielen Mühen befreit weiss. Dein Schifflein ist diesen Gefahren ja entronnen,3 „Da es im Hafen liegt oder rauschend im Wind eben einfährt.“ 7. Fortan werde ich meine Sachen leichter erledigen, weil der Wunsch, Dir zu folgen, erwacht ist und ich von der Hälfte der Sorgen befreit bin. Lebe wohl! (1336)4
Anmerkungen 1 Der Adressat war um 1298 geboren worden und hatte an der Schule von Chartres studiert. Vor 1320 war er in den Dominikaner Orden eingetreten und hatte darauf seine Studien in Paris fortgesetzt. Um 1332 lebte er an der Kurie in Avignon, die er 1336 verliess, um nach Rom zu reisen. 1338 lebte er dort im Kloster Santa Sabina. Das Alter verbrachte er in Tivoli. Vgl. bei Dotti,Vita 47 mit dem Hinweis auf G. Billanovich, La tradizione del testo di Livio e le origini dell’umanesimo 1,1, Padova 1981, 131. Unter „Adressaten“ in diesem Band sind die andern an den Dominikaner gerichteten Briefe aufgezählt. 2 Verg. Aen. 6,730 – 734. 3 Verg. Aen. 1,400. 4 Zur Datierung vgl. oben Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,6, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Abwesenheit schadet der Freundschaft nicht. 1. Tadel wegen weibischer Klagen. 3. Keine räumliche Distanz kann wahrer Freundschaft etwas anhaben. 8. Beschäftigungen, Beschwerden und Blindheit hindern nicht, den Freund vor Augen zu haben. (1336)
1. Ich hatte gehofft, von Dir etwas Bedeutungsvolles zu vernehmen. Deine Klugheit schien mir ja schon früher die gewissen Klagen beenden zu wollen, mit denen eine dumme und undankbare Menge sich hören lässt. Doch ich täuschte mich gewaltig, wie ich sehe. Und dürfte ich doch wenigstens vermuten, das vorliegende Schriftstück sei von einem Fremden unterschoben worden, und dürfte ich doch sicher sein, dass es nicht ein grämliches Produkt Deiner eigenen Hände ist, in dem Du über eine einzige Kleinigkeit mit einem Wortschwall beinahe nach Weiberart jammerst! 2. Dein Lamento erschöpft sich in der Mitteilung, Du seist zu tiefst und untröstlich betrübt, weil Du unseren über alles begehrten und besten Herrn2 und auch mich und Deine Freunde nicht mehr von Angesicht sehen könnest. Dass Du wegen Deines plötzlichen Weggangs bewegt und verwirrt bist, bezweifle ich freilich nicht; denn Deine Empfindsamkeit und Dein sanftes Betragen kenne ich. Ihnen ist jedwede Strenge und alles etwas rauhere Verhalten unerträglich. 3. Woher jedoch diese Masslosigkeit des Schmerzes ? Das begreife ich nicht. Unzählige Gründe können Freunde von einander trennen, keine aber die wahre Freundschaft. Wo eine solche besteht, kann ein Freund gar nicht fern sein. Denn im Mass, als uns durch räumliche Distanz der Umgang mit Freunden verwehrt wird, beheben wir den Nachteil der Abwesenheit durch häufige Erinnerung. Diese hat eine so grosse Kraft, dass sie den Tod überwindet und wir sogar mit verstorbenen Freunden, als wären sie lebendig, vertraut bleiben, genau so, wie das nach dem Tod des jüngeren Africanus unser so kluger Laelius, der klügste und der unter allen Römern ruhmvollste Freund mit seiner Lehre uns beibrachte.3 Trifft das aber zu, kann es doch nicht schwierig sein, gleicherweise die Abwesenheit zu überwinden und das ferne Angesicht der Freunde als anwesendes zu betrachten. 4. Bei einem Dichter4 steht zu lesen „… es haften fest im Gedächtnis Gesichter, Worte auch“, und weiter „… der Ferne erkennt den Fernen und hört ihn.“ Vermöchte also eine kranke und niedrige Liebe, was eine nüchterne und heilige nicht vermöchte? Im Gegenteil, sie vermag es weit besser, wie der gleiche Dichter5 gesagt hat:
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„Eher erhebt sich der Hirsch in die Lüfte, um Weide zu finden, Eher gestattet die Flut, dass die Fische am Strande verenden, Eher begeben sich fort die Ströme, so dass die entwichne Saône den Parther erquickt und die Woge des Tigris den Deutschen, Eher geschieht’s, als dass meinem Herz sein Antlitz entschwände.“ 5. Beachte auch, welcher Worte Laelius6 sich selber bedient, wenn er von seinem teuersten Freunde spricht: „Die Vortrefflichkeit,“ sagt er, „habe ich an diesem Manne geliebt, und diese ist nicht erloschen.“ Warum sagst nicht auch Du: „Die Vortrefflichkeit dieses einen oder jenes andern liebe ich, und diese ist nicht fern und nicht abseits, sondern mir ständig vor Augen und wird bei mir immer in Ehren gehalten?“ 6. Gewiss ist es höchst erfreulich, seine Freunde in der Nähe zu haben, ihr Gesicht und ihre Augen zu sehen, sie mündlich anzusprechen und die Worte der Sprechenden unvermittelt mit dem eigenen Ohr zu vernehmen. Und wirklich – wir können ja auch dafür ein dichterisches Zeugnis erbringen – lesen wir doch nicht ohne eine gewisse Rührung, wie Anchises7 seinem Sohn in grosser Erregung entgegenging, seine Hände zum Himmel erhob und, überströmt von Tränen, sagte:8 „… Dein Gesicht zu erkennen, Kind! Welch ein Glück, Deinen Laut zu vernehmen und mit Dir zu reden!“ 7. Ich widerspreche gewiss nicht, dass die Gegenwart von Freunden überaus beglückend ist. Wer könnte das verneinen, ohne unmenschlich, ja tierisch zu sein! Doch selbst Du wirst mir zugeben, dass auch die Abwesenheit ihre besonderen Freuden hat, wenn wir uns hüten, die Schönheit der Freundschaft, die doch weit und breit sichtbar ist, einzig an unsere Augen zu binden und von ihrem Sitz, den sie im Herzen hat, zu scheiden. Wenn wir das täten, bliebe der Freundesliebe freilich nur ein sehr enger Spielraum, sich zu erquicken. 8. Denn – um Tod und Kerker, Krankheit und räumliche Entfernung (ob erzwungene oder gewollte) zu übergehen: – Wer wird denn die alltäglichen Bedürfnisse des Lebens, wie Schlaf, Hunger, Durst, Hitze, Kälte und Erschöpfung, wer die unzähligen Beschäftigungen mit Wissenschaft und mit anderen Dingen aufzählen, die uns durchaus daran hindern, selbst die im gleichen Haus wohnenden Gefährten (und nicht bloss die in der selben Stadt lebenden) fortwährend vor Augen zu haben und ihre Stimme zu hören? 9. Muss deshalb eine Freundschaft auf die allerkürzeste Dauer beschränkt sein? Wo ihr doch zusteht, nicht bloss das längste Leben bis ans Ende zu begleiten, sondern, wie gesagt, selbst noch darüber hinaus zu bestehen! Wie hätte Appius,9 blind wie er war, Freundschaften gewonnen? Von andern, die in der gleichen Lage sind, will ich schweigen; er fiel mir als erster ein, weil man unmöglich vermuten kann, es habe
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ihm, weil ihm das Augenlicht mangelte, auch die Freundschaft gemangelt, da er ja der gesamten Bürgerschaft ein wahrhaftiger Freund war. 10. Wozu also diese Trauer über Abwesenheit? Als könnte sie Dich der Freundschaft berauben, wo sie doch weder in dieser Sache noch in einer andern bewirken kann, was Du ihr nicht selber gestattest! Bedenke, ich bitte Dich, lieber nicht die Grösse der leiblichen Ferne (denn was bedeutet Ferne angesichts dieses kleinen Punktes, auf dem wir Menschen kaum ein Teilchen besetzen!), bedenke vielmehr die Dir verliehene Fähigkeit, im Geist und in Gedanken bei uns zu sein! In dieser einen Weise, welche Dir erhalten bleibt, betrachte uns immerfort, und gib uns auch die Möglichkeit, Dich in einem häufigen Briefaustausch zu sehen! Und lebe wohl! (1336)10
Anmerkungen 1 Vgl. den voraufgehenden Brief und die dort in Anm. 1 gegebenen Hinweise. Vgl. mit den verschiedenen Personennamen und Werken im Text Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Das ist der Kardinal Giovanni Colonna. 3 Scipio und Laelius, ein klassisches Freundespaar; vgl. Cic. De am. 27,102. 4 Verg. Aen. 4,4 – 5; 83. 5 Verg. Ecl. 59 – 63. 6 Cic. De am. 27,102. 7 Troerfürst, dessen Sohn Aeneas als Gründer Roms galt. 8 Verg. Aen. 6,688 – 689. 9 Gemeint ist Claudius A(p)pius, der Blinde, Censor 312 v. Chr. Vgl. Cic. Tusc.5,38,112. 10 Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,7, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Auf ungeduldiges Auskundschaften soll man verzichten. 1. Der Ärger über eine Verzögerung der Weiterreise in Nizza sei unangebracht. 2. Die Ungeduld der Jugend müsse man mit zunehmendem Alter überwinden. 4. Das Bangen um ungewisse Zukunft sei zu vermeiden. 8. Nötig sei die Abkehr von weltlichen Dingen. 9. Über lächerliche Zukunftssorgen. 15. Selbst Gott sei nicht mit Ungeduld zu suchen. (1336)
1. Eine ungemein lästige Verzögerung, so schreibst Du recht entrüstet, habest Du in Nizza erlebt und einen ganzen Monat lang darauf gewartet, dass Dich irgendein Schiff nach Italien bringe. Und doch bist Du, während Du Dich nach Italien sehntest, bereits in Italien gewesen, so sage ich, wenn wirklich – gemäss der Auffassung der Dichter und der Kosmographen2 – der Fluss Varo die Grenze Italiens bildet. Die genannte Stadt liegt ja auf der inneren Seite nach Italien hin. Doch was Du gemeint hast, ist klar: Du hast an das Kernland Italiens gedacht und statt „Italien“ eigentlich „Rom“ sagen wollen. 2. Und schon erkenne ich die Ursache Deiner Schwäche: Von ungestümen Erwartungen pflegt die Jugendzeit erfüllt zu sein; und diesem Alter gegenüber muss man einige Nachsicht üben. Am höheren Alter jedoch, dem es gut anstehen würde, alle Erwartungen der Vergangenheit zu überlassen, ist jedes anhaltende und ängstliche Ausschauen in die Zukunft ein Schmutzfleck. 3. Du, schon in höherem Alter, magst für Dich selber schauen; ich, der jüngere, will einzig für mich sprechen. Die Jugend habe zwar auch ich schon hinter mir, aber von Deinem Alter trennt mich noch – wenn hier auf Erden überhaupt etwas fern liegt – ein grosser Abstand. Je seltener übrigens auch ich die Beschwerden des Ungestüms empfinde, desto häufiger beklage ich die bleibenden Folgen dieses Übels. Denn dann erkenne ich besonders klar, dass ein reifer Mensch weder durch Gegenwärtiges gebrochen, noch durch Zukünftiges geängstigt wird, sondern auf beide Zeiten gleichmütig herabblickt und, was sie gebracht oder versprochen haben, geringschätzt. 4. Von der Gegenwart schweige ich; denn ich habe beschlossen, von Zukünftigem zu handeln, das den Menschen mit leeren Versprechungen hinhält und ihn – wenn ich mich nicht täusche – besonders lächerlichen Irrtümern preisgibt. Da ist einer, der, gemäss Lucan,3 in der Erwartung eines fremden Schiffes ganze Tage lang auf die Wogen hinausschaut, „… und die Segel des Schiffes, Tauchen sie irgendwo auf, in der weitesten Ferne schon sichtet“,
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während sich ein anderer am Ufer bereits in Bewegung setzt und mit allen Gelübden ein heiteres und ruhiges Wetter herabfleht. Ein anderer, ganz unbekümmert um irgendeine ernsthafte Tätigkeit, tut ohne Unterlass das, was einst der Kapitän der troischen Flotte getan hat, wie Vergil berichtet:4 „… Alle Winde erforscht er genau und hascht mit dem Ohr nach den Lüften, Merkt sich auch jedes Gestirn, das hinzieht am lautlosen Himmel.“ Wieder ein anderer löst sich nie vom Testament eines begüterten Alten und tadelt dabei das Zaudern des Todes. Einer zählt die Tage, Stunden und Minuten bis zu seiner Hochzeit oder bis zur Niederkunft seiner Gattin oder bis zu einer Nacht mit seiner Freundin. Doch was sollen viele Worte? 5. Du erinnerst Dich wohl an das Zitat aus unserem Tranquillinus in unserer „Philologia“,5 die ich nur geschrieben habe, um Dir scherzend Deine Sorgen zu vertreiben: „Viele sind’s, die Pläne entwerfend, verscheiden …“ 6. So ist es. Nur sehr wenige kannst Du finden, die nicht völlig vom Ungewissen abängig sind. Alexander von Makedonien, Iulius Caesar und viele von den fremden oder auch von unseren eigenen Heerführern wurden mitten aus wahrhaft grossen Unternehmungen von diesem Leben abberufen, und der Tod traf sie – so jedenfalls dünkt mich –mitten in ihren Anstrengungen um so härter, je weniger sie ihn erwarteten. 7. Daher scheint denn der genannte Iulius Caesar, als er auf einem gebrechlichen Gefährte von einem gefährlichen Sturm überrascht wurde und den Tod zu fürchten begann, eben dieses eine beklagt zu haben,6 denn „… selbst die gewaltigste Tat wird erdrosselt Durch das Geschick, das die Tage verkürzt …“. Der Dichter wusste, was einem solchen Mann in der bestimmten Lage die grösste Sorge entweder gewesen war oder sein musste, und somit hat er sie allen anderen Klagen vorangestellt. 8. Ein einziges Heilmittel gibt es in dieser Krankheit. Es schmeckt beim ersten Kosten vielleicht allzu bitter, ist aber bei einem tüchtigen Schluck süss und beruhigend: Nötig ist, seine Neigung von weltlichen Dingen gemach wegzuwenden, sofern das möglich ist, sie andernfalls davon wegzureissen und samt den Wurzeln auszurupfen. Das geschieht freilich meist nicht anders als unter einer schmerzhaften Verletzung der Sinne. Wenn aber, wie Du weisst, die geschwächte Gesundheit des Leibes nur sehr selten ohne Beschwerden wiederhergestellt wird, wie viel weniger geschieht das bei der Gesundung der Seele, die ja von weit heftigeren und häufigeren Krankheiten befallen wird! Handle also entsprechend, und Du wirst Dich freuen an der Gegenwart und durch keine Zukunftserwartungen gequält werden.
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9. „Nach Italien will ich gehen“, so erklärst Du. „Auf ein Schiff warte ich und auf ein ruhiges Meer.“ So wirst Du sprechen, solange Dein Herz mit der gewohnten klebrigen Lust an den weltlichen Dingen hängt. Wenn Du aber nach Höherem aufschaust, wirst Du sagen: „Nach Italien will ich gehen, aber ich will auch hier bleiben; was besser ist, weiss Gott; die Menschen wissen es nicht. Ich warte auf irgendein Schiff, aber nicht weniger auf irgendeinen Boten, der meldet, das Schiff werde nicht kommen; und beide Nachrichten empfange ich mit gleichmütigem Ohr.“ – 10. Du aber entgegnest: „Ich habe in Italien etwas Wichtiges zu erledigen.“ Schon siehst Du jedoch ein, wie ich meine, sofern Dein Studium der Philosophie gefruchtet hat, dass keinesfalls wichtig sein kann, was Du ausserhalb Italiens nicht ebenfalls erledigen kannst. So oft man ein Unternehmen auf einen einzigen Ort zusammendrängt, hört es auf, eine bedeutende Grösse zu haben, eben weil es sich in die Enge hineinpressen lässt. – 11. „Aber ich will wenigstens in Italien sterben und wünsche, in meiner Heimaterde begraben zu werden.“ – Wer so redet, ist noch immer bloss ein Italer, aber noch nicht ein Mann hoher Denkart. Was ist denn kindischer, als sich darum zu kümmern, wo man die abgeschnittenen Haare und Nägel und wo das Gefäss überflüssigen Blutes hinstellt, wenn man nicht auch bedenkt, wo man selber liegen wird? Gewiss; doch was Deinen Leib betrifft, ist es gleichgültig, wo das alles, was jetzt Dein ist, Dir abhanden kommt (sofern Du es zulässt) oder aber Dir entrissen wird (sofern Du es verhindern willst). Und was die Seele betrifft, so gilt, dass ein enger Raum sie nicht einschnürt und ein weiter Raum sie nicht ausdehnt. Und wo immer man zum Himmel hinauf oder zur Hölle hinab fährt: es bereitet die eine und gleiche Mühe. – 12. „Es ist aber Erfreulich, von den Händen der Angehörigen begraben zu werden.“ – Warum das? Häufig wird das Erfreuliche nicht durch eine der Sache innewohnende Eigenschaft, sondern durch den verderbten Geschmacksinn der Geniessenden bewirkt. Und was nennt man denn erfreulich bei einem Leichnam, der nichts verspürt und alle derartigen Gefälligkeiten nicht beachtet? 13. In der einen und gleichen Lage, so sage ich, um zu meinem Gegenstand zurückzukehren, befinden sich alle Wartenden wegen ihrer Ungeduld: Sie schauen nach dem Kommenden aus und sehen nicht, was vor ihren Augen liegt,7 sie nehmen sicheren Schaden bei einer zweifelhaften Hoffnung. Das Gegenwärtige vergeht, und das Zukünftige hält selten genug, was es verspricht. Bedenke übrigens, dass unsere Wünsche oft überflüssig und schädlich sind und auf unseren Kopf zurückfallen. Darum folgt denn auf weggeworfene Hoffnungen oft ein Aufbegehren und auf beliebig lange gehütete ein Überdruss oder ein unerwartetes Unglück. 14. Lege doch alle Hoffnung ab, lenke alles Verlangen von diesen falschen Gütern weg! Fange an, das eine und wahre und höchst Gut zu begehren, wenn Du bis in Dein heutiges Alter diese höchst wichtige Sache vertagt hast. Dann wird die ruhelos schweifende Leidenschaft und damit auch der Unmut über eine lange Verzögerung
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aufhören; dann wirst Du nicht bloss in Nizza, sondern auch, wenn es das Schicksal will, bei den Syrten von Libyen ohne Beschwerde verweilen, zufrieden mit Deiner Habe und ohne etwas anderes zu suchen. 15. Nun wird einer sagen: „Soll man denn nicht wenigstens nach jenem einen Gut, das Du genannt hast, begehren, damit es gegenwärtig sei und die sehnende Seele mit gegenwärtiger Freude erfülle?“- Keineswegs! Wenn Du nämlich inständig, wenn Du heilig, wenn Du nüchtern hoffst – und anders kann ein so hohes Gut nicht begehrt werden –, so ist das Erwünschte schon bei Dir! Zuinnerst in Deinem Herzen suche den Geliebten, und Du wirst ihn finden.8 Man kann sich seiner nicht bemächtigen, indem man hinaus schweift. Und wenn vielleicht noch etwas bleibt, was Du in höherem Grad besitzen möchtest oder in grösserer Fülle erwartest, dann wird das Verlangen danach sanft und erfreulich sein. 16. Einzig wer sich nach dieser Anweisung bildet, kann unter allen Sterblichen, so oft er bei einbrechender Nacht sein Lager aufsucht, von der Vergangenheit mit Sicherheit sagen, was Seneca von Vergil9 überliefert hat: „Habe gelebt, nicht weichend vom Pfad, den Fortuna mir anwies.“ Und von der Zukunft, was Horaz10 gesagt hat: „… Gott zieht schwarze Wolken herauf oder lässt die Sonne Am Himmel strahlen …“ Nie wird er über der Betrachtung des Kommenden die Gegenwart vergessen oder ein Leben führen, das ihm oder anderen nutzlos ist. Lebe wohl! (1336)11
Anmerkungen 1 Vgl. die beiden vorangehenden Briefe. Aus diesen ergibt sich u. a. die Datierung. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Luc. Phars. 1,404; Plin. Nat. 5,4; Pomp. M. De chorogr. 2,4,72. 3 Luc. Phars. 7,47 – 48. 4 Verg. Aen. 3,513 – 515; gesagt wird das von Palinurus, dem Steuermann des Aeneas. 5 Vom heute verlorenen Werk Philologia spricht auch Fam. 7,16,6. Dazu vgl. S. Marotti in „Humanitas“ 1950/51,191 – 206. 6 Luc. Phars. 5,659 – 560. 7 Vgl. Sen. Ad Lucil. 98,6. 8 Vgl. Aug. Conf. 7,11; 10,27 – 28; auch Sen. Ad Lucil. 41,2. 9 Aen. 4,653; Sen. Ad Lucil. 12,9. 10 Carm. 3,29,43 – 45. 11 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,8, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Alles Natürliche ertrage man mit Gleichmut. 1. Ärger wegen ewiger Klagen des Freundes. 3. Das Natürliche ist nicht erstaunlich. 7. Ungerecht sind die Anklagen gegen die Natur; ihre guten Gaben übersehen wir. 10. Bitte um Nachsicht mit dem Ratgeber. Selbst ein kranker Arzt kann andere heilen. (1336)
1. Von Deinen Klagerufen habe ich genug; schon bereitet die Sache mir beinahe Überdruss, und schon vermag ich Deine Empfindlichkeit kaum mehr zu ertragen. Denn gerade als wärst Du eben erst auf die Welt gekommen, gerätst Du bei schlichtweg allem, was Dir begegnet, in Angst. Du solltest Dich schämen, unter solchem Gejammer zu altern, ja, Du solltest Dich schämen, als ein bereits Gealterter nach Art eines Kindes zu jammern. Das entspricht ja Kindern, über alles, was sie sehen, ausser sich zu geraten, denn für sie ist wirklich alles neu und erstaunlich. Alten Menschen, zumal gebildeten, pflegt jedoch nichts Neues oder Unerwartetes zu begegnen, also auch nichts bestaunenswert und nichts beklagenswert zu sein. 2. Weshalb nun diese grossen Entrüstungen wegen ganz üblicher Vorfälle, die sich gemäss den Gesetzen der Natur ereignen? Monstren vermögen bisweilen einen Menschen zu erschüttern. Wenn man ein Kind mit zwei Köpfen oder einen Menschen mit vier Händen sieht, ist man verwundert; von einem Steinregen, einem sprechenden Ochsen und einer gebärenden Mauleselin liest man in den Annalen; aber Alltägliches übersieht man. 3. Was aber hast denn Du erlebt, dass Du nun so ganz ins Erschrecken und Klagen geraten bist? Mit Deinem Staunen zwingst Du mich, Dein Staunen zu bestaunen. Weniger ungeduldig würde ich dieses übermässige Staunen an einem andern ertragen. Denn wie oft hast Du das Meer durchquert!2 Wie oft hast Du Dich mitten aus Gefahren gerettet! Wie oft bist Du dem Rachen des Todes entronnen! Und doch klagst Du voll Verwunderung Dein Schicksal an und beschreibst, wie Du zur See ein starkes Ungewitter erlebt hast, eines – ich verwende ein Wort des Satiricus3 – „eines wie gedichtet“. Und weiter schilderst Du, wie Du zur Küste, wo Du Dich eingeschifft hattest, infolge eines gewaltigen Gegenwindes zurückgeworfen wurdest. Und eben das betrachtest Du nun für einen Frevel des Meeres! Dabei ist es blosse Natur. 4. Deine Entrüstung wäre eher gerechtfertigt, hättest Du erlebt, was einst der Flotte Caesars zwischen Italien und Griechenland widerfuhr; denn das Adriatische Meer war damals so stark vereist, dass sie nicht vorrücken konnte.4 Oder wenn Du erduldet hättest, was einst dem Heer des Pompeius in Libyen widerfuhr, als die Erde unter seinen Füssen schwankte:5 „… kein Krieger konnte sich halten, Denn auch der sandige Grund, auf dem er marschierte, entglitt ihm“.
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5. Wenn Du nun aber auf dem Landweg hartes Gestein und beschwerliche Hügel, auf dem Seeweg das Wogen der Fluten ertragen hast, ist das kein Grund so zu klagen, als hätten Dir die Elemente damit ein Unrecht getan, weil sie eher ihrer Natur gehorchten als Deinem Willen. 6. Im zweiten Teil Deines Briefes erzählst Du sodann nicht weniger wehleidig und weinerlich, dass Du bei Deiner Ankunft in Pisa einer langen Krankheit erlegen seist, ganz als wüsstest Du trotz Deinem recht hohen Alter noch nicht, was eine Krankheit ist. Wie willst Du Deine Seele einmal auf den Tod vorbereiten, wenn Du über ganz Alltägliches so entsetzt bist? 7. Doch um mich darüber nicht länger auszulassen – denn diese Thematik wäre höchst anspruchsvoll und vieler Worte bedürftig –: Höre in Kürze, was ich über solches Gejammer (selber oft allzu weitschweifig) zu sagen pflege. Viel zu leichtsinnig sind unsere Vorwürfe gegen die Natur. Niemand weint, weil er geboren wurde, niemand, weil er lebt; aber dass er erkrankt, dass er stirbt, darüber beklagt sich ein jeder, als wäre das weniger natürlich als das andere. Sowohl geboren werden wie sterben, sich sättigen wie hungern, schlafen wie wachen und arbeiten, altern, erkranken und sterben sind natürliche Dinge, so dass keiner davon frei bleibt, ausser jener, dem etwa durch die frühzeitige Notwendigkeit, zu sterben, jene andere Notwendigkeit, zu altern, und auch Beschwerden der Arbeit und der Krankheit erspart werden. 8. Wozu also ergehen wir uns in nutzlosem Gejammer? Kann etwa ein jeder sich dieses Trauern gestatten, als würde es nur ihm allein zustossen? Oder können wir, weil es allen zustösst, die Klagen aller auf uns vereinen, um gleichsam als Stellvertreter des Menschengeschlechts die Natur, die das gar nicht verdient, zu beschuldigen? Wahrlich, ein abscheuliches und ungehöriges Geschäft! Jene verfährt gegen uns sehr mild; wir aber verbittern ihre Wohltaten durch unsere Ungeduld, sind gegen unsere beste Mutter undankbar und gegen uns selber grausam. 9. Ich bitte Dich daher, geliebtester Vater, um Folgendes, und ich würde Dir, wenn es meinem Alter nicht schlecht anstünde, solches sogar anraten: Lass uns, was immer geschehen mag, tapfer ertragen, gleichmütig ertragen, ohne Aufschrei ertragen und ohne alles weibische Gejammer. Wir haben Zeit gehabt, das zu erwägen, und – Christus sei gedankt! – wir haben noch Zeit, das Erwogene auszuführen. Und mag die grosse Menge töricht sein, so haben wir doch viel vernünftigere Ratgeber, deren Ermahnungen uns eher verpflichten. 10. Und ärgere Dich nicht über mein Leben, wenn Du meine Briefe liest, und schau nicht auf die Beschaffenheit dieses Deines Ratgebers! Du bist gewiss bisweilen einem kränklichen Arzt begegnet, der seine eigene Krankheit nicht heilen konnte, wohl aber die eines andern! Ich hoffe, es gehe Dir gut. (1336)6
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Anmerkungen 1 Vgl. die beiden vorangehenden Briefe. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Von Reisen des Adressaten nach Persien, Arabien und Ägypten sprechen Fam. 3,13 und Fam. 6,3,57 ff.; vgl. G. Golubovich, Fr. Giovanni Colonna di San Vito viaggiatore in Oriente, in: Archivum franciscanum historicum 11,1918, 37 – 45. 3 Iuv. Sat. 12,23 – 24. Das selbe Zitat steht in Fam.5,5,1, wo Petrarca mit der Schilderung eines selber erlebten Meersturmes beginnt. 4 Luc. Phars. 5,436 ff. 5 Luc. Phars. 9,464 – 465. Die Rede ist von Pompeius dem Grossen, dem Gegner Caesars. 6 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,9, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez1 Verteidigung gegen scherzhafte Vorwürfe. 1. Dank für einen scherzenden Brief. 2. Die Welt sei voller Betrug, und sie zu entlarven, vermöge nur ein Weiser. 8. Begeistertes Lob auf Augustinus. 14. Die Hinwendung zu Augustinus sei ehrlich. 16. Widerstreit in Petrarcas Seele. 18. Der Name Laura stehe nicht für einen erhofften Lorbeer. Die Gestalt sei nicht erdichtet. 23. Ernsthafte Bitte um eine Begegnung in Rom. 24. Lobrede auf Rom. 28. Die Stadt ist ein Abbild des Himmels. 30. Dank für liebevolle Worte. Avignon, am 21. Dezember (1336).
1. Aus einem Halbschlaf weckt mich das Geschrei Deiner Epistel, und da sie vollgestopft ist mit scherzendem Geschimpfe, habe ich sie Zeile um Zeile belustigt und lachend gelesen. Und um Dein erstes Geschoss gleich abzufangen, so schau bitte, bester Vater, was alles Du an Vorwürfen gegen mich zusammenträgst; und wie sehr doch schon die ersten Worte Deines Schreibens Deiner folgenden Anklage widersprechen! 2. Verwundern müssest Du Dich immer wieder, so sagst Du, weil ich bei meinem zarten Alter die Welt schon dermassen kunstgerecht täuschte, dass diese Kunst nicht so sehr von Übung als von Naturbegabung zeuge! Du hättest mir gewiss eine Lobrede von reicheren Worten, aber wahrhaftig keine von rühmlicherem Glanze vorsingen können. Wie sehr die Welt, diese Betrügerin der Menschheit, das in Tücken verstrickte Leben zu lieben empfiehlt, wenn sie es mit bitterer Süsse beträufelt, weiss jeder, der mit offenen Augen auf diesem Erdenpfad wandert. Ja, wir selber unterstützen ihre Hinterlist mit Fleiss und Eifer; und um uns die Selbsterkenntnis zu ersparen, widersetzen wir uns mit aller Kraft dem Ratschlag Apollons.2 3. Den einen bläht der Hochmut auf und gibt sich als erhabene Geistesgrösse. Den andern machen Bosheit, Verschlagenheit und was immer eine Verwandtschaft mit der Klugheit vortäuscht, unter dem Mantel dieser nachbarlichen Tugend zum Dummkopf. Der eine hält sich für sittenstreng, ist aber unmenschlich und grausam. Ein dritter nennt sich bescheiden, ist aber ängstlich und untüchtig. Wieder einem andern macht unter der Flagge der Genügsamkeit der Geiz zu schaffen; und einen weiteren kann die Verschwendungssucht unter dem Schein der Grosszügigkeit gänzlich verschlingen. 4. Maskiert sind die Laster; als entsetzliche Monstren verstecken sie sich in prachtvollen Pelzen; und begleitet werden sie von einer Schar Gelüste, die bald vergehen, nein immer zum vornherein am Fliehen und Vergehen sind. Der Ehrgeiz verspricht Ruhm, Beifall und öffentliches Ansehen. Die Ausschweifung wiederum verspricht vielfältige sinnliche Vergnügen, der Mammon aber Besitztümer zum Vergeuden. Keine Angel ist ohne Köder, keine Rute ohne Leim, keine Schlinge ohne Verheissung. Auch die menschliche Begierlichkeit reiht sich an, vorschnell, kopflos, rasch getäuscht und der Hinterlist ausgeliefert.
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5. Hätten auf diesem unsicheren, schlüpfrigen und verdächtigen Weg sowohl die Veranlagung wie die Anstrengung einen Menschen so vorsichtig gemacht, dass er dieses Ränkespiel gar zu überbieten und damit auch selber die Welt zu überlisten vermöchte, indem er sich äusserlich der Menge angliche, doch innerlich ungleich bliebe,3 wie würdest Du einen solchen Mann bezeichnen? Ja, und wo wollten wir ihn hernehmen? Die besten Anlagen und ein reifes und abgeklärtes Alter müsste er haben, auch einen aufmerksamen Blick für die Fehltritte der andern. Du aber legst eben mir diese Fähigkeit bei! Wahrlich, eine grenzenlose, falls Du nicht spottest! Immerhin, wenn ich sie heute nicht habe, bitte ich Gott (der mächtig ist, selbst Tote zu erwecken), ich möge sie erlangen, bevor ich sterbe! 6. Doch wo willst Du mit Deinen Scherzen hinaus? Viele Leute hätten wegen der Dinge, die ich erdichtet habe, eine grossartige Meinung von mir gewonnen! Nun, gewissen angesehenen Männern war die Kunst gegeben, mit Hilfe eines bestimmten Einfalls einer staunenden Menge wahre Wunderwerke vorzugaukeln. Aus diesem Grund sind einem Numa Pompilius4 göttliche Gespräche und einem Publius Africanus5 ein göttlicher Ursprung nachgerühmt geworden. Mir aber kommt diese Kunst nicht zu; ich habe nichts dergleichen vorzuzeigen. Und dennoch verfolgt mich von der Wiege her ich weiss nicht welche sinnlose Gunst des Schicksals. 7. Berühmter bin ich, als ich wünschte. Und ich weiss, dass über mich, wie gering ich auch bin, im Guten wie im Bösen vieles geredet wird. Doch das kann mich weder bedrücken noch beflügeln. Ich weiss ja auch, dass die grosse Menge fast so viele Lügen hat als Worte, und dies bis heute. Somit brauche ich mich nicht sehr abzumühen, um der Menge zu missfallen. 8. Doch Deine Verbindlichkeit hat damit kein Ende. Du sagst, dass ich nicht bloss die törichte Menge, sondern sogar den Himmel mit Erdichtetem zu hintergehen versuchte; denn ich hätte mich Augustinus und seinen Büchern mit bloss erheucheltem Wohlwollen zugewendet und mich in Wahrheit von den Dichtern und Philosophen nicht abgekehrt. Weshalb aber sollte ich mich davon abkehren, wenn, wie ich sehe, gerade auch Augustinus selber daran festhält? Wäre dem nicht so, hätte er seine Bücher über den Gottesstaat (um von anderen zu schweigen) niemals mit so vielen Zitaten aus den Philosophen und Dichtern untermauert und niemals mit so vielfältigem Schmuck der alten Redner und Historiker geziert. Kein Wunder! 9. Niemals nämlich ist mein Augustinus – so wie Dein Hieronymus – im Traum vor das Tribunal des göttlichen Richters gezerrt worden, und niemals hat er da einen Tadel hören müssen, weil er Ciceronianer sei. Dagegen ist Dir freilich von Hieronymus6 (der solches vernommen und das Gelübde getan hat, nie wieder an die Bücher der Heiden zu rühren) sehr wohl bekannt, wie gewissenhaft er sich von allen und insbesondere von Cicero fernhielt. 10. Da nun kein Traumgesicht dem Augustinus dergleichen verboten hat, trug er keine Bedenken, sich ihrer vertraulich zu bedienen, vielmehr bekannte er sogar
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unbefangen,7 in den Büchern der Platoniker einen grossen Teil unseres Glaubens entdeckt zu haben. Zudem habe er dank einem bekannten Werk Ciceros,8 dem mit dem Titel „Hortensius“, in einer wunderbaren Verwandlung sich von falscher Hoffnung und von unnötigen Streitigkeiten kämpferischer Sekten abgekehrt; habe sich bei eben dieser Lektüre der Erforschung der einzigen Wahrheit zugewandt und sich dafür ereifert, seine Begierden zu ändern und auf sinnliche Lust zu verzichten, um zum Flug in die Höhe anzusetzen. 11. Oh dieser unschätzbare Mann! Würdig, dass Cicero ihn auf der Rednerbühne lobe und ihm öffentlich Dank sage, weil er als einziger unter so vielen Undankbaren ihm höchste Dankbarkeit zu bezeigen bereit war. Ja, ein grossartig bescheidener und bescheiden erhabener Mann! Er, der sich nicht mit fremden Federn schmückt und dann deren Eigentümer schmäht, er, der als ein Steuermann das bereits schwankende Schiff der Christenheit zwischen den Klippen der Häretiker hindurch lenkt, sich zwar seiner erlangten Grösse ohne Anmassung bewusst ist, aber auch der Wahrheit seiner anfänglichen Erkenntnisse und der Versuche seiner Jugendzeit eingedenk bleibt und noch als wahrhaft bedeutender Lehrer der Kirche darüber nicht errötet, dass er sich durch den Arpinaten9 hatte führen lassen, obwohl dieser in eine andere Richtung zielte. Und warum sollte er erröten? Kein Führer ist verächtlich, der auf den Weg des Heils verweist. 12. Wie also könnte bei der Suche nach Wahrheit ein Platon oder Cicero schaden, wo doch die Schule des Erstgenannten den wahren Glauben nicht bloss nicht bekämpft, sondern lehrt und predigt, und wo Dich die Bücher des andern zum Glauben auf geradem Weg hinlenken? Dasselbe lässt sich von vielen sagen. Doch lästig ist es, für allbekannte Dinge überflüssige Zeugen zu beschaffen. 13. Nicht dass ich darum leugnen wollte, es finde sich bei den erwähnten vieles, was man meiden soll! Es stehen ja auch bei den unsern10 einige Dinge, die den Unvorsichtigen gefährlich sind, und gerade auch Augustinus hat in einer aufwendigen Schrift11 aus der sehr üppigen Ernte seiner Studien das Unkraut des dabei aufkeimenden Irrtums mit eigenen Fingern ausgerupft. Was folgt daraus? Selten sei eine Lektüre frei von Gefahr, wenn dem Lesenden nicht das Licht der göttlichen Wahrheit leuchtet, um zu lehren, was zu erstreben und was zu vermeiden ist. Nur wenn dieses voranleuchtet, ist alles sicher; weil auch alles, was schaden könnte, dann leichter erkennbar ist als Skylla und Charybdis12 und die andern berühmten Klippen des Meeres. 14. Möchten doch hiermit Deine übermütigen Verdrehungen ein Ende nehmen! Denn ob ich mich in aufrichtiger oder falscher Gesinnung Augustinus zuwende, weiss eben auch dieser selber. Er ist ja dort, wo keiner täuschen will noch getäuscht werden kann. Deshalb glaube ich, er erbarme sich meiner angesichts der Abwege und Irrtümer meines Lebens, und er tue dies besonders im Gedanken an seine eigene Jugend. Denn wie haltlos und unstet sie war, so hat der Allmächtige sich doch
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auch seiner erbarmt und ihn auf den rechten Weg zurückgelenkt. Darum ist er nicht an den sandigen Ufern Afrikas geblieben (wo er einige Zeit in sündiger Lust dem Tode zusteuerte), sondern lebt auf immer als ein Bürger im ewig grünenden Jerusalem. 15. Und deshalb ist er mir zugetan, deshalb liebt er mich. Wie sollte ich das bezweifeln, da ich in jenem Buch, das er „Über die wahre Religion“ geschrieben hat, lese, was er mit unerschütterlicher Hoffnung beteuert:13 „Von jedem Engel, der Gott liebt, weiss ich, dass er auch mich liebt.“ Wenn er nämlich in der Betrachtung des allen gemeinsamen Gottes nicht zögert, sich die Liebe der Engel zu versprechen, obwohl er nur ein Mensch ist, so wage auch ich als ein Mensch, die menschliche Liebe dieser heiligsten Seele, die jetzt den Himmel geniesst, zu erhoffen. 16. Aber mit neuen Scherzen werde ich überschüttet. Du sagst ja, ich würde sogar jetzt noch Philosophisches und Poetisches wiederkäuen und darum müssten mir im Vergleich dazu die Worte von Augustinus wie Wahnideen erscheinen. Richtiger hättest Du gesagt, beim Lesen dieser Worte hielte ich mein eigenes Leben für nichts als leeren Wahn und allerflüchtigstes Blendwerk. 17. Gerade durch diese Lektüre werde ich bisweilen wie aus tiefstem Schlafe geweckt. Freilich, von der Bürde der Sterblichkeit bezwungen, schliessen sich die Lider erneut. Und wieder wache ich auf; und wieder schlafe ich ein. Meine Willensregungen schwanken, meine Wünsche widerstreiten sich, und so widerstreitend, zerfleischen sie auch mich selber. Dabei setzt sich dem inneren Menschen der äussere entgegen:14 „Nun mit der Rechten die Schläge verdoppelnd, nun mit der Linken, Stets ohne Weile und Ruh.“ Und würde nicht der ewige Vater mit seiner Stimme die Schlachten beenden, um den ermatteten Dares den Händen des hitzigen Entellus zu entreissen,15 so würde der äussere Mensch sich behaupten. Was weiter? Noch bin ich über den Ausgang im Ungewissen und lebe in schwankender Hoffnung, indem ich oft aufschreie zu dem, der den Tod besiegt:16 „… Reisse mich, Siegreicher Du, aus den Nöten; Leihe dem Schwachen den Arm, und zieh ihn mit Dir aus den Fluten, Dass einst an seligem Ort zumindest im Tod er mag ruhen.“ 18. Doch nichts ist beharrlicher als der Scherz, nichts wendiger. Wohin man sich dreht, er folgt. Was also sagst Du? Erdichtet hätte ich für mich den wohlklingenden Namen Laura,17 um etwas zu haben, worüber ich selber zu reden hätte und dessentwegen die Menge von mir reden würde; in Wahrheit jedoch sei diese Laura meines Herzens ein Nichts, ausser sie meine vielleicht jenen Dichterlorbeer, nach dem ich lechzte, wie eine andauernde, unermüdliche Gier es bezeuge. Und nur dieses fächelnden Lorbeers wegen, durch dessen Schönheit ich wie gebannt dastünde, sei all das andere zurechtgemacht, seien die Lieder erdichtet, die Seufzer erheuchelt.
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19. Oh wenn Deine Rede wenigstens in diesem Punkt wahrhaftig ein Scherz wäre! Dass sie wirklich Verstellung beträfe und nicht Tollheit! Doch glaube mir, niemand kann sich ohne grosse Mühe auf Dauer verstellen. Und sich abzumühen, nur um wahnwitzig zu scheinen, ist höchster Wahnwitz. Bedenke zudem, dass Gesunde eine Krankheit zwar mit Gebärden mimen, dass sie aber wenigstens die Blässe nicht vortäuschen können. Dir sind meine Blässe und meine Not bekannt, und darum fürchte ich vor allem, dass Deine sokratische Artigkeit, die man Ironie nennt und in der Du eben einem Sokrates nicht nachstehst, meine Krankheit verhöhne. 20. Doch warte nur: Dieses Geschwür wird allmählich reifen, und bewahrheiten wird sich an mir jenes Wort Ciceros18: „Die Zeit verwundet, die Zeit wird verheilen.“ Und gegenüber der, wie Du sagst: „erdichteten“ Laura wird mir jener auch „erdichtete“ Augustinus helfen. Indem ich ja vieles und Wichtiges lese und oft meditiere, werde ich, bevor ich altere, alt sein. 21. Wann aber nehmen Deine Spöttereien ein Ende? Wann wirst Du sie aufgeben? Was sagst Du? Mein erdichtetes Zeug habe auch Dich auf die Probe gestellt und beinahe, nein wirklich getäuscht. Du habest mich eine Zeit lang in Rom erwartet,19 da ich ein ungeheures Verlangen, zu kommen und Dich zu sehen, erschwindelt hätte; doch endlich seien Dir, wie ja auch pfiffige Zuschauer einem Gaukler auf die Schliche kämen, die Augen aufgegangen. Und nachdem Du in meine Künste tieferen Einblick gewonnen hättest, sei die ganze Szenerie meiner Erfindung offen vor Dir gelegen. – 22. Guter Gott, was heisst das? Mit Deinen Verdrehungen machst Du mich zum Magier! Schon fühle ich mich fast als Zoroastres,20 den Erfinder der Magie, oder als einen seiner Jünger. Gut! Ich sei Dardanus, Damigeron,21 Apollon oder noch ein anderer, dem diese Kunst besonders grossen Ruhm verliehen hat. Ist’s aber eine geringere Zauberei, jemanden mit blossen Worten zum Zauberer zu machen? 23. Doch wir haben genug und übergenug gescherzt. Ernsthaft solltest Du mir antworten! Endlich möge mein Verlangen, Deine Person zu sehen, gestillt werden! Mühselig habe ich es bereits vier Jahre lang mitgeschleppt,22 denkend: „Gewiss wird er morgen da sein“. – „Gewiss wirst Du übermorgen reisen“. Abgetragen werde ein nicht unbeträchtlicher Haufen vielfältiger Sorgen, die ich ausser Dir keinem Sterblichen gelassen mitteilen könnte! Zur Ruhe gelange meine Begierde, Deinem ruhmreichen Vater, Deinen hochgesinnten Brüdern wie Deinen ehrenvollen Schwestern und den ersehnten Gesichtern der Freunde zu begegnen! 24. Und wie hoch, meinst Du, werde ich es schliesslich schätzen, die Mauern Roms und seine Hügel zu betrachten und, wie Vergil sagt:23 „… den tuszischen Tiber und Roms Paläste …“? Kaum zu glauben, wie sehr ich diese Stadt, wiewohl sie verödet und ein blosser Schatten des alten Rom ist, zu sehen begehre, sie, die ich nie gesehen habe. Wobei ich meine Trägheit anklage, sofern Trägheit und nicht eher Notwendigkeit vorliegt!
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25. Zu jubeln scheint mir Seneca,24 wenn er an Lucilius aus der Villa des Scipio Africanus schreibt und es für etwas Grosses hält, den Verbannungsort des bedeutenden Mannes besucht zu haben, wo dessen Gebein – dem Vaterland vorenthalten – zurückblieb.25 Wenn ein Spanier solches empfunden hat, was muss da ich als Italer empfinden, und zwar nicht bloss bei der Villa von Liternum oder bei der Grabstätte Scipios, wohl aber in Rom, wo Scipio geboren und erzogen wurde und wo er sowohl als Sieger wie auch als Angeklagter mit gleicher Glorie triumphierte.26 Wo übrigens nicht allein er, sondern unzählige Männer lebten, von denen der Ruhm niemals schweigen wird! 26. In jener Stadt, sage ich, der nie eine andere gleichkam, noch kommen wird, ja, die sogar von ihrem Feind als „Stadt der Könige“ bezeichnet wurde27 und von deren Bevölkerung man lesen kann:28 „Gross ist das Glück des römischen Volkes, gross und furchtgebietend sein Name“; deren beispiellose Grösse und unvergleichliche, zukünftige wie gegenwärtige Herrschaft die göttlichen Seher besungen haben? 29 27. Doch ich bleibe nicht stehen bei einer Lobrede auf Rom; der Gegenstand ist zu gewaltig, um bloss nebenbei behandelt zu werden. Ich habe ihn nur flüchtig berührt, um Dich zu überzeugen, dass ich den Anblick der königlichen Stadt nicht gering anschlage, habe ich doch unendlich viel über sie gelesen und selber schon manches geschrieben, um vielleicht noch mehr zu schreiben, wenn nicht mein erstes Beginnen an einem jäh niederstürzenden Todestag abbricht. 28. Angenommen, mich hätte dies alles nie berührt. Wie selig wäre gleichwohl ein christlicher Mann, die Stadt zu schauen, die auf Erden ein Spiegelbild des Himmels ist, gefestigt durch die Kraft und das Gebein der hochheiligen Märtyrer und besprengt mit dem kostbaren Blut der Zeugen der Wahrheit! Schauen könnte er das aller Welt verehrungswürdige Bildnis des Erlösers und die auf härtestem Stein allen Völkern ewig anbetungswürdige Fussspur, hier, wo die buchstäbliche Erfüllung jenes Isaiawortes sonnenklar sich anzeigt:30 „Und kommen werden zu Dir tiefgebückt die Söhne derer, die Dich bedrückten; und anbeten werden Deine Fussspur alle, die Dich schmähten“. Besuchen könnte er die Gräber der Heiligen rings und herumgehen in den Hallen der Apostel, begleitet schon von besseren Sorgen und befreit von jener ruhelosen Geschäftigkeit des gegenwärtigen Lebens am Ufer von Marseille. 29. Wie darfst Du mich in meiner Lage träge nennen? Du weisst ja, dass meine Reise vom Entscheid eines anderen abhängt.31 Ich jedenfalls hatte mich Dir übergeben als zwar kleine, aber ewige Gabe; Du dagegen hattest gewollt, dass ich einem anderen gehorche, wenn wirklich jener als ein anderer zu bezeichnen ist, der ein so vorzüglicher und so gleichgesinnter Bruder ist. Keines Unrechts bin ich mir bewusst, und ist da eine Schuld, so vergib sie Dir selber oder Deinem Bruder! 30. Im letzten Abschnitt Deines Briefes hast Du, vielleicht in der Furcht, Deine allzu launigen Scherze könnten mich kränken (denn es pflegt der noch so sanfte
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Zugriff eines Löwen kleine Lebewesen zu erdrücken), eine Handvoll lieblich duftender Salbe dort aufgetragen, wo Du meintest, mich getroffen zu haben. Denn hier ermahnst Du mich aufs zärtlichste, Dich zu lieben, ja, Dir Deine Liebe zu erwidern. Was soll ich sagen? Langes Reden verhindert der Schmerz so sehr wie die Freude. 31. Eines weisst Du genau, auch wenn ich schweige: So eisern bin ich nicht, dass ich zu so edler und geschuldeter Liebe einer Mahnung bedürfte. Und ach, bedürfte ich in der Liebe nicht eher der Zügel als der Sporen! Ruhiger, wahrhaftig, wären meine Jünglingsjahre dahingegangen, und ruhiger würden die Mannesjahre folgen. Dies wenigstens bitte ich Dich: Erdichte nicht, ich hätte erdichtet. Lebe wohl! Avignon, am 21. Dezember (1336).32
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,6 und 4,6 an den gleichen Adressaten. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Der Ratschlag lautet: Erkenne Dich selbst! Das Wort steht auf einer Inschrift im Apollontempel von Delphi; vgl. Cic. Tusc. 1,22,52. Zum folgenden Text vgl. Sen. Ad Lucil. 45,6 – 7. Mit Lucilius ist Senecas bevorzugter Schüler gemeint. 3 Sen. Ad Lucil. 5,2. 4 Zweiter König Roms, von Legenden verklärt; vgl. Liv. 1,18 – 21. 5 Scipio Africanus der Ältere; vgl. Cic. De rep. 6,9 ff. 6 Hier. Ep. ad Eust. 22,30. 7 Conf. 7,9,13. 8 Conf. 3,4,7. 9 Cicero stammte aus Arpinum. 10 Das heisst: bei den christlichen Lehrern. 11 Retractationum libri 2. 12 An der Meerenge von Messina. 13 De vera rel. 55,112. 14 Verg. Aen. 5,457 – 458. 15 Zwei Faustkämpfer. Der ältere Entellus besiegte den Gegner wider Erwarten; vgl. Verg. Aen. 5,467 und 463. 16 Verg. Aen. 6,365; 370 – 371. 17 Der Personenname von Petrarcas angebeteter Liebe, nämlich Laura, bedeutet so viel wie Lorbeer. Im Lateinischen steht: Lauree nomen und Laurea mit grossem Anfangsbuchstaben. In Fam. 8,3,16 steht laurus kleingeschrieben, und es heisst dazu: exaruit, ist verdorrt. In den Familiaren tritt das Wort als Frauenname sonst nicht auf. 18 Tusc. 3,22,53; 3,24,58. – Vgl. Job 5,18. 19 In Rom war Giacomo Colonna seit 1333. 20 Auch Zaratustra genannt. Lebte in unbestimmbarer Zeit, vielleicht etwa 600 Jahre v. Chr. 21 Genannt werden diese in Schriften von Apuleius, Tertullian und Arnobius. 22 Diese Worte schreibt Petrarca demnach wohl 1336. 23 Georg. 1,499. 24 Ad Lucil. 86,1 ff.
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25 Scipio liess sich in Liternum begraben, weil er sich mit den Römern überworfen hatte; vgl. Liv. 38,53 und Val. Max. 5,3,2b. 26 An dieser Stelle ist an Petrarcas Epos Africa zu erinnern, dessen Held Scipio ist. 27 Liv. 9,17,14. 28 Liv. 38,46,4. 29 Verg. Aen. 1,276 – 279. 30 Is. 60,14. 31 Abhängig vom Kardinal Giovanni Colonna. 32 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,10, an Agapito di Stefano Colonna1 1. Über die Vernachlässigung des Wichtigen und die Sorge um das Unwichtige. 2. Zu unrecht stehe bei jedermann an erster Stelle der Gelderwerb. 4. Jede spätere Generation sei schlechter als die frühere. An der Quelle der Sorgue, am 1. Mai (vor 1344).
1. Nicht verwundert mich an Dir, was mich an allen erstaunt und mich an mir selber betrübt und bekümmert. Ein allgemeines Übel ist das: Was wir gefahrlos vernachlässigen könnten, erstreben wir im Wettstreit; was mehr als alles unsere Sorge verdiente, vernachlässigen wir sonder Scham. 2. Wie fruchtbar der Acker, wie wohnlich das Haus, wie gefällig der Diener, wie gestriegelt das Pferd, wie schön die Gemahlin, wie elegant die äussere Erscheinung, das beschäftigt uns alle. Wie schön und edel unsere Seele sei, bekümmert keinen. Keiner ist, der nicht behauptet und hofft, er werde sich fortan um sie kümmern. Doch was an die erste Stelle gehört, versetzen wir an die letzte:2 „Bürger, Bürger, begreift, zuerst gilt es, Geld zu beschaffen, Tugend kommt erst danach.“ 3. So ist es heute, so war es im Jahrhundert des Flaccus,3 so wird es sein in den Zeiten unserer Urenkel, wollen wir nicht etwa von den Nachfahren Besseres prophezeien. Ja, könnten wir wenigstens das erhoffen! Doch wie die Dinge gehen, vermute ich für jeden Tag etwas Schlimmeres, obwohl mir bereits kaum noch möglich ist, Schlimmeres – ich sage nicht: zu befürchten, sondern – auch nur zu erdenken. Wirklich, indem wir so leben, haben die Verbrechen und Wahnsinnstaten einen Grad erreicht, dass eine Weiterentwicklung ohne allgemeinen Zusammenbruch unmöglich ist. 4. Jetzt, eben jetzt hat sich erfüllt, was der Satiriker vorzeitig gesagt hatte, es stehe4 „Jedes Laster zu höchst vor dem Abgrund …“ Dennoch sorgen wir nach Kräften dafür, dass immer eine neue Tollheit dazukomme, und nie werden wir mit jenen Grenzen des Erlaubten zufrieden sein, welche die vorausgehenden Geschlechter gesetzt haben; niemals werden wir so handeln, dass wir Horaz der Lüge überführen, weil er gedichtet hat:5 „Erzeugt von Eltern, schlechter als frühere, Sind wir noch schlimmer; doch schon zeugen Wir eine Brut von noch grössern Lastern.“ 5. Doch auf eine andere Zeit will ich eine gründlichere Klage verschieben, jetzt aber beim Thema bleiben. Wir werden immer durchaus wahr machen, was Marcus Varro,6 ein sehr überlegener Gelehrter, gemeint hat. Wollten wir nämlich auch nur
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den zwölften Teil der Sorge auf uns selber richten, die wir darauf verwenden, dass der Bäcker uns gutes Brot backe (um von Ringen, Schuhen und Haarkräuseln ganz zu schweigen), wären wir seit langem rechtschaffene Leute. So ist es ohne Zweifel, so wird es sein: Immer wird man Überflüssiges besorgen, und immer wird man Wichtiges unterlassen. 6. Doch in Deinem Schreiben, Hochverehrter, habe ich von Dir ein Unterpfand, das zu guter Hoffnung berechtigt. Mir scheint, Du leidest unter einer Gewalt und – was den ersten Schritt zur Besserung anzeigt –: Du weisst über den Zustand Deines Geistes Bescheid. Darum glaube ich, Du werdest in hochherziger Entrüstung, sobald sich eine Gelegenheit bietet, Dich Deiner Fesseln entledigen. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 1. Mai (vor 1344).7
Anmerkungen 1 Agapito Colonna, Sohn von Stefano Colonna dem Älteren, wurde am 9. Januar 1344 Bischof von Luni. Da die Briefüberschrift keinen Titel nennt, bedeutet das einen Terminus ante quem für die Abfassung des Schreibens. Der Genannte starb übrigens bereits am 25. Mai des selben Jahres, und ihm folgte auf dem Bischofssitz sein Bruder Giordano. Vgl. Dotti, Fam. Register. Vgl. auch Fam. 2,11 und zu den im Text genannten Personen und Werken Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Hor. Epist. 1,1,53 – 54. 3 Das ist Horaz. 4 Iuv. Sat. 1,149. 5 Carm. 3,6,46 – 48. 6 Marcus Terentius Varro, 116 – 27 v. Chr.; vgl. Gell. Noct. att. 15,19. 7 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 51.
Fam. 2,11, an Agapito Colonna1 Einladung zu einem einfachen Mahl. An der Quelle der Sorgue, am 13. Januar (vor 1344).
1. Du wirst, wie erwartet, zu einem Abendessen kommen und Dich dabei erinnern, dass es hier keinen Markt der Leckerbissen gibt. Ein Mahl, recht nach Dichterart, steht bereit, nicht eines, wie Iuvenal oder Flaccus2 es schildern, sondern eines für Hirten im Sinn Vergils,3 nämlich „… schmackhafte Früchte, Zarte Kastanien gibt’s, und von weichem Käse die Fülle.“ Das Übrige ist härter: Einfaches und altes Brot kann man auftreiben, einen zufällig vorhandenen Hasen und – höchst selten – einen fremdländischen Kranich, dazu die Schwarte eines vielleicht allzu stinkenden Ebers. Machen wir’s kurz! Weder die rauhe Art dieser Gegend noch die der Nahrung sind Dir unbekannt. Daher mahne ich Dich: Komm nicht bloss mit beschuhten Füssen, sondern auch – wie der Schmarotzer bei Plautus4 scherzend gesagt hat – „mit beschuhten Zähnen“. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 13. Januar (vor 1344).5
Anmerkungen 1 Agapito: ein Sohn des Römers Stefano Colonna und Bruder von Petrarcas Herrn, Kardinal Colonna, seit Januar 1344 Bischof von Luni; vgl. Fam. 2,10. 2 Iuv. Sat. 5; Hor. Serm. 2,8. 3 Verg. Ecl.1,80 – 81. 4 Capt. 1,2,187. 5 Zur Datierung vgl. H. Nachod 361/62, der als Jahreszahl 1346/47 vorschlägt.
Fam. 2,12, an Kardinal Giovanni Colonna1 Reisebericht. 1. Schilderung von Capranica, das Petrarcas Studien förderlich ist. 2. Ein Wort über die Landschaft. 5. Friedlosigkeit der ansässigen Bevölkerung. 7. Unsichere Entscheidungen und Erwartungen Petrarcas. 9. Über die Erfüllung von Wünschen und ewige Seligkeit. (Januar 1337)
1. Überaus förderlich wäre meiner Arbeit dieser Ort, den ich in der Umgebung Roms gefunden habe,2 wenn nur meine Gedanken nicht anderswohin eilten. Der Name „Ziegenberg“ wurde ihm einst wohl deshalb gegeben, weil er – von Unterholz überwachsen – zum Aufenthalt eher der Ziegen als der Menschen geeignet zu sein schien. Allmählich aber ist die Lage des Ortes bekannt geworden und hat wegen ihrer augenfälligen Fruchtbarkeit ohne weiteres ein paar Siedler angelockt, die auf einer ziemlich hoch ragenden Kuppe eine Burg und so manches Haus gegründet haben, als der enge Raum zuliess. Dennoch ist die Benennung nach „Ziegen“ erhalten geblieben. 2. Der Ort ist recht unbedeutend, doch umgeben ihn bedeutendere Orte von einigem Ruf. Auf der einen Seite ist der Soracte, bekannt durch die Anwesenheit Silvesters,3 doch war er bereits vor dessen Lebzeiten durch Gesänge der Dichter berühmt.4 Und auf der andern Seite ist der See Cimino samt dem gleichnamigen Berg, an welche Vergil erinnert.5 Hier ist Sutri in einem Abstand von höchstens zweitausend Schritten, der bevorzugte Sitz der Ceres und – wie man sagt6 – die alte Niederlassung Saturns. Man zeigt in der Nähe der Stadtmauer ein Feld, wo von diesem königlichen Fremdling zum ersten Mal in Italien – so die Behauptung – Getreide gesät und zum ersten Mal mit der Sichel eine Ernte geschnitten wurde. Durch dieses wohltätige Wunder stimmte er die Gemüter zur Milde, weshalb er dann in seinem Leben der königlichen Würde und bei seinem Tod einer vermeintlichen Göttlichkeit teilhaftig wurde und seither dank der Gunst der Menschen als greiser König und sicheltragender Gott gilt.7 3. Die Luft ist hier, so weit sich das in kurzer Zeit erkennen lässt, ausnehmend gesund. Da wie dort sind unzählige Hügel von leicht erreichbarer Höhe und freier Sicht, zwischen ihnen Abhänge, höckerig und schattig, mit dunklen Höhlen ringsum. Überall steht auch zum Schutz gegen das Sonnenlicht ein Laubwald, nur dass gegen Norden hin an einer niedrigeren Erhebung eine baumlose Mulde liegt, ein blütenreicher Aufenthalt für Honigbienen. 4. Quellen süssen Wassers rauschen im Talgrund; Rudel von Hirschen, Damhirschen, Rehen und anderem Wild des Waldes streifen auf offenem Gelände umher. Jede Vogelart lässt in den Wellen oder Zweigen ihre Laute ertönen, nicht zu sprechen von Ochsen, Haustierherden, Früchten menschlicher Arbeit, Süsse des Bacchus, Fülle der Ceres und anderen Gaben der Natur, auch nicht von benachbarten Seen und dem nahen Meer.
Fam. 2,12
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5. Einzig der Friede! Durch welches Vergehen der Einheimischen, durch welche Himmelsgesetze, welche Schicksale und Einflüsse der Gestirne er als einziges aus der Gegend verbannt ist, weiss ich nicht. Was sagst Du dazu? Der Hirt wacht in den Wäldern nicht anders als bewaffnet und fürchtet dabei weniger die Wölfe als die Räuber. Im Harnisch geht der Landmann, und statt mit einem bäurischen Stachel stösst er mit einem Spiess auf den Rücken des störrischen Rindes ein. Der Vogelfänger verdeckt seine Netze mit einem Schild; der Fischer hängt an seine verführerische Angel eine rauhe Schwertspitze, um daran den Köder zu befestigen, und was Du einfältig heissen wirst: Um aus dem Brunnen Wasser zu schöpfen, knüpft man an das schmutzige Seil einen verkrusteten Helm. 6. Kurz, gar nichts tut man hier ohne Kriegsgerät. Und welch ein nächtelanges Geheul der Wächter auf den Mauern! Welch ein Geschrei der Mannen, die zu den Waffen rufen! Das habe ich nun anstelle des Wohlklangs, den ich schmeichelnden Saiten zu entlocken gewohnt war. Nichts kannst Du bei der Bevölkerung dieser Gegend sehen, was bei ihr sicher wäre, nichts Friedliches kannst Du hören und nichts Menschliches spüren, bloss Krieg und Hass, dazu alles, was wie Teufelswerk aussieht. 7. An diesem Ort, hochgeachteter Vater, verweile ich, schwankend zwischen Wollen und Nichtwollen schon seit zwei Wochen. Und wie viel vermag doch in jeder Lage die Gewohnheit! Bei all dem Lärmen der Soldaten, dem Kreischen der Streitenden, dem Zusammenlaufen anderer auf der Burg, kann man mich häufig über diese Hügel streifen sehen, wenn ich unablässig etwas ausdenke, was mich der Nachwelt empfehlen könnte. Alle schauen mit Verwunderung auf mich Untätigen, Unerschrockenen und Unbewaffneten, wogegen ich mich über alle die Erschreckten, Ruhelosen und Bewaffneten wundere. So eben ist die Verschiedenheit menschlichen Verhaltens. 8. Würde ich aber gefragt, ob ich lieber weggehen wollte, so wäre die Antwort schwierig. Zu gehen ist erfreulich, und zu bleiben ist angenehm. Zu erstem bin ich jedoch eher geneigt, nicht weil ich hier Lästiges ertragen müsste, sondern weil ich von zu Hause fortging, um Rom zu besuchen. Es ist ja natürlich, dass ein Herz unruhig bleibt, bis seine Wünsche erfüllt sind. 9. Daher scheint mir auch, jene Meinung sei sehr einleuchtend gewesen, gemäss welcher die selige Gottesschau, in der das vollendete Glück der Menschen besteht, den verstorbenen Seelen so lange vorenthalten bleibt, bis diese ihre Leiber zurückgewonnen haben; denn natürlicherweise ist es ihnen unmöglich, nach ihnen nicht zu verlangen. Doch ist diese Auffassung durch den klügeren Entscheid vieler Leute widerlegt und samt ihrem Urheber (verzeih mir, denn Du hast ihn, wenn auch nicht seine Irrlehren, sehr geliebt!) schon längst begraben worden.8 Lebe wohl! (Januar 1337)9
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Fam. 2,12
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,4. 2 Petrarca war im Dezember 1336 von Marseille abgereist, um Giacomo Colonna in Rom zu treffen. Er begab sich von Civitavecchia aus nach Capranica, ungefähr 60 km nördlich von Rom, weil die nähere Umgebung der Hauptstadt von Parteigängern der Orsini, auch von Söldnern und von Banditen verschiedener Herkunft beherrscht wurde. 3 Gemeint ist Papst Silvester I., der gemäss einer alten Legende zur Zeit Konstantins des Grossen sich hier versteckt haben soll. 4 Von diesem Berg über dem Tibertal spricht Hor. Carm. 1,9,1 – 2; auch Verg. Aen. 7,696 und 11,785. 5 Aen. 7,697. 6 Verg. Aen. 8,321 – 327. Vgl. Var. De re rust. 3,1,3 – 5. 7 Verg. Aen. 7,179 f.; Ov,. Fast. 1,234. 8 Papst Johannes XXII. hatte diese Meinung vertreten, die 1336 durch Papst Benedikt XII. verurteilt wurde, also kurz bevor Petrarca seine Reise nach Rom antrat. 9 Dieser Brief und die drei folgenden stammen alle vom Frühjahr 1337. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 2,13, an Kardinal Giovanni Colonna1 Gründe für eine Verlängerung des Aufenthaltes in Capranica. 1. Lob auf die Gastgeber Orso von Anguillara und dessen Gattin Agnese Colonna, Schwester des Adressaten. 3. Ankunft von dessen Bruder Giacomo. Er holt Petrarca nach Rom. 4. Ankunft weiterer Mitglieder der Familie Colonna. Hinweis auf die Feinde der Colonna. (Februar 1337)
1. Sieh da, auf diesem Ziegen-, nein vielmehr Löwen- und Tigerberg wohnt, sanfter als jedes Lamm, dieser Dein „Bär“,2 der Graf Orso von Anguillara,3 als Liebhaber des Friedens ohne Furcht vor Kriegen, selbst im sicher geführten Krieg nicht ohne Verlangen nach Frieden. In der Gastfreundschaft ist er niemals der zweite, um guten Rat niemals verlegen, dazu von sanfter Strenge und fordernder Güte gegenüber den Seinen, von tüchtiger Kenntnis der Musen als sachkundigster Bewunderer und Lobredner hervorragender Talente. 2. Und an seiner Seite steht seine ausgezeichnete Gattin, die mit ihren Sitten den Namen, den sie erlost hat, nicht widerlegt (wie jener den seinen), vielmehr bekräftig, denn das ist „Agnes“, Deine Schwester, von der ich – wie Sallust4 einst von Karthago – „lieber schweigen möchte als wenig sagen.“ Es gibt ja manches, was auf keine Weise besser als mit Staunen und Schweigen gelobt wird. Und von eben dieser Art ist Deine Schwester. Dieses einträchtige und freundliche Ehepaar habe ich zwischen Gestrüpp und Stacheln des Hasses als die einzigen Rosen und Lilien entdeckt; doch wird durch seine Sanftheit die Roheit der anderen gemässigt. 3. Dann kam auch der göttliche und unvergleichliche Giacomo Colonna, der Bischof von Lombez, Dein Bruder, herbei. Kaum hatte ich ihm einen Boten geschickt, um meine Ankunft zu melden und um ihn schriftlich zu fragen, was er wünsche, dass ich tue (denn da alle Zugänge zu Deinem Hause von Feinden besetzt sind, hielt ich eine Reise nach Rom für gefährlich), schrieb er mir einen Glückwunsch zu meine Ankunft und befahl mir zu warten.5 4. Nach wenigen Tagen, nämlich am 26. Januar, traf er hier zusammen mit Stefano, dem ältesten von Euch Brüdern, ein, dessen aussergewöhnliche Tüchtigkeit den Sängern ebenfalls einen gewaltigen Stoff bietet. Und nicht mehr als hundert bewaffnete Reiter hatte jeder bei sich, als sie zum Entsetzen der Zuschauer vorüberzogen, wo doch feststeht, dass unter den Fahnen ihrer Feinde fünfhundert Leute und mehr stehen. Doch der Ruhm der Heerführer, der oft einen Krieg beendet, hatte ihnen den Weg geebnet. 5. Mit diesen hochedlen Geistern lebe ich nun mit so grossem Behagen, dass ich oft anderswo als auf Erden zu weilen vermeine und nach Rom bereits nicht mehr sonderlich frage. Gehen werden wir dennoch, obwohl von den Widersachern gesagt wird, sie hätten nun den Zugang zur Stadt besonders geschickt verbaut. Lebe wohl! (Februar 1337)6
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Fam. 2,13
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Anspielung auf den Vornamen. 3 Der Graf von Anguillara vollzog später als römischer Senator an Petrarca die Dichterkrönung. 4 Sallustius, 86-ca.35, Politiker und Historiker, zur Stelle vgl. Iug. 19,2. 5 In Rom herrschten Parteikämpfe, geführt von den Colonna, Savelli und Orsini. 6 Zum Datum vgl. den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 2,14, an Kardinal Giovanni Colonna1 Über den gewaltigen Eindruck, den Rom auf den Schreibenden macht. Die Stadt zu schildern und zu rühmen, wage Petrarca noch nicht. Rom, an den Iden des März auf dem Kapitol (1337).
1. Rom! Was erwartet einer aus dieser Stadt zu hören, der so vieles schon aus den Bergen vernommen hat? Du glaubtest, ich würde etwas Grossartiges schreiben, sobald ich hier angekommen wäre; und gewiss, ein gewaltiger Stoff ist mir vielleicht für ein späteres Werk gegeben, doch im Augenblick gibt es nichts, was ich zu beginnen wagte, denn ich bin durch all das Wunderbare und durch die Wucht des Staunens überwältigt. 2. Nur dies eine möchte ich nicht verschweigen: Das Gegenteil dessen, was Du vermutet hast, ist geschehen. Du pflegtest mir, so erinnere ich mich, das Hingehen abzuraten, vor allem mit der Begründung, es könnte das Aussehen der zerfallenen Stadt, wenn sie weder ihrem Ruf noch der aus Büchern geschöpften Meinung entspräche, meine Begeisterung abkühlen. Und auch ich, obwohl brennend vor Sehnsucht, habe nicht ungern zugewartet, dies in der Furcht, meine Augen und die Gegenwart des Gesuchten (die einem hochgefeierten Ruf stets feind ist2) könnten eben das, was ich mir in Gedanken ausmalte, verkleinern. Sie haben jedoch, es ist wunderbar, nichts verkleinert, sondern alles gemehrt. 3. In der Tat, grösser ist Rom gewesen und grösser sind seine Überreste, als ich dachte. Schon wundert mich nicht mehr, dass der Erdkreis durch diese Stadt gebändigt wurde, sondern nur, dass es so spät geschah. Lebe wohl! Rom, an den Iden des März auf dem Kapitol (1337).3
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Briefe. 2 Vgl. Claudianus, Dichter um 400 n. Chr., De bello gild. 385. 3 Bei der Angabe „Iden des März“(15. März) muss Petrarca an die Ermordung Caesars im Jahr 44 v. Chr. gedacht haben. Zur Datierung vgl. die vorangehenden Briefe und Wilkins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 2,15, an Kardinal Giovanni Colonna1 Alle Tugenden ruhmvoller Frauen der Antike finden sich vereint bei zwei Schwestern des Angesprochenen. Rom, am 23. März (1337).
1. Gewisse Kenner erheben die Frauen des alten Römerreiches einzeln mit besonderen Lobreden. Lucretia2 schreiben sie Keuschheit zu, Marcia3 würdevollen Ernst, Veturia4 leidenschaftliches Pflichtgefühl, feurige Gattenliebe Porcia,5 nüchterne Heiterkeit Claudia,6 Witz und weibliche Redegewandtheit Iulia,7 städtisch umgängliche Wesensart Cecilia,8 hoheitsvolles Benehmen Livia,9 der einen Cornelia10 hochherzige Geistesstärke und der anderen11 Liebreiz in Sitten und Reden. 2. Gewisse Kenner fügen auch noch Lob für Ausländerinnen an. So bewundern sie die Ehrenhaftigkeit an Penelope,12 an Artemisia13 die unsterbliche Liebe, an Hypsikrateia14 Durchhaltekraft, an Tamyris15 Mannhaftigkeit, Besonnenheit an Thetis,16 Bescheidenheit an Argeia,17 Aufopferung an Antigone18 und an Dido19 Entschlossenheit. 3. Ich wollte, diese Lobredner früherer Frauen könnten Deine Schwestern Giovanna und Agnese20 sehen; sie hätten dann in einem einzigen Haus das weiteste Feld für Lobeserhebungen und brauchten nicht über alle Länder und in vielen Jahrhunderten herum zu schweifen, um weibliche Vorbilder zu sammeln. Was bisher ringsum gesucht wurde, findet sich hier beieinander. Du aber lebst nicht bloss dank Deinen eigenen Vorzügen höchst glücklich, sondern auch dank dem Ruhm Deines grossen Vaters, der Eintracht Deiner Brüder und der Pflichttreue Deiner Schwestern. Lebe wohl. Rom, am 23. März (1337).
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Schreiben an den selben Adressaten. 2 Gattin des Königs Tarquinius (Collatinus), 6. Jh. v. Chr. Vgl. zu dieser Anmerkung und den folgenden Val. Max. Buch 4 bis 6 und 9 seiner Fact et dict. mem. 3 Gattin von Cato dem Jüngeren, Uticensis, der 46 v. Chr. Selbstmord beging. 4 Mutter Coriolans, der auf ihr Drängen hin seinen Zug gegen seine Vaterstadt Rom abbrach; Anfang 5. Jh. v. Chr. 5 Cousine und Gattin des Caesarenmörders Brutus. 6 Gattin des Kaisers Agrippa von 28 bis 21. 7 Tochter des Kaisers Augustus. 8 Caecilia Metella, Römerin, zur Zeit des Augustus. 9 Gattin des Kaisers Augustus. 10 Gattin von Pompeius dem Grossen, begleitete ihn 48 auf der Flucht nach Ägypten. 11 Tochter von Scipio Africanus, dem Jüngeren, Mutter der Gracchen; 2. Hälfte 2. Jh. v. Chr. 12 Gattin des Ulixes (Odysseus).
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13 Gattin des Königs Maussolos, Königin von Karien, 4. Jh. v. Chr. 14 Gattin von Mithradates VI. von Pontos, 1.Jh. v. Chr., hält ihm die Treue nach der Niederlage im Kampf gegen Pompeius. 15 Tamyris oder Tomyris, sagenhafte Königin der Massageten; vgl. Herodot, 1,204 ff. 16 Mutter von Achilles. 17 Gattin des Polyneikes; bekannt aus den Sagen um Oidipus und Antigone. 18 Tochter des Oidipus; begrub ihren Bruder Polyneikes gegen den Willen des Königs Kreon von Theben und wurde deshalb lebendig in eine Grabkammer eingemauert. 19 Legendäre Königin in Afrika, Gründerin Karthagos, konnte den flüchtigen Aeneas nicht an sich fesseln und gab sich deshalb den Tod. 20 Petrarca begegnete diesen Schwestern des Kardinals Colonna bei seiner Romreise von 1337.
Fam. 3,1, an Tommaso Caloiro 1 Über die berühmte, doch unbekannte Insel Thule. 1. Über Gerüchte, denen Petrarca nachgehe. 2. Die Insel müsse im nord-westlichen Ozean liegen. 4. Gespräch mit dem englischen Kanzler Richard. 7. Das Büchlein eines Giraldus gibt einigen Bescheid. 8. Es enthält Hinweise auf antike Autoren. 9. Eben vermisst Petrarca Bücher und Kenner des Lateins. 10. Ausführungen aus dem Gedächtnis. 14. Hinwendung zu wichtigeren Nachforschungen. (-1337; Fassung wohl von 1352)
1. Durchwandert einer das Gelände der Vorzeit, das zwar schwer zugänglich ist, aber dem einmal Eingetretenen reizvoll erscheint, muss er häufig gleichsam mit dem Fusstritt des Verstandes Skrupelsteine zertreten. Eben jener Skrupel aber, der Dich – wie Du schreibst – kürzlich gedrückt hat, belästigt mich selber sei längerem; denn auch ich forsche danach, wo in aller Welt sich die Insel Thule befinde.2 Ich forsche, doch um die Wahrheit zu sagen, vermag ich weder mit Hilfe eines sicheren Hinweises noch auf Grund zweckdienlicher Andeutungen die Sache selbst oder wenigstens eine Hoffnung auf Entdeckung zu entdecken. Und das schreibe ich Dir eben von den Küsten des britannischen Ozeans aus,3 wo man dieser Insel, die wir suchen, laut Gerücht besonders nahe ist! In der Tat, ich müsste von hier aus entweder dank meinen Studien antiker Schriften oder dank neuen gründlichen Untersuchungen irgend etwas Genaueres mitteilen können. 2. Dass die Insel von allen Erdenflecken der äusserste sei, bezweifelt man nicht; das verkündet Vergil, das Seneca,4 das in der Nachfolge der beiden auch Boethius,5 das schliesslich der ganze Schwarm der Schriftsteller. Auch darüber sind sich viele weitgehend einig, dass die Insel im Nordwesten und denkbar weit vom Aufgang der Sonne und vom Mittag entfernt liegt. Natürlich reizt sie uns Abendländer wegen ihrer Nachbarschaft. Läge Thule im Osten, würden wir uns nicht eifriger um sie kümmern als um Taprobane.6 3. Da wir jedoch von Britannien und Irland und allen Orkney-Inseln wissen, dass sie im westlichen Ozean gegen Norden hin liegen, und auch von den Inseln Fortunate,7 dass sie sich im gleichen Ozean befinden, und da wir die eben genannten teils durch eigene Anschauung, teils dank dem vielfachen Zeugnis von Reisenden kaum schlechter als selbst Italien und die beiden Gallien kennen, haben wir begonnen, uns umzusehen, uns zu wundern und besonders sorgfältig zu suchen, wo diese bestimmte in allen Schriften besungene Insel aus den Wogen wohl auftauche, hat doch die Autorität unserer eigenen Vorfahren sie ebenfalls unserem Ozean zugeschrieben und wird doch unsere Meinung neuerdings auch durch diejenige orientalischer Völker und des ganzen Erdkreises bekräftigt. Wozu viele Worte? Auch hier trifft zu, was bedeutende Männer oft erleben: Jedes Ding ist überall besser verbürgt als bei sich zu Hause. Frage die Küstenbewohner
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am Ozean! Dort ist den Ungebildeten sogar der Name ganz unbekannt und den Gebildeten zwar der Inselname geläufig, aber die Insel selbst nicht bekannter als der Menge. 4. Ich habe über diese Materie mit Richard, dem früheren Kanzler des englischen Königs,8 ein recht eingehendes Gespräch geführt. Er ist ein Mann von brennendem Wissensdurst und beträchtlicher Belesenheit, und weil er in Britannien geboren und erzogen wurde, übrigens von Jugend auf mit unglaublichem Eifer dem Unerforschten nachspürt, hielt ich ihn zur Lösung eben solcher Frägelchen für bestens geeignet. 5. Ob er sich Hoffnungen hingab oder ob er sich vielleicht schämte, sein Nichtwissen zu gestehen (wie das heute ja Brauch ist, weil man nicht mehr begreift, wie gut den Menschen, von Natur aus unfähig, alles zu erkennen, die Bescheidenheit kleidet, um freimütig zu bekennen, er wisse nicht, was er nicht weiss) oder ob er abgeneigt war (was ich nicht vermute), mir dieses Geheimnis zu lüften: Jedenfalls versprach er, meinen Zweifel zu beheben, allerdings erst, wenn er wieder bei seinen Büchern, deren er so viele hat als irgendeiner, und zu Hause sei. 6. Er befand sich nämlich, als ich in diese seine Freundschaft tappte, als Geschäftsträger seines Herrn an der römischen Kurie9 und somit fern von zu Hause. Das war in jener rauhen Zeit, als zwischen seinem Herrn und dem König der Franzosen10 die erste Saat des seither lang währenden Krieges aufging,11 noch bevor sie ihre blutige Ernte hervorbrachte. Auch jetzt sind ja die Sicheln nicht weggelegt und nicht geschlossen die Scheunen! Doch als mein Vielversprechender fort war, gefiel es ihm, meine Zweifel nicht anders als durch beharrliches Schweigen zu „beheben“, obwohl ich wiederholt in Briefen bei ihm anfragte. Entweder fand er nichts oder wurde er durch ein vor kurzem ihm auferlegtes Bischofsamt schwer belastet und abgelenkt. So ist mir denn Thule durch die britannische Freundschaft nicht besser bekannt geworden. 7. Nach Jahren aber gelangte in meine Hände ein Büchlein über die „Wunderdinge Irlands“, verfasst von einem gewissen Giraldus,12 einem einstigen Höfling des englischen Königs Heinrich II., zwar von dürftigem Inhalt, doch von nicht ungeschickter Sprache. Dass ich es von den Schranken meiner Bibliothek nicht schlichtweg fernhielt, das verdiente es sich mit einer kurzen Stelle, wo hinsichtlich der genannten Insel eine wohlüberlegte Frage steht, die der unseren ähnlich ist. Einzig diese Ähnlichkeit der Fragestellung empfahl mir den Autor des gesamten Werkes. 8. Darin streift er Auffassungen verschiedener Schriftsteller, welche behaupten, von den Inseln des Ozeans, die rings um Britannien und zwischen Norden und Westen gelegen sind, sei Thule die äusserste, und dort sei bei der sommerlichen Sonnwende keine Nacht und umgekehrt bei der winterlichen kein Tag, jenseits von ihr nur träges, gefrorenes Meer. Hierbei zitiert er Solinus und Isidor als Zeugen,13 doch erklärt er selber, dass dem Abendland diese Insel unbekannt sei und dass es eine von der bestimmten Art und dem bestimmten Namen dort gar
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nicht gebe. Auch schliesst er eine Vermutung an und folgert, es handle sich um ein Erzeugnis von Gerüchten und Fabeln oder dann um eine Insel, die von anderen unendlich weit entfernt und nirgends sonst zu suchen sei als in den abgelegensten Wogen des nördlichen Ozeans. Als seinen Gewährsmann nennt er Orosius,14 hätte aber auch Claudian15 anführen können, der gesagt hat: „… an den hyperboräischen Stern ist Thule gekettet.“ Dieses Wort beachtet er nicht; er geht zur Sache über und disputiert in ungefähr der angegebenen Weise. Du aber kannst die Zeugen, die er anführt, auf ihre Übereinstimmung prüfen und dann erkennen, inwieweit sie glaubwürdig seien. 9. Ich nämlich bin jetzt von allen Büchern durch die grösste Distanz getrennt, und gerade dieses Eine ist mir hier im Ausland überaus lästig. Verlasse ich das Haus, dringt nicht der mindeste Laut der lateinischen Sprache zu mir, und gehe ich ins Haus zurück, vermisse ich die mir vertrauten Bücher, mit denen ich zu sprechen gewohnt bin. Gespräche führe ich einzig mit meinem Gedächtnis, und das Vorliegende habe ich Dir aus dem Stegreif und dem Gedächtnis geschrieben. Dabei hielte ich für gut, Dinge, die mir unsicher zu sein scheinen, eher dem Schweigen als der Feder anzuvertrauen. An manche Einzelheiten freilich erinnere ich mich so genau, als hätte ich die Bücher vor Augen, denn eine häufige Beschäftigung mit ihnen hat mir einen besonders starken und dauerhaften Eindruck hinterlassen. 10. Den Plinius Secundus16 hat der Genannte wohl nicht gelesen, und doch hat niemand die Sache mit grösserer Bestimmtheit behandelt als er,17 ob auch richtig, wage ich nicht zu entscheiden, weil mir immer die gleiche Frage im Wege steht: „Warum ist diese Insel so unbekannt, obwohl sie doch so nah und berühmt ist?“ Doch will ich sagen, was eben dieser Plinius im zweiten Buch seiner Naturgeschichte gemeint hat. Thule sei eine Insel und liege eine Schiffsreise von sechs Tagen nördlicher als Britannien, und dort herrsche im sommerlichen Halbjahr der Tag und im winterlichen Halbjahr die Nacht. Seine Vermutung stützt er auf einen – wie er annimmt – Vernunftbeweis sowie auf das Zeugnis irgendeines Phokeas oder Pytheas aus Marseille.18 Wäre das nun aber wahr, wie gering müsste dann der Abstand zu diesem Thule sein, das wir dennoch suchen und das wir nicht kennen, während es sogar bei den Indern, wie ich vermute, sehr berühmt ist! 11. Servius,19 zwar ein besserer Grammatiker oder Dichter als Kosmograph, sagt immerhin in der Nachfolge früherer Schriftsteller über eine Zeile bei Vergil: „… Dir diene das äusserste Thule“ folgendes: „Thule ist eine Insel des Ozeans zwischen Norden und Westen jenseits Britanniens, Irlands und der Orkney-Inseln.“ Du siehst, dass alle beinahe auf den selben Punkt hinschauen und sich zwischen Norden und Westen und in der Nähe
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Britanniens in freilich verschiedener Ausdrucksweise zusammenfinden. Doch wenn sie sich ebenda sogar leibhaftig eingefunden hätten, wären sie durch die Wirklichkeit vielleicht gezwungen worden, ihre Meinung zu ändern. 12. Zwei unter ihnen weichen von den Aussagen der übrigen bedeutend ab, doch ob sie der Wahrheit näherkommen oder ob infolge der grossen Distanz die Lüge – wie man sagt – nicht so leicht mit Händen zu greifen ist, bleibe dahingestellt. Der eine der beiden ist der oben erwähnte Orosius,20 der andere aber Pomponius Mela,21 ein bekannter Kosmograph, dem Plinius in mancher Hinsicht zu folgen pflegt, hier jedoch offenbar misstraut hat. 13. Mela nämlich gewährt den hyperboräischen Völkern22 im ganzen Jahr einen einzigen Sonnenaufgang, und zwar zur Tag- und Nachtgleiche im Frühling, und einen einzigen Sonnenuntergang zur Tag- und Nachtgleiche im Herbst, das heisst: Er teilt das Jahr in einen einzigen Tag und eine einzige Nacht ein, und dies „für die ersten Bewohner der asiatischen Küste jenseits des Nordens auf den Rhipäischen Bergen“,23 wo, sofern wir ihm glauben, von allen Sterblichen die unschuldigsten und glücklichsten leben. Thule dagegen gehört gemäss seiner Behauptung zu den Inseln des Ozeans und liegt der Küste der Belgier gegenüber, und es gibt ebenda kurze Nächte, im Winter düstere, im Sommer strahlende, zur Sonnenwende aber keine. Wahrhaftig, welch ein Unterschied! Mir scheint gar, die Insel sei um nichts weniger verborgen als die Wahrheit. 14. Doch es schadet nicht. Wo wir mühevoll suchen, ist Nichtwissen straflos. Es verstecke sich im Norden Thule, es verstecke sich im Süden die Nilquelle, es verstecke sich in ihrer Mitte nur nicht eine kraftvolle Tugend und dieses Lebens kurzer und steiler Pfad, auf dem ein grosser Teil der Menschen wankend und stockend vorangeht und wie auf unzuverlässiger Spur einem unsicheren Endziel entgegen wandert. 15. Damit wir also auf die Erforschung eines Ortes (den wir vielleicht, kaum wäre er gefunden, gleich wieder verlassen möchten) nicht allzu grosse Mühe verwenden, muss ich den Brief jetzt beenden und die Zeit besseren Aufgaben widmen. Das also ist es, was ich Dir über diese zweifelhafte Sache sozusagen mitten aus dem Forschungsgebiet hervorzugraben vermochte; das übrige verlange von den Gelehrten. Bleibt mir verwehrt, diesen Erdenwinkel zu durchsuchen und das Entlegene zu ergründen, kann mir genügen, mich selber zu erkennen. Hierfür will ich meine Augen öffnen, hierauf meine Blicke richten. Ich bitte Ihn, der mich geschaffen hat, Er möge sich mir und gleicherweise mich mir offenbaren und – gemäss dem Wunsche eines Weisen24 – mir mein Endziel bekannt geben. Lebe wohl! (- 1337; Fassung wohl vom Jahre 1352)25
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Fam. 3,1
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,2 und 1,7 – 12. Zu den im Text genannten Personen vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Welche Insel in der Antike mit diesem Namen bezeichnet wurde, ist unbekannt. 3 Das ist vielleicht Fiktion. Petrarca war auf seiner Reise von 1333 bis nahe an diese Küste herangekommen; dieser Brief scheint jedoch erst 1352, als sich Petrarca zum letzten Mal in der Provence aufhielt, verfasst worden zu sein. Allerdings hat der Dichter seine Briefe zum Teil mehrfach und nach mehreren Jahren überarbeitet, weshalb eine erste Fassung hinter der endgültigen weit zurückliegen könnte. Vgl. Billanovich, Petrarca letterato 50 ff. und Dotti, Vita 30. König von England war 1327 – 1377 Edward III. aus dem Haus Anjou-Plantagenet. 4 Verg. Georg. 1,30; Sen. Medea 380. 5 Boethius, christlicher Philosoph, 526 n. Chr. schrieb er im Gefängnis Trost der Philosophie. Zur Stelle vgl. Cons. philos. 3,5,7. 6 Wohl Ceylon, wie heute allgemein angenommen wird. Vgl. Plin. Nat. 6,22, dazu unten Anm.16. 7 Das sind die kanarischen Inseln. 8 Richard Aungervyle de Bury, Kanzler Edwards III., Gesandter am päpstlichen Hof in Avignon zwischen 1329 und 1333. Seine berühmte Bibliothek wurde nach seinem Tod zerstreut; vgl. zu seiner Person C. Segrè, Studi petrarcheschi, Florenz 1911, 263 – 291. 9 Also in Avignon. 10 Zwischen dem schon genannen Engländer Edward III. und dem französischen König Philipp VI. 11 Des „Hundertjährigen“. 12 G. de Barry, Verfasser einer Tipographia hibernica. Die folgende zitierte Stelle steht in: Rer.Brit. medii aevii script. 21,98 – 100. 13 Solinus, 3. Jh. n. Chr., Verfasser einer Sammlung von Denkwürdigkeiten, und Bischof Isidorus von Sevilla, 560 – 636. Zur Stelle vgl. Solin. Collect. 22,9 und Isid. Etym. 14,6,4. 14 Orosius, im 5. Jh., begründete die christliche Universalgeschichte. Zur Stelle vgl. Hist. adv. pag. 1,2,79. 15 Claudianus, um 400 n. Chr. Zur Stelle vgl. Claud. In Ruf. 2,240. 16 Plinius Secundus, der Ältere, ca. 23 – 79; besonders durch seine Naturgeschichte bekannt. 17 Nat. 2,75,186 – 187. 18 Pytheas von Marseille, ein griechischer Seefahrer im 4. Jh. v. Chr. Er gelangte bis zu den Küsten Grossbritanniens. 19 Servius, um 400 n. Chr., bekannt als Grammatiker, Kommentator Vergils. Zur Stelle vgl. Ad Georg. 1,30. 20 Zu Orosius vgl. oben Anm. 14. 21 Römischer Geograph, 1. Jh. n. Chr., verfasste seine Chorographie um 44. Zur Stelle vgl. De chorogr. 3,5,36.; 3,6,57. 22 Glückliche Bewohner am Rand der Erde, in einem erdachten Götterland. 23 Nach alter Vorstellung das Gebirge im äussersten Norden, hinter dem die Sonne nachts von Westen nach Osten zurückwandert und hinter dem die Hyperboräer wohnen; auch das Gebirge, aus dem die grossen Ströme hervorquellen, später in der Gegend nördlich der Donau vermutet. 24 Ps. 38,5. 25 Zur Datierung vgl. Anm. 3 und Wilkins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 3,2, an Tommaso Caloiro1 Gegen nutzlose Erwartungen und Mühen. 1. Sorge um einen rastlos reisenden Geschäftsmann. 3. Petrarca habe soeben eine Reise aus purer Neugier unternommen. 4. Prophezeiung über den gemeinsamen Freund. (1333/1337; überarbeitet 1352?)
1. Was soll ich auf Dein Schreiben antworten? Ich fürchte, der rasende Strudel menschlichen Wahnwitzes wälze auch unseren Freund samt der ganzen Welt in seinem tiefen Schlund umher und raffe ihn hin. Er altert, wie Du siehst, unter den Possen und Betrügereien Fortunas, während er sich vieles verspricht, was, glaube mir, nie eintreffen wird. Nur eine einzige Entschuldigung gibt es: Fast alle Menschen leiden am gleichen Übel. Oder kannst Du einen finden, der nicht in der Hoffnung auf die Ruhe des folgenden Tags sich aufreibt am heutigen? 2. Darin eben besteht das Glück, darin das Leben der Sterblichen! Ein sonderbares Rasen ist das (und nicht etwa dadurch geringer, dass es allgemein ist), mit den Winden zu segeln und sichere Güter wegzuwerfen, um nach unsicheren zu jagen. Denn das verkennen die Menschen, wie grossen Gewinn es bringt, eitler und trügerischer Hoffnungen sich zu begeben. Diese sind unser schwerstes Gepäck, und obwohl es kein schwereres gibt, legt man keines trauriger nieder. So sehr ergötzen wir uns sogar am eigenen Unglück. 3. Da müht sich jener und seufzt und keucht, doch tut er es umsonst und beachtet nicht die Warnung von Horaz:2 „… Land mit Land (die da glühn in fremder Sonne) tauschend“ und: „zielen wir entschlossen in kurzer Zeit auf vieles“. Ich missbillige nicht an anderen, was ich an uns selber billige. Auch uns hat die Wissbegier und Schaulust über Länder und Meere geführt, und neulich hat diese Lust uns bis an die Enden der Erde gezogen, da gleichzeitig der Überdruss an den hier waltenden Zuständen und der Hass auf die Unsitten von hier wegdrängten,3 wohin aber die harte Notwendigkeit uns gleich wieder zurückriss. Vorgestern bin ich hier angekommen, und nachdem ich Dir aus der Ferne vieles geschrieben hatte, mache ich mich nun nach meiner Rückkehr gleich daran, meinen staubigen Federkiel an Deinem Namen zu säubern. 4. Doch unser Freund wird in der Welt kein einziges Gestade unbesucht lassen und in jedem Wind wie dürre Blätter herumwirbeln, dies nicht etwa in der Absicht,
124
Fam. 3,2
gebildeter, sondern reicher nach Hause zu kommen. Seine Seufzer werden, so prophezeie ich, nicht früher enden als sein Leben. Das sage ihm mit diesen meinen Worten! Selten geschieht, was man zum voraus geplant hat. Doch man nehme an, es geschehe! Dann wächst mit dem Glück auch das Elend. Das könnte man einem Mann von einiger Erfahrung unschwer beweisen, würde nicht die schlechteste Gewöhnung die Ohren gegen heilsame Reden verstopfen. Doch er sorge für sich selber! Halte wenigstens Du am Begonnenen fest! Und nimm Dich in acht, dass nicht der Haufe der Verrückten Dich von Deinem Vorhaben abwende! Von Seneca,4 vielmehr direkt von der Natur übernehme ich das Wort: „Nicht viel ist nötig und nicht für lange.“ Lebe wohl. Avignon, am 18. August (1333/ 1337; überarbeitet 1352?).5
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,2 und die dort stehenden Hinweise auf weitere Briefe an den selben Adressaten. 2 Carm. 2,16,18 – 19. 3 Hier heisst: in Avignon an der päpstlichen Kurie. Über Reisen in den Norden berichten Fam. 1,4 und 1,5. 4 Nat.quaest. 3, praef. 5 Für die Datierung gilt hier dasselbe wie für die vorangehenden Briefe. Vgl. Wiklins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 3,3, an Stefano Colonna den Jüngeren1 Einen Sieg muss man nützen. 1. Ermahnung, aus der Geschichte Hannibals zu lernen. 2. Gott verheisse dem Angesprochenen gleichen Sieg wie einst dem Kaiser Theodosius. 3. Die gerechte Sache müsse man aber im Auge behalten und Erfolge nicht von eigener Tüchtigkeit, sondern von Gott erwarten. 5. Der Krieg wende sich gegen Feinde des Kreuzes. 6. Gott mache die Rache zur Pflicht. 8. Beispiele ungenützter Siege aus der Antike.12. Ein Sieg vermindert nicht die Gefahr. Am 23. Mai (1333).
1. Du vermochtest als ein sehr tapferer Held zu siegen. Lerne nun auch als ein sehr weiser Held, den Sieg2 so zu nützen, dass keiner der unsern Dir jemals vorwerfen könnte, was einst nach dem Tag von Cannae ein Maharbal3 dem Hannibal vorhielt. Wäre dieser eben dem Rat des andern gefolgt, dann hätte er die von unserem Blut getränkten Feldzeichen vom Schlachtfeld fort und geraden Wegs nach Rom gewendet; und was die Historiker darüber denken, das weisst Du. 2. Doch seine ruhmlosen Kühnheiten hat Gott in seiner Sorge um Italien abgewehrt. Nun aber ist es wiederum Gott, der Deine ruhmvollen Anstrengungen durch Unterstützung Deiner Truppen begleiten, Deine Schritte lenken und der als Heerführer bei Deinen siegreichen Fahnen verharren wird. Einen dauerhaften Sieg und eine entscheidende Vernichtung Deiner Feinde verspricht Dir jetzt der selbe, der einst vor sehr vielen barbarischen Legionen auch den getreuen kleinen Haufen des Kaisers Theodosius gerettet hat.4 3. Wie jener sorgst auch Du für die gerechteste Sache, und der gleiche, der damals für die Gerechtigkeit jenes Kaisers gezeugt hat, zeugt jetzt für die Deine, das ist Christus. Ihn solltest Du in aller Hingebung Tag und Nacht darum bitten, dass er vollende, was er begonnen hat. Er ist ja nicht fern, sondern nah; er ist jetzt mit Dir, das glaube mir, wie er bei Dir war, als Du siegtest. Wäre dem anders, wie hättest Du mit so wenigen Leuten ein so mächtiges Heer auseinandergetrieben und wie hättest Du für Dich allein zwei masslos protzende Feinde und wie – da Du ahnungslos und beinah unbewaffnet warst – jene wohl vorbereiteten und gut ausgerüsteten Scharen in so unerwartetem Treffen so rasch unterworfen? Zweifellos war eine himmlische Schutzmacht zugegen, und sie wird immer zugegen sein, wenn nur die Sache Deines Anhangs gerecht bleibt und Du fromm und ehrfürchtig um Hilfe bittest. 4. Geh daher unter solcher Führung zuversichtlich voran und wisse, dass jenes Kind, aus dem Blut der Erschlagenen wiedergeboren und mit Spolien der Kirche beladen, eher Gewinn als Gefecht bedeutet.5 Der frühere Sieg war ja so reich an Ruhm wie arm an Ertrag, während dieser im Gegenteil so ertragreich ist wie mühelos. Geh daher voran wie zu einem sicheren Triumph und nicht wie zu einem gefährlichen Kampf, und geh im Vertrauen weniger auf eigene Kräfte als auf
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Fam. 3,3
göttliche Hilfe. 5. Sogar die Elemente werden für Dich streiten, wie sie für Theodosius taten, und es wird, wie Claudianus6 gesagt hat, „Aiolos7 Dir von der Sternenwelt geharnischte Sturmwetter“ senden. Es wird für Dich „der Äther“ kämpfen; es werden „auf Trompetensignale hin die Winde“ als Deine Verschworenen herbeieilen. Denn Du führst wie jener einen Krieg mit Feinden des Kreuzes, mögen sie sich auch anmassend nach Christus benennen. Dass es so ist, bestätigen Dir der neue Eugen, das zum Wolf verwandelte Lamm, und der zum Tyrann entartete Kleriker8 so gut wie die rings in Italien unterdrückten und ihrer Habe beraubten Kirchen. Dich fordert zur Rache, und zwar weniger für das Dir angetane, als für das an jenen verübte Unrecht, die beleidigte Gottheit auf. 6. Entziehe Dich nicht dieser doppelten Rachepflicht! Und setze Deine Hoffnung nicht zu sehr auf das bisher Geleistete, sonst könntest Du übersehen, was noch weiter zu leisten ist. Etwas ist erledigt, ja vieles, ja das meiste! Nein gar nichts, wenn dem Anfang kein Ende folgt. Wenn es daher möglich ist, den Sieg zu nützen, so bezähme die Lust, ihn zu feiern! Man sagt, dass gerade in dieser Hinsicht der genannte mächtige Feldherr 9 – zu unserem grössten Glück und zu seinem eigenen grössten Verhängnis – einen Fehler begangen habe. 7. Doch obwohl schon dieses eine Versagen allen Kriegführenden der heutigen und aller kommenden Zeiten eine wahrhaft deutliche Warnung und Lehre sein müsste, sollst Du wegen der Wichtigkeit Deines Unternehmens nicht durch die Erwähnung bloss eines einzigen Beispiels ermahnt werden. Ich füge also einige weitere – sowohl eigene wie fremde – an. 8. Pompeius10 hatte als Sieger von Dyrrachium den Gegner Iulius Caesar schon beinahe gefasst, als er ihn, den er fangen konnte, entweichen liess, entweder weil es ihm, dem zwar bestens bewährten Feldherrn, an einer Kriegserfahrung mangelte oder weil Fortuna ihrem Günstling11 in seiner äussersten Gefahr zu Hilfe kam oder weil – wie eine gängige Meinung lautet – eine wahrhaft wunderbare, nur leider unglückliche menschliche Regung solches veranlasste. Das hatte mancherlei Folgen: nämlich in Thessalien sogleich eine allgemeine Notlage, in Ägypten sowohl den Untergang Catos12 wie der Freiheit, sodann in Spanien ein trauriges Gemetzel restlicher Truppen, in Rom die Plünderung des Staatsschatzes, die Unterdrückung der Gesetze und ebenda die heimliche Bewaffnung des Senats, auf dem Kapitol überdies die Ermordung jenes Siegers,13 der die Stätte vorher mit vier Triumphen geehrt hatte. 9. Ja, zu den Folgen gehörten auch die schwere Belagerung Perugias und Modenas, die entsetzliche Niederlage derer von Parma (an die Cicero in seinen „Philippicae“ erinnert14), ein mit unserem Blut von neuem beflecktes Pharsalos15 und die berühmten gewaltigen Seeschlachten unter den Höhen von Leukas16 und Aetna, schliesslich eine bis in unser Jahrhundert ununterbrochene Reihe so vieler Schicksalsschläge, dass man sie nicht aufzuzählen vermöchte, und die zu erwähnen bitter wäre, da man ein Ende des Elends noch immer nicht absieht.
Fam. 3,3
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10. Was soll ich vom Perserkönig Kyros17 sagen, der in der Schlacht zwar siegte, aber – buchstäblich – siegend besiegt wurde? Was von Alexander von Makedonien, der in der Schlacht unversehrt blieb, aber umgebracht wurde beim Festmahl? Agamemnon hat jenes herrliche und stolze Ilion dem Erdboden gleichgemacht, und Africanus der Jüngere18 – sozusagen unser Polykleitos19 – hat Karthago und Numantia bis auf den Grund zerstört. 11. Und beide sind im Krieg sicherer gewesen als nachher im Sieg, im Heer glücklicher als zu Hause. Wohl weiss ich, dass sie ebenso durch ihre Sitten wie durch Raum und Zeit voneinander geschieden sind, doch ich habe sie in diesem kurzen Brief miteinander verbunden, weil ihr Schicksal beinahe gleich und ihr Ende dasselbe zu sein scheint: Siegreich waren sie über ihre Feinde, aber nach der Überwältigung und Unterwerfung der Barbaren sind sie in den Armen ihrer schändlichsten Gattinnen umgekommen.20 Das freilich hat mit unserem Beispiel nichts zu tun. 12. So richte ich denn alles auf das eine Ziel aus, welches zeigen soll, dass sogar den Siegern vieles zu befürchten bleibt. Nie dürfen sie im Vertrauen auf Geleistetes stillstehen. Immerfort müssen sie vorangehen und wie einst Caesar ohne Unterlass ihren Erfolg vergrössern, auf die Gunst der Gottheit setzen und glauben, dass nichts getan ist, wenn auch nur eine Kleinigkeit zu tun verblieben ist. Übrigens gilt, dass für viele der Sieg weit bedenklicher war als der Krieg und dass sehr zu fürchten ist, man hätte besser gar nicht begonnen, als das Begonnene auf dem halben Weg eines vorwärts eilenden Schicksals sich selber überlassen. Lebe wohl und sei wachsam! Am 23. Mai (1333)21.
Anmerkungen 1 Der Angesprochene war der älteste Bruder des Kardinals Colonna, in dessen Dienst Petrarca stand, somit Sohn von Stefano dem Älteren. Ihn lernte Petrarca auf seiner ersten Reise nach Rom kennen, vgl. Fam. 2,13,4. Er war 1332 und 1342 Senator, fiel 1347 im berühmten Kampf gegen den Volkstribunen Cola di Rienzo an der Porta S. Lorenzo von Rom. – Vgl.auch Fam. 3,4 und zu den im Text genannten Personen und Werken Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Es handelt sich wohl um den Sieg bei San Cesareo gegen die Partei der Orsini im Mai 1333; vgl. Rime 103. Der florentinische Chronist M. Villani schreibt von einem Sieg durch Verrat, verwechselt jedoch Stefano mit Stefanuccio, dem Sohn von Sciarra Colonna (Chron. 10,218). 3 Maharbal war ein karthagischer Feldherr. Zur Stelle vgl. Liv. 22,51,1 – 4; Flor. Epit. 1,22,19 – 20. 4 Theodosius I., Kaiser 379 – 395. Hinweis auf die Schlacht gegen den Usurpator Eugenios 394. Vgl. Aug. De civ. 5,26. 5 Ein Kind eines Agapito Colonna wurde bei den Auseinandersetzungen zwischen den Colonna und Orsini getötet. Der päpstliche Kardinallegat Giovanni Orsini beteiligte sich an den Kämpfen. Eine plausible Deutung von Petrarcas Sätzen kenne ich nicht; vgl. Anm. 8. 6 De 3 cons. Hon. 96 – 98. 7 Im Lateinischen Aeolus: Verwalter der Winde.
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Fam. 3,3
8 Kardinallegat Orsini, der seinen Auftrag missbrauchte und Johann XXII. nach Rom rief, wird hier vielleicht als Eugen bezeichnet; so hiess der römische Usurpator, der Kaiser Theodosios entgegentrat. Mit dem tyrannischen Kleriker ist möglicherweise der Nepote des genannten Papstes, Bertrand du Pouget, gemeint, der als dessen verhasster Vertreter in Bologna residierte. 9 Hannibal; vgl. Flor. Epit. l,22,21. 10 Zum folgenden Text vgl. Luc. Phars. 299 – 313. 11 Gemeint ist Caesar. 12 Cato Uticensis, 95 – 46, Urenkel des Censors. 13 Das ist Caesar, ermordet im Jahr 44 v. Chr. 14 Phil. 14,3,8. Petrarca verweist auf Ereignisse der Bürgerkriege, die mit dem Sieg Octavians 31 bei Actium enden. 15 Pharsalos in Thessalien, im Verlauf der Geschichte mehrfach umkämpft, war 48 Schauplatz eines Kampfes zwischen Pompeius und Caesar. 16 Gebirgsinsel, umkämpft 31 v. Chr. 17 Vgl. Or. Hist. adv. pag. 2,7. 18 Zum Folgenden vgl. Val. Max. 5,3,2d. 19 Polykleitos steht hier für Poliorketes, das heisst Städtezerstörer; das war ein Übername für Demetrios von Makedonien. 20 Agamemnon starb durch die Hand seiner Gattin Klytaimnestra. Das Gerücht von einer Ermordung Scipios erwähnt Cic. Pro Mil. 7,16. 21 Das Datum ergibt sich aus dem Hinweis auf die gewonnene Schlacht und aus der Ermahnung, den Kampf weiterzuführen. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 52.
Fam. 3,4, an Stefano Colonna1 Nichts Neues unter der Sonne. 1.Hinweis auf ein für den Adressaten verfasstes Werk in der Muttersprache. 2. Über eine dichterische Neuschöpfung, die keine war. (1333)
1. Was ich über den ganzen Zustand Deiner Verhältnisse denke, glorreicher Feldherr, habe ich Dir in einer kurzen Abhandlung schon früher dargelegt, und ich tat es in der Muttersprache, damit sie auch von Deinen Soldaten, die an der Anstrengung und Ehre teilhaben sollen, verstanden werde. 2. Darauf aber habe ich dank einer immerfort Neues zeugenden Schaffenskraft für Dich auch noch ein Gedicht verfasst, und zwar nach der Regel, dass der erste Vers von mir, der zweite von irgend einem anerkannten Dichter stamme und so weiter, damit auf diese Weise der Leser nicht allein durch eine kunstvolle Verbindung von Aussagen, sondern auch durch den Wohlklang der Worte erfreut werde. 3. Dafür habe ich mich wie für eine kleine Erfindung in der Dichtkunst gepriesen, bis ich nach der Versendung der Verse erst entdeckte, dass andere schon vor mir diese Dichtungsart verwendet hatten, dass also der weise Hebräer2 ganz richtig gesagt hat: „Nichts Neues gibt es unter der Sonne“. Das hat übrigens auch der Komiker3 ausdrückt: „Man sagt wohl nichts, was nicht schon früher ward gesagt.“ 4. Soeben habe ich Dir durch einen Boten Deines hochedlen Vaters Stefano des Älteren,4 um Dir mehrere Anstösse zum Durchhalten zu geben, einen Brief in freier Prosa geschrieben.5 Wenn Du ihn bekommen hast, brauche ich jetzt nichts abzuändern und nichts anzufügen. Denn obwohl sich dazu manches anbietet, mag bei einem klugen Mann genügen, dass man ihn ermahnt hat. Lebe wohl! (1333)6
Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Autor. Ecclesiastes (Cohelet) 1,10. Ter. Eun. prol. 41. Diese Präzisierung, die hier befremdlich wirkt,ist wohl Zusatz und rechnet mit fremden und späteren Lesern. 5 Wohl Fam.3,3. 6 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,5 (ohne Adressaten) Das Einsiedlerleben kann man nur durch Erfahrung kennen lernen. 1. Misstrauen gegenüber dem Fragesteller. 2. Allgemeines Lob auf das Leben in Einsamkeit. 3. Einladung, in die Einsiedelei zu kommen, sofern ein echtes Verlangen nach Einsamkeit bestehe. An der Quelle der Sorgue, am 4. Mai (1337/1338).
1. Du verlangst, ich solle Dir den Stand des Einsiedlers, den ich zu dieser Zeit und, wie Du sagst, „im Widerspruch zu den Sitten unserer Mitmenschen gewählt habe“, mit wenigen Worten darlegen. Doch ob Du begierig bist, mich nachzuahmen oder eher mich zu verspotten, weiss ich nicht; Du weisst es. Wie umfassend das Thema ist, von dem Du forderst, es möge in eine knappe Darstellung gezwängt und knapp besprochen werden, das verkennst Du gewiss. Es gibt darüber ganze Abhandlungen beredter Autoren, und dennoch ist meines Erachtens die Sache noch von niemandem ausreichend gelobt worden. Schon oft überfiel mich tatsächlich das Verlangen, etwas darüber zu schreiben, und ich hätte es getan, wäre nur mein Vertrauen in meine Denkkraft, Schreibkunst und Sachkenntnis schon gross genug.1 2. Was Dich und Deine Bitten betrifft, so würde ich für meine Person einem Lobredner des Einsiedlerlebens niemals willig mein Ohr leihen, wenn er nicht bereits etwas von dessen Annehmlichkeit gekostet hätte. Denn dieses Leben verströmt sich in einer Fülle guter Gaben, die weder durch Hörensagen noch durch Lesen, ja überhaupt nicht anders als in der Erfahrung erkannt werden. Daher glaube ich, man versuche umsonst, jemanden darüber zu belehren, es sei denn eben mit Hilfe der Lehrmeisterin Erfahrung. Was tut es zur Sache, mit wie erhabenen Worten der Stoff behandelt wird, wenn der Zuhörer davon doch nichts versteht und zu glauben gar nicht bereit ist? 3. Du darfst also, wenn Dich, wie Du verkündest, Bewunderung und Wille zur Nachahmung meines Einsiedlerlebens hinziehen, den mit vielen Sorgen Beschäftigten nicht hinhalten und ihm auch keine unzulängliche Schilderung abverlangen. Fragst Du – und das muss ich bei meinem grossen Misstrauen mehrmals wiederholen – ehrlichen Herzens, und zwar um zu lernen, nicht um auf die Probe zu stellen, so komm und sieh!2 Und was Du Dir selber schulden kannst, das schulde keinem andern! 4. Hör auf, mit einer fremden Schilderung Dich so kratzen zu wollen, wie Du beim Juckreiz der Ohren mit Deinen Nägeln tust. Den gleichen Zweck mit leichtem Geschwätz zu erreichen, ist Dir nicht verwehrt. Das wird ehrbarer sein, als einen Traktat von gewichtigem Inhalt zu erpressen. Denn er würde dem Gewährenden wie dem Bittenden nichts Gutes verschaffen. Höchstens könnte die Absicht des Lesenden getadelt werden und müssten die Worte des Schreibenden auf Verachtung stossen. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 4. Mai (1337/38).3
Fam. 3,5
Anmerkungen 1 Petrarca begann mit der Niederschrift De vita solitaria 1346. 2 Vgl. Jo. 1,39 und 1,46. 3 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
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Fam. 3,6, an einen Freund Gegen die Begierde nach unrechtem Erwerb. 1. Abneigung gegen jedes Gespräch über Reichtum und Sinnenlust. 3. Einwand gegen die Einteilung des einen Guten in drei Teile. 5. Hinweis auf Ciceros Abhandlung über das wahre Glück. 7. Ehrenhafter Gewinn ist nicht tadelnswert. Ciceros Buch über die Pflichten ist wegen seines philosophischen Gehalts, nicht wegen seines Stils zu lesen.
1. Was Du zur vorgelegten Frage zu denken hast, musst Du mit Dir selber ausmachen. Weder fehlt es Dir an Jahren, noch an Bücherwissen oder an eigener Erfahrung1. Mir aber gilt schon eine blosse Beratung in unehrenhaften Dingen für schmählich. Wenn Du trotzdem meine Meinung erzwingen willst, so höre, dass ich auch in der bestimmten Sache mehr Stoiker als Peripatetiker2 und zudem in allen Dingen weit mehr Stoiker als Epikuräer bin.3 Deshalb liegt mir fern, das höchste Gut, ja auch nur irgendein Gut im Reichtum und in der Sinnenlust zu suchen. 2. Annehmlichkeiten sind diese beiden und Hilfsmittel im vergänglichen Leben. Daher nennt man das ein „materielles Gut“ und das andere ein „leibliches Gut“; aber das eigentliche Gut, das wir erstreben,4 ist ein geistiges, das weder dem leiblichen noch dem materiellen Vorteil dient. Alles andere wird – wie ich zugebe – zwar als Gut bezeichnet, ist aber, so behaupte ich, keines. 3. Und denke nur ja nicht, ich sei einem Irrtum verfallen und erklärte das in unbedachter Weise; ich kenne die Meinung von Aristoteles und Epikur in dieser Frage,5 aber die Autorität der Philosophen verwehrt mir nicht die Freiheit, mir ein eigenes Urteil zu bilden. Mir scheint jene andere Auffassung der Philosophen erhabener und wahrer zu sein, nach welcher niemand glücklich zu sein vermag, der die Güter in drei Ordnungen einteilt.6 Es gibt nämlich nur ein einziges ungeteiltes Gut, und nur dieses eine macht glücklich. 4. Euer Glück aber ist viel zu bedürftig und bettelhaft, denn Ihr möchtet ja weder die Schönheit des Leibes noch eine besonders gute Gesundheit, ja nicht einmal den Reichtum missen; nein, den Reichtum fordert Ihr geradezu, obwohl er doch allzu sehr der Tücke von Dieben ausgesetzt und überhaupt allzu beunruhigend und besorgniserregend ist, was dem Glück denkbar fern steht. Und jenes Gut Epikurs, das in der Sinnenlust besteht, ist nicht nur kein Glücksgut, sondern schlimmstes Elend. Denn was macht den Menschen elender, als wenn man einen menschlichen Wert durch einen tierischen ersetzt, das heisst die Vernunft durch die Sinne? 5. Aber werde ich nicht als ein Dummkopf dastehen, wenn ich angesichts so vieler Parteiungen über ein so zweifelhaftes Streitobjekt mich ungebeten zum Richter aufwerfe? Mag also jeder glauben, was er bisher geglaubt hat. Schwerlich kann man von eingefleischten Meinungen ablassen.
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Fam. 3,6
Darüber gibt es verschiedene philosophische Traktate, die in einem kurzen Brief nur aufzuführen, kaum möglich ist. Von Cicero liegt ein ganzes Buch vor mit dem Titel: „Vom Ziel des Guten und des Üblen“, und wenn Du dieses gelesen hast, können Dir Ohr und Verstand vielleicht ersparen, nach anderem zu suchen. 6. Doch wenn Du von mir nicht die Wahrheit, die möglicherweise verborgen bleibt, sondern bloss meine eigene Meinung gefordert hast, will ich die Sache in Kürze zu Ende führen. Leih Dein Ohr nicht schlechten Ratgebern! Ihnen liegt nichts an Deinem Ruf noch an Deinem Glück; sie raten nur das, was sie entweder für sich selber zu wählen geneigt sind oder was sie für das Dir Genehme erachten. Du aber darfst nichts anderes als etwas Ehrenhaftes wünschen und nichts anderes als dieses zu den Gütern rechnen.7 7. „Doch nützlich ist der Gewinn“. – In der Tat, sofern er mit Ehrenhaftigkeit verbunden ist; andernfalls, das merke Dir, ist nichts verderblicher als er. Allgemein ist bekannt, was Cicero8 in seinem Buch „Von den Pflichten“ darüber gesagt hat. Doch eine grosse Zahl der Leser vernachlässigt seinen Inhalt, hört gierig nur auf die Worte und nimmt die Lebensregeln gemäss dem Urteil ihres Gehörs für reine Unterhaltung. 8. Du aber bedenke, dass es sich da um eine Bemühung nicht der Zunge, sondern des Geistes handelt, das heisst, dass die Anweisungen nicht rhetorischer sondern philosophischer Art sind. Halte Dir vor Augen, was in Athen einst allen Griechen bekannt war, nämlich den Rat des Themistokles samt dessen Deutung durch Aristeides und samt der Entscheidung durch jene Ratsversammlung.9 Überdies weise ich, mag die Menge auch darüber spotten, eine Vermehrung des Vermögens unter der Bedingung nicht zurück, dass dabei kein Unrecht unterläuft. Andernfalls meide ich das Gold so sehr wie eine Klippe. Denn das Gold, wie Plautus10 sagt: „… lehrte schon viele das schmutzigste Zeug“, Und um mit dem selben Autor zu schliessen: „Ich aber könnte gewiss nicht behaupten, immer sei nützlich, was einer gewinnt“.11 Lebe wohl!12 (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Philosophenschule des Aristoteles in Athen; ihr Name wird abgeleitet von peripatein, wandeln, doch bleibt diese Deutung umstritten. 3 Das Schreiben folgt Ciceros Werk De finibus und der dort vorhandenen Dreiteilung.
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Fam. 3,6
Cic. De fin. 3,9,30. Cic. De fin. 2,6,19. Cic. De fin. 5,7,20. Cic. De fin. 3,8,27. Cic. De off. 3,3,11. Cic. De off. 3,11,448 – 49. Ein Rat des Themistokles, eines Staatsmanns im 5. Jh.; er wurde von Aristeides vor der Ratsversammlung Athens als nützlich, aber unehrenhaft bezeichnet, worauf die Räte ihn ablehnten, ohne ihn auch nur kennen zu wollen. 10 Capt. 2,2,328. 11 Capt. 2,2,325. 12 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53. 4 5 6 7 8 9
Fam. 3,7, an Paganino von Mailand 1 Expansionsdrang ist zu zügeln. 1. Die Frage, ob Vielherrschaft oder Einherrschaft besser sei, will der Schreibende offen lassen. 2. Anerkennende Worte für den Herrn Visconti von Mailand. 3. Aufzählung früher Herrscher. 6. Warnung vor Ausdehnung einer Herrschaft. 7. Besser sei es, über Freunde als über Feinde zu regieren. Und ein grosses Reich zu errichten, sei leichter, als es zu erhalten. (1339/1346)
1. Obwohl mir bewusst ist, wie viel stärker das römische Reich unter der Herrschaft einer Vielzahl als unter der eines einzigen Mannes gewachsen ist, so weiss ich doch, dass manche und bedeutende Gelehrte glaubten, am glücklichsten sei der Staat unter einem einzigen, gerechten Fürsten. So scheinen Autorität und Erfahrung miteinander zu streiten. Doch zu gross ist die Frage für eine Erläuterung in einem so kurzen Brieflein. Gewiss, bei unseren heutigen Verhältnissen und bei der so unversöhnlichen Zwietracht unter den Menschen bleibt zweifelsfrei bestehen, dass die Monarchie am besten geeignet ist, die italischen Kräfte zu sammeln und wiederherzustellen, welche sich im langen Wüten der Bürgerkriege2 zersetzten. 2. Und da ich einsehe und nicht leugne, wie sehr unsere Krankheiten einer königlichen Hand bedürfen, halte ich für sicher, dass Du mir glaubst, keiner sei mir als König lieber als er, unter dessen Gewalt wir so angenehm und ruhig leben3, da wir dabei weder die Menschlichkeit eines Pyrrhos,4 noch das Glück eines Alexander, die Gerechtigkeit eines Zaleukos,5 oder – um lieber römische Vorbilder anzuführen – die Begeisterung eines Romulus,6 die Gewissenhaftigkeit eines Numa,7 den Kriegsmut eines Tullus, die Grossartigkeit eines Ancus, auch nicht die Zucht eines Tarquinius und die Umsicht eines Servius vermissen. 3. In der Tat, wenn einzig die Gerechtigkeit den König vom Tyrannen unterscheidet, dann ist der Herrscher, unter welchem wir leben, ein wahrer König, während diejenigen, die ihn als Tyrannen bezeichnen und sich selber Väter des Vaterlandes nennen, gerade die wahrsten aller Tyrannen sind, mit denen kein Phalaris,8 kein Agathokles, kein Dionysios und nicht einmal ein Gaius oder Nero oder der allerschmutzigste Elagabalus in Rohheit und Unzucht wetteifern könnten. 4. Freilich gehört es sich für einen Klugen, nicht bloss das Angenehme, sondern auch das Zweckmässige zu beachten und nicht bloss den Anfang, sondern auch den Ausgang einer Sache zu überlegen. Daher möchte ich Dir (weil jener – dank seinem besten Entschluss – nicht ohne Deine Ratschläge regiert, während Du an seiner Klugheit und Glaubwürdigkeit zu zweifeln Dir niemals erlaubst), ja, ich möchte Dir als meinem Freund, dem meine Gesinnung bekannt ist, folgenden wohl etwas bäurischen, aber treuen Rat gegeben haben: Rede ihm zu und überzeuge ihn, dass seine Grenzen weit genug sind, ob er nun seinen Reichtum oder seinen Ruhm in
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Betracht zieht.9 Begehrlichkeit hat niemals Genügen; eben sie darf ihn nicht mit gewaltigen Versprechungen täuschen. Das goldene Mittelmass gehört zu jedem Glück. Ein menschliches Wohlergehen, das keine Grenzen setzt, daher nach immer Grösserem begehrt und ins Grenzenlose zielt, ist in dem Masse an Unrast voll, als es leer ist an Beständigkeit, Gewissheit und Ruhe. 5. Eben darum hat mir immer die Mässigkeit des jüngeren Scipio Africanus gefallen.10 Er nämlich hat, als er Censor war, das Sühnelied, das von den Göttern eine Mehrung des römischen Wohlergehens erflehte, abzuändern befohlen; denn er war der Meinung, die Bitte zeuge von allzu grosser Begehrlichkeit und sei eben deswegen den Göttern widerwärtig; bitten möge man um nichts anderes als um die Bewahrung des erreichten Zustandes und um dessen Dauerhaftigkeit. Nüchtern in der Tat und auch klug! Wäre nur möglich, etwas Vergänglichem Bestand zu verleihen! Und wäre nur das, was man von falschen Göttern erbat, von unserem allmächtigen Gott erbeten worden! 6. Vieles könnte man – so meine ich – hierüber sagen. Doch was bedarf es der Worte? Du kennst meine Gesinnung; was ich wünsche und was ich fürchte, das weisst Du. Ich höre, dass jener Neues ins Werk setzt; ich hoffe, mit Glück, sofern er fortfährt; doch lieber wollte ich, er gäbe es auf. Das ist der bessere Weg. Widersetze Dich bitte den Anfängen! Bringe ihm nahe, was ein sehr zurückhaltender Feldherr gesagt hat,11 dass nämlich die Römer weniger nach Gold verlangten als nach der Herrschaft über die Besitzer von Gold. 7. Wenn das vom Gold gesagt werden kann, obwohl es sich verstecken lässt, was gilt dann von Ländern und Städten? Weiter: Wenn es von Feinden gesagt werden kann, was gilt dann von Freunden? Solche würden sich nicht unter Zwang, sondern freiwillig der Herrschaft fügen, und man besässe von ihnen nicht bloss Gebiete und Gold, sondern auch Leib und Leben mit vollem Recht. Und wie es ehrbarer ist, so ist es auch sicherer, Freunde zu haben als das Erbgut von Freunden, und wo man Willigen gebieten kann, ist es töricht, Widerwilligen gebieten zu wollen. Ein Wort der Philosophen, vielmehr der natürlichen Vernunft besagt: Nichts Gewaltsames ist dauerhaft. Ein mässig grosses Reich lässt sich leicht bewahren. Ein Riesenreich wird mühsam erworben und aufs allermühsamste erhalten. Lebe wohl! (1339/1346)12
Anmerkungen 1 Der Adressat ist höchst wahrscheinlich jener Paganino Bizzozzero, der im Dienst von Luchino Visconti stand. Als solcher war er nacheinander Statthalter in Asti, Podestà in Vercelli und schliesslich 1346 – 1349 Podestà in Parma. Im letzterwähnten Jahr starb er an der Pest. Petrarca befreundete sich mit ihm wohl lange vor 1348, obwohl er sich erst dann in Parma festsetzte. Der Brief könnte
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also aus schon früherer Zeit, schon von 1339/41 stammen. An Paganino richten sich auch Fam. 3,16 – 17.Vgl. Dotti, Fam. Register. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. In ganz Oberitalien herrschten seit Jahrzehnten Kriege zwischen Herren verschiedener Städte in mehrfach veränderten Bündnissystemen. Es kämpften in den dreissiger Jahren mit- oder gegeneinander vor allem die Visconti, Scaliger, Este, Gonzaga, zeitweise bei einer Teilnahme des Königs von Böhmen, des päpstlichen Legaten Kardinal Poggetto, des Königs Roberto von Neapel, ausnahmsweise auch der Florentiner. Das ist Luchino Visconti von Mailand, ca. 1278 – 1349. Er war Herr von Parma erst ab 1346. Pyrrhos, König der Molosser, ca 307 – 272, verwandt mit dem makedonischen Königshaus. Zum Folgenden vgl. Val. Max. 5,1, ext. 3 und 6,5, ext.3. Gemeint sind Alexander der Grosse von Makedonien und der Gesetzgeber der Lokrer. Gründer Roms. Zum Folgenden Flor. Epit. 1,2,2 – 6. Numa Pompilius, 2. König Roms. Der Text bringt eine Aufzählung der römischen Könige. Tyrann von Akragas, 6. Jahrhundert. Es folgen im Text: der Tyrann Agathokles von Syrakus, Dionysios von Syrakus, Kaiser Gaius Caligula, Kaiser Nero, Elagabalus, das ist Kaiser Marcus Aurelius Antoninus. Luchino Visconti dehnte in den vierziger Jahren seine Herrschaft in Richtung Piemont aus und wandte sich auch gegen Genua. Scipio Africanus der Jüngere, genannt Numantinus; die Mitteilung von. Val. Max. 4,1,10 ist vielleicht nicht historisch. Das ist M. Curius gemäss Cic. De sen. (Cato)16,55. Die Datierung ergibt sich aus den Angaben in Anm. 1. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,8, an einen Freund Warnung vor Aberglauben. 1. Gedanken an Vergangenheit und Zukunft sind einzuschränken. 2. Wahrsager wissen nichts. 3. Üble Folgen der Prophezeiungen. 7. Über die Wirkung einer einzigen wahren Aussage. 8. Zitat Augustins. 9. Aberglauben und heitere Ruhe sind unvereinbar. (1346)
1. Werfen wir doch bitte von uns, wenn wir können, hier die traurige Erinnerung an Vergangenes und dort die ängstliche Besorgnis um die Zukunft! Sie quälen uns umsonst und wühlen gleichsam mit zwei Stacheln von der einen und andern Seite unser ruhiges Leben auf. Wozu sich abhetzen, wozu sich abquälen? Das Zurückliegende lässt sich nicht ändern und das Kommende nicht vorhersehen. Wozu benötigen wir Mathematiker,1 gegen welche nicht allein die Autorität der Heiligen, sondern auch die der Philosophen und Poeten und aller Rechtdenkenden aufbegehrt? 2. Ich will wortreiche philosophische Abhandlungen übergehen. Doch wem wäre das Zeugnis des Maro2 von der „Unkenntnis der Wahrsager“, obwohl weit verbreitet, unbekannt? Zitiert wird etwa auch ein Wort des Accius:3 „Auguren glaub ich wahrlich nichts; sie sagen fremden Ohren Nur eitel Trug, auf dass ihr Haus in blankem Gold erstrahle.“ Und ebenso ein Wort des archaischen Dichters Pacuvius:4 „Denn sehen sie, was kommt, voraus, will ich sie Zeus vergleichen.“ Und dass die Propheten in dieser Sache anders dächten als die Dichter, wirst Du nicht annehmen, sagt doch Isaia:5 „Verkündet uns, was die Zukunft bringt; dann wissen wir, dass ihr Götter seid“. 3. Des hochgelehrten Favorinus6 Ratschlag, den er zum grossen Teil Cicero verdankt, ist eine Warnung ihrer beider vor allem Blendwerk und Lügengespinst und sollte nicht bloss angenommen, sondern breit ausgedeutet werden. Wenn die Grossmäuler, die eine Kenntnis der Zukunft zu besitzen vorgeben, uns ein Unglück voraussagen, geschieht es entweder fälschlicherweise, womit sie uns sinnlos einen eitlen Schrecken einjagen, oder wahrheitsgemäss, womit sie uns vorzeitig unglücklich machen. 4. Wenn sie uns umgekehrt Glückhaftes voraussagen und solches wahr ist, schaffen sie ein doppeltes Unbehagen: Zuerst kommt die Ermüdung des Wartens, vielleicht schlimmer als jede, und erst beim Eintreffen des Ersehnten wacht Freude auf, jedoch eine verminderte oder wie Favorinus sagt, eine vorzeitig verblühte, weil sie lange vorher in der blossen Erwartung und beständigen Betrachtung beinah erschöpft wurde. Ist das Glück aber nicht wahr, muss die aufrechterhaltene, aber leere und völlig lächerliche Heiterkeit, indem sie verlorene
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Hoffnung wird, notwendigerweise in Schmerz und Scham vergehen. Daher sollte man diese Angeber, die etwas ihnen Unmögliches, uns dazu noch Unnützes versprechen, überhaupt nicht anhören. 5. Was nun? Jeder nehme an, Christus habe zu ihm gesagt, was Iupiter bei Plautus zu Amphitryon:7 „Getrost, Amphitryon, als Helfer steh ich bei. Zu fürchten ist da nichts; Weissager schicke fort! Ich künde Dir, was früher war und was einst kommt Weit sicherer, als jene tun,“ und nun nicht etwa: „denn ich bin Zeus“,sondern: „denn ich bin Gott“. 6. Er jedenfalls sagt vieles und häufig in unseres Herzens Ohr, und wollten wir ihn anhören, fiele uns leicht, jene Herumstreicher gering zu schätzen. Der Tod ist sicher, die Stunde des Todes unsicher, damit wir jede Stunde wie die letzte empfangen. Das wäre heilsame Erkenntnis! Wie gross aber ist die Verwegenheit jener Leute und wie gross unsere eigene Verrücktheit, dass wir uns mit der Verkündigung einer von dichtem Nebel bedeckten und Gott allein bekannten Zukunft quälen lassen! 7. Eines nur, sage ich, kommt mir in Anbetracht der ganzen Torheit geradezu wunderbar vor. Da ist irgendein Mensch in jeder Hinsicht aufrichtig; er unterliegt ein einziges Mal einer auffälligen Lüge, und gleich kommt er in den Ruf eines Lügners. Dagegen gewinnt ein Wahrsager, mag er noch so lügenhaft sein, dank einer einzigen zufällig getroffenen Wahrheit den Ruf eines wahren Propheten. 8. Darüber wundert sich auch Cicero,8 wenn auch mit andern Worten, in jenem Buch, in dem er auf knappem Raum die Wahrsagerei aufrichtet und niederreisst. Augustinus aber sagt an mehreren Stellen und vor allem in seinem Buch „Über verschiedene Fragen“,9 um sie zu widerlegen: „Sie nennen sich jetzt Mathematiker, indem sie unsere Handlungen den Himmelskörpern unterwerfen, unsere Person an die Sterne verkaufen, doch den Kaufpreis gar von uns selber verlangen.“ Dann gibt er einen Grund an, indem er fortfährt: „Wenn von diesen Leuten behauptet wird, sie verkündeten viel Wahres, so geschieht es nur darum, weil man ihre Betrügereien und Irrtümer nicht im Gedächtnis behält. Man achtet eben darauf, was ihren Orakeln entsprochen hat, während man vergisst, was ihnen überhaupt nicht entsprochen hat. Man behält im Gedächtnis, was nicht dank ihrer Kunst, die keine ist, sondern dank irgend einem unerfindlichen Zufall wirklich eintraf. Wollte man ihnen schon deshalb eine Erfahrung nachrühmen, müsste man auch behaupten, alle jene toten Pergamentschriften, aus denen oftmals eine Voraussage ganz nach Wunsch herausfällt, weissagten infolge eigener Hellsicht. Weil jedoch aus den Codices ganz ohne deren Vermögen oft ein
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Spruch über die Zukunft hervorgeht, ist es auch nicht verwunderlich, wenn aus dem Geist eines Sprechenden ganz ohne sein Vermögen, vielmehr durch reinen Zufall irgend eine Zukunftsverkündigung herausspringt.“ Diese letzten Worte empfiehlt einerseits die Autorität Augustins, anderseits der Glaube. 9. Was aber hat all den Betrügern zum Erfolg verholfen, wenn nicht die allgemeine Dummheit und grenzenlose Begehrlichkeit, um nicht zu sagen: der Wahnwitz, zu wissen, was man nicht wissen kann und was zu wissen nicht weiterhilft? Wolltest doch wenigstens Du diesen anmassenden und unverschämten Menschenschlag, der einem ruhigen Leben entgegenwirkt, meiden, um, soweit als möglich, diese kurze Zeit frei von überflüssigen, sinnlosen Sorgen zu verbringen! Halte das für gewiss: Bevor Du die Bürde des Aberglaubens abwirfst, kannst Du ein heiteres Leben nur wünschen, nicht erlangen. Gegensätze schliessen sich aus; Furcht und Freude wohnen niemals beisammen. Lebe wohl! (1346)10
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Das selbe Wort steht weiter unten, wo deutlich gemacht wird, dass es Weissager, Astrologen meine. Aen. 4,65. Gell. Noct. att. 14,1,34. Der Dichter Accius lebte 170 bis ca. 86 v. Chr. Gell. Noct. att. 14,1,34. Pacuvius, Tragödiendichter, lebte 220 bis kurz vor 130 v. Chr. Proph. 41,23. Gell. Noct. att. 14,1,36. Der Rhetor Favorinus lebte von ca. 80/90 bis etwa Mitte 2. Jh. n. Chr. Amph. 5,2,1131 – 1134. De div. 2,71,146. Quaest. 83,45,2. Vgl. zur Datierung Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,9, an Matteo von Padua1 Gegen Trunksucht. 1.Vieles,was zum Thema gehöre, werde übergangen. 4. Hinweis auf ein Buch von Apuleius, dessen Meinung Petrarca ergänzt. Der erste Schritte auf ein Laster hin ist der entscheidende.
1. Ich schweige von dem, was gegen die Trunksucht mit unendlich vielen Worten gesagt werden könnte, nämlich wie schmutzig, wie gefährlich, wie jämmerlich diese Krankheit ist, oder ach wie mächtig der Widersinn, wissentlich die Vernunft, diesen einzigartigen Vorzug der Menschennatur, zu verschütten und in einem schäumenden Fass zu ertränken, dabei alle Gewalt über Füsse, Zunge und geistiges Vermögen aufzugeben, dafür einen zittrigen Kopf, unsichere Hände, triefende Augen und schweren Körpergeruch, ja auch alle anderen Folgen zu erwerben, mit denen ein Weingenuss von gestern dem heutigen Tag übel mitspielt. 2. Ich schweige von der Herrschaft der Begierde, vom Verlust der Manneswürde, vom Geschwätz und Gelächter der Menge und von der Abneigung und Verachtung von seiten der Guten. Ich schildere auch nicht die plötzliche Verwandlung, also nicht das völlige Versinken selbst gelehrter Leute in geistige Umnachtung, und nicht das kindische Benehmen von Leuten jeden Alters, womit sie sich den Spöttereien und Betrügereien aller aussetzen. 3. Ich rede nicht von den Ritzen eines bedrückten und rissigen Gemüts, das unter schwerer Last sich spaltet, weshalb ihm Geheimnisse entwischen, oft zum eignen und oft zum fremden Verderben, was wiederum schon vielen Tod und äusserstes Elend bereitet hat. Ich sage auch nichts von Jammer und hohler Freude, nichts von Zänkereien und Rechthabereien, nichts von Kopflosigkeit und unbesonnenem Zusammenstoss zwischen Unbewaffneten und Bewaffneten. Das übergehe ich als etwas allgemein Bekanntes, so sage ich, und überall Gehörtes. 4. Doch gibt es ein Buch von Apuleius von Madaura mit dem Titel „Florida“, und darin wird in einer witzigen Erzählung dargelegt, was der erste Becher bewirkt, was der zweite und so fort,2 und seiner Auffassung widerspreche ich nicht, doch ergänze ich sie immerhin. Ich weiss allerdings nicht, weshalb oder inwiefern man heute mehr trinkt als früher. Und wünschte nur, es fände alle Ausschweifung hierbei ihr Ziel! Aber man mag schauen, wohin man will: wir sind schwächlicher zur Tugend und tüchtiger zum Laster geworden. Meiner Meinung nach gehört also der erste Becher zum Durst, der zweite zur Freude, der dritte zum Vergnügen, der vierte zur Trunkenheit, der fünfte zum Zorn, der sechste zum Zank, der siebte zur Wut, der achte zum Schlaf und der neunte zur Krankheit. 5. Das solltest Du jenem Marcus Bibulus, nicht dem Kollegen von Iulius Caesar3 sondern dem Deinen, gegen dessen Laster und Ausschweifungen Du häufig
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ankämpfst, mit diesen meinen Worten berichten, sofern es ihm nützen kann! Wenn er sich untadelig vorkommt, weil er noch nicht zum letzten Grad von Trunkenheit gelangt ist, soll er wissen, dass man vor allem beachten muss, ob man sich – und wär’s nur um Haaresbreite – vom Gipfel der Nüchternheit und Mässigkeit entfernt hat, und nicht vor allem, bei welchem Schritt man so ins Rutschen kommt, dass man in die Tiefe stürzt. Zoll um Zoll kommen Tugend und Laster heran. Keiner wird ganz plötzlich der Beste oder der Schlechteste. Lebe wohl!4 (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Einziges Schreiben Petrarcas an diesen Adressaten. 2 Flor.20. Apuleius von Madaura zählt vier Becher auf. 3 Marcus Calpurnius Bibulus war Caesars Kollege im Konsulat von 59 v. Chr. Das Wort ist Eigenname und auch Adjektiv im Sinn von durstig, trunksüchtig. 4 Keine Datierung; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,10, an einen Freund jenseits der Alpen1 Schimpflich ist es, dem Tod aus Feigheit auszuweichen, um länger zu leben. 1. Freundespflicht erfordert diesen Brief. 2. Hinweis auf den herrschenden Krieg. 3. Der Angesprochene, wird aufgerufen, sich an die Seite des Königs zu stellen. 6. Der Tod ist nicht schlimmer als die Geburt. 9. Einwendungen und Antworten darauf. 10. Beispiele für ein überlanges Leben, das ins Unglück führt. 16. Bequemlichkeit rettet nicht besser als Tatendrang. 20. Das Abseitsstehen bringt dem Adressaten unter den waltenden Umständen sicheres Verderben. (-1339)
1. Die Treue bricht das Schweigen, und die Liebe drängt zum Sprechen. Zeuge ist mir Christus: Ich sehe mich gezwungen, Dir zu schreiben. Doch wenn es im gleichen Geist, wie geschrieben, auch gelesen wird, kann es mir Dein Wohlwollen und Dir die Achtung bei den Völkern vermehren. Wie könnte ich mir versagen (ausser mir fehlt das Recht, mich als Deinen Freund zu betrachten), wegen der grossen Gefahren, die ringsum lauern, Dich zu wecken, wenn Du schläfst, oder Dich aufzurütteln, wenn Du wachst. 2. Du weisst, welch ein gefährlicher Krieg2 zwischen den Königen der Gallier und der Briten eben ausbricht. Ohne Zweifel hat seit den Zeiten unserer Altvordern, ja, gewiss seit denen der Urahnen unserer Urgrossväter, innerhalb Europas sich nichts so Gewaltiges ereignet und sich den Tapferen kein so weites Feld für Heldentaten eröffnet. Alle Könige und Völker harren erregt auf den Ausgang des mächtigen Streites. Vor allem haben die Bewohner im Gebiet zwischen den italischen Alpen und dem Ozean, durch das ungeheure Getöse des nachbarlichen Aufruhrs erschreckt, zu den Waffen gegriffen. 3. Inmitten eines solchen allgemeinen Sturmes schläfst einzig Du, und so trifft Dich der Tadel Vergils3 und ruft Dir als Himmelsbotschaft zu: „… Kannst Du bei solchem Tumult denn im Schlafe verharren, Siehst darum nicht die Gefahren, die rings bedrohlich sich nähern?“ 4. Wahrhaftig, selbst wenn sich nichts anderes als die Scham empörte, müsstest Du Dich eiligst aufraffen. Woher hast Du die Stirn, woher den Mut, während andere bei sommerlicher Hitze mit Helm und Schild aufbrechen, fern vom Kriegsheer der Männer und umhegt von einer Schar Frauen, mit auserlesenen Speisen wohlgenährt und gehüllt in weiche Gewandung, im Schatten faul der Musse zu pflegen, obwohl Du einst, wie ich glaubte, nach Ruhm und Ehre begierig warst, Du, ein mächtiger und vornehmer, ein junger und kräftiger Mann? Was bitte hält Dich zurück? Liebst Du Gepränge und fliehst Du Beschwerden? 5. So höre das Wort eines sehr tapferen Helden, das Sallust4 uns vermittelt: „Gepränge schickt sich für Frauen, doch Beschwerden für Männer.“ Fürchtest Du Durst und staubbedeckte Wege und Schlangen und furchtbare Hundstagshitze? So
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höre das Wort eines nicht weniger tapferen, wenn auch weniger kriegerischen Mannes:5 „… Schlange und Durst und Hitze und Steppe: Kostbar sind sie dem Mut, und die Ausdauer freut sich der Härte.“ 6. Oder graut Dir vor Tod und Schwert? Darauf antwortet ein anderer Held:6 „… Tod, die letzte Beschwerde, Männer fürchten ihn nicht.“ Gewiss nicht heftiger, sage ich, ist er zu fürchten als Schlaf und Erholung! Und was unterscheidet den Geburtstag vom Todestag? Wirklich Beträchtliches! Der eine stürzt uns in die Mühsal des Lebens, der andere erlöst uns davon. Daher gibt es einen gewissen Brauch (er stammt aus der Schatzkammer der Philosophie), bei der Geburt der Seinen zu trauern und bei ihrem Tod zu frohlocken.7 7. Doch wir wollen nicht von allgemein verbreiteten Meinungen abweichen (obwohl jeder, der sein Heil sucht, möglichst weit von solchen abweichen müsste!). Nehmen wir an, der Tod sei zu fürchten, und horchen wir auf das allgemein bekannte Wort des Aristoteles,8 der Tod sei der letzte aller Schrecken. Absichtlich vermied er freilich zu sagen: „der grösste Schrecken“, und meinte bloss den abschliessenden. Doch angenommen, er sei der grösste! Glaubst Du, ihm dadurch zu entgehen, dass Du den Krieg oder wenigstens das Meer vermeidest? 8. Bekannt ist jenes Wort eines anderen Dichters:9 „Umsonst entgehn wir blutigem Kriegsgewühl, Dem Wellenschlag der brausenden Adria, Umsonst erfüllt uns herbstlich Wetter Immer mit Angst vor dem argen Südwind.“ Denn wie sorgsam wir unseren Leib auch hegen, wir müssen sterben. 9. „Doch das Sterben hinauszuschieben, ist eine allgemein verbreitete Neigung der Sterblichen.“ – Zugegeben! Und dass die allgemeine Dummheit eine Entschuldigung darstellt, weiss ich wohl. Aber erstens, ich bitte, wie winzig ist doch ein Aufschub! Zweitens, wie vielen und harten Zufällen ist ein solcher doch ausgesetzt! Wie vielen Menschen hat überdies ein langes Leben geschadet! Wie vielen wurde des Lebens Ruhm durch den Aufschub des Todes geschmälert! 10. Alltägliche Beispiele gibt es in Fülle; doch ehrenvoller ist es, an antike Beispiele, und erfreulicher, an die unsern statt an fremde zu erinnern. Hätte Tullus Hostilius10 etwas weniger lang gelebt, so wäre er nicht vom Blitz erschlagen worden. Nimm einem Tarquinius11 einige Jahre weg, und er wäre als König gestorben, nicht als Verbannter. Einem Appius Claudius12 hat ein verlängertes Leben Blindheit, einem Marius13 hat es Kerker und schändliche Flucht samt einem
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Unterschlupf in einem schlammigen Sumpf beschieden. 11. Wer wäre herrlicher als Pompeius,14 hätte sich sein glänzender Ruhm nicht durch die Länge seines Lebens und später durch den unwürdigen Tod verdunkelt? Was soll ich von den beiden Afrikanern15 sagen? Meinst Du nicht, der eine wäre weit besser vor den Mauern Karthagos und der andere vor den Toren Numantias16 umgekommen? Der ältere hätte sein undankbares Vaterland nicht mit einem schimpflichen Exil und einem berühmten Spottvers, der jüngere es nicht mit einem schmachvollen ungerächten Tod ins Unrecht gesetzt.17 Wie steht es mit Caesar Augustus, den man unter allen Menschen als den glücklichsten bezeichnen könnte? Wie viel glücklicher wäre er doch gestorben, bevor er die Ehebrüche seiner schon nicht mehr jungen Tochter und „seine Geschwüre“,18 die er oft verwünscht haben soll, zu zählen begann! 12. Ich übergehe Regulus,19 Cato und die andern, die ein edler Tod verklärt hat. Was Cato betrifft, sehe ich mich freilich gezwungen, anders zu denken als unsere Autoritäten, ich meine als Cicero und Seneca,20 und zudem wollte ich immerhin nicht, er wäre schon vor dem Bürgerkrieg gestorben; denn dann würden die zuverlässigsten Beweise für seine Standhaftigkeit, das sind die Ausdauer und die Gefahr, eines Teils ihrer Überzeugungskraft ermangeln. Somit bewundere ich den Unerschrockenen, bewundere ihn im Kampf mit den Schlangen; bewundere ihn bei seiner Irrfahrt durch Libyen;21 lobe seinen Freimut, – lobe jedoch nicht seinen Freitod und seine Verzweiflung. 13. Damit Du aber nicht denkst, ich übersähe die Vorbilder aus der Fremde, so höre: Herrlicher wäre Pyrrhos und herrlicher Hannibal22 gestorben, wäre ihnen beiden ein Grab in Italien beschieden worden; unselig war für sie beide die Rückkehr in ihre Heimat. Herrlicher wäre auch Kyros vor Erreichung der skythischen Grenzen gestorben, herrlicher Euer Brennus23 bevor er zur Gemarkung von Delphi gelangte. Wozu soll ich vom Gift des Mithradates,24 von den Wechselfällen eines Alkibiades,25 vom Exil eines Themistokles, von den Ketten eines Aristeides und von der Verbrennung eines Kroisos26 berichten? 14. Selten wird ein langes Leben von ebenso langem Glück begleitet, und wenn solches untergeht, kann einer nicht bloss glücklos sein, denn sein drückendes Ungemach wird sich durch seine Erinnerung an das entschwundene Glück noch verschlimmern. Und sollte uns persönlich im Leben nichts Schlimmes zustossen, müssten wir doch manches für die Unseren befürchten, was uns am Glücklichsein hindert. Glücklich wäre Priamos,27 glücklich Peleus und glücklich Nestor aus dem Leben geschieden, wären sie ihren eigenen Söhnen vorangegangen. Und damit auch Beispiele anderer Art nicht fehlen: Sokrates wäre nicht durch einen Giftbecher, Euripides28 nicht durch Hunde, Demosthenes29 und Cicero nicht durch das Schwert umgekommen, auch hätte nicht der Gedächtnisverlust einen Messalla30 und nicht die Lepra einen Plotinus31 befallen, wenn ein rechtzeitiger Tod den bevorstehenden Übeln zuvorgekommen wäre.
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15. Der Beispiele aber sind es genug, vor allem bei einer so unzweifelhaften Sache. Du siehst also, dass die Begierde nach einem längerem Leben blind ist. Man wünsche einen guten Tod, weil in diesem erwiesenermassen niemand sich täuscht und niemand Reue empfindet. 16. Nur weil die Gewohnheit erreicht hat, jederzeit selbst das Unheilbringende, sogar das unser Haupt Bedrohende, zu begehren, wird uns erlaubt, wie die grosse Menge zu fordern. Doch hoffst Du etwa, im trägen Wohlleben zu Deinem gewünschten Ziel zu gelangen? Dann wirst Du schwer enttäuscht werden! Wie viele wurden krank infolge eines übermässigen Schlafes, während die Arbeit und das Wachen sie am Leben erhalten hätte. Wie viele hat Essgier getötet, wie viele Trunksucht erstickt, während das Fasten sie hätte erhalten können. Alllgemein ist bekannt, dass mehr Menschen an ihrem Essen sterben als durch das Schwert. Mit welcher Speise man immer sich nährt, in welchem Erdenwinkel man immer sich versteckt, der Tod spürt einen auf, um unerbittlich seinen Tribut zu verlangen, zu erheischen, zu erpressen. Umsonst versuchen wir zu entwischen. Gehen wir dem Tod nicht entgegen, so holt er uns ein. 17. Überlege also, was ehrbarer und eines Mannes würdiger ist, sich zu verbergen und den unvermeidlichen Tod zu fliehen oder auf den kommenden zuzugehen und ihm das Geschuldete anzubieten, ja, dem Schicksal nachzulaufen, um nicht als Widerspenstiger mit Gewalt zu ihm hin gezerrt zu werden! Ach wie erbärmlich ist das Vergnügen an einer gar so kurzen Verzögerung! Wer wäre denn so lebensgierig, dass er nicht lieber gleich sterben, als das Leben um ein einziges Jahr in Ehrlosigkeit verlängern und die Ehre früherer Jahre zerstören wollte? Und wie sollte nicht erst recht schimpflich sein, aus lauter Todesfurcht ehrlos zu handeln, wenn man dafür nicht einmal ein ganzes Jahr sicher hinzugewinnt, ja kaum einen ganzen Tag? 18. Und wenn Du vielleicht denkst: „Ich würde wohl gehen, sofern ich damit nicht die Todesgefahr auf mich nähme“, so liesse sich das hören, sofern Du der Todesgefahr wirklich auszuweichen vermöchtest. Kann denn nicht – es gibt ja mancherlei Menschenschicksale und ihrer eine wunderbare Vielfalt – ein unverhofftes Fieberlein oder irgendeine Krankheit Dir leichthin das Leben entreissen, das Du dem König verweigerst? 19. Da es sich so verhält, ermahne und beschwöre ich Dich, endlich Dein Haupt zu erheben und um Dich zu schauen. Sehen wirst Du eine ungeheure Heerschar von Königen und Völkern unter den gewaltigen Zurüstungen wanken, um dahin zu stürzen, wohin die Macht Fortunas sie hinwirft. Für ein Zaudern fehlt die Zeit; Deine Feinde wachen; sie umstehen den König in steter Bereitschaft. Und wenn ihm der Sieg zufällt, wie wird er, Dir ohnehin schon früher – selbst wenn Du es nicht wissen solltest – abgeneigt, sich verhalten, wenn er bedenkt, wie Du in der gegenwärtigen Gefahr geschlafen hast? 20. Sollte aber die Sache einen anderen Verlauf nehmen – denn Fortuna wendet alles nach ihrem Belieben –, hoffst Du dann, aus Deinem gegenwärtigen Leben der Bequemlichkeit werde Dir Gefahrlosigkeit im heissen Ringen um den Sieg erspriessen? Du wirst da-
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stehen als einer, der nicht wollend sondern fürchtend abseits geblieben ist. Und so wirst Du mit jedermann in ein allgemeines Verderben verschlungen werden. 21. Glaube mir, es wird Dich jede Partei für einen Zuschauer des Kampfes ansehen, der sich nach dem Wink des Schicksals und dem Belieben eines Siegers zu drehen bereit war. Und so ist dann nirgends eine Gunst, doch überall Gefahr. Vorteilhaft wäre es, sich des Albanerführers Mecius32 zu erinnern; er wurde durch ein auseinanderlaufendes Viergespann des römischen Königs Hostilius33 zerrissen, weil er mitten unter den bewaffneten Parteien unentschlossen stehen blieb. Erhebe Dich, bitte, eile und kehre zur Pflicht, die Du vernachlässigt hast, zurück, solange noch Zeit ist. Bei der Erschütterung des Weltalls zu schlafen, das ist wahrhaftig dem Sterben ähnlicher als dem Ruhen. Ich hoffe, Du seist wohlauf.34 (-1339)
Anmerkungen 1 Wahrscheinlich handelt es sich beim Adressaten um Humbert von Vienne, den letzten Dauphin. Eine andere Persönlichkeit, die als Adressat in Frage käme, konnte bisher nicht gefunden werden. Humbert lebte von 1313 – 1355; er verkaufte die Dauphinée 1349 an Frankreich. Dotti meint, Vita 52, auch jene Persönlichkeit, die Petrarca 1337 auf Wunsch seines Herrn, des Kardinals Colonna, zur Grotte Marias von Magdala nahe Marseille geführt habe, könnte Humbert von Vienne gewesen sein.– Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Der „Hundertjährige“. 3 Aen. 4,560 – 561. 4 Vgl. Sal. Iug. 85,40. Der Held ist Marius. 5 Luc. Phars. 9,402 – 403. Gemeint ist Cato Uticensis. 6 Luc. Phars. 8,395 – 396. Erinnert wird an Pompeius den Grossen. 7 Val. Max. 2,6,12. Der Brauch wurde in Thrakien geübt. 8 Eth. Nic. 1115 a.26 – 27. 9 Hor. Carm. 2,14,13 – 14. 10 Dritter König Roms; wegen Vernachlässigung religiöser Pflichten vom Blitz erschlagen; vgl. Cic. De rep. 2,31.32; Liv. 1, 22 – 23. 11 Letzter König Roms; vgl. Liv.1,59,11. 12 A(p)pius, bedeutendster Römer seiner Zeit, war Censor 312 im 2. Samniterkrieg; vgl. Liv. 9,29 ff. 13 So im Kampf gegen Sulla; vgl. Cic. Pro Sest. 22,50. 14 Er wurde bei Pharsalos 48 geschlagen, nachher auf der Flucht ermordet. 15 Der ältere und der jüngere Scipio. 16 Stadt in Spanien. 17 Vgl. Val. Max. 5,3,2b,2d. 18 Als Geschwüre bezeichnete Augustus missratene Nachkommen; vgl. Suet. Aug. 65,10. 19 A(t)tilius Regulus, Römer, wegen seiner Treue zu seinem Vaterland 255 in Karthago gefoltert. 20 Cato Uticensis beging 46 v. Chr. Selbstmord. Cic. De off. 1,31,112; Sen. Ad Lucil. 13,14; 82,12. 21 Luc. Phars. 9,411 ff.
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22 Pyrrhos, Köng der Molosser, starb beim Versuch, Argos zu erobern; Hannibal nahm Gift, um den Römern zu entgehen. 23 Kyros, Perserkönig, von den Skythen besiegt, dann ermordet; Brennus, Fürst der Senonen, hier wohl gleichgesetzt mit dem König der Prauser, der bis nach Delphi vordrang und sich beim Andrang der Feinde tötete. Vgl. aber Val. Max. 1,1, ext. 9. 24 Mithradates (Mithridates) Eupator von Pontos, 120 – 63, ist gemeint; vgl. Val. Max. 6,9, ext. 4; 5,3, ext. 3. 25 Alkibiades, athenischer Staatsmann, so auch Themistokles und Aristeides, stark umstritten und oft hoch gefährdet. 26 Kroesos, letzter König der Lyder, berühmt für seinen Reichtum. 27 Es folgen Namen aus der Sage von Troia: Priamos, letzter König von Troia; Peleus, Vater des Achilles; Nestor, weiser Ratgeber vor Troia. 28 Griechischer Tragödiendichter. 29 Der bedeutendste Redner der Griechen. 30 Messalla, römischer Staatsmann und Redner, grosser Förderer der Literaten. 31 Plotinus, Begründer des Neuplatonismus; er starb an einer Seuche. 32 Liv. 1,28,9 – 10. 33 Vgl. Anm. 10. 34 Keine sichere Datierung möglich; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,11, an Guido Gonzaga, den Herrn von Mantua1 1. Über die verbindende Kraft der Liebe. 3. Ergebenheit habe Liebe gefunden. 4. Das bezeuge ein Brief des Adressaten an Giovanni von Arezzo. 5. Vorbilder für Fürstengunst aus der Antike. 7. Petrarca freue sich über die unverdiente Liebe. Am Ufer der Rhone, am 13. Januar (-1339).
1. Wahrhaft gross und wunderbar ist die Macht der Liebe, die so kräftig und so anhaltend mit zwar unsichtbarem, aber keineswegs unfühlbarem Gewebe Geringstes mit Gewaltigem verwebt und selbst das Unvergleichbare nach gleichen Gesetzen regiert. Warum sollte sie über Menschenseelen, die Empfindung und Verstand haben, kein Recht besitzen, da sie vernunftlose und unter sich streitende Elemente mit festen Bündnissen aneinander schmiedet? Die Luft würde sich nicht den Flammen, die Erde sich nicht den Fluten vermählen, die Flüsse würden nicht ihre Ufer, das Meer nicht seine Küsten, die Sterne nicht ihre Bahnen erkennen, wenn die allmächtige und – wie man sagt – heilige Liebe der Welt2 nicht alles miteinander verknüpfte. 2. Sie also, die den Himmel und die Erde nach gleichem Recht ordnet, scheidet nicht zwischen meiner Kleinheit und Deiner Hoheit. Eben das zeichnet sie aus, dass sie Ungleiches gleich zu machen versteht und kaum duldet, dass treue Liebe nicht Gegenliebe finde. 3. Erspürt hat Deine Erlauchtheit längst die Grösse meiner Ergebenheit, und dies nicht infolge irgendwelcher Taten von meiner Seite, sondern, wie man zu sagen pflegt, dank einem Ahnungsvermögen. Denn auch die Seelen haben ihre Augen, mit denen sie – die Schleier des Leibes durchdringend – einander betrachten. Und weil Du sie erspürt hast, Du Erlauchter, zwingt Dich die Liebe, dem Liebenden mit Gleichem zu vergelten. Das habe ich, wie früher schon oft infolge mancher Anzeichen, jetzt aber durch zwei Deiner Briefe, die mir Dein Kanzler Giovanni von Arezzo3 gezeigt hat, mit grösster Freude erfahren. 4. In diesen erkundigst Du Dich – und das ist höchst verwunderlich, denn Du hast den Überbringer ja wegen vieler und bedeutender Geschäfte hierher geschickt – nicht etwa nach dem Zustand der römischen Kurie (so entartet und unbegreiflich wie sonst nichts in unserer Zeit4), auch nicht nach den Geschicken Deiner mächtigeren Freunde, nicht einmal nach den Erfolgen Deiner eigenen Angelegenheiten, ja überhaupt nach nichts als nach mir und meinen Verhältnissen. Und Du tadelst jenen, weil er – um anderes besorgt – von diesem einen, das Du besonders und vor allem andern zu wissen wünschtest, geschwiegen habe. Und damit keiner glaube, Du habest nur beiläufig so gesprochen, hast Du in Deinen Briefen zwei Mal das Gleiche beanstandet. 5. Ich übergehe andere Dinge, die vielleicht für jene Leute verwunderlich sind, die kaum wissen, wie freundschaftlich einst Caesar Augustus, der Herr der Welt, einen Vergil (einen Bürger Deiner Stadt!), einen Mann geringer Herkunft, doch
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nicht etwa geringer Begabung, oder einen Horaz,5 freigelassen vom Vater her, doch freigeboren in der Schreibkunst, geliebt hat. Diese Leute werden auch die Briefe nicht gelesen haben, die jener Fürst an seine Freunde einfacher Herkunft wie von gleich zu gleich versandte und mit Freundlichkeiten vollstopfte. 6. Die Erinnerung jedoch an die Früheren nimmt vom Wunderbaren das, was sie an Beglückendem zufügt. Ich fühle ja, dass mir unter solchen Vorbildern ein Platz angewiesen und dass mir ein Zugang zu sehr grossem Ansehen eröffnet wird, wie denn einer dieser Freunde des Kaisers gesagt hat:6 „Schlechtester Ruhm ist es nicht, seinen Fürsten gefallen zu haben.“ 7. Immerhin taucht hier noch etwas anderes Erstaunliche auf: Während jene vieles besassen, um sich Gefallen zu verschaffen, habe ich an mir wahrhaftig nichts dergleichen. Denn wie sollte ich hoffen, anderen zu gefallen, da ich mir selber missfalle? Für glücklich erklären wir freilich eine Gattin, die zwar nicht schön ist, aber vor ihrem Gatten so erscheint, und für glücklich einen Knecht, den nicht seine Leistung adelt, jedoch eine besondere Gunst seines Herrn. So will ich denn, wer immer ich wirklich sei, nur weil ich Dir etwas zu sein scheine, dank Deiner Meinung mich glücklich heissen. Und habe ich nichts, womit ich Gefallen verdiene, so mag doch genügen, dass ich gefalle. 8. Danken würde ich Dir, müsste ich nicht an meiner Fähigkeit zweifeln, Deine Menschlichkeit in Worte zu kleiden. Was nämlich die Fähigkeit des Redenden überfordert, muss er klüglich beschweigen. Am Ufer der Rhone, am 13. Januar (-1339).7
Anmerkungen 1 Guido Gonzaga war der Sohn von Luigi I., dem Begründer der Macht seines Hauses, das in Mantua die Bonaccolsi verdrängte. Nach dem Tode seines Vaters amtete er als Generalkapitän unter der Oberhoheit der Visconti in Mantua von 1360 bis 1369. Er war ein Liebhaber der Dichtung. Vgl. Dotti, Vita 70 ff. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Cic. De am. 7,24. 3 Petrarca hat möglicherweise den Kanzler des Herrn von Mantua, nämlich Giovanni Aghinolfi, schon vor 1327 kennengelernt. Durch diesen können die Beziehungen zwischen dem Dichter und dem Haus Gonzaga hergestellt worden sein; jedenfalls befand er sich 1341in Avignon, als sich Petrarca da aufhielt. 4 Dies das übliche Urteil Petrarcas über die päpstliche Kurie in Avignon; es wird hier wohl daher eingeschoben, weil die Kurie den Wünschen der Gonzaga trotz der Aufhebung eines Kirchenbanns noch nicht völlig entsprochen hatte. 5 Hor. Serm. 1,6,45. Vgl. Don. Verg. vita; Suet. Poet. (Hor. vita). 6 Hor. Epist. 1,17,35. 7 Zur Datierung vgl. Anm. 3 und Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,12, an Marco (Portonario) aus Genua1 Ein öffentliches Amt sei kein Hindernis, religiös zu leben. 1. Die Gesinnung des Adressaten sei klar erkennbar. 2. Petrarca empfange ihn wie einen Heimkehrenden. 3. Erinnerung an ein früheres Versprechen. 4. Dass es noch nicht eingelöst werde, schade nicht. 7. Grosse Pläne führe man besser in reifem Alter als in früher Jugend aus. 9. Es gebe eine Zeit der Tätigkeit und eine der Beschaulichkeit. An der Quelle der Sorgue, am 1. Januar.
1. Dein Inneres, mein Bester, hast Du im Mass, als es sichtbar werden kann, in Deinem Brief offen dargelegt, und niemand kann so sprechen, wenn er nicht innerlich ergriffen ist. Ich spüre die Eindringlichkeit Deiner Rede – grosse Liebe hat Dir die Worte diktiert –, und ich eile Dir voll Verlangen entgegen und öffne dem Klopfenden heiter die Tore meiner Freundschaft. Doch was rede ich von „öffnen“, da sie Dir auf Deine schmeichelnde Bitte hin schon vor vier Jahren offen standen! 2. Ich erkenne meinen Marco wieder und umarme ihn mit Freuden. In Deinem Schreiben kehrst Du gleichsam aus der Ferne Deines Schweigens zu mir zurück. Und von Deinen damals aufblühenden Schösslingen pflücke ich jetzt die üppigste Fülle willkommenster Früchte! 3. Immer habe ich ja gehofft, aus einem solchen Jüngling möchte ein solcher Mann werden! Doch dass es so rasch geschehen könnte, das – ich gestehe es – hätte ich nicht erwartet. Übertroffen wurde meine Hoffnung durch Deine frühzeitige und mir darum nur desto liebere Mannhaftigkeit. Übrigens erinnere ich mich Deines innigst gehegten Vorhabens, das Du mir damals zu Beginn unserer Freundschaft mit nicht wenigen Worten vertraulich entdeckt hast. Und wenn es nachträglich geändert oder – was ich eher vermute – auf später verschoben wurde –, ist mir das nicht unlieb, sofern Du mir weiterhin festhältst, was Du aus tiefster Überzeugung versprochen hast, ich meine, in jedem Schicksal Gott zu lieben, ihm anzuhangen, ihn zu verehren und mit ganzer Seelenkraft nach ihm zu verlangen. 4. Ich mache Dir keine unzumutbare Vorschrift; der Weg, auf den ich Dich weise, ist ausgetreten. Wie viele hochberühmte Männer sind mit grosser Ehre durch die Stürme der Politik zum stillen Hafen des Einsiedlerlebens gelangt! Wie viele haben auch fern von diesem Hafen Anker geworfen und dort die Schiffahrt des gegenwärtigen Lebens aufs glücklichste vollendet! Der himmlische Töpfer kennt den Stoff, aus dem wir gemacht sind;2 er weiss, was uns und unserer Seele von Nutzen ist. Oft macht er uns in unaussprechlicher Weise bekannt, auf welchen Pfaden wir ihn aufsuchen sollen. 5. Du darfst also nicht verzweifeln, als hättest Du, gleichsam abirrend, „einen Pfad zur Linken“ beschritten – wie die Pythagoräer3 sagen – und als stünde Dein öffentliches Amt, das Du ausübst, der göttlichen Gnade, der Du nacheiferst, entgegen. Fahre fort und handle! Schwanke nicht, zaudere nicht und kehre Dich nicht ab von
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Deinem Heil! Beistehen wird Dir Jener, der Deine Zeit, die freilich nicht gemäss Deinen Anordnungen eintraf, unfehlbar von Ewigkeit her voraussieht. 6. Du hast keinen Grund, inzwischen zu fürchten, Du seist zu keinerlei Nutzen geboren worden; Du stehst ja mit Rat und Tat Deiner Vaterstadt bei. Sie hat Dich besonders in diesen Zeiten nötig und beansprucht für sich – gemäss Platon4 – zu Recht einen Teil Deines Lebens. Bekannt ist jenes durch Cicero überlieferte göttliche Wort meines Africanus,5 dass „gewiss allen, die ihr Vaterland hegen, erhöhen und beschirmen, im Himmel ein Platz bestimmt ist, damit sie da selig das ewige Leben geniessen.“ Und das folgende: „Nichts gibt es“, so sagt er, „was dem höchsten über die ganze Welt regierenden Gott auf Erden besser gefiele als die Ratsversammlungen und die durch Menschenrecht bestellten Gemeinschaften, die wir Gemeinwesen heissen.“ 7. Freilich, wenn für Dich, mein Freund, die heiss ersehnte Zeit gekommen ist, Dich nicht nur wie ein Marcus oder Ennius, sondern wie ein Ambrosius oder Arsenius6 vom Boden zu erheben und Dich mit kräftigen Flügeln in die Höhe zu schwingen,7 wirst Du eben das in der Tat vollbringen, was Du im Geiste schon lange tust, wirst jenen zum Helfer haben, der Dein Lehrer war, und, wie ich hoffe, dank höherem Alter und reifer Überlegung dann sicherer handeln, als Du es früher in einem unüberlegten, plötzlichen Entschluss knabenhaft versucht hättest. 8. Ein Wanderer geht völlig sicher voran, wenn die Gegend von Wegelagerern frei und gereinigt, der Pfad eben, festgefügt und das Wetter freundlich ist. Gleicherweise geht einer dann erst mit grösster Zuversicht seinem letzten Ziel entgegen, wenn sich in seinen ruhigeren und froheren Lebensjahren die Leidenschaften gelegt haben, der Vorsatz gefestigt und die Wallung jugendlichen Übermuts unterdrückt ist. Dies gilt, obwohl kein einziges Lebensalter verworfen und – wie ich gesagt habe – keine einzige Gattung irgendwelcher ehrenhaft beschäftigter Menschen gehindert wird, diesen Weg zu beschreiten. Und es gilt, obwohl feststeht, dass man – wie Plotinus8 meint – nicht allein durch die reinigende Kraft einer bereits gereinigten Seele, sondern auch durch politische Tüchtigkeit zum Himmel gelangt. Doch um gemäss unserem eigenen Lehrer zu sprechen: Die Sorge einer vielbeschäftigten Martha ist nicht zu verachten, obwohl die Beschaulichkeit Marias erhabener ist.9 9. Damit hast Du, mein Liebster, soviel sich in knapper Zeit auf eine Deiner Bitten hin sagen liess. Sie lautete ja, ich möge Dir für Dein Leben etwas Richtungweisendes schreiben. Hier hast Du, sage ich, nur soviel, als ausreicht für die Zeitspanne einer einzigen frühmorgendlichen Vigil.10 Wenig ist es, doch wohl allgemeingültig, wenn ich noch anfüge: Sehr kurz erscheine den Philosophen der Weg zur Tugend, wenn man bemüht sei, so zu werden, wie man zu scheinen begehrt. Und noch dieses andere, vielleicht Wirkungsvollste:11 denn sie meinen auch, das ganze Leben gebildeter Menschen sei nichts anderes als eine Beschäftigung mit dem Sterben. Soviel für den Augenblick, nicht um Dich zu belehren, sondern um Dich zu ermuntern und an Bekanntes zu erinnern.
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10. Im übrigen wolltest Du, dass ich Dich kräftig meinem Gedächtnis empfehle und in meinem Herzen festhalte, um Deine Worte zu verwenden. Dass dies schon vor langem geschehen ist, sollst Du vertrauen. Schon als ich Dir erstmals begegnete, habe ich Dein Bild tief in meiner Brust in den härtesten Stahl gegraben, wo es unzerstörbar besteht. Kein Tag wird es wegnehmen, kein Ort es herausreissen. Zum Schluss will ich Dir zu Deiner Tüchtigkeit und Deinem Glück beste Wünsche aussprechen. Durch beides hast Du die enge Bekanntschaft und Gewogenheit eines grossen Regenten gewonnen. Und für die Achtung, die Du einem Greislein12 schenkst, sei Dir Dank gesagt. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 1. Januar.13
Anmerkungen 1 Über den Adressaten ist nichts anderes bekannt, als was man durch Petrarca erfährt. An ihn sind auch Fam. 17,9 und 20,4 adressiert. Der Dichter warnt da vor einer zu grossen Verehrung für seine Person und erklärt nachher, es sei nicht an ihm, das Rechtsstudium zu empfehlen. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. Rom. 9,21; Ecclesiasticus 27,6 und 33,13. 3 Vgl. Lact. Div. inst. 6,3,6 ff. 4 Cic. De off. 1,7,22. 5 Macr. In Somn. Scip. 3,4. Cic. De rep. 6,13,13. 6 Der Höhenflug eines Cicero und Ennius bedeutet nur literarischen Ruhm; dagegen haben Ambrosius und Arsenius, Staatsmänner höchsten Ranges, sich einem vollkommenen christlichen Leben zugewandt und sich dadurch noch höher erhoben, Ambrosius als Bischof von Mailand und Arsenius als Einsiedler. 7 Vgl. Verg. Georg. 3,9. 8 Plotinus, Neuplatoniker; vgl. Macr. In Somn. Scip. 1,8,5 – 13. 9 Eigene Lehrer: christliche; gemeint sind hier der Evangelist Lucas und seine Ausleger. Martha bedeutete nach verbreiteter Auffassung ein tätiges Leben, Maria ein beschauliches; vgl. Lc. 10,41 f. 10 Dies ist eines der mönchischen Stundengebete. 11 Cic. Tusc. 1,1,75; 1,30,74. 12 Petrarca meint sich selber. 13 Ein Jahr lässt sich nicht bestimmen; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,13, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Die Gicht treffe man bei den Reichen. 1. Es bestehe guter Grund, eine Fabel zu erzählen 8. Der Adressat leide an der Gicht, was bedenklich stimme. Ratschlag, auf Wein zu verzichten. 9. Reichtum fördere die Gicht. Mit dem Ideal eines Bettelmönchs sei er nicht vereinbar. 11. Freiwillige Armut sei der einzige Weg zur Gesundung. An der Quelle der Sorgue, am 22. Juni (nach 1337).
1. Ein Altweibermärchen, wie Flaccus sagt,2 will ich Dir vorschwatzen, und zwar aus gutem Grund. Eine Spinne zog einmal ihres Weges und traf zufällig auf das Zipperlein. Sie fragte: „Wohin so trübselig?“ Darauf antwortete dieses: „Einen bäurischen, unordentlichen Wirt hatte ich von Ungefähr erlost; der quälte mich mit Hunger und unablässiger Mühe. Von morgens bis abends hielt er mich zwischen Erdschollen und Steinen so eisern fest, dass wir kaum vor der Nacht seine schmutzige und elende Hütte aufsuchten, immer in jämmerlichem Zustand und nie anders als mit zerrissenen Schuhen, aber beladen mit schwer drückenden Lasten. 2. Dann folgte auf den unglücklichen Tag eine keineswegs bessere Nacht. Mit einem kümmerlichen Mahl, nämlich mit alten Brocken von schimmligem und steinhartem Brot, mit Knoblauch und zähem Kohl verpflegte er mich und übergoss trübes Wasser mit Essig. Ein Festtag war es, wenn ein sardinischer Käse dazukam. 3. Nach solcher Behandlung legte er mich endlich auf einen Schragen, härter sogar als sein Äckerlein. Beim Morgengrauen stand er auf und zwang mich wieder zum Gang aufs Feld und zur verhassten Arbeit. So hetzte ein Tag den andern; niemals war da Ruhe, niemals Hoffnung auf Ruhe. An Sonn- und Feiertagen wusch er die Schafe, besserte am Bach den Weg aus oder umzäunte das Brachfeld. Aus diesem unaufhörlichen Elend und dieser Hütte, die meinen Gewohnheiten so gänzlich zuwider ist, fliehe ich voll Ingrimm.“ 4. Als die Spinne das gehört hatte, sagte sie: „Ach, wie verschieden ist doch meine Lage! Ich hatte einen verzärtelten, verweichlichten Wirt, bei dem das Wohlleben nicht bloss das höchste Gut, sondern das einzige war. Selten setzte er einen Fuss vor die Türe; sein Abendessen dauerte bis zum Morgengrauen, sein Mittagessen bis zum Abend; die übrige Zeit gehörte einem auf purpurnen Kissen erkünstelten Schlaf. Denn was nach Gelagen und Schwelgerei davon noch übrigblieb, genehmigte er der Ruhe. Für ihn gab es auserlesene Speisen, fremdländische Düfte, exotische Weine, goldene Gefässe, mit Edelsteinen besetzte Pokale, mit Seide bespannte Wände, mit Purpur belegte Böden und all das unter der ständigen Aufsicht einer grossen Dienerschaft, die fortwährend herumlaufend überall zugegen war. 5. Keine Stelle im Haus blieb unbeachtet, kein Winkel blieb unberührt; und indem man den Boden mit Besen fegte und von der getäfelten Decke den Staub herunterwischte, liess man mir kaum einen Platz, meine kunstvollen Gewebe anzubringen.
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Und was das Traurigste war: Kaum hatte ich mein Werk auch nur angefangen, sah ich bei meinen ersten Anstalten meine Hoffnung schon vernichtet und meine Mühen vereitelt. Ich Unglückliche wurde verfolgt und hastig verscheucht; ich suchte Ritzen und fand keine. Die aus weissem Marmor gefügten Mauern gestatteten mir Armen keinen Unterschlupf. Daher bin ich vor den Verfolgern geflohen, um den endlosen Mühen dieses Hauses ein ruhiges Exil an irgendeinem Ort vorzuziehen.“ 6. Als sie das gesagt hatte, antwortete das Zipperlein: „Ach, wie viele gute Dinge gibt es doch, die teils durch Unwissenheit, teils durch Nachlässigkeit verloren gehen! Die Unwissenheit ist eine Blindheit des Verstandes, die Nachlässigkeit eine Stumpfheit der Seele. Man muss die Augen aufmachen und ja nicht das Heilsame, das sich anbietet, von sich wegschieben. Sieh nur, aus meiner Rede und Deiner Antwort ergibt sich, dass unsere gegenwärtige tief traurige Lage unsere beste wird, sobald wir unsere Gaststätten tauschen. Dein Wirt muss sich für mich und der meine für Dich vorzüglich eignen.“ 7. Der Rat gefiel; die Häuser wurden getauscht, und so ist es gekommen, dass das Zipperlein unter den Lustbarkeiten und in den Palästen der Reichen, die Spinne dagegen im Schmutz und in den Hütten der Armen wohnt. 8. In Dein Haus, so höre ich, mein Freund, habe sich das Zipperlein eingeschlichen; das wundert mich. Ich hätte nicht gedacht, dass in einem so nüchternen Haus für solches ein Platz sei, und scheue mich zu denken, es könnte sich da etwas finden, worauf es ein Recht hat. Sollte das wahr sein, würde mich weniger das Übel als die Ursache des Übels erschrecken. Lieber wollte ich gar, zu Gast wäre bei Dir die Spinne. Wehren muss man den Anfängen. Kein Mittel ist hilfreicher als Wachen, Arbeiten und Fasten. Ich habe einen gichtkranken Jungen gekannt und habe ihn später als alten Mann frei von Gicht wiedergesehen, habe nach dem Grund gefragt und keine andere Antwort erhalten, als er habe auf Wein vollkommen verzichtet. 9. Cicero3 berichtet, was andere nach ihm auch sagen, Leute, vorerst reich, aber wegen ihrer Gicht invalid, seien später, als arme Leute, gesund geworden. Ich wage nicht, Dir die Armut anzubefehlen; denn zu befehlen ist auch nicht nötig, wenn Du vernünftig bist. Unter anderem hast Du, wie ich weiss, die freiwillige Armut gelobt. Oder täusche ich mich? Zweifellos gibt es innerhalb eines religiösen Ordens und vor allem innerhalb der Zelle eines Bettelmönchs keinen Platz für Reichtum. Denn Wohlhabenheit und Bedürftigkeit wohnen nicht beisammen. Wird die Armut weggejagt, kannst Du, wie ich fürchte, nicht so wohl Gold aufhäufen als „Zorn auf den Tag des Zornes“.4 10. Überlege das bei Dir selber! Du kennst den Bund sehr genau, durch welchen Du Christus verpflichtet bist. Hast Du ihn vergessen, so überlies die Handschrift dieses Paktes, und Du wirst darin finden, was Du Ihm versprochen hast und was er Dir.
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Gewiss, ich befehle Dir nicht, arm zu sein. Aber ich unterlasse das nicht deshalb, weil es Dir keinen Nutzen brächte, von mir einen ehrlichen Rat anzunehmen oder weil mir nicht anstünde, diesen zu geben Vielmehr reut mich, Worte zu verschwenden und zwecklos zu reden. Mir ist ja klar, dass Du ohnehin den gefürchteten und verachteten Stand der Armut, dem Du immerhin beigetreten bist, nicht nach Belieben verlassen kannst. 11. Nur das will ich Dir raten, wirklich wie ein Armer zu leben. Dabei denke ich an die von den Philosophen als Genügsamkeit bezeichnete, also freiwillige Armut.5 Diese rate ich Dir an; diese bezeichne ich Dir als den einzigen Weg zur körperlichen Gesundheit. Ich stehe als ein zweiter Hippokrates6 vor Dir und biete Dir eine vielleicht bittere aber heilkräftige Arznei an. Willst Du gesund sein, lebe wie ein Armer! Das Gold im Kasten schadet einzig der Seele; aber die allzu angenehme Lebensart schadet sowohl der Seele wie auch dem Leib. Willst Du also von der Gicht befreit sein, vertreibe die Annehmlichkeiten, und willst Du Dich von jedem Übel befreien, vertreibe den Reichtum! Und lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 23. Juni (nach 1337).7
Anmerkungen 1 An diesen Adressaten waren schon Fam. 2,5 bis 2,8 gerichtet. Von der Gicht des Ordensmannes spricht später Fam. 6,3,48, aber auch von der Armut und dem Armutsgelübde ist da wieder die Rede; vgl. 6,3,47. 2 Hor. Serm. 2,6,77 – 78. 3 Diese Mitteilung scheint nicht von Cicero zu stammen. 4 Rom. 2,5. 5 Sen. Ad Lucil. 17,5. 6 Hippokrates aus Kos, ca. 460 – 370, berühmtester Arzt der Antike. 7 Der Terminus post quem ergibt sich aus dem Umstand, dass der Dominikaner, geboren ca. 1298, erst 1337 aus der Provence nach Rom zurück reiste. Er starb 1343.Vgl. oben Fam. 2,5 und vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 53.
Fam. 3,14 (ohne Adressaten) Geldverlegenheit macht Hilfe unmöglich. 1. Abwehr gegen alle Herrschaft des Geldes. 2. Streit mit dem Geld um Vormacht. 3. Geld zu leihen sei Petrarca nicht möglich. 5. Doch Armut herrsche nicht in seinem Haus. 7. Die Mitte zwischen Armut und Reichtum zu halten, sei ein dankenswertes Los. Am 31. Dezember.
1. Dem Nacken der Könige hat das Geld sein Joch auferlegt; ich aber wehre mich dagegen mit ungehemmter Entrüstung. Nicht zulassen werde ich, so Gott mir hilft, dass mein Geist, zu Höherem bestimmt, sich Metallstücken beuge. Deshalb allerdings weigert sich das Geld, dem ich den Vorrang versage, mir zu dienen, und weil es mich nicht als seinen Knecht zu besitzen vermag, erträgt es mich nicht als seinen Meister. 2. Zu schwach ist meine Rede: Es ist hochmütiger, als ich gesagt habe. Denn es will mich weder als Meister, noch als blossen Gefährten ertragen; meinem Befehl widersetzt es sich, und meine Freundschaft duldet es nicht. Es bricht Riegel auf, löst Knoten und höhnt über das Schloss an meinem Kässelchen. Meine ich, dieses verriegelt zu haben, entrinnt mir das Geld unversehens durch irgendwelche Spältchen. Das halte ich zwar oft für lästig, aber doch immer auch für rühmlich, weil ich ja ringsum sehe, an was für Sklaven es sich zu ergötzen und bei was für Leuten es Herberge zu suchen pflegt. 3. Bei solchen Umständen wirst Du verzeihen, wenn ich, was mir peinlicher ist als Dir, Deine augenblickliche Notlage nicht mit Geld beheben kann. Immerhin darfst Du nicht denken, Dein Schreiben habe zu nichts geführt, vielmehr sollst Du wissen, dass bei mir eine Menge bester Pfande für Dich bereit liegt. Sie Dir zu überbringen, war jedoch Dein Bote durch keinerlei Künste zu überreden. Darum gebiete ihm, zu mir zurückzukommen, und zwar als ein Willfähriger. Sonst schicke ich Dir den meinen. Dabei möchte ich unsere wunde Stelle doch niemandem entdecken als einem Arzt. 4. Übrigens will ich beifügen, dass mit Deinem Brief uns beiden geholfen wird, wenn auch eher in ironischer als vergnüglicher Weise. Ich erlange in meiner Not eine Erleichterung, denn ich freue mich zwar nicht, dass ich in der Bedrängnis Dich zum Gefährten habe, wohl aber, dass man an mir nicht tadeln darf, was ein angesehener Herr mit mir gemein hat. Du deinerseits wirst einer peinlichen Entschuldigung enthoben. Wie, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärest? Schon hatte ich die Feder in der Hand! Denn damit von unserer Habe nichts in das begehrliche Haus eines Wucherers gerate, hatte ich beschlossen, bei Dir anzufragen, ob Du meinen Bedürfnissen zu Hilfe kämest. 5. Was soll ich sagen? Sehr weitschweifige Abhandlungen und reichhaltigste Sammlungen philosophischer Weisheit, dank welchen die Gemüter
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gegen die Schläge des Schicksals gewappnet werden, kenne ich und weiss, zu ihnen gehört nicht zuletzt die Armut! Und obwohl diese in unserem Revier nicht heimisch ist, gilt doch, was Flaccus1 sehr gewandt formuliert hat: „Knappheit leidet ja stets Mangel an irgendwas.“ Deshalb könnte hier zu unserem, ja zum allgemeinen Nutzen manches angefügt werden. Doch ich übergehe es absichtlich, um nicht der verbreiteten Sitte jener Leute zu verfallen, die anstelle von Handfestem bloss Worte spenden. 6. Gering ist ja die Freundschaft, die statt erbetener Hilfsmittel Ratschläge austeilt. In gewissen Fällen, die bei mir zu Hause häufig sind – da aber höchst selten wären, hätte nicht eine edlere Sorge zur Sorglosigkeit im Häuslichen verleitet –, braue ich mir mancherlei Heilmittel selber oder erstehe fixfertige bei besseren Kennern; und dennoch bleibt vielfach am wirksamsten meine Erfahrung, dass zwar durchaus jedes Los seine Beschwerde hat, aber auch sehr wahr ist, was Wahrheitssuchende für richtig halten: Jedes Leben, sogar das scheinbar glücklichste, sei eine andauernde Plackerei, und schaue man genauer zu, sei am beschwerlichsten und anstrengendsten just der Zustand der Reichen. 7. Dagegen ist zwar hart aber in hohem Mass gefahrlos und unbeschwert die Armut. Und die Mitte zwischen beidem ist das Beste. Zu den seltensten, mir zugeteilten Gottesgaben rechne ich eben dieses Mittelmass und wünsche mir dazu Glück. Wenn ab und zu etwas fehlt, kann uns die himmlische Freigebigkeit gerade durch den Mangel an einem Einzelding die Vielzahl ihrer Geschenke in Erinnerung rufen und uns mit einem kurzen Auskosten von Bitterkeit die sonst übliche Wohlfahrt um so liebenswerter machen. Sollte nun aber vieles, sollte alles fehlen, würde ich doch mit Zuversicht glauben, es sei seliger, redlichen Mangel zu leiden, als schmählichen Überfluss zu haben; und übrigens kenne jener den wahren Wohlstand nicht, der einer ehrbaren Dürftigkeit einen unehrenhaften Reichtum voranstelle. Lebe wohl! (Am 31. Dezember)2
Anmerkungen 1 Carm. 3,24,64. 2 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 54.
Fam. 3,15, an einen streitbaren Freund Gute Menschen solle man sich zu Freunden machen. 1. Nur wenige Menschen seien gut. 4. Die Stoa mache keinen fehlerfrei. 6. Habe einer mehr Vorzüge als Schwächen, solle man ihn zu gewinnen suchen. 8. Warnung, üblen Menschen den Kampf anzusagen.
1. Bemühe Dich, bei allen Guten sehr beliebt zu sein. Du brauchst nicht zu befürchten, Du hättest dann allzu viele Freunde und mein Rat bringe Dir allzu viele Verpflichtungen. Ich behaupte: Selbst wenn Du Dir alle Guten zu Freunden gemacht hast, wirst Du nur wenige haben:1 „Wenige nur sind gut, kaum zählt man so viele, als Theben Tore besitzt und es Mündungen gibt für den mächtigen Nilstrom.“ Wer, so fragst Du, sagt das? Was tut es zur Sache, sofern Du nur zustimmst! Was fragst Du nach dem Autor? Alles Wahre ist, wie Augustinus2 sagt, Wahrheit von der Wahrheit. Auch ich sage das. Willst Du es bestreiten? Es sagt das die Wahrheit, die zu lügen nicht imstande ist. Verlangst Du aber den sterblichen Autor zu kennen: Es ist einer, der in solchen Dingen aufs beste bewandert ist, Iuvenal;3 dieser eben hat die Sitten der Menschen aufs gründlichste erforscht. 2. Glaubst Du ihm nicht, so höre einen andern, durch dessen Mund Jener redet, der die Menschen nicht allein kennt, nein auch geschaffen hat. Was aber sagt er? 4 „Keiner ist, der Gutes tut, keiner bis zum letzten.“ Der Dichter sagte „wenige“, der Prophet sagte „keiner“, und jeder nach seiner Auffassung durchaus richtig. 3. Doch um nicht einfach zu verzweifeln, dass sich vielleicht einige Gute entdecken lassen (denn wenn wir an allen verzweifeln, sind wir selber notwendigerweise in die Verzweiflung eingeschlossen), so stelle Dir vor, es gebe einige, die nicht nur gut, sondern vorzüglich seien. Und zum Ausgleich der beiden gegensätzlichen Ansichten vernimm, was Flaccus5 gleichsam als Schiedsrichter vorbringt: „Niemand kommt ohne Laster zur Welt; der Beste ist jener, Der mit den wenigsten kämpft.“ 4. So ist es tatsächlich, auch wenn die Stoiker das anfechten, indem sie verheissen, sie würden aus den Herzen alles Übel mitsamt den Wurzeln herausreissen. Grossartige Ärzte wären das, wenn sie die Versprechen nur wirklich erfüllten! Doch im Leben der Menschen, wo man Freundschaften suchen muss, weiss man dank seiner Erfahrung, dass jedes Herz, mag es durch Heiterkeit und Ruhe noch so ausgezeichnet sein, ab und zu wenigstens durch leichte Störungen aufgewühlt und durch irgendwelche Verwirrung menschlicher Umstände erregt wird. 5. Übrigens ist es wie beim
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Kriegsschiff, das auf hoher See hin- und her schwankt: Es wird nicht sinken, und eben das ist es, was wie dem Schiff so auch dem Herzen zum höchsten Lobe gereicht. So kommt es –was die Stoiker leugnen –, dass im irdischen Leben, welches zweifellos nichts Vollendetes aufweisen kann, eine volle Gesundheit durch eine leichte und heilbare Schwäche ersetzt ist. 6. Deshalb solltest Du Dir – um zum Thema unseres Schreibens zurückzukehren – aus aller Art von Menschen nicht Freunde ohne Fehler erwerben wollen, aber mit allen Dir möglichen Künsten solche, die weniger Fehler als Vorzüge haben; denn auch solche sind äusserst selten, wie Du merken wirst. Das wird Dir am besten in der Nachahmung ihrer Sitten und in der Angleichung an ihre Bemühungen gelingen. 7. Dagegen solltest Du den Schlechten, deren es eine gewaltige Menge gibt, weder Freund noch Feind, ja nicht einmal bekannt sein. Nur Dein Äusseres sollen sie betrachten können; Dein Inneres bleibe ihnen unbekannt. Befolge den Ratschlag dessen, der mahnt,6 es möge in unserem Innern alles von der Menge verschieden sein, und nur unser Äusseres ihr entsprechen. Sollen jene doch denken, dass Du handelst wie alle! Wenn Du nur Deine eigene, andersartige Bemühung bewahrst und immer nach Grösserem trachtest, wirst Du mitten unter Gefahren der Welt am sichersten fortkommen, dabei freilich nur wenigen teuer, vielen unbekannt, aber niemandem verhasst sein. 8. Und denke nur ja nicht, ich hätte Dir jetzt ganz zufällig diese Weisheiten vorgebracht. Vielmehr höre ich, Du habest unehrenhaften Leuten einen gewaltigen Krieg und unerbittliche Gegnerschaft angesagt, wobei unsicher bleibt, ob Du sie bekehren oder ausrotten wolltest. Beides ist gleichermassen unmöglich, wenn ich nicht gar meine, man könne sie eher ausrotten als bekehren. 9. Die Schärfe Deiner edelmütigen Entrüstung gefällt mir, aber gar nicht gefällt mir ein sinnloses Streiten und eine nutzlose Anstrengung. Und wenn schon vernünftig ist, eine überflüssige Mühe zu meiden, was soll man dann von einer Mühe denken, die nichts hervorbringt ausser Hass? Blase zum Rückzug, ich bitte Dich! Andernfalls sei Dir wenigstens bewusst, dass Du viele Legionen benötigst! Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Iuv. Sat. 13, 26 – 27. Sol. 1,15,27, Vgl. Anm. 1. Ps. 52,4; Rom. 3,12. Serm. 1,3,68 – 69. Sen. Ad Lucil. 5,2.
Fam. 3,16, an Paganino von Mailand1 Die erwünschte Hilfe könne nicht geboten werden; der beste Rat lautet, im Unglück Geduld zu üben. (1346 – 1348)
1. Ach, wie vieles könnte man jetzt auf Dein Schreiben erwidern! Doch weder habe ich Zeit dazu, noch bedarfst Du einer Hilfe durch blosse Worte. An ein andersartiges Heilmittel denke ich. Gross ist Fortunas Macht und nicht geringer ihre Schnelligkeit.2 Dabei ist freilich von all dem, was man aus Büchern oder mitten aus dem Menschenleben gewinnt – es ist vieles und Verschiedenartiges – dies das Wichtigste. 2. Hart ist, ich gebe es zu, und beschwerlich und unerquicklich, was Du erleidest; aber in allen schwierigen Lagen gibt es wenigstens eine Erleichterung: Sie liegt in der Geduld. Darum solltest Du Menschenwerk geringachten, solltest Dich erinnern, dass Du auf den Kampfplatz dieses Lebens nicht zur Erholung, sondern zur Ertüchtigung herabgestiegen bist, solltest mit grosser Anstrengung das Widrige ertragen und bedenken, dass der Soldat gerade in der Schlacht, der Schiffer im Sturm und der gute Mensch in allen bösen Tagen seine Fähigkeit dartut. Lebe wohl. (1346 – 48)3
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 3,7 und das folgende Schreiben 3,17. Paganino war Podestà in Parma, wo sich Petrarca 1347/48 aufhielt. Er war mit Petrarca aber wohl schon früher bekannt. 2 Möglicherweise wird auf eine Auseinandersetzung des Podestà Paganino mit Luchino Visconti, dem Herrn von Mailand, angespielt. 3 Paganino starb 1349 an der Pest.
Fam. 3,17, an Paganino von Mailand1 Bei Hilfeleistungen sei Vorsicht nötig; Undank sei häufig und verwandle die Menschen in unerwarteter Weise.
1. Ich möchte wahrhaftig nicht abraten, einer völlig gerechten Bitte zu entsprechen. Doch dazu ermahne ich Dich, die Augen vorn am Kopf zu haben, nämlich anders als ich, der sie bisher hinten am Rücken trug. Nichts ist erfreulicher, nichts angenehmer, als einem wohlverdienten und bedürftigen Menschen Hilfe zu gewähren; anderseits nichts betrüblicher, als das unerwartete Versagen eines Undankbaren. Man bedarf nicht allein grosser Klugheit, sondern auch grossen Glückes, um angesichts der vielen Schlupfwinkel im menschlichen Herzen die echten Gesinnungen von den geschminkten zu unterscheiden und ihren Wert zu erkennen, noch bevor man erfahren hat, wessen Bitten ehrlich und wessen Tränen kummervoll, oder aber umgekehrt wessen Notlage erdichtet und wessen schöne Reden erheuchelt sind. 2. Ein Grossteil der Menschen hat die Eigenheit, in der Erwartung des Gewünschten wohlüberlegt und beflissen zu sein, jedoch beim Danksagen träge und vergesslich. Eine so bedeutende und plötzliche Wandlung vollzieht sich in den Gemütern, dass der Bettler vom Morgen schon am Abend als Besitzer des Gewünschten nicht mehr zu erkennen ist. Darüber sagt der Ecclesiasticus:2 „Bevor einer empfangen hat, küsst er die Hände des Spenders und erniedrigt sich zu Versprechen; kommt aber die Zeit der Rückerstattung, verlangt er Aufschub und ergeht sich in Worten der Unlust und Auflehnung“. Du kennst das Folgende. 3. Doch dass man unter Undankbaren lebt, ist immerhin kein Grund, von Hilfe abzusehen; die Tugend würde sonst durch das Laster überwunden. Um so vorsichtiger muss man zu Werke gehen. Du aber lebe wohl, und was Du tun willst, überdenke, während Du Zeit zum Ändern hast. Nachher ist das Überlegen vergeblich. (Kein Anhaltspunkt zu einer Datierung)
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Ecclesiasticus 29,5 – 6.
Fam. 3,18, an Giovanni dell’ Incisa1 Über Bücher und Büchersuche. 1.Petrarca habe manche Leidenschaften überwunden. 2. Doch an Büchern habe er nie genug. 3. Über eine Besonderheit der Bücher. 4. Beispiele, wie eines auf das andere hindeutet. 9. Es gibt die „vornehmere“ Begierde. 10. Verschiedene Arten von Bibliophilen. 13. Die Bibliothek von Sammonicus Serenus. 14. Bitte um Hilfe beim Suchen. (1346)
1. Was bisher meine Vergesslichkeit und Trägheit oft versäumt haben, Bruder, das will ich jetzt in Angriff nehmen. Wenn es erlaubt ist, sich vor Dir zu rühmen, so rühme ich mich in Jenem, in dem allein das Rühmen gefahrlos ist.2 Schon hat die göttliche Liebe mich – wenn zwar nicht als ganzen, aber doch zum Teil – aus fast allen Feuerbränden menschlicher Begierden herausgetrissen. Ein Himmelsgeschenk ist das, möge es auch die Güte der Natur oder die Zeit vermittelt haben! Dank vielen Erlebnissen und vielem Nachdenken beginne ich endlich einzusehen, was die Anstrengungen wert sind, durch welche das sterbliche Geschlecht in Hitze gerät. 2. Damit Du immerhin nicht glaubest, ich sei aller menschlichen Anfechtungen gegenüber gewappnet, so sieh, wie eine unstillbare Gier mich noch immer gefangen hält, die ich bisher in der Tat weder zügeln konnte noch wollte. Ich rede mir nämlich heuchlerisch ein, die Gier nach etwas Ehrbarem sei nicht unehrbar. Du möchtest die Art meiner Krankheit vernehmen? An Büchern kann ich nie genug bekommen. Dabei besitze ich wohl bereits eine grössere Zahl, als nötig ist. 3. Doch wie mit andern Dingen, so geht es auch mit ihnen: Der Sammlererfolg ist der Habsucht ein Ansporn. Überdies haben die Bücher etwas Besonderes an sich. Gold, Silber, Edelsteine, Pupurgewand oder Marmorhaus, bestellter Acker, Gemälde, reichgezäumtes Pferd und Dergleichen verleihen ein bloss stumpfes und seichtes Vergnügen; die Bücher dagegen erfreuen bis ins Innerste, vermitteln ein Zwiegespräch, geben Rat und verbinden sich mit uns in einer Art lebendiger und inniger Vertrautheit. Und nicht nur empfiehlt den Lesern ein jedes sich selbst, nein, es flüstert ihnen auch die Namen anderer ein, indem das eine das Verlangen nach den anderen weckt. 4. Beispiele müssen das erläutern. Einen Marcus Varro hat mir Ciceros „Academicus“3 teuer und liebenswert gemacht. Den Namen Ennius hörte ich in den Büchern „Von den Pflichten“.4 Die Liebe zu Terenz habe ich bei der Lektüre der Schrift „Tusculanische Gespräche“5 gewonnen. Catos Buch „Von den Ursprüngen“ und Xenophons Buch zur „Ökonomie“ habe ich im Buch „Über das Alter“6 kennengelernt; und dass Xenophon von Cicero übersetzt wurde, habe ich wiederum aus dem Werk „Von den Pflichten“7 erfahren. 5. So hat mir auch Platons „Timaios“8 den Scharfsinn Solons angepriesen, der Tod Catos9 aber den platonischen „Phaidon“ genannt, sodann das Interdikt des
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Königs Ptolemaios10 einen Hegesias aus Kyrene. Was die Briefe Ciceros angeht, habe ich sie zuerst durch Seneca11 entdeckt und erst nachher mit meinen eigenen Augen. Mich auf die Suche nach Senecas Buch „Gegen Aberglauben“ zu machen, hat mich Augustinus12 ermuntert, und das Werk über die Argonauten von Apollonios hat Servius13 mir angezeigt. Weiter sind die Bücher über die „Republik“ mir dank vielen, doch besonders dank Lactantius14 begehrenswert geworden, so auch die römische Geschichte des Plinius dank Tranquillus,15 die Beredsamkeit des Favorinus16 dank Gellius.17 Und die blütenreiche Knappheit des Annius Florus18 hat mich ermuntert, nach der Hinterlassenschaft von Titus Livius zu forschen. 6. Bei allerbekanntesten und meistverbreiteten Schriften, die eines Zeugen gar nicht bedürfen, halte ich mich nicht auf. Wenn dennoch ein besonders glänzender Zeuge auf sie verweist, macht das einem Leser einen noch tieferen Eindruck. Genannt sei beispielsweise das Lob auf die überragende Sprachgewandtheit Ciceros und die einzigartige Verherrlichung von dessen Geistesanlagen in den „Deklamationen“ Senecas;19 dann die Darstellung der reichhaltigen Ausdrucksweise Vergils in den „Saturnalien“ durch Eusebius;20 weiter das ehrerbietige und schlichte Zeugnis des Dichters Papinius Statius21 zu Gunsten der Aeneis Vergils. Ihren Spuren von Ferne anbetend zu folgen, hat er ja seine eigene „Thebais“ vor ihrer Veröffentlichung eifrig ermuntert. Erwähnt sei übrigens auch jenes von Horaz22 oder richtiger jenes einhellige Zeugnis von jedermann, das Homer zum Fürsten aller Dichter erklärt. 7. Weit mehr führe ich an, als nötig wäre, und endlos lang würde es dauern, wollte ich angeben, wie viele fremde Büchertitel mir einst die Jugendlektüre des Grammatikers Priscianus23geboten hat, wie viele später Plinius Secundus,24 wie viele schliesslich auch Nonius Marcellus,25 und wie oft sie mir den Mund wässrig machten. 8. Niemand wird sich daher wundern (um zu meinem Anfang zurückzukehren), wie heftig die Geister durch diejenigen Werke entflammt und gefesselt werden, deren zwar jedes seine eigenen Funken und Stacheln offenlegt, aber auch fremde heimlich in seinem Busen hegt, um damit einer gegenseitigen Vermittlung zu dienen. 9. Daher ist mir (trotz aller Scham will ich es freimütig bekennen und Ehrlichkeit hochhalten) die Habsucht eines athenischen Tyrannen und eines ägyptischen Königs immer verzeihlicher, um nicht zu sagen „vornehmer“ erschienen als die unseres eigenen Führers,26 auch ist mir der Sammlereifer zuerst des Peisistratos27 und dann des Ptolemaios Philadelphos28 einigermassen edler vorgekommen als das Gold des Crassus,29 der allerdings weit mehr Nachahmer gefunden hat. 10. Doch damit auf Rom weder Alexandrien noch Athen und auf Italien weder Griechenland noch Ägypten herabschauen könnten, sind auch uns bildungsbeflissene Fürsten zuteil geworden, und zwar so viele, dass ihre Aufzählung schwierig wäre; und es gab unter ihnen solche, die sich den Studien mit grösstem Eifer widme-
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ten, ja auch wenigstens einen, dem der Ruhm der Philosophie teurer war als der Glanz der Herrschergewalt. Zudem gab es eigentliche Liebhaber – ich sage: nicht so sehr der Bücher als des Inhalts der Bücher. Daneben freilich sind da auch Leute, die Bücher wie andere Dinge nicht zum Gebrauch, sondern aus Habsucht zusammentragen, nämlich weniger als Hilfsmittel für ihre Geistesbildung und mehr als Schmuck für ihre Wohnung. 11. Um andere zu übergehen, nenne ich die göttlichen Kaiser Iulius Caesar und Caesar Augustus, die um die römische Bibliothek besorgt waren; dann nenne ich die von ihnen bestellten Leiter der erwähnten grossartigen Einrichtung, also zuerst Marcus Varro,30 der – ich sage es, ohne jemanden verletzen zu wollen – einem Demetrios aus Phaleron (in Ägypten wegen gleicher Tätigkeit berühmt)31 ebenbürtig, wenn nicht überlegen war, dann Pompeius Macer, einen ebenfalls sehr gelehrten Mann. Von brennender Begierde nach einer griechischen und lateinischen Bibliothek war schliesslich der glänzende Redner Asinius Pollio32 besessen, der die römische als erster einem breiten Publikum zugänglich gemacht haben soll. 12. Von privaten Personen sind zu nennen: Cato mit seinem unersättlichen Hunger nach Büchern, von dem Cicero33 Zeugnis gibt; auch Cicero selbst mit seiner leidenschaftlichen Büchersuche, von der viele seiner Briefe an Atticus34 zeugen. Diesem hat er ja mit grösster Inständigkeit und mit vielen eindringlichen Bitten zugesetzt und ihm damit die gleiche Sorge ebenso eifrig aufgeladen wie ich nun Dir. Wenn einer sehr reichen Begabung erlaubt ist, den Beistand von Büchern zu erbetteln, was ist da wohl einem Bedürftigen gestattet? 13. Und noch habe ich nicht angegeben, wer in diesem Bereich die höchste Leistung vollbracht hat, die übrigens kaum glaubhaft zu sein schiene, wenn nicht die lang dauernden Studien eines hochgelehrten Mannes und seine Freundschaft mit Fürsten für die Wahrscheinlichkeit bürgen könnten. Sammonicus Serenus35 nämlich soll eine Bibliothek von zweiundsechzigtausend Büchern besessen haben, die er insgesamt dem jüngeren Gordianus, dem damaligen Kaiser, seinem Lieblingsschüler, beim Tode hinterliess. Und das ehrte in gewissem Sinn nicht weniger ihn als das ganze Imperium. 14. Das ist es, was ich zur Entschuldigung meines eigenen Lasters und zur Rechtfertigung so vieler Gefährten vorbringen wollte. Du aber solltest, sofern ich Dir lieb bin, einigen zuverlässigen und gebildeten Männern Folgendes zur Aufgabe machen: Heisse sie, Tuszien durchforschen, die Schränke der Mönche und auch diejenigen anderer Bildungsbeflissener durchwühlen, ob irgendwo etwas auftauche, was geeignet wäre, meinen Durst zu stillen oder neu zu erregen. 15. Obwohl Du übrigens recht gut weisst, in welchen Gewässern ich zu fischen und in welchen Sträuchern ich Vögel zu jagen pflege, habe ich, damit Du ja nicht getäuscht werden kannst, diesem Schreiben auf einem Beiblatt angefügt, was ich vor allem wünsche. Und damit Du möglichst wachsam seist, lasse ich Dich noch wissen, dass ich die
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gleichen Bitten auch Freunden in England, Frankreich und Spanien zugesandt habe. Schau zu, dass Du keinem an Gewissenhaftigkeit und Eifer nachstehst! Und lebe wohl! (1346)36 Anmerkungen 1 Der Adressat war Theologe und Prior im Kloster San Marco in Florenz, ein Verwandter Petrarcas; vgl. Dotti, Fam., Register. Vgl. auch Fam. 7,10 – 7,12. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. 2.Cor. 10,16 f. und 11,16 f. 3 Das erste Buch des genannten Werkes ist Varro gewidmet. 4 Cic. De off. 1,16,51; 1,24,84 und oft. 5 Cic. Tusc. 3,15,31; 3,27,65. 6 Cic. De sen. 20,75; 17,59. 7 Cic. De off. 2,24,87. 8 Tim. 21 c-d. 9 In Flor. Epit. 2,13.71. 10 Das ist Ptolemaios I. Soter; vgl. Cic. Tusc.1,34,83. Val. Max. 8,9, ext. 3. 11 Sen. Ad Lucil. 21,4; 97,3. 12 De civ. 6,10. 13 Serv. Ad Aen.5,426. 14 De opif. 1,12; Div. inst. 3,16,5 und oft. 15 Den Verfasser von Kaiserbiographien nennt Petrarca entgegen heutigem Brauch meist Tranquillus. Zur Stelle vgl. Suet. Calig. 8. Eine römische Geschichte hat Plinius (der Ältere) nicht geschrieben, jedoch Einzelheiten dazu, eine Naturgeschichte und Notizen zu Kriegen gegen die Germanen. 16 Favorinus im Arelat, war Rhetor. 17 Vgl. Gell. Noct.att. 1,3,27; 1,10. 18 Florus, Verfasser der Epit. de Tito Livio und anderer Werke. 19 Seneca der Ältere, Controversiae 1, praef. 6. 20 Macr. Saturn. 5,1,2 – 21; 1,24,14. 21 Theb. 12, 816 – 817. 22 Carm. 4,9 5 – 6. 23 Priscillianus, letzter lat. Grammatiker von Bedeutung. 24 Zu Plinius Secundus vgl. oben Anm.15. 25 Römischer Grammatiker aus Numidien zw. 2. und 5. Jh. 26 Im lateinischen Text steht „dux“. Unklar bleibt, wer gemeint ist; doch kann man an den Papst denken. 27 Peisistratos gründete in Athen eine öffentliche Bibliothek. 28 Ptolemaios II., Philadelphos, König in Ägypten. 29 Crassus, berühmt für seinen Reichtum, gehörte zum ersten Triumvirat. 30 Varro war einer der gebildetsten Römer. 31 Staatsmann und Philosoph in Athen und Alexandreia. 32 Plin. Nat. 7,30,15; 35,2,10. 33 De fin. 3,2,7. 34 Ad Att. 1,7; 4,4a; 13,8 und oft. 35 Sammonicus Serenus, gest. 212; Sohn des gleichnamigen Grammatikers, der die erwähnte Büchersammlung erstellt hatte; sein Schüler Gordianus II. ist identisch mit Marcus Antonius Gaius Augustus, der 238 n. Chr. Princeps wurde; vgl. Historia Augusta Gordianus. 18,2 – 3. 36 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 54.
Fam. 3,19, an seinen Lelio (di Pietro Stefano dei Tosetti)1 Über die Hartnäckigkeit menschlicher Hoffnung. 1. Traurige Erlebnisse stählen die Hoffnung der Menschen und Tiere. 2. In Vaucluse belegen das die Fischer. 3. Ein Beispiel bietet ebenda auch ein Adler. 6. Von der unbesiegbaren Zuversicht der Bienen und Ameisen. 8. Über die unverwüstliche Hoffnung der alten Römer. 11. Zweck dieser Ausführungen: Diskret auf einen Hoffenden hinzuweisen. (Vaucluse 1346)
1. So hartnäckig und zäh wehrt sich die Hoffnung der Sterblichen bei traurigen Schicksalen, dass kein unfruchtbarer Boden einen Landwirt, kein Sturmwetter einen Schiffer, kein Hauseinsturz einen Architekten, ja auch kein schmerzlicher Kindestod einen Vater davon abhält, an seinem Beginnen festzuhalten. Daher nehmen wir es als etwas Übliches hin, wenn die Hungernden säen, die Schiffbrüchigen zu Schiff fahren, die knapp einem Einsturz Entronnenen auf alten Fundamenten wieder bauen und die der Kinder beraubten Eltern zwischen den Gräbern der toten neue zu zeugen gewillt sind. 2. Ich habe hier Fischer vor Augen, die vor Kälte und Hunger völlig erschöpft sind, aber, so erstaunlich und beinahe unglaublich es ist, ganze Tage nackt und fastend und ganze Nächte hindurch bis Sonnenaufgang wachend ausharren, in dieser Zeit entweder mit Angeln oder mit Netzen zu Werke gehen und dabei immer nur das eine und gleiche Los erlangen: Nichts zu gewinnen, sich umsonst abzuquälen und die Zeit zu vergeuden, die auf andere Weise vielleicht besser genutzt werden könnte. Dennoch lassen sie sich – ganz verbohrt in ihre Absicht – vom verhängnisvollen Strudel nicht trennen. So lieb ist ihnen in der andauernden Gewöhnung die bittere Anstrengung geworden! Indem sie ihre unselige Sandgrube bis in alle Tiefen durchwühlen, verschaffen sie sich zwischen Wellen und Steinblöcken genau jene Dürftigkeit, die sie doch hassen, und tun es, ohne das so mühsam Bezweckte wohl je zu erreichen.2 3. Etwas anderes hört sich harmloser an, dürfte aber vielleicht sogar grössere Verwunderung wecken. Die Beharrlichkeit wilder Tiere bleibt ungebrochen, mag ihr Lager noch so oft ausgeraubt werden. Eine neue Brut zu gebären und aufzuziehen, wird ein Tiger nach dem Verlust der früheren niemals müde. Die Taube aber, die man um den Trost ihrer häufigen Aufzucht betrogen hat, ist nicht weniger begierig auf eine zukünftige, und die Nachtigall, welche durch einen diebischen Hirten um ihre Jungen gebracht wird, trauert ihnen zwar mit Schluchzen und mit sanftesten Klagen lange Zeit nach, hängt aber nachher ihr Nest wieder am gleichen Zweig auf und gefährdet damit sogar ihre späteren Nachkommen. 4. Erzählen will ich Dir übrigens, was Dir neu, aber allen Bewohnern hier im Tal bestens bekannt ist.
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Ein Adler haust schon lange in diesen Bergen. Ein hier zugewanderter Schweinehirt – roher nicht bloss als die Säue, sondern auch als die borstigen Eber, die er hütet, – hat heimlich den Horst aufgespürt. Und da ihm sein Leben nicht mehr bedeutet, als es wert ist, hat er sich vom höchsten Felsen, der über die Quelle der Sorgue wie ein Gewölk herabhängt, an einem schwankenden Tau heruntergelassen (es nur zu denken, schafft Entsetzen); dann hat er sich als verwegener Räuber dem luftigen Bau genähert und der besorgten Mutter das, was die Hoffnung ihrer Gattung ist, nämlich die noch ungefiederten Jungen, gestohlen. 5. Das hat er einmal und dann immer und immer von neuem unternommen, den Adler damit aber zu nichts anderem bewogen, als endlich den unseligen Nistplatz zu verlassen und den Horst mit seinem stachligen Zubehör um ein weniges auf einen anderen Felshöcker zu verlegen. Hier nährt er, nachdem er mehrmals seine Jungen verloren hat, wieder neue Hoffnung, ich glaube mit dem alten Gleichmut wie früher, obwohl sein hartherziger Gegner, eine winzige Beute begehrend und sein Leben verschwendend, bereits den Strick und die Knoten zurecht macht, um sich wieder in die Leere zu hängen und sich aus der noch unvertrauten Höhle die vertraute Beute zu holen. 6. Und schon gelangen wir mit unserer Überlegung gemach zum Allergeringsten hinunter. Eine mutwillige Vorwegnahme des Honigs hat die süsse Wonne der Bienen bei der Honigbereitung nie vermindert, und eine Überschwemmung unterirdischer Scheunen hat die Tüchtigkeit der Ameisen bei der mühsamen Körnerbeschaffung und ihre Lust am ewigen Hin- und Herlaufen nicht geschwächt. Sie geben ja die Hoffnung nicht auf, das glücklos Versuchte mit grösserem Glück von neuem zu unternehmen. 7. Würde bei den Misserfolgen des Handelns die Hoffnung der Menschenseelen verfliegen, müssten die verschiedenen heissen Bemühungen, die wir überall feststellen, unter den täglichen Schlägen des Schicksals erlahmen, und ein erstarrendes und verkümmerndes Dasein würde auf ein ruhmloses Ende zusteuern. Damit solches nicht geschehe, wurde sämtlichen Lebewesen und vor allem den Menschen ein zäher, sein Ziel hartnäckig anstrebender Eigensinn verliehen. 8. Die Stadt Rom – um nun mit leichtem Sprung vom Niedrigsten zum Höchsten zu wechseln – haben unsere Vorfahren, als die senonischen Gallier3 sie in Asche gelegt hatten, neu errichtet. Dabei hat die Autorität des Camillus4 über die widerstrebenden Tribunen mit Hilfe des Orakels gesiegt. Ebenso haben sich unsere Vorfahren nach den Schlachten an der Allia, am Tessin, an der Trebbia und am Trasimenischen See5 wieder zum Heer verfügt und nach dem schimpflichen Frieden von Caudium grossartigste Siege errungen. Auch hat nach Cannae,6 dieser schwersten, ja fast tödlichen Wunde der römischen Republik, das blitzende Schwert des Africanus7 sich gegen die Meinung des Caecilius Metellus8 durchgesetzt, damit Italien nicht von feigen Bürgern im Stich gelassen werde. 9. Und hätte nicht die unbesiegliche Hoffnung jenes einen Mannes, der übrigens noch recht jung war, die wan-
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kenden Gemüter vieler alter Leute gefestigt, so wäre das Imperium verloren gewesen, gäbe es heute keine Erinnerung an den römischen Namen und keine Spuren römischer Herrschaft. Denn hätte – um Worte des Historikers Florus9 zu zitieren – Hannibal in Italien eine Herrschaft Afrikas errichtet, besässen in der Tat nicht Lateiner, sondern afrikanische Siedler dieses Land. Und hätte sich dennoch einer mit italischem Blut etwa aus jener gewaltigen Niederlage gerettet, wäre er – ähnlich einem Bächlein süssen Wassers, das sich ins Meer ergiesst – in fremdländischen Sitten und im siegreichen Barbarentum untergegangen. Was wir nicht sind und was wir sind – so müssen wir freimütig bekennen – verdanken wir der guten Hoffnung jenes einzigen Mannes. 10. Und von den unsern10 nur soviel. Wozu aber soll ich an die Lakedemonier, wozu an die Karthager erinnern,11 die von der Hoffnung nicht früher liessen als vom Leben? Wozu an die Saguntiner, die in der Hoffnung auf unsere verspäteten Hilfstruppen von ihrem grausamsten Feind das äusserste Elend erduldeten? Lange würde es dauern, wollte ich alles der Reihe nach aufzählen. Darum nehme meine Rede schon an ihrem Anfang ein Ende. Für ein umher schwankendes Schiff ist die letzte Hoffnung der Anker, und wenn jemand sie denen wegnimmt, die auf dem stürmischen Meer umhertreiben, bleibt ihnen keine Rückkehr ins Leben, kein Hafen zum Frieden, kein Ausweg zur Rettung. 11. Du wunderst Dich nun, was diese lange Ausführung wohl bezwecke. Nur um eines geht es mir: Rechne Deinen Freund zur Gruppe dieser Beispiele, die nur geringe und wahrscheinlich leere, doch immerhin beständige Hoffnungen hegen. Das habe ich Dir möglichst behutsam beibringen müssen, damit Du den Gemütszustand des Schreibenden zu begreifen vermöchtest.12 Alles übrige erkennst Du in meinem Schweigen. Lebe wohl! (Vaucluse 1346)13
Anmerkungen 1 Lelio (Lello) wurde mit Petrarca 1330 bekannt, als er im Dienst von Giacomo Colonna, dem Bischof von Lombez, stand. Später diente er wie Petrarca dem Bruder Giacomos, dem Kardinal Giovanni Colonna, bis zu dessen Tod 1348. Er gehörte zum engsten Freundeskreis des Dichters; vgl. die Reihe der an ihn adressierten Briefe unter „Adressaten“. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. Metr. 1,8 an Lelio. 3 Vgl. Liv. 5,55. 4 Marcus Furius Camillus, 4.Jh.v. Chr., einer der tüchtigsten Helden der römischen Frühzeit. 5 Vier Niederlagen der Römer, ca. 390 gegen Gallier, dann 218, nochmals 218 und 217 gegen Karthager. 6 Cannae am Aufidus, Sieg Hannibals über die Römer 216; vgl. Flor. Epit. 1,22,15. 7 Vgl. Liv. 22,53; Val. Max. 5,6,7. 8 Metellus, Lucius Caecilius, Volkstribun im Jahr 213.
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Epit. 1,22,32. Von den Römern. Vgl. Val. Max. 6,6,ext.1. 1346 bewarb sich Petrarca, der Kleriker, an der Kurie von Avignon um die an der Kathedrale von Parma frei gewordenen Stellen eines Kanonikats und Archidiakonats. Die von ihm erhoffte Antwort betrifft wohl diese Angelegenheit. Eine neue Bitte um Antwort steht im folgenden Schreiben Fam. 3,20; vgl. Wilkins, Studies12 ff. Eine richtige Einschätzung von Petrarcas Bewerbungen um Benefizien der Kirche findet man ebenda 30 f. 13 Zur Datierung vgl. Wilkins, Studies 12 und Petr. Corresp. 54.
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Fam. 3,20, an Lelio1 Bitte um Antwort. 1. Petrarca wolle mit Schreiben Antwort erzwingen. 4. Der Adressat sei das Schreiben gewohnt. 5. Protest gegen Ausreden. 7. Rasche Antwort möge von Erwartungen befreien. 9. Über die Nichtigkeit des Glücks. 10. Petrarca sei genügsam. (Vaucluse 1346)
1. Oft habe ich Dir mit einem Brief ein Gespräch abzuringen versucht, erfolglos bis heute. Ich werde nicht aufhören, in Dein Schweigen einzubrechen, und schliesslich wirst Du Dich schämen, dem ständigen Schreien eines Freundes mit Stummheit zu begegnen. Deinen verschlossenen Mund will ich entweder zu einer Unmutsbezeugung oder zum Lachen oder gar zum Sprechen öffnen. Es ist mir nicht sonderlich wichtig, was Du zurückschreibst, sofern Du nur zurückschreibst; und wenn Du zu reden auch nur anfängst, bin ich Sieger. Wenn Dich alte Beschäftigungen verpflichten, will ich neue hinzufügen. Hast Du aus Faulheit die Feder weggelegt, will ich sie geflissentlich in Deine Hand zurückgeben. Oder bläht Dich vielleicht gar der Stolz auf und hältst Du mich – was ich freilich zu vermuten nicht im mindesten fähig bin – freundschaftlicher Grüsse für unwert, muss ich Dich in Bescheidenheit von diesem Gipfel des Hochmuts herabziehen und auf die ebene Fläche der Freundschaft zurückbringen. 2. Darum beherzige folgendes: Ich will nicht ablassen, Dich mit Klagen und Jammern zu belästigen, bis Du mir entweder den früher unter uns üblichen Briefwechsel von neuem bewilligst, und zwar wenigstens für so lange, als wir einander so nahe sind, dass ein Mangel an Boten keinem von uns als Ausrede dienen kann – weil die Briefsendungen gleichsam unter der Hand vom einen zum andern gehen – oder bis Du einen einleuchtenden Grund für die bedeutende Änderung angibst. 3. Meine Boten werden einander auf den Fersen sein; meine Briefe werden sich vor Deinen Augen zu einem Haufen stapeln, und da die Hand und der Siegelring Deines Freundes Dir bekannt sind, werden Dir die Liebe und Achtung verbieten, die Briefe unberührt zu beseitigen. Du wirst sie öffnen, ob auch ungern; sie werden Dir schmeicheln, und somit wirst Du sie durchlesen. Weichst Du also der Mühe sogar eines kurzen Schreibens aus, wirst Du dem Überdruss einer langen Lektüre nicht entkommen. Willst Du ein wenig auf mich hören, dann schone Deine Augen dank dem Gebrauch Deiner Finger und lehre die weniger edlen Glieder, den edleren zu dienen. 4. Greife zur Feder! Nichts, was Dir ungewohnt wäre, empfehle ich. Die Feder war seit Deiner Kindheit Dein Schwert.2 Dein Mannesalter und der Zustand des Vaterlandes haben Dich später zum Gebrauch anderer Waffen gezwungen, doch dann bist Du unter dem Einfluss des Schicksals zu den recht ruhevollen Gemächern der römischen Bischöfe und zu Deinen alten Studien zurückgekehrt. Was also erbitte
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ich? Tu, was Du täglich tust: Schreibe etwas! Und tu, was Du niemals tust: Schreibe an mich! Dann werde ich bald zu schreiben aufhören oder wenigstens seltener schreiben und kürzer. Gesiegt, das heisst: Dich aus dieser Feste Deines Schweigens vertrieben zu haben, wird mir genügen. 5. Hier freilich – ich weiss, mit wem ich rede! – erwiderst Du mir, versteckt hinter einem alten und allgemein beliebten Schutzschild: „Was beklagst Du Dich, Bruder? Ich habe nichts zu schreiben!“ Obwohl ich nun bei einer so grossen Fülle von Ereignissen und bei so viel Geist und Redekunst zu glauben geneigt bin, es werde an Schreibstoff nie mangeln, lasse ich mir dennoch diesen Grund – ob wahr oder falsch – leichter und lieber gefallen, als den andern, es habe der Nebel des Vergessens Dich in Schweigen gehüllt. 6. Demnach schreibe wenigstens, was viele von ihren Freunden erbeten haben, doch unter allen, die ich kenne, Cicero3 als erster: „Schreibe, Du habest nichts zu schreiben.“ Genau das schreibe! Doch immerhin mit anderen Worten! Sonst habe ich Dir – entgegen meiner Absicht – einen allzu kurzen und bequemen Weg zum Entwischen gewiesen. Und Du wirst entwischen, wie ich Dich kenne, mit einem einzigen Sprung, und wirst Dich mit diesem einen Wort, das ich Dir biete, befreien. Und so werde ich, was vielen zustösst, auf meinen eigenen Rat hin zum Narren gemacht werden. 7. Aber genug, ja übergenug der Klagen, auch wenn ich auf Rache bedacht bin und Deine Schweigsamkeit mit Schwatzhaftigkeit bestrafen werde. Um aber in dieses Brieflein eine meiner häuslichen Sorgen einzuschliessen,4 bitte ich, Du möchtest so gut sein und bei unserem gemeinsamen Herrn5 für einen glücklichen Ausgang meiner Angelegenheit eintreten. Ich nenne aber jedweden glücklich, sofern er überhaupt einer ist. Es bedeutet ja schon viel, mein Bruder, von leerer Erwartung befreit zu sein. 8. Unbekannt ist der Menge, welch ein Gewinn es ist, unnütze und endlose Wünsche von sich zu werfen. Was man verloren hat, gibt Genügen, was man besitzt, bereitet Qualen all den armen Gemütern, die mit eher eitlen als verlässlichen Dingen beschäftigt sind. Und so gross ist ihre Dummheit, dass sie davor zurückschrecken, sich den Irrtümern zu entwinden, um der Wahrheit Platz zu verschaffen. Lieber bleiben sie dabei, sich für masslose Pläne guten Erfolg zu versprechen. Mit sich selber zufrieden, sind sie hochmütige und uneinsichtige Richter in eigenen Geschäften und denken, sie seien es wert, wenn alles ihrem Wink gehorche. Für Liebesangelegenheiten hat Naso6 gesagt: „Ist sich ein jeder was wert,
sind wir ein gläubiges Volk“,
und solche Meinung haben wir bereits bis zur Hälfte einer mittleren Lebenszeit als törichte Wahnidee mitgeschleppt, wie übrigens auch Tullius7 vortrefflich gesagt hat: „Das Glück des Metellus8 erhofft sich ein jeder.“ 9. Wie viele aber werden durch die gleiche Wahnidee betrogen! Nein, wie wenige, wie so fast keine werden nicht betrogen! Dabei ist zu beachten (um uns auf das
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Zeugnis der Alten zu berufen), dass jener Metellus, der allen Jahrhunderten für glücklich gilt, nach der Überlieferung nur einen einzigen Schicksalsgefährten, und diesen nicht etwa bei sich zu Hause, sondern in der Ferne und ausserhalb der Grenzen Italiens entdeckt hat.9 Und mit wieviel Recht sich diese beiden das Beiwort „glücklich“ anmassten, ist an dieser Stelle nicht zu erörtern, und möglicherweise wird eine andere Gelegenheit kommen, davon zu sprechen. 10. Doch ich fahre fort. Wenn das, was alle erhoffen, keinem zuteil wird, so bedenke, wie viele mitten im Leben durch Träume und Erwartungen betrogen, vom Tod überrascht wurden und noch in alle Zukunft von ihm überrascht werden! 11. Zu folgendem Grundsatz habe ich, durch solche Gedanken aufgeschreckt, mich bequemt: Nichts Höheres zu verlangen, als was mir entspricht, nämlich nur Angemessenes und das ganz bescheiden, um dann das Erworbene nüchtern zu geniessen, die Verluste tapfer zu tragen und mich nicht mit einem Schmerz über Verweigertes zu quälen. Nach diesem Grundsatz habe ich mich dazu erzogen, den Ausgang aller beliebigen Sachen kaum noch zu fürchten, sofern ich nur von lästiger Erwartung befreit werde. Deswegen, Bruder, bitte ich bei allen Himmelsbewohnern, man möge mich so rasch man kann, diesem Zustand der Ungewissheit entreissen. Befreit mich von Erwartungen! Was immer geschehen mag, werde ich gleichmütig hinnehmen. Ich schliesse mit dem Wort eines Autors,10 das mir unter anderen einleuchtet: „Es ist schon halbe Wohltat, etwas Erbetenes rasch zu verweigern.“ Lebe wohl! (Vaucluse 1346)11
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Das war vor der Annahme einer Stelle an der päpstlichen Kurie in Avignon. 3 Vgl. Ad. Att. 3,8,2; 9,16; 16,4,1 und oft. 4 Petrarca denkt wohl an seine Bitte um das frei gewordene Kanonikat an der Kathedrale von Parma und die ebenfalls freigewordene Stelle des Archidiakonats ebenda. Vgl. den vorangehenden Brief und F. Rizzi, Francesco Petrarca Index, weiter Wilkins, Studies 12 und 70. 5 Kardinal Giovanni Colonna. 6 P. Ovidius Naso (von Petrarca oft Naso genannt), Rem. 686. 7 Cic. Tusc. 1,36,86. 8 Gemeint ist Q. Caecilius Metellus Macedonicus. Von seinem Glück sprechen auch Fam. 6,5 und 8,1 etc. Vgl. Val. Max. 7,1,1; Plin. Nat. 7,44,142; Cic. De fin. 5,27,82. 9 Gemeint ist der ärmste Bauer Arkadiens, Aglaos von Psophis. 10 Publius oder Publilius Syrus, 1. Jahrhundert v. Chr., Mime, genannt bei Macr. Saturn. 2,7,11. 11 Zur Datierung vgl. Wilkins, Studies, 12 und Petr. Corresp. 54.
Fam. 3,21, an Lelio di Pietro Stefano1 Bitte um Rechtshilfe für arme Leute. 1. Abschied von Lelio. 2. Dieser möge seinen Herrn dazu bewegen, einen jungen Mann vor einem Richter zu retten. 5. Genauere Angaben werde er durch Petrarcas Knecht erhalten. An der Quelle der Sorgue, am 26. April (1346).
1. Erfüllt hat sich wahrhaftig an uns, was von Deinem Pompeius und seiner Cornelia geschrieben steht:2 „… unfähig, beim Abschied Stille zu stehn und zu sagen: Lebe wohl …“ Doch unter uns bedurfte es nicht vieler Worte. Denn diese sind ja nichts anderes als Ausdruck der Seelen und der ihnen innewohnenden Leidenschaften, während doch unsere beiden Seelen sogar im Schweigen gegen einander offen stehen. 2. Nur noch einen Gefallen leiste mir bitte, sofern eine Möglichkeit besteht. Ein junger Mann hat nämlich ein jungfräuliches Mädchen im Verlangen nach seiner Liebe und ohne dass es sich sträubte, erkannt, indem er die Ehe versprach. Und ich sage, um Deinen Ohren ein Wort einzuschärfen: Ich weiss nicht, ob es auch „in toro“ (im Bett) geschah, aber sicher geschah es im Gebiet von Thor. 3. Der Grundherr3 dieses Dorfes (soll ich ihn adlig oder niedrig heissen?) droht diesem jungen Mann, den er mit einem gewaltigen alten Hass verfolgt, die Todesstrafe an; die Frau hingegen entschuldigt das Geschehene und sagt, sie habe es nicht entgegen ihrem Verlangen erduldet, und erfleht die ihr vom Liebhaber versprochene Ehe. Er wäre zu solcher bereit, wenn er nur dürfte. Doch festgehalten im Kerker, verteidigt er seine Sache vor einem ganz übelgesinnten Richter. Im übrigen würden die beiden, sobald die Fesseln fallen, da sie frei und nach Alter, Gesinnung und Verhältnissen einander ähnlich sind, das heiss ersehnte Hochzeitsfest feiern. 4. Als mir solches zuerst durch das Gerede des entrüsteten Volkes, dann auch durch Bitten und Tränen ihrer Freunde bekannt wurde, habe ich vor allen andern an Dich als einen Helfer im Unglück gedacht. Auch wir, Bruder, sind einst feuriger Liebe erlegen, und feurigen Liebhabern Hilfe zu bringen, geziemt sich. Von unserem Herrn nehme ich an,4 er werde, selbst wenn seine Seele über solche Niederung erhaben ist, doch nicht dermassen eisern und unmenschlich sein, dass er sich menschlicher Verirrungen nicht erbarmte. 5. Auch ist nicht wahr, dass die Liebe der Landleute weniger heftig brenne. Über jede Menschengattung übt der pfeilgewaltige Knabe die gleiche Macht aus. So weiss ich denn, dass bei Vergil5 zu lesen ist: „. überfällt ein Wahn den sorglosen Freier,“ Und darauf:
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„Dann täte Nachsicht not,“ nur lautet das Versende schrecklich: „doch müssten die Manen sie üben.“ Wirklich fürchte ich, es könnte jener allzu harte Bellerophon,6 der nicht die geringste Menschlichkeit an sich hat und gar noch von Zorn entbrannt ist, heftiger nach Blut dürsten, als recht ist. 5. Was immer geschehen mag, wir werden unseren Pflichtteil erfüllen, ich vor Dir und Du vor Deinem Herrn,7 damit dieser vom genannten Grundherrn des Dorfes Thor jenen Gefangenen mit einem Schreiben als ein gnädiges Geschenk erbitte. Den Namen des jungen Mannes und seine ganze Geschichte wird dieser unser Knecht, den ich Dir einzig aus diesem Grund zuschicke, darlegen. Der Berichterstatter ist um nichts gesitteter und urbaner als der Liebhaber, für dessen Torheit wir Verzeihung erbitten. An der Quelle der Sorgue, am 26. April (1346).8
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Vgl. die vorangehenden Briefe an Lelio. Luc. Phars. 5,795 – 796. Sein Name lautete Geraud Amic; vgl. Willkins, Life 56. Kardinal Giovanni Colonna. Georg. 4,488 – 489. Korinthischer Sagenheld, verfiel dem Wahnsinn; vgl. Homer, IIias. 6,155 ff.; auch Cic. Tusc. 3,26,63. 7 Wie oben: Kardinal Giovanni Colonna. 8 Der Brief gehört wohl in die gleiche Zeit wie die vorangehenden Schreiben; vgl. Wilkins, Studies 12 und Petr. Corresp. 54.
Fam. 3,22, an Lelio1 Über die Macht der Rede und von Lelios Erfolgen bei den Menschen. 1. Von der Macht liebenswürdiger Rede. 2. Beispiele, wie Menschen sich durch Freundlichkeit einnehmen liessen. 5. Beispiele von Tieren. 6. Über die Macht der Musik. Arion. 7. Von der besonderen Gabe Lelios. 8. Er nimmt Petrarcas Diener für sich ein. Dieser wird ihm überlassen. 9. Aber Lelio soll jenen Richter zur Milde bewegen. 11. Er empfängt ein Geschenk. An der Quelle der Sorgue, am 29. April (1346).
1. Was soll ich Dir sagen? Es ist, wie ich gehört und gelesen habe: Kein Charakter ist so ungeschliffen, dass er sich durch liebenswürdige Sitten und Reden nicht glätten liesse. So hat denn mein Africanus, das ist der Ältere,2 den barbarischen König Syphax,3 gemäss Livius4 „römischer Gesittung ungewohnt“, und –noch wunderbarer – den karthagischen Heerführer Hasdrubal,5 nicht allein Barbar, sondern auch grausamer Feind des römischen Namens, bei einem Mahl mit liebenswürdigem Benehmen und freundlichem Zureden milde gestimmt. 2. So hat auch Iulius Caesar den nackten und mittellosen Fischer Amicla, der überströmt von kaltem Meerschaum vor ihm stand, mit sanfter Rede völlig betört und mit den Netzen seiner kaiserlichen Beredsamkeit völlig umgarnt,6 weshalb jener, hingerissen vom unerhörten Ton der fremden Rede wie auch vom eigenen Staunen über den unbekannten Gast, dem Befehl sogleich nachkam und seinen brüchigen, für die gefahrvolle See ganz ungeeigneten Kahn vom sicheren Standort am Ufer löste, um im Eifer seines Gehorsams sich wissentlich und willentlich in den Untergang zu stürzen. 3. Und um nicht immer nur Afrikaner und Caesaren anzuführen, so hat auch der Fürst der Philosophen Platon den Tyrannen Dionysios von Sizilien7 und hat ebenso der Dichter Euripides den König Archelaos von Makedonien8 für sich zu gewinnen vermocht. Denn vor dem einen konnte die tyrannische Strenge, vor dem andern die barbarische Grausamkeit nicht standhalten, vielmehr wurde die Herzenshärte der beiden durch die Verstandeskraft und Beredsamkeit der andern besiegt. 4. Und was alle Wunderwerke dieser Art übertrifft: Der Redner Antonius9 vermochte die wütenden, zu seiner Ermordung entsandten Schlächter, als sie schon mit gezückten Schwertern auf ihn eindrangen, mit einer einschmeichelnden Rede zu bändigen; und seine Beredsamkeit hätte ihre Grausamkeit überwunden, wäre nicht einer aus der Meute, der seine Worte nicht gehört hatte, erst nach dem Weggang der andern eingetroffen. Wie eine Schlange, welche die Stimme des Beschwörers nicht vernommen hat, jagte ihm dieser das Gift des verbrecherischen Ansinnens ein. 5. Doch was suchen wir Beispiele unter den Menschen? Wir wissen von Bären, Leoparden, Löwen und anderen schrecklichen, kraftstrotzenden Tieren, dass sie auf Schmeicheleien hin selbst von einem kleinwüchsigen Bändiger Befehle entgegen-
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nehmen, dazu Schlinge, Käfig, Drohungen und Schläge geduldig ertragen. Auch sehen wir, wie Vögel, segelnd in freier Luft, entgegen dem Gesetz ihrer ursprünglichen Natur, die Gesellschaft mit Menschen sogar ihrer Freiheit vorziehen und, des Blicks auf ihren natürlichen Lebensraum verlustig, ein Dasein in Ketten und mit bedecktem Kopfe führen, ihren Hunger nach der Willkür ihres Ernährers stillen und ihre Speisen aus seinen Händen empfangen, die Stimme des Befehlenden erkennen, seinen Schreien gehorchen, auf sein Geheiss ausfliegen und wiederkehren, um kostbare Beute nicht für sich sondern für diesen ihren Herrn zurückzubringen. 6. Von Fischen habe ich, soweit ich mich erinnere, nichts Ähnliches gelesen, nur von Delphinen ein Gerede über ihre, ich weiss nicht welche Vertrautheit mit dem Menschengeschlecht vernommen. So berichtet denn eine historische oder eher fabelnde Erzählung, ein gewisser Arion10 sei, auf dem Rücken eines solchen Fisches sitzend, den schäumenden Fluten des Meeres entkommen. Man machte den Reitenden zum Saitenspieler und Sänger, damit diese Schiffahrt um so eher geglaubt werde. Die Musik habe die Lüfte beruhigt und das Gefährt gehoben, hiess es; denn man fürchtete, die Fabel werde niemand für wahr halten, sofern man sie nicht mit einer Lüge verbräme. Steuer, Mast, Segel und Ruder fehlten; aber alles das ersetzte für sich allein die Musik mit ihrem Wohlklang. 7. Doch weshalb wirst Du mit so abwegigen Geschichten hingehalten? Damit Du begreifest, dass ich Deine Fähigkeit den höchsten und besten Gaben zuzähle! Nicht Menschen, nicht wilde Tiere oder Vögel, sondern dieses Wasserwesen da (es wuchs zwischen Quellen und Bächen auf und schlägt seine Speise aus den Felsen11), hast Du im Umgang und mit Reden für die Freundschaft gewonnen. 8. Er kam zu mir zurück, dachte nicht mehr an sich, sondern einzig an Dich und plapperte mir, der ich manches über meinen Herrn12 und manches über verschiedene Freunde zu wissen begehrte, über nichts anderes als über Lelio, voll Bewunderung für dessen Gestalt, Benehmen, Sprache, schliesslich auch für seine Wohnung und Kleidung, lobte ihn mit bäurischen, grobschlächtigen Worten wie einen mir Unbekannten und berichtete von ihm, wiewohl ich ihn mehrmals unterbrach, endlose Geschichten, um jedesmal, wenn ich ihm eine Wendung des Terenz13 entgegenhielt: „Was lobst Du ihn just vor mir?“, um so eifriger alles von vorne zu erzählen. Und weiter? Ich habe gleich begriffen, dass Du mit Deinen Künsten mir meinen Verwalter entrissen hast. Und ich verfiel nicht der Trauer, so gestehe ich, und nicht dem Neid, aber ich staunte, weil Du in einer Stunde mehr erreicht hast als ich in ganzen zehn Jahren. Sonderbar wäre es, hättest Du in Deine Reden nicht etwas von Deiner magischen Kunst gemengt! 9. Jedenfalls sucht er aus Liebe zu Dir mit diesem Schreiben Dich von neuem auf. Er hofft gleichzeitig, durch Dich die Fürsprache Deines Herrn14 zu erlangen, um seinen Freund, von dem ich Dir gestern geschrieben habe,15 aus den drückenden Fesseln einer schon äussersten Not zu befreien.
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Wenn nur der Richter nicht, wie ich von Anfang an fürchtete, hartnäckig auf der Hinrichtung besteht und Bitten gegenüber unzugänglich bleibt! Gemäss einem Gerücht ist dieser aus Schmerz und Eifersucht wegen der geraubten jungfräulichen Blüte ganz ausser sich, da er selber heftig nach ihr verlangte und nun zornig ist, dass im Reich der Liebe die Zärtlichkeit eines Armen mehr vermochte als sein sinnloser Reichtum. 10. Selbst wenn alle Worte auf verstopfte Ohren treffen würden, könnten dennoch bei Deinem Herrn die Samen reinen Mitleids aufgehen und bei Dir die Früchte des Wohlwollens reifen, und dieser Bauer wäre dank meiner Hilfe in der Lage, seiner Freundschaftspflicht zu genügen. Jener unglückliche Liebhaber jedoch muss, wenn es sich nicht ändern lässt, für die Süsse seiner Liebe – wie viele getan haben – mit der Bitterkeit des Todes büssen. 11. Doch dieser Mann da soll der Deine sein; – Du magst ihn unter Deinen recht einfachen Freunden einstellen, wo Du willst. Er zählt Dich zu den ersten seiner Herren und ist, wie ich sehe, bereits mehr um Deine Gunst als um das Leben seines alten Freundes16 besorgt. Daher bringt er, um sich bei Dir einzuführen und Dir mit einem symbolischen Geschenklein anzuzeigen, wie gar herzlich er Dir ergeben ist, einen Topf voll der weichsten aller Flüssigkeiten, nämlich voll Öl. Dieses ist ohne Zutun und, wie man sagt, unter Wahrung seiner Jungfräulichkeit, also nicht etwa unter Pressen, aus den Beeren unserer Bäume, die auf unseren Hügeln stehen, hervorgeflossen. Ich würde sagen, Minerva, die einst das Öl entdeckte,17 habe nach ihrem Wegzug aus Athen sich bei uns niedergelassen. Doch leider habe ich sie schon früher in den Büchern meiner Afrika18 an der Küste von Genua und beim Hafen von Venere und Lerici angesiedelt. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 29. April (1346).19
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Lelio. Scipio Africanus, der Held in Petrarcas Africa. König von Numidien, beteiligt an Kämpfen der Karthager und Römer im 2. Punischen Krieg. Liv. 28, 18,6. Bruder Hannibals; Feldherr im 2. Punischen Krieg. Vgl. Luc. Phars. 5,519 ff. Gemeint ist Dionysios der Jüngere, Tyrann von Syrakus; vgl. Gell. Noct. att. 17,21,29. Vgl. Gell. Noct. att. 15,20,9. Vgl. Val. Max. 8,9,2. Vgl. Gell. Noct. att. 16,19. Ov. Fast. 2,83 – 118. Vgl. Job 29,6 und Deut. 32,13. Kardinal Colonna. Ter. Eun. 5,9,1052 – 1053.
Fam. 3,22 14 15 16 17 18 19
Des Kardinals Colonna. Vgl. Fam. 3,21. Petrarca meint sich selber. Vgl. Verg. Georg. 1,18 – 19. Africa 6,856 – 861. Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief.
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Fam. 4,1, an Dionigi da Borgo San Sepolcro vom Augustinerorden1 Die Besteigung des Mont Ventoux. 1. Jahrelanger Wunsch, den Berg zu besteigen. 4. Suche nach Gefährten. 6. Abmarsch mit dem Bruder. 9. Vorliebe für Umwege beim Aufstieg. 12. Betrachtungen über Analoges auf dem geistigen Weg des Menschen zu seiner Vollendung. 16. Überraschende Aussicht auf dem Gipfel. 26. Eine Lektüre ebendort und ihre Folgen.2 Malaucène, am 26. April (1336; Fassung vielleicht von 1352/53).
1. Den höchsten Berggipfel unserer Gegend, den man nicht ohne Grund den „Windreichen“3 nennt, habe ich am heutigen Tag aus dem blossen Verlangen, ihn in seiner herausragenden Höhe kennen zu lernen, bestiegen. Viele Jahre lang hatte ich diesen Ausflug bei mir erwogen, denn von Kindheit auf, wie Du weisst, habe ich mich eben hier unter dem Schicksal, dem alles Menschenwerk umtreibenden, umgetrieben,4 wo man den weit und breit sichtbaren Berg fast ständig vor Augen hat. 2. Schliesslich packte mich ein ungestümes Verlangen, wirklich zu tun, worüber ich täglich brütete, und dies vor allem, weil ich kurz vorher beim Wiederlesen der römischen Geschichte des Livius5 zufällig auf die Stelle gestossen war, wo König Philipp von Makedonien,6 eben jener, der mit den Römern gekämpft hat, den Haemus in Thessalien erstieg, da er einem Gerücht vertraute, man könne von dieser Höhe aus zwei Meere sehen, das Adriatische und das Schwarze. Ob das stimme oder nicht, konnte ich durchaus nicht herausbringen, weil einerseits der Berg von unserer Gegend weit entfernt liegt und weil anderseits der Widerspruch zwischen den Schriftstellern Zweifel darüber bestehen lässt. Ich nenne nicht alle von ihnen. Während der Kosmograph Pomponius Mela7 die Sache ohne Zögern als Wahrheit wiedergibt, denkt Titus Livius,8 das Gerücht sei falsch. Ich meinerseits würde nun, könnte ich ein Forschungsergebnis für den genannten Berg so leicht erbringen wie für den unsern hier, einen Zweifel nicht länger bestehen lassen. 3. Übrigens – um nicht allzu lange bei dem fernen zu verweilen – hielt ich dafür, an einem jungen Privatmann sei verzeihlich, was an jenem greisen König nicht gerügt wurde. 4. Doch indem ich nach einem Gefährten suchte, schien mir zu meinem Erstaunen kaum einer der Freunde recht geeignet zu sein. So selten gibt es sogar im Kreis nahestehender Menschen eine sehr genaue Übereinstimmung in allen Willensneigungen und Sitten. Der eine war mir zu träge, der andere zu lebhaft, einer zu langsam, wieder einer zu schnell, dieser zu schwermütig, jener zu leichtlebig; auch war einer zu töricht, einer klüger, als mir recht war, hier schreckte mich des einen Schweigsamkeit, dort des anderen Geschwätzigkeit, des einen Schwergewicht und Beleibtheit wie des andern Magerkeit und Schwächlichkeit; und dann liessen mich des einen kühle Teilnahmslosigkeit, des andern hitzige Einflussnahme zaudern. All
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das erträgt man, ist es auch lästig, zu Hause; denn „alles duldet die Liebe“,9 und die Freundschaft weist keine Bürde von sich. Auf einer Wanderung jedoch wird das alles zu beschwerlich. 5. Deshalb habe ich in meiner Empfindlichkeit, wie sehr ich nach dem erlaubten Vergnügen begehrte, vorsichtig und ohne eine Freundschaft zu verletzen alle Einzelheiten erwogen und habe insgeheim, was immer dem geplanten Ausflug aller Voraussicht nach abträglich werden konnte, ausgeschieden. Und was meinst Du? Am Ende habe ich Unterstützung im eigenen Haus gesucht und das Vorhaben meinem einzigen Bruder (jünger als ich und Dir zur Genüge bekannt10) eröffnet. Nichts hätte er freudiger hören können. Er wünschte sich Glück, mir zugleich als Freund und als Bruder zu gelten. 6. Am festgesetzten Tag verliessen wir das Haus11 und gelangten nach Malaucène gegen Abend. Der Ort liegt am Fuss des Berges gegen Norden hin. Hier rasteten wir einen Tag, und heute endlich bestiegen wir mit je einem Diener den Berg nicht ohne vielfache Schwierigkeit; ist er doch ein abschüssiges und beinah unzugängliches Massiv mit steiniger Oberfläche. Doch richtig hat der Dichter12 gesagt: „… Es bezwingt eben alles Dreistigkeit …“ Ein langer Tag, eine weiche Luft, Lebhaftigkeit des Geistes, Kraft und Gewandtheit des Leibes und was dergleichen mehr sein mag, fehlten uns beim Aufstieg nicht; einzig die Beschaffenheit des Geländes bereitete uns Mühe. 7. Ein hochbetagter Hirt begegnete uns zwischen den Höckern des Berges und wandte viele Worte auf, um uns das Weitersteigen zu verleiden, indem er sagte, er sei vor fünfzig Jahren, von gleichem jugendlichem Übermut befeuert, zum höchsten Gipfel geklettert und habe von dort nichts anderes zurückgebracht als Reue, Müdigkeit, sowie von Gestein und Gestrüpp zerschundene Glieder und zerrissene Kleider. Übrigens habe man bei ihnen weder vorher noch nachher je vernommen, ein anderer habe dasselbe gewagt. 8. Während er solches daherlärmte, bewirkte seine Warnung – da junge Leute den Ratgebern mit Unglauben begegnen – bloss eine Steigerung des Verlangens. Wie daher der Alte bemerkte, dass seine Mühe nichts fruchte, ging er zwischen den Felsen ein wenig voran und zeigte uns mit dem Finger einen steilen Pfad, schickte uns aber, während wir uns schon entfernten, viele Ermahnungen und Seufzer hinterher. Nachdem wir bei ihm an Kleidern und anderen Dingen alles zurückgelassen hatten, was uns hinderlich werden konnte, rüsteten wir uns nun ganz allein zum Aufstieg und gingen beschwingt bergan. 9. Doch wie es zu gehen pflegt, folgte auf die erste gewaltige Anstrengung eine rasche Ermüdung. Nicht fern also von jenem Ort hielten wir auf einem Felsen Rast; dann machten wir uns wieder auf den Weg, gingen jedoch langsamer voran. Ich insbesondere schritt auf dem Bergpfad jetzt nur bedächtig hin, während mein Bruder auf einer Abkürzung über die Kuppen des Berges stracks auf die Höhe zuging.
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Weniger entschlossen als er, wandte ich mich gar abwärts und gab dem Rufenden, der mir den kürzeren Weg wies, zur Antwort, ich hoffte, auf der anderen Seite einen leichteren Anstieg zu finden, und wollte einen Umweg nicht scheuen, um gemächlicher aufwärts zu kommen. 10. Mit dieser Erklärung bemäntelte ich meine Trägheit, und als die andern bereits eine Anhöhe erklommen hatten, irrte ich noch immer in der Tiefe an Berghängen hin, da sich nirgends ein etwas sanfterer Anstieg zeigte, der Weg sich vielmehr nur immer in die Länge zog und die sinnlose Mühe ständig drückender wurde. Doch als ich, vor lauter Überdruss erschöpft, mich des Umherirrens schämte, riss ich mich zusammen, um bergan zu klettern, und kaum war ich müde und keuchend beim wartenden Bruder, dem von langer Rast erquickten, angekommen, gingen wir eine Weile im gleichen Schritt voran. 11. Kaum aber hatten wir jene Erhebung hinter uns, sieh, da vergass ich die Mühseligkeit meines früheren Umwegs, hielt mich erneut an tieferes Gelände, wanderte wiederum Abhängen entlang und schaffte mir als Liebhaber müheloser, langer Wege eine lang währende Mühseligkeit. Immerhin versuchte ich, solcherart die Beschwerde des Aufstiegs zu vermeiden. Doch durch Menschenwitz wird ein Naturgesetz nicht aufgehoben; ganz unmöglich ist, dass etwas Körperliches hinabsteigend zur Höhe gelange. Kurz: Zur Erheiterung meines Bruders widerfuhr mir das, wiewohl ich auf mich selber zornig war, in wenigen Stunden drei Mal oder mehr. 12. Auf diese Weise oftmals genarrt setzte ich mich schliesslich in einer Senke nieder, und wie ich ebenda auf den Flügeln der Gedanken vom Körperlichen zum Körperlosen hinüberschweifte, klagte ich mich mit diesen oder ähnlichen Worten an: “Was du heute bei dieser Bergwanderung so oft erfahren hast, das – merke dir13 wohl! – widerfährt dir und vielen andern, die zum seligen Leben wandern; es wird von Menschen nur deshalb so leicht verkannt, weil zwar Körperbewegungen bemerkbar sind, Geistesbewegungen aber unsichtbar im Verborgenen bleiben.13. Das Leben, das wir das selige nennen, liegt auf der Höhe, und schmal ist – wie es heisst14 – der Weg, der hinan führt. Viele Höcker lagern sich davor, und von Tugend zu Tugend muss man wie auf wunderbaren Stufen vorangehen. Auf dem Gipfel ist für jeden das Ende und Ziel, auf das sich unsere Wanderschaft ausrichtet. Alle wollen dahin kommen, doch wie Ovid15 sich ausdrückt: „Wollen ist niemals genug; das Begehren vermag zu erobern.“ 14. Freilich hast du – sofern du dich in dieser Sache nicht wie in vielem betrügst – ausser dem Wollen auch das Begehren. Was also ist dir hinderlich? Wahrhaftig nichts anderes als dieser ebene Weg, der mitten unter irdischen und niedrigen Gelüsten auf den ersten Blick der bequemere zu sein scheint. Doch du hast nur die Wahl, entweder von hier nach deinem vielfachen Umherirren zu jenem Gipfel seligen Lebens unter der Last einer töricht aufgeschobenen Mühsal endlich aufzustei-
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gen oder in den Tälern deiner Sünden vor Müdigkeit hinzufallen und – schrecklich, sich das auszumalen! – wenn die Finsternis und Todesschatten dich überraschen,16 in unaufhörlichen Qualen die ewige Nacht zu erleiden.» 15. Kaum zu glauben, wie sehr diese Überlegung mir Seele und Leib für die letzte Strecke gestählt hat! Ach möchte ich doch im Geiste auch auf jenem anderen Weg, nach dem ich Tag und Nacht seufze, so rasch vorangehen, wie ich heute nach Überwindung der Schwierigkeiten endlich den Bergpfad zurücklegte!17 Ja, ich frage mich, ob denn nicht viel leichter geschehen kann, was einzig mit der wendigen und unsterblichen Seele ohne irgendwelche räumliche Bewegung in einem flüchtigen Augenblick vor sich geht, als was in einem zeitlichen Ablauf, unter Beteiligung des sterblichen, hinfälligen Leibes und mit der schweren Bürde der Glieder vollzogen wird. 16. Von allen Gipfeln ist jener der höchste, den die Waldleute als „Söhnchen“ bezeichnen. Weshalb, weiss ich nicht, doch vermute ich, man nenne ihn so ironischerweise, wie man auch bei anderem tut. Er scheint nämlich in Wirklichkeit der Vater aller umliegenden Berge zu sein. Auf seiner Höhe befindet sich eine kleine Ebene, und hier haben wir schliesslich ermüdet ausgeruht. Und da Du vernommen hast, welche Sorgen mir beim Anstieg im Herzen auftauchten, so vernimm, Vater, auch das Übrige, und opfere bitte eine einzige Stunde, um die Erlebnisse dieses einzigen Tages durchzulesen. 17. Zu allererst bin ich, wegen einer fremden Luft und einer freieren Fernsicht tief erregt und wie ein Betäubter dagestanden. Ich schaute umher: Wolken waren zu meinen Füssen, und schon waren mir Athos und Olymp weniger unglaubhaft, da ich an diesem weniger berühmten Berg erkannte, was ich von jenen gehört und gelesen hatte. 18. Darauf wandte ich die Blicke nach Italien, wohin meine Seele sich am meisten hinneigt. Die Alpen sogar, vereist und schneebedeckt, durch die einst der grimmige Feind des römischen Namens zog18 und – wenn wir der Sage glauben – mit Hilfe von Essig die Felsen zum Bersten brachte, sie schienen mir ganz nah zu sein, obwohl sie in grosser Ferne stehen. Ich seufzte, so gestehe ich, dem Himmel Italiens entgegen, der eher dem Geist als dem Auge sichtbar war, und eine unbeschreibliche Sehnsucht befiel mich, Freund und Vaterland19 wiederzusehen. Doch ich habe gleichzeitig in beidem die Schwäche einer noch unmännlichen Empfindung getadelt, obwohl auch für diese eine Entschuldigung, die von bedeutenden Autoritäten gestützt würde, nicht fehlen könnte 19. Darauf beschäftigte mich ein neuer Gedanke, der sich nicht mehr um Räume, sondern um Zeiten drehte. Ich sagte mir nämlich: „Heute sind es genau zehn Jahre, seit du deine knabenhaften Studien aufgegeben und Bologna verlassen hast.20 Und unsterblicher Gott, unwandelbare Weisheit! Wie gross und mannigfach waren doch die sittlichen Wandlungen, welche diese Zeitspanne gesehen hat! Unzähliges übergehe ich. Noch bin ich nicht im Hafen, dass ich der vergangenen
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Stürme in Sicherheit gedächte. 20. Eine Zeit mag kommen, wo ich alles in der Reihenfolge, in der es geschehen ist, überprüfe und folgendes Wort deines Augustinus21 voransetze: „Meine früheren schmutzigen Werke und die fleischlichen Befleckungen meiner Seele will ich überdenken, nicht etwa aus Liebe zu ihnen, sondern aus Liebe zu Dir, mein Gott.“ 21. Vorläufig bleibt mir an gefährlicher und lästiger Anstrengung noch manches zu tun. Was ich zu lieben pflegte, das liebe ich schon nicht mehr. Nein, ich lüge; ich liebe es noch, aber mässiger. Und sieh, schon wieder habe ich gelogen; ich liebe es noch, aber schamhafter und betrübter. Jetzt endlich habe ich wahr gesprochen. So ist es. Ich liebe, doch so, dass ich lieben würde, es nicht zu lieben, ja, zu hassen wünschte. Freilich liebe ich, doch wider Willen und gezwungen, niedergedrückt und traurig. Und kläglich muss ich an mir die Richtigkeit jenes allbekannten Versleins erfahren:22 „Kann ich, so hass’ ich; wenn nicht, werde widerwillig ich lieben.“ 22. Noch habe ich nicht das dritte Jahr hinter mich gebracht, seit jener verkehrte und böse Wille, der mich völlig beherrschte und in meiner Herzenskammer ohne Widerspruch regierte, auf einen anderen stiess, der aufbegehrte und sich ihm widersetzte. Seither wird zwischen diesen beiden auf dem Kampffeld meiner Gedanken schon lange um die Gewalt über einen in sich zerfallenen Menschen ein heisser und noch immer unentschiedener Streit ausgefochten.“ 23. Solcherart habe ich mich in Gedanken durch ein vergangenes Jahrzehnt hindurch gewunden. Darauf habe ich sogleich meine Sorgen auf Bevorstehendes gelenkt und habe mich folgendermassen ausgeforscht: „Angenommen, es wäre dir beschieden, zwei weitere Lustren lang dieses flüchtige Leben weiterzuführen und dabei der Tugend im Verhältnis zur Zeit so rasch näher zu kommen wie in den letzten zwei Jahren, in welchen du, dank einem Angriff des neuen Willens auf den alten, vom früheren Starrsinn abgerückt bist! Könntest du dann nicht, zwar ohne Gewissheit, aber immerhin voll Hoffnung, im vierzigsten Altersjahr dem Tod entgegengehen und auf einen Lebensrest, der zum Greisenalter absinkt, gleichmütig verzichten?“ Diese und ähnliche Gedanken, Vater, wogten in meiner Brust. 24. Meines Fortschritts freute ich mich, meine Unvollkommenheit beklagte ich, und die allgemeine Wandelbarkeit menschlicher Handlungen betrübte mich. Welchen Ort ich aufgesucht hatte und aus welchem Grund, das war gleichsam vergessen. Doch dann wurde ich ermahnt und gleichsam aufgerüttelt, die Sorgen zu verscheuchen; für diese sei ein anderer Ort besser geeignet, und ich solle mich auf die Aussicht besinnen, die zu betrachten ich gekommen war, denn schon sei die Zeit zur Umkehr nahe, die Sonne neige sich und der Schatten des Berges beginne zu wachsen. 25. Ich wandte mich also um und schaute nach Westen. Der Grenzwall zwischen Gallien und Spanien, nämlich die Pyrenäenkette, ist von dort aus nicht sichtbar,
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und dies, wie ich meine, nicht weil ein Hindernis dazwischen läge, sondern einzig wegen der Schwäche des menschlichen Sehvermögens. Von der Provinz Lyon sah man rechts die Berge, links aber den Strand von Marseille und die Brandung von Aigues Mortes auf das allerdeutlichste, obwohl die Entfernung etliche Tagereisen ausmacht. Die Rhone war unter uns unmittelbar vor unseren Augen. 26. Indem ich nun alles im einzelnen bewunderte und einmal etwas Irdisches bedachte, und einmal den Geist – ähnlich wie den Leib – zur Höhe lenkte, fiel mir ein, die Confessionen von Augustinus, ein Geschenk Deiner Güte, aufzuschlagen, das ich zum Andenken sowohl an den Schöpfer wie den Spender wohl behüte und ständig bei mir habe: ein leicht zu umgreifendes Büchlein von winzigem Umfang, doch von unendlicher Würze.23 Ich schlage es auf, um zu lesen, was immer mir in die Augen falle, denn was anderes konnte es sein als etwas Frommes und Erbauliches? 27. Zufällig aber bot sich das zehnte Buch dieses Werkes an. Mein Bruder stand in der Hoffnung, aus meinem Mund ein Wort von Augustinus zu hören, mit offenem Ohr an meiner Seite. Gott ist mein Zeuge und auch er, der es miterlebte, dass die Stelle, auf die mein Auge fiel, so lautet:24 „Da gehen nun die Menschen hin, um die Höhe der Berge, die mächtigen Fluten des Meeres, die breit hinströmenden Flüsse, den Umkreis des Ozeans und die Bahnen der Gestirne zu bewundern, und verlieren dabei sich selbst.“ 28. Ich erstarrte, so gestehe ich, und indem ich den wissbegierigen Bruder bat, mich mir selber zu überlassen, schloss ich das Buch, zornig auf mich, weil ich auch jetzt noch Irdisches bewunderte, obwohl ich längst – sogar von heidnischen Philosophen – hätte lernen müssen, dass ausser der Seele nichts wunderbar, und neben ihrer Grösse nichts gross ist. 29. Nun gab ich mich mit der hinlänglichen Betrachtung des Berges zufrieden, wandte mein inneres Auge auf mich selber, und von dieser Stunde an hörte mich niemand mehr sprechen, bis wir unten angelangt waren. Zur stillen Beschäftigung hatte mir das erwähnte Wort reichlichen Stoff geboten. 30. Und ich konnte nicht annehmen, ein Zufall habe gewaltet, sondern hielt, was immer ich gelesen hatte, als ein zu mir und zu niemandem sonst gesprochenes Wort. Dabei erinnerte ich mich, dass die gleiche Vermutung einst auch Augustinus25 gehegt hatte, als ihm beim Aufschlagen eines Apostelbriefes, wie er selber erzählt, sogleich folgender Satz aufstiess: „Nicht Völlerei und Trunksucht, nicht Weichlichkeit und Schamlosigkeit, nicht Streit und Eifersucht! Zieht vielmehr den Herrn Jesus Christus an, und sorgt Euch nicht in Wollust um Euer Fleisch.“ 31. Ähnliches hatte noch früher Antonius erlebt.26 Aus dem Evangelium vernahm er die Worte:27 „Willst Du vollkommen sein, so geh und verkaufe alle Deine Habe, gib sie den Armen und komm und folge mir nach, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben“, und sogleich bezog er, wie sein Vitenschreiber Athanasios28 berichtet, den Befehl des Herrn ganz auf sich, als wäre das Schriftwort einzig seinetwegen gelesen worden. 32. Und wie Antonius auf
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diese Rede hin nicht weiter forschte, und wie Augustinus auf diese Lektüre hin nicht weiter las, so nahm auch bei mir alle Lektüre mit den wenigen angeführten Worten ein Ende. Und schweigend dachte ich nach, wie sehr die Sterblichen der Einsicht entbehren, wenn sie den edelsten Teil ihres Selbst ausser acht lassen, um sich im Vielerlei zu zerstreuen und bei eitlen Besichtigungen sich zu verlieren, weil sie das, was im Innern zu finden wäre, ausserhalb suchen. Dabei bewunderte ich, wie adlig unsere Seele wäre, hätte sie nicht aus eigenem Antrieb sich ihrem Wesen entfremdet, auch nicht von ihrem ersten Ursprung sich abgewandt und die Gabe, die Gott ihr einst zu ihrer Ehre schenkte, nicht in Schande verwandelt. 33. Was meinst Du, wie oft ich mich an diesem Tag auf dem Heimweg rückwärts wandte, um zum Gipfel des Berges hinaufzublicken! Und seine Höhe schien kaum eine Elle zu messen neben der Grösse menschlicher Vorstellungsgabe, wenn man diese nur nicht in den Kot irdischer Verderbnis hinabtaucht. Auch Folgendes fiel mir ein: Wenn uns nicht gereut, so viel Schweiss und Mühe zu ertragen, um den Leib ein bisschen näher an den Himmel heranzubringen, welches Kreuz, welcher Kerker und welche Folter dürften da eine Seele erschrecken, wenn sie, den protzenden Berg der Überheblichkeit und die menschlichen Geschicke mit Füssen tretend, unterwegs zu Gott ist? 34. Und weiter: Wie manchem mag es wohl gelingen, in der Furcht vor Beschwerden und im Verlangen nach Bequemlichkeit von diesem Pfad nicht abzuweichen? Oh der Überglückliche! Wenn es ihn gibt, so wird eben von ihm der Dichter29 ahnungsvoll gesagt haben: „Selig, wer es vermag, aller Dinge Natur zu ergründen, Furchtsamkeit jeglicher Art und das hart zuschlagende Schicksal Niederzuringen mitsamt dem Geheul der begehrlichen Hölle“. Oh wie viel Eifer müsste man daran setzen, nicht einen höher gelegenen Platz Erde, sondern die durch irdische Triebe hoch aufgequollenen Gelüste unter die Füsse zu zwingen! 35. Unter solchen Regungen der bewegten Brust bin ich, ohne den steinigen Pfad zu spüren, zu jener bäurischen Unterkunft, von dem ich vor Tagesanbruch fortgegangen war, in tiefer Nacht zurückgelangt, und der nächtliche Mondschein hat uns Wanderern willkommene Begleitung geboten. Dann aber habe ich für die Zeit, in welcher die Diener mit der Zubereitung des Abendbrotes beschäftigt waren, mich allein in einen abgelegenen Winkel des Hauses zurückgezogen, um Dir eilig und aus dem Handgelenk all das zu schreiben, damit nicht bei einem Aufschub infolge einer Ortsveränderung die Gemütserregung etwa nachlasse und der Eifer, Dir zu schreiben, sich abkühle. 36. Sieh, geliebtester Vater, wie ich Deinen Augen so gar nichts verbergen möchte, breite ich doch vor Dir sorgfältig nicht bloss mein gesamtes Leben, sondern auch jeden einzelnen Gedanken aus! Bete für sie, die so lange ungebundenen und unste-
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ten, damit sie endlich einmal beständig werden und, so unnütz und vielfach herumgewälzt, zum Einen, Guten, Wahren, Gewissen und Beständigen finden werden. Lebe wohl! Malaucène, am 26. April (1336, Fassung vielleicht 1352/3).30
Anmerkungen 1 Der Adressat, ein Augustiner, hat Petrarca möglicherweise schon als Kind gekannt, da er sich häufig an der Kurie in Avignon aufhielt, wohin der Vater des Humanisten seine Familie gebracht hatte. Er war als Diplomat tätig, dozierte an der Universität von Paris Theologie, schrieb aber neben theologischen Werken auch Kommentare zu klassischen Autoren. 1336 hielt er sich wieder in Avignon auf, reiste aber von dort nach Florenz, von wo er 1338, einem Ruf des Königs Roberto folgend, nach Neapel zog. Im Auftrag dieses Fürsten übernahm er wichtige Missionen, z. B. nach Aquila, und 1340 wurde er Bischof von Monopoli. Zwei Jahre später starb er. Vgl. bei Dotti, Vita, das Register, und vgl. auch Fam. 4,2, weiter: den Sammelband ed. Suiter Franco, Dionigi da Borgo San Sepolcro fra Petrarca e Boccaccio, San Sepolcro 2001. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Der Brief ist in der hier gebotenen Form gewiss nicht unmittelbar nach dem Aufstieg geschrieben worden. Petrarca hat manche seiner Werke mehrfach überarbeitet, vor allem auch erweitert. Einige Einzelheiten in der Schilderung sprechen für echte Erlebnisse. Bei leiblichen Erfahrungen Analogien für geistige zu suchen, war ihm übrigens ein alltägliches Bedürfnis. Vgl. Anm. 17. 19 und 23. 3 Der Mont Ventoux ist 1912 m hoch; er liegt nicht weit von Avignon und Vaucluse. Als grossartiges Forschungsgebiet galt er noch dem Naturwissenschaftler J. H. Fabre († 1924), der ihn dreiundzwanzigmal bestieg. 4 Solche und ähnliche Wortfolgen hat Petrarca eher gesucht als vermieden. 5 Liv. 40,21,2. 6 Philippos V. 7 De chorogr. 2,2,17. 8 Liv. 40,21,2. 9 1 Cor. 13,7 – 8. 10 Geboren 1307, damit 3 Jahre jünger als Petrarca. 11 Am 24. April 1336, sofern nicht eine Fiktion vorliegt. 12 Verg. Georg. 1,145 – 146. 13 Kleinschreibung des Du in der Anrede an sich selber. 14 Mt. 7,14. 15 Pont. 3,1,35. 16 Ps. 106,10 und 14. 17 Datiert man die endgültige Fassung dieses Briefes in die späten vierziger oder in die fünfziger Jahre, kann man darauf hinweisen, dass Petrarcas Bruder damals bereits Kartäuser war, sich – gemäss Petrarcas Vorstellung – also aus den Gefahren der Welt gerettet hatte, während der Dichter noch allzusehr darein verstrickt zu sein glaubte. 18 Vgl. Liv. 21,37,2. Gemeint ist Hannibal. 19 Amicum et patriam; diese Formulierung erfordert nicht, dass Petrarca mit dem „Freund“ den Adressaten in Italien meinte. Für die Datierung lässt sich aus der Bezeichnung nichts ableiten. 20 Nach dem Tod des Vaters 1326 gab Petrarca die Rechtsstudien in Bologna auf. 21 Conf. 2,1,1. 22 Ov. Am. 3,11b,35.
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23 In Anbetracht der Geisteshaltung Petrarcas ist leicht verständlich, wenn er das kleine Büchlein nicht zu den hinderlichen Dingen rechnete, die er am Fuss des Berges zurückliess. 24 Conf. 10,8,15. 25 Conf. 8,12,29. Augustinus las im Römerbrief 13,13.14. 26 Der Wüstenvater Antonius wurde im ganzen Mittelalter hoch verehrt. 27 Mt. 19,21; Mc. 10,21 und Lc. 18,22. 28 Athanasios, Patriarch von Alexandrien, Kirchenlehrer. 29 Verg. Georg. 2,490 – 492. 30 Vgl. Billanovich, Petrarca e il Ventoso, in: Italia medioevale e umanistica 9, 1966, 389 – 401 setzt den Brief auf das Jahr 1352/53. Zu andern Datierungen vgl. Wilkins, Petr. Corresp.54.
Fam. 4,2, an Dionigi da Borgo San Sepolcro1 Glückwunsch zur Berufung an den Hof von Neapel. 1. Begründung der Freude. 2. Über wahres und falsches Glück. 6. Vom Umgang mit angesehenen Männern. 7. Lob auf den König von Neapel, einen wahren Regenten. 14. Mit der Übersiedlung nach Neapel ist der Angesprochene seinem Ziel nahegerückt. 15. Petrarca hofft (mit Rücksicht auf den winkenden Lorbeer) bald an den Hof zu folgen. An der Quelle der Sorgue, am 4. Januar (1339).
1. Nichts Lieberes haben meine Ohren vernommen, seit sie Deine Stimme vermissen, als dies, Du seist auf einen Ruf hin zum König2 gezogen. „Eine Begründung,“ wirst Du sagen, „möchte ich hören“. Diese vermag ich nicht in Kürze zu geben. Daher beginne ich bei weit Abgelegenem. 2. Einmal hat Dir Deine Mutter ein langes Leben gewünscht, obwohl ein solches zahlreichen Gefahren und Beschwerden ausgesetzt ist; ein andermal Reichtum, obwohl er für die Menschen eine recht grosse Versuchung und eine verhängnisvolle Belastung der Freiheit bedeutet; wieder einmal einen wohlgestalteten Leib, obwohl er häufig einen Grund für eine missgestaltete Seele bietet. Was soll ich von Deinen Kameraden und was von Deiner Amme sagen? Alle Weiberchen haben die selbe Gewohnheit: Sie begehren das Törichte, nur das Lachhafte fürchten sie. 3. Von einem Vater darf man Besseres vermuten. Er hat seinem Sohn vielleicht gewünscht, was der Satiriker anführt:3 „Ciceros und Demosthenes’ 4 Ruhm und Redegewandtheit“, und doch sind auch diese Gaben voll von Gefahren, wie durch das Ende der beiden Männer bezeugt wird. Durch manche eitlen Wünsche, die Du selber oder andere für Dich hegten, wurden Gottes Ohren ermüdet. 4. Für Dich etwas von all dem zu erhoffen, vermeide ich ängstlich. Und warum? Weil es dumm ist, inständig zu begehren, was möglicherweise auf das schrecklichste endet. Eine gewisse andere Gabe wünsche ich Dir wie mir selber: Das selige Leben,5 das viele ersehnen und wenige finden. Der Pfad ist ja rauh, eng und beschwerlich, wogegen die Weglosigkeit ringsum angenehm und einladend ist. Bei jedem beliebigen menschlichen Handeln ist wie beim Pfeilschiessen das Verfehlen am leichtesten, wogegen ins Schwarze zu treffen – der Gipfel des Kunststücks! –, das schwierigste. Denn zum Gelingen gibt es einen einzigen Weg, zum Verfehlen aber unzählige. 5. Freilich kann man jenes Leben, das ich das glücklich nenne, in diesem unserem leiblichen Kerker (mögen auch sehr geistreiche und hochgebildete Männer anderer Meinung sein) durch menschliche Anstrengung zwar verdienen und erhoffen, aber erreichen und für immer bewahren, kann man es nicht. Hier eilt man auf dieser Laufbahn dahin, doch das Ziel ist dort, wo das Streben zur Ruhe kommt.
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Und nicht bloss wir6 sind davon überzeugt. Denn meinte wohl Cicero7 etwas anderes, als er sagte, dieses Leben sei der Weg zum Himmel? 6. Dennoch ist bisweilen ein Etwas, das mit jenem ewigen Leben Ähnlichkeit hat, schon diesem sterblichen verliehen, dann nämlich, wenn es zwar noch nicht selig ist (und selig ist nur, was nicht des Mindesten ermangelt), aber doch bereits das menschliche Elend tief unter sich sieht und – obwohl noch im Boden verhaftet – schon im Licht der höchsten Glückhaftigkeit leuchtet. Das gewährt nicht der Reichtum, nicht der Beifall einer tobenden Menge, nicht die Macht und nicht das Vergnügen, sondern das Gefolge der Tugenden und der Friede der Seele. Um diesen aber zu erreichen, gibt es meiner Meinung nach8 – es mögen andere verschieden denken – keine bessere Hilfe als die Vertrautheit mit edlen Charakteren und den Umgang mit angesehenen Männern. 7. Du siehst wohl, wohin ich ziele. Dennoch will ich deutlicher reden. Wer war in Griechenland ruhmvoller als Themistokles, so fragt Cicero;9 ich aber frage mit grösster Zuversicht: Wer ist in Italien, nein vielmehr in Europa, ruhmvoller als Roberto? Indem ich häufig seiner gedenke, pflege ich weniger seine Diademe als seine Sitten zu bewundern, auch weniger seine Königsherrschaft als seinen Geist. 8. Ihn will ich wirklich als König bezeichnen, da er nicht bloss seine Untergebenen, sondern auch sich selber regiert und im Zaum hält, und alle jene Neigungen meistert, die dem Geiste widerstreben und ihn, wenn er ihnen nachgäbe, erdrücken würden. Wie kein Sieg ruhmvoller ist als der, sich selber zu besiegen, so keine Herrschaft höher, als die, sich selber zu beherrschen. 9. Wie soll mir jener Regent sein, den Ehrgeiz regiert, wie jener unüberwindlich, den Unglück niederwirft, wie jener durchlaucht, den Schmerz verdüstert, wie hochgemut jener, den Furcht vor Geringstem entmutigt? Und um die strahlenden Namen der Tugenden zu übergehen: Wer will mir einen für frei ausgeben, der vom Joch zahlreicher, verschiedener Begierden beherrscht wird? 10. Nun will ich hinter alles das noch zurückgehen: Warum haben wir die Stirn, jenen einen Menschen zu heissen, von dem wir wissen, dass er vom Menschen nichts als das nackte Schattenbild festhält? Ihn, der durch tierische Sitten entstellt ist und in der Grausamkeit wütender Bestien Schrecken hervorruft? Ein sonderbarer, wenn zwar verbreiteter Wahnsinn ist es, den einen König zu nennen, der weder König, noch frei und häufig nicht einmal Mensch ist! 11. Etwas Grosses ist es, König zu sein; etwas äusserst Geringes, König zu heissen. Seltener sind die Könige, als man gewöhnlich vermutet, und keineswegs ist dieser Titel etwas Gewöhnliches. Seltener würden Edelstein und Elfenbein für Zepter verschwendet, wenn einzig die echten Könige solche führten. Wahre Könige tragen im eigenen Innern, was sie verehrenswert macht. Man entferne das Gefolge, lege Insignien beiseite: sie bleiben Könige. Die übrigen macht der äussere Aufwand furchterregend. Roberto aber ist wirklich ruhmvoll, und er ist wirklich König. Und wie gebieterisch er gegen sich
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selber ist, das bekunden die Bespiele seiner unerhörten Geduld und Mässigkeit, über die vielleicht anderswo zu sprechen sein wird. Wie weit aber seine Herrschaft über andere ausgreift, das zeigen die nach Sprache und Sitten geschiedenen Völker und die durch grosse Gebiete weit auseinander getrennten Grenzen.10 12. Dein Seneca11 hat in einer Tragödie das, was ein König tut und das, was er nicht tut, in diese vortrefflichen Verse gebunden: „König wird einer nicht durch Geld, Nicht durch Prunk eines Purpurkleids Nicht durch Reifen an Königsstirn, Nicht durch goldenen Herrscherstab; König ist, wer die Furcht ablegt Und vor Bösem das Herz verschliesst.“ und etwas weiter unten: „Nur der Gute beherrscht ein Reich. Nicht von Pferden verlangt er Heil, Nicht vom Schwert und vom feigen Pfeil, Den der Parther ins Weite schiesst, Wenn zum Schein er die Flucht ergreift. Nicht gedenkt er herbeizuziehn, Steine schleuderndes Kriegsgerät, Das die Städte in Trümmer legt. König ist, wer die Furcht nicht kennt.“ 13. Soviel jener. Du also hast diesem König (auf dass dem Briefanfang das Ende gemäss sei) auf seinen Ruf hin Folge geleistet. Und wodurch hat sich ergeben, dass er Dir solches befahl und Du ihm gehorchtest, wenn nicht durch die völlige Übereinstimmung der Euch gemeinsamen Ziele? Welch eine grosse Erleichterung seiner Sorgen er dadurch gewonnen hat, würde ich schildern, spräche ich jetzt zu einem andern. Dir jedenfalls wurde zum inneren Frieden (den laut Deinen häufigen Klagen das Getöse der tuszischen Wirren verscheucht hat)12 ein weit vorteilhafterer Zugang geöffnet. 14. Ich wünsche Dir daher Glück, sei’s zu Deiner Klugheit, sei’s zu Deinem Schicksal. Und das Wort, das mir schon früher im Munde war, wiederhole ich nun häufig um so zuversichtlicher. Denn als ich zuerst gerüchteweise und später dank Deinem Schreiben vernommen hatte, Du habest Florenz verlassen und seist nach Neapel gezogen, habe ich mir und auch Freunden bestätigt: Unser Dionigi ist dem Frieden seiner Seele mit grossen Schritten entgegengegangen und hat zum glücklichen Leben den kürzesten Weg gewählt.»13 15. Was mich angeht, höre Folgendes: Bald werde ich nachkommen. Du weisst ja, was ich hinsichtlich des Lorbeers überlege.14 Alles einzelne bedenkend habe ich
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mich entschlossen, ihn allein dem König, von welchem wir reden, und durchaus keinem andern Sterblichen zu verdanken. Kann ich verdienen, gerufen zu werden, ist es gut. Andernfalls würde ich tun, als hätte ich was weiss ich vernommen oder würde, gleichsam zweifelnd am Inhalt des Briefes, den er mir als einem völlig Unbekannten mit höchster und freundlichster Anerkennung geschickt hat, den günstigsten Sinn daraus lesen, nämlich, ich sei gerufen worden. Übrigens habe ich auf das königliche Schreiben, durch seinen Lichtglanz geblendet, nur ganz plebejisch geantwortet15 und nicht mit ebenbürtigen Geisteskräften, sondern auf einer – wie man sagt – völlig ungleichen Leier. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 4. Januar (1339).16
Anmerkungen 1 Zum Adressaten vgl. den vorangehenden Brief. Fam. 4,2 liegt in einer kürzeren und einer längeren Fassung vor. Als der erste Teil geschrieben wurde, befand sich der Adressat schon in Neapel, woraus sich als Terminus post quem 1339 ergibt. Doch wusste Petrarca offenbar noch nichts von einer Bischofswahl des Freundes. Am 17. März 1340 übernahm dieser die Leitung der Kirche von Monopoli. Daraus ergibt sich der Terminus ante quem. Der zweite Teil aus späterer Zeit ist wohl fiktiv. 2 Zu König Roberto (aus dem Hause Anjou oder italienisch Angiò) von Neapel, der den Zunamen „der Weise“ erhielt. Dionigi reiste zu ihm 1338 von Florenz aus. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 3 Iuv. Sat. 10,114. 4 Demosthenes, Rhetor und Staatsmann. 5 Die Bedeutung des Wortes wird weiter unten 5 ff. erklärt; vgl. Mt. 7,14. 6 Wir: das heisst hier wie oft: wir Christen. 7 Somn. Scip. 3,7. Cic. De rep. 6,16,16. 8 Vgl. Quint. Inst. 4,3,17. 9 De am.(Laelius) 12,42. 10 Vom Reich Sizilien/Neapel hatten jedoch die Anjou die Insel bereits an Aragon verloren, und auch ihre Machtstellung auf der italienischen Halbinsel, vor allem ihr Einfluss auf Norditalien, und schliesslich ihre Güter in der Provence waren stark gefährdet. 11 Thyestes, 344 – 349 und 380 – 388; „Dein“ Seneca sagt Petrarca, denn Dionigi hatte einen Kommentar zu dessen Tragödien geschrieben. 12 Unruhen entstanden in Florenz Ende der Dreissiger- und Anfangs der Vierzigerjahre wegen Auseinandersetzungen unter den Bürgern, instabiler wirtschaftlicher Verhältnisse, Verwicklungen in den 100jährigen Krieg, die zum Bankenkrach der Bardi und Peruzzi führten, wie auch infolge einer Beteiligung an Kriegen gegen Mastino della Scala von Verona. 13 Hier endet die erste Fassung des Briefes. Der Zusatz wurde möglicherweise 1352/3 verfasst. 14 Dies der zweite Hinweis in den Familiaren auf die gewünschte Dichterkrönung. Vgl. Fam. 2,9,18. 15 Vgl. das folgende Schreiben. Auf den König von Neapel setzte Petrarca die grössten Hoffnungen für sein leibliches und geistiges Fortkommen, da er Frankreich verlassen und nach Italien heimkehren wollte. 16 Zur Datierung vgl. Anm. 1 und Wilkins, Petr. Corresp. 55.
Fam. 4,3, an den ruhmreichen König Roberto von Sizilien1 Antwort auf ein Schreiben. 1. Emphatischer Lobpreis auf den König Roberto von Neapel/Sizilien. 2. Vor allem auf seine Redekunst. 5. Exkurs über den Glauben an die Unsterblichkeit. 9. Die verstorbene Nichte des Königs habe eine doppelte Ewigkeit erlangt. An der Quelle der Sorgue, am 26. Dezember (1338/1339).
1. Getroffen hat meine Augen ein ungewöhnlicher Blitzstrahl. Glücklich ist die Feder zu schätzen, der man so Grosses anvertraut. Was soll ich vor allem bewundern? Die vortreffliche Kürze, die Erhabenheit der Aussagen oder die gottvolle Anmut der Rede? Niemals in der Tat, ruhmvoller König, habe ich vermutet, man könne so Bedeutendes so kurz, so wohlüberlegt und so ausdrucksvoll sagen; ich habe das von menschlicher Fähigkeit nicht erwartet. 2. Damit sich erweise, dass die Herzen der Menschen in Deiner Hand sind – ein Ziel, nach dem die Absicht glänzender Redner giert –, hast Du die Seele des Lesers im höchsten Mass zu verschiedenen Gemütsbewegungen erregt, weshalb sie widerstandslos jeder Richtung Deiner Feder mit unglaublicher Beweglichkeit folgte. 3. Denn sieh, bereits im ersten Teil Deiner wohldurchdachten Schilderung hast Du die Summe des menschlichen Elends, die quälenden Beschwerden der Drangsal und die bitterste Notwendigkeit des Todes, wie sie allmählich aus keimenden Wurzeln in Zweige und Blätter kriecht, unübertrefflich beklagt und hast mich dadurch so erschüttert, dass ich beim Lesen fortwährend aufseufzte und mich über das unausweichliche Schicksal entsetzte, ja das ganze Menschengeschlecht geradezu hasste und beinahe wünschte, ich wäre nie geboren worden und würde nie geboren werden. So war mir geschehen, und die Ruhe war mir schon völlig entglitten, als die selbe Hand, welche die tödliche Wunde geschlagen hatte, auch gleich das Heilmittel darreichte. 4. Ich spürte den einen und einzigen Werkmeister sowohl der plötzlichen Traurigkeit wie auch der Tröstung, und niemals vorher hatte ich klarer begriffen, was alles die Redekunst vermöge. So machtvoll hast Du mit Hilfe weniger Worte unter Hinweis auf die Unsterblichkeit der Seele und eine zukünftige Erneuerung den kranken und wankenden Geist in die Höhe gerichtet, dass es mir nun zur Freude gereichte, als sterblicher Mensch gezeugt und geboren zu sein. Denn welche grössere Seligkeit lässt sich erdenken als die,2 der leiblichen Hülle entledigt und diesen Fesseln entwunden zu werden, um nach Ablauf der Zeiten zu jenem Tag zu gelangen, der uns, wenn der Tod verschlungen ist, in Unsterblichkeit3 kleidet, indem er das morsche, von Motten zernagte und rings zerfliessende Kleid unseres Fleisches zur Unzerstörbarkeit erneuert und umformt. 5. Und wenn auch an diese Hoffnung4 kein einziger der heidnischen Philosophen gerührt hat, gibt es dennoch den
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Begriff der Unsterblichkeit seit urdenklichen Zeiten, ja er ist nicht bloss den Unsern, nein auch jenen andern, denen Christi Namen nie zu Gehör kam, glaubhaft. 6. Ausser Epikuros nämlich und ich weiss nicht wie viele aus seiner berüchtigten Herde gibt es niemanden, der die Unsterblichkeit der Seele bestreitet.5 Über diese Sache hat – um Pherekydes,6 den ersten Lehrer von Skyros, auch dessen Schüler Pythagoras und die ganze pythagoräische Schule, sowie Sokrates und alle Sokratiker zu übergehen7 – gerade auch Platon, dieser unvergleichliche Mann, ein hochberühmtes Schriftwerk8 veröffentlicht; und dieses soll Cato von Utica, als er sich zum Tod bereitete, in der letzten Nacht zu Rate gezogen haben, um sich desto mutiger nach der Verachtung dieses Lebens und nach der Liebe zum beschlossenen Tod auszustrecken.9 7. Und die gleiche Lehre hat später Marcus Cicero in seinen „Tuskulanen“10 und in der sechsten, wahrhaft göttlichen Rede „Über die Republik“11 untermauert, ebenso im Dialog „Laelius“,12 der die wahre Freundschaft behandelt, weiter in jenem Buch, das mit „Cato der Ältere“13 betitelt ist und das Greisenalter verteidigt. Ausserdem hat er sie auch sonst an zahlreichen Stellen berührt, weshalb mir scheint, er sei ernstlich darum besorgt gewesen, dass diese so gut verbürgte Wahrheit ja niemandem entgehe. 8. Doch wem sage ich das, ich Dummkopf? Wahrhaftig ihm, der nicht allein über die Könige unserer Zeit, sondern auch über die Philosophen ein König ist. Habe Nachsicht, ich bitte Dich, wenn ich mich in der Hitze des Redens dazu hinreissen liess, die königliche Lehrmeinung, der ich wahrhaftig sehr vieles schulde, nicht allein anzunehmen, sondern unter Beiziehung von Zeugen auch zu bekräftigen. Sie hat meinen Geist so ganz in Besitz genommen, dass ich den von den Heiden gefürchteten Todestag schon ruhig und voll Hoffnung erwarte. 9. Diesen Tag hat Deine Nichte,14 die am Schluss Deines Briefes gelobt und gerühmt wird, überwunden und hat – so jedenfalls scheint mir – eher ein beneidenswertes als trauriges Schicksal gefunden. Zwar ist sie gerade in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit gestorben, weshalb beinahe der ganze Erdkreis sich betrübt und die Völker beider Reiche (nämlich das der Herkunft wie das der Bestimmung dieses seltenen und ungewöhnlichen Schatzes) aufschreien und wehklagen; aber selber ist sie doch glücklich, nämlich nicht allein darum, weil sie über die schreckliche Schwelle des Todes zu den Seligkeiten des ewigen Lebens gelangt ist, sondern auch darum, weil eben Du sie mit vortrefflichen Lobreden für alle Zeiten verherrlicht hast. 10. Wer denn wird wagen, sie tot zu nennen? Wer wird sie nicht glorreich lebendig heissen? Gott wollte ja, dass sie im Himmel, und Du, dass sie auf Erden weiterlebe. Oh glückliches Weib, sage ich, und noch einmal glücklich, da sie für ein einziges zeitliches Leben, und zwar ein kurzes, gefährdetes und stets tausend Zufällen preisgebenes, zwei Ewigkeiten – so möchte ich sagen – erreicht hat, deren eine sie dem himmlischen, deren andere sie dem irdischen König zu danken hat, das eine Christo und das andere Roberto. 11. Indem sie diese beiden unermesslichen Ga-
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ben von allergütigsten Gebern empfängt, muss sie doppelt glücklich erscheinen, weil sie im Himmel und auf Erden ihren Dank gerade den Würdigsten schuldet. Grosser Wert wird einer Gabe eben durch die Bedeutung des Spenders hinzugefügt, und vieles hängt davon ab, von wem man die Wohltat empfangen hat und wem man in der Folge verpflichtet ist.15 12. Freilich will ich über den ihr im Himmel bestimmten Zustand der Unsterblichkeit und über die schönste Verwandlung ihres Lebens schweigend hinweggehen, auf dass mir nicht beim Forschen nach unaussprechlichen Dingen die Kräfte versagen. Doch wie gross ist doch die Glorie, die Du mit Deinem Lob ihr erwirkt hast! Gewiss, solange Dein Epigramm (oder Dein Epitaph, wenn Du es so zu nennen vorziehst) das Gedächtnis Deiner neulich verstorbenen Nichte verklärt – und es wird, wie ich vertraue, ewig bestehen –, solange wird auch sie mit Dir und mit den herrlichsten Namen aller Zeiten lebendig sein. 13. Es wird Menschen geben, die sich gerne ein frühzeitiges Sterben und den Verlust einiger Jahre durch ein solches Panegyricum aufwiegen liessen und die seufzend wiederholen würden, was von Achilles einst Alexander der Grosse gesagt haben soll:16 „Oh glückselig Dein Tod, da Du einen solchen Herold Deines Heldentums gewonnen hast!“ 14. Doch jetzt fürchte ich, meine Weitschweifigkeit verursache Überdruss. Deine höchst geistreiche Kürze gebietet mir Einhalt. Daher komme ich zum Ende, indem ich Gott und alle Himmlischen bitte, sie möchten besorgt sein, dass Deine Herrlichkeit, die sich sowohl in Kriegen wie in Studien mit Lorbeer geziert hat, noch lange Zeit unter glücklichen Umständen gedeihe. An der Quelle der Sorgue, am 26. Dezember (1338/39).17
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. An König Roberto ist auch Fam. 4,7 gerichtet. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 1 Cor. 15,53 – 54. 3 Vgl. 1Cor. 15,50 ff. 4 Gedacht ist an die Hoffnung auf Auferstehung nicht allein der Seele, sondern auch des Leibes. 5 Vgl. Hor. Epist. 1,4,16. 6 Kosmologe auf der genannten Insel im 6. Jh. v. Chr. 7 Vgl. Cic. Tusc. l,16,38. 8 Vgl. Phaidon. 9 Sen. Ad Lucil. 24,6; Flor. Epit. 2,13,71. 10 Tusc. 1,11. 11 Macr. In Somn. Scip. 1,1,8 ff. 12 De am. 4,13 ff. 13 De sen. 21,78 ff. 14 Clementia von Ungarn, Tochter Karl Martells, Witwe des Königs Ludwig X. von Frankreich, lebte zurückgezogen in einem Kloster in Aix bis zu ihrem Tod.
196 15 Vgl. Sen. De benef. 2,18. 16 Cic. Pro Arch. 10,24. 17 Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 55.
Fam. 4,3
Fam. 4,4, an Giovanni Colonna, Kardinal der römischen Kirche1 Fragen um die Dichterkrönung. 1. Über zwei Einladungen zur Dichterkrönung. 5. Der Kardinal möge entscheiden, welche Petrarca vorziehen solle. An der Quelle der Sorgue, am 1. September (1340).
1. An einem doppelten Scheideweg stehe ich, und wohin ich mich am ehesten wenden soll, weiss ich nicht. Wunderbar freilich, doch kurz ist die Geschichte. Am heutigen Tag um ungefähr die dritte Stunde ist mir ein Schreiben des Senats2 überreicht worden, in dem ich sehr nachdrücklich und mit grosser Überredungskunst zum Empfang des Dichterlorbeers nach Rom geladen werde.3 An diesem gleichen Tag um etwa die zehnte Stunde ist der selben Sache wegen ein Bote des hochangesehenen Kanzlers Roberto von der Universität Paris4 (der übrigens mein Mitbürger und mir und meiner Angelegenheit sehr gewogen ist) mit einem Brief zu mir gekommen und hat mich mit überaus wohlerwogenen Gründen ermuntert, nach Paris zu reisen. 2. Wer hätte, ich bitte Dich, jemals vermutet, dass sich Derartiges zwischen solchen Klippen ereignen würde! Und da der Zufall wahrlich fast unglaublich ist, erhältst Du beide Briefe mit unbeschädigten Siegeln.5 Der eine ruft mich nach Osten, der andere nach Westen, und Du wirst sehen, mit wie kräftigen Argumenten ich von beiden Seiten bedrängt werde. 3. Ich weiss zwar, dass fast allen menschlichen Werken die innere Festigkeit fehlt. Bei einem guten Teil unserer Sorgen und Taten werden wir, wie ich meine, durch Schatten genarrt. Doch da nun jugendlicher Mut mehr nach Ruhm als nach Tugend begehrt, warum sollte ich da – wo Du doch selber mir Kühnheit verleihst, vertraulich vor Dir mich zu rühmen –, warum, frage ich, sollte ich dieses Ereignis mir nicht ebensogut zur Ehre anrechnen, wie einst der gewaltigste der afrikanischen Könige, nämlich Syphax,6 getan hat, als ihm zur einen und gleichen Zeit die beiden mächtigsten Städte auf Erden, Rom und Karthago, ihre Freundschaft antrugen? 4. Dabei galt wahrhaftig jenes Angebot bloss seinem Reich und seinen Schätzen, dieses hier aber gilt meiner Person! Strotzend von Gold und Edelstein sass jener auf seinem stolzen Thron, umgeben von bewaffneten Söldnern, als seine Bittsteller sich nahten. Ich dagegen streifte morgens einsam durch die Wälder und wandelte abends über die Wiesen an den Ufern der Sorgue, als die meinen mich fanden. Mir bot man Ehre an, von jenem verlangte man Hilfe! 5. Weil aber das Freudengefühl der Einsicht feind ist, bin ich über den Erfolg so erfreut wie über die Entscheidung unsicher. Denn auf der einen Seite bedenke ich den Reiz des Neuen, auf der andern die Ehrfurcht vor dem Alten, hier den Freund, dort das Vaterland. Ein einziger Umstand gibt der einen Waagschale mehr Ge-
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Fam. 4,4
wicht: Der König von Sizilien7 lebt in Italien, und ihn kann ich von allen Sterblichen mit besonderer Gelassenheit als Richter über meine Begabung ertragen. Das ungewisse Fluten meiner Bedenken siehst Du. Hast Du Dich nicht geschämt, Deine Hand nach meinem Steuerruder auszustrecken, wirst Du meinem schwankenden Gemüt auch die Richtung weisen. Lebe wohl, Du unsere Zier! 8 An der Quelle der Sorgue, am 1. September gegen Abend (1340).9
Anmerkungen 1 Petrarca stand im Dienst dieses Kardinals. Vgl. Fam. 1,4 Anm. 1. Vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Des römischen. 3 Vor Petrarca waren im 14. Jahrhundert bereits Albertino da Mussato 1315 in Padua, Dante 1321 in Ravenna während seines Begräbnisses und – gemäss Petrarcas Auskunft – (Sen.16,1) Convenevole von Prato mit dem Lorbeer ausgezeichnet worden. In der Antike ehrte man bedeutende Dichter mit einem Eichenkranz auf dem Kapitol in Rom. Dann wurden solche Auszeichnungen der Dichter vergessen (Suet. Domit.4,4). 4 Roberto de’ Bardi, Kanzler der Pariser Universität seit l336. 5 Petrarca stützt sich also auf die Aussagen der Boten, ohne die Schreiben gelesen zu haben. 6 Vgl. Liv. 28,18,1. 7 Roberto von Neapel/Sizilien aus dem Hause Anjou (Angiò). Petrarca hatte bereits den Kontakt mit diesem Fürsten gesucht. Vgl. Fam. 4,2 und 4,3 8 Vgl. Hor. Carm. 1,1,2. 9 Die Krönung erfolgte am 8. April 134l im Senatorenpalast auf dem Kapitol. Zur Datierung des Schreibens vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 55.
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Fam. 4,5, an Kardinal Giovanni Colonna1 1. Annahme des von Kardinal Colonna gebotenen Ratschlags. 2. Mit dem Kanzler der Pariser Universität hofft der Schreibende sich mündlich zu verständigen. 3. Über eine weitere Angelegenheit kann sich Petrarca nicht äussern. An der Quelle der Sorgue, am 10. September (1340).
1. Deinen Ratschlag nehme ich nicht bloss an; ich drücke ihn auch ans Herz. Grossartig ist er gewiss und Deiner Weisheit wie Deiner Menschlichkeit überaus würdig. Auch bereitet mir Deine Liebe zum Vaterland keine Bedenken, denn grösser ist Deine Liebe zur Wahrheit. Ich gehe, wohin Du mir befiehlst, und sollte sich jemand über die Wahl verwundern, würde ich dem Verwunderten zuerst Gründe und dann Deinen Namen entgegenhalten, denn häufig wird ja an stelle eines Grundes eine Autorität gutgeheissen. 2. Zu überlegen bleibt freilich, mit welchen Worten ich mich vor meinem Roberto2 entschuldige, damit nicht bloss er persönlich, der sich leicht mit uns verständigt, sondern auch die mächtige Universität, wenn die Sache ans Licht kommt, sich zufrieden gibt. Doch darüber rede ich mit ihm ausführlicher. Ich höre nämlich, er komme selber her, um mich nach Paris zu bringen. Wenn das stimmt, kann man die Sache mündlich erledigen. 3. Über das, was Du am Briefende von mir wissen willst, kann ich, solange ich die Sache bei mir überlege, nichts sagen. Ich müsste etwas fabeln.3 Die Geschichte ist meinem Charakter zuwider, und was mir diese Frage noch völlig entfremdet, ist der Umstand, dass mich längst ganz andere Sorgen beschäftigten. Auch ist wahr, was Sallust4 gesagt hat: „Wo Neigung ist, da kräftigt sie den Verstand.“ Überdies ist die Sache längst veraltet und meinem Gedächtnis in der Frist vieler Jahre entfallen. Daher gilt, was Plautus5 sagt: „… Lange Frist lässt meinen Geist unsicher sein.“ Doch auch darüber mündlich. An der Quelle der Sorgue, am 10. September (1340).6 Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Gemeint ist der Kanzler der Universität Paris, Roberto de’ Bardi. 3 Was gemeint ist, bleibt unsicher. Von Plänen, die an Petrarca herangetragen wurden, seinen Neigungen aber nicht entsprachen, hört man zu verschiedenen Zeiten. 4 Cat. 51,3. 5 Epid. 4,1,544. 6 Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 55. Mit späterer Überarbeitung ist wie immer zu rechnen.
Fam. 4,6, an Giacomo Colonna, Bischof von Lombez1 1. Klage über die mehrfache Verhinderung eines Zusammenseins mit dem Freund, auf dessen Hilfe der Schreibende oft angewiesen wäre. 5. Nachricht über die bevorstehende Dichterkrönung. 7. Eitelkeit wird nicht geleugnet. Avignon, am 15. Februar (1341).
1. Fortunas Nachstellungen beginne ich nicht erst heute zu begreifen. Sie fällt uns nicht bloss an, nein, sie trennt uns und entfernt uns voneinander, denn weder in frohen noch in trüben Tagen durfte der eine dem andern eine Erquickung sein. Sie wusste, wie grosse Sorgen, die niemand völlig zu beheben fähig war ausser Du allein, mein Herz einst gefoltert haben! Damals war’s, als ich bei meiner Rückkehr aus dem Norden erfuhr, dass Du aus sonderbar ausgeklügelten Gründen verreist warst,2 Du meiner brennenden Herzensnot einzige Labsal! 2. Du warst also nach Rom aufgebrochen, nach Deiner und der uns allen gemeinsamen Vaterstadt, und sie, die mir immer vor allen Städten begehrenswert war, weckte dann um ihrer selbst willen wie auch Deinetwegen meine zwiefache Sehnsucht. Dennoch blieb die Schwierigkeit, Dir zu folgen, bestehen und hielt meinen Geist in Trauer und Niedergeschlagenheit gefangen, so dass ich, der ohne Dich überall ein Verbannter zu sein glaubte und damals mehr als sonst angstvoll und liebeskrank war, Rom Dir missgönnte und Dich Rom. In diesem Zustand, als eben Fortuna das jugendliche Ungestüm im Zaume hielt, habe ich die wenigen Jahre, die wir voneinander getrennt verbrachten, wie viele Jahrhunderte empfunden. 3. Endlich aber reiste ich, wie Du weisst, beim Toben von Winter, Meer und Schlachten zu Dir;3 denn alle Hindernisse bewältigt die Liebe, und wie Maro4 sagt: „Treue bezwang den steinigen Pfad.“ Und während die Augen nach ihrem verehrten, überaus lieben Gegenstande suchten, spürte mein Leib nichts von den Beschwerden des Meeres (wiewohl er von Natur dafür sehr empfindlich ist) und der ganze Körper auch nichts von der Rauheit des Nebels und Geländes, das Gemüt nichts von irgendwelchen drohenden Gefahren. So sehr war mein ganzes Ich mit allen Gedanken bei Dir, dass ich, einzig auf Dich gerichtet, das Gegenwärtige nicht wahrnahm und mir, sobald ich Dich gefunden hatte, die Erinnerung an die lange Reise dahinschwand. 4. Doch sieh, nun wirft Fortuna die gleiche Schlinge aus, wenn auch in anderem Sinn, weshalb ich jetzt nach Rom ziehe, während Dich die Gascogne und die Küste im äussersten Westen festhält5 und wir eben jetzt besonders weit auseinandergerissen sind, wo ich doch Deine Gegenwart am stärksten ersehne, Du meines ganzen Ruhmes höchste Zier! So aber pflegt es mit den Wünschen der Sterblichen zu gehen: Je heftiger sie etwas begehren, um so schwerlicher können sie's erreichen.
Fam. 4,6
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5. Damit Du aber mit Deinem besseren Selbst6 zur rechten Zeit hier anwesend seist, sollst Du wissen, dass ich im Verlangen nach dem delphischen Lorbeer (der einst als besondere Auszeichnung den ruhmvollen Caesaren und heiligen Sängern vorbehalten war und jetzt verachtet und vergessen wird) just am heutigen Tag die Reise angetreten habe.7 Er hat mir wahrhaftig viele schlaflose Nächte beschieden, und mit Dir habe ich oft manches über ihn verhandelt. Und als mich nun, so gering ich bin, die grössten Städte, Rom und Paris, die eine als Haupt der Welt und Königin der Städte, die andere als Ernährerin moderner Wissenschaften, im Wettstreit zu sich riefen, da habe ich nach verschiedenen Überlegungen, bei denen Dein Bruder mir unvergleichlich kräftiger als andere mit Zuspruch und Ratschlag zur Seite stand,8 endlich beschlossen, ihn nirgends als in Rom über der Asche der alten Sänger und an ihrem Sitz entgegenzunehmen. 6. Dafür benötige ich nun ein wenig Zeit. Ich muss mich zum König 9 begeben; ich muss Neapel besehen; dann wird die Reise nach Rom folgen; dort wird sich eine Verzögerung von einigen Tagen ergeben, und schliesslich wird, wenn die Berechnung stimmt, am 8. April, dem Ostertag, auf dem Kapitol die Festlichkeit stattfinden. 7. Du fragst, wozu diese Mühe, dieses Verlangen, diese Sorge? Ob der Lorbeer gelehrter und besser mache? Nein, höchstens berühmter und wehrlos gegenüber dem Neid der vielen. Wissenschaft und Tugend haben ihren Sitz im Geist und nisten nicht wie Vöglein in laubigen Zweigen. Wozu also dieses Laubgebinde? Meine Anwort willst Du hören! Welche meinst Du, wenn nicht die des jüdischen Weisen: „Eitelkeit der Eitelkeiten, und alles ist Eitelkeit.“10 Doch so sind die Sitten der Menschen. Du aber lebe wohl und steh mir bitte in freundlicher Gesinnung bei. Avignon, am 15. Februar (1341).11
Anmerkungen Vgl. Fam. 1,6 und 2,9; 2,13; 2,14. Vgl. Fam. 1,5 und 1,6. Im Januar 1337. Aen. 6,688. Am Bischofssitz Lombez. Also geistigerweise. Das ist eben der 15. Februar 1341. Vgl. Fam. 4,4 und 4,5. Auch zu Dionigi da Borgo S. Sepolcro hatte Petrarca offenbar über die Ausführung des Plans gesprochen; vgl. Fam. 4,2,15. 9 Zu König Roberto von Sizilien. 10 Ecclesiastes (Cohelet) 1,2. 11 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 55. 1 2 3 4 5 6 7 8
Fam. 4,7, an König Roberto von Sizilien/Neapel1 Über die Dichterkrönung. 1. Über die Förderung der freien Künste durch den König. 2. Die Dichterkrönung werde manches Talent zu grosser Leistung ermuntern. 5. Das Vorbild des Augustus. 6. Meinungen über den Niedergang der Dichterbegabung und allgemeinen Kultur. Worte der Neider. 8. Ansporn zu neuen Leistungen. 10. Roberto ein neuer Augustus. 11. Mitteilung über die Feierlichkeiten in Rom, denen der König fernbleiben musste. 12. Petrarca werde gerne an den Hof von Neapel zurückkehren. Pisa, am 30. April (1341).
1. Wie vieles Dir die Studien der freien und ehrenvollen Künste verdanken, zu deren König, oh Zierde der Könige, Du in Deinem Eifer Dich gemacht hast und damit – so scheint mir – noch glänzender bist als durch den Stirnreif des zeitlichen Königtums, das ist der Welt schon seit langem bekannt.2 Doch kürzlich hast Du die vereinsamten Musen Dir mit einer neuen Wohltat verpflichtet, denn Du hast diese meine Begabung, wie gering sie auch sei, feierlich ihnen geweiht. Dabei hast Du die Stadt Rom und den ausgedienten Palast auf dem Kapitol mit unverhoffter Freude und ungebräuchlichem Blätterkranz verherrlicht.3 2. Eine Kleinigkeit, wird einer vielleicht sagen, tatsächlich aber ist das in seiner Neuheit beachtenswert und wird durch den Beifall und Jubel des römischen Volkes aufs höchste verherrlicht. Denn der Brauch des Lorbeerkranzes, während vieler Jahrhunderte nicht bloss unterlassen, sondern hier schon völlig vergessen, weil ganz andere Sorgen und Neigungen im Gemeinwesen walteten, ist nun zu unseren Lebzeiten – Du warst Führer, ich Streiter – zurückerobert worden.4 3. Ich kenne in Italien und im Ausland vortreffliche Talente, die von diesem Probestück durch nichts abgehalten wurden als durch das Ungewohnte der Sache und durch das immer bestehende Misstrauen gegen Neues. Von diesen erwarte ich, dass sie jetzt, nachdem sie die Gefahr an meinem Kopf erprobt haben, bald schon nachfolgen und den römischen Lorbeer dank ihren Studien um die Wette abpflücken.5 4. Wer sollte denn schon fürchten, unter der Führung Robertos aufbrechend die Fahne seines zaudernden Geistes hochzuheben? Zum Vorteil wird es gereichen, in dieser Heerschar der erste zu sein, doch würde ich nicht einmal für unrühmlich halten, darin bloss als letzter zu stehen. Was mich betrifft, wäre ich, wie ich gern bekenne, so grosser Ehre nicht gewachsen gewesen, hätte mir Dein Wohlwollen nicht Kräfte und mutige Entscheidungen eingeflösst.6 Und hättest Du nur den Glanz des Festes mit der Gegenwart Deiner strahlenden Stirne erhöhen können! In der Tat habe ja – gemäss Deiner mehrfachen Aussage – nur Dein Alter solches verhindert,7 während gerade Deine königliche Hoheit es durchaus nicht verboten hätte. 5. Spüren konnte ich dank manchen Anzeichen, wie sehr gewisse Sitten eines Caesar Augustus sich bei Dir vollkommen wie-
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derfinden, bedenkt man, wie jener einem Flaccus, der bloss ein Freigelassener war und zuerst gar den Gegenparteien anhing, nicht nur versöhnlich, sondern wohlwollend und auch vertraulich begegnete. Übrigens hat er auch vor lauter Freude an der Begabung seines Maro dessen plebejische Herkunft übersehen. Vorzüglich! Was wäre denn weniger königlich als dies, von Menschen, die sich durch mannhafte Tat und Verstandeskraft auszeichnen und denen folglich wahrer Adel nicht mangelt, ja denen Du selber Adel verleihen könntest, rein äusserliche Gaben zu fordern! 6. Wohl weiss ich, was hierauf unsere zeitgenössischen Literaten, ein hochmütiges und erbärmliches Pack, erwidern. Sie sagen, Maro und Flaccus lägen begraben, es lohne sich nicht, ihretwegen viele Worte zu verlieren. Hervorragende Männer seien vor langer Zeit verschwunden, mässig begabte vor kurzer Zeit ebenso, und zuletzt sei – wie üblich – bloss die Hefe geblieben. Was sie sagen und was sie denken, ist mir sehr wohl bekannt, und ich widerspreche nicht in allem. 7. Denn mir scheint ein bestimmtes Wort von Plautus nicht so wohl für dessen eigene Zeit, die noch kaum an der Sache Geschmack gefunden hatte, als für die unsere zu passen:8 „Es stand damals die Poesie in Blütenpracht; Die schwand, und was uns blieb, ist Unansehnlichkeit“. Hierüber zu klagen, sind wahrhaftig weit eher wir zu unserer Zeit berechtigt. Denn damals waren diejenigen Dichter noch gar nicht gekommen, deren Ableben wir heute bedauern. Ganz niederträchtig ist aber die Absicht der erwähnten Leute, denn sie reden so nicht, um den Untergang der Wissenschaften zu beklagen; sie wünschen im Gegenteil, diese wären erstickt und begraben. Sie reden so, um ihre Zeitgenossen, die sie nicht nachzuahmen vermögen, zu schrecken und zur Verzweiflung zu bringen. 8. Allerdings ist ihnen ihre eigene Verzweiflung ein Hemmnis, uns aber ein Ansporn. Und das, woraus ihnen Schranken und Fesseln entstehen, wird uns zum Triebwerk und Stachel, so dass wir versuchen, just wie einer von denen zu werden, die es gemäss ihrer Meinung nicht mehr gibt, als habe nur die Antike solchen Ruhm verliehen. Denn gibt es grosse Begabungen wirklich selten, gibt es ihrer nur wenige, so gibt es immerhin einige. Und was verbietet uns, von den wenigen eine zu werden? Würde die Seltenheit ihrerseits jeden entmutigen, gäbe es über kurzem nicht einmal wenige, sondern keine. Laufen wir, hoffen wir, so wird uns vielleicht gegeben, zum Ziel zu gelangen. Selbst Maro9 hat ja gesagt: „Man kann, wenn man glaubt, dass man könne.“ Wir aber, sei versichert, werden ebenfalls können, sofern wir einmal zu können vertrauen. 9. Was denkst Du? Sieh, Plautus beklagt sein eigenes Zeitalter wohl im Schmerz über den Tod von Ennius und Naevius.10 Aber sogar das Zeitalter des Maro und Flaccus galt für unwürdig dieser beiden grossen Talente. Der eine, ein
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gottbegeisterter Dichter, wurde Zeit seines Lebens unablässig durch Anfeindungen der Neider gepeinigt und als einer, der sich mit fremden Federn schmücke, zerrissen;11 dem andern wurde zur Last gelegt, dass er die früheren offenkundig allzu wenig bewundere.12 So war es und so wird es auch bleiben, dass man die Vorzeit mit Verehrung und die Gegenwart mit Missgunst betrachtet.13 10. Dir aber, Du bester der Könige und Du gleicherweise erhabenster der Philosophen und Dichter, eignet, wie ich von Dir gelernt habe, in besonderem Mass auch ein anderes Merkmal des eben genannten Fürsten. Tranquillus14 schildert es so: „Hohe Begabungen seiner Epoche hat er auf jede Weise gefördert.“ Auch Du förderst ja auf jede Weise hohe Begabungen Deiner eigenen Epoche und förderst sie in Grossmut und Milde. Dank meiner Erfahrung übertrage ich daher auch die folgenden Worte auf Dich und sage:15 „Wohlwollend und geduldig hörst Du nicht allein an, wer Gedichte und historische Werke, sondern auch wer Reden und Dialoge vorträgt. Verfasst aber einer ein Werk über Dich, muss es gewichtig und vortrefflich sein, soll es Dich nicht kränken.“ In all dem bist Du Augustus vergleichbar, damit aber jenen abgeneigt, die alles verachten mit Ausnahme etwa dessen, was der Unerreichbarkeit wegen einen gewissen Wert besitzt. 11. Durch diese Deine Gewohnheiten und dieses Dein umgängliches Wesen sind viele schon oft und bin auch ich selber vor kurzem geehrt worden, und zwar dank einem besonderen und unverdienten Glücksfall. Und nicht einmal hier hätte – wie ich schon sagte – Dein königlicher Gunsterweis halt gemacht, läge Dir nur das Greisenalter etwas ferner oder Rom etwas näher. Nun aber wird der Gesandte Deiner Hoheit, der an Deiner statt der ganzen Festlichkeit beiwohnte, alles, was uns in Rom oder später bei unserem Weggang an Frohem und Gefährlichem begegnet ist, Dir mündlich berichten.16 12. Übrigens werde ich Deiner letzten Worte, ich solle so bald als möglich zurückkehren, ohne Unterlass gedenken,17 und Gott ist mein Zeuge, dass mich weniger der Glanz Deines Königshofes als der Deiner Geistesgrösse umfangen hält. Andere Reichtümer jedenfalls, als man von Königen gemeinhin erwartet, erhoffe ich von Dir. Ich bete aber zu Ihm, dem Quell des Lebens, er möge Deine Lebenszeit verlängern und Dich schliesslich von diesem irdischen Thron auf einen ewigen versetzen, er, der König der Könige und der Herr aller Herrschenden. Pisa, am 30. April (1341).18
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 4,3. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Der König war bekannt für seine Kenntnisse der Heiligen Schriften und der Philosophie wie auch für seine Begabung für mechanische Arbeiten. Petrarca erhielt von ihm das Ehrenamt eines Hofka-
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3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
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plans; es wurde später von der Enkelin des Königs bestätigt. Den Text des betreffenden Dokuments und verschiedene Angaben dazu findet man bei Wilkins, Studies 8 und 11. Vgl. die vorangehenden Briefe. Neu war an Petrarcas Dichterkrönung, dass sie in Rom und da auf dem Kapitol stattfand. In der Antike bewarben sich die Dichter tatsächlich im Wettstreit um den Dichterkranz. Der König hatte Petrarca einem Examen unterzogen. Der König war dreiundsechzigjährig, geboren 1278. Cas. prol. 118 – 119. Aen. 5,231. Der Dichter Ennius lebte 239 – 169, Naevius starb um 201 v. Chr. Vgl. Don. Verg. vita. Vgl. Hor. Serm. 1,10. Vgl. Fam. 1,2,5 ff. Das ist Sueton; vgl. Suet. Aug. 89. Ebenda. Der Hofmann Berrili, der Petrarca krönen sollte, kam aus unverschuldeten Gründen zu spät, um es zu tun. Die Krönung vollzog deshalb ein Schwager des Kardinals Colonna, der in Fam. 2,13,1 genannte Orso von Anguillara.Vgl. das folgende Schreiben. Der König starb bereits am 19. oder 20. Januar 1343, wodurch grosse Hoffnungen Petrarcas zerstört wurden. Dieser besuchte Neapel im Auftrag seines Herrn Colonna schon im November des selben Jahres; vgl. Fam. 5,1 –5,6. Dieser Brief wurde wie die folgenden auf Petrarcas Rückreise geschrieben. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 55.
Fam. 4,8, an den königlichen Sekretär Barbato da Sulmona1 Ereignisse in Rom. 1. Über die Dichterkrönung in Rom. 3. Überfall auf den Dichter nahe der Stadt. Pisa, am 30. April (1341).
1. An den Iden des Aprils im Jahre 13412 dieses letzten Zeitalters ist auf dem Kapitol zu Rom unter dem Zulauf einer grossen Menschenmenge und unter ungeheurem Jubel ausgeführt worden, was zwei Tage früher der König in Neapel meinetwegen beschlossen hatte. Der Graf und Senator Orso von Anguillara,3 ein Mann von hervorragenden Geistesgaben, hat mich nach einer Prüfung durch den König mit dem Lorbeerkranz ausgezeichnet. 2. Die königliche Hand fehlte,4 nicht aber ihre Autorität und nicht ihre Majestät; diese war nicht allein mir, sondern allen gegenwärtig. Es fehlten Dein Auge und Dein Ohr; dagegen ist Dein Geist mir beständig nah. Es fehlte auch der hochgesinnte Giovanni,5 denn als er in königlichem Auftrag mit bewundernswertem Eifer herbeieilte, fiel er bei Anagni in den Hinterhalt von Hernikern.6 Froh bin ich, dass er entkommen konnte; doch leider traf er, wiewohl erwartet, nicht rechtzeitig ein. Das übrige ist – wie Du vernehmen wirst – über alles Hoffen und Glauben gut geglückt. 3. Doch damit ich aus neuer Erfahrung erkennen möchte, wie doch stets mit den frohen Begebenheiten widerwärtige verbunden sind, bin ich gleich ausserhalb der Stadtmauern zusammen mit denen, die mich zu Wasser und zu Land begleitet hatten,7 in die bewaffnete Hand von Räubern gefallen. Wie wir befreit und zur Rückkehr nach Rom gezwungen wurden, wie gross dort die Volksbewegung wegen des Überfalls war, auch wie wir am folgenden Tag unter einem besseren Schutz von Bewaffneten wegzogen und was sich sonst noch auf dem Weg ereignete, das zu erzählen, kann ich nicht versuchen; die Geschichte würde zu lang. Alles wirst Du daher durch den Überbringer dieses Schreibens vernehmen. Lebe wohl! Pisa, am 30. April (1341).8 Anmerkungen 1 Der Adressat war königlicher Sekretär am Hof zu Neapel. Petrarca begegnete ihm eben dort. Ihm widmete er seine Epistulae metricae. Die Briefe an ihn sind aufgezählt unter „Adressaten“. Vgl. auch Wilkins, Studies 213 – 253 das Kapitel The Correspondence of Petrarch and Barbato da Sulmona; hier S. 216 zu Fam. 4,8. Vgl auch N.F. Faraglia, in: ASI, ser. 5,3, 1889, 313 – 360. 2 Das wäre der 13. April. In Fam. 4,6,6 hatte Petrarca Ostern, den 8. April, als Datum der Krönung angegeben, und wirklich fiel der Ostertag auf den 8. April. 3 Der Graf war ein Schwager des Kardinals Giovanni Colonna; vgl. Fam. 2,13 über den Aufenthalt Petrarcas in Capranica im Hause des Grafen 1337.
Fam. 4,8
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4 Vgl. den vorangehenden Brief. 5 Giovanni Barrili, Kämmerer des Königs Roberto; vgl. oben Anm. 1 die Literatur zu Barbato und speziell E.-G. Léonard, Un ami de Pétrarque, sénéchal de Provence: G. Barrili, in: Etudes italiennes 9, 1927, 109 – 142. 6 So genannt nach einem alten Volksstamm in Latien. 7 Zu diesen gehörte Azzo aus dem Haus der Correggio; vgl. den nächsten Brief. 8 Datum wie im vorangehenden Schreiben.
Fam. 4,9, an den Kardinal Giovanni Colonna1 1. Bericht über die Ankunft in Parma. 2. Petrarca wünscht, eine Zeitlang da zu verweilen. Am 23. Mai (1341).
1. Auf dem Rückweg von Rom, als ich im Besitz meines lang erhofften Lorbeers wie ein Sieger den Beinamen „Lorbeerbekränzter“ davontrug (auf dass Du Dich freuest, sei es Dir schamhaft mitgeteilt), habe ich am heutigen Tag (auch dieses melde ich Dir zur Freude) unter der Führung und Obsorge Deiner Freunde Correggio2 die Stadt Parma betreten, von der wir, wie Du weisst, ausgeschlossen waren.3 An diesem gleichen Tag wurde ihnen nach der Vertreibung der Tyrannenmacht die Stadt zurückgegeben, weswegen bei plötzlich veränderter Lage und zur unglaublichen Freude des erlösten Volkes wieder Friede, Freiheit und Gerechtigkeit einkehrten. 2. Durch ihre Bitten besiegt, für die sie Deine Zustimmung zu erlangen hoffen (woran ich nicht zweifle), habe ich erwogen, den Sommer hier zu verbringen. Sie schwören nämlich, sie bedürften meiner Gegenwart nicht wenig, was aber sicher aus Gefälligkeit und nicht aus Notwendigkeit geschieht. Wem denn sollte ich in dieser Lage nützlich sein? Ich selber habe am städtischen Lärm kein Vergnügen, sondern an der Stille der Wälder, und bin nicht für die Sorgen um Rechte und Waffen, sondern für Einsamkeit und Musse geboren. 3. Sie aber versprechen mir, mit Rücksicht auf mein Bedürfnis, wunderbare Ruhe, sobald hier das Brausen und Branden der jubelnden Freude im Andauern erlahme. Was auch kommen mag, ich musste den freundlich Bittenden entsprechen. Anfangs Winter wirst Du mich wieder sehen, so sage ich, es sei denn, Dir gefalle ein früheres Datum oder der Fortuna ein späteres. Lebe wohl! Am 23. Mai (1341).4 Anmerkungen 1 Vgl. Fam.4,4 – 5. 2 Geschlecht aus der Emilia, bedeutend zur Zeit seiner Herrschaft in Parma. 3 Um Parma stritt Azzo da Corregio gegen Mastino della Scala von Verona, seinen Verwandten (der die Herrschaft 1335 den Rossi entzogen hatte) und erbat 1340 vom Papst in Avignon die Zustimmung zur Eroberung, benötigte aber auch das Einverständnis des Königs Roberto von Neapel, des päpstlichen Vikars über Reichsitalien. Er reiste von Avignon aus zusammen mit Petrarca. Im Frühling 1341 zog Petrarca nach seiner Krönung mit Azzo und dessen Truppen vor die Stadt Parma, als sie unter Azzos Brüdern den Aufstand wagte; am 22. Mai gelang den vereinten Kräften die Eroberung. Im Jahr 1344 verkaufte Azzo die Herrschaft an Obizo d’Este von Ferrara; der Streit um die Stadt hielt an; diese ging an die Visconti von Mailand über; vgl. Fam. 5,10 und 9,5,4. 4 Zur Datierung vgl. die genannten historischen Ereignisse und Wilkins, Petr. Corresp. 55.
Fam. 4,10, an Pellegrino von Messina1 Über den verfrühten Tod eines Freundes (Tommaso Caloiro). 1. Der Tod hat den Freund in früher Jugend entrissen. 3. Den Jammer über diesen Verlust gedenkt der Schreibende erst später zu schildern; das beiliegende Epitaph sei in aller Eile verfasst worden. (1341)
1. Meine gewaltige Klage, die sich mit der Kürze eines Briefes nicht begnügen kann, muss ich auf später verschieben. Nicht gewöhnlich ist die Wunde meiner Seele, und darum kann sie auch nicht mit gewöhnlichen Arzneien behandelt werden; in mein Inneres hat sie sich allzu tief eingegraben. Und sehr genau hat die rasende Fortuna Ort und Zeit berechnet, mir Böses zuzufügen, und hat mich mit all ihrer Wucht getroffen. Sie hat meinen Tommaso, den ich nie ohne Tränen nennen werde, unter dem aufblühenden Wirken seiner seltenen Begabung, als er überreiche Früchte seiner Tüchtigkeit und eine herrliche Entfaltung all seiner Pläne versprach, gleichsam seinem ersten Frühling entrissen.2 2. Mit seinem vorzeitigen Tod ist mir, so gestehe ich, alles Vergängliche minderwertig geworden. Ich sehe, wie gross die Hinfälligkeit aller unserer Gaben ist, und was ich nun zu hoffen habe, erkenne ich am Beispiel dieses mir innigst verbundenen Bruders. Das selbe Alter hatten wir, die selbe Geisteshaltung, die grösste Übereinstimmung unserer Neigungen, eine unglaubliche Gleichheit des Wollens. Wir waren nur Einer. Auf dem einen und gleichen Weg gingen wir voran; wir hatten das eine und gleiche Ziel, die gleiche Beschäftigung, die gleiche Hoffnung, die gleiche Absicht! Ach hätten wir das gleiche Ende! 3. Diese grausamste Härte des Schicksals in aller Stille zu beweinen, zugleich für diese tief eingegrabene Wunde wo möglich eine wohltuende Salbe zu finden und mich mit Briefen und mit einem Buch, das der Trauer gerecht wird, zu trösten, ist mein fester Vorsatz. So hat zuerst Cicero beim Tode seiner innigst geliebten Tochter gehandelt,3 freilich in seiner göttlichen und unerreichbaren Schreibweise. So hat nach vielen Jahrhunderten beim Tode seines Bruders auch Ambrosius4 gehandelt. Man darf gewiss alles versuchen, wenn nur die Pflichten es gestatten, was beim Tod eines Freundes eine bescheidenere Kunst vermag. Inzwischen magst Du das Epigramm, das Du wünschest, nass von Tränen entgegennehmen. Mir ist recht, wenn über dem Grab mein kurzes Gedicht und über dem Leib des Freundes meine Trauer emporragen. Lebe wohl! Reich an Begabung und Geist erkennet hier unsern Tommaso, Welchen das Los uns entriss; allzu früh nahm es ihn fort. Ihn hat, Paloro nicht fern, ein Landgut der Erde gegeben, Habsüchtig nahm es zurück, was es uns früher geschenkt.
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Blühend und frisch war des Mannes Kraft, ihm nahte sich plötzlich Niederstreckend der Tod, feindlich uns beiden gesinnt. Heb’ich nun dankbaren Sinns, gedenkend der herrlichen Gabe, Jenen sizilischen Strand lobend zum Himmel hinauf? Oder seufze ich schwer und entrüstet ob solcher Beraubung? Weinen muss ich, denn süss dünkt den Gequälten der Schmerz. (1341)5
Anmerkungen 1 Der Adressat war ein Bruder des Verstorbenen, von dem im Brief die Rede ist. An Tommaso sind die Briefe Fam.1,7 bis 1,12 und 3,1–2 gerichtet. 2 Die Todesnachricht erreichte Petrarca in Parma. Tommaso war bei seinem Tode siebenunddreissig Jahre alt. 3 Vgl. Cic. Ad Att. 12,14,3; 12,20,1. 4 De obit. Sat. fr. 5 Zum Datum vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 56.
Fam. 4,11, an Giacomo von Messina1 1. Über den Tod des Freundes Tommaso. 2. Vom Verlangen nach dem Tod und über einen Fiebertraum. (1341)
1. Meinem Tommaso habe ich wahrhaftig nachsterben wollen und nicht können; gehofft habe ich das, und sehe mich betrogen. Freilich weiss ich, was Seneca, wenn er mich hörte, zur Antwort gäbe, nämlich,2 es sei töricht, nach dem auszuschauen, was man in der Hand hält. Obwohl ich doch gewiss in mancher Hinsicht den Scharfsinn dieses Gelehrten bewundere, widerspreche ich ihm doch auch in manchem und insbesondere in dem, was diese vorschnelle und dreiste Aussage betrifft. Sie liesse sich nicht allein mit unseren eigenen, sondern auch mit den Argumenten und der Autorität heidnischer Philosophen in einem Wortstreit leicht widerlegen. Doch jetzt geht es um anderes, und so will ich zur Sache kommen. 2. So bin ich denn, durch die traurigen Nachrichten erschüttert, meines besseren Ich verlustig und dieses Lebens auch ganz überdrüssig, weil es ohne ihn wahrhaft einsam und bedrückend ist. Ein Glück war’s, dass ich einem Fieber erlegen bin. Dank diesem gelangte ich freudig bis an die Pforte des Todes. Doch wie ich hindurchschreiten wollte, stand da zu lesen: „Nicht weiter! Deine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Ich blieb stehen. Abgewiesen bin ich traurig ins Leben zurückgekehrt und bin nun so, dass jeder leicht sehen kann, wie ungern ich lebe. 3. Dennoch lebe ich. Und was alle fürchten, das erhoffe ich als einziger und beschwichtige meinen Schmerz mit dem Gedanken an die Kürze des Lebens.3 Ich weiss ja, welchen Bund ich mit dem Tod und welche Abmachung ich mit dem Leib geschlossen habe. Möge mir beschieden sein, das bisschen Leben, das mir übrigbleibt, so zu verbringen, dass ich zu jeder Stunde bereit bin und – wie man zu sagen pflegt – „in Bargeld habe“,4 was ich schulde. Auch sei, wie der Psalmist sagt,5 „meine Seele immerfort in meinen Händen.“ Lebe wohl! (1341)6
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Der Adressat ist ein Bruder des verstorbenen Tommaso. Vgl. den vorangehenden Brief. Ad Lucil. 117,22. Vgl. Sen. Ad Lucil. 30,14. Quint. Inst. 10,1,6; Sen. maior, Controv. 2,6,20. Ps. 118,109; Job. 13,14 und anderswo. Datum wie im vorangehenden Brief; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 56.
Fam. 4,12, an Kardinal Giovanni Colonna1 Trostbrief nach dem Tod des Bischofs von Lombez, Giacomo Colonna. 1. Furcht, unwillkomener Tröster zu sein. 5. Lebensdaten und Würdigung des Verstorbenen. 18. Einwendungen gegen Petrarcas Trostworte. 23. Zuversicht, den Verstorbenen im Jenseits wiederzufinden. 34. Dumme Bedenken schliesst Petrarca beim Adressaten aus. 36. Über die Bestattung des Verstorbenen. 37. Frage nach dem Verbleib seiner leiblichen Überreste. 40. Ablehnung unwürdiger Toten- und Bestattungsbräuche. Am 5. Januar (1342).
1. Mich drängt der Schmerz und mich mahnt die Liebe, etwas zu schreiben. Und wirklich, einzig die Verzagtheit mahnt ab. Ich glaube ja, dass die neueste Wunde Deiner Seele solcher Hilfe nicht bedürfe. Siegt der Schmerz? Siegt die Liebe? Weicht die Verzagtheit? Auf Geheiss der mir innewohnenden Ergebenheit kehre ich mich erneut der schon mehrmals verdammten und weggeworfenen Feder zu. Wenigstens werde ich damit erreichen – auch wenn nichts weiter! –, dass die zutiefst mich bedrückende Qual meines unglücklichen Herzens um ein weniges verdampfe. 2. Wenn ich nur nicht als ungelegener und unwillkommener Tröster an Deine Trauer rühre! Ich weiss es: Ausgelacht hat Kaiser Tiberius einst die Legaten aus Ilion,2 weil sie nach dem Tode seines Sohnes mit ihrem Trostspruch allzu spät bei ihm eintrafen. Darum hat er ihnen nach der Erledigung ihres Auftrags erwidert, er drücke ihnen ebenfalls sein Beileid aus, denn sie hätten ja den vortrefflichen Bürger Hektor3 verloren. Du aber bist anders gesinnt, und auch Dein Benehmen ist anders. Bekannt ist Deine Freundlichkeit und in aller Munde Deine Güte nicht allein gegen die Deinen, sondern gegen jedermann. 3. Mir ist denn auch bewusst, wie viele Klagen Deine Seelenstärke wohl schon unterdrückt oder die vergangene Zeitspanne schon erstickt hat und ich mit meinem Schreiben zu erneuern befürchten muss. Niemals werde ich mir anmassen, Dein Unglück mit Worten verringern zu wollen. Lieber will ich gestehen, dass von allen, die ich persönlich kennen gelernt oder von denen ich gehört oder gelesen habe, keiner durch den alleinigen Tod eines Bruders so vieles verloren habe wie Du.4 4. Beachte also, wie sehr ich Deine Tränen begreife und wie breit dieser Weg ist, den ich für Deine Seufzer geöffnet halte. Freilich wünschte ich zugleich – wenn es möglich wäre – Deinen ganzen Kummer mitsamt seinen Wurzeln auszurotten. Indessen lass die Ergüsse verströmen, wohin immer sie wollen, wenn sie nur erfahren, dass ihnen bald diese Bahnen verschüttet sein werden und ihnen dann nicht mehr erlaubt ist, weiter zu drängen und – wie trauernde Gemüter gewohnt sind – für ihren Schmerz nach immer neuen Rinnlein zu suchen. 5. Vor allem sehe ich, welch einzigartigen Verlust Du beim Tode eines so guten und so geliebten Bruders hast hinnehmen müssen. Doch erst dann würde ich Dei-
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nen Verlust als unendlich und unabsehbar ansehen, wenn der Tod Deinen Bruder für immer vernichtet und Dir nicht bloss für eine kurze Weile entzogen hätte. Und überhaupt, für wie manches Augenblicklein hast Du ihn denn, als er noch da war, vor Augen gehabt ? Zähle doch bitte die Zeiten zusammen, wie es im Übereifer die Liebenden machen! Kehre zurück in die Jahre seiner frühesten Jugend und überfliege im Gedächtnis die Zeit bis zum heutigen Tag! 6. Schon gezeugt wurde er fern seiner Heimat und hervorgebracht im Exil seines ruhmreichen Vaters;5 auch sein erstes Wimmern hat er fern der Heimat vernehmen lassen. Dann hat er auch als Knabe von vielversprechenden Anlagen die zarteren Jahre seines Lebens teils ohne Dich zugebracht, teils zwar mit Dir, aber nur in der frühesten Kindheit, die zu einem klaren Verständnis unfähig ist und deshalb keine Grundlage zu echter Zuneigung bietet. Somit war er bis dahin immer entweder abwesend oder einem Abwesenden durchaus vergleichbar. 7. Kaum aber war er zum Jüngling herangereift, als er auch bereits infolge seines unglaublichen Verlangens nach Wissenschaft, für die sich nicht leicht ein anderer kühner begeistert hat, bald durch Italien bald durch Gallien weit und breit als Fremdling herumzog.6 Als er nun voller Hingabe auf seinen Reisen durch verschiedene Länder seinen edlen Durst zu stillen bemüht war, tauchte er in beinahe alle Quellen der Wissenschaft ein und auferlegte sich dadurch bis zum Mannesalter eine freiwillige Verbannung. 8. Später war es einzig die allgemeine Bewunderung für seine Vortrefflichkeit, die ihm ohne weiteres eine vorzeitige Erhebung zum Bischofsamt zubilligte.7 Dieses verwaltete er in einer Weise, dass alle Gutgesinnten – ausser er selbst – es als Schimpf empfanden, einen so tüchtigen Mann nicht auf einer höheren Stufe zu sehen. Er aber, von aller leidenschaftlichen Ehrsucht und Habgier vollständig unberührt und über sein Los sogar glücklich, bemühte sich, seiner Bischofswürde grosses Ansehen zu wahren und hegte nicht nur keinerlei Verlangen, einen bedeutenderen Rang zu ersteigen, sondern verachtete das und hasste es und entsetzte sich vor dem höchsten Gipfel Fortunas wie vor einem Grat über dem Abgrund. 9. Dafür gibt es sichere Zeugnisse; einerseits in der Grundhaltung seines ganzen Lebens und im immer gleichen Grundton seiner besonders vertraulichen Gespräche, in welchen wir diese erhabene und unerschütterliche Seele oft erkannt haben, anderseits aber und vor allem in jenem Brief, den er kurz vor seinem Tod Dir eigenhändig geschrieben hatte und der voll ist von Würde, Bescheidenheit und Weltverachtung. Und wenn ich diesen wieder und wieder lese (was ich nie ohne erquickende Tränen tue, denn er ist ja bei mir, weil Du mich für würdig hieltest, ihn zu haben, zu hüten und zu beantworten), so scheint mir, ich hätte den Schreibenden noch vor mir und ich hörte noch seine Stimme. Und nach irgendwelchen Philosophenschulen brauche ich mich nicht lange umzusehen, so vollständig hat er in diesem Brief mit nur ganz wenigen Worten alles behandelt, was die Nüchternheit des Geistes und das ewige Leben betrifft. 10. Unter anderem hat er – es tönt fast unglaublich – so oft von sei-
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ner Beförderung die Rede war,8 mit heiligem Schwur versichert, er sei mit seiner Stellung mehr, als sich denken lasse, zufrieden und wolle unter keiner Bedingung weiter aufsteigen. Und in eben dem Stand, den er damals erreicht hatte, einst sterben zu können, sei nicht nur seine Hoffnung, nein, auch sein Verlangen. Freilich wäre er zweifellos höher gestiegen, sogar gegen seinen Willen, wohin der Glanz seiner Abkunft und seine Verdienste ihn hinzogen! Doch zuerst hat die Missgunst, welcher die Kurialen verfallen sind, dagegen Einspruch erhoben, und darauf, als dieser Neid vor seinem vortrefflichen Ruf zurückwich, hat der Tod seine blühende und grünende Jugend mitten in ihrem Lauf durch sein Dazwischentreten beschnitten. Doch ich will mich an die zeitliche Abfolge halten. 11. Kaum war er Bischof geworden, hat er Dich, um seine Pflicht genauestens zu erfüllen, sogleich verlassen und sich eiligst zu dem ihm bestimmten Wohnsitz begeben, ohne sich durch die grossen Distanzen und die ganz anderen Verhältnisse abschrecken zu lassen.9 Obwohl in römischem Wohlstand und Luxus erzogen, ging er in die unwirtlichen Gegenden der Pyrenäen mit heiterster Miene und grösstem Gleichmut, so dass man nach seiner Ankunft meinen konnte, es habe sich weniger sein eigenes Aussehen als vielmehr das jener Orte verändert und nicht er sei in die Gascogne, vielmehr umgekehrt die ganze Gascogne nach Italien versetzt worden. 12. Auf jener Reise habe ich ihn begleitet, und nur daran zu denken, macht mich glücklich, wenn ich mich seiner Gelassenheit in jener Lage erinnere, auch der Bescheidenheit bei seinen vielen natürlichen Gaben oder der bewundernswerten Zurückhaltung bei seinen körperlichen Vorzügen. Überdies fällt mir die immer gleiche vollkommene Beobachtung der heiligen Zeremonien ein und auch die grosse Ernsthaftigkeit des jugendlichen Bischofs, die man den alten eher wünschen als zutrauen könnte. 13. Solltest Du von mir irgend etwas Irriges hören, unterbrich mich! Jene ganze Zeit hindurch hast Du Deinen liebevollen Bruder niemals gesehen! Hat er nun aber bei seiner Rückkehr von dort vielleicht Halt gemacht, um sich eine Weile an einem ersehnten Zusammenleben mit seinem Bruder zu erquicken? Dass er auf solches hoffte, vermute ich, denn dass er es wünschte, weiss ich mit Sicherheit. Aber die Herrin, die den Menschen ihre Taten zuweist, Fortuna, hat es verhindert. 14. So ist er denn, durch die Bedrängnisse und Rufe seiner Familie und seiner Vaterstadt aufgeschreckt, gezwungenermassen nach Rom gereist, wohin ich ihm, wie Du weisst, nachdem ich lange in der Ferne gewesen, auf seinen lockenden Ruf hin gefolgt bin, als Du es endlich, wenn auch ungern, erlaubtest.10 Und ich glaube, Gott habe es so gefügt, damit ich als ein Bewunderer und Zeuge seiner zweifachen Fähigkeit sowohl im Krieg wie im Frieden dabei sei, wenn er in seiner weisesten Voraussicht Ratschläge erteile. 15. Sieben Jahre wirkte er in der Heimatstadt mit so grosser Hingabe und Ausdauer, dass Rom zur Einsicht gelangte, nur er habe zu retten vermocht, was der
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Stadt an Gütern geblieben war, und dass sie jetzt – weil sie nicht völlig in Asche versunken ist –bekennen muss, sie sei ihrerseits der Asche dieses Retters verpflichtet. Schliesslich ist er wieder in Deine Nähe zurückgekehrt, doch nicht, um länger zu verweilen, sondern um Dir zum letzten Mal Willkomm und Abschied zu bieten. 16. Denn sogleich ist er voll Mitleid mit der Witwenschaft seines verlassenen Bischofssitzes11 und voll Verlangen nach Einsamkeit, dank welcher er sich von den lang währenden Unruhen unter den Völkern zu erholen beschlossen hatte, wieder in seine Diözese zurückgekehrt. Er wollte hier eben eine Zeit lang für sich selber leben, nachdem er für seine Heimat und seine Freunde gelebt hatte. Wirklich verbrachte er hier die Zeit in grossem sittlichem Ernst und besiegte, wie er früher andere Menschen besiegt hatte, nun auch sich selber, sodass er sich Gott und den Menschen durch ein beispielhaftes Leben empfahl. Kaum aber ist dort ein Jahr vergangen, da wird er in noch jugendlichem Alter aus den Stürmen dieses Lebens in den Hafen der Ruhe und in glücklichere Reiche versetzt.12 17. Betrachte mit mir jede Einzelheit, bester Vater, und scheue Dich nicht, über Deinen Bruder mit jenem zu sprechen, der in ihm seine früh verlorene Zierde betrauert und der nach dem schweren Schlag – wie Ammen bei Kindern tun, die gefallen sind – für die klagende Seele ein Heilmittel im Reden sucht. Überdenke mit mir noch einmal die ganze Zeit seines Lebens, und Du wirst gestehen, dass er davon nur ein kleines Partikelchen gemeinsam mit Dir verbracht hat und dass Du seine brüderliche Liebe immer nur im Vorbeigehen und – wie man sagt13 – nur zu äusserst auf den Lippen gekostet hast. Und wenn Du früher über seine Abwesenheit nicht getrauert hast, so löse Dich jetzt von der Trauer! 18. Freilich weiss ich sehr wohl (denn in solchen Dingen hat mich der Tod mit seinem häufigen Unrecht zum Kenner gemacht), ja, ich weiss, was mir jetzt eine verwundete und schwärende Seele entgegenhält: „Willst Du etwa behaupten, der Zustand des Todes und der einer Abwesenheit seien ein und das selbe? Den Abwesenden wiederzusehen, konnte ich doch in meiner Sehnsucht noch hoffen; wo er sich aufhielt, das wusste ich, und dank vielen Meldungen wurde mir die Last der Entbehrung erleichtert. Jetzt hingegen ist mir diese Erleichterung und jede Hoffnung entfallen.“ 19. Mir hingegen scheint, überhaupt nichts gleiche einander dermassen wie Tod und Abwesenheit, aber beim Tod hätte ich immerhin einen etwas zuverlässigeren Trost entdeckt. Beides scheidet die Körper, und keines von beidem trennt die Geister; doch schafft die Abwesenheit Zweifel und ständige Ängstlichkeit der Gemüter, während der Tod von allen nutzlosen Sorgen befreit. Wer könnte denn in der Abwesenheit von Brüdern oder Freunden ohne Furcht sein? Er müsste ja das menschliche Schicksal völlig verkennen, indem er weder die Gewalt noch die Unstetigkeit Fortunas beachtete! 20. Jeder sorge für sich selber; ich meinerseits habe, seit ich auf Erden bin, niemals von den Meinen einen Brief erhalten, ohne dabei zu erschre-
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cken und zu erbleichen. Und selbst wenn ich jeweils höre, alle seien gesund, werde ich von Sorgen nicht frei; denn wer gibt mir je die Gewissheit, dass in der Zwischenzeit, während die Schreiben über Alpen und Meere zu mir unterwegs waren, sich nicht irgendein Unglück ereignet habe, was in einem einzigen Augenblick zu geschehen pflegt! 21. Ich schäme mich nicht, vor Dir mich vertraulich zu rühmen, dass ich viel Zeit und Mühe darauf verwendete, mich gegen ein unerwartetes Unglück zu wappnen und zu stählen, um womöglich zu dem Zustand zu gelangen, den Seneca14 so schildert: „Der Kluge weiss, dass ihm alles widerfahren kann, daher sagt er – was immer ihm zustösst –: “. Nun fühle ich aber, dass ich wie in mancher Hinsicht so vor allem auch in dieser nicht klug bin; denn bis heute ist es mir trotz aller Anstrengung nicht gelungen, mich dieser Furcht zu entledigen. 22. Gerade diese Besorgnis hätte der Tod Dir notwendigerweise nehmen müssen, und er hat sie – ausser ich täusche mich in Deiner Geistesgrösse – auch wirklich genommen. Du weisst jetzt, wo Dein Bruder ist und wie es ihm dort ergeht. Auch brauchst Du den früher üblichen Wechsel seines Zustandes schon nicht mehr zu befürchten. Wenn Gerechtigkeit, wenn Glauben, wenn Frömmigkeit, wenn Liebe den Weg zu den Himmlischen bahnen, wenn ein von irdischen Fesseln befreiter Sinn um so leichter empor schwebt und wenn gute und schöne Seelen einen letzten und ewigen Sitz im Himmel erhalten, dann vertrauen wir, dass Dein Bruder sich dort oben befindet. Und sollten ihn irgendwelche Mängel menschlicher Hinfälligkeit, was ich wahrlich nicht glaube, zurückhalten, so wäre er dennoch dahin unterwegs und schon frei, auf Flügeln in seine Heimat zu schweben. 23. Übrigens richtet er, wo immer er ist, häufig sein Auge auf Dich mit der Bitte, seine glückliche Reise nicht mit Deinen Seufzern zu behindern. Auch darf die Sehnsucht, bei Deinem Bruder zu sein, Dich nicht quälen. Denn Du wirst ihn zur bestimmten Zeit viel herrlicher und viel heiterer sehen als früher. 24. Wie sollte das nicht geschehen, wo doch sogar ich nicht verzweifle, ihn wiederzusehen! Andernfalls, das gestehe ich, wäre ich in meiner Seelennot untröstlich. Wer aber wollte mir, einem rechtmässigen Christen,15 freilich einem sündigen, eine Hoffnung versagen, von der ich weiss, dass selbst die Heiden sie hegten? Du verstehst, was ich meine. Von Cato und Sokrates rede ich,16 und ihre Ansichten brauche ich nicht zu zitieren, denn ich meine, Du kennst sie weit besser als ich. Somit hat der Tod das Wiedersehen mit Deinem Bruder nicht auf immer zu verhindern, sondern bloss zu verzögern vermocht. 25. Und hätte er es sogar auf immer verhindert, so geziemte es sich doch für niemanden, darüber unmässig zu trauern.17 Denn solltest Du einen beweinen, der von den Mühen und Gefahren des Lebens befreit wurde, dann schau bitte zu, ob die Tränen nicht eher dem Neid als dem Mitleid entspringen. Wenn Du etwa behauptest, einer sehr grossen Hilfe beraubt zu sein und ohne den liebsten und heitersten Gefährten mitten auf dem Pfad dieser
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Pilgerschaft ganz verlassen zu stehen, so mag das richtig sein, jedoch für hervorragende Geistesgrössen kein echter Grund, sich durch dieses persönliche Unglück erschüttern zu lassen. 26. Ausserdem sollte Dein Gedächtnis jedesmal, wenn es an erlittenen Schaden zurückdenkt, sich auch an die göttliche Freigebigkeit erinnern; das wäre das allerbilligste. Undankbar ist es, über dem Gedanken an Verlorenes das Empfangene zu vergessen. Wenn also die Seele durch die schmerzliche Überlegung bedrängt wird: „Oh, welch einen Bruder habe ich verloren“, sollte eine frohere trösten: „Oh, welch einen Bruder hatte ich, ja habe ich noch und behalte ich auf ewig! Und dies gilt ja, obwohl er nicht länger, als es für ihn und mich, für die Heimat und die Welt von Vorteil war, nämlich nur ein Weilchen, auf Erden verbracht hat. Gott hat ihn, kaum war es für ihn nützlicher, aus diesem Elend zu scheiden, hinweggenommen, und dies in seiner Sorge um ihn und nicht um uns.“ 27. Nein, wohl auch in seiner Sorge um uns! Wer wäre denn fähig, das verborgene und unerforschliche Planen der göttlichen Vorsehung und dessen Wege zu begreifen, wo doch der Apostel18 – sofern ich nicht irre – gesagt hat: „Das Sinnen Gottes, wer hat es erkannt, und wer ist sein Ratgeber gewesen?“ – Welcher Mensch darf sich ein Urteil erlauben? Und welchem Menschen könnte man in seiner Trauer um den Tod eines andern nicht völlig zu recht entgegenhalten, was einst – schriftlich auf eine Tafel gesetzt – einem Vater beim Tod seines Sohnes in folgenden drei kleinen Zeilen gesagt wurde:19 „Nichts begreift der Menschen Verstand; sie irren im Leben; Etinous ist vom Tode besiegt durch Verfügung der Götter; Nützlicher demnach war’s für ihn wie für Dich, dass er sterbe.“ 28. Nun lökt der menschliche Übermut wider den Stachel20 und wehrt sich gegen den Schlag des Schicksals mit seinem gehörnten Hochmut21 umsonst, denn nur um so schwerer getroffen, muss er erliegen. Was soll ich überdies von den törichten Wünschen, Freuden und Klagen der Menschen sagen? Tief verborgen liegt die Wahrheit versteckt; wir sind von finsterem Gewölk umschlossen; der Zufall regiert uns; als Blinde vertrauen wir blinden Führern22 und erkennen im Dunkel unseres Leibes weder, was zu begehren, noch was zu befürchten ist. Über das Heilsame jammern wir; über das Verderbliche jubeln wir und ohne Urteil weinen und lachen wir. 29. Möge jeder seine Meinung vertreten, ich aber halte das für den grössten der Irrtümer, dass wir uns und das Unsrige nicht rückhaltlos Gott übergeben, vielmehr auf eigene Pläne vertrauen, wie oft wir uns auch täuschten, und dass eine übergrosse Liebe zu dieser hinfälligen Leiblichkeit uns fesselt, derentwegen es uns unmöglich wird, gleichmütig von hier zu scheiden oder das Scheiden unserer Angehörigen zu ertragen! Ganz als wären wir einzig dazu geboren, fortwährend in den Fluten der Welt und unter dem Gespött Fortunas kreisend herumzutreiben, haftend am klebrigsten Lehm und am Unflat unseres Fleisches.
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30. Das liesse sich vermeiden, wollten wir all die vielfältigen Gefährdungen unserer Wünsche überdenken. Äusserst kurz ist ja unser Leben und äusserst flüchtig die Lebenszeit, das menschliche Dasein ein von widrigen Winden bewegtes und stürmisches Meer. Der Häfen gibt es nur wenige, und den Menschen sind sie kaum einmal zugänglich. Zahllose Klippen gibt es allerorten, und zwischen ihnen hindurch zu steuern, ist schwierig, ja äusserst bedenklich. Kaum einem aus Tausenden gelingt es, unbeschadet hindurch zu schiffen, so sehr drückt uns die Herrschaft Fortunas, die mit gleichem Recht alle Ränge der Menschen anfällt. Daher muss der zerbrechliche Kahn unserer Sterblichkeit gegen jedes Hindernis aufprallen. 31. Können wir unter diesen Umständen für uns und die Unsern ein etwas längeres Leben, ja – um es richtig zu sagen – eine längere Gefährdung denn wirklich begehren? Man male sich aus, einer habe unter so glücklichem Stern, so günstigem Geschick und schliesslich in so grosser Gnade Gottes diese Reise angetreten, dass ihm nichts Widerwärtiges, nichts Lästiges begegne (etwas Unmögliches und jederzeit Unerhörtes heisse ich Dich ausmalen). Selbst wenn ihm dann jede Gefährdung fehlte, würde immerhin die Furcht davor nicht fehlen. 32. Deshalb wäre es vielleicht nicht weniger günstig und ratsam (hinge es von unserer eigenen Entscheidung ab!), einem Brauch der umsichtigen Schiffer zu folgen, die auf unsicherer See lange vor dem Untergang der Sonne das Steuer wenden und die Segel einziehen. Man würde den Hafen des Lebens in noch blühendem Alter aufsuchen, geistig frisch und mit kräftigen Gliedern sterben, nämlich bevor man zum Zeitpunkt gelangt ist, wo man das Leben bloss immer weiter verlängert bis zu den äussersten Beschwerden des Alters. Viele jammern, von solchen Beschwerden bedrückt, zu lange gelebt zu haben, und fürchten sich doch zu sterben, indem sie den Todestag gleichzeitig herbeiwünschen und verwünschen und schliesslich vor lauter Widerspruch nicht wissen, was sie wollen und nicht wollen. 33. Doch es schickt sich, diese und ähnliche Gedanken fallen zu lassen, um nicht gegen den Beschluss des Himmels oder die Voreiligkeit des Todes zu klagen. Es könnte sonst scheinen, wir seien bloss unseretwegen besorgt und niedergeschlagen. Ich selber zweifle nicht, dass Dein Bruder seligen Andenkens weder länger noch kürzer gelebt hat, als für ihn nützlich war, und zur richtigen Zeit zurückgerufen wurde, auch wenn er für viele, zu denen ich Armer gehöre, weit früher, als wir wollten und erwarteten, verschieden ist. 34. Schämen müsste man sich, würde man bei Dir jene Gefühlsduseleien plebejischer Gemüter voraussetzen oder gar beschwichtigen wollen, die da lauten: „Weshalb hat ihn der Tod in so weiter Ferne entrissen? Warum ist ihm ein Begräbnis im Vaterland verwehrt geblieben? Warum war es nicht möglich, den Sterbenden zu besuchen?“ Das zuletzt Genannte scheint allerdings bei einem Dichter23 sogar ein Held beklagt zu haben, der zwar tapfer, aber den Tränen immer zu nahe war:
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„… nicht durft‘ ich Dich sehen, Freund, weil ich schied, und beerdigen Dich im Land Deiner Väter.“ 35. Allgemein Bekanntes mag ich nicht anführen, auch nicht mit geometrischen Argumenten dartun, wie gering das Ausmass der Erde ist. Denn wer wüsste nicht, dass es gleichgültig ist, wo einer verscheidet, weil jeder zum Himmel den einen und selben Weg hat, und nicht allein dem Tapferen jeder Boden Vaterland, sondern überhaupt jedem Menschen jeder Boden Heimat ist! 36. Das vielmehr will ich sagen, dass die göttliche Vorsehung absichtsvoll zwei Dinge verfügt hat: Erstens sollten zwei – unter sich freilich sehr verschiedene – Städte, weil der Verstorbene sie zu seinen Lebzeiten in einzigartiger Weise geehrt hat, an ihm tüchtigen Anteil haben. Rom sollte also den unaufhörlichen, ewigen Ruhm dieses seines Bürgers bewahren, doch die Kirche von Lombez die ehrwürdigen Gebeine seines Bischofs und – wenn meine Prophezeiung nicht fehlgeht – in alle Zukunft als ihren herrlichsten Schatz besitzen, sofern Du sie jener zum dauernden Eigen überlassen wirst. 37. Ich höre freilich, Du wollest seine Überreste nach Rom überführen, was ich weder raten, noch abraten möchte, damit es nicht scheine, ich missgönnte ihn der Stadt Rom, obwohl ich ihr Bürger bin, oder missgönnte ihn der Kirche von Lombez, obwohl ich ihr Kanoniker bin.24 38. Zweitens, sollte nur ein einziger von uns allen bei seinem Verscheiden zugegen sein, um seine Umarmung und seine letzten Worte zu empfangen. Die Sehkraft der übrigen sollte geschont werden, wie denn die Erfahrung gelehrt hat, dass die Verwundungen der Ohren weniger schmerzhaft sind als die der Augen. 39. Mehr als nötig ziehe ich diesen Zuspruch in die Länge; und weil Du gegen jede Anfechtung mit weit tüchtigeren Waffen versehen bist, kann ich nicht hoffen, Du könnest an ihm etwas lobenswert finden ausser meine Treue. Doch nun sei ein Ende gesetzt. Die Seufzer mögen erschlaffen, die Tränen trocknen, die Klagen verstummen! Betrachte Deinen Bruder nicht als einen Toten; er lebt ja, während wir Tag für Tag sterben,25 ohne es zu merken und, oh diese Blindheit, vor dem Anfang des wahren Lebens zurückschrecken, als wäre es ein Sterben. 40. Damit aber Dein lebender Bruder nicht an Trübseligkeiten, sondern an Gedanken und Gesprächen teilnehme, verbiete doch an Deinem Hofe jenes Schweigen des Kleinmuts, das viele in Trauerhäusern beobachten, indem sie dem Namen der Toten wie etwas Unheilvollem ausweichen. Nein, hell erklinge sein glorreicher Name und, um seine Äste weithin auszustrecken, schlage er bei Dir Wurzeln, zumal da die Grabstätten den Nebel der Missgunst, welcher aussergewöhnlichen Menschen gerne nachfolgt, nicht fürchten. Und wenn viele, die sich zu Hause und auf dem Markt verhasst und ehrlos gemacht hatten, später im Grabe berühmt und liebenswert wurden, was kann ich da für jenen erwarten, dessen Leben stets im höchsten Mass beglückend
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und herrlich gewesen und dessen Tod – wenn etwas dieses höchste Mass übersteigen kann – noch herrlicher ist! 41. Auch halte, so beschwöre ich Dich, jene verbreitete schlechte Gewohnheit, die ich bei vielen, vornehmlich auch bei meinen Römern, bemerkt und öfters gerügt habe, von Deiner Schwelle fern. Sie pflegen ja die Verstorbenen nicht zu nennen, ohne einen Ausdruck des Mitleids, wie zum Beispiel „jener Unglückliche“ oder „jener vom Schicksal Ereilte“ voranzusetzen, um dann den Namen nur verstümmelt anzufügen, so dass kaum die erste Silbe verständlich wird. Dein Bruder hat hier ja glücklich gelebt, ist noch glücklicher verschieden und lebt jetzt anderswo am allerglücklichsten, weshalb er mit kräftiger Stimme genannt sein soll. Bei Lucan sagt der sterbende Pompeius:26 „keiner wird elend im Tod.“ Ausgezeichnet! Andernfalls wären alle elend, die geboren wurden und die es in Zukunft noch werden. 42. Zum Schluss gebe ich Dir wieder und wieder zu bedenken, dass gewisse hervorragende Männer, deren Namen ich Dir nicht einzutrichtern brauche, keiner andern Ursache wegen grösseres Lob fanden, als weil sie den Tod ihrer Angehörigen mit Starkmut ertrugen.27 Das hast Du um so sorgsamer zu beachten, als Du, sofern Du umherschaust, erkennen wirst, dass man Deine Taten als Beispiel nimmt und dass auf Dich die Blicke aller Menschen gerichtet sind; denn Dein Sitz steht auf hoher Warte. Das hat Dir Deine beschwerliche Würde und die Erhabenheit Deiner vornehmen Abkunft sowie Deine bisherige massvolle Lebensführung eingebracht. Am 5. Januar (1342).28
Anmerkungen 1 Zum Adressaten vgl. Fam. 1,4, Anm. 1. Angaben über den Verstorbenen stehen Fam. 1,6, Anm. 1. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Suet. Tib. 52,3. 3 Hektor: Held des sagenhaften troischen Krieges. Tiberius regierte 14 – 34 n. Chr. 4 Giacomo starb im September 1341 in seiner Diözese Lombez in den Pyrenäen. Von seinem Tod und wie der Tote sich im Traum Petrarca zeigte, berichtet Fam. 5,7. Nicht Tröstender sondern Klagender ist Petrarca infolge des selben Todes in Fam. 4,13. 5 Das war Stefano Colonna der Ältere, der vor Papst Bonifaz VIII. fliehen musste. Vgl. Fam. 2,3,17 ff. 6 Er weilte wie Petrarca in Bologna, um Rechte zu studieren; die beiden begegneten sich dort zwischen 1322 und 1326. 7 Vorher hatte er durch Papst Johann XXII. verschiedene Pfründen erhalten. Der selbe Papst ermöglichte ihm mit einer Dispens die Übernahme eines Bischofsamtes im Alter von bloss etwa 25 Jahren, nämlich am 28. Mai 1326, und diese Gunst bedeutete einen Dank für seinen Mut, mit welchem er in dem von Ludwig von Bayern beherrschten Rom die Bannbulle gegen diesen Fürsten verlesen hatte. Giacomo reiste nach Lombez im Frühling 1330. Petrarca befand sich in seiner Begleitung.
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8 Angeboten wurde ihm das Patriarchat von Aquileia. 9 Der Bischofssitz Lombez wurde 1908 aufgehoben. 10 Das war 1337; in Rom herrschte ein Streit zwischen den Colonna und Orsini; vgl. Fam. 1,6; Fam. 2,13,3. 11 Die Beziehung der Bischöfe zu ihrer Bischofsstadt wurde mit einer Ehe verglichen, gefordert wurde ihre Anwesenheit, weshalb bei Abwesenheit eines Bischofs von Witwenschaft der Diözese gesprochen wurde.. 12 Im September 1341. 13 Vgl. Sen. Ad Lucil. 10,3. 14 Ad Lucil. 76,35. 15 Die wörtliche Übersetzung würde lauten: einem Katholiken. Sie wäre falsch, weil vor der Reformation keine Konfession gemeint sein konnte. 16 Vgl. Cic. Tusc. 1,30,6; De sen. 23,83 – 84. 17 In den folgenden Abschnitten findet man manche Parallelen zu Belehrungen in Fam. 2,1 und 2,7. 18 Paulus ist für Petrarca der Apostel schlechthin. Das Zitat steht Rom. 11,34. 19 Cic. Tusc.1,48,115. 20 Vgl. Act. 9,5 und 26,14. 21 Ps. 74, 5 und 11. 22 Mt. 15,14; 23,17. 23 Verg. Aen. 6,508 – 509. 24 Petrarca war Bürger von Rom infolge seiner Dichterkrönung; ein Kanonikat an der Kathedrale von Lombez war ihm am 25. Januar 1335 durch Benedikt XII. zugesichert worden. 25 Vgl. Sen. Ad Lucil. 24,20. 26 Phars. 8,632. 27 Vgl. Sen. Consolatio ad Polybium 6,1. 28 Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Todesdatum des Bischofs. Vgl. oben Anm. 4, auch Wilkins, Petr. Corresp. 56.
Fam. 4,13, an Lelio1 1. Über den Tod des gemeinsamen Freundes Giacomo Colonna. 3. Über zerstörte Pläne und Hoffnungen. 4. Unsicherheit für die eigene Zukunft. (1342)
1. Zu lange haben wir gelebt, liebster Lelio; wir hätten sterben sollen, bevor uns Gott unsern gütigsten Herrn und nachsichtigsten Vater entriss.2 Nützlich war er der Welt und uns notwendig, Glorie dem Vaterland, Stütze dem hochbetagten Vater, Trost den Schwestern, Freude den Brüdern, Hoffnung den Freunden und Schrecken den Feinden! 3 Ein Beispiel guter Sitten, ein Tempel und Abbild der Ehrbarkeit, ein Freund der Bildung und Liebhaber der Studien, ein Herold der Talente und ein höchst gerechter Schiedsrichter über Verdienste. Er war auf niemanden neidisch, doch beneidenswert, umgänglich, beständig, stark, gerecht und grossmütig, freigebig, hochherzig, umsichtig. – 2. Ach, ich versage in meinem Loben und kann nichts sagen, was solchen Vorzügen entspräche. Täuscht mich die Liebe nicht, so hat die Wolke des frühzeitigen Todes einen zu unserer Zeit hell strahlenden Stern des Klerikerstandes verdunkelt; und welche Finsternis mich Armen nach dem Empfang der Nachricht umhüllt hat, sagt mir mein Herz und bezeugen mir meine Augen. Freilich, nur die Tränen seines Vater und seiner Brüder sind, wie ich vermute, reichlicher geflossen als die Deinen;4 das lässt mich die Zartheit Deines Gemütes und Deine alte Anhänglichkeit ahnen; denn diese hast Du als ein Erbe erhalten, bist aber nach Erbrecht darin nachfolgend, weit und breit weitergekommen. 3. Ach, wie oft und wie selig habe ich mir den Tag ausgemalt, den ich nahe wähnte und an dem ich, seinem freundlichsten Brief gehorchend, vom Apennin hinüber zu den Pyrenäen gezogen wäre, um vor seinem innigst geliebten Angesicht unerwartet zu erscheinen! Denn ich wollte ihm in Ehrfurcht den römischen Lorbeer entgegenbringen, den ich meinem Scheitel, obzwar unwürdig, aufdrücke und der ihm schon vor langer Zeit – wiewohl auf blosse Meldung hin und aus der Ferne – Stoff zu so mächtiger Freude gegeben hatte, dass ein ganz auserlesenes Gedicht aus seiner Hand und Erfindung davon meldet.5 Beifügen wollte ich auch neue Entwürfe zu meiner „Africa“, zwei gewiss kleine, doch hingebungsvolle Geschenklein! 6 Doch zuvorgekommen ist meinem Verlangen der Allmächtige, und würdig war ich nicht, so frohen Tag zu erleben. 4. Welchen Beschluss aber soll ich nun fassen? Wie soll ich über mich entscheiden? Was soll ich tun? Ständig spreche ich unter Tränen so zu mir: „Wohin willst du gehen, Unglücklicher? Entfernt hat sich der von dir Gesuchte. Wohin willst du dich wenden? An den Hof seines Bruders,7 den trauernden, der solchen Glanzes beraubt
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ist? An den Ort der Bestattung, wo deine Hoffnung begraben liegt? Da wie dort nichts als Bedrückung! Genügt doch offenbar das Mass der Trauer, das der Tod dir beschert hat, noch nicht! Vielmehr hast du darüber hinaus unter Seufzern noch anderem entgegenzugehen, um dich entweder hier trauernd einem Trauerzug anzuschliessen oder dort die fremdländischen Hände eines stolzen Papstes zu küssen.“ 8 So steht es um mich, bis Du mit einem Brief meinem kranken Gemüt die Segel hissen und meinem schwankenden Entschluss ein festes Steuer verleihen wirst! Lebe wohl! (1342)9
Anmerkungen 1 Zum Adressaten vgl. Fam. 3,19, Anm. 1. 2 Gemeint ist Bischof Giacomo Colonna von Lombez; vgl. den vorangehenden Brief. 3 Ein grosses Wort! Immerhin wagte er am 28. Mai 1328 in Rom die Exkommunikationsbulle gegen Ludwig von Bayern an die Kirchentüre von San Marcello zu hängen. 4 Lelio stand lange Zeit im Dienst des Verstorbenen. 5 Gemeint ist ein Sonett zur Gratulation; Petrarca reihte es unter seine Reime ein. 6 Petrarca schrieb diesen Brief in Parma, wo er erste Stücke zur „Africa“ ausarbeitete. Auf Kirchenpfründen, von denen er leben konnte, war er angewiesen. Ein Kanonikat in Lombez warf wenig ab; dank dem Kardinal Colonna erhielt er schon am 22. Mai 1342 ein Kanonikat in Pisa; an seiner Stelle amtete ein Stellvertreter; vgl. Wilkins, Studies 8. 7 Kardinal Giovanni Colonna. 8 Gemeint ist Benedikt XII. Seine Hände sind im lateinischen Text „barbaricae“; das tönt damals nicht so verächtlich wie heute. 9 Zur Datierung vgl. den vorangehenden Brief.
Fam. 4,14, an Sennuccio del Bene von Florenz1 Häusliche Sorgen. Über die Plage mit eigenen Dienern. 3. Hoffnung, bessere zu entdecken.
1. An Dienern2 – oder um bescheidener zu sprechen – an unterwürfigen Freunden – oder richtiger – an dienstbaren Plagegeistern habe ich im Haus drei Paare. Das erste hat den Nachteil, dass des einen Einfalt masslos und des andern Schlauheit gefährlich ist; das zweite, dass des einen Kindesalter und des andern Bejahrtheit sie unbrauchbar machen; das dritte, dass des einen Ungestüm und des andern Trägheit sehr beschwerlich fallen und dass (gemäss jenem sokratischen Wort, das in Ciceros Briefen erwähnt wird3) „der eine des Zaumes bedarf und der andre der Sporen.“ 2. Ich aber sitze inmitten dieser Gegensätzlichkeiten, einst Zuchtmeister und neuerdings Zuschauer. Und nicht genug vermag ich mich über die Vorstellung jener andern zu wundern, welche Dienerscharen als etwas Imponierendes ansehen und es geniessen, stets von eben diesen Leuten umdrängt zu sein, deren Unterhalt sie selber bestreiten, das heisst: von ihren hauseigenen Schädlingen. 3. Dir meine Notlage geschildert zu haben, mag genügen; ich glaube, Du erwartest von mir keine Bitte. Sollte Dir aber zufällig irgendwo in eher schlichten Verhältnissen etwas begegnen, das sowohl in der Gesinnung wie an Alter und Sitten von den Extremen gleicherweise entfernt wäre, so wisse, dass ein Mensch, der diese Vorzüge – ich sage nicht in überragender, jedoch in leidlicher Weise – besässe, mir nicht etwa nur Diener sein könnte, nein auch Gefährte und Freund, ja Gebieter. Doch ich fürchte, Du denkst, ich trage Dir die Suche nach dem Phönix auf,4 der nur alle fünfhundert Jahre neu zu erstehen pflegt, auf der ganzen Erde nur einmal vorkommt und überhaupt bei uns im Abendland gar nicht bekannt ist. Lebe wohl. (Kein Anhaltspunkt zur Datierung) Anmerkungen 1 Einziger uns erhaltener Brief Petrarcas an diesen Adressaten. Er stammte aus Florenz, war Dichter und gehörte zum Freundeskreis Petrarcas in Avignon. Petrarca verfasste für ihn verschiedene Canzoni und auf seinen Tod im Pestjahr das Sonett 287. Vgl. C. Scarpati, Tra Petrarca e Boccaccio…, in: Il Boccaccio nelle culture e letterature nazionali, a.c. di F. Mazzoni, Firenze 1978,595 – 604. Vgl. auch Dotti, Vita 196 f. und dessen Register. 2 Vgl. Fam. 5, 14 von ungefähr 1345, weiter Fam. 10,3,30 ff. von 1349, Fam. 22,12,6 ff., wo ebenfalls Klagen über Diener stehen, aber auch Fam. 13,8 aus dem Jahr 1352 mit grossem Lob auf eine Wirtschafterin und einen Wirtschafter. 3 Cic. Ad. Att. 6,1,12. 4 Zu diesem Wundervogel, der aus seiner Asche wiederersteht, vgl. Plin. Nat. 10,2,4.
Fam. 4,15 (an Giovanni d’Andrea?1) Gegen die Eitelkeit der Gelehrten. 1. Schmeichelhafter Dank für ein Schreiben. 3. Auseinandersetzung über die Bedeutung von Augustinus und Hieronymus. 5. Über Moralisten und Dichter. 9. Abwehr von Beschuldigungen. Hinweis auf mangelhafte Kenntnisse des Adressaten. 12. Bitte, einen Brief nicht zu veröffentlichen. 14. Zu volkssprachlichen Schriften des Adressaten. 15. Warnung vor Scheinwissen und Selbstüberhebung wie vor Übergriffen auf fremde Wissenschaftsgebiete. Am 17. August (1342).
1. Kaum lässt sich sagen, wie sehr meine Ohren – vom vulgären Lärmen ermüdet – bei einer zwei- und dreimaligen Lektüre Deines Schreibens sich umschmeichelt fühlten. Während es Dir, wie ich dem Ende entnehme, wortreich vorkam, kann ich ihm nichts anderes vorwerfen als Knappheit. Daher habe ich Deine letzte Drohung, Du werdest Dich fortan kürzer fassen, ungern vernommen; ausschweifender wäre mir lieber. Doch wie Du willst! Denn richtig wäre es nicht, würdest Du, Vater, Dich mir anbequemen, statt ich mich Dir. Aber wird auch alles von Dir abhangen? Unbekannt ist Dir kaum, dass Absicht und Ausgang oft voneinander verschieden sind. Hören wirst Du vielleicht, was trotz Deinem Verlangen zu schweigen, Dich zwingen könnte zu reden. 2. Soll ich, was wie Drohung aussieht, gleich auch ins Werk setzen? Ich beteuere zum voraus, dass ich von Dir die gleiche Auffassung hege wie Macrobius von Aristoteles,2 gleichgültig, ob sie auf Liebe oder Wahrheit beruhte. Das heisst: Ich glaube, es gibt nur weniges, was Du nicht wissen kannst, und entgleitet Dir etwas Unrichtiges, vermute ich, es liege ein Versehen vor oder – wie der Genannte zum andern sagte – es sei ein blosser Scherz. 3. Wenn Du mir also über Hieronymus mitteilst, dass Du ihn unter allen heiligen Lehrern vorziehst, ist mir das nicht neu.3 Vielmehr ist dieses Dein Urteil schon alt und allgemein bekannt. Und gewiss streitet man dann ganz sinnlos um Komparative, wenn man bereits zu Superlativen gelangt ist. Fehlgehen kannst Du nicht; vortrefflich schön und ausgezeichnet wird sein, was immer Du auswählst. Doch ist mir erinnerlich, dass in dieser Frage häufig ein Streit entstand zwischen einerseits Dir und Deinem Freund, dem Bischof Giacomo von Lombez ruhmvollen Andenkens, und andrerseits mir. Er hat auf Deinen Spuren und stets – wie aus einem Mund mit Dir – unter allen katholischen Schriftstellern Hieronymus vorgezogen, ich dagegen Augustinus. 4. Und wirklich, hätte ich nicht zu fürchten, die Wahrheit oder Dich zu beleidigen, wollte ich sagen, Vater, was ich denke: Obwohl es viele und verschiedene und glanzvolle Sterne gibt, da Iupiter, da Arcturus, da Lucifer, ist doch die Sonne der Kirche Augustinus. Doch davon will ich nicht viel Aufhebens machen; denn das Auswählen bleibt unangefochten, und frei müssen die Entscheidungen sein.
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5. Wenn Du aber gleich nachher allen Moralisten Valerius4 voranstellst, frage ich, wer da nicht staunen müsste, sofern Du das im Ernst und beharrlich vertreten wolltest und nicht in der Absicht, herausfordernd zu scherzen. Denn wenn Valerius der erste ist, der wievielte ist dann bitte Platon, der wievielte Aristoteles, der wievielte Cicero, der wievielte Annaeus Seneca, den, was Fragen der Moral betrifft, einige gewichtige Kenner allen anderen voranstellten? 6. Es wäre denn, Platon und Cicero würden durch etwas ausgeschieden, was mir bei der Lektüre Deines Briefes an anderer Stelle ein Anlass zu neuer Verwunderung wurde. Denn dort – ich weiss nicht, was ich denken soll – legst Du dar, die eben Genannten seien Dichter und folglich dem Chor der Dichter einzureihen. Wolltest Du das ausführen, würdest Du vielleicht weiter gelangen, als Du vorausahnst. Mit der Zustimmung Apollons und unter dem Beifall der Musen würdest Du die schattenreichen Höhen des Parnass um zwei machtvolle Siedler bereichern! 7. Doch bitte, was hat Dich bewogen, so zu denken oder zu sprechen, da Tullius in seinen früheren Büchern sich als überragenden Redner und in den letzten als glänzenden Philosophen erweist? Wie nämlich Vergil überall Dichter ist, so ist Tullius das nirgends, und dies entsprechend einer Aussage in den „Redeübungen“,5 wo zu lesen ist, die glückliche Begabung habe einen Vergil, sobald er Prosa schrieb, und einen Cicero, sobald er dichtete, gemieden. 8. Was sage ich nun von Platon, der nach einem übereinstimmenden Urteil der grössten Gelehrten in der Philosophie den höchsten Rang verdiente? Weswegen hätten sonst Cicero, Augustinus und sehr viele andere in jeder Aussage, mit welcher sie Aristoteles den übrigen Philosophen vorzogen, von Platon jedesmal abgesehen?6 Ich sehe nicht, was Platon zum Dichter gemacht hätte, es sei denn vielleicht jenes einzig von Cicero7 zitierte Wort des Panaitios, der ihn als den „Homer der Philosophen“ bezeichnet, was aber nichts anderes bedeutet, als er sei der „Fürst der Philosophen“ und unter den Philosophen eben das, was unter den Dichtern Homer ist. Und was müssten wir gar Tullius vorwerfen, welcher seinen Platon in den Briefen an Atticus an einer Stelle einen Gott nennt?8 In jeder Weise bezwecken die Genannten nur immer das eine, Platon eine göttliche Begabung zuzuschreiben, und nur deshalb nennen sie ihn Homer oder ganz ausdrücklich sogar Gott. 9. Im weiteren hast Du die Gelegenheit ergriffen, Dich völlig in einen Traktat über die Dichter zu vergraben, und hast dabei mit wunderbarer Feinheit über unbekannte Dinge gesprochen, wer einer gewesen sei und wann er geboren worden, welchen Stil und welche Art Dichtung ein jeder gepflegt und welchen Grad von Ruhm er erreicht habe. Zu lange würde es dauern, Einzelnes aufzuzählen, denn dafür hast Du in Deiner wohlgesetzten Abhandlung uns Lernbegierigen viel zu vieles, niemals Gehörtes bekannt gemacht. Doch wenn – zwar nicht mir persönlich, aber meinem Berufsstand – etwas einzuwenden erlaubt wäre, möchte ich gerne wissen, weshalb Dir die Namen Naevius und Plautus so fremd sind? Du meinst ja, ich hätte
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geradezu ich weiss nicht was „Barbarisches“ aufgetischt, als ich sie in meinem Brief an Dich erwähnte, und Du tadelst mich, wenn auch „mit stiller Bewunderung“, wegen meines Versuches – wie Flaccus9 sagt – : „Schöpfer zu sein einer neuen Gestalt …“ 10. So peinlich genau verfährst Du bei dieser Untersuchung, dass nichts anderes mangelt als die Verurteilung meiner Keckheit, zwei neue und fremde Namen auf die Bühne zu bringen. Immerhin hast Du Deine Heftigkeit schliesslich gezügelt und lieber Dich der Unkenntnis verdächtigen wollen. Freundlich, ja, und bescheiden! Doch im übrigen behaupten Deine Worte das eine und schreit Deine Absicht das andere. Wirklich zum Verwundern! Denn wenigstens Terenz scheint Dir recht vertraut zu sein. 11. Und gerade dieser hat gleich am Anfang seines Prologs zu „Andria“ in ein und demselben Verslein sowohl an Naevius wie an Plautus und Ennius erinnert;10 ja er hat im „Eunuchus“ sowohl Naevius wie Plautus, dagegen im Werk „Adelphoe“ nur Plautus erwähnt.11 Beide miteinander nennt auch Cicero im Buch „Über das Alter“,12 das selbe tut Gellius13 in „Attische Nächte“, wo er die Epigramme für die beiden in sehr altertümlicher Sprechweise wiedergibt. Was nun? Wer, so frage ich, hat je etwas von der Dichtkunst gehört, aber nichts von diesen Dichtern? 12. So staune ich denn über Dein Staunen, und mit Deiner gütigen Erlaubnis, Vater, bitte ich dringend, Deine Ausführungen nicht fremden Händen zu überlassen! Denn je glänzender Dein Ruf ist, um so sorgsamer musst Du ihn hegen. Mit mir kannst Du alles genau so besprechen wie mit Dir selber und kannst dabei, wie es Gelehrte für sich selber machen, ändern und abwandeln, was Du gesagt hast. Sind aber Deine Worte einmal veröffentlicht, ist Dir diese Möglichkeit genommen, und dann hast Du das Urteil der Menge zu ertragen. Jedenfalls schicke ich Dir Deinen Brief unter sicherer Verwahrung zurück, und mit ihm zusammengebunden auch diesen hier, von dem ich übrigens nur darum eine Abschrift zurückbehalte, dass ich, falls noch weiteres zu besprechen ist, die Worte miteinander vergleichen könne, ohne mein Gedächtnis zu strapazieren. 13. Überdies führst Du noch eine neue und fremdartige Lehre an – ich nehme mir eben alle Freiheit, sobald ich’s nicht ändern kann, dass ich zu reden begonnen habe –; Du behauptest ja, Ennius und Statius Papinius14 seien Zeitgenossen gewesen. Wer, bitte, mein Vater, hat Dir eine solche Zeitrechnung beigebracht? Und wer hat von Dir eine solche Behauptung gefordert? Forsche genauer nach, und Du wirst finden, dass Ennius unter Africanus dem Älteren und Statius einige Jahrhunderte später unter Kaiser Domitianus gelebt hat. 14. Damit hast Du einiges, worauf Du – wenn ich nicht irre – antworten willst und es nicht kurz abtun kannst, wie Du gemeint hast. Und wenigstens eines würde ich noch anfügen, wenn Du es gütig erlaubtest. Ich erinnere mich, dass ich Dir als junger Mann während meines Aufenthaltes in der
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Gegend der Gascogne15 geschrieben habe – freilich zurückhaltend, wie es sich meiner Jugend geziemte –, denn ich nahm Anstoss an Deinen volkssprachlichen Schriften, die Du zu jener Zeit ab und zu dem obgenannten Giacomo Colonna geschickt hast (die Liebe zu ihm hatte mich ja in jene Gegend gezogen, wie sie mich sogar nach Äthiopien gezogen hätte). Damals tat ich’s noch fast knabenhaft als einer, der seine Hand kaum dem Rütlein entzogen hat. Doch ist jetzt die Zeit gekommen, wo mein Einwand männlich fest ist, freilich nur, so habe ich gesagt, sofern Du es gestattest …. Was sagst Du? Ich vermute, Du lachst. Nun gut! Du hast es gestattet! 15. Höre also, Vater, und schaue und neige Dein Ohr mir zu, damit nicht etwa ein fremdes Ohr mithorche. Zu Dir allein spreche ich, und ich bestimme Dich zum Richter in Deiner eigenen Sache, die ich zwar anzufechten scheine, aber sogleich verteidigen würde, wenn andere sie angreifen wollten. Ich weiss nämlich sehr wohl, wie verletzend und unverschämt ein Tadelbrief ist, den ein Sohn an seinen Vater zu richten sich herausnimmt. Aber die Liebe muss die Kühnheit entschuldigen. So wahr es ist, dass ich meinen Ruhm nicht durch Volksgunst, sondern durch Tüchtigkeit zu erlangen begehre, so wahr ist auch, dass ich seit frühester Jugend Deinem Ruhm eine gewisse besondere Wichtigkeit beimass. Das zwingt mich zu sprechen, damit Du nicht das, was ich verschweige, durch andere vernehmen musst oder – was eher zu befürchten ist – damit nicht ein stummes Urteil Dich zerfetze und nicht einige böswillige Sachverständige Deine wahrhaft umfassende Kenntnis nach den engen Grenzen eines Dir wenig vertrauten Faches (das Du bloss spielerisch betreten wolltest) abschätzen. 16. Aufgefallen ist mir nämlich, dass Du in Deinen Schriften mit allem Fleiss darauf bedacht bist, Deine Person herauszustreichen. Das eben ist der Grund für Dein Herumstöbern in unbekannten Büchern, um aus den einzelnen Werken etwas herauszuzupfen und unter das Deine zu mischen. Beifall spenden Dir Deine Schüler, die, durch unzählige Autorennamen völlig überwältigt, Dich einen Allwissenden nennen, indem sie meinen, Du habest von allen Werken, deren Büchertitel Du im Kopf hast, eine echte Kenntnis. Die Gelehrten aber werden sehr leicht erspüren, was Du entliehen, was gestohlen, was aus der Tiefe geschöpft und was im Vorübergehen genascht hast.16 17. Mit seinem Gedächtnis zu prunken, ist kindische Ruhmsucht. Einem Mann, so sagt Seneca,17 stehe es schlecht an, Blumensträusschen zu binden,18 da für ihn schicklich sei, sich an der Frucht zu laben, nicht an den Blüten. Wirklich bist Du dank Deiner Altersstufe ehrwürdig und in Deinem Berufsstand hervorragend, ja sogar (um nicht immer nur zu sticheln, sondern auch etwa zu streicheln) zu unserer Zeit das einzige und beispiellose Haupt des von Dir geförderten Bildungszweiges. Und dennoch gehst Du in einer mir unbegreiflichen jünglinghaften Anwandlung über Deine Gebiete hinaus, um Dir auf fremden Wiesen bei schon
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untergehender Sonne geruhsam und ziellos mit Blumensammeln die Zeit zu vertreiben. 18. Verlockend ist gewiss, sich ins Unbekannte zu wagen; doch wird man da oft in der Unkenntnis der Wege umherirren oder hinfallen. Verlockend ist es, jenen zu folgen, die ihre Wissenschaft wie irgendeine Kaufware vor der Türe zur Schau stellen, mag eben deshalb das Innere des Hauses völlig leer sein! Dabei geht man doch nur sicher, wenn man danach trachtet, zu sein und nicht zu scheinen. Denn die Selbstüberhebung ist immer anstrengend und gefährlich. 19. Zu bedenken ist auch, dass das Verlangen, für bedeutend zu gelten, unzählig viel Widerwärtiges hervorruft, was einen nicht bloss auf sein wahres Mass zurückwirft, sondern dieses sogar auf ein geringeres einschränkt. Für ein einzelnes Talent genügt, in nur einer Disziplin Berühmtheit zu verdienen. Wer mit Ruhmestiteln der verschiedenen Fächer daherkommt, ist entweder göttergleich oder unverschämt oder irrsinnig. Wo aber wäre unter den alten Griechen oder wo einer unter den unsern gewesen, von dem man solche Kühnheit berichtet hätte? Eine neue Sitte ist das und eine neue Vermessenheit. So grossartige Schilder werden ausgehängt, dass man „ihretwegen“, wie Plinius sagt,19 „von Massnahmen zur Vorsicht absehen könnte. Aber dann, wenn man näher hinschaut, bei allen Göttern und Göttinnen, wie so gar nichts wird man dahinter finden!“ 20. Wolltest Du mir nur – um endlich zu schliessen –, ein wenig vertrauen, mit Deinen Sachgebieten zufrieden sein und nicht jene nachahmen, die alles versprechen, aber nichts halten, alles anpackend und – wie der Komiker sagt – „alles ergreifend, doch nichts begreifen“.20 Ein altes und heilsames Sprichwort aus Griechenland lautet: „Jeder verrichte das Handwerk, das er gelernt hat.“21 Lebe wohl und verzeih, bitte, wenn ich Dich verletzt habe! Am 17. August (1342 oder eher 1345/6).22
Anmerkungen 1 Die von De Sade aufgestellte Vermutung, dass es sich beim Adressaten um den zu seiner Zeit berühmten Rechtsgelehrten Giovanni d’Andrea handle, wird heute allgemein hochgehalten; vgl. Dotti, Fam. zu diesem Brief und Vita 20, Anm. 56 unter Hinweis auf Billanovich, La tradizione 219 – 220. Der Genannte (*1272) war Professor in Florenz, Bologna, Padua und wieder Bologna; †1348 an der Pest; vgl. Fam. 4,16 und 5,7 – 9. 2 In Somn. Scip. 2,15,18. 3 Der Gelehrte führte den Zunamen De Sancto Hieronymo. Eines seiner Werke war der Ieronimianus. 4 Giovanni d’Andrea verfasste das Werk Summaria in totum Valerium Maximum. Valerius gab eine Sammlung von Exempeln eines tugendreichen Lebens heraus. 5 Sen. maior, Controv. 3, praef. 8. 6 Cic. De fin. 5,3,7. 7 Cic. Tusc.1,32,79. 8 Cic. Ad Att. 4,16,3.
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Hor. Ars 125 – 126. Andria, prol. 18. Eun. prol.25; Adel. prol. 7 – 9. De sen. 14,50. Noct. att. 1,24, 2 – 3. Ennius lebte 239 – 169 v. Chr.; Statius 40 – 96 n. Chr. Im Jahre 1330. Der Vorwurf, sich mit fremden Federn zu schmücken, wurde gegen Giovanni d’Andrea auch von anderer Seite erhoben; vgl. Fr. C. von Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter 6, 122, Anm. e) zum Iuristen Baldus, der Giovanni d’Andrea als fur aliorum laborum, Dieb fremder Arbeiten bezeichnete. Doch Savigny kennt auch Zeugnisse für die Wohltätigkeit des Juristen, ebenda 110 f. Ad. Lucil. 33,7. Hat ungefähr den Sinn: „mit geringen Kenntnissen durch geschicktes Zitieren gründliches Wissen vortäuschen“. Vgl. Fam. 1,3,4. Nat. praef. 24. Das entscheidende Wort heisst: vadimonium deserere. Ter. Andria, prol. 17. In Cic. Tusc. 1,18.41. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 56.
Fam. 4,16 (an Giovanni d’Andrea1) Fortsetzung des Streites. 1. Überlegung, ob und wie der Streit fortzuführen sei. 2. Rechtfertigung des im vorangehend Brief angewandten Verfahrens. 3. Einwände gegen die Beweisführung, die Hieronymus über Augustinus stellt. 8. Frage, was einen Dichter, was einen Philosophen ausmache. 13. Verteidigung gegen den Vorwurf, die Studien in Bologna aufzugeben, sei ein Fehler gewesen. Am 31. August (1342).
1. Es ist, wie ich dachte: Freimut hat Zorn erzeugt, Aufrichtigkeit Hass und Ermahnung Verdriesslichkeit! Doch was soll ich tun? Worte kehren nicht zurück. Schmeichelnder hätte ich gesprochen, wäre mir eingefallen, Dich könnten Schmeicheleien freuen – oder nein: noch strenger wäre ich gewesen und hätte eben diese weibische Schwäche an einem tüchtigen Mann noch freimütiger getadelt. Da nun aber, wie ich sehe, Freimut der Freundschaft feind ist, wäre es vielleicht ein Gebot der Besonnenheit zu schweigen. Doch das macht mir wiederum Sorgen; es kommt ja vor, dass Schweigen jemanden in Wut versetzt. Folglich will ich reden, um nicht von neuem zu kränken, doch so knapp, dass Du merkst, wie sehr ich mich dazu zwinge. 2. Erstens habe ich Dich zum Richter erklärt über alles, was ich sage und sagen würde. Und Dein knappes Urteil lautet, ich hätte mich „geirrt, und zwar in einigem, in vielem, in allem.“ Wahrhaftig, ich freue mich, dass eher ich geirrt habe als Du; denn im hellen Licht ist alle Unförmigkeit besonders augenfällig, und überdies ist bei einem Betagten ein Irrtum erst recht bedenklich. Immerhin, es gibt da noch etwas, das ich zu wissen begehre. Du stehst vor mir, und somit rufe ich Dich her zum Tribunal. Keiner Beisitzer bedarf es; allein sollst Du sitzen! 3. Du schätzest Hieronymus höher als Augustinus. Das wusste ich. Aber die für Dein Urteil vorgebrachte Begründung begreife ich wahrhaftig nicht. Was denn, bitte, soll das heissen, wenn Du sagst, Du würdest ihn nicht deshalb höher schätzen, weil er grösser sei, sondern weil er der Kirche reichere Frucht bringe, und Du habest das in einem Deiner Werke,2 und zwar in einer langen Untersuchung bewiesen? Ich wünschte, Du hättest diese Untersuchung Deinem Schreiben beigelegt; doch leider hast Du entweder den Boten geschont oder Deine Abhandlung. 4. Allerdings hast Du zum Beweis für die Richtigkeit Deiner Meinung das Entscheidende angefügt und gesagt, sie werde gerade durch die Autorität von Augustinus selber beglaubigt. Ist Dir aber unbekannt, dass in einer üblichen Redewendung die sprechende Person sich selber ausnimmt? Wie nur, so sagst Du, wenn das Bekenntnis Augustins ganz offen ausdrückt, dass er Hieronymus sich vorzieht?3 Doch wer wüsste nicht, was man in einem solchen Fall zu sagen hat! In der Tat ist die betreffende Aussage das einzige, worin ich dieser heiligsten Seele nicht zustimmen könn-
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te. Ich weiss, es war ihr ein Bedürfnis, von anderen rühmend, doch von sich selber bescheiden zu sprechen und zu denken. 5. Ich für meinen Teil habe die Palme für fruchtbare Tätigkeit in der Kirche Augustinus zugesprochen, doch nicht halsstarrig, vielmehr bin ich weder einer Meinung, noch einer Sekte, noch einem Menschen so durchaus verpflichtet, dass ich nach einer besseren Erkenntnis meinen Standpunkt nicht zu ändern verstünde. Diese Fähigkeit habe ich an Marcus Tullius, doch eben auch am Vater Augustinus erkannt,4 der seinerseits nicht leugnet, sie bei Tullius gelernt zu haben. Und übrigens habe ich auch von Horaz schon in meiner Kindheit gelernt,5 „auf keines Lehrers Worte zu schwören“. 6. Welch geringen Wert diese Deine Argumente besitzen, verheimlichst Du Dir selber nicht. Denn kaum hast Du jenen Teil der Verteidigung hinter Dir, weichst Du gleich auf eine andere Erklärung aus und behauptest, nach gründlicher Überlegung habe Dich eigentlich nichts anderes zu Deiner Meinung bewogen als ein gewisser schmählicher Undank der Italer gegenüber Hieronymus. Nur darauf also beruht die Verteidigung Deiner Meinung! Und eben das ist die von mir keineswegs verstandene, ja überhaupt unverständliche Begründung! Doch wie steht es mit diesem Undank? Wir sind, das gebe ich zu, nicht allein gegenüber den Heiligen, nein auch gegenüber dem Herrn der Heiligen undankbar. Aber welchen besonderen Grund hat Hieronymus vor allen anderen zum Klagen, und welche Schuld drückt die Italer schwerer als andere Menschen? Jener war selber nicht italischer Abkunft und lebte recht häufig im Morgenland! 7. Wende Dich Vater, wohin Du willst; Deine Begründung wird niemals genügen, um zu beweisen, was Du möchtest; es sei denn, dass eine heimliche Ahnung der Seele und eine eher fromme als streng erwogene Verehrung eine rationale Begründung zu ersetzen vermöchte. Ich halte mich aber hierbei nicht länger auf; denn dass so heilige Namen in den kleinlichen Zänkereien des Sünders zerschlissen und gewissermassen profaniert würden, käme meines Erachtens einem Sakrileg gleich. Daher wäre es vernünftig, über beide zu schweigen. Kostbarkeiten aneinander zu reiben und aneinander zu stossen, ist voller Gefahren. 8. Zu Platon und Cicero gehe ich über. Es gibt also von ihnen zwei Fabeln. Und obwohl sie moralischen Inhalts und – wie Macrobius von der einen bezeugt6 – vollständig aus der gesamten dreiteiligen Philosophie zusammengesetzt sind, überdies keine metrischen Regeln beachten und mitten in den Büchern der „Politik“ und der „Republik“ stehen, erklärst Du ihre Verfasser für Dichter. Umsonst verteidigt Macrobius7 die beiden gegen die Spötter, die sagen, es sei nicht statthaft, dass Philosophen Fabeln erdichten. Ich meinerseits würde mich freuen, womöglich auch Aristoteles, Seneca und Varro in der Schar der Dichter zu sehen. Das würde sich für den einen und andern wohl nicht weniger schicken als für Platon und Tullius. 9. Schliesslich hat ja Aristoteles eine Poetik und über Poeten,8 Varro aber Satiren
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und Bücher über Dichter, ja, über Iason und das Goldene Vlies eine nicht unbeachtliche Dichtung,9 Seneca dagegen Tragödien geschrieben, welche bei den Dichtern in der Tat, wenn nicht den höchsten Rang, so doch einen diesem Rang fast ebenbürtigen Wert besitzen. 10. Aber weshalb, so frage ich, hast Du sie nicht gar als Spassmacher ausgegeben, da sie in ihrem Leben wohl auch Lustiges gesagt und getan haben, vor allem Tullius, von dem so vieles, was zum Lachen reizt, in den „Saturnalien“10 zitiert wird und dessen Witze auch sein Freigelassener Tiro11 in einem Buch niedergeschrieben hat? Oder weshalb nicht als Fischer oder Ruderer oder als etwas Ähnliches, da sie bei einem Landaufenthalt sich vielleicht gelegentlich mit Angeln oder Rudern von ihrer geistigen Arbeit erholten? Oder willst Du mir vielleicht ein Brauchtum im Kriegswesen auf Schulen übertragen? Dann könnte so, wie ein einziger Zweikampf Torquater und Corviner12 hervorbrachte, eine einzige Rede zum Dichter machen? Doch nein: ausdauernde Beharrlichkeit wird gefordert; eine einzelne Tat dagegen ergibt noch nicht eine Gewohnheit. Und darüber nur soviel! 11. Von Ennius und Statius ist in Deinem letzten Brief nicht mehr die Rede. Ich nehme an, Du hast die Zahl der Jahre an Deinen Fingern nachgerechnet. 12. Zu Deinem langen, unablässigen Weiterspinnen des Redefadens jedoch, mit welchem Du auf alle Arten den Anschein erwecken möchtest, ich hätte Dich ganz ohne Grund berichtigen wollen, weil Dein Scharfsinn ja alles durchdringe, will ich nichts anderes bemerken, als dass Dir wohl bekommt, wenn Du von Dir eine solche Meinung hegst. Denn wie bist Du doch in Deinem Urteil, was immer es besage, beneidenswert! Dass Du mich diese Kunst doch zu lehren vermöchtest und wirklich lehrtest, damit ich ebenfalls verstünde, über mich ein solches Urteil zusammenzubrauen. Ich frage mich wirklich, ob es nicht besser sei, sich bisweilen an einem Irrtum zu freuen, als sich immerfort mit der Wahrheit abzuquälen. 13. Schliesslich, wenn Du mich überdies tadelst, als wäre ich damals einem eidlich bekräftigten Kriegsdienst entlaufen, als ich gleich zu Beginn meiner grössten Erfolge dem Studium der Rechte und damit auch Bologna den Rücken zeigte, habe ich eine Antwort rasch zur Hand. Sie wird Dir, einer besonderen Leuchte jener Stadt und jenes Studiums, freilich sehr wenig gefallen. Doch habe ich schon zur Genüge gehetzt und will daher den Grund verschweigen, mit dem ich sonst meine Tat zu verteidigen pflege. Sie war ja schon häufig der Gegenstand eines Streites zwischen mir und vielen andern, vor allem mit Oldrado von Lodi,13 dem zu unserer Zeit hochberühmten Rechtsgelehrten. 14. Nur dies eine kann ohne Schaden für unsere Eintracht gesagte werden: Nichts, was der Natur widerspricht, kann glücken. Sie hat mich als einen Liebhaber der Einsamkeit nicht des Marktes geboren.14 Beachte übrigens noch dies: Entweder habe ich niemals vorausschauend gehandelt – was ich am ehesten glaube – oder es ist gerade damals – ich wage nicht zu sa-
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gen „vernünftigerweise“, aber doch – „glücklicherweise“ geschehen, dass ich Bologna zwar aufsuchte, aber dort dann nicht hängen blieb.15 Lebe wohl! Am 31. August (1342 oder eher 1345/6).16
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
13 14 15 16
Vgl. den vorangehenden Brief und Fam. 5,7 – 9. Das Werk hat den Titel Ieronimianus. Aug. Epist. 82,4,3, in multis rebus Augustinus Hieronymo minor …; vgl. Epist. 83 und Epist. 73,2,5. Aug. Conf. 3,4. Hor. Epist. 1,1,14. In Somn. Scip. 2,17,15. In Somn. Scip.1,2,4 ff. Poetica und De poetis. Die berühmte Dichtung über Iason und die Argonauten hat Varro im Werk De poetis besprochen. Vgl. Macr. Saturn. 2,1,12. Freund und Hausgenosse Ciceros. Er veröffentlichte unter anderem eine Sammlung von dessen Witzen. Torquati: Beiname von Gliedern des römischen Geschlechts der Manlii dank einem siegreichen Zweikampf ca. 360 mit einem Gallier, der einen Halsring trug. Marcus Valerius Corvus und sein Geschlecht erhielten den Beinamen dank einem Zweikampf von 349, bei dem ein Rabe zum Sieg verhalf; vgl. Liv. 7,10 und 26. Oldrado da Ponte war Professor in Montpellier, Bologna und anderwärts, schliesslich Advokat an der Kurie in Avignon. Er starb 1335. Er eignet sich nicht für Gerichtsprozesse auf dem Forum. Petrarca verliess Bologna 1226 oder bald danach. Die Datierung richtet sich nach derjenigen des vorangehenden Briefes; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 56.
Fam. 4,17, an Unbekannt 1. Das moderne Begehren nach Luxus werde besonders durch Nachahmung verbreitet. 3. Man müsse ihm mit Vernunft begegnen.
1. Dass Luxus Dich freut, wundert mich nicht; diese Pest war früher in wenigen Häusern zu Gast; aber heute ist sie überall eine ständige Mitbewohnerin, sofern nicht die Armut ihr den Eintritt verwehrt. Schuld daran ist nicht die Natur, die mit wenigem viel heiterer als mit vielem zu leben versteht; schuld sind die Gewohnheit der grossen Menge und vor allem die Nachahmung. Wer hütet denn seine Bescheidenheit so sorgsam, dass er nicht dann und wann sein Auge auf den Reichtum, Glanz und Ruhm seines Nachbarn richtet? 2. Doch nützlich ist die Beobachtung eines Alten im „Geldtopf“ des Plautus;1 da steht vom Luxus: „Gibt blossen Glanz statt Wert, statt Habe nichts als Prunk“, und würden die Menschen sich dessen erinnern, fänden überflüssiger Aufwand und unredlicher Gewinn die Strasse verschlossen, und man lebte viel ruhiger dahin. Jetzt hat die Begehrlichkeit die Blindheit herbeigeführt, und das ungestüme Wollen hat den Zügel der Vernunft zerrissen. 3. Du aber, ich bitte Dich, bemühe Dich, so gut Du kannst, eher ein Gefolgsmann der eigenen Vernunft als ein Nachahmer fremder Vergnügungssucht zu sein. Meide die unheilvollen Vorbilder! Unsere Seelen sind viel zu gelehrig gegenüber dem Bösen; diesem reicht für ein grosses Volk ein einziger Lehrmeister; und vor der Verschwendungssucht räumt die Genügsamkeit gleich das Feld, es sei denn die siegesgewisse Vernunft festige die Heerschar unserer Gedanken und lehre uns, unter Verachtung für bloss äusserlichen Zierat das wahrhaft echte Gut zu begehren. Was bewunderst Du nun das Prunkkleid Deines Nachbarn und seine von Jaspis schimmernden Finger? Das ist ein protzendes Glück! Kleide ihn doch aus! Und gleich wirst Du zugeben, er sei sehr unglücklich. Unter seinem Goldglanz verbirgt sich sein Elend; auch ist er – was ich als das höchste Übel betrachte –wie unglücklich so neidisch. 4. Ich schliesse anders als Plautus;2 denn er hat am Ende seines „Epidicus“ gesagt: „Seht, der Mann gewann die Freiheit nur indem er Böses tat“, während ich behaupte, dass er mit böser Tat zwar Reichtum und Fürstengunst gewann, aber seine Freiheit verlor. Möge er doch unbeneidet die vielen Güter, die man allgemein als etwas Gewaltiges anpreist, behalten! Du aber sei mit Deiner Ha-
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Fam. 4,17
be, besonders mit dem wahren Gut, das jener verloren hat, zufrieden, und lebe glücklich! Und lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Aul. 3,6,541. 2 Epid. 5,2,732.
Fam. 4,18, an einen Freund1 Tadel wegen Liebesbeziehungen des Adressaten. Zitate aus Plautus.
1. Dir bin ich wohlgesinnt, Deinen Sitten jedoch nicht. Was ich von Dir und Deiner persönlichen Angelegenheit denke, will ich Dir auf Deine Frage hin aufs wahrste und kürzeste durch Plautus erläutern, der alles Einzelne einzeln beantwortet. 2. Vor allem darum missfällt mir Deine Liebe, weil sie eine unglückliche Belastung Deiner Seele ist. Du brennst in einem schmutzigen Feuer. Ich frage Dich daher, wie der Knecht in der „Eselskomödie“ von Plautus:2 „… Ist nicht blosser Dunst dies Weib in Deinen Armen?“ 3. Willst Du wissen, weshalb ich frage? Weil Deine Augen immer tränen. Soviel zu Dir! Zu Deinen Weibern nur das, was in der Komödie mit dem Namen „Kornwurm“3 zu lesen ist: „Schlimmer ist der Frauen zwei als eine …“, und zum Knecht, was der gleiche Dichter4 im „Epidicus“ gesagt hat: „Nur allzu klug zu jeder Bosheit …“ Und das folgende füge ich aus Eigenem an: Du bist viel zu leichtgläubig und viel zu nachgiebig. Sind meine Vorwürfe falsch, so widerlege sie; sind sie aber berechtigt, so bessere Dich. Und lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. den folgenden Brief Fam. 4,19. Asin. 3,3,619. Plaut. Curc. 5,1,592. Epid. 3,2,378.
Fam. 4,19, an den selben Freund1 Neue Warnung vor gefährlichen Beziehungen.
Dass Du ein vom Freund getadeltes Vergehen nicht leugnest, ehrt Dich. Eine grosse Hoffnung auf eine Besserung des Lebens entspringt dem schamhaften Bekenntnis eines eigenen Fehlers. Über Deinen Diener zu schweigen, ist klug, weil Du ihn ja weder beschuldigen willst noch entschuldigen kannst. Aber dass Du Deine Weiberchen verteidigst, würde ich entweder als eine unpassende Artigkeit oder als die Befangenheit eines Blinden betrachten. Schau doch, was Du von ihnen zu denken für richtig hältst! Denn die eine bezeichnest Du als beste und die andere als recht ordentliche. Ich meinerseits halte die Meinung des Plautus2 in der Komödie „Der Geldtopf“ für wahrscheinlicher. Sie besagt, die beste Frau gebe es nicht; dabei könne freilich die eine schlechter sein als die andere. Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief Fam. 4,18. 2 Vgl. Aul. 2,1,139 – 140.
Fam. 5,1, an Barbato da Sulmona1 1. Über den Tod des Königs Roberto. 2. Unheilvolle Folgen am Hof. 4. Verlust eigener Hoffnungen. Am 29. Januar (oder Mai 1343).
1. Wovor mir bangte, das ist geschehen; was ich befürchtete, muss ich erleiden; in Schmerz hat die Angst sich gewandelt und in Klage das Flehen. Knapp vor der Zeit, die ich voraussah, hat unser ruhmreicher König uns verlassen,2 und hat er auch ein reifes Alter erlangt, so ist sein Tod doch ungemein bitter. 2. Und weh mir Armem, bester Barbato! Wie fürchte ich doch, das Ereignis werde auch jene Vorahnungen wahr machen, die mein Geist als ängstlicher Prophet (des eigenen Unheils stets nur allzu gewiss) mir zuflüstert. So sehr entsetzen mich die Jugend der jüngeren Königin3 und die des neuen Königs, so sehr das Alter der anderen Königin4 und ihr Vorhaben, so sehr schliesslich auch die Gesinnungen und Sitten der Höflinge! 3. Ein Lügenprophet wollte ich sein! Doch zwei Lämmer, der Obhut vieler Wölfe anvertraut, und eine Herrschaft ohne Herrscher muss ich sehen.5 Denn wie sollte mir als Herrscher erscheinen, wer von einem andern beherrscht wird, der Habsucht vieler ausgesetzt ist und – trauernd füge ich hinzu – auch der Grausamkeit vieler? Wenn man am Tag, da Platon aus dem Zeitlichen schied, zu sehen meinte, wie die Sonne vom Himmel falle,6 was soll man da beim Tod desjenigen meinen, der seiner Begabung nach ein zweiter Platon war und an Weisheit und Ruhm hinter keinem König zurückstand? Und dessen Tod zudem so vielen Gefahren auf allen Seiten einen Zugang geöffnet hat? Eine günstige Wendung verfüge der allmächtige Gott! Und er zeige an, dass mein Sorgen und Bangen eher pflichtgetreu als berechtigt sei. 4. Doch angenommen, für andere werde alles über Erwarten gedeihen und meine Furcht sich als grundlos erweisen: Wer, mein Freund, hat einen Ratschlag für mich? Wer lindert meinen persönlichen Schmerz? Für wen soll ich fortan wachen?7 Wem soll ich meine Begabung, wie gering sie sei, und mein Bemühen von nun an weihen? Wer wird die zerschlagenen Hoffnungen aufrichten? Wer die erstarrte Seele neu beleben? Zwei Ratgeber habe ich für meine Geistesgabe besessen; beide hat mir dieses Jahr entrissen. Den einen habe ich vor kurzem (als ich in Italien weilte) mit unserem Lelio gemeinsam beklagt;8 den andern beklage ich heute mit Dir und werde ich zeit meines Lebens beklagen. Und während ich sonst andere zu trösten gewohnt bin, weiss ich jetzt nicht, mit welchem Rat und Gebet ich mich selber tröste. 5. So kommt es, dass die Unmöglichkeit, mich zu trösten, die Scham mich zu beklagen, das Misstrauen gegen diese und jene Art des Ausdrucks, aber vor allem die Hoffnung, Dich bald zu sehen, mir Schweigen gebieten. Ich gehorche, um schon bald mit Dir gemeinsam ganz nach Bedürfnis zu klagen. Vorerst habe ich
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diese Zeilen unter Tränen an der Quelle der Sorgue, dem bekannten Hafen meiner Seelenstürme, geschrieben, wohin ich gestern gegen Abend geflohen bin, nachdem mich am Morgen die traurigste Nachricht am Ufer der Rhone getroffen hatte. Am 29. Januar (oder Mai, Vaucluse 1343).9
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 4,8 Anm. 1. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 König Roberto von Neapel/Sizilien starb am 19. oder 20. Januar 1343. 3 Giovanna, Tochter des Herzogs Carlo von Calabrien, Enkelin des Königs Roberto, *1326, heiratete 1333 einen Sohn des Königs Carlo-Roberto von Ungarn, eines Neffen Robertos; dieser Sohn war Andrea, *1327. 4 Die Königin-Witwe Sancha, Tochter des Königs von Maiorca. 5 König Roberto hatte für das sehr junge Paar einen Regierungsrat unter Königin Sancha und Vizekanzler Bischof Philippe von Cavaillon vorgesehen (zu dessen Diözese übrigens Vaucluse gehörte und der mit Petrarca befreundet war); seine testamentarische Verfügung wurde nicht beachtet. – Was Petrarca bereits zu sehen meint (video), ist Vorausahnung. Er schrieb den Brief in Vaucluse kurz nach Robertos Tod. 6 Jo. Saresberensis, Policraticus 7,6,1. 7 Petrarca hatte auf Beförderungen durch den König gehofft, von ihm im Zusammenhang mit der Dichterkrönung die Stelle eines Kaplans erhalten und an eine dauernde Stelle am Hof von Neapel denken dürfen; vgl. Fam. 4,7. Königin Giovanna bestätigte die Verfügung ihres Grossvaters; vgl. Wilkins, Studies 11. 215 ff. 8 Vgl. Fam. 4,13. 9 Die Datierung schafft besondere Schwierigkeiten, weil der Text die deutliche Angabe: IV. Kal. Iunias vorlegt und die Nachricht von Robertos Tod wohl etwa Mitte Februar nach Avignon gelangt sein muss; vgl. zur Frage Wilkins, Studies 213. 216 – 219 und Petr. Corresp. 56 f.
Fam. 5,2, an Kardinal Giovanni Colonna1 Dank für grosse Gunst. 1. Schreiben auf einer Reise nach Rom und Neapel. 3. Über ein aussergewöhnliches Vertrauen von seiten des Kardinals. Erinnerung an ein besonderes Erlebnis. 4. Vergleich mit antiken Beispielen. Rom, am 7. Oktober (1343).
1. Dank sage ich Dir für vieles, und so besonders auch dafür, dass Du mir bei jeder Romreise mit dem überbordenden Gunsterweis2 eines Briefes zuvorkommst. Ich erkenne darin die Nachstellungen Deiner Liebe; ich werde dort ja nicht wie ein Mensch, nein, wie ein Engel empfangen. Nichts ist so eilfertig wie ein Liebender! Niemals bin ich rasch genug mit dem Nordwind dahingefahren, um etwas noch unvorbereitet zu treffen. Wundern würde ich mich freilich noch stärker, wenn mir die Meinung, die Du von mir hegst, nicht vertraut wäre; denn eine längere Angewöhnung an eine Sache mindert deren wunderbare Wirkung, wie sie Schmerzen lindert und Lustgefühle abschwächt. 2. Wem aber gelänge es, je aufzuzählen, mit welchen höchst ehrenvollen Verfügungen Du mich in meinem Leben erhöht hast! Diese Freundlichkeit im geselligen Verkehr – fast wie von gleich zu gleich, obwohl Du mein Herr bist –, dieses Gewährenlassen eines Mannes in untergeordneter Stellung, dieses Anteilgeben an Geheimnissen, diese Vorrechte, diese Ehrung und Würdigung! Ihrer zu gedenken ist kostbar, sie anzugeben, höchst aufwendig. 3. Nur das eine aus Tausenderlei will ich erwähnen, und dass gerade dieses zutiefst in meiner Brust verwurzelt und im Herzen verankert ist, wird Dich wundern. Du erinnerst Dich: Als einst zwischen einigen der Deinen eine gehässige Feindschaft entstanden war und ein Waffengang drohte, Du aber, in gerechtem Zorn entbrannt und das Richteramt ausübend, die Deinen zusammengerufen und allen auferlegt hattest, die Wahrheit mit einem Schwur zu bekräftigen, da hatte auch Dein Bruder, Bischof Agapito von Luni,3 geschworen, und ich selber streckte schon die Rechte aus, als Du mitten in Deiner zornigen Aufwallung das Evangelium zurücknahmst und allen hörbar erklärtest, dass mein einfaches Wort Dir genüge. Und damit nur ja niemals der Eindruck entstehe, Du spürtest Reue oder Deine Güte habe unüberlegt gehandelt, hast Du bei ähnlichen sich wiederholenden Gelegenheiten nicht geduldet, dass mit den anderen Schwörenden auch ich schwöre. 4. Was ist herrlicher als ein solches Urteil von seiten eines solchen Vaters? Mögen doch die Geizigen Gold und Edelstein so hoch schätzen, als sie wollen! Dies einzuschätzen vermöchten sie nie! Du aber, bester aller Väter, hast die alte Würde des Philosophen Xenokrates an mir erneuert. Cicero4 erwähnt ihn in einem Brief an Atticus. Als jener gemäss einem Gesetz ein Zeugnis beschwören sollte, wurde ihm von den Athenern mit Rücksicht auf seine Ehrlichkeit diese Pflicht erlassen. Dies,
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sage ich, hast Du an mir wiederholt, nur dass jenem in reifem Alter geschah, was mir in der Jugend, und jenem ein einziges Mal, was mir immer wieder. 5. Und Du meinst, ich könnte das vergessen? Endlos würde die Geschichte, wollte ich Ähnliches zusammentragen. Doch weder Zeit noch Raum gestatten es. Deinen hochgesinnten Vater5 höre ich rufen. Um mich ausserhalb der Stadt, selbst gegen meinen Willen, zu begleiten, kam er her. Heute werde ich in seinem Palestrina sein Gast sein. Dort erwartet mich sein hochberühmter Sohnessohn, Dein Neffe brüderlicherseits.6 Rom, am 7. Oktober (1343).7
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,4, Anm. 1. 2 Im September 1343 reiste Petrarca im Auftrag des Kardinals über Rom an den königlichen Hof von Neapel, wo nach dem Tod Robertos trotz den Bemühungen des Bischofs Philippe von Cavaillon das Testament des Königs und das päpstliche Recht der Nomination eines Nachfolgers unbeachtet geblieben war, wo überdies auch Freunde der Colonna, namens Pipini, infolge von Intrigen im Gefängnis sassen. 3 Agapito wurde Bischof von Luni am 9. Januar 1344 und starb wenige Monate später. Daraus ergeben sich für die Datierung Schwierigkeiten. Petrarca pflegte seine Briefe zu überarbeiten, dabei Gedächtnisfehler und Fiktionen nicht strikte zu vermeiden. 4 Ad Att. 1,16,4. 5 Stefano il Vecchio. 6 Der erwähnte Giovanni Colonna war der Sohn von Stefano dem Jüngeren. 7 Zum Datum vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 57 und oben Anm. 3.
Fam. 5,3, an Kardinal Giovanni Colonna1 Bericht über eine Reise nach Neapel. 1. Abreise von Nizza. 4. Kriegsheere bei Avenza. 6. Besuch bei Stefano Colonna in Rom. 8. Missstände am Hof von Neapel. 9. Der Franziskaner Roberto. 10. Seine Tyrannis. 13. Widerstand dank Philippe de Cavaillon. 15. Drohworte gegenüber dem Kardinal Colonna. 17. Hinweise auf die Kerkerhaft von Freunden der Colonna. Neapel, am 29. November (1343).
1. Dass ich wortbrüchig wurde, geschah zu Deinem Vorteil und war mir fast unvermeidlich.2 Gemäss meinem Versprechen, den Seeweg zu nehmen (aus keinem andern Grund, als weil man schon allgemein überzeugt ist, auf dem Meer reise man leichter und rascher als zu Lande), hatte ich in Nizza, der ersten italienischen Stadt von der Westgrenze her, ein Schiff bestiegen und war zum Hafen von Monaco erst beim Sternenschein gekommen. Ich grollte stumm! Hier verblieben wir den folgenden Tag nur widerwillig und unter mehreren vergeblichen Versuchen abzureisen. 2. Tags darauf lichteten wir den Anker bei zweifelhafter Witterung, wurden den ganzen Tag auf den Wogen herumgeschüttelt und gelangten in den Hafen von Maurizio erst knapp vor stockfinsterer Nacht. Unmöglich also, ins Kastell zu gehen! Eine Kneipe am Ufer und ein Lager für Schiffsleute erloste ich, so dass der Hunger mein Abendbrot würzte und mein Schlummer der Erschöpfung zu danken war. Also Steigerung des Zorns und Einsicht in die Launen des Meeres! Machen wir's kurz! Nach mancher Erwägung im Dunkeln beschloss ich bei Sonnenaufgang, eine terrestre Strapaze einer maritimen Knechtschaft vorzuziehen. 3. Also die Dienerschaft mit dem ganzen Gepäck zurück aufs Schiff! Ich selber blieb mit einem einzigen Begleiter an der Küste. Und Fortuna begünstigte den Entschluss. Zwischen den Riffen Liguriens waren aus irgendwelchem Zufall deutsche Pferde zu kaufen, muntere und sehr kräftige. Dieser bemächtigte ich mich stracks und ritt die eingeschlagene Strecke dahin, obwohl nicht völlig von der Seekrankheit genesen. 4. Es herrscht zwischen Pisa und dem Herrn von Mailand gegenwärtig ein gewaltiger Krieg.3 Doch der Grund liegt offenbar eher in der Anmassung der Köpfe als in der Ausmessung der Länder. Denn weit und breit hat der Apennin die Nachbargebiete derart getrennt, dass der alte Grenzverlauf am Po vergessen ist. Stolz aber kennt keine Zügel, und mit keinen Grenzen begnügt sich die Habgier. Als ich geradewegs vorangehen wollte (doch nicht fern von Avenza standen sich beide Heere gegenüber, wobei der Tyrann heftig vorstiess, die Pisaner mit grösster Macht ihr Mutrone verteidigten), wurde ich bei Lerici gezwungen, mich erneut dem Meer anzuvertrauen. Ich liess Corvo hinter mir, ein riesiges, nach seiner Farbe benanntes Riff, dann Rupe Bianca, die Mündung der Magra, auch Luni, einst berühmt und mächtig, jetzt blosser und hohler Name, und wurde zur Schlafenszeit just bei Mu-
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trone, im Lager der Pisaner, ausgesetzt. Hierauf legte ich ohne nennenswerte Behinderung den restlichen Weg zu Lande zurück. 5. Ich übergehe, wo ich zu Abend gegessen und geschlafen, was ich da und dort gesehen und gehörte habe, und eile zum Reiseziel. Durch das Gebiet von Pisa kam ich, indem ich Florenz links liegen liess, nach Siena und dann nach Perugia, weiter nach Todi, wo ich von Deinen Freunden von Chiaravalle4 mit grosser Freude empfangen wurde. Über Narni gelangte ich unter ihrer Führung am 4. Oktober nach Rom, und zwar wieder spät in der Nacht! So völlig hat zu dieser Zeit die überstürzte Hast mich zum Nachtreisenden gemacht! 6. Für richtig hielt ich dennoch, Deinen hochedlen Vater5 aufzusuchen, noch bevor ich zur Ruhe ging. Guter Gott, welche Majestät ist ihm eigen, welche Stimme, welche Stirn, welches Antlitz, welche körperliche Stärke! Iulius Caesar oder Scipio glaubte ich zu sehen, nur dass er jene beiden an Alter bei weitem übertrifft! Und dennoch ist er seinem Äusseren nach der selbe wie vor sieben Jahren, als ich ihn in Rom ein weiteres Mal verliess, oder gar wie vor zwölf Jahren, als ich ihn in Avignon an der Rhone zum ersten Mal sah.6 Wunderbar und beinah unglaublich: Rom altert, und dieser eine Mann altert nicht! 7. Nur weniges hat er dann über Dich und Deine Lage in väterlicher Teilnahme ausgeforscht – denn ich fand ihn schon halb entkleidet und im Begriff, sein Schlafgemach aufzusuchen –; das übrige haben wir auf den folgenden Tag aufgeschoben. Und diesen Tag habe ich von früh bis spät im Gespräch mit ihm verbracht. Doch alles übrige mündlich! Erstaunlich gross war seine Freude über mein Kommen, denn er hofft, wie er sagte, Eure Freunde7 würden dank meiner Bemühung das Ende ihrer Kerkerhaft und ihres Elends erleben. Dass die Hoffnung des Greises falsch ist, bekümmert mich. 8. Um Dich nicht länger hinzuhalten: Rom habe ich verlassen und bin nach Neapel gekommen, habe die Königinnen8 aufgesucht und in ihrem Rat gesessen. Welche Schande! Was für ein Monstrum! Austilgen möge Gott diese Art Pest unter dem Himmelsstrich Italiens! Ich glaubte, verachtet werde Christus in Memphis, in Babylon und Mekka; doch Mitleid habe ich mit Dir, mein edles Parthenope.9 Du bist ja wie eine dieser Städte geworden. Keine Frömmigkeit, keine Wahrheit, kein Glaube! 9. Ein entsetzliches Tier auf drei Beinen habe ich da gesehen, barfüssig, barhäuptig, mit Armut sich brüstend und verfault in der Ausschweifung; ein Männlein kahl und rötlich, mit feisten Hinterbacken, vom dürftigen Mantel kaum bedeckt, weil er einen Grossteil des Körpers absichtlich nackt lässt. In solchem Aufzug hat er nicht allein Deine Grüsse, sondern auch die des römischen Bischofs10 gleichsam von der hohen Warte seiner Heiligkeit herab aufs allerfrechste verspottet. Und es verwundert mich nicht. Denn einen auf Gold gegründeten Hochmut beseelt ihn. Sehr klar nämlich, wie die Meinung aller lautet, widerspricht seine Kasse seiner Toga. Und damit Du seinen heiligen Namen nicht erfragen musst: Er heisst Roberto.11
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10. An der Stätte jenes Roberto, der bis vor kurzem durchlauchtigster König und eine einzigartige Zierde unserer Zeit war, ist als ewige Unzier dieser Roberto erstanden. Schon fällt mir leichter zu glauben, aus dem Herzen einer begrabenen Leiche könne eine Schlange hervorschiessen, ist ja aus einem Königsgrab diese eklige Viper herausgeschnellt.12 Oh Schande der Götter! Wer hat Deinen Thron besetzt, Du, der Könige Bester? 11. Doch das ist Fortunas Verlässlichkeit: Menschenwerk wirft sie herum und herab; und nicht genügte ihr, der Welt die Sonne zu rauben,13 ohne auch schwärzeste Finsternis heraufzuführen. Dem entrissenen, einzigen König sollte nicht ein andrer, wenn zwar von geringerer Begabung folgen, nein, eine scheussliche, grausame Bestie musste es sein! So also sorgst Du für uns, Du Sternenlenker? Es sollte der Genannte für die Nachfolge jenes so grossen Königs der richtige Mann sein? Nach Königen wie Dionysios, Agathokles und Phalaris14 ist dem Hof Siziliens als schmutzigster von allen und (durch seine Hinterhältigkeit) auch schrecklichster von allen dieser hier – um ein Wort von Macrobius15 zu verwenden – „als unbarmherzigster Eindringling“ geschuldet worden. 12. Ein sonderbarer Tyrann, der nicht Stirnreif, nicht Purpur und nicht Rüstung, jedoch einen schmierigen Umhang anzieht – in den er sich, wie gesagt, nicht richtig, sondern bloss halbwegs einhüllt –, ein Tyrann, der weniger infolge seines Alters als aus Heuchelei gebückt und weniger im Vertrauen auf Wortgewandtheit als auf Schweigen und finstere Blicke in den Gemächern der Königinnen herumläuft, dabei gestützt auf ein Stöcklein bescheidene Leute herabdrückt, die Gerechtigkeit mit Füssen tritt und, was immer göttlichen und menschlichen Rechts ist, besudelt; der zudem wie ein neuer Tiphys16 und zweiter Palinurus17 am Steuer des schlingernden Schiffleins sitzt, das – wenn Du mir nur ein wenig glaubst – gewaltigem Schiffbruch entgegengeht. 13. Denn viele sind ihm gleich, ja fast alle ausser dem Kirchenvorsteher Philippe von Cavaillon,18 der als einziger für die verlassene Gerechtigkeit eintritt. Doch was kann ein einziges Lamm in solchem Wolfsrudel tun? Was kann es tun ausser möglichst bald fliehen und zum eigenen Schafstall laufen? Und das – glaube ich – überlegt er. Doch das Mitleid mit der schwankenden Herrschaft und die Erinnerung an die letzten beschwörenden Worte des Königs halten ihn wie zwei Fesseln zurück. 14. Inzwischen streitet er, so weit als im lügnerischen Wortschwall der Höflingsschar die vernünftige Stimme eines einzigen hörbar ist, um Gottes und aller Menschen willen gegen boshafte Absichten und schlägt dank seiner Autorität die Unverschämtheit der vielen zurück, Fortuna mit seiner Klugheit überspielend und mit den eigenen Schultern das zerfallende Gemeinwesen stützend. Doch kann er den Ruin bloss verzögern; verhüten kann er ihn nicht. Und möchte er nur ja nicht hinein verschlungen werden! So nahe ist nämlich alles dem Zusammenbruch, dass ich von menschlicher Hilfe schon nichts mehr erhoffe, vor allem nicht zu Lebzeiten dieses Roberto, der mit der Herrschaft seiner Gemeinheit und mit der Neuheit sei-
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nes Gebarens unter den Monstren des Hofes beides verdient hat: Den ersten Titel und ersten Platz. 15. Du selbst würdest dem Tadel nicht entgehen, wenn Du von den Einzelheiten, die ich im anderen, heimlicheren Brief Dir weitläufiger berichtet habe, dem römischen Bischof nicht Mitteilung machtest. Dieses eine sollst Du ihm zum Schluss mit meinen eigenen Worten sagen: Weit ehrfürchtigeres Gehör – wie ich meine – hätten die Ermahnungen des apostolischen Stuhles im sarazenischen Susa oder Damaskus gefunden als im christlichen Neapel. Und würde mir nicht Ehrfurcht vor seiner Heiligkeit Einhalt gebieten, so wollte ich jenes Wort Ciceros19 anfügen: „Zu Recht werden wir gezüchtigt; denn hätten wir verhindert, dass die Verbrechen vieler Leute ungestraft blieben, wäre niemals ein einzelner zu solcher Dreistigkeit gekommen.“ 16. Doch während ich mit aufbrausenden Worten meine Magenverstimmung zu lindern suche, muss ich fürchten, Dir die Galle zu erregen. Wenn dies keinerlei Nutzen bringt und wenn uns weder die Frechheit jener Leute einerseits, noch Eure Duldsamkeit anderseits etwas Besseres erzeugen als dieses Missbehagen, was frommt es dann, die Unwürdigkeit eines Zustandes mit beissenden Reden gebührend schildern zu wollen? Das hätten nicht einmal Cicero und Demosthenes fertig gebracht. Und könnte es doch gelingen, so wäre es höchstens ein dem Autor abträgliches Kunststück, denn es würde eher den Schreibenden um die Gemütsruhe als den Verbrecher um die Straflosigkeit bringen. Der Rede ein Ende zu setzten, ist daher ratsam. 17. Dreimal wohl oder viermal habe ich die Schwelle des Kerkers überschritten, den man Kastell von Neapel heisst. Dort habe ich Deine Freunde20 gesehen, die nichts erhoffen, wenn nicht von Dir. Denn ihr gerechtes Handeln, das ihnen grösste Sicherheit bieten müsste, haben sie bisher als ihren Nachteil erfahren. Und in der Tat ist es höchst gefährlich, unter einem ungerechten Richter eine gerechte Sache zu unterstützen. Erschwerend kommt dazu, dass ein Armer keinen ärgeren Todfeind erhalten kann als den Dieb, der ihn beraubt hat und mit der Beute sich brüstet. Dieser muss ja wünschen, dass der andere beseitigt werde, damit er ihm nicht irgendeinmal Rechenschaft abzulegen hätte. 18. Immer also ist der Habsucht die Grausamkeit nahe, und die Beobachtung lehrt, die Lebensgefahr komme genau von dort, wo die Beschlagnahme eines bedeutenden Eigentums verfügt wurde. Hart ist das Menschenlos, wenn es weder eine gefahrlose Armut, noch einen Rückgewinn des Reichtums gestattet. Das aber ist, wenn je irgendwem, jetzt Deinen Freunden beschieden.21 Denn von der Beute der Gefangenen hat sich keiner seinen Teil entgehen lassen. Und wann würden raffgierige Beutemacher die Befreiung und Errettung anderer begünstigen, gar wenn es ihnen Armut einzubringen schiene? Daher ist weit sicherer, nichts besessen zu haben. So jedoch steht’s: Unter schweren Verlusten haben sie bittere Feindschaft erworben. 19. In Fesseln habe ich sie gesehen! Oh unwürdiger Zustand, und oh haltloses und sausendes Rad Fortunas! Immerhin: wie nichts grässlicher ist als diese Kerker-
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haft, so nichts erhabener als der Mut der Gefangenen. Solange Du lebst, hegen sie die grösste Hoffnung für ihre Sache. Ich freilich sehe keine, wenn nicht irgend eine höhere Macht eingreift. Wenn sie nämlich Nachsicht vom Rat erwarten, ist alles verloren; dann schwinden sie im schmutzigen Kerker dahin. 20. Die alte Königin, einst Gattin des Königs, jetzt bedauernswerteste aller Witwen, selbst sie hat, wie sie sagt, Bedauern, indem sie beteuert, nichts mehr zu vermögen. Ja auch Kleopatra und ihr Ptolemaios könnten Bedauern hegen, würden Potheinos und Achillas22 es gestatten. Ich selber erkenne das klar! Mit welchen Gefühlen, braucht nicht einmal gesagt zu werden. Doch was soll ich tun? Man muss sich gedulden. Obwohl ich der Antwort gewiss bin, warte ich auf eine Antwort auch jetzt noch laut Befehl. Lebe wohl! Neapel, am 29. November (1343).23
Anmerkungen 1 Vgl. die früheren Briefe an den Kardinal. 2 Petrarca reiste im Auftrag des Kardinals nach Neapel im Oktober 1343. Zu seinen Aufgaben gehörten Verhandlungen zur Befreiung von Freunden der Colonna namens Pipini, Grafen von Altamura. 3 Pisa wurde 1343 – 1345 durch Luchino Visconti von Mailand bedroht. 4 Eine Familie von Todi. 5 Stefano Colonna der Ältere; vgl. Petrarcas Schreiben an ihn, Fam. 8,1. 6 Verwiesen wird auf Begegnungen in Rom 1337 und in Avignon 1331. 7 Die drei Brüder Pipini; vgl. oben Anm. 2. 8 Die Witwe des verstorbenen Königs namens Sancha, Tochter des Königs von Maiorca, und die junge Giovanna, Enkelin des Königs Roberto. 9 Alter Name für Neapel, erinnert an die angeblich dort begrabene Sirene gleichen Namens. 10 Clemens VI. 11 Roberto von Milet, ein Franziskaner spiritualer Richtung. 12 Plin. Nat. 10,86,188. 13 Vgl. Fam. 5,1,3. 14 Dionysios der Jüngere von Syrakus herrschte von 367 – 344; Agathokles etwa von 318- 289 und Phalaris in Agrigent 570 – 554. 15 In Somn. Scip. 1,10,16. 16 Steuermann der Argonauten. 17 Steuermann des Aeneas; vgl. Aen. 3,202 und 3,513 etc. 18 Zu seiner Stellung am Hof von Neapel vgl. Fam. 2,1. 19 De off. 2,8,28. 20 Grafen Pipini d‘Altamura, Giovanni, Ludovico, Matteo und Pietro. 21 Der junge König Andrea hat die Grafen später aus dem Kerker befreit. 22 Luc. Phars. 8,482 und passim. Potheinos und Achillas regierten für Ptolemaios XIII., den Gemahl seiner Schwester Kleopatra, der letzten Königin der Ptolemäer; sie sorgten für die Ermordung von Pompeius. Hier wird mit ihren Namen auf die tatsächlichen Regenten für das Königspaar Giovanna und Andrea verwiesen 23 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,4, an Kardinal Giovanni Colonna1 Beschreibung von Baiae. 1. Die Neugier des Kardinals soll befriedigt werden. 2. Grund für einen Ausflug nach Baiae. 5. Schilderung des Ortes und seiner ehemaligen Badevergnügen. 10. Begegnung mit einer Amazone in Pozzuoli. Baiae, am 23. November (1343).
1. Dein Charakter ist mir seit langem bekannt. Etwas nicht zu wissen, erträgst Du nur ungern, so sehr plagt Deine edle Seele ein unersättlicher Wissensdurst. Ich habe mich Deinem Willen jedesmal unterworfen, wenn mein Los von mir verlangte, im Norden oder Westen herumzuziehen;2 und geht mein Weg diesmal in eine andere Richtung, so ist mein Gesinnung doch die gleiche und gleich auch mein Vorsatz, Dir zu gehorchen. Schon hast Du das Wichtigste von meiner Ankunft hier, von den Ereignissen auf dieser Reise und von den Verhandlungen über Deine Gefangenen3 in Neapel, sowie von deren restlicher Hoffnung vernommen. Vernimm noch etwas Weiteres, das für einmal nicht Zorn erregt, sondern unterhaltsam ist. 2. Aus Überdruss nämlich an der langen und unnützen Warterei habe ich beschlossen, den Monte Gargano, den Hafen von Brindisi und den ganzen Küstenstrich dort an der Adria zu besichtigen, freilich weniger im Verlangen, jene Orte zu besuchen, als diese hier zu verlassen. Doch weil mir die ältere Königin4 davon abriet, bezwang ich meine ungestüme Lust auf eine längere Reise und wandte sie etwas näher Gelegenem, aber immerhin etwas besonders Erstaunlichem zu. 3. Sollte mir vielleicht nach meinem Abschied von hier die Jahreszeit gestatten, jene anderen Gegenden zu besuchen, würde ich mich über die Vergeblichkeit meiner Anstrengung hinweg trösten und dann von allem, wozu ich her kam, zwar gar nichts erledigt, aber vieles, woran ich nicht dachte, gesehen haben. Doch falls ich nach einem so gewaltigen Umweg durch fast ganz Italien zu Dir noch lebend zurückkehre, werde ich Dir hierüber mündlich berichten. Das bisher Gesehene sei aber, weil es auf dieser Route hier rascher zu Deiner Kenntnis gelangen kann, schriftlich vorausgeschickt. 4. Baiae5 habe ich, begleitet von den hochangesehenen Hofleuten Giovanni Barrili und Barbato6 besichtigt. Kein Tag war für mich heiterer als dieser, teils wegen der Gesellschaft dieser Freunde, teils wegen der Vielfalt des Sehenswerten und schliesslich wegen der vielen soeben durchlebten traurigen Tage. Wir sahen jene Bucht, die in diesen Wintermonaten ungemein lieblich ist, wogegen ihr – wie ich annehme – die Sommerhitze schadet. Doch kann ich darüber nur mutmassen, denn noch nie hat der Sommer mich da getroffen. Drei Jahre sind es her, dass es mich zum ersten Mal bei wütendem Nordwind und mitten im Winter hierher verschlug,7 und besonders zu dieser Jahreszeit ist zur See zu reisen ausnehmend beschwerlich. Deshalb war mir damals von all dem vielen, das mich lockte, auch nur
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etwas aus der Nähe zu betrachten, nicht möglich. Nun aber habe ich jenes unter dem kürzesten Vorgeschmack einst neu entzündete, aber schon seit meiner Jugend glühende Verlangen endlich gestillt. 5. Gesehen habe ich die von Vergil geschilderten Orte,8 gesehen die Seen von Averno und Lucrino, die stehenden Wasser des Acheron, das Schwimmbecken jener Augusta,9 die der Grausamkeit ihres Sohnes zum Opfer fiel; auch den einst prunkvollen, jetzt vom Wasser bedeckten Weg des Gaius Caligula10 und den von Iulius Caesar errichteten Damm.11 Gesehen habe ich den Heimatort und das Haus der Sibylle12 und jene entsetzliche Höhle, bei welcher die Toren den Ausgang nie finden und die Gescheiten den Zugang nie suchen. Gesehen habe ich den Monte Falerno, der seines vielberühmten Rebstocks wegen geschätzt wird, zudem das dürre Erdreich, das am einen Ort ohne Unterlass einen krankheitsheilenden Dunst verströmt und am andern Ort Aschenklumpen und dampfende Sprudel wie wogendes Erz in wirrem Brodeln herauswirft. 6. Ich sah Felsen, die überall eine höchst gesunde Flüssigkeit träufeln, und Bäder, die einst dank einer Gabe der Allmutter Natur zur Heilung der verschiedenartigen Krankheiten dienten, doch später durch missgünstige Ärzte – wie man behauptet – verunreinigt wurden. Doch findet sich bei ihnen noch heute aus den benachbarten Städten eine riesige Menge jeden Geschlechts und Alters zusammen. Ich sah nicht nur die sogenannte neapolitanische Grotte, an die Annaeus Seneca13 in einem Schreiben an Lucilius erinnert, sondern auch ein vielfach durchlöchertes Gemäuer, das auf marmornen, in prächtigem Glanz erstrahlenden Wölbungen ruht, auch gemeisselte Bildnisse, die mit der Haltung ihrer Hände andeuten, für welchen Körperteil welcher Quickborn gesund sei. 7. Zum Staunen hat mich nicht allein die Beschaffenheit dieser Orte gezwungen, sondern eben sosehr die Arbeit der Künstler. Schon wundere ich mich weniger über die Mauerwerke, Bogen und Paläste in Rom, da ja die gleiche Sorge der römischen Befehlshaber sich so weit über ihre Vaterstadt hinaus erstreckte (freilich gilt hervorragenden Männern jeder Ort als Vaterstadt) und da zudem ein Aufenthalt in mehr als hundert Meilen Entfernung ihnen eine Art vorstädtisches Wintervergnügen bedeutete. Sommervernügen dagegen boten ihnen ja Tivoli und Fucino, die laubigen Täler des Apennin „Und mit dem Berg von Cimino der See …“, wie Maro14 sagt, dazu die sonnigen Winkel von Umbrien, die schattigen Hügel von Tivoli, auch der nach seiner Art benannte Algidus (der Frostige),15 die plätschernden Quellen und lichtklaren Flüsse. Dagegen fand man Winterfreuden auch in Anzio, Terracina, Formiae, Gaeta und Neapel. 8. Kein Aufenthalt aber war, wie zuverlässige Schriftsteller jener Zeit und die ungeheuren Mauerüberreste bezeugen, reizvoller, keiner beliebter als der in Baiae;
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und zwar obwohl dieses – wie mir bewusst ist – eher menschlicher Wollust als römischer Strenge zur passenden Wohnstätte diente. Daher werden Marius, der von besonders rauher Art war, aber auch Pompeius und Caesar, die sich durch höhere menschliche Gesittung hervortaten, dafür gelobt,16 dass sie ihre Villen auf den Hügeln erstellten, von wo aus sie, wie sich für Männer gehörte, ohne dem Kult der Reinlichkeit mit seiner Verweichlichung zu erliegen, ihm vielmehr entsagend, auf das Getöse der Schiffe und alle Belustigungen des Bades verächtlich herabschauten. 9. Scipio Africanus aber, der unvergleichliche, der mit der Tugend alles, aber nichts mit der Wollust gemein hatte, beschloss mit der seinem ganzen Leben vollkommen angemessenen Besonnenheit, diesen seiner Sitten so unwerten Ort nicht bloss aus der Höhe zu verachten, sondern überhaupt nicht zu beachten. Und deshalb entfernte er sich von dem Schauplatz und zog es vor, in Liternum statt in Baiae zu wohnen. Dass seine kleine Villa von hier nicht fern liegt, weiss ich, und nichts hätte ich begieriger aufgesucht, wäre mir nur möglich gewesen, mit einem Führer bis zu den Orten vorzudringen, die durch einen solchen Bewohner geadelt sind. 10. Freilich hat Gott, der Schöpfer vielfältiger Wunderdinge („und der die grossen Wunder alleine wirkt“17) auf Erden nichts Erstaunlicheres geschaffen als den Menschen. Alles nun, was mir dieser Tag gezeigt hat und dieser Brief auch Dir zeigen soll, übertreffen der Geist und Leib eines kraftvollen Weibes aus Pozzuoli. Man nennt sie Maria. Sie besitzt eine eigenartige Schönheit dank ihrer gewahrten Jungfräulichkeit. Ständig weilt sie unter Männern, öfters selbst unter bewaffneten; doch keiner von ihnen hat jemals – so die allgemeine, unerschütterlichste Meinung– sei’s im Scherz, sei’s im Ernst, ihre Jungfräulichkeit gefährdet, was – wie man sagt – eher eine Angst als eine Ehrfurcht verhinderte. Ihr Leib wirkt mehr soldatisch als mädchenhaft; ihre Körperkräfte scheinen selbst erprobten Kriegern begehrenswert zu sein. Selten und ungewöhnlich ist ihre Gewandtheit, blühend ihre Jugend. Gehaben und Neigung sind die eines kräftigen Mannes. Nicht mit Webstuhl, sondern mit Wurfspiess, nicht mit Nadeln und Spiegeln, sondern mit Bolzen und Bogen ist ihr Denken beschäftigt. Nicht Küsse und anstössige Spuren eines schamlosen Zahnes, sondern Wunden und Narben verleihen ihr Würde. Ihre erste Sorge gilt den Waffen. Ihr Mut hat für Eisen und Tod nur Verachtung. 11. Einen Krieg mit Nachbarn hat sie als Erbe übernommen, und in diesem sind auf beiden Seiten schon viele gefallen. Bisweilen hat sie allein, oft mit nur geringer Begleitung einen Feind angegriffen, und bis heute ist sie in jedem Streit siegreich geblieben. Kopfüber in den Kampf zu stürzen, nur langsam zu weichen, den Feind mutig herauszufordern, vorsichtig Fallen zu stellen, Hunger, Durst, Kälte und Hitze, Müdigkeit und Ermattung mit unglaublicher Ausdauer zu ertragen, die Nacht unter freiem Himmel und bewaffnet zu verbringen, auf dem Boden zu schlafen, einen Haufen Gras oder einen unterschobenen Schild als etwas Köstliches anzusehen: Dies sind ihre unablässigen Leistungen.
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12. Unter solchen hat sie sich in kurzem beträchtlich verändert. Nur ein Weilchen ist es ja her, dass mich jugendlicher Ehrgeiz nach Rom und Neapel zu König Roberto verlockt hat,18 und doch! Als sie, die ich damals unbewaffnet gesehen, heute bewaffnet und von Bewaffneten begleitet, mich zu grüssen herbei kam, verwunderte ich mich, und erwiderte ihr den Gruss wie einem fremden Mann, bevor ich auf ihr Lachen und auf das Geheiss der Begleiter hin genauer zuschaute und endlich unter dem Helm das Mädchen, stramm und ungepflegt, wiedererkannte. 13. Man erzählt von ihr vieles, was wie Fabeln tönt; ich aber will berichten, was ich selber erlebt habe. Es waren hier aus verschiedenen Weltgegenden kräftige und im Waffendienst gestählte Männer zusammengekommen, die – ungeachtet ihres anderen Reiseziels – Fortuna hier abgesetzt hatte. Kaum war der Ruhm dieser Frau zu ihnen gedrungen, ergriff sie die Begierde, deren Kraft zu erproben. Daher gingen wir alle in grosser Einmütigkeit zur Höhe von Pozzuoli hinauf. Sie war allein und ging vor der Türe des Tempels dort in irgendwelchen Gedanken umher. Bei unserer Ankunft blieb sie völlig ruhig. Wir bedrängten sie mit Bitten, sie möge uns von ihren Kräften irgendein Probestück vorzeigen. 14. Nachdem sie sich lange Zeit mit der Krankheit eines Armes entschuldigt hatte, liess sie endlich einen mächtigen Stein und eine eiserne Stange herbeischaffen. Diese warf sie in unsere Mitte mit der Ermunterung, sie aufzuheben und zu erproben. Machen wir's kurz. Lange dauerte das Kräftemessen, während sie als Zuschauerin die Stärke der einzelnen schweigend beurteilte. Schliesslich tat sie einen so leichten Wurf und erwies sich damit so ungemein überlegen, dass die andern ein ungeheures Staunen und mich gar Scham überwältigte. Dann gingen wir weg, unseren Augen kaum trauend und vermeinend, es müsse irgendein Blendwerk vorliegen. 15. Ein Gerede besagt, Roberto, so hochbedeutend als Mensch wie als König, sei einst mit einer grossen Flotte diesen Küsten entlang gefahren und habe – tief beeindruckt von der Wunderbarkeit einer solchen Frau – in Pozzuoli halt gemacht, um sie zu sehen. Doch das gilt mir darum nicht für wahrscheinlich, weil er bei der räumlichen Nähe sie wohl eher zu sich bestellt hätte. Vielleicht ist er aus einem anderen Grund hier gelandet und hat nebenbei etwas Unbekanntes sehen wollen, da er ein feuriger und wissbegieriger Mann war. 16. Doch die Verantwortung für diesen Bericht wie für andere, die wir vom Hörensagen kennen, tragen die Urheber. Mir persönlich hat der Anblick dieser Frau das glaubwürdiger gemacht, was man nicht nur über die Amazonen und ihre einstige Frauenherrschaft, sondern auch was man über kriegerische Mädchen in Italien unter der Führung einer Camilla19 berichtet, deren Name von allen am meisten gefeiert wird. Was soll mich denn hindern, von vielen anzunehmen, was ich von einer einzigen zu glauben, hätte ich es nicht gesehen, wohl noch weit weniger geneigt wäre! Übrigens wurde die frühere Camilla nicht weit von hier, das heisst in Priverno, zur Zeit, als Ilion unterging,
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und diese spätere eben da in Pozzuoli zu unserer Zeit geboren. Von ihr soll Dir vorläufig mein Brieflein berichtet haben. Du aber bleibe gesund! Baiae, am 23. November (1343).20
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Schreiben. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Vgl. Fam. 1,4 und 1,5. 3 Die Grafen d’Altamura, Freunde des Adressaten. 4 Die Witwe von König Roberto. 5 Baiae war der alte Hafen von Cumae. 6 Barrili und Barbato waren Beamte am Hof Robertos; vgl. die an sie gerichteten Familiaren unter „Adressaten“ und oben Fam. 4,8,2. 7 Anlässlich der Reise nach Rom zur Dichterkrönung. 8 Aen. 6 passim. 9 Agrippina die Jüngere, 15 – 59, Mutter des Kaisers Nero. 10 Suet. Calig. 19,1. 11 Vgl. Verg. Georg. 2,161 – 164. 12 Gemeint ist die prophetische Sibylle von Cumae. Ihre Orakelhöhle wurde mehrfach beschrieben. 13 Ad Lucil. 57,1 – 2. 14 Aen. 7,697. 15 Höhe am Kraterring des Albanergebirges, ca. 540 Meter über Meer. 16 Sen., Ad Lucil. 51,11. 17 Ps. 135,4. 18 Auf der Reise zur Dichterkrönung 1341. 19 Jungfräuliche Jägerin, der Diana geweiht, Tochter des Volskerkönigs Metabus. 20 Jahreszahl wie im vorangehenden Schreiben.
Fam. 5,5, an Kardinal Giovanni Colonna1 Ein Unwetter in Neapel. 1. Die Unwetter Iuvenals und anderer Dichter. 2. Petrarcas Unwetter übertrifft sie. 5. Eine grauenvolle Nacht in Erwartung des Weltendes. 12. Ein Schiffbruch im Hafen. 18. Fragen nach der göttlichen Gerechtigkeit. 19. Folgerungen aus der Geschichte. Neapel, am 26. November (1343).
1. Von einem gewaltigen Unwetter hat der Satiriker,2 vieles kurz zusammenfassend, so gesprochen: „ein Unwetter wie gedichtet“ sei aufgezogen. Was wäre knapper? Was eindrücklicher? Nichts vermag der Zorn des Himmels und des Meeres zu vollbringen, was Dichtkunst mit Worten nicht erreichte, ja überträfe. Doch um Allbekanntes nicht mit Überflüssigem zu erläutern: Du kennst das Unwetter Homers, den ans Riff geschleuderten Anführer3 und überhaupt das vorspringende Kap Kaphereus.4 Nachahmend haben unsere Dichter „ganze Wassergebirge zu den Sternen aufgetürmt“.5 2. Nichts freilich kann mit Redekunst ausgemalt und im Geist ausgedacht werden, was der gestrige Tag nicht hervorgebracht, ja bei weitem überboten hätte: ein einmaliges, in noch keinem Jahrhundert vernommenes Grauen. Also besingt Homer das griechische, Maro6 das äolische, Lucan7 das epirensische Unwetter und ein anderer wieder ein anderes. Mir aber wird, wenn ich je Musse finde, das „neapolitanische“ Unwetter für eine Dichtung Stoff im Übermass bieten.8 Doch war es eigentlich nicht bloss ein neapolitanisches, sondern eines – wie man vermutet – des ganzen Oberen und Unteren Meeres9 und sozusagen ein Universalgewitter, für mich aber deshalb neapolitanisch, weil es mich bei meinem Aufenthalt in Neapel überrascht hat. 3. In der Tat, soweit mir unter dem Druck des gegenwärtigen Augenblicks und bei der Eile des Boten zu sprechen erlaubt ist, sei Dir versichert, niemals sonst habe man etwas noch Entsetzlicheres, noch Rasenderes gesehen. Vorausgegangen war – es klingt sonderbar – ein Gerede von drohendem Unglück, denn ein gewisser, um Astronomie beflissener Bischof von irgendeiner benachbarten Insel hatte einige Tage vorher eine Warnung ausgestreut. Doch da man mit Vorausdeutungen beinahe nie bis zur Wahrheit vordringt, hatte er nicht ein Beben des Meeres, sondern eines der Erde vorausgesagt und auf den 25. November 1343 den Einsturz Neapels angesetzt. 4. Und so sehr hatte er alles mit erstaunlichem Schrecken erfüllt, dass ein grosser Teil des Volkes im alleinigen Bedürfnis nach Busse für seine Sünden und nach Änderung des Lebens vor dem Tod nun alle andere Art Tätigkeiten unterliess, während umgekehrt auch viele so sinnlose Ängste verlachten, und dies um so lauter, als nach Tagen mit mehreren recht bedeutenden Gewittern das Datum als irrig und damit die Glaubwürdigkeit der Weissagung hinfällig zu sein schien. Ich selber, weder von Hoffnung noch von Furcht erfüllt, war
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zwar keiner der beiden Stimmungen verfallen, jedoch beiden von ihnen zugeneigt und stärker zur Furcht. Denn auch das gehört zum Gewöhnlichen, dass weit seltener das Erhoffte eintrifft als das Gefürchtete. Und viele bedrohliche Himmelszeichen hatte ich zu Zeiten schon gehört und gesehen, die mich, in kalten Regionen zu leben gewohnt, wie Ungeheuer im Winterfrost zu wahrer Angst, ja beinahe zu Aberglauben verleitet hatten. 5. Doch machen wir’s kurz! Die Nacht war gekommen; ihr folgte ein verdächtiges Licht. Eine ängstlich erregte Frauenschar, mehr der Gefahr als der Scham gedenkend, lief auf Strassen und Plätzen umher, Kinder an die Brust gepresst, und drängte sich flehend und weinend vor den Kirchentüren. Durch die allgemeine Erregung beunruhigt, ging ich früh am Abend nach Hause. Stiller als gewöhnlich war die Luft, und im Vertrauen hierauf hatten sich meine Gefährten früher in die Schlafkammer zurückgezogen. 6. Ich hielt für gut, zu warten, um zu beobachten, mit welchem Aussehen der Mond untergehe; es war nämlich, wenn ich nicht irre, der siebte. So stand ich an den nach Westen gewandten Fenstern solange, bis er, in Dunstkreise gehüllt und von trübem Aussehen, vor Mitternacht hinter dem nächsten Berg verschwand. Dann endlich ging auch ich zu Bett, um den hinausgezögerten Schlaf zu suchen. 7. Noch bin ich kaum richtig eingeschlafen, als plötzlich unter fürchterlichem Krachen nicht nur die Fenster, sondern sogar die auf steinernem Gewölbe gut gesicherte Mauer, vom untersten Fundament her gestossen, erzittern und das Nachtlicht, das während meines Schlafes zu wachen pflegt, verlöscht. Wir stürzen uns aus den Betten, und anstelle des Schlafes überfällt uns die Furcht vor dem nahen Tod. 8. Doch sieh, während wir im Finstern uns gegenseitig suchen, dank grellem Lichtstrahl auch finden und dann mit zitternden Stimmen einander ermuntern, sind die Mönche, in deren Gebäude wir wohnen, und ihr heiligster Prior David (den ich ehrenhalber nenne) ihrem Brauch gemäss zum nächtlichen Lob Christi aufgestanden, haben im Schrecken über das plötzliche Unheil sich mit Kreuzen und heiligen Reliquien bewaffnet und dringen nun, laut Gottes Erbarmen anflehend, mit vorgehaltenen Fackeln in das von mir bewohnte Gemach ein. 9. Ich lebe einigermassen auf. Alle gehen wir darauf zur Kirche und verharren da hingestreckt und unter vielem Stöhnen die ganze Nacht, da wir bereits das nahende Ende und den Zusammenbruch unserer ganzen Umgebung erwarten. 10. Allzu lange würde es dauern, wollte ich alle Schrecken jener höllischen Nacht in Worte fassen. Und dabei würde der Bericht wohl weit hinter der Wahrheit zurückbleiben, selbst wenn er über alles Wahrscheinliche hinausginge. Welcher Regen, welche Winde, was für Blitze, welches Donnerkrachen! Welch ein Beben der Erde und Tosen des Meeres, welch ein Heulen der Menschen! Während wir in solchem Zustand durch eine Nacht, die wie durch Zauber eine doppelte Zeit zu erlangen schien, noch kaum zur Morgenfrühe gelangen und uns die Nähe des Tages eher dank unserer Vorstellungskraft als in der Lichterscheinung erkennbar wird, be-
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reiten gegürtete Priester das Messopfer vor; und wir, den Himmel anzuschauen noch allzu ängstlich, werfen uns ringsum auf den nassen und nackten Boden. 11. Wie dann bereits kein Zweifel mehr besteht, dass der Tag – obzwar mit der Nacht verwechselbar – gekommen und plötzlich das Geschrei der Menschen aus dem oberen Stadtteil verstummt ist, nimmt ein anderes vom Ufergelände her fortwährend zu, und da die Nachforschung keinen ersichtlichen Grund dafür angibt, verwandelt sich unsere Verzweiflung – wie das vorkommt – in Kühnheit. Wir besteigen die Pferde und reiten, um zu sehen und zu sterben, zum Hafen hinunter. 12. Gute Götter, wann ist jemals dergleichen vernommen worden? Uralte Schiffer beteuern, das Unglück sei ohne Beispiel: Just mitten im Hafen ein scheusslicher, heilloser Schiffbruch! Die Unglücklichen, ins Meer Gestürzten, bemüht, mit den Händen das nahe Ufer zu ergreifen, hatte die Flut an die Klippen geschleudert und sie dort gleich zarten Eiern zerschellt. Das ganze Ufer war von zerschmetterten und noch zuckenden Leichen bedeckt. Und der einen entfloss das Gehirn, der andern das Eingeweide. So gross war der Lärm der Männer und das Wehgeheul der Frauen, dass sie das Brausen des Himmels und Meeres überschallten. 13. Dazu kam der Einsturz von Häusern, deren eine grosse Zahl bis auf den Grund zertrümmert wurde, weil die allzu wilde Flut an diesem Tag keine Grenze und vor Menschenwerk oder Natur keine Ehrfurcht kannte. Die festgesetzten Schranken und gewohnten Ufer hatte sie übertreten, und sowohl der mächtige Damm, mit Menschenfleiss aufgeschüttet, der – wie Maro10 sagt – mit den seitlichen Wehren den Hafen bildet, wie auch die ganze Uferzone war mit Wogen bedeckt. Wo man trockenen Fusses auf ebenem Weg gegangen war, begann ein gefährliches Umherglitschen. 14. Tausend und mehr neapolitanische Ritter hatten sich hierher wie zum Begräbnis ihrer Vaterstadt zusammengefunden, und ich, inmitten ihrer Schar, war schon nah daran, mich weniger zu fürchten, um mit einem solchen Heer in den Tod zu gehen, als sich unverhofft ein neues Geschrei erhob. Genau die Stelle, an der wir standen,11 wurde durch die Flut unterspült, aufgeweicht und sank ab. Wir retteten uns zu einer höher gelegenen Stelle. 15. Nicht ratsam war, den Blick in die Ferne zu richten. Das zürnende Antlitz Jupiters und Neptuns zu schauen, ertrug das sterbliche Auge nicht. Zwischen Capri und Neapel fluteten tausend Wogengebirge, und weder das blaue, noch das bei schweren Gewittern übliche schwarze, sondern ein weissgraues Meer von entsetzlichem Schaumglanz war zu sehen. Indessen kam die jüngere Königin12 – barfuss und wirr das Haar – und mit ihr – nach Überwindung der Angst vor Gefahr – eine unabsehbare Schar Frauen aus dem Königspalast heraus. Sie liefen zum Tempel der königlichen Jungfrau,13 um Erbarmen für die letzten Stunden zu erflehen. 16. Doch schon wirst Du ängstlich – wie ich vermute – das Ende solcher Angst erwarten. Mit Not waren wir auf dem Festland davongekommen; draussen aber auf
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dem Meer hatte von den Schiffen keines den Wogen widerstanden, ja nicht einmal im Hafen. Drei lange Gefährte aus Marseille, Galeeren genannt, die auf dem Rückweg aus Zypern sehr viele Meere durchmessen hatten, lagen vor Anker, um am Morgen auszufahren. Doch während jedermann Tränen vergoss und niemand zu helfen vermochte, gingen sie vor unseren Augen in den Fluten unter, ohne dass von der Schiffsmannschaft und den Fahrgästen auch nur einer gerettet wurde. Auch andere grössere Schiffe jeder Art, die in den Hafen wie an einen sichersten Schutzort geflohen waren, fanden ein gleiches Ende. 17. Nur ein einziges von all den vielen blieb übrig, und dieses war mit Räubern besetzt, die einen Feldzug nach Sizilien unternehmen und nach Errettung vor dem einen Schwert,14 einem andern verfallen sollten. Ihr mächtiges, sehr starkes und mit Rinderhäuten versehenes Schiff, das bis gegen Sonnenuntergang die Wucht des Meeres ausgehalten hatte, war schliesslich auch selber am Versinken. Sie jedoch versuchten dem ringsum berstenden Fahrzeug in der drängendsten Gefahr zu wehren, denn sie waren – wie man sagt – vierhundert an der Zahl, eine Schar, die einer Flotte, nicht bloss einem Schiff genügen konnte, und dazu kraftstrotzende Männer, die, dem Tode entronnen, schon nichts Schlimmeres mehr fürchteten und sich nur um so beharrlicher und verbissener wehrten. 18. Hemmend, und doch allmählich, wenn auch kaum merkbar sinkend, verzögerten sie den Schiffbruch bis in die nächste Nacht hinein; dann liessen sie als Besiegte ihr Werkzeug liegen und drängten in den oberen Schiffsteil hinauf, als wahrhaftig wider Erwarten das Himmelsantlitz sich aufzuhellen und der Zorn des ermatteten Meeres sich zu besänftigen anfing. So sind denn, während alle andern ertranken, gerade die Verderbtesten von allen davongekommen! Sei es, weil gemäss Lucanus15 „Fortuna oft die Schuldigen rettet“ oder weil „Götter es anders sehn“, wie Vergil16 sagt; oder auch – wie sich zeigt – in der Todesnot die am sichersten sind, denen das Leben besonders feil ist. 19. So also lautet in Kürze die Geschichte von gestern. Und damit sie meine Finger und Deine Ohren nicht vergeblich beansprucht habe (die freilich ausgiebigen Stoff an menschlichen Gefahren geboten hat, über welche die Weisen zwar viel, aber im Vergleich zu ihrer Wichtigkeit immer zu wenig berichten), so hat sie mir mindestens diese Schlussfolgerung beigebracht: Ich solle Dich beschwören, Du möchtest mich nie wieder heissen, mein Leben dem Wind und den Wellen anzuvertrauen. In diesem Punkt wollte ich nämlich weder Dir, noch dem Papst oder meinem Vater, käme er in die Welt zurück, gehorchen. Die Luft überlasse ich den Vögeln und das Wasser den Fischen; als ein Lebewesen vom Festland wähle ich den Landweg! Solange ich festen Boden unter den Füssen habe, weigere ich mich nicht,
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den köchertragenden Sarmaten oder den fremdenfeindlichen Mauren aufzusuchen. Schicke mich, wohin Du willst; nicht einmal Indien nehme ich aus. Andernfalls – sei dem Bekennenden gnädig! – werde ich nicht allein an den Saturnalien im Dezember sondern das ganze Jahr hindurch mein eigener Herr sein.17 20. Was nämlich, bitte, kannst Du mir fortan einreden, und mit welchen Worten kannst Du mich bewegen, ein Schiff zu besteigen? „Wähle ein tüchtiges Fahrzeug und einen kundigen Schiffer!“ – Aber jene waren mit beidem versehen! – „Mit der Sonne suche den Hafen, und bei Nacht wirf Anker! Feindliche Angriff meide und halte Dich nah an die Küste!“ – Aber jene sind zur Tageszeit, als der Anker im sicheren Ufergrund festsass und als sie beinah die Küste mit dem Ruder berührten, in Anwesenheit so vieler tausend mitleidiger Freunde zugrunde gegangen! Das habe ich nicht gelesen und nicht gehört; das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Gibt also endlich auf! In diesem einen Punkt möge Dein Feingefühl meiner Furchtsamkeit Nachsicht gewähren! 21. Ich weiss, was Gelehrte darauf erwidern: Überall sei die Gefahr gleich gross, wenn sie zur See auch deutlicher werde. Mag sein! Dennoch würdest Du gut daran tun, wolltest Du dem auf dem Festland geborenen auch den Tod auf dem Festland gestatten. Es gibt kaum ein Meer zwischen uns, auf dem ich nicht oftmals schiffbrüchig war, und dabei gehört zu den gelobten Sprüchen des Publius18 auch dieser: „Zu Unrecht klagt einer Neptun an, wenn er ein zweites Mal Schiffbruch erleidet.“ Lebe wohl! Neapel, am 26. November (1343).19
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. die vorangehenden Schreiben an den Kardinal. Iuv. Sat. 12,23 – 24. Aiax, führte die Lokrer nach Troia, wurde durch Athene in der angedeuteten Weise bestraft. Verg. Aen. 11,259 – 260; Ov. Metam. 14,466–482 und Trist. 1,1,83 f., 5,7,35 f. Vgl. Verg. Aen. 1,105 und 103; Macr. Saturn. 6,6,7. Verg. Aen. 1,103 ff. Luc. Phars. 5,594 ff. Zu diesem Unwetter vgl. G. Villani, Cron. 12,27. Des Adriatischen und Tyrrhenischen Meeres. Aen. 1,159 –160 über den Hafen Neapels. Im Quartier von Monte Santo? Giovanna. Zur Marienkirche. Statt dem Schwert der Hinrichtung sollten sie dem Kriegsschwert verfallen. Phars. 3,448. Aen. 2,428.
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Fam. 5,5
17 Das heisst, Petrarca würde seinen Dienst aufgeben. Er würde nicht bloss während der Saturnalien, wenn nach altem Brauch die Sklaven sich gegenüber ihren Herren erhebliche Freiheiten herausnehmen durften, sondern fortwährend nach eigenem Willen handeln. 18 Publius, das ist Publilius Syrus,1.Jh.v. Chr., ein in Rom auftretender Mime, dessen Sprüche berühmt wurden; vgl. Macr. Saturn. 2,7,11. 19 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,6, an Kardinal Giovanni Colonna1 Über Zustände in der Stadt Neapel. 1. Verzögerung der Geschäfte. 2. Jugendliche Banden in den nächtlichen Strassen Neapels. 5. Grauen eines Gladiatorenkampfes. 6. Flucht aus Neapel. Neapel, am 1. Dezember (1343).
1. Mich zu befreien vom lästigen Netz meiner Geschäfte, das habe ich gehofft, und es wäre geglückt, so meine ich, hätte nicht jenes „fäulniserregende Kriechtier“2 die enge Bindung unter den Rechtschaffenen aufgelöst. Ein „Psyllos3 hätte mit seinem Mund“ die Giftstoffe nicht rascher als ich mit meinem Ohr aufgespürt, und ich beharrte darauf, ihnen entgegenzuwirken. Aber ich fürchte schon, das Übel sei tödlich. 2. Bemühen will ich mich trotzdem aufs neue, solange ein Rest von Hoffnung erhalten bleibt. Und vielleicht hätte ich gestern gegen Abend sogar die Gnade einer Absage erhalten,4 hätte nicht der rasche Einbruch der Nacht die Ratsversammlung auseinandergetrieben und ein unheilbares Übel dieser Stadt eine allzu frühe Heimkehr gefordert.Denn obwohl die Stadt in mancher Hinsicht durchaus glanzvoll ist, besitzt sie doch einen bestimmten schwarzen Flecken und ein hässliches, eingewurzeltes Laster, dessentwegen ein Gang durch die Nacht hier völlig dem durch dichteste Wälder gleicht, nämlich unsicher und voller Gefahren ist. Vornehme und bewaffnete Jüngelchen halten nämlich die Strassen besetzt, und ihre Dreistigkeit zu zügeln war weder die Zucht der Väter, noch die Autorität der Behörden, weder die Hoheit der Könige noch die Kaisermacht fähig. 3. Was aber soll man sich darüber wundern, dass sie im Dunkel der Nacht, wo Zeugen fehlen, besonders Schamloses wagen? Sogar am hellichten Tag unter den Augen der Könige und des Volkes einer italischen Stadt wird ja mit einer mehr als barbarischen Schlächterei das verruchte Gladiatorenspiel verherrlicht!5 Oft geschieht dabei, dass man viehisch das Blut von Menschen vergiesst und oft, dass unter den Augen beklagenswerter Eltern unglückliche Söhne erstochen werden. Und dabei gereicht es einem jeden gar zur grössten Schande, wenn er seinen Nacken einem Schwertschlag nur zögernd bietet, ganz als würde zum Heil des Gemeinwesens und um den Lohn des ewigen Lebens gestritten. 4. Dahin bin gestern auch ich – in Unkenntnis der Dinge – geführt worden, das heisst an einen der Stadt benachbarten Ort, den man in recht passender Weise als Carbonaria6 bezeichnet, weil hier eine russige Werkstatt unmenschlicher Roheit ihre blutigen Werkleute für den tödlichen Hammerschlag gleichsam einschwärzt. Anwesend waren die Königin und der kleine König Andrea, ein Kind von hoher Gesinnung (könnte es nur je die ihm vorenthaltene Krone empfangen!).7 Anwesend war auch die ganze Militärmacht Neapels, schmucker als jede andere und schicklicher als jede, und auch das ganze Volk war um die Wette zusammengelau-
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Fam. 5,6
fen. 5. Ich war ob solchem Menschenstrom und ob dem mächtigen Andrang so hochgestellter Personen voller Erwartung und sperrte meine Augen auf, um irgend etwas Grossartiges zu erkennen, als plötzlich, wie bei einem mächtigen Vergnügen, ein unbeschreiblicher Beifall sich zum Himmel erhob. Ich schaue umher, und sieh da, ein herrlicher Jüngling, von einem starrenden Schwert durchbohrt, stürzt mir zu Füssen! Ich schrak zusammen, und am ganzen Körper erschaudernd gab ich meinem Pferd die Sporen und floh das grässliche und höllische Schauspiel, über die Tücke meiner Begleiter, die Grausamkeit der Zuschauer und den Wahnwitz der Spieler gleichermassen empört. Dies also ist die zweifache Pest, teuerster Vater, die, gleichsam unter der Hand, von den Vorfahren auf die Nachkommen überliefert8 und fortwährend weiter gefördert, bis dahin geführt hat, dass bereits als Verdienst und Freiheit bezeichnet wird, was Frechheit des Verbrechens ist. 6. Doch darüber nichts weiter. Denn es ist eine Tragödie, und ihretwegen habe ich vor starrköpfigen Bürgern schon viele Worte verloren. Aber gar nicht wundern kann ich mich, dass Deine Freunde,9 weil der Habsucht ein herrlicher Lohn winkt, in einer Stadt gefangen gehalten werden, wo schuldlose Menschen zu morden ein Spiel ist. Mag auch Vergil10 just diese Stadt allein als anmutig bezeichnet haben, er hätte angesichts ihres heutigen Zustandes nicht zu Unrecht von einer „bistonischen“ Schande gesprochen:11 „Flieh dieses grausame Land, oh flieh diese Küste der Habsucht!“ Ich jedenfalls will das Wort auf Neapel beziehen. Und wenn Du nichts anderes hörst, nimm für sicher, dass ich vor Ablauf von drei Tagen – wohl unverrichteter Dinge – tatsächlich geflohen bin, zuerst in das diesseitige Gallien,12 dann in das jenseitige und zu Dir. Jede Reisezeit und jeden Reiseweg – ausser den übers Meer13 – machst Du mir ergötzlich Lebe wohl! Neapel, am 1. Dezember (1343).14
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Briefe an den Kardinal. 2 Luc. Phars. 9,723. Mit dem Kriechtier ist der Franziskaner Roberto gemeint. 3 Ein Angehöriger eines libyschen Volksstammes, der sich gegen Schlangengift erfolgreich wehrte. Luc. Phars. 9,934 – 937. 4 Das bezieht sich vielleicht auf die Pipini, deren Freilassung Petrarca erwirken sollte. Sie wurden später dank dem Einfluss des Königs befreit. 5 Johann XXII. hatte die Gladiatorenkämpfe verboten, Benedikt XII. das Verbot wieder aufgehoben. 6 Carbonara di Nola. 7 Zu Andrea vgl. Fam. 5,1 mit den Anmerkungen.
Fam. 5,6 8 9 10 11
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Die Rede ist von den Geschlechterkämpfen. Die Pipini d‘Altamura; vgl. Fam. 5,3, Anm. 2. Georg. 4,563 – 564. Aen. 3,44. Hinweis auf das besonders grausame Volk der Bistonier in Thrakien; vgl. Stat. Theb. 7,585 – 588. 12 Oberitalien am nördlichen und südlichen Po-Ufer, wo sich in der Frühzeit Gallier angesiedelt hatten. Es scheint, Petrarca habe zum vornherein geplant, Aufenthalt in Parma zu nehmen. 13 Vgl. zur Abneigung gegen eine Meerfahrt den Schluss des vorangehenden Briefes. 14 Einen kleinen persönlichen Erfolg erzielte Petrarca, weil Königin Giovanna ihm das Ehrenamt eines Hofkaplans bestätigte; vgl. Wilkins, Studies 11 und zum Datum Wilkins, Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,7, an den Kanonisten Giovanni d’Andrea in Bologna1 Ob man Träumen glauben solle. 1. Der Traum eines Freundes. 3. Meinungen von Gelehrten. 6. Zwei Träume Petrarcas und ihre Erfüllung. Erinnerungen besonders an Giacomo Colonna. 16. Mahnung zur Vorsicht. Am 27. Dezember (1343/1344)
1. Ein nächtlicher Traum habe Dich erschüttert, so schreibst Du, und zwar in hohem Masse, und wäre nur das Geträumte nicht von der Art jener Dinge, die mehr als ein Mal gar nicht geschehen können, wärest Du geneigt zu glauben, Du habest wachend erlebt, was Du träumend gesehen, und dann ein zweites Mal gesehen, was Du vorher schon wachend erlebt. Deshalb habe das unverzüglich eintreffende Ereignis des – wie Du betonst– völlig unwiederholbaren Dir bewiesen, es sei eben doch ein Traum gewesen, was Dir vorher erschienen sei. Und Du willst wissen, ob ich je etwas Ähnliches erlebt hätte und was ich über die ganze Sache dächte und was Gelehrte davon hielten. 2. Ein weites Feld für Gespräche, ein grosser Stoff zum Erörtern! Zumal diese Frage nicht allein von Gebildeten – wie die meisten –, sondern in der grossen Menge verhandelt wird, wobei jedem einzelnen für sich das eigene Bettgestell Beweisgründe liefert, so dass in einem solchen Getöse der Streitenden die Wahrheit zu finden sehr schwierig ist. 3. Und nicht allein die Menge, nein auch die Gelehrten sind uneins, und was diese alle meinen, das weisst Du. Bleibt bloss, dass Du mit Absicht gerade mich zum Schreiben herausforderst. Du hast einerseits des Calcidius2 Kommentar zum Timaios, andererseits den des Macrobius3 zum sechsten Buch der Republik, wo von Träumen mit klarer und knapper Einteilung gesprochen wird. Du hast über Träume und über das ihnen Verwandte ein Buch von Aristoteles;4 Du hast auch Ciceros Buch5 über Weissagungen, worin Du findest, was andere und was er selber für richtig halten. Was also mahnst Du mich zu wiederholen, was bestens bekannt ist? Gewiss, nach der Autorität der Alten auch meine Meinung vernehmen zu wollen, ist ein Zeichen von Neugier, und neugierig ist allerdings jede Freundschaft. 4. Angenommen also, es habe bei Dir einiges Gewicht, was ich bei mir denke, und es erscheine Dir als beachtenswert, was ich für richtig finde, dann gehe ich wie in mancher Hinsicht so auch in dieser mit meinem Cicero einig. Freilich bin ich durchaus nicht starrsinnig, sondern bereit, mit ihm meine Meinung zu ändern, wenn etwas anderes besser einzuleuchten vermöchte. Denn der Stolz und die Dreistigkeit des Behauptens wollen wir vermeiden. Seine Überlegung schöpft er mir aus den Quellen zu seiner „Akademie“;6 hier steht die Hauptsache. 5. Willst Du jemanden wortreicher darüber reden hören, so habe ich das Buch der „Denkwürdigkeiten“ bei der Hand,7 und wird es irgendwann erscheinen, findest Du im ersten Teil eine breitere Auseinandersetzung mit Deiner Frage. Den
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Beispielen aus anderer Quelle, deren ich dort viele gesammelt habe, will ich jetzt auf Deine Forderung hin zwei meiner eigenen Traumvisionen anfügen, eine tröstliche und eine traurige, die sich aber beide ganz sicher erfüllt haben. Für beide gibt es noch Zeugen, welche die Sache in der Zeit zwischen dem Traum und seiner Erfüllung von mir gehört haben. So wird Dir Genüge getan, während mir lieb ist, mich der beiden zu erinnern. 6. Einen Freund hatte ich von Kindheit auf, der war meiner Jugend teurer als alles, was die Natur und das Schicksal mir gegeben hatten. Dieser wurde plötzlich von einer schweren Krankheit befallen und liess weder den Ärzten für sein Leben noch mir für das meine irgendeine Hoffnung. Was mir als Trost übrigblieb, war einzig das Trauern, und bei Tag und Nacht strömten meine Tränen immer von neuem. Eines Nachts nun empfingen meine ermüdeten Augen, nachdem ich bis gegen Morgen gewacht hatte, endlich einen gramvollen Schlummer. Sogleich stand sein Bild vor mir. Bei seinem Anblick brach ich in ein entsetzliches Stöhnen aus und weckte damit die Gefährten. Diese sahen, dass ich schlief – wie ich nachher von ihnen erfuhr –, und obwohl sie dachten, es bedrücke mich ein Albtraum, hatten sie Mitleid wegen meiner schlaflosen Nächte und wollten lieber, dass ich eine gestörte Ruhe hätte als gar keine. 7. Mein kranker Freund aber schien auf mich zuzukommen, meine Tränen sanft zu trocknen und zu bitten, ich möchte meinem Jammern, das grundlos sei, ein Ende setzen. Als ich zu widersprechen und vieles gegen mein Unglück zu sagen mich anschickte, schien mir, als verwehre er mir mein Seufzen und lasse sich so hören: „Schweig; was Du sagen willst, weiss ich. Doch sieh, er ist da, der unser Gespräch unterbrechen will. Gib ihm, ich bitte Dich, die Hoffnung auf meine Genesung zurück und halte fest, dass mir diese Krankheit nicht den Tod bringt, ausser ich werde im Stich gelassen.“ Inzwischen öffnete sich unter einem Pochen knarrend die Türe zum Schlafzimmer, weshalb das Bild und der Traum gleichzeitig verschwanden. 8. Ich schaue auf, und da der Morgen schon graut, erkenne ich einen der Ärzte, den vertrauteren von zweien. Er hatte jenen schon aufgegeben und dann seine ganze Mühe darauf verlegt, mich zu beruhigen und zu trösten. Als er an meinem Bett stand, bestürmte ich ihn als einen mir sehr teuren und mir sehr freundlich gesinnten Menschen mit vielen Beschwörungen, zu meinem Freund zu gehen und doch ja nicht an einem Kranken zu verzweifeln, schon gar nicht an einem so jungen, solange ein Lebenshauch in ihm übrig sei. Er dagegen sagte sehr traurig, er wundere sich über das nutzlose, unangebrachte Drängen; er verstehe sich auf die Wissenschaft, Kranke gesund, doch nicht Tote lebendig zu machen, er sei Arzt und nicht Gott. 9. Ich dagegen, noch feucht von den nachts vergossenen Tränen, erzählte ihm, was ich – nüchternen Leibes, wenn auch von Sorgen berauscht – gesehen hatte und bat kniefällig um Hilfe in so unseliger Lage. Kurz, ich besiegte den Widerstrebenden. Er ging, kam bald zurück und sagte mir – ich weiss nicht was für
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hoffnungsvolle Worte. Danach suchten die andern, die sich von meinem Freund schon getrennt hatten, ihn eifrigst wieder auf, und so wurde er mir recht eigentlich vom Tod zurückgeschenkt. Obwohl ich nun vor lauter Behagen schon allzu lange bei meinen eigenen Erlebnissen verharre, will ich auch über das folgende nicht schweigen. 10. Giacomo Colonna, der Jüngere,8 war nicht allein zu unserer Zeit einer der angesehensten Männer, vielmehr besass er eine Begabung, die leicht auch in jeder andern Epoche höchste Anerkennung erlangt hätte. Ihm war ich zeit seines Lebens sehr verbunden und sehr teuer. Und wenigstens etwas erfahre ich immer wieder gleichsam als eine Erleichterung von seiten meines allzu rauhen Schicksals, dass es nämlich höchst selten unerbittlich darauf bestand, mir das unmittelbare Miterleben der schmerzlichsten Ereignisse zuzumuten. Es hat mir jeweils nur aus der Ferne geschadet, ja, es hat sich damit begnügt, meine Ohren zu verwunden, indem es meine Augen verschonte.9 11. Vieles könnte ich von jenem besagten Menschen berichten, aber ich übergehe es, weil es dem Thema fern liegt und weil gerade Du über seine Lebensweise nichts Neues erfahren würdest. Du hattest ja beschlossen, unter allen Bischöfen eben ihn besonders hochzuschätzen und zu verehren. Die in blühender Jugend vorzüglich entwickelten Anlagen des heranwachsenden Adligen hast Du – als ein sehr geschickter Aufzüchter grosser Begabungen – gefördert, um nach der Blüte die Frucht zu gewinnen; und die Dir bestens bekannte Tüchtigkeit des früh gereiften Mannes hast Du geliebt. Dann hast Du seiner priesterlichen Würde die geschuldete Ehrfurcht erwiesen, und obwohl er schliesslich aus einer anstrengenden Laufbahn und aus den Mühen des Lebens hinaus und in einen besseren Zustand versetzt wurde, hast Du ihn dennoch mit ehrlichen Tränen liebender Menschlichkeit begleitet, ihn, der Dir in seiner Würde Vater, nach seinem Alter Sohn und im vertraulichen Umgang Bruder war. 12. Doch ich kehre zum Thema zurück. Angewidert vom Getöse dieses irdischen Lebens hatte jener den verehrungswürdigen Vater, die Brüder und die Heimat geflohen, sich als vorzüglicher Kirchenvorsteher zu seinem Bischofssitz aufgemacht und in den Winkeln der Gascogne verborgen. Hier hat er – herrlich wie immer und überall – auch den letzten Teil seines Lebens, als hätte er das bevorstehende Ende voraus erkannt, als ein wahrer Bischof hingebungsvoll zugebracht. Ich aber war von ihm durch eine beträchtliche Strecke geschieden und genoss damals im diesseitigen Gallien10 und in eben dem Gärtchen, wo ich das schreibe, eine köstliche Ruhe. Die Fama hatte mir an Gerüchten über seine Krankheit einiges vermittelt, jedoch nur so viel, dass ich zwischen Hoffen und Bangen schwankend nach gewisseren Nachrichten Ausschau hielt. Mich schaudert jetzt, indem ich davon erzähle; denn der Ort ist mir vor Augen, wo ich ihn nachts im Traum erblickte. 13. Er war ohne Begleitung und schritt hier im Garten genau über dieses Bächlein. Ich lief auf ihn zu, wunderte mich und fragte
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ihn vieles, woher und wohin des Weges, weshalb er so eile und warum er so einsam fortgehe. Er antwortete auf alles das nichts, sondern meinte nur lächelnd: „Erinnerst Du Dich, wie damals, als Du jenseits der Garonne bei mir warst, die Unwetter der Pyrenäen Dir lästig erschienen? Auch ich bin ihrer jetzt müde, und um ihnen für immer zu entgehen, suche ich Rom auf.“ 14. Indem er das sagte, hatte er in seiner Eile das Ende des Gartens bereits erreicht. Ich aber beharrte darauf, er möge mich mitnehmen. Da schob er mich einmal und mehrmals mit der Hand behutsam zurück und sagte endlich mit verändertem Ausdruck und anderem Tonfall: „Lass ab, ich will Dich jetzt nicht zum Begleiter.“ Ich schaue genauer hin, und an seinem blutleeren, fahlen Gesicht erkenne ich einen Toten. Vor Angst und Jammer schreie ich auf, dass ich im gleichen Moment erwache und die letzten Schrilltöne noch höre. 15. Ich notiere den Tag, das ganze Erlebnis, erzähle es den anwesenden Freunden und schreibe es an die abwesenden. Nach fünfundzwanzig Tagen erreicht mich die Nachricht von seinem Tod.11 Einem Vergleich der Zeiten entnehme ich, dass er mir am Tag seines Sterbens erschienen war. Seine leiblichen Überreste wurden – was ich nicht wusste, ja nicht einmal ahnte – drei Jahre später nach Rom gebracht. Sein Geist aber feiert, wie ich hoffe und wünsche, im Himmel Triumphe. 16. Doch nun genug der Träume! Wachen wir auf! Hier nur noch ein Zusatz! Obwohl man lesen kann, welche Meinung Caesar Augustus,12 der überragendste der Herrscher und Gelehrten, vertreten hat, und obwohl heute viele ihm beipflichten, und obwohl ausserdem mir, einem Geängstigten, ein Traum einmal meinen Herrn, ein andermal meinen Freund vor Augen geführt hat, von denen der eine gestorben und der andere zu neuem Leben gelangt ist, ja, obwohl ich in beiden Fällen, was ich wünschte oder fürchtete, zu sehen schien und schliesslich meinen Traumgesichten die Schicksale wirklich entsprochen haben, schenke ich den Träumen so wenig Vertrauen, als Cicero tut, der wegen der zufälligen Wahrheit eines einzigen Traumes sich nicht in die Unsicherheiten vieler anderer verstrickt hat. Lebe wohl! Am 27. Dezember (Parma 1343/1344).13 Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Fam. 4,15 – 16 und 5,8 – 9. Calcidius übersetzte das Werk Platons kurz nach 400 n. Chr. Vgl. Tim. 254 – 256. In somn. Scip. passim De somn. et vig. De divin. 1,20 ff.; 2,58 ff. Cic. Ac. 2,3,9. Rer. mem. 4,40 – 76. Die Briefe Petrarcas an diesen sind aufgereiht unter „Adressaten“. Vgl. Fam. 4,12,38 und 4,15,3. Zur Gallia cisalpina in Oberitalien wurde Parma, wo sich Petrarca befand, mitgerechnet.
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Fam. 5,7
11 Er erfolgte im September 1341. 12 Suet. Aug. 91,1; Val. Max. 1,7,2. 13 Die Datierung berücksichtigt, dass am 27. Dezember l344 die Leiche des Bischofs Giacomo nach Rom überführt wurde; vgl. F. Lo Parco, Dei maestri canonisti attribuiti al Petrarca, in: Revue des Bibliothèques 16,1906,312; auch Wilkins, Petr. Corresp. 57
Fam. 5,8, an Giovanni d’Andrea1 Über einen in Liebesaffären verstrickten Menschen. 1. Wechselhafte, unglückliche Lage. 2. Falsche Hoffnungen. 4. Künste der Dirnen und Kuppler. 6. Ihre Menschenkenntnis. 8. Die Menschennatur bleibt sich immer gleich. 10. Wunderbare Heilung ist selten. Am 13. Mai (1348).
1. Was ich von Deinem jungen Menschen denken und hoffen soll? Er hat sich in eine schädliche und, was schlimmer ist, eine schändliche Liebe und in ganz üble Netze verfangen. Er kann deswegen zornig werden, gewiss; er wird dazu oftmals sogar gezwungen; das gehört zum Wesen der Liebe, das zum Leben der Liebenden. Sie zürnen, sie streiten und beschliessen häufig einen wiederholten Kampf mit einem erneuerten Frieden. Doch kaum für einen Augenblick bleibt von ihren Vorsätzen auch nur ein einziger bestehen. Von allen schwierigen Lagen des Lebens ist keine so aufreibend wie eben diese mit ihrer Unbeständigkeit und Haltlosigkeit. Daher sieht man diese Menschen höchst selten fröhlich, oft traurig, immer wieder anders und niemals gleich. 2. Von dem Erwähnten schreibst Du, er sei gegen seine Ausschweifung jetzt heftig aufgebracht. Das glaube ich, denn dass es nicht anders sein kann, weiss ich sicher. Wer wäre denn so verbissen elend, dass er nicht bisweilen seine Augen öffnete und das Elend, während er es betrachtet, nicht hasste? Doch dem, was Du anfügst, kann ich nicht beipflichten. Denn Du schöpfst aus dem Gesagten die grosse Hoffnung, er könne sich von den Ketten befreien. Ich aber meine im Hinblick auf sein Alter und seine Gesinnung, ohne tatkräftigste Hilfe Gottes werde er sich mehr und mehr verstricken. Ein Vogel in der Schlinge pflegt sich durch heftige Bewegung um so fester zu verhaspeln. 3. Besseres würde ich annehmen, wenn er der Liebe nicht mit Hass und Streit, sondern mit Vergessen und Schweigen begegnete. Das wäre ein Anzeichen gesunder Vernunft, jenes hingegen zeugt von verwundeter Liebe. Ich fürchte ein Wort des Terenz2 in der „Andria“: „Der Liebenden Zorn verspricht der Liebe Neubeginn.“ Ich fürchte auch ein Wort Senecas3 in einem Brief an Lucilius: „Nichts wallt so plötzlich wieder hoch wie die Liebe“. Und ich fürchte ein Wort Vergils:4 „Masslose Liebe, was zwingst Du wohl nicht bei den sterblichen Herzen?“ Ich fürchte alles, was Cicero5 am vierten Tag in seinem Tusculum darüber gesprochen hat; und schliesslich fürchte ich die Aussagen aller Philosophen und Dichter, die in diesem Punkt übereinstimmen. 4. Doch mehr als alles ängstigen mich die unsäglichen Künste und unlösbaren Schlingen der Kuppler und Dirnen. Mir graut
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Fam. 5,8
vor den Gesängen der Sirenen und vor der Leimrute der zähesten Sinnenlust. Und besonders vor ihr, der Charybdis,6 graut mir, da man bei ihr keinen Hafen findet und sie berüchtigt ist wegen des Schiffbruchs so vieler. Und überhaupt gibt es nichts, was ich im Gedanken an den üblichen Verlauf nicht fürchtete. 5. Denn was jener nun zornentbrannt androhen mag oder ergrimmt bei sich ausdenkt, nämlich: „Ich sie, sie ihn, sie mich, sie nicht …“ das wird geschehen samt dem, was folgt; nämlich bis (wie derselbe Terenz7 es ausdrückt): „alles das Ertränkt ein kleines Tränlein falsch – beim Herkules! –, Das nur durch Reiben ward den Augen abgepresst. Da klagt er sich sogleich noch neuer Sünden an, Worauf auch neue Strafe folgt …“. Soll er doch mit grossem Geschrei herumwüten und lärmend seine Unabhängigkeit beteuern! Wäre ich Richter, wollte ich mein Urteil ganz so fällen wie jene Alte tut, die seine Unfreiheit schildert. Warum? 6. Weil ich weiss, wie viel mächtiger dieses Tuscheln ist als jenes Geschrei und wie sehr die einen Künste die andern übertreffen. Da gibt es keine Übereinstimmung, keinen Gleichklang. Hier ist Eisen, dort Lehm; hier Feuer, dort Stroh; hier Flinkheit im Täuschen, dort Bereitschaft zum Glauben; da unzählige Haken, dort ebenso viele Ösen. 7. Du weisst das alles, und obwohl Dich von solchen Sorgen Deine Jahre entfernt haben, sage ich Dir nichts, was Dir nicht vertraut ist. Meinst Du, jenes Weib in der „Eselskomödie“ des Plautus8 verdiene nur wenig Glauben? Sie redet zu dem unwilligen und drohenden jungen Mann wie folgt: „Deine Seele haftet an mir mit Nägeln Deiner Begehrlichkeit; Nimm Dir Segel und Ruderschiff, und flieh nur fort, so rasch Du kannst! Wag’ Dich weit in die See hinaus! Von weither bringt Dich die Flut zurück.“ Sehr sicher fühlte sich diese Giftmischerin, welche dank solchen Erfolgen bei jungen Leuten das volle Leben erfahren und erkannt hatte! 8. All dem möchte ich nichts weiter beifügen als dies eine: Zu bedenken ist, dass zwar im Lauf der Zeit selbst Städte zerfallen, Herrschaften wechseln, Sitten sich ändern, Gesetze sich wandeln, dass aber die ihnen eigene Natur sich gleich bleibt und die Seelen der Menschen und die Krankheiten dieser Seelen beinah alle noch sind, wie sie waren, als Plautus solche Verse ersann. 9. Du sagst nun, der junge Mann rühme sich häufig, dass er zwar früher vor Leidenschaft brannte, aber heute nicht mehr brenne. Wenn er das weit und breit verkündet, so ist das ein Anzeichen von tödlicher Krankheit. Bekannt ist das Verslein Ovids:9
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Fam. 5,8
„Einer, der häufig prahlt:
‚Nichts da von Liebe!‘ der liebt“.
Nicht Worten glaube ich, sondern Taten, und diesen nicht sogleich, sondern dann, wenn einer unnachgiebig darauf zielt, mit einem neuen Leben die Makel des früheren zu tilgen. Bei einer langjährigen Krankheit wirkt ein rasches Heilverfahren nicht. Was wir durch lange Übung uns angewöhnt haben, muss durch eine lange Entwöhnung verlernt werden. 10. Da hast Du meine Prophezeiung für Deinen jungen Mann! Und möchte die Weiterentwicklung doch beweisen, dass sie falsch war! Gewiss vermag die Rechte des Allerhöchsten wie bei Davids Bekehrung10 rascher, als man sagen kann, aus dem tiefsten Abgrund des Elends herauszuführen. Aber vergiss nicht, dass es sehr selten geschieht und nur bei den allerwenigsten Menschen. Lebe wohl! Am 13. Mai (1348).11
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Fam. 5,7. Andr. 3,3,555. Ad Lucil. 69,3. Aen. 4,412. Tusc. 4,33 – 35. 4,35,75. Skylla und Charybdis: die beiden von Homer genannten Ungeheuer oder Klippen in der Meerenge bei Messina, Symbole für unausweichliche Gefahr. Eun. 1,1,67 – 70. Asin. 1,3,156 – 158. Rer. am. 648. Ps. 76,11. – Petrarca denkt an Davids Bestrafung und Bekehrung, von denen 2 Reg. 12 berichtet. Zur Jahreszahl vgl. F. Lo Parco (oben Fam. 5,7 Anm. 13) und Wilkins, Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,9, an den selben Giovanni d’Andrea1 Über wollüstige Alte. 1. Ein Stoff für Satiren. Zitate aus Plautus. (1348)
1. Ganz unähnlich Deinem früheren Stoff ist der jetzt vorgelegte. Für eine Satire ist er allerdings besser geeignet. Da ist der lüsterne und liederliche Alte. So nämlich sagt der Deklamator:2 Der lüsterne Jüngling ist sündig, aber der lüsterne Alte ist verrückt. Und richtig sagt Plautus3: „Bisweilen packt die Raserei auch Greise noch.“ Nein, nicht bisweilen, vielmehr sehr häufig. 2. Das hatte zu des Dichters Zeit begonnen; jetzt aber gilt, dass wir als Säuglinge krabbeln, als Kinder tollen, als Jünglinge raufen, als Männer uns plagen, und als Greise überschnappen. Somit verbringen wir nicht etwa bloss einen Teil unseres Lebens, sondern unsere ganze Zeit unter Irrtümern verschiedenen Grades in einer einzigen gleichbleibenden Dummheit. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Schiene in diese so grosse Finsternis nicht ein Strahl himmlischen Lichtes, würde ich sehr zur Ansicht antiker Autoren neigen,4 dass nicht geboren zu werden, das beste sei und das zweitbeste, möglichst bald zu sterben. 3. Alle alten Leute jedoch nennen zu ihrer einen und gleichen Entschuldigung die Schwäche ihres Alters, die Notwendigkeit eines Trostes und die nach üblichem Brauch ihnen zugebilligte Freiheit. So hat denn Plautus5 in seiner „Eselskomödie“ seinen höchst leichtfertigen Alten auch selber mit folgenden Worten entschuldigt: „Betrügt ein Alter seine Frau, indem er still sein Spielchen treibt, Sagt niemand, das sei unerhört und fern von dem, was andre tun, Denn keiner ist so hart gesinnt und keiner von so strengem Ernst; Dass er nicht wüsst’ zur günstigen Zeit, wie sich ein Mann was Gutes tut.“ Das sagte der Dichter, das sagen wir alle, nämlich die jungen Leute, für welche das Liebesabenteuer ein Ruhm ist, wie die Männer, denen es eine Gewohnheit ist, aber auch die Greise, denen es bereits als verzeihliche Sünde gilt. 4. Wie manchen könnte man wohl unter den Alten finden, der bei guter Gelegenheit und fehlendem Zeugen nicht sogleich sein Unvermögen vergässe und sich wie ein Jüngling ins Abenteuer stürzte, sich schmeichelnd, es sei ihm erquicklich oder wohltuend und so nützlich wie geziemend, ganz als bestünde der einzige Trost des Greisenalters in der Ausschweifung, obwohl sie doch eher seine Schmach und sein Ruin ist? 5. Du aber leite unseren Alten an, sich darauf zu besinnen, was er tut, wohin er zielt und in welcher unpassenden Lebenszeit es geschieht. Auch wie ungehörig, wie
Fam. 5,9
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gefährlich und unzeitig seine Begierde ist. Scham und Furcht werden vielleicht bewirken, was Vernunft und Überdruss schon früher hätten erlangen sollen. Wenn er aber fortfährt, so sage ihm mit meinen Worten, er werde in kurzem selbst gegen seinen Willen damit aufhören. Denn jugendliche Sinnenlust ist nahe dem Alter und greisenhafte nahe dem Grab. Lebe wohl! (1348)6
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Vgl. die vorangehenden Briefe an den selben Adressaten. Seneca der Rhetor, Vater des Philosophen; vgl. seine Controv 2,6,4. Epid. 3,3,393. Lact. Div. inst. 3,19,14. Asin. 5,2,942 – 945. Vgl. Lo Parco (oben Fam. 5,7 Anm. 13) und Wilkins, Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,10, an Barbato da Sulmona1 1. Über Kämpfe um Parma. 3. Petrarca verlässt die Stadt. 4. Gefahren durch Feinde. 5. Sturz vom Pferd. 7. Trost dank einsichtigen Pferden. 10. Der Unfall hat Folgen. Bologna, am 25. Februar (1345).
1. Es drängt mich, unserem Brauch gemäss meine Geschicke und Mühen Dir mitzuteilen. Bei Parma findet – wie Du weisst – ein Kampf statt.2 Zusammengedrängt in die Ringmauern dieser einen Stadt, werden wir durch grosse Scharen nicht bloss aus Ligurien, sondern aus fast ganz Italien eingekreist! Nicht dass es den Unsern an Mut zum Kampfe etwa fehlte! Das Gegenteil haben sie bei manchem tapferen Ausfall bewiesen. Doch darin besteht eine Schlauheit unseres Feindes, uns weder die Möglichkeit zum Frieden noch die zum Angriff zu bieten. Denn im Ausdauern zu siegen und durch widerwärtig langes Belagern zu entmutigen, das ist’s, worauf er vertraut. 2. Bei wechselndem Glück ist daher schon mehrfach der Belagerer zum Belagerten geworden, und noch immer ist der Ausgang ungewiss. Dennoch wird der Streit auf beiden Seiten mit grosser Kraft geführt, und wenn mich meine Ahnung nicht täuscht, nähert sich der Tag der Entscheidung immer rascher. Mein Gefühl schwankt; es wendet sich nicht völlig nach der einen oder anderen Seite, sondern versucht vielmehr, sich eitler Hoffnung wie nutzlosem Bangen gleicherweise zu verschliessen. In diesem Zustand bedrückt uns eine Belagerung nicht bloss einiger Tage, sondern vieler Monate, was unter Kriegsübeln kaum das geringste ist.3 3. Deshalb ist kürzlich in mir die Sehnsucht nach der Freiheit aufgestiegen, die ich mit allen Bitten zu fordern und mit allen Begierden zu umfangen, ja sogar auf ihrer Flucht über Land und Meer zu verfolgen pflege. Aufgestiegen war schon vorher das Verlangen nach dem Helikon jenseits der Alpen,4 weil hier in diesem italischen Helikon immer wieder die Kriegsfackel brannte. Und so bedrängte mich von der einen Seite die Abneigung und von der andern die Sehnsucht. Doch was sollte ich tun? Der Weg, der westwärts führt, war längst beinah unzugänglich geworden. Ich wandte mich also nach Osten; denn selbst wenn hier alles von Feinden erfüllt war, schien mir ein kurzer Durchgang doch sicherer zu sein als ein unabsehbar langer Umweg durch Tuszien. Kurz gesagt, mit geringer Begleitung bin ich zwischen den Posten der Feinde hinausgelangt und habe mich am 23. Februar bei untergehender Sonne auf den Weg gemacht. 4. Als ich gegen Mitternacht in der Nähe von Reggio, einer feindlichen Stadt, angekommen war, stürzte plötzlich aus einem Hinterhalt ein Haufen marodierender Söldner hervor, der mit lautem Geschrei den Tod androhte. Rat war teuer; Zeit, Ort und feindliche Umzingelung machten alles äusserst bedenklich. Wir wa-
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ren gering an Zahl, unbewaffnet und unvorbereitet. Was also liess sich gegen die Bewaffneten und zum Verbrechen Gerüsteten ausrichten? Nur Flucht und Finsternis boten Hoffnung: „Fliehend zerstreut sich die Schar, sich hüllend in nächtliches Dunkel“.5 5. Auch ich, wahrhaftig, habe vor dem Tod und den ringsum sausenden Geschossen Reissaus genommen. Und schon glaubte ich mich ausser Gefahr – doch bitte, was ist für den Menschen je sicher? – Ob da eine Grube, ein Strunk oder vielleicht ein Stein war, gar nichts liess die Finsternis jener nebligen, sternenlosen Nacht erkennen. Mein Pferd aber, mein zuverlässigstes Reittier, stürzt vornüber zu Boden, und zwar mit solcher Wucht, dass ich aufschlage und fast die Sinne verliere. Ich raffe dennoch in der höchsten Not meinen Mut zusammen und erhebe mich. Und ich, der jetzt nach vielen Tagen die Hand noch immer nicht zum Mund zu führen vermag, habe mich damals, von der Angst beflügelt, aufs Pferd geschwungen. 6. Von den Gefährten kehrte ein Teil nach Hause zurück, ein Teil irrte weit herum, gab aber das Beginnen nicht auf. Unsere beiden Wegweiser, welche die Orientierung am Himmel und auf der Erde verloren hatten, zwangen uns, müde und ängstlich wie sie waren, in der Weglosigkeit auszuharren, wo – damit an Schrecken nichts fehle – die Stimmen feindlicher Wachen von irgendwelchen Stadtmauern her vernehmbar waren. Auch kam ein mit fürchterlichem Hagel vermischter Regen hinzu und – weil es häufig donnerte – eine ständige Furcht vor einem besonders berüchtigten Tod. 7. Lange wäre die Geschichte, wollte ich auf Einzelnes eingehen. Jene wahrhaft höllische Nacht haben wir unter freiem Himmel und ausgestreckt auf dem Boden verbracht, während die Geschwulst meines wunden Armes und der Schmerz sich immerzu verstärkten. Kein Büschel Gras zum Schlafen, kein belaubter Ast, keine Felsenhöhle, bloss nackte Erde, Nebelschwaden, zürnender Jupiter, eine den Menschen und Tieren gemeinsame Angst, und unter so viel Ungemach ein kranker Leib! Etwas nur, das vielleicht Dein Staunen und Dein Mitleid weckt, hat uns eine Art Linderung in der grossen Notlage geboten: Die Pferde, quer über den Pfad gelagert, dienten uns als Zelt, und ihre Rücken boten Schutz gegen den Sturmwind. Sie, die kurz zuvor geschnaubt und gerast hatten, waren plötzlich still und unbeweglich, ja, nicht ohne eine Art von Einsicht in ihr Elend,6 und leisteten uns in jener Nacht diesen doppelten Dienst. 8. So sind wir unter Ächzen und Zittern zur Morgenfrühe gelangt. Kaum aber wurde der Pfad zwischen Dorngestrüpp im ungewissen Aufstrahl des nahen Lichtes erkennbar, als wir schleunigst die verdächtigen Orte verliessen. Und von einem befreundeten Städtchen – mit Namen Scandiano – in seine Mauern aufgenommen, erfuhren wir auch, es habe während der ganzen Nacht ein grosser Haufen von Reitern und Fusssoldaten rings um die Festung in Verstecken darauf gelauert, uns zu ergreifen, und erst kurz vor unserer Ankunft sei er, dem Unwetter weichend, abge-
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zogen. 9. Geh nun und wage zu leugnen, dass Fortuna etwas Gewaltiges ist, wo sie doch Klugheit in Verderben und Unvernunft in Rettung zu verwandeln versteht! Ich sage es Dir im Scherz, liebster Barbato! Du kennst ja mein Urteil über Fortuna. Sie ist ein schreckliches Ungeheuer. Doch wie dem auch sei: Unser Irrweg war nützlich, und nützlich war auch der Sturm. Denn dem Schlimmeren sind wir dank Schlimmem entkommen. 10. An jenem Ort habe ich, als es bereits Tag war, meinen verheimlichten Sturz – die Gefährten zu Tränen rührend – bekannt gemacht, und weil uns auch dort ein Verweilen gefährlich erschien, bin ich, notdürftig verbunden, auf einem Bergpfad nach Modena und tags darauf nach Bologna gereist. Von hier aus schreibe ich Dir, entgegen meiner Gewohnheit mit Hilfe fremder Finger, damit von meiner und der politischen Lage Dir sichere Kunde nicht fehle. Für meine leibliche Pflege geschieht, was dank menschlicher Kunst geschehen kann. Der Erfolg ist eher gewiss als baldig. Auf den Einfluss des Sommers hoffen die Ärzte, auf die Hilfe des Allmächtigen ich selber. Vorläufig versagt mir die steife Rechte den Dienst. Der Geist aber wird williger im Unglück.7 Lebe wohl! Bologna, am 25. Februar (1345).8
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 4,8, Anm. 1 und Fam. 4,9. Zu den im Text genannten Personen vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. – Auf der Rückreise aus Neapel machte Petrarca in Parma Halt und verblieb hier vom Dezember 1343 bis zum Frühling 1345. Seinen Sohn Giovanni nahm er zu sich. Zeitweise war er sehr krank; ein Gerücht entstand, er sei gestorben, was er in seinem Sonett 120 widerlegte. Hart angegriffen wurde damals seine Dichtkunst unter dem falschen Namen von Petrarcas Freund Lancillotto Anguissola. Sein Freund Sennuccio del Bene rief ihn wohl im Auftrag des Kardinals Colonna zurück; vgl. Wilkins, Studies 62 f.; als er abreiste, liess er seinen Sohn in Parma zurück; vgl. Dotti, Vita 125 – 135. 2 Mastino della Scala von Verona hatte 1335 Parma den Rossi streitig gemacht; nach ihm waren 1341 die Correggio die Herren über Parma geworden, doch hatte Azzo Correggio in schwieriger Lage 1344 die Herrschaft an Obizo d’Este von Ferrara verkauft, obwohl er sie unter Bedingungen den Visconti von Mailand versprochen hatte. Nun stritten verschiedene Stadtherren, wie die von Mailand und Mantua, Verona, Padua um die Stadt.Um diese Zeit dichtete Petrarca seine um Italien klagende Canzone 128 Italia mia. 3 Dieser erste Abschnitt und die folgenden Ausführungen wurden wohl zu verschiedenen Zeiten geschrieben. 4 Gemeint ist die Einsiedelei in Vaucluse. Unter dem italischen Helikon verstand Petrarca Selvapiana südlich von Parma im Tal der Enza. 5 Verg. Aen. 4,123. 6 Von einer Art vernunftmässiger Wahrnehmung der Tiere spricht Petrarca z. B. auch in Fam.1,8,7. 7 Vgl. Mt. 26,41. 8 Zur Datierung vgl. Wilkins, Studies 36 – 37; 221 – 2 und Petr. Corresp. 57.
Fam. 5,11, an Andrea von Mantua1 Über ungerechte Anfeindungen. 1. Gründe zum Klagen. 2. Drohungen. 3. Spott über Angriffe gegen Tote. (1344)
1. Kaum einmal habe ich einen gerechteren Grund gehabt, mich zu beklagen und kaum je einen reicheren Stoff, mich zu verteidigen. Pöbelhaft werde ich zerrissen. Was soll ich tun? Der Urheber behandelt mich ungerecht; meine Ehre wird von Ehrlosen verschlissen. Verächtlich ist der Neider, doch im übrigen je lästiger, desto schäbiger. Ihn nicht zu beachten, ist schwierig, und ein schickliches Schweigen ist löblicher als selbst ein berechtigtes Klagen. Doch mögen jene ihre Zunge nur wetzen! Worte fürchte ich nicht. Und sollten sie sich schriftlich melden, werden sie erfahren, dass auch ich eine Feder besitze. Denn dann werde ich, so lange ich lebe und auch sie leben, ihre Machenschaften unterwühlen. 2. Oder planen sie vielleicht einen späteren Anschlag gegen meine Asche? Ich höre, dass sie unablässig am Gebären sind, nur weiss ich nicht, ob sie eine lächerliche Maus2 oder einen indischen Elephanten hervorbringen werden. Wenn sie mit Absicht, so betone ich, die Sache auf die Zeit verschieben, wo ich nicht mehr bin, handeln sie feige und legen mir wahrlich keine rühmlichen Hinterhalte. Und was soll ich dann über ihre Tücken anderes sagen, als was ich häufig zitiere, nämlich ein Wort des Plancus gegenüber Asinius Pollio?3 In der Naturgeschichte erwähnt es Plinius Secundus4 gleich am Anfang: „Mit Toten pflegen Gespenster zu streiten“. 3. Wenn sie also etwas haben, mögen sie es vorbringen, solange einer da ist, der antwortet. Dann wirst Du erleben, wie unter den Reibungen ihrer Schmähreden mein Name erglänzen wird. Höheren Glanz verlieh ja auch Aischines einem Demosthenes, Galba einem Cato, Sallustius einem Cicero, Aemilianus einem Apuleius.5 Handeln sie anders, wählen sie die ruhmlose Kampfart, einen Abwesenden zu beschimpfen und mit stummer Asche zu disputieren. Freilich mag sein, dass sie – wie es unserer Zeit entspricht – schamlos sogar solches erhoffen. Lebe wohl! (1344)6
Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. Fam. 5,12. Der Adressat ist einzig durch zwei Briefe Petrarcas bekannt. Hor. Ars. 139. Zu den Angriffen vgl. Fam. 5,11 Anm. 1. Munatius Plancus, Parteigänger von Caesar und Antonius; Asinius Pollio, Schriftsteller und Politiker. Nat.Praef. 31.
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Fam. 5,11
5 Aischines, ein Redner, der zeitweise als Schauspieler auftrat, gab Demosthenes eine Gelegenheit zum Spotten; Sulpicius Galba, ein Kriegstribun, veranlasste Cato 167, sich mit einer Rede gegen ihn und für den Triumph des Aemilius Paullus einzusetzen; Gaius Sallustius Crispus wurde von Cicero angegriffen und antwortete mit einer Invektive; Sicinius Aemilianus betrieb erfolglos eine Verurteilung des Apuleios wegen Zauberei. 6 Die Datierung beruht auf der sehr vagen Vermutung, Petrarca habe kurz nach seiner Dichterkrönung besondere Anfeindungen erlebt und sich nach einiger Zeit zur Wehr gesetzt.
Fam. 5,12, an Andrea von Mantua1 Pläne, sich an einem Streitsüchtigen zu rächen. (1344)
1. Jener Theon2 oder, wenn Du lieber willst, jener Bion3 sucht den Zank. Ich vernehme ein Zischen; die Viper ist nah. Soll ich mich entrüsten und mich wundern, wenn er mich nicht verschont, wo er doch sogar Homer nicht verschonen würde? Ich vermute, dass er meint, mich vergnüge das selbe wie ihn. Doch er täuscht sich bei weitem. Nichts ist mir lieber als zu schweigen und darauf nichts köstlicher als ein Gespräch mit einem Freund. 2. Sollte er fortfahren, werde ich fliehen, und gelingt das nicht, ja, was werde ich dann tun? Das willst Du wissen! Ich werde schweigen. Und lässt er auch das nicht zu, werde ich sprechen. Wie viel? Möglichst wenig. Und was? 3. Bedrohen werde ich ihn mit einer Art Schimpfrede, wie er sie niemals gehört hat. Er wird bestürzt sein, erstarren und vielleicht, weil er sich mancher Fehler bewusst ist, verstummen. Damit wird dieser Zank beendet sein, sofern eine bösartige Zunge durch nichts kräftiger gezügelt wird als durch die Furcht vor einer noch bissigeren Zunge. Und hört er auch dann nicht auf? Ich werde mich rächen nach Ammenart und ihm wiederholen, was eine Memme4 zu einer andern Memme gesagt haben soll: „Oh Du grossartigster Held, Bescheidenster unter allen. Oh Du Hort aller Mannhaftigkeit, oh Du, des Vaterlandes Zierde und Hoffnung! Nicht wahr, Du hast nie Dergleichen vernommen.“ Was sagst Du nun? Werde ich nicht dastehen als einer, der seine Drohung hinlänglich wahr macht? Ich täusche mich kaum, wenn ich meine, seine gegen Schimpf abgehärteten Ohren hätten doch so grossen noch nicht gehört, weder aus dem Mund eines Verehrers, noch aus dem eines Lobhudlers, eines Verächters oder Schmeichlers, und wäre der noch so schamlos gewesen. Somit wird ihn, wie ich glaube, diese Stilart verblüffen. Du wirst lachen. Ich aber werde indessen entwischt sein. Lebe wohl! (1344)5
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Adressaten. 2 Theon, Grammatiker, Rhetor aus Alexandrien (?), ca. 1. Jh. n. Chr., berühmt für seine scharfen Kritiken. 3 Horaz nennt den Wanderprediger Bion aus dem 3. Jh. v. Chr. in Epist. 2,2,60. 4 “Anus» heisst es im Lateinischen, das Wort, das so viel wie altes Weib bedeutet, wird auch für feige Männer verwendet. 5 Vgl. zur Datierung den vorangehenden Brief.
Fam. 5,13, an seinen Sokrates1 Bitte, die Ausführung guter Vorsätze nicht aufzuschieben. (1342/1243)
Ich bitte und beschwöre Dich, wie ich auch mich selber beschwöre, wenn bei uns Bitten noch nötig sind und wenn Du nicht längst die Sorgen Deines Herzens beschwichtigt hast – ich selber verhehle mir nicht meine eigene Unruhe –, lass uns endlich alles, was uns ängstigt, vertreiben und das noch anhaltende Schwanken unserer Neigungen bezwingen! Es soll uns nicht gereuen, wenigstens spät zu beginnen, was wir so lange hinausgezögert haben.2 Denn auch dem Wanderer, der wegen eines schweren Schlafes, wegen Trunkenheit oder Überdruss sich erst spät erhoben hat, wird man nicht anraten, angesichts der Sonne sich wieder ins Bett zu legen, um bis zum Abend weiter zu schlafen. Man wird ihm zeigen, wie sehr er sich beeilen, seine Schritte verdoppeln und darauf achten muss, die Zeit, die er schlafend versäumt hat, durch Anstrengung aufzuholen. Auch wir sind, wenn Du es recht überlegst, solche Wanderer, und eine endlose Route liegt vor uns. Auch ist es schon spät, denn wir haben den Morgen verschlafen. Um so behender müssen wir aufstehen, damit uns ob unserem Zögern nicht die Nacht überrasche. Die Sache würde noch mehreres fordern, die Zeit aber weniger. Und wenn Du verstehen willst, genügt das Gesagte. Lebe wohl! (1342/43)3
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,1, Anm. 1; Fam. 1,2. 2 Möglicherweise dachte Petrarca an den Plan, mit Sokrates gemeinsam ein mönchisches Leben zu führen; er kam auch später auf ihn zurück; vgl. Wilkins, Studies 14 f. mit einer diesbezüglichen Verfügung des Papstes Clemens VI. zu Gunsten Petrarcas. 3 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 5,14, an seinen Sokrates1 Über lästigen Umgang mit Hausleuten. 1. Lob auf die Komödien des Plautus. 4. Rede eines Dieners bei Plautus. 5. Scherereien Petrarcas mit eigenen Dienern. 7. Plan, Vaucluse zu verlassen. (1343/1345).
1. Als ich neulich, um meinem Überdruss zu entrinnen und mich zu erholen, bei Plautus ungemein witzige Geschichtlein las und mit Hilfe dieses verehrungswürdigen Menschenkenners mein Herz für ein Stündlein den quälenden Sorgen entzog, da habe ich, es lässt sich kaum sagen, was alles gefunden – was an köstlichen Erzählungen, an ausgesuchten Narrenpossen, was an Betrügereien der Knechte, Torheiten alter Weiber, was an Schmeicheleien der Dirnen, Habsucht der Kuppler, Essgier der Schmarotzer, Kümmernis der Greise und Verliebtheit der Jungen! Nun wundere ich mich weniger über unseren Terenz. Er hat ja seine Meisterschaft dank diesem Vorbild erlangt!2 2. Aber alles weitere zu seiner Zeit. Denn die Sache wäre aufwendig und bedürfte grosser Musse (wenn die nur endlich käme!), doch wäre sie überaus reizvoll. Jetzt führe ich nur das eine an, das mir heute fast wie gerufen unter die Augen kam. 3. Eine seiner Komödien trägt den Namen „Casina“3. Darin haben sich ein Mann und seine Frau wegen der Hochzeit eines jungen Dings zerstritten. Ein häuslicher Streit, schlimmer als ein Bürgerkrieg, würdest Du sagen! So gründlich ist unter den engst Verbundenen alles entzweit! Einfach gar nichts stimmt überein: Der Familienvater denkt an seine eigene Leidenschaft, die Mutter an die des Sohnes, und die zwei Diener, hartnäckigste Mitbewerber, gieren ebenfalls um die Wette nach der Ehe mit dem Mädchen. Dabei wird der eine vom Vater, der andere von der Mutter begünstigt. 4. Wie nun in dieser Liebesintrige der Helfer des Vaters von seiner Herrin gedrängt wird, seine Machenschaften zu lassen, aber nichts davon hören will, kommt sein Herr, der offenbar die letzten Worte des Zankes gehört hat, um zu fragen, mit wem er denn streite, worauf jener antwortet:4 „Mit eben der, mit der auch Du“. Und der Alte, die Umschreibung verstehend, fragt: „Mit meiner Frau?“ Jetzt aber gibt der Diener weder unterwürfig noch witzlos zurück, was ich heute bei meiner Lektüre gewissermassen als ein an mich gerichtetes Wort verstanden habe:5 „Was heisst da Frau? Wo Du doch bloss dem Jäger gleichst, Der Tag und Nacht mit seinem Hund sich müde plagt.“
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Fam. 5,14
5. So der Diener! Hätte er mich besser treffen können? Eine Ehefrau hat in meinem Leben freilich keinen Platz; obwohl vielen Stürmen ausgesetzt, ist es dieser Charybdis doch fern und ihr unerreichbar. Aber eine andere Art von Belästigung kennt es, zu welcher die Worte des Dienerleins passen. Ich habe die Sache immer wieder erfahren, selbst wenn mir die Worte dafür fehlten. Ich wusste, dass ich mit Hunden lebe; aber dass ich ein Jäger bin, weiss ich erst dank dieser Belehrung. Diener heissen sie, und Hunde sind sie! Bissige und fressgierige Kläffer. Alles kann ich ertragen, nur nicht das Letztgenannte: Das Kläffen ist der Ruhe, die uns nötig ist, allzu abträglich. 6. Allerdings sind mir aus der ganzen Meute ihrer zwei besonders unausstehlich; die andern zu ertragen, bin ich bereit. Der eine von ihnen ist der Bote, den ich heute mit einem Haufen vertraulicher Briefe zu Dir gesandt habe (und dass ich diese Epistel noch nachsende, hat Plautus veranlasst). Behalte den Kerl doch ja bei Dir, wenn Du ein Jäger werden möchtest; oder schicke ihn in den Wald oder auf den Fleischmarkt! Wenn er nur nie mehr zurückkommt! Der andere ist jener wütende Alte, der Dir bestens bekannt ist. Ihn wegzuschicken, verbietet mir mein Gewissen, und zwar weniger aus Rücksicht auf seine Person als wegen seines Alters und unserer jahrelangen Hausgemeinschaft. 7. Doch weil ich mich dank dem Diener unseres Plautus nun als Jäger sehe, mache ich, was freigeborene Jäger zu tun pflegen: Den in meinem Haus alt gewordenen Hund werde ich, obwohl er bei seinen Jahren und seiner Krätze unnütz und wegen seines Kläffens unendlich lästig ist, nicht verjagen. Doch da ich ihn nicht in die Flucht schlagen kann, werde ich selber vor ihm fliehen, das Haus ihm überlassen und zu anderen Gestaden aufbrechen. Hierüber habe ich allerdings noch keine klare Vorstellung, und so wirst Du meinen Plan in einem späteren, vertraulicheren Brief erfahren. Die Hauptsache lautet: An der Sorgue kann ich, wie ich jetzt einsehe, wohl ein Fischer werden, aber sicher nicht länger ein Jäger bleiben und mit diesen Hunden nicht weiterhin mein Leben verbringen. Lebe wohl! (Vaucluse, 1343/1345; Fassung von1351/1352?)6
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden und nachfolgenden Brief an den selben Freund; und zum Inhalt besonders auch Fam. 4,14, wo bereits über Diener geklagt wird. 2 Plautus lebte ca. 254 – 184, Terenz ca. 190 – 195. 3 Nach dem Namen der Hauptperson. 4 Cas. 2,5,318. 5 Cas. 2,5,319 – 320. 6 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 5,15, an seinen Sokrates1 Aufmunterung zum entschlossenen Lebenskampf. (1342/1343)
1. Auf das Marsfeld werden wir, einmal geboren, alle gerufen;2 die einen freilich bloss, um Lärm zu machen und die Zahl zu ergänzen, die anderen dagegen, um für ihre Mühen Ehren und Lohn zu empfangen. Zu welcher Schar wir gehören werden, haben wir selber zu wünschen und anzustreben; der letzte Entscheid liegt aber bei dem, in dessen Hand wir und das Unsere beschlossen sind. Das Wollen immerhin ist Sache unserer Urteilskraft. 2. Daher ist es richtig, einen festen Vorsatz zu fassen, als Kandidaten aufzutreten und des höchsten Feldherrn und seiner Vertrauten3 Unterstützung zu erflehen. Es geht ja nicht um Konsulat und Prätur, sondern – wie ein junger Mann bei Plautus4 gesagt hat – um einen Volksbeschluss, der unseren Kopf betrifft. Wirke und wache! (1342/1343)
Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. die unmittelbar vorangehenden Schreiben und Fam. 1,1. Vgl. Cic. De orat. 3,42,167. Gottes und seiner Heiligen. Vgl. Aul. 4,7,700.
Fam. 5,16, an Archidiakon Guido Sette von Genua1 Entschuldigung für langes Schweigen. 1. Verlust eines Briefes. 2. Ärger über Freunde, die Schreiben entwenden. 3. Von Gleichmut sei der Verfasser noch weit entfernt. (1342/1343)
1. Einen für Dich bestimmten Brief habe ich verloren. Das haben mir ein allzu langes Ausbleiben eines Boten und eine kopflose Hochschätzung von seiten meiner Gefährten verursacht. Diese verlangen fortwährend nach Neuem und haben sich nach ihrer Gewohnheit – um mit Solinus2 zu sprechen – „eher zu ungeduldig als zu lernbegierig“ – in meiner Bibliothek umgeschaut, sind auf jenen Brief gestossen, haben ihn gelesen und ohne mein Wissen entwendet. Dies – so behaupten sie – in der Furcht, es könnte, wie zum Ärger von Freunden, die meine Sorglosigkeit verwünschen, schon häufig geschehen ist, auch die Abschrift dieses Schreibens verloren gehen. Ich habe, sobald ich die Entwendung entdeckte, auf der Herausgabe bestanden, sie aber machten sich davon. 2. Was halte ich Dich auf? Wahr ist, was einer3 gesagt hat: „… gar alles verdirbt uns Ungestüm …“. Nachdem nämlich alle das Schreiben haben wollten, hat es schliesslich keiner, und da ich es mit Zustimmung aller einem einzigen zur Abschrift gab, hat dieser zum Verdruss aller andern es verloren (oder verloren zu haben vorgegeben), wie weiss ich nicht, nur so viel weiss ich, dass es mir nie wieder unter die Augen kam. 3. Etwas gestehe ich und schäme mich dabei nicht, dass Du mein Zeuge bist: Nie hätte ich vermutet, es könne mir eine so kleine Sache so grosse Verwirrung bescheren. Selten habe ich meine Schwäche so deutlich vor mir gesehen. Ich habe mich wahrhaftig abgequält und während mancher Tage und Nächte das Verlorene gesucht und mich bedauert, indem ich bald die Dreistigkeit der Gefährten, bald meinen eigenen Leichtsinn verwünschte. Ihnen warf ich vor, dass sie meinen Stil mehr als billig bewundern und sich deswegen ungebührlich benehmen, mir selber, dass ich einen verfrühten Ruhm von Erstlingswerken erhoffe und mit meinen Freunden vielleicht allzu heftig verfahre. 4. Doch wird jede seelische Plage, wie gross sie auch sei, mit der Zeit gelinder. Schon klage ich nicht mehr; schon hat die Scham meinen Schmerz überwunden; mich beschämt, dass ich so ernstlich geklagt habe. Da ich von jenem Schreiben nun – wie Augustinus4 sich ausdrückt – nichts mehr habe ausser ein liebendes Andenken, sei es eben verloren, da mir immerhin die Feder erhalten bleibt. Doch indem ich zur üblichen Schreibgewohnheit zurück-
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kehre, liegt mir daran, Dir den Grund für meine Unterlassung bekannt zu machen, damit mein ungewohntes Schweigen Dich nicht betrübe. Lebe wohl! (1342/43)5
Anmerkungen 1 Guido Sette, ein Jugendfreund Petrarcas, geboren um 1304 in Luni, weilte als Archidiakon von Genua oft in Avignon, wurde 1358 Erzbischof Genuas, gründete 1361 ein Benediktiner Kloster in der Nähe von Portofino, wo er 1367 starb; vgl. bei Dotti, Vita das Register; Wilkins, Studies, Index. Die andern Schreiben an ihn sind aufgezählt unter „Adressaten“. 2 Solin. Collect. Praef. 3 Stat. Theb. 10,704 – 705. 4 Conf. 7,17,23. 5 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 5,17, an Guido Sette1 Über Schönes aus der Hand von Hässlichen. 1. Petrarca rechtfertigt seine Klage über den Verlust eines Briefes. 2. Über wahre Ehre und ehrenhafte Künste. 3. Wert und Inhalt des verlorenen Briefes. 5. Selbst Sünder können heilsame Schriften verfassen, so wie unschöne Künstler schöne Gebilde schaffen. Hinweis auf frühere Künstler. 6. Von den zeitgenössischen: Giotto und Simone Martini. 8. Keiner verdankt seine guten Werke sich selber. 10. „Totenklagen“ wegen des entschwundenen Briefes. 11. Nichts davon hat Petrarca schriftlich festgehalten, und sein Gedächtnis versagt. 13. Freude über das Schreiben des Freundes. (1342/1343)
1. Ich weiss recht wohl, Du wunderst Dich, weshalb ich den Verlust einer einzigen Epistel so schlecht zu ertragen scheine. Und wirklich ist es kein Beweis für grosse Begabung, wenn sich einer von etwas Schriftlichem Ruhm verspricht. Mit Taten, nicht mit Worten erlangt man wahre Ehre, daran zweifeln die Jünger echter Philosophie eben nicht; sie denken nicht an eine Ehre, die von der Menge gespendet wird (von solcher gelobt zu werden, ist grossen Geistern fast peinlich), vielmehr an eine andere, die in der Brust hervorragender Männer dank ihrer nüchternen und heiteren Beschäftigung mit herrlichen Werken hervorkeimt und sich von diesen nährt, dabei fern allem theatralischen Getöse und fern allem Beifall der Menge einzig Gott und das eigene Bewusstsein zu Zeugen hat. 2. Echt ist die Ehre, die ihre Wurzeln tief in der Erde ausbreitet und daher einen Fall nicht zu fürchten hat. Für die andere Ehre dagegen, die im Geschwätz der Menschen verankert ist, gilt erstens, dass sie nicht lange dauern kann, weil sie sehr leicht zerzaust und durch die selben Lüfte, die sie in die Höhe hoben, auch immer geschüttelt wird und dann abfällt, und es gilt für sie überdies, dass sie, könnte sie gar ewig dauern, bloss für gewöhnliche Künste, aber keineswegs für edlere begehrenswert wäre. Hochgesinnten Menschen wäre sie niemals erfreulich, sie bliebe immer bloss ein billiger Lohn für knechtische Arbeit. 3. Indem ich über solches nachdachte, stutzte ich über mich und war mir nicht wenig böse. Und dennoch, als ich mich daran erinnerte, wie lieb mir die Lektüre jener Schrift gewesen war, ging ich dazu über, mein Verlangen nach ihr zu entschuldigen. Nicht ganz klar ist mir, ob das richtig oder falsch ist, aber ich überzeugte mich mit vielen Gründen, dass ich nicht aus lächerlicher Ruhmsucht ihren Verlust beklagte, sondern dass ich gespürt hatte, wie nützlich sie mir gewesen war. Und ein so grosses Vertrauen flösste mir (nicht etwa meine Kunst und nicht meine Erfindungsgabe vielmehr) der wahre Meister und Spender der Kunst und Erfindungsgabe ein, dass ich zu hoffen wagte, es könnte mein Brief, obwohl herrührend aus sündiger Brust, den Lesenden nicht bloss gefallen – was schon das blosse Wort erreichen kann –, sondern vielleicht auch förderlich sein.
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4. Vieles habe ich in dem Schriftstück gegen Fortuna und vieles gegen die Bequemlichkeit der Menschen, insbesondere auch gegen meine eigene, ins Feld geführt; dann viele Ermahnungen zur Mannhaftigkeit angefügt, solcherart also unter recht häufigen Aufwallungen der Entrüstung über unser Jahrhundert und über die jetzt auf Erden herrschenden Laster das Ganze gleichsam zu beiden Seiten mit gegeneinander wirkenden Stacheln gewappnet. Dies übrigens so geschickt, dass ich bei wiederholter Lektüre kaum glaubte, es sei ein Werk meiner eigenen Kraft und ihm daher mehr Achtung zollte, als ich sonst meinen Schriften gegenüber empfinde. 5. Von Pheidias und Apelles2 liest man nirgends, sie seien schön gewesen; doch von den herrlichen Werken des einen gibt es Überreste, und von denen des andern kündet uns die Fama, so dass trotz den vielen verflossenen Jahrhunderten die strahlende Kraft der beiden Künstler weiterdauert, freilich verschieden je nach der Art des von ihnen behandelten Stoffes. Lebendiger wirkt die Arbeit des Bildhauers als die des Malers; und so erkennen wir Apelles in Büchern und Pheidias in seinem Marmor. Das selbe könnte ich von Parrhasios und Polykleitos, von Zeuxis und Praxiteles3 sagen, übrigens auch von anderen. Von ihrer ansehnlichen Körpergestalt ist nirgends die Rede, aber ihre Werke sind von wunderbarer Schönheit, und ihr Ruhm ist ganz ausnehmend gross. 6. Und um von den alten zu den modernen und von den fremden zu unsern eigenen Künstlern überzugehen, so kenne ich persönlich zwei neue Maler, die hervorragend sind, aber nicht schön: Giotto, einen Bürger aus Florenz, dessen Ruf unter den modernen gewaltig ist, und den Sienesen Simone.4 Ich kenne auch einige Bildhauer, doch von geringerem Ruhm – in dieser Kunst ist unser Zeitalter noch ganz ungleich –; auch diese habe ich getroffen, und von ihnen mehr zu sagen, ergibt sich eine Gelegenheit vielleicht später. Die Werke eines jeden sind von ihrem Urheber sehr verschieden und ihm durchaus ungleich. 7. Und wollte einer bei ihnen nach dem Grund für diese Verschiedenheit anfragen, würden sie kaum antworten, wie einst der Maler Mallius;5 denn dieser sagte, als Freunde ihn unter dem Essen ausforschten, weshalb er so unansehnliche Kinder habe, wo er doch so schöne Gestalten male:6 „Ich male beim Tageslicht und zeuge in der Dunkelheit.“ 8. Zwar ist diese Antwort witzig, aber richtiger würde man sagen, die Gebilde sowohl des Leibes wie des Geistes (ich meine der Seele, welcher die von uns gelobten und bewunderten Werke wie aus einer Quelle entströmen) seien Gaben des allmächtigen Gottes und nicht der Menschen. Auch müsse man sie nicht allein gleichmütig, sondern auch dankbaren Herzens empfangen, ob sie nun reichlicher oder spärlicher geboten würden. Denn immer sind sie umsonst gegeben und übersteigen die Verdienste der Menschen bei weitem. Zudem gebührt sich für den Menschen nie, nach dem Grund zu fragen, weshalb Jener dem einen mehr, dem andern weniger austeile; es ist eben sein Wille, der den letzten und unzugänglichen Grund ausmacht. Nach diesem forscht eine menschliche Anstren-
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gung für sich allein vergeblich, denn „je mehr der Mensch sich erhebt“,7 desto mehr erhebt sich der Herr über ihn, und den Blicken der Sterblichen bleibt die Tiefe seines Ratschlusses unerreichbar. 9. Auf diese Ausführungen, die ich hätte übergehen können, bin ich unwillkürlich geraten. Sie sollen bewirken, dass Du Dich nicht wunderst, wenn mir gelingt, eine schöne Abhandlung zu verfassen, obwohl ich hässlich bin, und dass ich damit, um mit Gregor8 zu sprechen, gleichsam einen wohlgestalteten Menschen gemalt habe, doch als hässlicher Maler. Übrigens bot gerade die Form, dank welcher die Abhandlung ihre Schwestern übertroffen hat, die Voraussetzung für ihren Untergang und meinen Kummer. Einsehen sollte ich, dass nicht allein den Leibern, sondern auch den Schriften die Formvollendung bisweilen schadet und dass in allen Dingen das Mittelmass zu suchen ist. 10. Schliesslich habe ich für meine verlorene Epistel, die ich nicht etwa adoptiert, sondern gezeugt habe, ein Leichenbegängnis gehalten und eine Art Totenklagen gesungen. Auch habe ich nun das Anniversarium9 gefeiert, betrübt, dass sie mitten aus dem Leben so früh verscheiden und sozusagen in der Wiege ersticken musste. Darüber bin ich um so unglücklicher, je weniger ich hoffen kann, aus ihren Gebeinen werde sie, ähnlich wie Phönix aus der Asche, als eine neue erstehen. 11. Nichts ist nämlich von ihr übrig geblieben. Entgegen meiner Gewohnheit habe ich alles dem Papier anvertraut und dem Gedächtnis nichts. Wenn ich sie also im Gedächtnis suche, ist das umsonst; ich errate darin nicht die geringste Spur der Verschwundenen. Nur so viel weiss ich, dass mir lieb war, sie zu schreiben, noch lieber, sie zu lesen und nun recht bitter ist, an sie zu denken, da es nicht anders ist, als wenn schmackhafter Honig den Lippen genähert und plötzlich entzogen wird. Nach dem Verlust des Süssen bleibt eben nur die bittere Erinnerung an das Süsse. 12. Da habe ich denn erschüttert zu schreiben aufgehört. Ich hasste meine Nachtarbeit, und am Schicksal des einen Briefes ermass ich dasjenige aller andern. Endlich jedoch ermahnte ich mich, es sei töricht, wenn einer im Schrecken über einen einzigen Schiffbruch auf alle Schiffahrt verzichte oder wenn ein Bauer wegen einer einzigen Missernte seinen Pflug verwünsche. Und so kehrte ich zur Feder zurück. Doch was soll ich nun tun? Dein Brief ging mir ebenfalls verloren und folgte ihrem Gefährten. 13. So viel ich mich erinnere, verschaffte er mir eine zwiefache Freude. Ich bin ja gemäss einer allgemeinem Denkweise froh, dass Fortuna mit Dir gütiger umgeht als üblich, und dies obwohl ich weiss, wie leichtsinnig selbst die Freude ist, die bloss einer Gefälligkeit Fortunas entspriesst. Diese tut ja immer dann besonders freundlich, wenn sie in der Vertraulichkeit desto sicherer betrügen will. Niemanden hat sie je zu einem anderen Zweck emporgehoben, als um ihn desto tiefer hinunterzustürzen. Da hast Du einen der unzähligen menschlichen Irrtümer, die wir – um
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ein Wort Ciceros10 zu gebrauchen – „mit der Muttermilch einsaugen“. Und würden wir ihn im Alter doch ablegen! 14. Einen besseren Trost empfange ich aus dem Schluss Deines Briefes. Da scheint mir, dass Du Fortuna kennst und auf alles vorbereitet bist. Das ist es, was ich wünschte; das ist es, was ich hoffte, das ist es, was ich von Gott erbat: Er möge mir und meinen Freunden ein starkes Herz verleihen, das alles Vergängliche gering achtet. Dass uns im Leben nichts Schlimmes widerfahre, bitten wir nämlich vergebens. Hingegen ist eine sehr würdige Bitte die, alles, was kommen mag, gelassen zu ertragen. Und wenn ich mich nicht täusche, habe ich in Deinen Worten von einer solchen Geisteshaltung gelesen. Und ich sagte zu mir: ’Schon ist er ein Mann; er erhebt sich vom Boden und blickt zum Himmel.’ Lebe wohl. (1342/43)11
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Pheidias war um 460 – 430 in Athen tätig; Apelles war Zeitgenosse Alexanders des Grossen. 3 Parrhasios arbeitete etwa von 440 – 390; Polykleitos um 450 – 410; Zeuxis ungefähr 222 – 189 und Praxiteles etwa 370 – 320. 4 Giotto, tätig in Padua und Florenz; Simone Martini, aus der sienesichen Schule, in Siena, Neapel, Avignon. 5 Lucius Mallius: ein römischer Maler aus dem 2. Jh. v. Chr. 6 Vgl. Macr. Saturn. 2,2,10. 7 Ps. 63,7 – 8. 8 Es ist unklar, wer gemeint ist. Gregor der Grosse? 9 In der kirchlichen Liturgie der Jahrestag des Todes oder Begräbnisses mit Messfeier. 10 Tusc. 3,1,2. 11 Vgl den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 5,18, an Guido Sette1 Auskunft über das eigene Befinden. 1. Für Philosophen seien nur die Geistesgaben wahre Güter. 2. Den eigenen Geisteszustand kenne Petrarca schlecht. 3. Der Streit mit Fortuna solle von allen äusserlichen Gütern befreien. 5. Petrarcas Leib habe sich in diesem Kampf sehr verändert. 6. Wer fremde Weisheiten weitergebe, verringere damit ihre Richtigkeit nicht. (März/August 1343)
1. Über meinen Zustand, von dem Du hören möchtest, kurz folgendes. Gemäss den wahren Philosophen hat der Mensch nicht drei Güter, sondern nur ein einziges Gut,2 nämlich das im Geiste, welches ihm vom Himmel her eingepflanzt und durch eine edle Natur ausgezeichnet ist. Obwohl also die Gaben des Leibes nicht als Güter, sondern bloss als Annehmlichkeiten und unbedeutende Hilfsmittel zu bezeichnen sind, vermute ich dennoch, Du möchtest sowohl über meinen geistigen wie über meinen leiblichen Zustand etwas hören, und somit füge ich mich Deinem Willen. 2. Wie es um meinen Geist bestellt ist, erkenne ich nur unklar; auch ist es nicht meine Sache, etwas darüber zu behaupten. Es besteht eben, wie Augustinus3 sagt, „eine beklagenswerte Dunkelheit, darin mir das innere Vermögen verborgen bleibt; es kann ja auch der Geist bei der Frage nach seinen Kräften nicht leicht auf sich selber vertrauen.“ Insofern ich aber etwas aussagen kann, ist es dies: Von allen Seiten bedrängen mich Qualen, während ich noch immer im Schmutz meines Fleisches und in den Fesseln meiner Sterblichkeit sitze oder richtiger liege. Dennoch scheint mir – möchte nur dieses Scheinen nicht auch zu meinen erdichteten Lügen gehören! –, dass ich überaus gerne aufstehen wollte. 3. Aber meine Bürden drücken mich, und meine alteingesessene Gewohnheit ist mir ein zunehmend härteres Joch. Wer wird mich Armen von dieser Knechtschaft befreien, wenn nicht der Herr,4 der „die Gefesselten befreit und die Blinden erleuchtet“? Fortuna5 führt bis heute einen unablässigen Krieg mit mir. Ich aber, wohl wissend, dass jede Beziehung zu ihr stets Streitereien hervorruft, bemühe mich, alle Arten von Verbindung mit ihr zu lösen, um im Frieden zu leben. Herrschaft, Königtum, Reichtum, Ehrenämter und alles Derartige sind ihr Eigentum, und sie mag das behalten! 4. Nichts von all dem soll mich verlocken. Dagegen lasse sie mir die Güter meines Geistes, sofern es solche gibt! Diese waren nie Geschenke aus ihrer Hand, und dass sie keinen Rechtsanspruch auf sie besitze, darauf beharre ich leidenschaftlich. Was tobt sie? Was droht sie? Seit allzu langen Jahren bin ich ihr Schuldner! Nun mag sie die Abrechnung vorlegen! Sie nehme sich das Ihre! Seit allzu langer Zeit hege ich ihre Leihgabe. Was fällt ihr nur ein? Es gibt jetzt kein Zögern, kein Ringen. Sie nehme, was immer es sei, und kehre nie wieder! Und wirklich hat sie einen guten
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Teil schon genommen! Doch wie wenig mir heute noch bleibt, es drückt als verhasstes Gewicht meine Schultern, die bereit wären, sich dem Höheren zuzukehren. 5. Was den Leib betrifft, bin ich nicht der selbe wie einst bei Deinem Abschied. Der Gast meines Leibes6 ist mit ihm uneins; er unterhält gegen ihn einen unversöhnlichen Streit. Diese ständige Mühe hat mein Äusseres vorzeitig sehr verändert; Du würdest mich bei einer Begegnung nicht sogleich erkennen. Das bekümmert mich freilich wenig. Selbst als ich noch bei voller Kraft war, hielt ich ein Wort des Kaisers Domitian7 für richtig; es besagt: „Nichts ist erfreulicher als Schönheit und nichts vergänglicher“. Aber ich bin zu Höherem geboren und kann deswegen nicht Knecht meines Leibes sein. 6. „Das nun“, so sagst Du „ist ein Wort Senecas“.8 Wer leugnet es? Aber ich selber sage das auch, und viele andere sagen es nach mir, und vor mir sagten es wahrscheinlich auch schon viele. Und wer immer es ausspricht, sagt, wenn er nur ehrlich ist, etwas Ausgezeichnetes und Grossartiges. Ja, ich selber habe das gesagt und werde auch das Folgende sagen, und bei beidem weiss ich (möchte ich mich nur nicht täuschen!), dass ich nicht lüge: Das sei mir fern, dass ich aus Liebe zum Leib oder aus Verlangen nach diesem irdischen Licht erschrecke vor dem Todestag! Denn auch ein weiteres Wort9 habe ich als grosse Wahrheit mir angeeignet. Es lautet: „Was wir Leben nennen, ist Tod.“ Lebe wohl. (März/August 1343)10
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Vgl. Fam. 3,6,3. 3 Conf. 10,32,48. Zu verweisen ist hier auf das Werk Secretum, von dem Petrarca möglicherweise um jene Zeit eine erste Fassung geschrieben hat. Er lässt sich da in Buch 2 von Augustinus seine Fehler vorhalten. Vgl. die Edition von Ugo Dotti, Secretum, Rom 1993; besonders Buch 2,11,1 ff. über fleischliche Begierd, 2,13,1 ff. über Trübsinn; Buch 3,3,2 ff. bis 3,13,6 über die Liebe zu Laura; 3, 14,1 ff. bis 3,18,8 über Ruhmsucht. – Auch an den sieben Busspsalmen hat Petrarca wohl schon damals gearbeitet. 4 Ps. 145,6. 5 Der Inbegriff der zeitlichen und materiellen Güter. 6 Der Geist, die Seele. 7 Suet. Domit. 18. 8 Sen. Ad Lucil. 65,21. 9 Aug. In psalm. 145, 7 – 8. 10 Vgl. Wilkins, Studies 173 und speziell zur Datierung Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 5,19, an Papst Clemens VI.11 Über moderne Medizin. 1. Der Papst möge zu seinem und der Kirche Heil nicht eine Schar von Ärzten, sondern einen einzigen Arzt zu Rate ziehen. 3. Sie widersprechen sich aus übler Absicht. 4. Vor den Ärzten hat schon Cato gewarnt. 7. Über die Nachteile der Medizin hat sich vor allem Plinius geäussert. Am 12. März (1352).
1. Die Nachricht von Deinem Fieber, heiligster Vater, ist mir schrecklich in die Glieder gefahren.2 Doch man soll deswegen nicht von mir sagen, dass ich schmeichlerisch rede oder jenem gleiche, von dem der Satiriker gesagt hat: „… er weint, kaum sieht er die Tränen des Freundes“3 und weiter: „… Man sagt: Mir ist heiss, und schon schwitzt er“.4 Eher gleiche ich jenem anderen, der – gemäss Cicero5 – sich um die Rettung des römischen Volkes sehr ängstigte, weil er in ihr seine eigene beschlossen sah. Wirklich ist meine und vieler anderer Menschen Rettung in der Deinen verankert. 2. Deshalb also ist der Schrecken nicht geheuchelt. Denn es erschüttert mich eben nicht eine mir fremde Gefahr, vielmehr eine eigene. Wir alle, die von Dir abhangen und auf Dich hoffen, scheinen vielleicht, während Du krank bist, gesund zu sein, doch sind wir das nicht. Allein, weil die Rede stets kurz sein muss – und insbesondere jetzt, wo sie sich in ein göttliches Ohr aus einem menschlichen Mund ergiesst –, will ich, im Geiste vor Dir hingestreckt, nur weniges ehrfurchtsvoll vorbringen. 3. Ich weiss, dass Dein Lager von Ärzten umringt ist. Daraus ergibt sich mir der erste Grund zur Furcht. Denn jene widersprechen sich geflissentlich, indem jeder, der nichts Neues bietet, sich schämt, einem andern auf den Fersen zu folgen. Ja, zweifellos setzen diese alle – wie Plinius6 es vortrefflich ausdrückt – „um mit irgendeiner Neuerung Ruhm zu erhaschen, sogleich unser Leben aufs Spiel; und einzig in dieser Kunst ist es möglich, dass einer sich bloss Mediziner zu nennen braucht, um sogleich Glauben zu finden, obgleich wohl in keiner anderen Lüge grössere Gefahr besteht. Darauf aber achten wir nicht, weil jedem die Lust, für sich Hoffnung zu hegen, allzu verlockend ist. Dabei gibt es kein Gesetz, welches das tödliche Nichtwissen strafte, und keinen vorausgehenden Fall seiner Ahndung. Jene lernen durch unsere Gefährdung und sammeln Erfahrungen durch unser Sterben; einzig der Arzt hat für die Tötung eines Menschen vollkommene Straffreiheit.“7 4. Die Schar dieser Leute, mildester Vater, betrachte als ein Heer von Feinden. Dich belehre die Erinnerung an jenes übel lautende Epigramm eines Mannes, der auf sein Grab nichts anderes schreiben liess als dies:8 „Einer Schar Ärzte danke ich
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meinen Untergang“. In unserer Epoche scheint sich vorzüglich jene Weissagung des älteren Cato9 zu erfüllen: „Wann immer die Griechen uns ihre Bildung und vor allem ihre Ärzte zusandten, so kamen diese, um alles zu verderben.“ 5. Doch weil wir bereits nicht mehr wagen, ohne Ärzte zu leben, obwohl immerhin unzählige Nationen ohne sie vielleicht besser und gesünder leben und auch das römische Volk in blühendstem Zustand – wofür wiederum Plinius10 Zeuge ist – mehr als sechshundert Jahre lang gelebt hat, darum wähle Dir unter vielen einen einzigen, der sich nicht durch Beredsamkeit, sondern durch Wissen und Ehrlichkeit auszeichnet. 6. Wirklich haben sie ja bereits – ihres Berufes vergessend – das eigene Dornengestrüpp zu verlassen gewagt, um den Hain der Dichter und die Stätte der Redner aufzusuchen. Und um sozusagen nicht mehr zu heilen, sondern zu beschwatzen, disputieren sie an Bettgestellen der Bemitleidenswerten mit grossem Gezänke. Und indem sie hipokratische Knoten mit ciceronianischen Fäden durchwirken, brüsten sie sich und prahlen, wie übel es um den Sterbenden auch stehen mag, nicht etwa mit wirklichen Erfolgen, sondern mit leerer Redegewandtheit. 7. Es sollen aber Deine Mediziner nicht glauben, was ich sage, werde erst heute von mir selber erdichtet, denn ich habe den mehrmals genannten Plinius, weil er vieles über Mediziner weit besser und wahrer als irgend ein anderer gesprochen hat, für fast jede Zeile dieses Briefes zum Ratgeber gewählt. Deshalb mögen sie ihn auch selber vernehmen: „Allgemein ist bekannt“, so sagt er,11 „dass jeder, der sich unter ihnen durch Reden hervortut, sich damit sofort zum Herrscher über Leben und Sterben macht.“ 8. Ich bin jedoch, weil die Furcht meine Feder gejagt hat, weiter vorgeprellt, als ich beabsichtigt hatte. Aber um endlich zu schliessen, sage ich: Meide den Arzt, der nicht durch Ratschlag, sondern durch Redeschwall sich hervortut, wie einen Lauernden, der Deinem Leben nachstellt, wie einen Banditen und Giftmischer. Einem solchen kann man mit vollem Recht vorhalten, was jener Greis des Plautus12 in der „Topfkomödie“ zu einem geschwätzigen Koch gesagt hat: „Geh und mach Dich an die Arbeit, nicht zum Reden bist Du hier!“ Im übrigen gib sorgsam acht auf Dich und bewahre, weil es der Gesundheit Deines Leibes in wunderbarem Masse nützlich ist, gute Hoffnung und heitere Zuversicht, wenn Du wünschest, dass Du selbst, wir alle und die mit Dir krankende Kirche genesen sollen. Am 12. März (1352).13 Anmerkungen 1 1 Clemens VI., Pierre Roger, Franzose, war Papst in Avignon 1342 – 1352; vgl. Personenverz. 2 Der Papst erkrankte schwer im Dezember 1351.
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Iuv. Sat. 3,101. Iuv. Sat. 3,103. Vgl. Cic. De fin. 1,10,35. Plin. Nat. 29,5,11; 29,8,17. Zum ganzen Brief und zu den Zitaten aus Plinius’ Naturgeschichte vgl. Fam. 12,6,7. Plin. Nat. 29,5,11.f. Plin. Nat. 29,5,11. Plin. Nat. 29,7,14. Plin. Nat. 29,5,11; 29,8,28. Plin. Nat. 29,5,11. Plaut. Aul. 3,3, 455. Dieses Schreiben rief einen Protest der Ärzte hervor, den Petrarca mit seinen Invective contra medicum beantwortete. Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 58.
Fam. 6,1, an Annibaldo da Ceccano, Kardinal-Bischof von Tusculum1 Gegen die Habgier der Bischöfe. 1. Über die verschiedenen Hauptsünden. 2. Das Wesen der Habgier. 12. Vergleich mit den anderen Lastern. 13. Man findet Habgier gerade bei der hohen Geistlichkeit häufig; bei dieser ist sie am wenigsten entschuldbar. 17. Die Geistlichkeit häuft Güter nicht für ihre Kinder. 19. Sie hat eine moderne Ausrede für ihre Habgier. 23. Eine Frage des Dichters Persius. 24. Worte der Propheten. 26. Kirchengut sei Armengut. (-1350)
1. „Unglückseliger Neid“, sagt Maro,2 und nicht zu Unrecht. Denn was ist unseliger, als sich nicht bloss wegen eigener Nachteile, sondern auch wegen fremder Vorteile abzuhärmen. Auf recht geistreiche Art soll daher ein gewisser Publius3 einen neidischen und missgünstigen Mucius, ich weiss nicht welchen, verspottet haben, denn wenn er ihn schlechter als üblich gelaunt traf, pflegte er zu bemerken: „Entweder hat Mucius ein Missgeschick erlebt oder ein anderer ein Glück.“ Wirklich, so ist es; der Neidische zählt eines andern Glück zum eigenen Missgeschick und darum, wie Flaccus sagt:4 „… magert er ab an der reichlichen Kost eines andern.“ 2. Ein grosser Jammer ist das, an der Sättigung eines andern so zu leiden wie am eigenen Hunger und wegen der Wohlgenährtheit eines anderen wie ein Darbender abzumagern! Dennoch möchte ich mich nicht erkühnen zu entscheiden, ob wirklich der Neid oder ob nicht eher die Habgier unter sämtlichen Lastern das unseligste sei. Der Neid ist zwar häufig unfroh, er ist aber auch untätig; die Habgier dagegen ist nicht nur vergrämt, sondern dazu auch voller Unrast. Der Stolz hinwiederum, der sich wichtig nimmt, hat an seiner Meinung, ob sie auch falsch sei, immerhin seine Freude, während die Habgier sich stets hungrig und bedürftig fühlt und sich dabei nicht einmal täuscht. Denn vollkommen wahr ist das Dichterwort:5 „… Stets hat der Gierige Mangel.“ 3. Ist einer habgierig, will er haben, wie eben der Name des Lasters angibt. Richtig sagt Seneca:6 „Nicht wer wenig hat, sondern wer mehr begehrt, ist ein Armer.“ Und hieraus lässt sich schliessen, dass nicht etwa geringe Habe einen zum Armen macht. Die Natur ist ja mit wenigem zufrieden, und wer diese nur recht zufriedenstellt, ist reich, und es fehlt ihm nichts. Die Begierde dagegen bleibt unerfüllt und glaubt, ihr fehle eben all das, was sie begehrt. Dabei begehrt sie schlichtweg alles und macht in ihrem Verlangen sogar das Überflüssige zum Nötigen. Ebenso macht sie sogar das geringste Bedürfnis, das sich ganz leicht beheben liesse, unheilbar und riesenhaft.
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4. Weiter ist auch die Aussage der Philosophen richtig,7dass dem Habgierigen das, was er hat, ebenso fehle, wie das, was er nicht hat. Ich selber bin sogar der Meinung, dem Gierigen fehle, was er hat, noch weit mehr, als was er nicht hat. Aus dem, was er hat, zieht er nichts als andauernde Betriebsamkeit und wahre Ängste, dagegen aus dem, was ihm fehlt, doch immerhin bisweilen eine kurze, wenn auch trügerische Hoffnung, sobald das Erwünschte ihm zuzulächeln scheint und ihn dank falscher Vorstellung in Bann hält. Während der Zorn sich nicht selten an einem, wie man sagt, wilden und unmenschlichen Lustgefühl sättigt, ist die Habgier umgekehrt niemals gesättigt. Gerade an ihren Erfolgen entzündet sie sich jeweils aufs neue. Daher sagt folgender satirische Vers die Wahrheit:8 „Liebe zum Geld vermehrt sich im Mass als die Summe vermehrt wird.“ Dagegen wünscht sich am wenigsten, wer nichts hat. 5. Dass dies wahr ist, hat Annaeus Seneca in einem Brief 9 mit einer einzigen Überlegung begründet; doch kann man sich mehrere denken. „Geld“, so sagt er, „macht niemanden reich; im Gegenteil gibt es niemanden, dem es nicht grössere Begierde einimpft.“ Und dann fügt er hinzu: „Fragst Du weshalb? Eine gute Möglichkeit, mehr zu erlangen, erhält, wer bereits mehr erlangt hat.“ 6. Damit ist auch angedeutet, dass man Dinge, die überhaupt nicht zu haben sind, zu fordern sich nicht erkühnt, ja dass man sie nicht einmal erhofft. Dabei ist eine riesige Schwierigkeit, sie zu erlangen, fast so viel wie Unmöglichkeit. Niemand nämlich wünscht sich Flügel zum Fliegen ausser ein Narr, niemand erhofft sich solche ausser ein Dummkopf. Doch viele pflegen sich für eine Reise ein Pferd, einen Wagen oder ein Schiff zu wünschen, und sogar alle wünschen sich Gesundheit für ihre Füsse und Beine. Ist diese aber unwiederbringlich verloren, hört man auf, sie zu erhoffen und zu begehren. 7. Dieser Überlegung Senecas pflege ich eine weitere anzufügen, und die lautet: Der Arme begehrt Äcker oder auch Geld einzig für natürliche Bedürfnisse, deren es aber nur wenige und geringe gibt. Und just für diese hat man das Geld erfunden. Darüber sagt Flaccus:10 „Weisst Du denn nicht, was das Geld vermag? Welchen Nutzen es bietet? Brot magst Du kaufen und Kohl, ein Viertelchen Wein, ja gar alles, Was die Menschennatur, wenn es fehlte, nur ungern vermisste.“ 8. In sehr enge Schranken wird die Begierlichkeit der Menschen beschlossen und festgehalten. Der Reiche aber, der an allem Nötigen bis zu seinem Überdruss genug hat, überdenkt in seinem Verlangen all den sinnlosen Luxus, der keine Grenzen kennt; und die ausgedehntesten Grundstücke gelten ihm nicht etwa als Äcker, die ein Bedürfnis lindern, sondern als Herrschaften, die seinen Hochmut unterstützen. Die riesigen Haufen seiner Münzen sind als Gegenstand seiner ständigen Bewunderung nicht mehr blosses Geld, sondern Berge von Gold, über die sich ohne Zwei-
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fel das immense Reich seiner Habgier ausbreitet. 9. Und da gibt es für das Wünschen kein Mass, weil es auch keines gibt für das Wachsen. Denn selbst wenn die Grenze eines Besitzes durch Handeln und Rauben sich bis an die Enden eines Landes hinausschiebt, und selbst wenn die Summen Goldes – gemäss dem Wort des anderen Satirikers11 – „die Höhen der Berge erreichen“, wird der Habgierige sich nicht beruhigen. Zu wünschen bleibt ihm immer ein Rest, bis er mit seinem Ackerland über Meere und Berge hinweg gelangt, mit den Haufen seines Goldes über die Alpen hinaus ragt und mit seinem Scheitel an die Sterne hinauf reicht, um viel mächtiger zu sein als einst Caesar. Denn seinem Imperium bestimmt er nicht etwa „den Ozean als Grenze“,12 vielmehr dehnt er es über den Ozean hinaus, so dass er schliesslich noch reicher wird als Midas,13 weil nicht allein, was er anrührt, sondern auch was er bloss anschaut, zu Gold wird. 10. Viele unserer Bekannten sind in ihrem Begehren dahin geraten, wohin zu kommen sie niemals gedacht hatten, und die, ihre früheren Hoffnungen und Begehren alle hinter sich lassend, mit einem gewaltigen Schritt über sie hinweg gingen, neue Begehren und frische Hoffnungen aufstellten und dann sozusagen von neuem zu rasen begannen. Wenn man ihnen antike Vorbilder ins Gedächtnis ruft, werden sie zornig, als wäre Genügsamkeit etwas Plebejisches oder als wären sie selber je habgieriger desto besser geworden, ja, als wäre mit dem Geld und dem Begehren auch die Handlungsfreiheit gewachsen und als müsste man sich bescheidenerer Ansprüche schämen. Ist aber für ihr Hoffen und Fordern ein anderes Ende zu erwarten als dieses, dass einmal an Wünschbarem nichts mehr vorhanden ist ? Denn solange noch etwas Wünschbares da ist, wird es erhofft und gewünscht werden, und hat man die nächstliegenden Hoffnungen eingeholt, tauchen bereits andere auf und so immer neue. Somit wird es kein anderes Ende geben als einzig den Tod. 11. Der Verlauf wäre ein anderer, wenn die begehrlichen Menschen nicht ständig ausschliesslich das Begehrenswerte, sondern immer wieder auch sich selber und das schon Erworbene ansehen wollten. Doch was dem Begierigen kostbar ist, wird dem Besitzenden wertlos. Und so kommt es, dass die Begehrlichkeit endlos ist. Sie hat eben keinen Hort, wo sie das Erworbene bergen kann. Nicht die Begehrlichkeit findet Erfüllung, wohl aber das Wort des Propheten Aggaeus:14 „Waren aufhäufen heisst, einen löcherigen Sack füllen.“ 12. Was die übrigen Seuchen betrifft, so gilt für die von unseren Lehrern15 als Trübsinn bezeichnete das Gleiche wie für den Neid.16 Anders ist es mit der Völlerei und Fleischeslust.17 Denn sie besitzen oft ihre eigenen Vergnügungen, ergötzen sich an diesen und gewinnen wenigstens flüchtige Freuden. Das steht im Gegensatz zur Habgier, die gar nichts geniesst ausser ihre bittersten Sorgen. Denn indem sie nach Wünschenswertem giert, besitzt sie weder, was sie hat, noch was sie nicht hat, es sei denn mit grossem Kummer. Sie ist ja einerseits ängstlich und andrerseits sorgenvoll. Da es sich so verhält, kann man die Habgier mit Recht als die unseligste
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Krankheit unter allen ihren Schwestern bezeichnen. „Die Wurzel alles Bösen“ nannte sie der Apostel.18 13. Übrigens weiss ich genau, dass Du Dich wunderst, weshalb ich mich heute vor Dir entgegen meinem Brauch auf eine, wie man sagt, „lästige Philosophie“ einlassen wolle. Ich aber spreche nicht in erster Linie zu Dir, sondern zu fast allen Sterblichen und insbesondere zu dem Stand, dem Du angehörst. Mir scheint eben, vor allem hier habe die herrische Habgier siegreich ihren Thron errichtet und ihr Feldzeichen aufgepflanzt. Und mein Staunen darüber verbindet sich mit um so grösserer Entrüstung, je weniger Ihr Eure Begehren begründen könnt. 14. Für wen denn scheffelt Ihr diese Haufen Goldes zusammen? Legitime Nachkommen sind Euch doch verwehrt! Euch gebührt ein bescheidener, karger Lebensunterhalt; was darüber hinaus liegt, gehört den Armen Christi,19 die zu betrügen und zu berauben Ihr freilich nicht fürchtet, obwohl ihr Herr vom Himmel her zusieht und Euch mit Vergeltung droht. So wisst Ihr nicht einmal, wem Euer Unrecht einst nützen wird, während es für Euch einstweilen nur Mühe, Pest und gar Tod bedeutet. Viele Menschen entschuldigen ihre Habsucht mit ihren Kindern und verhüllen das Gebrechen ihrer Seele mit dem Deckmantel der Fürsorge. Ähnlich handelt die Löwin, ähnlich die Tigerin in der grösseren Wildheit nach dem Gebären; ja die Obsorge für ihre Jungen bringt sogar zahme Tiere zum Rasen. 15. Euch hingegen fehlt jede Entschuldigung, um Euer Laster zu bemänteln. Vor den Augen aller Welt steht Ihr nackt da; alle Völker zeigen mit dem Finger auf Euch zu Eurer beissenden Beschämung. „Seht da,“ so sagen sie, „die Lobredner der Tugend! Während sie über das ewige Leben und über die Freiheit des Geistes viel Grossartiges daherreden, frönen sie völlig grundlos den weltlichen Gütern und sind Sklaven der Habgier.“ 16. Und wenn wahr ist, dass David solches von allen sagt, scheint eben, er denke auch an Euch:20 „Lauter Eitelkeit ist alles; Eitelkeit ist des Menschen Leben; er verwandelt sich in einen Schatten; umsonst gerät er in Verwirrung.“ Und als würde er über Jahrhunderte hinweg just auf das Wüten der bischöflichen Habgier zielen, verdeutlicht er:21 „Schätze häuft man an und weiss nicht, für wen man sie sammelt.“ 17. Das also ist insbesondere zu Euch, Ihr habgierigen Bischöfe, gesprochen. Denn die Eltern, wie wir lesen und erleben, sammeln Schätze für ihre Kinder, und wenn das Glück den elterlichen Wünschen entgegensteht und das den Kindern Zugedachte an andere übergeht, bleibt doch die elterliche Absicht offenkundig. Die Absicht hingegen, die Ihr verfolgt, wie sieht die aus? Was wollt denn Ihr? Für wen denn sammelt Ihr Schätze? Einzig für den Teufel und seine Gehilfen! Die überwachen Euch aufmerksam, zählen Eure Tage und halten Euch in brennender Ungeduld Euer Erbe bereit, um Euch an der Schwelle des Tartarus die beglückenden Trophäen aufzurichten, solche, die Eure Namen tragen und aus den Beutestücken der beraubten Armen bestehen!
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18. Aber verwundert wirst Du fragen: „Wozu das gerade heute und nicht schon früher? Waren wir etwa bis heute nicht habgierig oder war die Habgier vorher kein Laster oder soll ich annehmen, heute seien Dir erstmals die Augen aufgegangen und Du habest sie vorher noch nicht gesehen?“ Auf Deine Verwunderung will ich antworten. 19. Ich wusste längst, dass Ihr habgierig seid; und niemand auf Erden wüsste nicht, dass die Habgier ein Laster ist. Und auf beides richte ich meine Augen heute nicht zum ersten Mal. Doch als ich kürzlich zufälligerweise zu Dir kam und Deine Altäre, vielmehr die Altäre des „Herrn der Heerscharen“,22 bedeckt mit Silber, Gold und Edelsteinen, erblickte und von diesem sinnlosen Prunk geblendet, ja, wie betäubt war, sagte ich zu mir: „ Sieh da die neuen Waffen der Habgier, die neue Art des Verderbens! Unsere eigene Habgier ist uns nicht genug, wenn wir nicht auch Christus habgierig machen. Denn „… Götter, ja Jupiter selber Holt man herab und schenkt ihnen Raub …“, wie Vergil gesagt hat.23 Ihr jedenfalls meint, den unrechtmässig erworbenen Reichtum rechtmässig zu machen, wenn Ihr vom armen Christus glaubt, er übernehme von Euren Beutestücken und Diebsgütern einen Teil, auch wenn Ihr ihn sogar gegen seinen Willen mit Gold verziert. Doch das ist nicht die Art, Götter zu besänftigen. 20. Oder habt Ihr nicht bei Seneca24 gelesen, dass die Götter dazumal „wohltätig waren, als sie aus Lehm bestanden“? Freilich, die Götter waren zweifellos zu keiner Zeit wohltätig und konnten es auch nicht sein. Denn wie wäre einer wohltätig gegen andere, wenn er an sich selber ganz elend ist? Daher gefällt uns Senecas Meinung nur insoweit, als man ihren Wortlaut auf eine glücklichere Auffassung übertragen darf. 21. Christus, wahrhaftig, war gegenüber dem Menschengeschlecht jederzeit wohltätig; doch war er das vor allem damals, als er „aus Lehm bestand“. Nun, da er aus Gold und Edelstein gemacht ist, empört er sich und verschmäht in gerechtester Entrüstung, unsere Bitten zu vernehmen. Freilich ist es nicht das Gold, das er hasst, wohl aber die nach Gold Gierenden, die verlangend und suchend nie an ein Ziel gelangen. Die frühesten Menschen haben ihr Verhalten offen bekannt. Sie verlangten Reichtum, um selber Überfluss zu haben. Ihr verlangt danach, um Christus zu schmücken. Ein Werk, das Gott gefiele, in der Tat, wollte er wirklich mit dem Raub an Bedürftigen und nicht lieber mit den Tugenden der frommen Gläubigen geziert werden! Und wäre doch nur die mit Heuchelei verbundene Begehrlichkeit Gott nicht erst recht verhasst! 22. Etwas Ähnliches habe ich schon früher bei den Fürsten und Herren der Erde beobachtet. Mit allem Eifer suchen, begehren, rauben und erhandeln sie Bücher, und zwar nicht aus Liebe zur Literatur, die sie nicht kennen, sondern einzig aus
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Habsucht und zur Zierde nicht etwa des Geistes, sondern eines Zimmers, nicht mit Rücksicht auf Wissenschaft, sondern auf Ansehen, nicht im Hinblick auf Bücherweisheit, sondern auf Geldwert. Aber ihnen wird es an einer schönen, wenn auch falschen Erklärung nicht mangeln. Sie werden nämlich behaupten, sie dächten an ihren Sprössling und ihre Nachfahren. Laut ihrer Aussage handeln sie für solche, die noch nicht geboren sind, oder für solche, die noch nicht wissen, welche Lebensart sie einst wählen. Aber in Wirklichkeit tun sie es für ihre eigene Habgier und Unwissenheit, wenn sie eine riesige Bibliothek zusammenstellen. 23. Und Ihr? Was habt denn Ihr als Ausrede für das Aufhäufen von Schätzen vorzubringen? Ihr werdet sagen, dass Ihr mit Eurem Gold die Tempel Christi füllt. Doch was antwortet Ihr einem Persius, der da ausruft:25 „Seelen, zur Erde gebeugt, Euch fehlt jeder Sinn für den Himmel! Hilft es denn, Eure Moral in die heiligen Tempel zu bringen?“ Und dass Ihr ja nicht glaubt, es sei zu andern gesagt worden, hört, wie er Euch sogleich bei Eurem eigenen Titel anruft:26 „Sagt uns, Ihr Bischöfe, klar, was soll denn das Gold in den Tempeln?“ Antwortet, Ihr Bischöfe! Zu Euch nämlich spricht man! Antwortet, die Ihr Euer viele und schon alt seid, diesem einen Jüngling! Ihr vielen, die Ihr Theologen seid, diesem einen Dichter! Ihr vielen, die Ihr Christen seid, diesem einen Heiden! 24. Was sagt Ihr? „Was soll denn das Gold in den Tempeln?“ Wenn Ihr Euch erspart, dem Dichter zu antworten, werdet Ihr doch wenigstens einem Propheten Red und Antwort stehen, der von Euch nicht Gold, sondern ganz andere Zierden für die Tempel verlangt! Bei Malachias lest Ihr:27 „Der Sohn ehrt seinen Vater, und der Knecht fürchtet seinen Herrn. Bin ich Euer Vater, wo bleibt meine Ehre? Und bin ich Euer Herr, wo bleibt Eure Furcht, spricht der Herr der Heerscharen.“ Und damit Ihr verstehen möchtet, dass dies zu Euch gesagt wird, heisst es weiter: „Dies zu Euch, Ihr Priester, die Ihr meinen Namen verachtet.“ 25. Es sei denn, irgendeiner meine, eine andere Zeit habe die Frage eher verdient als die heutige! Ich jedenfalls sehe, wie gesagt, dass die grosse Menge in Habgier entbrannt ist, und ich behaupte, dass nichts sie entschuldige.Denn für eine Sünde gibt es keine Entschuldigung. Wäre eine Entschuldigung gerechtfertigt, bestünde die Sünde nicht. Immerhin können wenigstens die Liebe zu Kindern, eine vielfältige Notwendigkeit und ein verbreitetes Nichtwissen ein Unrecht vermindern. Ihr Bischöfe aber, sagt mir, ich bitte, was soll diese wütende Begehrlichkeit bei Eurem gesicherten Wohlstand und bei Eurer grossen Kenntnis der göttlichen und menschlichen Wissenschaft und in diesem Leben der Einsamkeit und des Zölibats, dem für ein Morgen zu sorgen verboten ist?
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26. Vielleicht werdet Ihr mir die wohlbekannte Antwort geben: „Das Gold gehört der Kirche.“ – Gut, wenn sie es besitzt; schrecklich, wenn sie von ihm besessen wird! Der Reichtum der Menschen kann gefallen; nicht gefallen können die Menschen des Reichtums. Denn „wenn sie aus ihrem Schlaf erwacht sind, werden ihre Hände leer sein“.28 Richtiger ist die Antwort, welche Persius selber auf seine Frage gegeben hat. Denn nachdem er ein zweites Mal danach gefragt hat: „Was soll das Gold in den Tempeln?“, fügt er bei:29 „Ähnlich wird Venus verehrt durch die Puppen, die Mädchen ihr spenden.“ 27. Deshalb verschwinde doch endlich, ich bitte, das Gold aus den Tempeln, das da ganz wertlos ist! Man verwende es für andere Gottestempel, das heisst zum Nutzen notleidender Menschen. Christliche Nächstenliebe soll sein, was weltlicher Pomp ist! Man höre doch auf, unter dem Vorwand der Frömmigkeit den Götzen zu dienen! Oder wisst Ihr nicht, dass „Habgier so viel ist wie Götzendienst“?30 Kein anderes Volk verehrt eine solche Menge Götzen; auf kein anderes passt die Mahnung besser: „Haltet Götzenbilder von Euch fern!“31 Glaubt mir, Ihr Bischöfe, Gold hätte Christus haben können. Er wollte es aber nicht. Reich hätte er sein können, als er unter den Menschen weilte, doch die Armut war ihm lieber. Korinthische Schalen hätte er benützen können, doch benützte er solche aus Ton. 28. Hört also auf, Ihr Bischöfe, nach windigen Ausflüchten zu jagen, um im Namen Christi Speise für die Habgier und Nahrung für Eure Torheiten zu häufen. Christus macht sich nichts aus Eurem Gold und freut sich nicht an Euren abergläubischen Bräuchen. Nach reinen und aufrichtigen Herzen verlangt ihn, nach frommen Taten, guten Gedanken und bescheidenem Wollen. 29. Wo wäre da Platz für Gold? Hört auf, Ihr Unseligen, Euch darum zu sorgen, wie prächtig, wie schön und wie glanzvoll Ihr opfern werdet, sondern wie fromm und demütig, wie enthaltsam und nüchtern. Opfert das, was der königliche Prophet,32 nachdem „seine Ketten gesprengt waren“, seinem Erretter opferte, nämlich „ein Opfer des Lobgesangs“, und „ruft an den Namen des Herrn“.33 Opfert, sage ich, „das Opfer des Lobgesangs“, „opfert das Opfer der Gerechtigkeit“34 und hofft nicht auf Gold, sondern „auf den Herrn“. 30. Hört, Ihr Harthörigen, auf den Psalmisten,35 der ohne Unterlass ruft: „Ein Opfer für Gott ist ein zerknirschter Geist.“ Wozu braucht man da Gold? Ein Geist ist dafür nötig, aber kein anderer als ein zerknirschter; ein Herz ist nötig, aber „ein reuiges und demütiges“. Das ist ein Opfer, das Gott gefällt und das der Mensch sich beschaffen kann, ohne in der Erde graben zu müssen. Nötig ist ein gehorsames, reines Herz, aber weder gereinigtes Gold, noch auch rohes. 31. Ich wüsste nicht, was ich noch anfügen sollte, und fürchte, Worte zu verlieren. Doch seid Ihr nicht abgeneigt, nach dem Propheten nochmals den Dichter Persius zu hören, so beachtet, was eben dieser Heide zu seinen Priestern gesagt hat:36
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„Schenkt doch den Göttern ein Gut, wie es selbst auf der riesigsten Tafel Keiner vom kranken Geschlecht des grossen Messalla37 vermöchte.“ Und damit ja kein Zweifel bestehe, was das für ein Gut sei, das man den Göttern schenken solle und das zwar die an Ahnen und Habe sehr reichen, aber dennoch blinden Söhne eines reichen Mannes nicht zu geben vermögen, drückt er sich anschliessend noch deutlicher aus:38 „Gutes Gesetz und rechtlicher Sinn, in der Tiefe des Wesens Tugend und frommes Gemüt, geprägt von Adel und Anstand.“ Wahrhaftig ein herrliches Wort, würdig, im Hinblick auf Christus gesprochen zu sein! Lebe wohl, und leih den gutgemeinten Ermahnungen gnädig Gehör! (-1350)39 Anmerkungen 1 Der Adressat wurde 1327 von Papst Johann XXII zum Kardinal gewählt. 1343 bereitete er dem Papst Clemens VI. einen ungewöhnlich aufwendigen Empfang, der nachher als Beispiel für die Prachtentfaltung an der Kurie grosses Aufsehen erregte. Möglicherweise ist Petrarcas Schreiben kurz nach diesem Ereignis verfasst worden und noch vor der Abreise des Kardinals im November 1348 nach Rom, wo er nach den Unruhen von Cola di Rienzo für Ordnung sorgen sollte. Seine Prunksucht, Ruhmsucht und andere Laster trugen ihm in Italien Hass ein. Er starb (eines gewaltsamen Todes?) 1350 in Neapel; vgl. Anonimo Romano, Cronica, Mailand 1979, cap. 23. 2 Georg. 3,37. 3 Gemeint ist Publilius Syrus, ein Mime, von dem fast keine Lebensdaten aber viele Sentenzen bekannt sind. Ein Sieg in einem Wettstreit ist auf 46 v. Chr. zu datieren. Zur Stelle vgl. Macr. Saturn. 2,2,8. 4 Epist. 1,2,57. 5 Hor. Epist. 1,2,56. 6 Ad Lucil. 2,6; auch Ad Lucil. 16,7. 7 Bezieht sich auf ein Wort des Publilius Syrus, überliefert von Sen. maior, dem Rhetor, in Contr. 7,3 (18),8. 8 Iuv. Sat. 14,139. 9 Ad Lucil. 119,9. 10 Serm. 1,1,73 – 75. 11 Iuv. Sat. 12,129 – 130. 12 Verg. Aen. 1,287. 13 Der sagenhafte König aus Phrygien, dem sich alles, was er berührte, gemäss seinem unbedachten Wunsch in Gold verwandelte, was ihm den Tod brachte. 14 Agg. 1,6. 15 Den christlichen Lehrern. 16 Den Trübsinn bezeichnete Petrarca als seinen eigenen besonders lästigen Fehler in Secretum 2,13. 17 Der neue Absatz wiederholt teils schon oben Gesagtes. Angefügt werden hier jedoch die letzten der 7 Hauptsünden. 18 Der Apostel (ohne genauere Bezeichnung) ist bei Petrarca stets Paulus. Vgl. 1 Tim. 6,10.
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19 Nach der Verfügung verschiedener Konzilien war dem Bischof auferlegt, Kirchengut in vier Viertel zu teilen, ein Viertel für die Armen zu verwenden. 20 Ps. 38,6 – 7. 21 Vgl. 2 Cor. 12,14. 22 1 Reg. 15,2 und sehr oft. 23 Aen. 3,222 – 223. 24 Ad Lucil. 31,11. 25 Pers. Sat. 2,61 – 62. Petrarca zitiert ungenau. 26 Pers. Sat.2,69. Eben dieses Persius- Zitat verwendet Bernhard von Clairvaux in seiner Streitschrift gegen den Prunk in Kirchen: Apologia ad Guillelmum, Sancti Theoderici Abbatem, geschrieben um 1124. 27 Mal. 1,6. 28 Ps. 75,6. 29 Sat. 2,70. 30 Eph. 5,5; Col. 3,5. 31 Jo. 1,5,21. 32 Ps. 115,16 – 17. 33 Vgl. Ps. 104,1,1. 34 Ps. 4,6. 35 Ps. 50,19. 36 Pers. Sat. 2,71 – 72. 37 M.Valerius Messalla, Feldherr und Staatsmann, gest. ca. 13 n. Chr. 38 Pers. Sat. 2,73 – 74. 39 Zur Datierung vgl. Anm.1 und Wilkins, Petr. Corresp. 59.
Fam. 6,2, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Über Sehenswürdigkeiten Roms. 1. Über das Verhältnis der Christen zu den alten Philosophenschulen. Grösse und Grenze antiker Weisheit. 3. Die Weisheit des Christen ist ohne Verdienst. 5. Wanderungen im antiken Rom. Aufzählung historischer Stätten. 15. Gespräche auf dem Dach der Diocletians-Thermen. 16. Über die zeitliche Begrenzung der Antike gegen die Moderne. 17. Plan, eine Schrift über die freien und die mechanischen Künste zu verfassen. 21. Gute Geistesarbeit gelingt nur in der Einsamkeit. Am 30. November auf der Reise (1337/1341).
1. Wir wanderten in Rom allein.2 Meine Gewohnheit, nach Art der Peripatetiker3 umherzugehen, kennst Du; sie gefällt mir; meiner Veranlagung entspricht sie vortrefflich. Vom Lehrinhalt dieser Schule hingegen gefällt mir nur einiges, anderes durchaus nicht, und überhaupt liebe ich nicht Schulen, sondern die Wahrheit. Daher bin ich einmal Peripatetiker, einmal Stoiker, bisweilen auch Akademiker, oft nichts von alledem, und zwar jedesmal dann nicht, wenn bei ihnen etwas auftaucht, was dem wahren und heilbringenden Glauben widerspricht oder verdächtig ist. Uns ist ja insoweit erlaubt, Philosophenschulen zu schätzen und gutzuheissen, als sie von der Wahrheit nicht abweichen und uns von unserem eigentlichen Ziel nicht ablenken.4 Wo sie solches versuchen könnten, ob sie nach Platon, Aristoteles, Varro oder Cicero5 heissen, muss man sie mit uneingeschränkter Festigkeit durchaus verwerfen und unterdrücken. 2. Kein Scharfsinn im Wortstreit, kein Wohlklang der Sprache, keine Autorität des Namens darf uns betören. Menschen waren sie, und soweit menschliche Forscherbegabung überhaupt vorzudringen vermochte, waren sie hervorragend in ihrer Sachkenntnis, grossartig in ihrer Sprachgewandtheit und dank ihrer natürlichen Geisteskraft auch erfolgreich. Doch weil sie des höchsten unnennbaren Gutes entbehrten,6 sind sie bedauernswert. Gleich jenen, die auf eigene Kräfte vertrauen und nach dem wahren Licht zu suchen unterlassen, sind sie wie Blinde oft ausgeglitten und oft über einen Stein gestolpert. 3. Bewundern wir ihre Verstandesgaben, müssen wir dabei deren Urheber7 verehren, und wenn wir ihre Irrtümer beklagen, müssen wir für die uns geschenkte Gnade dankbar sein und eingestehen, dass wir ohne unser Zutun und ohne irgendwelche Verdienste geehrt und den Früheren vorgezogen werden, nämlich durch Jenen, der sich gewürdigt hat, sein Geheimnis, das er „den Weisen verbirgt,“ „den Kleinen zu offenbaren“.8 Schliesslich müssen wir so philosophieren, dass wir, wie das Wort Philosophie es nahelegt, die Weisheit lieben. 4. Die wahre Weisheit Gottes ist aber Christus, und wenn wir richtig philosophieren wollen, ist eben er in erster Linie zu lieben und zu verehren. Auf diese Weise sollten wir alles sein, vor allem aber Christen, und als solche Philosophisches, Dichterisches und Geschichtliches so lesen, dass dabei stets im Ohr unseres Her-
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zens die Heilsbotschaft Christi ertöne. Denn einzig dank ihr sind wir gelehrt und glücklich genug, und ohne sie wären wir sogar im Mass, als wir uns Wissen verschafften, weniger gelehrt und weniger glücklich. Wir müssen zu ihr wie zu einer höchsten Feste der Wahrheit alles hinbringen; denn auf ihr als dem einzigen unerschütterlichen Fundament aller wahren Wissenschaft baut menschliche Anstrengung sicher und immer höher auf. Wir dürften auf dieses Fundament sogar gewisse ihm fremde Lehren begierig aufhäufen und würden, sofern sie ihm nur nicht widersprächen, keineswegs zu tadeln sein; denn wir würden dann zwar zur höchsten Weisheit vielleicht nur einen geringen Beitrag, aber wahrscheinlich zur Befriedigung des Gemütes und zu einer verfeinerten Lebensart einen beträchtlichen leisten. Dies sei von ungefähr und soweit dieser Brief es zu erlauben scheint, eingefügt. Ich fahre fort. 5. Wir gingen allemal zu zweit in dieser grossen Stadt umher, die zwar im Verhältnis zu ihrem Umfang beinahe leer erscheint, aber doch ein riesiges Volk in sich birgt. Und nicht bloss in der Stadt, sondern auch in ihrer Umgebung schweiften wir umher, und dabei tauchte auf Schritt und Tritt etwas auf, was Zunge und Herz erregte: Hier war die Königsburg des Evandrus,9 dort das Heiligtum der Carmenta,10 da die Höhle des Cacus,11 dort die säugende Wölfin12 und der Feigenbaum mit dem Beinamen „ruminalis“13 (wiederkäuend), der besser „romularis“14 heissen würde, hier der Übergang des Remus,15 hier die Zirkusspiele und der Raub der Sabinerinnen, hier der Sumpf der Ziege und der entschwindende Romulus. Hier verweilten Numa und Egeria16 im Gespräch, hier war auch das Treffen der drei Zwillingspaare.17 6. Hier wohnte der vom Blitz besiegte Sieger mancher Gefechte und der Begründer der Kriegskunst Tullus Hostilius,18 hier der König und Baumeister Ancus Marcius, hier der Ersteller der Rangordnung Priscus Tarquinius.19 Hier hat des Servius Haupt gebrannt,20 hier ist auf ihrem Wagen die ruchlose Tullia21 vorbeigefahren und hat mit ihrem Verbrechen das Quartier22 in Verruf gebracht. 7. Das da ist die Via Sacra, dies hier sind die Hügel Esquilinus, Viminalis, Quirinalis;23 dies da ist der Caelius,24 dies der Campus Martius, und hier ist der von den Händen des Superbus zerstörte Mohn.25 Hier hat sich die beklagenswerte Lucretia in ihr Schwert gestürzt, hier ist der Ehebrecher, der in den Tod floh,26 und da der Rächer der verletzten Ehre, Brutus.27 8. Hier sind der drohende Porsenna und das etruskische Heer,28 hier auch der seine irrende Rechte bestrafende Mucius,29 hier der Tyrannensohn30 im Streit mit der Freiheit, hier jener Konsul, der den Feind zur Stadt hinaus und bis in die Unterwelt verfolgte;31 dort die Brücke Sublicius, die im Rücken des Helden zusammenbrach, und der schwimmende Horatius,32 und der Tiber, welcher Cloelia33 zurücktrug. Hier war das grundlos verdächtigte Haus Publicolas.34 Hier pflügte Quinctius,35 als er gewürdigt wurde, vom Landmann zum Staatsmann zu werden. Von hier wurde Serranus36 weggeholt und zum Konsulat geführt. 9. Dies da ist der Ianiculus, dies der Aventinus, dies der Mons Sacer. Zu
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ihnen zog sich das Volk dreimal im Zorn gegen die Väter zurück.37 Hier war das mutwillige Tribunal des Appius,38 hier wurde Verginia dem Eisen väterlicher Strenge entrissen, hier fand auch der Decemvir das seiner Masslosigkeit entsprechende Ende. Von hier hat sich Coriolanus, im Begriff mit den Waffen zu siegen, jedoch besiegt von der Liebe zu den Seinen, zurückgezogen.39 Diesen Felsen hat Manlius verteidigt,40 und von hier wurde er hinabgestürzt. Hier hat Camillus41 die nach Gold gierenden Gallier durch überraschendes Dazwischentreten davongejagt und die verzweifelten Bürger gelehrt, die verlorene Vaterstadt mit Eisen zurückzugewinnen und nicht mit Gold. 10. Von hier ist Curtius42 in Waffen hinabgesprungen, hier finden sich in der Erde ein Menschenhaupt und ein unverrückbarer Grenzstein43 als ein Vorzeichen. Hier ist die verräterische Tochter mit Waffen bedeckt und von ihren eigenen Betrügereien umgarnt worden.44 Hier ist die Burg der Tarpeia45, wo die Steuer des römischen Volkes aus dem ganzen Erdkreis zusammenkam,46 hier die silberne Gans,47 hier der Wächter der Waffen des Ianus.48 Dies ist der Tempel des Iupiter Stator und dies der des Iupiter Feretrius;49 dies war Iupiters Zelle;50 dies das Haus aller Triumphe.51 Hierher wurde Perseus vorwärtsgedrängt,52 von hier Hannibal zurückgedrängt53 und von hier Iugurtha abgedrängt,54 wie gewisse Leute vermuten, während andere von seiner Ermordung im Kerker sprechen. 11. Hier triumphierte Caesar, hier starb er.55 In diesem Tempel hat Augustus die vor ihm hingestreckten Könige und den ihm tributpflichtigen Erdkreis betrachtet.56 Dies war der Bogen des Pompeius, dies die Säulenhalle, dies das Cimbrum des Marius,57 das die Säule des Traianus, wo er als einziger der Kaiser – wie Eusebius58 sagt – „innerhalb der Stadt begraben liegt“. Hier ist seine Brücke, die den Namen von Sankt Peter erhielt, und das ist das Grabmal des Hadrianus, unter dem er selber ruht und das man die Engelsburg nennt. Dies ist ein Stein von wunderbarer Grösse, gestützt von ehernen Löwen und den göttlichen Kaisern geweiht. In seiner Spitze sollen die Gebeine von Iulius Caesar ruhen.59 12. Dies ist das Heiligtum der Tellus,60 dies das Haus der Fortuna,61 dies der Tempel der Pax,62 der bei der Ankunft des wahren Friedensfürsten63 zusammenbrach. Das da ist ein Werk Agrippas;64 es wurde der Mutter falscher Götter durch die Mutter des wahren Gottes entzogen; und hier hat es am 5. August geschneit.65 Von hier hat ein Bach von Öl sich in den Tiber ergossen.66 Von hier aus hat – wie die Sage geht – dank einer Offenbarung der Sibylle der greise Augustus das Christkind geschaut.67 13. Hier sieht man Neros Grössenwahn und den masslosen Luxus seiner Bauten.68 Das hier ist das Augusteum, dies die Via Flaminia, wo gemäss einer Überlieferung das Grab des Erbauers liegt.69 Dies ist die Säule des Antoninus,70 dies sein Palast nahe der Via Appia, dies das Septizonium,71 das Du den Sonnentempel nennst, während ich meine Benennung aus den Geschichtsbüchern nehme. Hier sieht man schon seit vielen Jahrhunderten in Marmor den Wettstreit von Praxiteles und Pheidias um Schöpferkraft und Kunstfertigkeit. Hier ist Christus seinem flüchtigen Stellver-
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treter begegnet;72 hier wurde Petrus ans Kreuz geschlagen,73 hier Paulus enthauptet,74 hier Laurentius geröstet,75 und hier hat eben dieser dem Stephanus nach dessen Translation einen Platz in der Grabstätte eingeräumt.76 Hier hat Johannes glühendes Öl verachtet,77 hier Agnes, lebend auch nach ihrem Tod, den Ihren zu weinen verboten.78 Hier hat sich Silvester versteckt gehalten,79 hier wurde Konstantin von der Lepra befreit,80 hier hat Calixtus das glorreiche Amt der Friedhofverwaltung betreut.81 14. Doch wohin gerate ich? Kann ich Dir auf diesem kleinen Fetzen Papier Rom vielleicht schildern? In der Tat, selbst wenn ich es könnte, wäre es widersinnig. Du kennst ja alles, und nicht etwa, weil Du ein römischer Bürger bist, sondern weil Du für die genannten Dinge von Jugend auf die stärkste Neugier empfindest. Wer aber würde heute römische Gegenstände schlechter kennen, als die römischen Bürger? Ungern sage ich, dass Rom nirgends weniger bekannt ist als in Rom. Daher beklage ich nicht allein die Unwissenheit – obwohl kaum etwas schlimmer ist als eben sie –, sondern auch die Flucht und das Exil vieler grosser römischer Talente.82 Wer könnte denn zweifeln, dass sich Rom sogleich erheben würde, wenn es begänne, sich selber zu erkennen? Doch diese Klage schickt sich für eine andere Gelegenheit. 15. Wir pflegten also nach der Ermüdung, die das Herumgehen in der gewaltigen Stadt uns bescherte, öfters bei den Thermen Diocletians Halt zu machen, oder wir stiegen recht häufig auf das Dach dieses einst grossartigen Bauwerks, weil hier gesunde Luft, freier Ausblick, Stille und weihevolle Einsamkeit besser zu haben sind als sonstwo. Hier fehlt wirklich alles, was es an Geschäftigkeit, an häuslichen Sorgen und solchen für das Gemeinwohl gibt (dies einmal beklagt zu haben, genügt). Und wenn wir den Mauern der zerfallenen Stadt entlang gingen und uns dort hinsetzten, hatten wir die bröckelnden Ruinen deutlich vor Augen. Was weiter? 16. Viel war von Gegenständen der Geschichte die Rede, und wir hielten für richtig, sie unter uns aufzuteilen, und zwar gemäss dem Umstand, dass Dir wohl besser die neuen und mir wohl besser die antiken bekannt sind. Und als antik sollte man alles aus der Zeit vor der Verbreitung des Christentums in Rom und vor seiner Verehrung durch die römischen Herrscher, als neu dagegen alles seit damals bis auf die heutigen Tage betrachten. Vieles sprachen wir auch von jenem Teil der Philosophie, der in den Sitten unterrichtet83 und davon seinen Namen hat, bisweilen aber von den Künsten und von ihren Schöpfern und Ursprüngen. 17. Daher hast Du eines Tages, als wir auf dieses Thema geraten waren, mich gebeten, ausführlich zu erklären, wo – meiner Ansicht nach – die freien und die mechanischen Künste ihren Anfang genommen hätten. Denn darüber hattest Du von mir hin und wieder etwas vernommen. Ich tat, was Du wünschtest nicht widerwillig, weil der Ort selber dazu ermunterte, einen etwas längeren Vortrag zu beginnen und weil Deine Aufmerksamkeit mir ein Zeichen war, dass Dir die Sache bedeutend sei. Beteuert habe ich jedoch, dass ich nichts Neues und beinah nichts
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Eigenes sagen würde, allerdings auch nichts mir Fremdes, da alles, was wir irgendwo gelernt haben, unser Eigentum ist und bleibt, wenn nicht das Vergessen es uns wegnimmt. 18. Nun verlangst Du aber, was ich Dir an jenem Tag gesagt habe, solle ich wiederholen und Dir in einem Schreiben zuschicken. In der Tat, ich habe vieles gesagt, was ich jetzt mit anderen Worten sagen möchte, weil ich es sonst überhaupt nicht könnte. Doch gib mir den Ort zurück, jene Musse, jenen Tag, jene Deine Aufmerksamkeit und jenen meinen Überschwang des Geistes! Dann werde ich können, was ich damals konnte! Aber verändert ist alles, der Ort ist fern, der Tag vergangen, die Musse dahin. Statt Deiner Gestalt betrachte ich Deinen stummen Brief. Und meiner Schaffenskraft ist der Zusammenbruch all des dort Zurückgelassenen abträglich, da sein Dröhnen in meinen Ohren noch forthallt. Und doch bin ich gerade deshalb von dort geflohen, um Dir unbehelligt zu antworten. 19. Dennoch will ich Dir gehorchen, soweit ich vermag. Freilich könnte ich Dich an alte und an moderne Autoren verweisen, von denen Du das Begehrte erhalten könntest. Doch hast Du vorgesorgt, dass ich nicht auf diese Weise entweiche, bittend, ich möge mit meinen eigenen Worten sprechen, was immer es sei; denn, wie Du sagst, tönt Dir alles aus meinem Mund besonders angenehm und besonders einleuchtend. Dank sage ich Dir dafür, ob die Sache sich wirklich so verhalte oder ob Du so sprechest, um mich anzueifern. Empfange also, was ich damals sagte, wenn vielleicht mit anderen Worten, so doch gewiss mit gleichem Inhalt. 20. Doch wahrhaftig, was tun wir? Es ist ja keine Kleinigkeit, und der Brief ist bereits angeschwollen, und wir haben noch nicht einmal angefangen, und der Tag geht zu Ende. Willst Du auf eine kurze Weile meine Finger und Deine Augen schonen? Verschieben wir das Übrige auf morgen und teilen wir die Mühe und den Brief, um nicht in das eine und gleiche Papier die verschiedensten Dinge einzupacken! 21. Und doch, was denke ich nun wieder, und was verspreche ich Dir einen nächsten Tag und einen zweiten Brief ? Nicht eines einzigen Tages bedarf es und nicht der Briefschreiberei! Ein Buch wäre nötig. Und an dieses mache ich mich heran – sofern nicht wichtigere Pflichten mich davon abhalten und stören –, wenn mich Fortuna in meine Einsiedelei zurückversetzt. Denn dort und nirgends sonst gehöre ich mir selber. Dort gehört mir auch meine Feder, die sich jetzt fortwährend gegen Befehle auflehnt und sie zurückweist, indem sie sich mit allzu lästigen Beschäftigungen entschuldigt. Auf diese Weise – weil ihr aus meiner Musse ständige Unmusse erwächst – schaut sie während meiner Unmusse nach Musse aus, und umgekehrt nutzt sie als selbstsüchtige, eigensinnige Sklavin die Anstrengung ihres Herrn zur eigenen Erholung. 22. Doch sobald ich bei mir zu Hause bin, will ich sie ihrem Joch unterwerfen und über den von Dir gewünschten Gegenstand in einem besonderen Buch alles das festhalten, was ich aus fremden Schriften und dank eigenen Überlegungen fassen kann. Denn allerdings, wenn ich vertrauliche Briefe
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spielerisch, ja sogar im Herumziehen und unter dem Tumult der Reisetage zu schreiben pflege, benötige ich doch für die Niederschrift eines Buches die Ruhe der Einsamkeit, angenehme Musse und ein grosses, andauerndes Schweigen. Lebe wohl! Am 30. November, auf der Reise (1337/1342).84
Anmerkungen 1 Vgl. die Briefe an den selben Adressaten Fam. 2,5 – 8 und 3,13; auch Fam. 6,3 – 4. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 An welche Zeit Petrarca erinnerte, lässt sich nicht sagen. 3 Philosophenschule in Athen. 4 Ähnliche Aussage in Fam. 2,9,11.ff. 5 Griechische und lateinische Philosophen. 6 Des Glaubens an die christliche Offenbarung. 7 Das ist Gott. 8 Mt. 25,11,15; Lc. 10,21. 9 Heros; soll aus Arkadien an den Tiber ausgewandert und erster Bürger Roms geworden sein. 10 Altrömische Gottheit, von vielen als Mutter oder Gattin des Evandrus betrachtet. 11 Cacus und Caca galten als göttliches Paar. Seine Höhle zeigte man am Aventin; vgl. Verg. Aen. 8,190 ff. und dazu den Comment. des Servius; auch Lact. Inst. 1,20,36. 12 Vgl. Prop. Carm. 4,1,55. 13 Vgl. Liv. 1,4,5 und Ov. Fast. 1,412. 14 So nach Romulus. 15 Vielleicht ein Hinweis auf den Sprung des Remus über den sulcus primigenius vor seiner Tötung. 16 Egeria war die Geliebte Numas, des zweiten Königs von Rom; wurde in Rom im Hain der Camena verehrt; vgl. Ov. Fast. 3,273 ff. 17 Gemeint sind die Horatier und Curatier; vgl. Liv. 1,24,1. 18 Die hintereinander Erwähnten sind die auf Numa folgenden Könige von Rom; vgl. Flor.Epit. 1,2,4. 19 5. römischer König; traf Anordnungen für Riten und Insignien. 20 Zu dieser Angabe über den 6. König Roms vgl. Liv. 1,39,1. 21 Die Tochter des eben genannten Servius Tullius, berüchtigt wegen verschiedener Ermordungen und insbesondere wegen ihrer Roheit gegenüber der Leiche ihres Vaters; vgl. Liv. 1,46 – 49. 22 Gemeint ist der vicus sceleratus. 23 Diese Hügel soll Servius Tullius in die neue Ringmauer einbezogen haben. 24 Dieser Hügel wurde in der ersten Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. ins Stadtgebiet einbezogen. 25 Zu dieser Angabe über den letzten römischen König vgl. Liv. 1,54,6. 26 Vgl. Liv. 1,57,6 – 59,6. Der Ehebrecher ist nach der Sage Sextus Tarquinius, Sohn des Königs Tarquinius Superbus. 27 L. Iunius Brutus; vgl. Anm. 30 und 31. 28 Angeblich wollte der Etruskerkönig Porsen(n)a die aus Rom verjagten Tarquinier zurückführen; vgl. Liv. 2,9,1; 2,14,1 ff. 29 Mucius Scaevola, Held im Krieg gegen den Etruskerkönig Porsenna, sühnte für einen irrtümlichen Mord und bewies vor Porsenna durch Verbrennen seiner linken Hand römische Furchtlosigkeit. 30 Der Sohn des Tarquinius Superbus, das ist Sextus Tarquinius, fiel im Kampf gegen Brutus und die von den Tarquiniern befreiten Römer. 31 Der oben genannte Brutus.
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32 Erbaut unter König Ancus; vgl. Liv. 1,33. Verteidigt wurde die Brücke im Kampf der Römer gegen die Etrusker durch Horatius Cocles, bis sie von den Römern abgebrochen wurde, worauf sich Horatius schwimmend zu retten versuchte; vgl. Liv. 2,10,2 – 11. 33 Nach der Sage eine römische Geisel in der Hand von Porsenna, konnte sich schwimmend retten; vgl. Liv., 2,13,6 und Flor. Epit. 1,4,3. 34 Publicola (Poplicola) „Volksfreund“, war Zuname jenes Valerius, der das Königtum der Tarquinier stürzte, aber dann verdächtigt wurde, die Alleinherrschaft zu erstreben; vgl. Liv. 2,7,5 ff. 35 L. Quinctius Cincinnatus, Diktator 458 v. Chr. Vgl. Liv. 3,26,8 – 12,27,1 u.a. 36 Serv. Ad Aen. 6,844. 37 Im Jahr 494, 449 und 287 v. Chr. 38 Decemvir, bekannt aus der im Text sogleich angedeuteten Legende. Er warb um Verginia. Diese, von besonderer Schönheit, erstach der Vater Verginius, um sie vor ihrem Verehrer zu retten. 39 Ein Römer; soll die Volskerstadt Corioli erobert, später mit den Volskern gegen Rom gekämpft haben, bis die Frauen seiner Familie ihn zum Abzug bewogen; vgl. Liv. 2,33 – 35; 37 – 40; 52. 54. 40 Verteidiger des Kapitols gegen die Kelten (Gallier) 387. Soll später die Alleinherrschaft erstrebt haben und deshalb vom Kapitol hinabgestürzt worden sein; vgl. Liv. 5,47,1 – 8 und 6,11 ff. 41 Marcus Furius Camillus, Sieger über verschiedene Volksstämme, besonders über Kelten. Liv. 1,7,10 als Neubegründer Roms geehrt. 42 Marcus Curtius, der gemäss einer Sage auf dem Forum schwer bewaffnet in einen neu entstandenen Spalt (Lacus Curtius) sprang, weil sich dieser laut einem Orakel nur schliessen sollte, wenn Rom sein Bestes geopfert habe. 43 Sage von einer solchen Auffindung bei der Fundamentierung des kapitolinischen Tempels; das Haupt diente zur Erklärung des Namens Kapitol; der Stein, Terminus, von dem es hiess, er sei unverrückbar, wurde zu einem Symbol für den unveränderlichen Bestand der römischen Herrschaft; vgl. Liv. 1,55,3 ff 5.54.7; Serv. Ad Aen. 8,345. 44 Tarpeia, Tochter des Wächters auf dem Kapitol, öffnete verräterisch den Sabinern ein Tor und wurde von diesen mit Waffen überschüttet. 45 Vgl. Anm. 44. 46 Im Aerarium des Saturntempels. 47 Vgl. Verg. Aen. 8,655. 48 Das Tor des Ianus-Tempels wurde in Friedenszeiten geschlossen; Ianus hielt den Krieg mit seinen Waffen zurück; vgl. Liv. 1,19,3.Verg. Aen. 1,293 ff.; Hor. Epist. 2,1,255. 49 Iupiter Stator, der ein fliehendes Heer zum Stehen bringt, wurde in einem Tempel an der Via Nova geehrt. Iupiter Feretrius hatte einen Tempel auf dem Kapitolshügel; ihm brachte man Kriegsbeute. 50 Sie befand sich im Tempel des Iupiter Optimus Maximus am Südabhang des kapitolinischen Hügels. 51 Der Triumphzug endete auf dem Kapitol beim Tempel des Iupiter Optimus Maximus. 52 Der letzte König von Makedonien ergab sich den Römern nach langen Kämpfen und wurde 167 in einem Triumphzug den Römern vorgeführt. 53 Zurückgedrängt 211 bei seinem Marsch auf Rom. 54 Iugurtha, König von Numidien, 104 im Triumphzug vorgeführt; von seiner Ermordung sprechen Oros. Hist. adv. pag. 5,15,325; Eutr. Brev. 4,27,6, aber nicht Sallust in seinem Werk über den König (Jug. 113,7; 114,2). 55 Der grosse Triumph fand 46 statt, die Ermordung 44 (im Saal des Pompeiustheaters). 56 Vielleicht meint Petrarca den 29 von Augustus geweihten Tempel des Divus Iulius. 57 Das Siegeszeichen des bedeutenden Germanenbezwingers Marius (gefeiert als dritter Gründer Roms), der 101 die Kimbrer vernichtend schlug. 58 Chron. ed. Helm. 197. 59 Der vatikanische Obelisk; vgl. Magister Gregorius (12./13.Jh.), Narracio de mirabilibus urbis Romae ed. R.B.C. Huygens, Leiden 1970, 28.
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60 Die vergöttlichte Erde, prima deorum, hatte in Rom einen Tempel; vgl. Verg. Aen. 8,36l. 61 In Rom gab es verschiedene der Fortuna geweihte Tempel, einen auf dem Marsfeld. 62 Den Kult des Friedens führte Augustus ein; die Ara Pacis wurde 13 v. Chr. errichtet, der Tempel der Pax aber erst 75 n. Chr. durch Vespasian. 63 Zur Zeit Christi. Petrarca denkt irrigerweise an eine frühere Errichtung des Tempels. 64 Das Pantheon; heute Heiligtum Marias und aller Märtyrer. 65 Hinweis auf ein „Schneewunder“, das den Bau von S. Maria Maggiore veranlasste. 66 Ein Wunder, das sich bei S. Maria in Trastevere ereignet haben soll. 67 An der Stelle der heutigen Kirche Aracoeli. 68 Hinweis auf das „goldene Haus“, die domus aurea. 69 Erbaut 220 v. Chr. durch Gaius Flaminius, wiederhergestellt durch Augustus; vgl. Liv. Per. 20 und Suet. Aug. 30,1 und 100, 8–9. 70 Des Kaisers Antoninus Pius. 71 Schaufassade an den Palastbauten des Kaisers Severus, auf dem Palatin. 72 Begegnung – gemäss Legende – bei der Kirche Quo vadis, welche die von Christus gestellte Frage (Wohin gehst Du?) festhält 73 Nach einer Überlieferung bei S. Pietro in Montorio. 74 Angeblich bei S. Paolo alle Tre Fontane. 75 San Lorenzo in Panisperna 76 San Lorenzo fuori le Mura ist Grabstätte auch des Erzmärtyrers Stephanus. 77 Beim Oratorio di S. Giovanni in Oleo. 78 Bei S. Agnese fuori le Mura. 79 Versteck in Rom unbekannt. Die Sage erzählt, dass Papst Silvester I. sich am Soracte versteckte. 80 Von der Lepra wurde Konstantin beim Taufbad befreit. Die Wanne zeigte man im Mittelalter auf dem Kapitol. 81 Ein „Gemeindecoemeterium“ gab es seit Papst Calixt I., die Katakombe von S. Callisto. 82 Geflohen war vor allem auch der Papst mit der ganzen Kurie. 83 Von der Ethik. Zu den sieben freien Künsten vgl. Fam. 10,5,9 ff. 84 Der Brief fällt wohl auf 1342. Der Adressat starb im Oktober 1343 oder kurz nachher. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 59.
Fam. 6,3, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Zu Altersbeschwerden. Gedanken zum Altern, zur Armut und zur Gicht. 1. Spott über das Jammern. Einem Menschen ist nichts Menschliches fremd. 4. Über Lachen und Weinen. 8. Über das Altern. 9. Belege für die verschiedene Lebensdauer in verschiedenen Epochen. Berühmte Beispiele aus der Bibel. 12. Beispiele aus der Weltgeschichte; wunderbare Wirkung des greisen Homer. 25. Angaben über den eigenen Urgrossvater. 32. Hinweis auf frühzeitiges Ergrauen. Beispiel: Petrarcas Vater. 38. Über die Armut; Unterscheidung zwischen Armut und Elend. 45. Ermahnung, am Armutsgelübde festzuhalten. 48. Über die Gicht. 50. Verschiedene Heilmittel. 56. Eine besondere Arznei für den Adressaten. 63. Über des Freundes Besuch in Vaucluse. 67. Beschreibung der Reiseroute dahin. An der Quelle der Sorgue, am 30. Mai (1338/1342).
1. Über einen einzigen Punkt streite ich mit Dir, während wir in allen übrigen uns weitgehend einig sind: Du bist übermässig wehleidig. Du erlaubst Dir viel zu leicht, Dein eigenes Schicksal zu beklagen und Deine Lage zu bedauern, Dich selber zu entschuldigen und Fortuna anzuschuldigen. Allzu weichlich bist Du im Ertragen von Menschlichem, und bist doch ein Mensch! 2. Zu Tränen hat mich wahrhaftig der Anfang Deines Briefes gerührt; denn weshalb sollte ich meine Gefühle verstecken und da, wo ich von Dir Festigkeit erwarte, meine eigene Weichheit verleugnen? Gewiss, indem ich Dich heisse, froh zu sein, leugne ich nicht, dass ich selber betrübt war. Doch etwas halte ich mir zugute: Edler ist es, über fremdes Unglück zu weinen, als über eigenes, und dies selbst in unserem Fall. Denn uns beiden ist alles so sehr gemeinsam, dass keiner von uns als etwas Fremdes erklären kann, was dem andern als das Unsere gilt. 3. Dass in keiner wahren Freundschaft, ja nicht einmal in der umfassenden menschlichen Gemeinschaft etwas als fremd erklärt werden dürfte, betont der Satiriker2 dort, wo er lehrt, dass einem guten Menschen kein Übel fern stehe und dass dem Menschengeschlecht von der Natur zum äusseren Zeichen des Mitgefühls die Tränen gegeben seien. Das hatte lange zuvor auch der Komiker3 gemeint, als er sagte: „Ein Mensch bin ich und weiss, nichts Menschliches sei mir fremd“. Obwohl ich nun die Wahrheit dieses Satzes nicht verneine, besteht darüber doch kein Zweifel, dass in der allgemeinen Pflicht zum Mitfühlen verschiedene Grade bestehen. Über sie wegschreitend, werden wir gleichsam aus einem sehr weiten Feld der Menschlichkeit in die Enge der Verwandtschaft und Freundschaft zurückgedrängt, und die allgemeine Liebe zu allen wird auf eine gewisse und besondere Liebe und Gunst gegen einige wenige eingeschränkt. 4. Aber warum sollte ich Dir nun das Folgende verheimlichen? Dass mir nämlich, wie der Briefanfang Tränen entlockte, so das Briefende Lachen erregte! „Es geht um verschiedene Dinge“, wirst Du entgegnen. Das weiss ich. Doch bisweilen strömen sowohl Lachen wie Weinen aus der selben Quelle. Vielleicht war Demokrit, obwohl er – wie ebenfalls der Satriker4 gesagt hat –,
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„unablässig aus vollem Hals zu lachen gewohnt war“, nicht weniger traurig als der ständig von Tränen betaute Diogenes;5 und vielleicht war auch Hannibal,6 der im Unglück seines Vaterlandes als einziger lachte, nicht heiterer als das Volk, das trauerte, und vielleicht war umgekehrt – sofern wir Lucan7 vertrauen dürfen – auch Caesar, als er beim Tod seines Schwiegersohnes8 weinte, nicht trauriger als sein Heer, das frohlockte. Doch ich wende mich wieder Dir zu. 5. Der erste Teil Deines Briefes hat zum Inhalt, dass ein Haufe vieler, ja fast sämtlicher Missgeschicke über Dir allein sich aufgetürmt habe, und das sagst Du in einem ebenso klagenreichen wie grossartigen Stil, weshalb ich lesend meine Tränen nicht zurückgehalten, sondern Deinen „schmierigen Tränenspuren“, wie Du Dich ausdrückst, neue zugefügt habe; wir empfinden ja – ich weiss nicht warum – mit einem Mann, der sein Unglück mannhaft beklagt, viel grösseres Mitleid als mit einem weibisch lamentierenden. Mit grosser Aufmerksamkeit des Geistes und Auges habe ich die Lektüre fortgesetzt, und eben Dein einschmeichelnder Stil verlockte mich weiterzufahren, obwohl Dein Schreiben etwas lang war. 6. Und nachdem ich alles weitere mit feuchten Augen gelesen hatte, gespannt zu vernehmen, was das für ein ausserordentliches, Dir auferlegtes Leiden sei, das so lauter Klagen bedürfe, da fand ich wahrhaftig am Briefende die Summe Deiner Übel in drei oder vier Worte knapp zusammengefasst: Du seist in Tivoli als armer, gichtkranker Greis, und in diesem Elend sei Dir vor allem ganz unerträglich, dass Du alle Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit mir aufgeben müsstest; denn gefesselt durch diese Krankheit, könntest Du den Ort nicht wechseln, noch könntest Du es wagen, einen Freund aus so weiter Ferne zu Dir zu rufen, der von schwer drückenden Dir wohlbekannten Beschäftigungen umgarnt sei. So lautet das Ende Deines tränenreichen Schreibens. Hier, ich gestehe es, habe ich gelacht. 7. „Und weshalb?“ wird einer fragen; „Meinst Du, das sei wenig oder leicht erträglich?“ – Nichts von beidem! Aber es ist so gewöhnlich und allgemein üblich, dass es fast nicht-menschlich und geradezu lächerlich wirkt, wenn ein Mensch über solche Unannehmlichkeiten sich aufregt und verwundert. 8. Beginnen wir mit der ersten Klage, dem Alt-Werden. Hat es denn je einen Menschen gegeben, der lebend nicht älter geworden wäre? Von den allerfrühesten Vätern kann man zwar lesen, ihre Lebensdauer habe sich über viele Jahrhunderte ausgedehnt; lesen wir aber daneben etwa nicht auch, dass sie schliesslich gealtert sind? Ich gehe kurz über die in der Entstehungsgeschichte der Welt Erwähnten hinweg. Man behauptet, weil sie sozusagen in der Jugend unserer Zeitlichkeit ans Licht kamen, seien sie besonders kräftig und zählebig gewesen und darum zu beinah tausend Lebensjahren gelangt. Doch leugnet man nicht, dass sie, wenn auch recht spät, denn doch gealtert sind. Über diese Urväter, wie gesagt, gehe ich rasch hinweg, weil über die Frage ihrer Lebensdauer unter grossen Gelehr-
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ten ein grosser Streit anhält, der mit unserem gegenwärtigen Thema nichts zu tun hat. Zu jenen anderen Menschen komme ich, deren Lebenszeit, weil weniger wunderbar, unserem Empfindungsvermögen eher zugänglich ist. 9. Es alterte Abraham; es alterte Isaak es alterte Jakob. Vom ersten9 unter ihnen heisst es: „Abraham aber war ein Greis und hochbetagt“; und später: „Hinfällig geworden, starb er als betagter Greis in vorgerücktem Alter und reich an Jahren“.Vom zweiten10 steht: „Isaak aber wurde alt, und seine Augen trübten sich, und er konnte nicht mehr sehen“; und später: „Alt und aufgezehrt verstarb er und wurde bei seinen Vätern begraben als ein Greis vieler Tage“.Vom dritten steht: „Die Augen Israels11 trübten sich vor allzu hohem Alter, und deutlich zu sehen vermochten sie nicht mehr“. Du hörst also nicht bloss von Greisenalter, sondern auch von Trübung der Augen und von Hinfälligkeit. 10. Moses war vielleicht robuster. Wie wir lesen, hatte er hundertzwanzig Jahre, als er starb, und12 „sein Auge trübte sich nicht und seine Zähne sassen fest“. Ist er aber als besonders kräftiger Greis nicht dennoch Greis gewesen? Auch sein Nachfolger, der hervorragende Kriegsführer Josua, konnte, wie viele Könige er auch erschlagen und wie viele Völker er niedergeworfen hatte, sich des Greisenalters nicht erwehren. Vielmehr hörte er den Herrn zu sich sagen:13 „Du bist alt geworden und betagt“. Und er versammelte das Volk und sagte zu seinen Leuten: „Ich bin alt geworden und stehe in vorgerücktem Alter“. Wie kommt es nun, dass dieser Held, dessen Worten sogar Gott willfahrte und der in unerhörtem Vertrauen der Sonne und dem Mond stillzustehen befahl, „worauf sie standen“,14 – wie kommt es, dass er vom flüchtigen Leben nicht einen einzigen Tag aufzuhalten oder das heranrückende Alter nicht hinauszuzögern vermochte? 11. Wie steht es um David? Auch er ist ja15 „gealtert und hatte sehr viele Lebensjahre hinter sich“, als er, „obwohl in Decken gehüllt, nicht erwarmte“? Er, der unter Menschen und gegenüber Gott so feurig gewesen, erkaltete in einem kurzen Greisenalter so sehr, dass er auf seinem Lager der Wärme eines jungen Mädchens bedurfte. Und er sagte von sich selber:16„Jung bin ich gewesen“, und fügte sogleich hinzu: „Alt bin ich geworden“. Da hast Du einen, den Du vielleicht um die Zahl seiner Jahre beneiden kannst, aber nicht um ewige Jugend. Alles, was entstanden ist, wird notwendigerweise sei’s vor der Reifezeit sterben, sei’s alternd und reifend dem Sterben entgegengehen. 12. In den Büchern der profanen Geschichte wirst Du nicht vergleichbare Zeitangaben über das Leben der Menschen finden. Und solltest Du dergleichen finden, so bedenke, dass es sich oftmals eher um eine lachhafte als historische Aussage handelt. Freilich, von den besonders denkwürdigen Taten, die hinter dem Assyrerkönig Ninos, wohl einem Zeitgenossen Abrahams, zurückliegen, berichtet gemäss Macrobius17 nicht einmal eine griechische Geschichte. Alle Historiker, die möglichst weit zurückgehen, beginnen ihre Werke mit Ninos. Viele Jahre später setzen wir Latei-
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ner ein, um Beispiele unter unseren Altvätern zu sammeln. Daher kommt es, dass gewisse Gelehrte glauben, es sei da überhaupt nichts zum Verwundern, während andere unter sich streiten, wie ich schon sagte, ob in dieser alternden Welt das Leben kürzer und die Leiber hinfälliger seien. 13. Und unter den Fremdländern greife ich nur wenige, aber die berühmteren Beispiele heraus. Sehr lange lebte Nestor,18 der laut schriftlichem Zeugnis sogar über drei Menschenalter lebte, eine Zeit, die Seneca19 auf neunundneunzig Jahre einschränkte, Ovid20 dagegen auf mehr als zweihundert Jahre ausdehnte, was mit Cicero und Homer besser übereinstimmt.21 Langezeit lebte auch Hieron von Syrakus,22 lange Zeit Masinissa, der König der Numidier. Der eine erreichte neunzig Jahre, der andere gelangte darüber hinaus. 14. Gerühmt wird das Alter Solons, nicht wenig gerühmt das des Sophokles. Der erste ist ohne jemals seine Studien zu unterbrechen, vielmehr fortwährend etwas Neues lernend gealtert; der zweite hat noch kurz vor seinem Tod eine grossartige Tragödie geschrieben, und zwar in einem Alter, in dem andere, sofern sie es überhaupt erreichen, nur selten ihres Geistes noch mächtig sind. 15. Der Redner Isokrates hat mit beinah dem gleichen Alter, nämlich mit vierundneunzig Jahren, ein von ihm verfasstes hervorragendes Buch um fünf Jahre überlebt und damit eine späte Genugtuung an seinem Werk gefunden. 16. Von Homer lese ich weniger über seine Alter als über seine Blindheit.23 Doch ob das Alter oder etwas anderes der Grund für sein Übel war, wirst vielleicht Du gelesen haben; mir jedenfalls ist darüber nichts begegnet. Wie aber denken wir uns und wie glücklich schätzen wir dieses homerische Lebensalter? So überbordend an eigenen Leistungen und damit so glänzend ausgerüstet! Von diesen können selbst kleine Bruchstücke nach Tausenden von Jahren mit so grossem Zauber uns berühren und durchströmen – ich denke, es geht anderen wie mir –, dass ich oftmals, den eigenen Beschäftigungen überhoben und der gegenwärtigen Übel vergessend, im Gedanken an diesen blinden Alten voll Ruhe bin.24 17. Karneades lebte bis zum neunzigsten, Xenophanes von Kolophon bis zu mehr als dem hundertsten, Demokritos und Kleantes bis zum neunundneunzigsten, Gorgias von Leontinoi in einem friedlichen Alter bis zum hundertundsiebenten Jahr. Chrysippos hat ein Werk von erstaunlicher Geistesschärfe, das er mit neununddreissig Jahren begonnen hatte, mit achtzig Jahren sterbend hinterlassen. Im gleichen Alter, so erinnert sich Simonides, sei er in die Arena der Poesie hinabgestiegen. 18. Von vorgerücktem Alter soll Sokrates gewesen sein, und er wäre weiter vorangerückt, hätte nicht der Giftbecher Einhalt geboten. Sein berühmtester Jünger Platon vollendete sein einundachtzigstes Jahr, starb genau an seinem Geburtstag und fand mitten in seiner literarischen Tätigkeit, der er die längste Zeit gewidmet hatte, das von ihm vorausbestimmte und seinem menschlich vollkommenen Leben
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gebührende Ende. Zu einem gleichen gelangten viele der berühmtesten Philosophen, so Dionysios Herakleontes, der Kyniker Diogenes, Erathostenes, der Platoniker Xenokrates, und eben, wie schon gesagt, ihr aller Fürst Platon selber. 19. Dessen Schüler Aristoteles erreichte bloss das dreiundsechzigste Jahr, und von dieser Jahreszahl sagt man,25 sie sei gefährlich und für die Menschheit durch Tod und anderes Unglück erschreckend. Das belegen die einen mit Gründen der Vernunft und die anderen mit blosser Beobachtung und recht langer Erfahrung; freilich wie beweiskräftig, das müssen die unter sich ausmachen, die es vorbrachten. 20. Sind ihre Angaben richtig, so hat unseren Cicero eben die grausame und verruchte Herrschaft des Antonius26 (und nicht eine Altersschwäche) daran gehindert, diese Klippe des menschlichen Lebens zu umschiffen. 21. Da wir mit Cicero zu den Unsern27 gelangt sind, ist nun das Alter des Königs Numa Pompilius zu nennen, aber auch das ehrwürdigere eines Cato, eines Camillus, Fabius, Metellus und Valerius Corvinus, die alle die ungefähr gleiche Jahreszahl, nämlich etwa hundert, erreichten. Das gilt auch vom blinden Appius, von dessen Blindheit aller Bürger Augen und die ganze Republik guten Ratschlag erwarteten. 22. Aufs glorreichste alterte Augustus, weniger glücklich Pompeius; doch nicht vom Glück ist hier die Rede, sondern von der Dauer des Lebens. Gewiss ist Augustus, der grösste und gewaltigste Monarch, entweder kurz nach der Errichtung der Kaiserherrschaft, wie einige meinen, doch – wie niemand leugnen kann –nach aussergewöhnlich langer, den tiefsten Frieden gewährenden Regierungszeit, unter den reichlichen Tränen der Römer und in den Armen seiner treusten Gattin im siebenundsechzigsten Jahr friedlich entschlafen.28 23. Das selbe Alter erreichte Augustinus, womit er den Kaiser wie in seinem Namen, so in seiner Lebenszeit nachahmte. Hieronymus aber kam bis zu neunzig Jahren; er war kräftiger. Origenes wurde wie der Dichter Ennius siebzigjährig; dreiundsechzig Jahre durchlebte Bernhard. Von Ambrosius und Gregorius habe ich nichts Genaueres erfahren; doch sind sie zweifellos dank der Vorsehung Gottes, bei dem die Quelle des Lebens ist, alt geworden. Sie sollten eben nicht rasch dahingehen, da ja ihr Leben der Kirche grosses Gedeihen erbrachte. 24. Achtzig Jahre erreichte Asinius Pollio. Einem Marcus Varro wurde zum Leben und Schreiben die Spanne von hundert Jahren zuteil. Vieles berichtete Seneca29 über sein Alter, als er schon alt war, und er wäre noch älter geworden, hätte sein gewalttätiger Schüler30 es gestattet. 25. Erlaube mir Vater, bitte, in Deiner grossen Nachsicht, erlaube mir dank Deiner Gunst, eine Erzählung, die mich stark bewegt, hier einzuschieben, und damit ein weiteres und einzigartiges Beispiel hohen Alters, ein zwar bescheidenes, aber ehrenhaftes aus jüngster Zeit, an das zu denken, mir lieb und wert ist, so vielen Beispielen ruhmreicher Greise anzufügen. Gewiss, ich dürfte das im Gespräch mit einem andern niemals wagen.
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26. Ich hatte väterlicherseits einen Urgrossvater, der ein sehr heiliger und, so weit es ohne literarische Bildung möglich ist, ein hochangesehener Mann war, nämlich in einem Masse, dass ihn die Nachbarn nicht allein in häuslichen Dingen, sondern auch bei Geschäftssachen, Verträgen und Heiraten ihrer Kinder befragten, und dass überdies auch Magistratspersonen ihn in öffentlichen Angelegenheiten – wie es vom blinden Appius31 überliefert ist –, ja auch Leute mit Kenntnis höchster und die Philosophie betreffender Dinge von nah und fern ihn um Rat angingen und jedermann über seine Antworten, sein gerechtes Urteil und seinen Scharfsinn verwundert war. 27. Sein Name lautete Garzo, und er war von solcher Gesittung und solcher Frömmigkeit, dass zu seiner Heiligsprechung nichts anderes fehlte als der Beistand eines Promotors.32 Es ist nicht lange her (und ich war bereits erwachsen), dass noch viele lebten, die von ihm Wunderbares erzählten; doch ich übergehe solches von mir aus gerne und habe das Beispiel überhaupt nur für den Fall erwähnen wollen, dass es Dir nicht lästig sei. 28. Jener aber ist nach einem schuldlosen und glücklich vollendeten Leben, wie ich unsere Alten sage hörte, mit hundertundvier Jahren, und zwar wie Platon an seinem Geburtstag, aber um zwanzig Jahre älter als jener, in dem Bett, in dem er geboren worden, gestorben, nachdem er weit früher schon die Stunde seines Hinscheidens vielen vorausgesagt hatte. Inmitten seiner Kinder und Enkel hat er ohne irgendeine körperliche Beschwerde einzig von Gott und seinen Werken gesprochen und solches sprechend sich gleichsam aufgezehrt. Und das letzte, was man aus seinem Munde vernahm, war, wie man behauptet, jenes Wort Davids:33 „In Deinem Frieden will ich schlafen und ruhen“. Und kaum hatte er diese Worte gesagt, starb er in Frieden. 29. Dank sage ich Dir, gütigster Vater, für Deine Geduld, die mir gestattet hat, das Andenken an meinen Urgrossvater zu erneuern und seinen Namen in dieses Brieflein zu verstecken. Ich wüsste nicht, wo ich ihn würdiger hätte unterbringen können als mitten unter hervorragende Greise. 30. Doch was tue ich? Ein kurzer Trostspruch hat sich in eine Erzählung verwandelt! Gewiss würdest Du mir verzeihen, wenn Du wüsstest, mit wie viel Behagen ich bei diesen besten und liebenswertesten Greisen verweilt bin. Ihnen würde ich gerne uns beide (jetzt schon Dich und nicht viel später auch mich) als zwar in mancher Hinsicht ungleiche, aber wenigstens dank Geduld und Gefasstheit vergleichbare, anreihen! 31. Glaube aber nicht, ich hätte mein Thema vergessen! Wer würde widerwillig ertragen, dass er altert, wenn er bedächte, wie bedeutende Männer gealtert sind? Wer wäre nicht hochbeglückt, das Los so ungemein glücklicher Menschen zu teilen? Wer würde in ihrem Gefolge nicht lebhaften Geistes das ihnen gemeinsame hohe Alter auf sich nehmen? Denn wer von ihnen, nein, wer von allen Menschen hat lange gelebt, und wäre nicht gealtert? Von wem hören wir, er habe ein langes Leben geführt, das nicht am Ende das Alter hatte? Doch wir erliegen einem gegen-
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sätzlichen, sich widersprechenden Verlangen. Wir wünschen lange, nein immerfort zu leben, nie zu altern, nie unterzugehen! 32. Ich weiss, was Du antworten willst: Das sei Dir ja alles bekannt; doch Du klagtest wegen Deines verfrüht eingetretenen Alters. Ganz gebräuchlich ist diese Klage beim Älterwerden. Der oben erwähnte Numa Pompilius ist schon in seiner Jugend ergraut, nicht minder der Dichter Vergil.34 Unsere ganze Zeit ist voll von solchem Gejammer. Ich selber pflege darüber weniger zu jammern als mich zu wundern, dass ich einige graue Haare bereits vor meinem fünfundzwanzigsten Jahr hatte. Denn mir ist auch nicht entfallen, dass mein Vater,35 im übrigen nicht gesünder und nicht kräftiger als ich, mit fünfzig Jahren bei einem Blick in den Spiegel zufällig auf seinem Scheitel ein vereinzeltes Haar von unbestimmter, doch eher etwas weisslicher Farbe entdeckte und deshalb voll Schrecken und Entrüstung nicht bloss die ganze Familie, sondern auch die ganze Nachbarschaft in Aufregung versetzte. 33. Das ist es, worüber unsere Zeit sich betrübt, das ist es, worüber unsere Jugend sich beklagt: Vieles habe sich in kurzer Zeit verändert, nämlich einmal in der Lebensart dann auch beim Altern! Das zweite würde ich vielleicht bejahen, das erste verneine ich: Man altert heute früher als einstmals üblich. Und vielleicht ist nicht einmal das durchaus richtig. Aber ohne zu zögern gebe ich zu, dass man heute früher ergraut, ob ein uns verborgener Grund oder ob die Fülle unserer Sorgen es bewirke. 34. Denn in der Tat haben sich unsere Vorfahren in vernünftigere Sorgen verhaspelt, wir hingegen in mehrere; und nichts gibt es, was die Blüte der Jugend so frühzeitig zerstört, als sorgenvolle Angst und seelische Anstrengung. Im übrigen aber bleibt das Mass des Lebens, wenn nicht ein Unfall oder eine Schuld es abkürzt, ungefähr gleich, wie es schon im Psalmenbuch36 beschrieben wird. 35. Zudem gibt mir Deine religiöse Bescheidenheit die Zuversicht, dass Du nicht über graue Haare klagst, sie vielmehr gerne annimmst, selbst wenn sie vorzeitig kommen. Und deshalb zweifle ich auch nicht, dass es Dich freue, wenn Dir geschieht, was Claudian an seinem Stilicho zu erkennen meinte;37 er sagte: „… um dem Antlitz Würde zu geben, Wandelt schon bald das Haar seine Farbe …“. Allerdings werden auch andere Beschwerden des Alters beklagt; und bei gewissen Schriftstellern sind es mehrere, bei Tullius38 vier: Verminderung der Kräfte, Ausscheidung aus Geschäften, Beschneidung von Vergnügen und Annäherung an den Tod. 36. Hier könnte Dir zum Trost vieles gesagt werden, aber eine Sache, die Tullius nach klarer Methode behandelt hat, wieder aufzugreifen, ist Anmassung. Wenn Du sein Buch über das Alter mit dem Titel „Cato der Ältere“39 gelesen hast, bleibt Dir wohl nichts mehr zu fragen, und dann gibt es auch nichts mehr, was Dein Alter noch lästig, ja nichts, was es anders als hoch willkommen macht.
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37. Was aber die Annäherung an denTod und vorweggenommene Zeit betrifft, möchte ich noch wenigstens dies hervorheben:40 Immer und überall, wo der Tod herantritt, ist auch unser Greisenalter schon da –, so jedenfalls meinen die grössten Gelehrten –; und immer, wo Körperschwäche überhandnimmt, ist das unser Greisenalter. Denn wie das Lebensende im Tod besteht, so besteht das Ende einer blühenden, kraftvollen Jugend, es mag eintreten wo es sei, in einer dauerhaften Schwächung. Und ob man das Alter als das Ende des ganzen Lebens oder als den Abschluss eines besonders kräftigen Lebensabschnitts bezeichne, so hat es jedenfalls, wo immer es eintritt, die gegebene Zeit vollendet und ist damit ein rechtmässiges Alter. 38. Kommen wir zur Armut. Was soll ich Dir darüber sagen? Wer ist etwa nicht arm, ausser wer nichts begehrt? 41 Gerade die scheinbar Reichsten sind aber besonders arm, weil sie besonders viel vermissen. Denn Notwendiges zu vermissen, das eben ist Armut. Und gerade die Reichen sind der Wahrheit so völlig fern, dass sie einem Wahn erliegen und für notwendig erklären, was weniger Verrückte für bloss ergötzlich und was Gesunde für überflüssig, Gelehrte schliesslich für abträglich und für etwas in jeder Hinsicht Verwerfliches halten. Daher sind wahrhaftig sie die Ärmsten, da sie Unzähliges vermissen und entweder im Erlangen des Gewünschten ihr Bedürfnis noch anheizen oder in der Erwartung von Gewünschtem sich abquälen. 39. Gewiss, mir ist völlig klar, was man allgemein hierauf antwortet: Die Armut in der Tat zu verachten, sei denn doch schwieriger, als in blossen Worten. Dem widerspreche ich nicht. Die Sache ist hart, das gebe ich zu. Doch gute Götter, wie sicher, wie sorglos, wie bereitwillig und wie unabhängig macht Armut! Und wenn man sich am Ende entschieden hat, sie zu lieben, wie ist sie dann erquicklich! Doch hören wir auf, die Armut zu preisen, um vom Volk nicht mit bestem Recht verspottet zu werden! Man behauptet ja – und würde man doch lügen! –, dass wir zwar die Armut loben, aber gleichzeitig den Reichtum hochschätzen. Und wirklich, wie viele Menschen sind’s, die mitten unter Lobsprüchen auf die Armut eben diese gelobte Armut mit allen Kräften von sich abweisen? Dabei wäre die Begehrlichkeit überwunden und aus allen Menschenseelen vertrieben oder eher darin erstickt, wenn die Armut alle die Lobredner, die sie hat, als ebenso viele Liebhaber besässe. Und sie besässe eine weit grössere Zahl, würde begriffen, was sie an Gutem, was sie an Ruhe und an Glücksgefühl mit sich bringt. 40. Bis heute freilich blieb alles wie zu Zeiten Lucans;42 ein Gottesgeschenk ist die Armut, den Sterblichen noch nicht bekannt, mit Ausnahme ganz weniger. Unter diesen gibt es glänzende Beispiele wie43 Valerius, Cincinnatus, Curius, Fabricius, Regulus. Aber ihre Namen vermögen die durch Geiz und Habsucht verstockten Geister nur für den Augenblick, wo sie gelesen oder gehört werden, zu rühren und auch dann nur obenhin. Doch in weit höherem Grad sind uns Vorbild jene heiligsten Greise,44 welche den ganzen Erdkreis durchwanderten, um den Menschenherzen die Wahrheit einzuflössen, sie,
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die mitten unter Hunger und Nacktheit jubelten und über besiegte und überwundene Unvermeidlichkeit triumphierten, während die Erde ihres Fusstritts nicht würdig war. 41. Wage, Dich solchen Vorbildern anzureihen! 45 „Wage, mein Gast, die Güter der Welt zu verachten …“ Nicht zufällig und unüberlegt wird hier das Wort „wage“ gesagt. Viele Menschen besassen eher den Mut, ihr Leben zu verachten, ihr Blut zu vergiessen und ihre Seele wegzuwerfen, als den Reichtum gering zu schätzen. Wage deshalb Du, mein Gast, weil Du „hier keine bleibende Stätte hast“,46 eine Last abzulegen, die den Liebhabern der Freiheit hinderlich ist. Du wirst in dem Masse sicherer zum Vaterland gelangen, als Du unbeschwerter vorangehst. Wage, sage ich, die Güter der Welt zu verachten, dann tue, was nachfolgt: „… und bezeige Gottes Dich würdig …“. Denn wer würde zögern, Reichtum und Macht zu verschmähen, wenn er der heiligen und demütigen Armut Christi gedächte, um von anderen zu schweigen, und wenn darauf gar die Überlegung folgte, wie viel Unglück und wie viele Gefahren der mit allen Wünschen herbeigerufene und ersehnte Reichtum mit sich führe! 42. Gewiss, jener Salomon, der bei den Hebräern für weise galt – wie Lykurgos bei den Lakedaemoniern, Solon bei den Athenern, Cato und Laelius bei den unsern –, er hat nicht Reichtum, jedoch auch nicht Armut von Gott erbeten (weil das ja Sache des Übermutes und der Verzweiflung wäre). Was also? „Gib mir an Nahrung“, sagte jener,47 „soviel, als nötig ist“. Das hat später der Apostel48 übernommen, indem er sagte: „Habt Ihr, um zu essen und habt Ihr, um Euch zu kleiden, so seid zufrieden“. 43. Und wir? Wir wünschen nicht nur Reichtum, sondern mehr als alles andere gerade das, was uns sogar schadet, nämlich Luxus und Übermass. Nenne mir aber, bitte, was am Geiz denn erfreulich ist! Da gibt es jedenfalls nichts als die Mühe des Erwerbens und die Angst des Bewahrens. Das heisst nichts anderes als dies: sich vor Ruin und Feuersbrunst, vor Raub, vor heimischen und fremden Dieben, schliesslich vor Mäusen und Würmern fürchten zu müssen, ja es heisst auch nichts anderes, als fortwährend beschäftigt und bedrückt zu sein, alle Sorgen und selbst das noch lebendige Herz in Gold zu vergraben, da ja geschrieben steht:49 „Wo Dein Schatz, da ist auch Dein Herz“. In Wahrheit also gilt:50 „… erbärmlich ist das Hüten beträchtlicher Summen“. Und dieser Fehler unterläuft uns, weil wir – wie bei Flaccus steht:51 – nicht bedenken „… was das Geld vermöge und wie es uns nütze“.
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44. Daher werden alle Begehrlichen, sobald ihnen ein ansehnliches Mass an Reichtum zufällt, die Armut für beschwerlich erklären. Nehmen wir an, es gebe ohne irgendwelche Verminderung unseres Wohlergehens jene zwei Grade von Hab und Gut, die Seneca52 so beschrieben hat: „Haben, was nötig ist, und haben, was genug ist“. Dann folgt allerdings ein dritter Grad: Mehr als genug haben; und hierauf ein vierter: Vermehren, was schon viel ist. Man wird das Erreichte für nichts erachten, solange man nicht keuchend und schwitzend zu dem gelangt, was Übermass ist. Somit wird es keinen Reichtum geben, der nicht schon zu schaden begonnen hat, auch keinen, der nicht zu Elend und Mühsal und vielleicht auch zum vorzeitigen Tod die Grundlagen gelegt hat. 45. Doch was bemühe ich mich wieder, Dir gegen die Armut Waffen zu verschaffen? Alles, was man darüber sagen, ja, auch nur denken kann, ist Dir vertraut. Nur eine Einzelheit habe ich mir ausser diesen Binsenwahrheiten noch überlegt, und die möchte ich Dir nicht vorenthalten. Wie einem schwer belasteten Leib eine Entleerung nötig ist, so Dir die Armut. Mögen gewisse Leute aus Euren Kreisen, wie ich höre, Ausflüchte und Deuteleien wagen, so hast Du eben doch die Armut ausdrücklich oder schweigend gelobt. Gut so! Du hast versucht, ihr zu entfliehen, und sie folgt hinter Dir her. Schon hat die unausweichliche Not Dich erreicht und ergriffen, die zur Wahrung der Gelübde erforderlich war. Sie soll Dich zwingen, das von Dir Geschuldete zu vollbringen. 46. Du bist ein Diener Christi, Du weisst, welche Abmachung Du mit ihm getroffen hast.53 Schweige also! Habe Geduld! Ich kann Dich nicht gleichmütig anhören. Du hast vor mir über die Armut so geklagt, als wüsstest Du nicht, dass Du in dieses Leben nackt getreten bist und es nackt verlassen wirst, und als hättest Du nicht die Armut Christi gelobt, sondern den Reichtum eines Krösus.54 Glaube mir, Vater, die Armut war schon vielen förderlich zu ihrem Heil, keinem je unnütz, ausser es verschlimmere einer den Zustand durch Ungeduld und Gejammer. Dir ist sie nicht nur förderlich, sondern in einem so hohen Mass auch heilsam, dass Du ohne sie weder gerettet werden noch das mit Deinem Schöpfer geschlossene Bündnis aufrechterhalten könntest. 47. Das habe ich hier von der Armut kurz anfügen wollen, ich meine von der ehrenhaften und nüchternen, denn jene lästige und schmutzige, die vom Poeten55 als „abstossende Dürftigkeit“ bezeichnet wird, berührt Dich, Gott sei Dank, ja nicht. Und eine solche zu lindern, würde die Kräfte einer grösseren Beredsamkeit erheischen. 48. Schliesslich müssen wir zu den Heilmitteln gegen die Gicht übergehen. Oh, was meinst Du, was würde doch ein Gichtkranker bei einem zufälligen Blick auf diesen Teil des Briefes an Hoffnungen schöpfen, meinend, es werde ihm darin irgendein Umschlag, irgendein Pulver, ein Linderungsmittel oder irgendwelche Verhaltensregel geboten! Er gebe es auf, von mir solches zu erwarten; ich möchte ihm die Mühen ersparen. Falls er von mir Besagtes erhofft, lese er nicht weiter! An
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solchen Arzneien verzweifeln die meisten unterrichteten Ärzte, und befragst Du die andern, so sagen sie, die Reichen brauchten nicht zu verzweifeln, und die Armen hätten ohnehin nichts zu hoffen. Wo doch diese Pest just in den Häusern der Wohlhabenden am häufigsten wohnt! 49. Wolltest Du auf sie hören, so würden ihre Ratschläge Dich dazu bringen – gleichsam eingezwängt zwischen die Qualen augenblicklicher Schmerzen und die Hoffnung auf zukünftige Heilung –, immerfort zu heulen und mit dem Öl der Traurigkeit56 gesalbt und von Salben triefend immerfort zu ächzen. Ich hingegen möchte lieber, Du würdest ganz sachlich und frei und ungebunden dulden, mit Diät, mit Selbstbeherrschung und Anstrengung Dein Körperchen gegen diesen neuen Feind kräftigen und im besonderen Fall von den Ärzten nichts anderes erwarten als Worte. 50. Wenn es gegen die Gicht überhaupt ein Heilmittel gibt, dann ist es ganz von der Armut zu fordern, und wäre das nutzlos, dann von der Selbstbeherrschung. Gegen Gicht ist das beste Heilmittel die Armut, ob Not oder freier Wille sie herbeigeführt habe. Und der höchste Grad von Genügsamkeit ist eben das, was man die freiwillige Armut nennt. 51. Da ich Dir hierüber in einer anderen Abhandlung schon früher, als ich nämlich erst gerüchteweise von Deiner Gicht gehört hatte, wohl genug geschrieben habe,57 will ich jetzt nur das eine, was ich damals noch nicht bedachte, herausheben: Ich glaube, der Himmel hat es gefügt, dass sich zu Deiner Gicht die Armut gesellte. Denn so wie gerade aus bestimmten giftigen Lebewesen ein Heilmittel gegen Gift gewonnen wird oder wie die Biene aus bestimmten herben Kräutern den süssesten Honig bereitet, so kannst auch Du für Deine Übel aus gar nichts anderem als aus Deinen Übeln ein Heilmittel brauen. Und über die Armut und die Arznei, die in ihr liegt, nur soviel. 52. Von der Selbstbeherrschung und der Geduld jedoch habe ich länger zu sprechen und stütze mich auf Autoritäten, Überlegungen und Beispiele. Als ein Vorbild empfiehlt sich Marius,58 empfiehlt sich Marcus Atilius,59 ja eine ganze Heerschar von Römern; denn kein anderes Volk ist in dieser glorreichen Tugend dem unseren vergleichbar. Als ein Beispiel empfehlen sich aus einem andern Volk Poseidonios,60 auch Anaxarchos61 und – als weiteres, das wahrscheinlich um so stärker wirkt, je geringer es ist – der Sklave Afer, ein Rächer seines Herrn, der von Folterqualen zerrissen, gemäss Titus Livius,62 nicht bloss nicht aufstöhnte, sondern – die Schmerzen in Heiterkeit unterdrückend – den Anblick eines Lachenden darbot. 53. Unzählige gibt es von der selben Gattung; nicht bloss Abhandlungen, sondern Bücher könnte man damit füllen, doch, wie oben gesagt, scheint hinter Cicero her ein ehrerbietiges Schweigen angemessen zu sein. Es ist das zweite Buch der „Gespräche von Tusculum“, das ich häufig bei eigenen Schmerzen als heilsam erlebt habe. Von ihm und seinen Wirkungen habe ich auch verschiedene hervorragende Männer Ähnliches berichten hören. Deshalb möchte ich, Du würdest es Dir vertraut ma-
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chen und nähmest es zur Hand, wann immer Du an den bekannten Zeichen spürst, dass die Schmerzen der Gicht sich heranmachen. 54. Dennoch gibt es eine andere, eine viel schmackhaftere und sanftere, für einen gebildeten und religiösen Menschen viel richtigere Medizin in allen unseren Leiden und Schmerzen, eine, derer das sterbliche Leben auch gar nicht entbehren kann. Das ist die Erinnerung an die Leiden und Schmerzen, die Christus für uns ertragen hat, das Gedächtnis an seine Wunden, durch welche unsere Wunden geheilt und wir der Gefahr eines ewigen Todes entrissen sind, das Gedächtnis an die Nägel, die Lanze und das wertvollste Blut, das uns reinigt und von Schmutz befreit, so dass wir als Neugeborene und liebevoll Ermahnte die weltlichen Beschwerden in hoher Gesinnung niedertreten und nichts anderes mehr fürchten als die Strafen der ewigen Verdammnis und der immerwährenden Qualen. 55. Freilich wäre jedem auch nützlich, sich nicht allein Christus vor Augen zu halten, dem dank seiner Gottheit, seiner unvergleichlichen Glorie und unzugänglichen Macht sich alles fügte und anbequemte,63 sondern sich auch jener weiss gekleideten Schar zu erinnern, die man das Heer der Märtyrer nennt, und an viele andere, die sterbliche Menschen waren wie wir. Zu denken übrigens nicht nur an kräftige Männer, sondern auch – was ein besonders herrliches Wunder ist – an manche schlichten Frauen und Mädchen, die unter dem Hauch des göttlichen Geistes Ebenbürtiges durchstanden, so dass im Vergleich mit ihnen all das, was Du ertragen musst, gewissermassen als Erquickung und Tröstung zu gelten hat. Geläufig ist Dir das alles und vor allem seit Deinem Klostereintritt vorzüglich bekannt, wie Deine Pflicht es erfordert. Daher bleibe ich nicht länger dabei stehen, sondern beeile mich, etwas eher Besonderes zu sagen. 56. Es gibt noch eine Art Arznei, an welche Du vielleicht nicht denkst und welche mich, als sie mir unter der Lektüre Deines Briefes plötzlich einfiel, zum Lachen reizte, wie ich oben gesagt habe. Ärgere Dich bitte nicht über mich, wenn ich, wie oft über eigene Übel, so auch über Deine mich belustige. Nicht bloss bei Schmerzen, sondern auch beim Tod pflegten tüchtige und gebildete Männer, wie wir hören, sich oft zu erheitern. Das bezeugen der Kaiser Vespasianus64 und der Philosoph Sokrates.65 Erlaube mir also, wegen Deiner Fussbeschwerden das selbe zu tun, obwohl allerdings mein Spass nicht eitel Spiel, sondern mit Wahrheit gewürzt ist. 57. Was meinst Du? Überlege es, Vater! Von Deiner Jugend auf konntest Du weder Deine Reiselust noch Deinen Tatendrang einschränken. Und nun begreifst Du: Wie einem unbändigen Pferd der Zaum, so ist Dir das Podagra nötig! Es wäre vielleicht auch mir von Nöten, damit ich endlich lernte, still zu sein und daheim zu bleiben; aber Dir ist zweifellos unter allen, die ich kenne, das Podagra am nötigsten. Du wärest über die Grenzen unserer bewohnbaren Zone hinausgegangen, Du hättest den Ozean durchquert, Du hättest die Antipoden besucht, und Deine Vernunft, im übrigen ausgezeichnet, hätte Deinem Lauf keine Grenzen gesetzt.66 Was
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weiter? Nicht anders als mit Hilfe des Podagras konntest Du zum Stillstand gebracht werden! Dieses legt Dir nun Zügel an; es zwingt Dich zum Stehen! 58. Was sagst Du nun? Du wirst Dich fügen, ob Du willst oder nicht. Und rede nicht von Unrecht! Nichts hat sich je zu noch besserer Zeit eingestellt, nichts je zu noch glücklicherem Zeitpunkt! Ein Kapitän behilft sich, wenn sein Gefährt ins Schwanken kommt, mit Tau und Anker. Dir aber wurde nahe am Ufer, von wo Du gegen die offene See aussegeln wolltest, der Anker geworfen. Erlaubt hat Dir das Schicksal zwar eine ungebundene und tatenfrohe Jugend, doch obwohl es schien, Du müsstest auch Deinem höheren Alter keinen Feiertag gönnen, kommt es dank der Gicht jetzt zur Ruhe. 59. Ein umherirrendes und unstetes Lasttier wird durch seinen klugen Wärter angebunden; es wird am Umherlaufen gehindert und erhält die Möglichkeit zum Ruhen und Weiden! Anerkenne die Fürsorge Deines Wärters! Übrigens bist Du nicht in Persien, nicht in Arabien oder Ägypten, wo Du wie in Deiner Vorstadt herumstreiftest, angebunden worden, vielmehr stehst Du nach Deiner Rückkehr von unzähligen Reisen, die – wenn ich Dich kenne! – keinen Gedanken an Sesshaftigkeit zuliessen, noch im vollen Gebrauch Deiner Glieder in Deinem Vaterland auf fruchtbarsten und anmutigsten Weiden. 60. Und als Gipfel göttlicher Gnade kommt hinzu, dass sie Dich einerseits nicht etwa in Rom eingeschlossen hält, wo Du infolge des eigenen und familiären Ansehens berühmter bist, als Dir recht sein kann, und dass sie Dich anderseits auch nicht in eine grosse Ferne ohne Aussicht auf die geliebte Stadt versetzt hat. Was also? Tivoli ist Dir zum ruhevollen Alterssitz bestimmt, und vorgesorgt wurde, dass Du nicht fortfliehst. Du klagst, statt Gott dafür zu danken, dass er Dich so vielen Gefahren zu Wasser und zu Land, so vielen und langen Umwegen entrissen hat und Dich schliesslich „auf dem Erdboden festsetzen“ wollte, wie Maro67 sagt, an einem Ort, wo Dir alles, was Seele und Leib förderlich ist, zur Verfügung steht. 61. Da sind Bücher (Deine Leidenschaft) und Deine Schaffenskraft, der Anblick des reinsten Himmels, der klarsten Wasser und die Reize der schönsten Landschaft (was sogar einen finsteren und bäurischen Sinn besänftigen könnte), der so wohltuende Ausblick auf Deine Vaterstadt, in mässiger Entfernung auch Deine Freunde, während die Langeweile wegfällt und der Überdruss fehlt, den Dir ein gewaltiger Lärm der Stadt und der ständige Umgang mit allzu vielen Bekannten wahrscheinlich verschafft hätten. Geniesse diese Deine Vorteile dankbar, gleichmütig und zufrieden! Besseres ist Dir zugefallen, als Du gedacht hast. Einen angenehmeren Platz hättest Du auf der ganzen Erde nicht zu wählen vermocht als diesen, vom Geschick Dir erkorenen. 62. Doch Du beharrst und fragst: „Weshalb aber nicht ohne diese körperliche Beschwerde?“ – Du verlangst von mir, dass ich sage, was ich denke. Dein Geist bedurfte der Fesseln. Nimm das bitte nicht für einen Tadel, sondern rechne es Dir zum Lob an. Je fruchtbarer ein Acker ist, um so häufiger muss er ein Treten und Jä-
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ten erdulden, damit die Saat besser Wurzel fasse. Und je edler und kräftiger ein Pferd, je unbändiger es ist, um so stärkerer Stricke bedarf es. Du würdest Dich nun, so ist zu vermuten, in irgend einem Winkel der Erde aufhalten; bereits hättest Du den Nil, den Indus oder den Don durchschwommen; schon die Rhipäischen Berge68 und das Gestrüpp des Herkynischen Waldes69 durchschritten, immerfort weiterschweifend, „ein Flüchtling auf Erden“.70 Dem widersetzte sich die erbarmende Güte dessen, der allein unsere Schwächen und auch die Heilmittel für unsere Krankheiten kennt. Sie sind darum nicht weniger nützlich, weil sie etwas bitter schmecken. 63. Schliesslich drückst Du etwas aus, was wohl menschlicher tönt und Deiner Liebenswürdigkeit besser entspricht. Ungemein sanft fragst Du nach meinem Besuch und nach einem Zusammenleben mit mir, das Du einst, wie Du sagst, so sehr geschätzt und mit grossem Vergnügen genossen habest.71 Nun fehle es Dir zu Deiner Betrübnis. 64. In dieser Sache aber besteht keine Schwierigkeit. Wenn Du mein Freund, nein vielmehr mein Vater bist – und genau als solchen hast Du in ausnehmender Güte und mit väterlichen Gefühlen Dich immer bewährt –, dann wird kein Ort und keine Zeit mich je Dir entreissen. Versetze mich auf den höchsten, unter dem Blick der Meduse versteinerten Gipfel des Atlas und Dich auf einen Felsen des Kaukasus, wo der gefesselte Prometheus gegen Jupiter lästert!72 Dennoch werden wir beieinander sitzen, gemeinsam wandern, zusammen speisen, uns gegenseitig unterhalten und Wichtiges besprechen; nichts wird sich je zwischen uns hineinschieben, was verhindern könnte, dass wir uns gegenseitig sehen und hören. 65. Beflügelt ist die Liebe; sie durchquert nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel und die Meere, und sie jedenfalls kennt kein Podagra und keine Fesseln. Denkbar ungebunden ist sie, und selbst wenn Fortuna sie anficht, ist sie dort, wo sie will. Das wundert Dich? Auch die Herrschaft des Todes ist ihr unbekannt. Und scheint ihr, der Tod habe etwas geraubt, so ersetzt sie es. Daher kannst Du bei der Liebe selbst das in Asche Zerfallene unbeschadet wiedererlangen, so wie Octavia ihren Sohn, Artemisia ihren Gatten, Laelius seinen Freund73 lebendig und gegenwärtig vor sich haben, und zwar selbst gegen den Willen des Todes und gleichsam bei aufgebrochenen Gräbern. Halte mich also fest, wie ich Dich. Keinen Tag erlebe ich ohne Dich, auch keine Nacht, keine Reise, keine Gesellschaft ohne Dich; überall bin ich zusammen mit Dir! 66. Aber wenn Du vielleicht – denn leugnen kann ich nicht, dass die Anwesenheit von Freunden etwas Köstliches und Erquickendes an sich hat (gesteht man mir ein, dass die Erinnerung an Freunde oft köstlicher ist und – was ich nie wollte – oft schwieriger ihre Gegenwart), wenn Du also meinst, zum Trost Deines Lebens sei Dir meine Gegenwart hilfreich, so gibt es dazu zwei Wege. Denn entgegen all Deiner Hoffnung weigere ich mich nicht, zu Dir zu kommen und Deinen Sommersitz, welcher auch der des Sängers Horaz war,74 zu besuchen und so lange zu bleiben, bis
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Dein Verlangen gestillt ist. Wenn Du aber vorziehst, zu mir zu Besuch zu kommen – das Menschenherz pflegt ja das um so seliger zu geniessen, was es besonders angestrengt gesucht hat –, so will ich Dir einen Weg angeben, auf welchem Du weder durch die Krankheit Deiner Füsse behindert noch überhaupt gezwungen wirst, die Füsse auch nur auf die Erde zu setzen. 67. Getragen auf den Händen Deiner Diener gelangst Du bis zum Aniene, der den Mauern von Tivoli entlang fliesst. Dort setzt man Dich auf ein Schiff, worauf Du den sanft abgleitenden Fluss hinabfährst, bis zur Rechten der Tiber entgegenströmt. Bald gelangst Du auf dem schon breiteren Fluss durch die ummauerte Stadt Rom und weiter bis zum Meer. Hierauf fährst Du, Dich immer rechts haltend und einem stärkeren Fahrzeug anvertraut, durch die Bucht des Tyrrhenischen Meeres. Hast Du Marseille schon weit hinter Dir, wirst Du – wiederum zur Rechten – auf einem Flussschiff in die Mündung der Rhone gleiten. Dann siehst Du das alte Arles auf sumpfigen Böden und steiniger Ebene, gleich hernach auf schrecklichem Felsen das alte Avenio, das nun Avignon heisst und wo jetzt der Pontifex Maximus Roms nach seinem Wegzug von seinen eigenen Sitzen – den Lateran und Papst Silvester völlig vergessend75 – das Haupt der Welt anzusiedeln bemüht ist,76 was, wie ich meine, die Weltordnung umstürzt. 68. Gegen die Strömung kommst Du dreitausend oder etwas mehr Doppelschritte immer aufwärts und hast dann rechts vor Dir ein silberhelles Fluten. Wende Dich um! Das ist die Sorgue, der ruhigste aller Flüsse. Fährst Du auf seinen Wellen etwa fünfzehntausend Doppelschritte hinauf, siehst Du eine der herrlichsten Quellen, den Ursprung des leuchtendsten Bergbaches und dahinter einen, über die sprudelnden Wassermassen hochragenden Felsen. Hier weiterzugehen ist weder möglich noch nötig; denn hier entdeckst Du, da eben alles rechtsseitig und glückbringend ist, zur Rechten auch endlich – abgesetzt auf dieses Stück Erde – mich. 69. Wo könnte ich fern von Italien geruhsamer leben? Hier wirst Du mich finden, wie ich mit bescheidenen, aber schattigen Gärtlein und mit einer engen Gaststätte zufrieden bin (welche freilich bei der Ankunft eines so bedeutenden Gastes noch enger würde). Du wirst hier den Gesuchten sehen, und dass er bei bester Gesundheit ist, nichts entbehrt und von Fortunas Händen nicht viel erwartet. Du wirst ihn sehen, wie er vom Morgen bis zum Abend einsam herumgeht, auf Feldern herumgeht, auf Hügeln herumgeht, an Quellen herumgeht, nämlich als Waldbewohner und Landbewohner, der den Spuren der Menschen ausweicht, das Weglose aufsucht, den Schatten, die träufelnden Höhlen, die grünenden Matten bevorzugt, die Geschäfte der Kurie verabscheut,77 den Tumult der Städte vermeidet, von den Schwellen der Stolzen sich fern hält, Bemühungen der Menge verspottet, von Lustigkeit und Traurigkeit sich in gleichem Masse fernhält, 70. Tag und Nacht den Studien widmet, mit der Gesellschaft der Musen, mit dem Vogelgesang und mit dem Nymphengeplätscher gross tut und nur wenige Diener, aber recht viele Bücher
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um sich sammelt, bald zu Hause ist, bald ausgeht, bald stille steht, bald am murmelnden Bach, bald im weichen Gras den erschöpften Kopf und die müden Glieder zum Ausruhen hinstreckt und – was nicht etwa das letzte Bisschen an Trost bedeutet – keinen aufsucht (ausser höchst selten), der ihm auch nur vom hundertsten Teil seiner Sorgen etwas vorunken könnte. Bald verharrt er überdies angestrengt und mit festgeheftetem Blick in Ruhe, bald berät er vieles mit seiner Person und weiss schliesslich, sich selber und alles Vergängliche geringzuschätzen. 71. Sieh, Vater, während ich Dich herrufe, habe ich Dich wahrscheinlich der Mühe einer Reise entledigt. Hast Du das gelesen und bist ans Ende gelangt, siehst Du mich deutlich genug. Und nun endlich lebe wohl! Wirklich, während ich mich zu unterhalten scheine, vergesse ich, dass ich ein Schriftstück verfasse. An der Quelle der Sorgue, am 30. Mai (1338/1342).78
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Adressaten. Da dieser etwa 1298 geboren wurde, galt er zu seiner Zeit beim Empfang des Briefes bereits als alt. Er starb im Oktober 1343 oder kurz nachher; vgl. Dotti, Fam. zu diesem Brief. Zu den im Text genannten Personen und Werken vgl. Personenreg. und Abkürzungsverz. 2 Iuv. Sat. 15,140 – 142 und 15, 131 – 133. 3 Ter. Haut. 1,1,77. 4 Iuv. Sat. 10,33.Vgl.Hor. Epist. 2,1,194. 5 Das ist der Kyniker aus Sinope. 6 Vgl. Liv. 30,44,4 – 5. 7 Phars. 9,1035. 8 Das ist Pompeius, den Caesar bekämpfte und der 48 auf der Flucht nach Ägypten ermordet wurde. 9 Gen. 24,1und 25,8. 10 Gen. 27,1und 35,29. 11 Das ist Jakob; vgl. Gen. 48,10. 12 Deut. 34,7. 13 Jos. 13,1 und 23,2. 14 Jos. 10,11 – 15. 15 3 Reg. 1,1. 16 Ps. 36,25. 17 Macr. In somn. Scip. 2,10. 18 Eus. Chron. ed. Helm 16. Cic. De sen. 10,31. Ov. Metam. 12,188. 19 Ad Lucil. 77,22. 20 Metam. 12,188. 21 Cic. De sen. 10,34; Val. Max. 8,13,ext.1. 22 Nicht von allen folgenden Beispielen gibt es auch nur einigermassen gesicherte Geburts- und Sterbedaten. Genannt seien hier in der von Petrarca angegebenen Reihenfolge nach Nestor, dem sagenhaften Herrscher von Pylos: Hieron, der Tyrann von Syrakus, gest. 467 v. Chr.;- Masinissa, König von Numidien, gest. 148; – Solon, ca. 640 – 560; – Sophokles, ca. 480 – 405; – Isokrates, gest. 338; – Homer nicht annähernd datierbar; – Karneades, gest. 129/128; – Xenophanes, ca. 580 – 478; –
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23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58
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Demokritos um 450, Zeitgenosse von Sokrates; – Kleanthes, gest. ca. 232/231; – Gorgias, ca. 480 – 380; – Chrysippos, ca. 281/277 – 208/204; – Simonides, gest. ca. 468/467; – Sokrates, ca. 465 – 399; – Platon, 427 – 346; – Diogenes der Kyniker, Zeitgenosse Platons; – Erathostenes, ca. 284 – 202; – Xenokrates, ca. 396 – 314; – Aristoteles, 384 – 322; – Cicero, 106 – 43; – Numa Pompilius, dritter römischer König, undatierbar; – Cato, 234 – 149; – Camillus, gest. ca.365; – Fabius, gest. 203; – Lucius Caecilius Metellus, gest. 221; – Valerius Corvinus, 371 – 271; – Appius der Blinde, Censor, 312; – Augustus, 63 v. Chr.-14 n. Chr.; – Pompeius, 106 – 48; – Augustinus, 354 – 430; – Hieronymus, 342 – 420; – Origenes, ca. 184 – 254;- Ennius, 239 – 169; – Bernhardus (von Clairvaux), 1190 – 1253; – Ambrosius, 333 – 397; – Papst Gregorius, vor 540 – 604; – Asinius Pollio, 76 v. Chr. – 4 n. Chr.; – Marcus Varro, 116 – 27; – Seneca, 4 v. Chr.- 65 n. Chr. Erst im Jahr 1353 oder 1354 erlangte Petrarca ein Manuskript Homers; vgl. Dotti, Vita 192. In den Besitz einer Homerausgabe kam Petrarca dank dem Byzantiner Syageros, jedoch erst 1354. Gell. Noct. att. 3,10,9; 15,7,1 ff. Vgl. oben Fam. 1,7, Anm. 8. Unter dem 2. Triumvirat, dem Antonius mit Octavian und Lepidus angehörte, im Jahr 43. Zu den Lateinern, den Römern. Suet. Aug. 99,1;100,1. Ad Lucil. 98,15 – 18; 104,2 und passim. Kaiser Nero zwang Seneca wegen angeblicher Teilnahme an einer Verschwörung, sich zu töten. Vgl. oben Abschnitt 21. Promotor fidei: übliche Bezeichnung für den zur Wahrung des Rechts beigezogenen Anwalt bei Selig- und Heiligsprechungen. Ps. 4,9. Serv. Ad Aen. 6,808; Serv. Ad Ecl. 1,28. Wichtigere Mitteilungen über den Vater stehen in den Seniles 15,1. Er war ein grosser Verehrer Ciceros. dies annorum nostrorum in ipsis septuaginta annis; Ps. 89,10. In nupt. Hon. 324 – 325. De sen. 5,15. Identisch mit De senectute. Vgl. Cic. De sen. 19,66. Sen. Ad Lucil. 26,4. Sen. Ad Lucil. 2,6. Luc. Phars. 5,528 – 529. Zu Valerius Publicola, Lucius Quinctius Cincinnatus, Marcus Curius Dentatus, Gaius Fabricius Luscinus und Atilius Regulus vgl. Val. Max.4,4,1; 7,3,6; und 11. Die christlichen Apostel. Verg. Aen. 8,364 – 365. Hebr. 13,14. Prov. 30,8. 1 Tim. 6,8. Mt. 6,21. Iuv. Sat. 14,304. Serm. 1,1,73. Ad Lucil. 2,6. Vgl. Fam. 3,13,10. Der wegen seines Reichtums berühmte letzte König der Lydier, gest. ca. 546. Verg. Aen. 6,276. Vgl. Ps. 44,8 und Hebr. 1,9. Vgl. Fam. 3,13. Gaius Marius, 156 – 86, Kriegsführer und Staatsman; vgl. Cic. Tusc. 2,22,53.
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59 Marcus Atilius Regulus, im Punischen Krieg 255 gefangen, erduldete für vaterländische Treue grausame Folter; vgl. Val. Max. 9,2.ext.1 60 Poseidonios aus Apameia; vgl. Cic. Tusc. 2,25,61. 61 Anaxarchus von Abdera; vgl. Cic. Tusc.2,22,52. 62 Liv. 21,2,6. 63 Vgl. 10, 3,55 64 Vgl. Suet. Vesp. 23,8. 65 Vgl. Cic. Tusc.1,40,97 ff. 66 Zu den Reisen des Adressaten vgl. Fam. 2,8, Anm. 2. 67 Aen. 1,541. 68 Wo diese Berge liegen, war schon in der Antike strittig. Viele Geographen setzen sie in den höchsten Norden; vgl. Fam. 3,1,13 mit Anm. 69 Der Herkynische Wald zieht sich nach antiker Vorstellung quer durch Deutschland 70 Gen. 4,12. 71 Diese Bemerkung deutet auf eine ziemlich grosse zeitliche Distanz zum vorangehenden Schreiben. 72 Vgl. Hor. Carm. 1,22,17 und 21. 73 Diese drei Personen wurden für ihre Trauer um Verstorbene berühmt. Octavias Sohn war Marcus Claudius Marcellus; der Gatte Artemisias, der Herrin über Karien, hiess Maussolos; Laelius’ Freund war Scipio Africanus. 74 Gemeint ist Tivoli; vgl. Hor. Carm. 1,17,21; 1,18,2 und oft. 75 Silvester taufte Kaiser Konstantin, der Konstantinopel zur Kaiserresidenz machte, um –nach der alten Silvester-Legende – die Stadt Rom samt dem Westreich den Päpsten zu überlassen. 76 Clemens V., ein Franzose, hatte – den italienischen Unruhen ausweichend – Avignon im Venaissin zu seiner und der Kurie Residenz gemacht; seine Nachfolger zeigten die Neigung, sich hier auf Dauer einzurichten. Da das Schreiben Petrarcas nicht genau zu datieren ist, bleibt ungewiss, ob es in die Zeit Benedikts XII. oder Clemens’ VI. fällt. 77 Petrarca stand noch immer im Dienst des Kardinals Colonna. 78 Die Datierungsversuche berücksichtigen vorausgehende Briefe und das Todesjahr des Adressaten 1343; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 59.
Fam. 6,4, an den Dominikaner Giovanni Colonna1 Vom Nutzen der Beispiele. 1. Petrarca verzichtet auf Satiren, verweist lieber auf Vorbilder. 3. Gründe für seinen Brauch. 8. An Hand von Beispielen wird der Nutzen der Beispiele bewiesen. 14. Nörgler brauchen sie nicht zu lesen. Avignon, am 25. September (1337/1342).
1. Beispiele habe ich im Überfluss, und zwar glanzvolle, echte und solche – wenn ich recht sehe –, bei denen das Vergnügliche sich mit Glaubwürdigkeit verbindet. Ich könnte, so erklärt man, mich mit weniger begnügen. Zugegeben! Ich könnte auf Beispiele sogar verzichten; ja ich bestreite nicht, dass ich stumm bleiben könnte, und das wäre vielleicht gescheiter. 2. Doch bei so viel Verkommenheit und bei so viel Schändlichkeit der Welt zu schweigen, ist schwierig. Mir scheint, ich habe genügend Langmut geübt; sonst hätte ich meine Feder schon vor Zeiten der Satire zugewendet. Ich lese ja, was einer lange vor dem Aufkommen dieser heutigen Monstruositäten gesagt hat:2 „Schwierig ist’s, Satiren nicht zu schreiben …“ Vieles sage ich da und dort; und vieles schreibe ich; dies weniger, um meinem Jahrhundert zu nützen – denn sein Elend ist bereits ohne Hoffnung –, als um mich selber von Überlegungen zu befreien und mein Herz mit Schriften zu trösten. 3. Doch wenn man nach dem Grunde fragt, weshalb ich bisweilen Beispiele geradezu häufe und den Eindruck erwecke, als beharrte ich bei ihnen ganz geflissentlich, will ich antworten Ich glaube, der Leser sei gleichen Geistes wie ich. Mich aber beflügelt nichts so sehr wie die Vorbilder herrlicher Menschen. Nützlich ist, sich aufzurichten, nützlich, seine Gesinnung zu erforschen, ob an ihr etwas Festes sei, auch etwas Edles, das dem Schicksal standhält, ohne zu brechen, oder ob sie vielleicht sich selber belogen habe. 4. Das aber kann (ausser dank der Erfahrung, welche die zuverlässigste Lehrerin in allem ist) auf keine Art besser geschehen, als indem man sie an andere heranrückt, denen sie möglichst ähnlich sein möchte. Wie ich nun allen von mir gelesenen Autoren dankbar bin, dass sie mir mit häufigen Hinweisen auf Beispiele zu dieser Nachforschung verholfen haben, so hoffe ich, auch mir würden jene danken, die mich einst lesen. Ich täusche mich vielleicht in dieser Hoffnung; Dich aber täusche ich nicht mit dieser Erklärung. Denn wirklich gibt sie den ersten und wahren Grund für mein Handeln an. 5. Ein zweiter besteht darin, dass ich auch für mich selber schreibe und unter dem Schreiben mich lebhaft mit unseren Vorfahren auf die einzige mir erlaubte Art unterhalte, um die Zeitgenossen, mit denen zu leben ein widerwärtiger Stern mich gezwungen hat, recht glücklich zu vergessen. Und hierbei übe ich alle meine Seelen-
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kräfte in zweierlei: Ich versuche, die gegenwärtigen Menschen zu meiden und jene früheren nachzuahmen. Denn wie der Anblick der einen schwer beleidigt, vermag die Erinnerung an die andern, an ihre grossartigen Taten und ihre herrlichen Namen, mich mit unglaublicher und unschätzbarer Heiterkeit zu erquicken. Und wäre diese meine Freude jedermann bekannt, würde es viele bestürzen, dass mir so viel erfreulicher sei, mit Toten zu verkehren als mit Lebendigen. 6. Solchen Leuten würde ich die Wahrheit entgegenhalten, dass die in Rechtschaffenheit und Ehren Verstorbenen noch immer lebendig sind, während diese Heutigen, die sich mit Sinnenkitzel und unechter Lustigkeit aufpeitschen, in Luxus und Trägheit verfaulen und im Trunk verkommen, also nur scheinbar leben, in Wirklichkeit aber, wiewohl sie noch atmen, ekelerregende, entsetzliche Leichen sind. All das mag Gelehrten und Ungelehrten ein Gegenstand ewigen Streites sein; ich aber fahre fort. 7. Du hast da also meine Antwort auf Deine Frage und auf die einiger Deiner Gefährten, die sich wundern, weshalb ich denn an Beispielen berühmter Männer unserer Vorzeit so überborde. Ich hoffe eben, sie würden auch anderen von Nutzen sein, denn dass sie mir, dem Schreibenden und Lesenden, bereits genützt haben, ja, das weiss ich. Weil allerdings kein einziger Mensch nach dem Gefallen aller zu handeln vermag, sollen sie staunen und tadeln nach Belieben. Damit aber niemand meine, ich hätte über dem Murren fremder Leute auf meine Gewohnheit verzichtet, will ich eben nicht unterlassen, auch diesem Brief einige Beispiele einzufügen. Was Beispiele vermögen, will ich mit Beispielen beweisen. 8. Vor Marius3 war es Brauch, alle Kranken, die von Ärzten operiert wurden, zu fesseln. Man behalf sich mit Banden, weil man überzeugt war, der körperliche Schmerz lasse sich mit blosser Geistesstärke nicht überwinden. Marius war der erste, den man vor einem chirurgischen Eingriff nicht festband;4 nach ihm folgten viele. Weshalb? so frage ich. Doch einzig darum, weil das Beispiel dieses ungemein ausdauernden und unbezwingbaren Mannes andere Menschen zur Nachahmung anspornte und weil – um das Wort eines seiner Kompatrioten zu verwenden5 – „sein Ansehen wirkte“. 9. Im latinischen Krieg hat der Konsul Decius6 am Veseri sich für seine Legion und für den Sieg des römischen Volkes geopfert.7 Es wird leichter gesagt als getan, freiwillig in den Tod zu gehen, um einem anderen zum Sieg zu verhelfen. So einflussreich und so kraftvoll war aber sein Beispiel, dass im Krieg gegen Samniter und Gallier sein Sohn Decius, ebenfalls Konsul, sich als Nachahmer seines Vaters bewährte; denn er eilte zu sterben, indem er den Namen dessen anrief, der ihn gelehrt hatte, zur Errettung seiner Mitbürger den Tod zu verachten.8 Ihnen beiden hat hierauf im Tarentinischen Krieg gegen Pyrrhos der Enkel – als ein drittes Opfer aus dem gleichen Geschlecht – nachgeeifert und ist, zwar nicht im Schmuck der selben
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Inful, wohl aber mit der selben herzhaften Festigkeit und mit der selben Hingabe an das Gemeinwohl gefallen.9 10. Niemals wäre Themistokles10 der Mann geworden, der er war, hätte er nicht, durch die beispielhaften Taten des Miltiades11 befeuert, ihm nachzuleben beschlossen.12 Niemals hätte Iulius Caesar jenen Gipfel des Ruhmes erstiegen, wäre ihm nicht schon in der Jugend Marius bewunderungswürdig und nachahmungswürdig erschienen. Und freilich ist ihm auch das Bildnis Alexanders, das er im Tempel des Herkules auf Cadiz betrachtete, ein Ansporn gewesen.13 Denn bei dessen Betrachtung hat er sich nicht bloss zu einem leidenschaftlichen Verlangen nach grossen Taten hinreissen lassen, sondern hat dabei – wie Tranquillus14 sagt – geradezu „aufgestöhnt“. 11. In der Tat, wenn Bildnisse von Berühmtheiten imstande sind, hochgesinnte Herzen zu begeistern, was – laut Crispus15 – sowohl Quintus Fabius Maximus16 wie auch Publius Cornelius Scipio zu sagen pflegten, um wieviel Grösseres kann dann die Tüchtigkeit an sich selber bewirken, wenn sie nicht bloss im glänzenden Marmor, vielmehr im literarischen Exempel gezeigt wird. Körperformen werden vielleicht an Statuen klarer umrissen, aber die Kenntnis von Taten, Sitten und geistigen Haltungen lässt sich ohne Zweifel umfassender und vollkommener in Worten als in Plastiken ausdrücken. Und ich glaube, nicht unpassend zu sprechen, wenn ich behaupte, Statuen seien Abbildungen der Körper, dagegen seien literarische Exempel solche der Leistungen. 12. Was soll ich schliesslich von der geistigen Grösse anführen? Hier kann schon ein einziges glänzendes Doppelgestirn der lateinischen Sprache belegen, was die Nachahmung vermag, nämlich das von Cicero und Vergil. Sie hat erlangt, dass wir den Griechen in keinem Sprachbereich irgendwie nachstehen. Vergil folgt Homer, und Cicero folgt Demosthenes; der eine hat sein Vorbild erreicht, der andere es übertroffen. 13. Übrigens könnte man einen gleichen Nachweis für jeden Stand der Menschen erbringen, aber ich möchte in der Sache, derentwegen Deine Gefährten mich tadeln, heute nicht allzu weit ausholen. Nur ein Beispiel besonderer Art, Dir bestens bekannt, will ich trotz allem noch anführen, weil ich es nicht lassen kann, es ist dieses: Als Augustinus die längste Zeit schwankte, welchen Lebensweg er einschlagen wolle, half ihm das Beispiel des Antonius aus Ägypten17 und das des Redners und Märtyrers Victorinus,18 ebenso die plötzliche Bekehrung zweier Beamter in der Gegend von Trier. Als ihm der kaiserliche Soldat Pontianus19 davon erzählte (den Wortlaut Augustins findet man, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, im 8. Buch der Bekenntnisse20), „entbrannte ich vor Eifer, sie nachzuahmen, und eben zu diesem Zweck hatte es der andere erzählt“. 14. Das also ist der Grund für meine Gewohnheit. Und wegen meiner Aufpasser und Nörgler muss ich ihn ständig wiederholen. Ich sehe, wie die Beispiele vielen zur Tüchtigkeit verhalfen, und was sie in mir selber bewirkt haben, das verspüre
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ich, und deshalb erhoffe ich ein Gleiches auch für andere. Täusche ich mich, gerät dennoch nichts in Gefahr. Wem Beispiele missfallen, der lese sie nicht. Niemanden zwinge ich. Und fragst Du mich, so ist mir lieber, es lesen mich wenige. Lebe wohl! Avignon, am 25. September (1337/1342).21
Anmerkungen 1 Vgl. die andern Briefe an den gleichen Adressaten, insbesondere die vorangehenden Fam. 6,2 und 6,3. 2 Iuv. Sat. 1,30. 3 Gaius Marius, ca. 156 –86, Bauernsohn, Vertreter der Volkspartei, bevor er sich mit ihr überwarf, reformierte das Heerwesen, wurde als 3. Gründer Roms gefeiert. 4 Cic. Tusc. 2,22,53. 5 Vgl. Cic. De fin. 2,19,61; Sen. Ad Lucil. 67,9; Val. Max. 5,6,5. 6 Publius Decius Mus, 4. Jh. v. Chr., altrömischer Volksheld im Kampf gegen die Samniter. Veseri (Veseris) meint Ort und Fluss in der Campagna. 7 Schlacht 340; vgl. Liv. 8,6,9 – 11. 8 Schlacht 294 bei Sentinum in Umbrien; vgl. Liv., 10,26 ff. 9 Schlacht 279; vgl. Cic. Tusc. 1,86 und De fin. 2,61. 10 Staatsmann,Held der Schlacht von Salamis 480. 11 Sieger in der Schlacht von Marathon 490. 12 Vgl. Cic. Tusc. 4,19,44. 13 Vgl. Suet. Caes. 1,3 und 7. 14 Suetonius Tranquillus, der Verfasser der Caesarenbiographien. 15 Vgl. Sall. Iug. 4,5. 16 Quintus Fabius Maximus, der berühmte „Cunctator“, Feldherr nach der Niederlage am Trasimenischen See 217 im 2. Punischen Krieg. 17 Der Wüstenvater in Oberägypten, gest. um 254 n. Chr. 18 Victorinus, Marius, Rhetor in Rom zur Zeit des Kaisers Constantius. Petrarca setzt ihn gleich mit dem Märtyrer Victorinus, Bischof von Pettau, den Hieronymus in De viris illustribus 74 erwähnt. 19 Pontianus, richtig Ponticianus, ein Zeitgenosse Augustins, in gehobener Stellung am Kaiserhof. 20 Conf. 8,2 und 8,5 f.; 8,10. 21 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 59.
Fam. 6,5, an Barbato da Sulmona1 Die Ermordung des Königs Andrea in Neapel. 1. Fragen zur Macht der Fortuna. 3. Unheimliche Vorzeichen am Hof von Neapel. 7. Entrüstung über die Art der Ermordung. 13. Frage nach der Vorsehung. 14. Anrede an den toten König Roberto. 17. Furcht vor weiterem Unglück. (1. August 1345/1346)
1. Ach, wie gewalttätig und unvermeidlich sind die Schlussakte Fortunas, sogar wenn vorausgesehen!2 Oftmals, Du weisst es, liebster Barbato, pflege ich von Fortuna und anderen Dingen so zu sprechen wie das Volk, um im alltäglichen Gespräch nicht auffällig zu wirken. Wollte man mich im Abseits fragen, mag sein, dass ich zu Dir ganz anders spräche. Doch ich gehe darüber hinweg, um nicht hängen zu bleiben und mich nicht durch weitere Zusätze in überflüssiges Wortgeplänkel zu verfangen und darein zu verwirren. 2. Um also das Begonnene weiterzuführen, so könnte man das Wort: „Allgewaltiges Los und unbesiegbares Schicksal“3 nicht allein mit dem Volk, sondern auch mit verschiedenen der grössten und gelehrtesten Männer und vor allem mit Vergil für richtig ausgeben. Wenn nur der „eine Allgewaltige“ zusammen mit dem Wort „Schicksal“ im Munde eines Katholiken4 nicht bedenklich erschiene! Doch welcher Art diese Kraft auch sein mag, welche nach Gottes Entschluss oder Zulassung die Lage der Menschen wandelt, sie ist jedenfalls mächtig und geradezu unüberwindlich. Deshalb lehnt sich die Schwachheit unseres Bemühens vergeblich gegen sie auf. In einem leichten Anlauf unterdrückt diese Masse des Bösen das menschliche Planen; und unsere vergänglichen Mittel der Abwehr zerstört die unbezwingliche Notwendigkeit. 3. Hat man das auch sonst schon gesehen und begriffen, so jetzt doch am klarsten. Ich frage Dich: Was ist da an Neuartigem, was an Unerwartetem geschehen? Wer hat das nicht zum voraus gewusst? Und das Vorauswissen, was hat es genützt? So tief in alle Eingeweide des Reiches war der verderbliche Giftstoff gedrungen, dass er nicht anders als todbringend sein konnte. So weit war die Dreistigkeit, so weit die Frechheit der Verworfenen, so weit auch die Verzweiflung der Gutgesinnten, so weit ihr Jammer gediehen! Es gab zahlreiche Anzeichen weit und breit wie von nahenden Stürmen. Finstere Mienen hatte eine jagende Wolke sich aufgesetzt; kämpferische Winde blähten ihre strotzenden Brüste; es funkelten feurige Augen auf; drohende Mäuler schnaubten und donnerten; wenig fehlte, dass Hände frevelhaft blitzten. Des Hofes Strand schwoll schon an; schon toste eine grauenhafte Brandung; Fluten überschlugen sich; unheilverkündende Vögel und fremdartige Wunderwesen überfielen weit und breit Eure Ufer.
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4. Mit dem Tod des Königs5 schien das Aussehen des Königreiches verändert und mit der Seele des einen Mannes alle Kraft und jede Vernunft geschwunden zu sein. Wir betrachteten das alle und liessen uns durch zukünftige Übel nicht weniger ängstigen als durch bestehende.6 Wer aber wagte denn zu sprechen, da kaum das Denken erlaubt und nicht bloss für Worte, nein auch für Winke harte Strafe verhängt war? So war denn auf den Plätzen jedermann stumm, in den Schlafgemächern kaum hörbares Murmeln, als traurige Ankündigung und Botschaft des kommenden Unglücks – schweigende Auguren – Furcht und Betrübnis! Schliesslich waren die Geister bei offenen Augen so täppisch, als durchzuckte sie das fürchterliche Licht eines nahenden Blitzes. 5. Niemand aber – ausser ich täusche mich – hat offener als ich seine Furcht und niemand freimütiger seine Trauer bekundet. Kein einziger hat jene hofmännischen Ungeheuer scharfsichtiger durchschaut und keiner ihnen mit der Zunge oder Feder hartnäckiger zugesetzt. Ach, wie gross und augenfällig ist die Verlässlichkeit der Sprichwörter! „Schlimmes prophezeit“ – so lehren sie –, „wer ein glaubwürdiger Prophet werden will.“ Oder auch: „Selten kommt ein Unglück allein.“ So ist es. So haben wir’s von den Alten gehört; so sehen wir’s. Gross ist immer der Haufen der Kümmernisse; unbegleitet treten die Müseligkeiten nicht auf; vielen verfallen zu sein, bemerkt, wer der einen verfallen ist. 6. Doch wie es bei einem sehr grossen Haufen Übel notwendigerweise einen Haufen Bedrückte gibt, so gibt es beim grossen Mangel an Gütern nur wenige Beglückte. Und wirklich ist mit armseligem Stöhnen und Klagen von lauter Armseligen ein jeder Ort vollgestopft. Doch umgekehrt: Wer sähe denn nicht, wenn er auf diesen Lebenspfad genau aufmerkt (und dabei das äussere Gepränge Fortunas7 vernünftigerweise aussondert), wie selten den Sterblichen ein Glück zufällt? Kein wahrhaft Glücklicher oder völlig Wunschloser kommt einem entgegen; selbst bei den Historikern hat der berühmte, für glücklich geltende Metellus kaum einen einzigen Gefährten,8 und diesen nur in den hintersten Winkeln Arkadiens gefunden. 7. Wer also würde, da es sich so verhält, noch staunen, dass Prophezeiungen, die man auf einen Unglückshaufen richtet, ebenso wenig fehlgehen als Pfeile, die man auf eine Menschenmenge losschiesst? Die einen müssen auf Wahres wie die andern auf Lebendiges treffen. Du erinnerst Dich, mein Freund, ich erläuterte einst als Anwesender mündlich, und zwar noch zu Lebzeiten des Königs, aber kurz bevor er starb (ich meine jenen, dem allein dieser Titel gebührte), dann in Abwesenheit schriftlich und nicht viel später wieder in Anwesenheit mündlich und nicht ohne Beklemmung, was ich fühlte und für die Zukunft voraussah; denn ich war des Kommenden so gut wie sicher. Ich sah ja, dass der Kuppe des Königreichs der Grund und Boden entzogen war; vor Augen hatte ich die schweren Erschütterungen des stürzenden Königshauses. 8. Freilich, dass das Haupt des schuldlosen Jünglings früher als alles vom Einsturz getroffen werde, das – ich gestehe – habe ich nicht gedacht, und ich weiss
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nicht, was sich einer Todesahnung widersetzte, um das eine Unglück, das schlimmste von allen, zu verdecken. Doch erinnere ich mich immerhin, wie ich gleich im ersten Brief an Dich „das den Wölfen preisgegebene Lamm“ erwähnte.9 Und wäre es bloss nicht in so richtiger Voraussicht geschehen! In der Tat, ich habe an die Bisse und die Wut der Wölfe gedacht und an all das, was verderbten Menschen gewöhnlich einfällt, nämlich an Verachtung, Hass, Neid, List, Raub, Kerker und Verbannung. Doch für einen solchen Menschen einen solchen Tod zu ersinnen oder ihn zu befürchten, das hatte ich nicht gelernt, war mir doch eine so niederträchtige und grässliche Tücke aus keinen Tragödien erinnerlich. 9. Sieh, da hat also unser entsetzliches Jahrhundert ein solches Verbrechen hervorgebracht, dass das Altertum sich rühmen und die Nachwelt sich trösten kann; denn jede Epoche kann sich entschuldigen, weil das Höchstmass aller Gewalttat und die Missachtung des Gastrechts in just unserer Epoche ausbrach. Oh Du, in kurzer Zeit so sehr gewandeltes Neapel! Oh unseliges Aversa!10 Wahrhaft „aversa“, weil das Wort von der Sache stammt! Denn völlig „abgewandt“ nenne ich Dich, abgewandt sowohl von der Menschlichkeit wie auch von der Treue! Wo doch die eine dem Menschen und die andere dem König und gerechten Herrscher geschuldet war! In Deinen Mauern wurde die Ehrfurcht vor beiden verhöhnt, und ein Bündnis mit ihnen, wie es den Völkern heilig ist, wurde bei Dir gebrochen, indem bei Dir wegen Deiner gottlosen Verschlagenheit Dein König zugrunde ging! Und wäre er wenigstens durch das Schwert oder durch eine andere männliche Todesart gefallen, so dass es schiene, Menschenhand habe ihn umgebracht, nicht aber der Zahn wilder Tiere und ihre Kralle ihn zerfleischt! 10. Ach Du, unter bösem Stern gegründete, mit unseligem Pflug umgrenzte, mit blutigem Mörtel errichtete und von viperngleichen Siedlern bewohnte Stadt! Lehrmeisterin entsetzlicher Beispiele! Übergross wäre das schändlich Unrecht schon darum gewesen, weil ein unantastbares, über alles Leben gesetztes Wesen, das nach Gottes Bildnis geschaffen ist,11 so gewaltsam, so rechtswidrig versehrt wurde. Doch nun hast Du dieses Verbrechen nicht an irgendeinem Menschen begangen, sondern hast den mildesten und unschuldigsten der Menschen und Deinen Herrn, der sich – schon vor seiner Zeit12 – liebevoll um Dich gesorgt hat, ein Kind von seltenen Gaben, einen König grosser Hoffnungen, mit grauenhafter Roheit zerrissen. 11. Doch nein, nicht Du selber, sondern gewisse, gegen Dich hart und grausam handelnde – sage ich: Menschen oder wilde Tiere oder irgendwelche Gattung hergelaufener Scheusale? Jene, die ganz Italien mit barbarischer Wildheit besudeln, haben Deinen und ihren König nicht etwa mit dem Schwert und mit Gift (dem rauhen, aber für Könige üblichen Tod), sondern mit dem schimpflichen Strang wie einen Brandstifter und Wegelagerer umgebracht. Jene, die zuerst seinem Scheitel den geschuldeten und erwarteten Kronreif lange Zeit durch boshafte Verzögerung
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vorenthielten, haben dann um seinen Hals einen Strick und eine elende Schlinge geworfen. Von der unwürdigen Verhöhnung seines Leibes will ich nicht reden; er wäre eines ganz anderen Begräbnisses und eines langen Lebens überaus würdig gewesen. Vielleicht können aber diese Untaten infolge meines Schweigens der Kenntnis der Nachwelt entzogen bleiben!13 12. Du aber, unglückliche Bürgerschaft, hast innerhalb Deiner Mauern erduldet, was nach einer traurigen Überlieferung alle Länder und Zeiten beflecken wird. Im übrigen bist Du frei von Schuld, ausser dass oft das Dulden von Unrecht dem Einverständnis sehr nahe kommt. Konntest Du aber nicht verhindern und nicht rächen, bist Du eher des Mitleids würdig als des Hasses. 13. Und Du, Christus, „Sonne der Gerechtigkeit“,14 alles überschauend und mit ewigen Strahlen das Universum erleuchtend! Warum hast Du zugelassen, dass dieser Nebel der Schande sich auf unsere Gegenden legte? Du hättest ja leichthin vermocht – ausser die Sünden der Menschen widersetzten sich – die schädlichen Dämpfe einer im Frost der finsteren Nacht erstarrten Gehässigkeit mit dem feurigen Glanz Deiner Liebe zu zersetzen! 14. Und Du, grösster der Könige unserer Zeit, Roberto! Hätte ich doch geglaubt, Du würdest – von irgendeinem Himmelskreis ausschauend – Mitleid mit unserer Lage bezeigen! Mit was für Augen hast Du diesen Frevel betrachtet? Und mit welcher Empfindung hast Du das grosse Unrecht an Deinem Blute erduldet? Konntest Du nicht mit segensreichen Fürbitten die unselige Schandtat verhindern? Oder konntest Du, aber wolltest es nicht? Recht schwierig, dieses Mutmassen! Denn zwar ist höchst wahrscheinlich, dass Du, von himmlischen Freuden gesättigt, dem irdischen Schmerz nicht mehr zugänglich bist. Aber wie sollte die Liebe zu den Deinen und das Dir angeborene Pflichtgefühl Dich nicht ergriffen haben? 15. Wie dem sei: Glücklich bist Du, weil Du nicht – noch im Leibe wohnend – diesen Tag gesehen hast. Freilich wäre, solange Du lebtest, ein bedauernswerter Tag wie dieser niemals erstanden und niemals dem Neid so vieles erlaubt worden. Damals war ja wahrhaftig Deine königliche Stirn das Heil des Königreichs, eine Vermittlerin des Friedens, ein Anreiz der Gerechtigkeit und eine Rückweisung des Unrechts, ein erquickender Schatten für Deine Herde, so köstlich den Hirten wie verderblich den Schlangen! Wenn aber die menschliche Tatkraft den ewigen Bestimmungen nicht entgegenzustehen vermochte, war freilich der Tod vorzuziehen und höchst willkommen, denn er konnte Deine Augen (ich meine jene, denen nach dem Gesetz der Natur noch Schrecken und Tränen innewohnten) vor so traurigem Schauspiel bewahren. 16. Welch ein Schmerz! Just jene, die Du zur Erhaltung und Pflege Deiner vortrefflichen, teuren, frommen und lieben Hinterlassenschaft berufen hattest, richteten sie zugrunde, und nicht etwa von Schläfrigkeit und Trägheit übermannt, nein, von flammendem Hass und Neid getrieben! Dem Opfer jedoch haben weder Un-
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schuld, noch Blut, noch Majestät genützt. Ihm hat weder einer der Menschen, noch einer der Götter, nicht einmal das, wovon man eine besondere Wirkung erhoffte, nämlich das Andenken an Dich, geholfen. Mit Deinen letzten Verfügungen und Ermahnungen wolltest Du bei Deinem Tod als getreuer Vater und bester König und soweit der Rat eines Sterblichen es vermag, auf eine lange Zeit hinaus für Deine Familie wie für Dein Reich Vorsorge treffen. Doch alles das hat der Sturm jäher, verzweifelter Bosheit weggeweht und im Vergessen aller menschlichen und göttlichen Rechte begraben. 17. Doch genug jetzt der Tränenflut! Möge nur nicht, wo wir ein Ende ersinnen, ein Anfang erstehen! Da ja, wie ich sagte, die Übel gehäuft und in Gesellschaft erscheinen, das Gute dagegen selten und unbegleitet auftritt, sehe ich aus dem erwähnten Übel ich weiss nicht welches andere erstehen. Solches aber will ich mit Schweigen unterdrücken, um nicht noch einmal durch eine schlimme Voraussage ein tüchtigerer Prophet zu sein, als ich wollte. Möge alles besser werden, als ich erwarte! Und möge dem Wohl der Allgemeinheit die Raserei der wenigen nicht schaden! Sie wird, wie ich ahne, an denen, die ihr verfallenen sind, nicht ungerächt bleiben. Denn obwohl die Gerechtigkeit Gottes sich schon oft der Barmherzigkeit gebeugt hat, so wird sie doch nur jenen geschenkt, die ihre Sünden zerknirscht bereuen, nicht aber den andern, die sich der Schandtat gar rühmen. 18. Dies habe ich Dir an der Quelle der Sorgue, zu der ich erneut aus dem gewaltigen Schiffbruch Italiens wie zu einem Hafen geflohen bin, das Vergangene beweinend und das Künftige fürchtend, am 1. August in tiefer Nacht geschrieben. Lebe wohl! Sorge für Dich und gedenke meiner! (1.August 1345/46)15
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 4,8 und 5,1. 2 Am 18. September 1345 wurde der junge Thronanwärter Andrea, den der Papst Clemens VI. protegierte, von einer Gegenpartei ermordet. Später, Ende 1347, fiel König Ludovicus von Ungarn in Italien ein, um den Bruder zu rächen. Vgl. Fam. 7,1. 3 Verg. Aen. 8,334. 4 Das Wort hat den mittelalterlichen Sinn: Glied der allgemeinen Kirche. 5 Der König starb am 19. oder 20. Januar 1343. 6 Vgl. den Bericht Petrarcas über die Zustände am Königshof in Fam. 5,1. 7 Gemeint ist, die Fülle rein äusserlicher, materieller Güter sei wertlos, also nicht zu beachten. 8 Die Rede ist von Quintus Caecilius Metellus Macedonicus und vom Bauer Aglaos; vgl. Val.Max.7,1,1 – 2. 9 Andrea war, wie man in Avignon wusste, ein grosses Kind, das sich unbesonnen dem Verderben preisgab.
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10 Nahe bei diesem Ort geschah der Mord. Andrea wurde aus dem Palast gelockt, erdrosselt und verstümmelt. Sein Nachfolger Luigi von Tarent geriet in den Verdacht, an der Ermordung mitschuldig zu sein. 11 Hinweis auf die Erschaffung des Menschen in Gen. 1,26 f. 12 Vor seiner Krönung. 13 Vgl. De Gravina, De rebus in Apulia gestis, in: Rer.Ital. Script. 12,3, S. 15 – 16. 14 Mal. 4,2. 15 Der Hinweis auf den 1. August (Kalendis Sextilibus) wirft für die Datierung des Schreibens Fragen auf, da die Ermordung am 18. September geschah; der Fehler mag Petrarca bei einer Überarbeitung unterlaufen sein. Vorgeschlagen wurden der 27. Oktober 1345 und der 1. August 1346; vgl. Wilkins, Studies 222 f. und Petr. Corresp. 59.
Fam. 6,6, an einen Ungenannten Mahnung, sich mit einem Unbelehrbaren nicht weiter abzumühen. 2. Charakterisierung eines Menschen ohne Selbstvertrauen. Avignon, am 29. April.
1. Lass ihn machen, überlass ihn sich selber! Er ist alt genug. Die Wege stehen ihm offen, er kann gehen, wohin er will. Lockere diesem unbändigen Menschen am Hals die Zügel; Deine Anstrengungen sind nutzlos. Ich wiederhole: Überlass ihn sich selber! Geh er doch, wohin sein Mutwille ihn zieht! Glaube mir aber: Weit wird er nicht kommen. 2. Du kennst Pferde, die zum Vorwärtsgehen zu schwerfällig und zum Kämpfen zu ängstlich sind, die aber gegenüber Artgenossen ungeduldig schnauben. Es charakterisiert entartete Menschen, dass sie Untergeordnete anherrschen, Gleichgestellte ablehnen, sie wo möglich schädigen wollen, und immer eine Gelegenheit suchen, nicht einen Grund. Die Fliegen quälen abgemagerte Rinder, und der Hund knurrt gegen fremde Bettler. Füge unseren Wicht diesen Beispielen an! Wo erbarmungswürdige Vereinsamung oder äusserste Armut und wo schliesslich sehr geringes Selbstvertrauen bestehen, gibt es eine um so grössere Grausamkeit und ein um so leidenschaftlicheres Verlangen nach Schädigung, das einzig überlegt, wo sich dazu eine Möglichkeit finde. Das Wollen fehlt nie und zielt immer auf das Eine und Gleiche. 3. Wozu also willst Du ihn schelten? Deine Mühe ist sinnlos. Etwas mehr verlangt dieses Übel als Worte. Bestelle ihm einen ebenbürtigen Gegner, sogleich wird seine Hitze sich mässigen. 4. Immer wird er Wolf sein, sobald sich ein Schaf blicken lässt. Darum schaffe einen Wolf herbei; dann wird er ein Schaf sein. Höre auf Flaccus:1 „Wozu verströmst Du Bitten vor verstopftem Ohr?“ Warum ihn nicht lassen, wie er ist, bedeckt von seinen Lastern und von ihnen erdrückt, aufgebläht von seinem Stolz, glühend vor Habgier, von Zorn entbrannt, von Neid zerfressen, von Leidenschaften verwüstet, ein Sklave seiner Essgier und seines Bauches,2 stets von allzu grosser Schläfrigkeit gelähmt und, wie Maro sagt, „… in Wein und Schlummer begraben“?3 Was willst Du mit ihm anfangen? Was ihm sagen? Du redest zu einem Fass, und zwar zu einem vollen, das nichts antworten, nichts verstehen, ja, auch nichts hören wird. 5. Genau auf diesen Menschen wären wohl die Worte des Licinius Crassus4 zu beziehen: „Ihm fehlt bloss ein Bart aus Erz“; denn das übrige ist bei ihm vorhanden, nämlich ein Gesicht aus Stahl und ein Herz aus Blei. Ja, er hat dickfellige Oh-
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ren und einen dickfelligen Sinn. Durch seine aus Lügen gefertigte Hülle dringen wahre Worte nicht ein. Gehörst Du zu jenen, denen es leicht fällt, Worte zu verlieren? Jedenfalls weiss ich bestimmt, dass man sie bei diesem Menschen verliert. Ein gewiss tragbarer Verlust, müsste man dabei nicht auch Verachtung, ja Feindschaft ernten. Lebe wohl! Avignon, am 29. April.5
Anmerkungen 1 2 3 4 5
Epod. 17,53. Damit sind die sieben Hauptsünden aufgezählt. Aen. 2,265; 9,189. Gemeint ist der Redner Lucius Licinius Crassus, 140 – 91.Zur Stelle vgl. Suet. Nero 2,2. Eine Jahreszahl anzugeben, ist nicht möglich.
Fam. 6,7, an einen Ungenannten Über den Unterschied zwischen Beredsamkeit und Zungenfertigkeit.
1. Was die Bedürfnisse seiner privaten Angelegenheiten und die Sorge um die Vermehrung seiner Güter betrifft, so leugne ich nicht, dass er von allen Menschen, die ich kenne, der wachsamste und umsichtigste ist; denn er hat, wie eine Alte bei Plautus sagt, nicht bloss vorn im Gesicht, sondern „auch am Hinterkopf Augen“.1 Was Du jedoch über seine Redegewandtheit angefügt hast, widerspricht meiner Meinung entschieden. Zwischen der Beredsamkeit und der Gesprächigkeit besteht ein grosser Unterschied. Die eine verweist auf einen Wert, die andere auf eine Menge; jene meint Begabung, Kunst und einige Übung, die andere dagegen vorschnelles Ungestüm und Unklugheit. Sie sind also Gegensätze. Vielfach täuscht man sich freilich in ihrer Unterscheidung. 2. Wenn Du ihn beim Sprechen etwas genauer beobachtest, wirst Du gestehen, dass nichts so prompt ist, aber auch nichts so ungeschlacht wie die Rede dieses Menschen, nichts so ungeschliffen, nichts so unangemessen. Bedenke, dass ich solches nicht sage, um diesem Mann, dessen Namen ich absichtlich verschweige, einen falschen Ruhm, sondern um Dir einen Irrtum Deines Urteils zu entreissen. Lebe wohl. (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Aul. 1,1,64.
Fam. 6,8, an einen bedürftigen Freund Übersendung eines Betrages. 1. Petrarca nimmt an, der Freund entbehre Verschiedenes. 3. Er bietet Hilfe an. 4. Beispiele für verschiedene Arten von Geben und Nehmen. Seitenhieb auf die Scholastiker. 12. Petrarca schenke als Freund nicht als Versucher.
1. Wie arm Du bist oder wie reich, weiss ich nicht. Übrigens rede ich bloss vom Beutelchen; denn Dein Geist ist zweifellos reich und kann wie Bias1 seine ganze Habe erst noch mit sich tragen, nämlich eine, die weder durch Feuersbrunst noch Schiffbruch oder irgend etwas anderes vernichtet wird, also weder Gewalttat von Wegelagerern, noch List von Dieben, weder Rost, noch Motten, Krankheit, Tod, Alter und Zerstörung befürchtet. 2. Doch eben, wegen des Geldbeutels bin ich im Zweifel. Denn wenn ich Deine Gesinnung und Deine Gewohnheiten mit Deinen Lebensumständen vergleiche, muss ich vermuten, dass Du, wenn nicht viele Dinge, so doch einige entbehrst. Wenn wahr ist, dass die Törichten Unzähliges vermissen, so ist umgekehrt auch richtig, was der Sokratiker Xenophon2 so ausgedrückt hat: „Nichts bedürfen, ist Sache der Götter; möglichst wenig, Sache der ihnen Nahstehenden. 3. Da mir nun kürzlich durch einen Wohlunterrichteten ich weiss nicht was zu Ohren kam, habe ich den Wunsch, Dir nach Vermögen zu helfen. Daher schicke ich Dir von meiner Habe – sage ich „etwas Übriges“, so tönt das unfreundlicher, als ich wollte, und spreche ich von „Gaben“, so trifft es nicht das Gemeinte, weshalb ich von „Geschenken Gottes“ sprechen möchte. Denn Gott hat solches, ohne dass ich darum besorgt war, über alles Erwarten und Wünschen vor mir aufzuhäufen sich gewürdigt. Und wie gering das Gebotene auch sein mag, so zweifle ich nicht, dass Du es freundlich annimmst und – in der winzigen Sache wie in einem kleinen Spiegel die grosse Anteilnahme des Absenders betrachtend – neben der Kleinheit des Geschenkleins den guten Willen des Herzens mitansiehst. 4. Nicht dass mir unbekannt wäre, wie gewisse Gelehrte und andere Dir ähnliche Männer (die einen wie die anderen hochherzig) einst mit Geschenken auf die Probe gestellt wurden –, wenn auch vergeblich! Zu ihnen gehören vorzüglich Fabricius und Curius,3 beide hochberühmte römische Heerführer. Gelobt wird der eine, weil er das Gold des Königs Pyrrhos,4 der andere, weil er das der Samniter verachtete. Beide werden zu Recht für ihre Haltung geehrt, und doch hat der zweite sich durch eine herrliche Antwort besonders hervorgetan. Im Gegensatz zu gewissen Scholastikern, die in dieser Sache, wie übrigens auch sonst sehr oft, verschiedene Geschichten miteinander verwechseln, halte ich fest: Jene edle und allbekannte Erwiderung, „die Römer wollten nicht über Gold, sondern über Besitzer von Gold regieren“, hat nicht Fabricius, und übrigens auch nicht gegenüber jenem König ge-
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Fam. 6,8
sagt, wie allgemein behauptet wird; vielmehr hat das Curius gegenüber den Legaten der Samniter ausgesprochen.5 5. Xenokrates6 wiederum hat die Legaten, die König Alexander von Makedonien mit fünfzig Talenten zu ihm geschickt hatte, in ein Landhaus der Akademie zum Essen geladen, ebenda nach Philosophenart mit bescheidener Speise recht knapp bedient und dann entlassen, sie jedoch am folgenden Tag bei ihrer Rückkehr, als sie fragten, wem sie die Summe des Königs aushändigen sollten, ausgescholten: „Was ist mit Euch? Habt Ihr beim gestrigen Mahl denn nicht begriffen, dass mir kein Geld fehlt?“ Später aber habe er, weil er sie wegen der Antwort betroffen sah und weil es nicht heissen sollte, er verachte wie die Gabe so auch die königliche Gesandtschaft, von der grossen Summe einen sehr bescheidenen Teil entgegengenommen, das Übrige aber zurückzubringen befohlen. 6. Man erzählt ausserdem von der Verachtung, mit welcher der Kyniker Diogenes7 dem selben König begegnet sei. Denn als Alexander den in seiner wendigen Tonne Hausenden begierig aufsuchte, um ihn kennen zu lernen, und ihn anstaunend fragte, ob er von ihm eine Gabe begehre, habe jener gesagt: „Das Übrige ein andermal; jetzt geh’ mir bitte aus der Sonne.“ Es war nämlich Winter, und da von ungefähr der Grund des Fasses nach Norden schaute und dessen Spund gegen Süden, wärmte sich das Greislein, zwar halbnackt aber feurigen Geistes, in der Sonne. Spassig wahrlich seine Antwort! 7. Schärfer und geradezu überheblich war die des Demetrios.8 Als ihm vom römischen Kaiser9 Gold geschickt wurde, verlachte er solches mit den Worten: „Um mich zu versuchen, müsste er das ganze Imperium einsetzen.“ Als der Inder Kalanos10 einen riesigen Haufen Holz aufgeschichtet und angezündet hatte, um gemäss der Sitte seiner Heimat nackt und freiwillig in den Tod zu gehen, begegnete ihm Alexander von Makedonien und fragte ihn gleicherweise, ob er etwas wünsche. „Ich brauche nichts,“ sagte jener, „doch über kurzem sehe ich Dich wieder.“ An der Ablehnung ist allerdings nichts verwunderlich; denn was würde einer nicht geringschätzen, wenn er sogar das Leben, dessentwegen wir alles übrige begehren, verachtet? Wunderbar aber wurde die Verachtung dank dem sicheren Glauben an die eigene Weissagung. Denn nach wenigen Tagen wurde Alexander bei Babylon durch einen rächenden Becher der Perser und Inder umgebracht. 9. Verbindlicher handelte einst Dindimus;11 denn als der selbe Alexander unter Verzicht auf seinen königlichen Ornat den nackten Mann in seiner äussersten Einsamkeit aufsuchte, nahm dieser vom überreichen König unter allen ihm gebotenen kostbaren Geschenken wenigstens die geringsten und billigsten entgegen, damit nicht eine schroffere Ablehnung als Unverschämtheit bezeichnet werde. 10. Das alles sind Beispiele vereinzelter Menschen. Es gibt auch gemeinschaftliche Vorbilder von unvergleichlicher Erhabenheit der Gesinnung. Kineas,12 ein Gesandter des oben erwähnten Königs Pyrrhos, ein Mann von hervorragender Einsicht und
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Klugheit, wurde mit unermesslichen Geschenken nach Rom geschickt. Zuerst stellte er den Senat und alle obersten Ränge der Reihe nach erfolglos auf die Probe; dann richtete er sich vergebens an das Volk selber. Als er aber auch hier einfach niemanden fand, dessen Haus oder Sinn sich den königlichen Geschenken öffnen wollte, kehrte er mit dem hergebrachten Gold, selber erstaunt zum staunenden König zurück. 11. Übrigens sind die Genannten alle entweder durch einen feindlichen König, ein feindliches Volk oder dann durch irgendeinen stolzen Spender versucht worden. Dagegen hat der ägyptische König Ptolemaios13 die Gaben des römischen Senats so wenig abgelehnt wie Masinissa die seines Scipo Africanus, und so wenig wie der zweite Scipio die Gaben des ihm befreundeten Königs. Das römische Volk selber, obwohl Verächter aller Geschenke, die von Feinden kamen, hat das Erbe und das Testament des Königs von Pergamon,14 den es liebte, nicht abgewiesen. Es macht eben viel aus, mit welcher Gesinnung und von wem etwas gegeben wird. Wie die eine Art Verachtung sehr ruhmvoll ist, so die andere unmenschlich und unerträglich. 12. Ich nun komme als Freund, nicht als Versucher und schenke Dir, um aufrichtig zu reden, nichts, sondern teile mit Dir, was früher, wie Du weisst, uns gemeinsam gehört hat. Und um die kleine Gabe nicht mit grossen Worten zu erhöhen, sage ich: Nimm, was immer es ist, und bedenke Dich nicht lange! Was und wie viel es ist, weiss nicht einmal der Überbringer und auch sonst niemand; ich selber, glaube mir, habe es bereits vergessen. Lebe wohl! (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Anmerkungen 1 Bias galt als einer der sieben Weisen. Berühmt ist sein Wort: omnia mea mecum porto; vgl. Val. Max. 7,2, ext. 3; Sen. Ad Lucil. 9,19. Zu den verschiedenen folgenden Namen vgl. das Personenregister. 2 Cens. De die nat. 1,4. 3 Gemeint sind Fabricius, Luscinus Gaius und Curius Dentatus; vgl. Val. Max. 4,3,6 und 4,3,5. 4 Pyrrhos von Epeiros, König der Molosser in Makedonien; vgl. Val. Max. 4,3,14. 5 Vgl. Cic. De sen. 16,55. 6 Xenokrates war Schüler Platons; vgl. Cic. Tusc. 5,32,91; Val. Max. 4,3, ext. 3. 7 Vgl. Cic, Tusc. 5,32,92; Val. Max. 4,3, ext. 4 und Iuv. Sat. 14,309 – 312. 8 Gemeint ist der Kyniker dieses Namens; vgl. Sen. De ben. 7,11,1 – 2. 9 Das ist Kaiser Vespasian. 10 Dies ist ein brahmanischer Philosoph; vgl. Val. Max. 1,8, ext. 10; Cic. De div. 1,23,47. 11 Gemeint ist ein König der Brahmanen; vgl. Ps.-Ambr. De moribus Brachmanorum, in PL 17, col. 1139 – 42. 12 Vgl. Val. Max. 4,3,14. 13 Für Ptolemaios IV. Philopator vgl. Val. Max. 5,1,1 f.; für Masinissa, den König von Numidien Liv. 30,15,11 – 12 und für Scipio Aemilianus Liv. Per. 57. 14 Vgl. Val.Max. 5,2 ext. 3; Liv. Per. 58; Or.Hist. 5,8.
Fam. 6,9, an Bischof Philippe von Cavaillon1 Ankündigung eines Besuches beim Bischof und Bitte um bloss einfache Mahlzeiten. An der Quelle der Sorgue, am 2. Januar (1347).
1. Ich werde zu Dir kommen, sobald ich höre, dass es Dir genehm sei, und ich werde unseren Sokrates,2 der Dir sehr ergeben ist, mitbringen. Morgen schon werden wir kommen und uns durch den Anblick der Stadt nicht beeindrucken lassen, auch wenn wir in grobes Bauerngewand gehüllt sein werden. 2. Hierher sind wir nämlich gestern in grösster Eile aus dem ruhelosen und erregten Avignon gleichsam in einem Sprung – wie aus einem berstenden Schiff ans Ufer – geflohen, um uns zu verbergen und zu erholen, und zwar in eben dieser Tracht. Sie dünkt uns nämlich für das Land und für den Winter besonders geeignet zu sein. So wie wir sind, sagst Du, sollten wir uns zu Deiner Stadt3 aufmachen, und wir gehorchen um so lieber, als uns ein herzliches Verlangen nach Dir dahin zieht. Übrigens werden wir uns um unser Äusseres schon darum nicht sehr kümmern, weil wir ja wünschen und hoffen, unser Inneres stehe offen und nackt vor Dir. 3. Das aber wirst Du den Deinen auf ihre Bitte nicht verwehren, wenn Du uns häufig als Gäste erwarten willst: Lass nicht grossen Aufwand und ein ausnehmend feines Mahl, sondern einen häuslichen Tisch zu unserem Empfang bereiten! An der Quelle der Sorgue, am 2. Januar, mit dem Hirtenrohr (1347).4
Anmerkungen 1 2 3 4
Zum Adressaten vgl. Fam. 2,1. Petrarcas Freund Ludwig van Kempen. Zu seiner Person vgl. Fam. 1,1, Anm. 1. Gemeint ist Cavaillon, der Bischofssitz des Adressaten in geringer Distanz von Vaucluse. Der Adressat war längere Zeit am Hof von Neapel Vertrauensperson gewesen, dann im Januar 1346 nach Südfrankreich zurückgereist. Mit dem 2.Januar kann also frühestens der von 1347 gemeint sein; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 59.
Fam. 7,1, an Barbato da Sulmona Klagen über die Verwüstung des Vaterlandes durch den Einfall von Barbaren. 1. Sorge um Barbato, weil die Ungarn nach Neapel vordringen. 3. Entsetzen über den Wandel der Verhältnisse in Italien. 8. Anerbieten, sich beim römischen Tribunen Cola für Barbato zu verwenden und diesen in sein Haus aufzunehmen. Avignon, am 11. September (1347).
1. Zu den vielfältigen, mich bedrückenden Sorgen gehört nicht zuletzt das Bangen in der Erwartung Deiner Nachrichten. Was ist mir denn teurer als mein Barbato,1 was lieber! Ein ängstliches Ding ist die Liebe, leichtgläubig, furchtsam, ruhelos, alles bedenkend und vor Nichtigem erschreckend.2 2. Sieh, was ich immer befürchtet, sieh, was ich oft geschrieben und was ich täglich wiederholt habe: Unmöglich konnte ein so grässliches Vergehen ungestraft bleiben. Dabei kommt die Rache etwas später, als ich vermutete. Richte aber, oh Gott, Deinen Zorn auf die Urheber der Verbrechen und schlage mit gerechter Strafe die schuldigen Häupter! Schone die Redlichen, schone die Getreuen! 3. Was hat das schuldlose Völklein verdient, was das heilige Land Ausonien? Sieh, schon wird Italiens Erde vom Schritt der Barbaren erschüttert, und wir, einst Sieger über die Völker, sind heute – weh! – eine Beute der Siegenden, ob unsere Sünden solches verdienten, ob irgend ein böses und finstres Gestirn mit feindlichem Strahl uns bedränge oder ob wir – was ich eher vermute – zwar selber unbescholten, nun den Frevlern zugesellt, für fremde Untaten büssen. 4. Doch ferne sei, dass ich für Italien fürchte, von dem eher die Aufrührer etwas zu fürchten haben, solange das neulich in Rom wiederhergestellte Amt des Tribunats in Ansehen steht und Rom, unser Haupt, nicht erkrankt. Nur ein Teil Italiens schafft Unruhe, eben jener, der einst den Namen Grossgriechenland führte; Brutien, Kalabrien, Apulien, dazu das, was jetzt in der Tat „Terra di Lavoro“3 ist, auch das einst mächtige Capua und Neapel, jetzt Königin der Städte. In diese lieblichsten Gegenden ist von den rauhesten Ufern der Donau ein ungestümes Heer herbei gestürzt, und unseres Himmels Heiterkeit hat ein von Norden aufsteigender Sturm in scheussliche Wolken gehüllt; von diesem fürchte ich, er werde, dieweil ich Deine Antwort erwarte, mit gewaltigem Krachen herunterdonnern. 5. Es soll ja schon alles bis zum Äussersten gekommen sein; schon sei – wie ein Gerücht sagt – Sulmona im ersten kriegerischen Angriff gefallen und in die Gewalt der Feinde geraten. Weh dieser hochedlen Stadt, die Deine und des Naso4 Heimat ist! Wie soll ich meinen Wehruf verstärken? Sie wird ja heute von jenen besetzt, unter denen verbannt zu sein, der Dichter für schlimmer schätzte als den Tod! 6. Er, der sich elendiglich über die Verbannung, doch über den Ort der Verbannung noch weit mehr beschwerte, so dass er ein sehr ansehnliches Buch der Klagen5 verfasste, was würde er gesagt haben, hätte er jemals vorausgesehen, dass die Donauvölker und jener Men-
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schenschlag auf dem Weg, wo der wandernde Sarmate und der bogenführende Gete auf verschneiten Hügeln umherschweiften, einmal zur bewaffneten Eroberung seines Vaterlandes daherkämen? Er, der des Cäsars Befehl,6 zu jenen zu gehen, so widerwillig hinnahm, dass er nichts anderes beweinen, nichts anderes verwünschen, von nichts anderem sprechen konnte?7 7. Und Du, mein Bruder, was magst nun Du sagen? Ein Unglück musst Du mitansehen, das ich nur durch das Ohr erfahre. Als ein gegenwärtiges Ereignis beweine ich, was als ein zukünftiges auszudenken, den Dichter hätte entsetzen müssen? Ach, glücklicher sind jetzt die Gebeine Ovids, weil sie wenigstens von fremder Erde bedeckt sind und nicht – im Vaterland unter ehrender Pyramide ruhend – für den Schimpf und Spott dieser unserer Tag aufgespart wurden. Schon meine ich, ungestörter seien die Gräber zwischen Donau und Bog als zwischen Liri und Volturno, denn von dorther fliehen die Barbaren in grossen Scharen auseinander, und hier dringen sie ein. 8. Ich aber, meinem Seelenschmerz hingegeben, bin von meinem Anliegen abgeirrt und wäre noch weiter abgeschweift, hätte mich nicht dieser wartende und mich oft unterbrechende Bote zurückgerufen. Somit kehre ich dahin zurück, von wo ich ausging. In grosser Angst um Dich quäle ich mich ab. Doch habe ich, so viel ich wüsste, nichts, was Rat, nichts, was Hilfe bringt. Da manche immerhin bisweilen mehr vermögen, als sie zu vermögen glauben, so nimm Dir nach Deinem Recht, was Du an Nützlichem bei mir etwa entdecken kannst! 9. Nicht unbedeutend ist die Gunst, so gestehe ich, die ich beim Tribunen geniesse – einem Mann von bescheidener Herkunft, doch wegen erhabener Gesinnung und Absicht selbst göttlich und heroisch –, sowie übrigens auch beim römischen Volk. Das geschieht mir aber keineswegs dank eigenen Verdiensten; vielmehr hat Gott mir der Bösen Neid durch der Guten Wohlwollen wettgemacht, und dies wieder nicht, weil ich den einen geschadet oder den anderen geholfen oder weil ich böse zu sein aufgehört hätte und gut wäre, sondern bloss, weil ich die Bösen zu hassen und die Guten zu lieben beschlossen habe und vom Haufen der einen zum Grüpplein der andern zu fliehen gewillt war, so oft es sich fügte, und noch bin, wenn’s sich fügt.8 Sollte daher in der gegenwärtigen Gefahr beim genannten Tribunen und Volk Dir meine Fürsprache von Vorteil sein, sieh, mein Herz und meine Feder sind bereit. 10. Ausserdem habe ich auf einem entfernten und vor diesen Unruhen geschützten Landstrich Italiens ein Haus,9 wenn zwar ein kleines. Doch für zwei Menschen eines Herzens und eines Sinnes ist kein Haus zu eng.10 Kein verderblicher Reichtum, doch auch keine Armut und keine Begehrlichkeit, aber unzählige Büchlein bewohnen es. Nun erwartet es uns beide, mich für die Heimkehr aus dem Westen, indem es klagt, dass ich zwei Jahre lang fern war, Dich für die Ankunft aus dem Osten, wenn die Geschicke dazu zwingen und Du einwilligst. 11. Etwas anderes als
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dies habe ich Dir nicht zu bieten. Wo das Haus liegt, in das ich Dich einlade, weisst Du: an gesundem Ort, fern von Gewalttat, voll von Freuden und für Studien geeignet. Dir aber gebe, was immer Du beschliesst, Gott ein gutes Gelingen! Ich meinerseits wollte, ich hätte inzwischen nur Unwahres befürchtet und die Entfernung habe – wie natürlicherweise zu geschehen pflegt – dem Liebenden die Angst vergrössert. Mein Herz wird jedenfalls nicht ruhen, bis ich sehe oder in Briefen vernehme, Du seist diesen Stürmen glücklich entronnen. Avignon, in Eile und Angst. Lebe wohl! Am 11. September (1347).11
Anmerkungen 1 Barbato war mit Petrarca seit dessen erstem Besuch in Neapel 1341 befreundet. Er war Kanzler von König Roberto und auch nach dessen Tod im Dienst des Hofes tätig. Die Freundschaft dauerte bis ans Ende seines Lebens 1363; vgl. M. Mattasso, Del Petrarca e di alcuni suoi amici, Rom 1904 und Wilkins, Studies 213–253. 2 Vgl. Cic. Ad Att. 2,24,1. 3 Die Landschaft Campanien, ein Gebiet des Ackerbaus, wird hier als Land der Mühsal dargestellt. 4 Das ist Ovid, er stammte aus Sulmona. 5 Vgl. Ovids Tristia und Epistolae ex Ponto. 6 Gemeint ist Augustus. 7 Pont. 1,2,59 und 109 f. 8 Petrarca denkt wohl unter anderem an einen Wechsel von einer politischen und sozialen Partei zur andern, an eine Absage an den Adel und eine Parteinahme für das Volk. 9 Ein Haus in Parma. Vgl. Fortunato Rizzi, Francesco Petrarca e il Decennio Parmense (1341 – 1351), Turin 1934. 10 Vgl. Cic. De fin. 1,65. 11 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 60
Fam. 7,2, an einen Freund Bescheidenheit ist achtbar. 1. Warnung vor Überheblichkeit. 2. Echte Bescheidenheit ist nicht leicht zu erkennen. 3. Bescheidenheit suchen, heisst, sich dem Wesen Gottes angleichen. 4. Lehren und Beispiele aus der heiligen Schrift und ihr tieferer Sinn. 17. Für die Offenbarung bediente sich Gott armer Fischer. 20. Das Bescheidene hat grossen Wert selbst in hochkultivierter Zeit. 23. Abschweifung über kulturelle Wandlungen im Verlauf der Jahrhunderte und Versuch einer Zeitberechnung.
1. Eindringlich bitte ich Dich, behandle einen Freund nicht verächtlich, weil er bescheidener Herkunft ist, damit Du nicht am Ende jener unwiderruflichen Aussage widersprichst, welche der Bescheidenheit Erhöhung verheisst.1 Nichts ist weniger verächtlich als echte Bescheidenheit, nichts weniger ehrenwert als echte Überheblichkeit. 2. In der Unterscheidung der beiden lassen wir uns allerdings wie in manchen anderen Dingen täuschen. Gemeine, Schüchterne und Ängstliche nennen wir bescheiden, Hochgemute dagegen überheblich. Umgekehrt verachten wir wahrhaft Bescheidene fälschlicherweise als Kleinmütige und verehren Unverschämte als wahrhaft Hochgemute. Bekannt ist eine Äusserung des jüngeren Cato,2 die Sallust überliefert hat: „Die wahren Namen der Dinge haben wir längst verloren“. 3. Wenn es wirklich so ist, dass der Freund Dir als bescheiden gilt, so sieh Dich vor, dass Du die Bescheidenheit, die würdevollste und von Christus zu höchst geschätzte Tugend, nicht etwa ablehnst und so zu sein vorgibst, wie Du niemals gewesen bist, nämlich unerträglich und unleidlich hochmütig. Wie könnte einer, der auch nur mittelmässig gebildet ist und das zweifache Schrifttum, das heilige und profane, gelesen hat, verkennen, wie sehr der Lehrer der Bescheidenheit, das ist Christus, das Bescheidene immer geliebt hat? 4. Um beim Anfang zu beginnen: Wie bescheiden ist doch die Wurzel, aus welcher er hervorgehen wollte, er, dessen Antlitz zu schauen, das höchste und einzige Glück ausmacht! Hätte er etwa nicht aus dem edelsten Stamm hervorgehen oder dann jeden anderen nach seinem Belieben adeln können? Er verachtete die Vornehmheit und suchte die Bescheidenheit! „Es sprosste ein Zweig aus der Wurzel Jesaja, und eine Blüte ging aus ihrer Wurzel hervor; in ihrem Schatten thronen die Könige und ruhen die Völker, und an ihrem Duft erquickt sich der ganze Erdkreis.“3 5. Welcher Art aber war diese Wurzel Jesaja? Wie stolz war sie und wie vornehm? Die Vorfahrin war mütterlicherseits Ruth,4 eine mittellose Witwe aus der Fremde, die ihrer vereinsamten Schwiegermutter über die Grenzen ihrer Heimat gefolgt war und zuerst hinter den Schnittern her, weil man es mitleidig erlaubte, Ähren las auf dem Acker des Boos. Später wurde sie von diesem ihrem Herrn nach nächtlicher Liebkosung in den Ehestand erhoben,5 aus dem der Patriarch Jesaja hervorging. Dieser war an sich ein Mann ohne Bedeutung. Wer würde diesen Jesaja denn kennen,
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wenn nicht seines Sohnes David wegen? Ja, wer würde auch nur einen einzigen aus dieser Sippe kennen, wäre es nicht Christi wegen, der aus ihrer Wurzel entsprosste? 6. Wie sehr gerade Saul diese Sippe als ihr allzu stolzer Landsmann geringschätzte und mit welchem Ärger er „den Sohn des Jesaja und seinen Knecht“6 zu erwähnen pflegte, obwohl er doch selber nur der jüngsten Familie und dem geringsten Tribus zugehörte, das kann jeder, der die Bücher der Könige vornimmt, erkennen. Auch David, gewiss von ausnehmender Tüchtigkeit und glänzender Begabung, war in seinen Knabenjahren blosser Hirt, als er von Gott erwählt und, wie er selber bekennt,7 „von der Herde seiner Schafe weggeholt“, und „von der Trächtigen weg“ zum König „erhoben wurde, damit er das Volk Israel weide in der Reinheit seines Herzens.“ 7. Und war Moses damals etwa vornehmer, als er die Erscheinung des brennenden, doch nicht sich verzehrenden Dornbuschs erblickte8 oder als er, mit sehr vielen Zeichen und Wundern verherrlicht, sich aufmachte, um das israelitische Volk gemäss göttlichem Befehl aus der ägyptischen Knechtschaft zu befreien?9 Jedenfalls war er, der für ein so edles Werk auserwählt wurde, kein König und kein Fürst, sondern ein bescheidener Hirt und – erst recht erstaunlich – ein Hirt einer fremden Herde. 8. Und schon vorher der Patriarch Abraham mit seinem Sohn und seinem Enkel! Ihre Namen werden zwar in den entlegensten Stellen der heiligen Schrift oft wiederholt und ihr Ruhm ist so gross, dass der Allmächtige von ihnen seinen Zunamen erkor; er wollte ja „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“10 genannt werden und hat, um sich zu bezeichnen, sogar selber diesen Zunamen verwendet. Waren sie aber Könige oder auch nur Tetrarchen? Nein, Ackerbauern oder Schafhirte waren sie. 9. Auf wohlfeilen Eselchen reitend, umgeben von ihren Herden und inmitten ihrer Söhne und Frauen wechselten sie ihre Sitze. Doch dank eben solcher Bescheidenheit verdienten sie, Gott zum Führer zu haben, ihn, dem zur selben Zeit beliebte, den gewaltigsten und stolzesten Königen der Assyrer11 weder gleiche Vertraulichkeit zu schenken noch sich ihnen auch bloss bekannt zu machen. 10. Jakob, von dem in der heiligen Schrift besonders häufig der hervorragende und Gott sehr vertraute Zuname abgeleitet wird, zeichnete sich nicht durch eine grossartige Abstammung, sondern durch seine eigene Bescheidenheit aus. Wie er von seinem lang währenden und harten Dienst bei seinem Schwiegervater heimkehrt,12 ist wohl zu beachten. In der Tat bringt er kein Zepter, kein Diadem und keinen Purpur, auch keinen goldenen Wagen, keine bewaffneten Heerscharen zurück; dagegen hat er auf der Flucht einen geordneten Zug von Schafen, Ziegen und Rindern und führt eine Schar Kinder und Knechte mit sich, dazu seine beiden Gattinnen und ebenso viele Konkubinen als Keim zahlloser Geschlechter. Denn aus ihrem Schoss gingen die zwölf Stämme Israels hervor und eine gewaltige Menge von Völkern, indem Gott diesen Weiblein Fruchtbarkeit schenkte und ihre Bescheidenheit ehrte.
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11. Das alles geschah zur Vorbedeutung. Denn was oberflächlich gesehen verächtlich zu sein schien, war in Wirklichkeit herrlich. Wäre es nämlich nicht in einem tieferen Sinn, als erzählt wird, gedeutet worden, wer würde das Gehörte denn nicht belächeln? 12. Wenn umgekehrt weltliche Glorie vor Gott ansehnlicher wäre als Bescheidenheit, wer könnte da zweifeln, auf welche Seite die besondere Gunst Gottes sich hinzuneigen gedenke? Man vergleiche mit den drei genannten Patriarchen und mit ihren Schafen und Frauen drei römische Feldherren, ausgestattet mit gewaltigen Heeren: Da ist Scipio Africanus,13 welcher Hannibals „Hörner zermalmte“14 und dem Nacken der Karthager machtvoll das Joch des Tributs auferlegte. 13. Da ist auch Pompeius der Grosse,15 der über den Norden und über Asien hindonnerte, dem Vaterland nicht etwa Milch, wohl aber Gold, nicht etwa Herden von Schafen, wohl aber Scharen von Königen zurückbrachte, um dann zwischen Rotem Meer und Maeotischen Sümpfen und bis zu den Rhipäischen Bergen16 alle Länder niederzustampfen. 14. Dann ist da Iulius Caesar, der in den beiden Gallien und in Germanien wie ein Wetterstrahl aufblitzte,17 die Feinde bezwang und hierauf seine siegreichen Geschosse gegen das innerste Mark seines Vaterlandes, ja gegen Rom, das Völker beherrschende, richtete, und der in einer einzigen Schlacht in Thessalien über das ganze Erdenrund siegte. Den gewaltigen Unterschied zwischen den einen und den andern erkennst Du. 15. Wohl hätte der Gottessohn, um von einem Menschen geboren zu werden, diese grossen Mächte wählen oder er hätte bescheidene, die er wählte, zu ebenso stolzer Mächtigkeit erheben können. Die einen wie die anderen waren ja seine Geschöpfe. Er hätte anstelle von David aus jenem Winkel Judäas auch Augustus, den Herrscher über alle Welt, zu seinem Ahnherrn haben oder dann David zu einem ebenso bedeutenden Fürsten machen können, wie er Augustus gemacht hat. Er hätte statt in Bethlehem, der kleinen Stadt,18 ebenso gut in Rom (welchem Judäa wie die anderen Länder diente) geboren werden können, übrigens in einem Prunkgemach und nicht in einer Stallung. Nach der Geburt hätte er, der im Himmel thront und „die Erde mit ihrer Fülle besitzt“,19 statt in äusserster Armut in äusserstem Überfluss aufwachsen können, wäre ihm nur unsere Vornehmheit und unser Überfluss nicht verächtlich gewesen! Ja, nicht gar verhasst! 16. Schliesslich hätte er zu seinen Nachfolgern, die seinen Namen den Völkern verkündigen sollten, Jünger von hoher Bildung, mächtige Fürsten, Könige, Redner und Philosophen, nicht aber ungeschliffene, mittellose und ungebildete Fischer erwählen können. Doch er war ein Gott, der „den Stolzen widersteht und den Bescheidenen Gnade erweist“;20 einer, der unserer Gewalt nicht bedarf, um zu wirken, da „er befahl, und es geschah“.21 Auch bedurfte er nicht der menschlichen Redekunst, um zu überzeugen, denn es heisst „lebendig ist Gottes Wort und wirksam, schärfer trennend als jedes zweischneidige Schwert und eindringend bis zur
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Scheidung von Seele und Geist wie von Fasern und Mark, prüfend alle Gedanken und alle Neigungen des Herzens“.22 17. Gerade mit diesem seinem Wort hat er seine Jünger gewappnet, als er sie zur Bekehrung des Menschengeschlechts über die ganze Erde zerstreute. Doch gab er ihnen nicht die Amtstracht der Konsuln, nicht den Stirnreif der Herrschaft, nicht den Lorbeer des Triumphators, auch nicht philosophische Thesen, rhetorische Blüten, sophistische Klügeleien, auch nicht „Wortweisheit“, wie der Apostel sagt.23 „Denn es sollte das Kreuz Christi nicht seines Sinnes entleert werden“. 18. Unter ihnen befand sich kein Caesar, um zu zwingen, kein Platon, um zu lehren, kein Aristoteles, um zu beweisen, auch kein Cicero, um zu überreden, vielmehr waren sie arme Menschlein, schwach und unwissend, die nie eine Schule besucht und nie zu schreiben gelernt hatten. Dennoch waren sie es, die unter den Schwertern von Verfolgern und unter den Zähnen wilder Tiere, zwischen Flammen, Foltergeräten und Peinigern frei bekannten, was sie wollten: 19. nämlich Christum, Gott und Mensch, „geboren, gekreuzigt, abgestiegen zur Hölle, auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, um wiederzukommen und zu richten“ und alles andere, was er ihnen aufgetragen hatte.24 Denn er hat, wie geschrieben steht,25 „das Törichte und Schwache auserwählt, um das Starke zu beschämen“. Und da er gekommen war, um allen zu nützen, entschied er, wie Augustinus26 gesagt hat, dem Kaiser zu nützen durch den Fischer, nicht dem Fischer durch den Kaiser, was gleicherweise auch vom Redner und Philosophen zu gelten hat. 20. Und dies geschah nicht in einer noch unterentwickelten, leichtgläubigen Zeit, vielmehr in einer Zeit27 „tief verwurzelter Bildung und Wissenschaft, als bereits jene ganze alte Unwissenheit des unkultivierten Menschenlebens behoben“ und als „die Menschen seit langem schon gelehrt und als die Zeiten höher entwickelt waren“ als die des Romulus. Als daher Cicero in seiner „Republik“ die angebliche Gottheit des Romulus erwähnte, sagte er, was dann Augustinus auch seinerseits in seiner „Republik“ zitiert hat:28 „Wenn sogar früher kaum die Möglichkeit bestand, etwas zu fabeln (wie Cicero gesagt hat), so jetzt erst recht nicht“. „Die Vorzeit nämlich (so sagt jener) hat erdichtete Fabeln für wahr genommen, recht häufig selbst die geschmacklosen. Unsere eigene Zeit hingegen ist schon sehr aufgeklärt, macht sich über Unmögliches besonders gern lustig und stösst es entschieden von sich“. 21. Cicero hat also – wie gesagt – zur Beschönigung jener irrtümlichen Vergöttlichung des Romulus (weil an seine Göttlichkeit sogar in jener weiterentwickelten Epoche geglaubt werden konnte) mehrere nicht unbedeutende Gründe zusammengetragen: Damals war Rom kaum erst gegründet, hatte sich erst auf einem einzigen der sieben Hügel, ja nicht einmal auf dem ganzen eingerichtet, hatte nicht goldene Dächer und marmorne Mauern, sondern dornige Umzäunung mit Strohwerk, so dass es immer noch so etwas wie einen Geruch von Hirtenwesen verströmte. Was
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soll man dagegen von der Zeit Christi sagen? Damals gab Rom den Völkern ja bereits Gesetze; es herrschten Augustus und Tiberius, und unter dem einen von ihnen wurde er geboren, unter dem andern gekreuzigt. 22. Es hatte also zwischen dieser Epoche und der früheren des Romulus eine im Verhältnis zu den Jahren ganz unglaubliche Veränderung stattgefunden, auch war die Zwischenzeit nicht etwa kurz gewesen. Vom Zeitpunkt, da Romulus seiner Überheblichkeit wegen vom römischen Senat bei den Sümpfen der Ziegen zerfetzt worden war, bis zur Zeit, da Christus unserer Sünden wegen von den Juden auf dem Ölberg gekreuzigt wurde, sind, wenn ich nicht irre, immerhin so ungefähr siebenhundert Jahre verflossen.29 23. Wenn Cicero „weniger als sechshundert“ sagt, so hat er nicht bis auf seine eigene Zeit, sondern nur bis auf die des Scipio Africanus und dessen Zeitgenossen gerechnet, die er im bereits erwähnten Buch über die Republik hat reden lassen. Und überdies ist zwischen der Ermordung Ciceros unter Antonius30 und dem Leiden Christi unter Pilatus, sofern ich mich an wahrscheinliche Vermutungen halten darf, nochmals eine Frist von ungefähr siebzig Jahren vergangen. 24. Doch ich bin allzu weit abgeschweift, und Dein Bote setzt jetzt dem Schreibenden zu, zählt jeden einzelnen Federstrich, misst die kleinsten Pausen dazwischen, schaut häufig nach der Türe und nach dem Himmel und seufzt dabei. Ich erbarme mich seiner, weiss ich doch aus Erfahrung, wie schwer einem eiligen Menschen das Warten fallen muss. Und früher, als ich vorhatte, lasse ich mich zwingen zu sagen: Liebe die Bescheidenheit und lebe wohl! (Kein Ansatzpunkt zur Datierung) Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Mt. 23,12 und Lc. 14,11. Sall. Cat. 52,11. Is.11,1. Buch Ruth. Ruth 3,7 – 4,17. 1 Reg. 20,27 und 30; 22,7; 22,8 und 29,3. Ps. 77,70 – 72. Exod. 3,2 – 15. Exod. 3,7 ff. Exod. 3,15. Von einem Reich der Assyrer spricht schon Gen. 1,2,14. Gen. 32,1 – 35,27. Gemeint ist Laban. Gemeint ist Scipio der Jüngere, Aemilianus; Karthago wurde 146 v. Chr. zerstört. Vgl. Ps. 74,11. Pompeius der Grosse übernahm den Oberbefehl über die Kämpfe in Asien 66 v. Chr. Mit „Maeotis palus“ bezeichnete man das Asowsche Meer. 16 Gebirgszüge im höchsten Norden; vgl. Fam. 3,1,13 mit Anm. 17 Caesars Eroberungen im Norden fallen in die Jahre 58 – 51.Die Entscheidungsschlacht gegen Pompeius fand 48 bei Pharsalos statt.
Fam. 7,2 18 19 20 21 22 23
24 25 26 27 28 29 30
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Vgl. Mt. 2,6. Ps. 23,1. Jac. 4,6. Gen. 1,3 und 1,7. Hebr. 4,12. Der Apostel, ist wohl die richtige Übersetzung, wenn es sich um Paulus handelt; das Zitat steht 1 Cor. 1,17. Zum alten Thema, dass die Offenbarung sich der „Fischersprache“ bediene, vgl. Sulpitius Severus, Vita S. Martini praef. Dies eine Zusammenfassung des Glaubensbekenntnisses, das in der römischen Messe steht. 1 Cor. 1,27. In psalm. 36,2,14. Cic. De rep. 2,10 ap. Aug. De civ. 22,6. Das entspricht ungefähr der Berechnung Varros: Gründung Roms 753. Das war 43 v. Chr.
Fam. 7,3, an seinen Sokrates1 Nächtliche Vision über einen Goldfund. 1. Der Fund des Goldes. 4. Streit um den erworbenen Schatz. 6. Philosophische Überlegungen. 9. Späte Reue und Erwachen. Am 14. Januar (1343).
1. Vergangene Nacht hat mir geträumt, was ich Dir berichten will. Mir schien – ich weiss nicht weshalb, denn dergleichen zu denken oder zu sagen, bin ich nicht gewohnt –, mir schien also, ich hätte auf meinem Äckerlein, das ich an der Quelle der Sorgue besitze, einen Schatz gefunden, an uralten Goldstücken einen ansehnlichen Haufen. 2. Wir beide spazierten miteinander gemäss unserem Brauch allein, und indem ich Dich sogleich anrief, wies ich mit meinem Finger darauf hin. Wir waren natürlich wie erstarrt vor Freude und Staunen. Doch fiel mir unverzüglich – ich erinnere mich genau – ein Wort des Annaeus ein:2 „Meidet alles, was der Menge gefällt und was Euch der Zufall beschert; vor jedem unbegreiflichen Glücksgut haltet Euch furchtsam und misstrauisch zurück; das Wild und der Fisch werden durch manche verlockende Hoffnung betrogen; solche Geschenke Fortunas sind Fallen.“ 3. Indem wir uns darüber besprachen, zögerten wir ein Weilchen, teils froh und teils zaudernd. Machen wir es kurz. Grösster Wahnsinn schien uns zu sein, ein Gut, das man über Länder und Meere mit viel Mühe und Gefahr zu suchen gewohnt ist, selbst dann zu verschmähen, wenn es sich aufdrängt. Sogleich beladen wir uns um die Wette mit Gold und tragen es heimlich und schweigend ins Haus und decken auch, was wir nicht in einer einzigen Ladung wegschleppen können, für ein Weilchen zu. Solches wiederholen wir einmal und immer wieder und auch immer begieriger; denn stets pflegen, gemäss der Natur der Sache, mit dem Geld auch Beunruhigung und Habsucht zu wachsen. 4. Inzwischen dringt an unser Ohr ein feindseliges Murren; unser Geheimnis ist, obwohl niemandem anvertraut, von selbst in eine Volksmenge gesickert. Und nicht lange danach taucht ich weiss nicht was für ein höherer Herr jener Örtlichkeiten auf, um einen Rechtsanspruch auf den Schatz anzumelden. Wir widersetzen uns; dann folgen zuerst lange und unerquickliche Gespräche, dann Streit und Drohungen sowie die mit Streitigkeiten stets verbundenen Schmähungen, indem jener heftig auf uns eindringt, während wir uns darüber empören, dass man die bei uns gefundenen Gaben eines günstigen Geschicks uns entreisse. 5. Darauf tausenderlei Aufbegehren und tausend Überlegungen, einmal wohldurchdachte, kluge, einmal voreilige und bittere, während uns zum Widerstand längst viel weniger unsere Habgier als die hartnäckige Anmassung des unerbittlichen Gegners befeuert.
Fam. 7,3
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Bereits hatten wir uns von unserer ländlichen Beschaulichkeit zur städtischen Betriebsamkeit, bereits von der Wissensschaft zur Waffe gewandt und wurden in einem vorher nie erlebten Strudel quälender Sorgen herum gewirbelt. Jetzt waren an die Stelle einer wachen Zielstrebigkeit und einer herrlichen Entdeckungslust ein aufreibender Hass und Zorn getreten; der Zank war zum Krieg geworden; und so völlig war unser Seelenzustand verändert, dass wir den Goldfund bereits immer aufs neue verwünschten. 6. Wir philosophierten im Traum: „Wo haben wir das frohe und geruhsame Leben verloren? Wer hat über uns diese Wolken von Sorgen heraufgeführt? War hat uns diesen Stürmen preisgegeben? Wussten wir denn nicht, dass am Gold ein prunkendes Elend und eine zwar prangende Dürftigkeit haftet? Der Mangel wächst mit dem Reichtum, und mit dem Mittelmass flieht gleichzeitig alle Freude.“ 7. Nun überfielen uns haufenweise die Erinnerungen an Menschen, die einst entweder im Reichtum unglücklich oder in der Armut sehr glücklich waren. Wir schmähten die sinnlosen Schätze des Krösus und das tödliche Gold des Midas3 wie auch den Tempelraub des Dionysios und Crassus.4 Wir priesen Cincinnatus, Regulus, Curius und Fabricius5 in ihrer glücklichen und ruhmvollen Armut. 8.An diese reihte sich die Schar unserer eigenen Vorbilder,6 die nackt und in der Einsamkeit, von Hitze und Kälte geschunden, sich mit Kräuterwurzeln und Beeren des Waldes ernährten, als Dach den Himmel und als Lager die Erde hatten, mit Genuss aus einem trüben Wildbach schlürften und auf rauhen und schmalen Pfaden schritten, weil sie in der Hoffnung auf ein besseres Vaterland durchaus alles Vergängliche verachteten. 9. Je mehr übrigens derartige Beispiele sich aufdrängten, um so verzweifelter klagten wir, sie nicht rechtzeitig bedacht, sondern, wie man sagt, die Augen am Hinterkopf gehabt zu haben. Schliesslich waren wir so weit, dass sich gegen einen Verzicht auf das bereits Ergriffene einzig noch das Beschämende des Nachgebens sträubte. Und schon drohte im Schlusskampf der Würfel zu fallen, als ich unversehens mitten in der Nacht, von Zorn und Angst überwältigt, erwachte. In kaltem Schweiss war der ganze Leib gebadet. Und so wahr Gott mir helfe: Ich war völlig erschöpft im Geist und erschöpft auch am Leib, ganz als hätte ich eine gefahrvolle, verzehrende Anstrengung nicht träumend, sondern wachend geleistet. 10. Und nicht leicht lässt sich sagen, wie froh ich gewesen bin, sobald ich fühlte, dass ich vom Schatz und von der Unruhe befreit sei und an Besitz just so viel hätte, als ernährt, aber nicht mästet, und so viel, als dem Leben zuträglich, aber nicht abträglich ist. Ja, ich kann gar nicht sagen, wie fest der Traum in mir die Meinung verankert hat, von deren Wahrheit ich im Wachen zutiefst überzeugt bin, dass nämlich der Reichtum den Sterblichen in ihrer Begierde mehr Böses bringe als Gutes. 11. Schliesslich habe ich mich zur üblichen Stunde erhoben – meine Gewohnheit kennst Du –; und wie ich gleich nach den täglichen Gesängen zu Gottes Ehre mei-
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Fam. 7,3
nem Brauch gemäss die Hand um die Feder schloss, trat auch das, was mich im Schlaf gequält hatte, mir im Wachen vor Augen. An der eben gewonnenen Überzeugung gebe ich Dir Anteil, denn Du scheinst ja auch am Traum Anteil genommen zu haben. Lebe wohl, und willst Du glücklich sein, verjage überflüssige Begehren! 14. Januar, beim Morgengrauen (1343).7
Anmerkungen 1 Der Adressat ist identisch mit Ludwig van Kempen. Vgl. Fam. 1,1, Anm. 1. 2 Sen. Ad Lucil. 8,3. 3 Kroisos, 6. Jh. v. Chr., letzter König der Lyder, berühmt für seinen Reichtum; Midas, sagenhafter König von Phrygien, wünschte, dass alles, was er berühre, zu Gold werde. 4 Gemeint sind Dionysios der Ältere, Tyrann von Syrakus und Marcus Licinius Crassus, der Triumvir; vgl. Val. Max, 1,1, ext.3 und Oros. Hist. 6,13,1. 5 Zu Cincinnatus, Atilius Regulus, Fabricius und Curius vgl. Fam. 6,3,40 und weitere Stellen im Personenverz. 6 Die christlichen Vorbilder, Heilige, Missionare und vor allem auch die Einsiedler. 7 Vgl. zur Jahreszahl Wilkins, Petr. Corresp. 60.
Fam. 7,4, an Giovanni Coci, Bischof von Saint-Paul-Trois-Château, Professor der Theologie, Vorsteher der päpstlichen Bibliothek1 Übernahme einer unliebsamen Verpflichtung. 1. Antwort auf eine Bitte, Handschriften von Werken Ciceros zu überprüfen. 2. Petrarca beugt sich dem Druck. 4. Beschämende Gleichgültigkeit der Allgemeinheit gegenüber solchen Werken. 5. Eine Krankheit verzögert den Beginn der Arbeit. 6. Petrarca hält sich zur Erholung in seiner Einsiedelei an der Sorgue auf. (Herbst 1347)
1. Eingedenk Deiner Bitte und meines Versprechens mir bewusst, reise ich nach Italien oder (um mich nicht in den grammatikalischen Streit zu verwickeln, den Atticus in Briefen seinem Cicero beschert hat) „ins Land Italien“.2 Ich weiss ja, und behalte es im Gedächtnis, was Du mir wegen dieser Bücher Ciceros, die man in Ordnung bringen muss, mehrmals aufgetragen hast. Einige von ihnen soll ich – wie Du sagst – gleichsam mit einigen Funken Licht erhellen. 2. Schliesslich hast Du alles getan, um Deine Bitten unwiderstehlich zu machen. Denn es ist ja der römische Bischof,3 der Dich mit Rücksicht auf Deinen glühenden Eifer und übrigens auf Grund Deiner bestens geeigneten Fähigkeit zum Kurator seiner grossartigen Bibliothek bestellt hat (wie bekanntlich einst unter unseren Fürsten ein Iulius Caesar den Marcus Varro bestellte, dann Caesar Augustus den Pompeius Marcus, und wie der ägyptische König Ptolemaios Philadelphos den Demetrios Phaleros4), und somit hast Du Deinerseits den Papst dann dazu bewegen können, mir bei meinem Abschied aufs höflichste seine Ansicht in dieser Sache zu eröffnen. 3. Was sollte ich tun? Bekannt ist der Vers, auch wenn man den Verfasser nicht nennen kann: „Bitten der Herren versteh als die heftigste Art des Befehlens; Fast wie mit nacktem Schwert fleht Dich der Mächtige an.“5 Ich werde gehorchen, sofern ich das kann, denn ihm zu gehorchen, ist Notwendigkeit, und Dir zu gefallen, ist Freude, während es hartherzig wäre, Deine Bitten zu überhören, und ein Verbrechen, seine Befehle zu umgehen. 4. Alles dreht sich um das Eine, ob mich beim Suchen von korrigierten Ausgaben, wie Ihr sie fordert, Fortuna begünstige. Du weisst ja, weil Du das Unrecht unseres Zeitalters selber erfahren hast, welch grosser Mangel an solchen Schätzen besteht, dieweil doch unnütze und überflüssige, sogar durchaus schädliche und unheilbringende Reichtümer mit viel zu vielen Sorgen und Anstrengungen gehäuft werden. 5. So weit an mir liegt, werde ich unermüdlichen Eifer und Fleiss aufwenden. Aber damit Du mir keine Verzögerung vorwirfst, teile ich hier noch mit, dass ich, um meine Körperkräfte wiederzuerlangen, die durch Krankheit geschwächt
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Fam. 7,4
sind, in meiner Einsiedelei an der Quelle der Sorgue verweile, bis sich im Herbst die Hitze vermindert. Denn ich fürchte, den noch immer kränklichen Leib einer langen Reise auszusetzen. Sind meine Kräfte mit Gottes Willen wieder hergestellt und hat sich die Hitze verringert, mache ich mich sogleich auf den Weg. 6. Aber könntest Du doch mittlerweile begreifen, welch grosse Freude es mir schafft, einsam und unabhängig in Bergen und Wäldern, zwischen Quellen und Flüssen, mich bei den Büchern und Gedanken der bedeutendsten Menschen zu erholen! 6 Und wie sehr ich mich zusammen mit dem Apostel „ausstrecke nach dem, was vor mir liegt“,7 und bemüht bin, das Vergangene zu vergessen und das Gegenwärtige nicht zu beachten! Lebe wohl! (Herbst 1347)8
Anmerkungen 1 Wie der Brief angibt, war der Adressat Kurator der päpstlichen Bibliothek in Avignon. 2 Die Streitfrage, die sich nicht übersetzen lässt, lautete, ob man ire in Italiam oder ire Italiam sage. Cic. Ad Att. 7,3,10. 3 Wenn die Datierung stimmt, ist es Papst Clemens VI. 4 Petrarca nennt Ptolemaios II. statt Ptolemaios I., Demetrios von Phaleron, Staatsmann in Athen, dann Ratgeber des vorgenannten. 5 Zu seinem Kampf um ein bescheidenes Amt und um Unabhängigkeit vgl. man Secretum 2,14,9 ff. Abhängigkeit ist ein Grund für Petrarcas Melancholie. 6 Dies ist ein wiederholter Versuch, einem bindenden Auftrag zu entgehen. Vgl. Fam. 7,6. 7 Der Apostel schlechthin ist regelmässig Paulus. Vgl. Phil. 3,3. 8 Petrarca reiste am 20. November 1347 ab. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 60.
Fam. 7,5, an Lello (Lelio)1 Vertrauliche Angelegenheiten und Gerüchte von Tätigkeiten des Tribunen in Rom. 1. Die Sorgen häufen sich. 4. Versicherung, die Angelegenheit des Freundes aufs beste zu regeln. 5. Bitte um Nachsendung eines Zettels. 6. Bestürzung über die Wandlung in Rom. Am 22. November, auf der Reise (1347).
1. Vieles zu schreiben, verbietet die Zeit und verhindert die Schläfrigkeit. Schon die dritte Nacht ist’s, die ich schlaflos verbringe,2 der alten Sorgen nicht ledig und von neuen bedrückt, welche mir auf meiner Reise sowohl von vorn als auch von hinten mit Ankündigung beschert wurden. Hab’ ich mich einmal dazu gebracht, alles gleichermassen geringzuschätzen,3 was mir zum Teil schon gelungen ist, dann werde ich ruhigen Schlaf zu finden imstande sein, nicht anders als Vergils4 Aeneas, der „… schon sicher zu reisen, Legte sich hin zum Schlaf, da alles geordnet bereitstand.“ 2. Wenn ich mich nicht täusche, ist eine unsichere und lange Überlegung lauter Beschwerde und Mühsal, die Überwindung des Zweifels dagegen der Anfang der Ruhe. Unmöglich zu sagen, wie sehr der geängstigte Geist, von unsteten Erwägungen gepeinigt, nachdem er einen Entschluss gefasst und sich damit zu einem bestimmten Vorsatz gewandt hat, sich beruhigt. Dann also werde ich reden, wie sich’s gebührt, jetzt aber wie benommen und im Halbschlaf. 3. Deine Entschuldigung, wiewohl überflüssig, nehme ich ernst. Denn ich weiss, dass die Ortsentfernung zwar Liebenden verhasst ist, aber ehrlicher Freundschaft nicht schadet. Wo immer wir sein werden, beisammen werden wir sein. 4. Was Deinen Auftrag angeht, so werde ich tun, wie Du schreibst, denn wie ich wollte, dass mir selber geschehe, werde ich ihn rasch erledigen. Nichts finde ich verdriesslicher, als mit Worten vertröstet zu werden. Diese Verdriesslichkeit habe ich Freunden nie wissentlich angetan, und werde ich auch nie antun. Ich werde gefällig sein, so ich kann, und sonst vorsorgen, nicht zu missfallen. Deine Verse beabsichtige ich zu schmieden, wenn ich meine Fähigkeit in meinem Helikon5 geweckt habe. Doch weiss ich nicht, wie es kam, dass Dein Zettel, den ich zehnmal in Händen hielt, mir bei der Abreise entwischte und ohne mich zu Hause blieb. Suche ihn dort und schicke ihn hinter mir her, obwohl ich selbst ohne ihn zu wissen glaube, was ich sagen werde, wenn sich nur irgendwo in laubigen Hainen ein Aufenthalt anbietet. Die Abschrift des tribunizischen Briefes, die Du mir geschickt hast, habe ich geöffnet, gelesen und angestarrt.6 Zu antworten habe ich nichts. Das Geschick des Vaterlandes wird mir erkennbar. Wohin ich mich wende, finde ich Gründe und Nahrung zum Klagen. Hat sich Rom zerfleischt, wie steht es dann um Italien? Ist
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Fam. 7,5
Italien zerrüttet, wie gestaltet sich dann meine Zukunft? In diesem öffentlichen und privaten Jammer werden die einen Menschen Reichtum, die andern Körperkräfte, die dritten Gewalt und wieder andere Ratschlag darbringen, was hingegen ich darbringen könnte ausser Tränen, sehe ich nicht. Lebe wohl. Am 22. November, auf der Reise (1347).7
Anmerkungen Zu Laelius oder Lelio di Pietro Stefano dei Tosetti vgl. oben Fam. 3,19 und das Personenverz. Petrarca schrieb den Brief wohl zwei Tage nach der Abreise aus der Provence. Gemäss stoischer Lehre. Verg. Aen. 4,554 f. Im Haus zu Parma. Um wessen Brief es sich handelt, ist leicht ersichtlich. Was Lelio über Cola mitteilt, wird in Fam. 7,7 angedeutet. 7 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 60. 1 2 3 4 5 6
Fam. 7,6, an seinen Sokrates1 Abneigung gegen grosse Angebote der Kurie. 1. Der Wunsch nach einem Leben im Abseits bleibe bestehen. 7. Der Freund möge an der Kurie den Wunsch des Dichters unterstützen. Am 25. November, auf der Reise (1347).
1. Meinen zusammenfassenden Bericht über meine Verhältnisse, den ich Deiner bewährten Zuverlässigkeit anvertraut habe, kürze ich nicht und ergänze ich nicht.2 Ich bleibe so stetig wie standhaft bei meinem Vorsatz, und wenn Du Dich seiner erinnerst, ist es überflüssig, dass ich mich darüber verbreitere. 2. Doch zur Bestätigung, dass ich ihn nicht etwa vergessen habe, sollst Du kurz folgendes hören: Nach einem hohen Rang habe ich nie verlangt, ob das nun zu den Kennzeichen eines bescheidenen oder eines kleinlichen oder auch, wie gewisse Autoritäten behaupten, eines bedeutenden Geistes zu rechnen sei. Jedenfalls erinnere ich bloss an Wahres und sogar an allgemein Bekanntes, ja an etwas, wofür Du mir ein besserer Zeuge bist als alle anderen, ein übrigens bisweilen lobender und bisweilen – je nach Umständen – sehr freundschaftlich tadelnder. Ich würde ja, um Deine Worte zu verwenden, an meinem Beschluss allzu starr festhalten; und daher sei zu besorgen, dass ich nicht den erhofften Ruhm grösster Festigkeit, sondern den ehrenrührigen Vorwurf der Verbohrtheit einheimsen könnte. 3. Mich jedoch reut bis heute meine Entscheidung nicht; denn jede Höhe ist mir verdächtig, und vor einem Absturz graut mir bei jedem Aufstieg. Viel lieber würde ich gemäss meiner Veranlagung mich zu jenen gesellen, von denen der Dichter sagt:3 „… sie lebten verborgen in Tälern“, als zu jenen andern, von denen der selbe sagt:4 „… sie bauten die Stadt auf die Hügel“. 4. Demnach würde ich eine wünschenswerte Mittelstellung, die Flaccus mit Recht eine goldene nennt,5 in Dankbarkeit annehmen, sofern man sie, wie früher versprochen, mir zubilligen wollte; und ich würde sagen, man handle an mir sehr grosszügig. Versucht man aber, mir die widerwärtige, drückende Last eines höheren Amtes aufzuerlegen, lehne ich solches ab und werfe es weit von mir. Lieber möchte ich in kümmerlicher Armut sein. Obwohl ich – nach dem Lauf der Dinge und nach der Art meiner Gesinnung – nicht arm sein kann! 5. Eben dies und all das andere, das wir hinsichtlich meines Entschlusses zu besprechen pflegen, teile Du – ich beschwöre Dich! –, da Du es bestens kennst, den
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Fam. 7,6
Freunden, den Herren und dem Herrn der Herren mit,6 obwohl ich selber es ja weder versteckt noch verschwiegen habe. 6. Gewissen Leuten muss man eine Wahrheit eben immer wieder einhämmern, wenn sie eindringen soll. Und hierüber mich zu wundern, habe ich jetzt um so weniger Grund, als alles, was Du über mich zu sagen hast, gewiss für etwas völlig Unzeitgemässes und der öffentlichen Meinung allzu Fremdes gelten muss. Ich stehe nun einmal zu dieser allgemeinen Meinung, wie in mancher Hinsicht, so vor allem in besagter Sache, in gewaltigem Widerspruch. 7. Doch die Ungläubigkeit der Zuhörer wird durch die Geistesschärfe und Redegewandtheit des Sprechenden verscheucht werden! Und da mein Sokrates sogar in jeder beliebigen Sache viel Autorität und Vertrauen gewinnen kann, so wird er beides in noch weit höherem Mass gewinnen, wenn er freundschaftlich des Freundes geheime Gedanken erörtert. Jedenfalls wird aus dem Munde eines Freundes vieles günstiger aufgenommen als aus dem eigenen. 8. Und zum Schluss solltest Du auch das nicht verschweigen (denn es soll keiner ob unserer Einfalt sich klug dünken), was wahre Freigebigkeit ist; denn sie ist nicht schwerfällig, nicht langsam und auch nicht drückend, vielmehr nimmt sie Rücksicht einzig auf den Begünstigten, passt sich diesem an, befiehlt nicht, sondern ist gefügig, erfüllt Wünsche und schränkt sie nicht ein. Dies nämlich weiss ich gewiss: Wird dem, der wenig erbittet, Übermässiges geboten, ist das eine Art der Verweigerung. Lebe wohl! Am 25. November, auf der Reise (1347).7
Anmerkungen 1 Das ist Ludwig van Kempen in Avignon. Vgl. Fam. 1,1, Anm. 1. 2 Petrarca lehnte verschiedene Angebote des Papstes Clemens VI. ab, z. B. 1346/47 einen Bischofssitz und eine Sekretariatsstelle an der Kurie. Von Angeboten der Kurie sprechen auch Fam. 7,4 und Fam. 13,5. Vgl. Wilkins, Studies 14 – 17, 66 – 71und 145. 3 Verg. Aen. 3,110. 4 Verg. Aen. 8,53. 5 Hor. Carm. 2,10,5. 6 Dem Papst Clemens VI. 7 Zur Datierung vgl. Anm. 2 und Wilkins, Petr. Corresp. 60.
Fam. 7,7, an Cola di Rienzo, den Tribunen von Rom1 Fragen und Bitten an den Volkstribunen Cola di Rienzo. 1. Wegen beunruhigender Gerüchte dringende Bitte an Cola, sein Werk nicht zu zerstören. 7. Hoffnung, die Angaben der Freunde möchten falsch sein. 9. Aber Entschluss, sich von Cola abzuwenden. Genua, am 29. November (1347).
1. Erreicht hast Du wahrhaftig, dass ich zu dieser Zeit oft ein Wort, das Cicero dem Africanus in den Mund legte, mit grosser Begeisterung wiederholte: „Was ist das für ein Laut, der mir so hell und süss in die Ohren klingt?“2 Denn wie könnte man bei so viel Glanz Deines Namens von den freudigen und häufigen Meldungen Deiner Erfolge zutreffender sprechen? Und wie begierig ich solches getan habe, bezeugt das Dir gewidmete Buch der Ermahnungen, voll meines Beifalls und voll Deines Ruhmes.3 2. Lass nicht zu, so bitte ich, dass ich sage: „Was ist das für ein lautes, unseliges Krachen, das meine Ohren verletzt?“4 Hüte Dich nur ja, so flehe ich, Deines Rufes herrliche Stirn mit Deinen eigenen Händen zu entstellen! Keinem Menschen steht es zu, ausser Dir allein, die Fundamente Deiner Werke einzureissen; Du vermagst sie umzustossen, denn Du hast sie errichtet. Es pflegt ja gerade der Baumeister der beste Zerstörer der eigenen Bauten zu sein. 3. Du weisst, auf welchen Pfaden Du zur Glorie gestiegen bist; machst Du kehrt, so steigst Du von da herab, und naturgemäss ist der Abstieg bequemer, da er weit und breit offen steht und da nicht bloss für Unterirdische gilt, was der Dichter gesagt hat:5 „… bequem ist der Abstieg zur Hölle.“ 4. Einzig durch die Wandelbarkeit unseres gegenwärtigen Lebens unterscheiden wir uns von ihrem hoffnungslosen Elend; denn so lange wir hier sind, fallen und stehen wir auf, steigen ab und steigen auf, während es dort kein Zurück gibt. Was aber wäre unsinniger, als sich da, wo man stehen kann, fallen zu lassen in der Zuversicht, wieder aufzustehen? Immer ist der Sturz aus der Höhe besonders gefährlich, und was ist höher als Tüchtigkeit und Ruhm? Und just auf deren Gipfel – zu unserer Zeit sonst von niemand betreten – hast Du Dich hingesetzt. Und so unverdrossen und auf so ungewöhnlichem Bergpfad hast Du die höchste Höhe erklommen, dass ich kaum weiss, wem jemals ein ebenso grauenvoller Absturz gedroht hätte. 5. Nun gilt es, den Fuss um so sicherer aufzusetzen, damit Du fest stehst und nicht ein Schauspiel bietest, den Feinden zum Lachen, den Deinen zum Weinen. Man erwirbt sich den Ruhm nicht umsonst und kann ihn so auch nicht behalten: „Grosser Mühe bedarf ’s, um grossen Ruhm zu bewahren.“
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Fam. 7,7
6. Gestatte mir, mein Verslein auf Dich anzuwenden, das mir so gut gefiel, dass ich es ohne Scham aus alltäglichen Briefen in die Africa übernahm.6 Und erspare mir die bitterste Notwendigkeit, das lyrische Gestalten Deines Ruhmes, wodurch ich mich – wie diese Feder bezeugt –oft hervorgetan, zur Satire verkehren zu müssen! 7. Und glaube nur ja nicht, ich sei bloss beiläufig auf solche Rede verfallen und spräche von nichts weiter. Kaum von der Kurie abgereist, haben mich Freundesbriefe eingeholt,7 in denen verlautet, was in grellem Gegensatz zu Deinen Pflichten steht und von Deinem früheren Ruf vollständig abweicht, dass Du nämlich nicht mehr wie früher dem Volke, sondern der schändlichsten Volksschicht verbunden seist,8 nur dieser gehorchest, diese umsorgest und diese bewundertest. Was soll ich sagen, wenn nicht das, was Brutus an Cicero geschrieben hat:9 „Man schämt sich der Lage und des Schicksals.“ 8. Die Welt also wird sehen, wie Du Dich wandelst von einem Führer der Guten zu einem Gefolgsmann der Schlechten? Also sind unsere Sterne plötzlich verdunkelt und ist die Gottheit uns feindlich? Wo bleibt nun Dein heilbringender Genius?10 Wo bleibt – um gebräuchlicher zu sprechen – jener zu guten Taten ermunternde Geist, mit dem Du unablässig Dich zu beraten schienst? Man hielt ja für unmöglich, dass ein Mensch so grosse Werke auf eine andere Weise vollbringe. 9. Doch was quäle ich mich? Verläuft doch alles, wie ein ewiges Gesetz es bestimmt hat. Ändern kann ich das alles nicht. Aber fliehen kann ich! Und somit hast Du mir eine rechte Anstrengung erlassen. Denn willig eilte ich Dir entgegen; nun wende ich mich ab.11 Gewiss werde ich Dich nach Deiner Veränderung nicht wieder aufsuchen. Du aber, mein Rom! Lebe wohl auf lange Zeit!12 Wenn wahr ist, was man sagt, will ich lieber zu den Indern oder zu den Garamanten ziehen.13 10. Ist es aber wirklich wahr? Oh wie ganz anders als der Anfang ist das Ende! Oh wie masslos empfindlich sind meine Ohren! Sie waren gewöhnt an herrliche Botschaften; dies andere da ertragen sie nicht! Doch kann, was ich sage, ja falsch sein! Und wäre es doch falsch! Niemals hätte ich lieber geirrt! Grosses Vertrauen geniesst bei mir freilich der Schreibende;14 doch wegen seiner gewissen (sage ich edelmütigen oder mutwilligen) Eifersucht, mir an manchen Anzeichen erkennbar, bleibt mir ein nicht geringer Argwohn. 11. Obwohl also der Schmerz noch mehr zu sagen gebietet, zügle ich mein Ungestüm, was ich allerdings nicht vermöchte, würde ich meine Besorgnis nicht mit Unglauben trösten. Möge Gott unsere Sache fördern und alles froher machen, als man berichtet! Und möge eher einer der Freunde mich mit einer Lüge kränken, als dass ein anderer es tue durch pflichtvergessene Schandtat! Denn infolge sehr schlechter Gewohnheit ist die Lüge bereits zu einer alltäglichen und verbreiteten Sünde verkommen, wogegen den Verräter des Vaterlandes zu keiner Zeit irgendwelche Nachsicht, Gewohnheit oder verbrecherische Laxheit entschuldigen. 12. Eher also soll jener mit Lügen mir ein paar Tage vergällen, als dass Du mir durch Verrat am Vaterland mein ganzes Leben verbitterst!
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Hat jener sich durch Worte vergangen, wird er durch Worte bestraft werden. Sollte aber Dein Verbrechen, das ich mir erdichtet wünsche, in Wahrheit bestehen, mit welcher Busse hoffst Du es dann zu tilgen? 13. Unsterblich ist der Ruhm, unsterblich die Schande! Solltest Du also – was ich nicht glauben kann – Deinen eigenen Ruf vergessen, dann sorge wenigstens für den meinen! Du weisst, welcher Sturm über mich heraufzieht und – wenn Du ins Schwanken gerätst – welche Schar von Angreifern sich gegen mein Haupt verschwört. „Solange die Zeit es gönnt,“ wie jener Jüngling bei Terenz es sagt,15 „bedenk, bedenk Dich recht!“ Untersuche, ich bitte Dich, mit grösster Sorgfalt, was Du tust; durchforsche Dein Inneres schonungslos, erwäge bei Dir selbst und täusche Dich nicht, wer Du bist, wer Du warst, woher Du und wohin Du gekommen bist, auch wieweit man ohne Verletzung der Freiheit sich wagen darf, welche Rolle Du übernommen, welchen Namen und Titel Du Dir gegeben, welche Hoffnung auf Dich Du geweckt und was Du versprochen hast! Du wirst Dich nicht als Herrn des öffentlichen Lebens erkennen, sondern als seinen Diener.16 Genua, am 29. November (1347).17
Anmerkungen 1 Petrarca hat von allen seinen Briefen an den römischen Volkstribunen Cola nur diesen einen in die Familiares aufgenommen. In diesem ist er eben nicht mehr Verteidiger seiner Sache wie in andern Briefen, und deshalb wagt er dessen Veröffentlichung. 2 Cic. De rep.. 6,18; bei Macr. Somn. 2,2,21. 3 Mit dem Buch ist vielleicht Var. 48 gemeint, eher jedoch ein vernichtetes Werk. 4 Angelehnt an Verg. Aen. 8,582 f. 5 Verg. Aen. 6,126. 6 Afr. 7,292. 7 Vgl. Fam.7,5. 8 Welche Volksschichten gemeint waren, lässt sich kaum sagen. Es wurden verschiedene Vermutungen geäussert und verworfen. Kaum anzunehmen, dass Petrarca auf Beziehungen Colas zu Adelskreisen hindeutet, da er im allgemeinen den Adel eben nicht zum Volk rechnete; vgl. J. Macek, Pétrarque et Cola di Rienzo, Historica 11, 1965,5 – 51, speziell 23. 9 Cic. Ad Brut. 1,16,1. 10 Dieser Genius ist nicht gleichzusetzen mit dem Heiligen Geist, den Cola als seinen Ratgeber bezeichnete und auf den erst der nächste Satz verweist. 11 Statt nach Rom begab sich Petrarca nach Parma, wo er das ihm zugesprochene Kanonikat im Dezember in Besitz nahm, und von dort – mit einem Auftrag des Papstes – nach Verona zu den Scaligern, um sie von einer Verbindung mit dem König von Ungarn, der gegen Neapel zog, abzuhalten.
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Fam. 7,7
Vgl. Verg. Ecl. 3,79. Vgl. Verg. Aen. 6,792 – 797. Wahrscheinlich ist Lelio (Lello) gemeint. Ter. Eun. 56. Suet. Claud. 29,1 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 60. Schon am 20. November waren Verwandte des Kardinals im Kampf gegen Anhänger Colas gefallen; doch scheint Petrarca, da er sich auf der Reise nach Parma befand, davon noch nichts vernommen zu haben. Vgl. Fam. 7,13.
Fam. 7,8, an Giovanni Aghinolfi von Arezzo1 Ausdruck der Genugtuung über erfreuliche Ereignisse und gute Aussichten. (1347/1352)
1. Alles geht nach Wunsch, mein Freund. Mich beglückt die Freiheit des Vaterlandes, der Ruhm unserer Fürsten, der Friede der Bürger, die Vermehrung der Frömmigkeit, die allgemeine Fröhlichkeit, insbesondere auch Deine Ehrung. Denn dank Deinem Wirken haben in der bisher aufgewühlten und ruhelosen Stadt wohltuende Heiterkeit und köstlicher Friede Einzug gehalten.2 Auch freut mich die gute Entwicklung Deiner privaten Verhältnisse. 2. Höchst selten geschieht, dass das Erfreuliche scharenweise auftritt, gar ohne dass Fortuna ihren süssen Gaben Bitterkeit beimischt und sie damit vergiftet. Und doch geruht sie gelegentlich, vollkommen gnädig zu sein, und dann versteht sie sogar auf wunderbare Weise, selbst aus ihren bitteren Gaben eine unverhoffte Süsse zu pressen. So aber mildert sie häufig das Harte und verwandelt das scheinbar Traurige in Freude. Nützen muss man die Geschenke Fortunas, jedoch ohne ihnen zu trauen. Sicher hat sie gerade jetzt von ihrer besonderen Schlauheit Gebrauch gemacht. 3. Was soll ich also sagen? Nicht nur zu den erhofften Erfolgen, sondern auch zu unseren gegenwärtigen Missgeschicken beginne ich mir Glück zu wünschen. Das gilt einerseits für die kleine Unpässlichkeit Deines Leibes, durch welche Deine mächtige und vielfältige Herzensfreude gemindert wird, und gilt anderseits für die vielen und verschiedenartigen Hindernisse auf meinen eigenen Wegen, von denen ich mir ja schliesslich das Ergebnis erhoffe, dass wir miteinander und gleichzeitig ins Vaterland zurückkehren werden.3 Lebe wohl! (1347/1352)4
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 11,3 und die andern Schreiben an den selben Adressaten. Er war Kanzler der Gonzaga von Mantua und erreichte an der Kurie in Avignon für seinen Herrn nach längeren Verhandlungen die Aufhebung eines Kirchenbannes. 2 Mantua ist gemeint. 3 Wir: Petrarca und der Angesprochene? 4 Die Einordnung dieses Briefes wirkt sonderbar, da er Zuversicht ausstrahlt. Er ist kaum Ende 1347 entstanden, jedoch sicher in Vaucluse oder Avignon. Vgl. Dotti, Fam. zu diesem Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 60, auch Luigi di Benedetto, Da Giacomo da Lentini a Francesco Petrarca, Neapel 1949, 61 – 62.
Fam. 7,9 (ohne Nennung eines Adressaten) Offenkundige Feindschaft ist besser als versteckter Hass. 1. Warnung, sich mit einem Unzufriedenen abzumühen. 3. Ratschläge für seine Behandlung.
1. Bei den Bauern sagt ein Sprichwort: „Dem Hund ein Lager machen, ist Schwerarbeit.“ Und fragst Du nach seinem Sinn, dann lautet er so: Bevor der Hund sich hinlegt, dreht er sich um, bald in der einen, bald in der anderen Richtung, so dass Du nicht weisst, wohin mit dem Kissen. Als Scherz hat es jener gemeint, der es als erster gesagt hat, und doch ist es wahr, und man könnte, was man lachend vom Hund sagt, auf viele Menschen beziehen. 2. Es gibt ja manche, denen man nie etwas recht macht. Sie wenden sich so häufig, dass man nicht wissen kann, worauf sie verfallen und was sie wollen. Meint man, sie befriedigt zu haben, hat man noch gar nichts erreicht; alle Mühe und Gefälligkeit waren vergeblich. Man bietet ihnen ein städtisches Vergnügen, und sie loben ländliche Einfachheit; man lockt sie zur Stadt hinaus, und sie verlangen Stadtbetrieb und verfluchen die Einsamkeit. Beginnt man, mit ihnen zu sprechen, sind sie gelangweilt, und verstummt man, sind sie verärgert. Abwesende vermissen sie, und Anwesende verachten sie; Freunde können sie oft gar hassen. Am klügsten ist, sich solche Leute vom Leib zu halten. 3. Du begreifst, was ich meine, und überflüssig scheint, sich darüber zu verbreitern. Dennoch will ich weiterreden, denn es soll Deiner Sanftheit aus meinem Schweigen nicht etwa ein Anlass zur Verstellung erwachsen. Was verlierst Du so viele Mühe, grossmütige Seele? Du hast da einen Menschen erobert, der Dir völlig ungleich und fremd ist. Gib den Versuch, den mühevollen, erfolglosen auf! Eine Versöhnung mit ihm suchst Du vergebens; dem Widerstrebenden kannst Du nicht Freund sein. Ein furchterregender Feind könntest Du ihm werden. 4. Heute verachtet er Dich; doch würde er lernen, Dich zu fürchten, wenn Du anfingest, Dich unverhohlen zornig zu zeigen. Dann würde er merken, wer der ist, den er grundlos und undankbaren Herzens zu reizen verlangt hat. Wie ein Arzt müsstest Du diesen kranken und verwöhnten Menschen behandeln. Ich bitte Dich also, versuche es, wenn Sanftheit nichts nützt, mit dem Gegenteil; dann wird vielleicht Strenge etwas bewirken und die Ablehnung erfolgreicher sein als die Liebe. Verspottet er Dich, wenn Du schmeichelst, wird er sich ducken, wenn Du ihm dem Anschein nach feindselig begegnest. Meinen eigenen Sitten entspricht dieser Ratschlag zwar wenig, aber immerhin Deinen Umständen. Was denn willst Du mit einem anfangen, der Liebe als Verschlagenheit auffasst und Freundlichkeit als Bedrohung? Lebe wohl. (Kein Anhaltspunkt zur Datierung)
Fam. 7,10, an Giovanni dell’ Incisa1 Entschuldigungen und Erklärungen nach der Übersiedlung nach Italien. 1. Verspätete Ankunft eines Briefes bei Petrarca. 3. Gründe für die Unterlassung eines Besuches in Florenz. 4. Die grassierende Pest war dafür kein Grund. 8. Verlorene Hoffnungen (Cola di Rienzo). 9. Unsicherer Ausgang eines Rechtsstreites. Verona, am 7. April (1348).
1. Dein Brief, voll liebenswürdigster und schmeichelhaftester Vorwürfe, hat mich am 24. März gegen Abend am Ufer des Po erreicht. 2. Vergleiche den Tag seiner Ankunft mit seinem Datum und entscheide, ob in dieser Frist nicht sogar einer aus Ägypten hätte anlangen müssen. Mit ihm kamen auch Briefe von Freunden und zudem von den zwei mir persönlich nicht bekannten, aber offenbar angesehenen, wie Du sagt, noch jungen Leuten, die aber, wie ihre Schreiben verraten, Altersweisheit besitzen.2 Deshalb wünschte ich, unsere Bürgerschaft3 besässe viele ihrer Art, vorausgesetzt, sie wollte diese nicht gleich vertreiben. Oder wenn sie es täte, geschähe es wenigstens in einer Weise, dass die Weggewiesenen anderen italienischen Bürgergemeinden zur Zierde und Ehre gereichen könnten. Doch ich gehe über diese niemals erschöpfte alte Klage hinweg und wende mich wieder den Briefen zu. 3. Beinah alle vertreten die gleiche Meinung: Ich werde getadelt; denn ich hätte entgegen meinem Plan, nach Florenz zu kommen, wie ein Verächter meiner Heimatstadt den Weg zum cisalpinen Gallien eingeschlagen4 und die Hoffnungen und Wünsche vieler, die mich erwarteten, betrogen. Ich könnte darauf Verschiedenes entgegnen, und was ich auf die Briefe der anderen antworten werde, weiss ich noch nicht. Antworten werde ich jedenfalls, obwohl ich überaus beschäftigt bin. Du verlangst es ja, und ich füge mich Deinem Drängen. Ist erst einmal die Feder in meiner Hand, wird sie zeigen, wohin sie geführt sein will. 4. Und was die anderen betrifft,5 so wird mir, um ihrer Schreibkunst zu genügen, die Hilfe der Musen vonnöten sein. Dir aber will ich, um vor Dir alles ohne künstlerische Verbrämung offen und nackt auszubreiten, dies eine durchaus nicht verschweigen. Weder die Beschwerden der Reise, noch die Pest (die in diesem Jahr ja die ganze Erde und insbesondere die Küstengebiete heimsucht und aufzehrt),6 noch auch der Schmerz meiner Seele,7 ja auch nicht – ausser ich täusche mich – die schlechte und ungerechte Behandlung von seiten meiner Vaterstadt8 hätten mich vom einmal betretenen Weg ablenken können, zumal ich den grösseren Teil der Beschwerden schon hinter mir hatte und bereits nach Genua gelangt war. 5. Vielmehr bestand der eigentliche und wichtigste Grund im folgenden: Wegen jener Hoffnung, die ich mir im Geiste zurechtgelegt oder eher (wie das Ende lehrte) erträumt hatte, schien mir, ich könne nur kommen, wenn ich Dir irgendeine Nachricht vom günstigen Ausgang unserer Angelegenheit brächte.
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Fam. 7,10
6. Daher hegte ich eine heimliche Freude, solange zu warten, bis an die Stelle meiner Hoffnung die Wirklichkeit getreten wäre. Und schon malte ich mir aus, wie ich dann nicht bloss laufen, nein sogar fliegen würde, und sah im voraus, wie ich, ohne auf Mühen zu achten, bei Bologna die Alpen überqueren würde (den Apennin nenne ich so nach der Art des Volkes). Ich war eben fest entschlossen, von da aus ganz unversehens, wenn zwar nicht unerwartet, vor Deine und der Freunde Augen zu treten. Der zweite Grund bestand darin, dass ich für das begonnene Werk insbesondere von hier9 eine Unterstützung erhoffte; jede Verzögerung hätte eine solche ja verringert, da nicht einmal die tatsächlich erbrachte Raschheit gross genug war. 7. Was soll ich sagen? Ich weiss, Tatsachen sind handfest, Hoffnungen leer. Ich weiss, wer die Hoffnung verliert, verliert gar nichts; ja, zu wenig habe ich gesagt, denn man gewinnt dabei sogar vieles. Und dennoch behaupte ich auf Grund meiner Erfahrung: Wie kein Verlust geringer ist als jener der Hoffnung, so ist auch keiner quälender. Oft nämlich schätzen wir eine Sache im Erhoffen viel höher ein als im Besitzen, und dann erkennen wir erst im Erlangen, wie sehr die schmeichelnde Hoffnung uns getäuscht hat. 8. Daher meinen wir jedesmal, wenn unsere Hoffnung schwinden muss, ohne dass wir zuvor die Wirklichkeit erprobten, unter einer schweren Belastung zu leiden. Aber durchkreuzt hat Gott meinen Plan, und die Sorgen, die ich für Gott gefällig ansah, hat er für sinnlos erklärt. Dies sollte mir zur Belehrung dienen, dass die Gedanken der Menschen eitel sind. Und darüber nichts weiter! 9. Zum Verlauf unseres Rechtsstreites10 sage ich nur soviel: Die Sache wird an der Kurie verhandelt. Ich hoffe, die Hinterlist jenes Räubers werde aufgedeckt. Doch bin ich auf jeden Entscheid gefasst. Bin ich siegreich, will ich froh sein; bin ich besiegt, wird die besiegte Gerechtigkeit mich trösten. Nicht zum ersten Mal werde ich jetzt durch das Gespött Fortunas ertüchtigt. Ich habe gelernt, mit welchen Künsten man sich über die Verwundung durch eine hinfällige Hoffnung lustig macht. Mögen die Dinge gehen, wie sie wollen, wenn nur ich selber nicht wanke! Und beim Herkules, ich sehe nicht ein, weshalb ich wanken sollte! Ich bringe es doch wohl fertig, mit Gleichmut entweder zu ergreifen, was mein ist, oder fahren zu lassen, was ich ja gar nicht ergreifen konnte. 10. Ein guter Leitfaden zum Reichtum11 ist der Weg der Philosophen, der besagt, man müsse nicht den Reichtum mehren, wohl aber die Begierde beschneiden. Diesem Weg zu folgen, habe ich beschlossen, um nicht auf jenen rauhen und mühsamen Pfad unentwirrbarer Prozesse zu geraten, von dem mich Gott und die Beschaffenheit meiner Natur sozusagen mit Gewalt zurückholten. Mit dem Streit also gehe es, wie es mag. Meine ärmliche Habe – für mich weder drückend noch schmutzig, aber für weit mehr Menschen, als ich wollte, ein Gegenstand des Neides – wird mir genügen. Denn wenn sie mir nur entspricht, so bin ich, wie Seneca sagt,12 mit ihr reich. Lebe wohl! Verona, am 7. April (1348).13
Fam. 7,10
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Anmerkungen 1 Der Genannte war Theologe und Prior im Konvent von S. Marco in Florenz. Vgl. Fam. 3,18, Anm. 1 und die hier folgenden Fam. 7, 11 – 7,12. 2 Gemeint sind der Grammatiker Bruno Casini und der Dichter Zanobi da Strada; vgl. Personenreg. und Adressaten. 3 Das ist Florenz. 4 Petrarca hielt sich zwischen 1348 und 1350 wechselnd in Verona, Parma, Padua und Mantua auf, also in dem Teil Oberitaliens, der dem alten „diesseitigen Gallien“ entsprach. 5 Das sind die anspruchsvollen Humanistenfreunde in Florenz. 6 Die Pest ging ende 1347 von Sizilien aus und erstreckte sich bald über ganz Europa. Petrarca beklagte sie häufig und beschrieb sie vor allem in Fam. 8,7. 7 Schmerz empfand Petrarca nicht allein wegen des Todes verschiedener Freunde, sondern auch wegen der bitteren Enttäuschung, die Cola di Rienzo ihm bereitet hatte. Vgl. die Briefe an diesen lat. und dtsch. bei Widmer, Aufrufe 77 – 221. 8 Petrarca wurde die Habe seines Vaters, da sie von der Stadt konfisziert worden war, noch vorenthalten, später angeboten, aber von ihm ausgeschlagen. Vgl. Fam. 11,5 und 11,6. 9 Also aus Verona und von Mastino della Scala. Dieser stand in Verbindung mit Cola di Rienzo, hatte jedoch auch Verbindungen mit dem König von Ungarn. In päpstlichem Auftrag sollte Petrarca ihn zum Widerstand gegen den König ermahnen, kam aber zu spät in Verona an. 10 Petrarca war immer wieder genötigt, sich nach einer Pfründe umzusehen. So hatte er Ansprüche auf das Priorat von S. Nicola di Migliarino bei Pisa geltend gemacht (vgl. Fam. 7,3), das aber von Lotto del Nicchio degli Orlandi angefordert wurde. Vgl. Wilkins, Studies 10. 11 Sen. Ad Lucil. 119,1. 12 Sen. Ad Lucil. 4,11. Eine Verteidigung gegen Neider ist Fam. 14,4. 13 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 60.
Fam. 7,11, an Giovanni dell’ Incisa1 Vorfreude auf den Empfang eines Besuches. 1. Mitteilung von der bevorstehenden Ankunft eines Freundes. 2. Dieser habe vergeblich Vaucluse aufgesucht. 3. Petrarca werde den Freund möglichst lange bei sich zurückhalten. Im Tal von Parma, am 10. April (1348).
1. Kaum zu glauben, welch eine Fülle von Sorgen von mir abfiel und welch eine Fülle von Freuden über mich herfiel bei einer soeben empfangenen Botschaft! Ich will, obwohl Ort und Zeit ein langes Schreiben verbieten, sie Dir dennoch in aller Kürze mitteilen. 2. Unser Francesco,2 so höre ich, befinde sich auf dem Heimweg und sei schon in Marseille. Durch manche Tücken und Gefahren zu Wasser und zu Land herumgejagt, sei er dennoch wohlauf. Er eilt zuerst geradenwegs zu mir, wie man sagt,3 und ich halte für gewiss, dass er stöhnt über die endlose Entfernung und oft ein Zitat aus Vergil auf der Zunge hat:4 „Ob auch Italien flieht, wir folgen auf schaukelnden Wogen.“ Dies nicht grundlos. Er meinte nämlich, mich in Gallien zu treffen;5 mir aber war, jenen Abschaum an der Kurie länger zu ertragen, nicht möglich gewesen. Der nächste Sprung ist für ihn nun der in die Heimat. 3. Dass er vor Sehnsucht nach Dir brennt, bin ich sicher. Doch glaube mir – und das würde ich Dir nicht schreiben, wenn Du mein Vorhaben mit irgendeiner Absicht durchkreuzen könntest –, glaube mir, sage ich: Über die Pläne der Menschen entscheidet Fortuna. Zwischen Gedanken und Taten liegt, wie man im Volk sagt, ein riesiger Berg. Sobald er hier ist – und ich hoffe, er wird gleich da sein –,lege ich Hand an ihn. Gebieterisch ist die Liebe; nichts, meint sie, sei ihr unerlaubt. Und ich werde tun, als nähme ich mein eigenes Recht wahr, wenn ich ihn gleichsam als wiedergefundenen Schatz in meinem Haus aufs neue verberge und alles Nötige aufbiete, um ihn nicht wieder so leicht zu verlieren. 4. Das sei Dir zum voraus verkündet, damit Du es um so geduldiger annehmest, wenn es eintrifft. Ich werde nämlich nicht so rasch, wie ich das Gerücht der Ankunft weiter melde, Dir auch den Freund weiter geben. Viel seltener und viel kostbarer ist die Freundschaft als Gold, und wenn ich nun mit ihr vielleicht etwas allzu geizig umgehe, so möge eben der Wert der eroberten Sache die Strenge des Eroberers entschuldigen. Ich schliesse allerdings Deine Gesellschaft nicht aus, sofern wir beide derart teilen, dass er bei mir bleibt. Um Dir Deinen Teil zu sichern, vielmehr um statt einen einzigen Freund ihrer zwei zu haben, lass Dich durch Deine Liebe zum Kommen bewegen! Lebe wohl! Aus dem heiteren Tal von Parma mit einem Hirtenrohr, am 10. April (1348).6
Fam. 7,11
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Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief und Fam. 3,18. 2 Franceschino degli Albizzi, ein Verwandter des Adressaten; vgl. Petrarcas Sonett 287,11. 3 Die Nachricht von der Ankunft hatte Petrarca aus Avignon von seinem Freund Ludwig van Kempen (Sokrates) erhalten. Vgl. Fam. 7,12,13. 4 Verg. Aen. 5,629. 5 Petrarca hatte die vorangehende Zeit teils in Avignon an der Kurie, teils in seiner nahen Einsiedelei von Vaucluse verbracht. Franceschino hatte ihn ebenda besucht, war dann nach Paris gereist und hatte auf seiner Rückreise bei einem Halt in Vaucluse von der Abreise Petrarcas nach Italien vernommen. 6 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,12, an Giovanni dell’Incisa1 Über den Tod des erwarteten Freundes. 1. Klagen über trügerische Hoffnungen. 4. Langes Warten auf den Freund. 7. Erschütterung durch die Todesnachricht. 9. Schilderung der glücklichen Jahre. 17. Fluch auf Savona, wo der Freund verstarb. 21. Rückbesinnung und Mässigung der Klagen. 22. Trost, das Grab des Freundes in Italien zu finden. (1348)
1. Ach, was ist das, was höre ich? Oh lügnerische Hoffnung der Sterblichen, sinnlose Sorgen, und oh Hinfälligkeit ihres Zustandes! Nichts ist für den Menschen ruhevoll, nichts beständig, nichts gesichert. Von hier die Gewalt des Schicksals, von da das Lauern des Todes, und von dort das flüchtige Schöntun der Welt: Von allen Seiten werden wir Erbarmungswürdige umzingelt! Aber mitten unter diesen Fangnetzen sind wir verwegen genug, uns Frohes zu versprechen! So häufig hintergangen, so häufig zum Gespött gemacht, verstehen wir doch niemals, uns der angewöhnten Hoffnung und der tausendmal genarrten Leichtgläubigkeit zu entledigen! Allzu grosse Süsse wohnt im Glück, selbst im falschen! 2. „Oh du,2 so unverständig, so blind, so uneingedenk des eigenen Schicksals!“3 Wie oft habe ich so zu mir gesprochen: „Schau her, beachte, merke auf, halte ein, bedenke, präge dir ein sicheres Zeichen ein, das unvergänglich bestehen wird! Erinnere dich dieses und jenes Betruges, und du wirst von Fortuna nie wieder etwas erhoffen und ihr nie wieder etwas glauben. Sie ist lügnerisch, launisch, leichtsinnig und treulos. Dass ihre Erstlingsgaben lieblich und mild, ihre späteren beissend und bitter sind, das weisst du. Längst hast du dieses todbringende Ungeheuer erfahren und bedarfst niemandes Belehrung. Mit eigenen Erlebnissen kannst du dir raten und wirst dich hüten, mit ihm je wieder einen Handel zu schliessen. Ob es verheisst, ob es verwehrt: Verschmähe es! Ob es austeilt, ob es ausraubt: Verlache es!“ 3. Das hatte ich beschlossen, das im Herzen verankert. Und nach diesem so männlichen Vorsatz, sieh, wie ich wiederum so weibisch, so läppisch gefallen bin! Sage ich: zum Lachen? Oder eher: zum Jammern? Zum Lachen vielleicht für andere, für mich aber schmerzlich und grausam erbärmlich. 4. Nachdem so viele erhoffte Dinge unverhofft zu nichts geworden, hatte ich mein Herz dazu vermocht, aufs neue zu hoffen und an diese flüchtige, sozusagen winternächtliche Aufheiterung zu glauben, ja auf den morgigen Tag zu setzen, ach voreilig, verwegen und kopflos! Beissende Sorgen habe ich mit Worten solcherart beharrlich zu besänftigen gewagt: „Sieh, gleich wird mein Geliebter da sein, mein Francesco, mein Bruder, mein Freund, mir nicht weniger durch gegenseitige Zuneigung als durch den Namen verbunden, nicht weniger durch Liebe als durch Blut!4 Sieh, er wird gleich da sein; ja, vielleicht ist er schon da!“
Fam. 7,12
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5. In so leidenschaftlicher Betrachtung war ich ihm zugewandt, dass ich ihn oft gleichsam vor Augen sah, obwohl er durch Meer und Land noch weit entfernt war und mir nun, ach auf dieser Pilgerreise5 und in dieser Verbannung nie wieder begegnen wird. Ich habe jedoch mit einem gewissen Recht, das allen Liebenden zusteht, in erdichteten Begegnungen und Gesprächen mich über die lästige Wartezeit hinweg getröstet und dabei – wie es oft vorkommt – mit einer gewissen Wollust mich selber hintergangen. 6. So oft einer meiner Diener (bei denen er dank seinem freundlichsten Benehmen sehr beliebt war) bei mir eintrat, um etwas zu melden, war mir, als wäre er schon gekommen. So oft jemand an die Türe klopfte, geriet ich ausser mir. Und gleich überfiel mich jener Hirtenvers:6 „Sicheres weiss ich zwar nicht, aber Hylas7 bellt vor der Schwelle; Ist es denn wahr? Oder ist es ein Traum, wie ihn Liebende dichten?“ 7. Solche Träume habe ich Armer in meiner Liebe mir ausgedacht, mit solchen Ängsten habe ich mich gemartert, mit solchen Erwartungen mich erhitzt und mit schwacher Hoffnung mich nicht anders genährt als einer, der im Schlaf an reicher Tafel ruht und dabei hungert. Und das Bellen der Hunde und die Stimmen der Diener, das Knarren der sich drehenden Türangel, der am Boden scharrende Pferdehuf und überhaupt jedes Geräusch versetzte mich in heftige Erregung. 8. Wie oft habe ich die Bücher, über die ich mich beugte, oder die Feder, an die ich mich klammerte, ungestüm weggelegt! Wie oft bin ich aufgestanden, wie oft aufgesprungen, begierig, den Geliebten zu sehen und zu umarmen, ihn, der mir trostbringender Gefährte meiner Nöte und mir nicht bloss irgendein Bruder war, sondern sogar, um Worte des Tullius8 zu verwenden – wozu ich in dieser Lage wahrhaftig berechtigt bin –,„in Zärtlichkeit fast ein Zwillingsbruder, in Willfährigkeit ein Sohn, in Besonnenheit ein Vater“, so dass ich nicht weiss, ob ich ihm zu spät begegnet bin oder nicht eher zu früh. Denn wenn ich niemals dazu gekommen wäre, diesen Menschen zu lieben, wäre ich bei seinem Tode auch nicht in solche Tränenströme zerflossen. 9. Kaum zwei volle Jahre9 habe ich das Zusammenleben mit ihm und seine Freundschaft genossen, was, ach, für ein Gespräch, um nicht zu sagen: für eine Freundschaft, eine fast zu eng bemessene Frist war. Doch dies eine erleichtert mir den Verlust, dass wir beide wetteiferten, die Kürze der Zeit durch die feurigste gegenseitige Anhänglichkeit zu dehnen und, was immer in der Freundschaft köstlich und heilig ist und was andere in einem grossen Zeitraum zu leisten gewohnt sind, in der Enge der Beschränkung zu entfalten. Deshalb hätte zwar unsere Freude andauernder, aber die Freundestreue nicht aufrichtiger und die Vertrautheit nicht inniger sein können. Dass ich diese Süsse des Lebens gekostet habe, das missgönnte mir Fortuna! 10. Sehr viele und grosse Beweise seiner Treue empfing ich in Gesundheit und Krankheit, und ich barg sie alle zuinnerst in meinem Herzen unter ehernem Dache.
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Fam. 7,12
Ich hoffe, Gleiches habe auch er von mir erfahren, und dies um so entschiedener, als die Natur ihn freundlicher und gütiger gemacht hat. Nun aber ist der Gedanke an jene Zeit mir zugleich bitter und kostbar. Teils besänftigt, teils quält er, und so bin ich mir nicht im klaren, ob ich lieber wollte, ich wäre ihm bekannt oder nicht bekannt geworden. Einen solchen Freund gehabt zu haben, ist beglückend und süss, ihn aber verloren zu haben, ist das Qualvollste und Bitterste. 11. Kaum einmal habe ich früher so wie jetzt die Fassung verloren, was ich nicht ohne Scham bekenne, und an Leidenschaften entdecke ich in mir weit mehr und an Kräften weit weniger, als ich vermutete. Ich glaubte nämlich – und das hätte meiner vielfältigen Lektüre und meiner langen Lebenserfahrung entsprochen –, ich sei hart geworden gegen die Schläge und Kränkungen Fortunas. Ich täuschte mich zu meinem Unglück; nichts ist weichlicher als ich, nichts schlaffer. 12. Zwar glaubte ich, ja ich war sicher, meinen Francesco aufs innigste zu lieben; dies haben ja seine Güte gegen mich und seine Anhänglichkeit verdient. Aber in welchem Mass ich ihn liebte, ach, das habe ich zu spät und nicht anders als im Verlieren erkannt. Daher kommt es, dass mein schwärendes Herz nur um so ungebärdiger trauert, erkennt es doch, dass es mehr verlor, als es glaubte. Dabei hat mir nichts tüchtiger geschadet als die mangelnde Voraussicht dessen, was nicht bloss geschehen konnte, sondern was unmöglich nicht geschehen konnte. Ich hatte eben nicht bedacht, er könnte sterben! Und in der Tat, wenn in diesem Sturzbach menschlicher Ereignisse irgendeine Ordnung bestünde, wäre es gegen alles Recht gewesen, dass er vor mir sterbe, da er ja nach mir geboren wurde. 13. Dazu kam mein brennendes und ängstliches Warten auf ihn, wovon ich schon vieles gesagt habe. Er hatte mir ja zuletzt bei seinem Weggang unter Tränen und auch nachher in Briefen seine Rückkehr versprochen, und überdies hatte auch mein Sokrates10 seine Ankunft nicht etwa für später, nein für jetzt angekündigt; jener sei von Gallien abgereist und eile geradenwegs zu mir nach Italien. 14. Ich Armer! Jetzt erinnere ich mich, wie ich – zwar noch glücklich und unbefangen – die so nahe Beraubung und die drohenden Leiden erahnte und wie ich alsbald wusste, dass ich im Begriff sei, den besten Teil meines Ich zu verlieren, wobei ich aber in der Unkenntnis dessen, was das Schicksal mir antue, mein allerkürzestes Glück auszustrecken bemüht war. „Er wird kommen,“ so sagte ich, „um mich noch vor dem hochbetagten Vater, vor den lieben Brüdern und Schwestern zu besuchen; ich werde Hand an ihn legen und ihn halten, und eines Kraftaufwandes werde ich nicht bedürfen, denn mein Gegenüber selber wird mir zu Hilfe kommen; die Liebe, die in ihm wohnt, wird meine Partei ergreifen.“ 15. Oft hatte er ja jenes Wort des Horaz wiederholt:11 „Leben wollt‘ ich mit Dir und sterben mit Dir getrost.“
Fam. 7,12
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Doch sieh, die Hand, die ich an ihn zu legen gedachte, hat der Tod angelegt, und was ich Dir vor Tagen in einem kurzen Brief gesagt habe, dass nämlich über die Pläne der Menschen Fortuna entscheide, hat diese ganz anders, als ich meinte, gedeutet. 16. Nun aber, da die Hoffnung vereitelt und die Sehnsucht verdoppelt ist, bleibt mir was zu tun? Soll ich mit Tränen und Seufzern mich nähren? Soll ich statt des Verlorenen unablässig meine Trauer umfangen? Oder soll ich mein Gemüt erheitern und unter dem ringsum lärmenden Drohen Fortunas mich in die Burg der Vernünftigkeit flüchten? Dieses empfiehlt sich, doch jenes gefällt. Hier richtet die Tapferkeit auf, dort beugen Empfindungen nieder, und wohin ich mich wenden und was ich am ehesten suchen soll, ist mir zweifelhaft. Und übel bekommt mir das ständige Fallen und ständige Aufstehen. 17. Savona! Unheilbringender, grausamer Ort!12 Du hast mich in diese angstvollen Qualen verschlungen. Was soll ich Dir für Deine Verdienste nur wünschen? Entrissen hast Du mir die Hälfte meiner Seele.13 Und jenen Menschen von blühendster Jugend und noch wachsender Kraft14 – er stand ja erst an seinem Anfang – hast Du unerbittlich und vorzeitig umgebracht. Und jetzt bedrückst Du gewaltsam meine Brust, in der mein Francesco geborgen war. Er aber entfernte sich, selbst wider Deinen Willen. Nicht den geringsten Anspruch hast Du auf ihn und bloss seinen Leib hast Du zusammen mit meiner Hoffnung zerstört. 18. Was anderes soll ich Dir dafür wünschen als dies: Die zum Halbkreis gekrümmte Kette Deiner Hügel15 soll sich zerdehnen, dass Du in ein flaches Gestade ohne Hafen und in einen für Flotten gefährlichen Standort verwandelt wirst. Einstürzen sollen die Dämme und künstlich errichteten Wälle, welche Du den Winden und Fluten entgegengesetzt hast. Hier sollen die Strömung der Syrten, die Brandung des Euripus, hier die Wut der Skylla, die Wucht der Charybdis und jede Gefahr des weiten Meeres sich sammeln! Äolus lasse den rastlosen Brüdern die Zügel schiessen, nämlich dem Südwind und den andern, die Deine Küsten zu höhnen gewohnt sind, auf dass bei völlig beruhigtem Erdkreis über Dich allein unaufhörliche Stürme hinwegfegen! 19. Was immer dieses Jahr der Seuchen an Tod und Verderben über alle Länder und Meere ergossen hat, ströme einzig bei Dir zusammen. Und die Pest, die in anderen Gegenden einjährig war, bleibe Dir ewig!16 Bei Dir soll Sardinien und was es irgendwo an stickiger Luft gibt, sich reinigen. Bei Dir sollen die Tümpel und die schwefelhaltigen Seen und die tief verschlammten Sümpfe sich säubern! Der Nordpol erwärme sich, Äthiopien kühle sich ab, Afrika befreie sich von seinen Schlangen, Hyrkanien von seinen Tigern, damit, was immer an Monstren und scheusslichen Bestien die Erde bewohnt, sich aus jeder Himmelsrichtung zusammenfinde bei Dir! 20. Und so mögen bei Dir trübe Nebel, todbringende Dünste und rauhe Lüfte, bei Dir Kälte und Hitze sich austoben! Und bei der letzten Errettung des Menschengeschlechts erwarte einzig Dich das Verderben! Du sollst der Ort des Todes, das Land der Furcht und des Schreckens, Du sollst das
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Haus des Jammers und des Elends sein! Vor Dir sollen der Fremdling, der Kaufmann und selbst Dein eigener Bürger sich flüchten! Auf Dich soll der Wanderer vom höchsten Berggrat erbleichend, aber höhnend herabschauen. Nach Dir soll der Schiffer draussen auf hoher See unruhig ausspähen und soll, um das berüchtigte Riff zu meiden, den Rudern die Hilfe der Segel leihen. 21. Ach, wohin hat der Schmerz mich getrieben? Was rede ich da und wo bin ich? Um Sterbliches weine ich Sterblicher zu heftig, und das schuldlose Land, das sein Recht empfing, verdamme ich, der ich nicht weiss, wo ich selber einst sterbe und diesen meinen Staub der Erde zurückgebe. So gilt denn jetzt bereits, mein Bruder, vom Jammern und Seufzen abzustehen und für den vorausgesandten Bruder, so lange wir weiterleben, zu beten. Das ziemt sich besser für Männer. 22. Dir aber, schönste Stadt, die meinen Schatz beherbergt, sage ich, nachdem ich zu mir selber zurückgefunden habe, meinen Dank, weil eben Du ihn umfangen hast, wo ihm doch vielleicht drohte, in fremder Erde zu liegen. Des Lebens Kürze mag schicksalhaft gewesen sein; das aber ist Dein Verdienst, dass mein Freund, der zwar noch junge, aber der Sorgen schon müde, zumindest die Grabesruhe in Italien gefunden hat. Ein schwacher Trost, doch einer, der schon vielen ruhmreichen Männern erwünscht war. 23. Und wahrhaftig, haben bisher Deine Lage und Deine Anmut mir nahegelegt, Dich begierig aufzusuchen, werde ich von jetzt an Dich als die Hüterin der mir teuersten Asche in gleichsam bitterer Seligkeit noch weit lieber besuchen. Wenn der Ufersand des Nils vor Zeiten durch den Tod des Pompeius und durch seinen schändlich verstümmelten Leichnam seiner liebreichen Gattin17 so teuer wurde,18 dass sie sich weigerte, wegzugehen, wie sollte da nicht auch ich den dauernden Sitz des Geliebten, diesen Strand Italiens, lieben? Sei mir gegrüsst, Du herrliche Erde, des Bruders Asche treueste Wächterin! Du hast mich reichlicher weinen und spärlicher hoffen gelehrt. 24. Du auch, Bruder, mir vor der Zeit entrissen, der Du mich in solche Wehklagen gestürzt hast, lebe auf ewig wohl! Die Freude und den Trost, die ich von Dir hier auf Erden erhofft habe (obwohl wir hier fortwährend sterben und Freude und Trost hier nicht zu finden sind), werde ich fortan nur um so bestimmter und inständiger – so Gott es gewährt – im Lande der Lebenden suchen. 25. Doch sieh, nun erfahre ich, was ich bei Statius gelesen habe:19 „Reden ist Trauernden süss.“ Wahrhaftig, so ist es. Wie vieles habe ich, ohne es zu merken, und eher im Ungestüm als in vernünftiger Überlegung qualvoll hervorgesprudelt! Und noch wird mir im Sprechen kein Genügen; ja, es wühlt mich auf. Aber es zu lassen, verstehe ich nicht. So breche ich denn ab! (Parma, am 11. Mai,1348)20
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Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. Fam. 3,18 und das vorangehende Schreiben Fam. 7,11 und das spätere 7,18,5. In der Anrede an sich selber ist das Fürwort der zweiten Person klein geschrieben. Verg. Aen. 4,267. Dies ein Hinweis auf Verwandtschaft. Gemeint ist das Erdenleben. Verg. Ecl. 8,107 – 108. Der Königssohn Hylas, ein Gefährte des Herkules auf der Argonautenfahrt, wurde von Nymphen in einen Fluss gezogen und später zum Echo gemacht. Sein Name wird hier für einen Hund gesetzt. Red. in Sen. 15,37. In Avignon 1345. Vgl. den vorangehenden Brief Fam. 7, 11, 2. Carm. 3,9,24. Am genannten Ort starb Francesco Albizzi vielleicht an der Pest im April 1348. Hor. Carm. 1,3,8. Isai. 38,12. Vgl. Verg. Aen. 3,533. Diese Aussage ist – vielleicht mit dem ganzen Absatz – späterer Zusatz; denn im Frühjahr 1348 hatte die Pest erst zu Wüten begonnen. Kleopatra. Vgl. Luc. Phars. 9,51 ff. Theb. 5,48. Vgl. das Datum des vorangehenden Schreibens und Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,13, an Kardinal Giovanni Colonna1 Klagen nach der blutigen Niederlage der Colonna im Kampf gegen Cola di Rienzo. 1. Anerkennung der Dankesschuld gegenüber dem Kardinal. 3. Entsetzen bei der ersten Nachricht vom Unglück. 4. Vergebliche Versuche, die richtigen Worte zu finden. 10. Freude über die Gefasstheit des Kardinals. 16. Das Schicksal der Familie Colonna. 21. Warnung, sich innerlich abzuhärmen. 22. Hinweis auf des Kardinals Pflicht, sich als Vorbild zu bewähren. (Parma 1348)
1. Freimütig will ich gestehen – denn bin ich kein bezahlender, so immerhin ein ehrlicher Schuldner –, ich will gestehen, dass ich Dir alles schulde, nämlich meine Fähigkeiten, dieses mein Körperchen, das ich als Erdenpilger bewohne, und was mir sonst etwa an äusseren Gütern zuteil wurde. 2. Denn Dein Hof war meinem Geist nicht weniger förderlich als meinem Leib und meiner Habe. Unter Deiner Obhut wurde ich ernährt von Jugend auf,2 unter ihr wurde ich erzogen und gebildet im Mass, als die Widrigkeit der Wechselfälle und die Mittelmässigkeit meiner Fähigkeiten es zuliessen. Deshalb bin ich nach Billigkeit gehalten, diese Feder, diese meine Rechte und diesen meinen Geistesfunken, wie gering er sei, zur Tröstung und Erleichterung Deiner Seele zu gebrauchen. Dass ich eben dies in unseren früheren Missgeschicken nach Kräften beachtet habe, weiss ich, und auch Du, so denke ich, erinnerst Dich dessen. 3. Doch ob der neuen, so schweren, so unheilbaren und verderbenbringenden Wunde, die der Tod, nicht zufrieden mit unserer Tränenflut, uns geschlagen hat,3 bin ich hilflos und weiss nicht, wie ich beginnen und reden oder nur mucksen könnte.4 Zusammengebrochen bin ich elend beim ersten Gerücht und, wie von einem plötzlichen Blitzschlag getroffen, erstarrt. Darauf aber, als ich allmählich die Kraft fand, das mir entglittene Rüstzeug des Verstandes zusammenzuraffen und die niedergestreckte und hingegossene Seele aufzurichten, habe ich um den Brief gebeten, der die unseligste Nachricht übermittelt. Denn ich hatte schwer bekümmert davon zuerst durch den ausgezeichneten Herrn Paganino von Mailand, den Gebieter dieser Stadt,5 vernommen, der es mir klagend erzählte. Als man das Schreiben vorlegte, habe ich es nicht ohne Tränen gelesen. 4. Doch blieb bei seiner Weitschweifigkeit alles so verworren, dass etwas Sicheres darin durchaus nicht zu lesen war. Entstanden war das Gerücht in Orvieto, von da aus sogleich nach Florenz überbracht worden; dann hatte es in einem Schreiben gewisser Mönche den Apennin überquert und zuerst Bologna, dann uns erreicht und hat – wie das üblich ist – sich ständig vermehrt und gewandelt. Da alles zweifelhaft blieb und da widerwärtige Nachrichten naturgemäss nicht leicht einen Zugang in unser geheimstes Innere finden, habe ich es vorgezogen, mir vorläufig Günstigeres zu versprechen, und so habe
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ich mein krankes Gemüt dem angenehmeren Gefühl einer schöneren Zuversicht überlassen. Freilich war diese so viel wert wie die schwindende und flüchtige Freude eines armseligen Träumers. 5. Wozu viele Worte? Obwohl sich bei jeder Ankunft neuer Boten die Zuversicht verringerte, habe ich doch nicht früher etwas völlig Gesichertes vernommen, als bis mich die trauervollen Zeilen unseres Sokrates6 erreichten. Wie sonderbar! Über das Unglück am Tiber hat mich aus fernem Land die Rhone unterrichtet! Der Brief des Genannten aber hat meiner ungewissen Hoffnung jede Zufluchtsstätte verriegelt, und so ist geschehen, dass das bisschen Verstand, aus dem ich für mich und andere öfters Genesung geschöpft hatte, unter der Last der Tränen und Klagen erstickte. Doch ich habe mich nicht ergeben und habe nicht aufgegeben. 6. Wie häufig habe ich mich aufzuraffen versucht, Dir etwas zu schreiben! Wie oft habe ich meine Büchelchen aufgeschlagen, den Rost vom schwindenden Rüstzeug meines Geistes abgerieben und als kummervoller Forscher die geheimsten Zellen meines Gedächtnisses durchsucht! Überhaupt habe ich schlechthin alles unternommen, wenn auch erfolglos! 7. Einige Briefe sind in meine Hände geraten, die ich in den vergangenen Jahren während der vielfachen Heimsuchungen des Schicksals Dir in beiden Sprechweisen7 gesandt hatte. Doch war in diesen gar nichts, was meine Qualen – um von den Deinen gar nicht zu sprechen! – zu beheben oder auch nur zu lindern genügt hätte. Und während ich mich schämte, etwas schon vielfach Geäussertes noch einmal zu sagen, war ich ausserstande, aus der längst erschöpften Fähigkeit etwas Neues herauszuschlagen. Trotzdem habe ich nicht aufgehört, immer wieder anzufangen und zu versuchen, ob vielleicht entgegen aller Erwartung ein Neubeginn gelingen könnte. 8. Drei oder vier Briefanfänge könnte ich vorzeigen, solche von verschiedenem Charakter und von beinah all jenen Arten, in denen ich je nach Umstand aus einem schwangeren Herzen Gefühle und Gedanken gebäre. Freilich, wie sehr sie mir gefielen, bekundet als Verfasserin und zugleich Richterin diese meine Feder mit dem Kratzer ihrer quer verlaufenden Durchstreichung. In solche Nöte verwickelt, habe ich beschlossen, zu schweigen und die anhaltende Qual dem besten Tröster Christus zur Linderung und Beendigung zu empfehlen. 9. Dies wollte ich zur Entschuldigung für mein Schweigen vorausschicken! Und dass ich Dich nach so langer Zeit jetzt anspreche, das wird nicht etwa durch eine Änderung meiner Denkweise, sondern durch eine unerwartete Freude bewirkt. Sie wurde meinem Herzen, das noch kürzlich allzu hartnäckig trauerte und – wie es bei Trauernden üblich ist – seinen Kummer liebte, durch ein neues Schreiben des eben genannten Sokrates eingeflösst. Daraus konnte ich deutlich herauslesen, dass mitten unter so mannigfachen Schicksalsschlägen die Grösse und Hoheit Deines Geistes unerschütterlich standhielten. 10. Und hatte ich meinen Schmerz stillschweigend ausgehalten, so konnte ich nun doch die unerwartete Freude nicht anders ertragen, als indem ich in Tränen und Worte der Dankbarkeit ausbrach. Denn just
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das, was Scham und Schmerz und Ehrfurcht mit leerem Gerede umsonst zu versuchen verschmäht hatten, das sehe ich jetzt vor mir als ein Geschenk der himmlischen Schöpferkraft. Nur billig ist es, sie zu preisen, und zwar wie für vieles so insbesondere auch dafür, dass sie Dir – dem in manchen Kämpfen erprobten – Stärke und beispielhafte Standhaftigkeit gewährt hat. 11. Nun denn, Du meine Zierde8 und Du, jetzt beinah einziger Anker für meine und vieler anderer Menschen Hoffnung! Endlich hat der Zustand meiner ermatteten Brust sich gebessert und sind diese Tränengüsse versiegt, die immer, wo sie sich besonders heftig verströmen, die Klarheit der Einsicht verdüstern und den Ausblick auf die Wahrheit beengen. Was anderes soll ich jetzt raten, was anderes bitten als dies, am Begonnenen festzuhalten, mit unbesiegbarer Tapferkeit den höhnischen Angriffen Fortunas zu trotzen? 12. Dabei nüchtern zu beachten, wie die Gesetze unserer Natur gar gewalttätig und unbarmherzig bleiben, aber auch, wie wir selber sind und wo wir sind und wie lange wir hier oder dort sein werden. Auch wo wir den Anker gelichtet haben, welchen Hafen wir aufsuchen, zwischen welchen Klippen wir segeln, wie viele Seemeilen wir durchmessen haben und wie wenige noch vor uns liegen, welche Gefahr uns am Ende bevorsteht, wie manche Schiffer auf dem tobenden Meer zwar unversehrt geblieben, aber vor dem Eingang des Hafens und vor der Küste ertrunken sind, schliesslich auch, wie „schwer das Joch auf den Kindern Adams lastet“,9 nämlich nicht wie auf den Nacken der Ochsen bloss dann und wann und an diesem oder jenem Tag, sondern wahrhaftig ohne Unterlass. Da gibt es keine Ruhe, und zwar „vom Tag an, da einer aus dem Leib seiner Mutter hervorgeht“, wie die Schrift sagt, „bis zum Tag seiner Bestattung und bis zur Rückkehr zur allgemeinen Mutter“. 13. Durch dieses schwere, immerwährende Joch werden wir Sterbliche alle niedergedrückt, und weder hohe Abstammung noch Schönheit, weder Reichtum noch Scharfsinn, weder Sprachgewandtheit noch Kraftaufwand schaffen es weg, weder Waffen noch Gefolgschaft und Freunde, nicht einmal Legionen, Flotten und Heerscharen; nein das vermögen einzig Geduld, Langmut und Beständigkeit. 14. Bedenken muss man, was der Fortuna doch alles erlaubt ist – ich meine jenen Menschen gegenüber, die all das Hinfällige und Vergängliche an sich brachten und sich damit ihrer Herrschaft beugten. Denn die anderen prüft sie, reizt und bedrängt sie, aber ohne sie zu bezwingen. Die Beispiele aus allen Jahrhunderten muss man sich vor Augen führen und dabei betrachten, was diese Macht an Riesenkräften selbst gewaltiger Völker verschleuderte, wie viele Grossreiche der erlauchtesten Könige sie zertrat, und umgekehrt auch, was sie seit Anfang der Welt – zwar schäumend vor Wut – immer unversehrt zurückliess. 15. Mir fehlt die Zeit, Geschichtsbücher aufzuschlagen; ich habe das für frühere, Dir zugedachte Trostbriefe getan. Und was immer ich mit Fleiss zusammensuchen könnte, das kennst Du alles. Nicht mutlos und nicht weibisch will ich handeln, denn ich spreche ja nicht zu einer Frau, nicht zu einem Kind und nicht zu irgend
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jemand aus der vielbegehrenden Menge, sondern zu einem starken Mann, der von Natur aus schon immer überragend war und jetzt, wie ich ahne, erst recht kraftvoll ist und gerade in diesem Unglück sich noch kühner zeigt als sonst; zu einem Mann also, der von zahlreichen Wunden Fortunas gezeichnet, aber in seiner Kraft bereits so gefestigt ist, dass er deren Drohungen und Angriffe verachtet. 16. Keine schmerzlindernde Salbe will ich für die allzu brennenden Qualen mischen, Dir auch nicht Hoffnung auf Neffen wecken,10 obwohl sie – wenn Gott sich unserer Geschicke erbarmt – nicht zu fehlen braucht. Dich selber will ich Dir zeigen und dies will ich Dich bitten: Deine Trauerfälle zähle nicht und Deine Verluste wäge nicht! Auf das, was Dir übrig bleibt, richte die nun getrockneten Augen. Schau Dich nach dem Zustand Deiner Familie um! Das Haus Colonna mag nun weniger Säulen haben als früher, doch was tut das zur Sache? Wenn nur die Grundmauer sicher und fest steht! Nur einer war Iulius Caesar; Bruder und Söhne hatte er nicht, und der Name seines Vaters ist unbekannt.11 Doch was er allein getan hat, wissen alle. 17. Überzeuge Dich von dem, was vollkommen wahr ist, dass nämlich Fortuna, im Mass als sie gewütet hat, weniger zu fürchten ist. Was ihr möglich war, hat sie geleistet. In kurzer Frist hat sie Dir Brüder, Neffen und andere Verwandte genommen; und das blühendste Geschlecht hat sie bis auf einen kleinen Rest vernichtet. Furchtlos und voll edler Verachtung musst Du auf sie blicken. Ausser Deinem hochgemuten Vater ist fast nichts übrig geblieben, wogegen sie anrennen könnte; doch ihm, dem nichts Menschliches je unerträglich gewesen ist, wird auch in Zukunft nichts Unerwartetes zustossen. Das Ziel eines sterblichen Lebens hat Dein Vater längst hinter sich. 18. Und welchen andern Greis kannst Du mir nennen, der so viele Lebensjahre vorrechnen könnte, wie der Deinige an Jahren des Glücks und der Glorie aufzählt? Er könnte unter allen Zeitgenossen wahrhaftig als der Glücklichste gelten, wäre er bloss etwas früher verstorben. Im übrigen pflegen Besorgnis und Furcht nur in der Seele, die etwas erwartet, zu wohnen; denn wer das Seine schon erhalten hat, ist gesichert. 19. Wie grossen Trost wird nun aber seinen Altersbeschwerden gerade Deine Stärke gewähren!12 Denn wirklich, mit solchen hat die hartherzige Fortuna auch ihn am Ende seines Lebens befrachtet, und ihm Erleichterung zu verschaffen, vermag nur seine eigene Mannhaftigkeit oder die seines noch lebenden Sohnes. 20. Dies und manches Ähnliche wird Dir im gegenwärtigen Unglück eine Linderung sein! Alles übrige, was sich als Heilmittel ausgibt, ist blosser Stachel, vermindert nicht, sondern reizt. Der Tod wird weder mit Tränen entmachtet, noch mit Klagen bewältigt. Vermeiden kann man ihn nicht; man kann ihn verhöhnen. Darin besteht gegenüber dem unbezwingbaren und unvermeidbaren Übel der einzige Sieg. 21. Ich würde noch mehreres anfügen, wüsste ich nicht, dass ein aufrechter Mann, der auf sich achtet, keines wortreichen Trösters bedarf und dass umgekehrt einen entarteten Mann, der seines Adels vergisst, keine Zusprüche aufrichten. Schreite
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Du also fort auf dem Weg, den Du betreten, und wirke voll Zuversicht das, was Du nach aussen zeigst, auch im Innern! Und unter einem ruhigen Anschein verberge sich nicht eine aufgewühlte Seele. Das ist schon vielen zum Verhängnis geworden, dass sie ihre Geschwüre versteckten, in der Gesellschaft sich gleichsam heiter zeigten, aber in stiller Kammer schwer bedrückt sich am heimlichen Kummer verzehrten. Nur ein Mann von geringer Vernunft, der darauf zielt, sich selber zu verderben, übt dieses Versteckspiel. Seine Schwäche zu zeigen und öffentlich zu weinen, ist klüger. 22. Was ich übrigens, wie mir bewusst ist, schon mehrfach gesagt habe und – wie ich vermute – noch öfter zu sagen habe, ist dies: Du stehst auf hoher Warte, wo Du dem Blick, dem Urteil und Gerede der Menschen nicht entgehen kannst. Deshalb hast Du um so sorgsamer Dein Ansehen und Deinen Ruf zu bedenken. Denn trotz vielen Kränkungen hat Fortuna doch mit dieser einen Gunst sich um Dich verdient gemacht, dass sie Dir reichliche Gelegenheit gab, grosse Ehre zu gewinnen. Es entdecken unsere Zeitgenossen und es werden auch die nach uns Geborenen entdecken, was sie an Dir zu erahnen, was zu loben, zu rühmen und schliesslich zu bewundern haben: Eine durch kein Unglück gebrochene Willenskraft und die Erhabenheit einer edlen, wahrhaft römischen Gesinnung. Soviel unter unaufhörlichen Tränen! Lebe wohl! (Parma, im Frühling 1348)13
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 1,4, Anm. 1. 2 In den Dienst des Kardinals trat Petrarca 1330. Dankbarkeit wahrte Petrarca dem Kardinal auch in der Zeit der Entfremdung, als er sich aus seinem Dienste löste; vgl. Buc. carm. 8 (Divortium). 3 Am 20. November 1347 waren beim Tor von S. Lorenzo in Rom bei einem Treffen zwischen dem Adel und den Anhängern des Volkstribunen Cola di Rienzo verschiedene Adlige, unter ihnen des Kardinals Bruder Stefano und dessen Sohn Giovanni, gefallen. Petrarca selber hatte, was dem Kardinal nicht verborgen war, Cola während Monaten zum Kampf gegen die Herrschaft des römischen Adels ermuntert. 4 Offenbar war Petrarca von Freunden ermahnt worden, dem Kardinal gegenüber nicht länger zu schweigen. Diese Vermutung legt Fam. 7,18,1 – 3 nahe. Die Anordnung der Briefe ist nicht streng chronologisch. 5 Paganino da Bizzozzero war der erste Podestà, den der mailändische Stadtherr Luchino Visconti in Parma einsetzte; vgl. die an ihn gerichteten Briefe. 6 Dies der übliche Übername für Petrarcas Freund Ludwig van Kempen an der Kurie. 7 Gemeint sind Vulgärsprache und Latein oder Poesie und Prosa. 8 Vgl. Hor. Carm. 1,1,2. 9 Ecclesiasticus 40,1. 10 Auf dem Neffen Giovanni hatte die grosse Hoffnung der Familie geruht. 11 Er hiess Gaius Iulius Caesar, was Petrarca erst später entdeckte. 12 Der Kardinal starb noch vor seinem Vater, nämlich am 3. Juli 1348; vgl. Fam. 8,1,29. 13 Das Datum ergibt sich aus dem Inhalt des Briefes; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,14, an Bruno Casini von Florenz1 Das Urteil von Liebenden ist blind. 1. Ein Brief voll Lob trifft ein. 2. Geschichtlein vom blind Verliebten. 3. Warnung vor dem Urteil eines Gönners. 4. Petrarca dankt für ein Gedicht mit einem eigenen, das er sich mühsam abtrotzte. (Am 8. April 1348)
1. Ich war allein oder einzig von Sorgen begleitet, als Dein Schreiben, beschwert mit Lobeserhebungen zu meinem Ruhm, bei mir eintraf. Und obwohl kein Zeuge zugegen war, liess mich seine Lektüre erröten. Doch weil es sich nicht auf Dein eigenes Urteil und nicht auf das eines anderen, mir fern stehenden Menschen stützt, sondern auf das eines alten Gönners,2 der mir herzlichst zugetan ist, kann ich mich damit leichter abfinden. 2. Was ebenso gut im allgemeinen wie hinsichtlich der folgenden Äusserung gilt, dass nämlich das Urteil der Liebenden meist blind ist, mag zur Antwort genügen. Es gibt bei Flaccus3 einen Balbinus, der sich über den Polyp seiner Agnes entzückte, und es gibt im Volk ein Liebesgeschichtlein von einem, der in eine einäugige Frau vernarrt war. Ihn hatten seine Eltern, um für diese Krankheit Genesung zu erwirken, in ferne Länder geschickt, von wo er nach einigen Jahren ernüchtert in seine Heimat zurückkam. Zufällig begegnete er jener einst heftig begehrten Frau, und sogleich war er von ihrem unangenehmen Äussern betroffen. Als er aber fragte, durch welches Unglück sie ein Auge verloren habe, erhielt er die Antwort: „Ich habe keineswegs ein Auge verloren; Du hingegen hast Deine Augen gefunden.“ Das ist sehr richtig und einleuchtend! Doch nichts weiter hierüber. 3. Wenn es irgendwo einen liebevollen Menschen gibt, so ist jener unser Alter den Seinen gegenüber der weitaus liebevollste. In allen Dingen magst Du ihm von jetzt an, sofern ich ein wenig Glauben verdiene, zwar nicht wie dem Orakel des Jupiter in Dodona oder dem des Apollon in Delphi, wohl aber als einem Mann von ganz besonderer Aufrichtigkeit Dein Ohr und Dein Herz leihen. Doch so oft sich seine Rede, honigtriefend und liebreich, zu meiner Person, die er väterlich liebt, herabneigt, glaube ihm möglichst wenig! Ausser es sei – doch weiss ich nicht, ob bei einem klugen Mann so etwas vorkommt – ab und zu ganz angenehm, sich irren und täuschen zu lassen. 4. Beinah müsste das ausgezeichnete Gedicht, das Deinem Schreiben beiliegt, unerwidert bleiben, nämlich zufrieden mit der stillen Bewunderung meines Herzens. Doch das verhindert nun das Verdienst Deines Talents, zumal es mitten im Nebel allgemeiner Unwissenheit aufstrahlt. Du wirst also gesondert ein kurzes Gedicht erhalten; und wie immer es sei, lass es gelten – weniger als Antwort denn an-
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stelle von gar nichts –. Ich habe es unter der Beschäftigung mit einem schmerzlichen Ereignis4 mir mühselig abgetrotzt. Lebe wohl! (Am 8.April 1348)5
Anmerkungen 1 Es gibt in der Briefsammlung Petrarcas nur dieses eine Schreiben an Bruno Casini. Er war Grammatiker in Florenz. 2 Das ist wohl Giovanni dell’Incisa; vgl. Fam. 7, 10. 3 Serm. 1,3,40. 4 Vgl. Metr. 3,10. Gemeint ist offenbar der Tod verschiedener Glieder der Familie Colonna; vgl. Fam. 7,13. 5 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,15, an Luchino Visconti, den Herrn von Mailand1 Über gebildete Fürsten. 1. Dank für Gunsterweise. 2. Freudige Bereitschaft, die Wünsche des Adressaten zu erfüllen, auch die den Garten betreffenden. 3. Die alten Cäsaren hätten neben den Staatsgeschäften auch die Musen gefördert. 11. In der Moderne sei mancher Fürst ein asinus coronatus. 13. Der Adressat werde es den Cäsaren gleichtun. Am 13. März (Parma 1347/1348).
1. Ganz wie erwartet, vielmehr wie nicht erwartete, lautet Dein Schreiben. Als ein Glück betrachte ich, dass sich zwischen Deiner Hoheit und meiner Niedrigkeit dieser Austausch ergeben konnte2 und Fortuna mir ein Tor erschloss, um mit Dir bekannt zu werden. 2. Auf die Sache, die Dein Brief im letzten Abschnitt mich tun heisst, will ich meine aufmerksamste Sorge verwenden und um so rascher ans Werk gehen, je grösser das Vergnügen ist, das mir durch diese Aufgabe verschafft wird. Während der Gärtner mit Kräutern und Bäumen beschäftigt ist, will ich es mit Worten und Liedern sein,3 wozu das Dichten des Baches einlädt, der mitten durch den Hain mit seinen links und rechts aufragenden Obstbäumen gurgelnd dahinflieht. Die Erstlingsgaben meiner Bemühung sollst Du unverzüglich kosten.4 3. Und wenn vielleicht Dein Geist auf so erhabene Sorgen gerichtet ist, dass er – wie es heute üblich ist – so bescheidene Erzeugnisse nicht beachtet, weiss ich doch gewiss, dass jene früheren Herrscher der Welt, nämlich die Caesaren Iulius und Augustus, häufig nach der Erledigung ihrer politischen Geschäfte und nach ihren kriegerischen Unternehmungen sich in der Stille unserer Studien erholten. Denn ihre im Gebrauch der Schwerter versteifte Rechte gebrauchten sie dann, anstatt zur Verwundung ihrer Feinde zum Zählen von Silben, und ihre Stimme, die über gegnerische Heere zu dröhnen und im Trompetengeschmetter und Kriegslärm zu erschallen pflegte, wandten sie dann den schmeichelnden Melodien der Pieriden5 zu. 4. Nero übergehe ich, damit weder ein herrliches Studium, noch eine Reihe glorreicher Namen durch die Erinnerung an jenes Scheusal befleckt werden. Doch auch Kaiser Hadrian, wie sehr hat er sich den Musen gewidmet! Er ist in seinem glühenden Eifer selbst beim nahenden Tode nicht erlahmt, hat vielmehr in wunderbarer Weise noch bis zum letzten Atemzug kleine Verse erfunden,6 die ich anführen wollte, dürfte ich nicht vertrauen, dass sie Dir oder einem der Deinen bekannt sind. 5. Und was soll ich von Marcus Antonius7 berichten? Als er nicht dank Ehrgeiz, sondern dank seinen Verdiensten die höchste Befehlsgewalt erlangt hatte, behielt er seinen alten Philosophentitel bei und missachtete seinen neuen, da er für herrlicher ansah, ein Philosoph als ein Fürst zu sein. Solche Beispiele gibt es in unübersehbarer Menge; denn kaum einer der Fürsten hat sich
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ohne literarische Nebenbeschäftigung für einen Fürsten oder auch bloss für einen Menschen betrachtet. 6. Doch die Zeiten haben sich geändert. Die Könige der Erde haben der literarischen Bildung den Krieg erklärt; sie fürchten offensichtlich, Gold und Edelstein mit Tinte zu beflecken. Aber einen in Unkenntnis erblindeten und trüben Geist zu besitzen, fürchten sie nicht. Zugleich ist es eine schwerwiegende und gefährliche Sache, einen lebenden Herrscher mit Worten zu kränken, wobei zur Kränkung schon wenige Worte genügen, da jeder, der ein schlechtes Leben führt, allein schon durch die nackte Wahrheit verletzt wird. Nur die Toten kann man unbesorgt tadeln, denn „… keinen verletzt der durchbohrte Achilles,“ wie der Satiriker gesagt hat.8 7. Bildungsfeindliche Könige unserer eigenen Zeit mit Namen zu nennen, ist daher nicht ratsam. „Gefährlich ist es, einen zu missachten, der ächten kann“, wie Asinius Pollio,9 der vorzügliche Redner, im Scherz über Caesar Augustus erklärt hat. Nach seinem Beispiel will ich meine öffentliche Anklage also ohne Nennung der Beschuldigten vorbringen. 8. Beinahe alle Herren leitet der eine und gleiche Irrtum. Und indem keiner den oben erwähnten, bildungsbeflissenen Fürsten nachzueifern gewillt ist, ahmen sie alle um die Wette Caesar Licinius10 nach, der als ein Mann von bäurischer Herkunft das Bücherwissen dermassen verabscheute, dass er es als ein Gift und eine staatsgefährdende Seuche bezeichnete. Doch geziemt sich dieser Ausspruch nicht für einen Kaiser, sondern eben nur für einen Bauern. 9. Nicht so Marius, der zwar ebenfalls „ein bäurischer Mann“, aber, wie Cicero sagte11, „ein wahrhafter Mann“ war. Ihm haben freilich seine Pflichten oder auch seine Wesensart erst spät gestattet, sich literarischen Studien zu widmen. Dennoch hat er gebildete Menschen geschätzt, insbesondere die Dichter, durch deren Talent er seine glanzvollen Taten verherrlicht zu sehen hoffte. 10. Und wirklich, welcher Mensch, ausser einer von ganz grobschlächtiger Art, würde von Schriftwerken, selbst wenn sie ihm wenig bedeuten, nicht zum mindesten Ruhm erwarten? Man kann diesen zwar nicht ohne eigene Tüchtigkeit aufrechterhalten, aber auch nicht ohne literarische Werke! Flüchtig ist das Gedächtnis der Menschen, das Gemälde vergänglich und brüchig die Statue! Somit ist unter den Erfindungen der Sterblichen nichts beständiger als das Schriftwerk. Wer es nicht fürchtet, muss es schätzen, denn durchaus richtig ist das Wort des Claudianus:12 „Tüchtigkeit hat ihre Lust, die Musen zu Zeugen zu nehmen; Lieder schätzt jeder, der tut, was sich mit Liedern verträgt.“ 11. Unsere Zeitgenossen aber, die nichts anderes tun, als was Satiren verdient, missachten das Schrifttum, nur weil sie es fürchten. Darum denkt jeder wie Licinius und keiner wie Marius – um nicht von anderen zu sprechen –. Nachdem sie
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geduldet haben (was die schimpflichste Nachlässigkeit aller Zeiten ist), dass ihnen das Kostbarste, das sie einst besassen, von niedrigen Menschen entrissen werde, sind sie allmählich so weit gekommen, sogar mitten in ihrem Reichtum an bedenklichster Dürftigkeit zu leiden. 12. Dieselben also, die wegen eines bescheidenen Zinses und wegen eines Fetzens Reichsboden sich zu einem Feldzug herabliessen, verwarfen den von den Ahnen ererbten unermesslichen wahren Reichtum und gestatteten, dass in das königliche Gemach ihres Herzens Barbaren eindrangen, welche sie zwar nicht des Purpurs, wohl aber der Sternengewänder13 beraubten und schliesslich sogar verstiessen. Deshalb sehen wir, was den Königen zur Schmach gereicht, wie nämlich einfache Leute gelehrt und Könige Esel, zwar gekrönte, sind. So nennt sie ein römischer Kaiser in einem Brief an einen König der Franken.14 13. Doch Du, machtvollster Fürst dieser Zeit, dem zum Königtum nichts fehlt als der königliche Titel, ich weiss nun nicht, zu welcher der beiden kaiserlichen Meinungen Du hinneigst. Jedenfalls erhoffe ich von Dir in allen Dingen das Beste. Um aber nicht weiter auszuholen, schicke ich Deiner Hoheit ein kurzes Gedicht,15 das mir neulich unvermittelt einfiel, und zwar unter jenen Bäumen, von denen Du so freundlich einen Anteil erbittest. Und sollte ich erfahren, dass es Dir gefalle – und ich glaube, in dieser Gattung etwas zu vermögen –, will ich künftig, im Mass als Du es für richtig hältst und meine Beschäftigung es gestattet, mich freigebiger zeigen. Lebe wohl! Am 13. März (Parma 1347/1348).16
Anmerkungen 1 Einziger Brief Petrarcas an diesen Herrn von Mailand, der von 1346 an auch über Parma regierte. Doch war der Inhalt von Fam. 3,7 für ihn bestimmt. Er starb am 24. Januar 1349. 2 Ähnliche Formulierung in den Schreiben an andere Herrn, so z. B. an Guido Gonzaga Fam. 3,11,2 und an den Kardinal Colonna Fam. 5,2,2 3 Petrarca war um seine verschiedenen Gärten immer sehr besorgt. Er studierte schon 1348 das Werk de agricultura des Palladius, das in seinem Besitz war; vgl. Dotti, Vita 216. 4 Lucchino Visconti hatte vom Dichter sowohl Früchte als auch Verse erbeten. 5 Das sind die Töchter des Pieros, die mit den Musen wetteiferten, oder es sind die Musen selber. 6 Caesar Traianus Hadrianus, Kaiser 117 – 138; zur Stelle vgl. Hist. Aug. Hadr. 25,8 – 9. 7 Marcus Aurelius Antonius, Kaiser von 161 – 180; zur Stelle vgl. Hist. Aug. Avidius Cassius. 3,6. 8 Sat. 1,163. 9 Macr. Saturn. 2,4,10. 10 Gegner Konstantins des Grossen. Vgl. Epit. de Caes. 41,8. 11 Zu Marius, dem Gegner Sullas, vgl. das Wort Ciceros in Tusc. 2,22,53. 12 Claudianus, Dichter um 400 n. Chr.; vgl. sein Werk De cons. Stil. 3, praef. 5 – 6. 13 Petrarca kannte wohl den „Himmelsmantel“ mit dem Zodiak; er wurde im Mittelalter von Kaisern und Königen getragen. Vgl. Percy E Schramm, Der König von Frankreich, Darmstadt l960, 160 mit Anm. Petrarca hält ihn für ein Zeichen kaiserlicher Wissenschaft und Weisheit.
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14 An welche Quelle Petrarca denkt, ist mir unklar. Der asinus coronatus wurde im Mittelalter häufig dem gebildeten Fürsten gegenübergestellt; so etwa in einem Lob auf den Grafen Fulque II. von Anjou im 10. Jh., der seinen König durch seine Bildung beschämte; vgl. Les chroniques des Comtes d’Anjou, Paris 1913, 140. 15 Metr. 3,6 rühmt die Gerechtigkeit von Luchino Visconti. 16 Zum Datum vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61. Petrarca war zur Zeit, da er den Brief abfasste, Kanoniker an der Kathedrale von Parma, aber noch nicht Archidiakon ebenda. Um diese Stelle hatte er Clemens VI. bereits gebeten und erhielt sie nach dem Tod von deren Inhaber Dino von Urbino dank einer päpstlichen Verfügung vom 23. August 1348; vgl. Wilkins, Studies 18.
Fam. 7,16, an Lapo da Castiglionchio von Florenz1 Über wahres und falsches Lob. 1. Freude und Bedenken wegen freundschaftlicher Lobsprüche. 5. Bitte um Kritik und Tadel für Fehlerhaftes. 6. Dank für die Zusendung einer Rede Ciceros, die kopiert und zurückgeschickt werden solle. Hinweis auf eine früher verfasste Komödie. Padua, am 25. März (1348/1351).
1. Wären die Lobsprüche doch wahr, von denen Dein kürzlich gesandter Brief so voll ist! Mit köstlicher Würze hat er mir geschmeichelt, und so habe ich mehr auf seine Freundlichkeit als auf seine Richtigkeit geachtet. Hätte ein anderer ihn geschickt, wäre er mir wie Spott vorgekommen; doch da er aus Deinem reinsten Herzenswinkel hervorgeht, weiss ich, dass er nicht betrügt. Und oh würde er nicht selber betrogen! 2. Jedenfalls bin ich sicher, dass alles, was Du schreibst, Dir als Wahrheit erscheint, und somit wünsche ich Deiner Liebe viel Glück, bemitleide aber Deinen Irrtum, während ich doch auch nicht wünsche, Du würdest spärlicher irren. Denn allzu sehr entzückt mich, wenn Du mir andichtest, was ich nicht bin. 3. Gewiss, lieber wollte ich sein, was ich scheine. Aber da es mir von oben versagt bleibt, so warne ich: Schau, dass Dein freundlicher Irrtum Dir nicht abhanden kommt! 3. Obwohl ich es wahrhaftig nicht lassen konnte, immer von neuem zu Deinem Schreiben zurückzukehren, habe ich doch verspürt, dass die Lektüre nicht frei von Gefahren ist. So ernst, so kunstvoll, so liebenswürdig und schliesslich so klug überzeugend verweilst Du bei Deinem Gegenstand, dass man gewaltig fürchten muss, Du könntest den Leser sehr leicht dazu verleiten, alles Beliebige zu glauben. Bist Du erfolgreich, so hast Du für Deine Meinung einen Gefährten gewonnen, sofern immerhin nicht geschähe, dass Du mit Deinem grossherzigen und geistreichen Irrtum mich in einen lächerlichen verwickelst! 4. Daher täte ich gut daran, sogar wenn es schwierig wäre, künftig von solchen Stellen Deines Briefes die Augen abzukehren. Und wolltest Du mich weiterhin als unentwegten und aufmerksamen Leser Deiner Schreiben behalten, würde ich Dich um die Einsicht bitten, mit meiner Person eher satirisch als lyrisch umzugehen. Dazu mangelt es ja gewiss nicht an Stoff. 5. Beginnst Du, mich zu beobachten, und sei’s mit Freundesaugen, wirst Du an mir viele so schwere Fehler entdecken, dass sie der Kritik sogar einer wohlgesinnten Zunge nicht entrinnen. Nimm Dich, ich bitte, der Mängel an und wende ihnen Deine sehr sprachgewandte Feder zu! Zeige sie mir an, füge zur Zunge die Hand und reisse aus, binde, steche, brenne und schneide! Presse Geschwollenes zusammen, verkürze Überlanges und scheue Dich nicht, mir Schamröte wie Erbleichen auf die Wangen zu treiben! Denn die widerliche Arznei ist’s, welche widerliche
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Schwächen vertreibt, und dass ich schwach bin, wer wüsste das nicht? Mit einem schärferen Gegengift musst Du mich pflegen! Bitteres weicht nicht vor Süssem, sondern wo es Bitteres gibt, vertreibt nur ein Gleiches das andere. Willst Du also hilfreich sein, so schreibe, was mir weh tun muss! 6. Ciceros Rede „Pro Milone“2 habe ich mit allem übrigen erhalten. Ich danke Dir. Nicht zum ersten Mal habe ich die Gefälligkeit Deines Wesens erfahren. Gleich lasse ich sie abschreiben und schicke sie dann zurück.3 Dass ich in früher Jugend unter dem Titel „Philologia“4 die Komödie verfasst habe, nach der Du jetzt fragst, leugne ich nicht. Sie ist aber weit weg von hier, und selbst wenn ich sie bei mir hätte, könntest Du von gemeinsamen Freunden vernehmen, wie gering ich sie heute schätze und wie sehr ich meine, dass sie für Dein Ohr und das anderer Gelehrter wertlos ist. Dass Du glücklich und im Gedenken an uns wohlauf seist, wünsche ich sehr. Padua, am 25. März (1348/1351).5
Anmerkungen 1 Der Name Lapo steht für Jacopo (Giacomo). Der Genannte stammte aus Florenz, war Lehrer des kanonischen Rechts und befreundet mit Giovanni Boccaccio. Petrarca war er wohl vor dessen Aufenthalt in seiner Vaterstadt 1350 bekannt. Ihm vermittelte er verschiedene Werke antiker Schriftsteller. Er starb 1381. Unter „Adressaten“ sind die andern an ihn gerichteten Briefe Petrarcas aufgezählt. Vgl. bei Dotti, Vita und Fam. die Register. 2 Milo war ein Freund Ciceros und wurde von diesem vor Gericht verteidigt. Der von Lapo an Petrarca gesandte Codex enthielt ausser der genannten Rede noch Pro Plancio, Pro Sulla, Pro imperio Gnaei Pompei. Vgl. das Schreiben an den selben Freund Fam. 12,8,9. 3 Petrarca beschäftigte etwa 5 – 6 Kopisten. 4 Vgl. Fam. 2,7,5. 5 Die Datierung VIII Idus Aprilis ist die wohl ältere und vielleicht die richtige; falsch ist womöglich VIII Kal. Aprilis. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,17, an den Grammatiker Giberto Baiardi von Parma1 Zur Kindererziehung. 1. Bitte an Baiardi, den Sohn Giovanni in seine Obhut zu nehmen. 2. Dieser steht an der pythagoräischen Wegscheide. 5. Eine Regel der Ärzte gilt auch für die Erziehung. 6. Rücksicht auf die Verschiedenheit der Charaktere ist nötig. 14. Gestalten muss man, solange die Form schmiegsam ist. 15. Wichtiger als Kenntnis aller Künste ist gute Gesittung. Padua, am 26. März (1348/1351).
1. Lass doch unseren Sprössling, der des Rates bedürftig und von Anfechtungen seiner Jugend bedrängt ist, in der Sicherheit Deiner väterlichen Obhut geborgen sein!2 Schon ist er, wie Du siehst, auf seinem Lebensweg bis zur pythagoräischen Wegscheide3 gekommen, und nirgends gibt es weniger Klugheit, nirgends grössere Gefährdung. Der Weg zur Linken führt in die Hölle, in den Himmel jener zur Rechten. Aber der eine ist leicht begehbar, absinkend, breit und durch den Zustrom vieler Völker geebnet, während der andere steil, eng, beschwerlich und von den Spuren nur weniger Menschen bezeichnet ist. 2. Das sage ja nicht bloss ich, sondern das sagt auch der Herr und Lehrer der Welt:4 „Geräumig ist der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die ihn betreten; schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind es, die ihn begehen.“ 3. Würdest Du meinen Sohn an dieser Stelle sich selber überlassen, was, meinst Du, würde er tun? Er würde wie ein Blinder hinter der lärmenden Menge hergehen oder – wie man sagt – die gepflasterte Strasse betreten und entsprechend der Natur schwerer Körper durch die eigene Last zu Boden gedrückt werden. Doch Du wirst, mein Bester, das bitte ich, herbeieilen, dem Unvorsichtigen und Wankenden helfen, ihn leiten und stützen. Er lerne unter Deiner Führung, dem Pfad zur Rechten folgen; er lerne, aufwärts steigen! 4. Besonders leicht wird er sich lenken lassen, wenn Du auf ihn wie auf ein Kleinod ständig Deine Augen gerichtet hältst und den Schwächen seiner Jugend mit Deiner einzigartigen Fürsorge zu Hilfe kommst. Du weisst, auf welche Seite er neigt und woher ihm am ehesten Gefahr droht. Möge er doch ebenda mit einer geeigneten Stütze gestärkt werden! 5. Eine alte Regel der Ärzte besteht darin, ein Übel durch sein Gegenteil zu beheben. Ist er ausgelassen fröhlich, magst Du ihm etwas Trauriges, ist er dagegen niedergeschlagen, etwas Heiteres anraten. Hat sich sein Verstand durch allzu grosse Anstrengung abgestumpft, können ihm, wie ein erfahrener Landwirt weiss, dank einer Ruhepause neue Kräfte erwachsen. Wenn er aber durch Untätigkeit rostet, wird er durch Exerzieren neuen Glanz erlangen. So wird es geschehen, dass die Arbeit die Ruhe wie umgekehrt die Ruhe die Arbeit schmackhaft macht und dass der Schüler sich in der Abfolge von Unmusse und Musse erholen kann.
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Fam. 7,17
6. Unzählig sind ja gewiss die Unterschiede der Sitten, und die Heilmittel für körperliche Leiden sind nicht vielfältiger als diejenigen für seelische Gebrechen, weshalb dem einen eben das giftig ist, was einem anderen heilsam. In der Wahl besteht die ganze Klugheit des Lehrers! 7. Jugendliche Ängstlichkeit wird durch Zuneigung und freundlichen Lobspruch gemindert, Übermut mit Drohung und Strenge gebändigt. Auch gibt es nicht bloss eine einzige Strafe in diesem schulischen Kriegswesen. Leichte Vergehen sind mit Worten, schwere mit Schlägen zu züchtigen; der eine ist mit Aufmunterung zu stärken, der andere durch Beschämung zurechtzuweisen; den einen muss man durch Arbeit ermüden, den andern mit der Rute bezähmen; dem Strebsamen muss man Ausdauer, dem Ermatteten Trostworte, dem Verzweifelten Nachhilfe, dem Erkalteten Feuer, dem Draufgänger Zügel und dem Langsamen Ansporn vermitteln. 8. Da trage ich vor, was Dir ohnehin bestens bekannt ist! Ich möchte Dir bloss durch Reibung das Gedächtnis erhitzen. Denn gerade im allgemein Bekannten ist der Grossteil unserer Künste verankert, und überdies ist uns ja oft besonders erfreulich, längst vertraute Orte zu besuchen, oder recht vergnüglich, statt neuer Lieder die alten zu hören. 9. An diesen Knaben, um auf unser Anliegen zurückzukommen, musst Du selbst gegen seinen Willen Hand anlegen, soll er nicht fallen und nicht nach der Linken hin abirren. Lehre ihn, unter welcher Gefahr er voranzugehen hat und wie viele Anstrengungen und Verluste ihn eine Umkehr kosten würde. Zeige ihm, wie viel sicherer es ist, schon von hier aus dem Weg zur Rechten zu folgen, statt im Vertrauen auf einen Rückweg weiter ins Abseits zu wandern. Ein Nebenweg hat ja schon viele in den Abgrund geführt. 10. Sage, leicht komme man zu Fall, und der Fall drohe einem jeden; zum Aufstehen bedürfe man grosser Kräfte, grosser Mühe und grosser Hilfe. Beweise ihm, dass die Träume des einfachen Volkes reiner Wahn sind und seine Meinungen irrig, dies im allgemeinen, aber vor allem in Hinsicht sinnlicher Vergnügen. Sage ihm, auf dem Weg zur Linken gebe es nichts als Schreckliches, Schlüpfriges, Schwächliches und Nichtiges; auf dem Weg zur Rechten nichts als Schönes, Leuchtendes, Kräftiges und Unsterbliches. 11. Sage ihm, wie genau für die auf dem linken Wege Schreitenden das Schriftwort gilt:5 „Sie haben den geraden Weg verlassen und wandern auf dunkeln Pfaden“, auch:6 „Ihre Wege sind Finsternis und Schlüpfrigkeit“, und weiter: „Die Wege der Schlechten sind finster; sie wissen nicht, wo sie fallen“. Dagegen passe für die Wanderer auf der andern Strasse der Spruch:7 „Ihre Strassen sind schön und ihre Pfade voll Frieden“; und:8 „Die Wege der Gerechten sind frei von Hindernis“. Doch für die einen wie die andern gelte:9 „Die Wege zur Rechten sind dem Herrn bekannt; verderblich aber sind die zur Linken“. Und nicht bloss von der einen Gat-
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tung, sondern von beiden habe er gesprochen:10 „Sieh, ich selber breite vor Dir den Weg des Lebens und den Weg des Todes aus“. 12. Heisse ihn das überlegen, und heisse ihn einsehen, wie sehr der Irrweg vor allem an jenem zu tadeln ist, der viele Lehrer und Lenker hatte, und auch wie grosse Gefahren dieser Irrweg auf den unentwirrbaren Krümmungen des kurzen Lebens bringt. Weiter dies, dass viele schon oft beim Umkehren oder beim Gedanken an Umkehr vom Tod überrascht wurden. 13. Und schliesslich lehre ihn (solange noch nichts verdorben ist und er noch sich selber gehört, weil er sich dem Joch der Sünde noch nicht gebeugt hat), dass es viel leichter sei, dieses Joch zu vermeiden, als es von sich zu schütteln! Und hämmere den zarten Ohren häufig das dichterische Wort ein:11 „… Der Weg da führt zu den Sternen“; 12
und das andere:
„Das ist der Weg zum Elysium hin; doch der linke bereitet Strafe den Bösen und führt in die gottlose Hölle hinunter“. Übereinstimmend mit unserem Dichter sagt auch einer der hebräischen Weisen:13 „Der Weg der Sünder ist mit Steinen besät, und an seinem Ende sind Unterwelt, Finsternis und Strafen“. 14. An diese Ermahnungen gewöhne er sich schon jetzt in seiner Jugend; diese Lehren schlürfe er ein! Leicht nimmt ein neuer Stoff jede beliebige Form an, und mühelos drückt sich jede beliebige Haltung den noch geschmeidigen Sinnen auf. Hat man aber falschen Meinungen Zutritt gegeben, werden sie nur mit grosser Mühe wieder ausgetrieben. Lass also nicht nach, solange die lenkbare Jugend noch Hoffnung auf den gewünschten Erfolg gewährt, und sei überzeugt, dass Du dem Knaben damit eine grössere Wohltat schenkst, als wenn Du seinem Verstand mit vielfachem Unterricht sämtliche freien Künste einflössen würdest. 15. Wichtig ist, das betone ich, die literarische Bildung, doch wichtiger ist gute Gesittung, selbst wenn ein gelehriger Schüler von Dir Unterweisung in beidem erwarten darf. Du weisst, was Begabung vermag und weisst es dank Deiner Erfahrung besser als ich. Aber das eine weiss auch ich: Dass nur wenige fähig sind, gebildet zu werden, aber alle, gut zu werden, sofern sie guten Lehrern gegenüber gefügig sind. Anstrengender ist ja der Erwerb von Wissenschaft als von Gesittung, doch ist diese edler. Die eine würdigt nur wenige der Teilhabe; die andere verachtet keinen, ausser es habe einer sie früher schon selber verachtet. Lebe wohl! Padua, am 26. März (1348/1351).14
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Anmerkungen 1 Einziger uns erhaltener Brief Petrarcas an diesen Lehrer. 2 Petrarca befand sich mit seinem höchstens fünfzehnjährigen illegitimen Sohn in Padua; am 26. März schickte er den hier wiedergegebenen Brief an den Lehrer Baiardi. Andere Lehrer des Knaben waren Moggio von Parma und Rinaldo Cavalchini. Vgl. Fam. 13,2 und 13,3. Dank einer Gunst des Papstes Clemens erhielt er 1352, also mit ungefähr 16 Jahren, bereits ein Kanonikat in Verona; vgl. Arnoldo Foresti, Il figlio di Francesco Petrarca, Archivio storico per le province parmensi, N.S. 24, 1934, 363 – 390; auch Wilkins, Studies 127 und Dotti, Vita 264. 3 Vgl. Isid. Etym. 1,3,6 – 7. 4 Mt. 7,13 – 14. 5 Prov. 2,13. 6 Ps. 34,6. 7 Prov. 3,17. 8 Prov. 15,19. 9 Prov. 4,27. 10 Jer. 21,8. 11 Verg. Aen. 9,641. 12 Verg. Aen. 6,542 – 543. 13 Ecclesiasticus 21,1,10. Neue Übersetzungen lauten verschieden. 14 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 7,18, an den Ritter Lancillotto Anguissola von Piacenza1 Über die Schwierigkeiten der eigenen Lebenslage. 1. Schlimme Nachrichten seien aus allen Richtungen eingetroffen. 6. Grosse Trauer sei ein Grund gewesen, Briefe unbeantwortet zu lassen. 7. Die Weiterarbeit an der Africa bereite grosse Sorgen. 8. Mit dem Dichten von Versen könne man Schmerzen nicht lindern. (Parma 1348)
1. An der Feder haftete meine Rechte, begierig zu schreiben und unsicher, was. So viele und so verschiedene Boten klopften fast zur gleichen Zeit bei mir an! Einen Aufruf sandte mir von dort der Tiber, von hier der Arno und von da die Rhone. Der erste Bote meldete mir von der unglücklichen Lage jener um mich hochverdienten Stadt oder vielmehr von ihrem Zusammenbruch,2 den ich nicht ohne Tränen anhören konnte. 2. Der zweite übermittelte mir in Briefen verschiedener Schreibart aber gleichen Inhalts die Klagen gewisser talentvoller junger Leute,3 die sich über mich entrüsteten und mir schwer verübelten, dass ich, wiewohl bei ihnen erwartet, mich anderwärts verfügte und dabei meinem Heimatboden dieses mein Obdach hier vorgezogen hätte.4 3. Der dritte Bote aber stiess mir mit einem Brief befreundeter Kleriker die Sporen eines zwar milden, aber entschiedenen Vorwurfs in die Seite, weil ich bei dem sehr schmerzlichen Aufschrei eines hervorragenden Freundes5 Stillschweigen gewahrt hatte; denn das pflegte ich früher ja selbst bei weniger schrecklichen Ereignissen nicht zu tun und das habe ich jetzt weniger aus Überlegung als im Entsetzen über die Vernichtung einer glanzvollen Familie und vor lauter Betrübnis getan. 4. An wen hätte ich mich zuerst wenden sollen? Den römischen Freunden schuldete ich Mitleid, den Florentiner Freunden eine Entschuldigung, den Freunden jenseits der Alpen ein Trostwort. Und als ich zögernd vor diesen drei Aufgaben stand, erreichte mich eine vierte Nachricht. 5. Ein Freund, mir durch seinen Namen wie durch sein Blut verbunden und, was weit mehr bedeutet, mir in seiner Liebe und Anhänglichkeit im höchsten Mass liebenswert und teuer, war im Verlangen, mich zu besuchen, eiligst von Gallien abgereist, doch infolge einer Krankheit, die er sich durch die Anstrengungen der Reise oder infolge eines widrigen Wetters zuzog, in Savona zu einem Aufenthalt gezwungen und dort durch den mir bitteren Tod hingerafft worden.6 Mit welchen Worten hätte ich in solcher Lage einen alten Vater oder eine arme Mutter wegen ihres Verlustes oder wie hätte ich jene Brüder in ihrer Vereinsamung und jene Schwestern in ihren Klagen trösten können, da ich meine eigenen Schmerzen nicht zu lindern vermochte? 6. Ich habe daher im Strudel der Ereignisse getan, was ich unter solchen Umständen zu tun gewohnt bin und was eine Art meiner Unbeholfenheit darstellt: Ich habe beschlossen, alles gleicherweise liegen zu lassen oder – nach Möglichkeit – gar zu vergessen.
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In diesem Zustand hat mich Dein Brief erreicht. Er hat meine Stumpfheit verjagt und mir die weggelegte und verschmähte Feder wieder in die Hand gedrückt. Soviel sanfte Würde und soviel würdige Sanftheit lag in ihm! 7. Allerdings, dass unter anderem auch der Titel meiner Africa erwähnt wurde, hat mir gegen meinen Willen einen Seufzer abgenötigt.7 Denn nicht Du allein wartest auf die Beendigung dieses Werkes. Ich wäre aber eher imstande, die Sandkörner am Meer und die Sterne am Himmel als alle Verhinderungen durch das Schicksal, das mir meine Arbeit neidet, zu zählen. Auf eine Vollendung warte auch ich, unsicher, ob ich vergebliche Nachtarbeit geleistet habe oder ob mir irgend eine Lust an meinem Dichten – und wäre es eine späte –aufgespart bleibe. Wenn die Anstrengung einen glücklichen Ausgang nimmt, werde ich dafür sorgen, dass zur Schaustellung meines Erfindergeistes, wie immer sie sein wird, Dir niemand den besten Orchestersitz vorwegnimmt. 8. Das letzte Abschnittchen Deines Briefes habe ich fast lächelnd gelesen. Es ist mir ja tröstlich, selbst Männer wie Dich als einen Leidensgenossen meiner früheren Krankheit zu betrachten. Denn ich werde geradezu gezwungen, etwas als eine edle Gabe anzusehen, was sich bei einer so würdigen Persönlichkeit einnisten konnte.8 Einen Trost allerdings, den die Vulgärsprache vermitteln könnte und den Du scherzend – so meine ich – von mir forderst, wollte ich umgekehrt von Dir erbitten und erhoffen, nämlich sofern überhaupt eine Wunde des Herzens durch Worte zu heilen wäre. Aber ach, nur allzu richtig ist, was Horaz gesagt hat:9 „Hoffst Du, es wäre doch wahr, dass mit nichtigen Verslein die Schmerzen, Qualen und Sorgen schwer aus dem Herzen sich liessen vertreiben?“ 9. Vermehrt werden sie dadurch eher und genährt! Für die bestimmte Krankheit braucht man eine Arznei von ganz anderer Art, jene, deren Erfinder – wie die Wahrheit zu bekennen gebietet – unser Äskulap ist.10 Die Kräuter freilich, aus denen man sie bereitet, wachsen kaum in Deinem Gärtlein oder sind Dir gar unbekannt und schmecken auch so übel, dass man sie nicht anrührt. Lebe wohl! Und was gemäss meiner Meinung das beste Heilmittel gegen alle Übel unseres Lebens ist und was immer sich dazu eignet, unseren Geist von der Stelle zu bewegen, das erforsche mit Sorgfalt. Und hast Du am Anfang Vergnügen, so denke ans Ende! (1348)11
Anmerkungen 1 Dies ist der einzige uns erhaltene Prosa-Brief Petrarcas an Lancillotto. Er war ein Dichter aus Piacenza und genoss die Unterstützung der Visconti von Mailand.
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2 Hinweis auf den missglückten Versuch von Cola di Rienzo, die römische Republik wieder herzustellen; vgl. Fam. 7,5. 3 Gemeint sind verschiedene Florentiner Humanisten; vgl. Fam. 7,10. 4 Das heisst, dass Petrarca nicht nach Florenz, sondern zu seinem Haus in Parma reiste. 5 Hinweis auf den Schmerz des Kardinals Colonna beim Verlust von Verwandten im Kampf gegen Cola di Rienzo; vgl. Fam. 7,13. 6 Das ist Francesco degli Albizzi; vgl. Fam. 7,11 und 12. 7 Vgl. dazu Secretum 3,14,11; 3,17,6 und 3,18,6, wo von ähnlichen Bedenken die Rede ist, dazu auch Fam. 10,4,34, wo Petrarca am Vorsatz, das Werk zu vollenden, festhält. 8 Unter der Krankheit ist offensichtlich die Liebe zu verstehen und unter der Gabe die vulgärsprachliche Dichtung Petrarcas, die sich um die Liebe dreht. 9 Serm. 1,2,109 – 110. 10 Der wahre Äsculap ist Chistus. 11 Offenbar hält sich Petrarca in Parma auf. Das Jahr ergibt sich aus der Aufzählung der Trauernachrichten; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 8,1, an Stefano Colonna den Alten1 Trostbrief für den greisen Stefano Colonna. 1. Allgemeiner Hinweis auf die Glücksgüter des Angesprochenen. 4. Vielzahl von Geschwistern und Kindern. Wohlstand. 5. Hohe Stellung der Söhne. 11. Aufzählung der Verluste. 13. Vergleiche mit Persönlichkeiten der Antike. 17. Weisheit dank Unglück. 22. Erinnerung an ein Gespräch in Rom. 27. Prophezeiung Stefanos über das Ende seines Hauses. 29. Erfüllung der Vorahnungen. 36. Die Lehrmeisterin Erfahrung. 38. Der Köcher Fortunas ist nun leer. Am 8. September (1348/1349).
1. Ach Du erbarmungswürdiger Greis, ach Du Haupt voller Lebenskraft! Womit nur hast Du den Himmel herausgefordert, was nur hast Du getan, dass Du mit der Qual eines so langen Lebens bestraft wirst! 2. Ein zweiter Metellus2 wurdest Du geheissen, und dies nicht ohne Grund; denn alles war Dir beschieden worden, was jenem: Vaterland, Abkunft, Wohlgestalt, Reichtum und viele andere einzigartige und bewunderungswürdige Gaben des Leibes wie des Geistes, auch eine hochedle Gattin und dieser Gattin aussergewöhnliche Fruchtbarkeit, die Würde eines Konsuln und die höchste Befehlsgewalt über römische Heere, dazu Titel von Siegen und Triumphen, ein lang dauerndes Alter und eine unerschüttert glückhafte Fortuna bis fast ans Ende. 3. Selbst wenn sie bisweilen wagte, sich Widerwärtiges beizumischen, weshalb Du zur Zeit Deiner ruhmreichen Verfolgungen3 vieles erduldet hast, tat sie es bloss zum Zweck, die Zierde Deines Ruhmes von äusserlicher Rauheit zu reinigen und um so herrlicher gleissen zu lassen. Fast bis ins hundertste Lebensjahr hielt Dir Fortuna diese Treue, und Du selbst, ein geborener Fürst auf Erden und insbesondere in der Königsstadt dieser Erde, durftest stets, wo es um Glück ging (ich meine eines, das sich in diesem Leben erhoffen lässt), Deinen eigenen Namen einer kurzen Reihe beispielhafter Vorgänger anfügen. 4. Und dies nicht wie Sophidius,4 der mittellose und ruhmlose Landwirt, den ein Orakel lügnerisch für glücklich erklärte, sondern als der ruhmreichste unter allen römischen Feldherren unseres Zeitalters und – was ich für unendlich schwierig und für fast unmöglich betrachtet hätte – als einer, der selbst auf schwindelnder Höhe des Geschickes ungemein glücklich war. Du hättest unter Zurückweisung jenes fremden Arkadiers5 getrost als Römer neben dem Römer, als Fürst neben dem Fürsten, als Stefano neben Metellus Platz nehmen können. Dieser wäre ja, sogar wenn man von der Überlegenheit Deiner Religion absieht (denn zwischen Heiden und Christen gibt es kein Vergleichen), schon bei der Gegenüberstellung der Brüder- und Kinderzahlen notwendigerweise der unterlegene. 5. Keinen Bruder habe er gehabt, so heisst es; Dir aber waren fünf beschieden,6 und zwar höchst angesehene Männer, solche, um es kurz zu sagen, die nicht so sehr
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durch ihre Abstammung und ihren Reichtum als vielmehr durch Römertugenden und Ruhmestaten hervorragten. Auch hatte der genannte Metellus zwar vier Söhne, Prätoren, Konsuln, Censoren und Triumphatoren; Du aber hattest sieben, nämlich einen Kardinal der römischen Kirche7, einen zweiten, der für Höheres bestimmt war (hätte er nur das gesetzlich vorgeschriebene Alter erreicht),8 drei Bischöfe9 und zwei Feldherren,10 die an Kriegsruhm dem Vater – um alles mit einem Wort zu sagen – beinah ebenbürtig waren. Jener andere hatte drei Töchter, Du aber hattest sechs,11 und ich halte es für richtig, über ihre edle Gesittung lieber zu schweigen, als wenig zu sagen. 6. Wie gross – Du guter Gott! – war zudem und wie blühend die Schar der Enkel und Urenkel beiderlei Geschlechts! Welch ein anmutiger Reigen war das, was für eine erfreuliche Gesellschaft! Wie herrlich war, um nicht ins Unendliche abzuschweifen, jener erstgeborene Enkel Giovanni,12 Sohn Deines erstgeborenen Sohnes! Ein göttlicher Jüngling, ausgestattet mit alten und echt römischen Anlagen! Ihm gab man mit bestem Recht den Zunamen Colonna, denn er hiess ja nicht „dei Colonna“ wie die anderen, sondern schlichtweg „Colonna“, da sich auf ihn die Hoffnung der Freunde und das ganze gewaltige und altehrwürdige Haus der Familie stützte. 7. Zu einem zweiten Marcellinus13 hatte er sich entwickelt, hatte das gleiche Alter, die gleiche Geisteskraft, die gleiche Körperstärke, die gleiche Liebe zu den Waffen und die gleiche Begeisterung für Pferde, die gleiche Geschicklichkeit im Reiten gewonnen. Auch wuchs er allmählich schon zu einem zweiten Marcellus14 heran oder, wenn möglich, zu etwas noch Besserem. Und so kam es, dass überall, wo der römische Name erklingt, Du dem Volk (wenn man so sagen kann) für glücklicher galtest als die Glücklichsten und für erhabener als die Höchsten. 8. Doch dass man das Ende bedenke, verlangen die Weisen; so lautet der Ratschlag, mit dem einst Solon den überglücklichen König der Lyder ermahnte.15 Denn in der Tat, über das vergängliche Glück entscheidet der Tod, ja, er entscheidet, was mehr erstaunt, sogar über das ewige. Niemand also wiege sich in Sicherheit; das Glück ist schlüpfrig. Soll ich Dich glücklich nennen? So stirb! Wahre Zeugen für das Leben sind die Asche und das Grab. Vorher nämlich gilt: Je höher die Stellung, desto tiefer der Absturz. 9. Ein einzigartiges Beispiel des Wohlergehens wärst Du zu unserer Zeit geworden, hätte dem Lebenslauf auch das Ende entsprochen. Doch da ist kein Übel, das bei langem Leben nicht auftreten könnte. Gleich einer Schiffahrt vieler Tage ist das Leben vieler Jahre. Am Himmel herrscht nicht immer der selbe Stern, auf dem Meer nicht immer das selbe Wetter. Oft muss man das Steuer wenden, häufig die Segel einziehen und, was in der Seemannskunst besonders gefährlich ist, sie nach anderer Windrichtung wenden. 10. Nie darf man erwarten, dass die unbewegte Stille des Meeres oder des Lebens auch anhalte; fortwährend ändert sich das Aussehen der Dinge und oft hüllt sich der Tag, der am Morgen wunderbar heiter ist, am Ende in Nebel:
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„Denkst Du, das Bild der ruhigen See mit dem sanften Gewoge Sei mir so unbekannt, dass dem Ungetüm ich vertraute?“ Das sagt bei Vergil16 jener wohlbekannte Schiffer17 auf dem Meer; das sagt zu sich selber der Weise in seinem Leben. Nichts fürchtet, wer sich wappnet und mit kluger Besonnenheit sich vorsieht. Doch den Unvorsichtigen, der alles Frohe erhofft, den wirft jede noch so geringe Widrigkeit zu Boden. Damit kehre ich mich wieder der Veränderung Deines persönlichen Schicksals zu. 11. Deine fünf Brüder hast Du recht früh beerdigt. Wen hätte der Einsturz so mächtiger Kolonnen nicht niedergeschmettert? Du aber bist unerschütterlich fest geblieben, und wie sich für einen starken und unbesieglichen Geist geziemt, hast Du die ganze Last des Hauses Dir allein aufgebürdet. Damit hast Du den unheilbaren Schaden mit Deinem unsterblichen Ansehen wettgemacht und Dich mit dem Andenken an grossartige Taten getröstet. Auch trat an die Stelle dieser Brüder die lange Reihe Deiner Neffen und Enkel. 12. Inzwischen wurde Dir die innig geliebte Gattin entrissen: „Glücklich im eigenen Tod und bewahrt vor späterem Leiden“.18 Viel glücklicher war sie im Sterben als jene Gattin Evandria,19 die im zitierten Vers gemeint ist. Denn jener wurde mit ihrem frühzeitigen Tod zwar der bittere Verlust ihres einzigen Sohnes, aber Deiner Gattin der Verlust mehrerer Söhne erspart. Entrissen wurde Dir auch von allen Nachkommen der Bedeutendste, für den Du eine Vorliebe hegtest. Eine doppelt schwere Wunde für den, der schon vieles erlitten hatte! Doch harrtest Du aus inmitten der bereits erschütterten Grundfesten. 13. Während sich die anderen Söhne zu beneidenswerter Grösse erhoben und in wunderbarem Licht erglänzten, hast Du Fortuna noch wenig beachtet und – Bitteres mit Süssem mischend – die Sehnsucht nach den Toten mit dem Trost der noch Lebenden gemildert. Schon war allmählich der Schmerz der alten Wunde vergessen, und noch immer konntest Du, wie ich sagte, glücklicher sterben als Metellus. 14. Die längere Dauer Deines Lebens bewirkte jedoch, dass Du einem Priamus20 ähnlicher wurdest als einem Metellus. Denn Priamus beerdigte die Seinen; von den Seinen hingegen wurde Metellus beerdigt: Völlig verschieden war also ihr Los! Trutzige Fortuna, wären der Beispiele für Deine Wandelbarkeit noch zu wenige gewesen, wenn Du den früheren nicht auch das Beispiel unseres Stefano angefügt hättest? Mit verschiedensten Todesarten hast Du ihn in der kürzesten Frist der ganzen Schar seiner vielen Söhne und Enkel beraubt und damit den überaus glücklichen Vater zum Jammerbild eines kinderlosen gemacht.21 15. Oh hochgemuter Mann, unvergesslicher Stefano, eben noch schienst Du viel zu glücklich zu sein, um unglücklich werden zu können! Eben freutest Du Dich viel zu grosser Begleitung, um Vereinsamung zu fürchten! Und eben kamst
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Du dem Tod so nah, dass Du nicht an den Tod der jugendlichen Söhne zu denken brauchtest. Ausserhalb des Pfeilhagels schienst Du zu stehen. Doch ungezügelt und ungnädig ist diese Göttin oder richtiger diese Dienerin Gottes und emsigste Vollstreckerin göttlicher Verfügungen; auf wunderbare und unbegreifliche Weise wirkt sie im Verborgenen und ihr spielerisches Treiben ist immer sowohl heimlich und andersartig als immer auch bedrückend und jammervoll. Gewiss war zu unserer Zeit kein leuchtenderes Beispiel für ihre Veränderlichkeit zu finden. 16. Darum hat sie gerade Dir nachgestellt und, wie ich meine, zuerst Deinen ruhmreichen Aufstieg begünstigt, damit sie sich der Welt desto klarer offenbare und dass nach ihrer machtvollen Gunstbezeugung auch das Unheil um so sichtbarer und der Sturz aus so grosser Höhe um so schrecklicher werde. Niemals konntest Du so unglücklich werden, ohne vorher so glücklich gewesen zu sein! Es war die grosse Zahl Deiner vortrefflichen Söhne, die bewirkte, dass Dein Verlust so grosses Aufsehen erregte. 17. Ach diese Süsse voll Bitterkeit, diese Ruhe voll Mühe, dieses tödliche Schmeicheln! Was soll der Mensch fürchten, was wünschen, was fest halten und was meiden? Bedrückend ist, von allem Wünschenswerten nichts besessen zu haben, aber hart ist, so viel Angenehmes zu besitzen, um es zu verlieren. Allzu lange hast Du gelebt, so sage ich; doch das musste geschehen, damit Du zu Deinem Tod bessere Kenntnisse mitbrächtest. Denn Du hättest gedacht, Fortuna sei etwas Beständiges, wäre Dir bloss die eine Seite ihres Wesens sichtbar geworden. 18. Ach Du, vom Schicksal so oft Geprüfter! Was erwartest Du von mir zu hören? Ich will nicht, dass Du hoffst, und ich will nicht, dass Du verzweifelst! Das eine passt sich für einen unbedachten, das andere für einen schwächlichen Menschen. Worauf also, ich bitte Dich, hoffst Du? Auf neue Söhne und neue Ehen? Unangemessen ist die Zeit. Ein hohes Alter schickt sich für die Hochzeit wie der Winter für die Ernte; und lächerlich ist die Scherzrede vom greisenhaften Freier. Und dennoch: Warum solltest Du verzweifeln? Von allen Deinen Söhnen ist Dir keiner geblieben; doch hast Du Dich selber, so hast Du genug! Kein Reichtum ist grösser, kein Besitztum ist herrlicher als die Gewalt über sich selbst. 19. Wir wissen von einem, der hundertfünfzehn Söhne hatte.22 Erotimus, ein gewisser König der Araber,23 soll, kaum glaublich, gar siebenhundert gehabt haben. Doch sich selber zu haben, gelingt wenigen. Dir fehlt das Gespräch mit Deinen Söhnen? Sprich mit Dir selber! Mit anderen sprechen können alle, mit sich selber, können wenige. Vieles hast Du zu sagen, vieles zu beantworten; denn vieles hast Du in Deinem sehr langen Leben getan, dessen zu gedenken, Dich sehr freuen kann. 20. „Nicht alle können,“ so sagt Cato bei Cicero,24 „ein Scipio, ein Maximus sein, um sich an Eroberungen von Städten, an Kämpfe zu Wasser und zu Land, an persönlich geführte Kriege und Triumphe zu erinnern.“ Du aber gehörst in die Reihe jener Männer, denen aus der Erinnerung an die Vergangenheit Ruhm er-
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wächst. Bedenke, was Du zu Hause und im Heer geleistet, was Du zu Land und zu Wasser erduldet, welche Mühen und Gefahren Du auf Dich genommen hast, und was an Herrlichem Dir beschieden war! Du wirst gestehen, so meine ich, dass Du, selbst ohne je Kinder zu haben, ein bedeutender Mann gewesen wärest, zwar nicht in einem ruhevollen Zustand des Glücks, aber dennoch glücklich. 21.Nun aber bist Du nicht kinderlos gewesen, und Du hattest gar solche, dass ihr Verlust nun so hart wie der Gedanke ihres Besitzes beglückend ist. Bedenke überdies, dass Dir nichts wie einem Ahnungslosen zustiess. Denn Du hattest ja stets die Klugheit, nicht allein, was Dir geschah, sondern auch alles, was geschehen konnte, vorauszuahnen. Das Mögliche kommt dem Klugen nie überraschend; nur den Toren kommt alles wider Erwarten. 22. Doch nicht davon möchte ich reden; etwas Wichtigeres habe ich im Sinn, und ein einziges Wort würde genügen, um Dich daran zu erinnern. Du sollst aber nicht denken, es sei mir von dem, was ich durch Dich erfahren habe, etwas entfallen, und deshalb will ich ausführlicher sprechen. Erinnere Dich also – mir selber sind nämlich jene Umstände aus früherer Zeit wie ein Bild vor Augen –: Als ich vor zehn Jahren25 in Rom mit Dir verkehrte und wir einmal zu etwas später Stunde allein beisammen waren, wanderten wir durch die Via Lata,26 die von Deinen Häusern zur Festung des Kapitols führt. Endlich blieben wir dort stehen, wo die Strasse jene andere kreuzt, die sich von den Hügeln zum Bogen des Camillus und von da zum Tiber hinab senkt. 23. Auf diesem Platz haben wir ungestört manches erörtert, was die Lage Deines Hauses und Deiner Familie betraf. Sie hat ja damals – wie auch sonst häufig – in grossen Gefahren sich ausgezeichnet und unter einem sehr schweren Bürgerkrieg gelitten. Im Gespräch wurde nebenbei einer Deiner Söhne erwähnt, mit dem Du zu jener Zeit, ich denke auf Einflüsterung von Übelwollenden hin, in mehr als bloss väterlichem Unwillen zerfallen warst.27 24. Aber Deine Güte gewährte mir, was Du vielen andern vorher verweigert hattest, dass jener nämlich dank meiner Vermittlung in Deine Gnade zurückkehren durfte. Nachdem Du mir gegenüber manche Klagen vertraulich über ihn vorgebracht hattest, fügtest Du plötzlich mit veränderter Miene ziemlich genau folgendes hinzu (denn nicht bloss den Sinn der Worte, sondern auch die Worte selber hat das Gedächtnis mir aufbewahrt): 25. „Mein Sohn, Dein Freund, dem ich mich auf Dein Drängen hin väterlich zuwenden soll, hat gegen mein Alter manches ausgespien, was er aus Ehrfurcht besser verschwiegen hätte. Doch weil ich Deine Bitte nicht ablehnen kann, soll alles Vergangene vergessen und – wie man sagt – getilgt sein. Von heute an wirst Du weder in meiner Miene noch in meiner Rede eine Spur von Zorn entdecken. Eines aber will ich nicht verschweigen und dessen sollst Du mir für alle Zeit ein Zeuge sein.“ 26. „Mir wird vor allem vorgeworfen, ich würde zum Schaden meines ehrwürdigen Alters mich in weit mehr Kämpfe einmischen, als nötig sei, und dadurch meinen
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Söhnen eine Hinterlassenschaft an Feindseligkeiten und Gefahren bereiten. Ich aber nehme Gott zum Zeugen, dass ich aus keinem anderen Grund als aus Liebe zum Frieden die Kriege auf mich nehme. Ein Bedürfnis nach Ruhe haben mir einesteils mein hohes Alter und mein in der todgeweihten Brust schon frierendes Herz, andernteils die lang anhaltende Betrachtung der menschlichen Schicksale beschert. Doch ich halte für völlig richtig und unbestreitbar, dass man die Mühe nicht fliehen darf. 27. Grössere Ruhe würde ich vorziehen; doch wenn das Schicksal es anders fügt, will ich eher unter Kämpfen bis zum Grab gelangen als im Greisenalter das Dienen lernen. Was jedoch meine Hinterlassenschaft betrifft, so will ich nur das Eine erwidern (und halte jetzt Augen und Gedanken fest auf mich gerichtet!): Wäre mir doch möglich, meinen Söhnen eine Erbschaft zu hinterlassen! Aber etwas entspricht meinem Wunsch und etwas dem Willen des Schicksals, so sage ich trauernd. Denn in einer Verwirrung der natürlichen Ordnung werde ich der Erbe aller meiner Söhne sein.“ Und bei diesen Worten wandtest Du Dich ab, Deine Augen voll Tränen. 28. Ob Du solches dank einer Vorahnung oder auf göttliche Eingebung hin gesagt hast, bleibt ungewiss, dass aber Fürsten oft über die Zukunft ihrer Kinder prophezeien, das bezeugt der göttliche Vespasian,28 der dem einen Sohn die Art des Todes und beiden Söhnen die Herrschaft voraussagte. Ich selber habe an jenem Tag das Wort wie ein durch Zufall entschlüpftes oder im Unmut gesprochenes – so gestehe ich – kaum beachtet und habe nicht vermutet, welche Fülle an Kraft es berge. Nach langer Zeit aber, als ich wegen der vielen Todesfälle unter Deinen Söhnen erkannte, dass dies eine Prophezeiung sei, habe ich im Kreis von Freunden davon gesprochen, und von dort ist die Sache in die Menge gesickert. 29. Daher hat Giovanni seligen Andenkens,29 eine Zierde des römischen Kardinalats und der Rangerste in Deiner Familie, nachdem drei seiner Brüder gestorben waren, mich mit Bitten bestürmt und mir eindringlich zugesetzt, bis ich ihm die ganze Geschichte der Ordnung nach erzählte. Als ich das widerwillig getan hatte, sagte er seufzend: „Ach wäre doch mein Vater ein minder guter Seher!“ Im selben Jahr und nach jener tödlichen Niederlage Deines Erstgeborenen, Deines Enkels und einiger Neffen30 begann ihn Deine Voraussage mehr und mehr zu ängstigen, bis er selber, von Schmerzen aufgezehrt, wie ich meine, schliesslich durch sein Sterben dem Wort seines Vaters die traurige, aber vollkommene Glaubwürdigkeit verlieh. Das halten alle, die davon hörten, für wunderbar, mir selber aber ist es von Tag zu Tag schrecklicher und unfasslicher. 30. Du wirst Dich, ich zweifle nicht, an alles erinnern. Ich jedenfalls erinnere mich so genau, dass ich noch heute jenen antiken Grabstein aus Marmor, der dort in der Ecke steht und auf den wir uns beide mit einem Ellbogen stützten, und ausserdem den Ausdruck Deines Angesichts zu sehen und Deine Stimme mit diesen Ohren zu hören vermeine. 31. Da es so ist, darf dieser Verlust, so lange vorausgesehen, Dir nicht unerträglich erscheinen; denn das lange Überdenken wappnet die Seele. Was anderes leidest
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Du, als was Du vorher als Dein künftiges Leiden erkanntest? Niemand beklagt, dass er sterbliche Söhne gezeugt hat, ausser er sei von Sinnen und habe seine eigene Sterblichkeit vergessen. Wir lieben es, Söhne zu haben, die uns ähnlich sind, und dabei ist nichts so ganz unser Eigen wie die uns eingepflanzte und schon bei der Geburt unabdingbar auferlegte Sterblichkeit, die unter allem als Einziges untrennbar mit unserem Gebein und Innersten verbunden ist. 32. Worüber also klagen die Menschen beim Begräbnis ihrer Kinder? In der Tat nicht über das, was gewiss und allgemein der Natur geschuldet wird, sondern über den unerwarteten und ordnungswidrigen Zeitpunkt des Todes. Dir aber ist er, soweit sich ersehen lässt, nicht unerwartet und nicht unbekannt gewesen. Der erste Grund zur Trauer fällt also dahin, nämlich der Schmerz einer überraschenden Verwundung. 33. Daher hast Du Deine Gefühle der göttlichen Anweisung unterworfen, wie alle Gebildeten und gut Unterrichteten tun, und hast alles, was Dir zustiess, so gleichmütig, wie Du es vorausgesehen, auch ertragen; oder es hat Deine väterliche Liebe (weil es schwer fällt, der Natur ihr Recht zu entreissen) trotz Deinem Widerstreben Dir einen Schmerzenslaut abgerungen. Dann aber ist doch nach dem Beginn Deiner Trauertage so viel Zeit verstrichen, dass Deine Tränen wahrscheinlich getrocknet sind, denn mit der Zeit wird der Schmerz gemindert, wie auch die Freude sich mildert. Wenigstens das eine Gute haben die menschlichen Leidenschaften, dass von ihnen keine einzige ewig dauert. Nun aber komme ich, weil den mit wichtigen Aufgaben Betrauten eine allzu lange Rede verhasst ist, zum Ende. 34. Wie es gewiss einem menschlich fühlenden Vater zustand, den Anfang des Briefes, von Liebe überwältigt, mit feuchten Augen zu lesen, so ist doch für einen tapferen und ungebrochenen Mann auch richtig, das Ende mit ungetrübten Blicken zu betrachten. Sammle daher alle Geisteskräfte, ich beschwöre Dich, und wehre mit mächtiger Anstrengung dem Ansturm Fortunas! Wer immer ihrem ersten Anlauf standhält, wird Sieger sein; viele überwindet sie ja bloss durch Erschrecken und nicht durch Gewalttat. 35. Doch was rede ich? Darf ich doch hoffen, Du habest, was ich anrate, schon geleistet. Nur dies eine bitte ich eindringlich: Da der Geist oft mit jenen Dingen besonders wissbegierig beschäftigt ist, zu denen ihm einzig noch das Gedächtnis einen Zugang gewährt, so bewahre Dich davor, in der Erinnerung an Vergangenes neuem Jammer zu verfallen und in allzu grosser Nachsicht gegen Deinen väterlichen Kummer die Narben der bereits verheilenden Wunden aufzureissen! Lass vergangen sein, was man mit allem Drängen nicht zurückzubringen vermag! Ob es Dich quäle oder ob es Dich freue, steht in Deiner Gewalt. 36. Die Menge mag Dich kinderlos, alt und erbarmungswürdig heissen; Du selber solltest glauben, dass sie, wie üblich, Unsinniges redet und dass Du glücklich bist. Aus beiden Bechern Fortunas hast Du gekostet; Du weisst, wie sie schmecken; glücklich hat Dich das Süsse und vorsichtig
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das Bittere gemacht, damit Du begreifest, wieweit man einem Glückszustand trauen darf. Du erkanntest es schon früher, wie ich meine; doch wirst Du nicht leugnen, dass Du es früher weniger klar erkannt hast. Das sind die sichersten Lehrgänge, in denen als Lehrerin die Erfahrung wirkt. Was Dir von vielen gesagt wurde, hast Du selber gesehen, und den Unterricht Deiner Ohren haben Dir Deine Augen bestätigt. 37. Du siehst also, dass eben diese Fortuna, von der fast jedes Gespräch unter Sterblichen handelt, ein Nichts ist; Du siehst, dass eine Fabel ist, was die Menge das Glück nennt. Dieses hast Du verloren, und gefunden hast Du ein zuverlässigeres und dauerhaftes. „Und welches Glück“, so lautet Deine Frage, „willst Du mir unter so mannigfachen Schmerzen zeigen?“ – Welches, wenn nicht jenes, das Dir niemand gegen Deinen Willen entreissen kann. Ich zeige Dir das Gegenstück zu Deinem früheren Glück: Mit Deinen Gütern zufrieden sein; wissen, dass alles, womit man geziert zu sein meinte, kein Eigentum war; dass man nach der Widerlegung der Irrtümer – zwar spät – zur wahren Einsicht gelangt ist; und vor allem, dass man Fortunas Herrschaft, vor der die Völker erschrecken, nicht zu fürchten braucht. 38. Was könnte ich sonst noch sagen? Ich schliesse mit den Worten: Nackt bist Du in die Welt gekommen, nackt gehst Du hinaus.31 Und jene – wie man sagt – „Herrin über alles, was irdisch ist“, verachte hohen Mutes! Sie hat Dir so sehr geschadet, dass sie nicht länger schaden kann. Was heckt sie noch aus? Ihren Köcher hat sie geleert; sie ist waffenlos. Weder hat sie, was sie schleudern könnte, noch hast Du, wo Du verwundbar wärest. Lebe wohl! Am 8. September (1348/l349).32
Anmerkungen 1 Einziger uns erhaltener Brief Petrarcas an Stefano Colonna den Alten, den Vater seiner Freunde. Vgl. Fam. 2,3,17 – 25; 7,13,17 – 19 und die andern im Personenreg. aufgeführten Stellen. 2 Quintus Caecilius Marcus Macedonicus, 143 Konsul, 131 Censor. Erzählung vom glücklichen Menschen bei Val. Max. 7,1,1 – 2; Solin. Collect. 1,127. 3 Verfolgungen durch Papst Bonifaz VIII. 4 Sophidios oder Psophidios Aglaos: Ein Bauer in Arkadien, neben Metellus der angeblich einzig glückliche Mensch. Vgl. Anm. 2. 5 Des eben genannten Sophidios. 6 Kardinal Pietro Colonna, gestorben 1326 in Avignon; ausser diesem auch Giacomo, Sciarra, Agapito, Oddone und Giovanni. Alle 1297 von Bonifatius VIII. exkommuniziert. 7 Das ist Petrarcas früherer Herr, gestorben am 3. Juli 1348; sein Tod veranlasste das vorliegende Schreiben. 8 Petrarcas besonderer Freund Giacomo, Bischof von Lombez, gestorben 1341. 9 Bischof Agapito von Luni, gestorben 1344; dessen Nachfolger im Amt: Bischof Giordano, und weiter Lorenzo.
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10 Stefano der Jüngere, römischer Senator, gefallen im Kampf gegen Cola di Rienzo, 20. November 1347, und Enrico. 11 Von Agnese, der Gattin des Orso dell’ Anguillara, und von Giovanna spricht Petrarca in Fam. 2,15 mit fast gleichen Worten. Von einer vierten Tochter kennt man den Namen Margherita, eine weitere hiess wiederum Agnese. 12 Wie sein Vater war er gefallen im Kampf gegen Cola di Rienzo. 13 Gemeint ist ein Enkel des Kaisers Augustus. 14 Marcus Claudius Marcellus, berühmt durch die Schlacht von Cannae 216. 15 Der Gesetzgeber Solon wurde in der Sage mit dem reichen König der Lyder Kroisos in Verbindung gebracht; vgl. Cic. De fin. 2,27,87; 3,22,76. 16 Aen. 5,848 – 849. 17 Palinurus. 18 Aen. 11,159. 19 Gattin von Evandros, einer Sagengestalt, die Vergil in die Aeneis aufnahm; vgl. z. B. Aen. Buch 8 und 10. 20 Priamos: greiser König der Troer; die meisten seiner Nachkommen fielen im Troischen Krieg. 21 Vgl. die an den Kardinal Colonna gerichteten Briefe Fam.4,12 und 7,13. 22 Das wird vom Perserkönig Artaxerxes Memnon gesagt. 23 Davon weiss Iustinus, der Epitomator der Historiae Philippicae. Zur Stelle vgl. Iust. Epit. 39,5,6. 24 De sen. 5,13. 25 Im Jahr 1337. 26 Heute der „Corso“. 27 Wahrscheinlich ist Bischof Giacomo Colonna gemeint. 28 Suet. Dom. 14,3; Vesp. 25,1. 29 Vgl. oben Anm. 7 und Fam. 8,3,4 und 13. 30 Am. 20. November 1347 im Kampf gegen Cola di Rienzo; vgl. oben Anm. 10 und 12. 31 Vgl. Job, 1,21; Sap. 7,6; 1 Tim. 6,7 32 Zum Datum vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 61.
Fam. 8,2, an Olimpio (Luca Cristiani von Ferentino)1 Ein verfehltes Zusammentreffen. 1. Grosses Bedauern wegen des Missgeschicks. Hoffnung auf eine baldige Begegnung. 3. Wichtige Mitteilungen sollen später folgen. Am 5. Mai (Parma 1349).
1. Nichts ist durchaus erfreulich und angenehm, solange wir leben! Schon merke ich, wie ungeschickt ich geredet habe; es soll heissen: solange wir noch immer nicht leben. Denn haben wir einst zu leben begonnen,2 wird es nichts anderes geben als Angenehmstes und Erfreulichstes. Sieh nur, indem ich vergnügt wegreiste und heimkehrte,3 entging mir das sehnlichst erwünschte Zusammentreffen und Gespräch mit Dir und unserem besten Freund! Ich konnte kaum die Tränen zurückhalten, als ich heute nach Hause kam und erfuhr, dass Ihr beide im Verlangen, mich zu sehen, die Alpen überquert und alle rauhen Wege überwunden hattet, auch wirklich bei mir gewesen, schliesslich aber, unverrichteter Ding und gleichsam um eine grosse Hoffnung betrogen, niedergeschlagen weggegangen wart. 2. Das erfuhr ich ja sowohl durch die Mitteilungen meiner Diener wie auch durch Euer Schreiben, das Ihr zwischen meinen Büchern als Unterpfand Eurer ausnehmenden Liebe und als Beleg für Euer kurzes Verweilen und Wiederkehren hinterlassen habt. Doch weil es sich für einen verständigen Mann gehört, schwer Erträgliches nach der besseren Seite zu deuten, wollen wir annehmen, verfügt habe das der Himmel und er habe damit verhindert, dass bei Eurer erwünschten Begegnung die feurige Liebe zu Eurem Freund erkaltet wäre. Jetzt nämlich wird sie, wie ich annehme, durch die Enttäuschung so geschürt, dass uns vielleicht zum Ersatz für eine uns entzogene Freude von bloss wenigen Tagen eine Heiterkeit auf lange Jahre hinaus beschert wird. 3. Darüber wird allerdings jene Macht entscheiden, an deren diamantener Härte die schwache Spitze menschlicher Pläne sich oftmals abstumpft. Gewiss, das male ich mir so aus, denke so und hoffe so, und in dieser Hoffnung finde ich mitten unter vielen drückenden Sorgen meine Ruhe. Was ich mir überlege und was ich Dir davon mitteilen und was ich Dir raten möchte, muss ich wegen der Wichtigkeit der Sache und wegen der Eile des Boten, auf einen anderen Tag verschieben.4 Lebe wohl! Am 5. Mai (Parma 1349).5
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Fam. 8,2
Anmerkungen 1 Der Adressat war Vorsteher der Kirche Sant‘ Agostino in Piacenza; er war mit Petrarca seit der Studienzeit in Bologna bekannt und stand mit ihm zusammen im Dienst des Kardinals Colonna. Dieser Brief und die drei Fam. 8,3 – 8,5 machten zuerst offenbar ein einziges Schreiben aus. Es wurde aufgeteilt, und das letzte, nämlich Fam. 8,5, erhielt das Datum vom 19. Mai; zu ergänzen ist 1349. Alle sind unter den Nachwirkungen der vergangenen Pest geschrieben worden. 2 Das heisst: im Himmel. 3 Möglicherweise spricht Petrarca von seiner Reise nach Padua, wo er um jene Zeit ein Kanonikat in Besitz nahm. 4 Vgl. Fam. 8,3 – 5; 9,12. 5 Zur Datierung vgl. Dottis erste Anm. zu Fam. 8,2 und Wilkins, Petr. Corresp. 62.
Fam. 8,3, an Olimpio (Luca Cristiani)1 Ein Plan, mit den von der Pest verschonten Freunden ein gemeinsames Leben zu führen.2 1. Petrarca verteilt sein Konzept notgedrungen auf verschiedene Briefe. 3. Eine Rückkehr in die Provence nach Vaucluse wirft Fragen auf. 4. Der Ort hat wegen des Verlustes vieler in Avignon lebender Freunde viel an Reiz verloren. 6. Er wäre für ein Gemeinschaftsleben der Freunde nur beschränkt geeignet. 8. Für das Lebensnotwendige könnte dort nicht genügend gesorgt werden. 9. Das Tal verdankt seinen Ruhm vor allem dem Dichter. 11. Er erinnert sich an die dort begonnenen Werke (Africa und andere). 13. Er deutet auf die im Tal erlittenen Nöte hin. 15. Wichtig ist jetzt, neue Aufgaben zu übernehmen. 17. Die Abkehr von Vaucluse und die endgültige Hinwendung zu Italien ist für den Dichter beschlossene Sache. Am 18. Mai (Parma 1349).
1. Ich habe ängstlich zugewartet, weil mir immer entweder ein geduldiger Bote oder ein Tag der Musse gefehlt hat. Daher lege ich nun das für einen einzigen Brief Entworfene in Stücke auseinander. Das entspricht freilich gar nicht meinem Sinn. Ich weiss ja, wie stark die Wirkung einer zusammenhängenden Rede ist. Jener grösste der östlichen Ströme,3 den man in viele Betten zerteilt hat, lässt erkennen, wie man ihn schiffbar, aber zugleich auch verächtlich gemacht hat. 2. Doch gehorchen wir den Umständen! Genehm sei das Erlaubte, wenn das Genehme nicht erlaubt ist. Und weil dieser Bote nicht genügend auf seine Zuverlässigkeit erprobt ist, will ich jetzt einzig jenen Abschnitt Deines Briefes behandeln, in welchem Du davon abrätst, an die Quelle der Sorgue zurückzukehren. Von Deiner Befürchtung will ich Dich befreien; Du scheinst mir ja dieser Sache wegen nicht wenig besorgt zu sein, und dies mit gutem Grund. Denn wirklich hatte ich unseren Sokrates4 mit seinen mehrmaligen Rufen, dorthin zu kommen, unmöglich überhören können. 3. Endlich besiegt durch seine Bitten, hatte ich versprochen, ihm dahin zu folgen, wohin es ihm gefalle. Dies unter der Bedingung, dass Verhandlungen stattfänden, dank denen sich für einen Aufenthalt daselbst ein würdiger Zustand und ausserdem das Lebensnotwendige herbeiführen liessen (ich meine für das Leben von Gefährten und für eine Vielzahl von Personen, die mich dort zu besuchen pflegen; denn mein eigenes ist, so fürchte ich, nicht bloss mit Notwendigem, sondern auch mit Überflüssigem ausgestattet); ich bin ja nicht in Unkenntnis dieser und jener Schwierigkeiten. Dabei berücksichtigte ich, dass unser grosser Meister5 und Ihr alle, die der Tod mir übrig gelassen hat, noch immer dort in der Nähe wäret, und somit wurde ich gleichsam an den zähen Haken Eurer Liebe dahin zurückgezogen. 4. Nun aber ist alles anders geworden: die Freundesschar ist auseinander gegangen und unser Lenker ist dahingegangen.6 Und mein Sokrates, der als einziger dort7 verblieben ist und für sich allein über mich alles vermag, der überdies dank eingewurzelter Gewohnheit weiterhin dort bleiben und alle die Seinen wie insbesondere auch mich um sich versammeln möchte, würde dennoch niemals wagen,
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Fam. 8,3
uns nach dem Verlust all unserer Hoffnung in Gegenden zu locken, wo wir insgesamt als Ausländer und Fremdlinge zu leben genötigt wären. 5. Auch wäre es für uns sterbliche Menschen, die ihr hinfälliges Körperlein noch mit sich schleppen, keine Kleinigkeit zu sagen, was die seligen Geister, vom Körper befreit, bei Vergil von sich erklären:8 „Keinen beherbergt ein Haus; wir wohnen in schattigen Hainen; Lager zum Ruhen am Strand und Matten, von Bächlein gekräftigt, Sind unser Heim …“ 6. Würde uns solches genügen, könnte Vaucluse, wo die Sorgue entspringt, in der Tat uns allen die schimmernden Bächlein, Laubdächer und grünenden Lager in reichlicher Zahl gewähren. Doch etwas mehr verlangt unsere Natur. Dass Philosophen und Dichter hart seien wie Stein, ist eine Meinung des Volkes, das sich darin aber täuscht wie in vielem. Von Fleisch sind auch sie; denn selbst die von Sinnenlust befreiten bleiben dem Menschlichen verhaftet, und auch für das philosophische und dichterische Bedürfnis besteht ein gewisses Mass, das zu überschreiten bedenklich ist. 7. „Die Natur“, so sagt Aristoteles,9 „genügt für sich allein nicht zum Spekulieren, vielmehr muss auch der Körper gesund und müssen auch Speise und das Übrige zum Unterhalt vorhanden sein“: „… vor Pieros’ Höhle zu singen Oder dem Thyrsos zu nahn,10 verbietet die bittere Armut; Immerfort bleibt Dir die Not an allem, wessen der Körper Täglich bedarf“, so sagt der Satiriker,11 und bei den Kennern dieses philosophischen wie poetischen Lehrsatzes herrscht grosse und stete Übereinstimmung hinsichtlich des Inhalts, bei freilich grosser Vielfalt im Ausdruck. 8. Vaucluse also, um den Faden wieder aufzunehmen, würde für eine gewisse kurze Frist denen, die der städtischen Vergnügungen müde sind, wie früher so auch jetzt eine nicht unangenehme Erholung anbieten. Doch würde das Tal auf Dauer das Notwendige weder versprechen noch gewähren. Dabei müssen wir vernünftig sein und nicht bloss in die Ferne, sondern sogar bis ans Ende vorausschauen, um dem Vorwurf zu entgehen, den Seneca der Menschheit gemacht hat. Er sagte,12 dass zwar jedermann einen Teil seiner Lebenszeit bedenkt, aber keiner die ganze. In der Tat, so ist es; und der Grund, weshalb wir unsere Entscheidungen überstürzen, liegt darin, dass wir unter so mancherlei Beschäftigungen übersehen – es ist zum Weinen wie zum Lachen –, wohin wir unser schlingerndes Lebensschiff steuern. 9. Vaucluse also ist gewiss besonders im Sommer ein beliebter Ort, und wenn je einem Menschen diese Einsiedelei teuer war, so ist sie mir das erst recht, wie mein zehnjähriger Aufenthalt eben dort beweist. Wenn mir vor Dir, das heisst: vor mei-
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nem anderen Ich, ohne Überheblichkeit ein Selbstlob erlaubt ist, frage ich: Was war denn, abgesehen vom Frieden der Berge, der Quelle und der Wälder, was war diesem Ort bis auf heute (ich sage nicht an recht Rühmlichem, aber) an recht Beachtlichem beschieden ausser diesem meinem Aufenthalt? Ich würde die Vermutung wagen, er sei nicht minder wegen meines Namens als wegen seiner, freilich wunderbaren, Quelle bekannt! 10. Das aber sei hier festgehalten; denn niemand möge sich fragen, ob ich das ländliche Anwesen dort heute sogar geringschätze, welches mir und meinen Verrichtungen doch immer aufs beste entsprochen hat, so oft ich die städtischen Sorgen gegen die ländliche Ruhe vertauschte! Nicht allein mit meiner Vorliebe, sondern auch mit bäurischem Mauerwerk und mit hoffentlich noch dauerhafterem Baustoff, nämlich in Wort und Dichtung, war ich nach Kräften bemüht, es auszuzeichnen.13 11. Dort habe ich – es ist mir lieb, mich zu erinnern – meine Afrika14 begonnen, und dies mit solcher Schwungkraft und so grossem geistigem Einsatz, dass ich nun, indem ich meine Feile an die Entwürfe heranführe, mich vor der eigenen Kühnheit und vor der mächtigen Anlage dieses Werkes gleichsam entsetze. Dort habe ich auch einen nicht geringen Teil der Briefe in beiden Schreibgattungen15 und beinah das ganze Hirtengedicht16 abgefasst, und wüsstest Du, in wie wenigen Tagen, Du würdest staunen. 12. Kein anderer Ort hat grössere Musse gespendet und feurigeren Anreiz. Die berühmten Männer aller Länder und Zeiten in ein einziges Werk zu versammeln,17 hat mich eben jene Einsamkeit ermutigt. Das Einsiedlerleben und die fromme Beschaulichkeit18 habe ich dort je für sich in einzelnen Bänden kurz zu behandeln und zu loben begonnen. Schliesslich bin ich seit den Jünglingsjahren immer wieder dorthin wie zu einer sichersten Feste geflohen, hoffend, ich könnte die jugendlich hitzige Leidenschaft, die mich – wie Du weisst – viele Jahre lang versengt hat, an diesen Schattenplätzlein mildern. 13. Doch ach, wie unvorsichtig war ich! Gerade das Heilmittel wurde mir zum Verhängnis! Denn die Nöte, die ich mitgebracht hatte, verursachten einen Brand, und weil in dieser grossen Einsamkeit niemand zur Brandstätte herbeilief, verzehrte ich mich nur um so verzweifelter. Indem aber die Flamme meines Herzens aus meinem Mund hervorbrach, erfüllte sie mit kläglichem oder – wie gewisse Leute sagen – mit zärtlichem Flüstern Täler und Lüfte: das waren die unter jugendlichen Qualen entstandenen volkssprachlichen Lieder,19 derer ich mich heute reuevoll schäme. Freilich sind sie, wie wir sehen, den am gleichen Übel Erkrankten höchst willkommen. 14. Wozu viele Worte? Wollte ich das anderwärts Verfasste mit dem eben dort Geschriebenen vergleichen, würde, wie ich meine, jene Gegend alle Gegenden übertreffen. Daher ist mir jener Wohnsitz der liebste und wird es mein Leben lang bleiben, nämlich dank der Erinnerung an die jugendlichen Anstrengungen, an deren Erzeugnissen ich bis zum heutigen Lebensalter weiterwirke.
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15. Nun aber hat, wenn wir uns nicht täuschen, ein Mann anderes zu leisten als ein Jüngling. Ich selber habe in jener Frühzeit nur auf das Erwähnte geachtet und auf nichts anderes, es sei denn im Vorbeigehen. Oder wenn ich etwas anderes beachtete, so widerstand einer richtigen Beurteilung der Sache meine blinde Liebe, widerstand ihr auch die Schwäche des Lebensalters und der Mangel an Einsicht, widerstand schliesslich auch die Verehrung für unseren Herrn und Meister.20 Denn ihm zu unterstehen, haben wir höher geschätzt als die Freiheit oder – besser gesagt: – ohne ihn war weder unsere Freiheit noch unsere Lebensfreude vollkommen. 16. Jetzt aber haben wir auch ihn und alles, was uns an Seligkeit geblieben war, gleichsam in einem einzigen Schiffbruch verloren, und was sich ohne Seufzen nicht sagen lässt: Mein einstmals herrlich grünender Lorbeer 21 ist im plötzlichen Sturmwind verdorrt. Dabei war er es, der bewirkte, dass nicht bloss die Sorgue, sondern auch die Durance mir teurer waren als der Tessin. 17. Aber der Schleier, der meine Augen verhüllte, wurde mir weggezogen, da ich begreifen sollte, welch ein Unterschied zwischen dort und hier bestehe, nämlich zwischen Vaucluse im Venaissin und den offenen Tälern Italiens mit ihren herrlichsten Hügeln und den heitersten, blühendsten Städten, auch zwischen dem einzigen Fluss und Quell der Sorgue eben dort und den zahlreichen lichtklaren Quellen, den vielen schweifenden Strömen, fischreichen Seen und den zwei hochberühmten Meeren hier, die Italien in wohlgestalteten Windungen und Krümmungen beidseitig umgürten. Um von anderen ganz hervorragenden Gaben der Natur eben hier und vor allem auch von den Talenten und Sitten der Menschen zu schweigen! Von ihnen kann hier nicht die Rede sein. 18. Und dennoch, sieh, wie sehr gerade die ersten Eindrücke im Herzen verankert bleiben und wie eine längere Gewohnheit in jeder Hinsicht vieles zustande bringt! Um Dir nach dem Gesetz vollkommener Freundschaft alles Wogen meines Herzens offen vorzulegen, sage ich: Es bleibt mir ein Gefühl, das in dieser Sache der Vernunft widerstreitet. Und ich gestehe, dass ich jetzt, indem ich jenem Tal schlechterdings alle Treue aufkündige, Sehnsucht nach ihm empfinde. Gegen meinen Willen ist da eine sonderbare Liebe zu jenem Ort, die an mir herumzupft. Doch viel zu weit habe ich ausgeholt, und durch ein Murren des wartenden Boten werde ich gemahnt zu sagen: Lebewohl! Am 18. Mai (Parma 1349).22
Anmerkungen 1 Das Schreiben Petrarcas, das vom 18. Mai (Parma 1349) datiert, wurde wohl kurz nach dem Aufhören der Pest verfasst; vgl. Fam. 8,2. In Parma hatte der Dichter fast das ganz Jahr 1348 verbracht. Am 23. August dieses Jahres hatte Clemens VI. ihn, den Kleriker niederen Grades, zum Archidiakon der Kathedrale ernannt.
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2 Vom gleichen Plan sprechen die folgenden Briefe und weiter hinten auch Fam. 9,2 und 9,14. 3 Der Ganges ist gemeint. 4 Ludwig van Kempen in Avignon. Später, nach dem Verlust anderer Freunde hielt Petrarca wenigstens eine Zweisamkeit mit ihm noch für möglich; vgl. Fam. 9,2,11 ff. 5 Kardinal Colonna. 6 Kardinal Colonna starb am 3. Juli 1348. 7 Gemeint ist Avignon. 8 Aen. 6,673 – 675. 9 Eth. Nic. 1178 b, 34 – 35. 10 Pieros war Stammvater in Makedonien, er soll die Musen zum Helikon zurückgeführt haben. Der Thyrsus war ein mit Weinlaub umwundener Stab; ihn trugen z. B. die Teilnehmer der Dionysosfeiern. 11 Iuv. Sat. 7,59 – 62. 12 Ad. Lucil. 71,2. 13 Petrarca hielt sich in Vaucluse spätestens von Ende 1337 bis Anfang 1341auf, für kurze Zeit auch 1342,1343, dann von Ende 1345 bis Ende 1347; später vom Sommer 1351-Mai 1353, wechselnd mit Avignon. 14 Das Epos mit dem Helden Scipio. 15 Die Rede ist von den Familiaren und metrischen Briefen. 16 Das Bucolicum carmen bestand noch nicht in allen 12 Teilen. 17 Über berühmte Männer: De viris illustribus. 18 Gemeint sind De otio religioso und De vita solitaria; an beiden Werken arbeitete Petrarca noch jahrelang. 19 Das sind die frühen Lieder im berühmten Liederbuch Canzoniere oder Rime. 20 Wiederum Kardinal Colonna. 21 Im Lateinischen heisst es laurus mea. Damit kann Petrarca beides gemeint haben, den Lorbeer wie Laura. Diese war wie der Kardinal Colonna an der Pest gestorben. 22 Zur Datierung vgl. das Todesdatum des Kardinals Colonna in Anm. 6; auch Wilkins, Petr. Corresp. 62.
Fam. 8,4, an Olimpio (Luca Cristiani)1 Fortsetzung des vorangehenden Briefes. 1. Petrarca schickt dem Freund als Boten seinen Koch. 3. Bekenntnis zum einfachen Leben. 9. Aufruf, gute Pläne auszuführen. 14. Das Alter und das Lebensende sind nah. 15. Ein Wort von Aristoteles wird berichtigt. 20. Gedanken an die verstorbenen Freunde weisen den Weg in die Zukunft. 24. Bindungen sind gelöst worden; die Unabhängigen sollten sich jetzt vereinen. 26. Die Ortswahl wird den Freunden überlassen. 27. Furcht vor Mangel ist unnötig. 28. Rücksicht auf Erben soll niemanden binden. 29. Falsche Hoffnung muss man beschneiden. 32. Petrarca stellt sein Haus in Parma zur Verfügung. (1349)
1. Alle Liebe widersetzt sich einem Aufschub und verlangt nach Beschleunigung. Auch ist keine Raschheit so gross, dass sie dem Liebenden nicht wie Langsamkeit vorkäme. Vieles habe ich Dir gestern geschrieben, aber da vieles zu sagen noch übrig blieb und mein Herz darauf brannte, sich zu erleichtern (während doch zufälligerweise kein Bote mehr da war), habe ich mich an meine Diener gewandt. Und im Begriff, eines jeden Dienstleistung gesondert abzuwägen, ist mir (schau, wie sehr ich dem Bauch ergeben bin!) als erster von allen der Koch eingefallen. Ihn zu entbehren, wird mir nicht unlieb, nein vielmehr sehr lieb sein. 2. Ein Koch, sage ich, galt ja einst bei unseren Vorfahren2 – wie Dir bekannt ist – als der verächtlichste der Sklaven; und erst nach unserem Sieg3 über Asien begann er allmählich an Wert zu gewinnen. Aber hätten wir doch Asien nie mit Waffen überwunden! Dann hätte es uns nicht überwunden mit seinen Leckerbissen! 3. Doch nun zu unserer Sache! Mein Koch soll mir jetzt Laufbursche, mein Verwalter aber Koch sein! Du weisst, dass eine bäurische Haushaltung sowie ländliche Speisen mir lieb sind und dass ich in diesem einen Punkt, nämlich in der Vorliebe für das einfache Leben, sogar mit Epikur übereinstimme. Ihm galten sein Gärtlein und Gartengewächs als der Inbegriff der ganzen, vom ihm gelobten Seligkeit.4 Häufig also wünsche ich mir Glück zu meinem ländlichen Alltag, der mir eben das zum dauerhaft Üblichen gemacht hat, was er den verwöhnten und vornehmen Leuten als eine Seltenheit rein zur Abwechslung bietet. 4. Wer wäre denn so ärgerlich anspruchsvoll, dass ihn nicht wenigstens einmal im Jahr erfreute, auf einer üppig grünenden Anhöhe und unter freiem Himmel oder in der Hütte eines ihm nahe stehenden Hirten zu lagern, obwohl es da keine Zimmerdecken mit goldverzierten Balken, keine mit schwerem Silberzeug befrachteten Tafeln, keine mit purpurnen Vorhängen bekleidete Marmorwände gibt! 5. Wer hätte einen so prunkenden Durst, dass er jeden Becher ablehnte, der nicht eine Schale aus Edelstein wäre oder ein Gefäss mit Löwen, die sich vor goldenem Hain bekämpfen, verfertigt von Polykleitos? Oder wer hätte einen so anspruchsvollen Hunger, dass er sich nicht bisweilen zu einem ländlichen Gastmahl herabliesse,
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selbst wenn da die seltenen Vögel aus Kolchis ebenso fehlten wie der an unbekannten Küsten aufgestöberte Buttfisch oder der zwischen zwei Brücken geangelte Tiberwolf, dem nach Auffassung unserer Vorfahren unter allen Fischen die Palme gebührte?5 6. Eben das, was die Übersättigten ab und zu nur darum anrühren, weil die Seltenheit ihren Reiz hat, ist mir dank einer Gabe der Natur zu jeder Zeit willkommen. Und würde mir vielleicht hin und wieder die Abwechslung belieben, so wäre trotzdem die immer gleiche Lebensart die mir entsprechende. Das Vornehmere weise ich freilich nicht von mir, sofern es sehr selten und nur in grossen Abständen auftritt. 7. Und denke nur ja nicht, dass ich von ungefähr daherrede, während ich etwas völlig anderes zu sagen gedächte, sondern nimm das Gesagte ernst, denn Du sollst nicht in der Meinung, mir Unannehmlichkeiten zu ersparen, den Koch sogleich zurückschicken, noch bevor Ihr 6 über das Wesentliche unserer Angelegenheit, um die es sich jetzt handelt, einen klaren Entscheid getroffen habt. Deswegen spitzt jetzt gefälligst die Ohren, und nehmt nicht eine ablehnende Haltung an! 8. Was ich nämlich zu einem von Euch sage, sei allen gesagt! Ich wünschte, dass von diesem Brief womöglich unter sämtlichen Freunden gesprochen werde und dass er, sofern ein Bote von Euch in den Westen reist, namentlich auch unseren Sokrates7 erreiche, damit allen meine vernünftigen oder auch unvernünftigen Pläne bekannt werden. Manche Reden können glänzender sein, aber nicht manche, so meine ich, nützlicher. Doch hierüber sollt Ihr selber entscheiden; ich jedenfalls fahre fort. 9. Wirklich, entweder habe ich noch gar nichts begriffen oder dann immerhin so viel, dass wir entweder bereits Männer sind oder es in alle Zukunft nicht werden. Niemand soll uns schmeicheln und niemand uns mit einer Anspielung auf unsere Jugend belügen! Wir sind noch nicht altersschwach, gewiss, doch wenn wir noch nicht Greise sind, so jedenfalls auch nicht mehr Kinder. Es ist Zeit, das Kindische abzulegen. Es ist Zeit, sage ich. Und wäre sie doch noch da und nicht schon vorüber! Aber glaube mir, sie ist vorbeigegangen und liegt zu einem grossen Teil in unserem Rücken. Dass allerdings noch etwas übrig geblieben ist, leugne ich nicht, und dass uns der Rest nicht in der gleichen alten Nachlässigkeit entgleite, müssen wir verhindern. Sonst geschieht uns das selbe, was beinah allen Leuten der grossen Menge. 10. Das würde bedeuten, dass wir rückblickend auf unsere Jugend und mit dem geistigen Auge bei dieser verweilend, in die Grube des Greisenalters fielen, da endlich liegen blieben und wie Genarrte über die Gebrechlichkeit unserer Natur und über die Kürze unserer Lebenszeit jammerten, dann zu spät unsere Klage mit der Autorität eines Theophrast bekräftigten8 und diesen schliesslich mit dem Widerspruch eines Cicero, Sallust und Seneca9 grossartig besiegten. 11. Nein, besser ist, wir werfen uns sogleich auf diesen Lebensrest, ob er auch gering sei, und verwenden ihn zu unserem Nutzen. Dann handeln wir gemäss einem Wort Senecas, das vor ihm schon Cicero geäussert hat.10 Das heisst: Wir tun wie jene, die zu spät am Tag
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ausreiten und das Versäumte durch Schnelligkeit aufholen, indem sie „die Sporen geben“. Hierdurch können wir richtige Meinungen und das uns bisher fliehende selige Leben just da, wo der Weg endet, noch erwischen. Niemals geschieht zu spät, was nutzbringend geschieht. 12. Denn selbst wenn der Aufschub Tadel verdient, ist das Aufholen lobenswert. Und gewiss kann das Gute niemals unzeitig sein, denn dann wäre es gar nicht gut. Rechtzeitigkeit fehlt der Reue (gemäss unserem Glauben) den Verstorbenen, denen sie zu nichts anderem als zur Steigerung des Jammers dient,11 während im Gegenteil die Reue sogar der Greise nicht unnütz ist. 13. Wir wollen uns also nicht schämen, wenigstens jetzt zu beginnen, was wir viel früher hätten tun sollen. Hingegen müssten wir uns schämen, wenn wir nicht einmal jetzt damit begännen. Denn bei sich ändernder Haarfarbe ist es schäbig, sich ändernde Einsichten nicht zu bekräftigen. Machen wir uns also endlich daran, und überlegen wir scharf, in welchem Zustand wir uns befinden und nicht nur wir selber, sondern alle Sterblichen insgemein. 14. Was ist denn das Leben ausser ein kleiner Hauch und ein dünnes Räuchlein? Jeder fühlt bei sich, in welch fauligem und hinfälligem Körper er wohnt; doch infolge eines schon verbreiteten Irrtums machen wir uns etwas anderes vor. Und trotz dem Bewusstsein unserer Schwäche bilden wir uns leidenschaftlich ein, dass die Lebensdauer fast so lang sei wie die Ewigkeit. So ist es! Niemand glaubt, dass er sterben werde; nein, richtiger: niemand ist, der nicht wüsste, dass er sterblich ist, aber jeder verlegt seinen Todestag, der vielleicht der heutige ist, in weite Fernen. Und da wir seine Anwesenheit ungemein fürchten, vertrauen wir ungemein auf seine Abwesenheit, obwohl sein Fernsein zweifelhafter ist als alles und nichts so unvermittelt da steht. 15. Es täuscht uns Arme ein Wort des Aristoteles;12 er nämlich hat gesagt: „Was weit entfernt ist, fürchtet man nicht. Zwar wissen alle, dass sie sterben, doch weil es nicht bald geschieht, sind sie unbesorgt.“ So äussert sich der grosse Gelehrte in seiner „Rhetorik“. Ich jedoch gebe zu, dass die Menschen um den Tod nicht besorgt sind, und leugne auch nicht den genannten Grund für die Sorglosigkeit, dagegen betone ich, eben diese Begründung sei falsch. Denn was ist irriger, als den Tod weit in der Ferne zu denken, wo doch die Kürze unseres Lebens verhindert, dass er fern sei? Dass er ständig droht und über unseren Häuptern schwebt, das bewirken die sonderbare Gewalt menschlicher Zwischenfälle, ihr unvermeidbares Eintreffen und ihre unendliche Verschiedenheit.16. Gewiss, die Menschen sind unbesorgt um den Tod, doch nicht deshalb, weil er fern wäre, sondern weil er fern gedacht wird. Wenn sie nämlich wüssten, wie nah er ist – was sie erkennen müssten, wann immer sie die Augen nicht wegkehrten –, sie würden, glaube ich, entweder anfangen, den Tod zu fürchten oder sie würden sich mit guten Sitten wappnen, wodurch sie sich befähigten, ihn als den Anfang eines besseren Lebens13 nicht mehr zu fürchten. Wo aber wirst Du mir einen finden, der nicht die Tapferkeit wegwirft und an ihrer statt
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die Hoffnung auf lange Lebensdauer an sich reisst? Und diese Hoffnung, würde sie nicht täuschen und würde das Leben lange währen, könnte doch nur kurz sein; und spätestens am Lebensende müsste die Lebenshoffnung, ob zwar vernünftig und aufrichtig, dennoch betrügen. Und wo, sage ich, wirst Du mir einen finden, der nicht hoffte, die Gleichaltrigen zu überleben? 17. So nämlich ordnen wir unsere Gedanken und Taten, als würde niemand unser Erbe, wir aber der Erbe aller sein. Dabei hat unser Erbgut gewiss seine fremden Anwärter, während kein Zweifel besteht, dass entweder wir oder die anderen sich täuschen. Entziehen wir uns diesem Narrenspiel! Und wenn nicht die Vernunft uns dazu bringt, so bringe uns die Menge der Beispiele dahin, da sie sogar ablehnenden Augen von überall her sich aufdrängen und entweder als abgewiesene oder als geduldete in unserem Herzen sich festsetzen. Von da sind sie nicht leicht zu entfernen, es sei denn teils durch charakterlose Geringschätzung oder teils durch todbringendes Vergessen. 18. Wollt Ihr gerne wissen, wer wir sind und wohin wir gehen? Welcher Ausgang uns Zögernde und Zaudernde erwartet? Lasst uns auf andere schauen! Luchsaugen benötigen wir nicht, auch nicht die Sehschärfe jenes Mannes, der von seiner lilybäischen Warte aus die punischen Schiffe, die aus dem Hafen Karthagos ausliefen, zu zählen gewohnt war.14 Bloss das Nächstliegende heisse ich Euch ansehen, die benachbarten Türen, die angrenzenden Häuser, die Städte, die wir selber bewohnen. Noch allzusehr schweife ich aus. Dem eigenen Herd und der eigenen Schwelle wollen wir uns zukehren, denn auch so werden wir erkennen, wie plötzlich, gleich einem Traum oder Schatten, aus unseren Augen entschwunden ist, was immer wir auf Erden an besonders Teurem besassen. 19. Freunde, die für unser Leben in den Tod zu gehen bereit waren, wann immer die Umstände es zu fordern schienen, haben durch ihren Tod unser Leben verdüstert und einsam gemacht. Sie haben uns hier aber nicht auf ewig zurückgelassen, sie sind nur in Eile an jenen andern Ort voraus gegangen und haben ihr Los zur rechten Zeit genutzt. Nützen auch wir das unsere! Denn wie Flaccus sagt:15 „Uns alle zwingt man hin an den gleichen Ort, Wo aller Menschen Los aus der Urne fällt, Ob früh, ob spät.“ 20. Das Los jener anderen fiel früher heraus, das unsere wird später herausfallen, doch bald genug. Wie wenig tut es zur Sache, ob man als Greis oder als Jüngling verscheidet! Achte auf das Lebensende, das im letzten und allen gemeinsamen Greisenalter besteht! Dann ist wahr: Jeder stirbt als Greis. Bedenke die Frist des Lebens: Jeder stirbt als Jüngling. Halte Dich an die Meinungen der Menge: Jeder stirbt als Kind. Doch darüber gehe ich hinweg. So vieles fällt mir ein, dass ich mein Vorhaben kaum auszuführen vermöchte.
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21. Übrigens verdriesst mich und hindert mich der Jammer, in Zahlen zusammenzuschliessen, was dieses bedrückende und seuchenbringende Jahr, das aus der ganzen Reihe der Jahrhunderte auszumerzen wäre,16 an innigsten Bindungen und Pfanden der Liebe uns hier entrissen hat. 22. Nur wenige, wahrhaftig, seid Ihr aus der ganzen Menschenschar, nur wenige, die mir noch übrig geblieben sind und mit denen zu leben und zu sterben ich gewählt habe! Nicht als wollte ich viele andere von einer Gemeinschaft mit uns ausschliessen; nein, es sind Heirat oder Pflichten, hohes Alter oder verschiedenartige schwierige Umstände, die manchen von uns fernhalten und uns zwingen, sie bloss aus der Ferne zu lieben. Auch ist jetzt nicht von Höhergestellten die Rede; denn mit ihnen kommt es vielleicht zu gegenseitigem Wohlwollen aber nicht zu tagtäglichem Umgang. Dem einträchtigen Zusammenleben mit ihnen widersetzt sich der Unterschied an Rang und Vermögen oder ein die Freundschaft zersetzender Adelsstolz, weil sie in der Furcht, herabgewürdigt zu werden, Unterordnung und nicht Liebe verlangen. 23. Dagegen könnte uns wenige kaum etwas hindern, im inneren Frieden und im Studium der guten Künste gemeinsam den Rest unseres Lebens, wie kurz er auch sei, zu verbringen und dann – wie Seneca gesagt hat17 – „nach einem Leben auf wogender See endlich im Hafen zu sterben“. Oder sollten wir das, was wir einst im Gehorsam gegen unseren gemeinsamen Herrn getan haben,18 jetzt, da wir für uns selber leben, nicht wagen? Hat denn unsere Dienstwilligkeit einst mehr über uns vermocht, als jetzt die Liebe zur Freiheit vermöchte? Angenommen, jene Art von Dienst wäre uns lieber als jede Freiheit (wie die Zuneigung zum besten und trotz seinem Stand so gar nicht überheblichen Menschen es verlangte!), dennoch könnten die Abhängigkeit von einem anderen, der Gehorsam gegen einen anderen und das Leben für einen anderen doch immer nur ein Zeugnis für ehrenvolle Dienstbereitschaft, aber niemals ein Zeugnis für wahre Freiheit sein.19 24. Seht da, unsere Freiheit ist – zwar fast feindselig – gekommen! Und etwas früher, als wir hofften, gehören wir uns selber! Und ich meine, die Gesinnung eines jeden zu kennen – oder täusche ich mich? Die materiellen Hindernisse dagegen kenne ich vielleicht nicht alle, obwohl ich glaube, es sei mir nichts von Euch verborgen. Wir sind nicht Herren über Meer und Land, wie Aristoteles gesagt hat,20 und solches ist zum glücklichen Leben auch nicht nötig. Wir haben jedoch alles, was anspruchslosen Menschen und solchen, die sich dem Natürlichen anbequemen, genügen kann. Was wird sich, wenn jeder von uns genug hat, mit grösster Wahrscheinlichkeit für alle insgesamt ergeben, wenn einer dem andern die Hand reicht und, im Fall einer Not leidet, eine wechselseitige Unterstützung aushilft? Überfluss werden wir haben, glaube mir, und eher Neid als Mangel befürchten müssen. 25. Was also warten wir ab? Weshalb trennen uns Meer, Gebirge und Flüsse? Weshalb verbindet uns nicht endlich ein eines Haus, da uns längst die Einheit des Wollens verbunden hat? Der Grund liegt in unserer Abkehr von allem Neuen und
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Ungewohnten, und er liegt auch in unserem Wahn, töricht sei, eine viel versprechende Hoffnung aufzugeben und eine vorwärts lockende Fortuna zu überhören. Wo es doch weit alberner ist, unter Verzicht auf Gesichertes und Begründetes leeren Schatten zu vertrauen! Ich jedenfalls will nicht bloss vor meinem Gewissen, sondern auch mit diesem Schreiben bezeugen, dass ich alle Schuld auf Euch abwälze, wenn Ihr taub sein wollt gegenüber einem heilsamen Ratschlag. 26. Auf denn! Sind die Fesseln Eurer Verpflichtungen gelöst oder durchschnitten, so beeilt Euch! Man beschuldige mich nicht der Anmassung, weil ich zu ziehen scheine, nicht aber zu folgen, denn ich bin zu beidem gleichermassen bereit. Wenn sich irgendwo ein Ort findet, der sich für unsere Lebensweise besser eignet,21 komme ich unverzüglich dahin! Es entspricht nicht meiner Art, einen treuen Rat zu verachten. Unter den Sterblichen hat, so meine ich, keiner mehr Vertrauen und Achtung für seine Freunde als ich. Wenn Ihr aber meiner Behausung nach reiflicher Erwägung den Vorzug gebt, wie Euer Brief es bekundet, was hält Euch dann zurück? Hört nicht auf Begehrlichkeit! Sie ist niemals bereit zu sagen: Es genügt. Immer wird ihr irgend etwas fehlen. 27. Der Habsucht eignet die besondere und verhängnisvollste Eigenschaft, unersättlich zu sein. Und indem sie Fehlendes verspricht, verbietet sie den Gebrauch des Vorhandenen. Ihren Durst nach Habe wird man niemals durch das Begehren nach mehr, sondern nur durch ein Verlangen nach weniger stillen. Glaube nicht mir, sondern den Philosophen, welche diese Wahrheit als den Weg zu wahrem Reichtum bezeichnen.22 Was mich betrifft, so habe ich meinen Begierden ein Ziel gesetzt und mir zum Orakel das poetische Wort genommen:23 „Stets hat der Geizige Not …“, und, um nicht fortwährend bedürftig zu sein, habe ich getan, wie das Versende sagt: „… Ich setzte dem Wünschen ein Ende“. Und dieses Ende habe ich schon früher, als nämlich Fortunas Winde sich kehrten, gefunden. 28. Darum brauche ich nicht zu fürchten, dass ein Erbe mir einst Untüchtigkeit vorwerfe. Ich lebe für mich und nicht für ihn, und über meine Habe bin ich – zusammen mit meinen Freunden – unabhängiger Herr; ich verwalte nicht die Geschäfte dessen, der mir noch kaum bekannt ist. Wozu aber sollte ich mich für mich selber so ungemein plagen? Vorteilhaft ist es, kein Gepäck zu tragen, wenn man beschwerliche Wege geht. Was denken wir da noch immer an mörderische Bürden? Elegant hat Flaccus es ausgedrückt:24 „… kürze die Hoffnung ab, Welche Du lange gehegt.“
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Und damit Du nicht denkst, das werde von einem nur kleinen Teil des Lebens gesagt und nicht vom ganzen Leben, formuliert der Dichter an anderer Stelle:25 „Unsres Lebens Frist
hindert gewiss,
Hoffnung lang zu hegen.“
29. So ist es; er täuscht sich nicht, nein, nichts ist wahrer als das. Auch wenn wir die Enge dieses Lebens so gut als möglich, nämlich dank einer aufwendigen Einteilung in verschiedene Lebensabschnitte, auflockern und in beliebig viele Splitter zerteilen: Du musst diese alle dennoch in eine einzige Reihe zurückführen und die so sorgfältig von einander getrennten erneut zusammensetzen, vom ersten bis zum letzten. Und dann, wenn Du das lange Leben wie einen einzigen Tag im Geist erfasst hast, musst Du bekennen, die Summe dieses rasenden Zeitablaufes sei denkbar kurz bemessen. Davon ist, Du brauchst nur zurück und umher zu blicken, ein guter Teil schon vergangen. 30. Vereinigen wir uns also für das Ende des Weges, das zweifellos besonders hart sein wird! Werfen wir das Überflüssige ab, und halten wir einzig am Nötigen fest! Warum es vertagen? Warum es verschieben? Ein Tag folgt dem andern und ein Monat dem andern: „Also wälzet das Jahr sich herum auf den eigenen Spuren“, wie Maro sehr schön gesagt hat.26 Indem es endet, beginnt es neu, und nie hört es auf, um zu ruhen. Wo gäbe es ein Ziel für Erwartung und wo ein Ende? Schon entdecken wir graue Haare, diese Begleiter des Alters und Verkünder des Todes. Was warten wir noch lange ab? Dass die Augen vor Altersschwäche erblinden, die Knie zittern und die Rücken sich krümmen? 31. Und vor allem: Wo ist der Astrologe, der uns eine solche Lebenszeit verspräche? Gut; das möge Petosiris, das möge Nechepso oder von den unsern Nigidius,27 das möge schliesslich die Wahrheit persönlich tun! Und doch: Welch grosser Wahnsinn ist es, was im richtigen Zeitraum recht gemächlich getan werden kann, in die Enge abzudrängen, und dies, obwohl für die Zeit und das Leben das selbe gilt wie für den Wein und das Öl, dass nämlich zuunterst der Bodensatz lagert? Für solchen sich aufzubewahren, nachdem man das Obere verschmäht hat, ist lächerlich. 32. Der Wunsch der Reisenden zielt gewöhnlich darauf, schon vor der Nacht ein Gasthaus zu finden. Brechen wir daher auf, ich bitte Euch inständig, und machen wir uns nach vielen Reisestrapazen für jenes ewige Gasthaus zurecht! Dafür, meine Brüder, mir teurer als das Licht, biete ich Euch alles, was ich etwa an Hilfe und Rat besitze, alles, was von mir etwa an Freude oder Gunst zu erhoffen ist und was ich dank den Dingen, die man fälschlicherweise die meinen nennt (obwohl sie doch Fortuna gehören), an Unterstützung zu leisten vermag, endlich auch mich selber, was ich ohne Anmassung tun kann, und zudem meine lieben Bücher und meine Gärtlein und wenn da sonst noch etwas wäre.28 33. Es ist ja nicht wenig,
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was dieses karge und sterbliche Leben benötigt. Doch dass man es namentlich aufschreibe, verbietet der Anstand. Zum Schluss, um mein Wünschen und Bitten zu enden, sage ich: Es lehre uns der Tröstergeist,29 wenigstens darin übereinzustimmen, dass wir, solange wir noch atmen, die Ruhe suchen und, nachdem wir den ganzen Tag gestöhnt haben, aufatmen am Abend. Lebe wohl! (1349)30
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Briefe. 2 Als vilissimum … mancipium bezeichnet ihn Liv. 39, 6,9. 3 Gemeint ist die Unterwerfung Asiens durch die alten Römer. Als römische Provinz wurde das Gebiet 129 v. Chr. geordnet. 4 Vgl. Sen. Ad Lucil. 18,9 – 10; 21,10; Cic. Tusc. 5, 9,26; 32,89. 5 Macr. Saturn. 3,16,11. 6 Petrarca bezieht hier andere Freunde in die Anrede ein. 7 Ludwig van Kempen in Avignon. 8 Theophrastos, Schüler von Aristoteles, klagte die Natur an, weil sie gewissen Tieren ein längeres Leben gönne als den Menschen; vgl. Cic. Tusc. 3,28,69. 9 Cicero ebenda; Sall. Catil.1; Jug. 1; Sen. De brev. vitae 1 und oft. 10 Sen. Ad Lucil. 68,13; Cic. Ad Q. fr. 2,14,2. 11 Die Lehre stützt sich auf Bibelstellen wie z. B. Mt.5,22 und Jo. 9,4 und auf eine kirchliche Tradition. Der Sünder muss seine Schuld noch im Diesseits sühnen; hat er das nicht getan, wird er im Jenseits leidend in einem „Feuer“ geläutert, ohne noch selber zu seinem Guten wirken zu können; er ist auf die Fürbitte anderer, noch Lebender angewiesen, soll sein Leiden verkürzt werden. 12 Aristot. Rhetor. 1382 a 25 – 27. 13 Der Tod wäre dann das Tor zum Leben im Jenseits. 14 Von einem Vorgebirge Siziliens aus; vgl. Val. Max. 1,8, ext. 14; Plin. Nat. 7,21,85. 15 Carm. 2,3,25 – 27. 16 Das Pestjahr 1348/49. 17 Ad Lucil. 19,2. 18 Im Dienst des Kardinals Giovanni Colonna, in dem auch Luca Cristiani, Mainardo Accursio und Ludwig van Kempen (Sokrates) standen. 19 Petrarca hat über sein bedingungsloses Verlangen nach Unabhängigkeit nie deutlicher gesprochen als im Secretum 2,14,15 ff.; den Mangel daran nannte er als einen Grund für seine schwere Melancholie. 20 Eth. ad Nic. 1179 a 10. 21 Besser geeignet als Vaucluse. 22 Sen. Ad Lucil. 110,18. 23 Hor. Epist. 1,2,56. 24 Carm. 1,11,6 – 7. 25 Carm. 1,4,15. Der Vers steht auch Fam. 24,1,7 und im Secretum 2,5,4. An diesem Werk hat Petrarca damals gearbeitet. 26 Georg. 2,402
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27 Neben ägyptischen Astrologen nennt Petrarca zuletzt einen Lateiner. Zu diesem vgl. Cic. Tim. 1. 28 Petrarca denkt an sein Haus in Parma. Nicht nur hat er da selber eines gekauft, er darf auch, seit er Archidiakon an der Kathedrale ist (23.August 1348), nahe derselben eines bewohnen. 29 Der Heilige Geist der Dreifaltigkeit. 30 Zur Datierung vgl. die vorangehenden Briefe.
Fam. 8,5, an Olimpio (Luca Cristiani)1 Neue Darstellung des gemeinsamen Lebens. 1. Gründe für einen weiteren Brief. 2. Das Verlangen nach Glück erfordert den Trost durch Freunde. Beschreibung eines glücklichen Lebens. 4. Vorzüge des gemeinsamen Wohnens. 8. Hinweise auf die günstige Lage Parmas und Paduas und Aufzählung schöner Ausflugsorte in der Umgebung. 15. Neue Bitte, dem Aufruf zu folgen. Am 19. Mai (1349).
1. Schon hatte ich dem früheren Brief das Siegel aufgedrückt, als, sieh da, meinem noch unbefriedigten Geist eine gewisse köstliche Vorfreude auf die kommende Zeit, die ich im Gemüt und Denken vorausnehme, das ermüdete Schreibrohr zurückgab. Und weil der Bote sich noch verweilte, ermahnte sie mich, die Gelegenheit nicht zu verpassen, sondern die Gründe für eine Verzögerung noch genauer zu erforschen. Es freut mich ja, ein langes Gespräch zu führen, und es freut mich auch, die Sporen, die ich selber verspüre, Dir in die Seite zu drücken. 2. Setzen wir voraus:2 Wir alle trachten nach einem glücklichen Leben, nach diesem Ziel, das unter den Menschen bisher keine Sekte je aufgab, obwohl über die Wege, auf dem es gefunden wird, der menschliche Forscherdrang vielfach zu streiten pflegt! Und setzen wir voraus: Dieses Begehren nach Glück geht uns sogar nach dem Verlust des Glückes nicht verloren, und wir können es selbst dann nicht verlieren, wenn wir es verlieren wollten, falls wir könnten; und auch das Wollen nach ihm können wir nicht verlieren, selbst wir könnten, weil das Begehren nach Glück mit unserer Seele ganz untrennbar verbunden ist! Wissen wir nun überdies, dass das Glück hier auf Erden nicht ohne den Trost unserer Freunde vollkommen zu erreichen ist: was widersetzen wir uns länger diesem unserem Glück? Und warum hindert noch immer die Trägheit der Einzelnen das Glück unser aller? 3. Wir empfangen freilich – wie Seneca sagte3 – von den Freunden, die wir lieben, sogar dann, wenn sie uns fern sind, eine gewisse Freude, zwar eine bescheidene, flüchtige; ihr Anblick dagegen, ihre Gegenwart und das Zusammenleben mit ihnen bieten etwas von einem lebendigen Lustgefühl. Und eben dieses sollten wir uns, so bald wie möglich, verschaffen! Und wenn einige von den Philosophen nach einer unschicklichen Sinnenlust mehr als nach anderem begehrten,4 um diese als die Summe des Guten für sich zu wählen und sie zur Herrin allen menschlichen Handelns zu erklären, indem sie sogar die Tugenden ihr dienstbar machten, wer hätte dann ein so steinernes Herz, dass er sich nicht durch Verlockungen jener andern Lust fangen liesse, nämlich jener ehrenvollen, welche die Tugend mit ihrer Gefährtin, das ist die Freundschaft, vermitteln kann?5 4. Und wirklich, ich bitte, welches Leben wäre seliger und heiterer als eines im Umgang mit Freunden, mit denen uns vollkommene Liebe und gegenseitige Ach-
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tung zu einer Einheit verbänden, und zwar mit einem gleichsam unauflösbaren Knoten und in inniger Übereinstimmung in allen Dingen, so dass unter uns keine Unstimmigkeit, keine Verstellung, sondern Einmütigkeit der Gesinnungen, heitere Mienen, aufrichtige und ungekünstelte Rede und unverborgene Meinungen herrschten? 5. Würde uns dieses Leben zuteil, wollte ich nichts anderes wünschen. Und träfe ich irgendwo einen Geldverleiher oder einen mit fremder Habe auftrumpfenden Erbschleicher, könnte er mir keinen Neid erregen. Denn er wäre nach meiner Einschätzung höchst bedauernswert, wie ja der Satiriker gesagt hat:6 „Nehm’ er Besitz von Gold im Mass, als es Nero geraubt hat, Häuf ’ er es auf, von keinem geliebt und niemanden liebend.“ 6. Sind wir aber an einem Ort zusammengekommen, was verbietet uns dann, der Zukunft froh zu sein? Wenn Euch mein kleines Haus,7 wie es scheint, genehm ist, so habt Ihr dafür guten Grund. Denn obwohl es nicht dem eines Königs Latinus bei Vergil entspricht,8 „Prächtig und ungemein gross und von hundert Säulen getragen,“ so ist es doch zweifellos heiter, einsam, gesund und für eine so kleine Zahl einträchtiger Gäste durchaus geräumig genug.9 Sollte daher Euer Los Euch hierher zusammenführen, könnten wir da Anker werfen und glauben, dass wir zum Hafen gelangt sind. 7. Und würde vielleicht infolge eines Geredes über diesen Ruheplatz unsere Schar durch zuströmende Freunde vergrössert, hätte ich mitten in der Stadt ein noch ansehnlicheres Haus, das ich dieser Hoffnung wegen leer stehen lasse.10 Ich persönlich würde nicht einmal einen bescheidenen Teil davon besetzen, auch nicht mit meiner ganzen Dienerschaft, obwohl mir diese bei meinem Verlangen nach Einsamkeit wie eine gewaltige Menge vorkommt. 8. Und glaube nicht, es würden Dir mit dieser Rede die Füsse gebunden und man fessle Dich an einen bestimmten Wohnsitz. Es wird in unserer Nachbarschaft Bologna sein, die Mutter der Wissenschaften, bei der wir die erste Zeit unserer Jugend verbrachten, und es wird uns, die wir jetzt eine andere Gesinnung als früher, aber auch andersfarbige Haare haben, ein Vergnügen sein, die ehrwürdige wiederzusehen. Dabei könnten wir die Beschaffenheit dieser Stadt wie auch die unseres Herzens (und nach einem Vergleich der Zeiten auch den kleinen Fortschritt in unserem Leben) mit schon gefestigter Meinung betrachten. 9. Da liegt hoch über dem Po Piacenza und das ehrwürdige Haus Deines Antoninus, dem Du vorstehst.11 Du hast ja diesen bescheidenen Ort nicht ausgeschlagen, obwohl Du viele stattlichere verschmäht hattest. Denn, wie Du zu sagen pflegtest, galt Dir meine Nachbarschaft als einer seiner Vorzüge. Dort bist Du dann unser aller Gastgeber.
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10. Auch trifft man, scheut man sich nicht, noch weiter zu reisen, einerseits auf Mailand und andererseits auf Genua, hier auf das Kleinod der Binnenstädte und dort auf das der Seestädte. Im einen Landstrich gibt es Seen und Flüsse, beim andern das ringsum tosende, hochwogende und reich beflaggte Meer. Im einen stossen wir auf den hoch flutenden Comersee, an welchem Como liegt und von dem die Adda ausfliesst. Wir besuchen da den Verbano, den die Anwohner als Langensee bezeichnen und aus welchem der Tessin strömt. Wir besuchen den Eupili12 aus dem der Lambro, und den Iseo-See, aus dem der Oglio quellen, nicht weit davon den Garda-See, dem der Mincio entsprudelt, alles Seen, die dem einfachen Volk aufs beste bekannt, den Gelehrten aber sogar dem Namen nach fremd sind. 11. Wir geniessen die über den Seen aufragenden Alpen, von Lüften umweht und schneebedeckt (zur Sommerszeit ein ungemein erfreulicher Anblick!), auch Wälder, die zu den Sternen ragen, in den Schluchten zwischen Felsen brausende Bäche, und die von höchsten Bergen mit Donnerschall herunterstürzenden Wasser, und wohin Du immer Dich wendest, das Schwätzen von Vögeln und Quellen. 12. Im anderen Landstrich jedoch haben wir zu unseren Häupten den Apennin und zu unseren Füssen das Meer, vor unseren Augen die Tritonen und die Monstren der Wogen, in den Ohren das Getöse Neptuns, das Stöhnen des Gesteins und das Klagen der Nereiden. Wir durchwandern, was mich ganz unglaublich froh stimmt, die Buchten des Tyrrhenischen Meeres, frei von beissenden und stechenden Sorgen. Und die begehrte Ruhe, die jenes edle Freundespaar Scipio und Laelius nach den Mühen der Schlachten einst in Gaeta entdeckte, werden wir nach anstrengendem Dichten an der Küste Genuas geniessen. 13. Sind wir gesättigt von diesem Stück Erde, wird uns Padua ein nicht minder ruhiger und angenehmer Ort sein. Hier wird ein beträchtliches Mass an Gutem darin bestehen, dass wir den Umgang mit dem vortrefflichen Mann verdienen, unter welchem die durch viel Unheil erschöpfte Stadt eben jetzt aufatmet. Ihn nenne ich der Ehre halber; es ist Giacomo von Carrara,13 und ich wollte gerne, Du würdest Dein Herz bereiten, ihn zu lieben und zu verehren. Denn ist die Tüchtigkeit zu jeder Zeit liebenswert, dann jetzt so viel liebenswerter als seltener. 14. Und in unserer Nähe wird die wunderbarste unter allen Städten, die ich gesehen habe – und ich habe fast alle gesehen, die Europas Stolz sind –, nämlich Venedig, liegen. Und ihren erlauchten Dogen nenne ich ebenfalls der Ehre halber. Es ist Andrea,14 der nicht allein dank seinen Studien der guten Künste, sondern auch dank seinen hohen magistralen Ämtern einen grossen Ruf hat. Auch Treviso werden wir sehen, umflossen von Quellen und Flüssen, ein Haus und Festplatz der Freude. 15. So wird denn stets, wenn die Gleichförmigkeit, die Mutter des Missvergnügens, sich ankündigt, auch die beste Medizin gegen Überdruss vorhanden sein, das ist die Abwechslung.15 Und was an Beschwerlichem heranschleicht, werden wir durch wechselseitiges Gespräch und durch Veränderung des Wohnortes verjagen.
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Du merkst, ich weiss es genau, mit was für Waffen ich gegen Dich losziehe, mit was für Künsten ich Dich bedränge und wie ich unter männliche Ratschläge weibische Verlockungen menge. Alles unternehme ich, um Dich zu überzeugen! Wie ehrlich und treu, das beteuere ich mir selber; doch wie erfolgreich, das wird der Ausgang erweisen. 16. Was an mir lag, habe ich offenbar geleistet! Zwar hätte ich vielleicht bei einigem Wollen mich gewählter ausdrücken können; aber ein übermässiges Pathos ist der Überredungskunst oft nur abträglich. Ich habe immerhin gesagt, was mir am Herzen lag; ich habe gesagt, was Du verstehen kannst und hoffentlich auch gutheissen wirst. Achte bitte nicht darauf, wie ich, sondern was ich gesprochen habe. Besser rät ein stotternder Freund als ein redegewandter Feind. Zwar weiss ich nicht, wie ich das Ende finde, aber ich merke, dass ich bei meiner inneren Hitze weiter ausholte, als ich vorhatte. 17. Das eine und immer Gleiche, was Du offenbar auch ganz unabhängig von meiner Ermahnung bei Dir planst, will ich Dir einzuhämmern nicht aufhören: Tun wir uns zusammen, bitte, unverzüglich an diesem bestimmten Ort, sofern er Euch gefällt! Andernfalls wählt – denn auf der ganzen Erde ist mir dann kein Winkel und kein Barbarennest zuwider – den Ort, der Euch genehm ist. Ich entledige mich meiner Neigungen und nehme die Euren an. Wenn nur das Zusammenleben erreicht wird, soll alles gut sein. Wählt einen Ort, wo wir den Rest des Lebens gemeinsam in Ruhe verbringen und wo wir gleichmütig sterben. Du aber lebe wohl und sorge dafür, dass ein guter Ratschlag keinen Aufschub erleide. Am 19. Mai (1349).16
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. die vorangehenden Briefe; sie gehören zusammen. Zu den folgenden Sätzen vgl. Sen. De vita beata 1,1. Ad Lucil. 35,3. Gemeint sind die Epikureer; vgl. Cic. Tusc. 5,30,84 und wieder Sen. De vita beata 13,5. Vgl. Cic. De am. 6,20. Iuv. Sat. 12,129 – 130. Hier ist die Rede vom Haus, das Petrarca gekauft hatte. Latinus galt als Sohn des Odysseus und der Kirke und als erster König in Latium; vgl. Aen. 7, 170. Bei Parma. Petrarca, der als Kleriker von Clemens VI. ein Kanonikat und das Archidiakonat von Parma (Ämter ohne Seelsorge) zugesprochen erhielt, war berechtigt, ein ansehnliches Haus bei der Kathedrale zu bewohnen. 11 Gemeint ist die Kirche des Märtyrers von Piacenza. 12 Lago di Pusiano.
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13 Der Herr der Stadt, Giacomo der Jüngere von Carrara, hatte alles unternommen, um dem Dichter ein Kanonikat am Dom zu verschaffen. Er wurde 1350 ermordet; vgl. Fam. 11,2. 14 Gemeint ist Andrea Dandolo, geb.1310, Doge von 1343 – 1354, der die venezianischen Gesetze ordnete und die alten Dokumente der venezianischen Geschichte bis 1280 sammelte; vgl. die an ihn gerichteten Briefe, aufgezählt unter „Adressaten.“ 15 Zu erinnern ist an die Stelle im Secretum 2,13,1 ff., wo über Petrarcas Melancholie als einer seiner grössten Schwächen und Gefahren gesprochen wird. Augustinus forscht da 2,13,7 ff. als Petrarcas Gesprächspartner auch nach den Gründen dafür. 16 Zur Datierung vgl. die vorangehenden Briefe.
Fam. 8,6, an den Bruder Bartolomeo Carusi vom Orden des Heiligen Augustinus, den Bischof von Urbino1 Übersendung erwünschter Verse. 1. Lob für die Erstellung von Kompendien zu den Werken der Kirchenlehrer Augustinus und Ambrosius. 2. Hinweis auf des Bruders Erhebung zur Bischofswürde. 5. Petrarca schickt die erbetenen Verse, obwohl er schon lange nicht mehr zu dichten pflegt. (1348/1349)
1. Wie es sich für Deinen Orden geziemt, hast Du von den Aussprüchen Augustins in einem dicken Band eine alphabetisch geordnete Reihe zusammengestellt, ein Unternehmen, das mehr Mühe als Ehre verschafft.2 Ich bewundere Deine Gesinnung; denn Du hast im Eifer für den allgemeinen Nutzen Deine Begabung, die meines Erachtens Grösseres zu wagen bereit war, etwas Geringerem zugewandt. Der erwünschten Vollendung ist, wie billig, nun auch ein schöner Erfolg beschieden worden. 2. Du hast beim römischen Bischof Clemens,3 diesem hochgebildeten, aber auch sehr beschäftigten Mann (der eben deshalb auf ein solches Kompendium äusserst begierig war) Gefallen gefunden, bist in Deiner Vaterstadt Bischof geworden und darfst sogar auf noch Höheres hoffen. Dabei weiss ich freilich nicht, ob Du bei der Bescheidenheit Deiner Person und der Demut Deines Ordens, die sich überdies mit der Liebe zur Heimat verbinden, noch etwas (ich sage nicht Höheres, aber) Willkommeneres erhoffen kannst. Zudem wirst Du von der einen Arbeit zur andern beordert und damit angehalten, was Du für Augustinus geleistet hast, auch für Ambrosius zu tun.4 3. Du wirst gehorchen – hast damit ja schon begonnen –, wirst bis zum Ende durchhalten, und dies, wie ich hoffe, mit so viel Gedeihen wie Gelingen. Du wirst gehorchen, sage ich, wie ich Dich kenne, nicht um noch angesehener, sondern um noch dankbarer zu werden. Denn selbst wenn einer, glücklich mit seinem Los, nicht nach einer höheren Stellung verlangt, steht es ihm als einem rechtdenkenden Menschen doch wohl an, für ein aus freien Stücken gebotenes Geschenk ebenso dankbar zu sein wie für ein erwünschtes und erbetenes. Nichts muss man nämlich bei Geschenken so hoch schätzen wie die Absicht des Schenkenden. 4. Doch ich wende mich wieder Deinem Augustinus und Dir zu. Du hast mich gebeten, ich möchte Dir zum Abschluss dieses grossen Bauwerks, das Du aus den Steinen des so herrlich ausgestatteten Familienvaters mit Deinem Schweiss und Mörtel erstellt und für den gegenwärtigen Papst, aber noch mehr für spätere Zeiten geschaffen hast, einige Verslein übersenden, damit Du sie anfügen könntest. Dir gehorche ich jetzt meinerseits, um Dir nichts zu verweigern. Zwar habe ich, da die Musen ungnädig und seit langem mit anderen Sorgen beschäftigt sind, mich von diesem Studium abgewandt; aber Deine Bitten haben mich zurückgerufen.
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5. Somit schicke ich Dir ein paar elegische Verse und dazu eine gleiche Zahl Hexameter des selben Inhalts für den Fall, dass Du solche vorziehst.5 Verfüge über die einen wie die andern oder über ihrer so viele, als Du magst. Bedenke jedoch, dass ich alle in Eile und unvorbereitet in einem einzigen Zug geschrieben habe. Dein Bote hat indessen mit mir zusammen die Silben gemessen, und keine war so kurz, dass sie ihm nicht übermässig lang erschien.6 Lebe wohl! (1348/1349)7
Anmerkungen 1 Es handelt sich um den Theologen Bartolomeo Carusi. Bischof von Urbino wurde er im Dezember 1347; er starb 1350. 2 Das Werk trägt den Titel Milleloquium veritatis Augustini; begonnen hatte es Agostino d’Ancona; es fand nachher starke Verbreitung; vgl. Dotti zu Fam. 8,6. 3 Gemeint ist Papst Clemens VI. 4 Das Werk Milleloquium divi Ambrosii. 5 Die von Petrarca verfassten drei elegischen Distichen und sechs Hexameter sind nicht in den Familiaren, sondern unter den Carmina varia zu finden (Edizione nazionale, Bd. 2). 6 Die alten Lateiner bildeten Verse aus langen und kurzen Silben (nicht aus betonten und unbetonten), was Petrarca diesen Scherz gestattete. 7 Die Datierung ergibt sich aus den Angaben von Anm. 1.
Fam. 8,7, an seinen Sokrates1 Entsetzen über die Pest. 1. Aufschrei in Not. Klage über das persönliche Unglück. 3. Furcht vor dem Spott der Freunde. 10. Eingeständnis der eigenen Schwäche. 12. Verheerende Folgen in Stadt und Land. 14. Überwältigende Grösse des Unglücks. 17. Frage nach der Schuld der eigenen Zeit und nach Gottes Gerechtigkeit. 20. Hinweis auf die plötzliche Vereinsamung. 24. Frage: Was ist der Mensch? 26. Und Frage nach dem, was auf den Tod folgt. (1349)
1. Mein Bruder, mein Bruder, mein Bruder! Ein neuer Briefanfang! Vielmehr ein alter und einer, den vor fast tausendvierhundert Jahren Marcus Tullius anmassend vorausnahm!2 Weh mir, liebenswertester Bruder, was soll ich sagen, was tun, wohin mich kehren? Überall Schmerz, überall Schrecken! Schon an mir allein kannst Du erkennen, was Du bei Vergil von der grossen Stadt Rom gelesen hast3: „… und überall wilde Trauer und überall Angst und das vielfache Abbild des Todes.“ 2. Wäre ich, Bruder, doch niemals geboren oder früher vertilgt worden! Wenn ich das schon jetzt zu wünschen gezwungen bin, was werde ich sagen, wenn ich einst zum höchsten Greisenalter gelangt bin? Und möchte ich dahin nur ja nicht gelangen! Doch ich werde dahin gelangen, wie ich fürchte, aber nicht etwa, um länger zu leben, sondern um länger zu sterben. Ich kenne ja mein Schicksal und begreife allmählich, wozu ich in dieses gramvolle und glücklose Leben gestürzt wurde. Weh mir, bester Bruder, es ekelt mich im Innersten und es jammert mich meiner. 3. Doch was werden jene sagen, die mich hören? „Tu tatest, als wolltest Du anderen Trost und Hilfe bieten; denn Du bist es, der uns von Deiner Seite nicht wenig versprach; dank der Erfahrung des Unglücks hättest Du gegen alle Trübsal des Geschicks und gegen alle seine Härte längst ein dickes Fell überziehen oder besser zu Kieselstein erstarren sollen! Und sieh da, wie schwächlich Du die Lasten daher schleppst, und sieh, wie häufig Du mit durchdringendem Schrei unsere Ohren betäubst! 4. Wie steht es nun um die Überlegenheit Deines Geistes, die Deiner höchsten Berufung geschuldet wird?4 Wie steht es nun um grossartige Worte? Sind sie bloss zur Verherrlichung des Verstandes, aber nicht als Ratschlag für’s Leben gemeint, dann sind sie zweifellos leerer Schall und blosse Salbung neugieriger Ohren! 5. Wir erwarteten von Dir einen heroischen Gesang, und wir lesen Klagelieder! Wir erwarteten von Dir die Darstellungen bedeutender Männer, und wir lesen bloss die Schilderung Deines Schmerzes! Was wir für eine Lehrschrift halten wollten, ist Wehgeschrei. Wo wir kunstvolle Verschränkungen neu geschmiedeter Worte, auch wunderbare Farbenharmonie als Schmuck5 der Sprache erwarteten, ent-
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decken wir nichts als die Rufe eines Jammernden, die Laute eines Entrüsteten und die Spuren von Tränen!“ 6. „Und was wird Dein Mass und was Dein Ziel sein, wenn Du das Los gar aller Menschen insgesamt beweinen wolltest? Gewiss, eine einzige Brust und eine einzige Zunge genügen Dir nicht! Eine unendliche, eine elende und erdrückende Aufgabe hast Du Dir ausgesucht, ja eine überflüssige und unerfüllbare! Aus einer anderen Quelle musst Du Dir Tränen erflehen; denn auf immer neue und stets frisch erstehende Ursachen der Schmerzen werden zwei schon müde, schon erschöpfte und brennende Augen keine ausreichende Flut leidvoller Tropfen vergiessen.“ 7. „Was also erreichst Du in Deiner Selbstüberschätzung? Kein Genügen hast Du an der eigenen Bedrängnis und keines am eigenen Leiden, in welches Du wissend und wollend Dich gestürzt hast? Höchstens, dass Du den Freunden, denen Du Heilmittel versprichst, am Ende gar Gift entgegenstreckst? Warum nicht gar! Weine doch allein oder lerne, als Sterblicher das Sterbliche mit Gleichmut ertragen! Wenn Du einmal begreifst, dass Du gar nicht allein und nicht bloss mit Deinen Freunden, sondern mit uns allen samt und sonders weggerafft wirst, dann setze Deinen sinnlosen Klagen ein Ende!“ 8. Ein anderer Mann von noch barscherem Wesen wird kommen, um diese traurigen Zeilen verärgert wegzuwerfen oder mit beissendem Hohn zu zertreten. „Geh zum Teufel“, wird er sagen, „oder kannst Du, bloss weil Du Dich weibisch besiegen lässt, nicht gestatten, dass wenigstens wir noch Männer seien?“ 9. Alles das höre ich zum voraus. Nichts von all dem, Bruder, entgeht mir. Ich weiss, für einen Mann schickt es sich erstens, den Schmerz zu verjagen, zweitens, ihn zu ersticken, drittens, ihn zu besänftigen und schliesslich, ihn zu verstecken. Doch was soll ich tun? Ich werde sterben, wenn ich meinen Schmerz nicht in Tränen und Worten verströmen kann. Das wenigstens tröstet mich, dass alles, was immer ich schreibe, wie armselig und anmassend es sei, in Deine Hände so gelange, als würde es nicht fremden, sondern meinen eigenen zurückgegeben. Dass dieser Brief von Dir gelesen wird, macht mich daher nicht stärker erröten, als dass ich ihn schreibe. 10. Doch bei all dem leugne ich nicht, dass ich erröte. Ich habe gespürt, wie sehr mein Herz und mein Wort, nachdem ich die Zügel der Vernunft hatte fahren lassen, abseits von dem ihnen vorgezeichneten Weg dahintreiben – in ihren Leidenschaften vereint –. Das fällt mir zu ertragen schwerer als alles übrige. Und es verhöhnt meine Scham besonders empfindlich, dass schon ein volles Jahr und vom zweiten schon ein guter Teil vergangen ist, ohne dass mir etwas Mannhaftes (ich sage nicht: zu tun, sondern nur:) zu sagen gelingen konnte! Und dies, obwohl Fortuna, ringsum noch wütet und weiterhin ihre Donner und Blitze versendet. 11. Vielleicht werde ich in dieser Sache immerhin vor einem gnädigen Richter entschuldigt, wenn er bei seiner Untersuchung beachtet, dass ich nicht über etwas Geringes, sondern über das Jahr 1348 im sechsten Zeitalter6 klage! Es hat ja nicht
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bloss uns unserer Freunde,7 sondern die ganze Welt ihrer Völker beraubt. Und wenn diesem Jahr etwas entging, dann mäht, schau nur hin, das neue Jahr den Überrest ab. Und wenn etwas den Stürmen des alten Jahres standhielt, wird es eben jetzt von der tödlichen Sichel noch eingeholt. 12. Wird die Nachwelt es einmal glauben, dass in einer Zeit, frei von Sintflut und Weltenbrand, Kriegen und überhaupt von jedem sichtbaren Unheil, beinah der ganze Erdkreis, nämlich nicht bloss diese und jene Gegend entvölkert wurden? Wann hat man je dergleichen gesehen oder durch Gerüchte vernommen? In welchen Annalen war je solches zu lesen? Da sind leere Häuser, verlassene Städte, brach liegende Felder, mit Leichen bedeckte Äcker und eine grauenhafte, unendliche Öde überall in der Welt! 13. Suche Auskunft bei Historikern! Sie schweigen. Frage Ärzte! Sie erstarren. Hole Rat bei Philosophen! Sie zucken die Achseln, runzeln die Stirne und drücken ein Fingerlein auf die Lippen, um Schweigen zu gebieten. Wirst Du es denn glauben, Nachwelt, wo doch wir selber, die es sahen, kaum glauben? Wir wären bereit, es für Traum zu halten, schauten wir es nicht hellwach mit offenen Augen und kämen wir nicht vom Gang durch die mit Leichen erfüllte Stadt in unser Haus zurück und fänden es leer von den heiss ersehnten Pfanden der Liebe. So aber können wir wissen, dass wahr ist, was wir beweinen! 14. Oh glückliches Volk unserer Urenkel, weil es solches Elend nicht kennen und unser Zeugnis vielleicht unter die Fabeln verweisen wird! Freilich, wir verdienen das alles und wohl auch noch Schlimmeres, das gestehe ich. Doch auch unsere Ahnen haben solches verdient, und möchten es nur unsere Nachkommen nicht ebenso verdienen! Doch wie kommt es nun, Du Gerechtester aller Richter, wie kommt es, dass Deine heiss lodernde Rache sich einzig und just auf diese unsere Zeit gelagert hat? Wie kommt es, dass anderswo die Sünden nicht fehlen, wohl aber die Exempel der Strafen? 15. Mit allen andern haben wir gesündigt; doch gegeisselt werden wir allein! Wir allein, sage ich; denn ich wage zu behaupten, dass im Vergleich zu den Strafen der Jetztzeit alle früheren aus allen Jahrhunderten, seit jene hochberühmte Arche einen Rest der Menschheit auf endlosen Meeren umhertrug, eitel Wonne und Spielerei und Erholung gewesen sind. Man darf ja mit diesem unserem Unglück sogar die grausamsten Kriege nicht vergleichen. Denn während ihrer Dauer gibt es jeweils viele Arten von Hilfe, und zu guter letzt ist den Männern gestattet, als Helden zu verscheiden. Das aber ist im Tod ein vortrefflicher Trost, gut zu sterben. Jetzt dagegen gibt es wahrlich gar nichts an Erleichterung und nichts an Tröstung. 16. Um unser Unglück voll zu machen, fügt sich zu allem andern eine Unkenntnis der Ursache und des Ursprungs unseres Unglücks. Doch weder diese Unkenntnis noch sogar die Pest an sich sind so hassenswert wie das lächerliche Gefasel einiger Leute, die sogar alles zu wissen behaupten und doch nichts wissen. Endlich aller-
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dings verstummen ihre Mäuler, obwohl sie ans Lügen gewohnt sind! Hatte anfänglich die Schamlosigkeit sie wie üblich weit aufgesperrt, so hat doch zum Schluss der Schrecken sie geschlossen. Doch ich kehre zu meiner Nachforschung zurück. 17. Ist es vielleicht wie bei Reisenden, wenn ihnen auf einem langen Weg zwar schon die erste Strecke Müdigkeit schafft, aber erst die zweite sie spürbar macht? Das würde heissen, oh Gott, Deine Sanftmut sei durch die Verbrechen der Menschen allmählich erschöpft und durch ihre ständige Vermehrung erstickt, schliesslich aber vollends besiegt und überwältigt worden? Und Du, der beste aller Lastenträger, wärst unfähig, uns länger zu schleppen, hättest uns abgeschüttelt und die Augen Deiner Barmherzigkeit zornig von uns abgewandt? Wäre das wahr, dann litten wir Strafe nicht allein für unsere Sünden, sondern auch für die unserer Väter! Ob schlechter als jene – ich weiss es nicht –, gewiss aber elender! 18. Oder ist vielleicht richtiger, wie einige bedeutende Köpfe vermuteten, dass sich Gott um das Vergängliche nicht sorge? Doch fern sei von unseren Sinnen solcher Unsinn! Würdest Du, oh Gott, Dich nicht darum sorgen, es könnte überhaupt nicht bestehen. Und was sollten wir, die nach der Wahrheit forschen, von jenen denken, welche die Sorge für uns nicht etwa Gott zuschreiben, vielmehr der Natur? Jedenfalls hat Seneca die erwähnten Leute als die undankbarsten von allen bezeichnet, weil sie mit Austausch eines Wortes eine Wohltätigkeit Gottes verhehlen und mit gottloser Sophisterei unsere Schuld gegenüber der höchsten Majestät verleugnen!8 19. Du sorgst Dich um uns wahrhaftig, oh Gott! Aber etwas Verborgenes und Unbekanntes ist uns die Ursache, derentwegen unter allen Jahrhunderten gerade das unsere die härtesten Strafen zu verdienen scheint! Und zwar infolge einer Gerechtigkeit, die nicht dadurch geringer wird, dass sie verborgen ist. Denn Deine Urteilssprüche sind von unerforschlicher, dem menschlichen Begreifen unzugänglicher Tiefe. Entweder sind wir also in der Tat von allen die Schlechtesten, was ich zu leugnen eher wünschte als wagte, oder wir werden durch das gegenwärtige Unglück für ein zukünftiges Glück durch um so strengere Züchtigung und gründlichere Reinigung zubereitet, oder es gibt etwas, das wir überhaupt nicht auszudenken vermögen. Wie immer die Gründe beschaffen und wie sehr sie auch verborgen sind: ihre Folgen sind nur allzu handgreiflich sichtbar. 20. Doch kehren wir von der allgemeinen Trauer zur persönlichen zurück! Schon ist ein Jahr und vom zweiten ein guter Teil vergangen, seit ich bei meiner Abreise nach Italien fern an der Quelle der Sorgue Dich, den Weinenden, weinend verlassen habe.9 Ich heisse Dich nicht, Deine Augen in die Ferne richten, nur diese paar letzten Tage zähle und überlege, was wir waren und was wir geworden sind! Wo bleiben nun die vertrauten Freunde, wo die lieben Gesichter, wo die anmutigen Reden! Und wo ist der freundliche und heitere Umgang mit ihnen? Welcher
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Blitzstrahl hat all das beseitigt? Welcher Erdstoss es umgestürzt? Welcher Sturm es ertränkt und welcher Schlund es verschlungen? 21. Von Freunden waren wir umdrängt; nun sind wir fast allein. Neue Freundschaften müssten wir schliessen! Doch wo und wozu? Da ja das Menschengeschlecht fast erloschen und, wie ich fürchte, das Weltende nahe ist? Wir sind, mein Bruder, wir sind – was soll ich es unterdrücken! – wahrhaftig vereinsamt! Ich glaube, Gott hat es bewirkt, damit wir, der Verlockungen dieses Lebens und seiner uns lieb gewordenen Fesseln beraubt, ganz rückhaltlos nach jenem besseren seufzen. 22. Sieh doch, wir sind durch die plötzliche Wandlung der Verhältnisse nun dahin geraten, dass wir am eigenen Leib erspüren, mit wie gutem Recht wir das berühmte Wort Epikurs auf uns beziehen:10 „Ein grossartiges Theater bieten wir einer dem andern“. Und kann das wirklich von uns gesagt werden, fragt sich bloss noch, ob es lange andauern und welcher Prophet uns erklären wird, aus welchen Gründen wir vertrauen, dieses gegenseitige Theater werde noch länger bestehen, wo doch im Innern des Gebäudes die Säulen schon wanken! Wie wäre ich denn, indem ich das schreibe, Deines Lebens sicherer als Du, indem Du es durchliest, des meinen? 23. Ein viel zu hinfälliges und doch viel zu überhebliches Wesen ist der Mensch, und allzu hoch baut er auf brüchigen Fundamenten auf! Und wir, einst eine grosse Schar von Gefährten! Auf welche Zahl wir beschränkt sind, erkennst Du! Noch während wir sprechen, gehen auch wir dahin und verschwinden gleich Schatten, und in einem einzigen Augenblick vernimmt einer vom andern, er sei gegangen, und macht sich bereit, dem Vorgänger zu folgen. Was also sind wir, bester Bruder? Was sind wir? Dabei hören wir nicht auf, uns wichtig zu dünken! 24. Ob seiner Ängste bestürzt sagt Cicero in einem Schreiben an Atticus:11 „Was sind wir? Und wie lange noch wird uns solches kümmern?“ Eine kurze, doch gute Frage, so meine ich, eine heilsame, ernste, voll nützlicher Gedanken! Ein aufmerksamer Schatzgräber wird darin viel wahre Demut und Bescheidenheit und viel Verachtung für das Vergängliche entdecken. 25. „Was sind wir“, so frage auch ich, bei einem so schwerfälligen, so trägen und so gebrechlichen Körper! Und bei einer so blinden, so aufgewühlten und so ruhelosen Seele! Bei einem so wandelbaren, so unsicheren und so trügerischen Schicksal! „Und wie lange noch wird uns alles das kümmern?“ In der Tat, bloss ein kurzes Weilchen. Tönt das Wort Ciceros nicht so, als würde er sagen: „Was sind wir denn? Und wie lange noch werden wir das sein?“ Beim Herkules, nicht lange, weil eben dieses unser Sein so, wie es nicht dauern kann, so unter diesen Worten vergehen könnte! Und würde das geschehen, so geschähe nichts Überraschendes. Beides also fragst Du richtig und nachdenklich, Marcus Tullius! Ich aber frage Dich: Wo hast Du ein Drittes gelassen, das im Ergebnis gefährlicher und der Erforschung würdiger wäre? „Haben wir hier zu existieren aufgehört,
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was werden wir nachher sein?“ Oh, wichtig und zweifelhaft ist diese Frage, jedoch vernachlässigt. Lebe wohl. (1349)12 Anmerkungen 1 Mit Sokrates ist Ludwig van Kempen, der beste unter den Freunden Petrarcas an der Kurie in Avignon, gemeint. Das Schreiben machte zusammen mit den zwei folgenden ursprünglich einen einzigen Brief in drei Teilen aus. Diese sind offenbar in den Juni 1349 zu datieren. Sie blieben so lange unbeantwortet, dass Petrarca fürchtete, der Freund sei gestorben; vgl. Fam. 8,9,27 und Fam. 10, 2. Lange Klagen über die Pest hört man vor allem auch in Fam. 1,1, und Fam. 5,13. Behandelt wird das Thema in den Eklogen 9, 10 und 11, zudem in verschiedenen Triumphi, in den zwei über den Tod und in den drei über die Fama. 2 Marcus Tullius Cicero. Zur Stelle vgl. Ad Q. fr. 1,3,1. Der Dichter gebraucht das Wort „usurpare“ (anmassen), um anzudeuten, dass der Klageruf zur Zeit Cieros verfrüht gewesen sei. Erst im l4. Jahrhundert sei er angemessen. 3 Aen. 2,368 – 369. 4 Petrarca verstand seinen dichterischen Auftrag vor allem als den eines philosophierenden Moralisten. 5 Vgl. Hor. Ars 46 – 48. 6 Petrarca bezieht sich auf die mittelalterliche Vorstellung, dass es entsprechend den sechs Schöpfungstagen (am siebten ruhte Gott) auch sechs Weltalter gebe, das sechste also das letzte sei. 7 Vgl. Fam. 8,3, 3 f., wo vom Tod verschiedener Freunde, insbesondere von dem des Kardinals Giovanni Colonna die Rede ist, und 8,8, wo der Tod Paganinos da Bizzozzero und der seiner Familie angegeben wird. Im Pestjahr starb auch Laura. 8 De ben. 4,8,2. 9 Petrarca hatte Frankreich am 20. November 1347 verlassen. 10 Sen. Ad Lucil. 7,12. Seneca hat Petrarca offenbar dazu bewogen, sich mit Epikur zu beschäftigen und ihm gegenüber Vorurteile abzubauen. 11 Ad Att. 12,10. 12 Zur Datierung vgl. Anm. 1.
Fam. 8,8, an Sokrates1 Der Pesttod eines Freundes. 1. Über die Freundschaft mit Paganino da Bizzozzero von Mailand. 4. Bericht von seinem und seiner Angehörigen plötzlichem Tod. (1349)
1. Übriggeblieben war mir hier unter den Trümmern des vergangenen Jahres nur sehr wenig; darunter vor allem der hochangesehene und – wenn Du mir einigen Glauben schenkst – grossherzige, sehr kluge Herr Paganino von Mailand.2 Auf Grund häufiger Beweise seiner sittlichen Vorzüge ist er mir überaus lieb gewesen. Wirklich schien er nicht allein mir, sondern uns beiden zur grössten Ehre zu gereichen. 2. Daher begann er mir ein zweiter Sokrates3 zu werden: Beinah gleich war der vertraute Umgang mit ihm, und es gab unter uns eben das, was in der Freundschaft eine besondere Seligkeit ausmacht, nämlich eine gegenseitige Anteilnahme am Geschick des andern und in aller Offenheit auch einen treuen Austausch geheimer Gedanken. Wie sehr liebte er Dich! Wie sehr wünschte er, Dich kennen zu lernen, den er mit seinem geistigen Auge bereits vor sich sah! Wie sehr war er um Dein Leben besorgt in diesem allgemeinen Schiffbruch! Geradezu erstaunt war ich, dass er einen Unbekannten so zu lieben verstehe! 3. Niemals unterliess er, wenn er mich besonders betrübt sah, freundlich erregt zu fragen: „Wie steht es? Wie geht es unserem Freund?“ Hatte er aber gehört, es gehe Dir gut, legte er gleich die Furcht ab und strömte über an unbeschreiblicher Heiterkeit. 4. Und dieser ist nun – was ich ohne viele Tränen nicht sagen kann (und unter mehreren sagen würde, wollte ich meine im Unglück erschöpften Augen und alle übriggebliebenen Tränen, sofern es solche gibt, nicht für Kommendes sparen), er ist, sage ich, durch die Pest, die eben jetzt die ganze Erde entvölkert, ganz plötzlich hingerafft worden, und zwar nachdem er gegen Abend mit Freunden gespeist und dann die restlichen Abendstunden im Gespräch mit mir allein und im Gedanken an unsere Freundschaft und unsere Angelegenheiten verbracht hatte. Die folgende Nacht hat er unter äussersten Schmerzen, doch mit unbeirrbarer Tapferkeit durchgestanden, und am Morgen hat ihn ein jäher Tod uns entrissen. 5. Und damit vom üblichen Krankheitsverlauf uns ja nichts erlassen werde, sind ihm in weniger als drei Tagen seine Söhne, ja seine ganze Familie nachgefolgt. Geht nun, Ihr Sterblichen, hastet und keucht, schwitzt und durchzieht die Länder und Meere, um Schätze, die Euch nicht folgen, und Ehren, die Euch nicht bleiben, zu häufen! Ein Traum ist das Leben, das wir führen, und was immer wir darin
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tun, ist soviel wie ein Trug. Einzig der Tod zerstreut sowohl Traum wie Trug. Oh, wäre uns gegeben, schon vorher zu erwachen! Du lebe, ja, lebe wohl! (Nach dem 23. Mai 1349)4 Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. den vorangehenden Brief mit Anm. 1. Vgl. die an ihn gerichteten Briefe Petrarcas, aufgezählt unter „Adressaten“. Das heisst: ein zweiter Ludwig van Kempen, sonst müsste von einem dritten die Rede sein. Das Datum ergibt sich aus einer Notiz Petrarcas in seinem persönlichen Exemplar der Werke Vergils. Diese besagt, dass die Nachricht vom Tod Paganinos ihn am Abend des 23. Mai 1349 erreicht habe. Auf das folgende Blatt notierte er den Tod seiner angebeteten Laura.
Fam. 8,9, an seinen Sokrates1 Zum Raubüberfall auf Freunde. 1. Das Übermass an Unglück. 3. Hinweis auf Freunde, mit denen ein Leben in Gemeinsamkeit geplant wird. 5. Charakterisierung dieser Freunde. 10. Bericht über ein verfehltes Zusammentreffen in Parma. 15. Banges Warten auf ihre Rückkehr. 17. Ein Bote meldet ihr Schicksal auf der Weiterreise. 21. Totenklage; Ängste um den Verschollenen. 30. Petrarca wird vor den Behörden von Florenz klagen. Am 22. Juni (Parma 1349).
1. Noch hätte sich Fortuna nicht zufriedengegeben, wäre ich nicht erneut und nun von einem schärferen Geschoss getroffen worden und hätte sich zum Zorn Gottes nicht die Wut böswilliger Menschen gesellt. Ach, jetzt beginne ich zu wanken, und wie jene, die bei ausbrechendem Fieber ein erstes Schaudern überfällt, so fröstle ich nun vor elender Kälte. Ereignet hat sich bereits, was ich zu überdenken und auszusprechen fürchte; mir ist, als müsste es dadurch erst noch geschehen. 2. Und was ich sagen werde, das weiss ich; doch anzufangen wage ich nicht. Und wie gerne wollte ich mich dieser Mühen und dieser Mitteilung völlig entziehen! Doch es drängen und zerren mich der Schmerz und das brennende Verlangen nach der Ausführung des Vorhabens, überdies ein gewisser Neid auf Dich, weil Du, während ich weine, vielleicht in Unkenntnis unserer Lage noch froh bist. So aber steht es um uns: 3. Wirklich hatte uns Fortuna zwei Freunde übriggelassen,2 und hätte sie uns auch noch andere aufgespart, so wären doch diese beiden die einzigen gewesen, mit denen wir3 – sofern jene Macht es gewähren wollte – den Rest des Lebens gemeinsam hätten verbringen können.4 Was, bitte, stand dem also im Weg? Kein Reichtum, keine Armut, keine Ungleichheit des Wollens, auch nicht das aller Freundschaft höchst abträgliche Übel Geschäftigkeit. Die Gesinnung in vier Herzen war eine einzige und gleiche. 4. Daher triumphierte ich über die Antike, weil diese nur selten und nur in weit auseinander liegenden Zeiten, und dann mit höchstens dem einen oder andern Freundespaar sich geschmückt habe, während unsere eigene Zeit, ja sogar unser eines Haus über kurzem mit zwei Paaren geschmückt werden sollte. Doch ist es eigentlich unpassend, von Paaren zu sprechen; denn es gab nur ein eines, nein, nicht einmal eines; vielmehr hielt eine einzige Seele uns alle zusammen – wie ich gesagt habe –, und dass unser Urteil darüber fehlgehen könne, liess eine allzu lange Erfahrung nicht zu. 5. Der erste jedoch war so veranlagt, dass er nicht bloss für eine sehr heitere Geselligkeit, sondern dank seinen Talenten auch für eine Teilnahme und Begleitung unserer Studien geeignet war. 6. Der zweite5 war zwar in solchen Dingen nicht bewandert, besass jedoch in reichem Mass all das, was die Studien hervorbringen:
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Menschenwürde, Treue, edle Gesinnung und Beständigkeit. Obwohl kaum gebildet in freien Künsten, hatte er doch gelernt, ein freier Geist und ein ausgezeichneter Mensch und Freund zu sein. Ja, für unseren Bund war es vorteilhafter, wenn wenigstens einer von seiner Art sich anschloss und nicht alle insgesamt sich den Bücherstudien widmeten. Denn leicht hätte sonst das alltäglich Lebensnotwendige – wie das vorkommt – recht vernachlässigt werden können. Mit Rücksicht auf mancherlei Bedürfnisse war jener folglich nur allzu willkommen und fast wie ein Himmelsgeschenk als vierter zu uns gestossen. 7. Allzu glücklich schienen wir zu sein; und deshalb hat uns die grausamste Fortuna beneidet! Und dass sie uns noch nicht völlig niedergestreckt habe, wo doch die ganze Welt darniederlag,6 war ihr unerträglich. Miteinander hatten sich die beiden aufgemacht und Dich an der Rhone zurückgelassen, höchst begierig, mich am Po gleichsam als den anderen Teil ihres Ich zu besuchen. 8. Und hiermit habe ich nun unvermittelt die unglückselige und elende Geschichte begonnen! Ich tadle mich deswegen schon bei jedem Wort und halte dennoch nicht ein. Vielmehr werde ich auf unerklärliche Weise immer neu dahin gezogen, wohin ich nicht wollte, aber nicht-wollend will. Und ich erfahre dabei ich weiss nicht welche jammervolle und unheilvolle und der Seele dennoch wohltuende Wirkung, etwas wie Süsse des Trauerns, an der ich Unglücklicher mich in diesen Tagen oft weide, abplage und erquicke. Denn wenn ich mich daran nicht erquickte, wer würde mich zu so trauriger Beschäftigung zwingen? Doch ist diese Erquickung quälender als jede Marter. Während mich die Erinnerung foltert, erleichtern mich meine Klagen. 9. Sie kamen beide und hatten die beste Absicht, das schlimmste Geschick und das kläglichste Ende, der eine auf dem Weg nach Rom, der andere auf dem nach Florenz. Warum ändert Ihr die Richtung und wohin reist Ihr, meine Freunde? Geht doch den kürzeren Weg, geht den besseren! Der hier ist nicht der Eure! Was habt Ihr mit den Alpen und dem Schneegestöber zu schaffen? „Liebe ist siegreich stets, auch Ihr seid der Liebe erlegen.“ 7 10. Ihr seid gekommen, um mich zu besuchen. Das eben war der Haken, das die Kette! Damit hat die allmächtige Liebe Euch umschlungen, dann gepackt und gezogen, sie, der selbst der Himmel gehorcht und die sich bekämpfenden Elemente sich beugen. Daher muss man Euch nicht nach dem Grund für die Wahl des längeren Weges befragen; Ihr seid von ihr gezogen worden; Ihr seid nicht gegangen! Gedrängt hat Euch überdies Euer Schicksal und zugleich das meine, das mir nicht erst seit heute bekannt ist. Zu Eurem Verderben und zu meinem ewigen Schmerz gab es keinen kürzeren Weg. 11. Ja, auch das, mein Sokrates, hat Fortuna listig zustande gebracht, dass ich, der im Verlaufe des letzten Jahres keinen Fuss vors Haus gesetzt hatte, nun abwe-
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send war. Damit hat sie uns die persönliche Begegnung vorenthalten und jene beiden – verwirrt, wie sie waren – nur um so rascher in die Schlinge des ihnen bereiteten Todes getrieben. Denn bis hierher waren sie in Eile gereist, ihrer Mühen nicht achtend und andere Sorgen in Hoffnung und Sehnsucht erstickend. Denn es ist nur natürlich, dass grössere Leidenschaften geringere aufzehren. 12. Sie brannten darauf, mich vor Augen zu haben und mit mir die Regelung des zukünftigen Lebens zu besprechen, dann die begonnene Reise fortzusetzen und – wenn sie zu Hause das Nötige geordnet hätten – hierher zurückzukehren, damit wir (nachdem auch Du gerufen wärest) bis zum Lebensende beisammen blieben. Und hätten sie mich getroffen, wäre die Härte Fortunas durch ihren Aufenthalt vielleicht herabgemildert worden. Sie hätten vielleicht in ihrer Liebe gewünscht, schon gleich bei mir zu bleiben, hätten daher ihren Vorsatz geändert und durch Boten zu Hause erledigen lassen, was zu erledigen war, und so wären wir nun alle – was sonst hätte es verhindert? – beisammen in der viel zu lange ersehnten Ruhe. Doch wir wurden durch eherne Fesseln des Fatums umklammert, und dass ich abwesend sei, verhängte die rasende Fortuna zum voraus. 13. Kaum also waren sie hier angelangt8 und am Stadtrand von den entgegenkommenden Leuten über alles unterrichtet worden, stiegen sie betrübt und mit hängenden Köpfen bei unserem Hause ab. Doch was verweile ich bei Einzelheiten? Jeden Winkel im Haus und jedes Rasenstück im Garten haben sie – denn seit der Ankunft des Widders hatte die Winterkälte sich allmählich gemildert – zum lieben Ruheplatz gewählt9 und alles mit Seufzern erfüllt. Und obwohl sie sich anderswo hätten betten können, verbrachten sie die Nacht auf meinem Lager, womit sie, wie ich denke, den Gegenstand, den menschliche Schwäche zur nötigen Ruhe ersann, meinem Schmerz und Jammer weihten. 14. Tags darauf gingen sie fort und liessen im Haus einen Brief zurück, der mir von ihrer Betrübnis und Absicht sprach und mir, solange ich lebe, als Kostbarkeit gelten wird, nämlich als Stoff für ewige Qualen und unversiegbare Tränen. 15. Ein voller Monat war seither vergangen, als ich – von alledem nichts ahnend – nach Hause zurückkehrte.10 Nach der Lektüre ihres Briefes vernahm ich auch vom Wärter meines Hauses betrübt und erstaunt, was dem Inhalt des Schreibens entsprach. Doch was sollte ich tun? Vor so langer Zeit waren jene weggegangen, dass ich bereits ihre Wiederkunft erwartete und – ach wie kopflos! – sie eines lässigen Verweilens bezichtigte. Und als dieses überlang zu dauern schien, schickte ich einen meiner Diener nach Florenz, um den näher wohnenden Freund11 zum Kommen zu ermahnen und um noch beizufügen, er möge eben diesen Boten zum anderen Freund weitersenden, wo immer der wäre. 16. Diesem hatte ich in jenen Tagen vieles geschrieben und übermittelt und dann noch eine Mahnschrift über die Mässigung seiner Wünsche und über die Wahl zwischen diesem Ort oder einem beliebigen anderen, ja auch über die Vorliebe für ein einsames und den Studien gewid-
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metes Leben beigefügt.12 Und weil diese Briefe Euch alle gleichermassen betrafen, hatte ich hinzugesetzt, dass sie durch ihn auch an Dich gelangen sollten. Prächtig ist ja das Wort, wie vieles bei Vergil:13 „Menschenverstand weiss nichts vom Geschick …“ 17. Der Briefbote war abgereist; ich begann in seiner Abwesenheit mir viel Seliges auszumalen: „Diese beiden kommen von Osten, von Westen kommt der dritte; wer wird glücklicher als ich? Wessen Leben wird ruhiger sein?“ Unter solchen Gedanken (geeignet, die Bitterkeit des bevorstehenden Jammers zu verdoppeln) geschah es, dass mein Bote acht Tage nach seiner Abreise von hier bei einem gewaltigen Wolkenbruch unerwartet zurückkam, triefend von Regen und Tränen. 18. Ich erstarrte, und – die Feder wegwerfend – denn er hatte mich zufällig beim Schreiben getroffen – rief ich aus: „Was bringst Du? Sag es sogleich!“ Und jener sagte, während ein Keuchen seine Sätze unterbrach: „Ein Unglücksbote bin ich Dir. Deine Freunde sind auf dem Grat des Apennin in die ruchlosen Hände von Räubern gefallen.“ – 19. „Weh,“ sagte ich, „was ist geschehen? Was meinst Du?“ Und schluchzend fuhr jener fort, und dies war der Inhalt seiner zerfetzten Erzählung. Unser Simpliciano,14 der Beste, Unschuldigste der Menschen, der zu jenem Zeitpunkt zufällig dem andern vorausging, sei in einen Hinterhalt geraten und unversehens umzingelt worden, so dass er unter den Schwertern von Mördern gefallen sei. Sogleich sei Olimpio,15 durch den Lärm aufgeschreckt, herbei galoppiert und habe als einzelner den zehn oder mehr Banditen mit gezücktem Degen standgehalten, dann aber, nachdem er viele Wunden empfangen und ausgeteilt, dem Pferd die Sporen gegeben und mit knapper Not lebend entkommen können. 20. Die Plünderer seien, ohne die ganze Beute des Erschlagenen an sich gerafft zu haben, in überstürztem Lauf geflohen, so jedoch, dass sie, vor Erregung und bösem Gewissen wie verstört, von Landleuten, die sich beim Tumult zusammenfanden, leicht wären gefasst worden, hätten nicht einige, bloss dem Namen nach Adlige, die von den Bergen herunter rannten, den Ansturm der Verfolger abgewehrt, um die bestürzte Rotte samt ihrem blutigen Raub in ihre Schlupfwinkel zu retten. Olimpio sei – noch immer den Degen in der Hand – in einiger Entfernung von dort in den Wäldern gesehen worden; doch nachher habe man von ihm nichts mehr vernommen. 21. Eine traurige Ahnung mögen die Winde verwehen! Ich weiss nicht, ob ich es leichter ertrüge, wenn beide gefallen wären. Ich wüsste dann wahrhaftig, was tun: die Türen zuschliessen, die Tröstenden ausschliessen, mich einsam meinem Schmerz ergeben, mit Tränen meine Seele erleichtern oder sie erdrücken, in Schwermut die Sehnsucht lindern oder sie nähren, um die mit rohen Händen mir entrissenen Freunde wenigstens mit tränenden Augen und Klagen zu erreichen. 22. Nun aber werde ich nicht durch eine einzige Leidenschaft, sondern durch ihrer drei, durch Hoffnung, Furcht und Schmerz, gemartert und mit ebenso vielen
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Schlägen von allen Seiten festgenagelt, ratlos, wohin ich das wunde Herz neigen soll. Sonderbar und elend fühle ich mich in diesen wogenden und unter sich streitenden Sorgen und Nachrichten umhergeworfen und zerrissen. 23. Denn ich habe über jenen, der laut Bescheid noch leben soll, nochmals, aber nicht wie vordem, sondern von überall her Neues zu erfahren versucht und schliesslich allerorts nur eine Vielzahl von Gerüchten, jedoch nichts Sicheres vernommen. So hangend und bangend, auf jeden Weg ringsum ausschauend und bei jedem Geräusch ersterbend, verbringe ich bereits zwei Wochen, eine Frist, die bei einem Abwägen gegen andere Missgeschicke vieler Jahre – wenigstens meiner Schätzung nach – weit schwerer drückte. 24. Ein ungestümes Verlangen hat mich befallen, wegzugehen und nicht zu ruhen, bis ich den gegenwärtigen Zustand des noch Lebenden, wie immer er sei, erfahren16 und – ach, welch ein Schicksal! – im Gebirge das unförmige Grab des andern besucht hätte. Er ist ja, wie ein Gerücht sagt, unter dem ungeheuren Zulauf nicht allein aus umliegenden Kastellen, sondern auch aus der Stadt und unter dem grössten Mitleid der Menge bestattet worden, wobei die Landleute entrüstet aufbegehrten und vieles prophezeiten, was gleich nachher eintraf: Es werde nämlich der Weg unterbrochen werden, und nicht etwa Reiseverkehr und grosse Einkünfte seien zu erwarten,17 sondern an ihrer Stelle Einsamkeit und Öde und verheerende Kriege. 25. Ich wäre auch wohl hingegangen und vielleicht durch mein Geschick in die gleichen Hände geraten, hätten nicht die Jahreszeit und mein allzu schlechter Gesundheitszustand das zu tun verhindert. Dennoch schwankt mein Herz bis heute, ob es der Notwendigkeit oder – die Fesseln zerbrechend – der Sehnsucht gehorche. 26. All das, mein Bruder, erzähle ich so genau und ausführlich, damit Du bis ins Einzelne erkennen könnest, was Du der Hauptsache nach gewiss schon erfahren hast, nämlich dass es denkbar schlecht um mich steht, weil die Wogen meines Gemütes auf- und abschwellen und den leichten Kahn der Hoffnung in der wechselnden, sich überschlagenden Brandung der Gerüchte hin- und herschleudern, während mir dieses Leben nicht lieber ist als der Tod. Sein Ende erflehe ich in Gebeten, und die Verzögerung hasse ich. Eben noch schienen wir jung zu sein, und sieh, wir haben zwei Jahre länger gelebt, als gut ist. 27. Und nun kommt, um meinen Kummer voll zu machen hinzu, dass ich mich gewaltig über Dein Schweigen verwundere, während ich bereits wie Liebende die Tage zu zählen beginne und eine, ich weiss nicht welch neue ungute Ahnung in mir aufsteigt. Ich höre ja, die Pest des vergangenen Jahres, die erloschen zu sein schien, dringe erneut über die Ufer der Rhone herein, und ach, wärest Du nicht dort!18 Doch was klügle ich Unglücklicher mir aus! Genügt denn das wirkliche und gegenwärtige Los noch nicht, dass mich auch noch ein ersonnenes zukünftiges elend macht? Wende Gott das alles zum Besseren, damit ich, so oft in falscher Hoffnung getäuscht, mich wenigstens einmal täusche in falscher Furcht!
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28. Damit habe ich, mein innig geliebter Sokrates, – meinem Schmerz gehorchend und nicht dem Anstand – nach Vermögen meine Seele mit Klagen erleichtert. Das war ja nötig, sonst wäre ich unter der Masse des Unglücks zusammengebrochen. Habe Nachsicht, mein Sokrates, und mögen auch andere, sofern sie es lesen, nachsichtig sein! Bisweilen ist Schweigen schicklich; bisweilen sind Worte unvermeidlich. 29. Was immer der Tod sich herausnehmen wird: von jetzt an rechne ich nicht allein die Freunde, sondern auch mich selber zu den Toten, wobei ich sehr wohl weiss, dass sich in allen Dingen nichts ohne Wink Gottes ereignet. Denn Gott ist’s, der alles befiehlt oder zulässt, und so werde ich die kummerschwere, sich empörende Seele bezwingen, die leidenschaftliche Feder bezähmen und die unnützen Klagen unterdrücken, um mich von jenen fern zu halten, denen es nicht genügt, die eigenen Sünden zu entschuldigen, wenn sie nicht auch Gottes Richterspruch anschuldigen. 30. Und vielleicht ist für uns noch nicht aller Tage Abend geworden, weshalb uns zum Schreiben oder Sprechen etwas auf später aufzubewahren bleibt. Übrigens lege ich diesem Brief die Kopie eines anderen bei, den ich an die Florentiner19 wegen des grossen Unrechts ihrer Stadt geschrieben habe. Du wirst ihn gewiss nicht ungern lesen. Lebe wohl und versuche, Dich selber für etwas Froheres aufzusparen, damit wir, sofern der Himmel es nicht verbietet, uns auf Erden noch sehen. Am 22. Juni (Parma 1349).20
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8
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Vgl. die vorangehenden Briefe Fam. 8,2 – 8, dann auch den folgenden 8,10. Das waren Luca Cristiani (Olimpio) und Mainardo Accursio (Simpliciano). Der angesprochene Sokrates und Petrarca. Zum Projekt einer Lebensgemeinschaft vgl. die vorangehenden Schreiben an Luca Cristiani. Mit dem ersten ist Luca Cristiani gemeint, mit dem zweiten Mainardo Accursio. So infolge der Pest. Frei nach Verg. Ecl. 10,69. Petrarca befand sich nach einer Unterbrechung seines Aufenthaltes in Parma wieder dort seit Anfangs Mai 1348. Ende März 1349 war er nach Padua gereist, um da ein Kanonikat in Empfang zu nehmen und die damit übernommenen Pflichten zu regeln; Anfangs Mai 1349 war er wieder in Parma; vgl.Wilkins, Studies 21 ff. Von diesen Einzelheiten vernahm Petrarca durch einen Brief und durch Angaben eines Dieners, wie er unten angibt. Anfangs Mai 1349; vgl. Anm. 8. Das ist Mainardo. Vgl. Fam. 8,2 – 8,5. Aen. 10,501. Übername Mainardos.
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Fam. 8,9
Das ist Luca Cristiani. Fam. 9,2,4 spricht noch immer von der Ungewissheit, ob der Freund lebe. Solches hätte man im Hinblick auf die Rompilger im bevorstehenden Jubeljahr erwarten mögen. Die Sorge Petrarcas um das Schicksal von Sokrates hielt, weil von ihm keine Antwort kam, noch lange an; vgl. Fam. 10,2. 19 Das ist Fam. 8,10. 20 Ort und Jahreszahl ergeben sich aus Petrarcas Hinweisen; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 62.
Fam. 8,10, an die Florentiner1 Klage wegen eines Raubmordes an einem Freund. 1. Die Absicht Petrarcas, den Florentinern zu schreiben, ist alt. 2. Jetzt wird er zum Schreiben gezwungen. 3. Ein Freund ist nahe bei Florenz ermordet worden. 10. Das gereicht der Stadt zur Schande. 13. In der Vergangenheit war die Sorge für Gerechtigkeit dort gross. 14. Florenz, Tochter Roms, geniesst als solche besonderes Ansehen. 18. Die Gerechtigkeit war der Hauptgrund für das Gedeihen der Stadt. 20. Florenz darf auch in schwieriger Zeit Schandtaten nicht ungestraft lassen. 28. Rache verlangt Petrarca aber nicht. 30. Die Strassen müssen gesichert werden. Pilger bevorzugen die über den Apennin. 33. Gute Wünsche für die Stadt. Parma, am 2. Juni (1349).
1. Schon oft hatte ich die Absicht, vortreffliche Männer, je nach dem Wandel der Verhältnisse und der Zeiten Euch etwas zu schreiben und je nach der Lage Eurem Mut bald die Zügel anzulegen, bald die Sporen zu geben, einmal wegen des Verlusts der Freiheit2 Zorn auszudrücken, einmal wegen ihres Rückgewinns Freude zu bekunden, oftmals über die vielfältigen und wechselhaften Stürme Eures Gemeinwesens mit Euch zu klagen und Euch vor drohendem Schiffbruch zuverlässig zu warnen. Denn in Ermangelung eines Besseren wollte ich mich wenigstens mit Worten (den Zeugen meiner Gesinnung) – wenn nicht als ein Bewohner meiner Vaterstadt, so doch immerhin – als ihr Bewunderer erzeigen.3 2. Doch so oft ich anfing zu überlegen, welcher Unterschied zwischen der Erhabenheit Eurer Geschäfte und der Bescheidenheit meiner Bemühungen bestehe, entglitt die Feder sogleich meinen Händen. Jetzt freilich bin ich zu schreiben gezwungen und dem Zwang zu widerstehen unfähig. 3. Ein unmässiges Leid bedrängt mich und presst mir Worte und Tränen ab. Seht da, ich habe etwas erfahren, was ich, ach, niemals zu erfahren begehrte: Euer gütigster und zu Recht höchst geachteter Bürger,4 mein Freund, ist auf dem Rückweg aus Gallien nach Florenz, als die Beschwerden und Gefahren der wahrhaft langen Reise schon hinter ihm lagen und er der geliebten Vaterstadt schon nahe war, fast an der Schwelle ihrer Tore und gleichsam in Eurem eigenen Schoss einem grausamem Anschlag erlegen! 4. Oh Du Unglücklicher! Was hast Du in Deinem blühenden Alter an Mühen ertragen, und wie oft bist Du durch fremde Länder in der Hoffnung umhergereist, Du werdest schliesslich in der Heimat still und würdig ein hohes Alter verleben! Wohin gehst Du, ach Du Armer, Dein Schicksal nicht ahnend und dazu bestimmt, überall sicherer zu sein als zu Hause? Wohin läufst Du, Bemitleidenswerter, wohin eilst Du? Von Dir singt das Dichterwort:5 „Dich, Du Argloser, trügt die Gewissenspflicht …“.
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Diese ist zwar schon gegen Eltern und Nahestehende gross, wie Cicero gesagt hat,6 gegen das Vaterland aber am grössten. 5. Sie ist es, die Dich gezogen hat, Du, der Heimat so treu Ergebener! Dorthin wolltest Du als ein bereits gereifter Mann zurückkehren, von wo Du als Knabe einst fortgegangen warst, und zu dieser Erde, die Deine Kindheit genährt hatte, wolltest Du den Rest des ermatteten Lebens zurücktragen. Denn Du wünschtest, am Ort der Geburt einstmals zu sterben und da, wohin Du Dich geschleppt hättest, Deine Grabstätte zu finden. 6. Doch ach dieses Verbrechen, diese unmenschliche Grausamkeit! Entsetzliche Menschen, vielmehr blutrünstige grässliche Monstren haben Dir, dem Unbesorgten, Unbewehrten, mitten auf Deiner Strasse aufgelauert! Ein grauenhaftes, in Italien sonst unbekanntes Räubergesindel7 wollte, obwohl vom Gold gesättigt (was Räubern gemeinhin der Gipfel der Wünsche ist), nicht ruhen, bevor es absichtsvoll Dein Blut geschlürft und Dir den innig begehrten Zugang zur Heimat und zu einem Grabe dort verwehrt habe. 7. Oh diese unerhörte Blutgier! Was sucht Ihr sonst noch, Ihr wütenden Hunde?8 Was fürchtet Ihr noch am ausgeplünderten Körper? Vielleicht Feindschaft ? An diesem unbekannten und harmlosen Menschen? Die gab es nicht und liess sich auch nicht erdichten! Ist aber der Hunger nach Gold der wahre Grund Eures Verbrechens, so macht Euch davon, sobald das böse Begehren gestillt ist! Rettet Euch mit der Beute in Eure Höhlen als den Stätten Eures lasterhaften Treibens und zu den Helfern, die Euch da gierig erwarten. 8. Lasst nur den Fussgänger nackt entkommen! Das genügt; nichts weiter verlangt man. Dann mag er unter Räuber gefallen sein, doch immerhin unter Menschen! Ihr habt darum nichts zu befürchten! Eure Burgen, die Ihr bewohnt, sind dermassen befestigt, dass Ihr des Himmels und der Stadt Florenz und der Gerechtigkeit straflos spottet. Ein Menschlein, einsam, müde und erschreckt, hättet Ihr zu fürchten? Wo doch Eure Schlupflöcher so nah und so sicher sind!9 Verzichtet darauf, die Habgier mit Grausamkeit zu krönen! Was immer mit der Hand zu plündern und zu Eurem Gebrauch zu entwenden war, habt Ihr genommen. Lasst das Leben bestehen, das ihm und seinen Freunden dienlich, Euch aber wertlos ist! 9. Was schaut Ihr so grimmig? Was denkt Ihr? Was plant Ihr? Was soll Euer Wüten? Was wollen die blitzenden Schwerter? Was fordern sie? Oh eine tierische Wollust ist’s, ohne Hass, ohne feste Erwartung und ohne Furcht einen Menschen, das geheiligte und Gott ähnlichste Wesen, niederzumetzeln, die Hände in seine Eingeweide zu bohren und – was selbst das edle Wild nicht täte – sich auf den zerrissenen Leichnam zu stürzen, um sich am schäumenden Blut zu erlaben! 10. Es beschämt und es jammert mich, vortrefflichste Bürger! Und nicht gering ist die Quelle des Schmerzes, der so viele Klagerufe entspringen. Auch trauere ich nicht heftiger über ein solches Unrecht an einem solchen Freunde als über die Schande eines vormals so glorreichen Gemeinwesens. Was wird man bei den Völkern darüber berichten? Wie wird die Nachwelt davon reden? 11. Ein schuldloser
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Mensch sei zwischen den wilden Stämmen an der Rhone – wie Lucan sagt10 – und durch die Einöden der Provinz von Arles (jetzt so verwildert und verwüstet wie kein anderer Landstrich11), hierauf nicht bloss bei Tag, sondern auch in tiefer Nacht durch die Alpen (jetzt nicht nur von Schnee und schweifenden Spähern, sondern auch von bewaffneten Truppen bedeckt), ganz unversehrt einhergeritten,12 dann sei er aber auf florentinischem Boden am hellichten Tag vornüber gestürzt gleich einem zur frevelhaften Schlachtbank bestimmten Lamm. 12. Weh über diese ewige Schande unserer Zeit, dass sich da Menschen finden, die es wagen, gleichsam im Anblick Eures Stadtbezirks und Eures einst gefürchteten Palastes mit seinem ruhmvollen Sitz der Gerechtigkeit, Eure Bürger nach Belieben zu zerfetzen! 13. „Oh Zeiten und oh Sitten!“ So möchte man mit Tullius rufen!13 Ich jedenfalls habe als Kind oft ältere Menschen erzählen hören, die Einwohner dieser Stadt besässen jede Art von Tüchtigkeit und einen ausgezeichneten Rechtssinn; einen, der nicht nur auf Verträgen und Übereinkünften, sondern vor allem auf jenen beiden Stützen beruhe, von denen der allerweiseste Gesetzgeber Solon gesagt hat,14 die allgemeine Wohlfahrt gründe auf ihnen, das sind Belohnung und Bestrafung. In der Tat, wenn die eine der beiden fehlt, muss eine Stadtgemeinde zwangsläufig gleichsam auf einem Bein hinken, und fehlen beide, muss sie kraftlos und lahm sein. Denn einerseits erkaltet dann die Tugend der Guten und anderseits entbrennt dann die Bosheit der Schlechten. 14. Doch in der einen wie der andern Hinsicht hatten Eure Väter einst grossartig Vorsorge getroffen, und sie hatten mit ihrem klugen Handeln dem Glauben an Eure römische Abkunft (durch das Gerede weit und breit bekannt) den kräftigsten Halt verliehen. Während also vor Zeiten unser Gründervolk, das ist das römische, rings auf Erden gewaltig war, folgte das Eure, wie es heisst, soweit ihm vom Himmel gestattet war, den Spuren des älteren Volkes, erwarb dabei zuerst bei jedem Menschengeschlecht ein einzigartiges Ansehen und besass dann bei den tuszischen Stämmen für lange Zeit einen gleichsam auf freiem Willen begründeten Vorrang, dies freilich unter Verzicht auf den Titel eines Imperiums.15 15. Und je geringer sein Stolz und Neid, desto grösser der Glanz und Ruhm seines Namens! Nicht von Herrschaft war also die Rede, sondern von Stütze und Zuflucht für die Nachbarn. Deswegen wird nicht grundlos behauptet, von Flora habe Florenz seinen Namen erkoren, da hier die Blüte aller Fähigkeiten und die Vorbilder sämtlicher Ruhmestaten vor aller Augen in grosser Fülle hervor drängten. 16. Da herrschte denn bei den angrenzenden Stämmen gegenüber dem sittenstrengen Volk eine aus Liebe und Achtung gewobene Ehrfurcht, und nicht allein innerhalb der eigenen Grenzen Tusziens, nein auch ausserhalb wurde seine Bürgerschaft als Lehrmeisterin der Gerechtigkeit gefürchtet. 17. Worin aber lag der Grund dafür, dass Eure Stadt, die zwischen steinigen und rauhen Hügeln auf dürrem Boden liegt und eines Hafens oder schiffbaren Flusses
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entbehrt, in so kurzer Zeitspanne eine solche Grösse erreichte? Von allen Bürgergemeinden Italiens ist die Eure ja beinahe die jüngste! Und dass sie so über alle benachbarten, sogar sehr ausgedehnten Städte in fast unglaublicher Weise hinauswuchs, gesegnet nicht etwa einzig mit dem Ruhm ihres Namens und mit ihrem kostbaren Handelsgut (was allerdings bereits an ein Wunder gemahnt), sondern auch mit einer tüchtigen Nachkommenschaft? Hat sie denn nicht – ähnlich einer Mutter, die ihr junges Geschlecht kaum noch zu fassen vermag – ihre Bürger über das ganze Erdenrund ausgesät und solcherart jede Erdengegend bevölkert? 18. Was, frage ich, hat trotz allem Widerwärtigen ihr so grosses und plötzliches Wachstum begründet? Es mag einer vielleicht sagen, begründet habe das ein dem Gedeihen höchst bekömmliches Klima, und damit wird er das, was die Tüchtigkeit leistet, der Natur und dem Schicksal zusprechen. Ein anderer wird den Fleiss und die Arbeitslust der Bevölkerung, die Beweglichkeit ihres Geistes und ihre zu allen Künsten geschickte Veranlagung unter den Gründen aufzählen, und das nicht zu Unrecht, sofern ihm bewusst ist, dass er den ersten und wichtigsten Grund übergangen hat, indem er den Eifer für die Gerechtigkeit verschwieg. 19. Diese Gerechtigkeit, so betone ich, diese ist Eures Wachstums wahrer und wichtigster Grund. Ohne diese vermöchte keine Stadtgemeinde, ja nicht einmal ein geringes Hauswesen, ich sage nicht: sich auszubreiten, nein, zu bestehen. Die Grundlage aller Gemeinden ist die Gerechtigkeit, und fragt Ihr nach der Wahrheit, sage ich: Eure Ahnen haben Euch ein auf solchem Fundament erbautes, da üppig blühendes, grossartig gefestigtes Gemeinwesen hinterlassen. Und wenn Ihr nun aus lauter Bequemlichkeit gestatten würdet, dass es wanke, was könnte man da anderes erwarten als seinen Einsturz? 20. Es haben sich, seht, berüchtigte Meuchelmörder erhoben und haben (was für sich allein genügte, alle Stacheln des Zorns zu erregen) Euren Bürger, einen ausgezeichneten Mann, nirgendwo zu schlachten gewagt als eben in Eurem eigenen Schoss, nachdem sie dem Unglücklichen, wie man annimmt, schon von jenem Tage an nachgespürt hatten, an dem er über seine Schwelle getreten war. Und was sie zu Zeiten Eurer Ahnen selbst im Schlafgemach bloss zu denken sich gescheut hätten, das haben sie vor Euren Augen und auf öffentlicher Strasse in grausamer und wahrhaft unerträglicher Frechheit ausgeführt. 21. Und lasst Ihr diese Schurkerei ungestraft, so ist es um Euren Staat geschehen, geschehen um die Gerechtigkeit, geschehen schliesslich um Wohlfahrt, Freiheit und Ruhm. Zerstört ist dann das Fundament, auf dem Ihr Euch bis zu den Sternen erhoben habt und – Du guter Gott! – zerstört durch was für Hände? Der Schmerz hat seinen Grund zum guten Teil im verächtlichen Wesen der Missetäter. 22. Räuber, Mörder, Höhlenbewohner von tierischer Lebensart und erst recht tierischer Denkart und tierischen Sitten, kaum Eures Kerkers, kaum Eurer Ketten und Stricke wert, setzen Euch hier wie dort das Messer an die Kehle, und nicht zu-
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frieden mit der Beute, nähren sie sich bis zur Sättigung an den Schlächtereien und am Blut ihrer Opfer! Und sie dürften solches wahrhaftig niemals wagen, wenn ihre Zuversicht nicht auf Eurer Nachlässigkeit so gut wie auf ihren Schlupfwinkeln ruhte. Eine Zuversicht, die sie allerdings in jeder Hinsicht täuschen müsste, wenn Ihr jetzt wie früher als Männer auftreten wolltet. 23. Geprüft und bedrängt hat Euch, das räume ich ein, in diesen Zeiten Fortuna. Doch sie hat Euch nicht so gänzlich niedergestreckt und entkräftet, dass Ihr einige wenige, in Eurer Umgebung wütende Strassenräuber ertragen müsstet. Es pflegt die wahre Mannhaftigkeit gerade aus dem Unglück höher und herrlicher zu erstehen, und wenn ich Euer Wesen richtig begreife und meine lang gehegte Meinung von Euch mir nichts vorlügt, so ist Euch vom römischen Volk unter manchen Vorzügen dieses Eine und Besondere wie ein Erbgut zu eigen geworden, dass Euch ein Unrecht Fortunas nicht zerstört und vernichtet, sondern erhöht und dass – was ein Merkmal der Helden ist – unter Schwierigkeiten Eure Tapferkeit zunimmt. 24. Daraus erwächst mir eine nicht geringe Hoffnung. Ich höre ja, ob der schrecklichen Handlung entrüstet und in hochgemutem Ingrimm entbrannt, hättet Ihr zu den üblichen Waffen der Gerechtigkeit gegriffen. Und wenn das wahr ist, wie ich hoffe, wird kein einziger Ort auf der Welt und keine Burg und kein bestechendes Angebot der Verbrecher imstande sein, den wohlverdienten Wetterstrahl Eurer zornigen Aufwallung von den frevelnden Häuptern abzulenken. 25. Wahrhaftig, nun habe ich (weil ich mich durch den trostlosen Verlust des liebsten Freundes über alles Sagbare hinaus gemartert fühle) vor Euch, erlauchte Männer, vieles vertrauensvoll ausgesprochen. Ach umsonst, ach zu spät! Ich weiss ja, dass mein Verlust nicht zu ersetzen ist. Selbst wenn ich mit tausend ehernen Zungen in Ewigkeit reden oder schmeichelnder als Orpheus mit tränenreichen Klagen und mit Saitenspiel die Steine erweichen könnte, käme mein Freund mir nie zurück. Keine Umkehr erlaubt die Strasse, die er betreten hat. 26. Doch es geht jetzt nicht darum, dass er auferstehe, sondern dass mit ihm nicht etwa Eure Würde untergehe. Denn ist das eine unmöglich, so ist das andere aufs leichteste zu verhindern und liegt ganz in Euren Händen. Daran brauche ich jedenfalls nicht zu erinnern, dass die Rächer der Verbrechen nicht Vergangenes, sondern Künftiges im Auge haben. Was würde es nützen, auf Unabänderliches seinen Fleiss zu verwenden? 27. Derartigen Übeln kann man jedoch vorbeugen und man kann mit abschreckendem Beispiel menschliche Verwegenheit eindämmen. Darauf beruht in der Tat jener gepriesene Denkspruch ausgezeichneter Gelehrter: „Nicht weil gesündigt wurde, sondern damit nicht gesündigt werde, hat man Strafen erfunden.“16 28. Und obwohl jener grausamen Untat eine Strafe durchaus gebührt und ich sie heimlich zu wünschen vielleicht gar berechtigt bin, ist mir dennoch verboten, sie zu erbitten. Man verstehe also, dass ich alles das gesagt habe, weil ich hoffte, vor einem wohlwollenden Ohr die Empfindung meines Schmerzes mit Worten zu schil-
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dern, dadurch mein von drückendem Kummer geschwelltes Herz zu erleichtern und weit weniger, um Euch zur Rache für dieses Blut anzufeuern. Das würde sich ja weder meinem Beruf noch meiner Stellung geziemen. 29. Habe ich aber klar gemacht, dass ich – was immer ich sagen werde oder sagte – nicht nach Rache verlange, fordere ich dringend, was ich schicklicher tun kann, dass Ihr nämlich Eure alte Vormacht und Eure Gerechtigkeit, die Eurer Stadt in einzigartiger Weise zur Blüte verholfen haben, immer vor Augen habt und zu Euren Zeiten nicht verkümmern lasst. Und vor allem bitte ich Euch inständig, wenigstens die öffentlichen Strassen von Strassenräubern zu säubern und für Pilger offen zu halten. Auf ihnen ziehen zwar immer, aber jetzt wegen des bevorstehenden, Euch bekannten Jubeljahres17 besonders viele Gläubige aus allen Gegenden zu Euren Mauern und zu denen Eurer Mutterstadt Rom. Sie sollen nicht durch begründete Furcht und Angst gezwungen werden, entweder das fromme Werk zu unterlassen oder den direkten Weg zu meiden. 30. Das würde Euch – sofern Ihr nicht umsichtig vorsorgt (doch ich hoffe, Ihr werdet vorsorgen!) – zum ewigen Schandmal gereichen. Vor allem muss der Übergang über den Apennin von Hindernissen frei sein, denn von dorther werden besonders grosse Scharen erwartet.18 Und wäre mir nur schon früher eingefallen, Eure Grossmächtigkeit dazu zu ermahnen! Vielleicht hätte man dann rechtzeitig Massnahmen ergriffen, so dass nicht das traurige Los meines Freundes einen Anlass zur Vorsicht für andere hätte abgeben müssen. Doch was fand man da Verdächtiges? 31. Unsere Zeit hatte noch erlebt und von älteren Leuten noch vernommen, dass der Weg über das Joch des Apennin wegen seiner urwüchsigen Rauheit zwar schwer zu begehen sei, im übrigen aber den Reisenden grössere Sicherheit und Gastlichkeit biete als jeder andere. Was aber, wenn sich Wächter in Diebe und wenn sich Hunde in Wölfe verwandeln? Und sollte sich zum Grauen, das den bewaldeten Bergen eigen ist, ein ihnen bisher fremdes Entsetzen vor Schwertern gesellen, würde binnen kurzem der ganze Landstrich von Menschen verlassen und nicht weniger unwirtlich sein als der Atlas und der Kaukasus. 32. Gegen solche Schmach und solche Pest, Ihr beherzten Männer, setzt Euch zur Wehr! Ihr werdet Gestein entdecken, das vom unverkrusteten Blut Eures Bürgers noch träufelt, und daraus erkennen, wie für die Rettung anderer fortan zu sorgen ist. Wer einen Baum beseitigen will, muss bei der Wurzel beginnen; wer Bäche austrocknen will, muss die Quelle verstopfen; wer Räuber vertilgen will, beharre darauf, ihre Hintermänner auszurotten! 33. Geht in Eile, geht mit Glück auf dem beschrittenen Weg voran! Und mit dem kräftigen Beistand der Himmlischen zerstört die grässlichen Felsennester der Verbrechen! Wischt diesen Schandfleck aus Euren Augen und hinterlasst der Nachwelt jenen Ruhm der Gerechtigkeit, den Ihr von den Vätern geerbt habt.
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Gott der Allmächtige erhalte Euch siegreich und von den vielen Übeln der Welt unangefochten in glücklichsten Verhältnissen! Parma, am 2. Juni, eilig und tief erschüttert (1349).19
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9
10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Vgl. die vorangehenden Briefe, insbesondere Fam. 8,9. Zu verschiedenen Malen, so zur Zeit der Herrschaft eines Gautier de Brienne 1342/43. Florenz blieb Petrarcas Vaterstadt trotz seiner Verbannung. Mainardo Accursio; vgl. den vorangehenden Brief. Verg. Aen. 10, 812. Somn. Scip. 3,7 (in De rep. 6,15,15). Offenbar denkt Petrarca an marodierende Soldaten aus andern Ländern, wie der Hundertjährige Krieg sie aussandte. Die Anrede an die Mörder erstreckt sich über 8,10,7 – 9. Helfershelfer beim Mord an Mainardo Accursio waren Glieder der Familie Ubaldini, die im Mugello und in den Apenninen reich begütert waren und dort Kastelle als Zufluchtsorte anboten; vgl. unten 24 ff. Das Opfer hätte von Avignon nach Florenz 2000 Goldgulden bringen sollen. Phars. 6,145. Die Gegend litt unter Fehden im Zusammenhang mit dem Hundertjährigen Krieg. So infolge eines Vormarsches der Visconti in Richtung Piemont, Savoyen. Cat. 1,1,2. Pro Deiot. 11,31. Die Worte des athenischen Gesetzgebers findet man Cic. Ad Br. 1,15,3. Vgl. Dante, Par. 15,97 ff. Zitierte Stelle unbekannt. Das erste Jubeljahr war das von 1300; das zweite datierte von 1350. Petrarca selber reiste bei diesem Anlass nach Rom; vgl. Fam. 11,1. Die Florentiner zerstörten die Kastelle der in Anm. 9 genannten Ubaldini erst zwischen 1358 und 1373. Im Sommer 1349 litt die Stadt noch sehr an den Folgen der Pest. Zur Datierung vgl. die vorangehenden Briefe.
Fam. 9,1, an Manfredo Pio, den Herrn von Carpi1 Klagen und Aufmunterungen nach der Pest. 1. Angriffe durch Fortuna und Fama. 3. Freude über die Genesung des Adressaten. Übersendung eines Arztes. Petrarca wird ihm folgen. 5. Bitte um Zuversicht. 7. Die geistige Verfassung habe Einfluss auf das leibliche Befinden. Am 30. Juli (oder 1. August 1348).
1. Häufige Anfeindungen und Angriffe erdulde ich hier zu diesen Zeiten von Fortuna und nicht weniger häufige von der geflügelten Fama. Mit vergifteten Geschossen verwundet mir die eine das Herz und die andere das Ohr, und indem mich die eine von da bedrängt, bedroht mich die andere von dort. Sonst pflegen heitere Dinge sich mit traurigen und süsse mit bitteren zu mischen; jetzt aber ist alles traurig, alles bitter. Da durchbohrt mich die eine mit grausamen Stacheln, ohne von Honig zu wissen, dort redet die andere ohne jede Kenntnis einer Freude von nichts anderem als von Leiden.2 2. Und dass es gegen Fortuna nur einen einzigen Schutzschild, nämlich die Tapferkeit gibt, wissen wir freilich; doch wie sehr ich ihrer ermangle, das erfahre ich mitten unter tödlichen Verwundungen zu dieser Zeit beständig. Mit was für Waffen kann ich, flügellos wie ich bin, der Fama entgehen? Sie selber ist ja ein beflügeltes Ungeheuer.3 Das habe ich mir als Hilfsmittel ausgedacht: Nach keinem Umstand und nach keinem Menschen will ich mich je wieder erkundigen. Doch das war auch wieder nutzlos. Denn ob ich auch die Zunge im Zaume hielt, vergass ich doch die Ohren zuzustopfen, und so habe ich, ohne nach etwas zu fragen, doch vieles vernommen, was ich nicht wollte: Krankheiten, Todesfälle und schweres Ungemach unter Freunden, woran auch nur zu denken eine Qual ist. 3. Die neue unwillkommene Nachricht trat wenigstens darum mit einem milderen Anschein vor mir auf, weil sie Deine Erkrankung nicht früher meldete als Deine Genesung. So weiss ich nun, dass einer aufgestanden ist, von dem ich nicht wusste, dass er gefallen war, bin also des Gegenwärtigen froh und des Vergangenen schon sicher. Denn es gibt ja keine Furcht und keine Besorgnis um Vergangenes. Dennoch stehe ich wie angedonnert und halte erschrocken inne wie einer, der trotz seiner Unvorsichtigkeit einem Abgrund entkommen ist, und schaudere freudig beim Betrachten der überstandenen Gefährdung. Jenem sei Dank, der zwar gestattet hat, dass Deine Gesundheit erprobt, nicht aber, dass sie aufgezehrt werde. Er hat uns also nicht durch schwere Trauer erdrückt, vielmehr hat er unsere Freude durch Gefährdung gesteigert, damit wir künftig uns immer begieriger nach Dir sehnen und Du uns immer noch teurer werdest. 4. Unsere Pieriden4 möchte ich freilich, wenn es möglich wäre, in die Kenntnisse der Heilpflanzen verwandelt sehen. Dann vermöchte ich Dir in Deinem Zu-
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stand etwas an wirksamer Medizin zu reichen. Was ich aber zu vermögen bloss wünschte, wird Dir der ausgezeichnete Arzt, den ich Dir sende, unter Gottes Eingebung leisten. Und weil Du es nicht als das geringste Heilmittel verachtest, werde ich selber, sobald ich kann, hinter ihm her folgen.5 5. Inzwischen will ich diesem Schreiben die einzige Arznei einfügen, die ich bei unseren ganz besonderen Medizinern6 entdecke; und wenn Du sie gutgläubig einschlürfst, kannst Du von keinem Hippokrates einen besseren Ratschlag erhoffen. Sie ist nämlich ungefähr aus folgenden Essenzen zusammengesetzt: Vor allem empfiehl Dich und all das Deine willig der Entscheidung Gottes. Richte Deinen Geist zum Himmel und verankere Deine Hoffnung in Ihn. Von Ihm allein kannst Du nicht bloss erlangen, gesund zu werden, sondern von Ihm hast Du längst erlangt, etwas zu sein. Und zweifle nicht, dass Er Deine letzte Lebenszeit machtvoll umhegen wird, da Er so sehr um Deine Anfänge besorgt war. 6. Gleichzeitig beachte auch, dass einem tüchtigen Mann, der an Kämpfe mit Fortuna gewohnt ist, wohl ansteht, Krankheiten und Tod und alles Sterbliche zu verachten und dabei über die menschlichen Zwischenfälle sich auf den Flügeln des Geistes zu erheben. Gerade der Geist kann ja häufig selbst in einem kranken und geschwächten Körper gesund bleiben und hat sogar unter verzehrenden Schmerzen und selbst im Tod den herrlichen Beweis erbracht, dass ein Glück auch im Zustand, den man Elend nennt, zu existieren vermöge. Denn die wahre Stärke des Geistes besteht in körperlichen Leiden unerschüttert weiter. 7. Schliesslich wirst Du bedenken, dass der Zustand des Geistes sowohl zum Vorteil wie zum Nachteil des Leibes manches beiträgt. Es gibt Leute, die ihr Inneres in aller Heimlichkeit zernagen und eben dadurch die ihnen zugemessene Lebenszeit beschneiden, was das denkbar Wahnwitzigste darstellt. Andere dagegen vermögen mit allem Anstand fröhlich weiterzugedeihen, die Zahl ihrer Jahre zu vermehren und Tod und Alter hinauszuschieben, freilich um beides, wenn sich solches nach dem Gesetz der Natur genähert hat, mutig zu ertragen. Und wolltest Du eben diese Menschen zum Vorbild nehmen, wäre es mir lieb. 8. Lege unnützen Kummer ab, vertreibe überflüssige Sorgen, zerstreue in Deinem Gemüt die Nebel, die nur schaden, und wirf schliesslich alles von Dir, was Dich bedrückt und Deine Seele beunruhigt! Und dem geistigen wie leiblichen Menschen rufe unter den Stürmen dieses Lebens und in diesem Exil oft jenes allbekannte Wort Vergils zu:7 „Wartet getrost und bewahrt Euer Herz auf sorglose Tage.“ Lebe und genese und sei unser eingedenk! Am 30. Juli (oder 1. August 1348)8
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Anmerkungen 1 Einziger erhaltener Brief Petrarcas an Manfredo Pio. Er war Herr von Carpi und Modena dank einer Verfügung des Königs Ludwig des Bayern 1329, verzichtete dann 1336 auf die Herrschaft über Modena zu Gunsten der Familie Este. Er starb entgegen der Hoffnung Petrarcas schon am 12. September des Pestjahres 1348. 2 Von Petrarcas Verlusten und Leiden sprechen die vorangehenden Briefe. 3 Vgl. Verg. Aen. 4,173 f. 4 Die Pieriden: die Musen, genannt nach ihrem Vater Pieros, der sie in die Landschaft Pierien am Helikon einführte. 5 Dieser Satz steht nicht in einer frühen Fassung. Petrarca hat das Schreiben – wie so manches andere – später überarbeitet. Er war im September 1349 bei der Familie Pio in Carpi zu Gast; vgl. unten Fam. 10,3 aus Carpi und Dotti, Fam. zu 9,1. 6 Bei den Philosophen und Theologen. 7 Aen. 1,207. 8 Zur Datierung vgl. Anm. 1.
Fam. 9,2, an seinen Sokrates1 Gedanken an verlorene Freunde sowie an zukünftige Lebensführung. 1. Der Schiffbrüchige ermannt sich. 2. Aufzählung der Verwandten und Freunde, die er verloren hat. 7. Gründe für den Namen des Adressaten. 8. Gemeinsamkeiten der Freunde. 9. Bitte an den Freund, einen Ort zu bestimmen, wo sie gemeinsam leben könnten, um nicht völlig zu vereinsamen. 10. Bitte um Rat und um Befreiung von Zweifeln. 11. Wenigstens Briefe möchte Petrarca erhalten. Verona, am 12. März (1350).
1. So wie ich nun, da meine Klagen erstickt und meine Seufzer und Seelenstürme ermattet sind, mit trockenem Auge Dich anspreche, so wirst Du mich anhören als einen Schiffbrüchigen, der vom Elend erschöpft am Ufer sitzt,2 gramvoll zwar, aber doch die Tränenflut schon zurückdämmend und die kleinen Bruchstücke des einstmals grossen Glücksgutes abzählend. 2. Ich übergehe jene so überaus angenehmen und grenzenlosen Schätze der Freundschaft, an denen ich solchen Überfluss hatte, dass ich mich vor kurzem noch für reicher als die Könige und Herren der Erde hielt, und an denen ich plötzlich bitter arm bin. Unerträglich ist immer, wer über eine Minderung seiner Freuden trauert. Zu den lebensnotwendigen Schutzwehren, die ich als unsere ansah und die es nicht waren, gehe ich über. 3. Zwei Brüder hat mir meine Mutter und mehrere andere hat mir die Freundschaft geboren. Den ersten der leiblichen Brüder hat mir der Tod schon als Kind entrissen.3 Den zweiten hat mir – nein, nicht mir, sondern der Welt – die Kartause im Mannesalter entzogen, um ihn an Gott zurückzugeben: Das ist unser Gherardo,4 Dir nicht weniger teuer als sein einziger Bruder5 und mir durch keinerlei Gefühle enger verbunden als Dir. 4. Ich halte mich nicht bei jenen beiden auf,6 die der Grund meiner jüngsten Tränenflut waren und von welchen der eine im Apennin erschlagen liegt, während der andere im Ungewissen verschollen ist. Des einen Tod ist gewiss und zweifelhaft das Leben des anderen. Vier weitere erwähne ich kurz: Tommaso,7 Barbato,8 Lelio9 und unseren Guido.10 Den ersten hatte Messina auf Sizilien, den zweiten Sulmona in den Abruzzen, den dritten Rom und den vierten die Küste von Luni geschenkt. Doch den ersten hat mir in früher Jugend der Tod, den zweiten der feste Knoten der Ehe, den dritten ein Staatsamt und den vierten die kuriale Tätigkeit und das Verlangen nach Wohlstand entrissen. 5. Noch zwei andere sind dazu gestossen, die dank ihrem Talent und dank ruhmvollen Beziehungen allen anderen gleichkommen: Francesco11 und Giovanni;12 meine Landsleute beide; und ein Menschenpaar, mit aller Kenntnis und aller Gewandtheit des Benehmens bis zu den Fingerspitzen geglättet und geschliffen. 6. Beide nimmt mir gerade unsere gemeinsame Vaterstadt,13 die sie mir gegeben hat, wieder weg. Denn so stark sind sie der Hei-
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mat verhaftet und an deren Annehmlichkeit gefesselt, dass ich – obwohl im Besitz sehr vieler und grosser Pfande ihrer Liebe – ein Zusammenleben mit ihnen ausserhalb den Mauern ihrer Stadt nicht im geringsten erhoffen darf. Und weil sich meine Rede um Freundespaare dreht, bei denen die Beziehung besonders leicht und lustvoll ist, begreifst Du – so nehme ich an –, dass beinah die ganze Sache einzig auf Dich zurückfällt. 7. Dich, mein Sokrates, nur Dich hat mir, worüber die Nachwelt sich wundern mag, nicht wie alle übrigen das Land Ausonien,14 sondern das an Ceres, Bacchus und Minerva darbende, aber an Männern fruchtbare Gebiet von Nunea in Campinien gegeben. Und damit nicht ein ungebildeter Leser vermute, es handle sich um Campanien, füge ich an, dass ich Campinien in Niederalemannien – wie man heute meist sagt –, aber eigentlich den äussersten Zipfel der Gallia Belgica meine, der zwischen der linken Rheinseite, Holland und Brabant liegt. So kommt es, dass eine ärmliche Heimat sich eines reichen Talentes rühmen und dass die Natur ihr Recht behaupten kann, aus jeder beliebigen Scholle und unter jedwedem Himmel grosse Geister hervorzubringen. 8. Sie also hat mir Dich als einen Mann solcher Art genau zu jener Zeit geboren und ans Licht gebracht, als ich selber in einem anderen Erdteil zur Welt kam.15 Doch wenn Dich die Herkunft zu einem Fremdländer gemacht hat, so bist Du dennoch dank der Milde Deiner Gesinnung, den lang dauernden Beziehungen und vor allem Deiner Liebe zu mir zu einem guten Teil ein Italiener geworden. Wunderbar, wie eng doch unter so fern voneinander Geborenen die Verwandtschaft der Seelen und wie eng auch die Verbindung der Neigungen sein kann! Das beweist das Zeugnis von bereits zwanzig Jahren! Deinen Zunamen hast Du wegen Deiner sittlichen Würde und Deiner Heiterkeit erhalten. Denn obwohl die Musik, auf deren Gebiet Du ein Meister bist,16 den Namen Aristoxenos17 nahelegte, siegte das Urteil der Freunde, Du habest Sokrates zu heissen. Daran zu erinnern, ist, wenn nicht für Dich, so doch für mich und andere eine Freude. 9. Dich aber, Du meine fast einzige Linderung und Labung in diesem jetzt mühsamen Leben, versucht nun das neidische Schicksal mir durch die trennenden Alpen zu entreissen. Und gelingt ihm das, bin ich allein! Dulde das nicht, ich beschwöre Dich bei allen Himmlischen! Und Deinen ganzen Scharfsinn einzusetzen, bitte ich! Allzu stark werden wir durch weit ausgedehnte Räume und Zeiten getrennt und verlieren dadurch die einzige wirklich schöne Frucht günstiger Umstände und das einzige Hilfsmittel gegen Leiden! Ich meine ein gemeinsames Leben. Darüber habe ich früher vieles unserem Olimpio (doch ich fürchte, umsonst),18 vieles auch Dir selber gesagt und geschrieben.19 Und weil ich vertraue, dass es in Deinem Gedächtnis verankert sei, mag es genügen, dieses jetzt ein wenig aufgestachelt und angekratzt zu haben.
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10. Dich also, den ich zusammen mit anderen zur Beratung zu rufen gewohnt war, ermahne ich jetzt als einzigen, mir Rat zu geben, nämlich sowohl als Redner wie Gegenredner, Richter und Urteilsverkünder, dem ich gerne gehorche. Du weisst, dass wir in Italien zwei Wohnsitze haben.20 Wenn Dir keiner von beiden gefällt, so denke nach – wenn nur keine Affekte eine Entscheidung behindern! –, wo immer wir in Zukunft angenehmer leben könnten. Nirgends bin ich so sehr verwurzelt, dass ich mit der sanften Hand treuer Liebe nicht zu verpflanzen wäre. Wohin, das muss, wenn ich nicht irre, gerade von Dir recht sorgfältig erwogen werden. 11. Schau also zu, ob irgendwo ein Weg sei, der die getrennten Freunde zusammenführe; und wenn da keiner ist, bitte ich Dich, endlich sowohl mich wie Dich von beschwerlicher Ungewissheit zu erlösen! Und weil kein Gestirn es verbietet, Dich in Briefen zu sehen, so gewähre mir das! Denn mich siehst Du in meinen nur zu häufig, weshalb ich Dir, wäre die Liebe nicht siegreich, längst zum Überdruss gereichen könnte. Lebe wohl! Verona, am 12. März (1350).21 Anmerkungen 1 Gemeint ist Ludwig van Kempen; vgl. Fam. 1,1 und weitere Briefe an diesen Adressaten, insbesondere die um das selbe Thema Gemeinschaftsleben kreisenden Fam. 8,3 ff. 2 Hinweis auf die vielen Verluste an Freunden vor allem im Pestjahr. 3 Hier der einzige uns erhaltene Hinweis auf diesen Bruder Petrarcas. 4 Der Bruder Gherardo war im April 1343 in die Mönchsgemeinschaft der Kartause von Montrieux eingetreten; vgl. Fam. 10,3 – 5. 5 Petrarca meint sich selber. 6 Mainardo Accursio und Luca Cristiani; vgl. Fam. 8,9. 7 Tommaso Caloiro; vgl. Fam.1,2 und weitere Briefe an ihn, aufgeführt unter „Adressaten“, besonders Fam. 3,1 – 2. 8 Barbato da Sulmona; vgl. Fam. 4,8 und andere Briefe an ihn. 9 Lelio di Pietro Stefano dei Tosetti, vgl. Fam. 3,19 – 22 und andere Briefe. 10 Guido Sette; vgl. Fam. 5,16 – 18 und weitere Briefe. 11 Francesco Nelli; vgl. Fam. 12,4 – 5 etc. 12 Giovanni Boccaccio; vgl. Fam. 11,1 etc. 13 Gemeint ist Florenz. 14 Ausonia: dichterisch nicht nur für Süditalien, sondern für ganz Italien verwendet. 15 Ludwig van Kempen wurde wie Petrarca 1304 geboren; vgl. Fam. 1,1. 16 Ludwig war Sänger in der Cappella des Kardinals Giovanni Colonna gewesen, in dessen Dienst auch Petrarca gestanden hatte. 17 Musiker aus Tarent, Schüler des Aristoteles. 18 Petrarca musste fürchten, der Freund sei umgebracht worden; vgl. 8,9,20 ff.; vgl. zum Plan eines Gemeinschaftslebens Fam. 8,2 – 5. 19 Vgl. Fam. 8,5. 20 In Parma und in Padua. 21 Petrarca hielt sich 1350 für kurze Zeit in Verona auf. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 63.
Fam. 9,3, an Freunde1 1. Sein Leben zu ändern, ist schwierig. 2. Freunde und Bekannte wollen an einen echten Gesinnungswandel nicht glauben. 7. Oft ist daher im Alter ein Ortswechsel nötig. Avignon, am 25. September (1346/1347).
1. Die Nachwehen der früheren Übel machen uns zu schaffen.2 Uns zu sittlicher Würde zu erziehen, ist unser Wille, nicht unser Vermögen. Kein Vertrauen schenkt uns die Gegenwart, wir leiden unter dem Urteil vergangener Zeit. Da belästigt Dich eine Freundin, welche Deine Türe belagert. Mehrmals abgewiesen, kehrt sie zurück und lauert Dir in Verstecken nächtelang auf. Du schwörst, ein eheloses Leben führen zu wollen, und sie wird glauben, eine andere werde ihr vorgezogen, als wisse sie nichts von Ehelosigkeit und sei überzeugt, einzig mit Deinem Leben nehme Dein Umgang mit Frauen ein Ende. 2. Alte Gefährten umstehen in Scharen die oft besuchte Schwelle, rufen Dich heraus, unterbrechen Deine Rede und kündigen mit munterem Geschrei einen Festtag und eine Versammlung edler Frauen an. Und antwortest Du, solches kümmere Dich nicht, staunen sie erst bestürzt und lachen Dich nachher aus, legen Hand an Dich und zerren Dich, wohin Du nicht willst, wie Leute, welche veränderte Neigungen und das bevorstehende Alter aus jugendlichem Übermut nicht an sich selber wahrnehmen und es daher bei Gleichaltrigen nicht vermuten. 3. Aufseher und Hausverwalter raten, hier drohenden Schäden vorzubeugen und dort erlittene auszubessern. Nun hält man ihnen jenes Wort des Anaxagoras entgegen:3 „Ich wäre nicht gesund geworden, wäre das alles nicht zerstört worden“; gleich wird man für einen Angeber oder Verrückten gehalten. 4. Väterliche Freunde setzen dem Untätigen zu und zeigen ihm tausend Wege des Ehrgeizes und der Habsucht; man müsse die Zeit nützen und eine gute Gelegenheit entschlossen beim Schopf packen. Beteuert man bei den Göttern, man sei mit dem Seinen zufrieden, zeigt ein Teil dem Taugenichts seinen Abscheu, während ein anderer vermutet, offenbar werde ein Vorhaben verheimlicht, damit sich niemand einen Anteil am vermuteten Gewinn verspreche. 5. Wozu bei Bedeutendem verweilen, wenn schon bei Geringerem der Ärger nicht ausbleibt? Meinen Schneider und meinen Schuster kann ich mit allen Künsten bis heute nicht überzeugen, dass ich kein so eng anliegendes Gewandt und Schuhwerk mehr wolle wie früher.4 Sie glauben, ich spräche aus geheuchelter Genügsamkeit; und wenn sie auch vieles zu tun versprochen haben, folgen sie nachher doch nicht meiner Bitte, sondern ihrer Meinung. 6. So leiden wir noch als Greise unter den Fehlern unserer Jugend. Und wenn wir überlegen, was Abhilfe schaffe, zeigt sich zu unserer Rettung als einziger Aus-
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weg die Flucht dahin, wo man für möglich hält, dass wir einen gesunden Verstand mitbringen, und wo wir endlich sein dürfen, was wir sind, ohne ständigen Zwang, zu sein, was wir waren. 7. Oft hat einem Erschöpften eine veränderte Lage und oft einem Kranken ein anderes Klima geholfen, wie auch ein Baum durch Pfropfen sich veredelt und ein Kohlkopf dank Umpflanzen sich erholt. Was mich betrifft, meine Freunde, habe ich eben solches im Sinn. Denn entgegen einem verbreiteten Urteil halte ich fest an der Meinung, oft könne man das Alter ruhiger anderswo verbringen als dort, wo man die Jugend verbracht hat. Avignon, am 25. September (1346/1347).5
Anmerkungen 1 Der Brief mag fingiert sein oder aus früherer Zeit stammen. Dennoch deutet er auf Schwierigkeiten und Kämpfe (Abhängigkeit von Leidenschaften), unter denen Petrarca gelitten hat. Man vgl. das Secretum, an welchem Petrarca um 1347 arbeitete. 2 Vgl. Macr. Saturn. 2,3,13. 3 Philosoph in Athen, 5.Jh.v. Chr.; vgl. Val. Max. 8,7,ext. 6. 4 Petrarca sagt auch an anderen Stellen, dass er die modische Kleidung seiner Jugend durch bäurische, weite Gewänder ersetzte; vgl. Fam. 10,3,15 ff. und Fam. 6,9,1 f. 5 Vgl. Wilkins, Studies 168, wo eine frühere Annahme korrigiert wird, und Petr. Corresp. 63.
Fam. 9,4, an einen Freund1 Tadel für Liebschaften und Unzucht und Warnung vor Folgen. 1. Wahnideen halten die jungen Leute gefangen. 2. Diese suchen die Unzucht als Abenteuer. 4. Menschen handeln schimpflicher als Tiere. 8. Ehebruch gilt ihnen als Heldentat. 10. Ein grässliches Beispiel aus eigener Zeit. 15. Zitate aus Plautus. 20. Ein Rezept Petrarcas. (1348-)
1. Zum Reden verleiten mich Angst und auch Schmerz. Das eine ohne das andere hätte ich wohl schweigend ertragen; doch ich weiss zu gut, ja sehr genau weiss ich, was Dich und alle, die dem gleichen Leben wie Du verfallen sind, in Bann hält und was nach dem Verlassen des schön geebneten Weges Euch, die Ihr in Wahnideen erblindet und in Gewohnheiten verstrickt seid, auf abschüssige Bahnen hinabzieht. Unansehnlich wird Euch alles, was leicht zu haben ist; nur das Schwierige reizt Euch, und zwar um so stärker, je näher es sich dem Unmöglichen zu nähern scheint. Was offen zugänglich da liegt, verachtet Ihr und wagt Euch an Verschlossenes. 2. Wo immer ein eifersüchtiger Gatte, eine ängstliche Mutter, ein besorgter Vater für besondere Wachsamkeit bekannt ist, und wo immer auch die weibliche Scham sich mit undurchdringlicher Schranke umgeben hat, erlaubt Ihr Euch, diesen Wall mit Geschenken und Schmeicheleien zu zerstören oder mit einer neuen Art von Betrügerei zu überspringen, um solches den ruhmreichen Jugendsünden als die köstlichste anzureihen. Gewisse Jäger haben die Sitte, einen schlafenden Hirsch und einen unter Dornen kauernden Hasen nicht anzurühren; denn eben die Flucht des Begehrten steigert den Eifer der Verfolger. Genau so ist Eure Leidenschaft beschaffen, von welcher Flaccus2 sehr treffend gesagt hat: „Was auf der Strasse liegt, überspringt sie, nach Flüchtigem haschend.“ 3. Eure eigenen Gattinnen verschmäht Ihr; nach fremden verlangt Ihr, mögen indessen die Euren auch selber ihre herausgeputzten und lauernden Freier besitzen. Daher kann man überall die Prophezeiung des Jeremia erfüllt sehen:3 „Wie Pferde benehmen sich die Liebhaber der Frauen und wie Fohlen. Ein jeder wiehert der Gattin seines Nachbarn entgegen.“ Ja, wahrhaftig, Gewieher ist es, tierisches Gebaren und unstete, zügellose Wollust, ein vom Propheten sehr genau geschildertes Begehren Eurer Jugend. Deshalb hat auch ein anderer nutzlos gemahnt:4 „Werdet doch nicht wie Pferd und Maultier, die keinen Verstand haben.“ In Zorn und Bitterkeit will ich wenigstens soviel sagen: Mehr an Zucht und auch gleichsam an Scham habe bisweilen die Geilheit des Pferdes gezeigt als die des Menschen. 4. Wir lesen ja von vielen, die sich mit Schwestern vermischten und sich in den Schoss ihrer unseligen Mütter ergossen. Ihrer zu gedenken, ist widerwärtig. Doch
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ist unter solchen Freveln am weitaus berühmtesten jener der Semiramis, von welcher feststeht,5 dass sie in schon vorgerücktem Alter den Sohn zum Beischlaf drängte und von ihm in empörtem Rasen ermordet wurde. Und kürzlich war da einer, ich weiss nicht, soll ich ihn einen Menschen nennen (mir nach Aussehen und Namen bekannt, doch aus jedem Verzeichnis der Menschen zu tilgen), der seine eigene Tochter, die schon verheiratet und Mutter war, zur Blutschande drängte und sie – wegen ihres Widerstandes gegen die grässliche, verruchte Gewalttat – mit Zähnen und Nägeln bis auf den Tod zerfetzte. 5. Umgekehrt ist bei sehr vertrauenswürdigen Schriftstellern auch zu lesen,6 dass ein Pferd, dem ein Stallknecht listig die Augen verband, um es so zum Decken des Muttertieres zu zwingen, nach der Entfernung der Binde und nach dem Erkennen der Mutter, anscheinend aus Ekel vor dem Verbrechen, sich unverzüglich kopfüber hinwarf und den gleichsam fehlbaren Lebensgeist aushauchte. Ein anderes Pferd wird uns in Varros „Landleben“ geschildert,7 wie es mit gleichem Betrug getäuscht, nicht sich selber, wohl aber den Betrüger bestrafte, gegen den es nach der Beseitigung der Binde, wie jener mitteilt, „anrannte und ihn zu Tode biss“. 6. Wie viel würdiger wäre es, man könnte solches Verhalten von Menschen erzählen, das oben erwähnte dagegen von wilden Tieren. Doch die Sache verhält sich so, dass zwar kein Lebewesen edler ist als der Mensch, solange er sich seiner Menschlichkeit bewusst ist, dass jedoch, sobald er diese zu vergessen beginnt, nichts gemeiner, nichts verwerflicher und nichts schlechter ist als er, weil ihn dann Naturtriebe drängen, ohne dass die Zügel der Vernunft ihn zurückhalten. 7. Doch lassen wir, was anzuhören schwer fällt. Dem Ehrgeiz der Jugend und seinem Hochziel wende sich die Rede zu. Ehebruch nenne ich, was sich mit dem Schleier der Liebe bedeckt, und ein schändlichstes Verbrechen, was mit dem herrlichsten Namen verhüllt wird. Nicht erst in unserer Zeit, die an überbordender Schlechtigkeit alle anderen Zeiten übertrifft, sondern bereits früher während vieler Jahrhunderte war das so allgemein verbreitet, dass davon nicht unpassend geschrieben wurde: „Das ist es, was man weder erlauben, noch verhindern kann.“ Und Seneca hat das bereits als Merkmal seiner eigenen Zeit bezeichnet:8 „Wenn einer nicht mit einer Freundin grosstut und nicht hurt mit der Gattin eines andern, nennen ihn vornehme Frauen einen verächtlichen Wüstling, der Dienstmädchen nachläuft.“ 8. Diese Pest, die damals aufgekommen ist, erfreut sich heute solcher Verbreitung, dass ein junger Mann, sei er auch reich und schön und vornehm, bei Gleichaltrigen als elender Versager gilt, solange ihm noch kein Ehebruch geglückt ist, ganz als wäre er nicht durch Schamhaftigkeit, sondern durch Verhöhnung abgewiesen und abgewehrt worden und als wäre die Keuschheit der Geliebten die Schande ihres Liebhabers. So entbrennt denn bei jungen Leuten eine gewisse Hitzigkeit und eine verwerfliche Erregtheit, als gehe es nicht um Wollust, sondern um Ehre. Da-
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raus ergeben sich Beschwerden, daraus Sehnsüchte, daraus allerbitterste Abweisungen, aber häufig auch ein – allzu qualvolles – Gelingen! 9. Angenommen, dank einer wohlwollenden Venus und einem gnädigen Cupido verlaufe alles nach Wunsch! Wozu dann aber das brennende Eifern? Wozu die Stacheln des Argwohns, die tägliche, ja stündliche Unruhe des Herzens? Und wozu mitten im Reich der Liebe der fortwährende Wechsel von Frieden und Krieg? Wird nun aber das alles infolge schlechtester Gewohnheit bereits zu den Wonnen der vornehmen Welt gezählt, wozu dann am Ende jene Strafen (die sich wahrhaftig nicht verheimlichen lassen), nämlich mit öffentlichen Gerichten oder mit privaten Racheakten von seiten der Gatten? Für wie viele, in der Tat, ist eine erhoffte Nacht ganz unverhofft zur letzten geworden? Wie oft haben wir gehört oder gelesen, dass diese Ausschweifungen und diese zärtlichen Umarmungen, weil heimgezahlt mit scharfen Hieben, ach allzu teuer zu stehen kamen? Wollte ich hierfür die Beispiele sammeln, hätte ich nicht bloss sämtliche Geschichtsbücher, sondern auch alle Dörfer und Häuser zu durchforschen. 10. Eines von allen, zu meinem Schmerz so frisch wie ehrlos, müsste für sich allein (selbst wenn es sonst an alten und neuen fehlte) wegen des schrecklichen Geschicks eines hervorragenden Mannes alle jene erschüttern, die auf gleichem Pfad einhergehen. An dieser Begebenheit beklage ich das traurige und unwürdige Los eines uns Wohlgesinnten, aber auch den seinem Ritterstand eingebrannten Makel und den seinen Freunden angetanen unheilbaren Schaden, vor allem jedoch den unauslöschlichen und ewigen Schimpf am so bedeutenden Manne. 11. Nicht bloss begehrlich und leidenschaftlich (wie das allen Liebhabern eigen ist), sondern wahrhaft blind und wahnwitzig hat er – obwohl sonst nicht unklug – dem Wink einer Frau entsprochen, und zwar, was mich vor allem entrüstet, einer Frau, die für ihn keine besondere, vielmehr eine bloss gewöhnliche, auch andern erteilte Gunst, und auch keine neue Liebe, sondern eine schon alte, nach Überdruss riechende Sattheit aufbrachte. So hat denn der Unglückliche leichtfertiger als der Wind, ja sogar die Art des Windes vergessend (der angeblich dort nicht eindringt, wo ihm ein Ausgang verwehrt ist), in einen Engpass sich verlaufen, in dem es kein Mittel zur Verteidigung, keinen Ausweg zur Flucht und keine Möglichkeit zu würdigem Sterben gegeben hat. 12. Und da ist er nicht nur unbewaffnet, nein völlig nackt dem erzürnten Gatten ein furchtbares Schlachtopfer, uns allen aber eine Schmach und Pein von noch furchtbarerem Ausmass geworden. Ich suche nach ihm, den wir verloren haben, und nicht weniger suche ich nach der Vorsicht, die jener verloren hatte, als er sich selber verlor. Und was einst das römische Volk an Claudius Marcellus beweint hat,9 das halte ich für beweinenswert auch an ihm, nicht etwa den Tod, der allein gemein ist, auch nicht das Schwert, dem schon viele und oft mit grosser Ehre erlegen sind, sondern einzig diesen so
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grossen Fehltritt in seinem Alter. Dieses hätte der heftigen Triebe der Jugend längst ledig sein sollen, während es bloss der Jugend längst ledig war. 13. Ich weiss nicht, welche höllische Alekto10 mit unheilvollen Fackeln das schon erkaltende Herz entzündet hat oder welche grausamen Wesen der Unterwelt mit schwirrenden Flügeln seine Augen umflattert und die Sicht auf das nahende Ende verwehrt haben. Allein, dieses Unglück gehört zu denjenigen, die man beklagen, nicht aber beheben kann. Dir wende ich mich zu – den unheilbaren Schmerz beiseite schiebend –, um einen Schrecken, dem man vorbeugen kann, wenigstens kurz zu umreissen. 14. Ausführlich mit Dir über Liebe zu sprechen, wäre ein überflüssiger Aufwand, weil Dich sowohl Erfahrung wie Kunst bereits zu einem Naso11 unseres Zeitalters oder zu einem Catull und Properz12 gemacht haben. Dir jetzt einzutrichtern, was die eben genannten und andere Dichter, insbesondere Flaccus in jener sogar Kindern bekannten Satire13 über die unleidlichen Liebeleien mit Frauen sagten, das hiesse nichts anderes, als einem vollen Herzen Ekel erregen. Nur ein einziges Beispiel, und zwar eines, das Dir vielleicht nicht bekannt ist, lege ich vor, damit Du einsähest, dass diese Leidenschaft uralt ist und der menschliche Wahnsinn sie täglich erneuert. 15. Plautus hat in einem Stück mit dem Titel „Das Kästchen“ zwei mit einander sprechende Weibchen eingeführt, das eine ungebildet und in der Liebe unerfahren, das andere aber ungemein kundig. Das erste forschte beim andern in dieser Weise:14 „Will einer lieben, schmeckt es wohl bitter? Sag’ es doch!“ Darauf antwortet das andere: „Ja, bei Gott, die Liebe hat Honig, an Galle ist sie gar überreich, Bietet das Süsse einzig zum Kosten, verschwendet das Bittre im Überfluss“. Nun mag einer einwenden, das treffe nur für jenes Geschlecht zu, dessen Seelenstärke den Leidenschaften nicht gewachsen sei. 16. Höre also, was ebenda einige Zeilen weiter unten das stärkere Geschlecht zu sagen hat:15 „Ich sage, die Liebe, sie war’s, die erfand, Wie Menschen mit Foltern zu bändigen sind, Zu dieser Erkenntnis gelangt’ ich daheim. Unnötig, auf Strassen sie suchen zu gehn! Nun leid’ ich viel stärker als andre die Qual, Verliere mich ganz in der seelischen Pein; Bin geschüttelt, gemartert, gehetzt und verdreht Auf der Leidenschaft Rad und da kläglich zerstört, Weil gehoben, zerdehnt, so zerfetzt wie zerspannt. Da bleibt von Vernunft bloss ein nebliger Dunst.
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Wo ich bin, bin ich nicht; eben dort ist mein Herz. … Ich bin krank und verhöhnt durch ihr schnödes Gespött. Sie vertreibt und sie raubt, sie verjagt, sie hält fest, Sie preist und verteilt, was sie gibt, gibt sie nicht. Was sie eben noch riet, ach nun rät sie es ab; Was sie eben verbot, ja, das macht sie nun vor.“ 17. Soviel jener. Was weiter? Meinst Du, das seien Worte eines ruhigen Gemütes? Glaube mir, wer so spricht, ist schlecht gebettet. Das sei Erfindung eines Dichters, mag ein anderer sagen. Wer wüsste das nicht? Doch die Dichtkunst erlaubt nur das Naturgemässe zu erfinden. Und so glaube denn auch Du als einer, der Erfahrung hat, dass nichts Natürlicheres erfunden und nichts Wahreres gesagt werden kann. 18. Da ich nun, um die Wahrheit zu gestehen, fürchte, es gebe für Deinen Gaumen Angeln mit Köder und für Deine Ohren süsse Gesänge von Sirenen und für Deine Füsse verwickelte Schlingen, bitte und beschwöre ich Dich um Deiner Rettung willen: Sei doch selber auf der Hut und lass Dir das Verderben eines andern, das uns mit Trauer erfüllt,16 ein Grund zur besonderen Vorsicht sein, damit Du einem so gewaltigen Übel wenigstens etwas Gutes entziehest, nämlich eine Warnung, die zwar bedrückender, aber zugleich auch einleuchtender ist als alle übrigen. 19. Brennen die Häuser des Nachbarn, so besprenge die Deinen mit Wasser und zögere nicht. Wendig ist die Flamme, und leicht züngelt der Brand dahin, wo die Winde am tüchtigsten blasen. Dass solches eben jetzt bei Dir geschieht, ist offenkundig. Doch genug davon, obwohl ich darüber noch vieles mündlich zu sagen hätte, weil die Feder davor zurückschreckt. Aus einer andern Komödie zitiere ich noch dieses Wort und will also mit Plautus schliessen:17 „Dich hindert nichts, auf öffentlichem Weg zu gehn, Nur schaff ’ Dir keinen Pfad durch fremdes Eigentum“, und was auf diesen Satz noch folgt. Suchst Du die Stelle? „Der Schlemmer“ heisst das Stück. Und am Ende sage ich Dir vor, was ich meine, mir selber vorgesagt zu haben. 20. War von einer alten Flamme ein wenig warme Asche im Herzen zurückgeblieben, so hat das Bedenken sie erdrückt, die Zeit sie gedämpft und zuletzt der Tod sie gelöscht.18 Was diesen Kampf des menschlichen Lebens betrifft, so wisse, dass ich zum Rückzug geblasen habe. Ich beabsichtige nicht, Dir noch weiteres zu schreiben. Wer und wo ich bin, weisst Du; wozu ich Dich ermahne, begreifst Du; und was ich für Dich fürchte, erkennst Du. Lebe wohl, sei wachsam und bedachtsam! (Nach dem Mai 1348-)19
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Mehr als blosse Vermutungen, wer dieser Freund war, könnten nicht angegeben werden. Serm. 1,2,108. Ier. 5,8. Ps. 31,9. Aug. De civ. 18,2; Iust. Epit. 1,2,10. Plin. Nat. 8,64,156. Rer.rust. 2,7,9. De ben. 1,9.4. Der Konsul und Befehlshaber im Krieg gegen die Karthager starb 208 „eines elenden Todes“, nachdem er das römische Gemeinwesen in grosse Gefahr gestürzt hatte; vgl. Liv. 27, 27,11. Eine der Rachegöttinnen. Das ist Ovid, der über Liebe und Liebesgeschichten beste Auskunft gab. Gaius Valerius Catullus, 87 – 54, Lyriker. Sextus Propertius, ca. 40 – 15, Elegiendichter. Serm. 1,2. Cist. 1,1,68 – 70. Cist. 2,1,203; 215 – 220. Vgl. oben im Text 10 ff. Curc. 1,1,35 – 36. Der Tod wessen? Dass hier auf den Tod Lauras verwiesen werde, wie Dotti, zu Fam. 9,4,20 vermutet hat, darf man bezweifeln. Laura war Petrarcas hohe Liebe; er hatte aber als junger Mann verschiedene Liebschaften, deren er sich später schämte. Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 63.
Fam. 9,5, an Bischof Ugolino dei Rossi von Parma1 Versuch einer Rechtfertigung. 1. Petrarca bricht sein Schweigen. 3. Er will über Gerechtigkeit streiten. 4. Sein Bischof verdächtigt ihn übler Machenschaften. 7. Verleumder finden bei ihm Gehör. Deshalb fingiert Petrarca ein gegenläufiges Gerichtsverfahren. Er bringt seine Klage gegen den Bischof vor. 8. Petrarcas Person und sein bisheriges Leben werden untersucht. 11. Unrecht zu rächen, hat er stets vermieden. 19. Die Anklage ist unhaltbar. Für die Schuld fehlt beim Dichter jeder Grund. 31. Petrarca wiederholt seine Gegenklage. Die Beteiligung an einem früheren Rechtsstreit rechtfertigt keinen Argwohn 45. Gefragt wird nach dem Grund für Petrarcas Aufenthalt an der Kurie. 47. Argwohn hat zu jeder Zeit grosses Unglück angerichtet. 49. Dem Ruf des Bischofs ist es abträglich, Petrarca zum Feind zu erklären. Am 28. Dezember (Avignon 1351).
1. Ein Schmerz kann oft wortkarg, ja häufig gar stumm sein. Das geschieht, wenn die Angst eines traurigen und betäubten Gemütes in ihrer schweren Starre den Weg der Stimme verriegelt. Dennoch finden die Worte, sobald das Hemmnis eisiger Trauer in der Glut eines verwundeten Herzens geschmolzen ist, ihren Weg; und so ist der Schmerz oft auch äusserst geschwätzig. Für beides bin ich ein Beweis in eigener Person. Ich habe ja lange Zeit ob allzu grossem Schmerz geschwiegen, jetzt aber, wie Du siehst, befreie ich mit einer ausschweifenden Rede die bekümmerte und sehr bedrückte Brust von ihren Lasten. Da habe ich also fast meine ganze Lebenszeit darauf ausgerichtet, sofern mein grösster Wunsch, recht vielen zu nützen, nicht erfüllbar sei, doch wenigstens niemandem schädlich und niemandem verdächtig zu werden! 2. Und doch soll ich nun in aller Duldsamkeit darüber hinweggehen, dass Du, mein Vater, zwar nicht gemäss Deinem eigenen Urteil (da die Natur Dir Milde und Verständigkeit verliehen hat), aber unter dem Anhauch irgendeines Natterngezischs und unter dem Strahl irgendeines tödlichen Schlangengifts gegen mich, der ganz der Deine ist (sofern Du es duldest), einen unnötigen und wahrhaft unverdienten Argwohn geschöpft hast? 3. Mit Dir über Gerechtigkeit zu streiten, das habe ich im Sinn. Noch stehen wir im Dezember, und dass in diesem Monat sogar den gekauften Sklaven erlaubt ist, gegen ihre Herren alles nur Beliebige vorzubringen, das dankt man einem Zugeständnis des Altertums.2 Du hast an diesem schmucklosen und mit keinerlei Wortkunst gezierten Traktat ein Unterpfand und einen Bürgen meiner Ergebenheit; er geht ja aus einem klaren und reinen Winkel meines Herzens hervor, der freilich, wie ich zugebe, keineswegs ruhig ist, vielmehr durch grosse Intrigen meiner Neider aufgewühlt wurde. Möge Dir also genehm sein, was Du liest! Andernfalls wirst Du gewiss meinen Schmerz und den genannten Monat beachten. 4. Um Dich nicht allzu lange hinzuhalten, bitte ich: Sage mir doch rund heraus, woher es kommt, dass Du so Übles von mir denkst? Wann, Vater, habe ich das um Dich verdient, dass dort, wohin der Betrug noch nie einen Fuss gesetzt hat, jetzt
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Spuren der Verdächtigung bestehen? Was habe ich je getan? Was ist es, das Du an mir entdeckt und das Deine Augen beleidigt hat? Was für harte Worte, mit Deiner Ehrwürdigkeit unvereinbar, hättest Du von mir vernommen? Oder umgekehrt, was für milde Reden, mit meinem Gewissen unverträglich, wären gefallen? Was an Verdächtigem, ich bitte Dich, hast Du je aus meinem Munde gehört? Denn aus dem Mund jener anderen, die Dich fortwährend von beiden Seiten umdrängen und Deinem Ohr eine Fülle von Lügen und Schmeicheleien zuflüstern, konntest Du zweifellos täglich über mich vieles und Verschiedenes hören. 5. Ist Dir Deine Weisheit jedoch gegenwärtig und nicht unter dem stinkenden Atem der Liebediener erstickt worden, müsstest Du mit ihren Reden meine Taten vergleichen. Wenn in meinen Taten und Reden nichts Ungebührliches zum Vorschein kommt und wenn auf meiner Stirne sich nirgends ein Wölklein zeigt, das einen aufgewühlten Geist verriete, warum ist dann erlaubt, genau das Gegenteil von dem zu vermuten, was in die Augen springt? Nämlich, ich sei Dir feind, wo ich Dir doch ein Freund sein will und Dir – sofern die einseitige Liebe schon Freundschaft bewirken kann – ein Freund auch wirklich bin? 6. Alles verkehrt ein böswilliger Deuter ins Schlechtere. Du aber, ein so würdevoller Mann, von solcher Klugheit, solcher Reife! Warum glaubst Du über meine Person lieber einem anderen als Dir selber? Verschliesse, bitte, Dein Ohr gegen die Ohrenbläser und befrage über mein Verhalten in aller Stille Dein eigenes Herz! Dieses wird verneinen, dass ich Dein Feind sei, und wird mich Deinen Freund, jene anderen dagegen Deine eigentlichen Feinde heissen, weil sie unter ihren Lippen ein Gift verbergen und mit Honig vermischte Galle tragen, um damit ein ehrenhaftes Gemüt unmerklich zu versehren und ebenso einen makellosen Leumund durch verleumderische, giftige Reden zu besudeln. Dies aber nicht ohne Freundschaften zu zerstören, obwohl ein solcher Verlust den vornehmen Herzen schmerzlicher ist als jeder andere. 7. Mit solchen Leuten kann ich nicht rechten. Ihre Gedanken, ihre Taten und Reden verachte ich. Mit Dir aber, Vater – wie ich gesagt habe – mit Dir streite ich, und gewiss unter einem unverdächtigen Richter, wie sehr ich selber verdächtigt werde. Dich allein setze ich sowohl als Angeklagten wie als Zeugen und als Richter ein, dagegen mich selber bloss als Angeklagten bei gleichbleibendem Zeugen und Richter. Solcher Art wird die Streitsache in gegenläufiger Verhandlung, doch stets unter dem selben Richter ausgetragen. Ich bringe, um gleich anzutreten, nichts anderes gegen Dich vor als das Unrecht dieses Argwohns, mit dem Du meiner Unschuld zu Leibe rückst. Du Deinerseits hast gegen mich vielleicht manches und Gewichtiges vorzutragen, wenn Du Deinen Gewährsleuten glaubst. Doch wolltest Du Dir selber glauben, wäre es gar nichts, wie ich meine. Sprichst Du mich also frei, habe ich erreicht, was ich wünschte; verurteilt mich aber Dein Mund, appelliere ich an Dein Gewissen, und dieses wird mich zweifellos freisprechen.
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8. Ich hätte, so behauptet man, die römische Kurie in der Absicht aufgesucht, Dir zu schaden, und mit eben diesem Vorsatz verweilte ich hier, um gegen Dich irgendeine heimliche Machenschaft anzuzetteln, die zu gegebener Zeit, wie man sagt, ans Licht kommen werde. Oh diese bestürzende Frechheit, diese unerhörte und meinen Sitten völlig fremde Verleumdung, diese ewig blinde Missgunst, dieser läppisch erdichtete Vorwurf, der allen Gewohnheiten meines Lebens entgegensteht! 9. Nun wird bei gerichtlichen Untersuchungen – wie ich in früher Jugend auf den Schulen für Zivilrecht gehört habe (heute nämlich berühren mich diese Studien nicht mehr) – zuerst nach der Person gefragt, was gleichsam die Grundlage für die Untersuchung darstellt, und darum halte ich es für angebracht, gleich an dieser Stelle mit Dir, Vater, zu erörtern, wer ich bin, gewiss nicht in meiner Gesamtheit, aber doch in jener Hinsicht, in der ich angegriffen werde, das heisst zu fragen, wie sehr ich zu schädigen gewohnt und Schaden zu stiften begierig bin. 10. Ich frage Dich persönlich. Wahr ist, dass ich von Kindheit auf viel Hartes und Demütigendes ertragen habe, und zwar (was das Mass eines Unrechts vergrössert) durch Personen, von denen ich Derartiges weder verdiente noch befürchtete.3 Und dennoch: Wem habe ich je eine Bosheit vergolten, wem Ränke geschmiedet, wem eine Falle gestellt, wem gewalttätig nach Eigentum und Leben getrachtet? 11. Selbst ein noch so sorgfältiger Auskundschafter könnte, wie ich glaube, nichts finden, was eine solche Unterstellung verdiente; höchstens fände er etwa einen leisen Klagelaut, wie ihn nicht einmal ein Schaf und eine Taube nach einer Verletzung unterdrücken. Ich freilich habe einen solchen oft unterdrückt, selbst wenn es erlaubt war, ihn auszustossen, und habe oft sogar bis zum Anschein von Feigheit schweigend meinen Schmerz in mich hinein gewürgt. Und ausser einigen wenigen Abhandlungen, in denen ich den Anwürfen meiner Aushorcher antworte (übrigens ohne Nennung ihrer Namen, damit nicht an irgendeinem Leumund die Narbe meines Bisses sichtbar bleibe), wird man kein einziges Anzeichen einer Rache entdecken, vor allem keines, das die Meinung begünstigt, ich hätte beim Zurückweisen von Kränkungen und Unrecht die Rücksicht auf Menschlichkeit und Ansehen vergessen. 12. Jenem sei Dank, der mir dieses Vertrauen in die Aufrichtigkeit meines Gewissens gegeben hat! Denn ich kann nicht allein mit einem flüchtigen Wort, nein auch mit einer dauerhaften Schrift, ja einer, die möglicherweise in die Hände meiner Feinde geraten wird, ein Zeugnis für meine Unschuld ohne jedes Bedenken abgeben. Und dies kann ich im klaren Bewusstsein tun, dass die Gegner nicht aufhören, mich mit offenkundigen Lügen zu zerfetzen, und gleichzeitig begierig sind, jedes noch so kleine Häklein, mit dem man mich beim Wort erwischen könnte, mit beiden Händen zu packen, sobald sie es nur entdecken. Wirklich, sie mögen es tun, und zwar mit meiner Genehmigung! Das heisst: sofern ich (wie ich oft hätte tun können) das vielfache Unrecht meiner Neider je in meinem Leben schwerer gerächt habe als Scipio Africanus das Unrecht seiner Heimat in seinem Tod.4
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13. Denn was von vielen begehrt wird, das wollte ich geringachten; ich hatte ja vom Satiriker5 gelernt, sich zu rächen sei immer Sache kleinlicher, schwacher, armseliger und weibischer Seelen. Wenn aber der Schmerz über eine Kränkung mich dann und wann vielleicht allzu tief verletzte, pflegte ich mich mit dem Versprechen des Herrn zu trösten: „Mein ist die Rache, und ich selber werde vergelten.“6 Und für überflüssig hielt ich, dass ein Mensch versuche, was der himmlische Rächer zu tun gelobt hat. Oder gilt nun von mir, ich sei so duldsam gegen Feinde wie feindselig gegen Freunde, und sei zwar ein Lamm unter Wölfen, aber auch ein Wolf unter Lämmern? 14. Was in der Tat hat mir die Flucht vor Geschäften und Städten genützt, was das Verlangen nach Einsamkeit und Studien, was die Liebe zur Ruhe und Stille, wenn ich jetzt gleichwohl zu den hinterlistigen Übeltätern gerechnet werde? Ach, als grosse Wahrheit erlebe ich, was ich von höchst gelehrten Männern vernommen habe, nämlich die schwierigste aller Künste sei die Kunst zu leben.7 So ist es, beim Herkules, und nichts ist wahrer! Was tun wir Sterbliche denn nach unserem Willen? Unser Scharfsinn wird durch das enge Nebeneinander von Gegensätzen getäuscht; zum Schaden wendet sich oft unsere Anstrengung; selten stimmen das Erreichte und das Erstrebte zusammen. 15. Sieh nur, was habe ich da erworben, wo ich den Ruf der Unbescholtenheit hätte erwerben sollen? Wahrhaftig, den argwöhnischen Vorwurf, ich dächte an Umwälzungen und boshafte Verschlagenheit, und zwar gerade gegenüber den Besten! Und vielleicht – ich weiss nicht, wie mir das zu Ohren kam, was unter den Grossen (ich meine: „gross“ durch Reichtum, nicht durch Verstand) öfters erwähnt wurde –, vielleicht, sage ich, gelte ich manchen bereits als Magier und Geisterbeschwörer,8 weil ich oft einsam bin und weil ich – es erregt mir Wut und Gelächter – die Bücher Vergils9 lese! So sagen ja diese erzgescheiten Männer, und wirklich, ich selber leugne es nicht: Ja, ich habe sie gelesen! 16. Sieh da einen Grund zur Verdächtigung! Sieh da eine Entehrung der Studien! Schon wundere ich mich weniger, dass man einem Apuleius von Madaura vorwarf, er treibe Magie, was dieser allerdings in einem ganz ausgezeichneten Werk widerlegt hat.10 Ich habe eine so umständliche Verteidigung nicht nötig; man zieht mich noch nicht vor Gericht; nur mit leisem Geflüster umgarnt man mich in düsteren Winkeln. Soll das aber eine Spielerei sein, den leichten Kahn des guten Rufes immer neu an diese Klippen der Ignoranz zu schleudern? 17. Ja, stähle Deinen Geist, verbringe schlaflose Nächte, schreibe dies oder das! Sobald es in die Hände der Kritiker fällt, kannst Du den Titel eines Magiers erwerben, selbst wenn Du bloss etwas gesagt hast, was jene nicht begreifen, die überhaupt nichts begreifen. Immerhin ist da nichts Belastendes: Magier will ich lieber heissen als Übelredner und Übeltäter. Und wollte man unterscheiden, so wäre für einen Menschen ein Fehltritt seines Willens bedenklicher als einer seines Verstan-
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des, ebenso eine Verlästerung seiner Sitten gefährlicher als eine seiner Bildung. Für mich aber hat man, ohne dass ich es wusste, sogar beides ausgeheckt. 18. So meine ich für den Fall, dass einer durch ehrlose Leute wirklich entehrt werden kann. Aber hat, ich bitte, Persius11 sein kurzes, ungebärdiges Gedicht nicht völlig richtig gerade mit solchen Klagerufen begonnen? „Oh, was sorgt sich der Mensch; und oh, wie ist alles so nichtig!“ Ja, wahrhaftig, wie ist doch gar nichts verlässlich, nichts sicher! Musste ich doch just in diese Grube, die ich immer höchst bedachtsam gemieden habe, höchst unbedacht abstürzen! Und mit keinerlei Anstrengung ist mir gelungen, dem hündischen Zahn des bissigsten Lästermauls zu entkommen. Ich bin ja geflohen, still gewesen und verborgen gelegen; und doch ist die Missgunst, meine Spuren beschnüffelnd, selbst in diese meine hintersten, einsamsten Winkel hereingebrochen! 19. Doch genug zur Person! Kommen wir zur Sache! Denn weil man mir, wie ich höre, nichts sicher Erkanntes vorwirft, sondern sich einzig auf Verdächtigungen abstützt, und weil wir im Gerichtsverlauf bis zum Akt der Vermutung gelangt sind, muss meines Erachtens fürs erste gefragt werden, was mich dazu hätte verleiten können, Dir zu schaden. Sollte man feststellen, dass es hierfür nichts gibt, so wäre erwiesen, dass ich nicht geschadet habe, noch schaden wollte, noch zum Wollen Ursache hatte. 20. Wirklich, alles, was die Menschen zum Verderben eines andern ins Werk setzen, entspringt wohl entweder einem vorgefassten Hass oder einem plötzlichen Zorn, entweder dem Neid oder der Hoffnung oder irgendwelcher Furcht. Was es sonst noch an Gründen für das Verlangen nach Schädigung anderer gäbe, wüsste ich nicht; es sei denn vielleicht eine blutige und unmenschliche Grausamkeit und eine ganz elende Lust am Verbrechen. Bei einem Menschen mit gesundem Verstand solches zu argwöhnen, ist aber ein Frevel. Die genannten fünf Beweggründe wollen wir, wenn’s Dir genehm ist, kurz behandeln. 21. Hass, Vater, gegen Dich! Woher und aus welchen Wurzeln, ich bitte Dich, wäre er bei mir entstanden? Was hast denn Du mir an Hassenswertem getan? Lange bevor ich in Deiner Kirche die erste Stelle nach Dir einnahm12 (wiewohl vielleicht selbst der letzten nicht würdig), hast Du mich nicht nur mit keiner Beleidigung, welche die Mutter des Hasses ist, sondern umgekehrt immer mit grosser Ehre bedacht und mich oft vor bedeutend Grösseren und Höhergestellten bevorzugt. Solches als Grund für Hass auszugeben, wäre lächerlich, und einen anderen Grund gibt es, soviel ich wüsste, nicht. 22. Und warum sollte man zum Zorn das selbe ausführen, was bereits vom Hass, als dem heimlicheren Übel, gesagt wurde? Wo doch unser gegenseitiger Umgang recht selten und die Begegnungen nach jeweils langen Zwischenzeiten stets froh und heiter waren und dem Zorn gar keinen Raum gewährten?
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Was wäre über den Neid zu sagen, wenn nicht das, was ich auf das zuverlässigste und wahrhaftigste sagen kann, dass ich nämlich auf keinen Menschen je neidisch war? Möchte ich doch vom üblen Ruf eines Verächters gleichermassen frei sein wie von dem eines Neiders!13 Und wenn das für die hitzigeren Lebensjahre gilt, in denen unzählige Gründe für Eifersucht auftauchen, was meinst Du, gilt dann für heute, wo ich nach den bewältigten Stürmen jugendlicher Leidenschaften schon fast – wie der Komiker sagt14 – „im Hafen einlaufe“? 23. Nochmals sage ich, und Gott und mein Gewissen rufe ich zu Zeugen an, dass ich nicht lüge: Keinen Menschen beneide ich; gegenüber allen meinen Bekannten bin ich mit meinem eigenen Los zufrieden, und eher fürchte ich, der Neid sei mein Gegner und nicht mein Gast, das heisst, ich sei eher beneidet als selber neidisch. Für Dich aber, Vater, hege ich nicht nur keinen Neid, sondern empfinde ich – um zu sagen, was ich fühle – in kindlicher Ergebenheit auch ein Mitgefühl, übrigens nicht allein für Dich, sondern für alle, denen die gleiche Pflicht der Seelsorge auferlegt ist. Freilich ist mein Mitgefühl für Dich besonders stark, denn ausser der üblichen Bürde der kirchlichen Verantwortung musst Du noch die für die Bürgerschaft und die für alle politischen Streitereien tragen, an denen diese Stadt in gar so erbärmlicher und vielfältiger Weise zu leiden hat.15 Das ist ja ein bekanntes Verhängnis all jener, die in der eigenen Vaterstadt regieren. 24. Bleibt schliesslich, auch von der Hoffnung und Furcht etwas zu sagen. Erstens erwüchse mir aus Deinem Sturz keine Hoffnung auf einen eigenen Aufstieg. Glaube mir, bitte, was ich rein zu Deiner Beruhigung sagen möchte: Nie ist mir eingefallen und niemals wird mir einfallen, meine Musse gegen Deine Unmusse und meine Ruhe gegen Deine Mühen, meine Armut gegen Deinen Reichtum vertauschen zu wollen. Und denke auch nicht, mir sei Deine gehobene Stellung ein Ärger. In aller Welt findet sich keiner von Deinem Rang, dessen Stuhl ich einzunehmen wünschte. Ja, ich wollte einen solchen aufs hartnäckigste ausschlagen, selbst wenn er mir angeboten würde. Lüge ich, so treffe mich der Blitzschlag! Darüber werden sich manche vielleicht wundern; Du selbst aber wunderst Dich zweifellos nicht, weil Dir die Härte Deines Sitzes bekannt ist. 25. Und ich würde, wahrhaftig, das Gesagte nicht so beharrlich wiederholen, wären mir nicht der Inhaber des römischen Stuhles, die Leuchten des römischen Kardinalats und andere Prälaten in den Städten dank vertraulichem Umgang bekannt. Denn diese Vertrautheit hindert mich, über ihr umwölktes Glück ein irriges Urteil zu fällen. Ein Wort des Papstes Hadrian16 will ich anführen. Ein anderes ist ja allgemein bekannt, nämlich das aus dem Munde jenes Königs, der die Stirnbinde – gemäss Valerius17 – nach ihrem Empfang und noch bevor er sie um sein Haupt legte, in den Händen hielt, betrachtete und sagte: „Oh wie ist dieses Tuch weit edler als beglückend! Wüsste einer genau, wie viele Gefahren es in sich birgt, er würde es vom Boden nicht aufheben.“
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26. Doch ein gewisses Wort Hadrians IV. ist weniger verbreitet, und ich habe es im Werk „Philosophische Kleinigkeiten“18 gelesen. Er pflegte zu sagen, niemand sei erbarmungswürdiger als ein Papst; keine Lage sei erbärmlicher; ja, würde ihn nichts anderes bedrücken, ginge er doch allein an seiner Pflicht in kürzester Frist zugrunde. Damit gestand er sich ein, er habe auf seinem Sitz so viel Beschwerliches gefunden, dass ihm im Vergleich zu seiner neuen Lage all die frühere Bitternis wie lauter Scherz und Lebenslust erscheine. 27. Voll von Dornen erschien ihm der Papstthron und sein Mantel besetzt mit spitzigen Stacheln und von solchem Gewicht, dass er selbst kräftigste Schultern reibe, drücke und lähme. Ja, auch von der Krone und Mitra meinte er, sie strahlten nicht ohne Ursache; sie seien ja reines Feuer. Und noch dies fügte er häufig hinzu, dass er – aufsteigend auf dieser Laufbahn vom Stand des Ordensmannes durch alle Ämter bis zum Papsttum – niemals den geringsten Grad an Glück und stiller Ruhe gewonnen habe zu dem, was er vordem besessen. 28. „Zwischen Hammer und Amboss“, so meinte er häufig, „hat mich der Herr fortwährend zermalmt; doch nun möge er nach seinem Gefallen dem Gewicht, das er für meine Schwäche bestimmt hat, seine Rechte unterschieben; denn ich vermag es nicht länger zu tragen.“ Dies habe ich mit beinahe den selben Worten wiedergegeben, mit denen es jener aufgezeichnet hat, der es aus dem Mund des Sprechenden vernommen hat. Was aber soll ich dazu sagen, ausser dass jener Papst ein sehr herber und sehr strenger Beurteiler seiner Lage war und würdig, nach dem Ablegen seiner schweren Bürde rasch zu den ewigen Thronen versetzt zu werden! 29. Doch um zu Dir zurückzukehren, so verzeih mir ein vertrauliches Selbstlob! Würde ich von einem Wunsch nach Deinem Rang befallen, so wüsste ich nicht, wie viel mir jetzt zustünde; aber in den vergangenen Jahren hätte ich oft einen Sitz, der nicht bloss dem Deinen entsprach, sondern einen noch ansehnlicheren besteigen können und habe einen solchen Aufstieg doch stets, ich will nicht sagen „verachtet“, aber entsetzt gemieden und habe – was mich nie gereut – einer glanzvollen Knechtschaft eine bescheidene Unabhängigkeit vorgezogen.19 Wahrscheinlich hätte ich davon geschwiegen, wäre nicht jener noch immer am Leben,20 der mich des bestimmten Sitzes für würdig hielt und mich aufs gütigste drängte, mich auch selber dessen für würdig zu erachten, er, der nicht gewohnt ist zu bitten, vielmehr gebeten zu werden, und zwar sogar von fussfällig und demütig flehenden Königen. Wenn ich irgendwie lüge, kann ich durch sein Zeugnis widerlegt werden. 30. Was aber soll ich von Furcht sagen, da ich doch eher auf Dich hoffe? Nur ein Undankbarer kann jemanden fürchten, dessen Wohlwollen er erfahren hat, jedenfalls solange, als kein Schuldbewusstsein und überhaupt kein Grund für eine Sinnesänderung vorliegt. Ich aber liebe und verehre Dich, und ich hege, wenn Du willst, Ehrfurcht, aber nicht Furcht, und nur in dem Mass, als Liebe sie nötig hat, um auf
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Dauer zu bestehen. Dabei habe ich allerdings berücksichtigt, dass es Dein Wunsch sei, nicht so sehr gefürchtet als geachtet zu werden, während mir selber angeboren ist, niemanden sehr zu fürchten, ausser wenn ich entschlossen bin, jemanden zu lieben. Daher, Vater, wirst Du dies alles in der Gewissheit lesen, dass ich weder Dir noch dem Papst, noch irgend einem anderen Menschen solches zu schreiben wagte, würde ich nicht vorher zuinnerst in meinem Herzen lesen, was ich schreibe. 31. Eines hätte ich vergessen, so sagen die Ankläger. Sie sind ja stets – wie Iulius Caesar in einem Brief geschrieben hat21 – „Dir wie mir die schlimmsten Feinde gewesen und haben mit ihren Ränken es dahin gebracht“, (und nun sage ich nicht wie jener„dass das öffentliche Wohl“, jedoch) dass unsere Vertrautheit und Freundschaft „zu diesem Zustand gelangt ist.“ Sie also werfen mir vor, ich sei ja auch früher Dir an der Kurie entgegengetreten, nämlich damals, als wegen eines Zwischenfalls, wie er bei nahen Beziehungen fast immer vorkommt, das Haus Correggio einen grossen Streit mit Dir ausfocht.22 Und in diesem Punkt lügen sie nicht. 32. Aber ich rufe Dein Gedächtnis zum Zeugen an, denn Du bist in eigener Person bei allem dabei gewesen: Ist damals meinem Mund irgendein zu heftiges oder unehrerbietiges Wort entfallen? Und sollte es mir entfallen sein, so würde ich behaupten (ob es Charakterstärke oder Anmassung verrate), dass man mich weit eher verleiten konnte, über einen Anwesenden als einen Abwesenden Nachteiliges zu sagen. 33. Verteidigt habe ich eine gerechte Sache, sofern nicht Liebe mich täuscht; und war sie vielleicht doch eine ungerechte (jeder Liebende ist ja blind), so habe ich das Unrecht nicht erkannt. Verteidigt habe ich zweifellos die Sache einer mir aufs engste verbundenen und mir sehr teuren Familie, dank deren Einladung und Vorsorge ich erstmals in diese Gegend gekommen war und durch deren Liebe ich bewogen wurde, wie Du weisst, eine fremde Heimat zu der meinen zu machen23(sofern der Mensch seine Heimat nicht überall hat24). Zwischen den Alpen und dem Apennin schätze ich diese Familie in jeder Hinsicht so hoch wie alle anderen, und auch sie zieht, wie ich glaube, meiner Ergebenheit keine andere vor. Daher wird mich dieser Sache wegen wohl niemand zu recht beschuldigen, schon gar nicht Du selber, da Dir eine treue Freundschaft gewiss erfreulicher ist als alles. 34. Und beachte, wie ich von Deinem Charakter denke! Ich nehme an, Du kannst eine Gegnerschaft gegen Dich, sofern sie auf geschuldeter Treue gegen andere beruht, höher schätzen als eine Ergebenheit, wenn sie Treulosigkeit fordert. Verteidigt habe ich jene Angelegenheit übrigens nicht als Anwalt, sondern als Freund und dies nicht mit Haarspaltereien, Zänkereien oder irgendwelchen Künsten, auch nicht mit Angriffen auf Deinen guten Leumund, nein, bloss durch eine einfache und bescheidene Bestätigung eines Sachverhalts, so dass – was bei Gerichtsfällen selten ist – weder dem Papst25 noch der Versammlung, vor denen man die Streitigkeit beilegte, der mindeste Anlass zu einer neuen Verdächtigung Deiner Person entstand. Und gewiss richtete sich meine Verteidigung gegen Dich, doch tat
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ich es in Deiner Gegenwart, und Du warst mir damals noch unbekannt, und wenn zwar schon Bischof, so immerhin noch nicht der meine. 35. Später war mir dann lieb, unter Verzicht auf bedeutendere Ämter, welche die grösste Gebefreudigkeit mir oft aus freien Stücken anbot, Dein Archidiakon zu werden;26 und wenigsten darin kannst Du – wenn ich nicht irre – einen zuverlässigen Hinweis auf meine freundliche Gesinnung erkennen. Denn wie wäre ich, dem das blosse Wort Streit verhasst ist, so wahnsinnig gewesen, freiwillig einen ewigen Streit zu wollen und einen übermächtigen Gegner zu wählen? Wärst Du mir als ein Feind erschienen, hätte ich niemals unter allen Orten eben diesen erkoren, wo ich ein frischer Ankömmling bin, Du dagegen – abgesehen von Deinem Bischofsamt – einer der ältesten und angesehensten Bürger bist! 36. Glauben würde ich wahrhaftig, Du seist mir ein Feind, müsste ich mich selbst als Deinen Feind erkennen. Denn einfältig wäre ja gewiss, von einem, den man mit Hass verfolgt, Wohlwollen zu erwarten. Doch bin ich zu dieser Kirche und zu Dir gekommen, um Ruhe zu finden, nicht Streit und nicht Eifersucht. Mir gefiel Deine Lebensart, mich freute Deine Menschlichkeit. Und hättest Du nur immer Ratgeber eben dieser Art besessen! Nichts missfiel mir an Dir, und nichts missfällt mir auch jetzt, ausser Deine wohl allzu grosse Leichtgläubigkeit. Die aber hat, sofern sie ein Mangel ist, nur sehr geringes Gewicht; sofern sie nicht auf bösartige Ratschläge hört. Denn sie kann umgekehrt, wenn sie guten Eingebungen folgt, oftmals heilsam und niemals einflussreich genug sein. 37. Gekommen bin ich also nicht unwissend, vielmehr Deiner Menschlichkeit sicher und auf Deine Klugheit vertrauend. Und nicht wie zu einem zornigen Gegner, nein, wie zu einem gnädigen Vater bin ich gekommen und glaubte, Du würdest Tüchtigkeit dermassen schätzen, dass ich Dir, wenn durch kein anderes Verdienst empfohlen, doch gerade darum besonders wert wäre, weil ich – wiewohl gegen Dich – in guten Treuen für die Sache sehr bedeutender und ausgezeichneter Freunde eingetreten war. Und die Hoffnung hat mich nicht getäuscht! Einen Vater habe ich gefunden, einen Vater habe ich verehrt und werde ich, ausser ich werde daran gehindert, verehren bis ans Ende. 38. Und weil es sich so verhält, lege bitte die Leichtgläubigkeit ab! Höre auf, sage ich, zu argwöhnen, ich könnte etwas mir bisher völlig Abwegiges ins Werk setzen, ja ich könnte, da ich einst – Dir noch unbekannt – ein sehr ergebener Verteidiger meiner Freunde war, jetzt – Dir wohlbekannt – meine Natur verleugnen und Dein ganz verlogener Ankläger werden. Dies, obwohl ich doch von Dir geliebt und mit Ehren überschüttet und, wie man zu sagen pflegt, Dein Auge bin!27 Das gesunde Auge hat die Eigenheit, dem Haupt nicht bloss keine Gefahren zu bereiten, sondern es zu schützen und dazu anzuleiten, wie man sie meidet und fernhält; während das gesunde Haupt umgekehrt die Eigenheit hat, das Auge nicht zu hassen, sondern es unter allen körperlichen Gaben mit besonderer Sorgfalt zu hüten.
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39. Bleibt noch, auf die Intrigen jener einzugehen, die keine bestimmte Anklage vorbringen, jedoch, um nicht untätig zu sein, meine blosse Anwesenheit an der Kurie zum Unrecht erklären. Ganz so, als könnte der Aufenthalt ebenda Dir nichts anderes als Schaden und Verderben bringen, obwohl er Dir sogar zum Vorteil gereichen würde, sobald sich ein Zwischenfall ergäbe und Du nach Deinem Recht meine Hilfe erfordern wolltest. Ich höre ja, bei Euch seien nicht wenige (oh dieser Menschenschlag! Bekümmert um andere und sorglos gegen sich selber!), die meine Absichten ausforschen und sich darüber gegenseitig unterrichten, als reichten ihre Blicke bis in mein Innerstes. 40. Ihre Fragen drehen sich um Folgendes: „Warum ist der Archidiakon so lange abwesend? Was tut er an der Kurie?“- Und die Antwort lautet: „Zweifellos schmiedet er irgendwelche Ränke gegen den Bischof.“ Nun könnte ich, würde ich vor einem Dichter sprechen, Verwünschungen nach Dichterart vorbringen. Doch ich rede zu einem Bischof und habe daher milder zu verfahren. Gut also! 41. Gegen „ihre Zungen, die betrügerisch reden“28 und „gegen ihr Herz, das eitel ist“, gegen „ihren Rachen, dieses offene Grab“ und gegen „ihren Mund, der keine Wahrheit hat“, aber29 „voll ist von Fluch, Bitterkeit und Verschlagenheit, bergend unter der Zunge Plackerei und Qual“, finde ich als Gegenmittel wahrhaftig nichts anderes als ein Wort des Psalmisten, der in seiner Bedrängnis zum Herrn aufschrie30: „Herr, rette meine Seele vor bösen Lippen und trügerischen Zungen!“ und jenes andere Psalmwort, das niemals, ohne mein Herz zu erregen, Tag für Tag zu meinem Munde drängt und mich oft zwingt, meine flehenden Hände zum Himmel zu erheben31: „Errette mich aus dem Ränkespiel der Menschen, auf dass ich Deine Gebote halte!“ 42. Solches und Ähnliches werde ich beständig sagen, selbst wenn ich stumm erscheine, und ich werde zu bitten nicht aufhören, bis entweder32 die Bosheit sich gegen ihr eigenes Herz wendet und „ihren Mund verstopft“ oder bis durch ein Gottesgericht33 „der Mund der Übelredner versiegelt wird“. 43. Soviel gegen diese Leute; schroffer als ich wollte und vielleicht auch als ich sollte; aber die Schamlosigkeit ihrer Anklage hat mich bezwungen. Da ich offensichtlich mit Leuten streite, die ihr Können auf die Zunge verlegen, werde ich von jetzt an das meine den Ohren leihen und es öfters ebenso auf die Zunge setzen. Und die mich grundlos Befehdenden werde ich mit einer gleichen Waffe zurückstossen, dies aber weit wirkungsvoller, weil die Lüge schwächlich und stumpf, die Wahrheit dagegen scharf und mit stählerner Schneide bewehrt ist. Mich selber werde ich mit der Vorstellung trösten, dass mir solches niemals hätte zustossen können, wenn ich ihren triefenden, missgünstigen Augen nicht ein bisschen mehr zu sein schiene, als ich bin oder jedenfalls mehr, als ihnen lieb ist. Nur an das schlechteste Los rührt die Missgunst eben nicht.
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44. Von Platon wird Folgendes erzählt. Als ihn Gleichaltrige beneideten, soll er Sokrates gefragt haben, mit was für Künsten er sich der Missgunst entziehen könne. Darauf habe Sokrates ihm erwidert: „Lebe wie Thersites!34 Geistreich wahrhaftig ist die Antwort jenes schlagfertigen und gebildeten Mannes auf diese Frage seines Schülers! Doch nein, viel besser ist es, trotz aller Missgunst dem Heldentum eines Achilles nachzueifern, als unbelastet von Missgunst die Feigheit eines Thersites nachzuahmen. Wer beschlossen hat, sich Missgunst vom Leibe zu halten, dem bleibt wohl nur übrig, auf ein Bemühen um Tüchtigkeit zu verzichten. Entflieht er aber der Missgunst auf diesem Holzweg, so verfällt er zwangsläufig der Verachtung. So nämlich ist das Leben der Menschen beschaffen, dass sie nach beiden Seiten zu kämpfen haben. 45. Und schliesslich – um diese eher nötige als erfreuliche Darstellung zu beenden –verlache ich die Frage jener Leute, so wie ich ihre Antwort verachte. Dies aber mit gutem Grund. Dumm ist ihre Frage, und ihre Antwort giftig. Solltest aber Du selber die Frage stellen, so nehme ich sie ehrerbietig entgegen und beantworte sie gemäss der allbekannten Wahrheit. „Was tust Du an der Kurie?“ – „Ich langweile mich, quäle mich, betrübe mich, entrüste mich.“ Und was dabei das Schlimmste ist, das entspricht dem hier Üblichen: Ich vergeude die Zeit, mit der aufs peinlichste zu geizen ich beschlossen hatte. Doch auf diese Weise bezahlt man seinen Wunsch, den Begehren und Bitten von Freunden zu entsprechen! 46. Und beharrst Du auf der Frage, was ich tue, so habe ich grössere Mühe herauszufinden, was ich tue, als was ich nicht tue. In der Tat also schade ich niemandem als mir selber. Meine Absicht ist, überhaupt niemandem zu schaden, Dir aber nicht bloss nicht zu schaden, sondern auch zu nützen, wenn ich könnte. Meine Zuneigung zu beargwöhnen, ist daher ein Irrtum und sie zu hassen, eine Grausamkeit. Freilich fürchte ich von Deiner Seite keinen Hass. Wenn nur der Argwohn verschwände! Wirf ihn, ich beschwöre Dich bei allen Himmlischen, von Dir als ein unheilvolles, zerstörerisches Gewicht. 47. Forsche bei Gelegenheit nach Beispielen bei unseren Ahnen! Du wirst sehen, wie viel grosses Unglück aus dem Argwohn erwachsen ist. Ich selber habe nämlich dazu jetzt keine Zeit. Doch von dem, was mir das nackte Gedächtnis ohne Bücher zur Verfügung stellt, in Eile wenigstens soviel! Meine Ausführung soll nicht ganz ohne Beispiele bleiben. Hippolytos,35 dieser durchaus keusche junge Mann, ist auf Grund einer Verleumdung seiner Stiefmutter des Inzests verdächtigt und deshalb vom unglücklichen Vater niedergestreckt worden. Prokris,36 die zärtlichste Gattin, ist auf Grund leerer Verdächtigungen und wegen der brennenden Eifersucht ihres getäuschten Gatten seinen Pfeilen erlegen. 48. Und um Neueres und Gewisseres zu zitieren: Tarquinius Collatinus,37 den zuverlässigsten Bürger, den ausgezeichneten Verteidi-
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ger der Freiheit, haben Mitbürger, kaum dass sie befreit waren, einzig seines Namens wegen aus geringstem Anlass verdächtigt und in die Verbannung getrieben. Wegen einer leichten Verdächtigung hat Hannibal38 seinen getreusten Steuermann erschlagen, und für diese Untat ist Zeuge jener sizilische Berg, welcher dem dort Begrabenen Namen und Ruhm verdankt. Einen Demetrios,39 wegen herrlicher Anlagen selbst von seinen Feinden geachtet, hat der Vater, der makedonische König Philipp, auf Einflüsterungen seines anderen Sohnes hin leichtgläubig zu töten befohlen. 49. Keine Zeit würde ausreichen, wollte ich bei Vergangenem länger verweilen; doch hat auch unsere eigene Epoche Beispiele zu bieten, die beweisen, wie sehr den Freundschaften die Verdächtigung stets gefährlich ist. Möchtest Du also endlich, wenn es möglich ist, mich als einen Deiner Freunde an Dich ziehen! Ich habe das ja als etwas längst Geschehenes betrachtet! Zweifelst Du an meiner Treue, so stelle mich auf die Probe! Erklärst Du mich aber der Freundschaft für unwürdig, so schliesse mich schonend aus! Bin ich aus dem Kreise Deiner Freunde einmal verstossen, so zwinge mich nicht in die Haufen Deiner Feinde! Und hüte Dich vor einem Verlust – ich sage nicht: meiner Person, denn der ist klein, aber – vor dem gewaltigen Deines guten Rufes. Man wird es Dir nämlich als Stolz auslegen, wenn Du einen, der Dein Freund sein möchte, zum Feind erklärst.40 Am 28. Dezember, das ist am Tag der unschuldigen Kinder.41 (Avignon 1351)42
Anmerkungen 1 Einziger uns erhaltener Brief Petrarcas an Ugolino Rossi. Er war Bischof von Parma seit 1323, und seine Familie Rossi hatte die Herrschaft über Parma bis 1335 inne, musste sie aber dann an die della Scala übergeben. Dieser Wechsel wurde von der Familie Correggio begünstigt, und Petrarca unterstützte ihn auf deren Bitte vor dem Papst in Avignon. Die Correggio eroberten die Stadt 1341. Später gelangte die Herrschaft an die Visconti. Vgl. Wilkins, Studies, Register; ders. Life 26.29 und 81; auch Dotti Vita 42.205.242 f. und Dotti Fam. zu Fam. 9,5. Das Archidiakonat an der Kathedrale von Parma hatte Petrarca seit dem 23. August 1348 inne; vgl. Fam. 8,4,32. 2 Petrarca erinnert an die Saturnalienfeste vom 17.-19. Dezember, an denen die Sklaven die Herren spielen und sich ihren Herren gegenüber manche Freiheiten gestatten durften. Der Brauch wurde von den Christen gewissermassen übernommen und auf den Tag der unschuldigen Kinder verlegt. Eben diesen Tag erwähnt Petrarca im Datum dieses Briefes. 3 Der Dichter denkt wohl insbesondere an seine Vormünder; man vgl. seinen Brief an seinen Bruder Gherardo, Fam. 10,3,36.ff. und Sen. 16,1. 4 Scipio versagte seiner undankbaren Vaterstadt seine Gebeine; er liess sich in Liternum begraben; vgl. Liv. 38,53;Val. Max 5,3,2b. 5 Iuv. Sat. 13,189 – 191. 6 Hebr. 10,30 und Rom.12,19. 7 Vgl. Cic. De fin. 5,6 – 7; Sen. De brev. vitae 7,3.
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8 Von diesem Vorwurf, der an der päpstlichen Kurie hörbar wurde, spricht Petrarca auch in Fam. 13,6,28 – 29. 9 Vergil selber kam schon im 5. Jahrhundert in den Ruf, Prophet und Zauberer gewesen zu sein; vgl. G. Comparetti,Vergilio nel alto medio evo, Florenz 1943. 10 Apuleius, Apologia. 11 Sat. 1,1. 12 Petrarca wurde als Kleriker niederen Grades Archidiakon an der Kathedrale von Parma am 23.8.1348 dank einer Gunst des Papstes Clemens VI. Im allgemeinen waren mit dem betreffenden Titel rechtliche und wirtschaftliche Aufgaben verbunden. Priester wurde Petrarca nicht. Er hatte keine Seelsorge auszuüben. Auch konnte er sich in der Ausübung seiner Pflichten weitgehend vertreten lassen. Zum Verhältnis mit Rossi s. Rizzi, Register. 13 Ein ähnliches Bekenntnis findet man im Secretum 2, 5,1. 14 Ter. Andr. 3,1,480. 15 Parma litt ständig unter Geschlechterkämpfen; vgl. oben Anm. 1 und unten Anm. 22. 16 Hadrian IV., Papst 1154 – 1159. 17 Val. Max. 7,2,ext. 5. 18 Jo. Saresb. Policrat. 8,23. 19 Ehrenvolle Angebote von seiten des Papstes erhielt Petrarca jedenfalls 1346 – 1347 und wieder 1351, aber auch sonst; vgl. Wilkins, Studies, 15 ff. und vor allem S. 63 ff. cap. IV: Petrarch and the Cardinalate. 20 Clemens VI. starb am 6. Dezember 1352. 21 Bei Cic. Ad Att. 9,7c,2. 22 1335 war Parma durch Mastino della Scala der Familie Rossi entrissen worden. Unterstützt hatten ihn seine Verwadten aus dem Haus Correggio; vgl. oben Anm. 1. 23 Petrarca hielt sich vom Mai 1341 bis Anfang 1342 in Parma auf, dann vom Dezember 1343 bis Anfang 1345 und wieder – mit Unterbrechungen – vom Dezember 1347 bis zum Sommer 1351. 24 Eine oft wiederkehrende Bemerkung gemäss einer stoischen Vorstellung; vgl. z. B. Fam. 2,4,14. 25 Papst Benedikt XII. 26 Zum Amt eines Archidiakons vgl. oben Anm. 12. und die folgende Anm. 27. 27 Dies vielleicht wegen der Aufsichtspflicht, die ein Archidiakon neben der Jurisdiktion wahrnahm. 28 Ps. 5,12.; ebenda 5,10; 5,11; Ps. 13,3. 29 Ps. 13,3 und 9,7. 30 Ps. 119,1 – 2. 31 Ps. 118,134. 32 Ps. 106,42. 33 Ps. 62,12. 34 Jo. Saresb. Policrat. 7,24. Thersites: feiger und aufrührerischer Nichtsnutz in der Ilias; vgl. ebenda 2,211 ff. 35 Hippolytos war der Sohn der Phaidra. Sein Vater war Theseus.; vgl. Ov. Met.15,497 ff.; Her. 4; Fast. 6,737 ff. 36 Sagengestalt; ihr Gatte ist Kephalos; vgl. Ov. Met. 7,689 ff. 37 Anstössig war der blosse Name Tarquinius; vgl. Liv. 2,2. 38 Gemeint ist das Cap Peloro; vgl. Val. Max. 9,8, ext.1. Pomp. Mela, De chor. 2,7,116 39 Sohn des Königs Philipp V. von Makedonien; vgl. Liv. 40,5. 40 Der Bischof liess sich nicht beruhigen. Im September 1352 entzog Clemens VI. das Archidiakonat von Parma seiner Jurisdiktion. Aber Petrarca verzichtete auf das Amt überhaupt. Reibereien zwischen Bischöfen und ihren Archidiakonen waren häufig. 41 Zur Bedeutung dieses Festtages vgl. oben Anm. 2. 42 Die Jahreszahl berücksichtigt den Hinweis Petrarcas, dass Papst Clemens VI. noch lebe. Er starb am 6. Dezember 1352.
Fam. 9,6, an den Priester Luca von Piacenza1 Bitte, den an Bischof Ugolino Rossi von Parma gerichteten Brief zu übergeben und das in ihm enthaltene Anliegen mündlich zu unterstützen. (Avignon, am 28. Dezember 1351)
1. Eine Freude sind mir Deine Briefe zu jeder Zeit, doch dann insbesondere, wenn sie, gleichsam aus der Höhe kommend, den in der Unterwelt2 Weilenden trösten. An den Haken meiner Sünden, so bekenne ich, werde ich hier festgehalten und kann mich mit keinerlei Künsten befreien. Keineswegs erstaunlich (obwohl unerfreulich) für den Kenner kurialer Tücken! 2. Doch je trauriger ich hier bin, desto grösser sind mein Ärger und Schmerz darüber, dass so vieles der Verschlagenheit gestattet wird. Sie nämlich wagt jeder sogar vernünftigen Person einzureden und weis zu machen, ich würde hier nicht nur freiwillig meinen Aufenthalt verlängern, sondern auch bereits – durch den bösen Zauber der Kurie verderbt – dem guten Ruf eines anderen nachstellen;3 und was ich sogar in meiner Musse und in ruhevollen Stunden (die freilich von schlechten Begierden strotzen können) nicht gedacht habe, das täte ich infolge einer plötzlichen Veränderung meiner Neigungen und Sitten ausgerechnet jetzt unter diesem ruhelosen Treiben der Geschäfte, das mir doch keinen Augenblick zum Atemholen gestattet. 3. Ich höre aber von vielen, dass unser ehrwürdiger Vater und Bischof von mir anders denke, als ich verdiene und wollte. Aber nicht ihm weise ich eine Schuld zu, sondern meinem Schicksal und fremder Niedertracht. Du aber, mit dem ich oft einen Tag in vertraulichen Gesprächen verbringe, bist mir vor allen anderen Zeuge für das, was ich von seiner Gesinnung und seinen Sitten zu denken pflege, möchte er nur den Schmeichlern, dieser allgemeinen Pest an den Höfen der Bischöfe und Fürsten, den Garaus machen und auf sich und seine eigene Natur vertrauen! 4. Deshalb habe ich Dir vor allen andern eine Bürde zugedacht, die Du wohl getreulich auf Dich nehmen wirst. Lege ihm doch diese übermässig lange Epistel vor, die ich im Zorn und Schmerz geschrieben habe! Wenn sie beim Lesenden die Gesinnung findet, die der besonderen Art, dem Umstand und der Zeit geschuldet wird, kann sie das übel begründete Misstrauen vielleicht ausrotten und es am Wiederaufflackern hindern. Du wirst sie gewiss, das bitte ich, mit einem mündlichen Wort unterstützen! Lebe wohl! (Avignon, am 28. Dezember 1351)4
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Anmerkungen 1 Luca war Rektor an der Kirche Santo Stefano in Parma, in deren Nähe Petrarca wohnte; vgl. zum Inhalt des Schreibens den vorangehenden Brief Fam. 9,5 an Bischof Ugolino Rossi und Fam. 9,7 sowie 9,14. Ein Protest gegen Verleumdungen an der Kurie steht auch in Fam. 14,4. 2 Gemeint ist Avignon. 3 Gemeint ist Bischof Rossi. 4 Die Datierung ergibt sich aus dem vorangehenden Schreiben Fam. 9,5.
Fam. 9,7, an Luca von Piacenza1 Fabel über den Argwohn. Avignon, am 13. Januar (1352/1353).
1. Nimm hier die Fabel entgegen, die ich einst von Dir gehört habe! Feuer, Wind und Wasser gingen mit dem Argwohn zusammen ihres Weges. Als sie an eine Wegkreuzung gekommen waren und jeder im Begriff war, seinen eigenen Pfad einzuschlagen, sagten sie zueinander: „Trennen wir uns! Doch um uns wieder vereinen zu können, wollen wir bestimmte Zeichen festsetzen.“ Da sagte das Feuer: „Wo Rauch auftritt, da mögt Ihr mich suchen.“ Und der Wind: „Wo Ihr seht, dass Zweige schwanken und Stroh und Staub durch die Luft wirbeln, da bin ich.“ Und das Wasser: „Wo Ihr Schilf entdeckt, bin ich nah.“ Nach diesen dreien sagte der Argwohn: „Mich zu finden, ist ganz leicht; Ihr freilich seid ständig in Bewegung; ich dagegen bewege mich nicht. Wo ich einmal eintrat, da wohne ich.“ 2. Du verstehst mich, mein Freund. Deine eigene Fabel lege ich Dir nach vielen Jahren ans Herz; und wenn ihr letzter Teil unbedingt richtig ist, brauche ich nicht viele Worte zu machen. Ich möchte aber, dass sich Dein Scharfsinn auf das Folgende richte: Was der Bewusste auf mein Schreiben antwortet, werden wir beide hören; aber seine Zunge und seine Feder werden nicht alles zu Tage fördern; vieles werden Mundstellung und auch Gesichtsausdruck, Gebärde, Farbe, Akzent, Fuss, Hand, Augen und Braue verraten. Freilich nicht dem Abwesenden! Achte Du auf das alles, da Du anwesend bist, und lass mich nicht fehlgehen! 3. Gewiss, was mich betrifft, glaube ich, mein Teil geleistet zu haben. Für die Freundschaft ist der Argwohn ein Gift, und diesen mit dem Finger der Wahrheit gründlich auszurotten, bin ich bemüht gewesen. Doch der Wahrheit das Ohr zu öffnen oder zu verschliessen, ist nun Aufgabe eines andern. Die Deine besteht einzig darin, genau darauf zu achten, auf welche Seite er neigt, und mich von seinem Entschluss zu unterrichten. Für mich ist wahrhaftig nicht wichtig, was die Menschen von mir denken oder reden, solange mich die Stacheln meines Gewissens nicht quälen. Habe ich mit diesem meinen Frieden, brauche ich äussere Anfeindung nicht zu fürchten; ich habe mich bemüht, mit meinem Brief seine verkehrte Meinung zurechtzubiegen. Gibt er nach, dränge ich weiter; versteift er sich, gebe ich auf. Fruchtlos wäre ein neuer Versuch. Niemand wird leicht dazu gebracht, etwas zu glauben, und oft bewirkt eine Rechtfertigung, dass der Argwohn wächst. Lebe wohl! Avignon, am 13. Januar (1352/1353).2
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Anmerkungen 1 Der Brief ist eine Fortsetzung des vorangehenden Schreibens Fam. 9,6; vgl. auch 9,5 und schliesslich 9,14,1, wo die gleiche Sache angedeutet wird. 2 Die Jahreszahl berücksichtigt die Datierung der vorangehenden Schreiben.
Fam. 9,8, an den Advokaten Giovanni da Bogno1 Freundesgruss. 1. Versuch einer Wiederbelebung alter Freundschaft. 2. Zwanzig Jahre lang herrschte Schweigen unter den Freunden. 3. Jetzt dankt der Dichter für einen Glückwunsch und gratuliert dem Advokaten zu seiner Geisteshaltung. Parma, am 27.Juni (1348/1350).
1. Seit den Jugendjahren und bis heute hat mir das Schicksal missgönnt, Dich von Angesicht wiederzusehen. Und dennoch bist Du mir stets im Geiste gegenwärtig geblieben und habe ich Dich immer – um einen Ausdruck unserer gemeinsamen Studien zu gebrauchen – „civiliter“ besessen. Weil mir das weder die räumliche Entfernung noch die zeitliche Veränderung, ja wohl nicht einmal der Tod zu entreissen vermöchten, kann ich Dich in unserer früheren Vertrautheit ansprechen, auch erneut „in Deinen Rechtsbereich“ eintreten und dann zur Feder greifen. 2. Denn, wie Du siehst, haben wir vier Lustren oder länger geschwiegen,2 eine Zeitspanne, die (um nicht zu sagen: für ein Leben so doch) für ein Schweigen mehr als genug ist. Ob ich mich oder Dich oder uns beide eines Fehlers bezichtigen soll? Oder ob ich die ganze Schuld auf Fortuna abwälzen könnte, weil sie uns lange Zeit mit quer laufenden und seitwärts abgewendeten Pfaden derart zu schaffen machte, dass wir uns gegenseitig nicht zu Gesicht bekamen und von einander keine Nachricht erhielten? 3. Wenn Du mir jetzt zu meiner Lage gratulierst, handelst Du freundschaftlich wie in allem andern. Doch, Freund, was meinen Zustand betrifft, so gibt es, wenn das Wort von „Stehen“ kommt, keinen, sondern eher ein Gleiten und ein Fallen. Freilich nicht ein bedeutenderes als bei allen anderen, die geboren werden. Das Schicksal ist ja für alle gleich, und unüberwindbar ist die Notwendigkeit. Denn „Jeder Tag weicht einem Tag“, wie Flaccus3sagt, und wir selber werden mitgerissen, ohne es zu bemerken. 4. Ob an mir überhaupt etwas Gutes ist, wofür mir von Freunden ein Glückwunsch zusteht: jedenfalls zweifle ich nicht, dass Deine Freude von Herzen kommt. Aber wie gratuliere ich doch Dir! Du hast Dich mir mit ganz wenigen Worten als überaus glücklichen Menschen geschildert, als gesunden nämlich, heiteren, armen und im Geiste reichen. Ja, ein reicher Geist wird gepriesen, und deshalb vergleicht ein Dichterwort4 die Schätze eines Geistes mit denen der Könige! Aber was beteuert die lebendige Wahrheit?5 Selig seien „die Armen im Geiste“!
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Bedarf ’s noch vieler Worte? Glücklich bist Du und gut steht es um Dich, wenn Du Deinen Geist dazu gezwungen hast. Lebe wohl! Parma, am 27. Juni (1348/1350).6 Anmerkungen 1 Dies der einzige uns erhaltene Brief Petrarcas an den genannten Empfänger. Er stammt wohl aus der Zeit von Petrarcas letztem Aufenthalt in Parma vor seiner Abreise nach Avignon. 2 Vier Lustren machen zwanzig Jahre. Mit den gemeinsamen Studien sind die juristischen in Bologna gemeint. Diesen Studienort verliess Petrarca im Jahr 1326. 3 Carm. 2, 18, 15. 4 Verg. Georg.4,132. 5 Vgl. Mt. 5,3; Lc. 6,20. 6 Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 64.
Fam. 9,9, an seinen Sokrates1 Vom Wert der Freundschaft. 1. Freunde müssen alles gemeinsam haben. 2. Der Freund ist ein Teil des Ich. Frage, ob man das von seiner Gattin sagen kann 4. Freundschaft ist auf Erden das Beste, aber höchst selten. 6. Petrarca schickt dem Adressaten seinen neuen Freund. Mantua, am 28. Juni (1350).
1. Ich bin Dir kein Freund, wenn ich nicht das Kostbarste mit Dir teile. Nun ist aber nichts so kostbar wie ein Freund; und somit bin ich Dir kein Freund, wenn ich nicht den Freund mit Dir teile. Alt ist das Sprichwort:„Freunden muss alles gemeinsam sein.“2 Wie gering ist doch, was der Menge gewaltig zu sein scheint und wonach sie gierig hascht, nämlich Gold, Silber, Schmucksteine, Ringe, Armbänder, auch Schnitzereien, Flachwerk, korinthische Gefässe, strahlende Gemmen, vollkommen runde Perlen, schneeweisser Marmor, Skulpturen aus Elfenbein, gemalte Bildnisse, lebensnahe Statuen, prunkender Purpur und anderes dieser Art! Bodensatz ist es, Abschaum oder schmutziges Handwerk. 2. Dem gegenüber ist der Freund ein einzigartiges und unschätzbares Gut, das Winde nicht wegtragen, Frostnächte nicht verbrennen, Stürme nicht zerschmettern. In den Flammen der Verfolgungen und Bedrängnisse wird es vielmehr wie Gold geläutert. Es ist ein Gut, das nicht bloss oberflächlich erfreut, sondern schmeichelnd in unseren Geist dringt und gewissermassen ein Teil unseres Selbst wird. Das bedenkend hat Flaccus3 seinen Vergil als die Hälfte seiner Seele bezeichnet, und bei Lucan4 hat ein bestimmter liebevoller Ehemann und Heerführer sogar seine Gattin als den besten Teil seines Selbst zu nennen sich nicht gescheut, obwohl das vielleicht von einer Schwäche zeugt, die sich für einen Mann nicht geziemt hat.5 3. Zum Freund kehre ich zurück. Wenn man von ihm ein gleiches Wollen und ein gleiches Nicht-Wollen erwartet,6 um ihm den wahren Namen der Freundschaft zu geben, wer könnte da zweifeln, dass sie ein Einziges werden, sofern unter ihnen beiden eine solche Übereinstimmung der Willen herrscht? Dann geschieht ja an ihnen, was sogar in ein und der selben Seele kaum einmal zustande kommt. Solche Freundschaft ist Seltenheit! Das leugne ich nicht. Doch gilt nicht allein für diese, sondern für beinahe alle Dinge, die es unter dem Himmel gibt, dass sich ihr Kaufpreis nach ihrer Häufigkeit und Seltenheit richtet. Ist nun beinahe nichts seltener als echte Freundschaft, so ist unter den Himmelsgaben auch nichts teurer. Sie ist in den Stürmen des Lebens der einzige Anker und unter den Mühen des Alltags die einzige Ruhe. Dank ihr lässt sich das Erfreuliche angenehmer und das Traurige tapferer ertragen.
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4. Und schliesslich ist der Freund ein zweites Selbst, der Festigkeit Grund, des Geistes Licht, des Ratschlags Leitstern, des Strebens Fackel, des Zwistes Friede, Teilhaber an Sorgen und Mühen, Gefährte der Wanderschaft, Erfrischung zu Hause, doch nicht bloss daheim, sondern auch beim Ackerbau und im Kriegsdienst, stete Begleitung zu Wasser und zu Land; und nicht allein für eine Lebensspanne zugesellt, vielmehr auch im Grab ein lebendiger und unsterblicher Trost, und das so sehr, dass der Verscheidende selbst noch im Sterben den überlebenden Freunden besonders lebendig entgegentritt. 5. Ist das so, dann mag einer sich noch so sehr der freundschaftlichen Freigebigkeit und Hilfsbereitschaft rühmen, er wird dennoch der vollen Glorie der Freundschaft billigerweise so lange entbehren, als er dieses so seltene Gut Freundschaft fest umklammert hält, und entweder durch eigene Schuld oder dann – ähnlich einem Mann beim Satiriker7 –: „… als Glied eines bösen Geschlechts an Freunden nie teil gibt, Lieber für sich sie behält …“. Solches überlegend, habe ich also beschlossen, den Freund, den mir nicht mein eigenes Verdienst, sondern seine Vortrefflichkeit verschafft hat, mit Dir, bester Bruder, zu teilen. 6. Er ist, um ihn mit wenigen Worten vorzustellen, ein Mann aus der Auvergne namens Pierre,8 dem Stande nach ein Mönch, dem Amte nach ein Abt. Er hat ein schwarzes Gewand,9 eine reinweisse Seele, einen raschen Verstand, eine freundliche Sprechweise, ist in der Wissenschaft geschult, im Urteil besonnen, im Umgang vertraulich, den Jahren nach jugendlich, seinem Ernst nach bejahrt und in seinem Anstand ehrfurchtgebietend. Geh ihm bitte in der Begleitung eben jener Person entgegen, die ich Dir hauptsächlich deshalb geschickt habe. 7. Er wird meinen Sokrates, von dem ich ihm oftmals gesprochen habe, unverzüglich erkennen; und Du Deinerseits wirst Dich freuen, einen Menschen zu finden, wie wir ihn lange vergeblich gesucht haben. Auch wirst Du mir danken, weil ich Dich zum Teilhaber eines solchen Gewinnes mache. Ich tue dies, obwohl ich bestens weiss, wie unklug ich bin, wenn ich zwei Männer dieser Art miteinander vereine. Denn wenn sie in gegenseitige Beziehung getreten sind und ihre beidseitigen Vorzüge bewundern, wird sich wahrscheinlich ihr Urteil über mich verschlechtern. Es sei! Wenn nur die Liebe nicht Schaden leidet! Denn ich hoffe eher auf ihre Vermehrung, mag das Urteil so oder anders sein! So gross ist mein Vertrauen! Lebe wohl! Mantua, am 28. Juni (1350).10
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Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. die früheren Briefe an den selben Adressaten. Ter. Adel. 5,3,803 – 804; Cic. De off. 1,16,51. Carm. 1,3,8. Phars. 5,757. Man muss es Petrarca zu Gute halten, dass er an einer üblichen Meinung einen Zweifel ausdrückt. Sall. Catil. 20,4; Sen. Dial. 5,34.3. Iuv. Sat. 3,121 – 122. Er war Benediktiner; seine Ordensgelübde hatte er 1344 abgelegt und wurde dann Abt in Saint-Bénigne bei Dijon, später in Saint-Rémy. Petrarca lernte ihn wohl im April 1349 oder Februar 1350 bei seinem Aufenthalt in Padua kennen. Der Genannte befand sich im Gefolge des Kardinals Guy de Boulogne; vgl. Fam. 9,13 und. auch Dotti zu Fam. 9,9 und 9,13. 9 Die Tracht der Benediktiner. 10 Die Jahreszahl ergibt sich aus den Angaben in Anm. 8; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 64.
Fam. 9,10, an seinen Lelio1 Bitte um einen Freundschaftsdienst. Schilderung des Frühsommers am Po und eines Gastmahls bei den Herren von Luzzara. Bitte an den Adressaten um eine Vermittlung zu Gunsten eines Bekannten. Luzzara, am 28. Juni um Mitternacht (1350).
1. Lelio, mein liebster, wüsstest Du, wann und wo ich das schreibe! Zeit und Ort könnten vor Dir meine Feder entschuldigen und Dich, der meinen Wünschen stets schon aus eigenem Antrieb entgegenkommt, dazu noch anspornen. 2. Es ist spät in der Nacht, und ich befinde mich in Luzzara,2 wo ich zur Abendzeit ankam, nachdem ich Mantua erst am späten Nachmittag verlassen hatte. Wir haben ja Sommer, und der Krebs gedenkt soeben, seinen pfeilbewehrten Gast zum Löwen zu senden;3 dennoch ist, was Dich wundern mag, wegen des Südwindes, der in diesen Tagen bläst, und wegen des Schnees, der in den Alpen schmilzt, das Ufergelände des hochgehenden Pos für uns fast unbegehbar gewesen. Alles ringsum ist mit Schlamm bedeckt; ja, gefährlich ist sogar der Weg wegen des aufsprudelnden Wassers; die Pferde konnten wir kaum davon wegreissen. 3. Hier dagegen werde ich über alles Erdenkliche hinaus aufs liebenswürdigste beherbergt. Der Bote der Herren4 war mir zuvorgekommen; ihrer Überlegenheit hat sich ja schon oft selbst die Natur gebeugt. Prachtvoll zugerichtet war das Abendessen; ausländische Weine, fremde Speisen, aufmerksamste Gastgeber, heitere Mienen fehlten nicht, und alles war von städtischer Feinheit mit Ausnahme des Ortes selber. Wie dieser im Winter aussieht, verrät der Sommer. Jetzt nämlich ist er eine Wohnstatt für Mücken und Schnaken, und ihr Surren hat uns nahegelegt, frühzeitig vom Gastmahl zu fliehen. Auch ein Heer von Fröschen war angerückt, die man während des Essens aus ihren Schlupflöchern springen und durch den Speisesaal sich versammeln sah. 4. Ich rettete mich ins Schlafzimmer, gesättigt nicht bloss mit Fabeleien (wie einst bei Milo in Hypata ein Apuleius5), sondern mit den wunderbarsten Speisen. Und obwohl die Kürze der Nacht zum Schlafen rät, hat doch meine Liebe zu diesem Mann hier6 bewirkt, dass ich die schweren Lider und müden Finger zu diesem Schreiben zwinge. Er ist mir ja ausserordentlich teuer, wie Du weisst, und ist auch auf Dich begierig und Dein Bewunderer. Und um Deiner wert zu werden, meint er, auf die Hilfe unserer festen Freundschaftsbande angewiesen zu sein. Da er so sehr auf Dich hofft und nun Deiner Gunst bedarf, handle, mein Lelio, bitte, auf eine Weise, dass seine Meinung bestätigt, seine Hoffnung erfüllt, sein Begehren gestillt und sein Bedürfnis gesättigt wird. Lebe wohl, und sei unser eingedenk! Luzzara, am 28. Juni um Mitternacht (1350).7
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Anmerkungen 1 Lelio oder Lello; vgl. Fam. 3,19 und die dort angegebenen Notizen. 2 Petrarca befand sich auf dem Weg zwischen Mantua und Parma. Luzzara liegt südöstlich des PoUfers. 3 Hinweis auf die Konstellation der Gestirne im Tierkreis ende Juni. 4 Gemeint sind wohl die Gonzaga; vgl. Fam. 3,11 an Guido Gonzaga. 5 Apuleius, Metam. 1,21 ff. Die Stadt, die als besonderer Wohnsitz von Zauberern galt, gehörte zu Thessalien. 6 Man wird ihn nicht ohne weiteres mit dem Freund des vorangehenden Empfehlungsschreibens gleichsetzen können. 7 Zum Datum vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 64.
Fam. 9,11, an Niccolò von Lucca1 Über die Macht geistiger Vorzüge. 1. Nur auf Drängen eines Freundes schreibt Petrarca an den Unbekannten. 3. Gehört hat Petrarca von dessen Vorzügen. 4. „Tugend“ bewirkt durch ihren Ruf selbst bei fremden und fernen Menschen Begeisterung. Beispiele. (1351)
1. Dein und aller guten Menschen Freund, der Beschützer und eifrig besorgte Förderer ehrenvoller Freundschaften,2 besteht darauf, dass ich Dir schreibe.3 Nachdem ich mich lange Zeit geweigert hatte, nicht wissend, wie ich es beginnen oder mit welchen Worten ich jemanden ansprechen sollte, der mir nur vom Hörensagen bekannt ist, kam es endlich dahin, dass ich zur Feder griff, um zu schreiben, was mir eben einfalle. Und sobald der Freund sah, dass ich begonnen hätte, ging er ob der Erfüllung seines Wunsches getrost davon. 2. Wie ich aber überlegte, mit welchen Künsten aus dem Nichts ein vertraulicher Brief zu verfertigen sei, und als ich darüber brütete, was mich etwa mit Dir verbinde, auch einem Grund und Stoff für ein Schreiben nachforschte, fiel mir nichts so rasch ein wie der allgemein bekannte und herrliche Ausspruch Ciceros:4 „Hohe Tugend ist liebenswerter als alles und nichts ist so anziehend wie sie“. Er nannte ihre Kraft so hinreissend, „dass wir selbst einen unbekannten Menschen, den wir nie gesehen haben, ihretwegen lieben“. Nun verschwand sogleich alles Brüten und Zögern; denn weit und wohlbestellt erschien mir das Feld für ein Schreiben. 3. Viel besser bekannt als Deine Gestalt sind mir Deine Vorzüge. Ich sehe sie und durch sie auch Dich mit meinen besseren Augen.5 Dank diesen bist Du mir bekannt und teuer. Würden wir nur erkennen, was wir mit unseren sterblichen Augen sehen, könnten wir nicht lieben; der erste und beste Grund zum Lieben würde uns fehlen. Niemand könnte dann Gott lieben oder sich selber, weil niemand Gott oder sich selber oder auch nur sein eigenes Äussere zu sehen vermag. Freilich besteht da ein Unterschied. Denn dass wir uns selber lieben, ohne uns zu sehen, ist natürlich; dass wir aber andere lieben, bewirkt die Tüchtigkeit samt dem guten Ruf als ihrem Begleiter und Verkünder. 4. Sie ist es, die einen Masinissa,6 den ruhmvollsten aller Könige, bewog, seines Vaterlandes und aller Pfande, die das menschliche Gemüt bezwingen, zu vergessen, um Scipio Africanus aufzusuchen. Sie auch hat ihn, so bestürzt er beim Auftreten dieses Heerführers war, vom Lager der Karthager zu den römischen Feldzeichen geleitet. 5. In Anbetracht der grossen Unterschiede zwischen den Sitten und Naturen der Menschen sind einige Wirkungen der Tüchtigkeit sogar recht eigentlich als Wunder zu bezeichnen. Sie war es ja auch, die von Scipio, als er angeklagt war, mit einem sehr ehrenvollen Dekret einen Angriff abwendete; sie tat es durch einen
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Mann, der weniger den Genannten selber als just seine Tüchtigkeit, und das heisst: die Tüchtigkeit sogar eines Feindes, hochschätzte.7 Ebenso hat sie ein Gastmahl, dem Scipio beiwohnte,8 berühmt gemacht, indem sie bewirkte, dass er von seiten eines eisernen Gegners und eines barbarischen Königs Bewunderung erntete. Nachher adelte sie auch das Exil des Helden9 durch die Demütigung von Banditen, die hilfeflehend zu seinen Füssen niederfielen, und schliesslich führte sie die Herzen der Menschen zur Überzeugung, Scipio sei von göttlicher Abkunft, und schaffte damit Raum nicht bloss für wahres Lob, sondern sogar für Legendenbildung.10 So ist es denn die Tüchtigkeit, welche verdienstvolle Menschen schon zu ihren Lebzeiten auf Erden feiert, nach ihrem Sterben in den Himmel erhebt und aus den Gräbern hervorlockt, damit sie in Ewigkeit leben. 6. Ich füge noch an, was leichter begreiflich ist. Wie gross und wie feurig ist doch allgemein die Begeisterung und wie gross das Wetteifern aller Menschen, die von den Taten der Heroen lesen und hören! Gleich ist jeder voll Liebe und Lob für sie, obwohl man sie nicht sieht. Denn ihr guter Ruf empfiehlt sie so sehr, dass man meinen könnte, man habe sie tausendmal gesehen. Das wusste der Dichter,11 der gesagt hat: „… Und liest man von Schlachten, Wecken sie Hoffnung und Furcht und rasch vergängliche Wünsche. Und auch die Angst stellt sich ein; man hält für ein kommendes Unglück, Was sich schon früher begab und lobt Dich als künftigen Retter.“ 7. Grossartig ist das, aber herrlicher ist, wenn die hohe Tugend als Vermittlerin nicht bloss irgendwelche Personen, die wir nie sahen, ja, nie sehen konnten, sondern gerade auch solche, die wir mit vollem Recht einmal hassten, mit uns befreundet. Das wurde zwar schon angedeutet, soll aber noch ausgeführt werden. Denn diese besondere Tugend ist es, die – Hass in Liebe verwandelnd – oft sogar stark befestigte und bestens bewehrte Städte eroberte, oft auch grausamste Kriege beendete und einen Sieg, den die Waffen nicht erlangten, an sich riss, um ihn den schon Besiegten als eine ersehnte Gabe anzubieten. 8. Sie eben hat einem Camillus12 die eisernen Tore der Falisker geöffnet. Sie hat den König Pyrrhos, die Hauptleute des Romulus, den starken Curius und den unbeugsamen Fabricius zur grössten Verbindlichkeit, welche ein Krieg gestattet, genötigt. Sie hat Porsenna, jenen stolzen Herrscher Etruriens, von einer hartnäckigen Belagerung Roms unverhofft abgebracht. Sie hat die Kleinkönige der Gallier, als sie noch immer ein grosses Unternehmen planten, vor die Füsse Caesars niedergezwungen. Sie hat Pompeius Magnus13 vor die Schwelle eines Poseidonios und einen Alexander von Makedonien zur Tonne eines Diogenes14 geleitet. Einem Fürsten wie Titus15 hat sie im Einverständnis mit dem ganzen Menschengeschlecht den glorreichsten Namen verliehen und hat die dem Germanicus entzogene Herrschaft auf den – freilich unwürdigen – Sohn16 übertragen. 9. Sie hat die Völker des Ori-
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ents dem Urteil einer einzigen Witwe sehr vieler Männer17 unterworfen. Sie hat Saladin,18 vor kurzem Herrscher Ägyptens, gegen einige der unsern nicht nur gnädig, sondern auch grossmütig gestimmt. Und um auch etwas aus der Geschichte der Hebräer zu melden: Voller Bewunderung für Salomon ist jene bekannte Königin19 nach Jerusalem gekommen, um zu sehen, was sie vernommen hatte. Und die Gesandtschaft der Makkabäer20 überquerte Meere, um die Freundschaft der Römer zu suchen. 10. Sieh da, zu Beginn war ich ängstlich, es könnte mir ein Stoff zum Schreiben fehlen, und am Ende bin ich in Sorge, wie ich die Überfülle bewältigen könne. So vieles strömt aus allen Weltteilen und Jahrhunderten zusammen. 11. Wie aber, um zu schliessen, sollte es verwundern, wenn Dein hoher Wert, an den ich zwar dank der Vertrauenswürdigkeit vieler, aber doch vor allem dank der unseres einen Freundes glaube, durch seine Anziehungskraft mich in Deine Freundschaft zieht! Zumal ja von all dem, was bei den eben genannten Personen als etwas Unterscheidendes auffiel, nämlich Lebensalter oder Vaterland, Krieg und Vermögen oder verschiedene Bildung, unter uns nicht als etwas Trennendes wirkt. In diesem Brief mit Dir zu plaudern, war mir eine Freude, und es mündlich zu tun, wird mich noch mehr freuen, wenn das Geschick uns bei Gelegenheit zusammenführt. Jetzt greifen meine üblichen Pflichten nach mir. Darum lebe wohl und gedenke unser! (Padua 1351)21
Anmerkungen 1 An diesen Adressaten (es handelt sich wohl um Niccolosio Bartolomei) richtet sich auch Var. 5; vgl. Personenreg. 2 Das ist Benintendi dei Ravagnani, Kanzler Venedigs; vgl. den an ihn gerichteten Brief Fam. 19,11. 3 Vgl. den folgenden Brief Fam. 9,12. 4 De am. 8,28. 5 Das sind die geistigen. 6 Masinissa, ein numidischer König, kämpfte im zweiten punischen Krieg unter dem karthagischen Heerführer Hasdrubal (Sohn des Gisko),bevor er auf die Seite der Römer und zu Scipio hinüber wechselte; vgl. Liv. 28,35. 7 Der Tribun Tiberius Sempronius Gracchus verteidigte Scipio gegen eine Anklage, obwohl er mit ihm verfeindet war; vgl. Liv. 38,52. 8 Syphax, König in Numidien, lud mit dem Karthager Hasdrubal auch dessen Feind Scipio zu einem Mahle ein, und dieser überwand die Feindseligkeiten der Anwesenden mit seiner Liebenswürdigkeit; vgl. Liv. 28,18. 9 Val. Max. 2,10,2 und 1,2,2. 10 Val. Max. 1,2,2. 11 Luc. Phars. 7,210 – 213. 12 Die im folgenden genannten Namen bezeichnen sagenumwobene Vorbilder römischer Tugend und berühmte Feinde Roms. Romulus war Gründer Roms; Camillus galt einem Livius als zweiter Be-
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gründer Roms im 3. Jh.; Curius, im 3. Jahrhundert, wurde vor allem durch seine Kriege gegen die Samniter berühmt; Fabricius war römischer Hauptmann im Krieg gegen Pyrrhos, dieser, ca. 307 – 272, war König der Molosser. Porsenna kämpfte gegen Rom als etruskischer König im 6. Jh. Vgl. Cic. Tusc. 2,25,61. Mit Poseidonios ist der stoische Philosoph von Apameia gemeint, der mit Pompeius befreundet war. Gemeint ist der Kyniker Diogenes von Sinope. Titus, geb. 39, Kaiser 70 – 81, wurde als „Wonne des Menschengeschlechts“ bezeichnet. Der Sohn des Germanicus war der Kaiser Gaius Caligula. Gemeint ist Semiramis, die legendäre Königin von Babylon. Der Sultan Saladin, 1137 – 1193, suchte Verbindungen mit den italienischen Seestädten. Reg. 10,1 – 10. Die Rede ist von der Königin von Saba. 1 Mach. 8,1 ff. Vgl. zur Datierung Dotti, zu Fam. 9,11 und Wilkins, Petr. Corresp. 64.
Fam. 9,12, an Unbekannt Protest gegen den Übereifer des angesprochenen Freundes. 1. Der Adressat dürfe vom Schreibenden nicht neue Briefe für Unbekannte fordern. 2. Er gefährde den Ruf des Dichters. 4. Petrarca schreibe selten anders als zur Antwort auf Briefe. 5. Der Freund möge seine Meinung nicht anderen aufdrängen. (1351)
1. Wundern würde mich, weshalb die Liebe Dich in allem, was mich betrifft, dermassen täuscht, hätte sie nicht oft sogar die gelehrtesten Leute betrogen, die tüchtigsten besiegt und die vortrefflichsten niedergezwungen. Du hast mich mit dem Ansinnen geplagt, ich solle einem Unbekannten schreiben, und es ist zum guten Glück gelungen;1 wenigstens scheint mir, ich hätte mit einem kurzen Schreiben auf lange Zeit einen guten Freund gewonnen. Aber kaum hat der Erfolg auch Zuversicht gezeitigt, bestehst Du darauf, wie es einer Regel entspricht, ich solle einem anderen, nämlich „einem ungemein bedeutenden Mann“, wie Du sagst, ebenfalls schreiben, obwohl ich ihn nie gesehen, von ihm nie gehört habe und überhaupt nichts von ihm weiss. Und Du tust fast so, als wäre völlig sicher, dass er über mich urteilen werde wie Du, und als dächtest Du nicht daran, dass er möglicherweise einiges besser verstehe oder weniger schätze und deshalb ein anderes Urteil hege. 2. Du ziehst auf diese Weise meinen Ruf, den ich unter meinen Freunden so gut als möglich hüte, trotz allem Widerstreben vor das Tribunal eines unbestechlichen Richters, und Deine Rechtfertigung, es handle sich wieder um das selbe wie bei jenem andern, dem ich auf Deinen Wunsch geschrieben habe, fällt nur schon durch die Herkunft dieses Unbekannten dahin, denn mag auch alles übrige, was höchst verschieden sein könnte, ähnlich sein, dies eine ist es nicht: Jener Gewisse, dem ich geschrieben habe, ist Italiener, der andere, dem ich erst noch schreiben soll, ist Dalmatiner und ist wie an einen anderen Himmel, so an eine andere Sprache gewöhnt. 3. Das eine und gleiche Meer haben wir gemein, aber nicht die gleiche Küste, nicht die gleiche Gesinnung, nicht die gleiche Denkart, auch nicht die gleiche Art zu leben und zu sprechen. Wie uns von Galliern und Germanen die himmelhohen Alpen trennen, so von den Afrikanern das wogende Tyrrhenische Meer und von den Dalmatinern und Pannoniern die Bucht der Adria, die auch sehr ruhelos ist, wie mit Recht ihr Anwohner Flaccus2 gesagt hat. Die Augen zeigen Dir, wie gewaltig der Unterschied ist; und wenn bei jenem früheren Unbekannten ein geringer Grund zum Schreiben bestand, so bei diesem neuen durchaus keiner. 4. Bekannten und vertrauten Freunden pflege ich bisweilen von mir aus zu schreiben, häufiger zu antworten, und dies weniger aus Lust auf Lob als in der Hoffnung auf Nachsicht und wegen einer gewissen, nicht geringen Freude am Zwiegespräch. Unbekannten aber, und insbesondere solchen, wie Du sie jetzt vor-
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stellst, pflege ich nackte und kunstlose Schriftstücke, wie die unsern sind, nicht aufzudrängen. Verzichte also, mein Freund, verzichte bitte darauf, meinem Ruf mit allzu grosser Liebe zuzusetzen und ihn in Gefahr zu bringen. Wie ich weiss, bist Du unter allen nicht sein letzter Verteidiger. 5. Sollte es Dir aber Freude machen, Deinen Irrtum über mich zu pflegen, so tu es ohne Gefährten! Und wenn Dich ohne Gefährten nichts freut, so begnüge Dich mit den alten, sofern Du solche hast, und schaffe Dir nicht neue! Und „glücklich in Deinem Irrtum“,3 wie einer gesagt hat, versuche nicht, auch andere in den Irrtum zu ziehen, schon gar nicht solche, die einem Zwang unzugänglich sind und die an harter Wahrheit grösseres Vergnügen finden als an schmeichelhaftem Irrtum. Vermeide den Fehler, Dir mit übertriebener Beflissenheit Deine Freude zu verderben. Das geschähe jedoch, wenn Du von Ungefähr dahin kämest, wohin Du gar nicht willst, dass nämlich meine Unwissenheit, welche Dir Deine Liebe freundlich mit Schminke überstreicht und mit einem leichten Tuch bedeckt, in einem strengeren Gerichtsverfahren blossgelegt würde. Dabei müssten mir der Schleier, der mich vor Deinen Augen verhüllt, und Dir der Irrtum, an dem Du Freude hast, entfallen. 6. Was Du also gerne von mir glaubst, das glaube ungehindert, glaube unbesorgt! Jedoch ohne einen anderen beizuziehen! Er könnte Dir alte Meinungen austreiben und dafür andere besorgen;4 Dich wie einen frisch Angekommenen und wiewohl tüchtigen Ackerbauern aus Deinem Grundstück verdrängen und auf das seine ansiedeln; dieses wäre vielleicht vornehmer, Dir aber wahrscheinlich nicht lieber; es zeugt ja nicht von einem gesunden Sinn, zu wünschen, was beleidigt. Lebe wohl. (1351)
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief, Anm. 2. Der dort erwähnte Freund, der eine Freundschaft vermitteln will, ist offensichtlich der Adressat dieses Schreibens: Benintendi dei Ravagnani. 2 Carm. 3,3,5. 3 Vgl. Hor. Epist. 2,2,128 ff. 4 Das wären vielleicht richtige, aber gewiss abwertende.
Fam. 9,13, an den Musiker Philippe de Vitry, 1 Gegen geistige Trägheit und körperliche Unbeweglichkeit. 1. Petrarca kündigt ein freies Wort an. 2. Er tadelt eine Vergreisung des Geistes. 6. Das Bedauern des Adressaten für den Kardinal von Boulogne zeugt von Schwäche. 7. Dessen Aufenthalt in Italien ist kein Exil. 8. Der Adressat war vor Jahren auf Reisen begierig. 10. Nun ist es lächerlich, wenn er sich von Paris nicht mehr trennen will. 13. Auf Reisen sammelt man Erfahrungen und Kenntnisse, wie berühmte Beispiele beweisen. 28. Der Kardinal ist ein neuer Odysseus, der Adressat sein Dichter. 32. Die Mission des Kardinals, seine Reiseroute und besonders sein Besuch in Rom sind ehrenvoll. 39. Die schönsten toskanischen Städte und andere Orte wird er besuchen. 42. Er ist ein neuer Lobredner Italiens. 44. Ein Glück, dass Philippe seine gewöhnlichen Klagen nur in der Volkssprache geschrieben hat!. Padua, am 15. Februar (1350/1351).
1. An ein Freundesohr soll eine Freundesrede pochen, eine nicht sonderlich schmeichelhafte, aber aufrichtige und eine weniger wohlgesetzte als getreue. Gross ist unter Freunden die Offenheit, gross unter ihnen auch die Sicherheit. Wer viel liebt, kümmert sich um wenig. Oder richtiger: er kümmert sich um alles, weil grosse umsichtige Liebe nichts von dem übersehen kann, womit sie den Geliebten zu kränken fürchtet. 2. An seinen eigenen Freund mag Seneca gedacht haben, als er sagte:2 „Ich liebe ihn nicht ohne Angst, ihn zu kränken.“ Ich für meinen Teil wünsche nichts weniger als Dich zu kränken. Doch in der Tat, wie könntest Du mit einer Wahrheit gekränkt werden, bist Du doch immer ein höchst scharfsinniger und leidenschaftlicher Wahrheitssucher gewesen! Freuen wirst Du Dich eher, so hoffe ich, und der Gebrechlichkeit Deines Geistes mit der Kraft Deiner Mannhaftigkeit Hilfe leisten, damit Du als ein grosser Philosoph unserer Zeit (der sich von Ungereimtheiten einer faselnden Menge befreit hat) schon nicht mehr nur mannhaft, sondern auch philosophisch zu reden gewillt seist. 3. Was denn, so frage ich, bleibt dem Menschen – ich will nicht sagen an Ewigem, aber doch immerhin – an Dauerhaftem übrig, wenn man sogar dem Geist zu altern gestattet? Ich habe dank meiner Vernunft, dank der Lehrmeisterin Erfahrung und dank dem Zeugnis eines glänzenden Historikers zwar längst begriffen, dass alles Entstandene vergeht und alles Gewachsene altert;3 aber für sicher hielt ich bisher, dass diesem unausweichlichen Los aller sterblichen Dinge wenigstens der Geist entschlüpfe, überzeugt, dass er nicht von irdischer, sondern von himmlischer und ätherischer Substanz sei, darum aus eigener Kraft und sozusagen auf den Flügeln seines Wesens sich in die Höhe erhebe und den am Boden kriechenden und wütenden Tod von oben verhöhne. Ich habe ja auch bei einem Dichter von uralten Völkern Italiens gelesen, dass4: „… selbst ihre Schwäche im Alter Nie die Kraft ihres Geistes versehrt“,
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und das pflegte ich durch Verallgemeinerung auf das ganze Menschengeschlecht zu beziehen. 4. Du aber zwingst mich, von dieser Meinung zu lassen, denn Du scheinst mir – um klar zu eröffnen, was ich denke – Du scheinst mir, sage ich, mein Vortrefflicher, weniger am Leib als am Geist gealtert zu sein. Und könnte das wirklich selbst Dir bei Deiner Fülle an schönen Künsten und Talenten zustossen, was müssten wir dann vom Geschick der Bedürftigen und Unbegabten glauben, die des tröstlichen Talents und der hilfreichen Bildung ermangeln und bloss zum Vermehren einer Zahl geeignet und „zum Verzehren der Nahrung geboren“ sind, wie es unser Flaccus höchst gewandt formuliert hat?5 Denn wie wolltest Du mir leugnen, dass ein Geist, wenn er altern kann, schliesslich gar sterben wird, wo doch eben das Alter zweifellos der letzte Abschnitt des Lebens und gleichsam der Abstieg zum Tod ist? 5. Gibst Du das zu, so erkennst Du die Folgen: Die ganze Süsse des Lebens und die Hoffnung auf die Unsterblichkeit müssen schwinden! Und dabei ist sie es, die allein dafür einstand, dass ich nicht beklage, ein Mensch zu sein, denn, zwar zum einen Teil dem zeitlichen Tod unterworfen, ist er doch zum andern Teil edlerer Art, und erst noch hat der Glaube seiner Natur hinzugefügt,6 was ihn sogar in seinen beiden Teilen zum Weiterleben bestimmt, nämlich zu dem Leben, das als ewiges und seliges bezeichnet wird. Und ich zweifle nicht, dass Du Dich wunderst, wohin meine Rede auf so vielen Krümmungen ziele. Nein umgekehrt! Beurteile ich Deinen Spürsinn richtig, kannst Du dank dem Gesagten unter Gewissensbissen bereits erraten, was ich damit sage und sagen will. 6. Denn eben befindet sich hier, wie Du weisst, der hochangesehene Vater und Bischof Guy de Boulogne als Legat des apostolischen Stuhles.7 Gleich sehe ich Dein Gesicht von sanftem Rot übergossen. Du hast nicht vorausgeahnt, dass ich aus seinen Händen Dein Schreiben zum Lesen erhalten könnte. Hättest Du das erwogen, Du hättest Dich sicher gehütet, so empfindsam, kraftlos und – verzeih die aufrichtigen Worte – so weibisch zu sprechen. Denn Du hättest, wenn nicht mich, so doch die Musen, meine Gäste, geschont. Dass sich diese nicht allesamt jetzt gegen Dich wappnen, das tut nicht etwa ihre Geduld, sondern die allzu kurze Frist. 7. Was sagst Du nur, bitte? Überprüfe mit mir die Art Deiner Aussagen! Denn man richtet über Dich – wie man sich ausdrückt – auf Grund aktenmässiger Belege. Den genannten uns gemeinsamen Herrn beschuldigst, kränkst und tadelst Du! Und in ganz unerträglicher Weichlichkeit bejammerst Du nicht etwa sein Wegsein, sondern – wie Du sagst – seine Verbannung. Und die heiligste Mission, die vielleicht ruhmvoller ist als vieles andere, entwürdigst Du mit schimpflicher Bezeichnung! 8. Darin eben zeigt sich nun diese Vergreisung, die ich an Dir beklage, mein Teurer! Niemals hättest Du in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft solcherart ge-
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sprochen.8 Erkaltet sind Dein Blut und Dein aussergewöhnlicher Eifer, der immer unübertrefflich zu sein schien, wenn Du Unbekanntem und Verborgenem nachforschtest. Sollte es also zwischen unbändigster Ungeduld und letztmöglicher Schlaffheit kein Mittelding geben? Gering schien Dir einst die Entfernung nach Indien zu sein; schon versuchtest Du, Taprobane9 und was immer der östliche Ozean an Geheimnissen hüten mag, im begierigen Geist zu durchmessen; schon zum äussersten Thule,10 verborgen hinter unbekannten Ufern, drang Dein Verlangen, während die Orkaden und Hibernia11 und was immer auf Erden unsere eigene Flut bespült, für Dich just wegen ihrer Nähe an Reizen verloren hatten. 9. Wie sollte denn verwunderlich sein, wenn ein hochgebildeter Mensch, dem die Erde zu eng wurde, häufig in unermüdlichem Begehren emporsteige zu diesem auf eisigem Wagen über uns kreisenden Himmelspol, aber auch zu jenem anderen, zu dessen Leuchten die Antipoden, sofern es sie gibt, auf der südlichen Hälfte emporschauen, und weiter zur schräg verlaufenden Bahn der Sonne wie zu den Fixsternen und Planeten! 10. Doch was verändert nicht eine all zu lang dauernde Zeit? In Italien zu sein, gilt Dir jetzt als beklagenswerte Verbannung! Wo doch eher der Aufenthalt ausserhalb dieses Landes (sofern nicht jeder Ort dem Tüchtigen Heimat ist) als Verbannung zu gelten hat! Ohne Dich zu beleidigen möchte ich sagen: Allzusehr bist Du von der Kleinen Brücke der Pariser beeindruckt,12 obwohl ihre Wölbung kaum die einer Schildkröte nachbildet! Allzusehr ergötzt Deine Ohren das Rauschen der unten hingleitenden Seine. Und allzu sehr haftet schliesslich an Deinem Schuh der Staub des gallischen Bodens! Vergessen hast Du offensichtlich jenen Mann, der auf die Frage nach seiner Herkunft sich als einen Weltbürger ausgab.13 Du bist dermassen Gallier, dass Du Galliens Grenzen zu verlassen, aus welchem Grund es auch sei, als Verbannung bezeichnest! 11. Uns ist, ich gebe es zu, eine gewisse zärtliche Anhänglichkeit an Geburtsort und Vaterland eingepflanzt. Ich weiss, dass sogar hochberühmten Männern diese Empfindung keineswegs fremd war. Ich höre durch den Historiker Livius,14 dass der Erneuerer Roms und der römischen Herrschaft, nämlich Camillus15 (der jedem noch so hohen Feldherrn vergleichbar ist) im Exil zu Ardea16 bekannte, ihn halte eine sehnsuchtsvolle Erinnerung an den Himmel seiner Heimat gefesselt. Ich höre durch den Dichter Vergil,17 wie Diomedes es dem Neid der Götter zuschrieb, dass er zu seinem Kalydon18 nicht zurückkehren durfte. Ich vernehme, wie Ovid19 seine Abwesenheit von Italien nicht bloss mit wenigen Worten, nein, in einem ganzen Buche beklagte, und ich höre schliesslich, wie Cicero, als ihm der Anblick des Vaterlandes verwehrt war,20 darüber so wehleidig jammerte, als wäre der ciceronischen Redegewandtheit die ciceronische Verstandeskraft abhanden gekommen.
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12. Gleichzeitig weiss ich, dass es einen kleinmütigen und schwächlichen Geist verrät, wenn einer ohne triftige Gründe darauf verzichtet, solche Fesseln zu zerbrechen und sich zu erheben, um seiner Tüchtigkeit, die des Geistes Lust ist, die Augenlust zu unterwerfen. Ungemein gross ist die Schar römischer und fremdländischer Feldherren, ungemein gross auch die der Philosophen, die zur Erhöhung eines kriegerischen oder auch eines geistigen Ruhmes ihr Leben beständig in fremden Ländern verbrachten. Doch weil ich mich lieber an das meinem Beruf Nächstliegende erinnere, will ich zuerst einige Philosophen erwähnen.21 13. Platon22 hat nach seiner Abreise aus Athen, wo er – wenn man so sagen darf – als irdische Gottheit verehrt wurde, zuerst Ägypten und darauf Italien durchwandert. Welch grosse Mühe für einen Menschen, der Sesshaftigkeit gewohnt war! Doch bei allen Schwierigkeiten der Reise benutzte er gleichsam als Fahrzeug die Wissbegier. Berühmt ist die Reise des Demokrit,23 berühmter die des Pythagoras, der – einmal von Hause geschieden – nie wieder zurückging, brannte er doch für die Liebe zur Wahrheit weit stärker als für die zu seiner Heimat. Er „durchwanderte also Ägypten“, wie Cicero24 sagt, „begab sich zu den Weisen der Perser, durchzog zu Fuss sehr viele Gebiete der Barbaren und durchmass sehr viele Meere.“ Fragt aber einer nach seiner letzten Reise, so kam er nach Italien, um den Rest seines Lebens, nämlich ganze vier Lustren genau hier zu verweilen, wo Du das bloss einjährige Verbleiben unseres Herrn wie ein bejammernswertes Exil und sogar als Zeitverlust betrauerst. 14. Ermanne Dich, bitte, ermanne Dich! Wecke Deinen schläfrigen Forschergeist auf und erhebe die bedrückte Seele! Du wirst sehen, welch dichter Nebel vulgärer Meinungen Dich umhüllt hat, als Dir diese Worte entfielen, von denen ich wollte, ich hätte von ihnen nichts gelesen. Nicht Verbannung ist, was Du so nennst, sondern ehrenvoller, lobenswerter, glorreicher Aufenthalt und – bei kurzer Mühe – ein Stoff ewigen Ruhmes. Davon kann man Dich allerdings schwerlich überzeugen, wenn Du meinst – wie ich sehe –, ausserhalb von Paris sei nichts grossartig und nichts vergnüglich, ja, auch nichts ausserhalb der paar Schollen Deines Gütleins, welchen Du Deine Seele verschrieben hast. 15. Bist Du aber wieder zu Dir selber gekommen und hast Du Dich vom Vulgären befreit und Dir zuzusprechen und zu vertrauen begonnen, werde ich nicht aufhören, auf Dich zu hoffen. Gib mir meinen Gesprächspartner, gib mir meinen Philippe wieder! Schweige ich, wird die Wahrheit meine Rede beenden. Jetzt habe ich nicht mit Dir, wohl aber mit – ich weiss nicht mit was für einem – Dir feindlichen Philippe dieses Geplänkel begonnen. Wenn Du deshalb vielleicht einen freimütigeren Ausdruck liest, als es die heutigentags so übliche Höflichkeit gestattet, so verzeih es! „Hilfreich ist es, in hohen Tönen zu reden, und sicherlich schickt es sich“, wie Brutus in einem Schreiben an Cicero sagte,25 „jenen gegenüber, die nicht wissen, was und wozu man fürchten soll.“
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16. Doch ich kehre zu Deinem „Verbannten“ zurück, um den Du so ängstlich besorgt bist. Du solltest ihn sehen, wie er grossartiger als sonst und mit strahlender Stirn von einer Stadt Italiens zur andern zieht! Du solltest sehen, wie ihm Volk und Regenten entgegengehen, um ihn mit höchster Ehre zu geleiten. Du solltest hören, wie ihm von überall her eine Menge von Beifallklatschenden und Begeisterten fröhlich zujubelt. Dann würdest Du Dich schlaffer Aussprüche schämen und ihn nicht als einen Verbannten, sondern mit dem richtigeren Ausdruck als einen Urheber von Frieden und Ruhe und als einen Beschützer der öffentlichen Ordnung bezeichnen. 17. Da ja zwischen den Königreichen Ungarn und Sizilien aus tiefen Quellen des Hasses Kriegsgelüste26 hervorbrachen und einen grossen Teil Europas in Gefahren stürzten, und da auch verhängnisvolle Revolten entstanden, die mit geeigneten Massnahmen unterdrückt werden mussten, damit sie nicht ihrerseits erdrückend würden, liess sich kein anderer finden, der einer solchen Aufgabe gleichermassen gewachsen war wie er. Wenn Du dieses Urteil des römischen Bischofs, diese einstimmige Meinung des Heiligen Kollegiums,27 diese allgemeine Hoffnung und Freude als ein bedauerliches Unglück für ihn betrachtest, dann weiss ich nicht, was Du für glückhaft und heilvoll erklären willst. 18. Doch ich beschwöre Dich bei der Vernunft, welche die Empfindungen lenken muss. Welche Musse kannst Du mit dieser Tätigkeit, welche Vergnügungen mit diesen Pflichten, welche Ruhe mit diesen Anstrengungen vergleichen? Möge die pöbelhafte Gefolgschaft eines Epikur28 doch ansehen, was dieser verkündet! Ich jedenfalls würde einen so herrlichen Auftrag allen Vergnügungen und Genüssen vorziehen, die der Schlaf, der Bauch, der Ehrgeiz und die Ausschweifung zu geben vermögen. Denn jede tüchtige Tat, jeder Ruhm, jedes edle Ergötzen erwächst aus der Anstrengung. Absteigend findet man Schmähliches; aufsteigend Ehrenhaftes. 19. Beklage also nicht das höchst beneidenswerte Los dieses Mannes! Betrachte lieber Dich selber als Verbannten und beklage Deine eigene „Verbannung,“ da Du so weit davon entfernt bist, seine glänzenden Erfolge mitzuerleben. Beklagen würde ich selber Deine Lage und hätte wegen Deiner Verbannung mit Dir Erbarmen, wenn Du nicht bei all Deinem Mitgefühl für Deinen Herrn ganz im Verborgenen darüber glücklich wärest, fernab zu stehen. Einen Glücklichen zu bemitleiden, wäre doch wohl ein überflüssiger Freundesdienst, ausser es gälte vielleicht als Gipfel des Mitleids, mit dem zu leiden, der sich an irriger Freude erfreut. 20. Dulde doch gleichmütig, selbst wenn Du für Deine Person schon vor der Zeit erstarrt bist, dass der andere (da Du ihn zweifellos von Herzen liebst) ein tatenloses Verweilen geringer schätzte als eine glanzvolle Reise. Blühend ist sein Alter, stark sein Körper, edel sein Blut, erhaben seine Gesinnung und feurig seine Wissbegier. Diese sind die treibenden Kräfte, dank denen er die Seine und Rhone verlassen und sich in unbekannten Gegenden Ansehen erworben, dabei seinen Lehrer
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und auch seine Betreuerin und Ernährerin zurückzuversetzen gewagt hat,29 um mannhafte Taten zu vollbringen und einem herrlichen, wenn zwar steilen Pfad eherner Tugend zu folgen. 21. Doch damit Du nicht etwa annehmest, einzig die Philosophen seien ins Ausland gereist und eben deshalb gelte für diesen unseren Spross aus königlichem Haus nicht dasselbe wie für jene von geringerem Stand, will ich nun mit sehr erlauchten Personen aufwarten. 22. Vierundzwanzigjährig war Scipio, als er gegen vier sehr tüchtige Heere der Karthager und ebenso viele sehr kraftvolle Feldherrn nach Spanien aufbrach, seine Jugend mit Beherztheit bezwingend. Und als er von dort mit zahlreichen Siegen geschmückt ins Vaterland zurückkam und zufrieden mit dem erworbenen Ruhm, als hochverehrter Bürger sich hier hätte niederlassen können, zog er es vor, während Hannibal in Italien donnernd voranschritt, nach Afrika überzusetzen, und dies trotz dem Widerstand – was Dich wundern wird – des Senats und des Fabius Maximus,30 dieses sperrigen Querbalkens. Und siegreich ist er unter schlimmsten Widrigkeiten einer ihn lockenden Hoffnung und einem grösseren Ruhme nachgejagt, nicht um aus der Ferne Reichtümer, sondern um Rettung für die Heimat und für sich selber einen Ehrentitel nach Hause zu bringen. Denn als Cornelius war er ausgezogen und als Africanus kam er zurück. Ähnliches gilt auch von seinem Gegner Hannibal. Er ist schon als Knabe voll Verlangen nach Erhöhung seines Ansehens und Erweiterung seiner Macht aus der Heimat in die Fremde gezogen (was für uns bedrohlich, ja beinah vernichtend wurde), und erst als Greis dorthin zurückgekehrt. 23. Und Alexander von Makedonien? Er ist überhaupt nicht zurückgekehrt! Und Pompeius Magnus? Seine Fahrt dauerte so lange als sein Leben und liess fast keinen Erdteil unberührt. Und Iulius Caesar? Wie sehr sein zehnjähriges Fernsein in Gallien, Germanien und Britannien für ihn und sein Vaterland ruhmreich, wie sehr es für Euch schrecklich war, weisst Du aus den Geschichtsbüchern und wussten Eure Väter aus ihren Niederlagen. Unter welchen Erschütterungen der Erde sein folgendes vierjähriges Unternehmen – der Zeit nach eher kurz, doch recht lang in der Wirkung und räumlichen Ausdehnung – und wie es zur höchsten Höhe aller Verhältnisse führte, ist allbekannt. Der Name des einst erloschenen Imperiums bezeugt es in seiner Lebendigkeit bis heute. 24. Nach Troia ging Neoptolemos31 unter Missachtung der Bitten und Tränen seines Ahnen, und hätte er sie beachtet, sein Vater wäre ungerächt und ungerächt sein Vaterland geblieben. Nach Troia und von dort noch weiter ging Odysseus, erforschte Meere und Länder und hielt nicht inne, bevor er am äussersten Gestade des Westens eine Stadt zur Ehre seines Namens errichtet hatte.32 Auf ihn wartete zu Hause ein altersschwacher Vater, ein noch kleiner Sohn, eine junge, von Freiern umlagerte Gattin, während er dem Becher der Kirke, dem Gesang der Sirenen,
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dem Wüten der Kyklopen, den Monstren des Meeres und seinem Unwetter standhielt. 25. Dieser Held, seiner Irrfahrten wegen berühmt, wollte nicht zu Hause verweilen, sondern lieber (mit Unterdrückung seiner Gefühle, mit Vernachlässigung seines Thrones und in der Verachtung sehr vieler Schätze) zwischen Skylla und Charybdis, zwischen den schwarzen Gipfeln des Averno und unter den Gefahren von Umständen und Gegenden (die bloss zu lesen schon ermüden!) seine Jahre verbringen. Dies mit dem einzigen Ziel, dereinst in hohem Alter reicher an Kenntnissen in die Heimat zurückzukehren. 26. Und wirklich, wenn es die Erfahrung ist, die Kenntnisse verschafft und wenn sie die Mutter der Wissenschaften ist, was kann da einer an Wissenswertem und was an besonders Lobenswertem erhoffen, wenn er des väterlichen Hauses beständiger Wächter bleibt? Es gehört sich für einen guten Landwirt, auf dem eigenen Acker zu sitzen, die Fruchtbarkeit des Bodens, die Gewohnheit der Rinder, die Natur der Gewässer, das Wachstum der Bäume und Saaten, die günstigen Zeiten und die Wechsel der Witterungen, auch die Karste, die Hacken und Pflüge zu kennen. 27. Doch für den edlen, in die Höhe sich reckenden Geist ist es richtig, viele Länder und vieler Menschen Gesittung zu ergründen33 und im Gedächtnis zu bewahren. Vollkommen wahr ist, was Du bei Apuleius gelesen hast:34 „Nicht ohne Grund“, so sagt er, „hat der göttliche Autor der frühesten griechischen Dichtung35 im Verlangen, einen Mann von höchster Klugheit zu schildern, eben jenen besungen, der die höchsten Fähigkeiten dank dem Besuch vieler Städte und dank der Begegnung mit verschiedenen Völkern erworben hat“. Nachgeahmt hat das unser eigener Dichter,36 und Du weisst, zu wie vielen Städten und Küsten er seinen Aeneas geführt hat.37 28. Du aber, jetzt der einzige Dichter in Gallien, hast für diesen Deinen neuen Odysseus oder Aeneas (für diesen Gegenstand Deiner Geistesschulung und diesen Stoff Deines Werkes) nur Mitgefühl, weil er ausser Paris noch etwas anderes beachtet. Und Du begreifst nicht, wie willkommen ihm gewesen ist und noch sein wird, mit seinen Augen das Schauspiel zu erleben, das er in Gedanken vorauserkannt hatte. Damit handelt er, wie wir wissen, gemäss einer Gewohnheit des Kaisers Hadrian;38 denn dieser begehrte, die Stätten, die er auf Grund seiner Lektüre oder eines lobenden Gerüchts für denkwürdig hielt, in eigener Person zu besuchen, und dies ohne Rücksicht auf die Bürde seiner Herrschaft. 29. Übrigens hat auch Cicero in einem Disput zu Tusculum erklärt,39 man glaube eine lohnende Leistung zu erbringen, wenn man die Mündung des Pontus und jene Engen besuche, die einst jenes Schiff befuhr mit dem Namen: „Argo,40 deren die Schar argivischer tüchtiger Männer Damals bedurfte zur Fahrt nach dem goldenen Vlies eines Widders“. Doch handelten so auch jene Leute, die den wogenden Ozean dort betrachteten,
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„Allwo die tobende Flut Europa von Libyen scheidet“. 30. Welchen Gewinn wird sich da der Obengenannte zuschreiben dürfen! Er hat die im punischen Feuer und Essig geborstenen Felsen der Alpen gesehen,41 dann im diesseitigen Gallien die lachenden, weit sich erstreckenden Felder in freier Betrachtung durchmessen, hat auch Mailand, die herrliche Stadt, die (wie man aus Schriften grauer Vorzeit weiss) eine kraftvoll blühende Gründung Eurer Ahnen ist,42 überdies Brescia und Verona, höchst anmutige Orte, und in ihrer Mitte den See von Garda besucht (zwei vortreffliche Werke der Menschen und ein solches der Natur). Er hat sich hierauf nach Padua, einer Schöpfung des Troers Antenor43 begeben, ist nachher zu der bewunderungswürdigen, prächtigen und weitaus grössten unter den Städten der Küste, jener der Veneter, gekommen, gleich nachher zu dem von Flüssen umschlossenen und dank seinen sommerlichen Festen vergnüglichen kleinen Treviso gelangt, das er sich zum Wohnsitz gewählt hat, weil er weniger um sein eigenes Wohl und Behagen als um das seiner Gäste besorgt und bemüht ist. 32. Von da aus ist er zur Unterdrückung von Unruhen im Norden an Aquileia vorbei durch die Norischen Alpen weitergezogen, hat in der Länge und Breite Germanien durchquert und ist bis zur einstigen Grenze des Kaiserreiches an der Donau vorgerückt, die wie ein zweiter Nil von tausend Quellen geschwellt, mit erschreckenden Wassermassen daherbraust. Von da ist er kürzlich mit grosser Ehre zurückgekehrt und hat am heutigen Tag den Leib des jüngeren Antonius unter der frommen Beteiligung einer gewaltigen Menge in ein neues Grab überführt,44 was der einzige Grund für sein etwas längeres Verweilen in Padua war. 33. Morgen wird er die unterbrochene Reise fortsetzen, um so, nachdem er die Fluten des Adriatischen Meeres gesehen hat, auch die Stürme des Tyrrhenischen zu erleben. Vor allem aber wird er den König der Flüsse (auf dass ihm die Seine verleide!), den Po, überqueren und die älteste der Städte – wie man behauptet – nämlich Ravenna, dann Rimini, das stark bewehrte Perugia, darauf andere Orte an seinem Weg und schliesslich das Haupt der Welt, die Herrscherin Rom, besuchen. Nur wer diese nicht gesehen hat, wird leichtsinnig andere Städte bewundern. Dass das Aussehen dieser Stadt immer von neuem besondere Schönheit gewann, war stets dem Schicksal des römischen Volkes zu verdanken. Dass es aber jetzt so segensreich werde wie nie zuvor, wird das Jubeljahr bewirken.45 Sprich also meinetwegen von einem Verbannten: mir wird er als ein sehr bevorzugter Pilger erscheinen. 34. Er wird die Stätten der Apostel durchschreiten und die vom heiligen Märtyrerblut purpurgefärbte Erde betreten. Er wird das auf weiblichem Linnen bewahrte46 und an den Wänden der Mutterkirche hängende Bildnis des Herrenantlitzes schauen. Er wird die Stelle besuchen, wo dem fliehenden Petrus der Herr begegnete,47 und er wird auf dem härtesten, ewigen Felsgestein die den Völkern anbetungswürdigen Fussspuren erkennen. 35. Er wird dort ins Allerheiligste hineingehen,48
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in diesen kleinen Ort voll himmlischer Gnaden. Er wird den Vatikan und die für selige Gebeine errichtete Gruft des Calixtus durchforschen.49 Er wird die Wiege und die Beschneidung des Erlösers und das Gefäss der jungfräulichen Milch von wunderbar schimmernder Weisse besehen. Er wird den Ring der Heiligen Agnes beschauen und das Wunder der besiegten Leidenschaft überdenken.50 Betrachten wird er das abgetrennte Haupt von Johannes dem Täufer,51 auch den Rost des Laurentius52 und den von anderswo herbeigeführten Stephanus, diese beiden, die sich einer gemeinsamen Herberge freuen. 36. Auch wird er sehen, wo Petrus gekreuzigt wurde53 und wo, nachdem Paulus sein Blut vergossen hatte, Quellen süssen Wassers entsprangen,54 zudem den Ort, wo nach Christi Geburt ein Ölquell in den Tiber hinabfloss,55 dann die Stelle, wo man zum herrlichsten Tempel das Fundament gemäss jenen Umrissen anlegte, die ein sommerlicher Schneefall bezeichnet hatte,56 und eine andere Stelle, wo bei der Geburt der Jungfrau sogar die kräftigsten Tempelbauten zerfielen57 und wo Simon58 nach seinem Sturz vom Himmel den ihm nutzlosen Stein verfluchte. Zeigen wird man ihm das Versteck Silvesters,59 die Vision Konstantins und das jenem vom Himmel bestimmte Heilmittel für seine unheilbare Krankheit,60 ja noch unendlich vieles, wovon ich einen Teil schon früher einem Freunde beschrieben und dann auch in Versform festgehalten, also in zwei nicht eben kurzen Schreiben knapp geschildert habe.61 37. Wenn er dann von der himmlischen Sphäre zur irdischen hinabzusteigen gedenkt, wird er sich nach den staunenerregenden Palästen der römischen Feldherren und Fürsten umsehen, nach denen der Scipionen, Caesaren und Fabier und nach allem andern, das weder Mass noch Zahl hat. Bewundern wird er die sieben Hügel, die durch einen Mauerkranz umschlossen, einst alle Länder, Berge und Meere beherrschten, zudem die breiten Strassen, die damals für die Scharen der Gefangenen allzu schmal waren. Er wird zu den Triumphbogen aufschauen, die früher mit der Beute unterworfener Könige und Völker befrachtet waren. Das Kapitol, das Haupt und die Feste aller Länder, wird er besteigen, wo einst ein Heiligtum Jupiters gewesen ist, jetzt aber Ara Caeli steht und wo, wie es heisst, dem Kaiser Augustus der Knabe Christus erschienen ist.62 38. Dies alles wird jener tun. Du aber wirst, so oft Du die Wiesen von SaintGermain und den Hügel der Geneviève betrachtest,63 Dir einreden, Du habest Orient und Okzident durchwandert, glücklich in dieser Deiner Meinung, sofern im Irrtum ein Glück bestehen kann! 39. Nach der Abreise von Rom wird jener, damit Dir ja nichts unbekannt bleibe, die Städte Etruriens besuchen. Da ist das von kalten und warmen Quellen umspülte, auf grünendem Grund sich erhebende Viterbo, auch Orvieto, seinem Namen nach alt,64 aber doch neu und ansehnlich dank seinem frischen Glanz und thronend auf hochgelegener Ebene über einer rings abfallenden riesigen Felswand. Da ist auch Siena mit seiner säugenden Wölfin und mit der Zahl seiner Hügel eine Ri-
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valin Roms und auf seiner erhöhten Lage so anmutig, wie kaum eine andere Stadt (und in diesem Punkt wird wahrscheinlich sogar Galliens Anmut nicht widersprechen). Weiter ist da auch das nah gelegene Florenz, eine Schöpfung römischer Heerführer, über die ich für den Augenblick jedoch nichts anfüge, denn es soll die Vaterlandsliebe weder Dich mir noch umgekehrt mich Dir65 verdächtig machen. 40. Von dort wird er erneut den Apennin überqueren, mit dem Ziel, über das studienreiche Bologna hierher zurückzukommen, um mit sämtlichen Prälaten seines Gesandtschaftsgebietes ein feierliches Konzil abzuhalten. Und schliesslich wird er sich wiederum nach Mailand begeben und da, zur Linken sich wendend, ein drittes Mal den Apennin übersteigen, um auch Genua zu besuchen, dies nicht ohne Grund, denn keine Stadt wäre schöner belebt, keine zu unserer Zeit im wahreren Sinn ein Königssitz zu nennen, wenn ihr die Eintracht der Bürger nicht mangelte.66 In der angedeuteten Weise wird er entlang der ligurischen Küste, die so sonnig ist wie sonst keine, durch Haine von Zedern und Palmen am düftereichen, wellenrauschenden Ufer zur Grenze Italiens gelangen, um sich nach Gallien zurückzubegeben. 41. Und bei all dem finden sich keine Anzeichen eines von Hast und Überdruss geschüttelten Menschen. Du siehst, wie er nach Art des Mäanders hin- und her schweift, so dass an vielen Orten Jubel über seine Ankunft herrscht und sein vortrefflicher Geist sich am Anblick mannigfaltiger Dinge ermuntert. 42. Darum hat denn Dein „Verbannter“ Stoff zu mächtiger Freude, weil er vieles und Grosses und Denkwürdiges gesehen und weil er mit seinem persönlichen Auftreten (wiewohl ein solches sonst ganz allgemein einen guten Ruf vermindert) seinen strahlenden Ruhm gar vergrössert. Auch Italien hat Ursache, sich zu freuen, wird es doch in der Finsternis der heutigen Zeit wie durch ein gütiges Gestirn erhellt. Und dieses Land, das von Anfang an unter allen andern, wie Du selber weisst, nach dem Zeugnis der alten Schriftsteller das grösste Lob empfing, hat auch zu dieser unserer Zeit, wo solches nicht zu erhoffen war, einen mächtigen Lobredner gefunden. Glaube mir nur, Du wirst Dich wundern, wenn Du nach seiner Rückkehr aus seinem Munde ein Preislied auf Italien vernehmen wirst! 43. Wenn Du also die Entbehrung des vortrefflichen Vaters nur ungern erträgst und darüber jammerst, dass Du vereinsamt seist und Dein Geist in dieser Lage sich allzu sehr verkruste, so kann ich menschliche Leidenschaften verzeihen. Wenn Du jedoch ihn uns missgönnst wie uns ihm, so muss man Dich wirklich mit bissiger Satire kränken! Denn dann quält Dich, dass andere sich freuen. Was übrigens ist, besteht nur kurz; der nächste Sommer macht Dich zum Sieger, indem er Dir zurückgibt, was er uns wegnimmt. Freilich wird keine Zukunft unserem Herzen je sein Bildnis entreissen. 44. Und wie viel lebhafter, was meinst Du, ja wieviel erfahrener wird er zurückkehren! Wie sehr wird er nicht bloss andere, sondern auch sich selber übertreffen,
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nachdem er so manches mit eigenen Augen gesehen und die städtische Gewandtheit der Gallier mit dem würdigen Ernst der Italiener gewürzt hat! Zum Beifallspenden wirst Du Deine Redegewandtheit aufwenden und Dich Deiner kindischen Klagen schämen. Denn sie liessen sich durchaus nicht entschuldigen, wären sie nicht in der Sprache des niedrigen Volkes67 geschrieben worden und verrieten eben damit, dass sie nicht Deine eigene Meinung vertreten, sondern die der Menge, deren Urteil stets blind und niedrig war. Endlich aber lebe wohl, bleibe gesund und vergiss uns nicht! Es grüsst Dich der Arzt Marco,68 ein Compatriot Vergils. Padua, am 15. Februar (1350/1351).69
Anmerkungen 1 Philippe de Vitry (in der Champagne), 1291 – 1361; Dichter und Komponist; Mitbegründer der französischen „ars nova“; in den dreissiger Jahren königlicher Notar von König Philippe VI., ab 1351 Bischof von Meaux; vgl. Fam. 11,14 und Buc. carm. 4. 2 Ad Lucil. 25,1. 3 Sall. Iug. 2,3. Über dieses Thema verbreitet sich Petrarca vor allem in Sine nom. 4 gegenüber Cola di Rienzo. 4 Verg. Aen. 9, 6 – 611. 5 Epist. 1,2,27. 6 Gemeint ist die im christlichen Glauben geschenkte Auferstehung von Seele und Leib. 7 Der genannte Kardinal und Bischof Guy de Boulogne war von Papst Clemens VI. an König Ludwig von Ungarn gesandt worden; damit er ihn von einem Kriegszug gegen Neapel abhalte. Dort war des Königs Bruder Andrea, der Gemahl der Königin Giovanna, ermordet worden. Avignon hatte der Kardinal am 15. Januar 1349 verlassen und langte am 9. März in Padua an, von wo er über Venedig und Treviso weiterreiste. Am 12. Februar 1350 war er wieder in Padua und hierauf am 7. Juni in Avignon zurück. Mit dem Königshaus von Ungarn war er verwandt. 8 Vgl. Petrarcas Buc. carm. 4, wo Philippe erwähnt wird. 9 Ist mit Ceylon gleichzusetzen; vgl. Plin. Nat. 6,81. 10 Über Thule berichtet Petrarca in Fam. 3,1. 11 Das sind die Orkney-Inseln und Eire (Irland). 12 Le Petit Pont verband das südliche Ufer der Seine mit der Insel von Notre-Dame, dem Zentrum des Universitätslebens. 13 So Sokrates; vgl. Cic. Tusc. 5,37,108. 14 Liv. 5,54,3. 15 Sagenumwobene Gestalt im 4.Jh.v. Chr. 16 Stadt der Rutuler in Latium, südlich von Rom. 17 Aen. 11,269 – 270. 18 Kalydon war eine Stadt an der Küste Ätoliens. Diomedes war sagenhafter König der thrakischen Bistonen. 19 Tristia und Ex Ponto. 20 58 – 57 vor Chr.; vgl. Ciceros Briefe aus dieser Zeit. 21 Für die bekanntesten der folgenden Namen genügen wohl die Angaben im Personenregister. 22 Vgl. Cic. De fin. 5,19,50 und 87. 23 Philosoph, Zeitgenosse von Sokrates. Er war in Ägypten und in Persien.
Fam. 9,13 24 25 26 27 28 29
30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
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Vgl. Cic. De fin. 5,29,87; De rep. 2,28. In Cic. Ad Brut. 1,16,2. Vgl. Anm. 7. Das Kollegium der Kardinäle. Seine Philosophie forderte das Abseitsstehen von aller Politik und den Verzicht auf öffentliche Tätigkeit. Günstig beurteilt Petrarca die Haltung Epikurs in Fam. 8,4,3. Mit dem Lehrer ist wohl Philippe gemeint, die anderen Angaben lassen sich nicht sicher deuten. Doch kann von des Kardinals Mutter die Rede sein, die damals noch lebte. Einen Trostbrief nach ihrem Tod stellt Fam. 13,1 dar. Der Kardinal war zur Zeit der Reise etwa siebenunddreissig Jahre alt. Gemeint ist der grosse Gegner Scipios, der Zauderer, Cunctator. Sohn des Achilleus; bedeutendster Helfer bei der Eroberung Troias. Petrarca denkt an Olisippo an der Mündung des Tajo. Vgl. Solin. Collect. 23. Vgl. Hor. Ars 142. Metam. 9,13. Homer. Vergil. Über die Notwendigkeit des Ortswechsels ist auch im Secretum 3,8,5 ff., 3,9,6, vor allem als Mittel gegen Acedia, und auch sonst die Rede. Vgl. Spartianus, Historia Augusta, Hadrian. 17,8. Tusc. 1,20,45. Das Schiff der Argonauten, benannt nach seinem Erbauer Argos. Erinnert wird an das Sprengen von Felsen, das Hannibal mit Holz, Feuer und Essig unternommen haben soll; vgl. Liv. 21,37,2. Gründung der keltischen Insubrer. Vgl. Liv. 5,34,9. Vgl. Verg. Aen. 1,247. Das ist der Franziskaner Antonius von Padua, von ca. 1195 – 1231. Noch berühmter war der Einsiedler Antonius des 3./4. Jahrhunderts. Das genannte Ereignis fiel auf den 14. Februar 1350. Das Jubeljahr, das eigentlich auf 1400 fallen sollte, wurde auf Bitten der Römer durch Clemens VI. vorverlegt. Das Antlitz des Herrn auf dem Linnen der Heiligen Veronica. Nach der Legende „Quo vadis“ genannt. Gezeigt wurden die Fussspuren. in der Kapelle „Quo vadis“ an der Via Appia. An dieser Stelle soll Christus dem fliehenden Petrus begegnet sein. Katakomben von S. Sebastiano und Callisto. Kirche S. Agnese in Agone. Agnes soll in der Treue zu Christus einem Freier widerstanden haben. Kirche S. Giovanni in Laterano. S. Lorenzo fuori le Mura. S. Pietro in Montorio. S. Paolo alle Tre Fontane. S. Maria in Trastevere. S. Maria Maggiore. S. Maria Nuova (S. Francesca Romana). Simon Magus der Apg. 8,9 ff. Er soll nach einer Legende einen Flug in den Himmel versucht haben. Gemeint ist der Papst, der sich vor Kaiser Konstantin versteckte, bevor er ihn taufte. Die Legende von Papst Silvester und Kaiser Konstantin, dargestellt im Oratorio di S. Silvestro in der Kirche SS. Quattro Coronati. Fam. 6,2 und Metr. 2,5. Die byzantinische Legende findet man in den Mirabilia urbis Romae.
510 63 64 65 66 67 68 69
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Saint-Germain-des-Prés und Sainte-Geneviève. Orvieto ist urbs vetus. Das sagt Petrarca als Florentiner. Die Bürgerschaft spaltete sich in die Parteien der Doria und der Grimaldi; vgl. Fam. 14,5,17 ff. Französisch statt lateinisch. Uns unbekannt, doch stammte er als Compatriot Vergils aus der Gegend von Mantua. Zur Datierung vgl. oben Anm. 7.
Fam. 9,14, an den Priester Luca von Piacenza1 Pläne für Weltflucht. 1. Hinweis auf Nachstellungen. 2. Ein Rückzug in die Einsamkeit sei geplant. 4. Die Einsamkeit sei notwendig. 6. Falsche Hoffnungen müsse man aufgeben. 7. Petrarca werde sein Buch über das Einsiedlerleben schicken. (-1353)
1. Ich spüre Deine Ängste, Deine ausgesprochenen nicht besser als Deine verschwiegenen. Ich weiss, viele verfolgen Dich meinetwegen.2 Mich aber weshalb? Das, ich gestehe, weiss ich nicht. Kann sein, es kränkt sie mein Ruf, der zwar gering, ja zweifelhaft ist, ihnen aber grösser und glänzender vorkommt, als es die triefäugige Missgunst ertragen kann. Schon höre ich auf, mich darüber zu wundern; denn jeder Ruhm, ob er wirklich bedeutend oder bloss scheinbar bedeutend ist, wühlt wie grosse Meere ohne Unterlass mächtige Fluten auf. Wir werden vor Unwettern weichen, nicht aus Furcht, nein, aus Verachtung. Diese bewirkt – ins Übermass gesteigert – Seekrankheit. 2. Wir werden gehen und uns verborgen halten, und dies nicht ohne Ehre. Unser Name wird – ausser es täuscht mich meine Ahnung – aus den Verstecken noch schöner ertönen als aus den Städten, um ringsum die Neider zu foltern. Zweifle nicht! Gott wird uns in einem sehr sicheren Hafen bergen und uns „vor den Ränken der Menschen retten, auf dass wir seine Gebote halten.“3 Eben darauf habe ich all mein Verlangen gerichtet, darauf sinne ich Tag für Tag und Nacht für Nacht. Dem frommen Vorsatz wird Gott seine Gunst erzeigen; ja, alles wird noch rascher geschehen, wenn Deine Zustimmung – so wahr sie zu keimen scheint – sich hinzugesellt. 3. Und baue, Freund, auf meine Überzeugung, dass Du ein guter Mensch bist. Andernfalls hätte ich Deine Freundschaft nicht angenommen oder ich hätte, wenn ich aus Versehen und unwissend ihr verfallen wäre, entweder nach der Sitte unserer Ahnen auf sie verzichtet oder nach Catos4 Ratschlag sie allmählich aufgelöst, nicht aber zerrissen. Ist besagtes Fundament einmal gelegt worden, magst Du tun und sagen, was Du willst: Es ist mir recht. Doch halte fest: Nichts hast Du je geäussert, was mir so sehr gefällt wie das kürzlich Gesagte. Denn überaus eindrücklich – und soweit sich erkennen lässt –, mit allen Fibern und Kräften der Seele hast Du mich und Dich selber zu einem Rückzug in die Einsamkeit ermahnt.5 4. Gut sprichst Du, mein Freund, einsichtig, ehrlich, ernsthaft und vorsorglich. Ich selber glaube ja auch (doch sage ich das nicht für jedermann, sondern nur für uns beide), dass wir ausserhalb der Einsamkeit kaum gut zu leben und gut zu sterben vermögen. Und gewiss haben wir bereits nicht weniger an den Tod als an das Leben, nicht weniger an unser Ende als an eine Laufbahn zu denken. Die Natur,
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unsere Meisterin, hat uns als Einsiedler geschaffen. Was suchen wir Ausflüchte, und was gehen wir auf Abwegen? 5. Es täusche uns nicht die Hoffnung auf ein längeres Leben, auch nicht jenes Psalmwort, das mit seinem Hinweis auf siebzig oder – für Glückliche – gar auf achtzig Lebensjahre6 schon unzählige getäuscht hat. Ich widerspreche ihm nicht; die Worte des Propheten sind allesamt richtig; doch der grössere Teil der Menschen erreicht nicht einmal fünfzig. Und wie viele tausend Beschäftigungen, wie viele pomphafte Unternehmungen hat die gleiche prophetische Autorität vorzeitig abgebrochen! Was uns da als die höchste Zahl genannt wird, das betrachten wir gern als Mittelmass; und was nur wenigen und lebenskräftigen Menschen versprochen wird, versprechen wir uns allen. 6. Möchten leere Hoffnungen doch schwinden! Niemand möge uns täuschen! Nein, richtiger: Täuschen wir uns doch nicht selber! Und es treffe auf uns nicht zu, was Cicero meinte, als er sagte:7 „Das Glück des Metellus8 erhofft sich ein jeder.“ Mächtig freilich ist Gott, uns alles Beliebige wie alles Besondere und Herrliche zu verleihen. Wir selber aber müssen auf unsere Mässigung und gleichzeitig auf das übliche Los der Menschheit und überhaupt auf das Gewöhnliche bedacht sein. Doch nehmen wir an, unsere Lebenszeit werde sehr lang sein! Dennoch wirst Du den geringen Abstand zum Ende leicht ermessen, wenn Du die Augen wegkehrst und anfängst, an der Vergangenheit die Zukunft zu messen. 7. Deinen Wunsch, das Buch „Vom einsamen Leben“9 – gleichsam als eine nicht geringe Stütze – zu empfangen, hättest Du nicht einmal auszusprechen brauchen. Was immer meine eigene Geisteskraft hervorbringt, wird Dir aufs rascheste überbracht werden, und wäre es noch gar nicht veröffentlicht, ganz zu schweigen von den Geisteserzeugnissen der Alten, deren wir eine grosse Menge besitzen. Da übrigens von diesen zu sprechen keine Zeit mehr bleibt, präge Dir ein, dass Du in wunderbarer Weise die Freundschaft, die Du mit mir pflegst, durch das gefestigt hast, was Du selber über die Einsamkeit so eindrucksvoll geschrieben hast. Verharre Du nur ausdauernd und tapfer bei Deiner Meinung! Lebe wohl! (Frühling -1353)10 Anmerkungen 1 Der Adressat war Rektor an der Kirche Santo Stefano von Parma, wo Petrarca ihn kennenlernte. Vgl. Fam. 9,6; 9,7 und 14,3 – 4. 2 Dies ist möglicherweise eine Anspielung auf Petrarcas Auseinandersetzung mit dem Bischof Rossi von Parma; vgl. Fam. 9,6. 3 Ps. 118,134. 4 Gemeint ist Cato Censor; vgl. Cic. De am. 21,76. 5 Petrarca scheint erneut an ein Leben in Gemeinsamkeit gedacht zu haben, wovon schon Fam. 8,3 – 8,5 und 9,2,11sprachen. 6 Ps. 89,10.
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7 Tusc. 1,36,86. 8 Quintus Caecilius Metellus Macedonicus, von Petrarca häufig zitiert wegen seiner langen Lebenszeit; vgl. Personenreg. 9 Petrarca hatte das Werk bereits 1346 in seiner Einsiedelei Vaucluse begonnen; er hörte aber nicht auf, es zu überarbeiten. 10 Die früheren Schreiben an Luca von Parma sind ins Jahr 1351 anzusetzen. Bei dem hier angeführten schwanken die Kenner zwischen 1352 und 1353. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp., 64.
Fam. 9,15, an den Redner Guglielmo da Pastrengo von Verona1 Petrarca dankt für eine Hilfe und bittet um ein Buch. Eine Aufmunterung zur Erledigung weltlicher Geschäfte habe der Schreibende nötig. (1354)
1. Ich danke Dir, mein Bester, dass Du mir so freundlich entgegenkommst. Mir selber ist nämlich viel lieber, wenn für meine Studien als für meine Vergnügungen gesorgt wird, obwohl gerade auch den Studien besondere Vergnügen, und sogar unverwüstliche und ehrenhafte, nicht fehlen. Ob das jemand besser weiss als Du, möchte ich bezweifeln. Das bestimmte Buch benötige ich dringend für mein Sammelwerk über berühmte Männer,2 das ich diesen meinen Schultern, wie immer sie sein mögen, auflud. Ich bitte also, beeile Dich! Du weisst, wie kostbar die Zeit ist, wenn Stunden und Minuten zählen. 2. Übrigens danke ich Dir auch ausdrücklich, weil Du mich an die so sehr geschuldete Pflicht erinnerst. Ich habe zu tun versucht, was Du mir anrätst, und hätte das auch von mir aus getan, ja hatte damit schon begonnen. Doch Du kennst meine Trägheit wie auch meine Abneigung gegen solche Dinge.3 Wäre mir doch vergönnt so zu sterben, dass ich nicht völlig sterbe, nämlich als einem, dem bei vielem Beginnen doch als lächerlichste Fabel und völlig leerer Traum erscheint, was immer sich auf Erden ereignet. Aufmunterungen hatte ich demnach nötig, und Deine Treue hat mir diese in Kenntnis meiner Gewohnheit wirklich geboten. Der Zögernde wurde zum Handeln bewogen; freilich, zu welchem Nutzen, wird erst der Ausgang erweisen. Kann man sich auf die Ahnung der Vernunft verlassen, wird ein rechtschaffener Ratschlag gewiss nicht wirkungslos bleiben. Lebewohl! (Mailand, möglicherweise am 26. Juli 1354)4 Anmerkungen 1 Guglielmo da Pastrengo, geb. 1290, war einer der Lehrer von Petrarcas Sohn Giovanni. Er gehörte zu den ersten italienischen Humanisten, studierte Jurisprudenz in Bologna und wurde Prokurator der Comune von Verona. Er starb 1362. Vgl. Antonio Avena, Guglielmo da Pastrengo e gli inizii dell' umanesimo in Verona, in: Atti e memorie, ser. 4,1907, 229 – 290; vgl. auch das folgende Schreiben 9,16 sowie die andern unter „Adressaten“ aufgeführten Briefe. 2 De viris illustribus. 3 Petrarca denkt möglicherweise an politische Umwälzungen in Verona zu Gunsten der Scaliger und an Interventionen des Adressaten bei Mastino della Scala zu Gunsten von Petrarcas Sohn. Dieser verliess 1354 Verona nach einem kurzen Aufenthalt eben dort; er verlor damit die Stelle eines Kanonikats. Dass er sich an Unruhen beteiligt hätte, ist nicht anzunehmen. 4 Zum Inhalt und Datum vgl. Wilkins, Eight years 72 f.; Studies 168; Petr. Corresp. 64.
Fam. 9,16, an Guglielmo da Pastrengo von Verona1 Resignation nach erlebter Enttäuschung. (1354)
Getäuscht hat die Meinung, und die Hoffnung hat getrogen. Sie ist die alltägliche Seuche der Sterblichen. Nichts ist lügenhafter als sie, nichts findet dennoch grösseren Glauben. Man wundert sich? Nein, nichts weniger als das! Allbekanntes und überall Gehörtes spreche ich aus. Aber willst Du diesem Übel auf den Grund gehen? Eine Verbündete der Hoffnung ist des Menschen Begierde, die nichts für unmöglich zu halten befiehlt, weil sie alles begehrt. Im übrigen hast Du geleistet, so viel an Dir lag. Doch über Deinen Ratschlag, Deine Treue und Besorgtheit, mit der Du mich väterlich umsorgt hast, sind nun die Verwegenheit, Bosheit und Grausamkeit anderer siegreich geworden. Dreiteilig ist das Heer, berüchtigt die Schlacht und schändlich der Triumph. Lass uns aber nachgeben, um nicht durch Missmut das Unrecht zu verschlimmern! Nichts anderes bleibt zu tun, als was ein Weiser2 gesagt hat: Wo menschliche Mittel versagen, muss man nach göttlicher Hilfe ausschauen. Lebe wohl und denke an uns! (1354)3 Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Welcher Weise gemeint ist, kann ich nicht angeben. 3 Der Brief folgte vielleicht kurz auf den vorangehenden; vgl. beim vorangehenden Brief die Anmerkung zum Inhalt und Datum.
Fam. 10,1, an Karl IV.1 Aufruf, ohne Verzug nach Italien zu kommen. 1. Karl möge seiner und Italiens nicht vergessen. 3. Die Zeit dränge. 8. Von Kindheit auf sei er dazu bestimmt, den Römern ein neuer Augustus zu sein. 11. Seine Hauptaufgabe bestehe in der Befriedung Italiens und in der Wiederherstellung der Kaisergewalt. 14. Die würdige Roma breite vor ihm die Heldengeschichte ihrer Vergangenheit aus. 25. Sein Grossvater Heinrich ermahne ihn, das ihm versagte Werk zu vollbringen. 26. Die römische Republik müsse wieder zu Ehren kommen. Padua, am 24. Februar (1350/1351).
1. Vor einem Absturz entsetzt sich mein Brief, durchlauchtigster Cäsar, sich seines Verfassers bewusst und bedenkend, wo er herkommt und wo er hingeht.2 Aus dem Dunkel nämlich ging er hervor; kein Wunder, wenn der Glanz Deines strahlenden Titels ihn blendet! Doch weil die Liebe jede Furchtsamkeit austreibt, mag er ans Licht gelangen, und wäre er nichts als der Bote meiner treuen Gesinnung. Lies ihn ganz, so bitte ich, Du unsere Zierde, lies ihn ganz! Was Dir, wie ich höre, verhasst und lästig ist, die Schmeichelei, das alltägliche Gift für Könige, hast Du von mir nicht zu befürchten; diese Kunst ist meinem Wesen völlig fremd. Eher für Beschwerden halte Dein Ohr bereit. Denn weniger mit schmeichelnder als mit klagender Rede will ich auf Dich eindringen. 2. Weshalb hast Du unser und – wenn es zu sagen erlaubt ist – Deiner selbst vergessen? Wohin hat Deine Sorge um Italien sich verloren? Wir nämlich hofften, Du seist uns vom Himmel gesandt als unserer Freiheit entschlossenster Retter. Du jedoch weichst zurück, und wo man der Tat bedarf, verschwendest Du Zeit mit endlosen Beratungen. Sieh, Cäsar, mit welchem Vertrauen ich mit Dir rechte, ich ein geringes Menschlein und unbekannt! Du aber, ich bitte, zürne nicht meinem Freimut, sondern danke es Deinem Wesen und Deinen Sitten, dass sie mir solches Vertrauen einzuflössen vermögen. 3. Was also verbringst Du – um das Begonnene weiterzuführen –, als wärst Du der Zukunft sicher, die Zeit mit Beratungen? Weisst Du nicht, in wie kurzer Frist die Ursachen bedeutendster Verhältnisse sich wandeln? Was in vielen Epochen erarbeitet wurde, macht oft ein einziger Tag zunichte. Glaube mir, wenn Du Deinen eigenen Ruf und wenn Du den Zustand des Gemeinwesens betrachtest, wirst Du begreifen, dass Deine und zugleich unsere Geschäfte der Verzögerungen nicht bedürfen. 4. Was also, wenn das Leben haltlos und überaus flüchtig ist? Und wenn Deine Jugend,3 obwohl noch immer ganz unversehrt, doch unbeständig ist, immerfort weiter fliegt und entrissen wird? Es drängt Dich, selbst wenn Du es nicht bemerkst, jeder Tag dem Alter entgegen.4 Während Du noch um Dich schaust, und während Du zögerst, sind Deine Haare unversehens und heimlich ergraut. Oder fürchtest Du, vorzeitig zu beginnen, was auszuführen, wie Du weisst, eine
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noch so lange Dauer eines Menschenlebens kaum ausreicht? 5. Du hast ja weder eine einfache noch eine mittelschwere Pflicht zu erfüllen. Das römische Kaiserreich, lange Zeit durch viele Unwetter aufgewühlt, hat seine häufig betrogene, beinah verworfene Hoffnung auf Heil endlich in Deine Tatkraft gesetzt und sucht nach unzähligen Fehlschlägen unter Deiner schattenspendenden Würde einige Erholung. Doch von blosser Hoffnung sich zu nähren, vermag es nicht länger. Du verspürst, welch grosse und heilige Pflichten Du geschultert hast. Trage sie bis ans Ende, so bitten wir, und handle, so rasch Du vermagst. 6. Ein höchst kostbares, ja ganz unschätzbares Ding ist die Zeit, und einzig mit ihr empfiehlt die Autorität der Gelehrten zu geizen.5 Verwirf also jeden Aufschub, und wie es für alle, die Grosses beginnen, überaus nützlich ist, halte jeden einzelnen Tag für wichtig. Diese Überlegung wird Dich zum Zeitsparer machen; sie wird Dich zwingen, zu kommen und uns im Gewölk unserer Leiden das erhoffte Licht Deiner erhabensten Stirne zu zeigen. 7. Möge Dich weder die Sorge um die Lage jenseits der Alpen, noch die Vertrautheit der Heimat zurückhalten! Sooft Du Germanien betrachtest, gedenke Italiens! Dort wurdest Du geboren, hier erzogen, dort ist Dein Königreich, hier Dein König- und Kaiserreich, und – was ich ohne Kränkung der Völker und Länder festhalte – wenn Du überall Glieder der Einherrschaft finden wirst, so hier deren Haupt. Keinen Raum also gibt es für Trägheit, soll alles Deinem Wink gemäss glücken. Eine Grosstat wäre es, die Bruchstücke des mächtigen Reiches zusammenzufügen. 8. Ich weiss freilich, dass die Erneuerung aller Verhältnisse Argwohn weckt. Doch nicht zu Neuem wirst Du bewogen, und überdies ist Italien Dir so genau bekannt wie Germanien. Denn schon in frühester Kindheit hast Du – uns von der gnädigen Gottheit verheissen – die hehre Reise Deines ruhmreichen Vaters6 dank herrlicher Veranlagung mitgemacht und unter seiner Leitung Dir Kenntnis von den italischen Städten und von den Sitten der Einwohner, von der Lage der Gegenden, auch von den Anfangsgründen der Kriegskunst erworben. 9. Und dies nicht ohne oftmals gewürdigt zu werden, wiewohl Du ein Kind warst, – und das hat menschliche Kraft gewiss überstiegen– einen glorreichen Sieg zu erringen.7 In diesen lag, wie gross die Leistungen schon an sich waren, doch das eigentlich Grosse Deiner kindlichen Unternehmungen geheimnisvoll verborgen: dass Du nämlich Dein Vaterland einst als Mann nicht werdest fürchten müssen, da es Dir schon in der Kindheit Gelegenheit zu so bedeutenden Siegen geboten habe, und dass Du in der Vorbedeutung Deiner ersten militärischen Versuche erahnen könnest, was Du einst als Kaiser von hier erhoffen dürfest. 10. Beachte auch, dass Italien nie die Ankunft eines anderen ausländischen Fürsten froher erwartet hat.8 Es erhofft ja auch von nirgends sonst für seine Wunden eine Heilung und fürchtet Dein Joch nicht wie das eines Fremden. Diese Besonderheit – das wisse! – besitzt bei uns Deine Hoheit. Was soll ich mich scheuen zu sa-
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gen, was ich fühle und was, wie ich vertraue, vor Deinem Urteil bestehen kann: Dank einem wunderbaren Gunsterweis Gottes sind uns nach so manchen Jahrhunderten erstmals in Dir unser vaterländisches Brauchtum und unser Augustus zurückgeschenkt. Denn mögen Dich die Germanen als den Ihren beanspruchen,9 wir jedenfalls betrachten Dich als Italer. 11. Beeile Dich daher, wie ich ja schon gesagt habe und wie noch öfter zu sagen ist. Beeile Dich! Ich weiss, Du hast Gefallen an den Taten eines Cäsars und eben nicht grundlos, denn Cäsar bist Du. Freilich jener erste Begründer der Kaiserherrschaft soll von solcher Raschheit gewesen sein, dass er oft der Ankunft seiner eigenen Boten zuvorkam.10 Handle ebenso, und trachte danach, ihm, dem Du an Titeln schon gleich bist, in der Sache zu gleichen. 12. Lass ab, das verdienstvolle Italien durch das Verlangen nach Dir zu ermüden, und versuche nicht, unser Feuer mit Botschaften und Hinhaltungen zu ersticken. Dich nur begehren wir; Dein gestirntes Haupt zu schauen, verlangen wir. Bist Du der Tugend gewogen und trachtest Du nach Ruhm (und Du wirst – um zu unserem Karl so zu sprechen, wie Marcus Tullius zu Iulius Caesar spricht11 – „nicht leugnen, dass Du bei all Deiner Klugheit ihn glühend begehrst“), dann fliehe nicht die Mühe, ich beschwöre Dich! Denn wer die Mühe flieht, flieht auch den Ruhm und die Mannhaftigkeit, zu denen man nicht anders als auf steilem, beschwerlichem Bergpfad hinankommt. 13. Vielmehr musst Du – weil Du ja zweifellos auf würdige Anstrengung und wahre Ehre aufs leidenschaftlichste hinzielst – Dich erheben und handeln und als wohlüberlegter Verteiler grosser Lasten die gewichtigeren von ihnen dem tüchtigen Mannesalter und den besonders kräftigen Schultern aufbürden. Die Jugend ist geeignet für Mühe, für Musse das Alter. Und in der Tat, von allen Deinen höchsten und heiligsten Pflichten ist keine gewichtiger als die, das italische Land in Ruhe und Frieden zu einen. Diese Bürde entspricht den Kräften dieses Deines Lebensalters; alles übrige ist zu gering, als dass es einen so vorzüglichen Geist zu beschäftigen verdiente. 14. Das also tu als das Erste! Alles andere findet später seine Zeit, obwohl nach völliger Befriedung und Einigung Italiens dann wohl nichts oder nur wenig zu tun bleibt. Male Dir nun aus, es erscheine vor Dir das freundliche Bildnis der Roma! Denke Dir eine Matrone12 von hohem Alter mit wirrem, ergrautem Haar, zerrissenem Mantel, trauriger Blässe und die dennoch mit ungebrochenem, hohem Mut und nicht uneingedenk ihrer einstigen Würde so zu Dir spräche: 15. „Ich bin's, oh Cäsar, – dass Du nur ja nicht mein Alter verachtest – die einst vieles vermochte und vieles vollbrachte. Ich eben habe Gesetze erlassen; ich auch habe das Jahr unterteilt,13 ich die Kriegskunst gelehrt, ich zuerst fünfhundert Jahre in Italien verweilt, dann während der nächsten zweihundert – wofür es sehr glaubwürdige Zeugen gibt – Asien, Afrika, Europa und schliesslich den ganzen Erdkreis mit Kriegen und Siegen überzogen,14 dabei mit viel Schweiss, viel Blut und viel Ratschlag für das ent-
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stehende Kaiserreich die Fundamente gefestigt. 16. Ich nämlich habe gesehen, wie der erste Begründer der Freiheit, Brutus,15 im Gehorsam gegen mich seine Söhne niederstreckte und dann mit dem stolzen Feind, Wunden schlagend und empfangend, gemeinsam dahinschied. Ich war's, die über Schwimmende, einen bewaffneten Mann und ein unbewaffnetes Mädchen, sich entsetzte.16 Ich eben habe jenes in Treue erduldete Exil des Camillus gesehen,17 auch den mühevollen Kriegsdienst des Cursor,18 das ungepflegte Haupt des Curius,19 den vom Pflug hinweg gewählten Konsul, den bäurischen Diktator,20 die königliche Armut des Fabricius,21 die herrliche Bestattung des Publicola,22 das sonderbare Begräbnis des lebendigen Curtius,23 den glorreichen Kerker des Atilius,24 die mit beispielhafter Hingabe stürzenden Decier,25 den hochansehnlichen Zweikampf des Corvinus,26 den zum Vater milden, zum Sohn gestrengen Torquatus,27 das gemeinsam vergossene Blut der Fabier,28 den erschrockenen Porsenna und die lodernde, hochgemute Rechte des Mutius.29 17. Erduldet habe ich die Flammen der Senonen,30 die Elephanten des Pyrrhos,31 die Gewalt des Antiochos,32 den Starrsinn des Mithradates und die Tollheit des Syphax,33 die Verbissenheit der Ligurer, die samnitischen Kriege, die Wanderungen der Kimbrer, die Drohungen der Makedonier und die Ränke der Punier.34 Ich also habe Karrhae, Ägypten, Persien, Arabien, Pontus und die beiden Armenien, auch Galatien, Kappadokien, Thrakien, die maurische Küste und die äthiopischen Strände, weiter die libyschen und spanischen Felder, auch Aquae Sextiae,35 den Tessin,36 die Trebbia, den Trasimenischen See, Cannae37 und die wegen des persischen Blutbads berühmten Thermopylen,38 18. zudem die Donau, den Rhein, den Indus, die Vitasta, die Rhone, den Ebro, den Euphrat und Tigris, den Ganges und Nil, den Hebros,39 den Don und Aras, ebenso den Tauros und Olymp, den Kaukasus und Atlas, dann das Ionische, Ägäische, das Skytische und Karpatische Meer, weiter den Hellespont, die Engen Euböas, das Adriatische und Tyrrhenische Meer und schliesslich den durch unsere Flotte gebändigten Ozean – ja, ich habe das alles mit dem Blut meiner Feinde und mit dem meiner Kinder gerötet, damit dieser gewaltigen Reihe von Kriegen ein ewiger Friede entspringe und durch die Taten so vieler gefestigt werde die eben Dir zum voraus bestimmte Kaisermacht. 19. Und nicht täuschte mich meine Absicht. Meinem Wunsch gemäss habe ich alles zu meinen Füssen gesehen. Dann aber hat, ich weiss nicht weshalb, ausser weil das Werk der Sterblichen billigerweise sterblich ist, in meine Taten sich eine mir fremde Lässigkeit eingeschlichen. Und um nicht eine tränenreiche Geschichte zu beginnen: Wohin der Niedergang geführt hat, das siehst Du. Doch bist Du mir, einer schon beinah Verzweifelten, vom Himmel gesandt, weshalb säumst Du? Was bedenkst Du? Worauf wartest Du? 20. Niemals war ich Deiner bedürftiger, nie warst Du zur Hilfeleistung geeigneter; nie war der römische Bischof wohlwollender,40 nie die Erwartung der Völker bedeutender, die Gunst Gottes und der Menschen entschiedener und die erforderte Leistung ansehnlicher. Du zauderst? Schäd-
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lich ist immer der Aufschub, soll man Grosses beginnen. Ermutigen sollen Dich die glänzenden Beispiele jener, die nichts auf das Alter verschoben und die eine einmalige Gelegenheit mit grösster Begierde ergriffen. 21. Alexander der Grosse ist in Deinem Alter nach einem Zug durch den Osten bis an die Reiche der Inder gestossen, um diese ihm fremden Gebiete zu rauben. Du aber wirst, um Dein Eigentum zu fordern, das Dir ergebene Italien nicht betreten? Und ebenfalls in Deinem Alter gelang es Scipio Africanus, nach Afrika überzusetzen, obwohl ihm der Beschluss der Alten entgegenstand, und so hat er das schon wankende, vom Zerfall bedrohte Imperium mit treuen Händen gestützt und mit unglaublicher Tapferkeit das über mir drohende Joch der Karthager zerbrochen. 22. Eine grossartige Tat, wahrhaftig, und vor allem wegen der Einmaligkeit der Gefährdung denkwürdig. Denn während unsere eigenen Länder in Flammen standen, hat er die der Feinde überfallen und jenen Hannibal, der als Sieger über Italien und beide Gallien und Spanien daranging, die Herrschaft über den ganzen Erdkreis im Übermut zu zerstören, von hier mit Gewalt verdrängt und dort mit Waffen bezwungen. 23. Du aber brauchst keine Meere zu durchqueren, keinen Hannibal zu bezwingen. Bequem ist der Weg; eben und offen ist alles, und was einige als verriegelt betrachten, wird bei Deiner donnernden Ankunft sich öffnen. Ein unermessliches Feld neuen Ruhmes tut sich vor Dir auf, sofern Du es nicht verschmähst. Betritt es kraftvoll und unerschrocken! Als Gefährte der Gerechten und Helfer der Fürsten wird Gott Dich begleiten, und begleiten werden Dich auch die bewaffneten Scharen der Guten, um unter Deiner Führung die verlorene Freiheit zurückzuverlangen. 24. Nun könnte ich Dich mit Beispielen für ein entgegengesetztes Verhalten ermuntern mit dem Hinweis auf jene, die ein glorreiches Beginnen, weil ihnen der Tod oder irgend ein besonderes Hindernis entgegenstand, niemals beendeten. Wo sich aber solche aus dem eigenen Haus anbieten, suchen wir nicht nach fremden. 25. Ein einziges, Dir nicht fern, auch nicht in Annalen zu suchen, wird Dir statt aller genügen: Heinrich immerwährenden Angedenkens,41 Dein erlauchter Grossvater! Ihm fehlte zur Verwirklichung seiner in heiliger Absicht gefassten Pläne die Lebensdauer. Sonst hätte er nach einem Umsturz meine Feinde erniedrigt, mich aber als Regentin und die Völker Italiens als die freiesten und glücklichsten zurückgelassen. Nun schaut er als ewiger Himmelsbewohner aus der Höhe herab, achtet auf Deine Schritte, berechnet die Tage, zählt die Stunden und sagt zu Dir, Dich gemeinsam mit mir scheltend: 26. ‚Mein liebenswertester Enkel, solange Du lebst, sind weder die Hoffnung der Guten noch ich selbst ganz gestorben. Unsere Roma, ihre Tränen und würdigsten Bitten nimm Dir zu Herzen, und an der Erneuerung der Republik, an dieser Aufgabe, die mein Tod (der Welt nachteiliger als mir) vereitelt hat, auch an meinem erfolglosen Tatendrang halte fest mit gleicher Begierde, jedoch mit grösserem
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Gewinn und grösserer Freude. Beginne und zögere nicht! Und im Gedenken an uns präge Dir ein, dass Du sterblich bist. 27. Eile und überschreite die frohlockenden Wälle der Alpen! Die Roma ruft ihren Bräutigam, ihren Retter die Italia und will von Deinem Fusse berührt sein. Es erwarten Dich jubelnd die Hügel und Flüsse. Es erwarten Dich grosse und kleine Städte. Es erwarten Dich Scharen guter Menschen. Und würde nur dieses Eine Dich antreiben, dass nach der Meinung der Schlechten Du nie lang genug fern bist und nach der Meinung der Guten Du nicht rasch genug herkommst, so bestünde schon hinreichender Grund, den einen zur Freude, den andern zur Strafe oder – wenn sie sich lieber bekehren – zur Begnadigung Dich zu beeilen. Einzig für Dich hat der allmächtige Gott die meiner vereitelten Absicht vorenthaltene Ruhmestat aufgespart.‘“ Padua, am 24. Februar (1350/1351).42
Anmerkungen 1 Das ist der Böhmenkönig Karl aus dem Hause Luxemburg, der spätere Kaiser. Der Titel Cäsar wird mit ä geschrieben, der Eigenname mit ae Caesar. 2 Karl IV. verhandelte 1346 in Avignon mit Papst Clemens VI., als dieser alle Versöhnungsversuche von seiten Ludwigs des Bayern abgelehnt hatte, und erwarb sich dessen Gunst. Am 11. Juli 1346 wurde er von den Kurfürsten zum König gewählt; am 6. November erhielt er von Clemens die Zustimmung zur Romfahrt und Kaiserkrönung gegen bedeutende Zugeständnisse. Er war noch nicht Kaiser, als Petrarca ihn als Cäsar anredete. Vgl. die späteren Briefe Petrarcas an Karl IV. 3 Karl war 1316 geboren worden, nun also 35jährig. 4 Vgl. Hor. Carm. 2,18,15. 5 Vgl. Sen. Dial. 10,3,1. 6 Das war der Luxemburger König Johann von Böhmen. 7 Das ist eine starke Übertreibung, doch wurde Karl 1331 Reichsvikar in Italien, das heisst, zur Zeit, da sein Vater auf seinem Italienzug eine Reihe von Städten als päpstliche Lehen erwarb. Mehrmals kämpfte er zwischen 1337 – 1341 zur Verteidigung italienischer Territorien. 8 Diesen Eindruck konnte Petrarca in Padua unter den Carrara leicht gewinnen. 9 Germania und Germani sagt Petrarca regelmässig, nur höchst selten Theutonia (für Deutschland im engeren Sinn). 10 Vgl. Suet. Caes. 57. 11 Cic. Pro Marc. 8,25. 12 Petrarca hat die Stadt Rom immer wieder als darbende, aber ehrwürdige Matrone dargestellt, schon früher z. B. in Gedichten, mit denen er die Päpste Benedikt XII. und Clemens VI. zur Hilfe für Rom und zur Rückkehr dahin aufrief; vgl. Metr 1,2 und 1,5 und 2,5. 13 Vgl. Liv. 1,19,6. 14 Vgl. Flor. Epit. 1,18,2. 15 Vgl. Liv. 2,1 – 2. Als auctores libertatis betrachtete Petrarca auch Camillus und den Caesarenmörder Brutus; vgl. z. B. Fam. 9,13,11. Mit dem Gegner des Brutus ist Arruns Tarquinius gemeint. Angaben zu den hier genannten Namen findet man im Personenreg. 16 Zu Cocles und Cloelia vgl. Liv. 2,10,1 ff. 17 Vgl. Liv. 5,43,6 ff. 18 Gemeint ist der Sieger gegen die Samniter; vgl. Liv. 8,29 ff.
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Curius Dentatus siegte gegen Pyrrhos. Gemeint ist L. Quinctius Cincinnatus.; vgl. Liv. 3,26. Vgl. Cic. De off. 3,16 und Cato 1,43, Val. Max. 4,3,6 etc. Vgl. Liv. 2,16,7. Zu Marcus Curtius vgl. Liv. 7,6,3. Zu Atilius Regulus vgl. Cic. De off. 3,99 f. Vgl. Liv. 8,9,1 ff. und 10,26. Vgl. Liv. 7,26,1 – 4. Vgl. Liv. 7,4,5 und 8,6 f. Vgl. Liv. 2,49 f. Das ist Mutius Scaevola; vgl. Liv. 2,12,13. Ein Hinweis auf die Brandschatzung Roms durch die Senonen.; vgl. Liv.5,42. Vgl. Liv. Peroch. 13. Das ist Antiochos III., der Grosse; vgl. Liv. 33 – 38. Kopflos war die Absage des Syphax an die Römer; vgl. Liv. 30,13,9 f. Vgl. Florus, Epit. 1,22,36. Das ist Aix in der Provence, wo Marius über die Teutonen 102 v. Chr. siegte. Genannt werden die Schlachten des 2. Punischen Krieges: Sept. 218, Dez. 218, 217 und 216; vgl. Liv. 21,47 ff. Vgl. Liv. 22,54. Hier war die Niederlage des Antiochos III; vgl. Liv. 36,15 ff. Hebros in Thrakien; slavisch Maritza. Über die Zugeständnisse, mit denen Karl IV. sich die päpstliche Zustimmung erworben hatte, wusste Petrarca damals noch wenig. Der Luxemburger Heinrich VII., den 1310 Dante voller Hoffnungen gerufen und begrüsst hatte. Er starb auf seinem Italienzug am 24. August 1313 bei Buonconvento nahe Siena. Die Datierung des Briefes auf 1351 ergibt sich nicht zuletzt aus Petrarcas späteren Rückwärtszählungen vergangener Jahre, aber auch dank Hinweisen auf die politische Situation. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 46 f.
Fam. 10,2, an seinen Sokrates1 Angst um den Freund. 1. Hoffnung, die Angst täusche. 2. Unsicherheit, was man wünschen soll. 3. Quälende Überlegungen, ob der Freund lebe. 4. Die Pest ist erneut ausgebrochen. 5. Bitte an den Leser des Briefes, wer immer er sei, zu antworten. 6. Den beiliegenden Brief an Petrarcas Bruder Gherardo möge man weiter schicken. Carpi, am 25. September (1349).
1. Immer ist der Freunde Abwesenheit ängstigend und ihre Anwesenheit ermüdend. Nichtiges beleidigt uns, und Nichtigstes erschreckt uns. Aber wär's doch, dass ich jetzt nicht einmal Nichtiges, sondern Falsches befürchtete! Wirklich, wegen Deines Lebens zwischen unsicheren Vermutungen schwankend, neige ich doch auf die Seite des Schlimmeren. Freilich, was einem Menschen besser, was ihm schlechter bekommt, weiss nur Gott und sicher kein Mensch, aber ich spreche eben nach der allgemeinen Art der Sterblichen, die den unvermeidlichen Tod als das grösste Übel bezeichnen, mag dieser auch gemäss den Weisen unter allen Dingen das Beste und Angemessenste sein, da er die Erlösten zur ewigen Freiheit geleitet. 2. Da nun die Sache sehr zweifelhaft und – wie ich glaube – einzig Gott bekannt ist, halte ich, sobald Gewissheit gefordert wird, für klüger, ein Urteil zu unterdrücken. Und dies trotz unserer Kühnheit, in unseren alltäglichen Gesprächen über unseren Zustand so zu reden, wie eine anscheinend gesunde Vernunft es uns nahelegt. Habe ich aber diese gefährliche Klippe hinter mir, fahre ich fort; ich kann mich mit wenigen Worten begnügen. 3. Einzureden vermag ich mir nicht, dass Du, wenn Du noch lebtest, auf meine sehr vielen Briefe geschwiegen hättest. Dabei fällt mir allerdings ein, dass ich unmöglich vom Tod eines sehr teuren Freundes, wäre er wirklich erfolgt, auf längere Zeit nichts vernähme; denn von den Menschen, denen wir beide wert sind, leben noch mehrere. Aber diesen Trost verdrängt sogleich ein neues Erschrecken. Es gibt ja Menschen von so weichlichem und weibischem Zartgefühl, dass sie den Freunden eine schlimme Nachricht nicht melden, sondern sie aufschieben und verheimlichen, um nicht als Urheber eines Unglücks zu gelten. Als gäbe es etwas Unglücklicheres, als unglücklich zu sein, ohne es zu ahnen. An der Kreuzung dieser drei Fährten stehe ich, unsicher, wohin ich mich wenden soll. 4. Ich weiss zwar, was ich wünsche, weiss aber nicht, was ich hoffen darf. So kommt es, dass in meinem Innern ein sonderbarer Haufe sich streitender Überlegungen aufsteigt. Für jede Gestaltung meines Lebens sind mir nämlich Dein Tod und Dein Leben von erheblicher Wichtigkeit. Und eine Hoffnung, dass Du lebst, verleihen mir Deine Jugend,2 Mässigkeit und kräftige Natur; wogegen mich die wieder ausbrechende Pest und die – wie es heisst – bei Euch erneut auftretende berüchtigte Witterung entsetzen.
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5. Daher, mein Bruder, solltest Du, wenn Du noch lebst, mich möglichst bald mit einem Schreiben beruhigen. Andernfalls aber sollte mich, wenn es noch irgendwo Freundschaft und Treue gibt, der Freund, der diese Zeilen liest, wer immer er sei, von diesen allzu trostlosen Bangigkeiten befreien –; das bitte ich Dich bei allen Himmelsbewohnern! – und er sollte mir, wie immer es stehe, deutlich und klar berichten. Denn Trauriges bin ich gewohnt und erwarte nichts sonderlich Frohes. 6. Übrigens hat nun diese seelische Belastung und diese mich heftig erschütternde Erinnerung – weniger an meine eigenen Leiden als an die der Welt – mir auch Gherardo vor Augen geführt, den Kartäusermönch, meinen Bruder. Ich halte ihn für einen sehr glücklichen Menschen, weil er – mir zum ständigen Vorwurf – sich über alle diese Plagen, die uns ständig bedrücken, erhoben hat. Er ist ja, während ich mich in den Fluten noch abkämpfe, schon am rettenden Ufer und schaut von der Höhe auf die Stürme herunter. Darum habe ich ihm zu schreiben beschlossen. Und dass sein Brief an ihn gelange,3 dafür sorge doch bitte! Lebe wohl! Carpi, am 25. September (l349).4 Anmerkungen 1 Gemeint ist Ludwig van Kempen. Vgl. Fam. 1,1 Anm. 1; 9,2; 9,9 und die andern an ihn gerichteten Briefe. 2 Der Adressat wurde 1304 geboren, war also zur Zeit der Pest, die er überlebte, fünfundvierzig Jahre alt. 3 Vgl. den folgenden Brief Fam. 10,3. 4 Die Jahreszahl lässt sich aus dem Hinweis auf die Pest und aus der Nennung von Carpi, in der Provinz Modena, erschliessen. An diesem Ort befand sich der Dichter im September 1349; vgl. oben Fam. 9,1 mit Anm. und Dotti zu Fam. 10,2 und Wilkins, Petr. Corresp. 65.
Fam. 10,3, an den Bruder Gherardo, den Kartäuser1 Ein Schreiben „in mönchischem Stil“ über das Glück des Kartäusers. 1. Erste Kontaktnahme mit dem Bruder nach dessen Klostereintritt. 8. Hinweis auf Lehren des Pythagoras. 11. Erinnerungen an gemeinsame Torheiten der Jugendjahre 12. Von früheren Kleidersorgen. 19. Von der Haarpflege. 21. Von Liebe und dichterischen Eitelkeiten. 26. Frage nach dem Grund für die Verschiedenheit des späteren Werdegangs. 28. Vergleich zwischen früherem Missgeschick und neuem Glück des Bruders. 26. Hoffnung auf die Hilfe Gottes für den in der Welt Verbliebenen. 28. Von täglichen Belästigungen durch Freunde, Feinde und Diener. 38. Verluste durch Vormünder. 43. Belehrungen an die Adresse des Kartäusers. 50. Empfehlung von Büchern und Vorbildern. 59. Petrarca hat seinen Schreibstil dem Leben des Bruders angepasst. Er gelobt religiöse und sittliche Besserung. Carpi, am 25. September (1349).
1. Mich überfällt die Lust, mein Bruder, mir teurer als das Licht, mein lang andauerndes Schweigen zu brechen. Und würdest Du dieses Schweigen vielleicht als Zeichen eines vergesslichen Herzens betrachten, wärst Du im Irrtum, denn leichter könnte ich mich selber vergessen als Dich. Ich habe jedoch bis heute gefürchtet, die Ruhe Deines Noviziats2 zu stören, wohl wissend, dass Du allem Geschwätz ausweichst und das Schweigen liebst, dass ich hingegen, habe ich einmal zu reden begonnen, nicht leicht wieder aufhöre. Das eine spricht von der Liebe zu Dir, das andere von der Bewunderung für Deine Lebensführung, und in Anbetracht der zwei sich widersprechenden Haltungen wählte ich nicht, was mir lieber, sondern was Dir angenehmer wäre. Allerdings, um die Wahrheit zu sagen, mache ich mich eben jetzt weniger Deinetwegen als meinetwegen ans Schreiben. 2. Was nämlich bedürftest Du meiner Plaudereien? Wo Du ja den Himmelspfad betreten hast und ständig durch Gespräche mit Engeln erquickt wirst! Selig im Geist und in Deinem Vorhaben glücklich, hast Du die Welt, just als sie am verlockendsten war, ja mitten in der blühenden Jugend zu verachten vermocht und bist an den singenden Sirenen mit verstopftem Ohr ungefährdet vorbeigezogen.3 3. Indem ich Dich also anspreche, verfolge ich meinen eigenen Zweck, hoffend, es werde vielleicht dies mein armes Herz, das in langem Beharren erstarrt ist, in der Nähe Deiner heiligen Glut sich erwärmen. Dir hingegen soll mein Rufen, wenn es wenig nützt, auch wenig schaden. Du bist ja nicht mehr ein Neuling im Heer wie früher,4 sondern bereits ein Streiter Christi und im langen Kriegsdienst erprobt dank Jenem, der Dich solcher Ehre gewürdigt hat und Dich, wie auch sonst geschah, mitten aus der Reihe der Gegnerschaft wie einen hochgeschätzten Überläufer zu seinen Fahnen bekehrte. 4. Früher also fürchtete ich, zur Unzeit Worte an Dich zu richten; von jetzt an aber kann ich den Gefestigten – selber gefestigt – anreden. Für Anfänger ist alles grauenerregend; doch vieles, was wir als Kinder gefürchtet haben, belächeln wir als Erwachsene. Den unerfahrenen Soldaten macht jedes Geräusch erbleichen; doch
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den in Kriegen gestählten kann kein Getöse erschüttern. Und der unkundige Schiffer gerät ob einem Säuseln der Winde in Schrecken, während der alte Steuermann, der oftmals ein berstendes und abgetakeltes Schiff zu einem Hafen gelenkt hat, ungerührt auf das tobende Meer hinunterschaut. 5. Ich hoffe jedoch auf Ihn, der Dich vom Mutterschoss zu einem zwar mühsamen, aber ruhmvollen Aufstieg bestimmt hat, auf dass Du mitten unter verschiedensten Beschwerlichkeiten sicher zum Vaterland gelangen möchtest. Denn von nun an werden Dich kein blosser Schein und keine Trauer erschrecken, weder Sorgen noch Krankheiten, weder Altersschwäche, Furcht oder Hunger und Dürftigkeit verwirren, ebenso wenig das, was5 „Schrecklich zu schauen an Form und Gestalt: der Tod und die Drangsal“, schliesslich auch nicht der mächtige6 „… Pförtner des Orcus,7 Über zernagtes Gebein gelehnt in der blutigen Höhle,“ und was dichterische Schöpferkraft sonst noch ersonnen hat, um die Herzen der Sterblichen zu erschüttern. 6. Grössere Standhaftigkeit gegen alles Grauenerregende konnte selbst Jupiter nicht seinem im Ehebruch erzeugten Herkules vererben, als der jungfräulich geborene ewige Vater des Alls8 eben Dir geschenkt hat. Er beachtet ja das richtige Wollen aller auf Ihn Hoffenden und kräftigt es 7. Und weil dem so ist, darfst Du bereits furchtlos die Reden der Deinigen anhören und – sofern Dir ab und zu unter den schönsten Pflichten etwas an Freizeit erspriessen sollte – mit einem kurzen Schreiben mir antworten. Erlaube hierbei, dass ich im Gespräch mit Dir auch weltliche Zeugnisse anführe; es haben ja nicht nur Ambrosius, unser Augustinus9 und Hieronymus von ihnen ausgiebig Gebrauch gemacht, sondern es hat auch der Apostel Paulus sie hin und wieder zu zitieren sich nicht gescheut. Und halte vom Zugang Deiner Zelle nicht fern, was meines Mundes würdig ist und Deiner Ohren nicht unwürdig! 8. Pythagoras war ein Mann von sehr scharfem Verstand; und doch ist sein Scharfsinn oft – die Wahrheit weit hinter sich lassend –zu Altweibergefasel abgesunken. Das ist der Grund für des Philosophen lächerliche Lehre von der Seelenwanderung durch viele verschiedene Körper und seine Behauptung, er selber sei aus einem Krieger und Zeugen des troischen Krieges hervorgegangen, nämlich aus Euphorbios,10 und überdies auch der Grund für die berühmte Metempsychosis,11 welche zu meiner Verwunderung sogar ein Platon und Aristoteles übernehmen konnten, und was mich noch mehr verwundert, selbst ein Origenes, der schliesslich allerdings von seinem Bewunderer und Lobredner Hieronymus12 wie von anderen Anhängern der Wahrheit denn doch verurteilt zu werden verdiente.
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9. Aber eine Kritik an Pythagoras soll mich nicht auf Abwege verlocken; er war immerhin ein Mann, der jedwedes Talent und zu seiner Zeit die strengsten Sitten sowie die rühmlichste Mässigkeit besessen hat. Daher ist ihm zu seinen Lebzeiten höchste Ehre erwiesen und nach seinem Tod ein Sitz im Rat der Götter zuerkannt worden, während man sein Haus wie einen Tempel verehrte.13 Wie hiess nun aber die erste Verordnung dieses Gelehrten?14 Dass seine Jünger fünf Jahre lang schweigen sollten! Grossartig! 10. Dumm ist ja, sprechen zu wollen, bevor man etwas gelernt hat. Im übrigen hat er – ich sage nicht: bis zur Beseitigung der Aufsicht über den Mund (denn auf diese ist nie zu verzichten), sondern – bis zur Beseitigung des vorgeschobenen Riegels eine Frist von fünf Jahren für genügend erachtet. Du aber wahrst nun, wenn ich richtig berechne, im Dienste Jesu Christi und in seiner Schule schon sieben Jahre lang Schweigen. An der Zeit ist es, dass Du anfängst, etwas sagen zu können, oder dass Du, wenn Dir nichts so lieb ist wie das Schweigen, mir eben durch Schweigen eine Antwort gibst! 11. Gegenwärtig ist Dir, Bruder, wie es einst um unseren Zustand bestellt war und wie sehr ein quälendes Lustgefühl – von sehr vielen Bitterkeiten durchtränkt! – unsere Seelen zu martern pflegte. Gegenwärtig ist Dir, so meine ich, wie Du Dich jetzt Deiner Freiheit freust und wie Du des Bruders Knechtschaft bedauerst. Denn diese engt noch jetzt mit den gewohnten Fesseln mich ein und legt schon das Messer für die Brust, schon die Schlinge für den Nacken zurecht. Zerstört hätte sie alles schon längst, wollte nicht die Rechte Deines Befreiers, die Dich von der Knechtschaft erlöst hat, auch mich vor dem Verderben bewahren. Beten wirst Du, Bruder, dass sie endlich auch mir die Freiheit verschaffe und uns beide, die aus dem einen und gleichen Leibe hervorgingen, mit dem gleichen Endziel beglücke, und dass ich überdies, nachdem ich Dir hätte vorausgehen sollen, nicht etwa zögere, Dir nachzufolgen, als wäre das eine Schande. 12. Gegenwärtig ist Dir auch immer, so meine ich, wie gross und überflüssig einst unser Prunk an ausgesuchtester Kleidung war (er hält mich wahrhaftig bis heute in Bann, wenn auch von Tag zu Tag etwas weniger als früher), wie gross zudem der jeweilige Verdruss beim Anziehen und Ausziehen und wie gross die morgens und abends wiederholte Qual und schliesslich die Angst war, es könnte sich ein Haar aus der gepflegten Anordnung lösen und ein Lüftchen die gefälligen Locken zerzausen. Gegenwärtig ist Dir auch das Hin- und Her-Jagen der galoppierenden Pferde samt der Sorge, das duftende und schimmernde Kleid könnte vom Schmutz der Strasse einen Spritzer empfangen oder könnte, weil zusammengedrückt, tiefe Falten zurückbehalten. 13. Oh wahrhaft lächerlich sind die Sorgen der Menschen und insbesondere die der jungen Leute! Woher aber diese Ängstlichkeit? Weil wir fremden Augen gefallen wollten! Was für Augen, bitte? Denen vieler Leute, die doch wirklich unseren eigenen Augen miss-
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fielen! Seneca sagt in einem Brief an Lucilius:15 „Wer hat je einen Purpur in anderer Absicht umgelegt, als um ihn jemandem zeigen zu können?“ Sonderbarer Wahnsinn, sein Verhalten nicht nach der eigenen Vernunft, sondern nach der Verschrobenheit der Menge zu regeln und als Ratgeber für unser Leben just solche Leute anzunehmen, deren Leben wir doch verachten! 14. Niemand wird einen, der den Rücken voll Narben hat, zum Feldherrn, niemand wird einen, der für Schiffbrüche bekannt ist, zum Steuermann wählen. Nein, solche wählen wir, die wir schätzen! Und das Unsrige pflegen wir solchen anzuvertrauen, denen die Verwaltung ihrer eigenen Habe zu einem Namen verholfen hat. Lässt man also durch die Unvernunft gewöhnlicher Leute, obwohl man ihre Sitten verlacht und ihre ganze Lebensauffassung verspottet, die eigenen Sitten bestimmen, ist das mehr als bloss gewöhnlicher Irrsinn. 15. Doch wir wollen das Begonnene weiterführen: Das Geltungsbedürfnis möge schwinden, und das gewöhnliche Volk möge uns fern sein! Wie viel nützlicher, wie viel passender für alle Gelegenheiten, wie viel leichter zu pflegen ist doch ein schlichtes Kleid als ein Königsgewand! Uns kam es damals freilich ganz anders vor, da wir eine Belohnung für unsere Beflissenheit und Anstrengung darin sahen, beachtet zu werden, so dass man uns – wie einer gesagt hat16 – „mit dem Finger bezeichne: Der ist es!“ 16. Quintus Hortensius17 war ein berühmter Redner, jedoch weichlicher, als einem Manne ansteht, dabei um sein Äusseres nicht weniger besorgt als um seine Redegewandtheit.18 Deshalb zeigte er sich nie der Öffentlichkeit, ohne vorher den Spiegel befragt zu haben. Er war gewohnt, sich vor dem Spiegel zu kämmen, sich in ihm zu bewundern und vor ihm sein Gesicht und seine Kleidung zurecht zu machen. Viel Weibisches erzählt man von ihm, doch vor allem das Folgende: Ein Kollege traf mit ihm von ungefähr an einer engen Stelle zusammen, weshalb beim zufälligen Stoss der von der Schulter kunstvoll herabfallende Faltenwurf in Unordnung geriet. Das veranlasste den Redner, den Kollegen wegen solcher Unverschämtheit so gründlich auszuschimpfen, wie nur eine ganz weibische Eitelkeit tun kann, ganz als wäre es ein kapitales Verbrechen, einer so schön drapierten Gewandung in irgendeiner Weise nahe zu kommen. 17. Wir, mein Bruder, waren, obwohl wir niemandem wegen eines solchen Unrechts mit Vergeltung drohten, dennoch recht ähnlicher Gesinnung. Freilich hat das plötzliche Zugreifen der Rechten Gottes Dich der Finsternis solchen Wahnsinns entrissen, während ich nur allmählich und unter vielen Beschwerden mich herauswinde. Das geschieht, wie ich meine, damit man begreife, hier habe nicht Bildung geholfen und nicht Begabung gewirkt, vielmehr sei alles ein Geschenk Gottes, der wohl auch mir seine Hand entgegenstreckt, sobald ich meine Schwäche aufrichtig bekenne. Eben das wird, sofern nicht die Vernunft dazu rät, schliesslich das hohe Alter erzwingen, und dieses sehe ich täglich mehr und mehr sich nähern, ja an meine Schranken herangaloppieren.
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18. Was sage ich nur von unseren Schuhen? Wie sehr haben sie unsere Füsse, welche sie bloss scheinbar beschützten, in harter und ständiger Fehde gepeinigt! Und sie hätten die meinen wahrhaftig vollkommen verdorben, wäre ich nicht durch die äusserste Notwendigkeit bewogen worden, doch lieber die Augen der Leute ein bisschen zu beleidigen, als meine Nerven und Glieder so zu martern. 19. Und was sage ich von den Brenneisen zum Kräuseln und überhaupt von der Pflege der Haare? Wie oft wurde durch Plackereien der Schlaf verzögert, den nachher der Schmerz noch völlig vertrieben hat! Und vermöchten etwa Piraten und Folterknechte uns so grausam zu quälen, wie wir mit eigenen Händen getan haben? Des Morgens haben wir im Spiegel die in der Nacht entstandenen Furchen entdeckt, die quer über die entzündete Stirne liefen, und dann mussten wir, gewillt unsere Haare vorzuzeigen, unsere Gesichter verstecken! Für wunderbar hält das, wer es duldet, nachher ist es der Erinnerung entsetzlich, ganz unglaublich aber jenen, die es nie versuchten. 20. Wie sehr aber freut Dich jetzt die Gegenwart, wenn Du an das Vergangene zurückdenkst! Dein weiter Schuh ist dem Fuss nicht Fessel sondern Stütze; der kurz geschnittene Schopf und Haarkranz19 behindern weder Ohren noch Augen; das Gewand ist ganz einfach, so leicht zu beschaffen, wie zu pflegen und beim Ausziehen nicht lästiger als beim Anziehen. Auch kannst Du damit gleichzeitig die Seele vor Torheit wie den Körper vor Kälte behüten. Oh Du Glücklicher! Damit Dir jetzt all das um so süsser schmecke, hast Du vorher jenes Bittere gekostet! 21. Doch um nicht bei Unwichtigem zu verweilen, bedenke überdies (damit Du desto freudiger für die Errettung vor der Charybdis20 Gott würdigen Dank sagst), welch grosse Sorge und welch lange Nachtwachen wir pflegten, um unsere Verrücktheit weithin bekannt und unsere Person zum Gesprächsstoff vieler Leute zu machen. Wie oft haben wir Silben zusammengeschmiedet, wie oft Wörter gegeneinander vertauscht! Und was haben wir nicht getan, damit wir jene unsere Liebe unter Beifall besingen könnten, da sie nun einmal nicht zu ersticken war und unsere Scham uns immerhin befahl, sie zu verbergen! 22. Lob schenkte man uns für unsere Anstrengung, und „die Häupter der Fiebernden salbte das Öl der Sünder“.21 Doch die unsagbare Güte Gottes lockte inzwischen gemächlich Deine Schritte auf den rechten Pfad zurück und strafte jenes überstürzte Verlangen mit dem Überdruss am Vergänglichen. Indem Du zu verschiedenen Zeiten Deines Lebens einmal an der einen und einmal an der anderen Stätte weiltest, durftest Du dank eigener Erfahrung den Unterschied zwischen Babylon und Jerusalem erkennen. 23. Oh barmherziger Gott, wie verschwiegen ist Dein Raten, wie verstohlen Dein Helfen, wie unmerklich Dein Heilen! Wonach haben wir denn mit all der grossen Anstrengung, guter Jesus, wonach haben wir denn verlangt, als nach sterblicher, vielmehr todbringender Liebe? Wohl hast Du gestattet, dass wir ihre trügerische und von vielen Dornen übersäte Wonne im höchsten Ausmass erlangten, da-
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mit sie uns nicht etwa wegen mangelnder Erfahrung als etwas Grossartiges erscheine. Aber dass sie nicht schliesslich so mächtig werde, uns zu erdrücken, dafür hast Du erbarmungsvoll vorgesorgt! Denn unsere Liebchen hast Du aus unserer Mitte weggenommen,22 und mit ihnen zusammen hat Deine Rechte all unser irdisches Hoffen fast bis auf die Wurzel vernichtet. 24. In jugendlichem Alter hast Du sie zurückgerufen durch den Tod, der, wie ich vertraue, ihnen so heilsam war, wie uns nötig, und hast uns befreit von den Fesseln unserer Seelen. Und dennoch, oh blinde Unvernunft der Sterblichen! Wie oft haben wir gejammert, als wäre sogar vorzeitig geschehen, was sich doch zur grössten Gefahr für unser Leben verzögert hatte, oder als könnte etwas Heilsames jemals früher als rechtzeitig geschehen!23 Wie viele Seufzer, wie viele Klagen, wie viele Tränen haben wir in die Winde gesendet! Und wie haben wir nach der Art von Verrückten Deine Hand, die unseren Wunden die kräftigste Linderung anbot – Dir, unserem Arzt zum Hohn – zurückgewiesen! 25. Nun aber sage mir als ein Mann, einst vor Gott ein Fremder und jetzt sein Vertrauter, einst sein Widersacher und jetzt sein Mitbürger, ja sage mir (denn zum einen drängst Du hin, und das andere drängst Du weg): Was haben die lächerlichen Liedchen, die von falschem und schmutzigem Lob auf diese Weiberchen und von schlüpfrigem, keckem Bekenntnis der Leidenschaft strotzen, ja, sage mir, was haben sie mit den Lobgesängen Gottes und was mit heutigen heiligen Stunden des Wachens gemeinsam? Während dieser Stunden verbringt Ihr jetzt auf den Mauern und Basteien der Gottesstadt24 als Christi Wächter in bewundernswerter Anordnung die ganze Nacht, um angestrengt nach den Hinterhalten des alten Feindes auszuspähen. Glücklicher, neiderregender Kriegsdienst! Grosse, sage ich, und beschwerliche Anstrengung! Aber eine bloss kurze mit der Aussicht auf ewige Belohnung! 26. Doch da bleibt noch etwas, worüber ich mit Dir, mein Gott, wenn Du es duldest, verhandeln möchte. Wie steht es damit, antworte mir, dass mich und meinen Bruder zwar die gleiche Schlinge umfasst gehalten und jeden von uns diese Deine Hand bedrängt hat, dennoch wir beide nicht gleicherweise befreit wurden? Er nämlich entflog, während ich, zwar von keiner Schlinge mehr umfasst, aber mit dem Leim der schlechten Gewohnheit bestrichen, meine Flügel zu entfalten unfähig bin und da, wo ich gefesselt gewesen war, nun als schon Befreiter noch immer klebe? Worin läge der Grund, wenn nicht darin, dass nach der gleicherweise erfolgten Sprengung der Fesseln dann doch nicht für beide das Selbe eintraf, das im folgenden Bibelvers zu lesen steht: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn“?25 27. Warum haben wir den Davidischen Psalm, den wir ganz einstimmig begonnen hatten, so unstimmig beendet? Niemals entbehrt Gottes Wille des Grundes, währende umgekehrt jeder andere von diesem bestimmten Willen abhängt und er die Quelle aller Gründe ist. Mein Bruder hat richtig gesungen und den Geist zum
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Himmel erhoben, während ich Irdisches dachte, zur Erde gebeugt. Und vielleicht habe ich die befreiende Hand nicht erkannt, vielleicht auf eigene Kräfte vertraut; jedenfalls hat das eine oder das andere bewirkt, dass ich trotz zerrissener Schlinge nicht frei bin. Doch Du wirst Dich erbarmen, Herr, auf dass ich würdig werde Deines weiteren Erbarmens. Denn ohne Dein frei geschenktes Erbarmen kann menschliches Elend niemals Erbarmen verdienen. 28. Nun aber, mein Bruder, wende ich mich von neuem Dir zu und steige allmählich zu Wichtigerem auf, um Dir von einer Stufe zur andern zu beweisen, dass Du im höchsten Masse glücklich bist. Erinnere Dich, wie gross der Auflauf der Menschen, wie gross das Gedränge der Grüssenden, wie hart der Zusammenprall der sich Stossenden war und wie viel Schweiss und Mühen es uns gekostet hat, bis uns gelang, bald hier, bald dort in der Öffentlichkeit prächtig herausgeputzt uns sehen zu lassen! Und guter Gott, der Du „Blinde erleuchtest, Hinkende aufrichtest und Tote lebendig machst“,26 was soll diese Wichtigtuerei? Denn haben wir einmal auf allen Plätzen und in allen Hallen uns bekannt gemacht und sind wir auf allen Bühnen aufgetreten, bleibt uns nur, den Weg unserer Väter zu gehen und mit unumwendbarem Fuss die gefürchtete Schwelle des Todes zu überschreiten! 29. Denke auch an jene glorreichen Missvergnügen bei den Gastmählern, von denen es heisst, es könne sie keiner ohne gewaltige Schädigung seines Rufes umgehen! Weiter an den vielfachen Aufruhr der Speisen, welcher in Magenkrämpfen tobte! Erdulden wir solche Zumutungen sogar von seiten der Freunde, welche erwarten wir dann von unseren Feinden? Unter ihnen gibt es vielerlei Gattungen; häusliche gibt es und fremde. Und die einen hegen die Feindschaft in aller Heimlichkeit und die anderen eine solche in aller Offenheit. Zudem greifen Dich die einen mit der Zunge, die andern mit Schweigen, wieder andere mit dem Schwert an. Ich fasse mich kurz, da Du alle Arten erlebt hast. 30. Und was alles ertragen wir überdies an Beleidigungen und Beschimpfungen von seiten unserer Diener? Freilich entschuldigt sie Seneca wortreich27 und wälzt alle Schuld auf ihre Herren, während er seinen Lucilius lobt, weil er mit seinen Dienern vertraulich gelebt habe. Was aber soll ich selber darüber sagen? Ich zögere, an der Ansicht eines so bedeutenden Mannes zu rütteln; aber immerhin: wer verbietet es? 31. Ich denke darüber ganz anders! Den beiden Genannten hat wohl entweder die Klugheit es gewährt, gute Diener heranzuziehen, oder ein Glücksfall es gestattet, eben solche zu finden. Mir jedenfalls wurde bis heute keines von beidem beschert, obwohl ich um beides ständig bemüht war. Daher mögen andere für sich entscheiden; ich aber vermag, was ich nicht kenne, nicht zu loben. Ich habe zu Hause an Dienern das schrecklichste Gesindel,28 weshalb denn auch ein altes Sprichwort, das Seneca tadelt,29 mir als eine Wahrheit gilt, nämlich: man habe so viele Feinde als Diener.
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32. Doch ist in seiner Schrift einzig von guten Dienern die Rede; die schlechten bleiben, wie der selbe Verfasser meint, von einer Hausgemeinschaft mit einem Herrn ohnehin ausgeschlossen.30 So jedenfalls lauten seine Worte, und Beispiele für gute Diener entnimmt man den Büchern nicht wenige; das weiss auch ich und versage den Schreibenden nicht mein Vertrauen. Doch ob es die Änderungen der Zeiten oder mein Los oder meine Ungeduld ist: Ich jedenfalls habe einen guten Diener niemals gefunden. Dabei suche ich einen solchen, und sollte mir einer zufällig begegnen, würde ich vor Schrecken vergehen, als sähe ich einen Menschen mit zwei Köpfen. 33. Doch möge mich niemand der Härte oder umgekehrt der Schlaffheit beschuldigen! Denn alles habe ich versucht, habe nicht anders als Lucilius mit meinen Dienern vertrauten Umgang gepflogen31 und habe sie zur Beratung, zu Plaudereien und zum Essen geladen, mich selber und meine Geschäfte ihrer Treue empfohlen und sie zu Getreuen zu erziehen geglaubt. Und trotz diesem Glauben habe ich nichts erreicht, vielmehr hat sich meine ganze Kunst ins Gegenteil verkehrt. 34. Unter den Dienern nämlich war keiner, der nach einem Gespräch nicht anmassender wegging, auch keiner, der vom Tisch nicht überheblicher aufstand. Und wie die Vertraulichkeit den Übermut, so hat das Vertrauen den Diebstahl gelehrt. Wie also Seneca von den seinen, so ist mir von den meinen und auch von den Dienern meiner Freunde (denn fast alle sind, ich weiss nicht weshalb, von gleicher Art) die Wahrheit zu sagen gestattet. Das Lästigste, was ich in meinem Leben erdulde, ist die Halsstarrigkeit meiner Diener. 35. Andere Kriege haben ihre Waffenruhe; mit den häuslichen Dienern aber kämpfen wir ohne Unterlass. Und dabei weiss ich freilich sehr wohl, dass man gleichmütig hinnehmen soll, was offensichtlich selbst den bedeutendsten Männern zustiess. Auch Odysseus soll in jener frühen Epoche, welche die heroische genannt wird, neben vielen von ihm ertragenen Mühen auch Beschimpfungen durch seine Diener und Mägde erlitten haben, wie ruhmreichste Autoren berichten;32 und in jüngster Vergangenheit soll gemäss einer bestimmten Nachricht auch der römische Kaiser Friedrich33 sich im Leben und Sterben über die Kränkungen durch Diener beschwert haben. Diese Klage über die Dienerschaft füge ich hier nur deshalb ein, damit Du Dich glücklich schätzest, weil Du, von knechtischer Tyrannis erlöst, Deinen Nacken dem leichtesten und sanftesten Joch Jesu Christi34 gebeugt hast. 36. Was soll ich von anderen Unannehmlichkeiten sagen? Wie steht es um jenes in Süssigkeit verpackte Gift der Schmeichelei jener Leute, die ins Angesicht lächeln und vom Rücken her zubeissen? Wie steht es um die Verwundung seines guten Rufes durch Heckenschützen und wie um die versteckten, aus der Menschenmenge Dir angeworfenen Schmähungen? Wie steht es um die wütende Raffgier, welche die Herzen aufrührt und bewirkt, dass das Vergessen eines jeden göttlichen und menschlichen Rechts wie eine Seuche um sich greift? Sie macht aus Schutzherren
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Räuber. Und die schlimmste Art von Bosheit entsteht, wenn einer die Giftkräuter just den Arzneien beimischt. Da wählt man sich einen Menschen, um dank seiner Verlässlichkeit unter den Betrügereien der Menschen sicher zu sein, und genau dieser betrügt Dich als erster! Wie soll man sich da helfen? Und mit dem Satiriker frage ich:35 „… wer bewacht eben diese Wachthaber? …“ 37. Dieser Übelstand begleitet uns beide von Jugend auf, sei's dass Fortuna, sei's dass unsere eigene Einfalt solches verschuldet. Als wir aufwuchsen, schienen wir auf uns selber gestellt und sorglos zu sein, wodurch wir zu einem Unrecht geradezu einluden. Und abgedroschen ist zwar durch häufigen Gebrauch das Sprichwort: „Gelegenheit macht Diebe“, aber eine solche, Bruder, um es einmal offen herauszusagen, hat uns, die wir reich waren, arm gemacht.36 Oder um richtiger zu reden (denn was göttliche Gnade war, anerkennen wir): sie hat uns Betriebsame zur Ruhe gebracht und uns schwer Bedrückte von Lasten befreit. 38. In der Folge haben wir dann bald erlebt, wie die Personen, die sich mit dem uns Geraubten befrachtet hatten, durch die Hände auch wieder Fortunas geschröpft wurden und entweder eines traurigen Todes umkamen oder in äusserster Not und als hilflose Greise dahinsiechten. Und keinen geringen Trost bedeutet diese Strafe für das getane Unrecht, zumal da es Gott ist, der sie verfügte. 39. Was soll ich vom Hagelwetter des Gerichts- und Prozesswesens sagen, das mir nicht bloss die Kurie, sondern die ganze Welt verhasst zu machen vermag? Was sage ich von allen anderen Gefahren, die, abgesehen vom Tod, für die unerträglichsten gelten? Ich denke an Gefangenschaft und Hinterhalt, wie wir sie zu Wasser und zu Land oftmals durchstanden und derer zu gedenken mir das Entsetzen und Grauen erneuert.37 40. Gewiss, wir sind entronnen, jedoch nicht dank einem eigenen, natürlichen Vorzug, sondern dank der göttlichen Güte. Wir sind entronnen, doch hätten wir verderben können, ja wahrlich müssen, hätte nicht der barmherzige Vater sein lebenspendendes Auge auf uns gerichtet. Wir sind entronnen, doch Bekannte und Gefährten sind bei gleichartigen Gefahren umgekommen, so bei Feuersbrunst, Schwertkampf, Kerkerhaft, Schiffbruch und auf unzählige andere Arten. Und wegen der harten, erst kürzlich erfolgten Schicksalsschläge unter den Freunden38 wäre eine Aufzählung schmerzhaft und bitter. Zwischen solchen Fallgruben also sind wir gewandert, und zwischen solchen Klippen sind wir gefahren, Bruder! 41. Doch was rede ich, als wären wir beide in der nämlichen Lage? Ich selber lebe noch beständig zwischen solchen Riffen, Du dagegen bist, Gott sei Dank, schon im Hafen. Selig die Stunde, in der Du geboren wurdest, und selig auch jede Gefahr, welche durch öfteres Erleben furchterregender Ereignisse Dich bestärkt
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hat, den sicheren Weg zu lieben! 42. Vergleiche nun das eine mit dem andern, das heisst: mit dem unruhestiftenden Reichtum die ruhevollste Armut, dann mit der herben Geschäftigkeit die süsse Gelassenheit, mit den boshaften Feinden die gütigsten Brüder, mit den Streitereien die Stille, mit dem Gedränge die Einsamkeit, mit den Städten die Wälder, mit den Schlemmereien die Fasten, mit den Reigen bei Tag die Gesänge bei Nacht, überdies mit Avignon39 die Kartause, mit den irdischen Gefahren den himmlischen Frieden, mit der Tyrannis des Teufels die Freundschaft Gottes, mit dem fortwährenden Tod das ewige Leben. Das wird Dich zwingen, Dich glücklich zu preisen. 43. Mach Ernst mit Deinem Vorhaben, wie Seneca sagt, beschleunige Deine Schritte,40 die Mühe schrecke Dich nicht, und die Strenge lähme Dich nicht! So hat Flaccus gesagt:41 „… Nichts hat das Leben Sterblichen ausgeteilt ohne Mühsal …“. Wenn nun in diesem Leben, von dem der Dichter gesprochen hat, selbst das Geringste mit grosser Mühe erkauft wird (wie wir so häufig in vergeblicher Anstrengung erfahren haben), warum dürfte man da jene Anstrengung für gross halten, dank welcher wir die ewige Seligkeit erlangen? 44. Fern bleibe also die Trägheit! Die Mattigkeit weiche! Und wenn Du zur Morgenstunde geweckt wirst, glaube fest, dass man Dich zur Zwiesprache mit Gott ruft! Ach, wie oft hat uns der Befehl eines sterblichen Herrn geweckt und wie oft hat er uns Gefahren und Anstrengungen ausgesetzt! Und worin, bitte, bestand unser Nutzen? In nichts als bloss menschlicher Freundschaft, übrigens in zweifelhafter, gefährlicher, schwer zu bewahrender! Dir hingegen wird göttliche Freundschaft geboten, sichere, sorglose und leicht zu gewinnende. 45. Glaube mir, dem Herzen entfällt die Unlust und den Augen der Schlaf, sobald Du Dir klarmachst, dass es Gott ist, der Dich ruft. Gleich spürst Du, wie Du mit Vorzug behandelt wirst, sogar wenn man Dir, während andere ringsum schnarchen, zu wachen befiehlt! Das entspricht einer Sitte der Feldherren, erprobten Soldaten das Schwierige anzuvertrauen. Während die Köche und Bäcker und – um ein Wort von Horaz zu verwenden42 – „die Gilden syrischer Weiber“ auf dem Markt der Leckerbissen herumlaufen“, harren jene Soldaten unter Schwertern und Pfeilen aus und lassen sich in gewaltiger Gefahr mit einem kleinen Ruhmestitel trösten. Wenn Du also betend Zwiesprache zu halten beginnst, wird Deine Freude mit Ehrfurcht wetteifernd dafür kämpfen, dass Du unter den Augen Deines mächtigen Betrachters Dich wachsam und eifrig erzeigst. 46. Aus Geschichtsbüchern hast Du ja vernommen, dass die Soldaten des Marcus Cato43 gewohnt waren, in seiner Anwesenheit sowohl Durst wie Staub, Hitze und Schlangenbisse zu ertragen, und dass sie, wenn er Zeuge war, ohne Seufzen und Wehklagen hinsanken. Du hast auch ver-
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nommen, dass Scaeva,44 ein eher tapferer als rechtdenkender Mann, vor den Augen seines Feldherrn nicht bloss zu kämpfen, sondern auch zu sterben begierig war. 47. Wenn nun die Verehrung für einen sterblichen Herrn solches zu bewirken vermochte, was muss dann die Gegenwart Christi vermögen! Bei ihm muss man nicht warten, dass er komme, wie der glücklose Krieger seinen Caesar erwartet hat; man muss ihn nur aufnehmen und verehren; denn an allen Orten und zu allen Zeiten ist er da, sieht unsere Taten, durchschaut unsere Gedanken und ist ein ungeheurer Ansporn für unsere Seele, sofern nicht die Stumpfheit unserer verhängnisvollen Gewohnheit ihm entgegenwirkt. 48. Von Epikur stammt die Lehre,45 man solle sich für sein Leben einen imaginären Zeugen bestellen. In einem Schreiben an einen Freund hat er gesagt: „Tu alles, wie wenn Epikur Dir zuschaute.“ Seneca aber, der das Leben seines Lucilius durch die Beschäftigung mit einem berühmten Mann zu bilden verlangte, mahnte ihn, Cato46 zu wählen oder Scipio, Laelius oder irgendeinen andern von hohem Ansehen. Unmöglich kann eine Meinung missfallen, die bedeutende Männer gelobt haben. Auch ein Marcus Tullius hat sie ja, wie ich sehe, vertreten;47 denn sie steht in einem Brief an seinen Bruder Quintus Cicero, wenn auch mit anderen Worten. 49. Genehmigt also wird Epikurs Ratschlag von denen, die ihn zitieren und ausdeuten. Wir allerdings haben einen solchen Kunstgriff nicht nötig. Denn einen fingierten Zeugen verlangen wir nicht, da wir an Christus einen lebendigen, wahren, stets gegenwärtigen haben. Denn „steige ich auf in den Himmel, ist er da, und steige ich ab in die Hölle, ist er dort.“48 Alles wollen wir daher in seiner Gegenwart tun, aber nicht so, als ob er zuschaute, da er ja wirklich zuschaut. Schämen werden wir uns dann nicht allein unserer Handlungen, nein auch unserer geheimen Neigungen, denn wenn ein fingierter, ja ein wahrhaft anwesender epikuräischer Zeuge sie nie zu erkennen vermöchte, so erkennt sie eben Jener, für dessen Auge nichts undurchdringlich ist. 50. Nehmen wir an, er stehe vor uns und rufe: „Was tut Ihr, Blinde und Undankbare? Ich habe für Euch freiwillig den Tod erlitten, und Ihr verweigert mir die einfachste Mühe! Seht da Eure Frömmigkeit, seht da Euren Dank für empfangene Wohltaten! 51. Mit blossem Wink regiere ich Himmel und Erde und Meere; ich schleudere Blitze aus den Wolken; ich führe wechselnd Stürme und heiteres Wetter herbei; ich schmücke den Tag und die Nacht mit ihren Leuchten und messe der verschiedenen Stundenzahl Dunkel und Helligkeit zu; ich biete in vier Jahreszeiten den ewigen Dienst der Sonne in zwölf besonderen Sternbildern dar und drehe auch – dem Überdruss vorbeugend – in angenehmer und unaufhörlicher Neuheit der Erscheinungen den Jahreskreis um. Auch habe ich Euch nicht bloss die betretbare Erde, das gleitende Wasser, die wehende Luft, sondern auch unzählige andere Hilfsgüter und Freuden und Zierden zusammengehäuft. 52. Schliesslich habe ich Euch
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„nach meinem Bildnis“ – wiewohl die Toren widersprechen – aus dem Nichts erschaffen49 und Euch den Weg, auf dem ich gesucht werden wollte, gezeigt. Ja ich selber, so sage ich, bin in der Absicht, Euch zurückzurufen (da Ihr trotz so vielen Wohltaten abtrünnig geworden und abgeirrt seid), aus der Höhe zu Euch herabgestiegen, habe meine Herrlichkeit unter Knechtsgestalt verborgen und zu Eurer Rettung weder Armut noch Mühsal, weder Nachstellung noch Schande, weder Hohn noch Kerker, Schläge, Geiselhiebe und Kreuzestod gefürchtet. Ihr aber, was gebt Ihr mir dagegen? Ich meine nicht: an entsprechenden Gegenleistungen, da Ihr solche nicht einmal auszudenken vermöchtet, sondern was gebt Ihr mir wenigstens zum Zeichen eines nicht undankbaren Herzens?“ 53. Was, Bruder, werden wir auf solche Reden erwidern? Gibt es da irgend etwas zu zweifeln? Wenn wir in der Tat bereit sind, den Herrn anzuhören, der in der Tiefe unseres Herzens so zu uns spricht, werden wir uns in der Nacht ohne Zögern erheben – und genau das habe ich eben zu tun begonnen –, um Christus die Laudes50 besonders hingebend zu jener Tageszeit zu singen, in welcher wir uns erinnern, dass er für uns Ungemach und Schande erlitten hat. 54. Doch weil ich schon lange fürchte, Dich, Bruder, von der Höhe Deiner Betrachtungen herabgezogen zu haben, schliesse ich. Christus steht Dir als Zeuge Deines ganzen Lebens immer zur Seite. Auf ihn also musst Du schauen, wenn Du willst, dass keine Mühe und vor allem auch keine Nachtwachen Dich ermüden. Denn eben deshalb hat sich – gemäss dem Ratschlag der unzugänglichen und unaussprechlichen Dreifaltigkeit – der ewige, unsterbliche, allgewaltige Gottessohn mit dem Gewand unserer Sterblichkeit bekleidet, um als Vermittler zwischen Gott und Menschen (weil zwischen ihnen vorerst kein Verhältnis bestand) beide Naturen aufs vollkommenste in sich zu vereinen. Der Mensch sollte zu Gott erhoben und Gott zum Menschen herabgebeugt werden, damit das menschliche Auge auf den in Sterblichkeit gekleideten Gott seinen Blick zu heften vermöge. 55. Hat er sich aber erneut in seine Unsterblichkeit gehüllt, um in die Glorie seiner Göttlichkeit aufzusteigen, ist es schwierig, ihm mit den Augen und im Geiste zu folgen; und dann wirst Du an der Zeugenschaft eines reinen Menschen Deine Freude finden.51 Wähle Dir einige aus der Führerschar Deines Standes:52 Johannes den Täufer, Antonius, Macarius53 oder wähle Dir, falls Dir diese allzu gestreng erscheinen, Benedikt,54 oder wähle Augustinus und Arsenius, die sich von weltlichen Irrtümern abwandten55 und von denen ich weiss, dass sie Dir immer sehr viel bedeutet haben. Du hast die Lebensbeschreibungen der Väter zur Verfügung;56 diese lies gründlich – wie Du ja tust –; hierbei wirst Du einen Freund finden, den Du als Zeugen Deiner geheimen Gedanken nicht wirst zurückweisen wollen. Bei einem solchen Mitwisser wirst Du Dich selber und Dein Leben in Zucht halten, und ohne ihn wirst Du schliesslich nichts tun und nichts denken. 56. Lies Gregors Dialoge,57 Augustins Soliloquien und seine von Tränen gesättigten Bücher der Confes-
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sionen, über die allerdings gewisse lächerliche Menschen zu lachen pflegen. Du selbst wirst in ihnen Tröstung und nicht geringe Erleichterung finden. Was den Psalter betrifft, so zweifle ich nicht, dass Du einen Rat des Hieronymus befolgst,58 weshalb er nie Deinen Händen entfallen kann. Über ihn habe ich in meiner dichterischen Weise schon früher etwas geschrieben,59 und weil ich gemerkt habe, dass es Dir gefalle, sollst Du es in einer späteren Sendung, für die ich es aufbewahre, erhalten, denn für den Augenblick soll es Dich nicht belasten. 57. Überhaupt solltest Du, ich will ja schliessen, Dein ganzes Leben unter Betrachtung, Psalmodieren, Gebet und Lesung verbringen. Deinem Körper darfst Du wie einem trotzigen Sklaven, der, so oft er kann, rebellieren wird, einzig das Notwendige, das sich nicht verweigern lässt, zuteilen. Halte ihn in Ketten! Als Unfreier muss er behandelt werden, damit er begreife, woher er stamme. Bloss verdächtigen Frieden bietet dieser treulose Gegner. Du kennst die Feinde alle, von denen Du in der Welt einst Nachstellungen erduldet hast. Vor diesen hüte Dich auf immer! Treubrüchige Feinde nimmt man nicht gefahrlos wieder in Gnaden an. 58. Inzwischen freue Dich, hoffe und bange, dem Herrn dienend in Furcht und ihm jauchzend unter Zittern, auch dankend, weil er Dir „Flügel“ gegeben hat wie „einer Taube, damit Du fliegest und ruhest“.60 Du hast sie nicht träge sinken lassen, sondern bist in die Weite entflohen, um in der Einsamkeit Deine Bleibe zu finden und die unzähligen Übel der Welt ferner nicht mehr zu spüren, während ich Armer sie spüre, von ihnen rings bedrängt bin und umherschauend erschrecke. 59. Und doch! Obwohl der Ausgang Babylons noch offen steht, fliehe ich nicht! Du aber verzweifle nicht, ich beschwöre Dich! Bete lieber, dass ich mich bald einmal erhebe! Schwer ist freilich meiner Sünden Gewicht, doch immerhin begrenzt. Die Güte dessen aber, von dem ich Hilfe erwarte, ist grenzenlos. Dies habe ich Dir, mein einziger leiblicher Bruder, nicht in meinem eigenen, sondern in einem mir fremden, ja beinah mönchischen Stil geschrieben, mehr Dich als mich selber bedenkend. Du wirst das lesen, wenn sich dazu eine Bequemlichkeit bietet. Und sollte daraus nichts zu Deiner Vervollkommnung beitragen, so sei gewiss, dass es wenigstens mir genützt hat, indem ich es niederschrieb. Denn während ich über die Gefährlichkeit meiner Lage nachsann, hat mich bisweilen ein segensreicher Neid auf Deinen Zustand gemartert. Lebe wohl und gedenke meiner! Aus dem Städtchen Carpi, am 25. September (1349).61
Anmerkungen 1 Gherardo wurde 1307 geboren, war also drei Jahre jünger als der Dichter. Er trat 1343 in die Certosa von Montrieux ein, um Kartäuser zu werden; vgl. Fam. 10,2,6.
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Bewährungszeit der Neuangekommenen. Hinweis auf die List des Odysseus, die ihm gestattete, den Verlockungen der Sirenen zu entgehen. Mönchtum galt als Kriegsdienst; so z. B. gemäss der Regel Benedikts Kap. 1. Verg. Aen. 6,274 – 277. Verg. Aen. 8,296 – 297. Das ist der Herr des Totenreiches oder dieses selbst. Christus ist hier mit Gott-Vater gleichgesetzt. Gherardo konnte wissen, dass Augustinus von Petrarca besonders verehrt wurde; darum steht: „unser Augustinus“. Gell. Noct. att. 4,11,14. Das ist „Seelenwechsel“. Epist. 84,3,4; 84,6,3; In Ruf. 3,39 f. Cic. De off. 1,30,108. Cic. De fin. 5,2,4. Just. Epit. 20,4. Gell. Noct. att. 1,9,3 – 5; Sen. Ad Lucil. 52,10. Ad. Lucil. 94,70. Pers. Sat. 1,28. Q. Hortensius Hortalus, 114 – 50, neben Cicero der bedeutendste Redner der republikanischen Zeit; bekannt auch für schauspielerische Begabung. Macr. Saturn. 3,13,4 – 5. Die Tonsur des Mönchs. Charybdis und Skylla: Ungeheuer, Klippen in der Meerenge von Messina. Ps. 140,5. Die Geliebte Gherardos starb möglicherweise lange vor 1340. Petrarca hat hier nicht an seine hochbewunderte Laura gedacht; dagegen spricht die Bezeichnung der Liebchen im Abschnitt 25. Petrarca hatte verschiedene Liebschaften. Dies ein von Petrarca mehrfach variierter Gedanke; vgl. z. B. Fam. 2,1,7. Gottesstadt steht hier nicht bloss für Kloster sondern für ecclesia militans, und der gleich noch genannte alte Feind ist der Teufel. Ps. 123,7 – 8. Vgl. Ps. 145,8. Ad Lucil. 47. Vgl. Fam. 4,14 und 13,8. Ad Lucil. 47,1. Ebenda 47,5. Ebenda 47,15. Cic. De off. 1,31,113. Petrarca kann nur den Staufer Friedrich II. gemeint haben. Vgl. Mt. 11,30. Iuv. Sat. 6,347 – 348. Vgl. Sen.16,1. Vgl. z. B. Fam. 4,8 und 5,10. Vgl. z. B. Fam. 4,8; 4,13; 5,5; 7,12; 8,7; 8,9. Das ist damals der Papstsitz mit seiner Kurie. An welche Stelle Petrarca erinnert, bleibt unklar. Serm. 1,9,59 – 60. Serm. 1,2,1. Das ist Cato Uticensis; vgl. zur Stelle Luc. Phars. 9,379 – 406. Vgl. Luc. Phars. 6,158 – 159. Bei Sen. Ad Lucil. 25,5 – 6; 11,10. Gemeint ist Cato Censor; vgl. die nächste Anm.
Fam. 10,3 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61
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Ad Q. fr. 1,1,46. Ps. 138,8. Gen. 1,27; Sap. 2,23; Ecclesiasticus 17,1. Laudes oder Matutin, ein der Geistlichkeit und den Mönchen vorgeschriebenes Morgengebet. Vgl. Fam. 6,3,55. Das heisst der Einsiedler und insbesondere der Wüstenväter. Der Einsiedler Antonius der Grosse aus der Thebais und Macarius der Grosse in Oberägypten sind gemeint. Das ist der Gründer des Benediktiner Ordens. Augustinus beschreibt seine jugendlichen Verirrungen in seinen Confessiones. Arsenius der Grosse war Erzieher am Hof des Kaisers Theodosius, bevor er das Einsiedlerleben wählte. Apophthegmata patrum: Vitae sanctorum patrum liber von einem unbekannten Verfasser. Dialoge des Papstes Gregor des Grossen. Epist. 52,7. Erste Ecloge im Bucolicum Carmen, wohl 1347 verfasst. Vgl.den folgenden Brief Fam.10,4,28. Ps. 54,7. Die Jahreszahl ergibt sich aus einem Vergleich mit dem Datum des vorangehenden Briefes, sowie aus der Nennung des Ortes Carpi; vgl. Fam. 9,1mit Anm. 1 und 5.
Fam. 10,4, an den Bruder Gherardo1 Über Poesie und Theologie. 1. Poesie ist der Theologie nicht feind. 3. Ursprung der Poesie. 4. Gottesverehrung erforderte früh eine feierliche Sprache. 5. Gewährsmänner für diese Theorie. 6. Die biblischen Schriften sind voll von Poesie. 7. Die Kirchenväter hatten Sinn für Poesie. 10. Petrarca legt eine seiner Eklogen vor. 13. Er bietet zu ihrer Allegorie eine Auslegung. 23. Diese enthält Attacken gegen Scholastiker und andere Ungebildete. 31. Dabei verteidigt sie heidnische Dichter und zieht sie einem David vor. 32. Sie spricht von Petrarcas Epos Africa. Padua, am 2. Dezember (1349).
1. Wenn ich Deine eifernde Strenge richtig einschätze, musst Du schon ihretwegen vor einer dem Brief beigefügten Dichtung zurückschaudern, als wäre sie mit Deinem Ordensstand unvereinbar und Deinem Vorsatz zuwider. Doch Du solltest nicht unbedacht urteilen. Was ist denn dümmer, als über Unbekanntes zu richten? Der Theologie ist die Poesie jedenfalls nicht abträglich.2 Das verwundert Dich? Wenig fehlt, und ich sage, die Theologie sei Poesie über Gott. Christus wird bald Löwe, bald Lamm, bald Wurm geheissen.3 Was ist das, wenn nicht Poesie? Tausend Beispiele der gleichen Art wird man in den Heiligen Schriften finden, doch sie anzuführen, wäre aufwendig. 2. Was anderes wollen die Parabeln des Heilandes in den Evangelien hören lassen als eine Erzählung, deren Gehalt vom Wortsinn verschieden oder – um es mit einem einzigen Wort zu sagen – ein Gleichnis ist, das wir gewöhnlich mit dem Wort Allegorie bezeichnen?4 Und genau daraus ist die ganze Dichtung gewoben. Nur ist ihr Gegenstand ein anderer. Wer wollte das leugnen? Im einen Fall wird von Gott und von Göttlichem, im andern von Göttern und Menschen gehandelt. Eben deshalb lesen wir bei Aristoteles,5 die ersten Dichter hätten sich mit Theologie beschäftigt. 3. Dass dem so ist, verrät schon der Ausdruck Dichter. Man hat sich nämlich gefragt, woher er sich ableite, und obwohl verschiedene Ansichten laut werden, ist doch die folgende besonders einleuchtend.6 Als die Menschen noch ungebildet waren, aber voll Verlangen danach brannten, die Wahrheit zu kennen und vor allem nach der verborgenen Gottheit zu forschen – was dem Menschen ein natürliches Bedürfnis ist –, fingen sie bei der Überlegung an, es gebe wohl irgend eine höhere Macht, durch welche das Vergängliche gelenkt werde, und ihr sei jede mehr als menschenübliche Ergebenheit und eine besonders erhabene Verehrung darzubringen. 4. Sie stellten für die Götter deshalb herrlichste Wohnsitze auf, die sie Tempel nannten, auch heilige Diener, die sie Priester zu nennen beliebten, und grossartige Statuen, goldene Gefässe, marmorne Tische und purpurne Gewänder. Und damit der Kult nicht stumm sei, wollten sie die Gottheit mit hochtönenden Worten gnädig stimmen und den Himmlischen mit einer Sprech-
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weise, die beträchtlich von der gewöhnlichen und alltäglichen abgehoben sei, heilige Lobreden vortragen. Und sie fügten diesen auch den Rhythmus bei, um ihnen Anmut zu verleihen und Langeweile fernzuhalten. Deshalb musste man nun freilich nach einer besonderen Redensart, ja, nach einer gewissen kunstreichen, auserlesenen und neuen Form suchen. Und weil diese in der griechischen Sprache „poetes“7 genannt wird, so hiessen sie jene, die sich dieser Sprache bedienten, „poetas“. 5. Wer denn, wirst Du fragen, bietet mir dafür Gewähr? Du könntest, Bruder, ohne Gewährsmänner zu haben, mir Glaubwürdigkeit zutrauen; ich habe doch wohl verdient, dass mir geglaubt werde, wenn ich eine Wahrheit vortrage, und zwar eine, die das Merkmal des Wahren an sich trägt. Aber wenn Dein Sinn danach steht, besonders vorsichtig zu sein, so werde ich Dir angesehene Gewährsmänner und die glaubwürdigsten Zeugen nennen. Da ist zuerst Marcus Varro,8 der gelehrteste Römer, dann folgt Tranquillus,9 ein äusserst sorgfältiger Forscher. Den dritten füge ich bloss darum an, weil er, wie ich annehme, Dir besonders vertraut ist. Ich meine Isidor;10 er erinnert an die Sache, wenn zwar nur kurz und mit dem Hinweis auf das Zeugnis eben des Tranquillus, im achten Buch seiner „Etymologien“. 6. Doch Du wirst einwenden und sagen: Einem heiligen Lehrer kann ich freilich glauben; aber für mein strenges Leben schickt sich dennoch das Schmeichelnde einer Dichtung nicht. So darfst Du nicht denken, Bruder. Auch die Patriarchen im Alten Testament haben heroische und andere Dichtungsart verwendet, zum Beispiel Moses, Job, David, Salomo und Jeremia. Und gerade auch der Psalter Davids, den Ihr Tag und Nacht zu singen pflegt,11 beachtet im Hebräischen ein bestimmtes Metrum, weshalb nicht unrichtig oder unzutreffend ist, wenn ich David einen Dichter der Christen zu nennen wage. Übrigens gibt das sogar die Sache an sich zu verstehen; und schliesslich – wenn Du mir ohne Zeugen heute nichts glauben willst – scheint auch Hieronymus so empfunden zu haben.12 7. Er war zwar nicht imstande, den weihevollen Gesang vom seligen Mann, nämlich von Christus („geboren, gestorben, abgestiegen zu den Toten, auferstanden und aufgefahren, um wiederzukommen“13) sowohl dem Inhalt nach wie unter Wahrung der Rhythmen in eine andere Sprache zu übersetzen, und hat demnach vor allem den Inhalt beachtet; aber bis heute ist so etwas wie ein Rhythmus darin verblieben. Auch heissen die Einzelteile der Psalmen so, wie sie sind, bei jedermann Verse. Und von den alten Schriften nur soviel. 8. Dass die Lehrer des Neuen Testaments, Ambrosius, Augustinus und Hieronymus,14 Lieder und Rhythmen gebrauchten, lässt sich ohne aufwendige Mühe belegen, und somit brauche ich auf Prudentius, Prosper und Sedulius15 und die anderen nur kurz hinzuweisen. Von diesen haben wir an Prosa überhaupt nichts, dagegen Verschiedenes an metrischen Werken. Halte also, Bruder, von Dir nicht fern, was, wie Du siehst, bei den liebsten und heiligsten Freunden Christi Gefallen
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fand. Achte auf die Inhalte, und wenn diese wahr und gesund sind, nimm sie in jeder beliebigen Sprachgattung auf. 9. Die eine und gleiche Speise einmal im Tongefäss zu loben und ein andermal im Goldgefäss zu verschmähen, passt sich für einen Dummkopf oder einen Heuchler. Verrät es einen Geizhals, nach Gold zu gieren, so zeugt es anderseits von einer kleinlichen Gesinnung, es abzulehnen. Gewiss wird eine Speise durch Gold nicht besser; sie wird dadurch aber auch nicht schlechter.16 Und natürlich leugne ich nicht, dass wie das Gold so auch das Gedicht in seiner Art recht vornehm ist. Es ist wie mit den Linien: Selbstverständlich sind die mit dem Lineal gezogenen gerader als die auf gut Glück gezeichneten. Doch ich meine nicht, man müsse Dichtung sogar verlangen! Man soll sie nur nicht verachten! So viel sei zur Rechtfertigung der Poesie vorausgeschickt. Nun soll sich meine Rede der Hauptsache zuwenden. 10. Vor drei Jahren hatte mich, der ich damals in Gallien weilte, die Sommerhitze an die Quelle der Sorgue getrieben, denn ebenda hatten wir uns, wie Du weisst, einen Wohnsitz für die Zukunft errichtet. Aber Dir wurde durch ein göttliches Geschenk ein besserer und ruhigerer Sitz bereitet, während mich, damit ich des meinen nicht froh würde, Fortuna härter bedrängte, als hätte genügen können. Dort also war mir zumute wie einem, der unter drückenden Verhältnissen nichts Grosses zu beginnen wagt und gleichzeitig ausserstande ist, einfach nichts zu tun. Denn von Kindheit auf war ich dazu erzogen worden, ständig etwas – ich hoffe: Gutes! – oder wenigstens irgend etwas zu treiben. 11. Einen Mittelweg schlug ich daher ein, indem ich Bedeutenderes aufschob, um mich mit dem zu beschäftigen, was mir die Lage erleichtern könnte. Und eben der Ort und die waldigen Winkel waren es, die mir nahelegten, etwas Ländliches zu dichten, da mich, den oft von Sorgen gequälten, schon die aufgehende Sonne in die Wälder hinaus trieb, woher mich erst die hereinbrechende Nacht wieder heimwärts drängte. So begann ich denn zu schreiben, was ich schon früher geplant hatte, das heisst ein Hirtengedicht in zwölf Eklogen. Unglaublich ist, in wie wenigen Tagen ich damit fertig war; so sehr beflügelte mich die Örtlichkeit! 12. Und gemäss dem, was mich damals vor allem beschäftigte, drehte sich nun die erste Ekloge um uns beide, und das ist auch der Hauptgrund, weshalb diese gewürdigt wird, zu Dir zu gelangen.17 Dabei weiss ich freilich nicht, ob ich sagen soll „zu Deinem Trost“ oder „zur Behinderung dessen, was Dir Trost ist“. Doch weil zur Ekloge gehört, dass man sie einzig dank der Anleitung des Verfassers verstehen kann, möchte ich, um Dir nutzlose Mühe zu ersparen, zuerst den Wortlaut und nachher den tieferen Sinn kurz angeben. 13. Zwei Hirten werden eingeführt (die Literaturgattung entspricht eben den Hirten und wird deshalb Hirten in den Mund gelegt). Sie heissen Silvius und Monicus. Silvius also, der den anderen einsam und mit seiner beneidenswerten Musse
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zufrieden bei einer Grotte ruhen sieht, spricht ihn gleichsam verwundert über sein Glück und betrübt über sein eigenes Unglück an, meinend, jener habe die Herde und Weide verlassen und damit den Frieden gefunden, während er selber auf unwirtlichen Hügeln unter grosser Plage umhergehe. Und er wundert sich um so stärker über die Verschiedenheit ihres Schicksals, als, wie er sagt, beide von der selben Mutter stammen, wodurch angedeutet wird, dass die Hirten Brüder sind. 14. Hierauf bürdet Monicus dem Bruder die ganze Schuld für seine Mühen auf, sagend, er werde durch keine Gewalt gezwungen, sondern irre nach eigenem Willen über die weglosen Gipfel der Waldungen und Berge hin. Ihm erwidert Silvius, der Grund für sein Herumirren sei die Liebe, und zwar die Liebe zur Muse und keine andere. 15. Um das zu erklären, beginnt er eine etwas lange Fabel von zwei wunderbar singenden Hirten und erinnert daran, dass er den einen in frühester Jugend gehört, den anderen aber erst später vernommen und, hingerissen vom Zauber der beiden, alles Übrige hintangestellt habe. Indem er ihnen beiden aufs begierigste über die Berge gefolgt sei, habe auch er selber singen gelernt und werde dafür von anderen gelobt, während er mit sich noch gar nicht zufrieden sei. Nun hege er den festen Vorsatz, nach dem Höchsten zu streben, um es entweder zu erlangen oder um wenigstens in diesem Bestreben zu sterben. 16. Nun beginnt Monicus ihm zuzureden, er möge zu ihm in die Grotte hereinkommen; er werde darin schönere Gesänge vernehmen, bricht aber plötzlich die begonnene Rede ab, da er auf dem Gesicht des Silvius Zeichen der Verwirrung wahrzunehmen glaubt. Der entschuldigt sich, worauf Monicus in seiner Rede fortfährt. Nachdem Silvius sie vernommen hat, erkundigt er sich erstaunt nach dem Namen des Hirten, der so wunderbar singe und von dem er jetzt zum ersten Mal höre. 17. Danach unterlässt Monicus in seiner fast bäurischen Unbeholfenheit, einen Namen anzugeben, beschreibt dagegen die Heimat des Gemeinten und erwähnt darauf nach Art der Bauern, die sich beim Sprechen leicht verhaspeln, zwei verschiedene Flüsse, die aus einer einzigen Quelle entspringen, um dann gleich, als hätte er sein Versehen erkannt, seine Worte zu ändern. Und was er von zwei Flüssen berichtet hatte, sagt er nun von einem einzigen, der zwei Ursprünge habe; jeder von ihnen komme freilich aus Asien. 18. Silvius erinnert sich an diesen Fluss und sagt zu seiner Bezeichnung, ein struppiger Jüngling habe Apollon darein getaucht. Da sagt Monicus, aus eben jener Gegend stamme der Sänger. Gleich erkennt Silvius den Mann, bemängelt sofort dessen Stimme und Gesangsweise und lobt seine eigenen Sänger, während Monicus umgekehrt den seinen mit wohlverdientem Lob überhäuft. Endlich sagt Silvius, als wolle er nachgeben, er werde bald wieder da sein, um sich zu überzeugen, wie wunderbar der gerühmte singe, nun aber müsse er eilen. 19. Verwundert fragt Monicus nach dem Grund für die Eile und hört, dass Silvius einen Gesang von einem vornehmen Jüngling, dessen Taten er in Kürze anführt, zu dichten begonnen habe; er
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könne nun keine Zeit für etwas anderes finden. Deshalb beschliesst Monicus das Gespräch, sagt Lebewohl, ermahnt aber am Ende den Bruder Silvius, die Gefahren und Unsicherheiten, die ein Aufschub mit sich bringe, zu bedenken.18 20. Dies die Zusammenfassung des Inhalts. Der tiefere Sinn ist der: Die miteinander sprechenden Hirten sind wir zwei, ich Silvius und Du Monicus. Beim ersten Namen wurde bedacht, dass sich die Szene im Wald abspielt, doch darüber hinaus auch das andere, dass mir von frühester Jugend auf ein Hass gegen die Stadt und eine Liebe zu den Wäldern eigen ist, weshalb viele unserer Freunde in allen Gesprächen mich häufiger Silvanus als Francesco nennen.19 Der andere Name kommt daher, dass einer der Kyklopen Monicus heisst, das ist gleichsam „Monoculus“, Einäugiger. Und das scheint nicht schlecht zu Dir zu passen; denn von den beiden Augen, derer wir Sterbliche uns gemeinhin bedienen, um mit dem einen das Himmlische und mit dem andern das Irdische zu betrachten, hast Du das zur Erde gerichtete Auge ausgerissen, um Dich mit dem besseren zu begnügen.20 21. Die „Grotte“, bei der Monicus sich als Einsiedler aufhält, ist Montrieux, wo Du nun ein Klosterleben zwischen Höhlen und Hainen, ja bei jener Höhle führst, in der Maria Magdalena Busse getan hat21 und die sich in der Nähe Deines Klosters befindet. Hier hast Du Dich in jenem heiligen, mir oft genannten Vorsatz gefestigt, weil Dir Gott Deinen leichten Sinn genommen hat. „Weide und Herde“, von denen es heisst, sie würden „vernachlässigt“, sind als Stadt und Menschen zu betrachten, Du hast sie ja bei Deiner Flucht in die Einsamkeit verlassen. 22. Die „gleiche Mutter“ hatten die beiden und überdies den gleichen Vater; und das ist nicht Allegorie, sondern nackte Wahrheit. „Das Grab“22 ist als letzte Wohnung zu verstehen; Dich erwartet der Himmel, mich aber, wenn nicht Barmherzigkeit aufhilft, die Hölle. Doch kann man das auch einfach nach dem Wortlaut begreifen: Du hast eben bereits eine sichere Behausung und dadurch eine besonders sichere Hoffnung auf eine letzte Ruhestätte; mir dagegen bleibt noch immer das unbestimmte Herumirren und nichts als Gefährdung. 23. Der „unerreichte Gipfel“, zu dem Silvius – wie Monicus ihm tadelnd vorhält – „unter grosser Mühe“ gelangen will, ist die Höhe seltenen Ruhmes, die nur wenige erreichen. Die „Wüstenei“, in der Silvius herumgeht, steht für die Wissenschaften; die sind heute nämlich wahrhaft verödet und teils wegen der Gewinnsucht, teils wegen der verzweifelten Trägheit der Begabten verlassen. Die „moosbewachsenen Felsen“ sind die Mächtigen und Reichen, welche das eigene Erbgut wie mit Moos überdeckt. Die „rauschenden Quellen“ kann man als gebildete und beredte Menschen verstehen, denn aus dem Sprudeln ihres Verstandes gehen die Bächlein der Disziplinen mit einem gleichsam heiteren Wohllaut hervor. 24. Dass Silvius bei „Pales“ schwört, bedeutet ein Hirtengelöbnis; denn Pales ist eine Göttin der Hirten;23 sie könnte bei uns als Maria verstanden werden, die freilich nicht Göttin, aber Gottesmutter ist. „Parthenias“ steht für Vergil24 und diesen Über-
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namen habe nicht etwa ich erfunden. Vielmehr lesen wir in seiner Lebensbeschreibung,25 dass er als ein bestens erprobter Mann diesen Namen Parthenias verdient hat. Damit der Leser den Dichter von sich aus erkenne, habe ich hier eine Örtlichkeit genau geschildert; sie betrifft die Stelle, wo im diesseitigen Gallien der Gardasee einen ihm ähnlichen Sohn gebiert, das ist der Mincio, also der Fluss Mantuas, der Geburtsstadt Vergils. 25. Übrigens bezeichnet der „von anderswo gekommene“ edle Hirte den Homer, und beinahe jedes einzelne Wort, das von ihm gesagt wird, hat eine tiefere Bedeutung. Denn sogar das Wort „hierauf“, das heisst „später“, ist nicht ohne tieferen Sinn, weil ich auf Vergil schon als Knabe, will heissen gleich nach der frühesten Kindheit, aber auf Homer erst in vorgerücktem Alter gestossen bin. Was man heute allgemein als Homer bezeichnet, ist, wie Du Dir merken musst, bloss das Werklein irgendeines Scholastikers und bietet in seiner Kürze nichts als Exzerpte aus der Ilias jenes Dichters.26 26. „Von fernen Ufern“ ist er, nämlich nicht von Italien und auch der lateinischen Sprache nicht kundig, weshalb ich von ihm gesagt habe, dass er „nicht nach unserer Weise singe“; er singt ja auf griechisch. „Vom grossartigen Hirten“ ist die Rede, und er hat das Beiwort mit vollem Recht, denn was ist grossartiger als die Sprache und die Schaffenskraft Homers? „Ich weiss nicht, aus welchem Tal“, so heisst es weiter, weil über seinen Herkunftsort verschiedene Meinungen herrschen; doch diese zu nennen, ist hier kein Raum. Dass übrigens Vergil „aus der Quelle trinkt“, die Homer spendet, ist jedem bekannt, der sich mit der Dichtkunst beschäftigt. 27. Die „Freundin“, derer beide Hirten würdig sind, ist die Achtbarkeit; ihretwegen singen die Dichter ähnlich wie die Liebhaber für ihre Mädchen. „Die finsteren Wälder“ und „die windreichen Berge“, die zur Verwunderung des Silvius dem Wohlklang der Singenden nicht lauschen, sind das rohe Volk und die hochstehenden Fürsten. Der Abstieg „vom Gipfel des Berges in die Tiefe der Täler“ und der Aufstieg aus den Tälern auf die Berge, wovon Silvius bei seiner Selbstdarstellung spricht, meint seinen wechselnden Übergang von der Höhe der Theorie zur praktischen Anwendung und umgekehrt, je nach der Verschiedenheit seiner Neigungen. 28. Die „Quelle“, die dem Sänger Beifall spendet, ist der Chor der Bildungsbeflissenen, und die „spröden Felsbrocken“ sind die Tölpel, bei denen – wie beim Echo an den Felsen – im Aufprall des nackten Schalls eine gleichlautende, aber verschwommene Antwort entsteht. „Die Nymphen“, Göttinnen der Quellen, sind die göttlichen Verstandeskräfte lernbegieriger Menschen. „Die Schwelle“, die Silvius auf Einladung des Monicus überschreiten soll, ist der Orden der Kartäuser, in den wohl niemand als ein Betrogener (wie das bei vielen andern Orden geschieht) und niemand widerwillig eintritt. Der Hirt, den Monicus einem Homer und Vergil vorzieht, ist David, dem der Ausdruck „psalmodieren“, wegen der Psalmen, die sein
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Werk sind, vorzugsweise zukommt. „Mitternacht“ heisst es wegen des Psalmodierens bei der Matutin, die ja eben zu dieser Nachtzeit in Euren Kirchen zu hören ist.27 29. Die „zwei Flüsse aus einem einzigen Quell“, derentwegen Monicus zuerst einem Irrtum erliegt, sind der Tigris und der Euphrat, die bekannten Ströme aus Armenien; der „eine Fluss aus zwei Quellen“ hingegen ist der Jordan in Judäa, und dass es sich mit seinem Ursprung so verhält, bestätigen viele, wie auch Hieronymus,28 der in jener Gegend unter vielen Beschäftigungen während langer Zeit gewohnt hat. Die Quellen heissen Jor und Dan, und aus ihnen ergibt sich der Jordan sowohl als Fluss wie auch als Name. Übrigens soll er ins Meer von Sodoma münden, wo es laut einem Gerede wegen der Einäscherung der Städte29 ganze „Felder von Asche“ geben soll. In diesem Fluss wurde gemäss der Überlieferung Christus durch Johannes in der Taufe gereinigt. 30. Der „struppige Jüngling“ ist eben der Täufer; und ich spreche so, weil er jungfräulich, rein, schuldlos, herb und ungepflegt ist, ein zottiges Kleid, ungekämmtes Haar und ein sonnenverbranntes Gesicht hat.30 „Apollon“ heisst der Sohn Jupiters, der Gott der Schaffenskraft; als solchen bezeichne ich aber Jesus Christus, den wahren Gott und Gottessohn; und ich meine „Gott der Verstandeskraft und Weisheit“, weil – wie die Theologen wissen – von allen Eigenschaften in der höchsten und unteilbaren Dreifaltigkeit eben dem Sohn die Weisheit zukommt. Deshalb ist er geradezu die Weisheit des Vaters. 31. Die „rauhe Stimme“ wird auf David bezogen, auf ihn auch die Häufigkeit der „Tränen“ und die ständige Wiederholung des Namens „Jerusalem“. Denn zuerst fallen dem Leser sein Klageton und seine häufige Erwähnung jener Stadt auf, ob er diese in geschichtlichem oder in allegorischem Sinn verstand. An der selben Stelle wird zusammenfassend eingefügt, wovon diejenigen Dichter singen, welche Silvius anderen vorzuziehen bedacht ist. Das darzulegen, wäre zeitraubend; doch wer in der Literatur bewandert ist, kann alles klar und rasch begreifen. 32. Monicus widerspricht, indem er die rauhe Stimme Davids rechtfertigt und mit ebenso knappen Worten zusammenfasst, wovon bei diesem die Rede ist. „Der Jüngling“, über den Silvius ein Lied zu dichten begonnen hat, ist Scipio Africanus, der an der Küste Afrikas den „Polyphemos“31 bezwungen hat, das heisst Hannibal, den Heerführer der Punier. Denn wie Polyphemos so war auch Hannibal einäugig, da er in Italien ein Auge verloren hatte. Die „libyschen Löwen“, von denen Afrika bekanntlich mehr als genug hat, sind die anderen Heerführer der Karthager; diese hat der genannte Sieger aus dem Römerreich verjagt. Die „brennenden Höhlen“ sind die eingeäscherten Schiffe, auf welche die Karthager ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten. Dass Scipio vor ihren Augen fünfhundert Schiffe verbrannte, berichtet die römische Geschichte.32 33. Nun wird er ein „gestirnter Jüngling“ geheissen, und dies sei’s wegen der im höchsten Mass ihm eigenen heroischen Tugend, die von Vergil33 eine glühende
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und von Lukan34 eine feurige genannt wird, oder sei’s wegen der unter den Römern herrschenden Meinung, er sei himmlischen Ursprungs, da ihre Bewunderung für den Helden gross war.35 Ihn „loben“ die Italer „von der entgegengesetzten Küste“, denn der afrikanischen Küste liegt ja die von Italien gegenüber, und zwar verweist das Gegenüber einerseits auf den geistigen Widerspruch der beiden wie andererseits auf deren geographische Lage. Ganz entschieden widersetzt sich ja Rom der Stadt Karthago. 34. Doch von diesem mächtig gelobten Jüngling singt jetzt niemand. Das wird aus gutem Grund betont. Denn obwohl jedes Geschichtswerk von seinem Lob und seinen Taten voll ist und Ennius zweifellos über ihn vieles, ob auch ungeschickt und kunstlos, geschrieben hat, wie Valerius36 mitteilt, so lässt sich ein besser geschriebenes Buch in metrischer Form, das seine Taten würdigt, denn doch nicht entdecken. Deswegen habe ich beschlossen,37 so gut ich kann von ihm zu singen. Von ihm handelt ja mein Buch mit der Überschrift Africa. Und möchte mir doch in meinem vorgerückten Alter gegeben sein, es so glücklich zu beenden, wie ich es hochgemut begonnen habe in meiner Jugend. Freilich, welch grosse Gefahren jederzeit bestehen, wenn man ein nützliches Vorhaben aufschiebt38 und wie vielfältig und unvorhersehbar der Fortgang des gegenwärtigen Lebens sich gestaltet, wie Monicus am Schluss seiner Rede zu bedenken heisst, das kann hier nicht einmal angedeutet werden. Alles übrige wirst Du dank eigener Überlegung begreifen. Lebe wohl! Padua, am 2. Dezember, gegen Abend (1349).39 Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief. 2 Die Verachtung der mittelalterlichen Klöster für die Dichtung wird bildhaft dargestellt von Herrad von Landsberg (†1195). Abgesondert vom Haus der Weisheit schreiben sie ihre Bücher unter dem Diktat geflügelter Teufelchen. 3 Löwe in Apoc 5,5; Lamm in Jo. 1,29 und 36; Apoc 5,6; Wurm in Ps.21 7. Auch andere Stellen wären beizuziehen. 4 Allbekannt war unter den Theologen des Mittelalters ein Merkvers in zwei Hexametern mit der Angabe des vierfachen Schriftsinns der Bibel: Littera gesta docet, quid credas Allegoria,/Moralis quidquid agas, quo tendas Anagogia. 5 Metaph. 983 b, 28 – 30. 6 Nach Isidor von Sevilla, 601 – 636; vgl. Etym. 8,7,1 – 3, wo Sueton, 75 – 150, und Varro,116 v. Chr. –27 n. Chr., zitiert werden. Vgl. auch die folgenden Ausführungen. 7 Muss heissen poiotes; das Wort bedeutet Beschaffenheit. Die Form poetes übenahm Petrarca aus einem Codex mit Werken Isidors. Vgl. Rossi, zu Fam. 10,4, Anm. 45. oder Dotti zu Fam. 10,4. Anm. 2. 8 Zu den folgenden Namen vgl. obige Anmerkungen. 9 Das ist Sueton. 10 Gemeint ist Isidor, Bischof von Sevilla. 11 Im klösterlichen Stundengebet. 12 Vgl. Epist. 53, 8,7.
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13 Aufzählung gemäss dem Credo der Messe. 14 Diese drei galten zusammen mit Papst Gregor dem Grossen als die grossen Autoritäten der abendländischen Kirche. 15 Dies die drei frühesten christlichen Dichter, tätig in Italien: Prudentius, Spanier, geb. 348; Prosper von Aquitanien, 5. Jh., bis ca. 455; Sedulius, gest. ca. 490. 16 Petrarca widerspricht hier gewissermassen seinen Ausführungen in Fam. 6,1,20 ff. und 6,1,24 ff. 17 Der folgende Text ist eine knappe Zusammenfassung von Petrarcas 1. Ekloge im Bucolicum carmen. Sie trägt zu Ehren Vergils dessen Übernamen Parthenias und umfasst 124 Verse in sehr schöner Sprache. 18 Hier ist wohl der Aufschub, in die Grotte zu kommen, gemeint; im Abschnitt 34 ist eher die Beendung der Africa angedeutet. 19 So zum Beispiel Boccaccio in Epist. 9. 20 Vgl. Mt.18,9. 21 Nach der Legende ist das die Grotte bei Sainte-Beaume. Petrarca besichtigte sie 1347, als er seinen Bruder besuchte. 22 Das Grab und auch die meisten im folgenden Text erwähnten Dinge wurden in der vorangehenden Zusammenfassung nicht genannt. Sie stehen aber alle in der genannten Ekloge. 23 Vgl. zum Beispiel Ov. Fast. 4,776. 24 Gemeint ist Partheneia; was Jungfräulichkeit heisst. 25 Donatus, Mitte 4. Jh. n. Chr. Vgl. Vergilii vita. 26 Petrarca bat im Januar 1348 einen Byzantiner Sygeros um einen Homer, erhielt diesen aber erst 1354. 27 Die Matutin, Morgengebet, ist recht eigentlich officium nocturnum gegenüber den anderen Stundengebeten, dem officium diurnum. 28 Comment. in Ev. Mt. 3,16,13 und Praef. in Gen. 14 und sonst. 29 Gen. 13,10 – 13 und 19,24. 30 Mt.3,4 – 16; Mc. 1,6; Lc. 3,1 ff. 31 Von Polyphemos und der Blendung seines Auges berichtet die Odyssee 9,370 ff. 32 Liv. 30,43,12. 33 Aen. 6,130. 34 Phars. 9,7. 35 Vgl. Liv. 26,19,6. 36 Val. Max. 8,14,1. 37 Im Jahr 1338 oder 1339. Das Werk blieb unvollendet. 38 Es wird nicht völlig klar, ob sich das Vorhaben auf die Africa oder den Klostereintritt bezieht, doch scheint hier eher das erste gemeint zu sein, dies vielleicht im Gegensatz zur Bemerkung oben Abschnitt 19. 39 Vgl. den vorangehenden Brief und Wilkins, Petr. Corresp. 65.
Fam. 10,5, an den Bruder Gherardo1 Über verschiedene Wege menschlichen Strebens. 1. Petrarca dankt für ein Geschenk und einen Brief des Kartäusers. 3. Die Gegensätze zwischen den Brüdern und die Verschiedenheit unter allen Menschen sind gross. 5. Für menschliche Bemühungen kann man drei Wege nennen. 6. Die Zeitgenossen haben eine Vorliebe für die mechanischen Künste. 8. An freien Künsten oder Wissenschaften gibt es sieben (die Theologie wurde verdorben). 10. Dazu kommen die Naturwissenschaften, Medizin, Ethik, Ökonomie und Politik. 12. Die Poesie, welche das Verbergen liebt, schildert die drei Wege im Gleichnis. 17. Das Wollen des Menschen ist gespalten. 22. Überall herrscht Unbeständigkeit. 24. Gherardo soll Selbstvertrauen und selbständiges Denken pflegen. 25. Petrarca bemüht sich, enthaltsam zu leben. Am 11. Juni in der Einsamkeit (1352).
1. Das zweifache Erzeugnis Deines beschaulichen Lebens, liebster Bruder, habe ich gestern gegen Abend mit grosser Freude empfangen. Da ist die mit Drechslerarbeit feinpolierte Schachtel aus Buxbaumholz, ein Werk Deiner Hände, und da ist auch Dein lehrreiches, mit vielen Weisheiten der Kirchenväter vollgestopftes und ausgeschmücktes Schreiben als ein Zeugnis Deiner heiligen Gesinnung. Während ich es las, bin ich, so gestehe ich, so verschiedenartig beeindruckt worden, dass einerseits die Glut eines grossmütigen Entschlusses und anderseits die Starre einer kalten Mutlosigkeit auf mich eindrängten. 2. Denn meisterhaft schienst Du mir einerseits Sehnsucht und Begierde nach einem besseren Zustand einzuflössen und anderseits Hindernisse gegen ein mir drohendes Abgleiten aufzustellen. Deshalb wurde mir sonnenklar, wo ich bin, wohin ich gehen muss und welch grosser Abgrund mich Armen von unserem Vaterland Jerusalem2 scheidet, während wir doch in unserer Verbannung nach diesem Ort jedesmal seufzen, wann immer der finstere und kotbedeckte Keller uns an der Selbstbesinnung nicht hindert. Was soll ich nun sagen? Ich beglückwünsche Dich und mich, Dich zu einer solchen Denkart und mich zu einem solchen Bruder. 3. Doch das eine muss ich unter diesen Glückwünschen bedauern, beklagen und betrauern. Gleiche Eltern haben wir gehabt, aber bei der Geburt nicht das gleiche Gestirn. Allzu verschieden sind wir, Bruder, allzu ungleiche Söhne hat der eine Mutterschoss hervorgebracht, denn klar sollte sich erweisen, dass wir nicht den sterblichen Eltern, sondern dem ewigen Vater verdanken, was wir sind. Was bedeutet denn ein irdischer Vater ausser verächtlicher Same und was bedeutet eine Mutter ausser widerliche Behausung? Gott hat die Seele, Gott das Leben, Gott den Verstand, Gott die Neigung zum Guten, Gott die Freiheit zur Entscheidung gegeben. Alles Heilige, alles Fromme, alles Rechtschaffene, alles Vortreffliche, was die menschliche Natur an sich hat, stammt ganz und gar von Ihm. 4. Auf Dein Schreiben, das mir Tröstung wie auch Zerknirschung beschert hat, weil ich Dich erkennend juble und meiner gedenkend erröte, habe ich nichts ande-
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res zu sagen, als dies: Ausgezeichnet und sehr heilsam ist, was Du vorbringst; es wird ja durch bedeutende Autoritäten belegt, ist aber auch an sich selber vollkommen richtig. Was wäre denn wahrer, um anderes zu übergehen, als die Meinung, die Augustinus bekräftigt,3 dass nämlich die Bestrebungen der Menschen und ihre Leidenschaften sich widersprechen? Hierüber, bitte ich, etwas weiter ausholen zu dürfen und, bevor ich auf Augustinus eingehe, etwas über mich zu sagen, was mich freut und Dir vielleicht nicht lästig fällt. 5. Gegensätzlich sind die Bestrebungen, und zwar sowohl die von Mensch zu Mensch als auch die bei jedem einzelnen Menschen. Ich sage es offen und kann es nicht leugnen; ich kenne andere und kenne mich selber; ich betrachte die Gesamtheit, und ich betrachte die Menschheit in jedem Wesen. Was aber sage ich von allen oder wer könnte in Worten die unzähligen Unterschiede aufzählen, dank denen die Sterblichen unter sich uneins sind? Man könnte wirklich denken, Mensch und Mensch gehörten nicht zur gleichen Gattung und nicht zu einem einzigen Geschlecht. 6. Mit Übergehung dessen, was sich nicht einordnen lässt, haben die Philosophen das Gesamt in drei Teile aufgeteilt und jeden von diesen wiederum in viele winzigste Splitter zerspalten. Davon wurde dann wohl das Wort Sekte abgeleitet.4 Wir sehen, dass manche ganz den sinnlichen Genüssen ergeben sind, und was ist das für ein ungeheurer und unermesslicher Haufe! Und unter ihnen, guter Gott, welch ein Vielerlei! Was an Künsten, was an unterschiedlichen Geschmäckern! Gar nicht Einheit der Meinung! Weshalb dem einen missfällt, was dem andern gefällt und dieser erbärmlich nennt, was dem andern das Seligste bedeutet! 7. Viele sehen wir dem tätigen Leben zugewandt, laufend nach Reichtum, Ehren und Macht. Wobei die einen im Krieg, die andern im Frieden, diese zu Land und jene zu Wasser, einige mit ihren Händen und nicht wenige unter Aufwand ihres Geistes das Gewünschte zu erlangen trachten! Und wie grosse Mühe ist da um mannigfaltige Fertigkeiten, welche Zahl verschiedenster Formen in allem Einzelnen, wie unterschiedlicher Eifer! In den beiden genannten Lebensweisen trifft man alle jene Disziplinen, die man die mechanischen nennt und die den körperlichen Bedürfnissen dienen. Sie werden kaum zu den Künsten gerechnet;5 sie verdienen nach dem Urteil gewisser Gelehrter noch knapp den letzten Platz der Philosophie.6 Davon eingehender zu handeln ist hier nicht der Ort; wir wollen vielmehr die Verschiedenheit der menschlichen Handlungen weiter verfolgen. 8. Von den wenigen, die sich der Weisheit und ihrer Betrachtung widmen, hören wir öfter, als dass wir sie sehen. Denn unser Zeitalter schreitet auf den beiden eben erwähnten Wegen voran, wogegen auf diesem dritten Weg kaum einer zu finden ist oder eine so kleine Zahl, dass kaum eine frische Fussspur ihn andeutet. Allerdings gilt ohne Zweifel, dass die wahre Weisheit eine einzige ist. Sie besteht da-
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rin, Gott zu erkennen und zu verehren, weshalb geschrieben steht: „Frömmigkeit ist Weisheit“.7 Und damit die Menschen zu ihr gelangen könnten, ist ihnen das edelste und heiligste Studium geschenkt worden. Nur dass unsere Eitelkeit durch eine Verwandlung der Theologie in Dialektik es verdorben hat. Dennoch ist jetzt von dem zu handeln, was man gemeinhin Weisheit nennt, wogegen ich selber es richtiger als Wissenschaft bezeichnen möchte. 9. Und wie gross ist auch bei ihr die Vielfalt!8 Einige stellen grammatikalische Gesetze zusammen, andere suchen emsig nach schönen, hochtönenden Redensarten, wieder andere überlegen sich scharfsinnige Schlussfolgerungen, die vierten beschäftigen sich mit Zahlen; überdies gibt es solche, die Zahlen mit Tönen verbinden, einige messen die Erde, und andere wenden ihren Blick einzig zum Himmel und zu den Sternen, und selig wären sie zu nennen, wenn sie auch und nicht weniger den Schöpfer des Himmels betrachteten. Damit sind die Künste genannt, die man die freien heisst. 10. Es gibt auch noch andere Künste. Da ist eine, welche alle Dinge auf ihre Natur hin untersucht. Eine herrliche Beschäftigung, würde nur der Herr der Natur nicht übersehen, was ihr jedoch schon fast ständig unterläuft! Weiter eine, die den kranken Gemütern Genesung verheisst – ähnlich wie die Medizin den Körpern –, und sie wäre von allen Künsten die nützlichste, würde sie zur Erfüllung ihres Versprechens Hilfe vom Himmel erhoffen und dabei begreifen, wie wenig sie ohne solche Unterstützung aus sich selber erlangt. Selbst wenn für die kranken Körper die Kraft der aus der Erde spriessenden Pflanzen heilsam ist und selbst wenn analog viele Gelehrte für kranke und schwächliche Seelen heilkräftige Worte zusammenfügen und aufschreiben, kommt für beide Arten von Kranken die wahre Heilung von Gott. 11. Unter den Menschen, welche gegen seelische Übel auftreten, sorgen sich einige um einzelne Menschen, andere um Familien und wieder andere um Gemeinwesen. Die erste Aufgabe ist die der Ethik, die zweite die der Ökonomie, und für die dritte wachen die Lehrer der Politik und die Gesetzgeber. 12. Nun gibt es auf allen Pfaden dieser dritten Richtung solche Menschen, die offen wirken und andere, die es heimlich tun, als würden sie das offene Feld vermeiden und den Schatten wählen und als wollten sie sich nicht gemein machen und nicht infolge allzu grosser Vertraulichkeit Geringschätzung ernten, sondern lieber nur wenigen sichtbar und immer nur mit Mühe erreichbar sein. Eben sie sind die Dichter, eine vornehmlich in unserer Epoche seltene Menschengattung. Auch bei ihr gibt es nicht ein einziges Ziel und eine einige Strasse, und so kommt es, dass zwar das mannhafte und herrliche Geschlecht der Seher jederzeit hohe Ehren empfing, während ein anderes bescheideneres mit einer weicheren Feder den gestrengen Richtern unansehnlich zu sein scheint. 13. Damit hast Du, Bruder, was mir in so kurzer Zeit und in so knapp bemessener Rede von den drei hochberühmten Studienrichtungen, in denen menschliche
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Neugier in stets neuer und anderer Weise und in ungleichen Schritten vorangeht, zu sagen gestattet war. Überall herrscht unendliche Meinungsvielfalt. Die Richtungen aber, an die Aristoteles und überhaupt sehr viele Philosophen erinnern, sind – das beachte! – den Dichtern nicht unbekannt, doch sie deuten ihrem Charakter gemäss in eher verstohlener Weise darauf hin. 14. So wollen sie das Gemeinte mit der Geschichte von einem Wettstreit dreier Göttinnen bekräftigen. Darin hat ein begehrlicher Schiedsrichter9 völlig falsch, jedoch entsprechend einer gängigen Meinung die Göttin Venus einer Juno und Minerva10 vorgezogen. Der Lohn war dann des Richters würdig: Eine angenehme aber kurze Wollust, süss am Anfang und bitter am Ende. Und hinsichtlich der ersten beiden Bildungswege gibt es nichts, was mich verwundern würde, wogegen ich beim dritten Weg gezwungen werde, mich zu wundern, weil unter all jenen, die auf der gleichen, übrigens sehr sicheren Strasse wandern, sich eines gleichen Titels rühmen und Philosophen heissen, sich aber auf fast unzählige Sekten mit widerstreitenden Meinungen verteilen. Diese übergehe ich bewusst, weil ihrer viel zu viele sind und weil Marcus Varro und nach ihm auch Augustinus sie aufs sorgfältigste zusammengestellt haben.11 15. Nicht übergehe ich dagegen, dass gerade unter den klügsten Köpfen und bedeutendsten Männern grosse Uneinigkeit herrscht, derentwegen der eine den andern verachtet und verspottet. Was man mit vielen Beispielen beweisen könnte, soll hier mit einem einzigen belegt werden. Von Sokrates wird gesagt,12 er sei es gewesen, der die Philosophie gleichsam vom Himmel auf die Erde herab geholt und hierauf die von den Sternen heruntergezogene gezwungen habe, unter den Menschen zu wohnen und sie über ihre Sitten und Angelegenheiten zu belehren. Gerade er wird von Aristoteles verhöhnt,13 er gleiche einem Trödelhändler, der die Moral wie billigen Kram zu Markte trage; auch wisse er über die Natur schlechterdings nichts. Und damit Du an dieser Verachtung nicht zweifelst, zitiere ich aus Ciceros Werk „Über die Pflichten“ den folgenden Satz:14 „Ebenso denke ich über Aristoteles und Sokrates, weil jeder von ihnen die eigene Forschung hochschätzte und die des anderen schmähte.“ 16. Das also ist es, was mich, so gestehe ich, nicht wenig wundert. Doch wundert mich unvergleichlich stärker, dass sich die Begehren des einen und gleichen Menschen widersprechen. Wer von uns, ich bitte, will als Greis das selbe, was er als Jüngling wollte? Ich sage zu wenig: Wer von uns will im Winter, was im Sommer? Und noch habe ich nicht gesagt, was ich eigentlich meine: Wer von uns will heute, was gestern, am Abend, was am Morgen? Teile den einen Tag in Stunden, die Stunden in Augenblicke, und Du findest bei dem einen und gleichen Menschen vielfältigeres Wollen, als es Augenblicke gibt. Das ist es, was mich über die Massen erstaunt. Und weshalb nicht alle Menschen darüber staunen, das erstaunt mich am meisten.
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17. Nun bin ich aber weit genug abgeschweift. Zu Dir, Bruder, und zu Deinem Augustinus kehre ich zurück. Mehr, als sich glauben lässt, verwundert mich also, was Du auf sein Zeugnis hin – wenn zwar nicht mit denselben Worten, aber dem Sinn entsprechend – ganz klar geäussert hast: es sei nämlich der eine Mensch in der einen und gleichen Sache und im einen und gleichen Augenblick mit sich uneins. Ein verbreiteter Wahnsinn bestehe darin, immer das eine und gleiche Ziel zu verfolgen, aber niemals dahin gelangen zu wollen. Denn das bedeute ja nichts anderes, als gleichzeitig gehen und stillstehen wollen. Und es heisse auch: Wir wollen leben, jedoch nicht sterben.15 Dabei steht in einem Psalm geschrieben:16 „Wo ist der Mensch, der leben und den Tod nicht kosten wird?“ 18. Dennoch ist es so. Das wollen wir; so sind wir gesinnt; so gross ist unsere Blindheit, so gross unsere Verkehrtheit, so gross unsere Torheit. Dieses Leben verlangen wir, aber den Tod, auf den dieses Leben zugeht, verwünschen wir. Sieh nur, die Begehren sind wahrhaftig unvereinbar, und die Wünsche widerstreiten sich völlig, und zwar nicht allein wegen der notwendigen Abfolge vom einen zum andern, sondern auch, weil „dieses unser Leben ein Tod ist“, wie Cicero17 gesagt hat. Ihm vertraue ich –warum weiss ich nicht – in dieser Sache fast mehr als christlichen Zeugen. Daher kommt es, dass wir vor allem den Tod ebenso hassen wie lieben, und dass auf uns das Wort des Komikers18 zutrifft: „Ich will, will nicht, will nicht, will wohl.“ 19. Übrigens möchte ich – um mich von diesem Philosophieren abzukehren, es ist ja, obwohl an sich richtig, vielleicht lästig – nun in der üblichen Art der Menschen sprechen. Nehmen wir an, das sei das Leben, was die grosse Menge als solches betrachtet und mit grosser Sorgfalt behütet! Dennoch, bitte, wie stünde es um seine Länge, selbst wenn es erst heute begänne? Leicht kann das jeder erkennen, der die vergangenen Lebensjahre in Gedanken durchläuft und hierauf mit möglichst dem gleichen Massstab, den er an die entschwundenen legte, auch die kommenden abmisst und seine Hoffnungen und Sorgen nach Belieben bis zum hundertsten Jahr hin ausdehnt. 20. Wie viel bleibt uns, so frage ich, da wir bereits recht weit gekommen sind, als Restlein noch übrig? Wirklich hat, was immer in unserem Rücken liegt, der sichere Tod geholt; und was vor uns liegt, das ist der vom kurzen, flüchtigen, ungewissen Leben uns versprochene Teil. Dabei sind die Jahre, obwohl gewiss immer gleich lang, auf eine mir unbegreifliche Weise dem Alter kürzer als der Jugend. 21. Wer wollte also noch zweifeln, dass es genau so ist, wie Du sagst? Unablässig und mit grösster Begierde verlangen wir nach guten Tagen und Glück, obwohl hier weder gute Tage, noch Glück, noch Ruhe, Heil, Leben, noch überhaupt etwas anderes zu haben ist ausser der rauhe und schwierige Weg, nämlich der zum ewigen
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Leben führende, wenn wir es nicht ausspeien, oder der zum ewigen Tod, wenn wir es vergessen. Nur dort müssen wir, solange die Zeit währt, uns gute Tage erwerben, wo einst alles überaus gut und vollkommen ist. 22. Was Du in Deinem Brief auch sonst noch sehr feinsinnig behandelt hast, übergehe ich, teils weil es ja ausnehmend gut durchdacht, teils weil in meinem sündigen Mund eine fromme Rede kaum überzeugend ist. Dabei bewundere ich die Standhaftigkeit Deiner Gesinnung und die Kraft Deines Schreibstils. Er mahnt mich daran, dass Du im Kloster einen ganz anderen Lehrer gehabt hast als im weltlichen Leben. Das freilich ist kein Wunder, da jener Dich sprechen lehrte, der Dich auch handeln lehrte und wollen lehrte. Völlig gleich wie Deine Gesinnung und Deine Taten ist Deine Rede; und sehr stark hast Du in kurzer Zeit Dich innen und aussen gewandelt. 23. Darüber würde ich mich stärker verwundern, hätte ich nicht gelernt, was es heisst: „Verwandlung durch die Rechte des Herrn“.19 Ihm fällt es sehr leicht, nicht bloss eine einzelne Seele, sondern das ganze Menschengeschlecht, den ganzen Erdkreis, ja auch die ganze Ordnung der Welt zu verändern. In solcher Fülle trägst Du mir Worte der heiligen Väter zusammen und verbindest sie mit so grosser Kunst aneinander, dass ich fast gezwungen bin, die Art des Verbindens so zu loben wie den Gehalt. Wirklich hat oft eine geschickte Verknüpfung etwas uns Fremdes zu unserem Eigentum gemacht. Und wie gross ihre Wirkung ist, lesen wir unter den Anleitungen zum Dichten nicht etwa als die letzte.20 24. Nur dies Eine möchte ich Dir nahelegen: Verbinde mit Deiner bescheidensten Ehrfurcht und ehrfürchtigsten Bescheidenheit eine gewisse Freiheit! Und scheue Dich nicht, den Namen der früheren Autoritäten Deinen eigenen anzufügen. Ja, zweifle nicht, auch Du hast etwas zu sagen, ja sogar sehr vieles, was Dich und andere fördert! Und dies dank der Eingebung des selben Geistes, der jenen anderen Beredtheit schenkte und von dem geschrieben steht: „Nicht Ihr seid es, die sprechen, sondern der Geist meines Vaters spricht in Euch“.21 25. Schliesslich sollst Du wegen meines Schicksals, dessentwegen Deine brüderliche Liebe sich ungemein ängstigt (und bei den ringsum tobenden Stürmen nicht ohne Grund), wenigstens gute Hoffnung, wenn auch nicht Sicherheit hegen und wissen, Deine letzthin beim Abschied mir gegebenen Ratschläge22 sind nicht vergessen. Noch wage ich nicht zu behaupten, ich sei im Hafen geborgen, doch wählte ich (wie die Schiffer tun, wenn auf offener See ein Unwetter ausbricht) die Flanke irgendeiner Insel mir zum Schutz gegen Wind und Wogen. Bis ein besserer Hafen in Sicht kommt, bleibe ich hier geborgen. 26. „Und wie das?“ wirst Du fragen. Bedenke, dass ich unter der Ägide Christi jene drei Aufgaben, die Du mir gestellt hast, übernommen habe und dass ich Tag für Tag mit grösster Anstrengung mich darum bemühe, sie noch vollkommener zu erfüllen. Das sage ich nicht, um mich zu rühmen; denn ich befinde mich noch mit-
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ten unter manchen Übeln und Beschwerden, leide sehr an der Vergangenheit und Gegenwart und fürchte mich vor der Zukunft. Doch ich teile es Dir mit, damit es Dir ein erster Keim zur Freude sei und Du überdies im Mass, als Du zu hoffen anfängst, Dich auch befleissigst, immer glühender für mich zu beten. 27. Das aber sind die drei Dinge, in denen ich Dir gehorcht habe: Erstens habe ich die verborgenen Schwären meiner Laster, die durch unheilvolle Vernachlässigung und langes Verschweigen zu eitern begonnen hatten, mit dem Griff einer heilsamen Beichte ans Tageslicht gezogen. Dies öfter zu wiederholen und so dem allmächtigen Arzt die verborgenen Wunden meiner Seele zu zeigen, habe ich mir zur Gewohnheit gemacht. 28. Zudem bin ich dank dem gleichen Ermahner so unverdrossen daran gegangen, nicht bloss die Diurnen,23 sondern auch die Nocturnen zu Christi Ehren zu singen, dass selbst jetzt bei diesen kürzesten Nächten, wenn eine späte Vigil24 mich ermüdet hat, das Morgenrot mich niemals schläfrig oder schweigend trifft. So grosses Gefallen habe ich an jenem Psalmvers gefunden: „Sieben Mal am Tag habe ich Dir Lob gesagt“,25 dass ich nach Aneignung dieser Gewohnheit mich nie durch eine Tagesbeschäftigung (oder höchstens ein einziges Mal) von dieser Übung habe abwenden lassen. Und gleiches Gefallen habe ich auch an jenem andern Vers: „Mitten in der Nacht erhob ich mich, Dir zu danken“.26 In der Folge davon spüre ich täglich zur bestimmten Stunde ich weiss nicht wen kommen und mich wecken, der mich daran hindert, in tiefem Schlaf versunken zu liegen. 29. Drittens fürchte ich den Umgang mit einer Frau, ohne den ich bisweilen nicht leben zu können meinte, nun stärker als den Tod. Und obwohl ich oft von heftigsten Versuchungen geplagt werde, verfliegen diese sogleich, wenn ich mich frage, was eine Frau denn sei, und dann finde ich rasch zu meiner Freiheit und Ruhe zurück. 30. Bei diesen Anstrengungen, mein Liebster, hast Du mir gewiss mit Deinen Gebeten geholfen, und dass Du es weiter tun werdest, hoffe und beschwöre ich Dich bei der Barmherzigkeit dessen, der sich gewürdigt hat, Dich wegzuholen von Deinen Irrgängen „in der Abgeschiedenheit der Fremde“,27 um Dich zurückzurufen aus Deiner eigenen Finsternis in sein Licht. In Ihm bist Du ein wahrhaft glücklicher und standhafter Verächter eines falschen und verderblichen Glückes, und darum vergiss uns nicht in Deinen Gebeten! Indessen bleibe gesund, innigst geliebter Bruder, und lebe wohl! Am 11. Juni in der Einsamkeit (1352).28 Anmerkungen 1 2 3 4
Vgl. die vorausgehenden Briefe an Gherardo. Das himmlische Jerusalem, der Himmel. Vgl. zum Beispiel Conf. 8,8 – 11. Secta, abgeleitet von secare, schneiden, trennen.
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Den „artes liberales“ angefügt. Vgl. Thom. Sum. theol. 1 – 2,9,57 a 3 ad 3. Aug. De civ. 14,28. Nun folgt die Aufzählung der sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, (Trivium), Algebra, Musik Geometrie und Astronomie (Quadrivium). Sie galten als sieben Säulen der Weisheit. Der troische Prinz Paris, welcher die Venus, weil sie ihm die schönste Frau versprach, durch Übergabe des Erisapfels (Streitapfels) als die Schönste der drei erklärte. Die drei Göttinnen stehen also für die drei verschiedenen Lebensweisen, Venus für das Geniessen, Juno für das tätige Leben und Minerva für Wissenschaft und Weisheit. Vgl. Boccaccio, Genealogie 6,22 und seine Anspielung an Aristot. Eth. Nic. 1095b,14 -1096a,10. In Aug. de civ. 19,1. Vgl. auch Dotti zu Fam. 10,5, Anm. 7. Cic. Tusc. 5,4,10 und anderswo; Sen. Ad Lucil. 71,7; Val. Max. 3,4, ext. 1. Metaph. 987 b,1. De off. 1,1,4. Petrarca las in seinem Codex Sokrates anstatt Isokrates. Ähnlich bei Sen. Ad Lucil. 30,10. Ps. 88, 49. Tusc. 1,31,75. Ter. Phormio 5,8,950. Ps. 76,11. Hor. Ars 46 – 48. Mt. 10,20. Petrara besuchte seinen Bruder in der Kartause von Montrieux erstmals Anfangs 1347. Die verschiedenen Tagesgebete der Mönche sind hier vor den nächtlichen Gebeten genannt. Späte Vigil. Sie wird zu Beginn eines Tages gebetet, doch den Tag begann man nicht am Morgen sondern am Abend und rechnete ihn von Abend zu Abend unter Hinweis auf den Schöpfungsbericht: „und es ward Abend und Morgen, der erste Tag“ usf. für die folgenden Tage. Ps. 118,164. Ps. 118,62. Aug. Conf. 7,10,16. Dieser Brief ist wohl recht bald nach dem vorangehenden geschrieben worden. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 65.
Fam. 10,6, an Johann von Neumarkt, erwählter Bischof von Naumburg, Kanzler am kaiserlichen Hof1 Freude über das gespendete Lob, dessen Petrarca freilich nicht würdig sei. (1352)
Und was meist Du, mit welcher Freude ich beim Lesen Deines Briefes2 mich reckte und wie ich wider Gewohnheit mir selbst gefiel! Ich habe ja vernommen, dass mein Name, wie gering er auch sei, bereits die Gipfel der umwölkten Alpen überstiegen hat und unter den grössten Gelehrten von Mund zu Mund und am Himmel Germaniens umherfliegt.3 Ich verdiene es nicht, so gestehe ich; doch im Guten wie im Bösen gedeiht vieles sogar den Unwürdigen. Mag der Ruhm auch etwas Leeres und etwas wie blosser Wind sein, so eignet ihm doch, ich weiss nicht was Süsses, das selbst bedeutende Geister verlocken kann. Ich umfange daher, was mir zufällt, und nehme das mir geschenkte Wohlwollen eines so angesehenen Mannes ruhmselig entgegen. Du bist zwar fern vom römischen Reich geboren, aber in der römischen Sprache unterrichtet worden und bringst mir das glänzendste Gestirn des lateinischen Wortes und seine geballten Kräfte zurück. Im Mass, als Du Dich selber gering achtest, erscheinst Du in den Augen der richtig Urteilenden grösser. So erreichst Du, dass ein Ausspruch über Italien4 schon vollkommen auf Germanien zutrifft, es werde nämlich dank Manneskraft und Waffen in Zukunft nicht mehr gewaltiger sein als dank der Sprache, sofern ein grosses Bemühen die Geistesbegabung nicht beeinträchtige. Ein tüchtiger Zeuge für die Wortgewandtheit jenseits der Alpen ist mir eben Dein Federkiel. Doch darüber nun nichts weiter, damit Du nicht denkst, ich hätte Deine Lobreden auf mich, bei denen Du, ein Mann höchster Wortgewandtheit, so sorgfältig (und wenn nur so zutreffend wie beredt!) verweilt bist, Dir heute wohl abgewogen zurückgeben wollen. Aus ihnen schöpfe ich eine Mischung aus Scham und Vergnügen. Es freut mich, Dir für etwas zu gelten, und es beschämt mich, nicht zu sein, wofür ich Dir gelte. Ich merke nämlich: Jener vortreffliche Bekannte hat Dich betrogen! Darum lass Dir für immer gesagt sein, dass ihm in allen Dingen, nur nicht in dem, was mich betrifft, zu glauben ist. Denn er liebt mich, und da begreifst Du leicht die Blindheit seines Urteils. Er stellt mich dar, wie er mich haben möchte. Lebe glücklich und lebe wohl! (Avignon oder Mailand 1352/1353)5
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Anmerkungen 1 Johann von Neumarkt, berühmt für seine Förderung einer kunstvollen Kanzleisprache, die auf den ganzen deutschen Sprachraum einwirken sollte, *1310; in der Reichskanzlei seit 1347 tätig, erwählter Bischof von Naumburg 16. Februar 1352, Bischof 9. Oktober 1353, Kanzler von 1353 bis 1374 und Bischof von Olmütz ab 1364; †1380. 2 Der Brief steht in Paul Piur, Petrarcas Briefwechsel mit deutschen Zeitgenossen, Vom Mittelalter zur Reformation 7, Berlin 1933, 21 – 23 als Nr. 4. Vgl. auch Widmer, Aufrufe, 396, Anm. 4 mit einem Hinweis auf den in Prag ansässigen Apotheker Angelo aus Florenz. 3 Cic. Tusc. 1,15,34. 4 Vgl. Hor. Ars 289 – 291. 5 Die Datierung berücksichtigt, dass der Adressat „erwählter Bischof von Naumburg“ genannt wird; vgl. oben Anm. 1; vom „kaiserlichen Hof“ konnte aber vor 1355 nicht gesprochen werden. Vgl. Wilkins, Studies 167 f.
Fam. 11,1, an Giovanni von Certaldo, Boccaccio1 Bericht über die Pilgerreise nach Rom. 1. Fortuna kann man nicht entgehen. 2. Petrarca reiste als Büssender nach Rom. 7. Ein Unfall zerstörte seine Pläne. 10. Er hütet in Rom das Bett. Rom am 2. November (1350).
1. Ich hoffte, eine Veränderung von Ort und Absicht vermöge auch Fortuna zu ändern; doch ich irrte mich, wie ich sehe. Wohin ich auch fliehe, verfolgt sie mich. Ob ich auf rollendem Wagen, schnaubendem Pferd, fliegendem Schiff oder schliesslich auf Daedalus' Flügeln2 entwiche: dem Flüchtigen käme die Grimmige zuvor. Vergebens freilich; denn sie könnte mich zwar plagen und peitschen, doch niederwerfen ihn, den Gottes Schritte jetzt festigt, könnte sie nicht. 2. Schon habe ich mit Demokrit gelernt,3 „… der Frechen Zornig zu senden den Strick und die kräftige Kralle zu zeigen“. Aber wieder setzt sie mir zu mit den ihr eigenen Tücken. Sie drängt darauf, mich, der in jüngeren Jahren sie häufig überwunden hat, im reifen, gesetzten Alter zu überwinden, als wäre der Kampf mit dem Betagten leichter und als müssten während des Lebens mit der Stärke des Leibes auch die Kräfte des Geistes sich mindern. Doch wären diese nicht umgekehrt gewachsen, würde ich meinen, ich hätte bis heute umsonst gelebt. Gleich aber will ich von den Fallen berichten, die sie mir neulich gestellt hat, denn eine allzu lange Einleitung soll Dich nicht in Verwunderung versetzen. 3. Nach Rom, wie Du weisst, dachte auch ich, nachdem ich Dich besucht hätte, zu reisen. Dieses Jahr, das wir Sünder innig ersehnten,4 hat ja beinah das ganze christliche Volk dorthin versammelt. Und um nicht auf einsamer Pilgerschaft dem Überdruss zu verfallen, hatte ich mir einige Weggefährten gewählt. Beim ersten bedachte ich das höhere, ehrfurchtgebietende Alter, beim zweiten seine Kenntnis und das Fuhrwerk seiner Redelust,5 bei der übrigen Schar die praktische Erfahrung und Ergebenheit; sie schienen geeignet, den langen Weg, beschwerlich wie er ist, zu ebnen. 4. So hatte ich, wie der Ausgang lehren sollte, eher klug als glücklich vorausgesorgt, und ich ging in glühendem Eifer voran, um endlich meinen bösen Taten ein Ende zu setzen. Denn so hat Flaccus gesagt:6 „Nicht jenes frühere Spiel, aber dass ich's nicht lasse, beschämt mich“. Meinen guten Vorsatz, so hoffe ich, hat Fortuna nicht umgestossen und wird sie nie können. Wollte mich die Feindin gegen Felsen schleudern und dieses Körperlein zerfetzen – das Gestein mit dem Blut meines Schädels bespritzend –: sie würde
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vielleicht den Geist, der sie und ihre Güter verachtet, erschüttern, doch nicht überwältigen. Sie würde vielleicht das Gefüge der Glieder zum Erschlaffen, aber niemals den Geist zum Ermatten zwingen. 5. Nichts Geringes allerdings war ihr kürzlich – um Dich nicht länger hinzuhalten – gegen meinen Körper zu tun gestattet. Da ich nämlich Bolsena verliess – einen jetzt kleinen und unansehnlichen Ort, der aber einst zu den bedeutendsten in Etrurien zählte –, ritt ich, um die heilige Stadt zum fünften Mal zu besuchen,7 tüchtig voran, während ich das immer Gleiche im Geist überdachte: Schau, wie unsere Zeit unmerklich vergeht! Schau, wie die Taten und Gedanken der Menschen sich ändern! Schau, wie sehr ein Vers aus meinen Hirtengedichten wahr ist:8 „… was der Jüngling erstrebt, ist im Alter Bloss eine Last. Mit ergrauendem Haar muss die Sorge sich wandeln.“ 6. Vierzehn Jahre sind es her, seit ich Rom erstmals, und zwar einzig ob seiner Wunderwerke und meiner Schaulust, besuchte.9 Nach Verlauf von einigen Jahren hat beim zweiten Mal eine vielleicht vorzeitige, aber schmeichelnde Begierde nach dem Lorbeer mich dorthin gezogen.10 Für die dritte und vierte Reise lag der Grund im Mitgefühl mit hochstehenden Freunden;11 denn ihren damals zerrütteten und traurigen Verhältnissen habe ich – mit freilich allzu schwachen Kräften – Halt zu bieten mich nicht gescheut. Dies hier ist meine fünfte (und wer weiss, ob nicht meine letzte) Pilgerreise nach Rom, und sie ist deswegen seliger als die früheren, weil die Sorge für die Seele edler ist als die für den Körper und das ewige Heil wünschenswerter als vergängliche Ehre. 7. Indem ich über solches nachdachte und – zwar nur im Stillen – Gott dankte, wollte, wie man sagt,12 das Pferd jenes obengenannten ehrwürdigen und hochbetagten Abtes, das zu meiner Linken ging (aber noch linkischer handelte13), nach meinem Pferd ausschlagen, traf aber mich selber und zwar an der Stelle, wo sich Schienbein und Knie verbinden. Das geschah mit solcher Wucht, dass ein gewaltiges Krachen wie von berstenden Knochen viele Leute sogar aus einiger Entfernung zu diesem Spektakel herbeirief. 8. Von unglaublichem Schmerz befallen, überlegte ich zuerst, ob ich anhalten solle. Dann aber entsetzte mich die Örtlichkeit. Ich machte aus der Not eine Tugend, gelangte spät Abends nach Viterbo und von hier, wenn auch mit Mühe, in drei Tagen nach Rom.14 Hier rief ich Ärzte herbei. Der Knochen lag bloss und war erschreckend weiss, was befürchten liess, er sei gebrochen. Ein sehr deutlicher Abdruck des Hufeisens war sichtbar. 9. Und die vernachlässigte Wunde verbreitete einen so widerlichen Gestank, dass ich ihn, was unglaublich tönt, vor lauter Ekel oft kaum selber ertragen konnte. Und obwohl wir mit dem eigenen Körper in einer gewissen angeborenen Vertrautheit leben, dank welcher jedermann an ihm manches nachsichtig erträgt, was an einem fremden unerträglich wirkt, habe ich dennoch
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selten einmal bei einem Kadaver so klar wie jetzt an meinem eigenen Fleisch erfahren, welch ein Nichts, vielmehr welch ein elendes und klägliches Wesen der Mensch ist, wenn er die Würdelosigkeit des Leibes nicht durch die Würde des Geistes wettmacht. 10. Kurz gesagt, unter den Händen der Ärzte und zwischen Angst und Hoffen zagend, liege ich hier in Rom schon vierzehn Tage krank, und diese Frist von Tagen ist nach meinem Empfinden länger und schwerer zu ertragen als die gleiche Zahl Jahre. Gewiss, im Bett zu liegen, müsste mir immer und überall lästig und mühselig sein, weil mein bisschen Geisteskraft – anders als bei den meisten Menschen – bei ruhigem Verweilen des Körpers erlahmt, dagegen bei dessen massvoller Rührigkeit auflebt; aber hier in der königlichen Stadt, an deren Anblick ich mich niemals sättigen könnte, ist mir das sogar grenzenlos unleidlich und lästig. Je mehr ich sie allemal betrachte, um so mehr staune ich und werde mehr und mehr gezwungen, alles das zu glauben, was immer man von ihr geschrieben hat. 11. Dennoch tröste ich mich über meinen Unfall und meinen Schmerz im Gedanken, dass der Himmel sie schickte. Mein Beichtvater ist gegen mich offenbar allzu milde verfahren, und so scheint es nun, was jener unterlassen habe, werde durch einen anderen nachgeholt. Schon bin ich zur Überzeugung gelangt, hierin zeige sich Gottes Gericht. Er wollte eben, dass der Mensch, dessen Seele sehr lange Zeit hinkte, bis er sie mit seiner Hand aufrichtete, in Zukunft an seinem Körper lahme und hinke. Überlegte ich richtig, durfte ich diesen Ausgleich keineswegs für bedauerlich und beklagenswert ansehen. Dank sei Ihm, der mir die Hoffnung erneuert hat, schon über kurzem Dich, aufrecht an Seele und Körper, wiederzusehen.12. Übrigens schreibe ich Dir, mein Freund,– wie der Brief durch sein Aussehen verrät – noch immer bettlägerig, tue es aber nicht in der Absicht, Dich mit meinem Unfall zu beunruhigen, sondern damit es Dich freue, dass ich ihn mit Gleichmut ertragen habe und noch viel Schlimmeres zu ertragen bereit wäre, wenn es mir zustiesse. Lebe Du glücklich! Bleibe gesund und vergiss uns nicht. Rom, am 2. November, in der Stille der tiefen Nacht (l350).15
Anmerkungen 1 In der Sammlung der Familiares ist dieser Brief der erste, der sich an Boccaccio richtet. Aber Petrarca hatte schon früher mit Boccaccio schriftlich verkehrt und ihn im Oktober 1350 auf seiner Wallfahrt nach Rom in Florenz persönlich kennen gelernt. Alle seine uns erhaltenen Briefe, die sich an Boccaccio richten, findet man unter „Adressaten“. 2 Daidalos, sagenhafter Erfinder; schuf sich und seinem Sohn Ikarus Flügel von beschränkter Flugtüchtigkeit. 3 Demokritos, im 5. Jh. v. Chr., Philosoph; zur Stelle vgl. Iuv. Sat. 10,52 – 53.
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4 Den Pilgern waren besondere Ablässe, Nachlass von Sündenstrafen, versprochen worden. 5 Im lateinischen Text steht als Zitat facundieque vehiculo nach Publilius Syrus in Macr. Saturn. 2,7,11. 6 Epist. 1,14,36. 7 Petrarca besuchte Rom 1337,1341 und wieder 1343 (bei der Reise an den Hof von Neapel und zurück). 8 Buc. carm. 8,76 – 77. Die Verse stammen vom Jahr 1347. 9 Vgl. Fam. 2,12 – 15. 10 Vgl. Fam. 4,4 – 9. 11 Es handelte sich um Freunde der Familie Colonna namens Pipini; sie wurden in Neapel gefangengehalten. Vgl. Fam. 5,2. 12 Petrarca meint, von Tieren könne man nur in uneigentlichem Sinn von Wollen sprechen; vgl. Fam. 5,10.7. 13 Das Pferd sinister ibat, sed multo sinistrior eventu; wobei sinister sowohl links wie verhängnisvoll bedeutet. Das lässt sich nicht verdeutschen. 14 Um den 20. Oktober. 15 Das vom Papst konzedierte Jubeljahr, das den Anlass zu Petrarcas Reise nach Rom bot, fiel auf 1350.
Fam. 11,2, an Giovanni Boccaccio1 Ein neuer Verlust. 1. Boccaccio klagte über seine Vernachlässigung. 2. Die Verse, die Petrarca ihm geschrieben hat, gingen verloren, wurden aber soeben wieder gefunden. 3. Sie bedürfen einer Anmerkung. 5. Der plötzliche Tod Giacomos (Jacopos) von Carrara beraubt den Dichter seiner einzigen Stütze. Padua, am 7. Januar (1351).
1. Lange Zeit ist verflossen, seit Dein mit Klagen befrachtetes Gedicht bei mir eintraf.2 Sein Hauptinhalt, sofern ich mich recht erinnere, lautete, selbst unter ganz gewöhnlichen und ungebildeten Leuten würden viele Schriftlein meiner Mussestunden herumgeboten, doch Du, nach meinen Arbeiten so begierig wie sonst keiner und für ihre Labsal dankbarer als jeder, müsstest als einziger leer ausgehen. 2. Darauf habe ich für Dich einige Verslein aufgesetzt, und zwar mit eiliger Feder, einzig um zu verhindern, dass Du meintest, ich würde Dein Jammern überhören. Doch kaum hatte ich sie verfertigt, als sie mir im Gewühl aufgestapelter Schriften verlorengingen. Obwohl ich sie mehrmals mit recht grossem Aufwand suchte, sind sie mir nie mehr unter die Augen gekommen, bis sie mir heute plötzlich bei einer anderen Verrichtung unerwartet in die Hände gerieten. Zuerst schien mir, es sei jetzt nicht die richtige Zeit, sie Dir zu schicken; doch weil – wie ich vertrauen kann und wie besagte Verse am Ende erklären3 – „bei Dir alles, was von uns kommt, Gefallen findet“ –, habe ich meine Meinung nicht ungern geändert. Du sollst eben sehen, dass meine frühere Nachricht, ich hätte sie verloren, nicht erlogen war. 3. Etwas allerdings füge ich nach der langen Zwischenzeit hinzu; weil ich Dir nichts von mir verstecken will, halte ich das für nötig. Jenes Gedicht, das ich damals geschrieben habe und das jetzt zu Dir gelangt, zeigte mich Dir als einen, der gegen Fortuna mit fast ebenbürtigen Kräften streitet und in diesem Treffen zwar nur mit Mühe standhält, dies immerhin nicht ohne grosse Hoffnung zu siegen. Inzwischen hat mich zweifellos die lange Zeit – so jedenfalls glaube ich – zum Sieger gemacht. Das Leben hat mich gelehrt, wie man Kämpfe des Lebens besteht. Schon begegne ich den Schlägen Fortunas nicht mehr mit Jammern und Klagen wie früher,4 sondern halte ihr die dicke Haut eines gestählten Mutes entgegen. Und statt zu wanken wie früher, bleibe ich unbeweglich aufrecht. 4. Daher hat Fortuna wütend, weil sie kaum hoffen kann, mich mit einer Wolke von Geschossen zu fällen, und geringeren Mitteln nur noch sehr wenig traut, schliesslich mit einer Maschine einen Brandpfeil durch meine Brust gebohrt. Hatte sie früher meine Flanke durch den Tod vieler Freunde entblösst und mein Leben damit grossen Schutzes beraubt, so hat sie nun durch einen plötzlichen und schrecklichen, ja völlig unwürdigen Tod mir den teuersten und liebsten Trost und meine ganze Zierde entrissen.
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5. Das war ein Mann, der jedes Lob verdient und sich vor allem durch eine gleichsam engelhafte Güte dermassen auszeichnete, dass ich stets wünschte, er möchte Dir und späteren Geschlechtern bekannt werden. Ich meine Giacomo von Carrara,5 der zweite hinsichtlich seiner Geburt, doch hinsichtlich der Tugenden und des Ansehens bei weitem der erste, der Herr von Padua, nein der Vater seiner Vaterstadt. Nach dem Tode des Königs von Sizilien6 war er unter allen meinen Bekannten auf dem Erdenrund noch der einzige wahrhaft eifrige Liebhaber der Studien, als Förderer wie Begutachter grosser Talente von grösster Gerechtigkeit. 6. Mir wird darum lieb sein, von den Ruhmestaten dieses Mannes zu sprechen und ihrer zu gedenken, so lange ich lebe. Und um bei der Sache zu bleiben, ist er es, dem ich in allem verpflichtet war und dem allein ich anhing! Doch nun hat ihn Fortuna mir genommen, ach auf wie grausame Weise und wie ungestüm! Damit hat sie mir das einzige Fundament meiner Hoffnung, wiewohl diese ganz nahe der Verwirklichung war, entrissen und mich zugleich zum Wanken gebracht.7 Immerhin stehe ich fest, zwar gramvoll, wie ich zugebe, aber mannhaft, unerschrocken und um so weniger verzagt, als ich kaum mehr eine gleiche Verwundung erwarte. Von jetzt an werde ich dieses schreckliche Ungeheuer zwar immer hassen und verachten, aber nicht mehr fürchten. Lebe wohl! Padua, am 7. Januar, in Eile, da der Bote drängt (1351).8
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 11,1 Anm. 1. 2 Boccaccio hatte im Sommer 1350 an Petrarca, den er noch nicht persönlich kannte, eine (heute verlorene) Epistola metrica geschickt, auf deren Inhalt hier knapp verwiesen wird. Petrarca antwortete mit Metr. 3,17. 3 Metr. 3,17,38 – 39. 4 Dies ein Hinweis auf seine Trauer beim Verlust vieler Freunde von 1347 bis 1349. 5 Giacomo (Jacopo) der Jüngere hatte dem Dichter ein Kanonikat an der Kathedrale von Padua und damit ein Anrecht auf ein Haus daselbst verschafft; er wurde am 19. Dezember 1350 ermordet. Vgl. Fam. 8,5,13 und den folgenden Brief. 6 Im Jahr 1343. 7 Der Verlust dieses Gönners war für Petrarca umso fataler, als zur gleichen Zeit seine Lage in Parma infolge der Anfechtungen durch den Bischof Rossi immer schwieriger wurde. Vgl. Fam. 9,5 vom Jahr 1351 (oder 1352). 8 Nach anderer Handschrift am 6. Januar. Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Hinweis auf die Ermordung des Freundes.
Fam. 11,3, an Giovanni Aghinolfi, Kanzler der Herren von Mantua1 Zur Ermordung Giacomos da Carrara. 1. Schwierigkeiten, das Leben des Verstorbenen zu würdigen. 4. Die grausame Tat. 10. Nichtigkeit des Lebens. Bekenntnis zur Stoa. 13. Petrarca verfasst am Grabe des Freundes ein Epitaph. Lonigo, am 12. Mai (1351).
1. Du forderst, vielmehr Du mahnst mich an meine Verpflichtung, die Ruhmestaten und das Schicksal des jüngeren Giacomo Carrara in gehobenem Stil zu würdigen. Über diesen besten Menschen, der sich auch bestens um uns verdient gemacht hat und der bis vor kurzem zwar als Herr von Padua galt, in Wirklichkeit aber nichts weniger als Herr und nichts mehr als wahrster Vater des Vaterlandes war, soll ich Dir als meinem Gefährten in Liebe und Trauer von hier aus etwas Schriftliches zusenden. 2. Die Aufgabe ist klein, sofern man bei Äusserlichkeiten verbleibt, doch wenn man tiefer gräbt, ist sie sehr viel beschwerlicher, als Du annimmst. Denn die Vortrefflichkeit dieses Mannes erfordert ein wahres Panegyricum und eine Tragödie sein Tod, das heisst zwei sehr anspruchsvolle Werke dichterischer Bemühung! Einen umfangreichen und überbordenden Stoff legst Du vor, jedoch zu einer Bearbeitung, die eher mit beredter Schilderung vollbrachter Taten als mit besonderer Dichtkunst sich Lob verdienen könnte. 3. Was hätte diesem Mann von all dem gefehlt, was der Verherrlichung würdig wäre? Und was mangelt uns selber zu unserem Trauern und Sehnen? Von Natur aus ist die Trauer redselig, und die Sehnsucht entbrennt in gegenseitiger Aussprache. Ein verlockendes Werk also, Dir über ihn zu schreiben und von den beiden Grenzen des guten Geschmacks die eine, das heisst „das Allzusehr“,2 nicht fürchten zu müssen, ja sogar unter dem Beifall ganz Italiens und mit dem einstimmigen Zeugnis der Guten und ohne Einspruch selbst der Bösen vor einem Freundesohr ihn, den Du liebst, zu loben. 4. Berücksichtigen müsste man dabei die unwürdige und absurde Art seines Todes, in welcher denkbar klar die Zuverlässigkeit des volkstümlichen Sprichworts erkennbar wird: „Herr über fremdes Leben wird jeder, der das eigene verachtet.“3 Wie plötzlich ist es doch geschehen, dass er im hintersten und entlegensten Gemach seines erlauchtesten Hauses, umringt von einer unzähligen Menge höchststehender Personen, vornehmer Freunde und einer Garde von Leibwächtern, am hellichten Tag bei einem Fest und während er sich sicher und unbeschwert fühlte, der Wut und dem blutgierigen Rachen eines ekelhaften und verzweifelten Hundes verfiel!4 Und damit zur Unmenschlichkeit nichts fehle, war es ein Hund, den er eben an jenem Tag an seinem Tisch noch ernährt hatte und den er auch sonst zu ernäh-
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ren gewohnt war! Deshalb meine ich, menschliche Augen seien niemals durch ein schändlicheres Schauspiel befleckt worden. 5. Wenn sogar wir, die vom Verbrechen bloss hörten, dermassen erschüttert sind, was mögen da jene empfinden, die es ansehen mussten, wie der gütigste der Menschen, der eines besseren Todes mehr als jeder andere würdig war, mit dem unnennbaren und mörderischen Ungeheuer im gleichen Augenblick und sozusagen in einem einzigen Taumel zu Boden sank! 6. So überstürzt und unerwartet schlug das Unheil ja zu und so unglaublich war der Schrecken der Anwesenden, dass sogar die treuesten Herzen, die zur Errettung des geliebten Hauptes gleichmütig den Tod hätten ertragen wollen, dem Verscheidenden eine rechtzeitige Hilfe zu leisten unfähig waren. Denn es musste den einen genügen, den Sterbenden aufzuheben, während die andern diesem unsagbaren, von tausend Wunden zerfleischten Schlächter den Rest gaben. Ach so ganz verschieden ist diese Rache dem Verbrechen! Ach so gänzlich gleich ist der Ausgang dieser völlig ungleichen Menschen mit ihren gegensätzlichen Zielen! 7. Angesichts dieser Umstände habe ich mich bis heute Deiner Bitte widersetzt, und zwar nicht aus Furcht vor den Mühen und nicht ob der Last meiner Pflichten, obwohl die einen fast immer da sind und die anderen nie wegfallen. 8. Nein, ich tat es einzig in der Furcht, die Gewalt meines Schmerzes könnte sich mindern und mein Herz nachher vielleicht erkalten. Denn dieses freut sich, seines grossen Freundes zu gedenken und ihn zum unerschöpflichen Gegenstand seiner Trauer zu behalten, ja es fürchtet geradezu, die Augen könnten ihm trocknen. Und so behält es täglich etwas zurück – ach traurige Sparsamkeit! –, damit es von ihm erzählen, etwas ins Gedächtnis zurückrufen und beweinen könne, und es hegt dabei den Vorsatz, das Antlitz dieses Mannes, seine Sitten, seine Fähigkeit und sein Schicksal immer gegenwärtig zu haben und bei der Betrachtung all dessen nichts anderes zu beklagen als das Ende. Dabei leugne ich nicht, dass dies eher von menschlicher Wehmut als von philosophischer Starkmut zeugt. 9. Wie oft steige ich auf den Stufen der Vernunft zu jener höchsten Burg des vergeistigten Sinnes5 empor, wo man so gut wie auf den höchsten Jochen des Olymp die Wolken zu seinen Füssen erblickt! Da sehe ich, wie wir mitten im Gewölk der Sachzwänge und im Nebel der Irrgänge durch gar zu grosse Finsternis wandern. Ich sehe, dass es ein Nichts ist, worüber wir hin und wieder in diesem Leben erfreut sind oder trauern, ein Nichts, was wir so ungemein verlangen oder verabscheuen, und dass es lauter Lächerlichkeiten sind, derentwegen wir uns abquälen, lauter Gespenster, die uns kindische Greise erschrecken, ein ganz unbedeutendes Lüftchen, das uns niederwirft und aufhebt, wahrlich, als wären wir so haltlos wie ein Schilfrohr. 10. Ich sehe, wie selbst das, was wir Leben heissen, der Schatten eines Nebels ist oder ein Rauch, von Winden entfacht, oder schliesslich auch ein verworrener Traum oder ein unerfülltes Geschwätz oder was man sonst an noch Eitlerem nen-
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nen kann. Ich sehe, dass unter allem, was den Sterblichen zugehört, nichts Bestand hat ausser der Tugend und dass nur sie allein beglückt, wen immer sie umfängt, und dass elend ist, wen immer sie verlässt. Und ich trete mit beiden Füssen, wie man sagt,6 zur stoischen Lehre über, so nämlich, dass ich den Definitionen aller Philosophen diese voranstelle, weil sie erklärt, die Tugend bestehe im richtigen Denken von Gott und im richtigen Handeln unter den Menschen. 11. In der Tat, wem eine solche Geisteshaltung eigen ist, der kann nie mehr ein bejammernswertes Schicksal haben, sondern viel eher eine wünschenswerte und beneidenswerte Seligkeit erlangen. Und doch werden wir, ein schwaches und hinfälliges Geschlecht, als „Menschen, die in den tiefsten Tälern zu Hause sind,“7 von schwerer Last bedrückt. Wir steigen nur selten zur Höhe empor und schwatzen daher, was dem Gewöhnlichen näher kommt als dem Wahren. Das ist der Grund, weshalb ich und viele Leute klagen, oft über unbedeutende, oft über nichtige und öfters sogar über glückliche Zustände. So gross ist die Verkehrtheit unserer Wünsche, so gross die Blindheit unserer Seelen! Doch sieh, schon sind wir allmählich von unserem Vorhaben abgeschweift! Kehren wir doch zum Anfang zurück! 12. Ich habe also noch nicht gewagt, aus dem sich bietenden Stoff etwas Zusammenhängendes zu weben. Den Grund hast Du gehört. Übrigens bereitet mir auch jeder Tag infolge der menschlichen Schwächen, an denen ich noch immer leide, manch neuen Kummer wegen dieses Todes, und so wäre ich, wollte ich alles Beschwerliche der Schrift anvertrauen, zu gar nichts anderem mehr fähig, weshalb ich es besser den Winden übergebe. 13. Immerhin doch einiges der Schrift! Unter anderem auch das, was ich kürzlich bei meiner Abreise aus Padua mir in Erinnerung rief: Dass ich gebeten sei, für die teure und geliebte Asche eine Grabschrift zu verfassen – was ich ja ungebeten hätte tun sollen –, und dass ich es vernachlässigte, indem ich es von Tag zu Tag aufschob. Ich bedauerte und schämte mich dabei, dieser so heiligen und so sehr geschuldeten Pflicht immer wieder irgend etwas vorgezogen zu haben. 14. Und weil schon viele Menschen sich an mich herandrängten, um in erster Linie die Erfüllung des Versprochenen zu fordern, und weil solches zu leugnen meine Scham nicht zuliess und ihm nachzukommen meine Zeit kaum erlaubte, – was sollte ich tun? Plötzlich fasste ich den Entschluss, den Musen, wie immer möglich, die Sporen zu geben, und ging darauf mit wenigen Begleitern zur Begräbnisstätte, um sozusagen eine Erlaubnis, die ich vom Lebenden einzuholen gewohnt war, vom Verstorbenen zu erbitten. 15. Es war zu ungeeigneter Tageszeit; die Tore zum Heiligtum8 waren geschlossen und die Aufseher hielten Mittagsruhe. Da man mich nur ungern hineinliess, gebot ich meinen Begleitern zu warten, näherte mich dem Grab allein, setzte mich bei ihm nieder und sagte dem stumm verharrenden Gebein gar manches. Dort also
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habe ich – wegen meiner knappen Zeit nur ganz kurz verweilend, aber nicht ohne Tränen – sechzehn Verse gedichtet, die ich eher meinem glühenden Verlangen als einer Bemühung und Künstlerschaft verdanke. Kaum waren sie aufgesetzt, habe ich sie den wartenden Freunden ausgehändigt und diese mit der Ermahnung verlassen, sie möchten, wenn ihnen oder mir nichts Besseres einfalle, auswählen, was ihnen recht scheine, und es gemäss ihrem Gutdünken in den Marmor meisseln lassen, den zu glätten der ausgezeichnete Fleiss der Künstler soeben bemüht ist. 16. Und damit Dir von unseren Werken nur ja nichts entgehe, ob sie nun wohlüberlegt oder bloss rasch und vom Fleck weg verfasst wurden, habe ich die Verslein am Ende dieses Briefes angefügt. Lebe wohl! Lonigo, am 12. Mai (1351).9
Eng ist das Haus für den mächtigen Mann! Des Vaterlands Vater Ruht unter kleinem Gestein samt unsrer Hoffnung auf Heil. Lenkst Du Dein Auge hierher, Betrachter, wer immer Du sein magst, Lies da vom Unglück der Stadt, füge zum Schmerz Dein Gebet! Ihn zu beklagen sei fern! Denn Tugend erhob ihn zum Himmel, Da die Gerechtigkeit lohnt nach eines Menschen Verdienst! Dennoch, den schweren Verlust unsrer Stadt und der Guten Enttäuschung Ist zu beweinen erlaubt, drückt sie doch bittere Not. Ihn, den Carrara dem Volk und den Vätern erst kürzlich zum Lenker Freundlich bestimmte, entzog Padua neidisch der Tod. Keiner hat jemals wie er seine Freunde mit Liebe umfangen, Während er jeglichem Feind Schrecken erregte im Kampf; Unübertroffen im Kreis aller Guten, besorgt um die Seinen, War er der Missgunst abhold, immer auf Treue bedacht. Wahre daher die schöne Gestalt in frommem Gedächtnis, Nachwelt! Und rechne den Ruhm Jakobs dem Seltensten zu.10 Anmerkungen 1 Der Adressat war Kanzler der Gonzaga in Mantua. Vgl. den vorangehenden Brief. Die folgenden Anmerkungen stützen sich auf Dotti, Fam. zu Brief 11,3. 2 Ter. Andria,1,1,61. 3 Bei Sen. Ad Lucil. 4,8. 4 Die Ermordung fiel auf den 19. Dezember 1350. 5 Von dieser Burg und Höhe der Ratio spricht Petrarca mehrfach, so in Fam. 7,12,16 und Fam. 12, 14,1. 6 Liv. 9,8,13; 22,56,1. und oft. 7 Verg. Aen. 3,110.
Fam. 11,3
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8 Sant' Agostino wurde 1819 abgerissen. 9 Lonigo liegt auf ungefähr halber Strecke zwischen Padua und Verona. Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Hinweis auf die Ermordung. 10 Die Inschrift befindet sich heute in der Kirche der „Eremitani“ an der linken Seitenwand; vgl. Dotti zu Fam. 11,3, Anm. 5.
Fam. 11,4, an Bischof Philippe von Cavaillon1 1. Petrarca steht vor der Abreise in die Provence. Dem Freund ebendort beschreibt er sein letztes Ziel. (1351)
1. Um vieles sorge ich mich Deinetwegen seit langem, bin dabei ängstlich und nach einem Gespräch mit Dir begierig. Doch in der Beengtheit der Zeit und des Herzens bin ich jetzt gezwungen, rasch das Ziel vorwegzunehmen; es ist ja, wie die Philosophen behaupten,2 für einen Denkenden das erste, für einen Handelnden das letzte. Wie ich es mir vorstelle und heftig wünsche, wirst Du sehen, freilich ohne all das, was zu ihm hinführt. Denn Ort, Zeit, Ungeduld der Boten und Lärm der Begleiter verbieten mir, auch das zu erwägen. 2. Übrigens schildere ich das Ziel nun nicht in einer Abhandlung, sondern presse es – denn mir ist das Gedicht als ein Freund der Kürze bekannt – in acht Verszeilchen, wie der Zufall sie meinem vielbeschäftigten Verstand in städtischer Bedrängnis und waldigem Dickicht eben eingab.3 Immerhin hoffe ich, Du werdest aus ihnen, wenn Du beim Lesen den Schreibenden vor Augen hast, sowohl seine Wünsche als auch die Verfassung seines ermüdeten und schwer betroffenen Gemütes erkennen. Lebe wohl! Vaucluse: so heisst man den Ort, der wie keiner auf Erden mir lieb ist, Wer sich den Studien weiht, rühmt ihn als treuesten Hort; Vaucluse besucht ich als Kind, und wenn später der Jüngling zurückkam, Nahm ihn das sonnige Tal neu an die wärmende Brust. Vaucluse ist Zuflucht dem Mann, der selig die besseren Jahre Glänzenden Fäden gleich weiter verspinnt und verwirkt. Vaucluse, hier möcht ich als Greis meine letzen Zeiten verbringen. Hier unter Deinem Geleit4 sei mir zu sterben vergönnt. (April/Mai 1351)5 Anmerkungen 1 Vgl. die früheren und späteren Briefe an den Adressaten, vor allem auch die zeitlich rasch folgenden Fam. 11,10; 11,11. 2 Aristot. Eth.Nic. 1112 b, 23 – 24. 3 Stadt und Wildnis waren die Aufenthaltsorte des Dichters. 4 Offensichtlich eine Anrede an den Bischof, zu dessen Diözese auch Vaucluse gehörte. 5 Petrarca reiste im Mai/Juni 1351 von Oberitalien in die Provence zurück. Zur Datierung vgl. Wilkins, Studies, 83 und Petr. Corresp. 66.
Fam. 11,5, an die Florentiner1 Dank für Gunsterweise der Vaterstadt Florenz. 1. Petrarca strebt nach den wahren Werten. 3. Er freut sich über das angebotene Geschenk und dankt mit hochtönenden Worten. 10. Er nennt die Vorteile der Besitzlosigkeit. 14. Er hofft auf dauernde Übereinstimmung zwischen der Stadt und seiner Person. 15. Giovanni Boccaccio soll der Stadt Petrarcas Antwort erläutern. Am 6. April (1351).
1. Schon meine ich, lange genug gelebt zu haben, beste Bürger, und glaube, jenes Wort eines weisen Freundes zu vernehmen: „Stirb, derweil Du fröhlich bist; denn auffahren zum Himmel wirst Du nicht.“2 Ausgezeichnet! Woher kommt denn diese unersättliche Begierde zu leben? Nach der Tüchtigkeit des Geistes und nicht nach der Zahl der Jahre ist das Glück zu bemessen, und hat man sein Ziel erreicht, muss man einhalten. 2. Wagen darf ich also, mich vor Euch vertraulich einer Gesinnung zu rühmen; und ich tue dies mit um so grösserer Zuversicht, als mein Ruhm, was immer er wirklich oder dem Scheine nach sein kann, für Euren eigenen unermesslichen Ruhm nur eine winzige Zugabe bedeutet. Niemals nämlich habe ich Reichtum und Macht begehrt, und dabei wäre mir vielleicht erlaubt gewesen, zwar nicht danach zu greifen, aber doch danach zu trachten. Denn von frühester Jugend an habe ich gering geachtet, was vielen stets als etwas sehr Grosses erschien. Warum ich so bin, weiss ich nicht; doch dass ich die Wahrheit sage, bezeugt mein Leben, bezeugt meine Rede, bezeugt mein Gewissen. 3. Dagegen habe ich all mein Sorgen und all mein Wachen darauf gerichtet, durch irgendein Bemühen als Geschenk zu empfangen, dass ich gut würde oder etwa eines Wohlwollens von seiten der Guten nicht unwürdig wäre. Das erste habe ich noch nicht erlangt, und ich beklage es; doch in welchem Übermass und zu welcher Überraschung ich das andere mit Eurer Gabe erreicht habe, sagt mir der liebenswürdigste Inhalt Eures Schreibens, das mir wahrhaftig nicht weniger Staunen erregt hat als Freude. 4. Ja, ich freue mich und (wie Plutarch zum Fürsten Traian3 gesagt hat) beglückwünsche Euch zu Eurer Grossmut und mich zu meinem reichen Gewinn.4 Doch über alles Glaubhafte hinaus erstaunt mich, dass sogar zu dieser Zeit, die ich an allem Guten so unfruchtbar zu sein glaubte, und auch bei so vielen Menschen – was das Wunder erst voll macht – so viel an volkstümlicher (um dieses Wort zu gebrauchen) und öffentlicher Spendebereitschaft da ist. „Daraus lässt sich erkennen“, um mit Cicero5 zu sprechen, „welch grosse Ehre der gespendeten Wohltat eigen ist, wenn die empfangene so viel Rühmliches in sich hat.“
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Fam. 11,5
5. Hätte ich etwa als ein in Eurer Stadt Anwesender mit Bitten oder Wünschen Herrlicheres und Bedeutenderes erlangen können, als was Ihr, ansehnliche und erlauchte Männer, mir trotz meiner Abwesenheit und meinem Schweigen gewährt habt? Wo in aller Welt hätte ein Vaterland einem sogar wohlverdienten Bürger so grosse Freigebigkeit und so grosse Hochschätzung entgegengebracht? 6. Man durchforsche das Altertum; man lege die Geschichtsbücher vor! Aus dem Exil hat die Stadt Rom ihren Cicero zurückgerufen. Zurückgerufen hat sie auch Rutilius6 und Metellus, und zwar aus dem von ihr selbst verfügten Exil. Zurückgerufen hat sie Camillus,7 dies infolge ihrer äusserst schwierigen Lage. Und so wie bei ihnen allen die Ausweisung ungerecht war, so war bei allen auch der Rückruf gerecht, jedoch bei Camillus geradezu notwendig und beinah gewaltsam erzwungen. Zurückgerufen haben die Athener Alkibiades,8 und dies unter recht ähnlichen Umständen und in einer beinah eben so grossen Notlage. Wo aber ist je mit einem Volksentscheid oder Senatsbeschluss, obwohl für das Vaterland keine Gefahr bestand, ein abwesender Bürger ohne sein Zutun zurückgerufen worden? 7. An Vergil hat Caesar Augustus einen Acker zurückgegeben; er selber hatte ihn beschlagnahmt.9 Wo aber wurde je ein Acker, welcher durch die Schuld eines Vaters oder der Ahnen verlorenging, durch einen öffentlichen Beschluss einem Sohne zurückerstattet? Unerhört sind diese Zeichen Eures Wohlwollens, unerhört ist Euer Edelmut! Und wenn grosse Seltenheit von fast ebensolchem Glanze begleitet wird, wie hell muss dann der Lichstrahl Eurer beispiellosen Wohltat aufblitzen! Ich werde gerufen; doch bitte als wer und von wem? Und mit wie gewichtigen Wünschen, mit wie gebieterischen Lockungen und mit wie grosser Erwartung? 8. Der Acker meines Grossvaters wurde gewissen Privatpersonen mit Staatsgütern abgekauft und wird mir zurückgegeben! Und mit welcher Beredsamkeit wird er beackert, mit welchen Blüten der Redekunst geschmückt! Und welchen Duft verströmt er zu meinem Lob! Und wie glänzt er fett bei der Ernte Eurer Tüchtigkeit. Wem hat je ein so fruchtbares, so heiteres Äckerlein gegrünt? Den von Natur aus recht harten Boden hat Euer Fleiss bezähmt, weswegen ich bereits weder Afrika noch Sizilien um ihre Früchte beneide und auf Campanien, um das Bacchus und Ceres sich streiten, von meinem üppigsten und heitersten Landsitz aus spotte, weil ich ja im Geist den üppigen Wohlstand selbst eines Königs übertreffe. 9. Möchte ich doch erreichen, dass dieser grosse Gunsterweis Eures Gemeinwesens, der jetzt einzig Eurer Freigebigkeit Frucht ist, einmal auch meinen Verdiensten gebühre. Denn weit höher werte ich ja auch die Meinung, die Ihr von mir hegt, und das mit Eurer Gabe verbundene ehrenvolle Lob als den (mir nicht etwa zurückgegebenen, als viel mehr) eigentlich geschenkten Acker mit all dem, was man darauf sät und ringsum anbaut. Dass es so ist, werde ich ohne Schwierigkeit durch jene bezeugen lassen, die dank einem Umgang mit mir eine gewisse Kenntnis meiner Lebensauffassung besitzen.
Fam. 11,5
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10. Was denn könnten mir ein unermesslicher Durst nach Reichtümern und eine angstvolle und mühsame Erweiterung eines Grundstückes gewähren? Gewiss, je weiter ich eine Grenze hinauszuschieben und je mehr ich sie auszudehnen vermöchte, desto deutlicher müsste ich erkennen, wie viel noch vor mir liege, und um so klarer müsste ich sehen, dass selbst das erweiterte Landgut noch schmal und ich selber noch mittellos bliebe. Und ach, wie überflüssig wären solche Anstrengungen, da der Habgier ohnehin nichts genügt! Und wie wenig genügt dagegen der Natur, welches Bisschen dem Grab! Wer mit ausgedehnten Königreichen nicht zufrieden ist, liegt schliesslich doch in enger Urne, und dabei ist selbst ohne diese gut zu leben und selig zu sterben gestattet! 11. Nun also, ruhmreiche Bürger, hat gerade diese Eure Güte im Mass, als sie Euch ewiges Lob verschafft, mir nicht geringe Ermutigung geschenkt. Denn ich habe den lieben und teuren Sitz zugesprochen erhalten, auf dem mein Vater, Grossvater und Urgrossvater, ein Mann arm an Bildung, aber reich an Verstand,10 zudem auch meine übrigen Vorfahren – ausgezeichnet nicht mit rauchgeschwärzten Ahnenbildern,11 wohl aber mit zuverlässiger Treue – in langer Reihe gesessen und gealtert sind. Ich selber habe zwar, ob Natur oder Fortuna mir Flügel verschafften, weit wegzufliegen gelernt.12 12. Doch wird mir nun dank Eurer Verfügung endlich das heimische Nest bereitgestellt, damit ich dahin – schon müde vom langen Herumirren – endlich zurückfliege. Dass dies etwas Grosses ist, bestreite ich nicht. Dennoch ist erst jenes andere etwas Überragendes, dass nämlich dieses öffentliche Geschenk mit so grosser Lobeserhebung meines Namens (und wäre ich ihrer nur würdig!), mit so grosser Inständigkeit der Bitten und so grosser Freundlichkeit der Rede gewürzt ist! Aus Stein müsste ich sein, würde mir das nicht dank Eurer Güte eine ewige Leuchte auf dem Weg zu hohem Ansehen und ein ewiger Ansporn zur Tüchtigkeit werden. 13. Sage ich also für solche Gabe nur ungleichen Dank, so liegt das nicht an einer Undankbarkeit meines Herzens, sondern an einem Übermass Eurer Gunst. Ich spreche immerhin Dank aus, wie ich vermag, und gewiss einen grossen, hege jedoch im Innern, wie Cicero sagt,13 „einen noch grösseren“, doch fehlt mir, um ihn auszudrücken, der angemessenere Ausdruck und eine glücklichere Beredsamkeit. So sehr fühle ich mich durch Eure Schenkung überschüttet und umschlossen, dass alles, was ich sagen könnte, weit weniger wäre, als ich sagen wollte. Nur das eine Wort möchte ich am Ende nicht übergehen, das ich, wie mir erinnerlich, im vorigen Jahr nach meiner Rückkehr aus Rom zu jenen ruhmvollsten Männern sagte, die damals die Zügel Eures Gemeinwesens lenkten.14 14. So hoch erhebt mich die Menschlichkeit meiner Vaterstadt, dass ich, geringstes Menschlein, mir die Antwort anzueignen wage, die einst Kaiser Augustus dem Senat für die Freude eines doch nur kurz dauernden Titels unter Tränen gegeben hat.15 Ich will sie vor Euch im Hinblick auf so ehrenvolle Gaben und Worte wieder-
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holen; sie lautet: „Da ich meine Wünsche erfüllt sehe, versammelte Väter, kann ich den unsterblichen Gott wahrlich um nichts weiteres bitten, als dass mir gelinge, die Übereinstimmung unter uns bis zum letzten Ende meines Lebens zu bewahren.“ 15. Was alles ich über meine Rückkehr denke, wenn Gott sie begünstigt, und wie sehr ich Euren Anordnungen zu gehorchen verlange, will ich nun aber nicht schriftlich festhalten, sondern wenigstens zum Teil der mündlichen Mitteilung überlassen. Euer vortrefflicher Bote Giovanni Boccaccio,16 durch den ich Euren Brief mit Euren Ermahnungen und Befehlen erhalten habe, wird vor Euch die Sache verhandeln, sowohl diese Epistel Euch zuverlässig überbringen, wie auch meine Liebe zu Euch aufs beredsamste schildern. Und wenn Ihr ihn hört, so nehmt seine Worte, als wären sie von mir selber ausgesprochen.17 Möchten Euch in Eurer herrlich blühenden Republik stets Glück und Wohlergehen beschieden sein! Am 6. April (1351).18 Anmerkungen 1 Im März 1351 hatte Boccaccio den Dichter Petrarca in Padua besucht und ihm dabei ein Schreiben der florentinischen Zünfte und des Gonfaloniere di Giustizia übermittelt. Darin wurde die Verurteilung von Petrarcas Vater vom Jahre 1302 widerrufen und die Herausgabe der damals konfiszierten Güter angekündigt. Auch eine Professur an der 1349 errichteten Universität wurde Petrarca angeboten. 2 Überliefert bei Cic. Tusc. 1,46,111. Petrarca, 1304 geboren, stand im 47. Altersjahr. 3 Marcus Ulpius Traianus, geb.53, Kaiser 98 – 117. 4 Inst. Trai. bei Jo. Saresb. Policraticus 5,1,1. 5 Pro Marc. 1,3. 6 Fast gleiche Aufzählung von Vertriebenen und Begnadigten in Fam. 2,3,9 – 13. P. Rutilius Rufus ging freiwillig nach Asien; Caecilius Metellus Numidicus freiwillig nach Rhodos; beide wurden in den neunziger Jahren v. Chr. zurückgerufen. 7 Konsul und Diktator, 5./4.Jh. Seine Verbannung wegen angeblicher Unterschlagung ist Sage. 8 Athenischer Staatsmann, ca. 450 – 404. 9 Verlust von Familiengütern wahrscheinlich bei den Landanweisungen von 41 v. Chr.; Vergil wurde später entschädigt. 10 Die letzten Vorfahren waren Notare. Besonders geschätzt war zu seiner Zeit, wie Petrarca Fam. 6,3,26 – 27 berichtet, der Urgrossvater väterlicherseits Garzo. 11 Cic. In Pis.1,1. 12 Ein Hinweis auf die langen Jahre des Exils in der Provence und in Oberitalien. 13 Pro Marc. 11,33. 14 Wahrscheinlich wurde bei Petrarcas Rückkehr von seiner Pilgerfahrt 1350 bereits über eine Restitution der Güter verhandelt. 15 Bei Suet. Aug. 58,2. 16 Vgl. G. Auzzas, Studi sulle Epistole, I. L' invito della Signoria fiorentina al Petrarca, in: Studi sul Boccaccio 4, 1966, 203 – 240. 17 Petrarca lehnte das doppelte Angebot ab und erweckte damit den Unwillen der Signoria, welche die Schenkung rückgängig machte. 18 Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Hinweis auf die vorangehende Wallfahrt nach Rom.
Fam. 11,6, an Giovanni Boccaccio1 Über die Reise an die Kurie. 1. Petrarca klagt wegen Verzögerungen durch Besuche bei Freunden. 3. Er verspricht Briefe. 5. Sein Ziel ist die Kurie in Avignon. 8. Den Sommer wird er in Vaucluse verbringen. 9. Im Herbst wird er den Ort für immer verlassen. 10. Er grüsst die Humanistenfreunde in Florenz. Verona, am 1. Juni (1351).
1. Schon könnte ich für beinah wahr ausgeben, was in einer Fabel2 zu lesen steht, es sei nämlich das von Phoebus3 geliebte Mädchen mitten in seinem Lauf erstarrt und, indem es die Erde zu berühren meinte, an plötzlich gewachsenen Wurzeln hängen geblieben. Gewiss habe auch ich, was ich nicht wusste, hin und wieder anstelle gefügiger und beweglicher Füsse sehr zähe Wurzeln. 2. Ich hatte Dir versprochen, am 18. April Padua4 zu verlassen; doch kaum gelang mir, am 3. Mai von da wegzugehen, nein, ich spreche unrichtig; soll heissen: mich loszureissen. In Verona hatte ich zwei oder drei Tage zu bleiben beschlossen; doch auch hier verstrich infolge von Verzögerungen fast ein Monat. Und obwohl gerade in dieser Jahreszeit die Stadt ausnehmend schön ist, hat mir bei meinem dringenden Verlangen nach einem anderen Ziel dieses Stillsitzen da beträchtlichen Überdruss bereitet. Mich aus den liebreichen Fesseln eines sehr nachsichtigen Freundes5 herauszuwinden, ist mir bisher nicht gelungen, und das wirkt auf mich fast wie ein tagtäglicher Karzer. Denn wenn mir auch nichts lieber und wünschenswerter ist als die Zuneigung und Anhänglichkeit meiner Freunde, ist mir doch eine Wertschätzung, die mich mehr einschränkt, als für mein Studium gut ist, oft ein Grund zur Klage gewesen und wird es bleiben, so lang ich lebe.6 3. Nach meinem Abschied von hier reise ich noch heute nach Mantua, zur berühmten Geburtsstadt unseres Vergil. Dort erwartet mich ein neues, ähnliches Fangnetz,7 aus dem ich mich jedoch, so meine ich, rascher werde herauslösen können. In Parma droht mir jetzt von seiten meines einstigen Freundes keine Verzögerung;8 so weit ist in kurzem die Wandlung unseres Verhältnisses gediehen. Und in allen übrigen Städten und Ortschaften meiner Reiseroute habe ich nichts zu erledigen. Ich werde Dir also – sofern ich am Leben bleibe – schon bald aus meinem ländlichen Sitz jenseits der Alpen9 Nachricht geben, was heisst, dass Du von mir keinen Brief mehr erwarten darfst, bevor ich Dir von dort meine Ankunft mitteile. 4. Wie lange ich dort aber bleibe? Fortuna, die unsere Lage und Pläne herumwälzt, gibt das Mass an. Ich jedenfalls (wie wahrscheinlich nicht allein Dir, meinem vertrauten Freund, sondern auch allgemein bekannt ist) wünschte nach reiflicher Überlegung aller Umstände, und wenn es mir von oben gegeben würde, auf eben jenem Gut den Rest meines Lebens zu verbringen. Denn wenn dem genannten Ort auch manches von dem fehlen mag, was das Vergnügen begehrt und was eine Stadt
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im Überfluss bietet, besitzt er doch alles, was eine Stadt vermissen lässt, für mich aber grösste Freude ist: Freiheit, Musse, Stille und Einsamkeit.10 5. Zwei Dinge freilich sind mir dort widerwärtig: die Entfernung von Italien, wohin mich eine natürliche Neigung zieht, und die Nachbarschaft mit Babylon,11 diesem grässlichsten Ort, welcher der Hölle sehr ähnlich ist und vor dem meine Natur mich ebenso warnt wie auch rettet. 6. Ertragen könnte ich dennoch beides, Bitteres mit Süssem vermischend, gäbe es da nicht noch anderes, das meiner Feder widerstrebt und mich wünschen lässt, der Aufenthalt dort werde wirklich sehr kurz sein. Es müsste denn etwas Neues eintreffen, von dem ich aber nicht ahne, was es sein würde. Soviel aber weiss ich, dass es durchaus nichts gibt, was dem Menschen, diesem hinfälligen und sterbliche Wesen, nicht zustossen könnte, mag er in seinem Elend auch aufbegehren. Verborgen ist also der Verlauf der Ereignisse und nur die gegenwärtige Absicht unverborgen. Sie soll weder Dir noch unseren Freunden verschwiegen sein. 7. Den römischen Bischof, den unsere Väter am Ufer des Tibers zu suchen pflegten, den wir hingegen am Ufer der Rhone finden,12 werden unsere Enkel vielleicht einmal am Tejo aufsuchen, damit offenkundig werde, dass es nichts gibt, was eine lange Zeitdauer nicht verwirre und verschiebe und was dem Untergang nicht entgehe. Das möge jener heilige und gestrenge Fischer wohl bedenken,13 der so gut, wie er die Rhone kennt, zweifellos auch vom Tejo und von der Seine weiss und dennoch sein Schifflein und seine Netze in den Strudel des Tibers verankert hat. Er möge bedenken, sage ich, wessen Kahn nun die Stürme umherwerfen und wessen Häfen man nun verlässt! Bedenken sollten das ebenso die Steuerleute! Wir selber sind Passagiere, werden von hochgehenden Fluten dahingejagt, teilnehmend am Schicksal, nicht an der Schuld. 8. Diesen Bischof also, den ich nun nicht aufsuchen kann, wo ich wollte, will ich aufsuchen, wo ich kann, und gleichzeitig nach den mir übrig gebliebenen, den zerstreuten, lieben Freunden ausschauen, um allen14 ein letztes Lebewohl zu sagen und gleich darauf „die grausamen Gegenden und gierigen Gestade“15 zu fliehen. Dann werde ich auf unserem Landstück, der fünfzehntausend Doppelschritte entfernt an der herrlich klaren, schön rauschenden Quelle der Sorgue liegt, in Ruhe das Ende des Sommers abwarten, verweilend zwischen Hainen und Bächen und mitten unter verschiedensten Büchern, die dort unter einem bäurischen Wärter eingesperrt schweigen und schon seit vier Jahren auf mich warten. 9. Denn wenn ich auf den bekannten Spuren sogleich nach Italien zurückkehren wollte, müsste ich mein Körperlein, das zwar von Kindheit auf an ständige Mühen gewohnt ist, durch eine vielleicht allzu grosse Hitze erschöpfen. Dabei schone ich es ja wohl zu keinem anderen Zweck, als um es desto länger zu quälen und zu ermüden! Der Herbst wird mich zurückführen, so hoffe ich, samt den lieben Büchern, die ich meiner Bibliothek in Italien16 einzufügen gedenke.
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10. Da hast Du die Gründe für meine Saumseligkeit in der Vergangenheit und einen Überblick über meine Absicht für die Zukunft. Denn es soll sich bei Dir keine Verwunderung und keine Unsicherheit einschleichen. Noch bleibt mir zu mahnen, Du möchtest unserem Senat17 – Du weisst ja, was ich ihm schulde – meine Person mit fleissigen Zeichen der Ergebenheit empfehlen und schliesslich auch unsere drei Compatrioten,18 ausgezeichnete und höchst bewährte Freunde, von mir grüssen, zwar mit Deinem Mund, aber mit meinen Worten: Ihr Wesen und ihre Reden trage ich, wohin ich auch gehe, mit mir und entführe sie, ohne dass sie es merken, selbst auf die längsten Reisen. Lebe wohl! Verona, am 1. Juni (1351).19
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Vgl. Fam. 11,1, Anm. 1. Ov. Metam. 1,551. Fabel von Daphne. Phoibos, Apollon. Zum Aufenthalt Petrarcas in Padua vgl. Fam.11,2. Gemeint ist wohl Azzo da Correggio. In der etwa gleichzeitigen Metr. 3,9 betont Petrarca, dass nicht er Italien fliehe, sondern dass Italien ihn verscheuche. Bei der Familie Gonzaga und ihrem Kanzler Giovanni Aghinolfi. Die Familie Rossi, insbesondere der Bischof aus diesem Geschlecht, hatte sich von Petrarca abgewandt. Vgl. Fam. 9,5. Aus Vaucluse. Vgl. Fam. 11,4. Gemeint ist Avignon mit der päpstlichen Kurie; vgl. Liber sine nomine, Brief 10, in: Widmer, Aufrufe 257 ff. Papst war zu jener Zeit Clemens VI. Petrarca reiste auf dessen Verlangen an die Kurie. Gott selber oder der Apostel Petrus. Das Schifflein jedenfalls meint die Kirche. Ludwig van Kempen (Sokrates), Lelio di Pietro Stefano dei Tosetti, Guido Sette und andere; vgl. die Briefe an die Genannten. Gemeint ist die Provence, vor allem Avignon. Sehr ähnliche Formulierungen findet man oft, aber vor allem im Vorwort des Liber sine nomine, in: Widmer, Aufrufe 225 ff. Vielleicht aber nicht mehr in Parma, wo ihm der Bischof Rossi den Aufenthalt vergällte. Dem von Florenz, dessen ehrendes Angebot Petrarca abgelehnt hat; vgl. den vorangehenden Brief, Anm. 14. Francesco Nelli, Lapo da Castiglionchio, Zanobi da Strada und andere, alle humanistischen Studien ergeben. Eine Handschrift hat – wohl irrtümlicherweise – „Juli“. Die Jahreszahl ist gesichert, da der Brief auf Petrarcas Reise nach Avignon geschrieben wurde. Vgl. Dotti, Fam., Anm. zu diesem Brief.
Fam. 11,7, an seinen Sokrates 1 Über ein Erdbeben in Rom und anderswo. 1. Über Unglücksfälle der jüngst vergangenen Jahre. 3. Ein besonders heftiges Erdbeben erschütterte Rom. 6. Erdbeben verkündigen kommendes Unheil. 7. Eine Weissagung des Propheten Balaam lässt aufhorchen. 11. Petrarca befindet sich auf der Reise nach Vaucluse und hofft, den Freund dort zu sehen. Piacenza, am 11. Juni (1350).
1. Was soll ich zuerst beklagen oder fürchten? Überall ist Grund zu Angst und überall Grund zu Trauer, und keines der gegenwärtigen Übel trägt nicht das Zeichen eines zukünftigen schlimmeren.2 Dabei kann ich mir freilich kaum ausmalen, was sich an Schlimmerem noch erwarten liesse. Die Welt ist hier durch den Wahnwitz der Menschen und dort durch die rächende Hand Gottes aufgezehrt und ausgeschöpft; und so weit ist das Elend gediehen, dass einem trotz allem Nachdenken schon keine Art neuen Unheils mehr einfällt. In der Tat, wer immer diesen Zustand menschlicher Verhältnisse den Nachkommen (sofern es sie gibt) überliefern will, muss als Märchenerzähler dastehen, und unpassend wäre es, sich da über Unglauben zu entrüsten, wo man selber einem andern durchaus nicht glauben wollte. 2. Ich gestehe freilich, dass diese Zeit, die dem Menschengeschlecht nichts erspart, meine Bereitschaft vieles zu glauben, entschieden gestärkt hat. Nicht verweilen will ich bei Wolkenbrüchen, Stürmen und Feuersbrünsten, die da ganze Städte dem Erdboden gleichmachten,3 auch nicht bei weltweit tobenden Kriegen mit ihrem Völkergemetzel,4 auch nicht bei dieser bisher unerhörten, vom Himmel gesandten Pest.5 Davon weiss heute jeder, und die leeren Städte und die von den Bauern verlassenen Felder bezeugen es; ja der schwer bedrängte und beinah entvölkerte Erdkreis und sogar die Natur scheinen darüber mit gleichsam tränendem Antlitz zu trauern. 3. Um aber, wie gesagt, dabei nicht zu verweilen, sage ich: Allen, ob sie im Westen oder im Osten, im Norden oder im Süden wohnen, ist aufs beste bekannt, dass schon bei Beginn,6 wie auch Du weisst, vielerorts die Alpen von ihren festen Sitzen wegrückten und dass zur unerhörten und schrecklichen Voranzeige des Kommenden ein grosser Teil Italiens und Germaniens gebebt hat. 4. Darauf folgten sogleich Unglücksfälle, die wir nur mit Seufzen zu erwähnen und aufzuzählen vermöchten. Zuletzt aber, als wir schon hofften, der Tod sei ermattet und Gottes Zürnen besänftigt und wir seien als ein Häuflein dem allgemeinen Untergang entronnen, sieh, da wurde – und das hast Du vielleicht noch nicht gehört – sogar Rom durch ein ungewöhnliches Beben so heftig erschüttert,7 dass seit der Gründung dieser Stadt, das heisst seit mehr als zweitausend Jahren, dort nichts Dergleichen geschehen ist. 5. Es zerfiel eine von den Bürgern vernachlässigte, aber den Pilgern bewundernswerte Masse uralter Gebäude. Der weltweit einzigartige sogenannte Turm der
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Conti ist,8 in ungeheure Risse gelockert, auseinandergeborsten. Als Torso schaut er gleichsam auf sein am Boden zerstücktes Haupt, einst Ehrenzeichen seiner stolzen Höhe, herunter. Damit gar für den Zorn des Himmels Beweise nicht fehlten, ist der Schmuck vieler Tempel und vor allem ein grosser Teil der dem Apostel Paulus geweihten Basilika9 eingestürzt und von der Laterankirche der Giebel herabgefallen. All das vermag die glühende Begeisterung des Jubeljahres10 mit eisigem Schrecken zu kühlen. Mit Sankt Peter wurde milder verfahren. 6. Gewiss, das Unglück ist ohne Beispiel, weswegen es mit Recht den Mut vieler Menschen zerstört. Denn was alles verkündet denn das Beben des Hauptes, wenn schon ein Beben der Glieder11 die Ankunft schrecklicher Unfälle voraussagt? Mögen sie doch toben und aufbegehren, die etwas zu sein glauben. Das Haupt der Welt ist die Roma, und mag es auch überaltert und verwahrlost sein, so bleibt die Roma eben doch zweifellos das Haupt aller Länder.12 7. Das würde mir sogar der Erdkreis, könnte er reden, einstimmig bestätigen.13 Und wollte er der schlichten Vernunft nicht glauben, müsste man ihn mit Beweisen und Dokumenten überzeugen. Damit aber keiner denke, ich hätte für eine zweifelhafte Sache einen allzu finsteren Gewährsmann von mir aus frei erfunden, mögen beispielhafte Unglücksfälle neuerer Zeit und die Autorität eines Plinius,14 des überragenden Schriftstellers, mich rechtfertigen. Seine Meinung gebe ich im genauen Wortlaut wieder, um der Entgegnung vorzubeugen, ich hätte sie verfälscht; sie lautet: „Es handelt sich nicht um ein einfaches Unglück, und nicht in der Erschütterung allein besteht das Unheil, sondern ein gleiches oder gar grösseres wird damit angezeigt. Niemals hat Rom gebebt, ohne dass dieses Beben eine spätere Nachwirkung anzeigte.“ Soweit jener. 8. Was aber soll ich nun verschweigen, was aussagen? Ich spreche Dich an wie irgendeinen von den unsern,15 welche die Republik leidenschaftlich lieben; denn was tut es zur Sache, wo Du geboren bist? Deine Gesinnung vor allem beachte ich, und diese wurde dank unserer Freundschaft ganz italienisch. Darum spitze Dein Ohr, mein Sokrates: Wegen des Gesamtwohls der Republik bin ich in Angst, und weniger die Erdbeben Roms als die in ganz Italien, und weniger die Erschütterungen der Länder als die der Menschenherzen flössen mir finstere Ahnungen ein. 9. Und obwohl mich viele Weissagungen erschrecken, tut es doch am meisten jene alte, die lange vor der Gründung der Stadt nicht irgendwelchen Schriften, sondern den Heiligen eingefügt wurde.16 Sie hat mich, wie ich gestehe, bei meiner ersten Lektüre, wiewohl ich noch durch weltliche Bildung aufgebläht und jener besseren noch unkundig war, so sehr entsetzt, dass mir „das Blut eiskalt im Herzen“17 erstarrte. Ich meine das letzte Wort der letzten Prophetie Balaams, und ich zitiere es hier, um Dir das Nachschlagen im Buch Numeri zu ersparen. Dort liest man:18 „Sie kommen mit Galeeren aus Italien, werden Assyrien überwinden, das Land der Hebräer verwüsten, doch am Ende auch selber zugrundegehen.“19
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10. Natürlich könnte man sagen, das habe sich bereits früher beim Untergang des römischen Imperiums ereignet. Ja, wirklich! Möchte dieses Beben der Stadt doch keinen neuen Untergang von Frieden und Freiheit verkünden! Du aber lege der schwankenden Seele als Fundament die Mannhaftigkeit und Standhaftigkeit unter, damit sie, während die Erde zittert, in festem Grunde verankert sei, wie denn auch Flaccus schreibt:20 „Zerbricht der Erdkreis, sinkt er nieder, Fälle sein Sturz einen Unerschrocknen.“ Das habe ich Dir schon früher in Padua geschrieben und bis heute zu schicken unterlassen, weil mir ein Bote fehlte. Doch nun schicke ich es von hier aus, und zwar mit dem einzigen Zweck, unserem gemeinsamen Freund21 gefällig zu sein. Der nämlich weigert sich, ohne Begleitschreiben von mir zu Dir zu gehen. Dabei wäre weder ein Bote noch ein Schreiben nötig, da ich eben daran bin, ihm auf den Fersen zu folgen. Wisse, wenn Du diese Zeilen liest, bin ich bereits ganz nahe. Freundlich handelst Du, wenn Du mich an der Quelle der Sorgue besuchen kommst. Lebe wohl, bleibe gesund und gedenke unser! Piacenza, am 11. Juni (1351).22
Anmerkungen 1 Das ist Ludwig van Kempen. Vgl. 1,1 und die dort angegebenen anderen Familiaren an den gleichen Adressaten. 2 Man vgl. mit diesem Schreiben Fam. 8,7 über die Pest. 3 Das grosse Erdbeben von 1356 steht noch aus. 4 Man hat in erster Linie an den sogenannten „Hundertjährigen“ Krieg zu denken. 5 Gemeint ist das grosse Sterben der Jahre 1348/49. 6 Bei Jahresbeginn. Ein starkes Beben ereignete sich im Januar 1348. Petrarca befand sich damals in Verona; vgl. Sen. 10,2. 7 Das war am 9. und 10. September 1349. Vgl. den Chronisten Matteo Villani, Cron. 1,45. 8 Der Turm wurde zu Anfang des 13. Jahrhunderts von Ricardo Conti, einem Bruder des Papstes Innozenz III. errichtet. Als „Torso“ steht er noch heute beim Lago C. Ricci, wo die Via Cavour einmündet. 9 San Paolo fuori le Mura. 10 Das ist 1350. 11 Die Welt und die Kirche werden hier wie oft bei Petrarca als Körper betrachtet. Das Haupt ist Rom. 12 Diese Beteuerung richtet sich gegen Avignon. 13 Die Worte richten sich gegen die Behauptung, Rom könne durch Avignon ersetzt werden. 14 Nat. 2,84,200. 15 Das sind die Italiener. Der Adressat war Flame; er verbrachte sein Leben in Avignon. 16 Eingefügt den biblischen Weisheiten. 17 Verg. Georg. 2,484. 18 Num. 24,24.
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19 Die Vorstellung von 6 Weltaltern wurde in der christlichen Geschichtschreibung mit derjenigen von 6 Weltreichen verbunden; danach wurde das assyrische Reich durch das römische abgelöst, und dieses galt als das letzte. 20 Carm. 3,3,7 – 8. 21 Vielleicht ist Giovanni Aghinolfi gemeint. Vgl. Fam. 11,9. 22 Der Brief bezieht sich auf die selbe Reise, von der in Fam. 11,6 die Rede ist. Da Petrarca, der ihn aus Piacenza datiert, darauf hinweist, dass er ihn schon früher in Padua verfasst habe, verkürzt sich die Distanz zwischen dem Schreiben und den darin erwähnten Ereignissen (vgl. Anm. 4 und 5). In Padua hielt er sich mehrfach und jeweils für längere Zeit zwischen Dezember 1347 und Sommer 1351 auf.
Fam. 11,8, an Andrea Dandolo, den Dogen von Venedig1 Warnung vor einem Krieg der Venezianer und Genuesen. 1. Petrarca rechtfertigt sein Schreiben. 4. Die Schutzmacht der Seestädte ist bedroht. 6. Die Leidenschaft unerfahrener Jugend schafft Unheil. 10. Der Doge hat sich für den Frieden einzusetzen. 15. Ein Bruderkrieg würde ganz Italien schwächen. 20. Rat suchen muss man viel eher bei Alten als bei Jungen. 25. Geschichte und Ruhm der Veneter sind älter als die Roms; sie stehen auf dem Spiel. 28. Grauenhaft ist der Wunsch, bei ausländischen Mächten Hilfe zu suchen. 30. Das Söldnerwesen hat bereits grosses Elend angerichtet. 34. Nur die Einigkeit eröffnet den Seemächten alle Meere. (1350)
1. An Dich zu schreiben, ruhmvoller Doge, dazu drängen mich meine Treue und Deine Menschlichkeit, dann auch die Weltlage und die Zeitumstände. Die erste macht, dass ich sprechen will, die andere, dass ich's wage, die letzten, dass mir unmöglich wird, zu schweigen. 2. Wer dürfte denn von einem liebevoll Besorgten verlangen, er solle schweigen? Freimütige Liebe weiss nichts von zügelndem Bedenken. Und mag eine vernünftige Hand den Mund verschliessen und mag der Verstand in der Kenntnis seines Ungenügens erklären, es sei besser, bescheiden zu schweigen, bricht dennoch die ängstliche Brust in Klagen aus, jagt nicht nach fremden Meinungen und Worten, spricht aus, was sich aufdrängt und was Schmerz und Bangigkeit einflüstern. Und hitzig, stotternd, übersprudelnd und – wie die Natur der Sache es fordert – ganz unvermittelt aus dem Wogen der Seele bricht ihre Rede hervor. 3. Das geschieht mir – wenn jemals – dann heute! Das wisse! Ich bin erschüttert, erlauchter Doge, gewaltig erschüttert. Soll ich Dir meine Gemütsbewegung mit einem angemessenen Satz verraten, so höre: Ich fürchte gewaltig die ringsum tobenden Stürme und den überall spürbaren Aufruhr. Doch indem ich die andern Bedrängnisse der Menschheit insgesamt übergehe, wende ich mich als Italiener dem Jammer Italiens zu. 4. Da erhebt Ihr Euch nun, zwei gewaltige Völker und herrlich blühende Städte,2 um zu den Waffen zu greifen! Zwei – um es kurz zu sagen – Leuchten Italiens, und, wie mir scheint, von der Mutter Natur in so glücklicher Weise links und rechts an die beiden Schutzwehren Ausoniens3 gesetzt, dass Ihr einerseits gegen Norden und Sonnenaufgang und anderseits gegen Mittag und Sonnenuntergang, hier dem Oberen Meer und dort dem Unteren Meer die Zügel anlegt. Und eben deshalb muss Euretwegen sogar jetzt, wo das römische Imperium geschwächt und gedemütigt ist (um nicht „unterworfen und vertilgt“ zu sagen), der vierteilige Erdkreis die Italia noch immer als Königin anerkennen. 5. Selbst wenn es vielleicht scheinen mag, dass eben diese Eure Stellung die Anmassung gewisser Völker herausfordert und reizt, mit Euch auf dem Festland zu
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streiten, wird doch zweifellos keines die Schamlosigkeit haben, Euch sogar auf dem Meer zu bedrängen. Wenn aber Ihr beide (was ich nicht mit ansehen, ja nicht einmal vorausahnen möchte) jetzt die siegreichen Waffen gegen einander kehrt, dann gehen wir unzweifelhaft zugrunde, verwundet durch die eigene Hand und ausgeplündert durch die eigene Hand. Unsere Ehre und die unter vielen Mühen erlangte Herrschaft über das Meer sehen wir schwinden, so freilich, dass uns ein gewisser Trost – der uns auch sonst im Unglück öfters erhalten blieb – nicht verloren geht. Denn unseres Unglücks könnten unsere Feinde zwar sich freuen, aber niemals seiner sich rühmen. 6. Unter allem, was mich besonders ängstigt und aufwühlt, gibt es nichts, was ich so fürchte wie die unbezähmbaren Leidenschaften und Pläne der Jugend. Unwissend ist ihr Alter und hat von der Unberechenbarkeit Fortunas, unter deren Ansturm einst grosse Imperien stürzten, nichts erfahren. Was immer die jungen Leute sich wünschen, das gilt ihnen als Versprechen, und deshalb werden sie häufig betrogen. 7. Wahr ist eben, was bei Livius jener berühmteste Kriegsheld4 gesagt hat: „Für verwegen hält es keiner, Zufälle zu berechnen, solange Fortuna ihn nicht getäuscht hat.“ Und auch das folgende ist wahr:5 „Nie zahlt sich der Ausgang schlechter aus als in Kriegen.“ Ja, getäuscht werden zweifellos alle, denen Fortuna immer ein gleiches, nämlich heiteres und ruhiges Gesicht gezeigt hat. Denn doppelgesichtig ist sie, und sehr viel häufiger grausam als milde. Deshalb habe ich erleichtert vernommen, Du habest eine schwierige Entscheidung dem Rat der Alten überwiesen. 8. Das ziemte sich für Deine Vorsicht und Deine Gesittung, deren Ernst und Reife Dich – ungeachtet Deiner Jugend – an die Spitze jener Versammlung gestellt haben.6 Unbändigkeit wird dem Jüngling, dem Greis aber Klugheit zugeteilt, und deswegen haben nicht zu Unrecht die einstigen Lenker der römischen Republik, obwohl für ihre Tüchtigkeit alles erreichbar war, sei's wegen ihrer Würde oder sei's wegen ihrer gleichsam väterlichen Fürsorge Väter geheissen und jedenfalls wegen ihres Alters den Titel Senator empfangen.7 9. Doch ist dieses Amt zuerst jungen Leuten, bald dann zu unserer Zeit sogar Kindern erlaubt worden; und wäre nur nicht so allgemein bekannt geworden, aus welcher Höhe wir stürzten! Doch darüber ein andermal! Denn wer dem Schmerz und Schrecken erlegen ist, hat seine Mühe, Vergangenes zu beweinen, Kommendes zu erahnen, Verlusten Tränen und Gefahren Vorsicht zu zollen. 10. Zu dem also kehre ich zurück, was mir quälende Angst um die Zukunft einjagt. Kummer und Entsetzen, sage ich, hat mir die Lage Deiner Vaterstadt auferlegt. Was aber denke ich Deinetwegen? Wenn ich Dir Glück wünsche zu Deinem Ruhm und zugleich an Deiner schwierigen Bürde leide, bin ich kaum mit mir einig. Doch mit Deinen geistigen Fähigkeiten nicht mitzuleiden, ist mir unmöglich. Ich merke ja, wie sehr der Waffenlärm einer musischen Ruhe abhold und wie unter den Trompetenklängen des Mars die Leier Apollons kaum noch vernehmbar ist.8
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11. Freilich, dem Vaterland kannst Du gar nichts verweigern. Es hat Dich während des Friedens in einem Masse gefördert, dass Du es weder aus Widerwillen gegen den Krieg noch im Schrecken vor dem Tod Deiner Stütze berauben wirst. Ist nun auf kurze Zeit der Helikon verlassen und sind Deine Bücher beurlaubt, weil Du dem Weg des allgemeinen Schicksals folgst, so musst Du dennoch die Aufgabe eines dankbaren Bürgers, eines guten Menschen und eines vorzüglichen Dogen so wahrnehmen, dass Du selbst unter den Waffen einzig auf Frieden sinnst und den Frieden liebst, fest überzeugt, dass man für das Vaterland keine herrlicheren Triumphe und keine bessere Beute erlangen kann als den Frieden. 12. Gerne erwähne ich, wenn vom Frieden die Rede ist, ein Wort Hannibals. Denn dem Mund dieses verbissenen Kriegers scheint gerade die Wahrheit selber – zum Zeugnis gegen die Begierden des Sprechenden – es abgefordert zu haben. Was nämlich sagt er beim schon genannten Livius?9 „Besser und zuverlässiger ist ein sicherer Friede als ein erhoffter Sieg.“ Dies also ein Ausspruch jenes siegesdurstigen Brausekopfs, der auf der ganzen Erde den Frieden zerrüttet hat! Was aber sagt nun ein Freund des Friedens? Gewiss, was noch richtiger ist: „Besser und heiliger ist ein sicherer Friede als ein sicherer Sieg.“ Denn der Friede ist voll Ruhe und Liebe und Hingabe, jener dagegen voll Mühe, Verbrechen und Vermessenheit. 13. Was ist erfreulicher als der Friede, was seliger, was beglückender? Was denn ist das Menschenleben ohne Frieden, wenn nicht ständige Gefahr und Furcht und traurige Werkstatt unaufhörlicher Sorgen? Welch ein Vergnügen, ich bitte, unter freiem Himmel zu nächtigen, mit Trompeten den Schlaf zu stören, den Körper in den Harnisch und, wie Maro sagt,10 „den grauen Schopf in den Helm zu zwängen“, stets durch eiserne Ketten beengt zu sein, plötzlich zu sterben und (was schliesslich die letzte Sorge tapferer Männer ist) unbegraben beseitigt zu werden. 14. Freut es denn, mit nagendem Kummer, freut es denn, mit Furcht und Hass das arme Herz zu zermürben und eine gewisse Zeit dieses gar kurzen Lebens auf solche Neigungen zu verschwenden? Schafft das vielleicht Sicherheit, wenn man gleichzeitig mit Meer und Feind im Kampf liegt, das heisst: mit einem doppelten Tod zu ringen hat? Niemand, ich bitte, möge Euch täuschen: Mit dem ungestümsten und niemals besiegten und, was ich mit besonderem Kummer sage, mit dem italischen Volk führt Ihr Krieg! Würden Eure feindlichen Städte doch Damaskus und Susa heissen! Oder eher Memphis und Smyrna statt Genua! Würdet Ihr doch gegen Perser und Araber, gegen Thrakier oder Illyrer kämpfen! 15. Nun aber, was tut Ihr? Wenn es gegenüber dem lateinischen Namen noch Ehrfurcht gibt, so sage ich: Es sind Brüder, die Ihr zu vernichten gewillt seid! Und weh, nicht allein in Theben sondern auch in Italien werden Bruderheere aufgestellt, den Freunden ein jammervolles, den Feinden ein lustvolles Schauspiel. Wie der Krieg auch enden mag, aus dem Ihr als Sieger oder Besiegte hervorgehen werdet – unberechenbar ist der Würfel Fortunas –, mit Notwendigkeit wird die eine der bei-
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den Leuchten Italiens verlöschen, die andere sich verfinstern! Überlege doch, ob es nicht vielleicht weniger von mutigem Vertrauen als von unbedachtem Wahnsinn zeuge, angesichts eines so mächtigen Feindes einen unblutigen Sieg zu erwarten! 16. Gewiss solltet Ihr bedenken, hochedle Männer und grossmächtige Völker (was ich nämlich zu dem einen sage, gilt für beide, bloss dass meine vertrauliche Ergebenheit gegenüber Deiner Vortrefflichkeit und unsere örtliche Nachbarschaft ein Grund sind, dieses Schreiben eher an Dich zu senden), Ihr solltet bedenken, worauf Eure Absicht zielt, welcher Art Euer Zorn ist, welcher Art die Wirkung Eures Hasses, was Ihr über das eigene Wohl und was Ihr schliesslich über die politische Lage, die zu einem nicht geringen Teil von Euch abhängt, verfügen wollt. 17. Und überseht wenigstens nicht das Eine: Wird die Wut des auflodernden Streites nicht im Quell des Wohlwollens ertränkt, muss aus den Wunden, die man schlagen wird, nicht das Blut von Numantianern11 oder Puniern, sondern das von Italern strömen. Und wen würde man verwunden? Jene, die bei einem nächsten, durch Ausländer12 unternommenen unerwarteten Überfall oder Angriff auf Euer Land (wie er bisweilen, aber niemals ungestraft gewagt wird) als erste bereit sind, mit Euch zur Verteidigung eines gemeinsamen Gutes die Waffen zu ergreifen! Jene, die dann zusammen mit Euch ihre Brust dem Tod und den feindlichen Geschossen entgegenhalten! Jene, die dann mit Euren Schilden gedeckt werden und umgekehrt mit ihren Leibern und Schilden Euch decken! Jene, die ihre Flotte mit der Euren vereinen und mit Euch den fliehenden Feind verfolgen, gemeinsam mit Euch leben, mit Euch sterben, mit Euch kämpfen und mit Euch triumphieren! 18. Solche zukünftigen Helfer in der Aufwallung eines vielleicht rasch verfliegenden Zorns zu überfallen und – was Du freilich ungestraft tun könntest – zugrunde zu richten: wo hier die Verlockung läge, begreife ich nicht. Wohl wird sie vielleicht von jenen erzürnten Menschen leichter begriffen, die sich über eine Bestrafung von Freunden und über eine Rache für irgendwelche Beleidigung nach Weiberart freuen. Doch wahrhaftig, das ist weder nützlich, noch ehrenhaft, und schliesslich auch nicht menschenwürdig. 19. Besser ist es, ein Unrecht zu vergessen als zu vergelten und einen Feind zu versöhnen als zu verderben, vor allem jenen, der sich vorher um uns verdient gemacht hat und der nach wiedergewonnener Gnade es auch weiterhin tun wird. Denn mag zwar alles gleichermassen mühevoll sein, so passt zum Menschen doch die Sanftmut, dagegen das Wüten zu den Tieren, ja nicht einmal zu diesen insgesamt, sondern bloss zu den gemeinen und solchen, welche die Natur gleichsam mit der Linken erschaffen hat. 20. Wenn also unter Deinen Räten, von denen gewiss die meisten von grossem Ernst sind, diese meine Rede gehört wird, musst Du einem angebotenen Frieden nicht nur nicht ausweichen, sondern entgegengehen, den gefundenen dann begierig umfangen und dafür sorgen, dass er bei Euch ewig verbleibe. Das erreichst Du auf jeden Fall um so eher, wenn Du nüchterne und ehrwürdige graue Häupter in
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die Versammlung berufst. 21. Auf jene höre, die gelernt haben, Fortunas Spiele zu durchschauen und um das Gemeinwesen besorgt zu sein. Ihnen ist die Süsse des Friedens um so lieber, als sie einst die Bitterkeit des Gegenteils kosteten. Alle andern schliesse als Feinde des Friedens von der Versammlung aus! Lass aber auch jene nicht zu, die als Kennzeichen des Alters nur Runzeln, graues Haar, Kahlheit und krummen Rücken besitzen, und „tropfende Nasen wie Kinder …13 … und zittrige Stimmen und Glieder“, wie der Satiriker sagt.14 Diese unwillkommenen Gaben möge jeder für sich behalten; denn man benötigt nicht faulige, sondern reife Männer. 22. Umgekehrt weise auch jene nicht ab, die, sofern es sie gibt, schon in der Blüte der Jahre die Altersweisheit besitzen. Denn was ich an Dir bewundere, schätze ich nicht gering an den andern, die Frühreife zeigen. Mir ist nicht unbekannt, wie sehr mein Africanus15 als junger Mann der bedrängten Republik nicht allein mit Taten, sondern auch mit Vorschlägen genützt16 oder wie Papirius Praetextatus,17 um ein Geheimnis des Senats zu wahren, seine Mutter mit scherzender Rede genarrt oder was alles auch Portius Cato18 seinem Lehrer, was der junge Alkibiades einem ängstlichen Alten geraten hat! 23. Aber glaube mir: Ungemein selten ist diese Menschenart, die schon in zartem Alter zur Weisheit gelangt! Immerhin, wo Du etwas dieser Art und einen frühreifen jungen Mann entdecken kannst – ich leugne ja nicht, dass es möglich ist –, reihe ihn ein in die Schar der Alten. Bei solchen Ratgebern werden sich keine überstürzten Meinungen aufdrängen, auch keine Lügen unter dem Mantel der Wahrheit sich unversehens einschleichen. Du aber wirst, weil Du gewürdigt bist, unter allen im Rat die erste Stimme zu haben und das Haupt der Versammlung zu sein, jederzeit bei Dir überlegen, dass Du vor allen andern das höchste Mass entweder an Ehre oder an Schande empfangen wirst. Sollten alle schläfrig sein, so wache Du als einziger! 24. Denn nach der Ansicht berühmter Männer19 ist das Verdienst des Befehlshabers nicht das selbe wie das des Soldaten. Rascher schreitet zur Tat, wen eine grössere Hoffnung auf Auszeichnung erfüllt. Und obwohl es sehr verschiedene Arten von Auszeichnungen gibt und wir gemäss der Verschiedenheit unserer Anlagen auf ungleiche Weise nach ihnen begehren, ist doch zweifellos wahr, dass für edel Gesinnte der tüchtigste Anreiz zur Tugend der Ruhm ist. Er sporne Dich an, die ehrenvollsten Sorgen zu tragen! „Die ehrenvollsten Sorgen sind die für das Wohl des Vaterlandes“, wie Cicero sagt.20 25. Im Begriff, Dir auf solchen Stufen einen Weg zum Himmel zu bereiten, erhebe Dich über Dich selber! Sieh zu, schau Dich um und betrachte alles! Vergleiche die glücklichen Schlachten mit den glücklosen, die Verluste mit den Gewinnen und die Freude mit der Trauer! Und weil, wie ich gesagt habe, in Sachen des Frie-
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dens ein Hannibal der beste Gewährsmann ist, so hüte Dich umsichtig, wie er sagt,21 „den Glückszustand vieler Jahre einer einzigen Stunde zur Entscheidung zu überlassen.“ Mit wie vielen Anstrengungen, was meinst Du, wurde diese Machtfülle Deines Volkes gesammelt? Auf wie vielen Stufen ist es bis zu dieser höchsten Höhe seines Glückes gestiegen? 26. Uralt ist, solltest Du es nicht wissen, sein Ruhm, obwohl das manche nicht glauben; und viele Jahrhunderte vor der Gründung Roms finde ich nicht allein den Namen der Veneter, sondern – was Dich noch mehr verwundern wird – den eines ihrer bedeutenden Dogen.22 Um so strenger musst Du also darauf bedacht sein, diese Leistung nicht den Zufällen und diese in der Besonnenheit so vieler Jahre entstandene Herrlichkeit nicht der Herrschaft einer zerstörerischen Fortuna zu unterwerfen. 27. Und da nach Ansicht der Weisen die Heldentat als höchsten Wert nichts Besseres einsetzt als den des guten Rufes, so ist klar, dass Du eben dann am vorzüglichsten für das Gemeinwesen handelst, wenn Du notfalls sogar unter Verzicht auf Dein persönliches Ansehen die öffentliche Wohlfahrt rettest und einer erregten Menge eher sichere als grossartige Vorschläge unterbreitest, solche, die eher nützen als gefallen. Dann wirst Du nicht als ein Draufgänger, sondern lieber als ein Zauderer23 bekannt werden wollen, ganz nach dem Beispiel jenes Maximus, von dem Ennius sagte:24 „Einzig auf Rettung bedacht, verschloss er sich allem Gerede“. Dann wirst Du auch einen üblen Ruf, den Deine Festigkeit Dir einträgt, und den Hass der Dummköpfe nicht fürchten. Wie dem genanntem Feldherrn so wird schliesslich auch Dir um so grössere Fülle an Ruhm und mit der Bewunderung aller auch die Liebe des ganzen Volkes geschenkt werden. Und würde die Hoffnung auf solche fehlen, so wüsstest Du immerhin bei Dir selber wie auch dank den Philosophen, wozu wir um der Rechtlichkeit und Ehre willen verpflichtet sind. 28. Und mit wie grossem Schmerz, was meinst Du – um Dir nichts zu verheimlichen –, habe ich vernommen, Ihr hättet kürzlich ein Bündnis mit dem König von Aragon geschlossen?25 Zur Vernichtung von Italern durch Italer werden also Truppen sogar bei Fremdländern angeworben? Woher soll das unglückliche Italien Hilfe erhoffen, wenn es nicht genügt, dass die verehrungswürdige Mutter26 von ihren streitbaren Söhnen zerrissen wird, sondern wenn zum öffentlichen Muttermord noch Fremde geholt werden? 29. Es wird einer einwenden: „Dieser schlechte Brauch ist ja vom Feind aufgebracht worden.“ Mag sein. Doch wie ich gesagt habe, spreche ich zwar nur eine Partei an, tadle aber Euch beide. Wie viel ehrenhafter wäre es doch gewesen, hätte man solche hässlichen vom Zorn bewirkten Rostschichten abgeschrubbt, gegen welche offenbar nicht einmal aufrichtige Freundschaft und Bruderliebe, selbst
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nicht die höchste Pflicht der Kinder gegen ihre Eltern gefeit sind. Dann hätten die Veneter mit den Genuesen sich geeinigt, statt dass sie nun den schönen Leib Italiens zerfleischen, indem die einen, wie ich höre, für ihre Kriesgwut die Unterstützung von Tyrannen des Westens, die andern aber die Unterstützung von solchen des Ostens erflehen. Oh diese todbringenden unsinnigen Rückversicherungen! 30. Ach diese äusserste Art von Bosheit! Wenn man etwas aus eigener Kraft nicht zu tun vermag, sieht man sich um, wen man dazu aufreizen könnte, und sobald eine Nachbarschaft einen Anschein von Gehässigkeit bietet, heuert man Söldner zur stellvertretenden Ausführung des Verbrechens an! Eben hier entströmten die Quellen unzähligen Elends, dass wir in einem schmählichen und ich weiss nicht woher stammenden Ekel vor den eigenen Zuständen uns zur Bewunderung des Ausländischen hinreissen lassen und bereits in krankhafter Gewohnheit italische Ehrlichkeit geringer schätzen als barbarische Ehrlosigkeit.27 31. Kopflos ist, wer bei käuflicher Gesinnung das Ehrliche sucht, das bei eigenen Brüdern zu finden man verzweifelt. Ganz recht ist uns geschehen, als wir diesem Unglück verfielen, das wir jetzt so spät und so fruchtlos beklagen.28 Wir haben ja für gut befunden, die Alpen und Meere, mit denen uns die Natur wie mit Schutzmauern umschlossen hat, und die Tore an den engen Pässen, die dank göttlicher Gunst nach aussen verriegelt waren, mit den Schlüsseln brennender Habsucht und Vermessenheit den Kimbern, Hunnen, Pannoniern, Galliern, Theutonen und Spaniern zu öffnen! Wie oft haben wir doch weinend jenes Hirtengedicht Maros gesungen:29 „Wird nun der rohe Soldat die gepflügten Äcker uns nehmen Und der Barbar unsre Saat? Ach schau nur, in solches Verderben Hat uns die Zwietracht gestürzt!“ 32. Doch kehren wir zur Hauptsache zurück. Was Ihr verhandelt, weiss ich nicht. Soviel aber weiss ich: Als einst in einem ähnlichen Rangstreit, aber unter ganz unähnlicher Verhältnissen den Spartanern die Gelegenheit zufiel, die ihnen sehr feindlich gesinnte Stadt Athen dem Erdboden gleich zu machen, und als es bereits nicht mehr eine Frage des Könnens, sondern bloss noch eine des Willens war, verzichteten sie, die eine Leuchte Griechenlands waren, die andere Leuchte zu zerstören.30 Wahrhaft herrlich war diese Entscheidung und der alten spartanischen Disziplin im besten Sinne würdig. 33. Wenn ein solcher Entschluss aus dem Munde jener Kämpfer ertönte, deren leidenschaftliches Verlangen nach Siegen und nach Herrschaft ein Platon hervorhebt, was darf ich da von Euch erwarten, die ihr sehr verträgliche und höchst massvolle Männer seid? Da jedenfalls ich gewiss unfähig bin, von so starken Erregungen mich nicht erregen zu lassen, muss ich unter dem Ansturm verschiedener sich bekämpfender und
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auf meine Brust eindringender Gefühle, wie der Liebe, Furcht und Hoffnung, den Seelenfrieden vermissen. Dennoch bin ich des Glaubens, ich könne einem gerechten Tadel entgehen, wenn ich – während die einen auf ihre Flotte Bäume verfrachten, die andern ihre Schwerter wetzen und Bogen spannen, nochmals andere Mauern und Häfen befestigen – zu jenem einzigen Geschoss, das mir zu Gebote steht, nämlich zur Feder greife, nicht etwa als Verkünder des Krieges, sondern als Prediger des Frieden. 34. Doch denke ich endlich daran, den Brief zu beenden, weiss ich doch, wie sehr man die Rede zügeln muss, wenn man Hochstehende anspricht. Nichts freilich steht über der Liebe. Sie eben wird Dich zur Nachsicht zwingen, wie sie mich zur Weitschweifigkeit gezwungen hat. Nur dies eine noch erflehe ich am Ende, hingestreckt vor den Dogen der beiden Völker und unter vielen Tränen: Schleudert die feindlichen Waffen von Euch! Reicht Euch die Rechte und küsst Euch! Vereinigt Gesinnung mit Gesinnung und Fahne mit Fahne! 35. Wenn Ihr die Seestrassen gemeinsam benützt, werden Euch der Ozean und die Häfen des Schwarzen Meeres offen sein, und kein König oder Volk wird Euch anders als in Ehrfurcht begegnen. Skythien, Britannien und Afrika werden Euch fürchten. Und an den Küsten von Ägypten, von Thyrium31 und Armenien, auch an den einst bedrohlichen Buchten von Kilikien, weiter an dem einst die Meere beherrschenden Rhodos, an den Bergen von Sikanien, vorbei an den Seeungeheuern Siziliens,32 an den Balearen (berüchtigt wegen früherer und neuerer Piraten), schliesslich an den Kanarischen Inseln, den Orkney-Inseln, dem vielgenannten, wenn auch unbekannten Thule und an jedem Strand im Süden und äussersten Norden wird Euer Schiffer ungefährdet vorbeigleiten. Bietet Euch nur gegenseitige Sicherheit, so habt Ihr vor niemand sonst zu zittern! Lebe wohl, Du der Heerführer und Helden Bester! (1351)33
Anmerkungen 1 An denselben Dogen von Venedig richtete Petrarca Fam. 15,4 und 18,16. Er kannte ihn 1351, als er den vorliegenden Brief verfasste, vielleicht dank seinem vorausgehenden kurzen Besuch in Venedig bereits persönlich. Vgl. Dotti, Fam., Register und Vita 229 – 231, ebenso Dotti, Petrarca a Milano, Milano1972,155 – 157. 2 Der Kampf, der 1351 zwischen Venedig und Genua entbrannte, wurde in verschiedenen Gewässern ausgetragen, am Bosporus, um Chios wie auf dem Tyrrhenischen Meer. Grosse Verliererin war Genua. 3 Das heisst Italiens. 4 Gemeint ist Hannibal; vgl. Liv. 30,30,11. 5 Liv. 30,30,20. 6 Andrea Dandolo wurde 1306 geboren und übernahm das Amt des Dogen 1343.
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7 Senator mit gleichem Stamm wie senex: alt. 8 Dandolo machte sich einen Namen mit dem Sammeln alter Rechte und Dokumente zur venezianischen Geschichte. 9 Liv. 30,30,19. 10 Aen. 9,612. 11 Genannt nach der Stadt Numantia in Spanien. 12 Im Lateinischen steht barbaries, was zu übersetzen schwierig ist; dem Dichter galt der Ausländer wie einst den Römern als vergleichsweise ungebildet, roh. 13 Iuv. Sat. 13,189 – 191. 14 Iuv. Sat. 10,198.199. 15 Der ältere Scipio. 16 Liv. 28,40 ff; 28,43 etc. 17 Der genannte, der seiner Mutter nicht verraten wollte, was man im Senat besprochen hatte, log ihr etwas Unglaubliches vor; vgl. Gell. Noct. att. 1,23. 18 Der junge Cato wollte Sulla erdolchen; Alkibiades riet, einen Rechenschaftsbericht zu vermeiden. Vgl. Val. Max. 3,1,2 und 3,1,ext.1. 19 Cic. Tusc. 2,26,62. 20 De rep. 6,26,29. 21 Liv. 30,30,19. 22 Worauf Petrarca sich bezieht, ist unklar. Angaben über die Veneter und Gründungslegenden zu Venedig findet man bei Plin. Nat. 1,130; Liv. 1,1,1 – 4; Verg. Aen. 1,242 – 249. 23 Quintus Fabius Maximus Cunctator, berühmt für seine Hinhaltetaktik im Kampf gegen Hannibal nach der römischen Niederlage am Trasimenischen See 217. 24 Stelle nicht nachweisbar. 25 Venedig suchte 1351 eine Allianz mit Pedro IV. von Aragon, der eben damals bemüht war, die Genuesen aus ihren letzten Stellungen auf Sardinien zu vertreiben. 26 Das ist Italien. 27 Barbarisch oder ausländisch. Vgl. Anm.12. 28 Petrarca denkt an die immer grösser werdenden Scharen ausländischer Söldner, die von den verschiedenen italienischen Mächten angeheuert wurden. 29 Ecl. 1,70 – 72. 30 Iust. Epit. 5,8. 31 Thyrreion,Stadt in Akarnanien, zwischen Jonischem Meer und Golf von Ambrakia (Arta). 32 Gemeint sind Charybdis und Skylla. 33 Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Hinweis auf die historisch belegten Tatsachen. Der Doge antwortete dem Dichter am 22. Mai 1351. Sein Schreiben hat Ugo Dotti wiedergegeben und übersetzt; s. Dotti, Petrarca a Milano, Mailand 1972,86 – 88.
Fam. 11,9, an Giovanni Aghinolfi1 1. Petrarca hat umsonst nach etwas Erheiterndem gesucht. Er äussert sich über den Ernst der Antike und die Spassigkeit in der Moderne. 2. Das schreibt er auf der Reise und freut sich auf Vaucluse. Montgenèvre, am 20. Juni (1351).
1. Das erhoffte Tröstliche hat der Po weggespült; nichts Scherzhaftes gibt's, was sich berichten liesse. Ausser es sei vielleicht des Lachens wert, dass ich ängstlich nach Lustigem suchte. Ernsthafter war das Altertum, so meine ich, und unsere Zeit ist spasshafter; es liegt ja in der Natur der Dinge, dass man zu Sorgen durch Ernsthaftes und zu Scherzen durch Ungereimtes bewogen wird. Glaube mir, mehr als nur einmal hätte der alte Crassus2 gelacht, wäre ihm bestimmt gewesen, mit uns zu leben; und Demokrit3 hätte bei einem Vergleich der Epochen nicht geleugnet, dass sein Lachen verfrüht sei. Denn erst heute ist die Welt von einer Unmenge törichter alter Männer und von viel zu vielen verrückten Weiblein erfüllt! Um von den oberflächlichen, einfältigen jungen Leuten gar nicht zu reden! Doch mündlich ist das kurzweiliger. 2. Ich schreibe Dir beim Überqueren der Alpen. Wundere Dich also nicht über diese „alpinen“ Schriftzüge und über die dem schmalen Pfad und knappen Zeitraum angeglichene Epistel. Beeile Dich, bitte, mir unverzüglich zu folgen! Dass Du es tun wirst, weiss ich. Doch lieber wäre mir, ich hätte Dich zum Begleiter, wie Du es oft gewesen bist. Nun, kein Vergnügen ist hier4 ewig. An der Quelle der Sorgue erwarte ich Dich, an dem Ort, der zwar immer ganz wunderbar und reizvoll ist, aber im Sommer fast an elysische Gefilde heranreicht. Da werden wir ein Weilchen Atem holen, bevor wir eintauchen in jenen Tartarus des benachbarten Babylon.5 Lebe wohl! Von der Höhe des Montgenèvre, am 29. Juni (1351).6
Anmerkungen 1 Aghinolfi war Kanzler der Gonzaga in Mantua, Freund der Carrara in Padua. Im Auftrag seiner Herren war er mehrmals nach Avignon gereist und dabei auch Petrarca begegnet; vgl. oben Fam. 7,8 und 11,3. 2 Lucius Licinius Crassus, 140 – 91 v. Chr., Redner, für seinen Witz berühmt. Vgl. Cic. De off. 1,30,108 und Tusc. 3,15,31. 3 Philosoph, Zeitgenosse von Sokrates; zur Stelle vgl. Iuv. Sat. 10,33. 4 Hier auf Erden. 5 Das ist Avignon; vgl. z. B. Fam. 11,6,5. 6 Der genannte Alpenübergang Petrarcas fiel in den Sommer 1351.
Fam. 11,10, an Bischof Philippe von Cavaillon1 Der Dichter meldet seine Ankunft in Vaucluse und freut sich, den Bischof gleich aufzusuchen. Am 27. Juni (1351).
Unerträglich ist mir mein Verlangen geworden, das durch die lang dauernde Abwesenheit mir entstanden ist. Und vor allem in meiner Begierde, Dein ehrwürdiges, mir teures Angesicht und auch den zerstreuten und zerfetzten Überrest meines Freundeskreises wiederzusehen, habe ich Seele und Leib aufgerafft und die weite und mühselige Reise sogar in der ungünstigen Jahreszeit durchgestanden. Du magst also glauben, dass sich an mir jenes poetische Wort erfüllt:2 „Liebe betrat den beschwerlichen Pfad …“. Jetzt habe ich an der Quelle der Sorgue in Deiner einsamen ländlichen Gegend die Ruhe gewonnen3 und sammle da meinen Geist und die von der Reise erschöpften Glieder. Von da aus schreibe ich Dir in Eile, damit Du nicht durch einen andern früher davon erfährst und mich der Saumseligkeit beschuldigst. Alles weitere mündlich und in Bälde. Ich werde kommen, sobald ich mir den Schmutz und sommerlichen Staub mit dem klaren Wasser der Quelle abgeschrubbt habe. Lebe wohl. Am 27. Juni (1351).4
Anmerkungen 1 An den Bischof Philippe von Cavaillon richten sich schon Fam. 2,1; 6,9 und 11,4. Im letztgenannten kündigte Petrarca seine baldige Ankunft in Vaucluse an. 2 Verg. Aen. 6,688. 3 Das Tal gehörte zum Jurisdiktionsbereich des Bischofs. 4 Zur Reise und ihrer Datierung vgl. Fam. 11,6.
Fam. 11,11, an Bischof Philippe von Cavaillon1 Bemerkungen zu einem Empfehlungsschreiben des Adressaten an zwei Kardinäle. An der Quelle der Sorgue, am 29. Juni (1351).
Was Du den beiden gar mächtigen Ruderleuten2 des apostolischen Kahns über mich geschrieben hast, Vater, habe ich aufmerksam durchgelesen. Wie wahr es sei, mag sich fragen, wer es verfasst hat und wer es lesen wird. Ich jedenfalls vertraue, je tiefer ich Dich und das Geschriebene ergründe, um so fester dem alten und lobenswerten Sprichwort, dass das Urteil von Liebenden blind sei. Doch dass es so ist, beglückt mich. Auch wünsche ich, Du werdest sie von dem überzeugen, was Du bezweckst, so dass sie auf Deine Autorität hin so zu denken lernen wie Du, dann auch das Selbe wollen wie Du und damit an Deinem Irrtum und Deiner Liebe teilnehmen. So bleibe ich allen unbekannt und teuer. Lebe wohl. An der Quelle der Sorgue, am 29. Juni (1351).3
Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief an den selben Adressaten. 2 Es dürfte sich um die beiden Kardinäle Guy de Boulogne und Elie de Talleyrand handeln, denn diese waren offenbar bemüht, dem Dichter zu einer gehobenen Stelle zu verhelfen. Ihre Absicht war allerdings dem Dichter unerwünscht. Von Guy de Boulogne war ausführlich schon in Fam. 9,13,6 ff. die Rede. Auskünfte über die beiden Kardinäle findet man bei Guillemain; vgl. dort die Register. 3 Bei der Datierung wird Petrarcas Reise nach Avignon berücksichtigt. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 67.
Fam. 11,12, an Luca Cristiani1 Über die Rückkehr nach Vaucluse. 1. Hinweis auf die eigene Unbeständigkeit. 3. Der Dichter sucht Vaucluse auf. 4. Er nennt Gründe für die Änderung des früheren Entschlusses: Er benötigt Ruhe; das Tal wurde ihm Heimat; die Vollendung der hier begonnenen Werke muss bald erfolgen; alte Freunde und die Bücher kann er nicht missen. 8. Er rechnet mit einem Aufenthalt von zwei Jahren. 10. Auch bittet er um Verständnis für die Absage an frühere Pläne. An der Quelle der Sorgue, am 19. Juli (1351).
1. Wie unbeständig und wechselvoll das Wollen der Sterblichen ist und wie sehr die Entscheidungen für die Zukunft besonders bei jenen Leuten schwanken, die der Weisheit noch fern sind, magst Du an mir erkennen. Gepackt hat mich eben ein plötzliches Verlangen nach den Hügeln, Höhlen und Wäldern und den mit Moos begrünten Felsblöcken, die am hochberühmten Quell der Sorgue ohne Unterlass dröhnen. Wo ich einst als Knabe, dann als Jüngling, schliesslich als Erwachsener weilte, dahin bin ich jetzt als fast alter Mann zurückgekehrt,2 und das obwohl ich – wie Du weisst – nie zurückzukehren entschlossen war. 2. Eine gewisse Annehmlichkeit der Gegend hat mich gelockt und meiner Seele einen unsichtbaren Sporn eingetrieben. Ihm zu widerstehen, war meine Vernunft nicht imstande. Es hat mich nicht etwa irgendeine Hoffnung, auch nicht eine Notwendigkeit, nein, nicht einmal ein Lustgefühl (es wäre denn ein gleichsam herbes und bäurisches), hierher gezogen, schliesslich auch nicht der unter allen weltlichen Gründen einzig sehr ehrenhafte: – die Liebe zu Freunden. 3. Welche Freunde soll ich hier denn haben, wo keiner ist, der auch nur das Wort Freundschaft versteht? Um die Pflege einer kargen Scholle, einer ertragreicheren Rebe und eines Ölbaums, auch um den Fischfang mit Angeln und Netzen ist dieses Völklein hier bekümmert; es kann weder in alltäglichen Geschäften noch Gesprächen mit mir Umgang pflegen.3 Und doch hat weder eine Unkenntnis der Verhältnisse noch irgend ein Zufall mich hergezerrt; vielmehr bin ich dahin zurückgekehrt, weil ich da einen guten Teil meines Lebens verbracht zu haben mich erinnere, und ich tat es wohlüberlegt und wissend und wollend und klar erkennend, was ich verlasse und was ich bezwecke. 4. Ist an der Änderung meines Vorsatzes etwas entschuldbar, dann diese meine Sehnsucht nach nichts anderem als Einsamkeit und Ruhe. Zum Überdruss ist mir meine Bekanntheit im Vaterland geworden, und das Unerträgliche fliehend, suche ich ein Versteck, um einsam, ruhmlos und unbekannt zu sein. Sonderbares Begehren, wenn man bedenkt, wie viele Menschen hinter eitlem Ansehen herjagen! Doch so ist es! Das suche ich, das verfolge ich, und weder der Glanz des einst erhofften Ruhmes noch die Annehmlichkeit eines besonders ehrenvollen Lebens wird mich
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von hier wieder wegholen. Und das Gegenteil von all dem und auch die Härte des Landlebens schrecken mich nicht. Ja, beachte nur, wie hoch ich die Beschaulichkeit schätze: Ich habe nichts, womit ich sie tauschen wollte. 5. Getrieben hat mich, wie gesagt, und zwar nicht ohne eine gewisse Wollust, der Gedanke an das abgelegene und stille Bauernland, wo ich schon in früher Lebenszeit verweilt bin. Und wie sollte ich mich wundern, dass Camillus,4 jener hochbedeutende Mann, in seiner Verbannung Sehnsucht nach dem Vaterland und Anhänglichkeit an die römische Heimat empfand! Denn ich, ein Italer, geboren am Ufer des Arno, empfinde sogar Anhänglichkeit an einen Ort jenseits der Alpen! 6. Gewiss, eine recht lange Gewohnheit verwandelt sich in Natur. Daher verstummt meine Verwunderung, weshalb ich so gerne in fremden Gegenden verbleibe. Dank meiner Gewöhnung bin ich schon ein Landsmann dieses Tales geworden, und komme ich hierher, ist mir, als pilgerte ich zurück in meine Heimat. Nichts jedoch bewegte mich stärker als die gewaltige Hoffnung, an gewisse Werklein die letzte Hand zu legen, um das, was ich hier mit Gottes Hilfe einst begonnen habe, unter gleicher Führung eben hier auch zu vollenden. 7. Fragst Du aber nach der Dauer meines Aufenthaltes in dieser Gegend, so ist sie ungewiss wie alles Zukünftige. Ich befand mich bereits auf dem Weg, hatte aber die Grenze noch nicht überschritten, als ich den Freunden meine Abreise und mein Vorhaben für die Rückkehr schriftlich bekanntmachte, sagend, ich wollte im nächsten Herbst wieder dort sein. So vermutete ich damals. Doch nie ist es klug, einen Plan aus der Ferne zu schmieden. Ein altes Sprichwort besagt, ein Gladiator entwerfe seinen Plan in der Arena; nur die Gegenwart erlaube Entscheidungen.5 Denn Zeitumstände verändern an Beschlüssen oft vieles, auch örtliche Verhältnisse vieles und vieles die Gespräche mit Freunden. 8. Insoweit ich aber aus der Vergangenheit auf die Zukunft schliessen kann, werden zwei Jahre für meine Verrichtungen genügen, und diese Zeitspanne entspricht meinem üblichen Wechsel zwischen meinem italischen und meinem gallischen Aufenthalt. Dabei weiss ich freilich genau, dass wir nicht allein für zwei Jahre, sondern schon für einen einzigen Tag nur unsichere Aussichten haben. Immer wird mir das Wort eines frommen Alten gefallen,6 der, wie man erzählt, eines Abends von seinem König auf den folgenden Tag zum Essen geladen wurde und antwortete, er habe keinen folgenden zur Verfügung. 9. Wirklich ausgezeichnet und bedeutsam und frei von der Selbsttäuschung der Menge, die in der Hoffnung auf das Morgen das Heute zu vergeuden gewohnt ist. Der Erwähnte freilich hat, wie sein Wort zu verstehen gibt, sein Päcklein immer schon geschnürt gehabt und so jeden Tag als den letzten verlebt. Und damit seine Antwort noch höheren Wert erlange, erinnert man daran, dass der Alte in eben jener Nacht verschieden sei. Wir hingegen lassen immer wieder zu, dass wir in der Erwar-
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tung des Kommenden das Gegenwärtige versäumen. Doch genug davon, da wir alle in diesem Punkt fast gleichermassen fehlen. Ich kehre zur Hauptsache zurück. 10. Scheint Dir, ich hätte etwas getan, was dem Dir einstmals Versprochenen entgegenstehe, so verzeih es! Die Wandelbarkeit des menschlichen Herzens möge es entschuldigen; denn sie ist sogar Klügeren eingepflanzt und mit Ausnahme der Vollkommenen, die ganz dem einzigen höchsten Gut ergeben sind, niemandem völlig vermeidbar. Und da ist noch die andauernde Gleichförmigkeit, über die ich damals weitschweifig gesprochen habe, die Mutter des Überdrusses, der man durch Ortswechsel entgehen muss!7 Schliesslich gestatte mir bitte, nach meinen Gartenbeeten, die ich mit eigenen Händen angelegt habe, zu schauen und ob etwas in meinem Haushalt nutzlos und meiner unwürdig sei! Oder lass mich wenigstens die Quellen und Wälder wieder besuchen! Unseren Studien waren sie äusserst dienlich. 11. Und schliesslich möchte ich meine lieben Bücher, an denen ich hier eine nicht geringe und recht erfreuliche Zahl besitze, wieder ans Licht ziehen; sie haben es lange Zeit entbehrt, eingeschlossen im verriegelten Kasten. Ja, gewähre, dass ich meine Augen ihnen und sie hinwiederum meinen Augen zukehre und dass ich, wenn vielleicht nichts weiter erlaubt ist, aus den uralten Pergamenten wenigstens die Bücherwürmer und den Moder herausschüttle. Doch es wird mir hoffentlich etwas mehr vergönnt sein. Und dass zwei Jahre für die übernommenen Pflichten genügen, nehme ich an, wie ich sagte. Sind diese zerronnen, bleibt mir, sofern es geschenkt wird, ein anderer Lebensweg, nach welchem ich, wenn meine Bürden mich nicht erdrücken, sehnsüchtig ausschaue, seufzend in grosser Gemütsbewegung. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 19. Juli (1351).8
Anmerkungen 1 Zum Adressaten vgl. Fam. 8,2 – 5. Der Verschollene war, wie Petrarca vernommen hatte, in Piacenza aufgetaucht. Er traf ihn unmittelbar vor seiner Abreise in den Norden. Den Plan, mit ihm und wenigen anderen Freunden ein Leben in Gemeinschaft zu führen, gab er auf; vgl. Wilkins, Life 105. 2 Vgl. das Gedicht Petrarcas in Fam.11,4. Es erwähnt ebenfalls die wohltätige Wirkung des Tales auf die verschiedenen Lebensalter des Dichters. 3 Von einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Dichter und der Bevölkerung von Vaucluse sprechen z. B. Fam. 3,21 und 3,22. 4 Marcus Furius Camillus, ca. 400 – 370, berühmt vor allem durch Triumphe über Kelten; durch Legenden verklärt; vgl. Liv. 7,1,8 ff. 5 Sen. Ad Lucil. 22,1. 6 Das folgende Sprichwort kannte Petrarca wohl vom Hörensagen. 7 Vgl. Fam. 8,5,15. 8 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 67.
Fam. 11,13, an Niccolò Acciaiuoli, Gross-Seneschall des Königreichs Sizilien1 Gratulationsschreiben. 1. Entschuldigung für langes Schweigen. 2. Es fehle Petrarca nicht an Stoff zum Schreiben, jedoch an Zeit. 4. Hoffnung auf eine glückliche Wendung im Königreich Neapel. Dann möchte der Schreibende den Hof in Neapel aufsuchen. Avignon, am 29. August (1351).
1. Ich kann, Ehrenwertester, meine Trägheit nicht mit dem Schutzschild bedecken, den ein Grossteil fauler Schreiber mit den Worten vorstreckt, es gebe nichts zu schreiben.2 Mir eröffnet ja Deine Tüchtigkeit ein ausgedehntes Feld, weit genug, dass man darüber nicht allein persönliche Briefe, sondern auch ganze Bücher verfasse. Mit so grossem und unbesiegbarem Mut sehe ich Dich gegen das Schicksal ankämpfen, dass mich oft ein ungestümes Verlangen packt, zum Lobe Deines Namens irgend etwas Bedeutendes zu beginnen, wie es Dir und mir gebührt und unserer gemeinsamen Vaterstadt schwerlich nicht gebührt. Sie hat uns freilich unter einem völlig verschiedenen Stern hervorgebracht; Dich nämlich zu ruhmreichen und herrlichen Taten, mich für ein irgendwie beschaffenes Schreiberwerk. 2. Nun fügte sich jedoch Deinen früheren Leistungen als ein besonders reicher Stoff das unter Deinem fortwährenden Rat erlangte glückliche Geschick des Königs3 an. Es gab mir die frohe Hoffnung zurück, zu seinen Lebzeiten würden nie wieder Ausländer in Italien herrschen. Folglich ist für alle, die sich um Geschichtsschreibung oder Dichtung bemühen, der grossen Taten so viel vorhanden, dass ich gewisse Themen der Lyrik (wie etwa das Angenehme eines besonders erfreulichen Lebens und Benehmens oder die Ruhe und Heiterkeit Deines edlen Geistes) übergehen wollte. 3. Doch nun scheut diese Feder – ihrer Aufgaben wohl bewusst und der früheren schon fast müde – vor allem Neuen zurück; und das ist der eigentliche Grund für mein Schweigen! Ich hätte also, wie ich gestehe, Stoff zum Schreiben. Und hätte ich keinen andern, gäbest doch Du mir im Überfluss. Wenn Du nur auch verstündest, Zeit zu verschaffen! Die nämlich habe ich, überhäuft von Pflichten, zweifellos nicht. Hat man solche in rechtem Mass, helfen und stählen sie den Geist; doch im Übermass erdrücken und entnerven sie. Über alles andere entscheidet Fortuna. 4. Du aber, Bester der Männer, nimm mein Wollen, selbst wenn es frei ist von Werken, in Deiner menschlichen Freundlichkeit an, und beachte, dass ich selbst im Schweigen der Deine bin. Möge, so hoffe ich, Dein herrliches Beginnen von der Gunst des Himmels begleitet sein, damit ich diesen Leib Italien bis in alle Eingeweide vom Makel der Barbarei einst gereinigt sehe. Denn hast Du, wie ich höre, Vorbereitungen getroffen, die uns beglücken und die Feinde bestürzen, dann ist
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mir schon jetzt, als könnte ich meinem Verlangen nicht lange widerstehen, müsste vielmehr dem Netz meiner Beschäftigungen mich entreissen, um jene Küste zu erreichen, welcher nicht allein die Schriftsteller Italiens, vielmehr die aller Welt den höchsten Grad der Schönheit zumessen. Dort wollte ich Dein Angesicht sehen und Parthenope4 wiedersehen.5 Lebe wohl und wirke, Du unsere Zierde. Avignon, am 29. August (1351).6
Anmerkungen 1 Der Adressat stammte aus einer reichen Familie in Florenz; geboren wurde er 1310. Nachdem er seine politische Laufbahn unter den Prinzen von Tarent begonnen hatte, war er am Hof von Neapel eingeführt worden. Ab 1348 war er Gross-Seneschall. Eine Aussöhnung zwischen Clemens VI. und der Königin Giovanna, sowie der Verkauf von Avignon an diesen Papst 1348 wurden von ihm gefördert. Er setzte sich für die Rechte der Königin Giovanna und für die von Lodovico (Luigi) von Tarent ein und kämpfte gegen dessen Rivalen Ludwig von Ungarn. Dank seiner Vermittlung und dem Eingreifen des Papstes kam 1350 eine Waffenruhe zustande, die 1352 in einen Frieden umgewandelt wurde. Ludovico wurde hierauf durch einen päpstlichen Legaten in Neapel zum König gekrönt, und seine Ehe mit Giovanna wurde anerkannt. 1354 gelang dem Gross-Seneschall, der eine Rückeroberung Siziliens plante, die Eroberung Messinas, doch hielt sein Kriegsglück nicht an, und die Unruhen im Reich Neapel konnte er nur mit Mühe niederhalten; Besitzungen der Familie Anjou im Piemont vermochte er nicht zurückzugewinnen. Er starb zum grossen Schaden des Reiches 1365.Die weiteren Briefe Petrarcas sind angegeben unter „Adressaten“ und im Personenreg. 2 Am 14. Juni 1351 verzichtete Ludwig von Ungarn auf seine Ansprüche. 3 Der neue Herrscher von Neapel Lodovico von Tarent, gekrönt erst 1352. 4 Neapel. 5 Petrarca durfte hoffen, von Acciaiuoli irgendwelche angenehmen Angebote zu erhalten. Einen Aufenthalt in Neapel, gar eine Niederlassung dort, zog er seit seiner ersten Reise zu König Roberto immer wieder in Betracht. 6 Die Jahreszahl ergibt sich aus der Berücksichtigung der historischen Ereignisse, auf die Petrarca anspielt; vgl. auch Wilkins, Petr. Corresp. 67.
Fam. 11,14, an Philippe de Vitry, Bischof von Meaux1 Glückwunsch zur Bischofswürde. 1. Zweifel, ob zur Bischofswahl zu gratulieren sei. 2. Hinweis auf einstige Rücktrittsgedanken des Kaisers Augustus. 3. Charakterisierung amtlicher Sorgen. 4. Hoffnung auf ein Wiedersehen. Avignon, am 23. Oktober (1351).
1. Ist Mitfreude oder eher Mitleid angezeigt, liebster und bester Vater? Während Du vor allem der Ruhe bedarfst, werden Dir offenkundig vor allem Geschäfte aufgebürdet, und Deine angenehmsten Studien und Dein höchst erfreuliches, freies Schaffen2 müssen hinter die ausnehmend harten Pflichten und Bürden des Episkopats zurücktreten.3 2. Wie oft hat doch Caesar Augustus4 – um mich auf das einzigartige und grossartigste Beispiel zu beschränken –, wie oft hat er in dem Lebensalter, das Du soeben erreicht hast, daran gedacht, sich der Kaisergewalt zu entledigen, um damit eine Bürde abzulegen! Davon hört man in einem an den Senat gerichteten Schreiben, in welchem er um die Erlaubnis bittet, sein Alter privat und in Freiheit zu verbringen. Und dass es, befreit vom höchsten Amt, ehrenvoll zu werden verspreche, bezweifelt er nicht. 3. Du hingegen hast, geehrt und ruhevoll lebend, und in einem Mass unabhängig wie kein anderer meiner Bekannten, Dir ohne Not Geschäfte und freiwillige Knechtschaft aufgeladen, nämlich ein Pontifikat mitsamt all seinen verknoteten und verstrickten und unter jeder Sichel neu wuchernden Sorgen übernommen, und Du hast das mit grossem und hohem Mut getan, um Deiner eigenen Ruhe und unbescholtenen Freude das öffentliche Gedeihen voranzustellen. Deshalb verlangt Deine Absicht meine Mitfreude, Dein Schicksal aber mein Mitleid. Und daher rate ich Dir vor allem andern das Eine, Du möchtest, was Du entgegen eigenen Wünschen übernommen hast, mit unermüdlicher Stetigkeit hochhalten, um auf Erden Ansehen und im Himmel einen erst recht dauerhaften Lohn zu verdienen. 4. Wenigstens soviel wollte ich Dir in Eile schreiben, während der Bote wartet. Du sollst, auch wenn ich nichts anderes zu sagen habe, wenigstens wissen, wo in aller Welt ich mich befinde. Ans Rhoneufer hat mich mein Los wiederum verschlagen! Und wäre mir doch möglich, bevor sein Rad5 mich aufs neue herumdreht, Dich zu sehen! Lebe glücklich, lebe wohl und denke an uns! Avignon, am 23. Oktober (1351).6
Anmerkungen 1 Zu Philippe de Vitry vgl. oben Fam. 9,13. 2 Berühmt war er vor allem als Musiker.
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3 Philippe de Vitry wurde Bischof von Meaux im Alter von 60 Jahren am 3. Januar 1351. Er starb 1361. 4 Sen. De brev. vitae 4,3 – 4. 5 Gemeint ist das Rad der Fortuna. 6 Die Jahreszahl ergibt sich aus dem Datum der Bischofserhebung von Philippe.
Fam. 11,15, an Bischof Philippe von Cavaillon1 Willkommensgruss an den Zurückgekehrten. 1. Vom Nutzen vorübergehender Trennung. 4. Von Reisen müsse man nun abstehen. 5. Beschwerden und Gefahren habe man zur Genüge gekostet. 7. Dem Brief werde Petrarca sogleich nachfolgen. Avignon, am 25. Oktober (1351/1352).
1. Zurück bist Du von Deiner sehr langen Reise, so höre ich freudig, und meine Arme zum Himmel erhebend spreche ich wie Anchises:2 „Endlich bist Du nun da! … Du, der so manches Land und so weite Meere bereiste, Kehrst bei mit ein …“ Wie sollte ich nicht froh sein, dass mir ein so lieber und so sehr um mich verdienter Vater wohlbehalten zurückkommt! Es freut sich mit mir Deine ganze Kirche, welcher volle zwei Semester, die länger erschienen als zwei Jahre, ihr Haupt entbehrt hat. 2. Deine ganze innig liebende Herde jubelt bei der ersehnten Heimkehr ihres Hirten, blickt auf das strahlende Licht seiner heiteren und stets gnädigen Stirn, vernimmt den Laut seiner gütigen und heilbringenden Stimme, welche ihr die saftigen Weiden bezeichnet, und sie erinnert sich dabei, dass sein Joch leicht und sein Hirtenstab überaus sanft ist.3 Und gewiss, sogar die Hügel, sogar die Täler und auch die Mauern Deiner Stadt scheinen mir, wenn auch im Schweigen, sich zur Rückkunft ihrer Sonne Glück zu verheissen. Lästig ist den Liebenden ja immer die Abwesenheit. Doch bisweilen ist sie auch nützlich zur Neubelebung der Gefühle. 3. Ich jedenfalls nehme an, dass ihrer viele sind, die in Deiner Abwesenheit erkannten, wie sehr Deine Gegenwart zu ehren ist. Wie beim Ackerbau so ist auch bei einer Lebensgemeinschaft eine Unterbrechung meist nützlich, und wie ein zeitweiliges Ruhen aus der Brache grössere Fruchtbarkeit fördert, so bringt es aus menschlichen Herzen eine reichere Ernte an Liebe hervor. Jedenfalls ist dieses Gesetz der Landwirtschaft bei unfruchtbaren Böden angebracht und ebenso in der Freundschaft anzuwenden bei lauen Gefühlen. Freilich habe ich selber wie jene, die ein hervorragend fruchtbares Feld beackern, zusammen mit all den Deinen, die sich innig nach Dir sehnen, einen solchen Wechsel nicht nötig. Ohne Unterlass möchten wir Dich, so es möglich wäre, lieber gegenwärtig haben. Und darum hoffen und bitten wir, dass sich Dein Angesicht unseren Augen nie wieder entziehe. 4. Und gewiss möchte ich, um Dir, aber nicht weniger auch mir, dem Sprechenden, meinen alten vernünftigen Ratschlag von neuem einzuhämmern, folgendes sagen: Es ist an der Zeit, unsere Schifflein zum Ufer zu wenden, den nächsten Hafen aufzusuchen, dort Anker zu werfen, da auszuruhen und die Länder und Meere, die
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weit und breit von unzähligen Beschwernissen und Gefahren voll sind, den andern zu überlassen! 5. Genug und übergenug, so meine ich, haben wir erlebt: wie sehr die nächtelange Sorge quält, wie sehr die täglichen Geschäfte ermüden, welche Plackerei und welchen Schweiss der Anstieg auf einen Berg und hierauf der Abstieg bereiten, wie viel Überdruss eine endlose Ebene erzeugt, welchen Schrecken im Finstern einer nebligen Nacht und bei tobender See die hoch brausende Woge uns einjagt, wenn unter dem Heulen der Schiffsleute ein Kahn krachend an ein Felsenriff aufschlägt. 6. Durch Kot und Staub, Schnee und Eis und über Felsen sind wir gegangen; Hagel und Unwetter, Winde und Regengüsse haben wir überdauert; Hitze, Kälte und Nachstellung von Räubern und Angriffe wilder Tiere haben wir erduldet; fast kein Ungemach haben wir nicht erfahren. Und mag auch beglückend sein, solche Abenteuer in der Jugend zu überstehen und später sich daran zu erinnern, so ist doch die Unfähigkeit, sich davon zu trennen, recht erbärmlich. 7. Überlassen wir das also andern, die womöglich keine Erfahrungen oder vielleicht glücklichere gesammelt haben. Sie nämlich sollen, was wir in unseren Gefahren erlernt haben, in den ihren erlernen, und sie sollen mit ihren Waffen dahin vorrücken, woher zurückzukommen nun richtig und billig ist für uns. Es gibt Menschen, denen unentwegte Anstrengung und unablässiges Wagnis ein Vergnügen sind. Uns aber ist, wenn wir unserer Aufgabe und unserer Umstände gedenken, liebenswert die Ruhe und wünschenswert die Sicherheit. Durch weite Fernen sind wir gezogen; Zeit ist es, stehen zu bleiben. Schon wird es Abend,4 bester Vater, und vor der Nacht man muss an die Herberge denken. Dieses Brieflein schicke ich Dir zu Deiner Ankunft, um unmittelbar auf seiner Spur zu folgend. Lebe glücklich und bleibe gesund, Du unsere Zierde! Avignon, am 25. Oktober (1351/1352).5
Anmerkungen 1 2 3 4 5
Vgl. oben Fam. 6,9 und die dort angegebenen Briefe an den gleichen Adressaten. Anchises, Troerfürst, Vater des Aeneas; zur Stelle vgl. Verg. Aen. 6,687; 692 – 693. Vgl. Mt.11,30. Advesperascit im Lateinischen erinnert an Lc. 24,29. Zur Datierung 1351 oder 1352 vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 11,16, an vier Kardinäle Zur Lage der römischen Republik. 1. Eine ehrenhafte Last sei Petrarcas Schultern auferlegt, da er zu wichtigen Fragen seine Meinung zu äussern habe. 4. Über die Würde Roms, an welcher niemand zweifle. 8. Vaterlandsliebe gehe jeder anderen vor. 10. Ob römische Bürger an der Regierung Roms Anteil haben sollten. 13. Über den römischen Senat. 17. Protest gegen den Stolz des Adels. 26. Darstellung des Kampfes der römischen Plebs um Rechte und Freiheiten. 34. Die Adligen sollten – wenigstens für eine gewisse Zeit – von allen Ämtern völlig ausgeschlossen werden. Am 18. November (1351).
1. Gebrechlichen Schultern wird eine drückende Last auferlegt, und zwar von jenem und um jener willen,1 denen beiden ich nichts verweigern konnte. Nichts zurückzuweisen, hiess mich meines Herzens Herr, das ist Amor. Das Wohlergehen der gemeinsamen Vaterstadt und allgemeinen Ernährerin2 ist gefährdet, und es gibt keinen Sohn, den die Schmach der gütigen Mutter nicht rührte. Übrigens gesellt sich zu einer das ganze Menschengeschlecht verpflichtenden Schuldigkeit eine persönliche Rücksicht auf einen mir erbrachten Gunsterweis der Stadt Rom. Sie nennt mich auf Grund eines besonderen Vorrechts ihren Bürger3 und erwartet vielleicht, dass zu dieser Zeit für ihren Ruf und ihr alterndes Ansehen bei mir nicht die schlechteste Schutzwehr bereitstehe. 2. Schliesslich hat sie sich stets so sehr um mich verdient gemacht, dass immer, wo es um ihr Schicksal geht, mein Schweigen nicht allein schmählich, nein auch unmenschlich und undankbar wäre. Das möchte ich vorausgeschickt haben, denn niemand soll denken, ich sei von Sinnen und vergässe mich selber, indem ich begehrte, was ausser meiner Reichweite liege, und dass ich entgegen einem Ratschlag des Weisen4 zu Hohes verlangte und zu Keckes erstrebte. Auch soll niemand ärgerlich aufhorchen, weil da einer die römische Freiheit mit zwar wohlgemeinter, aber recht geringer, unüberlegter, prosaischer und wohl gar unangenehmer Lobpreisung verteidige. 3. Eine grosse Angelegenheit, so gestehe ich, wird verhandelt, und dies vor den Grossen, damit es gar dem Grössten vorgelegt werde.5 Ich aber bin mir meiner Kleinheit bewusst, nur dass die mir angeborene Ergebenheit mir Mut gibt zum Sprechen. Wenn daher von Euch, beste Väter,6 denen die Obsorge über diese Angelegenheit zusteht, diese meine Entschuldigung für meinen Wagemut, wie ich hoffe, bisher wohlwollend geduldet wurde, so leiht Euer gütiges Ohr bitte weiterhin meinen redlichen Worten, um nicht, wer ich bin, sondern was ich bezwecke, auch nicht so sehr, wie, als was ich rede, nein, nicht so sehr, was ich rede, als vielmehr, was ich zu sagen gewillt bin und was sich über die so bedeutende Materie sagen lässt, barmherzig zur Kenntnis zu nehmen.
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4. Erstens setze ich voraus, dass Ihr zutiefst davon überzeugt seid, kein einziger Name im menschlichen Bereich klinge so hell wie jener der römischen Republik. Das wird mir kein Land, kein Volk, kein Barbarenstamm abstreiten; ja sogar der ganze Erdkreis würde es, könnte er reden, einhellig bestätigen, und er würde damit sein Haupt freimütig anerkennen, sei dieses auch struppig, aufs erbärmlichste vernachlässigt und verwahrlost. 5. Wäre daher Rom nichts anderes als ein Name, so wäre dieser Name doch der einer früheren Königsstadt und als solcher, wie ich meine, mit einer gewissen Ehrfurcht zu behandeln, nämlich als Bezeichnung jener Stadt, die der allmächtige Gott mit wahrhaft grossen Vorrechten geschmückt, bei welcher er die Grundlage des wahren Glaubens und das Fundament der Kirche sowie die höchste Herrschaftsgewalt über die ganze Erde errichtet hat. Doch nun ist die Roma etwas mehr als ein blosser Name, ja, man kann von ihr etwas erhoffen und etwas fürchten. 6. Somit mag denn den folgerichtig Denkenden einleuchten, dass es nicht ohne Grund und nicht durch Zufall, sondern durch göttliche Verfügung geschehen ist, wenn der römische Bischof aus dem ganzen heiligen Kollegium vornehmlich Euch diese ruhmvolle und verdienstvolle Aufgabe (die allerdings bei genauem Abwägen keineswegs schwierig ist) hat aufbürden wollen. Denn dreien von Euch hat nebst abgründiger Weisheit und überquellender Wissenschaft noch eigene Erfahrung eine Kenntnis der römischen Lage vermittelt; aber der vierte ist ausserdem nicht allein von römischer Herkunft, sondern stammt auch – wie gewisse vermuten – just vom erhabensten und ältesten Geschlecht der Cornelier ab und verteidigt dennoch – oh wahre Treue und oh wunderbare Liebe zum Vaterland – gegen die stolze Adelssippe als aufrechtester Mann die Sache der schutzlosen Plebs und eine Schirmherrschaft für die niedergetretene Freiheit.7 Da Ihr also zu gottgefälligem Zweck von Gott als Richter bestellt seid, dürft Ihr der Nachlässigkeit keinen Raum und keinen den menschlichen Bitten und Gunsterweisen gewähren. 7. Doch will ich unverzüglich das Ergebnis meiner Nachforschungen und Überlegungen in knappe Rede zusammenfassen. Der alte Streit erneuert sich, und hätte sich doch nur dem früheren Hochmut keine neue Gewaltherrschaft beigesellt! Die träge, grundlos sich rühmende und alles verachtende Vornehmheit missbraucht in massloser Weise die Einfachheit der römischen Plebs und schleppt sie, als wären da lauter gefangene und schimpflich unterjochte Punier oder Kimbrer, zum Triumphzug, obwohl doch durch kein Gesetz bestimmt und durch keine Gewohnheit überliefert, auch sonst durch keine mündliche Verlautbarung wäre kundgemacht worden, dass man über bezwungene Bürger triumphiere. 8. Nur der eine Umstand soll – als zur Sache gehörig – hier noch vorausgenommen werden, damit nicht der geringste Verdacht aufkomme, in meine Darstellung habe sich Hass gemischt: Dass ich nämlich von den beiden Familien, von denen der Streit ausgeht, die eine nicht hasse, die andere aber – woran zu erinnern nicht nötig wäre – nicht nur liebe, sondern in einer gleichsam vertraulichen Hingebung
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immer verehrt habe, ja, dass mir in der ganzen Welt keine Adelsfamilie teurer ist, jedoch teurer die römische Republik, teurer Rom, teurer Italien, teurer die Ruhe und Sicherheit aller Guten. 9. Ich will also in gutem Frieden mit den Lebenden und Toten sagen: Das ist der Grund – wofern ich mich nicht täusche –, dessentwegen Gott und die Tugend und die Tatkraft sich zusammen mit Fortuna dahin verständigt haben, einzig diese eine Stadt zu solcher Grösse anwachsen zu lassen, dass sie Haupt der Kirche und des Imperiums sei und also nicht bloss ein Reich von nur wenigen Bürgern und – wenn mit Verlaub die Wahrheit zu sagen gestattet ist – auch nicht bloss ein Reich römischer Bürger und nicht bloss eines von Verehrern des römischen Namens werden sollte. Ich halte mich nicht damit auf, die Herkunft der fraglichen Geschlechter zu erörtern. Bekannt ist die Sache in den Tälern des Rheins und verkündet worden bei den Hirten Spoletos.8 10. Somit ist die Herrin der Völker abgeglitten in alle Erbärmlichkeit und niemandem erbarmungswürdig; sie wird jetzt nicht wie früher durch eigene Hände, sondern durch fremde zerrissen und entbehrt im Unglück sogar des einstigen Trostes, dass sie „… zwar fernhält jeglichen König, Dennoch duldet als Herrn ihren Bürger …“9 Und trotzdem wird, ob man dem neuen Missstand wehren solle, bezweifelt! Dabei wird schlicht übergangen, was vor allem andern einer Nachforschung wert wäre, nämlich mit wie grossen und mit wie ausgesuchten Strafen die öffentlichen Räuber zu züchtigen oder wenigstens welchermassen sie als Feinde der Freiheit in der freien Stadt von öffentlichen Ämtern fernzuhalten wären. 11. Nur das eine wird untersucht – man höre und staune –, ob dem einst alle Völker beherrschenden römischen Volk die Freiheit in dem Masse solle zurückgegeben werden, dass es heute auf seinem Kapitol neben seinen heimischen Gewalthabern irgendeinen Teil der öffentlichen Verwaltung zu übernehmen imstande sei. Dabei hat es doch eben von dort einst die Flammen und Waffen der Senonen verscheucht, dort gefangene Könige vor seinen Triumphwagen gesehen, dort Gesandte der Völker als Hilfeflehende angehört und von dort die stolzen Nacken von Bürgern und Feinden hinuntergestürzt! 12. Oh guter Jesus, wo in aller Welt leben wir? Schaust Du das an, Du Heilender? Oder wohin hast Du, durch unsere Sünden beleidigt, das Auge Deiner gewohnten Güte weggewandt? Erbarme Dich nun, und wische fort die Makel so grosser Schande. So tief hinab also sind wir im Leben gesunken. Dies war der Tiefpunkt unseres Elends, als man öffentlich oder – was mehr ist als öffentlich –vor dem Statthalter Christi und vor den Nachfolgern der Apostel untersuchte, ob es erlaubt sei, einen römischen Bürger in den Senat zu wählen! Wo wir doch seit langer Zeit zuschauen, wie Ausländer10 und so mancher Tarquinius
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Superbus auf dem Kapitol herrschen!11 Und dies also ist die Frage, zu deren Lösung vier Angeln12 der Welt sich in Nachtwachen abmühen! 13. Ich freilich würde, wenn man mich fragte, ohne Zaudern entgegnen, nach römischem Brauch bestehe der römische Senat einzig aus römischen Bürgern, und Fremde seien am Zutritt zu hindern, nicht allein die aus fernen Ländern hergeschickten, sondern selbst die Latiner, die benachbarte Völkerschaft, die mit der römischen verbunden und mit ihr beinah ein einziges Ganzes ist; und man müsse sie nicht bloss mit Wort und Feder, nein, wenn möglich auch mit dem Schwert davor abschrecken, 14. dies nach dem Vorbild eines Aulus Manlius Torquatus, der einst ob der Forderung der Latiner, einer der beiden Konsuln und die Hälfte des Senats seien aus ihnen zu wählen, dermassen in Zorn entbrannte, dass er schwor, er werde in der Kurie mit dem Schwert an der Seite erscheinen, und wenn er da einen Latiner erblicke, diesen mit eigener Hand aus der Welt schaffen.13 Mit welcher Wut hätte er wahrgenommen, dass der ganze Senat von den Ufern des Rheins und aus Umbrien herkomme, da ihn schon die Erwähnung eines halben Senats von Latinern so heftig entrüstete! 15. Doch unsere Ausländer wollen nicht, dass man sage, sie seien grundlos verrückt geworden; und so rechtfertigen sie die Usurpation des Senats mit der Behauptung, sie hätten eher die nötige Macht, um die Last eines so wichtigen Amtes zu tragen. Doch worin diese Macht besteht, erkennt man nie anders als im Nachteil für die Bürger. Und woher stammt ihre Gewalt, so gering sie ist, wenn nicht vom Blut aus dem Eingeweide des Volkes und des Gemeinwesens? Und wäre ihre Gewalt auch gross und gerecht, was täte das zur Sache? 16. Zweifellos war zur Zeit, da die eben erwähnte Gesandtschaft der Latiner sich nach Rom begeben hatte, Latium, wie es heisst, reich an Waffen, Mannschaft und Vorräten; und dennoch wurden sie, die im Vertrauen auf ihre Gewalt nach unverdienten Ehren begehrten, abgewiesen. Denn sie sollten nicht, was der Tüchtigkeit Lohn ist, der verdienstlosen Glücksgöttin zusprechen.14 In der Tat, wäre die Senatorenwürde in Rom der nackten Gewalt zu verdanken und bestünde keine Rücksicht auf Ursprung und Tüchtigkeit, so hätten damals auch Makedonien und Karthago vermocht, was übrigens heute in der weiten Welt auch andere kraftstrotzende Reiche vermöchten, nämlich von der genannten Sache einen guten Anteil an Recht und an Vorrang zu beanspruchen. 17. Doch jene werden sagen: „Auch wir sind Römer, und wir haben dank unserem lang dauernden Besitz der obrigkeitlichen Ämter und gar mit Unterdrückung der Freiheit die Gesetze der römischen Bürger festgeschrieben.“ Ich aber, wahrhaftig, würde meinen, bereits nicht wenig gewonnen zu haben, wenn ich diese masslos hochmütigen Schlauköpfe so weit gebeugt hätte, dass sie Bürger und nicht Schädlinge zu sein geruhten! Ja, ich würde sie dann nicht mit der Strenge eines Manlius von den Stufen der ehrenvollen Ämter verjagen. Doch bei Gott, der sich menschlicher Nöte erbarmt, allergütigste Väter, wenn Ihr vom Erbarmen mit dem römi-
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schen Namen Euch rühren lasst, so frage ich Euch eindringlich, ob Ihr annehmt, dass jene die Republik in eben der Absicht an sich rissen, dem allgemeinen Notstand mit ihren persönlichen Mitteln abzuhelfen? 18. Oh würden sie doch diese Gesinnung sich aneignen! Ich könnte der Ehrsucht, wenn sie freigebig wäre, verzeihen und allen Bewerbern, woher sie auch kämen, Zutritt gewähren! Doch glaubt mir, sie planen das Gegenteil, um an den Überresten der verwüsteten Stadt den unersättlichen Hunger ihrer Habsucht weniger zu stillen als zu schüren. Doch vielleicht werden sie auch das zu leugnen sich erkühnen, um mit der Unverschämtheit eines einzigen Wortes ihren ganzen, der Welt bekannten Lebensablauf zu verhehlen und für römische Bürger und Liebhaber der Vaterstadt zu gelten. 19. So ist es nicht. Denn wirklich, sie etwa Bürger, gar Menschen und nicht Regenten oder Herren zu nennen, ist ein todeswürdiges Verbrechen. Da wir zwar vor gerechten Richtern, aber nicht unter gleichen Bedingungen streiten, wollen wir zu Gunsten einer Übereinkunft annehmen (was zu widerlegen, sehr leicht wäre), sie seien Bürger und gar friedfertige Bürger. Unwürdig wie sie sind, mögen sie zu ehrenvollen Stellen gelangen, so aber, dass sie andere, die solcher Ämter am würdigsten sind, nicht ausschliessen. Wenn sie nun aber mit den Römern wie Gleichgestellte rechten und wenn sie alle mit dem einen Namen Römer heissen, warum sollen dann die Fremden allein geehrt werden, denen ja dieser Name nur als Almosen gewährt wurde, ja weshalb soll man eben gerade sie in jeder Hinsicht ihren Mitbürgern vorziehen? Etwa wegen ihres Adels? Doch was wahrhafter Adel sei, bedarf einer längeren Untersuchung. Dann werden sie sehen, wie adlig sie sind, wenn sie auch sehen lernen, wie rechtschaffen sie sind. 20. Oder etwa wegen ihres Reichtums? Den will ich jetzt nicht mit Worten verkleinern; nur dazu ermahne ich: Sie sollen seinetwegen die weniger Begüterten nicht verachten, dagegen begreifen, dass er zur guten Gesittung überhaupt nichts beiträgt; und sie sollen, was sie aus den schwellenden Brüsten der Kirche gesaugt haben, nüchtern als vergängliche Güter benützen oder, wenn es beliebt (denn zu Höherem erheben sich stumpfere Wesen nicht), sie sogar als dauerhafte kosten, sofern sie nur für das Eine gutstehen, dass sie die von der öffentlichen Hand erlangten Güter nicht zum öffentlichen Verderben missbrauchen. 21. Wenn sie aber zur Lenkung eines Gemeinwesens privaten Reichtum für nötig erachten, sollen sie mir sagen, wie reich denn Valerius Publicola war, als er, Brutus unterstützend, die stolzen Könige verjagte, im ersten Konsulat über die Tusker und im dritten über die Sabiner triumphierte, er, den man auf öffentliche Kosten beerdigen musste!15 22. Oder wie reich Menenius Agrippa, als er das entzweite und zerrissene Gemeinwesen mit einer weihevollen Ansprache zur Einheit verkittete;16 wie reich Quinctius Cincinnatus, als er seinen ärmlichen Acker verliess, um Rom, den römischen Konsuln und das Heer von Furcht und Belagerung zu befreien; wie reich Curius, wie reich Fabricius, als sie die Feldzeichen des Königs Pyrrhos
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und der Samniter zu Boden warfen; wie reich Atilius Regulus, als er die Legionen der Karthager zu Fall brachte; wie reich Appius Claudius, als er, der Augen beraubt, in Besonnenheit das Gemeinwesen lenkte. Aufwendig ist es, alle die Beispiele glorreicher Armut zu sammeln. 23. Ich wage jedoch zu behaupten (mag die Menge mich überschreien!), nichts sei tüchtigem Handeln so abträglich wie überflüssiger Reichtum. Und kann ich die anderen Nationen von der zutiefst eingewurzelten Meinung nicht abbringen, so steht unter Historikern doch fest, dass eben der Reichtum das völkerbesiegende Rom besiegt hat und unzweifelhaft auf dem einen und gleichen Weg, auf dem die römische Armut sich entfernte, die fremde Begehrlichkeit sich heranschlich. Was also den Regenten der Gemeinden am meisten schadet, das halten eben diese für das Dienlichste oder – wie ich eher vermute – sie täuschen vor, es dafür zu halten. 24. Bleibt mir noch, den eigentlichen Grund für das Verlangen nach dem Vorrang zu suchen. Noch hat man nicht in die Tiefe gegraben, und schon ist er da. Ich schliesse die Habsucht aus, denn obwohl bedeutende Anzeichen auf eben diese verweisen, halte ich – mit Rücksicht auf einen gewissen Anstand – sie nicht für wert, in diesem Schriftstück zu stehen, weil sie in adligen Herzen aufs schändlichste hausen würde, wenn sie nicht aus ihnen weit verbannt wäre; doch sage ich das von einem gewöhnlichen Adel. 25. Somit ist es denn einzig der Stolz, den ich „als das allgemeine Übel des Adels“ bezeichne gemäss Sallust17. Nicht dass er eine neuartige Seuche im Gemeinwesen wäre, hat er doch schon bei den wahren und alten Römern um sich gegriffen und unter den grössten Tugenden als missfarbiger Tumor sich eingenistet, allerdings so, dass er stets durch das Gewicht der Bescheidenheit unterdrückt wurde, wie er denn auch jetzt, wie ich hoffe, ruhmvollste Väter, durch Euren Urteilsspruch unterdrückt wird. Die Sache bedarf wohl des historischen Beleges. 26. Schon von Anfang an hat die römische Plebs, gekränkt durch unmenschliche Willkür, immer wieder eigene Magistraten und für die gefährdete Freiheit Schutzherren und Verteidiger gefordert.18 Der Adel widersetzte sich in erbittertem Ringen. Daraus folgte ein erster Auszug auf den Monte Sacro. Endlich siegte über den Hochmut der Adligen das gerechte Begehren der Plebs; und ohne dass die Patrizier im mindesten Einspruch erhoben, wurde damals als erster und einziger Sporn und Zügel gegen deren Gewaltherrschaft das Amt des Volkstribunen erfunden.19 27. Auch über dieses wurde heftig gestritten, weil die Plebs darauf beharrte, der neue Magistrat sei in den eigenen, das heisst tribunizischen, Versammlungen zu wählen. Wiederum war die Plebs siegreich, obwohl Appius Claudius, ein höchst erbitterter Kämpfer, sich nur allzu hartnäckig widersetzte.20 Gleich nachher ergab sich eine neue Verstimmung, weil die führenden Geschlechter in stolzem Übermut die Eheschliessung zwischen Plebejern und Patriziern untersagten, so dass das heiligste Band des Menschengeschlechts zerrissen und die Bürgergemeinde erneut in
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zwei Teile getrennt wurde. Die empörte Plebs sagte den Kampf an; darauf wurde, wie ungern die Gegner es duldeten, ein Gesetz erlassen,21 das die Ehen unter den verschiedenen Ständen gestattete. Mit Rücksicht auf heiliges Brauchtum wurde aber das Decemvirat, es wurden auch die Quästur und die kurulische Ädilität22 den Patriziern vorbehalten. Da merkten die Plebejer, dass man sie hintergehe, lehnten sich auf und gewannen einen Anteil auch an diesen ehrenvollen Ämtern. In diesem Zusammenhang darf man eine Mitteilung des Titus Livius nicht mit Stillschweigen übergehen,23 die, so unbedeutend sie an sich sein mag, doch ein vielsagendes Zeugnis für den Hochmut der Adligen und den Freiheitssinn der Plebejer ablegt. 29. Gnaeus Flavius, der Sohn eines Schreibers, ein Mann von bescheidenster Habe, im übrigen pfiffig und sprachgewandt, war kurulischer Ädil geworden. Das verdarb den Adligen, die diese Neuerung verabscheuten, dermassen den Magen, dass sehr viele von ihnen, als gereiche ihnen dessen Ehrung zur Trauer, ihre goldenen Ringe und anderen Schmuckstücke ablegten, während jener, durch nichts erschüttert, ihrer Anmassung mit keckster Nichtbeachtung begegnete. 30. Als er nun einen kranken Kollegen besuchte und als bei seinem Eintreten in dessen Schlafzimmer zufällig anwesende junge Adlige in einmütiger Verachtung sich zu erheben unterliessen, befahl er sogleich, seinen kurulischen Sessel zu holen, wonach er – seine adligen Verächter verachtend und selbst adliger als jene, die vor Neid fast vergingen, – nicht von einem privaten Stuhl, sondern von seinem Amtssitz aus auf sie herabsah. Schon dank diesem einen Akt der Unbeirrbarkeit, scheint mir, wäre er nicht allein des Ädilenamtes, sondern auch der Ehren des Konsulats im höchsten Masse würdig gewesen. 31. Von diesem zu sprechen, habe ich mit Absicht auf das Ende gespart, weil sich denken lässt, dass die zwei Senatoren, die von der grossen Menge erwählter Väter heute noch übrig sind, die Stellung der beiden Konsuln übernommen haben. Denn wie heute diese Magistratsperson nur befristet amtet, so tat auch jene frühere, während die senatorische Gewalt zeitlich nicht beschränkt war. Wie oft jedoch und mit wie grosser Entrüstung man um dieses Konsulat miteinander gekämpft hat, das zu berichten kann ich nicht einmal anfangen; ich würde sonst vom Ende dieser Epistel, dem meine Untersuchung entgegeneilt, wieder abgedrängt. 32. Es genügt Folgendes festzustellen: Die römische Plebs verlangte sogar an der obersten Amtsgewalt ihren Anteil, was der Adel als seine höchste Schande betrachtete, mit stärkster Gewalt dagegen anging, jedoch zuletzt unterlag und dann nachgab wie zuvor in allem andern. Nach mancherlei weiteren Streitereien gelangte man zuerst dahin, dass zwar nicht Konsuln, aber vier mit konsularischer Befugnis ausgestattete Militärtribunen kreiert wurden; und dass man später, als die Plebs noch immer nicht Ruhe gab, endlich das, was aufgeblähter Hochmut versagt hatte, durch das Wirken der Gerechtigkeit erreichte. Der plebejische Konsul nämlich
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nahm seinen Sitz an der Seite des patrizischen ein und begann mit diesem die gemeinsame Vaterstadt und zugleich das in Zusammenarbeit geschaffene Imperium in der selben Hoheit zu regieren.24 33. Wenn das alles wahr und den berühmtesten Historikern bekannt ist, was zaudern wir da noch lange, Ihr umsichtigsten Väter, oder was bedürfen wir da der Ermunterung? Wenn Ihr Euch der römischen Missgeschicke erbarmt und wenn Ihr mitleidig dem unseligen Einsturz mit Euren Schultern zu wehren beschlossen habt, dann richtet Euch nach den Vorbildern jener Frühzeit, da die Stadt aus dem Nichts zu den Sternen emporwuchs, jedoch nicht nach denen jener späteren Zeit, da sie von so glückhafter Höhe beinah bis ins Nichtsein zurücksank. 34. Für unerlaubt halte ich zu bezweifeln, dass Rom viele Bürger hat, die edler und besser sind als jene Leute, die – einzig mit dem Adelstitel prangend – Himmel und Erde zur Last fallen. Wollten diese rechtschaffen sein, so würde ich freilich nicht leugnen, dass sie adlig sind; doch dass sie Römer seien, leugne nicht allein ich, sondern leugnet eben auch Rom selber. Und dennoch: Seien sie adlig, seien sie Römer! Muss man sie aber unseren Vorfahren, den Hütern der Gerechtigkeit, den Beschützern der Untergebenen, den Bezwingern der Stolzen, den Begründern des Imperiums vorziehen? Das zu fordern dürfen sie bei noch so grosser Unverschämtheit nicht wagen. 35. Haben jene Alten verzichtet, so mögen auch diese Heutigen dazu bereit sein, zu Gunsten der Plebs, die das völlig Angemessene fordert, zu verzichten. Denn die Plebs soll in der Stadt, die ja die ihre ist, nicht fremd oder gar, als wäre sie aussätzig, aus der Öffentlichkeit verbannt sein. Richtigerweise sollte man eines aristotelischen Lehrsatzes gedenken25 und folglich nach der Art, „wie man krumme Hölzer zurechtbiegt“, diese Adligen zwingen, nicht bloss die senatorische Gewalt und alle übrigen Ämter mit den andern zu teilen, sondern auch für lange Zeit auf das zu verzichten, was sie lange Zeit in ihrer Arroganz und dank der Geduld der Plebs widerrechtlich allein besetzt gehalten, bis die Republik – auf die andere Seite zurückgebogen – allmählich zum notwendigen Ausgleich zurückkehre. 36. Das meine ich, das bitte ich kniefällig, das erfleht die greisenhafte Roma unter Tränen. Und solltet Ihr träge sein bei der Erneuerung der Freiheit, so ruft sie Euch vor den Stuhl des furchtgebietenden Richters. Das selbe befiehlt Christus, der während Ihr beratet, in Eurer Mitte ist, um denen als Beobachter zur Seite zu stehen, die er seit jeher erwählt hat. Das erheischen die Apostel Petrus und Paulus, die den römischen Bischof bewogen haben, keinen anderen als Euch diese Aufgabe anzuvertrauen. Wenn Ihr deren stumme und innerliche Bitten zu hören gewillt seid, werdet Ihr widersprechende Bitten und die Gunst irgendwelcher anderer mit Leichtigkeit gering achten, und also nicht, was fremden Hochmut gelüstet, sondern was Eurem Ansehen geziemt, was Rom, was Italien, was der Welt von Nutzen ist, überlegen. Am 18. Dezember (1351).26
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Anmerkungen 1 Gemeint sind Amor und Roma/Patria. Die Kardinäle bildeten eine Kommission zur Reformierung Roms. 2 Das ist Rom. 3 Ein Privileg, das sich Petrarca 1341 bei der Dichterkrönung auf dem Kapitol in Rom erwarb. 4 Sirach (= Eccli.) 3,22. 5 Dem Papst vorgelegt. 6 Angesprochen werden 4 Kardinäle, die (nach dem Scheitern der Unternehmung von Cola di Rienzo) für Rom eine Regierungsform ausarbeiten sollten. Das waren vermutlich: Bertrand de Deux, päpstlicher Legat in Italien 1334 – 1337 und 1346 – 1348, Guy de Boulogne, in päpstlichem Auftrag ebenda 1350, weiter Niccolò Capocci aus römischer Familie, überdies Bertrand du Pouget oder Guillaume Court, beide ebenfalls zeitweise in päpstlichem Auftrag in Italien. Zu Capocci vgl. Wilkins, Studies 182 ff. 7 Das bezieht sich wohl auf Capocci. 8 Es ging ein Gerücht, dass die Colonna und Orsini vom Rhein, bez. aus Spoleto stammten. 9 Luc. Phars. 8,355 f. 10 Im Lateinischen steht alienigena, das heisst: Petrarca verzichtet vor den Kardinälen, unter denen ein bis zwei Franzosen sind, auf seinen sonst bevorzugten Ausdruck für Nicht-Italiener: barbarus. 11 Gewalttätiger König Roms. 12 Die vier Angeln sind die vier Kardinäle, denn cardines heisst Türangeln. 13 Nach Liv. 8,5,7. 14 Liv. 8,5. 15 Dieses und die folgenden Beispiele nach Val. Max. 4,4,1 – 7. 16 Er beredete mit der Fabel vom Leib und den Gliedern die ausgewanderte Plebs 493 zur Rückkehr in die Stadt. – Vgl. zu den Personen das Personenreg. 17 Sall. Iug. 64,1. 18 Zum Folgenden Flor. Epit. 1,17 (23 – 26). 19 Nach der genannten Sezession der Plebs wurde ein Volkstribun gewählt. 20 Das ist Appius Claudius Crassus Inregillensis. Er war Konsul 471 v. Chr. Seine Gegnerschaft gegen die Plebs ist späte Behauptung. 21 Die Lex Canuleia wurde 445 v. Chr. erlassen. 22 Ein Amt mit juristischen Befugnissen, die nicht genauer bestimmt werden können. 23 Liv. 9,46. 24 Die Plebs hatte Zugang zum Konsulat seit 367 v. Chr.; seit 342 war regelmässig einer der Konsuln plebejisch. 25 Aristot. Eth. Nic. 1109 b5. 26 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 11,17, an vier Kardinäle1 Rechtfertigung eines politischen Ratschlags. 1. Die Sache betrifft das gemeinsame Vaterland. 2. Petrarca wendet sich gegen die Adelsherren in Rom. 4. Ihre Macht ist reine Anmassung. 5. Die Kurie muss dem römischen Volk zu Hilfe kommen. 9. Im Streit zwischen Adel und Plebs war diese immer wieder siegreich. Am 24. November (1351).
1. Zwischen nüchterne Selbstbescheidung und zügellose Anmassung seid Ihr als Richter bestellt, beste Väter und hervorragende Verehrer hoher Tugend, und bedürft zu einem gerechten Urteil gewiss nicht des Ratschlags eines geringen Mannes. Das weiss ich wohl. Doch reizt es mich, zur Frage unseres gemeinsamen Vaterlandes etwas zu sagen und, soweit die Sache auch mich angeht, für die Freiheit wenigstens mit Worten einzutreten, da ich es mit Taten nicht tun kann. 2. Ich will also aus reinster Redlichkeit sprechen, dem Gewissen und nicht dem Ansehen dienend, auch nicht in der Hoffnung, dass meine Rede gelobt, sondern dass nicht mein Schweigen gerügt werde. Auch wird mich wenig kümmern, wen meine Rede verletzt, wenn sie nur die Gerechtigkeit nicht kränkt! Hart wahrhaftig ist die Pflicht, gegen Mächtige aufzutreten, besonders wenn sie einem teuer sind. Aber wer ein Liebhaber der Wahrheit ist, muss diese sogar den Freunden und überhaupt allem übrigen voranstellen. 3. Deshalb dränge ich meine Empfindungen zurück und frage die mir zwar überaus teuren und von mir seit langer Zeit verehrten Machthaber,2 wo sie diesen grossen Anspruch auf eine ihnen fremde Stadt denn hernehmen. 4. Vielleicht wundern sich drei unter Euch über meine Frage. Der vierte3 aber begreift sie zweifellos. Und wollten jene vielleicht spotten – meinend, der Ursprung der beiden Geschlechter4 sei in der Zwischenzeit in Vergessenheit geraten –, so wird doch mit dem Zeugnis Roms oder ganz Italiens die Wahrheit belegt werden. Unglaublich und unerträglich ist ihr Hochmut! Als Fremdlinge aus der Ferne hergekommen, haben sie die alteingesessenen Bürger der Anteilnahme an allen Ehrenämtern für die längste Zeit beraubt und werden sie auf Ewig davon fernhalten, wenn sie nicht durch Massnahmen des Papstes und durch Eure Einsprache daran gehindert werden. 5. Wir5 verdienen vielleicht um unserer Sünden willen Eure Hilfe nicht; doch verdient gewiss das Haus der Apostel, von der Gewaltherrschaft der Tyrannen befreit zu werden; es verdienen die Tempel der Heiligen, den Händen der Räuber entrissen, es verdient die durch benedeites Martyrium geweihte Erde von blutigen Bürgerkämpfen verschont zu werden. 6. Wird aber das Wüten der Tyrannis durch Euch nicht unterdrückt und wird dem armen Volk durch Euch nicht rechtzeitige Stärkung geboten, bleibt die Verhinderung aus. Es gibt Leute, die von sich aus von Sündigem abstehen, um – in zwar später Reue – zum rechten Pfad zurückzukehren.
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Es gibt aber solche, die ohne äusseren Zwang sich niemals bekehren, und solchen Schwächlingen Gewalt anzutun, ist heilsam. Am besten ist für den Menschen, aus freiem Willen Tugend zu üben und Laster zu meiden; am zweitbesten, unter Zwang. 7. Zwingt also die Widerstrebenden, und entwindet ihnen die todbringende Tyrannis, ob sie solche auch fordern. Begnügt Euch übrigens nicht damit, die römische Plebs zu öffentlichen Ehrenämtern heranzuziehen, entreisst vielmehr das stets erbärmlich verwaltete Senatorenamt eben den unwürdigen Besitzern. Selbst wenn jene in der Tat römische Bürger wären und zwar gute, hätten sie doch ein Recht bloss auf die Hälfte der Würden. Nun aber benehmen sie sich in einer Art, dass sie nicht bloss der hohen Würden, nein auch der Stadtgemeinde (die sie zerstören) und des Zusammenlebens mit Bürgern (die sie unterdrücken) nicht wert sind. 8. Wie verächtlich allerdings der Hochmut von Adel und Reichtum ist, worauf sie vertrauen, um ohne irgendwelche Tüchtigkeit sich aufzuwerfen und das Höchste zu erlangen, oder wie es kam, dass die alten Römer trotz ihrer einzigartigen und überragenden Tüchtigkeit doch nicht imstande waren, die Plebs von den Ehrenämtern abzuhalten, das kann ich unmöglich angeben; es würde vieler Worte bedürfen und mich an dieser Stelle allzu lange aufhalten. 9. Dies aber ist das Entscheidende: Beinahe immer, wenn ein Streit um die hohen Ehren entbrannte, gelang der niedrigen Plebs, den stolzen Adel zu besiegen. Das habe ich kürzlich in einer Euch gesandten längeren Abhandlung umständlicher dargestellt,6 und wenn Ihr Euch herablasst, auch bloss eine einzige Stunde alle Aufmerksamkeit darauf zu verwenden, dann hoffe ich, Ihr möchtet – auf den Spuren unserer Ahnen wandelnd – dafür besorgt sein, dass das Gemeinwesen und diese kostbarste Herde Jesu Christi gerettet werde. Denn auch Christus selber hat sich für sie eingesetzt, wie Ihr wisst. Er hat zuerst vorzügliche Hirten gesandt, nachher aber, als er deren Schrecken vor der Wildheit der Wölfe erkannte, ist er, ohne eine zweite Kreuzigung zu fürchten, persönlich herbeigeeilt.7 Am 24. November (1351).8
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 11,16. 2 Gemeint sind die römischen Barone, die Orsini aber auch die Colonna, mit denen Petrarca eng befreundet war und denen er vieles verdankte. 3 Wohl Kardinal Capocci, ein Römer; vgl. Wilkins, Studies, cap. 6,182 – 192, Petrarch and Cardinal Niccolò Capocci. 4 Die rivalisierenden Familien Colonna und Orsini. Gemäss einer von Petrarca übernommenen Meinung stammten die Colonna vom Rhein oder von der Rhone, die Orsini von Spoleto. 5 Wir Römer: Petrarca erhielt das römische Bürgerrecht bei seiner Dichterkrönung. 6 Vgl. Fam. 11,16 an die gleichen Kardinäle und Var. 48 an Cola di Rienzo.
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7 Hinweis auf die Legende, Christus sei dem fliehenden Apostel Petrus nahe bei Rom auf der Via Appia entgegengekommen und habe ihm auf die Frage, wohin er gehe, geantwortet, zur nochmaligen Kreuzigung; damit habe er den Flüchtigen zur Umkehr bewogen. Eine kleine Kirche Quo vadis am erwähnten Ort erinnert an diese Begegnung. 8 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 12,1, an Karl IV.1 Zweiter Aufruf zur Italienfahrt. 1. Karl möge unverzüglich aufbrechen. 5. Das Wohl der ganzen Christenheit, besonders auch die Lage im Heiligen Land, erfordere die rasche Erfüllung der ersten Pflicht. 8. Günstig sei seinem Unternehmen jetzt auch die politische Wende in Tuszien. (Januar/März 1352)
1. Einst habe ich Dir, ruhmreicher Fürst, was Deinem Ruf und dem öffentlichen Wohl zu nützen schien, in einem gewissen zuversichtlichen Vertrauen geschrieben, das ich weniger aus meiner Veranlagung als aus Deinem Verhalten schöpfte. Später habe ich bei mir die vielen und verschiedenen Schwierigkeiten erwogen, die sich den allgemeinen Wünschen entgegenstellen, und zwar wegen der Gewalt der Fortuna, die, wie man sagt, über alle Gewalten Gewalt hat.2 Und so habe ich in der Sicherheit, dass ihr gegenüber durch Dich und Deinen Ratschlag alles geschehe, was mit menschlichem Rat überhaupt geschehen könne, Deinen Augen und meiner Feder eine mehr als einjährige Schonzeit zugemessen. Dabei habe ich freilich nicht ohne seelischen Kummer bemerkt, wie die Zeit verstreiche und inzwischen wegen Verschiebungen und Vertagungen eine Befriedung vieler Völker sich weiter entferne. Doch mit den Hindernissen, die an Unmöglichkeit grenzen, habe ich, wie gesagt, Dein Säumen entschuldigt. 2. Nun endlich, da die Obsorge der göttlichen Vorsehung Dir die Wege zurecht macht und dem getreuen Volk barmherzig das Heil bereitet, ist die Lage Deines Landes Italien so günstig3 und so glühend seine Erwartung, dass ich sogar den Aufschub, der die glorreichen Anfänge abbrach, eher der selben Vorsehung zuschreiben möchte als der Fortuna. Denn wirklich hat das kurze Zögern des sehnlichst begehrten Fürsten ein allgemeines gewaltiges Feuer entfacht, und dass die Gemüter der Guten nicht noch heftiger brennen könnten, davon lass Dich bitte überzeugen! Befürchten muss man, es werde, wie in der Natur der Sache liegt, auf den Brand allmählich eine Abkühlung folgen, wenn Du den hochgemuten Flammen, die Dein Name entzündet hat, nicht durch Deine Gegenwart neue Nahrung anbietest. 3. Weil also (was gewiss niemand besser weiss als Du selber) die Sache so weit gediehen ist, dass weder Deine Majestät ohne Verlust ihres Ruhmes die kaiserliche Ankunft verschieben, noch auch meine Ergebenheit ohne Verletzung meiner Treue im Schweigen länger verharren kann, spreche ich, sieh, wiederum zu meinem Gebieter. Und spreche, wenn es nicht lästig fällt, zum Gebieter aller Dinge in völlig ungezwungener Schlichtheit, doch in lauterster Treue. 4. Und ich rede von nichts Neuem, sondern von etwas Dir bestens Bekanntem, das übrigens meines Wissens von allen Freunden des römischen Imperiums entweder schon beschlossen ist oder demnächst beschlossen wird. Ich handle also nicht, um zu belehren, sondern damit
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meine Treue ihre Aufgabe erfülle. Daher versuche ich auch nicht, die Sache sorgfältig zu schmücken, weiss ich doch, dass an Buntem und Künstlichem die Lüge, die Wahrheit aber an Einfachem und Deutlichem Gefallen hat. 5. Einfach und deutlich also will ich zur Ehre des Imperiums, zur Rettung Italiens, zur Tröstung Roms, Deiner trostlosen Braut, zum Jubel der Freunde, zum Nutzen der Untertanen, zur Erquickung der geplagten Christen, zur Förderung des Unternehmens im Heiligen Land,4 zur Verkündigung des herrlichsten Ruhmes auf Erden und zum Gewinn der ewigen Seligkeit nach der Mühsal dieses gar so flüchtigen Lebens Dich bitten, drängen und beschwören, und dies in innigster Hingabe, ausgestreckt zu Deinen Füssen: Ergreife unverzüglich die vom Himmel geschenkte Gelegenheit, die grössten und besten Taten zu vollbringen, verwirf alle Bedenken, die Deine Schritte von dieser geschuldeten Reise ablenken, gib das Zaudern auf, das den herrlichsten Anfängen stets nur schaden kann, und besuche, so rasch Du kannst, die Deiner bedürftige Ausonia. 7. Wer gerufen wird, erreicht alles. Wolle doch nicht zum Glücken als einziger fehlen! Tust Du es, entfachst Du Dir bei der Nachwelt gewaltigen Hass und eben solche Schande. Kaum hättest Du einen so leicht begehbaren Schicksalspfad auch nur wünschen, kaum ihn in Worten ausdrücken können. Glaubst Du, diese Gunst werde ewig bleiben? So ungestüm wie wendig ist Fortuna. Nicht nach menschlicher Einsicht dreht sie sich um, nein nach eigener Willkür. Keine Lage, kein Gebilde hat Bestand; auch Du wirst nicht dauernd der selbe sein, nicht dauernd diese Gelegenheit finden. 8. Doch Du begreifst, Du Fürst von durchdringendem Weitblick, nicht allein, was ich sage, vielmehr auch was ich denke. Du siehst den gegenwärtigen Zustand Tusziens:5 Wo Dein Grossvater6 und andere frühere Fürsten auf kräftigsten Widerstand stiessen, da wird Dir kräftigste Gefolgschaft beschieden sein. Nütze die so glückliche Wendung der Umstände! Begegne dem Schicksal nicht gleichgültig! Halte die Kürze und Flüchtigkeit des menschlichen Lebens und auch die Hinfälligkeit der Lage wie die Macht Fortunas Dir immer vor Augen! Ihre Eigenart ist es, den Kühnen und Entschlossenen Gunst zu erweisen, doch die Zaudernden und Trägen zu verstossen7 und – wie die Weisen behaupten – da sie gewöhnlich am Hinterkopf kahl ist, am Vorderhaupt Haare zu tragen.8 9. Mehreres habe ich früher geschrieben, und mehreres würde ich jetzt anfügen, fände nicht Deine Weisheit selbst an wenigem Genügen und meine Ergebenheit nicht an dieser Kürze Befriedigung. Lebe wohl, erhabener Cäsar, und eile! (Januar/März 1352)9
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Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 10,1. 2 Vgl. Sall. Catil. 8,1. 3 Vor allem aus Furcht vor dem ausgreifenden Mailand erhofften sogar die Florentiner Rückhalt an einer Kaisermacht. 4 Eine „Heilige Liga“ unter Führung Venedigs hatte 1344 Smyrna den Seldschuken entrissen. Im Abendland dachte man von neuem an „Kreuzzüge“. 5 Tuszien war traditionell guelfisch, also päpstlich und antikaiserlich. 6 Kaiser Heinrich VII. 7 Vgl. Aen. 10,284. 8 Vgl. Ps.Cato, Disticha 2,26 und andere. Noch heute gilt, „die Gelegenheit am Schopf zu packen“. 9 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 12,2, an Niccolò Acciaiuoli, den Gross-Senescal des Königreichs Sizilien1 Anweisungen zur Belehrung des Königs von Neapel. 1. Lobrede auf den Adressaten. 2. Die Wirren um die Thronfolge seien überwunden; doch nach dem Sieg seien die Gefahren nicht geringer. 5. Lehren aus der Geschichte. 11. Aufzählung der Herrschertugenden nach Art eines Fürstenspiegels. 19. Hinweise auf nachahmungswürdige Könige und Helden aus der Vorzeit. 30. Über den dienenden Stand der Herrscher und die Freiheit der Untertanen. Avignon, am 20. Februar (1352).
1. Endlich, Du Hochansehnlicher, hat Treue über Untreue, Grossmut über Habsucht und Bescheidenheit über Stolz gesiegt! Endlich ist der Nächstenliebe die Missgunst, der Hoffnung die Verzweiflung und der Ausdauer die Schwierigkeit gewichen. Unter der Keule der Wahrheit sind die hartnäckige Lüge und der lügnerische Widerstand aller Gegner Deiner Pläne zusammengebrochen. Zwar herrscht ewiger Krieg zwischen Neid und Ruhm wie zwischen Bosheit und Tugend, aber Dank sei Ihm, „dem Herrn über alle guten Gewalten, dem König der Glorie“,2 weil unter seiner Führung im gegenwärtigen Streit die verwerflichste Partei unterlag und – wenngleich wir oft anderes erleben – die beste triumphiert. 2. Sieh da die Erfüllung Deines einzigen Begehrens! Die ruhmreiche Erhabenheit des Königs von Sizilien3 kann trotz aller Missgunst die ihr verweigerten Ehren empfangen! „Die Sünder werden es sehen und im Zorn erbeben; mit den Zähnen werden sie knirschen und gramvoll vergehen.“4 Er aber wird herrlicher, denn je geschah, und um vieles heiterer auf dem Thron seiner Vorfahren sitzen. Und wenn die Wolken der Trübsal und die Regenschauer des Jammers aus Latium5 verscheucht sind, wird er unser Land mit seinem gestirnten Antlitz und strahlenden Diadem erleuchten, dem Königreich den entrissenen Frieden und den Völkern die begehrte Ruhe zurückbringen. 3. Zu diesem Werk wirst Du wie bisher das Deine beitragen und der Welt Deine schon allbekannte Überlegenheit dartun, dies um so wachsamer, je lobwürdiger es ist, ein Königreich gerecht und massvoll zu lenken, als ein solches zu erstreiten. Denn die Zeit ist gekommen, alle Kräfte Deines Geistes zu sammeln und Dich für unermessliche Mühen zu gürten. Nichts ist getan – sofern etwas von Caesars Gesinnung Dir eignet –, solange noch vieles zu tun bleibt und Deine gefeierte Ehre noch die letzte Handreichung erfordert. 4. Wir haben Dich herrlich gegen Fortuna ankämpfen sehen; schon betrachten wir Dich als Sieger. Doch sieh da: Die oftmals besiegte wendet sich mit milderem Gehaben unter goldenem Helm und mit gleichsam strahlendem Liebreiz erneut Dir zu! Besiegt hast Du die feindliche; glückverheissend kehrt sie zurück zum Kampf. Was meinst Du? Verwandelt ist die Waffe, nicht die Gegnerin, auch Du bedarfst einer neuen Art von Waffen. Denke nicht, die Anforderung werde geringer,
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wenn die Feindin Dir schmeichelt. Nie ist ein Angriff so voll Hinterlist, wie wenn der Gutgläubigkeit mit Schmeichelei begegnet wird. 5. In der Bedrängnis hast Du Vorzügliches geleistet; doch ob Du auch auf freier Bahn Dich bewährst, das wollen wir sehen. Viele, die in der Enge sich behaupteten, hat ein Kampf auf offenem Feld bezwungen, und viele, die der Not widerstanden, hat eine günstigeres Geschick unterworfen. Hannibal, der Sieger von Cannae,6 wurde bei Capua besiegt, und sein Feuer, durch die eisige Trebbia erzeugt, brachte das laue Baiae7 zum Erlöschen. Oft war ein Friede gefährlicher als ein Gefecht; manchem hat das Fehlen eines Gegners geschadet. 6. Manche verbargen unter Untätigkeit ihren Mut, doch andere liessen ihn verkommen, während den verlassenen Kampfplatz die Genusssucht besetzte. Kein Streit des Menschen herrscht so unablässig wie der mit der eigenen Gesinnung und Gesittung. Auf keinem anderen Feld ist die Waffenruhe so selten. Das eigentliche Treffen findet im Innern der Mauern statt; da sind die Feinde erfahrungsgemäss lässig in der Schlacht und streitbar im Frieden, um im Gewand der Toga mehr zu wagen als in der Rüstung. Von anderen Völkern will ich schweigen; doch die Römer, unbesiegt im Krieg und siegreich über alle Völker, hat schliesslich der ruhevolle Friede bezwungen; und wie gewisse Schriftsteller jener Zeit sehr zutreffend klagen, hat sich der besiegte Erdkreis durch die obsiegende Verschwendungssucht der Sieger gerächt.8 7. Das scheint Scipio9 vorausgeahnt zu haben, dieser vom Senat über alles geschätzte Held. Denn er hat ja im Gegensatz zu der zähen, oft geäusserten Überzeugung des alten Cato10 (der freilich sonst sehr weise war) abgeraten, Karthago zu zerstören; dies aber nicht, weil er jene Macht weniger verabscheut hätte als der andere, sondern weil er verhindern wollte, wie Florus11 sagt, „dass nach dem Wegfall der Furcht vor jener rivalisierenden Stadt in unserer eigenen Stadt der Wohlstand allmählich überborde.“ Und wäre sein Rat nur befolgt worden, so hätten wir noch heute eher mit äusseren Feinden und mit Karthago als mit unseren eigenen Lastern und Gelüsten zu streiten! Besser stünde es um unsere Sache, wie ich meine. Seltener wäre es zu Kämpfen gekommen und häufiger zu Triumphen. 8. „Wozu all das?“ so wirst Du fragen. Weil, wie ich vermute, schon über kurzem viele glauben, es sei an der Zeit zu ruhen. Ich denke darüber ganz anders. Willst Du mich anhören, so beachte, dass das Ende der Mühen eins ist mit dem Ende des Lebens und dass Du, wie alle hervorragenden Männer, bis zum letzten Atemzug sei's mit einem sichtbaren, sei's mit einem unsichtbaren Gegner zu kämpfen hast, ja dass Du – beachte, wie sehr ich von der geläufigen Auffassung abweiche – einst eine Verdoppelung Deiner Mühe wirst verspüren wie auch freudig ertragen müssen. 9. Niemals hast Du in früherer Zeit ein so grosses Unterfangen begonnen, und nie war Dein Mut so entschieden zu einem Aufschwung über sich selber verpflichtet. Die schwerste Entscheidung steht Dir erst bevor, und die ganze Welt wird er-
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kennen, wie und zu welcher Grösse Du in beiderlei Geschick12 Dich erhebst, und nicht allein Du, sondern auch alle, die Deinen Ratschlägen folgen. 10. Du hast einen König, der dem Verstande nach ein reifer Mann, den Jahren nach ein Jüngling ist.13 Gemeinsam mit ihm hast Du Dich zu Wasser und zu Land abgeplagt. Ihn hast Du, weil das Fatum es wollte, über viele Abgründe hinweg auf die höchste Spitze menschlicher Verhältnisse erhoben. Nun zeige ihm, auf welchen Stufen er zum Gipfel der Ehren gelangt ist und mit welchen Fähigkeiten er sich da halten kann. Zeige ihm, dass er von jetzt an nicht so sehr danach trachten darf, noch höher zu steigen, als vielmehr sich seines Aufstiegs würdig zu erweisen, und dass das vererbbare Zepter nicht so sehr dem Blut als der Tüchtigkeit geschuldet wird. Der Prinzipat schafft keinen Mann, er offenbart ihn; und hohe Würden ändern weder Sitten noch Verstand. Sie zeigen sie vor. 11. Überzeuge ihn, dass es weniger bedeutet, zum König geboren zu werden, als dank Urteilskraft ein König zu werden; denn das eine sei Sache des Glücks, das andere Sache des Verdienstes. Lehre ihn, Gott zu dienen, das Vaterland zu lieben und die Gerechtigkeit zu pflegen, ohne welche eine noch so reiche und kraftvolle Herrschaft unmöglich bestehen kann. Er lerne, dass nichts Erzwungenes von Dauer ist und dass Liebe gewinnen weit sicherer macht als Furcht verbreiten. Er gewöhne sich an, auf Erden nichts anderes zu begehren als gute Gesinnung, nichts anderes zu erhoffen als guten Ruf, nichts anderes zu fürchten als Schande. 12. Er bedenke, dass er, je höher er steht, um so besser gesehen wird und seine Taten um so schlechter verstecken kann, dass aber im Mass, als seine Macht sich vergrössert, seine Freiheit sich vermindert. Er wisse, dass ein König von seinem Volk sich weniger durch seinen Stand unterscheidet als durch seine Sitten. Er bemühe sich, von allen Extremen gleichermassen entfernt zu sein und sich der Vollkommenheit, die in der Mitte steht, zu nähern. Die Verschwendung höre auf, die Habsucht bleibe fern. Denn die eine vernichtet die Habe, die andere die Ehre. Er halte fest am guten Ruf; gehe sparsam um mit der Würde, sei geizig mit der Zeit, freigebig mit dem Geld und habe ständig jene so überaus bescheidene wie beherzte Antwort eines römischen Feldherrn14 im Ohr, er wolle nicht über Gold, dagegen wohl über Besitzer von Gold regieren. 13. Lieber sei ihm, wenn die Untergebenen Überfluss haben statt der Fiskus. Auch beachte er wohl, dass der Gebieter über ein reiches Land nie mittellos sein kann. Das Unglück und Elend, das die unglückliche Terra di Lavoro in diesen Zeiten erduldet hat,15 vergesse er nie; und er schätze dann sich glücklich, dann als Besitzer des Erwünschten, dann als wahrer König, wenn er die Missstände (durch fremdes Verschulden erzeugt) durch eigene Tüchtigkeit beseitigt, die Schäden behoben, die Ruinen instand gestellt, den Frieden erneuert, die Tyrannis unterdrückt und die Freiheit zurückgebracht habe. Dabei gewöhne er sich an, seine Untertanen zu lieben, denn liebend verschafft man sich Liebe, und nie ist eine Königsmacht sicherer, als wenn sie Willigen gebietet.
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14. Niemals entfalle dem Gedächtnis Deines Königs jener königliche Lehrsatz des Sallust:16 Nicht Heere und nicht Reichtümer seien die Säulen des Königtums, wohl aber die Freunde, und diese erzwinge man nicht mit Waffen, erstehe man nicht mit Geldsummen; man erwerbe sie mit Pflichterfüllung und Verlässlichkeit, und was sonst der selben Rede noch folgt. In der Eintracht mit den Seinen müsse man leben; in der Eintracht könne auch Kleines gedeihen, in der Zwietracht das Grösste zerfallen. Auf das Beispiel des Menenius Agrippa17 stütze sich ein Gutteil dieser Erkenntnis und dank eben dieser Erkenntnis vermöge er ein guter Bruder, guter Gefährte, guter Freund und guter König zu sein. 15. Freundschaften müssten ihm nach Gott und nach der Tugend das Teuerste sein; und wen er einmal der Freundschaft gewürdigt habe, den solle er von keinem Ratskollegium ausschliessen, wie Seneca empfohlen hat.18 Er berate sich stets mit einem Freund, doch zu allererst über ihn. Viel Vertrauen habe er, doch nicht in viele, und eisern sei er darauf bedacht, den wahren Freund vom schmeichlerischen Feind zu unterscheiden. Wahres Lob nehme er an als Anreize zu Grosstaten; vor Schmeicheleien aber scheue er zurück wie vor Gift. 16. Nur zögernd schliesse er Freundschaft; noch zögernder gebe er sie auf, und wenn möglich, geschehe es niemals. Müsse es jedoch sein, dann nicht überstürzt, sondern schrittweise und gemäss dem alten Sprichwort:19 „Freundschaftsbande muss man lösen nicht zerreissen.“ Die Gesinnung, die er selber hegt, erwarte er von andern und wähne nicht, man könne von jemand geliebt werden, den man nicht selber liebt, denn das ist ein Irrtum der Mächtigen. Völlig frei nämlich sind die Gefühle. Ein Joch ertragen sie nicht; und einen Herrn anerkennen sie nicht. Niemals wird Liebe anders als durch Liebe erobert; niemals wird sie durch Liebe nicht erobert. Von einem Freund denke er nichts Schlechtes, doch unbedacht vertraue er niemandem. Argwohn weise er von sich; Angebern verweigere er Gehör. Sind diese allzu aufdringlich, muss er sie tadeln, und beharren sie bei ihrer Gewohnheit, muss er sie strafen. Von einem Kaiser stammt das Wort:20 „Ein Fürst, welcher Angeber nicht züchtigt, ermuntert sie.“ 17. Alexander von Makedonien, obwohl ein ungestümer junger Mann, hat doch mit ungewöhnlicher Zuversicht einen Ankläger verachtet, und zwar, wie billig, mit glücklichem Erfolg. Als er gegen eine Krankheit, an der er litt, eine geeignete Arznei einnehmen sollte, erreichte ihn ein Schreiben des Parmenion,21 das ihn warnte, Darius habe den Arzt Philippos mit Geschenken bestochen22 und dazu bewogen, ihm als einem Feind den Tod zu bereiten; vor solchem Trug und tödlichen Getränk solle er sich hüten. Alexander aber versteckte den Brief, nachdem er ihn gelesen, liess sich nichts anmerken und wahrte Schweigen, bis der Arzt ihn aufgesucht und er den ihm gebotenen Becher getrunken hatte. Dann erst richtete er die Augen auf ihn und brachte ihm die Bezichtigung vor: spät und ohne Nutzen, wäre sie richtig gewesen, doch weil sie falsch war, mit guter Wirkung und zur rechten Zeit.
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18. In gleicher Weise soll der König die Verleumder hochgesinnt verachten und so leben, dass er sie sogar im Schweigen entlarvt und der Lüge bezichtigt, nämlich eingedenk des Wortes, das Augustus an Tiberius geschrieben hat,23 um vor Zorn zu warnen, wenn über ihn Abträgliches geredet werde. „Es genüge,“ so sagte er, „wenn wir erreichen, dass niemand uns schaden kann.“ Ausgezeichnet! Andernfalls erreichte der Mensch ja mehr als Gott, der zwar über Beleidigungen erhaben ist, aber mit vielen Schimpfereien beworfen wird. 19. Dein König möge daher Geist und Ohr eben in dieser Haltung üben, für welche nicht allein die Duldsamkeit des eben erwähnten grössten und genügsamsten Fürsten, sondern auch die des hochverehrten Bürgers Magnus Pompeius oder auch des Königs Pyrrhos und des Tyrannen Peisistratos von Athen sich als Beispiel empfehlen.24 Dass aber andere Menschen seine geheimen Absichten ausforschen, ertrage er mit Gleichmut, und er frage selber wenig nach denen der andern. Es gehört sich ja für eine hohe Gesinnung, sich um solches nicht zu scheren. Sonst müsste fast überall ein gleiches Misstrauen herrschen. 20. Er möge werden, wofür er gelten will. Dann wird er schliesslich in seinem Innern nichts verbergen wollen und das Auge eines Feindes nicht stärker fürchten als das eines Freundes und ihren Ratschlag für nichts anderes halten als für ein Zeugnis von Neidern. Mit dem selben Vertrauen hat Scipio die Kundschafter sowohl der Römer wie der Karthager in seinem ganzen Heerlager herumgeführt; mit der selben Geistesgrösse hat Iulius Caesar den gefangenen Domitius entlassen25 und den Überläufer Labienus, der seine Lage bestens kannte, geringgeachtet.26 Und nicht bloss einmal hat er27 die aufgefangenen geheimen Kriegspläne der Feinde, ohne sie auch nur zu lesen, ins Feuer geworfen. 21. Daher darf man annehmen, es sei ihm weder unbedacht noch rein zufällig der Titel Serenissimus zuerkannt worden,28 sondern weil in seinem Geist, gottähnlich und über menschliche Erregungen erhaben, keine finstere Trauer und keine ausgelassene Freude, kein frostiger Schrecken und keine qualmende irdische Leidenschaft aufzusteigen vermochten. Bewusst sei ihm, dass der Zorn für einen Fürsten verhängnisvoll und dass Grausamkeit auch nur zu erwägen, für ihn ein Verbrechen ist, ja ein um so verhängnisvolleres, als ihm ohnehin zur Schädigung anderer Menschen eine besonders grosse Zahl an Mitteln zu Gebote steht. 22. Er erkenne die Wahrheit dessen, was der Tragicus29 gesagt hat, nämlich: „Jede Herrschaft erträgt eine schwerere Herrschaft“. Auf jedes protzende Drohen verzichte er und zeige sich gegen Untertanen umgänglich. Und was immer er ihnen auferlegt, erwarte er für sich aus der Hand des ihm Überlegenen. Den Stolz und nicht weniger den Neid betrachte er als plebejischen, nicht königlichen Makel.Weshalb denn müsste ein König sich stolz betragen, da er
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doch für sehr grosse Aufgaben Schuldner und einem sehr grossen Gläubiger verpflichtet ist? Oder weshalb sollte er gar scheel blicken, da er ja über sich niemanden erblickt und unter sich so viele?30 23. Die Wahrheit betrachte er, ohne zu zweifeln, als das Fundament eines jeden Vertrauens, dagegen gelte ihm als eine Folge der Lüge, wenn selbst dem aufrichtig Sprechenden kein Glaube geschenkt wird. Sehr viel Wahrheit wird schon mit wenigen Tropfen Falschheit verdunkelt. Wünscht einer, dass man ihm glaube, gewöhne er sich an, immer die volle Wahrheit zu sprechen und schule die Zunge, dass sie vom Lügen nichts wisse. Was wäre lächerlicher oder gefährlicher als ein lügenhafter König? Unter seiner Herrschaft müsste ein Gemeinwesen mit Notwendigkeit immerfort unsicher und haltlos schwanken. 24. Völlig fest und bestimmt sei das Wort, in welchem die Hoffnung so vieler und das Gedeihen der Völker verankert ist. Wozu sollte lügen, wem zum grössten Vorteil gereicht, wenn – so es möglich ist – kein einziger lügnerisch redet? Wozu sollte schmeicheln, wer niemanden fürchtet und nichts erwartet? Furcht und Erwartung will ich nicht zu Unrecht als die zwei Anreize für Schmeichler erklären. Wozu aber sollte umgekehrt vor anderen prahlen, wer sich nicht in Worten, sondern in Werken bewähren muss? Wozu sollte mit Worten drohen, wem es genügt, mit der Miene zu schrecken? Warum sollte sich gegen andere erhitzen, wer in aller Stille sich rächen oder andern in der edelsten Art des Vergeltens sogar Schonung gewähren kann? 25. Er hüte sich zudem, in der Betrachtung unsterblicher Errungenschaften übermässig zu triumphieren. Er vermeide, sich selber zu bedauern, und bedenke lieber seine Ehren und was ihm die göttliche Freigebigkeit sonst noch geschenkt hat. Keinem wage er sich zu entziehen, denn er wurde nicht für sich, sondern für das Gemeinwesen geboren. Er nehme für erwiesen, dass er seine eigene Sache fördert, wenn er Untergebenen zu Hilfe kommt. 26. Die Billigkeit mässige die Härte! Die Strenge verbinde sich mit Milde! Zur Klugheit geselle sich Lebhaftigkeit, zur Besonnenheit Raschheit, zur Gewissheit Vorsicht, zur Schicklichkeit Scherz und zur Güte Hoheit. In seinem Gehaben sei Anstand, an seiner Tafel Verständigkeit und Anmut in seiner Rede. Im Tadel sei Liebe, im Ratschlag Verlässlichkeit, im Urteil Unabhängigkeit, im Lachen Zurückhaltung, auf dem Lager gesundes Mass und Würde beim Auftritt. Er sei eilig im Belohnen und langsam im Strafen; das eine tue er feurig, das andere zaudernd! 27. Mit verschiedener Miene züchtige er den stolzen Feind und den schuldigen Bürger. Er tue das eine frohlockend, das andere trauernd, dies aber gemäss dem Vorbild jenes glänzenden Feldherrn, der die Frevel der Seinen „nur ungern betastete, nämlich als wären sie Wunden, die ohne Berührung und Pflege nicht heilen“, wie Livius31 sagte, und er tue es unter Seufzen und Klagen, als schnitte er in sein eigenes Fleisch.
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28. Er präge sich ein, dass das Erbarmen einen König in die nächste Nähe Gottes versetzt und dass jene Philosophen durchaus irrten, die das Erbarmen verurteilen.32 Er wisse, dass Grossmut eine Tugend insbesondere der Könige ist, welche ohne sie weder die Herrschaft noch deren Titel verdienen, und dass Menschlichkeit zu zeigen, nicht Tugend, sondern blosse Natur ist, weshalb sich aus dem Fehlen von Menschlichkeit eher ein Monstrum als nur ein Mangel ergibt. Auch wisse er, dass sie dem König deshalb nötiger ist als anderen Menschen, weil die andern übertreffen muss, wer bei ihnen den ersten Platz beansprucht. Er wisse auch, dass eine andere Tugend zwar bei jedermann herrlich ist, am schönsten aber einen Fürsten schmückt: das ist die Keuschheit. Nichts nämlich ist so wohlgestalt wie ein schamhafter König, nichts so hässlich wie ein schamloser. 29. Auch wisse er, dass Dankbarkeit sogar stummen Lebewesen eigen ist und dass für schimpflich gilt, wenn sie einem menschlichen Herzen mangelt. Anderen dient sie zur Zierde, doch dem König ausserdem zur Stütze. Denn Undank zerstört Nerv und Mark eines Königreichs, und dies so lange als es Ärgernis erregt, einem Vergesslichen zu dienen und vergängliche Güter in den bodenlosen Schlund eines Undankbaren zu stopfen. 30. Schliesslich gestehe er, dass seine Würde eine Bürde ist und dass diese würdevolle Bürde ihn drücke. Er gestehe, dass er, zuerst unbehindert und frei, mit der Übernahme der Königsherrschaft eine lastende, arbeitsreiche und aufreibende, freilich würdevolle Dienstbarkeit auf sich nimmt, mit dem Zweck, die öffentliche Freiheit zu gewährleisten. Fortan habe er als Vorbild zu leben, denn gemeinhin werden Königsherrschaften nach dem Beispiel der Könige geordnet und dem Regierenden lastet man an, was immer ein Volk verschuldet hat.33 31. Nichts betrachte er als sein Eigentum ausser das Zepter und Diadem und die aus ihnen erwachsende, das allgemeine Wohlergehen umhegende, zwar ruhmvolle, aber auch drückende Sorge. Sie ist einer Hydra mit vielen stets neu erstehenden Häuptern vergleichbar. Er verleihe seiner Verstandeskraft die ihr geschuldete Schärfe, seinem Alter Ehrfurcht, seiner Sippe Mannesehre und Hoheit seiner Befehlsgewalt. Er verachte den Purpur, mache sich nichts aus Geschmeide, verschmähe Vergnügungen und verspotte rein alles, was vergänglich ist, um vielmehr das Ewige zu bedenken und zu bewundern. Waffen, Pferde, Schriften, königliche Gerätschaften, Friede und Krieg: alles diene der Ertüchtigung des Königs. Stets regiere er nach bewährtem römischem Brauchtum, wie Maro es überliefert hat:34 „… ein Leben in Frieden gewährend, Schonend den lenkbaren Mann und niederkämpfend den stolzen“. 32. Schliesslich verstehe er, dass dieses Leben ein Würfelspiel von grosser Gefahr ist, den Menschen nicht etwa zu heiterem Zeitvertreib, nicht zu tatenloser Musse, nicht zu masslosem Luxus und überhaupt zu nichts anderem verliehen ausser zu
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dem Zweck, in kurzer Zeit den Zugang zur Ewigkeit und den würdigen Stoff für dauernden Ruhm zu erwerben. Daher zeige er sich willig zu allem Guten. Er lese eifrig und höre gerne die Taten unserer Vorfahren, erforsche aufmerksam die glänzenden Vorbilder und ahme sie nach! 33. Dies namentlich beobachte er zu Hause, was einst jener grossartige Eroberer35 feindlicher Städte hochgehalten hat im Heer vor Numantia36 und was später für die römischen Feldherrn vorbildlich wurde. Das heisst: Wie der genannte aus den Heerlagern, so verbanne er aus den Städten und dem Königreich alles, was dem Luxus dient. Er verbessere auch die in langer Ungebundenheit entarteten Sitten, weil andernfalls keine Hoffnung auf Rettung (um nicht von Sieg zu sprechen!) besteht. 34. Eben darin ahme er den Genannten nach, und in anderem wieder einen andern, um aus allen ihren Werken einen angesehenen Mann hervorzubringen. Wie viele glänzende Männer ihm immer vorangingen: er wisse, dass sie ihm insgesamt als Führer zum Ruhm hinterlassen sind. Zuweilen begeistern Vorbilder edle Menschen nicht weniger als Auszeichnungen, auch Worte nicht weniger als Statuen.37 Vorteilhaft ist, sich mit ehrenvollen Personen zu vergleichen, und herrlich ist der Wetteifer, welcher der Mannesehre wegen gepflegt wird. 35. Doch um nicht mit peinlich genauer Aufzählung Zeit zu vergeuden, sage ich kurz: Dein König hat, ausser ich täusche mich, nicht etwa ein fremdes, aus längst vergangener Zeit stammendes Vorbild, vielmehr ein neues, geeignetes Exempel aller guten Taten aus seinem eigenen Geschlecht vor Augen, seinen erlauchten und hocherhabenen Oheim Roberto!38 Wie nützlich sein Leben dem Königreich war, hat sein verderbenbringender Tod gelehrt. Ihn möge er betrachten! Nach seiner Richtschnur gestalte er sein Leben! In ihm beschaue er sich wie in einem hell leuchtenden Spiegel! Jener war weise, war grossmütig, war milde, ein König der Könige! Ihm folge er nicht allein in der Zeit und gemäss seinem Blut, sondern auch in der Gesinnung und in den Sitten! Schon oft brachte es Segen, an die Nachahmung in äusserlichen Dingen die des Geistes zu knüpfen. Gut ist bereits, wer dem Guten sich anzugleichen bemüht ist. 36. Vieles habe ich gesagt, doch im Verhältnis zur Grösse der Sache nur wenig. Weit mehr bleibt noch übrig. Du aber, Hochansehnlicher, spürst, dass auf Deinen Schultern beinah die ganze Bürde ruht. Und dennoch ist für grosse Liebe nichts beschwerlich, nichts hinderlich, nichts unerträglich, ausser dies eine: keine Gegenliebe zu finden. Darüber zu klagen, hast Du freilich keinen Grund. Denn der Liebe und der Wertschätzung Deines Zöglings bist Du völlig sicher, Du der Führer und Lenker all seiner Pläne! Weder war Chiron39 dem Achilles lieber, noch Palinuros dem Aeneas, Philoktetes dem Herkules oder Laelius dem Africanus. 37. Wohlan also: Vollende, was Du begonnen hast! Alles erträgt ja die Liebe. „Alles besiegt die Liebe.“40
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Wer aber Anteil am Ruhm begehrt, muss notwendigerweise Anteil an der Mühewaltung nehmen. Gold wird aus der Tiefe gegraben; Gewürze werden aus der Ferne geholt; den Weihrauch schwitzt ein Gehölz von Saba aus; den Purpur schenkt Sidon, das Elfenbein Indien, die Perlen der Ozean. Schwierig ist die Herstellung all dessen, was Wert besitzt; gleicherweise ist das kostbarste unter allem, ich meine die Tugend, nicht leicht zu beschaffen. Glänzender als Gold ist der gute Ruf. Die Mühe findet ihn, der Eifer läutert ihn und die Sorgfalt hütet ihn. Die Rose wohnt unter Dornen, unter Gefahren die Tugend, unter Sorgen der Ruhm. Dort ist der Finger gefährdet, hier der Geist. Diesen also gürte Du mit glorreichem Beginnen! Denn wenn Du meinst, vollendet zu haben, stehst Du am Anfang. Mache jenen mit den wichtigsten Sorgen eines Königs und eines Gemeinwesens vertraut! Ist er dann hierin gefestigt, wird er, wie Cicero annimmt, auf Erden um so glücklicher handeln. Und wenn er von hier scheidet, wird er um so rascher zu den Sitzen des Himmels entschweben.41 Lebe wohl, Du des Vaterlandes und unsere Zier! Avignon, am 20. Februar (1952)42
Anmerkungen 1 Zur Person vgl. Anm. 1 von Fam. 11,13 und die späteren Briefe Fam. 12, 15 – 16 aus den Jahren 1351 – 1353, geschrieben in Avignon oder Vaucluse, dazu auch Wilkins, Studies, hier Kapitel 5: Petrarch in Provence 105 f. und 115, 121,124 – 7. 235 – 6. 243 – 5. 2 Ps. 23,10. 3 Unter König versteht Petrarca jetzt Lodovico von Tarent; dessen Krönung findet erst am 27. Mai 1352 statt. Und vom Königkreich Sizilien/Neapel fehlte damals die Insel Sizilien. Sie befand sich seit 1282 in der Hand der Aragonesen. 4 Ps. 111,10. 5 Das Gebiet von Campanien, wo Neapel liegt. 6 Schlacht von 216 v. Chr. 7 Kurze Zeit nach dem Sieg Hannibals an der Trebbia 218 verbrachte sein Heer den Winter in der Campagna, wo es sich – gemäss Liv. 23.18,10 ff.– durch Ausschweifungen entkräftete. Der luxuriöse Badeort Baiae liegt bei Cumae in der Nähe von Neapel. 8 Vgl. die Anm. 9 ff. 9 Gemeint ist Scipio Africanus der Ältere; zerstört wurde Karthago 146 unter dem jüngeren Scipio Africanus trotz Protesten des Scipio Nasica. 10 Gedacht ist an das berühmte Wort von Cato Censorius: Carthaginem esse delendam. Ihm widersprach vor allem Scipio P. C. Nasica. 11 Flor. Epit. 1,31,5. 12 In Glück und Unglück. 13 Er war rund dreissig Jahre alt, *1319/20. 14 Gemeint ist Marcus Curius Dentatus. Vgl. Cic. De sen. 16,55. 15 Petrarca wählt mit Absicht diesen für das umliegende Land Neapels damals geläufigen Namen, gibt ihm aber einen besonderen Sinn. Im allgemeinen besagte das Wort einen Boden, der zur Landwirtschaft sehr geeignet ist, was Formulierungen wie laborabiles terrae oder laboratoriae terrae verdeutli-
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chen. Petrarca betont aber die bedrückende Lage des Gebietes und meint, der Adressat, der darüber eine Zeit lang Richter war, bevor er Seneschall des Königs wurde, habe ihm Erleichterung gebracht. Frei nach Iug. 10,4 – 6. Berühmt vor allem darum, weil es ihm 494 gelang, mit der Parabel vom Leib (Gemeinwesen) und seinen verschiedenen Gliedern die ausgewanderte römische Plebs zur Rückkehr in die Stadt zu bewegen. Ad Lucil. 3,2. Cic. De am. 21,76. Suet. Dom. 9. Bedeutendster Feldherr Alexanders. Die folgende Geschichte findet man bei Iust. Epit. 12,14,6. Suet. Aug. 51. Vgl. das Personenreg. Das ist Gnaeus Domitius Ahenobarbus; entschiedener Gegner Caesars; dieser begnadigte ihn, nachdem er ihn 49 bei Corfinium geschlagen hatte; vgl. Caes. Bell. civ. 1,15 ff. Vgl. Bell. Gall. 8,52; Cic. Ad Att. 7,12,5. Suet. Caes. 73 ff. Serenus war ein Epitheton Iupiters; die Kaiser liessen sich sogar serenissimus nennen, wie der Cod. Theod. festhält. Gemeint ist Seneca. Zur Stelle vgl. Sen. Thyestes 612. Hier das Wortspiel mit invidere und videre; also: beneiden und sehen. Liv. 28,27,7. Vgl. Cic. Tusc. 3,10; Sen. De clem. 2,5,4 und andere. Claud. De 4 cons. Hon. 299 – 300. Aen. 6,852 – 853. P. Scipio mit dem Beinamen Numantinus. Stadt in Altkastilien Petrarca denkt offenbar an die Wirkung, die eine Statue Alexanders beim Herkules-Tempel von Gades (Cadiz) auf den jungen Caesar ausgeübt hat. Vgl. Suet. Caes. 7 Roberto aus dem Geschlecht Anjou, König von Neapel-Sizilien, genannt der Weise; lebte bis 1343. Vgl.vor allem Fam. 4,2 – 3 und 5,3 –6. Chiron (Cheiron) etc. vgl. das Personenreg. Verg. Ecl. 10,69. Somn. Scip. 9,29 in Cic. De rep. 6,24,29. Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 12,3, an den Grammatiker Zanobi da Strada in Florenz1 Aufmunterung, den Schuldienst aufzugeben. 1.Über einen Brief von Niccolò Acciaiuoli. 4. Zanobi möge sich höheren Studien widmen und sich an den Hof von Neapel begeben. 9. Ermahnung zur Beschäftigung mit wahrer Philosophie. 12. Seitenhiebe gegen die Scholastik, auch gegen Schulmeisterei und Tyrannis der Lehrer. Es bestehe eine Gefahr, bis ins Alter schülerhaft zu bleiben. 20. Acciaiuoli habe den Wunsch und die Macht, den Angesprochenen zu fördern. Avignon, am 1. April (1352).
1. Jener ruhmvolle Mann, dessentwegen zwei Städte um die Wette sich Glück wünschen – nämlich Florenz, weil es ihn geboren hat, und Neapel, weil es ihn besitzt –, er, auf dessen Schultern nun zu seinem Ruhm die ungeheure Last Trinakriens2 ruht, wie einst auf dem Haupt des Herkules oder auf dem des Atlas der Himmel3 – und also nicht zur Strafe, wie den Giganten geschah, auf deren Nacken der Aetna lastet4 –, eben derselbe, so sage ich, hat mir in bewunderungswürdiger Natürlichkeit und Menschlichkeit mit eigener Hand eine Epistel geschrieben. 2. Darin dient der eine Teil fast einzig dem Zweck, nach einem mir entbotenen höchst ehrenvollen Gruss eine höfliche Entschuldigung anzufügen, dass mein Brief bisher unbeantwortet geblieben sei, und die ganze Schuld daran wird auf Niccolò d'Alife und meinen Barbato übertragen,5 weil die beiden, obwohl häufig gebeten, ihre hilfreiche Feder verweigert hätten. 3. Ich meinerseits erwarte von einem Mann, der so bedeutende Taten vollbringt, gewiss nicht viele Worte,6 wenn mir auch gleichzeitig bewusst ist, dass er von sich allzu bescheiden denkt und einer fremden Hilfe jedenfalls nicht bedarf, wenn er antworten will. Mir ist wahrhaftig viel lieber, dass seine Zunge nach seiner Gewohnheit sich still verhält, weil seine Taten reden, und dass das Gerücht seine herrlichen Werke berichtet, während seine Feder ruht. Mein eigenes Schreiben bezweckte ohnehin nicht, die Redebegabung dieses Mannes, sondern seine Herrscherfähigkeit anzuheizen. 4. Der andere Teil seines Briefes besagte, ich möge Dich bitten, endlich die Grammatikschule zu verlassen und nicht das ganze Leben auf die Regeln des Donat7 zu „verschwenden“ – um seinen Ausdruck zu gebrauchen. Dies also sind die beiden Dinge, von denen im Brief des hochangesehenen Freundes zu lesen war. Während das eine mich betrifft, soll das andere durch meine Feder – weil sie in der bestimmten Sache sein besonderes Vertrauen hat – Dir mitgeteilt werden. Was diese angeht, wirst Du (wiewohl ja in menschlichen Belangen nichts schwieriger ist, als eine eingewurzelte Gewohnheit mit einem einzigen Ruck auszurotten) meine kurz gefasste Meinung anhören und nach Gutdünken gebrauchen. 5. Du spürst an Dir als ein scharfsinniger Mann – denn wer würde nicht spüren, was ihm ständig zu schaffen macht? – Du spürst also die grosse Gefahr und die
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schwierige Anforderung, die sich jedem Menschen schon beim Eintritt in dieses Leben entgegenstellt: Da ist ein langer und rauher Weg, da ist auch eine kurze und widrige Zeit. Rechts geht ein Pfad steil aufwärts, ist eng, dornig und steinig; und just dieser Pfad führt uns zum wahren Leben. 6. Jedoch „… der linke der Bosheit Rächt unsre Schuld und schickt uns hinab in die gottlose Hölle.“8 Das war weder unserem Maro unbekannt, noch auch Pythagoras fremd gewesen, als er, den Spuren des Kadmos9 folgend, einen für die Schrift wertlosen, aber für das Leben bedeutsamen Buchstaben dem Amboss unseres Verstandes einhämmerte. 7. Denn bei diesem doppelt gehörnten, symbolhaften Buchstaben zielt eben das rechte und schmälere Horn zu den Sternen, während das linke, breitere sich gekrümmt zur Erde zurückneigt.10 Dieses stellt, wie man sagt, den Weg zur Unterwelt dar; hier ist das Gehen recht leicht und angenehm, jedoch das Ende völlig bedrückend und derart entsetzlich, dass man ihm an Erbärmlichem unmöglich etwas beifügen könnte. Wer dagegen den rechten Pfad einschlägt, hat zuerst gewaltige Mühe, doch dann das herrlichste Ende. 8. Allerdings kann an dieser Wegscheide kaum einmal die Wachsamkeit lebhaft genug sein; und soviel man immer an Vorsicht und Behutsamkeit aufbringt, wird ihr Mass doch niemals der Grösse der Gefahr entsprechen: so viel Grauenhaftes gibt es auf allen Seiten, so viel Verworrenes, so viel Schlüpfriges, so vielfältig Ablenkendes, so vielfältig Aufhaltendes und abweisend Verhinderndes! Oh wollten wir doch bei der extremen Kürze unserer Zeit unser ganzes Gepäck an unnützem Zeug abwerfen, um mitten unter so viel Hindernissen nackt und unbelastet auf das Ziel, das wir uns gesetzt haben, hinzuschreiten! 9. Du wunderst Dich, weshalb ich mit dieser Anhäufung doch wahrhaft bekannter Gefahren Dich erschrecken wolle? Nun, ich möchte, all dieses Furchtbare wäre von meinem Herzen und dem meiner Freunde unendlich weit entfernt, und um das zu erreichen, unternehme ich alles Menschenmögliche und verehre dabei nichts so sehr wie die Philosophie. 10. Aber nicht etwa jene geschwätzige und aufgeplusterte scholastische, mit der unsere Sprachlehrer in ihrem Dünkel aufs lächerlichste grosstun, nein vielmehr die wahre, die nicht allein in Büchern, sondern auch in unseren Seelen wohnt, übrigens auch in den Dingen selber und nicht in blossen Worten liegt und die – wie ich meine – einen besonders schönen Teil ihres Vermächtnisses den Gesprächen von Tusculum11 übermittelt hat; es ist das, was „die Seelen gesund macht, sie der eitlen Besorgnis enthebt, der Leidenschaften entledigt und von Ängsten erlöst“. 11. Was also? Die Ängstlichkeit muss in einer Weise verjagt werden, dass sich nicht gar noch die Vorsicht davonmacht. Denn wie die Ängstlichkeit von Feigheit, so zeugt die Unvorsichtigkeit von Dummheit.
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Glaubst Du nun aber, es sei erlaubt, auf diesem Lebensweg stillzustehen oder herumzuschlendern und sich zu vergnügen oder die Zeit, die für unsere eigenen Zwecke knapp ausreicht, an undankbare Kinder hingeben zu sollen? 12. Einem ebenso lästigen wie endlosen Bemühen hast Du Dich verschrieben. Sind die einen Kinder unterrichtet, folgen ihnen gleich andere, und niemals wird daran ein Ende sein, schon gar nicht in unserer Stadt,12 die an jedem Geschlecht und Alter, insbesondere an Kindern so ungemein fruchtbar ist, als würden Steine, Strünke oder Winde sie erzeugen oder als gäbe es Italer wie Myrmidonen.13 13. Glaube mir und mach Dir nichts vor: Zu etwas anderem bist Du geboren, und für eine höhere und herrlichere Aufgabe bist Du erkoren worden. Kinder zu unterrichten, das konnte Dir Dein Schicksal bescheren; doch die Natur plante mit Dir, indem sie Dich ans Licht brachte, etwas anderes. Ihr solltest Du als der denkbar besten Lenkerin und Mutter gehorchen, dem Schicksal dagegen wie einer feindlichen Macht beharrlich widerstehen. 14. Doch da wird einer sagen: „Undankbar handelt, wer den Unterricht, den er von den Vätern empfangen hat, den Nachkommen vorenthält. Denn wenn man den selben Individuen nicht danken kann, so immerhin dem einen und gleichen Menschengeschlecht.“ – Ich dagegen behaupte, es sei freilich nichts unmenschlicher, als Liebe und Wohltat zu vergessen und sie nicht zu vergelten, wenn man es könne. Dennoch rate ich allen, denen es aus der Höhe gegeben ist, weiter zu streben. Du erkennst in den Büchern die Geistesgrösse der Alten, und von ihrem dichterischen Feuer empfängst Du Deine eigene Flamme. Wirke auf die Nachkommen in der selben Weise und entflamme sie ebenso. Das schuldest Du Deinem Geistesvermögen, das tu! 15. Aber Kinder zu unterrichten, schickt sich für jene, die zu nichts Besserem fähig sind, weil ihr Fleiss allzu geschäftig, ihr Sinn zu träge, ihr Gehirn schwammig, ihre Phantasie flügellahm und ihr Blut kalt ist, während sie sich allerdings durch körperliche Ausdauer, Geringschätzung ihres Ansehens und Lust auf irgendwelche Profitchen wie durch Gleichgültigkeit gegen Langeweile hervortun. Du siehst, wie sehr das alles von Deiner eigenen Veranlagung abweicht. 16. Die fahrigen Hände der Kinder, ihre zerstreuten Blicke, ihr verworrenes Stammeln soll einer überwachen, dem mitten in Staub und Lärm eine solche Bemühung samt dem unter der Rute erzeugten Gekreisch und Gestöhn mit all seinen Bitten und Tränen erquicklich erscheint. Tun soll das einer, der sich freut, selber wieder ein Kind zu werden, während er sich scheut, unter Männern zu verkehren. Und tun mag solches, wer es für anstrengend hält, mit Seinesgleichen zu leben, weil für ihn vorteilhaft ist, über Kleinere zu walten und stets solche zu haben, die er quälen, demütigen und befehligen kann, um von ihnen zwar gehasst, aber immerhin gefürchtet zu werden.14 17. Eine tyrannische Lust ist das, und eine, welche der Grausamkeit jenes Alten aus Syrakus geschmeichelt hat, wie berichtet wird, nämlich zum unverdienten Trost im wohlverdienten Exil.15
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Du aber, ein Mann von grösstem Anstand, solltest Dein ständiges Verlangen an etwas Besseres wenden. Gleichartige Lehrer, wie wir in unserer Kindheit gehabt haben, lass die jetzt Heranwachsenden unterrichten. Und wie jene, die uns als erste zu herrlicheren Beispielen emporheben wollten, lass uns selber an unseren Nachfahren handeln. 18. Oder möchtest Du, während Du einen Cicero und Vergil und die anderen grossen Vorbilder der römischen Sprache nachahmen kannst, dennoch lieber dem prügelnden Orbilius16 ähnlich sein? Überlege auch, dass weder die Grammatik noch irgendeine der sieben freien Künste einem edlen Mann, wenn er älter wird, noch ansteht.17 Diese Künste bedeuten einen Durchgang, kein Hochziel. 19. Einen tüchtigen Wanderer schreckt ein rauher Weg nicht ab, und ihn verführt auch keine Annehmlichkeit. Er geht über die Klüfte der Berge wie über grünende Matten, immer das Ziel vor Augen. Trefflich nimmt sich ein junger Dialektiker mit seinen ersten Versuchen aus; doch nichts ist so widerlich wie ein Elementarschüler-Greis,18 so behaupten die gelehrten Alten. Das erste hast Du uns vorgelebt; aber das zweite uns vorzuleben, das vermeide! Besser ist es, als Kind zu sterben, als lebend unter Kindereien zu vergreisen. Wirklich, ich müsste Dich bemitleiden. 20. Doch lassen wir das: Du hast noch Deine volle Kraft und hast noch Zeit, Dich einem neuen Vorhaben zu widmen. Es gibt andere, für die ich bloss Bedauern und keinen Trost entdecke, da sie beinah ihr ganzes Leben in einem Gymnasium vertan haben. So zwei meiner Freunde, denen das jenseitige Gallien den Lebensunterhalt bietet,19 zwei glänzende Talente, doch stets niedergebeugt unter geistlose Amtspflicht. Dir hingegen kann ich gar Glück wünschen, denn Du erfreust Dich der Gunst dieses leuchtenden Gestirns in unserem Vaterland.20 Er ist der einzige Mensch, der Deiner ruhmlosen Bemühung ein Ende setzen will und kann. Steh auf, er ruft Dich! Steh auf, schau Dich um, erkenne Dich selbst21 und wähle Dir eine Deiner Fähigkeit angemessene Aufgabe!22 21. Was tust Du denn, ich bitte Dich? Du unterrichtest Kinder und leistest damit eine Arbeit für das Gemeinwohl. Richtig! Aber passender und besser als Du wird die Kinder belehren, wer ihnen ähnlich ist, denn wie Ihr ja zu sagen pflegt, ist gerade unter Ähnlichen die Vermittlung besonders leicht und natürlich. Verbringe Du also lieber, was Männer gutheissen, als was Kinder bewundern! Warum willst Du Anlagen, die der Natur nach verschieden sind, miteinander vereinen? Der Ratschlag eines Griechen sei uns eine Mahnung. Diesem gemäss hat sich jeder in eben der Kunst zu ertüchtigen, die er gelernt hat.23 Dem möchte ich beifügen, es möge ein Kenner vieler Künste eine bevorzugen, um sich in ihr besonders ehrenvoll zu ertüchtigen. Lebe wohl! Avignon, am 1. April (1352).24
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Anmerkungen 1 Zanobi da Strada war Grammatiker in Florenz. Ein Dokument aus Neapel nennt ihn 1349 königlichen Sekretär. Doch er konnte sich erst im Frühling/Sommer 1352 entschliessen, dem Ruf Acciaiuolis an den Hof von Neapel zu folgen. Von Kaiser Karl IV. wurde er anlässlich seiner Romfahrt 1355 zum Dichter gekrönt. Er starb 136l. Vgl. Paola Guidotti, Un amico del Petrarca e del Boccaccio: Zanobi da Strada, poeta laureato, in: ASI ser. 7,13, 1930, 249 – 293, dazu auch Wilkins, Studies, hier vor allem 115; 125 – 130; 248 – 250, und vgl. auch die andern an ihn gerichteten Schreiben unter „Adressaten“. 2 Trinakrien war die Bezeichnung für Sizilien oder hier wenigstens für die auf der Insel vor kurzem gemachten Eroberungen. Vgl. den vorangehenden Brief Fam. 12,2. 3 So gemäss dem bekannten Mythos. 4 Typhon und Enkelados sollen im Gigantenkampf mit dem Aetna überschüttet worden sein. 5 Niccolò d'Alife, Hofmann in Neapel, nahm von Petrarca ein Epitaph von 25 Hexametern für den König Roberto entgegen. Zu Barbato da Sulmona vgl. Fam. 4,8 Anm. 1 und die verschiedenen an ihn gerichteten Briefe. 6 Acciaiuoli bediente sich ungern der lateinischen Sprache, doch Petrarca rühmte seine grosse sprachliche Naturbegabung; vgl. Fam. 13,9,3. 7 Grammatiker aus dem 4. Jahrhundert, Lehrer des Kirchenvaters Hieronymus, schrieb ein Lehrbuch, das während des ganzen Mittelalters im Gebrauch war. 8 Aen. 6,542 – 543. 9 Kadmos soll bei den Griechen Buchstaben eingeführt haben. Das Ypsilon, ohne welches das Alphabet wohl auskommen könnte, setzte Pythagoras nach einer Sage als ein Zeichen für den Scheideweg ein, an welchem der Mensch entweder den schmalen, steinigen Weg der Tugend oder den breiten, bequemen der Laster wählt. Petrarca schrieb diesen Buchstaben mit einem dicken linken Abstrich und einem dünnen rechten. 10 Zum „Scheideweg“ vgl. oben Fam. 7,17, 1. 11 Cic. Tusc. 2,4,11. 12 Florenz ist gemeint. 13 Achaischer Volksstamm. 14 Accius, Atreus, 203 f.; Sen. De ira, 1,20,4. 15 Dionysios der Jüngere von Syrakus. Vgl. Sen. Dial. 3,20,4. 16 Vgl. Hor. Ep. 2,1,70 – 71. 17 Man vgl. diese Stelle mit dem Abschnitt 9; man ersieht aus dem Vergleich, dass die Philosophie nicht mehr im Rahmen der sieben freien Künste zu suchen ist. Sie hat sich verselbständigt. 18 Elementarius senex; ein Wort des Aristoteles, überliefert z. B. bei Sen. Ad Lucil. 36,4. Zu diesen Ausführungen vgl. oben Fam. 1,7. 19 Wohl an der Kurie in Avignon, wo auch Petrarca eine Stelle angeboten wurde. 20 Des Niccolò Acciaiuoli. 21 So nach der Inschrift des Apollontempels in Delphi. 22 Vgl. Hor. Ars 38 – 39. 23 Vgl. Cic. Tusc. 1,18,41. 24 Die Datierung setzt voraus, dass Zanobi dem Ruf nach Neapel noch nicht gefolgt ist, dass aber von Neapel aus schon wichtige Eroberungen auf Sizilien stattgefunden haben. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 68.
Fam. 12,4, an Francesco Nelli, Vorsteher an der Apostelkirche in Florenz1 Schwierigkeiten Petrarcas an der Kurie. 1. Dank für Brief und Freundschaft. 3. Auskunft über zähe Geschäfte an der Kurie zu Gunsten eines Freundes. 6. Über die Krankheit des Papstes. 7. Über die vier berühmten Labyrinthe; Petrarca kann ein Problem nicht lösen. 9. Unverständnis der Menge gegenüber literarischer Bildung. An den Flüssen Babylons, am 13. Januar (1352).
1. Wunderbar wird mein Herz durch Deine Worte erheitert; sie sind die schöne Ankündigung einer erhofften Seligkeit, die wir nach dem Ende des diesseitigen Jammers anzunehmen uns bereiten, indem wir vieles, aber vor allem das Glück, das der gegenseitigen Zuneigung und des begehrten Zusammenlebens entspringt, gewinnen. 2. Weil uns aber schon dermassen beglückt, einen Freund zu hören oder zu sehen, was soll man da von jener Zukunft erwarten, wo wir Jenen sehen, der uns und unsere Freunde, ja selbst den Namen Freundschaft geschaffen hat? Wenn jeder sich selber und wenn jeder die anderen so hingebend liebt und vergänglichen Wesen so herzlich anhängt, wie sehr muss er einst Jenen lieben und mit welcher Lust Jenen geniessen,2 der einem jeden von uns alles gegeben hat, nämlich das, was er lieben und das, womit er lieben kann, um Ihn zu geniessen, das heisst die Seele, dank der er geniesse? Doch unaussprechbar und unendlich ist das und schwierig, auch nur zu denken! Ich steige herab zu dem, was uns näher liegt. 3. Die Angelegenheit meines Freundes,3 den Du zu dem Deinen hast machen wollen, ist noch in der Schwebe. Der Mann, von welchem Hilfe erhofft wurde (und der, sofern ein Versprechen stets eine redliche Schuld besagt, sie auch wirklich schuldet), ist der Abt von Vallombrosa. Der aber scheint mir – unbeschadet seiner Heiligkeit! – im Schatten dunklen Gewölkes4 und in platter Einfalt verkannt zu haben, was seiner Ehre und was seinem Ansehen gebührt. Gewiss ist die Aufgabe eines Soldaten nicht gleich der eines Befehlshabers, und oft hat einer als Soldat sich bewährt, der nachher als Heerführer versagte. 4. Von einem hervorragenden Heerführer5 stammt das Wort, er sei „als Befehlshaber geboren worden, nicht aber als Kämpfer“, wogegen der unsere hier, wie ich höre, einst ein feuriger Einsiedler war und jetzt als Abt, wie ich sehe, schwerfällig ist, obwohl es um seine eigene Sache geht. Ich jedenfalls kann von ihm nichts erbitten oder erwarten ausser Bemühung. Sein Brief immerhin, den Deine Güte ihm kürzlich abgerungen hat, kann vielleicht etwas nützen. Die Sache aber wird in der Hand Fortunas liegen, wie das meiste. 5. Unser bester und liebenswürdigster Herr6 unterstützt uns mit grossem Einsatz und heisst uns, gute Hoffnung zu hegen. Ich glaube, er schenkt mir mehr Vertrauen als der genannte Abt, der vielleicht dermassen heilig ist, dass er alle anderen für Übeltäter ansieht.7 So also steht es um das Geschäft, nach dem Du fragst.
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6. Doch schon lange wäre dieses zu irgendeinem Ende gekommen, wäre da nicht die andauernde und schwere Krankheit des Papstes,8 durch welche, wie Du siehst, die Angelegenheiten sogar von Kaisern und Königen verzögert werden. Somit dämpfe ich meinen Missmut darüber, dass Fortuna auch mich in allzu lange Streitereien verwickelt hat. Aber missmutig bin ich. 7. Hierüber habe ich für Dich bereits ein kurzes Gedicht verfasst,9 und dass es noch nicht zu Dir unterwegs ist, hat folgenden Grund: Ich habe darin, bevor ich der Ordnung nach auf mein unentrinnbares Gefängnis zu sprechen komme, die vier alten Labyrinthe aufgezählt,10 bin aber hinsichtlich ihrer Abfolge unsicher und habe doch keine Bücher hier, die ich befragen könnte. Gleichzeitig kann ich meinem Gedächtnis nicht genügend vertrauen. 8. Übrigens, wenn Du in sehr gewinnender Weise von Deiner Freundschaft sprichst, wie Du mich und auch alle, die mir lieb sind und denen ich lieb bin, voll inniger Hochschätzung an Dich ziehst, ja sogar von jenseits der Alpen und Meere mit schärferen Augen als der Luchs und mit besseren Ohren als das Wildschwein, (nämlich dank einem besonderen Privileg der Liebenden) „… den Fernen von fern zu sehen vermagst und zu hören“11 nein, eher noch überall anwesend zu sein, so wüsste ich das, selbst wenn Du darüber schwiegst. Und doch freut mich, es zu hören. Und einer nicht geringen Vermehrung des Wohlbefindens meine ich seit jenem Tag mich zu erfreuen, an dem Du beschlossen hast, mich so zu lieben. 9. Am Schluss Deines Briefes steht noch das ernsthafte und schamhafte Wort, Du wärst der grossen Menge wohlfeil, sofern ihr Deine Lektüre und Kenntnis der Dichter, an denen allein Du Gefallen hast, bekannt würden; und doch wärst Du sogar mit gutem Gewissen Dir selber nur um so teurer. Beides lobe ich, nämlich dass Du die Ungereimtheiten der grossen Menge erkennst und dass Du sie verachtest. Denn das eine geziemt sich Deiner Klugheit, das andere Deinem Seelenadel. Aber auch dieses Thema ist zu bedeutend, als dass es nebenbei zu behandeln wäre, und muss, so meine ich, in bescheidenes Schweigen gehüllt werden. Man soll ja nicht denken, dass wir unsere Studien überschätzten und die Unwissenden verachteten. Zuletzt gibst Du Grüsse für meine Freunde auf. Ich brauche sie nicht zu nennen. Du weisst, wo überall mein Herz eine Wohnung hat. Nur wenige Gastgeber kennt es, doch getreue. Lebe glücklich und verachte das Gemeine! An den Flüssen Babylons, am 13. Januar (1352?).12
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Anmerkungen 1 Francesco Nelli, Vorsteher der Kirche Sanctorum Apostolorum in Florenz, gehörte nach dem angedeuteten ersten Kontakt zu den besten Freunden des Dichters, erhielt von ihm den Namen Simonides und die Briefsammlung der Seniles zugeeignet. Vgl. die späteren Briefe an den selben Adressaten, aufgezählt unter „Adressaten“. –Die Briefe Nellis an Petrarca wurden ediert von H. Cochin, Un ami de Pétrarque: Lettres de Francesco Nelli à Pétrarque, Paris, 1892, 89 – 148. Vgl. zur Korrespondenz zwischen Petrarca und Nelli auch Wilkins, Studies cap. 8, 205 – 212; zu den Epistolae Metricae für Nelli ebenda 193 – 204.Vgl. auch Dotti, Vita, das Register. 2 Petrarca unterscheidet im Sinne des Kirchenlehrers Augustinus zwischen uti für das Nützen des Vergänglichen und frui für das Geniessen des Ewigen; vgl. Aug. De civ. 11,25. 3 Vgl. Wilkins, Studies 85 f. und 103, auch unten Fam. 12,13. Es handelte sich um eine Stelle für Don Ubertino, einen Benediktiner Mönch; der Abt von Vallombrosa hatte sie dem Genannten zugesprochen, später aber seine Meinung geändert. 4 Petrarca erlaubt sich eine Anspielung an den Namen des Klosters Vallombrosa: „Schattental“, von dessen Abt hier die Rede ist. 5 Gedacht ist an Scipio Africanus; vgl. Front. Strateg. 4,7,4. 6 Vielleicht Bischof Angelo Acciaiuoli von Florenz (Vetter von Niccolò Acciaiuolo) oder eher Kardinal Elie de Talleyrand? Vgl. Fam. 12,1,10 und Fam. 12,6,7. 7 Petrarca selber, nicht weniger streng in seinem Urteil, hat im 11. Brief seines Buches Sine nomine die ganze römische Kurie in Avignon ausnahmslos der Sintflut übergeben, vgl. Widmer, Aufrufe 263. 8 Clemens VI. 9 Vgl. den folgenden Brief Fam. 12,5. Es handelt sich um Metr. 3,22. 10 Dass die päpstliche Kurie ein neues Labyrinth sei, steht immer wieder in Petrarcas Liber sine nomine. Vgl. dort z. B. Brief 8, Widmer, Aufrufe 249. 11 Verg. Aen. 4,83. 12 Ps. 136,1. Gemeint ist Avignon. Das Jahr ist vermutlich 1352 wie im vorangehenden Schreiben.
Fam. 12,5, an Francesco Nelli1 Über Denken, Reden und anderes. 1. Ein neuer Brief Nellis verlange eine Antwort. 2. Über die Unfähigkeit der menschlichen Rede und über den Unterschied zwischen dem gedachten und dem geäusserten Wort. 4. Neue Freude über die gewonnene Freundschaft. 6. Auch Forese Donati gilt Petrarca als Freund. 7. Das versprochene Gedicht könne nicht abgeschickt werden, bevor Plinius konsultiert worden sei. Hier besitze nur der kranke Papst dessen Werk. Am 18. Januar (1352).
1. Kaum habe ich eilig meinen Brief datiert und verschlossen, sieh, da kommt schon ein anderer Bote und Dein neuer Brief, mir noch lieber als der frühere und auch noch erfreulicher, weil mit der Zeit die Liebe wächst und nicht stille steht, nämlich so wenig wie die Seele, in der sie wohnt. Diese ist ja, wie die Platoniker behaupten, in steter Bewegung.2 2. Was soll ich Dir antworten? Vieles spricht der Geist, was wiederzugeben selbst die Zunge der höchst Beredten nicht fähig ist. Ja sogar Ciceros Sprachgewandtheit, so meine ich, war in seiner Brust herrlicher als in den Ohren seiner Zuhörer, wie auch die Muse des Sehers aus Mantua3 in seiner Phantasie erhabener war als in seiner Feder. Grossartige Stoffe in passender Rede auszudrücken und das Antlitz der verborgenen Seele durch richtige Wortwahl sichtbar zu machen, das ist, so glaube ich, höchstes Ziel der Beredsamkeit. Doch im Bestreben danach bleibt der menschliche Geist oft als Besiegter auf halber Strecke stehen. 3. Sieh, da wollte ich Dir nun die Ohren voll reden! Einen Begriff davon habe ich im Geist, und bin doch nicht imstande – so sonderbar ist die Schwäche der menschlichen Zunge! –, vor Dir auszusagen, was ich möchte. Aber lassen wir es gut sein! Du vermagst meine Seele zu erkennen und zu lesen, was darin steht, und die dort entstandenen Worte hörst Du sogar aus meinem Schweigen, und was ich nur von wenigen Menschen erhoffe, ist bei Dir möglich, dass, was immer ich zu Dir sage, nicht Unterweisung ist für Dich, sondern Erleichterung für mich und in jedem beliebigen Stil gesagt werden kann. Daher sind auch diese Worte weniger für Dich als für mich, ja auch für andere bestimmt. 4. Je mehr ich Dich nun aber betrachte, desto mehr bewundere ich und desto inniger umfange ich und liebe ich Dich und bin dabei stets tiefer beglückt, von Dir geliebt zu werden. Und dank Deinem Urteil werde ich mir selber teurer und nachsichtiger gegen meine Fehler, als könnte ich niemals einem so bedeutenden Menschen teuer sein, sähe dieser in meiner Seele nicht eine gewisse Helle, die ich selber nicht sehe, weil ich mir näher bin, und die auch Du bei näherem Zusehen wohl kaum erkennen würdest, wäre nicht eben die Aussage richtig, dass „… Liebende gern für sich selbst schöne Träume erdichten“,
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(um einem Vergilius den Maro entgegenzuhalten und einem Bucolicon ein Hirtengedicht4). 5. Was willst Du? Dein Irrtum macht mich selig, und so geht es mir mit beinahe allen meinen Freunden. Kein Irrtum jedoch könnte mir so willkommen sein wie der Deine, und von keinem möchte ich lieber, er bestünde auf immer. Die Freundschaft wird beidseitig sein und gleichzeitig altern. Eben das wird mir, ich zweifle nicht, dank Deiner Liebe, und eben auch dank meiner Wachsamkeit vergönnt sein. Ich nütze nämlich das gute Geschick nach Kräften, damit die Wolke, die mich damals verhüllte, als ich Dir mitten im Dickicht5 erschien, sich nur ja nicht zerteile! Doch genug davon. 6. Deinen Forese,6 vielmehr den meinen, nein, den unsern, wie er sagt, will ich, weil Du es befiehlst und weil er an sich selber der grössten Liebe würdig ist, in mein Herz aufnehmen. Möchte mir doch eine Gelegenheit gegeben werden, ihm mein Herz anders als durch blosse Worte aufzudecken! Oder möchte er doch wenigstens, wenn das Los solches verwehrt, gleich wie Du die Gesinnung sogar eines Schweigenden erkennen. Er wird es tun, so hoffe ich. 7. Für die Verslein,7 die ich für Dich verfasst habe und die Du so stürmisch begehrst, benötige ich, schau, den Rat des Plinius Secundus,8 den ich bei der Wegreise aus Italien in seiner Heimat, das ist Verona,9 in ungemein grosser Begleitung berühmter Männer zurückliess. Hier habe ich keinen Plinius, und so viel ich weiss, hat ihn auch keiner ausser dem römische Bischof.10 Dieser aber, wie Du hast sagen hören, befindet sich im Vorzimmer des Todes, wohin er sich soeben kopfüber gestürzt hat und woher er nun allmählich zurückkehrt.11 8. Möglich, dass er die Genesung zurückerlangt (wiewohl das beste Los für den Leib eines Greises im Tod liegt), so dass er doch irgendwie gesunden wird! Und übrigens ginge es ihm wahrscheinlich schon besser, hätte nicht eine ganze schwatzhafte Ärzteversammlung,12 diese nicht etwa geringste, sondern gefährlichste Pest der Reichen, solches verhindert. Gleich werde ich dann in seinem Plinius nachsehen, um Deinem Wunsch zu entsprechen. Die Verse aber, die, wie alles andere, was von mir stammt, Deine Hoffnung und Meinung gewiss enttäuschen müssen, wirst Du, wie gewünscht und verheissen, erhalten und dann sagen: „Es ist, wie man zu sagen pflegt“; das heisst: „Viel grösser ist allemal die Erwartung als die Erfüllung.“ Lebe wohl, und vergiss uns nicht! Am 18. Januar (1352).13
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Anmerkungen 1 Vgl. den vorangehenden Brief Fam. 12,4; auch Wilkins, Studies, zu diesem Brief (Index) und allgemein 205 – 212. 2 Vgl. Cic. Pro Sext. 68,143; Sen. Ad Helv. 6,7 – 8. 3 Vergil. 4 Einem Zitat aus dem Brief Nellis, das ist Vergil, Ecl. 10,28/29, setzt Petrarca Vergils Ecl. 8,108 entgegen. 5 Bildlich gemeint. 6 Forese Donati, Pfarrer an einer Kirche Santo Stefano nahe bei Florenz; vgl. Fam. 12, 8 und den an ihn adressierten Brief Fam. 18,6. Wilkins, Studies 100 etc. 7 Petrarca hatte diese Verse im vorangehenden Schreiben zu schicken versprochen. 8 Gemeint ist ein Codex mit der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren. 9 Petrarca hatte auf seiner Reise nach Avignon fast einen Monat in Verona zugebracht; vgl. Fam. 11,6,2. Plinius stammte jedoch aus Como. 10 Clemens VI. 11 Er starb erst Monate später am 6. Dezember 1352. 12 Vgl. Fam. 5,19. 13 Gleiche Jahreszahl wie im vorangehenden Brief. Vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,6, an Bischof Philippe von Cavaillon1 Zu einem Besuch des Adressaten in Vaucluse. 1. Petrarca macht dem Freund Vorwürfe, weil er Vaucluse ohne Benachrichtigung besucht hat. 6. Der Adressat hat Bücherwünsche. 7. Einen seiner Briefe hat Petrarca weitergeleitet. 8. Er gibt Nachrichten aus Avignon, doch auch über Ereignisse in Italien. Avignon, am 1. Februar (1352).
1. Zu unserem Helikon jenseitigs der Alpen2 an der Quelle der Sorgue, der den schon alternden Musen geweiht ist, konntest Du kommen und da ohne mich fünf Tage verweilen? Und es kam Dir nicht in den Sinn, liebenswertester Vater, dass infolge meiner Abwesenheit dem sehr reizvollen Ort oder wenigstens Dir (weil mir verbunden) etwas fehle, was sehr leicht zu beschaffen gewesen wäre? Ich war ja nahe genug, um beinah mit blosser Stimme gerufen zu werden! 2. Was bedeutet das? Hast Du mir etwa mitten unter vielen hoch wogenden Sorgen die kurze Erquickung des Landaufenthaltes und Deiner Nähe missgönnt? Doch solches zu argwöhnen, verbietet Deine bestens bewährte Vornehmheit. Oder hast Du mich für unwürdig erachtet? Doch das zu glauben, verhindert Deine allbekannte Liebe zu mir und Dein öffentliches Urteil über mich, von dem ich nur wünschte, es wäre so richtig wie milde und nachsichtig. 3. Oder hast Du gedacht, ich würde einem Aufruf nicht folgen wollen? Doch wann, ich bitte, habe ich verdient, solcher Anmassung verdächtigt zu werden? Oder hast Du mir Arbeit und Umstände ersparen wollen? Wäre dem so, würdest Du mich für allzu träge und in weltlichen Belangen für allzu schwerfällig halten. 4. Lass Dir in guten Treuen gesagt sein: Was immer ich hin und her überlege, immer stösst mir irgend etwas auf, das mich zwingt, Dein Benehmen für sonderbar anzusehen. Daher würde ich mich über Dich und vor Dir persönlich beschweren, hättest Du nicht, wie es Dein Brief bezeugt, das mir angetane Unrecht an meinen dort vorhandenen Schriftchen auf das schmeichelhafteste gutgemacht. Du hast ja mit ihnen Tag und Nacht sehr vertraulichen Umgang gepflogen! 5. Und dabei ist nur erstaunlich, dass Du bei Deinem edlen Verstand, der mit Heiligen und Historikern, mit Philosophen und Poeten verkehrt, auch noch nach meinen Werklein, oder um richtiger zu sprechen: nach meinen Spielereien – so viel vermag eben die Liebe! – mit so ausnehmendem Verlangen begehrt hast. Wirklich, so will es die Natur, dass wir unsere missgestalteten Kinder lieber haben als die fremden schönen. Und nicht ungeschickt hat ein zwar wenig gelobter Dichter so gesprochen:3 „Für jeden sein Weib, für mich das meine; Für jeden sein Schatz, für mich der meine.“
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Fam. 12,6
6. Du aber, bester Vater, bedenkst in der Beurteilung all des Meinen nicht, wer ich bin, sondern wie sehr ich Dir verbunden bin! Wenn allerdings mein Verwalter berichtet, Du wünschtest einige der erwähnten Schriftchen mitzunehmen, wolltest es aber nicht ohne mein Einverständnis tun, so bedeutet das, es habe – ich weiss nicht wieviel – Lauheit Deiner Begeisterung sich beigemischt. Mach doch, bitte, bei mir und dem Meinen von Deinem guten Recht Gebrauch! 7. Nimm schliesslich auch zur Kenntnis, dass ich mit Deinem Brief zu unserem gemeinsamen Herrn von Albano4 gegangen bin. Seine Antwort lautet, was Du schreibst, sei ihm genehm. Im übrigen sei er darauf bedacht, den römischen Bischof nie mit eigenen Anliegen zu bedrängen. Mir scheint, er habe menschliche Begehren überwunden und seinen Wünschen ein Ziel gesetzt, doch sei ihm weniger zu seinem Los als zu seiner Gesinnung Glück zu wünschen. 8. Andere Gerüchte sind Dir bekannt: Der König von Sizilien5 hat die ihm vorenthaltene Krone empfangen. Zwischen ihm und dem König von Ungarn6 wurde ein Friede geschlossen (und möge dieser doch dauern!).7 Unser Papst kehrt sich ab vom Tod; doch beeilt er sich, zu ihm zurückzukehren.8 Der Bischof von Ostia9 aber liegt jetzt, da ich das schreibe, im Sterben und wird, wenn Du das liest, gestorben sein. Mir scheint, sein Ableben komme rechtzeitig für ihn und seine Natur, sei aber für das Gemeinwesen überaus hart. Lebe wohl, hochwürdiger Herr!10 Avignon, am 1. Februar (1352).11
Anmerkungen 1 Vgl. Fam.2,1, und die dort in Anm.1 angegebenen Briefe an den gleichen Bischof; auch Wilkins, Studies, besonders 142 – 147. 2 Jenseits, das ist von Italien aus gedacht. 3 Bei Cic. Ad Att. 14,20,3. 4 Kardinal Elie de Talleyrand. 5 Vgl. oben Fam. 12,2. Gemeint ist Lodovico von Tarent. 6 Ludwig der Grosse von Ungarn, Bruder des ermordeten Andrea. 7 Vgl. oben Fam. 11, 13, Anm. 1 zu Lodovico von Tarent. 8 Clemens VI. starb erst am 6. Dezember 1352. 9 Das ist Kardinal Bertrand du Pouget; er starb am 3. Februar 1352. 10 Vaucluse gehörte zum Bistum des Adressaten. 11 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,7, an Barbato da Sulmona1 Nachrichten über die eigene Person. 1. Ein Brief des Adressaten habe Petrarca sehr spät erreicht. 2. Der Tod des Königs Roberto von Sizilien habe des Dichters Zukunft völlig geändert. 3. Petrarca habe darüber ein Gedicht verfasst. 4. Eine Begegnung mit Barbato in Rom wäre ihrem frommen Vorhaben vielleicht abträglich gewesen. 5. Die Arbeit an der Africa gehe weiter; das Werk müsse noch reifen. 7. Leidenschaften quälten den Schreibenden seltener als früher. An den Flüssen Babylons, am 20. Februar (1352).
1. Weil Dein Brief, Barbato, Du bester Teil meines Ich, mich kreuz und quer auf langen Umwegen suchte und mir, dem in Gallien Versteckten, in ganz Italien nachforschte, ist er beinahe ein volles Jahr auf Reisen gewesen. Auf diese Weise wird uns nicht bloss der Trost eines mündlichen Gesprächs, sondern auch der eines stummen schriftlichen vorenthalten! Wie viel Recht hat Fortuna uns gegenüber seit jenem Tag behauptet, an dem der feindselige Tod zwar an uns beiden schonungsvoll vorbeiging, aber unser köstlichstes und liebstes Bindeglied, den König Siziliens geraubt hat,2 ihn, der unter allem, was unser Jahrhundert hervorbrachte, das Erhabenste und Herrlichste gewesen ist! 2. Er, der uns in seinem Leben dem Geiste nach vereinte, hat uns durch seinen Tod dem Leibe nach geschieden und den ganzen Lebensplan in der traurigen Wandlung aller Dinge verändert. Doch lass uns übergehen, was wiederzubringen ein unerbittliches Gesetz der Natur verbietet! Ertragen wollen wir in stummer Geduld, was Klagen nur erschweren! Unser König war würdig des Himmels; nicht würdig war eines solchen Königs die Erde. Ihm wurde Ruhe nach der Mühe geschuldet, uns aber nach Lachen Tränen und Kummer nach Freude. Und es musste sein, dass der selbe Akt, der ihn mit seinem Schöpfer vereinte, uns von einander trennte. 3. Das habe ich letzthin in einem kurzen Gedicht beklagt3 (es steht anstelle einer Einleitung vor den an Dich gerichteten Briefen); und eben deswegen übergehe ich jenen Abschnitt Deiner Epistel, wo Du den Zustand Deines Vaterlandes und sein Unglück mit durchaus zutreffenden Worten tief mitfühlend schilderst.4 Ich habe Deinen Klagen nichts anzufügen und fürchte, Deinen entzündeten, verschwollenen Augen möchte ein kräftiges Reiben schädlich sein, während der Redestoff, hätte ich zu sprechen begonnen, kein Ende finden könnte. 4. Was Du jedoch unter allen Widerwärtigkeiten nicht als letzte aufzählst, dass Du mich nämlich in Rom verfehltest, betrachte ich als eine Fügung des Himmels.5 Sie verhinderte, dass wir, statt in christlicher6 Frömmigkeit die Kirchen Gottes zu besuchen, die Stadt in ihrem ganzen Umfang als wissbegierige Dichter durchwanderten und, statt auf das Heil unserer Seele zu achten, einer literarischen Beschäftigung nachgingen. Diese mag zwar ein sehr köstliches Futter für unseren Verstand sein,
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Fam. 12,7
bleibt jedoch solange etwas Sinnloses und Eitles, als sie nicht auf den einen wahren Sinn gerichtet wird. Wäre Dir übrigens meine Bedächtigkeit erinnerlich gewesen, hättest Du dank kluger Überlegung voraussehen können, dass mich nicht schon der Anfang des Jubeljahres, vielmehr erst dessen Ende nach Rom locken werde. 5. Und nun eine Antwort auf Deine Anfrage! Sei überzeugt, dass ich hinsichtlich unserer „Africa“,7 welcher Du mit gutem Recht nachforschst, meine Absicht nicht geändert habe. Wenn sie nämlich jemals herauskommt, dann zweifle nicht an der Treue meines Versprechens. Deine Schwelle wird sie früher als jede andere betreten. Doch wirklich: die erhabene Strenge ihres Helden und die unzähligen mir vom Schicksal errichteten Schranken verzögern die Arbeit. Und selbst wenn die Hindernisse alle überwunden wären, schiene mir doch vernünftiger, das Werk verweile bei mir zu Hause, schmore da, bis es durchaus gar ist und gedeihe noch immer zu grösserer Reife, damit es nicht, bevor die Zeit gekommen ist, wie unreife Äpfel zu früh von den Zweigen gepflückt werde, allzu roh schmecke und das Altern nicht ertrage; ohnehin gibt es nach der Veröffentlichung keine Rücknahme mehr und unterliegt meine Schaffenskraft von Tag zu Tag einer unglaublichen Wandlung. 6. Mag sein, dass ich jetzt einen anderen Entschluss fassen und mich um den letzten Schliff8 bemühen werde. Denn wirklich habe ich manche Verzögerungen bereits überstanden. Auch bin ich, sofern ich mich nicht täusche, schon dieses Etwas geworden, das mir vom Himmel her zu sein bestimmt ist. Trotzdem will ich bis zu meinem letzten Lebenstag nicht aufhören, voranzuschreiten, so weit mir vergönnt wird, und will nicht verzweifeln, selbst im Unterricht des trägen Lebensabends gelehrter und besser zu werden, das heisst, auch alternd noch täglich etwas Neues zu lernen und vielleicht durch Anstrengung mich dem zu nähern, was jener bestimmte, ausnehmend weise Alte an sich selber gerühmt hat.9 7. Gewiss, ich strenge mich an und hoffe, dann um so leichter voranzukommen und das Ziel um so glücklicher zu erreichen, wenn die Leidenschaften einmal in meinem Herzen bis zur Wurzel ausgerottet und alle völlig verdorrt sind. Schon werde ich, Gott sei gedankt, von ihnen weniger häufig überfallen. Bleibt zu hoffen, dass wir die im irdischen Rom verfehlte Begegnung im himmlischen Jerusalem nachholen können, sofern es nicht früher erlaubt ist! Lebe wohl! An den Flüssen Babylons, am 20. Februar (1352).10
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Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 4,8 und die dort in Anm.1 genannten Briefe und zu diesem Brief 12,7 insbesondere Wilkins, Studies 235 f. 2 Roberto, König von Neapel (Sizilien) aus dem Hause Anjou, der Petrarca vor der Dichterkrönung examinierte und sich geneigt zeigte, den Dichter zu fördern. Er starb 1343. 3 Metr. 1,1.Vgl. Fam. 1,1,11. 4 Nach dem Tod Robertos folgten am Hof von Neapel schreckliche Intrigen um die Nachfolge. Petrarca spricht von ihnen in verschiedenen Briefen, wie z. B. Fam.5,3,8 – 20 und 6,5. 5 Petrarca verstand seine Reise nach Rom im Jubeljahr 1350 als Busse und Wallfahrt. 6 „Katholisch“ heisst es im Lateinischen. Da es zu Petrarcas Zeit im Abendland keine Konfessionen gab, stand das Wort häufig für christlich und kirchlich. 7 Das von Petrarca wohl 1338 begonnene Epos, das vorzüglich den Helden Scipio Africanus verherrlichen sollte. 8 Ov. Trist. 1,7,29 – 30. 9 Der Alte ist Solon, der sich rühmte, noch im Alter tägliche Neues zu lernen. Vgl. Cic. De sen. 8,26. 10 Vgl. zur Datierung Wilkins, Petr. Corresp. 69. Babylon steht für Avignon.
Fam. 12,8, an Lapo da Castiglionchio (Giacomo von Florenz)1 Leben in der Gesellschaft Ciceros und seiner Werke. 1. Petrarca nimmt Cicero und andere Schriftsteller der Antike mit sich in die Einsiedelei. 2. Vergleich zwischen Vaucluse und Arpinum. 5. Aufzählung der mitgebrachten Werke Ciceros. 10. Freude über das Leben in der beschriebenen Gesellschaft. 10. Der Dichter hofft, ein Band mit Reden Ciceros werde abgeschrieben sein, bevor er nach Italien zurückreise. Am 1. April (1352).
1. Nach meiner Gewohnheit bin ich neulich dem Lärm der mir verhassten Stadt2 entrinnend zu meinem transalpinen Helikon geflohen, und mit mir kam Dein Cicero.3 Er geriet ganz ausser sich beim Anblick des ihm unbekannten Ortes und beteuerte, niemals sei er in seinem Arpinum4 (um seine Worte zu verwenden) „von eiskalten Wassern so rings umspült gewesen“ wie bei mir an der Quelle der Sorgue. Damals auf seiner Reise nach Narbonne hat er offensichtlich diese Gegend nicht besucht. Und doch entspricht, wenn wir Plinius5 glauben und uns an die heutigen Distanzen halten, die Provincia Narbonensis dem heutigen Arelat. 2. Aber wie immer es sich mit diesen Überlegungen zu den Provinzen verhalte: die Sorgue, hochberühmt und weder geringer als die Nymphe in Campanien6 noch als Arethusa auf Sizilien,7 und der abgelegene Winkel mit seinem wunderbaren Schweigen und seiner beglückenden Einsamkeit sind der öffentlichen Strasse fern, nämlich rechts beim Kommen und links beim Weggehen; und das sage ich, um Dir eine Verwunderung darüber zu ersparen, dass Cicero auf seiner Reise diese abgeschiedenen Orte, so reizvoll sie sind, nicht besuchte. 3. Denn kein Vorübergehender, überhaupt keiner kommt hierher, ohne eine bestimmte Absicht zu haben, sei's dass ihn die Quelle lockt, sei's dass er Studien und Musse zu pflegen gedenkt. Wie selten das vorkommt, weiss, wer die Seltenheit von Dichtern und ideal gesinnten Privatgelehrten in Betracht zieht. 4. Mir schien, dass Cicero sich vergnüge und sehr begierig sei, bei mir zu verweilen. Denn ganze zehn Tage haben wir hier mit geruhsamen Forschungen zugebracht. Hier, und sonst nirgends ausserhalb Italiens, atme ich auf. Das eben ist für eine tüchtige Bildung vor allem bezeichnend, dass sie von der Einsamkeit die Langeweile und von der Geselligkeit den Überdruss verscheucht und es versteht, selbst dichtgedrängten Menschenmassen eine ungewöhnliche Stille und umgekehrt selbst verlassensten Wäldern eine Fülle edler Beschäftigungen und ganze Scharen erlauchter Gefährten einzufügen. 5. Von unzähligen berühmten und hervorragenden Männern war mein Reisegenosse begleitet. Doch ich will die Griechen übergehen. Von den Unsern8 waren anwesend: Brutus, Atticus, Herennius,9 hervorragend dank ciceronianischen Fähigkeiten. Anwesend war auch Marcus Varro,10 der gelehrteste unter allen, mit welchem sich Cicero, selber noch unsicher, auf das akademische Feld hinauswag-
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te.11 Da waren Cotta, Velleius und Lucilius Balbus,12 mit denen Cicero in zähester Bemühung das Wesen der Götter zu ergründen versuchte. 6. Da waren Nigidius und Cratippus,13 mit denen er die Geheimnisse der Natur, den Anfang der Welt und ihre Wesenheit erörterte. Da war Ciceros Bruder Quintus, mit dem er die Weissagung und die Gesetze behandelte.14 Da war Ciceros Sohn Marcus, noch unverdorben, für den er das Buch über die Pflichten, sowohl die ehrenhaften, wie die nützlichen und den Widerstreit unter ihnen, verfasste.15 7. Da waren auch die vorzüglichsten Redner Sulpicius, Crassus und Antonius,16 mit denen er die verborgenen Schätze der Rhetorik durchforschte. Da war der alte Cato Censorius, dessen Altersleben er als Vorbild aufstellte.17 Da waren Lucius Torquatus, Marcus Cato von Utica und Marcus Piso,18 mit denen er die höchsten Güter in einem aufwendigen Streitgespräch darlegte. 8. Da war der Redner Hortensius,19 da war Epikuros,20 und gegen den einen richtete sich Ciceros Lobpreis auf die Philosophie, gegen den anderen die Herabwürdigung der Sinnenlust. Da waren Laelius und Scipio,21 an deren Beispiel er die Art wahrer Freundschaft und die beste Staatenlenkung schilderte. 9. Und um mich nicht ins Uferlose hinreissen zu lassen: Auswärtige Könige waren da22 und mischten sich unter römische Bürger, welche eben dieser Cicero vor Gericht mit göttlicher Beredsamkeit gegen Todesurteile verteidigt hat. Was aber namentlich Dein Buch betrifft,23 mein Freund, so waren anwesend Milo, von Cicero verteidigt, Laterensis, von ihm gefordert, Sulla, von ihm entschuldigt und Pompeius, von ihm belobigt.24 10. Mit diesen also und mit anderen Gefährten dieser Gattung habe ich ein ruhevolles und heiteres, ja glückliches Leben auf dem Land geführt. Und hätte es nur länger gedauert! Doch schon bald wurde aus Babylon25 nach mir Widerstrebendem wieder der Angelhaken ausgeworfen, der mich in die Hölle zurückzog, und von da schreibe ich Dir jetzt diese Zeilen. Die Fülle meiner Beschäftigungen hat zur Folge, dass meinem Knaben26 zur Abschrift des Buches die Zeit fehlte und deshalb diesem die Möglichkeit, zu Dir zurückzukommen. Übrigens kann ich nicht hoffen, eine solche werde sich ergeben, bevor wir beide gemeinsam nach Italien heimkehren. 11. Vom Reisetag verspreche ich mir, dass er nah sei, wenn ich unseren Forese Donati27 zum genannten Helikon geleitet habe, nachdem es mir in dieser Gegend gelungen ist, ihn als einen Mann, der Zeit hat und verfügbar ist, aufzutreiben. Denn sollte ich nachher irgendwann – sei's gedrängt durch das Fatum oder sei's im Wunsch nach Abwechslung und nach Flucht vor Langerweile – wieder umsiedeln, zwar nicht etwa hierher (was ich freiwillig niemals tun würde), sondern eben dorthin,28 dann könnte ich diesen so bedeutenden Zeugen vorzeigen, um unter meinen Freunden im Vaterland desto eher entschuldigt zu werden.29 Lebe wohl, Du Glücklicher! Der Du Babylon hier im Westen nie besucht hast. Am 1. April (1352).30
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Fam. 12,8
Anmerkungen 1 Lapo: das ist Jacobus Florentinus. Vgl. Fam. 7,16 und Fam. 18, 12. 2 Das ist Avignon. 3 Der Adressat besass in Florenz eine ansehnliche Bibliothek, in welcher Petrarca antike Schriften, namentlich verschiedene Reden Ciceros, aber auch Quintilians Institutiones gefunden hatte. Lapo lieh ihm die gewünschten Werke aus. Vgl. Wilkins, Studies 112 – 126; Dotti, Vita 222 – 223. 4 Arpinum, Stadt über dem Fluss Liri, war die Heimat Ciceros. Zur Stelle vgl. Tusc. 5,26,74. 5 Nat. 3,4. 6 Zu denken ist an die Flüsse Liri und Volturno in Campanien. 7 Hier meint der Name Arethusa die Quelle im Norden der Insel Ortygia bei Syrakus. 8 Von den Lateinern. 9 Marcus Iunius Brutus wurde durch Atticus mit Cicero bekannt gemacht; vgl. z. B. Cic. Or. 1,1. Zu Titus Pomponius Atticus siehe Ciceros Briefe an ihn; zu Gaius Herennius Quintus vgl. die Rhetorica ad Herennium. 10 Marcus Terentius Varro hat Cicero zahlreiche Schriften gewidmet, wie dieser ihm die Academici libri. 11 Hinweis auf die Academici libri. 12 Gaius Velleius trug die Lehre Epikurs vor; Gaius Aurelius Cotta vertrat die akademische Kritik und Lucilius Balbus lehrte die Stoa. Vgl. Cic. De nat. deor. Vgl auch Ciceros Rede pro Balbo. 13 Nigidius Figulus, Naturforscher, Gesprächspartner Ciceros im Werk Tim.- Cratippus traf 51 in Mytilene mit Cicero zusammen; in Athen wurde Cicero 44 – 43 sein Schüler. Er wird zitiert im Werk In div. 1,5. 1,70 f. 14 Die Werke tragen die entsprechenden Titel. 15 Ciceros Sohn studierte damals in Athen. 16 Rufus Publius Sulpicius, Volkstribun 89, Lucius Licinius Crassus, 140 – 91, und Marcus Antonius, 143 – 87, von Cicero als grosse Redner gewürdigt im Werk De or.1,38,172; auch Or.30,106 und oft. 17 Im Werk De sen. 18 Lucius Manlius Torquatus, Cato der Jüngere und Marcus Calpurnianus Piso figurieren im Buch De fin. 19 Quintus Hortalus Hortensius, 114 – 50,wurde von Cicero mehrfach als einer der grössten Redner gewürdigt; vgl. z. B. Or. 37,129; Ac. 2,9 f. und den Schluss von De or. 20 Der Begründer des Epikureismus, gestorben in Athen 271/270. 21 Das berühmte Freundespaar verherrlicht von Cicero in seinem Werk Lael. de am. 22 Gedacht wird an Reden für Könige wie die Pro rege Deiotaro. 23 Eine Leihgabe, die Lapo an Petrarca geschickt hatte, war die Rede Pro Milone. 24 Die Reden Ciceros Pro Milone, Pro Plancio, Pro P. Sulla, Pro lege Manilia de imperio Cn. Pompeii hatte Petrarca in der Bibliothek Lapos gefunden. M. Iuventius Laterensis trug gegen seinen Rivalen Plancius Anschuldigungen vor, die Cicero widerlegte. 25 Das heisst: der päpstlichen Kurie in Avignon. 26 Puer meus heisst es im Lateinischen, was kaum von Petrarcas Sohn gesagt wird; dieser widersetzte sich lateinischen Studien (vgl. Fam.7,17). Immerhin befand er sich zusammen mit dem Dichter in der Provence wie Sine nom. Brief 11 meldet. 27 Forese Donati war Pfarrer an der Stefanskirche nahe Florenz und Reisebegleiter des Bischofs Angelo Acciaiuoli von Florenz, eines Vetters von Niccolò Acciaiuoli. Vgl. Fam. 12,5. 28 Nicht nach Avignon, wo Petrarca sich immer wieder aufhalten musste, sondern nach Florenz und Oberitalien. 29 Entschuldigen wollte sich Petrarca für seine lange Abwesenheit von Italien und meinte, das am ehesten durch das Vorzeigen eines Zeugen seiner Tätigkeit zu tun. 30 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,9, an Francesco Nelli1 Ein Plauderbrief. 1. Ausdruck der Freude über einen erhaltenen Brief und über das Briefeschreiben. 5. Den Freund nach dem höllischen Avignon zu rufen, will der Dichter sich aber versagen. Hoffnung auf die eigene Rückkehr aus Avignon. Am 1. April (1352).
1. Niemals wäre ich so hartnäckigem Schweigen ergeben, dass nicht Dein Honig träufelndes Wort mir Worte entreissen könnte. Wie früher schon oft, habe ich das heute erlebt. 2. Von Überdruss war ich befallen und vor allem der kurialen Geschäfte müde; gleichzeitig damit beschäftigt, eine grosse Zahl persönlicher Briefe an Freunde, Mitbürger und Fremde zu verfassen.2 Dafür opfere ich nämlich recht viel Zeit, wenn auch ungern; denn ich muss sie wichtigeren Beschäftigungen wegstehlen und auferlege mir das aus lauter Scham, für Freunde das Bisschen Zeit nicht zu haben, das man, wie bekannt, gemäss Cato3 für sie haben muss, oder jenen als Verächter zu gelten, denen man nicht verächtlich ist. 3. Nachdem ich mit solcher Tätigkeit fast den ganzen Tag hingebracht hatte, erhob ich mich schliesslich, um Feierabend zu machen, als – sieh da – unversehens Dein lieber Brief nach meiner Hand griff, wie man zu sagen pflegt, mich zur Feder zurückführte und mich schreiben hiess „was immer mir die Backen aufblähe“, wie Cicero4 sich ausdrückt. Ich merkte, dass eine Antwort nicht dringend sei, doch freut mich, Dich anzusprechen und die Zeit mit Plaudern zu vertreiben. Dein Schreiben ist ja ganz und gar Liebe, Wohlwollen, Treue, Höflichkeit und Anmut; manches auch von der Art, dass man darauf am besten mit Schweigen antwortet. 4. Was denn, um anderes zu übergehen, mache ich aus jener kleinen Bemerkung, in welcher Du Dich glücklich nennst, weil Du zu meinen Zeiten leben dürfest? Liesse sich etwas Innigeres und Herzlicheres sagen? Das freilich soll Platon oft gegenüber seinem Sokrates gesagt haben.5 Und wie Sokrates über ein Zusammenleben mit Platon um vieles glücklicher war als Platon über eines mit Sokrates, bin auch ich über meine Freundschaft mit Dir um vieles glücklicher als Du über meine. Doch halte ich mich bei Reden nicht auf, denen niemand widersprechen würde als eben Du. 5. Ich komme zum Schönsten. Wahrhaftig, ich weiss nicht, was für eine lebhafte, süsse Empfindung mich bei der Ankunft Deines Briefes überströmt hat, so als stündest Du persönlich vor mir. Nichts könnte meinem Herzen lieber sein! Nur bin ich nicht so ganz auf mich bedacht oder um Dich so ganz unbesorgt, dass ich von Dir erwartete, was Aeneas aus Liebe zu seinem Vater oder Orpheus für seine Gattin und Theseus für die Freundschaft geleistet hat, nämlich einen Abstieg in den Tarta-
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rus,6 wie geschrieben steht7: „Steige doch als Lebender hinab in die Hölle“. 6. Von den Göttern komme Dir Froheres! Lieber ist mir, es steigen Deine Bitten auf in den Himmel. Sprichst Du nach Deiner Gewohnheit vertraulich mit Gott, der sich herabliess, Dich an seine Tafel zu laden,8 dann erflehe, bitte, dass ich hier herauskomme, wenn irgendwo ein Weg zu den Himmlischen offen steht. Ich wünsche ja – was immer das Fatum über mich beschlossen hat –, dass Du, unser bester Anteil,9 erhalten bleibst und des heimatlichen Himmels geniessest. Lebe wohl! Am 1. April (1352).10
Anmerkungen 1 Vgl. Fam. 12, 4 und Fam. 12,13. Nelli nahm lebhaften Anteil an Petrarcas Bemühungen zu Gunsten von Don Ubertino. 2 Vgl. die vorangehenden Briefe. 3 Cic. Pro Plancio 27,66. 4 Ad Att. 1,12,4 und 14,7,2. 5 Lact. Divin. Instit. 3,19,17. 6 Nach Avignon an die römische Kurie. 7 Ps. 54,16. Num. 16,30. 8 Vgl. Ps. 77,19 und Verg. Ecl. 4,63. 9 Luc. Phars. 5,757. 10 Zur Jahreszahl vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,10, an Giovanni Boccaccio1 Petrarca grüsst den Freund, hat ihm aber nichts zu melden. Seine Lage ist unsicher. Am 1. April (1352).
1. Damit Du Dich ja nicht übergangen fühlst, habe ich alles getan, um durch diesen Boten auch Dir etwas zu schreiben. Doch ob es die Kürze der Zeit oder der Mangel an Stoff oder die Fülle an Sorgen ist (die mich mehr als gewöhnlich drücken) oder schliesslich die angenehme Hoffnung auf ein mündliches Gespräch und der Vorsatz, Dich nächstens wiederzusehen: jedenfalls habe ich nach langem Grübeln eingesehen, es gebe nichts, was zu schreiben sich lohne, ausser eben dies, es gebe nichts Neues zu schreiben. 2. Würde ich mich an die Geschichte Babylons2 heranmachen, mit der ich fortwährend verquickt bin, wäre das ganz sinnlos; ich habe ja schon vieles davon meinen Freundesbriefen anvertraut. Wollte ich aber alles erörtern, was mir durch den Kopf geht, müsste mir die Feder erlahmen; und wollte ich von mir selber sprechen, geriete meine Rede ins Stocken. Was weiss ich denn mit Sicherheit von mir, ausser dass ich einst sterben muss? Mag Seneca mit mir rechten, so wie er in gleicher Sache mit Cicero gerechtet hat;3 ich gehöre zu jenem Haufen, der „statu liber“4 ist; ich lebe nicht, bin nicht wohlauf, ich sterbe nicht und bin nicht krank. Dann endlich werde ich zu leben und zu genesen beginnen, wenn ich den Ausgang dieses Labyrinths hier5 erreicht habe. So und nicht anders bin ich und tue nichts anderes. Lebe wohl, und was immer an Unangenehmem Dich drücken mag, halte es im Vergleich zu meinem Exil für erquicklich. Am 1. April (1352).6
Anmerkungen Vgl. Fam. 11,1 und dort die Anm.1. Das heisst der Kurie in Avignon. Vielleicht ist an De brevitate vitae 5,2 – 3 gedacht. Schwebezustand einer bloss bedingten Freilassung, wenn die endgültige Entscheidung noch aussteht. 5 Das ist wieder die Kurie. 6 Vgl. das Datum der vorangehenden Briefe, denen 12,10 offenbar angefügt wurde.
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Fam. 12,11, an Bruder Bartolomeo, Bischof von Teano1 Glückwünsche und Nachrichten aus Italien. 1. Petrarca freut sich, dass der Freund, mit einem Bischofsamt zufrieden, Avignon verliess. 5. Gründe, weshalb der Adressat in Avignon keine höheren Ämter erreicht hat. 8. Petrarca sei der Kurie verpflichtet, doch hoffe er, bald nach Italien zu folgen. 9. Hinweise auf Verhältnisse in Italien, besonders auch im Königreich Neapel, wo ein Ungenannter (Niccolò Acciaiuoli) grosse Ereignisse vorbereite. 10. Diesem will der Dichter für ein Schreiben danken, eventuell durch den Bischof von Florenz, der versprochen hat, ihn an der Sorgue zu besuchen. Am 21. Mai (1352/1353).
1. Dass der Frühling, der seiner Natur nach stürmisch ist, sich Dir freundlich erzeigt hat, das war, liebenswertester Vater, wie ich weiss, nicht etwa eine Gunst des Aeolus, von dem Maro2 sagt: „Winde in heftigem Kampf und laut erdröhnende Donner Hemmt er mit starker Gewalt und schliesst sie in Kerker und Ketten“. 2. Es war auch nicht eine Gnade Neptuns, dem nach der Meinung des fehlgeleiteten Altertums gegeben war:3 „… zu befehlen dem Meer und dem wütenden Dreizack“; vielmehr war es eine Gabe Christi; denn eben von ihm gilt in Wahrheit:4 „… als Vater der Götter und König der Menschen Lässt er ermatten die Flut oder hoch sich bäumen im Sturmwind“. Und wirklich:5 „… er sagt's, und sogleich sind die brausenden Wogen besänftigt“. Doch nicht allein die Meere, sondern auch Himmel und Länder regiert er, und selbst das von allen Gewittern weitaus heftigste, nämlich das wogende Brausen der Seele, erstickt er mit blossem Wink, die Leidenschaften wegweisend und klares Wetter herführend, was der Dichter nicht unrichtig so ausdrückt:6 „Finstres Gewölk zerstreut er und bringt uns die siegreiche Sonne.“ 3. Für vielerlei Dinge bist Du sein Schuldner. Und unter allem Dankenswerten würde ich nicht als das letzte jene Bescheidenheit nennen, die mir aus Deinem Schreiben spricht und mich mit grosser Freude erfüllt hat. Du versprichst ja, Dein Bischofsamt werde Dir genügen, und am Ende fügst Du, wenn meine Liebe nicht irrt, mit hohem Mut noch an, was so völlig wahr ist und so völlig meiner Meinung entspricht: Du könnest überall in der Welt weit angenehmer leben als in Babylon.7
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4. Herrlich und grossartig! Denn wem das Mittelmass, das Beste von allem, nicht genügt, dem genügt unter allen Gütern überhaupt nichts. Wer aber den Ekel an dieser verruchten Stadt jemals empfunden hat, der wird – sofern er nicht in langer Gewöhnung das babylonische Gift in sein Innerstes eingesaugt hat (und überlege doch, auf wen ich diese Einschränkung beziehe!8) –, ja der wird auf der ganzen Welt keinen anderen Ort mehr als widerlich bezeichnen. Darüber habe ich oft schon manches gesagt9 und würde noch mehreres sagen, wäre nicht zu befürchten, dass ich jenen Sumpfbewohnern, die der Allgemeinheit gross und vermögend, mir aber erbärmlich und zwergenhaft vorkommen, nicht das Mindeste antäte, mir selber aber schadete. Denn ich würde meinen grollenden Leib mit lästiger Erinnerung an unverdaute Namen auf's äusserste erregen. 5. Eines aber möchte ich nicht verschweigen: Dass Du in Babylon nicht höher aufgerückt bist, kann Dir, falls Du's nicht weisst, als ein grosses Zeichen göttlicher Gnade gelten. Du bist ja nur darum nicht aufgerückt, weil bei Dir eine Angleichung der Sitten an jene der führenden Kreise nicht festzustellen war. Und das halte ich für das Glücklichste von allem. 6. Wenn Du also Dein Heil zu wahren gedenkst, wirst Du gern von hier ins „Exil gehen“,10 nämlich sehr gern aus diesem Exil ins Vaterland heimkehren. Und jeder, der dem himmlischen Jerusalem angehört, obwohl er als Gefangener an den Flüssen Babylons harren muss und da sitzt und klagt und voll Sehnsucht des Berges Sion gedenkt, während seine Harfe an düsteren Weiden hängt,11 er würde, wo immer eine Gelegenheit auftaucht, begierig ausbrechen, um an den Ort seiner Sehnsucht zu fliehen. 7. Und was sonst noch? Etwa dass ich wortlos hinter Dir her seufze. Weil Du uns alle, die wir Dir angehören, vom gegenwärtigen Kerker befreit in Italien empfangen möchtest! Und ich selber wahrhaftig, wenn Christus meine Wünsche erhört, in Italien leben und sterben wollte! Jetzt freilich weiss ich nicht, was morgen geschieht. Doch erkennt Einer, was ich ersehne und was für mich gut ist, und Er vermag mir beides zu schenken. Ihm habe ich mein Geschick und mich selbst übergeben. Und ich zweifle nicht, dass Du weisst: es geht mir schlecht, solange ich hier bin. 8. Doch was tu ich nachher? Grosse Veränderungen, wie Du siehst, werden in Italien vorbereitet.12 Doch ist auch wahr, dass ich lieber in Italien mich abmühen als in Babylon mich ausruhen wollte. Diese Arsakiden,13 denen ich wegen mancher Benefizien verpflichtet zu sein nicht leugne, tun alles, um mich hier und bei den Parthern festzuhalten.14 Ich wehre mich, und wie der Streit endet, ist noch ungewiss. Siege ich, so wirst Du vom Heimkehrenden nicht früher hören, als bis er zurück ist. Unterliege ich – und das könnte wohl nur geschehen, wenn ich abzulehnen mich fürchtete –, würde ich dennoch ausserhalb der Mauern der Semiramis leben.15 „Wo denn?“, wirst Du fragen. Es bedarf keiner Ortsbeschreibung. Den Ort meines
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Aufenthalts kennst Du;16 auch weisst Du, wo ich den gallischen Sommer zu verbringen und wo meinen „transalpinen“ Schmerz zu lindern gewohnt bin. 9. Und zum Schluss: Wen sollte jener Held nicht erfreuen und besänftigen, der den Beinamen „der Grosse“ hat, während er, wie ich meine, sogar der Grösste ist?17 An der Küste Neapels trifft er hochbedeutende Vorbereitungen. Ich habe ihn zuerst durch einen Brief aus seiner Hand kennen gelernt und bald durch einen von Dir. Dass Du, wie Du meinst, „durch meine Bitten von ihm Gunst erlangt“ hast, wundert mich nicht. Ich wusste, es könne nicht anders sein. Zwar ist mir sein Äusseres unbekannt, aber immerhin nicht seine Gesinnung. 10. Nun freue ich mich wahrhaftig, und entweder danke ich ihm mit einem Schreiben oder mündlich durch den Bischof von Florenz,18 der endlich diesen Fesseln hier entwichen ist und nach Italien zurückkehrt. Vorher besucht er in Vienne das Haus des Antonius aus Ägypten,19 um dann auf dem Rückweg gemäss einer Abmachung unser kleines Gütchen zu besichtigen. Morgen werde ich ihn gemäss seinem Versprechen an der Quelle der Sorgue zu einem Dichtermahl bei mir aufnehmen. Lebe wohl! Am 21. Mai, bei aufgehender Sonne (1352/1353).20
Anmerkungen 1 Einziger erhaltener Brief an Bartolomeo Carbone dei Papazurri. Er war Bischof des süditalienischen Teano (Chieti), dann 1364 Erzbischof von Patras. In der Diözese von Teano gewann Petrarca 1354 ein Kanonikat. Vgl. Wilkins, Studies 195. 2 Aen. 1,53 – 54. 3 Verg. Aen. 1,138 – 139. 4 Verg. Aen. 1,65 – 66. 5 Verg. Aen.1,142. 6 Verg. Aen. 1,143. 7 Der Papstsitz Avignon. 8 Am leichtesten gewöhnten sich die Franzosen daran, dass die päpstliche Kurie in Avignon sei, am schlechtesten die Italiener. Doch deutet Petrarca vielleicht auf bestimmte Personen hin. 9 Ein Grossteil der Briefe Petrarcas aus Avignon sprechen davon; am deutlichsten die Briefe seines Liber sine nomine. 10 Aus der Sicht der Kurialen in Avignon gesprochen. 11 Vgl. Ps. 136,1 – 3. 12 Geplant wurde unter anderem eine bewaffnete Unterwerfung des Kirchenstaates durch die Kurie; auch bildete sich in Oberitalien eine Liga gegen Mailand und dessen Eroberungsdrang; Venedig lag im Streit mit Genua; in Neapel setzte sich Lodovico von Tarent gegen andere Thronanwärter durch. 13 Name eines Königsgeschlechts der Parther/Perser; hier Deckname wohl für die Kardinäle in Avignon (im Zusammenhang mit der Gleichsetzung von Avignon mit Babylon). 14 Festhalten wollte man Petrarca durch Auferlegung eines Amtes. 15 Legendäre babylonische Königin, Erbauerin eines Labyrinths; hier Deckname wohl für die an der Kurie einflussreiche Gräfin von Turenne. „Ausserhalb ihrer Mauern“ heisst: nicht in Avignon. 16 Gemeint ist Vaucluse.
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17 Das ist der Gross-Seneschal Niccolò Acciaiuoli im Königreich Neapel; vgl. Fam. 11,13 und 12,2. 18 Der Bischof war ein Vetter von Niccolò Acciaiuoli; vgl. den folgenden Brief Fam. 12,12. 19 Die Gebeine des Wüstenheiligen Antonius wurden im hohen Mittelalter von Konstantinopel nach Frankreich und da zur Kirche St. Didier-de-la-Mothe gebracht, später weiter transferiert. Petrarca spricht von seinem Heiligtum in Vienne. 20 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,12, an Francesco Nelli1 1. Klagen über das Ausbleiben eines erwarteten Besuches an der Sorgue; dessen überraschende Ankunft. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. „Nirgends ist volle Gewissheit,“ sagt Maro;2 und je mehr ich das Wort bedenke, desto besser begreife ich's; und je älter ich werde, desto häufiger erfahre ich seine Richtigkeit. Getäuscht hat mich einer, von dem ich es am wenigsten erwartete: der Bischof von Florenz,3 der aufrichtigste Mann unter der Sonne. Doch das ist eben mein Los: niemandem fehlt es an Geschick, mich zu foppen. Er hatte gesagt, er werde zur Quelle der Sorgue kommen, um sich sowohl diesen weltberühmten Ort als auch mich und meine Lebensweise hier auf dem Land anzusehen. 2. Das wurde abgemacht, und mit dem Vorhaben, auf dem Rückweg mich zu besuchen, ist er zur Kirche des Antonius4 gereist. Ich aber habe mich, weil ich wusste, dass er sich beeile, unverzüglich hierher begeben, um mit einem Eifer, der mir sonst fremd ist, schon vor seiner Ankunft zu beschaffen, was immer die Natur hier gestattet, damit ich ihn reichlicher bewirten könne, als ich bei weniger vornehmen Freunden gewohnt bin. 3. Wozu halte ich Dich auf? Vielleicht fürchtete er ein frugal-poetisches Gastmahl, und erinnerte sich nicht des Dichterworts5: „Fasse nur Mut, Du mein Gast, verachte den Reichtum und handle Gleich einem Gott, nicht abgeneigt einer ärmlichen Speise“. Deshalb mag er sich geweigert haben, bei mir einzukehren, wiewohl sich einst sogar König Roberto von Sizilien6 (der Ruhm unseres Jahrhunderts) und nach ihm viele römische Kardinäle und Herren aus allen Ländern herbei bemühten, entweder um die Quelle oder – so darf ich vor Dir prahlen – um mich aufzusuchen. Vielleicht aber glaubte er – was ich lieber annehmen wollte –, weder ich, meiner Gattung freilich der letzte, noch diese Quelle, unter ihren Schwestern wohl die erste, könnten einen Umweg, zwar bloss von knapp dreitausend Doppelschritten, verdienen. Immerhin: Selbst wenn ich eines so hohen Gastes unwürdig wäre, hätte ihm selber gut angestanden, sein Versprechen zu halten. 4. Aber wahrhaftig, bis hierher bin ich mit Schreiben gelangt und will mich noch länger ereifern – da gibts einen gewaltigen Lärm an der Türe, und der Bischof in eigener Person ist da! So soll ich denn mit der Lehrmeisterin Erfahrung noch tagtäglich lernen, dass der Menschen Sorgen und Jammern nichtswürdig sind. Und damit solches auch Deinen Augen erkennbar werde, schicke ich das Brieflein an Dich ab, obwohl es schon überholt ist. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai, zur neunten Stunde (1352).7
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Anmerkungen 1 Zur Person vgl. Fam. 12,4. 2 Aen. 4,373. 3 Angelo Acciaiuoli war Bischof von Florenz seit 1342 und seit 1349 Kanzler des Königreichs Neapel dank dem Seneschall Niccolò Acciaiuoli. Er wurde 1355 Bischof von Monte Cassino. Nach Avignon kam er im Oktober 1351 als florentinischer Gesandter. Er sollte Clemens VI. für ein Bündnis gegen Giovanni Visconti gewinnen. Dort verblieb er bis Mai 1352; vgl. Wilkins, Studies 58 ff.; 100 f. und 207 f. 4 Zum Antonius-Schrein in Vienne; vgl. das vorangehende Schreiben an Bartolomeo Carbone, Anm. 19. 5 Verg. Aen. 8,364 – 365. 6 König Roberto besuchte Vaucluse im April/Mai 1320; Petrarca war damals 16 Jahre alt. Das Gebiet Venaissin mit Avignon gehörte seit 1290 dem Haus Anjou (Angiò) von Neapel, unterstand folglich König Roberto. Dessen Nachfolgerin auf dem Thron, Königin Giovanna, verkaufte die Stadt und das Gebiet 1348 dem römischen Stuhl. 7 Zur Jahreszahl vgl. die vorangehenden Schreiben und Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,13, an Francesco Nelli1 Zur Streitsache eines Freundes. 1. Lästiges Verhalten des Abtes von Vallombrosa. 2. Die Bemühungen führten zum Erfolg. Zorn auf schamlose Lügen. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. Etwas Lächerlich-Ranziges lag mir im Magen. Das hatte mir die Entscheidungsgewalt von Vallombrosa2 mit dem unberechenbaren Wechsel ihrer Anträge beschert, wie ich Dir, so glaube ich zu wissen, mehrmals geklagt habe. Und indem ich das Übel unter Aufwendung aller Kräfte und Bitten abzuschütteln mich abmühte, war ich, wie niemals für mich selber, für einen andern ehrgeizig, betriebsam und bekümmert. Du hättest ein so erheiterndes wie erbärmliches Schauspiel erlebt. Denn ich, sonst stets nach Einsamkeit und Musse begierig und gewohnt, in den Wäldern umherzuwandern, bin nach plötzlich geänderten Bedürfnissen mit einer ungeheuren Schar von Kurialen ganze Tage vor den stolzen Pforten der Prälaten umhergeirrt, so dass die Freunde staunten und die Musen gegen mich aufbegehrten. 2. Und was weiter? Bezwungen hat am 30. April meine verbissene Anstrengung den hartnäckigen Widerstand. Während der Papst gemäss seiner Gewohnheit, umgeben vom Rat sämtlicher Kardinäle, auf dem Fischerstuhl3 thronte, hat unser Freund,4 geschützt durch meinen Namen (der an jenem Tag im Munde der höchsten Persönlichkeiten erörtert und besprochen und mit vielem – hoffentlich ehrlichem – Lob überhäuft wurde), die Erfüllung seines Begehrens erlangt.5 3. In dieser Angelegenheit waren ihm zwar unsere Freundschaft wie auch sein eigenes Verdienst von Vorteil, halfen ihm aber nicht besser als der unerbittliche und unbändige Hochmut seiner Feinde und meine Entrüstung. Diese hat mich aus einem trägen Menschen in einen peinlich genauen Aufpasser verwandelt. Denn ertragen konnte ich's nicht, dass die Wahrheit so schamlos von Lügen getreten werde. Dieses Ergebnis wollte ich Dir zu Deiner Freude mitteilen, um Dir gleichzeitig zu danken. Denn nach allem Deinem Vermögen hast Du aufs getreuste geholfen. Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).6 Anmerkungen 1 2 3 4 5 6
Zum Adressaten vgl. die vorangehenden Briefe Fam. 12,4 und 12,5. Über den Abt von Vallombrosa spricht Fam. 12,4,3. Häufig verwendeter Ausdruck für den Stuhl Petri, des Fischers, also für den Papstthron. Das ist Don Ubertino; vgl. Fam. 12,4,3. Ubertino wurde Abt im Kloster S. Basilide di Cavana. Das Datum ist gleich dem der vorangehenden Schreiben; vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 69.
Fam. 12,14, an den neapolitanischen Ritter Giovanni Barrili1 Ermahnung, sich um Versöhnung zu bemühen. 1. Bitte, Vernunft walten zu lassen. 2. Über die drei von Platon bestimmten Teile der Seele. Bitte, die Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen. 4. Den Zorn erkennt man an verschiedenen Anzeichen. 7. Die Freundschaft zwischen dem Angesprochenen und Niccolò Acciaiuoli muss wiederhergestellt werden. 8. Zu diesem Zweck schickt Petrarca Briefe an die beiden. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. Sonderbar klingt's: Das Wertvollste und das dennoch zum Hingeben Schicklichste ist’s, was ich heute von Dir erbitten will. Ich bitte nämlich, Hochgeehrter, Du möchtest Deinen Willen der Vernunft, oder um mit anderen Worten das Selbe zu sagen, Dich Dir unterwerfen und das weniger Gute in Dir zwingen, dem Besseren zu gehorchen. 2. Grossartig hat Platon2 in seiner Bemühung, die Natur zu ergründen, einen dreifachen Sitz der Seele entdeckt und was sich ihm als etwas Vermischtes darbot, mit seiner göttlichen Verstandeskraft von einander geschieden. Drei gesonderte Behältnisse für Gemütserregungen hat er also angenommen, dem Zorn die Brust und der Begierde den Magen bestimmt, aber der Vernunft den Kopf gleichsam als Hochburg zugewiesen, damit bereits ihr Sitz offenbare, dass sie die Bändigerin und Herrscherin der Leidenschaften ist. Das wissen, wie ich glaube, auch unsere Dichter, obwohl sie die Sache nach ihrer Gewohnheit in eher verhüllter Weise erörtern. 3. Wollte ich nun zu dieser Materie das auszudrücken versuchen, was immer mir durch den Kopf geht, würde sich mir sogleich eine unendlich lange Reihe verschiedener Themen aufdrängen, die anzugeben weder Zeit noch Ort gestatten. Und überflüssig wäre es, Dir den Zorn – sogar mit seinen traurigen Folgen – beschreiben zu wollen, denn diese sind sogar im Volk bekannt und von gewissen Philosophen in ganzen Büchern sehr gründlich behandelt worden, so insbesondere von Plutarch und Seneca.3 4. Nur in aller Kürze möchte ich Dir einprägen, was gewiss keinem Gelehrten entgangen ist: Wo Leidenschaften wohnen, da gibt es in der Seele abscheuliche Nebelschwaden und schreckliche Verfinsterung, und, um es klar auszusprechen: einen eigentlichen Ausfall der Vernunft. Zwar trifft das für alle Leidenschaften zu, aber, so meine ich, für den Zorn am allermeisten. 5. Nichts gibt es, was in gleichem Mass die Ruhe und Heiterkeit verwirren kann, nichts, wofür so deutliche Anzeichen einer geschmälerten Einsicht auftauchen, nämlich bleiches Gesicht, bebende Stimme, zitternde Glieder, verfinsterte Stirne, hochgezogene Brauen, funkelnde Augen, rascher Atem. Sie sind es, die den in der Seele wohnenden Zorn wie einen aus seinem Versteck hervorgeholten Cacus4 ans Tageslicht bringen und Beobachtern preisgeben. Wo aber umgekehrt das Gemüt unabhängig von Leidenschaften der lenkenden Vernunft untersteht, da ist ungestörte Ruhe, ist helle Freude, ist menschliche Seligkeit.
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6. Wollen wir glücklich sein dank einem Glückssegen, den das sterbliche Leben erlangen kann (während wir uns freilich nach einem besseren sehnen), dann muss, sage ich, ein gewisser Teil unseres ätherischen Geistes eine so überragende Höhe erreichen, dass von dieser etwas Ähnliches zu sagen ist wie vom höchsten Gipfel des Olymps: sie könne nämlich von keiner Wolke der Leidenschaften erreicht werden. 7. Dass Deine Seele so beschaffen ist, bezweifle ich nicht; Deine Veranlagung und Deine Sitten kenne ich bestens. Und was ich von Dir weiss, das glaube ich auf die Aussage anderer hin auch vom Gross-Seneschall des Königreiches.5 Ihn hat mir sein guter Ruf, Dich hat mir meine Erfahrung empfohlen. 8. Eure Freundschaft, die nicht etwa zerrissen, sondern – wie ich höre – bloss etwas gelockert wurde, habe ich mit der kräftigen Nadel meiner Ergebenheit und dem dünnen Faden meiner Rede zusammenzunähen beschlossen. Und so schreibe ich Euch in grosser Treue und mit nicht geringerem Vertrauen einen Brief, der sich an beide gemeinsam richtet, hoffend nicht auf eigene Sprachgewalt, sondern auf die Hilfe Gottes und auf Euer beider Gesittung! Wenn ich das beim Genannten wage, was könnte mich dann hindern, es mit Dir zu versuchen? 9. Nur das Eine also heisse ich Dich, nein vielmehr Euch beide: Geht an die Lektüre meines für Euch bestimmten Briefes wohlwollend heran, um die Hauptsache meiner Bitte zu überprüfen und sie in jenen Teil der Seele überzuführen, der, wie gesagt, über alle Nebel menschlicher Leidenschaften hinausragt. Ich hoffe, es gehe Dir gut. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).6
Anmerkungen 1 Barrili, neapolitanischer Ritter, war ein Freund von Barbato da Sulmona und Niccolò Acciaiuoli, aber auch des Dichters; er hatte sich Ende der vierziger Jahre vorübergehend in der Provence aufgehalten, doch war ihm Petrarca auch am Hof von Neapel begegnet. Vgl. Fam. 12,16 und Fam., 4,8, Anm. 5. 2 Vgl. Cic. Tusc. 1,10,20. 3 Beide Autoren verfassten eine Schrift De ira. 4 Cacus, legendäre Figur, soll dem Herkules Rinder gestohlen haben. Seine Höhle zeigte man auf dem Aventin. 5 Niccolò Acciaiuoli. 6 Zur Datierung vgl. Wilkins, Petr. Corresp. 70.
Fam. 12,15, an Niccolò Acciaiuoli1 Lob für grosse Leistungen und Ermahnung, sich zu versöhnen. 1. Dank für eine schriftliche Antwort. 2. Alte Römersitten fordern Taten. Lob auf entschlossenes Handeln. 4. In der Nachahmung der Cäsaren soll man sich nicht allein durch Kriegstaten, sondern auch durch Bildung und Beredsamkeit auszeichnen. 5. Besonderer Dank für die Absicht, einen neuen Parnass zu gründen und diesen Petrarca zuzueignen. 7. Die höchste Kunst aber ist Selbstüberwindung. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. Deine Entschuldigung wegen einer verspäteten Antwort, Hochansehnlichster, hat so sanft meine Sinne beschlichen, dass ich ihr früheres Eintreffen nicht wünschen wollte. Wahrhaftig, mit grossem und willkommenem Zins ist sie schliesslich angelangt, und ich habe darin Deinen Scharfsinn wie auch den wohltönenden Stil unseres Barbato2 erkannt, für mich eine doppelte Freude und eine zwiefache Erquickung. Und dabei hätte ich geglaubt, so sage ich, allein mit Deinen heroischen Taten werde mir, auch wenn Du schweigst, überreiche Antwort gegeben. 2. Ich rede Dich ja nicht an, um Dich zur Gegenrede zu verlocken, wie es bei Rednern und Dichtern üblich ist, sondern um Deinem glühenden Tatendrang und brennenden Mut,3 sofern es meinem Atem möglich wäre, noch Flammen zuzuwerfen. Anderseits gebe ich zu, dass ich um das Gemeinwohl üblen Verdienst hätte, wollte ich Dich von Deinen erhabenen und nutzbringenden Sorgen zu diesen geringeren herabziehen. Eine edle Absicht bekundet sich ohnehin viel herrlicher durch ihre Ausführung als durch Worte. 3. Wahre Dir deshalb Deine Gewohnheit, und was Du in Gedanken ersonnen hast, das sage mit Taten, und folge auch damit – wie in allem andern – den alten römischen Sitten. Diese verlangten, wie einer gesagt hat,4 dass von den Besten ein jeder lieber handelte statt redete. Dabei gab es viele, die beides, grösste Tatkraft wie grösste Redegewandtheit, erwarben. Was Statius Papinius5 dem Kaiser Domitianus als Schmeichelei vortrug, wurde zu einem wahren Ruhm für viele, weshalb wir den Ehrenkranz der Heerführer und den der Sänger oftmals auf der einen und gleichen Stirne sehen und uns wundern, dass die Musen oft bei Diktaturen, Konsulaten und Imperien einkehren, doch auch umgekehrt die kriegsgewohnten Lorbeerkränze bei den Studien der Literaten wohnen. 4. Sollte Dir einst freie Zeit gewährt sein, um Deinen glorreichen Taten, wie eben jetzt geleistet, noch ebenbürtige Reden beizufügen, dann könntest Du die Zierde dieser zwiefachen Cäsarenehre verdienen. Wir dürften dann erleben, dass der Held, der uns in seinem kraftvollen Mut als der vortrefflichste bekannt ist, auch militärische Redegewalt, ja kunstvolle Beredsamkeit besässe, durchaus unfähig, banales Privatgespräch zu führen.6 Von den Schriftstellern ist einem Iulius Caesar diese zweifache Ehre als eine Besonderheit zuerkannt worden; und selbst
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wenn Du nicht Iulius Caesar bist, kann Dich gewiss niemand daran hindern, die Haltung Caesars anzunehmen, den Sitten Caesars und der Beharrlichkeit Caesars nachzueifern. 5. Da Du mir für einen recht trockenen und mageren, ja mangelhaften Brief gedankt hast, ist nun um so richtiger, wenn ich mich für Dein so reichhaltiges Schreiben erkenntlich zeige; namentlich für das, was Du dort am Ende gesagt hast. Da heisst es ja, Du hättest die Absicht, zwischen dem Vesuv und dem Gebiet von Falerno auf meinen Namen einen neuen Parnass zu errichten, der auch kommenden Generationen förderlich wäre. Möge einem so grosszügigen Vorhaben Fortuna doch günstig sein! Und möge sie doch ihrer Eigenart vergessen und darauf verzichten, ein so herrliches Beginnen zu missgönnen, für welches Dir die Gegenwart und eine bildungsbeflissene Nachwelt mit mir zusammen Dank aussprechen. 6. Was mich betrifft, so werde ich, obwohl schon im glorreichen Besitz zweier Parnasse,7 einen dritten nicht ablehnen. Er widerhallt ja von Deinem Apollon, dient Deinen Musen als Wohnung, grünt in Deinem Lorbeer und hat die Weihe Deiner Vorsorge empfangen! Was soll ich sagen? Herrlich sind Deine Taten und herrlich Deine Reden! 7. Im höchsten Masse herrlich und vollends unübertrefflich, ja wahrhaft cäsarenhaft wirst Du nun aber handeln, wenn Du mit der selben Grösse, mit der Du oftmals andere überwunden hast, Dich auch selber besiegst. Dann wirst Du Deinen vielleicht widerstrebenden Willen dazu zwingen, die wohlmeinenden Ratschläge meines Briefes, den ich für Dich und den ausgezeichneten Giovanni Barrili verfasst habe, zu beachten,8 um unter das Joch Eurer alten Freundschaft zurückzukehren. Habe ich von Dir und Deinen Sitten keine irrige Meinung, so darf ich das, was der Zorn für schwierig erklärt, leicht von Deiner menschlichen Güte zu erlangen hoffen. Glücklicher Du, und Deiner stets würdig, lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).9
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Fam. 11,13 und 11,14. Steigerung der Anrede von egregie zu clarissime und maxime. Gemeint ist Petrarcas langjähriger Freund am Hof von Neapel, Barbato da Sulmona. Vgl. Luc. Phars. 9,7. Vgl. Sall. Cat. 8,5. Statius, ca. 40 n. Chr.–ca. 96, römischer Dichter. Zur Stelle vgl. Stat. Ach. 1,14 – 16. Vgl. Luc. Phars. 5,539. Gemeint ist hier wie oft ein Helikon diesseits der Alpen und einer jenseits. Vgl. den vorangehenden Brief an Barrili. Zur Datierung vgl. die vorangehenden Briefe.
Fam. 12,16, an Niccolò Acciaiuoli und Giovanni Barrili1 Bitte um Rückkehr zur Freundschaft. 1. Das Schreiben ist zur gemeinsamen Lektüre bestimmt. 2. Bitte um Unterwerfung unter die Herrschaft der Liebe. 4. Ansprache durch die Liebe selber. 7. Beispiele der Versöhnung aus der Antike. 13. Mittel zur Erneuerung der Freundschaft. 17. Aufzählung dessen, was die Angesprochenen miteinander verbindet. 20. Über die Anziehungskraft menschlicher Vorzüge. 23. Den Brief habe der Schreibende absichtlich übermässig gedehnt, um die Freunde desto länger festzuhalten. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. Vereinen möchte ich Euch, hochherzige Männer, Ihr Zierden der Städte Florenz und Neapel, ja ich will Euch vereinigen, wolltet Ihr das nur dulden und vor einer Berührung der Freundeshand nicht zurückzucken.2 Vernunft wird nicht der Dreistigkeit, Liebe nicht der Missgunst, Besonnenheit nicht dem Zorn erliegen; ja schliesslich wird auch die Zähigkeit meiner Zuneigung, mit der diese Feder – vielmehr der Friedensfürst Christus durch diese Feder – Eure beiden Herzen vereint, nicht vom leeren Geflüster der Übelredner besiegt werden. 2. Gross ist immer die Gewalt der Freundschaft; nichts ist ihr beschwerlich, nichts unmöglich, und überaus wahr ist das Dichterwort:3 „Stets noch hat Liebe gesiegt“. Auch werdet Ihr erfüllen, was folgt: „Drum lasst uns der Liebe willfahren!“ Ergebt Euch, ich bitte, gütigste Herzen! Ergebt Euch jener Macht, der sich selbst wilde Tiere ergeben! Der sich barbarische Gemüter ergeben! Der vernunftlose Elemente gehorchen! Eben jener, bitte, ergebt Euch! Denn habt Ihr Euch einmal jener ergeben, ergibt alles sich Euch. 3. Verstopft nicht Eure Ohren! Verhüllt nicht Eure Augen! Verhärtet nicht Eure Herzen! Die gerechte Liebe erfüllt sie mit besseren Gedanken. Diese Hoffnung hat mir Eure zweifache Vornehmheit geschenkt. Denn eben sie hat Euch so grosses Ansehen verliehen, dass Ihr in den beiden mächtigen Städten und ihren beiden Völkern wie zwei unvergleichliche Sterne leuchtet. Nichts vermag ja so gut wie die Liebe den Unterschied zwischen gewöhnlichen und vornehmen Herzen zu unterscheiden. Darum hört auf sie, die Euren Herzen unablässig Worte wie die folgenden einflösst: 4. „Wozu läuft Ihr in verschiedene Richtung, beste Männer, warum empört Ihr Euch? Was meidet Ihr Euch? In Euch habe ich geherrscht, in Euch gewohnt, in Euch meine Zelte aufgeschlagen! Ich habe Euren Ruhm vermehrt und Ihr hinwieder den meinen. Wer hat mich aus Eurer Mitte verjagt? Wer hat die Einmütigen
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entzweit und, um genauer zu sprechen, wer hat aus der einen Seele ihrer zwei gemacht? Kehrt zu einander zurück und kehrt Euch zu mir und nehmt mich, da ich zurückkehre, bei Euch auf! Denn anders ist Euch nirgends wohl! 5. Kehrt zurück zur Freundlichkeit, zum Gespräch, zur Umarmung! Vereint Herzen und Hände! Haucht Eure Herzen erneut in eines zusammen! Das gehört sich für Eure eigene Tugend; das erfreut auch die fremde; das fördert das Vaterland; das beseligt die Guten; das schreckt die Schlechten, und wer aus Eurem Zwist böse Hoffnung gewonnen hat, der gewinne aus Eurer Versöhnung ein Grauen. 6. Gewiss,4 wenn Ihr ernstlich überlegt, gestattet Eure Lage nichts anderes, als dass Ihr gern oder ungern in den Gemächern der einen und gleichen Königsburg nebeneinander wohnt.5 Und wieviel heiterer und ruhiger wird Euer Leben sein, wenn sich die Nebel der Leidenschaft – vielleicht vom schmutzigen Atem zischelnder Ohrenbläser über Euch heraufgeführt – wieder zerstreuen! Das wäre für Euch am besten und auch erträglichsten. 7. Einen triftigeren Grund zur Versöhnung konnte einst das Censorenamt (ob es fünf Jahre oder eines, ein halbes oder eineinhalb Jahre dauerte) nicht darstellen, das einen Lepidus und Flaccus Fulvius neu vereinte,6 und auch das einjährige Konsulat des Livius Salinator und Claudius Nero, das ein grauenhaftes Unrecht in mildestes Vergessen tauchte,7 war kein besserer als der Eure: Es geht bei Euch ja nicht bloss um dieses oder jenes Amt, sondern um eine lang dauernde und bis ans Ende zu wahrende Freundschaft. 8. Auch jenes Gastmahl, das den älteren Africanus und Tiberius Gracchus als Feinde aufnahm, aber zur früheren Freundschaft und darüber hinaus zu einer neuen Verwandtschaft verband,8 hat nicht etwa grössere Macht ausüben können als Euer lang andauerndes Zusammenleben. 9. Und wozu sollte ich noch die Menschlichkeit Ciceros erwähnen? Er hat, seinen gerechten Hass vergessend, sogar erbittertsten Feinden seine Gunst erwiesen.9 Und was ist mit den vielen, die oftmals aus rein äusserlichen Gründen tief eingewurzelte Feindschaften aufgaben? Ihr habt ja nicht einmal eine Feindschaft aufzugeben, sondern nur die Erinnerung an die einstige Freundschaft zu erneuern! 10. Überlegt,10 was immer an Übeln der Zwietracht doch anhaftet, infolge derer sie einst sogar Grossreiche zersetzte! Auch die römische Republik, die Ihresgleichen nicht hatte und (so meine ich) nicht haben wird, sie, die auf dem Fundament unzähliger Tugenden ruhte, ist einzig durch Zwietracht zugrunde gegangen. Und durch Zwietracht wie vieler Menschen, ich bitte? Zweifellos nur weniger! In den einzelnen Zeitaltern wird man jeweils kaum vereinzelten Menschenpaaren begegnen, denen man vorwerfen muss, ohne ihre Zwietracht wäre das öffentliche Wohl erhalten geblieben. 11. Vieles und Hartes, gewiss, habt Ihr, Italer, erduldet;11 und oft ist es beinahe zum Äussersten gekommen. Das aber wird mir niemand leugnen, dass Ihr aus je-
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dem Unglück grösser erstanden seid. Darum haben über Euch nicht Inder, nicht Spanier, nicht Kimbrer, nicht Mauren, nicht Skythen, nicht Äthiopier, nicht Karthager, nicht Teutonen, auch nicht Pyrrhos, nicht Philippos, nicht Perseus, nicht Syphax, nicht Mithradates, nicht Antiochos, nicht Hannibal, nicht Jugurtha triumphiert.12 Ihr, die Sieger über Völker und Reiche, seid nur durch Eure eigene Zwietracht besiegt worden. Und hat dieser Streit sogar Republiken und Königsgüter vernichtet, welche Rettung kann man da für einzelne Familien und private Vermögen erhoffen?“13 12. Würde die Liebe oder Freundschaft so oder ähnlich zu Euch sprechen, was wolltet Ihr darauf bekennen? Ich glaube nichts anderes, als dies, Ihr wolltet Euch ihren Händen anvertrauen und ihre Herrschaft nicht zurückweisen. Nun aber spricht sie ja wirklich zu Euch durch meinen Mund. Reicht Euch die Hände und hört auf sie; so beschwöre ich Euch bei allem, was unter den Sterblichen etwa an Heiligem, an Gottgefälligem, an Wirkkräftigem geblieben ist. Nichts Grosses wird verlangt, sondern nur dies eine: Nicht eine Gesinnung zu hegen, die vor dem, was der Freundschaft dient, zurückschreckt. 13. Ruft Euch ins Gedächtnis und stellt Euch vor Augen, was es während Eures Lebens an Schönem, Vertrautem und Erfreulichem zwischen Euch gegeben hat. Da war einmal eine willkommene Reise, ein angenehmer Landaufenthalt, eine fröhliche Plauderei, vielleicht einmal Friede, einmal Krieg, einmal ein Feldzug oder vielleicht ein Tag im Gefecht; irgendwo eine Nacht unter freiem Himmel und ein Schlaf auf nackter Erde, wo ein Rasenstück ein Segen war und wo ein nach Soldatenbrauch umgestürzter Schild ein Zelt ersetzte. Da gab es eine gemeinsame Anstrengung, einen gemeinsamen Erfolg, eine gemeinsame Gefahr und etwas an erwünschter gegenseitiger Hilfe, etwas an rechtzeitigem Trost und an rettendem Ratschlag. 14. Ist aber umgekehrt vielleicht etwas recht Widerwärtiges zwischen Euch vorgefallen, was verwöhnte Gemüter zu ertragen nicht gewohnt sind (denn in einer lang dauernden Freundschaft solches zu vermeiden, schreibe ich eher einem Glück als menschlichem Verdienst zu), so müsst Ihr die Erinnerung daran aus Euren innersten Eingeweiden vollständig herausreissen. 15. Zwei Dinge gibt es, welche die Freundschaften auf ewig befestigen und in reinen Seelen ein Licht anzünden: Das Gedächtnis an Gefälligkeiten und das Vergessen von Kränkungen. Beides fordere ich jetzt von Euch. Wollt Ihr das gewähren, werde ich mich, vollauf zufrieden mit der Erfüllung meiner Wünsche, davonmachen, denn ich habe dann mit einem glücklichen Sprung, wie man sagt, mein Ziel erreicht. 16. Wollt Ihr jedoch lieber an die eine und die andere Einzelheit erinnert werden, dann habe ich freilich noch ein Bisschen mehr zu leisten. Doch darf ich dabei immerhin hoffen, dass die vorgefallenen Kränkungen an Zahl und Schwere den Vergleich mit Eurer Herzlichkeit nicht aushalten. Ihr gehört ja nicht zu den Menschen, die ein einziger Ausdruck ätzender Bitterkeit auf längere Zeit
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peinigt, als die oftmals erlebte Freundlichkeit sie beglückt. Selbst wenn wir also in unserer Nachforschung eine Abrechnung vornehmen müssten, wäre ich Sieger. Doch lieber ist mir, eine Abrechnung zu vermeiden. 17. Es gibt ja vieles, was Euch zur Freundschaft hinzieht, dagegen wenig, vielmehr gar nichts, was Euch davon abzieht. Es verknüpfen Euch sehr starke Bande: Lebensalter, Nation, Kriegsberuf, Tüchtigkeit, Ansehen, Adel, Gleichheit der Studien, Erinnerung an Verdienste und zudem als kräftigste Fessel freundschaftlicher Beziehungen: der gemeinsame Vorteil. Das Gemeinsame ist beiden förderlich; Ihr ehrt den selben König, Ihr sorgt Euch um die selbe Heimat, Ihr verfolgt die selben Ziele. Ihr wollt das selbe: Belohnung für Rechtschaffenheit, für Laster Bestrafung; auch Hochschätzung für Gute, Verachtung für jeden Schlechten, Pflege der Gerechtigkeit, Ehrung der Tüchtigen, Entfernung schlechter Sitten und Überführung ehrenhafter aus jeder Gegend in Eure Hauptstadt. 18. Wie könnte bei solchen Voraussetzungen irgendeine leichte Beleidigung (oder richtiger der Verdacht einer solchen) mächtig genug sein, die festgefügte, unantastbare Zurichtung guter Vorhaben zum Einsturz zu bringen? Eilt daher freudig, wohin Euch eine edle Begeisterung lockt! Folgt einem wohlberatenen Bedürfnis! Widersetzt Euch nicht guten Regungen und, wie der Apostel14 sagt, „bringt nicht den Geist zum Erlöschen!“ Dass Ihr einander liebt, ist Notwendigkeit. Leistet nicht Widerstand; denn es ist die Kraft der Natur, die Euch zu Freunden macht. 19. Hohe Tugend ist beglückend selbst am Feind. Sie lockt an, und sie gefällt sich überall, wo sie sichtbar wird, unvermögend, sich selbst nicht zu lieben. Die Wurzel der Freundschaften ist die Ähnlichkeit der Sitten. Unter schlechten Menschen erlangt sie ein bloss schwankendes Fundament; ihre Vertraulichkeit ist von kurzer Dauer. Doch bei guten Menschen ist sie ewige Verwandtschaft. 20. Was tut es zur Sache, wohin die Entrüstung ausschweift und wie sehr der Zorn überbordet ? Die Sitten stimmen dennoch überein, die gute Gesinnung haftet fest und befiehlt Euren Herzen fest zu bleiben. ! Nichts ist ja raffgieriger als hohe Tugend, nichts zäher. Sie hat Haken, Ketten, Karzer und Angeln, die sie mit dem verlockendsten Köder besteckt. Und während das Geniessen einer Sinnenlust zwar köstlich, ihre Sättigung aber bitter ist, so bleibt das Schmecken ehrenvoller Tüchtigkeit bis ans Ende vollkommen erquicklich. Eine Lockspeise pflegen wir dem Vogel, eine dem Wild vorzulegen, wenn wir beschlossen haben, sie zu fangen. Wir kennen das Begehren eines jeden: Sinnenlust ist Speise für die Menge, Tugend für die wenigen. Ihr aber gehört zu den wenigen! Zeigt vor, was Ihr seid! 21. Nicht Vergnügen, nicht Annehmlichkeiten (wiewohl echte Freundschaft an beidem unendlich reich ist), auch nicht Verlockungen der Gelüste (obwohl die Tugend ihre eigenen hat), nein, nichts als die nackte Tugend wird Euch vorgesetzt. Und wenn Ihr sie so heftig begehrt, wie der Ruf von Euch behauptet, dann greift nach ihr wetteifernd, um glücklich an ihr festzuhalten bis zum Tod. Dann erwächst
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Euch, weil heute selbst das harmloseste Püffchen die Stacheln des menschlichen Unwillens bis zur Unversöhnlichkeit erregt, ein um so kräftigeres Lob, wie es nur seltenen Ausnahmen zukommt. Andernfalls harrt Euer um so grössere Unehre, je geringer der Grund ist für Euer Versagen. 22. Unendlich genussreich ist ja die Freundschaft – selbst jetzt, wo sie bloss in den kunstlosen Gefässen meines Schreibens kredenz wird –, und wenn sie Eure Herzen, obwohl sie entrüstet sind, nicht anlockt, bleibt sehr zu befürchten, Ihr könntet weniger durch Zorn als vielmehr durch Unmenschlichkeit und Grausamkeit auffallen. Und haben diesen Makel alle Menschen, die auf grosse Leistung und Ruhm bedacht sind, zu vermeiden, so doch Ihr als ansehnlichste Männer mit weit grösserer Entschiedenheit. Und davon nur soviel! Dass es Eure edlen Herzen aufwühle, bezweifle ich nicht. 23. Man beachte überdies, dass ein Wiedersehen heiterer Gesichter um so erfreulicher ist, je länger es ausblieb. Grossen Einfluss auf ein Herz üben oft die Mienen, die Augen und die lebendige Stimme aus. Schliesslich gestehe ich frei, dass ich nicht durch irgend einen Zufall, sondern wissentlich diese Abhandlung bis zu diesem Ausmass gedehnt habe. Dadurch sollte eben Euer Beisammensein sich verlängern. Aus dem selben Grund steht auf der Rückseite dieses Briefes, wie Ihr seht, keine fremde Hand dürfe daran rühren und keiner von Euch dürfe für sich allein dieses Euch beiden bestimmte Schreiben entfalten. 24. Mit allen Mitteln habe ich daraufhin gewirkt, Euch möglichst lange im Gespräch zu verbinden, und dass ich es nicht umsonst versuchte, das erbitte ich von Euch! Denn von Eurem Verhalten hängt die Wirkung meiner Rede ab. Denkt, ich stünde in Eurer Mitte; denn da bin ich, quäle mich ab in Angst und glühe vor Liebe. Sonderbar, wahrhaftig, wenn Euch die Flamme des bei Euch weilenden Freundes nicht schon entzündet hat! Es gewähre Eure Menschlichkeit nicht mir, aber meiner Treue, Euch beide vereint zu finden, wenn ich nach Neapel komme, oder wenn ich nicht komme, von Eurer Vereinigung zu hören. 25. Gestattet nicht, dass Heerscharen bewaffneter Feinde einst einer erzürnten Veturia15 mehr gönnten als nun unbewaffnete Freunde mir, einem Flehenden! Auch nicht, dass die Sabinerinnen16 mit ihrem zerwühlten Haar mehr erreichten als ich mit meinen Tränen! Wird mir bekannt, dass Ihr meine Bitten erhört habt, bin ich glücklich und habe lange genug gelebt. 26. Was tut Ihr nun? Was zögert Ihr? Worauf wartet Ihr, die Ihr gar weise seid, durch alte Freundschaftsdienste verbunden und in der Pflege schöner Gesinnung und in der Milde Eurer Sitten einander ähnlich? Stürzt Euch in die Arme! Beweint die verlorene Zeit! Gestattet nicht, dass unter den berühmtesten Freundschaften ein gewisses Paar fehle. Wie oft treten sie auf, die königlichen Jünglinge Tydeus und Polyneikes, Theseus und Peirithous, Herakles und Philoktetes, Pylades und Orestes! Wie oft auch die pythagoräischen Jünger Damon und Phintias und wie
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oft Laelius und Scipio,17 diese höchsten Zierden römischer Tugend und Freundschaft! Gestattet nicht, dass der Nachwelt die herrlichen Namen verschwiegen werden, die da lauten Nicolaus und Johannes! An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).18
Anmerkungen 1 Vgl. die vorangehenden Briefe. 2 Zum angedeuteten Streit vgl. Wilkins, Studies 126 und die dort zitierten Werke von E.G. Lonard. Ob die Gründe zum Streit einen mehr privaten oder mehr politischen Charakter hatten, bleibt unklar. 3 Verg. Ecl. 10,69. 4 Noch immer spricht die Liebe. 5 Gemeint ist wohl: in der Burg der Liebe und aller Tugenden. 6 Das Censorenamt übernahmen die beiden 179 v. Chr.; vgl. Personenreg. 7 Das Konsulat der beiden fiel ins Jahr 207 v. Chr. 8 Über Feindschaft und Versöhnung der Genannten berichtet Liv. 38,52 und 57. Tiberius Gracchus heiratete nach der Versöhnung die Tochter seines ehemaligen Gegners. 9 Vgl. Cic. Lig. 35. 10 Immer noch spricht die Liebe. 11 Noch immer spricht die Liebe. 12 Pyrrhos, berühmt durch den verlustreichen „Pyrrhussieg“ von 279; Philippos, 221 – 179, war fünfter König von Makedonien; Perseus war der Sohn des eben genannten Philippos; Syphax, König über ein Volk in Numidien, schlug sich auf die Seite des Karthagers Hasdrubal und ergab sich den Römern 203; Mithradates (Mithridates) VI., breitete seine Herrschaft in Kleinasien aus und wurde 66 von Pompeius besiegt; Antiochos III., Seleukide, erlag den Römern 190; Hannibal, karthagischer Heerführer im 2. Punischen Krieg, wurde 202 bei Zama überwunden; Jugurtha, König von Numidien, beschloss sein Leben 105 im „Carcer Mamertinus“ in Rom; vgl. Personenreg. 13 Hier endet die Rede des Liebe. 14 1. Thess. 5,19. „Apostolus“ ist bei Petrarca meist „der Apostel“ (Paulus). 15 Das ist die Mutter Coriolans; vgl. Peronenreg. 16 Die Sabinerinnen beim legendären Raub durch die Römer. 17 Das sind klassische Freundespaare aus der Antike; die ersten beiden erscheinen z. B. im Sagenkreis von Antigone, Oidipus und „Sieben gegen Theben“, die nächsten in den Sagen um Theseus, Herakles und Orestes. Immer wieder nennt Petrarca das von ihm besonders verehrte römische Paar: Laelius und Scipio, so z. B. in Fam. 19,3, da er selber mit einem Laelius (Lelio) eng befreundet war; vgl. die Briefe an diesen. 18 Gleiche Datierung wie in den vorangehenden Briefen.
Fam. 12,17, an Zanobi da Strada1 Sorge um die Versöhnung zwischen Barrili und Acciaiuoli. 1. Dank und Lob für ein Gedicht, in welchem Petrarca allerdings einen Fehler entdeckt und anzeichnet. 3. Hinweis auf Angebote Acciaiuolis. 4. Bitte an den Adressaten, einen Vermittlungsversuch im Streit zwischen Niccolò Acciaiuoli und Giovanni Berrili zu unterstützen. An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).
1. Kaum hatte ich mehrere Freundesbriefe, den Stapel eines einzigen Tages, abgefertigt, da drängte sich auch noch Deine Epistel an unsere Türe, und dass ich sie freudig entgegennahm, würde sie, könnte sie sprechen, nicht verneinen. Mit ihr zusammen kam ein hervorragendes Gedicht, das ich bewundere und lobe. Doch in der Hochschätzung, die wir für einander hegen, rate ich Dir, es vorerst nicht anderen Händen zu überlassen, bevor Du nachgesehen hast, wo Du bei einem Vers, der mir wegen einer etwas zu grossen Länge auffiel, einen Pfeil entdeckst (einen Zeugen meiner Verlässlichkeit!), und dann das überlange beseitigt hast. Und ärgere Dich deswegen nicht über Dich selber; Du weisst ja, dass in der Ars poetica2 zu lesen ist: „… denn ab und zu schläft auch der gute Homeros“. 2. Wenn Du aber sagst, ermüdet durch die Last Deiner Sorgen, seist Du meiner Hilfe bedürftig, so handelst Du bescheiden wie immer. Und vermöchte doch meine Fähigkeit, von der Du Unterstützung begehrst und deren Entbehrung Du beklagst, Dir in Deinen Stürmen einen geeigneten Hafen zu verschaffen! Wahrhaftig, ich würde nicht dulden, dass Du anhaltend umhergeschüttelt wirst! Doch ich hoffe weder auf Thetis noch auf Neptun sondern auf Ihn, „dem das Meer gehört und der es erschaffen hat“.3 Er wird die hochgehenden Fluten unseres sterblichen Lebens, die in den andauernden Unwettern unserer menschlichen Nöte hin- und herwogen, mit seinem heilbringenden Dreizack bändigen, er, der Weg und das Ziel, der Führer und Begleiter, die Last und der Lohn. 3. Was in erster Linie Deine Lage betrifft, so habe ich in meinem letzthin Dir gesendeten Schreiben die Sache zwar offensichtlich mit eigenen Worten, jedoch nach der Meinung eines anderen dargelegt. Ich habe Dir ja geschrieben, was jener Ausgezeichnete und Beste rät,4 und nehme an, Du habest es schon gelesen und gutgeheissen und werdest es auch in Zukunft mit Deiner Tat gutheissen. Du verlangst, ich solle diesem Mann in Deinem Namen Dank sagen, als könnte Dir, der in seiner Gunst aufsteigt, meine Person noch einen gewissen und, wie Du meinst, recht bedeutenden Vorteil verschaffen. Aber beachte, bitte, ob ich Dir gehorchen kann, ohne dass es mir als Anmassung oder Unwissenheit ausgelegt würde. Es wäre nur billig, wenn jetzt eher Du für mich, der ihm unbekannt ist, nach Deinem Recht
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ihm Dank abstatten wolltest. Wenn Du aber auf Deinem Wunsche beharrst, will ich trotz einem mir gewiss bevorstehenden Tadel Deinem Begehren entsprechen. 4. Nun aber zu einer sehr wichtigen Sache, die ihn betrifft. Was hat denn – nach der Tüchtigkeit – bei den Menschen höheren Wert als die Freundschaft? Und eben ihretwegen habe ich ihm geschrieben und zugeredet,5 er möge einem alten und angesehenen Freund sich wieder in Wohlwollen zukehren, und dabei habe ich mich der List bedient, beide in einem einzigen Brief anzusprechen, damit sie wenigstens für die Dauer der Lektüre notwendigerweise beieinander wären. Wenn alles nach Wunsch gelänge, würde ich mich rühmen, dem Gemeinwesen einen erfreulichen und erheblichen Dienst geleistet zu haben, und mich dieser Feder immer verpflichtet fühlen. 5. Besagtes Schreiben schicke ich nun Dir, damit es durch Deine Hände an jene beiden gelange und dank Deiner Hilfsbereitschaft um so sicherer vor ihnen erscheine. Ich gestatte aber Dir, was ich in der Überschrift jedermann untersage, nämlich es zu öffnen und, wenn nach Deiner Meinung etwas gestrichen oder zugefügt werden muss, das zu tun. Denn seine Natur und Gesinnung und wie man ihn leicht zu gewinnen pflegt, kennst Du, „… wie auch die Tür und die günstige Stunde“.6 Lebe wohl! An der Quelle der Sorgue, am 24. Mai (1352).7
Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Fam. 12,3 und 12,14 – 12,16. Hor. Ars 359. Ps. 94,5. Niccolò Acciaiuoli. Vgl. Fam. 12,3. Fam. 12,15 Ende und 12,16. Verg. Aen. 4,423. Vgl. Wilkins, Petr.Corresp. 70.
Verzeichnisse
Abkürzungsverzeichnis (a) Antike Autoren und Werke (ohne Bibel) Ambr. De obit. Sat. fr. Apul. Apol. Flor. Metam. Aristot. Eth.Nic. Metaph. Poet. Rhetor. De somn. et vig. Aug. De civ. Conf. Epist. De gratia Chr. In psalm. Quaest. Retract. Serm. Sol. De vera rel. Boeth. Cons. phil. Calc. In Tim. Cato Orat. Orig. Cic. Ac. 1 Ac. 2 De am.. (Laelius) Ad Att. Arch.
Ambrosius De obitu Satyri fratris Apuleius Apologia Florida Metamorphoses Aristoteles Ethica Nicomachea Metaphysica Poetica Rhetorica De somno et vigilia. Augustinus De civitate dei Confessiones Epistulae De gratia Christi Enarrationes in psalmos De diversis quaestionibus Retractationes Sermones Soliloquia De vera religione Boethius Consolatio philosophiae Calcidius In Timaeum Cato Censor Orationes Origines Cicero Academicorum priorum libri (Lucullus) Academicorum posteriorum libri Laelius de amicitia Epistulae ad Atticum Pro Archia poeta
672 Balb. Ad Brut. Brut. Cato Deiot. De div. De fin. Hortens. De inv. Lig. De leg. Manil. Marc. Milo. De nat. deor. De off. Or. De orat. Parad. Phil. Pis. Planc. Ad Q.fr. Red. in sen. De rep. De sen. (s. Cato) Sest. Sull. Tim. Tusc. Claud. De bello gild. De 3 cons. Hon. De 4 cons. Hon. De cons. Stil. In nupt. Hon. In Ruf. Don. Epit. de Caes. Vita Verg.
Abkürzungsverzeichnis
Pro L. Balbo Epistulae ad Brutum Brutus Cato maior, de senectute Pro rege Deiotaro De divinatione De finibus Hortensius De inventione Pro Q. Ligario De legibus Pro lege Manilia Pro M. Marcello Pro T.A. Milone De natura deorum De officiis Orator De oratore Paradoxa Oratio Philippica In L. Pisonem Pro Cn. Plancio Epistulae ad Quintum fratrem Oratio post reditum in senatu De re publica De senectute Pro P. Sestio Pro P. Sulla Timaeus Tusculanae disputationes Claudianus De bello gildonico De 3. consulatu Honorii De 4. consulatu Honorii De consulatu Stilichonis In nuptias Honorii In Rufinum Donatus Epitome de Caesaribus Vita Vergilii
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Abkürzungsverzeichnis
Eus. Chron. Flor. Epit. Front. Strat. Gell. Noct. att. Greg. Magn. Dial. Hier. Comment. in Mt. Epist. Quaest. in gen. In Ruf. Hor. Ars Carm. Epist. Epod. Sat. Serm. Isid. Etym. (Orig.) Iust. Epit. Iuv. Sat. Lact. Div. Inst. De opif. Liv. Per. Ab urbe Luc. Phars. Macr. Saturn. In somn. Scip. Oros.
Eusebius Chronicon Florus Epitome de Tito Livio Frontinus Strategemata Gellius Noctes atticae Gregorius Magnus Dialogi Hieronymus Commentarius in Evang. Matthaeum Epistulae Quaestiones in libros geneseos In Rufinum Horatius Ars poetica Carmina Epistulae Epodi Saturae Sermones (= Saturae) Isidorus Etymologiae (Origines) Iustinus Epitome Iuvenalis Saturae Lactantius Divinae institutiones De opificio Dei Livius Periocha Ab urbe condita Lucanus Pharsalia Macrobius Saturnalia In somnium Scipionis Orosius
674 Hist. adv. pag. Ov. Am. Fast. Her. Metam. Pont. Rem. Trist. Pers. Sat. Plat. Phaid. Tim. Plaut. Amph. Asin. Aul. Capt. Cas. Cist. Curc. Epid. Plin. Nat. Pomp. De chorogr. Prop. Carm. Quint. Inst. Sall. Cat. Iug. Sen. maior Controv. Sen. Benef. Clem. Dial.
Abkürzungsverzeichnis
Historia adversus paganos Ovidius Amores Fasti Heroides Metamorphoses Ex Ponto Remedia amoris Tristia Persius Saturae Platon Phaidon Timaios Plautus Amphitruo Asinaria Aulularia Captivi Casina Cistellaria Curculio Epidicus Plinius maior Naturalis historia Pomponius Mela De chorographia Propertius Carmina Quintilianus De institutione oratoria Sallustius Coniuratio Catilinae Bellum Iugurthinum Seneca maior Controversiae Seneca De beneficiis De clementia Dialogi
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Abkürzungsverzeichnis
Epist. (= Ad Lucil.) Ad Lucil. Nat. quaest. Superstit. Thy. Serv. Ad Aen. Ad Ecl. Ad Georg. Vergil. Solin. Collect. Stat. Ach. Theb. Suet. De vita Caes. Caes.Aug.Calig.(etc.) Ter. Ad. Andria Eun. Haut. Phorm. Val. Max. Varro De poet. De re rust. Sat. Men. Verg. Aen. Ecl. Georg.
Epistulae Epistulae ad Lucilium Naturales quaestiones De superstitione Thyestes Servius Ad Vergilii Aeneida Ad Ecloga Ad Georgica Vita Vergilii Solinus Collectanea Statius Achilleis Thebais Suetonius De vita Caesarum: Caesar, Augustus, Caligula (etc.) Terentius Adelphoe Andria Eunuchus Hautontimorumenos Phormio Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia Varro De poetis De re rustica Saturae Menippeae Vergilius Aeneis Eclogae Georgica
(b) Bibel Act. Agg. Apoc.
Actus Apostolorum Aggaeus Apocalypsis
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Abkürzungsverzeichnis
Col. 1 Cor. 2 Cor. Dan. Deut. Eccl. Eccli. Eph. Exod. Gal. Gen. Hab. Hebr. Ier. Is. Jo. 1 Jo. Jos. Lc. Mal. 1 Mch. Mc. Mt. Num. 1 Petr. Phil. Ps. Rom. Sap. 1 Thess. 1 Tim. Tit. Zach.
Ad Colossenses 1 Ad Corinthios 2 Ad Corinthios Daniel Deuteronomium Ecclesiastes (Prediger, Cohelet) Ecclesiasticus (Sirach) Ad Ephesios Exodus Ad Galatas Genesis Habacuc Ad Hebraeos Ieremia Isaia Evangelium secundum Johannem 1 Johannis Epistula Josue Evangelium secundum Lucam Malachias 1 Machabaeorum liber Evangelium secundum Marcum Evangelium secundum Matthaeum Numeri 1 Petri epistula Ad Philippenses Psalmorum liber (Zählung Vulgata) Ad Romanos Sapientia 1 ad Thessalonicenses 1 ad Timotheum Ad Titum Zacharias
(c) Werke Petrarcas Petr. Afr. Buc. carm. Canz.
Petrarca Africa Bucolicum carmen (= Eclogae) Canzoniere
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Abkürzungsverzeichnis
Fam. De otio relig. Ps penit. De rem. utr. fort. Metr. Rer. mem. Secr. Sen. Sine nom. De sui ign. Tr. De vir. ill. De vita sol. Var.
Familiarium rerum libri De otio religioso Psalmi penitentiales De remediis utriusque fortunae Epistulae metricae Rerum memorandarum libri Secretum Epistolae seniles (Senilium rerum libri) Liber (Epistulae) sine nomine De sui ipsius et multorum ignorantia Trionfi De viris illustribus De vita solitaria Epistolae variae
Literaturverzeichnis (a) Berücksichtigte Editionen der Familiaren Petrarcas Le familiari, lat., vol. 1 – 3, ed. V. Rossi und vol. 4, ed. V. Rossi und U. Bosco (Edizione nazionale vol.10 – 13), Florenz 1933 – 1942. Le familiari, libri 1 – 11, vol. 1 – 2; introduzione, tradizione, note di Ugo Dotti, Urbino 1974. Familiarium rerum libri, lat. und ital., in Opere, (Le Querce), mit dem lat. Text nach Rossi und der ital. Übersetzung von Enrico Bianchi, Florenz 1990. (aa) Deutsche Übersetzungen von Briefen Petrarcas Hans Nachod und Paul Stern, Briefe des Francesco Petrarca. Eine Auswahl, Berlin 1931. Widmer Berthe, Francesco Petrarca, Aufruf zur Errettung Italiens und des Erdkreises. Ausgewählte Briefe, lateinisch-deutsch, Basel 2001. (b) Konsultierte Editionen anderer Werke Petrarcas Africa a cura di N. Festa (Edizione nazionale vol.I), Florenz 1926. Bucolicum Carmen, texte latin, traduit et commenté par M. François et P. Bachmann avec la collaboration de F. Roudaut, Paris 2001. Canzoniere, a cura di Alberto Chiari, Mailand 1985. Epistulae Metricae, Briefe in Versen, herausgegeben übersetzt und erläutert von Otto und Eva Schönberger, Würzburg 2004. Epistulae tardivae, edizione critica con introduzione e commento, a cura di Gunilla Särborg; in: Acta Universitatis Stockholmiensis, Studia Latina 51, 2004. De sui ipsius et multorum ignorantia. Della mia ignoranza e di quella di molti altri, a cura di Enrico Fenzi (Classici Mursia), Mailand 1999. Invectives (Invectivae), edited and translatet by David Marsh (The I Tatti Renaissance Library ), Cambridge Mass./London 2003. Liber sine nomine, in: Berthe Widmer, Francesco Petrarca, Aufrufe zur Errettung Italiens und des Erdkreises, lateinisch und deutsch, Basel 2001, 225-367. De otio religioso, a cura di Giuseppe Rotondi, in: Studi e Testi 195, Città del Vaticano 1958. De remediis utriusque fortune, in: Opera latina, Venedig 1503. Rerum memorandarum libri, a cura di G. Billanovich (Edizione nazionale vol. 5), Florenz 1945. Secretum, introduzione traduzione e note di Ugo Dotti, Rom 1993.
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Variae (Epistolae variae), studio et cura Iosephi Fracassetti, in: Epistolae vol. 3, Florenz 1863. De vita solitaria, a cura di A. Bufano, in: Opere latine vol. 1, Turin 1975, 568-808. Das einsame Leben, aus dem Lateinischen übersetzt von Friederike Hausmann, herausgegeben mit einem Vorwort von Franz Joseph Wetz, Stuttgart 2004. (c) Häufig konsultierte Sekundärliteratur zu Petrarca Billanovich, G., Petrarca letterato, 1: Lo Scrittoio del Petrarca, Roma, Edizioni di Storia e Letteratura 1947. Derselbe, La tradizione del testo di Livio e le origini dell’umanesimo. 1,1, Tradizione e fortuna di Livio tra medioevo e umanesimo, Padova 1981. Bosco, Umberto, Francesco Petrarca, Bari 1961. Dotti, Ugo, Vita di Petrarca, Bari 1987. Rizzi, Fortunato, Francesco Petrarca e il decennio parmense (1341 – 1351), Turin 1934. Wilkins, Ernest, H., Life of Petrarch, Chicago 1961. Derselbe, The Making of the „Canzoniere“ and other Petrarchan Studies, Rom, Edizioni di Storia e Letteratura 1951, 311 – 345. Derselbe, Petrarch’s Correspondence, Padua 1960. Derselbe, Petrarch’s eight Years in Milan, Cambridge Mass. 1958. Derselbe, Studies in the Life and Works of Petrarch, Cambridge Mass. 1955. Unter den wissenschaftlichen Werken zu Petrarca in deutscher Sprache, die auf das Jubiläumsjahr 2004 hin herausgekommen sind, hebe ich hervor, obwohl ich sie nicht rechtzeitig konsultieren konnte: Küpper Joachim, Petrarca, Das Schweigen der Veritas und die Worte des Dichters, Berlin/New York 2002. Stierle, Karlheinz, Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, München 2003. (f ) Mehrfach benutzte Sekundärliteratur zur Geschichte Dupré-Theseider, Eugenio, Roma dal commune di popolo alla signoria pontificia, 1252 – 1377. Storia di Roma Bd. 11, Bologna 1952 Gregorovius, Ferdinand, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter, Stuttgart 1859 – 1872, (Auflage Basel 1954). Guillemain, Bernard, La cour pontificale d’Avignon (1305 – 1374), Paris 1962.
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Literaturverzeichnis
Mollat, G., Les papes d’Avignon, 1305 – 1378, Paris 1900 (Auflage 1964). Salvatorelli, Luigi, L’Italia comunale dal secolo 11 alla metà del secolo 14, Storia d’Italia Bd. 4, Mailand 1940. Valeri, Nino, L’Italia nell’ età dei principati, 1343 – 1516. Storia d’Italia, Bd. 5, Mailand 1950. (e) Siglen ASI ASt Atti EI RIS RIS NS
Archivio Storico Italiano (Florenz) Archivio Storico Atti e memorie Etudes italiennes Rerum Italicarum Scriptores (Mailand) Rerum Italicarum Scriptores, nova series (Bologna)
Personenregister zu Fam. 1 – 12 samt Angaben der von Petrarca zitierten literarischen Werke Die Stellen in Fam. 13 – 24 sind hier nicht berücksichtigt Griechische Namen werden im Alphabeth in griechischer Form gegeben. Bei Datierungen steht nur wenn nötig v. Chr. oder n. Chr. A Abt von Vallombrosa (Toscana), s. Flammini. Abraham. (15./14. Jh. v. Chr.?). Erzpatriarch der Juden. 6,3,9 und 12; 7,2,8 – 9. Acciaiuoli, Angelo. Florentiner, 1342 Bischof von Florenz, Vetter des folgenden und zeitweilig politisch tätig für den Hof von Neapel; 1348 in Avignon und auch 1352 ebenda, wo er Petrarca trifft.12,4,5; 12,11,10; 12,12. Acciaiuoli, Niccolò.1310 – 1365. Aus florentinischem Kaufmannsgeschlecht, früh in Neapel tätig, politischer und militärischer Aufstieg im Dienst der Prinzen von Tarent; später im Dienst von Königin ÕGiovanna von Neapel und ÕLodovico (Luigi) von Tarent, 1348 Gross- Seneschall; als solcher verschafft er dem Königreich eine kurze Zeit relativer Stabilität; ist mehrmals siegreich im Kampf gegen die Aragonesen um Sizilien, kann aber den Verlust der Insel nicht rückgängig machen. 12,3,1 – 4; 12,3,20; 12,11,9; 12,14,7 – 9; 12,17,3 – 5. Adressat von 11,13; 12,2; 12,15; 12,16. Accius, Lucius. 170-ca. 86. Tragödiendichter, befreundet mit Marcus Iunius ÕBrutus, berühmt durch viele Anekdoten, geschätzt wegen seiner Freiheitsliebe. 3,8,2; 12,3,16. Accursio, Mainardo (Simpliciano). Freund Petrarcas, im Dienst des Kardinals ÕColonna; 1349 Opfer eines Raubüberfalls. 8,2,1; 8,9 passim; 8,10 passim; 9,2,4. Achaioi. Achäer, Ehrenname für die alten ÕGriechen. Achillas. General von ÕPtolemaios XIII. von 51 bis 48. Führt den Befehl zur Ermordung von ÕPompeius dem Grossen aus; leitet Kämpfe gegen ÕCaesar. 5,3,20. Achille(u)s. Sagenheld der Griechen im Krieg gegen die Troer, Sohn der Nereide ÕThetis und des ÕPeleus (daher Pelide), verwundbar nur an
der Ferse; als Jüngling versteckt bei ÕLykomedes; streitbar im Kreis der griechischen Haupthelden und Hauptfeind troischer Helden (ÕHektor); nach vielen Abenteuern und Eroberungen durch ÕApollons Blitz niedergestreckt; Leben und Taten in vielen Sagen stark variiert. 4,3,13; 7,15,6; 9,5,44; 9,13,24; 12,2,36. Aegyptiaci. Ägypter. 3,18,11. Aemilianus, Sicinius. Betreibt aus Neid, aber erfolglos, einen Prozess gegen ÕAp(p)uleius von Madaura wegen Zauberei. 5,11,3. Aemilius, Lepidus Marcus, s.Lepidus. Aemilius Paullus, Lucius, Macedonicus. 228 – 160. Mehrmals Konsul, römischer Heerführer; besiegt im Makedonischen Krieg 168 bei Pydna König ÕPerse(u)s, ordnet die Verhältnisse auf dem Balkan, gilt für streng, gerecht und mild (vgl. ÕScipio P. C. Aemilianus). 2,1,31; 2,4,31. Aeneas (gr. Aineias) mit dem Beiwort pius. Held in der Sage um Troia, Sohn des ÕAnchises, rettet seinen Vater auf der Flucht aus dem brennenden Troia, wird Ahnherr des römischen Volkes; ist Held der Aeneis von ÕVergil.1,2,22; 2,6,6; 7,5,1; 9,13,27 – 28; 12,2,36; 12,9,5. Aesculapius, s. Asklepios. Aethiopus, Äthiopier, Mohr. 12,16,11. Afri, s. Africani. Africani. 1,5,8; 3,19,9; 9,12,3; 11,8,35; 12,16,11. Agamemnon. König von Mykenai, Bruder des Menelaos, Sohn des ÕAtreus, Führer des griechischen Rachefeldzuges gegen die Troer nach dem Raub der Helena, der Gattin seines Bruders, durch ÕParis. Gatte der ehebrecherischen ÕKlytaim(n)estra, von dieser nach seiner Heimkehr erschlagen; gerächt durch seinen Sohn ÕOrestes. 3,3,10.
682 Agathokles. 360 – 289. Aufgewachsen in Syrakus, zeitweise Söldnerführer in Süditalien; schliesst von Syrakus aus 319 Bündnis mit dem karthagischen Feldherrn Hamilkar, der ihn unterstützt gegen die Oligarchen der Stadt; ab 304 Tyrann von Syrakus. 3,7,3; 5,3,11. Aggaeus, s. Haggai. Aghinolfi, Giovanni. * gegen Ende 13. Jh.; stammt aus Arezzo, wird Kanzler der Gonzaga von Mantua; als solcher mit Petrarca in Avignon bekannt. 3,11,3. Adressat von 7,8; 11,3; 11,9. Aglaos, Sophidius (richtig: Psophidios). Armer Bauer aus Psophis, Beispiel des glücklichen Menschen. 3,20,9; 6,5,6; 8,1,4. Agnes. 4.Jh.; Märtyrerin aus Rom, Ideal der Jungfräulichkeit. Von ihrem Leben und Tod ist nichts Sicheres bekannt; Legenden verbreiteten sich sehr rasch. 6,2,13; 9,13,35. Agrippa. Marcus Vipsanius. Aus Dalmatien. 64/63 – 12. Feldherr des ÕOctavianus/Augustus an Ost- und Westgrenzen, Gatte der ÕIulia, der Tochter des Augustus; berühmt u. a. für seine Bautätigkeit.1,5,10; 6,2,12. Agrippa Menenius, s. Menenius. Agrippina (minor), Iulia. *15 n. Chr. Tochter des ÕGermanicus; 28 verheiratet mit Gnaeus Domitius, dem sie ÕNero, den späteren Kaiser, gebiert; verheiratet 49 in dritter Ehe mit Kaiser Claudius, wird 50 Augusta, vergiftet den Gatten 54 und wird 59 durch ihren Sohn ÕNero umgebracht. 5,4,5. Ahenobarbus, s.Lucius ÕDomitius. Aiolos (Eolus). Göttlicher Verwalter der Winde. 3,3,5; 7,12,18; 12,11,1. Aischines (Aeschines). Ca. 390 – 315. Griechischer Redner und Politiker, als solcher ein entschiedener Freund der Makedonier, damit Gegner von ÕDemosthenes; 346 als Gesandter beim König der Makedonier ÕPhilippos II. 5,11,3. Aithinous (Etinous). Genannt in Versen eines Unbekannten als Sohn eines um seinen Tod trauernden Vaters; erwähnt bei Cicero. 4,12,27. Albizzi, Franceschino degli. Freund und Verwandter Petrarcas, zeitweise sein Hausgenosse; †1348 auf der Reise von der Provence nach Italien. 7,11 passim; 7,12 passim; 7,18,5. Alekto. Eine der Rachegöttinnen. 9,4,13.
Personenregister Alexandros III. (der Grosse). 356 – 323. Sohn von ÕPhilippos II., Schüler des ÕAristoteles, 336 König von Makedonien. Zug gegen Persien und nach Indien bezweckt die Gründung eines Weltreiches; sein früher Tod verhindert es. 1,4,7; 1,7,8; 2,7,6; 3,3,10; 3,7,2; 4,3,13; 6,4,10; 6,8,5 und 6.8.9; 9,11,8; 9,13,23; 10,1,21; 12,2,17. Alife, Niccolò d'; s. Niccolò Alkibiades. * ca. 450. Wird Feldherr und Demagoge in Athen zur Zeit des Peloponnesischen Krieges als Mündel des ÕPerikles, zuerst streng demokratisch, doch zunehmend machthungrig; zieht 420 Athen vom Bündnis mit Sparta ab; steigert 416 sein Ansehen durch Rennsiege in Olympia, leitet 415 einen Kriegszug gegen Sizilien, wird in Abwesenheit eines Religionsfrevels angeklagt, weicht aus nach Sparta, wird nach Athen zurückgerufen, freigesprochen, mit Vollmachten ausgestattet; 407 nach der Niederlage der Athener gegen Sparta abgesetzt; nach seiner Flucht 404 ermordet. 1,8,10; 3,10,13; 11,5,6; 11,8,22. Altamura, Giovanni, Pietro, Lodovico, Matteo und Pipino. 5 Freunde der Familie ÕColonna, Gefangene in Neapel nach Tod des Königs ÕRoberto; von König ÕAndrea freigesprochen auf Betreiben der Kurie (Mission Petrarcas). 5,3,17 – 19; 5,4,1; 5,6,6. Amazon, Amazone. Kriegerin, Petrarca trifft sie 1343; vgl. Maria von Pozzuoli. Amazones. Sagenhaftes Volk kriegerischer Frauen, besiegt durch ÕBellerophon. 5,4,16. Ambrosius. Um 339 – 397. Staatsmann und ab 374 Bischof von Mailand von grosser Autorität, streng auftretend gegen ÕKaiser Theodosius; einer der 4 grossen Kirchenlehrer des Abendlandes; Hymnendichter und Verfasser von Lehrschriften. 1,2,14; 3,12,7; 4,10,3; 6,3,23; 8,6,2; 10,3,7; 10,4,8; de obitu fr. Sat. 4,10,3. Amiclas. Armer Fischer, lässt sich durch Caesars Liebenswürdigkeit zu tödlichem Abenteuer hinreissen. 3,22,2. Ammonicus, s. Sammonicus Serenus. Amphion. „Erfinder der Leier“, angeblich mit seinem Zwillingsbruder Zethos Erbauer der Mauer Thebens. 1,9,7. Amphitryon. Heros der Thebaner, König von Mykenai. Von Iupiter betrogen, der ihm durch
Personenregister seine Gattin Alkmene Herkules schenkt. Auch Titelheld bei ÕPlautus. 3,8,5. Anaxagoras. Um 500 – 428. Naturphilosoph in Athen, befreundet mit ÕPerikles, wegen angeblicher Gottlosigkeit verbannt, gestorben in Lampsakos. 2,1,17; 2,1,35 – 36; 9,3,3. Anaxarchos von Abdera. Ab Mitte 4. Jh. Sophist und Skeptiker, begleitet ÕAlexander den Grossen nach Indien. 6,3,52. Anchiseo, Giovanni, s. ÕIncisa. Anchises. Fürst der Troer, in der Sage Vater des ÕAeneas, der ihn aus Troia rettet; stirbt auf Sizilien. 2,6,6; 11,15,1. Ancisa (Incisa), s. Garzo, Giovanni, Parenzo und Petracco. Ancus, Marcius. 4. legendärer römischer König (Tochtersohn des ÕNuma Pompilius?); als Ahnherr der Familie der Marcii betrachtet. 3,7,2; 6,2,6. Andrea, Giovanni d’. * nach 1270. Rechtsgelehrter, Kanonist.1302 – 1348 Professor in Bologna, Verfasser von Glossen, Quaestionen, Novellen. Adressat vielleicht von 4,15; 4,16; auch von 5,7; 5,8; 5,9. Andrea von Mantua. Nicht weiter bekannt. Adressat von 5,11 und 5,12. Andrea(s) von Ungarn. Aus dem Hause Anjou. 1326 – 1345. Sohn des Königs Karl-Robert; 1333 zum Gatten der Königin ÕGiovanna von Neapel/Sizilien bestimmt; in Hofintrigen ermordet. 5,1,2; 5,3,20; 5,6,4; 6,5 passim; 7,1,2. Anjou, Angiò, s. Andrea(s), Giovanna, Lodovico und Roberto. Anguillara, Orso, Graf von. Schwager des Kardinals Giovanni ÕColonna durch Heirat mit ÕAgnese Colonna; Senator, krönt Petrarca in Rom mit dem Lorbeer, weil der neapolitanische Hofmann ÕBarrili zu spät eintrifft. 2,13,1; 4,8,1. Anguissola, Lancellotto. Aus Piacenza, wegen mutiger Tat durch Luchino Visconti zum Ritter geschlagen, neigt zur Dichtkunst und verfasst Sonette. Ab 1350 am Hof der Carrara in Padua; †1359 (1363?). Adressat von 7,18. Annaeus, s. Seneca. Annibaldo Caetani von Ceccano.Theologe, Prälat; 1326 Erzbischof von Neapel, 1327 Kardinal, prunkliebend, mit mehreren Missionen in Frankreich und Italien betraut, erregt 1343 Är-
683 gernis mit einem Gastmahl für Papst Clemens VI., ist 1349/1350 päpstlicher Stellvertreter in Rom, vom römischen Volk heftig angefeindet; †1350. Adressat von 6,1. Antenor. Troer. Nach der Sage besonnener Ratgeber im Krieg um Troia; soll nach seiner Flucht und nach langen Irrfahrten Padua gegründet haben. 9,13,31. Antigone. Tochter des Oidipus (Oedipus) und der Iokaste. Ideal der Schwesternliebe, beerdigt ihren Bruder trotz dem Verbot des Tyrannen Kreon; wird zur Strafe in ein Felsengrab eingemauert. 2,15,2. Antiochos III. (der Grosse). Aus dem Haus der Seleukiden; ab 223 – 187 König, macht Eroberungen in Kleinasien, Griechenland, Syrien, Ägypten, teils mit Hilfe ÕHannibals; befindet sich ständig im Kampf gegen Rom; wird besiegt 190 bei Magnesia. 10,1,17; 12,16,11. Antonius. Mitte 3. bis Mitte 4. Jh. Einsiedler in der Wüste Ägyptens, Vorbild der Eremiten, hoch verehrt im Mittelalter. 4,1,31 – 32; 6,4,13; 10,3,55. Antonius, Marcus. 143 – 87. Bedeutendster Redner neben ÕCrassus in der Zeit des ÕMarius, Grossvater des Triumvirn (s.den folgenden), Lehrer ÕCiceros, überzeugter Optimat, Konsul 99; ermordet durch Anhänger der Volkspartei des ÕMarius. 3,22,4; 12,8,7. Antonius, Marcus (Triumvir). 82 – 30. Enkel des vorigen, beginnt die politische Laufbahn unter ÕCaesar; nimmt im Bürgerkrieg Partei für Caesar und nach dessen Tod für ÕOctavian, wird 43 Triumvir mit diesem und mit Aemilius ÕLepidus; gerät in Gegensatz zu Octavian und kämpft um die Herrschaft gegen Rom, führt dann Krieg in Asien und mit ÕKleopatra in Ägypten, wird besiegt 31 bei Actium und übt Selbstmord. 6,3,20; 7,2,23. Antonius von Padua. 1195 – 1231. Aus Lissabon, Heiliger des Franziskanerordens; lange tätig in Italien, vom Volk hoch verehrt. Seine Grabeskirche in Padua zur Zeit Petrarcas vollendet. 9,13,32. Apelles. 4. Jh. v. Chr. Hofmaler ÕAlexanders des Grossen. 5,17,5. Apollo(n). Sohn des Zeus, Sonnengott, Anführer der Musen; Gott der Heilkunde, der Weisheit, des Orakels. An seinem Tempel in Delphi
684 stand der Rat: „Erkenne dich selbst“. 2,9,2 und 22; 4,15,6; 7,14,3; 11,6,1; 11,8,10; 12,15,6. Apollonios der Rhodier. Ca. 290 – 215. Epiker aus Alexandreia, Leiter der dortigen Bibliothek; mit Wohnsitz später in Rhodos. Verfasser der Argonautika, worin die Fahrt des ÕIason und der andern ÕArgonauten geschildert wird. 3,18,5. Apostel, der, s. Paulus. Ap(p)enninicola, Severo. Ein Verbannter. Adressat von 2,3; 2,4. Appius, Claudius Decemvir. Gestalt in der ÕVerginia-Legende; lügnerischer und begehrlicher Richter. 6,2,9. Ap(p)uleius von Madaura (Numidien). Ca. 125 n. Chr.bis Ende 2.Jh.; Dichter, Platoniker, Sophist, wegen Zauberei angeklagt und freigesprochen; bekannt vor allem dank seinen Metamorphosen. 5,11,3. Apol. 2,9,22; 9,5,16; flor. 3,9,4; metam. 1,1,12; 1,4,4; 1,10,3; 9,10,4; 9,13,27. Apuli. Volk in Apulien. 1,6,11; 7,1,4. Arabes. Araber. 6,3,59; 10,1,17; 11,8,14. Archelaos. 5. Jh. bis 399. König von Makedonien, skrupelloser Herrscher und Eroberer, zieht Dichter (ÕEuripides) und bildende Künstler an seinen Hof. 3,22,3. Archias, Aulus Licinius. Ca.118 bis nach 62. Ab 102 in Rom; Dichter, Freund ÕCiceros, der in einem Prozess für ihn eintritt.1,2,23. Arethusa. Nymphe und Quelle auf der Insel Ortygia bei Syrakus.12,8,2. Aretino, s. Aghinolfi, Giovanni. Argivi, s. Graeci (Griechen). Argonautai. Seefahrer auf dem schnellsten Schiff Argo unter der Leitung von ÕIason, der sich in Kolchis Braut und Goldschatz holen will. Sie gewinnen das goldene Vliess mit Hilfe der Medea und bestehen zahlreiche Abenteuer auf Fahrten zu fremden Völkern. 9,13,29. Arion. Sagenumwobener berühmter Sänger und Musiker, wird ins Meer gestürzt, aber von einem Delphin ans Ufer getragen. 3,22,6. Aristeides (Aristides). 5. Jh. Zur Zeit der Perserkriege konservativer Feldherr und Staatsmann, Parteigänger des ÕMiltiades, Gegner des ÕThemistokles, zeitweise im Exil; durch Legenden zum Ideal eines Gerechten erhoben, † ca. 467. 3,6,8; 3,10,13;
Personenregister Aristippos aus Kyrene. Ca. 435 – 366. Philosoph der hedonesischen Richtung, im Kreis des ÕSokrates, berühmt für seinen Freimut; 1,10,4. Aristoteles. Aus Stageira. 384 – 322. Schüler ÕPlatons an dessen Akademie, Lehrer ÕAlexanders des Grossen in Pella, eröffnet Schule (Lykeion der Peripatetiker); verficht promakedonische Politik; wird bedroht und zieht nach Chalkis. Ist strenger Logiker mit Vorliebe für Empirie, Systematik, Technik, Naturwissenschaft; sucht Korrektur von ÕPlatons Ideenlehre (Ideen sind als Form in den Dingen selbst). Die Welt ist unentstanden und unvergänglich, ihr erster Beweger, selber unbewegt, ist Gott. Höchste Stufe der Natur ist der Mensch als soziales Wesen, mit Vernunft und sittlichem Wollen begabt; echte Menschlichkeit ist Einhalten des Mittelmasses; Grossmut adelt ihn. 1,2,6; 1,7,7 – 9; 3,6,3; 4,15,2 und 5.8; 4,16,8 – 9; 6,2,1; 6,3,19; 7,2,18; 8,4,24; 10,3,8; 10,5,13 und 15. Eth. nic.1,3,8; 3,10,7; 8,3,7; 11,4,1; 11,16,35; metaph.1,12,5; 10,4,2; 10,5,15; parva nat. 5,7,3; poet. 4,16,9; rhetor. 8,4,15. Aristoxenos. 4. Jh., v. Chr. Stammt aus Tarent, ist Philosoph und Musiker, Schüler von ÕAristoteles. 9,2,8. Arpinas, Arpinate (ÕCicero). 2,9,11. Arsakides. Nachfolger von Arsakes; persische Könige; bei Petrarca Bezeichnung für prachtliebende Prälaten in Avignon. 12,11,8. Arsenius. Ca. 354 – 445. Erzieher der Kaisersöhne Arcadius und ÕHonorius; ab ca. 395 Einsiedler in Ägypten. 3,12,7; 10,3,55. Artaxerxes, Mnemon. * ca. 451; ab 404 bis ca. 363/357 König von Persien; führt Krieg gegen Sparta und Ägypten; wird bedroht durch aufständische Satrapen; von Plutarch als gerecht und mild geschätzt. 8,1,19. Artemisia. Schwester und Gattin von Maussolos, nach dessen Tod 353 Herrscherin von Karien bis 351; bekannt für aufwendigsten,teils absonderlichen Totenkult; erstellt für ihren Gatten Gedenkstätte (Mausoleum). 2,2,13 – 14; 2,15,2; 6,3,65. Ar[r]uns, s. Tarquinius. Asinius Pollio. 76 v. Chr.- 4 n. Chr. Schriftsteller, Kulturpolitiker mit langer Ämterlaufbahn, überzeugter Republikaner, zuerst Parteigänger
685
Personenregister ÕCaesars, dann des ÕM.Antonius; zieht sich 39 aus der Politik zurück; hat Beziehungen zu allen Dichtern seiner Zeit, ist Gründer der ersten öffentlichen Bibliothek in Rom. 3,18,11; 5,11,2; 6,3,24; 7,15,7. Asklepios. Gott der Heilkunde, Sohn des Gottes Apollon. 7,18,9. Assyria, Könige von. 7,2,9. Athanasius der Grosse. 295 – 373. Ab 328 Patriarch von Alexandrien; einflussreichster Kirchenlehrer seiner Zeit, entschiedener Gegner des Arianismus; in kirchlichen Wirren mehrfach verbannt. 4,1,31. Athenienses, Athener. 5,2,4; 6,3,42. Attalos III. Philometor, Euergetes. 153 dem Senat von Rom vorgestellt; 138 – 33 König von Pergamon, Botaniker, schlaffer, misstrauischer Sonderling, kinderlos; setzt das römische Volk als seinen Erben ein. 6,8,11. Attici (Athener). 1,1,6. Atticus, Titus Pomponius. 109 – 32. In Athen ausgebildet, dann in Rom lebend, enger Freund ÕCiceros; Gesprächspartner in dessen Werk de leg. Erwähnt 1,1,20 und 48; 7,4,1; 8,7,24; 12,8,5. Atilius, Regulus, Marcus. Konsul 267, kämpft gegen die Karthager, wird 255 gefangen, dann nach Rom gesandt, um Frieden zu vermitteln, warnt dort vor Frieden, kehrt trotz Todesgefahr nach Karthago zurück, wird dort gefoltert und getötet. Erlangt Ruhm für seine Treue zu Rom. 3,10,12; 6,3,40 und 52; 7,3,7; 10,1,16; 11,16,22. Atilius Gaius, Regulus, Serranus, Konsul 106(?). 6,2,8; 10,1,16. Augusta, s. Agrippina minor. Augustinus. Einer der 4 grossen abendländischen Kirchenlehrer. * 354 zu Tagaste in Numidien. Ausbildung in Karthago, ab 383 Lehrer der Rhetorik in Rom, 387 Bekehrung vom Manichäismus zum Christentum und von Ungebundenheit zur Sittenstrenge; Rückkehr nach Afrika, 395 Bischof von Hippo, grosse literarische Tätigkeit. †430. Wichtigstes christliches Vorbild Petrarcas. 1,2,13 und 14; 2,1,19; 2,9,8 – 11 und 13 – 20; 4,1,20.27.30 und 32; 4,15,3 – 4 und 8; 4,16,3 – 5; 6,3,23; 8,6,1 – 2 und 4; 10,3,7. 9.55 und 56; 10,4,8; 10,5,4 und 17; 12,2,28. De civ. 2,9,8; 3,18,5; 7,2,20 und 23; 10,5,4; 10,5,14; 12,2,28; conf. 2,1,19; 2,9,10;
4,1,20.27 und 30; 5,16,4; 5,18,2; 6,4,13; 10,3,49 und 56; 10,5,4 und 30; epist. 4,16,4; de gratia Chr.1,2,14; quaest. 3,8,8; in psalm. 5,18,6; 7,2,19; retract. 2,9,13; serm. 5,18,6; sol. 3,15,1; 10,3,56; de vera rel. 2,9,15. Augustus, Gaius, Octavianus. 63 v. Chr.-14 n. Chr. Sohn einer Nichte ÕCaesars; dessen Haupterbe; bildet nach dessen Ermordung mit Marcus ÕAntonius und ÕLepidus 43 das 2. Triumvirat; siegt über die Caesarenmörder; teilt sich mit Antonius und Lepidus in die Provinzen; kämpft anschliessend gegen den Anhang des bei Pharsalus 48 überwundenen ÕPompeius und gegen den Antonius und errichtet nach den Siegen von 42, 36 und 31(Actium) die Alleinherrschaft über das römische Reich; diese gestaltet er zu einer Friedenszeit und glanzvollen Kulturepoche. 1,2,6 – 8; 1,5,10; 3,10,11; 3,11,5; 3,18,11; 4,7,5.10.5.7 und 16; 6,2,11 – 12; 6,3,22 – 23; 7,1,6; 7,2,15 und 21; 7,4, 2; 7,15,3 und 7; 9,13,37; 10,1,10; 11,5,7 und 14; 11,14,2; 12,2,18 – 19. Aurelius Cotta, s. Cotta. Ausonius, Decimus Magnus. Ca. 310 bis nach 393. Stammt aus Bordeaux, ist Dichter, ca. 365 Lehrer des Prinzen Gratian in Trier. 12,1,8.
B Bacchus. Gott des Weines.1,8,24; 2,12,4; 9,2,7; 11,5,8. Baiardi, Giberto (Ghiberto). Aus Parma, Grammatiker, Freund Petrarcas, Lehrer seines Sohnes. 12,3,20. Adressat von 7,17. Balaam (Bileam). Prophet aus der Zeit der Landnahme der Israeliten.11,7,9. Balbinus. Erwähnt bei ÕHoraz. 7,14,2. Balbus, Quintus Lucilius. Stoiker, identisch mit einem Gesprächspartner in ÕCiceros de nat. deor. neben ÕCotta und ÕVelleius.12,8,5. Barbato da Sulmona. * Ende 13. Jh. bis 1363. Jurist, Hofmann in Neapel, dort Sekretär des Königs ÕRoberto, Freund Petrarcas. 1,1,11; 5,4,4; 9,2,4; 12,3,2; 12,15,1. Adressat von 4,8; 5,1; 5,10; 6,5; 7,1; 12,7. Bardi, Roberto dei. †1349. 1336 Kanzler der Universität von Paris; verhandelt mit Petrarca wegen der Dichterkrönung. 4,4,1; 4,5,2.
686 Barrili, Giovanni. Ca. 1300 – 1355. Ritter in Neapel, Hofmann, Freund von Niccolò ÕAcciaiuoli und von Petrarca. 4,8,2; 5,4,4; 12,15,6; 12,16,26; 12,17,4. Adressat von 12,14; 12,16. Bartolomei, Niccolosio dei. Aus Lucca; Kaufmann in Venedig. Adressat von 9,11. Bartolomeo, Carbone dei Papazurri. 1352 Bischof von Teano (Chieti) und 1363 Erzbischof von Patrasso. Adressat von 12,11. Beeringer, Ludwig van Kempen, s. Sokrates. Bellerophon. Sagenheld der Korinther, weist Zudringlichkeiten der Gattin des Proitos zurück, wird von ihr verleumdet und rettet sich vor der Ermordung durch Heldentaten. 3,21,5. Bellorophon, s. Bellerophon. Bene, Sennuccio del. 1270/75 – 1347. 1339 Rektor am Spital S. Bartolomeo di Mugnone bei Florenz, Freund Petrarcas. Adressat von 4,14. Benedictus XII.; Jacques Fournier (Novelli). * 284 im Languedoc. Studium in Paris, 1311 Zisterzienserabt in Fontfroide, 1317 Bischof von Pamiers, 1327 Kardinal, 1334 – 1342 Papst in Avignon. Strenger Eiferer. Bekämpft Ludwig von Bayern. 9,5,34. Benedictus. Um 480 – 550/53. Aus Nursia (Norcia) in Umbrien, zuerst Einsiedler in Subiaco, dann Begründer des abendländischen Mönchtums. 10,3,55. Benintendi dei Ravagnani. Politiker; 1352 Grosskanzler der Republik Venedig. 9,11,1 und 11; 9,12,1. Bern(h)ardus. 1090/91 – 1153. Aus der Gegend von Dijon, Zisterzienser, 1115 Gründer und Abt des Klosters von Clairvaux, Kirchenlehrer, Mystiker. 6,3,23. Bertrand de Deux (Déaulx). Erzbischof von Embrun, 1334 – 1337 päpstlicher Nuntius in Italien; 1338 Kardinal; 1346 – 1348 päpstlicher Legat in Neapel und Rom; †1355. Adressat von 11,16; 11,17. Bertrand du Pouget (Bertrando del Poggetto).1280 – 1352 (nicht 1346). Aus Cahors; Neffe und Günstling von ÕJohannes XXII.; Anführer päpstlicher Truppen im Krieg gegen Ludwig von Bayern und die Ghibellinen; 1316 Kardinal, 1327 Bischof von Ostia. 12,6,8. Bias. 6. Jht. v. Chr. Legendärer Richter und führender Mann in Priene; zu den 7 Weisen ge-
Personenregister rechnet; von ihm wurden viele Sprüche tradiert. 2,4,9; 6,8,1. Bibulus. Marcus Calpurnius. Kollege ÕCaesars als Aedil 65, als Praetor 62 und als Konsul 59; aber Feind Caesars nach dessen Ackergesetz und Übertritt zu Cn. ÕPompeius; Tod vor der Entscheidungsschlacht 48 zwischen den beiden. 3,9,5. Bion.3.Jh. v. Chr.; Kyniker, unternimmt es, philosophische Probleme für ein grosses Publikum zu vereinfachen; verwendet gern Diatriben; hat grossen Zulauf. 5,12,1. Bistones. Thrakischer, sehr kriegerischer Volksstamm, hervortretend zur Zeit des Xerxes. 5,6,6. Bizzozzero, Paganino; erster Podestà der Visconti in Parma von 1346 bis zum Tod an der Pest im Mai 1348; Freund Petrarcas. 7,13,3; 8,8,1 – 4. Adressat von 3,7; 3,16; 3,17. Boccaccio, Giovanni. * 1313 in Paris, †1375 zu Certaldo. Aus Florentiner Kaufmannsfamilie; Dichter und Humanist in Florenz, zeitweise in Neapel, für verschiedene Gesandtschaftsreisen bestimmt, mehrmals in Avignon. Besonders bedeutend als Neuerwecker griechischer Studien, vor allem bekannt für seine Novellensammlung Decamerone. 7,16,6 (?); 9,2,5 – 6; 11,5,15. Adressat von 11,1; 11,2; 11,6; 12,10. Boethius, Anicius Manlius. Um 480 – 526. Römischer Philosoph, Schriftsteller und Staatsmann, aus politischen Gründen unter dem Ostgotenkönig Theoderich hingerichtet; bekannt vor allem durch seine Schrift De consolatione philosophiae. Cons. Phil. 3,1,2. Bonifatius VIII., Benedetto Gaetani. * 1235. Papst 1294 – 1303; entschiedener Verfechter päpstlicher Ansprüche; verstrickt in die Machtkämpfe hoher und niedriger Herren Europas, befeindet vor allem durch den französischen König Philippe IV.; kämpft auch erbittert mit dem römischen Adelsgeschlecht der ÕColonna (vgl. Stefano Colonna il Vecchio). 2,3,19. Boos (Boas). Gestalt im Buch Ruth des Alten Testaments, Gatte der Ruth, Stammvater Davids. 7,2,5. Boulogne Guy de, s. Guy. Brennus. 4. Jh.; Fürst der Senonen und Führer der Gallier; siegt 387 an der Allia und nimmt Rom ein. 3,10,13; 12,16,11.
Personenregister Britanni; Engländer. 1,5,5 und 8; 2,4,31; 9,13,23; 11,8,35. Bruno Casini, s. Casini. Brut(t)ii. Italischer Stamm aus Lukanien. 7,1,4. Brutus, Lucius Iunius. Gegner der ÕTarquinier, Rächer der ÕLucretia, gefeierter, legendärer Begründer der römischen Republik und des Konsulats 509, angeblich Ahnherr der Familie der Bruti. 6,2,7 – 8; 10,1,16; 11,16,21. Brutus, Marcus Iunius. 85 – 42. Neffe des ÕCato Uticensis, entschiedener Vertreter der Republik, befreundet mit ÕCicero; im Bürgerkrieg und 48 bei Pharsalos auf der Seite des Cn. (Gnaeus) ÕPompeius gegen ÕCaesar, doch von diesem begnadigt; nach Beginn von dessen Diktatur sein Gegner und 44 an seiner Ermordung beteiligt; geschlagen 42 von ÕAntonius und ÕOctavian bei Philippi; darauf Selbstmord. 1,1,20; 2,3,12; 7,7,7; 9,13,15; 12,18,5; de virtute 2,3,11. Bunio, Giovanni da, genannt von Petrarca, sonst unbekannt. Adressat von 9,8. Bury, Richard Aungervyle de. * 1287. Bischof von Durham 1333 – 1345; Gelehrter; Schatzmeister und Kanzler von England, Inhaber einer grossen Bibliothek; Gesandter in Avignon 1330 und 1333; überbringt 1337 dem französischen König ÕPhilippe VI. die Kriegserklärung, wird mit Petrarca bekannt. 3,1,4 – 6.
C und im Griechischen K Cabassole (Cavaillon), Philippe de. s.Philippe. Cacus und Caca. Altes Götterpaar aus dem Sagenkreis des Herkules, stiehlt ihm Rinder; in Rom zeigt man seine Höhle auf dem Palatin. 1,11,5; 6,2,5; 12,14,5. Kadmos (Cadmus). Sagengestalt, Bruder der Europa, Gründer vieler Städte; Vermittler der phönikischen Buchstabenschrift und anderer Kulturgüter. 12,3,6. Caecilia Metella. Vornehme Römerin (unklar, welche gemeint ist). 2,15,1. Caecilius, Quintus Metellus, s. Metellus. Caesar, Gaius Iulius. 100 – 44. Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller, Begründer einer neuen Einherrschaft Roms. Anfänglich auf der Seite der Volksfreunde, daher ÕSulla abgeneigt; erfolgreich auf Heereszügen in Asien, Spanien,
687 Italien. Eroberung Galliens, Belgiens, Britanniens. Dann Beginn des Machtkampfes mit Õ Cn.Pompeius 49 mit Überschreiten des Rubikons. 48 Sieg über den Gegner in der Entscheidungsschlacht bei Pharsalus, hierauf Alleinherrschaft bis zur Ermordung 44. Grosser Stilist. Erbringt bedeutende kulturelle Leistungen (Kalenderreform). 1,2,11; 1,4,4 – 5; 2,3,10 – 12; 2,4,31; 2,7,6 – 7; 3,3,8 und 12; 3,9,5; 3,18,11; 3,22,2 – 3; 5,3,6; 5,4,5 und 8; 6,1,9; 6,2,11; 6,3,4; 6,4,10; 7,2,14 und 18; 7,4,2; 7,13,16; 7,15,3; 9,5,31; 9,11,8; 9,13,23; 10,1,11 – 12; 10,3,46 – 47; 12,2,3 und 20; 12,15,4. Kalanos. Brahmanischer Philosoph, Naturlehrer, begleitet ÕAlexander den Grossen nach Persien, erkrankt und inszeniert für sich den Feuertod. 6,8,8. Calcidius. 5. Jh. n. Chr. Übersetzer und Kommentator von Platons Timaios. 5,7,3. Caligula, s. ÕGermanicus. Calixtus I. Papst 217 – 222. Verwalter des Gemeindefriedhofs, auf den sein Name überging (Katakombe). 6,2,13; 9,13,35. Caloiro (Caloria), Giacomo. Von Messina, Bruder des ÕTommaso. Adressat von 4,11. Caloiro (Caloria), Pellegrino. Von Messina, Bruder des Tommaso. Adressat von 4,10. Caloiro (Caloria), Tommaso. Von Messina. 1302 – 1341. Jugend- und Studienfreund Petrarcas, Dichter, verbreitet den Ruhm Petrarcas auf Sizilien. 4,10,3; 4,11; 9,2,4. Adressat von 1,2; 1,7; 1,8; 1,9; 1,10; 1,11; 1,12; 3,1; 3, 2. Camilla. Tochter des Volskerkönigs Metabus; Legendengestalt, der Diana geweihte heldenhafte Jägerin. 1,1,23; 5,4,16. Camillus, Marcus Furius. 5.Jh.-ca.370. Lange Ämterlaufbahn, mindestens 6 Konsulartribunate und vielleicht 5 Diktaturen, angeblich 4 Triumphe über Volsker, Aequer, Etrusker, Kelten. 396 Eroberung von Veii. Vieles reine Legende, so der Friede mit Falerii 394, wo er mit schroffer Ablehnung gegen einen Verräter die Gunst der Stadt gewonnen haben soll; vorübergehend exiliert; geehrt als pater patriae und 2. Begründer Roms. 2,3,13; 3,19,8; 6,2 9; 6,3,21; 9,11,8; 9,13,11; 10,1,16; 11,5,6; 11,12,5. Canigiani, Eletta. Mutter Petrarcas.1,1,22; 9,2,3. Capitolinus, s. Marcus Manlius.
688 Capocci, Niccolò. Römer, Prälat und Politiker; Verwandter der ÕColonna. * Ende 13. Jh., mit politischen Missionen in Deutschland betraut; 1341 Bischof von Utrecht, dann 1348 von Urgel; 1350 Kardinal; Reformer im Kirchenstaat; †1368. Adressat (?) von 11,16; 11,17. Karneades. Aus Kyrene. 214 – 129/28. Bedeutendster Philosoph der mittleren Akademie in Athen, Dialektiker, scharfsinnig, belesen, redebegabt; von Petrarca wegen seines hohen Alters erwähnt. 6,3,17. Carolus.s. Karl. Carrara, Giacomo da, der Jüngere. * Anf. 14. Jh.; Herr von Padua 1345 – 1350, ermordet. 8,5,13; 11,2,5 – 6; 11,3,1 und 13 – 16. Carrara, Giulielmo. Illegaler Sohn des vorigen, dessen Mörder. 11,3,4 – 6. Carthaginienses, Karthager. 3,19,9 – 10; 3,22,1; 8,4,16; 9,11,4; 9,13,21; 10,4,32; 11,8,17; 11,16,7 und 22. Carusi(o), Bartolomeo. Aus Urbino, Augustinereremit, Lektor in Bologna, hier mit Petrarca bekannt geworden; Verfasser von Kompendien; 1347 – 1350 Bischof von Urbino. Adressat von 8,6. Casini, Bruno. †1348. Grammatiker, Schriftsteller in Florenz, Freund Petrarcas. 7,10,2 – 4 und 6; 7,18,1 – 2 und 4. Adressat von 7,14. Castiglionchio, Lapo da. Humanistisch gebildet, Kenner des kanonischen Rechts, wird mit Petrarca 1350 bekannt, leiht ihm Bücher aus seiner ansehnlichen Bibliothek, ist Lehrer in Florenz bis 1378, später in Padua; †1381. 7,16,6; 11,6,10. Adressat von 7,16; 12,8. Cato, Marcus, Portius. 234 – 149. Der Censor; Schriftsteller und Politiker aus Tusculum, bewährt im 2. Punischen Krieg gegen ÕHannibal; als homo novus Einstieg in die Ämterlaufbahn, strenge Amtsführung, 191 Teilnahme am Krieg gegen ÕAntiochos III.; Lobredner der römischen virtus, Verfasser der origines, u. a. berühmt für sein ceterum censeo carthaginem esse delendam. 1,1,14; 1,3,10; 2,1,21 – 22 und 33; 5,11,3; 5,19,4; 6,3,21 und 42; 8,1,20; 9,14,3; 10,3,48; 12,2,7; 12,8,7; 12,9,2. Orat. 1,1,14; orig. 3,18,4. Cato, Marcus Portius. 95 – 46. Genannt Uticensis. Urenkel des vorigen; Stoiker, überzeugter Republikaner, ausgezeichnet durch seine Amtsführung, Exempel der Sittenstrenge, Feind
Personenregister ÕCaesars; bei dessen Machtergreifung Selbstmord in Utica (Afrika). 3,3,8; 3,10,5 und 12; 3,18,5 und 12; 4,3,6; 4,12,24; 7,2,2; 10,3,46 und 48; 11,8,22; 12,8,7. Catullus, Gaius Valerius. 87(84)-54(47?). Aus Verona. Dichter, kommt jung nach Rom, wo er Lesbia, den Gegenstand seiner Dichtung, kennenlernt; wagt heftige Angriffe auf ÕCaesar 55 aus persönlichen Motiven, kennt keinen politischen Ehrgeiz. Eine Zahl seiner gefühlvollen, aber gelehrten Gedichte sind erhalten. 9,4,14. Cavaillon (Cabassole) Philippe de, s. Philippe. Ceccano, Annibaldo von, s. Annibaldo. Ceres. Göttin der fruchtbringenden Erde.1,6,6; 2,12,2 und 4; 9,2,7; 11,5,8. Chiaravallesi. Familie in Todi. 5,3,5. Chiron. Heilgott oder gottähnlicher Arzt, Kentauer, Erzieher verschiedener Heroen, Lehrer ÕAchills. 12,2,36. Christus, passim. Chrysippos. 281/77 – 208/04. Stoiker; nach 260 in Athen, wird Schulhaupt, berühmt für Fleiss und systematische Durchdringung der stoischen Erkenntnislehre. 6,3,17. Cicero, Marcus Tullius. 106 – 43. Grösster Meister der lateinischen Sprache, Ideal des römischen Redners, der mit Sprachkunst philosophische, juristische und historische Kenntnis und politische Begabung verbindet. *in Arpinum. Skeptiker im Sinn der jüngeren Akademie. Ab 81 Auftritte auf Forum Roms; 78/77 Aufenthalt in Athen und Kleinasien; nach Rückkehr Beginn der Ämterlaufbahn; Reden in Prozessen, erfolgreiche Staatsrede zu Gunsten des Cn. ÕPompeius und seines Oberbefehls im Krieg gegen ÕMithradates. Dem Konsul gelingt 63 Unterdrückung der Catilinarischen Verschwörung; 58 folgt Verbannung und 57 Rückruf; 49 Versöhnungversuche für Pompeius und ÕCaesar, nach Ermordung Caesars Tod durch Häscher des ÕAntonius. Verdienstvollster Vermittler griechischen Gedankengutes; Werke über sprachliche, philosophische, juristische und politische Fragen. 1,1,14.20.22.32.35.37.42 und 44; 1,2,6 und 24 – 25; 1,3,2 und 10; 1,5,14; 1,7,7.10 und 13; 1,8,10; 1,9,7; 2,1,17.21 – 23.27 und 28; 2,2,11 und 19; 2,3,9; 2,4,9 und 17; 2,6,3 und 5; 2,9,9 – 12 und 20; 3,3,9; 3,6,5 und 7; 3,7,6; 3,8,8; 3,10,12 – 14; 3,12,6 und 9; 3,18,4 – 5.6
Personenregister und 12; 3,20,6 und 8; 4,2,3 und 5; 4,3,7 und 13; 4,10.3; 4,12,27; 4,14,1; 4,15,5.7 – 8.11 und 20; 4,16,5.8 und 10; 5,3,16; 5,7,3 – 4 und 15 – 16; 5,8,3; 5,9,2; 5,11,3; 5,17,13; 5,19,1; 6,2,1; 6,3,13.20 – 21.35.36 und 53; 6,4,8 und 12; 6,8,5 – 6 und 8; 7,2,18.20.21und 23; 7,4,1; 7,7,1; 7,7,7; 7,15 9; 7,16,6; 8,1,8 und 20; 8,4,3.10.11 und 31; 8,7,1.24 und 26; 8,10,4 und 12 – 13; 9,5,31; 9,9,1; 9,11,1 – 2; 9,13,10.11.15 und 29; 9,14,3 und 6; 10,1,12; 10,3,35 und 48; 10,5,15 und 18; 11,5, 4.6.11.13 und 15; 11,8,24.27 und 33; 12,2,12.16.28 und 38; 12,3,8; 12,5,2; 12,8,1.4 – 8 und 9 – 10; 12,16,9. Libri: Ac.12,8,5; ac. I. 5,7,4; ac. II. 3,18,4; ad Att. 1,5,14; 3,18,12; 3,20,6; 4,5,2 und 4; 4,10,3; 4,14,1; 4,15,8; 5,2,4; 6,4,8; 7,4,1; 8,7,24; 9,5,31; 12,6,3; 12,9,3; de amic. (s. Lael.); ad Brut. 7,7,7; 8,10,13; 9,13,15; Brut. 10,5,15; Cato (de sen.) 1,3,10; 2,1,21 und 22; 3,7,6; 3,18,4; 4,3,7; 4,15 11; 6,3,13.35 und 36; 6,8,4; 8,1,20; 11,8,27; 12,2,12; 12,7,6; 12,8,7; cons. 4,10,3; 5,9,2; de div. 3,8,8; 5,7,3 und 16; 6,8,8; 12,8,6; de fin.1,2,17; 1,7,13; 3,6,5; 3,18,12; 5,19,1; 8,1,8; 9,13,13; 12,8,7; Hortens. 2,9,10; 12,8,8; de inv.1,8,6; 1,9,7; Lael. 2,1,27 und 28; 2,6,3 und 5; 2,8,28; 4,2,7; 4,3,7; 9,11,1 und 2; 9,14 3; 12,2,16; 12,8,8; de leg. 2,2,16 und 19; 12,8,6; de nat. deor. 2,4,17; 12,8,5; de off.1,1,14; 2,4,17; 3,6,7; 3,10,12; 3,12,6; 3,18,4; 5,3,15; 9,9,1; 10,3,35; 10,5,15; 11,8,27 und 33; 12,8,6; de orat. 1,1,37; 12,8,7; parad. 2,4,9; ad Q.fr. 1,1,33; 1,2,11; 8,4,11; 8,7,1; 10,3,48; de rep.3,12,6; 3,18,4 und 5; 4,2,5; 4,3,7; 7,2,20 und 23; 7,7,1; 8,10,4; 11,8,24; 12,2,38; 12,8,8; de sen.(s. Cato). Tim. 8,4,31; 12.8.6; Tusc. 1,2,24 und 25; 1,3,2; 1,5,4; 1,7,7 und 8; 2,1,17; 2,9,20; 3,12,9; 3,18,4 und 5; 3,20,8; 4,3,7; 4,12,27; 4,15,8 und 20; 5,8,3; 5,17,13; 6,3,21 und 53; 6,8,5 und 6; 7,15,9; 8,4,3 und 10; 9,13,10 und 29; 9,14,6; 10,5,15 und 18; 11,5,1; 11,8,24; 12,2,28; 12,3,10 und 21; 12,8,1und 8; 12,14,2. Orationes: Arch.1,2,23; 4,3,13; Balb.2,2,11; Cat. 8,10,12; Deiot. 8,10,12; 12,8,9; Manil. 12,8,9; Marc. 1,2,24; 10,1,12; 11,5,4 und 13; Mil. 7,16,6; 12,8,9; Phil. 3,3,9; Pis. 11,5,11; Planc.12,8,9; 12,9,2; p.red.in sen.7,12,8; Sest. 12,5,1; Sull. 12,8,9.
689 Cicero, Marcus. Sohn des Redners ÕCicero. 1,1,20; 12,8,6. Cicero, Quintus. Bruder des Redners ÕCicero. 1,1,20; 10,3,48; 12,8,6 und 9 – 10. Cimbri. Germanische Völkerschaft; ausgezogen aus Jütland, fällt früh ins römische Reich ein, wird 101 v. Ch. endgültig besiegt durch ÕMarius. 2,4,31; 10,1,17; 11,8,31; 11,16,7; 12,16,11. Cincinnatus, Lucius Quinctius. Durch Sagen verklärter römischer Held; wird 458 v. Chr. vom Pflug weg zum Diktator gemacht, führt Krieg gegen die Aequer, legt nach 16 Tagen sein Amt wieder nieder. 6,2,8; 6,3,40; 7,3,7; 10,1,16; 11,16,22. Kineas.3. Jh. v. Chr. Legat des Königs ÕPyrrhos von Epiros, versucht 280 die Römer erfolglos durch Geldgeschenke zum Frieden zu bewegen; doch soll er mehr Städte durch Worte erobert haben als sein König durch Waffen. 6,8,10. Kirke. Meernymphe und Zauberin in der Odyssee, hält ÕOdysseus bei sich auf Aiaia fest. 9,13,24. Cirus, s. Kyros. Claudia (Octavia), s. Octavia. Claudianus. Aus Alexandreia; Dichter. 394 in Rom, später auch in Mailand, im Dienst des Kaisers ÕHonorius und des Feldherrn ÕStilicho, Verfasser von Panegyriken, Epen, Invektiven. De 3 cons. Hon. 3,3,5; de 4 cons. Hon. 12,2,30; de cons. Stil. 7,15,10; de nupt. Hon. 6,3,35; in Ruf. 3,1,8. Claudius, Appius Caecus (der Blinde). Vor und nach 300. Bedeutender Politiker, Reformer, Förderer öffentlicher Bauten, berühmt für seine Rede von 280 gegen die Annahme der Friedensvorschläge von König ÕPyrrhos. 2,6,9; 3,10,10; 6,3,21 und 26; 11,16,22. Claudius, Appius, Decemvir, s. Appius. Claudius, Crassus, Inregillensis, Sabinus, Appius. 495 v. Chr. Konsul, angeblich entschiedener Gegner der Plebs.11,16,27. Claudius, Gaius Nero. Führend im Krieg gegen ÕHasdrubal, mehrmals Censor, 204 Censor mit M. ÕLivius Salinator, mit dem er Salzsteuer einführt. 12,16,7. Claudius, Marcellinus (Marcellus), Marcus. 42 – 23. Schwestersohn des Kaisers Augustus, von diesem mit Vorzug behandelt, beim Volk
690 beliebt, nach frühem Tod im Mausoleum des Kaisers beigesetzt. 6,3,65; 8,1,7. Claudius, Marcellus, Marcus. 270 – 208. Berühmteste Gestalt unter den Marcelli, Sieger über Gallier und Insubrer, Befehlshaber im 1.und 2. Punischen Krieg, 213 Eroberer von Syrakus. 8,1,7; 9,4,12. Claudius, Marcellus, Marcus. Freund von ÕCato Uticensis, entschiedener Republikaner und Gegner ÕCaesars, ermordet 45 v. Chr. 2,3,10 – 12. Claudius Nero Drusus Germanicus, s. Nero. Kleanthes. Aus Assos. Ca. 232/31 v. Chr.; Stoiker, Verfechter der Sonnenverehrung, Freitod angeblich mit fast 100 Jahren. 2,4,32; 6,3,17. Clelia (Cloelia). 508 Geisel beim etruskischen König Porsenna, rettet sich schwimmend über den Tiber, wird zurückgeführt; aber von Porsenna begnadigt. 6,2,8; 10,1,16. Clemens VI.; Pierre Roger. Studien in Paris, 1326 Abt von Fécamp, 1328 Bischof von Arras, Erzbischof von Sens, dann Rouen. 1338 Kardinal, 1342 – 1352 Papst in Avignon. Gewiegter Politiker Gönner des Luxemburgers Wenzel/Karl (IV.); kauft 1348 von ÕGiovanna Anjou Avignon, wählt zahlreiche Franzosen ins Kardinalskollegium, ist prunkliebend, wenn auch wohltätig, stärkt die Finanzverwaltung; bietet Petrarca verschiedene Benefizien und hohe Ämter an. 5,3,9 und 15; 7,4,2; 7,6,5; 8,6,2 und 4; 9,5,25 und 29; 9,13,17; 10,1,20; 11,16,6 und 36; 11,17,4; 12,4,6; 12,5,7; 12,6,7 und 8; 12,13,2. Adressat von 5,19. Clemence d’Anjou. Aus Ungarn. Witwe des französischen Königs Louis X., Nichte von ÕRoberto, dem König von Neapel/Sizilien. 4,3,1 – 4 und 9 – 12. Kleopatra VII. Die letzte Ptolemäerin. * 69. Gattin von ÕPtolemaios XIII., flieht 48 zu ÕCaesar; ist 46 – 44 in Rom; vermählt sich nach dessen Ermordung mit Marcus ÕAntonius, erhält 31 vom römischen Senat wegen Gegnerschaft zu ÕOctavian die Kriegserklärung und begeht Selbstmord. Mit ihr wird durch Petrarca ÕGiovanna von Neapel verglichen. 5,3,20. Cloelia, s. Clelia. Klytaim(n)estra. Gattin des troischen Helden ÕAgamemnon, Geliebte ihres Vetters Aigisthos, in die Ermordung ihres Gatten verstrickt,
Personenregister von ihrem Sohn ÕOrestes umgebracht. 3,3,11. Kodros (Codrus). Sagenhafter selbstloser König von Athen; soll als Bettler den Tod durch Peloponnesier gesucht haben, weil diese laut Orakel seine Stadt nur erobern konnten, wenn sie sein Leben schonten. 2,2,17. Codrus. Quaestor von ÕPompeius dem Grossen; sorgt für dessen ehrendes Begräbnis durch Verbrennung seiner Leiche. 2,2,17. Cola di Rienzo. 1313 – 1354. Notar bescheidener Herkunft, 1347 selbsternannter Volkstribun in Rom, bekämpft römische Adelsgeschlechter, versucht die Wiederherstellung der römischen Republik, verfällt dem Grössenwahnsinn; flüchtet und begibt sich an den Hof Karls IV. in Prag, wird nach Avignon ausgeliefert, 1353 nach Rom zurückgesandt; dort 1354 ermordet. 7,1,4 und 9; 7,5,6. Adressat von 7,7. Collatinus; s. Tarquinius. Colonna. Römisches Adelsgeschlecht (vgl. Colonna, Stefano il Vecchio), ghibellinisch (in Rom Parteigänger Heinrichs VII.), Gegner der Orsini. 2,3,23; 4,13,2; 7,13,16; 7,18,1 und 3 – 4; 8,1,1.4- 6.12.22 und 29; 11,16,8 – 9; 11,17,2 – 4. Colonna, Agapito di ÕStefano. 1344 Bischof von Luni, Bruder des Kardinals. 5,2,3; 8,1,15. Adressat von 2,10; 2,11. Colonna, Agnese di ÕStefano, Gattin von Giovanni da Ceccano. 8,1,5. Colonna, Agnese di ÕStefano. Gattin von ÕOrso dell’Anguillara; verschwistert mit allen di Stefano (Vecchio). 2,9,23; 2,13,2; 2,15,3; 8,1,5. Colonna, Enrico di ÕStefano (vgl. alle andern di Stefano). Bruder des Kardinals. 2,9,23; 8,1,5. Colonna, Giacomo di ÕStefano. 1301 – 1341. Ab 1328 Bischof von Lombez, Freund Petrarcas seit der Studienzeit in Bologna, vermittelt ihm eine Stelle bei seinem Bruder, dem Kardinal Giovanni. 1,5,17 und 19; 2,13,3; 4,12; 4,13; 4,15,3; 5,1,4; 5,7,10 – 15; 8,1,15. Adressat von 1,6; 2,9; 4,6. Colonna, Giordano di ÕStefano. Bruder des Kardinals; Bischof von Luni, als Nachfolger seines Bruders Agapito. 8,1,5. Colonna, Giovanna di ÕStefano. Schwester des Kardinals Colonna. 2,9,23; 2,15,3; 8,1,5.
Personenregister Colonna, Giovanni. Ca.1298 – 1343. Aus Rom, Dominikaner, Prediger, Studium in Chartres und Paris, zahlreiche grosse Reisen, Aufenthalte in Avignon, Rom und zuletzt in Tivoli; Freund Petrarcas. Adressat von 2,5; 2,6; 2,7; 2,8; 3,13; 6,2; 6,3; 6,4. Colonna, Giovanni di ÕStefano, il Giovane. Neffe des Kardinals Colonna; 1347 gefallen im Kampf gegen Anhänger des ÕCola di Rienzo. 5,2,5; 8,1,6. Colonna, Giovanni di ÕStefano. Kardinal; erstmals genannt 1290 als Gefangener in Ravenna nach einer Reise mit dem Vater Stefano, dem Rektor der Romagna; Erzpriester am Lateran, 1327 Kardinal, ausgestattet mit zahlreichen Benefizien; Dienstherr und bedeutender Förderer Petrarcas; †am 3. Juli im Pestjahr 1348. 2,6,2; 2,9,29; 3,20,7; 3,21,4 und 6; 4,6,5; 8,1,5 und 29; 8,3,3- 4.15 und 16; 8,4,23. Adressat von 1,4; 1,5; 2,12; 2,13; 2,14; 2,15; 4,4; 4,5; 4,9; 4,12; 5,2; 5,3; 5,4; 5,5; 5,6; 7,13; Colonna, Lorenzo di ÕStefano. Bruder des Kardinals. 8,1,5. Colonna, Margherita di ÕStefano. Schwester des Kardinals. 8,1,5. Colonna, Sciarra Giacomo. Bruder des Stefano des Älteren, beteiligt am Kampf gegen Bonifatius VIII. †1329 im Exil. Colonna, Stefano il Giovane. Ältester Sohn von ÕStefano il Vecchio. Senator in Rom, fällt 1347 im Kampf gegen Anhänger des ÕCola di Rienzo. 2,9,23; 2,13,4; 8,1,5; Adressat von 3,3; 3,4; Colonna, Stefano il Vecchio. Entschlossener Gegner des Papstes Bonifaz VIII., von ihm verfolgt; lange Jahre im Exil; Vater zahlreicher Söhne (Petrarcas Freunden) und Töchter; vom Dichter bewundert. † 1348. 2,3,17 – 25; 2,9,23; 2,15,3; 3,4,4; 4,12,6; 5,2,5; 5,3,6 – 7; 7,13,17 – 19. Adressat von 8,1. Comicus, s.Terentius. Constantinus Magnus. * 288. Erster „christlicher“ Kaiser; 306 zum Augustus ausgerufen; Kämpfe gegen Maxentius, 312 Sieg an der milvischen Brücke und Einzug in Rom; 324 Sieg über ÕLicinius und darauf Alleinherrschaft; Residenz in Byzanz (Konstantinopel); 325 einberufung des Konzils von Nicäa; †337. (Legende von der „Konstantinischen Schenkung“, die den Westen des Reiches den Päpsten über-
691 lassen hätte. Der Kaiser soll in der Taufe von der Lepra befreit worden sein). 6,2,13; 9,13,36. Coriolanus, Gnaeus Marcius. Sohn der ÕVeturia; erobert 493 Corioli; hat als Patrizier Streit mit der Plebs; unterlässt nach seiner Verbannung die geplante Rache an Rom auf Bitte der Mutter. 6,2,9. Cornelii. Römische Familie. 2,2,16; 11,16,6. Cornelia. 1.Jh.v. Chr.; Gattin des ÕPompeius des Grossen. 2,15,1; 3,21,1; 7,12,23; 9,9,2. Cornelia. 2.Jh. v. Chr.; Tochter des ÕScipio Africanus Maior, Gattin des Tiberius Sempronius ÕGracchus, Mutter der beiden Landreformer, gebildet, Vorbild einer Römerin; unterstützt die politischen Ziele ihrer Söhne. 2,15,1. Cornelius Scipio, s. Scipio. Cornelius, Lucius Sulla, s. Sulla. Cornelius, Publius Sulla, s. Sulla. Correggio da; Familie. 1341 – 1345 im Besitz der Stadt Parma, mehrmals Gastgeber Petrarcas, liiert mit den della ÕScala vonVerona. 4,9,1; 9,5,31 und 33. Corvinus, Marcus, s. Messala. Corvinus, Valerius, Marcus. Nationalheld, 349 Zweikampf mit einem Kelten, siegreich dank dem Beistand eines Raben (dem Vogel der Juno), daher sein Name; 4 mal Konsul, Sieger über Volsker, Samniter. 4,16,10; 6,3,21; 10,1,16. Cotta, Gaius, Aurelius. Skeptiker, Urheber der Lex Aurelia, Konsul 75; Pontifex vor 74; Gesprächspartner neben Balbus und Velleius in Ciceros Werk de nat. deor. 12,8,5. Crassus, Lucius Licinius. 140 – 91. Ausgezeichneter, hochgebildeter Redner, Lehrer Ciceros, Optimat, bekannt für Schlagfertigkeit und Witz, mit höchsten Ämtern betraut, 95 Konsul mit Quintus Mucius Scaevola; weist mit diesem alle unrechtmässig eingebürgerten Fremden aus Rom aus, erlässt 92 als Censor zusammen mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus ein Edikt gegen lateinische Redner; ist Gesprächspartner in Ciceros de orat. 6,6,5; 11,9,1; 12,8,7. Crassus, Marcus Licinius (Triumvir).115 – 53. Er kämpft im Bundesgenossenkrieg, schliesst sich ÕSulla an, wechselt auf die Seite des ÕCn. Pompeius, unterwirft mit diesem 71 den Sklavenaufstand; ist 60 und 55 Triumvir mit diesem und ÕCaesar, 53 Imperator im Partherfeldzug,
692 wird ermordet; ist masslos reich dank Aufkauf von Hinterlassenschaft Proskribierter. 3,18,9; 7,3,7. Kratippos. Aus Pergamon. 1.Jh. v. Chr.; Peripatetiker, tätig in Mytilene, wo ihn 51 ÕCicero trifft, dann in Athen, wo 44/43 ÕQuintus Cicero sein Schüler wird.12,8,6. Crispus, s. Sallustius. Cristiani, Luca (Olimpio) aus Ferentino, Vorsteher der Kirche Antoninus in Piacenza, Studienfreund Petrarcas, jahrelang im Dienst des Kardinals ÕColonna. 8,9,3.7.9 – 14.19 – 20 und 23; 9,2,4 und 9. Kroisos (Croesus). Letzter König der Lydier, berühmt für Reichtum und Freigebigkeit. Der Orakelspruch: „Überwinde den Halys, so zerstörst du ein Grossreich“ reizt ihn zum Zug gegen den Perser ÕKyros; er verliert an diesen 547 v. Chr. sein eigenes Reich; Tod bald nachher. 3,10,13; 6,3,46; 7,3,7; 8,1,8. Curiatii. Geschlecht aus Alba; vgl. Horatii. Cupidus. Gott der Liebe. 5,8,7; 9,4,9. Curius, Dentatus, Marcus, (angebl.mit Zähnen geboren). †270 v. Chr.; Heerführer, Ideal des genügsamen Römers, will lieber über Geldbesitzende herrschen als selber Geld besitzen, ist angeblich Gegner des ÕAppius Claudius Caecus; beendet 293 die Samniterkriege, unterwirft die Sabiner, Senonen, 275 ÕPyrrhos. 3,7,6; 6,3,40; 6,8,4; 7,3,7; 9,11,8; 10,1,16; 11,16,22; 12,2,12. Cursor, s. Papirius. Curtius, Marcus. Römische Legendengestalt, stürzt sich angeblich 362 v. Chr. nach einem Orakelspruch bewaffnet und beritten in einen Spalt auf dem Forum, um die Götter zu versöhnen; der Spalt schliesst sich sogleich. 6,2,10; 10,1,16. Kyklopes. Rohes Volk von Riesen; mit einem Rundauge auf der Stirne. 1,7,5 – 6; 9,13,24; 10,4,20; 12,3,1. Kyros. 6. Jh.v. Chr.; Begründer des persischen Weltreiches, nimmt 547 ÕKroisos gefangen und beginnt mit der Eroberung von dessen Reich; 538 erobert er Babylon; den Juden im Exil gestattet er die Rückkehr; 529 stirbt er auf einem Feldzug gegen ein Barbarenvolk. 3,3,10; 3,10,13.
Personenregister D Dalmatae. Dalmatier; Bewohner eines Teils von Illyrien, grossteils Kelten, Thraker. 9,12,3. Damigeron. Sagenhafter Magier, bekannt als Verfasser eines Buches über Steine. 2,9,22. Damon. 4. Jh. v. Chr.; Pythagoräer aus Syrakus, unter Dionysios II. (nicht I.), Bürge für den Freund ÕPhintias, der die Freundestreue unter Beweis stellt. 12,16,26. Dandolo, Andrea. 1310 – 1354. Ab 1343 Doge von Venedig, Sammler alter Gesetze und anderer Dokumente der Stadt, entschlossener Gegner Genuas, Freund der Aragonesen und Byzantiner. 8,5,14. Adressat von 11,8. Dardanos. Sagenhafter Herrscher der Troas, Gründer der Küstenstadt seines Namens, Magier. 2,9,22. Dares. Troischer Faustkämpfer, Genosse des Aeneas, wider Erwarten von ÕEntellus besiegt. 2,9,17. Dareios III. Persischer König, kämpft gegen ÕAlexander den Grossen, flieht 331, wird verfolgt und ermordet. 12,2,17. David. Um 1000 in Bethlehem. Hauptgestalt des 2. Buches der Könige. Hirte vom Stamm Isai aus Juda, erzogen am Hof ÕSauls und erfolgreich im Kampf gegen die Philister; von Saul verfolgt und dessen Nachfolger. Sieger über umliegende Völker, wegen Ehebruchs und Tötung des Urias (Uriasbrief) schwer bestraft. Vater ÕSalomons Vorfahre Christi; Psalmendichter. 6,3,11; 7,2,5 – 6 und 15; 9,14,5; 10,4,16.28 und 31. Ps. 3,1,15; 3,15,2; 4,1,14; 4,11,3; 5,4,11; 5,8,3 und 10; 5,17,8; 5,18,3; 6,1,16.26.29 und 30; 6,3,11.28 und 34; 7,2,6.12 und 15; 7,17,11; 9,4,3; 9,5,1.41und 42; 9,14,2 und 5; 10,3,22.26.49 und 58; 10,4,1.28 und 31; 10,5,8.17.23 und 28; 12,2,1 und 2; 12,4,7; 12,9,5; 12,11,16; 12,17,2. David. 1343 Prior in einem ungenannten Kloster Neapels. 5,5,8. Decii. Römische Familie. 10,1,16. Decius, Mus, Publius Quintus. 343 v. Chr. Kriegstribun, 340 Konsul, zusammen mit Aulus (Titus) ÕManlius Torquatus. Siegt über die Latiner bei Veseris (Campanien) dank Selbstaufopferung. 6,4,9.
Personenregister Decius, Mus, Publius. Sohn des vorigen, 295 Konsul, siegt über Etrusker dank Selbstaufopferung. 6,4,9. Decius, Mus, Publius. Sohn des vorigen, 279 unterliegt gegenüber ÕPyrrhos trotz Selbstaufopferung. 6,4,9. Deiotaros. 1.Jh. v. Chr., †40. Hat wechselvolle Geschicke zwischen ÕMithradates und den Römern; unterstützt ÕPompeius den Grossen und wird 66 von ihm als Tetrarch von Galatien eingesetzt; erlangt die Gesamtherrschaft. 12,8,9. Demetrios. 1. Jh. n. Chr.; Kyniker, mehrfach von Seneca gerühmt, lebt in grösster Bedürfnislosigkeit; gestattet sich Angriffe auf Kaiser ÕNero und wird aus Rom ausgewiesen. 6,8,7. Demetrios von Phaleron. * vor 344 v. Chr.; Staatsmann in Athen, Schüler des ÕAristoteles, Freund des ÕTheophrastos, Anhänger der makedonischen Partei, von ÕDemetrios Poliorketes 307 vertrieben; in Ägypten dem ÕPtolemaios II. unerwünscht; rätselhafter Tod durch Schlangenbiss. 3,18,11; 7,4,2. Demetrios. 2.Jh. v. Chr.; Sohn des ÕPhilippos V. von Makedonien, 197 – 191 Geisel in Rom; wegen Romfreundlichkeit vom Vater beargwöhnt und 180 auf dessen und seines Bruders ÕPerseus Verlangen ermordet. 9,5,48. Demetrios, Poliorketes („Städtezerstörer“). 307 Eroberung von Athen; Versuch einer Reichsgründung in Griechenland, 293 Königsherrschaft über Makedonien und Thessalien; 287 Exil, †283. 3,3,10. Demokritos aus Abdera. Ca. 460 – 380/370. Philosoph, hat bei Horaz den Beinamen „der Lachende“; ist für weite Reisen bekannt, Verfasser von Schriften zur Physik, Mathematik und Astronomie. Hauptvertreter der Atomistik: Die Atome sind aus dem Nichts geschöpft, unsichtbar und in der ständigen Bewegung, welche Naturgesetz, Weltentstehung und Erkenntnis bedeutet; sie sind unendlich an Zahl; die Seele ist gleich Nous, stofflich. Die Ethik zielt auf lachenden Trotz gegen das Schicksal. 6,3,4 und 17; 9,13,13; 11,1,2; 11,9,1. Demosthenes. Aus Attika. * 384. Berühmtester Redner der griechischen Antike, guter Kenner der Geschichte Athens, führt private und politische Prozesse, 349 und später heftige Angriffe gegen ÕPhilippos II. von Makedonien (Philip-
693 pika), steht dabei in Gegensatz zum Redner ÕAischines. ÕAlexander der Grosse verlangt 336 seine Auslieferung; doch er bleibt Führer der Kriegspartei; 322 Selbstmord. 3,10,14; 4,2,3; 5,3,16; 5,11,3; 6,4,12. Dialecticus; einer, der Unterredungskunst pflegt; ein Sophist, der diese Kunst als Wortstreit (Eristik) betreibt. Im guten Sinn: um die Erkenntnis des Wahren mit logischer Kritik zu fördern. Im üblen Sinn: um die Disputierkunst zum Selbstzweck zu machen, ein Leben lang bei ihr stehen zu bleiben, sie gar wie Spielerei bis zur Spitzfindigkeit zu steigern und weniger Geschulte mit Trugschlüssen zu verwirren. 1,7,1 ff.; 1,12,1 – 5; 10,5,8. Dido. Tochter eines tyrischen Königs, flieht vor Mördern ihres Gatten nach Libyen und gründet dort Karthago; begegnet ÕAeneas und sucht ihn festzuhalten; wird gepriesen für Gattentreue. 2,15,2. Dindimus. Ist zur Zeit ÕAlexanders des Grossen indischer König der Brahmanen. 6,8,9. Diocletianus, Gaius, Aurelius Valerius. Aus Dalmatien. Wird 284 n. Chr. in Nikomedien zum Kaiser ausgerufen; kämpft im Osten des Reiches und um Ägypten; sucht Abkommen mit Persern, neue Reichsordnung, Grenzbereinigungen; fördert Bautätigkeit (Thermen). Religiöse Reformen führen 303 zur Christenverfolgung; †305. 6,2,15. Diogenes. Aus Sinope. 5./4. Jh.; Kyniker; zeitweise in Athen; †hochbetagt in Korinth; provokativer Zeitkritiker; lebt in der Tonne, wird besucht von ÕAlexander dem Grossen. 1,7,11; 6,3,4 und 18; 6,8,6; 9,11,8. Diomedes. Aus Kalydonien. Flieht nach dem Fall Troias und gelangt nach Italien; wird von Vergil in der Aeneis erwähnt. 9,13,11. Dionigi da Borgo San Sepolcro. Augustinereremit; Theologe und Humanist, Studien in Paris, Aufenthalt in Avignon und Florenz, dann Ruf an den Hof von Neapel; 1340 Bischof von Monopoli; Verfasser verschiedener Kommentare; †1342; väterlicher Freund Petrarcas. Adressat von 4,1; 4,2. Dionysios aus Herakleia, Schüler von Zenon, fällt aber von der Stoa ab, als ihn schwere Schmerzen plagen. 6,3,18. Dionysios I. von Syrakus. Ca. 430 – 367 (von Petrarca ev. verwechselt mit ÕDionysios II.). Um
694 405 begründet er die mächtigste Tyrannenherrschaft Siziliens während der Bedrohung durch Karthago; begegnet ÕPlaton (zw.399 – 388). 3,7,3; 5,3,11; 7,3,7. Dionysios II., Sohn des vorigen. 367 – 344 Tyrann von Sizilien, literarisch und philosophisch interessiert, verschwenderisch. 366 nach Frieden mit Karthago beruft er Platon an seinen Hof, überwirft sich bald mit ihm, wird nach kriegerischen Misserfolgen gestürzt, stirb als Verbannter in Korinth. 3,22,3; 5,3,11; 12,3,17. Domitianus, Titus Flavius. * 51, Kaiser 81 – 96. Sohn des Kaisers ÕVespasianus, jüngerer Bruder des ÕTitus; 79 von Titus zum Nachfolger bestimmt; 83 ff. (unter Agricola) Feldzüge nach Britannien, Kämpfe gegen Germanen an Rhein und Donau; Beginn der Erbauung des Limes. Grosse Härte in der Innenpolitik; nach einer Adelsverschwörung gewaltsamer Tod. 1,3,10; 4,15,13; 5,18,5; 12,15,3. Domitius, Lucius, Enobarbus (Ahenobarbus). †nach 31 v. Chr., Staatsmann und Heerführer, erbitterter Gegner ÕCaesars, steht zeitweise auch in Opposition zu ÕPompeius d. Gr., versöhnt sich mit ihm, ist 54 Konsul, wird nach seiner Niederlage 49 gegen ÕCaesar bei Corfinium von diesem grosszügig begnadigt; kämpft trotzdem bei Pharsalus auf der Seite des Pompeius und wird auf der Flucht umgebracht. 12,2,20. Donati, Forese. Florentiner, Pfarrer an der Kirche S. Stefano in Botena bei Florenz, zeitweise in Avignon im Gefolge des Bischofs Angelo ÕAcciaiuoli, Humanist im Freundeskreis von Petrarca und ÕNelli. 12,5,6; 12,8,11. Donatus, Aelius. 4.Jh.n. Chr.; Grammatiker, Lehrer des Kirchenlehrers ÕHieronymus, seine Schulgrammatik wird im Mittelalter viel benützt. 12,3,4. De vita Verg. 1,2,6. Doria, Lamba. Genuesischer Sieger über Venedig 1297 in der Seeschlach bei Curzola. 2,2,7 – 10.
E Ecclesiasticus, s. Sirach. Eduardus (Edward) III. Anjou-Plantagenet. 1327 – 1377 König von England, Gegner des
Personenregister Hauses Valois im Hundertjährigen Krieg. 3,1,6; 3,10,2. Egeria. Sagenhafte Gattin von ÕNuma, dem zweiten König von Rom. 6,2,5. Elagabal, s. Heliogabalus. Eletta Canigiani. Mutter Petrarcas. 1,1,22; 9,2,3. Elie de Talleyrand, de Périgord. 1301 – 1364. Jurist und Politiker; 1324 Bischof von Limoge und 1329 von Auxerre; 1331 Kardinal, Bischof von Albano; 1356 vergebliche Mission zur Vermittlung eines Friedens zwischen England und Frankreich; mit Petrarca befreundet. 11,1,1; 12,6,7. Enkelados (der Tobende). Stärkster Gigant, kämpft gegen Zeus, Dionysos und Athene; diese wirft auf ihn die Insel Sizilien (oder den Aetna), nachdem der Blitz des Zeus ihn getötet hat. 1,7,18. Ennius, Quintus. 239 – 169. Römischer Dichter, kommt um 204 über den Heerdienst nach Rom, findet Aufnahme in den besten Kreisen, so bei ÕScipio Africanus, ist Lehrer in Griechisch und Latein, schreibt Dramen, Annalen und kleinere Werke, führt eine Art niederen Stils ein und Neuerungen in der Metrik. 3,12,7; 3,18,4; 4,7,9; 4,15,11 und 13; 4,16,11; 6,3,23; 10,4,34; 11,8,27. Enobarbus (Ahenobarbus), Domitius, s. ÕDomitius. Entellus. Sizilianischer Faustkämpfer, bekannt aus der Aeneis; kämpft bei einer Leichenfeier trotz seinem hohen Alter gegen den jüngeren Faustkämpfer Dares und siegt; den gewonnenen Stier tötet er mit einem einzigen Schlag. 2,9,17. Epikuros. * in Samos 342/1,†271/0. Begründer einer Philosophenschule in Athen, aufbauend auf ÕDemokrit und ÕAristoteles. Grundideen: Alles besteht aus Atomen, die der Zufall gemischt hat, das gilt auch für den Menschen; Götter gibt es nicht; in der Haltlosigkeit des Daseins ist Freundschaft beste Stütze, Abgeschiedenheit Ersatz für Sicherheit. Bewährung sucht man im Zusammenleben in Haus und – wichtig! – Garten; Teilnahme an der Politik ist zu meiden, Hedonismus meint ungetrübte Ruhe auf Dauer; Selbsttötung ist erlaubt.1,2,17; 1,8,3; 3,6,3 – 4; 4,3,6; 8,4,3; 8,7,22; 10,3,48 – 49; 12,8,8; epist. 1,1,20.
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Personenregister Eratosthenes von Kyrene. Ca. 284 – 202. Philologe, Bibliothekar, Mathematiker, Geograph, Prinzenerzieher in Alexandreia. 6,3,18. Ergasilus. Schmarotzer in der Komödie Captivi bei Plautus. 1,11,4. Ernst von Pardubitz, s. Pardubitz. Erotimus. König der Araber, soll siebenhundert Kinder gezeugt haben. 8,1,19. Etinous (Eutinous), s. Aithinous. Etrusci. Völker im mittleren Italien ohne engeren Zusammenhang; mit Stadtkultur; machen nur wenige Versuche, den Römern entgegenzutreten. 9,13,39; 11,16,21. Eugenius, Flavius. 392 – 394. Römischer Gegenkaiser, unterstützt von heidnischen Senatoren; 394 von ÕTheodosius dem Grossen mit wunderbarer Hilfe der Elemente besiegt. 3,3,5. Eugenius, der neue. Deckname für einen Usurpator der 30er Jahre des 14. Jhs.(vgl. den vorgenannten). 3,3,5. Euphorb[i]os. Sagengestalt in der Ilias, verwundet ÕPatroklos als erster; ÕPythagoras glaubt angeblich, dass er dank Seelenwanderung jener sei. 10,3,8. Euripides. Athener. * 485; †406 am Hof des ÕArchelaos in Pella. Dichter von Tragödien und Dramen, deren Stoffe aus Sagen stammen, oft um kühne Erfindungen ergänzt. Die Personen sind nicht mehr kolossal gestaltet wie bei ÕAischylos; sie werden, ob göttlich oder menschlich, vom Dichter gerichtet; er ist im 4. Jh. der beliebteste der Tragiker. 3,10,14; 3,22,3. Eusebius. Aus Kaisareia (Palästina). 263 – 339. 313 Bischof in seiner Vaterstadt, Theologe, Vater der christlichen Chronistik; synchronisiert in Zeittafeln nach der Geburt Abrahams die biblische Geschichte mit antiken Olympiaden und Dynastien; Verfasser exegetischer Schriften; hat Einfluss auf Kaiser ÕConstantinus. 6,2,11. Eusebius. Redner im Werk des ÕMacrobius. 3,18,6. Eutinous, s.Aithinous. Evandros und Evandria. In der Sage Heros aus Arkadien und seine Gattin. 6,2,5; 8,1,12. Evagrius Ponticus. †um 400. Verfasser asketischer Schriften, so einer Vita des Einsiedlers ÕAntonius. 4,1,31.
F Fabii. Römische Familie der Antike. 9,13,37; 10,1,16. Fabius, Maximus Quintus, Cunctator. Zu Beginn des 2. Punischen Krieges 218 Führer der Gesandtschaft nach Karthago; nach der Niederlage der Römer 217 am Trasimenischen See Diktator, mit Hinhaltetaktik; erhält in M. ÕMinucius Rufus einen Mitdiktator, den er aus einem Hinterhalt retten muss; als „Schild Roms“ bezeichnet; skeptisch gegenüber der Kriegführung des ÕScipio. †203 v. Chr. 6,3,21; 6,4,11; 8,1,20; 9,13,22; 11,8,27. Fabricius, Luscinus Gaius. 3. Jh.v. Chr.; Staatsmann, bekleidet mit allen hohen Ämtern, mehrmals Konsul, triumphiert 282 über die Samniter, später über andere Völker, ist berühmt vor allem durch seine Gesandtschaft zu ÕPyrrhos während der Verhandlungen mit ÕKineas; ausgezeichnet durch Sittenstrenge; soll in grosser Armut gestorben sein; von ÕCicero, ÕCato zum Vorbild aller Römertugenden stilisiert. 6,3,40; 6,8,4; 7,3,7; 9,11,8; 10,1,16; 11,16,22. Falerii (Falisci). Volk in Etrurien; mehrere Kriege gegen die Römer; vgl. Camillus. 9,11,8. Favorinus. * 80/90 n. Chr. im Arelat. Vertreter der späteren Sophistik, Redner, gerühmt für Anmut im Ausdruck, meidet aber nicht das Haschen nach Effekt. 3,8,3; 3,18,5. Firmicus Maternus, Iulius. 4. Jh. n. Chr., Sizilianer, Mathematiker, Astrologe, geschätzt für Horoskope; tritt zum Christentum über; verfasst unter Benützung von Werken des ÕNechepso u. a. Matheseos libri 8. Zitiert wird Mathes. 8,4,31. Flaccus, Fulvius, s. Fulvius. Flaccus, Quintus Horatius, s. Horatius. Flaminius (richtig:Flamininus), Titus Quinctius. Konsul 198; hat Oberbefehl in Kämpfen auf dem Balkan im 2. Makedonischen Krieg gegen ÕPhilippos V. Zieht nach Thessalien und erreicht 197 Friedensverhandlungen; wird zum Befreier Griechenlands erklärt. †174. 1,2,27. Flam(m)ini, Michele. †1370. Abt von Vallombrosa. 12,4,3 – 5; 12,13,1. Flavius, Gnaeus. Sekretär des ÕClaudius Appius Caecus; 304 kurulischer Aedil vom Stand der Freigelassenen, behauptet sich angeblich trotz Widerstand der Nobilität. 11,16,29.
696 Florus, Annius (Annaeus). Afrikaner. 2.Jh.n. Chr.; Verfasser eines Auszugs aus Livius, wohl identisch mit dem Verfasser anderer Prosaschriften und einiger Verse. 3,18,5. Epit. 3,19,9; 7,1,4; 12,2,7. Florus, Iulius. Redner; erwähnt bei ÕQuintilian. 1,8,13 – 14. Florentiner. 8,9,30; 12,3,12. Adressaten von 8,10; 11,5. Francesco (Franceschino) degli Albizzi, s. Albizzi. Francesco Nelli, s. Nelli. Franzosen, König der (ungenannt). 7,15,12. Fridericus (Federico) II.; Sohn Pedros des Grossen von Aragon. 1296 – 1337 König von Trinakrien (vom Königreich Sizilien nur die Insel ohne Festland); im Frieden von Caltabellota 1302 von Papst Bonifatius VIII. für seine Lebenszeit als König anerkannt. 1,2,12. Fridericus (Friedrich) II.; 1220 – 1250. Letzter Stauferkaiser. * 1194 in Jesi, infolge seiner Erziehung in Palermo Sizilianer, infolge seiner Italienpolitik fast beständig im Kampf mit den Päpsten.10,3,35. Frontinus, Sextus Iulius. 1.Jh.n. Chr.; Verfasser von militärischen Werken: Kriegslisten und Kriegstaten, von Werken über Wasserleitungen und Feldmessung. Strat. 11,8,24; 12,4,4. Fulvius, Flaccus, Marcus, Nobilior. 196 ist er kurulischer Aedil, 192 hat er verlängertes Imperium in Spanien; kämpft in Griechenland; versöhnt sich 179 als Censor mit seinem Amtskollegen, seinem früheren Gegner ÕLepidus. 12,16,7.
G Gaius Iulius Caesar, s. Germanicus. Galba, Servius Sulpicius, Gaius. Kriegstribun im 3. Makedonischen Krieg. Versucht 167 den Triumph des ÕAemilius Paullus Macedonicus zu verhindern, scheitert aber am Widerspruch ÕCatos Censor. Berühmt als Redner. 5,11,3. Galli. Bewohner von Gallien, Kelten; Ligurer, Insubrer, Senonen. 3,19,8; 6,2,9; 9,11,8; 9,12,3; 9,13,30; 10,1,17; 11,8,31; 11,16,11. Galli (Franzosen). 1,1,24; 1,4,1 und 3; 1,6,4; 2,1,17; 2,3,20; 3,1,3; 3,18,15; 4,1,25; 4,12,7; 5,6,6; 7,11,2; 7,12,13; 7,18,5; 8,10,3; 9,13,10.28 und 40; 10,4,10; 12,7,1.
Personenregister Garamantes.Volk im Innern Afrikas, für den Römer ferne negride Barbaren. 7,7,9. Garzo von Incisa; Urgrossvater Petrarcas. * vor 1200. Sehr geschätzt als kluger Ratgeber in allen Lebensfragen und Notar; †mit mehr als hundert Jahren. 6,3,26 – 29; 11,5,11. Gellius, Aulus. 2.Jh.n. Chr.; wohl in Rom geboren; vor 165 zu Studien in Athen; verfasst dort in Winternächten Noctes atticae, worin Probleme aus Philosophie, Jurisprudenz, Musik, Geometrie etc. erörtert werden; sie haben Bedeutung unter anderem wegen Zitaten aus verlorenen Quellen. Noct. att. 1,7,11; 2,10,5; 3,8,2.3 und.5; 3,18,5; 4,15,11; 5,5,21; 10,4,26. Genuesen, s. Ianuenses. Germani. Teutonici (der Antike). 1,4,1; 1,5,5; 1,6,1; 2,4,31; 2,6,4; 7,2,14; 9,12,3; 9,13,23 und 32; 10,1,7 – 8 und 10. Germanicus. Siegertitel von Gaius Iulius Caesar, dem Vater des Õfolgenden. * 15.v. Chr.; Adoptivsohn des von ÕAugustus adoptierten ÕTiberius; Feldherr, leitet die Rheinarmeen, amtet in Gallien, rückt an Ems und Weser vor; kämpft in Syrien; hält sich 19 n. Chr. in Antiocheia auf und stirbt ebenda. 9,11,8. Germanicus, Gaius Iulius Caesar; * 12; Sohn des vorigen, im Heer Caligula genannt. Kaiser 3741; durch die Mutter Urenkel des ÕAugustus. Kriegszüge in Germanien bringen ihm die Gunst des ÕTiberius; nach seiner Kaisererhebung ruft seine despotische Willkür Revolten hervor, denen er 41 erliegt. 3,7,3; 5,4,5; 6,8,7; 9,11,8. Getai (Getae). Volk an der unteren Donau; nördlichste Gruppe der ÕThraker; in häufigem Streit mit den Õ Skythen. 7,1,6. Gherardo (Gerardo) Petrarca, s. Petrarca, Giacomo da Padua, s. Carrara. Giacomo di Stefano, s. Colonna. Giacomo (Giacopo, Lapo) da Firenze, s. Castiglionchio. Giberto da Parma, s. Baiardi. Giotto di Bondone. Ca. 1266 – 1337. Schüler des Cimabue, Begründer einer neuen Malerei mit Naturbetrachtung, Räumlichkeit, Dramatik; tätig in Padua, Assisi, Neapel, Florenz, Rom etc. 5,17,6. Giovanna I. aus dem Hause Anjou (Angiò). 1343 – 1382 Königin von Neapel/Sizilien, En-
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Personenregister kelin und Nachfolgerin des Königs ÕRoberto, Gattin zuerst von ÕAndrea(s) von Ungarn, dann hintereinander von ÕLodovico von Tarent und Giacomo von Mallorca; verkauft 1348 Stadt und Gebiet Avignon (seit 1290 den Anjou von Sizilien/Neapel gehörend) dem päpstlichen Stuhl. 5,1,2; 5,3,8 und 20; 5,5,15; 5,6,4. Giovanni Aghinolfi, s. Aghinolfi. Giovanni Anchiseo, s. Incisa dell’. Giovanni d’Andrea, s. Andrea. Giovanni d’Arezzo, s. Aghinolfi. Giovanni da Bunio, s. Bunio. Giovanni da Certaldo, s. Boccaccio. Giovanni dell’Incisa, (Ancisa). Theologe, Prior im Kloster San Marco in Florenz; Verwandter und Freund Petrarcas wie ÕFranceschinos degli Albizzi. Adressat von 3,18; 7,10; 7,11; 7,12 Giraldus Cambrensis (von Kambrien). Identisch mit G. de Barri aus Wales 1147 – 1223. Studiert in Paris, wird Hofmann des englischen Königs Henry II. Plantagenet; Erzbischof von Canterbury. Ist vielseitiger Gelehrter, Verfasser einer Topographia Hibernica. 3,1,7 – 8. Gnaeus Flavius, s. Flavius. Gonzaga, Guido. Sohn des Luigi, Herr von Mantua; anerkennt die Oberhoheit der ÕVisconti, ist 1360 – 1369 Generalkapitän von Mantua. Adressat von 3,11. Gordianus der Jüngere. Schüler von ÕSerenus Sammonicus, erhält von diesem eine ansehnliche Bibliothek; wird wie sein Vater 238 n. Chr. bei Unruhen in Afrika zum Augustus erhoben, fällt aber in der Schlacht gegen Capellianus, den Statthalter von Numidien. 3,18,13. Gorgias Leontinus. Ca. 480 – 430. Rhetoriker, 427 in Athen; Führer einer Gesandtschaft von Leontinoi mit Bitte um Hilfe gegen Sparta; soll über 100 jährig geworden sein. 6,3,17. Gorgonius. Schmutzfink, erwähnt bei Horaz. 1,10,4. Gracchi. Berühmtestes Plebejergeschlecht der Sempronii. Gracchus, Tiberius Sempronius. 220 – 150. Vater der für Volkswohl kämpfenden Gracchen Tiberius und Gaius; nimmt 167 als Volkstribun Partei zu Gunsten des angeklagten ÕScipio Africanus Maior trotz persönlicher Gegnerschaft; heiratet später dessen Tochter ÕCornelia; bekleidet die höchsten Staatsämter,
ist siegreich in Kriegen, ein hervorragender Vertreter besten Römertums; gefeiert wegen seiner ernsten Würde und Rechtlichkeit. 9,11,15; 12,16,8. Graeci, die Griechen der Antike und Moderne. 1,1,6; 1,9,3; 1,2,6 und 16; 1,9,3; 2,8,4; 3,18,10; 4,15,19; 5,19,4; 6,4,12; 11,8,32; 12,8,5. Gregorius I. Magnus. * vor 540. Diplomat, Politiker, Kirchenmann, 590 – 604 Papst. Ist Gründer vieler Klöster, hat Beziehung zu allen Fürsten seiner Zeit, Spannungen mit Byzanz, Auseinandersetzungen mit Langobarden. Er ist einer der 4 grossen abendländischen Kirchenlehrer, Verfasser der Dialogi und zahlreicher Lehrschriften, glänzender Verwalter und Organisator im Dienst des Gemeinwohls, bemüht um die Missionierung Englands. 1,2,13; 5,17,9; 6,3,23. Dial.10,3,56. Guglielmo da Pastrengo; s. Pastrengo. Guido Gonzaga, s. Gonzaga. Guido Sette, s. Sette. Guido della Torre, s. Torre. Guy (Guido) de Boulogne; Graf von Montfort. 1313(?)-1373. Kurialer und Politiker; 1340 Erzbischof von Lyon; 1342 Kardinal, 1349/1350 Legat in Italien und in Ungarn, 1350 Bischof von Porto; Vermittler im Krieg zwischen England und Frankreich. 9,13,6 – 7. 13.16 – 28 und 30- 44; 11,11,1. Adressat (?) von 11,16; 11,17.
H Hadrianus IV. (Nicolaus Breakspear aus Enlgand), Abt von St.Rufus bei Avignon, 1149 Kardinal, Papst 1154 – 1159; in ständigen Auseinandersetzungen mit Barbarossa und König Wilhelm von Sizilien. 9,5,25 – 28. Hadrianus, Publius, Aelius.* 76 in Spanien, †138. Ab 85 unter der Vormundschaft des nachmaligen Kaisers Traianus; begleitet diesen auf Feldzüge, so 114 gegen die Parther. Folgt Traian 117 auf den Thron; kämpft in Gallien, am Rhein und an der Donau; in Britannien 122, erbaut dort den Hadrianswall; unternimmt Feldzüge in Asien, wo er stirbt. 6,2,11; 7,15,4; 9,13,28.
698 Haggai. Vor und nach 500 v. Chr., Prophet in Jerusalem zur Zeit des Perserkönigs Dareios; zitiert wird aus seinem Buch. 6,1,11. Hannibal. * 247. Sohn des Hamilkar Barkas, kämpft jung in Spanien, ist im 2. Punischen Krieg 218 – 201 karthagischer Heerführer, überschreitet mit Heer und Elephanten die Pyrenäen und Alpen; siegt 218 an der Trebbia, 217 am Trasimenischen See und 216 bei Cannae (Apulien). Nach der Wende des Kriegsglücks 212 zu Gunsten der Römer unter Q. ÕFabius Maximus Cunctator und P. C. ÕScipio folgt die Niederlage 202 bei Zama (Afrika). Ab 195 lebt H. bei ÕAntiochos III., den er gegen Rom aufwiegelt; 183 vergiftet er sich. 2,4,31; 3,3,1 – 2 und 6 – 7; 3,10,13; 3,19,8 – 9; 4,1,18; 6,2,10; 6,3,4; 7,2,12; 9,5,48; 9,13,22; 10,1,22 – 23; 10,4,32; 11,8,7.12 und 25; 12,2,5; 12,16,11. Hasdrubal. Sohn des Gisko, karthagischer Feldherr; ab 214 in Spanien; kämpft mit wechselndem Glück gegen die ÕScipionen, gewinnt 204 den Numiderkönig ÕSyphhax, den auch ÕScipio Africanus Maior umwirbt; wird aber von diesem geschlagen; begeht Selbstmord 201 vor der Schlacht von Zama. 3,22,1; 9,11,5. Hebraei, s. Iudaei. Hegesias. * gegen 290 v. Chr.; Lehrer an der Schule des Hedonismus von Kyrene; begibt sich an den Hof von ÕPtolemaios I. (oder II.), wird aber von diesem (oder II.) wegen seiner Empfehlung des Selbstmordes aus Alexandreia vertrieben. 3,18,5. Henricus (Henry) II. Anjou-Plantagenet. * 1133. König von England 1154 – 1189, Gatte der Eleonore von Poitou, Gegner des französischen Königs Philippe II. Auguste. 3,1,7. Henricus (Heinrich) VII. von Luxemburg.* 1278/79. Grossvater des Kaisers ÕKarl IV., 1308 König der Deutschen, 1310 – 13 Romfahrt, begeistert empfangen von Ghibellinen (Dante); Kaiserkrönung durch Kardinäle; Gegnerschaft mit ÕRoberto von Neapel, Tod bei Buonconvento auf der Rückkehr. 10,1,25; 12,1,8. Heliogabalus (Elagabal), Marcus Aurelius Antonius. * 204; 217 Priester des Sonnengottes in Emesa; 218 nach dem Tod Caracallas auf Betreiben der Mutter zum Kaiser ausgerufen; erhebt den Sonnengott in Rom zum höchsten
Personenregister Staatsgott; wird als Wüstling 222 von Soldaten umgebracht. 3,7,3. Hektor. Bedeutendster Held der Troer im Kampf gegen die griechischen Helden; Lieblingssohn des Königs ÕPriamos, mehrmals von ÕApollon gerettet, aber von ÕAchille(u)s umgebracht. 4,12,2. Herakles (Herkules). Göttergleicher Held mit vielen Gesichtern in verschiedenen Sagenkreisen; Sohn des Zeus (oder des Amphitryon), von der Göttin Hera verfolgt; mit der Erledigung von 12 Arbeiten beauftragt, wählt am Scheideweg den Pfad der Beschwerden und des Ruhmes. 6,4,10; 10,3,6; 12,2,36; 12,3,1; 12,16,26. Herennius, Gaius. 1. Jh. v. Chr.; Freund des unbekannten Verfassers einer lateinischen Rhetorik; kann dessen Werk entgegennehmen. Auctor ad Herennium: Lehrbuch im Mittelalter sehr geschätzt. 12,8,5. Hernici. Volk im mittleren Latium, Herkunft von den ÕPelasgern; romfeindlich. 1,11,4; 4,8,2. Hiberus, s. Hispanus. Hieron. * um 307 v. Chr., beteiligt sich an Unternehmungen von Syrakus gegen Karthago, errichtet ca. 275 eine Militärdiktatur; ist nach Erfolgen König von Syrakus 269 – 215; schliesst 263 Frieden mit den Römern und bleibt römerfreundlich; ist Verwandter des Archimedes. 6,3,13. Hieronymus. * ca.345 in Dalmatien. Einer der 4 abendländischen Kirchenlehrer; fruchtbarer Schriftsteller, geschult an klassischen Autoren; doch berühmt für seinen Traum, dass er vor Gottes Richterstuhl auf ihre Lektüre verzichte. Hält sich in Rom auf, pilgert nach Jerusalem und wird Einsiedler in der Wüste Chalkis; ab 386 in Bethlehem; gründet Klöster; stirbt ca. 420. 1,2,13; 2,9,9; 4,15,3; 4,16,3 – 4 und 6; 6,3,23; 10,3,7 – 8 und 56; 10,4,6 – 8.20 und 29; 12,5,6. Comment. in Mt. 10,4,29; epist. 2,9,9; 10,3,8 und 56; 10,4,6; 12,5,6; quest. in gen. praef. 10,4,29; in Ruf. 10,3,8. Hildebold. Vorsteher der Hofkapelle ÕKarls des Grossen; Erzbischof von Köln, †819. 1,4,11 – 14. Hiob, s. Job. Hippokrates. Ca. 460 – 370. Aus Kos, berühmtester Arzt der Antike, hochgeschätzt von Pla-
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Personenregister ton; über sein Leben ist wenig bekannt; unter seinem Namen sind echte und unechte Schriften überliefert. 3,13,11; 9,1,5. Hippolytos. „Der von Pferden zerrissene“ Heros, Opfer der Stiefmutter Phaidra (Phaedra), die ihn vergeblich umwirbt und dann bei seinem Vater verleumdet. 9,5,47. Hispanus. Bewohner Spaniens; Ligurer, Iberer, Kelte. 11,8,31; 12,16,11. Homeros. Um 800 (?) v. Chr., Name für den weitgehend unbekannten, blinden Dichter der archaisierenden Epen Odyssee und Ilias über den Troischen Krieg, wo die Götterwelt und im Verhältnis zu ihnen die Menschen und ihre Schicksale gezeigt werden. Verehrt als Seher und Fürst der Dichter. 1,1,6; 1,2,6 und 23; 3,18,6; 4,15,8; 5,5,1 – 2; 5,12,1; 6,3,13; 6,4,12; 10,4,15.25 – 26 und 28; 12,17,1; Ilias 10,4,5; Ilias lat. ebenda. Horatii. Altes patrizisches Römergeschlecht; 3 Zwillingspaare der Horatier aus Rom sollen unter König ÕTullus Hostilius mit 3 Zwillingspaaren der Curiatier aus Alba um die Vorherrschaft gekämpft und gesiegt haben. 6,2,5. Horatius Cocles (einäugig). 507 v. Chr.; legendär. Verteidigt gegen ÕPorsenna den pons sublicius, bis dieser hinter ihm von den Römern abgerissen war. 6,2,8; 10,1,16. Horatius, Flaccus, Quintus. 65 – 8. Aus Venusia; Dichter. Studiert ca. 45 in Athen, kämpft 42 in der Schlacht von Philippi unter M. I. ÕBrutus, flieht nach der Niederlage; wird 38 in den Kreis des Maecenas aufgenommen, erhält von ihm ein Gütchen in den Sabinerbergen; gewinnt die Gunst von ÕAugustus. Lebt zwischen persönlichenWünschen und politischer Anpassung als Mann heiterer Harmonie, Vertreter der goldenen Mitte; verfasst angriffige Epoden und Satiren sowie Oden nach griechischen Vorbildern. 1,1,46; 2,10,2 – 4; 3,11,5 – 6; 4,7,5 – 6 und 9; 6,3,66. Ars 1,8,11; 1,12,3; 4,15,9; 9,13,27; 10,5,23; 12,3,20; 12,17,1; carm. 1,1,46; 1,6,11; 2,7,16; 2,10,4; 2,11,1; 2,12,2; 3,2,3; 3,10,8; 3,14,5; 3,18,6; 7,6,4; 7,12,15 und 17; 8,4,19 und 28; 9,9,2; 9,8,3; 9,12,3; 11,7,10; epist. 1,2,28; 1,11,2; 2,3,26; 2,10 2; 3,11,6; 4,3,6; 4,16,5; 6,1,1 und 2; 8,4,27; 9,13,4; 11,1,4; 12,3,18; epod. 1,6,11; 6,6,4; sat.1,2,28; 1,5,1; 1,7,15; 1,10,4;
2,11,1; 3,13,1; 3,15,3; 6,1,7; 6,3,43; 7,14,2; 7,18,8; 9,4,2 und 14; 10,3,43. Hortensius, Quintus, Hortalus. 114 – 50. Bedeutendster lateinischer Redner neben ÕCicero, 69 Konsul zusammen mit Quintus Caecilius ÕMetellus, dem er die Provinz Makedonien überlässt. Kämpft gegen Seeräuber neben ÕPompeius; ist stolzer Vertreter der Nobilität, überwindet den Gegensatz zu Cicero und übernimmt mehrere Verteidigungen mit ihm gemeinsam; von seinen Reden hat sich nichts erhalten. 10,3,16; 12,8,8. Hostilius, Tullus, s. Tullus. Humbert von Vienne. 1312/13- 1355. Letzter unabhängiger Herr der Dauphinée, übergibt Besitzungen und Herrschaft französichen Königen; wird 1351 Patriarch von Alexandreia, 1352 Administrator der Erzdiözese Reims. Adressat(?) von 3,10. Hunni. Hunnen; Reiternomaden wohl aus Zentralasien, lösen mitte 4. Jh n. Chr. den Ansturm der Völker auf die Grenzen des römischen Reiches aus. 11,8,31. Hylas. Sagengestalt, wird von ÕJason auf die Argonautenfahrt mitgenommen, von Quellennymphen in Fluten versenkt und von seinem Gefährten ÕHerakles gesucht; ihm anwortet Hylas als Echo. 7,12,6. Hyperboreioi. Sagenhaftes glückliches Volk am äussersten Ende der Erde in einer Götterwelt. 3,1,13. Hypsikrateia. * 1. Jh.v. Chr.; soll ihren Gatten ÕMithradates VI. während seines langen Kampfes gegen Rom in dessen Unglück mit grösster Liebe umsorgt haben. 2,15,2.
I Ianus. Gott des Anfangs und Durchgangs, geehrt in Rom mit Tempel und 2 seitlich verbundenen Torbogen im Norden des Forums. Schliessung dieser Bogen zur Zeit des Friedens, so unter ÕAugustus. 1,7,16; 6,2,10. Ianuenses; Genuesen; Rivalen der Venezianer und Aragonesen. 2,2,7 – 10; 7,10,4; 11,8,4.14 und 29. Adressaten mit Venezianern von 11,8. Iason. Sagenheld aus Thessalien; Anführer der ÕArgonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vliess in Kolchis; er muss schwierigste
700 Aufgaben erledigen, bevor er mit ÕMedea zurückkehren kann. 4,16,9. Idomeneus. Ca. 325 – 270. Wird erwähnt als Schüler von ÕEpikuros. 11,20 und 48. Ilienses. Troer. 4,12,2. Illyrii (Illirii). Volk in der Gegend des späteren Dalmatien. 1,5,8; 11,8,14. Indus. Inder; für Petrarca denkbar fernes Volk im Osten; 3,1,10; 5,5,19; 6,8,8; 7,7,9; 12,16 11. Insubres, Völkerschaft in der Gegend des heutigen Mailand. 9,13,30. Ipsicratea, s. Hypsikrateia. Isaak. Sohn Abrahams, des Erzvaters Israels, Vater von Esau und Jakob. 6,3,9; 7,2,8. Isai (Jesaja, Jesse). Vater Davids, damit Stammvater Christi. 7,2,4 – 5. Isaia (Jesaja). Ca. 8. Jh. v. Chr., Prophet während der syrischen Expansion nach Westen. Im Isaiabuch sind Prophezeiungen aus verschiedenen Jahrhunderten zusammengestellt. 2,9,28; 3,8,2; 7,2,4; 7,12,17; 10,4,1. Isidoros. 600/01 – 636 Bischof von Sevilla zur Zeit der Westgoten; vielseitiger Gelehrter, Verfasser zahlreicher Werke, in denen vorab durch Worterklärungen jungen Völkern Wissen vermittelt wird; hochgeschätzt im Mittelalter. Orig. 3,1,8; 10,4,5. Isokrates. 436 – 338. Redner, Lehrer, dann Gegner von ÕDemosthenes; Zeitgenosse ÕPlatons, hervorragend gebildet, verlangt Eloquenz zur Formung des Intellekts und des Charakters; wirkt als Prozessredner und Politiker; fordert ein Bündnis der Griechen zum gemeinsamen Kampf gegen die Perser; wirbt gegen sie um einen starken Mann im Ausland, das ist ÕPhilippos II. von Makedonien. 1,1,6; 6,3,15. Israelitae, s. Iudaei. Itali, Italiker, Italiener. 4,16,6; 10,1,25; 10,4,33; 11,8,17 und 28; 12,16,11. Iudaei, Juden. 6,3,42; 7,2,4 – 11 und 22; 9,11,9; 10,4,6. Iugurtha. * kurz nach 160. Enkel von Õ Massinissa. Sein Anspruch auf Alleinherrschaft in Numidien bringt ihm Kämpfe mit Rivalen und die Gegnerschaft zu Rom, das 112 den Krieg erklärt; 109 – 108 unterliegt er Quintus Caecilius ÕMetellus, wird ausgeliefert an ÕMarius; 104 in dessen Triumphzug vorgeführt, dann erdrosselt. 6,2,10; 12,16,11.
Personenregister Iulia.Tochter des Kaisers Augustus, Gattin des Marcus Vipsanius Agrippa, wegen unwürdiger Aufführung von Augustus verbannt. 1,5,10; 22,15,1; 3,10,11. Iulius Caesar, s. Caesar. Iulius Florus, s. Florus. Iulius Gordianus, s. Gordianus. Iulius Secundus. 1.Jh.n. Chr.; römischer Redner, Lehrer des Tacitus, Freund ÕQuintilians, der aber seine grossen Bemühungen bei der Wortwahl tadelt. 1,8,13 – 14. Iuno. Gattin des Gottes Iuppiter. 10,5,14. Iuppiter. Höchster Gott, Verwalter des Lichts, des Blitzes; römischer Staatsgott. 3,8,2 und 5; 4,15,4; 5,5,15; 5,10,7; 6,1,19; 6,2,10; 6,3,64; 7,14,3; 9,13,37; 10,3,6. Iustinus, Iunianus. 2.Jh.n. Chr.; Epitomator der historiae philippicae von Pompeius Trogus. Epit. 9,4,4; 8,1,19; Iuvenalis, Decimus Iunius. Ca. 67 – 140. Deklamator, Freund von Martialis, Satiriker hauptsächlich unter Kaiser ÕHadrian; scharf beobachtender Zeitkritiker mit sentenzenhaftem oft bissigem Ausdruck, Genauigkeit im Détail. Sat.1,5,5; 1,9,5; 1,11,5; 2,8,3; 2,10,4; 2,11,1; 3,15,1; 4,2,3; 5,5,1; 5,19,1; 6,1,4 und 9; 6,3,3.4 und 43; 6,4,2; 7,15,6; 8,3,7; 8,5,5; 9,5,13; 9,9,5; 10,3,36; 11,1,2; 11,8,21.
J Jakob. Sohn Isaaks, Bruder Esaus, von dem er das Erstgeburtsrecht mit einem Linsengericht erwirbt, Erzvater der 12 Stämme Israels. 6,3,9; 7,2,8. Jacobus. Jünger Christi, gilt als Verfasser des Jacobusbriefes. 7,2,16. Jeremia. Prophet im AT; wirkt ca. 627 – 587; ist Verfasser des Buches Jeremiae; mit Unheilweissagungen, Erzählung eigener Leiden, Heilsverkündigung. 7,17,11; 9,4,3; 10,4,1. Jesse; Jesaja, s. Isai, Isaia. Jesus von Nazareth; Christus, passim. Job (Hiob). Der Gerechte, vom Teufel mit Gottes Zulassung harter Prüfung unterzogen, Hauptfigur im gleichnamigen Buch des AT. 1,1,26; 2,9,20; 10,4,1 und 6. Johannes Baptist, der Täufer am Jordan. Christi Vorläufer, der zur Busse mahnt; von Herodes
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Personenregister Antipas eingekerkert und enthauptet. 1,5,2 – 4 und 7; 9,13,35; 10,3,55; 10,4,18 und 29 – 30. Johannes. Jünger Jesu; früh als Verfasser des 4. Evangeliums, 3er Briefe und auch einer Apokalypse angesehen. 6,1,27; 6,2,13; 10,4,1. Epist. 10,1,27; ev. und apoc 10,4,1. Johannes XXII., Jacques Deuze. * 1249 in Cahors. Kanzler von ÕRoberto von Neapel; 1310 Bischof von Avignon, 1312 Kardinal-Bischof von Porto; 1316 – 1334 Papst in Avignon; Gegner von ÕLudwig dem Bayern, Vertreter der päpstlichen und französischen Interessen in Italien; angefeindet von Ghibellinen und spiritualen Franziskanern. 2,12,9. Johann(es) von Luxemburg. * 1296. Sohn ÕHeinrichs VII.; König von Böhmen 1310 – 1346, Vater Karls IV.; liiert mit dem französichen Königshof; verfolgt Kaiserpläne und Italienpolitik. 10,1,8. Johann(es) von Neumarkt. * ca. 1310; 1347 – 1374 tätig in der Kanzlei des Kaisers ÕKarl IV. am Hof in Prag, 1353 Kanzler; Bischof von Naumburg; 1364 Bischof von Olmütz. Um humanistische Bildung und besonders um die Verbesserung der Kanzleisprache verdient. Adressat von 10,6. Johann(es) von Salisbury (Saresberensis). * ca. 1115; studiert in Paris, wird Sekretär des Erzbischofs Theobald von Canterbury, 1176 – 1180 Bischof von Chartres; hochgebildet im Sinn des Humanismus; Verfasser verschiedener Schriften, u. a. des Policraticus. 9,5,26 – 28. Policrat. 5,1,3; 9,5,26 – 28; 11,5,4. Josua. Ca.12. Jh.v. Chr.; Diener und Nachfolger von Moses, Heerführer der Israeliten gegen die Philister bei der Landnahme. 6,3,10.
K Karl der Grosse, 768 Frankenkönig, breitet sein Reich im Kampf gegen Nachbarvölker aus, macht Aachen zu seiner bevorzugten Residenz; wird von Päpsten zu Hilfe gerufen; 800 in Rom von Leo III. als erster Kaiser im Abendland vom Stamm der Franken gekrönt; †814. 1,4,5 und 7 – 16. Karl IV. (Wenzel). Sohn des Königs ÕJohann von Böhmen; Enkel ÕHeinrichs VII.; erzogen am französischen Hof, wo er den Namen Karl
(nach seinem Schwiegervater Valois) annimmt. 1331 König von Böhmen, Rivale Ludwigs von Bayern, 1355 – 1378 Kaiser; doch vor allem um Böhmen besorgt; von Petrarca zur Wiederherstellung der römischen Welt- und Friedensherrschaft aufgerufen. Adressat von 10,1; 12,1. Könige, die drei Heiligen aus der Weihnachtsgeschichte, deren Gebeine Köln zu besitzen glaubt. 1,5,12. König von Frankreich (ungenannt). 7,15,12.
L Labienus, Titus. Ca. 99 – 45. Volkstribun 63, veranlasst die Wahl ÕCaesars zum Pontifex Maximus, kämpft 58 – 55 mit ihm in Gallien, tritt im Bürgerkrieg auf die Seite des Cn. ÕPompeius, was jenen schwer beleidigt; Tod 45 in der Schlacht von Munda. 12,2,20. Lakedaimonii. Spartaner. Volk auf der Peloponnes, Rivalen von Athen, zeitweise im Besitz der Hegemonie in Griechenland. 3,19,10; 6,3,42; 11,8,32. Lactantius, Caelius Firmianus. Afrikaner. 4.Jh.n. Chr.; Rhetoriker; 303 von ÕDiokletian nach Nikomedia berufen, doch wegen seines Christentums der Stelle bald verlustig; 317 Erzieher eines Sohnes des Kaisers Constantinus; Apologet des christlichen Offenbarungsglaubens, Verfasser verschiedener Schriften. 3,18,5. Inst. 3,18,5; 5,9,2; 12,9,4; opif. 3,18,5. Laelius, Gaius. * 235 v. Chr.; Freund des ÕScipio Africanus Maior, Befehlshaber und Gesandter im 2. Punischen Krieg; mit Scipio in Spanien und Afrika; in der Schlacht bei Zama 202; als Neuling zur Ämterlaufbahn zugelassen; Konsul 190; †160; wird zum Vorbild der Freundschaft verklärt. 6,3,65; 10,3,48; 12,2,36; 12,16,26 (diese Stellen können ebensogut auf den folgenden Laelius bezogen werden). Laelius, Gaius (Sapiens). Sohn des vorigen; literarisch gebildet, Stoiker unter dem Einfluss des ÕPanaitios, Freund des ÕScipio Africanus Minor, als solcher dessen Legat; auch militärisch tätig im 3. Punischen Krieg; später in Spanien; 140 Konsul; †wohl in hohem Alter vor 123; vor allem durch ÕCicero zum Ideal des guten Freundes stilisiert. 2,6,3 und 5; 6,3,42; 8,5,12; 12,8,8 (s. auch die Stellen zum vorgenannten).
702 Laërtes. In der Odyssee Vater des Ulixes (ÕOdysseus), dem er früh die Herrschaft überlässt, um sich auf ein Landgut zurückzuziehen. Während sein Sohn verschollen ist, lebt er in tiefer Trauer als strenger Asket bis zu dessen Heimkehr. 9,13,24. Lancelotto Anguissola, s, Anguissola. Landleute in Vaucluse. 3,22,7 – 9 und 11; 8,4,3; 12,6,6. Lapo da Castiglionchio (Giacomo, Giacopo da Firenze), s. Castiglionchio. Laterensis; Beiname eines Marcus Iuventius im 1. Jh.v. Chr., der von ÕCicero in der Rede für Plancius erwähnt wird. Überzeugter Republikaner, wählt als Gegner ÕCaesars nach dessen Machtergreifung den Freitod. 12,8,9. Latini. Völkergemisch in Latien (Campanien). 1,1,6; 3,19,9; 11,16,13 – 14 und 16. Latinus. Sagengestalt, angeblich König der Latiner; ihm wurde verschiedene Herkunft angedichtet; er galt z. B.als Urenkel des Gottes Saturn, als Sohn eines Fauns und einer Nymphe. 8,5,6. Laura. Petrarcas hohe Liebe, viel besungene Frauengestalt. Erste Begegnung in Avignon am 6. April 1327, † am 6. April im Pestjahr 1348. 2,9,18 – 20; 8,3,16? (Kaum auf Laura zu beziehen sind 9,4,20 und 10,3,23). Laurentius. Diakon in Rom. 258 n. Chr. gemartert (angeblich auf Rost verbrannt) unter Publius Licinius Valerianus; einer der berühmtesten Blutzeugen. 6,2,13; 9,13,35. Lelio (Angelo oder Lello) di Pietro Stefano dei Tosetti; Römer, eng verbunden mit Giacomo Colonna und im Dienst von dessen Bruder Kardinal ÕColonna; später in anderen Diensten. †1363 in Rom; Freund Petrarcas. 1,6,4; 3,22,8; 4,13,2; 5,1,4; 6,1,4; 7,5,6; 7,7,7 und 10 – 12; 9,2,4. Adressat von 3,19; 3,20; 3,21; 3,22; 4,13; 5,14; 7,5; 9,10. Lepidus, Marcus Aemilius. 2.Jh.v. Chr.; 201 Gesandter der Römer zu ÕPtolemaios V. und ÕPhilippos V.; Konsul 187 und erfolgreich im Kampf gegen Ligurer, 179 Censor mit Marcus ÕFulvius Nobilior, mit dem er sich in der Amtszeit versöhnt; stellt mit ihm die Basilica Aemilia und Fulvia auf dem Forum auf; 180 bis zum Tod 152 pontifex maximus; Erbauer der Via Aemilia. 12,16,7. Liber (Bacchus).Gott des Weines. 11,5,8.
Personenregister Licinius Crassus, s. Crassus. Licinius, Valerius Licinianus. Sohn eines Bauern in Dakien; ausgezeichnet im Perserkrieg 297 n. Chr. und 307 im Feldzug gegen Maxentius; von ÕDiocletianus adoptiert. 308 – 324 Kaiser, doch angefochten von ÕConstantinus und von diesem 324 geschlagen; 325 hingerichtet. 7,15,8 und 11. Ligures. Volk in Ligurien; leistet den Römern besonders 187 – 175 hartnäckig Widerstand. 10,1,17. Livia. * 58 v. Chr.-25 n. Chr.,Gattin des Octavianus/ÕAugustus in 2. Ehe, Mutter des Tiberius in 1.Ehe; charakterfeste Römerin. 2,15,1; 6,3,22. Livius, Marcus Salinator. * um 254. Mehrmals Konsul, unterwirft 219 das illyrische Reich; ist 207 Konsul mit ÕGaius Claudius Nero; kämpft mit ihm gegen ÕHannibal und dessen Bruder Hasdrubal; wird 204 mit Gaius zusammen Censor trotz persönlichem Streit und versöhnt sich mit ihm während der Amtszeit; sie führen eine Salzsteuer ein.12,16,7. Livius, Titus. * 59 v. Chr. in Padua, †17 n. Chr. ebenda. Berühmtester Geschichtsschreiber Roms; sein Leben fast unbekannt; sein Werk, ab urbe condita, geschrieben in 40 Jahren, umfasst 142 Bücher und erschien 27 – 25 v. Chr.; nur 35 Bücher sind erhalten; benützt wurden fast nur literarische Quellen; sie wurden unkritisch verwendet mit Vorliebe für das anekdotische und nach dem Schema der Annalistik; der Erfolg war überwältigend; frühere Geschichtswerke wurden fast vergessen. 3,18,5. Ab urbe 1,2,6.21 und 27; 2,9,26; 3,18,5; 3,22,1; 4,1,2; 6,3,52; 9,4,12; 9,11,4 – 5; 9,13,11; 10,4,32; 11,8,7.12 und 25; 11,16,14 und 28; 12,2,27. Lodovico (Luigi) von Tarent. 1319 – 1362.Wird 1348 zweiter Gatte der Königin ÕGiovanna von Neapel/Sizilien; 1352 König (vgl. Acciaiuoli, Niccolò). 11,13,2; 12,2,2 und 9; 12,6,8. Luca Cristiani (Olimpio), s. Cristiani. Lucanus, Marcus Annaeus. * 39 n. Chr. in Cordoba. Römischer Epiker; Neffe von ÕSeneca, ausgebildet in Rom, eingeführt in den Kreis ÕNeros; 60 Auftritt in Rom als Dichter, Zerwürfnis mit Nero, 65 Selbstmord auf dessen Befehl. Das Hauptwerk Pharsalia verkündet die Sinnlosigkeit der Geschichte und die Bosheit der Macht. Phars. 2,2,3; 2,3,22; 2,4,6;
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Personenregister 2,7,4 und 7; 2,8,4; 3,10,5 – 6; 3,21,1; 4,12,41; 5,3,20; 5,5,2 und 18; 5,6,1; 6,3,4 und 40; 8,10,11; 9,9,2; 9,11,5 – 6; 10,3,46; 10,4,33; 11,16,10; 2,7,1; 12,9,6; 12,15,2 und 4. Lucas. Heidenchrist, Arzt, Begleiter des Õ Apostels Paulus in der Apostelgeschichte, genannt als Verfasser der Act. und des 3. Evang. 3,12,8; 6,2,3; 7,2,1. Lucilius, der Jüngere. 1.Jh.v. Chr.; aus Pompei, von ärmlichen Verhältnissen, literarisch tätig; Schüler ÕSenecas, der Briefe an ihn richtet. 1,1,20 und 48; 2,9,25; 5,4,6; 5,8,3; 10,3,13.30.33 und 48. Lucilius, Balbus Quintus. Stoiker, als Gesprächspartner genannt in Werken Ciceros. 12,8,5. Lucilius, Gaius. * ca.180. Satiriker; 134/133 beteiligt am Krieg um Numantia von ÕScipio Africanus Minor; römischer Ritter, sehr gebildet; liebt scharfe und scherzende Angriffe auf die Laster; zeigt Vielfalt der Themen wie der Metren; †um 103 in Neapel. 1,2,28. Lucius Lucilius Crassus, s. Crassus. Lucius Manlius Torquatus. 90 – 46. Bekannter ÕCiceros, wohl Dichter, Gegner ÕSullas, kämpft 49 bei Dyrrhachium gegen ÕCaesar und gibt sich 46 aus politischen Gründen den Tod; vertritt bei Cicero de fin. die Lehre Epikurs. 12,8,7. Lucretia. Nach der Sage Gattin des römischen Königs ÕTarquinius Collatinus, entehrt durch Sextus ÕTarquinius und gerächt durch Lucius Iunius ÕBrutus, berühmt durch ihren Freitod nach der Entehrung. 2,15,1; 6,2,7. Ludovicus Magnus.* 1326. 1242 – 1382 König von Ungarn aus dem Hause Anjou, Bruder des ermordeten Königs ÕAndrea von Neapel, des Gatten von ÕGiovanna; tritt in Neapel als Rächer auf. 7,1,4 – 5; 12,6,8. Ludovicus; vgl. Lodovico. Ludwig van Kempen, s. Sokrates. Lykomedes von Skyros. Grossvater des ÕNeoptolemos. Bei ihm wird ÕAchille(u)s, als Mädchen verkleidet, versteckt; er ist der Vater der Deidameia, die sich mit Achilleus verbindet und damit Mutter des ÕNeoptolemos wird. 9,13,24; Lykurgos. Lebt zwischen 11.und 8. Jh.v. Chr.; ist der Sage nach der Begründer der spartanischen Verfassung infolge eines Streites zwischen Volk
und König; zählt den Reichtum nicht zu den wünschbaren Gütern. 6,3,42;
M Macarius, der Grosse. Ca. 300 – 390. Eremit in Oberägypten, berühmt für Askese, Predigten, Krankenheilungen, Wunder; verfasst verschiedene Schriften. 10,3,55. Machabaei. 2.Jh.v. Chr. Sieben Brüder, jüdische Glaubenszeugen, veranlassen die Aufstände gegen die Syrer ÕAntiochos IV. und ÕAntiochos V. wegen derer zwangsmässiger Hellenisierung der Juden und ihrer Forderung nach heidnischen Opfern. 9,11,9. Macedones, Makedonier. Volk im Norden von Thessalien; die Römer besiegen die makedonischen Könige Philippos ÕV. und ÕPerseus im 1., 2. und 3. Makedonischen Krieg. 10,1,17. Macrobius, Ambrosius, Theodosius. 5.Jh.n. Chr.; lateinischer Schriftsteller, Philosoph, Theologe, Astrologe, Vielwisser, bekannt vor allem durch seine Saturnalia, die einem Symmachus gewidmet sind, dann durch einen Kommentar in somnium Scipionis von Cicero. 1,8,3 – 4. In somn. Scip. 3,12,8; 4,3,7; 4,15,2; 4,16,8; 5,3,11; 5,7,3; 6,3,12; saturn. 1,2,23; 1,7,3; 1,8,3 – 4; 3,18,6; 3,20,11; 4,16,10; 5,5,1und 21; 5,17,7; 6,1,1; 7,15,7; 8,4,5; 9,3,1; 11,1,3. Magdalena (Maria von Magdala). Genannt in den Evangelien Mc., Lc. und Jo.; Heilige, von vielen Legenden umrankt, soll in Südfrankreich als Büsserin in einer Grotte gelebt haben. 10,4,21. Magier, s. Könige, die drei Hl. Maharbal. 3. Jh.; karthagischer Feldherr ÕHannibals, rät 216 nach dem Sieg von Cannae umsonst zum unverzüglichen Marsch auf Rom, tadelt Hannibal, der den Sieg nicht zu nützen wisse. 3,3,1. Mainardo, Accursio, s. Accursio. Malachia (Maleachi). 5.Jh.v. Chr., einer der sog. kleinen Propheten, tätig in Jerusalem. Zitiert wird das Buch Malachia. 6,1,24; 6,5,13. Mallius, Lucius. 2.Jh.v. Chr., wenig bekannter römischer Maler, erwähnt bei ÕMacrobius. 5,17,7.
704 Manfredi, Pio. Herr von Carpi (Bezirk Modena), Freund und Gastgeber Petrarcas; †Pestjahr 1348. Adressat von 9,1. Manes. Seelen der Verstorbenen. 3,21,5. Manlius Capitolinus, Marcus. Verteidigt das Kapitol 392 gegen die Kelten, rettet es nochmals 387 gegen ihren Nachtangriff, wird des Verlangens nach Einherrschaft verdächtigt und mit dem Sturz vom Felsen der Tarpeia am Kapitol bestraft. 6,2,9. Manlius Torquatus, Aulus. Legendäre Gestalt, verwehrt angeblich den Latinern den Beitritt in die Kurie. 11,16,14 und 17. Manlius Torquatus, Lucius, s. Lucius. Manlius Torquatus, Titus, Imperiosus. 4.Jh.v. Chr.; mehrmals Diktator und mehrmals Konsul; bekannt für Schroffheit und Unbeugsamkeit; verteidigt angeblich erfolgreich seinen Vater, den Volkstribunen, 363. Siegt im Duell mit einem Keltenführer, nach dessen Halsring (torques) das ganze Geschlecht benannt wird; verurteil 340 seinen eigenen Sohn zum Tod wegen dessen befehlswidrigen (aber siegreichen) Angriffs auf Feinde. 4,16,10; 10,1,16. Manlius Torquatus,Titus. Sohn des vorigen. 10,1,16. Marcellinus, Marcus, s. ÕClaudius Marcellinus. Marcellus, Claudius, s. ÕClaudius Marcellus. Marcellus Nonius. Lebt nach dem 2. und vor dem 5.Jh.n. Chr.; ist Afrikaner, Grammatiker in Rom, bekannt durch ein Kompendium, das wertvoll ist dank vielen Zitaten aus verlorenen Schriften der alten Autoren. 3,18,7. Marcia. Gattin von Cato Uticensis, dem sie 3 Kinder gebiert. 2,15,1. Marcius, Ancus, s.Ancus. Marco von Genua. Nur bekannt als Adressat von 3,12. Marco; von Mantua. Arzt, Bekannter Petrarcas. 9,13,44. Marcus Antonius, s. Antonius. Marcus Aurelius Antoninus. * 121 in Rom aus plebejischem Geschlecht; vorzüglich erzogen, von Kaiser ÕHadrian begünstigt und auf dessen Befehlt von Antoninus Pius adoptiert; 161 – 180 Kaiser; steht 162 – 165 im Kampf gegen die Parther, später gegen Markomannen und Quaden. Wird geehrt als sittenstrenger Philosoph auf dem Kaiserthron; Verfasser von Selbstbetrachtungen. 7,15,5; 6,2,13.
Personenregister Marcus Manlius Capitolinus, s. Manlius. Maria von Bethanien. Gestalt in den 4 Evangelien, Schwester der ÕMartha und des Lazarus; verkörpert die Beschaulichkeit. 3,12,8. Maria Magdalena; s. Magdalena. Maria, Mutter Jesu. 10,4,24. Maria von Pozzuoli. Moderne „Amazone“; von Petrarca 1343 aufgesucht. 5,4,10 – 16. Mariani. Anhänger des ÕMarius; 2,2,16. Marius, Gaius. Ca.158 – 86. Feldherr, Staatsmann bäuerlicher Herkunft; Vertreter der Volkspartei, 134 – 133 unter ÕScipio Africanus Numantinus in Spanien; als homo novus 107 Konsul, kämpft gegen ÕIugurtha, dessen Auslieferung er erreicht; ab 104 mehrmals Konsul und Sieger gegen Teutonen und Kimbrer, reformiert das Heer zu Gunsten der Besitzlosen, rivalisiert mit ÕSulla im Bundesgenossenkrieg (der sich um das Bürgerrecht dreht) 91 ff.; streitet 88 mit ihm umsonst um den Oberbefehl im Krieg gegen ÕMithradates und flieht, kommt 87 nach Rom zurück und rächt sich an Anhängern Sullas. Es folgt sein 7. Konsulat, 86 sein Tod; er wird gefeiert als 3. Gründer Roms. 2,2,16; 2,4,31; 3,10,5 und 10; 5,4,8; 6,2,11; 6,3,52; 6,4,8 und 10; 7,15,9 und 11. Maro, s. Vergilius. Mars. Kriegsgott. 310,8; 11,8,10. Martha von Bethanien. Gestalt in den 4 Evangelien, Schwester der ÕMaria und des Lazarus; verkörpert das tätige Leben. 3,12,8. Martini, Simone. 1284 – 1344. Maler aus Siena, fusst auf Cimabue, ist führend in einer neuen Stilrichtung; in verschiedenen Städten und an Höfen tätig; 1317 am Hof von ÕRoberto von Neapel, 1339 an der Kurie in Avignon. 5,17,6. Mas(s)inissa. * nach 240. Erzogen in Karthago, kämpft im 2. Punischen Krieg 211 unter ÕHasdrubal zuerst gegen ÕScipio, der ihn aber 206 für Rom gewinnt. In Kämpfe zwischen ihm und ÕSyphax greift 204 Rom zu seinen Gunsten ein; dann kämpft er bei Zama 202 für die Römer. Er wird als ihr Bundesgenosse König von Ost-und Westnumidien, stirbt 148 beim Ausbruch des 3. Punischen Krieges. 6,3,13; 6,8,11; 9,11,4. Matteo von Padua. Ist Adressat von 3,9.
Personenregister Matthaeus. Einer der 12 Apostel, gilt früh schon als Verfasser des 1.Evangeliums. 4,1,13 und 31; 6,2,3; 6,3,43; 7,2,1; 7,17,2; 9,8,4; 10,5,24. Mauri. Volk in Nordafrika; oftmals liiert mit Karthago, auch mit ÕIugurtha gegen die Römer. 5,5,19; 12,16,11. Maus(s)olos. Gatte der ÕArtemisia von Karien. 6,3,65. Menenius Agrippa. Er erreicht 494 die Rückkehr der ausgewanderten Plebs nach Rom mit seiner Parabel vom einen Körper aus Magen und Gliedern. 11,16,22; 12,2,14. Messalla, Corvinus, Marcus Valerius. Wohl 64 v. Chr.-13 n. Chr.; hervorragender Redner, Staatsmann; hält sich 45 in Athen auf, kehrt 44 nach Rom zurück, schliesst sich nach ÕCaesars Ermordung dem M. I. ÕBrutus an, dann nacheinander dem ÕAntonius und Augustus, der ihn hochschätzt. Leitet Feldzüge in Illyrien, hat eine Statthalterschaft in Gallien und Syrien, 26 das Amt des Praefectus urbi, 11 v. Chr. das Amt des Curator aquarum, pflegt einen Dichterkreis, zu dem ÕTibullus gehört; gibt sich nach langer Krankheit den Tod. 3,10,14; 6,1,31. Metabus. König der Volsker, Vater der ÕCamilla. 1,1,23. Metellus, Lucius Caecilius. Im 1. Punischen Krieg Konsul 250; er kämpft gegen den Karthager Hasdrubal, den Sohn des Hanno; feiert Triumph mit Elefanten; ist 243 bis zum Tod 221 Pontifex Maximus; rettet das Palladium aus dem Vestatempel. 6,3,21. Metellus, Lucius Caecilius. Soll im 2. Punischen Krieg nach der Niederlage der Römer bei Cannae 216 zu den Mutlosen gehört haben, die Italien verlassen wollten; 213 ist er Volkstribun im Streit gegen Censoren. 3,19,8. Metellus, Quintus Caecilius Macedonicus. Er bringt 168 v. Chr. die Siegesbotschaft nach der Schlacht zwischen Perseus und ÕAemilius Paullus von Pydna (Makedonien) nach Rom; kämpft 148 in Makedonien, richtet 147 die Provinz Makedonien ein; kämpft 146 gegen Achaier, ist Gegner der ÕGracchen. 3,20,8 – 9; 6,5,8; 8,1,2.4 – 5 und 13 – 14; 9,14,6. Metellus, Quintus Caecilius Numidicus. Ist 109 Konsul, kämpft 109 – 108 gegen den Numidier ÕIugurtha, übergibt diesen an ÕMarius (dem er als Optimat feind ist), lehnt ein Agrar-
705 gesetz ab und geht 100 freiwillig ins Exil nach Rhodos; wird 99 zurückgerufen. 2,3,9; 11,5,6. Metrodoros von Lampsakos. Ca. 331 – 278. Ist grosser Verehrer und Freund des Epikuros; Schriftsteller. 1,1,20. Mecius. Albanerfürst. Stellt sich im Krieg gegen den römischen König ÕHostilius als Unentschlossener zwischen die feindlichen Heere und wird zur Strafe von auseinanderlaufenden Pferden zerrissen. 3,10,21. Midas. Sagenhafter König aus Phrygien, wünscht, dass alles, was er berührt, zu Gold werde, und geht in der Erfüllung des Wunsches zugrunde. 6,1,9. Milo aus Hypata. Gast bei sehr geizigem Gastgeber in den Metamorphosen des ÕAppuleius von Madaura. 1,10,3; 9,10,4. Milo. Titus Annius; Anhänger der Optimaten, Gruppenführer bei Strassenkämpfen gegen Gladiatorenbanden; Schwiegersohn von ÕSulla; Veranstalter von Spielen; mitschuldig am Terror; 52 v. Chr. verurteilt; von Cicero verteidig. 12,8,9. Miltiades. * ca. 550. Sichert die Chersones 520 gegen Skythen und den Perserkönig Dareios; flieht nach Athen bei wachsender Bedrohung; führt den Widerstand gegen die Perser an; zieht 490 nach Marathon zur Abwehr eines Vormarsches der Perser auf Athen; ist siegreich in der Schlacht und Verteidigung Athens, wird 489 mit Sonderrechten betraut, belagert erfolglos Paros, stirbt als verehrter Held an den Folgen seiner Verwundungen. 6,4,10. Minerva. Göttin, wehrhafte Beschützerin von Wissenschaft und Kunsthandwerk, des Ölbaumes etc., gleichgesetzt mit Athena. 1,1,3 und 37; 3,22,11; 9,2,7; 10,5,14. Minucius Rufus, Marcus. Wird dem Diktator Q. ÕFabius Maximus Cunctator von misstrauischen Kreisen als 2. Diktator beigegeben, fällt in einen Hinterhalt und muss durch den Cunctator gerettet werden. 23,21,7. Mithradates VI. Eupator von Pontos. Gut 50 Jahre lang grausamster Feind der Römer. * ca. 132 in Sinope. Folgt in seiner Politik griechischen Ratgebern; beginnt Expansionen vom Bosporus aus nach Kleinarmenien und Kleinasien unter Ausnutzung des Hasses der Völker gegen Rom und mit bedeutenden Bundesgenossen (Tigranes), nimmt 92 in Kappado-
706 kien den Kampf mit ÕSulla auf; beginnt mit Griechen seinen 1.erfolgreichen Eroberungskrieg gegen Rom 89- 84 (Massenmord an Römern in ganz Kleinasien), wird von Sulla gebremst, der 86 Athen erobert, erlebt den Abfall der Griechen. Im 2. Krieg 83 – 81 kämpft er gegen Lucius Licinius Lucullus in seinen Stammlanden. Im 3. Krieg 74 – 63 gelingen ihm Rückeroberungen, doch wird er durch ÕPompeius Magnus unterworfen; er plant Einfall über die Alpen in Italien, lässt sich aber 63 durch einen Söldner töten. 3,10,13; 10,1,17; 12,16,11. Monica (Monnica). 332 – 387. Hochverehrte Mutter von ÕAugustinus. 2,1,9. Monicus. Name für Gherardo ÕPetrarca. 10,4,13 ff. Moses. Führer der Juden bei ihrem Auszug aus Ägypten (ca. 1250 v. Chr. ?); ihr Gesetzgeber; galt als Verfasser der 5 Mosebücher, die aber viel später entstanden sind. 6,3,10; 7,2,7; 10,4,6. Gen. 6,3,9 und 62; 7,2,8 und 16; 10,4,1; exod. 7,2,8; num. 11,7,9; 12,9,5; deut. 6,3,10. Mucius, Gaius, Scaevola. 6.Jh.v. Chr.; 507 Held im Kampf gegen den König ÕPorsenna; schleicht sich in dessen Lager; ermordet versehentlich den falschen Mann, bekräftigt beim Verhör seinen Mut mit Verbrennen seiner Rechten und entmutigt damit die Gegner. 6,2,8; 10,1,16. Munatius Plancus, Lucius. Ca. 90 – 15. Parteigänger ÕCaesars, gründet Colonia Raurica; ist 44/43 Statthalter in Gallien; geht 43 zu ÕAntonius über, später zu ÕOctavian; galt als guter Redner. 5,11,2. Musae. 7 (oder 9) Töchter des Zeus, Göttinnen der Künste oder diese selber; angesiedelt auf dem Parnass; angeführt von Apollon.
N Naevius, Gnaeus. 3. Jh.v. Chr.; aus Campanien; Komödiendichter, Dramatiker, Epiker; Vorgänger des ÕPlautus; 235 erster Auftritt in Rom. 4,7,9; 4,15,9 und 11. Naso, s. Ovidius. Nechepso. 2.Jh.v. Chr., ägyptischer Magier, Verfasser astrologischer Schriften, bei den Alten
Personenregister meist mit dem Magier Petosiris zusammen erwähnt. 8,4,31. Neclepsus, s. Nechepso. Nelli, Francesco; Vorsteher an der Apostelkirche in Florenz; Priester und Dichter; tätig für seine Bischöfe und 1363/65 für den Hof von Neapel; nach Wesen und Denken dem Freund Petrarca besonders verwandt; von diesem mit dem Übernamen ÕSimonides bezeichnet; Empfänger der Seniles. 9,2,5 – 6; 11,6,10. Adressat von 12,4; 12,5; 12,5; 12,9; 12,12; 12,13. Neoptolemos. Sohn des ÕAchille(u)s; Enkel des ÕLykomedes; von ÕOdysseus zum Kampf um Troia beigezogen; tötet den letzten König vonTroia ÕPriamos; ist Held vieler sich widersprechender Sagen, Gegenstand grosser Heldenverehrung. 9,13,24. Neptunus. Gott der Gewässer, des Meeeres, steht für Poseidon, ist Beschützer der Schiffer. 5,5,15 und 21; 8,5,12; 12,11,1; 12,17,2. Nereides. Meernymphen. 8,5,12. Nero, Gaius Claudius, s. Claudius. Nero, Claudius, Caesar Drusus Germanicus. Sohn des Gnaeus Domitius und der jüngeren ÕAgrippina, * 37 in Antium; wird erzogen durch ÕSeneca, 54 zum Kaiser ausgerufen auf Betreiben der Mutter, die er 59 vergifet. Ab 62 verminderr sich der Einfluss Senecas; ab 64 tritt Nero als Kitharöde auf; ein Brand in Rom veranlasst seine Christenverfolgung. Es folgen Verdächtigungen vieler und Todesurteile. Der allgemeine Abfall und die Erklärung zum Staatsfeind führen 68 zum Selbstmord. 3,7,3; 5,4,5; 6,2,13; 6,3,24; 7,15,4; 8,5,5. Nestor. Sagengestalt aus dem Krieg um Troia; Sohn des Neleus; greiser Herrscher von Pylos; er verliert im troischen Krieg seinen Lieblingssohn Antilochos, ist vor Troia weiser Berater der Griechen und oft Friedensstifter. 3,10,14; 6,3,13. Niccolò d’Alife. Hofmann in Neapel unter König ÕRoberto, mit Petrarca befreundet. 12,3,2. Niccolò da Lucca (Niccolosio Bartolomei). * 1311 in Venedig; Kaufmann und Politiker, zeitweise in Lucca. Adressat von 9,11. Nigidius Figulus, Publius. Ca.100 – 45. Römischer Naturforscher, Grammatiker, Freund Ciceros und 63 als Senator dessen Helfer gegen die Catilinarier; Parteigänger des Cn.ÕPom-
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Personenregister peius, nach dessen Niederlage verbannt und 45 gestorben. 8,4,31; 12,8,6. Ninus. Sagengestalt, Begründer des assyrischen Reiches, Gründer von Ninive, Gatte der ÕSemiramis. 6,3,12. Nobilior, Marcus Fulvius, s. Fulvius. Nonius Marcellus, s.Marcellus. Numa Pompilius. Nach der Sage zweiter König von Rom, Nachfolger von Romulus; trifft angeblich Massnahmen zur Landeseinteilung, Ackerverteilung, Überwindung von Stammeszwist und sorgt für Sakralgesetzgebung, Friedensstiftung. 2,9,6; 3,7,2; 6,2,5; 6,3,21 und 32. Numantini. Einwohner der spanischen Stadt Numantia, die von ÕScipio Numantinus zerstört wurde. 11,8,17.
O Octavia. Titelfigur einer Tragödie, die dem Philosophen ÕSeneca zugeschrieben wurde. 1,1,43; 12,2,6. Octavia. Schwester des ÕAugustus. 70 – 11 v. Chr., Mutter des Marcus ÕClaudius Marcellus, dessen frühen Tod sie ihr Leben lang beklagt; wird neben ihm im Mausoleum des Augustus beigesetzt. 6,3,65. Octavianus, s. Augustus. Odysseus (Ulixes). Held der Odyssee, der listenreiche Fürst von Ithaka, 10 Jahre lang beteiligt am Kampf um Troia, dann 10 Jahre lang auf abenteuerlichen Irrfahrten über die Meere bis an die Enden der Erde. Nach der Rückkehr tötet er die Freier seiner treuen Gattin ÕPenelope. 1,1,21 – 22; 9,13,24 – 25 und 28; 10,3,35. Oldrado da Ponte. Stammt aus Lucca, ist Rechtslehrer ab 1302 in Bologna, später in Padua, schliesslich in Avignon; †1335. 4,16,13. Olimpio, s. Cristiani. Orbilius Pupillus. Ca. 114 – 14. Schullehrer, sehr geschätzt, aber berühmt für seine Schläge; voller Klagen über ehrgeizige Eltern. 12,3,18. Orestes. Sohn ÕAgamemnons, Rächer seines Vaters an seiner Mutter ÕKlytaim(n)estra; tötet sie auf Befehl des Apollon. 12,16,26. Origenes. Ca. 184- ca. 253. Kühnster und fruchtbarster Theologe des frühen Christentums; strenger Asket; Leiter der Schule in Ale-
xandreia; Schrifterklärer durch Allegorese; stark umstritten; in der Christenverfolgung unter Decius gefoltert. 6,3,23; 10,3,8. Orion. Riesenhafter Jäger; schüttet das Vorgebirge Pelorias, das Nordostkap Siziliens, auf. 9,5,48. Orosius, Paulus. 4./5.Jh.n. Chr., aus Bracara in Portugal, Verfasser einer Universalgeschichte als Fortsetzung von ÕAugustins de civitate dei zur Verteidigung des Christentums gegen die Heiden; mit Augustinus und ÕHieronymus persönlich bekannt. Hist. adv. pag.1,5,15; 3,1,8 und 12. Orpheus. Aus Thrakien; mythischer Musiker mit Zaubermacht über Menschen, Tiere, Pflanzen, unbelebte Natur. Gatte der Eurydike, die er aus dem Hades zurückholt. 1,9,7; 8,10,25; 12,9,5. Orsini. Römische Adelsfamilie, angeblich aus Spoleto, entschlossene Gegnerin der ebenso streitbaren ÕColonna. 3,3,1 – 3; 11,16,8 – 9; 11,17,2 – 4. Orso von Anguillara, s. Anguillara. Ovidius, Publius Naso. 43 v. Chr.- ca.18 n. Chr.; aus Sulmo (Sulmona) und Rittergeschlecht; macht rhetorische Studien in Rom, Bildungsreisen in den Osten; kehrt zurück; wird rasch bekannt für erotische Elegien, Lehrgedichte, aber auch für Tragödien; ist witzig, phantasievoll, kenntnisreich, leichtfüssig; 8 n. Chr. aus unbekannten Gründen von ÕAugustus ans Schwarze Meer verbannt. 1,5,6; 2,1,14 – 15; 7,1,5 – 7; 9,4,14; 9,13,11. Am. 4,1,21; fast. 2,1,14; metam. 1,5,6; 5,5,1; 6,3,13; pont. 4,1,13; 9,13,11; rem. 3,20,8; 5,8,9; trist. 5,5,1; 7,1,6; 9,13,11; 12,7,6;
P Pacuvius. 220-vor 130 oder nach anderer Tradition um eine Generation später; Dichter und Maler, Neffe oder Enkel des ÕEnnius, der ihm Vorbild in der Dichtung ist; Klassiker der Tragödie. 3,8,2. Paganino da Besozzo, s. Bizzozzero. Pales. Göttin der Weiden und der Hirten. 10,4,24. Palinurus. Vorgebirge, benannt nach des Aeneas Steuermann, der ebenda ins Meer stürzte. 2,7,4; 5,3,12; 8,1,10; 12,2,36.
708 Pallas, s. Athene. Panaitios (Panitius). Aus Rhodos; ca. 185 – 109. ÕStoiker, Lehrer des ÕPoseidonios; nach ca.170 Priester des Poseidon in Lindos, ca.140 – 120 fast immer in Rom im Kreis des ÕScipio Africanus Minor; vertritt die ÕStoa in gemilderter Form: der Mensch ist Glied des Kosmos, nicht sein Zentrum; neben der Forderung nach Wahrung des höchsten sittlich Guten gibt es die Rücksicht auf jeweiligen Nutzen in der Gemeinschaft; wichtig ist neben Charakterstärke besonders die Hochherzigkeit. 4,15,8. Pannonii.Volk in der Gegend des heutigen Ungarn. 9,12,3; 11,8,31. Papazurri, Bartolomeo Carbone dei, s. Bartolomeo. Papirius, Lucius Publius, Cursor. Ab 326 hervorragend bewährt in den Samniterkriegen, 6 mal Konsul, 2 mal Diktator. 10,1,16. Papirius Praetextatus. Berühmt durch Anekdote von Cato; soll als Knabe, um einen Ratsbeschluss nicht zu verraten, eine neugierige Frage seiner Mutter mit einer witzig-grotesken Auskunft pariert haben. 11,8,22. Pardubitz, Ernst Malowetz, von. 1297 – 1364. 1326 Domherr in Prag, 1343 Bischof von Prag und 1344 Erzbischof. Ratgeber Karls IV., mit diplomatischen Aufträgen betraut; von grossem religiösem Ernst; mit Petrarca in Avignon bekannt; mit ihm befeundet (Stellen in späteren Büchern). Parenzo von Incisa. †1306. Grossvater Petrarcas, Notar in Florenz. 11,5,11. Paris. Sagengestalt aus dem Krieg um Troia; Sohn des Troerkönigs ÕPriamos, Schiedsrichter im Streit dreier Göttinnen um Schönheit; raubt Helene, die Gattin des Menelaos (vgl. Agamemnon) und gibt damit den Anlass zum Troischen Krieg; kämpft als Bogenschütze, oft angefeuert durch ÕHektor. 10,5,14. Parmenion. Erfolgreichster Feldherr der Könige ÕPhilippos II. und ÕAlexandros von Makedonien; ab 356 oft selbständig entscheidend bei zunehmenden Spannungen mit den Herrschern; 330 auf Befehl Alexanders umgebracht. 12,2,17. Parrhasius. Ca. 440 – 390. Hervorragender Maler neben ÕApelles und ÕZeuxis, tätig ausschliesslich in Athen. 5,17,5.
Personenregister Parthenias, Name für Vergil. 10.4.24. Parthi. Parther, Volk im westasiatischem Grossreich; seit dem 1.Jh.v. Chr. bewaffnete Gegner der Römer. 1,7,2; 2,6,4; 4,2,12. Pastrengo, Guglielmo da. 1290-ca. 1362. Einer der ersten italienischen Humanisten der Frührenaissance, studiert in Bologna, wird Prokurator der Comune von Verona, verfasst kirchliche und säkulare Werke, hat Vorliebe für Astrologie. Adressat von 9,15; 9,16. Paulinus von Mailand, 5. Jh n. Chr., Sekretär des Bischofs Ambrosius, schrieb nach dessen Tod eine Vita seines Herrn. 1,2,14. Paulus. Jüdischer Gelehrter, gemäss Apg. vom Verfolger der Christen zu Christus bekehrt; den Aposteln zugezählt; bestimmt für Bekehrungswerk unter den Völkern; gemartert wohl unter Kaiser ÕNero; gilt als Verfasser mehrerer Briefe. 2,1,14 – 15; 6,2,13; 9,13,36; 10,3,7; 11,16,36. 1Cor. 4,1,4; 4,3,4; 7,2,17 und 19; Eph. 6,1,27; Hebr. 6,3,40; 7,2,16; 9,5,13; Phil. 7,4,6; Col. 6,1,27; Rom. 3,13,9; 3,15,2; 4,1,30; 4,12,27; 9,5,41; 12,16,18; 1Thess.12,16,18; 1 Tim. 6,1,12; 6,3,42; 10,5,8; Peirithous (- oos,Perithous). Legendärer Herrscher über das Heldenvolk der Lapithen, kämpft mit diesem und mit dem Freund ÕTheseus gegen Kentauren und Amazonen, dringt mit diesem in den Hades vor; bildet mit ihm ein klassisches Freundespaar. 12,16,26. Peisistratos. * ca. 600; †528. Athener; Nachfahre ÕSolons; nach Beteiligung an Kriegen besetzt er die Akropolis ca. 561; errichtet eine Tyrannis, wird verbannt, lebt in Makedonien, kehrt nach ca.10 Jahren mit einem Heer zurück und erneuert die Tyrannis. Pflegt Kulturpolitik, Bautätigkeit, gründet eine Bibliothek. 3,18,9; 12,9,19. Pelasgoi. Sammelname für vorgriechische Völker in Hellas und auch für vorrömische Völker in Italien. 1,11,4. Peleus. Held aus dem Pelionsgebirge, Vater des ÕAchille(u)s. 3,10,14. Pellegrino von Messina, s. Caloiro, Pellegrino. Pelorios Pelorias, s.Orion. Penelope. Gattin von ÕOdysseus (Ulixes), die sich mit List ihrer Freier erwehrt, bis der Gatte von Irrfahrten zurückkommt, Vorbild für Gattentreue. 2,15,2; 9,13,24.
Personenregister Perikles. * Ca.490; Staatsmann, Redner und Feldherr in Athen; radikal demokratisch gesinnt; entmachtet Kimon (Sohn von ÕMiltiades) und Areopag 461, übernimmt die Führung unter Wahrung der Volksversammlung als oberster Instanz. Verfolgt den alten Zweifrontenkrieg gegen Sparta und Perser; befestigt Athen, beendet den Perserkrieg 449 und schliesst Frieden mit Sparta 446. Fördert Künstler und Dichter; erneuert 431 den Krieg mit Sparta; stirbt 429 ein Jahr nach der Pest. 2,1,32. Persae, Perser. 11,8,14. Perse(u)s. * 212, Sohn ÕPhilipps V.; überredet seinen Vater, den römerfreundlichen Bruder ÕDemetrios (Geisel in Rom) töten zu lassen; ist 179 – 168 letzter König von Makedonien; wird im 3. Makedonischen Krieg vom Römer Lucius ÕAemilius Paullus 168 bei Pydna besiegt, dann im Triumphzug vorgeführt und hingerichtet; 6,2,10; 9,5,48; 12,16,11. Persius, Publius Flaccus Aulus. 34 – 62 n. Chr.; Sohn einer angesehenen Familie aus Volterra; mit 12 Jahren in Rom; gehört zum Kreis des ÕLucanus und des Philosophen ÕSeneca; ist Satiriker; als klassischer Dichter und Moralist geschätzt. Sat. 6,1,23 und 26.31; 9,5,18; 10,3,15. Petosiris. Lebenszeit unbekannt. Astrologe und Priester, meist mit ÕNechepso zusammen erwähnt. 8,4,31. Petracco von Incisa. Vater von Petrarca. 1256 – 1326. Notar in Florenz, grosser Verehrer Ciceros, 1302 aus politischen Gründen mit seiner Familie vertrieben, ab 1311 in Avignon. 1,1,23; 5,5,19; 6,3,32; 11,5,7 und 11. Petrarca, Francesco. 1304 – 1374. Erwähnt passim. Werke: Afr. 3,22,11; 4,13,3; 7,7,5 – 6; 7,18,7; 8,3,11; 8,7,5; 10,4,34; 12,7,5 – 6. Buc. carm. 8,3,11; 10,4,11 und 12 – 34; 11,1,5; canz.1,1,6; 3,4,1; 7,18,8; 8,3,13; 10,3,21 und 25; 12,6,5; fam. 1,1,4 – 7.11.15.16.28.30.39 und 40 – 45; 1,5,13 – 14; 3,4,4; 5,1,4; 5,16,1 – 2; 6,3,51; 6,5,8; 7,13,15; 8,3,11; 8,7,3 – 10; 8,9,16 und 30; 9,2,9; 9,6,4; 9,7,2 – 4; 9,11,1; 9,12,1 und 4; 9,13,36; 10,2,6; 11,17,9; 12,1,1; 12,13,1; 12,17,4 – 5; metr. 1,1,10 – 11 und 34; 7,7,5- 6; 7,13,5 und 7; 7,15,13; 8,3,11; 9,13,36; 11,2,2; 12,4,7; 12,5,7; 12,7,3; de otio relig. 8,3,12; philol.
709 2,7,5; 7,16,6; rer. mem. 5,7,5; ps. penit. 10,3,56; vir ill. 8,3,12; 8,7,5; 9,15,1; vit. sol. 8,3,12; 9,14,7. Petrarca, Gherardo. Bruder des Francesco. * 1307; studiert in Bologna, lebt in Avignon, wird 1343 Kartäuser in Montrieux. 4,1, passim; 9,2,3; 10,2,6; 10,3,10.11 – 15.17 – 20.22.23 – 25.28 – 29.36 – 40 und 56; 10,4,1 und 10 – 34; 10,5,1 – 2.17.21 – 24 und 27 – 29. Adressat von 10,3; 10,4; 10,5. Petrarca, Giovanni. Sohn des Francesco. * wohl 1337 von uns unbekannter Mutter, Schüler von ÕMoggio von Parma, Rinaldo Cavalchini und ÕGiberto Baiardi; 1352 von Papst Clemens VI. mit einem Kanonikat in Verona versehen; †1361 an der Pest in Mailand. 7,17. Petrus (Pietro) von Alvernia, s. Pierre d’ Auvergne. Petrus. Apostelfürst; Bischof von Rom, Märtyrer; gilt als Verfasser der Petrusbriefe. Ihm soll, als er aus Rom fliehen wollte, Christus begegnet sein, der auf die Fage quo vadis geantwortet habe: Nochmals zur Kreuzigung. 6,2,13; 7,2,16; 9,13,34 und 36; 11,6,7; 11,6,36; 11,16,36. Petrus II. (Pedro) von Aragon – Sizilien; Mitregent seines Vaters ÕFederico ab 1321 – 1342 in Trinacrien (Insel Sizilien). 1,2,12. Petrus IV. (Pedro). 1319 – 1387. König von Aragon 1336 mit grossen Eroberungsplänen, schliesst 1351 ein Bündnis mit Venedig gegen Genua. 11,8,28. Phaidra (Phaedra). Sagengestalt, Gattin von ÕTheseus, Stiefmutter von Hippolytos, den sie begehrt und wegen seiner Zurückweisung beim Vater verleumdet. 9,5,47. Phalaris. Sichert die Stadt Akragas gegen die Sikaner, macht sich zum Feldherrn im Kampf gegen die Karthager, verschafft sich die Alleinherrschaft als Tyrann von Akragas (Agrigent) 570 – 554. 3,7,3; 5,3,11. Pheidias (Phidias). 5. Jh., hervorragender Bildhauer und Maler in Athen, berühmt für Götterbilder. 1,1,37; 5,17,5; 6,2,13. Pherekydes der Syrer. 6. Jh. v. Chr.; Mythograph und Kosmologe, lehrt in Allegorien über Göttergeschlechter und Ursprung der Welt; ist Lehrer des ÕPythagoras. 4,3,6. Philippe de Cavaillon (Cabassole). 1305 – 1372. 1334 Bischof von Cavaillon. Eng mit Petrarca liiert (zu seiner Diözese gehört Vaucluse). Der Familie der Anjou nahestehend, von König
710 ÕRoberto von Neapel zum Vizekanzler bestimmt, vertritt 1343 am Hof in Neapel die Rechte des Papstes, wird 1361 Patriarch von Jerusalem, 1366 Bischof von Marseille, 1368 Kardinal. Mit verschiedenen kirchenpolitischen Missionen betraut. 5,3,13 – 14. Adressat von 2,1; 6,9; 11,4; 11,10; 11,11; 11,15; 12,6. Philippe VI. Valois. * 1293. König von Frankreich 1328 – 1350, Gegner des Engländers Edward III. im Hundertjährigen Krieg. 3,1,6; 3,10,2. Philippe de Vitry (Champagne). 1291 – 1361. Dichter und Musiker, Mitbegründer der französischen ars nova; Sekretär am Hof von Charles IV; 1351 Bischof von Meaux; Freund Petrarcas. Adressat von 9,13; 11,14. Philippos, Akarnane. Arzt ÕAlexanders des Grossen; wird angeblich von ÕParmenion verdächtigt, er wolle – bestochen durch den Perserkönig Dareios – seinem König Gift reichen, doch findet er bei Alexander Vertrauen. 12,2,17. Philippos II.; * ca.382. König von Makedonien 359 – 336, Vater ÕAlexanders des Grossen; dehnt seine Eroberungen gegen Griechenland aus und macht sich Griechen zum Feind; verhandelt mit Athen, findet dort Unterstützung bei Philokrates und ÕAischines und schliesst Frieden. ÕIsokrates versucht ihn zum Krieg gegen die Perser zu gewinnen; während ÕDemosthenes ihn bekämpft; doch ein ewiger Friede erlaubt es den Griechen, ihn 337 zum Strategen im Krieg gegen die Perser zu machen (vgl. Alexandros). Philippos V.; * 238. König von Makedonien 221 – 179; veranlasst die 3 Makedonischen Kriege.1) Bündnis 215 mit Karthago, um die Römer aus Illyrien zu verdrängen; 205 Frieden mit Rom und Verzicht auf Bündnis mit Karthago. – 2) Annäherung an Antiochos III.von Syrien und Plan einer Aufteilung des Ptolemäerreiches; neuer Kampf gegen Rom und Frieden von Kynoskephalai 197, diktiert von T. Q. ÕFlamininus. – 3) neue Feldzüge mit Besteigung des Haimos (Länderscheide auf dem Balkan). Auf Einflüsterung des Sohnes und Nachfolgers ÕPerseus befiehlt er die Ermordung seines Sohnes ÕDemetrios in Rom. 4,1,2; 9,5,48; 12,16,11. Philoktetes. Bogenschütze, Freund des ÕHerakles, von dem er Bogen und unfehlbare Pfeile
Personenregister erhalten hat; beteiligt am Troerkrieg; erschiesst den Bogenschützen ÕParis. 12,2,36; 12,16,26. Phintias (Phitias). Pythagoräer in Syrakus, bewährt sich als Freund des ÕDamon, der für ihn vor dem Tyrannen Dionysios II. Bürge ist. 12,16,26. Phoibos (Phoebus), s. Apollon. 11,6,1. Phoinix. Wundervogel mit Selbstverbrennung und Neuerstehung aus seiner Asche. 4,14,3; 5,17,10. Phokea. Pithia, s. Pytheas. 3,1,10. Photinus, s. Potheinos. Pierides. Die Musen; abgeleitet von Pieros. Dieser führt die Musen in die Landschaft Pierien in Makedonien (oder hat Töchter, die sich auf einen Wettstreit mit den Musen einlassen und ihn verlieren). 2,13,1; 4,7,1; 8,3,7; 9,1,4. Pierre d’Auvergne. 1344 Benediktiner, später Abt von St-Bénigne bei Dijon; Freund Petrarcas. 9,9,6; 9,10,4 Pilatus, Pontius. 5. römischer Prokurator in Judäa 27 – 36. Richter im Prozess gegen Jesus von Nazareth. 7,2,23. Pio Manfredi, s. Manfredi. Pipino di Altamura, s. Altamura. Pirothous, s. Peirithous. Pisani. Einwohner von Pisa, 5,3,4. Pisistratus, s. Peisistratos. Piso, Marcus Pupius, s. Pupius. Pitea, Pithea, s. Pytheas. Plancus, Lucius Munatius, s. Munatius. Plato(n). 427 – 347; aus Athen. Philosoph; bedeutendster Schüler des ÕSokrates; nach dessen Tod reist er nach Unteritalien und Sizilien; lebt dort kurze Zeit als Ratgeber am Hof des Tyrannen ÕDionysios des Jüngeren. Nach der Rückkehr ca. 387 gründet er in Athen die „Akademie“,verfasst zahlreiche Schriften. Grundvorstellungen: Es gibt ein transzendentes Reich der Ideen; das Gute (Gott) ist ein Einziges, ist die Idee der Ideen, welche eine Gemeinschaft (Kosmos) bilden; ihr fern sein, heisst schlecht sein. Besinnung auf wahre Werte ist nötig zum guten Handeln; dieses ordnet die Welt, die Gesellschaft, den Staat. Sinneserkenntnis und Körper sind Täuschung und Schein; die Seele ist unsterblich, hat sich von der Welt des Scheins zu befreien; tut es auf der Seelenwanderung. 1,2,6; 1,4,2; 1,7,7; 1,8,10; 2,9,10 – 12; 3,12,6; 3,18,5; 3,22,3; 4,15,5 – 6.8.9 und 11;
Personenregister 4,16,8; 5,1,3; 6,2,1; 6,3,18 und 28; 7,2,18; 9,13,13; 10,3,8; 11,8,33; 12,5,1; 12,9,4; 12,14,2; leg. 7,14,2; 11,11,1; Phaid. 3,18,5; 4,3,6; Tim. 3,18,5. Platonici. Vertreter der platonischen Philosophie. 2,9,10 und 12. Plautus, Titus (Spitzname Maccus, der Tölpel, selbst gewählt). Aus Umbrien; ca. 254 – 184. Ist zuerst Bühnenarbeiter; tritt in Rom zu unbekannter Zeit auf. Schreibt ca. 25 Komödien in Nachbildung attischer Vorbilder, derb, witzig, bühnenwirksam.1,2,28; 4,15,9 und 11; 4,18,1; 5,8,7- 8; 5,14,1 und 3.4.6. Amph. 3,8,5; asin. 4,18,2; 5,8,7; 5,9,3; aul. 1,10,2; 4,17,2; 4,19,1; 5,15,2; 5,19,8; 6,7,1; capt. 1,11,4; 2,11,1; 3,6,8; cas. 1,2,28; 4,7,7; 5,14,3 und 4; cist. 9,4,15; 9,4,16; curc. 4,18,3; 9,4,19; Epid. 4,17,1; 4,18,3; 5,9,1. Plinius, Gaius Secundus der Ältere. * 23 in Como. Offizier, Staatsbeamter; Historiker; leistet 47 ff. Militärdienst in Germanien, 67/68 in Judäa, ist Beamter am Hof ÕVespasians; stirbt bei der Beobachtung des Vesuvausbruchs 79; wird bekannt besonders als Verfasser einer Naturgeschichte. 3,1,12; 3,18,5 und 7; 12,5.7. Nat. 1,1,14; 3,1,10; 4,15,19; 5,11,2; 5,19,3 – 5 und 7; 8,4,18 und 31; 9,4,5; 11,7,7; 12,5,7 – 8; 12,8,1. Plotinus. Ca. 204 – 270. Neuplatoniker, Asket, geschult in Alexandreia; nimmt 242 teil am Feldzug des ÕGordianus; ist ab 244 Lehrer in Rom mit grossem Zulauf, bewährt sich als Vormund von Waisen. Seine Schriften, von Porphyrios gesammelt und kommentiert, werden viel beachtet, vor allem auch in der christlichen Philosophie. 3,12,8; 3,10,14. Plutarchus. Historiker und Philosoph von Cheironeia. * ca. 46 n. Chr. in Athen und hier geschult; unternimmt Reisen in Griechenland, Ägypten, Kleinasien, Italien. Als römischer Bürger wirkt er in grossem Schülerkreis und hat Beziehungen mit den Mächtigen Roms; ist berühmt als Verfasser vergleichender Biographien, †um 120. 12,14,3. (Pseudo-Plutarchus. 11,5,4). Poggetto, Bertrando del, s. Bertrand du Pouget. Poliorketes, (Polikertes), Demetrios, s. Demetrios. Polienos, s. Polyainos. Pollio Asinius, s. Asinius.
711 Polyainos. Von Lampsakos. 4./3. Jh.; Schüler von Epikuros; von diesem sehr geschätzt. 1,1,20. Polykleitos. Aus Argos. Ca. 450 – 410. Bildhauer, Erzgiesser, Haupt einer einflussreichen Schule. 5,17,5; 8,4,5. Polyneikes (Polynices). Sohn des Oidipus; ermordet seinen Bruder, trifft auf der Flucht in Argos mit ÕTydeus zusammen, beteiligt sich mit diesem am Zug der „Sieben gegen Theben“ (Streit um die Herrschaft über diese Stadt) und stirbt mit diesem. 12,16,26. Polyphemos. ÕKyklop; von Petrarca als Bezeichnung für ÕHannibal verwendet. 10,4,20 und 32. Pompeius, Macer. Ca. 60 v. Chr.- 33 n. Chr.; befreundet mit ÕOvid, Verfasser eines Epos über den Zorn des Achilles; Vorsteher der palatinischen Bibliothek. 3,18,11; 7,4,2. Pompeius, Magnus Gnaeus. 106 – 48. Staatsmann und Feldherr; aus reichem Adel; kämpft im Bundesgenossenkrieg und unterstützt ÕSulla, dann Marcus Iunius ÕBrutus, unterwirft Spanien, ÕMithradates, Seeräuber, 63 Jerusalem; organisiert Provinzen, verbündet sich mit ÕCaesar und ÕCrassus, führt dann immer schärferen Machtkampf mit Caesar, flieht 49 aus Rom, unterliegt 48 bei Pharsalos, flieht nach Ägypten und wird ermordet. 1,4,7; 2,2,17; 2,4,31; 3,3,8; 3,10,6 und 11; 3,21,1; 4,12,41; 5,4,8; 6,2,11; 6,3,4 und 22; 7,2,13; 7,12,23; 9,9,2; 9,11,6 und 8; 9,13,23; 12,2,19; 12,8,9. Pomponius Mela; schreibt wohl in Rom um 43/44 n. Chr. geographische Werke; unternimmt Reisen; ist wichtig wegen Zitaten aus früheren geographischen Werken. Chorogr. 1,7,5; 3,1,12 – 13; 4,1,2. Pontianus (Ponticianus). 5.Jh.n. Chr., christlicher Hofbeamter, genannt von Augustinus im 8. Buch der Conf. 6,4,13. Poplicola, s. ÕValerius Publicola. Porcia. Schwester von ÕCato Uticensis, Gattin des ÕDomitius Ahenobarbus, die Cicero mit einer Laudatio geehrt hat. 2,15,1. Porsenna. König der Etrusker in Clusium. Erobert 507 Rom, was aber die Legenden um ÕMucius Scaevola und ÕHoratius Cocles verschleiern. 6,2,8; 9,11,8; 10,1,16.
712 Poseidonios von Apameia. 135 – 51/50; ÕStoiker, Geograph, Historiker; in Athen Schüler des Philosophen ÕPanaitios; tätig in Rhodos; aufgesucht von ÕCicero. Die Natur ist für ihn nicht das schlechtweg Gute wie für die alte ÕStoa; der Logos nicht eine unbestritten herrschende Gewalt. Ziel des Menschen ist die Überwindung der Affekte, die das Logische verdunkeln; dann führt die Gemeinsamkeit mit dem Logos zur Erkenntnis von Ursache und Wirkung, zu geistigem Austausch von geistigen Wesen untereinander. 6,3,52; 9,11,8. Potheinos. 1.Jh.v. Chr., Eunuch, ab 51 Regent des jungen Königs Ptolemaios XIII.; vertreibt dessen Gattin ÕKleopatra aus Alexandreia, veranlasst die Ermordung von ÕPompeius dem Grossen; vgl. Achillas. 5,3,20. Praxiteles. Athener. 370 – 320. Plastiker in Erz und Marmor; nur aus Anekdoten bekannt; vielleicht Vorfahre späterer Künstler gleichen Namens. 5,17,5; 6,2,13. Priamos. Letzter König von Troia, Vater von ÕParis, ÕHektor, Helenos etc.; am Kampf um die Stadt kaum beteiligt, erlebt er den Tod fast aller seiner 19 Söhne. 3,10,14; 8,1,14. Priscianus. * im mauretanischen Caesarea, Grammatiker, lehrt in Konstantinopel im 5./6. Jh. n. Chr., verfasst das Werk Instit. de arte gramm. 3,18,7. Prokris. Sagengestalt, Jagdgefährtin der Artemis, vom Gatten Kephalos betrogen, mit ihm versöhnt, dann von Eifersucht gepeinigt und von ihm versehentlich auf der Jagd erlegt. 9,5,47. Prometheus. Sohn eines Titans, revoltiert gegen die Götter, stiehlt ihnen das Feuer; wird zur Strafe gefesselt an einen Felsen, wo ein Adler täglich an seiner Leber nagt. 6,3,64. Propertius, Sextius. Aus Umbrien. Ca. 47 – 2. Verliert Landbesitz durch Konfiskation; findet in Rom Anschluss an den Kreis um Maecenas; dichtet Elegien in Abhängigkeit von griechischen Traditionen, protestiert dabei gegen moralische Mängel zeitgenössischer Politik. 9,4,14. Prosper, Tiro. Von Aquitanien, ca. 415 – 455 n. Chr.; Asket und Schriftsteller mit kirchenpolitischer Tätigkeit. 10,4,8. Prudentius, Aurelius Publius Clemens. * 348 in Saragossa. Grösster altchristlicher Dichter, rhetorisch geschult. Rechtsanwalt, Statthalter,
Personenregister dann hoher Beamter von ÕTheodosius I. Verfasser von Hymnen, Preisliedern, Lehrgedichten, Invektiven; †nach 405. 10,4,8. Psophis, Aglaos von, s. Aglaos. Psophidios, s. Aglaos. Psylloi. Libyscher Volksstamm von Schlangenbeschwörern. 5,6,1. Ptolemaios I. Soter. * 367/366. Feldherr ÕAlexanders des Grossen, 323 Satrap in Ägypten, 305 König. Erobert 298 Kyrene, später Kypros, steht im Kampf mit den Seleukiden; fördert die Verwaltung, Kultur, erstellt ein Museion und eine Bibliothek, †283/282. 3,18,5. Ptolemaios II. Philadelphos. Sohn von Ptolemaios I.; Mitregent 285 – 283; dann bis zum Tod 246 Alleinherrscher. 3,18,5; 7,4,2. Ptolemaios IV. Philopator. Sohn des III. * nach 240. König 221 – 204. Während Aufständen in Äypten hält er Neutralität im 2. Punischen Krieg zwischen Karthago und Rom; zu seiner Zeit beginnt die Krise im Reich. 6,8,11. Ptolemaios XIII. Philopator Philadelphos. * 61. Ab 51 ist er Mitregent der Schwester- Gemahlin ÕKleopatra VII., der letzten Ptolemäerin, aber unter Vormundschaft von ÕAchillas und ÕPotheinos, die ÕPompeius ermorden; 47 ertrinkt er. Petrarca verwendet seinen Namen für ÕAndrea von Ungarn. 5,3,20. Publicola, (Poplicola), Valerius, s. Valerius. Publilius, Syrus. 1.Jh.v. Chr., Mime in Rom, bekannt durch seine Sentenzen, auch vom Philosophen ÕSeneca geschätzt. 3,20,11; 5,5,21; 6,1,4; 11,1,3. Publius. Erwähnt in den Saturnalien von ÕMacrobius, nicht näher bekannt. 6,1,1. Pupius, Marcus Calpurnianus Piso. * wohl vor 47 v. Chr.; Redner, Lehrer Ciceros, vertritt in dessen Werk de fin. die Auffassung der Peripatetiker. 12,8,7. Pyrrhos von Epeiros. Ca. 319 – 272. König der Molosser 306 – 272; Schwiegersohn von ÕPtolemaios I.; 288 verwickelt in Wirren der Makedonier; 280 aufgerufen von Tarent zur Hilfe gegen Rom; erklärt einen Panhellenischen Krieg und macht Riesenaufgebot. Siegt unter gewaltigen Verlusten („Pyrrhussieg“); macht 279 ein Friedensangebot, das ÕClaudius Appius Caecus ablehnt; erlaubt sich Unternehmungen in Sizilien; ist Hegemon in Syrakus; erlebt den Abfall sizil. Griechen; kehrt 275 nach Grie-
Personenregister chenland zurück, stirbt 272 im Strassenkampf. 1,4,3; 3,7,2; 3,10,13; 6,4,9; 6,8,4 und 10; 9,11,8; 10,1,17; 11,16,22; 12,2,19; 12,16,11. Pythagoras. Von Samos. Zieht 532/1v. Chr. aus der Heimat aus (einziges gesichertes Datum); sucht eine vollkommene Lebensführung in Gemeinsamkeit; übersiedelt wegen Angriffen nach Metapontion, stirbt ca. 497. Grundideen (nicht schriftlich festgehalten) verlangen Reinheit des Lebens (inkl.der Speise) als Voraussetzung aller Erkenntnis; der Körper ist Widersacher der unsterblichen Seele; sie erlöst sich durch Seelenwanderung; es gibt Einheit sowie Zahl; diese ist erstes Mittel zur Erkenntnis und erbringt eine Harmonie des Verschiedenen. 1,2,6; 3,12,5; 4,3,6; 9,13,13; 10,3,8 – 9; 12,3,6. Pytheas. Von Marseille. 4.Jh. v. Chr.; Geograph und Seefahrer, der von seinen Reisen in den Süden und in den hohen Norden eine Schrift verfasst hat. 3,1,10.
Q Quintilianus, Marcus, Fabius. Lehrer der Beredsamkeit. ca. 35 – 100. Aus Calahorra am Ebro, ausgebildet in Rom, dann tätig in der Heimat, von wo er nach dem Tod von ÕNero 68 den zum Kaiser ausgerufenen Galba in die Kaiserstadt geleitet. Ebenda wird er als Anwalt geschätzt, wird erster Lehrer an der von ÕVespasian errichteten Rhetorikschule (mit besoldeten Lehrern); fordert einfache, kraftvolle Sprache unter Ablehnung des Gesuchten und aller Manier. Sein Hauptwerk ist die Institutio oratoria. 4,11,3.
R Ravagnani, Benintendi, dei, s. Benintendi. Raymondo Subirani, Sopranos, s. Subirani. Regulus, Marcus At(t)ilius, s. Atilius. Regulus, Serranus, s. Serranus (Sarranus) Remus. Mit dem Zwillingsbruder ÕRomulus Gründer Roms. Rhenani. Rheinländer. 1,4,1; 1,5,1 und 8. Richard de Bury, s. Bury.
713 Roberto d’Angiò, (Anjou) der Weise. * um 1275/1279. König von Sizilien/Neapel 13091349; Haupt des Guelfenbundes, der Papstpartei in Italien; Gegner der Ghibellinen und der Kaiserherrschaft; päpstlicher Vikar für ganz Reichsitalien; Generalkapitän der Truppen im Kirchenstaat; zeitweiliger Signore verschiedener Guelfenstädte; kinderlos, bestimmt seine Enkelin ÕGiovanna zur Nachfolge; sehr gebildet, Förderer der Künste, hochverehrt von Petrarca. 1,2,9- 10; 4,2,1.7.11.13 und 15; 4,3,1.4 und 9; 4,4,5; 4,6,6; 4,8,1; 5,3,10 – 11; 5,4,12 und 15; 6,5,4.7 und 14 – 16; 9,2,5; 11,2,5; 12,2,35; 12,7,1 – 3. Adressat von 4,3; 4,7. Roberto dei Bardi, s. Bardi. Roberto von Milet. Herrschsüchtiger Intrigant am Hof von Neapel nach dem Tod des Königs ÕRoberto, Franziskaner der spiritualen Richtung, die dort geschätzt war. 5,3,8 – 12 und 14; 5,6,1. Romani. Römer (der Antike). 1,1,6; 1,4,3; 2,1,31; 4,1,2; 4,15,19; 6,3,22; 6,8,4; 7,2,12; 9,11,9; 10,4,33; 11,16,11.13 und 25; 11,17,8; 12,2,6; 12,15,3. Romani. Römer. 4,7,2; 4,12,41; 6,2,14; 7,1,9; 11,16,11.13.19 und 33. Romulus. Mit dem Zwillingsbruder Remus nach der Geburt ausgesetzt und von einer Wölfin aufgezogen; tötet den Bruder bei der Gründung Roms; veranlasst den Raub der Sabinerinnen und die ersten Kriege mit Nachbarn; bestimmt Kulte und städtische Struktur; verschwindet bei Unwetter, fährt zum Himmel. 3,7,2; 6,2,5; 7,2,20 – 22. Rossi, Ugo (Ugolino de Rubeis). Aus der bis 1335 in Parma herrschenden Familie seines Namens. 1323 – 1377 Bischof von Parma; misstraut seinem Archidiakon Petrarca. 9,6,3 – 4; 9,7,2 – 4; 11,6,3. Adressat von 9,5. Rufillus. Eitler Geck, erwähnt von Horaz. 1,10,4. Ruth. Hauptgestalt des alttestamentlichen Buches Ruth, Gattin des Boas, des Stammvaters ÕDavids. 7,2,5. Rutilius. Rufus, Publius. 2./1.Jh.v. Chr. In Rom unter dem Einfluss des ÕPanaitios, bewährt in verschiedenen Kriegen, Legat in Spanien, Kreta, Afrika, Asien. 92 von parteiischen Richtern wegen angeblicher Erpressung verurteilt, geht er freiwillig ins Exil. 2,3,10; 11,5,6.
714 S Saba, Königin von. Herrscherin des reichen Volkes in Südarabien; besucht König ÕSalomon wegen seiner Weisheit. 9,11,9. Sabini. Sabiner; Volk in Mittelitalien; die Römer raubten ihnen gemäss Sage bei der Gründung Roms ihre Töchter; bei mehrfachen Spannungen zwischen ihnen und den Römern wurden sie unterworfen; so von M. ÕCurius Dentatus und ÕValerius Publicola. 6,2,5; 11,16,21; 12,16,25. Saguntini. Bevölkerung der iberischen Stadt Sagunt; diese wurde 219, da Rom keine Hilfe brachte, von ÕHannibal erobert, 212 von den Brüdern ÕScipio zurückerobert. 3,19,10. Saladin. 1169 – 1193 Sultan in Ägypten, angegriffen im 3. Kreuzzug; zeitweise verbündet mit Byzanz; in der italienischen Dichtung als grossherziger und freigebiger Gegner gepriesen. 9,11,9. Salinator, Marcus Livius, s. ÕLivius. Sallustius, Crispus, Gaius. 86 – 34. Aus dem Sabinerland; Politiker und Geschichtsschreiber; in Rom ausgebildet, in den Streit um T. Annius ÕMilo einbezogen. Macht Angriffe auf Cicero; ist beharrlicher Gegner des ÕPompeius und treu gegenüber ÕCaesar. Nach dessen Tod zieht er sich ins Privatleben zurück. Von seinen Werken, geschrieben in sentenzenhaftem Stil, sind besonders bekannt die Darstellungen der Verschwörung Catilinas und des Krieges gegen ÕIugurtha. 5,11,3; Cat. 4,5,3; 7,2,2; 8,4,10; 9,9,3; 12,15,3; Iug. 1,4,6; 2,13,2; 3,10,5; 6,4,11; 8,4,10; 9,13,3; 11,16,25; 12,2,14. Salomo(n). Ca. 965 – 926. Hauptgestalt im 3. Buch der Könige (1 – 11). Sohn ÕDavids, König über Israel und Iuda; Erbauer des Tempels in Jerusalem; berühmt für seine Weisheit; Verfasser angeblich des Hohenliedes, der Sprüche Salomons (proverbia) und des Buches Prediger (ecclesiastes). 1,2,21; 6,3,42; 9,11,9; 10,4,6. Ecclesiastes 3,4,3; 4,6,7; prov. 6,3,42; 7,17,11. Sammonicus Serenus, s. Serenus. Samnites. Bevölkerung der Gegend von Samnium; macht mehrfach Angriffe auf Rom; wird 293 von ÕCurius M. Dentatus entscheidend geschlagen; verbindet sich 279 mit ÕPyrrhos; wird immer neu mit Krieg überzogen und von ÕSulla 82 ausgerottet. 6,8,4; 10,1,17; 11,16,22.
Personenregister Sancia von Mallorca. Königin von Sizilien/Neapel, Gattin und Witwe des Königs ÕRoberto. 5,1,2; 5,3,8 und 20; 5,4,2. Sarmatae, Sarmaten. Barbarenvolk aus dem Iran, im Gebiet zwischen Weichsel und Wolga. 5,5,19; 7,1,6. Satiricus, s. Iuvenalis. Saturnus. Römischer Gott der Anpflanzung und der Saat; hat einen Tempel auf dem Kapitol; wird gefeiert im Monat Dezember mit dem Fest der Saturnalien. 2,12,2; 5,5,19. Saul. Um 1000 erster König der Juden; Hauptgestalt im 1.Buch der Könige; gerät in Gegensatz zum Propheten Samuel, der ihn gesalbt hat; kämpft gegen die Philister; neidet ÕDavid die grösseren Erfolge und verfolgt ihn, stirbt kämpfend. 7,2,6. Scaeva, Cassius. Centurio. 48 in der Schlacht von Dyrrhachium unter Caesar zu sterben bereit. 10,3,46 – 47. Scaevola, Gaius Mucius, s. Mucius. Scala, della, Scaliger, Mastino. Herr von Verona, verwandt mit der Familie ÕCorreggio; 1341 beteiligt am Streit um Parma. 4,9,1. Scholastici. Gelehrte im Mittelalter, die zur Wahrheitsfindung auf ratio und auctoritas bauen, sich dabei der Dialektik bedienen; bei Petrarca Vertreter einer dekadenten geistlosen Schulmeisterei, die sich mit Auszügen, Zusammenfassungen, Abrissen, Glossen beschäftigen, eine zur äusserlichen und sturen Technik verkommene Methode perfektionieren, bei Wortklauberei, Geistreichelei und Spitzfindigkeit stehen bleiben; vgl. Dialectici. 1,2,5; 6,8,4; 12,3,9. Scipio Publius Cornelius, Africanus Maior. Ca.235 – 183. Held der Römer im 2. Punischen Krieg; erhält nach der Niederlage der Römer 216 bei Cannae den Oberbefehl in Spanien, wo er bis 206 die Karthager vertreibt; hat 205 das Kommando in Sizilien, setzt gegen den Widerstand des Senats nach Afrika über, verbindet sich mit ÕMassinissa und besiegt 202 ÕHannibal entscheidend bei Zama; unterstützt 190 seinen Bruder im Krieg gegen ÕAntiochos; verlässt Rom erbittert wegen Anschuldigungen; stirbt 183 in Campanien; ist berühmt für militärische Talente, politische Gewandtheit, Liebenswürdigkeit, auch für seine Freundschaft mit ÕLaelius († ca.160).
Personenregister 1,2,21.26 und 27; 2,4,31; 2,9,6 und 25; 3,10,11; 3,12,6; 3,19,8; 3,22,1und 3; 4,15,13; 5,3,6; 5,4,9; 6,3,65 (?); 6,4,11; 6,8,11; 7,2,12; 8,1,20; 8,5,12; 9,5,12; 9,11,4 – 5; 9,12,21; 9,13,21 – 22 und 37; 10,1,21; 10,3,48(?); 10,4,19 und 32 – 34; 11,8,22; 12,2,20 und 27.36(?); 12,4,4; 12,16,8 und 26(?). Petrarca unterscheidet nicht immer klar zwischen Africanus Maior und Minor. Scipio Publius Cornelius Aemilianus, Africanus Minor, Numantinus. Ca.185 – 129. Held im 3. Punischen Krieg; Sohn des L. ÕAemilius Paullus; kämpft mit diesem 168 bei Pydna, ist vertraut mit griechischer Kultur, pflegt Beziehungen mit ÕTerentius und Polybius, zieht in den spanischen Krieg, erhält 147 den Oberbefehl in Afrika, wo Karthago zerstört wird; ist Gesandter im Orient, hat 134 Oberbefehl in Spanien; erreicht die Übergabe von Numantia und 132 seine Zerstörung; ist Gegner der ÕGracchen, berühmt für seine Freundschaft mit ÕLaelius (†ca 123). 2,4,31; 2,6,3; 3,3,10; 3,7,5; 3,10,11; 6,8,11; 7,2,23; 7,7,1; 12,2,7 und 33; 12,8,8. Scipiones. Berühmtester Zweig der Familie der Cornelier; vgl.die vorangehenden Namen. 2,2,16; 6,3,65; 8,1,20; 10,3,48; 12,2,36; 12,16,26 Secundus, Iulius. Enkel und Gesprächspartner des Iulius ÕFlorus in einem Zitat aus Quintilian. 1,8,13 – 14. Sedulius. Christlicher Dichter, verfasst um 450 lateinische Hymnen, Memoriergedichte zur Heilsgeschichte mit typologischer Deutung, Opus pascale zuerst in Versen, dann in Prosa. 10,4,8. Semiramis. Legendäre babylonische Königin, Gattin und Witwe des ÕNinos; unternimmt einen Zug nach Indien, errichtet märchenhafte Riesenbauten und hängende Gärten; stirbt vielleicht um 782 v. Chr. 9,4,4; 9,11,9; 12,11,8. Seneca (Maior), Lucius Annaeus. Aus Cordoba. Ca. 55 v. Chr. – 40 n. Chr. Vater von ÕSeneca Minor. Rhetor, Verfasser historischer und rhetorischer Werke; von Petrarca gleichgesetzt mit dem Sohn. Controv. 3,18,6; 4,11,3; 4,15,7; 5,9,1; 6,1,4. Seneca (Minor), Lucius Annaeus. Aus Cordoba. Ca.4 v. Chr. – 65 n. Chr. Sohn ÕSenecas, des
715 Rhetors; ÕStoiker, Dichter und Politiker; kommt in früher Jugend nach Rom; erregt Neid mit seiner Redebegabung; lebt 41 – 48 verbannt in Korsika; wird von ÕAgrippina zurückgerufen und zum Erzieher ihres Sohnes ÕNero (ab 54 Kaiser) bestimmt; sieht ab 59 seinen Einfluss schwinden; zieht sich zurück nach Campanien; wird 65 von Nero zum Selbstmord gezwungen. Seine Stoa ist die der Spätzeit; Materialismus und Determinismus sind gemindert oder geschwunden; Gott ist transzendent; das richtige Verhalten des Menschen beruht auf Furchtlosigkeit, Hinwendung zum Geistigen, Verachtung für das LeiblichMaterielle und auf ruhiger Hinnahme des Todes. Als Dichter verfasst Seneca Tragödien in hochpathetischem Stil und mit Vorliebe für das Überhöhte, Unmenschliche. 1,1,20 und 32; 1,7,10 und 18; 1,8,3; 4,15,5 und 17; 4,16,8 und 9; 6,1,7; 6,3,24; 10,3,34 und 43; benef. 6,8,7; 8,7,18; 9,4,7; clem. 12,2,28; 12,3,16; dial. 2,3,11; 8,4,10; 9,9,3; 9,5,14; 10,1,6; 11,14,2; 12,3,16; 12,5,1; 12,10,2; (epist.) ad Lucil. 1,1,20 und 32; 1,3,3 und 4; 1,7,18; 1,8,2 und 3; 2,1,36; 2,4,9 und 32; 2,7,16; 2,9,5 und 25; 3,10,12; 3,13,11; 3,15,7; 3,18,5; 4,1,5 und 28; 4,11,1; 4,12,21; 4,15,17; 5,4,6; 5,8,3; 5,18,5; 6,1,3.5 und 20; 6,3,13.24.39.44 und 50; 7,3,2; 7,10,10; 8,3,8; 8,4,3.11.23 und 27; 8,5,3; 8,7,22; 9,9,3; 9,13,2; 10,3,13.30.31 – 32.33 und 48; 10,5,17; 11,3,4; 11,8,27; 11,12,7; 12,1,8; 12,2,15; 12,3,19; nat. quaest. 1,1,44; 3,2,4; de superstit. 3,18,5; Med. 3,1,2; Thy. 4,2,12; 12,2,22. Seneca. Pseudo-. Das Werk Octavia wurde dem Philosophen zugeschrieben. 1,1,34; 12,2,6. Sennuccio del Bene, s. Bene. Senones. Volk in der Gegend der heutigen Stadt Sens, Gallier, Kelten; wandert 4. Jh. in Italien ein; angeblich von ÕCamillus besiegt. 3,19,8; 10,1,17; 11,16,11. Septimius Severus, Lucius.* 146; Kaiser 193 – 211. Aus Rittergeschlecht; ausgebildet in Rom; aufgenommen in den Senat. Studiert in Athen, wird Statthalter in Gallien, Germanien und Oberpanonien; kämpft als Kaiser in Gallien und Germanien; erstellt 202 einen Triumphbogen; zieht 208 nach Britannien, stirbt 211 in Eboracum (York). 6,2,13.
716 Serenus, Sammonicus. Sohn des berühmten Grammatikers im 3. Jh. n. Chr., Dichter; soll dem jüngeren Kaiser ÕGordianus, seinem Schüler, die reichhaltige Bibliothek seines Vaters hinterlassen haben; ist vielleicht eine erdichtete Gestalt. 3,18,13. Serranus, Gaius, Atilius Regulus. Konsul, von Petrarca vielleicht gleichgesetzt mit ÕAtilius Regulus Marcus. 6,2,8; 10,1,16. Servius. Um 400 n. Chr. Grammatiker; in den Saturnalien des ÕMacrobius Gesprächspartner; Verfasser eines Vergilkommentars und anderer Werke. Ad Aen. 2,3,1; 3,18,5; 5,5,1; ad Georg. 1,1,6; 3,1,11; vita Verg. 10,4,24. Servius Tullius. Angeblich sechster römischer König, soll die Hügel Quirinalis, Viminalis und Esquilinus in die mit Mauern umgürtete Stadt einbezogen und auf dem Aventin einen Dianatempel, auch andere Heiligtümer errichtet haben; er sei ein Gönner der Plebs gewesen, auf Verlangen seiner Tochter ÕTullia ermordet worden. 3,7,2; 6,2,6. Sette, Guido. Ca. 1304 – 1367. Aus Luni, Archidiacon in Genua, 1348 Erzbischof von Genua, eng befreundet mit Petrarca. 9,2,4. Adressat von 5,16; 5,17; 5,18. Severinus, Anicius Manlius, Boethius, s. Boethius. Severo, Ap(p)enninicola, s. Ap(p)enninicola. Sextus, Tarquinius, s. Tarquinius. Sibylla Cumana. Seherin von Cumae. 5,4,5. Sibylla Tiburtina. Seherin von Tibur. 6,2,12. Silvanus. Gestalt in einem für Petrarcas Bruder verfassten Hirtengedicht, bezeichnet den Dichter selber; vgl. Silvius. 10,4,20; Silvester. Römer. 314 – 335 Papst; soll sich nach der Legende zur Zeit der Christenverfolgung auf dem Sorakte verborgen, später Kaiser ÕConstantinus getauft und von ihm die sogenannte Konstantinische Schenkung erhalten haben; auf dem ersten allgemeinen Konzil von Nicäa liess er sich durch Bischof Hosius von Cordoba verteten. 2,12,2; 6,2,13; 6,3,67; 9,13,36. Silvius. Übername Petrarcas, weil er eine Vorliebe für das Leben in Wäldern hegt. 10,4,13 – 16.18 – 12.23.24.27.30 und 31. Simon Magus. Zauberer in den Act.; will mit Geld den Geist Christi erkaufen, wird vom
Personenregister Apostel Petrus mit schwerer Strafe bedroht. 9,13,36. Simone Martini, s. Martini. Simonides. Von Keos. * ca. 556; †468/467 in Akragas. Als Dichter vor allem Chorlyriker, zuerst am Hof des Hipparchos in Athen, später bei andern Fürsten; zur Zeit des ÕThemistokles wieder in Athen, zuletzt auf Sizilien in der Gunst von ÕHieron; geistreich, skeptisch. Sein Name wird von Petrarca auf den Freund ÕNelli übertragen. 6,3,17. Sirach, Jesus. Verfasser des apokryphen biblischen Buches Ecclesiasticus. 3,17,2; 7,13,12; 7,17,13; 10,5,8; 11,16,2. Sirenae. Weibliche Meerdämonen, die mit ihrem Gesang die Schiffer ins Verderben locken. ÕOdysseus lässt sich, um sie zu hören und doch ihrer Betörung zu entgehen, an den Schiffsmast binden. 5,8,4; 9,4,18; 9,13,24; 10,3,2. Skythai. Skythen; Volkststämme, 7. – 3. Jh. im Gebiet der heutigen Ukraine; verwandt mit iranischen Sarmaten; Ackerbauern, Viehzüchter und Bogenschützen; 4.Jh. Königreich zwischen Maiotis und unterer Donau, dauernd bis 3. Jh.n. Chr. 2,3,30; 10,1,18; 11,8,35; 12,16,11. Sokrates. Ca. 470 – 399. Begründer der attischen Philosophie; Lehrer vor allem ÕPlatons, der seine Reden niederschreibt; in Athen abgelehnt, wegen angeblicher Gottlosigkeit zum Giftbecher verurteilt. Er lehrt unbezahlt auf der Strasse; ist Rationalist, ÕSophist insofern Streitkunst der Wahrheitssuche dient; meidet schriftliche Fixierung, versteht Philosophie als Bemühung eines jeden Menschen um Wahrheit. Diese holt er im Gespräch unter ständigem Fragen nicht ohne Ironie aus dem Innern des Menschen heraus (Hebammen- Methode); schliesst von der Einzelerkenntnis durch Prüfung und Zusammenfassung auf Allgemeines; verlangt unabdingbar klare Sprache, Erfahrung und Sachverstand (wie Handwerker haben); weiss von einem göttlichen Dämon, der im Menscheninnern lebt und dessen Stimme man folgen muss, will man das Gute erkennen und tun; dabei ist Unrecht- Leiden besser als Unrecht-Tun. 2,1,12; 2,9,19; 3,10,14; 4,3,6; 4,12,24; 6,3,18 und 56; 9,5,44; 9,13,10; 10,5,15; 12,9,4.
Personenregister Sokrates; Übername für Ludwig (van Beeringen) van Kempen. * ca. 1304. Wirkt in Avignon, ist Kantor des Kardinals ÕColonna bis zu dessen Tod, wohl ab 1330 befreundet mit Petrarca, der ihm ca. 1350 die Familiaren widmet und ca. 1354 sein Kanonikat in Lombez überlässt. Tod wohl vor 1361. Petrarcas Plan eines gemeinsamen mönchsähnlichen Lebens mit ihm zerschlägt sich früh. 1,1,11und 48; 6,9,1; 7,12,13; 7,13,5und 9; 7,18,1und 3; 8,3,2 – 4; 8,4,8; 9,2; 9,2,7 und 8. Adressat von 1,1; 5,13; 5,14; 5,15; 7,3; 7,6; 8,7; 8,8; 8,9; 9,2; 9,9; 10,2; 11,7. Solinus, Gaius Iulius. 3. Jh.n. Chr.; Verfasser eines Kompendiums mit Wissenswertem aus ungenannten Quellen (vielfach aus Plinius), vor allem mit geographischen und historischen Angaben über den Mittelmeerraum und Nordeuropa. Collect. 3,1,8; 5,16,1. Solon. Ca.640 – 580. Aus Athen. Gesetzgeber der Spartaner, Dichter, reisender Geschäftsmann; Reformer des Staatswesens mit Entschuldung der Bürgerschaft und Neuverteilung des Bodens, Ordnung von Massen, Gewichten, Münzen. 3,18,5; 6,3,14 und 42; 8,1,8; 8,10,13; 12,7,6. Sophidios; s. Aglaos Psophidios. Sophista, sophisticus, s. dialecticus. Sophokles. 497 – 406/405. Aus Athen, Tragiker, Vorsänger nach dem Sieg bei Salamis 480. Priester. Stiftet ein Heiligtum dem ÕHerakles, bewährt sich als Seher, pflegt Beziehungen zu ÕPerikles und Herodot; erfreut sich grosser Beliebtheit; verfasst Dramen, Elegien, Prosawerke. Seine Tragödien handeln von Schuld und Schuldlosigkeit der Menschen, vom Schicksal und Verhängnis, von freier Verfügung und Verantwortung der Götter. 6,3,14. Spanier, s. Hispani. Spartaner, s. Lakedaimonii. Spartianus, Aelius. Schreibt wohl nach 394 oder nach 405 eine Historia Augusta, Biographien römischer Kaiser. 9,13,28. Spoletini. Abkömmlinge von Spoleto. 11,16,9. Staberius Eros. 1.Jh.v. Chr.; Grammatiker, wohl durch ÕSulla nach Rom gebracht; Lehrer von M.I. ÕBrutus; schreibt de proportione. 1,10,4. Statius, Publius Papinius. Ca. 40 – 96; Dichter, aus neapolitanischem Ritterstand; hält sich in Rom auf; schreibt als Lyriker und Epiker
717 Oden, Gedichte in Mischformen, die Epen Achilleis und Thebais. 4,15,13; 4,16,11. Ach. 12,15,3; Theb. 3,18,6; 5,16,2; 7,12,25. Stefano, Colonna il Vecchio (der Alte), Haupt der römischen Grossfamilie, der Petrarca eng verbunden war; s. Colonna. Stephanus. Genannt in den Act.; Diakon in der Christengemeinde Jerusalems, Erzmärtyrer. 6,2,13; 9,13,35. Stilicho, Flavius. * ca. 365; Vandale, ab ca. 383 im Dienst von ÕTheodosius, später von dessen Söhnen Arcadius und Honorius; zwingt den Westgoten Alarich 403 zum Abzug aus Italien; wegen des Verdachts, er erstrebe das Kaisertum, 408 in Ravenna umgebracht. 6,3,35. Stilpon von Megara. Ca. 380 – 300. Vorsteher der Philosophenschule ebendort; glänzend als Eristiker, lehnt es ab, an den Hof des ÕPtolemaios Soter zu gehen; sagt nach seinem Verlust aller Güter bei der Plünderung Megaras das berühmte Wort: omnia mea mecum porto(alles Meinige trage ich mit mir). 2,4,9. Stoici. Stoiker, Vertreter der Stoa; diese (gegründet um 300 v. Chr. von Zenon aus Kition) wandelt sich nachher zur mittleren und späten Stoa (ÕPanaitios, ÕSeneca). Zenons strikter Atomismus, Materialismus und Determinismus werden bei den späteren Stoikern überwunden, beziehungsweise gemildert; Gott ist bei den spätern dem Kosmos nicht mehr klar immanent. Von der Lehre, die in Logik, Physik und Ethik besteht, verstärkt sich der Akzent auf der Ethik. – Der Kosmos ist völlig rational und damit durchaus gut, göttlich. Klagen gegen die Natur sind grundlos, also falsch. Der Mensch ist Mikrokosmos, damit Kosmopolit. Seine Tugend ist Wirken in Übereinstimmung mit dem Kosmos, entweder durch innere Notwendigkeit oder durch äusseren Zwang; immer nach Gesetz; sie ist erlernbar. Frei vom NichtRationalen, vom Nicht-Guten, frei von Affekten ist der Mensch bedürfnislos, dem Materiellen abgeneigt. In Übereinstimmung mit der Natur findet er die Glückseligkeit. 1,7,13; 3,15,4 – 5; 11,3,10. Strada, Zanobi da, s. Zanobi. Subirani, Raymondo. Lehrer des Kirchenrechts, Auditor an der Kurie unter Johann XXII., Geschäftsträger Edwards II. von England, †1330 in Avignon. Adressat von 1,3.
718 Suetonius Tranquillus Gaius. Wohl aus Hippo Regius, * 70 n. Chr., rhetorisch ausgebildet wohl in Rom; dank Vermittlung des jüngeren Plinius von ÕTraian gefördert; mit Ämtern betraut; am Ende des Lebens Privatgelehrter; Verfasser von Kaiserbiographien und eines Sammelwerkes über berühmte Männer; alles knapp und trocken, aber von historischem Wert. 3,18,5. Aug. 4,7,10; 11,5,14; 12,2,18; Caes. 6,4,10; 10,1,11; Cal. 3,18,5; Domit. 5,18,5; 8,1,28; 12,2,16; Nero 6,6,5; Vesp. 8,1,28; poet. 10,4,5. Sulla, Cornelius Lucius. * 138, †78. Staatsmann und Feldherr; Vertreter des Patriziats, Gegner der Volkspartei, damit des ÕMarius, kämpft zuerst unter diesem erfolgreich gegen ÕIugurtha und gegen Germanen, ist 91 ff. führend im Bundesgenossenkrieg (um Bürgerrecht der Italiker); erlangt 88 gegen Marius den Oberbefehl gegen ÕMithradates, erobert dabei 86 Athen, schliesst 85 Frieden, kehrt 83 nach Italien zurück; rächt sich an Marianern und regiert 82 –79 als Diktator, erlässt reaktionäre Gesetze, reorganisiert die Senatsherrschaft; stirbt nach Rückzug ins Privatleben. 2,2,16. Sulla, Conelius Publius. Verwandter des vorigen; reich dank billigem Erwerb von Hinterlassenschaften Proskribierter; mehrfach wegen unsauberen Geschäften angeklagt; einmal verteidig von Cicero, bei Pharsalos 48 auf seiten ÕCaesars. 12,8,9. Sulpitius Rufus, Publius. Bekannt aus Ciceros de or. und Brut., wo er als der beste Redner seiner Generation gepriesen wird; schliesst sich 89 der Plebs an, damit auchÕMarius, kann sich vor ÕSullas Rache retten, wird aber von einem Sklaven verraten und ermordet. 12,8,7. Superbus, s. Tarquinius. Syphax. König in Westnumidien, wendet sich 214/213 gegen Karthago, verbindet sich mit ÕScipio Africanus Maior, unterliegt im Streit mit ÕMassinissa; wird 206 von Karthago umworben; versucht zwischen den Mächten zu vermitteln, wird aber von Massinissa gefangen, von Scipio nach Rom gebracht und stirbt 201als Gefangener in Tibur. 3,22,1, 4,4,3 – 4; 9,5,11; 10,1,17; 12,16,11. Syri. Syrer; zwischen Mittelmeer und Euphrat. 4,3,6.
Personenregister T Talleyrand, Elie de, s. Elie. Tamyris, s. Tomyris. Tarpeia. Tochter des Befelshabers Tarpeius auf dem Kapitol, soll den feindlichen Sabinern (oder Kelten?) in verräterischer Weise ein Tor geöffnet und von diesen statt dem ausbedungenen Lohn den Tod empfangen haben. 6,2,10. Tarquinius Ar(r)uns. 6. Jh., legendär; Sohn des letzten römischen Königs ÕTarquinius Superbus; fällt im Zweikampf mit L.I. ÕBrutus, dem Begründer der römischen Republik. 6,2,8; 10,1,16. Tarquinius Collatinus. Gatte der ÕLucretia; nimmt Teil an der Verschwörung gegen den letzten römischen König ÕTarquinius Superbus. 9,5,48. Tarquinius Priscus. Fünfter römischer König; soll den kapitolinischen Tempel erbaut, Opferungen, Spiele, Triumphfeiern und Insignien eingeführt haben. 3,7,2; 6,2,6. Tarquinius Sextus. Sohn des letzten römischen Königs Superbus; gilt als Schänder der ÕLucretia; befehligt die Streitkräfte der Tarquinier im Kampf gegen Rom und fällt am Lacus Regillus. 6,2,7. Tarquinius Superbus. 6. Jh. Letzter römischer König; gilt als Sohn oder Enkel des ÕTarquinius Priscus; usurpiert angeblich die Königswürde, nachdem er den sechsten König ÕServius Tullius auf Verlangen der ÕTullia ermordet hat. 3,10,10; 6,2,7; 11,16,12. Telemachos. Sohn des ÕOdysseus und der ÕPenelope; macht sich auf die Suche nach seinem Vater und unterstützt ihn darauf bei der Überwältigung der Freier seiner Mutter. 9,13,24. Terentius, Publius Afer. * ca. 185 in Afrika, †ca.160. Verfasser von 6 noch erhaltenen Komödien; in Rom als Freigelassener aufgenommen in die Kreise des Adels, so der ÕScipionen; reist nach Athen und ist dann verschollen. Er vermeidet im Unterschied zu Plautus das Derbe und Groteske, bevorzugt den gehobenen Geschmack, kunstvolle Verschlingung der Handlungen und wirkt moralisierend im Sinn edler Menschlichkeit. 3,18,4; 4,15,10; 5,14,1. Ad. 4,15,11; 9,9,1; Andr. 1,1,31; 4,15,20; 9,5,22; 11,3,3; Eun. 3,4,3; 3,22,8; 4,15,11; 5,8,5; 7,7,13; Haut. 6,3,3; Phorm. 10,5,18.
Personenregister Teutoni. Deutsche. 2,4,31; 11,8,31; 12,16,11; vgl. Germani. Themistokles. Staatsmann in Athen. * um 520. Archon 493/492, sorgt für Ausbau des Hafens von Piraeus mit dem Ziel einer Seeherrschaft Athens; kämpft 490 bei Marathon unter ÕMiltiades; steigt nach dessen Tod zur Führung auf; beginnt 483/482 im Hinblick auf Perserangriffe den Flottenbau und macht Versuche zur Beilegung des Streites unter den Griechen; siegt 480 in der Meerenge von Salamis über den Perser ÕXerxes; befestigt Athen durch Mauerbau; flieht vor Gegnern in Athen; lebt in Argos; †459 als Lehensmann des Persers ÕArtaxerxes. 3,6,8; 3,10,13; 4,2,7; 6,4,10. Theodosius I. Flavus, der Grosse; Spanier, * 347. Erprobt in Feldzügen nach Britannien und Germanien, wird er Augustus 379; getauft 380. Er beruft das Konzil von Konstantinopel 381 ein; leistet Kirchenbusse auf Verlangen des ÕAmbrosius 390; verbietet den Götterkult 392; siegt über den von Senatoren gestützen Gegenkaiser ÕEugenios 394; sorgt für Wahrung der Grenzen, teilt aber das Reich unter seine Söhne in Ost und West; †395 in Mailand. 3,3,2 und 5. Theon. Gemeint ist von Petrarca wohl der in ÕPlutarchs Dialogen oft genannte vielseitige Gelehrte in Alexandrien aus der Zeit des Kaisers ÕNero. 5,12,1. Theophrastos von Lesbos. * ca. 371. Schüler von ÕPlaton und ÕAristoteles in Athen; 322 Schulhaupt; mit Rücksicht auf die Forschung ein Verteidiger der Lehrfreiheit und auch der Ehelosigkeit; berühmt für unentwegten Fleiss, schreibt Werke zur Logik, Metaphysik, Tierund Pflanzenkunde, Psychologie; † ca. 288. 8,4,10. Thersites. Missgestalteter, neidischer und nichtsnutziger Prahlhans in der Ilias; von ÕOdysseus gezüchtigt. 9,5,44. Theseus. Staatsheld der Athener; Sohn des Königs Aigeus; reiht Heldentat an Heldentat; befreit Athen vom Menschentribut an den kretischen König Minos; ist angeblich Begründer der athenischen Demokratie, Schützer der Bedrängten. Er glaubt den Verleumdungen seiner zweiten Gattin ÕPhaidra, die ihn zur Hinrichtung seines Sohnes ÕHippolytos aus erster Ehe drängt. 12,9,5; 12,16,26.
719 Thetis. Eine der ÕNereiden, Mutter des ÕAchille(u)s; versucht ihren Sohn mit Wasser und Feuer unsterblich zu machen und kann das Werk nicht vollenden, weshalb eine Ferse verwundbar bleibt; versteckt ihn bei ÕLykomedes. 2,15,2; 12,17,2. Thor. Name des Grund- und Gerichtsherrn über Vaucluse. 3,21,3; 3,22,9. Thrakes (Tracae). Bewohner auf dem Balkan und im nordwestlichen Kleinasien. 11,8,14. Tiberius, Iulius, Caesar, Augustus (4 n. Chr. von Õ Augustus adoptiert). 42 v. Chr. – 37 n. Chr.; ist hervorragend gebildet, nimmt teil an Feldzügen schon ab 26/25; verwaltet die Gallia Comata 16; zieht gegen Germanen und Pannonier; sichert Rhein- und Donaugrenzen; stösst vor an Elbe und Weser; übernimmt das Prinzipat 14 n. Chr.; verfügt nach schweren Unruhen in Rom die Hinrichtung des Prätorianerpräfekten Seianus 31, stiftet Frieden im Osten 35; wird von Historikern seiner Zeit zu Unrecht geschmäht. 4,12,2; 7,2,21; 12,2,18. Tibullus. Albius. * ca. 50 – 19. Elegiendichter. Verkehrt im Kreis von ÕMessalla, begleitet ihn ca.31 in den Krieg; lebt dann meist in ländlicher Zurückgezogenheit, schildert friedvolles Leben der einfachen Bauern in der Ablehnung der Stadtkultur und des Kriegslebens; berühmt wurde er 26/25 durch seine Lieder auf Delia. 9,4,14. Tiphys. Steuermann der ÕArgonauten, soll das Schiff mit grossem Geschick durch den Bosboros gelenkt haben; ist in der Antike Vorbild des guten Schiffers. 5,3,12. Tiro, Marcus Tullius. * ca 103 wohl im Haus ÕCiceros in Arpinum, hier – als Sklave – Schüler und Freund Ciceros und wie ein Glied der Familie aufgezogen; 53 freigelassen. Nach Ciceros Tod 43 lebt er auf einem Landgut bei Puteoli, ediert Reden und Briefe, auch eine Sammlung der Witzworte Ciceros; verwendet eine Kurzschrift, die sog. Tironischen Noten; †4 v. Chr. 4,16,10. Titus Flavius Vespasianus. * 39 n. Chr.; älterer Sohn des ÕVespasianus; Bruder des ÕDomitianus; Militärtribun in Germanien und Britannien, 66 mit dem Vater im jüdischen Krieg; 69 in Alexandreia, wo er den Caesarentitel empfängt; reist zur Beendigung des jüdischen Krieges nach Jerusalem; erobert 70 die Stadt;
720 feiert 71 den Triumph mit dem Vater in Rom, wird nach dessen Tod 79 sein Nachfolger; sorgt für Hilfsaktionen beimVesuvausbruch und bei der Pest; ist im Volk sehr beliebt, †81. 9,11,8. Tityrus. Hirte in der 3. Ekloge ÕVergils. 2,4,25. Tommaso Caloiro, s. Caloiro. Tomyris. mannhafte Königin der Massageten; soll von ÕKyros II. mit List (oder Gewalt) die Herausgabe ihres Sohnes gefordert haben. 2,15,2. Torquatus, Aulus Manlius, s. Manlius. Torquatus, Titus Manlius, s. Manlius. Torre, della, Guido. Rivale des Matteo ÕVisconti von Mailand, den er 1302 vertreibt und 11 Jahre lang von Mailand fern hält. 2,3,14. Tosetti, Lelio, s. Lelio. Traianus, Marcus Ulpius. * 53 n. Chr.; Spanier, Kaiser 98 – 117; ist Legat in Syrien unter ÕVespasian und ÕTitus, unter ÕDomitianus in Mainz; 97 Mitregent Nervas und 98 Alleinherrscher; ausgezeichnet durch soziale Fürsorge, Förderung von Verkehrswegen und Handel (Traiansforum); sichert 105 ff. die Grenzen; richtet im Osten Provinzen ein; annektiert Arabien; befriedet Armenien; wirft einen jüdischen Aufstand nieder; stirbt am Schwarzen Meer (Asche im Sockel der Traianssäule). 6,2,11; 11,5,4. Tranquillus, s. Suetonius. Triton. Meergottheit mit Fischleib, Sohn des Poseidon. 8,5,12. Tullia. Tochter ÕCiceros. Ca. 79- 45. Im Leben wenig glücklich, mehrmals verheiratet; vom Vater sehr geliebt und nach dem Tod sehr betrauert. 4,10,3. Tullia. Tochter des ÕServius Tullius, des sechsten Königs von Rom; soll seine Ermordung verlangt, ihren Wagen über seine Leiche gelenkt und seine Bestattung verhindert haben. 6,2,6 Tullius, s. Servius Tullius Tullus Hostilius; dritter König von Rom, Nachfolger des ÕNuma, kriegerisch; nimmt Alba (ÕHoratii) und siedelt die Besiegten auf dem Caelius an. 3,7,2; 3,10,10 und 21; 6,2,6. Tydeus. Sagengestalt, Held der Thebaner; trifft nach seinem Brudermord auf seiner Flucht in Argos ÕPolyneikes; gehört mit diesem zu den Sieben gegen Theben; beide fallen im Kampf. 12,6,26. Thyphis, s. Tiphys. Tyrannus auf Sizilien, s. Fridericus (Federico).
Personenregister U Ubertinus. Mönch von Vallombrosa. 12,4,3; 12,13,2 – 3. Ugo (Ugolino) Rossi, s. Rossi. Ulixes; s. Odysseus. Ursula. Märtyrerin; nach der Legende Tochter eines Königs von Britannien; versucht der Ehe mit einem Heiden zu entgehen, indem sie mit Gefährtinnen eine Schiffahrt unternimmt, gerät nach Köln und zieht von da nach Rom; kommt nach Köln zurück zur Zeit eines Hunneneinfalls, wird mit ihren Gefährtinnen (angeblich 10 000) ermordet und dort mit ihnen beerdigt. 1,5,11
V Valerius Marcus Corvinus, s. Corvinus. Valerius Maximus. Er beginnt 27 n. Chr. mit der Abfassung eines Handbuchs historischer Exempla aus den Bereichen Religion, Politik und Ethik, das er dem Kaiser ÕTiberius widmet; es wird sehr beliebt in der Spätantike und im MA, von Petrarca häufig benützt, z. B. von ÕDionigi da Borgo San Sepolcro kommentiert, übersetzt von ÕBoccaccio. 4,15,5; fact. et dict. mem. 2,4,9; 3,10,11; 3,20,9; 3,22,4; 6,3,21; 6,5,6; 6,8,8; 8,1,2 und 4; 8,4,18; 9,3,3; 9,5,25 und 48; 9,11,5; 10,4,34. Valerius Messalla, s. Messalla. Valerius Publicola (Poplicola) „Volksfreund“. Stürzt 509 die Tarquinier und ihr Königtum, zieht 507 gegen ÕPorsenna, siegt über Sabiner und Veienter, stirbt 503; erhält ein Staatsbegräbnis. 6,2,8; 6,3,40; 10,1,16; 11,16,21. Varro, Marcus, Atacinus. Aus Südfrankreich. * 82 v. Chr.; Übersetzer der Argonautica und Verfasser anderer Werke. Petrarca unterscheidet ihn nicht vom folgenden Varro. 4,16,9. Varro, Marcus Terentius (durch Petrarca vom vorgenannten nicht geschieden).116 – 27 meist in Rom. Als gelehrtester Römer gepriesen. Studiert in Athen; wird Offizier, Diplomat, Inhaber verschiedener Staatsämter, Freund des Cn. ÕPompeius; ist 77 mit ihm in Spanien; sein Legat 67 im Piratenkrieg. Lebt dann ca. 10 Jahre dem Studium; nähert sich ÕCaesar, wird dank diplomatischer Vorsicht nach Caesars Er-
Personenregister mordung von der Proskription verschont; gewinnt die Gunst ÕOctavians; widmet die letzten Jahre der Geschichts- und Sprachwissenschaft, Literatur. 1,1,43; 1,2,6; 1,7,3; 2,10,5; 3,18,4 und 11; 4,16,8; 6,2,1; 6,3,24; 7,4,2; 10,4,5; 10,5,14; 12,8,5. De poetis 4,16,9; re rust. 9,4,5; sat. Menipp. 4,16,9. Velleius, Gaius. Senator. Lebt bis ca.70 v. Chr.; wird von Cicero in de nat. deor. als Vertreter der Theologie des ÕEpikuros aufgeführt. 12,8,5. Venesini. Bewohner von Venaissin. 8,3,17. Veneti. In der Antike ein Volk im Osten Oberitaliens am Unterlauf des Po, das sich gemäss Sage hier an der Adria nach der Zerstörung Troias angesiedelt hat. 11,8,26. Zur Zeit Petrarcas Bürger Venedigs; in ständigem Kampf mit Genua um die Vorherrschaft zur See und im Osten. 2,2,7; 8,5,14; 11,8,14 und 29. Venus. Liebesgöttin, mit Aphrodite gleichgesetzt. 1,11,4; 6,1,26; 9,4,9; 10,5.14. Vergilius, Publius Maro. * in Andes bei Mantua. 70 – 19. Berühmtester Dichter der augusteischen Zeit; infolge einer Landverteilung an Veteranen Octavians seines Gutes verlustig. Studiert in Cremona und Mailand, kommt nach Rom; wird bei ÕAugustus und bei Maecenas, dem Gönner der Dichter, eingeführt; begründet seinen Ruhm mit den 42 – 39 verfassten Bucolica (Eclogae, Hirtenlieder), arbeitet 37 – 29 an der Georgica (über den Landbau) und ist dann bis zu seinem Tod mit dem Nationalepos Aeneis beschäftigt, es ist bei seinem Tod unvollendet, wird aber entgegen seinem Wunsch durch Augustus vor der Vernichtung gerettet, weckt sofort allgemeine Begeisterung, wird Schullektüre, hat immense Nachwirkung durch die Jahrhunderte. 1,1,44; 1,2,6 und 22 – 23; 1,5,6; 3,11,15; 3,12,7; 3,18,6; 4,7,5 – 6 und 9; 4,15,7; 6,3,32; 6,4,12; 9,5,15; 9,9,2; 9,13,44; 10,4,15 und 24 – 26.28; 11,5,7; 11,6,3; 12,3,18; 12,5,2. Aen.1,1,23 und 44; 1,2,22; 1,3,8 und 10; 1,4,3; 1,5,7; 1,8,17 und 19 – 24; 1,11,4; 2,2,2 und 4; 2,5,4 und 6; 2,6,4 und 6; 2,7,4 und 16; 2,9,17; 2,12,2; 3,8,2; 3,10,3; 3,18,6; 4,6,3; 4,7,8; 4,12,34; 5,4,5 und 7; 5,5,1.2.13 und 18; 5,6,6; 5,8,3; 5,10,4; 6,1,9 und 19; 6,3,41. 47 und 60; 6,5,2; 6,6,4; 7,5,1; 7,6,3; 7,7,3; 7,11,2; 7,12,2; 7,17,13; 8,1,10 und 12; 8,3,5 und 11; 8,5,6; 8,7,1; 8,9,16; 8,10,4; 9,1,8; 9,13,3.11
721 und 27; 10,3,5; 10,4,33; 11,3,11; 11,6,8; 11,8,13; 11,10,1; 11,15,1; 12,1,8; 12,2,31; 12,3,6; 12,4,8; 12,5,5; 12,7,5; 12,11,1und 2; 12,12,3; ecl. 1,5,15; 2,4,24 und 25; 2,6,4; 2,11,1; 7,7,9; 7,12,6; 8,9,9; 11,8,31; 12,2,37; 12,5,4; 12,9,6; 12,16,2; georg. 1,2,9; 1,3,3; 1,6,8; 1,8,10.17.18.21 und 24; 1,9,1; 2,9,24; 3,1,2 und 11; 3,21,5; 4,1,6 und 34; 5,6,6; 6,1,1; 8,4,30; 9,8,4; 11,7,9. Apocrypha: culex 5,12,3 (?); rosae 1,3,10. Verginia. Tochter des Verginius, gemäss Sage wegen ihrer Schönheit vom Richter ÕAppius Claudius begehrt und durch dessen Richterspruch einem seiner Klienten als Sklavin zugesprochen, vom Vater Verginius zur Rettung ihrer Ehre umgebracht. 6,2,9. Verginius, Lucius, s. Verginia. Vespasianus. * 9 n. Chr.; Vater von ÕTitus und ÕDomitianus. Ist militärisch tätig in Thrakien, Kreta, Kyrene, 41 Legat in Germanien; 43 auf dem Zug nach Britannien; 66 mit ÕNero in Achaia und wird mit dem Oberbefehl im jüdischen Krieg betraut; 69 zum Kaiser ausgerufen und zum Kampf mit Gegenkaisern, 71 mit Titus über Judäa triumphierend; übt strenge Steuerpolitik; baut Rom (nach Brand unter Nero) wieder auf; sorgt für Regulierung des Tibers; †79. 6,3,56; 8,1,28. Veturia. Mutter ÕCoriolans, die ihn von seinem Rachefeldzug gegen Rom abhält. 2,15,1; 12,16,25. Victorinus, Marius. 3./4.Jht. n. Chr.; unter ÕConstantinus Verfasser von Werken zur Grammatik, Philosophie und Theologie, getauft als Greis zwischen 353 – 357; muss wegen des Lehrverbots von Iulianus Apostata 362 seine Lehrtätigkeit aufgeben; Petrarca unterscheidet ihn nicht von Victorinus von Pettau (an der Drau), dem Grammatiker und Verfasser von Kommentaren zu biblischen Schriften, der unter ÕDiocletianus 304 den Märtyrertod erlitt. 6,4,13. Virginia und Virginius, s. Verginia und Verginius. Visconti, Luchino. * ca.1287. Herr von Mailand nach Azzos Tod 1339; mit Hilfe von Legisten festigt er seine Herrschaft; schafft straffe Verwaltung, übernimmt Führung der Ghibellinen; expandiert gegen Toscana und Piemont; erobert Parma; steht in schroffem Gegensatz zur
722 Papstmacht und zu Neapel, †1349. 3,7,2; 5,3,4. Adressat von 7,15. Visconti, Matteo. Ca. 1250 – 1322. Von Adolf von Nassau zum Reichsvikar eingesetzt, 1302 durch Guido della ÕTorre vertrieben, 1311 von Heinrich VII. im Amt bestätig; erfolgreich bemüht, seine Stellung erblich und unabhängig zu machen. 2,3,14 – 15. Vitry, Philippe de, s. Philippe. Vulcanus; Gott des Feuers; das Wort ist bei Petrarca für das Feuer selber verwendet. 1,1,9.
X Xantippe, Gattin des Philosophen ÕSokrates; von ÕXenophon als unerträgliches Weib dargestellt, welchem Sokrates mit Geduld begegnet; wohl bedeutend jünger als ihr Mann, bei dessen Tod ihre Söhne noch Kinder sind. 2,1,12. Xenokrates.Aus Chalkedon. Ca. 396 – 312. Schüler ÕPlatons, nach dessen Tod Schulhaupt der Akademie; verurteilt die Bindung Athens an Makedonien, wird daher nicht Bürger der Stadt. Er vereinfacht und fixiert die Lehre Platons, um sie leichter lehrbar zu machen; lebt in vielen Anekdoten; wird gerühmt für Wahrhaftigkeit, Unbestechlichkeit. 5,2,4; 6,3,18, 6,8,5. Xenophanes.Von Kolophon. Ca. 580 – bis nach 478 (mehr als 100 jährig?). Dichter, Philosoph, Theologe; bei Errichtung einer Tyrannis unter der Oberherrschaft des ÕKroisos aus der Stadt verbannt; wandert als Rhapsode nach Unteritalien und Sizilien; übt Kritik an naturphilosophischen Spekulationen; lehrt die Unbegreiflichkeit Gottes, der dem Menschen völlig ungleich sei; sein Monotheismus wird später pantheistisch gedeutet. 6,3,17. Xenophon. Aus Athen. * 430/425, †nach 355. Historiker. Nach 410 begegnet er Sokrates; nimmt 401 teil am Krieg des jüngeren Kyros gegen Artaxerxes; sucht nach des Kyros Tod
Personenregister Anschluss an Sparta; führt Krieg gegen Theben, das verbündet ist mit seiner Vaterstadt; wird aus Athen verbannt, lebt als Privatgelehrter nahe Olympia, dann in Korinth. Berühmt sind seine Anabasis (Zug der 10 000 Griechen), Erinnerungen an Sokrates, Oekonomie. 2,1,34; 6,8,2; oecon. 3,18,4.
Z Zaleukos. * um 663 v. Chr.; soll den zerstrittenen Bewohnern von Lokroi (am ionischen Meer) schriftlich fixierte Gesetze gegeben haben, die als die ältesten Europas gelten (Schutz des Eigentums, strenge sittliche Grundsätze); wurde in vielen Legenden idealisiert. 3,7,2. Zanobi da Strada. Grammatiker im Humanistenkreis in Florenz; beginnt eine Arbeit über ÕScipio Africanus, die er aus Rücksicht auf Petrarca abbricht. 1349 (1352?) an den Hof von Neapel gerufen, wohin er sich 1352 begibt; 1355 durch Karl IV. anlässlich seiner Romfahrt in Pisa zum Dichter gekrönt; später Sekretär an der Kurie in Avignon; †1361. 7,10,2 – 4 und 6; 7,18,1 – 2 und 4; 11,6,10. Adressat von 12,3; 12,17. Zaratustra, s. Zoroastres. Zeuxis. Aus Herakleia. ca. 435 – 390 als Maler tätig; bekannt fast nur durch Anekdoten, Darsteller von Figuren aus der Götter- und Sagenwelt. 5,17,5 Zoroastres (Zaratustra).Aus Baktrien. Ca. 600 v. Chr.(?) zum Priester bestimmt, empfängt er mit ca. 30 Jahren in der Einöde unter Fasten und Beten bestimmte Erkenntnisse, welche Angriffe auf den Mithraskult veranlassen; stiftet eine Religion: Der Herr der Weisheit steht über dem Dualismus von Wahrheit und Lüge; der Mensch hat sich für das Gute zu entscheiden und zur guten Ordnung mitzuhelfen; zur Religion gehört der Kult des heiligen Feuers. 2,9,22.